Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 59. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Pelster, Dr. Werber, Finckh, Hilbert, Dr. Dr. h. c. Müller ({0}), Brandt ({1}) und Frühwald.
Der Präsident hat für einen Tag Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Orth, Dr. Pohle ({2}), Frau Welter ({3}), Dr. Höck, Bettgenhäuser, Häussler, Maucher, Jacobs, Kühlthau, Berendsen, Geiger ({4}), Dr. Reichstein und Scheel.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 7. Dezember 1954 die Kleine Anfrage 128 der Fraktion der SPD betreffend Kriminalpolizeiliche Durchsuchung der Wohnung des Senators a. D. Dr. Günter Klein in Bonn - Drucksache 968 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1065 vervielfältigt.
Ich rufe auf den einzigen Punkt der heutigen Tagesordnung:
Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 ({0}) ({1}).
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren, - soweit Sie hier versammelt sind!
({0})
Die Aussprache in der ersten Beratung des Bundeshaushalts 1955 scheint, wenn ich nach den Anzeichen urteilen darf, dasselbe Schicksal zu haben wie die Haushaltsdebatte in diesem Hause in den vergangenen Jahren.
({1})
Ich hoffe, daß sich das im Laufe des Tages noch ändern wird, und vielleicht kann ich einiges dazu beitragen.
Ich möchte meine Ausführungen als Vertreter der sozialdemokratischen Opposition beginnen, indem ich mich ,den Wünschen anschließe, die Herr Staatssekretär Hartmann gestern dem Herrn Bundesfinanzminister ausgesprochen hat, den Wünschen auf eine baldige und vollkommene Genesung und eine baldige Rückkehr in sein Amt.
({2})
Ich bitte, das nicht nur als parlamentarische Courtoisie zu betrachten, sondern als den Ausdruck ernster Sorge. Der Herr Bundesfinanzminister wird vermutlich in den kommenden Wochen und Monaten seine ganze Kraft und Gesundheit notwendig haben, um die Probleme zu behandeln, die an ihn, an sein Ressort herantreten.
Meine Damen und Herren, was wir gestern hier erlebt haben, die Rede des Herrn Staatssekretärs, war in gewisser Hinsicht ein Novum. Daß der Bundesfinanzminister krank werden kann, ist etwas, was man menschlich und aus der Situation heraus verstehen kann. Das passiert eben. Aber es ist nicht gewöhnlich, daß dann für die Einbringung des Bundeshaushalts einfach der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen einspringen muß, - ein Beamter, dessen Qualitäten wir schätzen, der aber gegenüber dem Hause keine parlamentarische Verantwortung hat. Ich glaube, es ist eine Frage des parlamentarischen Stils von nicht geringer Bedeutung, ob in einem solchen Falle einfach der höchste diensttuende Beamte im Finanz({3})
ministerium oder ein parlamentarisch verantwortlicher Minister, wenn nicht gar der Herr Bundeskanzler selbst den Haushalt formal hier einbringt.
({4})
Ich glaube, man sollte sich das doch einmal überlegen. Die Sache ist geschehen. Was ich ausspreche, ist nicht im geringsten etwa ein Tadel an dem Herrn Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Es ist einfach die Feststellung eines - nach meiner Auffassung - Stilfehlers, den man nicht machen sollte; denn schließlich ist der Bundeshaushalt ein so umfassendes Gesetzgebungswerk, daß man wünschen müßte, daß die Gesamtverantwortung für dieses Gesetzgebungswerk, mit dem sich der Bundestag nun monatelang zu beschäftigen haben wird, auch von den parlamentarisch wirklich verantwortlichen Persönlichkeiten übernommen würde.
Schließlich hat es ja schon im Kabinett - ich will von den Auseinandersetzungen auf der Ressortebene hier gar nicht sprechen; das ist eine Sache für sich-um die Verabschiedung dieses Haushaltsplanentwurfs für das Jahr 1955 einen heftigen Konflikt gegeben, wie wir alle aus der Presse wissen. Am 27. Oktober dieses Jahres hat der Herr Bundesfinanzminister sogar mit seinem Veto drohen müssen, weil offenbar Kabinettskollegen mit ihren Forderungen so weit gegangen sind, daß er glaubte, es unter keinen Umständen verantworten zu können. Es ist ein nicht ganz gewöhnlicher Vorgang, daß sich der Bundesfinanzminister schon auf der Kabinettsebene mit dem Einspruchsrecht, das ihm nach dem Grundgesetz zukommt, zur Wehr setzen muß. Am Tag darauf waren bekanntlich alle Zeitungen voll mit Krisenmeldungen.
Wenn schließlich auch dieser Krach im Kabinett beigelegt worden ist - vermutlich durch die Autorität des Herrn Bundeskanzlers -, so hätte es sich doch gehört - und das möchte ich nochmals wiederholen -, daß das Produkt dieser Auseinandersetzung vom Chef selbst vertreten worden wäre, wenn der Herr Bundesfinanzminister es nicht konnte. Wir sind bescheiden geworden; wir begnügen uns mit dem Herrn Staatssekretär. Wir mußten uns begnügen, aber den Stil verbessern wir dadurch nicht im geringsten.
Der Herr Staatssekretär hat gestern seine Rede mit einer Bemerkung geschlossen, die ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten im vollen Umfang zitieren möchte. Er sagte:
Wir sind gewiß aus den Vorjahren an mancherlei Schwierigkeiten zunächst sehr sicher erscheinender Planungen gewöhnt. Aber diesmal besteht doch wohl in weitesten Kreisen das Gefühl, daß auf die deutsche Finanzwirtschaft Probleme zukommen, die nur mit einem hohen Maß volkswirtschaftlichen Weitblicks, mit Tatsachensinn und mit Verantwortungsbewußtsein gemeistert werden können.
Ich glaube, daß man das Gefühl, von dem der Herr Staatssekretär gesprochen hat, nicht nur gegenüber den Problemen der Finanzwirtschaft haben sollte. Wir alle hätten jeden Grund, die Fragen unserer gesamten politischen Existenz als Staat, als Nation in allen ihren Aspekten nüchtern und ohne Illusion zu betrachten.
Die Haushaltsberatungen sind im allgemeinen in diesem Haus nicht zu den Gegenständen zu rechnen, die großem und umfassendem Interesse begegnen. Das Zahlenwerk, das ihre Grundlage ist, erscheint zu kompliziert für viele, als daß man sich damit eingehend beschäftigte, zu undurchsichtig, als daß es dieselbe Aufmerksamkeit beanspruchen könnte wie etwa außenpolitische Auseinandersetzungen. Leider hat es auch die geschichtliche Entwicklung der Parlamentsdebatten mit sich gebracht, daß die Haushaltsdebatten selbst nicht mehr denselben umfassenden Charakter haben, der sie zum Beispiel im alten deutschen Reichstag zum parlamentarischen Höhepunkt des Jahres machte und der in anderen Parlamenten ebenso einen Höhepunkt der parlamentarischen Tätigkeit begründet. In alten Protokollen kann man feststellen, daß sich früher an den einzelnen Haushaltsplänen für die Ministerien Auseinandersetzungen entwickelten, in denen der ganze weite Umfang der Staatspolitik erörtert wurde. Heute folgen sich die parlamentarischen Debatten über die Hauptprobleme der Politik so dicht auf dem 170e, daß bei den Haushaltsdebatten nichts als ein Wiederkäuen übrigbliebe oder aber die Vorwegnahme von Gesprächsthemen, die bereits im Zeitplan des Parlaments - um in der heute üblich gewordenen Sprache zu reden -„verplant" sind.
({5})
- Ich habe meine Gedanken über die Teilnahme des Bundesrats an den Arbeiten des Bundestags, die mit Ihren, Herr Dr. Dresbach, durchaus übereinstimmen.
({6})
- Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, mich nach dieser umzuwenden; aber ich kann Ihren Feststellungen nur beipflichten, Herr Kollege Mellies.
So werden wir uns also bei dieser ersten Beratung des Bundeshaushalts für das Haushaltsjahr 1955 in der Wahl der Themata gewissen Beschränkungen unterwerfen müssen. Dem Zug der Zeit folgend werden wir nicht die große und die kleine Welt durchschweifen und das Alphabet der großen Politik buchstabieren können. Wir werden auf der andern Seite in diesem Stadium auch nicht allzutief in die Einzelheiten des Haushaltsplans hineinsteigen können, obwohl diese Einzelheiten einer gründlichen Durchleuchtung bedürfen. Ich bin aber überzeugt, daß das entweder, soweit die sozialdemokratische Opposition in Frage kommt, noch von meinen beiden als weitere Debatteredner vorgesehenen Kollegen besorgt wird oder aber im Haushaltsausschuß und in der zweiten und dritten Lesung.
Die ganze Anlage dieser Debatte macht es nahezu unmöglich, die Licht- und Schattenseiten des Haushaltsplans gründlich zu analysieren. Bedenken Sie, meine Damen und Herren, unter welchem Zeitdruck wir auch diesmal wieder stehen, Zeitdruck im wahrsten Sinne des Wortes, auch für das Parlament und seine erste Aussprache über den Bundeshaushalt. Zwischen der Rede des Herrn Staatssekretärs und dem Beginn dieser Debatte liegen ganze 16 Stunden. Schließlich müssen ja die Abgeordneten, die hier die Aufgabe haben, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, auch noch ein ganz klein wenig schlafen, und die Vorbereitung der Reden - ich weiß das von den übrigen Kollegen, die dann nachher auf mir herumhacken können - nimmt ja auch einige Zeit in Anspruch.
({7})
Wir haben zudem, wie Sie wissen, die Allgemeinen Vorbemerkungen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde, mit ihrem Umfang von 557 Seiten selbst als sogenannte Haushaltssachverständige im Bundestag erst am Montag, sofern wir schon hier waren, in unseren Fächern gefunden. Es ist angesichts des Umstandes, daß auch die übrigen parlamentarischen Geschäfte besorgt sein wollen, völlig ausgeschlossen - und kein Mensch kann das erwarten -, diese Fülle des Materials in so kurzer Zeit gründlich zu verarbeiten. Ich spreche damit keinen Tadel aus. Jeder weiß, daß die Herren des Bundesfinanzministeriums in den letzten Monaten eine große Arbeit geleistet haben. Es ist schließlich schon ein Fortschritt, daß wir um diese Zeit des Jahres den Haushaltsplan in die erste Beratung nehmen können.
({8})
Ich hoffe nur, daß im Zuge der parlamentarischen Behandlung nicht noch aus diesem oder jenem Grunde solche Verzögerungen eintreten, daß die rechtzeitige Verabschiedung vor Ende des Haushaltsjahres nicht möglich ist. Ich gestatte mir in diesem Punkte eine gesunde Skepsis angesichts der Zeitnot, in der sich das Parlament ganz allgemein und die Mitglieder des Haushaltsausschusses im besonderen befinden.
Meine Damen und Herren, wir alle erinnern uns noch an die vergangenen Jahre mit ihren immer unerträglicher werdenden Verzögerungen in der Einbringung und Verabschiedung der Haushaltspläne. Das ist etwas besser geworden, und man darf sagen: Es ist den gemeinsamen Anstrengungen der Ressorts, insbesondere des Bundesfinanzministeriums, und - das Parlament darf hier auch nicht ganz vergessen werden - auch des Parlaments zu verdanken, daß es sich gebessert hat. So hoffen wir, daß wir immer näher an die normalen Zustände herankommen, die wir alle im Interesse des Ganzen wünschen müssen.
Die von mir vorhin erwähnten Umstände - Zeit, Brauch, Übung - bringen es mit sich, daß ich mich bei dieser ersten Auseinandersetzung mit dem Bundeshaushalt in erster Linie mit den Fragen beschäftigen muß, die hinter dem Haushalt auftauchen, mit Fragen unserer staatlichen Ordnung, mit dem Problem des politischen Klimas in der Bundesrepublik, mit dem Verhältnis von Regierung und Parlament. Meine Freunde Professor Gülich und Ritzel werden ihrerseits im Verlauf der Debatte spezielle Haushaltsprobleme behandeln.
Gestatten Sie mir zunächst einige Bemerkungen allgemeiner Art zu Form und Aufbau des Entwurfs. Wir begrüßen es, daß das Bundesfinanzministerium dem Haushalt diesmal ein umfassendes Vorwort beigegeben hat, die Allgemeinen Vorbemerkungen, in denen eine Fülle von Material für die Sachverständigen im Parlament und in der Öffentlichkeit niedergelegt ist. Ein Urteil über die Zahlen, die diese Vorbemerkungen enthalten, muß bis zum genaueren Studium zurückgestellt werden. Ich sagte Ihnen, daß wir erst am Montag dieses Material vorgefunden haben. Daß die Meinungen über solche Zusammenstellungen sehr weit auseinandergehen können, ist bekannt. Wenn es eines Beweises dafür bedurft hätte, dann ist er dieser Tage auch den Abgeordneten dieses Hauses geliefert worden, die vermutlich vom Institut Finanzen und Steuern jene Arbeit mit dem grünen Rand bekommen haben, in der zu der Haushaltspolitik der letzten Jahre Stellung genommen wird. Wie sehr die Meinungen z. B. zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Institut Finanzen und Steuern auseinandergehen, geht aus der Tatsache hervor, daß das Institut im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundesfinanzministers, das Haushaltsjahr 1953 sei ein Defizitjahr gewesen, zum genau entgegengesetzten Ergebnis kommt und das Haushaltsjahr 1953 als ein Überschußjahr betrachtet.
({9})
- Einen Moment, Herr Kollege Vogel! Auch wenn man den Leuten vom Institut Finanzen und Steuern, deren Hintergrund man einigermaßen kennt, zugute halten darf, daß sie beweisen wollen, die Steuersenkungen der vom Bundestag soeben verabschiedeten Steuerreform hätten größer sein können, so kann man ihnen doch nicht den Sachverstand und in der Regel auch nicht eine gewisse Objektivität absprechen.
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Ich muß gestehen, daß ich in mancher Hinsicht ebenfalls zu einer gewissen Skepsis gegenüber finanzministeriellen Zahlen neige. Gründe für solche Skepsis gibt es ja auf Grund der Erfahrung in nicht geringer Zahl. Wie gesagt, man wird die Dinge im einzelnen prüfen müssen. Meine Freunde und ich jedenfalls behalten uns in diesem Punkte unser Urteil vor, bis wir auf Grund der tatsächlichen Ergebnisse der Beratungen genau sehen, wo wir halten.
Ganz besonders möchte ich in den Allgemeinen Vorbemerkungen das Bemühen begrüßen, den Bundeshaushalt in den größeren Zusammenhang dessen hineinzustellen, was man öffentlichen Gesamthaushalt nennen kann; dieser Begriff ist ja in den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs immer wiedergekehrt. Wir sind zwar noch weit entfernt von dem von uns Sozialdemokraten erstrebten Ziel, für den Gesamtbereich unseres öffentlichen Lebens ein Nationalbudget aufzustellen, dessen einzelne Positionen aufeinander abgestimmt und in eine Gesamtpolitik eingeordnet sind. Aber schon der Versuch einer Gesamtschau der finanzwirtschaftlichen Probleme ist begrüßenswert.
Wir empfinden ferner die Darstellung des Vermögensstandes des Bundes, die in den Allgemeinen Vorbemerkungen diesmal gegeben ist, als einen Fortschritt. Insbesondere wird jener Teil dieser Vermögensaufstellung weitgehendes Interesse f in-den, der die Beteiligung der Bundesrepublik an wirtschaftlichen Unternehmen des öffentlichen und des privaten Rechts im einzelnen darstellt. Auf den ersten Blick erscheint dieses Vermögen als eine gewaltige Kapital- und Wirtschaftsmacht in öffentlicher Hand. In den letzten Jahren ist immer wieder von gewisser Seite mit wachsender Lautstärke die Privatisierung der wirtschaftlichen Unternehmungen der öffentlichen Hand gefordert worden. Der Bund der Steuerzahler, der allmählich ein fester Begriff in unseren Auseinandersetzungen geworden ist, hat sich die Mühe gemacht, in einer großen Publikation den Nachweis zu erbringen, daß der Herr Bundesfinanzminister der Herr über das gewaltigste Wirtschaftspotential unserer Zeit sei. Die Kosten für diese Publikation dürften wohl kaum vom Bund der Steuerzahler, sondern von bestimmten Interessenten aufgebracht worden sein.
({11})
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Aber das ist eine Sache, die der Bund der Steuerzahler mit sich selbst ausmachen soll.
Wir Sozialdemokraten haben bestimmt keinen Grund, den Herrn Bundesfinanzminister und die Bundesregierung in diesem Punkt politisch zu decken. Wir hätten auch keinen ersichtlichen Grund, die leitenden Herren aus dem Bundesfinanzministerium, dem Bundeswirtschaftsministerium und anderen Ressorts zu verteidigen, die in ihrer Eigenschaft als Beamte in den Aufsichtsräten der Unternehmungen sitzen, an denen der Bund entweder beteiligt oder deren Eigentümer er ist. Sie tun, was ihres Amtes ist. Wir finden es nur etwas demagogisch, wenn man diesen Herren genau so wie gewissen großen Tieren in der Privatwirtschaft die Zahl der Aufsichtsrats- und Vorstandsposten vorrechnet, die sie im Interesse des Bundes wahrnehmen. Worum es hier geht, ist das Prinzip selbst, und dazu muß ich einige Bernerkungen machen.
Es ist die Frage, ob die öffentliche Hand Vermögenswerte, die im Laufe der Zeit durch geschichtliche Umstände, durch wirtschaftliche Krisen und Konjunkturschwankungen - wir kennen ja alle die Vorgänge, die sich in den letzten Jahrzehnten auf diesem Gebiet abgespielt haben - in ihre Hand geraten sind, abstoßen soll, unter welchen Bedingungen sie das im einzelnen tun darf und ob sie überhaupt nicht über Besitz an werbenden und erzeugenden Anlagen verfügen soll. Nebenbei gesagt, meine Damen und Herren, ein Teil der Forderungen nach Privatisierung von Vermögensteilen der öffentlichen Hand entspringt dem naiven Glauben, daß durch einen Ausverkauf die steuerliche Belastung wesentlich und auf die Dauer gesenkt werden könnte. Sachverständige,
3) denen man Glauben schenken darf, haben errechnet, daß die Vermögensteile des Bundes, die im günstigsten Fall zu erträglichen Bedingungen veräußert werden könnten, einen Erlös von rund 2 Milliarden DM erbringen würden. Wenn Sie sich das Haushaltsvolumen eines einzigen Haushaltsjahres ansehen, wenn Sie sich überlegen, welche gewaltigen Belastungen im Laufe der nächsten Jahre wahrscheinlich auf uns zukommen werden, und wenn Sie sich z. B. überlegen, welche Steuersenkungen durch die kürzlich erfolgte Steuerreform erreicht worden sind, dann werden Sie zugeben, daß, gemessen an diesen gewaltigen Summen, ein Betrag von rund 2 Milliarden wahrscheinlich ein Tropfen auf einen heißen Stein wäre, der in dem Moment verdunstete, in dem er auf den Stein fiele.
Aber ganz und gar nicht könnte man aus dem Verkauf des Bundesvermögens auch nur annähernd jene Summen gewinnen, die notwendig wären, um gewisse illusionäre Wünsche zu befriedigen, die da und dort geäußert werden und die auch in diesem Hause Verfechter gefunden haben, wonach nämlich die Verbindlichkeiten des ehemaligen Deutschen Reiches, die uns das bankrotte Naziregime hinterlassen hat, im Wege des Ausverkaufs von Bundes- und ehemaligem Reichsvermögen auch nur teilweise befriedigt werden könnten.
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Herr Staatssekretär Hartmann hat gestern Angaben über den Umfang der Reichsverbindlichkeiten gemacht und ihre Höhe unter Abstrich der verbrieften Verbindlichkeiten, die in öffentlicher Hand oder in der Hand von öffentlichen Bankinstituten
sind, auf rund 18 Milliarden Reichsmark verbriefter Verbindlichkeiten und 400 Milliarden nicht verbriefter Verbindlichkeiten beziffert. Wenn schließlich auch die von ihm genannten 200 Millionen für das Kriegsfolgenschlußgesetz noch nicht das letzte Wort zu sein brauchen, so steht doch eines fest: der Ausverkauf des Bundeseigentums ist weder für die Befriedigung der Gläubiger des ehemaligen Deutschen Reiches noch für die Senkung der Steuerlasten ein taugliches Mittel. Man wird im einzelnen untersuchen müssen, ob gewisse Unternehmungen oder Beteiligungen in der Hand des Bundes nützlich und vertretbar sind. Auf keinen Fall aber darf der Verkauf von Vermögenswerten der öffentlichen Hand etwa zur Bereicherung privater Kauflustiger führen.
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- Genau darauf wollte ich hinaus, Herr Kollege Gülich, denn das Interesse an dem Vermögen des Bundes und dem ehemaligen Reichsvermögen entspringt ja in der Regel nicht der Sorge darum, daß sich die öffentliche Hand etwa mit ihr nicht zukommenden Aufgaben belasten könnte, sondern nur der Überlegung, wieviel man selber herausschlagen könnte aus dem billigen Erwerb von öffentlichem Eigentum.
({15})
Absurd erscheint bei näherer Betrachtung auch die Auffassung, daß die Privatisierung von bundeseigenen Unternehmungen oder Beteiligungen zur Beseitigung einer störenden Konkurrenz der öffentlichen Hand gegenüber der privaten Wirtschaft notwendig sei. Die Verflechtung des im öffentlichen Besitz befindlichbn Teils unserer Wirtschaft mit der Privatwirtschaft ist so groß und, wenn wir recht berichtet sind, auch die Übereinstimmung zwischen dem Leiter unserer offiziellen Wirtschaftspolitik auf der einen und den Herren von der Industrie auf der anderen Seite - man braucht ja nicht gerade an die Auseinandersetzungen über das Kartellgesetz zu denken -, daß eigentlich schon deshalb kein Grund zu Konkurrenzbefürchtungen für die Privatwirtschaft bestehen müßte.
Auf alle Fälle möchte ich hier eindeutig sagen, daß wir Sozialdemokraten uns ganz entschieden den Privatisierungsabsichten gewisser Kreise widersetzen werden. Ich möchte hinzufügen: wir hoffen inständig, daß wir dabei in diesem Hause zahlreiche Bundesgenossen, vor allem bei der größten Regierungspartei, finden werden.
({16})
Im übigen aber, meine Damen und Herren, erscheint es uns überhaupt notwendig, daß das Parlament -in stärkerem Maße, als das bisher der Fall war, an den Entscheidungen über Vermögensteile des Bundes mitwirkt. Die gegenwärtige Rechtslage ist, um das Mildeste zu sagen, unklar; sie ist mindestens insofern unbefriedigend, als sich die Exekutive auf den Standpunkt stellt, daß eine Mitwirkung des Parlaments keine Rechtsgrundlage habe. Leider sind die Bemühungen, durch parlamentarische Ausschüsse oder Unterausschüsse eine intensivere Beschäftigung mit den Problemen des Bundesvermögens zu erreichen, bis jetzt ebenfalls noch nicht sehr weit gediehen. Widerstände der verschiedensten Art haben bisher verhindert,
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daß diese Ausschüsse, die ja bekanntlich vom Bundestag eingesetzt worden sind, an die Arbeit gehen konnten. Ich hoffe sehr, daß dieser Zustand demnächst überwunden wird und die zuständigen Ministerien - auch das ist eine Voraussetzung erfolgreicher Arbeit - in vollem Umfang ihre Mitarbeit zur Verfügung stellen.
Zum Thema Aufbau des Haushaltsplans gehört die Feststellung - eine kleine, erfreuliche Feststellung -, daß für die Versorgungsaufwendungen des Bundes ein neuer Einzelplan eingerichtet worden ist, der Einzelplan 33. Für die Öffentlichkeit ist es sicher nicht ohne Interesse, daß für die Versorgung der Bundesbeamten, für Versorgungslasten, die nach dem Zweiten Überleitungsgesetz auf den Bund übergegangen sind, und für die Versorgung der 131er insgesamt 1,3 Milliarden DM notwendig sind, wobei allein auf die Durchführung des 131er-Gesetzes in diesem Haushaltsplan rund 1,2 Milliarden DM entfallen Ich sage das ohne jede kritische Note. Ich finde es gut, daß wenigstens auf diesem Gebiete ein Schritt zur Verdeutlichung des Bundeshaushalts gemacht worden ist. Es ist ein bescheidener Schritt. Ich und meine Freunde wünschten, daß er sehr bald von bedeutungsvolleren gefolgt würde.
Damit komme ich zu einem meiner Hauptthemen, zu der Forderung nach einer Beschleunigung der längst fälligen Reform der Haushaltsordnung. In den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushaltsplan 1955 finden Sie auf Seite 206 einen kurzen Abriß des Problems. Er wäre wert, von allen Mitgliedern des Hauses gelesen zu werden, zum mindesten aber von denjenigen, die sich insbesondere für das Haushaltsrecht des Parlaments als des vornehmsten Instrumentes zur Kontrolle der Verwaltung durch die Volksvertretung interessieren. Obwohl ich mir bewußt bin, daß die Erneuerung unseres Haushaltsrechts keine leichte Aufgabe ist, die man einfach über das Knie brechen könnte, so glaube ich doch, aussprechen zu müssen, daß es an der Zeit wäre, aus dem Stadium der Überlegungen und der Expertengespräche herauszukommen.
Ich würde es insbesondere begrüßen, ja geradezu für notwendig halten, daß an den Vorarbeiten, die hoffentlich schon recht weit gediehen sind, wenn man den Allgemeinen Vorbemerkungen folgen darf, im jetzigen Stadium auch Angehörige derjenigen Institution beteiligt werden, die schließlich ebenso mit dem Instrument einer neuen Haushaltsordnung zu arbeiten haben wird wie die Verwaltung, nämlich Mitglieder des Parlaments. Ich lassé in diesem Fall das Argument nicht gelten, daß die Grenze zwischen Gesetzgebungs- und Verwaltungsfunktion nicht verwischt werden dürfe.
Eine ketzerische Nebenbemerkung in diesem Zusammenhang: Das Prinzip der Gewaltenteilung wird nach meiner Überzeugung allzuoft als eine Art Kulisse aufgebaut vor jedem Versuch, etwas tiefer in die Praktiken der Verwaltung hineinzuleuchten.
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Nicht alles, was man als Gewaltenteilung anspricht, hat in den realen Gegebenheiten unserer Zeit eine Rechtfertigung. Schließlich soll man nicht vergessen, daß der alte Montesquieu als Modell für seine Theorie der Gewaltenteilung einen Fall nahm, den er gar nicht genau kannte, nämlich die englische Verfassungspraxis, und daß aus diesem Irrtum
eines sonst sicher sehr bedeutungsvollen Mannes manche Dinge entstanden sind, die keineswegs der Entwicklung einer klaren und eindeutigen demokratischen Kontrolle der öffentlichen Verwaltungen dienlich sind.
Aber zurück zu dem von mir angeschlagenen Gedanken der Mitwirkung von Mitgliedern des Parlaments an den Vorbereitungen für eine neue Haushaltsordnung. Wenn bei vielen Gesetzen auf der Referentenebene schon die Interessentengruppen gehört und eingeschaltet werden, manchmal gar nicht zum Nutzen des Ganzen und auch nicht einmal zum Nutzen der Gesetze, dann sollte es auch möglich sein, in diesem Falle, wo es sich um eines der Fundamente der parlamentarischen Demokratie handelt, einen der vornehmsten und in diesem Falle sicher uneigennützigen Interessenten zu beteiligen: das Parlament selbst. Und zwar sollte das im Wege interner Beratungen geschehen, ehe ein parlamentsreifer Entwurf fix und fertig da ist, mit dem man sich nachher in allen seinen Einzelheiten herumzuschlagen hat. Bekanntlich sind Gesetzentwürfe sehr viel schwerer zu verändern, wenn sie schon einmal fixiert sind, als wenn schon im Vorstadium etwas dazu gesagt werden kann.
Meine Damen und Herren, ich darf mir erlauben, an dieser Stelle einige Bemerkungen über Sinn und Aufgabe einer solchen Reform zu machen, wie sie sich mir und meinen Freunden darstellt - keineswegs als ein Experte im umfassenden Sinne des Wortes, sondern als ein Mann, der in der Praxis mit den Dingen zu tun hat.
Der Einzelplan 33, von dem ich vorhin sprach, ist ein simples Beispiel für das, was erstrebt werden müßte. In diesem Einzelplan 33 werden alle für einen bestimmten Zweck erforderlichen Ausgaben zusammengefaßt. So werden sie sichtbar und plastisch, und jeder weiß, was damit gemeint ist. Und das sollte schließlich am Ende aller Bemühungen um eine Erneuerung unseres Haushaltsrechts stehen: eine maximale Durchsichtigkeit und Gemeinverständlichkeit der öffentlichen Haushalte, so daß sie aufhören, für den Staatsbürger ein Buch mit sieben Siegeln zu sein.
({19})
Wir haben zwar in den letzten Jahren da und dort Verbesserungen an der Form des Haushaltsplans durchgeführt, die ihn leichter lesbar machen. Ich will diese Verdienste gar nicht verkleinern. Aber es ist nicht zuviel behauptet, wenn ich sage, daß es sich im wesentlichen doch um Äußerlichkeiten handelt, um kleine Verlagerungen der Gewichte, die das Prinzip selbst gar nicht berühren. Man tritt sicher niemandem zu nahe, wenn man sagt, daß selbst für einen großen Teil der Mitglieder des Hohen Hauses der Bundeshaushalt dadurch noch längst nicht zu einer einladenden Lektüre geworden ist.
({20})
- Davon bin ich überzeugt, lieber Herr Kollege Dr. Dresbach. Ich bin sogar überzeugt, daß die allerwenigsten Abgeordneten den Bundeshaushaltsplan in ihren Bücherschrank einreihen würden, wenn auch nur, um etwa die Reihe der auf irgendeine Weise erworbenen Bücher noch um ein Beträchtliches zu verlängern, so daß man mit dem Meterstab die Zunahme der geistigen und materiellen Gewichte messen kann.
({21})
Einige stichwortartige Bemerkungen wollte ich zu diesem Thema machen. Wir sollten nach Möglichkeit zu einer Gliederung der öffentlichen Haushalte kommen, die nicht durch die Finanzbedürfnisse der einzelnen Behörden, sondern durch die Zwecke bestimmt wird, für die der Steuerzahler der öffentlichen Hand Mittel aus seinen Einkünften überlassen muß.
({22})
Eine scharfe Trennung zwischen den verschiedenen Funktionen der öffentlichen Ausgaben sollte gefunden werden, so daß klar ersichtlich ist, wofür ausgegeben wird und wie das Verhältnis von Aufwand und Leistung zueinander steht.
({23})
Denn das ist ja heute zu einem erheblichen Teil in den öffentlichen Haushalten gar nicht kontrollierbar, ob einem bestimmten Aufwand auch eine entsprechende Leistung gegenübersteht.
({24})
- Auch das soll der Fall sein, Herr Kollege Vogel. Aber ich will mich mit diesem Thema heute nicht beschäftigen; vielleicht treffen wir uns da ein andermal.
Ich kann hier selbstverständlich kein Schema für einen künftigen Bundeshaushalt entwickeln, und es würde auch zu weit führen, wollte ich in Einzelheiten der Reform des Haushaltsrechts einsteigen. Meine Absicht war es, anzuregen und zu drängen, damit die Sache endlich vom Fleck kommt. Ich hoffe, daß wir bei diesem Bemühen die Unterstützung nicht nur dieses Hauses, sondern auch des Bundesfinanzministeriums finden, das ja schließlich an einer Klarstellung und Bereinigung ) der Fundamente interessiert sein muß, auf denen seine eigene Tätigkeit am Bundeshaushalt steht.
Das Entscheidende wird natürlich immer bleiben, ob das Parlament selbst seine Stellung gegenüber der Regierung nicht nur klar erkennt, sondern diese Stellung, wo sie strittig oder unklar ist, auch verteidigt. Das gilt nicht nur für das Haushaltsrecht, sondern ganz allgemein.
Ich bedaure z. B. ausdrücklich, daß es nicht möglich war, die Bundesregierung zu veranlassen, nach dem Scheitern des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft eine parlamentarische Entscheidung über die Verwendung der dadurch freigewordenen Haushaltsansätze im Verteidigungs- und Besatzungskostenhaushalt zu suchen.
({25})
Es war sicher für das Bundesfinanzministerium bequemer, diese Beträge in eigener Zuständigkeit zur Befriedigung von Ansprüchen aus dem außerordentlichen Haushalt zu verwenden, für die man den im Haushaltsgesetz vorgesehenen Weg der Anleihe nicht gehen wollte. Aber es muß auf die Dauer für das Parlament unerträglich sein, wenn im Verwaltungswege über Summen verfügt wird, die in die Milliarden gehen und um deren Haushaltsrechtliche Fixierung es immer wieder heftige Auseinandersetzungen auch hier in diesem Hause gegeben hat. Da müßte beim normalen Verhältnis zwischen Parlament und Regierung die Entscheidung auf der parlamentarischen Ebene gesucht und getroffen werden, selbst wenn sie in der Sache nicht anders aussehen würde als die Verwaltungsmaßnahmen.
({26})
Ich muß noch mit einem Wort auf die Reform des Haushaltsrechts zurückkommen. Eine entscheidende Schwierigkeit liegt darin, daß wir auf einer Vielzahl von Ebenen öffentliche Haushalte haben. Eine wirkliche Reform müßte erreichen, daß die Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden so aneinander angeglichen werden, daß ohne unüberwindliche Schwierigkeiten Querschnittsberechnungen und Vergleiche durch alle diese Haushalte hindurch erfolgen könnten und die Koordinierung der Aufgaben und Ausgaben auch im Bereich des Haushaltswesens erreicht werden könnte. Von anderen Gebieten will ich in diesem Augenblick nicht sprechen. Wir kennen j a alle die Schwierigkeiten, die mit der föderativen Struktur der Bundesrepublik zusammenhängen und die manchmal zu einer Hypertrophie des Föderalismus geführt haben, die dem Ganzen auf keinen Fall nützlich sein kann.
({27})
- Ganz richtig, Herr Kollege Gülich, man kann überhaupt darüber streiten, wer die wahren Föderalisten sind: diejenigen, die immer die Bedeutung und die Souveränität der Teile betonen, oder diejenigen, die der Föderation ihr Recht geben möchten, nämlich dem Zusammenschluß des Ganzen. Bekanntlich hat der Begriff Föderalismus in der amerikanischen Geschichte gerade diese Bedeutung gehabt.
({28})
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir, wenn wir alle diese Dinge durchführen könnten - in absehbarer Zeit durchführen könnten -, dann sogar, wenn auch nicht in einem alle Begriffe übersteigenden Umfang, aber doch in einem nützlichen Umfang eine gewisse Verringerung des Aufwands der öffentlichen Hand herbeiführen könnten und daß manche doppelte oder dreifache Dotierung einer Aufgabe beseitigt werden könnte, wenn man erst einmal sozusagen auf den ersten Blick feststellen könnte, wo überall für den gleichen Zweck Geld ausgegeben wird. Wir streben ja im Bundeshaushalt selber noch längst nicht mit restlosem Erfolg nach einer klareren Übersicht über die Mittel, die da und dort kleckerweise ausgegeben werden, und jeder, der die Dinge einigermaßen kennt, weiß, an wie vielen Stellen - es handelt sich meistens „nur" um Tausende oder Zehntausende - Mittel ausgegeben werden, die zwar, an der Oberfläche gesehen, durchaus plausibel erscheinen, die aber, wenn man sie genau betrachtet, manchmal nur die Rechtfertigung für eine Referentenstelle darstellen; und weil sie einmal im Haushaltsplan stehen, werden sie nie wieder beseitigt.
({29})
Wir haben hier einige Aufgaben zu erfüllen, die durchaus, wenn auch nicht eine allgemeine Kostensenkung, aber doch eine Bereinigung des öffentlichen Haushalts herbeiführen könnten.
Eine wichtige Seite des Problems ist die Herbeiführung einer Übereinstimmung von Haushaltsjahr und Kalenderjahr. Aber dazu ist selbstverständlich ein gleichzeitiger Schritt für alle öffentlichen Haushalte nötig. Die Maßnahme hätte sicher viele Vorteile, vor allem den einen, daß Haushaltsmittel für Investitionszwecke dann wahrscheinlich in den saisonmäßig günstigsten Zeitpunkten zu fließen beginnen würden, während heute genau
({30})
das Gegenteil der Fall ist. Ich denke dabei an
Schwierigkeiten bei öffentlichen Bauvorhaben, vor
allem im Straßenbau. Aber das sind nur Beispiele.
Ein Anliegen, in dem sich vermutlich alle parlamentarischen Haushaltssachverständigen mit der Bundesfinanzverwaltung einig sind, ist die Heranführung des Rechnungsabschlusses eines verflossenen Haushaltsjahres an ein beginnendes Haushaltsjahr. Wir sind in den letzten Jahren mit der Rechnungslegung und -prüfung sehr in Verzug gekommen, aus Gründen, die ich hier im einzelnen nicht auseinanderzusetzen brauche. Sie sind im ganzen auf die Übergangszeit zwischen der zersplitterten staatlichen Ordnung vor 1949 und dem neu entstehenden Bund nach der Wahl des Bundestages im Sommer 1949 zurückzuführen. Aber eines ist sicher: je kürzer die Frist ist, die zwischen dem Rechnungsabschluß für das vorletzte Haushaltsjahr und den Beratungen eines neuen Bundeshaushalts liegt, um so besser sind die Vergleichs- und Kontrollmäglichkeiten für Parlament und Verwaltung. Auch hier ist eine Aufgabe, die das Parlament und seine Ausschüsse gemeinsam mit der Verwaltung zu lösen haben, eine Aufgabe, deren Lösung im Interesse der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Kontrolle liegt.
Ich komme zu einem anderen Thema. Ein Mann, der in hohem internationalem Ansehen steht, der frühere deutsche Reichstagsabgeordnete Dr. Kurt Heinig, hat dieser Tage den Satz geprägt: Die Budgets allein sagen uns heute nicht die volle Wahrheit darüber, was wirklich wirtschaftlich und sozial in einem Lande vor sich geht. Ich möchte diesen Satz an die Spitze des Teiles meiner Ausführungen stellen, in dem ich mich mit dem Problem der Erforschung der Veränderungen beschäftigen will, die sich im Laufe der großen Ereignisse der letzten Jahrzehnte in unserer Sozialordnung vollzogen haben. Nicht etwa, daß ich hier in eine Untersuchung dieses Problems eintreten wollte - das ginge zweifellos nicht nur über meine Kraft, sondern auch über die Aufgabe dieser Stunde weit hinaus -; ich möchte aber auf folgendes hinweisen: Wer den Bundeshaushaltsplan durchforscht, der findet immer wieder Ausgabeposten für sogenannte Beiräte, eine Erscheinung, die im allgemeinen im verborgenen blüht und nur da und dort einmal sichtbar wird. Es sind beratende Ausschüsse, die bei den einzelnen Ministerien geschaffen worden sind und deren Zusammensetzung je nach dem Zweck und der Absicht teils wissenschaftlich, teils interessenmäßig bestimmt worden ist. Ich will gar nicht bestreiten, daß einzelne dieser Beiräte eine nützliche Aufgabe erfüllen. Sie beraten den Minister; sie erstellen zum Teil Gutachten mit mehr oder weniger Bedeutung und Gewicht. Ihre Aussagen sind meistens für den Chef des Ressorts nicht verbindlich; aber sie tun gelegentlich ihre Wirkung. Ob der Aufwand für diese Beiräte immer durch das Ergebnis gerechtfertigt ist, soll hier gar nicht untersucht werden.
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- Ich sage nichts gegen die Professoren, Herr
Kollege Dresbach. Ich wünschte nur, daß sie in
einem viel produktiveren Sinne eingesetzt würden,
({32})
und darauf komme ich eben. Vor allem natürlich
habe ich nichts gegen die Herren Professoren hier
in diesem Hause. Das möchte ich ausdrücklich betonen; denn ich möchte mir nicht gern ewige Feindschaften zugezogen haben.
({33})
Ich sage noch einmal: diese Beiräte haben keine einheitliche Rechtsgrundlage, und ihre Tätigkeit erreicht nur selten jenen Punkt, wo sie gesetzgeberisch tätig werden könnten. Es ist aber eine Tatsache, daß auf weiten Gebieten unserer Sozialordnung ernsthafte Forschungs- und Untersuchungsarbeit mit der Absicht notwendig wäre, einwandfreie Materialien für die Gesetzgebungsarbeit zu schaffen. Es ist nicht möglich, diese Aufgaben durch die Fachministerien bewältigen zu lassen. Ebensowenig können sie unsere Universitäten und wissenschaftlichen Institute trotz vieler Einzelleistungen erfüllen. Diese Arbeit liegt außerhalb ihres Bereichs, und es erhebt sich die Frage: Sollten wir nicht von den Erfahrungen anderer Länder lernen? Die sozialdemokratische Fraktion hat in diesem Hause einmal den Versuch gemacht, die Einsetzung einer unabhängigen Studienkommission zur Vorbereitung einer umfassenden Sozialreform durchzusetzen. Sie ist damit gescheitert, wie Sie alle wissen. Als Ersatz wurde damals auch ein Beirat geschaffen, ein Beirat beim Herrn Bundesminister für Arbeit. Niemand wird behaupten wollen, daß gerade dieser Beirat bisher sehr liche Fortschritte bei der wichtigen Aufgabe der Vorbereitung der Sozialreform erzielt hätte.
({34})
Er ist ja auch nur ein Beirat. Die Aufgabe aber bleibt nach wie vor.
In England haben wir die großartige Einrichtung der Königlichen Kommissionen, die ad hoc für bestimmte Aufgaben eingesetzt werden und deren Gutachten in aller Regel entscheidende Unterlage für Parlamentsakte sind. Es handelt sich um echte Enquête-Kommissionen. Ich stelle in diesem Augenblick weder eine Forderung auf, noch kündige ich einen Antrag an. Ich richte vielmehr einen Appell an die Mehrheit dieses Hohen Hauses, mit der sozialdemokratischen Opposition ins Gespräch über die Möglichkeit einzutreten, unter Bedingungen, die unseren deutschen Verhältnissen angepaßt sind, zu ähnlichen Einrichtungen zu kommen, wie ich sie am englischen Beispiel dargestellt habe.
({35})
- Ich freue mich über einen solchen Zwischenruf, Herr Kollege Vogel!' „The proof of the pudding is in the eating!", wie die Engländer sagen.
({36})
Wir wollen durch klare Beweise ermitteln, ob eine
Möglichkeit zu einem produktiven Gespräch über
die Schaffung solcher Institutionen gegeben ist,
und niemand würde sich mehr freuen als ich, wenn
wir auf wesentlichen Gebieten unserer inneren
Ordnung zu echten, unabhängigen Untersuchungsund Forschungskommissionen kämen, die dem Parlament die Grundlage für seine Entscheidungen
geben könnten, ohne daß wir befürchten müßten,
daß Ressortinteressen oder andere Interessen vorher die Untersuchungsergebnisse verfälscht haben.
({37})
({38})
- Das war Ende der 20er Jahre! Reden wir nicht allzuviel von der Vergangenheit, solange die Aufgaben der Gegenwart noch nicht bewältigt sind; denn das, was in der Vergangenheit getan worden ist, ist keine Legitimation für die Versäumnisse des Augenblicks.
({39})
Ich sage das nicht im Tone der Polemik, sondern - bitte, verstehen Sie mich recht - es ist ein ernstes und echtes Anliegen der sozialdemokratischen Opposition, auf diesem Gebiet einen Schritt weiterzukommen, und das kann doch nur geschehen, wenn alle guten Willens sind.
({40})
Ich sage noch einmal: Die Aufgaben sind da. Sie müssen einmal umfassend angefangen und gelöst werden.
Ich komme nun zu einem Thema, das weithin alle Haushaltsüberlegungen beherrscht, obwohl es im vorliegenden Entwurf kaum eine wesentliche Abwandlung erfahren hat: es sind die Kosten der geplanten Verteidigung. Der Entwurf enthält wie in den vergangenen Jahren 9 Miliarden DM für Verteidigungs- und Besatzungskosten und dazu 186 Millionen DM für Besatzungskosten in Berlin. Es mag eine - ich setze das Wort ausdrücklich in Gänsefüßchen - „realistische" Annahme sein, daß im Haushaltsjahr 1955 auf diesem Gebiet keine neuen größeren Anforderungen an den Bundeshaushalt gestellt werden. Es mag so sein; aber es ist doch trotz der ständigen gegenteiligen Versicherungen allgemeine Überzeugung - ich glaube auch in diesem Hause -, daß damit die Kosten der geplanten Rüstung bei weitem nicht erschöpft sind. Ich will hier nicht eine Debatte über die Pariser Verträge und die Außenpolitik der Bundesregierung entfesseln. Dazu haben wir in der nächsten Woche reichlich Gelegenheit, und der Standpunkt der sozialdemokratischen Opposition in dieser Frage ist hinreichend bekannt.
Die Frage, um die es hier geht, ist die: wie hoch werden letzten Endes die Gesamtlasten sein, die uns die Rüstung in den nächsten Jahren, abgesehen von der politischen Belastung, auferlegen wird? Man scheint auch im Bundesfinanzministerium hinter den Kulissen nicht so optimistisch zu sein, wie man sich im hellen Bühnenlicht gibt. Dazu ist wohl aller Grund vorhanden, wenn man wirklich nüchtern und ohne Wunschvorstellungen die heutige Haushaltslage mit den Ansprüchen vergleicht, die in der Luft liegen, die bereits deutlich angemeldet oder die zu erwarten sind. Die deutsche Öffentlichkeit wird immer wieder mit Erklärungen beruhigt, daß die gesteigerten Rüstungslasten ohne Steigerung der Steuerlasten und ohne Senkung des Lebensstandards verkraftet werden könnten. Auf diesem Gebiete hat sich ganz besonders der Herr Bundeswirtschaftsminister in den letzten Wochen und Monaten betätigt. Seine Reden in Amerika und in den verschiedenen Landtagswahlkämpfen der letzten Zeit erweckten den Eindruck, daß wir auch noch höhere Belastungen sozusagen aus der linken Westentasche bezahlen könnten.
({41})
Seinem Kollegen von der Finanz, dem Herrn Minister Schäffer, hat er die Arbeit mit solchen Erklärungen sicherlich nicht gerade erleichtert; denn
es ist bekannt, daß bei den Vertragspartnern der Bundesrepublik und bei der NATO über die Zahlungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft auf dem Gebiete der Rüstungs- und Verteidigungslasten ganz andere Vorstellungen herrschen als z. B. bei Herrn Minister Schäffer.
({42})
Die Zeitungen sind voll von Meldungen darüber, daß zwischen 111/2 und 13, gelegentlich gar 14 Milliarden DM NATO-Beitrag gefordert werden würden. Die Schätzungen über die Kosten der Erstausstattung für die geplante 500 000-Mann-Armee liegen bei 40 Milliarden DM. Diesen Schätzungen ist kaum jemals ernsthaft widersprochen worden, und man kann sogar sagen, daß sie vermutlich an der unter en Grenze liegen, weil sich ja inzwischen auch einiges auf dem Gebiete der Waffentechnik und ähnlicher Dinge getan hat. Die vielgerühmten amerikanischen Lieferungen von schweren Waffen und Ausrüstungsgegenständen sind, gerade was die Kosten angeht, durchaus strittig. Es mag sein, daß die Amerikaner im Hinblick auf die Bereitwilligkeit der Bundesrepublik Waffen gelagert haben. Aber als kürzlich ein Oberregierungsrat aus dem Bundesfinanzministerium vielleicht etwas voreilig im Bulletin der Bundesregierung von einer amerikanischen Militärhilfe in Höhe von 3 Milliarden Dollar, d. h. 121/2 Milliarden DM schrieb, erfolgte prompt ein sehr deutliches Dementi aus dem State Department. Ich glaube, es ist in diesem Zusammenhang vielleicht ganz gut, sich die Form dieses Dementis wenigstens in der Art klarzumachen, wie es von der „Frankfurter Allgemeinen", also einer doch keineswegs oppositionellen Zeitung, wiedergegeben wurde. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich diese kurze Meldung, weil sie so interessant und schlüssig ist.
Im amerikanischen Außenministerium
- heißt es da sind am Montag
- die Nachricht ist vom 9. November Meldungen als falsch bezeichnet worden, daß die deutsche Bundesrepublik in den ersten drei Jahren nach der Ratifizierung der Pariser Verträge von den Vereinigten Staaten eine Militärhilfe in Höhe von 3 Milliarden Dollar erhalten werde. Selbstverständlich werde die Bundesrepublik eine beträchtliche Hilfe bekommen, aber man könne von keiner bestimmten Summe reden. Man solle nicht fragen, wie hoch der amerikanische Beitrag sein werde, sondern zunächst einmal feststellen, welche Zahlungen Deutschland selbst leisten könne.
({43})
In diesem Zusammenhang wiesen die Beamten besonders darauf hin, daß die deutsche Wirtschaft gesund sei.
({44})
Man kann sagen, daß wir hier gleich die Quittung für die Reden des Herrn Bundeswirtschaftsministers in Amerika bekommen haben.
({45})
({46})
- Ich habe Ihren Zwischenruf nicht verstanden und möchte deshalb auch nicht darauf eingehen.
In der vom Standpunkt der Regierung aus wohlmeinenden Presse, auch in der sogenannten Wirtschaftspresse, sind Betrachtungen über das Thema Rüstungskosten erschienen, die aufhorchen lassen, weil sie bisher ganz nüchtern davon sprechen, daß man alles in allem für den Aufbau der Verteidigungsorganisation mit einem Aufwand von rund 100 Milliarden in den ersten drei oder vier Jahren rechnen müsse.
({47})
Nimmt man zu den schon erwähnten Zahlen noch die Kosten für die sogenannte Heimatverteidigung hinzu, über deren Organisation und Form zur Zeit in der Öffentlichkeit Diskussionen stattfinden und über die noch vollkommenes Dunkel herrscht, die Kosten eines effektiven Luftschutzes für die Zivilbevölkerung - Ansätze dafür sind überhaupt noch nicht zu finden, sie werden aber auf rund 100 Mil-harden DM beziffert; nach der „Neuen Zeitung", der ehemals amerikanischen Tageszeitung für die deutsche Bevölkerung, rechnet man mit 60 Milliarden DM ohne den Luftschutz und ohne die Heimatverteidigung, was dann auch zusammen auf ungefähr 100 Milliarden hinausläuft -, dann dürften diese Schätzungen insgesamt keineswegs übertrieben sein.
Hinzu kommt, daß über die sogenannten Stationierungskosten nach dem etwaigen Inkrafttreten der Verträge bei den Partnern der Bundesrepublik ganz andere Auffassungen bestehen als im Bundesfinanzministerium.
({48})
Der Herr Staatssekretär Hartmann hat uns gestern wieder versichert, die Bundesregierung habe sich nur zu Verhandlungen über diese Frage bereit erklärt. Bei einer Debatte im englischen Unterhaus hat der jetzige englische Verteidigungsminister McMillan auf Drängen von Abgeordneten ebenfalls dazu gesprochen. Er versah das Thema mit einem sehr deutlichen Akzent in der Richtung, daß Stationierungskosten weiter gefordert und bezahlt werden müßten.
({49})
Hier liegt also auch ein offenes Problem, das die Bundesregierung nicht einfach beiseite schieben kann, weil es schließlich in dem großen Topf, in den die sogenannten Verteidigungs- und Rüstungslasten einmal gehen werden, eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt. Die deutsche Öffentlichkeit hat nach der Meinung der sozialdemokratischen Fraktion einen Anspruch darauf, von der Bundesregierung eindeutig, ohne propagandistische Verzerrung nach der einen oder anderen Seite, zu erfahren, wie hoch nach sorgfältigen Berechnungen oder Schätzungen die Kosten der Rüstung und der damit verbundenen Maßnahmen voraussichtlich sein werden.
({50})
Wenn ich diese Frage in diesem Zusammenhang aufgeworfen und so eingehend behandelt habe, dann geschah das, um die Bundesregierung zu veranlassen, einmal den vielen in der Öffentlichkeit umherschwirrenden Ziffern authentische, amtliche Zahlen gegenüberzusetzen, damit man weiß, woran man ist.
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Ich möchte noch mit einem Satz auf die - man kann es kaum „Kontroverse" nennen, denn es ist ja kein Zwiegespräch gewesen - auseinanderklaffenden Meinungen zu sprechen kommen, die offenkundig wurden, als Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard in Amerika sprach und der Herr Bundesfinanzminister Schäffer hier in der Bundesrepublik einige Mühe hatte, diese überoptimistischen Meinungen seines Kollegen bezüglich der Tragbarkeit bestimmter Forderungen auf dem Gebiete der Verteidigung und Rüstung zu korrigieren. Man kann da die Frage stellen, meine Damen und Herren: Wer macht denn eigentlich in der Bundesregierung Politik, wenn so offenkundig einander widersprechende Auffassungen von Kabinettsmitgliedern vertreten werden können, Auffassungen, bei denen es sich nicht um Meinungsverschiedenheiten über belanglose politische Tagesfragen handelt, sondern offenkundig um Meinungsverschiedenheiten über recht hohe Beträge, die das finanzielle Gleichgewicht der Bundesrepublik entscheidend betreffen?
({52})
Herr Dr. Erhard traf übrigens - in diesem Zusammenhang sei das auch noch erwähnt - dieser Tage, wenn man der Presse glauben darf, mit dem italienischen Außenhandelsminister in Genf zusammen, um über den Einsatz von 100- bis 200 000 italienischen Arbeitern in der Wirtschaft der Bundesrepublik zu verhandeln. Der Bundesarbeitsminister scheint über diese Nachricht genau so überrascht und verblüfft gewesen zu sein wie die deutsche Öffentlichkeit. Er rückte jedenfalls scharf von diesem Husarenritt des Bundeswirtschaftsministers ab und nahm sich als Hilfstruppe dazu noch die Bundesanstalt in Nürnberg. Die müßte ja schließlich einige Kenntnisse über die Arbeitsmarktlage in der Bundesrepublik haben, die vielleicht bisher dem Bundeswirtschaftsminister vorenthalten worden sind. Es wäre höchste Zeit, daß man ihm diese Zahlen zur Verfügung stellt, damit er nicht noch einmal solche Husarenritte unternimmt.
Jedenfalls ist das Problem nun einmal in die öffentliche Diskussion gebracht, ob die Arbeitskräfte der Bundesrepublik ausreichen, um die an unsere Wirtschaft herantretenden Anforderungen zu befriedigen, oder ob man wieder dazu übergehen muß, ausländische Hilfskräfte heranzuziehen. Ich brauche nicht zu versichern, daß die Sozialdemokraten keineswegs etwa eine Antipathie gegen italienische Arbeiter haben. Aber hier dreht es sich ja um eine Frage unserer Wirtschafts-, unserer Sozialpolitik, die, wenn sie in der einen oder anderen Richtung gelöst und beantwortet wird, weit-tragende Folgen auch für die deutsche Arbeitnehmerschaft haben kann.
({53})
Und man kann wieder die Frage stellen: Wer
macht eigentlich die Politik der Bundesregierung?
Ein ähnliches Kapitel ist im Zusammenhang mit der Diskussion über die Rentenerhöhung in der Kriegsopferversorgung aufgeschlagen worden. Daß die Rentenerhöhung kommen muß, ist wohl allgemeine Überzeugung, und ,die Bundesregierung hat ja auch bereits angekündigt, daß sie eine Ergänzungsvorlage einbringen werde, wenn die Dekkungsfrage geklärt sei. So wäre es zu verstehen, daß der jetzige Entwurf keinen Ansatz für diesen
({54})
Zweck enthält. Aber, meine Damen und Herren, das Stichwort „Deckungsfrage" ruft den Sturm in die Erinnerung zurück, der durch die Öffentlichkeit gegangen ist, als aus dem Bundesfinanzministerium Äußerungen kamen, die das Thema „Dekkung für die Rentenerhöhung in der Kriegsopferversorgung" zum Gegenstand hatten und in denen nicht mehr und nicht weniger angekündigt wurde, als daß die Deckung für diese Rentenerhöhung durch die Einbehaltung von Grundrenten für bestimmte Kategorien von Kriegsopfern gesucht werden solle.
({55})
Wer im Bundesfinanzministerium das ausgeheckt hat, der hat bestimmt keine Ahnung von den fundamentalen Fragen unserer Sozialordnung gehabt, die damit aufgeworfen worden sind,
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daß man in der Kriegsopferversorgung die Bedürftigkeitsprüfung einführen möchte.
({57})
Meine Damen und Herren, ganze Generationen haben gekämpft - und nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern - für die Beseitigung dieses unheilvollen Prinzips der Bedürftigkeitsprüfung, das dazu geführt hat, daß soziale Ansprüche in Almosen, in Gnadenakte umgewandelt worden sind.
({58})
In England hat die Öffentlichkeit jahrzehntelang im Schatten des Kampfes gegen den sogenannten means test gestanden, und ich glaube, auch in Deutschland haben wir auf diesem Gebiet reichliche Erfahrung. Ich möchte im Namen der sozialdemokratischen Opposition ausdrücklich erklären, daß wir jeden Versuch dieser Art mit Erbitterung bekämpfen werden. Hier gilt es, den Anfängen zu wehren. Wir sind nicht dagegen, daß im Zuge einer echten Reform unserer sozialen Einrichtungen Überschneidungen und Ungereimtheiten ausgeräumt werden; aber wir wehren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, daß in diesem Zusammenhang oder in irgendeinem anderen ein Weg eingeschlagen wird, der zwangsläufig zurück zum Wohltätigkeits- und Almosenstaat führen muß. Entscheidend bei allen Überlegungen über die Reform unserer sozialen Einrichtungen soll es sein, daß jeder Mensch, jeder Bürger dieses Staates ein Recht hat, das zum Leben Notwendige zu bekommen, so daß die Sicherung des Existenzminimums im Vordergrund aller Versuche stehen müßte, damit die Ordnungen, die geschichtlich gewachsen und durch geschichtliche Katastrophen oft beschädigt und häufig in ihr Gegenteil verkehrt worden sind, wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden können.
({59})
Man kann auch in diesem Zusammenhang sagen, wenn man an die Stürme der Entrüstung denkt, die der Vorschlag aus dem Bundesfinanzministerium entfacht hat: Wer macht eigentlich die Politik der Bundesregierung?
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Ist es irgendein Ministerialrat oder Oberregierungsrat - wobei ich gegen diese Beamtenkategorie kein Wort gesagt haben möchte -, oder sind es die verantwortlichen Männer, die in diesen Fragen entscheidende und für die Öffentlichkeit bestimmte
Äußerungen tun? Und man kann fragen: Wer verhindert in dieser Bundesregierung solche Pannen,
({61})
die - auch vom Standpunkt der Opposition - in jedem Betracht unnötig sind?
