Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 52. Sitzung des Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Scheel für sieben Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme und Frau Lockmann für drei Wochen ab 11. Oktober wegen Krankheit.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Dr. Dehler, Blachstein, Baur ({0}), Dr. Arndt, Birkelbach, von Bodelschwingh, Finckh, Fuchs, Dr. Furler, Jahn ({1}), Jahn ({2}), Leibfried, Dr. von Merkatz, Meyer ({3}), Müller ({4}), Scheuren, Schild ({5}), Dr. Schöne, Trittelvitz, Dr. von Brentano, Dr. Orth, Feldmann, Könen ({6}), Schneider ({7}), Ollenhauer, Schmid ({8}), Wehner, Dr. Mommer, Dr. Gille, Wagner ({9}), Fürst von Bismarck, Kalbitzer, Kurlbaum, Brandt ({10}), Ehren, Keuning, Dr. Leiske, Lücker ({11}).
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Ja, meine Damen und Herren, Sie sind erstaunt über die lange Liste; aber es ist immer noch rationeller, diese Liste bekanntzugeben, als festzustellen, wer da ist.
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Ich weise darauf hin, meine Damen und Herren, daß die nächste Fragestunde am 18. November ist, die Sperrfrist für eingehende Fragen am 12. November, 12 Uhr.
Weiterhin darf ich auf folgendes hinweisen. Der Bundestag ist von den Kriegsgefangenen-Heimkehrer-Verbänden gebeten worden, anläßlich des Tages der Kriegsgefangenen eine Sondersitzung zu veranstalten. Der Ältestenrat hat gemeint, dieser Anregung wie in den vergangenen Jahren nicht Folge leisten zu sollen, aber in dieser Sitzung der noch nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen und derer, die auch sonst zurückgehalten werden, zu gedenken. Ich darf Ihnen den Vorschlag machen, daß wir dieses Gedenken etwa um 11 Uhr stattfinden lassen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dafür sorgen würden, daß das Haus dann auch in einer der Sache gemäßen Weise besetzt ist.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über einen Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener ({1}).
Dazu ist im Ältestenrat eine Vereinbarung zustande gekommen, daß auf eine Begründung und eine Aussprache verzichtet werden könnte. - Herr Kollege Kuntscher, ist das auch Ihre Meinung oder nicht?
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- Offenbar. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schlage Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf der CDU/CSU an den Ausschuß für den Lastenausgleich zu überweisen. Sie sind mit der Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags des Herrn Bundesministers der Finanzen betreffend Verkauf der restlichen Teilfläche des ehemaligen Heereszeugamtes in Ulm, Söflinger Straße 96, an die Firma Telefunken, Gesellschaft für drahtlose Telegraphie mbH. in Berlin SW 61, Mehringdamm 32/34 ({3}).
Hierfür gilt das gleiche. - Keine Wortmeldungen. Ich schlage Ihnen vor, diesen Antrag dem Haushaltsausschuß zu überweisen. - Sie sind damit einverstanden; die Überweisung ist erfolgt.
Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Grenzlandfragen ({4}) über den Antrag der Fraktion des GB/BHE betreffend Sanierungsmaßnahmen für Kreise im Spessart-Gebiet ({5}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Dittrich. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Dr. Dittrich ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Grenzlandfragen hat sich in seiner Sitzung vom 13. Juli 1954 mit dem Antrag der Fraktion des GB/BHE hinsichtlich der Einbeziehung der im Spessart gelegenen notleidenden Kreise in das Sanierungsprogramm der Bundesregierung für Sanierungsgebiete beschäftigt. Hier sei einmal folgendes festgestellt: Für die Anerkennung als Sanierungsgebiet ist a) der Nachweis einer Arbeitslosenziffer von mehr als 19 v. H. oder b) der Nachweis von mehr als 70 landwirtschaftlichen Berufszugehörigen auf 100 000 DM Vergleichswert zu erbringen. Erreicht ein Gebiet eines dieser beiden Merkmale nicht, so kann es auch als Sanierungsgebiet anerkannt werden, wenn es mehr als 17 % Arbeitslose und mehr als 60 landwirtschaftliche Berufszugehörige auf 100 000 DM Vergleichswert nachweisen kann. Als dritte Voraussetzung der Anerkennung als Sanierungsgebiet wird gefordert, daß die genannten Merkmale auf einen geschlossenen Raum mit mindestens 100 000 Einwohnern zutreffen.
Der Ausschuß für Grenzlandfragen verkennt die strukturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Gebiet des Spessarts nicht. Ausgezeichnete Einblicke gibt die Denkschrift der Regierung von Unterfranken. Der interministerielle Ausschuß für Notstandsgebietsfragen hat bisher keine Möglichkeit gesehen, die Kreise im Spessartgebiet in das Sanierungsprogramm aufzunehmen, weil sie die geforderten Notstandsmerkmale - siehe u. a. die Arbeitslosenziffern - nicht eindeutig erfüllen. Dem Ausschuß für Grenzlandfragen sind die Bemühungen mancher Kreise bekannt, als Sanierungsgebiete anerkannt zu werden. Grundsätzlich ist zu sagen, daß bei den vorhandenen bescheidenen Mitteln durch eine Ausweitung der Sanierungsgebiete die Wirkung des Programms geschmälert werden könnte.
Der Ausschuß für Grenzlandfragen schlägt deshalb dem Hohen Hause vor, den Antrag Drucksache 572 der Bundesregierung als Material zu überweisen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache über den Mündlichen Bericht.
Das Wort hat .der Abgeordnete Dr. Keller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte es nicht für notwendig gehalten, hier überhaupt noch etwas zu einer Sache zu sagen, die ohne jede Theatralik behandelt werden kann, wenn nicht die Möglichkeit entfallen wäre, im Ausschuß einiges zu sagen, was manches Mißverständnis, das aufgekommen ist, beseitigt hätte.
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- Ja, eben das wollte ich sagen. Ich bin in den Ausschuß entgegen den Regeln der Geschäftsordnung als Antragsteller nicht geladen worden. Deshalb war ich - leider! - nicht da, und deswegen muß ich jetzt einige kurze Bemerkungen zur Sache machen.
Darüber, daß das Gebiet, um das es sich handelt, nämlich der Spessart, ein Notstandsgebiet im klassischen Sinne darstellt, besteht, glaube ich, kein Zweifel; das ist unbestritten! Es geht lediglich darum, auch diesem seit Jahrzehnten als armes, unentwickeltes Gebiet bekannten Landstrich die Förderung zu verschaffen, die er nicht bloß verdient, sondern auf die er auch im Interesse der sozialen
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Befriedung, die wir alle anstreben, einen weitgehenden Anspruch hat. Es geht also um den Weg, nicht um das Ziel.
Im Ausschuß ist damals, weil ich eben nicht geladen war und das nicht vortragen konnte, eines nicht gewürdigt worden: daß nämlich die Bemühungen des Landes Bayern und aller beteiligten Stellen in Bayern, hier eine Remedur zu schaffen, sehr lange zurückliegen und daß sie sich eben nicht entwickeln konnten, weil gewisse formelle Hindernisse entgegengetreten sind. Natürlich kann man in keinem Falle solche Programme ohne Richtlinien entwickeln, natürlich muß es immer irgendwelche Maßstäbe geben, an die man sich halten kann und die einen festen Anhaltspunkt darstellen. Man kann aber nicht so verfahren, daß man dann in einer allzu formalistischen Anklammerung an solche Richtlinien vielleicht haarscharf an den Möglichkeiten und Notwendigkeiten vorbeigeht. Darum geht es im vorliegenden Falle.
Eine der Schwierigkeiten, die immer bei Abgrenzung solcher Gebiete - besonders wenn man auf die historische Entwicklung sieht - auftauchen und die auch bei dem Spessartprojekt aufgetaucht sind, bestand darin, daß man früher meist nicht von der natürlichen, sondern von der politischen Abgrenzung der im fraglichen Gebiet liegenden Stadt- oder Landkreise ausgegangen ist. Das trifft besonders auch im Falle des Spessarts nicht die Gegebenheiten. Hier haben wir die Situation, daß sich verschiedene Kreise - ich brauche sie nicht namentlich aufzuzählen - zusammen in einer traubenförmigen Art um diesen Spessart herum gruppieren, Kreise, die meistens vom Main durchschnitten werden. Hier ist die wirtschaftlich begründete, aber leicht erklärbare Eigenart festzustellen, daß die betroffenen Kreise meistens einen Teil aufweisen, der wirtschaftlich gesünder ist und der dem Main zugewandt liegt, und einen wirtschaftlich unentwickelten, notleidenden Teil, der sich dem Kern des Spessarts zu erstreckt.
Ich weiß - und die beteiligten Damen und Herren wissen es sicher auch -, daß die Dinge bereits einmal im Bayerischen Landtag behandelt worden sind. Sie haben dort nicht ein so abweisendes Echo gefunden, wie vielleicht mancher glaubt. Der Mitberichterstatter in dieser Frage im Wirtschaftspolitischen Ausschuß des Bayerischen Landtags hat sich damals mit vollem Herzen und hundertprozentig, möchte ich sagen, für diese Dinge eingesetzt.
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Damals ist eben auch herausgestellt worden, daß man sich nicht allein auf die Nachbarschaftshilfe verlassen kann. Es entspringt einem schönen Gedanken, zu sagen: wenn in einem Kreis wirtschaftliche Unausgeglichenheiten bestehen, wenn in einem Kreis ein Gebiet besser entwickelt ist und im andern schwach, dann soll eben im Wege der Nachbarschaftshilfe der Kreis schauen, daß sein ganzes Gebiet in Ordnung kommt. Das ist an sich ein richtiger Gedanke, der aber in der Praxis infolge der menschlichen Unzulänglichkeiten nicht zur Auswirkung kommt. Deswegen gewinnen die Dinge ein ganz anderes Gesicht, wenn man sieht, daß eben zum Teil im Inneren von ansonsten wirtschaftlich gut entwickelten Kreisen des Spessarts ein Notgebiet liegt.
Man hat dann eines getan. Man hat im interministeriellen Ausschuß in Bonn über diese Dinge verhandelt und gesagt, man sei nicht abgeneigt, neue Gebiete in das Bundessanierungsprogramm einzubeziehen, wenn gleichzeitig in entsprechendem Umfange andere Gebiete aus der Sanierung herausfallen könnten. Ich muß ehrlich sagen: das ist mir etwas zu salomonisch. Das heißt von Wünschen ausgehen, ohne die Gegebenheiten anzuerkennen. Denn wenn eben die wirtschaftliche Entwicklung von Sanierungsgebieten, Gott sei es geklagt, in der Zeit nicht weitergetrieben werden konnte, darf man daraus doch nicht den Schluß ableiten, daß für andere einfach keine Hilfe übrig sei.
Die Richtlinien treffen auf den Spessartfall vor allem in einem Punkt nicht zu, nämlich in der Frage der Arbeitslosenziffer. Hier muß eines berücksichtigt werden, was diesem Gebiet ganz eigentümlich ist und vielleicht nur in wenigen andern Fällen im übrigen Gebiet der Bundesrepublik ein Gleiches findet, nämlich die äußerst weitgehende, geradezu unheilvolle Zersplitterung durch Realteilung. Vielleicht sollte dieser Fall - aber das ist ein Gedanke, den ich nur am Rande einflechte - einmal Anlaß zur Überlegung geben, ob es im volkswirtschaftlichen Sinne gut ist, diese Realteilung ungehindert durch den Gesetzgeber so weitergehen zu lassen, bis dann wirklich eine fast atomare Zersplitterung der landwirtschaftlichen Ackernahrung erfolgt, die eben im Falle des Spessarts dazu geführt hat, daß dort Tausende und aber Tausende von Familien eine echte Ackernahrung einfach nicht mehr finden können, obwohl sie als Landwirte im berufsständischen Sinne gelten. Und wir haben noch den Umstand, daß in Tausenden und aber Tausenden Fällen die Ackernahrung etwa nur für ein halbes Jahr zur Ernährung der Familie und ihres Nachwuchses ausreicht und infolgedessen diese Menschen praktisch in dem weiteren Zeitraum des Wirtschaftsjahres erwerbslos sind, ohne in den amtlichen Statistiken als Erwerbslose in Erscheinung zu treten.
Statistik, meine sehr Verehrten, ist Glückssache. Ich glaube, das ist eine allgemeine Erkenntnis. Statistik kann nach dieser oder jener Richtung gelesen und ausgelegt werden. Sie geht in ihrer kalten Abstraktheit manchmal doch etwas an den Notwendigkeiten vorbei.
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Sie haben recht, Herr Kollege, irgendwo müssen die Grenzen liegen. Der Sinn dieses Antrags war ja auch nicht, hier irgendeinen Streit zu entfachen, sondern der Sinn war, daß wir uns darum bemühen, im Rahmen der Richtlinien, die natürlich vorhanden sein müssen, irgendwie sinnvoll abzugrenzen und den Spessart - ich glaube, darin sind wir einig - in den Kreis der näheren Überlegungen einzubeziehen. Wenn man einwendet - und ich glaube, das wird gesagt -, daß dann weitere Gebiete in den Blickkreis rücken, erwidere ich: gut, ich wage zu behaupten, wenn es notwendig ist, dann müssen wir es tun. Wenn es notwendig ist, auch etwa den Hunsrück oder andere Notstandsgebiete, die viele von Ihnen besser kennen werden, in den Kreis der Überlegungen einzubeziehen, dann sollten wir es tun.
Die Realteilung ist - ich darf Ihnen da einige wenige Zahlen nennen, ohne Sie aufhalten zu wollen - erschreckend. Wir haben z. B. in dem Gebiet, das nach den sehr bemerkenswerten Erhebungen der Regierung von Unterfranken in Frage käme, den Umstand, daß die forst- und landwirt({4})
schaftliche Fläche zu 52 % aus Forstflächen besteht und daß davon allein wieder bereits zwei Drittel Staatsforsten sind, die damit also der privaten Bewirtschaftung entzogen sind. Die landwirtschaftliche Fläche beträgt etwa 41 %, wenn man die Ödlandfläche abzieht, und dort liegen bereits wieder 68 % Parzellen mit unter 5 ha für den einzelnen Eigentümer und Bewirtschafter. Hochinteressant ist auch z. B. die Entwicklung im letzten Vergleichszeitraum von zehn Jahren. In der Beobachtungszeit von 1939 bis 1949 hat die Zahl der Betriebe über 2 ha um 350 abgenommen, auf der anderen Seite hat aber die Zahl der Betriebe unter 2 ha um über 1800 zugenommen. Das sind erschreckende Zahlen! Man darf sich da nicht wundern, wenn man sieht, daß in einem Lande des klassischen Holzreichtums wie dem Spessart zwar noch das Holz geschlagen wird, aber nicht mehr dort an Ort und Stelle verarbeitet werden und damit auch zu Arbeit und Brot für die Arbeitnehmer führen kann, sondern seinen Weg hinaus nimmt in andere Gebiete und dort die Sägemühlen beschäftigt.
Der Fremdenverkehr, der im Spessart durchaus seinen Platz haben könnte und sollte, ist durch die Verkehrsarmut des Gebietes, durch die mangelnde Entwicklung, durch den sehr zurückgebliebenen Standard schwer behindert.
Ich glaube, wir sollten der Überweisung des Antrags als Material an die Bundesregierung zustimmen.
Ich will zunächst nichts Weiteres sagen. Aber ich bitte Sie herzlich, einem Gebiet, das diese Hilfe verdient und nötig hat, dadurch, daß wir es hier erneut in den Blickpunkt der Notwendigkeit einer Hilfe rücken, Ihre Unterstützung zuteil werden zu lassen.
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Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Probst.
Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich möchte die Dinge ganz konkret ansprechen. Es geht doch zunächst um die Frage: Inwieweit erfüllt der Spessart die Voraussetzungen, deren Erfüllung heute für die Anerkennung als Sanierungsgebiet gefordert wird? Dabei darf ich vorausschicken, daß die Bemühungen um die Anerkennung des Spessarts als Sanierungsgebiet schon in die allerersten Tage des 1. Deutschen Bundestages zurückreichen. An den Verhandlungen, die geführt worden sind und weiter geführt werden, sind sowohl die zuständigen Abgeordneten wie die Landräte, die Regierung, das Wirtschaftsministerium des Bundes und das des Landes beteiligt. Wir haben ein dankenswertes Ergebnis erzielt, das in der Denkschrift der Regierung von Unterfranken vom April 1954 mit ganz konkretem Material seinen Niederschlag gefunden hat. Daraus ergibt sich zunächst, daß das Gebiet des Spessarts mit den drei Landkreisen Lohr, Alzenau und Marktheidenfeld sowie den beiden 'Gemeinden Heigenbrücken und Weibersbrunn des Landkreises Aschaffenburg genau die gleichen strukturellen Merkmale aufweist wie die Rhön, die bereits als Sanierungsgebiet des Bundes offiziell anerkannt ist.
Die vom interministeriellen Ausschuß der Bundesregierung für die Notstandsgebiete zusammen mit den Ländern erarbeiteten Sanierungsmerkmale - ich darf es noch einmal kurz zusammenfassen - sind folgende. Voraussetzung ist erstens, daß es sich um ein zusammenhängendes Gebiet mit mindestens 100 000 Einwohnern handelt, zweitens, daß eine Arbeitslosigkeit von mindestens 19 % der vom Arbeitsamt registrierten Arbeitnehmer an fünf festgesetzten Stichtagen besteht, drittens, daß mehr als 80 landwirtschaftliche Berufszugehörige auf 100 000 DM landwirtschaftlichen Vergleichswert treffen oder viertens, daß eine Arbeitslosigkeit von mindestens 17 % besteht und gleichzeitig mehr als 60 landwirtschaftliche. Berufszugehörige auf 100 000 DM landwirtschaftlichen Vergleichswert festgestellt sind.
Wenn wir nun diese Richtlinien auf den Spessart anwenden, ergibt sich folgendes. Das angesprochene Gebiet des Spessarts umfaßt zusammen mit dem als Sanierungsgebiet anerkannten Teil der Rhön eine Fläche von insgesamt 2940 qkm mit einer Bevölkerung von 269 264 Einwohnern. Die erste Voraussetzung für die Anerkennung als Sanierungsgebiet ist also voll erfüllt und sogar überschritten.
