Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 49. Sitzung des Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Orth, Dr. Greve, Dr. Glasmeyer, Feldmann, Varelmann, Frau Dr. Weber ({0}), Dr. Baade, Berendsen, Dr. Friedensburg, Dr. Eckhardt, Lemmer, D. Dr. Gerstenmaier, Demmelmeier, Neuburger und Dr. Bucerius.
Ich danke vielmals. Meine Damen und Herren, es ist zunächst zu der heutigen Tagesordnung, d. h. der 49. Sitzung, zu sagen, daß sie erweitert wird um die nicht erledigten Punkte der gestrigen Tagesordnung, beginnend mit Punkt 6.
Dann ist der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Geschäftsraummietengesetzes - Drucksache 814 -, der von der Fraktion der SPD eingebracht worden ist, auf die heutige Tagesordnung gesetzt worden.
Ich weise darauf hin, daß der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten heute während der Sitzung eine kurze Ausschußsitzung zur Behandlung der Fragen der Ernteschäden abhalten wird. Diese Mitteilung beruht auf einer Vereinbarung des Ältestenrats, daß, soweit ausnahmsweise kurze Sitzungen von Ausschüssen während der Plenarsitzungen stattfinden sollen, das am Anfang der Sitzung bekanntgegeben werden soll, um die Zustimmung des Hauses herbeizuführen. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Es ist eine Vereinbarung im Ältestenrat zustande gekommen, daß die heutige Sitzung nicht über 16 Uhr hinaus ausgedehnt werden soll. Ich bitte die Redner freundlichst, durch Konzentriertheit ihrer Darlegungen dazu zu helfen, daß wir einen wesentlichen Teil der Tagesordnung erledigen können.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 9. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 93 der Abgeordneten Kroll, Morgenthaler und Genossen betreffend Besatzungsnotstände in Baden-Baden - Drucksache 681 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 884 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, daß wir zunächst mit Punkt 6 der gestrigen Tagesordnung anfangen:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau ({0}). ({1})
Es liegt vor, was ich mit besonderem Dank feststelle, ein Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen, Drucksache 817. Ich darf wohl unterstellen, daß eine mündliche Ergänzung des Berichts nicht mehr erforderlich ist.
({2})
*) Siehe Anlage 9.
({3})
- Bitte schön, Herr Abgeordneter Harnischfeger als Berichterstatter!
Harnischfeger ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 1. Deutsche Bundestag hat im September 1951 das Gesetz zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues verabschiedet. Damals fehlten im Bergbau 92 000 Wohnungen. In dem Gesetz wurde eine Kohlenabgabegebühr von 2 DM je Tonne Steinkohle, Steinkohlenbriketts und -koks sowie von 1 DM je Tonne Braunkohle und Braunkohlenbriketts festgelegt. Diese Abgabe wurde bis zum 31. Oktober dieses Jahres befristet. Gebaut wurden bis jetzt 88 000 Bergarbeiterwohnungen; mit der Fertigstellung von weiteren 25 000 rechnet man bis Ende dieses Jahres. Trotzdem fehlen dann im Bergbau noch 40 000 Wohnungen.
Die Bundesregierung hat mit Drucksache 657 dem 2. Deutschen Bundestag ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues vorgelegt. In der Sitzung vom 8. Juli dieses Jahres wurde das Gesetz dem Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen überwiesen. Der Ausschuß hat sich in mehreren Sitzungen mit der Gesetzesvorlage beschäftigt. Im wesentlichen ist das neue Gesetz eine Verlängerung des ersten Bergarbeiterwohnungsbaugesetzes. Der Schriftliche Bericht, Drucksache 817, liegt dem Hohen Hause vor. Ich beziehe mich auf diesen Bericht, möchte jedoch einige wichtige Änderungen gegenüber dem alten Gesetz ansprechen.
Die Kohlenabgabe wurde um die Hälfte gesenkt. Der Ausschuß hat sich der Auffassung der Regierung angeschlossen. Er glaubt, daß die noch fehlenden Wohnungen mit den reduzierten Sätzen gebaut werden können.
Der Eigentums- und Kleinsiedlungsbau soll besonders gefördert werden. Jeder Bergmann, der willens ist, sich ein Eigenheim zu schaffen, soll weitestgehende Förderung erhalten.
Die Laufzeit des Gesetzes wurde bis zum 31. Dezember 1957 befristet. In Anbetracht der gesenkten Kohlenabgabe muß dieselbe bis zum 31. Dezember 1957 ausgedehnt werden.
Der Ausschuß gab dem Gesetzentwurf Drucksache 657 in der jetzigen Fassung mit Mehrheit gegen zwei Stimmen seine Zustimmung. Ich darf das Hohe Haus bitten, dem Gesetz zuzustimmen.
({5})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und bitte alle Ausschüsse, in gleicher Weise durch schriftliche Berichterstattung zur Beschleunigung der Verhandlung beizutragen, wie es der Geschäftsordnung entspricht.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Drucksache vor sich. Änderungsanträge sind zur zweiten Beratung gestellt worden von der Fraktion der SPD auf Umdruck 177*), von den Fraktionen der Regierungskoalition auf Umdruck 183**) und zur dritten Beratung ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 178***).
Ich rufe zunächst Art. I Ziffer 1 des Gesetzes auf. Dazu liegen keine Änderungsanträge vor. Wird
*) Siehe Anlage 1. **) Siehe Anlage 2. ***) Siehe Anlage 3. das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich I bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 1 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses; angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 2. Dazu sind gestellt die Anträge Umdruck 177 Ziffern 1 bis 4 und Umdruck 183 Ziffern 1 und 2. - Bitte, Herr Abgeordneter Bergmann zur Begründung der Anträge der SPD.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Im Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen, Drucksache 817, wird darauf hingewiesen, daß schon der 1. Deutsche Bundestag im Interesse der Erhöhung der Kohlenförderung dem Bergarbeiterwohnungsbau durch Gesetz eine besondere zusätzliche Finanzierungsquelle erschlossen hat. In diesem Kohlenabgabegesetz ist festgelegt worden, daß für jede verkaufte Tonne Steinkohle, Steinkohlenkoks usw. zwei Deutsche Mark für die Finanzierung des Bergarbeiterwohnungsbaues zur Verfügung gestellt werden. Dieses Gesetz ist bis zum 31. Oktober 1954 befristet.
({0})
Der noch bestehende Wohnungsfehlbestand im Kohlenbergbausektor kann nur durch die weitere Zurverfügungstellung von Kohlenabgabemitteln für den Bergarbeiterwohnungsbau beseitigt werden,
({1})
da damit die Fragen der Produktion eng gekoppelt sind. Aus diesem Grunde hat uns die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau vorgelegt und die Notwendigkeit der Verlängerung der Kohlenabgabe anerkannt.
Mit dem Auslaufen des jetzt geltenden Gesetzes ist die bisherige Wohnungslage in den Bergbaugebieten keineswegs behoben. Mit Stichtag vom 31. Dezember 1953 haben wir hier noch einen akuten Fehlbestand von mindestens 65 000 Wohnungseinheiten, wobei eine etwa anfallende Belegschaftsvermehrung, die Fluktuation und der natürliche Abgang von Wohnungen durch Verschleiß besonders berücksichtigt wurden. Das Bauprogramm 1954 wird den Bedarf um etwa 25 000 Wohnungseinheiten abdecken, so daß am Ende des Jahres noch ein echter Fehlbestand von mindestens 40 000 Wohnungseinheiten vorhanden sein wird. Die eigene Erhebung über den Wohnungsbedarf der Bergarbeiter durch die Industriegewerkschaft Bergbau mit dem Stichtag vom 31. Juli 1954 kommt unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse zu demselben Ergebnis. Wir halten es für unmöglich, Zehntausende von Bergarbeiterfamilien, die unter den schlechtesten Wohnbedingungen leben müssen, allein auf den Wohnungsbau des allgemeinen sozialen Programms zu verweisen, und wir befürworten daher die Kohlenabgabe von 1 DM.
Bedauerlicherweise entstehen daraus sicherlich weitere Belastungen, z. B. für die nicht bundeseigenen Eisenbahnen.
Bis kurz vor Abschluß der Beratung im Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen war man sich fast einig über die Vorlage der Regierung. Durch Änderungsanträge aus den Reihen der Regierungskoalition wurde der § 2 der Regierungs({2})
vorlage völlig umgestaltet in die jetzigen §§ 2 und 2a des Ausschußberichts. Wir bedauern, daß damit der Vorzug der Klarheit und Deutlichkeit verlorengegangen ist. Sachkenner behaupten nicht zu Unrecht, daß bei der Durchführung der §§ 2 und 2a, wie sie der Ausschuß beschlossen hat, große Schwierigkeiten entstehen werden.
({3})
Da die Grundsätze, für wen bevorzugt Wohnungen erstellt werden sollen, ebenso Mittel zur Durchführung damit zusammenhängender Maßnahmen, außerdem Mittel für die Gemeinschaftsanlagen sowie Folgeeinrichtungen und auch Darlehen für die anteilige Finanzierung von Aufschließungsmaßnahmen in § 2 der Regierungsvorlage festgelegt sind, beantragen wir, den § 2 in der Fassung der Regierungsvorlage - Drucksache 657 - wiederherzustellen.
Im Interesse der Einfachheit und Klarheit unserer Gesetzesgestaltung bitten wir die Kolleginnen und Kollegen hier im Hause, unserem Antrag zuzustimmen.
Außerdem ist hier die Frage zu stellen: Was sagt der Herr Bundesminister für Wohnungsbau zu seiner Regierungsvorlage? Ich bitte ihn, einmal dazu Stellung zu nehmen.
In § 2 Abs. 3 der Ausschußvorlage werden grundsätzlich alle zu erstellenden Bergarbeiterwohnungen, neben ihrer Zweckbestimmung für den Bergbau, mit einer zeitlosen Auflage belastet, daß sie Einzeleigentum werden sollen. Wir fragen: Welchem Bauherrn, der aus städtebaulichen Gründen gezwungen ist, mehrgeschossig zu bauen, soll zugemutet werden, sein Eigentum, seinen Grund und Boden aufzuteilen und auf die Hausgemeinschaft zu übertragen, also einen Teil seines Eigentums zu veräußern, wenn er Bergarbeiterwohnungen erstellen will? Jeder private Wiederaufbau zerstörter Häuser in Zechennähe wird durch diese Vorschrift von vornherein ebenso unmöglich gemacht wie der mehrgeschossige Neubau durch Bauwillige,
({4})
die die zu erstellenden Wohnungen gemäß Rechtsgeschäft dem Bergbau zur Verfügung stellen wollen. Auch für die gemeinnützige Wohnungswirtschaft wird nunmehr jeder Bergarbeiterwohnungsbau in mehrgeschossiger Bauweise aus wirtschaftlichen Gründen untragbar.
({5})
Wie soll z. B. dieser Vorschrift Geltung verschafft werden, wenn ein Träger Wohnungen in mehrgeschossiger Bauweise erstellt hat und in einem Hause z. B. ein Drittel der Wohnungsnutzer Eigentümer werden wollen und zwei Drittel nicht oder umgekehrt? Wer soll dann die Mehrkosten einer solchen zerrissenen Wohnungswirtschaft tragen? Wie lange soll andererseits der Bauherr an die Auflage gebunden sein? Es ist doch eine bekannte Tatsache, daß ein Teil der wohnungsuchenden Bergleute gar nicht an Eigentumsmaßnahmen interessiert ist und nur zur Miete wohnen will.
({6})
Warum soll dieser Wohnungsbedarf nicht abgedeckt werden?
({7})
- Herr Kollege, davon spreche ich. Nicht die vorgesehenen Folgemaßnahmen, sondern der tatsächliche Bedarf muß das Primäre bleiben.
Wie problematisch die Vorschriften der Absätze 2 und 3 in § 2 der Ausschußvorlage sind, beweist die in Abs. 4 vom Ausschuß geforderte Durchführungsvorschrift für die Bundesregierung. Die Verfasser dieser Bestimmung waren sich also der Kompliziertheit ihrer Förderungsmaßnahme bewußt und suchten daher in der Durchführungsvorschrift Zuflucht. Wir bitten Sie nochmals, den § 2 der Regierungsvorlage wiederherzustellen und den § 2 a der Ausschußvorlage zu streichen. Im Ablehnungsfall stellen wir unsere Eventualanträge: In § 2 Abs. 2 Satz 2 wird nach den Worten „in der Rechtsform des Wohnungseigentums" eingefügt: „dem Bedarf entsprechend", und die dann folgenden Worte „nach Maßgabe des § 3" werden gestrichen. Ebenso soll in § 2 Abs. 2 Satz 3 nach dem Wort „ist" das Wort „möglichst" eingefügt werden. Außerdem soll Abs. 3 von § 2 gestrichen werden. Für den Fall der Ablehnung unseres Antrages auf Streichung des Abs. 3 beantragen wir, in § 2 Abs. 3 den Satz 2 zu streichen.
Wir haben aber noch weitere Änderungswünsche. Wegen der sachlichen Übereinstimmung mit den anderen Fraktionen dieses Hauses haben wir in einer interfraktionellen Besprechung darauf verzichtet, eigene Anträge zu stellen. Sie finden ihre Berücksichtigung in dem Umdruck 183.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Lücke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir würden uns bei der Beratung etwas leichter tun, wenn der verehrte Herr Kollege Bergmann, der vor mir gesprochen hat, an den Ausschußberatungen teilgenommen hätte. Jedenfalls sind hier Dinge gesagt worden, die man sehr schnell und sehr einfach widerlegen könnte; aber das möchte ich wegen der angespannten Tagesordnung heute nicht tun.
Ich habe die Ehre, den Koalitionsantrag kurz zu begründen und darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vielleicht alle darin angeschnittenen Fragen andeuten. Im wesentlichen beinhaltet dieser Antrag Umdruck 183 redaktionelle Änderungen, die weitgehend auch mit der SPD-Fraktion abgestimmt worden sind.
In Art. I Nr. 2 wird vorgeschlagen, daß die Bundesregierung ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung nähere Vorschriften über die Durchführung der Eigentumsmaßnahmen nach den Absätzen 2 und 3 zu erlassen. Der verehrte Herr Kollege Bergmann hat bei der Begründung seines Antrags Umdruck 177 bestritten, daß die Eigentumsbereitschaft bei den Bergleuten in dem von uns vorausgesetzten Umfang vorhanden wäre. Ich will darauf nicht näher eingehen. Wir haben nur in Ziffer 2 sichergestellt, daß eines der Kernziele dieses Gesetzes sein soll, den Bergmann mit dem Grund und Boden zu verbinden, um ihn seßhaft zu machen. Er wird dazu nicht gezwungen, sondern das geschieht dann, wenn er es wünscht. Der Sinn ides Abs. 3 ist folgender. Weil dies in vielen Fällen nicht möglich ist, soll die Wohnungswirtschaft insgesamt, die die Kohlenabgabe verbaut, gehalten sein, dem Wunsch des Bergmanns nach Eigentum zu entsprechen, der sagt: Ich will ab morgen nicht mehr zur Miete
({0})
wohnen, sondern statt Miete zu zahlen die Wohnung erwerben und abzahlen. Wir diskutieren über ein Kohlenabgabegesetz, an dem das ganze deutsche Volk teilhat. Es muß endlich sichergestellt werden, daß der Bergmann der Maßgebende sein soll, der darüber zu entscheiden hat, ob er Eigentum will oder nicht. Das wird hier im Gesetz sichergestellt, und da gebe ich dem verehrten Herrn Kollegen Bergmann recht, wenn er sagt, daß das schwierig sei. Darum haben wir die Bundesregierung ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Herrn Bundeswohnungsbauminister durch Rechtsverordnung nunmehr vorzusehen, wie das im einzelnen zu geschehen hat. Darum ist im Änderungsantrag der Koalition Umdruck 183 gesagt, daß die Bundesregierung hierzu nähere Ausführungen machen soll. Ich bitte deshalb, diesen Antrag der Koalition anzunehmen und den Antrag der SPD-Fraktion Umdruck 177 abzulehnen.
Weiter haben wir in diesem Antrag noch materiell vorgeschlagen, den Reparaturparagraphen -Fachleute wissen, was hier gemeint ist - zu streichen. Es war im Ausschuß eine große Diskussion darüber entstanden, ob man nicht die Kohlenabgabe dazu verwenden könne, die Reparaturen von Altbergarbeiterwohnungen durchzuführen. Mit Recht hat eine Gruppe von Kollegen im Ausschuß gesagt, das bedeute eine Ausweitung des Gesetzes; die Kohlenabgabe, diese 10 Pfennig je Zentner Kohle, soll dazu verwendet werden, zusätzlich neue Wohnungen zu schaffen. Es geht um neue Wohnungen, und weil sich die Gefahr ergab, daß eine Ausweitung entstehen könnte, haben wir darauf verzichtet, diesen Paragraphen zu belassen, haben also auch die Reparaturdarlehen insgesamt gestrichen.
In der Zwischenzeit ist ein weiterer Antrag Umdruck 189*) eingegangen - den ich gleich mit streifen darf -, den unser verehrter Herr Kollege Wirths begründen wird, die Bundesbahn von der Zahlung der Kohlenabgabe zu befreien. Auch hier haben wir alle derartigen Wünsche abgelehnt, weil wir keine Grenze finden konnten.
Wir haben versucht, dieses Gesetz, das nur eine Verlängerung bringen soll und damit ein auslaufendes Gesetz ist, einfach zu gestalten. Dem entspricht auch unser Antrag Umdruck 183. Ich bitte ihm zu entsprechen und ihn anzunehmen und den Antrag Umdruck 177 ebenso abzulehnen wie den noch vom verehrten Herrn Kollegen Wirths zu begründenden Antrag.
({1})
- Ich wollte es nur der Einfachheit halber jetzt
schon sagen, um die Aussprache abzukürzen. Ich
bitte schon jetzt, auch diesen Antrag abzulehnen.
({2})
Meine Damen und Herren, wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Besprechung zu Ziffer 2.
Ich komme zunächst zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Umdruck 177 Ziffer 1, den Herr Abgeordneter Bergmann begründet hat. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
*) Siehe Anlage 4.
Für den Fall der Ablehnung hat die Fraktion der SPD die Anträge Ziffern 2 und 3 des Umdrucks 177 gestellt. Kann über beide gemeinsam abgestimmt werden?
({0})
- Ich bitte die Damen und Herren, die den Ziffern 2 und 3 des Antrags Umdruck 177 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Auch diese Anträge sind abgelehnt.
Für den Fall auch dieser Ablehnung hat die Sozialdemokratische Partei einen Antrag Ziffer 4 gestellt. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag Ziffer 4 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 183 der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE, DP. Zunächst Ziffer 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag Umdruck 183 Ziffer 1 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das ist, wenn ich recht sehe, einstimmig angenommen.
Ich stimme ab über den Antrag Umdruck 183 Ziffer 2 betreffend Abs. 4 des § 2. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Auch das ist mit ganz überwiegender Mehrheit angenommen.
Nunmehr bitte ich die Damen und Herren, die der Ziffer 2 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 3, dazu die Anträge Umdruck 177 Ziffer 5 der SPD und Umdruck 183 Ziffern 3, 4 und 5 der Koalitionsfraktionen. Soll der Antrag unter Ziffer 5 auf Streichung der Nr. 3 begründet werden? - Keine Begründung.
Wird zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen eine Begründung gewünscht? - Nicht der Fall. Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der SPD auf Streichung der Ziffer 3 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das ist mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der Koalitionsfraktionen - kann gemeinsam abgestimmt werden? ({1})
unter den Ziffern 3, 4 und 5 auf Umdruck 183 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Ziffer 3 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Ich rufe die Nrn. 4 und 5 auf. Dazu Änderungsantrag Umdruck 183 Ziffer 6. Keine Begründung? - Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck 183 Ziffer 6 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
({2})
Ich bitte die Damen und Herren, die den Nrn. 4 und 5 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Auch angenommen.
Zu Nr. 6 liegen keine Änderungsanträge vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich bitte die Damen und Herren, die der Nr. 6 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Zu Nr. 7 der Antrag Umdruck 183 Ziffer 7. Auch keine Begründung? - Keine Wortmeldung? - Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck 183 Ziffer 7 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die Nr. 7 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; ist angenommen.
Ich rufe die Nrn. 8, 9 und 10 auf, ferner Art. II, - Art. III, - Art. IV, - Einleitung und Überschrift. - Keine Wortmeldung. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; die aufgerufenen Bestimmungen sind angenommen. Damit ist die zweite Beratung beendet.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Wird zur allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall; ich schließe - ({3})
- Also: Herr Abgeordneter Dr. Brönner wünscht das Wort, nachdem ich das Wort „schließe" schon ausgesprochen hatte; aber bitte schön, Herr Abgeordneter Brönner!
({4})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es entspricht der parlamentarischen Gepflogenheit, daß bei diesem wie bei jedem Gesetz auch die Bedenken zum Ausdruck gebracht werden, die man anführen kann. Aus diesen Erwägungen habe ich einiges zu sagen über die damalige Beratung - nämlich vor drei Jahren - und über die Änderungen in der Zwischenzeit. Vor drei Jahren hat Herr Kollege Winkelheide hier herausgestellt, daß die Kohlennot so gefährlich ist. Darüber waren wir uns einig, daß unter allen Umständen alles geschehen müsse, um die Gefahr der Kohlennot abzuwenden, weil unter ihr die ganze deutsche Wirtschaft leiden würde. Aus diesen Erwägungen haben wir damals einstimmig dieses Gesetz angenommen. Herr Kollege Winkelheide hat aber auch herausgestellt, dieses Gesetz laufe nur drei Jahre, und er hat wörtlich folgendes gesagt:
92 000 Wohnungen in zwei Jahren, das ist das Ziel. Die Mittel aus der Abgabe sind zusätzliche Mittel; man schätzt auf 200 Millionen Aufkommen pro Jahr. Ferner werden nach diesem Gesetz, dessen Durchführung eine letzte Kraftanstrengung des gesamten deutschen Volkes bedeutet, die Arbeitgeber, d. h. die Bergwerksunternehmen, noch zusätzliche Arbeitgeberdarlehen geben.
Es sollte also eine letzte Kraftanstrengung sein, um die Kohlennot von damals zu beseitigen. Frage: Besteht diese Kohlennot heute noch? Dazu ist auf Folgendes hinzuweisen: Erstens wurden in der Zeit von Februar bis Juni Freischichten wegen großer Haldenbestände eingeschoben. Zweitens hat der Bundesminister für Wirtschaft in einer Stellungnahme vom 21. August 1954 ausdrücklich erklärt, daß eine Kohlennot nicht mehr bestehe. Meine Damen und Herren, wir hätten das Gesetz vor drei Jahren nicht angenommen, wenn keine Kohlennot bestanden hätte! Genau so können wir heute sagen, eine Kohlennot besteht nicht mehr, also fehlt die Voraussetzung, auf der damals das Gesetz aufgebaut worden ist.
Aber in der Zwischenzeit sind auch gewisse Änderungen eingetreten. Einmal müssen die kleinen Leute vom 1. April dieses Jahres an für ihren Hausbrand höhere Kohlenpreise bezahlen. Wir haben eine Stellungnahme des Bundeswirtschaftsministeriums, wo gesagt ist, was das ausmacht: nämlich 190 bis 200 Millionen DM im Jahr, die der Kohlenbergbau durch die Erhöhung der Hausbrandkohlenpreise mehr einnimmt. Ferner ergibt sich eine Mehreinnahme zur Förderung des Kohlenbergbaues durch die 100-Millionen-Dollar-Anleihe, von der nach zuverlässigen Darlegungen 40 bis 45 Millionen DM in den Bergarbeiterwohnungsbau hineinfließen, und zwar fest für 22 Jahre, pro Jahr 6,85% Zins und Tilgung. Das sind also auch zusäzliche Mittel für diesen Wohnungsbau.
Weiter wissen wir, daß die Rückflüsse aus den 621 Millionen DM, die bis Ende des Jahres aufkommen, auch wieder für den Wohnungsbau verwendet werden. Wir wissen ferner, daß der Kapitalmarkt viel ergiebiger geworden ist, daß infolgedessen höhere Ersthypotheken geholt werden können, um dadurch die Finanzierung zu erleichtern. 92 000 Wohnungen wurden verlangt, 88 000 wurden gebaut. Es fehlen nur 4000. Man hat aber erklärt, durch die Abwanderung und ähnliches, durch die Zweckentfremdung ist heute noch der Bau von 40 000 Wohnungen notwendig.
Noch auf einen anderen Gesichtspunkt muß einmal hingewiesen werden. Wir in Süddeutschland müssen heute für einen Zenter Kohlen wegen der hohen Frachten rund 1,25 DM mehr als in Norddeutschland zahlen. Ich habe eine Unterlage hier von dem Verein der Kohlenhändler von Bonn. Danach kostete ein Zenter Braunkohlenbriketts ab Lager am 1. April 2,25 DM. Derselbe Zentner Braunkohlenbriketts kostete in Stuttgart um dieselbe Zeit ab Lager 3,31 DM.
({0})
Ähnlich ist es mit dem Koks. Der Koks I kostete hier 4,40 DM am 1. April ab Lager; in Stuttgart kostet er 5,62 DM.
({1})
Sie werden es mir nicht verübeln, daß eine Stimme aus Süddeutschland das hier einmal sagt, daß wir im Süden nämlich wegen unserer unglücklichen Lage noch sehr viel mehr Lasten bei den Kohlen zu tragen haben als die Wirtschaft in den Ländern, wo die Kohle gewonnen wird.
Wir haben bei der Aussprache im Ausschuß noch erörtert, daß man wenigstens die Braunkohlenbriketts von der Abgabe befreien möchte. Die Braunkohle ist die Kohle des kleinen Mannes. Jetzt will man noch einmal drei Jahre lang 2 1/2 Pf
({2})
pro Zentner auf die Braunkohle draufschlagen. Wozu dieses Stecknadelsystem? Befreien wir doch die kleinen Leute, die die Braunkohle für den Hausbrand gebrauchen, wenigstens von den 2,5 Pf Abgabe pro Zenter! Es wurde abgelehnt im Ausschuß, und es wird auch hier abgelehnt werden, genau so wie abgelehnt wurde, daß das Gesetz auf zwei Jahre beschränkt wird statt auf drei.
Ich bin der Überzeugung, daß der Bau der Bergarbeiterwohnungen erstens eine dringende Notwendigkeit ist und daß zweitens die Eigentumsmaßnahmen gefördert werden müssen, daß aber die Länder hier hätten mehr tun müssen und auch tun können. Gestatten Sie mir den Hinweis auf eine Aussprache, die unser Kollege Peter Etzenbach kürzlich mit einem dpa-Vertreter hatte. Ein Artikel darüber erschien in der „Bonner Rundschau" vom 8. Oktober. Danach sind in NordrheinWestfalen 640 Millionen DM öffentliche Mittel, die für den sozialen Wohnungsbau bestimmt sind, eingefroren, werden also nicht dem Wohnungsbau zugeführt oder sind ihm nicht zugeführt worden, weil die Bezirksausschüsse zu langsam arbeiten. Noch 321 Millionen DM stehen bereit, bei denen es genau so liegt, sagte Herr Etzenbach. Fast 1 Milliarde DM liegt hier in Nordrhein-Westfalen bereit, um verteilt zu werden; aber wegen der Formalitäten geht es nicht voran. Die Länder haben das notwendige Geld, und sie sollen es auch dort einsetzen, wo es am notwendigsten ist, nämlich beim Wohnungsbau für die Bergarbeiter.
Ich habe ferner angeführt: Die Bergbauunternehmungen sind ja erstens durch die 40 bis 45 Millionen DM aus der Dollaranleihe und zweitens durch die erhöhten Hausbrandpreise imstande, jährlich 200 Millionen DM für den Bergarbeiterwohnungsbau zusätzlich aufzuwenden. Weshalb tun Sie es nicht? Meine Damen und Herren, wir wollen die verstärkte Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues, wir wollen mehr Eigentumsmaßnahmen, und wir sind der Auffassung, daß die Länder mehr tun können, wenn sie wollen, und daß auch der Kohlenbergbau mehr tun kann. Daher bestehen nach meiner Auffassung die Voraussetzungen für die Verlängerung dieses Gesetzes nicht mehr. Die Länder und die Kohlenbergbauunternehmungen können und sollten ihren Wohnungsbau so fördern, wie es notwendig ist.
({3})
Der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zu den Ausführungen des Kollegen Brönner einige Anmerkungen machen, um einiges wieder etwas in die richtigen Größenordnungen zu bringen. Ich will ihm sein süddeutsches besonderes Temperament in dieser Angelegenheit durchaus zugute halten.
({0})
Ich glaube, ich stehe in diesem Punkt von Hessen her so genau in der Mitte, daß ich meine Sympathien ziemlich gleichmäßig nach allen Seiten verteilen kann.
Es ist unbestreitbar - und daran können wir alle nichts ändern -, daß der Wohnungsfehlbestand im Lande Nordrhein-Westfalen im Augenblick noch 777 000 Wohnungen beträgt, ein Mehrfaches etwa des Fehlbestandes im Lande Baden-Württemberg, in dem nur noch 172 000 Wohnungen fehlen, und das, obwohl beide Länder, sowohl Baden-Württemberg wie Nordrhein-Westfalen - ich kann sie hier in einem Atemzug nennen -, schon immer außerordentlich hohe Aufwendungen zur Überwindung des Defizits aus eigener Kraft gemacht haben. Das Land Nordrhein-Westfalen steht damit schon ohnehin an der Spitze. Trotzdem reicht es nicht, was der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen getan haben, um das außerordentlich große Defizit in diesem Lande stärker herunterzudrücken, das ja ständig noch in einem besonders hohen Maße im Rahmen der inneren Umsiedlung oder - wenn Sie es mit dem Fachausdruck belegen wollen - der äußeren Umsiedlung Umsiedler sowie die meisten Sowjetflüchtlinge aufzunehmen hat. Deshalb ist eine zusätzliche Anstrengung, wie wir sie durch das Bergarbeiterwohnungsbaugesetz unternehmen wollen, noch absolut notwendig.
Dann das Zweite. Ich glaube, man kann nicht sagen, wenn noch ein dringender Fehlbedarf im Bergarbeiterwohnungsbau, von allen Seiten unbestritten, in Höhe von 40 000 Wohnungen besteht, daß hier nicht ein Sonderproblem gegeben ist. Es trifft auch nicht zu, daß wir mit unserer Kohlenförderung, wie sie sich gegenwärtig entwickelt hat, etwa schon der Frage enthoben sind, ob es nicht wieder einmal eine Verknappung an Kohle geben könnte. Ich darf Ihnen das eine sagen: Wir sind froh darüber, daß wir zur Zeit das Gespenst der Verknappung nicht kennen. Aber wir sehen bereits, daß sich, obwohl der Begriff der Feierschichten an der Ruhr seit Monaten nicht mehr existiert, die Haldenbestände von Woche zu Woche nach unten entwickeln. Sie haben beispielsweise bei der Steinkohle abgenommen von 1,5 Millionen t am 15. August auf 1,1 Millionen t zum Ende September oder beim Koks von dem Höchststand von 3,9 Millionen t am 30. April auf nur noch 2 1/2 Millionen t im gegenwärtigen Zeitpunkt. Wir sind gewiß, daß diese Tendenz bei der allgemeinen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung, insbesondere auch bei der starken Steigerung der Eisen- und Stahlproduktion weiterhin anhalten wird. Von Haldenbeständen kann man bei diesen geringen Produktionsvorräten ohnehin nicht sprechen.
Im übrigen entwickelt sich die strukturelle Situation noch viel stärker in der gleichen Richtung. Unser Steinkohlenbergbau muß immer mehr nach Norden wandern, muß auf neu zu erschließenden und auszubauenden Zechen auch die entsprechenden Wohnungen schaffen, damit wir nicht plötzlich wieder in eine Verknappung hineingeraten.
Dann ein Drittes. Der Kollege B r ö n n e r sprach davon, daß der deutsche Steinkohlenbergbau infolge der Anpassungsmaßnahmen an das Preisniveau in der Montan-Union, wie sie durch den Montan-Union-Vertrag erzwungen wurden, einen solchen Mehrerlös erhalten habe, daß er das, was an Aufwendungen für den Bergarbeiterwohnungsbau erforderlich sei, doch wohl aus eigener Kraft tun könne. Ich glaube, es ist unbestreitbar, daß mit der ausgeglicheneren Marktlage bei der Kohle der Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes auf diesem Gebiet sehr viel schärfer geworden ist, daß die Kohle zum Teil - und dem haben wir Rechnung getragen durch die Senkung der Abgabe auf die Hälfte der früheren Höhe und durch elastischere Bestimmungen über den eigenen Anteil der
({1})
Unternehmen am Wohnungsbau - gar nicht einmal so viel mehr selbst beitragen kann, wie es noch in der letzten Periode der Fall war. Ich darf Ihnen nur kurz als Ergebnis mitteilen, daß den rechnerischen Mehrerlösen aus den Preiskorrekturen von 190 Millionen DM, die der Kollege Brönner hier angeführt hat, Mehrbelastungen des Kohlenbergbaus in Höhe von etwa 270 Millionen DM gegenüberstehen durch Sonderbedingungen für die Bundesbahn, für die nicht bundeseigenen Bahnen, für die Binnenschiffahrt, für die Hochseeschiffahrt, für die Lieferungen an die alliierten Verteidigungstruppen und für die Hausbrandverbilligung, die vom Kohlenbergbau freiwillig getragen wird, durch Preissenkungen für alle möglichen speziellen Kohlensorten, die sich angesichts der Preissituation im Rahmen der Montan-Union als unerläßlich erwiesen haben.
Wenn die Bundesregierung nicht das absolut verpflichtende Gefühl gehabt hätte, daß es sowohl volkswirtschaftlich wie sozialpolitisch gar keine andere Möglichkeit gibt, als in der veränderten Form einer Senkung der Abgabenhöhe dieses Bergarbeiterwohnungsbau-Gesetz noch einmal um drei Jahre zu verlängern, dann hätten wir diese Vorlage dem Hohen Hause nicht unterbreitet. Ich bitte Sie darum, die Argumente, die hier vorgetragen worden sind und die nach wie vor in vollem Umfang Gültigkeit haben, in ihrer ganzen Bedeutung zu würdigen.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Besprechung der dritten Beratung.
Es liegt lediglich ein Änderungsantrag vor. Ich weise darauf hin, daß die Ziffer 1 des Antrags der Fraktion der SPD auf Umdruck 178 zurückgezogen worden ist. Es bleibt dann nur der Antrag in Ziffer 2 des Umdrucks 178, in Art. I einen neuen Abs. 7 a einzufügen.
Herr Abgeordneter Jacobi zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier handelt es sich lediglich darum, in das Gesetz nicht eine Bestimmung aufzunehmen, die heute keinen Sinn mehr hat. Es gibt keine Deutsche Kohlenbergbauleitung mehr. Infolgedessen kann man auch nicht einen Vertreter dieser nicht mehr existenten Organisation durch Gesetz in Aussicht nehmen. Wir bitten also, aus diesem Grunde der Ziffer 2 unseres Änderungsantrags auf Umdruck 178 zuzustimmen. Es handelt sich um eine Regelung, die nach der geschilderten Sachlage notwendig ist.
({0})
Meine Damen und Herren, ich hatte übersehen, daß noch der Antrag Umdruck 189 vorliegt, zu dem der Herr Abgeordnete Lücke bereits gesprochen hat.
({0})
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Wirths.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, der verehrte Kollege Lücke wird nicht immer so verfahren, daß er bereits in der zweiten Lesung angekündigte Anträge zur dritten Lesung ablehnt. Sosehr wollen wir es uns nicht vereinfachen!
Es handelt sich hier um einen sachlichen Antrag. Die Wohnungsnot bei der Bundesbahn ist ebenso groß wie beim Bergbau. Der Fehlbestand hat ungefähr die gleiche Höhe. Die Größe der Belegschaft ist auch ziffernmäßig ungefähr die gleiche. Aber während der Bergbau immer noch, auch nach der Ermäßigung der Kohlenabgabe, jährlich über 100 Millionen DM zur Verfügung hat, verfügt die Bundesbahn lediglich über 20 Millionen eigener Mittel für den Bau von Wohnungen für Bundesbahnbedienstete. Es kommt hinzu, daß die Zechen in der Vergangenheit an Arbeitgeberdarlehen eine Summe zwischen 400 und 500 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt haben. Wenn Sie das also vergleichen, dann stellt sich heraus, daß die Bundesbahn weit schlechter dasteht. Wir können das ja überall selber feststellen. In vielen Städten sehen Sie, daß beispielsweise jede Bundesbehörde, jede Landesbehörde, insbesondere auch die Bundespost sehr viel mehr Wohnungen gebaut hat als die Bundesbahn. Woran das liegt, will ich im Augenblick nicht untersuchen. Aber die Tatsachen stehen fest. Ich glaube deshalb, daß es berechtigt ist, die Bundesbahn von der Kohlenabgabe zu befreien mit der Verpflichtung - das kann im Verwaltungswege geschehen -, daß sie die hier ersparten Mittel zusätzlich zur Finanzierung von Wohnungen für Bundesbahnbedienstete einsetzt. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den Antrag, der hier vorgebracht worden ist, habe ich in besonderem Maße Verständnis gehabt und habe auch selbst lange Zeit nach einem Weg gesucht, wie man diesem Anliegen Rechnung tragen könnte. Es erweist sich aber nach der Prüfung der Diskriminierungs- oder besser Nichtdiskriminierungsbestimmungen des Montan-Union-Vertrags, und zwar nach Art. 4 Abs. b des Vertrages, daß es nicht möglich ist, die Bundesbahn von der Bergarbeiterwohnungsbauabgabe auszunehmen. Das, was für den Bundesbahnwohnungsbau getan werden muß, muß eben zusätzlich auf einem anderen Wege, entweder von der Bundesbahn selbst oder durch finanzielle Hilfen aufgebracht werden.
({0})
- Herr Präsident - Wellhausen, möchte ich sagen -,
({1})
ich begreife vollkommen das Anliegen. Aber hier liegen vertragliche Bindungen vor, über die wir nicht hinweggehen können, wenn wir nicht Schwierigkeiten auslösen wollen, die in keinem Verhältnis zu dem stehen, um was es sich hier dreht. Ich bedaure deshalb, das Hohe Haus bitten zu müssen, durch Ablehnung dieses Antrags diese Schwierigkeiten vermeiden zu helfen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wirths.
Meine Damen und Herren! Ich habe den Brief des Bundeswirtschaftsministers an den Bundeswohnungsbauminister vorliegen, der
({0})
auf den Art. 4 Abs. 4 b des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl hinweist. Es wird hier erklärt, daß eine solche Maßnahme, nämlich die Befreiung der Bundesbahn, gegen die Bestimmungen verstieße. Aber wollen wir denn nicht mal prüfen, ob das nicht geändert werden kann?
({1})
Die Preis- und Lieferbedingungen sind ja festgelegt. Wir haben, ich weiß nicht wieviel, aber jedenfalls ungezählte Preisdifferenzierungen innerhalb des ganzen Vertrags. Warum soll man das nicht mal versuchen? Man braucht ja nicht ohne weiteres alles als wahr und unumstößlich anzunehmen, was der Herr Classen vom Wirtschaftsministerium geschrieben hat.
({2})
Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen.
Ich komme zur Abstimmung, zunächst über den Antrag, den der Herr Abgeordnete Wirths eben begründet hat, Umdruck 189, auf Einfügung eines Buchstabens d) in Art. I Nr. 1. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 2 des Antrags der Fraktion der SPD Umdruck 178 betreffend Streichung der Worte „einen Vertreter der Deutschen Kohlenbergbauleitung" in § 13 Abs. 2; diese Änderung soll also als Ziffer 7 a eingefügt werden. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; ist angenommen. Damit ist die Einzelberatung der dritten Lesung beendet.
Ich bitte die Damen und Herren, die in der jetzt vorliegenden Fassung dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau insgesamt zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist gegen eine Stimme angenommen worden.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, jetzt zunächst die
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geschäftsraummietengesetzes ({1})
vorzunehmen. Zur Begründung Herr Abgeordneter Jacobi.
Jacobi ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Öffentlichkeit ist in letzter Zeit mehrfach davon berichtet worden, es sei notwendig, sich über die Weitergeltung des Geschäftsraummietengesetzes zu unterhalten und eine entsprechende Entscheidung des Bundestages herbeizuführen. Das ist in dieser Form irrig. Es geht nicht um das Geschäftsraummietengesetz und seine formelle Weitergeltung, sondern lediglich um die Frage, ob eine Bestimmung dieses Gesetzes der Änderung bedarf, die des § 22, der vorsieht, daß gewisse Kündigungsschutzbestimmungen nach dem 31. Dezember 1954 nicht mehr angewendet werden sollen.
Wir haben, als wir seinerzeit das Geschäftsraummietengesetz in diesem Hause beraten und schließlich verabschiedet haben, klar zum Ausdruck gebracht, daß auf dem Gebiete der Geschäftsraummieten, der Mieten und Pachten gewerblicher Art, die Grundsätze der Marktfreiheit wiederhergestellt werden sollen. Es gibt im Geschäftsraummietengesetz und durch dieses Gesetz eine Reihe von Regelungen, die sozusagen in vollem Umfange die Marktfreiheit auf diesem Gebiete wiederhergestellt haben: es gibt keine Stoppmieten mehr, es gibt weitgehende Kündigungsmöglichkeiten. Aber als wir das Gesetz verabschiedeten, in dem beispielsweise auch der Eigenbedarf des Vermieters in einem weitgehenden Umfange geregelt ist, waren wir der Meinung, daß eine gewisse Übergangszeit notwendig sei, um Härten bei der Anwendung des Gesetzes zu vermeiden. Diesem Umstand sind die Bestimmungen zu verdanken, die wir in den §§ 8 bis 21 finden und die nun nicht mehr angewendet werden könnten, wenn nicht dem Antrag entsprochen würde, den wir mit der Drucksache 814 vorgelegt haben und der die Frist für die Anwendbarkeit des § 22 über den 31. Dezember 1954 hinaus bis zum 31. Dezember 1956 verlängern will.
Ich möchte noch einmal kurz hervorheben, daß es nicht darum geht, Regelungen wiedereinzuführen, die marktwidrig sind, die gegen die Prinzipien der Marktfreiheit verstoßen. Wir haben durch die Bestimmungen des Geschäftsraummietengesetzes ganz klare Regelungen getroffen, die auf einer Abwägung der beiderseitigen Interessen beruhen.
