Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/7/1954

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 47. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.

Ingeborg Geisendörfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000652

Es sucht für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Sträter für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Erteilung dieses Urlaubs einverstanden ist.

Ingeborg Geisendörfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000652

Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Schill ({0}), Dr. Dr. h. c. Müller ({1}), Jahn ({2}), Dr. Graf Henckel, Dr. Moerchel, Dr. Höck, Unertl, Kühlthau, Stahl, Schloß, Wehking, Dr. Deist, Frau Beyer ({3}), Altmaier, Dr. Schäfer, Müller ({4}), Eickhoff, Dr. Wahl und Dr. Gleissner ({5}).

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke schön. Meine Damen und Herren, einziger Punkt der heutigen Tagesordnung ist die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 5. Oktober 1954. Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.

Erich Ollenhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001646, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Stellungnahme zu den Londoner Vereinbarungen und zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom Dienstag kann sich nicht auf eine kritische Untersuchung des Inhalts der Londoner Vereinbarungen beschränken. Das Scheitern des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft hat eine neue Lage für die Außen- politik der Bundesrepublik geschaffen. Diese Überzeugung hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion veranlaßt, auf eine außenpolitische Debatte im Bundestag vor Beginn der Londoner Konferenz zu drängen. Wir bedauern auch heute noch, daß die Regierung und die Koalitions-Mehrheit diesem Verlangen der Opposition nicht. nachgekommen sind. Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern in seiner Regierungserklärung die Auffassung vertreten, daß die Londoner Vereinbarungen die folgerichtige Fortsetzung der bisherigen Außenpolitik der Bundesregierung seien und daß der Erfolg der Londoner Konferenz deshalb die Richtigkeit dieser Politik erneut bestätigt habe. Dieser Versuch, das Scheitern der bisherigen Außenpolitik der Regierung zu verschleiern, ist verständlich. Aber im Interesse der historischen Wahrheit muß festgestellt werden, daß die jetzt in London vereinbarte Aufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen des Brüsseler Pakts und der Nordatlantik-Organisation etwas völlig anderes ist als die bisher von der Regierung und den Regierungsparteien vertretene Europapolitik. ({0}) Bis zum Scheitern des EVG-Vertrages haben wir hier im Hause und in aller Öffentlichkeit bis zum Überdruß die These vertreten hören, daß es nur einen Weg zur europäischen Einheit gebe, näm({1}) lich den Weg der sogenannten Integration, wie der EVG-Vertrag ihn vorgesehen hatte. Alle Versuche der Sozialdemokratie, andere und nach unserer Auffassung bessere Wege und Methoden für die europäische Zusammenarbeit zur Diskussion zu stellen, wurden als illusionär und weltfremd abgelehnt. ({2}) Alle Zweifel der Sozialdemokratie an der Möglichkeit des Zustandekommens und an der Wirksamkeit der EVG-Lösung wurden als Ausdruck einer uneuropäischen Einstellung und als reine Verneinungspolitik beiseite geschoben. Heute stehen wir vor zwei Tatsachen. Erstens: Die sozialdemokratische Beurteilung der Aussichten für die Durchsetzung der Integrationspolitik hat sich als weit realistischer erwiesen als die Vorstellungen der Regierung und der Regierungsparteien. ({3}) Zweitens: Wenn heute der Herr Bundeskanzler die Londoner Vereinbarungen als die logische Fortsetzung seiner Integrationspolitik bezeichnet, so ist demgegenüber festzustellen, daß die Form der Zusammenarbeit, die in London beschlossen wurde, unter völligem Verzicht auf den supranationalen Integrationscharakter der EVG den sozialdemokratischen Vorstellungen näher kommt als der bisherigen Integrationspolitik der Mehrheit in diesem Hause. ({4}) Wir würden auf diese Feststellung keinen besonderen Wert legen, wenn die Integrationspolitik der EVG bis zum Scheitern des Vertrages nicht als eine Art von Weltanschauung hingestellt worden wäre ({5}) und wenn der Herr Bundeskanzler nicht am Dienstag den Versuch gemacht hätte, den klaren Bruch in der Konzeption seiner Europapolitik einfach zu leugnen. ({6}) Wesentlicher ist für uns die Feststellung, daß sich durch das Scheitern der EVG auch eine neue Situation für die Außenpolitik der Bundesrepublik ergeben hat. Die Grundfrage ist deshalb, ob die Bundesregierung mit den Beschlüssen auf der Bühler Höhe und mit ihrem Verhalten auf der Londoner Konferenz dieser neuen Situation gerecht geworden ist oder nicht. Wir Sozialdemokraten sehen den entscheidenden Mangel in der neuen Europapolitik der Regierung darin, daß sie nichts anderes darstellt als den Versuch, so schnell als möglich eine Ersatzlösung für die EVG, also für einen militärischen Beitrag der Bundesrepublik zu finden. Wir halten diese Taktik für falsch. Nach unserer Überzeugung gab das Scheitern der EVG-Politik der Bundesrepublik die Chance für einen neuen Start in ihrer Außenpolitik. Dieser neue Abschnitt in der Außenpolitik mußte nach unserer Meinung mit der Fragestellung beginnen, ob und wie wir der Lösung der vordringlichsten Aufgabe der deutschen Politik, nämlich der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit, näherkommen können. ({7}) Außerdem hätte die veränderte Situation eine gründliche Überprüfung der internationalen Lage unter dem Gesichtspunkt erfordert, ob heute die Voraussetzungen und die Notwendigkeiten, die 1950 die Bundesregierung zu ihrer jetzt gescheiterten Integrationspolitik veranlaßt haben, überhaupt noch bestehen oder in vollem Umfang bestehen. Bevor überhaupt eine Prüfung der Ergebnisse der Londoner Konferenz im einzelnen möglich ist, müssen diese beiden Fragen untersucht werden. Was die heutige internationale Lage betrifft, so kann nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, daß sie sich wesentlich von der unterscheidet, die bei Beginn des Korea-Konfliktes bestand. Die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes zwischen den beiden Hauptlagern in der Welt ist heute wesentlich geringer. Ich nehme an, daß diese Feststellung von niemandem in diesem Hause ernsthaft bestritten wird. Die bemerkenswerteste Feststellung in dieser Richtung aus der jüngsten Zeit stammt von dem jetzigen belgischen Außenminister Paul Henri Spaak, der in seiner Rede vor der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg am 18. September erklärte: Ich glaube nicht, selbst wenn wir morgen von den Amerikanern verlassen würden, daß die russischen Streitkräfte sich auf Europa stürzen und sich unserer Länder bemächtigen würden. ({8}) Diese Auffassung über eine Entspannung der internationalen Lage stützt sich ja tatsächlich auf eine Reihe von Ereignissen. Der Krieg in Korea ist zu Ende. Die Genfer Konferenz hat den Indochina Konflikt mit einem Kompromiß beendet. Die Sowjetunion hat nach der Berliner Konferenz ihre Vorschläge -für ein europäisches Sicherheitssystem revidiert, nachdem sie in der Berliner Fassung von vornherein für alle Beteiligten unannehmbar waren. Auch die heutige Fassung löst das Problem sicher nicht; aber die Veränderungen in den Vorschlägen lassen das Interesse der Sowjetunion an den Verhandlungen über ein europäisches Sicherheitssystem deutlich erkennen. In den letzten Tagen hat die Sowjetunion ferner durch ihren Vertreter in den Vereinten Nationen ihre bisherige Haltung gegenüber einer internationalen Rüstungskontrolle so wesentlich revidiert, daß sie nach der Meinung der amerikanischen und britischen Vertreter in den Vereinten Nationen erwägenswert ist. In diesem Zusammenhang sind auch die gestrigen Ausführungen des sowjetischen Außenministers Molotow in Karlshorst von Interesse. Kein Zweifel: auch hier ist die Andeutung einer wesentlichen Änderung der Sowjethaltung gegenüber der Haltung der Sowjetdelegation auf der Berliner Konferenz. Ich knüpfe an die Bemerkungen, soweit sie uns bekannt sind, in diesem Augenblick keinen einzigen Kommentar, weil ich glaube, daß eine ernsthafte Diskussion über den für uns so entscheidenden Fragenkomplex erst möglich ist, wenn die angekündigte Note der Sowjetunion an die drei Westmächte überreicht worden ist und wir den Wortlaut der Vorschläge in aller Ruhe und Gründlichkeit diskutieren können. Was ich aber hier feststellen möchte und was sicher von niemandem hier in diesem Hause bestritten werden kann, ist, daß auch diese neue Initiative in der Richtung der Politik der Sowjetunion liegt, den Versuch einer internationalen Entspannung fortzusetzen. Es kommt hinzu, daß auf der andern Seite die amerikanische Regierung in der letzten Zeit meh({9}) rege Schritte planmäßig unternommen hat, um die internationale Entspannung zu fördern und das Nebeneinanderleben der beiden großen Mächtegruppen zu erleichtern. Ich möchte hier nur an die Initiative des Präsidenten Eisenhower zur Schaffung einer internationalen Behörde für Atomenergie erinnern. Und, meine Damen und Herren, selbst bei vorsichtigster Bewertung aller dieser Entwicklungen ist der Schluß unbestreitbar, daß die Tendenzen zur Entspannung heute bei weitem die Gefahren eines gewaltsamen Zusammenstoßes zwischen den beiden großen Mächtegruppen überwiegen. Die erste Schlußfolgerung, die das deutsche Volk aus einer solchen Feststellung ziehen sollte, wäre ein eindeutiges, positives Bekenntnis zu dieser Politik der Entspannung. ({10}) Die Erhaltung und die Festigung des Friedens durch eine friedliche Austragung der Gegensätze und durch eine international kontrollierte Abrüstung ist das höchste Ziel, dessen Verwirklichung wir immer von neuem wünschen und anstreben müssen. ({11}) In dieser Lage, meine Damen und Herren, erscheint aber auch die Notwendigkeit eines militärischen Beitrages der Bundesrepublik zur Verteidigung der freien Welt in einem anderen Licht. Wir sind der Meinung, daß die Entscheidung über einen solchen deutschen Verteidigungsbeitrag vor allem unter dem Gesichtspunkt gefällt werden muß, ob er mit einer Politik der Wiedervereinigung Deutschlands vereinbar ist. Hier lag ja einer der wesentlichen Gründe für unsere Ablehnung der EVG. Aber abgesehen von dieser Einschränkung, die sich aus der besonderen Situation der Spaltung Deutschlands ergibt, kann nicht ernsthaft bestritten werden, daß heute ein deutscher Verteidigungsbeitrag nicht mehr von der gleichen Dringlichkeit ist, wie es vielleicht in der Vergangenheit angenommen werden konnte. ({12}) Jedenfalls gibt es kein Argument, das die Bundesrepublik veranlassen könnte, eine Chance für Verhandlungen über die Wiedervereinigung zugunsten einer schnellen Aufrüstung der Bundesrepublik auszulassen. ({13}) Das militärische Gewicht eines deutschen Verteidigungsbeitrages in dem Ausmaß, in dem er im EVG-Vertrag vorgesehen war und jetzt auch in den Londoner Vereinbarungen in Aussicht genommen worden ist - ich möchte nicht von den Zahlen ausgehen, die mit Augenzwinkern über die wirkliche Stärke einer künftigen deutschen Armee immer wieder verbreitet werden, ({14}) sondern ich unterstelle, daß hier im Hause niemand ist, der in dieser Beziehung nicht zu absoluter Loyalität gegenüber dem Text der Verträge bereit wäre -, ({15}) dieser Beitrag von 12 Divisionen ist für das Kräfteverhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion, die die beiden entscheidenden Mächte in der Welt repräsentieren, von keiner entscheidenden Bedeutung, zumal sie vor Ablauf von drei Jahren überhaupt nicht aktionsfähig sein könnten. ({16}) Die Konsequenzen der Entwicklung in der internationalen Politik gehen aber noch viel weiter. Die Frage der militärischen Kräfteverteilung wird heute bei weitem von der Frage überschattet, ob es möglich ist, in globaler Weise den Kalten Krieg zwischen Ost und West durch umfassende Vereinbarungen zu beenden. Denn eine aussichtsreiche Diskussion über die Aufgabe dieser oder jener Machtposition der einen oder anderen Seite wird sich erst dann positiv führen lassen, wenn es zu einer solchen globalen Verständigung zwischen den Hauptbeteiligten kommt. Die Frage eines deutschen militärischen Beitrages ist deshalb vom Standpunkt der internationalen Politik heute von nachgeordneter Bedeutung, - in größerem Maße als zu früheren Zeiten. Die Schlußfolgerung, die sich daraus für die Politik der Bundesrepublik ergibt, ist deshalb die Notwendigkeit, eine aktive Politik für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit mit Vorrang vor allen anderen Überlegungen über den militärischen Status der Bundesrepublik zu betreiben. ({17}) Eine friedliche und für alle Beteiligten in Ost und West und für das deutsche Volk akzeptierbare Lösung der deutschen Frage wäre zugleich ein entscheidender Beitrag zur Beendigung des Kalten Krieges in der Welt. Wir Sozialdemokraten sind deshalb aus allen diesen Gründen der Überzeugung, daß auf dem Verhandlungsprogramm der Bundesregierung für die Londoner Konferenz als erster Punkt die Frage einer neuen Initiative für Vier-Mächte-Verhandlungen über das Problem der deutschen Einheit und der Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems hätte stehen müssen. ({18}) Wenn die deutsche Regierung eine solche Forderung erhoben und durchgesetzt hätte, wäre in London die Möglichkeit gewesen, die Vorbereitung für eine derartige Konferenz gemeinsam zwischen den Vertretern der drei Westmächte und der Bundesrepublik zu treffen. Das ist nicht geschehen, und das bedauerlichste ist, daß die Bundesregierung nicht einmal den Versuch gemacht hat, die Tagesordnung der Londoner Konferenz in diesem Sinne zu gestalten. Wir sehen in diesem Fall nicht nur ein bedauerliches Versäumnis der Bundesregierung in einer bestimmten taktischen Situation. Die Folgen der Vermeidung der Behandlung dieses Themas können viel weitreichender sein; denn wir können nicht erwarten, meine Damen und Herren, daß die Westmächte über ihre erneuten feierlichen Erklärungen für die Wiedervereinigung Deutschlands hinaus in dieser Frage von sich aus aktiv werden, wenn nicht immer von neuem durch die Deutschen selbst in der Richtung einer aktiven Wiedervereinigungspolitik