Lassen Sie mich, ehe ich mich dem letzten meiner Themen zuwende - dem Klima unserer Innenpolitik -, noch einige Anmerkungen zum Haushalt selbst machen. Wir bedauern ausdrücklich, daß die Bundesregierung in diesem Haushaltsgesetzentwurf keinen Weg gesehen hat, den § 75 der Reichshaushaltsordnung wieder in Kraft zu setzen, wonach Fehlbeträge eines Haushaltsjahrs im übernächsten Haushalt zu veranschlagen sind. Offenbar wollte man sich den papierenen Ausgleich nicht noch durch die Veranschlagung des Defizits von 1953 erschweren. Das ist ein Gesichtspunkt, den das Bundesfinanzministerium zu seinen Gunsten anführen kann, der aber keineswegs über die Tatsache hinweghilft, daß die Suspendierung des § 75 der Reichshaushaltsordnung auf die Dauer unerträglich wird, weil sie die Klarheit des Haushalts einfach nicht ermöglicht.
({62})
Die Behauptung übrigens, der Haushalt sei ausgeglichen, ist nicht nur im Hinblick auf den § 75 RHO reichlich kühn. Sie ist auch kühn im Hinblick auf die offenkundigen Tatbestände, die der Haushalt selber darbietet. Wieder, wie in früheren Jahren - ich muß das feststellen -, hinkt dieser Haushalt auf beiden Beinen. Wichtige Elemente des Ausgleichs sind im Streit zwischen Bund und Ländern. Das ist allgemein bekannt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur daran, daß zum Etatausgleich auch die sogenannte Ergänzungsabgabe gehört, die in Höhe von 1,5 % der Einkommen- und Körperschaftsteuer veranschlagt ist, nämlich mit 160,5 Millionen DM. Es ist unsicher, ob das überhaupt Gesetz wird. Das weiß jedermann. Insofern also schon ist der Haushaltsausgleich nur auf dem Papier erzielt. Ein Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer von 40 % steht im Haushalt. Es ist bekannt, daß die Länder nicht bereit sind, auf diese Linie zu gehen, so daß also auch das durchaus noch im Bereich der Illusionen steht.
Ich will auf andere Unsicherheitsfaktoren jetzt nicht weiter eingehen. Dazu werden wir noch reichlich Gelegenheit haben. Jedenfalls kann von einem ausgeglichenen Haushalt wirklich nur im Papiersinn gesprochen werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich ganz am Rande einen Hinweis auf die noch immer steigende Zahl der Bundesbediensteten anbringen. Nach den Allgemeinen Vorbemerkungen ist die Zahl der Personalstellen seit 1953, wo sie 53 446 betrug, auf 64 808 in diesem Haushalt, also um über 11 000 Planstellen, gestiegen.
({63})
- Ich weiß das, und ich werde mit einem Satz darauf zu sprechen kommen. - Die Zahl der Angestellten stieg von 21 571 im Jahre 1953 auf 23 746 in diesem Haushaltsplan-Entwurf, die Zahl der Arbeiter in dem gleichen Zeitraum von 8453 auf 10 003.
Es ist wahr, das Hohe Haus selbst hat die Vermehrung des Bundesgrenzschutzes um 10 000 Mann
({64})
beschlossen. Das schlägt natürlich zu Buch; das muß sich in diesen Aufstellungen zeigen. Kein Mensch, sofern er einen vom Parlament gefaßten Beschluß als eine bestehende gesetzliche Grundlage für die Handlungen der Regierung ansieht - und das muß man ja wohl tun -, kann daran Anstoß nehmen, daß auf diese Weise die Zahl der Planstellen erweitert wird. Aber im ganzen müssen wir doch klipp und klar sagen - und ich glaube, daß wir damit nicht allein stehen -, daß die Zeit endgültig vorbei sein muß, wo die Bundesbehörden sich noch weiter in die Breite ausdehnen durften.
({65})
Wir Sozialdemokraten sind weder in den Haushaltsberatungen der Ausschüsse noch im Plenum dieses Hauses jemals der Meinung gewesen, daß eine offenkundige Notwendigkeit nur deshalb nicht vollstreckt werden dürfe, weil sie unbequem wäre. Das gilt auch gegenüber der Schaffung von Stellen, wo die Erfüllung öffentlicher Aufgaben unabweisbar ist. Aber es gibt Grenzen, die das Parlament eindeutig setzen muß. Es ist auf die Dauer nicht möglich, daß man ohne eine genaue Überprüfung der Notwendigkeit bestimmter Aufgaben Planstellen und Mittel bewilligt. Hier muß ein Ende gemacht werden.
({66})
Ich glaube, daß es Sache des Haushaltsausschusses ist - und ich weiß mich da mit vielen Herren aus der Koalition einig -, hier mit allem Bedacht und sehr nüchtern, aber auch sehr rücksichtslos jedem Versuch zu wehren, die Verwaltung auszuweiten und aufzublähen. Schließlich haben wir ja einen Bundesbeauftragten für die Probleme der Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, der seines Amtes waltet. Nur möchten wir manchmal wünschen, daß in seine Überlegungen auch ein etwas moderner Geist hineinkäme, so daß die Rationalität in der Verwaltung gegenüber dem jetzigen Zustand etwas zunähme.
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Da sind viele Dinge historisch geworden; man kann sie nicht von einem Tag auf den anderen beseitigen. Aber man sollte doch das Gefühl haben, daß begriffen worden ist, was eine neue, eine veränderte Zeit an Ansprüchen an die Verwaltung stellt.
Lassen Sie mich mit einer allgemeinen Überlegung schließen; sie betrifft unser innenpolitisches Klima. Einige Vorgänge der letzten Zeit haben nicht nur uns Sozialdemokraten, sondern auch viele andere Menschen in der Bundesrepublik mit Sorge erfüllt. Ich will nur zunächst einige Symptome nennen, ehe ich zu einer allgemeinen Überlegung komme.
Da war ein Manöver des Bundesgrenzschutzes. In Zusammenhang mit diesem Manöver - ich selber bin alles andere als militärisch veranlagt; ich habe also nur aus der Presse feststellen können, was sich dabei alles ereignet hat - ist behauptet worden, daß der Kommandeur des Bundesgrenzschutzes in Erklärungen gesagt habe, bei diesen Manövern habe sich erwiesen, daß der Bundesgrenzschutz nicht in der Lage sei, eventuelle Bedrohungen von außen abzuwehren.
({68})
- Ja, man soll aber dann nicht von vornherein ein Manöver so anlegen, daß das bewiesen werden kann, was bewiesen werden soll.
({69})
Das war doch offenkundig bei diesem Manöver der Fall.
({70})
- Gut, das könnte man sogar auf dem Papier beweisen, wenn man wollte. Auch dann wäre der Beweis nicht unbedingt schlüssig und akzeptabel, Herr Kollege von Merkatz.
({71})
- Herr Kollege Dresbach, ich würde mich dann freuen, Sie nicht auf der rechten Seite des Hauses wiederzufinden.
({72})
Ich bin beinahe dessen sicher, daß Sie nicht zu den Militärexperten gehören. Dazu sind Sie viel zu unmilitärisch.
({73})
- Man weiß, wie man Leutnant werden konnte. Herr Mende, Sie wissen das ja auch.
({74})
Lassen wir das Thema und kommen wir zum Eigentlichen zurück! Daß der Bundesgrenzschutz von Anfang an im Beweßtsein diesese Hauses keine militärische, sondern eine polizeiliche Funktion hatte, scheint mir auch heute noch nicht vergessen werden zu dürfen. Ob 9s bei manchen Leuten vergessen worden ist, ist eile ganz andere Frage. Auf alle Fälle aber ist es nicht Sache eines Kommandeurs - ich wage nicht zu sagen: eines Truppenkommandeurs; denn beim Bundesgrenzschutz handelt es sich ja um Polizei -, in dieser Art öffentlich Forderungen zu stellen, Wünsche anzumelden usw. Das wäre allein Sache der zuständigen Regierungsstellen.
({75})
Zwar ist dementiert worden, daß der betreffende Herr - ich will seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht nennen; ich habe im allgemeinen eine Abneigung gegen die Nennung von Beamten in diesem Hause - solche Äußerungen getan habe, aber die Dementis sind, wie meistens in solchen Fällen, sehr lendenlahm gewesen, sie sind eher eine Bestätigung als eine Verneinung.
Auf alle Fälle aber möchte ich in diesem Zusammenhang etwas zum Geist im Bundesgrenzschutz sagen. Es ist uns glaubhaft versichert worden, daß der Bundesgrenzschutz in mancher Hinsicht zu alten, keineswegs angenehmen und lieben Gebräuchen der Vergangenheit zurückgefunden habe. Die sozialdemokratische Fraktion hat zunächst darauf verzichtet, diese Frage in Form einer Anfrage auf die Tagesordnung dieses Hauses zu stellen. Ich möchte trotzdem die Frage stellen, ob es der Bundesregierung bekannt ist, daß sich im Bundesgrenzschutz die Gepflogenheit eingebürgert
({76})
hat, daß Offiziere von den ihnen unterstellten
Beamten in der dritten Person angeredet werden.
({77})
Dafür, daß ,das möglich ist, meine Damen und Herren, habe ich nicht nur aus dem pseudomilitärischen Bereich des Bundesgrenzschutzes Beweise. Es passiert mir gelegentlich, daß ich im Verkehr mit Ministerialbeamten am Telefon erlebe, daß man sagt: Wie meinen der Herr Abgeordnete?
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Das scheint also noch immer nicht ausgestorben zu sein. Ich möchte sehr deutlich wünschen, daß diese Sklavensprache endlich aus dem Bereich aller öffentlichen Verwaltungen verschwindet.
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- Ach so!
({80})
- Ja gut, ich bin durchaus bereit, eine solche Erklärung zu akzeptieren. Aber die Tatsache werden weder ich noch Sie, Herr Kollege Dresbach, akzeptieren. Ich kann mir auch nicht gut vorstellen, daß etwa die Bundesregierung eine solche Gepflogenheit, die keineswegs mit der Würde des Menschen zu vereinbaren wäre, billigen würde. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, daß sich die Bundesregierung weigern würde, durch den Erlaß entsprechender Dienstvorschriften dafür zu sorgen, daß weder die Mannschaften noch die Offiziere im Bundesgrenzschutz künftig in Versuchung geraten, sich einer solchen würdelosen Anrede zu bedienen oder sie sich gefallen zu lassen.
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- Herr Kollege Mende, ich brauche Ihnen nichts über das Verhältnis von Vorgesetzten und Untergebenen in einer militärischen oder halbmilitärischen Organisation zu sagen, nicht wahr? Sichgefallen-Lassen ist in diesem Falle eine Frage des Taktes der Vorgesetzten.
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- Gut, wenn wir in diesem Punkte einer Meinung sind, dann können wir auch auf Abhilfe sinnen.
({83})
Aber, meine Damen und Herren, das ist nur e i n Symptom, von dem ich in diesem Zusammenhang reden muß.
Ich möchte ein anderes nennen, das ebenso beunruhigend und gravierend ist, beunruhigend, weil es eine Haltung gegenüber einem Teil der politischen Kräfte in der Bundesrepublik offenbart, die wir nicht nur auf das tiefste bedauern, sondern mit aller Entschiedenheit bekämpfen müssen. Es ist der Ton, der in politischen Auseinandersetzungen angeschlagen wird. Es ist der Ton, den der Chef der Bundesregierung z. B. im Berliner Wahlkampf gegen die Sozialdemokratische Partei angeschlagen hat.
({84})
Ich glaube, es ist ein Symptom für das schlechte Verhältnis zwischen Regierungsparteien und Oppotion, daß der Chef der Bundesregierung in einem zweifellos etwas erhitzten Wahlkampf in Berlin zu sagen wagt, im Falle eines sozialdemokratischen Erfolges bei den Berliner Wahlen habe eine sozialdemokratische Landesregierung wohl kaum mit dem Wohlwollen der Besatzungsmächte zu rechnen.
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Ich möchte ohne Erregung feststellen, daß das eine Methode der Verdächtigung und Abwertung des politischen Gegners ist, die man von keiner Seite, welcher auch immer, sich gefallen lassen soll.
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Es wäre sehr interessant, zu erfahren, woher denn der Herr Bundeskanzler die Unterlagen für eine für die Sozialdemokratische Partei so diffamierende Behauptung hat, wie er sie da in Berlin ausgesprochen hat.
({87})
Auch das ist ein Symptom für gewisse Zustände in der Bundesrepublik, deren Bekämpfung sich alle zum Ziel machen sollten, die es mit der Demokratie ernst meinen.
Damit komme ich zum eigentlichen Kern dieses Teils meiner Argumente. Ich glaube, wir haben uns in der Bundesrepublik zu sehr an den Zustand gewöhnt, daß die eine Gruppe auf Jahre hinaus im Besitz der Regierungsmacht ist und glaubt, sich alles erlauben zu können,
({88})
und daß sie die Vorstellung hat, die andere Gruppe müsse auf alle Fälle und für immer in der Opposition bleiben.
({89})
- Herr Majonica, mit Ihnen über die sozialdemokratische Politik zu reden, das möchte ich in diesem Bundestag lieber nicht unternehmen. - Es wäre gut, wenn wir uns alle einmal ein klein wenig an die angelsächsische Vorstellung gewöhnen könnten, daß Regierungsparteien und Opposition, daß Parlament und Regierung das „government" sind, daß sie insgemein und insgesamt für die Geschicke der Nation verantwortlich sind, daß es auf dieser Ebene keine Minderberechtigung gibt, daß es auch nicht in der Frage, was die Opposition erfahren soll, Minderberechtigungen der Opposition gegenüber den Trägern der Regierungsgewalt geben kann.
({90})
Nur dann kann von der Opposition erwartet werden, daß sie mit 'demselben Verantwortungsgefühl an die Entscheidungen herangeht, wenn sie genau so gut informiert ist wie diejenigen, die im Besitz der Informationsquellen selber sind.
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Es scheint mir, daß der Herr Bundeskanzler diese Seite der parlamentarischen Demokratie entweder bisher noch nicht gesehen hat oder sie nicht sehen möchte. Aber es wäre höchste Zeit, auf diesem Gebiete umzukehren und zu fragen, ob für die
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Besserung der politischen Atmosphäre nicht etwa andere Maßnahmen notwendig sind als die Gleichschaltungsversuche, die bei Gelegenheit der Länderwahlen im Hinblick auf die Bildung der Landesregierungen unternommen werden.
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Ich möchte Sie gerade im Zusammenhang mit der Beratung des Bundeshaushalts, der ja ein Spiegel aller Geschehnisse in der öffentlichen Verwaltung unseres Landes ist, erneut und eindringlich darauf hinweisen, welche Gefahr entsteht, wenn zwischen Regierungsgruppierung und Opposition im Sachlichen, im Politischen und im Menschlichen die Gräben immer tiefer gemacht werden, manchmal ohne Not; welche Gefahr dadurch entsteht, daß unser Volk, das durch historische Ereignisse und Gewalten gespalten ist, auch noch aufgespalten wird in eine permanente Regierungsgruppe und in eine permanente Opposition. Die Sozialdemokratie wird von sich aus alles tun, um durch das Gewicht der Argumente und die Aufklärung der Bevölkerung eine solche Spaltung zu vermeiden. Aber wir sollten uns nicht allein darauf verlassen, sondern jeder von uns sollte an seinem Platz den Versuch machen, die innerpolitische Atmosphäre von ,dem Gift zu befreien, das Verleumdung, Diffamierung und Verachtung des Andersdenkenden in unserem Volke ausgestreut haben.
Im übrigen werden wir uns an der Durcharbeitung dieses Haushalts genau so sachlich beteiligen, wie wir es immer getan haben.
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Meine Damen und Herren, ich bin gebeten worden, darauf hinzuweisen, daß die Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht um 11 Uhr im Zimmer 206 Süd stattfindet.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst mit einer allgemeinen Vorbemerkung beginnen und sofort auf das eingehen, was mein sehr verehrter Herr Vorredner zum allgemeinen Thema und zum Verhältnis von Parlament und Regierung gesagt hat. In sehr vielen Dingen wird er, glaube ich, die Zustimmung aller meiner Freunde finden. Die Atmosphäre einer wirklich sachlichen Zusammenarbeit, wie wir sie im kleinen im Haushaltsausschuß praktiziert haben, sollte sich auf das ganze Haus ausbreiten. Sie werden auch bei uns jederzeit ,die Bereitschaft - an die Sie appelliert haben - zu einer sachlichen und von Diffamierungen freien Zusammenarbeit finden.
Im Zusammenhang damit darf ich sagen: wir haben mit Freuden festgestellt, daß Sie in dieser ersten Rede zum Haushalt einen Ton angeschlagen haben, der uns sympathisch berührt. Sie werden finden, daß auch wir uns bemühen, in diesem Stil eine durchaus sachliche Auseinandersetzung zu führen, der frei ist von, sagen wir einmal, Verschleierungen von Gegensätzen, der aber diese Gegensätze ,auch nicht überspitzt und übersteigert.
({0})
Lassen Sie mich auf einige Dinge, die Sie, vorweggenommen haben, zunächst eingehen, bevor ich mich meinem Konzept zuwende. Es ist ja immer schwieriger geworden, in diesem Hause frei zu sprechen; das wissen Sie. Bei einer so mit Zahlen gespickten Sache wie dem Bundeshaushalt sich völlig freizuschwimmen, ist eine höchst komplizierte, beinahe unmögliche Angelegenheit. Zunächst einmal möchte ich zu Ihrer allgemeinen Bemerkung, in der Sie generell über die Glaubwürdigkeit bzw. Beweiskraft von Äußerungen des Instituts „Steuern und Finanzen" zum Haushalt sprachen, folgendes sagen. Auch ich will mich nicht näher darüber auslassen, welche Kräfte dahinterstehen und welches der Sinn solcher Veröffentlichung ist. Aber mit allem Freimut möchte ich erklären: Sie haben dem Herrn Bundesfinanzminister -das wissen wir auch - schon in der Haushaltsdebatte im Ausschuß den Vorwurf gemacht, er habe über die sehr erheblichen Ersparnisse aus dem Nichtzustandekommen der EVG verfügt, ohne vorher mit dem Haushaltsausschuß und dem Parlament zu sprechen. Darüber kann man zweierlei Ansicht sein, wie ja überhaupt die Dinge, über die wir uns hier zu streiten haben, meistens zwei Seiten haben. Ich kann hier nicht umhin, Herr Kollege Schoettle, an eine alte, sogar wahre Geschichte zu denken, die mir als Student einmal ein alter Bekannter in meiner Heimat Schlesien erzählte. Der alte Kardinal Bertram - ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich -in dem Zusammenhang von Kardinälen spreche - wußte sehr genau, daß sich in dem Priesterseminar in Breslau ein hoffnungsvoller Mann befand, der allen Seiten des Lebens zwei Dinge abzugewinnen verstand, und er beschloß, ihn auf die Probe zu stellen. Bei der nächsten Visitation legte er diesem Manne die Frage vor: „Herr Kandidat, kann man mit Suppe taufen?" - Dieser sehr witzige Zögling zögerte nicht mit der Antwort: „Herr Kardinal, mit der Suppe des Priesterseminars bestimmt; aber mit der Suppe Eurer Eminenz würde es die letzte Ölung werden!"
({1})
Sie sehen das auch an diesem Beispiel exemplifiziert. Hier kann man genau so fragen: War das richtig, was der Bundesfinanzminister damals tat, oder war das nicht richtig, was er tat? Ich glaube, er hielt sich an die Haushaltsordnung, und nach der Haushaltsordnung - da werden Sie nicht widersprechen können - hatte er klipp und klar das Recht, aus den Ersparnissen des ordentlichen Haushalts den außerordentlichen Haushalt zu bedienen.
({2})
- Lassen Sie mich aber gleich einen Satz hinzufügen: auch ich hätte es lieber gesehen, wenn der Bundesfinanzminister nicht alles darauf verwandt hätte, aus den Ersparnissen des ordentlichen Haushalts den außerordentlichen Haushalt zu bedienen, vielmehr - ich glaube, hier für viele meiner Freunde sprechen zu können - die Reste aus den vergangenen Jahren, vor allem des Defizits des Jahres 1951, restlos abgedeckt hätte. Wir wären dann, glaube ich, nicht zu dem Rangierbahnhof von Resten gekommen, der immer wieder mitgeschleppt wird und der leider auch dazu beiträgt, das sonst sehr klare Bild des Haushalts etwas zu verschleiern.
Nun noch zu einer Reihe anderer Dinge, die Sie hier vorweg angesprochen haben. Sie haben sich für Ihre Fraktion sehr energisch gegen die übermäßige Bewertung der Aussichten ausgesprochen, Bundesvermögen zu verkaufen und daraus Haushaltdefi({3})
zite zu decken. Sie wissen, daß wir uns hierin im Ausschuß unddarüber hinaus weitgehend einig sind. Ich werde nachher noch einiges gegen allzu krasse „Verscherbelungsabsichten" sagen. Wir haben zwar von unserer Seite aus den Grundsatz vertreten, daß der Bund da, wo es möglich ist und wo gute Preise geboten werden, ruhig an Veräußerungen denken kann. Aber darüber hinaus zu glauben, man könne aus solchen Veräußerungen etwa laufend den Haushalt bedienen, ist doch wohl eine Unmöglichkeit, über die wir uns mit Ihnen völlig einig sind.
Nun die Stellung des Parlaments zur Verwaltung. Im vergangenen Jahr hat es, das darf nicht verschwiegen werden in einzelnen Ausschüssen Zusammenstöße gegeben, und Ausschußvorsitzende haben sich scharf gegen einzelne Herren der Verwaltung wenden müssen. Vielleicht liegt das auch' an der besonderen Konstruktion unserer Verfassung und nicht allein am „Takt" mancher Beamter. Wir haben manchmal feststellen müssen, daß sich hier und da Referatsleiter, auch höhergestellte Herren, auf die besondere Konstruktion unserer Verfassung und auf die besonders starke Stellung des Herrn Bundeskanzlers in dieser Verfassung allzusehr verlassen. Auch von manchen Reden von Ministerialdirektoren gilt das, was bereits, wie ich glaube, in einem alten Psalm ausgesprochen worden ist: „Herr, gib eine schützende Tür meinen Lippen!" Ich möchte das hier nicht weiter verfolgen. Das gleiche gilt für die Aussprüche von gewissen Generalen, die hier ebenfalls zitiert worden sind. In diesem Zusammenhang kann man auch ruhig einmal den alten schweigsamen Moltke als Vorbild für Herren hinstellen, die beim Auftreten in der Öffentlichkeit lieber etwas vorsichtiger sein sollten.
Nun zu dem eigentlichen Problem des Haushalts. Ich komme auf das besondere Problem des Verteidigungsbeitrages später noch zurück.
Der Bundesfinanzminister darf diesmal, mit Recht, glaube ich, stolz darauf sein, den Haushalt des Jahres 1955/56 schon in den ersten Dezembertagen hier vor dem Bundestag eingebracht zu haben. Er hätte damit fast einen neuen Rekord geschaffen. Aber, meine Damen und Herren, beim Durchblättern alter Bände über die Verhandlungen des alten Reichstages habe ich gemerkt, daß bereits am 4. Dezember 1930 mein alter Freund Ersing aus Stuttgart sehr erfreut darauf hingewiesen hat - ich zitiere jetzt, Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis wörtlich -, noch niemals seit der Existenz der Weimarer Republik sei der Haushalt so früh eingebracht worden. 1929 - wenn ich das vielleicht einmal als historische Reminiszenz einflechten darf -- hatte man ihn erst am 28. Juni verabschiedet. 1930 wurde er nicht vom Reichstag nach der dritten Lesung verabschiedet, sondern durch Notverordnung in Kraft gesetzt. 1931 verabschiedete man ihn, genau wie wir es im vergangenen Jahr im Bundestag taten, am 30. März stieß dann auf den Einspruch der Reichsrats, und wieder trat eine Notverordnung spät im Jahre in Kraft. 1932 erlebten wir erst am 30. Juni die Verabschiedung, aber nacht ordnungsgemäß, sondern wiederum durch Notverordnung.
Wir wollen also diese Dinge und die Folgen, die sie auch hatten, nicht ganz vergessen. Wir werden uns sicherlich im Haushaltsausschuß alle Mühe geben, bis zum 1. April fertig zu werden, und der Appell des Bundesfinanzministeriums wird da sicherlich auf sehr guten Willen stoßen. Wenn ich allerdings nach dem Plan unseres Hauses die zur Verfügung stehenden Tage durchrechne, muß ich feststellen, daß wir ganze dreizehn Tage für die Beratung dieses Kompendiums zur Verfügung haben. Ich glaube da die Skepsis unseres Herrn Vorsitzenden teilen zu können, und ich selbst weiß nicht, wie wir bis zum 1. April fertig werden wollen, ohne daß der Haushaltsausschuß, wie im vergangenen Jahr, auch an den auch von seinen Mitgliedern dringend gebrauchten Tagen der freien Wochen berät.
Wir werden auf jeden Fall diesen Haushaltsplan gründlicher prüfen als den des vergangenen Jahres. Denn wir haben im vergangenen Jahre zwar unter Einsatz, glaube ich, aller unserer physischen Kraft den Versuch gemacht, rechtzeitig fertig zu werden; aber sehr viele Dinge sind dabei zu kurz gekommen und infolge der allzu großen Zeitnot unterdrückt worden.
Beklagten wir uns im vergangenen Jahr über allzu karges Material, so besitzen wir heute in dem stattlichen Band von 550 Seiten der Allgemeinen Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt ein Kompendium, das die Herzen selbst aller Universitätsprofessoren der Volkswirtschaft höher schlagen lassen muß. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang doch noch die Bitte an das Bundesfinanzministerium richten, ob wir nicht wieder, wie im vergangenen Jahr, ich möchte einmal sagen, für den Hausgebrauch aller Abgeordneten, nicht nur derer des Haushaltsausschusses, diesen sehr guten kleinen „Führer" haben könnten, den wir im vergangenen Jahr in Händen hatten und der es uns allen ermöglicht, uns rasch durch diese Menge von Zahlen durchzufinden.
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- Also Haushalts-Courths-Mahler in verbesserter Auflage, Herr Dr. Dresbach.
Nicht nur der Bundesregierung selbst, sondern insbesondere auch dem Bundesfinanzminister gilt unser Dank für die rechtzeitige Einbringung dieses Haushalts und das diesmal doch wirklich, vorzügliche Unterlagenmaterial, das wir hier erhalten haben. Ich spreche diesen besonderen Dank meiner Fraktion auch den Beamten aus, die hier eine außerordentliche und sehr anerkennenswerte Leistung vollbracht haben.
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Meine Damen und Herren, es ist mir ein besonderes Bedürfnis, darüber hinaus auch an dieser Stelle, wie das mein Herr Vorredner ebenfalls getan hat, unsere besten Wünsche dem krank darniederliegenden Bundesfinanzminister in seine bayerische Heimat zu senden und die Hoffnung daran zu knüpfen, daß er möglichst bald wieder gesund und mit seiner alten Zähigkeit und Tatenfreudigkeit hier in unserer Mitte wirken möge.
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Herr Staatssekretär Hartmann machte in erfreulicher Offenherzigkeit kein Hehl aus der Notwendigkeit eines Nachtragshaushalts infolge der neu auf die Bundesregierung zukommenden Belastungen durch die Erhöhung der Leistungen für die Kriegsopfer, ferner durch die Auswirkungen der neuen Tarifverhandlungen über Gehälter und Löhne der öffentlichen Bediensteten. Wenn die
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endgültigen Zahlen des Nachtragshaushalts heute auch noch nicht feststehen können, so ist doch das, was Staatssekretär Hartmann in groben Umrissen andeutete, eindrucksvoll genug, uns die ernsten Schwierigkeiten für die Herstellung des verfassungsgemäßen Ausgleichs vor Augen zu führen. Ich werde darauf später noch besonders zurückkommen.
Bereits im vergangenen Jahre ist von dieser Stelle aus - auch von mir - auf die Problematik der bisherigen Verfahrensweise des Hohen Hauses in bezug auf Bewilligungen ohne gleichzeitige Deckungsvorlagen hingewiesen worden. Um wieviel leichter tut sich in diesem Zusammenhang die auch hier schon zitierte britische Regierung, die allein in der Lage ist, Finanzvorlagen einzubringen, und infolgedessen von vornherein stets im Rahmen eines ausgeglichenen Haushalts bleibt. Wenn der so heiß umstrittene § 96 der Geschäftsordnung dieses Hohen Hauses Gültigkeit besitzen wird, werden wir einen Schritt weiter voran sein. Niemand allerdings wird dann den Haushaltsausschuß um das Maß an neuer Verantwortung beneiden, das ihm durch das neue Verfahren aufgebürdet werden wird. Er nimmt dann dem Herrn Bundesfinanzminister praktisch einen großen Teil jener Pflichten und Rechte ab, deren er sich im Rahmen des Art. 113 der Bundesverfassung eigentlich bedienen sollte, aber bis heute noch niemals bedient hat. Es ist im Bundestag oft genug, glaube ich, in völliger Einmütigkeit über die Nichtbeachtung der Kostenfrage bei der Verabschiedung von Gesetzen durch die Fachausschüsse und vor allem bei der Errichtung neuer Behörden geklagt worden. Ich kann auch hier nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß dieses Hohe Haus den Haushaltsausschuß nicht ausdrücklich z. B. bei der Verabschiedung der Erhöhung der Kriegsopferbezüge eingeschaltet hat.
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Wer wollte sich aber über die Bewilligungsfreude des Parlaments beschweren, wenn wir von den Neuanforderungen der einzelnen Ressortminister an den neuen Haushalt in Höhe von sage und schreibe 61/2 Milliarden hören, die in hartem Ringen schließlich auf eine Milliarde zusammengestrichen wurden! Fast hat es den Anschein, als ob eine beklagenswerte Manie einrisse, im Vertrauen auf die Resistenz des Bundesfinanzministers einfach anzufordern, und es soll ja auch vorkommen, daß das Bundesverfassungsgericht in der sicheren Erwartung einer Ablehnung angerufen wird, - und daß man sich damit manchmal in den Finger schneidet. Ist es dann verwunderlich, wenn eine solche Praxis ein bedauernswertes Nacheifern bei vielen anforderungsfreudigen Bundesbeamten und -angestellten in verantwortlicher Stellung zeitigt?
Der Bundesfinanzminister ist ausführlich auf die noch offenen Risiken des neuen Haushalts eingegangen. Ein Teil davon wird hoffentlich durch den Vermittlungsausschuß noch vor Weihnachten aus der Welt geschafft werden. Ich beneide ihn keineswegs um das Kopfweh, das unvermeidlich die Schaffung der Deckung für die noch offenen Posten im Nachtragshaushalt bereiten muß und wird, und darüber, ob er die Ausgleichsausgabe zu voller Höhe steigern wird. Sich unter diesen Umständen z. B. auf die völlige Zweckbindung der aus dem Verkehrsfinanzgesetz zu erwartenden großen Summen versteifen zu wollen, wird wohl auch nicht gerade der rechte Weg sein. Die Steuer- und
Zollvorausschätzungen scheinen tatsächlich fast an der Grenze des Möglichen zu liegen. Wie mager auch die Erträge der bisherigen Haushaltskürzungen - rund 330 Millionen - auf Grund vorliegender gesetzlicher Verpflichtungen ausgefallen sind, wissen wir ja! Was soll dann noch bei einer erneuten Kürzung des Gesamthaushalts, sagen wir: um 5 % herausspringen? Das wird wohl die Frage sein, die ihn jetzt am meisten beschäftigt. Die Problematik der bisherigen Methode der Bewilligung und die Notwendigkeit einer wirklich funktionierenden Regelung wird gerade an diesem Haushalt und dem notwendig gewordenen Nachtragshaushalt besonders sichtbar.
Kassenschwierigkeiten allerdings wird das Bundesfinanzministerium bis zum Herbst des kommenden Jahres wohl kaum zu erwarten haben. Bis zu diesem Zeitpunkt werden die außerordentlich hohen nicht abgerufenen Besatzungskostenbeiträge bei der Bank deutscher Länder noch manche Manövriermöglichkeit bieten; schließlich steht auch noch der Kreditplafond in Höhe von 3 Milliarden bei der Bank deutscher Länder zusätzlich zur Verfügung. Bis dahin sollte das finanzielle Verhältnis von Bund und Ländern in Ordnung gebracht werden, und bis dahin werden wir wohl sehen, ob die Erwartungen in die Konjunktur des Jahres 1955 sich erfüllen oder nicht erfüllen.
Der Streit um die finanziellen Auswirkungen der Konjunktur des Jahres 1954 hat den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und die deutsche Öffentlichkeit .in einem Ausmaß bewegt, wie nie zuvor. Die Auseinandersetzung über das Ausmaß der Erleichterungen durch die Steuerreform wurde beinahe ausschließlich mit dem Argument bestritten: die Erwartung des Bundesfinanzministers, daß eine Steigerung des Bruttosozialprodukts in Höhe von 5 % eintreten werde, sei durch die Steigerung um 8 % überholt. Werden wir auch 1955 mit einer gleich hohen Steigerung rechnen können, oder werden wir vielleicht sogar mit mehr rechnen können? Ich glaube, daß das eine der entscheidenden Fragen ist, auch die große entscheidende Frage für diesen uns vorliegenden neuen Haushaltsplan. Weil sie so bedeutungsvoll ist, müssen wir uns jetzt mit den Aussichten für 1955 und den Ergebnissen des auslaufenden Jahres etwas eingehender befassen.
Niemand hatte meines Wissens eine Steigerung des Bruttosozialprodukts von rund 8 % in diesem Jahre erwartet, einen Anstieg auf voraussichtlich etwa 143 Milliarden. Das ist eine erstaunliche Leistung aller deutschen Erwerbstätigen unter äußerstem Einsatz von Gesundheit, Energie und Intelligenz, gepaart mit einer Risikofreude, ohne die ein echter Konjunkturanstieg einfach nicht denkbar erscheint. „Das Jahr des Verbrauchers" hat der Bundeswirtschaftsminister typischerweise dieses Jahr getauft, und die Volkswirtschaftler sammelten dabei eine höchst bemerkenswerte Erfahrung. Die leichte Rückläufigkeit der Konjunktur in den Vereinigten Staaten nämlich hat keine Rückwirkungen auf die Konjunktur in Deutschland oder auf die Konjunktur der meisten europäischen Länder gehabt, die zum Teil auf ähnlich erfreuliche Ergebnisse wie wir in diesem Jahre zurückblicken können. Wir wollen uns also nicht einbilden, daß wir die einzigen sind, die in diesem Jahre wesentlich vorangekommen sind.
Dieser Konjunkturaufschwung bewirkte die Neueingliederung von rund 800 000 Erwerbstätigen. Es scheint mir besonders bemerkenswert zu sein,
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daß davon leider nur etwa 118 000 aus den Reihen der dauernd Erwerbslosen kamen. Die Notwendigkeit einer verstärkten Umsiedlung der Heimatvertriebenen und der Sowjetzonenflüchtlinge zu den offenen Arbeitsplätzen hin wird dadurch nur noch unterstrichen. Die hier im Haushaltsplan vorgemerkten zusätzlichen 100 Millionen DM der Umsiedlungsanleihe und die 150 Millionen DM für die Umsiedlung der Sowjetzonenflüchtlinge werden zwar im kommenden Jahr das Problem nicht ganz lösen können, aber es immerhin einen wesentlichen Schritt weiter voranbringen.
Auch ich teile die Überzeugung des Herrn Bundesarbeitsministers, daß es hier noch zu früh ist, von einer Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte zur Bewältigung der Aufgaben des kommenden Jahres zu sprechen
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und dadurch auf der einen Seite vielleicht Hoffnungen in Italien zu wecken, andererseits aber unvermeidliche Verärgerung bei den Erwerbslosen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern usw. hervorzurufen. Noch steht uns schließlich eine Reserve von 3- bis 400 000 einsatzfähigen Erwerbslosen zur Verfügung, und noch sind die Möglichkeiten der zusätzlichen Einbeziehung auch von manchen weiblichen Arbeitskräften nicht voll ausgeschöpft.
Aber nun ein Wort an die Bundesanstalt in Nürnberg. Welch eine Chance eröffnet sich hier für diese Bundesanstalt, die unbestreitbar großen organisatorischen Schwierigkeiten der Heranbringung der Arbeitslosen an die Zentren der Arbeit und ihre vernünftige Unterbringung zu meistern und damit für die Elastizität, die Anpassungsfähigkeit, aber auch die Entschlußkraft dieser zahlenmäßig ja keineswegs kleinen Behörde einen Beweis zu liefern.
Noch bemerkenswerter als die Steigerung des Sozialproduktes um 8 % erscheint mir die Kurve des Lebenshaltungskostenindexes in diesem Jahre. Der Lebenshaltungskostenindex ist vom Durchschnitt des letzten Vierteljahres 1953 von 167 nur unwesentlich auf 169 gestiegen und steht heute praktisch auf der gleichen Höhe wie 1951. Darauf gründen sich auch die Berechnungen über die erfreuliche und auch von uns durchaus begrüßte Steigerung des Realeinkommens aller Erwerbstätigen im gleichen Zeitraum. Wenn ich mich recht erinnere, ist auch die Forderung nach einer Erhöhung der Löhne und Gehälter in diesem Jahre von den Gewerkschaften mit einer stärkeren Beteiligung an den Ergebnissen der Produktivität, aber nicht mit einer Teuerung begründet worden.
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- Wissen Sie, wir dürfen solche Dinge nicht in Wochen, sondern wir müssen sie in etwas längeren Zeitabläufen, zumindest in Vierteljahren, sehen.
Ihren sinnvollen Ausdruck fand die Konjunktur in der ebenso ungewöhnlichen wie erfreulichen Vermehrung der Spareinlagen von einem Stand von rund 9 Milliarden DM im vergangenen Herbst auf über 15 Milliarden DM in den letzten Monaten. Ein solches Ergebnis nach zwei Inflationen werten wir mit Recht auf dieser Seite des Hauses - und das werden Sie uns, meine Damen und Herren von der Opposition, nicht verwehren können - als einen ganz besonderen Beweis des Vertrauens der breitesten Schichten des deutschen Volkes in die Stabilität der wirtschaftlichen und politischen Führung durch unseren Herrn Bundeskanzler.
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Gerade dieser Vertrauensbeweis aber gibt der Versicherung des Bundesfinanzministers, unter allen Umständen die Stabilität unserer Währung auch mit harten Mitteln weiter aufrechtzuerhalten, einen besonderen Nachdruck.
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Wir von der CDU/CSU stellen uns voll und ganz hinter dieses große Ziel der Währungssicherung. Wer es anstrebt, muß allerdings auch ebensosehr um den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben im Bundeshaushalt besorgt sein.
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Was ist eigentlich in diesem Jahre bemerkenswerter: ein Diskontstand von sage und schreibe 3 %,
wie er seit 1905 nicht wieder erreicht worden ist,
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oder die 95%ige Deckung des Notenumlaufs durch Gold- und Devisenbestände der Bank deutscher Länder?
Hier möchte ich jedoch eine alte Forderung gleich einmal nebenher einflechten: wann endlich werden wir das Bundesnotenbankgesetz vorgelegt bekommen? Auch das ist eine allzu lang aufgeschobene Angelegenheit.
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Ein solch hoher Stand an Gold und Devisen konnte nur durch neue und außerordentliche Anstrengungen, aber auch durch Risiken im Außenhandel erzielt werden. Durch die Steigerung der Einfuhr in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 17,2 % und der Ausfuhr sogar um 20,5 % dürfte der Anteil der Bundesrepublik am Welthandel fast wieder die Prozentsätze der Jahre 1929 und sogar 1937 erreicht haben. Ich betone gerade den „Anteil am Welthandel", weil hier absolute Ziffern relativ wenig aussagen.
Wir verfolgen die ebenso zähen wie unermüdlichen Anstrengungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers zur Durchsetzung der Konvertibilität der Währungen mit stärkstem Interesse. Erreicht er sein Ziel, dann wird auch hier ein Meilenstein für die wirtschaftliche und politische Einigung Europas gesetzt sein. Mehr als alle Handelsverträge müßte der freie Währungsaustausch ganz Europa und die freie Welt einer neuen Konjunktur entgegenführen. Daß trotz der Ansammlung von Gold und Devisen der deutsche Beitrag an die Weltbank in Höhe von 330 Millionen DM auch noch voll eingezahlt werden konnte, daß . weiter die Sperrmark weitgehend deblockiert und die Dollarfreiliste erweitert werden konnte, 'erscheint uns bedeutsam und erfreulich. Immerhin wird hier jedoch sichtbar, daß die Erwartungen nach der Londoner Schuldenkonferenz und der Bereinigung der Schuldenverhältnisse mit der Schweiz, Holland usw. auf das Einströmen ausländischer Anleihen nach der Bundesrepublik sich nicht erfüllt haben. Anleihebedingungen, wie sie z. B. die Weltbank für relativ geringfügige Summen stellt, sind für uns uninteressant.
Nichts beeindruckt aber wohl das Auge allgemein eines jeden Besuchers von Deutschland stärker als
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das Fortschreiten der Baukonjunktur. Nicht weniger als 10 % aller Erwerbstätigen sind allein in der Bauwirtschaft tätig. Trotz der gewaltigen Leistungen im vergangenen Jahre stiegen die Aufwendungen für alle Bauten noch einmal von 16 auf 17 Milliarden DM, wovon nicht weniger als 55 %auf den sozialen Wohnungsbau entfielen. Es kann jetzt schon als sicher gelten, daß die Zahl der fertiggestellten Wohnungen von 515 000 im vergangenen Jahr auf vermutlich 550 000 in diesem Jahr erneut weiter steigen wird.
Erlauben Sie mir hier eine kurze Bemerkung. Die Bauwirtschaft scheint sich über die Möglichkeiten der Konjunkturausweitung des kommenden Jahres ein wenig übertriebenen Hoffnungen hinzugeben. Anders sind nämlich bestimmte Hortungserscheinungen nicht zu deuten. Das gilt insbesondere auch für den Holzmarkt. Holz ist für die Preisgestaltung der Bauwirtschaft schließlich mit entscheidend. Die Frage, ob sich die staatlichen Stellen der Länder bei der Begrenzung des Holzeinschlags in diesem Jahr und bei den Versteigerungen nicht selber einen schlechten Dienst erweisen, möchte ich hier nicht weiter vertiefen.
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Unbedingt aber sollten sich die Holzaufkäufer bei ihren Geboten daran erinnern, daß ein Mangel an Holz international nicht besteht und die Holzeinfuhr liberalisiert ist. Wozu also übergroße Risiken für das nächste Jahr jetzt schon eingehen? Uns allen muß gemeinsam daran liegen, die Baukosten im nächsten Jahr nicht weiter zu steigern.
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Das schwierigste Problem wird dabei allerdings immer wieder der Mangel an Bauhilfsarbeitern bleiben. Immer mehr konzentriert sich der neue Wohnungsbau an den großen Zentren der Arbeit gerade dort, wo ohnehin schon offene Arbeitsplätze kaum noch besetzt werden können.
Unbestreitbar sind die Konjunkturerwartungen der Bauwirtschaft für das nächste Jahr aber gleichfalls wohlbegründet, wenn auch nicht übertrieben begründet. Mindestens zwei Milliarden des Besatzungskostenüberhanges aus den Vorjahren werden verbaut werden. Dazu kommt das Anlaufen ,der Bauten für den deutschen Verteidigungsbeitrag, eine weitere Steigerung des Wohnungsbaus durch die neuen Mittel für die Umsiedlung und Ansiedlung der Heimatvertriebenen und der Sowjetzonenflüchtlinge und durch den Bergarbeiterwohnungsbau. Der Mangel an Hilfsarbeitern wird jedoch durch das gleichzeitige Anlaufen der Autobahn- und Bundesstraßenneubauten noch verschärft werden.
Ich möchte an dieser Stelle die Entschlossenheit meiner Freunde unterstreichen, die öffentlichen Zuschüsse stärker als bisher zur Bildung von Eigenturn in die breitesten Schichten unseres Volkes hinzulenken.
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Gerade in meinem Land Baden-Württemberg hat diese Zielsetzung bereits in den vergangenen Jahrzehnten ihren Segen durch alle Krisen hindurch sichtbar erwiesen. Gelingt es uns allerdings, die außerordentlichen Anstrengungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus noch zwei weitere Jahre mindestens durchzuhalten, dann dürfte sich hier mit der Beseitigung des schlimmsten Wohnungsmangels endlich auf einem der großen Gebiete der Haushaltsausgaben der Hoffnungsstreifen einer einschneidenden Senkung abzeichnen.
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- Ein schmaler Hoffnungsstreifen, aber er ist da. - Schon jetzt spielen die rückfließenden Mittel aus früheren Wohnungsbaudarlehen eine keineswegs unbeachtliche Rolle. Sie werden später vielleicht zusammen mit dem freien Kapitalmarkt und der beabsichtigten Angleichung von Alt- und Neubauwohnungsmieten eine Herausnahme von zusätzlichen Haushaltsmitteln für den Wohnungsbau ermöglichen.
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Ähnliche Erwartungen knüpfen sich ja zum Beispiel auch an die Wiedererrichtung der deutschen Schiffahrt. Sie wird Ende dieses Jahres über 2,3 Millionen t verfügen, und das Ziel von 3 Millionen t rückt damit in den nächsten zwei Jahren in greifbarere Nähe, selbst wenn der Wegfall von
7 d das Tempo des Wiederaufbaus vermutlich etwas verlangsamt.
Allerdings wird für den Bundeshaushalt schon hier ein neuer Aufgabenbereich sichtbar, der uns sicherlich alle mit steigender Sorge erfüllt, nämdie Wasserwirtschaft. Zwar ist es, wie Herr Staatssekretär Hartmann bei den zur Verfügung stehenden Mitteln - 42 Millionen DM von seiten des Bundes und 200 Millionen von seiten der Länder - bereits sagte, sicherlich vorwiegend eine Aufgabe der Länder; aber ich fürchte schon jetzt im Zuge der Vereinheitlichung des Wasserrechts - eine dringend notwendige Angelegenheit, aus 19 verschiedenen Gesetzen endlich e i n Gesetz zu machen ({23})
- bei fünf Ressorts -, ich fürchte für einen neuen Hilfsschrei der Länder auch in dieser Beziehung. Werden sie allein in der Lage sein, den auf 4 Milliarden DM geschätzten Investitionsbetrag auf diesem Gebiete in der Zukunft aufzubringen?
In der Regierungserklärung von 1953 war eine gleichzeitige Steigerung der Aufwendungen auf sozialem Gebiete mit der Steigerung des Sozialprodukts angekündigt worden. Wenn die Erhöhung der Leistungen für die Kriegsopfer noch vor Weihnachten in diesem Hohen Hause beschlossen werden soll - das, nehme ich an, wird der Fall sein -, dann wird sich der Kreis der Gesamtanhebungen für die Versorgungsberechtigten insgesamt fast geschlossen haben. Bei einer Steigerung des Sozialaufwandes ohne die Lastenausgleichsabgaben und die Versorgungsausgaben für die 131er von 7,3 Milliarden auf
8 023 Millionen DM sowie bei einer Gesamtleistung des Bundes von 10, 5 Milliarden sind die Sozialaufwendungen über die 8%ige Steigerung des Bruttosozialprodukts hinaus vergrößert worden. Dieses Verhältnis wird sich mit Sicherheit noch um die zu erwartenden neuen Ausgaben für die 131ererhöhen, selbst wenn man die 131er vielleicht nicht direkt in diesem Zusammenhang zitieren sollte.
Ich halte ein solches Vorwegziehen der Sozialleistungen über die Erhöhung des Bruttosozialprodukts eines Jahres hinaus angesichts der zu erwartenden weiteren Steigerung des Sozialprodukts im kommenden Jahr für durchaus vertretbar. Allerdings darf ich in diesem Zusammenhang auf die
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außerordentlich interessante Statistik in den Vorbemerkungen zum Bundeshaushalt auf Seite 44 verweisen, wo zum erstenmal die jährlichen Zuwachsraten des Bruttosozialprodukts mit dem gesamten Steueraufkommen verglichen werden. Bei einem Vergleich des Jahres 1954 mit dem Jahr 1953 ermittelt das Bundesfinanzministerium bei einer Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts von 7,4 % eine Zuwachsrate des gesamten Steueraufkommens von 4,6 %, 1955 gegenüber 1954 angesichts einer Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts von 6 % - man hat da sehr niedrig geschätzt - sogar nur eine Zuwachsrate des gesamten Steueraufkommens von 2,5 %. Sollte diese Schätzung zutreffen, dann ergeben sich daraus gewisse zwangsläufige Folgerungen auch für weitere Möglichkeiten der Steigerung der Sozialausgaben. Schon jetzt ist es für uns wichtig zu wissen, daß die Leistungen des Bundes mit 10,5 Milliarden DM um 600 Millionen DM höher liegen als die Leistungen der sozialen Körperschaften mit 9,9 Milliarden DM. In dieser Ziffer liegt auch bereits die Schwierigkeit, aber, meine Damen und Herren, auch die Notwendigkeit der von uns dringend geforderten Sozialreform eingeschlossen. Wir haben bei der Arbeitslosenhilfe einen Minderbedarf von 34 Millionen DM, - ein sichtbarer Ausdruck des Rückgangs der Zahl der Alfu-Empfanger um 60 000. Wir haben dann weiter erfreulicherweise zusätzliche Mittel für die Krankenhilfe für Heimkehrer von 1,3 Millionen DM. Wir haben weiter neue Zuschüsse für die Tuberkulosebekämpfung in Höhe von 6,5 Millionen DM sowie für Leistungen nach dem Mutterschutzgesetz in Höhe von 10 Millionen DM. Man hat allerdings im Bundesarbeitsministerium auch gleich wieder zwei neue Bundesbehörden angekündigt, mit denen wir uns ja bereits im Haushaltsausschuß zum Teil sehr eingehend befaßt haben. Zu der neuen Bundesoberbehörde der Kriegsopferversorgung soll nach den Ankündigungen auch das neue Bundesversicherungsamt treten.
In den letzten Tagen hörten wir etwas über die ersten Ergebnisse der großen und umfassenden Sozialenquête der Bundesregierung. Ein Teilergebnis sagt, soweit ich informiert bin, daß nicht weniger als 70 % aller Rentenempfänger nur eine Rente beziehen. Das würde eine ganze Reihe von Schlüssen erlauben. Es wäre aber gut zu wissen, in Wieviel Fällen in einer Familie mehrere Renten zusammenkommen, ferner welche sonstigen Einkommensquellen Rentenempfänger besitzen und wie sich finanziell das Gesamteinkommen der Familien der Rentner gestaltet. Erst dann wird sich das Bild runden. Dann erst wird man allerdings auch erfahren, ob die hier und da geäußerten Vermutungen hinsichtlich einer nicht ganz zweckmäßigen Konzentration der öffentlichen Leistungen bei den wirklich Bedürftigen zutreffen oder nicht. Wenn das von uns nach wie vor für richtig gehaltene Prinzip der Trennung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge auch bei der kommenden Sozialreform beachtet wird, wenn bestimmte heute schon von der Öffentlichkeit unterbreitete Vorschläge zur Wiederherstellung des reinen Versicherungsprinzips verwirklicht werden, müssen sich aber zwangsläufig - zumindest in der Übergangszeit der kommenden Jahre - neue, erhebliche Belastungen für den Bund auf sozialem Gebiet ergeben.
An dieser Stelle möchte ich auch nicht die Privatversicherten vergessen, auch nicht das hoffentlich recht bald in diesem Jahr vorzulegende Gesetz über die Handwerkerversicherung. Vielleicht kann sich der Bundesfinanzminister später einmal dazu äußern, wie er sich zu der vom Verband der Lebensversicherungsunternehmungen vorgeschlagenen Umstellung des Rentenaufbesserungsgesetzes von 1952 stellt. Auch die enttäuschten Rentner der privaten Pensionskassen sollten im Zuge der Bereinigung all dieser Probleme nicht vergessen werden, auch wenn sie sich nicht so machtvoller großer Verbände für ihre Ansprüche bedienen können, zumal hier mit relativ bescheideneren Beiträgen wirklich geholfen werden könnte.
Wir sind uns mit dem Bundesfinanzminister, glaube ich, völlig darin einig, daß der Drang nach Renten oder irgendeiner Form staatlicher Unterstützung hie und da schon Ausmaße angenommen hat, für die auch bereits das Schlagwort von der „Rentenpsychose" aufgetaucht ist. Der Herr Bundesfinanzminister könnte auch gegenüber manchen Antragstellern, die sich alizuwenig um die Dekkungsvorlagen bemühen, den sehr weisen Satz des großen christlichen Gewerkschaftsführers Adam Stegerwald aus dem Jahre 1930 zitieren: „Man kann nicht dauernd Sozialpolitik machen, losgelöst von der Finanz- und Wirtschaftspolitik".
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Wenn in sehr vielen großen Werken nur mit
Hilfe von steuerlichen Erleichterungen zusätzliche
Versorgungseinrichtungen für die Betriebsangehörigen geschaffen wurden, dann können auch die
Privatversicherten nicht ganz unberücksichtigt bleiben. Die machtvolle Entwicklung der Lebensversicherungen beweist, wie stark und ungebrochen
der Wille der einzelnen, des Individuums unter den
Erwerbstätigen nach einer wirklichen persönlichen
Vorsorge für sich und seine Familie trotz zweier
Inflationen und trotz aller Enttäuschungen geblieben ist. Gerade aber dieser individuelle Wille zur
Vorsorge für das Alter und für die Invalidität sollte
angesichts des allgemeinen Schreis nach staatlicher
Hilfe von der Koalitionsregierung der freien Marktwirtschaft besonders geschützt und gepflegt werden.
In diesem Zusammenhang ist auch schon mehr als einmal der Gedanke aufgetaucht - und ich möchte ihn hier einmal nur vage am Rande erörtern -, ob nicht wenigstens für den Zeitraum bis zu den nächsten Bundestagswahlen auf dem wichtigen großen Gebiete des Haushalts für die Soziallasten eine Planung über ein Haushaltsjahr hinaus durchgeführt werden könnte. Derartige Aufgaben sind ja in manchen Staaten auf Teilgebieten durchaus erfolgreich gelöst worden. So etwas kann man natürlich nur machen, wenn die wichtigsten und vordringlichsten Probleme vorweg schon unter Dach und Fach sind. Es würde nach meiner Empfindung nicht nur die Aufgabe des Bundesfinanzministers, sondern auch die des Hohen Hauses erleichtern, wenn man zu einer solchen Planung auch bei den Sozialausgaben kommen könnte.
Ich bin mir dabei völlig der Abhängigkeit eines jeden Haushaltsjahres von dem Bruttosozialprodukt bewußt, auch der Schwierigkeiten, denen der Bundesfinanzminister bei einer solchen Festlegung begegnete. Aber wir werden auch auf anderen Sektoren - bei den Autobahnen, dem Verkehrssektor generell, beim Küstenschutzbau, bei der Wasserwirtschaft - gar nicht darum herumkommen, über ein Haushaltsjahr hinaus zu planen.
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Vor allen Dingen - Herr Kollege Schoettle, nun komme ich auf ein ganz besonders von Ihnen behandeltes Gebiet - beschäftigt sich die Öffentlichkeit im Zusammenhang mit künftigen Belastungen des Bundeshaushalts mit den Verteidigungslasten. Lassen Sie mich hier einen generellen Satz vorausschicken - Herr Kollege Schoettle, in unserem Lande darf ja keiner öffentlich auftreten, der nicht zumindest ein Gedicht zitiert -, das alte Dichterwort:
Nur der verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muß.
Die Fraktion der CDU/CSU beharrt nach wie vor auf dem Standpunkt: ohne die Schaffung äußerer Sicherheit, soweit es menschenmöglich ist, kann die auch von uns genau wie von der Opposition geforderte soziale Sicherheit nicht gewährleistet werden.
({28})
Wir sind Herrn Staatssekretär Hartmann für die sehr präzisen Erklärungen dankbar, daß - ich zitiere hier noch einmal wörtlich - „die in den Bundeshaushaltsplan eingestellten 9 Milliarden DM die Grenze der deutschen Leistungskraft für Verteidigungszwecke darstellen". Das ist für uns die allein maßgebliche Ziffer für das kommende Haushaltsjahr.
({29})
- Moment, ich komme etwas später noch darauf zurück! - Nicht bestimmte Spekulationen, die - Herr Kollege Schoettle, wir wissen nicht, mit welchem Zweck - auch von seiten gewisser Stellen jenseits des Ozeans in die Welt gesetzt worden sind, sind für uns maßgeblich. Was sind da nicht für Zahlen genannt worden! Sie haben auch einige davon genannt. Was werden da für Kosten für künftige Bewaffnung in die Debatte geworfen! Uns ist nach wie vor nichts weiter bekannt als die Zusage der Vereinigten Staaten, das schwere Gerät und die schwere Ausrüstung einschließlich der Flugzeuge aus eigenen Beständen leihweise zur Verfügung zu stellen. Wir wären der Regierung dankbar - und hier treffen wir uns, glaube ich -, wenn sie diese unsere Auffassung besonders bestätigen würde, um weiteren Gerüchten von vornherein jede Grundlage zu entziehen.
({30})
Es wird nach dem Inkrafttreten der Pariser Verträge und der Wiederherstellung der deutschen Souveränität, die Sie ja schließlich genau so anstreben müssen wie wir, mehr denn je in der Hand dieses Hohen Hauses liegen, durch seine Beschlüsse die Höhe künftiger Verteidigungslasten festzulegen. Unser oberstes Ziel wird dabei nach wie vor bleiben, weder die Währung noch den sozialen Standard unseres Volkes zu gefährden.
({31})
Kommt es zu der Errichtung eines Verteidigungsministeriums, dann werden die Ausgaben dafür aus den vorgesehenen 9 Milliarden DM zu bestreiten sein. Das hat ja auch das Bundesfinanzministerium von sich aus erklärt. Mit Nachdruck möchte ich hier die Auffassung meiner Fraktion auch über die Organisation dieses kommenden Verteidigungsministeriums vortragen. Wir fordern unter allen Umständen eine zivile Abteilung für Haushalt und Beschaffung und am besten die direkte Unterstellung des Haushaltsreferenten unter den Herrn Minister selbst. Wir erwarten eine äußerste Beschränkung der Beamtenplanstellen in diesem Haus und für die Bewältigung der Übergangsbauaufgaben den Einsatz von Angestellten, nach Möglichkeit die Heranziehung von freien Architekten, Baufirmen usw.