Es geht hier lediglich darum, daß eine Kündigungswiderrufsklage gewährleistet bleibt, wenn eine Kündigung auf die Interessen der Beteiligten nicht genügend Rücksicht nimmt. Es ist nämlich eines leider nicht eingetreten, eine Voraussetzung hat sich nicht erfüllt, die bei der Verabschiedung des Gesetzes zugrunde gelegt worden ist, als wir erwogen haben, ob wir noch Kündigungsschutzbestimmungen notwendig haben: es ist auf dem Gebiete der Gewerberäume noch nicht eine Marktlage entstanden, die es dem Mieter in jedem Fall gestattet, auszuweichen, einen anderen Gewerberaum zu finden, der auch den Standortnotwendigkeiten Rechnung trägt, auf die es nicht zuletzt ankommt. Es ist kein Zufall, wenn eine ganze Reihe von Organisationen seit Monaten auf einen Antrag drängen, wie wir ihn jetzt eingebracht haben. Es liegen u. a. Stellungnahmen des Deutschen Anwaltvereins, des Bundesverbandes der freien Berufe, des Deutschen Industrie- und Handelstages und Stellungnahmen der Einzelhandelsverbände vor, die außerordentlich eingehend sind und mit Beispielen belegen, daß es notwendig ist, unserem Antrag gemäß zu verfahren. Ich kann mir hier Einzelheiten ersparen. Ich darf nur darauf hinweisen, daß der Bundestag in einer Eingabe des Einzelhandelsverbandes Niedersachsen, die erst wenige Tage alt ist, noch einmal mit großer Eindringlichkeit gebeten wird, einer Verlängerung der Bestimmung des § 22 des Geschäftsraummietengesetzes zuzustimmen.
Dementsprechend bitte ich, daran mitzuwirken, daß wir bald zu einer positiven Erledigung unseres Gesetzesantrags kommen, und bitte, den Antrag an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen - federführend - und den Wirtschaftspolitischen Ausschuß - mitberatend - zu überweisen.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß wir Sie von der Bundesregierung aus bitten dürfen, diesem Antrag auf Überweisung an die Ausschüsse stattzugeben. Wir wollen die Situation dort noch einmal eingehend überprüfen.
Die Prüfung der Bundesregierung hat allerdings bereits zu einem anderen Ergebnis geführt. Wir sind der Meinung, daß der Bundestag keinen Grund hat, seinen vor über zweieinhalb Jahren gefaßten Beschluß zu revidieren; denn gegenüber der damaligen Situation hat sich die Gewerberaumlage durch die zahlreichen Neubauten ohne Zweifel wesentlich verbessert.
({0})
Wir sehen auf der anderen Seite auch, in welchem Maße sich in der Zwischenzeit erfreulicherweise die Zahl etwa der Einzelhandelsunternehmen, der Gewerbebetriebe gesteigert hat. Sie konnten alle unterkommen.
Das zweite Moment aber, das diesen Antrag besonders schwierig macht, ist, daß das damalige Geschäftsraummietengesetz die Kündigungsschutzbestimmungen nur für solche Betriebe vorsah, die ihre Mietverträge vor dem 1. Dezember 1951 abgeschlossen hatten, während alle Betriebe, die erst danach neu entstanden sind, insbesondere die jungen Betriebe, die Betriebe etwa von Heimatvertriebenen und Kriegssachgeschädigten, die erst später durch Kredithilfen, Aufbaudarlehen und ähnliches dazukamen, schon von Anfang an auch in bezug auf ihren Gewerberaum dem freien Wettbewerb unterworfen waren. Frage: Muß man im Jahre 1955 nun gerade zum Schutze derjenigen, deren Mietverträge bereits am 1. Dezember 1951 bestanden, nochmals eine Sonderregelung vornehmen, während sich alle übrigen hier längst im freien wirtschaftlichen Wettbewerb zu behaupten und zu entwickeln haben?
Und schließlich ein Drittes. Am 31. Dezember 1954 tritt ja nicht etwa das ganze Geschäftsraummietengesetz außer Kraft, sondern die Abschnitte 1 und 2 bleiben weiter bestehen, behalten weiterhin Gültigkeit und sehen gerade im Falle der Existenzgefährdung im § 6 noch einen Schutz vor, der mindestens so lange gewährt werden soll, wie es unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse notwendig ist, um anderweitig einen gleichartigen Raum zu erlangen.
Ich glaube also, man muß diese Dinge doch noch einmal sehr gründlich überprüfen. Die Bundesregierung war ihrerseits zu dem Resultat gekommen, daß der Bundestag seinen vor zweieinhalb Jahren gefaßten Beschluß nicht mehr zu revidieren braucht. Ich hoffe, daß angesichts der Argumente, die ich Ihnen hier kurz dargelegt habe, auch der Ausschuß im ganzen zu der Überzeugung kommen wird, daß sich die Situation gerade auf dem Sektor der Gewerberäume weiterhin so bessern wird, daß man von besonderen Schutzmaßnahmen zugunsten nur eines Teils von Gewerberaummietern, nämlich des Teils, der am 1. Dezember 1951 diese Schutzmaßnahmen genoß, wird absehen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hesberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion kann ich erklären, daß wir der Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zustimmen. Wir sind 'bereit, zu prüfen, inwieweit die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der §§ 8 bis 21 des Geschäftsraummietengesetzes für Kündigungen nach dem 31. Dezember 1954 noch gegeben sind. Wir sind allerdings der Meinung, daß Herr Kollege Jacobi in übertriebenem Maße von Pessimismus erfüllt ist. Denn gerade vor zweieinhalb Jahren, als das Geschäftsraummietengesetz zur Beratung anstand, hat er Folgen der Aufhebung des Kündigungsschutzes für Gewerberäume an die Wand gemalt, die sich nachher nicht als berechtigt erwiesen haben. Im Gegenteil, die gesamten Mietverhältnisse haben sich in einer äußerst erfreulichen Weise regeln lassen, einmal durch private Schlichtungsstellen der beteiligten Interessenten. Zum anderen hat aber auch die Abwicklung bei den Gerichten gezeigt, daß in. weitestem Umfange eine private Einigung möglich gewesen ist. Wenn beispielsweise bei 13 000 Mietverhältnissen in München nur in 400 Fällen Widerrufsklagen notwendig gewesen sind - in der Stadt Nürnberg nur 23 im vergangenen Jahr - und auch diese befriedigend abgeschlossen werden konnten, dann ist das ein klares Zeichen dafür, daß die Verhältnisse sich weitestgehend normalisiert haben. Wir sind auch der Meinung, daß beispielsweise durch die Mindestkündigungsfrist des § 6, die vom Herrn Wohnungsbauminister angesprochen worden ist, ein gewisser Schutz gegeben ist. Vor allen Dingen muß hervorgehoben werden, daß nach § 7 des Geschäftsraummietengesetzes, der unverändert bestehenbleibt, der Mieter nach wie vor die Möglichkeit hat, beim Gericht eine Räumungsfrist zu beantragen. Nicht zuletzt ist eine weitgehende Schutzvorschrift im
765 a ZPO enthalten, die allen Mietern gewerblicher Räume erhalten bleibt.
Weiterhin ist festzustellen, daß nicht nur Organisationen wie der Industrie- und Handelstag der Verlängerung widerraten, sondern daß auch Vertreter der Rechtsprechung, so in der „Zeitschrift für Miet- und Raumrecht", Bedenken dagegen erheben, dieses Gesetz nicht auslaufen zu lassen. Gleichwohl darf ich nochmals betonen, daß wir der Beratung in den Ausschüssen zustimmen, obwohl wir meinen, daß man mit einer Verlängerung des Gesetzes der Notlage kaum wird gerecht werden können, sofern eine solche in einigen Gemeinden bestehen sollte. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß man nach Ablauf einer verlängerten Frist vor der gleichen Situation stehen wird und positive Maßnahmen zur Behebung eines etwaigen Mangels erwägen sollte. Nach dieser Richtung hin werden wir uns im Ausschuß besonders zu bemühen haben.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache der ersten Beratung. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen als federführenden Ausschuß und an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zur Mitberatung beantragt. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Überweisung einverstanden ist. - Das ist der Fall; damit ist die Überweisung erfolgt. Der Punkt 4 der gestrigen Tagesordnung ist erledigt.
({0})
Ich rufe auf den Punkt 7:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung von Gesetzen auf dem Gebiet der Fischerei in der Ostsee ({1}).
({2})
Es liegt ein Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) vor, den der Abgeordnete Struve erstattet hat. Ergänzung ist nicht erforderlich.
Ich rufe auf zur Einzelberatung § 1 mit den Ziffern 1, - 2, - 2 a, - 3, - § 2. - § 3, - Einleitung und Überschrift. - Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die den aufgerufenen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Zur allgemeinen Aussprache wird das Wort nicht gewünscht. Einzelberatung entfällt, da keine Änderungsanträge gestellt sind. Ich bitte die Damen und Herren, die dem genannten Gesetz in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dannemann, Müller ({4}), Dr. Conring, Peters und Genossen betreffend Küstenplan ({5}).
Wer wünscht den Antrag zu begründen? - Herr Abgeordneter Conring, bitte. - Herr Abgeordneter Dannemann zunächst.
Dannemann ({6}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als am 1. Februar vorigen Jahres eine Unwetterkatastrophe in den Niederlanden zu großen Deichbrüchen führte und durch die folgende Überflutung weiter Landstriche über 2000 Menschen neben Tausenden von Tieren ums Leben kamen und rund 100 000 Menschen evakuiert werden mußten, da ging ein Schaudern durch die gesamte Welt. Mit banger Sorge legten sich die für die Sicherheit unseres Landes zuständigen Stellen die Frage vor, was wohl geschehen wäre, wenn der Wind aus einer anderen Richtung gekommen wäre, ob dann nicht eine ähnliche Katastrophe auch bei uns hätte Platz greifen können.
Leider muß diese Frage bejaht werden. Tatsache ist, daß seit 1914 an der gesamten Nordseeküste die notwendigen Ergänzungsarbeiten nur in beschränktem Umfange haben durchgeführt werden können. Es ist aber eine Tatsache, daß jährlich unsere Deiche um etwa 1 cm sacken und daß darüber hinaus durch die Küstensenkung im Laufe von 100 Jahren eine weitere Sackung von 20 bis 40 cm eintritt. Hinzu kommt, daß durch die in 'den letzten Jahrzehnten vorgenommenen Begradigungen unserer Flüsse, durch den Ausbau von Kanälen und sonstigen Wasserstraßen die Fluten ständig höher auflaufen. Ja, wir haben heute zum Teil Deiche, die bis zu 1 m Minderbestick aufweisen. Allein im Lande Niedersachsen liegen in dem sogenannten Tidegebiet über 500 000 ha, davon
*) Siehe Anlage 10. 80 000 ha unter dem Meeresspiegel. Dieses umfangreiche Gebiet ist durch mehr als 650 km Deiche geschützt. Aber all die Ländereien, von denen ich eben gesprochen habe, diese über 500 000 ha sind an jedem Tage zweimal der Einwirkung von Ebbe und Flut unterworfen. Wären die Deiche nicht vorhanden, könnte das Land nicht landwirtschaftlich genutzt, geschweige denn überhaupt bebaut werden.
In jahrhundertelangem harten Kampf haben die Marschbewohner dieses Land dem Meere abgerungen und versucht, es landwirtschaftlich zu nutzen. Dabei handelt es sich zum Teil um recht fruchtbare Böden mit einem Einheitswert von 2000 DM und darüber je Hektar.
Wenngleich die Deiche das Land vor einer Überflutung schützen, so ist die Binnenentwässerung keineswegs ausreichend. Zwar durchzieht ein sehr großes und starkes Netz von Kanälen und Gräben das gesamte Gebiet. Wir haben über 100 000 km Gräben in diesem Gebiet; das heißt, auf einen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche entfallen im Oldenburger und ostfriesischen Raum etwa 140 bis 150 m Gräben, und im Lande Staden steigt diese Zahl sogar bis zu 500 m je Hektar. Daraus kann gefolgert werden, daß im Durchschnitt etwa 12 % des Landes allein durch Gräben und Grüppen verlorengeht, ja in einzelnen Gebieten bis zu 20 % Landverlust entsteht. Durch eine große Zahl von Schöpfwerken versucht man, binnendeichs das Land wasserfrei zu halten. Trotz der sehr hohen finanziellen Belastung der Eigentümer durch Deich- und Sielgebühren, die etwa 10 bis 20 DM/ha an baren Kosten und 20 bis 50 DM/ha an unbaren Kosten betragen, ist, wenn das Land auch wasserfrei gehalten wird, die Binnenentwässerung so unzureichend, daß der gesamte Küstenstrich mehr oder weniger einseitig nur für die Grünlandwirtschaft, zum großen Teil nur für eine sehr schlechte Grünlandwirtschaft, genutzt werden kann.
Der Ernährungsausschuß dieses Hohen Hauses hatte im Sommer Gelegenheit, sich an Ort und Stelle über die dortigen Verhältnisse eingehend zu informieren. Er konnte feststellen, daß selbst diese fruchtbaren Böden, die, wie ich erwähnte, einen Einheitswert von 2000 DM je Hektar haben, wegen der einseitigen Nutzung als Grünland und wegen der schlechten Wasserführung nur einen Rohertrag von durchschnittlich 700 bis 800 DM je Hektar aufweisen; ja, in der Moormarsch, in den Moorbezirken betragen die Roherträge im Durchschnitt 500 bis 600 DM.
Es ist ganz klar, daß unter diesen Voraussetzungen der gesamte Strich an der Küste an der gewaltigen Ertragssteigerung in den letzten Jahrzehnten, an der Rationalisierung, der Technisierung, der Fruchtfolgeumgestaltung überhaupt nicht hat teilnehmen können; im Gegenteil, wir müssen feststellen, daß in diesem Gebiet in den letzten Jahrzehnten praktisch fast ein Stillstand eingetreten ist. Die Verschuldung nimmt ständig zu. Sie hat sich besonders seit 1950 etwa verdreifacht. Eingriffe in die Viehbestände, Landverkäufe und Zerschlagung der Betriebe sind an der Tagesordnung, und Handel und Gewerbe fechten ebenfalls einen verzweifelten Kampf. Eine industrielle Erschließung war bislang nicht möglich, da sowohl die Wasserversorgung als insbesondere auch die Stromversorgung und die Straßenverkehrsverhältnisse so rückständig und schlecht sind, daß eine industrielle Erschließung unter den derzeitigen Verhältnissen sehr schwer möglich ist.
({7})
So mußte in den letzten Jahren ein Gebiet nach dem anderen zum Notstandsgebiet erklärt werden. Die Zahl der Arbeitslosen ist in diesem gesamten Küstenstrich weit über den Durchschnitt des Landes Niedersachsen hinausgekommen; sie betrug im letzten Sommer allein bei den männlichen 27 000 und stieg im Winter auf 38 000. Allein im Lande Oldenburg und im Regierungsbezirk Aurich wurden im Durchschnitt der letzten Jahre 55 Millionen DM Arbeitslosenunterstützung gezahlt, dazu im Lande Staden 28 Millionen DM. Das heißt, in ,diesem Tidegebiet sind an unproduktiver Arbeitslosenunterstützung im letzten Jahr 83 Millionen DM gezahlt worden. Es unterliegt gar keinem Zweifel - und die von uns angelegten Versuchsflächen haben das ganz eindeutig erwiesen -, daß es bei einer entsprechenden Verstärkung der Deiche, bei einer verbesserten Melioration und einer Veränderung des Kulturartenverhältnisses durchaus möglich ist, die Erträge in dem gesamten Gebiet je Hektar um etwa 300 DM zu erhöhen. Da es sich hierbei, wie angeführt, um etwa 540 000 Hektar handelt, würde man bei einem entsprechenden Meliorationsprojekt spielend und mit Sicherheit eine Ertragssteigerung von etwa 170 Millionen DM im Jahre erreichen können. Man kann sich leicht ausrechnen, wie sich ein solches großzügig angepacktes Meliorationsprojekt nicht nur auf die Landwirtschaft, sondern auf die ganze Wirtschaft der dortigen Gegend auswirken muß, ja ich behaupte: es gibt im ganzen Bundesgebiet kein ähnlich günstig sich auswirkendes und kein ähnlich schnell und kurzfristig sich verzinsendes Meliorationsprojekt wie hier an der Küste.
Seit Jahren haben wir uns mit diesem Plan befaßt und haben nunmehr in Zusammenarbeit mit der Regierung in Hannover, mit den Deich- und Sielverbänden und den Landwirtschaftskammern einen sogenannten Küstenplan aufgestellt, dessen umfangreiches Material den hiesigen und den sonst in Frage kommenden Stellen zugeleitet worden ist. Mit kleinlichen Maßnahmen ist hier nichts zu machen, sondern das gesamte Tidegebiet muß als eine Einheit gesehen und einheitlich angepackt werden. Es ist ganz unbestritten, daß der Deichschutz, ,d. h. der Schutz des gesamten Landes, eine Bundesangelegenheit ist, ganz abgesehen davon, daß die Finanzierung dieses Projekts über die Leistungsfähigkeit der Deich- und Sielverbände und des Landes Niedersachsen weit hinausgeht. Die in dem Plan vorgesehenen Maßnahmen wird man in Etappen, und zwar in einem Zehnjahresturnus, ergreifen müssen, wobei wir insonderheit die Verstärkung der Deiche und daneben umfangreiche Meliorationsmaßnahmen, Verbesserung der Wasser- und Stromversorgung, Investierungen der Betriebe, Verbesserung der vollkommen unzureichenden Straßen- und Wegeverhältnisse, Flurbereinigung, Landgewinnungsarbeiten und Maßnahmen gewerblicher und industrieller sowie kultureller Art an die Spitze gestellt haben, um dieses in den letzten Jahrzehnten in Not geratene Gebiet wieder zu einem produktiven Landstrich werden zu lassen.
Ist schon von jeher jede Meliorationsmaßnahme vom Staat aus gesehen eine notwendige und volkswirtschaftlich wichtige Angelegenheit gewesen, so kommt bei diesem Projekt hinzu, daß es sich hier um eine Maßnahme handelt, die zudem eine für den Staat allerbeste Verzinsung erbringt. Alles spricht also für diesen Küstenplan, und jeder, der einmal Gelegenheit gehabt hat, sich an Ort und Stelle von den dortigen Zuständen zu überzeugen, kann gar nicht anders als zu dem Ergebnis kommen, daß seitens des Bundes und des Landes schnellstens gehandelt werden sollte. So ist es auch kein Zufall, daß sich in dem vorliegenden Antrag alle Fraktionen des Hohen Hauses zusammengefunden haben und daß sich eine so große Zahl von Abgeordneten aus allen Berufen, aus allen Kreisen diesem Antrag angeschlossen haben.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem von uns vorgelegten Antrag zuzustimmen und durch die Mitarbeit in den Ausschüssen dafür Sorge zu tragen, daß unser Plan in wirklich erfolgversprechender Form schnellstens zum Zuge kommt, und zwar so schnell, daß auch haushaltsmäßig die dafür erforderlichen Gelder so frühzeitig bereitstehen, daß wir noch im nächsten Jahre anfangen können. Abschließend darf ich bitten, den Antrag dem Haushaltsausschuß und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Conring.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wohl keinen deutschen Stamm, der den Boden, auf dem er lebt, mit urwüchsiger Kraft selbst hat schaffen und der landwirtschaftlichen Kultur hat erhalten müssen wie gerade die friesische Küstenbevölkerung, die an der deutschen Nordseeküste wohnt. Die holländische Katastrophe des Vorjahres, die in sehr kurzer Zeit etwa 2000 Menschen das Leben gekostet und einen Schaden von 1,2 Milliarden Gulden hervorgerufen hat, hat neben dem Mitgefühl, das sich allenthalben geregt hat, an der Küste aber auch das Gefühl der Sorge wachgerufen. Die Bewohner der deutschen Nordseeküste sagen sich: die gleiche Katastrophe hätte uns treffen können, wenn Wind und Wetter etwas anders gewesen wären. Sie sagen das nicht so obenhin, sondern sie sagen das im Blick auf ihre Geschichte, die sie ja kennen. Wir haben im Laufe der Jahrhunderte an der deutschen Nordseeküste immer wieder derartige Katastrophen erlebt. Ich erinnere Sie an die sogenannte „Weihnachtsflut", die besonders unseren ostfriesisch-oldenburgischen Raum betroffen hat. Die Menschen, die dabei umgekommen sind, sind an Zahl nicht geringer als die Menschen, die bei der holländischen Katastrophe ihr Leben haben lassen müssen: rund 5000 Menschen sind damals an der Küste ums Leben gekommen, ganz abgesehen von dem unermeßlichen Sachschaden, der auch damals entstanden ist.
Es ist an der Küste immer das gleiche: das Meer greift an; Sie sehen den Jadebusen bei Wilhelmshaven oder den Dollartbusen bei Emden oder die uns Küstenbewohnern natürlich im einzelnen noch näher bekannten kleineren Buchten wie die Harlebucht und die Leybucht und wie sie alle heißen mögen. Sie sehen das Meer im Angriff, und Sie sehen die Menschen in der Verteidigung, und immer wieder tritt der Mensch an in diesem Ringen um Boden und nimmt dem Meer wieder ab, was es sich in fürchterlichen Katastrophen einmal genommen hat. Aber das ändert nichts daran, daß solche Katastrophen in allen Jahrhunderten gekommen sind. Leider müssen wir damit rechnen, daß sie auch künftig kommen werden.
Uns beschleicht die Sorge, daß wir nicht gerüstet sein könnten auf die Angriffe und die Katastrophen, die uns möglicherweise bevorstehen.
({0})
Denn wir beobachten weiterhin folgendes: wir sehen, daß die Wasserstände in der deutschen Nordsee höher werden, wir sehen, daß jede Sturmflut höher aufläuft als die vorangegangene. Die eigentliche Ursache kennen wir nicht. Ein Teil der Menschen behauptet, es liege an der Küstensenkung, ein anderer Teil behauptet, vielleicht senke sich die Küste auch, aber die Hauptursache seien doch die klimatischen Veränderungen in den polaren Gewässern. Ihnen wird bekannt sein, daß etwa in Grönland jetzt Bezirke der Landwirtschaft erschlossen werden, die früher unter Eis und Schnee lagen, und daß heute in Bezirken die Fischerei betrieben wird, wo das früher gar nicht möglich war. Ob nun Küstensenkung oder ob höhere Wasserstände der Nordsee - das Ergebnis ist für die Küstenbewohner dasselbe; jede Sturmflut läuft höher auf, und die Menschen an der Küste müssen höher nachdeichen.
Die Menschen tun das auch, aber die Nachschau, die sich jetzt nach der holländischen Katastrophe ergeben hat, hat gezeigt, daß die jetzt vorhandenen Deiche jedenfalls einer Katastrophe, wie wir sie im Vorjahr an der holländischen Küste erlebt haben, nicht überall gewachsen wären, und dabei ist gar nicht einmal allenthalben in Rechnung gestellt, daß dieses höhere Anwachsen der Fluten von außen, von dem ich eben gesprochen habe, eigentlich ein noch höheres Aufdeichen zur Folge haben müßte. Nicht daß wir untätig dagesessen hätten. Wir an der Küste deichen eigentlich dauernd. Ich darf daran erinnern, daß beispielsweise in dem Kreis Leer in Ostfriesland, in dem ich wohne, seit zwanzig Jahren ununterbrochen gedeicht wird, um die Deiche wieder auf eine normale Höhe zu bringen, die sie im Laufe der Zeit natürlich immer wieder zu verlieren drohen, und sie auf das Maß zu bringen, das den gegenwärtigen Flutverhältnissen entspricht. Das verlangt aber Aufwendungen, die die uralten Deichkorporationen der Küste selbst nicht mehr tragen können. Allein dieser Deichbau im Bereich von Emden-Leer kostete etwa 7 Millionen DM auf einer Strecke von vielleicht 25 km, und meine engere Heimat in Ostfriesland umgibt ein Deichnetz von 360 km. Insgesamt sind es zwischen Ems und Elbe etwa 700 km Deiche.
Aber es tritt noch ein anderes hinzu, was dem Binnenländer nicht so bekannt ist. Der Binnenländer ist gewohnt, daß sich die sogenannte Vorflut tagtäglich und stündlich abwickeln kann und daß ein Stillstand in der Vorflut nicht eintritt. Bei uns an der Küste ist das wesentlich anders. An der Küste ist es so, daß, wenn man das Land mit Deichen umgibt, das Wasser, das aus dem Hinterland nun durch die Deiche hindurchfließen soll, nur zeitweilig durchfließen kann. Von den 24 Stunden des Tages kann - bei noch ganz normalen Wasserverhältnissen - bei uns im schlechtesten Fall während zweier Stunden, im besten Fall während acht Stunden entwässert werden. In allen übrigen Tag- und Nachtstunden entfällt die Entwässerung, weil das Außenwasser höher ist als das Binnenwasser. Es ist nicht schwer für uns an der Küste - aber wohl etwas schwieriger für den Binnenländer -, sich vorzustellen, was dann passiert, wenn das Außenwasser an der Küste nicht nur einige Tage unruhig wird, sondern einige Wochen unruhig ist und wenn die Außenwasserstände an der Küste dann tagelang immer wieder höher sind als die Binnenwasserstände. Dann versagt die Entwässerung im Lande vollkommen. Dann tritt das ein, was wir kennen, daß wir das aus dem Binnenland nachströmende Wasser künstlich durch die Deiche hindurchpumpen müssen, mit einem erheblichen Aufwand an Geld und Kraft. Die Einrichtungen dafür müssen ja immer wieder den veränderten Verhältnissen angepaßt werden. Ich sagte Ihnen eben, daß die Wasserstände immer höher werden. Infolgedessen müssen wir nicht nur nachdeichen, sondern wir müssen die Einrichtungen, die die Entwässerung des Binnenlandes regeln sollen und auch in der Zeit regeln müssen, wenn eine natürliche Entwässerung nicht mehr möglich ist, immer wieder den schwierigen Verhältnissen anpassen. Auch das muß immer kräftiger und stärker geschehen, damit wir unser Land einigermaßen trocken und wirtschaftlich verwertbar halten können.
Es wäre ungerecht, wenn wir von der Küste bei dieser Gelegenheit nicht zum Ausdruck brächten, daß uns in diesem schweren Kampf, den wir seit Jahrhunderten führen und immer wieder führen müssen, früher das Reich und Preußen und jetzt der Bund und die Länder unterstützt haben bzw. unterstützen. Hätten sie das nicht getan, wäre der Zustand, den wir augenblicklich haben, gar nicht mehr vorhanden. Die Kraft der Bauern allein reicht nicht aus. Es ist von meinem Vorredner schon hervorgehoben worden, daß das wirtschaftliche Absinken der Küstengebiete natürlicherweise gerade die Kräfte schwächt, die in erster Linie berufen sind, diese Deich- und Sielarbeit, wie wir sie nennen, zu finanzieren. Gerade durch das wirtschaftliche Absinken der Küstengebiete wird die Abwehrkraft der Deich- und Siel-Korporationen immer schwächer gemacht. Um so notwendiger ist es, daß sich der Bund und das Land, wie sie es früher getan haben, auch künftig an dieser Arbeit finanziell beteiligen.
Das Ergebnis ist folgendes: Die Deichsicherheit ist nicht mehr allenthalben gewährleistet. Die Entwässerung ist von Jahr zu Jahr schlechter geworden. Wir hatten in früheren Jahrhunderten an der Küste die „Herrschaft über das Wasser". Ohne diese Herrschaft kann man eine gute Landwirtschaft gar nicht betreiben. Aber wir haben diese Herrschaft inzwischen verloren infolge der höheren Wasserstände draußen, aber auch infolge der höheren Wasserstände drinnen. Denn das Fortschreiten der landwirtschaftlichen Kultur, die Meliorationen, die Dränagen, das Fortschreiten der Arbeiten an den Flüssen, die Flußkorrektionen, die Verringerung der Flußlängen, die Beseitigung der Flußschleifen, die Moorkultivierungen, all das hat ja zur Folge, daß das Wasser aus dem Binnenlande in den entscheidenden kritischen Tagen sehr viel schneller an die Küste herankommt, als es normal gekommen sein würde, wenn diese Maßnahmen nicht getroffen wären. Gerade auf diese kritischen Tage und Wochen kommt es aber entscheidend an.
Wenn wir also sagen: Die Deichsicherheit ist nicht mehr gewährleistet und die Entwässerung ist allenthalben schlechter geworden, so bitten wir damit gleichzeitig. das Hohe Haus - nachdem sich der Ernährungsausschuß von diesen Zuständen selber ein Bild gemacht hat -, uns dabei zu helfen, daß wir, die wir hinter dem Deiche leben müssen, wieder das Gefühl haben dürfen, in Sicherheit zu leben, und daß wir die Gewißheit haben dürfen, daß unsere Arbeit, die hauptsächlich in der Landwirtschaft geleistet werden muß, nicht nur gesichert ist, sondern sich auch lohnt.
Ich darf zum Schluß darauf aufmerksam machen: Wenn wir Wünsche zu einer Zusammenfassung der
({1})
Kräfte in einem 10-Jahres-Plan zum Ausdruck bringen, so glauben wir, versichern zu dürfen, daß sich diese Hilfe auch wirklich lohnt. Wir müssen doch daran denken, daß etwaige Katastrophen, die wir erleben könnten, neben den unersetzlichen Menschenverlusten auch materielle Schäden hervorrufen könnten, wie wir sie jetzt in Holland sehen. Wir wissen, was es bedeutet, wenn diese Schäden hinterher wieder einigermaßen ausgeglichen werden müssen. Diese Aufwendungen machen ein Vielfaches der finanziellen Aufwendungen aus, die wir jetzt machen könnten, um die Sicherheit zu gewährleisten.
Volkswirtschaftlich scheint uns diese Maßnahme abgesehen von dem Sicherheitsgefühl, das der Bevölkerung an der Küste wieder gegeben werden muß, auch gerechtfertigt zu sein. Von meinem Vorredner wurde bereits hervorgehoben, daß sich landwirtschaftliche Mehrerträge ergeben werden, so daß sich die Beträge, die jetzt aus öffentlichen Mitteln hineingesteckt werden müssen, dann vielfältig verzinsen.
Und noch ein Gesichtspunkt! Nach dem, was wir erlebt haben, und nach dem, was wir aus unserer Geschichte an der Küste wissen, können wir nicht warten. Die Sturmflut und das Meer warten auch nicht; sondern die Sturmflut und das Meer verlangen von uns, daß wir wie unsere Vorväter das Unsere tun, damit wir für etwaige Katastrophen, die sich anbahnen könnten, gerüstet sind. Es gibt ein stolzes Wort in der Küstenbevölkerung, das sich durch die Jahrhunderte hindurch erhalten hat. Es lautet: „Gott schuf das Meer, die Friesen aber schufen die Küste". Daran ist viel Wahres. Helfen Sie uns Küstenbewohnern dazu, daß wir die Küste weiterhin verteidigen können und daß sich hinter der Küste ein wirtschaftlich blühendes Leben wieder entfalten kann, das immer weiter abzusinken droht.
Ich habe den Wunsch, Ihre Sympathien für diesen Küstenplan zu erringen und Ihre Sympathien dafür mobil zu machen. Ich darf Sie bitten, dem Antrag zuzustimmen, diesen Küstenplan zunächst dem Haushaltsausschuß und dem Ernährungsausschuß zu überweisen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Peters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag Drucksache 736 will die Erstellung eines Küstenplans für eine lange Zeit, mindestens für 10 Jahre. Wir wollen die Sicherheit der deutschen Nordseeküste erhöhen und möchten, daß auch die unhaltbaren Wasserverhältnisse geändert werden. Aber nach dem Wortlaut des Antrags muß er nicht einem Ausschuß überwiesen werden, sondern er stellt eine Aufforderung an die Bundesregierung dar, von sich aus einen Küstenplan zu erstellen. Mit dem in dieser Form gestellten Antrag kann ein Ausschuß überhaupt nichts beginnen. Es kommt ja darauf an, daß hier nicht nur Reden gehalten werden, sondern daß nun etwas geschieht.
Dieser Antrag ist von Mitgliedern aus vier Fraktionen dieses Hauses unterzeichnet, und ich meine, er sollte die Zustimmung der Gesamtheit dieses Hohen Hauses finden. Es ist so - wie schon hervorgehoben wurde -, daß nur ein gütiges Schicksal die deutsche Nordseeküste vor der Gefahr bewahrt hat, die am 1. Februar 1953 die Küsten von Holland, Belgien und England heimgesucht hat. In jener Nacht haben sich die Bewohner der dortigen Küsten genau so ruhig zu Bett gelegt wie die an unserer deutschen Nordseeküste, und sie wurden geweckt durch das in ihre Häuser eindringende Wasser. Dadurch kamen über 2000 Menschen ums Leben. 47 000 Häuser sind zerstört worden. 250 000 ha Land wurden von der See überflutet.
Diese Katastrophe ist eine Warnung für das deutsche Volk gewesen; wir sollten aber hier gewisse Konsequenzen daraus ziehen. Holland wird viele Jahre benötigen, um die wirtschaftlichen Schäden zu beseitigen, und es wird sehr viel Geld kosten. Es ist sicher so, daß wir besser tun, wenn wir solchen Katastrophen vorbeugen.
Wie nachhaltig sich solche Flutkatastrophen auswirken können, dafür ein Beispiel aus der ostfriesischen Geschichte. In Ostfriesland entstand durch eine Reihe von Sturmfluten - die schwerste davon hauste bereits 1373 - eine große Einbuchtung, die sogenannte Leybucht. In dieser Leybucht versank damals eine ganze Reihe von Dörfern und Kirchspielen. Man hat bereits um das Jahr 1600 herum mit den Rückgewinnungsarbeiten begonnen, und sie sind heute noch nicht abgeschlossen. Im Jahre 1950 wurden die Arbeiten für die Eindeichung von 1000 ha beendet, und eben jetzt entsteht dort ein neues Dorf. Aber trotz der modernsten Arbeitsmethoden und der modernen Maschinen wird es noch einige Jahrzehnte dauern, um auch die letzten 2- bis 3000 ha wieder dem Meere an dieser Stelle abzugewinnen. Im Jadebusen - das ist die Einbuchtung östlich von Wilhelmshaven - versanken einstmals sieben Kirchdörfer, und dort wühlt heute immer noch die See.
Wieviel vernünftiger, besser und billiger ist es da, wenn wir mit den modernsten Mitteln alles Menschenmögliche tun, um solche Katastrophen zu unterbinden! Wie gut ist es da, wenn wir mit wohldurchdachten, langfristigen Plänen die Sicherheit der deutschen Küste ständig verbessern! Es wurde schon darauf hingewiesen, daß in den Regierungsbezirken Ostfriesland, Oldenburg und Stade 500 000 ha Land unter dem Schutz der Deiche liegen. Diese Deiche sind 750 km lang. Hinzu kommen alle die anderen Strecken an der Küste, allein 500 km an der schleswig-holsteinischen Küste, all die vorgelagerten Inseln und die Halligen.
Die Flutkatastrophe am 1. Februar 1953 hat auch bei uns Veranlassung gegeben, die Dinge nachzuprüfen. Es hat sich herausgestellt, daß unsere See- und Tidestromdeiche nicht die notwendige Standsicherheit aufweisen. Das bedeutet, daß die Lebenssicherheit und die Lebensgrundlage all der Menschen in diesem Gebiet nicht mehr voll gegeben ist. Meine Damen und Herren, wir müssen, wie auf so vielen anderen Gebieten, auch hier nachholen, was in der Vergangenheit versäumt worden ist. Es ist in Deutschland anscheinend schon immer leichter gewesen, für Soldaten und Kriege Geld zu bekommen als für friedliche Zwecke.
({0})
Wir sind aus diesem Grunde gezwungen, zu tun, was vor uns hätte getan werden müssen. Es ist notwendig, Küstenschutzarbeiten in größtem Umfange durchzuführen. Art und Umfang dieser Arbeiten werden allein vom blanken Hans bestimmt.
({1})
Ich möchte ganz besonders darauf hinweisen, daß der beste Küstenschutz die Landgewinnung ist. Wir müssen an der ganzen Küste fiskalisches Vorland schaffen. Wo private Anlandungsrechte dem entgegenstehen, können im Interesse aller Teile Vereinbarungen zur Übernahme durch den Staat führen. Das ist weitgehend, ich glaube, in Ostfriesland fast ausschließlich, geschehen. Aber die Verhältnisse sind noch nicht überall bereinigt. Das haben wir auch damals bei der Bereisung des Regierungsbezirks Stade festgestellt.
Zu dieser Sicherung durch Vorland muß, wie schon hervorgehoben wurde, die Erhöhung unserer Deiche kommen. Die Küste sinkt nicht nur ständig, sondern die Sturmfluten laufen auch dauernd höher auf. Von 1570 bis 1906 wurde ein Unterschied von 60 cm gemessen. Das ist ein erheblicher Unterschied, und dem müssen die Deiche angepaßt werden. Bei der Katastrophe am 1. Februar 1953 war an der deutschen Küste das Wasser schon so hoch, daß, wenn der Deichschutz nicht gewesen wäre, das gesamte Gebiet von Wilhelmshaven im Westen bis Bremerhaven im Osten und Oldenburg, Delmenhorst, Vegesack im Süden alles überflutet worden wäre.
In die Deichschutzarbeiten einbezogen werden müssen die Reparatur und die Neuanlage von Sielen. Gerade die Siele stellen manches Mal die gefährlichsten, die schwächsten Punkte dar und bieten dem Wasser immer die beste Angriffsmöglichkeit. Wir müssen dabei bedenken, daß die Sturmfluten bis zu 50 km landeinwärts laufen und daß die Stauung des Oberwassers dann ein übriges tut.
Unmittelbar zum Deichschutz - das ist hier noch nicht gesagt worden - gehören auch die Anlage und die Verbesserung von Zuwegungen zu den Seedeichen, es gibt viele Stellen, an denen wir von der Kuppe des Seedeiches aus vergeblich nach Zuwegungen Umschau halten, die auch in den besonders gefährlichen Frühjahrs- und Herbstmonaten benutzbar sind. Auf diesen verschlammten Kleiwegen kommt schon ein normales bäuerliches Fuhrwerk etwa im Februar/März oder während der frostfreien Herbst- und Wintermonate nicht weiter. Im Falle einer drohenden oder tatsächlichen Katastrophe aber könnten so schwere Lasten, wie sie bei Katastrophen eingesetzt werden müssen, überhaupt nicht transportiert werden. Wir müssen hier also schleunigst zu einem Ausbau kommen. Dieser Ausbau Muß systematisch geschehen und in Abständen von höchstens 3 bis 4 km. Die Wege müssen auch über die Deiche herübergeleitet werden. Es ist sicherlich eine Erleichterung auch in finanzieller Beziehung, feststellen zu können, daß ein Grunderwerb dafür kaum erforderlich sein wird und daß die privaten Anlieger, soweit sie dabei persönliche Vorteile haben, ohne Frage bereit sein werden, sich an den Kosten zu beteiligen.
Wenn einmal etwas passiert, ohne daß wir diese Arbeiten ausgeführt haben, stehen wir vor weit größeren Aufgaben. Die Gemeinden und Kreise und auch die Deichachten bei uns wissen durchaus, was sie tun müssen. Aber es fehlt ihnen die wirtschaftliche Kraft, es nun auch im Interesse der Landessicherheit tun zu können.
Meine Herren Vorredner haben schon darauf hingewiesen, daß wir aber nicht nur die Sturmflutgefahr bannen müssen, sondern daß auch das Zuviel des Wassers binnenwärts der Deiche beherrscht werden muß. An der gesamten Küste gibt es große
Niederungsgebiete, die unter Normalnull liegen. Diese tiefen Stellen erstrecken sich weit in das Land hinein. Sie bilden gewissermaßen Schüsseln, die ständig voll Himmelswasser laufen. Wenn wir keinen Deichschutz hätten, würden alle diese Gebiete zweimal täglich überflutet. Die Bekämpfung des Binnenwassers wird dadurch erschwert, daß wir eine Meeresspiegelhebung haben. Dadurch sind die Arbeiten immer kostspieliger geworden, und die Entwässerungsverbände allein können die finanziellen Mittel nicht mehr aufbringen. Durch die Hebung des Meeresspiegels ist die Entwässerungszeit unserer Siele immer kürzer geworden, die Vorflut, das Gefälle unserer Vorfluter, wurde dadurch verzehrt. Wir müssen hier also völlig neue Entwässerungsanlagen schaffen. Das Niederschlagswasser muß viel schneller, als das bisher geschehen ist und geschehen konnte, dem Meere zugeführt werden. Während die Holländer das Wasser weitgehend beherrschen und jeden Quadratmeter Boden nutzen, ist bei uns unendlich viel versäumt worden.
({2})
Statt gute Ernten zu liefern, verbinsen und versäuern unsere Ländereien, sie versumpfen infolge der stauenden Nässe. Versuche im Leda-Jümme-Gebiet haben ergeben, daß die Erträge der Landwirtschaft um ein Vielfaches gesteigert werden können. Größte finanzielle Opfer machen sich also in wenigen Jahren bezahlt. Ich meine, die Durchführung dieser Aufgaben ist eine echte Angelegenheit des Bundes und der Länder.
({3})
Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die bäuerlichen Betriebe in den Küstengebieten eine sehr große Wasserhypothek zu tragen haben durch die eigenen unvollkommenen Entwässerungsanlagen und daß dadurch ihre allgemeine Leistungsfähigkeit sehr stark herabgemindert wird.
Nun möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen. Im krassen Gegensatz zu diesem Überfluß an Wasser von außen und innen steht der fühlbare und sichtbare Mangel an Trink- und Brauchwasser für Menschen und Tiere. Große Teile der Bevölkerung sind völlig auf den Gebrauch von Regenwasser angewiesen. Wasserleitungen -fehlen, das Grundwasser ist brackig und übelriechend, ist manches Mal sogar salzig und für Menschen und Tiere kaum zu gebrauchen. Der schlechte Gesundheitszustand an der Küste steht damit in engstem Zusammenhang. Es gibt große Gebiete an der Küste, die dauernd von auswärts mit Wasser versorgt werden müssen. Das Wasser muß ständig, fast das ganze Jahr hindurch, hingefahren werden. In einem Küstenplan muß also nach unserer Auffassung auch die Wasserversorgung mit eingeplant sein. Die Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß die Versorgungsanlagen außerhalb der Moorniederungsund Marschniederungsgebiete gebaut werden müssen. Dadurch werden sehr lange Leitungsnetze benötigt, die sehr viel Geld kosten. Die Kreise und Gemeinden haben die Vorarbeiten abgeschlossen. Aber sie haben bisher nicht die Mittel bekommen, um Wasserversorgungsanlagen zu bauen. Bund und Länder müssen hier mindestens eine gute Hilfsstellung leisten. In den schwachen Gebieten - es handelt sich ja meistens um Notstandsgebiete - sind selbstverständlich die Kommunen und Kommunalverbände finanziell auch sehr schwach.
Bei einer unvoreingenommenen Betrachtung der dem Hause vorgetragenen Argumente wird sich
({4})
sicherlich bestätigen, was der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bei seiner Besichtigungsfahrt im April dieses Jahres festgestellt hat: Nur mit durchgreifenden Maßnahmen, die vom Bunde vorwärtsgetrieben und im wesentlichen finanziert werden, können die unter dem Einfluß von Ebbe und Flut liegenden Gebiete vor Katastrophen und weiterer Verkümmerung bewahrt werden. Diese Maßnahmen müssen den unmittelbaren Küstenschutz, die Entwässerung und die Wasserversorgung umfassen.
Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt die Initiative der Landesregierung Niedersachsens, die sie mit den Vorarbeiten zur Erstellung eines Zehnjahresplans für den Bereich ihrer Küste ergriffen hat. Insofern kam ,der Antrag im niedersächsischen Landtag, der in der vergangenen Woche dort behandelt wurde, schon etwas zu spät. Der Bund muß aber nach unserer Auffassung in Zusammenarbeit mit den zuständigen Landesregierungen einen Gesamtküstenplan erstellen und im wesentlichen finanzieren, weil die Länder dafür zu schwach sind. Niedersachsen errechnete einen Kostenaufwand von insgesamt 1,4 Milliarden DM für seine Küstengebiete. In ihrem Zehnjahresplan hat die niedersächsische Regierung, wahrscheinlich auch unter Berücksichtigung der finanziellen Kraft des Bundes, 770 Millionen DM eingeplant; das bedeutet also einen Jahresbetrag von 77 Millionen DM. Hinzu müssen die entsprechenden Finanzierungsmittel für Hamburg, Bremen und vor allen Dingen auch für Schleswig-Holstein kommen. Wenn der Bund von den Gesamtmitteln etwa zwei Drittel übernehmen würde, dann wäre das sicherlich ein gerechter Schlüssel. Mögen die Kosten ungeheuer hoch erscheinen, der Schutz der Küste und die wirtschaftliche Gesundung der unter dem Tideeinfluß liegenden Gebiete lohnt jeden Aufwand. Hier wartet nun mal ein Werk des Friedens auf uns. Die Verteidigung gegen die See ist eine Aufgabe der ganzen Nation und nicht allein eine Aufgabe der zunächst Wohnenden.
Ich stelle von meiner Fraktion aus den Antrag, diesen Antrag, der uns auf Drucksache 736 vorliegt, nicht einem Ausschuß zu überweisen, sondern anzunehmen.
({5})
Meine Damen und Herren! Ich erinnere zwischendurch noch an die große uns noch bevorstehende Tagesordnung. Ich darf bitten, doch freundlichst zu unterstellen, daß alles, was bereits gesagt ist, von dem Haus sehr intensiv aufgenommen worden ist.
Ich darf noch auf folgendes aufmerksam machen. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten tritt um 11 Uhr zu der vorgesehenen kurzen Sitzung zusammen.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte von vornherein vor, nur einige wenige ergänzende Worte zu sagen. Das, was über den Küstenschutz gesagt werden mußte, haben meine Herren Vorredner gesagt.
Ich wollte nur noch einmal eine Frage klarstellen, die mir bei der Bereisung durch den Ernährungsausschuß und auch später verschiedentlich vorgelegt worden ist, nämlich, warum bisher in diesem Gebiete nichts getan worden ist. Es sieht ja verheerend aus. Die Schäden müssen doch schon sehr lange so sein. Es wurde mir auch immer wieder entgegengehalten: ja, wie kommt es denn, daß es heute dort ganz anders aussieht, als wir in unserer alten Vorstellung von den reichen Marschbauern denken? Die Verhältnisse haben sich in dem ganzen Küstengebiet, in dem Tidegebiet, das mit dem Antrag erfaßt wird, in den letzten Jahren völlig geändert. Wir brauchen uns nur zu überlegen, daß wir in diesem Gebiet Einheitswerte zwischen 1500 und 2500 DM haben. Wir brauchen auch nur die Fruchtfolge, die Bewirtschaftung dieser Gebiete, wie sie bei den jetzigen Wasserverhältnissen möglich ist, mit der Bewirtschaftung gleicher Böden im Binnenland zu vergleichen, dann stellen wir fest, daß wir an der Küste infolge der unglücklichen, schmalen, oberflächlich entwässerten langen Beete, infolge der großen Luftfeuchtigkeit und des hohen Grundwasserstandes eine vernünftige Mechanisierung und eine intensive Fruchtfolge nicht durchführen können, ja nicht einmal eine intensive Grünlandbewirtschaftung betreiben können. Wir liegen dann bei Umsätzen zwischen 350 und 500 DM pro ha in den reinen Grünlandgebieten und bis zu 700, 800 DM in den gemischtwirtschaftlichen Gebieten. Wir erkennen, daß wir bei einer Verbesserung der Wasserverhältnisse nach dem vorausgegangenen Küstenschutz und wenn gleichzeitig das Wegenetz ausgebaut wird, auch diese Gebiete an eine normale Bewirtschaftung, wie wir sie im Binnenlande haben, heranholen können. Damit werden gewaltige Investierungen in den Betrieben nötig und möglich.
Wir machen also die Betriebe durch Schaffung vernünftiger Einnahmeverhältnisse nicht allein gesund, sondern befähigen die Betriebe damit erst dazu, nun auch zu mechanisieren. Wenn wir uns einmal ansehen, wieviel Trecker pro ha landwirtschaftlicher Nutzfläche im Binnenland laufen und damit vergleichen, was im Küstengebiet läuft, zeigt sich allein schon dadurch, welche große Ankurbelung auch der Landmaschinenindustrie bei einer Verbesserung der Nutzung im Küstengebiet erreicht werden kann.
Ich möchte Sie also dringend bitten, für die Sanierung dieses Gebietes, für die Erschließung hochwertiger Böden das Erforderliche zu tun. Es wird heute auch für die Ödlandkultivierung im Binnenland sehr viel Geld ausgeben. Da kultivieren wir Böden, die im Höchstfall mit einem Ertrag von 10 bis 12 Zentner Roggen abschneiden. Wenn wir das dortige Gebiet durch vernünftige Entwässerung aufschließen, bringen wir Weizenböden mit 15 bis 20 Zentner je Viertel ha in eine vernünftige Nutzung.
Im Namen meiner Fraktion möchte ich Sie also dringend bitten, den Antrag betreffend Küstenplan, den meine Kollegen. Dannemann und Conring gestellt haben, dem Ausschuß für Haushalt und dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur weiteren Beratung zu überweisen. Das Problem ist so umfangreich, daß es einer gründlichen Durcharbeitung in den Ausschüssen bedarf.
Das Wort hat der Abgeordnete Diekmann.
Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Debatte noch zu verlängern; denn das Grundsätzliche zu diesem Antrag
({0})
ist schon von den Herren Vorrednern gesagt worden. Ich bin deshalb hier heraufgekommen, weil ich das Gefühl habe, daß in erster Linie für das Küstengebiet des Landes Niedersachsen gesprochen worden ist. Die gleichen Verhältnisse bestehen auch im Küstengebiet des Landes Schleswig-Holstein. Ich mache darauf aufmerksam, daß im Verlauf der letzten Jahrhunderte auch hier große Katastrophen zu verzeichnen sind. Die schleswig-holsteinische Küstenbevölkerung hat die große Katastrophe, in der Nordstrand und Pellworm voneinander und auch vom Lande getrennt wurden, nicht vergessen. Erstmalig ist im Jahre 1947/48 in Schleswig-Holstein wieder eine Bedrohung aufgetaucht. Damals wurden an einigen Stellen unseres Küstengebietes die Deichkronen durch eine große Sturmflut angebrochen. Seinerzeit haben wir, um aus dem Länderfinanzausgleich die notwendigen Mittel zu bekommen, die Landwirtschaftsvertreter der übrigen Länder gebeten, sich diese Verhältnisse anzusehen.
Damit habe ich schon angedeutet, daß das Land Schleswig-Holstein nicht in der Lage ist, die große Deichlänge aus eigener Kraft instand zu halten.
({1})
Schon in den früheren Jahren, vor 1945, als Schleswig-Holstein zum Staatsverband Preußens gehörte, hat Preußen die notwendigen Mittel für die Instandsetzung der Deiche gegeben. Nunmehr ist der Bund verpflichtet, und ich darf sagen, daß der Bund auch etliche Mittel - vielleicht nicht ganz ausreichend - für die Instandhaltung der Deiche in Schleswig-Holstein zur Verfügung gestellt hat.
Von den Vorrednern ist schon gesagt worden, daß die Küste sich senkt, daß mit Änderung der klimatischen Verhältnisse der Stand der Nordsee gestiegen ist. Ich bin aber der Auffassung, daß man im Verlaufe der letzen Jahrzehnte die Instandhaltung und Instandsetzung der Deiche vernachlässigt hat. Die Instandhaltung muß unbedingt nachgeholt werden. Schleswig-Holstein hat eine Deichlänge von etwa 500 km. Davon sind 300 his 350 km gefährdet. Diese müssen also bald in Ordnung gebracht werden, damit nicht bei einer etwaigen Sturmflut wieder eine Katastrophe eintritt.
Der vorliegende Antrag sieht eine Regelung der Wasserverhältnisse und der Deichinstandsetzung in zehn Jahren vor. Ich bin der Auffassung, daß dieser Zehnjahresplan gerade für die Instandsetzung und Instandhaltung der Deiche wohl doch etwas zu weit gesteckt ist. Vielleicht kann man die Wasserregulierung innerhalb dieses Zehnjahresplans durchführen. Die Instandsetzung der Deiche sollte aber nach meiner Auffassung wegen bevorstehender Gefahren doch etwas schneller erfolgen.
Wenn ich hierzu gesprochen habe, meine Damen und Herren, so insbesondere deshalb, um zu erreichen, daß bei der Behandlung dieses Antrags auch die Küstenverhältnisse des Landes Schleswig-Holstein mit in die Beratungen einbezogen werden.
({2})
- Das hat j a mein Kollege schon gesagt.
Das Wort hat der Abgeordnete Ehlers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht um zu beweisen, daß ich auch Abgeordneter aus dieser Gegend bin, rede ich hier noch; sonst würde sich der Kollege Ohlig mit Selbstverständlichkeit auch noch verpflichtet fühlen, darüber zu sprechen; denn wir stammen beide aus der gleichen Ecke. Ich möchte hier nur folgendes sagen. Die niedersächsischen Abgeordneten haben mit diesem Antrag nicht den Wunsch, eine Position gegen Schleswig-Holstein zu beziehen. Wir wissen, daß der Küstenschutz eine gemeinsame Aufgabe ist und daß man das, was geschehen muß, in Abstimmung zwischen den Küstenländern tun muß.
Ich wäre darum dankbar, Herr Kollege Peters, wenn Sie sich entschlössen, der Ausschußüberweisung zuzustimmen, nicht um die Sache zu verzögern, sondern um sowohl im Ernährungsausschuß wie im Haushaltsausschuß die Möglichkeit zu geben, die bisher schon vorgesehenen und die zu schaffenden Möglichkeiten zwischen diesen beiden Ländern aufeinander abzustimmen. Denn weder das eine noch das andere hat ein Interesse daran, daß in dieser Frage eine falsche Rivalität zwischen Niedersachsen und Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen entsteht.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Elsner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte die Aussprache hier nicht noch weiter verlängern, möchte aber grundsätzlich die Auffassung meiner Fraktion zum Ausdruck bringen. Die Landwirtschaft der Küstengebiete ist in einem so außerordentlichen Ausmaß von den Schwierigkeiten betroffen, daß es notwendig ist, diesen Antrag in den Ausschüssen eingehend durchzuberaten, um zu einem Ergebnis zu kommen, das wirklich alle Schwierigkeiten löst. Ich trete deshalb für die Überweisung des Antrags an die Ausschüsse ein. Meine Fraktion wird dem Antrag im Ausschuß zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Aussprache. Es ist die Überweisung der Drucksache 736 an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung beantragt. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 9 der gestrigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Schutzmaßnahmen für Helgoland ({0}).
Wer begründet den Antrag? - Das Wort zur Begründung hat Herr Abgeordneter Walter.
Walter ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wie Sie aus der Vorlage ersehen, gliedert sich unser Antrag in zwei Teile. Der erste Teil behandelt die Schutzmaßnahmen für die Düne Helgoland. Diese Schutzmaßnahmen sind notwendig, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Düne eines Tages bei schwerem Nordwest oder Südwest durchbricht. Damit würden der Helgoländer Bevölkerung die Möglichkeiten genommen, ihren Lebensunterhalt zu erwerben. Die Düne ist seinerzeit durch den Einbau
({2})
des Marinehafens in eine besonders mißliche Lage gekommen. Der Marinehafen hat heute keine Bedeutung und keinen Nutzen mehr. Durch den Einbau des Marinehafens in die Düne lagert die Strömung bei den Nordweststürmen allen Sand, der zwischen der Düne und dem Festland durchgespült wird, nicht mehr an der Düne an. Dieser Sand wird vielmehr in unsere Flußmündungen hineingedrückt. Daher ist es notwendig, daß der Marinehafen, der nur zum Zwecke der Transporte für die Marine mitten in die Düne hineingebaut wurde, wieder entfernt wird, damit der Sand an der Düne abgelagert und die Düne befestigt wird.
Wir haben beantragt, für diese Zwecke einen Betrag von 1 Million DM überplanmäßig zu bewilligen. Der Herr Finanzminister hat in dieser Beziehung liebenswürdigerweise schon Zugeständnisse gemacht. Der für die Durchführung dieser Arbeiten notwendige Betrag ist höher. Es ist bereits 1 Million DM bewilligt worden. Benötigt werden noch dringend 1,3 Millionen DM, damit die Arbeiten nicht zu lange hinausgezögert werden. Jede Verzögerung birgt die Gefahr in sich, daß die Düne durchbricht und alle Aufbauarbeiten wieder hinfällig werden, die in den Jahren nach der Instandsetzung Helgolands geleistet worden sind.
Zu dem zweiten Teil des Antrags, der die Schutzmaßnahmen für den Nothafen betrifft, möchte ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten eine kurze Notiz verlesen, die in einer Hamburger Zeitung vom 30. September 1954 enthalten ist und das ganze ernste Problem beleuchtet. Sie lautet:
Seit Mittwochabend ist der Helgoländer Hafen von zahlreichen Schiffen, die vor dem Nordweststurm Schutz suchten und die Insel als Nothafen angelaufen haben, überfüllt.
Daraus ersehen Sie, wie notwendig es ist, daß wirkungsvolle Schutzmaßnahmen für den Nothafen Helgoland getroffen werden. Für diesen Zweck ist ein Mindestbetrag von 11,2 Millionen DM erforderlich. Denn die Westmole, die den eigentlichen Schutz für den Nothafen darstellt, ist durch die schweren Südweststürme und die Erschütterungen, die in den vergangenen Jahren durch die Explosionen von Munition und durch die Bombenabwürfe verursacht wurden, zu einem erheblichen Teil gebrochen. Die Westmole zu erneuern, würde nicht das Richtige sein. Wir müssen einen völlig neuen Teil der Westmole vor den zerbrochenen Teil vorlegen, damit der Nothafen wieder seinen richtigen Schutz bekommt.
Auch die Südmole ist zum großen Teil beschädigt. Hier würde sich aber schon eine Reparatur ermöglichen lassen, so daß eine neue Mole nicht gezogen zu werden braucht.
Der Gesamtbetrag für diese Arbeiten beläuft sich, wie gesagt, auf 11,2 Millionen DM. Nun sind aber auch hier vom Herrn Finanzminister liebenswürdigerweise bereits 3,3 Millionen DM für dieses Jahr überplanmäßig bewilligt, und auch für das kommende Jahr sind schon einige Millionen DM einkalkuliert worden. Es bleibt noch ein Rest von 2 Millionen DM, der dringend benötigt wird, damit die erforderlichen Arbeiten wirkungsvoll durchgeführt werden können. Insgesamt beträgt die noch benötigte überplanmäßige Summe für die beiden Teile der Schutzmaßnahmen für Helgoland also 3,5 Millionen DM.
Meine Damen, meine Herren! Sie wissen, daß die Besatzungsmacht damals mit zäher Beharrlichkeit versuchte, das schöne Eiland auszulöschen. Lassen Sie uns nun mit noch größerer Entschlossenheit unser Helgoland wieder zu einer schönen Heimstätte für seine Bewohner, zu einer Stätte der Erholung für unser die See liebendes Volk und, last but not least, zu einem sicheren Ort der Zuflucht für Schiffe und Besatzungen, die bei schwerem Wetter in der Nordsee in Seenot geraten und die ohne den Schutzhafen Helgoland verloren wären, aufbauen!
Ich bitte Sie daher, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Diekmann.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag hat mich vor einigen Tagen veranlaßt, beim Verkehrsministerium bzw. beim Finanzministerium nachzufragen, welche Mittel gegebenenfalls für das kommende Jahr für diesen Zweck zur Verfügung gestellt werden könnten. Mir wurde daraufhin von den Beamten beider Ministerien gesagt, daß für das Jahr 1954 bereits Mittel zur Verfügung gestellt und auch für das Jahr 1955 Mittel verplant worden seien. Auf Grund dessen habe ich mich gefragt: warum dann noch die Behandlung dieses Antrages? Ich nehme an, daß mein Kollege Walter mindestens ebensogut darüber orientiert gewesen ist wie ich. Da nun aber der Antrag vorliegt und bereits begründet ist, habe ich die Absicht, auch noch einige Worte dazu zu sagen. Ich will mich aber möglichst kurz fassen; denn die große Tagesordnung, die noch zu bewältigen ist, gebietet es geradezu.
Auch die Sozialdemokratische Partei ist der Auffassung; daß die Düne unbedingt erhalten und daß der ehemalige Marinehafen abgebrochen werden muß. Ich spreche diese Punkte an, weil ich die Herren Ausschußmitglieder, die sich im Haushaltsausschuß für das Jahr 1955 mit dieser Frage zu befassen haben, bitten möchte, die von den Ministerien vorgesehenen Beträge auch tatsächlich zu verplanen. Denn es geht doch nicht nur um die Erhaltung dieser Düne, sondern darum, den Helgoländern eine vernünftige Erwerbsquelle zu erschließen. Das zu dem Antrag.
Meine Damen und Herren! Es ist auch sonst noch vieles über den Aufbau der Insel Helgoland zu sagen. Ich stelle hier die Frage, ob hinsichtlich des Aufbaues von allen Seiten das Größtmögliche getan worden ist. Ich glaube, wohl im Namen der dort tätigen Helgoländer sagen zu können, daß sie ihre geistigen und materiellen Kräfte durchaus mobilisiert haben, um ihre Heimatinsel so schnell wie möglich wieder zu erschließen.
Der Bund hat erfreulicherweise für die letzten beiden Jahre je 5 Millionen DM zur Verfügung gestellt, und soweit ich unterrichtet bin, sollen für die kommenden Jahre ebenfalls je 5 Millionen DM verplant werden. Aber wenn in diesem Tempo weitergebaut wird, dann wird, das glaube ich im Namen der Helgoländer sagen zu dürfen, die Insel erst in zwölf Jahren so weit sein, daß sie völlig bewohnbar ist; und das scheint den Helgoländern doch etwas zu langwierig zu sein.
({0})
Deshalb bin ich der Meinung, daß man für die kommenden Jahre größere Mittel einsetzen muß, damit die Wiederherstellung der Insel Helgoland etwas schneller vor sich geht. Etwa 70 Millionen DM sind ja notwendig, um Helgoland einigermaßen wieder instandzusetzen.
Darf ich nun noch eine Frage stellen. Ist denn die Trümmerräumung wirklich beendet, wie erst kürzlich von der Bundesregierung bekanntgegeben worden ist? Ich glaube, nur ein Teil der Insel Helgoland ist bisher von den Trümmern geräumt worden. Es sollen seit dem 1. März 1954 ungefähr 840 000 cbm Erde mit einem Kostenaufwand von etwa 7,5 Millionen DM bewegt worden sein, und es sind ungeheuer viele Bomben gefunden worden. Es ist mir von dort aus mitgeteilt worden, daß auf je 2000 cbm Erde, die bewegt worden sind, etwa eine 500-Kilo-Bombe entfällt. Nach den Errechnungen der Helgoländer liegen auf der Insel immer noch mehr als 1500 500-Kilo-Bomben. Sie wünschen, daß die gesamte Insel wirklich von Trümmern geräumt wird. Ich bin ebenfalls der Meinung, und meine Fraktion teilt sie, daß man die Insel nach Möglichkeit ganz erschließen soll, damit den Helgoländern wirklich die Möglichkeit gegeben ist, die ganze Insel zu nutzen.
Meine Damen und Herren! Noch einmal möchte ich darauf hinweisen, daß, wenn der Aufbau so langsam wie bisher vor sich geht, die Insel erst in zwölf Jahren völlig erschlossen sein wird und daß dann viele Helgoländer ihre ehemalige Heimat nicht mehr werden betreten können, weil die ältere Generation dann bestimmt darüber verstorben ist.
Im Interesse der Allgemeinheit möchte ich namens meiner Fraktion darum bitten, daß der Wiederaufbau der Insel Helgoland etwas stärker gefördert wird.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Beantragt ist Überweisung der Drucksache 818 an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 10 der gestrigen Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({0}).
Ich nehme an, daß das Haus zustimmt. Ich möchte nur bemerken, daß noch Änderungswünsche geäußert worden sind. Der Antrag Drucksache 787 soll an den Haushaltsausschuß zur Federführung und an den Ausschuß für Verkehrswesen zur Mitberatung, der Antrag Drucksache 816 nicht nur an den Haushaltsausschuß - federführend -, sondern auch an den Ausschuß für Verkehrswesen - mitbeteiligt - überwiesen werden. Im übrigen sollen die Überweisungen nach den hier vorliegenden Anträgen erfolgen. Ist das Haus mit der Überweisung dieser Anträge einverstanden? - Das ist der Fall. Damit sind wir am Ende der gestrigen Tagesordnung.
Ich komme nun zur Tagesordnung von heute. Es ist die Anregung an mich herangetragen worden, die Punkte 4 und 5 der heutigen Tagesordnung, nämlich die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 sowie die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder, vorzuziehen. Ich frage das Haus, ob es mit diesem Verfahren einverstanden ist.
({1})
- Ja, gerade aus Ihrer Fraktion kam die Anregung.
({2})
- Gut. Ich rufe dann Punkt 1 der heutigen Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Weihnachtsbeihilfen für Bedürftige ({3});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Weihnachtsbeihilfe ({4}).
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß beide Punkte zusammen behandelt werden sollen.
Zur Begründung des Antrags Drucksache 798 erteile ich das Wort der Abgeordneten Frau Finselberger.
Frau Finselberger ({5}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Mit der Drucksache 798 legt Ihnen die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE einen Antrag vor, der sich mit der Weihnachtsbeihilfe für Bedürftige beschäftigt. Wir wissen, daß in jedem Jahre die Weihnachtshilfe hier im Plenum eine sehr wichtige Rolle spielt. Wenn Sie sich den Antrag unserer Fraktion ansehen, werden Sie feststellen, daß wir hier versucht haben, eine Form zu finden, die eine gewisse Gleichmäßigkeit sowohl in der Abgrenzung des Personenkreises als auch in der Höhe der Weihnachtshilfe in den Ländern der Bundesrepublik gewährleistet. Es scheint uns richtig zu sein, daß vom Bund her eine Regelung erfolgt, bei der die Höhe der Weihnachtsbeihilfe nicht von der Finanzstärke eines Landes abhängig gemacht wird, sondern eine Weihnachtsbeihilfe in einer Höhe gewährt wird, die einen gleichen Personenkreis umfaßt und es ermöglicht, die Beihilfe für den Kreis der Bedürftigen in einheitlicher Höhe festzusetzen. Wir haben in diesen Personenkreis einbezogen die Empfänger von öffentlicher Fürsorge, die Alu- und AlfuEmpfänger, die Sozialversicherungsrentner, die Rentner der Kriegsopferversorgung, die Empfänger von Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen und die Empfänger von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz.
Wir haben als Grundsumme für den Hauptunterstützungsempfänger oder Hauptempfänger solch einer Rente 25 DM und für die Angehörigen je 10 DM genannt. Einen Unterschied im Grundbetrag machen wir allerdings bei dem Personenkreis der Alu- und Alfu-Empfänger, die dauerarbeitslos sind. Wir meinen, daß wir den Grundbetrag oder - so möchten ich ihn nennen - den Hauptbetrag auf 40 DM erhöhen sollten. Wir
({6})
meinen auch, daß wir hier in gewisser Hinsicht Neuland zu betreten haben, weil wir nicht nur den Bund, sondern auch Sozialversicherungsträger bei der Finanzierung herangezogen sehen möchten. Damit ist eines sehr deutlich angesprochen - das möchte ich jetzt schon sagen -, daß man sich im Ausschuß einmal darüber zu unterhalten hat, daß wir uns in diesem Jahre nicht an besonderen Grundsätzen stoßen sollten, weil vielleicht der Streit entstehen könnte, inwieweit eine solche Beihilfe eine Sonderleistung oder eine Versicherungsleistung ist und ob, wenn sie Sonderleistung ist, sie von den Versicherungsträgern gegeben werden kann. Man sollte das einmal mit einbeziehen in die Diskussion, die dieses Hohe Haus dann bei der Rentenreform haben wird. Es sollte aber unser aller Anliegen sein, daß wir uns über Bedenken in der Form der Finanzierung dieses Antrags mit einer gewissen Anerkennung dessen hinwegsetzen sollten, was neulich einmal gesagt wurde: daß es sich bei den Sozialversicherungsträgern ja nicht um irgendwelche Privatversicherungen handelt, sondern eben um Sozialversicherungsträger, und hier möge man - wie auch in einer anderen Diskussion auf sozialversicherungsrechtlichem und sozialpolitischem Gebiet gesagt worden ist - an das Solidaritätsgefühl appellieren. Ich möchte das deshalb einmal sehr deutlich zum Ausdruck gebracht haben, weil wir hier, wie ich schon andeutete, einen Schritt weiter gegangen sind als bisher. Ich gestehe durchaus zu, daß dieser Antrag im Ausschuß für Sozialpolitik durchgesprochen werden müßte.
Ich möchte aber auch zu der Höhe der eingesetzten Beträge Stellung nehmen. Uns kommt es darauf an, daß dieser Antrag auf eine Weihnachtsbeihilfe für die Bedürftigen auch realisierbar ist. Wir wollten keinen Anlaß geben, daß man einem solchen Antrag eine andere Deutung geben könnte. Es ist uns zu ernst. Es kommt uns darauf an, diesem Kreis der Bedürftigen das zu geben, was er sich zum Weihnachtsfest erhofft, und nicht schon damit eine gewisse Schwierigkeit aufzuwerfen, daß Summen genannt werden, die von vornherein zu hoch erscheinen könnten. Wir möchten uns auch über die Summe noch einmal im Ausschuß unterhalten.
Immerhin scheint es doch wohl richtig zu sein, daß wir uns mit diesem Anliegen im Ausschuß rechtzeitig beschäftigen, damit wir nicht wie im vorigen Jahre in Zeitdruck kommen, sondern dem Kreis der Bedürftigen die Weihnachtsbeihilfe zur rechten Zeit ausgezahlt werden kann. Ich darf darum bitten, der Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik zuzustimmen.
({7})
Ich erteile das Wort zur Begründung des Antrags auf Drucksache 845 der Abgeordneten Gertrud Meyer.
Frau Meyer ({0}) ({1}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die sozialdemokratische Fraktion hat Ihnen mit der Drucksache 845 einen Antrag vorgelegt, durch den die Bundesregierung beauftragt werden soll, zu veranlassen, daß eine Weihnachtsbeihilfe gezahlt wird, und zwar an alle Empfänger von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und diesen wirtschaftlich gleichstehende Empfänger von versicherungsmäßiger Arbeitslosenunterstützung, außerdem von Renten aus der Sozialversicherung, von
Renten aus der Kriegsopferversorgung, von Unterhaltshilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen und von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz. Weiterhin möchten wir einbezogen wissen die Heimkehrerunterstützungsempfänger, die wir versehentlich in unserem Antrag nicht aufgeführt haben und die ich hiermit ergänzend nenne.
Nun werden Sie fragen, warum wir eine Weihnachtsbeihilfe verlangen. Wir alle, meine Herren und Damen, wissen, wie hoch die Lebenshaltungskosten sind, z. B. für die Grundnahrungsmittel: Kartoffeln, Gemüse, Fleisch, Milch oder Brot, die jeder Mensch dringend nötig braucht. Die seinerzeit durchgeführte Erhöhung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung war besonders für die niedrigen Lohnklassen so gering, daß von einer echten Erhöhung kaum gesprochen werden kann. Auch die Gewährung von Mehrbeträgen an alte Rentner in den gesetzlichen Rentenversicherungen, wie wir sie gestern beschlossen haben, macht eine Weihnachtsbeihilfe nicht überflüssig.
({2})
Der Vorschuß wird für fast eine Million von Rentnern nur 10 Mark für vier Monate betragen. Das ist völlig unzureichend und nicht als eine wirksame Vorsorge für die zusätzlichen Belastungen, die der Winter mit sich bringt, zu betrachten. Die hohen Preise für die genannten Lebensmittel belasten gerade den Haushalt der eben erwähnten Hilfsbedürftigen ganz besonders.
Wir beantragen deswegen, daß den Empfängern der genannten Sozialleistungen 50 Mark zu zahlen sind. Das ist unserer Meinung nach das Geringste, was man heute dem Alleinstehenden geben muß, um eine einigermaßen fühlbare Erleichterung zu schaffen. Es besteht sicher auch kein Zweifel darüber, daß für die Familie eine ausreichende Steigerung vorgesehen werden muß. Wir haben für die zuschlagsberechtigten Angehörigen 10 Mark vorgesehen. Die SPD-Fraktion ist der Auffassung, daß es ein gemeinsames Anliegen des Bundestages sein muß, hier mehr zu tun als bisher. Nach unserem Vorschlag bekommt eine Familie des genannten Empfängerkreises mit zwei Kindern zu Weihnachten eine einmalige Zuwendung von 80 DM. Niemand in diesem Hause wird sagen wollen, das sei zuviel! Bei langfristig Arbeitslosen - das sind Arbeitslosenfürsorgempfänger, die länger als ein Jahr arbeitslos sind - wollen wir für den Hauptunterstützungsempfänger 60 Mark und für die zuschlagsberechtigten Angehörigen 15 Mark gewähren; das sind für eine Familie mit zwei Kindern 105 Mark.
Es mag Sie zunächst etwas überraschen, daß wir für die Menschen, die schon so lange arbeitslos sind und sich dadurch wirtschaftlich in besonderen Schwierigkeiten befinden, etwas mehr tun möchten. Wer aber die Verhältnisse der langfristig Arbeitslosen kennt, weiß, daß ein großer Teil von ihnen schon durch die mangelhafte Ernährung in seiner Arbeitsleistung behindert ist und daß außerdem die Gefahr besteht, daß er durch Krankheit arbeitsunfähig und dauernd hilfsbedürftig wird.
({3})
Deshalb rechtfertigt sich unseres Erachtens die Erhöhung für diesen Personenkreis. Ich brauche nur auf die große Zahl der arbeitslosen Angestellten zu verweisen, die sich bekanntlich in beson({4})
ders großer Not befinden. Ihre Vermittlung in bestimmte Berufe ist namentlich dann schwierig, wenn Kleidung und Wäsche einen abgetragenen Eindruck machen und dadurch Schwierigkeiten bei der Vorstellung entstehen.
({5})
Die Familien, deren Ernährer schon lange erwerbslos ist, haben ebenfalls ihre Reserven an Kleidung und Wäsche aufgebraucht, so daß die Weihnachtsbeihilfe für sie eine notwendige zusätzliche Leistung ist.
({6})
Diese Weihnachtsbeihilfe - Sie werden fragen, wie sie gezahlt werden soll - wünschen wir genau so geregelt wie in früheren Jahren: sie soll auch in diesem Jahr durch einen Erlaß der Bundesregierung geregelt werden, der ihre einheitliche Durchführung in den Ländern ermöglicht und sichert und auch die Verrechnung über die Kriegsfolgenhilfe ordnet.
Natürlich legen wir besonderen Wert darauf, daß auch Berlin einbezogen wird; denn wir haben gute, menschliche und politische Gründe, den Berlinern auch hierdurch unsere Verbundenheit zu bekunden.
({7})
Nach den Worten des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung sollte es die besondere Pflicht der Regierung sein, Maßnahmen zu treffen, durch die die wirtschaftliche Lage der sozial besonders Bedrängten in unserem Volk verbessert wird. Das sollte u. a. auch durch eine große Sozialreform geschehen. Wir warten leider immer noch auf diese große Sozialreform.
({8})
Weil aber wirksame Hilfe durch eine Erhöhung der Renten bisher nicht geleistet worden ist, bitten wir Sie, meine Herren und Damen, diese Beihilfe aus Anlaß des Weihnachtsfestes zu gewähren.
Bitte, lassen Sie sich nicht nur ausschließlich von finanziellen Überlegungen leiten, sondern denken Sie bitte auch daran, daß es sich hier um das Schicksal von Menschen handelt, die unserer Hilfe sehr dringend bedürfen.
({9})
Zögern Sie deshalb nicht; denn auch hier gilt das Wort: Wer schnell hilft, hilft doppelt. Man wartet darauf. Lassen Sie nicht unnötig Bitternis unter den Menschen aufkommen, und zerstören Sie nicht die Hoffnungen der Wartenden mit der Erklärung, daß für diese Dinge kein Geld da sei,
({10})
sondern unterstützen Sie unseren Antrag auf Drucksache 845; stimmen Sie ihm zu!
({11})
Ich eröffne die Aussprache zu den beiden aufgerufenen Punkten, die wir ja in Verbindung miteinander behandeln wollen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schüttler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion verschließt sich durchaus nicht der Notwendigkeit, auch in diesem Jahr wie in den vergangenen Jahren für die Zahlung einer Weihnachtsbeihilfe besorgt zu sein. Ich glaube, ich kann das hier mit allem Nachdruck erklären. Wir können aber die Dinge wohl nicht so anfassen, wie sie eben von den beiden Vorrednern, vor allem von der ersten Vorrednerin, angefaßt worden sind. Das Weihnachtsbeihilfeproblem wird niemals ein Sozialversicherungsproblem werden können. Es ist doch wohl undenkbar, daß wir auch noch eine Weihnachtsbeihilfe irgendwie in die Sozialversicherung einbauen. Das wird wahrscheinlich von uns niemals akzeptiert werden können.
Es handelt es sich auch nicht darum, die Winterbeihilfen, die für Kartoffeln, Kohlen und Holz notwendig sind, etwa erst an Weihnachten zu geben. Das sollte längst geschehen sein, es ist auch über die Fürsorgeämter längst geschehen und sollte nicht bis Weihnachten zurückgestellt werden. Denn diese Maßnahmen sind doch wahrscheinlich dort, wo es dringlich war, in weitgehendem Maße getroffen worden, so daß wir uns mit dieser Angelegenheit nicht bei der Beratung der Anträge betreffend Weihnachtsbeihilfe beschäftigen sollten.
({0})
Die Weihnachtsbeihilfe kann und muß lediglich den Zweck haben, nun auch für die Festesfreude der Ärmsten noch etwas zu tun. Vor allem soll dies bei denjenigen Familien geschehen, wo eben andere Möglichkeiten nicht bestehen, um den Bedürftigen auf dieses Fest hin noch in angebrachtem Rahmen zu helfen, damit sie auch in einigermaßen angemessener Form diese Festtage wie die übrigen Schichten des Volkes begehen können. Das sollte wohl der Zweck und der Sinn der Weihnachtsbeihilfe sein.
Auch wir von der CDU werden uns diesem Ansinnen nicht verschließen. Wir haben deshalb keinen Antrag gestellt, weil uns bereits bekannt ist, daß die Regierung auch in diesem Jahr schon Vorsorge getroffen hat - und das bereits vor vier Wochen -, und die Länder darauf hingewiesen hat, daß wir auch in diesem Jahr von Bundesseite aus das gleiche zu tun gedenken wie im vorigen Jahr. Man will erneut für den Haushaltsvorstand 25 DM und für jeden Zuschlagsberechtigten weitere 10 DM gewähren, und zwar soll jener vergrößerte Personenkreis einbezogen werden, der auch im vorigen Jahr betreut wurde.
({1})
- Es ist uns bekannt, daß die Regierung diesen Erlaß bereits vor vier Wochen herausgegeben hat.
({2})
Ich glaube, aus diesem Grunde sind bereits die Vorbedingungen dafür geschaffen, daß den notleidenden Familien diese Hilfe Weihnachten auch zuteil wird, die sie nun erwarten, und zwar in der gleichen Höhe wie im vorigen Jahre. In diese Maßnahme sollen alle einbezogen werden, die der Hilfe bedürfen, gleich ob sie von der Fürsorge oder vom Arbeitsamt betreut werden oder ob sie in einem Arbeitsverhältnis stehen, in dem ihr Einkommen den Richtsatz der Fürsorgebedürftigkeit nicht überschreitet. Dieser Richtsatz soll wieder, wie im vorigen Jahr, bei 110 % liegen, so daß man mit dieser Maßnahme - das nehmen wir an - der Notlage wahrscheinlich gerecht wird. Der Bund wird für diesen Zweck wie im vergangenen Jahre rund 65 Millionen DM aufwenden, und die Länder wird
({3})
es in der gleichen Höhe von vielleicht 75 bis 80 Millionen DM treffen. Sie haben ja dann noch die Möglichkeit, aus ihrer Eigenverantwortung über den Rahmen des Bundes hinaus das zu tun, was sie in Einzelbereichen noch tun zu müssen glauben. Ob wir über diese Maßnahmen in diesem Jahre wesentlich hinausgehen können, bezweifle ich sehr stark angesichts all der Anforderungen, die wir in den letzten Tagen, so auch erst gestern, in diesem Hause beschlossen haben. Wir sollten uns bescheiden und sollten die Finanzen nicht nach allen Seiten überfordern; denn man kann auch da Dinge tun, die sich nachher an den Hilfsbedürftigen selbst vielleicht bitter rächen.
Wir möchten von der CDU aus beantragen, diese beiden Anträge an den Haushaltsausschuß als federführenden und an die Ausschüsse für Sozialpolitik und für öffentliche Fürsorge zu verweisen. Wir werden dann zu den Dingen noch Stellung nehmen können.
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Es ist beantragt, die Drucksache 798 -federführend - an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen und außerdem an den Haushaltsausschuß. Das gleiche gilt bezüglich der Drucksache 845. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden?
({0})
- Beide Male soll der Ausschuß für Sozialpolitik federführend sein.
({1})
- So ist es hier beantragt.
({2})
- Dann muß ich abstimmen lassen, meine Damen und Herren,
({3})
dann kommen wir am schnellsten zu Rande. Es liegt also ein Antrag vor, die beiden Drucksachen zwar auch dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen, federführend soll aber der Haushaltsausschuß sein. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das Präsidium ist sich nicht einig. Wir müssen durch Hammelsprung abstimmen. Ich bitte, den Saal zu verlassen.
({4})
Damit kein Zweifel besteht: es dreht sich darum, ob der Haushaltsausschuß für beide Gesetze bzw. Anträge federführend sein soll oder der Sozialpolitische Ausschuß.
({5})
- Es wird also abgestimmt über die Frage, die ich gestellt habe, ob der Haushaltsausschuß federführend sein soll.
({6})
Meine Damen und Herren, ich bitte, sich etwas zu beeilen. Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
({7})
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich schließe die Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja haben gestimmt 212, mit Nein 147 Abgeordnete, und enthalten hat sich ein Abgeordneter. Damit ist die Überweisung an den Haushaltsausschuß - federführend - und an den Sozialpolitischen Ausschuß - mitberatend - beschlossen.
({8})
Ich rufe Punkt 2 der heutigen Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Berautng des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und des Feststellungsgesetzes ({9});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich ({10}) ({11}).
({12})
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter Abgeordneten Kuntscher.
Kuntscher ({13}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Lastenausgleichsausschuß beschäftigt sich seit Wochen mit Novellierungsanträgen zum Lastenausgleichsgesetz. Etwa zwölf verschiedene Anträge sind ihm vom Bundestag zur Beratung überwiesen worden. Es besteht die Absicht, alle diese Anträge in eine Novelle zusammenzufassen und dem Hohen Hause in einem Bericht für die zweite und dritte Lesung vorzulegen. Wegen des Ausmaßes der beantragten Gesetzesänderungen und der Schwierigkeit der Materie nimmt allerdings die Beratung längere Zeit in Anspruch, als anfänglich angenommen wurde. Es werden noch einige Wochen vergehen, bis die Gesamtberatungen im Lastenausgleichsausschuß abgeschlossen sind.
Eines der vordringlichsten Probleme in diesen Novellierungsanträgen ist die Erhöhung der Unterhaltshilfe. Der Ausschuß ist sich über die neuen Sätze sowie über den Termin, von dem ab sie gezahlt werden sollen, einig. Abstimmungen mit dem Bundesausgleichsamt und mit dem Bundesfinanzministerium sind erfolgt. Die Not der betroffenen Kreise, also der Unterhaltshilfeempfänger, ist groß, und eine Herauslösung dieses Fragenkomplexes ist notwendig und dringend.
Angesichts dieser Tatsache hat der Lastenausgleichsausschuß auf Antrag der CDU/CSU-Mitglieder in seiner Sitzung am 21. September einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause in Beachtung der ihm überwiesenen Anträge - das sind die Drucksachen 344 und 571 - eine gesetzliche Zwischenlösung für die Erhöhung der Unterhaltshilfe, der Familienzuschläge für Unterhaltshilfeempfänger und der Leistungen an anspruchsberechtigte Vollwaisen zu empfehlen. Diesem Anliegen soll durch den in Drucksache 837 vorliegenden Gesetzentwurf mit dem Gesetzestitel „Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Vorschußzahlungen an Empfänger von Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz" Rechnung getragen werden.
({14})
Nun ganz kurz etwas zum Inhalt dieses Gesetzesvorschlages. Nach § 1 Abs. 1 sollen den Empfängern von Unterhaltshilfe und von Beihilfen zum Lebensunterhalt nach dem Lastenausgleichsgesetz für die Zeit vom 1. Juli 1954, frühestens jedoch vom Zeitpunkt ihrer Einweisung an bis zum Inkrafttreten der in Beratung stehenden Gesamtnovelle zusätzlich monatliche Vorschußzahlungen aus Mitteln des Ausgleichsfonds in folgender Höhe gewährt werden: a) für den Berechtigten 15 DM monatlich, so daß sich dessen Unterhaltshilfe von 85 DM auf 100 DM erhöht, b) für den zuschlagsberechtigten Ehegatten oder die im Lastenausgleichsgesetz vorgesehene Pflegeperson 12,50 DM monatlich - das bedeutet eine Erhöhung von 37,50 DM auf 50 DM - und c) für jedes zuschlagsberechtigte Kind 7,50 DM monatlich; damit erhöht sich der Kinderzuschlag von 27,50 DM auf 35 DM. Der gleiche Zuschlag von 7,50 DM soll auch für Vollwaisen gegeben werden.
Abs. 2 nimmt in sinngemäßer Anwendung Bezug auf Unterhaltshilfeempfänger nach § 274 des Lastenausgleichsgesetzes, der die Sonderregelung bei Wegfall öffentlicher Renten enthält.
Abs. 3 betrifft die Frage der Anwendung der §§ 270, 274 und 280 des Lastenausgleichsgesetzes auf die Vorschußzahlungen. Ferner wird in diesem Absatz für Berechtigte, die in einer Anstalt oder in Pflege untergebracht sind, bestimmt, daß dem Unterhaltshilfeempfänger ein Fünftel der Sätze zur eigenen Verwendung verbleibt und höchstens vier Fünftel als Verpflegungskosten von den Fürsorgeverbänden oder -anstalten in Anspruch zu nehmen sind.
