Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 58. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich habe Sie darauf aufmerksam zu machen, daß nach Punkt 1 der Tagesordnung probeweise eine neue Lautsprecheranlage eingeschaltet wird. Ich darf Sie bitten, die Vorzüge und Nachteile der beiden Anlagen miteinander zu vergleichen, um nachher Ihr Urteil darüber fällen zu können.
Ich darf dann um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten bitten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordnete Frau Albertz für acht Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Bazille für zwei Wochen wegen Krank({0})
heit, Abgeordneter Feldmann für zwei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Weber ({1}) für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Ich nehme an, daß das Hohe Haus mit der Erteilung des Urlaubs einverstanden ist.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für drei Tage den Abgeordneten Dr. Conring, Dr. Dittrich, Donhauser, Gleisner ({0}), Frau Heise, Dr. Keller, Frau Dr. Dr. h. c. Lüders, Oetzel, Dr. Siemer, Spies ({1}), Stierle, Walz, Samwer, Brookmann ({2}).
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Brockmann ({3}), Dr. Klötzer, Leibfried.
Der Präsident hat für einen Tag Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Bärsch, Ludwig, Frau Niggemeyer, Dr. Reichstein, Sträter, Frau Beyer ({4}), Bauknecht, Frau Brauksiepe, Seuffert.
Außerdem sind entschuldigt für drei Tage die deutschen Delegierten beim Europarat.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich die traurige Pflicht, der Tatsache zu gedenken,
({0})
daß am Donnerstag, dem 2. Dezember, in Wilsele bei Löwen in Belgien ein deutscher Sonderzug, der 700 deutsche Zuschauer, die zum Fußballänderspiel England - Deutschland nach London gereist waren, in die Heimat zurückbringen sollte, verunglückte. Das Unglück kostete 19 deutschen Reisenden sowie dem belgischen Lokomotivheizer und dem streckenkundigen Lotsen, der dem Lokomotivführer beigegeben war, das Leben. 47 Reisende wurden so schwer verletzt, daß sie in ein Löwener Krankenhaus eingeliefert werden mußten. Der Deutsche Bundestag trauert tief bewegt mit den Angehörigen um den Tod derer, die so plötzlich aus dem Leben abgerufen wurden. Er spricht den Verletzten seine aufrichtige Anteilnahme aus, verbunden mit dem Wunsch auf eine baldige Wiederherstellung der Gesundheit.
Ich möchte diese Gelegenheit aber auch dazu benutzen, den aufrichtigen Dank des deutschen Volkes für die rasche und wirksame Hilfe und die zahlreichen Zeichen der Teilnahme von seiten Belgiens hiermit abzustatten. Seine Majestät der König der Belgier hat sich einen Tag nach dem Unglück zur Totenehrung in das Rathaus von Wilsele begeben und anschließend daran bei einem Besuch in den Krankenhäusern den Verletzten seine Teilnahme bezeugt. Die Belgische Kammer hat in ihrer Sitzung am 2. Dezember der Opfer der Eisenbahnkatastrophe gedacht und ihrem Mitgefühl und Beileid Ausdruck gegeben. Der Verkehrsminister hat im Namen der Regierung sich den Worten des Kammerpräsidenten in dieser Sitzung angeschlossen.
Der Deutsche Bundestag dankt Seiner Majestät dem König der Belgier, der Belgischen Kammer, allen belgischen Behörden, dem Belgischen Roten Kreuz, den Ärzten und dem Pflegepersonal der Krankenhäuser, den Geistlichen beider Konfessionen und der Bevölkerung von Wilsele für ihre Mithilfe und ihre Anteilnahme.
Sie haben sich zu Ehren der beklagenswerten Opfer von den Sitzen erhoben, ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, ich habe Glückwünsche auszusprechen zu den Geburtstagen, und zwar dem Abgeordneten Altmaier zum Geburtstag am 23. November - er wurde 65 Jahre alt -,
({1})
dem Abgeordneten Sträter zum Geburtstag am 22. November - es ist der 63. Geburtstag -,
({2})
dem Abgeordneten Muckermann zum Geburtstag am 28. November - es ist ebenfalls der 63. Geburtstag -,
({3})
zum gleichen Alter dem Abgeordneten Barlage zum Geburtstag am 6. Dezember,
({4})
dem Abgeordneten Kunz ({5}) zum 62. Geburtstag am 1. Dezember
({6})
und dem Abgeordneten Dr. Willecke zum 61. Geburtstag am 7. Dezember.
({7})
Ich habe bekanntzugeben: die nächste Fragestunde ist am Freitag, dem 17. Dezember. Sperrfrist für eingehende Fragen ist Freitag, der 10. Dezember, 12 Uhr.
Die amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 3. Dezember 1954 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz zur einheitlichen Anwendung des § 397 des Angestelltenversicherungsgesetzes;
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({8});
Drittes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft;
Gesetz zur Erhebung einer Abgabe .,Notopfer Berlin" ({9}) ;
Gesetz zur Neuordnung von Steuern;
Gesetz über das Abkommen vom 22. Juli 1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen;
Gesetz zu § 4 Abs. 4 des Altsparergesetzes;
Zweites Gesetz zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes;
Gesetz über die am 11. Dezember 1953 unterzeichnete Europäische Übereinkunft über Formerfordernisse bei Patentanmeldungen;
Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 22. März 1954 über die Wiederherstellung gewerblicher Schutzrechte und über den Schutz von Herkunftsbezeichnungen;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise; Gesetz zur Änderung des Viehseuchengesetzes.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 3. Dezember 1954 bei den nachfolgenden Gesetzen die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes verlangt:
Zweites Gesetz über die Altersgrenze von Richtern an den oberen Bundesgerichten und Mitgliedern des Bundesrechnungshofes;
Gesetz zur Anpassung der Finanzbeziehungen zwischen Bund
und Ländern an die Finanzverfassung ({10}) ;
Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern ({11}) ;
Fünftes Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes.
({12})
Seine Schreiben werden als Drucksachen 1044 bis 1047 vervielfältigt.
Er hat in seiner gleichen Sitzung dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung ({13}) gemäß Art. 107 in Verbindung mit Art. 76 GG nicht zugestimmt. Daher hat sich die Bundesregierung veranlaßt gesehen, gemäß Art. 77 Abs. 2 Satz 4 GG die .Einberufung des Vermittlungsausschusses zu verlangen. Die entsprechenden Schreiben werden als Drucksachen 1042 und 1043 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 30. November 1954 weitere Ausführungen zur Kleinen Anfrage 120 der Fraktion der SPD betreffend Wiedergutmachung - Drucksche 912 - gemacht. Sein Schreiben wird als zu Drucksache 984 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 21. November 1954 die Kleine Anfrage 122 der Fraktion der FDP betreffend Baggerarbeiten in den norddeutschen Hauptstromgebieten - Drucksache 935 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1009 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 1. Dezember 1954 die Kleine Anfrage 124 der Fraktion der DP betreffend Vorlage eines Reichsnährstandsanmeldungsgesetzes - Drucksache 945 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1036 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 30. November 1954 die Kleine Anfrage 125 der Fraktion der SPD betreffend Bau der Deutschen Bibliothek in Frankfurt ({14}) - Drucksache 946 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 998 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 22. November 1954 die Kleine Anfrage 126 der Fraktion der DP betreffend Große Besoldungsreform - Drucksache 949 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1016 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem .3. Dezember 1954 die Kleine Anfrage 129 der Fraktion der SPD betreffend Bundesbeihilfen zum Ausgleich von Hörten im Rahmen der betrieblichen Altersfürsorge - Drucksache 972 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1056 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 8. November 1954 über die Schritte der Bundesregierung zu dem Beschluß des Bundestages am 17. September 1954 betreffend Überbrückungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Freimachung der Stadt Bad Oeynhausen berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1015 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau hat unter dem 26. November 1954 über die Schritte der Bundesregierung zu der Entschließung des 1. Deutschen Bundestages am 29. Juli 1953 betreffend § 14 a des Ersten Wohnungsbaugesetzes in der Fassung des Gesetzes vom 25. August 1953 berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1051 vervielfältigt.
Zur heutigen Tagesordnung darf ich darauf hinweisen, daß vorgesehen ist, die Sitzung bis 21 Uhr durchzuführen, und daß von 13 Uhr bis 14 Uhr 30 Mittagspause eingelegt wird. Die Begründung zum Haushaltsplan 1955, Punkt 9 der Tagesordnung, erfolgt um 14 Uhr 30. Im Anschluß daran kommen die Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Wiedergutmachung und der Antrag der Fraktion der SPD betreffend Bundesmittel für die Wiedergutmachung, Punkt 7 a und b der Tagesordnung, zur Beratung. Die Debatte zum Haushalt beginnt erst am morgigen Tage.
Ich komme damit zur heutigen Tagesordnung und rufe auf Punkt 1:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Petitionen ({15}) über seine Tätigkeit gemäß § 113 der Geschäftsordnung ({16}).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Kahn.
Kahn ({17}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der letzten mündlichen Berichterstattung über die Tätigkeit des Petitionsausschusses durch die Frau Kollegin Albertz ist inzwischen wieder ein halbes Jahr vergangen. Ich habe nunmehr die Aufgabe, Ihnen im Namen des Ausschusses abermals einen zusammenfassenden Bericht zu übermitteln.
Die Ihnen vorliegenden statistischen Übersichten schließen mit dem dritten Kalendervierteljahr ab. Wenn ich im Laufe meiner Ausführungen auf diese Übersichten verweise, dann wollen Sie bitte berücksichtigen, daß sich inzwischen nach Ablauf von weiteren eineinhalb Monaten die Endsumme der beim Deutschen Bundestag eingegangenen Petitionen in der 2. Wahlperiode auf 9 375 erhöht hat.
Gelegentlich der Erörterung der Petitionsfähigkeit hatte sich der Ausschuß auch mit der grundsätzlichen Frage zu beschäftigen, ob auch Beamte petitionieren können. Das Bestehen eines besonderen Gewaltverhältnisses zwischen den Petenten und dem Staat ist kein Hindernis für das Vorbringen einer Bitte. Aus diesem Grunde darf auch der Beamte petitionieren, sowohl über Fragen welche das Dienstverhältnis berühren, wie über allgemeine Angelegenheiten, und zwar sowohl einzeln, als auch in Gemeinschaft mit anderen - sogenannte Kollektiveingaben. Wegen des besonderen Treueverhältnisses durch den Eintritt in das Gewaltverhältnis und die damit übernommenen Pflichten wird jedoch der Umfang des Petitionsrechts eingeschränkt, ohne daß dieses in seinem Wesensgehalt angetastet wird, Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes. Im Bundesbeamtengesetz ist die Bestimmung enthalten, daß der Beamte seine Anträge und Beschwerden auf dem Dienstweg vorzubringen hat. Diese Bestimmung gilt sowohl für Anträge und Beschwerden, die sich auf persönliche Fragen beziehen, sowie auf solche Eingaben, die keinen persönlichen Charakter tragen, z. B. Anregungen von Verbesserungen in der Verwaltung. Den Beamten ist es also untersagt, unmittelbar Eingaben an die obersten Dienstbehörden zu richten. Der Beamte, der diese ihm durch das Beamtengesetz auferlegten Schranken bei der Ausübung des Petitionsrechts verletzt, kann disziplinarisch bestraft werden. Dagegen verstößt ein Beamter nicht dadurch gegen das Dienststrafrecht, daß er seine Bitte oder Beschwerde nicht zunächst im Dienstweg seinen vorgesetzten Behörden, sondern sofort dem Bundestag oder einem Landtag unterbreitet; denn aus dem Wortlaut des Art. 17 des Grundgesetzes ergibt sich, daß jedermann und damit auch den Beamten das Petitionsrecht zusteht. Würde man diese Möglichkeit für den Beamten verneinen, verbliebe ihm von dem Recht, bei der Volksvertretung zu petitionieren, nicht mehr als der bloße Name. Beamtenpetitionen an die Volksvertretung sind daher in jedem Falle zulässig, es sei denn, daß diese wegen ihrer äußeren Form oder ihres beleidigenden Inhalts nicht behandelt werden können.
In der Berichterstattung dieses Ausschusses ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß es dem Bundestag infolge der Kompetenzabgrenzung nicht möglich ist, alle Eingaben zu behandeln. Aus diesem Grunde muß dem Bundestag das Recht zustehen, Eingaben, für die er zwar formell, aber nicht materiell zuständig ist, an die Länderparlamente oder an die Bundesregierung weiterzuleiten. Es soll damit den Stellen, die noch keine Gelegenheit gehabt haben, sich entweder überhaupt mit der Sache zu beschäftigen, oder nach ihrer ursprünglichen Maßnahme vom Petenten noch nicht wieder angegangen sind, die Möglichkeit gegeben werden, die Bitte in irgendeiner Form zu erledigen.
Hiervon hat der Petitionsausschuß auch insoweit Gebrauch gemacht, als er Petitionen an die Länderparlamente weitergeleitet hat, wenn es sich um
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Dinge handelte, für die den Ländern die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis zustand.
Darüber hinaus hat der Ausschuß vielfach Petitionen auf der parlamentarischen Ebene von Parlanient zu Parlament weitergeleitet, wenn es sich um Angelegenheiten gehandelt hat, die eine dienstaufsichtliche Überprüfung durch die örtlichen Parlamente für zweckmäßig erscheinen ließen. Die Erfahrung hat allgemein gezeigt, daß solche Eingaben von den örtlich zuständigen Parlamenten wirksamer behandelt werden können als vom Deutschen Bundestag.
Da jedoch in der letzten Zeit von einzelnen Länderparlamenten zu dieser Übung Bedenken geäußert wurden, die anscheinend weniger auf sachlichen Erwägungen als vielmehr auf technischen Erwägungen beruhen, wird der Petitionsausschuß zukünftig bestrebt sein, von der Abgabe von Petitionen an die Länderparlamente nur in beschränktem Umfang Gebrauch zu machen. Wenn der Ausschuß Überweisungen an die Länderparlamente vornimmt, so geht er dabei auch von dem gleichen Gedanken aus, der von dem Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Sozialangelegenheiten des Niedersächsischen Landtages in dem Protokoll der 40. Sitzung zum Ausdruck kommt, nämlich daß die Petenten vielfach zu den parlamentarischen Körperschaften größeres Vertrauen als zu den Verwaltungsstellen besitzen.
Der Petitionsausschuß hat Ihnen heute wiederum einige Übersichten vorgelegt, aus denen Sie entnehmen wollen, daß den Ausschüssen des Deutschen Bundestages im ersten Jahr der 2. Wahlperiode in der Zeit vom September 1953 bis September 1954 allein 8450 Eingaben zugeleitet worden sind. Vergleicht man demgegenüber den Eingang von Petitionen im ersten Jahr der 1. Wahlperiode - damals waren es 7380 Eingaben -, so ergibt sich, daß im ersten Jahr der 2. Wahlperiode rund 1200 Eingaben mehr eingegangen sind. Hiervon konnten 88 % erledigt werden. Der Petitionsausschuß war in der genannten Zeit mit 3155 Eingaben - das sind rund 40 % - beteiligt, während die 27 Fachausschüsse lediglich mit 561 Eingaben - das sind 6,57 % -, die Bundesregierung und andere Behörden mit 2800 - das sind 32,79 % -und die Landtage der Bundesrepublik mit 1901 - das sind 22,26 % - beteiligt waren. Von den Fachausschüssen wurden nur die Ausschüsse für Sozialpolitik mit 128 Eingaben, der Ausschuß für Besatzungsfolgen mit 111 Eingaben und der Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen mit 78 Eingaben nennenswert beteiligt.
Zusammen mit den 27 200 Eingaben der 1. Wahlperiode ist also die Gesamtzahl der beim Deutschen Bundestag eingegangenen Eingaben 35 740. Diese überraschend hohe Zahl verrät nur den Eingeweihten, welche große Arbeit sowohl von sämtlichen Ausschußmitgliedern als auch von den mit den verwaltungstechnischen Dingen beauftragten Personen geleistet wurde und geleistet werden muß.
Daneben liegt Ihnen noch eine Struktur vor, die den wesentlichen Inhalt aller beim Deutschen Bundestag in der 2. Wahlperiode eingegangenen Petitionen enthält.
An erster Stelle stehen nunmehr die Ansprüche aus der Sozialversicherungsgesetzgebung, und an zweiter Stelle folgen die Ansprüche aus dem Lastenausgleichsgesetz. Es folgen die Eingaben, die sich mit Wohnraumbewirtschaftungsfragen, Mieten und Zuzugsgenehmigungen befassen. Dann kommen die Ansprüche aus dem Bundesversorgungsgesetz, die Beamtenansprüche nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes und dann die Kriegsfolgelasten, die in dem in Vorbereitung stehenden Kriegsfolgenschlußgesetz geregelt werden sollen. Den wesentlichen Inhalt der übrigen Eingaben wollen Sie bitte aus der vorliegenden Struktur entnehmen. Dabei möchte ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß unter der Rubrik „Wehrgesetzgebung" alle die Eingaben aus der Bundesrepublik noch nicht erfaßt sind, die unmittelbar an die Fachausschüsse geleitet wurden.
Der Ausschuß möchte an dieser Stelle den Wunsch aussprechen, daß auch diese Petitionen registriert werden. Denn nur so ist der Ausschuß in der Lage, Ihnen einen Gesamtüberblick über die eingegangenen Petitionen zu verschaffen. Andernfalls würde die Übersicht unvollständig sein. Der Ausschuß denkt dabei auch an Eingaben, die sich mit dem Verbot der KPD, dem Bitburger Explosionsunglück und anderem befassen.
Es ist natürlich außerordentlich schwierig, bei der Vielzahl von Eingaben diejenigen bemerkenswerten herauszugreifen, aus denen sich die Stimmung und ,die Not der Bevölkerung am besten widerspiegeln und die für den Gesetzgeber zum Anlaß genommen werden können, initiativ zu werden. Um das erschöpfend tun zu können, würde ja auch die zur Berichterstattung zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichen. Trotzdem werde ich anschließend den Versuch unternehmen, auf einige Eingaben näher einzugehen, die besonders für den Deutschen Bundestag wichtig sind.
In der letzten Zeit haben sich bei dem Ausschuß Eingaben gehäuft, in denen Klagen über die Entlassung aus einer Beschäftigung bei den Besatzungsmächten geführt werden. Bei den fristlosen Entlassungen wird von den Besatzungsmächten als Begründung lediglich angegeben: „im Interesse der Besatzungsmacht liegend". Die Bemühungen des Bundesministers für Arbeit, in solchen Fällen Angaben über den wirklichen Entlassungsgrund zu erhalten, sind leider ergebnislos, da grundsätzlich jede Auskunft abgelehnt wird. Der Ausschuß sah in dieser Entwicklung ein ernstes Problem.
Mehrere Eingaben befassen sich mit einer Härteregelung für das Altsparergesetz. In einem solchen Fall dreht es sich darum, daß der Petent im April 1921 wegen Mordes L n seinem Bruder zum Tode verurteilt worden war; später wurde das Urteil in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt. Im August 1931 hatte jedoch seine Schwägerin auf dem Sterbebett ein Geständnis abgelegt, daß sie ihren Mann erschossen habe. Im Laufe der Wiederaufnahme des Verfahrens ist der Petent im Juli 1939 freigesprochen worden. Die ihm zustehende Haftentschädigung in Höhe von 30 000 RM stand nachweislich am Währungsstichtag auf einem Sparkonto, fällt jedoch nicht unter die Bestimmungen des Altsparergesetzes, weil der Betrag infolge eines langen Verwaltungsweges erst im Juli 1940 zur Auszahlung gekommen ist. Die Möglichkeit der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach dem Altsparergesetz besteht deshalb nicht, weil im vorliegenden Fall nach dem im Gesetz enthaltenen Stichtag vom 1. Januar 1940 eine Sparanlage im Sinne dieses Gesetzes nicht bestanden hat. Da mehrere solcher Fälle bekannt sind, wäre
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es an der Zeit, daß der Bundesminister der Finanzen eine Novelle zum Gesetz einbringt, durch die solche Härten beseitigt werden könnten.
In diesem Zusammenhang darf vielleicht darauf hingewiesen werden, daß es nach Auffassung der Mitglieder des Ausschusses angebracht erscheint, den vom Präsidenten des Bundesausgleichsamts herausgegebenen Katalog für die Empfangsberechtigten der zweiten Rate der Hausratsentschädigung um solche Fälle zu erweitern, in denen die Betreffenden über ein Jahr arbeitslos oder wegen Krankheit in eine allgemeine soziale Notlage geraten sind. Der Ausschuß hat inzwischen erfahren, daß der Ausschuß für den Lastenausgleich die Frage der Gewährung von Krankenversorgung an Empfänger von Unterhaltshilfe nach § 276 Lastenausgleichsgesetz bereits abschließend behandelt. Danach ist der Krankenschutz auf das Prinzip der Versicherung umgewandelt worden. Es wäre zu wünschen, daß diese Regelung, die anscheinend erst im Zusammenhang mit dem Dritten Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz auf die Tagesordnung des Plenums kommen soll, nicht allzu lange auf sich warten läßt.
Kürzlich schrieb ein Rechtsanwalt, der sich für einen Petenten eingesetzt hatte, an den Ausschuß:
Für Ihr freundliches Schreiben danke ich Ihnen sehr. Ihre Tätigkeit hat entscheidend dazu beigetragen, diese äußerst schwierige Sache nunmehr doch noch zu einem guten Ende zu führen.
In diesem Fall handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch wegen eines Unfalls im Jahre 1944, der durch das Entladen einer Pistole eines früheren Wehrmachtsangehörigen entstanden war. Eine Haftung war im Endurteil des Oberlandesgerichts aus verschiedenen rechtlichen Erwägungen verneint worden. Es wurde lediglich anerkannt, daß für den Unfall nach Art. 131 der Weimarer Reichsverfassung das Deutsche Reich haftet. Nunmehr hat der Herr Bundesminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz anerkannt, daß in diesem Fall die Voraussetzungen des § 8 des Zweiten Überleitungsgesetzes vom 21. August 1951 vorliegen. Nach dieser Bestimmung trägt der Bund die Verbindlichkeiten des ehemaligen Deutschen Reichs aus Unfällen, die durch Angehörige der ehemaligen Deutschen Wehrmacht und der ihr gleichgestellten Organisationen verursacht worden sind, ab 1. April 1950. Damit war es der Petentin gelungen, einen Rechtsanspruch gegen die Bundesregierung geltend zu machen.
In einem anderen, sehr erfreulichen Fall hat die Halbschwester, die gleichzeitig Vormund von zwei Vollwaisen war, sich wegen des Beginns der Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz für die beiden Waisen an diesen Ausschuß gewandt. Die Petentin war im März 1953 mit ihrem Ehemann, einem Kind und den beiden Vollwaisen aus der Sowjetzone nach Berlin geflüchtet. Durch Beschluß des Aufnahmeausschusses wurde allen die Erlaubnis zum ständigen Aufenthalt in Berlin bzw. im Bundesgebiet erteilt. Eine der Vollwaisen kam sofort zu einem Erholungsaufenthalt in die Schweiz, während die anderen Familienangehörigen in das Bundesgebiet geflogen wurden. Für den in der Schweiz befindlichen Jungen wurde die Waisenrente erst von dem Zeitpunkt an ausgezahlt, als er von dem Erholungsaufenthalt zurückkehrte. Gegen diesen Beginn der Waisenrentenzahlung wandte sich die Petentin. Aber alle Rechtsmittel wurden durch das Oberversicherungsamt wie auch durch das Sozialgericht mit der Begründung abgewiesen, daß der Junge „weder in Berlin noch in den Westgebieten seinen Wohnsitz genommen hat, sondern vom Sammellager Berlin aus sofort die Reise in die Schweiz angetreten hat". Durch ihre Petition hat die Petentin nunmehr erreicht, daß anerkannt wurde, daß der Auslandsaufenthalt von Vollwaisen kein Ruhen der Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz zur Folge hat, weil es sich hierbei um einen nur vorübergehenden Aufenthalt im Ausland von kürzerer und begrenzter Zeitdauer handelt. Im Gegensatz zu der Entscheidung des Sozialgerichts Mannheim wurden die Voraussetzungen zur Gewährung der Waisenrente ab Antragsmonat als erfüllt angesehen. Es wurde der Petentin ein neuer Bescheid erteilt und damit ihrem Begehren in vollem Umfange entsprochen.
In einer anderen Eingabe führt ein Petent aus Zürich Klage über Formulierungen auf Beitragsrechnungen der Allgemeinen Ortskrankenkasse. Die Mitglieder des Ausschusses waren in Überainstimmung mit dem Petenten der Auffassung, daß in amtlichen Vordrucken und Schreiben eine Ausdrucksweise zu wählen sei, die der herrschenden Auffassung über das Verhältnis des Staatsbürgers zum Staat und seinen Einrichtungen gerecht wird. Die Petition wurde zum Anlaß genommen, auf die Krankenkassen im Sinne der in der Petition enthaltenen Anregungen einzuwirken.
In einer anderen Sache hatte sich der Ausschuß mit der Unterlassung einer Beförderung in der Zollverwaltung zu beschäftigen. Nach dem Studium der Personalakten des betreffenden Beamten und des sehr ausführlichen Berichtes des Bundesministers der Finanzen mußte festgestellt werden, daß die Angaben des Ministers sich lediglich auf den Personalakteninhalt stützten. Der Ausschuß war der Meinung, daß nach der Art und Weise, wie die Beurteilungen der Bundesfinanzverwaltung zustande kommen, nicht ausgeschlossen sei, daß dem Petenten subjektiv und unter Umständen sogar objektiv Unrecht zugefügt worden sei. Man müsse daher das Beurteilungsverfahren auf eine neue Grundlage stellen, um ungerechtfertigte Beurteilungen auszuschließen. Das Zustandekommen einer Beurteilung darf nicht mehr das Werk eines Vorgesetzten allein sein. Außerdem muß die Beurteilung mindestens alle zwei Jahre dem betreffenden Beamten oder Angestellten bekanntgegeben werden, damit er die Möglichkeit hat, die aufgezeigten Mängel auszumerzen. Bevor eine Beurteilung abgegeben wird, muß dem betreffenden Beamten oder Angestellten Gelegenheit gegeben werden, hierzu Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme muß bei der endgültigen Beurteilung vorliegen. Eine nachträgliche Einsichtnahme in eine gezeichnete Beurteilung nützt dem Betreffenden nichts mehr. Wenn künftig nach den hier zitierten Gesichtspunkten verfahren wird, werden objektivere Beurteilungen erzielt werden können.
In einem anderen Fall hatte ein Petent bei dem zuständigen Regierungspräsidenten die Ausfertigung einer Staatsangehörigkeitsurkunde zwecks Vorlage bei der Knappschaftsversicherung beantragt. Auf Grund der „Verordnung über den Erwerb der Staatsangehörigkeit in den befreiten Gebieten der Untersteiermark, Kärntens und Krains" vom 14. Oktober 1941 hatte der Petent die deutsche Staatsangehörigkeit rechtswirksam erworben. Trotzdem war ihm aufgegeben worden,
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von der konsularischen Vertretung der föderativen Volksrepublik Jugoslawien eine Bescheinigung des Inhalts beizubringen, daß er als jugoslawischer Staatsangehöriger nicht in Anspruch genommen wird.
Der Regierungspräsident mußte erst darauf hingewiesen werden, daß die Rechtsgültigkeit der Verordnung durch ein Rundschreiben des Bundesministers des Innern an den Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen festgestellt worden war und daß Personen, die von der genannten Verordnung erfaßt worden sind, schon vor längerer Zeit als deutsche Staatsangehörige angesehen wurden. Erst danach hat der Regierungspräsident dem Petenten eine Staatsangehörigkeitsurkunde ausgestellt.
Ein Petent wandte sich wegen seines Ehescheidungsprozesses an den Ausschuß. Es ging hierbei um die Frage, ob ein Heimkehrer das Kind, das seine Frau nach einer Vergewaltigung durch einen russischen Offizier zur Welt gebracht hat, als Scheidungsgrund betrachten kann. Der Petent verlangte von seiner Frau eine harte Entscheidung: das Russenkind oder die Rückkehr zu ihm. Die Zivilkammer des zuständigen Landgerichts sah in dem Begehren des Petenten eine schwere Eheverfehlung. Die Ehe wurde aus Alleinschuld des Petenten geschieden. Das Vorhandensein eines aus der Vergewaltigung stammenden Kindes wurde als ein besonders schwerer Schicksalsschlag angesehen. Die Beklagte sei völlig schuldlos, denn viele deutsche Frauen habe ein derartig hartes Los leider getroffen. Die Mutterliebe müsse als das höchste natürliche Gefühl anerkannt werden. Aus diesem Grunde sei der Mutter auch kein Vorwurf zu machen, wenn sie sich aus Liebe zum Kind für dieses entschieden habe. Abgesehen davon, daß dem Petenten vom Ausschuß gesagt werden mußte, daß der Bundestag für seine Petition nicht zuständig sei und die Unabhängigkeit der Gerichte gewahrt bleiben müsse, waren die Mitglieder des Ausschusses jedoch sämtlich der Auffassung, daß sie im vorliegenden Falle als Richter auch nicht anders hätten entscheiden können.
Ganz allgemein ist dem Ausschuß aufgefallen, daß .die Bearbeitung der Anträge auf Gewährung von Renten zu lange dauert. Aus einer großen Anzahl von diesen Fällen möchte ich einen besonders herausgreifen: Ein Beschwerdesteller stellte im Jahre 1951 einen Antrag auf Gewährung der Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz. Nachdem sein Antrag abgelehnt worden war, wurden die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel eingelegt. Im Januar 1954, also nach 2 1/2 Jahren, starb der Antragsteller. Da über seinen Antrag zu seinen Lebzeiten nicht mehr entschieden werden konnte, wurde nunmehr geprüft, ob der Tod die Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes sei. Erst im Juli 1954 konnte auch diese Frage ablehnend geklärt werden. Es zeigt sich also, daß bis zur Erledigung dieses Falles genau drei Jahre vergangen waren. In diesem Zusammenhang wäre es notwendig, das Bundesversorgungsgesetz dahin zu ändern, daß bei allen 100%ig Schwerbeschädigten nach deren Ableben Witwenrente auch dann zu gewähren ist, wenn der Tod nicht als unmittelbare Folge der anerkannten Schädigung festgestellt wird.
Kürzlich hatte sich ,der Ausschuß nochmals mit der Gewährung von Bundesbeihilfen zum Ausgleich von Härten im Rahmen der betrieblichen Altersfürsorge zu beschäftigen. Es drehte sich insbesondere um die Frage, ob die hierzu ergangenen Richtlinien des Herrn Bundesministers für Arbeit auch für die Fälle Geltung haben sollten, in denen das Unternehmen in einen volkseigenen Betrieb umgewandelt wurde und hierdurch die früher gezahlte Werkspension wegfiel.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat diese Frage im Zusammenwirken mit dem Bundesminister der Finanzen und dem der Justiz mit der Begründung ablehnend entschieden, daß die Enteignungsmaßnahmen der Sowjetregierung, auf die der Verlust der betrieblichen Altersfürsorge zurückzuführen sei, nur als mittelbare Kriegsnachwirkung anzusehen seien und die Richtlinien nur in solchen Fällen Geltung hätten, in denen die Nichtgewährung der betrieblichen Altersfürsorgeleistungen unmittelbar durch den Krieg oder seine Nachwirkungen verursacht worden sei.
Die Mehrheit des Ausschusses konnte sich dieser Auffassung des Bundesministers für Arbeit nicht anschließen. Nach einer erneuten Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit müßte die Frage meines Erachtens noch im zuständigen Fachausschuß behandelt werden.
In vielen Fällen sind dadurch Härten entstanden, daß nach § 5 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes die Ansprüche auf Entschädigung nicht vererblich sind, also von den Witwen nicht geltend gemacht werden können, wenn der Berechtigte vor dem Inkrafttreten des Gesetzes verstorben ist. Es wäre zu überlegen, ob in das Gesetz nicht eine entsprechende Härtebestimmung aufgenommen werden kann.
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich noch ein Problem umreißen: das Problem der Fremdenlegion. Es ist mehrfach behandelt worden. In allen Fällen haben sich die französischen Dienststellen uns gegenüber darauf beschränkt, festzustellen, daß die „Verpflichtung unter den Bedingungen, die durch die französische Gesetzgebung festgelegt sind" erfolgt sei. Diese Auffassung wird in allen Fällen vertreten, wenn der Betroffene bei der Unterzeichnung seiner Verpflichtungserklärung das 18. Lebensjahr vollendet hatte. Die Bundesregierung müßte eine Regelung treffen können, daß eine Verpflichtungserklärung nur dann als gültig angesehen wird, wenn der Betreffende nach deutschen Gesetzen volljährig ist, d. h. also das 21. Lebensjahr vollendet hat.
Es genügt nicht, daß die Bundesregierung mit allem Nachdruck um eine Aufklärung der Jugend bemüht ist und im Zusammenwirken mit allen Jugendfürsorgeorganisationen und Jugendverbänden dazu beiträgt, die besonders gefährdeten Altersklassen zwischen 18 und 22 Jahren vor gefährlichen Abenteuern zu bewahren. Es genügt auch nicht, daß der durch das Zweite Strafrechtsänderungsgesetz eingefügte § 141 des Strafgesetzbuchs die Anwerbung eines Deutschen für eine fremde Wehrmacht und die Zuführung zu den Werbern mit Strafe bedroht. Ein Minderjähriger mit 18 Jahren, der nach den deutschen Gesetzen lediglich beschränkt geschäftsfähig ist, bedarf zu einer Willenserklärung der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters. .
Es müßte eine völkerrechtliche Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Republik möglich sein, wonach dieser Bestimmung der deutschen Gesetze Rechnung getragen wird.
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Meine Damen und Herren, ich glaube Ihnen mit diesen Ausführungen im kleinen Rahmen einen Überblick über die Tätigkeit des Petitionsausschusses gegeben zu haben. Es ist erfreulich, festzustellen, daß das Vertrauen der Bevölkerung zur Arbeit dieses Ausschusses immer größer und damit durch seine Arbeit die Verbindung zwischen Staatsbürger und Parlament immer enger wird.
Meine Damen und Herren, entsprechend der Drucksache 924 beantrage ich, den Anträgen des Petitionsausschusses, die Sie in der Übersicht 8 verzeichnet finden, zuzustimmen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß auf eine Aussprache verzichtet wird. - Wer dem Antrag des Ausschusses in Drucksache 924 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder ({1}).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Meine Damen und Herren, ich darf noch darauf aufmerksam machen, daß nunmehr die Übertragung durch die anderen Lautsprecher erfolgt.
Dr. Hellwig ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hatte am 15. Oktober das Gesetz über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder verabschiedet. Das Gesetz sieht eine Begrenzung der Beiträge des Bundes zu den Verwaltungskosten auf ein Drittel der Kosten vor, die die Länder für die Verwaltung der Besitz- und Verkehrsteuern tatsächlich aufwenden. Diese Regelung sollte vom 1. April 1954 an Platz greifen und die bisherige Berechnung ersetzen, die die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten nach Hundertsätzen des Aufkommens ermittelte. Diese Hundertsätze betragen bei Umsatz- und Beförderungsteuer 2 O/o des Aufkommens und 4 % bei dem Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer, an Lastenausgleichsabgaben und an der Reichsfluchtsteuer.
Die Entwicklung der Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten hat durch diese prozentuale Koppelung mit dem tatsächlichen Steueraufkommen eine dem Steueraufkommen entsprechende starke Zunahme insbesondere in den Jahren von 1951 bis 1954 gezeigt. Das Jahr 1950 muß bei dieser Betrachtung außer Betracht bleiben, weil der Bund damals an der Einkommen- und Körperschaftsteuer noch nicht beteiligt war. Insgesamt ist für das Rechnungsjahr 1954 bei einer Beibehaltung der bisherigen Bemessung des Bundesanteils zu den Steuerverwaltungskosten mit einem Bundesanteil von 445 Millionen DM zu rechnen.
Der Bundesrat jedoch hatte am 29. Oktober 1954 den vom Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurf nicht angenommen, sondern verlangt, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes angerufen wird. Er wollte bei seinem Verlangen erstens dem Bund eine Beteiligung an den Kosten der Verwaltung der erwähnten Steuern in Höhe der Hälfte der Kosten, nicht also in Höhe eines Drittels ,der Kosten, auferlegen, und zwar auf der Bemessungsgrundlage des Rechnungsjahres 1953.
Zweitens wollte der Bundesrat den Höchstbetrag der einem Lande zustehenden Vorauszahlungen auf 4 % pro Monat statt auf 3 % pro Monat im Hinblick auf die von ihm vorgeschlagene Erhöhung des Bundesanteils an den Steuerverwaltungskosten festgesetzt haben.
Drittens wollte der Bundesrat, daß das in der Vorlage des Bundestages enthaltene Verbot, wonach die Länder die ihnen zustehenden Vorauszahlungen und Beiträge von den abzuführenden Abgaben nicht einbehalten dürfen, gestrichen wird.
Schließlich wollte der Bundesrat, daß das neue Verfahren, also die Bemessung der Beiträge des Bundes auf der Grundlage der tatsächlichen Steuerverwaltungskosten, erst im Haushaltsjahr 1955 wirksam werden soll und nicht, wie der Bundestag wollte, bereits für das laufende Haushaltsjahr.
Der Vermittlungsausschuß befaßte sich in seiner Sitzung am 18. November mit diesem Verlangen des Bundesrats. Er beschränkte seine Beratungen auf das laufende Haushaltsjahr, erörterte also nicht den Wunsch des Bundesrats, die neue Regelung überhaupt erst ab Haushaltsjahr 1955/56 wirksam werden zu lassen. Er verzichtete weiterhin darauf, die grundsätzliche Frage zu erörtern, ob eine Änderung in der Bemessung der Beiträge in Hundertsätzen vom Aufkommen oder in einem festen Anteil an den tatsächlichen Verwaltungskosten zweckmäßig sei.
Der Vermittlungsausschuß konnte sich bei der Erörterung ,dieser Frage auf das laufende Haushaltsjahr beschränken, weil zu dieser Zeit bereits der Entwurf des Finanzanpassungsgesetzes beim Bundestag in der Beratung stand, der nach § 2 vorsah, daß für das Haushaltsjahr 1955/56 ff. eine Beteiligung des Bundes an den Steuerverwaltungskosten der Länder grundsätzlich nicht mehr in Frage kommen solle. Ich darf hier anschließen, daß gegen dieses Finanzanpassungsgesetz in der vom Bundestag verabschiedeten Form der Bundesrat nun abermals den Vermittlungsausschuß angerufen hat mit dem Verlangen, daß die 50%ige Beteiligung des Bundes an den tatsächlichen Steuerverwaltungskosten ab 1, April 1955 doch noch zum Tragen kommen soll. Insofern wird der Vermittlungsausschuß also noch weiterhin damit befaßt sein.
Die Beschlüsse des Vermittlungsausschusses, über die sich heute das Hohe Haus schlüssig zu werden hat, liegen Ihnen in der Drucksache 992 vor. Sie bedeuten:
Erstens. Der Anteil des Bundes an den tatsächlichen Steuerverwaltungskosten wird, abweichend von der Beschlußfassung im Bundestag, von einem Drittel auf die Hälfte der Steuerverwaltungskosten erhöht.
Zweitens. Diese Regelung soll nicht rückwirkend ab 1. April 1954, wie es der Bundestag gewünscht hatte, sondern erst ab 1. Oktober 1954, also nur für die zweite Hälfte dieses Rechnungsjahres, gelten.
({3})
Entsprechend der Erhöhung des Bundesbeitrages auf 50 % sollen auch die monatlichen Vorauszahlungen von 3 % auf 4 % der Steuerverwaltungskosten erhöht werden.
Über diese Empfehlungen des Vermittlungsausschusses soll nach Beschluß des Vermittlungsausschusses gemeinsam abgestimmt werden.
Ich darf hier aber aus der Erörterung im Vermittlungsausschuß kurz noch Zahlen über die finanzielle Auswirkung dieser Änderung gegenüber den Bundestagsbeschlüssen nennen. Dabei ist von einer geschätzten Höhe der Steuerverwaltungskosten von 660 Millionen DM für das laufende Jahr auszugehen. Nach der bisherigen Regelung würde für das erste Halbjahr ein Anteil des Bundes in Höhe von etwa 220 Millionen DM fällig sein. Für das zweite Halbjahr würde die Hälfte von 330 Millionen DM, also noch 165 Millionen DM, dazukommen. Ich darf daran erinnern, daß der Bund zunächst auf Grund der ursprünglichen Vorlage nur mit 220 Millionen DM Beitrag des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder gerechnet hatte. Nach den Beschlüssen des Vermittlungsausschusses würde sich nunmehr ein Mehrbetrag des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder in Höhe von rund 165 Millionen DM ergeben.
Für die Länder sieht das Ergebnis folgendermaßen aus. Sie würden bei dem Vorschlag des Bundestages 225 Millionen DM weniger für das gesamte laufende Haushaltsjahr an Steuerverwaltungskosten vom Bund bekommen haben. Nach den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses dagegen würden sie nur 58 Millionen DM weniger als nach dem bisherigen Verfahren - immer für das laufende Haushaltsjahr als Ganzes - zu erhalten I haben.
Damit darf ich den Bericht zu dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses, der Ihnen in Drucksache 992 vorliegt, beenden. Obwohl die Bedenken wegen der höheren Belastung des Bundes von den Angehörigen des Bundestages im Vermittlungsausschuß vorgebracht worden sind, hat die Mehrheit des Vermittlungsausschusses geglaubt, den Ihnen jetzt vorliegenden Vorschlag machen und dem Bundestag und dem Bundesrat zur Genehmigung vorlegen zu sollen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Es können zu diesem Punkt nur Erklärungen abgegeben werden. Das Wort zu einer Erklärung wünscht der Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob meine Erklärung ganz korrekt ist. Ich erkläre, daß mir und einem großen Teil meiner Freunde bei diesem Gesetz und diesem Hin und Her der Stoßseufzer gekommen ist: Hätten wir doch eine Bundesfinanzverwaltung!
({0})
Aber ich erkläre für einen großen Teil meiner Freunde, daß wir den Beschluß des Vermittlungsausschusses ablehnen werden.
Das Wort zu weiteren Erklärungen wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Gemäß dem Beschluß des Vermittlungsausschusses muß über den gesamten Vorschlag in Drucksache 992 im ganzen abgestimmt werden. Wer dem Vorschlag des Vermittlungsauschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit ({1}).
Als Berichterstatter hat das Wort der Abgeordnete Niederalt.
Niederalt ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat das Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit am 21. Oktober dieses Jahres in zweiter und dritter Lesung verabschiedet. In der Sitzung vom 12. November 1954 hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuß angerufen und insgesamt zwölf Änderungen vorgeschlagen. Der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses liegt Ihnen in der Bundestagsdrucksache 1033 vor.
Bevor ich in wenigen Sätzen den Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses begründe, muß ich darauf hinweisen, daß der Vermittlungsausschuß den beiden wichtigsten Änderungsvorschlägen des Bundesrates nicht gefolgt ist. Der Bundesrat hatte im Interesse einer möglichst baldigen endgültigen Regelung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse vorgeschlagen, sowohl den § 3 als auch den § 6 durch Bestimmungen zu ergänzen, nach denen in bestimmten Fällen der Status als Deutscher nach Art. 116 des Grundgesetzes verlorengeht. Das sollte nach den Vorschlägen des Bundesrates dann eintreten, wenn die betreffenden Personen die ihnen als Sammeleingebürgerten bereits zustehende deutsche Staatsangehörigkeit ausschlagen oder, wenn sie Deutsche im Sinne von Art. 116 des Grundgesetzes sind, von der Möglichkeit, auf Antrag eingebürgert zu werden, binnen einer bestimmten Frist keinen Gebrauch machen.
Der Vermittlungsausschuß hat sich diesen Vorschlägen nicht anschließen können. Er war der Ansicht, daß zunächst die Auswirkungen der jetzt durch die §§ 3 und 6 des Gesetzes getroffenen Regelungen abgewartet werden sollten. Nach einem Zeitraum von etwa zwei oder drei Jahren sollte dann geprüft werden, welche Personengruppen den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit abgelehnt haben und welche Schritte gegebenenfalls durch ein weiteres Gesetz zur endgültigen Bereinigung der Staatsangehörigkeitsverhältnisse unternommen werden sollten. Der Vertreter des Bundesministeriums des Innern hat im Vermittlungsausschuß zugesagt, daß sein Ministerium eine derartige Prüfung von sich aus vornehmen und gegebenenfalls den Entwurf eines weiteren Gesetzes ausarbeiten wird.
Nun, meine Damen und Herren, in aller Kürze zu den einzelnen Änderungsvorschlägen des Vermittlungsausschusses:
Die Streichung von § 2 Satz 2, wie sie Nr. 1 der Vorschläge vorsieht, erschien angebracht, weil
({3})
sonst sammeleingebürgerte Personen anders als die übrigen deutschen Staatsangehörigen behandelt werden würden.
Die Vorschläge Nr. 2 und Nr. 5, die die §§ 6 und 12a betreffen, gehören zusammen. In beiden Fällen soll eine sogenannte Sicherungsklausel eingefügt werden, nach der der Einbürgerungsantrag dann abgelehnt werden kann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik oder eines deutschen Landes gefährdet. Zu diesen beiden Bestimmungen, nämlich zu § 6 und zu § 12a, möchte ich noch darauf hinweisen, daß der Wortlaut dieser beiden Vorschriften geringfügig voneinander abweicht. Der Vermittlungsausschuß ist aber davon ausgegangen, daß dieser geringfügigen Abweichung im Wortlaut keinerlei sachliche Bedeutung zukommt.
({4})
Von hier aus ist eingeschaltet. Es muß eine Störung an anderem Orte sein.
Niederalt ({0}), Berichterstatter: Die unter Nr. 3 zu § 10 vorgeschlagene Ergänzung soll lediglich eine bereits seit längerem feststehende Verwaltungspraxis der Länderbehörden bestätigen.
Die Änderungen in § 12 dienen vorwiegend der Klarstellung. Der Einbürgerungsanspruch früherer deutscher Staatsangehörigen, die aus politischen rassischen oder religiösen Gründen verfolgt wurden, eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben und sich dauernd im Ausland aufhalten, soll auf die Zeit bis Ende 1956 begrenzt werden.
Die Änderungsvorschläge in den Nrn. 6, 7 und 11 zu den §§ 13, 16 und 24 sind rein redaktioneller Art.
Die Änderungsvorschläge Nrn. 8 und 9 zu § 16 beschränken sich auf Änderungen der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bundes- und Länderbehörden.
Gegen § 23 in seiner jetzigen Fassung bestanden zwar im Vermittlungsausschuß keine grundsätzlichen Bedenken. Die Vorschrift kann aber als im wesentlichen überflüssig gestrichen werden, wie dies der Vorschlag des Vermittlungsausschusses in Nr. 10 vorsieht.
Namens des Vermittlungsausschusses bitte ich Sie, zu beschließen, daß das Gesetz zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit nach Maßgabe des vorliegenden Einigungsvorschlages des Vermittlungsausschusses geändert wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, in diesem Fall hat es der Vermittlungsausschuß dem Hohen Hause überlassen, ob es über die Anträge im ganzen oder im einzelnen abstimmen will. Es sind zwölf einzelne Änderungen. Ich möchte dem Hohen Hause empfehlen, über diese Punkte gemeinsam abzustimmen. - Widerspruch erfolgt nicht. Das Wort zur Abgabe von Erklärungen wird nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Mündlichen Bericht des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 1033 im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
a) Fortsetzung der zweiten und dritte Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Leistungen für Kinder in der gesetzlichen Unfallversicherung, in den gesetzlichen Rentenversicherungen, in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge sowie in der Kriegsopferversorgung an das Kindergeldgesetz ({0}) ({1});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({2}) ({3});
({4});
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld ({5});
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD . eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen ({6}) ({7}).
Meine Damen und Herren, das Hohe Haus hat sich mit der Materie in der 57. Sitzung vom 19. November in zweiter Beratung befaßt. Wir standen bei der Beratung des Antrags zu § 1 auf Umdruck 234 Ziffer 1. Der ganze Antrag Umdruck 234*) wurde damals vom Abgeordneten Frehsee bereits begründet. Außer ihm haben sich an der Aussprache die Abgeordneten Dr. Atzenroth, Frau Finselberger, Winkelheide und Rasch beteiligt.
Wird nunmehr zu diesem § 1 weiterhin noch das Wort gewünscht? - Das ist offenkundig nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 234 Ziffer 1. Wie diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
({8})
- Bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den § 1 in der Fassung des Ausschusses. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 2 und dazu den Antrag Umdruck 234 Ziffer 2. Die Begründung des Antrags im ganzen ist schon erfolgt. Wird sonst hierzu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Frehsee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist der Auffassung, daß es vielleicht doch notwendig ist, noch einige Worte zu sagen, nachdem der 19. November schon einige Zeit zurückliegt und die Argumente, die seinerzeit vorgetragen worden sind, sicherlich nicht allen mehr ganz in Erinnerung sind.
Herr Kollege Winkelheide hat damals ausgeführt, daß es bei den Arbeitslosen und Sozialrentnern, den Unfallrentnern und den Kriegs-
*) Siehe Anlage 3 zum Stenographischen Bericht der 57. Sitzung.
({0})
opfern darauf ankomme, die schon gewährten Kinderzuschläge bzw. Kinderzuschüsse auf den Betrag von 25 DM monatlich zu erhöhen, der nach dem Kindergeldgesetz den Arbeitnehmern, Selbständigen und Familienangehörigen gewährt werden soll. Zweifellos ist formal richtig, was Herr Kollege Winkelheide hier ausgeführt hat, daß für diese Gruppen bereits Kinderzuschläge oder Kinderzuschüsse gewährt werden. Aber haben wir denn nicht, als wir hier das Kindergeldgesetz beraten haben, die 25 DM als einen Zuschlag betrachtet, der den kinderreichen Familien zu dem gesamten Familieneinkommen gewährt werden soll? Dieser Grundsatz müßte besonders auch für die sozial Schwachen gelten, von denen der Herr Bundeskanzler vor einem Jahr in seiner Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 gesagt hat, daß dieser Kreis unserer Gesamtbevölkerung der besonderen Förderung und des besonderen Schutzes bedürfe, weil er an der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung, an dem Wirtschaftswunder nicht im gleichen Maße wie andere Gruppen partizipiert habe. Aus diesen Überlegungen, heraus sollten wir uns nicht damit abfinden, daß jetzt den Sozialrentnern an Stelle der 25 DM, die die Beschäftigten erhalten, nur 5 DM Kindergeld monatlich gezahlt werden sollen. Dadurch werden die sozial Schwachen, die ohnehin schon ein unverhältnismäßig niedrigeres Familieneinkommen haben, bei dieser neuen Regelung, die eine soziale Hilfe für die Kinderreichen sein soll, sehr viel schlechter gestellt. Wir bitten Sie deswegen noch einmal, dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Umdruck 234 Ziffer 2 zuzustimmen.
Herr Kollege Winkelheide hat neulich auch ausgeführt, daß das Renten-Mehrbetrags-Gesetz diesen Schichten, insbesondere den Sozialrentnern, Erleichterungen schaffe. Nun, die Erleichterung wird nicht sehr groß sein, wie wir neulich bei der Diskussion des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes gehört haben. Jetzt haben die Invalidenrentner mit drei Kindern einschließlich der Kinderzuschüsse im Durchschnitt 140 DM monatlich. Sie sollen nach diesem Kindergeldanpassungsgesetz 5 DM mehr erhalten, d. h. also bei drei Kindern 145 DM. Die Witwen haben 135 DM. Witwen, die drei Kinder haben, werden nach diesem Kindergeldanpassungsgesetz gar keinen Zuschlag erhalten. Das gleiche gilt für die Vollwaisen. Aus diesem Grunde haben wir auf Umdruck 234 zu § 2 Abs. 1 beantragt, daß die Regelung, die wir allgemein erbitten, für die Waisen der Rentenberechtigten entsprechend gelten soll.
Nach dem Anpassungsgesetz soll das Kindergeld für Sozialrentner von den Rentenversicherungsträgern gezahlt werden, d. h. von den Betroffenen, also den sozial Schwachen selbst, von denen ich gesprochen habe. Wir waren uns aber bisher immer darüber einig, daß wir das Kindergeld nicht unter dem Versicherungsgedanken sehen sollen, sondern daß wir es familienpolitisch beurteilen wollen. Dieser Grundsatz muß auch für die Sozialrentner gelten. Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, daß nicht die Rentenversicherungsträger diese Kindergelder zahlen sollen, sondern daß es die Familienausgleichskassen machen sollen. Wenn aus technischen Gründen die Auszahlung über die Rentenversicherungsträger durch die Post, die die Renten auszahlt, erfolgen soll, dann sollen die Rentenversicherungsträger wenigstens einen Anspruch auf Erstattung an den Gesamtverband der Familienausgleichskassen haben.
({1})
Es ist hier immer davon gesprochen worden, daß wir mit dieser Kindergeldregelung Neuland betreten. Sicherlich ist es richtig, daß wir Neuland betreten haben. Neuland erfordert aber auch neue Wege. Die Vorschläge der sozialdemokratischen Fraktion bieten Ihnen solche neuen Wege an. Stimmen Sie diesen Vorschlägen zu.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Genau wie zu § 1 dieses Anpassungsgesetzes halten wir auch zu § 2 die Gedanken, die der Herr Vorredner vorgetragen hat, für berechtigt. Sie führen logisch zu dem Ziel, das wir uns für die Gewährung von Kindergeld gesetzt haben. Trotzdem können wir dem Antrag in diesem Zusammenhang unsere Zustimmung nicht geben, und zwar aus technischen Gründen, denn diese Dinge können in das Gesetz, das wir Anpassungsgesetz nennen, nicht hineingebracht werden. Das wäre nur möglich innerhalb eines logisch klaren Gesetzes, das von dem Grundsatz ausgeht, allen Kinderreichen Kindergeld zu gewähren. Ich hoffe, daß wir in den weiteren Beratungen dazu noch einmal sprechen können. Hier werden wir uns zunächst der Stimme enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte wiederholen wir die Begründungen zu den einzelnen Anträgen - sei es zur Vorlage oder zu den Änderungsanträgen - in derselben Form, wie sie schon des öfteren hier vorgetragen worden sind. Es erscheint mir nicht möglich, uns gegenseitig von der Richtigkeit der einen oder der anderen Auffassung zu überzeugen. Deshalb will ich auch nicht noch allzutief in die Materie einsteigen; aber auf das, was bisher vorgetragen worden ist, muß doch kurz folgendes erwidert werden.
Bei der Beratung des Kindergeldgesetzes - sowohl hier im Plenum als auch vorher im Ausschuß - haben wir immer zum Ausdruck gebracht, daß wir die Einbeziehung der Sozialgesetze in die Regelung des Kindergeldgesetzes für nicht möglich halten, weil die Dinge in diese Konzeption nicht hineinpassen. Wir haben aber immer dargetan, daß wir die Angleichung der Kinderzuschläge in den einzelnen Sozialgesetzen unverzüglich nach der Verabschiedung des Kindergeldgesetzes vornehmen würden. Mit dieser die Angleichung betreffenden Vorlage beschäftigen wir uns eben heute.
Wir gehen davon aus - und ich bitte das Hohe Haus, das bei seiner Entscheidung auch zu beachten -, daß wir nach den einzelnen Sozialgesetzen dem Grunde nach - je nach dem Gesetz in etwa unterschiedlich, aber doch in allen Sozialgesetzen - Kinderzuschläge bisher bereits gezahlt haben. Was wir jetzt tun, ist eine Anhebung der Kinderzuschläge vom dritten Kinde ab auf die Höhe des Kindergeldes, also auf einen monatlichen Zuschlag von 25 DM. Damit stimmen die Kinderzuschläge in den Sozialgesetzen vom dritten Kinde ab mit den Leistungen nach dem Kindergeldgesetz überein. Das ist das, was meine Freunde mit dem Anpassungsgesetz beabsichtigt hatten.
({0})
Ich bitte das Hohe Haus noch einmal nachdrücklich, dieser Überlegung und diesen Anträgen, also auch jenen des Ausschusses, zu folgen. Wenn hier vorgetragen worden ist, daß Neuland beschritten werde, daß man nichts 'dagegen einwenden wolle, wenn die einzelnen Sozialversicherungsträger diese erhöhten Zuschüsse bezahlten, daß sie aber dann einen Erstattungsanspruch an die Familienausgleichskassen haben sollten, so können wir auch diesem Anliegen aus den kurz angedeuteten grundsätzlichen Überlegungen nicht folgen. Wir sind und bleiben der Meinung, daß wir es hier mit zwei unterschiedlichen Dingen zu tun haben, daß wir die Kinderzuschläge aus der Sozialversicherung nicht zu Lasten der Familienausgleichskassen verbuchen können. Wir glauben vielmehr, daß wir mit dieser Erhöhung und Angleichung vom dritten Kinde ab, da ja auch bisher schon Bestimmungen Über Kinderzuschläge in den Sozialgesetzen enthalten waren, nichts grundsätzlich Neues tun, sondern, den Gedanken des Kindergeldgesetzes entsprechend, diese Zuschläge nur auf die Höhe des Kindergeldgesetzes anheben. Deshalb glauben wir auch, daß wir mit dieser Regelung das Richtige treffen. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, die Anträge auf Änderung abzulehnen und in dieser Beziehung der Ausschußvorlage zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe zu dem Kindergeldanpassungsgesetz in der letzten Plenarsitzung schon Stellung genommen. Es scheint mir aber notwendig, hier noch einmal zum Ausdruck zu bringen, daß wir in dem Kindergeldanpassungsgesetz nicht eine Verbesserung des Zustandes, an dem wir seinerzeit sehr scharfe Kritik geübt haben, feststellen können. Wir haben damals darauf hingewiesen, daß gerade die sozial schwachen Gruppen von dem Kindergeldgesetz nicht erfaßt würden. Darauf wurde uns gesagt, daß diese Gruppen den anderen Kreisen in einem Kindergeldanpassunggesetz gleichgestellt würden.
({0})
Wir können wirklich nicht feststellen, daß in diesem Kindergeldanpassungsgesetz etwa die Rentner oder die Arbeitslosen und die sonstigen Existenzlosen, Kriegsopfer usw., den Kreisen gleichgestellt wären, die von dem Kindergeldgesetz erfaßt werden. Vielmehr werden sie sehr unterschiedlich behandelt, sie werden benachteiligt. Das möchte ich hier doch noch einmal sehr deutlich zum Ausdruck bringen.
Wenn man heute sagt: diese sozial schwachen Kreise wie die Rentner, die Kriegsopfer, die Arbeitslosen usw., passen nicht in die Konzeption dieses Kindergeldgesetzes, und deshalb mußten wir es so machen, dann haben wir darauf hinzuweisen: Wir haben ja gesagt, daß diesem Kindergeldgesetz keine glückliche Konzeption zugrunde liegt. Es wäre doch so einfach gewesen, ohne ein Kindergeldanpassungsgesetz auszukommen, denn man hätte damals eine bessere Konzeption finden können. Es ist notwendig, auch daran einmal zu denken, wenn es um die Abstimmung zu diesem Kindergeldanpassungsgesetz geht. Meine Fraktion jedenfalls kann dieses Kindergeldanpassungsgesetz nicht unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horn hat darauf hingewiesen, daß durch das Kindergeldanpassungsgesetz die Leistung für die Sozialleistungsempfänger auf 25 DM angehoben werden soll. Das ist natürlich richtig. Aber Herr Kollege Horn läßt den Gesamtzusammenhang der Familie außer Betracht. Entscheidend ist doch das Familieneinkommen, und dieses Familieneinkommen wird nach dem Kindergeldgesetz bei dem Arbeitenden um 25 DM im Monat erhöht, bei dem Sozialleistungsempfänger aber nicht um 25 DM erhöht.