Angesichts der großen Bundesliegenschaften mit über 70 000 ha - hier liegt ein ganz interessantes neues Kapitel vor, das bisher offenbar auch an den Haushaltsspezialisten der Fraktionen geräuschlos vorübergegangen ist: die Neuerwerbung in Höhe von 9700 ha in den Jahren 1950/54 aus dem Haushalt der Verteidigungsfolgekosten und die auf Seite 155 der „Allgemeinen Vorbemerkungen" genannten weiteren 100 Millionen DM für einige tausend neue Grundstücke, meist spät requirierte
- legen wir größten Wert auf äußerste Sparsamkeit beim Ankauf neuer landwirtschaftlicher Liegenschaften für Verteidigungszwecke. Durch einen sinnvollen Austausch und durch Vereinbarungen mit den in Zukunft mit uns verbündeten Truppen der Wehrmacht sollte vor allen Dingen die Neuanlage von Übungsplätzen vermieden oder auf ein Mindestmaß beschränkt werden.
({32})
- Darüber wollen wir uns jetzt nicht grundsätzlich auseinandersetzen. - Es kann bei einer Inanspruchnahme der auf 'deutschem Boden befindlichen großen Truppenübungsplätze und einem Vergleich mit dem Areal derartigen Geländes für militärische Zwecke in den benachbarten Ländern wohl auch die Erwartung ausgesprochen werden, daß nicht gerade in der jetzt schon mit 10,5 Millionen Flüchtlingen und über 200 Menschen pro Quadratkilometer übervölkerten Bundesrepublik allein Grund und Boden für derartige Zwecke in der Zukunft beansprucht wird.
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- Ich selber bin in die Prüfung der Manöverschäden in meinem Wahlkreis sehr stark eingeschaltet. Ich habe auch dort die Erwartung ausgesprochen, daß es - hoffentlich mit Ihrer Hilfe, meine Herren - das letztemal gewesen ist, daß amerikanische oder britische Panzer ohne einen deutschen Begleitoffizier willkürlich über deutsches Gelände gefahren sind.
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- Es liegt ja mit an Ihnen, uns dabei zu helfen, damit zu Rande zu kommen.
Wäre im Zusammenhang mit dem Neuaufbau eines Ministeriums und der Entstehung zahlenmäßig sehr umfangreicher nachgeordneter Bundesbehörden nicht auch sehr ernsthaft einmal die Frage aufzuwerfen, ob hier nicht das Musterbeispiel einer modernen Verwaltung mit dem Abschneiden mancher alter Zöpfe geschaffen werden könnte?! Es ist doch bekannt, wie sehr durch die Machtkämpfe zwischen den einzelnen Wehr({35})
machtteilen im „Dritten Reich" die Zuständigkeiten vermanscht wurden und wie viel überflüssige doppelte und dreifache Arbeit die Folge davon war. Man sollte beim Aufbau dieser neuen Organisation nicht nur diejenigen Leute heranziehen - das ist eine besondere Bitte auch an unseren Freund Theodor Blank -, die vielleicht noch nie etwas anderes in ihrem Leben gesehen und erprobt haben als das, was einmal war, sondern auch Männer, die bereit sind, neue und sparsame Wege zu gehen.
Damit bin ich, wenn auch ein wenig außerhalb meiner Gedankenordnung, bei dem so oft behandelten und in der Offentlichkeit so leidenschaftlich diskutierten Thema der Sparsamkeit in der öffentlichen Verwaltung, der Aufblähung des Beamten- und Angestelltenapparats angelangt, über die auch mein sehr verehrter Herr Vorredner einiges höchst zutreffendes gesagt hat. Ich glaube, wir sind uns hier sehr weitgehend einig. Das haben wir iauch mit unseren gemeinsamen Anträgen im Ausschuß unter Beweis gestellt. Sicherlich entfällt beim Bundeshaushalt nur ein relativ bescheidener Prozentsatz der Ausgaben auf die Verwaltung. Aber die Sache wird schon ganz anders, wenn der Gesamthaushalt aller öffentlichen Körperschaften - Bund, Länder und Gemeinden einmal zusammengenommen - betrachtet wird. Dann zeigt sich nämlich, was viele Menschen übersehen: daß der Gesamtverwaltungsaufwand der öffentlichen Hand mit 23 % des Gesamthaushaltes der öffentlichen Hand - 48,5 Milliarden - ebensoviel wie der gesamte Sozialaufwand der Bundesrepublik ausmacht.
Da Bundesbehörden für sich, vielleicht mit einem gewissen Recht, auf dem Verwaltungsgebiete eine Führungsstellung beanspruchen, sollte auch auf dem Gebiete der Sparsamkeit und der Wirtschaftlichkeit beispielgebend vorangegangen werden. Was soll die Bundesregierung, vor allen Dingen der Bundesfinanzminister aber selbst mit den besten Vorsätzen unternehmen, wenn sich so ausgesprochene Pannen wie das Vorprellen des Landes Nordrhein-Westfalen auf dem Gebiete der Beamtenbesoldung mit der Konsequenz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ereignen?
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Der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums hat sich in der Beurteilung der neu geschaffenen Lage mit einer uns begreiflichen Rücksicht auf die ohnehin schon vorhandene Spannung zwischen dem Herrn Bundesfinanzminister und den Länderfinanzministern geäußert. Da der Bund von dem Vorgehen Nordrhein-Westfalens in seiner Haushaltsgebarung unmittelbar betroffen wird - er muß nämlich mit eventuellen Mehrausgaben für Beamte, Angestellte und 131er-Pensionen etc. in Höhe von über einer halben Milliarde DM rechnen -, haben wir das Recht, uns auch im Bundestag entsprechend zu äußern. Seit Jahren hört man bereits im Gespräch mit Vertretern der Verwaltung finanzschwacher Länder - ich denke hier z. B. ganz besonders an Schleswig-Holstein - bittere Klagen über die langsame, aber stetige Abwanderung der besten Kräfte in die finanzstarken Länder, vor allem nach Nordrhein-Westfalen. Dieser Ausblutungsprozeß wird naturgemäß dann noch verstärkt, wenn außer den besseren Beförderungsaussichten und Höhergruppierungsmöglichkeiten auch direkt höhere Gehälter locken. Andererseits kann die Bundesregierung ihrerseits nicht damit rechnen, die besten Kräfte zu bekommen, wenn Nordrhein-Westfalen, das Land, in dem schließlich die Bundeshauptstadt liegt, höhere Gehälter zahlt. Es ist ohnehin sattsam bekannt, wie schwer sich auch heute noch einzelne Bundesministerien tun, wirklich geeignete Beamte für besondere Fachreferate von den Landesverwaltungen zu bekommen. Wohin soll dieses Sich-gegenseitig-Überbieten führen? Wie sollen wir denn im Bundeshaushalt diese neue halbe Milliarde decken, die aus heiterem Himmel nur als Folge eines solchen Husarenstreiches des größten und finanzstärksten Landes auf uns zukommt? Welche Konsequenzen müssen sich zwangsläufig für die Ansprüche von Rentnern, Kriegsopfern und Fürsorgeempfängern daraus ergeben, deren Klagen zusammen mit denen der Währungsgeschädigten und Privatversicherten über die bevorzugte Stellung der Beamten ohnehin schon niemals verstummt sind! Selbst wenn wir uns im Haushaltsausschuß, gestützt auf die Untersuchungen des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit, noch so sehr abmühen, hier und da noch eine Stelle einzusparen, da und dort bei den Sachausgaben etwas zu streichen und bei den allgemeinen Ausgaben die Kosten herunterzudrücken, sô wird doch das Ergebnis auch der emsigsten Bemühungen in diesem Ausschuß verschwindend klein sein gegenüber einer solchen Riesensumme von einer halben Milliarde neu auf uns zukommender Gehalts- und Pensionsaufwendungen.
Hierbei darf ich auch an die verzweifelte finanzielle Lage der Bundesbahn erinnern, die Mühe haben wird, bei ihrem für 1955 schon auf 810 Millionen DM angestiegenen Kassendefizit auszukommen. Dieses Defizit soll sich noch, wenn die Folgen ,der Maßnahme von Nordrhein-Westfalen sich auch auf die Bundesbahn übertragen, auf über eine Milliarde steigern! Denn auf die Bundesbahn kommen allein Kosten von über 200 Millionen DM aus dieser Verfassungsgerichtsentscheidung zu.
Der Bundesfinanzminister setzt zwar, wie ich eben hörte, gewisse Hoffnungen auf die jetzt schon fortgeschrittenen Beratungen zwischen Bund und Ländern über das kommende Besoldungsreformgesetz. Wäre in diesem Zusammenhang nicht einmal ein alter Wunsch dieses Hauses zu verwirklichen? Sehr viele Fachleute glauben, daß der jetzige Aufwand an öffentlicher Verwaltung nicht allein eine zwangsläufige Folge unseres föderativen Staatsaufbaus ist, sondern auch eine Folge der veralteten Form der Instanzenzuge und der Zuständigkeitsverteilungen innerhalb der Verwaltung. Bei den Ministerien werden zu viele Referate und Ressorts mitbeteiligt. Die Delegationen für Besprechungen zwischen Bund und Ländern für Handelsvertragsverhandlungen und Verträge mit ausländischen Staaten erreichen manchmal in meinen Augen geradezu erstaunliche Zahlenstärken. Dinge, die manchmal sehr gut ein Amtsrat entscheiden könnte, werden bis zum Abteilungsleiter hinaufgetrieben. Erfahrene Ministerialdirektoren kümmern sich um Entwürfe, die früher höchstens Sache eines bewährten Ministerialrats gewesen wären.
Ich komme hier auf einen alten Vorschlag auch von mir, Herr Kollege Schoettle, zurück, den ich bereits, glaube ich, vor zwei Jahren gemacht habe und der damals auch Ihre Zustimmung gefunden hat, den Sie hier im Zusammenhang mit dem Gedanken der britischen Königlichen Kommission erwähnt haben. Wozu haben wir schließlich, möchte
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ich einmal fragen, Institute wie z. B. die „Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung" in Frankfurt, die neben uns eine fast unbekannte Existenz führt! Wir haben ferner das „Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft", das auch bestimmte Arbeiten für die Rationalisierung der Verwaltung schlechthin durchführt. Wir haben noch ein weiteres recht nachahmenswertes Beispiel, nämlich die „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung" in Köln. Sie hat sich bereits sehr eingehend mit der „Entrümpelung" der öffentlichen Verwaltung von „scheintoten" Gesetzen, Erlassen und Vorschriften befaßt. Auch mein Freund Hoogen hat in diesem Hause eine dankenswerte Initiative für eine solche „Entrümpelungsaktion" entfaltet. Aber auch die beste Verwaltung - ich glaube, darin werden Sie mit mir übereinstimmen - ist überfordert, wenn über sie binnen fünf Jahren nicht weniger als 500 Bundesgesetze, 2000 Ländergesetze, rund 5000 Durchführungsverordnungen und eine weitere Flut von Anweisungsvorschriften hereinbrechen.
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Es ist in diesem Hause von meinem Freund Lücke z. B. auf die 125 oder 135 m lange Liste von Formularen verwiesen worden, die allein einem sozialen Wohnungsbauunternehmen vorausgeht, für das öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden. Was nutzt es uns, zu klagen und auf die Folgen solcher Kosten aufmerksam zu machen, wenn wir nicht aus eigener Verantwortung gegenüber den ständig an das Parlament herangetragenen Wünschen beherzt die Konsequenzen ziehen? Um so mehr aber müssen wir von der Bundesregierung selbst eine solche Bescheidung und Disziplin gegenüber den Ressortwünschen und allzu vielen Gesetzesvorlagen aus den eigenen Reihen fordern.
Diese allgemeine Entwicklung zeitigte den Wunsch, auf den ich jetzt zurückkomme: die Bundesregierung möge im Benehmen mit dem Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit und dem Bundesrat eine Kommission anerkannter Organisatoren und Verwaltungsfachleute, also eine Art von „Royal Commission" zum Studium aller dieser Fragen bilden und das Ergebnis etwa in Form eines Generalgutachtens diesem Hohen Hause vorlegen. Vielleicht werden wir dann einen Schritt vorankommen. Bei einer Gesamtverwaltungsausgabe der öffentlichen Hand in Höhe von 11,15 Milliarden DM jährlich bei Bund, Ländern und Gemeinden müßten Einsparungsvorschläge auch nur in der Höhe von wenigen Prozenten Hunderte von Millionen ergeben. Selbst die teuerste derartige Kommission wäre im Vergleich zu dem durchaus möglichen und wahrscheinlichen Nutzen noch lächerlich billig.
Im Rahmen der neuen Haushaltsordnung wird auch ernsthaft zu überlegen sein, ob nicht auch hier wesentliche Modernisierungen Platz greifen können. Zwei Herren des Hamburger Rechnungshofes haben, ich möchte einmal sagen, in den Augen von Verwaltungsfachleuten beinahe revolutionäre Vorschläge über die Umgestaltungsmöglichkeit der Haushaltsgebarung schlechthin ausgearbeitet. Vielleicht wird man auch daraus Nutzen ziehen können. Mir fiel neulich ein Aufsatz eines von uns sehr geschätzten Ministerialrats des Bundesrechnungshofes über das gleiche Thema in die Hand, aus dem man ebenfalls einiges lernen kann.
Aus der unterschiedlichen Fülle der Probleme der Haushaltsvorlage der Bundesregierung lassen
Sie mich jetzt eine Reihe besonders ins Auge fallender Posten herausgreifen. Da ist zunächst der Zwang des Herrn Bundesfinanzministers, spätestens bis zum 1. April 1956 auf den Anleihemarkt zu gehen. Mit der Garantie für die Berliner Anleihe und der zweiten Tranche der Lastenausgleichsbankanleihe werden es allein schon 275 Millionen neuer Anleihen von der Bundesseite her für das Jahr 1955 sein. Der Bund will dann im Frühling 1956 mit seinen, wie ich annehme, 1,5 Milliarden zur Deckung des außerordentlichen Haushalts nachziehen; keine ganz einfache Aufgabe für den Herrn Bundesfinanzminister! Allein eine Milliarde an neuen Aktien soll nach den Berechnungen der Fachleute im nächsten Jahr neu auf den Kapital- markt untergebracht werden. Der Anleihebedarf der Kommunen und der gemischtwirtschaftlichen Unternehmungen wird auch nicht gering sein. Viel wird davon abhängen, ob sich bereits zu diesem Zeitpunkt die kapitalneubildende Kraft der zweiten Steuerreform zusammen mit der ersten Steuerreform ausgewirkt hat. Das ist ja wohl das, worauf Sie rechnen und weswegen Sie sehr vernünftigerweise erst 1956 auf den Anleihemarkt zustoßen wollen. Ein zweiter Glückszufall wie der des laufenden Haushaltsjahrs mit der Speisung des außerordentlichen Haushalts durch Mittel des ordentlichen Haushalts wird dem Herrn Bundesfinanzminister wohl kaum beschieden sein.
Die 200 Millionen der ersten Ansätze für die Abgeltung der ehemaligen Reichsverbindlichkeiten werden natürlich nicht überall ungeteilte Freude auslösen. Darauf hat Herr Staatssekretär Hartmann bereits angespielt. Die Hoffnungen von Millionen Anspruchsberechtigter hatten sich in den letzten Jahren vielleicht zu sehr gesteigert. Mich haben jedoch die Zahlen von 18 Milliarden an verbrieften und 400 Milliarden an nicht verbrieften Reichsverbindlichkeiten sehr nachdenklich gestimmt. Es ist wirklich sehr schwer begreiflich zu machen, woher die Summen zu einer quotalen Aufwertung genommen werden sollten. Niemand kann mehr geben, als er hat, und auch der Bund kann es nicht tun. Er sieht sich überall der gleichen Unmöglichkeit gegenüber, den so oft in diesem Hause erhobenen Anspruch auf eine totale Gerechtigkeit in der Begleichung von alten Forderungen durchzusetzen. Das ist hier nicht anders wie in der Frage der Kriegsgefangenenentschädigung, der Entschädigungsansprüche der Heimatvertriebenen, der Besatzungsgeschädigten und zahlloser anderer derartiger Ansprüche von Menschen, über die der zweite Weltkrieg Not, Elend und Verluste gebracht hat. Sicherlich aber haben sich nur sehr wenige von denen, die jetzt, wenn auch kleine, Abfindungen erhalten werden, 1945 Hoffnungen auf auch nur eine D-Mark gemacht.
Meine Freunde haben mit Befriedigung von der Erklärung des Herrn Staatssekretärs über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts Kenntnis genommen. Die Aufwendungen werden nach den Berechnungen in den Allgemeinen Vorbemerkungen - ich muß allerdings sagen, hier mußte man ziemlich mühselig danach suchen - im Rechnungsjahr 1955 von rund 65 Millionen auf 160 Millionen DM steigen bei einer Gesamtschätzung der Schäden in Höhe von 4 Milliarden.
Wiederholt wird im Bundeshaushalt mit Leertiteln auf künftige Leistungen für den Verkehr aus dem bereits im Verkehrsausschuß beratenen Verkehrsfinanzgesetz Bezug genommen; damit komme ich auf ein sehr interessantes Thema, das
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schon überall sehr leidenschaftlich erörtert worden ist. Hier allerdings gleitet uns die Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers ein wenig zu elegant über einen sehr wichtigen Punkt hinweg. Es wird auf ein umfangreiches Programm von 31 Straßenverbesserungen und Umgehungsstraßen verwiesen. Von der zu erwartenden Mehreinnahme in Höhe von doch wohl 340 Millionen DM will der Bundesfinanzminister den in meinen Augen etwas kümmerlichen Betrag von nur 2 Millionen DM für den Ausbau von Bundesstraßen auswerfen, nachdem er bereits vorsorglich die Ausgaben des ordentlichen Haushalts für Straßenbau gegenüber dem Vorjahr um einige Millionen gekürzt hat. Ich glaube nicht, daß er für diesen Vorschlag eine Mehrheit in diesem Hause finden wird. Auch der Trost mit den 80 Millionen DM für die Inangriffnahme der Bauten der Dringlichkeitsstufe 1 bei der Erweiterung des Autobahnnetzes scheint mir hier nicht ganz ausreichend zu sein.
Es wird auch noch ernstlich über die 150 Millionen DM zu sprechen sein, die aus diesem noch zu füllenden Topf zusätzlich an die Bundesbahn abgezweigt werden sollen. Meine Damen und Herren, das bedeutet keinesfalls etwa eine Verkennung der außerordentlich prekären Lage der Bundesbahn. Die 580 Millionen DM, die ihr im Haushalt 1955 aus den Mitteln des Bundes zufließen werden, bedeuten keineswegs eine Sanierung; das wissen wir. Es handelt sich aber darum, die notwendigen Mittel nicht nur für die Bundesbahn bereitzustellen, sondern auch für den Straßenausbau, nach dem die von dem Verkehrstod bedrohte Bevölkerung heute einmütiger ruft denn je. Vielleicht ist der vom Bundesfinanzministerium angedeutete Weg der Zinsverbilligungen erfolgversprechend; Versuche in dieser Richtung können jedenfalls nicht schaden.
Ober die so wichtigen Bereitstellungen für den Agrarhaushalt wird einer meiner Freunde noch ausführlicher sprechen.
Ich darf hier noch auf die 34 Millionen DM mehr für den Bundesgrenzschutz eingehen. Sie sind die unvermeidliche Folge der restlichen Einstellungen im Bundesgrenzschutz. Das, was hier über die von uns gewünschte Schweigsamkeit von Generalen zu sagen ist, habe ich bereits vorweggenommen. Wir möchten hier auch schon gleich im voraus abwehren, wenn etwa der Drang von Angehörigen des Bundesgrenzschutzes zum kommenden Militär mit einer allgemeinen Höhergruppierung des ganzen Bundesgrenzschutzes bekämpft werden sollte. Auch die Angehörigen des Bundesgrenzschutzes selbst müssen Verständnis für die finanziellen Schwierigkeiten haben, auf die der Bund überall bei der Befriedigung der an ihn herangetragenen Ansprüche stößt; sie sind ja schließlich Beamte.
Ich kann nicht umhin, auch noch ein Wort zur Lufthansa zu sagen. Verzeihen Sie, das ist immer eine Spezialangelegenheit von mir gewesen, aber es ist eine sehr kostspielige Angelegenheit des Bundeshaushalts.
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Der diesbezügliche Satz in der Rede von Herrn Staatssekretär Hartmann scheint mir dunkel wie ein delphisches Orakel zu sein:
Wir werden bestrebt sein,
- so führte er aus die zu gewährende Starthilfe so zu gestalten, daß die Lufthansa bald von laufenden Zuschüssen unabhängig wird.
Herr Staatssekretär, wie werden Sie das wohl anstellen, so möchte ich fragen!
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Wenn nämlich die Bundesregierung zu einem finanziell so gewagten Projekt einmal ja gesagt hat, dann muß sie sich von vornherein darüber im klaren sein - dafür liefern die Haushalte aller Jahre der Existenz der Lufthansa in der Weimarer Zeit und nachher den Beweis -, daß sie Jahr für Jahr laufend hohe Zuschüsse dafür zu zahlen hat. Ich sehe hier, ebenso wie viele andere in diesem Hohen Hause, nur einen Ausweg, nämlich in der von mir bereits vor zwei Jahren vorgeschlagenen, von diesem Hohen Hause übrigens so gut wie einstimmig angenommenen Entschließung, das Bundesverkehrsministerium zu veranlassen, alle nur möglichen Schritte zur Herbeiführung eines Zusammenschlusses der vielen kleinen europäischen Luftverkehrsgesellschaften zu einer leistungsfähigen europäischen Luftverkehrsgesellschaft zu tun.
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Darin sollte auch eine deutsche Beteiligung sehr wohl Platz finden. Trotz vieler guter Reden ist dieser sicherlich gesunde Ausweg der Schaffung einer vielleicht dann subventionsfreien europäischen Luftverkehrsgesellschaft bis jetzt noch nirgendwo begangen worden.
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- Ja, auch in der Beziehung streiten sich die Leute untereinander sehr kräftig um die Haushaltspositionen.
Noch ein Wort zu der in diesem Hause und vor allen Dingen im Haushaltsausschuß berührten Frage der Unterstützung der Forschungsarbeit. Aus dem Haushaltsausschuß heraus wurden in den Beratungen dieses Frühjahrs mancherlei Korrekturen mit Millionenbeträgen zugunsten der wissenschaftlichen Forschung insbesondere im Haushalt des Bundesinnenministeriums durchgeführt. In dem vor uns liegenden Plan stellen wir nicht ohne Befriedigung fest, daß manchen Wünschen von uns entsprochen worden ist. Dem Änderungsblatt zu dem Einzelplan des Bundesinnenministeriums entnehmen wir die Heraufsetzung des Zuschusses für die Deutsche Forschungsgemeinschaft von 2,88 auf 4 Millionen DM, der Förderung der deutschen wissenschaftlichen Forschung von 1,58 auf 1,66 Millionen DM, vor allem der Förderung von Schwerpunkten der deutschen wissenschaftlichen Forschung von 9,6 auf 15 Millionen DM, ferner sind 2 Millionen DM neu eingesetzt zur Förderung des Blutspendewesens - eine sehr interessante, und ich glaube, sehr, sehr wichtige Angelegenheit -, und der Betrag für zentrale Maßnahmen auf dem Gebiete der Fürsorge ist von 2,6 Millionen auf 4,5 Millionen DM erhöht worden. Im gleichen Zuge darf auch die Heraufsetzung des Fonds zur „Förderung des deutschen Schulwesens" im Ausland von 3 auf 10 Millionen und die Erhöhung des Titels „Pflege kultureller Auslandsbeziehungen" von 6,8 auf 10 Millionen DM rühmlich hervorgehoben werden. Hier sind alte Wünsche ihrer Erfüllung nähergebracht worden. Auch die besonderen Anliegen des Handwerks und des Handels sind, wenn auch nicht in vollem Umfange, im ordentlichen Haushalt durch die Erhöhung des Titels „Förderung gesamtdeutscher Handwerksfragen" von 1 auf 2 Millionen DM und „Förderung des Handels" in Höhe von 1 Million DM berücksichtigt worden.
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Wenn man nach diesem Eingehen auf kleinere, aber keineswegs bedeutungslose Einzelheiten den Blick wieder auf das Gesamtbild des Haushalts zurückwendet, kann man nicht an der sehr ausführlichen und sicherlich sehr dankenswerten Darstellung des Bundesvermögens in den Allgemeinen Vorbemerkungen im 7. Teil vorbeigehen, ohne die hier geleistete schwierige Arbeit der Herren des Bundesfinanzministeriums zu würdigen. Damit ist aber keineswegs gesagt, wir seien etwa auch diesmal von den Dividenden aus Bundesbeteiligungen in Höhe von 23,5 Millionen DM befriedigt,
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auch wenn im Vorjahr nur 9 Millionen DM ausgewiesen wurden. Dies kann um so weniger der Fall sein, als diesen spärlichen Dividendeneinnahmen aus einem Milliarden-Beteiligungsvermögen
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ein Zuschuß des Bundes aus dem Bundeshaushalt z. B. allein an die bundeseigene Gesellschaft Kupferschieferbau Sontra in Höhe von 4,6 Millionen DM gegenübersteht.
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- Es handelt sich, vorsichtig gesagt, um 3 bis 4 Milliarden DM nur bei den Bundesbeteiligungen. - Insgesamt hat der Bund bis jetzt aus seinen Beteiligungen nur 32,5 Millionen DM an Dividenden bezogen - insgesamt, in allen Jahren - und dafür an bundeseigene Gesellschaften 38,3 Millionen DM aus Haushaltsmitteln an Zuschüssen gezahlt.
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An diesen Ziffern kann man nicht ohne weiteres vorbeisehen; sie fordern zur Kritik heraus, und der neugegründete Unterausschuß „Bundesbeteiligungen" wird sich damit zu befassen haben. Aber auch hier wollen wir keinerlei Mißverständnisse aufkommen lassen, und ich rede hier im Auftrage meiner Fraktion keinesfalls den sogenannten „Verscherbelungsabsichten" das Wort. Ich glaube, hier begegnen wir uns auch in sehr vielem, was mein sehr verehrter Herr Vorredner für die SPD ausgeführt hat. Der Bund hat nichts zu verschenken, und für gute Objekte wirklich ausreichende Preise zu erhalten, ,die auch vor dem Bundesrechnungshof zu vertreten sind, ist keineswegs einfach. Auch der Bundesfinanzminister wird aber in diesem Falle das gleiche Bestreben haben wie wir, aus den Bundesbeteiligungen höhere Dividendenbeträge herauszuholen, als das bisher der Fall war. Ich glaube allerdings nicht, und darin bin ich mit dem Kollegen Schoettle einig, daß aus dem Bundesvermögen heraus irgendwelche nennenswerten Deckungsmöglichkeiten für die neuen ständigen Lasten, die auf uns zukommen, gefunden werden können.
Eins ist uns in dem vorliegenden Haushaltsplan im großen und ganzen erspart geblieben: eine erneute, wesentliche Erhöhung der Zahl der Bundesbediensteten. Die Zahl der planmäßigen Beamtenstellen wuchs für das kommende Haushaltsjahr gegenüber dem laufenden Haushaltsjahr von 64 531 auf 64 808; das sind nicht ganz 300 Planstellen.
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- Einige von denen werden wir wachsen lassen müssen, Herr Kollege Gülich. Aber so hoch werden wir .das Maß ja doch nicht ganz anwachsen lassen.
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- Wir werden davon doch noch einiges abschneiden, fürchte ich.
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- Das habe ich gehört. Aber mit dem, was da kommen soll, werden wir, glaube ich, auch noch fertig werden. Außerdem fällt es zahlenmäßig nicht sehr erheblich ins Gewicht.
Die Stellen der Angestellten, deren Zahl man in diesem Zusammenhang meistens vernachlässigt, sind im Grunde genommen ebenso teuer wie die Beamtenstellen. Diese Ziffern wachsen wesentlich stärker, nämlich von 22 973 auf 23 746. Die der Arbeiter wachsen von 9696 auf 10 003. Insgesamt also fordert der neue Voranschlag an Stelle von 97 200 Bundesbediensteten 98 557, d. h. rund 1300 mehr. Damit werden wir uns sehr ernsthaft befassen. Von diesen Stellenvermehrungen entfällt ein sehr erheblicher Teil auf die Neuanforderungen des Auswärtigen Amtes. Lassen Sie mich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, einmal eine kurze Gegenüberstellung des Personals allein der Auslandsvertretungen des Auswärtigen Amtes geben. 1936 hatte das damalige Deutsche Reich in der mit uns in diplomatischen Beziehungen stehenden freien Welt 125 Missionen mit 1128 Bediensteten. Für 1955 werden für 166 Missionen 3177 Bedienstete angefordert, d. h. beinahe das Dreifache! Ich will das hier nicht vertiefen; ich möchte diese Ziffern nur einmal zum Nachdenken erwähnen.
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- Wollen Sie mich hier zu einer Antwort zwingen, Herr Kollege Gülich? -Alles in allem gesehen, befinden sich aber die Behörden in einem Zustand der Konsolidierung. Die Hartnäckigkeit, mit der sich der Bundesfinanzminister gegen jede überflüssige weitere Personalvermehrung erfolgreich zur Wehr gesetzt hat, hat bei meinen Freunden von der CDU/CSU durchaus Anerkennung und im Haushaltsausschuß auch volle Unterstützung gefunden.
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Darf ich jetzt am Schluß meiner Ausführungen die Erwartung aussprechen, daß es im Zusammenwirken von Regierung und Parlament gelingen möge, auch für die neu auf uns zukommenden Belastungen des Bundeshaushalts eine Deckung ohne eine neue Steuervorlage zu finden.
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Das, was uns der Bundesrat beim ersten Durchgang vorschlägt, scheint mir ein recht willkürliches Verfahren zu sein. Wir werden nach anderen Wegen suchen müssen. Um die meisten großen Posten dieses Haushaltsvoranschlags ist so lange und so erbittert gerungen worden, daß eine Streichung oder auch nur eine wesentliche Kürzung da, wo gesetzliche Bindungen nicht ohnehin schon vorliegen, kaum denkbar erscheint. Vielleicht führt uns eine Kombination von generellen Kürzungen und Einnahmesteigerungen in bescheidenem Ausmaß zum Ziel. Auch ein guter Haushalt wird sich, wie das früher einmal der Reichsfinanzminister Reinhold gesagt hat, immer hart an der Grenze eines De
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fizits bewegen müssen. Die Länder, so hoffen wir, werden sich letzten Endes auch nicht den Notwendigkeiten des Bundes verschließen. Lassen Sie mich hier einmal einen solchen Kronzeugen wie den vermutlich keinerlei zentralistischer Neigungen verdächtigen früheren Minister Professor Dr. Süsterhenn von Rheinland-Pfalz zitieren, der in einem vielbeachteten Aufsatz über „Bundesstaat und Finanzverfassung" im „Rheinischen Merkur" im April dieses Jahres wörtlich gesagt hat - ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren Der deutsche Föderalismus steht vor der schicksalsschweren Entscheidung ..., ob er vom Denken in bloßen Reservatskategorien zur Idee der Gemeinwohlgerechtigkeit durchzustoßen bereit ist.
Und dann weiter:
Wenn in einem Bunde die Glieder in ihrer Verantwortung für das Ganze versagen und nicht bereit sind, für den gemeinsamen Wohlstand von ihrem Überschuß auch fühlbare Opfer zu bringen, dann wächst staatsethisch und verfassungspolitisch der übergeordneten Einheit das Recht und die Pflicht zu, im Interesse des Gemeinwohls durch die Einführung einer zentralen Finanzwirtschaft die notwendige Einheitlichkeit herzustellen.
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- Ich habe das hier ja auch schon als einen wohlmeinenden Rat an die Adresse der Mitglieder des Bundesrates zitiert.
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- Ach, Herr Kollege Gülich, ich will niemals die Hoffnung auf Belehrbarkeit aufgeben; denn sonst müßte die Arbeit in diesem Hause überhaupt aufgegeben werden.
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Beim Durchblättern eines alten Protokolls des Reichstags von 1930 finde ich aber vielleicht einen gewissen Trost. Ich glaube, wir sollten nicht immer meinen, daß das, was sich uns jetzt an Problemen für den kommenden Haushalt 1955 stellt, neu wäre oder daß es so ganz aus heiterem Himmel auf uns zukäme. Der damalige Reichsfinanzminister Dietrich - es war ein sehr energischer und sehr kluger Landsmann von uns - hat damals schon in seiner großen Finanzrede seine liebe Not mit dem Finanzausgleich zwischen Reich und Ländern gehabt. Das hat sich, wie wir sehen, auch nicht geändert. Der Herr Kollege Ersing - Herr Kollege Schoettle, Sie kennen ihn genau so wie ich, und ich darf das als Neo-Schwabe
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vielleicht in diesem Zusammenhang auch einmal aus dem Jahre 1930 zitieren ({60})
- ich habe sie gehört! - sagte am 4. Dezember 1930 - und auch daraus können wir einigen Trost
schöpfen Ich habe auch schon wiederholt darauf hingewiesen, daß die Parlamente in Deutschland zwar immer großes Verständnis für Ausgaben gehabt haben, daß aber nicht immer der politische Wille vorhanden war, auch für die notwendige Deckung zu sorgen. Die Parteien, die den Mut gehabt haben, eine solche Popularitätspolitik abzulehnen, mußten es hinnehmen, daß man ihnen in den Wahlversammlungen vorlas, welche Anträge, die gestellt waren, sie abgelehnt haben. Diese Politik der deutschen Parlamente ist mit daran schuld, daß die von den Regierungen vorgelegten, auf dem Papier ausbalancierten Etats nachher der Wirklichkeit nicht standgehalten haben.
Sie sehen, auch das ist keineswegs neu. Dabei ist das, was vor 24 Jahren hier gesagt worden ist, so zeitgemäß wie nur irgend etwas.
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- Ich glaube, Herr Kollege Schoettle, das wollen wir hier nicht so genau untersuchen, wer solche Anträge gestellt hat und wer hier abgelehnt hat. Aus der Erkenntnis der Fehler der vergangenen Jahre sollten wir doch schließlich einiges lernen. Der erstaunliche Aufschwung, den wir alle gemeinschaftlich in den letzten Jahren mitgemacht haben und dessen sichtbarer zahlenmäßiger Ausdruck auch der vor uns liegende Haushaltsvoranschlag 1955 ist, sollte uns hinreichend Vertrauen geben, auch die vor uns liegenden Schwierigkeiten zu bewältigen. Wir werden uns dabei nicht von dem von uns verfolgten Wege des Ausgleiches zwischen den extremen Forderungen, von dem Weg des Maßes nach der uns vorschwebenden christlichen Ordnungsidee abbringen lassen.
({62})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wenn ich heute aus dem Ausland oder von einem anderen Planeten ohne Kenntnis der Tagesordnung hier hineingeschneit wäre und den Zustand hier so gesehen hätte, wie er schon seit . . . Stunden andauert, dann hätte ich gesagt: das kann nur eine Haushaltsdebatte sein!"
({0})
Ich muß den Herrn Präsidenten um Entschuldigung bitten, daß ich mich selbst zitiert habe; ich habe mich wörtlich so am 27. November 1952 ausgedrückt. Trotz aller frommen Wünsche haben sich die Dinge nicht sehr geändert. Das ist traurig. Ich zerbreche mir immer den Kopf darüber, wie wir unsere Dinge vielleicht etwas anregender machen könnten. Mir tun die jungen Menschen, die abwechselnd im Turnus auf der Zuschauertribüne sitzen, wirklich ein bißchen leid, weil sie vom Leben und Treiben dieses Parlaments an einem solchen Tage leider verhältnismäßig wenig zu sehen bekommen. Ich weiß nicht, ob es nötig war, daß ausgerechnet heute morgen vier Ausschüsse angesetzt wurden.
({1})
Das steht draußen an der berühmten Messingtafel und entzieht uns wichtige Kollegen für vielleicht auch wichtige Dinge. Aber solange wir es nicht in uns selbst und in unseren Bundestag hineinkriegen, daß der Haushalt das Wichtigste ist, dürfen wir nachher - das sage ich besonders denen, die
({2})
es augenblicklich nicht hören und natürlich auch nicht nachlesen werden ({3})
auch nicht schimpfen, wenn die Dinge im Haushalt und in unserer ganzen Finanzgebarung nicht so laufen, wie viele Leute sich das denken.
({4})
Wir wollen uns hier heute in der ersten Beratung - das ist jedenfalls meine Absicht - in erster Linie mit der Marathonrede von Herrn Staatssekretär Hartmann auseinandersetzen, die er uns gestern gehalten hat. Dabei darf ich angesichts der Krankheit des Herrn Bundesfinanzministers bemerken, daß auch meine Freunde und ich ihm aufrichtig baldige und völlige Wiederherstellung wünschen. Ich glaube aber, daß es schön gewesen wäre, wenn mehr Mitglieder des Bundeskabinetts, vielleicht sogar der Führer, hier hätten anwesend sein können.
({5})
- Der Lapsus ist, glaube ich, verzeihlich. Im übrigen scheint es mir faktisch gar keine so falsche Bezeichnung zu sein. ({6})
Es wäre also sehr schön gewesen; aber wir sind in der Beziehung Kummer gewohnt und wollen uns darüber auch nicht weiter beschweren. Vielleicht wird es dann einmal anders, wenn, wie es der Herr Staatssekretär in seiner Rede so wunderbar vorsichtig ausgedrückt hat, es nötig werden würde, infolge irgendeiner von uns nicht gewünschten Entwicklung in anderer Richtung Einfluß auf die Einnahmenseite zu nehmen. Ich habe mir diesen Ausdruck besonders gemerkt; für den normalen Sterblichen heißt das wohl: wenn eines Tages die Notwendigkeit von Steuererhöhungen auftreten sollte.
({7})
- Als Anfang sicherlich! Das nehmen wir ja diesmal noch so hin.
({8})
- Das muß sich herausstellen. Über den Ausgleich werde ich mir nachher noch einige Worte erlauben.
({9})
- Ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden, Herr Kollege Dresbach; wo wir uns doch sonst so gut verstehen!
({10})
Ich halte es für ausschlaggebend wichtig, daß der Haushaltsentwurf 1955 so frühzeitig vorgelegt worden ist. Das haben meine Herren Vorredner ja auch schon dankbar anerkannt. Ich glaube allerdings, daß ,es beinahe eine übermäßige captatio benevolentiae war, wenn der Herr Staatssekretär dafür den Dank des Bundesfinanzministeriums an den Bundestag abgestattet hat. Umgekehrt scheint mir die Sache 'richtiger zu sein, und daher schließen wir uns den 'Dankesworten der Herren Vorredner und auch des Herrn Staatssekretärs selber an seine Mitarbeiter aufs nachdrücklichste an.
({11})
Den Zeitgewinn, der dadurch erzielt worden ist, gilt es nun unter .allen Umständen zu halten. Da aber sehe ich offen gestanden - lassen Sie mich das bitte in diesem Augenblick einmal sagen - etwas schwärzlich angesichts unseres derzeitigen und auch in das neue Jahr hinüberzunehmenden Arbeitsrhythmus. Daß der Haushaltsausschuß im Anfang dieses Jahres den Haushalt 1954 in einem Rekordtempo hat behandeln können, lag nicht zuletzt daran, daß jede dritte Woche eine sitzungsfreie Woche war, die für den Haushaltsausschuß dann gerade die richtige war, um ernsthaft und konsequent von morgens bis abends zu arbeiten. Ich habe persönlich den Eindruck - und es gibt eine ganze Menge unter meinen Freunden, die davon noch mehr überzeugt sind als ich -, daß der neueingeführte Rhythmus uns bisher in unserer Arbeit und in dem, was wir fertiggebracht haben, bedauerlicherweise nicht sehr viel vorwärts gebracht hat.
({12})
Ich glaube, diese ganze Angelegenheit muß - selbstverständlich im Einverständnis aller Fraktionen - spätestens mit Beginn des neuen Kalenderjahres noch einmal wieder in Behandlung genommen werden.
({13})
Meine Damen und Herren, die Drucksache 1100 mit den Anlagen ist ein gewaltiges Werk. Die Allgemeinen Vorbemerkungen, die im übrigen aus mir nicht ganz erfindlichen Gründen nicht als eine Anlage zu Drucksache 1100 bezeichnet sind - vielleicht sollen sie dadurch besonders herausgehoben werden, ebenso wie durch den Stempel, daß sie nur einmal verteilt werden -, sind ja eine Lektüre, die uns der Herr Staatssekretär für geruhsame Stunden empfohlen hat. Es liegt zwar angesichts des Herannahens des Weihnachtsfestes verhältnismäßig nahe, aber ich muß doch sagen, daß ich mir, so wertvoll das Werk ist, noch schönere Lektüre neben dem Adventskranz vorstellen könnte als diese 557 Seiten. Keiner von uns - ich glaube nicht, daß es eines der Mitglieder des Hohen Hauses wird behaupten wollen -- hat bisher diese Arbeit durchgelesen. Das wird auch von niemandem erwartet. Aber ich bin ebenso wie die Herren Vorredner davon überzeugt, daß dieses Werk noch eine wesentliche Grundlage für ausgedehnte Unterhaltungen, speziell auch in unserem Haushaltsausschuß, werden wird. Das Bestreben, das mit der Vorlage dieser Vorbemerkungen zum Ausdruck kommt, nämlich auch dem den Dingen fernerstehenden Abgeordneten - oder sogar nicht mal einem Abgeordneten, sondern einem wirk1ich en Laien - eine Möglichkeit der Einsicht in unsere öffentliche Finanzgebarung zu geben, erkennen wir hoch an. Uns sind da wirklich neue Aufschluf3möglichkeiten an die Hand gegeben, die wir dann gegebenenfalls auch einmal, ich möchte sagen: gegenüber den Verfassern ins Feld führen werden,
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vielleicht werden führen müssen. Das haben die Herren aber sicher in Rechnung gestellt.
An sich muß ja leider folgendes gesagt werden. Das Mißverhältnis zwischen dem Sachverständnis des normalen und auch des sich besonders mit Haushaltsdingen beschäftigenden Abgeordneten be({15})
züglich der Einzelfragen auf der einen Seite und der in Tag- und Nachtarbeit - ausschließlich - erworbenen Sachkenntnis und dem Sachverstand der zuständigen Herren unserer Bürokratie auf der andern Seite droht in irgendeiner Weise gefährlich zu werden und ist nach meinem Gefühl mit ein Grund für die Erscheinung, die heutzutage manchmal als das Überhandnehmen der Bürokratie beklagt und angeprangert wird. Wir stehen als Abgeordnete in dieser Beziehung zweifellos unter einem Handikap. Aber ich für meine Person bin jedenfalls durchaus dafür, daß wir uns in dieser Beziehung nicht unterkriegen lassen. Der Haushaltsauschuß hat durch die Wahl ständiger Berichterstatter für die Einzelpläne des Bundeshaushalts einen wesentlichen Fortschritt in der Richtung gemacht, daß sich wenigstens bei bestimmten Persönlichkeiten unter den Mitgliedern des Haushaltsausschusses auch ein mit ,den Jahren wachsendes `Sachverständnis zeigt, das für das ganze Parlament nur von Nutzen sein kann.
Ich will mich nicht allzulange bei den verschiedenen Abteilungen und Kapiteln der Allgemeinen Vorbemerkungen aufhalten, um so mehr, als einige meiner Freunde zu speziellen in den Vorbemerkungen behandelten Fragen noch Stellung nehmen werden. Ich darf das Hohe Haus darauf vorbereiten, daß zur Frage des Bundesvermögens selbstverständlich mein Kollege Dr. Atzenroth das Wort ergreifen wird, während sich zu den Fragen der Wissenschaftsförderung und der Förderung der wissenschaftlichen Forschung der Kollege Professor Luchtenberg äußern wird.
DerHerr Staatssekretär Hartmann hat selbst die Frage offengelassen, ob nach der Verabschiedung der Steuerreform unser Steuerwesen vielleicht komplizierter geworden . sei als bisher. Ich glaube aber, daraus sprach etwas die Enttäuschung dar-über, daß der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen sich nicht völlig mit der Regierungsvorlage einverstanden erklärt hat. Ich hoffe doch, daß, wenn diese Reform jetzt tatsächlich durchgeführt wird und die ganzen Rationalisierungsmöglichkeiten auf dem Gebiete der Steuererhebung, der Prüfung usw. usw. wirklich ausgenutzt werden, von einer zusätzlichen Komplizierung nicht die Rede sein kann.
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Der Herr Staatssekretär hat sich gestern in seiner Rede auch gegen den Gedanken einer fortdauernden Steuerreform gewendet. Das Wort ist von meinem Kollegen Wellhausen geprägt worden und war der Ausdruck des Wunsches, daß mit diesem, man darf ja vielleicht sagen: beinahe zufälligen Ergebnis, das nun bei der letzten Steuerreform herausgekommen ist, nicht für alle Zeiten Schluß gemacht werden soll. Ich glaube, daß die Zensiten gegenüber einer angeblich so erstrebenswerten Rechtssicherheit die Möglichkeit weiterer Minderung ihrer Steuerleistungen auf gesetzlichem Wege jederzeit begrüßen und die sich daraus ergebenden Komplikationen gerne in Kauf nehmen werden.
Nicht ohne Sinn hatte das Bundesfinanzministerium mit seinen Vorschlägen zur Steuerreform auch die Vorschläge zur Finanzreform vorgelegt. Daß diese Vorschläge von diesem Hause in so großer Einmütigkeit gebilligt wurden, war zu begrüßen. Um so bedauernswerter ist das Schicksal, das diese Vorlagen nun im Bundesrat erfahren haben. Meine Freunde und ich bedauern besonders die Behandlung des vom Bundestag beschlossenen Finanzverfassungsgesetzes durch den Bundesrat.
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Hier ist ein Verfahren angewendet worden, das etwa der Beteiligung des Bundesrats an unseren Beratungen am heutigen Tag entspricht.
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Wir können in dieser Art und Weise nicht fortfahren, meine Damen und Herren.
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Ich habe diese Nacht um 3 Uhr die Lektüre der Vorschläge und Änderungswünsche ,des Bundesrates und der Antworten der Bundesregierung darauf abgeschlossen. Das ist einfach scheußlich zu lesen. Ich will die Schuld gar nicht nur der einen Seite zur Last legen; aber daß sich beamtete deutsche Instanzen in dieser Art und Weise gegenseitig an den Kopf schmeißen: „Das hast du falsch gemacht!" und daß der andere sagt: „Die Bundesregierung bleibt auf ihrem Standpunkt; das muß anders gemacht werden!", ist unmöglich, ist auch unlogisch. Diese uns in der Drucksache vorgeführten Gegensätzlichkeiten zwischen öffentlichen Gewalten in Deutschland finde ich offengestanden unerträglich, und wenn auf diesem Gebiet nicht etwas geschaffen wird, was dauernden Bestand hat - und zwar wahrscheinlich durch die Verabschiedung einer vernünftigen Finanzreform -, dann sehe ich allein aus dieser Konfliktsquelle große Gefahren für unser ganzes öffentliches Dasein erwachsen.
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Wir sollten alles tun - soweit wir insbesondere auch in unseren Ländern Einfluß haben -, um diesen unerträglichen Zustand zu beseitigen.
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- Ich hatte an ihn gedacht, als ich diese Erklärung abgab.
Der Herr Staatssekretär hat die Hoffnung auf eine echte Vermittlung durch den Vermittlungsausschuß im Sinne von Art. 107 des Grundgesetzes ausgesprochen. Meine Freunde und ich schließen uns dieser Hoffnung sehr intensiv an und erwarten, daß selbst unter dem Zeitdruck, der jetzt natürlich vorhanden ist, ein Ausgleich der tatsächlichen und vermeintlichen Interessen zustande kommt, der dem Ganzen dient und keinerlei Eigensüchtigkeiten in dieser oder jener Richtung deutlich werden läßt. Meine Freunde und ich schließen uns der Kritik, die der Herr Staatssekretär an den Abstrichen des Bundesrates geübt hat, in jeder Weise an.
Nun möchte ich gerne einige Fragen an den Herrn Staatssekretär richten. Es ist zwar schon vorher davon gesprochen worden, daß mit Sicherheit mit einem Nachtragshaushalt gerechnet werden müsse; das Wort ist jedoch seitens des Herrn Staatssekretärs nicht gefallen. Es besteht aber wohl keine Aussicht, die Erhöhung der Kriegsopferrenten ohne einen Nachtragshaushalt mit der entsprechenden Deckung unterzubringen.
Dann möchte ich mich gerne noch erkundigen, was es mit den neuen Stellen und Stellenhebungen auf sich hat, die der Herr Staatssekretär angekündigt hatte und die noch nicht im gedruckten Haushaltsplan stehen. Ich habe eben schon, nach({22})
dem ich ihm diese Frage nur angekündigt hatte, einen Zettel bekommen, auf dem steht - ich brauche das aber nicht vorzulesen -, daß immerhin ein Ministerialdirektor, 3 Ministerialdirigenten und 23 Ministerialräte neu angefordert werden. Das scheint mir eine ganze Menge zu sein. Unser Kollege Vogel hat ja schon geäußert, daß wir uns darüber wahrscheinlich noch im Haushaltsausschuß werden unterhalten müssen.
(Zuruf von der Mitte: In welchem
Ministerium?
- Das steht hier nicht dabei.
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Dann hat der Herr Staatssekretär eine Wendung gebraucht, über die ich gern auch etwas mehr Klarheit haben möchte. Er hat - nach meinem Gefühl durchaus mit Recht - gesagt: wir müssen einmal die finanzpolitische Entwicklung im Laufe der nächsten Monate abwarten und wollen dann im Haushaltsausschuß - er meint wahrscheinlich: mit dem Haushaltsausschuß - entscheiden. Das ist eine Formulierung, die mich deshalb sehr interessiert, weil ich mir nicht recht vorstellen kann, wie der Haushaltsausschuß ohne Auftrag vom Plenum und letzten Endes auch ohne Billigung der Ergebnisse seiner Arbeit durch das Plenum entscheiden soll.
Der Herr Staatssekretär hat uns sehr interessante Ziffern genannt über die geradezu erschreckend gestiegene öffentliche Belastung je Kopf der Bevölkerung seit 1913. Ich persönlich muß sagen, ich begrüße es sehr, daß der Herr Staatssekretär diese Zahlen von sich aus gebracht hat und auch selber durchaus die Möglichkeit offengelassen hat, daß die „Staats- und Verwaltungsaufgaben überent- wickelt" seien. Wir können uns diesem Eindruck bei manchen Gelegenheiten und an manchen Stellen ebenfalls nicht verschließen. Ich möchte aber doch sagen, daß wir glauben - Herr Kollege Vogel hat schon davon gesprochen -, im Wege einer intensiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit sowohl mit den Ressorts, speziell natürlich mit dem Bundesfinanzminister, wie auch mit dem Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung - in dieser Beziehung ist vor einiger Zeit ein sehr glücklicher Anfang gemacht worden -, Möglichkeiten finden zu können, um der weiteren Aufblähung der Verwaltung einen Riegel vorzuschieben. Damit allein können wir nicht zufrieden sein. Ich begrüße deshalb durchaus die Anregung, besondere Sachverständigenkommissionen nach englischem Vorbild zu schaffen.
Wir müssen auch darangehen, wenn sich auf gewissen Gebieten herausstellt, daß eine Aufgabe nicht mehr ,den alten Arbeitsumfang erfordert, abzubauen, wo immer das möglich ist.
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- Die Formulierung vom Aufgaben- und Ausgabenabbau ist mir auch durch den Kopf gegangen, Herr Kollege Willeke. Ich habe sie deshalb nicht gebraucht, weil wir ja nach dem Kriege, insbesondere infolge der fürchterlichen Katastrophe, so unendlich viel neue Aufgaben dazubekommen haben, die uns nicht nur nach der Verwaltungsseite, sondern auch wegen der effektiven Hilfeleistung enorme Ausgaben gebracht haben. Aber ich sagte ja eben schon: wo etwa nun, nachdem das Gröbste in dieser Richtung geschafft ist, Menschen und Ausgaben eingespart werden können, da müssen wir dahinter sein wie der Teufel hinter der bekannten armen Seele.
Wir haben vom Herrn Staatssekretär sehr dankenswerte Aufklärungen über die Entstehungsgründe, den Umfang und die Verwendung der gewaltigen Kassenbestände bekommen. Wir werden uns die Ausführungen, die dazu in den Vorbemerkungen gemacht sind, insbesondere das außerordentlich dornenvolle Problem der Ausgabereste und Einnahmereste noch sehr viel näher ansehen müssen. Ob vielleicht eines Tages hier andere Rechtsvorschriften erlassen werden müssen, wage ich für meine Person im Augenblick nicht zu entscheiden. Aber wir werden ja bei der Lektüre der Allgemeinen Vorbemerkungen auch darüber noch Näheres erfahren, was in der Umgestaltung des Haushaltsrechts geplant ist. Es ist einmal das Wort gefallen, manche Dinge in der Reform des Haushaltsrechts seien so dringlich, daß man vielleicht eine kleine Haushaltsordnungsreform vorwegziehen müsse. Wir sind gerne bereit, alle Vorschläge, die in dieser Beziehung an uns gelangen, zu prüfen, wo immer man da zur Vereinfachung und zur Rationalisierung im Sinne der ratio, der Vernunft, beitragen kann, vielleicht auch, indem man Zöpfe abschneidet. Dazu sind wir jederzeit gerne -bereit.
Auf die Streitfrage, ob der Bundesfinanzminister berechtigt oder vielleicht sogar auf Grund der Haushaltsordnung verpflichtet war, die Einsparungen, die er im ordentlichen Haushalt infolge der Hinausschiebung des endgültigen Verteidigungsbeitrags machen konnte, in der hier mehrfach besprochenen Form zu verwenden, will ich meinerseits hier nicht eingehen. Der Herr Staatssekretär hat wieder gesagt, daß ihn die Reichshaushaltsordnung dazu zwingt.
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Daß es nett, freundlich und loyal - ich will nicht sagen, ,daß das andere illoyal war - und im Sinne der guten Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuß gewesen wäre, wenn man sich darüber vorher unterhalten hätte, dem wird, glaube ich, in diesem Hause niemand widersprechen. Ob ein Nachtragshaushalt dazu notwendig gewesen wäre, scheint mir allerdings zweifelhaft.
Sehr dankbar bin ich persönlich in meiner Eigen-. schaft als Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses des Haushaltsausschusses dafür, daß der Herr Staatssekretär auch seinerseits auf die Wichtigkeit und auf den, ich möchte einmal sagen, Lehrcharakter der abgeschlossenen und der zu prüfenden Rechnungen hingewiesen hat, aus denen man unter Umständen mehr lernen könne als aus einem Haushaltsvoranschlag. Wir werden uns im Haushaltsausschuß und selbsverständlich im Rechnungsprüfungsausschuß gerne den sich daraus ergebenden Aufgaben unterziehen. Wir haben nur den einen Wunsch, daß es gelingt, den Zeitpunkt, in dem die Rechnung vorliegt, immer näher an den Zeitraum, ,auf den sich die Rechnung bezieht, heranzurücken, damit wir um so unmittelbarere und lehrreichere Schlüsse ziehen können.
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Die schöne Zeit der freundlichen Zufälle, von denen der Herr Staatssekretär gesprochen hat, könnte vorüber sein. Auch ich halte das für durchaus möglich, für denkbar, besonders wenn man sich
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einmal vergegenwärtigt, in welcher außerordentlichen Weise unser ganzer Haushalt, unsere Volkswirtschaft, unser ganzes Dasein, möchte ich sagen, konjunkturabhängig ist. Hier wird man um so höher veranschlagen müssen, daß seitens des Herrn Bundesfinanzministers und seiner Mitarbeiter, aber auch seitens des Parlaments ein so großer Wert auf die Stabilität, auf die Solidität der Haushaltsgebarung überhaupt gelegt wird. Wenn es sich darum handelt, den Haushalt solide zu gestalten, wird der Herr Bundesfinanzminister uns immer an semer Seite finden. Wenn die solide Gestaltung des Haushalts erfordert, daß Ausgaben, so erwünscht sie sein mögen, unterbleiben, dann wird sich das Parlament auch dieser Notwendigkeit nicht entziehen dürren. Solide, stabil - das ist erwünscht, ist sehr schön. Etwas kritisch kann man nur werden, wenn der Herr Staatssekretär selbst sagt, der Ausgleich des laufenden Haushalts sei etwas fragwürdig. Wieweit man den Ton auf das „etwas" legen kann, ist gewissermaßen Geschmacksache. Herr Kollege Schoettle hatte das „etwas" mehr oder weniger gestrichen. Unter Hinweis auf die erneute Nichtberücksichtigung des § 75 der Haushaltsordnung und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in diesem Haushaltsvoranschlag noch 40 % Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer stehen, könnte man schon sagen, daß der Ausgleich zur Zeit papierenen Charakter hat. Immerhin hat der Herr Staatssekretär - auch dieses Wort möchte ich wiederholen - harte Konsequenzen für 1955 in Aussicht gestellt. Wenn sie gezogen werden müssen im Interesse der Solidität, dann werden wir uns dem sicherlich nicht versagen.
Im ganzen aber ist nach meinem Gefühl, wenn man den Haushalt von 1954 und den Voranschlag für 1955 miteinander vergleicht, festzustellen, daß keine fundamentalen, ganz grundstürzenden Änderungen haben vorgenommen werden müssen. Es ist eine ausgesprochene Vergleichbarkeit zwischen den beiden Haushalten gegeben. Auf die Unterschiede und die Besonderheiten, insbesondere auf die sehr begrüßenswerte Schaffung eines neuen Einzelplans 33, werden wir durch die Vorbemerkungen noch besonders hingewiesen. Wir werden das alles auch im Haushaltsausschuß noch intensiv erörtern, bevor wir das Werk dem Hohen Hause zur zweiten Beratung wieder unterbreiten.
Über die Unerfreulichkeit, um mich milde auszudrücken, des Verhältnisses zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat will ich hier nicht noch einmal viele Worte verlieren. Ich glaube aber, daß die Abstriche - mit einer merkwürdigen Gesamtsumme, die zum Nachdenken anregt -, die der Bundesrat an den Ausgaben des Haushaltsvoranschlags vorgenommen hat, in dieser Form von uns unter gar keinen Umständen hingenommen werden können. Hier sind zum Teil Abstriche vorgenommen warden, die das Funktionieren der Bundesregierung und der Bundesressorts einfach in Frage stellen.
Sehr bemerkenswert erschienen mir die Ausführungen, die Herr Staatssekretär Hartmarin gemacht hat zu dem beachtlichen Verhältnis der Sozialaufwendungen der öffentlichen Hand und der Sozialaufwendungen aus der sich selbst verwaltenden Sozialversicherung zueinander. Hierzu glaube ich, daß auch die Konsequenzen, ,die er aus dieser Betrachtung gezogen hat, von uns zu billigen sind. Wir können nur hoffen, daß es gelingt - dazu bedarf es vielleicht der so viel berufenen, offenbar sehr langsam marschierenden großen Sozialreform
-, die selbstverwaltende Sozialversicherung und deren Leistungen wieder an die alte größere Stelle zu bringen gegenüber den aus allgemeinen Steuermitteln aufgebrachten Sozialleistungen.