gedrängt wird. ({19}) Was uns veranlaßt, hier in diesem Punkte und schon an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt unsere große Besorgnis zu äußern, ist die Tatsache, daß wir in den Vereinbarungen von London, so({20}) weit sie sich mit dem zukünftigen Status der Bundesrepublik nach der Aufhebung des Besatzungsstatuts beschäftigen, sehr bemerkenswerte Formulierungen finden. Diese Formulierungen erwecken den Anschein, daß hier nicht nur ein System der freien inneren Selbstverwaltung des westdeutschen Teiles unseres Landes angestrebt wird, sondern daß sich auch die Tendenzen verstärken, die Bundesrepublik als ein abgeschlossenes staatliches Gebilde sowohl in völkerrechtlichem Sinne als auch im Verhältnis zum sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu etablieren. Wenn das richtig ist - und wir werden diese Frage sehr ernsthaft untersuchen, sobald wir die Texte der Verträge und Vereinbarungen im Wortlaut vorliegen haben -, dann müssen sich daraus sehr ernsthafte und weitgehende Konsequenzen im Verhältnis der Bundesrepublik zu dem Status eines wiedervereinigten Deutschlands ergeben. Und wir wären dem Herrn Bundeskanzler sehr dankbar für eine Erklärung, daß eine solche Entwicklung nicht den Vorstellungen der Bundesregierung entspricht. ({21}) In jedem Falle wird die sozialdemokratische Bundestagsfraktion jeden weiteren außenpolitischen Schritt der Bundesregierung und jede außenpolitische Verpflichtung, die sie eingeht, unter dem Gesichtspunkt prüfen, ob sie mit einer aktiven Wiedervereinigungspolitik der Bundesrepublik vereinbar ist oder nicht. Unser grundsätzlicher Einwand gegen die Londoner Konferenz ist daher, daß sie die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, auch unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung dieser Frage für eine ernsthafte Entspannung und Befriedung in Europa und in der Welt, nicht zum wesentlichen Bestandteil ihrer Verhandlungen gemacht hat und daß die Bundesregierung dadurch eine ihr durch wiederholte einstimmige Bundestagsbeschlüsse aufgetragene Verpflichtung nicht erfüllt hat. ({22}) Der Herr Bundeskanzler hat nun am Dienstag den Inhalt der Londoner Vereinbarungen bekanntgegeben und erläutert. Wir sind ja auch glücklicherweise noch eine Stunde vor Beginn der Plenarsitzung in den Besitz des deutschen Textes der Vereinbarung von London gekommen. Wir betrachten die heutige Debatte, soweit sie sich mit den Londoner Vereinbarungen im einzelnen beschäftigt, als Generaldiskussion, der eingehende Beratungen bei der Vorlage der noch auszuarbeitenden Verträge und Vereinbarungen folgen müssen. Wir erwarten dabei, daß in diesem Fall entgegen der Praxis bei der parlamentarischen Beratung des EVG-Vertrages und des Generalvertrages mehr Wert auf genügend Zeit für eingehende Beratung gelegt wird als auf die Schnelligkeit der Ratifizierung. ({23}) Ich glaube, es besteht kein Grund, daß wir auch dieses Mal darauf aus sind, in bezug auf Fixigkeit die Fleißnummer eins zu bekommen. ({24}) Zur allgemeinen Beurteilung der Londoner Vereinbarung möchte ich hier im Namen meiner Fraktion zunächst einige erste Feststellungen treffen. Ich habe die britische Initiative zur Einberufung der Londoner Konferenz auf meiner Pressekonferenz am 24. September ausdrücklich begrüßt. Es war selbstverständlich, daß nach dem Scheitern der Integrationspolitik ein neuer Versuch für die europäische Zusammenarbeit auf anderer Basis gemacht werden mußte, weil die Zusammenarbeit der europäischen Völker einfach eine Notwendigkeit ist. Der Herr Bundeskanzler hat mit sichtlicher Befriedigung festgestellt, daß durch die Londoner Vereinbarungen eine ernste Krise in Westeuropa überwunden worden sei. Er hat vergessen, hinzuzufügen, daß diese Krise vermeidbar gewesen wäre, wenn man bereits früher die Konsequenzen aus der offensichtlichen Unmöglichkeit der Durchführung der Integrationspolitik gezogen hätte. ({25}) Wie oft, meine Damen und Herren, haben wir hier in diesem Hause gehört, daß die Einigung Europas mit der Integrationspolitik der Bundesregierung stehe und falle und daß das Scheitern dieser Politik zu einer Katastrophe führen müsse! Mit welcher Leidenschaft hat man sich hier gewehrt auch nur gegen jede Diskussion über alternative Lösungen! Und diese Weigerung hat die Bundesregierung noch bis nach der Brüsseler Konferenz mit der Behauptung aufrechterhalten, es gebe keine Alternative zur EVG. ({26}) Als dann aber das Fiasko in dieser eingleisigen Politik offenkundig war, war es der Herr Staatssekretär Professor Hallstein, der sich unmittelbar vor Beginn der Londoner Konferenz in der „Welt" öffentlich rühmte, das Auswärtige Amt habe nicht weniger als elf verschiedene Alternativlösungen ausgearbeitet. ({27}) Meine Damen und Herren, es ist bezeichnend für das Verhältnis der Regierung zum Parlament, daß selbst die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses erst durch die Veröffentlichung des Herrn Staatssekretärs von dieser erstaunlichen Aktivität unseres Auswärtigen Amtes erfahren haben, ({28}) und es ist ja doch wohl auch kein Zweifel darüber, daß diese Methode in hohem Maße geeignet ist, das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit amtlicher Äußerungen beim Volke zu erschüttern. ({29}) Die Tatsache, daß es der Londoner Konferenz gelungen ist, in fünf Tagen eine andere Lösung als die EVG auszuarbeiten, ist jedenfalls eine Rechtfertigung der Auffassung der Sozialdemokratie von den Möglichkeiten alternativer Lösungen, ({30}) und soweit die Londoner Vereinbarungen eine europäische Zusammenarbeit weiter zu entfalten versuchen, sehen wir mindestens in zwei Punkten einen Fortschritt gegenüber der EVG-Lösung. Der erste und der wichtigste Punkt ist zweifellos die Entscheidung der britischen Regierung, weitgehende dauernde Verpflichtungen auf dem europäischen Kontinent zu übernehmen, weitergehende Verpflichtungen, als je eine britische Regierung, außer in Kriegszeiten, übernommen hat. Auch wir möchten der britischen Regierung für ihre Initiative in bezug auf die Einberufung der Konferenz und für ihren Beitrag in der Richtung der europäischen Zusammenarbeit unseren Dank aussprechen. ({31}) ({32}) Diese Entscheidung der britischen Regierung bedeutet in der Tat eine Hoffnung für alle, die eine möglichst umfassende europäische Zusammenarbeit wünschen. Wir sind weiter der Meinung, daß die Aufgabe des Prinzips der Integration als der allein möglichen Basis einer europäischen Einheit ein Fortschritt ist. Denn damit ist die Gefahr, die wir immer gefürchtet haben, daß sich das freie Europa noch einmal in sich spalten könnte, wesentlich gemindert. Was wir bedauern, meine Damen und Herren, ist die Tatsache, daß die Londoner Vereinbarungen, soweit sie sich auf die europäische Zusammenarbeit beziehen, nur die militärische Seite dieser Zusammenarbeit behandeln. ({33}) In dieser Beziehung wird leider .der Fehler der EVG-Konstruktion fortgesetzt, ({34}) die europäische Zusammenarbeit mit dem Schwergewicht auf militärischem Gebiet zu beginnen. Die Frage der Einheit Europas ist aber nicht nur und nicht in erster Linie die Frage seiner militärischen