Die weitere Voraussetzung, daß nämlich mehr als 80 landwirtschaftliche Berufszugehörige auf 100 000 DM landwirtschaftlichen Vergleichswert treffen müssen, ist für den Landkreis Lohr mit der Zahl 171, den Landkreis Alzenau mit der Zahl 105, den Landkreis Marktheidenfeld mit der Zahl 130 sowie für die Gemeinde Heigenbrücken mit 197,5 und Weibersbrunn sogar mit 351,5 voll erfüllt. Ich betone das ganz besonders, weil das bayerische Wirtschaftsministerium diese Zahlen in den Verhandlungen im Bayerischen Landtag nicht angegeben hat.
Von besonderer Art und Schwere ist das Problem der Arbeitslosigkeit. Im Durchschnitt liegen 67,25 % aller landwirtschaftlichen Betriebe im Rhön-Spessart-Gebiet unter 5 ha, in Lohr und Marktheidenfeld sind es sogar 90 %, in Alzenau 87 %, in den genannten zwei Gemeinden 99 % aller Betriebe, noch dazu auf kargen Böden mit oft steilen Hanglagen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß mit Flurbereinigung das Problem im Spessart bei diesen Hanglagen nicht ohne weiteres zu lösen ist. Der Brutto-Jahresdurchschnittsertrag schwankt zwischen 400 und 800 DM pro Hektar. Die Ackernahrung reicht höchstens für ein halbes Jahr aus. Für die übrige Jahreszeit fehlt mindestens für die Hälfte der Kleinbetriebe eine ausreichende Einnahmemöglichkeit.
Wir müssen uns 'darüber klar sein, daß in den genannten Gebieten bei der Vielzahl landwirtschaftlicher Kleinstbetriebe sich ein außerordentlich hoher Prozentsatz arbeitsuchender und arbeitsloser Menschen befindet, die nicht in der Arbeitsamtsstatistik erfaßt sind. Dieses besondere Problem bildet eines der wesentlichen Merkmale der Sanierungsbedürftigkeit des Spessart-Gebiets. Dieser Zustand hat sich in der Vergangenheit dahin ausgewirkt, daß die männliche Bevölkerung, Familienväter und Söhne ganzer Gemeinden auf der Arbeitssuche bis nach Rumänien, bis hinunter nach Jugoslawien gewandert sind, daß sie als Schachtmeister, Holzarbeiter oder Bauhandwerker im Ruhr- und Rheingebiet tätig waren und heute noch tätig sind, daß sie von ihren Familien getrennt zu leben gezwungen sind. Diese Gebiete sind seit Jahrhunderten Auswanderungsgebiete. Als ich im Frühjahr 1949 in Amerika war, habe ich immer wieder Rhöner und Spessarter Bauern getroffen.
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Wenn man weiß, wie der Rhöner und der Spessarter an seiner Heimat hängt, dann ahnt man etwas von der Tragik eines solchen Lebens, das fern der Heimat und getrennt von der Familie geführt werden muß, und man begreift die Verbitterung mancher älterer Menschen, die solch eine Trennung ein Leben lang haben tragen müssen.
Dieser Zustand ist noch viel brennender geworden durch den Zuzug von 18,24 % Heimatvertriebenen. Das Problem bedarf der vollen Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit und des Deutschen Bundestages.
Wenn die genannten Landkreise des Spessarts die in den Sanierungsrichtlinien geforderte registrierte Arbeitslosigkeit von 17 bzw. 19 % nicht voll erreichen, so ist der Grund nicht der, daß Arbeit genug vorhanden wäre. Die Dinge liegen nicht so einfach. Das Fehlen registrierter Arbeitsloser - und das ist eine generelle Erkenntnis -bedeutet keineswegs in jedem Fall ein Zeichen wirtschaftlicher Gesundheit. Das Gegenteil kann der Fall sein. Der Grund für diese Erscheinung in Rhön und Spessart ist allein zu suchen in der wirtschaftlichen Blutarmut - in einer Art Untertemperatur, wenn ich so sagen darf -, nämlich in dem geringen Volumen gewerblicher Arbeitsplätze. Der Mangel an gewerblichen und industriellen Arbeitsplätzen, die vom Arbeitsamt registriert werden, verhindert ein Offenbarwerden der tatsächlich vorhandenen Arbeitslosigkeit in den kleinsten landwirtschaftlichen Betrieben. Es ist eben ein Ausweichen der dort Arbeit Suchenden auf einen registrierten Arbeitsplatz nicht möglich.
Da lassen Sie mich auf etwas hinweisen, was bisher noch nirgendwo angesprochen worden ist: das ist das Problem der Heimarbeit im Spessart. Wir 1 haben 5- bis 6000 Heimarbeiter im Spessart. Aber die in der Heimarbeit Beschäftigten fallen nicht unter die Arbeitslosenversicherungspflicht, soweit sie Hausgewerbetreibende sind. Die Heimarbeiter erscheinen, wenn sie arbeitslos werden, nicht in der Arbeitsamtsstatistik. Es gehört aber gerade zu den großen Sorgen des Spessarts, daß die Heimarbeit infolge der wachsenden Technisierung der Industriebetriebe zurückgeht.
Trotz der geschilderten Umstände ist immer noch eine registrierte Arbeitslosigkeit von 13,4 % im Landkreis Lohr, von 8,4 % im Landkreis Alzenau und von 15,2 % im Landkreis Marktheidenfeld nachgewiesen. Die Prozentsätze müssen angesichts der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit von etwa 4 % im Bundesgebiet als hoch bezeichnet werden.
Die außergewöhnlich große Sanierungsbedürftigkeit des Gebietes ergibt sich auch aus folgenden Überlegungen. Bei der Debatte um das Agrarprogramm des Herrn Bundeslandwirtschaftsministers Lübke wie auch anläßlich der Debatte um die Paritätsfrage war sich das Hohe Haus darüber klar, daß Gebiete einer solchen überwiegend kleinstlandwirtschaftlichen Struktur unbedingt einer wirtschaftlichen Ergänzung durch Ansetzung von Gewerbe- und Industriebetrieben bedürfen, um das strukturelle Mißverhältnis zwischen Erwerbsmöglichkeit und Bevölkerungszahl zu bessern. Diese Forderung deckt sich mit dem Ergebnis des Raumforschungsinstituts in Bonn, d. h. Entballung der Industriezentren, Dezentralisierung des Industrieansatzes, Förderung der wirtschaftlich und industriell zurückgebliebenen, aber förderungswürdigen Gebiete.
Gerade dieses Ziel, das aus eigener Kraft nicht erreicht werden kann, entspricht genau dem Sinn und der Zweckbestimmung der Sanierungsaktion. In den Richtlinien zum Sanierungsprogramm heißt es wörtlich:
Es kommt vor allem darauf an, in den von der Not besonders betroffenen Gebieten der Bundesrepublik das strukturelle Mißverhältnis zwischen den Erwerbsmöglichkeiten und der Bevölkerungszahl zu bessern.
Es kommt ferner darauf an,
wirtschaftlich gesunde, Betriebe in die Notstandsgebiete zu bringen bzw. zu erweitern oder durch Erschließungsarbeiten, d. h. Bau von Straßen, Wasserleitungen, Kanalisationen etc. die Voraussetzungen für die Ansetzung neuer Betriebe zu schaffen. Weiterhin ist es die ausgesprochene Aufgabe der Sanierungsaktion, die Ertragsfähigkeit der Landwirtschaft zu steigern, weil damit primär oder sekundär die Schaffung neuer Existenzmöglichkeiten gewährleistet wird.
Diese durchschlagenden Argumente haben bei den Verhandlungen eine wesentliche Rolle gespielt, und ich darf sagen: wir haben bereits einen Erfolg erzielt. In einem Falle sind Sanierungsmittel in das Spessartgebiet geflossen. Dieser Fall muß als Präzedenzfall gewertet werden. Wir werden weiterhin mit aller Intensität, und zwar mit wirksamen Mitteln, die den Erfolg nicht gefährden, tätig sein, um eine ausreichende Berücksichtigung des Spessarts im Sanierungsprogramm des Bundes zu gewährleisten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag steht nun schon das viertemal auf der Tagesordnung. Ich möchte nicht hoffen, daß dies etwa symbolisch sein könnte für die Rangordnung, in der die Betreuung des Spessartgebietes durch die staatlichen Stellen tatsächlich steht. Aber es ist zweifellos ein Verdienst des Herrn Kollegen Dr. Keller, daß er Gelegenheit gegeben hat, in diesem Hohen Hause einmal die Verhältnisse in einer Ecke anzuleuchten, die von einer erschütternden Armut gekennzeichnet ist, vergleichbar mit den Verhältnissen in der Hocheifel, im Bayerischen Wald, im Hunsrück oder etwa im Hümmling, im Emsland. Wir sind der Meinung, daß vielleicht jetzt noch Gelegenheit gegeben sein könnte, ein organisch zusammenhängendes Gebiet, die Ecke Rhön-Spessart, zu einem großen gemeinsamen Sanierungsgebiet zusammenzufügen.
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Wie ist der Sachverhalt? Die Rhön ist zum überwiegenden Teil in das Sanierungsgebiet einbezogen, und .die Bevölkerung des Spessarts fühlt sich
nach meiner Ansicht mit vollem Recht - zurückgesetzt. Sie hat kein Verständnis für schematische Gesichtspunkte bei der Hereinnahme in Sanierungsgebiete. Sie versteht die Gesichtspunkte nicht, unter denen der Spessart ausgeschlossen wird.
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- Die kenne ich, Herr Kollege Dittrich.
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Die habe ich ausführlich gelesen. Aber meine beiden Vorredner haben darauf hingewiesen, daß die Statistik in diesem Falle wirklich einmal lügt und daß diese Richtlinien zu starr sind, als daß sie hier eine Wendung bewirken könnten.
Die Rhön liegt unmittelbar neben dem Spessart. Denken Sie nur an den Sinn-Grund, den Übergang von dem einen in das andere Gebiet. Die Rhön liegt nur - und das berechtigt ihre besondere Förderung - mehr in der Nähe der Zonengrenze. Sonst sind die strukturellen Gegebenheiten in Rhön und Spessart fast identisch, in wirtschaftlicher, in landwirtschaftlicher und vor allen Dingen auch in verkehrstechnischer Beziehung. Man kann nur stichwortartig hinweisen auf die Probleme: Mangelnde Bonität der Böden verhindert oder erschwert intensivere landwirtschaftliche Bewirtschaftungsmethoden, Bewirtschaftung kleinster Flächen, nur zu oft unter 2 ha, meist zwischen 2 und 5 ha; Besitztümer über 5 ha wird man im Spessart überhaupt kaum treffen. Mit Recht ist gefragt worden: Wovon soll eine Familie mit mehreren Köpfen leben, wenn der Jahresertrag nur etwa 400 bis 700 DM ausmacht? Wenn man in die Kleinarbeit hineinsteigt, erlebt man immer wieder mit einer Art Bestürzung, daß nach dem Bedürftigkeitsprinzip Renten unter dem Gesichtspunkt gestrichen oder abgelehnt werden, daß etwas landwirtschaftlicher Besitz vorhanden sei; ein Besitz, der allerdings zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel ist.
Nun sollte man meinen, der Holzreichtum im Spessart könne dort zu einer gewissen Belebung führen. In Wahrheit sind aber zunächst einmal zwei Drittel der Flächen Staatsforsten. Die wenigsten Gemeinden im Spessart haben größeren Waldbesitz. Vor allen Dingen fehlt jede Holzindustrie im Sinne be- und verarbeitender Betriebe. Es ist tatsächlich an dem, daß das Holz aus dem Spessart herausgefahren und an anderen Stellen be- und verarbeitet wird.
Noch nicht erwähnt worden ist die Tendenz zu Ein-Mann-Betrieben im Spessart, die einerseits Rationalisierung und Konkurrenzfähigkeit erschweren und die andererseits verhindern, daß ein entsprechender Nachwuchs für die Wirtschaft und für das Handwerk herangezogen wird.
Am wesentlichsten erscheint mir aber die mangelhafte verkehrsmäßige Erschließung. Die wenigen Betriebe sind überwiegend an die Bahnlinie Würzburg-Frankfurt gebunden. Die Industrieorte Obernburg, Aschaffenburg usw. strahlen nicht genügend aus, und die Plätze im Raum GemündenMiltenberg sind nicht genügend entwickelt. Der Frankfurter Wirtschaftsraum liegt zu weit weg, und selbst da, wo eine Verflechtung vorhanden ist, sind die Fahrtkosten etwa aus dem Raum Alzenau derart hoch, daß sie auch für die Bevölkerung eine außerordentliche Last bedeuten. Die früheren Wirtschaftsverbindungen, die, wie in der Rhön, auch im Spessart bestanden haben, sind heute weggefallen.
Ebenfalls noch nicht erwähnt wurden die außerordentliche Wohnraumnot und die Belegung mit Flüchtlingen. Für 85 000 Haushaltungen stehen in diesem überwiegend landwirtschaftlich orientierten Gebiet nur 52 000 Wohnungen zur Verfügung.
Außerdem soll auch noch einmal gesagt werden, daß der Spessart in letzter Zeit anscheinend als Dauertruppenübungsplatz der US-Einheiten ausersehen ist. Wenn man bedenkt, daß Schadenersatz nur an Private, an juristische Personen und an Gemeinden geleistet wird, nicht aber an die Kreise, dann kann man auch ermessen, wie sich solche Schäden bei ausgedehnten Manövern für die Finanzen der Kreise auswirken.
Besonderen Nachdruck möchte ich auf eine Hilfsmöglichkeit legen. Als solche scheint mir der Fremdenverkehr einen außerordentlich guten Ansatzpunkt zu bieten. Ja, ich glaube, man könnte den Spessart zur Lunge Westdeutschlands machen. Meine Damen und Herren, verübeln Sie es mir nicht, wenn ich hier für diese Ecke ein bißchen Propaganda im Hinblick auf den Fremdenverkehr zu machen bemüht bin: eine ideale Lage, der Übergang sozusagen vom Norden nach dem Süden, die Main-Linie. Der Spessart könnte ein Erholungsund Feriengebiet ersten Ranges werden. Man sollte meinen, daß die größeren Verbände, daß Organisationen und Betriebe dort Erholungsheime errichten könnten, wie z. B. die IG Metall in den letzten Jahren in Lohr schon ein großes Schulungsheim aufgebaut hat. Der Spessart könnte tatsächlich als Fremdenverkehrsgebiet eine grüne Oase in Westdeutschland bedeuten. Darin liegt eine große Chance, allerdings nur dann, wenn eine zentrale und zügige Förderung bewirkt wird.
Die Erweiterung und die Modernisierung der Gaststättenbetriebe im Spessart kann aus eigener Kraft leider nicht auf die Beine gebracht werden. Dazu ist die Kraft sowohl des Regierungsbezirks als auch des Landes Bayern nicht genügend, und die Gemeinden selbst haben bei ihrer bedeutenden Zahl an Fürsorgeunterstützungsempfängern leider auch nicht genügend Möglichkeiten.
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Es müßte eine weitergehende verkehrsmäßige Erschließung über die Bundesstraßen B 8 und 26 hinaus Platz greifen. Eine große Hoffnung ist die Autobahn Frankfurt-Nürnberg gewesen, von der in diesem Hause ja auch verschiedentlich gesprochen worden ist. Leider Gottes hat es hier eine große Enttäuschung gegeben. Denn vor drei Tagen ist mir ein Brief aus dem Bundesverkehrsministerium auf den Tisch geflattert, in dem der Baubeginn für das Jahr 1954/55 in Aussicht gestellt ist, und zwar zunächst nur etwa bis an den Rand des Spessarts. Der Aufstieg zum Spessart selbst kann eventuell erst im Jahre 1956 in Angriff genommen werden. Das bedeutet für die dortige Bevölkerung wirklich eine große Enttäuschung, nachdem man sich allein schon von den Bauarbeiten in diesem Gebiet eine große wirtschaftliche Belebung versprochen hatte.
Ich möchte hier eine Anregung an die Herren der Ministerien geben, die allerdings, soviel ich sehe, heute kaum vertreten sind - aber vielleicht liest man es doch, die Hoffnung habe ich -, nämlich daß man, wenn schon eine Autobahn gebaut wird, ein System von landschaftlich schönen Rasthäusern errichtet, vergleichbar etwa dem Rasthaus Irschenberg an der Autobahn München-Rosenheim; denn das würde viele Menschen, die dort durchfahren, zum Halten veranlassen und würde in etwa diesem Gebiet auch zusätzliche wirtschaftliche Belebung bedeuten.
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Jedenfalls wünscht die Bevölkerung eines: nicht eine schematische Klassifizierung, sondern eine individuelle Betrachtung nach der tatsächlichen Lage. Der Ausschußbeschluß - Überweisung als Material - ist nach meiner Meinung mehr eine formelle Entscheidung. In der Sache selbst ist festzuhalten, daß Rhön und Spessart ein gleichgeartetes Gebiet sind und daß infolgedessen einheitliche Hilfsmaßnahmen für beide Ecken getroffen werden müssen.
Meine Damen und Herren, wenn ich lese „als Material zu überweisen", so habe ich genügend parlamentarische Praxis, um zu wissen, was „Material" bedeutet: meistens eine Beerdigung erster Klasse. Hier können wir nur einen Appell - ich glaube, darin sind sich die Abgeordneten, die die Verhältnisse genau kennen, einig, gleichgültig welcher Fraktion sie angehören - an die Bundesregierung, an Finanz-, Wirtschafts- und Verkehrsministerium richten, daß besondere Anstrengungen gemacht werden, damit dieses Gebiet nicht noch weiter absinkt. Die Verhältnisse dort sind des Schweißes der Edlen wert. Aber es müssen sofortige und zügige Maßnahmen erfolgen, wenn eine Wende zum Besseren bewirkt werden soll.
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Keine weiteren Wortmeldungen; ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses für Grenzlandfragen, Drucksache 751, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 4:
Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes ({0}).
Es liegt eine schriftliche Begründung der Bundesregierung vor. Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Novelle zum Personenstandsgesetz hat im Frühjahr dieses Jahres in der Öffentlichkeit eine lebhafte Diskussion über Fragen ausgelöst, die nicht das Hauptanliegen dieses Entwurfs sind, sondern mehr am Rande liegen. Es ist deshalb erforderlich, heute zunächst einmal die Hauptziele der Novelle herauszustellen.