Ich darf Ihnen das an einigen Beispielen erläutern. Für den arbeitslosen Familienvater mit drei Kindern wird durch dieses Anpassungsgesetz vom dritten Kinde an im Durchschnitt nur ein zusätzliches Kindergeld von 12 DM gewährt, für den Rentner mit drei und mehr Kindern wird durch dieses Gesetz das Familieneinkommen nur um 5 DM im Monat erhöht, und für die Kriegerwitwe mit drei Kindernwird durch dieses Gesetz überhaupt kein zusätzliches Einkommen geschaffen; und darauf kommt es doch sozialpolitisch an. Deshalb ist es eine formale Betrachtungsweise, wenn Herr Kollege Horn darauf hinweist, es gebe schon Kinderzuschläge bei Sozialleistungsempfängern. Es kommt sozialpolitisch darauf an, daß durch die Kindergeldgesetzgebung das Familieneinkommen gerade auch des sozial 'Schwächsten gesteigert wird. Durch das vorliegende Anpassungsgesetz wird dieses sozialpolitische Ziel nicht erreicht.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben schon bei den bisherigen Beratungen des Kindergeldgetzes immer wieder darauf verwiesen, daß wir mit diesem Gesetz eine Lücke ausfüllen wollen, die bei der Gewährung von Kinderbeihilfen noch vorhanden gewesen ist. Die beim öffentlichen Dienst Beschäftigten bezogen bereits bisher Kindergelder. Auch die Bezieher von Leistungen aus den einzelnen Sozialgesetzen erhielten bereits Kinderbeihilfen, so daß also jetzt noch die eine Lücke auszufüllen war, die darin bestand, 'daß Familien, deren Ernährer in der freien Wirtschaft tätig sind, keine Kinderbeihilfe erhalten. Auch diesen Familien sollte eine Kinderbeihilfe gewährt werden. Das ist die Situation. Wenn nun der Herr Professor Schellenberg davon sprach, daß die Einkommen ,der in der freien Wirtschaft Tätigen durch das Kindergeld erhöht werden, habe ich dazu festzustellen, daß die Bezüge der Familien, die Leistungen aus der Sozialversicherung, aus der Kriegsopferversorgung, aus der Arbeitslosenhilfe und aus der Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz erhielten, schon bisher entsprechend dem Familienstand gestaltet gewesen sind.
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Arndgen, ist Ihnen bekannt, wie hoch das Familieneinkommen beispielsweise eines Rentners mit drei Kindern oder einer Kriegerwitwe mit drei Kindern ist? Wie hoch
({0})
ist denn dieses Familieneinkommen, das Sie nur vom dritten Kinde an und nur um 5 Mark erhöhen wollen? Haben Sie sich mit dieser Frage beschäftigt, und wollen Sie darüber dem Hause Auskunft geben?
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man von dem Familieneinkommen ausgeht. ist darauf hinzuweisen, daß man, wenn dieses Familieneinkommen nicht ausreichend sein sollte, nicht mit der Kinderbeihilfe einen Ausgleich schaffen kann. Dann muß man versuchen, die Grundbezüge, die für die einzelnen Gesetze maßgebend sind, in eine andere Ordnung zu bringen.
({0})
Zu einer weiteren Zwischenfrage hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg.
Wir stehen hier nicht in einer allgemeinen Rentendiskussion, sondern in der Beratung eines Kindergeldanpassungsgesetzes, das auf die Familien mit Kindern abgestellt ist. Ich sage Ihnen, daß das durchschnittliche Einkommen eines Rentners mit drei Kindern bei 140 Mark im Monat liegt. Dieses geringe Einkommen wollen Sie nicht um 25 Mark erhöhen, wie Sie es für die Bezieher der höchsten Einkommen tun!
({0})
Meine Damen und Herren, der Herr Professor Schellenberg hat ganz recht: wir diskutieren hier die Kinderbeihilfe,
({0})
und da ist nach meinem Dafürhalten das Kind eines in der freien Wirtschaft Tätigen genau so viel wert wie das Kind eines Beziehers von Leistungen aus irgendeinem Sozialgesetz!
({1})
Wenn wir jetzt mit diesem Kindergeldanpassungsgesetz dafür sorgen, daß das Kindergeld, welches Bezieher von Leistungen aus den Sozialgesetzen vom dritten Kind an erhalten, genau so hoch wird wie das Kindergeld nach dem Kindergeldgesetz, dann bin ich der Meinung, daß wir damit eine gerechte Lösung gefunden haben. Ich möchte daher das Hohe Haus bitten, den Antrag der SPD abzulehnen.
({2})
Wird weiterhin das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 234 Ziffer 2. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 2 in der Fassung des Ausschusses. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ichbitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ersteres war die Mehrheit; § 2 ist angenommen.
Ich rufe auf § 3, zugleich die Anträge Umdruck 234 Ziffer 3, Umdruck 228*) Ziffer 1 und Umdruck 234 Ziffer 4. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, zu dem Antrag Umdruck 234 Ziffer 3 längere Ausführungen zu machen. Das ist durch meine Fraktionsfreunde bereits zu den Anträgen unter Ziffern 1 und 2 dieses Umdrucks geschehen. Der Antrag unter Ziffer 3 behandelt die gleiche Angelegenheit, nur bezieht sich die Regelung an Stelle der Unfallversicherung und der Rentenversicherung auf die Arbeitslosenversicherung.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf den § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs richten. Da heißt es in ,dem neu aufgenommenen Abs. 2 a:
Anspruch auf Kindergeld hat auch, wer nur in Anwendung des § 94 oder des § 113 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung keine Arbeitslosenunterstützung oder Arbeitslosenfürsorgeunterstützung erhält.
Nach meiner Auffassung und der meiner politischen Freunde ist hier eine Bestimmung ausgelassen worden, und zwar die Bestimmung in § 114 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Das Kindergeldanpassungsgesetz soll die Lücken schließen, die im Kindergeldgesetz nicht geschlossen wurden, und zwar unter anderem auch für die Arbeitslosen. Man muß deshalb alle Fälle im Auge haben,' in denen ein Arbeitsloser kein Kindergeld bekommen würde, weil er zu dieser Zeit keinen Anspruch auf Arbeitlosenunterstützung hat. Das ist z. B. in den Fällen der §§ 94, 112 und 113 AVAVG der Fall. Die Berücksichtigung dieser Fälle haben wir jetzt im Kindergeldanpassungsgesetz vorgesehen. Wir haben im Ausschuß für Arbeit - das möchte ich der Vollständigkeit halber erwähnen - auch die Frage bezüglich § 114 AVAVG diskutiert. § 114 AVAVG besagt:
Die Arbeitslosenunterstützung darf für die Tage nicht gewährt werden, für die der Arbeitslose die vorgeschriebenen Meldungen .. . ohne genügende Entschuldigung unterläßt .. .
Unterläßt also ein Arbeitsloser die vorgeschriebene Meldung, ohne sich genügend entschuldigt zu haben, so hat er keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Das geht in Ordnung. Es könnte aber zur gleichen Zeit auch das Kindergeld fällig sein. Dann würde der Arbeitslose auch das Kindergeld nicht erhalten, und zwar aus dem Grund, weil er die vorgeschriebene Meldung für die Arbeitslosenunterstützung unterlassen hat. Soll dieser Arbeitslose, soll seine Familie, sollen seine Kinder deshalb gestraft werden und die Kinderbeihilfen, die er jahraus, jahrein für vier, fünf oder sechs Kinder bezogen hat, nicht mehr erhalten? Ich glaube, das Kindergeldanpassungsgesetz ist kein Strafgesetz, und ich bitte Sie deshalb darum, sich unserem Antrag - Umdruck 278**) Ziffer 1, der leider, wie ich gesehen habe, noch nicht verteilt ist - anzuschließen, worin verlangt wird, in § 3 Abs. 2 a hinter den Worten „oder des § 113 Abs. 1 Nr. 2" die Worte einzufügen „oder des § 114".
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 7.
({0})
Dann hätten wir in der Arbeitslosenhilfe alle die Fälle eingeschlossen, die in der Praxis auftreten können. Es mögen an Zahl wenige sein, sie sind aber vorhanden, und wir sollten aus sozialen Erwägungen heraus alle Lücken schließen. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich zu dem Änderungsantrag Umdruck 228 eine Bemerkung machen. Es handelt sich hier um eine notwendige Korrektur, weil die bisherige Fassung zu Mißdeutungen Anlaß geben könnte. Mit diesem Antrag ist auf den § 94 Abs. 1 AVAVG abgehoben. In diesem Paragraphen ist die Regelung enthalten, daß die Arbeitslosenunterstützung während eines Streiks oder einer Aussperrung nicht gezahlt wird. Nun hat man im Ausschuß eine Kompromißlösung gefunden, die vorsieht, daß Kindergeld in dieser Zeit gewährt, aber erst später gezahlt wird. Die Formulierung, die Ihnen nach den Ausschußbeschlüssen vorliegt, könnte mißdeutet werden, weil es darin heißt: „wird erst nach Abschluß des Arbeitskampfes gewährt." Um nun dem wirklichen Ausschußwollen Rechnung zu tragen, wird diese Korrektur vorgeschlagen. Sie stellt fest, daß der Anspruch auch für diese Zeit besteht, daß aber die Auszahlung erst nach dem Streik oder der Aussperrung erfolgt, um dem Bedenken Rechnung zu tragen, daß sonst eine Beeinflussung des Arbeitskampfes vorliegen würde.
Nun möchte ich auch etwas zu dem Antrag sagen, den Kollege Richter eben begründet hat. Es ist sicher keine so wesentliche Sache. Es handelt sich um folgendes. Der § 114 AVAVG sieht die Meldepflicht vor und stellt fest, daß jemand, der der Meldepflicht nicht entspricht, keine Unterstützung erhält. Nun würde das Kindergeld, wenn wir den § 114 in den Katalog nicht aufnehmen, praktisch nur dann nicht gewährt werden, wenn sich der Arbeitslose einen ganzen Monat stur der Meldepflicht entzöge. Der Anspruch ist schon sichergestellt, wenn er sich im Laufe des Monats einmal meldet. Er kann also eine Reihe von Meldungen aus irgendwelchen Gründen unterlassen. Deswegen wird ihm das Kindergeld nicht entzogen. Es würde nur in den Fällen nicht gewährt werden, in denen sich der Arbeitslose wirklich im ganzen Monat der Meldepflicht entzöge.
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß man in solchen Fällen das Wohlwollen nicht übertreiben soll. Der Ausschuß hat sich mit Mehrheit dafür ausgesprochen, daß in solchen Fällen ein Anspruch auf Kindergeld nicht gegeben ist. Ich glaube, man sollte bei der Ausschußfassung verbleiben.
({0})
Herr Abgeordneter Richter hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme mit dem Herrn Kollegen Sabel überein, daß man das Wohlwollen nicht übertreiben soll. Es ist auch richtig, ,daß es für einen Anspruch genügt, wenn sich der Betreffende in dem Monat, für den das Kindergeld gewährt wird, nur einmal gemeldet hat. Aber es gibt leider Menschen, die auch diese einmalige Meldung unterlassen. Bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern müssen sich in der Regel nur zweimal im Monat melden. Es kann Gründe geben, die den Betreffenden veranlassen, es nicht zu tun. Ich frage Sie: Soll die Familie darunter leiden? Da sage ich nein; denn auch bei anderen Bestimmungen können Nachlässigkeiten der Erziehungsberechtigten vorliegen. Und da das Kindergeld getrennt von allen anderen Leistungen - sei es die Rente, sei es die Arbeitslosenunterstützung oder die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung - gewährt wird, sollte man es auch hiervon trennen. Man sollte nicht ein Strafgesetz daraus machen. Das entsteht aber sonst.
Ich bitte Sie, den § 8 des Kindergeldgesetzes nachzulesen. Dieser Paragraph sieht vor, daß der Bezug des Kindergeldes übertragen werden kann. Die Frau bekommt in diesem Fall den Anspruch auf Kindergeld übertragen. Sie können ja gar nicht den § 114 ausschließen. Wenn Sie das tun, schränken Sie für die Fälle der Arbeitslosigkeit den § 8 des Kindergeldgesetzes ein; dort ist die Übertragbarkeit des Kindergeldes auf Grund eines Beschlusses des Vormundschaftsgerichts unter Mitwirkung des Jugendamtes vorgesehen. Das sollten Sie nicht tun, und meines Erachtens können Sie es nicht tun. Es kostet wirklich keine Überwindung, hier sozial und hilfsbereit zu sein.
Meine Damen und Herren, das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich komme damit zuerst zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 234 Ziffer 3 der sozialdemokratischen Fraktion. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme dann zum Antrag Umdruck 228 Ziffer 1, Änderungsantrag des Abgeordneten Sabel.
({0}) - Ihr neuer Antrag kommt nachher.
({1})
- Ja, weicher von den beiden vorgeht, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. Bitte, sprechen Sie, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Präsident festgestellt hat, daß über den Antrag des Herrn Kollegen Sabel entschieden wird, wonach Satz 2 des § 3 Abs. 2 a in § 4 hinter Satz 1 von Abs. 3 gesetzt werden soll, möchte ich zu dieser Frage einige Ausführungen machen, da meine Fraktion hierzu heute vormittag vor 9 Uhr einen Antrag auf Streichung von § 3 Abs. 2 a Satz 2 eingereicht hat, der Ihnen anscheinend leider noch nicht vorliegt.*) Was besagt dieser Satz? Dieser Satz besagt, daß in den Fällen des § 94 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung das Kindergeld erst nach Abschluß des Arbeitskampfes gewährt wird. Das ist eine Grundsatzfrage. Man kann diese Ansicht vertreten. Ich halte sie aber für falsch, und meine Fraktionsfreunde sind der gleichen Auffassung. Ich halte sie für falsch, weil es sich hier darum handelt, ob zu der Zeit, zu der das Kindergeld fällig ist, das bekanntlich vom Arbeitgeber gezahlt
*) Umdruck 278: Anlage 7.
({0})
wird, das Kindergeld vom Arbeitsamt gezahlt werden soll. Wenn in diesem Betrieb oder Wirtschaftszweig ein Arbeitskampf geführt wird, wenn also Aussperrung oder Streik die Voraussetzung dafür geschaffen haben, daß der Arbeitnehmer nicht im Betrieb ist und daß somit der Arbeitgeber die Auszahlung an den Kindergeldbezugsberechtigten nicht vornehmen kann, dann darf nach unserer Meinung das Kindergeld deshalb nicht später ausgezahlt werden. Das Kindergeld sollte an dem allgemeinen Fälligkeitstag, an dem es sonst von diem Arbeitgeber im Betrieb ausgezahlt wird, dann durch das Arbeitsamt ausgezahlt werden, um in der Versorgung der Kinder und der Familie keine Lücke, keine Not, keinen Mangel eintreten zu lassen. Da wir uns immer bei der Behandlung der Angelegenheit Kindergeld darin einig waren, daß das Kindergeld zu trennen ist sowohl von dem Einkommen des Selbständigen wie von dem Einkommen des Arbeitnehmers, müssen wir, glaube ich, auch diese Frage trennen. Bitte sagen Sie nicht, damit wäre die Neutralität im Arbeitskampf verletzt! Das Kindergeld ist unabhängig von der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmereigenschaft. Es kann deshalb nicht als Lohn oder etwas Ähnliches angesehen werden, es kann nicht als Streikunterstützung betrachtet werden. Verehrter Herr Kollege Atzenroth, ich bitte Sie, sich doch einmal von dieser Befangenheit freizumachen, als hätte der Arbeitnehmer ein Interesse daran, noch einige Wochen länger zu streiken, weil er für sein drittes, viertes, fünftes, sechstes Kind viermal 25 DM gleich 100 DM Kindergeld im Monat bekommt. Davon kann doch eine achtköpfige Familie - und das ist doch die Familie mit 6 Kindern - nicht leben. Ich fordere hier die soziale Gerechtigkeit in den Fällen des Arbeitskampfes, egal ob Streik oder Aussperrung, also egal, ob von den Arbeitnehmern beschlossen oder von den Arbeitgebern durchgesetzt, wenn also die Arbeit ruht und die Zahlung im Betrieb nicht möglich ist. Ich bin der Auffassung - und bitte Sie deshalb, unserem Antrag stattzugeben -. daß der Arbeitskampf ganz unbeeinflußt von der Weiterzahlung des Kindergeldes ist. Die Auszahlung darf nicht bis zur Beendigung des Arbeitskampfes verschoben werden. So lange können' die Kinder nicht hungern.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Kollegen Richter ist es doch notwendig, noch etwas zu der Frage zu sagen. Es war im Ausschuß ein Streit darüber: Soll während eines Arbeitskampfes, während eines Streiks oder einer Aussperrung, überhaupt Kindergeld gezahlt werden? Eine Auffassung war die, die Weiterzahlung des Kindergeldes komme einer Beeinflussung des Arbeitskampfes gleich. Die Mehrheit des Ausschusses hat diese Auffassung nichtakzeptiert, und nun ging es darum, zu einer Kompromißlösung zu kommen. Was Ihnen hier vorgeschlagen wird, ist eine Kompromißlösung. Sie besagt, daß der Anspruch besteht, aber die Zahlungstermine hinausgeschoben werden.
Kollege Richter, ich wäre wirklich dankbar, wenn wir zur Annahme dieser Kompromißlösung kämen. Ich möchte den Grundsatzstreit hier nicht wieder aufleben lassen: liegt darin eine Beeinflussung des Arbeitskampfes oder nicht? Meine persönliche Meinung habe ich ja gesagt. Ich sehe darin keine Beeinflussung des Arbeitskampfes, aber ich glaube, man sollte dieser brauchbaren Kompromißlösung zustimmen. Wir wissen ja, daß in der Praxis im allgemeinen nur bei längeren Arbeitskämpfen der einzelne erst später in den Genuß dieser Leistung käme. Ich wäre idankbar dafür, wenn dieser Kompromißregelung zugestimmt würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Ich stimme den Ausführungen meines Vorredners zu, daß in dieser Bestimmung keine Beeinflussung von Streiks liegen soll. Dem Herrn Richter muß ich aber entgegenhalten: seinen Vorschlägen könnten wir zustimmen, wenn nicht im Gesetz vorgeschrieben wäre, daß die Auszahlung des Kindergelds durch den Betrieb erfolgt. Herr Richter, stellen Sie sich doch vor, daß der Streikposten, der in Bayern vor der Tür des Betriebs gestanden und sich womöglich nicht ganz korrekt verhalten hat, hinterher in den Betrieb hineingeht, um sein Geld zu empfangen! Das ist doch eine unmögliche Lage. Wenn wir die Auszahlung an einer anderen Stelle vorsähen, könnte man auch der Lösung von Herrn Richter zustimmen. Solange wir aber diese organisatorische Regelung vorgenommen haben, muß es dabei bleiben, daß die Auszahlung erst nach Beendigung des Streiks erfolgt.
Meine Damen und Herren, nunmehr liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
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- Frau Abgeordnete Finselberger.
Ich möchte sowohl gegenüber Herrn Dr. Atzenroth als auch gegenüber Herrn Sabel folgenden Gedanken aussprechen: Es ist eine ganz schlichte Angelegenheit, die im täglichen Leben vorkommt. Was soll denn die Mutter und Hausfrau in dem meinetwegen vier Wochen lang andauernden Streik machen, wenn ihr in dieser Zeit das Wirtschaftsgeld gerade dadurch gekürzt wird, daß die Auszahlung des Kindergeldes hinausgeschoben wird? Ich glaube, man sollte diesen Gedanken einmal in 'die Überlegungen einbeziehen. Wir werden den Antrag der SPD unterstützen.
Jetzt liegen aber, soweit ich sehe, wirklich keine Wortmeldungen mehr vor.
Eine genaue Prüfung des soeben erst eingereichten Änderungsantrags der SPD Umdruck 278 *) hat ergeben, daß Ziffer 1 sich mit Satz 1 des Abs. 2 a befaßt, während erst Ziffer 2 sich mit Satz 2 befaßt und außerdem identisch ist mit idem Änderungsantrag des Abgeordneten Sabel Umdruck 228 Ziffer 1. Ich muß deshalb zunächst über Ziffer 1 des Umdrucks 278 abstimmen lassen. Damit ist, glaube ich, Übereinstimmung hergestellt. Ist der Umdruck inzwischen verteilt? - Das ist der Fall; dann brauche ich ihn nicht mehr zu verlesen.
Wer dem Änderungsantrag der SPD Umdruck 278 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
*) Siehe Anlage 7.
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Dann komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Sabel Umdruck 228 Ziffer 1 und den Änderungsantrag der SPD Umdruck 278 Ziffer 2, 'die miteinander übereinstimmen. Wer diesem Antrag, in § 3 Abs. 2 a den Satz 2 zu streichen, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Dann ist noch abzustimmen über den Änderungsantrag Umdruck 234 Ziffer 4. - Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
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- Ich habe beide verbunden und habe über beide zusammen abstimmen lassen, wie ich auch ausdrücklich gesagt habe.
Wer dem Änderungsantrag der SPD Umdruck 234 Ziffer 4 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den § 3 in der Ausschußfassung mit der inzwischen beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - § 3 ist angenommen.
Ich rufe auf § 4 und zugleich die Änderungsanträge Umdruck 234 Ziffer 5 und Umdruck 228 Ziffer 2. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 234 Ziffer 5, der § 4 streichen will. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Abgeordneten Sabel Umdruck 228 Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über § 4 mit der nunmehr beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? -§ 4 ist angenommen.
Ich rufe auf § 5 - das Wort wird nicht gewünscht - und § 6 - das Wort wird nicht gewünscht. Wer den §§ 5 und 6 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die §§ 5 und 6 sind angenommen.
Ich rufe auf § 7 und hierzu den Änderungsantrag Umdruck 234 Ziffer 6. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der SPD Umdruck 234 Ziffer 6. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über § 7 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - § 7 ist angenommen.
Ich rufe auf § 8, dazu die Änderungsanträge Umdruck 234 Ziffer 7 und Umdruck 231 *) Ziffer 1. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 234 Ziffer 7, der zugleich die §§ 9 und 10 umfaßt, die ich hiermit aufrufe. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 231 Ziffer 1, den § 8 zu streichen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen. Damit ist § 8 gestrichen; eine weitere Abstimmung darüber entfällt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über § 9 und § 10. Es liegen keine Änderungsanträge vor. Ich darf die Abstimmung über die beiden Paragraphen verbinden. Wer den §§ 9 und 10 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? -§ 9 und § 10 sind angenommen.
Ich rufe auf § 11, dazu die Änderungsanträge Umdruck 234 Ziffer 8, 230 ({2}), geändert**) und Umdruck 231 Ziffer 2. Wird das Wort gewünscht? Herr Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein ganz kurzer Hinweis. Die Streichung des § 8 hat die unter Ziffer 3 des Umdrucks 231 beantragte Neufassung notwendig gemacht. Im § 8, der in dem Abschnitt „Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge" stand, war die Steuerfreiheit nur für die Kinderzulagen aus der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge vorgesehen. Das erschien uns nicht richtig. Wir haben deshalb die Streichung des § 8 beantragt und in Ziffer 3 des Umdrucks 231 einen neuen § 11 a beantragt, der die Steuerfreiheit und die Freiheit von den Sozialversicherungsbeiträgen für den Gesamtkomplex, also für alle in Frage kommenden Abschnitte dieses Kindergeldanpassungsgesetzes vorsieht. In Verfolg der Auffassung, die wir in dieser Frage auch früher schon vertreten haben, wird das Hohe Haus mit uns darin übereinstimmen, daß diese Ausdehnung auf den Gesamtentwurf richtig ist. Ich bitte deshalb, dem Antrag unter Ziffer 3 des Umdrucks 231 zuzustimmen.
Dann darf ich noch einen Satz zu Ziffer 2 dieses Umdrucks sagen. Die beantragte Änderung dient nur der Verdeutlichung; es war nötig, noch die Worte „in Höhe von 25 Deutsche Mark" einzufügen. Ich bitte Sie, auch diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.
*) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf trägt u. a. die Überschrift: „Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Leistungen für Kinder . . . in der Kriegsopferversorgung an das Kindergeldgesetz". Diesen Namen würde das Gesetz nur verdienen, wenn es eine wirkliche Anpassung darstellte.
({0})
Statt dessen werden nach der Ausschußfassung die Kinder der Schwerkriegsbeschädigten nur höchst unzulänglich und die Kriegerwaisen überhaupt nicht berücksichtigt.
Man ist im Kriegsopferausschuß teilweise über diese Frage hinweggegangen und hat gesagt: „Stellen wir das zurück bis zum Kindergeldschlußgesetz." Aber, meine Damen und Herren, dadurch lösen wir die Probleme nicht, und wir sollten es vermeiden, aus diesem Schlußgesetz eine Art Müllkübel zu machen, in den alles das hineingeschmissen wird, was uns bisher als unbrauchbar erschien.
Es ist zunächst einmal die Frage zu klären - das ist heute schon verschiedentlich angeschnitten worden -; ob es für die Gewährung von Kindergeld genügt, wenn man die Kinderzuschläge einfach auf den Betrag von 25 DM erhöht. Es ist bereits verschiedentlich darauf hingewiesen worden - und dieser Auffassung möchte ich mich anschließen -, daß auch die Ausgleichsrente bei der Kriegsopferversorgung nur ein Existenzminimum für die Kriegsopferfamilie darstellt und die Erhöhungen der Ausgleichsrente als Familienzuschlag den besonderen Bedingungen einer zahlreicheren Familie Rechnung tragen. Wenn man aber wirklich den Begriff des Kindergeldes auch auf die Kriegsopferversorgung anwenden, d. h. wenn man die zusätzlichen Belastungen einer kinderreichen Familie ausgleichen will, dann wird man das nur dadurch erreichen, daß man das Kindergeld zusätzlich und nicht nur durch die Erhöhung des Zuschlags zur Ausgleichsrente von 20 auf 25 DM gewährt. Dieser Frage trägt unser Entwurf Rechnung. Dazu verweisen wir im übrigen in unserem Vorschlag nicht nur auf § 2 des Kindergeldgesetzes, sondern auch auf weitere Vorschriften, insbesondere auf die Vorschrift des § 3 des Kindergeldgesetzes, welche ja dem Schutz der Kinder dient.
In Ziffer 2 unseres Antrages schlagen wir die Einführung eines Abs. 4 vor, der untersagt, daß der Bezug von Kindergeld auf die Ausgleichsrente angerechnet wird. Die augenblickliche Ausschußfassung kann zwei Gefahren mit sich bringen, nämlich daß einmal das Kindergeld, welches zusätzlich zum Lohn nach dem Kindergeldgesetz gewährt wird, zur Anrechnung auf die Ausgleichsrente führt oder daß umgekehrt ein Einkommen, welches nicht zum Bezug von Kindergeld berechtigt, z. B. aus Vermietung oder Verpachtung, aus dem Betrieb einer Fahrradwache, wie sie Schwerbeschädigte ja sehr häufig besitzen, dazu führt, daß das Kindergeld, welches als Ausgleichsrente gewährt wird, durch Anrechnung wegfällt, so daß gerade diejenigen Schwerkriegsbeschädigten, die ein geringes Einkommen haben, durch diese Berechnungsvorschriften nicht in den Genuß des Kindergeldes kommen. Meine Damen und Herren, das entspricht doch alles nicht dem Sinn und dem Zweck dessen, was wir übereinstimmend im ganzen Hause mit dem Kindergeld erreichen wollten, und daher ist es unbedingt erforderlich, daß der von uns vorgeschlagene Abs. 4 in § 33 eingefügt wird.
Zum Schluß noch die Berücksichtigung der Kriegerwaisen, die nach dem Kindergeldanpassungsgesetz überhaupt nichts bekommen sollen. Ich möchte mich da auf die Ausführungen des Herrn Familienministers Wuermeling berufen, die dieser Anfang Oktober 1954 bei einer sozialpolitischen Tagung des VdK in Bad Godesberg gemacht hat. Dort hat er ausgeführt, daß es unser Bestreben sein muß, gerade die kinderreichen Kriegerwitwen finanziell so zu stellen, daß sie es nicht nötig haben, auf Arbeit zu gehen, und daß man dadurch vermeidet, daß diesen Kindern nach dem Vater nun auch noch die Mutter genommen wird. Meine Damen und Herren, dieses sehr gute Ziel können wir nur dadurch erreichen, daß wir der kinderreichen Kriegerwitwe Kindergeld geben, was wir bisher noch nicht getan haben. Dahin zielt unser Vorschlag in bezug auf § 47a, welcher in seinem Abs. 2 ebenfalls zu vermeiden sucht, daß die Gewährung von Kindergeld mindernd auf die Ausgleichsrente wirkt, sei es bei den Waisen, sei es bei der Witwe selbst.
Es ist verschiedentlich eingewandt worden, daß diese von uns vorgeschlagene Regelung gegen die Struktur des Bundesversorgungsgesetzes verstoßen würde. Das ist nicht der Fall. Wenn ich dem Schwerkriegsbeschädigten zusätzlich zur Ausgleichsrente 25 DM gebe, dann beruhen doch beide Leistungen auf ganz verschiedenen Gründen. Die Versorgungsrente bezieht er auf Grund seines Kriegsfolgeschadens, und das Kindergeld bezieht er auf Grund der Tatsache, daß wir einen Ausgleich für kinderreiche Familien schaffen wollen. Das sind zweierlei Paar Schuhe. Daß unglücklicherweise beides in das Bundesversorgungsgesetz kommt, ist nicht sehr schön; aber das beruht auf der Konstruktion des Kindergeldgesetzes, für die wir, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, nicht verantwortlich sind.
Das gleiche gilt für den Empfang des Kindergeldes bei Waisen. Durch die von uns vorgeschlagene Bestimmung wird der selbständige Unterhaltsanspruch der Kriegerwaisen nicht berührt; denn empfangsberechtigt für das Kindergeld sind ja nicht die Waisen, sondern durch Hinweis auf § 32 a des Bundesversorgungsgesetzes nach unserm Vorschlag und auf Grund des § 3 des Kindergeldgesetzes die Erziehungsberechtigten, d. h. vor allem die Mutter oder bei Vollwaisen nach der vom Vormundschaftsgericht zu beschließenden Regelung. Wir sind daher der Meinung, daß das Gesetz seinen Namen nur verdient, wenn das Hohe Haus unserem Vorschlag folgt, weil die andere Regelung für die Schwerkriegsbeschädigten unzulänglich und für die Kriegerwaisen völlig unmöglich ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man dieses Anpassungsgesetz hier vertritt, dann wirkt es nach außen ohne Zweifel sympathisch und wohlwollend, wenn man sich auf den Standpunkt des Kollegen Stammberger oder auch des Kollegen Rasch stellt, den diese in der letzten Sitzung zu dieser Frage abschließend eingenommen haben.
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Nun, meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, diese Frage dürfen wir, glaube ich, nicht allein im Zusammenhang mit dem Anpassungsgesetz sehen. Hier hat Herr Kollege Schellenberg das Stichwort gegeben: es kommt darauf an, das Familieneinkommen zu erhöhen. Herr Kollege Stammberger sagt: Das Gesetz verdient den Namen Anpassungsgesetz nicht. Demgegenüber sage ich: er hat insofern nicht recht, es verdient den Namen, weil praktisch der Sinn dieses Gesetzes ja gar nichts anderes ist, als das Kindergeld der Höhe des Kindergeldgesetzes anzupassen, und das geschieht durch diesen Vorschlag; das kann nicht wegdiskutiert werden.
Nun zu den verschiedenen Fragen, die sowohl vom Kollegen Rasch wie auch von Herrn Stammberger angeschnitten worden sind. Es ist gesagt worden, daß gerade die Kriegsbeschädigten und vor allem die Kriegerwitwen von diesem Gesetz nicht erfaßt werden. Nach genauem Durchdenken der ganzen Struktur können wir es machen, wie wir wollen. Wenn wir diese 25 DM zusätzlich geben, schaffen wir eine Ungerechtigkeit, die wir nicht auf uns nehmen sollten. Es werden nämlich diejenigen, die im öffentlichen Dienst stehen, hier nicht aufgenommen. Man könnte viele verschiedene Variationen darstellen, aber man kommt nie zu einem gerechten Ergebnis. Infolgedessen ist es absolut richtig: Man muß den Kriegerwitwen helfen, man muß den Waisen helfen, und man muß auch den Schwerkriegsbeschädigten helfen. Aber diese Möglichkeit ist besser im Rahmen des Bundesversorgungsgesetzes gegeben. Wir sagen hier: Nein, nicht in diesem Gesetz das verankern, was auf anderer Ebene liegt, sondern die Waisenrente insgesamt heben. Beim Betrachten der Anträge, die bereits im Raum stehen und zu denen auch schon die Zustimmung des Arbeitsministeriums vorliegt - nämlich die Waisenrente von bis jetzt 36 DM einschließlich Grund- und Ausgleichsrente auf 48 DM zu heben, die Witwenrente ebenfalls, die Grundrente und die Ausgleichsrente um zusammen 18 DM -, komme ich zu dem Ergebnis, daß eine Witwe mit drei Kindern zusammen 54 DM mehr bekommt, während sie nach diesem Vorschlag, selbst bei der Hebung, wiederum nur 25 DM mehr bekäme. Sie müssen auch hier die gesamte Frage sehen: Wie verwende ich die Mittel, die mir zur Verfügung stehen? Wie finde ich hier eine gerechte Relation?
Nun komme ich zu dem entscheidenden Ergebnis. Wir wissen doch, daß die Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz ein selbständiger Anspruch ist, unabhängig von der Witwenrente, und diesen selbständigen Anspruch wollen wir nicht gefährden, indem wir die Waisenrente auf die Ebene des Kindergeldes schieben.
Wir müssen auch einmal die gesamte Struktur betrachten. Herr Kollege Stammberger, wenn Sie nach der Erhöhung der Waisenrente auf 48 DM jetzt 25 DM zusätzlich vorschlagen, wenn also damit diese Waise dann rund 75 DM hätte - 25 % etwa soll die Waisenrente eines Erwerbsunfähigen betragen -, dann müssen Sie gerechterweise die Beschädigtenrente eines erwerbsunfähigen Verheirateten auf 300 DM heraufsetzen, um das richtige Verhältnis zu bekommen. Hier muß man doch eine Reihe von Dingen im Zusammenhang sehen. Ohne Zweifel - Herr Kollege Stammberger, darin gebe ich Ihnen recht - ist die Ausgleichsrente an sich nicht ausgesprochen ein Kindergeld, sondern praktisch ein Ausgleich. Aber der Tatbestand, daß das Vorhandensein eines Kindes eben 20 DM bedeutet, kann nicht wegdiskutiert werden. Das müssen wir ganz klar sehen. Wir können hier nichts anderes tun, als den Weg der Gerechtigkeit zu gehen, eben die Angleichung an das Kindergeldgesetz. Das andere muß auf der Ebene der Kriegsopferversorgung getan werden.
Nun, Herr Kollege Rasch, ich habe damit auch Ihre Fragen zum größten Teil beantwortet. Sie haben unter anderem das Beispiel angeführt: Wenn einer ein sonstiges Einkommen von 100 DM hat, kann er keine Ausgleichsrente mehr bekommen. Das trifft zu bei den ledigen Beschädigten mit 50 %, das trifft aber nicht zu bei den Beschädigten mit drei Kindern, da liegt nämlich die Ausschlußgrenze bei 155 DM. Wir müssen die Dinge auch hier so darstellen, wie sie sind, und entsprechend würdigen. Deshalb bitte ich, den Abs. 4 im Zusammenhang mit dem zu sehen, was an Änderungen für das Bundesversorgungsgesetz vorgesehen ist. Damit helfen wir den Kriegsopfern im allgemeinen mehr. Wir wollen doch nicht Anträge stellen, die praktisch nicht realisiert werden können und durch die nur eine Ungleichheit geschaffen würde. Das ist das Entscheidende, worauf es ankommt.
Deshalb bitten wir, dem Antrag, wie er von der CDU/CSU bzw. dem Ausschuß vorgelegt worden ist, zuzustimmen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Stammberger.
Herr Kollege Maucher, ich möchte nur ganz kurz einiges erwidern. Die Anhebung der Waisenrenten, die sehr erfreulich ist, hat mit der Auszahlung von Kindergeld überhaupt nichts zu tun. Das sind eben die zwei Paar verschiedenen Schuhe.
({0})
Das eine wird gewährt, weil der Ernährer weggefallen ist, und hat mit dem Kindergeld gar nichts zu tun. Das andere wird gewährt, weil es sich um kinderreiche Familien handelt, und hat mit dem Bundesversorgungsgesetz gar nichts zu tun. Das ist doch gerade das Unglückselige, daß wir nunmehr gezwungen sind, diese Dinge in das Bundesversorgungsgesetz hineinzunehmen, mit dem sie gar nichts zu tun haben.
({1})
Es wird nun gesagt, es könne eintreten, daß ein Teil der Waisen mehr erhalte. Die Waisen bekommen gar nichts. Den Anspruch auf Kindergeld hat nach § 3 des Kindergeldgesetzes immer nur der Erziehungsberechtigte und haben nicht die Waisen. Nur der Erziehungsberechtigte, der für drei und mehr Kinder zu sorgen hat, hat einen Anspruch auf dieses Kindergeld. Der Bezieher des Kindergeldes ist doch ,die Mutter und nicht das Waisenkind.
Halten Sie es für sozial gerechtfertigt, daß eine Witwe, die nur drei Kinder hat, die es sich aus irgendwelchen Gründen zeitlich leisten kann, nebenher zu arbeiten, 25 DM bekommt, während eine Witwe, die fünf oder sechs unversorgte Kin({2})
der zu Hause hat, die sich um den Haushalt kümmern muß und die - und da stimme ich den Worten des Herrn Familienministers Wuermeling vollinhaltlich zu; ich sage das gar nicht ironisch - deshalb zu Hause bleiben soll, d'as Kindergeld nicht bekommt? Das ist doch eine von uns - und ich bin überzeugt: auch von Ihnen - nicht gewollte unsoziale Auswirkung des Gesetzes.
({3})
Sie sagen, daß unter Umständen die Gefahr besteht, daß der Bezug von Kindergeld der Witwe oder den Waisen auf das Einkommen angerechnet wird, wenn ich Sie so richtig verstanden habe. Herr Kollege Maucher, lesen Sie doch bitte unseren Antrag durch. Wir sagen darin ja gerade, daß die Anrechnung des Bezugs von Kindergeld auf die Ausgleichsrente ausdrücklich ausgeschlossen sein soll. Dagegen ist es nach der Ausschußfassung durchaus möglich, daß jemand, der Kindergeld auf Grund eines Einkommens bezieht, davon gar keinen Vorteil hat, weil es in derselben Höhe von der Ausgleichsrente wieder abgezogen wird. Das ist doch gerade der Witz, weswegen wir in erster Linie unseren Antrag gestellt haben.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Ausführungen, die ich in der letzten Sitzung zum Kindergeldgesetz gemacht habe, nicht viel hinzuzufügen. Ich möchte nursagen, Herr Kollege Maucher, daß Sie hier die Begriffe vollkommen umgedreht haben. Es muß einmal ganz klar und eindeutig festgestellt werden, daß die Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung eine Bedürftigkeitsrente ist. Ausgleichsrente erhalten nur derjenige Beschädigte und diejenige Witwe, die bedürftig sind. Deshalb finde ich es unangebracht und unsozial, wenn man jetzt den arbeitswilligen Beschädigten und der Kriegerwitwe für ihre Kinder diese 25 DM Kindergeld nicht zubilligen will.
({0})
Wir beantragen aus diesem Grunde zu unserem Antrag Umdruck 234 Ziffer 8 namentliche Abstimmung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine politischen Freunde vom Gesamtdeutschen Block/BHE werden den Antrag des Abgeordneten Dr. Stammberger und Genossen voll unterstützen. Wir sind der Ansicht, daß man einen so bedrängten Kreis wie die Kriegerwitwen und die Kriegsbeschädigten nicht schlechter stellen kann ,als andere Kreise. Wir sind auch der Meinung, daß, wenn von der Mehrheitdieses Houses das Kindergeld überhaupt schon in die Diskussion und in die gesetzliche Regelung hineingebracht worden ist, man dann auf jeden Fall auch die Kriegsopfer bedenken muß. Wir haben bisher im Bundesversorgungsgesetz kein echtes Kindergeld. Wenn man also im Rahmen des
Kindergeldanpassungsgesetzes die Kriegsopfer einbeziehen will, dann kann man keinesfalls die bisherige 20-DM-Zulage für Kinder, weil die Renten sonst nicht ausreichen, zu einer Erreichung des Kindergeldes in der Art hinzunehmen, daß man zu diesen 20 DM nur noch weitere 5 DM, die im Rahmen des Kindergeldgesetzes notwendig sind, um die 25-DM-Grenze zu erreichen, hinzuzahlt. Wir sollten nicht vergessen, daß gerade die Kriegsopfer einen Anspruch darauf haben, in dieser Frage bei einer Neuregelung des Kindergeldgesetzes nicht hintangesetzt zu werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist behauptet worden, nach den Beschlüssen des Ausschusses würden die Witwen und 'die Kriegsbeschädigten durch dieses Gesetz schlechter gestellt als die übrigen in der freien Wirtschaft Tätigen. Damit dieser Satz nicht unwidersprochen im Raume stehen bleibt, möchte ich feststellen, daß dieses Gesetz keine Verschlechterung der Situation der Kriegerwitwen und der Kriegsbeschädigten mit sich bringt. Denn die Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung ist gestaffelt nach dem Familienstand, und für jedes Kind sowie für die Frau, die einer Familie eines Kriegsbeschädigten angehört, steigert sich die Ausgleichsrente um einen bestimmten Betrag. Dieses Gesetz will, daß vom dritten Kind ab auch für den Kriegsbeschädigten die Ausgleichsrente urn den Betrag gesteigert wird, der sich. als Differenz zwischen dem im Kindergeldgesetz festgelegten und dem in .der Kriegsopferversorgung gezahlten Kindergeld ergibt. Wer hier von einer Schlechterstellung der Kriegsbeschädigten und der Kriegerwitwen spricht, der kennt die beiden Gesetze nicht!
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Probst.
Meine sehr verehrten Herren und Damen! Wir wollen doch einmal die ganze Frage nüchtern auf den tatsächlichen Sachverhalt zurückführen. Wir haben eine selbständige Waisenrente für die Waisenkinder aus dem Personenkreise der Kriegsopfer. Gerade der Herr Kollege Rasch hat im Ausschuß mit Recht darauf hingewiesen, daß dieser selbständige Unterhaltscharakter der Rente des Waisenkindes erhalten bleiben muß. Demzufolge werden nach dem Bundesversorgungsgesetz sämtliche Kinderzuschläge, z. B. aus der Sozialversicherung, auf das Waisengeld des Kindes angerechnet. Dem Bundesversorgungsgesetz - mit dieser Regelung - hat das ganze Haus zugestimmt. Es ist nur folgerichtig, wenn wir hier die gleiche Regelung Platz greifen lassen für das Kindergeld aus dem Kindergeldgesetz. Wir können das Bundesversorgungsgesetz in seiner Grundstruktur nicht über das Kindergeldanpassungsgesetz ändern wollen.
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Die anderen Anliegen, die hier geäußert worden sind, betreffen Fragen, die nur im Bundesversorgungsgesetz ihre Regelung finden können.
({1})
- Jawohl, das kann ich Ihnen eindeutig beweisen! Die Regelung, über die wir jetzt abstimmen, sieht vor, daß bei den Beschädigten vom dritten Kinde ab ein selbständiges Kindergeld gegeben wird, das nicht mit der Ausgleichsrente gekoppelt ist. Es ist also unzutreffend, wenn von drüben gesagt worden ist, die Ausgleichsrente werde gekürzt. Ich bitte infolgedessen die Abstimmung so zu vollziehen, daß sie diesen Grundtatsachen gerecht wird.
({2})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Döhring.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auf dem Umdruck 234 Ziffer 8 hat meine Fraktion beantragt, einen § 47 a einzufügen. In den bisherigen Abstimmungen ist beschlossen worden, dem Beschädigten, der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz erhält, wenigstens die 5 DM als Aufstockung seines Kinderzuschlages zuzubilligen, während man die Kriegerwitwen nach dem Kindergeldanpassungsgesetz vollkommen leer ausgehen lassen will. Meine Fraktion kann sich hiermit keineswegs einverstanden erklären. Man spricht hier von einem Familienausgleich. Ein solcher Familienausgleich ist doch gerade in diesen Halbfamilien so bitter notwendig, zumindest in der Regel viel notwendiger als in der Vollfamilie.
Meine Herren und Damen von der CDU/CSU, Sie haben in dem Kindergeldgesetz den ganz richtigen Grundsatz, daß zu dem bisherigen Einkommen zusätzlich 25 DM gegeben werden sollen. Dieser Grundsatz sollte aber nach Auffassung meiner Parteifreunde ganz besonders auch für die Kriegerwitwe Geltung haben. Gerade sie hat diese 25 DM für ihre Waisenkinder zusätzlich zu ihrem bisherigen Einkommen so bitter nötig. Denn sie kann nicht zur Arbeit gehen. Es handelt sich ja nur um diese. Die andere Kriegerwitwe, die irgendeine Verwandte hat, die ihren Haushalt und ihre Kinder versorgen kann, kann ja. zur Arbeit gehen; sie bekommt diese 25 DM zusätzlich. Der Kriegerwitwe aber, die allein für ihren Haushalt und für ihre Kinder aufkommen muß, wollen Sie das verweigern.
Herr Kollege Arndgen hat vorhin auf die Frage meines Parteifreundes Schellenberg, ob er die bescheidenen Einkommen bei den Rentenbeziehern kenne, zur Antwort gegeben, daß man dann eben die Renteneinkommen entsprechend gestalten müsse. Nun, ein schönes Wort, Herr Arndgen! Aber erstens sind die Betroffenen, die doch so dringend auf eine Verbesserung ihrer Einkünfte warten, eben nicht damit zu vertrösten, daß sie noch länger warten sollen, und zweitens ist doch gerade für diese Gruppen eine Verschlechterung vorgesehen. Denn im Kriegsopferausschuß wurde gestern bei der Beratung zur Novelle des Bundesversorgungsgesetzes beschlossen, und zwar auch gegen die Stimmen meiner sozialdemokratischen Parteifreunde, die Zuschläge, die in den Sozialversicherungen für die Kinder gewährt werden, zukünftig auf die Ausgleichsrente voll anzurechnen. Hier würde also genau das Gegenteil von dem eintreten,
Herr Kollege Arndgen, was Sie vorhin in Ihrer Antwort an meinen Parteifreund Schellenberg erklärt haben.
Meine Fraktion stellt deshalb den Antrag, die Kriegerwitwen und Kriegerwitwer, die drei und mehr Kinder haben, in dieses Kindergeldanpassungsgesetz einzubeziehen und gerade für diese Halbfamilien nicht nur eine Aufstockung vorzunehmen, sondern ein zusätzliches Kindergeld von 25 DM zu geben. Das ist das mindeste, was wir diesen Kriegerwitwen mit ihren Kindern zubilligen sollten.
({0})
Das Wort hat Herr Bundesarbeitsminister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sollten doch jetzt nicht anfangen, die ganze Situation zu vernebeln. Praktisch ist es doch so, daß das Kindergeld des Arbeitnehmers, der seither auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern ein Kindergeld von 20 Mark bekommen hat, eine Hebung auf 25 Mark erfährt. Genau so wird es hier für diejenigen Gruppen vorgeschlagen, die seither ihr Kindergeld gehabt haben.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich doch bitte nur noch zwei Sätze dazu sagen. Immerfort werden bei der Diskussion dieser Frage zwei Probleme vermischt: Das Waisengeld aus der Kriegsopferversorgung ist die Existenzgrundlage für ein Kind, das den Vater durch den Kriegsdienst verloren hat und das für den Verlust des Ernährers in irgendeiner Weise entschädigt werden muß. Dieses Kindergeld, das hier gezahlt werden soll, soll zusätzlich zur sonstigen Ernährungsgrundlage für kinderreiche Familien gezahlt werden.
({0})
Das ist doch etwas ganz anderes! Ich bitte, doch einmal diese beiden Gesichtspunkte ganz klar voneinander zu trennen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich fühle mich verpflichtet, noch folgende Feststellung zu treffen. Sollte dieses Kindergeldanpassungsgesetz in der jetzigen Form der Ausschußvorlage gebilligt werden, dann tritt die Tatsache ein, daß die Kriegsbeschädigten und die Kriegerwitwen kein Mehr gegenüber ihrem jetzigen Lebensstandard erreichen werden,
({0})
und das finden wir als Sozialdemokraten unsozial. Für uns ist diese Gesetzgebung unverständlich, und wir bitten Sie dringend, unserem Antrag zuzustimmen, damit die deutschen Kriegsopfer ihr Recht erhalten. Ich fühle mich verpflichtet, hier zu sagen, daß der Staat da einzutreten hat, wo der Vater der
({1})
Sorgepflicht nicht mehr nachkommen kann, weil er sein Leben für das Volk gelassen hat.
({2})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Probst.
Meine Herren und Damen! Das Mehr, das wir erreichen wollen und erreichen müssen, können wir nur in der Novelle zum Bundesversorgungsgesetz und nicht an dieser Stelle erreichen.
({0})
Ich darf folgendes feststellen: Das Kindergeld wird den Müttern nicht angerechnet. Das ist eine vollkommen falsche Darstellung. Ich bitte, bei dem von der CDU/CSU vertretenen Entwurf zu bleiben.
({1})
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung. Ich werde in folgender Reihenfolge abstimmen lassen: zuerst über Ziffer 8 des Umdrucks 234, Antrag der SPD. Hier ist namentliche Abstimmung beantragt. Sie ist genügend unterstützt. Die namentliche Abstimmung muß also erfolgen.
Herr Präsident, der weitergehende Antrag ist der geänderte Umdruck 230 - Umdruck 230 ({0}) -, weil er die Anrechnung ausschließt.
Ich habe darüber schonentschieden. Nach meiner Auffassung ist der weitergehende Antrag der der SPD auf Umdruck 234 Ziffer 8. Ich ändere an dieser Entscheidung nichts.
Ich komme also zur namentlichen Abstimmung über Ziffer 8 des Umdrucks 234. Ich bitte, die Stimmkarten einzusammeln.
({0})
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete da, die noch nicht namentlich abgestimmt haben? - Dann bitte ich, das sofort nachzuholen.
Die Damen und Herren, die noch nicht namentlich abgestimmt haben, bitte ich, das jetzt nachzuholen.
Ich frage zum letztenmal: sind noch Damen und Herren da, die noch nicht namentlich abgestimmt haben? Dann bitte ich, sich zu beeilen. - Das scheint nicht der Fall zu sein.
Ich schließe die namentliche Abstimmung.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung bekannt. Von stimmberechtigten Abgeordneten sind insgesamt 411 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 199, mit Nein 211, enthalten hat sich ein Abgeordneter. Von Berliner Abgeordneten wurden 19 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben 14 gestimmt, mit Nein 5. Nach dem Er-
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3003. gebnis dieser Abstimmung ist der Änderungsantrag Umdruck 234 Ziffer 8 abgelehnt.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 230 ({2}) *), der ,denselben Paragraphen betrifft. Die Antragsteller haben auch hier namentliche Abstimmung beantragt. Da sie keine Fraktionsstärke von über 50 Mitgliedern besitzen - es sind nur Einzelantragsteller -, frage ich das Hohe Haus, ob dieser Antrag auf namentliche Abstimmung genügend unterstützt wird. - Das ist der Fall. Wir kommen also jetzt zur Abstimmung über „Umdruck 230 ({3}) geändert", und zwar in der Form der namentlichen Abstimmung.
Wir treten in die Abstimmung ein. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage: Sind noch Damen und Herren da, die in der namentlichen Abstimmung noch nicht abgestimmt haben? - Ich bitte, sich zu beeilen. -Ich frage noch einmal: Sind noch Damen und Herren des Hohen Hauses da, die noch nicht namentlich abgestimmt haben? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die namentliche Abstimmung.
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Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis***) der namentlichen Abstimmung zum Änderungsantrag Umdruck 230 ({6}) bekannt. Es haben abgestimmt 406 stimmberechtigte Abgeordnete, davon mit Ja 199, mit Nein 207 Abgeordnete. Enthalten hat sich kein Abgeordneter. Von den Berliner Abgeordneten haben 19 abgestimmt, davon mit Ja 14 und mit Nein 5. Damit ist auch der Änderungsantrag Umdruck 230 ({7}) abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 231 Ziffer 2. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Änderungsantrag ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über § 11 in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer diesem Paragraphen zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 11 ist in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Bevor ich den § 11 a aufrufe, rufe ich auf die Änderungsanträge Umdruck 234 Ziffer 9 und Umdruck 231 Ziffer 3. Beide Anträge bezwecken, vor dem jetzt in der Ausschußfassung vorliegenden § 11 a einen zusätzlichen Paragraphen einzufügen.
Wird von den Antragstellern das Wort zur Begründung gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht insofern ein sachlicher Unterschied: Nach dem Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion Umdruck 234 Ziffer 9 soll das Kindergeld generell auch im Rahmen der Kriegsopferversorgung steuerfrei sein und nicht als Einkommen, Verdienst oder Entgelt im Sinne der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung rechnen, während nach dem Änderungs-
**) Siehe Anlage 4.
***) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3003.
({0})
antrag Umdruck 231 Ziffer 3 die Steuerfreiheit nur für Kinderzulagen aus der Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung, also nicht für Leistungen der Kriegsopferversorgung gelten soll.
Wird das Wort zur Begründung des Antrages Umdruck 231 Ziffer 3 gewünscht? - Das scheint nicht der Fall zu sein.
({0})
Dann komme ich zur Abstimmung. Der weitergehende Antrag ist der auf Umdruck 234 Ziffer 9, weil er generell die Einkommensteuerfreiheit bestimmt bzw. sagt, daß das Kindergeld nach diesem Gesetz gar kein Einkommen im Sinne des Einkommensteuergesetzes ist. Ich komme also zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 234 Ziffer 9 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 231 Ziffer 3. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei wenigen Enthaltungen mit überwältigender Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr auf § 11 a in der Ausschußfassung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall; ich schließe die Beratung. Ich komme zur Abstimmung. Wer § 11 a zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nunmehr auf § 12 des Gesetzentwurfs. Dazu liegen Änderungsanträge auf Umdruck 234 Ziffer 10 und auf Umdruck 276*) vor. Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Übernahme dieses Kindergeldanpassungsgesetzes in Berlin macht es infolge der verschiedenen Rechtsgrundlage, die wir in Berlin im Gegensatz zum Bundesgebiet noch haben, erforderlich, daß der § 12 einige besondere Bestimmungen enthält, die auf die in Berlin geltenden Gesetzesbestimmungen Bezug haben. Hierbei ist in der Ausschußfassung nicht berücksichtigt, daß das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, das seinerzeit vom Wirtschaftsrat in Frankfurt beschlossen worden ist, in Berlin nicht übernommen worden ist. Das Recht, das hier angesprochen ist, nämliche diese zusätzliche Gewährung von 5 DM für die kinderreiche Familie, ist in Berlin im Gesetz zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin in § 58 in der gleichen Weise geregelt. Dieser § 58 lautet:
Zu den Kinderzuschüssen wird bis auf weiteres ein Zuschlag von fünf Deutsche Mark monatlich für jedes zuschußberechtigte Kind gewährt.
Wir müssen, wenn wir das Gesetz in Berlin in Kraft setzen wollen, diesen § 58 demnach anziehen und auch hier die Änderung treffen, die wir in § 1 Abs. 1 Satz 3 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes getroffen haben. Ich bitte Sie, dem Änderungsantrag auf Umdruck 276 zuzustimmen.
Wird das Wort zur Begründung des Antrages auf Umdruck 234 Zif-
*) Siehe Anlage 6. fer 10 gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Ich lasse zuerst über den Antrag Umdruck 234 Ziffer 10 abstimmen, die Berlin-Klausel in der hier vorgeschlagenen Fassung zu formulieren. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ,das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag Umdruck 234 Ziffer 10 ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 276. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über § 12 in der so veränderten Fassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der zweiten Lesung dieses Gesetzes. Da in der zweiten Beratung Änderungsanträge angenommen worden sind, kann ich nach ,den zwingenden Vorschriften der Geschäftsordnung in die dritte Beratung nur dann eintreten, wenn vom Hause nicht widersprochen wird. Ich frage deshalb: widersprechen mindestens zehn Abgeordnete der dritten Beratung? - Das ist nicht der Fall. Dann treten wir in die
dritte Beratung
des aufgerufenen Gesetzes ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wenn ich hier für meine Fraktion die Erklärung abgebe, daß wir auch dieses Gesetz ablehnen, so muß ich vorausschicken, daß wir uns entschieden gegen die Unterstellung verwahren, die leider nicht nur häufig in der Presse, sondern sogar im amtlichen Bulletin mindestens durchklingt, daß diejenigen, die das Kindergeldgesetz abgelehnt haben und in logischer Folge auch dieses Anpassungsgesetz ablehnen, gegen die Gewährung von Kindergeld seien. Das muß mit aller Deutlichkeit und vor der Öffentlichkeit klargestellt werden. Wir wollen im Prinzip den kinderreichen Familien in derselben Weise und in derselben Höhe helfen, wie Sie es mit Ihren zwei Gesetzen bisher haben tun wollen, aber mit diesen zwei Gesetzen noch nicht einmal erreichen; denn Sie selber, die Befürworter dieser Gesetzesmaterie, sagen, wir brauchen noch ein drittes Gesetz, ein Kindergeldschlußgesetz, oder wie Sie es nennen wollen, um schließlich alles das zu erreichen, was wir uns als Ziel gesetzt haben.
({0})
- Vielleicht werden dann später, und nicht nur vielleicht, sondern mit Sicherheit werden dann die Novellen kommen müssen.
({1})
Wir wollen diese ganze Materie logischer durch ein Gesetz regeln; nur darin besteht der Unterschied zwischen uns. Es ist also ,an und für sich gar keine politische Angelegenheit, sondern eine Angelegenheit des Verfahrens und der Technik.
({2})
Ich sagte schon, daß Sie drei Gesetze brauchen, um „vielleicht" zu dem Ziel zu kommen. Aber es hat sich jetzt schon gezeigt, und wir haben es in den Beratungen bisher schon dargelegt, daß zumindest in dem ersten Gesetz so viel Mängel und so viel Unzulänglichkeiten stecken, daß es überhaupt fraglich ist, ob dieses erste Gesetz, das wir vor einigen Wochen angenommen haben, durchführbar ist. Ich behaupte von diesem Platz aus, daß Sie in allerkürzester Zeit ohne Novellen überhaupt nicht auskommen können.
({3})
Ich möchte Ihnen zur Unterstreichung dieser Behauptung, die nicht einfach dahergeredet ist, etwas in Erinnerung bringen, was wir im Prinzip schon bei den Beratungen des ersten Kindergeldgesetzes ausgesprochen haben, Dinge, die sich jetzt erst in größerer Deutlichkeit zeigen. Der Rechtsausschuß des Bundesrats hat die Erklärung abgegeben, daß der Gleichheitsgrundsatz verletzt sei. Die Verletzung wir darin erblickt, daß unfallversicherte Erwerbstätige, soweit sie einer Berufsgenossenschaft nicht angehören, nicht in den Genuß des Kindergeldes kommen. Zweitens werde eine unzulässige Mischverwaltung geschaffen. Diese wird darin gesehen, daß ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Bundes- und Landesstellen entstehen werde, das auch im Rahmen der körperschaftlichen Regelung unzulässig sei usw. Das sind die Einwände, die vom Rechtsausschuß des Bundesrats gemacht worden sind, denen sich bei der Beratung dieses Gesetzes eine Reihe von Ländern angeschlossen haben.