Organisation. ({35}) Meine Damen und Herren, hätten wir nur mit einem Teil der Energie, mit der hier für die deutsche Aufrüstung im europäischen Rahmen in den letzten Jahren gearbeitet worden ist, die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit der europäischen Völker gefördert, so hätten wir mehr für die Schaffung ({36}) einer wirklichen europäischen Gemeinschaft getan, als es heute der Fall ist. ({37}) Und um wieviel besser, meine Damen. und Herren, stünde es um das freie Europa, wenn es uns in den letzten Jahren auf dem Kontinent wenigstens gelungen wäre, das Maß von praktischer Zusammenarbeit zu verwirklichen, das z. B. die skandinavischen Länder mit dem Resultat erreicht haben, daß sie heute die volle Freizügigkeit ihrer Staatsbürger, den einheitlichen Arbeitsmarkt und die einheitliche Sozialordnung verwirklicht haben. ({38}) In der Zeit des Kalten Krieges würde eine solche Gemeinsamkeit der freien europäischen Völker die Position dieser Völker gegenüber den Gefahren der totalen Infiltration wesentlich verstärkt haben. ({39}) Nun, nachdem die Londoner Konferenz diesen Aufgabenkomplex völlig außer Betracht gelassen hat, erwarten wir eine Stärkung derjenigen europäischen Einrichtungen, die die Voraussetzungen für den Ausbau der europäischen Zusammenarbeit auf den anderen als den militärischen Gebieten schaffen können. ({40}) Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede die Fortschritte hervorgehoben, die auf der Londoner Konferenz in bezug auf die Gleichberechtigung und auf die Ausschaltung von Diskriminationen gegenüber den im EVG-Vertrag und im Generalvertrag vorgesehenen Regelungen erzielt worden sind. Wir freuen uns, daß das Scheitern des EVG-Vertrages die Londoner Konferenz mit solchen Erfolgen auf diesem Gebiete möglich gemacht hat; ({41}) denn sonst wäre j a die Bundesrepublik nach Ihrem Willen für 50 Jahre an die schlechteren Bedingungen des EVG-Vertrages und des Generalvertrages gebunden gewesen. ({42}) Die Feststellung dieser Fortschritte auf der Londoner Konferenz gegenüber der EVG-Lösung ist ja auch eine nachträgliche indirekte Anerkennung der Berechtigung der sozialdemokratischen Opposition gegen die Verträge von Paris und Bonn. ({43}) - Ich weiß, wie schwer Ihnen das fällt, aber, meine Damen und Herren, das hilft nichts. ({44}) Wir nehmen das zur Kenntnis. Darüber hinaus sind wir sicher darin einig, daß wir uns die gründliche Untersuchung der Vereinbarung und ihrer Konsequenzen vorbehalten. Wir haben eine Fülle von Fragen, die weder durch den Text der Vereinbarung noch durch die knappen Erläuterungen des Herrn Bundeskanzlers beantwortet sind. Die Position der Bundesrepublik nach der Aufhebung des Besatzungsstatuts scheint uns keineswegs so klargestellt, wie es der Herr Bundeskanzler hier behauptet hat. Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, daß die Notstandsklausel des Generalvertrages gefallen sei, befriedigt uns nicht. In den Vereinbarungen über das Verhältnis zwischen den Hohen Kommissaren auf ,der einen Seite und der Bundesregierung auf der andern Seite in der Zeit bis zur Aufhebung des Besatzungsstatuts ist ausdrücklich festgestellt, daß in dieser Zeit die Ausübung des Notstandsrechts in den Händen der drei westlichen Besatzungsmächte bleibt, ({45}) und zweitens soll der Verzicht auf das Notstandsrecht erst in Kraft treten, wenn die Bundesrepublik die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dieses Recht selbst auszuüben. ({46}) Herr Bundeskanzler, bedeutet das, daß die Bundesregierung die Absicht hat, nach dem Muster der Ausnahmezustandsbestimmungen der Weimarer Verfassung die Schaffung eines neuen Art. 48 im Grundgesetz vorzubereiten? Wir möchten darauf eine klare und eindeutige Antwort haben. ({47}) Soweit die militärischen Vereinbarungen in Frage kommen, wird z. B. auch zu untersuchen sein, in welcher Weise die doppelte Kontrolle, die durch das Rüstungskontrollamt des Brüsseler Vertrages und durch NATO ausgeübt werden soll, praktisch funktioniert. Wir sind in Übereinstimmung mit unserer allgemeinen Politik für die internationale Abrüstung. Wir sind dagegen, daß das Ruhrgebiet wieder zur Waffenschmiede wird, und wir bedauern und beklagen, daß heute schon gewisse Kreise in Deutschland die Frage eines militärischen Beitrags der Bun({48}) desrepublik in erster Linie unter dem Gesichtspunkt sehen, welchen Anteil sie an den Gewinnen einer neuen Rüstungskonjunktur in Deutschland ergattern können. ({49}) Wir wünschen im Zusammenhang mit der Frage der Kontrolle, daß die Arbeitsplätze der deutschen Arbeiter im Rahmen einer Friedensproduktion uneingeschränkt erhalten bleiben und nicht einem neuen verstärkten Sog nach dem Westen zum Opfer fallen. ({50}) Das ist nicht nur eine sozialpolitische Frage, das ist eine nationalpolitische Frage allererster Ordnung. ({51}) Wir werden im Laufe der weiteren Beratungen die Bundesregierung um konkrete Aufklärung darüber bitten, ob bei der Aufstellung von deutschen Divisionen tatsächlich ein höheres Maß von Sicherheit für die Bundesrepublik erreicht wird. Denn es wäre unverantwortlich, dem deutschen Volk und vor allem der deutschen Jugend das schwere persönliche und materielle Opfer einer Aufrüstung zuzumuten, wenn der Effekt für die Erhöhung der Sicherheit der Bundesrepublik gleich Null bliebe. ({52}) Die Bundesregierung wird bei der Einzelberatung auch darüber Auskunft geben müssen, mit welchen finanziellen Belastungen die Durchführung der Londoner Vereinbarungen für das 'deutsche Volk in der Bundesrepublik verbunden sein wird. Der Aufwand von 40 Milliarden DM als Grundlage für die Durchführung 'der Aufrüstung ist von keiner Seite ernsthaft bestritten worden. Unsere Auffassung ist, daß ein solcher Betrag von 40 Milliarden DM angesichts der weitgehenden unerfüllten sozialen Verpflichtungen gegenüber Millionen von Menschen unverantwortlich ist. ({53}) Im Kalten Krieg ist eine umfassende Politik der sozialen Sicherheit von größerer Bedeutung für die Stärkung der freien Welt als die Aufstellung von neuen Divisionen. ({54}) Ich möchte schließlich an den Herrn Bundeskanzler die Frage richten, was von deutscher Seite noch geschehen muß, um die Vereinbarungen von London vor allem in Frankreich in Kraft zu setzen. Herr Mendès-France hat nach seiner Rückkehr aus London in Paris erklärt, daß er die Vorschläge von London nur gemeinsam mit einer Grundsatzeinigung über die Saarfrage dem französischen Parlament vorlegen wird, und er hat gestern abend im Auswärtigen Ausschuß des französischen Parlaments angekündigt, daß er am 20. Oktober über die Saarfrage mit dem Herrn Bundeskanzler verhandeln möchte. Der Herr Bundeskanzler hat diese Frage in seiner Regierungserklärung merkwürdigerweise mit keinem Wort erwähnt. Ist es richtig, Herr Bundeskanzler, daß solche Verhandlungen zwischen der französischen Regierung und Ihnen im Sinne der Mitteilung von Herrn Mendès-France bevorstehen, und welche Haltung, Herr Bundeskanzler, werden Sie bei diesen Verhandlungen einnehmen? ({55}) Es ist wiederum die Rede von einer sogenannten Europäisierung der Saar unter der Kontrolle der Montan-Union. Die Sozialdemokratische