Der Gesetzentwurf hat zwei Ziele: die Ausstattung der Vertriebenen mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden und die Führung der Personenstandsbücher im Bundesgebiet nach einheitlichen Gesichtspunkten.
Die erste Aufgabe, die Vertriebenen wieder mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden auszustatten, ist dringend. Die Personenstandsbücher aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sind zum großen Teil vernichtet; die erhalten gebliebenen Bücher stehen meist nicht zur Verfügung der deutschen Behörden. Die Vertriebenen können also keine Personenstandsurkunden erhalten, sind häufig auch selbst nicht im Besitz solcher Urkunden.
Das wirkt sich in vielen Fällen sehr nachteilig für sie aus, bringt insbesondere viele unliebsame Verzögerungen mit sich.
Die kirchlichen Organisationen, die Organisationen der Heimatvertriebenen, zahllose Heimatvertriebene selbst, berufsständische Organisationen, die Behörden der Länder und Gemeinden und die Fachorganisation der Standesbeamten haben daher seit Jahren mit Recht die Wiederausstattung mit beweiskräftigen Urkunden gefordert.
Das Personenstandsgesetz von 1937 sah vor, daß ebenso wie in Württemberg und in der Schweiz in den Personenstandsbüchern nicht nur die einzelnen Standesfälle, sondern im Familienbuch die Familienzusammenhänge eingetragen wurden.
Dieses Gesetz wird aber seit 1944 nicht mehr einheitlich angewandt. In einer Anzahl von Ländern ist noch das Familienbuch nach dem Personenstandsgesetz von 1937 vorhanden. In anderen Ländern wird lediglich die Eheschließung im Familienbuch beurkundet, das übrige Familienbuch jedoch nicht geführt. In dem württembergischen Teil des Landes Baden-Württemberg gilt wie seit 1808 das württembergische Familienregister.
Diese Rechtsverwirrung muß beseitigt werden.
Im Laufe langwieriger Beratungen ist hinsichtlich der Vertriebenen zweierlei erwogen worden: Ersatzbeurkundung durch den Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder Ersatzbeurkundung nach dem jetzigen § 41 des Personenstandsgesetzes durch die unteren Verwaltungsbehörden am Wohnsitz der Vertriebenen vorzunehmen. Beide Möglichkeiten mußten aber wieder ausscheiden, weil weder die Gerichte noch das Standesamt I in Berlin, das die Fälle zentral beurkunden müßte, um sonst unvermeidliche Doppelbeurkundungen zu verhüten, in der Lage wären, diese Arbeit für über 10 Millionen Vertriebene zu bewältigen.
Die Rechtsvereinheitlichung in der Personenstandsbuchführung haben die Länder und die Fachorganisation der Standesbeamten schon vor 1949, vor der Bildung der ersten Bundesregierung, angestrebt. Mit der jetzt vorgeschlagenen Novelle wird also eine langjährige Entwicklung abgeschlossen. Hierbei und bei den späteren Verhandlungen hat sich die Mehrzahl der Länder, ebenso wie jetzt auch wieder der Bundesrat, entsprechend dem Vorschlage der Bundesregierung auf den Standpunkt gestellt, daß auf das Familienbuch ebensowenig wie in anderen Kulturstaaten verzichtet werden kann und daß das bisherige württembergische System mit wechselndem Führungsort gewählt werden soll. Dagegen war es nicht möglich, an dem jetzigen System des Familienbuchs mit festem Führungsort festzuhalten. Das Personenstandsgesetz gehört zu den Gesetzen, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen. Dessen Meinung geht aber auf die Schaffung eines Familienbuchs mit wechselndem Führungsort nach württembergischen Muster.
Wenn das System des württembergischen Familienregisters übernommen wird, ist doch aus sprachlichen Gründen der Ausdruck „Familienbuch" beibehalten worden.
Dabei muß das Familienbuch, das der Standesbeamte führt und stets in seiner Verwahrung behält, deutlich von dem Familienstammbuch unterschieden werden, das Auszüge aus den Geburts-, Heirats- und Sterbebüchern der Familienangehörigen enthält und bei der Familie selbst aufbewahrt wird. Das neue Familienbuch hat gegenüber dem bisherigen Familienbuch den Vorteil, daß die Geburt eines Kindes oder der Tod eines Ehegatten oder eines Kindes in den meisten Fällen von dem({0})
selben Standesbeamten beurkundet werden kann, der das Familienbuch führt. Die bisher vorgesehenen Mitteilungen von einem Standesbeamten an den anderen können zu einem wesentlichen Teil fortfallen.
Eine sofortige Einführung des Familienbuches für alle Ehen ist allerdings nicht möglich. Das neue Familienbuch soll deshalb nur bei zukünftigen Eheschließungen und auf Antrag eines Vertriebenen angelegt werden. Die beiden Hauptziele der Novelle: Schaffung von Ersatzurkunden für die Vertriebenen und Rechtsvereinheitlichung, werden dadurch erreicht, daß es nach Ablauf der Übergangszeit in allen Ländern nur noch das Familienbuch am jeweiligen Wohnsitz der Familie gibt und daß jeder Vertriebene für sich und seine Familie jederzeit die Anlegung eines solchen Familienbuches beantragen kann. Eine beglaubigte Abschrift dieses Familienbuches hat dann für den Vertriebenen und seine Familienangehörigen die gleiche Beweiskraft wie z. B. eine Geburts- oder Sterbeurkunde.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die beiden Hauptziele der Ihnen vorgelegten Novelle. Ich komme nun zu zwei Punkten, die neben den Hauptzielen der Novelle mit geregelt werden sollen. Die Strafvorschrift für Geistliche in § 67 des Personenstandsgesetzes ist einer dieser von mir angesprochenen Punkte. Die Vorschläge der Bundesregierung zu dieser Vorschrift sind in der Öffentlichkeit vielfach mißverstanden und mißdeutet worden. Die Bundesregierung hat zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, den Status der obligatorischen Zivilehe zu verändern. Die Eheschließung, meine Damen und Herren, gehört zu den Bereichen, an denen Staat und Kirche ein gleich großes, wenn auch verschieden geartetes Interesse besitzen. Aber sie ist kein Gegenstand, an dem sich heute noch ein Kampf zwischen beiden entzünden könnte. Die geistige Arbeit vieler Generationen hat die Voraussetzung zu klarer Unterscheidung der Bereiche und Funktionen geliefert. Die Bürger eines auf den Prinzipien der Freiheit und Toleranz ruhenden Staates haben ein verfassungsmäßiges Recht darauf, daß sie in Fragen, die ihr Gewissen berühren, durch die staatliche Ordnung nicht beschwert werden. Der Staat hingegen muß von seinen Bürgern fordern, daß sie sich den Regelungen unterwerfen, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung und des staatlichen Gefüges erlassen werden. Die Bundesregierung hat sich von der Erkenntnis leiten lassen, daß in diesem Punkt eine Regelung getroffen werden sollte und getroffen werden kann, die dem Staat alle erforderlichen Sicherheiten gibt, aber nicht mehr mit den Relikten eines geistig wie historisch überwundenen Staatskirchentums belastet ist.
Die Bundesregierung hat sich zu diesem § 67 nicht in vollem Umfang den Vorschlägen des Bundesrates anschließen können. Diese gingen dahin, wie bisher eine Geldstrafe u n d eine Freiheitsstrafe für den Fall anzudrohen, daß eine kirchliche Eheschließung v o r der standesamtlichen Eheschließung vorgenommen wird. Die Geldstrafe wollte der Bundesrat mit einem Höchstbetrag von 500 DM -1875 waren es 300 und 1937 waren es 10 000 Mark - androhen. Die Gefängnisstrafe wollte der Bundesrat ebenso wie 1875 auf drei Monate statt wie seit 1937 auf fünf Jahre begrenzen. Die Bundesregierung dagegen hält das Muster der Schweiz für besser, wo der Vorrang der Zivilehe durch die Androhung nur einer Geldstrafe gesichert wird. Die
Androhung der Freiheitsstrafe kann nur aus der Lage des Kulturkampfes der 70er Jahre verstanden werden.
({1})
Die Bundesregierung weiß sich mit der Mehrheit des Volkes und allen maßgebenden Kräften darin einig, daß alles vermieden werden soll, was an Kulturkampfbestimmungen erinnern könnte.
({2})
Die Aufnahme, die der jetzige Beschluß der Bundesregierung über die Androhung lediglich einer Geldstrafe bisher gefunden hat, scheint zu zeigen, daß hier ein Weg gefunden ist, der zur Beruhigung der Öffentlichkeit durchaus geeignet ist und alle sachlichen Belange ausreichend wahrt.
Bei dem zweiten Punkt, der Eintragung der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft in die Personenstandsbücher, hält die Bundesregierung an ihren ursprünglichen Vorschlägen fest. Die von oppositioneller Seite geäußerte Meinung, daß diese Vorschläge verfassungswidrig seien, findet im Grundgesetz keine Stütze. Sowohl Art. 140 des Grundgesetzes als auch Art. 136 der Weimarer Reichsverfassung begründen ganz deutlich die Auffassung der Bundesregierung. Es geht hier nämlich nicht um religiöse Überzeugungen, sondern ausschließlich um die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft. Die Begründung hat dieses Thema so eingehend behandelt, daß ich hier darauf verweisen kann.
Ergänzend möchte ich anführen, daß sich die Bundesregierung hier in Übereinstimmung mit der Auffassung befindet, die der bedeutendste Kommentator der Weimarer Reichsverfassung, An-schütz, stets vertreten hat. Interessieren wird in diesem Zusammenhang auch, daß sich bereits die Weimarer Nationalversammlung in ihrer 178. Sitzung mit diesem Problem befaßt hat. Auf Grund der Beratungen des 23. Ausschusses der Nationalversammlung ist dem damaligen Personenstandsgesetz eine Vorschrift angefügt worden, nach der die Standesbeamten verpflichtet wurden, statistische Erhebungen auch über die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft vorzunehmen. Mir ist nicht bekannt, daß irgend jemand der Nationalversammlung daraus einen Vorwurf gemacht hätte. Bei dieser klaren Rechtslage ist auch nicht einzusehen, warum ,der Standesbeamte die Eintragung der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft unterlassen soll, da nach der Volkszählung aus dem Jahre 1950 97 % der Bevölkerung den beiden großen christlichen Kirchen angehören.
Der Gesetzentwurf enthält Bestimmungen, die im Interesse der Vertriebenen und der Rechtsvereinheitlichung eilbedürftig sind. Die Bundesregierung bittet daher das Hohe Haus, die Vorlage möglichst so zeitig zu verabschieden, daß die Novelle zum 1. Juli 1955 in Kraft treten kann. Da 15 000 Standesbeamte mit neuen Vordrucken versehen werden müssen und noch eine Ausführungsverordnung sowie eine Dienstanweisung ausgearbeitet werden müssen, wäre es sehr erwünscht, wenn es sich ermöglichen ließe, die Novelle noch vor dem Jahresende zu verkünden.
({3})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Bundesregie({0})
rung in Ergänzung der schriftlichen Begründung gehört. Ich eröffne die Aussprache der ersten Beratung.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Meine Damen und Herren! Es entspricht einem wohlüberlegten Brauch des Parlaments, in der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs nur gewissermaßen über die Grundkonstruktion des Gesetzes zu debattieren und nicht schon die - ich möchte sagen - arabeskenhaften Einzelheiten des Gesetzes zu diskutieren. So fragen wir auch, wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf überprüfen, nach der Grundabsicht, die die Bundesregierung damit verfolgt.
Ich glaube, wir können aus der heutigen Beratung den die Öffentlichkeit sehr stark bewegenden Komplex des Vorrangs der Zivilehe ausklammern; ich folge hier im großen und ganzen den Darlegungen des Herrn Innenministers. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß die ursprüngliche Absicht der Bundesregierung, den § 67 des Personenstandsgesetzes zu streichen - der Geistliche, die die kirchliche Trauung vor der zivilen Eheschließung vollziehen, unter Strafe stellt -, am Widerstand des Bundesrats gescheitert ist. Wir haben nunmehr eine Bestimmung im Gesetzentwurf, die immerhin den Vorrang der obligatorischen Zivilehe sicherstellt. In der Öffentlichkeit war - ob berechtigt oder nicht - eine starke Beunruhigung entstanden, als Vermutungen laut wurden, daß der kirchlichen Trauung allmählich auch die zivilrechtlichen Wirkungen zuwachsen sollten, die nur aus der Zivilehe entstehen können. Der Herr Bundesminister hat für die Regierung solche Absichten in Abrede gestellt. Wir akzeptieren das; aber ich glaube, es ist niemand in diesem Hause, der nicht sehr wohl weiß, daß es gewisse kirchliche Kreise gegeben hat, die auf dem Wege über die Zwischenetappe einer fakultativen, einer wahlweisen Eheschließung kirchlicher oder ziviler Art allmählich zur obligatorischen kirchlichen Eheschließung mit zivilrechtlichen Konsequenzen kommen wollten. Diese Dinge haben in der Diskussion eine sehr große Rolle gespielt, und sie haben die Öffentlichkeit sehr stark beunruhigt.
Wir verkennen gar nicht, daß es beispielsweise für einen katholischen Christen aus der Beurteilung der Ehe als eines Sakraments einen religiösen Vorrang der kirchlichen Trauung gibt und geben muß. Aber wegen des Unterschieds zwischen der religiösen und der zivilrechtlichen Bedeutung muß die Regelung im staatlichen Raum so erfolgen, daß die zivilrechtliche Ehe dort den Vorrang hat, sosehr auch vor dem Gewissen des einzelnen die religiöse Trauung ihm aus seiner religiösen Gewissensverpflichtung heraus vorrangig erscheint. Der demokratische Staat muß jedem die Möglichkeit geben - ich folge hier dem Herrn Minister durchaus -, nach seinem Gewissen zu leben.
({0})
So muß in einem demokratischen Staat jeder durchaus die Möglichkeit der religiösen Trauung haben. Aber für die staatliche Gesetzgebung muß der Vorrang der Zivilehe und der aus ihr resultierenden Rechtswirkungen unantastbar sein.
Zwischen der Stellungnahme des Bundesrats und der der Bundesregierung bleibt nun eine Differenz. Die Neuformulierung des Gesetzentwurfs folgt einer mittleren Linie. Es bleibt vorgesehen die
Geldstrafe, es ist in Wegfall geraten die vom Bundesrat vorgeschlagene Aufrechterhaltung der Gefängnisstrafe. Offensichtlich ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Strafandrohung mit Gefängnis - als einem für Geistliche unangemessenen Strafaufenthalt - nicht ins Gesetz soll. Aber darüber wollen wir nicht streiten. Wir sind mit der vorliegenden Formulierung durchaus einverstanden, weil sie den Vorrang der Zivilehe eindeutig sichert. Dieses Problem wird uns also in der Diskussion des Gesetzentwurfs nicht mehr sehr beschäftigen.
Aber wenn wir nun nach der Generalabsicht der Regierung bei diesem Gesetzentwurf fragen, dann ist wohl festzustellen, daß sie am deutlichsten in dem - ich möchte einmal so sagen - Rattenschwanz von Problemen zutage tritt, der sich rund um die Einführung des Familienbuchs neuen Typs ringelt. Hier haben wir in der Tat einige sehr ernste Bedenken. In der schriftlichen Begründung der Bundesregierung sind zwei Absichten deutlich geworden, die der Herr Bundesinnenminister dem Hause noch einmal vorgetragen hat: erstens die Notwendigkeit, die Vertriebenen wieder mit beweiskräftigen Personenstandsurkunden auszustatten. Dies ist in der Tat ein sehr ernstes Anliegen. Der Verlust der Personenstandsbücher, insbesondere in dem Gebiet östlich der Oder und Neiße, hat ein sehr ernstes Problem entstehen lassen, das geregelt werden muß. Aber muß es geregelt werden durch die Einführung eines Familienbuchs neuen Typs, „neuer Art", wie es in dem Gesetz heißt, über das bereits bestehende Heiratsbuch, Geburtsbuch und Sterbebuch hinaus?
Das Bundesministerium der Justiz hat bekanntlich ernste Einwendungen gegen diese neue bürokratische Bereicherung unseres Aktenfetischismus erhoben. Das ist in der Beratung des Bundesrates sehr deutlich geworden. Ich darf hier aus dem Protokoll des Innenausschusses des Bundesrates zitieren, wo der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz gesagt hat, die Führung des Familienbuches in einfacher Ausführung sei unzulänglich wegen der Gefahr, daß es bei Versendung verlorengehen könne. Außerdem verteuere sich die Personenstandsbuchführung für die Gemeinden durch die zusätzlich vorgeschriebenen Beurkundungen. Auch die Bundesregierung selbst gibt in ihrer Begründung zu - auf Seite 16/17 können Sie es nachlesen -:
Es werden also in gewisser Hinsicht vorübergehend zwei Familienbuchsysteme nebeneinander bestehen. Dies ist sehr unerfreulich, bringt insbesondere eine erhebliche Belastung der Standesbeamten mit sich.
Eine zusätzliche Bürokratisierung kommt hier auf uns zu.
Nun scheint ja die Bürokratisierung unser unausweichliches Schicksal geworden zu sein. Schon die alten Chinesen haben das gekannt und hatten ein Sprichwort, daß, wenn einmal der Wind ein Blatt Papier in ein Amt wehe, nach einiger Zeit zwei Ochsen notwendig seien, um den angewachsenen Aktenhaufen wieder aus diesem Amt herauszutransportieren.
({1})
- Nicht nur in China, nein, auch in Frankreich. Dort war es der bekannte französische Schriftsteiler Jules Romain, der unlängst gesagt hat, allmäh({2})
lich sei es dahin gekommen, daß die eine Hälfte der Franzosen damit beschäftigt sei, über die andere Hälfte der Franzosen Aktenstücke anzulegen.
({3})
Das ist keineswegs das, sagen wir einmal: nationale Monopol der Franzosen. Auch bei uns, auch in diesem Bundestage und auch bei der Bundesregierung scheint es mir manchmal so zu sein, daß diejenigen, die die Propagandaposaune des Antibürokratismus vor den Mauern des bürokratischen Jericho am lautesten blasen,
({4})
gar nicht das Einstürzen dieser Mauern wollen, sondern in ihrer praktischen Politik sehr kräftig mitwirken, daß der Bürokratismus in unseren Institutionen immer mehr zementiert wird.