Aber auch bei den Stellen, die das Gesetz praktisch durchzuführen haben, liegen die Dinge nicht so, wie es hier erklärt worden ist. Man hat hier manchmal gesagt: wir wollen eine möglichst einfache Verwaltung schaffen. Was Sie tun, ist das Gegenteil.
({4})
Sie schaffen keine einfache, sondern eine sehr komplizierte Verwaltung.
({5})
- Die beiden Gesetze sind doch auch bei Ihnen eine Einheit; das dritte gehört doch auch dazu. - Ich kann Ihnen sagen, daß eine Reihe von Berufsgenossenschaften - auch sie haben erklärt, sie wollten eine billige Verwaltung schaffen - heute schon Grundstücke erworben haben und Häuser bauen, um diese Familienausgleichskassen dort unterbringen zu können.
({6})
Sie müssen Personal einstellen. Von einer billigen Verwaltung kann überhaupt keine Rede sein. Wir schaffen eine sehr teure Verwaltung oder wir sind im Begriffe, es zu tun.
Ich darf Ihnen, um bei den Berufsgenossenschaften zu bleiben, noch einmal vorlesen, was die Berufsgenossenschaften erklärt haben; ich halte das für notwendig, damit für die Folge die Verantwortlichkeit für dieses Gesetz ganz klar und deutlich herausgestellt wird. Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften haben erklärt, daß sie dieses Gesetz für undurchführbar halten.
({7})
Der Vorstand der Berufsgenossenschaft für den Einzelhandel hat am 19. November eine Entschließung gefaßt, in der er zum Schluß erklärt:
Vertreterversammlung und Vorstand sind einmütig der Auffassung, ,daß die Durchführung des Gesetzes scheitern muß, wenn es für den Einzelhandel bei der jetzigen Fassung bleibt. Sie lehnen schon heute die Verantwortung hierfür ab.
({8})
Der Bundesverband der freien Berufe - ({9})
- Herr Winkelheide, das Anpassungsgesetz ist nur möglich, wenn das erste Gesetz überhaupt bestehenbleibt. Wenn ich keine Grundlage habe, kann ich doch auch keine Anpassung an die fehlende Grundlage vornehmen. Wir müssen immer von der Grundlage ausgehen. Ich habe Ihnen eingangs erklärt, daß ich begründen will, warum meine Fraktion auch das Anpassungsgesetz ablehnen muß.
Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit noch einmal herausstellen, daß man uns unter keinen Umständen unterstellen darf, wir wollten den Rentnern, den Arbeitslosen und den Kriegsopfern diese Zuschläge nicht gewähren. Im Gegenteil, wir wollen sie ihnen in derselben Höhe wie allen anderen gewähren. Deswegen muß ich herausstellen, wie schlecht und undurchführbar das eigentliche Kindergeldgesetz ist.
({10})
Bei dem Kindergeldgesetz besteht vor allen Dingen noch die große Gefahr,
({11})
daß es praktisch gar nicht durchführbar sein wird.
({12})
- Lassen Sie mich doch ausreden! Sie können ja nachher hier auch sprechen.
Beim Kindergeldgesetz besteht noch die große Gefahr, daß es deswegen nicht zur Durchführung kommt, weil das Verfassungsgericht angerufen wird. Diese Möglichkeit besteht sowohl von seiten des Bundesrates, als auch von seiten eines Drittels der Bundestagsmitglieder, als auch von seiten der betroffenen Berufsgenossenschaften. Eine Berufsgenossenschaft, die der freien Berufe, hat das in einem Schreiben schon angekündigt.
Das sind die Gründe, die uns veranlassen, auch dieses Anpassungsgesetz abzulehnen, das praktisch in der Luft hängt. Die Einwände, die wir dagegen erheben, haben wir bei der Beratung der §§ 1 und 2 zum Ausdruck gebracht. Wir hoffen, daß wir bei der Beratung unseres Entwurfs, der alle diese Unzulänglichkeiten vermeidet, zu einer vernünftigen und klareren Lösung kommen, die das Ziel erreicht, das auch Sie sich gesetzt haben.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Ablehnung unserer sämtlichen Anträge in der zweiten Lesung darf ich mir zur dritten Lesung einige zusammenfassende Bemerkungen gestatten.
({0})
Erstens. Die Bedenken, die von allen Fraktionen mit Ausnahme der CDU/CSU bei Verabschiedung des Kindergeldgesetzes geäußert worden sind, werden durch das vorliegende Kindergeldanpassungsgesetz nicht beseitigt, sondern im Gegenteil noch verstärkt. Durch das Anpassungsgesetz wird das ohnehin schon äußerst komplizierte deutsche Sozialrecht noch unübersichtlicher gestaltet. Die vorliegende Kindergeldregelung führt dazu, daß diese Gesetzgebung bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes so kompliziert ist, daß sich nur sehr wenige durch diese gesetzliche Regelung überhaupt hindurchfinden. Ich beziehe hierbei die Mitglieder des Sozialpolitischen Ausschusses, die an diesem Gesetz mitgearbeitet haben, ausdrücklich ein. Da sich jedes neue Gesetz ohnehin im Laufe der Zeit kompliziert, wird durch das Kindergeldanpassungsgesetz eine Entwicklung eingeleitet, an die man nur mit Schrecken denken kann.
({1})
Meine Damen und Herren von der CDU, die Sie nicht im Ausschuß mitgearbeitet haben, ich bitte Sie: sehen Sie sich einmal den § 1 der Vorlage Drucksache 978 an! Der § 1 Satz 1 umfaßt 19 Zeilen. Es wird sich kaum ein Sachverständiger durch diese komplizierte Materie hindurchfinden. Herr Kollege Atzenroth hat auf die Eingaben von Organisationen verwiesen, die diese Bestimmungen durchführen müssen. Ich möchte das, was der Kollege Atzenroth ausgeführt hat, durch einige Zitate, und zwar der Eingabe des Bundesverbandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, konkretisieren. Der Bundesverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften schreibt:
Zusammen mit etwaigen Rückfragen bei der Rentenversicherung, möglichen Rückforderungsansprüchen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, ferner Rückfragen bei den Behörden der Bundesversorgung wird ein solches Maß an fruchtloser Verwaltungsarbeit entstehen, das nicht verantwortet werden kann und das in keinem Verhältnis zu dem damit beabsichtigten Erfolg steht.
({2}) Es heißt dann weiter:
Es darf auch nicht vergessen werden, daß die zahlreichen Rückfragen eine große Belästigung der Berechtigten darstellen.
({3})
Abschließend sagt der Bundesverband folgendes:
Zusammenfassend glaubt der Verband aus den dargelegten Gründen, die der einhelligen Auffassung der ehrenamtlichen Organe der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften entsprechen, nachdrücklich vor dem mit dem Entwurf vorgeschlagenen Weg warnen zu müssen.
({4})
Meine Damen und Herren, solche eindrucksvollen
Worte sollten doch nicht unberücksichtigt bleiben!
Zweitens. Trotz der verwaltungstechnischen Komplizierung wird durch das Kindergeldanpassungsgesetz kein sozialpolitisch befriedigendes Ergebnis erreicht. Die Rentner der Unfallversicherung, die Rentner der Sozialversicherung, die Rentner der Kriegsopferversorgung, die Arbeitslosen erhalten vorn dritten Kinde an nicht ein zusätzliches Kindergeld von 25 DM, sondern ihr jetziges Familieneinkommen wird weit geringer oder zum Teil, insbesondere für die Waisen, überhaupt nicht erhöht. Die sozial Schwachen sind also gegenüber den Arbeitenden schwer benachteiligt. Das läßt sich doch sozialpolitisch nicht vertreten.
({5})
Noch ein Drittes! Durch dieses Anpassungsgesetz werden keineswegs die Lücken des Kindergeldgesetzes geschlossen, beispielsweise nicht für die Kinder der Fürsorgeunterstützten, für die Kinder der Eltern, die zwar arbeiten, aber zufälligerweise nicht bei einer Berufsgenossenschaft versichert sind, also beispielsweise für die Kinder von Reinmachefrauen, Hausschneiderinnen, Land- und Forstarbeitern usw. Wie hoch die Zahl der jetzt noch nicht erfaßten Kinder ist, läßt sich nicht genau angeben, da uns auch in den Ausschußberatungen kein genaues Zahlenmaterial zur Verfügung gestellt werden konnte. Die Zahl der Kinder, für die auch dann, wenn es sich um das dritte Kind handelt, noch kein Kindergeld gewährt wird, wird sich aber noch auf über 100 000 belaufen. Das ergibt sich aus den statistischen Aufstellungen, nach denen das Kindergeldgesetz 397 000 Kinder außerhalb der gesetzlichen Regelung ließ. Durch dieses Anpassungsgesetz wird nach meiner Schätzung nur etwa die Hälfte der Kinder erfaßt; aber auch die Regierung kann uns wohl keine genaue Zahl der Kinder nennen, die nach dem Kindergeldanpassungsgesetz Kindergeld erhalten sollen. Jedenfalls wird noch eine beachtliche Zahl auch von dritten und weiteren Kindern, und zwar gerade aus den sozial schwächsten Kreisen, ohne Kindergeld bleiben. Es ist wirklich ein schwacher Trost, wenn bei den Ausschußberatungen erklärt wurde, daß diese Lücken durch das Kindergeldschlußgesetz geschlossen werden sollen. Das ist deshalb ein schlechter Trost, weil uns bei den Ausschußberatungen über dieses Kindergeldschlußgesetz auch von der Seite der Regierung noch nichts Konkretes gesagt werden konnte.
Meine Damen und Herren, das Anpassungsgesetz führt 'somit erstens zu einer weiteren Komplizierung des Sozialrechtes, zweitens zu einer Benachteiligung der Kinder von Rentnern, Arbeitslosen, Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und drittens zur weiteren Außerachtlassung von mindestens 100 000, wahrscheinlich sogar 200 000 dritten und weiteren Kindern von nicht berufsgenossenschaftlich versicherten Eltern. Die sozialdemokratische Fraktion wird ein derartiges Gesetz ablehnen.
Bei der abschließenden Beratung des Kindergeldgesetzes erklärte Herr Dr. von Brentano namens der Christlich-Demokratischen Union: Wer das Gesetz ablehnt, ist dagegen, daß die Kinder vom dritten Kind an Kindergeld erhalten. Um einer derartigen Legendenbildung von vornherein zu begegnen, erkläre ich namens meiner Fraktion: Wer für dieses Kindergeldanpassungsgesetz stimmt, wendet sich gegen die verwaltungsmäßig einfachere und sozialpolitisch zweckmäßige Regelung, die beim nächsten Punkt zur Abstimmung steht. Wer für dieses lückenhafte und damit unsoziale Gesetz stimmt, hält es offenbar mit dem Herrn Kollegen Schmücker, der am 14. Oktober das geflügelte, von der Presse aufgenommene Wort sprach: „Wir lassen uns auch nicht durch größeren Fachverstand von unserer politischen Richtung abbringen."
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Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Im Namen der Fraktion der Deutschen Partei habe ich zu erklären, daß auch wir dieses Gesetz ablehnen werden. Es wird Sie nach den bei den ersten Diskussionen zu dem eigentlichen Kindergeldgesetz hier geführten Aussprachen nicht überraschen. Wir müßten uns der Inkonsequenz zeihen, wenn wir jetzt solch einem schlechten Gesetzentwurf zustimmten. Es ist hier zur Genüge zum Ausdruck gebracht worden, welche Mängel diesem Gesetzentwurf anhaften. Ich habe nun nicht die Absicht, diese Argumente zu wiederholen. Wir haben ja bei der zweiten Lesung erlebt, daß die Argumente sowieso nicht mehr geglaubt werden. Sie werden einfach 'gar nicht mehr gewogen, sondern aus vorgefaßten politischen Meinungen heraus abgelehnt.
({0})
Unter solchen Umständen haben wir es auch nicht für zweckmäßig gehalten, uns an der Diskussion in der zweiten Lesung überhaupt zu beteiligen. Wenn ich jetzt das Wort ergreife, tue ich es ausschließlich deshalb, damit uns nicht leichtfertig oder - ich habe auf Grund für den folgenden Ausdruck - böswillig unterstellt werden kann, wir wendeten uns gegen den Gedanken des Kindergeldes überhaupt. Ich glaube, kein vernünftiger Mensch kann gegen meine politischen ,Freunde einen derartigen Vorwurf erheben. Im Gegenteil, auch für uns gilt gerade das, was Herr Schellenberg bei der zweiten Lesung ganz klar herausgestellt hat: Der Zweck dieses Gesetzes, daß nämlich durch Kindergeld zusätzliches Familieneinkommen geschaffen wird, wird nicht erreicht. Infolgedessen, weil dieser Zweck nicht erreicht wird, können wir diesem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen.
Andererseits möchte auch ich zum Schluß noch die Befürchtungen unterstreichen, die schon zum Ausdruck gekommen sind. Wir haben es erlebt, daß, um das Kindergeld Wirklichkeit werden zu lassen, die schlechteste Gesetzeskonstruktion hier verabschiedet worden ist.
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Etwas Gleiches begehen wir mit diesem Anpassungsgesetz. Ich halte es daher für unmöglich, daß wir einem solchen Gesetz zustimmen.
In diesem Zusammenhang muß noch festgestellt werden, daß der allgemein im Volk verbreitete Wunsch, den Umfang der Verwaltungsapparatur zu verringern, mit diesem Gesetz nicht erfüllt wird. Vielmehr geschieht gerade das Gegenteil dessen, was das Volk wünscht. Herr Atzenroth hat ja schon zum Ausdruck gebracht, daß eine teure und zahlenmäßig umfangreiche Apparatur von den Ausgleichskassen aufgebaut werden muß. Ich gebe einige Zahlen an, damit Sie das in einer Relation sehen: Im Verlauf der letzten 20 Jahre ist die Zahl der im öffentlichen Dienst stehenden Beamten und Angestellten um ingesamt 25 % gestiegen. 1936 haben wir auf 100 000 Einwohner 1 440 Beamte und Angestellte gehabt, und zur Zeit - im Jahre 1952 - haben wir schon insgesamt 1800. Statt dem Wunsche des Volkes, diese Entwicklung aufzuhalten, nachzukommen, tun wir mit diesem Gesetz das Gegenteil: wir schaffen zusätzliche Verwaltungsstellen.
Unter diesen Umständen muß d i e Fraktion allein die politische Verantwortung für eine solche Maßnahme tragen, die bereit ist, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Es wäre undemokratisch, wenn wir eine Verantwortung für eine Regelung tragen hülfen, von der wir nicht aus ehrlicher Überzeugung sagen können, daß sie vernünftig und richtig ist. Ich würde mich freuen - ich erkläre das zum Schluß -, wenn alle meine Befürchtungen falsch wären; aber die Zukunft wird lehren, wer von uns recht gehabt hat. Ich glaube, sagen zu müssen: Sie, meine Herren von der CDU/CSU, werden die politische Belastung zu tragen haben.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Finselberger.
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Herr Präsident! Meine Herren und Damen Ich ertrage dieses „Oh"-und „Ah"-Rufen aus den Kreisen der CDU/CSU-Fraktion, wenn ich auf das Podium trete, durchaus. Ich möchte zum Ausdruck bringen, daß ich mich von Anfang an gegen das Kindergeldgesetz in der Konstruktion gewandt habe, die die antragstellende Fraktion vorgetragen hat. Daraus konnte sich nur ergeben - nachdem doch nun feststand, daß noch nicht einmal alle Beschäftigten in diesem Kindergeldgesetz erfaßt waren -, daß auch das Kindergeldanpassungsgesetz, wie es nachher genannt wurde, doch wahrscheinlich nicht gerade etwas Ideales vorstellen würde.
Ich möchte dabei einmal an eins erinnern: Wir haben vor einigen Monaten hier in diesem Hause eine Debatte über die zukünftige Sozialreform gehabt. Heute wie in den früheren Beratungen ist gesagt worden, daß wir mit dem Kindergeldanpassungsgesetz und vor ,allen Dingen mit dem Kindergeldgesetz Neuland betreten. Wenn ich an diese Debatte über die Sozialreform erinnere, dann deshalb, weil es damals der Wunsch aller Abgeordneten dieses Hauses war, unter allen Umständen zu erreichen, daß die Sozialgesetzgebung aus dem Zustand eines unübersichtlichen und undurchdringbaren Dschungels herausentwickelt werden müsse, um endlich einmal wieder übersichtlich und für den Staatsbürger klar verständlich zu sein. Nun stellen wir hier fest: wir sollen ein Kindergeldgesetz verabschieden, das schwer verständlich ist. Wir haben keine Übersichtlichkeit, keine Vereinfachung erreicht, wie es damals in der Debatte über die Sozialreform gefordert wurde, sondern mit diesem Gesetz, das ja ganz richtig als Neuland bezeichnet wurde, wird das Gestrüpp der sozialen Gesetzgebung noch stärker verdichtet und feiert als jene Art von Gesetzesmacherei fröhliche Urständ.
Ich habe die Bemerkung, die Herrn Dr. Atzenroth während seiner Ausführungen zugerufen wurde, als unklug empfunden: ob er etwa ein Prophet sei. Es genügt der gesunde Menschenverstand, um schon heute zu wissen, daß sich an dieses Kindergeldgesetz und dieses Kindergeldanpassungsgesetz Novellen anschließen müssen, wenn wir erreichen wollen, daß überhaupt von einer sozialpolitischen Gerechtigkeit gesprochen werden kann.
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Denn wenn wir dieses Gesetz heute verabschieden, dann ist ja immer noch nicht alles erreicht. Wir haben uns damals trösten lassen, als gesagt wurde: „es kommt ja noch ein Gesetz, in dem all die anderen Kreise gleichgestellt werden". Wir haben dann in der ersten und zweiten Beratung erleben müssen, daß man nicht mehr von einer Gleichstellung sprach, sondern von einer Angleichung. Das ist auch heute wieder zum Ausdruck gekommen. Es ist unerträglich - und das spreche ich zum wiederholten Male aus -, daß die sozial schwachen Gruppen schlechter gestellt sind als diejenigen, die eine Existenz haben.
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Es kommt noch ein Drittes hinzu. Dieses Kindergeldanpassungsgesetz wird verabschiedet durch eine Mehrheit, aber nicht durch die Einsicht und die Vernunft aller. Es gibt immer noch Arbeitnehmer und Arbeitslose, die nicht erfaßt sind. Das sehen Sie, meine Herren und Damen von der CDU-Fraktion, doch auch ein, denn Sie haben ja selbst von der Bundesregierung zum 1. April eine Vorlage darüber verlangt, welche Familien noch nicht erfaßt werden. Dann wird sich an das Kindergeldgesetz und an dieses Kindergeldanpassungsgesetz noch ein zweites Anpassungsgesetz anschließen müssen. Und das nennen wir „Neuland betreten" im Rahmen einer übersichtlichen Sozialgesetzgebung, wie wir sie in der Sozialreform anstreben?! Ich habe dafür kein Verständnis und meine politischen Freunde ebensowenig.
Ich brauche nicht auf das einzugehen, was hier über die verwaltungstechnischen Schwierigkeiten gesagt ist. Ich habe das schon an anderer Stelle gesagt. Ich brauche auch nicht zu wiederholen, daß ich im Auftrage meiner Fraktion darauf hingewiesen habe, welch ein finanzieller Aufwand für das Verwaltungsverfahren erforderlich ist. Die dafür benötigten Mittel hätten wir für andere Dinge sehr viel dringender gebraucht.
Wenn man von einem Kindergeldanpassungsgesetz spricht, dann hätte man sich, nachdem man so trostvolle Worte zu uns gesprochen hatte, um uns zu beruhigen, sich eine bessere Vorlage beschaffen sollen, um nicht noch nachher dieses zweite Anpassungsgesetz machen zu müssen. Mit anderen Worten: am 1. Januar gibt es immer noch Familien, die nicht für das dritte Kind und die weiteren Kinder ein Kindergeld bekommen. Ich sage das in aller Deutlichkeit meine Herren und Damen, weil ich glaube, wir haben uns sehr dagegen zu wehren, daß man uns, weil wir auch dieses Kindergeldanpassungsgesetz, wie ich schon gesagt habe, ablehnen, dann noch der Familienfeindlichkeit zeiht. Nein, gerade weil wir positiv zu der deutschen Familie stehen, wollen wir eine bessere Gesetzgebung in diesem Zeitpunkte.
({3})
- Da können Sie „Oho!" rufen, soviel Sie wollen,
- mein Standpunkt ist, glaube ich, der richtige und wird von sehr vielen, vor allen Dingen von der Mehrheit der Öffentlichkeit draußen, geteilt.
({4})
Man hätte sich vorher einmal über diese Kritik, die wir in der Öffentlichkeit finden, erkundigen sollen, man hätte ein Ohr für die Stimmung haben sollen, die draußen gegenüber diesem Gesetze vorhanden ist. Aber man meint darüber einfach hinwegzukommen, weil man nun einmal die absolute
Mehrheit hat. Ich muß hier geradezu sagen: ich r finde es bedauerlich, daß man anscheinend von dieser parlamentarischen Sicherheit ausgeht.
Wir lehnen dieses Kindergeldanpassungsgesetz ab, weil mit ihm keine gesunde Familienpolitik verfolgt wird und weil gerade von einem solchen Kindergeldanpassungsgesetz, das schlecht ist, das schlecht sein muß, weil das Kindergeldgesetz schlecht ist, die Familien, die auf ein Kindergeldgesetz in einer sozial gerechten Form gewartet haben, nicht befriedigt, sondern nur enttäuscht sein können.
({5})
Schneider: Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU hatte eigentlich nicht die Absicht, bei dieser dritten Beratung noch eine Erklärung abzugeben oder längere Ausführungen zu machen. Aber was hier von den einzelnen Sprechern vorgetragen worden ist, zwingt doch zu einigen wenigen Sätzen. Dabei beziehe ich mich zunächst auf das, was ich schon heute vormittag ausgeführt habe: daß es mir nicht möglich erscheint, daß wir uns in unseren Auffassungen gegenseitig überzeugen. Deshalb hat es auch keinen Wert, jedes einzelne Detail, das an Kritik behandelt worden ist, aufzugreifen und dazu Stellung zu nehmen.
Aber, meine verehrten Damen und Herren, mit größerer Überheblichkeit, als es die verehrte Frau Kollegin Finselberger vorhin getan hat, hätte kaum jemand auftreten können.
({0})
Sie hat sich ganz eindeutig so ausgedrückt, als ob der gesunde Menschenverstand und die Vernunft nur auf der Seite derer lägen, die unsere Vorlage ablehnen.
({1})
Meine Damen und Herren, bei wem der höhere Prozentsatz an gesundem Menschenverstand vorhanden ist, darüber wollen wir uns in keinen Streit einlassen. Das führt zu nichts. Das kann nur die Atmosphäre vergiften und sonst gar nichts.
({2})
Des weiteren ist gesagt worden, es handele sich um eine große politische Verantwortung, die die CDU mit der Durchsetzung dieser Gesetzesvorlagen auf sich genommen habe bzw. auf sich nehme. Jawohl, meine Damen und Herren, wir haben diese politische Verantwortung auf uns genommen. Denn es dreht sich in der Tat letztlich nicht um die Frage der technischen Durchführbarkeit oder Undurchführbarkeit, sondern es ist in Wahrheit eine grundsätzliche politische Verantwortung.
({3})
Da sich der Herr Kollege Atzenroth und nach ihm auch die anderen Sprecher vorhin bei diesem Punkt der Tagesordnung so sehr in die Gesamtmaterie eingelassen haben, muß ich jetzt hier erklären: Die politische Verantwortung, die wir bewußt tragen, geht im Grunde davon aus, daß wir ihre Lösung,
({4})
die eine Lösung über den Staat, über die Finanzämter ist, nicht wollen und nicht mitmachen. Wir wollen die auf dem Grundsatz der Selbstverwaltung und der gegliederten Regelung aufbauende Lösung,
({5})
und wenn Sie hier noch so viel orakeln und sich dabei beziehen auf gewisse schriftliche Auslassungen von Berufgenossenschaften, deren Organe oder deren Geschäftsführungen.
({6})
so darf ich erklären, daß wir auch andere und entgegengesetzte Auslassungen von Berufsgenossenschaften haben.
({7})
Wir haben die Überzeugung, wenn Sie das Gesetz in Ruhe anlaufen lassen - das gilt sowohl für das Kindergeldgesetz selbst als auch für diese Vorlage -, werden Sie in absehbarer Zeit erleben, daß die Dinge viel reibungsloser und mit viel weniger Verwaltungsaufwand über die Bühne gehen, als Sie das heute hier immer wieder der Öffentlichkeit gegenüber wahrhaben wollen.
({8})
Der Herr Dr. Schellenberg stellt sich mit dem ihm eigenen Pathos hierhin und sagt, es sei eine unsoziale Tat, was wir hier tun, weil es eben so kompliziert, weil es so schwierig zu verstehen sei, und deshalb schlage es auch zum Nachteil der Betroffenen aus. Meine Damen und Herren, diese Platte haben wir schon sehr oft gehört.
({9})
Das, was hier dargetan wird, auch wenn sich Herr
Dr. Schellenberg darüber noch so sehr aufregt, ist
- jetzt nach der Wahl allerdings in etwas abgeschwächter Form - dieselbe Art der Propaganda, der zum Teil wahrheitswidrigen Propaganda
({10})
- ich wiederhole: der zum Teil wahrheitswidrigen Propaganda -, wie sie in Ihren Flugblättern vor der Landtagswahl auch zu diesem Thema verbreitet worden ist.
({11})
- Herr Mellies, wir sprechen von diesem Thema.
({12})
- Ich habe nicht von den Berliner Wahlen gesprochen.
Zu einer Zwischenfrage hat das Wort Herr Abgeordneter Schellenberg.
Herr Kollege Horn, zu dem Thema, das hier auf der Tagesordnung steht, habe ich eine Frage an Sie. Ist Ihnen das Schreiben der Berufsgenossenschaft für Einzelhandel bekannt?
({0})
- Ich habe eine Frage dazu. In dem Schreiben wird ausgeführt, daß sich der Mindestbeitrag bei dieser Berufsgenossenschaft von jetzt 8,40 DM durch die Gestaltung des Kindergeldgesetzes auf 33,60 DM erhöhen wird. Die Berufsgenossenschaft schreibt dazu folgendes: „Nach unserer Erfahrung müssen so hohe Beiträge zur Beitragsinsolvenz und damit zur Lähmung der Berufsgenossenschaft" - also der Tätigkeit, um die es primär bei den Berufsgenossenschaften geht - „führen". Was sagen Sie dazu, Herr Horn?
Darf ich eine Zusatzfrage dazu an Herrn Horn richten?
Bitte!
Ist Ihnen bekannt, daß der Bundesverband der freien Berufe am 6. Dezember
- wahrscheinlich auch noch anderen Abgeordneten - geschrieben hat - ich lese nur die letzten Ausführungen vor -: „Die freien Berufe müssen sich vorbehalten, die Rechtsunwirksamkeit dieser Gesetzesbestimmung geltend zu machen,
({0})
weil sie den primitivsten Anforderungen nicht genügt, die an ein Gesetz zu stellen sind, welches einzelne Teile der Bevölkerung zu einer steuerähnlichen Abgabe verpflichtet"?
Meine Damen und Herren, beide Rundschreiben sind mir sehr wohl bekannt. Was das Rundschreiben der Einzelhandelsberufsgenossenschaft angeht, so ist sein Inhalt das Ergebnis gewisser Repräsentativerhebungen, auf die man sich dann gestützt und nach denen man diese mutmaßlichen Berechnungen angestellt hat. Aber, meine Damen und Herren, ich habe auch den Leuten von der Berufsgenossenschaft des Einzelhandels schon persönlich gesagt: wir können die echten Grundlagen erst feststellen, wenn die Familienausgleichskassen in Wirksamkeit getreten sind und dann jede Familienausgleichskasse die wirklichen Grundlagen sowohl für Leistungsgewährung als auch für Beitragserhebung ermitteln kann; das kann sie heute noch nicht. Wir haben inzwischen auch Berechnungen vorliegen - sie beruhen ebenfalls auf Rückfragen bei der Einzelhandelsberufsgenossenschaft -, die zu einem völlig gegenteiligen Ergebnis führen, als es in diesem Rundschreiben des Verbandes dargestellt ist.
({0})
Herr Kollege Horn, ich habe an Sie eine Frage.
({0})
- Ich will ihn etwas fragen. In der Sitzung der Berufsgenossenschaft für den öffentlichen Gesundheitsdienst wurde festgestellt, daß auf Grund des Kindergeldgesetzes - und Herr Horn, ich frage Sie, ob Ihnen das bekannt ist und ob Sie das gewollt haben - die Wohlfahrtsverbände Caritas und Innere Mission von der Beitragsleistung zu dieser Berufsgenossenschaft ausgenommen sind - man kann ja sehr gut von solidarischer Verpflichtung reden - und daß z. B. an den Ausgleichszahlungen an die landwirtschaftlichen Familienausgleichskassen das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische Wohlfahrtsverband zu beteiligen sind. Das heißt also, daß Wohlfahrtsverbände Familienausgleichskassen gewerblicher Berufsgenossenschaften zu stützen haben.
({1})
Meine Damen und Herren, ich habe also erklärt, daß die Grundlagen, die man jetzt der Öffentlichkeit unterbreitet, in der Tat noch keine letzten, endgültigen sein, sondern erst geschaffen werden können, wenn das Gesetz bei den einzelnen Familienausgleichskassen wirksam wird.
Herr Dr. Atzenroth, Sie haben das Rundschreiben des Verbandes der freien Berufe angeführt. Die Frage, ob dieses Gesetz mit den Vorschriften des Grundgesetzes, also der Verfassung, vereinbar ist, ist bei den früheren Beratungen schon mehr als einmal aufgeworfen worden, und es ist dazu Stellung genommen worden. Was die Kreise angeht, die noch nicht einbezogen sind, so besteht seitens des Bundestages der Auftrag an die Regierung, dafür eine Gesetzesvorlage zu machen. Die SPD hat geglaubt, schon einen solchen Vorschlag einbringen zu müssen.
({0})
- Ja, Sie können offenbar in die Zukunft schauen.
({1})
- Ja, ja!
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- Sie haben negative Erfahrungen auf Ihre Art.
Ich bin dem Herrn Dr. Atzenroth weiter keine Antwort schuldig als die: was für Folgewirkungen sich aus der weiteren Entwicklung ergeben, haben wir abzuwarten.
Vorhin wurde insbesondere von Frau Finselberger so nachdrücklich betont, daß diesen Gesetzen Novellen und nochmals Novellen folgen werden. Dazu kann ich nur noch einmal sagen: wir haben auch bei anderen sehr wichtigen Gesetzen schon mehr als eine Novelle erlebt. Wir haben noch nie bestritten, daß wir dann, wenn sich die Notwendigkeit von Korrekturen ergibt, aus unserer Verantwortung heraus nicht zögern würden, solche Novellen dem Hause vorzulegen. Dabei muß ich aber noch einmal nachdrücklich betonen: Die Verpflichtung zur Durchführung dieses Gesetzes, auch zur Behebung gewisser Schwierigkeiten liegt in erster Linie bei den Selbstverwaltungsorganisationen der Familienausgleichskassen und nicht beim Gesetzgeber.
Ich habe nun noch die eine Zwischenfrage zu beantworten, wobei ich jetzt erklären möchte: ich weigere mich, hier diese Debatte zur dritten Lesung durch fortgesetzte Zwischenfragen zu verzögern.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, daß um 14 Uhr 3b die Haushaltsrede des Staatssekretärs des Bundesfinanzministeriums stattfinden soll.
({4})
Bis zu diesem Zeitpunkt müssen wir, glaube ich, hier das Kindergeldanpassungsgesetz verabschiedet haben.
Ich gebe auf die vorhin gestellte Frage nur noch die eine Erklärung: Wenn der Herr Kollege den Beratungen des Kindergeldgesetzes hier gefolgt ist, hat er dabei feststellen können, daß die Verbände, die unmittelbar oder mittelbar als öffentlich-rechtliche Körperschaften im Raum der Kirche stehen, genau so wie die Kirche selber von der Vorlage ausgenommen worden sind, und mehr nicht.
({5})
Damit beende ich meine Ausführungen und beantrage namens meiner Fraktion zur dritten Lesung namentliche Abstimmung.
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Herr Kollege Horn, Sie haben nicht die Frage beantwortet, ob Sie die ungleichmäßige Behandlung der Wohlfahrtsorganisationen wünschen. Im Interesse der Öffentlichkeit möchte ich Sie bitten, die Frage zu beantworten, ob Sie das wollen oder nicht.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe ein dickes Fell, wie Figura zeigt. Sie können soviel rufen, wie Sie wollen!
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, den Redner in Ruhe anzuhören.
Ja, ich habe auch geglaubt, ich sei hier im Deutschen Bundestag!
Ich habe mich recht herzlich dafür zu bedanken, Herr Kollege Professor Schellenberg, daß auch Sie meinen fleißig verbreiteten Satz über den Vorrang der Politik vor dem Fachwissen hier gebraucht haben. Denn darum ging es. Wenn Sie einmal das Protokoll durchlesen und ehrlich bleiben, müssen auch Sie das bestätigen. Ich habe gesagt, daß wir uns auch durch den größeren Fachverstand - den Herr Atzenroth für sich in Anspruch
({0})
nahm, nachdem ich darüber gesprochen hatte, daß wir mit Herrn Lauterbach verhandelt hatten - nicht von unserer politischen Richtung abbringen ließen.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß der Deutsche Bundestag ein politisches Parlament ist und daß jede Partei eine politische Entscheidung zu fällen hat.
({1})
Ich habe eine Zwischenfrage. Herr Schmücker, habe ich vorhin wörtlich zitiert? Ja oder nein?
Sie können mir keine Frage mit ja oder nein vorlegen.
({0})
- Ich habe nicht mitgeschrieben. Ich bin doch kein Lehrer.
({1})
- Das habe ich doch gar nicht bestritten! ({2})
Herr Kollege Schellenberg, wenn ich Sie auch höflich als Professor Schellenberg angeredet habe, brauchen Sie sich mir gegenüber deswegen nicht so aufzuführen. ,
({3})
Ich stehe hier als ein Ihnen gleichberechtigter Diskussionspartner.
Ich will mich bemühen, es Ihnen noch einmal zu sagen. Unser politischer Grundsatz in der CDU/ CSU ist - und davon lassen wir uns auch durch Lautstärke, durch Massendemonstrationen, und was Sie sonst noch wollen, nicht abbringen -, daß der Staat nur so weit eingeschaltet werden soll, wie das unvermeidbar notwendig ist.
({4})
Alles, was andere machen können, sollen andere tun. In der sozialen Gesetzgebung hat es sich gut bewährt, daß man die Selbstverwaltung eingeschaltet hat. Man kann darüber streiten, ob das hier gut oder schlecht ist. Unser politischer Grundsatz ist, daß wir es auch hier versuchen sollen, und wir haben uns bemüht, mit den Bedürfnissen und Belangen der Verwaltung in Übereinstimmung zu kommen. Das hat viele Monate gedauert, und ich selbst habe lange Widerstand geleistet. Aber die letzten Gespräche mit den ersten Experten, Herr Dr. Atzenroth - nicht hier des Hauses, aber draußen -, haben ergeben, daß diese Übereinstimmung möglich ist. Und deswegen haben wir einen guten Grund, unserem politischen Grundsatz, daß wir nur d i e Dinge dem Staat übertragen sollen, die unbedingt er erledigen muß, alles andere aber der Selbstverwaltung geben sollen, treu zu bleiben. Trotz größeren Fachverstandes, den Sie selbstverständlich mir gegenüber haben! Das bestreite ich gar nicht. Aber ich bleibe meiner politischen Auffassung treu, auch wenn Sie mit Ihren Fachargumenten versuchen, meine politische Auffassung zu zerschlagen. Streiten Sie politisch mit mir: staatliche oder nichtstaatliche Lösung? - Ich bin von der Richtigkeit der nichtstaatlichen Lösung fest überzeugt, und wir werden entsprechend das Gesetz durchziehen, auch gegen Ihre Argumente.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war über die Auskunft des Herrn Kollegen Horn doch etwas erschrocken. Nachdem mir einige Kollegen Ihrer Fraktion, Herr Kollege Horn, als ich sie daraufhin ansprach, erklärten, das hätten sie weder gewollt, noch hätten sie das als Auswirkung in ihrem Gesetz so gesehen, hätte ich erwartet, daß der Herr Kollege Horn zum mindesten erklärt hätte, man wolle nicht, daß Wohlfahrtsverbände, die sich ihre Groschen zusammenholen müssen, anderer Leute Familienausgleichskassen finanzieren.
({0})
Sie haben hier bei der Abstimmung über das Kindergeldgesetz mit außerordentlichem Kraftaufwand davon gesprochen, daß man von der Solidarität ausgehen müsse. Es ist sehr billig, das darf ich Ihnen einmal ganz deutlich sagen - es gibt dafür andere Ausdrücke; ich bin noch nicht lange genug in Bonn, um zu wissen, ob sie parlamentarisch sind oder nicht, darum will ich sie nicht verwenden -, es ist sehr billig, meine Damen und Herren, sich in die Brust zu werfen und von solidarischer Haltung zu reden, seine eigenen Verbände aber aus der Schußlinie herauszuziehen,
({1})
und ich weiß noch lange nicht, ob es den führenden Männern der Caritas und der Inneren Mission, die ich beide kenne, recht ist, daß man in bezug auf die Wohlfahrtsverbände, die in ihren Arbeitsgemeinschaften von der gemeinsamen Aufgabe ausgehen, nunmehr eine Trennung macht zwischen den konfessionellen Wohlfahrtsverbänden, die zu den Ausgleichen nicht herangezogen werden können, und den nichtkonfessionellen Wohlfahrtsverbänden, die dafür herangezogen werden müssen. Wenn das I h r Wunsch war, Herr Horn, dann ist das ein ganz elender Mißbrauch Ihrer Mehrheit in diesem Hause.
({2})
Die Situation, meine Damen und Herren, ist doch praktisch die - in der vorigen Woche war die Berufsgenossenschaft, die für die Wohlfahrtsverbände zuständig ist, in Hamburg zusammen -: Caritas und Innere Mission werden aus den Ausgleichsbelastungen sowohl für den Familienausgleichskassen-Gesamtverband als auch für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften herausgelassen, weil sie nach dem Kindergeldgesetz karitative Einrichtungen der Kirche darstellen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt sind nicht Wohlfahrtsverbände aus dem kirchlichen Raum heraus und werden deshalb in diesem Gesetz wie jeder andere Gewerbetreibende behandelt, mit einer einzigen Ausnahme wahrscheinlich; da müssen wir noch auf die Rechtsverordnung warten, darauf,
({3})
ob vielleicht die Bestimmung, wonach der Selbständige, der keine 4800 DM Einkommen hat, frei wird, auch auf Wohlfahrtsverbände angewendet werden darf.
Was bedeutet die unterschiedliche Behandlung der Wohlfahrtsverbände? Sie bedeutet, daß die Helferinnen der Arbeiterwohlfahrt, daß die Helferinnen des Roten Kreuzes, daß die ehrenamtlichen Kräfte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in der Gegend herumschnorren müssen, um die Familienausgleichskassen anderer Leute zu finanzieren. Das ist nicht ihre Aufgabe, und ich erwarte von der CDU-Fraktion sehr, daß sie sich dieser meiner Meinung anschließt.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Meine Damen und Herren! Der verehrte Herr Vorredner hat von - ich weiß nicht - gröblichem Mißbrauch,
({0})
- elendem Mißbrauch oder so etwas gesprochen. Meine Damen und Herren, die Regelung, wie sie das Kindergeldgesetz vorsieht, ist im Ausschuß beschlossen und als Teil der Ausschußvorlage dem Hause vorgelegt worden. Ich möchte jetzt eigentlich den Herrn Kollegen fragen, ob er diese selbe Auseinandersetzung über den elenden Mißbrauch auch schon mit seinen eigenen Freunden geführt hat;
({1})
denn bei der Beratung der Einbeziehung dieser Regelung ist von der verehrlichen Opposition nicht nur nicht widersprochen worden, sondern sie hat erst recht keinen Antrag im Sinne dieser Forderung gestellt, die hier mit solcher Leidenschaft vertreten worden ist.
({2})
Man kann deshalb heute unserer Fraktion keinen Vorwurf daraus machen, daß man es selber übersehen hat, einen solchen Antrag rechtzeitig vorzulegen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horn, ich glaube, Sie haben sich getäuscht. Die Frage der Einbeziehung der karitativen Organisationen hat nach meinem Wissen den Ausschuß nicht beschäftigt, sondern Sie haben den entsprechenden Antrag erst in der dritten Lesung hier im Plenum eingebracht.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, darf ich auch wieder einmal sprechen?
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache zur dritten Lesung. Da keine Änderungsanträge zur dritten Lesung vorliegen, entfällt die Einzelberatung.
Wir kommen zur namentlichen Schlußabstimmung. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({1})
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete da, die noch nicht abgestimmt haben? - Dann bitte ich, sich zu beeilen.
Ich frage zum letzten Mal: sind noch Abgeordnete da, die noch abstimmen müssen? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die namentliche Abstimmung.
({2})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentliche Schlußabstimmung über den aufgerufenen Gesetzentwurf bekannt. Es haben 405 stimmberechtigte Abgeordnete abgestimmt. Mit Ja haben gestimmt 204, mit Nein 197, enthalten haben sich 4. Von den Berliner Abgeordneten haben 18 abgestimmt. Mit Ja haben gestimmt 4, mit Nein 14. Damit ist das Gesetz in dritter Lesung verabschiedet.
({3})
- Bitte, aber die Abstimmung ist ja eigentlich vorbei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte im eigenen Namen als Berliner Abgeordneter die Aufmerksamkeit des Hauses auf den bemerkenswerten Umstand lenken, daß dieses Gesetz, falls man die Berliner Stimmen mitzählte, nicht angenommen sein würde, ein Gesetz, das aber im Lande Berlin ebenso gilt. Ich möchte die Mehrheit fragen, ob sie den Mut hat, ein so nicht durch die wirkliche Mehrheit zustande gekommenes Gesetz als angenommen gelten zu lassen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist der Wunsch an mich herangetragen worden, eine Sitzung des Ältestenrats auf 14 Uhr einzuberufen. Ich tue das hiermit. Der Ältestenrat sollte noch beraten, wie sich die heutige Tagesordnung nach der Rede des Herrn Staatssekretärs im einzelnen gestalten soll. Ich bitte also den Ältestenrat auf 14 Uhr in sein Sitzungszimmer.
Im übrigen unterbreche ich jetzt die Sitzung, da schon 13 Uhr vorbei ist, bis 14,30 Uhr.
({0})
Die Sitzung wird um 14 Uhr 35 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen 58.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3003.
({0})
Sitzung fort. Ich rufe nach einer Vereinbarung dies Ältestenrats auf den Punkt 9 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 ({1}) ({2}).
Meine Damen und Herren, bevor ich dem Herrn Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums das Wort gebe, darf ich mitteilen, daß der Ältestenrat soeben getagt hat, daß einstweilen verabredet ist, den Punkt 7 der Tagesordnung - betreffend Wiedergutmachung - bis nach der ersten Beratung des Haushaltsplans zurückzustellen, daß jetzt die Rede des Herrn Staatssekretärs des Bundesfinanzministeriums zur Einbringung des Bundeshaushalts stattfindet und daß die Aussprache darüber nach der Vereinbarung des Ältestenrats morgen vormittag um 9 Uhr beginnen wird.
Ich darf bitten, daß der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums jetzt das Wort nimmt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abwesenheit des Bundesministers der Finanzen bei Anlaß der heutigen Einbringung des Haushaltsgesetzes 1955 in den Bundestag wird von einem am meisten bedauert, von Herrn Minister Schäffer, der als Rekonvaleszent Erholung von einer plötzlichen und nicht leichten Erkrankung suchen muß. Wer Herrn Minister Schäffer kennt, weiß, daß ihm nichts schwerer fällt als diese augenblickliche Untätigkeit. Wenn daher heute ich die Budgetrede zu halten die Ehre habe, so sei es mir gestattet, sie mit einem herzlichen Gedenken an den abwesenden Bundesfinanzminister zu beginnen, der sich über die kürzlichen Grüße und Wünsche des Hohen Hauses besonders gefreut hat.
({0})
Dem Bundestag darf ich dafür danken, daß die Einbringung . des Haushalts 1955 zu einem ungewohnt frühen Zeitpunkt stattfindet. Wenn ich daran erinnere, daß die erste Lesung des Haushaltsgesetzes 1954 am 22. Januar dieses Jahres stattfand und daß wir den Kampf um die Zeit in diesem Jahr somit um mehr als sechs Wochen gewonnen haben,
({1})
so enthält diese Feststellung zugleich die Bitte, diesen auf Ihren Wunsch erarbeiteten Vorsprung nun auch in den weiteren Beratungen nicht zu verlieren und ,den Haushaltsplan 1955 fristgerecht zum 1. April 1955 zu verabschieden. Daß diese Bitte angesichts der sonstigen Belastung des Hohen Hauses eine Kühnheit ist, ist mir bewußt. Ich möchte aber erneut auf die Bedeutung der Einhaltung der Fristen für die Ordnung der Finanzwirtschaft hinweisen. Deshalb scheint es mir auch im Interesse des Budgetrechts des Hohen Hauses zu liegen, wenn das Ziel eines Übereinanderfallens von Rechnungsjahrbeginn und Verabschiedung des Haushalts mit aller Tatkraft verfolgt wird. Der Haushaltsausschuß hat ja gerade im Vorjahr das schier Unmögliche beinahe zustande gebracht.
Wir haben uns bemüht, die Durcharbeitung und Prüfung des neuen Werks noch mehr zu erleichtern. Der Plan präsentiert sich nicht nur mit einer verminderten Seitenzahl, die den Überblick erleichtern wird, sondern auch mit neuen Allgemeinen Vorbemerkungen im Umfang von mehr als 550 Druckseiten, die auf mehreren ,Gebieten ganz ausführ- 1 liches, frisch erarbeitetes Material enthalten. Worauf es den Verfassern diesmal ankam, darf ich mit zwei Sätzen sagen. Es ist einmal die Klarstellung der volkswirtschaftlichen Grundlagen für die finanzwirtschaftliche Kalkulation und zum anderen die Einzeldarstellung der wesentlichsten haushaltsmäßigen und finanziellen Probleme der Bundesrepublik. Wir glauben auf dem Gebiet des Bundesvermögens die Lücken vom Vorjahr ausgefüllt zu haben, und legen Ihnen hiermit ein Material vor, das bisher nirgendwo vorhanden war. Wir haben diesmal dem Haushalt auch ein Sachverzeichnis beigefügt, unzweifelhaft ein weiterer Fortschritt auf technischem Gebiet.
Die Überreichung des neuen Haushaltsplans durch die Bundesregierung findet in einem Augenblick statt, in dem eine Reihe von Finanzschlachten gerade geschlagen worden sind, allerlei Scherben noch herumliegen und viele Mitglieder des Hohen Hauses sich für eine Bilanz der Gesamtsituation interessieren werden.
Hier darf ich zunächst ein Wort des Dankes äußern, des Dankes an die Damen und Herren des Bundestags, die in den Ausschüssen und im Plenum die Last dieser vielen Arbeit getragen haben, aber auch an die Beamten und Angestellten in den Ministerien. Wir haben uns oft überlegt, ob wir uns nicht alle ein wenig übernommen hatten, als neben den schwierigen laufenden Finanz- und Haushaltsfragen, den Verhandlungen an der Innen- und Außenfront über Besatzungs-, Stationierungs- und Verteidigungsfragen, den Problemen der Liquidation des Krieges, den Auslandsschulden usw., die hinsichtlich ihrer Größe im Urteil der Zeitgeschichte schwankende Steuerreform und die Finanzreform angepackt wurden. Im Interesse der Beteiligten muß ich wirklich einmal sagen, daß das zu Leistende fast über die vorhandene Kraft hinausging. Dabei sind viele gesundheitliche Opfer gebracht worden, von denen niemand spricht. Ich habe den besonderen Auftrag meines Ministers, dieser Arbeit hier mit herzlicher Anerkennung zu gedenken.
({2})
Was zunächst die Steuerreform angeht, so sind ihre haushaltsmäßigen Auswirkungen sehr bedeutsam; ich komme darauf noch zurück. Sowohl der derzeit laufende Haushaltsplan wie der des kommenden Jahres sind durch die Mindereinnahmen ernstlich betroffen. Zu diesen rein zahlenmäßigen Auswirkungen treten die sonstigen Folgen. Das Steuerwesen ist fast noch komplizierter geworden, als es schon bisher war; der Aufwand der Finanzverwaltungen der Länder, der, wie Sie wissen, zu einem ganz wesentlichen Teil zur Zeit noch vorn Bund getragen wird, wird dadurch weiter ansteigen. Die Entlastung der Steuerzahler, die effektiv in der Größenordnung von fast 3,9 Milliarden DM liegt, wird somit leider nicht durch den Wegfall vieler Vergünstigungen und die erhoffte Vereinfachung des Steuerrechts kompensiert; gewiß war auch der Regierungsvorschlag bereits ein Kompromiß. Wenn ich nun nachher feststellen werde, daß der Sozialhaushalt des Bundes weiter angestiegen ist, die Steuerreform aber auch gerade die unteren Einkommensbezieher wesentlich bessergestellt hat, so zeigt sich durch diesen Zusammenklang von Haushaltsmehrausgaben und Haushaltsmindereinnahmen die große Bedeutung eines solchen Zusammenwirkens von Steuerpolitik und Sozialpolitik. Der sozialpolitische Betrachter kümmert sich dann allerdings nicht immer um den Haushaltspolitiker,
({3})
der nun zusehen muß, wie er den durch die Steuerreform geschaffenen Ausfall an Einnahmen wieder wettmacht.
Die Senkung der Einkommensteuersätze und die Herabsetzung des Körperschaftsteuersatzes scheinen gerade vom Haushaltsstandpunkt aus so bedeutsam, daß wohl kaum ein Anlaß besteht, von einer halben Reform und von einer sofort in Arbeit zu nehmenden Weiterführung dieser Reform zu sprechen. In einem Zeitpunkt, in dem starke Einnahmesenkungen und erhebliche "ungedeckte Mehrausgaben aufeinanderprallen, werden weitere Steuersenkungen in naher Zeit wohl nur zugleich mit einer Stabilisierung, wenn nicht Senkung der Ausgaben möglich werden können. Im übrigen dürfte ein dringendes Anliegen sowohl der Wirtschaft wie der Verwaltung bezüglich der Stabilität der Gesetzgebung bestehen, wenn man Steuerpflichtige und Beamte nicht vor fast unlösbare Aufgaben stellen will. Der Bundestag und der Bundesrat haben gesprochen; es kann nicht meine Aufgabe sein, dazu nochmals im einzelnen Stellung zu nehmen. Nun hat die Haushaltspolitik das Wort. Ich muß hier leider gleich sagen, daß sie, wie wir immer angekündigt haben, es schwer haben wird, mit dem neu geschaffenen Zustand befriedigend fertig zu werden.
Anders wäre es mit der Finanzreform gewesen, falls wir auch sie heute als abgeschlossenes Werk vor uns hätten. Es bedarf wohl auch zu diesem Thema keiner Wiederholung der Gründe, die die Bundesregierung zur Einbringung dieser von Ihnen in so bedeutungsvoller Einmütigkeit verabschiedeten Vorlage bewogen haben. Der Entwurf des Bundeshaushalts . berücksichtigt bereits diese Vorlage, als ob sie Gesetz wäre. Sollte die Finanzreform scheitern, so werden sich hiernach haushaltsmäßig nicht unbeträchtliche Folgerungen ergeben. Wie Sie wissen, sind es rund 5 Milliarden DM, die der Bund aufbringt, die aber von den Ländern verwaltet werden, ohne daß der Bund eine ausreichende haushaltsrechtliche Einwirkungsmöglichkeit darauf hat. Hier ist die große haushaltswirtschaftliche Bedeutung der Finanzreform am besten sichtbar. Aber es ist nicht nur das rein Geldliche, es ist auch der ökonomische und rechtliche, fast möchte man sagen: auch der staatspolitische Fortschritt, der uns die Finanzreform so wertvoll gemacht hätte. In Haushaltsangelegenheiten ist jede Trennung von Aufbringung und Verausgabung gefährlich; diese Gefahren können schnell bis in die Wurzeln des Ganzen reichen. Um so wichtiger erscheint in diesem Augenblick ein nochmaliges Bekenntnis der Bundesregierung zu den Grundsätzen ihres Entwurfs zur Finanzreform, insbesondere auch zum Finanzverfassungsgesetz, dem der Bundesrat die Zustimmung versagt hat, ohne den Vermittlungsausschuß anzurufen. Er hat also sogar davon abgesehen, der Konzeption der Bundesregierung und des Bundestages eine eigene Konzeption entgegenzustellen. Wenn in der Beratung im Bundesrat am letzten Freitag auf die Beschlüsse 'des Bundesrates im ersten Durchgang verwiesen wurde, so ist dazu zu sagen, daß durch die Ablehnung des Gesetzentwurfs die ursprünglichen Vorschläge des Bundesrates eben nicht zum Gegenstand der Vermittlung gemacht worden sind. Daher hat die Bundesregierung ihrerseits den Vermittlungsausschuß angerufen. Bei den wiederholten gemeinsamen Besprechungen zwischen Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates hat sich gezeigt, daß die Differenzpunkte eigentlich nicht sehr bedeutend sind.
Die Bundesregierung hat zu verstehen gegeben, daß sie ihrerseits zur Erzielung eines Kompromisses beizutragen gewillt ist.
Die Bundesregierung bedauert, daß der Anschein entstanden ist, als ob sich der Bundesrat der Finanzreform verschließen wollte. Sie hofft, daß die Arbeiten des Vermittlungsausschusses eine echte Vermittlungslösung noch in diesem Jahr, also innerhalb der Frist des Art. 107, ermöglichen werden, und möchte daher lieber davon absehen, in diesem Augenblick die Folgen eines endgültigen Scheiterns ihrer Bemühungen an die Wand zu malen.
Dem Bundestag schulden wir Dank für die fast einstimmige Annahme der Finanzreform. Möchten ihre Grundsätze sich bald durchsetzen, damit auch das bisherige jährliche Tauziehen um den Platz an den finanziellen Quellen in Zukunft nur alle drei Jahre ausgetragen zu werden braucht! Übrigens würde das Risiko einer solchen relativen Stabilisierung ohne Zweifel der Bund tragen.
Daß ich in dieser Budgetrede zunächst gerade auf die Steuerreform und die Finanzreform eingegangen bin, bedeutet nicht, daß der eigentliche Haushaltsplan ihnen gegenüber zurückzutreten hätte. Sie sind ganz einfach ein erheblicher Teil seiner Grundlage. Kein Bundeshaushalt ist denkbar, sei es was die Form seines Zustandekommens, sei es was seinen wesentlichen Inhalt angeht, ohne daß sowohl das in der Steuerreform steckende Problem der Größe des finanziellen Opfers der Staatsbürger und Steuerpflichtigen als auch das Verhältnis von Bundes- und Länderfinanzen unbeachtet bleiben könnte.
Angesichts der großen positiven und negativen Entscheidungen auf den Gebieten der Steuerreform und der Finanzreform ist es schwer, die Profile des Bundeshaushalts 1955, wie Sie ihn jetzt als Entwurf vor sich haben, zu sehen und die in ihm getroffenen Entscheidungen in richtigen Zusammenhang zu stellen. Ich will auch gleich zugeben, daß der Entwurf nicht vollständig ist. Zwei Ergänzungen stehen schon vor der Tür. Die eine betrifft die Erhöhung der Kriegsopferrenten; hier sind wir noch ohne Deckung. Die andere betrifft eine Anzahl kleinerer, aber vielleicht nicht ganz unwichtiger Personalien, über die die Vorlage Ihnen demnächst zugeht. Es handelt sich um 21 neue Stellen, 44 Stellenhebungen und 9 Stellenumwandlungen.
Auch auf der Einnahmeseite werden sicherlich einige Vorbehalte gemacht werden können, nachdem die haushaltsmäßigen Auswirkungen der Steuerreform alle Vorstellungen des Bundesfinanzministers über das Volumen der künftigen Einnahmen weit überstiegen haben. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese Unsicherheitsfaktoren angesichts des sonstigen Standes der Finanzwirtschaft zunächst noch in Kauf genommen werden können. Wir sollten noch einige Monate die finanzwirtschaftliche Entwicklung abwarten und dann im Haushaltsausschuß dieses Hauses entscheiden, welche Folgerungen aus der dann ersichtlichen Lage gezogen werden müssen.
Ehe ich zu den Einzelheiten komme, darf ich eines vorweg sagen. Die Bundesregierung muß mit allem Nachdruck auf gewisse ernste Symptome hinweisen, die sich in der Entwicklung der letzten Wochen gezeigt haben. Sie muß davor warnen, die Leistungsfähigkeit des Bundeshaushalts und die psychologische Bereitschaft der breiten Bevölkerung, finanzielle Risiken einzugehen, zu über({4})
schätzen. Lassen Sie mich gerade diesen Punkt unterstreichen. Jedermann, der die Grundlage seiner Existenz einmal kritisch überprüft, wird feststellen, daß sich gleichberechtigt neben andere wichtige geistige und seelische Faktoren das Bewußtsein der wirtschaftlichen Sicherheit, der Güte der Währung und der finanziellen Stabilität stellt, kurz das Bewußtsein, daß es sich verlohnt, für gewisse Dinge zu arbeiten, sofern sie nur einen sicheren Wert versprechen. Eine solche Erkenntnis verhilft dann leicht zu einer Festigung der Ansichten über die Bedeutung der allgemeinen finanziellen Stabilität bei der Ablehnung kleinerer oder größerer Risiken.
Ich muß Ihnen nun einige Zahlen nennen, die den Zweck haben, den Bundeshaushaltsplan für 1955 auf einer größeren Bühne zu sehen. Zahlen sind ja eindrucksvoll oder eindruckslos, je nachdem sie Beziehungen zu überschaubaren Größen haben. Die erste Frage bei jedem Haushaltsplan einer so großen Körperschaft, wie sie der Bund darstellt, ist, welchen Teil des privaten Wohlstandes man ihr opfern muß. Der Ihnen vorgelegte Gesamthaushalt balanciert bei fast 27,8 Milliarden DM. Damit steigt die Inanspruchnahme des Sozialprodukts zugunsten der staatlichen Ausgaben zwar weiter an, aber nicht mit der Steigerungsquote des Sozialprodukts. Unter Staat darf ich hier einmal Bund, Länder und Gemeinden unter Ausschluß der Sozialversicherung verstehen. Nach ,den Zahlen des Haushaltsentwurfs erhöhen sich je Kopf der Bevölkerung die Ausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts von den 108 Mark, die 1913 festzustellen waren, über 333 RM im Jahre 1928 auf 970 DM im Jahre 1955. Diese erschreckende Zunahme der öffentlichen Gesamtausgaben gegenüber der Vorkriegszeit erklärt sich u. a. aus der Erhöhung des Preisniveaus, der Verteilungsfunktion des öffentlichen Haushalts zur Wiedergutmachung der Kriegs- und Kriegsfolgelasten, aber auch aus einem weiteren Vordringen des staatlichen Bereichs in die private Sphäre.