Partei ist der Meinung, daß im Interesse der freundschaftlichen Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Volk auch eine Lösung der Saarfrage gefunden werden muß. ({56}) Sie kann aber nicht den Verzicht auf das Saargebiet als einen Teil deutschen Staatsgebietes umfassen, und sie muß in jedem Falle die Bevölkerung des Saargebiets unverzüglich in den Genuß aller demokratischen Grundrechte und Freiheiten bringen. ({57}) Wir erwarten vom Herrn Bundeskanzler, daß er seine Vorstellungen von der Verhandlungsführung in dieser Frage im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages darlegt, und wir Sozialdemokraten sind bereit, im Rahmen der obengenannten Grundsätze an einer positiven Lösung dieses Problems mitzuarbeiten. Meine Damen und Herren, das entscheidende Problem, das für uns im Zusammenhang mit den Londoner Vereinbarungen aufgeworfen worden ist, ist die Frage, wie die Londoner Vereinbarungen in Beziehung gesetzt werden sollen zu einer aktiven Politik für die Wiedervereinigung Deutschlands. Der Herr Bundeskanzler hat in den letzten Wochen wiederholt zu der Frage der Wiedervereinigung und der Eingliederung der Bundesrepublik in ein westliches Verteidigungssystem in einem Sinne Stellung genommen, der uns zu den ernstesten Befürchtungen Anlaß gibt. Ich muß in diesem Zusammenhang zurückkommen auf das Interview des Herrn Bundeskanzlers in der Londoner „Times" vom 4. September. Dort sagte der Bundeskanzler im Zusammenhang mit den Verhandlungen der Brüsseler Konferenz: Ich gab mir Mühe, keine unnötigen Meinungsverschiedenheiten zwischen Mendès-France und mir aufkommen zu lassen, aber ich erhob natürlich die stärkste Einwendung, als er forderte, daß jeder Teilnehmer an dem Vertrag das Recht haben sollte, die Mitgliedschaft in der Verteidigungsgemeinschaft im Falle einer Wiedervereingung Deutschlands zu kündigen. Nach meiner Auffassung - nach der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers -und nach der Auffassung anderer auch war dies eine Einladung an Rußland, die Wiedervereinigung Deutschlands durch jedes Mittel zu versuchen und so die EVG zu Ende zu bringen. ({58}) Meine Damen und Herren, das ist eine wörtliche Äußerung des Herrn Bundeskanzlers. Was er hier über das Verhältnis zwischen EVG und Wiedervereinigung sagt, ist das strikte Gegenteil der politischen Linie, die die Wiedervereinigung Deutschlands als die vordringlichste Aufgabe der deutschen Politik betrachtet. ({59}) Ein solcher Standpunkt macht die Wiedervereinigung schon durch das Verhalten der Bundesregierung unmöglich. ({60}) ({61}) Da diese Frage an keinem Punkt des konkreten Inhalts der Londoner Vereinbarungen behandelt ist, muß dieser wesentliche Gesichtspunkt hier mit aller Klarheit und Entschiedenheit noch einmal herausgestellt werden. Es kommt nicht nur darauf an, daß die Bundesrepublik keine Verpflichtungen für eine zukünftige frei gewählte gesamtdeutsche Regierung übernehmen kann, nein, die Bundesrepublik muß auch aus eigenem Willen bereit sein, jede vertragliche Vereinbarung zu lösen, wenn sie die Wiedervereinigung hindert. ({62}) Und über die feierlichen Erklärungen der westlichen Außenminister auf der Berliner Konferenz hinaus -die ja der Herr Bundeskanzler durch seine in dem „Times"-Interview kundgetane Auffassung auch beiseite geschoben hat -, daß eine frei gewählte gesamtdeutsche Regierung an vertragliche Verpflichtungen der Bundesrepublik nicht gebunden sein werde, muß sich die Bundesrepublik auch selbst die Freiheit der Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung durch die Aufnahme einer Kündbarkeitsklausel für den Fall ernsthafter Möglichkeiten für eine Wiedervereinigung sichern, einer Kündbarkeitsklausel in allen internationalen Verträgen und Vereinbarungen, die die Bundesrepublik abschließt. ({63}) Es kommt darauf an, auf diese Weise das Initiativrecht der Bundesregierung in der Frage der Verhandlungen über die Wiedervereinigung zu sichern. Hier stehen wir nach unserer Auffassung an dem entscheidenden Punkt. Vereinbarungen wie die von London, die die Wiedervereinigung als prinzipielles Ziel erklären, aber nicht zum Gegenstand der Vertragsgestaltung und der praktischen Politik machen, sind für das deutsche Volk in dieser Situation nicht akzeptabel. ({64}) Heute bedeutet die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen der NATO und die ausschließliche Konzentration der Außenpolitik der Bundesrepublik auf ihre Eingliederung in das westliche Verteidigungssystem den Verzicht auf eine aktive Politik für die Wiedervereinigung Deutschlands. ({65}) Die Sozialdemokratische Partei muß eine solche Lösung ablehnen. ({66}) Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß die Bundesrepublik keine neuen Verpflichtungen im Zusammenhang mit ,dem westlichen Verteidigungssystem und an Stelle der EVG übernehmen sollte, ehe nicht ein neuer ernsthafter Versuch gemacht worden ist, durch Verhandlungen mit der Sowjetunion zu klären, ob es möglich ist, die Frage der deutschen Wiedervereinigung auf der Basis von freien Wahlen in allen vier Zonen und in Berlin und der Eingliederung des geeinten Deutschlands in ein System der kollektiven Sicherheit zu lösen. Wir haben bereits früher an dieser Stelle eine Reihe von konkreten Vorschlägen in dieser Richtung gemacht. Wir haben damals auch auf die Möglichkeiten hingewiesen, die sich durch den Aufbau eines solchen Sicherheitssystems im Rahmen der Vereinten Nationen bieten. Ich erinnere mich noch sehr deutlich an die sehr unfreundlichen Belehrungen über den angeblich fragwürdigen Wert der Vereinten Nationen für die Sicherheit, die wir damals von dieser Stelle entgegennehmen mußten. ({67}) In diesem Punkte dürfte heute vielleicht eine sachlichere Diskussion möglich sein, nachdem der Herr Bundeskanzler mit solchem Nachdruck und mit einer so starken positiven Betonung auf die Londoner Vereinbarungen hingewiesen hat, die die Anerkennung der Satzungen und der Grundsätze der Vereinten Nationen zum Gegenstand haben. ({68}) Wir sind der Auffassung, daß die Schaffung eines solchen europäischen Sicherheitssystems im Rahmen der Vereinten Nationen möglich ist. Selbstverständlich wird ein wesentlicher Punkt der Verhandlungen über die deutsche Wiedervereinigung und die Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems die Frage des zukünftigen Status des wiedervereinigten Deutschlands sein. Wir sind der Auffassung, daß eine Lösung gefunden werden kann, die eine gesamtdeutsche frei gewählte Regierung akzeptiert und die weder von den östlichen noch von den westlichen Partnern eines wiedervereinigten Deutschlands als eine gegen sie gerichtete Bedrohung empfunden wird. ({69}) Der Beitrag, den das wiedervereinigte Deutschland in einem solchen Sicherheitssystem zu leisten hat, muß zwischen den beteiligten Mächten und der gesamtdeutschen Regierung vereinbart werden. Es gibt dafür, wie die Erfahrung zeigt, viele praktische Möglichkeiten. Allerdings würde eine solche Regelung die einseitige Bindung Gesamtdeutschlands an eine Militärallianz mit der einen oder anderen Seite ausschließen. ({70}) Wir sind überzeugt, daß die Frage neuer internationaler Konferenzen