({5})
Es scheint uns, daß man in den Ausschußberatungen den Hinweis des Justizministeriums einer sorgfältigen Erwägung unterziehen sollte, da nämlich, wo es vorschlägt - wiederum können Sie dies in dem Protokoll des Bundesrates nachlesen -, daß das vorgesehene System der Einführung dieses Familienbuches neuen Typs auf die Vertriebenen beschränkt bleiben und nach Ablauf einer bestimmten Frist wieder in die bisherige bewährte Form auslaufen soll.
({6})
Ich glaube, daß dies einer sehr ernsten Erwägung wert ist.
Aber lassen Sie mich, nachdem ich etwas zu der ersten Begründung, die überzeugend zu sein scheint, gesagt habe, nun auch etwas zu der zweiten Begründung der Bundesregierung sagen, die mir keineswegs überzeugend zu sein scheint. Daß die Regierung die Kollektion der Personenstandsbücher über das Heiratsbuch, das Geburtsbuch und das Sterbebuch hinaus um diesen neuen Typ eines Familienbuches bereichern will, wird in der schriftlichen Begründung in einer Weise begründet, die uns außerordentlich befremdend aufhorchen läßt. Dort heißt es - auf Seite 15 unten können Sie es nachlesen -:
Das Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 entsprach einem schon lange empfundenen . . . Bedürfnis, in den Personenstandsbüchern ... auch die Familienzusammenhänge kenntlich zu machen.
Lassen Sie mich die Frage stellen: War es denn wirklich im Jahre 1937 ein „schon so lange empfundenes Bedürfnis", daß die NS-Reichsregierung die Familienzusammenhänge kenntlich machen wollte? Mir scheint dieses Bedürfnis des Jahres 1937 damals ganze vier Jahre alt gewesen zu sein;
({7})
denn das Kenntlichmachen der Familienzusammenhänge im „Dritten Reich" hatte ja doch andere Gründe als die der Vereinfachung der bürokratischen Form.
({8})
Seit dem Jahre 1875 haben wir eine Beurkundung des Personenstandes nur hinsichtlich der Geburt, der Heirat und des Todes gehabt. Niemand wird sagen, daß damit ein bevölkerungsorganisatorisches Tohuwabohu geschaffen worden wäre. Im Jahre
1937 wollte man die Familienzusammenhänge kenntlich machen. Da bedarf es doch nicht eines langen Rätselratens, um sagen zu können, für wen sie kenntlich gemacht werden sollten. Es bedarf gar nicht des Hinweises, daß in diesem Gesetz von 1937 ausdrücklich gesagt worden ist, daß das Recht der Einsichtnahme in die Personenstandsbücher den Dienststellen der NSDAP offenstand.
({9})
Hier wurde also ganz deutlich, wem deutlich gemacht werden sollte, wie es um die Familienzusammenhänge stand. Ich 'brauche Sie alle doch nicht daran zu erinnern, wie in jener Zeit rassische Bevölkerungspolitik und eine gewisse Weltanschauungsschnüffelei - um ein Wort von Hermann Rauschning aus seinem Buch „Die Revolution des Nihilismus" zu zitieren - „bis unter die Bettdecke" betrieben worden ist. Es ging also nicht um eine harmlose Vereinfachung, sondern um ein sehr harmvolles Instrument nationalsozialistischer Familienpolitik. Es war damals ein im letzten Grunde NS-Schnüffelgesetz.
({10})
Meine Damen und Herren, hier liegt eine ernste Besorgnis. Wir haben es nicht mit Freuden zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung in dem zweiten Teil ihrer Begründung so ausdrücklich auf die damals angegebene Begründung der NS-Regierung Bezug nimmt, daß es angeblich eben ein „seit langem empfundenes Bedürfnis" gewesen sei, das zur Schaffung dieses Gesetzes geführt habe. Nachdem die Bundesregierung sich jedoch so sehr auf diese Formulierung des Jahres 1937 beruft, werden Sie es verstehen, wenn wir nun den Hindernislauf des Mißtrauens über die einzelnen Paragraphenhürden nur sehr vorsichtig antreten.
Für wen und warum sollen nun heute die Familienzusammenhänge in der beabsichtigten Weise kenntlich gemacht werden? Zunächst: was soll kenntlich gemacht werden? Da haben wir in erster Linie die bereits von dem Herrn Bundesinnenminister angesprochene Frage der Bekundung des religiösen Bekenntnisses. Wir sind nicht der Auffassung, die der Herr ,Bundesinnenminister hier vorgetragen hat. Art. 140 unseres Grundgesetzes macht Art. 136 der Weimarer Verfassung zum geltenden Verfassungsgrundsatz, zu aktuellem Recht. In Art. 136 der Weimarer Verfassung heißt es:
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Die Behörden haben nur soweit das Recht, nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft zu fragen, als davon Rechte und Pflichten abhängen oder eine gesetzlich angeordnete statistische Erhebung dies erfordert.
Ich kann den Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers in keiner Weise folgen, z. B. da, wo er sagt, hier solle nicht etwa die religiöse Überzeugung bekundet werden, sondern nur die rechtliche Zugehörigkeit. Ob ich den einen Begriff oder den anderen nehme, in der Praxis, muß ich sagen, gilt der Satz: Je mehr es sich ändert, desto mehr bleibt es sich gleich. Wenn jemand seine formale Zugehörigkeit bekundet, bekundet er damit hoffentlich auch seine religiöse Überzeugung. Denn wir wollen doch hoffen, 'daß Leute, die ihre rechtliche Zugehörigkeit zu einer Vereinigung oder zu einer Gemeinschaft bekennen, ihr auch aus Überzeugung angehören. Für die Folgen, die aus einer solchen
({11})
Bekundung entstehen, bleibt es sich gleich, ob der Betreffende hier nur eine rechtliche Zugehörigkeit oder eine persönliche religiöse Überzeugung bekundet. Er gibt einen Tatbestand zu den Akten, aus dem Schlußfolgerungen gezogen werden können.
Übrigens ist die Mehrheit des Bundesrates keineswegs der Auffassung, die der Herr Bundesinnenminister hier vorgetragen hat, sondern sie hat sehr ernste verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Der Herr Bundesminister der Justiz hat im Bundesrat sagen lassen, daß sein Ministerium „nicht unbedingt in der vorgetragenen Richtung" zu argumentieren in der Lage sei, es könne „nicht unbedingt" der Auffassung folgen, daß der Art. 136 der Weimarer Verfassung unmittelbar geltender Rechtsgrundsatz sei; sonst, so ist dort gesagt worden, hätte es ja nicht eines besonderen Gesetzes aus dem Jahre 1920 bedurft, das die Frage der religiösen Bekundungspflicht regelt. Wir wollen hier in aller Form zum Ausdruck bringen, daß wir den Art. 136 der Weimarer Verfassung auf dem Wege über den Art. 140 des Grundgesetzes für aktuelles Recht halten, daß wir es nicht für statthaft halten, nach der religiösen Zugehörigkeit zu fragen.
Wir befinden uns in Übereinstimmung mit der Formulierung, die der Bundesrat selbst gefunden hat. Wir schließen uns dieser Formulierung des Bundesrates an, in der es heißt, daß gegen die Aufnahme des religiösen Bekenntnisses in die Personenstandsbücher verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.
Die Bundesregierung glaubt nichtsdestoweniger, nicht auf diese Forderung verzichten zu können.
({12})
Wie ein roter Faden - ich müßte hier vielleicht sagen, wenn Sie nichts dagegen haben, wie ein schwarzer Faden ({13})
zieht sich das durch die §§ 11, 12, 14, 17, 37 und viele andere hindurch.
({14})
Das religiöse Bekenntnis des Ehegatten muß angegeben werden. In der Geburtsurkunde muß das religiöse Bekenntnis der Kindeseltern angegeben werden. Jede Heiratsurkunde soll das religiöse Bekenntnis ausweisen, ebenso jede Sterbeurkunde. Die konfessionelle Etikettierung des Menschen von der Wiege bis zum Grabe ist also in diesem Gesetz festgelegt.
({15})
Man komme uns nicht mit dem Hinweis auf § 69 a: „Eine Eintragung unterbleibt, wenn die Angabe hierüber abgelehnt wird ...".
({16})
- Meine Damen und Herren, was heißt hier „Na also"? Muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es in gewissen Gegenden Deutschlands und für viele Menschen - insbesondere für ihr berufliches Fortkommen - geradezu ein Akt der Selbstdenunziation ist, wenn sie diese Angaben ablehnen?
({17})
Der § 69 a ist doch eine Verharmlosung, und er ist in der Praxis unwahrhaftig.
({18})
Meine Damen und Herren, Sie wissen ganz genau, daß bei zahlreichen Gelegenheiten - ({19})
- Nicht das Parteibuch! Meine Herren, wo das Parteibuch wichtiger ist, kann man bei der Personalpolitik gewisser Regierungsstellen sehr genau erkennen.
({20})
Der § 69 a
({21})
ist sehr verharmlosend und in seiner Wirkung
({22})
- Vielleicht unternehmen Sie es nachher, durch Ihren Sprecher Ihre Gesichtspunkte darzulegen. Wenn Sie aber Zwischenrufe machen wollen, dann einigen Sie sich darauf, wer es tut, damit man es versteht.
Der § 69 a ist eine Verharmlosung. Sie wissen ganz genau, daß in Wirklichkeit bei zahlreichen Gelegenheiten, bei Bewerbungen beispielsweise, Vorlage von Personenstandsurkunden erforderlich ist. Sie wissen ganz genau, wie sehr da gerade die „falsche" religiöse Zugehörigkeit jemandem schädlich werden kann. Da können wir Ihnen, wenn Sie die notwendige Redezeit beschaffen, einen bunten Katalog von Einzelfällen aufführen.
({23})
Aber es bleibt nicht allein bei der Bekundung des religiösen Bekenntnisses. In diesem Familienbuch soll beispielsweise auch der Religionswechsel eingetragen werden. Es sollen die Tatsachen der Ehescheidung und der Wiederverheiratung eingetragen werden. Es kommen, wenn ich die Bestimmungen des Gesetzes recht verstanden habe, darin auch zur Transparenz, zur Durchsichtigkeit, Tatsachen wie die folgende. Wenn eine Frau ein uneheliches Kind mit in die Ehe bringt, so wird dieser Tatbestand nach den Bestimmungen des Gesetzes im Familienbuch deutlich.
({24})
Ein anderes Beispiel: die Tochter eines - nehmen wir einmal einen Fall, wo es durchaus schädlich wirken könnte - Beamten bekommt ein uneheliches Kind. Dann kommt dieses Kind in das Familienbuch des Vaters dieses Mädchens. Muß ich darauf aufmerksam machen, daß es Fälle gibt, wo das für diesen Mann, der an diesem Tatbestand gar nicht beteiligt ist, durchaus schädlich sein kann?
Sie werden mir sagen: da gibt es einen Sperrvermerk. Im Gesetz - § 61 Abs. 2 - ist die Eintragung eines Sperrvermerks vorgesehen, so daß über den Tatbestand des Vorhandenseins des unehelichen Kindes niemand als den unmittelbar Beteiligten Auskunft erteilt werden darf. Aber sehen Sie, das wird doch durch die Bestimmungen des § 61 Abs. 1 völlig durchlöchert, wo es heißt, daß außer den unmittelbar beteiligten Personen andere Personen „nur dann ein Recht auf Einsicht
({25})
und Durchsicht der Personenstandsbücher und auf Erteilung von beglaubigten Abschriften" haben, „wenn sie ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen". Dieser Kautschuk-Absatz, diese Formulierung: „ein berechtigtes Interesse" geltend machen, öffnet sehr verhängnisvollen Möglichkeiten Tür und Tor. Wer nicht alles kann kommen und ein sogenanntes berechtigtes Interesse geltend machen?
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Alle diese Tatsachen, die ich eben aufgeführt habe, sollen nun im Familienbuch transparent gemacht werden bis zur, wie ich mit aller Deutlichkeit sagen möchte, Existenzgefährdung für einen Menschen.
({27})
- Wenn Sie unbedingt Wert darauf legen, kann ich hier ein paar Beispiele erwähnen. - Sie wollen doch wohl nicht leugnen, daß es so etwas wie eine Schnüffelei nach dem gemeinsamen konfessionellen Kopfkissen gibt. Wir haben gerade jetzt in der Zeitung gelesen, daß in Rheinland-Pfalz ein Lehrer katholischen Bekenntnisses, der acht Jahre in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war, zurückgekommen ist. Er hat an einer katholischen Pädagogischen Akademie studiert und jetzt die Mitteilung bekommen, daß er an keiner katholischen Schule eine Lehrerstelle bekommen kann, weil er eine evangelische Frau hat.
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Sie mögen mir - und ich akzeptiere das bis zu einem gewissen, minimalen Umfang - den Einwand entgegenhalten, daß im Falle des Lehrberufs manchmal Grenzfragen entstehen können, obschon dieses Beispiel keineswegs dazu gehört. Aber die Vorfälle sind doch nicht allein auf den Lehrberuf beschränkt, und eine solche Maßnahme ist schon nach der Verfassung nicht statthaft.
Während meiner Tätigkeit im Landtag von Nordrhein-Westfalen wurde ich eines Tages mit einem Fall beschäftigt, in dem ein Arzt katholischer Konfession - seine Ehe war auf Betreiben seiner Frau in der Nazi-Zeit geschieden worden - nach zehn Jahren eine andere, eine evangelische Frau heiratete. Er war als Arzt freiberuflich tätig, operierte aber in einem konfessionellen Krankenhaus. Diesem Arzt wurde mitgeteilt, daß er künftig kaum noch damit rechnen könne, in diesem konfessionellen Krankenhaus zu operieren.
({29})
Als die Frau dann aus Angst vor der Existenzgefährdung ihres Mannes zu gewissen Stellen ging und dort sagte: „Nun gefährden Sie doch meinen Mann nicht in seiner Existenz!", da wurde ihr geantwortet: „Warum haben Sie denn aber auch heiraten müssen? Auch Maria Magdalena ist in den Himmel gekommen."
({30})
Das mag ein Einzelfall sein, aber ich sage Ihnen
das mit aller Deutlichkeit. Lassen Sie mich - ({31})
. - Schimpfen Sie doch nicht so sehr! Ich bin ja gar nicht so weit gegangen wie Ihr verehrter Koalitionskollege Dr. Dehler, der gesagt hat, es graue ihm vor einem von Prälaten und Oberkirchenräten regierten Deutschland. Ich bleibe ja noch bei Einzelfällen. Ich habe ja ausdrücklich, bevor Sie Ihren Protest manifestierten, gesagt: Das mögen Einzelfälle sein.
({32}) Aber Sie wollen doch nicht bestreiten, daß es auch unter den Geistlichen kleingeistige und engmuffige Eiferer gibt. Wir wollen ihnen nicht die Möglichkeit geben, auf diesem Wege an die Existenz eines Menschen zu rühren. Wer unter Ihnen, der um die - z. B. auch vom katholischen Denken her - notwendige Unterscheidung zwischen dem ewigen und dem irdischen Plan der Kirche und mithin um die Heiligkeit und Sündigkeit ihrer Vertreter - um in der Sprache zu bleiben - weiß, will bestreiten, daß es solche Fälle gibt? Wir wollen nicht, daß ein Gesetz ihnen Möglichkeiten zur Unduldsamkeit schafft.
({33})
1937 sollte dieses Gesetz einer bestimmten Weltanschauungspolitik dienen, Lassen Sie mich sagen: Wir wollen nicht, daß über den § 61 Abs. 1 Satz 2 und über den § 69 a hier wiederum ein Instrument zur Manipulierung einer bestimmten Weltanschauungspolitik geschaffen wird.
Unter diesem Gesichtspunkt werden wir im Ausschuß an die Beratungen dieses Gesetzentwurfs herangehen. Wir werden nicht hinnehmen, daß durch dieses Gesetz Einrichtungen geschaffen werden, die - vielleicht gegen den Willen derjenigen, die sie schaffen wollen - konfessionelle Diskriminierungen möglich machen. Wir werden alles tun, um zu verhindern, daß durch ein Gesetz Einrichtungen geschaffen werden, die in diesem Sinne mißbraucht werden können.
({34})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte in der Begründung gesagt, daß der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung vorgelegt hat, in der Öffentlichkeit in bestimmten Punkten mißdeutet worden sei. Herr Kollege Kühn hat allerdings nun hier heute einige Punkte angeführt, in denen der Entwurf bisher keineswegs mißdeutet worden ist. Das veranlaßt mich doch, etwas zu sagen.
Er hat ihn zunächst mißdeutet unter einem Zitat von 1937. Ich möchte zur Klarstellung und zur Steuer der Wahrheit sagen, daß diese Bestrebung, den Familienzusammenhang darzustellen, keineswegs etwa auf das Jahr 1933, wenn Sie so wollen, zurückging, sondern daß das seit 1808 Praxis in Württemberg war, wie ich ausgeführt habe, und daß es sehr intensive Bestrebungen in den ganzen Jahren, vor allem auch seit 1920, gegeben hat, zu einer Darstellung des Familienzusammenhangs zu kommen. Hier liegt sicherlich eine Mißdeutung vor, und ich wäre dem Kollegen dankbar, wenn er diese historischen Fakten doch noch einmal überprüfte.
Ich begrüße es, daß er sich als Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion positiv zur Regelung in § 67 ausgesprochen hat. Damit sind wir in der Befriedung der öffentlichen Diskussion ein großes Stück weitergekommen. Leider hat er diesen Schritt nicht getan hinsichtlich der Eintragung des religiösen Bekenntnisses. Er hat keine Stellung dazu genommen, daß - ich habe es ja noch einmal ausgeführt - 97 % unseres Volkes einer
({0})
der beiden großen christlichen Religionsgemeinschaften angehören. Deswegen kann es schwerlich etwas Unbilliges sein, diese Zugehörigkeit in einem familienmäßigen Sinn deutlich zu machen. Wenn er geglaubt hat, daß das in Verbindung mit dem Familienbuch der Schnüffelei Tür und Tor öffne, so fehlt der logische Zusammenhang zwischen diesen Ausführungen. Schnüffelei auf solchem Gebiet, wenn sie überhaupt jemand anstellen möchte, braucht nicht auf dem Umweg über das Familienbuch betrieben zu werden.