Abs. 4 besagt, daß die Vorschußzahlungen echte Unterhaltshilfeleistungen sind und nach dem Inkrafttreten der Novelle zum Lastenausgleichsgesetz mit dem Anspruch auf Unterhaltshilfe verrechnet werden. Das gleiche gilt für die Vorschußzahlungen an Empfänger von Beihilfen zum Lebensunterhalt.
§ 2 enthält die bekannte Berlin-Klausel und § 3 den Termin des Inkrafttretens des Gesetzes.
Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrag des Lastenausgleichsausschusses zuzustimmen, damit noch im Weihnachtsmonat die erhöhten Unterhaltshilfesätze nachgezahlt werden können.
({15})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Lesung ides Gesetzes ein. Ich rufe in der Einzelberatung § 1 auf. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Einzelberatung des § 1. Wer § 1 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 2 auf. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung. Wer § 2 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 3 auf und eröffne die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wer § 3 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wer diesen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Änderungsanträge zur dritten Lesung liegen nicht vor. Ich komme deshalb zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Das Gesetz ist damit verabschiedet.
Ich rufe Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ({0});
b) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ({1});
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ({2});
d) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung einer Sonderzulage an Kriegsopfer und Angehörige von Kriegsgefangenen ({3});
e) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ({4}).
In der Zwischenzeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist Ihnen auf Drucksache 887 noch ein neuer Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Probst, Maucher, Lücke und Genossen betreffend den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vorgelegt worden. Ich bin gebeten worden, auch diesen Gesetzesantrag noch jetzt zu diesem Punkt 3 auf die heutige Tagesordnung zu setzen. Ich bin gewillt, das zu tun, muß das Haus aber fragen, ob jemand widerspricht. - Das ist nicht der Fall, dann setze ich diesen Punkt
Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Dr. Probst, Maucher, Lücke und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ({5}).
als Punkt 3f noch mit auf die Tagesordnung.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Dr. Ilk zur Begründung des Gesetzentwurfs unter 3 a.
Frau Dr. Ilk ({6}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der letzten Legislaturperiode sind einige Gesetze beschlossen worden, in denen u. a. auch die Versorgung derjenigen Frauen geregelt wurde, deren verstorbene Männer Staatsdienst leisteten, sei es als Beamte - die entsprechende Regelung findet sich im Bundesbeamtengesetz und im 131er-Gesetz -, sei es, daß sie als Kriegsteilnehmer ihr Leben für das deutsche Volk hingaben oder an den Folgen einer Kriegsverletzung starben. Natürlich ist es nicht möglich, alle diese Gruppen in der Versorgung absolut gleichzustellen. Wir sollten uns aber bemühen, gleichartige Personengruppen in bedeutenden Gesetzen im Grundsatz gleich zu behandeln. Das ist nicht geschehen.
({7})
Der Antrag der Fraktion der Freien Demokraten bezweckt u. a., dieses Versäumnis nachzuholen. Bei Art. 1 Ziffer 1 unseres Antrages steht dieses Argument im Vordergrund. Beim Erlaß des Bundesversorgungsgesetzes ist offenbar übersehen worden, den Fall der Nichtigerklärung der Ehe des Verstorbenen in § 42 Abs. 1 Satz 1 aufzunehmen. Die Fälle sind relativ selten. Und doch sollte der Frau des Verstorbenen auch in diesem Fall eine Beihilfe zugebilligt werden, wenn ihr nach den eherechtlichen Vorschriften Unterhalt zu gewähren wäre. Diese Regelung ist auch im Bundesbeamtengesetz - genau so formuliert - enthalten.
Bei Art. 1 Ziffer 2 unseres Antrags steht dagegen neben dem eben zitierten mehr formalen Argument das Bestreben im Vordergrund, soziale Nöte und Härten auszugleichen, die dadurch entstehen, daß die zweite Ehe, die zum Verlust der Kriegerwitwenrente geführt hat, aufgelöst wird, ohne daß die Frau aus der zweiten Ehe anderweit versorgt wird. § 44 des Bundesversorgungsgesetzes sieht bei Vorliegen dieses Tatbestandes bereits vor, daß die Frauen, deren zweite Ehe durch den Tod des Gatten aufgelöst wird, eine Witwenbeihilfe erhalten, die allerdings etwas niedriger als die frühere Rente ist.
Zwischenzeitlich, d. h. nach Einbringung unseres Antrags ist von dem Herrn Bundesminister für Arbeit im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen eine interne Dienstanweisung ergangen, daß bei Kriegerwitwen, die bis zur Wiederverheiratung rentenberechtigt waren und deren neue Ehe durch gerichtliches Urteil gemäß §§ 28 ff. des Ehegesetzes von 1938 bzw. den Bestimmungen des Kontrollratsgesetzes von 1946 aufgehoben worden ist, als vorübergehende Maßnahme im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 des Bundesversorgungsgesetzes dieselbe Regelung Platz greift, wie sie das Bundesversorgungsgesetz für den Fall des Todes des zweiten Ehegatten vorsieht. Diese vorübergehende Maßnahme ist erfreulich und wird den davon betroffenen Frauen - es sind ja relativ wenige, und vielleicht hat man auch darum bereitwillig so schnell eine solche Entscheidung getroffen - manche Sorge abnehmen. Dennoch reicht eine solche interne Dienstanweisung nicht aus; sie kann, wie die Formulierung „vorübergehende Maßnahme" zeigt, jederzeit widerrufen werden. Eine gesetzliche Regelung ist daher unbedingt erforderlich. Ich glaube, daß auch die beiden Herren Minister einer solchen Regelung sehr gern zustimmen werden.
Die Fälle, in denen die zweite Ehe durch Scheidung gelöst wurde, sind leider im Verhältnis zu den soeben erwähnten Fällen wesentlich zahlreicher. Und doch halten meine politischen Freunde und ich es für unbedingt notwendig, hier eine Regelung Platz greifen zu lassen, die dem Bundesbeamtengesetz entspricht, dessen § 164 Abs. 3 lautet:
Hat eine Witwe sich wieder verheiratet und wird die Ehe aufgelöst, so lebt das Witwengeld wieder auf.
Das gilt auch für die Scheidung der zweiten Ehe. Wir beantragen für den Fall der Auflösung der zweiten Ehe zunächst nur die Zahlung einer Witwenbeihilfe. Wenn wir nicht ein Wiederaufleben der Witwenrente beantragen, wie wir es gern getan hätten, so deshalb, weil in der derzeitigen Fassung des Gesetzes bei Lösung der zweiten Ehe durch den Tod des Mannes auch nur die Gewährung einer
Beihilfe - die etwas niedriger als die Rente ist - vorgesehen ist und wir eine grundlegende Änderung der Konzeption in dieser Richtung im Augenblick nicht für angebracht halten. Ich hoffe aber, daß dies vielleicht in absehbarer Zeit einmal möglich sein wird.
Es ist sehr reizvoll, bei der Begründung unseres Antrags auf das hier so oft diskutierte Problem der Onkel-Ehe einzugehen. Ich möchte diese Frage hier nicht aufwerfen. Wir werden das Problem durch die vorgeschlagene Regelung auch nicht ganz beseitigen. Aber wir sind davon überzeugt, daß eine große Zahl der illegalen Verbindungen legalisiert wird, wenn die Kriegerwitwe weiß, daß beim Scheitern der zweiten Ehe ihre alte Rente wenigstens in Form 'einer Witwenbeihilfe wieder auflebt.
Das Problem der Onkelehe - um es nur kurz zu streifen - ließe sich hinsichtlich der Versorgung der Kriegerwitwe vielleicht eher dadurch lösen, daß die Witwenrente oder für die Kinder der Kriegerwitwe eine Vollwaisenrente gezahlt wird, wenn ein Bedürftigkeitsfall vorliegt. Aber, wie gesagt, ich möchte diesen Fall nicht weiter diskutieren, zumal da mir bekanntgeworden ist, daß der Herr Minister für Familienfragen sich über diese Frage Gutachten eingeholt hat. Ich nehme an, daß der Herr Minister für Familienfragen sich damit beschäftigen und uns zur Regelung dieser Dinge vielleicht in absehbarer Zeit eine umfassende Gesetzesvorlage machen wird.
Es ist erforderlich, daß dabei gerade der Fall der Kriegerwitwe besonders behandelt und der besonderen Lage der Kriegerwitwe Rechnung getragen wird. Ich spreche ausdrücklich von der besonderen Lage der Kriegerwitwe gegenüber den Witwen, die andere Rentenansprüche haben. Die Lage der Kriegerwitwe ist anders; denn die erste Ehe ist durch Einwirkung des Staates, der zu seinem Schutz den Mann zur Wehrpflicht herangezogen hat, gelöst worden, so daß der Staat zweifellos gerade diesen Frauen gegenüber eine ,erhöhte Sorgepflicht hat.
Wenn wir schon aus mancherlei Gründen dazu gekommen sind, im Falle der Wiederverheiratung zwar keine Rente, aber eine Abfindung zu zahlen, wenn - das möchte ich auch als Positivum buchen - im Bundesversorgungsgesetz bereits vorgesehen ist, daß bei Auflösung der zweiten Ehe durch Tod des Mannes eine Witwenbeihilfe gezahlt wird, oder wenn durch die jetzige Dienstanweisung bei Aufhebung der Ehe die Zahlung einer Witwenbeihilfe angeordnet wurde, dann soll man auch einen weiteren Schritt tun und eine Beihilfe wiederaufleben lassen, wenn die Kriegerwitwe Unglück bei der zweiten Ehe gehabt hat und diese geschieden worden ist.
Man macht gegen den Antrag, den wir hier gestellt haben, geltend, daß bei der vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung manche Eheleute sich leichter wieder scheiden lassen würden, weil sie ja wissen, daß die Frau wieder ihre alte Rente erhält. Ja, man geht sogar zum Teil soweit, zu sagen, daß Eheleute Scheidungsgründe konstruieren und absprechen und sich dann scheiden lassen würden, nur damit die Frau die Rente wieder erhält und sie dadurch, vielleicht getrennt lebend, pekuniär besser gestellt sind. Abgesehen davon, daß es heute Gott sei Dank nicht mehr so leicht ist, sich ohne weiteres scheiden zu lassen, glaube ich auch nicht, daß eine große Anzahl von Eheleuten bereit ist, sich aus solchen materialistischen Gründen scheiden zu lassen. Zumindest würde ihre Zahl ausge({8})
glichen werden durch die Zahl derjenigen, die sich zu einer Ehe entschließen in dem Bewußtsein, daß die Versorgung der Frau nur ruht und daß sie wiederauflebt, wenn die neue Ehe keinen Bestand hat.
Aber abgesehen von diesen Fällen, meine Herren und Damen, sehen Sie sich doch einmal in den Kreisen Ihrer Bekannten um, dann werden Sie feststellen, daß es eine ganze Reihe von Kriegerwitwen gibt, die in dem guten Glauben, Glück in der zweiten Ehe zu finden, eine neue Ehe eingegangen sind und deren Ehe dann ohne ihr Verschulden geschieden wurde. Diese Frauen befinden sich in einer sehr großen Notlage und sind auf die Fürsorge angewiesen. Wir können nicht gerade diesen Frauen, die schon durch die Auflösung ihrer ersten Ehe soviel Leid getragen haben, zu dem neuen seelischen Leid auch noch einen materiellen Verlust zufügen und sie Not leiden lassen. Es ist, glaube ich, ganz besonders unsere Pflicht, gerade den Kriegerwitwen zu helfen und ihre Last zu erleichtern.
Ich bitte Sie, noch einmal an das zu denken, was ich am Anfang sagte: Es war ja letztlich der Staat, der ihre erste Ehe zerstört und ihnen die Glücksmöglichkeit der ersten Ehe und die Versorgung durch die erste Ehe genommen hat. Darum halten wir Freien Demokraten es für absolut erforderlich, eine Regelung zu finden, durch die diesen Frauen geholfen wird, wie es auch bereits bei den Beamtenwitwen geschehen ist. Wir halten das für um so notwendiger, als wir davon überzeugt sind, daß der Kostenaufwand - auch das wird leider sehr oft geltend gemacht - keinesfalls so groß sein wird. Die Zahl der Scheidungen wird ja gottlob nicht so sehr groß sein, daß dadurch der Etat, der für die Kriegsopferversorgung vorgesehen ist, wesentlich belastet würde.
Ich wäre Ihnen daher dankbar, meine Herren und Damen, wenn Sie bei der anschließenden Ausschußberatung - ich beantrage hiermit namens meiner Fraktion, den Antrag dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen - diesem Antrag besondere Beachtung schenkten und unseren Argumenten, die Sie sicherlich anerkennen werden, Rechnung trügen.
({9})
Das Wort zur Begründung des Antrages unter Punkt 3 b) der Tagesordnung erteile ich dem Abgeordneten Stammberger.
Dr. Stammberger ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der 40. Sitzung des Bundestages am 14. Juli 1954 haben alle Fraktionen des Hohen Hauses einstimmig die Bundesregierung beauftragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem die Grundrenten der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen erhöht und die Elternrenten verbessert werden sollen. Wir bedauern sehr, daß die Bundesregierung, obwohl bereits ein Vierteljahr vergangen ist, bis heute weder einen solchen Gesetzentwurf vorgelegt noch uns Bericht erstattet hat, wieweit sie in ihren Vorarbeiten diesem vom Parlament einstimmig erteilten Auftrag bereits nachgekommen ist. Hätte sie las getan, hätte sich vielleicht die Flut der heutigen Anträge, mit denen wir uns befassen müssen und die uns die Arbeit im Ausschuß gewiß nicht erleichtern werden, vermeiden lassen.
Gleichzeitig mit dem Auftrag haben sich sämtliche Fraktionen des Bundestages einmütig zur Unantastbarkeit der Grundrente als eines unabdingbaren Rechtes aller deutschen Kriegsopfer bekannt.
Angesichts dieser Tatsache scheint es mir nicht mehr erforderlich zu sein, zur Bedeutung der Grundrente und zu der Notwendigkeit ihrer Erhöhung zu sprechen, da hierüber Einmütigkeit im ganzen Hause besteht. Notwendig scheint es mir aber zu sein, über die Deckungsfrage und über den davon abhängigen Umfang der Erhöhung zu sprechen, auch bevor man sich einigt und gerade bevor man sich einigt, um welchen Prozentsatz man die Grundrente erhöhen kann. Denn es sollte unser aller Bestreben sein, dieser Novelle von vornherein das unerfreuliche Schicksal des Heimkehrerentschädigungsgesetzes hinsichtlich der Behandlung und der Verkündung zu ersparen.
({1})
Wir Freien Demokraten klammern uns nicht an den von uns vorgeschlagenen Satz einer Erhöhung um 20 %. Wir sind der Meinung, daß das Limit der Erhöhung da liegen muß, wo der Herr Bundesfinanzminister und der ihm nun einmal zur Seite stehende Art. 113 des Grundgesetzes es uns setzen.
({2})
Wir haben das beantragt, was wir glauben durchsetzen zu können, und haben uns daher heute sehr gefreut, als wir einen Vorschlag aus den Reihen der Fraktion des Herrn Bundesfinanzministers vorfanden, der über unseren eigenen Vorschlag hinausgeht. Frau Kollegin Dr. Probst, wenn es Ihnen bei Ihren bekannten guten Beziehungen und Ihrer bekannten guten Einflußnahme auf den Herrn Bundesfinanzminister möglich sein sollte, seine Zustimmung zu diesem Entwurf zu erhalten, werden auch wir freudigen Herzens unsere Zustimmung geben.
Wir sind uns darüber klar, daß angesichts der sozialen Verpflichtungen und auch der Auswirkung der Großen Steuerreform eine Erhöhung des Haushaltsansatzes der Kriegsopferversorgung nur unter großen Schwierigkeiten möglich sein wird. Aber bereits der 1. Bundestag hat sich bei der Beratung des Bundesversorgungsgesetzes auf den Standpunkt gestellt, daß Einsparungen nicht zur Verminderung des Haushaltsansatzes, sondern zu dringend notwendigen Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung herangezogen werden sollten. Die Regierung hat verschiedentlich zu verstehen gegeben, daß derartige Einsparungen bisher nicht hätten erzielt werden können, daß darüber hinaus sogar eine zusätzliche Belastung eingetreten sei. Diese Erklärung allein kann uns nicht befriedigen. Wir benötigen bei den Ausschußarbeiten unbedingt die genauen Unterlagen, auf Grund derer die Regierung zu ihren Berechnungen kommt. Die Freie Demokratische Partei hat bereits am 1. Dezember 1953 eine Kleine Anfrage gestellt und um Auskunft gebeten, in welcher Weise die von der Regierung im Bulletin vom 12. November 1953 bekanntgegebenen bisherigen Ausgaben für die Kriegsopferversorgung für laufende Auszahlungen und für die Rentennachzahlungen verwandt worden sind, die sich aus der Umstellung von Länderrecht auf Bundesrecht oder aus der Umstellung von vorläufigen auf endgültige Bescheide ergeben haben. Die Bundesregierung hat geantwortet, daß eine derartige Aufschlüsselung nicht erfolgen könne; denn beide Arten von Ausgaben würden nach den bestehenden Haushaltsvorschriften auf
({3})
demselben Nenner verbucht, und eine Trennung sei nur dadurch möglich, daß bei den insgesamt 3 300 000 Nachzahlungsfällen eine genaue Durchsicht der Akten stattfinde.
Als eine weitere Kleine Anfrage gestellt wurde, die vom Herrn Bundesarbeitsminister am 7. Juli 1954 beantwortet wurde, hat sich herausgestellt, daß entweder damals die Antwort sehr vorschnell gegeben wurde oder aber später diese Aufteilung doch vorgenommen werden konnte. Denn in der Drucksache 679, in der aufgeführt wird, wie sich eine zehn- his vierzigprozentige Erhöhung der Grundrenten auswirken würde, geht man von den augenblicklichen Ausgaben für die laufenden Zahlungen aus, die demnach sehr wohl zur Kenntnis des Arbeitsministeriums gelangt sein müssen.
Dann interessiert uns, ob und welche Einsparungen durch den Wegfall von Versorgungsberechtigten entstehen, sei es durch eine Herabstufung in der Erwerbsminderung, sei es durch Todesfall, sei es durch Wiederverheiratung der Witwen oder Erreichung der Altersgrenze der Waisen. Wir wünschen zu wissen, ob statistisches Material über die zu erwartende Entwicklung dieser Frage in den kommenden Jahren vorliegt, ob eine solche Statistik überhaupt möglich ist bzw. warum sie nicht möglich ist und warum sie nicht bereits eingeholt und vorgelegt worden ist. Es ist unerfreulich und auf die Dauer sehr wenig schön, daß die Kriegsopferverbände immer wieder mit Zahlenmaterial aufwarten, ohne daß diese Zahlen von den Ministerien entweder als richtig bestätigt oder aber mit den amtlichen Unterlagen widerlegt werden. Das Bundesarbeitsministerium sollte sich nicht ständig in die Rolle des schlecht informierten Anwalts bei Gericht drängen lassen, der einfach mit Nichtwissen bestreitet.
Schließlich interessiert uns auch das Schicksal der 250 Millionen DM, die ursprünglich im Entwurf vorhanden waren, wodurch der Ansatz des neuen .Haushaltsplans dem des Vorjahres entsprach, der aber dann zur Vornahme von Abschlagzahlungen an Rentenversicherungsträger gemäß § 90 BVG in den außerordentlichen Haushalt überführt wurde. Was uns stutzig macht, ist, daß hierfür ein eigener Ansatz von 156 Millionen DM im ordentlichen Haushalt vorhanden ist, der zunächst in der Begründung auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre als ausreichend angesehen wurde. Später ist diese Begründung dahingehend abgeschwächt worden, daß sich Bedenken gegen die der Berechnung zugrunde liegenden Unterlagen des Bundesarbeitsministeriums ergeben hätten. Meine Damen und Herren, ich will mich nicht der in der Öffentlichkeit vielfach vertretenen Auffassung anschließen, daß hier etwas verschleiert werden soll. Man kann sich aber auch des Eindrucks nicht erwehren, daß hier Arbeitsunterlagen zugrunde liegen, mit denen man nichts anfangen kann, weil das Bundesministerium für Arbeit selbst nicht an die Richtigkeit dieser Unterlagen glaubt, da plötzlich das Zweieinhalbfache von dem benötigt werden soll, was man zuerst auf Grund der Erfahrungen der vergangenen Jahre für ausreichend hielt.
Wir haben uns in unserem Antrag nicht beschäftigt mit der Frage der Erhöhung der Ausgleichsrenten, weil unser Antrag zunächst nur einmal dahin zielt, die Grundrenten wieder den bereits mit der zweiten Novelle erhöhten Ausgleichsrenten anzupassen. Sollte eine weitere Erhöhung der
Grundrenten über 20 % hinaus erfolgen können; sind wir der Meinung, daß auch die Ausgleichsrenten angehoben werden müssen. Wir sind dann aber der Auffassung, daß nicht nur die Ausgleichsrenten sondern, was noch viel wichtiger ist, auch die Freibeträge erhöht werden müssen. Denn es ist auf die Dauer gesehen sowohl sozialpolitisch wie vor allem arbeitspolitisch untragbar, daß die erhöhte Ausgleichsrente in dem Augenblick ganz oder teilweise wieder in Wegfall kommt, in dem der Schwerkriegsbeschädigte nur ein geringes und zur Existenzsicherung der Familie nicht ausreichendes Einkommen hat, das er oft auch nur unter besonders schweren körperlichen Opfern erringen kann.
Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten - das möchte ich ausdrücklich betonen -, die sich aus einer Erhöhung der Ausgaben für die Kriegsopferversorgung ergeben. Es ist vollkommen falsch, die Schwierigkeiten zu leugnen oder auch nur vor ihnen die Augen zu verschließen, weil diese Art und Weise Hoffnungen erwecken könnte, die wir später nicht oder nur unvollkommen zu erfüllen vermögen. Aber wir sind der Überzeugung, daß sich in einer gründlichen Ausschußarbeit unter Hinzuziehung der Vertreter des Finanzministeriums und des Arbeitsministeriums eine befriedigende Lösung des Problems erreichen läßt, die eine Verbesserung der Kriegsopferversorgung ermöglicht. Diesen Bemühungen sollten wir uns unterziehen. Wir sollten das um so mehr tun, als wir am Vorabend einer neuen deutschen Wehrverfassung stehen und, wie ich schon mehrfach geäußert habe, unabdingbarer Bestandteil einer neuen deutschen Wehrverfassung eine ausreichende und in jeder Hinsicht zufriedenstellende Kriegsopferversorgung sein sollte.
({4})
Soll der Antrag unter Punkt 3 c) auf Änderung des Bundesversorgungsgesetzes, Drucksache 836, auch begründet werden? - Das Wort hat der Abgeordnete Bals.
Bals ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion begründe ich den Antrag Drucksache 836, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes, und den Antrag in Drucksache 793 über die Gewährung einer Sonderzulage an Kriegsopfer und Angehörige von Kriegsgefangenen. Herr Präsident, ich darf beides zusammen begründen?
Bitte!
Bals ({0}), Antragsteller: Bevor ich mich mit dem materiellen Inhalt dieser beiden Anträge beschäftige, darf ich mir einige grundsätzliche Bemerkungen erlauben. Der Kollege Stammberger von der FDP hat bereits ausgeführt, daß der Bundestag am 14. Juli dieses Jahres die Bundesregierung beauftragt hat, unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit welchem die Grundrenten, die Renten der Waisen, der Witwen und der Eltern gehoben werden sollen. Ich wiederhole: unverzüglich vorzulegen! Der Antrag, welcher die Entschließung auslöste, wurde bereits am 26. Mai dieses Jahres eingereicht. Die Entschließung wurde am 14. Juli einstimmig angenommen. Zwischen der Antragstellung und der Annahme der Entschließung und der heutigen Debatte liegt eine große Zeitspanne.
({1})
In dieser Zeitspanne wurden von vielen Vertretern der politischen Parteien große Reden gehalten. In Wirklichkeit ist nichts geschehen. Die Bundesregierung soll mit unserm Antrag auf eine Erklärung festgelegt werden, ob sie bereit ist, die Forderungen der Kriegsopfer und Kriegshinterbliebenen zu erfüllen. Es besteht der Verdacht, daß sich der Herr Bundesarbeitsminister gegenüber den fiskalischen Bedenken, welche im Kabinett bestehen, nicht durchzusetzen vermag.
({2})
Wir konnten deshalb dem Wunsch der Koalition, auf eine Begründung unserer Anträge zu verzichten, nicht nachkommen. Wir wollen hier öffentlich festgestellt wissen, daß der Bundestag bereit ist, die Frage der Kriegsopferversorgung ordentlich und schnell zu lösen.
({3})
Meine Damen und Herren, den Wert einer Nation erkennt man daran, ob sie bereit ist, den Kriegsopfern und Kriegshinterbliebenen ihren Lebensanspruch zu sichern. Die Ausgaben für die Kriegsopfer müssen in ein ordentliches Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Staates gebracht werden. Daß in dieser Beziehung in der Bundesrepublik noch manches zu geschehen hat, beweisen die Ausgaben anderer Nationen. Ich bin in der Lage, Ihnen nachzuweisen, daß die Bundesrepublik in der Kriegsopferversorgung gegenüber anderen Ländern noch vieles nachzuholen hat. Ich weiß, Deutschland hat diesen Krieg verloren und hat deshalb noch viele andere Probleme zu lösen. Aber die Frage der Versorgung der Kriegsopfer und -hinterbliebenen sollte gelöst sein, bevor man sich in diesem Hohen Hause mit einer Wiederaufrüstung beschäftigt!
({4})
Die Kriegsopferversorgung sollte zumindest prioritätsmäßig nicht schlechter gestellt sein. Die Zukunft Deutschlands und Europas hängt von der Lösung der sozialen Probleme ab. Die Kriegsopfer haben Gesundheit und Leben für Volk und Vaterland eingesetzt und geopfert. Es sollte Ehrenpflicht des deutschen Volkes sein, ihnen und ihren Hinterbliebenen jetzt beizustehen, da sie der Hilfe bedürfen.
Der Antrag meiner Fraktion auf Drucksache 836 sieht eine Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vor. Wir gehen davon aus, daß die Grundrente unantastbar ist. Der Antrag sieht eine Erhöhung der Grundrente sowie eine Erhöhung der Witwen-, Waisen- und Elternrenten vor. Die Erhöhung soll im Durchschnitt 30 % betragen. Die Renten sollen den gestiegenen Lebenshaltungskosten angeglichen werden. Wir sind bei der Forderung geblieben, die wir bereits vor einem halben Jahr in diesem Hohen. Hause aufgestellt haben. Leider fanden wir damals von anderen Fraktionen keine Unterstützung. Wir stellen aber heute mit Freude fest, daß auch die Fraktionen der Regierungsparteien Anträge mit dem Ziele einer Rentenerhöhung eingereicht haben. Ich darf namens meiner politischen Freunde erklären, daß wir gern bereit sind, Anträgen der anderen Fraktionen, soweit sie sich mit der Erhöhung der Renten beschäftigen, zuzustimmen.
Nunmehr darf ich mich mit dem materiellen Inhalt des Gesetzes beschäftigen. Der § 31 Abs. 1 behandelt die Grundrenten. Unser Antrag sieht eine Erhöhung der Rente bei einer Erwerbsminderung von 30 % von 15 auf 20 DM vor. Ich darf mir die Einzelheiten ersparen; die Drucksache liegt
Ihnen ja vor. Bei einer Erwerbsunfähigkeit von 100 % sieht unser Antrag eine Erhöhung der Rente von 75 auf 100 DM vor.
Durch die Bestimmung des § 33 Abs. 2 soll erreicht werden, daß Sozialleistungen genau so behandelt werden wie Einkommen aus nicht selbständiger Arbeit, d. h. daß monatlich 60 DM und von dem darüber hinausgehenden Betrag drei Zehntel außer Ansatz bleiben sollen.
Der § 40 soll geändert werden. Die Grundrente der Witwe soll von 40 DM auf 50 DM erhöht werden, und die Altersbegrenzung soll wegfallen.
§ 46 sieht eine Erhöhung der Waisenrente bei Halbwaisen von 10 auf 15 DM und bei Vollwaisen von 15 auf 20 DM vor.
Die Änderung des § 51 bezweckt eine Erhöhung der Elternrente, und zwar bei einem Elternpaar von 70 auf 100 DM und bei einem Elternteil von 50 auf 70 DM.
Schließlich soll durch unseren Antrag zu § 59 Abs. 1 eine Fristverlängerung vom 31. Dezember 1952 auf den 31. Dezember 1956 herbeigeführt werden.
Ich darf gleich auch die Drucksache 793 begründen. Dieser Antrag soll eine Sonderzulage für Kriegsopfer und Angehörige von Kriegsgefangenen bringen. Wir sind davon ausgegangen, daß damit die berechtigten Ansprüche, die der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953 anerkannt hat, für das abgelaufene Jahr abgegolten werden sollen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie namens meiner Fraktion, den beiden Anträgen, die die berechtigten Forderungen der Kriegsopfer und -hinterbliebenen erfüllen sollen, zuzustimmen. Meine politischen Freunde sind bereit, mit der Ausschußarbeit schnellstens zu beginnen, damit den Kriegsopfern, -hinterbliebenen und -waisen schnellstens geholfen werden kann.
({5})
Das Wort zur Begründung der Drucksache 859 hat der Abgeordnete Petersen.
Petersen ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hätten uns den Aufmarsch der Parteien mit eigenen Gesetzentwürfen zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung ersparen können, wenn die Bundesregierung den Auftrag des Bundestages vom 14. Juli so ernst genommen hätte, wie er nur zu nehmen war.
({1})
Damals beschloß der Bundestag, die Bundesregierung zu beauftragen, dem Parlament unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Kriegsopferrenten vorzulegen. Dieser einstimmige Beschluß des Parlaments war mehr als eine programmatische Erklärung. Er war vielmehr die Anerkennung der außerordentlichen Notlage der Kriegsopfer und das Bekenntnis aller Parteien, hier schnellstens zu helfen.
Seitdem sind drei Monate vergangen, aber von der Bundesregierung fehlt jede aktive Reaktion zur Lösung dieses sozialen Notproblems.
({2})
({3})
Das ist nicht nur im Interesse der Kriegsopfer zu bedauern, sondern auch im Interesse des Ansehens der Bundesregierung; denn das läßt zumindest Zweifel daran aufkommen, ob die Bundesregierung bereit ist, die von dem Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vor einem Jahr versprochene Lösung der sozialen Notprobleme zur rechten Zeit in Angriff zu nehmen.
Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß dem Herrn Bundesarbeitsminister als dem zuständigen Ressortminister nicht erst durch den Beschluß des Bundestages vom 14. Juli die täglich steigende Not der Kriegsopfer bekanntgeworden ist. Alle notwendigen Zahlenunterlagen sind im Bundesarbeitsministerium vorhanden, und die Fachkunde der dort tätigen bewährten Beamten hätte die Erstellung einer Gesetzesvorlage in wenigen Tagen ermöglicht, wenn der feste Wille hierzu vorhanden gewesen wäre.
({4})
Wir haben leider den Eindruck, daß der Herr Bundesarbeitsminister sich seine Initiative durch fiskalische Überlegungen zu sehr hemmen läßt, obwohl doch niemand in diesem Hohen Hause daran zweifeln wird, daß die fiskalischen Interessen von dem Herrn Bundesfinanzminister schon zur rechten Zeit wahrgenommen werden. Für die Probleme der Kriegsopferversorgung ist aber der Herr Bundesarbeitsminister zuständig und nicht der Herr Bundesfinanzminister, dem hier nur eine mitarbeitende Funktion in dem Sinne zukommt, alle Anforderungen an den Staat in ein gerechtes Verhältnis zu bringen.
({5})
Die Forderungen der Kriegsopfer, die ihr Leben und ihre Gesundheit eingesetzt haben, sind bisher nicht so erfüllt worden, daß man auch nur annähernd von einer sozialen Gerechtigkeit sprechen kann.
Wenn sich heute der Bundestag in einer allgemeinen Aussprache mit den Problemen der Kriegsopferversorgung befaßt, so kommt er damit einer Forderung nach, die über die betroffenen Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen hinaus die ganze deutsche Öffentlichkeit angeht. Seit dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes sind vier Jahre vergangen, und die Maßstäbe, die damals die Grundlage für die Festsetzung angemessener Renten abgaben, gelten heute nicht mehr. Die Preise und die Lebenshaltungskosten sind stark angestiegen; die Grundrenten haben jedoch keine Aufbesserung erfahren, und so ist die Not in steigendem Umfang bei den Kriegsopfern geblieben. Auf der anderen Seite ist das Sozialprodukt Jahr um Jahr gestiegen; aber die Kriegsopfer haben daran keinen Anteil gehabt.
So müssen die Forderungen der Kriegsopfer auf eine sozial gerechte Behandlung anerkannt werden, und wir sind alle aufgerufen, hierfür bald Entscheidendes zu tun. Die Kriegsopferverbände als die berufenen Sprecher für die 41/2 Millionen Kriegsopfer haben niemals maßlose Forderungen gestellt; sie sind im Gegenteil verantwortungsbewußte Mitarbeiter an der Gestaltung eines sozial gerechten Versorgungsrechts gewesen und werden es auch bleiben.
Der Gesamtdeutsche Block/BHE erkennt an, daß den Kriegsopfern durch Sofortmaßnahmen geholfen werden muß. Mit dem von ihm vorgelegten
Gesetzentwurf soll den Kriegsopfern eine anständige Versorgungsgrundlage gegeben werden. Der Entwurf sieht eine 40%ige Erhöhung der Grundrenten bei Beschädigten und Hinterbliebenen vor. Diese Aufbesserung entspricht in dieser Höhe der Erhöhung der Gehälter der Bundesbeamten, die nach dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes unter Berücksichtigung der gestiegenen Lebenshaltungskosten zweimal um je 20 % verbessert worden sind. Da die Rechtsgrundlage der Versorgung der Beamten und der Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen aber die gleiche ist, nämlich der geleistete Dienst für Volk und Staat, ist es gerechtfertigt, auch die Grundrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz für Beschädigte und Hinterbliebene um 40 vom Hundert zu erhöhen.
Mit der vorgeschlagenen Neufassung der §§ 33 Abs. 2, 41 Abs. 4 und 47 Abs. 3 Satz 2 sollen auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die aus Wartegeldern, Ruhegeldern, Witwen- und Waisengeldern oder anderen Bezügen und Vorteilen aus früheren Dienstleistungen bestehen, in sinnvoller Höhe von der Anrechnung frei bleiben.
Die Erhöhung der Pflegezulage in der Neufassung des § 35 Abs. 1 auf den Höchstbetrag von 200 DM ergibt sich daraus, daß nach der bisherigen Erfahrung die Pflegezulage für bestimmte Fälle von Schwerstbeschädigten unzureichend ist. Für solche Fälle, wie z. B. kriegsblinde Ohnhänder oder kriegsblinde Doppeloberschenkelamputierte ist das Pflegebedürfnis so groß, daß eine monatliche Pflegezulage von 200 DM erforderlich erscheint.
Die Neufassung der §§ 42 Abs. 1 Satz 1 und 44 sieht die Gleichstellung der Kriegerwitwe mit der Beamtenwitwe vor. Es ist angebracht, die im Beamtengesetz bereits verankerte fortschrittliche Regelung auch für die Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz zu übernehmen, zumal damit ein weiterer Beitrag zur Lösung des Problems der sogenanten Onkelehen geleistet wird.
Die Erhöhung der Heiratsabfindung von 1200 DM auf 1680 DM entspricht der Erhöhung der Witwengrundrente und beläßt den Abfindungsbetrag auf dem 2 1/2fachen Betrag der Jahresgrundrente, wie das bisher der Fall war.
Für die Elternversorgung erschien eine Aufbesserung der Elternrente um 20 °/o angemessen. Hier ist darüber hinaus eine Erhöhung der Einkommensgrenzen für ein Eltern p a a r auf 150 DM und für ein Eltern teil auf 105 DM vorgesehen.
Wesentlich erscheint uns der Vorschlag des § 63a, wonach in Zukunft bei jeder Erhöhung der Bezüge der Bundesbeamten auch die Grundrente der Beschädigten und Hinterbliebenen entsprechend erhöht werden soll. Diese Fassung entspricht der früheren gesetzlichen Bestimmung des § 87 Abs. 2 des ehemaligen Reichsversorgungsgesetzes und findet ihre Berechtigung in der gemeinsamen Rechtsgrundlage für die Versorgung der Beamten und für die Versorgung der Kriegsopfer. Sie wird auch in der Beamtenschaft volles Verständnis finden.
Die Frage der Deckung kann nur in einer grundsätzlichen Behandlung der Dringlichkeit der zu bewältigenden Staatsaufgaben beantwortet und gelöst werden. Daß das Kriegsopferproblem zu den vordringlichsten Aufgaben gehört, die einer menschlichen Lösung zugeführt werden müssen,
({6})
steht außer Zweifel. So wird der Herr Bundesfinanzminister Wege finden müssen, um eine Dekkung für die entstehenden Mehrausgaben zu finden.
Wir wollen doch eins dabei nicht übersehen:
({7})
- ich komme gleich darauf - daß man eine neue Wehrmacht, die wir alle für die Erhaltung unserer Freiheit bejahen, nicht mit einer Ausgabe von vielen Milliarden aufbauen kann, wenn die große Leidensarmee der fünf Millionen Kriegsopfer des ersten und zweiten Weltkrieges noch mit offenen Händen vor uns steht.
({8})
Es wäre kein guter Beginn für die neuen Soldaten und ihre Volkstümlichkeit , wenn hier nicht in gleichem Schritt und Tritt auch die sozialen Notprobleme der Kriegsopfer gelöst würden.
Ich verzeichne gern die Ausführungen des Herrn Bundesministers Strauß und des Herrn Bundesministers Wuermeling als Vertreter der Bundesregierung auf einer großen Kriegsopfertagung in Bad Godesberg am Dienstag vergangener Woche.. Die Kriegsopfer haben es sehr gern gehört, daß der Herr Bundesminister Wuermeling erklärte, der Staat müsse und werde dafür sorgen, daß eine Kriegerwitwe nicht mehr arbeiten gehen müsse, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder sicherzustellen,
({9})
denn die Mutter gehöre den Kindern. Unser Entwurf bietet hierfür die Möglichkeit.
Nun, es kann für die Kriegsopfer nicht mehr alles wieder gut werden. Aber es kann vieles besser werden. Das ist der Auftrag an unser Gewissen und an unsere politische Verantwortung. Schaffen wir eine neue, gesunde soziale Ordnung, die unter dem Gesetz der sozialen Gerechtigkeit steht und in der die Kriegsopfer ganz umfaßt sind, wenn wir ein glückliches Volk werden wollen!
({10})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Probst. Ich nehme an, daß Sie Ihren Antrag selbst begründen wollen? - Ich erteile Ihnen das Wort.
Frau Dr. Probst ({0}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich habe die Ehre, für die überwiegende Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion den vorliegenden Antrag auf Erhöhung und Verbesserung der Grund- und Ausgleichsrenten nach dem Bundesversorgungsgesetz für die deutschen Kriegsopfer, Kriegshinterbliebenen und Kriegereltern zu begründen.
({1})
Ich gehe dabei aus von dem Bekenntnis des ganzen Hauses zur Grundstruktur des Bundesversorgungsgesetzes, d. h. zur Teilung der Rente in Grund- und Ausgleichsrente. Mit unserem Antrag bekennen wir uns gerade zu dieser Grundstruktur, indem wir auch die Ausgleichsrenten angemessen, d. h. im Verhältnis zur Erhöhung der Grundrente, erhöhen.
Die deutschen Kriegsopfer haben in den schweren Jahren, die wir hinter uns haben, in vorbildlicher Haltung ihren Willen bewiesen, für ihr Volk mit Einsatz der noch verbliebenen und der neu gewonnenen Kräfte im deutschen Wiederaufbau ihren Anteil zu leisten. Ich möchte heute hier den Kriegsopfern danken dürfen für diesen Anteil am deutschen Wiederaufbau, an der Schaffung des deutschen Sozialprodukts.
({2})
Wir sind uns, meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen aller Fraktionen, darüber einig, daß wir in der Dankesverpflichtung stehen gegenüber den deutschen Kriegsopfern für die Opfer, die sie gebracht haben an Lebenskraft, an Lebensfreude, durch Verlust des nächsten Angehörigen, des Gatten, des Vaters, des Sohnes, daß wir ihnen gleichzeitig aber auch danken für dieser Haltung, von der ich soeben gesprochen habe. Die Voraussetzung zur Entfaltung dieses Leistungswillens bildet neben Heilbehandlung und sozialer Fürsorge, d. h. Berufsfürsorge im weitesten Sinne, die Grundrente. Wir alle haben uns auch heute wieder zu der Bedeutung der Grundrente und ihrer Unantastbarkeit bekannt, die, wie gesagt, die Voraussetzung schafft zur Entfaltung des Leistungswillens, der nun einmal zur Persönlichkeit gehört und das Selbstbewußtsein der eigenen Leistung vermittelt und der die Kriegsopfer darin Befriedigung finden läßt, wieder als Persönlichkeit in der Harmonie der Kräfte für die Allgemeinheit wirken zu dürfen. Eine wesentliche Voraussetzung dazu, sagte ich, bildet die Grundrente. Wir haben diesen Standpunkt immer vertreten. Die Grundrente ist ein Äquivalent für anatomischen Schaden. Was soll damit gesagt sein?
Herr Kollege Mende hat einmal den Vorschlag gemacht, dem Hohen Hause einen Film vorzuführen, der dem Leben entnommen ist und der dokumentarischen Charakter hat, den Film nämlich: „Die unbekannte Tapferkeit". Ich muß diesen Vorschlag aufgreifen
({3})
und sagen: Jawohl, wir sollen uns diesen Film ansehen, weil wir unter dem Druck unserer Arbeit nicht die Möglichkeit haben, die Kameraden an ihrem Arbeitsplatz zu besuchen. Wir sehen, was es auf sich hat mit den Mehraufwendungen, die der Kriegsbeschädigte im Arbeitsprozeß, bei seiner Leistung aufzubringen hat. Schon der Arbeitsweg, der für den Gesunden eine Erholung bedeutet, stellt für den Kriegsbeschädigten eine Anstrengung ersten Ranges, ja oft eine Gefährdung im Verkehr dar. Für ihn ist im Beruf, schon im Arbeitsrhythmus, durch seine Verwundung eine ganz andere Konzentration notwendig. Dazu kommt die Behinderung des Blutkreislaufs infolge der Amputation.