auch über das deutsche Problem und die europäische Sicherheit unter .Beteiligung der Sowjetunion auf der Tagesordnung bleibt, daß diese neuen Konferenzen kommen werden und daß wir deshalb die hier gegebene Chance für eine friedliche und freiheitliche Lösung des deutschen Problems nicht jetzt durch die in den Londoner Vereinbarungen vorgesehene militärische Aufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen des Brüsseler Paktes und der NATO belasten dürfen. Meine Damen und Herren, niemand kann den Erfolg solcher neuen Verhandlungen über das deutsche Problem und über eine europäische Entspannung voraussagen. Aber niemand, vor allem im deutschen Volke, kann es auch verantworten, auf einen solchen Versuch zu verzichten, ehe wir uns für lange Zeit unwiderruflich an eine Politik binden, die auf der Annahme basiert, daß die Spaltung der Welt in zwei Blöcke und damit auch die Spaltung Deutschlands für lange Zeit eine unabänderliche Tatsache sind. ({71}) Das ist eine sehr ernste Situation. Ich möchte deshalb auch ausdrücklich hinzufügen: Sollte ein solcher neuer, ernsthafter Versuch scheitern, sollte es nicht gelingen, die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und die Schafung eines europäischen Sicherheitssystems positiv zu lösen, ({72}) dann stehen wir Sozialdemokraten in vollem Umfang zu den Erklärungen, die wir auf unserem Berliner Parteitag über die Bereitschaft der Sozialdemokratie zu einer Mitwirkung an einer gemeinsamen Verteidigung der freien Welt beschlossen haben. ({73}) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß vor der Ratifizierung der Londoner Vereinbarungen von der Bundesrepublik eine neue ernsthafte Anstrengung gemacht werden muß, um die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit auf dem Wege von Verhandlungen zu fördern. Wir stellen daher folgenden Antrag: Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 1. in Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten die Grundlagen einer gemeinsamen Politik zu klären, die in kommenden Vier-Mächte-Verhandlungen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeiführen soll; daher ({74}) 2. zu den in der Londoner Akte vorgesehenen speziellen Verhandlungskommissionen die Bildung einer weiteren Kommission zu betreiben, deren Aufgabe es sein soll, für das in Nr. 4 der Erklärungen der drei Westmächte in Abschnitt V der Akte aufgestellte Ziel gemeinsame Richtlinien festzustellen und eine einheitliche Politik zu ermöglichen; dabei 3. bei den westlichen Besatzungsmächten darauf hinzuwirken, daß mit der sowjetischen Besatzungsmacht so bald wie möglich Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und die Eingliederung Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen aufgenommen werden; weiter 4. in den Abkommen, die in Ausführung der Schlußakte der Londoner Konferenz vorgesehen sind, nur solche Verpflichtungen und Bindungen der Bundesrepublik einzugehen, die ihrer Grundaufgabe gerecht werden, ihre vordringlichste politische Verpflichtung zu erfüllen: die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit mit friedlichen Mitteln herbeizuführen. ({75})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.

Dr. Heinrich Brentano (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern von diesem Platze aus dem Deutschen Bundestag einen ersten zusammenfassenden Bericht über das Ergebnis der Londoner Neun-Mächte-Konferenz unterbreitet. Gleichzeitig wurde die Londoner Akte im Wortlaut veröffentlicht. In dieser Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler auf die Ereignisse hingewiesen, die zur Einberufung der Neun-Mächte-Konferenz geführt haben. Es scheint mir gut und notwendig zu sein, diese Darstellung in der heutigen Debatte noch um weniges zu ergänzen. Der letzte und unmittelbare Anlaß zur Einberufung der Konferenz war die Entscheidung des französischen Parlaments vom 30. August, das mit Mehrheit die Ratifizierung der Verträge von Bonn und Paris abgelehnt hat. Es ist nicht die Aufgabe des deutschen Parlaments, zu dieser Entscheidung kritisch Stellung zu nehmen; denn ein jedes Parlament ist in seinen Entscheidungen frei, und wir haben sie als politische Realitäten zu respektieren. Sicherlich ist es uns aber nicht verwehrt, von der Enttäuschung zu sprechen, die der Parlamentsbeschluß von Paris bei all jenen auslösen mußte, die die Initiative der französischen Regierung und des französischen Parlaments seinerzeit bereitwillig aufgenommen hatten. Die Diskussion über die Verträge begann ursprünglich mit dem Entschließungsantrag des heutigen Premierministers Sir Winston Churchill vom 11. August 1950 in der Beratenden Versammlung des Europarats. Dieser Entschließungsantrag wurde von dem französischen Ministerpräsidenten Pleven aufgenommen, der am 24. Oktober 1950 seinen Gedanken über die Schaffung einer europäischen Armee vortrug, einen Gedanken, der von der französischen Nationalversammlung seinerzeit mit überwältigender Mehrheit gutgeheißen wurde. Die Verhandlungen führten dann zur Unterzeichnung der Verträge, und sie führten zu den Ratifizierungsverhandlungen. Sie wissen, daß Belgien, Luxemburg, Holland und die Bundesrepublik die Verträge mit Mehrheiten bis zu vier Fünfteln der Stimmen ratifiziert haben und Italien die Ratifizierung beabsichtigte. Meine Damen und Herren, man wird vielleicht fragen, warum ich auf diese Dinge eingehe. Aber das scheint mir nötig - auch jetzt nach der Darstellung des Herrn Kollegen Ollenhauer -, um der objektiv unrichtigen Behauptung entgegenzutreten, mit der Entscheidung von Paris habe sich die deutsche Außenpolitik als unrichtig erwiesen und sei gescheitert. ({0}) Richtig daran ist nur, daß die Ratifizierung der beiden Verträge durch einen Vertragspartner abgelehnt wurde. ({1}) - Bei Sechsen ist immer einer entscheidend, weil die Ratifizierung von der Zustimmung aller abhängt. Das ist eine Binsenweisheit, die ich bereits vor Ihnen wußte. Ich glaube aber nicht, daß die Feststellung genügt, die Außenpolitik sei gescheitert, um nun die politische Zielsetzung als unrichtig zu bezeichnen. Denn wer das tut, müßte doch der Vollständigkeit halber hinzufügen, daß dann auch die Außenpolitik Belgiens, Hollands, Luxemburgs, Italiens, der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs falsch gewesen sei. Meine Damen und Herren, wenn Sie das behaupten, meine ich doch, daß wir uns in einer guten Gesellschaft befinden. ({2}) Ich bedauere, auch feststellen zu müssen, daß diese Behauptung, die deutsche Außenpolitik sei gescheitert, mit dieser Lautstärke und mit dieser ({3}) Befriedigung eigentlich nur noch in den Oststaaten aufgestellt worden ist. ({4}) Es scheint mir darum auch notwendig und richtig, heute von dieser Stelle aus zu erklären, daß auch die ablehnende Entscheidung der französischen Kammer uns nicht veranlassen kann, unsere Zielsetzung zu überprüfen, wohl aber veranlassen muß, andere Wege zu suchen, auf denen das gemeinsame Ziel verwirklicht werden kann. ({5}) Ich sage - auf die Gefahr hin, Widerspruch bei Ihnen zu hören, meine Damen und Herren von der Opposition -: das gemeinsame Ziel, und ich nehme hierfür Bezug auf das