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Gelegentlich macht man die Bürokratie für diesen Marsch des Staates in das Privatleben verantwortlich. Schuld daran hat aber wohl das immer mehr um sich greifende Bestreben, bei jeder Schwierigkeit staatliche Hilfe zu fordern. Die Politik der sozialen Marktwirtschaft bringt, wenn sie für eine gut florierende Wirtschaft sorgt, mittelbar eine größere Abhilfe für wirtschaftliche Nöte, als dies eine Vielzahl staatlicher Hilfsleistungen besorgen können. Aber der immer weiter anwachsende Haushalt zeigt, wie schwer jede Aktion für eine Umkehr des bisherigen Weges ist. Fragen Sie sich bitte selbst, wenn hier gelegentlich von interessierter Seite auf die oder jene Million für den einen oder anderen kleinen Zweck gedrängt wird, ob dies vom höheren Standpunkt aus vertretbar ist. Die Steuerbelastung, die diese großen Ausgaben mit sich bringen, wälzt sich oft auch auf die Minderbemittelten ab. So kann auch der Haushalt 1955 nur mit der Fragestellung hier eingeführt werden, ob die Abwehrkraft gegen eine weitere Inanspruchnahme des Volkseinkommens für staatliche Zwecke stark genug war. Es wäre dringend erwünscht, wenn jetzt nach der Verabschiedung der steuerreform die an ihrer Weiterführung besonders interessierten Kreise sich zunächst mit weit größerem Nachdruck als bisher mit der Gestaltung der Ausgabenwirtschaft aller öffentlichen Körperschaften, insbesondere des Bundes, befaßten.
Hier interessiert vielleicht, da eben vom öffentlichen Gesamthaushalt die Rede war, welche Prozentsätze auf den Bund daraus entfallen. Aus diesen Zahlen ist eine zweite wichtige Tendenz zu erkennen. 1913 war der Anteil des Reiches noch rund 33 %; 1928 waren es wegen der Folgen des ersten Krieges rund 40 %; 1955 sind es reichlich 51 %, unter Zurechnung des Lastenausgleichs sogar 57 %. Der Länderanteil am öffentlichen Gesamthaushalt blieb demgegenüber recht stabil und belief sich 1928 ebenso, wie es 1955 ist, auf rund 23 %. Der Anteil der Gemeinden und Gemeindeverbände dagegen sank von 1913, wo er 39 % betrug, auf 37 % im Jahre 1928 und von da aus weiter und sinkt auf 20 % im komm den Jahr. Diese relative Minderung der kommunalen Eigenausgaben darf aber nicht beunruhigen. Hinter ihr steckt die Tatsache, daß sich die in diesem Jahrhundert besonders schweren Kriegs- und Kriegsfolgelasten eben beim höchsten Verband, beim Reich und beim Bund, konzentriert haben. Die Bedeutung der kommunalen Verwaltung ist jedenfalls größer, als der Anteilssatz der kommunalen Ausgaben erkennen läßt. Die Entwürfe des Finanzverfassungsgesetzes und des -anpassungsgesetzes hatten sich bemüht, die Finanzverantwortung der Länder und Gemeinden zu heben und die übermäßige Ausweitung des Zentralhaushalts durch die Verlagerung von Aufgaben zu verhindern. Eine Grenze bilden hier allerdings das Grundgesetz sowie die Vielheit der den Bund selbst treffenden vertraglichen Verpflichtungen und Schulden.
Die mit diesem harten Zugriff der öffentlichen Hand abgeschöpften Steuerbeträge fließen natürlich wieder in die Privatsphäre zurück, sei es in Form von öffentlichen Aufträgen oder von Unterstützungszahlungen.
Zunächst einmal ein Blick auf die Höhe dieses Zugriffs: Durch Steuern und Zölle einschließlich der Lastenausgleichsabgaben, aber ohne die Sozialbeiträge wurden abgeschöpft: 1913 7,6 %, 1928 15,1 %, 1938 22,6 %, 1953 26,4 % des Bruttosozialprodukts.
Mit Hilfe dieser Abschöpfungen fanden gewaltige Einkommensumschichtungen statt, die wirtschaftund konjunkturpolitisch erwünscht waren, aber den unvermeidbaren Reibungsverlust hatten, wie ihn jeder Zwangseingriff mit sich bringt.
Die jetzige Steuerreform hat sich bemüht, die mit einem so hohen Zugriff versehenen Nachteile zu einem Teil zu beseitigen. Die Bundesregierung ist ehrlich erfreut, daß die Steuererleichterungen gerade auch den wirtschaftlich Schwachen zugute kommen, die natürlichen Wettbewerbsbedingungen bessern und die Leistungsfreude der selbständig und unselbständig Tätigen erhöhen. Um auch diesen, statistisch sehr schwierigen Punkt wenigstens in einer Zahl zu verdeutlichen, möchte ich sagen, daß der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttosozialprodukt sich von 26,4 % in 1953 auf 24,3 % in 1955 senken wird. Manchem mag dies vielleicht nicht umfangreich genug erscheinen, aber dann darf ich gleich die Frage stellen, zu welchem Verzicht auf öffentliche Ausgaben diese Kritiker bereit sind. Nur auf öffentliche Einnahmen zu verzichten, ist nämlich leicht.
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Der Bundeshaushalt 1955, wie ihn die Bundesregierung Ihnen vorschlägt, stellt sich mit seinen 27,8 Milliarden DM recht stattlich in den Gesamt({7})
haushalt aller Gebietskörperschaften der Bundesrepublik hinein, der 1955 48 1/2 Milliarden DM betragen wird. Der Gesamthaushalt ist damit doppelt so groß wie 1949 vor Gründung des Bundes. Wenn man sagen. kann, daß damals die Staats- und Verwaltungsaufgaben noch unterentwickelt waren, muß man heute leider sagen, daß sie vielfach überentwickelt sind.
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Im Rechnungsjahr 1951, nämlich im Anschluß an die Korea-Krise, war der Zuwachs mit fast 30 % am größten. Der öffentliche Gesamthaushalt hat sich seitdem im Zuwachs stark verlangsamt und liegt 1955 nur wenige Prozent über dem jetzigen Jahr. Das Bundesfinanzministerium legt Ihnen in den Allgemeinen Vorbemerkungen erstmals diesen Gesamthaushalt vor, weil es sich davon gute Wirkungen bei der Kalkulation der Bundesausgaben für die verschiedenen Zwecke verspricht. So manches, was im Bundeshaushalt groß erscheint, ist im öffentlichen Gesamthaushalt nur von mittlerer Größe und umgekehrt. Gegenüber der wesentlich höheren Zahl im Bundeshaushalt stehen die Sozialleistungen beispielsweise im öffentlichen Gesamthaushalt nur mit 23 v. H. zu Buch. Der Verwaltungsaufwand, der im Bundeshaushalt kaum nennenswert ist, steht im Gesamthaushalt ebenfalls mit 23 %. Dies bedeutet, daß der persönliche und sächliche Verwaltungsaufwand bei Ländern und Gemeinden weit über dem Bundesdurchschnitt liegt, angesichts der Verschiedenheit der Aufgaben auch wohl liegen muß. Den Kritikern dieser Verwaltungsausgaben aber darf ich sagen, daß trotz des Aufbaus der Bundesverwaltung, der Vergrößerung des Bundesgrenzschutzes und trotz mehrfacher Lohn- und Gehaltsanpassungen der Anteil der Verwaltungsausgaben in der gesamten öffentlichen Hand von 1949, wo er 27 % betrug, auf die eben genannten 23 % im Jahre 1953 gesunken ist.
Wenn ich Ihnen schon den Bundeshaushalt im Rahmen des öffentlichen Gesamthaushalts vorführen darf, kann ich auch gleich zu den öffentlichen Investitionen sprechen, deren Höhe und Art für den Finanzkritiker ein wichtiger Anhaltspunkt sind. Gerade hier ergeben sich zu dem Streit zwischen Bund und Ländern über die Höhe des Finanzbedarfs interessante Beiträge.
Die Investitionsausgaben der öffentlichen Hand sind seit 1949 auf das Zweieinhalbfache gestiegen. 1949 wurden sie nur zu knapp einem Fünftel durch Schuldaufnahme, Vermögensveräußerung und Entnahmen aus Rücklagen gedeckt; 1954 waren es schon drei Fünftel. Die Entlastung des Steuerzahlers, die darin liegt, ist also sehr erheblich. Gleichzeitig steckt darin eine Minderung der öffentlichen Investitionsförderung zugunsten der privaten Investitionstätigkeit. Wenn einzelne Kritiker behaupten, daß öffentliche Investitionen schon bisher unnötig gewesen seien und daß hier nur eine ungerechtfertigte Bereicherung vorliege, so möchte ich das durch einen Hinweis auf die Zusammensetzung der öffentlichen Investitionen widerlegen. Es entfielen nämlich 1952, im letzten Jahr genauer Feststellungen, auf den Wohnungsbau 42,5 %, auf Verwaltungsbauten einschließlich Schulen, Krankenhäuser usw. 24 %, auf das Verkehrswesen 13,8 %, auf die Wirtschaftsförderung, den Wasser-und Kulturbau 12,1 %, auf Versorgungsbetriebe und andere öffentliche Unternehmen 7,9 %.
Diese Investitionen waren also zwar volkswirtschaftlich wertvoll, aber privatwirtschaftlich weitgehend unrentabel und somit für die Privatwirtschaft ohne Interesse. Daß die Finanzierung der Investitionen durch öffentliche Anleihen früher nicht möglich war, ist dem Hohen Hause zur Genüge bekannt. Die Tendenz zur Anleihe ist jetzt überall im Steigen begriffen.
Ich darf vielleicht mein Thema, Ihnen den Bundeshaushalt 1955 vorzuführen, noch ein wenig vernachlässigen, indem ich vorher noch an eine Frage herangehe, die viele Sorgen verursacht hat, nämlich die Geldfülle der öffentlichen Hand. Ich werde später zum Stand der Finanzwirtschaft in diesen Monaten sprechen, dies aber unter haushaltsmäßigen Gesichtspunkten, und mich jetzt also vorweg den vielbesprochenen öffentlichen Guthaben zuwenden. Bei der Erörterung dieses Themas in der Öffentlichkeit sind ungezählte Male Kasse und Haushalt verwechselt worden.
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Ein Unternehmen kann gesund sein und kein Geld haben, es kann krank sein und viel Geld haben. Dieses schlichten Unterschieds zwischen Haushalt und Kasse sollte man sich immer bewußt sein.
Zunächst einmal die Frage, ob die Guthaben nichtverbrauchte Mehreinnahmen der öffentlichen Hand sind. Die Frage ist zu verneinen. Zwar ergaben sich bei Bund, Ländern und Gemeinden insgesamt im Jahre 1952 Mehreinnahmen von 1,8 Milliarden DM, 1953 solche von 1 Milliarde DM. Im Jahre 1954 schrumpfen aber die Mehreinnahmen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf 200 bis 300 Millionen DM zusammen. Die öffentlichen Einlagen sind für Ende September 1954 von der Bank deutscher Länder auf 11,5 Milliarden DM beziffert. Ein solcher Anstieg der öffentlichen Bank- und Spareinlagen kann durch Mehreinnahmen also nicht erklärt werden.
Was zunächst die Kassenbestände des Bundes angeht, so sind sie jedem Monatsbericht meines Hauses zu entnehmen. Sie machen nur etwa ein Viertel bis ein Drittel der gesamten öffentlichen Guthaben aus. Der Bund hat nur Konten bei der Bank deutscher Länder, und er weist alle Kontenstände offen aus. Man glaubt es ihm oft nicht, aber es ist so. Wir ermächtigen ausdrücklich jeden, sich jederzeit über die Höhe der Bundeskonten Gewißheit zu verschaffen. Die Ursache der Höhe des Kassenbestandes des Bundes sind ausschließlich die Besatzungskostenrückstände. Das Defizit der Haushaltswirtschaft des Bundes würde sofort offen sichtbar werden, wenn die Alliierten etwa ihr Gesamtguthaben heute verlangten.
Anders gesagt: die Kassenbestände des Bundes reichen zur Deckung der Besatzungskostenrückstände nicht aus. Ich komme auf den Fall in anderem Zusammenhang noch zurück und will einmal so formulieren, daß bei einigen Kritikern weniger dieser Besatzungskostenüberhang als die Tatsache eine Rolle spielt, daß der Bund mit diesem Geld bis zur endgültigen Verwendung angeblich nichts anfängt.
Dazu kann ich sagen: Was der Bund mit diesen Geldern anfängt, hat nicht der Bundesfinanzminister allein zu entscheiden, sondern ist in mehreren Beratungen mit dem Bundeswirtschaftsminister und der Bank deutscher Länder festgelegt worden. Angesichts der Verflüssigung des Geldmarktes durch die ständigen Zahlungsbilanzüberschüsse
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erschien es währungspolitisch geboten, die bei der Bank deutscher Länder ruhenden Kassenbestände des Bundes keiner anderen Verwendung, auch nicht einer zwischenzeitlichen, zuzuführen, sondern sie als Gegengewicht gegen die unvermeidliche Finanzierung der Ausfuhrerlöse bei der Notenbank zu lassen.
Dies ist die Kassenseite. Was nun die Haushaltsseite angeht, so liegen nach den Versicherungen der Alliierten nicht nur Projekte, sondern fest eingegangene Verpflichtungen vor, deren Finanzierung sich allerdings der Natur der Sache nach, insbesondere bei umfangreichen Baumaßnahmen, wie Flugplätzen, Kasernen, Munitionsniederlagen und sonstigen Depots, Lazaretten, Wohngebäuden einschließlich Zusatzgebäuden, wie Schulen, Messen, Verkaufsläden, Kirchen usw., auf Jahre erstreckt. Hier handelt es sich, was ich besonders betonen möchte, im wesentlichen um Verpflichtungen gegenüber deut sch en Unternehmern und Arbeitnehmern, um Zahlungen an deutsche Hersteller und Lieferanten und an Besatzungsgeschädigte aller Art. Der Überhang kann daher schon aus diesem Grunde haushaltsmäßig nicht für andere Zwecke Verwendung finden. Eine solche Verbreiterung des Haushalts würde bedeuten, auf eine sehr gefährliche Situation in der Zukunft zuzusteuern, nämlich die gleichzeitige Finanzierung eines um so viel breiteren Bundeshaushalts u n d die Abtragung der Besatzungskostenrückstände. Wir sollten uns auch endlich nichts darüber vormachen, daß der Überhang für die vorhin genannten Zwecke voll benötigt wird. Erlauben Sie mir hier ein offenes Wort. Die Stabilität der Finanzwirtschaft des Bundes, die meinem Minister so sehr am Herzen liegt, ist ein Geschenk, das gewiß durch viele Opfer erkauft, aber auch durch einige glückliche Zufälle errungen wurde. Mit Gewalt sollte man die Konstruktion, die zu dieser Solidität geführt hat, nicht ändern wollen. Vorhin schon durfte ich auf die Risiken hinweisen, die sich aus einer anderen Handhabung ergeben würden, auch für die psychologische Seite der großen Öffentlichkeit.
Beim Bund sind die Gründe für die Kassenfülle leicht zu erkennen, bei den übrigen Gebietskörperschaften zum Teil auch. Z. B. besteht für annähernd 25 000 Gemeinden und Gemeindeverbände und rund 2230 Träger der Sozialversicherung, auf deren Finanzgebarung der Bund keinen Einfluß hat, eine gesetzliche Verpflichtung zur Bildung von Rücklagen. Ich möchte aber auf weitere Einzelheiten nicht eingehen.
Überschaue ich nun die Gesamtsituation, wie sie im gegenwärtigen Augenblick besteht, so scheint mir, daß wir uns angesichts der vollzogenen Steuerreform und andererseits wegen der zur gleichen Zeit auf den Bundeshaushalt zukommenden neuen Aufgaben und Ausgaben, vornehmlich wegen der bevorstehenden Verteidigungswirtschaft, an einem Wendepunkt befinden. Wir Finanzmänner treten in diese neue Epoche nicht ohne große Beklemmung ein; ich werde das am Schluß nochmals zusammenfassen. Niemand möchte es erleben, daß wegen etwaiger großer Ausgaben in der nahen Zukunft die Einnahmeseite des Bundes in anderer Richtung erneut bewegt werden müßte. Aber es sind auch neue und gesunde Elemente da. Zu ihnen gehört die wachsende Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes. Der Abruf von Besatzungskosten wird sich volkswirtschaftlich belebend auswirken. Die Entlastung der Steuerzahler um die vorhin genannten fast 3,9 Milliarden DM durch die Steuerreform wird die Leistungsfreude heben und die Kaufkraft aller Bevölkerungsschichten verbessern. Trotz dieser gesunden Elemente ist aber für den Haushalt der Bundesrepublik bei diesem Marsch in die Zukunft eine Voraussetzung, daß dem Bund eine Möglichkeit bleibt, die Finanzkraft der Bevölkerung für die Lösung zentraler Aufgaben selbstverantwortlich, also ohne die Zustimmung der Länder, einzusetzen. Diesen Erwägungen entstammt die sogenannte Ergänzungsabgabe, die diesmal die schwierige Aufgabe des Haushaltsausgleichs übernommen hat.
Ich muß in diesem Augenblick zunächst einen Blick auf das hinter uns liegende Rechnungsjahr werfen. Dieses Rechnungsjahr 1953 war für die Finanzwirtschaft des Bundes, betrachtet man es in seiner Gesamtheit, nicht ohne Erfolg. Zwar sieht das rechnungsmäßige Ergebnis mit einem Minus von 2,075 Milliarden DM sehr schlecht aus; aber in diesem Fehlbetrag stecken die Defizite der ganzen letzten Jahre einschließlich des sehr schlechten Jahres 1951. Mit Zustimmung des Haushaltsausschusses haben wir das bisher immer noch nicht abgedeckte Kassendefizit aus 1951 mit rund 1 Milliarde DM aus den Haushaltsmitteln 1953 gedeckt, besser gesagt: zum Teil gedeckt, da immer noch rund 640 Millionen DM kassenmäßiger Fehlbetrag verblieben sind. Die übrigen rund 1430 Millionen DM sind Ausgabereste, also aufgeschobene Ausgaben, die uns bei ihrer Durchführung im laufenden Jahr die Kasse belasten. Wir zeigen nun in den Allgemeinen Vorbemerkungen diese Reste in aller Deutlichkeit. Wer sie in den Einzelheiten studiert, wird feststellen, daß wir sie zu einem ganz überwiegenden Teil bedienen müssen. Bezeichnet man einmal den Haushaltsplan als einen Befehl der Legislative an die Exekutive, so dürfte ich hiermit melden, daß der Befehl mit ganz geringen Ausnahmen vollzogen ist.
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Die Hauptausnahme liegt auf dem Verteidigungsgebiet, auf dem wir durch die Differenz zwischen den Besatzungskosten und den veranschlagten Verteidigungsausgaben ein Plus von rund 1750 Millionen DM gemacht haben. Dieses Plus hat genau so wie im laufenden Jahr 1954 zur Befriedigung des außerordentlichen Haushalts gedient, dessen erwartete Anleiheerlöse ausgeblieben sind. Zur haushaltsrechtlichen Seite, die in den finanzpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Monate eine gewisse Rolle gespielt hat, weise ich darauf hin, daß die Haushaltsordnung den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg förmlich verlangt. Dem Finanzwirtschaftler scheint es auch fast selbstverständlich, daß man keine Schulden machen darf, wenn man Überschüsse im ordentlichen Haushalt hat. Gewiß bedeutet es eine Überforderung des Steuerzahlers, wenn man Vorhaben, die regelmäßig durch Schuldaufnahme finanziert werden, aus Steuereinnahmen bestreitet. Jegliche Folgerung aus dieser Erkenntnis scheitert aber daran, daß es kein Heilmittel dagegen gibt. Außerdem stecken in den Vorhaben des außerordentlichen Haushalts unaufschiebbare und unabweisbare Leistungen, die so oder so finanziert werden müssen. Sich aber vorzustellen, daß der Bund trotz seiner Geldfülle noch Anleihen aufnimmt, um einer Überforderung des Steuerzah({12})
lers vorzubeugen, würde bedeuten, die vollen Kassen noch weiter zu füllen.
In den Allgemeinen Vorbemerkungen sind die Gebiete genau behandelt, auf denen sich die öffentlichen Ausgaben im Jahr 1953 bewegt haben. Ich will Sie damit hier nicht aufhalten, sondern lieber das jetzt laufende Jahr betrachten. Aus diesem kurzen Abtun bitte ich aber nicht den Eindruck zu gewinnen, daß die Bundesregierung das gründliche Studium der Rechnungen der zurückliegenden Jahre nicht für sehr wichtig hielte. Ich möchte sogar so weit gehen, daß ich ganz grundsätzlich das Studium eines Voranschlags ohne gleichzeitige Prüfung der früheren Rechnungen für unzureichend halte.
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Das Hohe Haus hat in diesem Jahr erstmals den Versuch unternommen, das Auge des Parlaments und der Öffentlichkeit auf diese Rechnungen zu richten; Rechnungen sind oft noch interessanter als Voranschläge.
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Was also das Rechnungsjahr 1954 angeht, so hat es sich bisher insoweit wie seine Vorgänger entwickelt, als das Schwergewicht vieler Ausgaben erst in den jüngsten Wochen und Monaten spürbar geworden ist. Die Einnahmeschätzungen des Haushalts haben sich bis jetzt mit einer bemerkenswer ten Präzision als richtig erwiesen. Zwar liegen die effektiven Einnahmen noch hinter den Sollansätzen des Haushaltsplans, wir hoffen aber, daß die Nachzügler, also die kommenden Monate, das Minus von über 500 Millionen DM aufholen werden. Mir scheint jedenfalls, daß die Einnahmen, wie wir es gewohnt sind, an die den inzwischen eingetretenen Rechtsänderungen angepaßten Schätzungen herankommen. Der Ausfall durch die Steuerreform wird im Haushaltsjahr 1954 für den Bund etwa 115 Millionen DM ausmachen, kann aber auch mehr sein; so ganz kann man eine Einnahmeentwicklung in Verfolg einer so großen Steuersenkung nicht voraussagen. Die große Einsparung auf dem Verteidigungssektor, die durch das verspätete Inkrafttreten des Verteidigungsvertrages eintritt, wird, wie in dem vergangenen Jahr, auch diesmal wieder für den außerordentlichen Haushalt benötigt, zugleich aber auch als Ausgleich dafür, daß der Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf 38 % gegenüber den veranschlagten 42 % herabgesetzt ist.
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- Sehr richtig, Herr Dresbach. - Beides, die Minderausgaben und die Mindereinnahmen, gleichen sich leider schon nicht mehr aus, sondern bringen der Bundeskasse ein Minus, das zu unserem weiteren Bedauern durch zusätzliche Ausgaben noch erhöht wird. Das Hohe Haus hat sich mit den finanziellen Anforderungen aus Anlaß der Ernte- und Hochwasserschäden befaßt. Die Arbeitslosenfürsorge kostet uns erheblich mehr, als im Voranschlag steht. Das Rentenmehrbetragsgesetz wirkt sich schon im laufenden Haushalt aus. Ganz besonders fühlbar aber ist die Erhöhung der im Bundeshaushalt 1954 veranschlagten Beiträge zu den Steuerverwaltungskosten der Länder nach dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses. Nicht weniger als 165 Millionen DM kostet diese von der Bundesregierung nicht erwartete Maßnahme. Die Roggenablieferungsprämie und sonstige kleinere Ausgaben im Agrarhaushalt kommen hinzu. Fasse ich alles zusammen, so hat sich der so gesunde Haushalt 1954 trotz der Verteidigungsersparnis in einen Defizithaushalt mit einem voraussichtlich mehrere hundert Millionen DM betragenden Fehlbetrag verwandelt. Ich weiß, daß dies alles leider nicht so ernst genommen wird, wie das in sozusagen „normalen Jahren" der Fall wäre. Wird uns diese normale Zeit noch lange fernbleiben? Leider müssen wir mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die schöne Zeit der „freundlichen Zufälle" jetzt vorüber ist und daß für die deutsche Finanzwirtschaft der volle Ernst beginnt.
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Angesichts der Erhöhung des ordentlichen Haushalts um rund 1 Milliarde DM gegenüber idem Vorjahr wird es der unbefangene Beobachter kaum verstehen, wenn man den Haushalt 1955 als den Haushalt der Steuerreform bezeichnet. Der Planentwurf hat diesmal außerordentliche Schwierigkeiten mit sich gebracht, weil der Ausfall auf der Einnahmeseite trotz der Entwicklung der Zölle und einiger Verbrauchsteuern zu ungewöhnlichen Maßnahmen beim Zustandekommen des Budgets nötigte. Wir mußten zunächst die vielen unabweisbaren neuen Ausgaben sicherstellen. Da diese weit über die Mehreinnahmen, also den Saldo der Einnahmeminderungen und Einnahmeerhöhungen, hinausreichten, mußten Kürzungen des Ausgabeplafonds 1954 stattfinden. Was dies für eine große Verwaltung praktisch bedeutet, weiß nur der Kenner der Materie.
Der Haushaltsentwurf steht nun ausgeglichen vor Ihnen. Aber ich sagte schon einleitend, daß dieser Ausgleich etwas fragwürdig ist, nachdem die Steuerreform noch in der allerletzten Phase Veränderungen gebracht hat, die gegenüber den Haushaltsansätzen mit einem Minus von rund 570 Millionen DM zu Buch schlagen und auch mit dem größten Optimismus nicht in einem noch so phantastischen Sozialprodukt ausgeglichen sind.
Auf der Ausgabeseite sind es die schon einmal erwähnten Kriegsopferrenten, die nach Auffassung der Bundesregierung in der angemessenen Höhe noch finanziert werden müssen. Aber auch auf der Lohn- und Gehaltsseite der Bundesverwaltung sind Sorgen aufgetaucht, auf die ich in anderem Zusammenhange zurückkommen werde. Alle diese Dinge zusammen dürfen - das möchte ich erneut betonen - an dem stabilen Charakter des Haushalts 1955 nichts ändern. Betrachte ich außerdem das alte Defizit von rund 2 Milliarden DM und die eben genannten Verschlechterungen des Haushalts 1954 in Verbindung mit diesen Mindereinnahmen und Mehrausgaben 1955, so ergibt sich doch ein Bild, das zu harten Konsequenzen bei der kommenden Wirtschaftsführung des Bundes nötigt.
Was darf ich Ihnen nun als besondere Merkmale des Bundeshaushalts 1955 nennen? Ist es die Nichteinstellung des alten Defizits, an die sich Parlament und Finanzverwaltung allmählich in bedenklicher Weise zu gewöhnen scheinen? Sind es die hohen Einnahmeschätzungen, die beispielsweise bei der Umsatzsteuer auf ein erhofftes Plus von 900 Millionen DM heraufklettern? Ist es die Steigerung im Sozialhaushalt oder die Kürzung so vieler lieb gewordener kleiner Ausgabetitel? Ist es der Wegfall von Schuldverschreibungen an die Bundesanstalt und die Rententräger und die Tatsache, daß an deren Stelle nun Barleistungen treten mußten?
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Ich darf diese Fragen einmal offenlassen und den Bundeshaushalt 1955 zunächst mit den Augen des Bundesrates betrachten. Da ist vorweg gleich festzustellen, daß die Bundesregierung, abgesehen von Kleinigkeiten, auch nicht einem einzigen wesentlichen Vorschlag des Bundesrates zustimmen konnte. Die Gründe dafür sind sehr einfach. Nachdem die Bundesregierung mit größter Mühe den Haushalt ausgeglichen und zu der bitteren Maßnahme einer besonderen neuen Bundessteuer, nämlich der Ergänzungsabgabe, gegriffen hat, muß es bei allem Verständnis für die Situation der Länder, die durch die Steuerreform noch stärker als der Bund getroffen werden, erstaunlich und befremdend klingen, wenn der Bundesrat aus dem ordentlichen Teil des Bundeshaushalts nicht weniger als 567 Millionen DM fortbewegt, also praktisch gestrichen hat. Denn eine Bedienung des außerordentlichen Haushalts durch Anleihen in noch höherem Maße, als wir es vorgesehen haben, also über 1568 Millionen DM hinaus, ist doch angesichts der Lage des Kapitalmarkts völlig ausgeschlossen und wäre aus Rücksicht auf die Kapitalbedürfnisse der Privatwirtschaft auch gar nicht zu verantworten. Ich muß mir, um das schwierige Verhältnis zu den Ländern nicht noch weiter zu belasten, . hier größte Zurückhaltung auferlegen, darf Sie aber bitten, die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesen Anträgen des Bundesrates besonders sorgfältig zu beachten.
Die vom Bundesrat angeregten Streichungen im Bundeshaushalt ergeben ziemlich genau . den Betrag, der einer Senkung des Bundesanteils von 40 auf 36 % entspricht, und man fragt sich, ob dies ein Resultat oder ein Ausgangspunkt war, ein erarbeitetes Ergebnis oder ein angestrebtes Ziel, wie das bei der Bilanzaufstellung gehandhabt zu werden pflegt.
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Die Liquiditätshilfe für die Bundesbahn, um ein Beispiel herauszugreifen, soll in den außerordentlichen Haushalt, was finanzwirtschaftlich etwa bedeutet, daß man, was völlig unwahrscheinlich ist, mit der Rückkehr dieser Summe in die Bundeskasse rechnet.
Der Bundesrat wünscht ferner, die bekannten 200 Millionen DM für das Kriegsfolgenschlußgesetz im Hinblick auf das erwartete späte Inkrafttreten dieses Gesetzes auf 100 Millionen DM zu ermäßigen. Ist es unrealistisch, wenn die Bundesregierung im Hinblick auf feste Zusagen, die auch den ausländischen Gläubigern gegeben waren, annimmt, daß der Betrag von 200 Millionen DM schon im ersten Jahr für Zinsleistungen ab 1. Januar 1955 sowie für den Härtefonds bei den nicht verbrieften Verbindlichkeiten des Reichs und zugunsten der Demontage- und sonstigen Geschädigten mit Sicherheit benötigt wird? Oder erscheint es realistisch, mit dem Bundesrat auf eine Senkung von Versorgungsausgaben um 50 Millionen DM oder auf eine Erhöhung der Abschöpfungsbeträge von 383 Millionen DM um sage und schreibe 17 Millionen DM auf 400 Millionen DM oder auf eine Rückeinnahme aus Betriebsmittelzinsen von 50 Millionen DM zu hoffen? Darf man auch bei den Zöllen, die der Bundesrat um 150 Millionen DM erhöhen will, auf eine Unwirksamkeit der vielen, die jetzige günstige Entwicklung verlangsamenden Funktionen rechnen? Oder sollten wir nicht recht haben mit der Behauptung, daß alle Zölle wie überhaupt alle Steuern für die Schätzung eine Einheit bilden und daß man nicht an einem einzigen Punkt erhöhen kann, ohne eine andere Einnahme senken zu müssen. Aber ich möchte, wie gesagt, über dieses Thema der Anträge des Bundesrates nicht ausführlicher sprechen, sondern nur feststellen, daß die Länder dem Bund offenbar nur einen Bundesanteil von 36 % zur Verfügung stellen wollen. Hier zeigt sich die staatspolitisch wie finanzwirtschaftlich bedenkliche Abhängigkeit des Bundes vom guten Willen und von der Einsicht der Landesregierungen, ihr Zustimmungsrecht im Geiste bundesstaatlicher Zusammenarbeit zu handhaben.
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In diesem Punkte liegt für den Bundeshaushalt ein Risiko großen Ausmaßes.
Damit im Zusammenhang steht das Risiko der hohen Steuerverwaltungskosten, von denen ich vorhin sprach. Da der Haushaltsentwurf auf den Beschlüssen des Bundestages zur Finanzreform aufgebaut ist, gewisse Leistungen des Bundes also auf die Länderseite, gewisse seitherige Länderleistungen auf den Bund verlagert, kommt es zur Feststellung der finanziellen Auswirkungen immer auf den Saldo zwischen beiden an. Dieser beträgt zusätzlich 125 Millionen 'DM, die also zu den 4 % fehlenden Bundesanteilen hinzutreten. Das macht dann rund 400 plus 125 gleich minus 525 Millionen DM. Man möchte, ohne dramatisch zu werden, hier von ungewöhnlichen Schwierigkeiten bei der Ordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sprechen. Es liegt mir fern, hier den Ländern zu nahe zu treten; sie haben sicher auch ihre Sorgen. Aber der Bund scheint mir insgesamt doch in eine unerträglich schwierige Lage gedrängt. Sollte die finanzielle Auseinandersetzung mit dem Bundesrat über die Bemessung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer nicht zu einem für den Bundeshaushalt tragbaren Ergebnis führen, so würden Ausgabenabstriche im Bundeshaushalt unvermeidlich werden, da die Ergänzungsabgabe das Maß ihrer Beschränkung in sich selbst trägt. Die dann fällige Überprüfung des Bundeshaushalts würde unter der Zielsetzung stehen müssen, daß der Bund seine Finanzkraft künftig in stärkerem Umfang als bisher auf die Funktionen konzentriert, deren zentrale Wahrnehmung unerläßlich ist, und den Ländern solche Aufgaben und Ausgaben überlassen muß, zu deren sachgemäßer Erfüllung nach den Grundsätzen der föderativen Verfassung die Länder allein verpflichtet sind. Insofern würde der allgemeine Lastenverteilungsgrundsatz der Finanzreform möglicherweise bereits für die Verhandlungen über den vorliegenden Haushaltsentwurf erhöhte Bedeutung gewinnen.
Es würde sicher ein Fehler sein, wenn ich bei der Behandlung der Einzelfragen nicht zunächst zu den beiden großen Blöcken des Bundesetats, dem Sozialhaushalt und dem Verteidigungshaushalt, spräche. Zunächst ist es wieder der Sozialhaushalt, von dem wir feststellen, daß er von Jahr zu Jahr weiter anwächst. Einmal hat dies seine Ursache in der Erhöhung von Sozialleistungen, der Zuerkennung neuer Ansprüche durch das Renten-MehrbetragsGesetz und das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, zum anderen in der durch die Bevölkerungsentwicklung verursachten Zunahme der Alterslast in der Sozialversicherung.
Wir bringen Ihnen den Sozialhaushalt diesmal in einer etwas anderen Form in den Allgemeinen
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Vorbemerkungen, damit Sie die durch die Finanzreform und den neuen Versorgungshaushalt geschaffene Umstellung studieren können. Das Finanzanpassungsgesetz, das in diesem Augenblick noch umstritten ist, führt bekanntlich neben Entlastungen auch Belastungen mit sich; Entlastungen bei der Kriegsfolgenhilfe, die zukünftig pauschaliert wird, und bei der Verlagerung der Verwaltungskosten der Kriegsopferversorgung in Höhe von 140 Millionen DM auf die Länder, Belastungen durch die Übernahme des bisherigen Landesanteils der Zuschüsse der öffentlichen Hand an den Ausgleichsfonds. Im ordentlichen Haushalt steigt der Sozialaufwand im engeren Sinne - also ohne die Lastenausgleichsabgaben und die Versorgungsausgaben für die 131er - von 7,3 auf 8,023 Milliarden DM. Diese Steigerung hängt zum Teil mit dem vorhin genannten Wegfall von Schuldbuchforderungen an die Rententräger und die Bundesanstalt zusammen. Wir haben uns in den Vorbemerkungen bemüht, Ihnen den Vergleich der Leistungen zu erleichtern. Ich möchte hier jetzt nicht mit weiteren Zahlen operieren. Für die Kriegsopferversorgung allerdings darf ich sagen, daß sich der Aufwand nach unserem Entwurf im Jahre 1955 durch Zurechnung und Abrechnung auf 3 078,3 Millionen DM beläuft. In dieser Zahl ist aber, wie gesagt, der Finanzbedarf für die bevorstehende dritte Novelle noch nicht enthalten. Der Grund für den Wegfall der Schuldbuchforderungen ist das Renten-Mehrbetrags-Gesetz, durch das 1 % des Beitragssatzes von der Arbeitslosenversicherung auf die Invaliden- und Angestelltenversicherung zur Stärkung ihrer Finanzkraft übertragen wird. Dadurch entfallen Überschüsse bei der Bundesanstalt, die bisher in Wertpapieren angelegt werden konnten. Bei den Rentenversicherungsträgern sind die Ausgaben nach dem Renten-Mehrbetrags-Gesetz erheblich höher als die Beitragsmehreinnahmen. Auch hier muß erst die weitere Entwicklung abgewartet werden, bevor entschieden werden kann, ob sich erneut nennenswerte Kassenüberschüsse bilden, die eine Rücklagenschaffung ermöglichen werden.
Nun darf ich hier einmal die Entwicklung der gesamten Sozialausgaben der öffentlichen Hand, also von Bund, Ländern und Gemeinden - ausschließlich der sozialen Lastenausgleichsleistungen -, mit den Leistungen der sozialen Selbstverwaltung vergleichen. Es ergibt sich dann folgender bemerkenswerter Tatbestand: Die Sozialleistungen der öffentlichen Hand betrugen 1938 2,7 Milliarden RM, die der sozialen Selbstverwaltung 3,4 Milliarden RM; 1947 waren die beiden Summen 4,9 und 5 Milliarden RM; 1950 standen sich die Sozialleistungen der öffentlichen Hand und die der sozialen Selbstverwaltung mit 6,3 und 6,2 Milliarden DM fast gleichhoch gegenüber. 1951 ging die öffentliche Hand mit 7,6 Milliarden DM gegenüber 7,2 Milliarden DM der Selbstverwaltung in Führung. Sie behielt diese Führung 1952 mit 8,5 zu 8,2 Milliarden DM; 1953 mit 9,9 zu 8,8 Milliarden DM und 1954 mit 10,4 zu 9,5. Milliarden DM. Auch 1955 überwiegen diese Sozialleistungen der öffentlichen Hand mit 10,5 Milliarden DM die 9,9 Milliarden DM der Selbstverwaltung um über 1/2 Milliarde DM. Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß die Sozialleistungen der öffentlichen Hand im Jahre 1938 noch erheblich unter den Leistungen der sozialen Selbsthilfeeinrichtungen lagen, nämlich die vorhin genannten 2,7 Milliarden RM gegenüber 3,4 Milliarden RM; ab 1950 liegen die Sozialleistungen der öffentlichen Hand aber ständig darüber. Mit anderen Worten: mit der Sozialgesetzgebung der letzten Jahre sind in zunehmendem Maße Versorgungselemente in das Sozialsystem hineingetragen worden, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt die innere Sozialordnung der Bundesrepublik die Züge eines Versorgungsstaates anzunehmen beginnt.
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Ich darf mich auf diese Feststellungen beschränken und die Frage offenlassen, in welcher Weise die kommende Sozialreform die Kräfte der Selbstverwaltung und der Selbsthilfe wieder stärker wecken wird.
Ich darf hier ein paar Worte zu dem Problem der Kriegsgefangenenentschädigung einflechten. Bekanntlich hat der Haushalt 1954 nur einen Betrag von 52 Millionen DM für Entschädigungsleistungen an die ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen bereitstellen können. Weitere 50 Millionen DM 'sind durch einen besonderen Beschluß der Bundesregierung überplanmäßig zur Verfügung gestellt worden. Der Entwurf des Haushaltsplans 1955 enthält nun mit 150 Millionen DM eine wesentliche Erhöhung des bisher ausgeworfenen Betrages. Für Kannleistungen stehen daneben leider keine Mittel zur Verfügung. Die Gesamtverbindlichkeit des Bundes aus den Verpflichtungsleistungen wird übrigens auf 1 Milliarde bis 1,2 Milliarden DM geschätzt, wird also auch die kommenden Haushalte noch sehr fühlbar belasten. Ich möchte hier keine alte Wunde berühren, aber doch nochmals daran erinnern, daß gerade der Bundesfinanzminister lieber die Kannleistungen als die Pflichtleistungen gepflegt gesehen hätte.
In diesem Zusammenhang war es meine Absicht, auch eine andere wichtige Leistung des Bundes zu behandeln, nämlich die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, die uns ein besonderes Anliegen ist.
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- Ich darf das vielleicht in der Antwort auf Ihre Anfrage - ich glaube, morgen nachmittag - ausführen.
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- Bitte!
Da die hiermit zusammenhängenden Fragen aber Gegenstand einer Großen Anfrage und eines Antrags der Fraktion der SPD innerhalb der heutigen Tagesordnung sind, möchte ich mir vorbehalten, zu diesem Punkt der Tagesordnung ausführlicher über diesen Gegenstand zu sprechen.
Das Gesetz zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten des Deutschen Reichs, das die letzte noch bestehende Lücke auf dem Gebiet des Rückerstattungsrechts schließen soll, wird voraussichtlich nach Besprechungen mit den Ländern und den Verfolgtenverbänden noch in diesem Monat im Entwurf fertiggestellt werden. Der Entwurf muß aber dann noch gemäß Art. 4 des Dritten Überleitungsabkommens zum Deutschland-Vertrag mit der Hohen Kommission erörtert werden. Nach dieser Erörterung wird der Entwurf dann sogleich dem Bundeskabinett zugeleitet werden. Wie Sie vielleicht schon gesehen haben, ist das
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hier zugrunde liegende Überleitungsabkommen zum Deutschland-Vertrag unverändert in die Pariser Abkommen übernommen worden. Der in diesem Abkommen genannte Betrag von 1,5 Milliarden DM, auf den die Bundesrepublik ihre Haftung für diese Verbindlichkeiten beschränken kann, ist ebenfalls unverändert geblieben.
Der Haushaltsbetrag für 1955 wird für das Anlaufjahr des Gesetzes nach Meinung der Beteiligten ausreichen. Bis zum Inkrafttreten werden weiterhin unverzinsliche Darlehen in Härtefällen gewährt.
Ich kann hier gleich auch über die besondere Aktion der Bundesregierung zugunsten überlebender Opfer von Menschenversuchen berichten. Insgesamt sind für diese besonders bedauernswerten Opfer bisher 2,1 Millionen DM verausgabt worden. Für die noch unerledigten und die etwa neu bekanntwerdenden Fälle stehen ausreichende Haushaltsmittel zur Verfügung.
Der Vollständigkeit halber darf auch ein Blick auf ,die Durchführung des mit dem Staate Israel abgeschlossenen Abkommens geworfen werden. Wie dem Hohen Hause bekannt ist, hat die Bundesregierung von dem ihr nach idem Abkommen zugestandenen Recht, die Jahresleistung auf 250 Millionen DM festzusetzen, Gebrauch gemacht. Da noch ein früher verbrauchter Betrag von 60 Millionen DM haushaltsmäßig gedeckt werden muß, beläuft sich der Haushaltsansatz im Bundeshaushalt 1955 auf 250 Millionen DM + 60 Millionen DM = 310 Millionen DM. Die Bundesregierung benutzt den Anlaß, erneut die Versicherung abzugeben, daß sie sich bemühen wird, ,das den von den Nationalsozialisten Verfolgten angetane Unrecht wiedergutzumachen, soweit dies überhaupt durch finanzielle Leistungen möglich ist. Sie hofft mit den vorgetragenen Maßnahmen den richtigen Weg beschritten und hierdurch zur Besserung der Beziehungen zwischen den Verfolgten und dem Bund beigetragen zu haben.
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Bei diesem Überblick über die finanziellen Leistungen des Bundes darf der Lastenausgleich nicht fehlen, der sich im Bundeshaushalt auch für 1955 in den verschiedensten Formen zu Wort meldet. Zunächst ein Blick auf die Einnahmeseite! Die Einnahmen des Sondervermögens „Ausgleichsfonds" haben sich 1954 weiterhin befriedigend entwickelt. Es ist anzunehmen, daß das gleiche Aufkommen auch 1955 gehalten werden kann. Zu der Steigerung des Aufkommens hat insbesondere beigetragen, daß die Abgabepflichtigen in zunehmendem Maße von der Möglichkeit einer Ablösung Gebrauch gemacht haben. Bisher sind in etwa 100 000 Fällen Lastenausgleichsabgaben mit einem Gesamtbetrag von über 200 Millionen DM abgelöst worden. Es ist zu hoffen, daß diese Ablösungsbereitschaft anhält. Auch die Verwaltung vermerkt gern die darin liegende Entlastung.
Das Aufkommen aus der Vermögensteuer war in gleicher Weise günstig. Obwohl diese Steuer noch eine Landessteuer ist, ist der Bund an ihr besonders interessiert, weil ihr Aufkommen, wenn auch mit . gewissen Einschränkungen, dem Ausgleichsfonds zufließt. Es scheint, daß eine wesentliche Steigerung in den kommenden Rechnungsjahren erwartet werden darf, weil die Zunahme der Vermögen seit 1949 sich erst bei der für 1955 vorbereiteten Hauptveranlagung auf den 1. Januar 1953aufkommensmäßig in vollem Umfang auswirken wird. Es sei hier nur auf die bisher nicht erfaßten Vermögenssteigerungen durch die Kursentwicklung der Wertpapiere seit 1948 hingewiesen. In meinem Haus wird zur Zeit der Entwurf eines neuen Bewertungsgesetzes vorbereitet, das im Laufe des nächsten Rechnungsjahrs vorgelegt werden soll.
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Eine Hauptfeststellung der Einheitswerte ist insbesondere für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen und für das Grundvermögen nötig, weil die Einheitswerte insoweit noch auf den Wertverhältnissen des Jahres 1935 beruhen.
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- Ich hoffe, Herr Dr. Dresbach, daß das auch gewürdigt werden wird. - Bei der Landwirtschaft sind auch die Ergebnisse der neuen Bodenschätzungen zu berücksichtigen. Eine steuerliche Auswirkung der Hauptfeststellung wird sich allerdings nicht vor dem Jahre 1958 ergeben.
Die Leistungen aus dem Ausgleichsfonds haben inzwischen weit die ursprünglichen Schätzungen überstiegen. Ich brauche diese allgemein bekannten Dinge nicht zu wiederholen und vielleicht nur eine Zahl zu nennen. 1954 sind allein für Hausratshilfen bisher 1,060 Milliarden DM, für Aufbaudarlehen in ihren drei Formen 1,080 Milliarden DM bereitgestellt worden. Im Währungsausgleich der Vertriebenen ist nunmehr auch der Altsparerzuschlag voll freigegeben worden. Das Bundesausgleichsamt war bemüht, auf den Abfluß seiner hohen Kassenbestände hinzuwirken. Es hat deshalb in beträchtlichem Umfang Vorgriffe auf die Einnahmen des Rechnungsjahres 1955 durchgeführt. Durch diese Maßnahmen ist der wegen seiner Höhe oft kritisierte Kassenbestand des Ausgleichsfonds auf ein bescheidenes Maß zurückgeführt worden.
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- Ich komme darauf.
Es liegt in der Natur von Vorgriffen, daß die für sie ausgegebenen Mittel im folgenden Jahr nicht nochmals zur Verfügung stehen. Daher wird der Ausgleichsfonds im Rechnungsjahr 1955 zwar an die Geschädigten erhebliche Leistungen aus den früheren Planungen gewähren können; zusätzliche Verplanungen über die gesetzlich fixierten Leistungen hinaus sind aber jetzt nur noch beschränkt möglich. Das Lastenausgleichsamt prüft zur Zeit aber Wege, den Übergang zu dem neuen Zustand zugunsten der Geschädigten zu erleichtern.
Lassen Sie mich jetzt ein Wort zur Entwicklung auf dem Lohn- und Gehaltsgebiet sagen. Wie Ihnen bekannt ist, haben sich hier zunächst in der Privatwirtschaft im laufenden Jahr Änderungen vollzogen, die im Durchschnitt zu einer allgemeinen Erhöhung der Löhne und Vergütungen geführt haben. Diese Entwicklung ist, wie ich in Erinnerung rufen darf, unter Lohnkämpfen vor sich gegangen; die Bundesverwaltung war davon nicht betroffen, wohl aber ein Teil der übrigen öffentlichen Arbeitgeber. Inzwischen sind die laufenden Tarifverträge zum großen Teil gekündigt worden.
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Die Bundesregierung hat gegenüber diesen Forderungen zunächst größte Zurückhaltung geübt, einmal aus Sorge vor Preissteigerungen, die eine Minderung des Reallohns mit sich gebracht hätten; ferner dürfen die Rationalisierungsmaßnahmen, die bei den großen Betriebsverwaltungen gerade im Gange sind, nicht in Frage gestellt werden.
Die Länder und Gemeinden sind bekanntlich einen anderen Weg gegangen und haben sich am 10. September zum Abschluß von Tarifverträgen bereitgefunden, die bei den Ländern eine Erhöhung des Ecklohns um 5 Pfennig, bei den Gemeinden eine solche von 6 Pfennig mit sich brachten. Bei den Angestellten sind die Grundvergütungen durch verschiedene andere Maßnahmen im Durchschnitt um etwa 5 % erhöht worden.
Die Bundesregierung ist nach Abstimmung mit Bundesbahn und Bundespost in Verhandlungen mit den Gewerkschaften eingetreten, die auch auf die Angestellten ausgedehnt sind und zur Zeit weiterlaufen. Sie werden gewisse haushaltsmäßige Mehrbelastungen mit sich bringen, die noch nicht in die Haushaltsansätze einkalkuliert werden konnten. Weitere Mehrausgaben werden entstehen, wenn die schon vor längerer Zeit mit den Gewerkschaften geführten Verhandlungen über einen neuen Manteltarif für die Bundesangestellten zu einem Abschluß gelangen. Es liegt in der Natur der Dinge, daß eine solche Neuregelung sich nicht nur auf eine formelle Neugestaltung der bestehenden Regeln beschränken kann. Die Ihnen heute vorgetragene Haushaltslage begrenzt aber die haushaltsmäßigen Möglichkeiten von selbst. Da ich die Dinge heute nur vom haushaltsmäßigen Standpunkt aus zu behandeln habe, muß ich von jeder Darlegung der besonderen Problematik absehen.
Nun ein Wort zur Beamtenbesoldung. Eine Neuregelung des Besoldungsrechts nicht nur unter dem Gesichtspunkt einer weiteren Anpassung der Bezüge der Bundesbeamten an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse, sondern insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des organischen Aufbaues und einer durchgreifenden Verwaltungsvereinfachung wird von der Bundesregierung seit langem als ein besonders dringendes Anliegen empfunden.
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Da jedoch eine Neuregelung des Bundesbesoldungsrechts - gleichviel wie man die Frage der Zulässigkeit rahmenrechtlicher Ausgleichsbestimmungen auch für Länder, Gemeinden und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts beurteilt - nicht nur für den Haushalt des Bundes, sondern auch für die Haushalte der Länder, Gemeinden und Körperschaften des öffentlichen Rechts und für das gesamte Lohngefüge von weittragender Bedeutung ist, bedurfte diese Neuregelung umfangreicher und zeitraubender Vorarbeiten. Diese Vorarbeiten sind im Bundesfinanzministerium nunmehr im wesentlichen abgeschlossen. Eine Kommission von Sachverständigen des Bundes und der Länder ist beauftragt, auf Grund der Vorarbeiten und der Vorentwürfe des Bundesfinanzministeriums die Grundlagen für den Regierungsentwurf eines neuen Bundesbesoldungsgesetzes zu erarbeiten. Ich hoffe also, daß es möglich sein wird, den Regierungsentwurf eines neuen Bundesbesoldungsgesetzes so rechtzeitig vorzulegen, daß er noch im nächsten Kalenderjahr von den gesetzgebenden Körperschaften des Bundes verabschiedet werden kann.
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Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Dezember 1954, durch das die bisherigen rahmengesetzlichen Bestimmungen des Bundes auf dem Gebiete der Beamtenbesoldung für verfassungswidrig und unwirksam erklärt wurden, wird freilich für die Ausgestaltung des künftigen Bundesbesoldungsrechts Folgen haben, die sich zur Zeit im einzelnen noch nicht übersehen lassen. Es wird in diesem Zusammenhang insbesondere abzuwarten sein, inwieweit die nunmehr von den rahmengesetzlichen Beschränkungen des Bundes befreiten Länder dem Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Bemessung ihrer Beamtenbesoldung folgen können und folgen werden.
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- Das fürchten wir auch.
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Auch wird man sich mit der Forderung auseinandersetzen müssen, daß eine Erhöhung der Löhne und Vergütungen für Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst des Bundes zu Übergangsregelungen auch auf dem Gebiete der Beamtenbesoldung nötigt; eine solche Maßnahme würde die Bereitstellung zusätzlicher Mittel hierfür im Bundeshaushalt erfordern. Es ist besonders interessant, zu wissen, daß eine dem Landesgesetz von NordrheinWestfalen angepaßte Regelung bei vorsichtiger Schätzung folgende Mittel beanspruchen würde: Für die Beamten wären es beim Bund 36,9 Millionen, bei der Post 81,4 Millionen, bei der Bahn 116,6 Millionen, insgesamt 234,9 Millionen; für die Angestellten in derselben Reihenfolge bei Bund, Post und Bahn 11,1 Millionen, 27,9 Millionen, 2,2 Millionen, insgesamt 41,2 Millionen; für die Versorgungsempfänger und 131er beim Bund 100,8 Millionen, bei der Post 41,8 Millionen, bei der Bahn 85,8 Millionen, zusammen 228,4 Millionen. Das macht insgesamt rund gerechnet beim Bund beinahe 150 Millionen, bei der Post mehr als 150 Millionen, bei der Bahn mehr als 200 Millionen, zusammen 504,5 Millionen.
Durch das Dritte Besoldungsrechtsänderungsgesetz ist der Bundesminister der Finanzen ermächtigt worden, in besonders begründeten Ausnahmefällen einzelne Orte in eine andere Ortsklasse einzureihen. Nach eingehenden Untersuchungen und Erörterungen mit den Ländern hat der Bundesfinanzminister von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und nunmehr eine Verordnung erlassen, der der Bundesrat bereits zugestimmt hat und durch die 264 Orte in eine höhere Ortsklasse eingereiht werden.
Ich komme jetzt zu dem zweiten großen Ausgabenblock im Bundeshaushalt, den Verteidigungsausgaben. Lassen Sie mich auch hierzu einige allgemeine und gänzlich unpolemische Äußerungen machen. In den vergangenen Jahren sind große deutsche Zahlungen für Zwecke der Alliierten als Besatzungskosten und Auftragsausgaben sowie als Besatzungsfolgekosten geleistet worden. Am Schluß des Rechnungsjahrs 1954 werden wir feststellen können, daß vom Beginn der Besatzung bis zum
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31. März 1950 von den Ländern und von da ab vom Bund im Bundesgebiet und in Berlin insgesamt mehr als 55 Milliarden RM/DM als Besatzungskosten und -folgekosten aufgewendet worden sind. Davon entfallen auf die Rechnungsjahre 1950 bis 1954 rund 32,3 Milliarden DM; von diesem Betrag sind für die militärischen Bedürfnisse der Alliierten rund 30 Milliarden DM verwendet worden. Um keine falschen Bilder entstehen zu lassen, darf ich hinzufügen, daß der Gesamtaufwand für die alliierten Streitkräfte in der Bundesrepublik und in Berlin ganz erheblich höher ist, da die Besoldung, die Aufwendungen für die Erstausstattung und die Verpflegung sowie der Aufwand für die alliierten Zivilbehörden von den Besatzungsmächten aus ihren Heimatmitteln getragen werden. Wir wissen, daß die Ausgaben der Heimathaushalte für diesen Zweck im Rechnungsjahr mehrere Milliarden DM betragen.
Der Einzelplan der Verteidigungslasten, wie er jetzt heißt, wird im Rechnungsjahr 1955 - das ist die Überzeugung der Bundesregierung - der erste Haushalt des Bundes sein, in welchem der deutsche Verteidigungsbeitrag als solcher verwirklicht werden wird. Ein Betrag von rund 9,266 Milliarden DM steht bereit;
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darin sind die Berliner Besatzungskosten und -folgekosten enthalten. Vorjahresreste ermöglichten die im Interesse des Haushaltsausgleichs unumgängliche Streichung von Mitteln für Folgekosten. Im Haushaltsplan 1955 stehen jetzt für diesen Zweck, für die Folgekosten. nur noch 80 Millionen DM im außerordentlichen Haushalt.
Unterstelle ich einmal, daß die revidierten Bonner Verträge und die Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag am 1. April 1955 in Kraft treten, so wird von den 9 Milliarden DM der Hauptbetrag von 5,8 Milliarden DM für die Aufstellung der deutschen Streitkräfte zur Verfügung stehen, während der Restbetrag von 3,2 Milliarden DM als Beitrag für den Unterhalt der stationierten Streitkräfte Verwendung finden soll. Aus der Staffelung der Monatsbeträge dieser 3,2 Milliarden DM, die mit 400 Millionen DM im Monat beginnen und bei 200 Millionen DM enden, ergibt sich die degressive Tendenz der Stationierungskosten. Im Pariser Abkommen ist ausdrücklich eine Revisionsklausel vorgesehen, die es verhindert, daß die Zahlung von Stationierungskosten etwa den Aufbau der deutschen Streitkräfte beeinträchtigt. Für die Zeit nach Ablauf der 12 Monate Stationierungsbeitrag hat sich die Bundesrepublik lediglich zu Verhandlungen über Fragen des Unterhalts der alliierten Streitkräfte gebunden und hinsichtlich der Beschaffung von Sach- und Werkleistungen ihre Unterstützung angeboten. Diese Regelung wird den alliierten Mächten jetzt schon Anlaß geben, sich darauf einzustellen, daß sie nach Ablauf des Verteidigungsjahres ihre finanziellen Bedürfnisse voll aus Heimatmitteln zu decken haben. Die Bundesrepublik leistet dann nur noch den üblichen Beistand, wie ihn auch andere Länder tragen.
Sollte es zu einer Interimszeit zwischen der Wiedererlangung der deutschen Souveränität und dem Inkrafttreten des Verteidigungsvertrages kommen. so setzen sich die jetzigen Besatzungskostenzahlungen von 600 Millionen DM fort. Über die Verwendung eines Betrags von 100 Millionen DM treffen aber die Bundesrepublik und die Drei Mächte eine besondere Vereinbarung; diese 100 Millionen DM sollen einem gemischten Verteidigungsprogramm, auf deutscher Seite zugunsten baulicher Maßnahmen, zugeführt werden.
Ich darf diese Gelegenheit benutzen, die Überzeugung der Bundesregierung mit aller Klarheit dahin bekanntzugeben, daß die in den Bundeshaushalt eingestellten 9 Milliarden DM die Grenze der deutschen Leistungskraft für Verteidigungszwecke darstellen.
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Wir haben uns mit Rücksicht auf irreführende Pressemitteilungen in der letzten Zeit gewisse Sorgen machen müssen.
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Es hat sich aber gezeigt, daß diese Meldungen nicht auf amtlichen Unterlagen beruhten.
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Angesichts der Höhe der Verteidigungslasten von 9 Milliarden DM erwächst der Bundesverwaltung die ernste Verpflichtung, für eine sachgemäße Verausgabung dieses Betrages zu sorgen und jede Verteuerung der Verteidigung durch überstürzte Maßnahmen zu verhindern.
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Über die Wiedergutmachung der Besatzungsschäden kann ich berichten, daß die Absicht der baldigen Vorlage eines Abwicklungsgesetzes besteht.
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- Diese Absicht wird auch verwirklicht werden. - Seine Durchführung wird einen Aufwand von mehr als 350 Millionen DM verursachen; auch das Rechnungsjahr 1955 wird mit einem Teilbetrag davon belastet sein.
Auch die Abwicklung der Belegungsschäden wird größeren Umfang annehmen müssen, weil voraussichtlich bis zum Ende des Rechnungsjahres 1955 die Masse der requirierten Wohnungen freigegeben sein wird; wir können zu diesem Zeitpunkt mit einer Freigabe von mehr als 15 000 privaten Wohnungen rechnen. Die alliierten Planungen sehen für diese Maßnahmen einen Betrag von rund 2 Milliarden DM vor, der in dem Besatzungskostenüberhang steckt.