({1})
Er hat aber einen Punkt angeführt, den ich ausdrücklich als unrichtig bezeichnen möchte, nämlich das Beispiel der Beamtentochter, deren uneheliches Kind etwa das Familienbuch des Großvaters belasten könnte. Ich darf hervorheben, daß das nach den hier skizzierten Bestimmungen in keiner Weise gegeben ist.
Ich möchte mich auf diese Richtigstellung beschränken.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cillien.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kühn, ich darf zunächst bemerken, daß ich nicht durch eine Ihrer Bemerkungen hervorgelockt worden bin, jetzt zu sprechen, sondern meine Fraktion hat mich schon gestern beauftragt,' für sie hier zu reden. Im übrigen bewundere ich Ihren Mut nicht, ebensowenig wie ich den Mut von Herrn Dr. Dehler bewundert habe, wenn er Angst davor hat, Oberkirchenräte oder Prälaten könnten Deutschland regieren. Man sollte meinen, auch mit solchen Leuten wie mit mir würden Sie fertigwerden können, wenn Ihre Position stark genug ist.
Ich will nicht verhehlen, daß mich der ganze erste Teil Ihrer Ausführungen durchaus befriedigt hat. Ich bin außerordentlich zufrieden gewesen über den sachlichen Ton, mit dem Sie diese Materie behandelt haben.
({0})
Nach dem Sturm um den § 67, der bei der ersten Vorlage entfacht und weiter genährt wurde, war es leider nicht zu erwarten, daß Sie in einer solch ruhigen und sachlichen Form heute hier reden würden, wie Sie es getan haben. Ich verzichte allerdings, auf verschiedene Bemerkungen einzugehen, die Sie im zweiten Teil Ihrer Ausführungen gemacht haben. Die habe ich für unangebracht gehalten, um keinen anderen Ausdruck zu gebrauchen. So sehr ich immer bereit bin - das erwarte ich von jedem überzeugten Christen -, Achtung zu haben vor der Überzeugung eines anderen,
({1})
so wenig würde ich bereit sein oder würden meine Freunde es dulden, über Ihre Überzeugung so despektierlich zu reden, wie Sie es von der Tribüne des Hauses getan haben.
({2})
Das soll mich aber nicht davon abhalten, genau in der von mir vorgenommenen und von meiner Fraktion gewünschten ruhigen und sachlichen Form zu diesem Gesetz zu reden.
Das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes hat an und für sich gar keine Veranlassung geboten, ein besonderes öffentliches Interesse hervorzurufen. Für die Unangebrachtheit der damaligen, fast hysterischen Erregtheit hätte keine bessere Bestätigung erfolgen können als durch Ihre Ausführungen im ganzen ersten Teil. Auf einmal war nämlich nichts mehr davon übriggeblieben. Der lapidare Satz in dem Regierungsentwurf „§ 67 fällt weg" war gar nicht so wichtig, wenn man nicht die Absicht gehabt hätte, ganz bestimmte Zwecke zu verfolgen. Dieser § 67 bedroht jeden mit Strafe, der eine kirchliche Feier im Zusammenhang mit einer Eheschließung vornimmt, bevor die Trauung vor dem Standesamt erfolgt ist. Es ist doch einfach so gewesen: Bei der allgemeinen Überprüfung dieses Gesetzes - man hatte die Überprüfung allgemein für notwendig gehalten - kam man zu der Überzeugung, daß dieser Paragraph der heutigen Situation nicht mehr entspreche. Ich darf mich dafür auf den damaligen Justizminister Dr. Dehler berufen, der mir in einem Gespräch selber erklärt hat: „Dieser Paragraph ist überflüssig, und deshalb habe ich ihn streichen lassen."
Diese Bestimmung stammte aus einer Zeit des Kulturkampfes, die wir auf gar keinen Fall in Deutschland noch einmal erleben möchten.
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Es ist schade, daß Sie in Ihren Ausführungen doch wiederum das Wort Mißtrauen gebraucht haben, das wir eben nicht wünschen. Damals war man der Ansicht - ich vermag nicht zu beurteilen, ob sie gerechtfertigt war -,
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daß die damals noch umstrittene obligatorische Zivilehe strafrechtlich gesichert werden müsse. Aber die damaligen Befürchtungen sind niemals akut geworden, und sie bestehen auch heute in gar keiner Form.
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Diese Strafandrohung hätte nur dann noch einen Sinn, wenn in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche ein Konfliktsverhältnis bestünde. Das ist nicht der Fall, und jeder in diesem Hause sollte sich darüber freuen, daß die Entwicklung seit 1945 in einer Richtung gegangen ist, die ein solches Konfliktsverhältnis nicht heraufbeschworen hat.
({6})
Oder wer etwa für die Beibehaltung der Bestimmung eingetreten wäre - Sie tun es ja erfreulicherweise gar nicht mehr -, hätte unterstellen müssen, daß ein kirchlicher Amtsträger der vom Staat in seiner Zuständigkeit gesetzten Ordnung bewußt entgegenhandeln wollte,
({7})
was, soviel ich unterrichtet bin, seit dem Personenstandsgesetz von 1875 ein einziges Mal vorgekommen ist. Solche Voraussetzungen für eine Strafbestimmung bestehen also heute nicht mehr. Deshalb wirkt eine solche Strafandrohung, vor allem wenn sie mit Gefängnis verbunden wird, für die geistlichen Amtsträger diskriminierend. Auch viele evangelische und katholische Christen haben das so empfunden.
({8})
({9})
Deshalb sollte in der gleichen Überzeugung, die damals Herr Dr. Dehler vertreten hat, Einmütigkeit darüber herrschen, diesen Paragraphen sang-und klanglos zu streichen, weil er nicht mehr in die Zeit paßt.
Der damalige Entwurf wurde, wie ich annehme, in völlig unveränderter Form dem zweiten Kabinett und auch dem Bundesrat zugeleitet. Ich stehe nicht an zu erklären - und das hat Sie ja auch irritiert -, daß die Begründung, die diesem Paragraphen beigefügt wurde, allerdings mißverständlich und durchaus geeignet ist, unnötigerweise den Verdacht zu erregen, daß in Wirklichkeit mit der Streichung noch andere Ziele verfolgt werden sollen. Diese Meinung wurde durch mancherlei in der Öffentlichkeit gefallene Äußerungen, zum Teil absichtlich, verstärkt und genährt. Weil auf diese Weise -- das gebe ich zu - echte Besorgnisse, aber auch völlig unbegründete Vermutungen entstanden sind, bringt die veränderte Vorlage der Bundesregierung eine wesentlich gemilderte Strafbestimmung. Wir hingegen stellen auch dazu nochmals fest, daß mit dem Wegfall des § 67 keine Änderung des bestehenden Eheschließungsrechts und der entsprechenden Praxis beabsichtigt ist und daß eine solche Änderung angesichts der Rechtslage auch unmöglich ist. Sie haben vorhin gesagt, die Erklärung der Bundesregierung habe Sie beruhigt; vielleicht beruhigt Sie nun noch mehr die Erklärung auch meiner Fraktion, in der Sie ja am ehesten solche Machenschaften vermuten.
({10})
Wir halten deshalb diese Strafandrohung nach wie vor für unnötig und unbegründet.
Wir leben leider - das verkennen wir nicht, und das hat der zweite Teil Ihrer Ausführungen nur bestätigt, was ich außerordentlich bedaure - in einer Situation, in der Mißverständnisse und auch Verdächtigungen auf dem konfessionellen Gebiet die Gemüter sehr erregen.
({11})
Man könnte einfach ganz schlicht sagen: wir haben doch ganz andere Sorgen in Deutschland!
({12})
Wo jemand die gebotene und vorgeschriebene Grenze überschreitet, sollten wir uns alle zusamentun, um da einen Stecken beizustecken.
({13})
Wir sollten aber nicht Einzelfälle verallgemeinern
({14})
und sie -so hinaustragen, als sei das in Deutschland so ungefähr gang und gäbe.
({15})
- Sie können aus meinen Worten nichts anderes heraushören als ein Bekenntnis zu unbedingter Toleranz und meinen festen Willen - ({16})
- Entschuldigen Sie! Das ist unwürdig, was Sie jetzt tun,
({17})
daß Sie eine so klare Aussage eines Bundestagsabgeordneten mit einem solchen grimassenhaften Lächeln begleiten!
({18})
Ich wüßte nicht, wo die Autorität im Volke für diesen Bundestag herkommen sollte, wenn wir an Worten zweifeln, die aus dem Herzen heraus gesprochen worden sind.
({19})
Mein ganzes Leben ist ein Beweis für meine unbedingte Achtung vor der Überzeugung anderer Menschen.
({20})
Ich glaube nicht, daß es im wohlverstandenen Interesse unseres Volkes liegt, solche Spannungen hervorzurufen oder gar noch zu verstärken. Es sollte vielmehr unsere gemeinsame Aufgabe sein, das zu tun und das zu überlegen, was für unser ganzes Volk gut und zweckdienlich ist. Ich habe die Hoffnung, daß uns das gelingt, und ich erkläre die Bereitschaft meiner Fraktion, in den Ausschüssen in aller Sachlichkeit und Nüchternheit über diese Dinge mit Ihnen zu sprechen.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bejahen die Grundtendenzen dieses Entwurfs, wonach den Vertriebenen beweiskräftige Personenstandsurkunden verschafft werden sollen und eine Vereinheitlichung, Vereinfachung und größere Übersichtlichkeit im Personenstandsgesetz erreicht werden soll.
Die Teilung des bisherigen Familienbuches in ein Familien- und ein Heiratsbuch, wobei das erstere am jeweiligen Wohnort geführt wird, begrüßen wir ebenfalls. Daß hier das württembergische Beispiel zum Vorbild genommen wurde, freut mich besonders, aber nicht etwa nur aus Lokalpatriotismus! Ich hoffe, Ihnen das bald dadurch beweisen zu können, daß ich Sie bitten werde, eine andere württembergische Einrichtung, nämlich die Friedensgerichte, abzuschaffen.
Die Bedenken, die Herr Kollege Kühn gegen die Grundtendenz des Gesetzes geäußert hat, vermag ich nicht zu teilen. Er sagte, es bringe eine starke Belastung des Standesbeamten mit sich, und zitierte hier Seite 16 der Begründung. Der Hinweis in der Begründung bezieht sich aber nur darauf, daß es vorübergehend zwei Familienbuchsysteme geben werde, was eine Belastung bedeute. Nicht etwa das Familienbuch wird neu eingeführt, sondern das Heiratsbuch; anders ausgedrückt: das Familienbuch wird geteilt in ein Familienbuch und ein Heiratsbuch.
Daß die „Familienzusammenhänge klargelegt" werden sollen, ist freilich ein Ausdruck, der sich schon in einer nationalsozialistischen Begründung findet. Wie der Herr Bundesinnenminister bereits ausgeführt hat, geht dieser Ausdruck und dieses Anliegen, siehe Beispiel Württemberg und Schweiz, auf eine frühere Zeit zurück. Außerdem ist eine gewisse Sicherheit gegen Einsicht Unbefugter dadurch geschaffen, daß Erlaubnis zur Einsicht und Abschrift von Urkunden nur noch bei Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses gewährt werden sollen. - Soweit sind wir also mit dem Gesetz durchaus einverstanden.
({0})
Nun zu den, wie Herr Kollege Kühn es ausdrückte, Arabesken, die sich um das Gesetz ranken: Angabe des religiösen Bekenntnisses und § 67. Diese zwei Punkte haben mit der eben von mir erwähnten Grundtendenz des Gesetzes nichts zu tun.
Zur Angabe des religiösen Bekenntnisses kann man sagen, hier werde gar nichts Neues geschaffen, sondern die Regelung von 1937 werde weitergeführt. Aber bei dieser Weiterführung ist mir nicht so ganz wohl; denn 1937 waren sicher ganz andere Gründe dafür maßgebend, daß der Staat von seinen Untertanen damals verlangte, sie sollten das religiöse Bekenntnis angeben. Ich jedenfalls habe damals immer mit grimmiger Genugtuung in solche Formulare so deutlich wie möglich „römisch-katholisch" hineingesetzt. Heute freut man sich nach der Richtung nicht über solche Formulare.
Selbst wenn man von den verfassungsrechtlichen Bedenken absieht, die Kollege Kühn erwähnt hat, muß man die Sache auch einmal vom Standpunkt der Kirchen betrachten. Wenn sich nämlich die Kirchen ihren geistigen und geistlichen Besitzstand - ich betone: ihren geistigen u n d geistlichen Besitzstand - durch den Staat garantieren lassen wollen, begeben sie sich in Abhängigkeit.
({1})
Die Bürokratie ist doch - ({2})
- Aber nicht durch Gesetz!
({3})
- Die Bürokratie ist doch nie unerfreulicher, als wenn sie sich in Bereiche des Geistigen, des Sittlichen, des Religiösen einmischt. Hier aber wird, worauf schon hingewiesen wurde, mit geradezu treudeutschem Augenaufschlag gesagt: Uns interessiert nur die rechtliche Zugehörigkeit, nicht die gewissensmäßige Zugehörigkeit! - Damit gibt man ja zu, daß es einfach unmöglich ist, von Staats wegen auf die Gesinnung des einzelnen einzuwirken. Auf die Gesinnung kann nicht eingewirkt werden, aber Heuchelei kann großgezogen werden. Und wenn man als Gesetzgeber noch so guten Willen hat, weiß man ja nicht, was nachher bei der Durchführung des Gesetzes unten herauskommt.
Ich sehe diese Bemühungen in einem gewissen Zusammenhang mit anderen Bestrebungen der letzten Zeit, z. B. der Bestrebung, den Religionsunterricht zum zählenden Pflichtfach zu machen.
({4})
- Ich halte es nicht für richtig, weil es nur einen Antrieb zur Heuchelei geben wird. Genau so die Bestrebung, die Lehrerbildung zu konfessionalisieren.
({5})
Auch hier wird der junge Mann, der Lehrer werden will, gezwungen, sich - wenn er es auch nur äußerlich tut, „rechtlich", wie es hier so schön steht - zu einer Religionsgemeinschaft zu bekennen. Was er innerlich ist, danach kann man nicht fragen, denn man sieht ja nicht ins Herz.
Oder ich denke an die Bewerbungsbogen, die vom Amt Blank herausgegeben wurden und die dahin glossiert wurden, man wolle evangelische und katholische Bataillone schaffen.
({6})
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Gontrum.
Darf ich die Frage stellen, ob nicht das bewußte oder das sehr interessierte Verschweigen der Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis auch zur Heuchelei verführt?
({0})
Das würde dann auch zur Heuchelei führen, wenn jemand gezwungen würde oder unter Druck gesetzt würde, seine Konfession nicht anzugeben. Um das dreht es sich ja hier nicht.
({0})
Jedenfalls sind wir beruhigt, daß die Zeitungsmeldung von dem „katholischen Admiral" offenbar eine Zeitungsente war.
({1})
- Ich bestimmt nicht!
({2})
Ich fürchte allerdings, daß, wenn sich unsere künftige Kriegsflotte einmal zwei Admiräle wird leisten können, dann doch die Frage der Parität auftreten wird.
({3})
Lassen Sie mich nun noch zum zweiten und letzten Punkt kommen, zum § 67. Ich kann mich hier ganz kurz fassen. Wir sind mit dem letzten Vorschlag der Bundesregierung einverstanden, daß es hier mit der Androhung einer Geldstrafe sein Bewenden haben soll. Es ist richtig, daß mein Parteifreund Dehler sich zunächst dahin geäußert hat, es entspreche liberaler Toleranz, eine solche Strafbestimmung überhaupt zu streichen. Aber daraufhin kam eben dann die Antwort, die darin bestand, daß doch sehr deutlich Bestrebungen laut wurden, überhaupt die obligatorische Zivilehe in Frage zu stellen.
({4})
Daraufhin möchten wir natürlich auf eine Strafdrohung nicht ganz verzichten. Eine Diskriminierung kann ich in einer solchen Strafdrohung nicht erblicken. Ich habe es z. B. noch nie als diskriminierend aufgefaßt, daß ich als Rechtsanwalt unter der Strafdrohung des Parteiverrats stehe, einer viel schwereren, wenn man so sagen will, Kollektivverdächtigung.
({5})
- Das will ich eben sagen! Parteiverrat ist ja ein
kriminelles Vergehen, während hier doch kein
Geistlicher verdächtigt wird, er sei potentiell kri({6})
minell, sondern nur verdächtigt wird, er könnte sich gegen diese Personenstandsvorschrift vergehen,
({7})
Aber trotzdem sind wir auch der Ansicht, daß es selbstverständlich unserem demokratischen Staat heute nicht gut anstehen würde, ein derartiges Mißtrauen auszusprechen, daß er hier Gefängnisstrafe androht; wir sind mit der jetzt vorgesehenen Androhung einer Geldstrafe von 500 DM durchaus einverstanden.
Mit diesen Einschränkungen kann ich mich namens der Fraktion der FDP mit diesem Gesetz einverstanden erklären.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kühn.
Herr Kollege Cillien, wenn hier etwas unwürdig war, dann war es Ihre Darstellung meiner Ausführungen.
({0})
Es gibt gewisse Fraktionen, die sich in zwei Hälften unterteilen: die eine Hälfte, die nichts versteht, und die andere Hälfte, die nichts verstehen will.
({1})
Ich überlasse es dem Herrn Kollegen Cillien, zu welcher Hälfte er sich zählt. Er hat selber erklärt, daß in der ersten Hälfte meiner Darlegungen - sogar bei mir - eine rühmenswerte Sachlichkeit obgewaltet hat. Aber gerade in dieser ersten Hälfte habe ich Dinge gesagt, die er nachher in seinen Darlegungen als eine despektierliche Äußerung über die religiösen Überzeugungen, die auch die Überzeugungen zahlreicher meiner Freunde sind, bezeichnet hat. Ich habe in keiner Weise despektierlich über das religiöse Bekenntnis irgend jemandes gesprochen.
({2})
- Nein, meine Herren, da sind Sie mir den Beweis schuldig.