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- Die freiwilligen Aufwendungen der Firmen gehören natürlich auch in diesen Bereich. Aber ich bin da den Überlegungen von Herrn Staatssekretär Hartmann gefolgt. Er hat sich hier ja nur mit den öffentlich-rechtlichen Sozialleistungen befaßt und auf diese merkwürdige Verschiebung hingewiesen.
Ich möchte mich darauf beschränken, diese allgemeinen Bemerkungen im Anschluß an die Einbringungsrede des Herrn Staatssekretärs zu machen, und es mir versagen, auf viele einzelne, bemerkenswerte, auch viele Millionen umfassende Veränderungen im Bundeshaushaltsvoranschlag 1955 einzugehen.
Ich glaube und hoffe das sehr, ,daß wir die zweite und anschließend die dritte Beratung des Haushalts 1955 in Breite und Ruhe, vielleicht sogar in Anwesenheit einer größeren Anzahl von Kollegen, durchführen können. Dann wird noch vieles zu sagen sein, was ich für den Augenblick dem Haushaltsausschuß vorbehalten möchte.
Ich darf nur darauf hinweisen: wir werden ja auch noch im Haushaltsausschuß darüber sprechen müssen, daß gerade im Augenblick ein neuer Anlauf genommen wird, dem § 96 der Geschäftsordnung eine Form zu geben, die unangreifbar ist und trotzdem der Ausgabefreudigkeit des Parlaments im gewissen Umfange einen Riegel vorschiebt. Die Überlegungen darüber, ob die Geschäftsordnung genügt oder ob es eines Tages vielleicht sogar erforderlich sein wird, den sogenannten Deckungszwang in die Verfassung selbst zu schreiben, sind noch nicht abgeschlossen. Ich denke eigentlich, daß eine derartige Verfassungsänderung von jedem, der es mit unserem Staatswesen gut meint, nur bejaht werden könnte.
Eine ganz kleine, scherzhafte Bemerkung möchte ich mir noch erlauben. Das Kap. 0804 heißt nunmehr Bundesfinanzverwaltung. Das ist die Zusammenlegung verschiedener, bisher in einzelnen Kapiteln geführter Teile der Dienstbereiche des Bundesfinanzministeriums. Um jedem Irrtum vorzubeugen, möchte ich darauf hinweisen, daß mit dieser etwas anderen kapitelmäßigen Bezeichnung das, was meine Freunde und ich seit Jahren mit der Bundesfinanzverwaltung erstreben, natürlich nicht erreicht ist.
Schließlich habe ich noch eine Bitte und einen Ratschlag an die verschiedenen Fachausschüsse unseres Hohen Hauses. Wenn sich die Damen und Herren erinnern wollen: als wir uns nach der ersten Beratung des Haushalts 1954 im Januar dieses Jahres im Haushaltsausschuß mit dem bekannten Feuereifer auf die Dinge stürzten, brach ein noch feurigerer Eifer bei den Fachausschüssen aus, die anfingen, sich der Einzelpläne, die zu ihren Sachgebieten gehörten, zu bemächtigen; sie verhandelten dann auch darüber - ob mit oder ohne Auftrag des Plenums, bleibe dahingestellt; ich glaube, das letzte war der Fall -, und es kam zu irgendwelchen Terminen, auch zu Mitteilungen über sehr mannhafte Beschlüsse an den Haushaltsausschuß,
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die fast durchweg Ausgabenerhöhungen beinhalteten und die von diesen Fachausschüssen gefaßt waren. Ich würde den Fachausschüssen empfehlen, sich diese Mühe in dieser Form nicht zu machen, sondern lieber rechtzeitig die Fühlung mit dem Haushaltsausschuß und seinen Mitgliedern aufzunehmen - es sind ja alle Fraktionen vertreten -, bevor der Haushaltsausschuß seine Beratungen über den betreffenden Einzelplan abgeschlossen hat. Denn es war im Anfang dieses Jahres tatsächlich mehrfach der Fall, daß ,der Haushaltsausschuß den betreffenden Einzelplan längst verabschiedet hatte, wenn der Fachausschuß mit seinen auf Fachkenntnis beruhenden Sonderforderungen kam. Das hat natürlich gar keinen Zweck, und diese überflüssige Arbeit - wir haben ja ohnehin Arbeit genug - sollten wir uns nicht machen.
Damit über die Zuständigkeit des Haushaltsausschusses für den Bundeshaushalt auch 1955 gar kein Zweifel besteht, habe ich die Ehre, namens meiner Freunde das Hohe Haus zu bitten, den Haushaltsvoranschlag nach Abschluß dieser Beratung dem Haushaltsausschuß, und nur diesem Ausschuß, zu überweisen.
({30})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute morgen das Vergnügen gehabt, die Ausführungen von Fachleuten zu hören. Man kann nur sagen, daß man vor dem Sachverstand, der hier in gelassener Ruhe dargelegt worden ist, Respekt haben muß. Ich muß nun das Hohe Haus um Nachsicht bitten, daß hier der politische Sprecher der DP-Fraktion auf die Tribüne gekommen ist, ein Laie also in diesen Dingen, wie der Politiker überhaupt in vielen Dingen ein Laie ist und wohl auch sein muß, denn in allen Sätteln gerecht zu reiten, ist selbst einem Manne von enzyklopädischem Wissen nicht gegeben. Wir sind aber der Auffassung, daß die gute alte Tradition, wonach anläßlich der Einbringung des Etats auch die politischen Lichter aufgesetzt werden, nicht verlassen werden sollte.
Die Außenpolitik ist ausgeschieden worden, und ich verspreche Ihnen auch, schon mit Rücksicht auf die herannahende Mittagspause, keine außenpolitischen Ausflüge zu machen. Über unserem Hause und über unserer Politik schwebt überhaupt die Mahnung oder auch der Unwille, daß wir zuviel Außenpolitik getrieben, ja selbst unsere Landtagswahlkämpfe mit diesen Themen bestritten hätten und die Innenpolitik darüber zu kurz gekommen sei. Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man den Etat und die sehr eindrucksvollen Darlegungen über die volkswirtschaftlichen Grundlagen unserer Finanzpolitik ansieht, dann kann man nicht sagen, daß dieser Vorwurf berechtigt ist, die Bundesregierung und mit ihr die Koalition, die die Verantwortung für diese Regierung trägt, hätten in den vergangenen Jahren zu wenig Innenpolitik getrieben.
Auch die Fraktion der Deutschen Partei begrüßt es lebhaft - wie ich gleich zu Anfang erwähnen möchte -, daß dieser Haushalt so früh eingebracht worden ist. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an unseren Antrag, Drucksache 940, den wir am 4. November eingereicht haben, daß eine Angleichung des Haushaltsjahres an das Kalenderjahr erstrebt werden solle. Hierbei handelt es sich nicht nur um den Wunsch nach einer kalendermäßigen Verschiebung, sondern das Zustandekommen einer Kongruenz der staatlichen Entwicklung mit der Entwicklung des übrigen Geschäftslebens und des Lebens der Gesellschaft. Daher ist diese terminmäßige Verschiebung des Haushaltsjahres anzustreben.
Wenn man die Stimmungen des vergangenen Jahres überblickt, dann zeigt sich, daß man über das Jahr 1954 vielleicht das Stichwort schreiben könnte: ein Jahr der Enttäuschungen. Ich glaube aber, daß dieses Urteil des Unmuts übertrieben ist. Wenn man die soliden Grundlagen des Etats überblickt, so ist dieses Bild einer Enttäuschung über unsere Entwicklung nicht gerechtfertigt. Meine politischen Freunde vertreten den Standpunkt eines toleranten Konservativismus. Dieser Konservativismus hat nichts zu tun mit einer reaktionären Einstellung, also mit einer Einstellung, als wünsche man, die Zustände der Vergangenheit wieder herbeizuführen, als wolle man an gesellschaftlichen Positionen festhalten, die von der Zeit überwunden sind. Unser ganzes Leben untersteht Entwicklungen, und kein vernünftiger Mensch kann sich diesen Entwicklungen entziehen. Aber was ist das Wesen dieses toleranten Konservativismus? Unser Grundziel ist, daß der Lebensraum des einzelnen wieder stärker unter seiner Verantwortung stehen möge, daß der Freiheitsraum des einzelnen, aus eigener Kraft sein Leben zu bestimmen, wieder erweitert werden möge.
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Das, glaube ich, ist das Ziel einer modernen konservativen Politik. Denn die gesellschaftliche Wirklichkeit unseres Daseins ist anders geartet. Wir erinnern uns alle noch der Zeit um 1945, als die Stromversorgung ausfiel, als die Ordnung des Staates verfiel, als die Polizeigewalt, der Schutz des Staates unterging. Da hat jeder Kulturmensch auf einmal gemerkt, wie weit bereits sein persönlicher Lebensraum eingeschränkt ist, wie unser Dasein ein abgeleitetes geworden -ist, daß wir - es ist ein starkes Wort - so ein wenig in eine Staatssklaverei hineingeraten sind. Meine Damen und Herren, ich möchte dies nicht als ein Schlagwort stehenlassen; aber ich glaube, die freiheitliche Kultur kann im Vorfeld der bolschewistischen Bedrohung, die eine ganz andere Welt darstellt, nicht erhalten werden, wenn nicht alle Bemühungen der Gesellschaft und des Staates - und das hängt sehr eng auch mit Fragen der Etatgestaltung zusammen - darauf gerichtet werden, durch Steuer- und Finanzpolitik dazu beizutragen, den Freiheitsraum des einzelnen und damit das Maß seiner freien Verantwortung wieder zu erweitern.
Wenn man unter diesem grundsätzlichen Gesichtspunkt den Etat zu betrachten versucht, wird man, glaube ich, leider sagen müssen, daß auch dieser Etat einen Fortschritt, jedenfalls auf diesem Wege, nicht darstellt. Bitte, das ist kein Vorwurf gegen den Finanzminister. Wir sind uns alle darüber klar, wie schwierig die Probleme sind, die gelöst werden müssen, um jenen Freiheitsraum des einzelnen wieder zu gestalten. Der Staat - das zeigt dieser Haushalt ganz deutlich auf - ist direkt oder indirekt der Vermittler der Lebensmöglichkeit des einzelnen geworden. Der ein({1})
zelne ist, bis in seinen privatesten Bereich hinein, von ihm abhängig geworden. Darin liegt gewiß etwas Zwangsläufiges. Allzu groß ist die Zahl derer, die durch Krieg und Katastrophen hilflos geworden sind und denen geholfen werden muß. Das sind Fragen, denen unter gar keinen Umständen ausgewichen werden darf. Der Staat und dann das, was sich im Schutze des Staates entwickelt hat, die Organisationsmächte, d. h. die organisierten Interessen der einzelnen, bestimmen unser Dasein und unsere Existenzmöglichkeiten. Wir dürfen hier nicht in eine falsche, nur noch rhetorische Betonung der Freiheit hineingeraten; wir müssen diese Realitäten erkennen. Allerdings darf ich sagen, daß ich vom Standpunkt des konservativen Denkens aus diese Entwicklung zu bekämpfen gewillt bin, bis zum letzten, auch wenn dieser Kampf vergeblich sein sollte.
Die Steuerreform war gewiß - das muß man gerechtermaßen zugeben - ein mutiger Schritt in der Richtung, eine Umkehr von dieser bisher kollektivistischen und nivellierenden Entwicklung zu erzielen. Aber sie reicht doch wohl nicht aus, um das, was in unserer Gesellschaft zerstört worden ist, nämlich das Eigentum, wieder zu schaffen, die Eigentumsbildung wirklich zu ermöglichen. Gewiß, man hat zur Beruhigung gesagt, es solle eine laufende Steuerreform sein, man wolle jetzt, Schritt für Schritt, zu einem Abbau der bisherigen kollektivisierenden und nivellierenden Steuerpolitik kommen. Aber, wie gesagt, da scheinen sich Entwicklungen für viele Jahre anzudeuten, und es bedürfte einer großen Stabilität und Zielstrebigkeit in der Fortsetzung der Prinzipien unserer Innenpolitik, um dieses Ziel zu erreichen. Die Staatsausgaben sind auch nach diesem Etat - das weist er deutlich aus - weiter und weiter gewachsen. Der Herr Staatssekretär hat ja, im Namen des Bundesfinanzministers, gerade diese Erscheinung der anwachsenden Staatsausgaben sehr deutlich unterstrichen. Der Versorgungsstaat - lassen Sie mich dieses harte Wort nicht in einem diffamierenden, sondern in einem feststellenden Sinne sagen - schreitet ständig weiter fort und gewinnt immer weiteren Raum. Vielleicht ist es eine Utopie, demgegenüber ein anderes Staatsbild aufzeigen zu wollen; aber man soll sich auch - wenn sich unausweichliche Entwicklungen in einer Kultur andeuten - nicht kampflos preisgeben; denn gerade der Widerstand, die Polarität der Auffassungen, bringt die richtige Synthese zustande.
Ich darf hierbei ein Wort sagen: Innenpolitik in Deutschland ist vor allem eine Politik zur Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes. Gewiß, ich bekämpfe die Theorie des Provisoriums unseres Staates. Unsere Pflichten gegenüber Deutschland sind nicht provisorisch, sondern definitiv, so definitiv, wie sie überhaupt nur sein können. Wir dürfen den Begriff des Provisoriums nicht als eine Entschuldigung für eine Inaktivität, für ein Nicht-ganz-ernstnehmen unserer Situation ansehen. Hinsichtlich der Gebietshoheit aber ist unser Staat ein Torso, und dieser Torso unserer Macht und Möglichkeit bestimmt natürlich auch den Bewegungsraum in der Innenpolitik, vor allen Dingen unseren sozialpolitischen Bewegungsraum. Ich betrachte Innenpolitik - und darf das ruhig einmal sagen - so: Die Essenz einer Innenpolitik mündet schließlich im sozialpolitischen Ergebnis. Wieviel an sozialpolitischen Ergebnissen eine Gesellschaft aufzubringen vermag, das ist gewissermaßen das Zeugnis der Kraft und des Erfolges aller innenpolitischen Vorgänge.
Was haben wir anzustreben, um die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes, d. h. die Wiederherstellung der Menschenrechte in allen Gebieten deutschen Landes zu ermöglichen? Unerläßlich ist eine Stabilität der Staats-, Wirtschafts-und Sozialordnung, und wenn wir da Bilanz ziehen, glaube ich nicht, daß eine allzu selbstgerechte Beurteilung unserer Situation am Platze wäre, sondern ein wenig Zurückhaltung gegenüber Worten wie „das deutsche Wunder" und etwas weniger In-die-Brust-Werfen in bezug auf die deutsche Leistungskraft. Gewiß, wir sind ein tüchtiges Volk, wir sind fleißig. Wir wollen uns nicht klein machen; aber wir wollen die Kirche im Dorf lassen, und wenn wir wirklich einmal etwas geleistet haben, sollten wir es für uns behalten und dieses schweigende, stille Selbstbewußtsein, das Festigkeit des Charakters bietet, etwas mehr beobachten. Denn wenn man alles in allem betrachtet - gerade als Bilanz der letzten Landtagswahlen -, dann findet man als die beste Leistung des deutschen Volkes, die man nur mit sehr großer Hochachtung betrachten darf, daß der deutsche Wähler eine Stabilität unserer Politik wünscht. Das ist ganz klar zum Ausdruck gekommen.
Alle Verschärfungen der Landtagswahlkämpfe, wo sie auch gewesen sein mögen, alle Übertreibungen sind vom Wähler nicht abgenommen und nicht honoriert worden. Alle intellektuellen Nuancierungen, die man gemacht hat, alles, was am grünen Tisch als eine „Masche" und als ein „Wahlknüller" ersonnen worden ist, hat der Wähler nicht aufgenommen.
({2})
- Ich weiß, was Sie denken; aber gestatten Sie mir, aus Taktgründen hier einmal nicht zu antworten.
({3})
- Erkenntnisse zu haben in diesem Leben, ist, glaube ich, das wichtigste menschliche Anliegen, auch ein Anliegen des Politikers. Ich versuche, eine Bilanz zu ziehen, und wer da ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
({4})
Ich werfe jedenfalls keinen Stein. Ich liebe nicht diese Übertreibungen, die vorgekommen sind.
Aber lassen Sie mich einen Gedanken darlegen, den wir Politiker, gleichgültig wo wir stehen, ob rechts oder links oder in der Mitte, haben müssen. Unsere Wähler verlangen von uns jedenfalls, daß wir in allen Dingen den Realitäten und Möglichkeiten Rechnung tragen. Die Wähler wünschen eine nüchterne Realpolitik. Der Wähler hat die Politik der Koalition, die wir alle verantwortet haben, im Grunde bestätigt. Er ist in seinen Auffassungen stabil geblieben. Das ist nicht ein Selbstlob, das ich hier aussprechen möchte, das ist in allererster Linie eine Verpflichtung, und ich glaube, Opposition und Koalition sollten von dieser Grundmeinung unseres Volkes Notiz nehmen, so daß wir in unserem Verhältnis zueinander wieder zu einem Kontakt gelangen, damit nüchtern und anständig von Koalition und Opposition insgesamt „deutsche Regierung" dargestellt wird, wie es Herr Kollege Schoettle sehr eindrucksvoll gesagt hat.
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Die ganze Innenpolitik in Deutschland wird das Ziel zu verfolgen haben, die Vertrauenswürdigkeit unseres Staatswesens wiederherzustellen. Bitte betrachten Sie das nicht als eine Selbstanschuldigung, als eine Selbsterniedrigung oder als eine Warnung, wir seien besonders berufen, durch ein Schelten deutscher Vergangenheit unsere eigene Ehre wiederherzustellen. Nein, wir sind berufen, unsere Ehre durch unser Handeln zu bestätigen. Das Prestige unseres Landes muß unser Anliegen sein. Wir müssen die Vertrauensgrundlagen nach draußen, weniger durch Worte, als durch eine gesicherte Leistung, vor allen Dingen der Innenpolitik, schaffen. Und gerade hier dürfen wir dem Finanzminister und der strengen Finanzpolitik, die er getrieben hat, unser Lob nicht versagen. Sein eisernes Bemühen um den ausgeglichenen Haushalt - ein Bemühen, das uns oft geärgert hat - ist letzthin nur der Ausdruck einer staatspolitischen Notwendigkeit. Ich stehe nicht an, seitens meiner politischen Freunde dieses Bemühen hier zu honorieren.
Wenn ich sage: Vertrauen nach außen, so meine ich natürlich damit eine Stabilität unseres Landes, die es, auf die Länge gesehen, eines Tages ermöglicht, auch nach Osten hin - denn die Menschen dort sind nun einmal unsere natürlichen geographischen Nachbarn - ein Verhältnis zu gewinnen, das eine ruhige Stabilität und Sicherheit gewährleistet. Ich möchte nicht in den Verdacht kommen, eine neutralistische betuliche Einstellung an den Tag zu legen. Das liegt mir sehr fern. Ich glaube auch nicht, daß man mir das nachsagen kann. Aber ich meine, <laß die Festigkeit einer in sich ruhenden politischen Einheit, die mit gelassener Tatkraft ihre inneren Verhältnisse ordnet, sehr viel zur Sicherheit unseres Landes, zur Sicherheit und Stabilität I unserer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beitragen würde.
Oberstes Gesetz ist für meine politischen Freunde Gesunderhaltung und Stabilität der Währung. Wir dürfen hier nicht sündigen. Wir sind oft geneigt, durch Gefälligkeitsbewilligungen zu sündigen und damit das Gleichgewicht des Etats und unserer Finanzpolitik zu gefährden. Sozialer Frieden muß geschaffen werden; aber hierbei ist auch zu beachten, daß wir uns alle vereinigen müssen, um unvernünftigen und unmöglichen Forderungen künftig mehr entgegenzutreten, als das in der Vergangenheit schon der Fall gewesen ist.
Herr Kollege Sc ho et t l e hat die großen Sorgen angesprochen, die mit dem Verteidigungsetat verbunden sind. Ich glaube, jeder, der hier im Hause sitzt, teilt diese Sorgen. Es wäre wohl richtiger, daß dieses Parlament bei all den Fragen, die mit der Herstellung der Verteidigungskraft verbunden sind, rechtzeitig bis ins einzelne beteiligt wird. Die Regierung sollte dem Wunsch des Herrn Kollegen Schoettle, sich über die tatsächlichen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Grundlagen zu äußern, die eine Herstellung der Verteidigungskraft erfordert, stattgeben. Ich teile auch den Gedanken des Herrn Kollegen Schoettle, unabhängige Untersuchungskommissionen zu schaffen, vorausgesetzt, daß solche Untersuchungskommissionen auch wirklich unabhängig sind und von Menschen besetzt werden, die die Überlegenheit des objektiven Standpunktes als Wissenschaftler, Forscher und Sachkenner aufzubringen vermögen.
({6})
- Durchaus einverstanden! Ich halte den Grundgedanken solcher Institutionen, wenn sie nicht zu einer Vervielfältigung parlamentarischer Organe, sozusagen zu parlamentarischen Schattenorganen oder zu parlamentarischen Schatten-Untersuchungsausschüssen werden, sondern wirklich unabhängige „royal commissions" bilden, für durchaus akzeptabel. Hier sollte ein objektives und genaues Bild der wirtschaftlichen Grundlagen einer Verteidigungspolitik ermittelt werden.
Sie wissen, daß ich mich immer gegen den Gegensatz: soziale oder militärische Sicherheit gewandt habe. Meiner Ansicht nach ist die Frage der Sicherheit für ein Land immer unteilbar. Sie ist nämlich eine soziale und militärische zugleich. Beide Richtungen sind miteinander zu koordinieren und zu einer Einheit zu bringen.
Ich darf aber bei dieser Gelegenheit gerade anläßlich der Ausführungen, die zum Etat der Verteidigungslasten gemacht worden sind, sagen: Wenn man in der Welt glaubt, wir drängten uns dazu, solche Lasten auf uns zu nehmen, dann irrt man sich. Es wäre doch vollkommen unvernünftig, wenn ein Land, das solche Wunden zu heilen hat wie wir, sich nach solchen Dingen drängte.
({7})
Ich möchte mich mit aller Entschiedenheit dagegen aussprechen, daß wir eine solche Lust an der Sache hätten.
({8})
- Das war kein Drängen, Herr Kollege Menzel, sondern wir sind damals bedrängt worden. Da wir in dieser Welt bedrängt werden, da sehr viel auf dem Spiele steht, ist eine verantwortliche Regierung allerdings verpflichtet, auch diese große Last auf sich zu nehmen und sie so zu tragen, daß die sozialen Belange und die Belange militärischer Verteidigung in ein richtiges Verhältnis gebracht werden.
Ich möchte an dieser Stelle - da ich glaube, daß unser Land nicht gerade einfachen Verhältnissen entgegengeht, daß wir in den kommenden Jahren sehr viele schwierige innenpolitische Probleme zu lösen haben - doch den Gedanken vertreten, daß bei dieser Politik die Stabilität der Währung unter allen Umständen verteidigt und gehalten werden muß. Deshalb trete ich dafür ein, daß wir eine unabhängige, in voller Autonomie, rein nach dem wirtschaftlichen, finanziellen Sachverstand entscheidende Notenbank behalten, ein Notenbanksystem, das sich als eine selbständige, unabhängige Kraft bewährt und gegen die Versuchungen und den Ansturm gefeit ist, wie sie in jeder Massendemokratie vorhanden sind, und sich auch dagegen zu verteidigen in der Lage ist.
Hier möchte ich von vornherein gewisse Warnungen aussprechen und gewisse Bremsen haben. Wir müssen uns einer Politik befleißigen, die sich in der Härte der Tatsachen, die eine stabile Währung immer nach sich zieht, bewährt und den Realitäten Rechnung trägt. Denn nur dann, wenn wir diesen Maßstab der Klarheit und Sicherheit unserer Grundlagen haben, wie sie eine stabile Währung bietet, sind wir in der Lage, die innenpolitischen Probleme so anzufassen, wie das notwendig ist,
({9})
um sie wirklich klar zu lösen und nicht in irgendwelche Behelfs- und Gefälligkeitslösungen oder auch reine Machtentscheidungen auszuweichen.
Wir müssen uns überhaupt davor hüten - und auch dieses Parlament sollte sich davor hüten -, daß wir als Fraktionen oder als einzelne Menschen irgendwie in die Abhängigkeit von Partikularinteressen kommen. In Wirklichkeit sind wir uns doch darüber klar, daß in vielen Punkten das Bild unserer Verfassung, jener liberal-demokratischen Verfassung des 19. Jahrhunderts, mit der Verfassungswirklichkeit als solcher nicht übereinstimmt. Es kommt eines Tages die Notwendigkeit, daß wir das tatsächliche gesellschaftliche Leben mit unseren Verfassungsinstitutionen in Einklang bringen müssen, d. h. die Verfassungswirklichkeit mit dem geschriebenen Recht der Verfassung.
Sehr traurig - muß ich als Föderalist sagen - sind die Vorgänge, die sich um die Finanzverfassung abgespielt haben. Wir als Föderalisten der Deutschen Partei vertreten nicht einen etatistischen, sondern den integrierenden Föderalismus. Für uns sind die deutschen Länder nicht selbständige Einheiten, sondern sie sind Glieder eines höheren Gesamtverbandes, der letztlich wirtschaftlich, sozial und finanzpolitisch eine Einheit darstellt. Ich glaube, daß wir bei der Entwicklung, die unser Leben nimmt - einer Entwicklung, die zu den größeren europäischen Räumen hinüberschreitet -, um eine gründliche Reform der Finanzverfassung, und wenn es gar nicht anders geht, im Sinne der Bundesfinanzverwaltung einfach nicht herumkommen.
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Wir dürfen nicht den Föderalismus des 19. Jahrhunderts und seiner staatsrechtlichen Vorstellungen zu einem Dogma der Gegenwart machen. Der integrierende Föderalismus, ,den wir vertreten und den auch Herr Kollege Schoettle erwähnt hat, ist dem amerikanischen Begriff des Föderalismus ähnlich. Dieser integrierende Föderalismus ist ein Gegensatz zu Methoden zentralistischer Verwaltung, die die politische Willensbildung in eine Zentrale verlegt, während der integrierende Föderalismus die Willensbildung möglichst weit nach unten . verlegt, d. h. das, was der einzelne oder ein kleinerer Verband bewältigen kann, das soll und muß er in eigener Verantwortung bewältigen. Was aber nicht so zu bewältigen ist, muß nach oben verlagert werden. Das entspricht dem Prinzip der Subsidiarität.
Ich begrüße es - damit komme ich zu 'einigen konkreten Punkten -, daß der landwirtschaftliche Etat im gegenwärtigen Haushaltsplan erweitert worden ist. Allerdings glaube ich nicht, daß diese Erweiterung genügen wird, um den in Not geratenen mittleren und kleinen Bauern zu helfen, die Verschuldung bis gegen 7 Milliarden, in die die Landwirtschaft bereits geraten ist, zu beseitigen und die Gesundung unserer Agrarstruktur bald herbeizuführen. Immerhin ist das Bemühen anerkennenswert, daß man den landwirtschaftlichen Etat erweitert hat. Wir bejahen auch, dem Grundsatz nach, die Vorstellungen des Herrn Bundesministers für Landwirtschaft, der sich ein längeres Programm zur Sanierung der Agrarstruktur in Deutschland vorgenommen hat. Aber ich glaube, in der Praxis kommen alle diese Maßnahmen zu spät.
Ich darf an dieser Stelle an etwas erinnern, das aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit wieder geschwunden ist, nämlich daran, daß die Ernteschäden recht beträchtlich und ihre Folgewirkungen sehr bedeutend sind. In meinem Wahlkreis kenne ich Fälle, in denen ein großer Teil der Wintersaat nicht rechtzeitig hereingebracht werden konnte, in denen die Viehbestände ganz wesentlich verringert werden mußten, oft auf die Hälfte oder noch weniger. Hinzu kommt, daß das Verfahren der Individualentschädigung für die Ernteschäden, die ja von den Ländern vorgenommen wird, so kompliziert ist und einen solchen Papierkrieg hervorruft, daß sich die mittleren und kleinen Bauern scheuen, überhaupt daranzugehen. Ich bitte also zu prüfen, ob es nicht möglich ist, in den erntegeschädigten Gebieten zu einer Pauschalentschädigung überzugehen.
Ferner dürfte auch von Wichtigkeit sein, das Küstennotstandsprogramm so schnell wie möglich durchzuführen. Das Paritätsproblem ist ein alter Diskussionsgegenstand. Ich darf das seitens meiner Fraktion etwas präzisieren. Die landwirtschaftlichen Betriebe sind durch wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Landwirtschaft mit den übrigen Zweigen der Volkswirtschaft in den Stand zu setzen, bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung die notwendige Rentabilität zu erreichen. Die Bundesregierung sollte verpflichtet werden, die Mittel der allgemeinen Wirtschaftspolitik, vornehmlich der Preis-, Handels-, Steuer- und Kreditpolitik einzusetzen, damit unter Zugrundelegung des landwirtschaftlichen Wirtschaftsjahres der Gesamtertrag der Landwirtschaft den notwendigen Aufwand deckt. Unter „notwendigem Aufwand" sind vor allen Dingen auch zu erfassen die sächlichen Betriebsaufwendungen, Lohnaufwand für fremde und familieneigene Arbeitskräfte, ein angemessenes Entgelt für die Tätigkeit des Betriebsleiters, die Betriebssteuer, die öffentlichen Lasten, Abgaben, die Abschreibungen, die Inventarverminderung, eine Verzinsung des Kapitals, die dem Zinsatz auf dem Kapitalmarkt gegebener langfristiger Anleihen entspricht. Dies nur als einige der wichtigsten Punkte zu den landwirtschaftlichen Belangen, die wir anzuführen haben.
Lassen Sie mich - ich bitte den Herrn Präsidenten, mir noch einige Minuten zu gewähren, damit ich meine Ausführungen abschließen kann - hier noch ein paar Weitere Punkte anführen. Es wird viel gesprochen von der Mittelstandspolitik. Es wird versucht, die soziologische Erscheinung des Mittelstandes auf einen wirtschaftspolitischen Generalnenner zu bringen. Das ist außerordentlich schwierig; denn der Mittelstand ist keineswegs etwas Einheitliches, sondern es sind in ihm zum Teil erhebliche Interessengegensätze vorhanden. Dennoch glaube ich, daß drei Elemente bei einer den Mittelstand fördernden Politik immer zu berücksichtigen sind: einmal eine Steuer- und Finanzpolitik, die eine Kapitalbildung auch bei den kleineren Einkommen ermöglicht, eine Vereinfachung der Steuergesetzgebung, damit der Mittelständler selbst seinesteuerlichen Belange wahrnehmen kann und nicht erhebliche Zeit und erhebliche Gelder aufwenden muß, um überhaupt seinen staatsbürgerlichen Pflichten hinsichtlich der Steuer zu genügen, und schließlich, nach dem Ausbluten, das der Mittelstand durch die beiden verlorenen Weltkriege und ihre Folgeerscheinungen sowie endlich durch die Entwicklung zur Konzentration und zum großen Betrieb hin erlitten hat, eine großzügige Kreditpolitik. Ich halte eine solche Kreditpolitik für eine der Grundforderungen der Mittelstandspolitik.
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Eine kleine Bemerkung zu einer anderen Frage. Ich sehe mit etwas Sorge, daß Herr Kollege Vogel Kritik an den etwas sibyllinischen Worten des Herrn Staatssekretärs bezüglich der Lufthansa geübt hat. Meine Damen und Herren, ich bin sehr für Sparsamkeit und Solidität eines Haushalts. Wir sollen uns auch hier nichts vormachen. Ich bin nicht für subventionierte Betriebe, für künstliche Sachen. Aber nach allem, was bisher hinsichtlich des Luftverkehrs geschehen ist, glaube ich, daß wir einfach nicht umhin können, zunächst einmal auch die Lufthansa mit der Flasche großzuziehen. Ist es erträglich, frage ich, daß ein Land von unserer Bedeutung aus der modernsten Verkehrsentwicklung, nämlich der des Luftverkehrs und des transozeanischen Verkehrs, ausgeschaltet bleiben soll? Ich glaube, das wäre eine Kapitulation.
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- Durchaus. Mir ist das Problem bekannt, Herr Kollege Vogel. Aber bevor wir zu diesem Zusammenschluß kommen, müssen wir, glaube ich - ich bin nicht Fachmann auf diesem Gebiet -, hier durchaus etwas, sagen wir einmal, à fonds perdu tun. Politisch ist das nicht nur eine Unterstützungsaktion. Wir sollten die Dinge entwickeln.
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- Ich vertrete hier nicht - darf ich das sagen,
Herr Kollege Gülich - einen Prestigestandpunkt.
Es geht mir hier nicht um nationales Prestige, sondern um die Notwendigkeit, daß unser Land in die modernste Entwicklung des Verkehrs eingeschaltet ist. Ob man nun - und ich hoffe, es kommt so - zu überkontinentalen Gesellschaften und zu einer Konzentration des Luftverkehrs kommen wird, so müssen wir jedenfalls auch von unserer Seite aus die erforderlichen Beiträge leisten. Wir müssen auf dem Gebiet der Luftfahrt - auch hinsichtlich der Forschung und des Fortschritts - Schritt halten können. Denn alle internationale, alle integrierte, ja, alle supranationale Zusammenarbeit hängt von den Beiträgen ab, die das einzelne Glied hier zu geben hat.
Schließlich etwas ganz anderes. Bei einem derart weitfassenden Thema kommt immer so etwas wie eine Speisenkarte der Wünsche bei einer Rede zusammen; aber es muß gesagt werden: Die Politik gegenüber den Zonengrenzgebieten wird immer eine Sorge und ein Anliegen sein, das wir hier in diesem Hause zu vertreten haben. Die Zonengrenzgebiete tragen nun schon, durch Jahre hindurch, die Last der Zerreißung unseres Landes. Ich darf es hier kurz machen und fünf konkrete Forderungen meiner Freunde anmelden, die bei gutem Willen im Rahmen des gegebenen Etats durchaus verwirklicht werden könnten:
1. Für die Sanierungs-, die Existenzaufbau- und die Arbeitsplatzdarlehen in den Zonengrenzgebieten muß ;dringend eine längere Laufzeit eingeführt werden, als sie bis jetzt gegeben ist. Die gegenwärtige Laufzeit ist zu kurz und macht große Schwierigkeiten.
2. Die Zinssätze der Sanierungsdarlehen können in der jetzigen Höhe nicht aufrechterhalten werden.
3. Bei der Vergabe von Landeshaushaltskrediten zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft müssen in Zukunft die Klein- und Mittelbetriebe stärkere Berücksichtigung finden, als es geschehen ist.
4. Freie Darlehen sind schnellstmöglich mit ausreichenden Bundes- und Landesausfallbürgschaften zu sichern.
5. Grundsätzlich muß der Verfahrensweg bei Kreditanträgen aller Art verkürzt werden; denn wer schnell gibt, gibt bekanntlich doppelt.
Auf dem Gebiet der Beamtenpolitik kann man befriedigt sein von dem, was der Herr Staatssekretär gesagt hat. Er hat nämlich erklärt, daß die Grundlagen für die Besoldungsreform erarbeitet worden seien. Wir sind der Auffassung, daß diese Besoldungsreform so schnell wie möglich durchgeführt werden muß; denn der Beamte gehört zu den geistig schaffenden Berufen, und nur ein Beamter, der ein wirklich geistig schaffender Mensch mit der ganzen Ethik der inneren Selbständigkeit ist, vermag ja das Prestige unseres deutschen Beamtentums zu erhalten und wiederherzustellen. Ich glaube, daß bei diesem Personenkreis tatsächlich ein soziales Absinken vor sich gegangen ist. Die Gehälter beziehen sich im wesentlichen auf die Kaufkraft des Jahres 1927. Auch die Aufbesserungen, die man gegeben hat, sind der Entwicklung keineswegs gefolgt. Ich glaube, daß eine gründliche Reform auf diesem Gebiet so bald wie möglich gemacht werden muß, um das soziale, selbständige Niveau dieser Berufskreise wieder zu heben.
Die freien Berufe sind bekanntlich immer die Stiefkinder unserer Zeit. Es ist beinahe ein bißchen peinlich, wenn man dieses Thema auf dieser Tribüne erwähnt und erklärt, daß den freien Berufen geholfen werden sollte. Nun haben wir ja einmal geholfen, ganz bescheiden, und dann wendet sich der Bundesrat dagegen. Jetzt geht unser Vorschlag in den Vermittlungsausschuß. Hoffentlich werden die Dinge im Vermittlungsausschuß so geregelt, daß das bei jeder Landtagswahl gegebene Wort realisiert wird.
Zum Abschluß noch ein Wort über die Konzeption unserer Jugendpolitik. Gewiß, es sind Mittel dafür vorgesehen; ich glaube aber, daß wir hier doch noch erheblich mehr zu tun in der Lage sind und tun sollten. Das Verhältnis unseres Staates zur Jugend ist nicht in Ordnung, keineswegs. Wer vor einem Jugendforum spricht und wer mit den jungen Menschen in Kontakt tritt, wird mir recht geben, daß die Diktion, wie und was wir sagen, von dieser Jugend nicht verstanden wird. Hier ist eine andere und neue Mentalität entstanden. Ich glaube, daß wir gar nicht unzufrieden mit dieser anderen Mentalität, dieser anderen Diktion sein sollten. Diese Jugend ist sehr nüchtern geworden. Sie versucht, alles Emotionale, alles Unberechenbare aus ihrem Leben auszugliedern. Man hat den Eindruck, daß, wenn dieser strenge, rationalistische und nüchterne Geist, der da wächst, sich weiter entwickelt, wir dann einem strengen Jahrhundert entgegengehen.
Vor allen Dingen aber bedarf es einer wirklich viel größeren Nähe zwischen den Generationen. Wir, die wir gegenwärtig einen wichtigen Teil der Verantwortung zu tragen haben, sollten uns bemühen, auch mit den praktischen Maßnahmen der Jugendpolitik mehr zu ermöglichen, daß hier eine
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neue Staatsgesinnung und Gesellschaftsgesinnung - auch aus der Tradition heraus, die wir ja weitergeben müssen - wächst. Ich bin damit nicht Vertreter einer Staatsjugendpolitik. Alle Jugendpolitik muß aus sich selbst wachsen; aber es bedarf auch hinsichtlich der materiellen Mittel einer gewissen Großzügigkeit.
Mit Rücksicht auf die Mittagspause möchte ich mir einige Ausführungen, die ich noch zu machen hätte, schenken. Das Wesentliche und Wichtige habe ich zu sagen versucht. Aber Sie haben alle viel zu arbeiten, und eine gewisse Regelmäßigkeit im Tageslauf gehört auch zur Ordnung der Gesellschaft hinzu. Dagegen haben wir häufig verstoßen. Deswegen ordne ich mich diesem Ordnungsprinzip unter und breche hiermit ab, um ein kleines Beispiel praktischer konservativer Politik zu geben.
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- Darin zeigt sich die Großzügigkeit, daß mir die akademischen 10 Minuten geschenkt worden sind. Aber ohne eine gewisse Großzügigkeit ist auch konservatives Leben nicht herzustellen. Wir haben die große Hoffnung, daß der Geist der Solidität dieses Etats sich auf unsere ganze Innenpolitk ausweiten möge und damit angesichts der schweren Aufgaben, die vor uns stehen, auch zwischen Koalition und Opposition ein neues Leben, eine Möglichkeit echter Zusammenarbeit gegeben werde. Das ist unsere Hoffnung für das kommende Jahr, das durch diesen Etat regiert werden soll.
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Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis um 15 Uhr.
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Die Sitzung wird um 15 Uhr 1 Minute durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Montag ist uns das neue Haushaltsbuch überreicht worden mit einer so außerordentlichen Sach- und Zahlenfülle, daß sicherlich niemand in diesem Hause in der Lage gewesen ist, es bisher auch nur einigermaßen zu studieren. Das gilt aber nicht nur für das Haushaltsgesetz, das wir bekommen haben, es gilt auch für die Einführung, die man uns mit auf den Weg gegeben hat, nämlich für die sogenannten Allgemeinen Vorbemerkungen, die allein schon 555 Seiten umfassen. Es ist natürlich unmöglich, bei einer so gewaltigen Arbeit von solcher Qualitat in wenigen Tagen damit zu Rande zu kommen. Wir werden uns dafür andere Zeiten zu Hilfe nehmen müssen.
Wir können heute eigentlich nur Stellung nehmen zu den Grundsätzen, die 'den Bundesfinanzminister und die Bundesregierung bei ihrer Arbeit geleitet haben und die vielleicht in etwas korrigierter Form auch für uns maßgebend sein könnten für die Arbeit der kommenden Monate und des nächsten Jahres. Der Bundeshaushalt für das kommende Haushaltsjahr hat ein Volumen von ( 27,5 Milliarden DM. Das ist eine ungeheure Zahl. Aber diese eine Zahl genügt noch nicht einmal, wenn man sich die Bedeutung unseres Gesamthaushalts vor Augen führen will. Man muß die Zahlen der Länder und der Gemeinden hinzufügen. Wir werden dann auf eine Summe von 48,5 Milliarden DM, rund gesprochen, kommen. Das bedeutet, daß ein außerordentlich großer Anteil des Volkseinkommens, des Sozialprodukts durch die öffentliche Finanzwirtschaft in Anspruch genommen wird. Die Ausgaben, der Aufwand der öffentlichen Hand im Gebiet unserer Bundesrepublik haben sich gegenüber dem Zustand des Reichs vom Jahre 1928 verdreifacht. Es ist selbstverständlich, daß die Fülle der Aufgaben, die Fülle der Probleme auch im Zahlenbild zum Ausdruck kommt.
Wenn man sich die brillante Rede ansieht, die der Herr Staatssekretär im Bundesfinanzministerium gestern hier gehalten hat, dann wird man einmal feststellen können, daß sie von allen Seiten her die Tätigkeit des Staates, die Aufgaben der Finanzwirtschaft, die Probleme politischer und wirtschaftlicher Art, wie sie uns bedrängen, ausgezeichnet beleuchtet. Diese Rede des Herrn Staatssekretärs zeigt uns aber auch, welch starke Stellung der Bundesminister der Finanzen in unserem Gemeinwesen gewonnen hat. Er hat tatsächlich über die besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse hinaus, die er besitzt, mit Hilfe der Qualität des ihm zur Verfügung stehenden Apparates auch unabhängig von den weitgehenden Rechten haushalts-
und verfassungsrechtlicher Natur, die ihm zustehen, eine Stellung gewonnen und bewahrt, wie sie wahrscheinlich nur wenigen Finanzministern der Vergangenheit zuteil geworden ist. Er ist wirklich wieder mal so etwas geworden, wie es zu Olims Zeiten der sogenannte Schatzmeister der Götter gewesen ist, d. h. der wirklich maßgebende Mann in den innen-, wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen des Staatswesens. Wie stark er sie beeinflußt, wird man, glaube ich, aus den Zahlenangaben in der Rede des Herrn Staatssekretärs und in den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Haushalt sehr deutlich erkennen können.
In dieser Haushaltsrede ist nicht ganz der Pessimismus zum Ausdruck gekommen, der in den letzten Jahren vom Bundesfinanzministerium her an dieser Stelle immer wieder geäußert worden ist. Es heißt dann allerdings an einer Stelle der Rede, daß jetzt der volle Ernst, also der Ernst des Lebens beginne, und ich lese an einer anderen Stelle: Wir Finanzmänner - also offenbar die Referenten des Ministeriums - sehen den kommenden Zeiten mit großer Beklemmung entgegen. Aber ich habe so den Eindruck, als ob die Sorgenfalten hier gewissermaßen zu dem notwendig gestellten Bild eines Finanzmannes oder Finanzpolitikers gehören, denn es ist wohl sehr selten, daß ein Finanzmann ein heiteres Lächeln oder ein heiteres Gesicht zeigt, wenn es um die Bewältigung von Zahlen geht.
Wenn ich mir nun die im Sinne des Finanzministeriums vielleicht sogar wichtigste Seite des öffentlichen Haushalts, nämlich die Einnahmen, ansehe, bemerke ich, wie ich der Rede des Staatssekretärs Hartmann weiter entnehme, daß die Befürchtungen, die er gegenüber der Steuerreform gehegt hat, noch weit übertroffen worden seien. Ich lese weiterhin, daß diese Steuerreform ganz bestimmt keine halbe Maßnahme gewesen sei
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Einen gewissen Widerspruch dazu muß ich allerdings auf einer andern Seite feststellen, wenn von Scherben der Steuerreform, die da noch herumliegen, gesprochen wird. Sicherlich: die Steuerreform ist nicht ganz so ausgefallen, wie wir sie vielleicht alle gewünscht haben.
Ich darf auf diese Frage der Einnahmenseite einmal gerade deswegen eingehen, weil der Finanzminister mit Hilfe der Einnahmen- und Steuerschätzungen ja doch ein ganz besonders starkes Machtmittel gegenüber den anderen Ressorts in der Hand hat. Von diesem Machtmittel, davon bin ich überzeugt, hat er Gebrauch gemacht und wird er sicherlich auch künftig Gebrauch zu machen verstehen.
Die Steuerreform, die wir hinter uns haben, ist ganz sicherlich keine Vereinfachung gewesen. In der Rede von Herrn Staatssekretär Hartmann heißt es, man könne fast nicht mehr von einer Vereinfachung reden. Ich glaube, man kann sagen: man kann wirklich nicht mehr davon reden, sondern das Steuerrecht ist noch wesentlich komplizierter geworden, und es -sind sicher auch eine Reihe von Bestimmungen hineingekommen, die mindestens systematisch nicht ganz gut aussehen und diese oder jene Bedenken erregen.
Aber man kann, glaube ich, auch einiges Gute über die Steuerreform sagen. Sie bringt zwar dem Steuerzahler nicht ,das, was er gehofft hat, aber doch vieles. Sie bringt ihm zunächst einmal im Tarif eine ganz wesentliche Ermäßigung. Diese kommt in erster Linie dem Mittelstand zugute. Im Steuertarif ist also wirklich Mittelstandspolitik gemacht worden. Es gibt dann einige andere Fragen, in denen wir doch endlich einmal einen Schritt weiter gekommen sind. Ich rechne zu den bedeutsamen Fortschritten der Steuerreform insbesondere den Beginn einer neuen Regelung der getrennten oder gemeinsamen Besteuerung von Ehegatten. Hier ist gerade auch im Sinne der Begünstigung des echten Arbeitseinkommens der Ehefrau ein Erfolg erzielt worden, und wir sollten nicht zuviel Befürchtungen haben, was draußen daraus gemacht werden könnte. Ich glaube, der Steuerzahler hat hier einen Vorteil errungen, der, im ganzen gesehen, auch einen Fortschritt für das Verhältnis von Verwaltung und Steuerzahler darstellen wird. Unabhängig von der Frage der Besteuerung der Ehegatten sind auf dem Gebiete der Werbungskosten, schließlich auch der Sonderausgaben trotz aller Einschränkungen gewisse Maßnahmen durchgeführt worden, die sich sicherlich im Sinne einer Beruhigung der aufgeregten Gemüter im Verhältnis zwischen Steuerzahler und Finanzamt auswirken werden. Das betrachte ich alles als sehr positiv.
Auf der andern Seite: Mit den wachsenden Komplikationen des Steuerrechts sind manche Ungleichmäßigkeiten innerhalb der Besteuerung ja nicht abgeschwächt worden, sondern sie treten viel stärker hervor. Ich denke z. B. an die Ungleichmäßigkeit, auf die unser verehrter Kollege Raestrup immer mit vollem Recht hinweist, nämlich die Tatsache, daß nach ,der wirtschaftlich an sich begrüßenswerten Begünstigung der Kapitalgesellschaften nun die Personenfirmen sicherlich in einem steuerlich recht ungünstigen Verhältnis dastehen müssen. Aus solchen Ungleichmäßigkeiten, die auch an anderer Stelle zu bemerken sind, ergibt sich zwingend, daß wir natürlich auf dem angefangenen Wege weiter fortgehen müssen. Das Endziel kann nur sein, das Steuerrecht allmählich wieder zu einem Rechtsgebiet zu machen, das unter dem Rechtsgedanken steht und das vor allen Dingen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, soweit menschenmöglich, verwirklicht.
Naturgemäß haben die hohen Sätze der Steuer seit Morgenthau diese Gleichmäßigkeit in besonderem Maße angegriffen. Bei hohen Steuersätzen treten nun einmal die gesellschaftlichen, die sozialen Unterschiede krasser hervor, und manche Berufsgruppe - ich denke etwa an die ungesicherte Lage vieler Angehöriger der freien Berufe - ist einer wesentlich härteren Besteuerung unterworfen als andere Berufsgruppen, die mit größeren Sicherungen rechnen können, seien es nun Sicherungen für das Alter oder vermögensmäßige Fundierungen.
Wir werden also den begonnenen Weg sicherlich fortsetzen müssen. Ich glaube aber, sagen zu sollen, daß wir auf dem Gebiet der Steuerpolitik doch ein wenig Vorsicht walten lassen müssen. Es sollten nicht mehr so viele Einzelwünsche vorgetragen werden, sondern man sollte darauf sehen, daß das Ganze einen Schritt nach vorn macht und eine echte Vereinfachung erfährt.
Das gilt auch für das Gebiet der größten Einnahme des Bundes, für das der Bundestag in den letzten Wochen eine Entschließung gefaßt hat, nämlich für das Gebiet der Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuer ist im neuen Haushalt, wenn ich mich recht erinnere, mit rund 10,6 Milliarden DM veranschlagt. Das ist eine gewaltige Summe, aus der die ungeheure Bedeutung und das starke Eingreifen der Umsatzsteuer in alle wirtschaftlichen Verhältnisse hervorgeht. Seit längerer Zeit wird gerade auf dem Gebiet der Umsatzsteuer gefordert, das Rad herumzuwerfen und die alten Ideen des Herrn von Siemens aus der ersten Nachkriegszeit wieder aufzuwärmen. Diese alten Ideen haben zweifellos wirtschaftlich manches für sich; aber sie dürfen doch nur mit ' großer Vorsicht in unsere Zeit sozusagen übersetzt werden, und zwar deshalb mit großer Vorsicht, weil die hohen Umsatzsteuersätze bei einer völligen Umstellung des Systems Belastungsverschiebungen von, sagen wir, 15, manchmal auch 20 oder vielleicht noch mehr Prozent bei den einzelnen Industriezweigen und Preisgruppen bringen würden. Das aber ist in dieser Zeit und wahrscheinlich noch in den nächsten Jahren ein sehr großes Wagnis, dem wir uns nicht unterziehen sollten.
({1})
- Da haben Sie vollkommen recht. Popitz ist ja der Vater der Umsatzsteuer, bzw. er war insofern ein schlechter Vater, als er sein eigenes Kind bei mehreren Gelegenheiten als mißlungen bezeichnet hat.
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Immerhin, es geht bei Steuern so: wenn sie einmal zur Gewohnheit geworden sind - alte Steuern, gute Steuern -, dann kann man nur noch sehr schwer an ihre Aufhebung oder an ihre Senkung herangehen.
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Aber es ist ohne Zweifel so - da haben Sie recht -, daß auf dem ganzen Gebiet der Steuern eine Fülle von Verwicklungen, von Ärger und von Streitigkeiten überhaupt nicht entstanden wären
({4})
und entständen, wenn wir heute bereits wieder mit niedrigeren Steuersätzen rechnen könnten. Wollen wir hoffen, daß auf dem Wege der Normalisierung, den ja auch dieser Haushalt begehen will, hier auf die Dauer eine echte Senkung und damit auch die Möglichkeit einer wirklichen Vereinfachung der Einnahmeseite, also in erster Linie des Steuerwesens, gegeben ist.
In der schon öfters zitierten Rede heißt es, daß die Einnahmen zwar ein sehr harter Zugriff seien, andererseits aber doch diese Einnahmen auf dem Umwege über den Haushalt wieder in die Privat-. sphäre zurückflössen. Das ist gewiß im großen und ganzen richtig. Aber es ist doch manches Bedenken dagegen anzumelden, daß hier in ganz gelenkter Form und unter großen Reibungsverlusten der Staat in Erfüllung vieler Aufgaben, die ihm früher sicherlich nicht zugestanden haben, nun dieses „Schleusenamt" versieht.
Ich möchte auch annehmen, daß dabei doch eine ganze Reihe von Steuern, also von Kosten im Sinne der Wirtschaft, also von Kaufkraftentzug, Zielen und Zwecken zugeführt wird, die vielleicht doch nicht im Sinne des Erfinders liegen. Und wenn man dann weiter hört, daß das größte Geschenk, das der Staat nunmehr gemacht habe, das Geschenk an die Wirtschaft durch Senkung der Steuern sei, dann muß man doch auch einmal an die andere Seite erinnern und sich vielleicht fragen: „Wer schenkt wem?", nicht wahr?
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Ich könnte mir also vorstellen, daß die hier gemeinte Volkswirtschaft, nämlich die Gemeinschaft aller schaffenden, aller arbeitenden Kräfte in der Wirtschaft, zunächst einmal diese Gelder aufbringt, daß sie dem arbeitenden Menschen entzogen werden, um - das ist sicherlich richtig - zu einem großen Teil Aufgaben der Allgemeinheit und bedeutsamen Aufgaben zugeführt zu werden.
Diese Aufgaben spiegeln sich in den Ausgaben der Haushalte. Nun kann ich zu meiner Freude konstatieren, daß der pessimistische Zug mit der Beklemmung der Finanzmänner und dem bitteren Ernst des Lebens etwas nachläßt bei der Betrachtung der Einzelhaushalte. Denn der Bundesfinanzminister weist ja immer wieder, offensichtlich doch mit einer gewissen Gehobenheit, auf das hin, was er alles wieder fertiggebracht hat und was die Bundesregierung auch im kommenden Jahr fertigzubringen gedenkt.
Ich erinnere dabei nur an die Bemerkungen über die Erweiterung des Volumens des Agrarhaushalts. Dabei hätte ich es allerdings sehr gern gesehen, wenn für die Siedlung etwas mehr getan worden wäre und nicht gerade auf diesem Gebiet die Mittel verknappt worden wären.
Ich erinnere weiter an den Verkehrshaushalt, bei dem ja der Bundesfinanzminister die Erwartung ausspricht, er werde im Rahmen der Neuordnung der Verkehrsfinanzgesetze vielleicht der Bundesbahn die Summe von - wenn ich die Zahl recht im Kopf habe - sogar 730 Millionen DM zuführen können und damit einen ganz wesentlichen Beitrag zu der von uns allen gewünschten Gesundung der Bundesbahn liefern. Möge er dabei insbesondere auch den Straßenbau nicht vergessen. Auch darauf ist in der Rede des Herrn Staatssekretärs Hartmann hingewiesen worden.
Aber noch andere Haushalte zeugen doch von einem gewissen Optimismus in der Beurteilung der finanziellen Situation, wenn er auch bei einem Haushalts- und Finanzpolitiker nach außen nicht zum Ausdruck gelangen darf. Ich denke z. B. an die Frage der Kriegsgefangenenentschädigung, an die Wiedergutmachungsfragen, an die hoffentlich baldige Erhöhung der Kriegsopferrenten, an die Leistungen an Heimatvertriebene und an vieles andere, das unter dem sozialpolitischen Gesichtspunkt gewertet werden muß. Ganz offensichtlich hat die Bundesregierung, hat insbesondere der Bundesfinanzminister gesehen und eingesehen, daß eine Wirtschaft nur dann voll gesund ist - um auf gewisse Fragen von heute morgen zurückzukommen -, wenn ihr soziales Fundament in Ordnung ist. Und so stark und so sehr unsere deutsche Wirtschaft aufgeblüht ist - das dürfen wir wohl sagen; wir werden ganz sicherlich nicht behaupten dürfen, sie sei etwa krank -, so sehr muß auf der anderen Seite verlangt werden, daß diese Gesundheit durch ein stabiles soziales Fundament gestützt wird.
Der Haushalt trägt, wie sich bei seiner Betrachtung zeigt, sicherlich ein im ganzen soziales Gepräge. Die sozialen Leistungen und Notwendigkeiten fallen bei einer Betrachtung des Haushalts besonders auf. Wir müssen das insbesondere begrüßen, auch wenn es noch ein Zeichen einer nicht genügenden Sicherheit ist, auch wenn es ein Zeichen dafür ist, daß auf diesem Gebiet noch viel getan werden muß. Es wäre niemandem lieber als uns und sicherlich auch dem ganzen Hause lieb, wenn diese Sozialleistungen auf ein Maß zurückgesetzt werden könnten, das einer gesunden und völlig normalen Wirtschaft entspricht. Hoffentlich wird das wieder einmal der Fall sein können, und bis dahin werden wir uns auf diesem Gebiet ganz gewiß besondere Anstrengungen auferlegen müssen.
Es ist ja von mancher Seite gefordert worden, das Bundesvermögen zur Verbesserung der sozialen Leistungen mit einzusetzen; auch davon ist heute morgen bereits gesprochen worden. Ich möchte hier nicht die Schlagworte von Sozialisierung und Privatisierung gebrauchen. Ich möchte hier vielmehr darauf hinweisen, daß die Fragen des Erwerbsvermögens - und nur um das Erwerbsvermögen kann es sich. handeln, um die Beteiligungen insbesondere des Bundes, die Beteiligungen in Höhe von 1,5 Milliarden nominal und vielleicht über 3 Milliarden nach ihrem inneren Wert, immerhin eine sehr beträchtliche Zahl - in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.
Ich möchte also meinen, daß man das Problem nur richtig sieht, wenn man es vom Gesichtspunkt der Aufgabenverteilung von Staat und Wirtschaft betrachtet; und wenn man die Frage beantworten sollte, wo die Aufgaben des Staates liegen, dann wird man doch wohl sagen müssen: nicht eigentlich in den Betrieben der zur Viag oder Veba usw. gehörenden Gesellschaften. Das ist nicht Aufgabe des Staates, mag auch dieses oder jenes Unternehmen historisch gewachsen sein. Als Aufgabe eines Gemeinwesens kann man vielleicht den Betrieb von Versorgungsunternehmungen betrachten, nicht aber eigentlich eine Beteiligung an der Industrie,' also der privaten Wirtschaft im engsten Sinne. Nun wird eine solche echte Aufgabenverteilung auch nicht von einem auf den anderen Tag erfolgen können, sondern es ist selbstverständlich, daß hier die Gesetze betriebswirtschaftlicher Vernunft gelten müssen. Nur in diesem Sinne kann das Problem aufgefaßt werden: im Sinne einer rechten Verteilung von Staatsaufgaben und Aufgaben der privaten Wirtschaft.