Die Bundesregierung wird zusammen mit den Länderregierungen ihr Augenmerk auch darauf richten, daß jeweils nach Freigabe der privaten Liegenschaften die Abwicklung der Belegungsschäden beschleunigt durchgeführt wird, damit die Gebäude und Einrichtungsgegenstände wieder instandgesetzt und der deutschen zivilen Nutzung alsbald wieder zugeführt werden können.
Im Anschluß hieran taucht nun die Frage der haushaltswirtschaftlicher, Auswirkungen der künftigen Selbstverteidigung schlechthin auf. Ich kann mich hier ganz kurz fassen und die Ansicht der Bundesregierung dahin bekanntgeben, daß jede Überbürdung der Volkswirtschaft verhindert werden soll. Jedem Mißverhältnis zwischen Geldmenge und Gütermenge muß vorgebeugt werden. Dem Kapitalmarkt und seiner Leistungsfähigkeit kommt im Rahmen der Aufbringung des Gesamtaufwandes eine besondere Bedeutung zu. Ich möchte aber auch
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auf die Steuerseite hinweisen, der eine hervorragende Korrekturmöglichkeit bei etwaigen wirtschaftlichen Verzerrungen zufällt. Der Finanzminister wird die Entwicklung mit größter Sorgfalt verfolgen. Wir haben schon studiert, wie andere Staaten in neuerer Zeit das Problem gelöst und . wie sie jeden Mißbrauch ihrer Notenpresse verhindert haben.
Wenn ich jetzt nach Erörterung der beiden großen Ausgabenblöcke, der Sozialausgaben im weiteren Sinne und der Verteidigungskosten, auf einige weitere besonders wichtige Ausgabenposten zukomme, so möchte ich mit dem Kriegsfolgenschlußgesetz beginnen. Die Bundesregierung hat, wie Ihnen bekannt ist, die Absicht, den Entwurf eines solchen Gesetzes bald vorzulegen. Gewisse Grundfragen bedürfen noch der abschließenden Entscheidung. Über den Inhalt des Gesetzes darf ich schon jetzt mitteilen, daß sich die Bundesregierung zu einem gemischten System von Maßnahmen entschlossen hat. Durch die Politik der Wirtschaftsförderung sind praktisch bisher schon mehr als 30 Milliarden für die Beseitigung der Kriegsschäden aus öffentlichen Mitteln aufgebracht worden - z. B. durch steuerliche Vergünstigungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat und Kleidung, für den Wiederaufbau von Fabriken, zur Beschaffung von Maschinen; durch Kredite und Bürgschaften, Subventionen und dergleichen. Daß es neben diesen Maßnahmen für die NS-Verfolgten, die Kriegsopfer, die Vertriebenen usw. noch ungeregelte Teilgebiete gibt, ist nicht zu bestreiten. Hier soll das Kriegsfolgenschlußgesetz unter die Liquidation des Krieges sozusagen einen Schlußstrich ziehen und dabei vor allem das Problem der Verbindlichkeiten des Reiches und Preußens sowie das Problem der Reparations- und Restitutionsschäden behandeln. Dabei soll die Frage der Entschädigung der Reparations- und Restitutionsgeschädigten im einzelnen einer späteren Entschließung vorbehalten bleiben und bis dahin lediglich ein System von sozialen Hilfsmaßnahmen und wirtschaftsfördernden Maßnahmen wirksam sein. Die Bundesregierung hat für diese Schadensfälle einen Betrag von 100 Millionen DM in den Haushaltsentwurf für 1955 eingestellt.
Das Problem der Reichsverbindlichkeiten wird in der Öffentlichkeit vielfach deshalb unzutreffend beurteilt, weil nur an die sogenannten verbrieften Reichsverbindlichkeiten gedacht wird. Die verbrieften Reichsverbindlichkeiten beliefen sich im Zeitpunkt des Zusammenbruchs auf rund 390 Milliarden RM. Hiervon befinden sich etwa 360 Milliarden in Händen von Geldinstituten, Gebietskörperschaften 'und Sozialversicherungsträgern. Der eigentliche Privatbesitz wird auf 27 Milliarden geschätzt; davon befinden sich etwa 9 Milliarden in der sowjetischen Besatzungszone. Da die finanziellen Verhältnisse der Geldinstitute, Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträger durch die Währungsreform geordnet sind, 'braucht nur 'der eigentliche Privatbesitz von rund 18 Milliarden RM berücksichtigt zu werden. Wenn nun behauptet wird, daß eine Umstellung dieser Verbindlichkeiten im Verhältnis 10:1 für den Haushalt tragbar sei, so wird dabei die große Vorbelastung dieses Haushalts, aber auch das Volumen der ebenfalls zu berücksichtigenden nichtverbrieften Reichsverbindlichkeiten verkannt. Die nichtverbrieften Verpflichtungen beruhen auf vielerlei Tatbeständen - rückständige Kaufpreise, rückständige Wehrsold- und Gehaltsforderungen, Forderungen auf 'Grund von Inanspruchnahmen aus dem Reichsleistungsgesetz, Schadensersatzforderungen und dergleichen -. In den letzten Kriegsmonaten wurden im Reichsfinanzministerium diese nicht verbrieften Reichsverbindlichkeiten auf einen Betrag von 400 Milliarden RM geschätzt; es handelt sich dabei um eine Millionenzahl von Fällen. Eine quotale Bedienung dieser Verbindlichkeiten würde nicht nur die größten Mittel, sondern auch einen riesenhaften Verwaltungsapparat erfordern, und selbst dann würde fraglich sein, ob die Beweisfrage gemeistert werden könnte. Deshalb kann es nach Auffassung der Bundesregierung auch hier nur Härtebeihilfen für solche Gläubiger des Reiches geben, die durch die Nichtbedienung ihrer Forderungen in eine soziale Notlage geraten sind.
Für alle Tatbestände zusammen, verbriefte und nichtverbriefte Forderungen, sind wiederum 100 Millionen DM vorgesehen, für das ganze Kriegsfolgenschlußgesetz also 200 Millionen DM.
Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß mit einer solchen Regelung viele Hoffnungen enttäuscht werden. Sie weiß aber auch, daß die von ihr vorzuschlagende Regelung weit über das hinausgeht, was noch vor einigen Jahren für möglich gehalten worden ist. Wer danach als Reichsgläubiger keine ausreichende Befriedigung erfährt, mag sich vergegenwärtigen, welche zusätzlichen Summen vom Steuerzahler und damit wieder auch von ihm selbst aufgebracht werden müßten, wenn eine weitergehende Regelung durchgeführt werden sollte. Er muß sich ferner vor Augen halten, wie bescheiden die Entschädigungen sind, die den am schwersten betroffenen Opfern dieses Krieges gewährt werden können.
An den übrigen Ausgabefronten des Bundes tut sich ebenfalls viel Neues. Ich kann Ihnen aber unmöglich alle auch wichtigen Einzelheiten vortragen, möchte aber noch ein generelles Thema kurz behandeln, nämlich das der Bundes- und Länderausgaben für denselben Zweck. Wie Ihnen vielleicht erinnerlich ist, haben alle Budgetreden der letzten Jahre diese leidige Frage behandelt. Während früher die Länder um ihre Kompetenzen kämpften und die daraus fließenden finanziellen Konsequenzen bejahten, kommt ebenso wie in der Weimarer Republik auf den Bund in immer steigendem Maße ein Bündel von Anforderungen zur gemeinschaftlichen Finanzierung vieler Aufgaben zu, die im Grundsatz Länderaufgaben sind. Werden Zuschüsse gegeben, so hängen an allen diesen Dingen sonstige Einrichtungen, Planstellen, Reisekosten usw.; gelegentlich verwischt sich auch die Verantwortung, und es entsteht jener Mischzustand, der im Grunde unerfreulich und ungesund ist.
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Wir haben auch diesmal wieder das gleiche Schauspiel erlebt; ich möchte mich mit dieser resignierten Feststellung begnügen.
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- Es ist sicher dem Haushaltsausschuß vorbehalten, hier einmal den Hebel anzusetzen.
Auf dem Gebiet der Kultur im engeren Sinne sowie der Wirtschaftsförderung, der Grenzzonen, des Küstenschutzes usw. zeigt der Entwurf des neuen Bundeshaushalts die Auswirkungen der De({44})
batten, die in diesem Hause stattgefunden haben. Daß nicht alle Wünsche befriedigt werden konnten, liegt neben dem harten Zwang zur Sparsamkeit auch an dem Bemühen, nicht durch eine Erhöhung der Bundesleistungen die Verantwortung und die Leistungen der Länder völlig lahmzulegen. Wir haben festgestellt, daß auch ganz überzeugte Föderalisten nach Bundeszuschüssen rufen,
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selbst wenn es um die Durchführung von Prioritätsaufgaben der Länder geht.
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In ihrem inneren Gehalt haben sich die Ausgabepläne des Bundes nicht wesentlich verändert. Vielleicht darf ich hier zunächst den Agrarhaushalt herausgreifen, dessen Ausgabeseite sich um fast 100 Millionen DM erhöht hat. Was für die Aktionsfähigkeit eines Ressorts ein solcher Zuwachs an Finanzkraft in einem Haushalt bedeutet, dessen Ausgleich auf so außerordentliche Schwierigkeiten stieß, ist meines Erachtens vielsagend genug. Im einzelnen sind hier zunächst die Subventionen für eingeführte Lebensmittel, die Roggenablieferungsprämie, die Verbilligung von Dieselkraftstoff zu nennen; insgesamt machen diese Subventionen rund 70 Millionen DM aus. Die Zuschüsse an die Einfuhr- und Vorratsstellen verschlingen 200 Millionen DM. Für die Durchführung des Agrarstrukturprogramms des Herrn Bundesernährungsministers sind Mittel im Gesamtbetrag von über 120 Millionen DM vorgesehen, für die Siedlung über 100 Millionen DM, für das Emsland 25 Millionen DM, für den Küstenschutz 24 Millionen DM, für die landwirtschaftliche Forschung rund 22 Millionen, für die Bekämpfung der Tierseuchen 8 Millionen. Diese kleine Aufzählung zeigt, daß der Agrarhaushalt den Marsch der Vorjahre erfolgreich fortgesetzt hat.
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Schaltet man einmal die stark schwankenden Beträge für Subventionen aus, so ergibt sich folgender Anstieg der Ausgabemittel des Ernährungsministeriums: von 1952 auf 1953 eine Erhöhung von 112,4 Millionen, von 1953 auf 1954 eine Erhöhung von 127,4 Millionen. Und nun sind es nochmals fast 100 Millionen DM, um die die Ausgaben ansteigen sollen. Hinzu treten die ERP-Mittel, die ja in ihrer Gesamtheit seit 1954 die Bundeshaushaltspläne verlassen und sich in einem eigenen Wirtschaftsplan vereinigt haben. Diese ERP-Mittel für die Landwirtschaft steigen auch 1955 wieder erheblich an, und zwar auf das Doppelte. Alle diese Ausgabesteigerungen des Agrarhaushalts hätten nicht vorgesehen werden können, wenn sich nicht auch die Einnahmeseite günstig entwickelt hätte. Hier sind die Abschöpfungen der Ast, an dem sich der Landwirtschaftshaushalt selbst emporgerankt hat.
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Für 1955 sind nicht weniger als 383 Millionen DM Einnahmen veranschlagt; der Bundesrat möchte sie sogar auf 400 Millionen DM erhöhen. Diese gewaltige Schätzung beruht auf der Annahme, daß die derzeitige Entwicklung erhalten bleibt. Aber ich darf ganz offen sagen, daß in dieser Annahme sehr erhebliche Risiken stecken. Bis auf einen geringen Betrag von 15 Millionen DM sind unter Außerachtlassung des allgemeinen Deckungsprinzips die
Mehreinnahmen praktisch lediglich dem Etat des
Ernährungsministeriums zugute gekommen. Ich erwähne diesen Punkt besonders, damit später keine
Enttäuschung eintritt, wenn einmal die Abschöpfungen sinken und dann zwangsläufig der Haushalt des
Ernährungsministeriums nach unten gehen muß.
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- Das ist eben eine ernste Sorge für uns, Herr Dr. Dresbach.
Das vorhin genannte Agrarstrukturprogramm des Herrn Bundesernährungsministers erfährt gegenüber 1954 eine Steigerung um rund 37 %. Ob die Länder in der Lage sein werden, beispielsweise auf dem Gebiet der Flurbereinigung die erhöhten Mittel mit ihrem Verwaltungsapparat zu bewältigen, ist wohl nicht ganz sicher. Aber auch die Zinsverbilligung betrachtet der Bundesfinanzminister mit Sorge, weil sie für die Zukunft eine langandauernde Belastung des Haushalts mit sich bringt. Die Gedanken des Etatministers über den höchsten Posten im Ernährungshaushalt, die Zuschüsse an die Einfuhr- und Vorratsstellen, sind schon im Vorjahr zum Ausdruck gekommen. Die Gründe für das Überschreiten der 200-Millionen-Grenze liegen in der Aufstockung der Brotgetreidereserve um 600 000 t sowie in den Mehrkosten für Zuckerlagerung. Da sich das Hohe Haus gerade vor kurzem mit der Gesamtsituation der Einfuhr- und Vorratsstellen und mit der Vorratshaltung beschäftigt hat, kann ich von einer weiteren Stellungnahme absehen. Der Herr Bundesminister für Ernährung hat bei diesem Anlaß mit erfreulicher Deutlichkeit klargestellt, daß der jetzige finanzielle Zustand kein bequemes Stehenbleiben bedeuten soll, sondern daß auch die Apparatur so einfach, übersichtlich und billig wie möglich werden soll.
Ich darf anschließend auf die außerordentlich hohen Mittel hinweisen, die der Bund für Zwecke des Küstenschutzes bisher zur Verfügung gestellt hat. Sie belaufen sich seit 1949 auf insgesamt 132 Millionen DM, davon rund 82,6 Millionen für Schleswig-Holstein und 49,2 Millionen für Niedersachsen. Dabei übersteigen die Bundesleistungen die Länderleistungen beträchtlich, und zwar in einem zeitlich steigenden Maß. Ferner müssen hier die großen Leistungen des Bundes für Aufgaben der Landeskultur berücksichtigt werden, für Niedersachsen das Emsland-Programm, für SchleswigHolstein das sogenannte Nordprogramm. Wer sich in diese Haushaltszahlen vertieft, wird feststellen, daß große Leistungen fast unbeachtet vollbracht worden sind.
Auch der Wirtschaftshaushalt kann bei einigen Förderungsmaßnahmen mit höheren Beträgen als im Vorjahr aufwarten. Das größte Geschenk des Bundes an die Wirtschaft steht allerdings nicht auf der Ausgabenseite, sondern auf der Einnahmeseite; es ist die Steuerreform, die ich hier erwähnen muß, damit die Leistungen des Bundes für die Wirtschaft nicht allzu klein erscheinen. An wirtschaftspolitischen Förderungsmaßnahmen sind diesmal die Beiträge des Bundes zu den Kosten deutscher Beteiligungen an ausländischen Messen erhöht worden.
Im Interesse der Exportförderung kann daher eine größere Zahl von Auslandsmessen beschickt werden. Ferner sind im Zuge der von der Bundesregierung gepflegten Förderung 'des mittelständischen Gewerbes erstmaLs Mittel auch für den Han({50})
del ausgeworfen worden; damit sollen Maßnahmen der beruflichen Fortbildung und der Rationalisierung der Betriebe gefördert werden. Die für das Handwerk eingesetzten Mittel sind im ordentlichen Haushalt erhöht worden, unter Kürzung der Mittel des außerordentlichen Haushalts. Es besteht also keine Gefahr mehr, daß die Mittel etwa mangels fehlender Deckung nicht ausgegeben werden können. Schließlich sind auch die Pauschalbeträge für Forschungsaufgaben an die wirtschaftswissenschaftlichen Institute erhöht worden. Für die übrigen Maßnahmen zur Förderung des Exports und zur Förderung der Rationalisierung konnten die bisherigen Mittel erhalten bleiben. Auch bei der Wirtschaft dürfen die großen Bereiche nicht vergessen werden, die mit ERP-Mittelngefördert werden.
Die Aufwendungen des Bundeshaushalts für den Wohnungsbau drücken sich vielleicht am sinnfälligsten von allen Bundesausgaben in der deutschen Landschaft aus. Der Bund hat bisher die Versorgung jedes einzelnen mit auskömmlichem Wohnraum als eine seiner dringendsten Aufgaben angesehen. An dieser Linie ändert der Bundeshaushaltsplan 1955 nichts, im Gegenteil, er erhöht die vom Bund unmittelbar getragenen Mittel weiterhin beträchtlich. Diesmal sind es die Sowjetzonenflüchtlinge, die sich mit besonders hohen Beträgen in den Bundeshaushalt eingetragen haben, und die sogenannten Umsiedlungsmaßnahmen von Land zu Land. Ich muß auch gleich auf die sehr bemerkenswerte Steigerung der Rückflüsse aus den früher gewährten Wohnungsbaudarlehen hinweisen, die ebenso wie normale Mittel ides Bundes zur Förderung des Wohnungsbaues verwendet werden. Zusätzlich zu dem Standardsatz von 500 Millionen DM, der noch für einige Jahre im Bundeshaushalt verbleiben soll, treten diesmal also 150 Millionen DM zur Förderung des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge; das sind 80 Millionen DM mehr als im Vorjahr. Dem Bund liegt aber nicht nur an neuen, es liegt ihm auch an den alten Wohnungen. Der Instandsetzungsfonds für sie ist 10 Millionen DM höher als im Vorjahr. Eine weitere Förderung bedeuten schließlich für den Wohnungsbau schlechthin die Wohnungsbauprämien, die bisher aus den 500 Millionen DM abzudecken waren. Die Hälfte des Prämienaufwands wird nun künftig zusätzlich vom Bund gegeben; dafür sind 60 Millionen DM in den Einzelplan 25 eingestellt worden. Die Bundesregierung entlastet auf diese Weise die allgemeinen Mittel für den sozialen Wohnungsbau; sie erhofft sich von dieser Intensivierung eine noch stolzere Wohnungsbaubilanz, als sie das letzte Jahr gebracht hat. Erstmals sind auch Zinssubventionen vorgesehen, mit denen aber, wie ich ganz offen sagen darf, zunächst Erfahrungen gemacht werden sollen. Da ein allmählicher Abbau der Kapitalsubventionen bei der von der Bundesregierung verfolgten marktpolitischen Linie ganz selbstverständlich erscheint, liegen hier vielleicht die ersten Ansätze für eine grundsätzliche Umstellung in der Zukunft. Ich muß hier auch auf die Umsiedlungsanleihe hinweisen, die auf einen Beschluß dieses Hohen Hauses zurückgeht und mit 100 Millionen DM für die erste Tranche in die Einnahmeseite ides Haushalts 1955 Eingang gefunden hat. Demgemäß sind diese 100 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau zugunsten der Umsiedlung von Land zu Land eingesetzt worden.
Darf ich nun gleich auf den Schuldendienst eingehen, für den der Bundeshaushalt 1955 Ausgabenvon mehr als 1 1/2 Milliarden DM veranschlagen muß. In dieser Summe sind, das ist eine haushaltsmäßige Neuigkeit, auch die Aufwendungen für die sogenannten politischen Schulden, beispielsweise die Wiedergutmachung an Israel, die Abgeltung holländischer Ansprüche auf Restitution von Aktien, enthalten.
Erstmals enthält der Haushalt der Bundesschuld auch Ausgaben für die Tilgung von Bundesausgleichsforderungen. Nach einem in Vorbereitung befindlichen Gesetz sollen der Bund und die Länder ihre Ausgleichsforderungen zu einem bestimmten Prozentsatz tilgen, ausgenommen die Ausgleichsforderungen des Zentralbankensystems. Die von Ihnen beschlossene Abzweigung von 40 Millionen DM aus dem Reingewinn der Bank deutscher Länder soll auch weiterhin bleiben, um auch daraus Ausgleichsforderungen besonders dringlicher Art vorzeitig zu tilgen.
Im Zusammenhang mit der Bundesschuld entsteht hier nun die Frage, wie lange der Bund, der seit zwei Jahren den Kapitalmarkt nicht mehr in Anspruch genommen hat, dem Wohnungsbau und der Wirtschaft auf dem noch nicht wieder voll funktionsfähigen Kapitalmarkt die Vorhand lassen kann, anders gesagt, wann er die Einnahmeseite des außerordentlichen Haushalts in Ordnung bringen muß. Ich möchte meinen, daß es mit der bisherigen Ara langsam zu Ende gehen wird und daß die Auflegung einer Bundesanleihe näherrückt. Sich allerdings vorzustellen, daß die mehr als 1500 Millionen DM, die der außerordentliche Haushalt erfordert, im Anleiheweg beschafft werden können, geht über die derzeitigen Realitäten hinaus. Ich glaube aber nicht, daß wegen dieser Tatsache ernsthafte Sorgen angebracht sind.
Eine ganz andere Lage würde nur eintreten, wenn der ordentliche und außerordentliche Haushalt des Bundes voll bedient und daneben die Besatzungsguthaben ausgeschüttet werden müßten. Vielleicht ist es noch zu früh, sich zu diesen Fragen schon abschließend zu äußern, insbesondere auch zu den Bedingungen für eine solche Anleihe. Es wird selbstverständlich unser Ziel sein, unter Berücksichtigung der gegebenen Marktlage den Zinsfuß so niedrig wie möglich, den Emissionskurs so hoch wie möglich und die Laufzeit so lang wie möglich festzusetzen. Wenn in der Presse vielfach die Meinung vertreten wird, die öffentliche Hand trage durch zu großzügige Ausstattung ihrer Anleihen zu einer Übersteigerung des Zinsfußes auf dem Kapitalmarkt bei, so trifft dieser Vorwurf den Bund jedenfalls nicht. Bei der Bundesanleihe 1952 z. B. hat nicht der Bundesfinanzminister die Bedingungen einseitig festgesetzt, sondern mit dem Bankenkonsortium ausgehandelt, wobei die Banken bessere Bedingungen durchsetzten, als zuerst von uns in Aussicht genommen war.
Während die Bundesanleihe 1955 wahrscheinlich also erst in das erste Vierteljahr des Kalenderjahrs 1956 fallen wird, muß ich eine andere Anleihe als nah bevorstehend ankündigen, nämlich die Anleihe für Berlin, für die der Bund die Garantie übernommen hat. Sie beläuft sich auf 75 Millionen DM. Außerdem wird voraussichtlich einige Monate später die Lastenausgleichsbank eine Anleihe in Höhe von 200 Millionen DM auflegen. Sie beruht auf einer Entschließung dieses Hauses und stellt die zweite Tranche des damals beschlossenen Gesamtbedarfs von 600 Millionen DM dar.
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Die vielen Einzelpläne des Bundeshaushalts, diesmal um einen besonderen Einzelplan für Versorgung verstärkt, können in ihrer Mannigfaltigkeit von mir nicht näher dargelegt werden. Ich 'möchte aber vielleicht doch noch den einen oder anderen Plan herausgreifen.
Da ist zunächst der Verkehrshaushalt, dessen vielfältige Problematik sich der großen Anzahl schwieriger Fragen, die dieses Haus zu lösen hat, zugesellt. Hier darf ich Ihnen mitteilen, daß für das Rechnungsjahr 1955 ein namhafter Beitrag zur Lösung der Verkehrskrise verankert ist. Über die Liquiditätshilfe an die Bundesbahn in Höhe von 200 Millionen DM im ordentlichen Haushalt habe ich schon gesprochen. Diese Hilfe soll die Zahlungsfähigkeit der Bundesbahn erhalten und einen Teil der vorgetragenen Verluste abdecken. Außerdem soll die Bundesbahn aus dem außerordentlichen Haushalt einen Investitionskredit in Höhe von 100 Millionen DM erhalten. Unter Berücksichtigung der Stundung der Beförderungssteuer in Höhe von 280 Millionen DM werden somit der Deutschen Bundesbahn 1955 aus Mitteln des Bundes insgesamt 580 Millionen DM zufließen. Die Bundesregierung hofft aber, der Bundesbahn aus dem in der Beratung befindlichen Verkehrsfinanzgesetz mindestens weitere 150 Millionen DM zuführen zu können; dafür ist vorläufig ein Leertitel vorgesehen. Glückt der Plan, dann wäre immerhin die beachtliche Summe von 730 Millionen DM erreicht. Die aus ihr zu erwartende Wirkung darf aber nicht übertrieben hoch bewertet werden, da die Verluste der Bundesbahn am Ende des jetzt laufenden Geschäftsjahrs bereits bei 1 1/4 Milliarden DM liegen und sich im Wirtschaftsplan 1955 ein neuer Kassenfehlbetrag von 810 Millionen DM auftut. Es ist klar, daß solche Lücken weder durch Rationalisierungsmaßnahmen noch durch Mehreinnahmen aus den Verkehrsgesetzen geschlossen werden können. Hier können nur Programme auf lange Zeit helfen, darunter auch das Programm zur Verbesserung der Wettbewerbslage der Bundesbahn. Um die Gesundung der Bundesbahn zu erzwingen, müssen bald einschneidende Maßnahmen getroffen werden. Deshalb liegt es auch im finanziellen Interesse des Bundes, daß die Verkehrsgesetze der Bundesregierung, insbesondere das Verkehrsfinanzgesetz, bald verabschiedet werden.
({52})
Diese Gesetze werden nicht nur der Bundesbahn und der Gesamtheit der Steuerzahler, sondern auch dem im Mittelpunkt der Verkehrkrise stehenden Kraftwagen unmittelbar zugute kommen.
Für die Straßen wird der Bundeshaushalt 1955 mit Ihrer Billigung einiges mehr als 1954 tun. Ein umfangreiches Programm von 31 Straßenverbesserungen und Umgehungsstraßen liegt vor. 80 Millionen DM sind als erste Rate an die Öffa für den Ausbau des Autobahnnetzes vorgesehen. Beide Programme können aber nur verwirklicht werden, wenn entsprechende Einnahmen aus dem Verkehrsfinanzgesetz fließen. Erst dann kann auch der erste Schritt zu einer Anpassung der Bundesfernstraßen an den ständig wachsenden Kraftverkehr getan werden. Sollte dieser Schritt Ihnen als zu klein erscheinen, wird sich die Bundesregierung einer vernünftigen weiteren Steigerung der Einnahmen aus dem Verkehrsfinanzgesetz sicher nicht widersetzen.
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Hinter dem brennenden Verkehrsproblem treten die anderen Verkehrsvorhaben an Bedeutung weit zurück. Die Wasserbauvorhaben und die Schiffsbaufinanzierung halten sich im Rahmen dessen, was angesichts der Finanzlage verwirklicht werden kann. Jede Erhöhung dieser Ansätze erscheint uns angesichts der eben geschilderten Anleihelage als unrealistisch. Dies gilt insbesondere auch für die Schiffahrtsfinanzierung, die in den vergangenen Jahren so bevorzugt gefördert worden ist. Wenn nach Abwicklung sämtlicher Neubauten eine Handelsflotte von rund 3 Millionen Bruttoregistertonnen erreicht sein wird, dürfte der Zeitpunkt gekommen sein, in dem die deutsche Schiffahrt sich auch finanziell freigeschwommen hat.
({54})
- Ich werde mich bemühen, mich zu bessern, Herr Mellies!
Es liegt auch in der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, daß ein Kreditbedarf der Wirtschaft in den gegenwärtigen Verhältnissen durch das einzelne Unternehmen unmittelbar und nicht über den öffentlichen Kredit des Bundes gedeckt wird. Um den Übergang zu erleichtern, sind im Verkehrsgebiet erstmalig Mittel für Zinsverbilligungen vorgesehen, bis sich der Kapitalmarkt normalisiert hat oder die Frachteinkünfte die Kreditbedingungen tragbar erscheinen lassen.
Im Rechnungsjahr 1955 kommt mit dem Start der Lufthansa, den wir begrüßen, allerdings auch eine namhafte finanzielle Sorge auf uns zu. Die Bundesregierung wird aber bestrebt sein, die von ihr zu gewährende Starthilfe so zu gestalten, daß die Lufthansa bald von laufenden Zuschüssen unabhängig wird.
({55})
In einem ebenso großen Haushalt wie dem Verkehrshaushalt, nämlich dem Haushalt des Bundesministeriums des Innern, sollen die Gesamtausgaben 1955 von rund 319 Millionen DM auf 384 Millionen DM ansteigen. Die Verstärkung um diese 65 Millionen DM entfällt mit 40 Millionen DM auf den Bundesgrenzschutz, der Rest betrifft Kultur, Statistik, Technisches Hilfswerk und die Bereitschaftspolizei. Die Mehrausgaben für den Bundesgrenzschutz waren unabweisbar, weil 1954, wie Sie wissen, aus Haushaltsgründen die von Ihnen gebilligte Verdoppelung des Bundesgrenzschutzes nur allmählich durchgeführt wurde. Nun muß vom neuen Rechnungsjahr ab die Besoldung vom ersten Tage an gezahlt werden, und auch die Ausstattung muß ratenweise ergänzt werden. Die Mehrausgabe beim Statistischen Bundesamt entsteht durch den wachsenden Arbeitsumfang in der Außenhandelsstatistik und durch neue Statistiken, die vom Parlament und vom Kabinett beschlossen worden sind. Ich muß bei dieser Gelegenheit erneut auf das ständige Ansteigen der Ausgaben des Statistischen Bundesamtes hinweisen und den Appell an alle Beteiligten richten, zu prüfen, ob dieses Riesennetz von Statistiken wirklich zwingend notwendig ist.
({56})
Ein Perfektionismus auf dem Gebiet der Statistik kann nämlich gelegentlich blind statt sehend machen.
({57})
({58})
Mit geringerer Sorge steht das Bundesfinanzministerium der nicht unbeträchtlichen Erhöhung gewisser Mittel für kulturelle Zwecke gegenüber, obwohl es auch hier die Ansicht vertreten muß, daß diese Erhöhungen nicht zu einer Lähmung der Länderfinanzbereitschaft führen dürfen.
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Wenn für den großen Bereich der inneren Verwaltung festzustellen ist, daß bei einer Reihe von Dienststellen leider immer noch kein endgültiger Abschluß des Aufbaues stattfindet, so ist, was die Personalfrage angeht, im Bundesministerium des Innern die personelle Entwicklung in erfreulichem Maße zu fast vollem Stillstand gekommen.
Vielleicht darf ich hier gleich die allgemeinen Personalfragen behandeln. Leider ist es auch diesmal nicht möglich gewesen, Ihnen die Bundesverwaltung in einem gegenüber dem Vorjahr völlig unveränderten Zustand zu präsentieren. Aber Sie werden bei der Prüfung der Einzelheiten feststellen, daß der Bundesfinanzminister sich mit Hartnäckigkeit gegen jede nicht ganz unabweisbare Personalvermehrung zur Wehr gesetzt hat.
({60})
Da die öffentlichen Aufgaben keine meßbare Größe und schlechthin unerschöpflich sind, gibt es auch für ,den personellen Bedarf als echte Grenze nur die Erkenntnis, daß mit Personalvermehrungen, abgesehen von gewissen lokalen Aufgaben, häufig keine echte Verbesserung der Arbeit der öffentlichen Verwaltung, sondern nur ein Zwang zu weiteren Personalvermehrungen hergestellt wird.
({61})
Eine Minderung in der Zahl und die Schaffung besserer Bedingungen zugunsten der wirklichen Qualität sollten erfolgreichere Maßnahmen sein, als die weitere Ausdehnung der Beschäftigtenzahlen.
({62})
Der Sinn der Allgemeinen Vorbemerkungen war es nicht zuletzt, Ihnen den mündlichen Vortrag aller Haushaltsdetails zu ersparen und ein geruhsames Studium der Budgetprobleme an Hand zuverlässiger Unterlagen zu ermöglichen. Wenn Sie erlauben, will ich aus diesem Grunde davon absehen, noch weiter in die Einzelheiten zu gehen.
({63})
- Herr Abgeordneter Schoettle, bis zum Zusammentritt des Haushaltsausschusses.
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Ich behandle deshalb auch nicht den großen Einzelplan der Bundesfinanzverwaltung, die vielerlei interessanten Ansätze im Einzelplan des Bundesministers für Vertriebene, die Einnahmen und Ausgaben der kleineren Pläne und nicht einmal die Haushaltsansätze für die Dienststelle Blank, die wir wie im Vorjahr unverändert gelassen haben. Was gerade die Dienststelle Blank angeht, so besteht die Absicht, Ihnen einen ausführlichen Haushaltsplan für das künftige Verteidigungsministerium vorzulegen, sobald die Ratifizierungsdebatten der Beteiligten einen entscheidenden Fortschritt erkennen lassen und unsere Vorarbeiten abgeschlossen sind.
({65})
- Ich habe auch den Eindruck. - Da die Kosten dieses Verteidigungsministeriums aus dem Ansatz von 9 Milliarden DM gedeckt werden, bedeutet das Nachschieben des Verteidigungshaushalts keine Beeinträchtigung der finanziellen Stabilität des jetzt vorgelegten Plans. Man wird sich denken können, daß der Haushaltsausschuß und der Sicherheitsausschuß dieses Hauses gleich in die Anlaufsfinanzierung maßgebend eingeschaltet werden, um die vorhin von mir als besonders gefährlich bezeichnete Überstürzung in diesen Fragen zu vermeiden.
({66})
Bis jetzt sind diese Fragen noch nicht etatreif und konnten deshalb haushaltmäßig nur global eingefangen werden.
({67})
Besonders wichtig ist vielleicht aus der großen Bundesverwaltung noch der Auswärtige Dienst, der sich Ihnen diesmal mit einer beträchtlichen Ausweitung seiner Dienststellen im Ausland präsentiert. Bei den Zahlen des vor Ihnen liegenden Haushaltsplans sind bereits in sehr spürbarer Weise gewisse Erfahrungen ausgewertet, die sich im Auswärtigen Dienst der letzten Jahre ergeben haben.
Und nun noch ein Wort zu den vielbeprochenen Bundesbeteiligungen, ,allerdings nur zu der formellen Seite Die Öffentlichkeit hat sich in den letzten Monaten besonders mit den Beteiligungen des Bundes an wirtschaftlichen Unternehmungen befaßt. Hierbei hat die Öffentlichkeit mit Recht den Wunsch geäußert, unterrichtet zu werden über die Gesamtheit der Beteiligungen des Bundes an wirtschaftlichen Unternehmungen, d. h. über seine Betätigung im wirtschaftlichen Leben. Zum anderen besteht in gleichem Maße ein lebhaftes Interesse, einen Einblick in die Verhältnisse der einzelnen Gesellschaften zu gewinnen, insbesondere in die Verhältnisse der großen Konzerne des Bundes. Aus diesem Grunde sind in den Vorbemerkungen zum Entwurf des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 die Angaben über das Beteiligungsvermögen erheblich ausgedehnt und verstärkt worden. Die Vorbemerkungen enthalten insbesondere Konzernpläne, Aufstellungen über die wesentlichen Konzerngesellschaften sowie Darstellungen über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Konzerne. Darüber hinaus werden demnächst auch konsolidierte Bilanzen für die großen Konzerne veröffentlicht werden.
Ebenso wirkt die Bundesregierung ständig dahin, daß auch die Unternehmen ihrerseits die Öffentlichkeit in weitgehendem Maße über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse unterrichten. Die angestrebte weitgehende Publizität soll sich keineswegs auf die Gesellschaften beschränken, die kraft Gesetzes zur Veröffentlichung ihrer Abschlüsse und Geschäftsberichte verpflichtet sind. Wenn dies in der Vergangenheit noch nicht immer in vollem Umfang geschehen konnte, so lag das u. a. daran, daß bei zahlreichen Gesellschaften die Schwierigkeiten der Aufstellung der DM-Eröffnungsbilanzen zu einer erheblichen Verzögerung der späteren Bilanzen geführt haben, so daß die Gesellschaften meist nicht in der Lage waren, ihre Bilanzen frühzeitiger zu veröffentlichen.
Ich hoffe, daß das in dem Bundeshaushaltsplan 1955 über die Bundesbeteiligungen vorgelegte Ma({68})
terial auch dem in Aussicht genommenen Unterausschuß des Bundestages für die Bundesbeteiligungen die Durchführung seiner Arbeit erleichtern wird.
Die weitgehende Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Verhältnisse der Bundesgesellschaften wird dazu beitragen, gewisse, nicht ganz zutreffende Vorstellungen über den Umfang des Beteiligungsvermögens des Bundes zu berichtigen. Dies wiederum wird sicherlich dazu führen, daß die Erörterungen über die Möglichkeiten der Privatisierung in Zukunft zu fruchtbaren Ergebnissen gelangen.
Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt, vielerlei Wichtiges und Wesentliches nicht erwähnt zu haben; aber die Aufgabe dieser ersten Vorstellung des Bundeshaushaltsplans für 1955 kann es nur sein, die tragenden Prinzipien des Entwurfs und die wesentlichsten Motive darzulegen. Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich den einen oder anderen Punkt ausgelassen habe, der Ihnen vielleicht wichtiger erscheint als manches, was ich selbst gebracht habe. In der Debatte wird Gelegenheit sein, solche Versäumnisse nachzuholen.
Ich habe den besonderen Auftrag des Bundesfinanzministers, mit einem sehr starken Nachdruck auf die in diesem neuen Haushalt zum Ausdruck kommenden erneuten Bemühungen der Bundesregierung um die Stabilerhaltung der Bundesfinanzwirtschaft hinzuweisen. Die finanzielle Konzeption des Bundesfinanzministers ist durch die letzten Beschlüsse zur Einnahme- und Ausgabeseite des Bundes sehr fühlbar beeinträchtigt worden. Ich habe mir erlaubt, Ihnen die Entwicklung, die der Haushalt 1954 während seines Ablaufs genommen hat, mit der doch wohl recht gewichtigen Mitteilung darzustellen, daß wir uns schon um mehrere 100 Millionen DM in einem neuen und zusätzlichen Defizit befinden und daß die Mehreinnahmen trotz der anhaltenden Wirtschaftskonjunktur den Rückstand nicht aufholen werden. Für 1955 sind, wie Sie wissen, nicht weniger als 570 Millionen DM aus der Einnahmeseite des Bundes durch die Steuerreform verschwunden. Der Bundesrat hat durch seine Beschlüsse dem Bund über eine weitere halbe Milliarde DM hinaus die erwarteten Einnahmen streitig gemacht. Der Finanzminister kann Ihnen deshalb diesen Haushalt nur mit der ernsten und nachdrücklichen Bitte vorlegen, mit allen Kräften für seine Verbesserung und damit für die Beibehaltung der bisher von ihm so sehr verteidigten inneren Gesundheit der Finanzen der Bundesrepublik einzutreten. Die deutsche Öffentlichkeit hat eine instinktive Angst vor Experimenten und sieht in einem soliden Haushalt ein Unterpfand für die Sicherheit der eigenen wirtschaftlichen Existenz.
Wir sind gewiß aus den Vorjahren an mancherlei Schwierigkeiten zunächst sehr sicher erscheinender Planungen gewöhnt. Aber diesmal besteht doch wohl in weitesten Kreisen das Gefühl, daß auf die deutsche Finanzwirtschaft Probleme zukommen, die nur mit einem hohen Maß volkswirtschaftlichen Weitblicks, mit Tatsachensinn und mit Verantwortungsbewußtsein gemeistert werden können.
({69})
Meine Damen und Herren, damit ist die Einbringung des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955 erfolgt. Wie schon angekündigt, wird das Haus morgen vormittag um 9 Uhr in die Beratung darüber eintreten.
Inzwischen ist eine interfraktionelle Vereinbarung darüber zustande gekommen, der Tagesordnung weiter zu folgen. Ich rufe demnach auf Punkt 4 b der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ,die Gewährung von Kindergeld ({0}).
({1})
- Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Horn. - Herr Abgeordneter Horn, wollen
Sie das Wort zur Geschäftsordnung nicht nehmen?
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jentzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vormittag ist das Kindergeldanpassungsgesetz angenommen, damit praktisch die erste Novelle zum Kindergeldgesetz verwirklicht worden. Meine Freunde und ich haben bei früheren Gelegenheiten des öfteren darauf hingewiesen, welche Bedenken grundsätzlicher Art dem Kindergeldentwurf entgegengestanden haben. Wir haben Ihnen in ,der Plenarsitzung am 14. Oktober den Antrag Drucksache 877 vorgelegt, um zu beweisen, daß wir nicht nur eine formale Kritik zu üben haben, sondern daß wir eine konstruktive Kritik üben, indem wir Ihnen einen brauchbaren Gegenvorschlag machen. Wir sind auch jetzt noch, nachdem der Gesetzentwurf heute morgen zum Gesetz erhoben worden ist, der Ansicht, daß es ein schlechtes Gesetz ist und daß wir Ihnen einen besseren Entwurf zu bieten haben, einen Entwurf, der all die Kreise in der gleichen Weise erfaßt, die leider in der 'heute morgen angenommenen Novelle zum Kindergeldgesetz noch nicht in vollkommener Form erfaßt werden konnten.
Ich will es mir versagen, auf die einzelnen kritischen Punkte erneut einzugehen, die hier schon zu wiederholten Malen angeführt worden sind. Ich will es mir auch versagen, erneut auf die zahlreichen Bedenken der Sachverständigengremien hinzuweisen.
Wir haben Ihnen zu dem Gesetzentwurf Drucksache 877 auf dem Umdruck Nr. 201*) einige Änderungsanträge vorgelegt. Ein wesentliches Moment der Bedenken aus der Plenarsitzung am 14. Oktober erhob sich gegen die von uns vorgeschlagene Höhe der Grenze von 4800 DM. Sie ist abgeändert worden in die Zahl 9000 DM. Wir sind der Auffassung, daß durch eine so globale Festsetzung ein Höchstmaß an vertretbarer sozialer Gerechtigkeit geschaffen worden ist. Es ist abgesehen worden von den Unzulänglichkeiten, die in dem ersten Gesetz enthalten sind, von Unzulänglichkeiten, die - ich verstehe eigentlich nicht, daß von den Koalitionsfreunden aus der CDU auf diese Dinge so präzise hingewiesen worden ist - geradezu zu einer billigen Polemik herausfordern; ich erwähne nur den berühmten Generaldirektor. Sie werden bei allen Auseinandersetzungen, die man draußen über dieses Gesetz hat, immer wieder dieser Figur begegnen. Man kann dem ja auch kaum ,etwas wirklich Positives entgegensetzen. Wir haben mit einer Begrenzung der sozialen Bedürftigkeit - wenn Sie
*) Siehe Anlage 1.
({0})
mir diesen etwas überspitzten Ausdruck erlauben - in Höhe der 9000-DM-Grenze nach unserer Auffassung einen vertretbaren Spielraum geschaffen, weil unterhalb dieser Grenze die steuerlichen Vergünstigungen nicht zum Zuge kommen, jenseits dieser Grenze aber, wenn auch dort der Übergang natürlich nicht flüssig ist, immerhin so viele Erleichterungsmomente gegeben sind, daß es vertretbar erscheint, die Kinderbeihilfen in Höhe von 25 DM nicht zu gewähren.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß uns bei dem Zuwegebringen dieses Gesetzes relativ wenig Zeit zur Verfügung gestanden hat und daß am 14. Oktober unser Antrag, dieses Gesetz noch einmal in den Sozialpolitischen Ausschuß zu geben, damit man dort Gelegenheit habe, sich darüber zu unterhalten, vom Plenum mit der entsprechenden Mehrheit abgelehnt worden ist. Wir bedauern, daß auf diese Art und Weise der Versuch im Keim erstickt wurde, auch hier einen konstruktiven Beitrag für eine bessere Lösung zu bringen.
({1})
Zu den weiteren Änderungen, die zu den einzelnen Paragraphen der Drucksache 877 beantragt worden sind, möchte ich mir dann, wenn sie zur Einzelberatung aufgerufen werden, im einzelnen Stellung zu nehmen erlauben.
Ich habe Sie im Namen meiner politischen Freunde zu bitten, diesem von uns eingebrachten Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben, dabei Bedenken formalistischer Art zurückzustellen und sich mit uns zu der einen Verpflichtung zu bekennen: wenn sich hier eine Lösung ergibt und anbietet, die wirklich der sozialen Gerechtigkeit entspricht, die durch ein Kindergeldgesetz, durch eine Beihilfe erzielt werden soll, dann auch der Vernunft die Stimme zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein verehrter Herr Vorredner hat auch wieder davon gesprochen, daß wir mit der Verabschiedung des Kindergeldanpassungsgesetzes die erste Novelle zum Kindergeldgesetz geschaffen hätten. Ich muß dieser Lesart mit allem Nachdruck widersprechen.
({0})
Von einer Novelle zum Kindergeldgesetz könnte nur dann die Rede sein, wenn wir das neulich beschlossene und verkündete Gesetz als solches heute in irgendeiner Form änderten. Wir fügen aber in der logischen Folge der Entwicklung das Kindergeldanpassungsgesetz heute nur an. Es handelt sich nicht um eine Novelle zum Kindergeldgesetz selber. Ich meine, das könnte bei einiger Überlegung unschwer verstanden werden.
Zum vorliegenden Punkt 4 b der Tagesordnung möchte ich folgendes sagen. Im Bundesgesetzblatt vom 15. November 1954, Teil I Nr. 37, ist das Kindergeldgesetz, so wie wir es neulich beschlossen hatten, verkündet worden. In dem letzten Paragraphen des Gesetzes, der das Inkrafttreten beinhaltet, ist gesagt:
Die Vorschriften über die Aufbringung der
Mittel, die Anspruchsberechtigung und die
Zahlung des Kindergeldes treten am 1. Januar
1955, die übrigen Vorschriften des Gesetzes am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
Damit, meine Damen und Herren, haben wir es mit einem Gesetz zu tun, das zum Teil schon in Kraft ist, zum andern aber, was die rein geldliche Seite angeht, mit dem 1. Januar wirksam wird. Nach der Überzeugung meiner politischen Freunde in diesem Hause besteht keinerlei sachliche Notwendigkeit, an diesem Kindergeldgesetz, nachdem es den Weg ins Leben nur mit einigen Schritten angetreten hat, aber die Hauptsache noch kommt, und da es sich jedenfalls um ein verkündetes Gesetz handelt, heute irgend etwas zu ändern. Es wäre schon - darauf habe ich heute vormittag oder früher auch schon hingewiesen - politischparlamentarisch ein Novum, also in der Geschichte auch dieses Hauses bisher nicht bekannt, daß man ein Gesetz wieder ändert oder aufhebt, bevor man sich überhaupt von seiner Bewährung oder von seiner praktischen Durchführbarkeit überzeugt hat.
({1})
Ich kann doch erst dann etwas ändern, wenn ich wirklich durch die Praxis eingesehen habe, daß es so nicht geht.
Wir möchten also das Hohe Haus vor dieser Einmaligkeit, die draußen nicht verstanden werden würde - das möchte ich mit Nachdruck sagen -, und vor parlamentarischen Unmöglichkeiten bewahren. Deshalb beantragen wir sowohl aus sachlichen Gründen als auch aus diesen letztgenannten Erwägungen, über den Punkt 4 b der heutigen Tagesordnung zur Tagesordnung überzugehen. Wir bitten, über diesen Antrag namentlich abzustimmen.
({2})
Meine Damen und Herren. Sie haben den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gehört. Ich frage: Wird dem Antrag widersprochen? - Das ist der Fall.
({0})
Zunächst hat das Wort der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Horn hat davon gesprochen, daß gewissermaßen das Ansehen des Hauses beeinträchtigt wird - so habe ich Sie wohl richtig verstanden -,
({0})
wenn heute das Kindergeldgesetz, das am 15. November im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden ist, wieder aufgehoben wird. Das ist zwar prinzipiell richtig, Herr Kollege Horn; aber meine politischen Freunde und ich sind der Meinung, daß das Ansehen des Gesetzgebers noch viel schwerwiegender beeinträchtigt wird, wenn an diesem schlechten Gesetz festgehalten wird, obwohl der Gesetzgeber erkennt, daß die Durchführung außerordentlich schwierig ist und daß die sozialpolitischen Folgen sehr bedenklich sein werden.
({1})
Im übrigen, Herr Kollege Horn, ist es keineswegs ein Novum in diesem Hause, daß der Gesetzgeber ein Gesetz in den entscheidenden Grundlagen
({2})
wieder ändert, bevor es durchgeführt ist. Ich darf an das Teuerungszulagengesetz erinnern. Es erwies sich in der von der Regierung vorgelegten Fassung als undurchführbar. Deshalb mußte das Haus dieses Gesetz in den grundlegenden Punkten wieder aufheben, bevor es durchgeführt werden konnte.
({3})
- Das ist, glaube ich, ein sehr treffender Vergleich, und zwar um so treffender, als es sich damals sogar um eine Regierungsvorlage handelte.
Meine Fraktion ist also der Auffassung, daß wir heute in die zweite Lesung des Gesetzentwurfes eintreten sollten, und wird daher gegen Ihren Antrag auf Übergang zur Tagesordnung stimmen.
Was nun die Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Jentzsch zum Inhalt des Gesetzes betrifft, so darf ich sagen, daß meine Fraktion in der grundlegenden Konzeption mit dem Entwurf einverstanden ist. Dies nicht nur deshalb, weil dieser Gesetzentwurf verwaltungstechnisch einfacher ist, sondern auch deshalb, weil nach dem Gesetzentwurf der FDP Kindergeld vom dritten Kind an ohne Rücksicht auf den Beruf der Eltern gewährt wird. Wir halten es dagegen nicht für sinnvoll, eine Einkommensgrenze festzusetzen, zumal sich nach Erhöhung der Einkommensgrenze im Sinne des FDP-Antrags nicht wesentliche finanzielle Belastungen daraus ergäben.
Wir bitten deshalb, Ziffer 1 unseres Antrags Umdruck 206*) anzunehmen, nach dem in § 1 die Worte „und die Voraussetzungen des § 3 erfüllt" - das betrifft die Einkommensgrenze - gestrichen werden sollen.
({4})
Abgeordneter Dr. Menzel zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach § 58 Buchstabe c der Geschäftsordnung des Bundestages sind namentliche Abstimmungen zur Tagesordnung unzulässig.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag auf namentliche Abstimmung über den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung hinsichtlich des Punktes 4 b der heutigen Tagesordnung gehört. Der Herr Abgeordnete Dr. Menzel hat geltend gemacht, daß nach § 58 der Geschäftsordnung in Fragen der Tagesordnung namentliche Abstimmung unzulässig ist. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß der § 29 der Geschäftsordnung in dem Kommentar richtig interpretiert ist, wenn ausgeführt wird, daß der Übergang zur Tagesordnung es dem Bundestag ermögliche, einen Gegenstand ohne Sachabstimmung zu erledigen. Ich glaube also, daß der Übergang zur Tagesordnung hier eine Sachentscheidung darstellt, und entscheide deshalb, daß namentliche Abstimmung zulässig ist.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Abgeordneten Horn auf Übergang zur Tagesordnung zustimmen will, gibt seine Karte mit Ja ab. Ich darf die Schriftführer bitten, die Karten einzusammeln.
({0}) *) Siehe Anlage 2.
Meine Damen und Herren, ich frage, ob alle Mitglieder des Hauses abgestimmt haben. - Ich sehe keinen Widerspruch.
Herr Abgeordneter Ritzel zur Geschäftsordnung.
Ich wollte den Herrn Präsidenten fragen, ob er veranlaßt oder abgeklärt hat, daß die Berliner Abgeordneten in diesem Falle ebenfalls stimmberechtigt sind.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe zunächst die Abstimmung und antworte auf die Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel wie folgt: Es handelt sich nach meiner Überzeugung zwar in der Sache um eine Sachentscheidung. Der Übergang zur Tagesordnung ist in diesem Falle eine Sachentscheidung im Sinne von § 29 der Geschäftsordnung, nach der Interpretation im Kommentar, die nicht bezweifelt ist. In diesem Augenblick und in dieser Frage aber handelt es sich darum, wie verfahren werden soll, und weil es sich jetzt um eine Verfahrensfrage handelt, geht es um eine Frage der inneren Ordnung des Hauses.
({0})
- Meine Damen und Herren, es handelt sich um eine Frage der inneren Ordnung des Hauses hinsichtlich des Verfahrens. Im Augenblick ist diese Frage gestellt und nicht die Frage nach der Sachentscheidung, die mit dem Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestellt ist.
Ich entscheide daher, daß die Berliner Stimmen mitzuzählen sind.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen insgesamt 414. Mit Ja haben gestimmt 203 Mitglieder des Hauses, mit Nein 209 Mitglieder des Hauses; 2 Enthaltungen. Der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ist abgelehnt.
({1})
Meine Damen und Herren, wir treten ein in die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld. Die Antragsteller haben den Entwurf bereits begründet.
({2})
- Meine Damen und Herren, trotz der verstärkten Lautsprecheranlage ist hier nichts mehr zu verstehen. Ich bitte deshalb um etwas mehr Ruhe, damit die Verhandlung fortgesetzt werden kann.
Ich rufe auf in der zweiten Beratung den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld Drucksache 877 § 1 und Umdruck 206**) Ziffer 1. Ich eröffne die Beratung. - Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 206 Ziffer 1 zu § 1. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3003. **) Siehe Anlage 2.
({3})
Wir stimmen ab über § 1 des Gesetzentwurfs Drucksache 877. Wer dem § 1 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Darf ich bitten, meine Damen und Herren, daß die Abstimmung wiederholt wird. Wer für § 1 ist, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit.
({4})
- Meine Damen und Herren, der Vorstand ist einmütig: das letztere war die Mehrheit. Damit ist § 1 der Vorlage abgelehnt.
Ich rufe auf § 2. Wird das Wort dazu gewünscht?
- Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem § 2 des Gesetzentwurfs Drucksache 877 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das ist die gleiche Mehrheit wie bei § 1, bei einer Enthaltung; der § 2 ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 3. Hierzu liegen Änderungsanträge auf Umdruck 201*) und 206**) vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Einer der Herren Antragsteller hat diesen Antrag bereits begründet. Wir stimmen zunächst ab über den Änderungsantrag der Fraktionen der FDP, GB/BHE und DP, Umdruck 201 Ziffer 1, auf Änderung des § 3. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Wieder dieselbe Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 4 des Entwurfs Drucksache 877. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
({5})
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem § 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. -
Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 4 ist abgelehnt.
Ich hole nach die Abstimmung über den § 3 in der Fassung des Entwurfs Drucksache 877. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem § 3 in der
ursprünglichen Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! Das letzte ist die Mehrheit; der § 3 ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 5. Änderungsanträge liegen dazu nicht vor. Wird das Wort gewünscht zu § 5? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem § 5 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf § 6. Änderungsanträge dazu liegen nicht vor. Wird das Wort zu § 6 gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem § 6 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der § 6 ist mit derselben Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf § 7. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 201 Ziffer 2 und ein Änderungsantrag auf Umdruck 206 Ziffer 3 vor. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag zu § 7 auf Umdruck 201 Ziffer 2 zu-
*) Siehe Anlage 1. **) Siehe Anlage 2. stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag zu § 7 Umdruck 206 Ziffer 3. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit derselben Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf § 7 in der Fassung des ursprünglichen Entwurfs. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf die §§ 8, 9 und 10. Dazu liegen Änderungsänträge nicht vor. Wer den §§ 8, 9 und 10 der ursprünglichen Fassung nach Drucksache 877 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die §§ 8, 9 und 10 sind abgelehnt.
Ich rufe den § 11 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 201 vor. Wird zu dem Änderungsantrag zu § 11 auf Umdruck 201 - das ist der Antrag der Fraktionen der FDP, GB/BHE, DP - das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich rufe den Änderungsantrag auf Umdruck 206 Ziffer 4 zu § 11 auf. Wird dazu das Wort gewünscht?
Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Änderungsanträge auf Umdruck 201 und 206 sind sachlich die gleichen Anträge. Es handelt sich um die grundsätzliche Frage der Aufbringung der Mittel für die Kindergeldzahlung. Meine Fraktion beantragt hierzu namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag auf namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag zu § 11 auf Umdruck 206 gehört. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({0})
Ich frage, ob alle Mitglieder des Hauses ihre Stimmkarten abgegeben haben. - Ich höre keinen Widerspruch. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte, die Stimmkarten auszuzählen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen 395; mit Ja haben gestimmt 193, mit Nein 196, 6 Enthaltungen. Die Berliner Abgordneten haben gestimmt: Abgegebene Stimmen insgesamt 17, mit Ja 13, mit Nein 4, ohne Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir fahren fort. Ich rufe auf den Änderungsantrag auf Umdruck 201 Ziffer 4. Er ist gleichlautend mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 206 Ziffer 5. Ich lasse deshalb über beide gleichlautenden Anträge gemeinsam abstimmen. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Änderungsantrag auf Umdruck 201 Ziffer 4 und auf Umdruck 206 Ziffer 5 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. -*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3003.
({2})
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Genau dieselbe Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 11. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht ,der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer für den § 11 nach der Vorlage ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der § 11 ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 12, zunächst den Änderungsantrag auf Umdruck 201 Ziffer 5, der gleichlautend ist mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 206 Ziffer 6. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Änderungsantrag ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf den § 12 in der ursprünglichen Fassung. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer für den § 12 ist den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; abgelehnt.
Ich rufe auf § 13, und zwar zunächst die Änderungsanträge auf Umdruck 201 Ziffer 6 und auf Umdruck 206 Ziffer 7. Die Anträge sind gleichlautend. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Wer für die Änderungsanträge ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Anträge sind abgelehnt.
Ich rufe § 13 in seiner ursprünglichen Fassung auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ,ist nicht ,der Fall. Wer für den § 13 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 13 ist abgelehnt.
Ich rufe § 14 auf, zunächst den Änderungsantrag unter Ziffer 8 des Umdrucks 206. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Wer für Ziffer 8 des Änderungsantrags auf Umdruck 206 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe den § 14 in der ursprünglichen Fassung auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer für den § 14 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der § 14 ist abgelehnt.
Ich rufe § 15 auf, und zwar hier zunächst die Änderungsanträge unter Ziffer 7 des Umdrucks 201 und unter Ziffer 9 des Umdrucks 206. Diese Anträge sind gleichlautend. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für diese Änderungsanträge ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Anträge sind abgelehnt.
Ich rufe § 15 in der ursprünglichen Fassung auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Wer für den § 15 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 15 ist abgelehnt.
Ich rufe § 16 auf. Keine Änderungsanträge. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer für den § 16 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 16 ist abgelehnt.
Ich rufe § 17 auf. Hierzu sind Änderungsanträge unter Ziffer 8 des Umdrucks 201 und Ziffer 10 des Umdrucks 206 gestellt. Diese Anträge sind gleichlautend; ich stelle beide zur Abstimmung. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer für diese Änderungsanträge ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Anträge sind abgelehnt.
Ich rufe den § 17 in der ursprünglichen Fassung auf. - Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer für den § 17 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 17 ist abgelehnt.
Ich rufe den § 18 auf. Keine Änderungsanträge. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den § 18 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der § 18 ist abgelehnt.
Ich rufe die Änderungsanträge - betreffend Einfügung eines § 18a - unter Ziffer 9 des Umdrucks 201 und Ziffer 11 des Umdrucks 206 auf. Diese Anträge sind gleichlautend. Ich stelle beide zusammen zur Debatte. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer für diese Änderungsanträge ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Die Anträge sind abgelehnt.
Ich rufe auf § 19. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer für den § 19 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 19 ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 20. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer für den § 20 ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - § 20 ist abgelehnt.
Ich rufe auf die Änderungsanträge betreffend Einfügung eines § 20 a, Umdruck 201 Ziffer 10 und Umdruck 206 Ziffer 12; die Anträge sind gleichlautend. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung. Wer für diese Änderungsanträge betreffend einen § 20 a ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Änderungsanträge sind abgelehnt!