Darüber hinaus wollen wir aber doch eines nicht vergessen: die Amputation ist nicht nur ein äußerer Schaden, die Auswirkung geht tief hinein in die seelischen Bezirke. Mit der Schaffung des Bundesversorgungsgesetzes wollten wir, daß die seelischen Auswirkungen des Schmerzes Berücksichtigung finden bei der Festsetzung des Erwerbsminderungsgrades. Auch bei der Bemessung der Grundrente müssen diese Bezirke der menschlichen Persönlichkeit beachtet werden. Es ist so, daß im demokratischen Staat die Persönlichkeit im Mittelpunkt steht in ihrer leibseelischen Ganzheit. Ich möchte dies ansprechen, wenn ich sage, die Grundrente hat auch diese seelische Komponente. Sie hat eine Bedeutung ersten Ranges, und ich bekenne mich zu dieser Bedeutung der Grundrente, indem ich heute für den größten Teil meiner Fraktion er({4})
kläre, daß wir uns für die Fortentwicklung der Grundrente unter Beibehaltung ihrer Unantastbarkeit einsetzen. Wir haben die Grundrente der Beschädigten, der Hinterbliebenen, zugleich aber auch die Elternrenten um etwa 30 % in unserem Vorschlage angehoben. Wir haben gleichzeitig die Ausgleichsrente so angepaßt, daß das Gesamtniveau des Bundesversorgungsgesetzes um 30 % gehoben ist.
Wir bekennen uns zur Ausgleichsrente im rechten Verhältnis zur Grundrente, weil wir individuell anpassen wollen. Ich muß sagen, daß wir eine lebensnahe Anpassung des Rechtes brauchen bei dem millionenfach verschiedenen Schicksal, Anpassung auch an den -Familienstand, an die Kinderzahl. Gerade für den Beschädigten ist die Familie von entscheidender Bedeutung. Deswegen sagen wir, die Ausgleichsrente darf nicht in der Entwicklung zurückgelassen werden. Es geht nicht an, daß wir den Weg zur Einheitsrente gehen, indem wir nur die Grundrente fortentwickeln. Diese Entwicklung hat das Hohe Haus schon einmal, ja sogar des öfteren ganz klar abgelehnt; weil wir individuell anpassen müssen, soll eine echte Versorgung gewährleistet sein. Zur Ausgleichsrente gehören die Sozialzuschläge, gehören all jene Leistungen der §§ 25 bis 27, gehören die besonderen Berücksichtigungen des Aufwandes für die Kinder im Schulweg, Lehr- und Lernmittel. Alle diese Dinge sind mit der Ausgleichsrente verbunden. Wir halten sie deshalb für genau so bedeutungsvoll im Gefüge des Gesetzesganzen wie die Grundrente. Deshalb schlägt unser Antrag - über die Anträge der SPD und des BHE hinausgehend - eine 10%ige Erhöhung der Ausgleichsrente vor, wobei wir die Renten der Witwen in einem Verhältnis fortentwickeln, das auch dem alten Reichsversorgungsgesetz entspricht, nämlich in einem Verhältnis von 60 % zur Rente des erwerbsunfähigen schwerstbeschädigten Kameraden. Der Gedanke geht nicht an, daß dem Rechtsanspruch der Witwe mit 50 °/o des Lebensniveaus des Erwerbsunfähigen entsprochen sei. Die Aufwendungen der Mutter, die für den vollen seelischen und materiellen Unterhalt der Familie allein zu sorgen hat, können nicht durch eine Halbierung der Rente des Schwerstbeschädigten erfaßt werden. Wir bekennen uns daher zu einer Entwicklung der Witwenrente hin zu 60 % der Rente des Erwerbsunfähigen.
({5})
Ich bin nicht der Auffassung, daß wir an das Beamtenrecht angleichen können. Die Aufgaben der Versorgung sind anderer Natur. Wir würden Einengungen vornehmen, wenn wir nur auf das Beamtenrecht abstellen wollten. Ich bin auch überzeugt, Herr Kollege Petersen, daß mit 116 DM die Angleichung in keiner Weise vollzogen ist. Unsere Gesamtleistung liegt bei 125 DM für die Witwe und bei 50 DM insgesamt an Grund- und Ausgleichsrente für die Waisenkinder.
Wir wollen gerade den Familiengedanken - ich darf das besonders betonen - im Versorgungsgesetz für die deutschen Kriegsopfer verwirklicht sehen.
Ebenso bekennen wir uns zur Verbesserung der Elternrente, wobei insbesondere der Verlust der einzigen Söhne und aller Kinder berücksichtigt werden muß.
({6})
Das Problem der Einkommensfreigrenzen bedarf im Ausschuß einer gründlichen Überlegung.
Ich bekenne mich zur Haushaltsverantwortung des Abgeordneten. Ich sehe gerade in der Möglichkeit des Initiativrechtes eine besondere Verpflichtung zu dieser Verantwortlichkeit des Abgeordneten. Nur dann können Leistungen auch in die Zukunft hinein gesichert sein. Es geht uns darum, daß die Leistungen so sind, daß sie wirkliche soziale Sicherheit gewähren in dem Bewußtsein, daß die Währung gesund und der Haushalt geordnet ist.
({7})
Einen Augenblick. Ich darf unterbrechen zu einer Frage der Abgeordneten Frau Wolff.
Darf ich die verehrte Frau Kollegin P r o b s t einmal fragen, warum sie seinerzeit bei der Haushaltsdebatte unsere Anträge auf Erhöhung als Agitationsanträge aufgefaßt und das auch hier offen bekannt hat? Spät kommt ihr, aber ihr kommt, verehrte Herrschaften! Aber ein bißchen aufrichtiger!
({0})
Die Frau Kollegin zeigt sich schlecht informiert.
({0})
Sie spielt wahrscheinlich auf die Debatten in diesem Hause an, die in den letzten Stunden des alten Bundestages stattgefunden haben.
({1})
- In der Haushaltsdebatte habe ich Stellung genommen, jawohl! Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir die Möglichkeit geben, diese Dinge zu klären.
({2})
- Nein, ich darf vielleicht zuerst diese Antwort geben.
({3})
- Jawohl, ich bitte, mich sprechen zu lassen. Ich bin dankbar, daß diese Möglichkeit besteht; denn es sind draußen Verdrehungen gemacht worden; ich nehme an, aus Unkenntnis, ich will nicht annehmen: aus bewußter Unterstellung. Ich habe eines gesagt, und das habe ich heute hier wiederholt: daß wir uns zum Verhältnis zwischen Grund- und Ausgleichsrente bekennen, daß wir nicht den Weg der Einheitsrente gehen, indem wir einseitig vorgehen. Die Anträge, um die es damals ging, wollten eine einseitige Erhöhung der Grundrente. Ich habe dasselbe im Augenblick dem Herrn Kollegen Petersen gesagt: Wenn wir die Ausgleichsrente im Stiche lassen, wenn wir die Grundrente im Verhältnis zur Ausgleichsrente einseitig -bitte, einseitig, habe ich gesagt - überhöhen,
({4}) verletzten wir den Charakter der Grundrente.
({5})
({6})
Wir haben dies immer gesagt, und diejenigen, die vom Kriegsopferrecht etwas verstehen, geben mir recht.
({7})
- Ja, ich komme sofort darauf -
Ich glaube, es ist zweckmäßig, daß die Frau Abgeordnete Probst zuerst die Antwort auf die Frage der Frau Abgeordneten Wolff gibt und nachher die nächste Frage gestellt wird.
({0})
Die Antwort ist gegeben. Ich habe folgendes gesagt: Wer etwas vom Kriegsopferrecht versteht, gibt mir recht. Wenn wir einseitig die Grundrente erhöhen, ohne die Ausgleichsrente in dem gleichen Verhältnis weiterzuentwickeln, dann, meine lieben Freunde, nimmt uns hier im Hause niemand mehr die Begründung dafür ab, daß die Grundrente unantastbar ist.
({0})
Die Begründung ist nämlich die: hier geht es nicht um den Unterhalt wirtschaftlicher Art. Die Grundrente hat einen anderen Charakter. Die Erhaltung des Charakters der Grundrente. ist unser Anliegen.
({1})
Ich darf jetzt bitten, Herrn Kollegen Lücke in seiner Zwischenfrage zum Wort kommen zu lassen.
({2})
- Die Antwort ist einwandfrei gegeben worden.
({3})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Lücke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, die verehrte Frau Kollegin Wolff zu bitten, sich zu bemühen, daß diese Debatte auf einem Niveau geführt wird, das der Situation der Kriegsbeschädigten gerecht wird.
({0})
Jetzt spricht Frau Abgeordnete Wolff.
Wenn es dem Herrn Abgeordneten Lücke gestattet gewesen ist, eine Zwischenbemerkung zu machen, um mich zu korrigieren, möchte ich ihm sagen: dem Niveau des Hohen Hauses entspricht immer die Wahrheit, und die haben Sie und Ihre Freunde sehr oft vermissen lassen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich halte es nicht für zweckmäßig, daß in dieser Form von Zwischenbemerkungen hier diskutiert wird. Eigentlich sind die Mikrophone angebracht, um Fragen zu stellen.
({0})
Ich bitte, es bei diesen Fragen zu belassen. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Probst.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es erübrigt sich völlig, hier auf diese Unterstellung einzugehen. Wer etwas von der Materie versteht, gibt mir recht darin, daß wir nicht von der Grundstruktur abweichen können, ohne dabei die Grundrente in ihrem besonderen Charakter zu gefährden. Das ist das, was ich gesagt habe und was ich auch heute im Interesse der Kriegsopfer wiederholt habe.
Ich darf zum Schluß kommen. Ich bin der Meinung, der Vorrang der Kriegsopferversorgung ist derartig, daß wir gemeinsam die Wege finden müssen, die Haushaltsmittel so zu ordnen, daß der Notwendigkeit der Fortentwicklung des Bundesversorgungsgesetzes im dargelegten Sinne entsprochen werden kann.
({0})
Damit ist die Begründung des letzten der vorliegenden Anträge gegeben. Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei den Begründungen der Anträge sind hier manche Angriffe gegen die Bundesregierung gefallen. Ich nehme sie nicht so ernst. In der Hitze des Gefechts in einem Parlament ist das nun einmal so. Ich möchte aber, da das, was hier besprochen wird, ja auch draußen in die Öffentlichkeit gebracht wird, einiges zu den Dingen sagen.
Das Bundesversorgungsgesetz haben wir im Jahre 1950 verabschiedet. In der Zwischenzeit haben wir zwei Novellen, die erste von untergeordneter Bedeutung, die zweite aber von sehr weitgehender Auswirkung, hier im Parlament verabschiedet. Diese zweite Novelle ist am 2. Juli 1953 über die Bühne gegangen und hat einen Kostenaufwand von insgesamt 300 bis 350 Millionen bedingt. Damals sind die Ausgleichsrenten um 20%, die Elternrenten um 20 % und die Pflegezulagen ungefähr in der gleichen Höhe verbessert worden.
Nun hat man hier gesagt, das Ministerium sei nicht aktiv genug geworden, nachdem im Juli dieses Jahres hier im Hause der Beschluß gefaßt worden ist. Ich darf Ihnen dazu sagen: In derselben Zeit hat nicht allein die Frage der Finanzierung einer Novelle zum Kriegsopferversorgungsgesetz im Mittelpunkt der Verhandlungen gestanden, sondern außerdem waren auch die Fragen der Steuerreform, die Frage der Aufbringung der Mittel für das Altrentengesetz und neben anderen Aufgaben schließlich die Frage einer erweiterten Versorgung der Kriegsopfer zu lösen. Alle diese Dinge müssen natürlich von einer Regierung finanzpolitisch als Einheit behandelt werden. Es dürfte eigentlich jedem Parlamentarier bekannt sein, daß derart große finanzielle Dinge, selbst wenn Tag-und Nachtschichten gemacht werden, bei der Bundesregierung nicht von heute auf morgen erledigt werden können.
({0})
Gestatten Sie mir zum Schluß noch eine ganz kurze Erklärung, die ich Ihnen im Auftrage des Kabinetts zu geben habe.
Der Deutsche Bundestag hat in einem Beschluß vom 14. Juli 1954 die Bundesregierung ersucht, die Grundrenten entsprechend der Grundstruktur des Bundesversorgungsgesetzes zu erhöhen und die Elternversorgung zu verbessern. Die Bundesregierung hat die Vorarbeiten für eine Novelle zum Bundesversorgungsgesetz aufgenommen. Für die Bundesregierung ist die Vorlage der Novelle selbstverständlich mit der finanziellen Sicherstellung verbunden. Es ist vielfach die Meinung vorhanden, daß die Mittel für eine Novelle zum Bundesversorgungsgesetz im Kriegsopferhaushalt 1954/55 vorhanden seien. Das ist leider nicht der Fall. In Wirklichkeit werden die Ausgaben für die Kriegsopferversorgung im laufenden Etatsjahr um 80 Millionen DM höher sein, als im Etatansatz vorgesehen ist. Trotzdem ist die Bundesregierung bereit, dem Bundestag weitere Verbesserungen für die Kriegsopfer, insbesondere für die sozial schwachen Kreise unter ihnen, vorzulegen. Die abschließenden Beratungen im Kabinett werden mit den Beratungen des Etats 1955/56, die in den nächsten Wochen stattfinden, verbunden sein, so daß dem Bundestag anschließend die Vorlage der Bundesregierung zugehen kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, mich kurz zu fassen. Insbesondere werde ich Sie hier nicht mit den Details, die meine Damen und Herren Vorredner schon vorgetragen haben, belästigen. Ich kann erklären, daß wir uns zu all den Fragen bekennen, die die Kriegsopfer in ihrer Gesamtheit bewegen. Ich halte es für verfehlt - wenn ich diese grundsätzlichen Ausführungen hier kurz machen darf -, sich immer wieder darauf zu berufen, daß wir in Westdeutschland das fortschrittlichste Kriegsopfergesetz hätten, und zu glauben, daß sich mit diesem, ich möchte sagen: Selbstlob eine weitere Aktivität in dieser Frage erübrige. Aus den Ausführungen meiner Damen und Herren Vorredner ist - zum Teil jedenfalls - bereits herausgeklungen, daß man gewillt ist, sich den Fragen der Kriegsopferversorgung weiterhin mit Nachdruck zuzuwenden. Die Tatsache, daß trotz anderslautender Erklärungen der Regierung bis heute manches unterblieben ist, ist bedauerlich. Sie beruht darauf, daß wir in der verflossenen Zeit dieser Legislaturperiode den Fragen der Innenpolitik und insbesondere der Sozialpolitik nicht die Aufmerksamkeit zugewandt haben,
({0})
die wir doch auf Grund unserer Verantwortung gegenüber der gesamten Bevölkerung, gleichgültig, wo sie parteipolitisch oder in sonstiger Hinsicht steht, allesamt tragen. Ich wünschte mit meinen Freunden, daß gerade dieser spezielle Fall der Anstoß dafür ist, nachdem wir ja bereits gestern eine muntere Sitzung in Sachen Kindergeld hatten, daß eine sozialpolitische Initiative auch auf innenpolitischem Gebiet Platz greift. Bei der Erörterung der Frage der Erhöhung von Grund-, Ausgleichs- und sonstigen Renten könnte nur allzuleicht die Tatsache in den Hintergrund treten, daß es sich bei der Kriegsopferversorgung nicht ausschließlich darum handelt, den Kriegsopfern materielle Zuwendungen zu machen, sondern daß es den Kriegsopfern - ich spreche hier aus eigener Erfahrung - in allererster Linie darauf ankommt, einen Arbeitsplatz zu erhalten. In diesem Zusammenhang bedauern meine Freunde und ich, daß wir heute in der Bundesrepublik noch 35 069 arbeitslose Schwerbeschädigte haben. Es wird also vor allen anderen Fragen die vornehmste Aufgabe sein, alles daranzusetzen, um auch diesen Kriegsopfern einen angemessenen Arbeitsplatz zu sichern.
Kürzlich sind von verschiedenen großen Kriegsopferorganisationen Veranstaltungen durchgeführt worden, auf denen die verschiedensten Forderungen erhoben worden sind. Im Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen ist u. a. erklärt worden, daß sich durch den Fortfall der EVG im Bundeshaushalt gewisse Mittel aufgestaut hätten, die für Verteidigungslasten vorgesehen gewesen seien, die man also jetzt für sozialpolitische Maßnahmen verwenden könne. Meine Freunde und ich müssen sich gegen eine solche Forderung verwahren. Das Schlagwort, daß es in erster Linie darauf ankomme, eine sozialpolitische Befriedung zu erreichen, und daß man dann schon irgendwie weiter sehen werde, wie es mit den anderen Dingen würde, kann nicht verfangen. Denn wo soll die sozialpolitische Befriedung, wenn wir sie wirklich erreichen, bleiben, wenn wir sie nicht schützen!
({1})
Aus diesem Grunde kann das also nicht in Frage kommen, und ich muß schon unterstellen, daß gewisse parteipolitische Dinge eine Rolle spielen, wenn man einfach die allzu billige Forderung erhebt, uns hier unserer Verteidigungsmittel zu entblößen. Ich bitte, das richtig zu verstehen; aber jeder vernünftig denkende Mensch muß das an sich anerkennen.
Andererseits sind wir uns natürlich darüber im klaren, daß den Kriegsopfern mit irgendeiner Propaganda nicht gedient ist, sondern daß sie mit Recht Taten sehen wollen. Sie haben ein berechtigtes Anliegen an diesen Staat. Denn in einem Augenblick, in dem wir uns auf deutsches und auch alliiertes Verlangen anschicken, wieder Soldaten aufzustellen, werden nicht nur die jetzt Einzuberufenden, sondern erst recht diejenigen, die als Soldaten einmal ihre Gesundheit hingegeben haben, fragen: Wird nun wenigstens für die Zukunft eine solche Versorgung sichergestellt, daß man auch, ich möchte nicht sagen: freudigen Herzens, um nicht mißverstanden zu werden, aber mit einem Gefühl der Sicherheit seine Pflicht tun kann? Deswegen haben wir alle, die wir hier sitzen, von der Linken bis zur Rechten des Hauses, die Verpflichtung, für diese Sicherheit zu sorgen.
Wenn neulich auf der Tagung des VdK in Godesberg sogar die Forderung erhoben wurde, daß die Kriegsopferversorgung in der Wehrverfassung eine gewisse Rolle spielen solle, so möchte ich diesen Gedanken nicht unbedingt von der Hand weisen. Im übrigen bedauere ich - das möchte ich auch von diesem Platz einmal sagen -, daß die Kriegsopfer in so zahlreiche Verbände aufgesplittert sind. Sie würden sicherlich ihre Forderungen nachdrücklicher durchsetzen können,, wenn sie sich etwas mehr konzentrierten.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir bitte noch ein kurzes Wort zu einer anderen schwerwiegenden Frage. Wir haben uns hier anläßlich der Haushaltsberatungen auch mit der Frage der Ein({2})
stellung von Aushilfskräften für die Bearbeitung der Rentenanträge beschäftigt. Wir müssen mit Bedauern feststellen, wie mir meine Kollegen aus dem Kriegsopferausschuß bestätigen werden, daß zur Zeit in Westdeutschland insgesamt noch rund 480- bis 500 000 unerledigte Rentenanträge vorliegen.
({3})
Meine Damen und Herren, das sollte doch Anlaß für den Herrn Bundesarbeitsminister sein, im Benehmen mit dem Herrn Bundesfinanzminister trotz der damals beschlossenen und auch inzwischen durchgeführten Maßnahmen
({4})
noch einmal zu überlegen, wie man diese Dinge schneller bereinigen kann.
({5})
- Das ist ja nicht nur Sache der Landesregierung! Abgesehen davon werde ich Ihren Hinweis gern aufnehmen; denn ich sitze ja auch noch im bremischen Parlament, und wir werden zumindest in unserem Land entsprechende Schritte unternehmen. Wir sollten aber doch diese Forderung auch an diesem Platz erheben, denn es ist nicht angängig, daß die Erledigung so verschleppt wird.
({6})
Im übrigen kommt es nach meiner und meiner politischen Freunde Ansicht weniger darauf an, hier immer kollektive Maßnahmen zu treffen, als auf eine mehr individuelle Betreuung der Kriegsopfer schlechthin.
Meine Freunde und ich erwarten also - um das abschließend zu sagen -, daß die vorliegenden Gesetzentwürfe dem Ausschuß für Kriegsopferfragen überwiesen werden. Wir sind uns im Kriegsopferausschuß darüber einig, daß wir sie so schnell wie möglich behandeln werden. Andererseits erwarten wir von der Bundesregierung, daß wir jede nur erdenkliche Unterstützung bekommen werden.
Abschließend möchte ich sagen, daß auch hier gilt: Wer schnell hilft, hilft doppelt. Und hier gilt auch: Es ist billig, vom Dank des Vaterlandes zu reden; man muß ihn sich ,auch etwas kosten lassen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich damit abgefunden, daß wir es hätten ermöglichen können, auf eine Aussprache zu verzichten.
({0}) Aber verschiedene Dinge habe ich nun doch anzusprechen; ich muß auf einiges antworten, was hier von verschiedenen Rednern vorgetragen worden ist. In diesem Zusammenhang habe ich auch einige Fragen zu stellen.
Ich frage zuerst die Frau Kollegin Dr. Probst , warum denn, wenn schon 138 Unterschriften auf ihrem Antrag stehen, dieser Antrag nicht von der gesamten CDU-Fraktion eingebracht worden ist.
({1})
Das hätte für die weitere Behandlung dieser Dinge einen entscheidenden Faktor dargestellt.
Dann darf ich Ihnen als selbst Schwerbeschädigter einmal sagen: Ich habe jetzt, nachdem ich die Anträge studiert habe, den Eindruck, daß hier so etwas vorhanden ist, was man manchmal unter das Motto stellt: Wer bietet mehr?
({2})
Ich glaube, so sollte man die Dinge in der Kriegsopferversorgung nicht behandeln.
Ich darf Ihnen hier als Sprecher der Opposition einmal sagen: wir sind ja nun mit die Bescheidensten geblieben.
({3})
Wir konnten uns das gestatten, weil wir diese Dinge ja schon seit ungefähr zwei Jahren behandeln.
Verehrte Frau Dr. Probst, es ging hier auch im Bundestag bei der Haushaltsdebatte nicht um die Frage „Erhöhung der Grund- und Ausgleichsrente", sondern um die Frage: Erhalten wir die veranschlagten Mittel im ordentlichen Haushalt, damit wir nicht eventuell wieder diese häßlichen Haushaltsdebatten erleben, und behalten wir die Mittel, um, wenn es notwendig ist, sofort und schnell handeln zu können? Und daß Sie schnell handeln wollen, haben Sie ja hier alle bestätigt.
({4})
Ich habe nun, nachdem ich den Antrag der Kollegin Frau Dr. Probst und Genossen gelesen habe, nur den Wunsch, daß ich die Namen, die da zu lesen sind, in der zweiten und dritten Lesung wiederfinden werde, wenn es eventuell auch zu einer namentlichen Abstimmung kommt.
({5})
Meine verehrten Damen und Herren! Ich darf hier folgendes feststellen. Ich habe des öfteren Gelegenheit, an Veranstaltungen der Kriegsopfer teilzunehmen.
({6})
Da wird dann so oft von dem Dank des Vaterlandes gesprochen, von dem Opfer, und es wird so viel gesprochen von dem, was noch notwendig ist. Ich habe in einer Zeitschrift auch gelesen, daß der Herr bayerische Ministerpräsident gesagt hat: „Diesen Dank des Vaterlandes kann man nicht in Geld abstatten." Das bedeutet aber für die deutschen Kriegsopfer nun nicht, daß man überhaupt kein Geld zahlen soll. Ich glaube, bei manchen Herren in der Bundesrepublik herrscht der Eindruck vor, daß man hier andere Wege und andere Möglichkeiten suchen soll.
({7})
Meine verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist notwendig, auch - weil die Frage schon angesprochen wurde - auf die Frage der Onkelehen einzugehen. Ich persönlich bin der Auffassung: Das ist nicht ausschließlich eine materielle Sache, sondern es ist eine menschlich-sittliche Angelegenheit. Wir Kriegsopfer haben es bedauert, daß man dieses Problem immer wieder im Zusammenhang mit den Kriegerwitwen auftischt und dis({8})
kutiert. Ich möchte Sie bitten: Lesen Sie doch einmal am Sonnabend die Zeitung! Was steht denn da oft zu lesen? „Ältere Beamtenwitwe ..." oder „Pensionär in guter Situation sucht ..." usw. „zwecks gemeinsamer Haushaltsführung". Man sollte sich doch davor hüten, diese Dinge einseitig immer auf die abzustellen, die sich in dieser Angelegenheit am allerwenigsten wehren können.
({9})
Ich glaube, es ist auch notwendig, daß sich dieses Haus einmal dazu entschließt, den deutschen Kriegerwitwen Anerkennung auszusprechen, die in der Vergangenheit mit höchstens 150 DM es fertiggebracht haben, ihre zwei und drei Kinder immer noch anständig zu erziehen.
({10})
Wir sollten uns besinnen, damit hier keine Situation eintritt, die uns von diesen Dingen irgendwie abbringen könnte.
Dann eine Bitte, meine Damen und Herren, und als Schwerbeschädigter darf ich mir diese Bitte erlauben. Ich bitte Sie, in Ihren Ausführungen nicht immer wieder, wie es bei einigen immer wieder geschieht, „Interessenhaufen" zu sagen.
({11})
- Herr Kollege Arndgen, ich habe ja nicht gesagt: der und der hat das gesagt; ich spreche nur eine Bitte aus.
({12})
Diese Formulierung „Interessenhaufen" ist bei uns in den Kriegsopferverbänden angekommen; das kann ich Ihnen sagen! Gewiß sind starke Kriegsopferverbände vorhanden. Aber ich frage Sie einmal: Wie wäre es denn um die Lebensinteressen der beschädigten Männer und Frauen bestellt, wie wären sie denn mit der komplizierten Gesetzgebung in Deutschland zurechtgekommen, wenn es galt, ihre Interessen zu vertreten? Es ist nun einmal eine bedauerliche Tatsache, daß wir diese Organisationen notwendig haben. Ich möchte jedoch auch von dieser Stelle aus einmal sagen, daß es mit die Kriegsopferverbände gewesen sind, die in der Vergangenheit dafür gesorgt haben, daß gerade dieser Personenkreis im deutschen Volke, der in erheblicher Notlage gelebt hat und noch lebt, nicht infiziert worden ist von Kreisen und Kräften, die wir in diesem Hause alle nicht wünschen.
({13})
Ich glaube, daß ich da richtig verstanden worden bin.
({14})
Was mich nun noch persönlich sehr interessiert, ist die von uns beantragte Änderung des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes. Dabei geht es um die immer 'wiederkehrende Anrechnung von Leistungen. In Tausenden und aber Tausenden von Fällen kann der noch beschäftigte Schwerbeschädigte eine Ausgleichsrente, wenn auch nur eine Teilrente, erhalten. Wenn er dann aber auf Grund seines schweren Leidens gezwungen wird, früher invalide zu sein, ergibt sich die Tatsache, daß er sein Arbeitseinkommen verliert und daß er keine Freigrenze mehr hat. Die Anrechnungsbestimmungen treten in Kraft, und der kranke Mann muß es sich dann gefallen lassen, daß er weniger Kriegsopferrente erhält als zu dem Zeitpunkt, zu dem er im Erwerbsleben gestanden hat. Ich glaube, es muß unsere gemeinsame Verpflichtung sein, diese Dinge im Interesse einer gerechten sozialen Ordnung zu bereinigen.
Nun darf ich dem Herrn Bundesminister eines sagen. In seinem Hohen Hause ist ein Beirat für Versorgungsrecht, und dieser setzt sich bestimmt aus anerkannten Versorgungsfachleuten zusammen; ich weiß nicht, wie es anders sein könnte. Dieser Beirat für Versorgungsrecht hat schon im Februar dieses Jahres darauf hingewiesen, daß es unbedingt notwendig ist, die Grundrenten in angemessenem Rahmen zu erhöhen. Wir sind auch hier in diesem Hause immer wieder damit zurückgedrängt worden, daß man uns gesagt hat, die Berechnungsunterlagen seien nicht eindeutig und nicht klar. Der verehrte Kollege Dr. Stammberger hat diese Angelegenheit ebenfalls angesprochen. Nun habe ich vorhin von dem Herrn Bundesarbeitsminister gehört, daß im Rahmen dieses Haushaltsjahrs wahrscheinlich 80 Millionen DM mehr aufgewendet werden müßten. Ich möchte den Herrn Bundesarbeitsminister fragen, auf Grund welcher Unterlagen er zu diesem Ergebnis gekommen ist, gerade auch weil man in der Vergangenheit nicht wußte, wenn wir im Beirat und im Kriegsopferausschuß fragten, welche genauen Unterlagen man uns überhaupt zur Einsicht geben könnte. Ich bitte doch höflichst darum, diese Unterlagen - ich weiß, es kann heute nicht sein - zumindest dem Ausschuß für Kriegsopferfragen zur Verfügung zu stellen.
Und noch eine Angelegenheit, und hier möchte ich eingehen auf das, was der Herr Kollege Schneider gesagt hat. Kollege Schneider, ich war nicht Mitglied des 1. Deutschen Bundestages. Ich weiß aber, daß er das Schwerbeschädigtenschutzgesetz in voller Einmütigkeit verabschiedet hat, und ich bin nicht der Überzeugung, daß es notwendig war, jetzt schon diese verschiedenen Rechtsverordnungen zu erlassen, gerade deshalb nicht, weil es in der Bundesrepublik immerhin noch 40 000 arbeitslose Schwerbeschädigte gibt.
Abschließend möchte ich auf Ihre Bemerkungen eingehen, die Kriegsopfer redeten draußen im Lande, daß man ja das eingesparte Geld aus der Nichtdurchführung ides EVG-Vertrages für diesen Zweck verbrauchen könne. Mir ist von dieser Forderung nichts bekannt. Ich habe das niemals gehört, und ich glaube, die einsichtigen Kriegsopfer werden diese Forderung auch nicht stellen. Aber ich habe andere Unterlagen.
({15})
Mit Genehmigung ides Herrn Präsidenten darf ich hier kurz zitieren - -
Einen Augenblick! Das Wort zu einer Frage hat der Abgeordnete Schneider.
Herr Kollege, darf ich Sie fragen: Sie sind doch Mitglied des Hauptvorstandes des Reichsbundes der Kriegs- und Zivilbeschädigten? Als solches Mitglied müßten Sie ja eigentlich die Mitteilungen des Reichsbundes
({0})
lesen. Da steht gerade in der letzten Ausgabe dieser Mitteilungen ein entsprechender Hinweis.
Herr Kollege Schneider, Sie haben dann nicht richtig gelesen.
({0})
Hätten Sie meine Erklärung abgewartet, dann hätten Sie hören können, daß z. B. in der „Rheinischen Post" vom 11. 9. 1954 zu lesen ist, auf Grund neuer Unterlagen über die tatsächlichen Steuereingänge usw. usw. und auf Grund der Tatsache, daß der Herr Bundesfinanzminister diese Beträge für den EVG-Vertrag nicht zu leisten brauche, könne man diese Dinge doch für andere Zwecke, für Zwecke der Herren verwenden, die diesen Artikel in die Zeitung hineinlanciert haben.
Ich glaube, meine verehrten Damen und Herren, wir sollten uns darauf besinnen, daß es notwendig ist, auch mit den deutschen Kriegsopfern gute Freundschaft zu halten. Ich habe die höfliche Bitte an Sie alle: Sorgen Sie alle mit dafür, daß wir auch den deutschen Kriegsopfern noch vor Weihnachten eine Freude ins Haus bringen können.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will die vom Herrn Abgeordneten Rasch an mich gestellte Frage sofort beantworten. Er will wissen, wie wir zu dem Ergebnis gelangt sind, daß die Mehrausgaben 80 Millionen DM betragen. Das ist sehr einfach. Die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes liegt bei den Ländern. Wir bekommen von den Versorgungsbehörden der Länder monatlich die Finanzanforderungen. Diese aber liegen monatlich um 6 bis 7 Millionen DM über dem, was durch den Bundeshaushalt gedeckt ist. Ich habe mich also, wenn ich die Summe von 80 Millionen DM nannte, sehr vorsichtig ausgedrückt. Es werden tatsächlich monatlich Gelder in der genannten Größenordnung über die Etatansätze hinaus ausgegeben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von der FDP in der Drucksache 716 ({0}) angesprochene Anliegen ist ein sehr altes Problem. Es hat schon nach dem ersten Weltkrieg eine entscheidende Rolle gespielt. Aber auch damals ist man zu keiner Lösung dieser Frage gekommen. Es handelt sich doch in erster Linie um eine wirtschaftliche Frage. Die Kriegshinterbliebenen haben durch ,die Rente, die sie bekommen, keineswegs die wirtschaftliche Sicherheit, die sie brauchen, um ihr Leben so führen zu können, wie sie es sich wünschen. Aus dieser wirtschaftlichen Unsicherheit entstehen doch die meisten Onkelehen. Dieses Problem ist vorhin bereits von meinem Kollegen Rasch angeschnitten worden. Ich brauche zu dem Problem der Onkelehen heute gar nichts zu sagen; das Thema ist schon so oft behandelt worden. Ich möchte nur erwähnen, daß diese Frage schon im 1. Bundestag bei den Debatten im Kriegsopferausschuß eine entscheidende Rolle gespielt hat. Wir haben zu diesen Ausschußsitzungen die großen Kriegsopferverbände als Berater hinzugezogen, haben aber keine Lösung gefunden. Ich glaube, daß man das Problem nicht nur von der wirtschaftlichen Seite sehen darf, sondern meine, daß damit auch eine zutiefst menschliche Frage berührt ist. Mir scheint, dieses Problem konnte überhaupt nur entstehen, weil die Löhne, die durchschnittlich verdient werden, einfach nicht ausreichen, die Familien durch den Lohn eines einzelnen zu sichern. Hier ist der Kernpunkt dieser ganzen Frage; wir können sie nicht auf dem Sektor der Kriegsopferversorgung.allein lösen.
Wir sollten die in der Drucksache 716 ({1}) angeschnittenen Fragen im Kriegsopferausschuß sehr eingehend beraten. Wir müssen alles tun - und wir von unserer Fraktion werden alles tun -, um den Kriegshinterbliebenen die wirtschaftliche Sicherheit, aber auch die menschliche Sicherheit zu geben, die sie mit ihren Familien, mit ihren Kindern brauchen.
Ich bitte, den Antrag dem Kriegsopferausschuß zu überweisen. Wir werden an der Lösung dieser Frage intensiv mitarbeiten.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Genau wie der Kollege Rasch hatte ich nicht die Absicht, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen. Aber nachdem auf der einen Seite die Regierung angegriffen worden ist und nachdem man es andererseits ablehnt, das Bundesversorgungsgesetz als eines der besten Gesetze für Kriegsopfer in der Welt anzuerkennen, halte ich es doch für notwendig, zu unterstreichen, daß neben dem Kriegsopferversorgungsgesetz in den USA das deutsche Kriegsopferversorgungsgesetz das beste Gesetz für diesen Bereich der Kriegsfolgen ist.
({0})
Wir dürfen auch nicht vergessen, daß durch das Schwerbeschädigtengesetz sehr viel für unsere Kriegsopfer getan worden ist und daß durch dieses Gesetz den Kriegsopfern der Arbeitsplatz gesichert ist.
Herr Kollege Schneider hat es bedauert, daß noch rund 35 000 Schwerbeschädigte nicht in den Arbeitsprozeß eingegliedert sind. Um auch diese Zahl objektiv zu sehen, ist es notwendig, die 35 000 aufzugliedern nach solchen, die noch vermittelt werden können, und solchen, bei denen es eine Tierquälerei wäre, wenn man diese Menschen in Arbeit schickte.
({1})
Ich glaube, wenn eine solche Aufgliederung - ({2})
- Menschenquälerei.
({3})
- Ich bitte, den Lapsus zu entschuldigen; ich habe „Menschenquälerei" sagen wollen.
({4})
({5})
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man die Zahlen einmal so aufgegliedert sieht, dann weiß man objektiv, wer eingegliedert werden kann und wer nicht mehr; und dann sieht nach meinem Dafürhalten die Zahl 35 000 etwas anders aus.
Nun bin ich mit Ihnen der Meinung, daß versucht werden muß - trotz der Tatsache, daß wir eine der besten Regelungen haben -, die Kriegsopferversorgung in eine gesunde Ordnung zu bringen. Aber wir in diesem Hause sind nicht nur für eine Gruppe verantwortlich, sondern für das Zusammenleben unseres Volkes. Wir haben gestern und heute Gesetze verabschiedet und weiterberaten, die sich mit einer Summe von 3 Milliarden und rund 500 Millionen DM beschäftigen. Wir haben gestern das Gesetz über Familienausgleichskassen verabschiedet.
({6})
Dieses Gesetz bewegt 450 Millionen DM.
({7})
Wir haben gestern ein Gesetz über Mehrbeträge in der Rentenversicherung verabschiedet. Dieses Gesetz bewegt eine Summe von 826 Millionen DM. Wir haben heute morgen ein Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes verabschiedet. Dieses Gesetz bewegt 200 Millionen DM. Das sind 1476 Millionen DM, die beschlossen worden sind.
({8})
Und heute stehen Gesetze zur Debatte, von denen ich, da Alternativanträge vorliegen, nur die Anträge erwähne, die den höchsten Aufwand erfordern. Das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes - Drucksache 859, der Antrag ist vom BHE gestellt - würde, wenn wir es in dieser Form verabschiedeten, 885 Millionen DM erfordern.
({9})
- Nein, wir wollen nicht mehr geben.
({10})
- Nein. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mir, da ich dem Haushaltsausschuß dieses Hauses angehöre, genau ausrechnen lassen
- das mache ich jedesmal -, wie sich diese Anträge finanziell auswirken. Dabei habe ich festgestellt, daß der Antrag des BHE zum Bundesversorgungsgesetz einen Aufwand von 885 Millionen DM erfordert, während der Antrag der Frau Dr. Probst nur 644 Millionen DM und der Antrag der SPD etwas über 400 Millionen DM Aufwand erfordern würden.
Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat der Abgeordnete Dannebom.
Herr Arndgen, Sie haben vorhin gesagt, daß das gestern von uns beschlossene Renten-Mehrbetrags-Gesetz den Bund mit über 800 Millionen DM belastet.
Ich habe nicht von - Dannebom ({0}): Sie sind sich doch darüber klar, - ({1}) - Das hat er gesagt!
Nein. Herr Kollege Dannebom, wenn Sie genau aufgepaßt hätten, dann hätten Sie gehört, daß ich gesagt habe „werden 826 Millionen DM bewegt", nicht vorn Bund getragen, sondern von einem Träger zum Leistungsempfänger bewegt. Ich habe vom „Bewegen" von Geld gesprochen und nicht davon, daß der Bund die Belastung trägt.
Diese 800 Millionen DM bringt doch zum größten Teil der Kreis der Versicherten selber auf. Sie können doch in Ihrer jetzigen Begründung nicht von diesen 800 Millionen sprechen!
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer nun glaubt, ich hätte gesagt, der Bund müsse all diese Mittel tragen, befindet sich im Irrtum. Ich habe davon gesprochen, daß durch diese Beschlüsse diese Hunderte von Millionen DM von einem Träger zum Leistungsempfänger bewegt werden.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn schon von der Institution der Zwischenbemerkung Gebrauch gemacht wird, was sehr gut ist, dann bitte ich, daß immer nur einer eine solche Bemerkung am Mikrophon macht. Sonst sind Sie hier oben nicht zu verstehen, weder von dem Redner noch von den übrigen Mitgliedern.
Jetzt hat das Wort zu einer solchen Bemerkung Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg.
Herr Kollege Arndgen, um Mißverständnissen zu begegnen: es sind 800 Millionen DM angesetzt. Die Summe der tatsächlichen Auszahlungen wird nur etwa 600 Millionen DM betragen, da - ich will das begründen - in dem Voranschlag der Regierung erstens ein erkennbarer Sicherheitszuschlag von 15 % gleich 100 Millionen DM enthalten ist und zweitens ein bei Nachrechnung sich ergebender weiterer Sicherheitszuschlag von mindestens 100 Millionen DM steckt. Es sind also insgesamt 200 Millionen DM Sicherheitszuschläge in den 800 Millionen DM enthalten.
Ich weiß nicht, Herr Professor Schellenberg, ob Sie Hellseher sind; denn die Abrechnung über die Ausführung des gestern beschlossenen Gesetzes werden wir erst an den jeweiligen Jahresschlüssen sehen. Aber ich habe Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Zahlen einmal genannt, damit Sie darüber unterrichtet sind, wie hoch die Summen sind, die wir nach den beschlossenen Gesetzen denjenigen, die im Schatten des Lebens stehen, zusätzlich zur Verfügung stellen wollen.
Einen Augenblick, Herr Professor Schellenberg wünscht eine Bemerkung zu machen.
({0})
Sie haben gesagt, ich sei ein Hellseher. Ich stütze mich auf Tatsachen.
({0})
Bei dem Rentenzulagengesetz stand in der Regierungsvorlage, daß sich ein Mehraufwand von 1030 Millionen DM jährlich ergeben werde. Der tatsächliche Mehrbetrag lag aber um 800 Millionen DM. Auch damals war der Voranschlag um über 200 Millionen DM überhöht. Deshalb haben wir Berechtigung, anzunehmen, daß auch diesmal mit erhöhten Ansätzen gerechnet wird.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon darauf verwiesen, daß es gar nicht möglich ist, am Tage der Verabschiedung eines Gesetzes schon bis ins einzelne auszurechnen, was das Gesetz letzten Endes den Haushalt kosten wird.
({0})
Es sind alles nur Überlegungen, die global genommen werden müssen.
Wenn ich den Antrag des GB/BHE - den Betrag habe ich schon genannt -, die noch anstehenden Anträge der SPD bezüglich der 13. Monatsrente für die Rentenversicherten und Kriegsopfer mit 500 Millionen DM und den Antrag der SPD von heute morgen auf Weihnachtsbeihilfen - es sind 530 Millionen DM - zusammen betrachte, komme ich auf den Betrag von 1915 Millionen DM, der heute zur Debatte steht.
Nun ist vorhin mit Recht der Zwischenruf gemacht worden, diese Summe habe nicht allein der Bund zu tragen. Das stimmt!
({1})
Aber was kommt davon auf den Bund zu? Wenn ich all das, was hier schon angeführt wurde, was nicht vom Bund, sondern aus anderen Töpfen geschöpft wird, abziehe, bleibt doch noch die erkleckliche Summe von über 2 Milliarden DM, die auf den Bund zukommen.
Herr Abgeordneter Wittrock zu einer Zwischenbemerkung.
Eine Zwischenfrage, Herr Kollege Arndgen. Wie stehen Sie zu der Äußerung des Herrn Bundeswirtschaftsministers, daß die deutsche Wirtschaft die Wiederaufrüstung aus eigener Kraft finanzieren kann?
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist von diesem Platz heute schon davon gesprochen worden: Wenn es uns nicht gelingt, auch Einrichtungen zum Schutze unserer Bevölkerung nach außen zu schaffen, dann sind die Kriegsopfer, für die wir uns einsetzen wollen, die Ärmsten!