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Heute morgen ist von bestimmter Seite eingewendet worden, man müsse, wenn man die Ausgaben herabsetzen wolle, die Aufgaben aus dem Haushalt oder dem öffentlichen Gemeinwesen wegschaffen. Jeder Kenner der Dinge weiß, wie außerordentlich schwer das ist. Aber hier liegt ein Zusammenhang vor, und ich kann gerade bei der Frage der privaten Beteiligungen des Staates doch wohl konstatieren, daß man einen allmählichen Abbau von Staatsaufgaben und infolgedessen von Staatsausgaben, von Staatsaufwendungen im Interesse einer Verringerung des Haushaltsvolumens sehr wohl würde vornehmen können.
Im Zusammenhang mit der sehr begrüßenswerten Darstellung der Beteiligungen und des Erwerbsvermögens des Bundes ergeben sich einige allgemeine Fragen. Auch sie sind heute morgen behandelt worden. Meine verehrten Vorredner haben teilweise so viel und Gründliches darüber gesagt, daß ich mich auf einige prinzipielle Bemerkungen beschränken möchte. Da ist zunächst der Verwaltungsaufwand. Es wird immer wieder behauptet, der Verwaltungsaufwand sei im Verhältnis zu anderen Aufwendungen so klein, daß sich eine Einsparung nicht lohne. Diese Einwendung ist, wenn man die Frage rein rechnerisch betrachtet, beim Bund vielleicht richtig, bei den Ländern und Gemeinden möchte ich aber dazu ein Fragezeichen machen. Sie ist auch nur richtig bei einer rein rechnerischen Betrachtung, denn der persönliche und sachliche Verwaltungsaufwand ist eben das, was der Staatsbürger, was der Steuerzahler sieht, wenn er dem Staat gegenübertritt, und hier sollte jene altbekannte, vielfach „preußisch" genannte Sparsamkeit wirklich einsetzen, weil diese Sparsamkeit ja auch ein Politikum ist, nämlich ein Zeichen für den Staatsbürger, daß er von verantwortungsbewußten Männern regiert wird, daß verantwortungsbewußte Beamte sich um das Wohl des Bürgers Sorge machen. Verantwortungsbewußte Beamte, verantwortungsbewußte Behörden, d. h. eben solche, die den Sinn echter Sparsamkeit in der Herstellung des Vertrauensverhältnisses zwischen Staat und Bürger sehen.
Ich begrüße es sehr, daß wir demnächst mit einem neuen Besoldungsgesetz zu rechnen haben. Auf dem Gebiet des Besoldungsrechts ist ein Wirrwarr eingetreten, der dieses Gebiet nur noch für wenige Fachleute übersehbar macht. Hier kann man also ein Weiteres zur echten Verwaltungsvereinfachung tun. Die Einsetzung von Kommissionen, wie sie heute morgen vorgeschlagen worden ist, würde auch ich durchaus gutheißen. Der Herr Staatssekretär hat selbst in seiner Rede auf das Übermaß der Statistik hingewiesen. Er hätte sehr gut in diesem Zusammenhang den „Narrenspiegel der Statistik" nach dem bekannten Wort von Wagemann zitieren können, denn mit diesen vielen Statistiken kann man ja nichts mehr anfangen, oder es ist nur noch ein sehr kleiner Kreis von Sachkennern, für die diese ungeheuere, umfassende und vielfach entsagungsvolle Arbeit der Behörden draußen geleistet werden muß. Von solcher Arbeit sollten die Behörden entlastet werden.
Das ist die eine Gruppe der großen öffentlichen Ausgaben. Wenn ich nun an die Investitionsaufwendungen denke, so stellt sich wiederum das Problem, das ich schon vorhin angeführt habe, nämlich das Problem der Aufgabenverteilung. Eine ganze Reihe von Aufgaben - auch das ist schon gesagt worden - können und konnten in diesen
Jahren nur durch den Staat ausgeführt werden. Aber man darf nicht einfach blind annehmen wollen, daß das in aller Zukunft auch so geschehen müsse, sondern es wird hoffentlich wieder einmal so sein, daß das, was nun der einzelne, die private Wirtschaft durchführen kann, auch eben vom einzelnen und von der privaten Wirtschaft draußen durchgeführt werden muß. Wenn man dann die Investitionsaufwendungen nach diesem Gesichtspunkt langsam abbaut, natürlich auch im Sinne der Pflege des Kapitalmarktes und der Eigenständigkeit der Finanzierung innerhalb der Wirtschaft, dann kommt man auch hier vielleicht wieder einmal zu einer gewissen Verringerung des Ausgabenvolumens. Herr Kollege Vogel hat heute morgen in einem ähnlichen Zusammenhang von dem Silberstreifen gesprochen, der sich da am Horizont abzeichne. Nun, es sind ich bin zu sehr Skeptiker auf diesem Gebiet - leider sehr schmale Silberstreifen, aber wir wollen sie nicht aus dem Auge verlieren, und wir wollen hoffen, daß bei der Qualität der gerade auch in diesem Haushaltsplan wieder geleisteten Arbeit sich doch manches in die Tat umsetzen läßt, an das wir jetzt vielleicht noch gar nicht zu denken vermögen.
Auch auf dem Gebiet der Verteidigungsausgaben wird die Bundesregierung, wird der Bundesfinanzminister mit großer Vorsicht und Umsicht zu Werke gehen müssen. Alles, was an Zahlen jetzt darüber genannt wird, betrachte ich doch als mehr oder weniger unverbindlich. Es kann noch nicht sehr viel darüber gesagt werden. Es muß erst einmal begonnen werden, ehe man sich auch finanzwirtschaftlich und betriebswirtschaftlich ein bestimmtes Bild machen kann. Aber gerade weil die vom Kollegen Schoettle geschilderte große Gefahr besteht, daß Aufwendungen ins Uferlose wachsen, gerade deshalb muß der Finanzminister von dem Gewicht Gebrauch machen, das er sich nicht nur nach der Verfassung, sondern auch nach seiner Person und nach der Qualität seines Apparates errungen hat. Ich glaube, sehr viel mehr wird man im Augenblick zu den Verteidigungsausgaben gar nicht sagen können.
Ich möchte aber doch einiges zu gewissen allgemeinen Grundsätzen des Haushalts sagen, was im Einzelfall von unmittelbarer Bedeutung sein kann. Unser Haushaltsrecht ist sehr genau, es folgt dem Grundsatz der Spezialisierung. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was das ist. Es dringt in jede Einzelheit ein und versucht, jede Einzelheit mit mehr oder minder großer Klarheit darzustellen. Es folgt damit auch einer Eigenschaft, über die ich vor ganz kurzem bei Henri Beyle-Stendhal ein bezeichnendes Wort gelesen habe. Beyle-Stendhal bemerkt nämlich in seiner Betrachtung der Deutschen, daß die deutsche Regierungsart dem deutschen Volke einen gewissen Geist der Umständlichkeit aufgenötigt habe, der sich immer wieder bemerkbar mache. Von diesem Geist muß man sich in diesen Dingen möglichst zu befreien trachten, damit man auch mit den großen Aufgaben und den großen Fragen fertig wird. Diese großen Aufgaben und großen Fragen auch auf dem Gebiet des Finanz- und Haushaltsrechts stehen jetzt unmittelbar vor uns.
Daß das Verhältnis von Bund und Ländern auf finanzrechtlichem Gebiet eine unerwünschte Entwicklung genommen hat, das scheint eindeutig. Es ergibt sich auch aus den letzten Beschlüssen und
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Maßnahmen des Bundesrates. Ich halte das, was der Bundesrat zur Finanzreform beschlossen hat, für ausgesprochen bundesunfreundlich. Ich meine, daß der Bundesrat damit einer Tendenz folgt, die keineswegs im Sinne der Verfassung liegt. Nach dem Grundgesetz ist der Bundesrat ein Organ des Bundes. Nach der Art, in der er heute auftritt, scheint er mir viel eher eine Vertretung nur der Länder zu sein, und das ist eine bedenkliche Entwicklung auch im Sinne des Bundesrates und der Länder selbst.
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Wenn nämlich immer nur der Bundesrat als Vertretung der Länder von seinem Recht Gebrauch
machen will, den Haushalt des Bundes zu kritisieren, daran auch oft in einer Weise zu mäkeln,
die ganz sicherlich etwas zu weit geht und nur von
dem Bestreben erfüllt ist, den Satz von 40 oder 38
oder 36 % zu limitieren oder noch herabzusetzen,
dann, muß ich sagen, bleibt eigentlich nur eine
entscheidende verfassungsrechtliche Folgerung,
nämlich daß auch der Bund - meinetwegen auf
dem Wege über eine Verfassungsänderung - entsprechenden Einfluß auf den Haushalt der Länder
und damit auch der Gemeinden zu nehmen versucht.
({9})
Wir haben uns sicher mit dem Grundgesetz und mit der Ordnung des finanziellen Verhältnisses zwischen Bund und Ländern ein wenig verfahren. Aber ich glaube, wenn man in aller Öffentlichkeit auf die besonderen Schwierigkeiten gerade dieses Verhältnisses hinweist und auf die Schwierigkeiten im Zusammenhang damit, daß wichtige Maßnahmen der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, könnte man vielleicht doch zu einem Ergebnis kommen.
({10})
- Sie wissen, Herr Kollege Gülich, daß der Bundesrat ja auch der Steuerreform zugestimmt hat. Ich bin überzeugt, daß ihm auch die Steuerreform in vielerlei Hinsicht nicht gepaßt hat. Er hat es ja zum Ausdruck gebracht, und diese oder jene Kritik mag berechtigt gewesen sein. Aber er hat die Steuerreform nicht angegriffen, weil er es hier mit dem Steuerzahler zu tun hat.
({11})
Auf der anderen Seite hat er es nur mit dem Bund zu tun, d. h. mit einem staatsrechtlichen Verhältnis, das in den Augen der Bevölkerung doch nicht diesen, sagen wir einmal: ersten Rang besitzt wie der Kaufkraftentzug durch Steuern und ähnliche Maßnahmen. Also hier muß sicherlich ein gewisser Wandel geschaffen werden.
({12})
Ich glaube also, feststellen zu können, daß das Verhältnis von Bund und Ländern tatsächlich einer Änderung bedarf. Wenn sie nur langsam vollzogen werden kann, dann eben langsam; aber es muß entschieden etwas getan werden, auch im Interesse der vorhin zitierten und viel berufenen Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung. Man kann diesem
Bundeshaushalt den Zug zur Sparsamkeit wirklich attestieren. Ob man das allen Haushalten und insbesondere gewissen Einzelhaushalten der Länder gegenüber zu tun berechtigt ist, wage ich in erhebliche Zweifel zu ziehen, und zwar aus eigener Erfahrung und Kenntnis der entsprechenden Verhältnisse.
({13})
Die Relation von Bund und Ländern wird also in Zukunft etwas häufiger kritisch betrachtet werden müssen, und zwar im Lichte der Öffentlichkeit.
Noch etwas anderes ist letztlich auf dem Gebiet des Haushalts- und Finanzwesens nicht unwesentlich. Das ist das Verhältnis von Bundestag und Exekutive. Sie sehen ja auch jetzt wieder, daß die entscheidenden Unterlagen wie die allgemeinen Haushaltsvorbemerkungen mit ihrem großen sachlichen Gewicht in dieser Haushaltsdebatte noch nicht einmal recht behandelt werden können, weil einfach noch keine Zeit da war, sich mit diesen 557 Seiten zu beschäftigen. Ob in Zukunft sehr viel mehr Zeit da sein wird, ist fraglich. Hier haben die Spezialisten der Exekutive natürlich die Vorhand. Ich meine, auch wieder im Interesse beider Seiten - damit nämlich das Rad nicht umschlägt - sollte man doch dazu übergehen, vielleicht schon bei den Anfängen der Bearbeitung eines neuen Haushalts jenes System anzuwenden, das es früher einmal in den Vereinigten Staaten gegeben hat und das dann von einigen anderen Staaten übernommen worden ist und, soviel ich weiß, hier und da noch heute existiert, nämlich jenes System, von vornherein auch mit gemischten Kommissionen der Exekutive und des Bundestags an die Arbeit der Vorbereitung des Haushalts heranzugehen. Denn wenn einmal diese Vorbereitung abgeschlossen ist, dann ist nur noch verhältnismäßig wenig, wenigstens im Grundsätzlichen, zu tun.
Ich möchte zum Schluß noch auf ein Politikum hinweisen, das mir immer noch nicht genügend beachtet zu sein scheint, obwohl überall darüber zu lesen ist und man immer wieder davon spricht. Das ist das Prinzip der Öffentlichkeit im Haushaltsund Finanzwesen. Vor etwa 100 Jahren hat es eine Preußische Kabinettsordre gegeben, in der der Grundsatz steht, daß Öffentlichkeit in Finanzsachen mit Verstand zu üben sei,
({14})
und unnötige Publizität sei allemal vom Übel. Das ist der Standpunkt des Obrigkeitsstaates. Ich glaube, hier liegt der kennzeichnende Gegensatz zwischen dem Obrigkeitsstaat und dem freien Staat der Demokratie. Gerade an diesem Grundsatz der Öffentlichkeit des Finanz- und Haushaltswesens kann man das Wachstum des demokratischen Staates im 19. Jahrhundert deutlich beobachten. Aber dieser Grundsatz der Öffentlichkeit steht leider heute in weitem Umfang auf dem Papier. Denn wer liest diese 557 Seiten der Allgemeinen Vorbemerkungen, und wer wagt es, in die Zahlen- und Sachfülle der Einzelhaushalte auch eben nur von außen einzugehen oder gar hineinzutauchen in diese ziemlich undurchsichtige und von manchem als trübe gefürchtete Flut?
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Eine Öffentlichkeit also in einem echten politischen Sinne ist nicht gegeben. Das Problem ist: Wie bringt man es fertig, die Publizität, die formal gewahrt ist, nun zu paaren mit einer entsprechenden
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Popularität des Haushalts. Auf diese Popularisierung scheint es mir nicht. unwesentlich deshalb anzukommen, weil sie allein nämlich dem Staatsbürger aufzuzeigen vermag, was der Staat an Aufgaben erfüllt. Und wenn Sie von einem erschütterten Vertrauensverhältnis zwischen Steuerzahler und Staatsbürger auf der einen und dem Staat auf der andern Seite reden, - wiederherstellen können Sie das Vertrauen nur durch eine rückhaltlose Offenheit, und zwar durch eine Offenheit nicht nur für Fachleute und Experten, sondern eine Offenheit, die wirklich populär ist. Ich bin überzeugt, daß auf diesem Gebiet etwas getan werden kann.
Es gibt einige kleine Schriften, die sehr lesenswert und im guten Sinne populär sind. Ich denke etwa an die „Haushaltsfibel" von Kurt Heinig. Ich denke aber auch daran, daß der Bundesminister der Finanzen in den letzten Monaten und Wochen wiederholt eine sehr spitze und auch sehr wirksame Feder geführt hat, als es galt, die Angriffe gegen seine Finanz- und insbesondere seine Steuerpolitik abzuwehren. Da hat er in allen möglichen großen öffentlichen Organen gezeigt, daß man eben auch als Finanzminister und an der Spitze eines Verwaltungsapparats, dem man im allgemeinen nur Trockenheit nachsagt, doch publizistisch wirksam auftreten kann. Ich glaube, diese Hinweise haben doch - das beweisen die mehr oder minder erregten Entgegnungen - mindestens die Öffentlichkeit angerührt, sie haben gezeigt, wie wichtig diese Fragen sind. Wäre es nun nicht möglich, die gleiche spitze Feder auch auf dem Gebiete des Haushalts und der Popularisierung jener wichtigen Grundfragen unseres ganzen öffentlichen Lebens einmal anzusetzen? Ich glaube, hier könnte ein Fortschritt im Sinne eines wachsenden Staatsvertrauens vollzogen werden.
Ich darf vielleicht eine kleine Erinnerung einfügen. Nicht nur das Militär, nicht nur ,die Diplomatie und nicht nur das Kulturleben haben ihre großen Namen und ihre großen Meister gehabt. Man vergißt sehr oft, daß auch die Finanzpolitik in ihrer Geschichte solche großen Namen aufzuführen hat. Man wird ja eigentlich auf Schritt und Tritt daran erinnert, auch wenn man sich diesen unseren gegenwärtigen Haushalt ansieht. Der von meinem verehrten Kollegen Dresbach so hoch geschätzte und auch von mir sehr geschätzte Alte Fritz, also König Friedrich ,der Große von Preußen, pflegte -er war daran sehr interessiert - den gesamten Haushalt seines Staates in Taschenformat auf seinen Reisen und Feldzügen in der Tasche mit sich zu führen. Wenn ich mir nun die Bücher, die wir am Montag in die Hand gedrückt bekommen haben, ansehe, dann glaube ich nicht, daß es irgend jemand von uns fertigbringt, sie ohne erhebliche Sachbeschädigung in eine seiner Rocktaschen hineinzuzwängen. Das kennzeichnet den Wandel der Zeiten.
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- Ja, er hatte es vielleicht einfacher. Aber Sie müssen bedenken, daß er allein verantwortlich war für die zahllosen Fragen des ganzen Staatswesens, die doch auch damals auftauchten, und daß er sozusagen sein eigener Finanzminister war.
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- Nein, das wollen wir natürlich nicht. Aber trotzdem werden Sie mir zugeben, daß der Zug der Einfachheit, der Sparsamkeit und der Beherrschung seines Haushalts ,ein sehr erfreulicher Zug für einen Regenten ist.
Nun, auch Einfachheit ist zu allen Zeiten gefordert worden, und zwar von Männern, die etwas von dieser Sache verstanden. Ich erinnere z. B. an Colbert, an den Schöpfer der französischen Wirtschaft und langjährigen Leiter der französischen Finanzpolitik, der gesagt hat, man müsse das Finanzwesen eben so einfach machen, daß es für jeden verständlich ist. Ich glaube nun nicht an die Verwirklichung dieser Forderung; aber ich meine, daß man sich trotzdem ein solches Ideal setzen sollte, um nämlich überhaupt auf diesem Wege fortzuschreiten. Ich meine, daß eine echte Öffentlichkeit, eine wirkliche Popularität der großen Fragen allein die Verwurzelung dieser entscheidenden Fragen in der Bevölkerung zu bewirken vermag. Das, glaube ich, wird doch die Grundlage für unsere ganze politische Tätigkeit sein, die wir in den nächsten Jahren auszuführen haben. Gerade deshalb möchte ich am Schluß meiner Ausführungen noch einmal so betont die Forderung aufstellen, nun wirklich nicht nur öffentlich, sondern auch populär zu sein und die großen Fragen klarzumachen. Daß die Popularität des Haushalts und des Finanzwesens bisher sehr weit gedrungen ist, wird niemand sagen wollen, der sich heute die Regierungsbank, die Bank des Bundesrates oder die leeren Bänke des Hauses selbst betrachtet. Auch das scheint mir ein schlagender Beweis für einen gewissen notwendigen Wandel der Methoden zu sein, den ich hiermit empfehlen möchte.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit dem beginnen, womit mein Herr Vorredner aufgehört hat, mit dem erstaunlichen Interesse des Hohen Hauses für die Etatberatungen, einem Interesse, das nur noch übertroffen wird durch die vereinzelte Anwesenheit eines einzigen Bundesministers.
({0})
- Zwei? Wo?
({1})
Immerhin handelt es sich um den Etat der Bundesregierung, und immerhin hätte das Parlament mit Recht erwarten können, daß die Bundesregierung bei der Behandlung ihres Etats im Hause anwesend ist. Nun, vielleicht gehen wir nicht irre, wenn wir in 'dieser nega.tiven Reverenz ,der Bundesregierung gegenüber dem Hohen Hause den Ausdruck der Wertschätzung erblicken, den die Bundesregierung dem Bundestag entgegenbringt.
({2})
Ich möchte mich weniger mit den Problemen aus der Zeit des Alten Fritz als vielmehr mit den konkreten Inhalten und im besonderen mit der Ausgabenseite des Bundeshaushalts befassen, darf aber zunächst auf einige Bemerkungen aus der Debatte von heute früh eingehen.
Herr D r. Vogel hat das, was mein Kollege Schoettle in bezug auf die Nichteinbringung eines Nachtragsetats hinsichtlich der freigewordenen 1,8 Milliarden kritisiert hat, in gewissem Sinne
({3})
entschuldigt. Ich muß sagen, Herr Kollege Dr. Vogel, die Einbringung eines Nachtragsetats scheint mir - ganz abgesehen von den Grundsätzen der Reichshaushaltsordnung - vor allen Dingen deshalb begründet und eine Notwendigkeit - oder wäre es mindestens gewesen -, weil mit der Einbringung eines Nachtragsetats die Möglichkeit der Korrektur entsprechend dem Willen des Parlaments gegeben gewesen wäre.
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Das Parlament hat diesen seinerzeitigen Etat für 1953/54 - mit wechselnden Mehrheiten - in dem Bewußtsein gestaltet, daß das oder jenes eine notwendige Ausgabe sei. Wenn nun eine Ausgabe dieser Größenordnung in` Wegfall kommt, dann ist es mindestens ein Akt der Loyalität gegenüber dem Hause, wenn sich die Bundesregierung, in diesem Fallalso der Herr Bundesfinanzminister, daran erinnert, daß es zweckmäßig ist, das Haus zu informieren und erneut nach seinem Willen zu befragen.
({5})
Herr Kollege Vogel, Sie sprachen auch von der Notwendigkeit einer gesicherten Währung. Das wird von uns allen restlos unterstrichen. Aber ich glaube, die Schlußfolgerung, daß die Voraussetzung für eine gesicherte Währung der Ausgleich des Haushalts sei, muß doch unter dem Gesichtswinkel betrachtet werden, daß der Bundestag veranlaßt sein sollte und veranlaßt sein muß, bei einer Haushaltsberatung zu prüfen, ob das Verteilungsproblem auf der Einnahme- wie auf der Ausgabeseite dem entspricht, was zur Sicherung der Währung und zur Sicherung einer gewissen sozialen Lebenslage wirklich notwendig ist.
In Ihren weiteren Darlegungen, Herr Kollege
Vogel, erwähnten Sie die Möglichkeit einer Planung der sozialpolitischen Maßnahmen auf mehrere
Jahre hinaus. Ich finde, daß die Idee wert ist, mit
aller Gründlichkeit besprochen zu werden. Nur
wäre es unzweckmäßig, etwa einen Vergleich mit
einer langfristigen Planung von Autobahnen zu
ziehen; denn bei den sozialen Maßnahmen handelt
es sich nicht um Autobahnen, sondern um Menschen,
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die in ihrer ganzen Lebenslage stets sein werden und sein müssen das Produkt der Entwicklung, das Produkt der Konjunktur, das Produkt irgendwelcher Zufälligkeiten des Lebens. Kurzum, gegenüber den Opfern des Krieges, gegenüber den Opfern der Arbeit muß eine lebendige Gestaltung und nicht eine auf Zeit und auf Jahre hinaus festgelegte Planung Platz greifen.
Ein merkwürdiger Zug hat sich bis jetzt hinsichtlich der Militärlasten durch die Debatte gezogen. Wenn von Ihnen, Herr Kollege Dr. Vogel, mit Recht das Problem einer Planung in dem einen oder anderen Fall auf lange Dauer hinaus in Aussicht genommen wird, dann ist es um so erstaunlicher, daß eine Antwort von der Regierungsbank her, auch eine Antwort des Herrn Staatssekretärs Hartmann ausgeblieben ist in bezug auf die Frage der wirklichen und auf längere Sicht hinaus fällig werdenden Kosten für die Aufstellung eines 500 000-Mann-Heeres. Es ist die Zahl von 40 Milliarden DM über die 9 Milliarden DM, die im Haushalt 1955 vorgesehen sind, hinaus genannt worden. Es ist mitgeteilt worden, daß der Herr Bundesfinanzminister ein eisernes Nein gegenüber jeder Summe, die über 9 Milliarden DM hinausgeht, ertönen läßt. Wir nehmen das gerne zur Kenntnis, aber die Frage bleibt im Raum stehen: was ist mit den wirklichen Erstausstattungskosten, was ist mit den Kosten für die Kasernierung der 500 000 Mann, was ist mit ihrer Bewaffnung, was ist mit all den übrigen Ausgaben für Luftwaffe, für Seefahrzeuge und dergleichen mehr? Man kann doch wirklich einem Mitglied des Parlaments nicht zumuten, zu glauben, daß das mit den 9 Milliarden DM abzüglich der Stationierungskosten der ausländischen Soldaten und abzüglich der Abführung an die NATO zu finanzieren, zu decken sei.
({7})
- Aber wir haben als Parlament das Recht, beim Beginn einer solchen Sache von der Bundesregierung restlose Klarheit zu verlangen; darauf kommt es an!
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Nun zu der anderen von Herrn Kollegen Vogel angeschnittenen Frage in bezug auf die militärischen Notwendigkeiten für Exerzierplätze und dergleichen mehr. Ich habe mir einmal aus den Vorbemerkungen, von denen heute so oft die Rede war und von denen Herr Dr. Blank und Herr Dr. Eckhardt meinten, niemand habe sie gelesen - ich bekenne mich schuldig, daß ich sie von der ersten bis zur letzten Seite gelesen habe -,
({9})
einige Zahlen herausgeschrieben. Sie haben erwähnt, daß das keine nennenswerte Angelegenheit sei. Aus den Vorbemerkungen habe ich entnommen, daß wir bereits heute in Deutschland für militärische Zwecke 178 000 ha nützen und daß an unbebauten Grundstücken noch 28 500 ha zur Verfügung stehen. Vielleicht ist die Bundesregierung so liebenswürdig, uns auch darüber demnächst einmal eine etwas präzisere Äußerung zu geben; das muß nicht heute oder morgen sein.
Über die Frage der Veräußerung von Bundesvermögen haben wir uns bereits im Haushaltsausschuß unterhalten. Es würde zu weit führen, heute im einzelnen darüber zu sprechen. Jedenfalls glaube ich für die sozialdemokratische Fraktion des Bundestages sagen zu können, daß wir an die Veräußerung von Bundesvermögen mit allen Vorbehalten und mit aller Reserve herantreten und daß wir entschlossen sind, unsererseits alles zu tun, um einer Verschleuderung von Bundesvermögen zugunsten der Füllung der Taschen privater Erwerber zu begegnen.
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Ich bin der Überzeugung: wir sind hier einer Meinung. Aber das Weitere wird die Praxis dann zeigen müssen.
Nun aber ein sehr bedenkliches Wort zu den Kosten der Deutschen Lufthansa. Meine Damen und Herren, Sie können aus den Vorbemerkungen entnehmen, daß die Bundesregierung hier mit erheblichen Mehraufwendungen in der Zukunft rechnet. Wir sind jetzt schon genügend belastet. Ich befürchte, daß die Europäisierung - um dieses Wort in diesem Zusammenhang anzuwenden - der zivilen Luftfahrt noch sehr erhebliche Zeit auf sich warten läßt. Ich glaube, es wird notwendig sein, daß wir in der Bundesrepublik selbst nach anderen Mitteln und Möglichkeiten suchen, um den Bund
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vor den Riesenlasten zu bewahren, die auf ihn zuzukommen drohen.
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Zur Frage der Personalien: Es sind die Auslandsvertretungen erwähnt worden. Nun, kein vernünftiger Mensch wird sich der Notwendigkeit eines Aufbaus ausreichender und begründeter deutscher Auslandsvertretungen entziehen. Die Gestaltung des Personaletats wird natürlich weitgehend davon beeinflußt werden, wie viele alte, vielleicht ehemals in der NSDAP organisiert gewesene Diplomaten untergebracht werden müssen und wie viele Vertreter irgendwelcher politischen Interessen noch in die diplomatische Laufbahn berufen werden.
In dem Zusammenhang der Personalkosten ein Wort zu der Frage der Länderpersonalkosten. Ich will die Zahlen nicht wiederholen, die bereits heute morgen hier genannt worden sind. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es notwendig ist, zu erklären, daß ein erheblicher Teil der Personalkosten in den Ländern die unausweichliche Konsequenz der Auftragsangelegenheiten ist, die den Ländern durch die Bundesgesetzgebung zuwachsen.
Nun zu den Bemerkungen des Herrn Kollegen Dr. von Merk a t z wenige Sätze. Herr von Merkatz hat mit Recht darauf hingewiesen - was auch schon vorher gesagt worden ist -, daß in der Debatte hier ein anständiger Ton herrschen möge. Ich glaube, es ist richtig, das in jeder Hinsicht auch praktisch zu beweisen. Nur darf es nicht der Verpflichtung entheben, sich kritisch zu dem Etat zu äußern. Es darf nicht etwa dazu führen, in einer kritischen Haltung zum Etat eine unanständige Handlung zu sehen.
Ich will in dem Zusammenhang zunächst Bemerkungen in bezug auf die Frage der militärischen Bedrängnis, die sich mir aufdrängen, unterschlagen, um in dem Rahmen zu bleiben, den ich mir selbst gesetzt habe. Aber gestatten Sie mir, daß ich die Etatberatung benütze, um an die Adresse des Hohen Hauses, dessen Mitglieder ja auch die Vertreter der in den Wahlkämpfen auftretenden Parteien sind, eine sehr ernste Bemerkung zu richten. Wir haben bei den letzten Wahlkämpfen, sowohl bei der Bundestagswahl im Vorjahr als auch bei den jüngsten Landtagswahlkämpfen - ich will nicht ausführlich auf das eingehen, was sich vor kurzem in Berlin ereignet hat; das wird das Haus noch beschäftigen -, Dinge erlebt, die uns veranlassen sollten, einmal samt und sonders zu prüfen, ob wir, wenn wir darauf aus sind, die Demokratie zu festigen, wirklich auf dem rechten Wege sind und ob wir, die wir uns im Bundestag gegenseitig als anständige Menschen begegnen und uns „Grüß Gott" sagen, wirklich verantwortlich handeln, wenn Dinge erfolgen können, wie ich sie mir notiert habe und wie ich sie an wenigen Beispielen zeigen will. So hieß es beispielsweise in bezug auf die Sozialdemokratische Partei in Berlin: „Wenn du sowjetische Uniformen tragen willst, dann wähle Ollenhauer!" oder: „Grotewohl, auch Ollenhauer, beide stehen auf der Lauer, möchten Deutschland östlich schalten, doch wir halten treu zum Alten" oder, wie auf den Plakaten der sozialdemokratischen Abgeordneten bei der Bundestagswahl 1953 aufgeklebt zu lesen war: „Von Moskau bezahlt". Das sind Dinge, meine Damen und Herren, die - das darf bei der Etatberatung, die dazu der rechte Ort ist, einmal ganz klar gesagt werden - unter allen Umständen unterbleiben sollten. Ich bin l fern davon, die Dinge zu verallgemeinern. Ich denke z. B. an die Erlebnisse im Berliner Sportpalast. Ich weiß, wir haben auf der Seite der DP sehr honorige Abgeordnete, die unser aller Achtung verdienen.
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Aber dieselben Kräfte hätten Veranlassung, sich dafür einzusetzen, daß nicht etwa ein Bundesminister die drei Strophen des Deutschland-Liedes singt, sondern dafür Sorge trägt, daß er seine Umgebung reinigt, daß er mit seiner Umgebung im Urteil der Öffentlichkeit bestehen kann.
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Nun einige allgemeine Bemerkungen zum Etat. Hier möchte ich zunächst einmal ein Wort ehrlicher Anerkennung und Dankbarkeit aussprechen gegenüber den Herren vom Bundesfinanzministerium für die außerordentlich gründliche und detaillierte Arbeit - daß sie sachkundig ist, ist ohne weiteres vorauszusetzen -, auch im Rahmen der Allgemeinen Vorbemerkungen. Jetzt haben wir zu unserer Freude auch die Möglichkeit, zu konstatieren, daß das, was zum Wesenselement einer Etatberatung gehören sollte, erstmals möglich geworden ist, nämlich bei der Beratung des Haushaltsplans 1955 zurückzugreifen auf die Vergleichszahlen des Rechnungsergebnisses des vorvorhergegangenen Jahres, also des Jahres 1953.
Der Etat trägt im ganzen doch unverkennbar ein dynamisches Gesicht. Die Frage ist, wer in der Hauptsache die Lasten trägt und wem in erster Linie die Ausgaben zugute kommen. Nun, wir kennen den Etat mit mehr als 9 Milliarden für die Sicherheit der Bundesrepublik. Bis zum Beweis des Gegenteils bleiben das Aufwendungen für eine fiktive äußere Sicherheit. Aber diese 9 Milliarden bedeuten zugleich - das zeigt der weitere Teil der Ausgabenseite - eine bedrohliche Senkung des Lebensstandards und damit die Herbeiführung einer unverantwortlichen Schwäche der inneren Sicherheit. Auch darüber ist heute schon gesprochen worden. Der Haushaltsausschuß und mit ihm der Bundestag werden sich bestimmt nicht der Verpflichtung entziehen, sehr genau und sehr gewissenhaft zu prüfen, was auf diesem Gebiete geschehen kann, um diesen unangenehmen Eindruck einer Senkung der sozialen Ausgaben zu berichtigen.
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- Ja, aber der Etat spricht davon. Ich werde Ihnen das zahlenmäßig beweisen.
Nun habe ich mit einigem Erstaunen von Herrn Dr. B1 a n k gehört, daß die Fraktion der Freien Demokratischen Partei erneut daran denkt, die durch Gerichtsentscheid weggefallene Bestimmung des § 96 Abs. 3 und 4 der Geschäftsordnung in die Verfassungeinzubauen, also die Deckungsvorschriften. Ich will jetzt nichts darüber sagen. Ich will Ihnen nurankündigen, daß ,die sozialdemokratische Fraktion sich diesen Weg, der hier angedeutet wurde, sehr ernsthaft überlegen wird.
Zur Frage des sozialen Gehalts darf ich auf einige Bemerkungen aus der Rede des Herrn Staatssekretärs zurückgreifen. Der Herr Staatssekretär hat heute morgen oder gestern erklärt, daß die innere soziale Ordnung des Bundes beginne, die Züge des
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Versorgungsstaates anzunehmen. Herr Staatssekretär und meine Damen und Herren, die Notwendigkeit, einem Staat die Züge eines Versorgungsstaates zu verleihen, wächst im Verhältnis der Inanspruchnahme der Lebenskraft und des Lebens des einzelnen Individuums durch den Staat. Wenn der Staat von dem einzelnen Bürger verlangt, daß er selbst sein Leben für ihn einsetzt, dann hat derselbe Staat die Verpflichtung gegenüber dem Bürger, im Falle von Krankheit, Not und Elend seine Familie und seine Hinterbliebenen zu stützen und zu erhalten; und kein Mensch kann behaupten, daß das bei uns in genügendem Ausmaß der Fall sei.
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- Ich nehme das gern zur Kenntnis, Herr Kollege Dresbach.
Vorhin ist davon gesprochen worden, daß der Herr Bundesfinanzminister mehr für die Publizität tun möge. Ich unterstütze das, was Herr Kollege Eckhardt gesagt hat. Der Herr Bundesfinanzminister hat aber schon einiges getan. Er hat uns Schaubilder gegeben, die ich in meinen Versammlungen draußen in dem großen Format, das ich dann in dem Versammlungslokal aufhängen lasse, benutze, um den Staatsbürgern, die ja die Steuerzahler sind, zu zeigen, wohin die Mittel gehen. Die Steuerzahler sehen dann auf der Ausgabenseite, daß dieses obere schwarze Feld die Verteidigungslasten sind und das untere die Soziallasten. Wenn sie dann fragen, wie das werden soll, wenn dieses obere Feld an Umfang gewinnt, woher die Deckung kommen soll, ist zu antworten: man muß entweder den Kreis durch neue Steuereinnahmen vergrößern, oder man muß das untere Feld schmälern, so daß die Sozialausgaben geringer werden. Solche Schaubilder sind für die politische Aufklärung von erheblichem Nutzen ebenso wie die effektiven Zahlen des Bundeshaushalts.
Wir haben ja einmal eine Zeit erlebt, von der wir wissen, daß es hieß: Gebt mir vier Jahre oder zehn Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen! Ich habe mir den Etat auch unter diesem Gesichtswinkel angesehen. Für die Menschen draußen ist es doch nur nützlich zu wissen: was ist die Erbschaft, mit der wir uns hier und heute und noch für lange Zeit herumzuschlagen haben. Wir hatten im vorjährigen Etat einen Zuschuß für Berlin von 750 Millionen, jetzt einen von 800 Millionen. Meine Damen und Herren, das wäre nie notwendig gewesen, wenn das „Dritte Reich" nicht gewesen wäre.
Aber die Steigerung in der Entwicklung der Zahlen gibt zugleich, Herr Dr. Vogel, ein Bild über die Entwicklung des Etats 1955 gegenüber 1954. Darf ich Ihnen einige Zahlen sagen. Für Wohnungsbau und Siedlung hatten wir im Vorjahr 1,029 Milliarden, in diesem Jahr nur 1,077 Milliarden.
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- Ich werde darauf zurückkommen. - Im Lastenausgleich hatten wir im Vorjahr 240 Millionen; in diesem Jahr sind es 536 Millionen, bei den allgemeinen Sozialleistungen 7,577 Milliarden im Vorjahr gegen 7,742 Milliarden in diesem Jahr, bei den verdrängten Beamten, ehemaligen Soldaten 1,2 Milliarden gegen 1,3 Milliarden jetzt, bei den Besatzungslasten 9,4 Milliarden gegen neuerdings 9,186 Milliarden. Demnach ist bei Wohnungsbau und Siedlung nur eine Steigerung von 4,1 % der Endsumme des Etats auf 4,2 % festzustellen, beim Lastenausgleich eine Steigerung von 1 % auf 2,1 %, also mehr als eine Verdoppelung, und bei den allgemeinen Sozialleistungen nach diesem Etatsentwurf eine Senkung gegenüber dem Vorjahr von 30,1 % auf 29,8 %.
Wir haben noch mit anderen angekündigten Ausgaben unbekannter Größen- und Rangordnung zu rechnen. Der Herr Staatssekretär sprach unter anderem von der Ausstattung des Bundesgrenzschutzes. Ich habe bis jetzt im Etat noch nichts für Steilfeuergeschütze, von denen in jüngster Zeit die Rede war, vorgesehen gefunden; aber vielleicht kann noch im Verlauf der Debatte gesagt werden, was im einzelnen noch weiter an Mitteln für den Bundesgrenzschutz verlangt wird.
Ich will die Debatte nicht weiter mit den sozialpolitischen Problemen belasten, die hier in den letzten Tagen besprochen worden sind oder noch in den nächsten behandelt werden, möchte aber feststellen, daß die Annahme, möge man von einem gemäßigten Pessimismus oder von einem gemäßigten Optimismus sprechen, der Haushalt sei ausgeglichen, als irrig bezeichnet werden muß.
In dem Haushalt ist nichts für die Erhöhung der Kriegsopferrenten vorgesehen. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns erklärt, daß dazu ein Nachtragsetat in Aussicht genommen sei. Meine Damen und Herren, Ausgaben haben die unangenehme Angewohnheit, Deckung zu verlangen, besonders wenn man Bundesfinanzminister ist. Es bleibt abzuwarten, woher der Herr Bundesfinanzminister für eine größere Ausgabe, die wir zugunsten der Kriegsopfer erwarten, die Deckung nehmen will, wenn nicht aus neuen Steuern oder durch Streichung an anderen lebenswichtigen Ausgaben.
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- Ja, ich weiß, daß man darüber reden kann.
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Aber es kommt ganz darauf an, Herr Kollege Dresbach. Der Etat auf der Ausgabenseite wie auf der Einnahmeseite kommt mir immer vor wie der große Blechkuchen, den die Mutter zu Hause gebacken hat. Wenn sie mit dem Messer daran ging und den Streuselkuchen aufschnitt, dann dachte sie daran, jedem seinen gerechten Anteil zu geben. Der Etat ähnelt in der Form der Darstellung auf dem Schaubild solch einem schönen Kuchen. Die Frage ist: Wer führt das Messer? Wer bestimmt, wie das Messer zu führen ist?
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Wie wird es gerecht verteilt?
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- Ja, Sie haben ganz recht: S i e führen das Messer! Die Herren von der CDU haben es uns genügend vordemonstriert. Sie führen das Messer; das werden wir nicht vergessen, Herr Kollege Kunze.
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Der Herr Bundesfinanzminister hat in den Vorbemerkungen darauf hingewiesen, daß die Ergän({24})
zungsabgabe in Höhe von 1,5 %, von der auch schon die Rede war, dann erhoben wird, wenn es bis zum Abschluß - ich zitiere - der Haushaltsberatungen im Bundestag nicht gelingt, die haushaltsmäßige Lücke endgültig zu schließen. Der Herr Bundesfinanzminister weiß ganz genau: Die Rentenerhöhungen kommen auf den Haushalt zu, die Besoldungserhöhung kommt auf den Haushalt zu, andere Ausgaben kommen auf den Haushalt zu. Die Defizite sind nicht gedeckt. Der § 75 der Reichshaushaltsordnung wird erneut strapaziert. Mit anderen Worten: Wenn er dem Bundestag nun sagt, es komme darauf an, was bei der Etatberatung herauskomme, und davon hänge es ab, ob die 1,5 % Bundeszuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben würden oder nicht, dann schiebt er dem Bundestag den Schwarzen Peter zu. Wir werden es erleben!
Sehr bedauerlich ist, daß in den Vorbemerkungen einmal davon gesprochen wird, daß Hoffnung auf eine Ertragssteigerung der Steuern aus Anlaß der Rüstungsaufträge besteht.
Der Bundesrat hat sich mit dem Etat befaßt und hat eine Verbesserung von 442 Millionen DM her-ausgerechnet. Ich glaube, der Haushaltsausschuß und auch der Bundestag in seiner Gesamtheit werden diese Vorschläge des Bundesrates sehr ernsthaft zu prüfen haben.
Zu bedauern bleibt in diesem Zusammenhang nur, daß der Herr Staatssekretär mit leise erhobenem Drohfinger davon sprach, man müsse eventuell an eine Verringerung der Bundesleistungen zum Nachteil der Länder denken. Wir sitzen, -so hat Schacht einmal gesagt, alle in einem Boot. Ich glaube, das Ansprechen des Verständigungswillens im Verhältnis zu den Ländern sollte auch seitens der Bundesregierung kräftig geübt werden.
Die Schuld der Bundesrepublik, von der man draußen ebenfalls nicht genügend weiß, ist dem Hohen Hause in den Drucksachen nachgewiesen worden. Wir haben nach dem Stand vom 30. September dieses Jahres im Bund eine fundierte Schuld von 19 641 000 000, eine schwebende Schuld von 613 000 000 DM. Dazu kommen noch in gewissem Umfang Bürgschaftsbelastungen. Die gesamte Bürgschaftsbelastung beträgt am 30. September 449 000 000 DM.
Meine Damen und Herren, ich möchte nun ein Wort zu der Aufblähung der Verwaltung sagen und glaube, namens meiner Fraktion feststellen zu dürfen: Wir haben zu viele Minister, wir haben zu viele Ministerien, wir haben vor allem zu viele Minister ohne Geschäftsbereich. Immerhin konstatiere ich, daß die Herren offensichtlich so beschäftigt sind, daß sie auch hier heute nicht anwesend sein können.
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Wir finden, daß die Koalitionsarithmetik bei der Bildung von mehr Ministerien etwas zu weit getrieben worden ist, und wir sehen, daß die Gefahr einer fortgesetzten Überschneidung der Kompetenzen in den einzelnen Arbeiten der Ministerien tatsächlich immer wieder aufs neue besteht.
Mein Freund Schoettle hat bereits darauf hingewiesen, daß wir sehr starke Bedenken gegenüber jedem Versuch einer weiteren Vermehrung des Bundespersonals anzumelden haben. Wir haben an planmäßigen Stellen im Etat 1954 eine Stellenzahl von 64 531, im neuen Haushalt von 66 808
Stellen; Angestellte in 1954: 22 973, im neuen Haushalt: 23 746; Arbeiter 1954: 9696 gegenüber 10 033 im Haushalt 1955. Insgesamt also in 1954: 97 200 Kräfte gegenüber 98 557 im Etat 1955.
Meine Damen und Herren, ich greife nur ein Amt heraus, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.
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Da sind 7 neue Beamte, 32 neue Angestellte und 16 neue Arbeiter; und ich erinnere mich, daß der Herr Staatssekretär in anderem Zusammenhang allgemeingültig erklärt hat, es sei noch kein endgültiger Abschluß des Aufbaues der einzelnen Ministerien zu verzeichnen.
Meine Damen und Herren, der Steuerzahler draußen fragt: „Was wird mit meinem Geld?" Ich komme in diesem Zusammenhang erneut und zum, glaube ich, dritten Male auf eine Frage zurück, die sich mit den Dispositions- und Geheimfonds der Bundesregierung beschäftigt. Ich verzichte auf eine Besprechung der umfänglichen Dispositionsfonds mit Rücksicht auf die Zeit. Aber die wenigen Zahlen in bezug auf die Steigerung der Ziffern der Geheimfonds möchte ich doch einmal in das Bewußtsein des Hauses rufen. Wir haben im Einzelplan 04 - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - in Titel 300 - Zur Verfügung des Bundeskanzlers -200 000 DM. Das war schon im Vorjahr so viel. Das Ist-Ergebnis für 1953 beträgt 180 000 DM. Im gleichen Plan - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt - standen in Kap. 0403 Tit. 300 - Zur Verfügung des Bundeskanzlers zur Förderung des Informationswesens - meine Damen und Herren, darf ich Sie einmal einen Moment um Ihre besondere Aufmerksamkeit bitten - im Haushalt 1951, oder war es in der Rechnung, 3 058 250 DM; das Ist-Ergebnis von 1953: 4 500 000 DM.; im Haushalt 1954: 10 Millionen DM
({27})
und im Haushalt 1955: 11 250 000 DM. Und das ohne jegliche Kontrolle durch das Parlament!
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Meine Damen und Herren, wir werden uns im Haushaltsausschuß und bei anderer Gelegenheit erneut und mit aller Schärfe dafür einsetzen, daß diese Geheimfonds kontrolliert werden. Es sind ja noch mehr da: im gleichen Haushalt des Herrn Bundeskanzlers - Zur Verfügung des Beauftragten des Bundeskanzlers für unvorhergesehene außerordentliche Ausgaben - 700 000 DM, der gleiche Betrag wie bisher; im Auswärtigen Amt geheime Ausgaben mit 3 Millionen DM, wie im Vorjahr; im Bereich des Bundesministeriums des Innern für Zwecke des Verfassungsschutzes 4 400 000 DM; 1951 waren es 3 Millionen DM, Ist-Ergebnis 1953: 2,9 Millionen DM, Haushalt 1954: 3,9 Millionen DM, Haushalt 1955: 4,4 Millionen DM.
Bei allem Verständnis dafür, daß man derartige Dinge nicht auf dem Markt ausbreiten kann, bleibt das zwingende und berechtigte Verlangen des Bundestags bestehen - und ich hoffe, daß wir endlich einmal eine Mehrheit dafür in diesem Hause finden werden -, daß der Bundestag als die Vertretung des Volkes in einem kleinen Ausschuß eingeschaltet sein will, um zu wissen, wohin diese Gelder gehen, was mit ihnen gemacht wird und welche Verwendung die Kontrolle im einzelnen ausweist.
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Meine Damen und Herren! In den Vorbemerkungen - oder war es in der Rede des Herrn Staatssekretärs? - wird einmal davon gesprochen, daß im Prinzip auf dem Gebiete des Sozialwesens keine Pflichtleistungen erwünscht seien. Wir wünschen Pflichtleistungen und nicht das, was angestrebt wird: Kannleistungen. Wir haben eine Reihe von Bemerkungen zum Sozialhaushalt zu machen; ich will sie hier nur in ganz beschränktem Umfange vortragen. Für Heimkehrer ist ein Ansatz von 150 Millionen vorgesehen. Dieser Ansatz ist um rund 100 Millionen zu gering. Die Bundesregierung weiß das, und trotzdem kommt dieser Ansatz in den Haushalt.
({31})
Wir wehren uns gegen jedes Experiment, das gemacht wird, um Rechte, die gesetzlich festgelegt sind, irgendwie anzutasten. Vor allem wehren wir uns dagegen, daß die Grundrente der Kriegsopfer angetastet wird. Wir bedauern auch, bei dieser Gelegenheit feststellen zu müssen, daß bei dem Rentenanpassungsgesetz praktisch nur zirka 700 000 Berechtigte mit einem Betrag von voraussichtlich 1 bis 2 DM monatlich als Empfänger der großen Wohltat dieses Gesetzes in Frage kommen. In diesem Zusammenhang möchte ich vor der geplanten Wiedereinführung der Krankenscheingebühr sowie vor der Beteiligung der Versicherten und vor allem der Rentner an den Arzneikosten warnen.
In bezug auf die Besoldungsreform sind in diesem Hause schon verschiedene Bemerkungen gemacht worden. Es ist eine alte Forderung der sozialdemokratischen Fraktion, die jetzt zur Debatte steht, endlich ein gründlich vorbereitetes Besoldungsrecht vorzulegen.
Ein Wort noch zu einem besonderen Kapitel, dem Kapitel der Wiedergutmachung. In einzelnen Ministerien sind Wiedergutmachungsfälle aus dem eigenen Bereich der Bundesregierung noch erheblich im Rückstand Einzelne Ministerien, . so das Auswärtige Amt, haben ihr Soll auf diesem Gebiet meines Wissens schon längst erfüllt; aber in anderen Fällen sind erhebliche Rückstände zu verzeichnen. Auf der anderen Seite, glaube ich, ist die Feststellung notwendig, daß Menschen, die Opfer des Hitlerregimes sind und ein gesetzlich begründetes Recht auf Wiedergutmachung haben, seit Jahren warten und wahrscheinlich noch Jahre werden warten müssen, wenn das Parlament nicht dafür sorgt, daß diese Dinge endlich einmal erledigt werden, während mittlere und höhere nationalsozialistische Funktionäre, die vor 1933 Beamte waren, Generäle des Hitlerregimes usw., schon längst wieder im Besitz ihrer gesetzlich verbrieften Rechte und Bezüge sind.
({32})
Einige Bemerkungen zum Thema Wohnungsbau. Unser verehrter Wohnungsbauminister, Herr Dr. Preusker, hat einmal die sehr interessante Berner-kung gemacht, daß das Wohnungsbauministerium innerhalb von vier Jahren überflüssig werde. Wir haben Gelegenheit gehabt, seinen Staatssekretär im Haushaltsausschuß um eine authentische Interpretation zu bitten; der Herr Minister selbst hat uns nicht die Ehre seiner Anwesenheit im Haushaltsausschuß geschenkt. Der Herr Staatssekretär war unendlich viel vorsichtiger als sein Minister. Er hat nach dem Protokoll gemeint, der Herr Minister habe sich selbst, aber nicht das Ministerium gemeint.
({33})
Meines Wissens sind jedoch noch einige Millionen Wohnungen zu bauen. Es wird also zugegeben, daß das Ministerium noch eine gewisse Notwendigkeit darstellt, der Herr Minister dagegen nicht. Nun, das überlassen wir dem Urteil des Herrn Ministers.
Die Baupolitik des Herrn Ministers Dr. Preusker geht praktisch darauf hinaus, weniger, aber teurere Wohnungen zu bauen. Diese Praxis läßt jedoch vergessen, daß unser Volk zu etwa 80 % aus Familien besteht, die im Monat weniger als 400 DM Einkommen zur Verfügung haben. Wir wünschen jedenfalls nicht, daß man beim sozialen Wohnungsbau in bezug auf teure Wohnungen jene Großzügigkeit beweist, die unter der Verantwortung der Bundesregierung seinerzeit und noch neuerdings bis in die jüngsten Tage hinein bei der Ausstattung der Bundeshauptstadt Bonn bewiesen worden ist. Der Herr Staatssekretär im Wohnungsbauministerium hat einmal erklärt, er habe ursprünglich nur den Auftrag gehabt, eine Arbeitshose zu beschaffen, schließlich aber habe man von ihm Maßanzüge verlangt. Nun, das Problem der Kosten von Bonn ist ja immer aktuell. Ich habe mir gerade heute eine kleine Zeitung gekauft. Darin wird etwas gemixt in bezug auf die Kosten von Bonn. Das scheint mir zwar sehr unverdaulich, aber wahr zu sein, um einmal von jener scherzhaft gemeinten Bemerkung abzuweichen, daß es entweder in der Zeitung stehe oder wahr sei. Hier ist ein leeres Hochhaus abgebildet: Deichmannsaue. Politisieren heißt auch voraussehen. Einigermaßen hätte die Bundesregierung gewappnet sein müssen, um einem solchen Fall zu begegnen. Man rät seit Monaten darum herum, was die eigentlichen Kosten von Bonn seien. Nun, vor einiger Zeit erschien eine illustrierte Zeitung. Sie wurde beschlagnahmt, sicher nicht, weil in ihr über die Kosten von Bonn berichtet wurde. Ich habe mir den Ausschnitt des betreffenden Exemplars geliehen. Da er sicher nicht Gegenstand der Beschlagnahme ist, bestehen wohl auch keine Sicherheitsbedenken dagegen, einmal einen kleinen Abschnitt - mit Erlaubnis des Präsidenten - daraus zu verlesen:
Hier ist die Rechnung. Im April 1949 wird den Abgeordneten des Parlamentarischen Rates mitgeteilt, daß die einmaligen Gesamtkosten für den Ausbau der Stadt Bonn zur Bundeshauptstadt 3,8 Millionen DM betragen werden.
({34})
Bis zum Mai 1954 hat die Bundesregierung für diesen Zweck jedoch 200 Millionen DM ausgegeben, darunter 80 Millionen DM für Verwaltungsbauten.
Und dann wird im einzelnen nachgewiesen, wie sich die Kostenvoranschläge änderten. Ich will nur ein Beispiel nennen: Bundeskanzleramt 1949: 658 000, 1950: 1 567 000, Endkosten 3,2 Millionen DM.
({35}) Dann heißt es weiter unten:
Zu den bisherigen 80 Millionen für Verwaltungsbauten kommen noch auf Kosten der Bundespost hinzu: für den Neubau des Bundespostministeriums 61/2 Millionen und für die Wohnungen der Beamten 15 Millionen. Nach Schätzungen des Finanzministeriums beträgt
({36})
die Summe der Gesamtinvestitionen in Bonn 600 Millionen DM.
Mir war das ein bißchen zu dick, muß ich Ihnen offen gestehen. Ich habe mir daraufhin einmal die Mühe gemacht, das einigermaßen herauszuziehen. Ich fand dann folgendes; die Unterlagen habe ich. Am 17. Oktober 1949 schrieb der Herr Bundesfinanzminister an den Bundessitzausschuß - ich
zitiere Die Errichtung neuer Dienstgebäude in Bonn erscheint nicht erforderlich.
({37})
Nachzulesen auf Seite 7 des ersten Berichts des Untersuchungsausschusses Drucksache Nr. 2275.
Der Herr Bundeskanzler schrieb in einer elfseitigen Denkschrift am 3. November 1949, wenige Stunden vor der Abstimmung, an den Bundestag:
Wenn Bonn Hauptstadt wird, kostet das nur noch 3,2 Millionen DM.
Ich habe mich dann bei dem Bundesfinanzministerium erkundigt, nachdem höhere Gewalt unseren verehrten Ältestenrat - den zu kritisieren mir um Gottes willen fernliegt - bis jetzt gehindert hat, eine seit Monaten gestellte Frage - das ist keine böse Absicht des Ältestenrats - nach den Kosten der Bundeshauptstadt Bonn auf die Tagesordnung zu setzen, so daß sie wahrscheinlich erst in der nächsten Fragestunde behandelt und beantwortet werden kann. Ich habe mich also beim Bundesfinanzministerium erkundigt und habe sehr bereitwillig die Auskunft erhalten. Für Dienstgebäude sind in der Bundeshauptstadt Bonn bis heute - also bis Samstag vergangener Woche - 88,6 Millionen DM ausgegeben worden und für Wohnungen 110,7 Millionen DM, im ganzen 199,3 Millionen DM. Ich habe nun aus den Vorbemerkungen entnommen, daß noch etwa 14 Millionen DM für Wohnungsbauten sowie - das ist allerdings nur ein Darlehen, was ich jetzt nennen werde - ein Darlehen an die Stadt Bonn oder an Nachbargemeinden mit 6,5 Millionen DM, zusammen also 219,8 Millionen DM hinzukommen werden. Wenn diese illustrierte Zeitung - ich weiß nicht einmal ihren Namen - von 600 Millionen DM spricht, dann muß ich sagen, daß sich hier das Gesetz der Anziehungskraft auswirkt. Die Bundeshauptstadt wurde errichtet, und dann kamen die Barackengebäude der SPD, dann kamen die Landwirtschaftseinrichtungen und weiß Gott was alles noch mehr. In all diesen Faktoren ist die Begründung für die Summe von 600 Millionen DM zu suchen; aber ich lasse mich gern belehren.
Ich verdanke nun auch diese Mitteilung über die Kosten des Bundespostministeriums der illustrierten Zeitschrift.
({38})
- Herr Kollege Dr. Dresbach, erlauben Sie mir dazu eine Bemerkung. Die Stadt Frankfurt ist eine reiche Stadt; sie hätte sich das was kosten lassen und was kosten lassen können. Sie sind Kommunalpolitiker wie ich. Mir tut die Stadt Bonn leid im Hinblick auf das, was hier angerichtet worden ist.
({39})
Ich sehe eine grauenvolle Zukunft für die Stadt
Bonn voraus, wenn einmal die Wiedervereinigung
vollzogen sein und die Bundeshauptstadt Berlin heißen wird.
({40})
- Bonn nach Köln eingemeinden? Das ist auch schon in diesem X-Artikel erörtert. Man fragt sich nur, wie man dann die Entfernungen zu den Arbeitsplätzen abkürzen kann, wenn Bonn nach Köln eingemeindet wird. Aber wollen wir dieses Kapitel verlassen, so interessant es auch ist.
Einige Bemerkungen zur Wirtschaftspolitik! Wir werden in der nächsten Zeit mehr als in der jüngsten Vergangenheit über das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer zu reden haben. Wir werden auch veranlaßt sein, unsere wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik illusionsfrei einzuschätzen. Wir hören soviel von Lorbeeren, die in einer bestimmten Richtung von den Bäumen der echten oder falschen Erkenntnis gepflückt werden. Wir vergessen dabei, daß es nicht nur die Produkte der sozialen Marktwirtschaft sind, die laut Herrn Professor Erhard höher einzuschätzen sind als nach Herrn Bundesfinanzminister Schäffer. Wir vergessen, daß vor allem die Tüchtigkeit unseres Volkes, die Enteignung unserer Sparer, die Dollarhilfe der Amerikaner und die Kreditaktionen der Bundesrepublik bei der Entwicklung Pate gestanden haben, die jetzt vor uns steht. Dann vergessen wir eins, was in den Vorbemerkungen dankenswerterweise nicht vergessen ist. Da heißt es: „Der eigentliche Auftrieb wurde erst durch den Ausbruch der Korea-Krise ausgelöst."