Ich rufe auf § 21, Einleitung und Überschrift. - Herr Kollege Schellenberg, zur Abstimmung!
({3})
- Nicht zur Abstimmung? Ich bedaure, wir sind in der Abstimmung.
({4})
- Wird zu § 21 das Wort gewünscht? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Bitte sehr, wir auch! - Es handelt sich um die grundsätzliche Frage, ob diesem Gesetzentwurf der
({1})
FDP über die Gewährung von Kindergeld, den sie mit außerordentlich knappen Mehrheiten bisher abgelehnt haben, ob der darin enthaltenen Konzeption noch eine Chance dadurch gegeben wird, daß sich für § 21, Einleitung und Überschrift eine Mehrheit in diesem Hause findet.
({2})
Es handelt sich hierbei - dessen sind sich alle Mitglieder des Hauses bewußt - um eine prinzipielle Frage für die Gestaltung der Kindergeldregelung überhaupt. Namens meiner Fraktion stelle ich zu § 21, Einleitung und Überschrift den Antrag auf namentliche Abstimmung.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag auf namentliche Abstimmung gehört. Der Antrag ist ausreichend unterstützt. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({0})
Meine Damen und Herren, ich frage, ob aille Mitglieder des Hauses abgestimmt haben. - Ich höre keinen Widerspruch.
Ich schließe damit die namentliche Abstimmung. Ich bitte um Auszählung.
({1})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 401; mit Ja haben gestimmt 198, mit Nein 198, enthalten haben sich 5. Von den Berliner Abgeordneten wurden 16 Stimmen abgegeben, 12 mit Ja, 4 mit Nein. Meine Damen und Herren, damit sind § 21 der Vorlage, Einleitung und Überschrift abgelehnt. Somit sind sämtliche Teile des Gesetzentwurfs abgelehnt. Es unterbleibt nach § 84 Abs. 3 der Geschäftsordnung jede weitere Beratung und Abstimmung.
({2})
Meine Damen und Herren, ich habe volles Verständnis dafür, daß nach dieser Debatte das Bedürfnis nach Aussprache besteht. Aber wir haben noch eine sehr besetzte Tagesordnung und müssen versuchen, morgen vormittag um 9 Uhr mit der Budgetdebatte zu beginnen.
Ich rufe auf Punkt 4 c der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen ({3}) ({4}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Meyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der beiden Gesetze war es bisher nicht möglich, den gesamten Kreis der Menschen zu erfassen, die Ansprüche auf Kinderbeihilfe haben. Ein sehr großer Teil steht noch außerhalb der Gesetzgebung. Ich glaube, man kann ihn auf ungefähr 250 000 bis 300 000 Menschen schätzen. Es handelt sich um den Personenkreis aller Beschäftigten im Haushalt, der Länderbediensteten, die als Waldarbeiter, Feldhüter usw.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 3003. tätig sind, einer Reihe von Gemeindebediensteten, der Gerichtsvollzieher ohne Gebühren, der selbständigen Berufslosen, die sich auf verschiedene Art und Weise ihren Lebensunterhalt verdienen, um den Kreis der Besatzungsbediensteten und der sogenannten GSO, der Bewachungseinheiten bei den Besatzungsmächten.
Man ist sich in dem Hohen Hause zwar darüber im klaren, daß für diesen sehr umfangreichen Kreis etwas geschehen muß, und es ist auch bereits der Stichtag vom April 1955 gefallen, aber das enthält nichts Zwingendes. Selbst der Herr Familienminister, der sich in letzter Zeit über dieses Problem in einer Reihe von Zeitungen ausgelassen hat, muß zu der Überzeugung kommen, daß der Bundestag die Bundesregierung eigentlich nur ersucht hat, in eine beschleunigte Prüfung darüber einzutreten, in welcher Weise diesem Personenkreis die im Kinderbeihilfegesetz festgelegten Leistungen ebenfalls gewährt werden können. Es soll bis zu dem Stichtag lediglich Bericht darüber erstattet werden, um welchen Kreis es sich handelt. Es ist aber nichts darüber ausgesagt worden, daß der Stichtag etwas Zwingendes in bezug auf die Gesetzgebung zur Erfassung dieses Kreises in sich schließt.
({0})
Aus diesem Grunde legt Ihnen die sozialdemokratische Fraktion in Drucksache 974 einen Gesetzentwurf vor, der jetzt in einer ganz konkreten Weise versucht, ich darf wohl sagen - wenn Sie den § 1 studieren, werden Sie es bestätigt finden -, auf den beiden Gesetzen aufbauend, eine Regelung für diese rund 250 000 Menschen zu treffen, ihnen das gleiche Kindergeld zu gewähren. Es ist nicht einzusehen, warum ausgerechnet diese Menschen solange warten sollen. Das unterstreiche ich noch einmal, da ja auch der Stichtag April 1955 nicht zwingend für die Vorlage bzw. die Verabschiedung eines Gesetzes ist.
Die genannten Kreise waren nicht in die Konzeption einzubauen, von der die Mehrheit dieses Hauses ausgegangen ist. Deshalb schlägt die sozialdemokratische Fraktion vor, auch diese Kreise zu erfassen; § 2 regelt die Zuständigkeit der Finanzämter. Bund und Länder sollen gemeinsam die Summen aufbringen, die erforderlich sind, diese Kreise einzubeziehen.
Ohne mich angesichts der vorgerückten Stunde und des Arbeitspensums, das noch vor uns liegt, mit allen Einzelheiten zu beschäftigen, ersuche ich im Namen meiner Fraktion, dieses Schlußgesetz - so darf ich es wohl bezeichnen - an den sozialpolitischen Ausschuß ,als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
({1})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung gehört. Auf eine Aussprache wird allgemein verzichtet. Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik vor. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Abschluß der Investitionshilfe der gewerb({0})
lichen Wirtschaft ({1}) ({2}).
Soweit ich unterrichtet bin, wird hier auf Begründung verzichtet. Wird auch auf die Aussprache verzichtet? - Das ist der Fall.
Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik.
({3})
- Nach den Beratungen im Ältestenrat ist nur die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik vorgesehen. Anderweitige Anträge müßten gestellt werden.
({4})
- Herr Pelster, ich erteile Ihnen das Wort.
Die Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen wird hiermit beantragt.
Welcher Ausschuß soll nach ihrer Meinung federführend sein?
({0})
Meine Damen und Herren, es besteht auf alle Fälle Einmütigkeit darüber, daß der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen wird. Falls noch ein zweiter Auschuß hinzukommt, ist der Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend. Wer außerdem der Meinung ist, daß der Gesetzentwurf zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen überwiesen werden soll, den bitte ich um das Handzeichen - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Dieser Punkt der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktionen der DP, GB/ BHE betreffend Werbung zu Fremdenlegionen ({1});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Deutsche Fremdenlegionäre
({2}).
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Schneider.
Schneider ({3}) ({4}), Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte vorausschicken: Meine Freunde und ich bedauern es, daß die Behandlung dieses Tagesordnungspunktes erst heute stattfinden kann, nachdem wir in der Vergangenheit aus den verschiedensten Gründen zu einer Vertagung dieser Anfrage gezwungen waren. Meine Freunde und ich meinen, daß es der Sache abträglich ist und daß es vor allen Dingen in der Öffentlichkeit keinen guten Eindruck hinterläßt, wenn solche die ganze Öffentlichkeit berührenden Fragen auf die lange Bank geschoben werden.
Wir sind uns bewußt, daß wir mit dieser Angelegenheit ein heißes Eisen anpacken. Ich möchte aber gleich vorab betonen, daß es bei der Behandlung dieser Frage nicht etwa darauf ankommen kann, hier eine Kampagne gegen irgendeine der Nationen, die Fremdenlegionen halten, zu starten, insbesondere also nicht gegen Frankreich. Wenn ich das als Sohn von Eltern sage, die im Jahre 1919 das Elsaß verlassen mußten, wenn ich das als Kriegsteilnehmer des letzten Krieges sage, dann glaube ich für diese meine Worte ganz besonders Gehör und Glauben zu finden.
Ich muß allerdings dem französischen Hohen Kommissar François-Poncet widersprechen, wenn er vor längerer Zeit einmal äußerte, daß es um die deutsch-französischen Beziehungen immer dann schlecht bestellt sei, wenn das Thema Fremdenlegion in Deutschland zur Debatte stehe, da man versuche, mit diesem Thema die nationalistischen Instinkte unseres Volkes aufzurühren.
Es geht hier um deutsche Menschen und speziell um deutsche Jugend schlechthin, und da ist unseres Erachtens ein offenes Wort durchaus am Platze. Wer wollte bestreiten, daß die Öffentlichkeit in der Vergangenheit immer wieder und noch heute durch Meldungen über Werbung für die Fremdenlegion beunruhigt wird. Ich befinde mich in der angenehmen Gesellschaft einer angesehenen schweizerischen Zeitung, wenn ich hier ausführe, daß die Zurückhaltung, die deutscherseits in dieser Frage bisher immer wieder geübt wurde, im umgekehrten Verhältnis zu den oft skrupellosen Methoden derjenigen steht, die darauf aus sind, deutsche Menschen für ihre Zwecke, ich möchte fast sagen: einzufangen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Freundschaft zwischen uns und jenen Nationen, die sich Fremdenlegionen halten, durch diese Vorkommnisse eine Belastung erfährt. Freundschaft kann andererseits nur sein, wo Klarheit ist. Diese Klarheit aber, die wir in dieser Frage brauchen, ist uns weder durch die vagen Angaben, die bisher seitens des französischen Hochkommissars gemacht worden sind, gegeben, noch dadurch, daß die deutsche Bundesregierung - so weist es jedenfalls das Bulletin aus - sich bisher mehr oder weniger darauf beschränken mußte, mitzuteilen, daß ihre Bemühungen um die Feststellung von Vermißten und Verwundeten, um deren Rückführung und Betreuung usw. im Gange seien. Diese Tatsache hat den Beigeschmack, daß tatsächlich nicht genug zur Verhinderung dieser Dinge geschieht. Deswegen müssen wir durch Besprechung dieser Frage die Öffentlichkeit und die Regierung erneut aufrütteln; und wenn diese Debatte dazu beitragen sollte, daß dieses Haus sich mit der Regierung einig darin ist, daß wir es für die Zukunft unter allen Umständen - unter allen Umständen - verhindern müssen, daß weiterhin deutsche junge Menschen für ausländische Militärdienste geworben werden, dann wird sie ihren Zweck erfüllt haben.
Meine Damen und Herren! An der Kaserne empfängt den Legionär ein furchtbares Wort: „Legionär, du bist gekommen, um zu sterben." Das ist ein sehr hartes Wort. Dieses Wort wird noch härter und fürchterlicher, wenn ich Ihnen einige Zeilen aus dem „Hamburger Abendblatt", die anläßlich der Kämpfe in Indochina veröffentlicht wurden, kurz in die Erinnerung zurückrufe. Unter der Überschrift: „Entsetzliche Szenen" heißt es dort:
Das berstende Krachen eines Vietminh-Feuerüberfalls leitete in der Nacht zum Freitag den Endkampf ein. Was noch an Bunkern, Grabenstellungen, Stacheldrahtverhauen und Minenfeldern vorhanden war, verwandelte sich im pausenlosen Salvenfeuer in ein wüstes Trümmerfeld. Die ausgemergelten Fremdenlegionäre, in der Mehrzahl Deutsche, die afrikanischen Kolonialtruppen und national-vietnamesische
({5})
Verbände wehrten sich verzweifelt. General de Castries befahl einen Gegenstoß. Aber der Angriff seiner Fremdenlegionäre erstickte im Blut. Es war ein mörderisches Schlachten mit Spaten, Buschmessern und Pistolen.
Meine Damen und Herren, ich habe dieses Wort absichtlich noch einmal herausgesucht, weil es die ganze Fürchterlichkeit der Situation darstellt. Und wen es nicht gepackt, wenn wir anläßlich der Bildberichterstattung über die Kolonialkriege unter fremden Stahlhelmen Gesichter erkennen mußten, bei denen wir uns ohne weiteres sofort sagten: „Das sind Deutsche!" Und vergessen wir auch nicht, daß speziell in Indochina Deutsche Deutschen gegenübergestanden haben. Denn gleicherweise, wie die Franzosen sich deutscher Legionäre bedienten, haben auch die Kommunisten deutsche Legionäre eingesetzt. Ich will hier gar nicht davon sprechen, was alles an Tränen, Not und Elend, was an Krüppeln und Zerschundenheit über diese Jugend gekommen ist, die in die Fremdenlegion geriet. Wir wissen alle noch aus der Erfahrung des letzten Krieges, wie diese Dinge ,aussehen. Wir meinen aber, daß wir in keiner Weise mehr dafür geeignet sind, an diesen Dingen mitzuwirken. Die Werbung für die Fremdenlegion ist nach Auffassung meiner Freunde von der Deutschen Partei - verzeihen Sie diesen harten Ausdruck - eine Kulturschande des 20. Jahrhunderts.
Es wird vielfach eingewandt, daß die Legionäre freiwillig zur Legion kämen. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Männer, die freiwillig zur Legion stoßen. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß ein großer Teil oft auch mit sehr unschönen Methoden zur Legion gezogen wird. Da helfen keine Dementis; dafür liegen zahlreiche Beweise vor. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Ich will hier gar keine Prozentzahlen über die Zahl der Deutschen innerhalb der Legion behaupten; aber ich sage, glaube ich, nicht zu viel, wenn ich feststelle, daß die Masse der Legion aus Deutschen besteht. Es ist - auch das sage ich trotz aller Dementis - eine erwiesene Tatsache, daß eine Werbung für die Fremdenlegion im Bundesgebiet stattfindet, deren Schwerpunkt zweifellos in der französischen Zone, aber auch im Ruhrgebiet liegt.
({6})
Ich erinnere nur an die Städte Rastatt, Freiburg, Offenburg, Worms, Bingen, Trier, Ludwigshafen, Mainz, Kaiserslautern, Landau usw. usw.
Ich will mich angesichts der fortgeschrittenen Zeit möglichst kurz fassen und mich deshalb auch bei der Untersuchung der Gründe, die diese jungen Menschen in die Legion treiben, darauf beschränken, zu sagen, daß es in vielen Fällen die Folgen des Krieges mit ihrer Heimatlosigkeit, Arbeitslosigkeit usw. sind, daß es teilweise selbstverständlich auch Abenteuerlust, daß es Angst vor Strafe ist, daß es aber auch vielfach - meine Damen und Herren, das will ich offen aussprechen - die Auswirkung der Diffamierung ist, die über den deutschen Soldaten nach diesem Kriege gekommen ist. Er hat oft das Weite gesucht, weil er sich in seinem eigenen Vaterlande nicht mehr ganz sicher fühlte! Es sind also keineswegs Gestrandete, die dort Dienst tun, sondern es sind einfach Opfer der Zeit und speziell der Nachkriegszeit. Es ist eine feststehende Tatsache, daß gerade bei den jungen Menschen eine mangelnde Aufgeklärtheit über das Wesen und über das, was sie in der Fremdenlegion erwartet, überhaupt besteht. Oder wollte etwa jemand behaupten, daß das, was jene Filme, die sich mit der Fremdenlegion befassen, zeigen: den Fremdenlegionär als den Liebhaber in Wüstenzelten usw., das ist, was den Legionär in Wirklichkeit erwartet? In der Aufklärung der Jugend muß viel mehr als bisher getan werden.
Wir wissen, daß die deutsche Polizei infolge verschiedener Umstände gegen die Werber praktisch machtlos ist. Sie alle, meine Damen und Herren, haben in Presse und Rundfunk in der Vergangenheit, ja auch in der Gegenwart verfolgt, daß die deutsche Polizei in solchen Fällen, in denen sie sich anschickte einzugreifen, einfach abgewiesen wurde. Sie wissen auch, daß sich die bestellten Werber den deutschen Strafgesetzen dadurch entziehen, daß sie Auslandspässe haben. Ich weiß, meine sehr geehrten Damen und Herren, daß sich in dieser Frage der deutsche und der französische Standpunkt etwas scharf gegenüberstehen. Trotzdem muß es offen gesagt werden. Es ist Sache der betreffenden Kolonialmächte, ihre Kolonialkriege zu führen; in diese wollen wir uns nicht einmischen. Es ist auch Sache der betreffenden Kolonialmächte, sich gegebenenfalls eine Fremdenlegion zu halten. Aber unsere Sache ist es, unter allen Umständen und mit allen Mitteln gegen diesen Menschenschacher zu Felde zu ziehen, da das Leben deutscher Jugend auf dem Spiele steht, und ich wage zu behaupten, daß dafür, daß wir uns dagegen wehren, vollstes Verständnis in der französischen Nation wie in der gesamten Weltöffentlichkeit besteht.
({7})
Der Krieg in Indochina ist vorbei, der Krieg in Algerien und Tunesien ist aufgeflammt. Beten wir zu Gott, daß er auch bald vorbei sein möge. Aber übersehen wir nicht, daß bei all diesen neuen Kriegen immer wieder auch deutsche Legionäre mit ins Feuer geschickt werden. Wir haben die Befürchtung, und sie ist durch zahlreiche Meldungen der letzten Tage, die mir vorliegen, wieder erhärtet, daß die Legionärswerbung unverändert anhält. Gerade deshalb ist es 'doppelt bedauerlich, daß diese Debatte um fast ein halbes Jahr verschoben werden mußte. Inzwischen ist wieder sehr viel geschehen, was wir unter Umständen hätten verhindern können. Es ist auch bekannt, daß es die deutschen Gerichte in den Fällen, wo sie versuchten, die Werber in Strafe zu nehmen, sehr schwer hatten, da diese meistens unter vier Augen ihr schmutziges Geschäft betreiben, so daß letzten Endes Aussage gegen Aussage stand und keine Zeugen vorhanden waren.
Meinen Freunden und mir ist es aber unverständlich, wie trotz all dieser bewiesenen Vorkommnisse - ich sage das ohne jedes Ressentiment - von hoher französischer Seite behauptet werden konnte, daß sich kein einziger Werber für die französische Fremdenlegion im Bundesgebiet aufhalte. Der französische Oberkommissar, Herr François-Poncet, hat damals, als diese Frage bereits zur Erörterung stand, erklärt, die genannten Zahlen - es handelte sich um die Veröffentlichung, die von den Jungsozialisten erfolgt war - seien nicht wahr. In Indochina seien tatsächlich nur 6400 Deutsche eingesetzt.
Meine Damen und Herren, dazu meinen wir: Hier kann man nicht von „nur" sprechen. Wir sind nicht bereit, auch nur einen einzigen Deutschen für die Legion herzugeben. Wir wissen, daß Frankreich - auch das möchte ich ohne jedes Ressentiment
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rein sachlich feststellen - im Schutze seiner Sonderrechte als Besatzungsmacht zweifellos ein Betätigungsfeld auf dem Gebiete hatte. Aber jetzt muß dieses Hohe Haus beschließen, daß mit diesen Dingen ein für allemal Schluß sein muß; denn die Öffentlichkeit fordert in dieser Frage ein entschlossenes Vorgehen.
Es hat auch keinen guten Eindruck in der deutschen Öffentlichkeit gemacht, daß die Aktion der Bundesregierung, die darauf gerichtet war, durch Warnungs- und Aufklärungsplakate die Jugend davon abzuhalten, in die Legion zu gehen, nicht stattfinden konnte, weil von seiten der Alliierten Bedenken bzw. Einspruch erhoben wurde. Aber wie gesagt: Die Zeit der windelweichen Deklamationen muß vorbei sein. Wir müssen jetzt rechtzeitige und drastische Maßnahmen treffen, und meine Freunde von der DP und ich sind überzeugt: Frankreich wird nicht protestieren.
Es ist notwendig, daß mehr als bisher in dieser Frage Aufklärung durch die Kirchen, durch die Schulen, durch die Parteien und andere Organisationen und insbesondere auch durch die Regierung geschaffen wird. Man könnte dies durch Massenauflage von Schriften tun, die über das erbärmliche Schicksal der Legionäre berichten und damit den Jugendlichen das Los vor Augen stellen, das sie in Wahrheit erwartet, wenn sie sich in fremdländischen Militärdienst begeben. Wir müßten dazu kommen, daß es unmöglich ist, Filme vorzuführen, die die Fremdenlegion zu verherrlichen suchen. Sie dürfen der Jugend überhaupt nicht zu Gesicht kommen. Wir müßten aber insbesondere versuchen, über diese Frage einen deutsch-französischen Staatsvertrag abzuschließen, der ein für allemal eine Werbung in Deutschland unmöglich macht.
Ich sagte eingangs schon, es genügt nicht, daß wir hinterher durch Anfragen an die Regierung festzustellen versuchen, wo unsere Vermißten und Verwundeten sind und ob wir sie überhaupt in die Heimat zurückbekommen werden, sondern es gilt, das Übel an der Wurzel zu packen. Es muß dafür gesorgt werden, daß nicht geworben werden kann. Parlament und Regierung würden sich schuldig machen, wenn sie hier nicht die entsprechenden Maßnahmen träfen.
Ich möchte das unterstützen, was die „Frankfurter Allgemeine" vor nicht langer Zeit schrieb. In dieser Zeitung hieß es:
Die Unterstützung der ganzen Nation im Kampf gegen die Werbung wird eine Notwendigkeit. Die Menschlichkeit verlangt, die Jugend vor dem Eintritt in die Legion zu bewahren. Die Fremdenlegion ist eine menschliche Ungeheuerlichkeit.
Alle bisherigen Dementis und Versicherungen von deutscher und alliierter Seite, daß auf diesem Gebiete kein Anlaß zur Besorgnis bestehe, vermögen uns nicht davon zu überzeugen, daß wir allen Grund zur Besorgnis haben. Ich denke nur daran, daß vor wenigen Tagen noch in einer Zeitung eine Notiz erschien, in der die Vermutung ausgesprochen wurde, daß auf dem Flugplatz Brombach bei Bad Krozingen ein Umschlagplatz für deutsche Fremdenlegionäre sei, die in einer Freiburger Kaserne angeworben, mit Lkws zum Flugplatz gebracht und von hier aus fortgeflogen werden. Ich erinnere außerdem an einen in diesen Tagen erschienenen Artikel der „Freiburger Zeitung", in dem ebenfalls ein zurückgekehrter geworbener
Fremdenlegionär berichtet, wie seine Kameraden behandelt wurden bzw. welches Los sie erwartet. Täuschen wir uns also nicht darüber: die Werber sind unter uns. Wir sind verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, um diesen schmutzigen Kopfjägern das Handwerk zu legen.
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Das Wort zur Begründung des Antrags unter Ziffer 6 b hat der Abgeordnete Dr. Mende!
Dr. Mende ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hause liegen zwei Drucksachen vor, der Antrag der Freien Demokraten vom 15. Juni 1954, den zu begründen ich die Ehre habe, und die Große Anfrage, die die Fraktionen der Deutschen Partei und des GB/BHE am 19. Juni 1954 hier eingebracht und deren Begründung Sie eben gehört haben. Die genannten Daten beweisen Ihnen, daß diese Anträge leider erst nach fast sechs Monaten hier im Plenum behandelt werden können. Sie wurden zum Teil aus technischen Gründen immer wieder verschoben, standen zum Teil auf bisherigen Tagesordnungen und kamen so spät in die Abendstunden hinein, daß sie nicht mehr beraten werden konnten. Anscheinend ist diesem Problem der Fremdenlegion im Parlament ein schlechtes Schicksal beschieden, wenn auch heute diese psychologisch so wichtige Frage vor einem durch die Kindergelddebatte abgekämpften Hause erst jetzt am späten Abend behandelt werden kann.
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Die Frage der Fremdenlegion kann man aus zwei Blickpunkten behandeln. Man kann sie mißbrauchen, um das deutsch-französische Verhältnis zu stören, wie es die Kommunisten grundsätzlich zu tun pflegen. Man kann sie aber auch gebrauchen, um Mißverständnisse und Spannungen aus dem deutsch-französischen Verhältnis auszuräumen, also um der deutsch-französischen Freundschaft zu dienen. Unter diesem Motto dürfte wohl das ganze Haus das Problem der Fremdenlegion sehen.
Wir haben in dem Antrag als Adressaten für unsere Anregungen die Alliierte Hohe Kommission, den Europarat und die Kriegsgefangenenkommission der Vereinten Nationen genannt. Erstens soll durch Schritte der Bundesregierung bei diesen Institutionen sichergestellt werden, daß einmal die genaue Zahl der in der französischen Fremdenlegion befindlichen Deutschen beganntgegeben wird. Die bisher in der Öffentlichkeit genannten Zahlen differieren so erheblich, daß sowohl die Spitzenzahl wie auch die Mindestzahl an Glaubwürdigkeit einbüßen. Als Spitzenzahl wird in einer Broschüre der Jungsozialisten und in Verlautbarungen der sozialdemokratischen Opposition dieses Hauses die Zahl von 232 500 Deutschen genannt, die seit 1945 in der Fremdenlegion Dienst taten oder Dienst tun. Davon sollen 46 000 gefallen und 33 000 vermißt oder gefangengenommen worden sein. Eine französische Verlautbarung vom 1. Juni dieses Jahres wiederum gibt als Minimalzahl die in Indochina eingesetzten Deutschen mit etwa 7000 an, das sind etwa 34 % der insgesamt in Indochina eingesetzten 20 000 Mann. Der Pressechef der Delegation der Republik der Vietminh gab im Mai in Genf Namen der bei Dien Bien Phu völlig vernichteten sechs Bataillone bekannt, von denen nach seinen Angaben zwei völlig und die vier anderen zu 70 % aus Deutschen bestanden.
({2})
Wenn man annimmt, daß ein Bataillon - auch das gab der Pressechef der Delegation der Vietminh bekannt - etwa 1000 Mann stark war, so muß man mit etwa 4000 Deutschen rechnen, die allein aus diesen sechs vernichteten Bataillonen bei Dien Bien Phu gefallen sind, während die Zahl der Gefangenen mit etwa 3000 angegeben werden kann.
Ein fachlich ausgebildeter Zeuge, der ehemalige Generalstabsmajor und jetzige, auch Ihnen bekannte Journalist der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Adelbert Weinstein, beziffert die Zahl der deutschen Fremdenlegionäre nach eingehenden Reisen, die er selbst in die Gebiete der französischen Kolonien gemacht hat, auf etwa 30 000. Er bezeichnet alle Angaben, die Frankreich über ,den Anteil der Deutschen in der Legion mache, als unrichtig. Im allgemeinen heißt es, in der Truppe dürften niemals mehr als 30 % der gleichen Nation sein. Weinstein erklärt: Wer den Friedhof in Nam Dinh im südlichen Teil des Tongking-Deltas sah, kann diese Berechnung nicht als Grundlage anerkennen, - denn dort lägen sie zu Hunderten mit deutschen Namen. Die französische Erklärung, es sei kaum möglich, die Zahl der Deutschen anzugeben, denn alle Deutschsprechenden würden gemeinsam registriert, und es gebe schließlich Schweizer, Österreicher und Saarländer, ist ebenfalls nicht überzeugend; denn man habe, so sagt Weinstein, von Tong-king bis Cochin-China auf den Grabkreuzen fast ausschließlich als Geburtsort Städte und Dörfer gefunden, die zwischen Königsberg und Trier, zwischen Hamburg und München liegen. Man habe außerdem weit über 100 einzelne Legionäre von Saigon bis Hanoi gesprochen und dabei festgestellt, daß mehr als 80 % in den Kompanien Deutsche waren. Multipliziert man diese Zahl mit den eingesetzten Legionsverbänden - und Herr Weinstein ist ja Fachmann -, dann ist die Schätzung von 30 000 Deutschen in Indochina gefährlich niedrig.
Meine Damen und Herren, es sollte doch möglich sein, daß es der Bundesregierung bei den Gesprächen mit dem französischen Partner der kommenden Westeuropäischen Union gelingt, ein objektives Bild der Zahlen der in Indochina und in der gesamten Fremdenlegion dienenden Deutschen zu erhalten. Wir müßten doch in der Lage sein, eine Namensliste aller Deutschsprechenden der französischen Fremdenlegion zu erhalten. Man kann schließlich den Sowjets nicht den Vorwurf machen, daß sie bisher nicht bereit waren, bei der Kriegsgefangenen-Kommission der Vereinten Nationen, beim Roten Kreuz die Namenslisten der noch in der Sowjetunion festgehaltenen Deutschen herauszugeben, wenn es nicht einmal der westliche Nachbar in einer europäischen Gemeinschaft für nötig hält, uns eine objektive Aufklärung durch Hergabe der Namenslisten zu geben.
({3})
Natürlich müssen in diesen Namenslisten nicht nur die in der Bundesrepublik wohnenden Deutschsprechenden aufgeführt werden, sondern auch die der sowjetischen Zone, die des Saargebiets und selbstverständlich auch alle die Deutschen, die ostwärts der Oder-Neiße-Linie ihren Heimat- oder Geburtsort haben und die gegenwärtig in den Namenslisten nicht mehr als Deutsche geführt werden.
Ziffer 1 unseres Antrags enthält also die dringende Aufforderung an die Bundesregierung, alle Anstrengungen zu unternehmen, um Licht in das Labyrinth der Schätzungszahlen zu bringen.
Die zweite Ziffer unseres Antrags fordert, daß die geltenden internationalen Konventionen auf die in den Kämpfen in Indochina verwundeten und gefangenen Deutschen angewandt werden. Es sind ja leider bereits Monate vergangen und wir wissen, daß manche Möglichkeit versäumt wurde, für die in den Händen der Vietminh befindlichen Deutschen eine gute medizinische, eine gute Lazarettbetreuung zu erreichen. Wir hätten doch mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der wir nach Korea ein Lazarett mit 400 deutschen Ärzten und Sanitätspersonal geschickt haben, auch die Möglichkeit haben müssen, nach Vietminh deutsche Lazaretteinrichtungen zur Pflege der Schwerverwundeten deutschen Fremdenlegionäre zu bringen. Ob da alle Gelegenheiten ausgeschöpft wurden, eine solche humanitäre Pflicht zu erfüllen, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich fürchte, es sind nicht alle Möglichkeiten ausgenutzt worden wegen vielleicht allzu großer außenpolitischer Rücksichtnahmen. Aber wo Humanitätsverpflichtungen beginnen, sollten außenpolitische Rücksichten zurücktreten!
Zum zweiten sind vielleicht auch nicht alle Möglichkeiten erschöpft worden, das Deutsche Rote Kreuz in der Frage des Paket- und des Postverkehrs zu unterstützen. Wir wissen, daß inzwischen zwar Verbindungen zwischen dem Deutschen Roten Kreuz und dem sowjetzonalen Roten Kreuz zustande kamen, die aber anscheinend wieder abgebrochen sind. Wir fordern daher unter Ziffer 3 des Antrages, daß die Bemühungen des Deutschen Roten Kreuzes unterstützt werden mit dem Ziel, die in die Hände der Vietminh gefallenen Deutschen zu betreuen und Wege für ihre baldmögliche Heimführung zu finden.
Wie uns bekannt ist, haben Ende Juli in Berlin Gespräche über die Rückführung von 3000 deutschen Fremdenlegionären stattgefunden, und zwar zwischen dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Vietminh Pham Dongh und Mitgliedern des sowjetzonalen Roten Kreuzes. Der Präsident des sowjetzonalen Roten Kreuzes, Dr. Ludwig, hat auch mit dem Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes, Dr. Weitz, Verhandlungen geführt. Eine erste Besprechung fand am 7. Juli dieses Jahres statt. Anschließend scheinen gewisse Schwierigkeiten allgemeiner politischer Art aufgetreten zu sein. Es wäre interessant, in der Beantwortung der Großen Anfrage einmal zu erfahren, welcher Art die Schwierigkeiten sind und welche Fortschritte in dem damals begonnenen Gespräch zwischen den beiderseitigen Vertretern des Deutschen Roten Kreuzes bisher zu erzielen waren.
Beim Suchdienst liegen bisher rund 1500 Anträge der Suchdienststellen des Roten Kreuzes vor. Auch diese Suchdienstanträge deuten darauf hin, daß die Zahl der in Indochina Eingesetzten doch wesentlich höher liegen muß, als sie seinerzeit von der Hohen Kommission in der Verlautbarung vom 1. Juni bekanntgemacht wurde.
Besonders bedauerlich ist, daß die zurückgekehrten Fremdenlegionäre nun zum Teil in der Sowjetzone zu Propagandazwecken mißbraucht werden. Ich weiß nicht, ob wir alle Möglichkeiten der Rückkehr der Deutschen aus den Händen der Vietminh nach der Bundesrepublik ausgenutzt haben. Es scheint, daß die sowjetzonalen Behörden etwas schneller mit ihren kommunistischen Freunden verhandelt haben. Wir finden es besonders bedauerlich, daß auch die Heimkehrer, die aus der Bundesrepublik stammen, jetzt nach der Sowjetzone ge({4})
leitet und dort beim sowjetzonalen Rundfunk sowie bei Veranstaltungen der sogenannten Freien Deutschen Jugend als Propagandisten gegen den „kapitalistischen Westen" verwendet werden.
Unser Antrag fordert schließlich im letzten Absatz, daß die Bundesregierung unter Hinweis auf das tragische Schicksal Tausender Deutscher in Dien Bien Phu in einer großen Aufklärungsaktion vor dem Eintritt junger Deutscher in die Fremdenlegion warnt und die Anwerbung auf deutschem Boden schärfer unterbindet. Ich habe hier eine Werbeschrift der Fremdenlegion, die in der französischen Zone verteilt wurde und die in französischer, deutscher, polnischer, tschechischer, ungarischer und jugoslawischer Sprache abgefaßt ist. Man nennt hier die Einstellungsbedingungen, man nennt die Auskünfte für die Kandidaten, man erklärt, daß Ausweispapiere zwar Pflicht seien und bei der Anmeldung vorgelegt werden müßten, in Ausnahmefällen könnten die Kandidaten aber mündliche Personalangaben machen. Hier heißt es:
Die Unterzeichnung des Vertrages erfolgt bei der ersten Anmeldung zur Fremdenlegion. Dieser Vertrag ist zeitweilig und bindet den Kandidaten. Der endgültige Vertrag wird im Depot der Fremdenlegion in Marseille ausgefertigt und unterzeichnet. Er läuft vom Tage der Unterschrift des zeitweiligen Vertrages an. Die Kandidaten
- so heißt es hier unter dem Abschnitt „Weiterleitung der Kandidaten" können sich hei jedwedem Gendarmerieposten oder Garnisonsbüro der französischen Besatzungszone oder bei den unten angeführten Werbestellen der Fremdenlegion melden. Sie werden kostenlos an ihren Bestimmungsort weitergeleitet.
Deutlicher als in diesem Absatz kann die enge Verbindung von Besatzungsmacht und Werbung für die Fremdenlegion in Deutschland gar nicht mehr unter Beweis gestellt werden.
Die Anwerbungsprämie beläuft sich auf 26 000 fr. Zusätzlich wird den Kandidaten, die ein technisches Zeugnis erzielt haben, ein Prämienaufschlag von 52 000 fr. gewährt.
Es folgen dann die Listen der Besoldungsmöglichkeiten vom Legionär 2. Klasse über den Legionär 1. Klasse bis zum adjutant-chef - bis zum Stabsfeldwebel -, die Beförderungsbedingungen und die Vergünstigungen: man erhält eine Pension, wenn man 15 Jahre gedient hat. Der Aufenthalt in den Kolonien erhöht die Pension.
„Erkundigen Sie sich! Eine Auskunft bindet Sie nicht!"
Und dann heißt es zum Abschluß:
Werbestellen in Deutschland: Koblenz, Horchheim, Landau ({5}). Rottenburg und Offenburg, in Österreich: Innsbruck, in Frankreich: Metz und Kehl.
Meine Damen und Herren, man sollte in Besprechungen mit dem Partner der Westeuropäischen Union. Frankreich, mit dem Partner des Europarates, Frankreich. sicherstellen. daß sich Frankreich grundsätzlich verpflichtet, in Zukunft Einstellungen aus den Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union oder, was noch besser wäre, Einstellungen aus den Mitgliedstaaten des Europarates nicht mehr durchzuführen.
({6})
Wir verkennen die hundertjährige Tradition und das Ansehen der französischen Fremdenlegion als einer Elitetruppe nicht. Wir glauben aber, daß man im Jahre 1954 nicht mehr mit Einrichtungen und Methoden einer längst überlebten nationalstaatlichen Kolonialpolitik den Geist europäischer Zusammenarbeit fördern kann.
({7})
Der psychologische Schaden, der durch die Anwerbung Deutscher für die Fremdenlegion und durch die Methoden der Anwerbung angerichtet wird, ist wesentlich schwerwiegender für das Wachsen eines europäischen Gemeinschaftsbewußtseins als der militärische Nutzeffekt.
Die Methoden der Anwerbung und Verpflichtung widersprechen nach unserer Auffassung auch der von Frankreich ratifizierten Konvention zum Schutz der Menschenrechte des Europarates und ebenso der Charta der Vereinten Nationen. In der Rechtskommission des Europarates müßte - und diese Anregung geben wir an die Mitglieder des Europarates dieses Hauses - grundsätzlich festgestellt werden, daß die von Minderjährigen abgeschlossenen Verpflichtungsverträge ohne Genehmigung der Erziehungsberechtigten schwebend unwirksam sind, d. h. sie werden rechtsungültig, wenn die Genehmigung des Erziehungsberechtigten nichtgegeben wird, was doch allgemein der Fall sein dürfte. Im Augenblick aber werden Verpflichtungen auch von 18-, 19- und 20-Jährigen, also von noch nicht Volljährigen, angenommen, und Einsprüche der Erziehungsberechtigten, Einsprüche der juristisch Vertretungsberechtigten werden nicht berücksichtigt.
Es fällt doch auf, daß bei dieser Werbeschrift die englische Sprache nicht verwendet ist, man also mit einer gewissen Rücksichtnahme auf England, auf Amerika anscheinend nicht englische und amerikanische Staatsbürger in die Fremdenlegion einstellt. Warum soll es nicht möglich sein, in einem Gespräch, sei es bei der Westeuropäischen Union, sei den eben genannten Werbemethoden! Man sollte es beim Europarat oder sei es sogar bei der Versammlung der Vereinten Nationen unter Herbeiziehung eines Mitglieds der Vereinten Nationen - wir sind ja nicht Mitglied -, das sich dieser Sache besonders annimmt, die Frage der Fremdenlegionswerbung in Deutschland und der Einstellung Deutscher in die Fremdenlegion grundsätzlich in dem Sinne zu lösen, wie wir es vorgeschlagen haben: man verzichte in Zukunft nicht nur auf die Werbung, sondern auch auf die Einstellung von Bürgern aus den Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union, und man mißbrauche seine Stellung als Besatzungsmacht nicht mehr wie bisher zu den eben genannten Werbemethoden! Man sollte nicht vergessen, daß am Ende für das Wachsen europäischer Gemeinsamkeit eine Zusammenarbeit um des Menschen willen wesentlich wichtiger ist als ein Beraten über Kohle und Stahl in der Montan-Union von Luxemburg. Hier ist für alle wirklich wohlmeinenden Europäer die Gelegenheit, überlebte Reste nationalstaatlichen Kolonialdenkens zu beseitigen.
Wir hoffen, daß dieses Haus unserem Antrag die Zustimmung gibt und daß die Bundesregierung
({8})
baldigst die ersten Erfolge bei der Realisierung
dieses Antrags dem Hohen Hause berichten kann.
({9})
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktionen der DP und des GB/BHE hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde zunächst namens der Bundesregierung die Große Anfrage beantworten und dabei gleichzeitig einige Probleme berühren, auf die sich der soeben von Herrn Kollegen Mende begründete Antrag der Fraktion der FDP bezieht. Soweit in der formulierten Antwort nicht alle Gesichtspunkte Berücksichtigung gefunden haben, die hier vorgetragen worden sind, werde ich darauf im Laufe der Debatte zurückkommen.
Die Fraktionen, die die Große Anfrage gestellt haben, möchten zunächst Auskunft darüber erhalten, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergriffen hat und zu ergreifen gedenkt, um die Werbung für die Fremdenlegion im Bundesgebiet, also strafbare Handlungen nach § 141 des Strafgesetzbuchs, wirksam zu bekämpfen. Dazu ist folgendes zu sagen. Die Französische Hohe Kommission hat auf die von uns erhobenen Vorstellungen mehrfach amtlich erklärt, daß im Bundesgebiet Werber für die Fremdenlegion im französischen Auftrag nicht tätig sind. Die Strafverfolgungsbehörden in der Bundesrepublik haben seit der Einführung des § 141 des Strafgesetzbuchs, der diese Werbung unter Strafe stellt, 145 Strafverfahren eingeleitet. 115 dieser Verfahren mußten eingestellt werden, weil entweder eine strafbare Handlung nicht vorlag oder weil sie nicht ausreichend nachgewiesen werden konnte. In einem der Verfahren kam es zum Freispruch und in 9 Verfahren zu einer Bestrafung des Täters. 20 Verfahren schweben noch. In den durchgeführten Verfahren haben sich jedoch keine Beweise dafür ergeben, daß die als Werber verdächtigen oder aufgetretenen Personen im französischen Auftrag gehandelt hätten. Es lag also für die Bundesregierung kein Grund vor, bei der Französischen Hohen Kommission vorstellig zu werden. Die Bundesregierung kann feststellen, daß die Maßnahmen zur Bekämpfung dieser strafbaren Handlung der Werbung in dem § 141 des Strafgesetzbuchs ihre hinreichende gesetzliche Grundlage finden.
Die Große Anfrage wünscht ferner Auskunft darüber, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergriffen hat und zu ergreifen gedenkt, um zum Schutze der deutschen Jugend eine geeignete Aufklärung über die Fremdenlegion durchzuführen. Mit der Beantwortung dieser Frage kommen wir zum eigentlichen Kern des Problems. Wie die eingehenden Ermittlungen des Bundesministeriums des Innern und der zuständigen Behörden der Länder gezeigt haben, geht die größte Zahl der Anmeldungen deutscher Jugendlicher zur Fremdenlegion nicht auf heimtückische Werbemethoden, sondern auf den eigenen Entschluß der Bewerber zurück, wobei die Motive sowohl Abenteuerlust sein können wie auch der Wunsch, sich einer Strafverfolgung zu entziehen. Nicht so sehr die repressiven Maßnahmen gegen Werber stehen also im Mittelpunkt unseres Interesses als die präventiven Maßnahmen, um junge Deutsche von dem verhängnisvollen Schritt in die Fremdenlegion abzuhalten. Wie bereits bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage 67 der Fraktion der SPD, Bundestagsdrucksache 610, ausgeführt wurde, sind mit Hilfe des Bundesjugendplanes, verstärkt durch die Jugendetats der Länder und Kreise, in den vergangenen Jahren im Westen des Bundesgebietes zahlreiche Einrichtungen geschaffen worden, die der Eingliederung der Jugendlichen ohne festen Wohnsitz und ohne feste berufliche Tätigkeit dienen. Hierzu gehören vor allem die Jugendheime, Jugendwohnheime, Jugendausbildungslehrgänge und Jugendgemeinschaftsdienste. In diesen werden ständig Jugendliche im Alter von 16 bis 25 Jahren, die in der Gefahr stehen, sich zur Fremdenlegion zu melden, versorgt. Diese Einrichtungen, deren Träger in der Regel Jugendfürsorgeorganisationen oder Jugendverbände sind, arbeiten eng mit den zuständigen Jugendämtern zusammen, um die Zukunft der gefährdeten jungen Männer zu sichern. Viele Jugendverbände und karitative Institutionen leisten auf diesem Gebiet eine dankenswerte Arbeit.
Allerdings müssen wir es immer wieder erleben, meine Damen und Herren, daß noch so gut gemeinte und wohlüberlegte Aufklärungsversuche erfolglos bleiben oder bei den Jugendlichen sogar die gegenteilige Wirkung hervorrufen. So hat leider die gut gemeinte Pressekampagne des letzten Sommers keineswegs zu einer Verminderung der Anmeldungen zur Fremdenlegion geführt, ganz zu schweigen von gewissen Filmen, die sich ausgesprochen als Werbung für die Fremdenlegion erwiesen haben. Selbst sorgfältig abgewogene Aufklärungsschriften werden hinsichtlich ihres tatsächlichen Nutzens von denen, die täglich mit Legionswilligen umgehen, sehr skeptisch beurteilt. Trotzdem bleibt selbstverständlich diese Aufklärung eine sehr ernste Aufgabe der Bundesregierung. Die zuständigen Stellen unterstützen daher mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die Bemühungen, die sich auf eine erfolgversprechende Weise in den Dienst dieser Aufgabe stellen.
Wichtig ist neben der Warnung der Jugend selbst natürlich auch die Unterrichtung der Erwachsenen; denn oft erweisen sich Gleichgültigkeit und mangelndes Verständnis der Erzieher als die Ursache für die innere Heimatlosigkeit, die manche junge Menschen in die Fremdenlegion treibt. Es muß klar erkannt werden, daß hier eine große Verantwortung bei Eltern, Erziehern, Lehrherren und Arbeitgebern liegt und daß uns wenig damit gedient sein würde, wenn wir uns durch Sensationsmeldungen über angebliche lichtscheue Werbemethoden von dieser Tatsache ablenken ließen. Die Bundesregierung wird deshalb ihre Aufklärungstätigkeit ganz besonders in dieser Richtung verstärken und sich dabei aller Möglichkeiten bedienen, um nicht nur die jungen Männer selbst, sondern auch Eltern, Erzieher, Lehrherren und Arbeitgeber über die Fragen der Fremdenlegion zu unterrichten.
In diesem Zusammenhang sei auch auf einige Anregungen eingegangen, die in dem Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 591, zu dem Legionsthema enthalten sind.
Erstens. Das Auswärtige Amt steht mit der Französischen Hohen Kommission wegen des Schicksals deutscher Legionäre in Indochina in ständiger Verbindung. Eine gleiche fortlaufende Fühlungnahme besteht zwischen der deutschen diplomatischen Vertretung in Paris und den dortigen zuständigen französischen Stellen.
({0})
Zweitens. Den Europarat mit der Legionärsfrage zu befassen, hält die Bundesregierung gegenwärtig nicht für zweckmäßig, da sie zuversichtlich hofft, daß die Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses eine zweiseitige Bereinigung dieser Fragen ermöglichen wird. Auf dem besonderen Rechtsboden, den die Konvention zum Schutz der Menschenrechte bietet, könnte diese Angelegenheit nur verfolgt werden, wenn eine Verletzung dieser Konvention zweifelsfrei bewiesen würde. Außerdem hat Frankreich die Konvention bisher nicht ratifiziert.
Drittens. Die Ad-hoc-Kommission für Kriegsgefangenenfragen der Vereinten Nationen kann in diesem Zusammenhang nicht eingeschaltet werden, weil ihre Zuständigkeit gemäß der Entschließung der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1950 auf die Kriegsgefangenen aus dem zweiten Weltkrieg beschränkt ist. Sie kann also auf das Schicksal deutscher Legionäre, die in Indochina in Kriegsgefangenschaft geraten sind, nicht einwirken.
Viertens. Die Bundesregierung stellt mit Befriedigung fest, daß das Deutsche Rote Kreuz in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen deutschen Stellen mit allen Kräften bemüht war und noch bemüht ist, das Los gefangener deutscher Legionäre in Indochina zu erleichtern.
Fünftens. Diese Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz gilt auch für die Fragen, die mit der Durchführung des Genfer Waffenstillstandsabkommens für Indochina in Zusammenhang stehen. Im Hinblick darauf, daß in dem Genfer Abkommen der Gefangenenaustausch in Indochina vereinbart worden ist, wurde die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik in Paris angewiesen, die zuständigen französischen Stellen um Unterrichtung darüber zu ersuchen, wann mit der Entlassung und Heimschaffung der Legionäre zu rechnen ist. Erst wenn amtliche französische Mitteilungen vorliegen werden, wird auch klar ersichtlich sein, welche Verluste bei den Fremdenlegionären deutscher Staatsangehörigkeit in Indochina eingetreten sind. Die bisherigen französischen Zahlenangaben sind ungenau. Nach den französischen Angaben beträgt die Gesamtzahl der in der Fremdenlegion dienenden deutschen Staatsangehörigen etwa 18 000 Mann. Davon waren angeblich etwa 6800 Legionäre deutscher Staatsangehörigkeit in Indochina eingesetzt. In Dien Bien Phu sollen nach französischen Angaben 1600 Legionäre deutscher Staatsangehörigkeit gekämpft haben. Wie viele in Gefangenschaft geraten oder gefallen und wie viele inzwischen im Wege des Gefangenenaustauschs zurückgekehrt sind, wird die Bundesrepublik hoffentlich bald von den zuständigen französischen Stellen amtlich erfahren.
Durch diese Ausführungen, meine Damen und Herren, sollten Ihnen die Bemühungen der Bundesregierung dargelegt werden, die darauf gerichtet sind, den Eintritt deutscher Staatsangehöriger in die Fremdenlegion zu verhindern und das Los deutscher Legionäre zu erleichtern, soweit sie in die kriegerischen Ereignisse in Indochina geraten sind. Die Bundesregierung steht mit der französischen Regierung in ständigen Verhandlungen über die Bereinigung der deutsch-französischen Probleme. Sie wird alles in ihren Kräften Stehende tun, um gerade in der Frage der Fremdenlegion zu einer vernünftigen Regelung zu gelangen. Sie schlägt vor, die parlamentarische Behandlung dieser Frage in dem zuständigen Bundestagsausschuß fortzusetzen. Die mit den Problemen befaßten Ressorts werden dort zu jeder Auskunft bereitwillig zur Verfügung stehen. Ich darf mich insoweit auf die Verlesung der formulierten Erklärung beschränken und wiederhole, daß ich im Laufe der Debatte zu einigen weiteren Punkten Stellung nehmen werde.
({1})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Aussprache über Punkt 6 a und b, die miteinander verbunden werden. Das Wort hat der Abgeordnete Jacobs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, was beklagenswerter ist: die Tatsache, daß diese Anträge, die nicht die ersten ihrer Art in diesem Hohen Hause sind, monatelangen Liegenlassens bedurften, ehe es heute zu ihrer Behandlung kam, oder der Umstand, daß die Redner, die zu diesem Punkt aufgerufen sind, trotz der hohen und wichtigen Aufgabe, die uns dabei gestellt ist, vor kaum gefülltem Hause sprechen zu müssen. Um so mehr bin ich darüber erfreut, daß ein anderer Teil der deutschen Öffentlichkeit, daß die deutsche Presse und sonstige Publikationsorgane ihrer Verpflichtung nach dieser Richtung in der Vergangenheit nachgekommen sind. Ich möchte namens meiner Fraktion diesem Teil der Presse, soweit er sich des Themas nicht nur aus rein propagandistischen Gründen angenommen hat, den Dank dafür aussprechen, daß er die Dinge in so hervorragender Form, in so hervorragender Art und Weise in das rechte Licht gestellt hat. Insbesondere aber gilt mein Dank den Jugendorganisationen, an ihrer Spitze den Jungsozialisten, die durch ihre Aufklärungsaktion in der Vergangenheit einiges getan haben, die vor allen Dingen mit ihrem Bekenntnis zu Menschentum und Menschenwürde die Gewissen aufgerüttelt und die gesamte Öffentlichkeit mit einem das Ansehen von Kulturnationen erheblich belastenden Tatbestand konfrontiert haben.
Ich muß zunächst einmal meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß auch Sie, verzeihen Sie, Herr Kollege Dr. Mende und Herr Kollege Schneider, es beklagen, daß die Anträge - man beachte das Datum vom 15. bzw. 19. Juni - erst jetzt zur Behandlung kommen, da doch die wiederholte Absetzung von der Tagesordnung in der Regel mit Ihrer Zustimmung erfolgt ist, und zwar nicht immer nur aus technischen Gründen, wie sie in dem einen oder andern Fall vorhanden sein mögen, sondern aus Erwägungen, die Sie, Herr Dr. Mende, ja auch als der Sache nicht gemäß und als abwegig abgelehnt haben.
({0})
- Ab und zu ist er ja auch einmal in der Bundesrepublik. Er ist auch jetzt nicht da, und doch stehen wir vor der Notwendigkeit, die Angelegenheit zu behandeln. Ich will da gar nicht von einem Mangel sprechen, daß er nicht da ist, sondern erwähne es nur als Antwort auf den Einwand, daß das der Grund sei, warum in der Vergangenheit nicht dazu Stellung genommen worden sei.
Gelegentlich einer Debatte über die Fremdenlegion, die in der ersten Legislaturperiode des Bundestages geführt worden war, hatte mir der Herr Bundeskanzler die Ehre angetan, zu erklären, daß ich in meinen Ausführungen sehr maßvoll ge({1})
blieben sei. Das will ich auch heute tun, weil es bei diesem Thema am wenigsten angebracht erscheint, sich nicht maßvoll zu verhalten. Aber diese Bestätigung habe ich keinesfalls so aufgefaßt, daß die Bundesregierung bezüglich der notwendigen Maßnahmen die erforderliche Aktivität vermissen lassen wolle. Das ist in der Vergangenheit doch der Fall gewesen. Ganz abgesehen davon kann ich dem Herrn Bundeskanzler den Vorwurf nicht ersparen, daß er selber nicht Maß gehalten hat, denn es scheint mir eine Maßlosigkeit zu sein, wenn er am 29. April dieses Jahres in der Bundestagssitzung unter anderem wörtlich gesagt hat: „Die Soldaten, die in Indochina Blut und Leben opfern, tun ,dies nicht bloß für Frankreich allein, sondern im Dienste der Freiheit für die ganze Welt."
({2})
Das scheint mir eine Art von Glorifizierung für einen Einsatz von Menschen aller Nationen, in erster Linie von Deutschen, zu sein, die diese Sache nicht wert ist. Die eigentlichen Beteiligten, die es doch wissen müssen, die Franzosen, haben vom Indochinakrieg niemals anders als vom schmutzigen Krieg gesprochen. Es bestand daher keine Veranlassung dafür, daß der Chef der deutschen Regierung, der Bundeskanzler, erklärte, daß das Blut, das in diesem Kolonialkampf in Indochina geflossen ist, für die Freiheit der ganzen Welt vergossen worden sei. Wir jedenfalls stellen uns unter der Verteidigung freiheitlicher Ideale der westlichen Welt etwas anderes vor als das, was das Ergebnis opferreicher Gänge junger Menschen und vieler Deutscher in Indochina gewesen ist.
({3})
Darüber hinaus beklage ich es, Herr Minister des Innern, speziell in Ihrem Falle sehr, daß Sie unter dem 10. Mai dieses Jahres von den zuständigen Stellen des Bundesinnenministeriums in Sachen der Fremdenlegion zu der Frage, ob der Presse direkte Auskünfte zu geben seien, über Ihre Pressestelle haben erklären lassen, daß Sie es im Augenblick für untunlich hielten, das Problem der Werbung für die Fremdenlegion aufzugreifen.
({4})
Das gute Verhältnis zu den Franzosen, an dem
Ihnen sehr viel liege, könnte sonst gestört werden.
({5})
- Ich bin erfreut, das von Ihnen zu hören, Herr Bundesinnenminister. Ich sagte schon, ich wäre speziell in Ihrem Fall besonders enttäuscht gewesen.
Ich darf anschließend daran sagen, daß das Thema Fremdenlegion und die sich daraus ergebenden Konsequenzen doch jenseits aller opportunistischen Zweckerwägungen stehen müssen. Denn wenn das gute Verhältnis eines Volkes zu seinem Nachbarvolk nur auf der Basis der Hinnahme von Ungerechtigkeiten und von Mißachtung der Menschenwürde errungen werden kann, dann ist es kein gutes Verhältnis, und dann verlohnt es sich nicht erst, durch solche Art Bemühungen zu einem erträglichen Verhältnis mit diesem Nachbarvolk zu kommen.
({6})
Die Diskussion über das Wesen und die Methoden der Fremdenlegionen, die einer Anzahl Staaten als militärisches Instrument ihrer Kolonialpolitik dienen, ist so alt wie sie selbst. Zwei Gründe sind es, die in Deutschland die Öffentlichkeit veranlassen, sich immer wieder mit den Verhältnissen der von Frankreich unterhaltenen Fremdenlegion zu beschäftigen:
Erstens der Krieg und Aufruhr in den Kolonialgebieten Frankreichs, speziell die inzwischen zu einem Stillstand gekommenen blutigen Auseinandersetzungen in Indochina und die dadurch bedingte erhebliche Dezimierung der Kader der Fremdenlegion, für deren Auffüllung in immer stärkerem Maße Menschenmaterial aus aller Herren Ländern benötigt wurde,
und zweitens die dabei angewandten Methoden der Anwerbung in Deutschland - und darauf kommt es mir insbesondere an -, die nur auf dem Hintergrund der durch die militärische Besetzung usurpierten Macht überhaupt Tatsache werden konnten.
({7})
Es gibt keinen Zweifel daran, daß von den Möglichkeiten, die sich Frankreich als Besatzungsmacht auf dem Gebiete der Anwerbung von Fremdenlegionären bieten, zumindest in der Vergangenheit in einem Ausmaße Gebrauch gemacht wurde, das ein Volk von Ehre und Charakter, das gerade Wert darauf legt, in einem guten Verhältnis zu einem Lande zu stehen, auch wenn es von ihm besetzt ist, auf die Dauer nicht hinnehmen kann.
Wenn nun der Hohe Französische Kommissar - das wurde eben schon angeführt - u. a. erklärt hat, das Thema Fremdenlegion komme in Deutschland immer dann auf das Tapet, wenn es einigen nationalistischen Kreisen geeignet erscheine, ihr Süppchen an einem solchen Feuerchen zu kochen, dann kann ich nur sagen, daß es dem Hohen Kommissar, der ja gleichzeitig Botschafter seines Landes in unserem Lande ist, nicht gut ansteht, die menschliche Tragödie, die sich darin verbirgt, mit solchen billigen, um nicht zu sagen: zynischen Worten abzutun.
({8})
Halten zu Gnaden, Exzellenz, wie würden Sie sich verhalten, wenn umgekehrt Frankreich als Volk und Nation vor diesem Fragenkomplex stünde? Sie wären ein schlechter Botschafter Ihres Landes, wenn Sie nicht mit der gleichen Leidenschaftlichkeit und mit dem gleichen Bedürfnis nach Gerechtigkeit eine solche Frage anschnitten, wenn Sie nicht Gefahr laufen wollten, sonst gesagt zu bekommen, daß Sie an Ihrem Posten verfehlt seien und Ihre Aufgabe nicht erfüllten!
({9})
Das, was anderen Leuten als eine große Tugend gilt, was bei Ihnen als Patriotismus hingenommen wird, wird uns, wenn wir es für uns in Anwendung bringen, immer noch als Nationalismus angekreidet. Das scheint mir eine Art von Argumentation zu sein, die ebenfalls in unserm Jahrhundert nicht mehr angebracht ist.
({10})
Ich muß aber, so leid es mir tut, wenn wir schon einmal zu diesem Fragenkomplex Stellung nehmen, in der Hoffnung, ihn möglichst nicht mehr vor dieses Hohe Haus bringen zu müssen, meinem Bedauern darüber Ausdruck geben, in welcher Art und Weise die Bundesregierung bzw. das Auswär({11})
tige Amt in der Vergangenheit reagiert hat. Mir liegt die Antwort des Herrn Staatssekretärs des Auswärtigen auf eine Kleine Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion von vor einiger Zeit vor, die ich nicht nur als völlig ungenügend, sondern einfach als eine Methode bezeichnen muß, die als Ausdruck einer Wesensfremdheit gegenüber diesem Komplex anzusehen ist, wie sie schlimmer nicht sein kann.