({0})
Ich habe die vorgetragenen Zahlen nur erwähnt, damit wir bei den gestellten Anträgen, die begründet worden sind, auch Überlegungen darüber anstellen, wo die Mittel hergenommen werden solle, um den Forderungen gerecht zu werden. Ich möchte daher diejenigen, die im Ausschuß für Kriegsopferfragen und auch im Haushaltsausschuß sich mit diesen Anträgen zu beschäftigen haben, bitten, nicht nur die eine, sondern auch die andere Seite zu sehen. Man sollte genau überlegen, daß es nichts nutzt, jemanden etwas zu versprechen, wenn man kein Geld in der Tasche hat. Daher mein Appell, bei diesen Anträgen sowohl die eine wie die andere Seite der Probleme, die mit den Anträgen zusammenhängen, zu beachten.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Bals.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur etwas klarstellen. Der Kollege Arndgen hat erklärt, daß von einem Sprecher
- das kann nur ich sein - der Wert des Bundesversorgungsgesetzes angezweifelt worden sei. Herr Kollege Arndgen, ich habe wortwörtlich erklärt - Sie können es im Protokoll nachlesen
Daß in dieser Beziehung in der Bundesrepublik noch manches zu geschehen hat, beweisen die Ausgaben anderer Nationen. Ich bin in der Lage, Ihnen nachzuweisen, daß die Bundesrepublik
- das ist der Satz in der Kriegsopferversorgung gegenüber anderen Ländern noch vieles nachzuholen hat.
Ich habe mich hierbei auf eine Schrift des Verbandes der Kriegsbeschädigten, des VdK, gestützt. Die in dieser Schrift enthaltene Statistik ist bisher von offiziellen Stellen der Bundesrepublik noch nicht widerlegt worden. Daraus geht hervor, daß von 17 Ländern, die in dieser Statistik aufgeführt sind, die Bundesrepublik hinsichtlich der Kriegsopferversorgung an vorletzter Stelle vor Österreich steht.
({0})
Ich bin gern bereit, Ihnen, Herr Kollege Arndgen, und Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU, das schriftlich zu beweisen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin, nachdem ich als Abgeordneter des 2. Deutschen Bundestags zum erstenmal eine Debatte über Kriegsopferfragen erlebe, eigentlich etwas bedrückt, und zwar deshalb, weil ich den Eindruck habe, daß nicht das Problem im Vordergrund steht, und das ist für mich das Entscheidende.
Ich will gleich zu der eben aufgeworfenen Frage Stellung nehmen, zu dem Streit um den Rang des Gesetzes gegenüber entsprechenden Gesetzen des Auslandes. Es wäre meines Erachtens verfehlt, hier Behauptungen aufzustellen, mit denen man nicht bestehen kann. Es sind schon Zahlen bekanntgegeben worden. Aber die Bundesregierung hat bereits begonnen, genaue Erhebungen in 'dieser Frage anzustellen. Es wird gut sein, wenn wir abwarten, bis diese Erhebungen abgeschlossen sind. Erst dann können wir uns ein Urteil bilden über den wirklichen Stand des Bundesversorgungsgesetzes gegenüber den Kriegsopfergesetzen in den anderen Ländern.
({0})
({1})
- Ich habe Sie nicht verstanden. Aber ich glaube,
wir sollten darüber auch nicht länger debattieren.
Nun zu 'der Frage der Finanzierung allgemein. Ich glaube, es besteht keinerlei Zweifel darüber, daß jedem verantwortungsbewußten Abgeordneten diese Frage ebenso ernsthaft vorgelegt werden muß wie die andere Frage, die wir eben besprochen haben. Ich glaube, das ist auch der Sinn dessen, was Kollege Arndgen mit seinen Ausführungen sagen wollte. Wir können wohl aus seinen Ausführungen gleichzeitig schließen, es steht auch für ihn außer Zweifel, daß wir, nachdem wir auf einer Reihe von Gebieten der Sozialgesetzgebung einen Schritt vorwärts getan haben, 'auch die in der Tat vorhandene Lücke schließen und den Rückstand in der Kriegsopferversorgung aufholen müssen
In der Aussprache ist u. a. auch die Frage der Arbeitsunterlagen angeschnitten worden. Wir teilen die dabei zum Ausdruck gekommene Meinung. Aber es ist heute noch nicht möglich, die Arbeitsunterlagen so sicher herzustellen, wie es notwendig sein wird. Es wird immer eine Differenz geben. Ich schließe mich grundsätzlich dem Gedanken an, daß wir in dieser Beziehung ganz genaue und klare Unterlagen haben müssen.
Eins habe ich sehr bedauert: der Kollege Rasch hat kritisiert, daß die CDU den Antrag nur mit 138 Unterschriften - es sind bereits 150 - eingebracht hat, nicht die ganze Fraktion. Ich glaube, in dieser Frage muß man es doch den Abgeordneten oder der Fraktion selbst überlassen, wie sie die Dinge anfassen wollen.
({2})
Ich bin der Meinung, man sollte hier nicht das Vorgehen einer Fraktion kritisieren, sondern den guten Willen, der von den 138 Abgeordneten der CDU-Fraktion in dieser Antragstellung zum Ausdruck gebracht wurde, respektieren. Sie sollten darin einen Weg sehen, auf dem wir für das Wohl und Wehe und für das Los der Kriegsopfer etwas erreichen können.
({3})
- Gerade aus Ihren Zwischenrufen muß ich entnehmen, daß Sie eigentlich den Weg und die Haltung, die im letzten Bundestag immer zu beobachten waren, verlassen und auf geben.
({4}) Wir wollen uns doch nicht auseinanderreden und uns gegenseitig irgendwie vielleicht aus parteipolitischen Gründen antasten,
({5})
sondern wir wollen doch gemeinsam einen Weg suchen. Die Kriegsopferfrage ist nicht eine parteipolitische Frage, sondern dabei geht es um eine Angelegenheit, die das ganze deutsche Volk angeht.
({6})
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat die Abgeordnete Frau Wolff.
Gerade weil diese Frage das gesamte deutsche Volk angeht, frage ich
Sie, Herr Abgeordneter, ob es 'dann nicht die Pflicht der stärksten Fraktion des Hauses gewesen wäre, diese Dinge längst zu bereinigen, was sie ja mit der Fülle ihrer Mandate in der Hand hätte.
({0})
Wenn technische Schwierigkeiten im politischen Geschehen oder die Zeit es nicht erlauben, daß der Fraktionsvorsitzende eine Übereinstimmung mit dem Finanzminister erzielt, dann entspricht es der Loyalität, daß er praktisch erst Klarheit schafft. Dafür müssen auch Sie als Opposition Verständnis haben. Ich kann Ihnen aus meiner praktischen Tätigkeit, die ich seit Jahren sowohl im Landtag in Bebenhausen wie auch in Stuttgart ausgeübt habe, sagen, daß einzelne Abgeordnete der dortigen SPD-Fraktion bei verschiedenen Anträgen mit mir gegangen sind, während der Fraktionsvorsitzende - eben aus den genannten Gründen - nicht mitgegangen ist. Ich glaube, dafür müßten Sie Verständnis haben.
({0})
Ich glaube, wir sollten die Tatsache der 138 Unterschriften so auslegen, daß in der CDU-Fraktion der ernste Wille vorhanden ist, dem Problem der Kriegsopferversorgung im allgemeinen gerecht zu werden.
({1})
Nun zu dem, was der Kollege Rasch bezüglich der Verbände sagte. Ich glaube, hier kann ich im Namen meiner ganzen Fraktion sagen, daß wir nicht etwa der Meinung sind, die Kriegsopferverbände seien Interessentenhaufen. Es ist ganz klar, und das wissen die Verbände auch, und isle sollen es wissen, daß ihre Aufgaben begrenzt sind, daß ihre Aufgabenbereiche in einen gewissen Rahmen eingepaßt sind. Auf der anderen Seite anerkennt unsere Fraktion das Recht der Verbände und schützt ihre große Aufgabe, die sie draußen im gesamten Volk erfüllen. Vor allem sieht unsere Fraktion, daß es gerade die Verbände sind, die draußen in der Betreuung der Kriegsopfer vorbildliche Arbeit leisten. Ich glaube, dafür sind wir ihnen zu besonderem Dank verpflichtet.
Wenn wir nun die gesamten Berechnungen im Haushalt und die hohen Zahlen, die wir gehört haben, überprüfen, so ist es verständlich, daß verschiedene Meinungen auftauchen. Aber ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang folgendes zu sagen. Der Antrag, von dem man jetzt sagt, daß er 640 Millionen DM Aufwendungen verursacht, nach der Meinung des Herrn Bundesarbeitsministers 550 Millionen DM, kommt für dieses Haushaltsjahr praktisch nur noch zu einem Drittel zur Auswirkung.
Wir wollen uns vor Augen halten, worum es geht. Wir wollen die Wiederherstellung des Wertes des Bundesversorgungsgesetzes zur Zeit der Verabschiedung im Jahre 1950. Damals war ein Betrag von 3,3 Milliarden DM als erforderlich angesehen worden. Darin waren die Aufwendungen auf Grund der ersten und zweiten Novelle und die Kriegsopferversorgung für das Land Berlin usw. nicht enthalten. Wenn wir alle diese Aufwendungen noch in dem jetzigen Betrag untergebracht haben und beachten, daß seit der Verabschiedung
({2})
des Bundesversorgungsgesetzes eine große Anzahl Kriegsopfer neu hinzukamen, kommen wir, glaube ich, zu dem Ergebnis, daß es durchaus gerechtfertigt ist, wenn wir einen Weg suchen, diesen Wert des Bundesversorgungsgesetzes wiederherzustellen, und wenn wir weiter einen Weg suchen, auch die notwendigen Mittel dafür aufzubringen. Es bestehen zwar in den Fragen der Witwen-, Eltern-, Waisenversorgung usw. verschiedene Meinungen, aber ich bin der Ansicht, daß wir im Kriegsopferausschuß wirklich bemüht sein sollten, einen Weg zu finden, auf dem wir den Wünschen und Ansprüchen der Kriegsopfer wirklich gerecht werden.
Wenn man über diesen Antrag spricht, darf nicht allein darauf gesehen werden, was ausgegeben werden muß, sondern man muß gleichzeitig beachten, daß ein großer Betrag dieser Mehraufwendungen sofort wieder auf dem Weg über die Verbrauchsteuern hereinkommt. Man muß also berücksichtigen, daß die Mittel, die man hier mehr gibt, praktisch nicht auf die Sparkasse kommen, sondern für die notwendige Lebenshaltung bzw. für Mehraufwendungen ausgegeben werden.
Bei Berücksichtigung dieser Zusammenhänge und in Ansehung der Abgänge aus dem Haushalt werden wir sicherlich auf der Ebene des Antrags, wie er von unserer Frau Kollegin Dr. Probst eingebracht worden ist, einen Weg finden. Wir würden auf diese Weise den Kriegsopfern in Deutschland einen großen Dienst erweisen. Diese Aufgabe, ich sage es noch einmal, darf nicht der Anlaß zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung werden. Es handelt sich um eine echte Aufgabe und eine moralische Verpflichtung zum Wohle aller Kriegsopfer Deutschlands.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mir nur einige ganz kurze Ausführungen erlauben. Zunächst bedauere ich, daß der Herr Bundesfinanzminister erst jetzt zu so später Stunde zu uns gekommen ist. Wir hätten es alle dankbar begrüßt, wenn er zu dem so dringenden, offenen Sozialproblem von sich aus die erforderliche Erklärung abgegeben hätte.
({0})
Ich hoffe jedenfalls, daß der Herr Bundesfinanzminister noch Gelegenheit nimmt, das nachzuholen. Er ist ja in seiner Aufgabe, auf die Innehaltung der Etatsansätze zu achten, in der Zwischenzeit durch den Kollegen Arndgen gut vertreten worden. Das wollen wir anerkennen.
Die Ausführungen, die der Kollege Arndgen gemacht hat, bedürfen doch durchaus in manchen Punkten der Berichtigung. Zunächst einmal geht er davon aus, daß die Vorlage des Gesamtdeutschen Blocks/BHE zur Verbesserung der Kriegsopferversorgung einen Aufwand von 885 Millionen DM erfordere. Diese Zahl ist erheblich zu hoch; denn sie geht von dem Stande vom 30. Juni dieses Jahres aus, und dabei wird außer Betracht gelassen, daß wir in diesem Jahr 100 000 Waisen aus der Versorgung entlassen. Außerdem bleibt dabei der natürliche Schwund in den Versorgungslasten, der jedes Jahr durch das Ableben von Versorgungsberechtigten zu verzeichnen ist, außer Betracht. Das müßte also zusätzlich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Maucher über die Heruntersetzung der Schätzungen auch gesagt werden. So werden die aus einer Annahme unserer Vorlage erwachsenden Kosten sich kaum über einen Betrag von 750 Millionen DM erheben. Damit kommen wir schon in eine sehr enge Partnerschaft zu der größten Fraktion und ihrem Antrag. Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß wir im Ausschuß durch eine richtige Wertung der Dinge gemeinsam zu einem anständigen Ergebnis kommen.
Ein Problem ist in unserem Antrag erheblich stärker angesprochen als in anderen Anträgen: die Frage der Freibeträge, die angemessene Nichtanrechnung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gemäß § 33 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes. Wir wollen die Fassung des § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes auch für die Bundesversorgungsgesetzgebung angewendet wissen. Die Hereinnahme dieser Bestimmung würde allein einen Betrag von 260 Millionen DM erfordern.
Was die andere Frage angeht, so sind wir von Ihrem Antrag, Frau Kollegin Dr. Probst, gar nicht weit entfernt. Wir würden es sehr dankbar begrüßen, wenn sich Ihre Fraktion später so zu diesem Antrag bekennt, wie sich bisher die 140 mutigen Unterzeichner zu ihm bekannt haben. Wir werden versuchen, im Ausschuß sehr schnelle Arbeit zu leisten und den Herrn Finanzminister durch die baldige Fertigstellung des Gesetzes zu unterstützen, damit wir möglichst vor Weihnachten zu einem sichtbaren Ergebnis kommen.
Das wollte ich für meine Fraktion noch erklärt haben. Ich bitte, unseren Antrag dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen.
({1})
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Ich darf Ihnen vorschlagen, sämtliche vorliegenden Anträge dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen. - Widerspruch erfolgt nicht.
({0})
- Bislang war es von keiner Seite vorgeschlagen. Hier ist nur der Kriegsopferausschuß vorgeschlagen.
({1})
- Welcher Ausschuß soll federführend sein? ({2})
-Also zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß? Besteht darüber Einverständnis?
({3})
- Nicht! Also, daß der Kriegsopferausschuß federführend sein soll und daß an diesen überwiesen werden soll, darüber besteht Einmütigkeit. - Es ist so beschlossen.
Dann kommt der weitere Antrag, an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? ({4})
({5})
- Ich glaube, wenn Sie sich nicht doch einigen wollen, müssen wir die Abstimmung wiederholen; denn es war von hier aus nicht festzustellen, wo die Mehrheit war. Wer für die Überweisung an den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. - Es ist nicht immer ganz einfach, die Fläche und die Kopfzahl in Übereinstimmung zu bringen. - Ich darf Sie um Ruhe bitten. Ich glaube, so weltbewegend war die soeben vorgenommene Abstimmung nicht.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 ({6});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({7}) ({8}).
({9})
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Dr. Gülich ({10}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich sehr kurz fassen. Zur Begründung der Senkung von 42 auf 40 °/o habe ich nur zu bemerken, - ({11})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie doch, dem Berichterstatter seine Arbeit durch Schweigen zu erleichtern.
Dr. Gülich ({0}), Berichterstatter: - daß die Länder den Betrag von 250 Millionen DM in der Form übernommen haben, daß sie Bundesbahnanleihe dafür zeichnen.
Darf ich, Herr Präsident, jetzt gleich als Redner für die Fraktion der SPD den Umdruck 160 begründen?
Nein, das geht meines Erachtens nicht. Sie sind jetzt Berichterstatter. Erst dann kann ich Ihnen das Wort zur Begründung Ihres Antrages erteilen.
Dr. Gülich ({0}), Berichterstatter: Als Berichterstatter habe ich dem Hause zu empfehlen, den Antrag auf Drucksache 731 unverändert anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Aussprache ein. - Es meldet sich offenbar nur der Abgeordnete Dr. Gülich. Dann darf ich gleich bitten.
({0})
Der Herr Bundesfinanzminister hat den Ländern zugesagt, daß etwaige Ersparnisse im Besatzungskostenhaushalt den Ländern durch eine Senkung des vom Bund in Anspruch genommenen Teils der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer zugute kommen sollen, aber nicht mehr als bis zu 38%. Ich habe im Juli im Ausschuß beantragt, diese Senkung doch gleich vorzunehmen. Die Mehrheit des Ausschusses konnte sich damals dazu nicht entschließen. Inzwischen haben wir am vorigen Freitag im Ausschuß die Angelegenheit noch einmal besprochen. Der Satz von 38 vom Hundert kann, nachdem der EVG-Vertrag gescheitert ist, von allen Fraktionen des Hauses angenommen werden. Ich bitte Sie also, dem Umdruck 160 zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was der Herr Berichterstatter gesagt hat, ist richtig. Ich habe mit der Mehrheit der Länder - so muß ich mich korrekt ausdrücken - eine Vereinbarung auf folgender Grundlage abgeschlossen:
Erstens: Wenn die Länder bereit sind, in die Verpflichtung für die Bundesbahnanleihe einzutreten, soll der Satz von 42 % auf 40 % gesenkt werden.
Zweitens: Wenn nicht vor dem 1. Dezember 1954 der EVG-Vertrag oder ein gleichlautender Vertrag in Kraft tritt, soll der Satz auf 38 % gesenkt werden.
Die Zustimmung der Mehrheit der Länder für die Begebung der Bundesbahnanleihe ist in den letzten Tagen eingegangen. Die zweite Voraussetzung, daß der EVG-Vertrag oder ein ihn ersetzender Vertrag vor dem 1. Dezember 1954 nicht in Kraft tritt, können wir als gegeben annehmen. Ich habe infolgedessen den Fraktionen des Hauses bereits mitgeteilt, daß ich mit einer Herabsetzung des Satzes von 42 % auf 38 % einverstanden bin. Ich hoffe, daß dadurch die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat vermieden wird.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß in § 1 Abs. 2 die Regelung betreffend die 120 Millionen DM Grenzlandhilfe usw. enthalten ist. Dieser Abs. 2 des § 1 ist bereits vollzogen. Die betreffenden Summen sind an die Länder bereits ausgezahlt. Insofern ist der Abs. 2 des § 1 jetzt überholt und ist gegenstandslos geworden.
Meine Damen und Herren! Das Wort zur Begründung des Umdrucks 191 hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt in diesem Hause selten vor, daß der Herr Bundesfinanzminister selber darauf hinweist, daß in einer Vorlage, die er gemacht hat, ein Absatz gestrichen werden kann. Da er das getan hat, brauche ich Ihnen nur zu empfehlen, dieser Streichung, die wir auf dem Umdruck 191 beantragt haben, zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Einzelberatung der zweiten Lesung ein. Ich rufe auf § 1, dazu die Umdrucke 160 und 191 Ziffer 1. Die Anträge sind begründet. Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Dann darf ich abstimmen lassen über den Umdruck 160. Wer dieser Änderung, nämlich der Herabsetzung des Vomhundertsatzes von 40 auf 38, zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Soweit ich sehe, einstimmig angenommen.
Dann lasse ich abstimmen über den Antrag Umdruck 191 Ziffer 1, den Abs. 2 des § 1 zu streichen.
({0})
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ebenfalls einstimmig beschlossen.
Ich lasse über § 1 in der nunmehr beschlossenen Fassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf § 2, dazu Umdruck 191 Ziffer 2. - Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Wer dem Umdruck 191 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wer § 2 in der nunmehr geänderten Form zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 3, - § 4, - Einleitung und Überschrift. - Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Es ist so beschlossen.
Wir treten ein in die
dritte Beratung.
Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Einzelberatung entfällt, da keine Änderungsanträge vorliegen.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich von den Plätzen zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder ({1});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({2}) ({3}). ({4})
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Dr. Gülich ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Fraktionen waren sich im Ausschuß darüber einig, daß das bisherige System der Erstattung der Steuerverwaltungskosten nicht zu halten sei. Das System, einen Prozentsatz des Aufkommens als Grundlage zu nehmen, hat dazu geführt, daß manche steuerstarken Länder ihren gesamten Verwaltungsaufwand durch den Bund erstattet bekommen haben. Die Bundesregierung hat deshalb ihren Gesetzentwurf darauf abgestellt, daß nicht mehr ein Prozentsatz des Steueraufkommens den Verwaltungskostenbeitrag des Bundes bestimmen solle, sondern daß der Beitrag des Bundes auf den Arbeitsaufwand der Länder bezogen wird, der im § 2 des Gesetzentwurfs näher dargelegt ist. § 1 des Gesetzes sieht vor, daß den Ländern ein Drittel der Kosten erstattet werden soll, die der Bund für die Verwaltung der Besitz- und Verkehrssteuern aufwendet.
Der Entwurf wurde nach eingehender Beratung im Finanzausschuß mit zwei Änderungen verabschiedet.
Erstens: Der Finanzausschuß wünschte keine rückwirkende Kraft, sondern schlug vor, das Gesetz auf die Beiträge des Bundes anzuwenden, die auf die Zeit nach dem 1. April 1954 entfallen.
Zweitens: Der Ausschuß kam nach längerer Beratung zu dem Ergebnis, daß der Regierungsvorlage nicht gefolgt werden solle, daß also nicht ein Drittel, sondern die Hälfte der Kosten erstattet werden solle. Das wurde als eine gerechte Lösung angesehen, zumal sie den finanzschwachen Ländern ihre Kosten in etwa decke. Der Ausschuß kam zu diesem Ergebnis insbesondere deshalb, weil er dadurch das außerordentlich gespannte Verhältnis zwischen Bund und Ländern bessern wollte.
Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf mit 33 1/3 % Erstattung zweimal abgelehnt. Er wünscht für das Jahr 1954 Erstattung nach dem bisherigen System.
Wie gesagt, hatte der Ausschuß sich entschlossen - und zwar einstimmig -, dem Hause vorzuschlagen, für das Jahr 1954 die Hälfte zu erstatten.
Anfang Juli wurde nun im Plenum von Herrn Kollegen Dresbach der Antrag gestellt, die Vorlage nochmals dem Ausschuß zu überweisen. Bei der nochmaligen Beratung hat dann der Ausschuß mit Mehrheit beschlossen, die Regierungsvorlage wiederherzustellen, in der nur die Erstattung von einem Drittel der Verwaltungskosten vorgesehen ist.
Ich bitte namens des Ausschusses, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe zur Beratung in zweiter Lesung auf den § 1 und dazu den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 161.
Das Wort hat zunächst der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während ich beim Inanspruchnahmegesetz berechtigt war, die Hoffnung auszusprechen, daß es auch im Bundesrat größeren Schwierigkeiten nicht begegnen wird, kann ich dieselbe Hoffnung bei dem Gesetz über die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder nicht aussprechen. Der Ausschuß hat damals, als er sich zum erstenmal mit dem Gesetz beschäftigte, geglaubt, daß, wenn er den Vorschlag mit 50 % Höchstgrenze mache, mit einer Annahme im Bundesrat ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses zu rechnen sei. So wie ich unterrichtet bin, ist selbst in diesem Falle keine Sicherheit gegeben, daß dann der Vermittlungsausschuß nicht angerufen würde.
Ich muß Sie allein schon deshalb bitten, es bei 331/3 °/o, entsprechend der Regierungsvorlage, zu belassen, damit sich die für den Vermittlungsausschuß gegebene Verhandlungsgrundlage nicht schon von vornherein zu Ungunsten des Bundes verschiebt.
Zweitens müssen wir an die Verantwortung gegenüber dem Bundeshaushalt denken. In ihm sind die Beträge so veranschlagt, wie sie sich aus dem Gesetzentwurf, also bei 33 1/3 %, ergeben. Würden diese Beträge durch Erhöhung des Prozentsatzes von 33 1/3 % auf 50 %, wie es .der Antrag auf Umdruck 161 will, geändert, dann müßten wir auch die Verpflichtung anerkennen, nach Art. 110 des Grundgesetzes den Haushalt zu ändern, weil sich durch diese Erhöhung der Erstattung für den Bundeshaushalt ein Einnahmeausfall von 110 Millionen DM in diesem Jahr ergeben würde.
Ich bitte Sie deshalb, die voraussichtlich notwendig werdenden Verhandlungen im Vermitt({0})
lungsausschuß und mit den Ländern nicht zu präjudizieren, sondern in den Vermittlungsausschuß auf der Grundlage des Regierungsentwurfs zu gehen, der 33 1/3 % Höchstgrenze festsetzt.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gülich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir können nicht so verfahren. Nach meinen Informationen und nach meinen Unterhaltungen mit den Länderfinanzministern besteht die größte Aussicht, daß der Antrag auf Umdruck 161, die Hälfte der Verwaltungskosten zu erstatten, ,angenommen wird; denn der Bundesrat hat sich bei den Beratungen zu § 2 des Finanzanpassungsgesetzes bereits dahin ausgesprochen, daß er ab 1955 mit der Erstattung der Hälfte der Kosten einverstanden sei. Warum wollen wir jetzt für das Jahr 1954 eine solche Regelung treffen? Als im Sommer der damals einstimmig gefaßte Beschluß des Finanz- und Steuerausschusses zum Zwecke einer neuen Beratung zurückgezogen wurde, da hatte der Herr Bundesfinanzminister im Sinn, die Frage der Steuerverwaltungskosten mit dem Inanspruchnahmegesetz zu koppeln. Das war eine verständliche Haltung; denn er wollte ja schließlich den Ländern auch etwas zu bieten haben. Diese Kopplung ist aber heute gegenstandslos geworden. Aus anderen Gründen haben wir das Inanspruchnahmegesetz soeben in schöner Einstimmigkeit auf 38 % begrenzt. Wenn Sie jetzt aber die Verwaltungskosten nur zu einem Drittel ersetzen wollen, dann wird - darüber ist sich ja auch Herr Kollege Schäffer klar - mit Sicherheit der Vermittlungsausschuß angerufen.
({0}) - Mit Sicherheit, Herr Pelster!
({1})
- im Falle der Inanspruchnahme wird er es nicht; es ist gegenstandslos geworden.
Es kam mir damals darauf an - und der Ausschuß ist ja meinen Argumenten auch gefolgt -, das wirklich unschöne Verhältnis zwischen Bund und Ländern zu entgiften. Bei der gestrigen Zusammenkunft der Länderfinanzminister mit dem Bundesfinanzminister und den Finanzexperten der Fraktionen haben wir doch auch manche Fortschritte erzielt, und es scheint, daß die Finanzreform nun auch vom Bundesrat ohne große Schwierigkeiten angenommen werden wird. Warum, meine Damen und Herren, wollen wir den Vermittlungsausschuß jetzt unnötig strapazieren und diese Sache wieder vor ihn bringen?
Unser Antrag liegt im Interesse der finanzschwachen Länder. Die von uns beantragte Verbesserung bedeutet für die finanzschwachen Länder etwas, und nur deswegen haben wir den Antrag gestellt. Von 1955 an soll die Regelung nach Meinung der Länder mit der 50%igen Erstattung sowieso Platz greifen. Warum - so frage ich noch einmal, wollen Sie für 1954 eine Regelung treffen, die wirklich nicht sinnvoll ist und nur wieder unnötige Verhandlungen im Vermittlungsausschuß zur Folge hat? Wir waren uns vorhin beim Inanspruchnahmegesetz so hübsch einig.
({2})
Wir waren uns vorher im Finanz- und Steuerausschuß über die Hälfte einig. Die Voraussetzungen,
unter denen der Gesetzentwurf zurückgezogen worden ist, bestehen gar nicht mehr. Es handelt sich um eine Angelegenheit, die jetzt im Bundesrat glatt erledigt werden kann, wenn wir heute die Regelung treffen, die wir für die Zeit von 1955 ab ja auch einführen wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß ich zunächst einmal einen Irrtum des Herrn Kollegen Dr. Gülich berichtigen muß. Ab 1955 werden keine Steuerverwaltungskostenbeiträge des Bundes an die Länder mehr gezahlt,
({0})
wenn das Finanzanpassungsgesetz in Kraft tritt;
({1})
denn dort ist vorgesehen, daß eine gegenseitige Erstattung nicht mehr erfolgt.
Da Sie das Problem auch noch aus einer anderen Sicht aufgegriffen haben, gestatten Sie mir noch einige sachliche Bemerkungen zu dieser Vorlage. Zunächst einmal hat der Bundesrat - und da bediene ich mich eines Ihrer Argumente - in der Begründung seines Standpunktes zur Finanzreform darauf hingewiesen, daß sich der Ausschuß zu einer fünfzigprozentigen Erstattung der Steuerverwaltungskosten an die Länder bereit erklärt habe. Er argumentiert dann weiter, daraus sei zu schließen, daß der Ausschuß selbst eine solche Anforderung für berechtigt halte. Meine Damen und Herren, so ist es im Ausschuß nicht gewesen, sondern es war so, wie Sie angedeutet haben, daß wir dem Bundesrat haben entgegenkommen wollen, damit er diesem Beschluß des Hohen Hauses entsprechen kann. Wenn aber die Argumentation des Finanz- und Steuerausschusses vom Bundesrat so gesehen wird, dann muß ein solcher Beschluß revidiert werden; denn das war keineswegs die Absicht derjenigen, die dem Vermittlungsvorschlag, wenn ich einmal so sagen darf, zugestimmt haben, nun zu sagen, es sei ein Anrecht des Bundesrates, zu verlangen, daß 50 % der Kosten vom Bund erstattet würden.
Ich möchte aber auch einmal auf die innere Berechtigung dieses Satzes etwas eingehen. Die Beiträge des Bundes zu den Steuerverwaltungskosten der Länder haben sich seit dem Jahre 1951 von 236 Millionen DM im Voranschlag für das Rechnungsjahr 1954 auf 464 Millionen DM erhöht, also fast verdoppelt.
({2})
- Sicher, und weil dieses System eben schlecht ist, muß es geändert werden.
({3})
Das ist ja auch mit dieser Vorlage beabsichtigt. Da also überhaupt die Steuerverwaltungskosten der Länder in keinem Verhältnis zu dieser Steigerung des Betrages angewachsen sind, wäre es unberechtigt, vom Bund zu verlangen, daß er, wie es sich nämlich nunmehr als Tatsache zeigen würde, im Rechnungsjahr 1954 70 % der Steuerverwaltungskosten der Länder trägt. Und das käme nicht, Herr Kollege Dr. Gülich, den steuerschwachen Ländern zugute, wenn der Bund das täte, sondern eben gerade den steuerstarken Ländern, und dazu hat der Bund gar keine Veranlassung.
({4})
({5})
Der Arbeitsaufwand der Länderfinanzverwaltungen für den Bund wird vom Bundesfinanzministerium in der Begründung der Vorlage sehr vorsichtig und zutreffend auf etwa 27 vom Hundert der Gesamtkosten geschätzt. Trotzdem hat die Regierung in der Vorlage vorgeschlagen, einen Satz von 33 1/3 % zu nehmen, damit den Ländern noch eine gewisse Manövriermasse zur Verfügung gestellt wird. Dieser kleine Unterschied von 6 1/3 % macht immerhin einen Betrag von rund 40 Millionen DM aus, die der Bund bereit ist - ohne daß er die Berechtigung anerkennt -, den Ländern zur Verfügung zu stellen. Ich glaube, das ist an sich Grund genug, daß wir diesen Satz nicht überschreiten.
Es wären hier noch eine Reihe anderer Gründe anzuführen; ich will Sie damit nicht aufhalten. Ich schlage Ihnen vor, die Vorlage in der Ausschußfassung um deswillen anzunehmen, weil es sich erstens um eine einmalige Regelung für das Rechnungsjahr 1954 handelt und weil sie zweitens in der Höhe des Satzes das trifft, was die Länder mit Fug und Recht vom Bund als Steuerverwaltungskostenbeiträge verlangen können.
({6})
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. - Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 161, in § 1 des vorliegenden Gesetzes die Worte „ein Drittel" durch die Worte „die Hälfte" zu ersetzen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über den § 1. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf §§ 2, - 3, - 4, - 5, - 6, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Wird in der allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Die Einzelberatung entfällt.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Investitionshilfe ({0});
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Raestrup, Stücklen, Spies ({1}), Dr. Dollinger und Genossen betreffend Rückerstattung aus dem Investitionshilfe-Aufkommen ({2}).
Ich schlage Ihnen vor, zuerst die Begründung zu a und b zu hören und dann die Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen. Besteht darüber Einverständnis? - Das ist der Fall.
Zur Begründung der Großen Anfrage hat das Wort der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Dr. Atzenroth ({3}), Anfragender: Meine Damen und Herren! Unsere Große Anfrage hat nicht den Zweck, eine Debatte über die Richtigkeit oder die Fehler und Mängel des Investitionshilfegesetzes zu entfesseln, sondern sie will nur die Anregung dazu geben, daß dieses Gesetz in allerkürzester Zeit einen Abschluß erhält. Dem steht auch unsere Frage 3 nicht entgegen. Wir schlagen vor, daß wir eine Debatte über die Antwort des Herrn Bundesfinanzministers zu den Auswirkungen auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.
Das Investitionshilfegesetz sollte eine einmalige Leistung der Wirtschaft darstellen. Das war der Wille des Gesetzgebers. Die Wirtschaft sollte auf Grund eines Angebots der führenden Gremien der Wirtschaft zum Zwecke der Investition in der Grundstoffindustrie einmalig den Betrag von einer Milliarde DM aufbringen. Dieses Geld sollte als Darlehen gegeben werden, und dafür sollten von den Begünstigten Wertpapiere gegeben werden. Soviel man aus den Pressemeldungen ersehen kann, ist der Betrag - bis auf kleine Teilbeträge - inzwischen aufgekommen. Veranlagt ist ein wesentlich höherer Betrag. Wir werden in der Beantwortung durch den Herrn Bundesfinanzminister hören, wie hoch das veranlagte und wie hoch das zu erwartende Aufkommen ist. Jedenfalls müssen wir uns Gedanken darüber machen, was mit dem Mehraufkommen zu geschehen hat.
In der Presse ist eine Reihe von Kombinationen erschienen. Jeder hat sich mal gemeldet: „Och, da werden einige hundert Millionen mehr aufkommen, das könnte eigentlich etwas für uns sein!" Man hat es für die Bundesbahn reservieren wollen, man hat es für bestimmte Industriezweige geben wollen, man hat es als allgemeine, nicht ganz definierte Darlehen für den Mittelstand verwenden wollen; aber alle diese Lösungen würden ja gegen den Inhalt des Gesetzes verstoßen. In dem Gesetz ist nur über eine Milliarde verfügt, und wenn mehr aufkommt, muß das zurückgezahlt werden. Eigentlich hätte es in der Mehrhöhe gar nicht erhoben werden dürfen. Wenn andere Pläne beabsichtigt sind, müßte der Gesetzgeber dazu von Grund auf ganz neu Stellung nehmen. Diese Frage scheint mir also sehr eindeutig geklärt zu sein: das Mehraufkommen ist zurückzuzahlen.
Dabei erhebt sich natürlich die außerordentlich schwierige Frage des Wie. Eine ganze Reihe von Pflichtigen haben ihre Hergabepflicht voll und ganz erfüllt, und ein Teil dieser Pflichtigen ist auch in vollem Umfang durch die Hergabe von Wertpapieren befriedigt worden. Dieser Kreis ist praktisch aus dem Gesetz schon ausgeschieden. Ein anderer Teil der Pflichtigen hat zwar seinerseits die Zahlungspflicht erfüllt, ist aber bis heute noch nicht in den Besitz der versprochenen Wertpapiere gelangt. Bei diesem Kreis tritt also schon die Frage der Rückzahlung in Erscheinung. Den dritten Kreis stellen diejenigen dar, die in Erwartung eines für sie günstigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht oder nicht alles gezahlt haben. Es muß wohl im Interesse der Gerechtigkeit gefordert werden, daß man diejenigen, die ihrer Zahlungspflicht nicht genügt haben, nunmehr auch zu der Zahlung heranzieht.
({4})
Man könnte natürlich dabei erwägen, ob ihnen der
zu erwartende prozentuale Rückzahlungsbetrag
gleich erlassen werden soll. Über diese Möglichkeit
({5})
wäre zu reden, aber die Einziehung muß man natürlich unter allen Umständen fordern.
Andererseits sind gerade in diesen Tagen - deswegen bin ich froh, daß wir heute endlich zu der Besprechung dieser Anfrage kommen -, nachdem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nunmehr ergangen ist, die Schwierigkeiten für diese Unternehmungen und für diese Betriebe aufgetreten,
({6})
man mag sagen, selbstverschuldet oder nicht. Aber wenn man nun überlegt, daß die Betriebe auf das Urteil dieses Gerichts gewartet haben, daß aber die Finanzämter und das Kuratorium ebenfalls gewartet, also stillschweigend die ganze Angelegenheit als eine Art Stundung betrachtet haben, dann müßte man doch zu der Erkenntnis kommen, das auch von seiten des Gesetzgebers wirklich in die Form einer nachträglichen Stundung zu kleiden.
({7})
Man müßte solche Härten unterbinden, wie sie zur Zeit auftreten, daß diesen Unternehmungen Belastungen in einer Höhe von 2 % pro Monat - also von 24 % im Jahr; ich glaube, es ist noch etwas mehr - auferlegt werden. Ich habe eben ein Schreiben übergeben bekommen, nach dem ein Abgabepflichtiger, der 5900 DM zu zahlen hat, allein an Zinsen zusätzlich noch 2600 DM zahlen soll. Das sind Dinge, die einfach nicht tragbar sind, und ich erwarte, daß die Verwaltung hier mit aller Entschiedenheit eingreift.
Ich will in keiner Weise die Kreise in Schutz nehmen, die ihre Zahlungspflicht nicht erfüllt haben. Sie müssen sich den üblichen Bedingungen unterwerfen, die bei einer ausgesprochenen Stundung auferlegt werden. Die Finanzbehörden sollten nun diese, ich nenne sie einmal: stillschweigende Stundung so schnell wie möglich zurückziehen, damit das ordnungsmäßige Verfahren in Gang kommt. Aber für die Ablaufzeit müssen wir eine großzügige Regelung erwarten, die nicht zu solchen Ungerechtigkeiten führt, daß die Betroffenen von „Wucherzinsen" usw. sprechen können.
Auch auf der anderen Seite sind ja leider Fehler und Mängel zu verzeichnen, nämlich auf der Seite der begünstigten Unternehmungen. Diese Unternehmungen sind keineswegs alle in ihrer Gesamtheit ihrer Verpflichtung nachgekommen, ihre Wertpapiere herzugeben; denn sonst hätte ja jeder, der seine Abgabepflicht erfüllt hat, nun auch das Wertpapier in der Hand. Es fehlt also eine ganze Reihe von Unternehmungen, die dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sind, und wir wünschen in unserer Frage 2 einmal eine Auskunft über den Umfang dieses Rückstandes und zweitens eine Auskunft darüber, was der Herr Bundesfinanzminister zu tun gedenkt, um diese Unternehmungen zu veranlassen, daß sie ihrer Verpflichtung nachkommen. Ich könnte mir vorstellen, daß es darunter Unternehmungen gibt, die gar keine Wertpapiere mehr geben wollen und bereit sind, das erhaltene Darlehen zurückzuzahlen. Wir könnten uns damit einverstanden erklären; denn von den Abgabepflichtigen wird ja mancher lieber sein Geld als ein Wertpapier nehmen, obwohl diejenigen, die bisher die Wertpapiere erhalten haben, nicht schlecht davongekommen sind.
Aber dabei muß ich auf eine Schwierigkeit aufmerksam machen, die jetzt eintritt. Es besteht die große Gefahr, daß diejenigen, die zuerst die Wertpapiere erhalten haben, die Steuervorteile genießen, die jetzt nach Wegfall des Kapitalmarktförderungsgesetzes nicht mehr möglich sind. Auch dafür müssen wir eine gerechte Regelung treffen. Wir dürfen nicht zweierlei Empfangsberechtigte schaffen: die einen, die die günstigen Wertpapiere zuerst bekommen haben, und die anderen, die mit weniger günstigen Wertpapieren am Schluß abgefunden werden, die schon so lange haben warten müssen und die schlechter gestellt werden sollen als diejenigen, die zuerst drangekommen sind. Das wäre ebenfalls untragbar. Das Abschlußgesetz muß also auch dafür eine eindeutige und klare Regelung finden.
Wir haben unsere Anfrage aufgeteilt. Zunächst fragen wir an, wie hoch das Aufkommen ist. Die Zahlen lassen erwarten, daß es die Milliarde um 15 % übersteigen wird, wenn alles eingezogen ist.
Zweitens fragen wir:
In welchem Umfang sind die Begünstigten ihrer Verpflichtung zur Hergabe von Wertpapieren nachgekommen?
Ich habe diese Frage durch eine weitere Frage ergänzt: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diejenigen, die ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen sind, zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten?
Drittens fragen wir, welche Wirtschaftszweige begünstigt worden sind und wie sich diese Investitionen ausgewirkt haben. Das ist für mich zunächst nur eine informatorische Frage. Ich beabsichtige nicht, daraus heute eine Debatte zu entfesseln.
Viertens fragen wir - das ist für uns das Wichtigste -: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dieses als eine einmalige Leistung bestimmte Gesetz nun zu einem Abschluß zu bringen, die Abwicklung zu beschleunigen und damit die ganze Sache, mindestens parlamentarisch, aber auch in der Praxis, endgültig zu erledigen?
Das Wort zur Begründung des Punktes 6 b hat der Abgeordnete Raestrup.
Raestrup ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der vorgeschrittenen Zeit ist es nicht meine Absicht, unseren Antrag allzu ausführlich zu begründen. Ich will mich auf einige wesentliche Punkte beschränken. Unser Antrag ist gedanklich, in der Zielsetzung, mit der Großen Anfrage der FDP verwandt, und ich kann vieles von dem, was mein verehrter Herr Kollege Atzenroth gesagt hat, voll und ganz unterstreichen.
Meine Damen und Herren, es geht nicht- deshalb haben wir diesen Antrag auch gestellt -, daß wir als Bundestagsabgeordnete, die wir das Gesetz gemacht haben und die wir für das Gesetz die Verantwortung tragen, in den Zeitungen lesen müssen, was nun alles mit dem Überschuß geschehen soll, wer das bekommen soll usw., ohne daß wir, die wir die Gesetzgeber sind, in dieser Frage das entscheidende Wort sprechen können. Absicht des Antrages ist deshalb, mit größter Beschleunigung zu erreichen, daß diese Fragen in erster Linie im Wirtschaftspolitischen Ausschuß erörtert werden und aus den Betrachtungen der Presse herauskommen.