gemeinsame Schlußkommuniqué, das die Regierungen der sechs Länder bei Abschluß der Brüsseler Konferenz am 22. August veröffentlicht haben. Ich kann ebenso Bezug nehmen auf den Vorspruch und den Inhalt der Londoner Akte, wie sie am 3. Oktober unterzeichnet wurde. Ich habe es darum auch begrüßt, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung eindringlich betont hat, daß die Bundesregierung bereit und entschlossen sei, auch in Zukunft die Grundlinien der bisherigen Außenpolitik zu vertreten. Die Bundesregierung befindet sich dabei in Übereinstimmung mit der erdrückenden Mehrheit des Deutschen Bundestages, dessen Entschließung vom 26. Juli 1950, die auch Ihre Zustimmung gefunden hatte, meine Damen und Herren von der Opposition, heute noch volle Gültigkeit besitzt. ({6}) Ich drücke darum auch den Wunsch aus, die Bundesregierung möge in Zukunft nichts unversucht lassen, um die Politik der echten europäischen Integration auf allen dazu geeigneten Gebieten und mit jedem dazu bereiten Partner und in jeglicher sich hierfür anbietenden Form weiterzuführen. ({7}) Um einen Irrtum richtigzustellen, der aus den Worten unseres Kollegen Ollenhauer klang, möchte ich hier folgendes sagen: Es ist mir nicht erinnerlich, daß irgendwann einmal von, dieser Stelle von der Regierung oder von der Mehrheit des Hauses gesagt worden sei, die Integrationsnolitik, wie sie in dem Vertrag über die Montan-Union, in dem Vertrag über die Verteidigungsgemeinschaft und in dem geplanten Vertrag über die Europäische Politische Gemeinschaft ihren Niederschlag fand, sei der einzig mögliche Weg der europäischen Koordination. ({8}) - Meine Damen und Herren. es ist gesagt worden - und das wiederhole ich auch heute -: es ist der beste Weg; ({9}) und wir bedauern, daß wir heute gezwungen sind, einen anderen zu gehen., ({10}) Wenn die Bundesregierung an dieser Politik festhält, dann folgt sie damit nicht nur dem Auftrag des Bundestags, nein, sie erfüllt auch die verfassungsmäßige Pflicht, wie sie sich aus der Präambel und aus dem Art. 24 des Grundgesetzes ergibt, die für den Bundestag und für die Bundesregierung verpflichtend sind. Ich wiederhole darum auch die Erklärung der Bereitschaft, im Zuge der kommenden politischen Entwicklung ungeachtet der in einem Zwischenstadium geschaffenen Formen der politischen Kooperation auf Souveränitätsrechte zu verzichten und sie in eine echte europäische Gemeinschaft zum gleichen Zeitpunkt und im gleichen Umfang einzubringen, wie sich die andern an diesen Entscheidungen beteiligen werden. Meine Damen und Herren, ich habe hier zu meiner Überraschung gehört, daß der Herr Kollege Ollenhauer die mangelnde Initiative zu einer europäischen Verständigung beklagt und auf das Beispiel der skandinavischen Staaten verwiesen hat. Er hat gefragt: Warum haben wir nicht Gleiches getan, warum haben wir nicht versucht, wenigstens in der Form dieses skandinavischen Staatenbündnisses die Frage der Freizügigkeit und ähnliche zu lösen? Meine Damen und Herren, ist es zu begreifen, daß dies von dem Vertreter der Partei gesagt wird, die sogar dem Eintritt in den Europarat nicht zugestimmt hat?! ({11}) Ich weiß nicht, wie und wo wir diese Verhandlungen nach dem Wunsche des Herrn Kollegen Ollenhauer hätten führen sollen, wenn wir in der selbstgewählten Isolierung geblieben wären, die bis zur Stunde seinen Vorschlägen entspricht. ({12}) Die Entscheidung des französischen Parlaments, von der ich sprach, hat zunächst die Verwirklichung einer konkreten Form der politischen Zusammenarbeit, wie sie im Pariser Vertrag vorgesehen war, verhindert. Man kann aber diese Tatsache sicherlich nicht isoliert sehen. Die politischen und psychologischen Reaktionen, die sie überall in der Welt auslösen mußte, waren - und ich unterstreiche hier ganz besonders die Darlegungen in der Regierungserklärung - geeignet, Europa und die freie Welt in ihrer Existenz zu gefährden. Im deutschen Volk mußte der Ausschlag besonders heftig sein. Das ergibt sich aus der besonderen geographischen und politischen Lage unseres Vaterlandes, das vielleicht mehr als jedes andere Volk ein vitales Interesse daran hat, in ein echtes Sicherheitssystem eingebaut zu sein. Die besondere Lage Deutschlands im Zentrum eines politischen Spannungsfeldes läßt diesen Wunsch begreiflich erscheinen. Man konnte Reaktionen spüren, und es scheint mir gut, darüber zu sprechen. Auf der einen Seite hörte man Stimmen, die wir nicht gerne vernehmen: man spürte, daß einzelne schon wieder den Blick in die Vergangenheit wendeten und glaubten, daß das Heil Deutschlands in der Pflege eines neuen Nationalismus liegen könnte. Andere flüchteten in den Neutralismus und meinten, daß nach der Absage, die aus dem Westen gekommen sei, der Versuch unternommen werden müßte, das Gesicht nun nach dem Osten zu kehren. In beiden Fällen - ich glaube, das sagen zu können - waren das nicht einmal immer die schlechtesten, die etwa solches ausdrückten. Es waren oft die dumpfe Angst vor ({13}) einer Isolierung und zuweilen auch die Flucht in eine gefährliche Resignation, die sich in solchen Äußerungen kundtaten. Aber nicht nur in Deutschland und nicht nur in Europa wurden solche Reaktionen erkennbar. Auch in anderen Ländern, nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten, mußte diese Entwicklung enttäuschen, weil sie diejenigen zu rechtfertigen schien, die schon seit einiger Zeit den Standpunkt vertreten, daß die europäischen Völker nicht mehr die Kraft zur Selbstbehauptung und zur Selbsterhaltung aufbringen. Wir alle wissen es - und wir müssen es darum auch aussprechen -, daß eine Entscheidung, durch die die Vereinigten Staaten sich von Europa zurückzögen, eine politische Katastrophe ohnegleichen einleiten würde. Ich glaube, hierüber besteht auch in diesem Hause keine Meinungsverschiedenheit. Ich erinnere an die sehr eindringlichen und überzeugenden Ausführungen des belgischen Außenministers Paul Henri Spaak in der Beratenden Versammlung des Europarats, der mit tiefem Ernst vor einer solchen Entwicklung gewarnt hat. Der Herr Kollege Ollenhauer hat Herrn Spaak zitiert. Ich ergänze gern das Zitat, weil ich den Eindruck habe, daß Herr Kollege Ollenhauer die wesentliche Stelle, die er zitieren wollte, überlesen hat. ({14}) Herr Spaak hat zwar gesagt, er habe nicht den Eindruck, daß nun morgen oder übermorgen ein Angriffskrieg von Rußland drohe. Das hat er in der Auseinandersetzung mit denen gesagt - er hat sie angesprochen -, die etwa die Meinung vertreten: Rußland hat ja bis heute gewartet, und deswegen brauchen wir gar nichts zu tun; es wird immer warten, solange es uns paßt. Herr Spaak hat aber wörtlich hinzugefügt: „Ich begreife nicht, daß es politisch verantwortliche Menschen gibt, die jetzt und in dieser Stunde Verhandlungen mit der Sowjetunion aufnehmen wollen." ({15}) Das ist ein Wortzitat, das Ihnen vielleicht weniger sympathisch ist; aber der Wahrheit die Ehre! ({16}) Meine Damen und Herren, wir sollten uns aber auch gerade im Verhältnis zu den anderen Staaten und nicht zuletzt zu den Vereinigten Staaten von der primitiven Vorstellung frei machen, als könnten wir uns jede Untätigkeit