Diese Antwort des Herrn Staatssekretärs auf die Kleine Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion würde die Note einer meisterlichen diplomatischen Stellungnahme verdienen, wenn sie vom Quai d'Orsay erbeten und gegeben worden wäre. Da sie aber von einer deutschen Dienststelle, vom deutschen Auswärtigen Amt erbeten und gegeben wurde, ist es einfach nicht angängig, sich fast in der Gesamtheit, was den materiellen Inhalt anbelangt, der Angaben zu bedienen, die, wie es den Anschein hat, vom Staatssekretär des Auswärtigen Amts von seinem französischen Kollegen erbeten wurden. Kunststück, daß die Antwort so ausfällt; beklagenswert, daß es die Antwort einer deutschen Dienststelle ist, bei der nur noch die Überschrift fehlt: „In Sachen Fremdenlegion", obwohl es keine Sache ist, sondern eine Angelegenheit, die alle, denen der Respekt vor der Menschenwürde ein heiliger Begriff ist, weitgehend anzugehen hat.
({12})
Nun beklagen sich Frankreich und seine offiziellen Stellen und erklären immer wieder, daß die deutscherseits gemachten Angaben hinsichtlich des Ausmaßes, hinsichtlich der Zahl der deutschen Fremdenlegionäre nicht mit den Tatsachen im Einklang ständen. Nun, das ist vielleicht der schlimmste Vorwurf, den man Frankreich machen kann, weil die Zwielichtigkeit dieser Institution Fremdenlegion und die Unmöglichkeit, an korrekte Zahlen heranzukommen - eine Unmöglichkeit, die genau so groß ist wie die, festzustellen, was an Deutschen sich noch in Sibirien und im fernen Rußland befindet -, vielleicht noch mehr gegen die rechtliche und moralische Qualifikation der Institution Fremdenlegion spricht als der Hinweis, daß die deutschen Angaben in Einzelheiten nicht den Tatsachen entsprächen. Die Zwielichtigkeit, in der die Fremdenlegion bewußt gehalten wird, ist eine erklärliche Ursache für das Tappen im Dunkeln, und man darf nicht das Argument bringen, deutscherseits gemachte Angaben entsprächen nicht den Tatsachen, wenn andererseits Frankreich es bisher immer noch unterlassen hat, die notwendige Antwort auf die immer wieder gestellten Fragen zu geben.
Aber mir und meiner Fraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht es im konkreten Falle im besonderen um die Möglichkeiten, zu verhindern, daß in Zukunft, selbst auf der Basis der Freiwilligkeit, Jugendliche im Sinne des Gesetzes ohne Zustimmung der Eltern oder der Erziehungsberechtigten in die französische Fremdenlegion eintreten können. Frankreich kann nicht abstreiten - und insofern trifft es der Vorwurf auch als Besatzungsmacht -, daß es seine Einrichtungen als Besatzungsmacht bis in die jüngste Gegenwart hinein dazu benutzt, sich der notwendigen deutschen Kontrolle auf deutschem Boden zu entziehen. Es ist ein unmöglicher Zustand - auch wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß wir ein besetztes Land sind -, daß die deutsche Gewalt und die polizeilichen Möglichkeiten Deutschlands auf deutschem
Boden vor einer französischen Kaserne haltmachen müssen.
({13})
Es spricht auch nicht gerade für die sinnvolle Verwendung der französischen Rheinflottille, wenn sie, wie auf Grund von Akten und Unterlagen, die dem Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages vorliegen, feststeht, dazu benutzt wird, um Scherereien zu entgehen, junge angeworbene Deutsche mittels Schiff über den Rhein nach Frankreich und dann zur Fremdenlegion zu bringen.
({14})
Ich behaupte, daß es nicht nur eine ungerechtfertigte Ausnutzung der Machtfülle ist, die Frankreich als Besatzungsmacht hier besitzt, sondern daß es auch ein Verstoß gegen das französische Recht ist. Denn soviel mir bekannt ist, ist auch nach französischem Recht der freiwillige Eintritt eines minderjährigen Franzosen in einen militärischen Dienst ohne Einwilligung der Eltern 'bzw. der Erziehungsberechtigten nicht erlaubt. Frankreich verstößt also gegen seine eigenen gesetzlichen Bestimmungen, wenn es jugendliche Deutsche, also Deutsche unter 21 Jahren, sei es auch, daß sie sich freiwillig melden, unter Kontrakt für die Fremdenlegion nimmt, wenn nicht die Zustimmung der Eltern oder Erziehungsberechtigten vorliegt. Und, sehr geehrter Herr Kollege - Herr Dr. Mende, glaube ich, ist es gewesen -: nicht in den meisten Fällen - mir ist kein einziger Fall bekannt, in dem mit Zustimmung der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten, selbst wenn das Verhältnis zwischen beiden noch so locker gewesen sein sollte, der Eintritt eines Jugendlichen in die französische Fremdenlegion erfolgt ist, ganz abgesehen davon, daß wir einen unverzeihlichen Fehler begehen, solchen Dingen tatenlos zuzusehen, und daß sich Frankreich in erhöhtem Maße schuldig, mitschuldig macht, wenn es das in Zukunft noch geschehen läßt, weil wir Gefahr laufen, mit dieser publik gewordenen Art der Auffüllung der Kader der Fremdenlegion den Sowjets eine Propagandawaffe gegen die westliche Welt in die Hand 2u geben, wie sie von dieser Seite gar nicht gewünscht werden kann.
({15})
Sprechen Sie doch einmal mit Jugendlichen aus der Sowjetzone! Einer der entscheidenden Gründe für sie - bei aller Misere, in der sie sich befinden und die sie empfinden -, nichts mit dem Westen zu tun haben zu wollen, nicht in die Bundesrepublik kommen zu wollen, ist die ihnen eingebläute Furcht, die mit dem Quadrat der Entfernung steigende Furcht, daß sie, sobald sie in die Bundesrepublik kommen, Gefahr laufen, ein Opfer der Fremdenlegion und ihrer Werber zu werden.
Der Hohe Französische Kommissar hat unter anderem auch erklärt, daß es keine Werber für die Fremdenlegion in Deutschland gebe, die im Auftrag Frankreichs handelten. Nun weiß sich Frankreich des großen Vorzuges sicher, als das logischste Volk der Welt zu gelten. Das gestattet seinem Hohen Kommissar in Deutschland aber noch nicht, seine Nachbarn nun für ausgesprochene Unlogiker zu halten; denn die Behauptung, daß kein Werber im Auftrag Frankreichs in Deutschland tätig sei, würde doch entweder bedeuten, daß es keine Werber gibt - und diesen Nachweis kann der Hohe Französische Kommissar nicht erbringen -, oder er glaubt, uns zumuten zu können, wir glaubten,
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daß sich jemand aus Menschenfreundlichkeit dem schmutzigen Handwerk der Kopfjägerei hingibt. Das ist ein bißchen viel an Zumutung, und ich bitte den Hohen französischen Kommissar dringend, sich in Zukunft anderer Mittel zu bedienen, um uns davon zu überzeugen, daß die Werbemethoden der Vergangenheit angehören bzw. daß das nicht im Auftrag und mit Willen gewisser französischer Stellen geschieht, wobei ich gerechterweise gern zugebe, daß viele Dienststellen der französischen Militärregierung, auch in den unteren Regionen, sich sehr beklagen und es sehr bedauern, nicht die Machtmöglichkeiten zu haben, mit dieser grausamen Einrichtung aufzuräumen, daß ihnen eben die Hände gebunden sind, daß bestimmte Einrichtungen in Frankreich stärker sind und es ihnen nicht erlauben, auch nach der Richtung auf Grund der eigenen Erfahrung, die sie im Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung gemacht haben, ihre eigenen Ansichten zu praktizieren.
Mir kommt es aber auch darauf an, Herr Bundesinnenminister - Sie haben ja schon mitgeteilt, daß Sie gegebenenfalls im Laufe der Debatte noch Stellung nehmen würden, und ich wäre Ihnen dafür sehr dankbar -, zu erfahren, ob die Befürchtung ausgeräumt werden kann, daß in einem zukünftigen, uns gegebenenfalls bevorstehenden Truppenvertrag die Möglichkeit enthalten ist, daß gewisse Souveränitätsrechte auf deutschem Gebiet uns genommen bleiben, da ich mir vorstellen kann, daß in einem Truppenvertrag Bestimmungen enthalten sind, die eine gewisse Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit der ausländischen Truppen auf deutschem Boden garantieren, von der wir allerdings jetzt und in diesem Zusammenhang bereits verlangen müssen, daß sie sich keinesfalls darauf erstrecken darf, daß Frankreich auch in Zukunft noch die Möglichkeit gegeben wird, auf deutschem Boden - und wenn es nur in den von ihm belegten Kasernen der Fall ist - sich der Verpflichtung zu entziehen, deutschen Instanzen, deutschen Polizeistellen und deutschen Paßstellen die Möglichkeit zu geben, festzustellen, ob und aus welchen Gründen sich gewisse Bewerber für die Fremdenlegion in den Kasernen befinden. Denn der Kampf um die Würde des Menschen und seine Rechte, für deren Verwirklichung gerade das französische Volk in seiner Geschichte so viele mannhafte und heroische Beispiele gegeben hat, ist doch als ein Postulat höchster menschlicher Güter nur wahr und zu begreifen, wenn dies vorbehaltlos auf alle Völker und in. allen Fällen Anwendung findet. Der französische Zivilisationsbegriff auch und gerade in seiner spezifischen Form, der der gesamten gesitteten Welt bis in die Gegenwart hinein so viel bedeutet und alle, die sich zu ihm bekennen, wo und wann es auch sei, eigentlich erst zum Menschen erhebt, erfährt doch durch gewisse Praktiken bei der Auffüllung der Kader der Fremdenlegion eine Profanierung, gegen die gerade Frankreich sich zur Wehr setzen müßte.
Oratorische Beteuerungen bei Gelegenheit festlicher Zusammenkünfte sind kein ausreichender Ersatz für die Fakten. Es mag sein, daß sich Frankreich auf den Standpunkt stellt, daß die Aufrechterhaltung und die Existenz der Fremdenlegion eine Angelegenheit sei, die es allein angehe. Soweit aber davon Menschen unseres Landes und unseres Volkes betroffen werden, geht sie uns sehr weit an. Ich behaupte sogar, daß ein Unstern über der Fremdenlegion seit ihrer Gründung steht. Ich lese in einer Schrift aus dem Jahre 1914 - eine früheren
Datums habe ich leider nicht gefunden - „Die rechtliche Stellung des deutschen Fremdenlegionärs" unter anderem, daß einer der entscheidenden Gründe für die Bildung der Fremdenlegion vor mehr als 100 Jahren die Tatsache gewesen ist, daß Frankreich seine Tore vielen politischen Flüchtlingen geöffnet hatte und mit dem sich daraus ergebenden sozialen Problem nicht mehr fertig zu werden glaubte. Es ging an die Gründung der Fremdenlegion heran, um so eine Möglichkeit der Unterbringung und der zweckmäßigen Verwendung dieser politischen Flüchtlinge zu haben, die doch im Vertrauen auf die Respektierung der politischen Freiheiten nach Frankreich gekommen waren. Das scheint mir schon ein Grund dafür zu sein, warum das, was in der Geburtsstunde dieser Institution in ihr gelegen hat, fortzeugend Böses gebären mußte. Es wäre höchste Zeit, auch im Hinblick auf die weitgehende Erkenntnis in Frankreich, daß mit den bisherigen Kolonialmethoden nicht mehr fortgefahren werden soll, diesen schauerlichen Rest von kolonialer Einrichtung zu beseitigen, besonders dann, wenn sie geeignet ist, die so notwendigen Bemühungen unserer Völker untereinander zu stören.
Im Zusammenhang mit meinem Dank, den ich an die Presse und die übrigen Publikationsorgane für ihre Aktivität in dieser Frage abgestattet habe, möchte ich auch Adelbert Weinstein zitieren, der am 18. November in einem ebenso sachkundigen wie aufrüttelnden Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen", gewissermaßen als Auftakt zu der längst fälligen Debatte in diesem Hohen Hause, geschrieben hat - und ich wiederhole, was der Kollege Schneider sagte -:
Die Fremdenlegion ist eine menschliche Ungeheuerlichkeit. Die Unterstützung der ganzen Nation im Kampf gegen die Werbung wird eine Notwendigkeit. Die Menschlichkeit verlangt, die Jugend vor dem Eintritt in die Legion zu bewahren. Denn in dieser Truppe wird eine moderne Form des Menschenhandels verwirklicht. Man kauft die Ware Mensch, die entweder auf den Markt irgendeines kriegerischen Unternehmens geworfen wird oder in klimatisch schrecklichen Zonen dieser Erde in einem eintönigen Rhythmus von Wachdienst, Drill und Kantine verkommt. Wer einmal in den Lazaretten im Fernen Osten war, in denen die zerschossenen und zerschundenen menschlichen Wracks in langen Reihen lagen, eine Allee des Elends, der stellt sich mit schmerzlicher Verblüffung die Frage, wieso es möglich ist, daß man im 20. Jahrhundert zu einem solchen Ende Menschen immer noch kaufen darf. Das scheint uns überhaupt der Kernpunkt des ganzen Problems: nicht die Legion an sich, nicht diese Truppe ist unmoralisch - sie lebt nach den brutalen Gesetzen jedes Verbandes aus fremden Söldnern -, sondern die Idee ist es heute.
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Ich habe dem als Wertung und Darstellung dieser in der Tat menschlichen Ungeheuerlichkeit nichts mehr hinzuzufügen.
Zur Wahrung des notwendigen Respekts vor der menschlichen Würde und in Wahrung des Ansehens der darauf basierenden Ideale einer freiheitlichen Welt bitte ich das Hohe Haus, in Konsequenz seiner daraus resultierenden Verpflichtung die Bundesregierung wissen zu lassen, daß sie in
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dieser Frage im Auftrage des ganzen deutschen Volkes und seines legitimen Sprechers, des Deutschen Bundestages, handelt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht daß wir uns mit dem Problem der Fremdenlegion befassen müssen, sondern daß es besteht, bedauerte wir zutiefst. Unserer Meinung nach aber müssen wir zuallererst die menschliche Tragik der Legionäre sehen und uns erst an zweiter Stelle mit der politischen Seite befassen. Für parteipolitische Auseinandersetzungen darf bei diesem Thema kein Raum sein. Meine politischen Freunde meinen mit mir, daß es hier nicht um eine Polemik gehen darf, sondern daß es nur darauf ankommt, zu helfen. Das geschieht erfahrungsgemäß besser ohne geräuschvolle Auseinandersetzungen, in der Stille.
Die Große Anfrage der DP und des Gesamtdeutschen Blocks BHE befaßt sich mit Präventivmaßnahmen, der Antrag der FDP darüber hinaus mit Maßnahmen zur Verbesserung des Loses der Legionäre bzw. zu deren Rückführung. Ich glaube, der Schwerpunkt muß bei den Präventivmaßnahmen liegen. Es ist mir sehr gut verständlich, wenn immer wieder die Frage der Werber aufgeworfen wird; denn das ist immerhin ein sehr presselukratives Thema, das immer wieder aufgegriffen werden kann. Seit der Beantwortung der Kleinen Anfrage vom 26. Mai dieses Jahres zu dieser Materie, in der festgestellt wurde, der französische Hohe Kommissar habe erklärt, daß es auf dem Gebiet der Bundesrepublik keine offiziellen Werber gebe, hat sich bis heute nichts geändert. Diese Erklärungen konnten auch nicht widerlegt werden, denn - wie der Herr Bundesminister des Innern bereits darlegte - auch die 145 nach dem § 141 des Strafgesetzbuches angestrengten Prozesse brachten keinen Beweis dafür, daß wir im Bundesgebiet französische Werber haben.
Bekanntlich - und das muß doch auch einmal gesagt werden ist es ja nicht nur der Bundesrepublik vorbehalten, die Angehörigen der französischen Fremdenlegion zu stellen. Es melden sich, wie uns bekannt ist, sehr viele auch aus anderen Ländern, so daß die deutschen Bewerber in der letzten Zeit sehr stark gesiebt wurden.
In der Antwort der Regierung ist sehr vorsichtig gesagt worden, daß die Motive für die Anwerbung in der bedrängten Lage und auch in der Abenteuerlust liegen. Lassen Sie mich das dahingehend erweitern und etwas deutlicher folgendes sagen: Ich meine, daß sich unter den Angeworbenen auch sehr viele arbeitsscheue Elemente befinden und daß darunter auch sehr viele sind - auch Jugendliche -, die auf Abwege geraten sind und die ganz einfach nicht mehr den Mut haben, mit einem Leben in geregelten Bahnen fertig zu werden. Das manchmal durchzustehen, dazu gehört mehr Mut, als einem ungewissen Schicksal entgegenzugehen. Das gehört - und das meinte ich einleitend - zur Seite der menschlichen Tragik.
Wenn ich von einem fehlenden Mut zum Leben gesprochen habe, dann nicht deshalb, um zu verurteilen - wem steht das schon zu? -, sondern um damit die Notwendigkeit der Hilfe aufzuzeigen. Die Fraktion der CDU/CSU begrüßt es deshalb, daß sich die Bundesregierung, die Länder und die Kreise in der letzten Zeit besonders stark der gefährdeten Jugendlichen angenommen haben und daß sie sich - und das scheint uns doch wesentlich zu sein - auch um deren Zukunft bemühen. Wir sind uns auch darüber klar, daß die praktisch eingetretene Vollbeschäftigung sich in dieser Beziehung sehr günstig auswirken wird; das liegt auf der Hand. Daß natürlich die Verhältnisse in den turbulenten Jahren nach 1945 dem Eintritt in die Fremdenlegion Vorschub geleistet haben, ist verständlich.
Herr Kollege Jacobs, Sie beklagen sich und meinen, daß ,die Bundesregierung zuwenig getan habe und auch zuwenig tue, diesen Eintritt zu verhindern. Ich darf aber vielleicht folgendes sagen. Man muß sich auch versagen, etwas zu tun, was dem Vorschub leistet. Wenn man nämlich erklärt, wie das geschehen ist, daß es sich „nicht lohne, diesen Staat zu verteidigen", dann darf man sich natürlich auch nicht wundern, wenn so mancher daraus den Schluß zieht, daß es sich auch nicht lohne, in diesem Staate zu leben.
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- Herr Kollege Schröter, ich glaube, daß ich das noch wesentlich milder gehandhabt habe, als das Herr Jacobs getan hat.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Jacobs!
Herr Kollege Wacher, darf ich im Zusammenhang mit diesem Hinweis fragen, ob Sie die Äußerung des Herrn Bundeskanzlers, daß da deutsches Blut für die freiheitlichen Ideale der westlichen Welt geflossen sei, nicht eher als eine Ermunterung ansehen, erneut deutsches Blut fließen zu lassen, weil es sich um die Ideale der westlichen Seite der Welt handele?
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Herr Kollege Jacobs, ich glaube, wir dürfen nicht der Meinung sein, daß der Herr Bundeskanzler die Fremdenlegionäre im Auge gehabt hat,
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sondern das war eine ganz allgemeine Bemerkung über die Kämpfe in Dien Bien Phu.
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Meine Damen und Herren, dann ist auch eine Plakataktion der Jungsozialisten, soweit ich mich erinnere, empfohlen worden. Ich glaube, die Plakataktionen werden nicht den gewünschten Erfolg haben.
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Wenn wir uns in die Mentalität der jungen Menschen hineindenken, werden wir bestätigt finden, daß - wie auf vielen anderen Gebieten - auch hier ein Zuviel an Warnungen und ein Zuviel an Reden gerade den Reiz des Unbekannten verstärken. Wir Deutschen erfreuen uns des Rufes einer besonderen Gründlichkeit; aber ich glaube, wir
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befleißigen uns dieser Gründlichkeit manchmal auch in übertriebenem Maße, wenn es um Selbstanklagen geht.
({4}) Wenn z. B. in einer heute schon zitierten Broschüre gesagt wurde, seit dem Jahre 1945 seien über 232 500 Deutsche den Weg in Frankreichs Fremdenlegion gegangen, dann ist das eine Behauptung; man hat aber in dieser Broschüre nirgends den Beweis angetreten. Und wenn in derselben Broschüre - bitte, lassen Sie mich das sagen; die Broschüre ist heute zitiert worden - gefragt wurde, ob die Bundesrepublik vielleicht deshalb keine Zeit habe, die Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen zu beseitigen, weil sie die Vorbereitungen für den Bau europäischer Kasernen dringlicher durchführen müsse, dann erscheint mir das als eine verächtliche Politik mit diesen Menschen, die doch wahrlich hart geprüft sind.
Nach französischen Angaben - andere Zahlen stehen uns bedauerlicherweise nicht zur Verfügung - sind 18 000 deutsche Staatsangehörige in der Fremdenlegion. Wir müssen, wenn wir die Zahlen feststellen wollen, die auf das Bundesgebiet entfallen, berücksichtigen, daß die Franzosen bekanntlich alle Deutschsprechenden als Deutsche angeben. Das ist bedauerlich für uns alle.
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- Ich möchte, daß Sie mir nicht Dinge unterstellen, von denen ich nicht gesprochen habe. Wenn Sie mich zu Ende kommen lassen, werden Sie hören, was meine Meinung zu den Dingen ist.
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Man sollte denen, die Lust haben, in die Fremdenlegion zu gehen, sagen, daß es gar nicht lukrativ ist, dahin zu kommen. Man sollte mit ganz realen Zahlen aufwarten. Ich glaube, Herr Kollege Mende hat einige heute schon genannt. Wenn man den jungen Leuten nämlich sagt, daß sie, wenn sie in die Fremdenlegion eintreten, 88 Mark im Monat im Garnisondienst in Nordafrika bekommen und nur 200 Mark mit einer eventuellen Frontzulage von 62 Mark, dann sind das Realitäten, die dem märchenumwobenen Legionsdienst stark entgegenstehen und die sich auch von den sensationellen Kitschfilmen stärkstens unterscheiden.
In den Bemühungen, das Los der Legionäre zu verbessern, ist eine enge und ständige Fühlungnahme der Bundesrepublik mit dem Hohen Kommissar und unserer diplomatischen Vertretung in Paris mit den dortigen zuständigen Stellen von ganz besonderer Wichtigkeit. Das wurde heute schon mehrfach gesagt. Daß alles versucht werden muß, um im Rahmen des Genfer Abkommens die deutschen Angehörigen der französischen Fremdenlegion in die Heimat zu bringen, befriedigt uns. Wir sind aber auch der Meinung, daß dieser ja nicht neue, sondern Jahrzehnte alte Zankapfel der französischen Fremdenlegion überhaupt verschwinden muß, und wir glauben, daß das nicht durch scharfe Auseinandersetzungen geschehen kann. Wir versprechen uns auch nicht allzuviel von Verhandlungen über diese Frage im Europarat oder von Schritten über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte, sondern wir glauben - und das ist heute auch schon zum Ausdruck gekommen -, daß wir eine Bereinigung in direkten Verhandlungen mit Frankreich anstreben sollten. Ich meine -ich schließe mich da der Auffassung von Herrn Dr. Mende an -, daß die Bundesrepublik nach der Ratifizierung der Pariser Verträge eine Regelung mit Frankreich dergestalt anstreben soll, daß Frankreich Deutsche in seine Fremdenlegion überhaupt nicht mehr aufnimmt, und zwar ohne Rücksicht auf das Geburtsjahr. Das müßte bei einem deutsch-französischen Zusammenwirken zu erreichen sein, und man wird in Frankreich dafür Verständnis finden müssen. Abgesehen davon wird uns ja diese Frage auch noch bei der Wehrgesetzgebung beschäftigen müssen. Gerade um eine Bereinigung nicht zu beeinträchtigen, sollten wir es hier vermeiden, dem Partner Frankreich gegenüber allzuharte Worte zu gebrauchen.
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- Ich nicht! - Ich fühle mich aber darüber hinaus verpflichtet, ein Wort des Dankes an das Deutsche und das Internationale Rote Kreuz zu sagen. Deren Bemühungen haben auf diesem Gebiet drüben viel Not gelindert und bei uns viel Ungewißheit beseitigt. Aber auch dem Deutschen Caritas-Verband sei gedankt. Ich darf da nur an die Bücherspende des Herrn Kaplans Knetsch erinnern, der gerade durch eine engere Bindung an die Heimat, über diese Bücher, sehr viel Gutes auf diesem Gebiet getan hat.
Ich möchte abschließend folgendes sagen. Die Fraktion der CDU/CSU beschäftigt sich sehr wohl mit dem Problem der Fremdenlegion. Sie ist aber nicht gewillt, eine massive Übertreibung mitzumachen. Die Fraktion ist aber bereit, alles zu tun, um das harte Los dieser unglücklichen Menschen zu lindern. Alle Detailfragen mögen im Außenpolitischen Ausschuß besprochen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedauere es sehr, daß in den letzten Minuten dieses zutiefst menschliche Problem eine Färbung erhalten hat, die doch wieder stark in das Parteipolitische ging. Ich glaube - und meine Parteifreunde mit mir -, dieses Problem ist so groß, daß es verdient, in aller Ruhe und Sachlichkeit mit äußerster Gründlichkeit besprochen zu werden.
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Wir sind durch die Katastrophe in Indochina förmlich mit dem Kopf auf die Dinge gestoßen worden, die sich in der Fremdenlegion seit Jahr und Tag tun. Aus diesem Grunde kamen ja dann auch die Anfragen und die Anträge.
Nun haben wir uns darüber auszusprechen, welchen Weg wir gehen wollen, um für die Zukunft zu verhindern, daß immer noch junges deutsches Blut, zahllose Menschen, in die Legion abwandern. Wir haben keine genauen Zahlen. Ich glaube aber, daß die Zahlen, die uns von französischer Seite angegeben wurden, ebensowenig stimmen wie die, die man vielleicht von deutscher Seite auf Grund mangelhafter Angaben geben kann. Aber über die
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deutschen Stellen, die sich damit befassen, junge Menschen abzufangen oder sie nach der Rückkehr zu betreuen, konnte man sich entsprechende Angaben verschaffen. Ich denke vor allen Dingen an die vielen Jugendverbände, ich denke auch an die karitativen Verbände, die sich darum kümmern, an die Auffangheime usw. Allein daraus kann man sich ein Bild machen. Noch immer besteht die erschreckende Tatsache, daß wir - als Volk gesehen - monatlich etwa drei kampfstarke Kompanien junger deutscher Menschen als Nachschub für die Fremdenlegion zur Verfügung stellen.
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Ich möchte mich also gar nicht auf das glitschige Gleis der Zahlen begeben, weil ich auch der Auffassung bin, daß die Zahl als solche nicht so entscheidend ist. Entscheidend ist bei dem ganzen Problem der Mensch, um den es geht, der zu einem Dienst gezwungen wird, unfreiwillig auch dann, wenn er nach außen hin freiwillig das Formular unterschreibt. Es steht ein Druck dahinter, und wir sollten uns Mühe geben, einmal ein wenig zu untersuchen, welches denn die tatsächlichen Gründe sind.
Der Herr Minister war der Auffassung, daß sehr stark die Abenteuerlust im Vordergrund steht, dann wurde die Angst vor Strafe herausgestellt und nicht zuletzt - das ist jetzt erst gesagt worden - die Arbeitsunfreudigkeit oder die Arbeitsunlust.
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- „Arbeitsscheu", wird hier ergänzt. - Aber nach den Statistiken der deutschen Stellen - und ich berufe mich auf ein evangelisches Heim, das einmal bei 950 Anwärtern für die Legion eine Aufstellung gemacht hat - ist zu ersehen, daß nur 1, höchstens 2 % dieser jungen Menschen deshalb zur Legion gehen, weil sie Angst vor der Strafe haben.
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Es ist weiter interessant, festzustellen, daß aus Abenteuerlust 6, allerhöchstens 8 % dieser Menschen zur Legion gehen.
Diese Tatsachen - ich muß sie als Tatsachen nehmen - beweisen doch, daß diese Gründe - man könnte sagen, daß sie zum großen Teil bei, ich will das häßliche Wort einmal gebrauchen, „minderwertigen" jungen Menschen in Frage kommen - nicht dazu führen, daß sich diese jungen Menschen zur Fremdenlegion melden. Vielmehr sind die Gründe Heimatlosigkeit und Berufslosigkeit an erster Stelle zu nennen. Die Heimatlosigkeit beruht nicht nur darauf, daß die jungen Menschen ihre ursprüngliche Heimat verloren haben und entwurzelt sind. Wir müssen diesen Begriff noch viel weiter auslegen: Heimatlosigkeit, weil ihnen jede Bindung und Festigkeit fehlt, diese Heimatlosigkeit, die durch die Zerrüttung in den einzelnen Familien, durch die besonderen Belastungen sozialer und moralischer Art in den Familien bedingt ist. Diese Verhältnisse führen dann zu der Heimatlosigkeit der jungen Menschen und bilden die erste Voraussetzung für den Entschluß, in die Legion zu gehen.
An zweiter Stelle steht die Berufslosigkeit. Hier möchte ich im Gegensatz zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Wacher sagen: Es ist nach meiner Auffassung nicht die Arbeitsscheu, sondern es ist vor allen Dingen die Berufslosigkeit, die ein Grund für den Eintritt junger Menschen in die Fremdenlegion ist. Wir haben heute - nach ungenauen Angaben - noch etwa 500 000 junge Menschen, die keine echte Berufsausbildung haben. Die sind am ehesten gefährdet, und da wird am ehesten angesetzt, weil sie auch zur Gruppe der Entwurzelten, also der Heimatlosen, der Verbindungslosen, gehören und deshalb sehr leicht für die Fremdenlegion gewonnen werden können.
Wir würden also sehr gut daran tun, wenn wir uns besonders dieser Dinge annähmen und dafür sorgten, daß wir unsere jungen Menschen mehr als bisher in eine echte Berufsausbildung bringen,
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daß wir ihnen stärker als bisher die Gewißheit geben, ein wertvolles Glied im deutschen Volke zei sein.
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Wir haben des weiteren durch unsere Aufklärungsaktionen, die noch verstärkt werden müssen, dafür zu sorgen, daß der junge Mensch mehr als bisher gewarnt wird.
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Es ist gesagt worden: Plakate tun's nicht; Flugzettel tun's nicht. - Nun, ich weiß nicht, es gibt doch ein bestimmtes Ministerium, das sehr viel mit Plakaten und Flugzetteln und Broschüren arbeitet.
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Wenn das also auf der einen Seite möglich ist, müßte es auf der anderen Seite auch gehen. Man würde doch, wenn man erkannt hätte, daß Plakate und Broschüren nicht wirken, auch bei diesem einen Ministerium diese Methode nicht weiter vorwärtstreiben.
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Wir sind also der Meinung, daß die augenfälligen Dinge doch noch immer die stärkste Wirkung haben.
Vor allen Dingen müssen wir immer wieder herausstellen, daß sich der junge Mensch nicht von dem finanziellen Angebot blenden lassen darf. Es ist sehr schön, wenn man sagt: Er bekommt sofort ein Handgeld von - umgerechnet - etwa tausend Mark. Das macht natürlich auf jemanden, der die Tasche leer hat, Eindruck. Aber wenn wir ihm sofort danebensetzen: wenn du einmal aus der Legion entlassen wirst, dann werden sie dich eines Tages mit 215 Mark Entlassungsgeld auf die Straße stellen, so wird er sehen, daß einmal wieder ein Anfang von ihm verlangt wird, der noch viel schwerer sein wird als die Situation, in der er sich im Augenblick befindet. Diese Dinge kann man zum Inhalt von Rundfunksendungen machen. Ich denke z. B. an den Schulfunk, der doch oft sehr deutliche, sehr drastische und eindrucksvolle Hörspiele bringt. Dort könnte man auch dieses Problem der Fremdenlegionäre aufzeigen.
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Ich denke auch an Filme, an Wochenschauen und natürlich an alle Publikationsmöglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen.
Es ist in diesem Zusammenhang allerdings zu sagen: ein Film wie z. B. der, der den Titel „Die Legion" führte und der auch bei uns lief, hat keine abschreckende Wirkung. Im Gegenteil, er
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stellt das Heldentum und das Kämpferische der Legionäre heraus und hat so manchen jungen Menschen, der von sich aus das Gefühl hatte, etwas Gewaltiges tun zu müssen, dazu verführt, in die Fremdenlegion zu gehen. Auch bezüglich der Illustrierten muß ich mit einem kleinen Seitenhieb auf die Presse - ich hoffe, sie wird mich nachher nicht steinigen - sagen: so manche illustrierte Zeitung hätte besser daran getan, das Problem nicht so stark von der rein sensationellen Seite zu behandeln.
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Denn das hat natürlich viel dazu beigetragen, unsere jungen Menschen erst richtig darauf zu stoßen.
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- Ja, es ist hier der richtige Zwischenruf gefallen: man sollte eher die Friedhöfe, die Toten und Invaliden zeigen, dann würde man wahrscheinlich mehr für die ganze Aktion tun, die uns so sehr am Herzen liegt.
Nun noch ein Wort zu den Jahrgängen! Es ist erschütternd, daß gerade in dieser Quelle, die ich zitierte - ein evangelisches Auffangheim -, festgestellt wurde, daß mindestens 6 % derjenigen, die da noch aufgefangen wurden - das gibt natürlich nur einen ganz allgemeinen Überblick -, unter 18 Jahren waren,
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also ausgesprochene Kinder, und daß etwa 50 % im Alter von 18 bis 21 Jahren standen,
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also auch noch zu denjenigen zählten, die wir als Jugendliche bezeichnen. Wir unterstreichen deshalb den Wunsch, daß man dahin kommen möge, über die Verträge zu erreichen, daß Jugendliche ohne Einwilligung der Eltern nicht in die Legion verpflichtet werden können, und zu bestimmen, daß Verträge, die aus irgendwelchen Umständen entstanden sind, ungültig sind, wenn die Gegenzeichnung der Eltern bzw. der Erziehungsberechtigten fehlt.
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- Das wäre natürlich das beste.
Ich darf noch auf die Tätigkeit - ich habe es anfangs gesagt - der Wohlfahrtsverbände und der Jugendverbände hinweisen und als ein Beispiel der Wirksamkeit nur dieser Gruppen, die mit verhältnismäßig geringen finanziellen Mitteln arbeiten, anführen, daß es notwendig war, das Zentrum der Werbung für die Fremdenlegion von Landau nach Koblenz zu verlegen, nur deshalb, weil in Landau die Antiwerbung, wie ich einmal sagen möchte, so konzentriert war, daß da schon herzlich wenig auf die Beine zu stellen war. Man hat es auch nicht mehr für möglich gehalten, die Transporte der geworbenen Menschen mit dem Zug zu befördern, weil die Verluste zu groß waren, weil unterwegs zu viel ausgestiegen sind. Man hat jetzt also die Menschen sofort in die französische Uniform gesteckt und mit französischen Militärwagen transportiert.
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Diese Ausführungen sollten das Problem nur noch einmal umreißen. Der Aufbau eines Europas, an
den wir alle glauben, sollte nicht gefährdet werden durch Maßnahmen, die - gestatten Sie mir das derbe Wort - nahezu an Sklavenmarkt erinnern, Maßnahmen, in deren Verlauf Menschen nachweisbar gegen ihren Willen gezwungen werden, in der Legion zu dienen, die dann nachher neben den seelischen Belastungen noch eine starke soziale Belastung erleben müssen und auch für unseren Staat eine Belastung sind. Denn diese Menschen kehren ohne den geringsten Anspruch auf eine Rente, auf eine Unterstützung zurück. Sie haben sich durch ihre fünfjährige Dienstzeit nicht einmal die französische Staatsbürgerschaft erdient. Sie stehen also völlig vor dem Nichts.
Es wäre - damit möchte ich abschließen - für uns noch sehr wichtig, zu erfahren, wieweit wir die Möglichkeit haben, diese Menschen, die dann, zum großen Teil leider Gottes gesundheitlich schwerstens geschädigt, wieder zu uns kommen, wieder einzugliedern, ihnen wieder zu helfen, daß sie wieder das Gefühl haben, zu uns zu gehören und vollwertige Mitglieder unseres Volkes zu sein. Das ist die Frage, die noch offensteht und zu der wir noch gerne hören möchten, wie das Ministerium darüber denkt; denn um die Rück- und Eingliederung dieser Menschen geht es uns entscheidend, weil wir nicht das Gefühl bestehen lassen wollen, daß sie lieber irgendwo in der Welt bleiben und als Strandgut verkommen sollen. Sie sollen vielmehr auch dann, wenn sie aus welchem Grunde immer fern unserem Lande gelebt haben, stets das Gefühl haben, daß wir als deutsche Brüder und Schwestern sie als deutsche junge Menschen in unsere Reihen aufnehmen wollen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Jacobs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie es Ihren Kollegen Wacher entgelten, daß Sie mich noch einmal am Rednerpult sehen. Ich habe die Auffassung, daß der Kollege Wacher eine Sache völlig unnötig verteidigt hat; denn keiner der Redner vor ihm hat einer der Fraktionen dieses Hauses vorgeworfen, in dieser Frage versagt zu haben. Soweit ich von einem Versagen der Bundesregierung gesprochen habe, möchte ich an ihn zunächst einmal die präzise Frage richten, ob er mit gutem Gewissen sagen kann, daß er die von mir zitierte Antwort des Herrn Staatssekretärs auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion vom April dieses Jahres bejaht. Ich bin sicher, daß er es nicht tut.
Zweitens, Herr Kollege Wacher, sollten Sie bei Ihrem Kampf, den Sie glaubten führen zu müssen, nur weil etwas von der Sozialistischen Jugend gekommen ist, daran denken, daß auch ein Manuskript einmal irreführen kann. Sie haben an Hand eines vorbereiteten Manuskripts behauptet, es habe keinen Sinn, in dieser Frage mit unnötiger politischer Schärfe vorzugehen, und haben mir ohne Beweis unterstellt, daß ich das getan habe. Ich bin alles andere als in der Sache unnötigerweise scharf oder unnötigerweise polemisch gewesen; es sei denn, Sie benutzen dieselben Argumente wie der französische Hohe Kommissar,
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der erklärt hat, das sei eine Frage, die in Deutschland von den Nationalisten immer dann auf das
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Tapet gebracht werde, wenn sie glaubten, damit ein besonderes Ziel erreichen zu können.
Herr Kollege Wacher, ich habe mir erzählen lassen, Sie seien in Wien geboren. Ich bin hart an der Grenze Frankreichs geboren. Wenn jemand berechtigt ist, auf seine in der Vergangenheit, auch in den Jahren von 1933 bis 1945 bewiesene innere Einstellung zu Frankreich und auf sein Bekenntnis zu der guten Lebensart Frankreichs hinzuweisen, dann gehöre ich dazu. Aber nach dem Grundsatz „Wer seinen Sohn liebt, züchtigt ihn" muß ich sagen: es tut mir leid, daß ich das Bild, das ich von dieser Nation im Herzen habe, von Fakten beschmutzt sehe, die Frankreichs, seiner Zivilisation und seiner Kultur unwürdig sind.
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Wir haben erst recht keine Veranlassung, solche Methoden zu rechtfertigen; denn das Bekenntnis und der Wille zum Zusammenleben mit Frankreich bedeuten für einen demokratischen Staat nicht die Kapitulation vor dem Unrecht und keineswegs die Billigung der Nichtrespektierung der Menschenwürde. Sie bedeuten erst recht nicht, daß wir zu Fakten, die das Verhältnis unserer beiden Völker belasten, ja sagen, vor allen Dingen deshalb nicht, weil es von den anderen niemand von uns verlangt. Herr Kollege Wacher, bei aller Anerkenntnis Ihrer Bemühungen, aus parteipolitischen Erwägungen den Jungsozialisten, nur weil diese hier erfreulicherweise die Initiative ergriffen haben, eins auszuwischen: Hüten Sie sich, dabei mit Argumenten zu kommen, die Sie und Ihre ganze Fraktion unnötig in ein schlechtes Licht stellen!
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Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister Dr. Schröder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf einige der Gesichtspunkte antworten und auf einige der Fragen eingehen, die im Laufe der Debatte aufgeworfen worden sind.
Zunächst glaube ich feststellen zu können, daß die Debatte im tatsächlichen und in der Beurteilung des Problems doch wohl ein weitgehendes Maß von Übereinstimmung gebracht hat. Ich möchte zu Anfang klarstellen, daß man unterscheiden muß zwischen den Werbern, deren Tätigkeit nach § 141 des Strafgesetzbuchs unter Strafe gestellt ist, und den sogenannten Anmeldebüros. Ich möchte klar zum Ausdruck bringen, daß es das Bestreben der Bundesregierung ist, auch diese Anmeldebüros zum Verschwinden zu bringen. Wir sind gefragt worden, ob die abgeschlossenen Verträge in dieser Beziehung bereits eine Grundlage bieten. Ich darf dazu folgendes sagen. Nach Art. 2 Abs. 1 des Truppenvertrages sind die Mitglieder der Streitkräfte verpflichtet, das deutsche Recht zu beachten. Die Behörden der Streitkräfte haben ihrerseits die Verpflichtung und Verantwortung dafür übernommen, daß sich die Mitglieder der Streitkräfte den Bestimmungen des deutschen Rechts entsprechend verhalten. Zu diesen von den Mitgliedern der Streitkräfte zu beachtenden Vorschriften des deutschen Rechts gehört auch § 141 des Strafgesetzbuchs, der die Werbung von Deutschen für den Wehrdienst einer ausländischen Macht im Inland verbietet und unter Strafe stellt. Falls nach dem
Inkrafttreten des Protokolls Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmung auf französischer Seite festgestellt werden sollten, könnte von deutscher Seite das Schiedsgericht angerufen werden. Ich darf also sagen, daß diese Frage bereits weitgehend positiv beantwortet werden kann und daß alles übrige im Wege der Verhandlungen angestrebt werden muß.
Es ist dann gesagt worden - ich möchte das nur richtigstellen -, daß eine Plakataktion generell untersagt worden sei. Es ist lediglich ein blauweißrot gerändertes Plakat beanstandet worden; einen grundsätzlichen Einspruch gegen eine Plakataktion gibt es nicht.
Dann ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Zahlenangaben offenbar außerordentlich differierten. Sie werden mir darin zustimmen, daß die Bundesregierung nur die Möglichkeit hat, einen unermüdlichen Appell an den Herrn der Legion zu richten, nämlich an unseren französischen Nachbarn, um zu genauen Angaben zu kommen. Es ist von Namenslisten gesprochen worden. Leider stößt die Aufstellung solcher Namenslisten u. a. auch auf die Schwierigkeit, daß ein größerer Teil der Legionäre gerade auf seine Anonymität Wert legt. Das ist ein Faktum, das der Beschaffung von Namenslisten im Wege steht. Es ist ferner erwähnt worden, daß in Berlin Besprechungen stattgefunden hätten mit dem sowjetzonalen Roten Kreuz. Ich kann nur sagen, daß diese Besprechungen ergebnislos zusammengebrochen sind, weil das sowjetzonale Rote Kreuz nicht in der Lage war, etwas Förderliches zu tun.
Herr Kollege Mende hat eine neue Werbeschrift, wenn ich so sagen darf,. zitiert, die wir noch nicht haben. Ich wäre ihm dankbar, wenn er sie uns zur Verfügung stellte. Herr Kollege Jacobs hat davon gesprochen, daß französische Schiffe der Rheinflotte zum Transport von geworbenen Legionären benutzt worden seien. Ich wäre ihm für Unterlagen darüber dankbar. Ich habe eine weitere Bitte an den Kollegen Kutschera, der davon sprach, daß monatlich etwa drei kampfstarke Kompanien geworben würden. Wir wären ihm außerordentlich dankbar, wenn er Unterlagen dafür zur Verfügung stellen könnte. Herr Kollege Kutschera ist an Hand des Beispiels eines evangelischen Heimes in eine Analyse darüber eingetreten, welches die angegebenen Motive der Legionswilligen waren. Er hat etwa 10 % auf das Motiv der Angst vor Strafe und der Abenteuerlust zurückgeführt, so daß also 90 % andere Motive bleiben. Ich glaube, Herr Kollege - ohne in einen Streit über die Prozentsätze von Motiven eintreten zu wollen -, daß alles andere tatsächlich gedeckt ist durch das, was ich „innere Heimatlosigkeit" genannt habe, zu der sicherlich zum Teil auch eine mangelnde Ausbildung gehört.
Meine Damen und Herren, wir werden es schwer haben, in die Erörterung von Einzelschicksalen einzutreten. Jedoch gibt es ein Einzelschicksal gerade aus den letzten Tagen, das eine sehr große Publizität gewonnen hat. Wenn Sie sich einmal den Lebenslauf dieses Mannes, der gerade von der Fremdenlegion zurückgeliefert worden ist, ansehen, werden Sie mindestens über diesen und einen Teil von ähnlichen Lebensläufen recht nachdenklich werden müssen. Ich glaube, wir müssen diese Differenzierung sehr sorgfältig beachten, wenn wir das Problem nun nicht unsererseits in einem falschen Sinne glorifizieren wollen.
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Ich freue mich feststellen zu können, daß die Gedanken, die ich in der Beantwortung der Großen Anfrage und in der Stellungnahme zu dem Antrag der FDP für die Bundesregierung vorgetragen habe, eigentlich weitgehend mit dem übereinstimme, was hier gesagt worden ist. Ich glaube auch, daß die zuletzt angeschnittene Frage: was geschieht mit denen, die zurückkommen? in bester Zusammenarbeit zwischen den Ressorts und diesem Hohen Hause weiter erörtert werden kann. Ich darf auch insoweit auf meinen Vorschlag zurückkommen, die Sache im Ausschuß weiter zu behandeln.
Ich schließe damit, daß ich noch einmal auf die Schrift „Die Fremdenlegion ruft dich" zurückkomme, nachdem ich die Sache schon durch einen Zuruf gegenüber Herrn Kollegen Jacobs richtiggestellt habe. Es wird mir da in der Tat etwas in den Mund gelegt, was ich nie geäußert habe. Ich bin Herrn Kollegen Jacobs dankbar, daß er diese Erklärung bereits während seiner Rede akzeptiert hat.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte kann meiner Ansicht nach nicht zu Ende gehen, ohne daß ich ausdrücklich feststelle, daß wir in der Sache und im Grundsatz bestimmt alle völlig einig sind. Es kann sich höchstens um Einzelheiten und Meinungsverschiedenheiten über die Methoden handeln. Aber in der Sache und im Grundsatz sind wir einig.
Zweitens möchte ich den Inhalt eines Zwischenrufes, den ich gemacht habe, ausdrücklich wiederholen. Uns ist nicht daran gelegen, daß durch irgendwelche mehr oder weniger legalen Versuche diese böse Sache zu einer besseren gemacht wird, sondern wir wünschen, daß diese Sache überhaupt beendet wird. Uns wäre nicht damit gedient, daß sie irgendwie verschönert oder „verrechtlicht" wird, sondern sie soll überhaupt aufhören. Wir wünschen, daß überhaupt keine Deutschen mehr in die Fremdenlegion gehen können. Ich würde es sogar im Interesse unserer französischen Freunde begrüßen, wenn diese ganze Institution aus dem vorigen Jahrhundert zu bestehen aufhörte.
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Drittens möchte ich doch auch sagen, daß neben den Organisationen, die hier genannt worden sind, eine Fülle von anderen Organisationen und Behörden eine außerordentlich verdienstvolle und schöne Arbeit auf diesem Gebiet leisten. Mir ist aus der Bearbeitung verschiedener Einzelfälle bekannt, daß hier gerade die Polizei und die kirchlichen Vereinigungen eine ausgezeichnete Arbeit leisten. Ich glaube, wir wollen hier nicht einen gegen den anderen ausspielen und auch niemanden entmutigen, sondern wollen allen dankbar sein, die auf diesem Gebiete für uns alle tätig sind.
Und letztens, meine Damen und Herren, liegt mir daran, noch eines zu sagen. Es wäre ein ungeheurer Irrtum, wenn in der französischen Bevölkerung, in der französischen Öffentlichkeit irgendwie der Eindruck entstände, wir wollten hier etwas gegen Frankreich sagen. Im Gegenteil, wir, die wir von Jugend an und mit heißem Herzen für eine Verständigung zwischen den beiden Völkern eintreten, raten gerade deshalb und in diesem Sinne unseren französischen Freunden: Hört endlich mit dieser ganzen Institution auf!
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
({1}) - Er verzichtet. Dann liegen weitere Wortmeldungen nicht vor.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache über die Punkte 6 a und b der heutigen Tagesordnung.
Der Punkt 6 a ist damit erledigt.
Zu Punkt 6 b, Drucksache 591, ist Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten beantragt. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
({2})
- Der Antrag soll ferner zur Mitberatung an den Auschuß für Jugendfragen überwiesen werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt. Damit ist Punkt 6 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Mir wurde gesagt, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung Punkt 10 vorgezogen werden soll. Ich ziehe ihn vor und rufe Punkt 10 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geschäftsraummietengesetzes ({3}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen ({4}) ({5}).
({6})
Berichterstatter ist der Abgeordnete Lücke; ich erteile ihm das Wort.
Lücke ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, als Berichterstatter den interfraktionellen Antrag Umdruck 274*), der Ihnen vorliegt, zu begründen. Dieser Änderungsantrag weicht von dem Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht**) Drucksache 971 in einigen Punkten ab. Ich darf zu diesen Änderungen ergänzend folgendes berichten.
Der Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen ging bei seinem in Drucksache 971 wiedergegebenen Beschluß davon aus, die als Übergangslösung gedachten Bestimmungen des Geschäftsraummietengesetzes über den Kündigungswiderruf nur für solche Fälle aufrechtzuerhalten, in denen ein besonderes Bedürfnis hierfür anzuerkennen sei. Darüber hinaus aber sollte eine endgültige Lösung gefunden werden. Dem Ausschuß lag insbesondere daran, in schweren sozialen Härtefällen zu helfen. Zahlreiche Eingaben dieser Art wurden in den letzten Monaten an den Ausschuß und an viele Mitglieder des Hohen Hauses herangetragen. Die Neufassung des § 8 sollte hier eine Hilfe bieten. Der Ausschuß kam in seiner Mehrheit zu dem Beschluß, diese Härtefälle auf offene Verkaufsstellen zu beschränken. Diese Lösung ließ jedoch, wie sich herausstellte, eine Reihe von Fragen offen. Darum hat der Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungs-
*) Siehe Anlage 13. **) Siehe Anlage 16.
({8})
wesen sich in einer erneuten Sitzung eingehend mit
dem Fragenkreis befaßt und insbesondere die inzwischen vorgelegten Änderungsanträge geprüft.
Durch einige dieser Anträge sollten weitere Gruppen von Geschäftsräumen in die Verlängerung des Kündigungsschutzes einbezogen werden. Es war hierbei insbesondere an die Geschäftsräume für freie Berufe und für Gewerbebetriebe mit nicht mehr als 30 Beschäftigten gedacht. Da eine sachgemäße Abgrenzung zwischen schutzwürdigen und nichtschutzwürdigen Fällen sehr schwer zu finden war, glaubte der Ausschuß, diesen Anträgen nicht stattgeben und anderseits seinen Vorschlag, nur offene Verkaufsstellen zu schützen, nicht aufrechterhalten zu können. Durch den Ihnen nunmehr in Umdruck 274 vorliegenden interfraktionellen Antrag soll der Kündigungsschutz nach dem Geschäftsraummietengesetz um ein Jahr verlängert werden. Es werden damit fast alle Bedenken ausgeräumt, die gegen den Schriftlichen Bericht des Ausschusses geäußert worden sind.
Zu Artikel I Ziffer 1 weise ich darauf hin, daß hier die Voraussetzungen für den allgemeinen Kündigungsschutz gegenüber der bisherigen Fassung des Geschäftsraummietengesetzes verschärft worden sind. Während der Mieter bisher den Widerruf der Kündigung beim Nachweis erheblicher wirtschaftlicher Nachteile verlangen konnte, wird ihm jetzt dieses Recht nur dann gewährt, wenn die Kündigung eine erhebliche Gefährdung seiner derzeitigen wirtschaftlichen Lebensgrundlage zur Folge hat. Die dem Geschäftsraummieter durch die Kündigung entstehenden Nachteile müssen also so groß sein, daß sie die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Mieters erheblich gefährden; eine gewisse Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse muß der Mieter nach dieser Fassung in Kauf nehmen. Andererseits ist der Kündigungsschutz, da eine Gefährdung der derzeitigen wirtschaftlichen Lage des Mieters verlangt wird, auch dann zu gewähren, wenn der Mieter in der Lage wäre, nach Verlust seiner bisherigen eine neue Lebensgrundlage zu finden. Nach Ansicht des Ausschusses soll z. B. in Fällen, in denen die Kündigung für den Mieter zum Verlust seines derzeitigen Geschäfts führen würde, Kündigungsschutz gewährt werden auch dann, wenn der Mieter etwa die Möglichkeit hätte, in unselbständiger Stellung ein seine Existenz sicherndes Einkommen zu erzielen. Von einer Bedrohung der derzeitigen Lebensgrundlage des Mieters kann nach Ansicht des Ausschusses dann nicht gesprochen werden, wenn der Mieter die Möglichkeit hat, in anderen, wenn auch vielleicht weniger günstigen Geschäftsräumen unter verringerten Gewinnmöglichkeiten sein bisheriges Unternehmen fortzusetzen.
Aus der Änderung des § 8 hat sich auch die Notwendigkeit zu kleinen sachlichen Änderungen des § 10 ergeben, die in Art. I Ziffern 2 und 3 des interfraktionellen Antrags enthalten sind. Soweit hierbei in § 10 Abs. 1 Nr. 1 der neuen Fassung von einem zumutbaren Ersatz für die bisherigen Geschäftsräume die Rede ist, soll durch diese Fassung zum Ausdruck gebracht werden, daß die Ersatzräume sowohl nach ihrer Beschaffenheit als auch nach den Bedingungen, unter denen sie dem Mieter überlassen werden, zumutbar sein müssen; eine sachliche Abweichung ist insoweit gegenüber der bisherigen Fassung, wo die Zumutbarkeit der Bedingungen ausdrücklich angesprochen war, nicht beabsichtigt.
Die in Art. I Ziff. 4 und Art. II aufgenommenen Bestimmungen haben auschließlich den Charakter von Überleitungsvorschriften. Insoweit nehme ich Bezug auf die entsprechenden Ausführungen im Schriftlichen Bericht - Drucksache 971 -.
Da Änderungsanträge zu Art. III und Art. IV nicht gestellt sind, verbleibt es insoweit bei den Vorschlägen, die der Ausschuß in Drucksache 971 vorgelegt hat.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten erlaube ich mir, gleichzeitig den dem Hohen Hause vorliegenden interfraktionellen Entschließungsantrag - Umdruck 275*) - zu begründen.
Der Änderungsantrag Umdruck 274 hat das Problem der Geschäftsraummietverhältnisse, die vor dem 1. Dezember 1951 begründet worden sind und anders als die seit diesem Zeitpunkt begründeten Mietverhältnisse einen gewissen Kündigungsschutz genießen, nicht endgültig gelöst. Dessen war sich auch der Ausschuß bewußt. Da eine endgültige Lösung in der Zeit, die zur Verfügung gestanden hat, nicht mehr gefunden werden konnte, werden die abschließenden Maßnahmen dem nächsten Jahr vorbehalten bleiben müssen. Im Hinblick hierauf soll die Bundesregierung ersucht werden, bis zum 30. Juni des nächsten Jahres die Lage auf dem Geschäftsraummarkt erneut zu überprüfen und dem Bundestag Vorschläge in doppelter Hinsicht zu unterbreiten. Es handelt sich einmal darum, ob und welche Schutzbestimmungen, wobei insbesondere an Vollstreckungsschutzbestimmungen gedacht ist, zu treffen wären, um schwere soziale Härten zu vermeiden.
Darüber hinaus wird noch die Frage angeschnitten, welche positiven Maßnahmen in Betracht gezogen werden können, um die Schaffung von Geschäftsräumen zu fördern. Gewisse Erörterungen zu der letzterwähnten Frage haben bereits aus Anlaß der Beratungen über den Entwurf des Wohnungsbau- und Familienheimgesetzes stattgefunden. Es handelt sich insbesondere darum, im Rahmen der Wohnungsbau- und Siedlungsprogramme für die Schaffung der Geschäftsräume zu sorgen, die für die Versorgung der künftigen Bewohner notwendig sind. Denn nur durch positive Maßnahmen wird es möglich sein, den erforderlichen Geschäftsraum für die durch eine Kündigung zum Ausweichen gezwungenen Geschäftsraummieter und für die Gründung neuer Existenzen, insbesondere im Handwerk und Handel, genügend schnell zur Verfügung zu stellen und die Mangellage, soweit sie im Augenblick noch besteht und zu Schwierigkeiten führt, bald zu überwinden. Auf längere Sicht wird es dann besonderer Schutzmaßnahmen für Geschäftsraummieter nicht mehr bedürfen.
Da die Änderungsanträge gemäß den Umdrucken 229**), 238***) und 245****) inzwischen zurückgezogen sind, bitte ich, unseren interfraktionellen Anträgen - Umdrucke 274 und 275 - und bezüglich der Artikel III und IV der Drucksache 971 zuzustimmen.
Meine Empfehlung in dieser vorgeschrittenen Stunde geht dahin, den Gesetzentwurf heute noch in zweiter und dritter Lesung ohne Aussprache - ich glaube, sie erübrigt sich nach diesem umfassenden Bericht und nach der Einigung auf die interfraktionellen Anträge - anzunehmen, weil
*) Siehe Anlage 14. **) Siehe Anlage 8. ***) Siehe Anlage 9. ****) Siehe Anlage 10.
({9})
die sofortige Verabschiedung notwendig ist, damit das Gesetz am 1. Januar 1955 in Kraft treten kann. Der Bundesrat muß das Gesetz ebenfalls noch beraten. Eine Verzögerung über den 31. Dezember hinaus würde die ganze Beratung überflüssig machen.
({10})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich stelle, bevor ich Art. I zur Einzelberatung in der zweiten Lesung aufrufe, fest, daß, wie der Herr Berichterstatter schon angezeigt hat, die Änderungsanträge auf den Umdrucken 229, 238 und 245 zurückgezogen worden sind.
Ich rufe nunmehr Art. I auf. Dazu liegt der interfraktionelle Änderungsantrag auf Umdruck 274*) vor. Ich eröffne die Aussprache in der Einzelberatung der zweiten Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 274 zu Art. I des Gesetzentwurfs zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Ich brauche ja wohl nicht über die andere Fassung abstimmen zu lassen, sondern das ist nun die neue Fassung.
Ich rufe auf in der Einzelberatung Art. II. Auch hierzu liegt auf Umdruck 274 ein interfraktioneller Änderungsantrag vor. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung. Wer Art. II in der Fassung des Um- drucks 274 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf in der Einzelberatung die Artikel III und IV des Gesetzentwurfs. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Einzelberatung. Wer den Artikeln III und IV in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -
Enthaltungen? Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen. Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung verabschiedet.
Ich rufe auf zur
dritten Lesung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Änderungsanträge zur dritten Lesung liegen nicht vor.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem aufgerufenen Gesetzentwurf im ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Damit kommen wir zu dem interfraktionellen Entschließungsantrag auf Umdruck 275**). Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache. Wer dem Entschließungsantrag Umdruck 275 zu-
*) Siehe Anlage 13. **) Siehe Anlage 14. zustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Damit ist Punkt 10 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich greife nunmehr auf Punkt 8 zurück und rufe auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Nationales Minderheitenrecht ({0}).
Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Diekmann.