({41})
Es gab einen Tag, den Währungsstichtag des 20. Juni 1948, an dem wir alle mit 40 DM angefangen haben. Es ist erstaunlich, wieviel tüchtige Menschen wir in der Bundesrepublik haben. Wenn wir die Investitionszahlen einmal zugrunde legen und die Investitionskonjunktur Revue passieren lassen - natürlich stecken darin auch Bundesmittel; aber es sind auch in sehr erheblichem Umfange andere Gelder darin enthalten -, dann sehen wir, daß 1951 24,12 Milliarden, 1952 27,2 Milliarden und 1953 29,66 Milliarden DM investiert wurden.
Teilen Sie nicht das Erstaunen, daß das möglich geworden ist? Verstehen Sie nun auch die Haltung unserer sozial bedrängten Volksschichten, wenn sie diese Zahlen zur Kenntnis nehmen oder wenn sie hören, daß neulich in einem nicht den deutschen Aktionären, sondern den Amerikanern gehörenden Betrieb - das wird besonders unsere Bankiers hier im Bundestag sehr interessieren - 66 % Dividende ausgeschüttet werden konnten? Die Steigerung des Bruttosozialprodukts wirkt sich durchaus nicht, wie es oft behauptet wird, zugunsten der unteren Schichten unseres Volkes aus. In bezug auf die Nutzanwendung aus der Steigerung des Sozialprodukts in der Bundesrepublik sind so erhebliche Differenzen in den Meinungen verantwortlicher Persönlichkeiten aufgetreten, daß es - ich möchte hier an etwas anknüpfen, was vorhin schon gesagt wurde - wirklich erwünscht wäre, einmal zu wissen bzw., nachdem laut Grundgesetz der Herr Bundeskanzler die Richtlinien der Politik bestimmt, einmal authentisch zu erfahren, ob bei der Bewertung der Steigerung des Sozialprodukts der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundesfinanzminister recht hat.
({42})
Wie mein Herr Vorredner möchte auch ich ein gutes Wort für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung einlegen, aber eine Frage an die Bundesregierung richten, um deren baldige Beantwortung, zumindest im Haushaltsausschuß, ich bitte. Die Angaben in den Erläuterungen genügen nicht. Die Bundesregierung sieht für einen bundeseigenen Betrieb, nämlich das Kupferbergwerk Sontra, im neuen Haushalt nur noch einen Zuschuß von 3,2 Millionen DM vor. Wir haben uns im Haushaltsausschuß wie oft schon über diese Dinge unterhalten, aber ich glaube, die Bundesregierung ist schlecht beraten, wenn sie meint, mit einer derartigen Hälftelung des bisherigen Bundeszuschusses dieses Werk irgendwie erhalten und der dort beschäftigten Arbeiterschaft gerecht werden zu können.
Zum Thema Wirtschaftspolitik noch zwei abschließende Bemerkungen. Die erste zum Thema der Preispolitik. Es hat den Anschein, als ob die in Aussicht genommene Aufrüstung bereits sehr bedenkliche Schatten vorauswirft. Mir ist mitgeteilt worden, ,daß in der Armaturenindustrie heute bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit gearbeitet werde und daß trotz auskömmlicher Preise die Absicht weiterer Preiserhöhungen bestehe, um die Konjunktur auch im Hinblick auf die kommende Rüstungsindustrie auszunützen.
Und eine weitere entgegengesetzte Bemerkung zu den Ansätzen im neuen Bundeshaushalt in bezug auf das Gewerbe und die Förderung des Gewerbes. Im Jahre 1953 waren 6 Millionen DM für Gewerbeförderung bewilligt, 1 Million im ordentlichen Haushalt, 5 Millionen im außerordentlichen. 1954 waren es wiederum 6 Millionen in der gleichen Weise. 1955 sieht die Regierungsvorlage für Gewerbeförderung nur 2 Millionen im ordentlichen und 2 Millionen im außerordentlichen Haushalt vor. Der Bundesratsbeschluß vom 3. Dezember 1954 wünscht 2 Millionen DM im ordentlichen Haushalt und 4 Millionen DM im außerordentlichen Haushalt. Ich möchte die Regierung einladen, sich doch darauf einzurichten, dem Haushaltsausschuß bei der Erörterung dieses Punktes des Etats eine vielleicht befriedigendere Regelung vorzuschlagen.
Einige Bemerkungen zum Ernährungshaushalt! Der Herr Kollege von Merkatz sprach heute morgen von den Ernteschäden. Die Bundesregierung hat bisher - bis auf die furchtbaren Ernteschäden, die vor einigen Monaten in Bayern eingetreten sind - eine sehr große Zurückhaltung in bezug auf Ernteschädenregulierung aus Bundesmitteln bewiesen. Es liegt ein einstimmiger Beschluß des Bundestages vor, der die Bundesregierung auffordert, mehr zu tun und wirklich zu helfen. Ich wäre dankbar, wenn über den Stand der Dinge entweder hier oder demnächst im Haushaltsausschuß durch die Regierung nähere Aufklärung gegeben werden könnte.
Im übrigen fällt im Ernährungshaushalt wieder diese peinliche Einnahme aus den Abschöpfungsbeträgen auf, peinlich deshalb, weil sich in dieser Zahl die Belastung der Verbraucher ausdrückt, welche mit der Durchführung der Marktordnungsgesetze verbunden ist. Wie sich diese Belastung entwickelt hat, ist in drei Zahlen zu sehen. Es wurden 1952 109 Millionen DM abgeschöpft, 1953 waren es 267 Millionen DM, jetzt erwartet man im Einnahmeteil des Haushalts 383 Millionen DM Abschöpfung zu Lasten des Brotgetreidepreises und des Zuckerpreises. Leider Iäßt der Haushaltsplan jeden Ausgleich dieser Belastung zugunsten der Konsumenten verrnissen, obwohl die Marktordnung nicht nur den Erzeugern, sondern auch den Verbrauchern dienen sollte und ganz bestimmt nicht als eine vollkommene Einnahmequelle für den Finanzminister gedacht war.
In diesem Zusammenhang darf auch die Feststellung getroffen werden: Im Haushaltsplan sind leider keine Anzeichen dafür zu finden, daß die Regierung bereit wäre, der am Verfahren der Marktordnung, insbesondere an der Tätigkeit der Einfuhr- und Vorratsstellen, geübten Kritik in durchgreifender Weise Rechnung zu tragen. Die Kosten für die Vorratshaltung sind um rund 20 Millionen höher und die Senkung für die Kosten der Bürokratie der Marktordnung in Höhe von rund 400 000 DM veranschlagt, eine Summe, die sehr fragwürdig wird, wenn man dazu die Berner-kung liest, daß es sich hier nur um vorläufige Zahlen handele, weil die endgültigen Haushaltspläne noch nicht vorlägen. Wenn man aber, was sich ebenfalls aus dem Haushaltsplan ergibt, zur Kenntnis nimmt, daß sich der Personalbestand um ganze 13 Arbeiter und Angestellte vermindern soll, dürften die endgültigen Zahlen wohl auch auf diesem Gebiet noch anders aussehen.
In diesem Zusammenhang muß auch der Betrag für die Erstattungen erwähnt werden, der mit 14 Millionen DM ausgewiesen wird. Hier handelt es sich um die Erstattung solcher Kosten und Gebühren, die von den Dienststellen des Ernährungsministeriums ohne Rechtsgrundlage erhoben worden sind und die nun zum Teil im Klagewege mit sehr erheblichen Prozeßkosten für den Bund zurückgefordert werden. Bedenkt man, daß diese Kosten von den Importeuren natürlich in der Regel an den Letztverbraucher weitergegeben worden sind, dann hat man ein anschauliches Beispiel dafür, wer eigentlich die Zeche für eine Geschäftsführung zahlen muß, für deren Kennzeichnung man um einen parlamentarischen Ausdruck verlegen ist.
Vergeblich sucht man im Haushaltsplan nach irgendwelchen Beträgen, die für die Realisierung der Forderungen erforderlich sind, die man landläufig unter dem Begriff „Parität" zusammenfaßt. Das ist um so bemerkenswerter, als sich doch neulich offenbar auch der Bundeskanzler gegenüber dem Dreier-Präsidium des Bauernverbandes zu dieser Parität bekannt hat. Wenn im Haushaltsplan keineswegs die erheblichen Mittel eingesetzt worden sind, die für die an sich berechtigte Forderung nach einer industriegleichen Bezahlung der in der Landwirtschaft tätigen Kräfte erforderlich sind, muß daraus entweder geschlossen werden, daß man sich die Finanzierung der Erfüllung dieser Ansprüche durch Erhöhung der Lebensmittelpreise vorstellt, oder aber - und das liegt bei allen Erfahrungen wohl noch näher -, daß man sich seitens der Regierung in Zukunft ebensowenig um die Erfüllung solcher Forderungen und Versprechungen bemühen wird, wie man es in den zurückliegenden Jahren getan hat. Um so mehr bedauern wir, daß für all die Maßnahmen, die für nachhaltige Besserung der landwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und damit der landwirtschaftlichen Rentabilität entscheidend sind, praktisch nur dieselben unzulänglichen Mittel aufgewendet werden, die im letzten Haushaltsplan standen. Auch wenn man dazu alles das addiert, was an sogenannten Förde({43})
rungsmitteln in kleine und kleinste Beträge zersplittert auf soundso viele Institute verteilt eingesetzt werden soll, und wenn man dazu noch die 20 Millionen, die für die Landwirtschaft durch die Verbilligung des von ihr verbrauchten Treibstoffes ausgeworfen werden, und schließlich die erhöhte Ablieferungsprämie addiert, ,die allerdings von rund 5 Millionen auf 32 Millionen erhöht werden soll, reicht das alles nicht aus, um in der kurzen Zeit, die dazu zur Verfügung steht, das nachzuholen, was gegenüber der Landwirtschaft in vielen Jahren versäumt worden ist. Ich kann also per Saldo nur das tiefe Bedauern des Herrn von Merkatz teilen, der auch nicht an einen nennenswerten Erfolg glaubt.
Einige Bemerkungen noch zum Verkehrshaushalt. Wir alle erwarten die beschleunigte Verabschiedung des in Gang befindlichen Gesetzgebungswerks unter der Voraussetzung, daß wirklich gleiche Startbedingungen für Schiene und Straße geschaffen werden. Wir möchten auch wünschen, daß die Bundesregierung angesichts der steigenden Motorisierung eine ernste Aufmerksamkeit auf eine großzügige Lösung bezüglich der Radfahrwege lenkt. Wer Automobilist ist, der weiß, daß es für ihn kein größeres Grauen gibt als die Gefahr der Karambolage mit Radfahrern etwa in der Zeit des Zwielichts. Das sind Dinge, die nach Regelungen rufen und für die im Ausland - ich nenne nur die Schweiz - genügend gute Beispiele vorhanden sind.
Meine Damen und Herren, wir erleben so viel - besonders im Haushaltsausschuß, aber selbstverständlich auch in dem dazu berufenen Fach-ausschuß - an Stellung von Anträgen auf Herrichtung der und jener Straße. Hier offenbart sich eine kleine Tragik des Hauses. Diese Anträge haben in der Regel das Schicksal, daß sie der Bundesregierung als Material überwiesen werden. Damit wird ein Zustand herbeigeführt, der praktisch bedeutet, daß die Bürokratie - ich sage es mit allem guten Willen und ohne böse Absicht - des Bundes bestimmender ist als der Wille des Parlaments. Was dann nicht als Material verwendbar erscheint, nun, das kommt zunächst nicht wieder, und die Gesetzmäßigkeit, die bei der Verabschiedung solcher Vorschläge und Haushaltspläne nun einmal obwaltet, bedeutet für viele derartige Anträge ein Begräbnis erster Klasse.
In bezug auf die Bundesbahn habe ich nur einen Wunsch - ich will von den Einzelheiten absehen, die ich mir notiert habe -, und ich glaube, den teilt das ganze Haus: ich möchte wünschen, daß da, wo so horrende Mittel des Bundes eingesetzt werden, dem Hause auch mit mehr Klarheit über die Finanzgestaltung der Bundesbahn berichtet wird, als es bis jetzt vielfach der Fall gewesen ist. Bei der ganzen Gestaltung dessen, was auf dem Gebiete der Bundesbahn möglich ist, bleibt als Resümee zunächst doch nur ein Zustand des erheblichen Unbefriedigtseins. Notwendige Aufgaben können nach wie vor nicht gemeistert werden. Die Arbeiterzüge sind vielfach in einem verheerenden Zustand. Für die Sicherung der schienengleichen Bahnübergänge, die Errichtung von Warnvorrichtungen ist im ganzen Haushalt 1 Million DM vorgesehen. Das sind Zustände, die wirklich nach einer Änderung rufen.
Aber abgesehen von der Bundesbahn beschäftigt uns ja auch die Straße in einem entscheidenden
Ausmaß. Lassen Sie mich hierzu wenige Bernerkungen machen. Beim Straßenbau - und das ist ein praktischer Vorschlag für den Haushaltsausschuß - sollten die 10 % der Etatendsumme, über die nur mit Zustimmung des Bundesfinanzministers verfügt werden kann, zu Beginn des Haushaltsjahrs freigegeben werden, da nur dann zweckentsprechend über diese Mittel zur Unterhaltung von Bundesstraßen und Bundesautobahnen verfügt werden kann. Auch in bezug auf die Ausgabenansätze des außerordentlichen Haushalts sollen die Mittel sofort bei Beginn des Etatjahrs zur Verfügung gestellt werden; sonst besteht die Gefahr, daß wertvolle Wochen bester Bauzeit vergehen, die nicht mehr aufgeholt werden können.
Für die Bundesfernstraßen sind unter Tit. 750 bis 800 des ordentlichen Haushalts zusätzliche 20 Millionen DM für die Bundesstraßen und 80 Millionen DM für die Bundesautobahnen vorgesehen. Hier ist eine wesentliche Erhöhung dringend erforderlich, da sonst niemals ein langfristiges Programm zur Durchführung kommen kann.
Im Haushaltsausschuß sollte auch versucht werden, die Tit. 531 für Darlehen und 601 für Zuschüsse wesentlich zu verstärken, ebenso die Mittel für Zubringerstraßen der Bundesautobahnen. Die Deckung kann aus den Erträgnissen des geplanten Verkehrsfinanzgesetzes erfolgen.
Ich sehe von allen Spezialwünschen und -vorschlägen ab. Aber in einer Hinsicht erbitte ich die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses für einen auf die Dauer unmöglichen und unerträglichen Zustand. Einige Mitglieder des Bundestages und der Herr Bundesverkehrsminister - auch der Herr Bundeskanzler - haben heute morgen bei Köln eine neue Brücke eingeweiht. Ein sehr erfreulicher Tatbestand! Es wäre sehr an der Zeit, daß ein Gefahrenherd erster Ordnung durch die Erstellung einer weiteren neuen Brücke, nämlich einer Brücke zwischen Mannheim und Ludwigshafen, beseitigt wird. Hier herrschen unerträgliche Verkehrsverhältnisse, und die Brücke befindet sich in einem Zustand, der eines Tages zu einer Katastrophe führen kann.
Ich habe nur noch zwei Dinge, über die ich sprechen möchte. Ein Wort zugunsten der Gemeinden! Die Gemeinden sind in unserem Grundgesetz - das hat Herr Kollege Dresbach vor einiger Zeit so beredt zum Ausdruck gebracht - entschieden zu kurz gekommen. Ich möchte sehr wünschen, daß in dem Verhältnis Bund, Länder und Gemeinden endlich ernsthafte Ansätze gemacht werden, um eine eigenständige Finanzverantwortung der Gemeinden und Gemeindeverbände herbeizuführen, und daß die Gemeinderechte auf Erhebung der Realsteuern einwandfrei und eindeutig gesichert werden. Man sollte auch der Tatsache Rechnung tragen, daß 1913 die Gemeinden am öffentlichen Gesamthaushalt mit 39 % partizipierten, heute dagegen trotz ihrer Riesenbelastung durch den Wiederaufbau der zerstörten Städte und Gemeinden nur mit 20 % daran teilhaben. Die riesige Belastung der Kommunen durch den Wiederaufbau muß durch geeignete Mittel und Maßnahmen des Bundes überwunden werden.
Obwohl es sich nicht um eine Landessache handelt, möchte ich noch ein Problem ansprechen, das sich aus der Bundesgesetzgebung ergibt; ich meine den Bereich der Justiz. Es ist ein eminent politisches Problem, wenn ich feststelle, daß jeder, der aufmerksam .die Entwicklung auf dem Gebiet der
({44})
Rechtspflege verfolgt, nicht ohne Sorge beobachten kann. Gerade die Durchführung des Amnestiegesetzes hat gezeigt, daß oftmals bei Staatsanwaltschaften und Gerichten eine Haltung zu beobachten ist, die etwa sozialdemokratische Delinquenten nicht ganz so wohltätig behandelt wie Leute anderer Couleur. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. In einem Fall wurde - und das ist gar keine Seltenheit - ein Verfahren, bei dem es sich um den Ehrenschutz eines Sozialdemokraten handelte, bis zur Dauer von zwei Jahren verschleppt. Als dann die Amnestie kam, wurde der Beschuldigte amnestiert. Wenn es sich aber um einen Sozialdemokraten handelte, dann wurde das Verfahren vielfach in einem erstaunlichen Umfang beschleunigt. Vor kurzem äußerte ein Sozialdemokrat irgendwelche Zweifel in bezug auf irgendwelche Kriegsauszeichnungen eines Dritten. Er wurde sofort angezeigt und mit Klage überzogen. Das Verfahren wurde mit größter Beschleunigung rasch vor der Amnestie durchgeführt.
Es gibt noch andere sehr merkwürdige Dinge auf dem Gebiet. Einen ganz schlimmen Fall darf ich Ihnen kurz nennen. Da war ein Mann, Rechtsanwalt seines Zeichens, angeschuldigt des Totschlags. Eine Staatsanwaltschaft hat diesem früheren SS-Oberscharführer und SS-Richter, obwohl er Volljurist ist, in einem Verfahren wegen Totschlags bescheinigt, „ihm sei in Anbetracht seiner Dienststellung" - nun hören Sie bitte gut zu - „als SS-Richter zur Tatzeit eine Einsichtsfähigkeit nicht zuzumuten, die Straftat zu unterlassen".
({45})
Es ist nicht mein Deutsch, das ich Ihnen hier vortrage. Und dann: „Da er keine Freiheitsstrafe von I mehr als drei Jahren Gefängnis wegen Totschlags zu erhalten habe, sei das Straffreiheitsgesetz auf ihn anzuwenden".
({46}) - Nein, das war in Bayern, Herr Kollege. Das reiht sich würdig einem Vorgang an, der ein Mitglied dieses Hauses betrifft. Vor einigen Monaten hat das Hohe Haus sich - ich glaube, zum zweiten Mal - mit der Aufhebung der Immunität eines bestimmten Abgeordneten befaßt; ich nenne seinen Namen: es war der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete mein Freund Odenthal. Er war eines kriminellen Delikts angeschuldigt. Der Ausschuß befürwortete die Aufhebung der Immunität, die der Staatsanwalt angeregt hatte. Obwohl der beschuldigte Abgeordnete von der Regelung Gebrauch gemacht hatte, die der Bundestag seinerzeit einstimmig beschlossen hat, nämlich der Staatsanwaltschaft gegenüber seinen Standpunkt zu vertreten, ohne daß dadurch bereits in irgendeiner Weise die Immunität beeinträchtigt würde, hat die Staatsanwaltschaft zum zweiten- oder gar zum drittenmal die Aufhebung der Immunität gewünscht. Das Hohe Haus ist diesem Ersuchen aus Gründen der Objektivität nachgekommen. Schön! Was ist jetzt? Der Herr Staatsanwalt hat dem Herrn Abgeordneten Odenthal mit Datum vom 20. November 1954 lakonisch mitgeteilt: „Ich habe das Verfahren gegen Sie mangels Verdacht eingestellt".
({47})
Meine Damen und Herren, keine andere Grundlage
ist in den Akten als die, die schon vorhanden war,
als der Herr Staatsanwalt zum wiederholten Mal
die Aufhebung der Immunität eines sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten gewünscht hat. Ich mache dem Bundestag keinen Vorwurf, daß er die Immunität aufgehoben hat. Aber ich mache der Justiz den Vorwurf, daß sie das, was sie vorher gewußt hat, erst noch benutzte, um einen Menschen, einen Volksvertreter, einen Bundestagsabgeordneten im Urteil der Öffentlichkeit madig zu machen, um ihm nachher mitzuteilen: „Ich habe das Verfahren mangels Verdacht eingestellt".
({48})
- Was geschieht mit diesem Staatsanwalt? Das ist eine Frage,
({49})
die an den Justizminister von Rheinland-Pfalz zu richten ist. Aber vielleicht kann sich der Bundesjustizminister, der leider nicht anwesend ist, der Sache einmal annehmen.
Zum Schluß habe ich noch eine Frage an die Bundesregierung, die jetzt erfreulich zahlreicher vertreten ist.
({50})
- Erfreulich zahlreicher, Herr Kollege Mellies,
({51}) ich habe mich nur relativ ausgedrückt.
Ich möchte die Bundesregierung fragen - die Fragestellung ist ja bei einer Etatberatung erlaubt; sie hat mit dem Etat zu tun; sie hat nämlich mit der ganzen Politik der Bundesregierung bzw. mit ihrer Mehrheit zu tun -: Kommt das Wahlgesetz für die Wahl des nächsten Deutschen Bundestags früher als drei Monate vor dem Zu-Ende-Gehen der Kompetenz dieses Bundestages oder dient das Wahlgesetz dazu, so lange die Koalition an der Kandare zu halten?
({52})
Wir sind doch Menschen, die die Freiheit lieben, und wir möchten gerne unsere Willensbildung so frei und so unabhängig wie möglich gestalten. Es wäre sehr nett von der Bundesregierung, wenn sie die Liebenswürdigkeit haben wollte, das neue Jahr 1955 zu benutzen, um recht bald ein neues Wahlgesetz vorzulegen. Wie sagte doch der Herr Bundesinnenminister aus diesem Anlaß?
({53})
Im Sommer 1954 sagte unser verehrter Herr Bundesminister, daß er bemüht sei, bis Weihnachten die Fragen um das Bundeswahlgesetz einer Klärung zuzuführen. Meine Damen und Herren, es ist kalendarisch nicht möglich; sonst wären wir gezwungen, die Weihnachten erheblich zu verlegen.
({54})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niederalt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Fülle des Stoffes, der im Rahmen der politischen Aussprache zum Haus-, halt zur Verfügung steht, möchte ich nur einige wenige grundsätzliche Themen herausgreifen. Ich möchte mich insofern etwas anders verhalten als
({0})
mein verehrter Herr Vorredner, der, glaube ich, in einzelnen Dingen doch eine Debatte vorweggenommen hat, die nach meiner Ansicht vielleicht besser in die zweite Lesung, nämlich in die Beratung der einzelnen Etats, gehört hätte. Da wir hier so beinahe hätte ich gesagt: gemütlich - im kleinen trauten Verein einiger weniger Interessierter beisammen sind, muß ich doch tauf das zurückkommen, was heute im Verlauf der Debatte schon wiederholt angeklungen ist, nämlich auf die Kritik am Verhältnis zwischen Bund und Ländern, auf die Kritik am Bundesrat, an dem Verhalten der Länder. Es wurde einiges Schöne gesagt, es wurde aber überwiegend Kritik geübt. Der Herr Staatssekretär Hartmann hat gestern in seiner Etatrede, die er für den Bundesfinanzminister vorgetragen hat, in einem Satz ausgeführt, daß er sich, um das schwierige Verhältnis zwischen Bund und Ländern nicht noch mehr zu belasten, die größte Zurückhaltung auferlege. Wenn wir es also bisher nicht gewußt hätten, meine Damen und Herren, vom Zeitpunkt der Etatsrede ab wissen wir es authentisch und amtlich: das Verhältnis zwischen Bund und Ländern ist, zur Zeit wenigstens, alles andere als eitel Glück und Sonnenschein.
Trotz des Unmuts, der aus der wohlüberlegten Formulierung in der Etatrede spricht, glaube ich aber, daß wir alle von der Überzeugung ausgehen dürfen, daß zumindest der Bundesfinanzminister selbst nach wie vor dieses kritisierte Prinzip des föderativen Staatsaufbaus für das richtige hält. Der Unmut richtet sich also offensichtlich nicht gegen die Sache als solche, sondern gegen die Behandlung, gegen die Methode.
({1})
Es kann in der Tat nicht geleugnet werden, daß die Handhabung dieses schwierigen Ordnungsprinzips, ,des föderativen Staatsaufbaus, in vielen Fällen in der jüngsten Zeit nicht immer recht glücklich war. Wer beispielsweise am vergangenen Freitag im Bundesrat drüben die Behandlung des Finanzverfassungsgesetzes erlebt hat, wer erlebt hat, daß der Bundesrat leider Gottes beschlossen hat, den Vermittlungsausschuß nicht anzurufen, also nicht zurückzugehen auf jenes verfassungsmäßige Organ, das mit Bedacht in das Grundgesetz eingebaut wurde, um Differenzen zwischen den beiden Häusern auszugleichen, um zu vermitteln, sondern einfach nein sagte, der kann - vor allem, wenn er mit ganzem Herzen und mit innerer Anteilnahme Föderalist ist - wenig erfreut sein über einen solchen Beschluß.
({2})
Erfreut können schon viel, viel mehr diejenigen sein, die grundsätzliche Gegner des Föderalismus, grundsätzliche Gegner des Bundesrats sind, weil sie wissen: wenn so gearbeitet wird, kommen die Dinge auf uns selbst zu.
({3})
- Herr Heiland, ich brauche Ihnen doch kein staatsrechtliches Kolleg zu geben. Die Mehrheit im Bundesrat ist verschieden, sie wechselt nach den Landesregierungen, das wissen Sie doch.
({4})
-- Sehen Sie!
Ich habe eben schon das Thema der Finanzverfassung angeschnitten. Der ganze Verlauf der
Finanzreform war überhaupt nicht sehr glücklich; auch das möchte ich in aller Freiheit aussprechen. Wirkliche Konzeptionen, die da und dort sowohl auf der Bundesseite als auch ab und zu auf der Seite der Länder vorhanden waren, mußten während der Verhandlungen immer mehr zurücktreten und dem Jonglieren mit Zahlen ausweichen. Aus einer großen staatspolitischen Aufgabe wurde praktisch eine Rechenaufgabe, und eine Rechenaufgabe wird vermutlich auch wieder die Aufgabe sein, die uns im jetzigen Haushalt unmittelbar interessiert: die Lösung der Frage, ob 40 °/o Einkommen- und Körperschaftsteueranteil, wie der Bundesfinanzminister zugrunde legt, oder 36 01e, wie der Bundesrat fordert.
Meine Damen und Herren, wenn wir Abgeordneten des Deutschen Bundestags hier einmal ganz ehrlich sind, müssen wir, glaube ich, zugeben, daß kaum einer unter uns ist, der sich 'ein eigenes Urteil in dieser Frage bilden kann; er müßte sich sonst monatelang ausschließlich mit dieser Materie befassen.
({5})
- Vielleicht gibt es Ausnahmen. Ich bin gerne bereit, die anzuerkennen. Ich meine, es ist doch so, daß wir uns im Grunde genommen nur entscheiden können, welchen Rechenkünstlern auf der einen oder auf der andern Seite wir mehr Vertrauen schenken. Das scheint mir das letzte Votum zu sein. Ich stehe nicht an zu sagen, daß das gerade vom föderativen Standpunkt aus ein unguter Zustand ist. Deshalb sind wir insoweit durchaus der Meinung, daß es, wie es auch der Bundesfinanzminister in seiner Etatsrede wieder betont hat, einen Fortschritt bedeutete, wenn wir aus dem jährlichen Tauziehen herauskämen und - ich habe schon im Frühjahr bei der ersten Haushaltsdebatte das gleiche gesagt - wenigstens in ein dreijähriges Stadium hineinkämen, wie es das Finanzverfassungsgesetz vorgesehen hat.
Darüber hinaus erhoffen und wünschen wir eine verstärkte Rücksichtnahme auf beiden Seiten, auf seiten des Bundes und auf seiten der Länder. Wenn ich mir durch den Kopf gehen lasse, was die Ursache dieser Reibereien, wie man so bei uns zu Hause sagt, ist, so meine ich fast: daran ist mit schuld, daß diese Differenzen häufig nicht oben auf der politischen Ebene, sondern auf der Ebene der Ministerialbeamten ausgetragen werden.
({6})
- Auch des Bundes, Herr Professor Gülich! Dort wird oft die Anwaltsmethode geübt. Das heißt also, um es mal ganz deutsch zu sagen: ein Ministerialdirigent des Bundesfinanzministeriums hat diese und jene finanzverfassungsrechtliche Theorie vertreten und auch mit Zahlen belegt usw.; nun muß natürlich sofort der Ministerialdirigent in irgendeinem Lande - das kann sich überall abspielen - den Nachweis führen, daß er die Materie doch noch etwas besser beherrscht und es dem andern wieder etwas „gegeben" hat. Das meine ich, wenn ich sage: ich habe das Gefühl-vielleicht täusche ich mich-, daß sich diese Auseinandersetzungen weniger auf der politischen Ebene unter den gesamten politischen Gesichtspunkten, sondern mehr mittelbar, manchmal sogar unmittelbar auf der Ebene der höheren Ministerialbürokratie abspielen. Daher scheinen mir gewisse Schwierigkeiten zu kommen.
({7})
({8})
Aus der Kritik, die schon den ganzen Tag durchgeklungen hat - ich habe sie absichtlich etwas eingehend behandelt -, sind nun Schlußfolgerungen gezogen worden, die mir - und da bitte ich um Verständnis, weil ich weiß, daß ein großer Teil des Hauses nicht meiner Meinung ist - zu weit gehen. Vor allem hat Dr. von Merkatz - wenn ich mich nicht täusche, auch Herr Eckhardt - die Schlußfolgerung gezogen, daß eine Bundesfinanzverwaltung kommen müsse, und auch Herr Dr. Dresbach hat gestern in einem andern Zusammenhang den Stoßseufzer nach einer Bundesfinanzverwaltung ausgestoßen.
({9})
- Herr Dr. Dresbach, Sie brauchen gar nichts zu sagen. Ich kenne Sie viel zu gut und weiß ganz genau, wie Sie über diese Dinge denken. Ich weiß ganz genau, daß Sie ab und zu Bonmots dazwischenstreuen, um eine gewisse Auflockerung zu erreichen, und ich halte auch diesen Stoßseufzer für ein Bonmot. Denn wenn ein so gewichtiger Mann wie Sie, Herr Dr. Dresbach, in einer nicht unbedeutenden Frage nur einen kleinen Stoßseufzer ausstößt, dann kann ich mir nicht vorstellen, daß das Anliegen für Sie so eminent wichtig ist.
({10})
- Ich meine doch, sonst hätten Sie nicht nur einen Stoßseufzer ausgestoßen, sondern vielleicht ein gewichtigeres Wort, Ihrer gewichtigen Persönlichkeit entsprechend, gesprochen.
({11})
Meine Damen und Herren, aber nun ernsthaft: Wir von der CSU lehnen die Bundesfinanzverwaltung ab, weil sie nach unserer Auffassung eine weitgehende Verschiebung des föderativen Aufbaus unserer Bundesrepublik in Richtung auf den zentralen Einheitsstaat bedeuten würde. Wir haben doch diesen Einheitsstaat schon erlebt!
({12})
- Herr Professor Gülich, Sie können doch nicht leugnen, daß die Einführung der Bundesfinanzverwaltung ein weiteres Wegnehmen von Hoheitsrechten der Länder bedeutet. Sie können weiter nicht leugnen, Herr Professor Gülich, daß wir uns auf diesem Gebiet sowieso in der Defensive befinden.
({13})
Meiner Ansicht nach - Sie können ruhig anderer Ansicht sein - ist das mit ein wichtiger Schritt hin zum Einheitsstaat. Und gerade heute angesichts der kommenden politischen Aufgaben möchte ich Sie doch bitten, meine Damen und Herren, nachzudenken, ob dieser Einheitsstaat wirklich so ersehnt werden muß. Wir haben ihn ja schon einmal erlebt.
({14}) - Herr Professor Gülich?
({15})
- Herr Professor Gülich, ich bezweifle nicht, daß Sie es vielleicht persönlich gut meinen.
({16})
- Sie könnten es ja auch bös meinen!
({17})
Ich könnte vielleicht der Ansicht sein, Sie seien ein Zentralist, und wenn Sie dann diesen Einwand machen, könnte es vielleicht auch bös gemeint sein. Es muß also nicht unbedingt sein, daß Sie es gut gemeint haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf diese Dinge heute gar nicht mehr eingehen. Gott sei Dank ist heute - darüber freue ich mich - in diesem Zusammenhang nicht wieder der Einwand gekommen, die Bundesfinanzverwaltung komme viel billiger. Sonst hätte ich auf Gutachten hinweisen müssen, die Sie von der SPD sehr gut kennen und die von dem bisherigen bayerischen Finanzminister Friedrich Zietsch stammen. Aber lassen wir die Frage. Wir wissen doch alle miteinander, daß es in unserem Staatsaufbau Grundsätze gibt, die nicht finanziell einkalkuliert werden können, die jenseits der Frage von billig oder teuer stehen.
Lassen Sie mich noch einen praktischen Gesichtspunkt anführen. Meine Damen und Herren, ich frage mich immer wieder, was es denn soll, wenn wir dieses Thema anschneiden. Wir kommen doch praktisch keinen Schritt weiter. Jedermann weiß, daß die Einführung der Bundesfinanzverwaltung eine Grundgesetzänderung ist. Die Grundgesetzänderung erfordert die Zwei-Drittel-Mehrheit, - die Zwei-Drittel-Mehrheit nicht nur im Bundestag, sondern auch im Bundesrat. Nun unterstelle ich einmal, im Bundestag käme die Zwei-DrittelMehrheit zustande. Ich unterstelle es; ich glaube nicht daran, weil ich fest überzeugt bin, daß meine Freunde von der CDU im Ernstfall doch wüßten, um welche Frage es geht; aber ich unterstelle es einmal. Niemals jedoch wird auch bei dieser Unterstellung die Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat zustande kommen, und zwar gleichgültig, meine Damen und Herren, wie die jeweiligen Länderregierungen zusammengesetzt sind. Das haben doch die bisherigen Erfahrungen schon ganz eindeutig bewiesen. Deshalb die einzig mögliche Schlußfolgerung aus dieser Erkenntnis: Legen wir doch diese Forderung nach einer Bundesfinanzverwaltung endlich, sei es aus Einsicht - was mir am liebsten wäre -, sei es aus praktischen Gründen, ad acta!
Weil ich gerade vom Verhältnis Bund-Länder spreche, möchte ich in diesem Zusammenhang zu einem weiteren Punkt Stellung nehmen, der mir wichtig erscheint. Wir haben hier im Bundestag in diesem Jahr die Debatte über den Antrag auf Errichtung eines Bundeskultusministeriums erlebt und haben auch sonst schon ein paarmal recht schöne kulturpolitische Debatten hier gehabt. Auf der andern Seite müssen wir feststellen, daß unsere Landtage da und dort sich plötzlich mit der Außenpolitik befassen.
({18})
Wir halten diesen Zustand nicht nur für unrichtig, sondern für gefährlich und einer vernünftigen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern absolut abträglich. Stellen wir uns doch endlich einmal alle miteinander in Bund und Ländern auf den Boden des Grundgesetzes und lassen wir den Ländern ihre Kulturpolitik! Wenn Sie, meine Damen und Herren von links oder von rechts, an dieser Kulturpolitik in dem einen oder andern Land etwas auszusetzen haben, dann haben wir doch alle mitein({19})
I arider Einwirkungsmöglichkeiten genug und müssen das nicht in diesem Hohen Hause austragen, das nach dem Grundgesetz dafür nicht zuständig ist.
({20})
Wir sind doch hier nicht als Einzelgänger, meine Damen und Herren, wir sind Angehörige einer Partei, über die wir unsere Forderungen, wenn wir glauben, daß etwas nicht richtig ist, durchsetzen können. Ich sage aber ausdrücklich auch: Die Länderparlamente, die sich auf außenpolitisches Gebiet begeben, begeben sich auf Glatteis,
({21})
und zwar aus verschiedenen Gründen. Sie begeben sich auf Glatteis erstens, weil sie in der
Materie gar nicht unterrichtet sein können und
nicht unterrichtet sind - sie haben nicht die Unterlagen, wollen wir das doch einmal feststellen! -,
({22})
und sie begeben sich auf Glatteis auch in einer anderen Richtung: sie sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen.
({23})
In dem Moment, wo sie sich um solche Dinge kümmern, gießen sie Wasser auf die Mühlen derjenigen, die ein Landesparlament weder über die Außenpolitik noch über sonst irgendein Thema debattieren lassen wollen, weil sie grundsätzliche Gegner der Länderparlamente überhaupt sind. Deshalb möchte ich gerade von dieser Stelle aus dringend davor warnen, solche Wege zu beschreiten.
Ich möchte nun das Thema Bund-Länder verlassen und mich einem Thema zuwenden, das uns von der CSU allen sehr am Herzen liegt. Es ist die Frage der regionalen Wirtschaftsförderung, die Frage der Förderung der Gebiete am Eisernen Vorhang.
({24})
- Ich sagte „besonders", Herr Professor Gülich. Selbstverständlich liegt es auch Ihnen am Herzen, das weiß ich aus unseren Beratungen im Haushaltsausschuß.
Zuvor eine Bemerkung. Der Herr Staatssekretär hat irgendwo in seiner Etatsrede u. a. auch gesagt, daß bei Forderungen an den Bund plötzlich auch die überzeugtesten Föderalisten an den Bund denken, obwohl die Priorität der Länder gegeben sei. Sollte, Herr Staatssekretär, diese Feststellung etwa auf das Zonenrandgebiet bezogen sein, so möchte ich hier in aller Form auf Art. 120 des Grundgesetzes verweisen, den Sie und ich kennen und der die Priorität des Bundes ganz eindeutig feststellt. Ich hoffe, daß mir das Haus insoweit zustimmt. Wenn ich hier über diese Zonenrandgebiete spreche, so möchte ich meine Legitimation, gerade aus Bayern kommend, darauf zurückführen, daß das Land Bayern im Osten eine Grenze von 849 km hat, von insgesamt 1749 km fast die Hälfte, gegenüber 430 km in Schleswig-Holstein, 548 km in Niedersachsen und 247 km in Hessen. Das sogenannte Ostrandgebiet in Bayern, also der bekannte 40-kmStreifen entlang der Ostgrenze, umfaßt 23 % der Gesamtfläche und 22,7 % der Gesamtbevölkerung Bayerns.
Aus diesen Zahlen mögen Sie, meine Damen und Herren, die politische und wirtschaftliche Bedeutung dieser Frage erkennen, und in dieser Sicht werden Sie es vielleicht auch verstehen, daß wir über die bisherigen sogenannten Zonenranddebatten in diesem Hohen Hause nicht unbedingt glücklich waren. Wir haben den Eindruck, daß es sich nach der Auffassung vieler Damen und Herren dieses Hauses dabei nur um eine Frage von örtlicher Bedeutung handelt, womöglich um eine Frage von interessierten Wahlkreisabgeordneten. Mag sein, daß die Debatte selbst ab und zu zu diesem Eindruck beigetragen hat, weil sie manchmal etwas auf der Ebene der Wahlkreisoptik geführt worden und vor allem auch ein paarmal in die Ebene der Parteipolitik hinabgerutscht ist, und das ist immer ein Schaden, der zu Lasten der betroffenen Bevölkerung geht. Das Problem der Zonenrandgebiete ist keine Frage mit Lokalkolorit;
({25})
es ist eine Frage, die die gesamte Bundesrepublik interessieren muß. Es geht praktisch um die Frage: soll die Gefahr der Verödung, die durch die künstliche Grenzziehung mitten durch zusammenhängende Wirtschaftsräume entstanden ist, für die Zukunft gebannt und das gefährliche West-Ost-Gefälle beseitigt werden? Es geht um die Frage: kann und soll die vielfach in der Wirtschaft noch herrschende Grenzscheu überwunden werden, und kann damit auch die seelische Belastung der Bevölkerung überwunden werden, die sehr leicht zu einem allgemeinen Verlassenheitsgefühl führen kann? So, meine Damen und Herren, bitte ich diese Frage der Zonenrandgebiete zu sehen, nicht vom Standpunkt des Brotneids, nicht vom Standpunkt der Wahlkreisoptik. Wenn hier die wirksame Hilfe des Bundes nicht weiter anhält, nach unserer Auffassung nicht weiter intensiviert wird, so kann aus der wirtschaftlichen und psychologischen Situation heraus das Zonenrandgebiet tatsächlich zur weichen Stelle in der Front des Kalten Krieges werden, und das geht uns doch alle miteinander etwas an. Dem können wir nicht gleichgültig gegenüberstehen, ob wir nun im Westen der Bundesrepublik unsere Heimat haben oder im Osten, ob wir dieser oder jener Partei angehören.
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Auf Einzelmaßnahmen möchte ich hier nicht eingehen. Herr von Merkatz hat heute schon darüber gesprochen, und seine Vorschläge scheinen mir, so wie ich sie gehört habe jedenfalls, ausgezeichnet zu sein. Es muß auch anerkannt werden, daß bisher vom Bund auf dem Gebiet der Frachthilfe, der Energiepreishilfe und der Förderung des Fremdenverkehrs schon etwas geschehen ist, und ich stehe nicht an, hierfür der Bundesregierung auch einmal zu danken. Auch das Danken sollte man im Leben nicht ganz vergessen.
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Ich muß aber hinzufügen, daß wir hier noch lange nicht am Ende sind. Wir müssen für diese Gebiete, überörtlich gesehen, vor allem den Ausbau von großen und größeren West-Ost-Straßenzügen verlangen, beispielsweise ,der Autobahn FrankfurtWürzburg-Nürnberg-Regensburg. Wir müssen den Au sbau des Wasserweges Rhein-Main-Donau-Kanal verlangen. Vielleicht verstehen Sie jetzt, meine Damen und Herren, warum ich im vergangenen Jahr bei der Beratung des Haushalts des Verkehrsministeriums so intensiv für den Ausbau
({28})
des Rhein-Main-Donau-Kanals bzw. für die Erhöhung um eine Million DM eingetreten bin.
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In diesem Zusammenhang eine Frage, die wenigstens mich und, wie ich annehme, auch meine Freunde von der CSU etwas beunruhigt hat. Herr Kollege Schoettle ist heute schon darauf zu sprechen gekommen. Es betrifft den Einsatz der Arbeitskräfte. Wir haben die Zeitungsmeldungen, wonach der Bundeswirtschaftsminister Erhard sich im Ausland da und dort um ausländische Arbeitskräfte bemüht haben soll, eigentlich nicht verstanden. Ich habe mich nicht erkundigt, und ich weiß nicht, was daran wahr oder nicht wahr ist. Aber auf jeden Fall möchte ich von hier aus feststellen, daß wir dafür kein Verständnis hätten, solange gerade in diesem Ostrandgebiet, übrigens auch noch in anderen Gebieten, eine relativ hohe Arbeitslosenziffer vorhanden ist.
({30})
Wir dürfen die Arbeitslosenzahl - und dazu neigt man häufig - nicht immer nur nach der absoluten Zahl betrachten, sondern wir müssen sie in ihrer regionalen Bedeutung sehen, und da spielt sie gerade in diesen Ostrandgebieten noch eine große
Rolle.
Es ist für mich so selbstverständlich, daß ich es kaum auszusprechen wage: Der letzte deutsche Ar,beiter muß doch erst in Arbeit sein, bevor wir an diese Dinge denken, und wir müssen die Bundesregierung wirklich bitten, zunächst alle Anstrengungen zu machen, um unsere Wirtschaft und unsere Industrie zu bewegen, dorthin zu gehen, wo noch Arbeitskräfte sind, damit wir eine gesunde Dezentralisation auch in der Wirtschaft bekommen. Das müssen nach unserer Auffassung die ersten Bemühungen des Bundeswirtschaftsministeriums sein.
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- Da gibt es aber Mittel und Wege, Herr Professor Gülich. Auch im gegenwärtigen Stadium, auch nach der gegenwärtigen Verfassung gibt es Mittel und Wege - und sie wurden teilweise schon beschritten -, dem Einhalt zu gebieten. Eine vernünftige Dezentralisation muß unser Ziel sein. Dadurch helfen wir der Wirtschaft und Industrie, dadurch helfen wir unserem Ostrandgebiet wohl am allermeisten.
Nunmöchte ich noch zu einem Punkt Stellung nehmen, der meine Freunde und mich schon seit geraumer Zeit erheblich beunruhigt. Er betrifft die Frage der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung. Ich gebe hier den Ausführungen von Herrn Kollegen Schoettle weitgehend recht. Ich habe die Haushaltsdebatte im Frühjahr dieses Jahres genau verfolgt. Ich habe das Protokoll hierüber nachgelesen, und ich konnte die seltene Einmütigkeit in diesem Hohen Hause darüber feststellen, daß das Höchstmaß erreicht sein soll. Aber offensichtlich ist es leichter, zu einer Erkenntnis zu kommen, als die notwendigen Schlußfolgerungen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Darauf allein käme es aber an.
Was die Bundesverwaltung anlangt, sind die Zahlen heute schon genannt worden. Ich erinnere nur daran, daß auch im Jahre 1955 wiederum eine Steigerung um etwa 1300 Kräfte vorgeschlagen wird. Dabei ist der Bundesgrenzschutz in dieser Steigerung noch nicht enthalten. Denken Sie daran, daß die gleiche Steigerungstendenz von Jahr zu Jahr auch in den Haushalten der Länder und Gemeinden festzustellen ist, und dann stellt sich uns die Frage so: Sollen wir uns von dieser, beinahe möchte ich sagen: lawinenartigen Entwicklung überrollen lassen oder nicht? Wenn wir das nicht wollen - und ich nehme an, daß wir es nicht wollen -, dann dürfen wir nicht bloß Kritik üben, dann müssen wir handeln.
Ich möchte nur ein paar Beispiele aufzeigen, wie man etwa handeln könnte. Erstes Beispiel: Der gegenwärtige Bundestag - man muß immer bei sich selber anfangen, wenn man wirklich mit einer Sache Ernst machen will - besteht aus 509 Abgeordneten. Niemand wird behaupten wollen, daß Qualität und Quantität der Arbeit des gegenwärtigen Bundestages etwa Schritt gehalten haben mit der Vermehrung der Mandate.
({32})
Ich drücke mich vorsichtig aus. Ich bin der Auffassung, daß ein Bundestag mit etwa 400 Abgeordneten, wie wir sie im 1. Bundestag hatten, die Aufgabe genau so gut erfüllen kann.
({33})
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen - das verzeihen mir meine politischen Gegner -, daß die CSU im 1. Bundestag auch schon auf diesem Standpunkt gestanden und entsprechend abgestimmt hat.
({34})
- Länderparlamente, Herr Kollege Rinke, da sprechen Sie ein Thema an. Ich bin der Auffasung, wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen,
({35})
und dann mögen unter dem Druck der öffentlichen Meinung auch die Länderparlamente, die es angeht, das tun, was zu tun ist.
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Die Schlußfolgerung, meine Damen und Herren, aus dieser Feststellung müßte nun ganz konkret die sein, daß wir von der Bundesregierung erwarten, daß das künftige Bundeswahlgesetz, das uns hoffentlich möglichst bald vorgelegt wird
({37})
- da sind wir vollkommen einer Meinung mit Ihnen von der SPD -, von einer Höchstzahl von 400 Mandaten ausgeht. Sofern ein Initiativgesetz zustande kommt, müssen wir erwarten, daß alle politischen Parteien, denen es ernst ist mit der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit,
({38})
sich an diese Höchstzahl von 400 Mandaten halten, und von dieser als richtig anerkannten Grundkonzeption sollte uns keinerlei parteiarithmetische Berechnung abbringen.
({39})
({40})
I Ein weiterer praktischer Vorschlag! Wir haben uns im Haushaltsausschuß des öfteren wirklich ehrlich und redlich bemüht, dem ständigen Anwachsen der Bundesverwaltung entgegenzutreten. Ich glaube aber, wir haben dabei einen Fehler gemacht. Wir haben uns nämlich in eine Debatte über die Notwendigkeit dieser oder jener Aufgabe eingelassen, in eine Debatte über das Erfordernis dieser oder jener Stellenvermehrung. Auch ich war zu Beginn meiner Tätigkeit im Bundestag der Auffassung, daß man von der Aufgabenseite her an dieses Problem herantreten müsse. Ich bin inzwischen durch die praktische Erfahrung eines Besseren belehrt. In der Etatrede wurde sehr richtig gesagt: Die öffentlichen Aufgaben sind keine meßbare Größe; sie sind ihrer Natur nach unerschöpflich. Das ist leider Gottes richtig. Daraus ergibt sich, daß wir nicht von der Aufgabenseite her an dieses Problem herantreten dürfen, zumal wir in diesem Falle dann immer Experten, besonders sachkundigen Leuten gegenübersitzen, die uns mit tödlicher Sicherheit - die Praxis hat das schon gezeigt - den Nachweis liefern, daß morgen, bestimmt aber übermorgen eine große Katastrophe eintreten wird, wenn diese Aufgabe nicht in diesem gewünschten Umfange erfüllt wird.
({41})
- Ich habe gesagt, daß ich etwas übertreibe, Herr
Professor Gülich. Aber Sie kennen das Problem genau so gut wie ich. - Aus dieser praktischen Erfahrung bin ich zu der Überzeugung gekommen,
daß es am besten ist, rundweg ohne jede Debatte,
ohne jede individuelle Prüfung, einfach ganz primitiv „nein" zu sagen. Ich glaube, wir kommen
I sonst an dieses Problem nicht heran. Es ist eine
Holzschlegelmethode, die mir absolut nicht gefällt,
({42})
aber ich glaube - ich wiederhole es -, daß uns gar nichts anderes übrigbleibt. Wir müssen uns auf den Standpunkt stellen, die Verwaltung des Bundes ist in allen Ressorts als endgültig auf gebaut anzusehen. Dort, wo noch auf irgendeinem Gebiet einmal echte Personalschwierigkeiten auftreten, mag es Sache der Bundesregierung sein, einen Ausgleich herbeizuführen.
({43})
Mit dieser Einstellung einer jeden weiteren Personalvermehrung ist natürlich gleichzeitig auch das Aufhören jeder weiteren Planung verbunden, die vielleicht noch irgendwo in den Gehirnen oder in den Schubladen oder auf den Schreibtischen von manchen Beamten, besonders hinsichtlich weiterer Dienstbauten, getrieben wird. Auch hier müssen wir auf dem Standpunkt stehen: es ist genug, reichlich genug! Wenn da und dort noch irgendwelche Schwierigkeiten auftreten, so muß man sich eben behelfen. Es ist auch im Leben, auch im Leben des Steuerzahlers, auch im Leben des Staatsbürgers nicht alles so, wie er es sich vielleicht ideal wünscht.
Über dieses eiserne Nein hinaus müssen wir noch prüfen, ob es nicht möglich ist, künftig jede freiwerdende fünfte Planstelle einzusparen. Dieser Vorschlag ist schon einmal im Haushaltsausschuß erwähnt worden. Wir sollten diesen Vorschlag nicht in Vergessenheit geraten lassen. Ich habe mich inzwischen mit Sachverständigen über diese Frage eingehend unterhalten. Allseits ist mir bestätigt worden, daß diese Forderung nicht utopisch ist, daß diese Forderung sehr gut realisierbar ist. Nur dann, wenn wir dieser unsympathischen - wie ich gerne zugebe - und primitiven Methode des Neinsagens folgen, werden wir erreichen, daß dieser Perfektionsdrang, dieser Perfektionismus, dem wir doch heute allenthalben schon zu unterliegen drohen, etwas in die Schranken gewiesen wird. Ich glaube bestimmt sagen zu dürfen, daß unsere Verwaltung nicht darunter leidet. Es ist ein alter Erfahrungssatz - der Bundesfinanzminister hat ihn in seiner Etatrede im vergangenen Jahr klar ausgesprochen -, der da besagt, daß ein Zuviel an Personal weniger geeignet ist, mit einer Arbeitsbelastung fertigzuwerden, als ein Zuwenig an Personal. Vielleicht erreichen wir dadurch mittelbar auch noch, daß es irgendwo in unserem menschlichen Leben eine private Sphäre gibt, die noch nicht staatlich geregelt ist.
Man muß gerecht sein, und wenn man gerecht ist, darf man die Schuld an dieser Aufblähung, wie ich sie nenne, nicht etwa dem Perfektionismus, dem Drang der Bürokratie nach Perfektionismus allein zuschreiben. Nein, das wäre nicht richtig. Wir müssen auch ein gerüttelt Maß an Schuld auf uns selber nehmen. Wir müssen „mea culpa" sagen, vielleicht sogar: „mea maxima culpa", weil wir immer wieder Beschlüsse fassen, die eben Arbeiten, Aufgaben verursachen.
Deshalb mein ganz konkreter dritter Vorschlag, damit das nicht mehr vorkommt: vor jedem Beschluß des Bundestags auf irgendwelchen Sachgebieten, der eine Personalvermehrung in der Verwaltung des Bundes und der Länder zur Folge hat, ist die Bundesregierung verpflichtet, auf diesen Sachverhalt der notwendig werdenden Personalvermehrung und den Umfang derselben ausdrücklich hinzuweisen,
({44})
damit jeder Bundestagsabgeordnete sich auch insoweit seiner Verantwortung bei der Beschlußfassung und Abstimmung klar bewußt ist.
Meine Damen und Herren, ich habe mir nun erlaubt, einige praktische Beispiele anzuführen. Ich möchte nicht etwa sagen, daß diese Beispiele den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Wir müßten, glaube ich, in diesem Zusammenhang - ich persönlich möchte es jedenfalls tun - auch einmal die Frage prüfen: Ist die jetzige Zahl der Bundesministerien die allein richtige? Wir müssen uns ins Gedächtnis zurückrufen, daß nach dem Willen des Parlamentarischen Rats neun bis zehn Bundesministerien entstehen sollten. Wenn wir von Sparsamkeit reden und es ernst damit meinen, können wir an einer ernsthaften Prüfung dieser Frage nicht vorbeigehen.
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Bei dieser Gelegenheit möchte ich es auch nicht unterlassen, eine Warnung auszusprechen, die Warnung vor allzu vielen Ministerien mit horizontalem Wirkungsbereich. Diese Ministerien haben es in sich. Wenn man damit beginnt, weiß man nicht, wo man endet. Ich erinnere an die Forderung nach dem Mittelstandsministerium. Ich erinnere an die Forderung, die jüngst irgendwo erhoben wurde, nach einem Kriegsversehrtenministerium. Wenn man mit dem horizontalen Wirkungsbereich beginnt, findet man schwer ein Ende. Deshalb Vorsicht bei diesen Ministerien!
({46})
({47})
Meine dringende Bitte an Sie alle, gleichgültig welcher Partei Sie angehören, wäre die: Helfen wir alle, damit wir auf diesem schwierigen Gebiet einen Schritt vorwärtskommen! Wie ernst es mir persönlich mit diesem Bestreben ist, mögen Sie daraus erkennen, daß ich meine Ausführungen nunmehr schließe mit einem Wort unseres - ich sage absichtlich „unseres" und meine „unser aller"
- verehrten Bundestagspräsidenten, des verstorbenen Herrn Dr. Ehlers, der kurz vor seinem Tode
- in einem anderen Zusammenhang, aber auch hier passend - gesagt hat: Wir sind uns einander nicht schuldig, bequem zu sein, sondern wir sind uns schuldig, unseren Weg zu gehen und unsere Verantwortung wahrzunehmen.
({48})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegen von der politischen Linken, die sich auf Grund ihrer Vergangenheit mehr auf die dialektische Methode verstehen, könnten zu der Auffassung kommen, das dialektische Prinzip sei bei der CDU/CSU eingekehrt, auf die CSU-These folge die CDU-Antithese. Aber ich darf Ihnen versichern: ich werde in freundschaftlicher und menschlicher Weise um eine Synthese bemüht sein.
Verschiedene Kollegen haben darauf hingewiesen, daß über diesem Haushaltsplan der Unsicherheitsfaktor schwebt, der durch den Finanzausgleich vertikaler Art gegeben ist. Es handelt sich um die Frage des Anteils des Bundes und der Länder an der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Der Bundesrat spricht von 36 %, die Regierungsvorlage sieht einen Bundesanteil von 40 % vor. Sehen Sie, verehrter Herr Niederalt, als wir im Steuerausschuß über das Finanzverfassungsgesetz berieten und zuletzt beschlossen, daß wir bestimmte Ländersteuern zu Bundessteuern machen wollten, beispielsweise und vornehmlich die Erbschaftsteuer, die Vermögensteuer, die Kraftfahrzeugsteuer, da waren wir uns sehr wohl bewußt, daß wir infolgedessen den Anteil der Länder an der Einkommen- und Körperschaftsteuer entsprechend erhöhen mußten. Aber jetzt verlangt der Bundesrat für die Länder 64 %, d. h. für den Bund will er nur 36 % geben, und er ist gleichzeitig gegen das Finanzverfassungsgesetz.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Länder dabei sind, die Reform der Kraftfahrzeugbesteuerung durch die alleinige Treibstoffbesteuerung, die doch der Sinn und die Grundlage dieser einen Reform war, zu sabotieren oder jedenfalls zu verhindern.
({0})
Ich habe gestern schon durch Zwischenrufe in der Haushaltsrede des Herrn Staatssekretärs Hartmann kund und zu wissen getan, daß die Vorschläge des Bundesrates, nun den Ausgleich um die fehlenden 4 °/o durch Erhöhung der Zollansätze bei den Einnahmen des Bundes und durch entsprechende Ausgabenabstriche herbeizuführen, das Spiel wiederholten, das im vorigen Jahr auch gespielt worden ist. In diesem Zusammenhang darf ich das Wort des Herrn Staatssekretärs Hartmann aus seiner ausgezeichneten Haushaltsrede einmal kräftig unterstreichen:
Hier offenbart sich die staatspolitisch wie finanzwirtschaftlich bedenkliche Abhängigkeit des Bundes vom guten Willen und von der Einsicht der Landesregierungen.