({1})
Es ist erfreulich, daß der eigentliche Zweck der Investitionshilfeabgabe erreicht ist, in dem durch diese eine Milliarde DM eine Art Initialzündung erzielt worden ist und über 4 Milliarden DM tatsächlich investiert worden sind. So erfreulich dieser Erfolg ist, so halte ich mich doch auch für verpflichtet, von dieser Stelle aus zu sagen, daß wir dankbar anerkennen müssen, daß über eine Milliarde DM von den Abgabepflichtigen aufgebracht worden sind, indem sie den Gesetzen Gehorsam geleistet haben. Diese Abgabe war nicht eine Selbstverständlichkeit. Sie legte denjenigen, die die Abgabe aufbringen mußten, große Opfer auf. Sie mußten im eigenen Betrieb auf Investitionen verzichten, sie konnten mit dem Geld nicht die Steuerbegünstigungen des § 7 c ausnutzen. Deshalb ist es unsere Sorge, nunmehr auch eine möglichst rasche Rückerstattung der gezahlten Beträge zu erreichen. Hier - ich bitte auch den Herrn Vertreter des Finanzministeriums, dazu etwas zu sagen- gefällt mir keineswegs die langsame Art, in der die Obligationen jetzt den Aufbringern, den Erwerbsberechtigten, zugeteilt werden.
Ich will Ihnen einige Daten sagen. Bei der ersten Rate in Höhe von 178 Millionen DM ist der Aufruf
am 30. Juni 1953 erfolgt, der Schluß der Zeichnung war der 31. August 1953, und die Zuteilung der Obligationen hat am 9. Februar 1954 stattgefunden, so daß zwischen dem Aufruf und der tatsächlichen Zuteilung ein Zeitraum von acht Monaten liegt. Die zweite Rate in der Höhe von 377 Millionen DM, von der jetzt schon so viel die Rede ist, steht in der Zuteilung für uns, die wir erwerbsberechtigt sind, vorläufig noch auf dem Papier. Aufgerufen worden ist am 31. Januar dieses Jahres, die Zeichnung ist
am 31. März dieses Jahres erfolgt, und wir haben heute Mitte Oktober und haben noch nichts bekommen. Wenn die dritte Rate jetzt aufgerufen wird, wird das ja Mitte nächsten Jahres, und wenn die vierte Rate aufgerufen wird, haben wir Ende nächsten Jahres. Dann haben wir drei bis dreieinhalb Jahre unser Geld hergegeben. Ich weiß nicht, auf welche Gründe das zurückzuführen ist. Es wird immer von der großen Verwaltungsarbeit gesprochen. Ich frage: Kann man nicht angesichts der Tatsache, daß wir gerade unter den älteren Angestellten eine so große Anzahl von Erwerbslosen haben, erwerbslose Buchhalter und sonstige geeignete Beamte nehmen und sie einmal einträglich beschäftigen, um den erwerbslosen alten Angestellten einen Dienst zu erweisen?
Wir haben den Antrag gestellt, daß die Rücküberweisung in bar erfolgen soll. Inzwischen ist nun allerhand geschehen, denn unser Antrag ist fast vier Monate alt. Mittlerweile wird gesagt, daß die zweite Rate in den nächsten Tagen kommen soll. Dann ist tatsächlich eine Rückzahlung von ungefähr 60 % des hergegebenen Geldes erreicht. Das Wertvollste ist aber, daß inzwischen der Kapitalmarkt so aufnahmefähig geworden ist, daß die Obligationen, die uns mit einem Kurs von 96 oder 98% zugeteilt worden sind, heute bei den Banken mühelos zu 101 oder 102 %, also mit einem ganz netten Aufschlag, verkauft werden können. Ich hoffe, daß der Kapitalmarkt auch noch so lange aushält, bis wir die dritte Rate bekommen. Würden wir die dritte Rate im März/April nächsten Jahres bekommen, dann würden wir schon fast 90 bis 95 % in guten Obligationen erhalten haben. Dann ist für uns die Frage, ob wir den Überhang in bar oder in Obligationen bekommen, nicht mehr von wesentlicher Bedeutung.
Deshalb will ich mich heute nachmittag auch nicht an der Auseinandersetzung darüber beteiligen, ob es möglich oder nicht möglich ist, den Überhang bar zurückzuzahlen. Ich persönlich stehe, ohne näher darauf einzugehen, auf dem Standpunkt, daß man da ein ganzes Knäuel von Zwirnsfäden gemacht hat, daß man das aber schon entwirren kann und daß man die Zwirnsfäden dann auch wieder beseitigen kann. Aber, meine Damen und Herren, um es ganz kurz zu machen: Wir legen nur Wert darauf, daß die Rückerstattung möglichst schnell erfolgt. Wir sind auch nicht so kleine Geister, daß wir heute einen Unterschied machen zwischen Barrückzahlung und Rückzahlung in Obligationen, heute, wo die Obligationen genau soviel wert sind wie Bargeld.
Aber es handelt sich darum, was wir nun mit denjenigen machen - das hat eben auch schon Kollege Atzenroth gesagt -,. die mit der Zahlung noch im Rückstand sind. Wir können hier dem Finanzamt zunächst keine Vorwürfe machen. Denn der § 16 des Investitionshilfegesetzes sagt ganz klipp und klar, daß Verzugszuschläge bei verschuldeter Zahlungsverzögerung im ersten Monat in Höhe von 1 % und in jedem weiteren Monat in Höhe von je 2 % aufgebracht werden müssen. Aber, meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist in einer Zeit gemacht worden, in der wir ganz andere Zinsverhältnisse hatten als heute.
({2})
Wir können heute, im Jahre 1954, ein Gesetz nicht mit den Maßstäben beurteilen, die im Jahre 1951 galten, als das Gesetz gemacht wurde. Aber wir müssen mit größter Beschleunigung diese gesetzliche Bestimmung ändern. Ich möchte den Herrn Finanzminister doch bitten, bei dem Vollstreckungsverfahren nur den Schuldbetrag einzuziehen und die Verzugszuschläge zunächst zu stunden, bis wir darüber eine Entscheidung getroffen haben, wie diese Schuldner wegen der Verzögerung der Zahlung behandelt werden sollen.
({3})
- Sie betragen - das gebe ich zu - bis zu 54 % der Schuldsumme.
({4})
Ich habe von verschiedenen Seiten, vor allem von einem großen Einzelhandelsverband eines Landes, entsprechende Zuschriften bekommen.
({5})
- Ach Gott, mein lieber Hilbert, mit dem Finanzamt ist es immer so eine Sache.
({6})
Ich habe mit Verzugszuschlägen noch keine Erfahrung, aber davon abgesehen: der Zweck unseres Antrages ist, die ganze Sache mit der Investitionshilfe endlich aus den Erörterungen in den Zeitungen herauszubringen - kein Mensch weiß heute, was nun eigentlich geschehen soll - und sie da hinzubringen, wohin sie gehört, nämlich zu uns in den Bundestag und in die dafür zuständigen Ausschüsse. Das ist der Antrag, den ich namens der CDU und namens auch der CSU, meines Freundes Dollinger, gestellt habe. Voraus möchte ich aber wenigstens folgendes sagen.
Über die Verwendung der 160 Millionen DM, die schon tropfenweise fließen und vielleicht bis Mitte
({7})
oder Ende des nächsten Jahres ganz zusammenkommen, werden wir uns noch unterhalten müssen. Können wir sie nicht bar zurückzahlen, weil eben dieses Knäuel von Zwirnsfäden nicht zu entwirren ist, dann steht sowohl die CDU wie auch die CSU auf dem Standpunkt, daß diese 160 Millionen DM nicht weiter an diejenigen ausgeliehen werden sollen, die durch § 1 des Gesetzes begünstigt gewesen sind, also an Kohle, Eisen, Energie usw., sondern daß dann dieser Betrag unter Einschaltung der Industriekreditbank als Kredithilfe für den gewerblichen Mittelstand unter besonderer Berücksichtigung der im Sanierungsgebiet und im Grenzlandstreifen gelegenen Betriebe zur Verfügung gestellt wird. Insoweit wollen wir unseren Antrag ändern.
Im übrigen ist es die höchste Zeit, daß wir ein Investitionsaufhebungsgesetz, also ein Schlußgesetz machen, damit wir das Investitionshilfegesetz, das uns soviel Ärger bereitet hat, möglichst rasch beseitigen. Wenn ich mir einen ganz bescheidenen Vorschlag erlauben darf, dann möchte ich als Präambel für dieses Investitionsschlußgesetz die Worte wählen: Einmal und nicht wieder!
({8})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst die vier Fragen der Großen Anfrage der Fraktion der FDP beantworten, die der Herr Abgeordnete Atzenroth begründet hat. In der Antwort ist dann auch schon die Beantwortung der Fragen des Herrn Abgeordneten Raestrup enthalten. Ich glaube, ich brauche die Fragen nicht noch einmal vorzulesen; sie werden den Damen und Herren des Hohen Hauses vorliegen.
Zur Frage 1. Das Aufkommen aus dem Investitionshilfegesetz beläuft sich zur Zeit auf 1,015 Milliarden DM, also schon auf mehr als eine Milliarde.
Zur Frage 2. Aus diesem Aufkommen kamen bisher 982 Millionen DM an die begünstigten Unternehmen zur Auszahlung. Davon waren auf Grund der Beschlüsse des Kuratoriums 969 Millionen DM durch Wertpapiere der Begünstigten und 13 Millionen DM durch Schuldverschreibungen der Industriekreditbank abzulösen. Die Begünstigten sind ihren Verpflichtungen bezüglich der Wertpapierausgabe bisher in Höhe von 528 Millionen DM nachgekommen. Der Betrag von 13 Millionen DM wurde von der Industriekreditbank in vollem Umfange abgelöst. Das sind also bisher 541 Millionen DM. Im Rahmen des dritten Wertpapieraufrufes, der, soweit bis jetzt zu übersehen, am 31. Oktober dieses Jahres, also etwa in zwei Wochen erfolgen wird, sollen weitere 400 Millionen DM Wertpapiere zur Ablösung aufgerufen werden. Dann hätten wir also rund 940 Millionen DM Wertpapiere, d. h. wir wären gar nicht mehr sehr weit unter den den Begünstigten überhaupt zugekommenen Beträgen. Ich weiß, daß dieser Wertpapieraufruf zum Teil verhältnismäßig langsam erfolgt ist, wie eben ausgeführt worden ist. Ich darf aber darauf hinweisen, daß unter den Unternehmen, die noch keine Wertpapiere emittiert hatten, zum Teil solche sind, die noch nicht emissionsfähig sind, weil die letzte
Phase der Entflechtung noch nicht vollzogen ist, oder auch solche Begünstigte, die nur sehr kleine Beträge aus der Investitionshilfe bekommen haben, wo also die Emittierung von solch kleinen Wertpapierbeträgen nicht ganz einfach war.
Ich komme zur Frage 3, welche Wirtschaftszweige begünstigt worden sind.
({0})
- Ich hatte gehofft, das mitbeantwortet zu haben. Es ist selbstverständlich, daß weiterhin alles geschieht, um das volle Soll an Wertpapieren zur Verfügung zu stellen. Ich hatte mir erlaubt, zu sagen, daß zum Teil die Entflechtung noch schwebt. Es ist selbstverständlich, daß die Verpflichteten dazu angehalten werden.
Zur Frage 3, welche Wirtschaftszweige begünstigt worden sind. Wenn ich die Zahlen abrunden darf, so sind es insgesamt im Kohlebergbau 228 Millionen DM, bei Eisen und Stahl 296 Millionen DM, bei Elektrizität 242 Millionen DM, bei Gas 107 Millionen DM, für Wasser 74 Millionen DM, für den Waggonbau der Bundesbahn 50 Millionen DM, abgerundet 998 Millionen DM.
Ich möchte das Hohe Haus mit den Einzelheiten nicht aufhalten; sie ergeben sich aus dem sehr ausführlichen zweiten Jahresbericht des Kuratoriums. Wir haben aber heute für die Presse eine genaue Zusammenstellung der Verwendung im einzelnen gefertigt, die nach der Sitzung der Presse zugänglich gemacht wird, so daß dann - ({1})
- Selbstverständlich, Herr Abgeordneter. Ich wollte nur mit der Verlesung dieser vielen Einzelzahlen nicht die Sitzung aufhalten. Es ist klar, daß sie sowohl dem Hohen Hause wie der Presse zur Verfügung gestellt wird.
Ich darf hier bestätigen, was eben der Herr Abgeordnete Raestrup gesagt hat, daß mit einem Auftragsvolumen, das in Verbindung mit den Mitteln der Investitionshilfe gegeben worden ist, von 4,300 Milliarden die Investitionshilfe eine außergewöhnliche Breitenwirkung hat, die weit über die Anregung der bloßen Investitionstätigkeit der Grundstoffindustrien hinausgegangen ist und sich fördernd für die gesamte Wirtschaft ausgewirkt hat.
({2})
Die Bundesregierung kann mit Genugtuung feststellen, daß nicht nur die mit der Investitionshilfe unmittelbar verfolgten Ziele erreicht sind, sondern auch eine Stärkung und Ausdehnung der Gesamtwirtschaft der Bundesrepublik dadurch erzielt worden ist, so daß diese außergewöhnliche gesetzliche Maßnahme zur Behebung der industriellen Engpässe jetzt schon voll gerechtfertigt erscheint.
Ich komme zur Frage 4 und möchte vorweg gegenüber den Anregungen der beiden Herren Antragsteller ganz deutlich sagen, daß die Bundesregierung beabsichtigt, einen Gesetzentwurf - wenn ich so sagen darf, ein Investitionshilfe-Schlußgesetz
- dem Hohen Hause vorzulegen, in dem alle noch offenen Fragen über die weitere Verwendung oder die Barrückzahlung oder die quotale Zahlung entschieden werden sollen.
({3})
Ich darf dazu aber noch einige Bemerkungen machen: Das Aufbringungssoll beträgt zur Zeit 1,168 Milliarden DM. Gezahlt sind 1,015 Milliarden DM. Der offene Rückstand beträgt also 153 Millionen DM. Davon sind 55 Millionen DM von den Finanzämtern formell gestundet, teils um eine ratenweise Abdeckung zu ermöglichen, teils weil Rechtsmittelverfahren schweben, teils aber auch wegen der schwebenden Verhandlungen über einen Erlaß. Von den 153 Millionen DM Rückständen verbleiben nach Abzug der 55 Millionen DM, die ordnungsmäßig gestundet sind, noch rückständige Beträge von 98 Millionen DM. Diese 98 Millionen DM werden von rund 30 000 Aufbringungspflichtigen geschuldet, die weder Zahlung geleistet noch Stundung erwirkt noch überhaupt ,auf irgendeine Aufforderung reagiert haben, die daher in der Finanzverwaltung als die Taubstummen bezeichnet werden. Sie haben sich bisher auf keine Mahnung und auf keine Formularzusendung der Finanzämter überhaupt geäußert. Die Bundesregierung glaubt, wenn sie den Boden von Recht und Gerechtigkeit nicht verlassen will, es nicht verantworten zu können, gesetzlich die Streichung dieser noch nicht geleisteten Raten vorzusehen. Die Bundesregierung ist sich hierin einig mit dem Gemeinschaftsausschuß der gewerblichen Wirtschaft. Alle darin vertretenen Organisationen legen Wert darauf, daß alle ausstehenden und nicht ordnungsmäßig gestundeten Beträge restlos eingezogen werden nach den gesetzlichen Vorschriften; wie sie das Hohe Haus seinerzeit beschlossen hatte.
({4})
Wenn man sich nun auf den Standpunkt stellte, daß die Investitionshilfe zwar eine Milliarde erreichen, aber nicht darüber hinausgehen sollte, dann läge es nahe - was ja eben zur Erörterung kam -, das sich darüber hinaus ergebende Aufkommen wieder zur Rückzahlung zu bringen, und für die Rückzahlung gäbe es entweder die Form der Barausschüttung oder die Form der quotalen Rückzahlung.
Bei der Barausschüttung würde das Aufkommen, das über eine Milliarde hinausgeht, den auszuschüttenden Wertpapieren gleichgestellt werden. An der Ausschüttung würden dann alle diejenigen teilnehmen, die Zahlungen geleistet haben, soweit sie nicht Wertpapiere zugeteilt erhalten haben. Diese Erwerbsberechtigten hätten dann die Wahl zwischen verschiedenen Wertpapieren, aber auch die Wahl zwischen Wertpapier und Geld. Das ist die Situation, die jetzt eingetreten ist. Würde das Geld überzeichnet, dann würde es genau so repartiert werden müssen, wie wenn Wertpapiere überzeichnet wären. Bei der quotalen Rückzahlung würde das Aufkommen, das eine Milliarde übersteigt, gleichmäßig quotal auf alle Aufbringungszahler verteilt werden.
Nun darf ich vielleicht gleich sagen - ohne der Beratung über den Gesetzentwurf vorgreifen zu wollen -, daß die Bundesregierung gegen beide Verfahren erhebliche Bedenken hat, weil die Durchführung der Verfahren sehr schwierig werden wird. Wenn die Barausschüttung gewählt wird, könnte zugleich mit der Aufforderung zur Übernahme von Wertpapieren auch der dann vorhandene Barbestand angeboten werden. Wenn 940 Millionen DM Wertpapiere ausgeschüttet würden, dann würden bei dem demnächstigen Aufruf nur noch 60 Millionen Wertpapiere - die Differenz von 940 Millionen bis zu 1 Milliarde - und der dann vorhandene Barbetrag verfügbar sein. Dann müßte aber die Barausschüttung verschoben werden, bis das Ist-Aufkommen endgültig feststeht, denn wir nehmen ja an, daß das Ist-Aufkommen über 1 015 000 000 noch erheblich hinausgehen wird. Das würde zur Folge haben, daß für die pünktlichen Zahler Barbeträge nicht zur Verfügung stünden und daß den größten Teil des Barbetrages gerade diejenigen bekämen, die bisher nicht pünktlich gezahlt haben und bei denen unter Umständen sogar beigetrieben werden muß. Ich weiß nicht, ob das eine vernünftige Handhabung wäre, erst beizutreiben und dann bar zurückzuzahlen.
Was die quotale Rückzahlung betrifft, so läßt sie sich auch erst dann durchführen, wenn sowohl das endgültige Aufbringungssoll wie auch das Ist-Aufkommen feststeht. Das Aufbringungssoll ändert sich natürlich noch laufend. Es schweben auch noch die Erlaßanträge, die Rechtsmittel, die Betriebsprüfungen, so daß es wahrscheinlich mindestens noch ein Jahr dauern würde, bis das endgültige Aufkommen feststünde. Ich darf bitten, hieraus zu entnehmen, daß die quotale Rückzahlung auch keine Beschleunigung darstellen würde.
Wenn die Angelegenheit relativ schnell zu Ende kommen soll, bleibt nach Ansicht der Bundesregierung wohl nur die Fortführung des dem Gesetz entsprechenden Aufbringungsverfahrens und die Durchführung der entsprechenden Wertpapierausschüttung.
({5})
Ich darf aber sagen - wie ich bereits einleitend bemerkt habe -, daß die Bundesregierung die Absicht hat, hierüber einen Gesetzentwurf vorzulegen, der zunächst die Fristen für die Abwicklung festlegt und der dann die Entscheidung darüber bringen soll, welches dieser Verfahren eingeschlagen werden soll. Es wird also in der Hand des Hohen Hauses liegen, die endgültige Entscheidung über diese Dinge zu treffen.
Ich danke dem Herrn Staatssekretär. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sehr detaillierte Äußerung des Herrn Staatssekretärs und die sehr eingehenden Begründungen der Großen Anfrage und des Antrages veranlassen mich, von seiten unserer Fraktion noch einiges zu diesem Thema zu sagen. Wir haben mit den anderen Fraktionen den Wunsch, daß die Investitionshilfe und das damit zusammenhängende Verfahren so schnell wie möglich zum Abschluß gebracht wird. Wir begrüßen es daher, daß der Bundestag noch einmal Gelegenheit hat, diese abschließende Behandlung von sich aus zu beeinflussen. Wir haben ja seinerzeit die technischen Einzelheiten des Gesetzes neben seinen Grundzügen erheblich kritisiert. Aber auch ich will die grundsätzlichen Fragen heute nicht weiter vertiefen, sondern mich nur mit der Frage beschäftigen, wie die Angelegenheit so schnell wie möglich zum Abschluß gebracht werden sollte.
Dabei müßten nach unserer Auffassung insbesondere die berechtigten Wünsche der Aufbringungspflichtigen berücksichtigt werden und nach unserer allgemeinen wirtschaftspolitischen Auffassung vor allem auch die Interessen der wirtschaftlich schwachen Teile in unserer deutschen Wirtschaft. Beim Studium der Berichte des Kura({0})
toriums und der Industriekreditbank ist mir aufgefallen, daß gerade in der Klasse der Aufbringungspflichtigen unter 3000 DM ein ganz besonders hoher Prozentsatz sich im Rückstand befindet. Es handelt sich bei dieser Gruppe um 87 000 Aufbringungspflichtige. Von diesen sind 23 000, d. h. über ein Viertel nach den vorliegenden Unterlagen am 30. Juni dieses Jahres noch im Rückstand gewesen. Es handelt sich dabei um einen Betrag von etwa 57 Millionen DM. In dieser Gruppe ist also der prozentuale Anteil der Rückständigen am größten, und das sollte uns veranlassen, doch einmal darüber nachzudenken.
Unsere Fraktion hat seinerzeit schon bei der Beratung des Investitionshilfegesetzes besonderen Wert darauf gelegt, die Härteparagraphen 20 und 21 besser auszugestalten und ida mehr Möglichkeiten zu geben. Wir haben insbesondere seinerzeit den Antrag gestellt, die Notstandsgebiete völlig von der Aufbringung zu befreien. Ich möchte in diesem Zusammenhang ein paar Ziffern nennen. Man hat mir gesagt, daß auf die Notstandsgebiete über 10 % des Aufbringungssolls entfallen, nämlich 109 Millionen DM, und daß die Notstandsgebiete allein 78 Millionen DM aufgebracht haben. Ich glaube, wir sollten uns bei dieser abschließenden Behandlung sehr genau überlegen, ob wir nicht nur zugunsten der kleinen Aufbringungspflichtigen, sondern auch zugunsten aller Aufbringungspflichtigen in den Notstandsgebieten etwas Besonderes tun müssen. Die Mittel zu einem weitgehenden Erlaß wären ohne weiteres vorhanden. Es stehen dazu die 150 Millionen DM zur Verfügung, von denen der Herr Staatssekretär soeben bereits gesprochen hat.
({1})
Ich sage aber ausdrücklich, daß wir diese Möglichkeiten nur zugunsten derer erwägen sollten, die auch wirklich ein ordnungsmäßiges Stundungsverfahren abgewickelt haben. Ich glaube, daß durch einen solchen Vorschlag im Hinblick auf die große Zahl der kleinen Aufbringungspflichtigen die Arbeit der Finanzämter wesentlich erleichtert und das gesamte Verfahren schneller zum Abschluß gebracht werden könnte.
Vorhin ist schon mit Recht von den pünktlichen Zahlern gesprochen worden. Ich glaube, wir haben alle Veranlassung, für die Investitionshilfe einen Abschluß zu finden, der gerade die pünktlichen Zahler nicht enttäuscht.
Ein gewisser Mangel liegt zweifellos in dem Zuteilungsverfahren. Dieses Zuteilungsverfahren ähnelt ja mehr einer Lotterie. Ich weise nur darauf hin, daß es bei der zweiten Zuteilung Zuteilungsquoten herunter bis zu 1% gegeben hat. Es hat also wirklich sehr viel Ähnlichkeit mit dem Fußball-Toto. Die kleinen und mittleren Betriebe sind dabei besonders schlecht gefahren, weil sie nicht die Möglichkeit hatten, erstens wegen ihrer großen Zahl und zweitens wegen ihres kleinen, sagen wir mal ruhig, Gewichts, außerhalb des normalen Zuteilungsverfahrens in Verhandlungen mit der Industriekreditbank zu treten und auf diese Weise zu einer befriedigenden Zuteilung zu kommen. Wir empfehlen also im Hinblick auf die kleinen Zahler, die Grenze in § 32 für die bevorzugte Zuteilung von Wertpapieren heraufzusetzen, um wenigstens für die wirtschaftlich Schwachen das Zuteilungsverfahren so schnell wie möglich zum Abschluß zu bringen.
In der öffentlichen Diskussion hat auch die Frage eine erhebliche Rolle gespielt, ob man aus den überschüssigen Mitteln gewissen Wirtschaftszweigen noch etwas zuteilen soll. Der Herr Staatssekretär hat das soeben auch erwähnt. Es ist nach unserer Ansicht mindestens der Prüfung wert, ob solche Anliegen vorliegen.
({2})
- solche berechtigten Anliegen vorliegen. Wir haben es immer bedauert, daß z. B. die Bundesbahn nur 50 Millionen DM bekommen hat. Zweifellos hätte es der Bundesbahn in ihrer jetzigen Lage sehr geholfen, wenn sie rechtzeitig mehr Mittel bekommen hätte. Ich möchte dazu aber, weil das auch eine kredittechnische Frage ist, die sehr genau geprüft werden muß, ausdrücklich folgendes sagen. Dieser Weg einer weiteren Zuteilung sollte nur beschritten werden, wenn wirklich überzeugend dargelegt wird, daß volkswirtschaftlich vordringliche Investitionsvorhaben auf diesem Wege schneller und zu günstigeren Bedingungen als über den normalen Kapitalmarkt befriedigt werden können.
Das sind die Anregungen, die wir zur Beratung zu geben haben. Wir schließen uns dem Antrag an, die Drucksache 676 zur Beratung an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen. Wir würden es aber, weil die Sache sehr eng mit der Arbeit der Finanzämter zusammenhängt und es sich daher auch um finanztechnische Fragen handelt, begrüßen, wenn der Finanzausschuß als mitberatender Ausschuß beteiligt würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Samwer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ziel des Investitionshilfegesetzes ist voll erreicht. Wir haben aus dem Bericht des Finanzministeriums erfahren, daß die Milliarde überschritten ist. Auf der anderen Seite haben wir gehört, daß die Rechtsbeschwerde, die vor allem aus Kreisen des gewerblichen Mittelstandes gekommen war, vom Bundesverfassungsgericht verworfen worden ist. Nun scheint gleich danach eine Welle von rücksichtsloser Vollstreckung eingesetzt zu haben. Ich habe hier einen Hilferuf aus Südbaden.
({0})
Darin heißt es:
Wir gestatten uns, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß das Investitionshilfegesetz vom gesamten Mittelstand nur schweren Herzens hingenommen worden ist. Die Beitreibungen mit Zuschlägen bis zu 50 % der Aufbringungssumme haben eine Welle der Empörung ausgelöst.
({1})
- Dann können Sie es ja nachher hier vortragen, wenn Sie es für nötig halten. Augenblicklich erlauben Sie, daß ich es sage.
Es ist doch kein Zweifel, daß sehr viele Kreise des gewerblichen Mittelstandes gehofft haben, über ihre Organisationen vom Bundesverfassungsgericht eine bessere Entscheidung zu erhalten. Diese Betriebe haben erwartet, daß sie von dem Investitionshilfegesetz nicht betroffen werden würden. Nachdem die Dinge so gelaufen sind - sicher, wie es Rechtens ist - und das Ergebnis vorliegt, sollte
({2})
man die Dinge mit weicher Hand und nicht mit harter Hand ordnen. Ich empfehle deshalb - da stimme ich dem Kollegen Kurlbaum durchaus zu -, von den §§ 20 und 21 des Investitionshilfegesetzes mehr als bisher Gebrauch zu machen. Insbesondere bitte ich das Bundesfinanzministerium, durch einen Erlaß an die Finanzämter sicherzustellen, daß nicht ein rigoroses Beitreiben stattfindet. Ich habe hier von einer Organisation des Mittelstandes einen Fall mitgeteilt bekommen, in welchem die Aufbringungsschuld 1700 DM - Sie werden mir zugeben, eine kleine Sache - und der Zuschlag wegen verspäteter Zahlung 722,50 DM beträgt. Der ist doch enorm. Es ist sicher Sache des Bundestages, den Herrn Bundesfinanzminister zu bitten, die Dinge in ein vernünftiges Maß zu bringen.
({3})
- Wenn es bereits geschehen wäre, würde ich nicht unter dem 9. Oktober einen derartigen Hilferuf erhalten haben. Also bitte, wir wollen die Sache nicht verniedlichen, weil es uns vielleicht nicht paßt, daß die Dinge hier angesprochen werden, sondern wollen die Dinge offen beim Namen nennen. Das allein hilft dem gewerblichen Mittelstand wirklich.
({4})
Im übrigen sind wir auch dafür, daß diese Fragen recht bald im Wirtschaftspolitischen Ausschuß behandelt werden. Dabei können dann auch alle anderen Fragen, die zweitrangig sind, behandelt werden.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat meine gedruckten Fragen voll und ganz beantwortet, und auch ich möchte mich darauf beschränken, daß wir diese Dinge im Ausschuß besprechen.
Der Herr Staatssekretär hat aber meine beiden weiteren Fragen nur bedingt beantwortet. Meine zusätzliche Frage zu dem Punkt 2 lautete: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die zur Hergabe von Papieren Verpflichteten zur Erfüllung dieser Pflicht ernsthaft anzuhalten? Wenn man darauf antwortet: „Es wird alles geschehen!", so ist das keine Beantwortung der Frage. Es müßten auch hier Strafmaßnahmen vorgesehen, Fristen gesetzt werden, so daß wir zu einem wirklichen Druck auf die Unternehmungen kommen, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind oder nicht nachkommen. - Das ist die eine Frage, die nicht beantwortet worden ist.
Die zweite Frage, Herr Staatssekretär, die bei allen Rednern angeklungen ist, war: Sind Sie bereit, auf die rigorosen Beitreibungsmaßnahmen zu verzichten oder sie zu mildern? Hierauf müssen wir hier im Parlament eine Antwort haben, um die Frage dürfen wir nicht herumgehen.
({0})
Wir fordern eine präzise Erklärung, in welchem Umfange von solchen scharfen Beitreibungsmaßnahmen Abstand genommen wird.
Dazu gehört eine weitere Frage: Wohin fließen diese nicht unerheblichen Verzugszinsen? Kommen sie dem Fonds zugute, oder fließen sie in die Staatskasse? Auch das ist eine sehr interessante Zusatzfrage, um deren Beantwortung ich Sie auch noch bitte.
Das Wort hat der Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur ersten Frage des Herrn Abgeordneten Atzenroth: Das einzige Mittel, die Ausgabe der Wertpapiere zu beschleunigen, liegt nach § 30 Abs. 4 des Gesetzes über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft in folgendem:
In die Darlehnsverträge ist die Bestimmung aufzunehmen, daß der Zinssatz sich um vier vom Hundert jährlich erhöht, wenn der Begünstigte nach Wegfall der Hinderungsgründe oder, falls nachträglich die Gesamtsumme der einem Begünstigten bewilligten Investitionsmittel fünfhunderttausend Deutsche Mark erreicht, die Emission von Wertpapieren entgegen den Bestimmungen des Darlehnsvertrages unterläßt. Dasselbe gilt, wenn in den Fällen des Abs. 1 der Begünstigte die Emission von Wertpapieren entgegen den Bestimmungen des Darlehnsvertrages unterläßt, obwohl keine Hinderungsgründe für die Emission vorliegen.
({0})
- Eben, Herr Abgeordneter; ich hatte mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß der ganze Fragenkomplex im Schlußgesetz dem Hohen Hause vorgelegt wird, in dem alle Einzelheiten, auch die Frage der Zweckbestimmung, die ich eben gar nicht erwähnt habe, aber auch diese Fragen geregelt werden können.
Nun zur zweiten Frage. Ich gehe davon aus, daß die Finanzämter, die ja. Landesbehörden sind, die Investitionshilfe nach den gesetzlichen Vorschriften durchführen, soweit nötig, auch einziehen. Wir werden aber in zehn Tagen die Oberfinanzpräsidenten bei uns haben, und ich werde diese Frage mit ihnen besprechen. Es liegt nicht im Sinne des Bundesfinanzministeriums, Beitreibungen in rigoroser Weise vorzunehmen, so daß unter Umständen wirtschaftliche Schäden eintreten. Ich glaube aber, die pünktlichen Steuerzahler bzw. Investitionshilfezahler - es handelt sich ja nicht um eine Steuer - können erwarten, daß die anderen, die in derselben wirtschaftlichen Lage wie sie sind, ebenfalls zur Zahlung angehalten werden. Es wäre ein Verstoß gegen die Gerechtigkeit, wenn die Durchführung in diesen Fällen nicht erfolgte.
({1})
- Die Zinsen fließen in den Fonds.
({2})
- Die Zuschläge sind in dem von dem Hohen Hause beschlossenen Gesetz vorgesehen.
({3})
- Das ist doch alles in dem Gesetz vorgesehen. Ich bitte aber, wenn besonders markante Fälle vorliegen, in denen sich die Finanzämter nicht an das Gesetz gehalten haben, sie uns zuzuleiten; dann können wir eingreifen.
Eine Frage, Herr Staatssekretär! Ist Ihnen bekannt, daß dort, wo Stundungen gewährt wurden, jetzt nachträglich diese Zuschläge erhoben werden?
Das ist mir nicht bekannt.
({0})
- Darf ich bitten, mir diese Fälle mitzuteilen.
Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Bausch!
Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten haben ja oft Gelegenheit, das Ohr am Pulsschlag der Volksseele zu haben.
({0})
- Ja, ich hoffe, daß das bei Ihnen auch so ist; für mich kann ich das jedenfalls sagen.
({1})
Ich habe immer wieder an jedem Wochenende Gelegenheit, auf das zu hören, was die Staatsbürger meines Wahlkreises zu sagen haben. Sie sagen mir immer wieder auch etwas über dieses Gesetz. Weil der Herr Staatssekretär eben angeregt hat, ihm drastische Fälle zu nennen, möchte ich folgenden Fall anführen, der mir erst in dieser Woche zur Kenntnis gekommen ist.
({2})
- Ja, Herr Kuntscher, dazu sind wir doch hier, damit wir über diese Sachen sprechen! Wozu sind wir denn sonst da, wenn wir nicht eine solche Gelegenheit benützen, das zu tun?
({3})
- Hier im Bundestag muß darüber gesprochen werden! Hier ist der Platz! Dazu sind wir hierher gewählt. Wir Abgeordneten sind doch die Anwälte des Volkes gegenüber der Regierung! Diese Aufgabe haben wir hier wahrzunehmen. Deshalb spreche ich hier!
({4})
Dieses Recht lasse ich mir nicht nehmen, auch von meinen eigenen Parteifreunden nicht, auch wenn sie die Stirn runzeln.
({5})
Herr Abgeordneter Bausch, Sie haben das Wort zu den sachlichen Bemerkungen.
Ja, ich komme gleich darauf. Ein Bürger meines Wahlkreises hat mir berichtet, er sei mit den Zahlungen nach dem Investitionshilfegesetz etwa ein Jahr lang im Rückstand gewesen. Er habe gute Gründe dafür gehabt, weil während des Krieges Haus und Hof bombardiert worden seien. Er habe gedacht, auf solche Kriegsschäden müßte man doch Rücksicht nehmen.
({0})
Eben deshalb, weil er ein Jahr lang im Rückstand gewesen sei, seien ihm Zuschläge berechnet worden, die er per Saldo mit etwa 42 % der Grundsumme für ein Jahr berechne. Dies sei aber ein Wucher!
({1})
Nun, Herr Staatssekretär, werden Sie mir sagen: Das ist ja vom Gesetzgeber so angeordnet worden. Gut, ich will das akzeptieren. Aber dann bin ich der Meinung, daß wir etwas angeordnet haben, was der Korrektur entweder durch uns oder durch eine vernünftig und verständig arbeitende Verwaltung bedarf.
({2})
Also hier ist eine Änderung nötig, entweder durch uns oder durch die Verwaltung, und zu dieser Änderung möchte ich angeraten haben.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Es tut mir außerordentlich leid, daß ich hier noch einmal sprechen muß; aber die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs haben mich nicht befriedigt.
({0})
- Ja, Herr Pelster, Ihnen paßt das nicht. Aber Sie
sind ausgewichen, und wir wollen hier kein Ausweichen; wir wollen hier eine Erklärung haben.
Zweifellos besagt das Gesetz, daß die Verzugszuschläge zu erheben sind. Das wissen wir auch. Leider hat das Hohe Haus ja das Gesetz beschlossen. Ich kann sagen, ich nicht mit; aber das ist nebensächlich. Unser Verlangen geht doch dahin, daß erstens die Bundesregierung in ihrem Schlußgesetz diese Ungerechtigkeiten beseitigt, zweitens, daß sie innerhalb ihrer Behörde so lange vorübergehend auf dem Verwaltungswege Milderungsmaßnahmen anordnet, bis dieses Schlußgesetz hier angenommen wird und sie dadurch sanktioniert werden können. Zu dieser Forderung möchten wir eine positive Erklärung der Bundesregierung haben und nicht ein Ausweichen, so daß morgen unten bei den Finanzämtern nur noch das Gesetz angewandt wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe sehr, keinen Ordnungsruf von Ihnen zu bekommen, aber ich möchte doch meinen lieben ehrenwerten Mitabgeordneten Bausch bitten, mir einmal dazu zu verhelfen, den Pulsschlag einer Seele zu vernehmen.
({0})
Ich glaube, daß ihm das schwerfallen wird,
({1})
selbst, lieber Herr Bausch, in Württemberg.
({2})
Wenn Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen noch länger gesprochen hätte, hätte ich ihn zur Sache rufen müssen, da die Seele nicht auf der Tagesordnung steht.
({0})
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen, auch nicht auf der Regierungsbank. - Ich bitte um Entschuldigung, Herr Abgeordneter Kurlbaum!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Atzenroth hat, glaube ich, soeben angedeutet, daß wir auf den Schlußgesetzentwurf der Bundesregierung warten sollten. Das würde ich angesichts der Dringlichkeit der Angelegenheit und angesichts der Nähe des Termins vom 31. Oktober für die nächste Ausschreibung von Wertpapieren für sehr schlecht halten. Ich bin dafür, daß wir die Angelegenheit so schnell wie möglich im Wirtschaftspolitischen Ausschuß und auch im Finanzausschuß behandeln und uns darüber klarwerden, wie wir die jetzt zutage getretenen Mißstände beseitigen und insbesondere den kleineren Unternehmungen so schnell wie möglich helfen können. Wenn dann die Bundesregierung rechtzeitig mit einem neuen Vorschlag kommt, soll es uns recht sein. Tut sie es nicht, so werden wir allein einen Antrag stellen.
({0})
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. - Ich schließe die Besprechung.
Meine Damen und Herren, es ist Überweisung der Großen Anfrage der Fraktion der FDP und des Antrags Drucksache 676 an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen beantragt worden. Ich darf im Interesse der Vereinfachung vorschlagen, daß wir den Antrag Drucksache 676 als einen zur Großen Anfrage bereits gestellten Antrag ansehen, so daß auch die Überweisung der Großen Anfrage geschäftsordnungsmäßig möglich ist. Sonst gäbe es wieder Schwierigkeiten. Ich darf unterstellen, daß die Überweisung erfolgt. - Das Haus ist damit einverstanden.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ({0}).
Herr Abgeordneter Dr. Arndt zur Begründung!
Dr. Arndt ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs ist über seine Gründe im besonderen, aber auch über den Stand der Wiedergutmachung im allgemeinen etwas zu sagen. Ansprüche aus einem Gesetz können sinnvoll an eine Ausschlußfrist nur gebunden werden, wenn das Gesetz selbst die sachlichen und förmlichen Voraussetzungen des Anspruchs klar erkennen läßt. An dieser Klarheit läßt es das unselige Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 18. September 1953 in mancher Hinsicht fehlen. Es gibt Erfahrungen darüber, daß wegen dieser Unklarheiten Anmeldungen versäumt worden sind. Gerade diejenigen Berechtigten, die nicht mehr wünschen, als ihnen zusteht, und sich eine gewisse Zurückhaltung auferlegt haben, würden zu kurz kommen, wenn man die Frist jetzt mit dem 30. September hätte ablaufen lassen, zumal die Ausführungsverordnung zu § 14 des Gesetzes erfreulicherweise - und ich erkenne das sehr dankbar an - den Kreis der Berechtigten weiter zieht als eine bisher recht engherzige Rechtsprechung. Für übergebietliche und für verlagerte Organisationen, insbesondere für Organisationen, die früher im gegenwärtigen Ostsektor Berlins oder außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes ihren Sitz f' hatten, ergeben sich weder aus § 8 noch aus § 89 hinreichende Zuständigkeitsbestimmungen. Auch solche Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes, die eine Höchstgrenze der Entschädigung festsetzen, haben offenbar übergebietliche Organisationen nicht berücksichtigt, so daß § 24 Abs. 2 zu erweitern sein wird. In der Rangfolge des .§ 78 haben solche Organisationen bisher keinen angemessenen Platz.
Unter diesen Umständen kann es nicht dabei bleiben, daß inzwischen die gesetzliche Anmeldefrist abgelaufen ist, falls der Berechtigte nicht im Auslande lebt. Wir halten daher für erforderlich, die Anmeldefrist wieder zu eröffnen und um ein Jahr zu verlängern. Bitte, wenden Sie uns nicht ein, hierdurch verzögere sich der Vollzug des Gesetzes, weil sich vor Ablauf der Anmeldefrist die Gesamtheit der Ansprüche nicht überblicken lasse. Erstens läßt sich aus der Summe der Anmeldungen noch nicht auf den Gesamtbetrag schließen, der für gerechtfertigte Ansprüche aufzuwenden sein wird. Zweitens handelt es sich nicht um die Ausschüttung einer Konkursquote, so daß die Größe der Schäden den Maßstab dafür zu bilden hat, welche Mittel aufzuwenden sind, nicht aber umgekehrt ein bestimmter Geldbetrag die Grenze setzen kann, ob und zu welchem Anteil Unrecht wiedergutzumachen ist. Drittens läuft die Frist für die Anmeldungen ails dem Auslande ohnehin noch bis zum 1. Oktober 1955, so daß vor Ende des nächsten Jahres sowieso mit keinem Abschluß der Anmeldungen zu rechnen ist.
Die Unklarheiten, die es zu beseitigen gilt, stehen in einem inneren Zusammenhang mit den unbestreitbaren Mängeln des Gesetzes, so daß es gerechtfertigt erscheint, hierbei auch allgemein den Stand der Wiedergutmachung zu berücksichtigen und die Frage aufzuwerfen, wie es mit der Wiedergutmachung in Deutschland bestellt ist.
Das Bundesgesetz vom 18. September 1953 hat in einem außerordentlichen und mit dem Grundgesetz kaum zu vereinbarenden Ausmaß die Regelung einer Reihe von Rechtsverordnungen überlassen. Die Folge dieses Grundfehlers ist es, daß sogar die an sich bereits unzureichenden Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes noch immer zu einem erheblichen Teil un vollziehbar geblieben sind.