({3})
Ich habe davon gesprochen, daß ich zutiefst respektiere, wenn beispielsweise jemand aus seiner religiösen Überzeugung den Vorrang der kirchlichen. Trauung vor der zivilen Eheschließung für sich reklamiert. Ich habe das in aller Deutlichkeit gesagt. Ich bin der Auffassung, daß Sie das sogar so empfinden müssen. Wir haben hier aber nicht dieses Problem, das das individuelle Gewissensproblem eines jeden einzelnen ist, zu lösen, sondern haben bei der Gesetzgebung die anderen, die staatlichen Gesichtspunkte des Vorrangs der Zivilehe zu achten.
({4})
Die Dinge, die Sie jetzt vielleicht als eine despektierliche Darstellung Ihrer Überzeugung gewertet haben möchten, betreffen, was ich selber betont habe, Einzelfälle, die uns jedoch sehr gefährlich zu sein scheinen. Wenn Sie, Herr Kollege Cillien, indem Sie diese Fälle zugeben, erklärt haben, es seien
Einzelfälle, dann haben Sie nichts anderes gesagt, als das, was ich nach dem Stenogramm nachweisbar in meinen eigenen Ausführungen gesagt habe. Ich habe deutlich gesagt: ich will kein Gesetz, das für irgend jemanden ein Instrument schafft, das der konfessionellen, weltanschaulichen, politischen oder sonstigen Schnüffelei dienen kann. Ich habe mit meinen letzten Worten ausdrücklich gesagt:
. . . dienen kann, selbst wenn von der Mehrheit, die dieses Gesetz anstrebt, das dabei nicht beabsichtigt ist.
Was wollen Sie denn mehr? Deckt sich das nicht mit Ihrer eigenen zugeständnishaften Darlegung, daß es Fälle gibt, in denen ein solcher Mißbrauch getrieben werden kann?
Nun kommen Sie doch nicht mit den statistischen Angaben: 97 %, wie der Herr Innenminister hier vorgetragen hat, bekennen sich zu einem religiösen Bekenntnis. Wenn damit gesagt sein soll, daß deren Bekenntnis im Familienbuch ihnen dann beruflich ja nicht schaden könne, so geht das doch an den Tatsachen vorbei, beispielsweise an dem Fall jenes katholischen Lehrers, der seinen Lehrberuf in einem Land der Bundesrepublik nicht ausüben kann, weil er eine evangelische Frau hat.
({5})
- Natürlich stimmt es! Natürlich stimmt es!
({6})
Das ist der katholische Lehrer, der eine evangelische Frau hat und im Lande Rheinland-Pfalz einen Lehrberuf eben nicht ausüben kann. Was nutzt es der Frau, daß sie Bekennermut hat und ihre religiöse Überzeugung ehrlich bekundet hat?
({7})
Sie wissen genau so gut wie wir, wie oft der Versuch gemacht wird, auf der Grundlage der Einsicht in die Personenstandsbücher, wie sie hier in § 69 a den Kirchen schlechthin gestattet wird, z. B. bei der Anstellung von Leuten diesen daraus einen Nachteil erwachsen zu lassen. Das ist Ihnen so sehr bekannt wie mir.
Herr Kollege Gontrum, glaube ich, war es, der gesagt hat, daß auch die Nichtangabe eines Religionsbekenntnisses eine Heuchelei sein könne. Meine Damen und Herren, Heuchelei manifestiert sich normalerweise darin, daß sich jemand durch die Erklärung oder durch die Verschweigung eines Tatbestandes einen Vorteil verschaffen kann. Wer aber wird durch die Verschweigung seines Religionsbekenntnisses schon einen Vorteil in der Bundesrepublik erlangen?!
({8})
Der religionsstatistische Bekundungseifer ist keineswegs ein Beweis, er ist sehr häufig mehr eine Ausrede als ein Beweis. Die Religionsstatistik ist ganz gewiß kein Ersatz für wirklich christliche Haltung im persönlichen Leben oder in der sozialen Verantwortung.
Das war es, worauf es mir bei den Darlegungen des Kollegen Cillien angekommen ist. Ich hoffe nicht, daß er etwa an meine Adresse das Despektierliche auch noch in „Grimassen" entdeckt hat.
({9})
({10})
- Ich habe leider geglaubt, dies aus Ihren Darlegungen entnehmen zu müssen. Lassen Sie mich noch einmal sagen: ich bin der Meinung, daß wir die religiöse Überzeugung eines jeden Menschen zu respektieren und zu achten haben, welche es auch immer ist.
({11})
Ich bin der Überzeugung und spreche diese Überzeugung auch namens meiner politischen Freunde aus - es bedarf dieses Aussprechens eigentlich gar nicht; in allen programmatischen Manifestationen haben wir das getan -: Der demokratische Staat hat die Pflicht, seine Einrichtungen so aufzubauen, daß jeder nicht nur das Recht, sondern auch die Möglichkeit hat, sein Leben nach seinem Gewissen zu gestalten.
({12})
Das ist das Wesen der Toleranz, und wenn Sie, Herr Kollege Cillien, gesagt haben, daß wir in Deutschland auch noch andere Dinge, wichtigere Dinge als den konfessionellen Hader haben, dann stimmen wir Ihnen aus vollem Herzen zu. In der schicksalhaften Bedrohung Deutschlands sollte es auf dem Boden der auch von Ihnen erwähnten unbedingten Toleranz die Möglichkeit des Zusammenlebens aller Menschen, aller Überzeugungen bei uns geben.
({13})
Insoweit sind wir für diesen Grundsatz der unbedingten Toleranz, aber Herr Oberkirchenrat Cillien - möchte ich jetzt einmal in diesem Zusammenhang sagen -,
({14})
Ihnen dürfte nicht unbekannt sein, daß es auch offizielle Protestschreiben Ihrer Kirche gibt. Ich habe kein Recht und keine Veranlassung, mich in diesen Streit einzumischen.
({15})
Aus diesen Schreiben spricht das Gefühl der tiefen Besorgnis - ich darf Sie insbesondere an den Brief Bischofs Liljes in bezug auf die Fuldaer Konferenz erinnern ({16})
über die Gefährdung dieser unbedingten Toleranz im Zusammenleben der Konfessionen
({17})
und über die Gefahren der Benachteiligung der Minderheiten.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Kahn-Ackermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Bemerkung zu den letzten Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers machen, der die Bemerkung meines Freundes Heinz Kühn, dieses Gesetz beziehe sich doch ein wenig auch auf den Geist des Jahres 1937, in dem es entstanden sei, in Zweifel zog, indem er sagte, diese Bestrebungen seien viel älter. Er hat dazu noch erklärt, wir sollten uns um die historische Wahrheit der Entstehung dieses Gesetzes bemühen. Was mir hieran „historisch" zu sein scheint, ist das Bemühen, das wir schon ewig haben: die Mitbürger zu reglementieren und zu registrieren. Das scheint mir in der Tat eine historische Tatsache zu sein. Ich wundere mich außerordentlich, daß gerade Sie, meine Damen und Herren von der CDU, die Sie doch all die Jahre dafür gekämpft haben, daß unser öffentliches Leben von der Registrierung und von der Reglementierung befreit wird - das haben Sie doch hier oft gesagt -, darauf bestehen, daß hier wieder eine neue Art der Registrierung gerade für das wichtigste Objekt des öffentlichen Lebens eingeführt wird, nämlich für den Menschen selbst.
({0})
Herr Bundesinnenminister, ich möchte noch einiges zu Ihrer Bemerkung sagen, die Tatsache, daß 97 % unserer Mitbürger anläßlich der statistischen Erhebungen des Jahres 1950 ein religiöses Bekenntnis angegeben haben, sei doch beweiskräftig genug dafür, wie richtig es sei, nun alle diese konfessionellen Angaben auch in das neue Familienbuch hineinzunehmen. Ich glaube, hier liegt ein großes Mißverständnis vor. Wenn man an unsere bayerischen Verhältnisse erinnert, von denen immer gesagt wird, daß 90 % aller Schulen Bekenntnisschulen seien, so geht man völlig an der Tatsache vorüber, daß der größte Teil dieser Schulen von Kindern mit Eltern gemischter Konfession besucht wird, die in dem Augenblick, in dem konfessionelle Diskriminierungen erfolgen, keineswegs mit dem Betrieb der Schule einverstanden sind.
({1})
Das ist doch ein völlig anderer Tatbestand. Hier, Herr Bundesinnenminister, sollten Sie einmal an unsere Mitbürger in den kleinen Gemeinden denken und daran, was es bedeutet, wenn dort der Bürger- meister, der ja in der Regel zugleich der Standesbeamte ist, bei einem Neuankömmling in der Gemeinde das Familienbuch aufschlägt und feststellt, daß beispielsweise drei Kinder, die die betreffende Frau mitgebracht hat, nicht eingetragen sind, weil es, was häufig vorkommt, Kinder von anderen Männern sind, die vom Vater nicht nachträglich adoptiert worden sind, oder wenn er dort feststellt, daß sie oder der Mann dreimal geschieden ist.
Dazu kommen die Dinge, die mit der gemischtkonfessionellen Ehe zusammenhängen.
({2})
Leugnen Sie doch nicht, daß die Fälle Legion sind, in denen, beispielsweise gerade im Lehrberuf, Diskriminierungen erfolgt sind. Ich könnte das ganze Material hier ausbreiten. Es bedeutet keine Herabsetzung der religiösen Auffassung, wenn man auf diese Tatsachen hinweist. Sie sind nicht wegzuleugnen, und sie sind verfassungswidrig.
Ich glaube, die Gesetzgeber sollten sich sehr gut überlegen, in welche Situation sie den einzelnen Bürger bringen, indem sie den ganzen Katalog von Angaben, die in dem Familienbuch zusammengefaßt werden sollen, offenkundig machen, was ja heute nicht der Fall ist. Ich glaube, der Staatsbürger hat einen gewissen Anspruch auf Schutz vor all diesen Schnüffeleien. Sie werden mir doch nicht sagen können, daß dieser Schutz in den kleinen Gemeinden gegeben ist. Ich selber wohne in einem kleinen Dorf und ich weiß ganz genau, daß so etwas einfach nicht aufzuhalten ist. Davon abgesehen sind all die Paragraphen, die das Auskunftsrecht einschränken sollen, Gummiparagraphen, die
({3})
im Ernstfall gar nichts nützen. Es steht beispielsweise ausdrücklich darin, daß die Vertreter einer Religionsgemeinschaft auf Wunsch Einblick in diese Bücher haben. Das bedeutet mit anderen Worten, daß der Geistliche Einblick in die Bücher nehmen kann. Er kann, wenn er beispielsweise in einem Buch feststellt, daß der neue Lehrer an einer katholischen Bekenntnisschule eine evangelische Frau hat, ohne weiteres beantragen - und er wird das in Szene setzen -, daß der Mann sofort aus dem Ort versetzt wird.
({4})
Solche Beispiele haben wir doch bei uns zu Hause zu Dutzenden. Ich glaube, dem sollte man Rechnung tragen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Cillien.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kühn, ich habe eine Bitte an Sie: in diesem Hause bin ich lediglich der Kollege Cillien; ich lege gar keinen Wert darauf, hier Oberkirchenrat zu sein.
Aber da Sie das herausgefordert haben, möchte ich Ihnen sagen - vielleicht ist das ganz gut -, weshalb ich überhaupt in diesem Hause bin. Ich gehöre zu jenen Leuten, die, wie ich heute sagen muß - und das sage ich der Jugend immer -, sich früher absolut nicht um politische Dinge gekümmert haben. Und weil zuviele in derselben Lage waren, sind dann die grauenhaften Dinge des Nazismus über uns gekommen. Erst als uns im Jahre 1945 das Wasser bis an den Mund stand, habe ich wie ein civis Romanus mir gesagt; Jetzt bist auch du verpflichtet, deinen Teil Zeit und Kraft dem öffentlichen Wohl zur Verfügung zu stellen.
({0})
Das ist der eine Grund gewesen. Aber es kam noch ein zweiter hinzu. Ich sage Ihnen ganz offen - ob Sie Verständnis dafür haben oder nicht, das steht hier nicht zur Diskussion -: ich wäre wahrscheinlich nicht in eine Partei eingetreten, wenn sich nicht damals zum erstenmal in der deutschen Geschichte evangelische und katholische Männer zu gemeinsamem politischen Handeln zusammengefunden hätten!
({1})
Unser Volk hat länge genug an diesem konfessionellen Zwiespalt gelitten, und wir haben dadurch
wirklich jammervolle Zeiten durchmachen müssen.
({2})
Nun noch eines zu diesen Dingen! Wenn solche Einzelfälle vorkommen - ich habe gar kein Recht, es zu verallgemeinern, weil es nämlich nicht stimmt -, dann dürfen Sie überzeugt sein, daß niemand mehr als wir in der CDU diese Dinge bedauern!
({3})
Wenn sie weithin zurückgetreten sind und wenn
unser Volk diesen konfessionellen Hader einfach
nicht mehr will, so ist das, geschichtlich gesehen,
weithin das Verdienst der Christlich-Demokratischen Union!
({4})
Herr Abgeordneter Metzger!
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bekomme ja gleich entsprechende Rufe aus Ihrer Fraktion.
({0}) - Ich habe es sehr deutlich gehört.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte das eine sagen: Ich kann solche Diskussionen nie ohne innere Erregung mit anhören - aber wirklich mit einer inneren 'Erregung höre ich zu -, weil es mir ein ganz ernsthaftes Anliegen ist, daß auch in diesem Parlament dem Christentum nicht geschadet, sondern genützt wird. Ich bin der Meinung, wir schaden dem Christentum dann, wenn wir uns nicht bemühen, wirklich einmal aufeinander zu hören,
({2})
und die Art, wie Herr Kollege Cillien auf eine ganze Reihe von Äußerungen meines Kollegen Kühn reagiert hat, zeigt doch, wie außerordentlich voreingenommen wir uns gerade auf dem Gebiete des Religiösen und Christlichen noch einander gegenüberstehen.
({3})
- Jetzt seien Sie ruhig einmal auch ein bißchen tolerant und hören Sie zunächst einmal zu! Vielleicht haben wir die Möglichkeit, daß wir uns doch einiges sagen können.
({4})
Ich möchte es wirklich in der Weise tun, daß man auch hören kann.
Ich glaube, die CDU sollte sich endlich einmal darum bemühen - ich sage: ernstlich bemühen -, zu verstehen, daß man bei der SPD dann, wenn sie irgend etwas kritisiert, nicht sofort die Schlußfolgerung ziehen darf: Das sind ja die Antichristen, das sind ja die Antikirchlichen!
({5})
- Meine Damen und Herren, Herr Kollege Cillien hat aus der Rede des Kollegen Kühn diese Schlußfolgerung wieder gezogen.
({6})
- Wenn Sie es nicht getan haben, soll es mir um so lieber sein.
({7})
- Aber Herr Kollege Cillien, Herr Kollege Kühn hat z. B. gesagt, er gehe nicht so weit wie Ihr Koalitionskollege Dehler, der sagt, daß es uns angst davor sein soll, wenn die Prälaten und Oberkirchenräte in Deutschland regieren. Er hat ausdrücklich erklärt, er, Kühn, gehe nicht so weit. Sie
({8})
sind von der Voraussetzung ausgegangen, er habe gesagt, daß e r Angst davor habe. Sie haben ihm das auf das Butterbrot geschmiert. Sie zeigen damit, daß Sie nicht gründlich zugehört haben, Herr Kollege Cillien.
({9})
Sie haben auch davon gesprochen, daß sich Herr Kollege Kühn in despektierlicher Weise über die Überzeugungen anderer geäußert habe.
({10})
Wenn Sie gründlich zugehört hätten, müßten Sie zugeben, daß das nicht richtig ist. Herr Kollege Kühn hat einige Beispiele - und er hat ausdrücklich erklärt, daß das die Ausnahmen sind - dargelegt und hat Äußerungen gebracht, die er sich nicht zu eigen gemacht hat, sondern er hat Tatsachen mitgeteilt und geltend gemacht, weil die Gefahr bestehe, daß solche Auswüchse - es handelt sich natürlich um Auswüchse - möglich sind, wollen wir nicht die gesetzliche Handhabe geben, daß sie sich fernerhin ereignen. Das ist etwas ganz anderes, als sich diese Dinge zu eigen zu machen. Wir sollten aufeinander hören und sollten einander zu verstehen versuchen, warum man da und dort Bedenken, ja Mißtrauen hat.
Herr Kollege Cillien, wir beide stehen in der evangelischen Kirche, und ich stehe mindestens mit genau derselben Begeisterung und genau demselben Bewußtsein in der evangelischen Kirche wie Sie. Sie werden mir nicht bestreiten können, daß in bezug auf die Frage der obligatorischen Zivilehe in der evangelischen Kirche einiges - ich sage ') es Ihnen nun einmal ganz deutlich - Mißtrauen vorhanden ist. Das können Sie an Hand einer ganzen Reihe von Tatsachen feststellen. Ich weiß nicht mehr, ob Sie auf der Synode in Berlin waren. Die Synode in Berlin, in Spandau, hat sich im Zusammenhang mit den Ereignissen, die damals gerade im Schwang waren, ausdrücklich für die obligatorische Zivilehe erklärt. Glauben Sie, die Synode hätte eine solche Äußerung von sich gegeben, wenn sie nicht geglaubt hätte, daß dazu Veranlassung besteht?
({11})
Sie haben sich, Herr Kollege Cillien, zur Toleranz bekannt, und ich denke nicht daran, Ihnen den guten Willen abzustreiten. Allerdings ist es, glaube ich, billig, wenn irgendein Gesichtsausdruck sofort auf eine ganze Fraktion bezogen wird.
({12})
- Sie haben sofort erheblichen Beifall dabei geerntet, und da merkt man die Ressentiments.
({13})
Ich will Ihnen das eine sagen, Herr Kollege Cillien: Wir haben in bezug auf die Toleranz allerdings einige ganz erhebliche Zweifel. Ich glaube, wir haben Anlaß zu Mißtrauen.
({14})
Es ist auf den Fall des Lehrers in Rheinland-Pfalz angespielt worden.
({15})
- Aber Herr Kollege, erzählen Sie doch keine Märchen!