Für meine Person - und ich hoffe, einigen Beifall auch bei den Mitgliedern dieses Hohen Hauses zu finden - erkläre ich, daß bei vielen Landesfinanzministern noch die richtige Einsicht für die Dynamik in der Bundesfinanzwelt, die sich durch die Rüstung ergeben wird, fehlt. Meine Damen und Herren, wer zur Außenpolitik des Herrn Bundeskanzlers A sagt, muß zur Frage der Rüstungsfinanzierung B sagen.
({1})
Diese Worte richte ich vor allen Dingen auch an meine politischen Freunde in den Länderregierungen. Ich will mich in den Streit um die Zahlen, die heute hier rund um die Höhe der Rüstungskosten diskutiert worden sind, nicht einmischen, aber meine persönliche Auffassung ist, daß die Rüstungsfinanzierung der Zukunft das Finanz-ausgleichsgefüge des Grundgesetzes nicht unangetastet lassen kann.
Ich stelle also fest - zusammen mit dem Herrn Staatssekretär -: Der Bund ist ohne Einfluß auf die Länderfinanzen; die Länder haben aber sehr wohl Einfluß auf die Bundesfinanzen. Nun frage ich einmal: Was würden die Länder sagen, wenn man in jedem Land eine Gemeindekammer mit den Funktionen des Bundesrates errichtete?
({2})
Der Gedanke ist durchaus nicht so abwegig.
Wir wollen aber auch versuchen, Verständnis für die reichen Länder aufzubringen, insbesondere für mein engeres Vaterland Nordrhein-Westfalen, damit ich dort nicht ganz und gar in Verschiß komme. - Verzeihung, - ({3})
Herr Kollege Dresbach, einen Augenblick. Dieser Ausdruck ist zwar nicht parlamentarisch; aber niemand in, diesem Hause und darüber hinaus wird sich dadurch beleidigt fühlen.
({0})
Danke schön! - Ich kann es verstehen, wenn die reichen und abgebenden Länder - es handelt sich hier um die Frage des horizontalen Finanzausgleichs, also um das, was jetzt im Länderfinanzausgleichsgesetz geregelt wurde - manchmal mißtrauisch auf die Ausgabenwirtschaft der nehmenden, der empfangenden Länder sehen und dort feststellen, daß sich diese nehmenden und empfangenden Länder Ausgaben leisten, wie sie sonst nur bei reichen Leuten üblich sind. Soll das nun zu einer Finanzaufsicht meinetwegen der reichen abgebenden Länder über die armen nehmenden Länder führen? Wenn schon von einer Finanzaufsicht in dieser Hinsicht die Rede sein sollte, dann möchte ich diese Funktion doch dem Bund als dem oberen Verband, der ja auch das Inkasso hat, übertragen wissen. Aber das sind Meditationen, lieber Herr Niederalt, an deren verfassungsrechtliche Verwirklichung ich in diesem Augenblick noch nicht zu denken vermag.
Nun aber ein Wort zu den Vorgängen im Bundesrat am 3. Dezember. Verehrter Herr Niederalt, ge({0})
statten Sie mir - ich darf hier ein Wort über das Tun des Großvaters unseres Kollegen Bismarck gebrauchen -, daß ich aus Ihrer Schamade eine Fanfare mache; das berühmte Wort rings um die Emser Depesche! Wir haben feststellen müssen, daß der Bundesrat über den vom Bundestag beschlossenen Gesetzentwurf zur Finanzverfassung faktisch zur Tagesordnung übergegangen ist. Ich habe seinerzeit meine Rede zur dritten Lesung mit einem studentischen Wort - übrigens, Herr Präsident, in dieses Kapitel gehört ja auch das Wort „Verschiß" - ({1})
Aber Herr Kollege, nur im Zusammenhang mit Bier, und das haben wir hier nicht.
Ich habe damals gesagt, nachdem der Versöhnungsversuch des Herrn Ministers Hellwege gescheitert sei, stehe der Austragung der Partie nichts mehr im Wege; Mensurlokal sei der Vermittlungsausschuß.
({0})
Wenn ich das hier wieder in meinem studentischen Jargon weiterführen darf, dann hat der Bundesrat dem Bundestag bescheinigt, daß er ihn nicht für satisfaktionsfähig hält.
({1})
Der niedersächsische Finanzminister Kubel hat das in der Sitzung in andere Worte gekleidet, die ich mit der gütigen Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf:
Wir halten es geradezu für eine Brüskierung des direkt gewählten Parlaments, wenn dieses Parlament in monate-, ja im Grunde genommen jahrelanger Beratung nun zu einem mit großer Mehrheit gefaßten Beschluß kommt, darüber nicht einmal mit den Vertretern dieses Parlaments im Vermittlungsausschuß reden zu wollen.
Ich darf hier feststellen, daß der Vertreter des Landes Bayern, Herr Staatssekretär Ringelmann , in ausgezeichneter Weise sich für die Anrufung des Vermittlungsausschusses eingesetzt hat, weiß Gott doch der Vertreter des Landes, das als einziges, sehen wir mal von den beiden Hansestädten ab, den Anspruch darauf erheben kann, ein wirklicher Staat zu sein.
({2})
Ich bin dem Herrn Staatssekretär Ringelmann außerordentlich dankbar dafür, daß er sich in dieser Weise für den Friedensweg eingesetzt hat.
Nun ist es aber nicht uninteressant, wenn man einmal feststellt, wer am 3. Dezember im Bundesrat für den Friedensweg, also für den Vermittlungsausschuß gestimmt hat. Das sind: Berlin, Bayern, Hessen und Niedersachsen, wovon die beiden letzteren Länder von den Sozialdemokraten regiert werden. Das ist etwas schmerzhaft festzustellen.
({3})
Ich darf daraus wohl die Folgerung ziehen, daß die Gleichschaltungspolitik, die wir doch bei den Landtagswahlen tatkräftig betreiben, das Gebiet der öffentlichen Finanzen noch nicht erreicht hat.
({4}) Aber ich stelle zum wiederholten Male fest: nicht Bayern ist der Frondeur gegen die Bundesregierung, sondern ich habe den Eindruck, mein näheres Vaterland Nordrhein-Westfalen. Dort scheint mir auch der Souffleur der intransigenten Bundesratsmitglieder zu sitzen. Der Herr Kollege Niederalt hat von dem Streit der Ministerialdirigenten gesprochen. Ich habe da einen Mann im Auge, der ein ganz hochqualifizierter Beamter der ehemaligen preußischen allgemeinen inneren Verwaltung gewesen ist,
({5})
ein Mann mit einer gewissen inquisitorischen Begabung.
({6})
Fragen Sie mal den früheren Oberbürgermeister der Stadt Köln, Adenauer,
({7})
wie es um diese inquisitorische Begabung des Herrn T a p o 1 s k i aussieht! Ich kann mir solche Bemerkungen erlauben; denn ich bin nicht auf der Landesliste von Nordrhein-Westfalen gewählt,
({8})
und mein Bundeswahlkreis fühlt bundesunmittelbar.
({9})
Aber dieses Frondeurtum zeigt sich auch noch auf anderen Gebieten, z. B. auf einem Gebiet, das hier schon besonders besprochen worden ist. Das ist die nordrhein-westfälische Besoldungsreform. Nun, lieber Freund Niederalt, darf ich Ihnen mal an einem Beispiel darstellen, wie sich dieser Föderalismus auswirkt. Nehmen wir einmal unser benachbartes, liebes, altes, heiliges Köln. Der Regierungsrat oder meinetwegen auch Oberregierungsrat im Finanzamt, der die ausschließliche Bundessteuer, nämlich die Umsatzsteuer, bearbeitet, ist Landesbeamter und wird nach der nordrhein-westfälischen Besoldungsordnung besoldet. Der Mann, der bei der Oberfinanzdirektion, auch im heiligen Köln gelegen, die Umsatzsteuer bearbeitet, ist Bundesbeamter und wird nach der alten Reichsbesoldungsordnung besoldet. Ich weiß nicht, ob sich das Bundesverfassungsgericht diesen Zustand der gespaltenen Finanzverwaltung bei seiner Urteilsfassung vor Augen geführt hat.
({10})
Lieber Freund Niederalt, und wenn Sie mich steinigen sollten - aber das werden Sie ja nicht tun, nein, wir werden uns nachher drüben im Restaurant wieder zusammensetzen -,
({11})
Sie können es mir nicht übelnehmen, wenn hier der Stoßseufzer nach der Bundesfinanzverwaltung aufkommt.
({12})
-- Ja, aber es könnte ja mal, was weiß ich, - ({13})
Der Unsicherheitsfaktor bleibt durch diese Unklarheit über den Anteil des Bundes und der Länder an der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Meines Erachtens ist diese Unklarheit vornehmlich durch die Intransigenz des Bundesrates geschaffen. Meine Damen und Herren, der Bundes({14})
rat - das ist vom Kollegen Eckhardt und anderen Kollegen, nicht zuletzt von meinem Freund Niederalt, trefflich hervorgehoben worden .- soll ein Bundesorgan sein.
({15})
Aber manchmal zeigt er Züge zu einem Verein zur Vertretung der Länderinteressen, zu einem der vielen corps intermédiaires, verwandt mit dem zur Wahrung der Interessen der Bleistiftfabrikanten usw.
({16})
Man kennt so etwas; man braucht ja nur in den Adreßbüchern und Telefonbüchern von Bonn und Umgebung nachzusehen. Meine Damen und Herren, ich habe manchmal den Eindruck, als wenn sich dieses corps intermédiaire bewußt gegen die volonté générale stellte, und das sind wir hier, das ist das unmittelbar vom Volk gewählte Parlament.
Ich will hier nicht den Teufel an die Wand malen. Aber der Bundesrat kann sich nach der Tagung vom 3. Dezember nicht darüber wundern, wenn Auffassungen aufkommen, daß man ihn reformieren solle, vielleicht trotz Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes, und zwar im Sinne des amerikanischen Senats. Ich mache darauf aufmerksam, daß das Bild des amerikanischen Senats einen großen Freund in dem damaligen Präsidenten des Parlamentarischen Rates hatte. Ich hoffe, daß der damalige Präsident des Parlamentarischen Rates eines Tages doch Gelegenheit haben wird, sich nicht nur der Außenpolitik, sondern vielleicht auch mal wieder innenpolitischen und verfassungsrechtlichen Fragen zu widmen.
({17})
Meine Damen und Herren, was bleibt? Was müssen wir tun, wenn der Bundesrat die Dinge demnächst ablehnt? Wahrscheinlich doch den Termin des Art. 107 verlängern. Aber nun kommt noch etwas Besonderes. Der Bundeshaushaltsplan sieht auf der Einnahmenseite bereits die Ergänzungsabgabe vor. Was können wir tun? Mit der Ablehnung des Finanzverfassungsgesetzes allein ist es nicht getan. Dann werden wir wahrscheinlich für die Ergänzungsabgabe ein Spezialgesetz schaffen müssen, und wir werden auch wieder ein Spezial-Inanspruchnahmegesetz schaffen müssen, wiederum provisorische Arbeit, die nicht erfreulich ist. Ich habe den dringenden Wunsch, es möge mit diesen Provisorien doch einmal zu Ende gehen. Wir hatten im Bundestagsausschuß für Finanzen und Steuern und im Plenum des Bundestages einen ich glaube guten Weg zu einer endgültigen Lösung aufgezeigt. Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß es doch noch dazu kommen möge.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Situation, die Kollege Dresbach eben gekennzeichnet hat, ist außerordentlich ernst. Denn was sich am letzten Freitag im Bundesrat zugetragen hat, ist wirklich ungewöhnlich. Es ist nicht abzutun, wie Herr Niederalt das bezeichnet, mit „Reibereien". So ernste Differenzen zwischen den beiden höchsten gesetzgebenden Körperschaften kann man nicht als Reibereien bezeichnen. Die Angelegenheit muß aber bald erledigt werden, denn vor Abschluß des Haushaltsplans 1955, in dessen erster Beratung wir heute stehen, müssen alle die Fragen geklärt werden, die durch das Finanzverfassungsgesetz, durch das Finanzanpassungsgesetz und durch das Länderfinanzausgleichsgesetz aufgeworfen sind und die sich alle in Zahlen im Bundeshaushalt ausdrücken. Es ist bemerkenswert, daß in der letzten Bundesratssitzung am Freitag selbst der Berichterstatter des Bundesrats, Dr. Nolting-Hauff, der uns sonst durch eine vornehme hanseatische Zurückhaltung bekannt ist, in'einem ungewöhnlichen Ausmaß als Berichterstatter von dem Mittel der Polemik Gebrauch gemacht hat. Er sagt z. B.:
Wenn der Abgeordnete Gülich dies im Bundestag als eine bedarfsgerechte Finanzausstattung der einzelnen Gebietskörperschaften bezeichnet hat, so ist dies nichts weiter als ein schönes Wort. Der Bedarf ist überhaupt keine Größe, die in einer Finanzausgleichsordnung einen entscheidenden Platz haben kann. Es handelt sich hier vielmehr um einen Faktor, der praktisch jede Ordnung zerstört. Finanzminister wissen, daß der Bedarf, wenn man ihn wirklich beim Wort nehmen will, überhaupt nur durch eine einzige Zahlengröße, nämlich die Zahl Unendlich, ausgedrückt werden kann.
Aber, meine Damen und Herren, das war doch unser Bemühen, unser vielmonatiges Bemühen im Finanzausschuß des Bundestages, das Wort „Bedarf" nicht so hinzuwerfen, sondern uns darunter etwas vorzustellen. Das haben wir doch gerade getan bei dem Gesetz, und wenn wir das getan haben, dann kann man zwar die Frage stellen, ob wir es richtig gemacht haben. Aber man kann mit solchen Redensarten nicht ernsthafte Bemühungen von uns Finanzmännern abtun. Auf diese Weise tut man ,der ganzen Sache den schlechtesten Dienst. Es ist auch so, daß z. B. zum Länderfinanzausgleichsgesetz - ich habe meine Unterlagen unten gelassen - um im Grunde kleine Dinge gefochten wird. Es wird polemisiert gegen die Erhöhung der Finanzmasse um 45 oder 46 Millionen, die wir ja im Interesse aller finanzschwachen Länder vorgenommen haben. Denn im Bundesrat, das wissen wir ja, wird nicht wohl ausgewogen, sondern nach den jeweiligen oder den jeweils erkennbaren Interessen abgestimmt. Herr Niederalt, ich kann Ihnen meine „Abstimmungstabelle" zur Verfügung stellen. Da steht für jede Steuerart und für jedes Problem für jedes Land drin, wie es im Bundesrat abstimmen wird: gerade nach seinem im Augenblick erkennbaren Vorteil. Zwar versuchen die finanzstarken Länder mal ein finanzschwaches Land durch die Gewährung dieser oder jener Annehmlichkeit zu der oder jener Zustimmung zu überreden. Ich möchte deshalb hier an die finanzschwachen Länder die Mahnung richten, doch um Gottes willen solchen Versuchungen nicht zu erliegen. Leider hört der Finanzminister meines finanzschwachen Landes nicht zu.
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- Ich meine den anderen; der hört nicht zu.
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Nur die Solidarität der finanzschwachen Länder kann bei der unglücklichen Konstruktion der Länder überhaupt noch zu vernünftigen Regelungen führen.
Der Bundesrat hat es abgelehnt, den Vermittlungsausschuß anzurufen. Das ist in der Tat eine Brüskierung, die ich nicht für möglich gehalten
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hätte. Zumindest hätte doch der Versuch gemacht werden müssen, im Vermittlungsausschuß eine Lösung zu finden. Gewisse Lösungsmöglichkeiten waren ja vorhanden. Wir waren während der Beratung - und wir haben uns wiederholt mit den Finanzministern der Länder zusammengesetzt -viel weiter. An dem sehr fruchtbaren Abend, den wir im Hause Hellwege hatten, zeichneten sich doch gewisse gute Ergebnisse ab. Wir haben dann im Finanzausschuß des Bundestages gewartet, was uns die Länder endgültig zu sagen hätten. Und was hatten sie uns nach all diesen Bemühungen zu sagen? Daß es alles beim alten bleiben sollte und sie mit nichts, was wir vorgesehen hatten, einverstanden wären. Natürlich hätte sich darüber reden lassen, ob die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer bei den Ländern bleiben. Es läßt sich meines Erachtens nicht darüber reden, daß die Kraftfahrzeugsteuer bei den Ländern bleibt, denn dann würde uns ja die Neuordnung des Kraftverkehrswesens außerordentlich erschwert werden, weil dann sofort das Kraftfahrzeugsteuerproblem auch zu einem Finanzausgleichsproblem wird; und das sollte man vermeiden. Über die kleinen Steuern haben wir uns oft ausgesprochen und klargelegt, daß diese Steuern regional nicht radizierbar sind und es einfach unsinnig ist, wenn solche Steuern, die früher auch Reichssteuern waren, bei den Ländern bleiben.
Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß sich die Länder, die es angeht, doch noch einmal überlegen, ob sie nicht am nächsten Dienstag im Vermittlungsausschuß wirklich nach einer Vermittlung suchen. Der Bundesrat hat sich meines Erachtens am letzten Freitag selber einen schlechten Dienst erwiesen, und dem Gedanken des Föderalismus den allerschlechtesten, und er hat dem Gedanken der Demokratie schweren Schaden zugefügt. Was soll denn die Bevölkerung überhaupt noch glauben, wenn sich die Länder untereinander und mit dem Bund um Dinge raufen, wofür der Mann auf der Straße einfach kein Verständnis aufbringen kann! Wir sollten uns zusammentun - wir haben ja neulich schon einmal den Anfang gemacht - und sollten dem Steuerzahler klarmachen, daß es wirklich um seine Interessen geht und daß wir durch eine Rationalisierung der öffentlichen Finanzwirtschaft sehr erheblich an Steuern sparen könnten.
Herr Kollege Niederalt hat eine Reihe weiterer Bemerkungen gemacht, zu denen ich noch ein paar Worte sagen möchte. Ich glaube, es hat keinen Sinn, und ich habe deshalb nicht sehr große Lust, die heutige Haushaltsdebatte durch neue Probleme zu erweitern; denn wir sind hier im Plenum j a fast unter uns wie im Haushaltsausschuß,
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und unsere Auffassungen sind uns ja im wesentlichen bekannt.
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- Wir würden uns sehr freuen, wenn sie kämen, Herr Kollege Lücke. - Ich will deshalb nur einige Dinge mit behandeln, die hier aufgeworfen worden sind und auf die man in diesem Zusammenhang nicht verzichten sollte.
Es ist eine falsche Rechnung, Herr Kollege Niederalt, wenn Sie sagen, das Parlament sei zu groß, das Parlament sei zu teuer und hier müsse gespart werden. Staatssekretär Hartmann hat in seiner
gestrigen Rede gesagt, daß im Jahre 1955 der Aufwand, pro Kopf der Bevölkerung für den öffentlichen Gesamthaushalt 970 DM beträgt. Wenn wir uns nun überlegen, daß für die wichtigste Stelle in dem gesamten öffentlichen Haushalt, für das Parlament, weniger als 50 Pfennige pro Kopf der Bevölkerung ausgegeben werden, dann sollte man nicht gerade beim Parlament anfangen, sparen zu wollen.
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- Auf die Zahl 400 oder 500 Abgeordnete möchte ich gar nicht eingehen. Ich habe das Parlament nicht von 402 auf 484 Abgeordnete vergrößert,
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sondern der Antrag ist ja von der größten Regierungspartei oder von allen Regierungsparteien -das weiß ich nicht mehr genau - gekommen. Nachdem es damals beschlossen worden ist, können Sie sich durchaus Gedanken darüber machen, ob es für den dritten Bundestag so bleiben soll; da gibt es diese und jene Argumente, die man anführen kann. Ich halte es aber nicht für richtig, jetzt bei der Haushaltsberatung zu sagen, um der öffentlichen Sparsamkeit willen wollten wir das Parlament reduzieren.
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Da gibt es noch ganz andere Dinge, die zu reduzieren sind. Im übrigen ist ein Parlament nie zu groß, wenn alle Parlamentarier ihre Pflicht tun. Wenn jeder Parlamentarier sich sowohl um die Zustände in seinem Wahlkreis als auch um diejenigen Zustände in der öffentlichen Verwaltung, die sinnlos (D Geld kosten, kümmerte und bald hier, bald dort den Finger auf die Wunde legte, dann könnte unser Parlament von mir aus noch vergrößert werden.
Herr Niederalt klagte auch - das hat mir sehr gut gefallen - über die zu große Zahl von Ministerien.
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Da sind wir uns vollkommen einig. Da Sie im übrigen, Herr Kollege Niederalt, von Vorbildern sprachen und 'da das Parlament Vorbild sein sollte, so könnte vielleicht in diesem Fall 'auch einmal die CSU Vorbild sein und könnte dafür sorgen, daß die ihr angehörenden Minister für besondere Aufgaben ihre Aufgaben aufgeben.
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Ich gebe Ihnen die Versicherung, es würde nicht viel passieren.
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Im übrigen habe ich die Herren Sonderminister gestern und heute hier vermißt. Ach, dazu muß ich Ihnen aus den Beratungen des Haushaltsausschusses ein bißchen erzählen. Als wir den Etat der Sonderminister berieten, trat einer in ihrer Vertretung auf und begründete ihren Wunsch, Kabinettsreferenten zu erhalten.
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Er begründete das so: „Sehen Sie mal, meine Herren: Wir Sonderminister, wir müssen uns ja mit allen Vorlagen im Kabinett befassen. Der Herr Schäffer hat die Finanzen, der Herr Lübke hat
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seine Ernährung, und der Herr Storch hat seine Arbeit. Das sind ja alles ganz besondere, abgegrenzte Ressorts. Wir aber müssen uns für alles interessieren, und dafür braucht man natürlich mehr Personal."
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Ich habe daraufhin gesagt: „Wenn ich Sie richtig
verstanden habe, Herr Bundesminister, dann firmieren Sie falsch. Sie dürften dann nicht heißen ,Bundesminister für besondere Aufgaben', sondern ,Bundesminister ohne besondere Aufgaben'.
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Denn dann käme das ja hin, was Sie hier dargelegt haben."
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- „Für alle Aufgaben" ginge auch, aber jedenfalls ohne besondere Aufgaben, Herr Köhler.
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Eine 'andere Frage aber, bei der es wirklich um die Sparsamkeit geht, sollten wir uns genauer überlegen. Ich habe sie schon angeschnitten. Das ist die Frage der Rationalisierung der gesamten öffentlichen Verwaltung, und das ist ferner die Frage der fortgesetzten Mehranforderungen von Beamtenstellen und die überall erkennbare Tendenz, möglichst viele ohnehin qualifizierte Beamtenstellen zu heben.
Ich will kein Wort sagen gegen die wirklich qualifizierten Beamten, von denen die Bundesregierung ja eine große Zahl hat.
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Ich kenne aus meiner Tätigkeit genauer die Qualität der leitenden Beamten des Bundesfinanzministeriums, und ich habe davor immer meine Hochachtung gehabt.
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Sie brechen unter der Last der Arbeit schier zusammen, und man sieht auch hier, daß die Vermehrung von Beamtenstellen keineswegs die Last auf ihren Schultern erleichtert. - Übrigens: Wie tüchtig diese Beamten sind, will ich Ihnen an einem kleinen Beispiel klarmachen. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses bekamen am 9. November den Haushaltsplan vorgelegt. In mehreren Einzelplänen lagen Deckblätter. Diese Deckblätter, die z. B. die Erhöhung des Notopfers Berlin, die Ergänzungsabgabe und anderes mehr darlegten, trugen das Datum vom 12. November, und sie nahmen bereits das Ergebnis der Kabinettssitzung vom 10. November voraus.
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Ich meine, das ist eine Tüchtigkeit, eine Vorausschau der Beamten, die doch wirklich alle Anerkennung verdient
({20}) und die auch hier ausdrücklich anerkennend festgehalten werden soll.
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Von 1954 auf 1955 soll, das ist schon gesagt worden, die Zahl der planmäßigen Beamten um annähernd 300 erhöht werden, die der Angestellten um 800. Dann sind hier ganz interessante Stellenhebungen. Allein in der A 1a-Gruppe sollen 23 Stellen gehoben werden.
Das Ganze ist eigentlich doch recht bedenklich. Denn je mehr Personal eingestellt wird, um so mehr steigt auch die Papierflut, die die Beamtenschaft zu bewältigen hat; sie wird nicht etwa geringer. Wir können die Ausgaben in der Verwaltung überhaupt nur durch eine Änderung der Zuständigkeiten einschränken - ich habe das früher schon gesagt -, dadurch, daß wir den Behördenchefs und ihren Abteilungsleitern mehr Eigenverantwortung geben und sie hinterher um so stärker kontrollieren. Nehmen Sie aber irgendein normales Aktenstück aus irgendeinem Ministerium, dann ist eine Kolonne zur Mitzeichnung oder sind zwei Kolonnen untereinander quer über das ganze Aktenstück zur Mitzeichnung keine Seltenheit. Darin sehe ich eine der großen Schwierigkeiten. Jeder braucht zu seiner Entlastung die Mitzeichnung von jedem. Jedes einfache Aktenstück geht durch mehrere Ministerien und durch mehrere Abteilungen eines Ministeriums, und darin liegt eine solche Vergeudung öffentlicher Mittel - wenn die Privatwirtschaft sich das erlauben wollte, dann wäre das schier unmöglich -, daß man hier anmerken soll: weniger Mitbeteiligung, aber mehr Eigenverantwortung der Behördenchefs und ihrer leitenden Mitarbeiter, im ganzen aber Erhöhung nicht der Quantität, sondern der Qualität der Beamten. Wenn das geschieht, wird in den öffentlichen Verwaltungen alles einfacher werden.
Wir werden - und ich glaube, da sind wir uns erfreulicherweise eigentlich immer sehr hübsch einig - im Haushaltsausschuß in diesem Jahre unser besonderes Augenmerk wohl darauf richten müssen, daß die Zahl der Stellen nicht weiter vermehrt wird und daß die Stellen nicht immer wieder beliebig angehoben werden. Natürlich haben da besondere Minister auch besondere Wünsche. Es sind keineswegs immer die großen Ministerien mit ihren großen Arbeitsbereichen, die hier Sonderwünsche äußern, sondern es sind sehr oft die kleinen. Ich habe im Haushaltsausschuß wiederholt angeregt, daß man Querschnitte durch den Haushalt macht, und ich habe auch oft gefordert - Herr Dresbach, Sie taten es vorhin ja auch -, daß man die Länderhaushalte analysiert. Seit fünf Jahren erhebe ich diese Forderung immer wieder; aber das Grundgesetz gibt uns keine Möglichkeit, das zu tun. Zwar hätten wir die Möglichkeit, die Haushalte der Länder im Bundesfinanzministerium sehr genau zu erforschen und uns das Ergebnis zu den Beratungen vorlegen zu lassen.
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- Natürlich, nur gehört dazu ja ein Apparat, den Sie und ich nicht haben.
Bei den Beamten noch eine kleine Anmerkung zu den Dienstreisen. Ich habe bisher leider versäumt, darum zu bitten, daß die Dienstreisetitel einmal quer durch alle Haushalte zusammengestellt werden. Man sollte sie dabei nach Behörden und Ministern, nach den Rängen der Beamten und - das ist sehr wichtig - auch nach der Zeit, in der sie ausgeführt werden, ordnen. Da ergibt sich nämlich folgendes. Im Februar und März eines jeden Jahres setzt, obgleich das nicht die guten Reisemonate sind, eine besonders intensive Reisetätigkeit ein, und zwar werden in diesen Monaten auch Leute auf Dienstreise geschickt, die man vorher nicht geschickt hat. Wenn nämlich noch Mittel in
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den Reisekostenfonds vorhanden sind, müssen die Mittel ausgegeben werden, und dann werden die Leute auf die Achse gebracht.
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Diese kritische Bemerkung gilt natürlich genau so gut für die Länder. Was da alles zusammengereist und zusammenkonferiert wird, das ist geradezu unheimlich. Die Konferenzen finden meist in Badeorten statt. Aber das hängt vielleicht mit der Überlastung der Beamten zusammen, die sich hier durch ein Sprudelbad etwas erfrischen können; so ähnlich wird man sich das wohl vorzustellen haben.
Dann gibt es viele Dienstreisen, bei denen die Beamten nicht mehr allein, sondern im Konvoi reisen.
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Man weiß ja, daß sich das Tempo des gesamten Konvois nach dem langsamsten Fahrzeug richtet, und so ist das auch hier! Wahre Kolonnen von Beamten reisen, reisen überallhin. Ich wüßte ganz gern, ob es wahr ist - aber ich glaube, es ist so wahr; ich würde es sonst nicht sagen, wenn ich nicht wüßte, daß es so wahr ist -, daß z. B. in einem Falle nach Rom ein Mann, ein Referent, hätte hinreisen müssen und daß dieser auch fuhr, daß aber mit ihm der Beamte, der vor ihm Referent war, und der Beamte, der vielleicht nach ihm Referent werden sollte, reisten.
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So fuhren sie denn zu dritt; es war sicher eine nette Reise. Ich bin überzeugt: wenn sie weniger reisen, schreiben sie auch weniger Briefe, füllen sie weniger Aktenstücke, und das wäre schon ein kleiner Beitrag zur Rationalisierung in der Verwaltung.
Verehrter Kollege Eckhardt, ich muß Ihnen nun ein unfreundliches Wort sagen - aber ich sage es freundlich -; denn das, was Sie über die Statistik gesagt haben, hat mich langsam hochgebracht!
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Gott sei Dank - das erkenne ich dankbar an - haben Sie den einen banalen Satz, daß man mit der Statistik alles beweisen könne, nicht gebraucht. In einem hochorganisierten Staatswesen ist ohne Statistik nicht auszukommen. Wir haben in Deutschland eine hockentwickelte Statistik, doch mit den statistischen Quellenwerken allein können wir nichts anfangen. Es kommt auf die Auswertung der Stastistik an, und wenn 'die Auswertung von üblen Leuten übel gemacht wird, weil sie irgend etwas beweisen wollen, so beweist das nichts gegen die Statistik, genau sowenig wie es etwas gegen die Brotmesser beweist, weil gelegentlich mit ihnen einmal ein Mord passiert. Man sollte sich also hüten, die Statistik einfach so in Bausch und Bogen zu verdammen.
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Nun noch eine ganz kurze Bemerkung. Ich habe bei der dritten Beratung des Haushaltsplans 1954 eine Reihe von konkreten Anregungen zur Gestaltung des Haushaltsplans gegeben und eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die man sich überlegen sollte. Im neuen Haushaltsplan sehe ich, daß man sich diese Überlegungen nicht zu eigen gemacht hat. Nun ist mir vollkommen klar, daß damit nicht Stellung genommen worden ist zu den Anregungen, die ich gegeben habe, sondern der Haushaltsplan hat es in sich, und das Gerippe wird eben weiter so verwandt. Ich habe damals nach der Beratung des Haushalts Herrn Schäffer gesagt, er möge doch bald einmal eine kleine Kommission von sachverständigen Männern zusammensetzen, die zunächst einmal einen Arbeitsplan aufstellen, welche Dinge zu beachten seien, um das Haushaltsrecht, die Haushaltsplangestaltung und die Rechnungslegung zu rationalisieren. Die Anregung gefiel ihm; leider ist nichts geschehen. Vielleicht ist doch etwas geschehen. Aber wenn nur Beamte in Ministerien den Auftrag haben, sich darum zu bemühen, und uns nachher ihr Ergebnis vortragen, dann sollten wir damit nicht einverstanden sein, sondern wir, die wir in der parlamentarischen Praxis stehen, sollten an der Gestaltung der künftigen Haushaltspläne Anteil nehmen.
Ich hatte mir an sich vorgenommen, auch über die Einnahmeseite und insbesondere den Einzelplan 60 noch einiges zu sagen. Tatsächlich wird aber weder von der Regierung ein größeres Interesse gezeigt noch vom Bundesrat, noch, was hier entscheidend ist, vom Bundestag selber. Ich glaube wirklich, es ist ein ernsthaftes Symptom für die Lage unserer Bundesrepublik, daß der Herr Bundeskanzler für finanzwirtschaftliche Fragen überhaupt kein Verständnis hat. Er hat gar keinen Zugang zu diesen Problemen, wie auch der Oberbürgermeister von Köln den Zugang zu diesen Problemen selbst als Oberbürgermeister nicht gehabt hat.
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- Er war vorher Stadtkämmerer? ({30})
- Das wußte ich nicht; da bin ich aber voll und ganz erstaunt.
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Die Bundesregierung darf nicht denken, daß es genüge, wenn nur die Ressortreferenten, die Haushaltsreferenten der Bundesministerien mit den Haushaltsreferenten des Finanzministeriums raufen. Wenn nun etwa auch noch - was viele wünschen
- die Rauferei in die Fachausschüsse des Bundestages gelegt würde, dann kämen wir ja mit den Haushaltsberatungen überhaupt nicht zu Rande. Ich warne also vor solchem Vorhaben. Es wäre sehr viel richtiger, alle Bundesminister wären hier, nähmen an der Beratung lebhaften Anteil, die Mitglieder der Fachausschüsse wären auch alle hier, nähmen auch Anteil an der Sache, dann würde an diesem Punkte unseres öffentlichen Lebens, wo wirklich alles zusammenkommt und wo sich auch alles in Geld ausdrückt, eine Zusammenschau möglich, und es würde eine Zusammenarbeit des Parlaments ermöglicht, die die Ausschußberatungen, die nachher kommen, sehr unterstützen würde. Hier wäre der Ort, und bei der ersten Beratung wäre die Zeit, alle die Probleme aufzuwerfen, und man sollte sich für eine solche Beratung mehr Tage vornehmen, als wir das tun, alle die Probleme aufzuwerfen, die dann vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages durchberaten werden könnten. Würden wir so verfahren, kämen wir zu einer ganz anderen, verständigeren und wirkungsvolleren Haushaltspolitik, als das bisher in diesem Parlament, welches kein Interesse für die Haushaltsfragen hat, möglich gewesen ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Luchtenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weder von Steuern noch von Renten möchte ich sprechen. Ich möchte vielmehr ein friedlicheres Kapitel aufschlagen und mich mit Forschung und Wissenschaft befassen. Wer von hier aus über Forschung und Wissenschaft spricht und sich zum Anwalt ihrer Disziplinen aufwirft, der darf vielleicht die erfreuliche Überzeugung haben, zugleich das Mandat aller Parteien zu besitzen. Jedenfalls möchte ich versuchen, meine Ausführungen so zu gestalten, daß ich hoffen darf, Ihre Zustimmung zu finden.
Forschung und Wissenschaft gehören offenbar im Bundeshaushaltsplan zu den Veilchen, die im Verborgenen blühen. Das ist verständlich; denn die breitere Öffentlichkeit befaßt sich herzlich wenig mit der wissenschaftlichen Forschung.
({0})
Sie ist dankbar für die Ergebnisse der Forschung, will aber herzlich wenig von den mannigfachen Voraussetzungen wissen, die dazu notwendig waren. Infolgedessen nimmt sie nur peripheres Interesse an der wissenschaftlichen Forschung. Die eigentlich Betroffenen, die Forscher und Wissenschaftler selbst, sind nicht geneigt, sie lieben es nicht und sie sind auch nicht dazu berufen, auf die Märkte und in die Gassen zu gehen und das eigene Anliegen dort propagandistisch zu vertreten. Sie vertrauen vielmehr auf die Einsicht der Parlamente und der Regierungen und hoffen, daß dort soviel Verantwortungsbewußtsein sei, daß ihnen geholfen wird, das soziale Niveau und die kulturelle Substanz des Volkes zu erhalten und, wenn möglich, 1 zu steigern.
Was der Bundeshaushaltsplan uns an Zahlen vorlegt, ist so erfreulich, daß es nicht notwendig ist, auf die Analyse der einzelnen Zuweisungen einzugehen. Es ist in den schon wiederholt zitierten Vorbemerkungen zu dem Kapitel „Forschung und Wissenschaft" gesagt, daß „der Bund innerhalb seiner Kompetenz große, von Jahr zu Jahr steigende Leistungen erbracht hat". Die Übersicht, die geboten wird, beweist, daß diese Äußerung stimmt. Wir sehen, daß von 1954 auf 1955 wieder eine Steigerung der Mittel vorgesehen ist und daß wir nun über eine Gesamtsumme von 79 1/2 Millionen DM verfügen können. Es wird mit besonderer Freude von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, jenem Organisationszentrum der deutschen Forschungspflege, quittiert werden, daß der Bund seine Beiträge für das Normalverfahren von 3 auf 4 Millionen DM erhöht und daß er seine Schwerpunktmittel von 10 auf 15 Millionen DM erhöht hat, so daß also insgesamt ein Mehr von 6 Millionen garantiert ist. Man kann also im Hinblick auf den vorgelegten Haushaltsplan im Sinne der Anerkennung - wohlverstanden! - sagen: es ist sehr viel geleistet worden, aber es ist noch nicht genug geleistet worden.
Man weiß, daß in den Zahlen, die hier angegeben wurden, nur ein Bruchteil dessen eingefangen ist, was überhaupt in der Bundesrepublik Deutschland der Förderung der Forschung zugedacht ist. Neben dem Bund arbeiten nämlich an der Förderung der Forschung selbstverständlich die Länder; daneben gibt es ERP-Mittel zur Forschungsförderung; ferner sind die Gemeinden in der Lage, der Forschung wesentliche Mittel zur Verfügung zu stellen - im
Jahre 1953 etwa 10 Millionen DM -; dann ist der Förderungsarbeit des Stifter-Verbandes zu gedenken und nicht zuletzt der privaten Initiative zur Entwicklung der Industrieforschung. Für diese werden hohe Beiträge gegeben, die sich auf eine Zuteilung von 1 bis 10 % des jährlichen Umsatzes der in Betracht kommenden Unternehmungen belaufen; natürlich werden diese Gelder in den industrieeigenen Forschungsstätten verwandt.
Das Entscheidende für unsere Überlegungen, die in den Allgemeinen Vorbemerkungen geradezu gefordert werden, ist dies, daß das Königsteiner Abkommen in das Gefüge der Zuteilung eine sehr bemerkenswerte und merkwürdige Note hineinträgt. Darüber müßte noch im einzelnen gesprochen werden.
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Es ist ein Staatsvertrag der Länder, wie Herr Kollege Gülich schon sagt, eine sehr merkwürdige Konstruktion, eine politische Anomalie, kann man wohl sagen, ein kulturpolitischer Staatenbund, der gewissermaßen in die Bundesrepublik hineingesetzt ist und an dem der Bund nicht beteiligt ist - und werden soll. Das ist das Seltsame dieser Konstruktion.
Das ist um so bedauerlicher, als die Forschungsmittel, die im ganzen gegeben werden und den Eindruck erwecken, als ob unendlich viel getan würde, doch bei weitem nicht ausreichen, um den Vergleich etwa mit dem Ausland auszuhalten. Man wird gegenüber derartigen Vergleichszahlen mit Recht immer skeptisch sein; denn derartige Zweckberechnungen haben allzuoft ihren Haken. Aber wenn diese Berechnung von einem so seriösen und honorigen Rechner wie dem Stifter-Verband angestellt wird, darf man ihren Ergebnissen doch wohl einige Bedeutung zumessen. Wenn vom StifterVerband z. B. festgestellt wird, daß im Jahre 1952 in den USA vom Gesamtvolumen der Zuteilungen für die Förderung der Forschung auf den Kopf der Bevölkerung 92 Mark entfallen, wenn sich in Großbritannien 27 Mark auf den Kopf der Bevölkerung ergeben und es in der Bundesrepublik nur 8,80 Mark sind, so ist das offenbar ein Beweis dafür, daß hier noch nicht genug getan wird. Am Volkseinkommen gemessen nehmen sich die Relationen folgendermaßen aus: in den USA wird 1 % des Volkseinkommens für die Förderung der Forschung verwandt, in Großbritannien sind es 0,8 % und in der Bundesrepublik 0,45 %.
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- Ja, leider, muß ich von mir aus sagen!
Diese vielfältigen Quellen, die angebohrt und ausgeschöpft werden können, um die Forschung zu fördern, genügen nicht. Sie erwecken zwar den Eindruck, daß die Forschung in der Bundesrepublik wohl keinen Anlaß haben könne, viel über großen Mangel zu klagen. Aber wer das „Buch der Wünsche" aufschlägt, das im vorigen Jahre von Freunden und Förderern ausgerechnet der Universität München herausgegeben worden ist, der wird überrascht und erstaunt sein über die erschütternde Armseligkeit, die sich dort enthüllt und von der nun ein Stiefkind leben soll, das Forschung heißt. Im Rahmen der Beratung des Haushaltsplans ist es deswegen durchaus notwen({3})
dig, einmal auf dieses Problem der Organisation der Förderungsmaßnahmen für die deutsche Forschung einzugehen. Denn unter deutscher Forschung darf ja unter keinen Umständen nur eine Summation von Länderforschungen verstanden werden. Wer sich dem Organisationsproblem der Förderungsmaßnahmen zuwendet, sieht sich hineingestellt in ein organisatorisches Dornengestrüpp der deutschen Forschungspflege, aus dem er kaum herauszufinden weiß.
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Fragen Sie irgendeinen Professor meinetwegen der Universität Bonn, wie die Mittel für die Forschung aufgebracht und wie sie verteilt werden. Sie können sich überzeugt halten, daß Sie niemanden finden, der Ihnen auf diese Frage eine eindeutig klare Antwort zu geben vermag. Ich bin überzeugt, Herr Staatssekretär Hartmann wird bestätigen, daß es auch in den Ministerien des Bundes kaum eine - und vielleicht sogar keine - Stelle gibt, die uns klare Auskunft über das geben könnte, was nun im ganzen für die deutsche Forschung vereinnahmt und verausgabt wird. Das liegt zweifellos an dem Kompetenzstreit, der zwischen dem Bund und den Ländern besteht. Die Zuständigkeiten sind nicht geklärt. Infolgedessen sind auch die Verpflichtungen nicht abgeklärt, und dieses ganze Tohuwabohu wird geregelt durch einige Abkommen, darunter das eben schon erwähnte Königsteiner Abkommen vom Jahre 1949 und das Verwaltungsabkommen vom Jahre 1951. Aber auch diese Abkommen haben den Irrgarten, in dem man sich befindet, wenn man sich um die Forschungsförderung müht, nicht lichten können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist vielleicht die einzige Stelle, die sich sozusagen als Kontaktsubstanz zwischen den autonomistischen Rivalen betätigt und sie als Geldgeber sozusagen unter einen Hut zu bringen trachtet. Dabei spielt auch die ganze Problematik der Länderautonomie in Kulturfragen mit.
Bitte denken Sie nicht, ich wollte dieses Problem nun hier anschneiden. Aber eines möchte ich doch sagen: man mag in der „Pädagogischen Provinz" der Meinung sein, daß es recht und billig ist, die Lehrpläne und auch die Methoden in den Schulen aus der landsmannschaftlichen Eigenart zu gewinnen. Dieses Argument ist aber auf die wissenschaftliche Forschung unter keinen Umständen anwendbar. Wir haben es in der Forschung und in der Wissenschaft mit einem supranationalen Geltungscharakter zu tun, und man kann nicht einsehen, Wieso man die Forschung und die Wissenschaft nun in .die engen Fesseln einer Landesgrenze einschließen sollte, insbesondere dann nicht, wenn man sich klarmacht, daß wir in einer Epoche der Integration leben. Forschung ausschließlich oder vornehmlich als Landesaufgabe zu begreifen und zu betreiben, ist falsch, und deswegen stimmen wir auch dem zu, was der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft kürzlich in der „Deutschen Universitätszeitung" vom 6. September 1954 gegen den „falschen Föderalismus" schrieb. Da ist von ihm sehr deutlich gesagt worden, daß man sich wohl fragen dürfe, ob denn alles, was heute unter der Berufung auf das Grundgesetz als Föderalismus praktiziert wird, von diesem Grundgesetz auch wirklich gefordert sei und ob denn nicht die Organisationsformen der Forschungsförderung schließlich das Erreichen der Ziele verhinderten, die der Bund nach seiner Verfassung anzustreben habe. Es ist von ihm auch deutlich gemacht worden, daß sich diese konkurrierende Zuständigkeit von Bund und
Ländern bisher nicht so fruchtbar ausgewirkt hat, wie es wünschenswert und wie es möglich wäre. Es fehlt eben an einer prinzipiellen Klarheit darüber, wann der Bund und wann ein Land oder mehrere oder alle Länder für die Forschung und ihre Förderung verantwortlich sind. Es fehlt an der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten.
Das sind warnende Feststellungen, die der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf Grund seiner ständigen Bemühungen hin und her an den maßgebenden Stellen, bald im Bund und bald in den Ländern, als Ergebnis seiner Einsichten dankenswerterweise ausgesprochen hat.
Wie sieht es denn nach diesem Königsteiner Abkommen aus? - Es wurde im März 1949 für fünf Jahre zwischen den Ländern vereinbart zur Förderung der Forschung in jenen Forschungseinrichtungen, die überregionale Bedeutung haben. Es gibt eine ganze Reihe von Institutionen, die nicht nur für dieses oder jenes Land tätig sind, sondern denen tatsächlich überregionale Bedeutung zukommt. Die Länderminister waren sofort nach dem Zusammenbruch entschlossen - und das ist ihnen zu danken -, dieseüberregionalen Forschungsinteressen gemeinsam in ihre Obhut zu nehmen. Dagegen ist an sich gar nichts zu sagen; es muß aber gesehen werden, daß auf diese Weise eben jener kulturpolitische Staatenbund innerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist. Dieses politische Kuriosum konnte man ertragen, solange kein Bund vorhanden war; es mußte aber in dem Augenblick zu einer Anomalie werden, als sich der Bund konstituierte und nach seinem Grundgesetz berufen war, jene überregionalen Forschungsaufgaben als legitime Bundesaufgaben zu übernehmen.
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Man hätte also annehmen dürfen, daß die Rechte und Pflichten aus diesem Abkommen von Königstein, sobald es im Frühjahr 1954 ablaufen werde, vom Bund übernommen würden. Was ist geschehen? Die Länder haben den Bund nach wie vor verhindert, sich jener im Königsteiner Abkommen zusammengefaßten Forschungseinrichtungen anzunehmen. Sie haben also nicht aus 'der Not eine Tugend gemacht und dem Bund gegeben, was des Bundes ist, sondern haben kurzerhand das Königsteiner Abkommen für weitere fünf Jahre erneuert. Das ist, wie ich glaube, eine sehr bedenkliche Tatsache, offenbar eine Verkrampfung der Fronten zwischen den Ländern und dem Bunde, von der der Präsident der Forschungsgemeinschaft - ich zitiere ihn noch einmal - sagt, daß das letzten Endes eine Niederlage für die deutsche Wissenschaft bedeute.
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Ich glaube, es ist wichtig, diese Tatsache zu bedenken, zumal in den Vorbemerkungen zum Bundeshaushaltsplan ausdrücklich - und zwar, wie ich meinen möchte, mit einem anklagenden Unterton - auf jenes Abkommen und seine Auswirkungen hingewiesen wird. Es scheint mir notwendig, daß man sich im Bundestag ernstlich überlegt, ob man sich diese einseitige Begrenzung der dem Bunde offenbar gegebenen Zuständigkeit gefallenlassen darf.
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Ich bin der Auffassung - und das ist die Auffassung auch vieler Wissenschaftler und Senate, mit denen ich sprechen konnte -, daß diese unerträglichen Streitereien um Kompetenz oder Prestige ausgeräumt werden müssen, wenn anders man
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nicht weiterhin der Forschung Schwierigkeiten machen will, die vermieden werden könnten. Eine heilende Betreuung dieser schwärenden Wunde ist dringend nötig; es sind Korrekturen notwendig, auf die hinzuweisen ich bei dieser ersten Etatberatung für besonders erforderlich hielt.
Aus den gegebenen Verhältnissen heraus ist nun aber eine Abgrenzung der Zuständigkeiten kaum zu erwarten. Was liegt vor? In Art. 74 Ziffer 13 des Grundgesetzes ist der Bund zweifelsfrei legitim zur Förderung der Forschung autorisiert. Aber was dort steht, ist keine Antwort auf die Frage nach der Abgrenzung von konkurrierenden Zuständigkeiten: Wo darf der Bund beginnen, wo muß er mit seiner Forschungspflege aufhören? Es ist also auch darüber nichts gesagt, wo die Grenzen seiner Verpflichtung zur Finanzierung der Forschung liegen. Das Königsteiner Abkommen - das sagte ich schon - ist ohne den Bund, und zwar unter bewußter Ausschaltung des Bundes geschlossen. Also sind seine Bestimmungen in keiner Form für den Bund verbindlich. Ich kann diese Bestimmungen hier nicht analysieren. Sie würden aber vermutlich über das staunen, was in ihnen dem Bunde an Zuständigkeit zugedacht worden ist.
Herr Kollege Luchtenberg, die Forschungsinstitute sind im Königsteiner Abkommen nicht ausreichend dotiert. Die Länder erfüllen also ihre Aufgabe nicht voll, sondern es muß immer wieder zusätzlich der Bund einspringen.
Man kann diesem Hinweis, für den ich Ihnen sehr dankbar bin, Herr Kollege Gülich, noch folgendes hinzufügen. In den Ländern bestehen Akademien. Kein Mensch wird leugnen wollen, daß diese Akademien überregionale Bedeutung haben. Tatsache ist aber, daß die Akademien nicht leben und nicht sterben können, wenn ihnen ,der Bund nicht hilft. Infolgedessen sollte man überlegen, ob nicht auch diese Akademien der Länder - ich weiß, daß ich jetzt sehr ketzerisch spreche - in die Betreuung des Bundes zu überführen sind. Wenn man sich aber vor Augen hält, daß die Länder es expressis verbis ablehnen, daß der Bund ihnen z. B. bei der Betreuung der MaxPlanck-Gesellschaft hilft, dann weiß man wirklich nicht mehr, was man zu dieser Art von föderalistischer Kulturautonomie sagen soll.
Nun hat man noch in anderer Form versucht, die Abgrenzungen der Kompetenzen zwischen den Ländern und dem Bund herzustellen; man meinte, den Ländern allein sei die Grundlagenforschung anzuvertrauen; der Bund könne sich dagegen auf die Zweckforschung beschränken, weil in allen seinen Ministerien die angewandte Forschung zwangsläufig im Vordergrund stehe. Aber diese Abgrenzung zwischen Grundlagenforschung und Zweckforschung oder 'angewandter Forschung ist nicht aufrechtzuerhalten; sie ist unrealistisch. Auch das könnte hier in einer wissenschaftstheoretischen Darlegung ausführlicher erörtert werden. Ich darf mich aber darauf beschränken zu erklären: die Wissenschaftler sind 'sich darin einig, daß es hier fließende Grenzen gibt, so daß man nicht so scharf Grundlagenforschung und Zweckforschung zu trennen vermag, wie das vorgeschlagen worden ist. Nun, das sind Hinweise darauf, daß es notwendig geworden ist, das Problem des Königsteiner Abkommens vom Bunde aus anzugehen. Diese Anregung möchte ich nachdrücklich unterstreichen.
Bei den bisher ins Auge gefaßten Forschungseinrichtungen nehmen Naturwissenschaft und Technik eine bevorzugte Stellung ein. Es ist selbstverständlich, daß im Zeitalter der Naturwissenschaften und der Technik die geisteswissenschaftlichen Disziplinen in der Gefahr stehen, einer Unterbewertung in der öffentlichen Meinung anheimzufallen. Aber man mache sich doch einmal klar, daß wir in Zeiten des Umbruchs stehen, in denen es um geistesgeschichtliche Zusammenhänge geht und in denen vor allen Dingen auch eine politische Existenzerhellung notwendig wäre. Deswegen versteht man nicht, daß z. B. ein Institut wie das in München beheimatete Institut für Zeitgeschichte, an dem außer dem Bunde nur Bayern, Hessen und Baden-Württemberg beteiligt sind - als ob alle anderen Länder der politischen Existenzerhellung entbehren könnten -, nicht als ein Institut des Bundes betrieben wird. Man könnte den Eindruck gewinnen, als ob gewisse Länder aus einem Ressentiment dem Bunde gegenüber sich sagten: Damit wollen wir nichts zu tun haben. Meine Damen und Herren, wenn man sich klargemacht, was ein Institut für Zeitgeschichte an wissenschaftlichen Grundlagen für das erarbeiten kann, wonach wir alle rufen, nämlich für die politische Bildung, dann sollte man meinen, es könne über die Vordringlichkeit geisteswissenschaftlicher Forschungsförderung nicht mehr gestritten werden.
Sobald aber, wie gesagt, der Bund irgendeine wohlwollende Geste in dieser Richtung macht, wird ihm seine „Dotationspolitik" unter die Nase gerieben, weil man zu glauben sich berechtigt hält, der Bund wolle bewußt einen Gegensatz zu den Ländern heraufbeschwören. Was uns daher hier beschäftigen muß, ist dies, dafür zu sorgen, daß die Waage der Kompetenzen in ein sinnvolles Gleichgewicht gebracht wird.
Die Forderung, daß man neben der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung auch die geisteswissenschaftliche Forschung nicht unter den Tisch fallen läßt, möchte ich noch durch den Hinweis ergänzen, daß im Bunde ein Minister damit betraut worden ist, sich den Schichten der geistig Schaffenden zuzuwenden und dort Klärungen vorzunehmen, die zwar im sozialpolitischen Bereiche liegen -darüber ist nichts zu sagen -, die aber nichtsdestoweniger sehr stark auch in kulturpolitische Bereiche hineinragen.
Meine Damen und Herren, die Probleme können hier nur 'angerissen werden. Wenn man sie ins Auge faßt, ist nicht recht begreiflich, warum der Unterausschuß zur Förderung der Forschung, der hier in der ersten Legislaturperiode arbeitete, nicht mehr besteht. Man hat mir gesagt, der Ältestenausschuß habe beschlossen, es sollten keine Unterausschüsse mehr gebildet werden. Nach einer Mitteilung des Kollegen- Ritzel aber scheint es, daß dieser Standpunkt unterdessen wieder verlassen worden ist. Aber unterstellen wir einmal, es sei nicht so; auch dann würde ich meinen, daß ein Fachausschuß vorhanden sein sollte, weil die Förderung .der Forschung nach Art. 74 Ziffer 13 des Grundgesetzes eine legitime Aufgabe des Bundes ist. Einer der Herrn Vorredner - ich glaube, es war Dr. Martin Blank - hat darauf hingewiesen, daß die Fachausschüsse in enger Verbindung mit dem Haushaltsausschuß arbeiten müßten. Hier muß man leider konstatieren, daß überhaupt kein Fachausschuß vorhanden ist. Ich würde also den Ältestenrat freundlich bitten zu überlegen, ob er zu
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den vielleicht zu vielen Ausschüssen noch diesen einen zur Förderung der Forschung einzurichten sich gedrängt sehen sollte.
Die zweite Anregung, die ich bereits hinreichend begründet habe, ist die, baldigst eine Revision des Königsteiner Abkommens einzuleiten. Es geht nicht an, daß die Länder Einfluß nehmen auf Höhe und Verteilung von Mitteln des Bundes für wissenschaftliche Forschung, andererseits aber in keiner Form geneigt sind, den Bund bei der Finanzierung von Forschungseinrichtungen ihrer „Ländergemeinschaft" - das schöne Wort ersetzt auch in den Vorbemerkungen ,das, was ich lieber mit „Bund" bezeichnen möchte - mitwirken zu lassen.
Als dritte Anregung möchte ich bei den weiteren Beratungen über die Zuwendung von Forschungsmitteln berücksichtigt sehen, daß auch den Geisteswissenschaften wie den Naturwissenschaften und der Technik geholfen werde, damit auch sie ihren Gegenwartsaufgaben gerecht werden können. Der Bund hat ganz zweifellos Mittel und Wege, um hier und da auch landeseigene Universitäten mit geisteswissenschaftlichen Aufgaben zu beauftragen; er sollte diese Möglichkeit nach Kräften wahrnehmen. Wie notwendig dies ist, zeigte ich an dem einen Beispiel der Erhellung der politischen Existenz unserer Gegenwart im Institut für Zeitgeschichte.
Angesichts der verpflichtenden Erkenntnis, daß das geistige Kapital, das wir hier zu betreuen haben, nicht verwirtschaftet werden darf, daß es bei der Forschungspflege und der Wissenschaftsförderung vielmehr um die Sicherung und die Steigerung ,des sozialen Niveaus und der kulturellen Substanz des gesamten Volkes geht, sollten wir uns einig sein, alles zu tun, was einer planvollen Konzentration aller Förderungsmittel dient und die deutsche Forschung befähigt, etwas anderes und sehr viel mehr als nur eine Summation der Länderforschungen zu sein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schoettle hat heute morgen in der offiziellen Oppositionsrede zum Bundeshaushaltsplan zwei Probleme angeschnitten, zu denen ich kurz Stellung nehmen möchte. Das eine war die Frage nach einem Funktionenhaushaltsplan und das andere die nach einer Aufwands-und Leistungsrechnung im Haushaltsplan. Meine Damen und Herren, der Kaufmann stellt einen Dispositionsplan auf, um für das kommende Wirtschaftsjahr vorzuplanen. Dieser Dispositionsplan kann jederzeit geändert werden je nach den Marktverhältnissen. Beim Staat aber liegen die Dinge wesentlich anders. Der Haushaltsplan stellt die Vollzugsanweisung der Legislative an die Exekutive dar und ist insoweit Bestandteil eines Gesetzes, nämlich des Haushaltsgesetzes. Für jede Ausgabe wird jede einzelne Summe festgestellt, und jede Einnahme ist im voraus berechnet. Beides muß nach dem Grundgesetz summa summarum im Gleichgewicht sein. Die Verwaltung muß jede Abweichung von diesem Plan nachweisen und begründen, und zwar die Institution bzw. der Verwaltungszweig oder, noch besser gesagt, das Ressort, das abweicht. Das setzt aber voraus, daß ein Haushaltsplan institutionell, d. h. also nach Verwaltungszweigen gegliedert ist.
Man muß sehr wohl erwägen, ob man einen reinen Funktionenhaushalt fordern kann, wenn die Übersichtlichkeit und damit auch die Vollziehbarkeit des Haushalts durch die einzelnen Verwaltungszweige gewährleistet bleiben sollen. Ein solcher Haushaltsplan, also ein Funktionenhaushaltsplan, wäre nur noch für Experten verständlich. Er wäre noch schwieriger zu lesen als der jetzige Haushaltsplan. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn eine Übersicht zum Haushaltsplan gegeben oder in einem eigenen Nebenplan eine Gliederung nach Funktionen nachgewiesen würde, ließe sich doch hiervon am besten ablesen, wie und mit welchen Summen sich die Regierungspolitik im Haushalt niederschlägt und realisiert wird. Unser Haushaltsrecht ist gewiß reformbedürftig, aber auf diesem Gebiete empfielt sich größte Vorsicht und Bedachtsamkeit. Man sollte zunächst einmal die Erfahrungen kleinerer Gebietskörperschaften mit einer Revision des Haushaltsrechts abwarten, bevor man an die größte Gebietskörperschaft, nämlich den Bund, herangeht.