({2})
In der 32. Plenarsitzung am 28. Mai hat der Bundesminister der Finanzen, Herr Schäffer, ausgeführt, daß die Verordnungen zu § 14 - diese regeln den Schaden am Leben - „dieser Tage" - wörtlich! - dem Bundesrat zugehen und die Verordnungen zu § 15 - Schaden an Körper und Gesundheit - sowie zu § 37 - Schaden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen - „sofort anschließend"; auch dieser Ausdruck ist wörtlich. Das war am 28. Mai. Jene Erklärungen des Herrn Bundesministers der Finanzen haben sich leider nicht bewahrheitet. Die Verordnung zu § 14 als die erste ist von der Bundesregierung erst am 22. Juni im Bundesrat eingebracht worden. Der Bundesrat hat sie unverzüglich behandelt und am 23. Juli verabschiedet. Sie ist am 20. September verkündet worden. Diese erste Verordnung ließ also noch nach dem 28. Mai fast einen Monat auf sich warten und konnte erst später als ein Jahr nach Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes verkündet werden.
({3})
({4})
Bis zur Vorlage der zweiten Verordnung, jener zu § 15, verstrichen seit dem 28. Mai, dem Tage also, an dem der Bundesfinanzminister von „sofort anschließend" gesprochen hatte, noch. mehr als vier Monate, ehe diese Verordnung als Entwurf am 2. Oktober, also erst vor wenigen Tagen, den Bundesrat erreichte. Wann die Bundesregierung die dritte Verordnung, die zu § 37, dem Bundesrat vorlegen wird, ist noch nicht abzusehen.
({5})
Als diese Verzögerungen am 28. Mai von allen Fraktionen des Bundestages gerügt wurden, suchte der Herr Bundesminister der Finanzen die Schuld daran dem Bundesrat aufzubürden. Namens des Bundesrats hat als dessen Berichterstatter Herr Senator van Heukelum in der 127. Sitzung des Bundesrats am 23. Juli diese Behauptung des Herrn Bundesministers der Finanzen als falsch und haltlos zurückgewiesen
({6})
und festgestellt, daß der Herr Bundesminister der Finanzen schon seit dem 4. März weiß, der Bundesrat wolle bei seinen Plänen zu einer Novelle von dem Bundesergänzungsgesetz in der jetzigen Fassung als der nun einmal gegebenen Grundlage ausgehen. Der Herr Bundesminister der Finanzen trägt für diese Versäumnisse selbst allein die parlamentarische Verantwortung
({7})
und sollte sie auch nicht als Vorwurf an seine Mitarbeiter weitergeben;
({8})
denn ein entscheidender Grund für diese Verzögerungen ist darin zu finden, daß der Herr Bundesminister der Finanzen es unterlassen hat, die zuständige Abteilung seines Ministeriums mit einer hinreichenden Zahl von sachkundigen Fachkräften zu besetzen.
({9})
Mit der freundlichen Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich eine Stelle aus dem Stenographischen Bericht des Bundesrats verlesen. Herr Senator van Heukelum als Sprecher des Bundesrates hat hierzu folgendes gesagt:
Diese personelle Besetzung und nicht der Bundesrat ist der Grund für die im höchsten Maße bedauerlichen Verzögerungen, die eingetreten sind und die, wie ich fürchte, auch künftig eintreten werden. Ich möchte daher
- sagt Herr Senator van Heukelum als Sprecher des Bundesrates den dringenden Appell an den Herrn Bundesfinanzminister richten, hier Abhilfe zu schaffen, damit nicht der Eindruck entstehen kann, das Bundesfinanzministerium behandele, aus was für Gründen auch immer, die Wiedergutmachung und insbesondere die weitere Durchführung des Bundesergänzungsgesetzes nicht mit der gebotenen Sorgfalt und vor allem Schnelligkeit. Sicher,
- sagt Herr van Heukelum -,
sparsame Verwaltung ziert einen Finanzminister, aber gar zu große Sparsamkeit erweist sich hier, insonderheit in Ansehung der delikaten Sache und im Schatten des 20. Juli 1944, als fehl am Platze. Jedenfalls darf ich wohl für Sie alle feststellen,
- und das ist im Bundesrat unwidersprochen geblieben
daß der Bundesrat es ablehnt, für daraus entstandene Fehlerquellen und Verzögerungen schuldig gesprochen zu werden.
({10})
Ich frage den abwesenden Herrn Bundesfinanzminister und seinen anwesenden Herrn Staatssekretär: Was ist seit dem 23. Juli, also wiederum seit nunmehr 12 Wochen, geschehen, um diesem dringenden Appell des Bundesrates zu entsprechen?
({11})
- Nichts ist geschehen; das ist ganz richtig.
Ein zweiter Grund dieser nachgerade unentschuldbaren Versäumnisse liegt darin, daß jenes verlorene Häuflein im Bundesministerium der Finanzen, das sich mit diesen Fragen zu befassen hat, nicht nur die Last einer Ausarbeitung der Rechtsverordnungen trägt, sondern sich eigentlich auch noch mit der allseits geforderten Verbesserung des Gesetzes beschäftigen sollte. Die Bundesregierung hat seinerzeit den weit besseren Gesetzentwurf des Bundesrats volle vier Monate - vom 20. Februar bis zum 20. Juni 1953 - dem Bundestage vorenthalten, obgleich sie nach dem Grundgesetz zur unverzüglichen Weiterleitung und Stellungnahme verpflichtet war. Auf diese bedenkliche Weise hat es die Bundesregierung durch ihre Schuld dem 1. Bundestag unmöglich gemacht, sich rechtzeitig dieser grundlegend wichtigen Aufgabe zu widmen. Andernfalls hätte es niemals dazu kommen können, daß sich der 1. Bundestag in der Zwangslage sah, in einem einmaligen Verfahren die Regierungsvorlage unberaten zu verabschieden, um damit zum Ausdruck zu bringen, daß es eine Pflicht des 2. Bundestages sein werde, dieses Gesetz alsbald zu überarbeiten und wesentlich 'zu verbessern.
Was aber ist aus den Beteuerungen geworden, die wir damals hörten und an die wir wieder und wieder hier erinnern werden? Am 4. März hat meine Fraktion den Entwurf einer Novelle an die anderen Fraktionen versandt. Zufällig am gleichen 4. März, also vor nun mehr als sieben Monaten, hat der Herr Bundesminister der Finanzen im Sonderausschuß des Bundesrates erklären lassen, daß die allseits als notwendig anerkannte Novelle als Vorlage der Bundesregierung vorgelegt werden solle. Ich frage wiederum den abwesenden Herrn Bundesminister der Finanzen und seinen anwesenden Herrn Staatssekretär: Was hat die Bundesregierung insoweit in diesen sieben Monaten getan?
({12})
Sie hat einen Beirat gebildet. Aber dieser Beirat ist nach monatelangem Warten bisher ein einziges Mal, am 14. Juli, zusammengetreten, um sich zu konstituieren.
({13})
Seitdem hat sich die Tätigkeit dieses Beirats darauf beschränkt, daß seine Mitglieder von anberaumten Sitzungen wieder ausgeladen wurden.
Meine Damen und Herren, ein volles Jahr ist der 2. Bundestag jetzt an der Arbeit und in der Arbeit,
({14})
ohne daß die feierlichen Versprechungen, wie sie etwa auch Herr Kollege Gerstenmaier von diesem Platze aus gegeben hat, eingelöst worden sind oder auch nur Aussicht hätten, eingelöst zu werden. Bedenkt man, daß wir jetzt das zehnte Jahr seit dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erreicht haben, bedenkt man, daß vielfach das schadenverursachende Unrecht bereits zwei Jahrzehnte und mehr zurückliegt, so müssen wir uns gestehen, daß dieses endlose Hinauszögern der Wiedergutmachung vielfach bitterste Hoffnungslosigkeit für die Opfer der Verfolgung bedeutet.
({15})
Ungezählte sind inzwischen verstorben, Ungezählte werden noch, ohne auch nur einen Anfang der Wiedergutmachung erlebt zu haben, versterben, und zahlreiche Opfer siechen alt und hilflos dahin.
Bei diesem Stande der Wiedergutmachung ist es nicht zu verantworten, daß aus dem Bundesministerium der Finanzen Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, aus denen sich die Presse Aufwendungen für die Wiedergutmachung bis zu einem Betrage von 10 Milliarden DM ausgerechnet hat
({16})
und der Steuerzahler irrtümlich glaubt annehmen zu müssen, daß sich auf seine Kosten an den Opfern Hitlers ein goldenes Wiedergutmachungswunder vollzöge.
({17})
Die Wahrheit sieht anders aus! Um nur einen einzigen Fall zu nennen ... Wenn ich anfangen wollte, hier Einzelheiten zu erörtern, wie das eben bei der Investitionshilfe geschehen ist, dann könnten wir noch den ganzen Tag und den nächsten Tag sprechen. Der verehrte Herr Kollege Böhm nickt mir zu. Diese Fälle, die hier unerörtert bleiben, sind so ungeheuerlich, daß sie alles in den Schatten stellen.
({18})
Aber um eins nur zu sagen: Wer heute ein Urteil erwirkt, durch das ihm Haftentschädigung zugesprochen wird, kann nach § 78 des Bundesentschädigungsgesetzes noch nicht einmal ahnen, wann seine Haftentschädigung je zur Auszahlung aufgerufen werden wird, obwohl diese einmalige Entschädigung oft nur einen Bruchteil der stattlichen Summen beträgt, die der Organisator der Konzentrationslager, Diels, und Ideologen des braunen Totalitarismus wie Koellreuther Jahr für Jahr aus den Steuergeldern einer schafsgeduldigen Demokratie einstecken.
({19})
Der wegen Beihilfe zum Totschlag in mehreren Fällen im Konzentrationslager Bergen-Belsen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilten Herta Ehlert ist es gelungen, eine „Heimkehrerentschädigung" von Bundes wegen zu bekommen,
({20})
längst bevor man daranging, die Schäden auch nur zu lindern, welche die rechtswidrig ihrer Freiheit beraubten Häftlinge von Bergen-Belsen an ihrer Gesundheit und in ihrer Existenz erlitten.
({21})
In diesem Zusammenhang habe ich noch einige Fragen an den Herrn Bundesminister der Finanzen, der abwesend ist, und an seinen anwesenden Herrn Staatssekretär zu richten. Nach § 77 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes ist bis zum 31. Dezember 1954 durch ein Bundesgesetz die endgültige Verteilung der Entschädigungslasten auf Bund und Länder zu regeln. Ich frage: Wann ist mit der Vorlage dieses Gesetzes zu rechnen? Sind Sie sich bewußt, daß es der Rechtslage nach dem Grundgesetz und dem Bundesentschädigungsgesetz nicht entspricht, wenn dauernd in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, als sei die Wiedergutmachung Ländersache? Sind Sie sich auch darüber klar, daß die durch § 77 Abs. 1 geschaffene Unsicherheit zu dem Mißstand geführt hat, daß seit Jahr und Tag sowohl der Bund als auch die Länder sich bemühen, möglichst wenig oder möglichst gar nichts zu zahlen, weil die Länder befürchten, die ihnen nur vorläufig aufgebürdeten Lasten endgültig tragen zu müssen? Man wird hier an einen berühmten Vers von Heinrich Heine erinnert. Warum befindet sich - frage ich weiter - das in § 77 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes vorgesehene Bundesgesetz nicht auf der Dringlichkeitsliste, die das Bundeskanzleramt jetzt für die gesetzgeberische Initiative der Bundesregierung aufgestellt hat?
({22})
Welche Beträge gedenkt der Bundesminister der Finanzen in den kommenden Bundeshaushalt für die Wiedergutmachung einzustellen, und welche Rechtsverordnung nach § 78 Abs. 4 ist zum Aufruf von Wiedergutmachungsleistungen zu erwarten? Warum ist bisher überhaupt noch nicht eine einzige Leistung aufgerufen worden, obgleich jährlich durch Rechtsverordnung diese Leistungen aufgerufen werden sollen?
({23})
Meine Damen und Herren, ich freue mich, sagen zu können und dafür danken zu dürfen, daß bisher das Israel-Abkommen vertragstreu erfüllt wird und daß es Bundesbehörden wie insbesondere das Bundesministerium der Justiz gibt, die zur Ausführung des Wiedergutmachungsrechts schnell und, von einzelnen Fällen abgesehen, auch anerkennenswert gut gearbeitet haben.
({24})
Wir begrüßen es auch, daß der Herr Bundeskanzler Herrn Goldman die Zusicherung gegeben hat, das Scheitern des Bonner Vertrags werde an dem Willen, die dort versprochene Wiedergutmachung zu leisten, nichts ändern. Gleichwohl ist die Wiedergutmachung keine Angelegenheit, die mit Herrn Goldman auszuhandeln und in Verträgen mit auswärtigen Staaten festzulegen wäre.
({25})
Sie ist eine innerpolitische, eine deutsche A u f gab e und eine Sache des Rechts.
({26})
Sie ist der Prüfstein unserer eigensten Rechtlichkeit, die wir uns selbst schulden.
Darum gibt es eine Wechselwirkung zwischen dem Leidensweg der Wiedergutmachung und dem faulen Klima unserer Innenpolitik. Wenn eine Volksvertretung und eine Bundesregierung so jammervoll an die Wiedergutmachung herangeprügelt werden müssen, bleibt ein solcher Mißstand nicht ohne nachteilige Folgen für die Art, wie diese Gesetze gehandhabt werden.
({27})
({28})
Auf keinem anderen Rechtsgebiet ist in Verwaltung und Rechtsprechung so engherzig, manchmal herzlos, so kleinlich, mit einer solchen Silbenstecherei und Wortklauberei verfahren worden. Ein öder Formalismus, der so auf die Spitze getrieben wird, daß man den Hinterbliebenen des am 30. Juni 1934 ermordeten Musikkritikers Schmidt die ihnen sogar von den Nationalsozialisten gewährte Rente verweigert, weil Schmidt infolge einer Namensverwechslung „nur versehentlich" getötet und also nicht verfolgt worden sei!
({29})
So ist eine Aufgabe, deren großherzige Erfüllung das ganze Volk bewegen sollte, unter die Tintenkleckser und Federfuchser geraten, und wir müssen uns von einer liberalen britischen Zeitung, der man Deutschfeindlichkeit im allgemeinen nicht vorwerfen kann, nachsagen lassen, in Deutschland neige man dazu, die Opfer des Nationalsozialismus und insbesondere die Juden als eine lästige Plage anzusehen.
({30})
Es ist das faule Klima eines schleichenden Antisemitismus.
({31})
In dieser Stickluft kommen gewisse Redewendungen wieder auf, die von „geistig heimatlosen, eiskalten Intellektuellen", den „entwurzelten Intellektuellen" sprechen und - den Juden meinen. Meine Damen und Herren, Sie finden dieses giftige Kauderwelsch nicht etwa im Pamphlet von Diels, sondern in einer Karl Marx gewidmeten Betrachtung, die der Bundesgeschäftsführer der CDU schrieb und ausgerechnet zum Nationalfeiertag am 17. Juni als Leitartikel in der „Kölnischen Rundschau" veröffentlichte.
({32})
Im „Rheinischen Merkur" vom 1. Oktober liest sich das schon so, daß man von der heimlichen und hintergründigen Rolle spricht, welche der - und ich darf das jetzt wörtlich zitieren - „zum größten Teil wegen Hitlers Rassenpolitik deutsch-feindliche innere Führungsstab" eines westeuropäischen Ministerpräsidenten spiele.
({33})
Man bringt Karikaturen eines westeuropäischen Staatsmannes, die uns zu verstehen geben: „der Jude ist unser Unglück", und das bitterböse Wort von den „Juden und Freimaurern" läuft wieder um. Von solchen giftigen Blüten, meine Damen und Herren, könnte ich Ihnen einen ganzen Strauß hier bringen. Ich will es mir aber versagen.
Wer darüber noch schweigen würde, macht sich mitschuldig. Immer war und bleibt der Rassenhaß ein Anschlag auf die Freiheit aller,
({34})
eine Unsauberkeit, die jeden befleckt, der nicht 'dagegen aufsteht.
Wir Sozialdemokraten empfinden die Untätigkeit, die das uns aufgegebene Liebeswerk und Rechtswerk der Wiedergutmachung zur lästigen Plage fiskalischer Art niedersinken ließ, als einen brennenden Makel, dessen wir uns in tiefster Seele schämen. Wir hoffen, daß wir damit auch Gefühlen Ausdruck geben, die in Abgeordneten aller Fraktionen vorhanden sind. Ich frage und ich bitte Sie alle: wann werden wir gemeinsam die Tat vollbringen, die so furchtbar lange schon darauf wartet, daß wir sie beherzt anpacken?
({35})
Meine Damen und Herren! Sie haben die Begründung des eingebrachten Gesetzentwurfs Drucksache 811 gehört.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Böhm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktionsfreunde beabsichtigen, dem Antrag der SPD zuzustimmen, und zwar vor allem auch aus dem Grunde, den Herr Kollege Arndt schon genannt hat, daß eine Reihe von Antragsberechtigten und- gerade von zurückhaltenden Antragsberechtigten, die keine unberechtigten Anträge stellen wollen, ja nicht einmal Anträge stellen wollen, von denen sie nach der bisherigen Rechtsprechung annehmen müssen, daß sie wahrscheinlich abgelehnt werden, sich durch den Erlaß der noch ausstehenden Rechtsverordnungen in die Lage versetzt sehen könnten, unvermutet doch Aussicht und gute Aussicht für die Verfolgung ihrer Rechtsansprüche zu haben. Diesen Erfolg bringt schon die einzige Rechtsverordnung mit sich, die bisher erlassen worden ist, nämlich die für den § 14, der den Kreis der berechtigten Erben oder Nachkommen eines Getöteten weiter faßt, als man angesichts des Wortlautes des Gesetzes vermuten konnte. Es ist also so, daß die Rechtsverordnungen auch von Einfluß auf den Kreis der Antragsberechtigten sind. Es wäre sehr unbillig, wenn nunmehr Personen, die infolge verspätet erlassener Rechtsverordnungen bessere Aussichten haben, deswegen ausgeschlossen wären, weil sie in pessimistischer Auffassung der Rechtslage versäumt haben, ihren Antrag zu stellen. Das ist der Grund, der die Leiter der Wiedergutmachungsbehörden selber veranlaßt, eine Verlängerung der Frist zu fordern. Es sind auch uns aus den Kreisen der Wiedergutmachungsämter Wünsche zugegangen, einen solchen Antrag zu stellen; und es würde auch von unserer Fraktion geschehen sein, wenn nicht schon der Antrag der SPD gestellt gewesen wäre.
Es könnte der Einwand erhoben werden, daß durch die Zahl der Nachzügler die Berechnungen über den vermutlichen Kostenaufwand der Entschädigung wieder über den Haufen geworfen würden und daß sich die Belastung, die aus der Entschädigungspflicht auf uns zukommt, nicht genau übersehen lasse. Aber angesichts des Gewichts der Gegenargumente sollte dieses Bedürfnis in diesem Fall nicht berücksichtigt werden.
Ich bitte auch mir zu gestatten, einige Worte zu der Lage zu sagen, der wir uns heute gegenübersehen, nachdem das Bundesentschädigungsgesetz über ein Jahr in Kraft ist. Da ist das bestürzende Ergebnis, an das niemand von uns gedacht und das niemand gewollt hat - trotz aller berechtigten Kritik des 1. Bundestages durch alle Fraktionen hindurch an der Unzulänglichkeit dieses Gesetzes hat das niemand gewußt und niemand vorausgesehen -, daß durch das Fehlen der Rechtsverordnungen die allerwichtigsten Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung für Schäden am Leben, zweitens für die Schäden an Körper und Gesundheit und drittens für die Fortbildungs- und Berufsschäden überhaupt nicht anwendbar sind.
({0})
Die Folge des von allen Wiedergutmachungsberechtigten, allen Verfolgten so heiß ersehnten Bundesentschädigungsgesetzes war, daß schlagartig die Weiterbehandlung bereits eingereichter Anträge eingestellt wurde und bis zum heutigen Tage eingestellt blieb. Erst seit Anfang Oktober können wenigstens diejenigen Anträge bearbeitet werden, die auf Grund des § 14 des Gesetzes gestellt werden, nicht aber diejenigen auf Grund des § 15 und nicht diejenigen auf Grund der §§ 25 bis 36 des Gesetzes; diese bleiben nach wie vor liegen, so daß die Tätigkeit der Entschädigungsämter schlagartig nachgelassen hat. In Berlin, das weitaus die größte Verfolgtengruppe hat, ist die Summe der monatlichen Entschädigungszahlen gegenüber der Zeit vor dem Bundesentschädigungsgesetz um 80 % zurückgegangen.
({1}) Seit zwölf Monaten werden nur noch 20 % der Entschädigungen gezahlt, die auf Grund des Berliner Gesetzes, also vor Erlaß des Bundesentschädigungsgesetzes, gezahlt wurden. Wenn ich recht unterrichtet bin, sind von den 30 Millionen DM, die im Berliner Etat für die Wiedergutmachungszahlungen enthalten sind, seit dem Inkrafttreten des Bundesentschädigungsgesetzes erst 5 Millionen DM in Anspruch genommen worden. Das ist eine bestürzende Bilanz.
Leider können wir nicht sagen, daß die Verzögerung des Erlasses der Rechtsverordnungen eine schuldlose ist.
({2})
Zwar wird man sagen müssen, daß von dem Zeitpunkt an, an dem der Herr Bundesfinanzminister die Startgenehmigung für die Ausarbeitung von Rechtsverordnungen erteilt hat, von den Beamten des Bundesfinanzministeriums, von den Beamten der übrigen beteiligten Ministerien und vom Bundesrat eine außerordentlich intensive und fleißige, unermüdliche und auch hochqualifizierte Arbeit geleistet worden ist. Die sehr wenigen Beamten im Bundesfinanzministerium können aber tatsächlich neben der ungeheuren Fülle ihrer übrigen Arbeit - sie sind ja nicht nur mit der Ausarbeitung der Rechtsverordnungen beschäftigt, sondern haben auch vieles andere zu tun - diese gewaltige Arbeit schlechterdings nicht leisten.
Dazu kommt: Wenn auf das Gesetz selbst - das Gesetz ist ja aus einem Regierungsentwurf hervorgegangen -, wenn auf die Ausarbeitung der Paragraphen mehr Sorgfalt verwendet worden wäre, hätten wir vielleicht überhaupt keine Rechtsverordnungen gebraucht oder wir hätten Rechtsverordnungen gebraucht, die in zwei oder drei Wochen hätten fertig werden können. Die Tatsache, daß die Fertigstellung der Rechtsverordnung zu einem einzigen Paragraphen vom ersten Federstrich an bis zum Inkrafttreten vom 1. März bis zum Oktober dauert, ist nur durch die Mangelhaftigkeit des Gesetzes erklärbar, das durch die Rechtsverordnungen zu ergänzen ist. Diese Mangelhaftigkeit des Gesetzes rührt aber auch daher, daß der Regierungsentwurf des Bundesentschädigungsgesetzes sehr spät in Angriff genommen worden ist. Er ist erst in Angriff genommen worden, als die Konkurrenz des Bundesrats mit einem Initiativgesetzentwurf schon weit gediehen war. Daher stand der letzte Bundestag nur vor der Wahl, entweder ein Gesetz, das er für unzureichend hielt - alle Fraktionen haben es für unzureichend gehalten -, in Kenntnis seiner Mängel anzunehmen oder aber es abzulehnen und dabei eine ungeheure Enttäuschung in den Herzen vieler leidgeprüfter Menschen hervorzurufen. Also diese Verzögerungssünden der Vergangenheit sind für die Verzögerung bei den Rechtsverordnungen mitverursachend.
Leider kommt aber noch ein Weiteres hinzu. Der Herr Bundesfinanzminister hat uns am 28. Mai 1954 hier in diesem Hohen Hause selbst erklärt, daß die Rechtsverordnungen deshalb nicht in Angriff genommen worden seien, weil der Bundesrat am 17. September 1953 - an dem Tage, an dem er seine Zustimmung zum BEG gab - beschlossen habe, eine Novelle zu erlassen, und daß diese Absicht des Bundesrates erst im März 1954 aufgegeben worden sei. Der Herr Finanzminister hat erklärt, es habe doch keinen Zweck, es sei untunlich, Ausführungsbestimmungen, Rechtsverordnungen zu einem Gesetz zu erlassen, wenn man wisse, daß doch bald ein anderes nachkomme. Meine Damen und Herren, hier ergibt sich doch die prinzipielle Frage - die auch eine Rechts- und Verfassungsfrage ist -, ob da, wo ein Gesetz die Bundesregierung zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt, die Bundesregierung irgendeinen Ermessenspielraum dafür besitzt, ob und wann sie von dieser Ermächtigung Gebrauch machen will. Es fragt sich, ob ihr ein solcher Ermessenspielraum überhaupt zusteht. Ist die Bundesregierung insbesondere ermächtigt, Rechtsverordnungen deshalb nicht zu erlassen, weil gesetzgebende Körperschaften von ihrem Recht Gebrauch machen, ein neues Gesetz vorzubereiten, besonders dann, wenn von der sofortigen Inangriffnahme der Arbeiten an den Rechtsverordnungen für das Schicksal ganzer Massen schwergeprüfter Menschen so vieles abhängt wie in diesem Fall, oder dann, wenn diejenigen Vorschriften des Gesetzes, die durch Rechtsverordnungen ausgeführt werden sollen, ohne solche Vorschriften überhaupt nicht angewendet werden können? Bei den §§ 14, 15, 25 bis 36 war das der Fall, wie ich schon ausgeführt habe. Mir scheint doch, daß angesichts des klaren Willens des Gesetzgebers, daß die Rechtsverordnungen zu erlassen sind, und angesichts des gleichzeitigen Willens der damaligen Gesetzgeber, ein neues Gesetz dem alten folgen zu lassen, die Bundesregierung nicht berechtigt war, mit dem Erlaß der Rechtsverordnungen auch nur einen Tag zu warten,
({3})
namentlich deswegen, weil damals im Bundestag und im Bundesrat zunächst die Absicht bestand, das Bundesentschädigungsgesetz überhaupt erst mit den Rechtsverordnungen in Kraft treten zu lassen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir hatten uns darüber verständigt, um 16 Uhr Schluß zu machen. Ich darf aber Ihr Einverständnis unterstellen, daß wir diesen wichtigen Punkt der Tagesordnung zu Ende führen
({0})
- ich weiß, Herr Abgeordneter Altmaier -, mit der Bitte um möglichste Konzentration, weil viele Kollegen sich aus mancherlei Gründen auf diesen Schlußzeitpunkt eingestellt haben. Zunächst Herr Abgeordneter Dr. Reif!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich sehr kurz fassen. Ich möchte hier nur feststellen: es tut manchmal weh,
({0})
den Herrn Abgeordneten Arndt hier reden zu hören. Es tut um so mehr weh,
({1})
wenn wir eingestehen müssen, daß diese herbe Kritik notwendig ist. Ich möchte beinahe sagen, daß die Worte, die der Herr Kollege Professor Böhm gesprochen hat, wenn sie auch weniger anklagend waren, so doch in ihrem Inhalt eine sehr massive Anklage darstellten.
({2})
Vor einigen Tagen erst sind einige unserer Kollegen aus den Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekommen. Ich glaube, sie werden sich daran erinnern - jedenfalls ist mir das so berichtet worden -, daß von Deutsch-Amerikanern, aber auch von anderen Amerikanern jetzt immer wieder auf diese Wunde der deutschen Demokratie hingewiesen worden ist, daß man dort gesagt hat: „Ihr wart sehr eilig, als es um die Rechtsstellung der 131er ging,
({3})
ihr seid sehr saumselig, wenn es darum geht, eine moralische und politische Pflicht zu erfüllen, die ja sogar eine außenpolitische Bedeutung hat."
({4})
Wir erleben doch jetzt häufig, daß jüdische Freunde aus Afrika oder Amerika oder sonstwoher z. B. zu mir nach Berlin kommen. Merkwürdig leichtfertig wird von den Auslandsvertretungen solchen Persönlichkeiten geraten: „Fahrt doch selbst hin; wenn ihr anwesend seid, werden sich die Dinge regeln!" - eine Auskunft, die die Leute draußen immer wieder bekommen. Sie sitzen nachher hier fest und wissen nicht einmal, wovon sie ihren Aufenthalt bestreiten sollen. Das ist das eine.
Das Zweite ist, daß sie riskieren, sich mit jenen 131ern, die nun nicht alle inzwischen Demokraten geworden sind,
({5})
auseinanderzusetzen über jene Vorgänge in der Zeit des „Dritten Reiches" - ({6})
- Verzeihen Sie, Herr Kollege, ich habe das bei meinen Freunden erlebt. Die haben sich schlecht behandeln lassen müssen von jenen Leuten, die zumindest nicht in diesen Ämtern sitzen dürften.
({7})
Wir begrüßen es also - ich will nicht länger anklagen -, daß die sozialdemokratische Fraktion uns Gelegenheit gibt, durch Zustimmung zu diesem Antrag die Dinge wieder ins Rollen zu bringen. Wir haben die Hoffnung, daß diese Aussprache den Herrn Bundesfinanzminister, der ja auch in der vorigen Legislaturperiode Bundesfinanzminister war - was ich als Ergänzung zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Professor Böhm feststellen möchte -, veranlaßt, uns nun sehr schnell die zweite Durchführungsverordnung vorzulegen. Vielleicht läßt sich im Zuge dieser zweiten Durchführungsverordnung z. B. dadurch eine gewisse Erleichterung schaffen, daß das, was früher bei uns in Berlin üblich war, wieder möglich gemacht daß man etwa akkordiert. Es kommen vielfach Persönlichkeiten aus dem Ausland, die froh wären, wenn sie sich vergleichen könnten. Das ist heute verboten. Alle diese Dinge können doch auch bei dem jetzigen Rechtszustand, wenn der Herr Bundesfinanzminister nur will,
({8}) schnell geregelt werden.
Dann haben wir den Wunsch, den Herr Kollege Böhm schon ausgesprochen hat, daß der Ausschuß, der sich mit der Vorbereitung des Ergänzungsgesetzes befaßt, nun wenigstens einmal zur Arbeit zusammengerufen wird, damit die Geschädigten sehen, daß in diesem Hause und in dieser Regierung für eine moralische Aufgabe dieser Demokratie genügend Verständnis besteht. Und eine Bitte an die Regierung: Machen Sie es doch den aufrichtigen Demokraten, die in der Demokratie mehr sehen als nur die formale Gleichberechtigung der Willensbildung, nicht so schwer, mitzuarbeiten.
({9})
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehe ich die Anfragen des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt, soweit mir idas in diesem Augenblick möglich ist, beantworte, möchte ich gern sagen, daß ich sowohl seinen Ausführungen als auch den Ausführungen der beiden anderen Herren Abgeordneten vollstes Verständnis entgegenbringe. Ich bedauere, daß Herr Minister Schäffer im Augenblick nicht hier sein kann. Ich werde ihn unverzüglich nach dieser Sitzung über die sehr ernsten Worte, die hier, ich darf wohl sagen, von. allen Seiten des Hauses gefallen sind, unterrichten. Wir werden alles daransetzen, um in Zukunft zu einem schnelleren und befriedigenderen Arbeitstempo in diesen Dingen zu kommen.
Was nun die Fragen ides Herrn Abgeordneten Dr. Arndt betrifft, so darf ich zunächst erläutern, weshalb die erste Verordnung, die der Bundesrat, wenn meine Notizen richtig sind, am 23. Juli 1954 gebilligt hatte, erst wesentlich später verkündet worden ist. Das liegt daran, daß der Bundesrat an dem Wortlaut der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung Änderungen vorgenommen hat, Änderungen, die nicht wesentlich waren und von der Bundesregierung übernommen wurden, die aber infolgedessen einer erneuten Beschlußfassung durch das Bundeskabinett, nicht nur durch das sogenannte kleine Wirtschaftskabinett, sondern durch das Vollkabinett, bedurften. Aus diesem Grunde ist die Verkündung erst im September erfolgt.
Herr Dr. Arndt hat schon gesagt, daß die zweite Verordnung, die vom Bundeskabinett beschlossen ist, dem Bundesrat vorliegt. Ich höre gerade, daß auch jetzt wieder Bundesratsausschüsse eine Reihe von Änderungen vorgeschlagen haben. Ich werde mit den Ausschüssen wegen der Frage in Verbindung treten, ob sich unwesentliche Änderungen nicht vermeiden lassen. Sonst muß auch die zweite Verordnung wieder an das Kabinett zurück. Das Kabinett kann bei der Fülle auch der rein politischen Aufgaben nicht in jeder Woche Verordnungen beraten. Eine solche Verzögerung sollte daher vermieden werden.
({0})
Herr Dr. Arndt hat weiter gefragt, was seit Ende Juli personell geschehen ist. Ich wollte gern sagen, daß der frühere Leiter der Rechtsabteilung des Finanzministeriums, der im Juli in den Ruhestand getreten ist, beauftragt worden ist - als Sonderauftrag und um diese Dinge intensiver zu fördern -, sich der Arbeit an der Wiedergutmachung im weitesten Sinne im Hause des Ministeriums anzunehmen. Herr Wolff hat diesen Auftrag angenommen.
Soviel ich weiß, hatte ja auch der zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat gebildete Arbeitskreis, der sich am 14. Juli konstituiert hat, in Aussicht genommen, daß Herr Wolff diesem Arbeitskreis angehören soll. Die nächste Sitzung war auf den 25. Oktober festgelegt. Es haben aber einige der Herren Abgeordneten gebeten, diesen Termin zu vertagen, weil er in die nunmehr sitzungsfreie Woche fällt.
Frau Abgeordnete Wolff, bitte, zu einer Zwischenfrage.
Darf ich den Herrn Staatssekretär bitten, dem Hohen Hause eine präzise Antwort zu geben, wieviel Personen für die Wiedergutmachung im Finanzministerium eingestellt sind, nur um diese Arbeit zu erledigen.
Ich kann Ihnen leider im Augenblick die Personenzahl aus dem Kopf nicht sagen. Ich kann aber annähernd umreißen, daß ein Ministerialrat - der den betreffenden Damen und Herren des Hauses aus seiner Tätigkeit bekannt sein wird -, ein Oberregierungsrat und eine Reihe weiterer teils akademischer, teils nicht akademischer Hilfskräfte damit beschäftigt sind.
Ist dem Herrn Staatssekretär bekannt, daß unter den Verfolgten und auch in anderen Kreisen der Bundesrepublik und Berlins das geflügelte Wort geht, die Abteilung, die der Herr Finanzminister eingerichtet hat, um das Bundesentschädigungsgesetz tragend zu machen, gehe nicht über 11 Personen hinaus? Ich bitte um Aufklärung.
Ich kann Ihnen leider im Augenblick die Zahl der Beamten nicht sagen. Aber ich möchte hinzufügen, daß zusätzlich zu den vorhandenen Referenten und Mitarbeitern noch der frühere Leiter der Rechtsabteilung sich ausschließlich diesen Fragen widmen soll. Ich bin gern bereit, ein andermal oder schriftlich nähere zahlenmäßige Auskunft zu geben.
({0})
- Er hat die Arbeiten schon übernommen. Am 25. Oktober hätte er zur Verfügung gestanden.
({1})
Darf ich dann fortfahren. - Es ist eben die Zahl von 10 Milliarden DM genannt worden, offenbar aus einer Unterrichtung der Presse, die der Referent im August, soviel ich weiß, vorgenommen hat. Ich höre, daß diese Zahl die Leistungen aus dem Vertrag mit Israel und die rückerstattungsrechtlichen Geldverbindlichkeiten einbegreift.
({2})
- Herr Abgeordneter, ich habe mich eben erst informieren können; ich wußte nicht, daß diese Frage gestellt werden würde. Die Gesamtzahl soll sich aus diesen drei Posten zusammensetzen. Ich bin aber gern bereit, wenn der Wunsch besteht, schriftlich diese Rechnung zu detaillieren.
({3})
Die Novelle zum Bundesergänzungsgesetz, die ja in dem Arbeitskreis aus Mitgliedern des Hohen Hauses und aus Mitgliedern des Bundesrates vorbereitet werden soll, wird vom Bundesfinanzministerium als vordringlich angesehen.
Die letzte Frage - wenn ich es mir richtig notiert habe - war die des Haushalts 1955. Im Haushalt 1955, der dem Kabinett zugeleitet ist, wird nach unserm Entwurf ein Betrag von 160 Millionen DM vorgesehen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich kann also die allgemeine Aussprache der ersten Beratung schließen.
Es ist mir gesagt worden, daß der Wunsch bestehe, und zwar bei allen Fraktionen, dieses Gesetz heute nicht nur in der ersten Lesung, sondern in allen drei Beratungen zu erledigen. Darf ich fragen, ob dagegen Widerspruch erhoben wird. - Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich fest, daß die zweite und dritte Beratung auf die Tagesordnung gesetzt werden und der Beratung dieses Gesetzes in allen drei Lesungen am heutigen Tage nicht widersprochen wird.
Ich komme zur
zweiten Beratung.
Ich rufe auf Art. I, - Art. II, - Art. III, - Einleitung und Überschrift. - Keine Wortmeldung.
Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, ihre Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß diese Artikel, Einleitung und Überschrift einstimmig angenommen worden sind.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Ich darf annehmen, daß auf eine allgemeine Aussprache verzichtet werden kann. - Keine Wortmeldung. Einzelberatung entfällt, weil keine Anträge gestellt sind.
Ich bitte die Damen und Herren, die in der Schlußabstimmung dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Ich stelle fest, meine Damen und Herren, daß das Gesetz in der Schlußabstimmung einstimmig angenommen ist.
Meine Damen und Herren, ich habe noch zwei Dinge zu sagen. Einmal schlage ich Ihnen angesichts der Tatsache, daß es inzwischen 16 Uhr geworden ist, vor, die letzten drei Punkte der Tagesordnung heute nicht zu erledigen, sondern auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu setzen.
Ich wünsche im übrigen noch eine kurze Erklärung zu der Frage der Wahlen in der sowjetisch besetzten Zone abzugeben. Ich darf um Ihre Aufmerksamkeit dafür bitten.
({0})
Sie erinnern sich daran, meine Damen und Herren, daß wir vor fast genau vier Jahren Anlaß hatten, uns mit den Wahlen zur sogenannten Volkskammer in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands zu beschäftigen. Damals ist in Übereinstimmung aller Teile des Hauses mit Ausnahme der kleinen Gruppen rechts und links, die eine andere Meinung vertraten, eine gemeinsame Überzeugung des Hauses festgestellt worden.
Die Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands werden am nächsten Sonntag wiederum zu einer Wahl der Volkskammer aufgerufen. Die Ordnung dieser Wahl ist von einer politischen Gewalt vorgenommen, die seit Jahren die Wiedervereinigung Deutschlands und die Forderung nach einem Friedensvertrag und freien Wahlen zum Gegenstand ihrer Propaganda drinnen und draußen gemacht hat. Sie hätte die Möglichkeit gehabt; bei diesen Wahlen ihre Prinzipien, die sie immer wieder verkündet hat, zu verwirklichen und darzutun, wie sie sich freie Wahl en vorstellt. Ich stelle mit Bedauern fest, daß sie das nicht getan hat. Vielmehr ist genau wie vor vier Jahren ein Wahlsystem erzwungen worden, das mit freien Wahlen nichts zu tun hat, sondern wiederum völlig den in totalitären Systemen üblichen Wahlformen entspricht. Es gibt wiederum nur eine Einheitsliste, auf der die sogenannten politischen Parteien und Massenorganisationen so untergebracht sind, daß eine Sicherstellung der kommunistischen Herrschaft garantiert ist. Es gibt keine frei nominierten Kandidaten. Es gibt keine echte demokratische Aussprache vor der Wahl und damit auch keine freie demokratische Entscheidung in der Wahl selbst. Die Zustimmung zu einer Einheitsliste ist keine freie Wahl, besonders wenn das System totalitärer Gewalt weder die Sicherung der unbeeinflußten Wahl noch den Schutz vor den Folgen einer freien Wahlentscheidung garantiert.
({1})
Der Deutsche Bundestag hat in voller Einmütigkeit seine gemeinsame Überzeugung von den notwendigen Formen freier Wahlen zum Ausdruck gebracht. Wir stellen fest, daß die am nächsten Sonntag von unseren Brüdern im Osten geforderte Wahlentscheidung keine freie Wahl ist.
({2})
Sie schafft für die durch eine solche Wahl zustande gekommenen Organe keine demokratische Legitimation der Vertretung der Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands.
({3})
Sie enthüllt die Herrschaft totalitärer Gewalt erneut und macht vor aller Welt wiederum den Abstand deutlich, der zwischen den von den Machthabern der Zone gebrauchten Worten und ihrem politischen Verhalten besteht.
({4})
Der Deutsche Bundestag maßt sich nicht an, aus der Gesichertheit der demokratischen Ordnung der
Bundesrepublik Deutschland heraus den deutschen Brüdern, die unter dem Druck kommunistischer Herrschaft leben müssen und für die die freie Bekundung ihrer Überzeugung eine Gefahr für Freiheit und Leben ist, Ratschläge für ihr Verhalten bei der Wahl zu geben. Alle, die es auf sich nehmen, dennoch ihre wahre Überzeugung auch bei der Wahl zu bekunden, sollen der inneren Gemeinschaft mit allen freien Deutschen gewiß sein.
({5})
Alle Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone aber sollen wissen, daß niemand in der Bundesrepublik und in der freien Welt diese Wahlen als Ausdruck des wirklichen Willens und der politischen Überzeugung der Deutschen in der Zone ansehen wird.
({6})
Die Fragwürdigkeit der Wahlen in der sowjetisch besetzten Zone am nächsten Sonntag wird am meisten darin sichtbar, daß sie dem Volk und der Welt vorzutäuschen suchen, sie sollten der Förderung des Friedens dienen und eine Kriegsdrohung des Westens abwehren. Auch wenn die politischen Parteien des Bundestages über Einzelfragen des künftigen politischen Weges unseres Volkes verschiedene Ansichten haben, so sind sie sich darin einig, daß der Frieden und seine Sicherung unaufgebbare Grundlagen unserer Politik sind. Wer versucht, unserer Politik kriegerische Absichten oder die Absicht einer Lösung durch Gewalt zu unterstellen, handelt wider besseres Wissen.
Wir hoffen, daß sich unsere Brüder in der Zone durch solche Lügen nicht zu einer dem kommunistischen System erwünschten Wahlentscheidung verführen lassen. Es gibt nur eine wirkliche Gefährdung des Friedens in der Welt: die Vernichtung der Freiheit der Menschen. Die Wahlen in der Zone am nächsten Sonntag sind ein tragisches Zeichen für die Vernichtung der Freiheit unserer Brüder in Mitteldeutschland.
Ich bin sicher, daß ich der gemeinsamen Überzeugung aller Glieder des Bundestages Ausdruck gebe, wenn ich sage, daß diese Wahlen eine politische Bedeutung für Deutschland nicht haben; wenn ich unsere Brüder in der Zone unserer nur noch verstärkten Gemeinschaft versichere und die Welt warne, diese unfreien Wahlen als Ausdruck des politischen Willens der deutschen Bevölkerung in der Zone mißzuverstehen. Der Deutsche Bundestag ist die einzig freigewählte Vertretung des deutschen Volkes. Er wird seine Verantwortung für das ganze Deutschland und alle Deutschen weiterhin wahrnehmen.
({7})
Meine Damen und Herren! Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die 50. Sitzung des Bundestages auf Mittwoch, den 20. Oktober, 14 Uhr, und schließe die 49. Sitzung.