({16})
Das ist doch einfach, vor allem wenn Sie es in dieser generellen Weise sagen, eine - nun, ich will es nicht zu scharf sagen, ich will die Diskussion nicht vergiften - Unwahrheit.
({17})
Ich könnte Ihnen da erhebliche Beispiele bringen. Ich habe schließlich auf diesem Gebiet ein bißchen mehr Erfahrung als Sie.
({18})
Ich will Ihnen zu dem Fall von Rheinland-Pfalz das eine sagen. Sie haben so getan, als wenn das in Wirklichkeit nicht so wäre, daß diesem Lehrer der berufliche Lebensfaden abgeschnitten sei. Ich habe hier das Schreiben des Kultusministers von Rheinland-Pfalz da. Ich will es Ihnen, soweit die Stelle in Frage kommt, zur Kenntnis bringen, damit wir einmal sehen, wie die Dinge liegen.
({19})
Es wird auf eine Verfassungsbestimmung Bezug genommen und heißt dann:
Damit ist gesagt, daß das Leben des Lehrers in Einklang stehen muß mit seinem Bekenntnis. Als Katholik mußten Sie wissen, daß Sie sich durch die Nichtbeachtung der Ehevorschriften der katholischen Kirche von ihr distanziert haben. Diese Tatsache, die für Ihre Einstellung als Lehrer entscheidend ist, haben Sie uns beim Eintritt in die Pädagogische Akademie verschwiegen.
Das sagt man einem Mann, der acht Jahre in Kriegsgefangenschaft war, der zurückkommt und sich meldet und gar nicht daran denkt, auf solche Dinge einzugehen. Aber das will ich noch auf sich beruhen lassen. Jetzt kommt aber der entscheidende Satz, meine Damen und Herren:
Wir haben deshalb nur die Möglichkeit, Sie zwar gegebenenfalls zur Abschlußprüfung zuzulassen, können Sie aber keiner Bezirksregierung in Rheinland-Pfalz zur Anstellung vorschlagen und empfehlen.
({20})
Hier steht eindeutig drin, daß ein katholischer Lehrer, der eine evangelische Frau geheiratet hat, in dem Lande, das entsprechend regiert wird, in dem Lande Rheinland-Pfalz, keine Möglichkeit hat, Lehrer zu werden. Es wird dann der schöne Rat gegeben:
Wir stellen Ihnen anheim, sich in einem anderen Bundesland um eine Einstellung in den Schuldienst zu bemühen.
Er soll also aus Rheinland-Pfalz emigrieren.
({21})
Es wird noch hinzugefügt, daß man ihn auch deswegen nicht vorschlagen könne, weil auch die evangelische Kirche in diesem Punkte strenge Maßstäbe
({22})
anlege. Ich kann Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung sagen, daß diese Behauptung falsch ist,
({23})
jedenfalls soweit die für mich zuständige Landeskirche, die Landeskirche in Hessen-Nassau, deren Synode ich angehöre, in Frage kommt. Diese Behauptung ist einfach falsch. Man hat einem Lehrer den Stuhl vor die Türe gesetzt, nur deshalb, weil der Lehrer eine evangelische Frau geheiratet hat. Inzwischen ist dieser Lehrer bereits in die Pädagogische Akademie in Jugenheim aufgenommen worden - in dem Lande der Intoleranz, in Hessen, Herr Kollege.
({24})
Ich glaube, wenn wir in diesen Fragen miteinander auskommen wollen - und- wir sollten es wirklich ernsthaft versuchen -, dann dürfen wir an diesen Dingen nicht vorbeigehen. Auch Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben Veranlassung, vom christlichen Standpunkt aus sich sehr ernsthaft mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
({25})
Ich könnte Ihnen über diese Dinge sehr viel erzählen, ich könnte stundenlang reden.
({26})
Dann können wir uns zusammensetzen und können einmal sehr eingehend miteinander reden.
({27})
Ich könnte Ihnen aus den Verhältnissen von Rheinland-Pfalz in bezug auf die Art berichten, wie dort Konfessionsschulen gebildet werden. Ich habe mit einer großen Zahl
({28})
- ja, warten Sie ab, ich will auch noch auf Niedersachsen kommen - von evangelischen Pfarrern in Rheinhessen gesprochen. Wenn Sie Gelegenheit gehabt hätten, die Berichte dieser evangelischen Pfarrer zu hören, würden Sie sagen: Hier ist etwas faul im Staate Dänemark! Einerlei, ob ich katholisch oder evangelisch bin - hier stimmt etwas nicht! Von evangelischer Seite aus - nicht nur von unserer Seite aus - besteht erhebliches Mißtrauen.
Und dann, meine Damen und Herren, Niedersachsen! Ich will Ihnen nur die ganz einfache Frage vorlegen, und es wäre mir lieb, wenn Sie mir diese Frage einmal beantworten würden: Halten Sie es für richtig, daß weiteste Kreise, die zudem nicht einmal wissen, um was es geht, dazu aufgeputscht werden,
({29})
einen Schulstreik gegen ein staatliches Gesetz ({30})
- Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen eine Frage gestellt, und Sie antworten mit Pfui?
({31})
Das ist eine Antwort, von der weiß ich nicht, was sie bedeuten soll.
({32})
- Wollen Sie die Tatsache des Schulstreiks in Niedersachsen bestreiten?
({33})
- Na also!
({34})
- Was ist gelogen?
({35})
- Ach, meine Damen und Herren, das wissen wir doch besser.
({36})
Die Tatsache des Schulstreiks können Sie nicht bestreiten.
({37})
- Hören Sie, warum regen Sie sich eigentlich so furchtbar auf?
({38})
- Wenn ich verdrehe, dann kommen Sie herauf und berichtigen Sie mich! Wenn Sie mir etwas Besseres sagen können, wenn Sie mich durch Tatsachen überzeugen können, bin ich der letzte, der sich nicht überzeugen läßt,
({39})
aber wenn Sie hier brüllen und „Pfui" rufen, können Sie mich doch nicht überzeugen. So können wir doch nicht miteinander reden.
({40})
Meine Damen und Herren, die Tatsache des Streiks können Sie nicht bestreiten. Daß ein solcher Schulstreik nicht von ungefähr kommt, können Sie auch nicht bestreiten.
({41})
Daß also Kräfte dahinter stehen, darüber gibt es keinen Zweifel.
({42})
Und es hat gerade in Niedersachsen - ich habe sehr guten Bericht darüber ({43})
große Veranstaltungen gegeben, da ist die Behauptung aufgestellt worden, daß diese böse niedersächsische Regierung unter sozialdemokratischer Leitung den lieben Gott abschaffen wolle.
({44})
So ist argumentiert worden, meine sehr verehrten
Damen und Herren, und dafür habe ich Beweise.
({45})
Ich will Ihnen noch etwas Persönliches sagen.
({46})
Ich habe ja die große Freude gehabt - ich habe diese Arbeit gern getan -, drei Jahre Kultusminister eines Landes zu sein, in dem wir uns bemüht haben, wirklich tolerant zu sein.
({47})
Wenn ich Ihnen erzählen wollte, was an gewissen
Stellen - ich will es ganz offen sagen: auch in katholischen Gottesdiensten - mitunter an Behaup({48})
tungen aufgestellt worden ist, die einfach nicht wahr waren, dann müßten Sie mir zugeben, daß Veranlassung zu Mißtrauen ist. Ich bedauere es tief - ({49})
- Unterstellung soll das sein?
({50})
- Das hat mit dem Gesetz deswegen etwas zu tun, weil der Kollege Cillien auf diese Frage gekommen ist. Er hat über die Frage der Toleranz gesprochen. Und ich glaube, wir haben Veranlassung, einmal darüber zu reden. Denn wenn wir nicht anfangen, hier einmal sehr ernsthaft miteinander zu reden, und wenn wir nicht bereit sind, uns auch einmal gegenseitig ins Gewissen reden zu lassen - ich lasse mir auch ins Gewissen reden -, dann werden wir auf diesem Gebiet nicht weiterkommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir es mit dem Christentum ernst meinen - und ich sage: wir -,
({51})
dann müssen wir - ({52})
- Ja, was wollen Sie denn? Wollen Sie mir das vielleicht auch noch bestreiten? Ich sage, wenn wir es mit dem Christentum ernsthaft meinen, dann müssen wir den Mut haben, dies heiße Eisen einmal anzufassen,
({53})
und dann müssen wir sehr offen miteinander reden.
({54})
- Das können Sie ruhig tun. Da können wir offen miteinander reden, und ich bin bereit, Ihnen Rede und Antwort zu stehen, Kollege Horn. Aber ich will Ihnen das eine noch sagen, meine Damen und Herren: Wir sind ja in Deutschland in der Lage, daß das Christentum heute wieder in einer anderen Weise gesehen wird. Die Verbindung des Christentums mit herrschenden Mächten ist weithin gelöst worden, und weithin ist in Kreisen, die früher die christliche Kirche oft als eine Vertreterin bestimmter Interessen ansehen mußten, ein neues Vertrauen im Werden.
({55})
Und deswegen rede ich. Helfen Sie doch mit, daß dieses neue Vertrauen nicht dauernd wieder kaputtgetreten wird.
({56})
Sie ahnen gar nicht - und auch darüber müssen wir einmal reden -, wie oft Sie dieses neue Pflänzchen des Vertrauens durch unbedachte Äußerungen kaputtmachen.
({57})
- Ich rede eben von dem Christentum, das in unserem Volk ein neues Verständnis zu gewinnen beginnt. Das ist eine sehr ernsthafte Frage. Das ist für mich keine Frage der Demagogie und keine Frage der Propaganda, sondern eine Lebensfrage für unser Volk. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen; vielleicht können wir bei anderer Gelegenheit noch einmal darüber sprechen. Aber ich habe die Bitte an Sie: fangen Sie endlich einmal an, darüber nachzudenken.
({58})
- Wir sind ja bereit und wir denken sehr viel darüber nach. Sie dürfen nicht immer gleich mit der Gegenantwort kommen! - Fangen wir endlich einmal an, darüber nachzudenken, daß das Mißtrauen in dieser Frage im deutschen Vaterland weithin historisch berechtigt war,
({59}) daß wir dabei sind - ({60})
- Können Sie denn gar nicht zuhören? Sie reden immer von Toleranz und können nicht einmal auch nur einen Satz zu Ende hören!
({61})
Merken Sie denn gar nicht, daß hier ein Mann redet, dem es um die innersten Dinge geht? Spüren Sie das denn gar nicht?
({62})
- Ja, mein lieber Kollege! Herr Kollege Cillien hat sich hier über eine Grimasse geärgert Und was tun Sie? Was soll ich dazu sagen? Herr Kollege Cillien, wir sind in der gleichen Verdammnis.
Herr Kollege, ich möchte Ihnen nur die Frage stellen: Halten Sie Ihre Ausführungen hier für eine Förderung der Toleranz?
({0})
Ich glaube allerdings, Herr Kollege! Ich glaube allerdings, daß wir die Toleranz fördern können, wenn wir einmal offen über diese Dinge reden, wenn wir verstehen, daß es in Deutschland Mißtrauen gibt und daß wir uns darum bemühen müssen, dieses Mißtrauen allmählich abzubauen. Aber man kann das Mißtrauen nicht abbauen, wenn man jede kritische Äußerung als eine grundsätzliche Anti-Haltung darstellt, wie das immer bei Ihnen der Fall ist. Ich will vom Wahlkampf gar nicht reden; da könnte ich Ihnen tausend Beweise bringen.
({0})
Meine Damen und Herren, darf ich die Debatte einen Augenblick unterbrechen. Wir hatten uns vorgenommen, der Tatsache zu gedenken, daß am 24. Oktober das deutsche Volk seiner noch nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen gedenkt.
({0})
({1})
Ich glaube, daß ich Ihrer aller Meinung Ausdruck gebe, wenn ich sage, daß wir schmerzlichst davon bewegt sind, daß es Jahr um Jahr nötig ist, dieser Tatsache zu gedenken. Wir hätten die Hoffnung gehabt, daß die politische Vernunft und das Gefühl für die Menschlichkeit auf a 11 en Seiten und in allen Teilen der Welt diese Fragen endlich bereinigt hätten. Wir haben nicht die Absicht, diese Frage irgendwie 'zum Gegenstand einer politischen Propaganda zu machen, und verwahren uns dagegen, wenn man uns diesen Vorwurf machen sollte. Wir danken dem Deutschen Roten Kreuz, wir danken dem Internationalen Roten Kreuz für ihre Bemühungen um die deutschen Kriegsgefangenen in aller Welt und hoffen, daß 'diese Bemühungen zu einem Erfolge führen. Wir denken insbesondere an die vielen Tausend von Kriegsgefangenen im Osten, die noch nicht heimgekehrt sind. Wir denken auch daran, daß es auch im Westen Menschen gibt, die in Formen heute noch leben müssen und behandelt werden, die wir neun Jahre nach Kriegsende unter dem uns alle verpflichtenden Gesichtspunkt der Menschlichkeit nicht mehr ertragen können.
Wir legen Wert darauf, daran zu denken, daß es nicht nur Kriegsgefangene und Menschen in Gefängnissen gibt, die infolge des Krieges und dessen, was in ihm geschehen ist, dort festgehalten werden, sondern daß es Tausende von deutschen Brüdern gibt, die in Lagern und Gefängnissen der Zone und Sowjetrußlands und anderer Staaten festgehalten werden.
Wir denken an alle, denen ihr Wunsch und ihr Willen, in die deutsche Heimat zurückzukehren, nicht erfüllt ist, und vereinigen uns in dem ernsten Wunsch, daß alles das, was an Worten über Frieden und Freiheit in der Welt gesagt wird, gerade in dieser Frage endlich zu Taten führt, daß wir im nächsten Oktober nicht wieder vor der Aufgabe stehen, der noch nicht Heimgekehrten gedenken zu müssen. Wir versichern all ihre Angehörigen, die besonders unter der jahrelangen Trennung leiden, unserer Verbundenheit.
Ich stelle fest, daß der Deutsche Bundestag sich zum Gedenken an alle deutschen Brüder, die noch nicht heimgekehrt sind, erhoben hat. Ich danke Ihnen dafür. Meine Damen und Herren, wir fahren in der Debatte fort, wobei ich doch trotz der Ausführungen von Herrn Abgeordneten Metzger die Bitte aussprechen möchte, sich daran zu erinnern, daß wir ein Zweites Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes behandeln
({2})
und daß wir die allgemeine Aussprache, von deren Bedeutung ich nicht weniger überzeugt bin als, wie ich glaube, die meisten Mitglieder dieses Hauses, dann bei einer Gelegenheit führen müßten, die unmittelbar Anlaß dazu gibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strosche.
({3})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden es verstehen, daß es mir, der ich auch ehemaliger Kriegsgefangener bin, schwerfällt, nach dieser Bekundung unseres gemeinsamen Gefühls und gemeinsamen Willens nun wieder in diese Debatte einzusteigen. Aber ich glaube, daß vielleicht gerade dieser Appell des Herrn Präsidenten und unsere Manifestation unseres gemeinsamen Gedenkens an die Kriegsgefangenen zum rechten Augenblick gekommen sind und nicht sinnlos sein dürften. Denn wir sollten uns gerade angesichts dieser Stunde einmal fragen, was denn wohl die Kriegsgefangenen und all diejenigen, die von dem Leiden unserer Zeit besonders betroffen sind, zu der Art und zu dem Tenor der jetzt abgelaufenen Debatte sagen würden. Ich glaube, daß hier gerade 'seitens dieser Menschen und Betroffenen Maßstäbe der Beurteilung angelegt würden, die den unseren im Augenblick nicht ganz entsprechen.
Nun zur Sache! Der Verlauf der Debatte hat eigentlich in mir und wohl auch in meinen politischen Freunden das eigenartige Gefühl hochkommen lassen, daß die Argumente und Gedankengänge, die insbesondere vom Herrn Bundesinnenminister dargelegt wurden und die dahin tendieren, daß es sich bei diesem Gesetz um eine besondere Notwendigkeit handle, gewissen Unzulänglichkeiten abzuhelfen, von denen besonders die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge betroffen sind, doch noch dahin ergänzend zu prüfen sind, ob nicht etwa in diesem Gesetzentwurf manche gefährlichen Fußangeln und manche Dinge stecken, die einer genaueren Betrachtung bedürfen und die auch unsererseits, seitens der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, noch genauestens unter die Lupe genommen werden müssen. Wir sind gewiß dankbar dafür, daß durch dieses Gesetz für die Vertriebenen und Flüchtlinge eine Regelung getroffen wenden soll, die viele Ärgernisse im öffentlichen Leben beseitigt. Zur Lösung dieser Ärgernisse schaffenden Frage gab es bisher nur eine Möglichkeit: man hätte ein einziges Standesamt - vermutlich in Berlin - mit der Aufgabe betrauen müssen, für verlorene Urkunden aus den Ostgebieten beweiskräftige Ersatzurkunden herzustellen. Da man sich zu einem solchen zentralen Standesamt bisher nicht entschließen konnte, weil vermutlich der Arbeitsanfall ein allzu großes Ausmaß angenommen hätte und weil auch beträchtliche Kosten seitens des Bundes hätten übernommen werden müssen, will man nun durch die Einführung dieses Familienbuchs solch eine Zentralstelle ersparen und diese gewichtige Aufgabe auf etwa 15 000 Standesämter verteilen, so daß dann für jede Familie das Standesamt des gegenwärtigen Wohnsitzes zuständig wäre und ein Mißbrauch durch die Streuung auf mehrere Standesämter vermieden werden könnte. Diesen grundsätzlichen Gedankengängen müssen wir aus Billigkeitsgründen zustimmen. Wir können also hoffen und annehmen, daß nunmehr eine gesetzliche Regelung gefunden werden wird, die vor allem das Problem der Beschaffung von Personalurkunden seitens der Heitmatvertriebenen und Flüchtlinge in der sparsamsten und relativ bestmöglichen Weise zu lösen bemüht ist.