Herr Kollege Schoettle hat ein Zweites gesagt. Ich denke hierbei an die Bemerkungen, die aus dem Haushaltsplan eine Art Aufwands- und Leistungsrechnung machen wollen. Damit wird die Aufgabe eines Haushaltsplans einfach überfordert. Er kann kein Nachweis des Verhältnisses von Aufwand und Leistung sein; das gehört, meine ich, nicht in den eigentlichen Haushaltsplan, sondern in das Nebenwerk.
Meine Damen und Herren, wenn beide Vorschläge nicht im Haushaltsplan, sondern im Nebenplan bzw. in einer Nachweisung zum Haushaltsplan verwirklicht würden, trüge das sicher dazu bei, das Verständnis für das Wesen des Schicksalsbuchs eines Volkes, wie es Popitz ausgedrückt hat, nämlich des Haushaltsplans, zu erleichtern.
In der Debatte ist auch die Besoldungsreform angesprochen worden. Ich möchte das Bundesfinanzministerium bitten, dafür Sorge zu tragen, daß, wenn der Expertenausschuß zusammentritt, nicht nur an eine Besoldungsreform herangegangen, sondern zu gleicher Zeit eine Dienstpostenbewertung durchgeführt wird, die einmal die Besoldungsgesetze von 1909, 1920 und 1927 nebeneinanderstellt, damit man sieht, inwieweit einzelne Verwaltungsaufgaben in der Dienstpostenbewertung zurückgeblieben und andere über Gebühr hervorgehoben worden sind. Ich denke da insbesondere an eine Verwaltung, die im Bundesfinanzministerium ressortiert.
Herr Kollege Ritzel hat einen Beitrag zur Debatte geleistet, der, wie schon bemerkt worden ist, eigentlich in die zweite Lesung gehörte. Seine Ausführungen stachen aus den übrigen auch dadurch hervor, daß er darin Dinge ansprach, die mit dem Bundeshaushaltsplan nichts zu tun haben. Wenn z. B. Ländern eine parteiische Justiz vorgeworfen wird, so ist das eine Sache, die mit dem Haushaltsplan weiß Gott nichts zu tun hat.
Herr Kollege Ritzel war der einzige Redner, der bekannte, daß er die Vorbemerkungen ganz gelesen habe. Ich habe sie nur teilweise studiert, weil die Zeit nicht reichte, sie ganz zu lesen. Aber ich habe im Gegensatz zum Herrn Kollegen Ritzel festgestellt, daß die Sozialaufwendungen im kommenden Jahr nicht niedriger sind als im vergangenen, sondern daß das Gegenteil der Fall ist, und zwar, daß sie sich in der Schlußsumme um 977,5
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Millionen DM erhöhen. Der Herr Kollege Ritzel kann das auf Seite 144 der Vorbemerkungen nachlesen.
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- Das kann nicht ganz stimmen, denn der jetzt laufende Haushalt hatte ein Volumen von rund 27 Milliarden, und der kommende wird eines von 27,8 Milliarden haben. Wenn wir im Sozialhaushalt ein Mehr von 977,5 Millionen feststellen, dann muß sich der prozentuale Anteil nicht ermäßigt, sondern erhöht haben.
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- Ja, bitte, ich werde es nachrechnen; aber wir werden uns darüber auch im Haushaltsausschuß noch einmal unterhalten können.
Sie haben in diesem Zusammenhang gesagt, daß die Kriegsgefangenenentschädigung lediglich mit mit 150 Millionen DM verplant sei, und Sie haben der Bundesregierung vorgeworfen, sie habe wider besseres Wissen zusätzliche 100 Millionen DM nicht verplant, obwohl ihr bekannt sei, daß diese Mittel benötigt würden, um die Kriegsgefangenenentschädigung voll wirksam werden zu lassen. Diese Behauptung, Herr Kollege, steht zunächst im Raum; den Beweis dafür sind Sie schuldig geblieben. Ich hoffe, daß Sie das im Haushaltsausschuß nachholen.
Auch hinsichtlich des Wohnungsbaues muß ein Wort gesagt werden. Sie behaupten, daß für den Wohnungsbau im kommenden Haushaltsjahr weniger Bundesmittel zur Verfügung gestellt würden als im jetzt laufenden Haushaltsjahr bzw. in den vergangenen Jahren. Auch das ist unzutreffend. Wenn Sie sich den außerordentlichen Haushaltsplan ansehen, werden Sie feststellen, daß genau wie in diesem und im vorigen Rechnungsjahr wieder 500 Millionen DM eingestellt sind. Ja, ich darf Ihnen sagen, daß die zweite Novelle zum Wohnungsbaugesetz auch für das Jahr 1957 noch 500 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau vorsieht.
Auch bezüglich der Bundesbauten ist es erforderlich, einige Ihrer Angaben nicht unwidersprochen zu lassen. Auf Seite 174 der Allgemeinen Vorbemerkungen, die Sie selber als sehr vorbildlich zusammengestellt bezeichnet haben, ist klar herausgestellt, daß seit 1949 für Dienstgebäude im Bonner Raum 86,15 Millionen DM verplant worden sind, von denen für die nächsten zwei Jahre noch 20 Millionen DM zu verbauen sind. Das ist die Gesamtsumme, und es ist dort gesagt, daß nach diesem Zeitpunkt die Bautätigkeit für Dienstgebäude im Bonner Raum als abgeschlossen betrachtet werden kann. Sie, Herr Kollege Ritzel, wissen als Mitglied des Haushaltsausschusses genau so gut wie ich, daß ein Teil der Bauten erforderlich geworden ist, weil Diensträume, die mietweise zur Verfügung gestellt waren, gekündigt wurden und weil Diensträume, die mietweise zur Verfügung gestellt werden, auf die Dauer gesehen, viel mehr an Mieten gekostet hätten, als es kostet, die Dienstbauten zu erstellen. Auch das sollte man berücksichtigen.
Dann sind im Bonner Raum 6000 Wohnungen für Bundesbedienstete gebaut worden. Dafür ist ein Gesamtbetrag von 101 Millionen DM aufgewandt worden, wie auf Seite 175 der Vorbemerkungen zu lesen ist. Nun wollen Sie ja wohl nicht sagen, daß diese Wohnungen unnötigerweise gebaut würden; das haben Sie auch nicht gesagt. Wenn wir nach Berlin hätten gehen können, hätten wir die gleichen Mittel in Berlin aufwenden müssen, denn schließlich müssen ja die Bediensteten der Bundesbehörden auch einmal untergebracht werden.
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Im übrigen werden ja die Wohnungen im Bonner Raum aller Voraussicht nach nicht leerstehen, wenn wir das Glück haben sollten, in absehbarer Zeit nach Berlin umzuziehen. Das nehme ich jedenfalls nicht an. Aber selbst wenn sie hier leerständen, hätten wir die Wohnungsnot überwunden, und das sollte uns, glaube ich, in eine solch glückliche Stimmung versetzen, daß wir sogar das Leerstehen dieser Wohnungen ertragen könnten.
Im gleichen Zeitraum sind außerhalb des Bonner Raums für Bundesbedienstete 127 Millionen DM für insgesamt 10 300 Dienst- und Mietwohnungen verbaut worden.
Herr Kollege Ritzel hat auch von den Investitionen gesprochen und hat in diesem Zusammenhang erwähnt, daß die Wirtschaft vermöge der Entwicklung in der Lage gewesen sei, unverhältnismäßig hohe Kapitalien zu investieren. Herr Kollege Ritzel, Sie lesen genau so wie ich Bilanzen, die veröffentlicht werden. Wenn Sie sich die Bilanzen einmal ansehen, dann werden Sie auf der Passivseite dieser Bilanzen feststellen, woher zum Teil die Mittel für Investitionszwecke gekommen sind, nämlich durch eine Schuldenaufnahme. Wenn Sie in dieser Hinsicht eine Wirtschaftsbilanz ziehen, werden Sie feststellen, daß unsere Wirtschaft außerordentlich verschuldet ist. Wenn ich das hier sage, der ich mich selber zu den Arbeitnehmern rechne und mitten in der Gewerkschaftsarbeit stehe, sage ich das nicht, weil ich nun vor den Wirtschaftsleuten Kotau machen will, sondern weil es einfach die Wahrheit ist und weil es auch einem Arbeitnehmer zu Gesicht steht, die Wahrheit zu sagen und nicht die Dinge so darzustellen, als ob die Wirtschaft hier etwas Besonderes für sich in Anspruch genommen hätte.
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Meine Damen und Herren, was bewirken denn Investitionen? Doch nichts anderes als eine bessere Produktionsmittelausstattung, als eine Rationalisierung in ,den Betrieben, als ein höheres Sozialprodukt, das wir doch alle erstreben, um daraus einen besseren Lebensstandard zu haben. Wenn in den ersten Jahren der Stabilisierung nach 1948 überreichlich investiert worden ist, so ist das schließlich nicht denen allein zugute gekommen, die investiert haben, sondern insbesondere denen, die dort Arbeitsplätze gefunden haben.
Ich möchte es mir versagen, auf Einzelzahlen einzugehen. Ich werde Ihnen eine Aufstellung aus „Wirtschaft und Statistik" und aus den „Vierteljahresheften für Wirtschaftsforschung" zur Verfügung stellen, aus denen die Anteile der Löhne und der Investitionen usw. usw. am Volkseinkommen, nämlich dem Nettosozialprodukt zu Faktorkosten, ganz einwandfrei hervorgehen. Da werden Sie feststellen, daß der Lohnanteil sich bei ,dem Steigen des Sozialprodukts von 63,1 Milliarden DM im Jahre 1949 auf 103,7 Milliarden DM im Jahre 1953
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etwa auf 63 % gehalten hat; ein Prozentsatz, der auch in der Schweiz - Sie kennen dieses Land besser als ich, Herr Kollege Ritzel - üblich ist.
Sie haben in Ihren Ausführungen auch vom Wahlgesetz gesprochen und gesagt, daß Sie eine Initiative der Bundesregierung erwarten. Ich meine, der Initiative der Mitglieder dieses Hauses sind überhaupt keine Grenzen gesetzt. Warum wollen Sie nicht selber einen Entwurf vorlegen? Warten wir doch gar nicht ab, bis die Bundesregierung damit kommt. Wir können das ja selbst machen und werden dann das richtige Wahlgesetz schon zustande bringen.
Meine. Damen und Herren, noch eine kurze Bemerkung - ich möchte die Zeit, die ich dem Herrn Präsidenten genannt habe, nicht überschreiten - zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Professor Gülich. Herr Kollege Professor Gülich sprach im Zusammenhang mit Verwaltungsvereinfachungen von der Mitzeichnung und dem Referatslauf in den Ministerien. Ich habe im vergangenen Jahr in den Haushaltsberatungen des Haushaltsausschusses schon darauf hingewiesen, die Kleinheit der Referate in den einzelnen Häusern sei zum Teil mit schuld daran, daß zu viele Referate an der Mitzeichnung beteiligt werden. Das Bundesfinanzministerium selbst, zu seinem Lobe muß das gesagt werden, hat eine Reorganisation in dieser Hinsicht durchgeführt. Ich möchte wünschen, daß das in anderen Häusern auch geschieht. Wir müssen dahin kommen, daß ein Referat wirklich einen Überblick über ein Teilgebiet des ganzen Aufgabengebietes eines Ressorts besitzt. Es geht nicht an, daß ein Referat - um ein Beispiel zu nennen - sich nur mit der Zündwarensteuer oder der Leuchtmittelsteuer beschäftigt; die gesamten Verbrauchsteuern sollten zusammengefaßt werden, damit auch einmal der Initiative auf 'diesen Einzelgebieten etwas gesteuert wird und der Referatsleiter aus der Übersicht über diese Dinge sagen kann: „Es ist nicht erforderlich, daß wir hier oder dort etwas tun, wir müssen das große Ganze im Auge haben." Wenn wir solche Referate schaffen, dann werden wir auch dazu kommen, daß wir in der Referatsbeteiligung und Mitzeichnung zu einem vernünftigen Maß kommen. Aber wie notwendig es ist, daß mitgezeichnet wird, zeigt das Beispiel einer Veröffentlichung im „Bulletin". Das Bundesministerium des Innern hatte zu der Besoldung der kriegsgefangenen Beamten einen Erlaß bekanntgegeben, der nicht vorn Bundesminister der Finanzen gegengezeichnet war und der insoweit widerrufen werden mußte. Bei der Überschneidung der Kompetenzen
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- in Besoldungsfragen Bundesfinanzministerium, Mitberatung im Bundesministerium des Innern - ist ein Lauf der Akten von Ministerium zu Ministerium erforderlich. Wir dürfen bei dieser Gelegenheit auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich bin ganz Ihrer Meinung, daß man das vernünftig regeln kann.
Meine Damen und Herren, wir werden uns in der dritten Lesung über das zu unterhalten haben, was der Haushaltsausschuß aus dieser Vorlage gemacht hat. Ich möchte wünschen und hoffen, daß der endgültige Plan, den wir in der dritten Lesung zu verabschieden haben werden, ein getreues Spiegelbild dessen darstellt, was die Regierung nach ihrer Regierungserklärung für diesen Teilabschnitt der (4 Legislaturperiode zu verwirklichen sich vorgenommen hat.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist Sitte, bei der ersten Lesung des Haushalts einen gewissen Bogen zu spannen und nicht in die Einzelheiten der Probleme einzusteigen. Ich möchte es mir daher versagen, wenn ich zur Landwirtschaft spreche, mich mit den Einzelheiten zu beschäftigen; das wird Aufgabe der Ausschüsse sein. Ich möchte aber grundsätzlich folgendes sagen.
Wenn Herr Staatssekretär Hartmann gestern davon gesprochen hat, daß der Agrarhaushalt in diesem neuen Etat insgesamt um 100 Millionen erhöht worden ist, so möchte ich davor warnen, etwa zu der Meinung zu kommen, es handele sich hier um ein zusätzliches Geschenk. Diese Auffassung wäre falsch. Nicht etwa deswegen, weil die Einnahmen in diesem Haushalt durch die bekannten Abschöpfungen der Einfuhr- und Vorratsstellen gestiegen sind, hat man wohl dieses Mehr eingesetzt, sondern ich bin der Auffassung, daß Sie, Herr Bundesminister, auch wenn diese Einnahmen nicht gleichzeitig gestiegen wären, sich veranlaßt gesehen hätten, für unabänderliche Dinge, die auf uns in der Landwirtschaft zukommen und bei denen sich die Landwirtschaft selber wirklich nicht helfen kann, darüber hinaus einiges zu tun.
Die Einfuhr- und Vorratsstellen, über die in diesem Hause kürzlich nahezu einen halben Tag lang debattiert worden ist, sind immer wieder ein t Stein des Anstoßes. Es darf auch an dieser Stelle gesagt werden, daß sie ja nicht etwa nur für die Landwirtschaft geschaffen wurden, sondern gleichermaßen für die Erzeuger und Verbraucher. Niemand hat es in der Hand, daß sich die Verhältnisse eines schönen Tages nicht wieder wandeln. Wer hat denn soviel Einfluß auf den Weltmarkt, um das sagen zu können? Eine gewisse Sicherheit für die Ernährung, glaube ich, müßte man auch in diesem Hause und nicht etwa nur in den Parlamenten anderer Länder für notwendig halten. Die Weltmarktpreise sind heute meist sogenannte Zweckmäßigkeitsmaßnahmen, und es existiert praktisch gar kein echter Weltmarktpreis. Ich darf vielleicht nur an Weizen erinnern, für den bei den exportierenden Ländern verschiedenartige Preise gelten, je nachdem, wie sie gerade in die Handelspolitik der einzelnen Länder passen.
Wir alle in diesem Hause, glaube ich, sind wie die Verbraucher daran interessiert, daß in die Landwirtschaft eine gewisse Stabilität und Kontinuität hineinkommt. Ich glaube, daß die Hausfrau an nichts ein größeres Interesse haben kann als an möglichst gleichmäßigen Preisen während des ganzen Jahres. Ich darf vielleicht auch daran erinnern, daß kürzlich einer der liberalsten Professoren hier in Bonn eine Rede gehalten hat, von dem die meisten glaubten, er sei ein totaler Gegner etwa eines im Bundestag zur Debatte stehenden Paritätsgesetzes, und daß dieser dann expressis verbis gesagt hat: Wer das Paritätsgesetz nicht haben will, muß sich darüber klar sein, daß für die Landwirtschaft etwas geschehen muß. Bei dieser Gelegenheit hat Professor Brandt - dieser war es
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nämlich - auch davon gesprochen, daß man ohne Vorratsstellen und ohne saisonalen Ausgleich nicht auskommen könne. Diese Erkenntnis haben alle Länder der Welt im Laufe der Zeit gewonnen. Herr Staatssekretär Hartmann, ich möchte Ihnen aber folgendes sagen. Wenn etwa in Ihrem Hause die Auffassung herrschen sollte, daß diese Ausgaben, die im neuen Etat zusätzlich für die Landwirtschaft vorgesehen sind, an entsprechende Abschöpfungen der Vorratsstellen gekoppelt wären, dann wären Sie schlecht beraten; denn Ihr Herr und Meister, der Herr Bundesfinanzminister, ist anderer Auffassung. Als wir dieser offenbar in seinem Sinne falschen Auffassung waren und bei Anträgen für zusätzliche Zuwendungen darauf hingewiesen haben, daß die Einnahmen bei den Einfuhr- und Vorratsstellen auch gestiegen seien, hat er im letzten Jahr bei der Haushaltsberatung gesagt, diese Dinge hätten nichts miteinander zu tun, das laufe in den allgemeinen Finanzhaushalt, und man könne die Dinge nicht koppeln. Mit anderen Worten: Wenn durch eine Umkehr der Weltmarktpreise die Situation entsteht, daß die Abschöpfungen kleiner werden, so dürfen die Maßnahmen des sogenannten Lübke-Programms dadurch nicht tangiert werden.
Abschließend darf ich zu diesem Punkt noch sagen, daß trotz der Fortschritte der Technisierung in der Feldwirtschaft und einer steigenden Leistungskurve sich die Erzeugungskosten in der deutschen Landwirtschaft leider nicht haben senken lassen und daß wir andererseits die Entwicklung der Auslandspreise nicht in der Hand haben. Deshalb begrüßen wir den Beschluß des Kabinetts, der Delegation zu den GATT-Verhandlungen in Genf eine Marschroute mit auf den Weg zu geben. Ich stehe nicht an, hier irgend jemanden zu loben. Herr Bundesernährungsminister, Sie haben das Ihrige getan, um im Kabinett den Standpunkt durchzusetzen, daß die Marktgesetze und die Importkontingente nach Menge und Zeit durch die GATT-Beratungen in Genf nicht berührt werden dürfen. Im Augenblick wird auch sehr viel davon gesprochen - ich erinnere an die Debatte über den Eierzoll -, ob das Zollsystem in der augenblicklichen Lage richtig ist oder nicht. Sie wissen, daß man früher die sogenannten Gewichtszölle hatte und dann später unter dem Druck ,des Auslands zu den Wertzöllen übergegangen ist. Ob diese richtiger sind, lasse ich dahingestellt sein, auf alle Fälle haben sie sich bei verschiedenen Produkten nicht bewährt; denn wenn die Preise steigen, steigt der Zoll mit, und der Verbraucher hat den Schaden. Sinken die Preise, dann nützen die Zölle dem Erzeuger auch nichts, da gleichzeitig mit dem Preis der Ware der Zoll heruntergeht. Wenn man nun aber auf ein anderes System übergehen will, so glaube ich meinerseits und auch für meine Fraktion sagen zu dürfen, daß man diese Dinge vorher sorgfältig prüfen muß. Sicherlich hat sich der sogenannte gleitende Mischzoll bei Braumalz hervorragend bewährt, aber man kann nicht unbedingt sagen, daß er für andere Produkte gleich wertvoll ist.
Ich darf vielleicht noch ganz wenige Worte zur Milchwirtschaft sagen. In dem Haushalt ist ein Posten von 17 Millionen DM für den übergebietlichen Ausgleich zwischen Trinkmilchpreis und Werkmilchpreis enthalten. Hier handelt es sich nicht um eine Ausgabe für den Bund, sondern um einen durchlaufenden Posten; denn diese Summe wird ja vorher auf Grund des Milch- und Fettgesetzes dem Erzeuger abgezogen. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß gerade auf dem Gebiete der Milchwirtschaft die bisher bestens bewährte Marktordnung nicht gestört werden darf, wenn auch geprüft werden kann, ob nicht da und dort durch die Entwicklung der Zeit kleinere Änderungen vorgenommen werden können. Aber diese Marktpolitik darf auch von außen her nicht gestört werden. Die Politik der. Bundesregierung in den hinter uns liegenden Jahren 1953 und 1954 hat sich im Hinblick auf die Butterpreise ganz gut bewährt, wenn auch die Presse manchmal anderer Auffassung war. Tatsache ist, daß es in diesen beiden Jahren gelungen ist, den Butterpreis stabil zu halten. Die saisonalen Schwankungen sind durchaus in Ordnung und dienen einer gesteigerten Erzeugung. Daß die Milchpreise und Butterpreise während der Monate der Hauptproduktion etwas niedriger sind als in den anderen Monaten, in denen die Produktion sinkt, ist selbstverständlich. Wenn für die Wintermonate ein Anreiz gegeben wird, so ist das durchaus in Ordnung, und wir bejahen es. Wenn sich in diesem Herbst gezeigt hat, daß es vielleicht wünschenswert gewesen wäre, von seiten der staatlichen Einfuhr- und Vorratsstelle zu Zeiten des Überschusses mehr aus dem Markt zu nehmen, so glaube ich, daß es richtig ist, wenn man bei der Beratung dieses Haushaltes die gegebene Lage sorgfältig prüft. Dann wird man wahrscheinlich feststellen, daß über die jetzt vorgesehenen Mittel hinaus noch zusätzliche Mittel notwendig sind, um den Markt noch besser ausgleichen zu können.
Auf einen Posten möchte ich hier aber besonders hinweisen. Das Haus hat sich dankenswerterweise beim letzten Etat bereit erklärt, den dort erstmals erscheinenden Posten in Höhe von 5 Millionen DM für die Restmilchverwertung einzusetzen. Er dient im wesentlichen zur Festigt ng des Marktes von Trockenmilch, von Magermilchpulver und zur Entlastung des damals darniederliegenden Käsemarktes. Es hat sich erfreulicherweise gezeigt, daß durch den Einsatz dieser 5 Millionen DM sofort eine Beruhigung und eine Festigung des Marktes hervorgerufen wurde. Man kann diese 5 Millionen DM ruhig mit der englischen Flotte vergleichen: die Tatsache, daß sie da waren, hat den Markt während des ganzen Jahres stabilisiert. Ich möchte darum heute schon das Haus ersuchen, daß auch in zukünftigen Haushalten dieser Posten erhalten bleibt, wenn er auch, wie gesagt, in den abgelaufenen neun Monaten noch nicht gebraucht wurde. Allerdings müßte man daran denken, daß diese Stützung neben dem Milchpulver auch auf das Nährkasein und auf andere Produkte ausgedehnt wird.
Grundsätzlich darf aber noch gesagt werden, daß das deutsche Preisniveau, wie der Herr Bundesernährungsminister kürzlich gesagt hat, unter dem Europas liegt. Von den Bauern kann aber nicht verlangt werden, daß sie ihre Erzeugnisse, also die Produkte ihrer Arbeit wesentlich billiger zur Verfügung stellen als andere Zweige unserer Gesamtwirtschaft, deren Betriebe und Wirtschaftsmethoden angeblich sogar erheblich mehr durchrationalisiert sind als die der sogenannten rückständigen Landwirtschaft. Wäre nämlich diese Behauptung von der fortschrittlicheren Rationalisierung in der übrigen Wirtschaft wirklich richtig, so müßten doch die natürlichen Folgen umgekehrt sein: die Erzeugnisse dieser rationelleren Wirtschaftszweige müßten er({1})
heblich billiger sein als die der Landwirtschaft. Die Obstpreise lagen im Monat Oktober, um nur ein Beispiel zu nennen, bei 108 % des Vorkriegsstandes. Im letzten Monat sind sie weiter gefallen. Frage: Wo gibt es - mit Ausnahme des Sektors der zwangsbewirtschafteten Wohnungen - noch einen Wirtschaftszweig, der bei einem solchen durchschnittlichen Preisstand existieren könnte? Der Durchschnitt der industriellen Fertigprodukte liegt heute immer noch bei 217, der Index von Kohle bei 323 und der von Roheisen bei 459 des Preises des Jahres 1939. Deswegen ist der Schutz, der unserer Landwirtschaft gegenüber der ausländischen Konkurrenz auch im Rahmen der Marktordnung eingeräumt ist, in seiner praktischen Auswirkung durchaus nicht etwa überhöht, sondern er geht in keiner Weise über das hinaus, was der übrigen Wirtschaft, der Industrie, zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze durch die Zölle gewährt wird. Weil eben in der Landwirtschaft das Angebot leider nur stoßweise erfolgt, deswegen genügen bei ihr Zölle, die ihre Funktion bei der gewerblichen Wirtschaft sehr wohl erfüllen können, nicht. Darum haben wir die Einfuhrstelle mit dem Totalembargo bei Zukker und Getreide, und deshalb können wir auch auf die Regelung der mengenmäßigen Beschränkung der Einfuhr bei Vieh, Fleisch, Milch und deren Produkten nicht verzichten.
Zur Standardisierung möchte ich mit ein paar Worten darauf hinweisen, daß die in diesem Hause beschlossene Senkung der Umsatzsteuer für das Sortieren und die Standardisierung gewisser Produkte durch Handel und Genossenschaften noch nicht genügt, weil ein Teil der noch nötigen Waren hierbei ausgenommen ist. Die zur Standardisierung beim Reifelagern von Käse und beim Präparieren I von Hopfen notwendige Abschaffung bzw. Senkung der Umsatzsteuer ist noch nicht beschlossen. Dies gilt auch für die Einkühlung der Eier. Wenn etwa im Frühjahr das Umsatzsteuergesetz neu umgebildet werden muß, sollte man auf diese Dinge Rücksicht nehmen.
Zu einer Qualitätsförderung gehört bekanntlich auch eine bessere Milch. Wir haben mit Betrübnis festgestellt, daß die Ansätze ides letzten Jahres zur Tierseuchenbekämpfung insgesamt gekürzt worden sind. In dieser Beziehung hat das Ausland, das uns dauernd sosehr als Spiegel vorgehalten wird, wesentlich mehr getan, und zwar von staatlicher Seite, vor allen Dingen in der Schweiz, in Dänemark und in Holland, unseren Nachbarländern, die heute mit ihren Produkten bei uns erscheinen und die ihre Produkte mit dem Hinweis propagieren, daß sie aus völlig tbc-freier Milch hergestellt sind. Es darf auch hier nicht verkannt werden, daß die Tbc-Freimachung der Rinderbestände der Landwirtschaft einige Milliarden kostet. Wenn der Bund glaubt, mit diesen bescheidenen Mitteln das letzte getan zu haben, dann nimmt ihm diese Auffassung niemand ab. Ich möchte aber noch betonen - das wird oft zuwenig hervorgehoben -, daß es sich dabei um eine freiwillige Maßnahme der Landwirtschaft handelt. Es wäre eine schlechte Quittung, wenn man die im Haushaltsplan vorgesehenen Kürzungen, sozusagen als Dank für das, was sie von sich aus geleistet hat, wirklich wahrmachte.
Wenn man noch einige andere Punkte des Haushaltsplans betrachtet, stößt man auf 20 Millionen DM zur Kraftstoffverbilligung. Diese wurden zu einer Zeit eingesetzt, als die Zahl der Schlepper und damit wohl der Verbrauch an Kraftstoff halb so groß waren wie heute. Diese Mittel reichen in keiner Weise aus. Eine Senkung des Preises ist möglich, wenn man daran denkt, daß die Verteuerung der Kraftstoffe nicht auf den Erzeugungskosten allein beruht, sondern auf Finanzzölle und Steuern zurückzuführen ist, wenn man weiß, daß das Ausland uns hier in der Konkurrenzfähigkeit meilenweit voraus ist. Auch darauf wurde kürzlich hingewiesen. Ich erinnere nur an Holland, wo es ja keine Kunst ist, zu mechanisieren. Die Maschinen und Traktoren sind dort billiger, und der Treibstoffpreis erreicht nicht einmal die Hälfte des hiesigen Preises. Das alles muß man berücksichtigen.
Es wäre also außerordentlich begrüßenswert, wenn Sie, Herr Bundesminister, mit Ihrem Kostensenkungsplan künftig mehr Erfolge hätten als bisher. Wahrscheinlich sind die Aussichten dafür recht kümmerlich. Ich denke an Maschinen und Düngemittel. Aber wenn man 'die für unabdingbar notwendig erachtete Mechanisierung vorwärtstreiben will, muß man irgendwie beginnen. Daß man ohne Mechanisierung nicht weiterkommen kann, ist ein klarer Fall, obwohl sie noch lange kein Segen für den einzelnen Bauern ist, weil sie sich zum Teil sehr teuer stellt. Aber sie ist unabdingbar, weil sie eine Arbeitszeitverkürzung und eine Arbeitserleichterung bringt. Sie ist auch deshalb unabdingbar, weil die Kräfte auf dem Lande immer rarer werden, weil sich namentlich vom nächsten Frühjahr ab der stark ins Auge springende Rückgang der Zahl der Schulentlassenen auch auf dem Lande auswirken und weil der Sog der Industrie immer stärker wird. Bereits heute ist die Zahl der Arbeitslosen in Nordrhein-Westfalen - das war der Tiefstand vor wenigen Wochen - unter 3 % gesunken. Wir müssen feststellen, daß die Industrie bereits Werber auf das Land hinausschickt, um Arbeitskräfte zu bekommen. Angesichts dieser Tatsachen ist es eine Verpflichtung für den Staat, dafür zu sorgen, daß durch Mechanisierung Arbeitskräfte eingespart werden. Die Mechanisierung kann allerdings nicht allein im Wege der Fremdfinanzierung vollzogen werden, sondern sie muß durch Eigenfinanzierung erfolgen, weil nur auf diese Weise ein günstigeres Ergebnis erzielt werden kann.
Man berät im Augenblick die Verkehrsgesetze und denkt daran, die Kosten für den Bau der Straßen mehr, wenn nicht ganz, auf den Treibstoff zu legen. Meine Damen und Herren, das haut nicht hin! Man kann nicht sagen, daß alle Verkehrsteilnehmer gleichmäßig von dem Straßenbau profitieren; die Landwirtschaft bestimmt nicht mit ihren Schleppern, die unter 40 km in der Stunde fahren, nur teilweise eine öffentliche Straße benutzen und von der Benutzung der Autobahnen ausgeschlossen sein sollen. Da wäre es ein Nonsens, an eine Verteuerung des Kraftstoffs für die landwirtschaftlichen Schlepper überhaupt nur zu denken.
Aber noch etwas zu diesem Problem! Damit berühre ich die Ausgaben, die im Bundeshaushalt für die Prüfung von Landmaschinen stehen. Es kann dem einzelnen Bauern nicht zugemutet werden - da reichen seine Kenntnisse absolut nicht aus -, daß er von sich aus weiß, welche Maschine nun für ihn paßt. Die Zahl der Maschinentypen, die heute ungeprüft auf dem Markt erscheinen, geht in die Hunderte. Das ist ein Zustand, der nicht länger geduldet werden kann. Diese Maschinen müssen vorher durch eine amtliche Stelle genauestens daraufhin geprüft werden, a) ob sie verwertbar sind, b) welche Mängel sie haben und c) für welche Betriebsgröße, d) für welche Bodenarten, e) für welche klimatischen Verhältnisse sie in Frage kommen.
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Wenn wir in dieser Beziehung einen Vergleich mit den Gegebenheiten im Ausland anstellen, so müssen wir sagen, daß wir hier aus öffentlichen Mitteln herzlich wenig getan haben. Ich bitte Sie darum, diesen Notwendigkeiten im kommenden Haushalt noch stärker Rechnung zu tragen.
Zum Schluß wäre jetzt noch auf die Verbesserung der Agrarstruktur einzugehen, ein mannigfaches und weitreichendes Problem. Ich will es mir versagen, hier auf Einzelheiten einzugehen. Ich will nur eines vorbringen : Die Eingliederung der Heimatvertriebenen ist von diesem Gesamtproblem nicht zu trennen. Der Bundestag hat hier schon etliches getan. Aber wenn man daran denkt, welche Mittel einem jungen Bauern heute zur Verfügung stehen, der sich aus Liebe zur Landwirtschaft selbständig machen will und sieht, daß er so gut wie gar nichts bekommen kann, so kommt man, glaube ich, zu der Ansicht, daß man diesen Zustand nicht verewigen darf. Sicherlich, es ist richtig, wenn man in dem Bundesvertriebenengesetz dafür gesorgt hat, daß in erster Linie diejenigen, die vorher etwas besessen haben, wieder zu einem Hof und zu Eigentum kommen. Wir begrüßen das auch. Aber auf die Dauer kann die unterschiedliche Behandlung bei der Begünstigung nicht so weitergehen; sonst begehen wir hier Sünden, die nicht wiedergutzumachen sind. Man wird sich bei der Beratung des Haushalts auch mit dieser Frage noch beschäftigen müssen.
Zur Flurbereinigung will ich eines sagen: Wenn die Dinge - und ,der Plan besteht ja - nicht stärker forciert werden, als es bisher der Fall war, so wird die Flurbereinigung ja wahrscheinlich so lange dauern, bis viele längst auf der Strecke geblieben sind. Dazu eine Bemerkung, Herr Minister! Kürzlich wurden mir Zahlen vor Augen gehalten, aus denen sich ergibt, daß die Leistung eines in der Flurbereinigung Beschäftigten sehr stark schwankend ist. Sie schwankt nämlich im Jahre und pro Kopf zwischen 16 und 56 ha. Da gibt es wahrscheinlich noch einiges zu korrigieren.
Vielleicht wäre es zweckmäßig, wenn man gerade bei der Vergebung der Mittel des Bundes sorgfältig prüfte, wohin diese Mittel gegeben werden und wenn man sie nicht etwa nur in schematischer Weise - ich glaube nicht, daß das geschieht - ohne eine bestimmte Richtlinie an die Länder weitergäbe. Vielleicht könnte auch noch untersucht werden, ob nicht durch die Selbstinitiative in einem vereinfachten, freiwilligen, unbürokratischen Selbstumlageverfahren mehr erreicht werden könnte.
Eine schwierige Frage ist die der Dorfauflockerung. „Wenn die Dorfauflockerung mit der Flurbereinigung nicht Hand in Hand geht", hat mir kürzlich ein alter Bauer geschrieben, „ist es besser, ihr hört gleich auf; denn dann sind alle Mittel zum Fenster hinausgeworfen". Und in der Tat ist es weitgehend so. Man muß allerdings vorher prüfen, wenn man draußen Einzelhöfe oder Weiler anlegt - und die Kosten eines 15 ha-Hofs schwanken heute zwischen 100- und 120 000 Mark -, ob eine Verkehrsmöglichkeit, eine Straße besteht, ob Wasser, Licht usw. leicht zuleitbar sind. Sonst könnten diese Kosten noch steigen. Man muß dann prüfen, ob eine an den Dorfrand zu legende Siedlung nicht billiger käme, zumal da die Weite der Fluren infolge der zunehmenden Motorisierung nicht mehr überall die große Rolle spielt.
Ein anderes Kapitel bei diesem Problem ist die Frage der sogenannten Aufstockung kleiner, nicht lebensfähiger Betriebe. Das ist ohne Zweifel das schwierigste Problem. Wir sind der Auffassung, daß man hier unter keinen Umständen, aber auch unter gar keinen Umständen mit Zwang eingreifen sollte. Diese Dinge muß man weitgehend sich selber entwickeln lassen. Das heißt jedoch natürlich nicht, daß derjenige, der draußen in den Fluren Grundstücke hat, wo das Unkraut wächst und wo die Distel ihren Samen auf den Nachbargrundstücken verbreitet, etwa der Auffassung sein kann, daß ihm nichts geschehen dürfe.
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Ich glaube, daß hier der letzte Weg, aber auch der erfolgreichste der der Zwangsverpachtung ist.
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- Da lachen die Hühner nicht, mein lieber Herr Schmidt. Das haben wir bereits in meinem Heimatlande praktiziert. Wenn Sie in Niedersachsen noch nicht so weit sind, liegt es vielleicht an Ihrer Regierung.
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Bei uns kommt es auf alle Fälle vor und wird auch gemacht.
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- Nein, nein, sondern Tatsachen, mein lieber Herr Schmidt!
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- In Niedersachsen viel Geschrei? Das weiß ich nicht; das kann ich nicht kontrollieren. Das weiß er wahrscheinlich selber am besten.
Der Wechsel von Land muß eben durch andere Mittel begünstigt werden, durch Zurverfügungstellung billiger Mittel und Prüfung, daß, wenn ein Land zum Verkaufe steht, es derjenige bekommt, der es a) selber bearbeitet und b) zu seiner Aufstockung braucht.
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Es wäre auch noch etwas zu tun, um den Verkauf von solchen Höfen zu begünstigen, die Leuten gehören, die überaltert oder krank sind. Wenn für diese Leute eine Rente oder eine Sicherheit geschaffen würde, dann wäre oft die Möglichkeit einer Verpachtung oder eines Verkaufs gegeben.
Ich will es mir versagen, nun noch auf andere Dinge einzugehen. Ich denke hier an die Raumordnung und an die Landesplanung. Aber Tatsache ist, daß heute oft mit dem Grund und Boden in unverantwortlicher Weise umgesprungen wird. Kürzlich erfolgte Berechnungen haben ergeben, daß in der Bundesrepublik seit dem Jahr 1939 376 000 ha landwirtschaftlich genutzter Grundfläche der Landwirtschaft verlorengegangen sind. Ob man das unter allen Umständen verantworten kann, möchte ich dahingestellt sein lassen. Ich glaube, daß man dieser Frage in Zukunft eine erhöhte Aufmerksamkeit schenken sollte.
Zur Wasserwirtschaft will ich hier nichts sagen. Es wurde schon viel darüber diskutiert. Wenn der Streit zwischen den einzelnen Ministerien so weitergeht, dann kommen wir in keiner Weise vorwärts, und niemand hat praktisch einen Nutzen, weder das eine noch das andere Ressort. Ich glaube doch,
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daß das Bundesernährungsministerium die Dinge in seinem Plan wirklich umfassend behandelt hat und daß man wahrscheinlich den besten Weg beschreiten würde, wenn man die gesamte Wasserwirtschaft in die Kompetenz des Bundesernährungsministeriums gäbe.
Wenn bei den Fragen der Wasserwirtschaft auch der Küstenplan und das Problem der nassen Gebiete in den Marschen und an den Küsten angeschnitten werden darf, so möchte ich sagen, wir begrüßen es, daß hier höhere Mittel eingesetzt sind. Wer Gelegenheit hatte, diese Landstriche dort zu besichtigen, der ist gewiß zu der Auffassung gekommen, daß hier eine rasche Hilfe wesentlich mehr erreicht als eine solche auf lange Sicht. Denn die Verschlechterung der Böden durch den ständigen Anstieg des Grundwasserspiegels schreitet in schnellem Tempo fort. Wir können es nicht mehr verantworten, daß Tausende von Betrieben an den Rand ihrer Existenzmöglichkeit getrieben werden.
Ich darf noch zur Zinsverbilligungsaktion einige Worte sagen. Ich möchte betonen, daß man den Dingen vielleicht insofern eine andere Wendung geben sollte, als es nicht tunlich ist, daß allein Betriebe, die bisher relativ leistungsfähig waren, davon profitieren; vielmehr müßte man sich bei der Vergebung zinsverbilligter Kredite in Zukunft mehr um die kleineren und mittleren Betriebe kümmern, die an und für sich leistungsschwach sind, heute aber zum Teil schon so beliehen sind, daß sie es nicht wagen, einen neuen Kredit aufzunehmen. So reizvoll zinsverbilligte Kredite sind, so muß man doch immer bedenken, daß nach der Bemessung der landwirtschaftlichen Rente die Kreditnehmer während der Abzahlung in Schwierigkeiten geraten können. Man muß also mit aller
Vorsicht auch in der Kreditberatung dafür sorgen, daß die Verschuldung kein gefährliches Ausmaß annimmt. Ich darf darauf hinweisen, daß 1939 das Verhältnis zwischen Personal- und langfristigen Krediten 23 : 77 betrug, heute dagegen 50 : 50 beträgt und dadurch ' die Lage wirklich gefährlich geworden ist.
Zum Schluß möchte ich die grundsätzliche Frage aufwerfen: Warum braucht die Landwirtschaft Hilfsmaßnahmen der öffentlichen Hand? Ich glaube, wer es noch nicht gewußt hat, dem ist es durch die Ereignisse dieses Jahres klargeworden. Ihre Abhängigkeit vom Wetter kann nicht dem Schuldkonto der einzelnen Landwirte zugeschrieben werden. Und die Schäden, die allein durch Schädlinge bei uns auftreten, gibt es in der gewerblichen Wirtschaft überhaupt nicht. Die Produktionsbedingungen sind wirklich völlig andere. Wenn diese Dinge in Deutschland besonders brennend sind, so können die jetzigen Eigentümer der Betriebe nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß sie in den traditionsgebundenen Dörfern wohnen. Daß heute die durchschnittliche Größe eines Betriebs bei uns 6,7 ha ist und in den USA genau das Zehnfache beträgt, wobei dort alle Betriebe arrondiert sind, während sie bei uns vielfach zersplittert sind, beleuchtet die Situation in genügendem Maße. Vor allen Dingen kann die jetzige Landwirtschaft nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß man damals nicht wie beispielsweise in Holland und Dänemark eine echte Landbefreiung durchgeführt, die Betriebe arrondiert und die Dörfer aufgelöst hat. Deshalb ist es eine Verpflichtung des Staates, für diese Dinge zu sorgen, damit sie in ihrer Entwicklung anders werden.
Das sind meine Wünsche in konkreter Form zum Haushaltsplan. Ich bitte Sie, diese Momente in den Ausschußberatungen zu berücksichtigen. Ich bitte Sie aber auch, sich mit aller Energie dafür einzusetzen, daß die Landwirtschaft möglichst bald ein grundlegendes Gesetz bekommt. Dieses Gesetz muß die Regierung an Hand von laufenden Feststellungen verpflichten, durch eine Reihe von Maßnahmen - die kann man nicht auf einen Nenner bringen - dafür zu sorgen, daß auch die Landwirtschaft an der ständigen Aufwärtsentwicklung der allgemeinen Wirtschaft teilnehmen kann. Sonst würde eine Entvölkerung des Landes, eine Verminderung und schließlich ein starker Mangel an Arbeitskräften zu einer Extensivierung führen. Eine extensive Bebauung des Landes hat noch immer in der Geschichte bei einem volkreichen Lande zu dessen Untergang geführt.
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Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser vorgerückten Stunde bitte ich, mir zu erlauben, nur einige wenige und ganz einfache Bemerkungen zu machen und Antworten auf hier gestellte Fragen zu geben, soweit sie nicht ausgesprochen auf der politischen Ebene liegen, einer Ebene, die zu besteigen mir nicht zukommen würde.
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Ich darf mich zunächst für die vielerlei Anregungen, die die Verwaltung hier erhalten hat, bedanken und gehe dann zu den Ausführungen über, die die Haushaltsfragen im engeren Sinne betreffen.
Herr Abgeordneter Schoettle hat die Reform der Haushaltsordnung angesprochen. Diese erscheint auch uns dringend erwünscht, und trotz der großen Belastung, die auf meiner Haushaltsabteilung gerade auch in den nächsten Monaten liegen wird, möchten wir doch hoffen, daß wir einen Entwurf etwa im Frühjahr 1955 vorlegen können. Das ist aber nur ein Vorentwurf, Herr Abgeordneter Schoettle, der also nur eine Unterlage für eine gemeinsame Beratung insbesondere mit den Herren des Haushaltsausschusses bilden soll, die sich dieser Frage gerne besonders widmen. Ich kann Ihnen also zusagen, daß eine solche gemeinsame Erarbeitung stattfinden soll, ehe der endgültige Entwurf des Ministeriums abgeschlossen wird. Wir werden dabei auch die Anregungen von Herrn Abgeordneten Professor Gülich berücksichtigen.
Wegen der Reisekosten werde ich in wenigen Tagen an die Bundesressorts ein Rundschreiben im Sinne dessen schicken, was hier gesagt wurde, mit der Bitte, uns nach Kräften in der Verringerung und Beschränkung der Reisekosten zu unterstützen.
Nun komme ich zu der Frage der Bedienung des außerordentlichen Haushaltes in den letzten beiden Jahren. Ich glaube, über die Rechtsfrage, ob das Bundesfinanzministerium befugt war, die Einnahmen des ordentlichen Haushalts hierfür zu verwenden, wird man sich im Haushaltsausschuß un({1})
terhalten. Der Standpunkt des Bundesfinanzministeriums ist ja bekannt.
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- Herr Abgeordneter Schoettle, dieses Problem ist in zwei Jahren aktuell geworden. Es handelt sich wahrscheinlich um einzigartige Fälle.
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- Gut, dann darf ich bitten, daß wir das Gespräch im Haushaltsausschuß fortführen.
Ich möchte aber zwei Dinge hier betonen. Das erste ist nicht besonders erwähnt worden, aber es ist sicher jedem der Redner präsent gewesen. Wenn wir den außerordentlichen Haushalt bedient haben, so sind doch alle Positionen des außerordentlichen Haushalts von dem Hohen Hause in den jeweiligen Etatgesetzen bewilligt gewesen. Es sind also nur ausdrücklich bewilligte Posten von uns bedient worden, und zwar auf die bestmögliche Weise. Wir konnten doch wirklich in diesen beiden Jahren nicht an den Kapitalmarkt herangehen, während wir eine Milliarde, später noch viel mehr, in der Kasse hatten. Wenn sich der Kapitalmarkt so gut erholt hat - darauf durfte ich gestern schon hinweisen -, so vielleicht auch, weil der Bund zwei Jahre lang nicht an den Kapitalmarkt gegangen ist.
Und dann noch etwas. Ich glaube, man stellt sich die Abwicklung dieser Dinge nicht ganz richtig vor. Es ist ja nicht so, daß der Bundesfinanzminister nach einer sorgenvollen Nacht eines Morgens beschließt, nun den außerordentlichen Haushalt aus ordentlichen Einnahmen zu bedienen,
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sondern diese Entwicklung verläuft doch ganz allmählich. Wenn Sie das tadeln, dann muß ich bemerken, daß wir uns schon jetzt wieder einer solchen Sünde schuldig gemacht haben. Wir haben nämlich Vorwegbewilligungen gegeben für den Wohnungsbau des Jahres 1955. Wir mußten diese Vorwegbewilligungen geben, damit der Herr Bundeswohnungsbauminister und die Wohnungs- und Wiederaufbauminister der Länder diese Beträge verplanen konnten. Natürlich sind die Beträge von uns noch nicht gezahlt worden; das kommt erst im Laufe des nächsten Haushaltsjahres.
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- Nein, der gesamte außerordentliche Haushalt bis auf ganz geringe Ausnahmen beruht doch auf solchen Investitionstiteln, die einfach bedient werden müssen. Jetzt war schon der Moment - wir haben erst Dezember 1954 -, in dem wir die Verpflichtungserklärungen für den Wohnungsbau im Jahre 1955 abgeben mußten. Es wird sich dann im Laufe des Rechnungsjahres 1955 herausstellen - wir wollen ja die Anleihe nach Möglichkeit erst im ersten Kalendervierteljahr 1956 herausbringen -, aus welchen Mitteln wir diesen außerordentlichen Haushalt, z. B. hier für den Wohnungsbau, bedienen werden. Aber bedient werden muß er, und alles andere wird sich hinterher finden.
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Ich kann hier auch gleich eine weitere Frage behandeln, nämlich die Frage der Gleichsetzung von Haushaltsjahr und Kalenderjahr. Es ist den Damen und Herren bekannt, daß sich das Bundesfinanzministerium sehr dafür eingesetzt hat; die Länder waren nicht alle dafür. Wir werden diese Frage zusammen mit der Reform der Haushaltsordnung in Angriff nehmen. Sie hat aber etwas an Aktualität verloren eben durch diese Vorwegbewilligungen. Einer der Gründe dafür, das Kalenderjahr als Haushaltsjahr zu wählen, waren ja die Sorgen der Bauwirtschaft, weil häufig und lange Zeit hindurch die Mittel zu spät zur Verfügung gestellt wurden.
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- Ja, da müssen wir eben auch nach einem Weg suchen, wie wir das neben dem Wohnungsbau einbeziehen. - Wenn wir das System der Vorwegbewilligungen in dieser Weise weiter praktizieren dürfen, dann kommt man, glaube ich, über die Frage der rechtzeitigen Anhebung der Bautätigkeit zur Saison hinweg. Inzwischen werden wir hoffentlich auch dazu kommen, das Kalenderjahr zum Haushaltsjahr zu machen.
Dann hat Herr Abgeordneter Ritzel hier eine Reihe von Zahlen genannt über die Kosten der Verwaltungsbauten und der Wohnungen in Bonn. Ich kann ganz schlichtweg sagen, daß die Zahlen absolut in Ordnung sind, die er hier genannt hat. Aber ich darf hinzufügen, daß die Beträge für die Verwaltungs- und die Wohnungsbauten in Bonn seit Jahren von dem Hohen Hause in den einzelnen Haushaltsplänen bewilligt worden sind. Insofern ergäbe sich also aus einer Zusammenstellung der Bewilligungen schon ein gewisses Bild der hier verausgabten Summe. Das Endbild kann natürlich immer erst die Rechnung bringen.
Dann ist sehr stark und für uns besonders dankenswerterweise auf eine Popularisierung der Fragen der Finanzpolitik hingewiesen worden. Wir glauben, daß hier noch sehr viel zu tun ist. Auch unsere Allgemeinen Vorbemerkungen mit den über 550 Seiten werden ja kein populäres Werk sein. Wir wollen also versuchen, in irgendeiner Weise, über die man im Haushaltsausschuß noch einmal sprechen könnte, vielleicht wie im letzten Jahr, vielleicht auch in einer anderen Weise, eine übersichtliche, knappe und doch ausreichende Darstellung des Haushalts und seiner Fragen zu geben.
Ich darf hier anfügen, daß wir bezüglich der Einkommensteuer nach einem amerikanischen Vorbild - da gibt es solche Büchlein „My income-tax" auch ein Büchlein „Meine Einkommensteuer" herausbringen und darin besonders darauf hinweisen wollen, welche Steuervergünstigungen für die verschiedenen Gruppen in Frage kommen. Man hat uns ja mehrfach gesagt, daß diese Fragen in den Steuererklärungsformularen entweder so knapp oder-so rein fachlich gefaßt sind, daß jemand, der nicht von einem Steuerberater beraten ist, manchmal gar nicht weiß, daß er eine Steuervergünstigung hätte in Anspruch nehmen dürfen. Wir wollen überhaupt das nächstemal die Einkommensteuererklärung durch einen sehr stark vereinfachten Vordruck für die mittelständischen Kreise erleichtern, aber dabei ist dann eigentlich ein solcher kleiner Führer notwendig, denn in den vereinfachten Vordruck können wir nicht alle Eventualfragen aufnehmen, die vielleicht für irgendeinen von Interesse sind.
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Danach komme ich zu einigen weiteren Fragen, die über das engere Haushaltsgebiet hinausgehen. Von verschiedenen Seiten sind hier Fragen der Aufrüstung, und zwar über das Jahr 1955 hinaus, aufgeworfen worden. Ich möchte, da das über das rein fachliche Gebiet hinausgeht, empfehlen, dies in der nächsten Woche im Rahmen der großen Debatte über die Pariser Verträge mit zu behandeln. Die hier gestellten Fragen sind von uns vorgemerkt worden.
Weiter ist nach dem Verkehrsfinanzgesetz gefragt und gesagt worden, daß die Mittel, die daraus für die Autobahn, für den Straßenbau und für die Bundesbahn zu erwarten seien, zu gering seien. Ich habe mir nun erlaubt, gestern einen Satz zu sagen, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten der Einfachheit halber vorlesen darf: „Sollte dieser Schritt Ihnen als zu klein erscheinen, so wird sich die Bundesregierung einer vernünftigen weiteren Steigerung der Einnahmen aus dem Verkehrsfinanzgesetz sicher nicht widersetzen."
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- Das haben Sie bemerkt, dann hätte ich es nicht zu verlesen brauchen. Sollte es also möglich sein, daß sich eine breite Mehrheit in diesem Hause für einen Ausbau des Verkehrsfinanzgesetzes findet, so wären wir, wie ich jetzt schon erklären kann, entgegen allen geheiligten Etatprinzipien mit einer Zweckbindung für Straße, Autobahn, Bundesbahn einverstanden. Es liegt dann in der Entscheidung des Hohen Hauses, wieviel es für diese Zwecke aus dem Verkehrsfinanzgesetz noch herausholen zu können glaubt.
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- Nein, Herr Dr. Vogel, es ist im Haushalt jetzt schon ein Zusatz - ich bitte, das nachzusehen, er ist sogar fett gedruckt -: daß die Einnahmen, die aus dem Verkehrsfinanzgesetz kommen, zweckgebunden sind. Wenn die Erhöhung käme, würde ich sagen, könnten sie auch zweckgebunden werden, also sicher für diese von Ihnen als vordringlich bezeichneten Zwecke Verwendung finden. - So weit zum Verkehrsfinanzgesetz.
Der Herr Abgeordnete Eckhardt hat kurz die Frage einer Änderung des Umsatzsteuerrechts gestreift. Auch ich möchte das Thema nicht vertiefen und nur darauf verweisen, daß uns das Hohe Haus in der vorigen Woche den Auftrag gegeben hat, das gesamte Umsatzsteuerrecht zu prüfen und nach einer angemessenen Frist dem Hohen Hause Vorschläge in dieser Richtung zu machen. Wir werden selbstverständlich auch die Vorschäge, die früher unter dem Namen „von Siemens'sche veredelte Umsatzsteuer" liefen und die kürzlich ein guter Sachkenner des Umsatzsteuerrechts wieder aufgegriffen hat, in unsere Prüfung einbeziehen.
Über die Frage der industriellen Bundesunternehmen ist hier nur kurz gesprochen worden. Ich möchte daher in diesem Moment nicht auf den Streitpunkt der Privatisierung eingehen, darf aber sagen, daß das Bundesfinanzministerium - und ich darf dasselbe für das Bundeswirtschaftsministerium sagen - es außerordentlich begrüßen würde, wenn der oder die Ausschüsse, der oder die Unterausschüsse bald gebildet werden könnten.
Es liegt uns viel daran. Die hohen Beamten, die manchmal zitiert werden und die „so viele Aufsichtsratssitze" haben - es sind ja nicht viele Beamte dieser Art -, möchten gern mit ihrer Verantwortung und mit ihren Sorgen in diesen Ausschuß gehen, sich dort aussprechen und ihre Probleme darlegen. Es ist eine sehr große Verantwortung, die auf diesen Beamten wegen ihrer Tätigkeit in den Aufsichtsräten, manchmal sogar als Vorsitzende dieser Aufsichtsräte, ruht. Wir haben es bisher als eine Lücke empfunden, daß diese Möglichkeit uns noch nicht gegeben war. In diesem Ausschuß wird man dann auch dem hier geäußerten Wunsch entsprechen können, die rechtlichen Fragen, die noch offen sind bezüglich der Beteiligung des Hohen Hauses und des Bundesrats an den Veräußerungen und sonstigen Transaktionen, zu klären und die rechtliche Form dafür festzulegen. Aber über das rein Rechtliche hinaus - Sie erinnern sich an den Fall Emscher-Lippe, der im Sommer den Haushaltsausschuß beschäftigt hat - möchten wir gern mit vielerlei Anliegen und auch mit manchen Sorgenkindern in diesen Ausschuß oder Unterausschuß kommen und die Dinge in aller Offenheit darlegen.
Zur Finanzreform brauche ich, glaube ich, dem nichts hinzuzufügen, was hier von den verschiedensten Seiten des Hohen Hauses mit solchem Ernst und mit solchem Nachdruck gesagt worden ist. Ich möchte nur namens der Bundesregierung hoffen, daß es am nächsten Dienstag im Vermittlungsausschuß doch zu einer Verständigung kommt. Ich meine, bei allseitigem gutem Willen wäre es wirklich noch Zeit genug, im Monat Dezember vor Ablauf der Frist des Art. 107 zu einer vernünftigen Einigung zu kommen.
Damit bin ich am Ende dieser einzelnen Ausführungen. Ich werde die Wünsche, die so manche der Redner des heutigen Tages meinem Herrn Minister für seine Genesung gewidmet haben, ihm gern übermitteln. Ich glaube, Herr Schäffer wird dankbar sein dafür, daß hier von allen Seiten unterstrichen worden ist, wie notwendig die Stabilität des Haushalts und damit die Stabilität der Währung ist. Das bedeutet natürlich angesichts der beschränkten und jetzt noch verminderten Einnahmen ein Anpacken der Ausgabenseite. Darüber darf kein Zweifel sein. Die Debatte gibt mir den Eindruck, ,daß sich in diesem Hohen Hause in den Finanzfragen im weitesten Sinne - Haushalt, Steuern und Finanzreform - in großem Maße eine gemeinsame Grundlage für die sachliche Erörterung der Fragen gebildet hat.
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Bei manchen Einzelheiten werden sicher noch Vorbehalte zu machen sein. Ich darf sagen, daß das Bundesfinanzministerium seinerseits, wie das seine Pflicht ist, weiterhin alle Anstrengungen machen wird, um die Entscheidungen des Hohen Hauses über die Finanzfragen nach Kräften vorzubereiten und zu unterstützen.
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Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nichtmehr vor. Ich schließe die Aussprache und schlage Ihnen vor, den Haushalt an den dafür zuständigen Ausschuß, den Haushaltsausschuß, zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
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Ich darf damit feststellen, daß das Hohe Haus die Haushaltsdebatte in ernster und konzentrierter Arbeit in einer eintägigen Sitzung bewältigt hat.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Im Hinblick auf die vorgeschrittene Zeit ist es ja wohl nicht angebracht, noch weitere Punkte in Angriff zu nehmen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste, die 60. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. Dezember, 9 Uhr, und schließe die heutige 59. Sitzung.