Diekmann ({1}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich die Begründung gebe, muß ich auf einen Irrtum bzw. einen Druckfehler aufmerksam machen. In der vorliegenden Drucksache muß es statt „Kieler Abkommen" heißen: „Kieler Erklärung". Auf den Charakter bzw. auf die Adresse dieser Erklärung komme ich im Verlauf meiner Begründung noch zurück. Anlaß zu der vorliegenden Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion ist die Stellungnahme des dänischen Außenministers H. C. Hansen zu dem in Schleswig-Holstein anstehenden dänischen Minderheitenproblem auf der Sitzung des Atlantikrats in Paris am 22. Oktober 1954. Im Bundesgebiet gibt es nur an der Nordgrenze des Landes Schleswig-Holstein eine echte nationale Minderheit. In diesem Grenzraum ist es bisher noch nicht gelungen, zu einer endgültigen Lösung des Minderheitenproblems zu kommen. Immer wieder wird durch ungeschickte politische Manipulationen das Zusammenleben beider nationalen Gruppen empfindlich gestört. Im Augenblick ist die parlamentarische Vertretung im Lande Schleswig-Holstein Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen; denn die Minderheit hat auf Grund der 5-Prozent-Klausel im Wahlgesetz des Landes keinen Abgeordneten in den Landtag entsenden können, obgleich der Südschleswigsche Wählerverein 42 000 Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Ganz Dänemark zeigt Befremden über den Ausgang der Wahl für die Minderheiten in Südschleswig. Man hat kein Verständnis dafür, daß die im Wahlgesetz des Landes Schleswig-Holstein eingebaute Klausel gegen Splitterparteien auch für die Partei des Südschleswigschen Wählervereins geltend gemacht wird.
Demzufolge hat sich der dänische Folketing am 19. Oktober 1954 anläßlich der Debatte über die Aufnahme Deutschlands in die NATO auch mit der Frage der Minderheiten im Raum Südschleswig befaßt. Der dänische Reichstag bedauert, daß die dänische Minderheit seit der letzten Landtagswahl keine Vertretung mehr im Landtag habe, und beauftragte in dieser Sitzung die Regierung, die dänischen Gesichtspunkte in der bevorstehenden NATO-Sitzung in Paris vorzutragen.
Der dänische Außenminister H. C. Hansen brachte in Paris zum Ausdruck, daß hinter dem Beschluß, Deutschland zum Beitritt in die NATO aufzufordern, die große Mehrheit des dänischen Volkes stehe. Man wünsche aber aus Gründen gutnachbarlichen Verhältnisses eine baldige verständnisvolle Lösung des dänischen Minderheitenproblems. Er wies besonders auf die unterschiedliche Behandlung der nationalen Minderheiten südlich und nördlich der deutsch-dänischen Grenze hin; denn die deutsche Minderheit im dänischen Nord-Schleswig hat mit 9 700 Wählerstimmen eine Vertretung im Folketing, wogegen die dänische Minderheit,
*) Siehe Anlage 15.
({2})
die in der letzten Landtagswahl in Schleswig-Holstein, wie ich schon sagte, immerhin 42 000 Stimmen auf sich vereinigen konnte, im schleswigholsteinischen Landtag nun nicht mehr vertreten ist. H. C. Hansen sagte weiter: „Minderheitenfragen gehören mit zu den Menschenrechten." Deutschland müsse hinsichtlich der Vertretung in Südschleswig die gleiche Praxis in der Minderheitenfrage üben wie Dänemark. Auch der Ministerpräsident des Königreichs Dänemark, Hedtoft, äußerte sich in ähnlicher Weise: es sei im gegenseitigen Interesse, wenn die beiden Minderheiten an der Grenze in der Konsequenz moralischer Grundsätze unter freien und gleichen Bedingungen arbeiten könnten. Ähnlich lauten auch die Worte des ehemaligen Außenministers Ole Björn Kraft.
Mit diesen Darstellungen gebe ich lediglich das in Dänemark herrschende Stimmungsbild zur Minderheitenfrage wieder, das zu Spannungen mit dem Lande Schleswig-Holstein geführt hat. Dieses Spannungsfeld zu beseitigen, damit daraus nicht erst Differenzen zwischen Deutschland und Dänemark entstehen, sollte Aufgabe der Bundesregierung sein. Die politischen Gefahren und Spannungen in Grenzgebieten mit nationalen Minderheiten lassen sich beseitigen, wenn diesen Minderheiten, wie allen anderen Staatsbürgern in einem Staate mit demokratischer Verfassung, die Freiheit der kulturellen Entfaltung als selbstverständliches Recht unter Gleichberechtigten gegeben wird. Eine kluge Staatsführung beseitigt die der Minderheit innewohnende politische Aggressivität am ehesten dann, wenn sie diese Grundrechte uneingeschränkt verbürgt. Selbstverständlich ist loyale Haltung der Minderheit gegenüber dem Herbergsstaat erste Voraussetzung.
Meine Damen und Herren! Die Entwicklung der dänischen Minderheit ist in der Geschichte einmalig. Ich will aber die historischen Reminiszenzen nicht allzu tiefgründig behandeln; das ist in der ersten Legislaturperiode bei den Finanzausgleichsdebatten in den Jahren 1950, 1951 und 1952 zur Genüge geschehen. Ich will nur kurz das Problem: echte oder unechte Minderheit behandeln, weil dieses Problem deutscherseits immer noch als Stein des Anstoßes diskutiert wird und schiefe Darstellungen von Tatsachen die politische Willensbildung unserer Bevölkerung in Schleswig-Holstein leider beeinflussen, so daß es bisher zu keiner endgültigen Lösung des Minderheitenproblems kommen konnte.
Man darf die damalige Situation in Deutschland nicht übersehen und über die, die nach dem Zusammenbruch von der nationalen Fluktuation erfaßt wurden, nicht den Stab brechen wollen. Wie war es damals, als das alte Reich aufgehört hatte, zu existiern? Keiner konnte wissen, was mit Deutschland werden würde. Es gab keine Kohlen, keine Arbeit, die Ernährung war schlecht, die Wohnungen mußten mit den Flüchtlingen geteilt werden. Wir alle standen doch damals der politischen und wirtschaftlichen Konkursmasse Deutschlands gegenüber, und jeder sah sich in seiner gesellschaftlichen Existenz bedroht. Auf der anderen Seite der Grenze, in dem im Jahre 1920 an Dänemark abgetretenen Nordschleswig, waren handgreifliche soziale und wirtschaftliche Erfolge deutlich sichtbar. Dieses Land hat sich seit der historischen Abstimmung erstaunlich gut entwickelt. Dänemark hat nach 1945 seinen wirtschaftlichen und politischen Status erhalten können. Das Land Dänemark ist für viele in Schleswig-Holstein Wohnende immer das Land gewesen, indem Milch und Honig fließen. Somit schnellte die Minderheitenziffer von etwa 1500 im Jahre vor dem Kriege auf etwa 92 000 im Jahre 1946 sprunghaft in die Höhe und ist auf 44 000 zur Bundestagswahl und auf 42 000 bei der Landtagswahl am 12. September 1954 gesunken. Damit ist die Minderheitenzahl bei den letzten Wahlen einigermaßen stabil geblieben. Nach acht Jahren seit dem Zusammenbruch kann man also gegen die heute verbliebenen Mitglieder der Minderheit den Verdacht der Flucht aus der deutschen Verantwortung nicht mehr aufrechterhalten.
Man muß sich mit der Tatsache abfinden, daß wir nach dem zweiten Weltkrieg im Norden der Bundesrepublik eine größere Minderheitenbewegung als vor 1939 haben, der wir nach dem Grundgesetz die Menschenrechte und ihre kulturelle Freiheit nicht durch engstirnige Kleinlichkeiten vorenthalten dürfen. Wir sind aber in Schleswig-Holstein auf dem besten Wege, das zu tun. 42 000 Wähler haben im Landtag keine Vertretung. Bei Anerkennung der gerechten Ansprüche der Minderheit im Lande Schleswig-Holstein im schleswig-holsteinischen Wahlgesetz hätte der Südschleswigsche Wählerverein mindestens zwei Sitze im Landtag erhalten, denn auf etwa je 17 000 abgegebene Wählerstimmen im Lande Schleswig-Holstein ist ein Abgeordneter gewählt.
Der Südschleswigsche Wählerverein hat gegen die Fassung des schleswig-holsteinischen Wahlgesetzes vom 22. Oktober 1951 und vom 5. November 1952 beim Bundesverfassungsgericht Klage erhoben. Nach der Fassung des Gesetzes vom 27. Februar 1950 nehmen an dem Verhältnisausgleich nur die Parteien teil, für die mindestens in einem Wahlkreis ein Abgeordneter gewählt worden ist oder die insgesamt 5 % der im Lande abgegebenen gültigen Stimmen erzielt haben. Am 22. Oktober 1951 wurde das Quorum im Landtag von 5 % auf 7 1/2 % erhöht. Gegen diese Änderung des Gesetzes hat der Südschleswigsche Wählerverein damals das Bundesverfassungsgericht angerufen. Mit Urteil vom 5. April 1952 hat das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit ides § 3 Abs. 1 des Wahlgesetzes in der Fassung vom 22. Oktober 1951 mit dem Art. 3 der Landessatzung für Schleswig-Holstein festgestellt. Auf Grund dieses Urteils hatte das Wahlgesetz eine neue Fassung mit dem Quorum 5 % erhalten und wurde am 5. November 1952 ausgefertigt. Bei der Bundestagswahl am 6. September 1953 erhielt der SSW nur 44 585 Stimmen und damit nur 3,3 % der im Lande abgegebenen Stimmen. Er klagte am 4. Juni 1954 abermals beim Bundesverfassungsgericht. Diese Klage hat das Bundesverfassungsgericht verworfen, da die neue Fassung nach dem Urteil gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit nicht verstößt. Aber im Abschnitt B I Abs. 3 heißt es:
Andererseit steht es dem Gesetzgeber frei, von einem zulässigen Quorum Ausnahmen zu machen und Parteien, die das Quorum nicht erreichen, zur Mandatszuteilung zuzulassen, wenn ein zureichender Grund für diese Sonderbehandlung gegeben ist.
Dann heißt es weiter:
Der Gesetzgeber kann sie berücksichtigen, er muß es aber nicht.
Dieser letzte Satz des Urteils ist von entscheidender
Bedeutung. Danach kann der SSW, wenn der Gesetzgeber den Grundrechten und der Kieler Er({3})
klärung unbedingt Rechnung tragen will, zu seinem Recht und die Minderheit zu ihrer Landtagsvertretung kommen.
Die sozialdemokratische Fraktion ist der Meinung, daß zureichender Grund für eine besondere Behandlung der Minderheit gegeben ist. Nach demokratischen Grundsätzen hat die Minderheit in der modernen Demokratie Anrecht auf Repräsentation und sollte entsprechend ihrer Stärke in allen parlamentarischen Körperschaften vertreten sein. Die Nichtachtung der berechtigten Forderung der dänischen Minderheit, die 5-%-Klausel auf ihren Südschleswigschen Wählerverein nicht anzuwenden, ist ein Verstoß gegen die schon genannten demokratischen Grundsätze und ein Verstoß gegen die Kieler Erklärung. In der Präambel der Kieler Erklärung heißt es:
Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung, von dem Wunsche erfüllt, ein friedliches Zusammenleben der dänischen Minderheit mit der deutschen Bevölkerung zu sichern, die berechtigten Belange der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein zu gewährleisten und ein gutnachbarliches Verhältnis zum dänischen Volke herbeizuführen, erklärt mit Billigung des Schleswig-Holsteinischen Landtags und in der bestimmten Erwartung, daß die dänische Regierung der deutschen Minderheit in Dänemark dieselben Rechte und Freiheiten einräumen und garantieren wird, folgendes:.. .
Und nun folgen die Grundrechte des Bonner Grundgesetzes.
In Abschnitt 2 Abs. 4 der Kieler Erklärung heißt es dann weiter:
Die Landesregierung hält es für selbstverständlich, daß die parlamentarische Gepflogenheit, alle politischen Gruppen in den Vertretungskörperschaften der Gemeinden, der Ämter, der Kreise und des Landes in angemessener Weise zur Mitarbeit in den Ausschüssen heranzuziehen, ohne Rücksicht auf die jeweiligen Mehrheitsverhältnisse Anwendung findet.
Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen ist das Wahlgesetz in Schleswig-Holstein, insbesondere jedoch seine Auslegung durch die Landesregierung und ihre Koalitionsparteien, mit dem friedlichen Zusammenleben der dänischen Minderheit und der deutschen Bevölkerung an der Grenze und mit dem gutnachbarlichen Verhältnis zu Dänemark nicht vereinbar und verstößt gegen den Geist der Kieler Erklärung. Die Kieler Erklärung, die bis auf nur zwei Stimmenthaltungen, also fast einstimmig, am 26. September 1949 im schleswig-holsteinischen Landtag angenommen wurde, hat Freunde und auch Feinde gehabt. Um aber Mißverständnissen vorzubeugen, sei gesagt: Die Kieler Erklärung ist nur eine einseitige Erklärung. Denn aus verfassungsrechtlichen Gründen konnte mit Dänemark nicht verhandelt werden, und es ist wohl nicht üblich, mit einer Gruppe eigener Staatsbürger, auch wenn sie der dänischen Minderheit angehören, einen gesonderten Staatsvertrag abzuschließen.
Dessen ungeachtet hat aber die Kieler Erklärung ihre Bedeutung bis auf den heutigen Tag nicht verloren. Denn das Fundament dieser Erklärung ist, wie ich schon angedeutet habe, das Bonner Grundgesetz. Die europäischen Staaten haben die Erklärung der damaligen Landesregierung als gute Lösung künftigen Zusammenlebens zwischen Dänemark und Deutschland begrüßt und sahen in dieser Lösung Toleranz und Verständigungswillen eines neuen Deutschlands. Der dänischen Minderheit sind damit die Grundrechte garantiert worden, die ihr das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Unverletzbarkeit der persönlichen Freiheit sicherten. Tatsächlich ist eine Beruhigung an der Grenze eingetreten mit dem Erfolg der Rückläufigkeit in der Minderheitenbewegung, mit dem Erfolg, daß auch die Verwaltungstrennung zwischen Schleswig und Holstein, die seinerzeit von der Minderheit angestrebt wurde, verhindert wurde. Aber es wäre eine Anmaßung, diesen Erfolg nur einseitig auf das Konto der Kieler Erklärung buchen zu wollen. Denn es muß zugegeben werden, daß die Hebung des wirtschaftlichen und sozialen Niveaus und die Konsolidierung unseres Staates selbstverständlich mit dazu beigetragen haben.
({4})
Die in der Präambel zum Ausdruck gebrachte Erwartung der Gegenseitigkeit ist ebenfalls in Erfüllung gegangen; denn die deutsche Minderheit hat mit dem berühmten Kopenhagener Protokoll ihre Anerkennung und die ersten Möglichkeiten ihres kulturellen Eigenlebens zugestanden bekommen. Somit wären also die politischen Spannungen mit Dänemark sicher nicht mehr gegeben, wenn nicht immer wieder durch neue politische Dummheiten von beiden Seiten das sich anbahnende gutnachbarliche Verhältnis an der Grenze zuweilen gestört würde.
({5})
Die Konsequenzen aus der neuen Situation in Südschleswig sind noch nicht zu übersehen. Sollte keine Lösung gefunden werden, der Minderheit zu einer parlamentarischen Vertretung im Land Schleswig-Holstein zu verhelfen, muß jeder ernsthafte Politiker um die weitere Entwicklung in Südschleswig in Sorge sein.
({6})
Das ständige Basteln an der Minderheitenfrage stärkt leider das Mißtrauen des Auslandes gegenüber der demokratischen Haltung Deutschlands, stärkt das ohnehin bei vielen Völkern Europas noch nicht beseitigte Ressentiment gegenüber Deutschland.
({7})
Damit, daß der dänische Außenminister seine Mißbilligung über die Behandlung der dänischen Minderheit in Südschleswig in der Sitzung des Atlantikrates vom 22. Oktober in Paris ausgesprochen hat, ist das nationale Minderheitenrecht ah der Nordgrenze eine Angelegenheit Westdeutschlands geworden. Es ist ohnehin nach dem Grundgesetz eine Angelegenheit des Bundes. Denn in Art. 32 des Grundgesetzes heißt es:
Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes.
Deshalb kann es dem Bunde nicht einerlei sein, wenn Länder das politische Klima unter Tiefdruck bringen.
Was hat nun die Bundesregierung getan, um dieser Verletzung des nationalen Minderheitenrechtes entgegenzutreten? Nach Pressemeldungen hat der Herr Bundeskanzler anschließend an die Sitzung des Atlantikrates eine Unterhaltung mit dem dänischen Außenminister geführt. Dabei soll nach Aussagen des Außenministers H. C. Hansen der Herr Bundeskanzler sich positiv über eine mögliche Lösung des Problems ausgesprochen haben,
({8})
Ich würde es für sehr wertvoll gehalten haben, wenn der Herr Bundeskanzler heute bei der Behandlung dieser Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion zugegen gewesen wäre;
({9})
denn das Minderheitenproblem, das eine allgemeine Gültigkeit bekommen muß, ist eine immerhin wichtige Angelegenheit, bei deren Besprechung der Herr Bundeskanzler hätte anwesend sein sollen.
Nach den neuesten Meldungen hat der Herr Bundeskanzler in der vorigen Woche mit dem Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein über das Problem der dänischen Minderheit gesprochen und den Auslandsjournalisten gegenüber geäußert: „Ich habe den Eindruck, daß Herrn von Hassel eine Lösung der Frage sehr stark beschäftigt." Nach einer Verlautbarung der schleswigholsteinischen Pressestelle hat Ministerpräsident von Hassel vor einigen Tagen mit Vertretern der südschleswigschen Minderheit „zwecks näherer Orientierung" verhandelt. Meine Damen und Herren, sieben Wochen sind seit dem 20. Oktober 1954 verstrichen, und bis jetzt ist es bestenfalls zur „Orientierung" gekommen. Diese Methode, scheint uns, dient zunächst nur der Optik und ist politisch gesehen völlig farblos.
In Schleswig-Holstein geht es doch wohl nur um folgendes: 1. Das Quorum von 5 % soll auf die Minderheit nicht angewendet werden. Das Wahlgesetz muß bis zur nächsten Legislaturperiode eine neue Fassung erhalten. 2. Für die Übergangszeit muß eine Lösung gefunden werden dahin, daß mindestens zwei Vertreter des SSW - also des Südschleswigschen Wählervereins - an den Landtagssitzungen und den Sitzungen einiger Ausschüsse teilnehmen. Soweit wir informiert sind, ist der Südschleswigsche Wählerverein mit einer solchen Lösung zunächst zufrieden. Ich glaube nämlich, wir alle haben ein sehr großes Interesse daran, nach Möglichkeit keine Märtyrer zu schaffen; denn etwas Ähnliches ist in Schleswig-Holstein schon einmal praktiziert Worden, und zwar vor 1918, und ich möchte nicht, daß uns durch kleinliche politische Maßnahmen weitere Gebiete verlorengehen, wie es 1920 leider der Fall gewesen ist.
Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion stelle ich noch einmal die Frage: Was hat die Bundesregierung bisher veranlaßt, um der Minderheit zu ihrem selbstverständlichen Vertretungsrecht im Landtag zu verhelfen, es zu sichern und die Spannungen zwischen Dänemark und Deutschland zu beseitigen?
Es ist ein Antrag der Koalitionsparteien eingegangen, der sich ebenfalls mit dem Minderheitenrecht befaßt und dem Herrn Bundeskanzler eine Auflage gibt. Hier sehe ich vermerkt, daß es im wesentlichen darauf ankommt, einen Minderheitenvertrag mit Dänemark zu bekommen. Dazu darf ich folgendes sagen: Es ist uns nicht ganz unbekannt, daß die Frageeines Minderheitenvertrages schon immer in der Landesregierung ides Landes Schleswig-Holstein gespukt hat. Man mag vielleicht auch auf die Kieler Erklärung vom Jahre 1949 aufmerksam machen, in der auf einen Minderheitenvertrag hingewiesen wird, der möglicherweise zwischen der deutschen Bundesrepublik und dem Königreich Dänemark geschlossen werden könnte.
Meine Damen und Herren, wir haben eine einhellige Absage von seiten Dänemarks hinsichtlich
eines Minderheitenvertrags bekommen. Ich darf Ihnen auch sagen: Seit 1949 sind mehr als fünf Jahre ins Land gegangen, und seitdem hat sich manches geändert. Ich bin nicht der Auffassung, daß es unbedingt erforderlich ist, einen Minderheitenvertrag zu verlangen. Ich glaube, ein gutnachbarliches Verhältnis und die Lösung 'des Problems der Minderheitenrechte können auch auf anderem Wege erreicht werden.
Da es meiner Fraktion nicht nur speziell um die dänische Minderheit, sondern um die Stellungnahme der Regierung zur allgemeinen Minderheitenfrage geht, wünscht sie einen Gesetzentwurf zur Ergänzung des Grundgesetzes, auf Grund dessen die Landeswahlgesetze das nationale Minderheitenrecht sichern müssen. Eine vernünftige Lösung der nationalen Minderheitenfrage ist bedeutungsvoll genug, um an diesem 'Beispiel der Welt den demokratischen Charakter Westdeutschlands zu demonstrieren. In der Zeit, in der der europäische Wirtschaftsmarkt angestrebt wird und die politische Integration Europas im Mittelpunkt steht, sollte der verantwortungsvolle Politiker alles tun, was der Gesamtentwicklung Europas dienlich ist, aber alles unterlassen, was der kulturellen Entwicklung unserer Völkergemeinschaft schadet.
({10})
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat Herr Innenminister Dr. Schröder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der Bundesregierung die Große Anfrage wie folgt zu beantworten.
Zu Frage 1: Der Bundesregierung ist nichts davon bekannt, daß die Regelung des Wahlrechts im Lande Schleswig-Holstein zu Spannungen mit Dänemark geführt hat.
({0})
Die Tatsache, daß dänische Kreise Wünsche nach einer Vertretung der dänischen Minderheit im Landtag von Schleswig-Holstein geäußert haben, rechtfertigt jedenfalls keineswegs die Meinung, es sei wegen dieser Frage zu Spannungen mit Dänemark gekommen. Die Bundesregierung ist auch nicht der Auffassung, daß das Landtagswahlrecht in Schleswig-Holstein die Rechte der nationalen Minderheit oder die Kieler Erklärung verletzt. Die Bundesregierung muß vielmehr feststellen, daß das Landtagswahlrecht in Schleswig-Holstein der dänischen Minderheit die gleichen Rechte gewährt wie der Mehrheitsbevölkerung. Infolge Rückgangs ihrer Stimmen ist die nationale Minderheit im neuen Landtag von Schleswig-Holstein bei gleichen gesetzlichen Voraussetzungen wie 1950 nicht mehr vertreten. Auch bei der Bundestagswahl 1953 hatte sie trotz Befreiung von der Sperrklausel keinen Sitz errungen.
Die nationale Minderheit erstrebt eine Gestaltung des Landtagswahlrechts, daß sie eine Vertretung im Landtag erhält. Sie verlangt damit eine Durchbrechung der Wahlrechtsgleichheit zu ihren Gunsten.
({1})
({2})
Nach der Sperrklausel des Landtagswahlgesetzes von 1950 war die Teilnahme am Verhältnisausgleich von einem Wahlkreissitz oder einem Stimmenanteil von 5 v. H. abhängig. Dieses Quorum wurde 1951 auf 7 1/2 v. H. erhöht. Diese Erhöhung, nicht die Sperrklausel schlechthin, wurde alsbald von den Vertretern der nationalen Minderheit beim Bundesverfassungsgericht mit Erfolg angegriffen. Nachdem entsprechend dem von ihr erstrebten Urteil die frühere Sperrklausel von 5 v. H. 1952 wiederhergestellt worden war, hat die nationale Minderheit 1954 die gemilderte Sperrklausel sowohl als solche wie in ihrer Höhe und vor allem hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf die nationale Minderheit beim Bundesverfassungsgericht angefochten, diesmal jedoch ohne Erfolg. Offenbar befürchtete sie nach der Entwicklung ihrer Stimmenzahl, daß sie die für alle Parteien in der Sperrklausel bestehende Hürde nicht werde überspringen können. Sie erstrebte mindestens die Befreiung von der Sperrklausel des Landtagswahlgesetzes und damit die gleiche Bevorzugung, die ihr das Bundeswahlgesetz in § 9 Abs. 5 eingeräumt hatte. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Befreiung der nationalen Minderheit von der Sperrklausel des Bundeswahlgesetzes mit der Wahlrechtsgleichheit vereinbar ist. Darüber ist gegebenenfalls vom Bundesverfassungsgericht zu entscheiden.
Aus Anlaß der von der nationalen Minderheit in Schleswig-Holstein anhängig gemachten Verfassungsstreitigkeiten hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Recht der nationalen Minderheiten in seinen beiden Urteilen vom 5. April 1952 und 11. August 1954 eingehend befaßt. Das Bundesverfassungsgericht kam dabei zu folgendem Ergebnis:
Es gibt keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die nationalen Minderheiten eine Sonderstellung für die Vertretung im Parlament einräumt. Es kann dahingestellt bleiben,
- sagt das Bundesverfassungsgericht ob es allgemeine Regeln des Völkerrechts über Minderheitenschutz gibt oder ob nicht völkerrechtlicher Minderheitenschutz jeweils nur auf Grund und im Rahmen besonderer vertraglicher Abmachungen gewährt wird. Die positiven Bestimmungen des Minderheitenschutzrechtes, wie sie vor allem in der Periode nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt worden sind, betreffen die staatsbürgerliche Gleichstellung der Angehörigen der Minderheit mit der Mehrheitsbevölkerung. Mit Bezug auf die parlamentarische Repräsentation des als Einheit gedachten Staatsvolkes ist
- nach dem Bundesverfassungsgericht die Eigenschaft als Partei einer nationalen Minderheit keine Verschiedenheit, die wesentlich ist und die der Gesetzgeber daher bei der Gestaltung der Rechte der politischen Parteien im Wahlverfahren berücksichtigen müßte.
Das Bundesverfassungsgericht fährt fort:
Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller zur Stützung seines Begehrens auf § 9 Abs. 5 des Wahlgesetzes zum 2. Bundestag vom 8. Juli 1953, der die von nationalen Minderheiten eingereichten Listen von der Sperrklausel des § 9 Abs. 4 ausnimmt. Eine solche Bedeutung für die Auslegung der Wahlrechtsgleichheit kann aber dem § 9 Abs. 5 des Bundeswahlgesetzes
als einer isolierten Ausnahmevorschrift nicht beigelegt werden.
Soweit das Bundesverfassungsgericht.
Was das Recht nationaler Minderheiten überhaupt anlangt, muß an folgendes erinnert werden. Ein von Prof. Laun der Berner Völkerbundskonferenz im März 1919 vorgelegter Entwurf eines internationalen Vertrags über den Schutz nationaler Minderheiten hatte vorgesehen, daß Wahlen zu öffentlichen Körperschaften nach einem Proportionalwahlrecht stattfinden sollten, das einer jeden nationalen Minderheit, die 20 % der Bevölkerung ausmachte, eine Vertretung in der Körperschaft sichern sollte. Dieser Entwurf, der eine besondere rechtliche Sicherung also erst bei einer sehr starken Minderheit vorsah, ist niemals angenommen worden. Die Partei der nationalen Minderheit in Schleswig-Holstein hatte demgegenüber bei der letzten Landtagswahl einen Anteil von 3,5 vom Hundert an den Stimmen des Landes und bei der letzten Bundestagswahl einen Anteil von 0,2 vom Hundert an den Stimmen des Bundesgebietes.
Aus alledem ergibt sich, daß das Wahlrecht im Lande Schleswig-Holstein weder das Völkerrecht noch das Bundesrecht verletzt. Dieses Wahlrecht verletzt aber auch nicht die irrtümlich als Abkommen bezeichnete Kieler Erklärung, mit der ein völkerrechtlicher Modus vivendi für die Behandlung der dänischen Minderheit geschaffen worden ist und Grundsätze für ihr kulturelles Eigenleben aufgestellt worden sind in der Erwartung, daß der deutschen Minderheit in Dänemark dieselben Rechte und Freiheiten eingeräumt und garantiert werden.
Die Erklärung der Landesregierung Schleswig-Holstein über die Stellung der dänischen Minderheit vom 26. September 1949 stellt noch einmal in feierlicher Form fest, daß die im Grundgesetz festgelegten Grundrechte einem jeden und damit auch jedem Angehörigen der dänischen Minderheit ohne Rücksicht auf die von ihm benutzte Sprache gewährleistet sind, darunter auch die Gleichheit vor dem Gesetz, das allgemeine, unmittelbare, gleiche, freie und geheime Wahlrecht, das auch für Landes-und Kommunalwahlen gilt. Die Erklärung betont ferner, daß niemand wegen seiner Zugehörigkeit zur dänischen Minderheit benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Mit keinem Grundsatz der Kieler Erklärung steht das Landtagswahlgesetz im Widerspruch. An die Erklärung haben sich die späteren Landesregierungen gehalten. Die kürzlich gewählte Landesregierung hat sich in ihrer Regierungserklärung ebenfalls feierlich dazu bekannt.
Aus diesen Ausführungen, meine Damen und Herren, ergibt sich, daß das Landtagswahlrecht in Schleswig-Holstein weder Regeln des Völkerrechts noch das Grundgesetz noch die Kieler Erklärung verletzt.
Zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kann auch die Tatsache nicht führen, daß die deutsche Minderheit infolge des dänischen Wahlsystems im dänischen Parlament vertreten ist. Die beiderseitigen Wahlsysteme sind nicht vergleichbar. Gleichberechtigung der Minderheiten im politischen Leben bedeutet nur, daß auf diesem Gebiet völlige Gleichheit im Verhältnis zu den anderen Staatsangehörigen besteht. Dem Grundsatz der Gegenseitigkeit ist, soweit er hier überhaupt in Betracht kommt, voll Genüge getan.
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Zu Punkt 2. Die dänische Öffentlichkeit und Vertreter der dänischen Regierung haben wiederholt den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß durch geeignete Maßnahmen die Möglichkeit einer parlamentarischen Vertretung der dänischen Wähler im Landtag von Schleswig-Holstein eröffnet werde. Der dänische Außenminister H. C. Hansen hat den gleichen Wunsch auf der NATO-Tagung in Paris am 22. Oktober 1954 vorgebracht und ihn auch persönlich an den Herrn Bundeskanzler herangetragen. Der Herr Bundeskanzler hat Herrn Hansen gegenüber erklärt, daß er sich persönlich der Minderheitenfrage annehmen werde. In der Regierungserklärung vom 8. November 1954 hat Ministerpräsident von Hassel vor dem Landtag von Schleswig-Holstein erklärt, er, die Landesregierung und der Landtag von Schleswig-Holstein hofften, daß sich eine positive Lösung der Minderheitenfrage finden lasse. Obgleich eine Verletzung des nationalen Minderheitenrechts nicht vorliegt, ist die Bundesregierung doch mit der Landesregierung von Schleswig-Holstein einig in dem Wunsch nach einer alle Teile zufriedenstellenden Lösung der Frage einer parlamentarischen Vertretung der dänischen Volksgruppe. Diese Lösung muß jedoch von der Landesregierung gefunden werden.
Zu Punkt 3 darf ich abschließend bemerken: Für eine Ergänzung des Grundgesetzes sieht die Bundesregierung schon deshalb keinen Anlaß.
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Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß das Haus eine Besprechung wünscht. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Rasner.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal wissen wir der Sozialdemokratie Dank, daß sie diese Fragen vor das Hohe Haus gebracht hat. Sodann wissen wir dem Königreich Dänemark Dank, daß es diese Frage durch die Interpellation des dänischen Außenministers einmal auf die internationale Ebene gebracht hat. Schließlich noch eine Feststellung, damit hier keine Begriffsverwirrungen entstehen: Gesprächspartner für Bonn ist Kopenhagen, und Gesprächspartner für die dänische kulturelle Minderheit im Land Schleswig-Holstein ist Kiel. Das sind Dinge, die gelegentlich verwechselt werden und heute schon verwechselt worden sind. Ich will mich, Herr Präsident, so kurz wie möglich fassen, aber die Ausführungen des Kollegen Diekmann verlangen doch eine Antwort.
Was ist nun Nord- und Südschleswig eigentlich? In Nord- und Südschleswig ist der Art. 109 des Versailler Vertrages 1920 praktiziert worden, und zwar unter für Deutschland ungünstigsten Bedingungen und auf die fairste Weise unter der Aufsicht einer internationalen Überwachungskommission. Das Ergebnis war, um es kurz zu sagen: in Zone 1 - das ist das, was vorhin als Nordschleswig angesprochen worden ist - stimmten 25 % für Deutschland, 75 % für Dänemark; in Zone 2 - das, was gemeinhin Südschleswig genannt wird - 80 % für Deutschland, 20 % für Dänemark; auf Zone 3 hat Dänemark von vornherein verzichtet und durch seinen Ministerpräsidenten anerkannt, sie sei seit eh und je deutsches Land. Das war eine faire Grenzentscheidung. Der Sinn des Selbstbestimmungsrechts ist grundsätzlich, daß es nicht alle Jubeljahre praktiziert wird, sondern daß durch die Anwendung eines solchen Selbstbestimmungsrechts Ruhe an der Grenze geschaffen wird; auch das scheint klar zu sein. Nach 1945 ist das aber offensichtlich unklar geworden.
Aber noch einmal kurz zurück, ohne eine lange Zahlenreihe aufzustellen. Die dänische Minderheit im deutschen Südschleswig ist seit der Volksabstimmung 1920 permanent rückläufig gewesen. Sie hatte sich in den Jahren 1930 bis 1932 auf 1500 Wähler eingespielt. Nach 1945 hingegen hatte sie plötzlich 98 000 Wähler. Das zum Thema Echtheit dieser Minderheit, auch in bezug auf die 42 000 heutigen Wähler, Herr Kollege Diekmann, auf die ich nachher noch eingehen möchte.
Parallel zu dieser Entwicklung läuft die Entwicklung der Schulen. 1938 gab es in Südschleswig, also im deutschen Teil Schleswigs, 8 dänische Schulen und 6 Kindergärten. Heute gibt es dort 89 dänische Schulen und 30 Kindergärten. Ich möchte einmal einen Staat sehen, in dem sich eine Minderheit kulturell so frei entfalten kann, wie das bei uns in Schleswig-Holstein der Fall ist!
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Ich will auch in diese Zahlen nicht weiter einsteigen, weil die Zeit vorgeschritten ist; aber das ist der Stand. Schon angesichts dieses Standes wird niemand bestreiten können - darauf lege. ich nun wirklich Wert -, daß eine wahrhaft großzügige Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein getrieben wird.
Wie konnte es dazu kommen? Das ist die nächste Frage, die wir ebenso kurz behandeln müssen. Zunächst einmal auf dänischer Seite! Dazu ein offenes Wort. Dänemark ist einmal eine Großmacht gewesen. Das ist lange her. Dänemark ist das heute nicht mehr. Die ganze nationale Romantik eines Volkes wie des dänischen konzentriert sich nun auf einen Grenzstreifen von 50 km. Meine Damen und Herren, wenn sich die deutsche nationale Romantik auf einen Grenzstreifen von 50 km konzentrierte, möchte ich nicht wissen, welche Dynamik dahinter säße.
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So gesehen habe ich für dieses Exerzierfeld dänischer nationaler Romantik an der deutsch-dänischen Grenze von 1920 einiges Verständnis. Nationale Romantik ist nicht auszurotten. In richtige Wege geleitet und richtig verstanden soll sie auch gar nicht ausgerottet werden.
Auf deutscher Seite ist das Problem sehr vielschichtig. Es ist nicht abzutun allein mit „Speckpaketen". Ich sage das mit allem Nachdruck. Nicht alle Menschen, die nach 1945, na, ,,zum Dänentum gefunden", die dänisch gewählt haben, sind Speckdänen. Das ist falsch. Es war der Krieg, es war der Zusammenbruch, es war die Enttäuschung, es war die Überbelegung Schleswig-Holsteins mit Heimatvertriebenen. Wir haben in einem Kreis von 114 Gemeinden 104 gehabt, wo mehr als 100 Heimatvertriebene auf 100 Einheimische kamen. Da fühlt sich gelegentlich schon einmal ein Einheimischer bedrückt. Es war aber auch die materielle
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Not, die oft bitter an die Haustür klopfte. Es waren aber auch - das soll nicht vergessen werden - eine dänische Kulturoffensive, eine dänische Schuloffensive, eine dänische Sozialoffensive. Ich habe das Wort „Kulturoffensive" nicht erfunden. Es stammt von dem inzwischen verstorbenen sozialdemokratischen dänischen Kirchenminister Fred Nielsen, der sich offen zu einer „Kulturoffensive" auf deutschem Gebiet bekannt hat. Diese Kulturoffensive auf deutschem Gebiet ist nun mit einem Millionen-Kronen-Strom aus Staatsmitteln gespeist worden. Die Fachleute errechnen seit 1945 einen Strom von etwa 200 Millionen Kronen, das sind 120 Millionen Mark. Für eine Minderheit von früher 10 000, sagen wir heute wirklich 20 000 Personen, ist das ein sehr freundliches Wort, auf jeden Fall viel zu groß zur „Erhaltung" einer Minderheit und ganz offensichtlich dafür bestimmt, volkliche Eroberungen im Sinne einer „Kulturoffensive" zu machen, wie, ich wiederhole, mit bemerkenswertem Freimut der dänische Kirchenminister Fred Nielsen das ausgesprochen hat.
Aus dieser Situation mußte sich eine echte politische Problematik entwickeln. Die Kulturoffensive des Dänentums hat berechtigte deutsche Abwehrbemühungen hervorgerufen; das scheint selbstverständlich zu sein. Den gesteuerten dänischen Einbruchsversuchen in deutsches Kulturgut steht das deutsche Bestreben gegenüber, daß deutsch bleiben soll, was deutsch war und ist. Das hat mit Nationalismus gar nichts zu tun, sondern ist ein Akt vernünftiger Selbsterhaltung.
Folgende Kernfragen sind im Zuge dieses Grenzproblems entstanden: „echte" und „unechte" Minderheit, „nationale Minderheit" und „Irredenta", „Selbstbestimmungsrecht" und ,,,Recht auf Separation", „nationale Minderheit" und „Loyalitätspflicht" gegenüber dem Herbergsland. Hier muß man wieder unterscheiden zwischen dem Verhalten der dänischen Staatsregierung, also des offiziellen Dänemarks, dem Verhalten der grenzrevisionistischen Kreise - beträchtliche Kreise -innerhalb der dänischen Bevölkerung und der dänischen Minderheit in Deutschland selbst.
Ich stehe nicht an zu sagen, daß sich die dänische Staatsregierung wirklich loyal verhalten hat, wie ich auch nicht anstehe zu sagen, daß speziell wir in Schleswig-Holstein, die wir Dänemark kennen, alle eine stille, aber um so nachhaltigere Liebe zu Dänemark haben: es ist ein wunderschönes Land, es ist eine saubere Musterdemokratie, die schon außerordentlich viel Anziehungskraft zu entwickeln vermag. Allerdings: die dänische Regierung hat - ich habe es schon gesagt - mehr getan, als zur Erhaltung der Minderheit vonnöten ist; sie hat wahrhaft Kulturoffensive betrieben. Die dänische Regierung anerkennt zwar, daß die Grenze gegenwärtig festliegt, sie will aber trotz der Abstimmung von 1920 unter internationaler Kontrolle die Grenze nicht als endgültig betrachtet wissen, sondern sie setzt nun das Selbstbestimmungsrecht mit einem Recht auf Separation gleich, das zwar für den Augenblick nicht aktuell sein soll, das aber zu einem späteren Zeitpunkt ausgeübt werden soll und für das Dänemark jetzt durch Werbung, durch Kulturoffensive die Voraussetzungen schaffen möchte und schaffen will oder, besser gesagt: schaffen dürfen will.
Und da, meine Damen und Herren, erlauben wir uns - denn es geht ja hier um unbestreitbar deutsches Land - zu sagen, daß diese dänische Haltung und nicht die unsrige anachronistisch ist. Wir sagen das in aller Freundschaft zu Dänemark, und ich will es hier mit den Worten von Professor Menzel sagen, die neulich schon im Kieler Landtag zitiert worden sind. Professor Menzel, der der linken Seite dieses Hauses ja wirklich nicht unbekannt ist, hat sehr richtig gesagt: Der Gedanke der europäischen Föderierung, der unbedingt vorwärtsschreitet und zu einem vereinten Europa über kurz oder lang führen wird, Herr Kollege Diekmann, schließt den nationalstaatlichen Ehrgeiz aus, Mehrer des Reiches zu sein. Auf die Parole „hehrer des Reiches" geht die dänische Kulturoffensive in letzter Konsequenz hinaus.
Was das Problem „echte und unechte Minderheit" anbelangt, von dem Sie gesprochen haben, Herr Diekmann, so hat das seine Regelung schon gefunden. Die Kieler Erklärung sagt: „Das Bekenntnis zum dänischen Volkstum und zur dänischen Kultur ist frei; es darf von Amts wegen nicht beschnitten oder nachgeprüft werden". Das ist wahrlich schon wieder eine freiheitliche Regelung.
Im politischen Raum hingegen wird selbstverständlich weiterhin zwischen „echt" und „unecht" unterschieden werden müssen. Im SSW und SSV, den beiden dänischen Organisationen, sind heute Rheinländer, Mecklenburger und Sudetendeutsche, bloß weil sie eine Frau geheiratet haben, deren Mutter im Landesteil Schleswig geboren ist; ich möchte sagen: Angehörige nahezu aller deutschen Stämme ohne jede Bindung an dänische Sprache und Kultur, was z. B. schon daraus hervorgeht, daß die dänische Minderheit, um sich überhaupt mit ihren Leuten verständigen zu können, eine Zeitung in deutscher Sprache erscheinen läßt, denn das dänisch geschriebene „Flensborg
Avis" können ihre Minderheitenleute überhaupt nicht lesen.
Daß wir im politischen Raum, um auch das noch zu sagen, Herr Kollege Diekmann, den Unterschied zwischen „echt" und „unecht" berechtigt machen dürfen, ist ersichtlich aus einem Urteil des Haager Gerichtshofs vom 22. April 1928 in einem alten Streit zwischen Deutschland und Polen, in dem festgestellt wird, daß es eine Frage der tatsächlichen Verhältnisse und nicht des reinen Willens ist, ob eine Person einer Minderheit angehört und daher berechtigt ist, die Vorschriften der Minderheitenschutzgesetzgebung für sich in Anspruch zu nehmen. Das heißt auf gut deutsch: „Als Däne gilt von Amts wegen, wer will". Aber, ich wiederhole, im politischen und moralischen Bereich bleibt der Unterschied zwischen „echt" und „unecht" aufrechterhalten.
Nun lassen Sie mich einmal sagen - und ich glaube, da finde ich gerade bei Ihnen Verständnis -: Die Frage, ob jemand nach einem verlorenen Krieg seinem deutschen Volkstum den Rücken kehrt und in ein anderes - zugegebenermaßen ruhigeres und behaglicheres - Volkstum überwechselt, ist auch in hohem Maße eine moralische Frage.
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Ich komme nun zum Kapitel Loyalitätspflicht. Die Loyalitätspflicht einer nationalen Minderheit gegenüber ihrem Herbergsstaat sollte doch hier in diesem Hause überhaupt kein Streitgegenstand
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sein. Die deutsche Minderheit in Dänemark hat diese Loyalitätspflicht in einer freiwilligen Loyalitätserklärung ausdrücklich anerkannt. Die deutsehe Minderheit in Dänemark hat dabei gleichzeitig nochmals die Grenzziehung von 1920, die zur Abtrennung Nordschleswigs von Deutschland geführt hat, als endgültig bestätigt. Meine Damen und Herren, das war groß, klug und zeitgemäß gehandelt.
Die dänische Minderheit hat eine solche Loyalitätserklärung gegenüber ihrem Herbergsstaat bisher nicht abgegeben. Sie erklärt vielmehr, sie habe ihre Loyalität in zwei Weltkriegen bewiesen, und deshalb sei das unnötig. Niemand von uns wird aber bestreiten können, auch nicht Sie von der Opposition, daß es eben doch ein Unterschied ist, ob sich eine Minderheit wie die deutsche in Dänemark ausdrücklich zur Loyalität gegenüber dem Herbergsstaat bekennt, ausdrücklich die Grenze als endgültig feststehend anerkennt, ausdrücklich keine Sonderrechte für sich, beispielsweise bei der Einziehung zum Wehrdienst, proklamiert oder ob man, wie die dänische Minderheit hier, diese Loyalitätserklärung nicht abgibt, die Grenze nicht als endgültig anerkennt und Sonderrechte, z. B. hinsichtlich der Wehreinziehung, fordert.
Man sieht: Auf der einen Seite Vorleistungen zur Befriedung der Situation im Grenzraum, und zwar deutsche Vorleistungen. Hierzu gehören selbstverständlich auch die hier mehrfach apostrophierte Kieler Erklärung sowie - auch das muß einmal gesagt werden . - die Tatsache, daß der auf Grund der Kieler Erklärung geschaffene Verständigungsausschuß, in dem alle Beschwerden der dänischen Minderheit gegenüber deutscher Unterdrückung vorgebracht werden sollen, seit drei Jahren völlig arbeitslos ist. Er hat überhaupt nichts zu tun, weil es reale Beschwerden gar nicht gibt.
Und nun noch ein Wort zur Loyalität - damit wir das nun abrunden - der dänischen Minderheit in Deutschland.
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- Augenblick! Das ist genau der Hintergrund, den wir dafür brauchen. Ich bin gleich dabei, Herr Kollege Brandt. Ein Beispiel gleichzeitig für das Ausmaß an Toleranz, das in Schelswig-Holstein waltet; und nach Ihrer Meinung sind wir ja ein intolerantes Land. Bei der Einweihung des dritten Bauabschnitts einer dänischen Schule in Rendsburg - dänische Schulen gibt es übrigens, was das Haus vielleicht nicht weiß, heute bis an die Tore von Kiel ({6})
hielt der Vorsitzende des reichsdänischen Südschleswig-Ausschusses, Professor Hansen-Larsen, eine Rede, und zwar in Gegenwart offizieller Vertreter des Königreichs Dänemark, in der er wörtlich sagte - ich darf mit Genehmigung des Präsidenten zitieren und bitte in diesem Falle das Hohe Haus, sehr aufzumerken -:
Wir geben euch hier unten nicht Schulen, damit ihr eine dänische Minderheit im Ausland sein und bleiben sollt, sondern weil wir glauben, daß sie der Weg sind, Südschleswig
dänisch zu machen. Die Schulen sollen Südschleswig heim nach Dänemark bringen, und einmal wird es heimkehren, auf dem Wege des Friedens oder des Krieges. Der Herrgott bestimmt den Weg; aber heim kommt es.
Das ist nicht von irgend jemand gesagt worden, sondern von dem Vorsitzenden einer der größten dänischen Grenzorganisationen in Gegenwart offizieller Vertreter des Königreichs Dänemark.
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Und was war das Ergebnis dieser Rede? Haben die Vertreter des offiziellen Dänemark den Saal in Rendsburg verlassen? Keineswegs! Hat irgend jemand von deutscher Seite eingegriffen, als Hansen-Larsen diese Rede hielt? Keineswegs! Hat sich die dänische Minderheit in Deutschland von dieser unglaublichen Rede distanziert? Keineswegs! Sie fand im Gegenteil ein ganz glänzendes Echo. Ich muß zur Ehre der dänischen Staatsregierung sagen, daß sie davon abgerückt ist;
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das ist unbestreitbar. Die Minderheit ist nicht davon abgerückt, und die Quittung kam gleich: Herr Hansen-Larsen wurde nach dieser unqualifizierbaren Rede, die notfalls auch mit den Mitteln des Krieges Südschleswig heimholen wollte nach Dänemark, einstimmig wiedergewählt, und ein Vertreter der dänischen Staatskirche hat bei dieser Gelegenheit zum Ausdruck gebracht, daß die Deutschen das hören müßten, ob sie es wollten oder nicht, und er wäre jederzeit bereit, genau dasselbe zu sagen.
Verlassen wir das Kapitel und wenden wir uns jetzt, Herr Kollege Brandt, um Ihnen entgegenzukommen, in Kenntnis dieses Rahmens, um den man nämlich genau wissen muß, dem Kapitel „Parlamentarische Vertretung der nationalen Minderheit" zu. Auch hier eine Feststellung vorweg. Meines Wissens gibt es keinen demokratischen Staat - aber auch nicht einen einzigen! -, der in seinem Wahlgesetz ein Sonderrecht für nationale Minderheiten vorsieht.
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Auch Dänemark tut das nicht; ich komme gleich noch darauf. Unser Grundgesetz, das hat der Herr Bundesinnenminister schon gesagt, schreibt zwingend vor, daß niemand wegen seiner - unter anderem - politischen Einstellung, Herkunft usw. benachteiligt oder bevorzugt - „oder bevorzugt"! - werden darf. Daran haben wir uns zu halten: an das Grundgesetz, wir alle, Sie wie wir! Schleswig-Holsteins Wahlgesetz - das ist vorhin von Herrn Kollegen Diekmann im einzelnen dargelegt worden - hatte früher ein anderes Quorum. Was ist mit diesem Quorum in Wahrheit? Die Dänen haben ein Quorum von 5 % erfochten. 7 1/2 % paßten ihnen nicht. Damit kamen sie in Karlsruhe durch. Als sie die 5 % hatten, sagten sie: Jetzt paßt uns das auch nicht; jetzt muß das Ganze weg! Das ist doch der reale Hintergrund. Als sie die 5 % kriegten, dachten sie: Wir sind stark genug, bleiben wir dabei! Und jetzt wollen sie davon herunter.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Brandt!
Herr Kollege, Sie haben ähnlich wie vorhin der Herr Bundesminister des Innern der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Gleichheit auch für die Minderheit gegeben sei. Sind Sie der Meinung, Herr Kollege, daß die Gleichheit der Chance gegeben wäre, wenn man etwa der Bayernpartei die Anrechnung ihrer Prozente nicht auf das Land Bayern, sondern auf ganz Deutschland zur Vorschrift machte, ähnlich wie man bei dieser Minderheit nicht die 5 % dort zugrunde legt, wo sie beheimatet ist, sondern die Gesamtzahl der Wähler des Landes Schleswig-Holstein zugrunde legt?
Herr Kollege, für die Besonderheiten des bayerischen Wahlrechts können Sie die Schleswig-Holsteiner nicht verantwortlich machen. Das bayerische Wahlrecht ist bekanntlich nicht von der CSU, schon gar nicht von der CDU und vor allen Dingen nicht von der schleswig-holsteinischen CDU verabschiedet worden.
Vor diesem Hintergrund ist aber nun zu fragen
- und das hat der Herr Bundesinnenminister auch schon getan -: Wo ist denn eigentlich nationales Minderheitenrecht in Schleswig-Holstein tatsächlich verletzt worden?
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- Sie haben von Minderheitenrecht gesprochen. Auf das Verhältnis zu Dänemark komme ich gleich, Herr Wehner! - Wo ist die Kieler Erklärung verletzt? Auch die Argumentation, die deutsche Minderheit in Dänemark habe für 9700 Stimmen ein Mandat im Folketing erhalten und die dänische Minderheit habe für 52 000 Stimmen kein Mandat
im Schleswig-Holsteinischen Landtag erhalten, geht am Kern der Dinge glatt vorbei. Sie können die beiden Wahlgesetze nicht im geringsten miteinander vergleichen, und wenn Sie diese Zahlen nennen, dann müßte es Ihnen auffallen, daß z. B. die Partei Knud Kristensens mit 59 000 Stimmen in Dänemark auch nicht ins Folketing gekom men ist. Man kann ja nur Dinge gleicher Art miteinander vergleichen, Herr Kollege Brandt.
So bleibt schließlich die Frage - und nun komme ich auf das, was Sie wollen -: Soll man nicht dennoch nach einer ganz großzügigen Lösung suchen? Jetzt kommen wir uns nämlich wirklich näher. Hier sagen wir genau so wie Sie „Ja". Es fragt sich nur, wie man das macht. Man kann nicht erwarten, Herr Brandt, ,daß Schleswig-Holstein von sich aus zweierlei Wahlrecht in seinem Lande schafft. Darüber sind wir uns einig. Man kann auch nicht erwarten, daß Schleswig-Holstein auf dem Umwege über das Wahlgesetz alle Mitglieder des SSW, also auch alle jene, die nichts mit Dänemark zu tun haben, die aus Mecklenburg und Köln und dem Sudetenland kommen, qua Landesgesetzgebung zur „nationalen Minderheit" erklärt. Schließlich kann man nicht erwarten, daß Schleswig-Holstein mit dem Prinzip bricht, daß alle Abgeordneten aus gleichen, freien und geheimen Wahlen hervorgegangen sein müssen. Das ist ja hilfsweise auch von Ihrer Fraktion in Kiel in Erwägung gezogen worden, daß man etwa zwei Vertretern der dänischen Minderheit im Kieler Landtag Berlin-Status gibt. Berlin, Herr Kollege Brandt, ist doch wohl ein ganz anderer Fall als der von deutschen Staatsbürgern innerhalb der Bundesrepublik. Verfährt man so, dann könnten nämlich in Schleswig-Holstein morgen die Helgoländer, übermorgen unter Umständen die Ostpreußen und anschließend die Buten-Hamburger das gleiche fordern, und es wäre einigermaßen schwierig, einer Gruppe von deutschen Staatsbürgern Abgeordnete mit Berlin-Status zu geben und einer anderen Gruppe nicht.
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Was kann man nun wirklich tun? Da gibt es nur eines: Dänemark und die Bundesrepublik können einen Minderheitenvertrag auf der Basis der Gegenseitigkeit abschließen, so großzügig, wie das nur irgend möglich ist, und dieser Minderheitenvertrag mag dann allerdings für beide Minderheiten an Sonderrechten enthalten, was immer man nur fordern kann. Wir können hier ein Musterbeispiel liberalster Minderheitenpolitik vor dem Hintergrund eines solchen Minderheitenvertrages geben.
Dem ist nun vom Kollegen Diekmann entgegengehalten worden: Dänemark will nicht. Erstens, Herr Kollege Diekmann, ist das noch nicht definitiv erwiesen. Schließlich hat Dänemark jetzt diese Frage auf die internationale Ebene gebracht,
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und ich wiederhole, wir haben allen Anlaß, dafür dankbar zu sein.
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Zweitens. Der Sprecher der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, also der maßgebende Mann der Dänen bei uns, hat nach der Aussprache mit Ministerpräsident von Hassel erklärt, daß er nicht dagegen sei, wenn ein solches Abkommen von Nutzen wäre. Das scheint mir auch schon ein erheblicher Wandel zu sein.
Drittens. Was kann denn mehr der Verständigungsbereitschaft, der Gemeinsamkeit, dem Wunsch nach Ruhe im Grenzland dienen als ein solches Abkommen? Es steht fest, daß Dänemark jahrzehntelang zu solchen Abkommen nein gesagt hat, weil es kein Abkommen zwischen einem kleinen und einem großen Staat schließen wollte. Aber das ist doch vorbei. Heute ist in der UNO Luxemburg genau so stimmberechtigt wie die Sowjetunion, wenn ich vom Sicherheitsrat absehe. Wenn Dänemark jetzt zu dem Vorschlag auf Abschluß eines Minderheitenabkommens - und nun kommen wir zum Kern, Herr Kollege Brandt! - noch nein sagt, dann läuft das auf folgendes hinaus: dann will Dänemark sowohl Minderheitenschutz für seine Minderheit als auch freie Betätigung für eine grenzrevisionistische Irredenta. Denn das ist klar: ein Minderheitenvertrag involviert automatisch die Anerkennung des territorialen Besitzstandes der vertragschließenden Teile, und darum wollte man sich bisher drücken, mit Verlaub zu sagen. Ich hoffe, daß hier ein Wandel eingetreten ist. Ich sehe in der Tatsache, daß Dänemark entgegen seinem sonstigen Prinzip die Dinge auf die internationale Ebene gebracht hat, eine reale Chance.
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Wenn die dänische Regierung das getan hat - es ist erst ganz kurze Zeit her, daß der Kanzler daraufhin vom dänischen Außenminister angesprochen worden ist -, dann reagieren wir sehr prompt. Hier ist die ausgestreckte 'deutsche Hand. Sie soll jetzt, hier, sofort, so schnell wie nur eben möglich - und
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deswegen der Dank an Sie, meine Damen und Herrren von der Opposition ({6})
ausgestreckt werden mit dem Antrag auf Umdruck 277, in dem es heißt:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, - was kann man Sinnvolleres tun? umgehend Verhandlungen mit dem Königreich Dänemark aufzunehmen mit dem Ziel, durch einen Minderheitenvertrag oder eine andere zwischenstaatliche Regelung
- wir lassen über alles mit uns reden! den Anliegen der Minderheiten beider Nationen auf der Basis der Gegenseitigkeit großzügig Rechnung zu tragen.
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Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß durch einen solchen Minderheitenvertrag das ganze Kapitel, dieser einzige Streitgegenstand der heute zwischen Deutschland und Dänemark steht,
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so schnell wie möglich bereinigt werden kann.
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- Herr Kollege Mellies, ich appelliere in dieser Frage um so lieber an die Opposition, als Ihr verstorbener Parteivorsitzender Dr. Schumacher zu einem ganz frühen Zeitpunkt an dieser Angelegenheit ein besonderes, ein nachhaltiges Interesse genommen hat. Er hat mit besonderer Klarheit, ich möchte sagen: präziser als jeder andere, Stellung bezogen.
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- Das haben wir im Lande Schleswig-Holstein jederzeit gesagt, und erst als Dr. Schumachers Linie
- entschuldigen Sie, Herr Kollege Diekmann - ein wenig verlassen wurde, setzten wir mit unserer Kritik ein. Diese Grundsätze, in denen wir mit Dr. Schumacher einig waren, waren so einfach. Es waren drei: Mit Blickrichtung auf die Grenze - Herr Diekmann, da sind wir sehr einig, Sie betonen es auch immer wieder -: Die Grenze zwischen Deutschland und Dänemark liegt fest! Mit Blickrichtung auf die Bevölkerung im deutschen Landesteil Schleswig: Es gelten im Lande die Treuen im Lande! Mit Blickrichtung auf Dänemark: Großzügigkeit auf der Basis der Gegenseitigkeit!
Da es sinnvoll erscheint, die heutige Debatte - das wollen wir Ihnen gerne zugeben - im Ausschuß erst einmal gründlich zu vertiefen, bitten wir das Hohe Haus, den Antrag Umdruck 277 an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen, und geben der Hoffnung Ausdruck, daß dort alle Fraktionen im Sinne dieses Antrags alle, aber auch alle Wege suchen und finden, um das gutnachbarliche Verhältnis zu Dänemark von dem letzten noch darüber liegenden Schatten so schnell wie irgend möglich zu befreien.
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Meine Damen und Herren! Wir haben die Zeit, die wir uns zu tagen vorgenommen haben, schon um 20 Minuten überschritten. Es ist der interfraktionelle Antrag an mich herangekommen, daß man sich dahin verständigen möge, jetzt Schluß zu machen unter der Voraussetzung, daß die Debatte zu diesem Punkt mit allen noch vorliegenden Wortmeldungen sowie alle anderen heute nicht erledigten Punkte der Tagesordnung in der Reihenfolge, wie wir sie heute hätten erledigen müssen, am Freitag erledigt werden sollen. Ist das Haus damit einverstanden?
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Das ist der Fall.
Ich darf aber die Damen und Herren bitten, die Drucksachen, die zur heutigen Sitzung verteilt wurden, wieder mitzubringen; sie können nicht ersetzt werden.
Ich berufe die nächste, die 59. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 9. Dezember 1954, 9 Uhr, und schließe die heutige, die 58. Sitzung des Deutschen Bundestages.