Darüber hinaus sind heute - Sie merken, es klingt noch nach - einige Dinge in das politische Blickfeld dieses Hauses gerückt worden, die seit langem schwelen und die immer wieder einmal zum Durchbruch kommen und an denen sich die Gemüter bekanntlich besonders erhitzen. Gerade an diesem Tag des Gedenkens der Kriegsgefangenen und im Hinblick 'darauf, daß mit diesem Gesetz besonders auch die Nöte und die Schicksalsschläge der deutschen Menschen aus dem deutschen Osten angesprochen werden, können wir dazu sagen, daß uns diese Dinge etwas seltsam anmuten. Ich sage Ihnen ganz offen und ehrlich: wir Menschen des
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deutschen Ostens und Südostens waren gezwungen, konfessionellen Hader und weltanschauliche Auseinandersetzungen dieser Art soweit wie möglich hintanzustellen, weil wir uns, wenn wir dies nicht getan hätten, nicht jahrhundertelang im deutschen Osten und deutschen Südosten hätten behaupten können.
({1})
Wir standen einst einer steten Notsituation gegenüber, und unser Behauptungswille zwang uns, alles Trennende, auch im konfessionellen Rahmen, zu beseitigen und alles Verbindende stets zu pflegen, wenn wir uns als Volksgruppen, als Wall und Brücke im deutschen Osten überhaupt bewähren wollten. Als Volk und als freie deutsche Menschen der Bundesrepublik befinden wir uns aber heute in einer ähnlichen Situation wie einst. Wir sollten alles vermeiden, was uns gerade auf konfessioneller Ebene scheiden könnte, wir sollten als. Christen alle Kräfte zusammenfassen gegenüber all jenen Kräften, die die christlich-abendländische Weit bedrohen.
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Meine Damen und Herren, je mehr wir jenes notwendige Maß an Achtung und Toleranz, an Zuhörenkönnen und Freiheit üben, um so größeren Vorteil werden wir im Ausgangspunkt dieses Kampfes gegen die christenfeindliche Welt zweifellos gewinnen.
Da darf ich Ihnen, meine Herren von der CDU, auch eines sagen: Ich komme aus einem Teil Bayerns, in dem diese Dinge, die heute hier angesprochen worden sind, sehr oft und sehr stark wirksam sind. Ich habe nur die eine Bitte an Sie, daß Sie, um alle Zweifel und Befürchtungen zu zerstreuen, diejenigen Worte, die Sie heute in puncto Toleranz gesprochen haben, so weit wirken lassen, daß sie auch unten ankommen und dort praktisch geübt werden.
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Denn was in Kleinstädten, in Mittelstädten und auf den Dörfern oft an intoleranter Haltung und Handlungsweise geübt wird, hat gar nichts mit dem zu tun, was Sie heute hier ausgesprochen und versprochen haben.
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Auch wir begrüßen es, daß durch die Gründung Ihrer Partei auf politischer Ebene ein Zwiespalt zu beseitigen versucht wurde, der in Binnendeutschland immer offen klaffte und über den wir uns als Auslands- und Randdeutsche immer sehr gewundert haben, zumal er so schwere Kämpfe auslöste. Aber bitte, versuchen Sie, diese Gedankengänge für alle in der Praxis wirksam zu machen! Sosehr wir also die Erleichterungen begrüßen, die in dem zur ersten Debatte stehenden Gesetzentwurf für denjenigen Personenkreis vorgesehen sind, den vor allem zu vertreten wir die Ehre haben, müssen wir nach Auffassung meiner politischen Freunde auch darauf achtgeben, daß hier nicht neuer Zündstoff gelagert wird, der jene Einheit und Einigkeit untergraben könnte, für die wir alle eintreten sollten, wir alle als Christen in der Frontlinie gegen ein unchristliches, unsere Freiheit bedrohendes System!
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Das Wort hat der Abgeordnete Gontrum.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte doch noch einiges Grundsätzliches zu den Worten des Kollegen Metzger sagen. Ich glaube überhaupt, daß wir uns im Verlauf der Debatte vom Grundsätzlichen etwas weit entfernt haben. Wir sollten uns bei diesem Gesetzeswerk einmal ganz nüchtern überlegen, worum es uns dabei gehen muß. Ich bin der Meinung, daß es die Demokratie bis heute versäumt hat, die eigentlichen staatstragenden Elemente und Kräfte so für sich zu gewinnen und einzuschalten,
({0})
daß kein Malheur passiert. Wir sind uns doch darüber im klaren, daß uns, historisch gesehen, die Auffassung von Familie und Ehe, die wir im Personenstandsgesetz staatlich verankern, durch das Christentum übermittelt wurde. Von dieser Tatsache kann man in dem Gesetzgebungswerk - und das steht meiner Meinung nach zur Debatte - unmöglich absehen. Wir als die Vertreter des Staates müssen darüber nachdenken, wie wir uns dieser Substanz des Christlichen gegenüber verhalten wollen, wie wir es werten wollen,
({1})
wie wir es anerkennen wollen. Das steht zur Debatte.
({2})
- Das und nur das steht zur Debatte! - Wenn wir uns darüber klar sind, wenn wir uns sogar, wie ich herausgehört habe, in der Bewertung einig sind, dann sollten wir uns doch eigentlich auch über die Fragen der praktischen Durchführung leicht einig werden können.
Der Kollege Metzger meinte, daß die unselige Verbindung zwischen Kirche und Staat gelöst sei.
- Wir verstehen ihn alle. Jene falsche Bindung von ehemals, die keinem genützt hat, will, glaube ich, niemand mehr. Die andere Frage bleibt aber auf der Tagesordnung: ob das Christentum mit seiner essentiellen Bedeutung heute in der menschlichen Gesellschaft, in der Gesetzgebung des Staates die Bewertung erfährt, die ihm gebührt.
({3})
Denn es muß in diesem Zusammenhang immer wieder und unmißverständlich betont werden, daß das eigentliche Malheur des Staatsgefüges unserer Zeit durch die antichristlichen Kräfte heraufgeführt wurde.
Deswegen sollten wir in der Debatte daran denken. daß wir doch nicht aneinander vorbeireden, wenn wir doch beide die Sache als solche in ihrer Richtigkeit erkennen. Wir sollten uns bemühen, eine gute Lösung, die ich durchaus für möglich halte, auf allen Seiten mit letztem Ernst um unserer Demokratie und um des Christentums willen herbeizuführen.
Wenn wir von dieser Warte her denken, werden wir die Frage, ob eine Strafbestimmung gegenüber den Kirchen oder Geistlichen angebracht ist oder nicht, sehr ernsthaft neu überdenken. Wir werden auch mit großem Ernst die Frage durchdenken, ob es angebracht oder unangebracht, nützlich oder schädlich ist, daß der Bekenntnisstand im Personenstandsregister verzeichnet vorliegt. Denn es geht
({4})
dabei um viel mehr als um das Bekenntnis und eine Schnüffelei um den persönlichsten Inhalt, sondern es geht irgendwie um diese letzte Frage zwischen Mensch und Staat, zwischen Persönlichkeit und Öffentlichkeit.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Ich schulde dem Herrn Kollegen Gontrum Dank, Dank dafür, daß er hier nun das Eingeständnis abgelegt hat, was er in dem vorliegenden Gesetzentwurf verankert sieht. Er hat gewissermaßen die Katze aus dem Sack gelassen, indem er wörtlich erklärt hat: „die Auffassung von Familie und Ehe, die wir in diesem Gesetz verankern wollen."
({0})
Hier ist also ganz deutlich gemacht worden, daß es nicht nur darum geht, einen Prozeß der statistischen Vereinfachung gesetzlich zu verankern,
({1})
sondern ein Instrument konfessionell-weltanschaulicher Familienpolitik zu schaffen.
({2})
Das geht aus dem Wortlaut Ihrer Ausführungen ganz klar hervor.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Gontrum!
Darf ich Sie fragen, ob Sie die christliche Auffassung von Ehe und Familie verneinen oder bejahen.
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Ich werde zur christlichen Auffassung im öffentlichen Leben noch ein Wort sagen.
Lassen Sie mich aber jetzt zu dem sprechen, was mich veranlaßt hat, hier auf ,die Tribüne zu kommen. Ich wollte gerade aus dem Geist der letzten Viertelstunde, des Gedenkens an die Kriegsgefangenen, noch eine letzte Anstrengung machen, die Atmosphäre von mir aus nach Kräften zu entgiften, und so wollte ich an die Adresse von Herrn Kollegen Cillien etwas sagen, den ich im Augenblick leider nicht im Saale sehe.
Herr Kollege Cillien hat eine leise Beschwerde vorgetragen, daß ich ihn mit seinem kirchlichen Titel angesprochen habe. Aber er wird mir das verzeihen müssen, da er selbst es gewesen ist, der das von dieser Stelle erwähnt hat, als er meinte, mit Leuten wie ihm - im Zusammenhang mit dem erwähnten Dehler-Zitat, in dem Dehler sagt, daß er Furcht vor einem von Prälaten und Oberkirchenräten regierten Deutschland habe -, mit Leuten wie ihm, Cillien, könne man wahrscheinlich doch fertig werden. Ich habe daher geglaubt, daß er es nicht als ungebührlich empfinden würde, wenn man ihn mit diesem Titel anredet.
Herr Kollege Cillien hat hier das Bekenntnis abgelegt, daß er aus christlicher Verantwortung in die Politik gekommen sei, nachdem er sich früher dem politischen Leben ferngehalten habe, und er hat es als Verdienst bezeichnet, daß sich in der CDU Männer und Frauen beider Bekenntnisse zu einer politischen Aktivität zusammengefunden haben. Erlauben Sie mir bitte, zu sagen: Dies ist nicht das Monopol der CDU.
({0})
Aber immerhin, wenn man es für verdienstlich
hält, daß sich Männer und Frauen verschiedener
Bekenntnisse in einer Partei zusammenfinden,
dann übersteigt es mein menschliches Fassungsvermögen, wenn man es gleichzeitig für schädlich
hält, daß sich Männer und Frauen verschiedener
Bekenntnisse auch in einer Ehe zusammenfinden.
({1})
Und das ist ein Problem, das mit dem Personenstandsgesetz einiges zu tun hat.
Und r un die Frage der sogenannten christlichen Politik. Wenn Herr Kollege Cillien gesagt hat, daß er aus christlicher Verantwortung zur Politik gekommen ist, so möchte ich das, was ich jetzt sage, nicht in bezug auf seine Person sagen, überhaupt niemandem entgegenhalten, der in diesem Saale sitzt; es ist eine allgemeine Feststellung, die zu überprüfen jeder einzelne vor seinem Gewissen Veranlassung hat. Meine Damen und Herren! Das Gerede von der „christlichen Politik" ist für viele nichts anderes als ein Götzendienst mit Worten.
({2})
Das Christliche - um ein Wort von Kierkegaard zu erwähnen - ist für viele eine Art Zusatz, wie Kierkegaard sich äußert: ein Ingrediens, das in die Politik gemischt werde und das dazu diene, den Genuß nur raffinierter zu machen. Mit dem, was den Titel „christliche Politik" trägt, hat das Christentum sehr oft sehr wenig zu tun. Ich glaube, es wäre gut, wir würden uns alle häufiger des Wortes des großen italienischen Schriftstellers Ignazio Silone erinnern, der einmal gesagt hat, man solle endlich lernen, in der Politik die Frage der Steuergesetzgebung zu trennen von der Frage der Göttlichkeit Jesu Christi. Das Christentum wird uns viel zu oft und viel zu despektierlich in die Politik hineingemischt.
({3})
Und wenn viele, meine Damen und Herren, ihr
Christentum so gern demonstrativ zur Schau tragen, werde ich immer an ein Wort Dantes erinnert:
Doch siehe, viele rufen: „Christus! Christus!" Und steh`n ihm ferner einst beim Weltgericht Als jene Heiden, die ihn nie gekannt.
Diejenigen, die mit dem Christentum allzu sehr
hausieren gehen, sind mir sehr häufig verdächtig.
Und nun zu Ihrer konkreten Frage, Herr Kollege Gontrum, wie ich zur christlichen Grundlage der Ehe stehe. Die Begründung der Ehe aus christlicher Gesinnung ist eine Begründung der Ehe, neben der es auch andere ethisch verantwortliche Begründungen gibt.
({4})
Für mein Gefühl ist nicht entscheidend, ob jemand seine Ehe christlich oder sonstwie weltanschaulich begründet; für mein Gefühl und meine Überzeugung ist entscheidend, daß jeder aus tiefster sittlicher Verantwortung, wenn er eine Ehe eingeht, diese Ehe mit dem Gefühl eingeht, eine dauerhafte
({5})
Gemeinschaft aus höchster Verantwortung zu schließen. Das ist das für uns alle Entscheidende,
({6})
nicht die konfessionelle Begründung dieser Ehe.
({7})
Der Herr Bundesminister des Innern hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte hat ein sehr weites Feld bedeckt, ein Feld, das sehr viel weiter ist als die bescheidenen Absichten, die die Bundesregierung mit dieser Gesetzesvorlage verfolgt.
({0})
Ich darf vielleicht zum Schluß der Debatte doch drei Gesichtspunkte noch einmal hervorheben und versuchen, zu resümieren, was sich für die weitere Behandlung ergeben hat. Die drei Punkte sind für mein Gefühl folgende.
In der Frage des Familienbuchs dürfte Übereinstimmung dahin zu erzielen sein, daß es eine auf alte süddeutsche, Schweizer und sonstige Vorbilder zurückgehende Institution ist, die keinerlei Wertakzent aus irgendeiner sonstigen, politischen Einstellung heraus hat und haben kann. Ich würde mich freuen, wenn dieser Gegenstand als solcher wirklich streitfrei gestellt werden könnte.
In der Frage der Bestrafung von Geistlichen, die eine kirchliche Trauung vornehmen, bevor die standesamtliche erfolgte, ist, das glaube ich feststellen zu dürfen, eigentlich Übereinstimmung auf der Basis der Regierungsvorlage erzielt worden.
Der dritte Punkt, die Frage der Eintragung des religiösen Bekenntnisses, ist in der deutschen Vergangenheit verschieden behandelt worden. Hier im Hause wird sich wahrscheinlich niemand finden, dessen eigene Geburtsurkunde nicht einen entsprechenden Vermerk enthielte. Ich für meine Person glaube, daß, was bei meiner Geburtsurkunde richtig war, eines Tages auch bei den Geburtsurkunden meiner Enkel richtig sein dürfte. Diese Frage etwa verfassungsrechtlich negativ beurteilen zu wollen, ist - ich glaube, das dargetan zu haben - falsch, wenn man den bedeutendsten Kommentator der Weimarer Verfassung, die das Vorbild geliefert hat, hier als einen Kronzeugen anerkennen will.
Ich würde es begrüßen, meine Damen und Herren, wenn man, ganz abgesehen von dem, was hier in einem viel weiteren Felde gesagt worden ist, bei der Behandlung dieser Vorlage im Ausschuß wieder zu den wenigen noch strittigen Fragen, die für eine Entscheidung weithin geklärt sind, zurückfände. Ich darf zum Schluß noch einmal die herzliche Bitte aussprechen, daß man das, was zur Beschleunigung getan werden kann, auch tun möge, weil das vordringliche Interesse der Vertriebenen an der Wiederausstattung mit beweiskräftigen Urkunden mit dem Schicksal dieses Gesetzentwurfs unmittelbar verknüpft ist.
({1})
Jetzt liegt, soweit ich sehen kann, wirklich keine Wortmeldung mehr vor. Ich darf deshalb die Aussprache - und zwar die
Aussprache über den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Personenstandsgesetzes, wie ich wohl hinzufügen darf - schließen.
Ich schlage Ihnen vor, den Entwurf an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung - federführend - und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - zur Mitberatung - zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hoogen, Dr. Kihn ({0}), Naegel und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft ({1}).
Auf Begründung und Aussprache soll verzichtet werden.
({2})
Ich schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik - federführend - und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - zur Mitberatung - vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Horlacher, Bauknecht, Struve, Dr. Dr. h. c. Müller ({3}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs ({4});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({5}) ({6}).
({7})
Als Berichterstatter hat das Wort der Abgeordnete Unertl.
Unertl ({8}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Außenhandelsfragen hat sich in der Sitzung vom 21. September 1954 mit dem Antrag Drucksache 677 beschäftigt. Dieser Antrag sieht vor, daß das Gesetz zur Änderung des Zolltarifs für Braumalz verlängert wird. Wie bekannt, läuft die Frist dafür mit dem 31. Dezember 1954 ab. Um nicht einen unerwünschten Zustand eintreten zu lassen, wollen die Antragsteller erwirken, daß diese Frist um drei Jahre verlängert wird. Im Auschuß für Außenhandelsfragen war man nicht der Meinung des Ernährungsausschusses. Man hat wegen des Systems des gleitenden Zolls überhaupt erhebliche Bedenken angemeldet. Man ist aber nach einer längeren sachlichen Debatte doch übereingekommen, den Grundgedanken des Ernährungsausschusses zu folgen. Man hat sich bei Abwägung aller Fragen dafür entschieden, einer Verlängerung der in dem genannten Gesetz vorgesehenen Frist, wie die Antragsteller es wollen, um drei Jahre zuzustimmen.
Die Bedenken, die auch in bezug auf die handelspolitischen Auswirkungen in anderen Außenhandelsfragen angemeldet wurden, konnten zurückgestellt oder beseitigt werden, weil man zu der Ansicht gekommen ist, daß sich der Markt auf dem Gebiete der Braugersteversorgung heuer nicht so arg bewegt wie im vergangenen Jahr. Auf der
({9})
anderen Seite handelt es sich hier doch nur um kleinere Mengen, die im Rahmen des Import- und Exportgeschäfts nicht so sehr in die Waagschale fallen. Man muß jedoch bedenken, daß den Gerstenanbaugebieten im niederbayerischen Raum, im Juragebiet, im Regengebiet und in der Eifel etwas mehr geholfen werden soll. Die Marktlage ist, wie übereinstimmend festgestellt wurde, heuer so, daß Befürchtungen hinsichtlich des Preises nicht bestehen.
Man kam abschließend zu der Meinung, daß es nötig ist, das Gesetz zur Änderung des Zolltarifs für Braumalz auf drei Jahre zu verlängern. Ich bitte daher das Hohe Haus, der Drucksache 677 unverändert zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf zur Einzelberatung in zweiter Lesung § 1, - § 2, - § 3, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Da keine Änderungsanträge vorliegen, entfällt die Einzelberatung.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs - Drucksache 677 - zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({0}).
Wer dem Antrag Umdruck 190 *) zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 53. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 4. November, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.