und jede Torheit erlauben und in die Resignation des Nichtstuns versinken in der angenehmen Hoffnung, daß die Vereinigten Staaten uns den Glauben an unsere Zukunft abnehmen und daß sie an unserer Stelle handeln, wenn wir untätig bleiben. ({17}) Man hat hier auch schon einmal davon gesprochen, daß man den Siegern den Mühlstein der Verantwortung um den Hals legen wollte. Meine Damen und Herren, der Mühlstein der Verantwortung liegt um unseren Hals! ({18}) Dieser gefährlichen Ungewißheit und Unsicherheit hat die Londoner Konferenz ein Ende bereitet. Es erscheint auch mir zu früh - darin stimme ich Herrn Kollegen Ollenhauer zu -, heute schon das Ergebnis der Londoner Konferenz in allen Einzelheiten zu diskutieren und abschließend dazu Stellung zu nehmen. Es liegt ein vollständiger und zusammenfassender Entwurf vor, aber wir wissen, daß in den nächsten Tagen noch die Beauftragten der beteiligten Regierungen damit beschäftigt sein werden, den Text zu ergänzen und entsprechend den ihnen erteilten politischen Richtlinien zusätzliche oder erläuternde Vereinbarungen auszuarbeiten. Es kann sich daher heute nur darum handeln, zu dem Vertragswerk, wie es zur Stunde vorliegt, erstmals Stellung zu nehmen und durch Frage und vielleicht Kritik seine Ergänzung zu fördern. Aus den Äußerungen des Herrn Kollegen Ollenhauer klang eine Enttäuschung darüber, daß die Bundesregierung aus London doch nicht alles mitgebracht habe, was er und seine Freunde erwarteten. Aber wenn ich das Ganze höre, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat, dann habe ich den Eindruck, daß er offenbar doch zuviel verlangt. Er erwartet, so scheint es mir, daß Rußland der Wiedervereinigung zustimmt. Er erwartet, daß Frankreich auf seine beanspruchten, angemaßten Rechte an der Saar verzichtet. Er erwartet, daß die Vereinigten Staaten weiterhin die finanzielle Hilfe leisten und daß im übrigen die freie Welt uns verteidigt. Meine Damen und Herren, das alles erwarten wir auch. Aber ich glaube, wir können es nicht ernstlich erwarten, wenn wir nicht bereit sind, daran mitzuwirken. ({19}) Ich habe schon eingangs gesagt, daß die Genugtuung über den erfolgreichen Abschluß der Londoner Konferenz durch die Erkenntnis beeinträchtigt wird, daß wir zumindest vorläufig auf eine echte europäische Integrationspolitik verzichten müssen, soweit sie nicht bereits Formen wie in der Montan-Union angenommen hat. Ich möchte hier betonen, daß der Pflege und dem Ausbau dieser ersten überstaatlichen Institution in Zukunft unser ganz besonderes Bemühen gelten soll. ({20}) Das, was uns heute vorgelegt wird, ist etwas anderes als das, was am Nein der französischen Kammer gescheitert ist. Darin stimme ich dem Herrn Kollegen Ollenhauer zu. Diese Tatsache zwingt uns, das Vertragswerk sorgfältig auf Inhalt und Wirkung zu prüfen. Der erste Teil beschäftigt sich mit der völkerrechtlichen Stellung der Bundesrepublik. Schon mit dem Deutschland-Vertrag sollte der Zweck erreicht werden, das Besatzungsrecht abzulösen. Die Regierungserklärung vom 1. September 1954 spricht darum auch in knapper Weise von dem Wunsche nach der Wiederherstellung der Souveränität. Ich begrüße es, daß dieser Teil des Vertrags den Wunsch erfüllt, und begrüße ganz besonders die folgende Formulierung: In der Überzeugung, daß Deutschland nicht länger der Rechte beraubt bleiben darf, wie sie einem freien und demokratischen Volk von Rechts wegen zustehen, und in dem Wunsche, die Bundesrepublik Deutschland als gleichberechtigten Partner mit den Bemühungen der übrigen Vertragschließenden um Frieden und Sicherheit zu assoziieren, . . . Ich begrüße diese Fassung, weil darin das so häufig mißbrauchte Wort von der Souveränität nicht zu finden ist, wohl aber in einer überzeugenden und eindeutigen Weise der deutschen Bundesrepublik als gleichberechtigtem Partner die Rechte eines freien Volkes zuerkannt werden. Dies scheint mir ({21}) eine glückliche und gute Definition des völkerrechtlichen Status zu sein, wie er schlechthin zwischen freien Völkern bestehen sollte, die nicht mehr an den absoluten Wert des Souveränitätsbegriffs glauben. Auch der einzelne Mensch vermag sich in eine gemeinsame Ordnung nur einzufügen, wenn er auf die angebliche Souveränität des Individuums verzichtet und für sich nicht mehr, aber selbstverständlich auch nicht weniger an Rechten beansprucht, als er den Mitmenschen und der Gemeinschaft einzuräumen bereit ist. Eine sittlich gefestigte Ordnung kann nur auf dieser gegenseitigen Achtung des Rechts und der Gleichberechtigung beruhen. Wenn man vergessen haben sollte, daß auch das Zusammenleben der Völker von sittlichen Normen bestimmt sein muß, dann wäre es wohl an der Zeit, sich darauf wieder zu besinnen und nach dieser Erkenntnis zu handeln. ({22}) Es scheint mir darüber hinaus ein Fortschritt zu sein, daß sowohl die Notstandsklausel wie der häufig diskutierte Art. 7 Abs. 3 des Deutschland-Vertrages nicht wiederkehren. Der Herr Kollege Ollenhauer konnte nicht umhin, die Befriedigung auszudrücken, daß die Notstandsklausel nicht mehr enthalten ist. Aber was müssen sich für böse Gedanken in seinem Gehirn bewegen, wenn er sogleich der Bundesregierung unterstellt, sie wolle den fehlenden Notstandsparagraphen durch eine noch schlimmere Bestimmung ersetzen. ({23}) Heben Sie doch Ihre Sorgen für den richtigen Zeitpunkt auf und belasten Sie sich nicht schon mit Sorgen um die Zukunft. ({24}) - Doch, wenn es so weit ist! ({25}) - Meine Damen und Herren, nicht, wenn es dem Kanzler paßt, sondern wenn es dem Deutschen Bundestag paßt; ({26}) das ist nun einmal das verfassungsmäßige Organ für die Gesetzgebung, ob Sie es wollen oder nicht. ({27}) Auch in dieser Formulierung über die Wiederherstellung der Gleichberechtigung kommt zum Ausdruck, daß seit Abschluß des Deutschland-Vertrages die Dinge sich gewandelt haben, ebenso aber auch, daß das Vertrauen zum deutschen Volk als einem verlässigen und glaubwürdigen Partner sich in einer wirklich erfreulichen Weise gesteigert hat. Und auch das scheint mir, wenn ich mir diese Einschiebung gestatten darf, gerade kein überzeugender Beweis dafür, daß die bisherige Außenpolitik Deutschlands unrichtig gewesen sei. Der Hinweis auf Art. 7 des Deutschland-Vertrages führt zwangsläufig zur Behandlung des Problems der Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes. Sämtliche vertragschließenden Mächte haben im Londoner Abkommen feierlich erklärt, daß die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik bleibt. ({28}) Sie haben gleichzeitig die ausdrückliche Garantie für die Stadt Berlin wiederholt. Die Diskussion um die Einberufung einer ViererKonferenz - Herr Kollege Ollenhauer hat ja diese Forderung heute wiederholt - hat erneut die Frage der Wiedervereinigung in den Mittelpunkt gestellt. Das konnte nicht ausbleiben, und ich glaube, es ist auch gut so; denn das deutsche Volk kann die Welt nicht oft genug darauf ansprechen, daß die willkürliche Zerreißung Deutschlands eine politische und seelische Belastung darstellt, die von Tag zu Tag unerträglicher wird. ({29}) Jedes Volk hat das unbestreitbare und originäre Recht, seine eigene Ordnung im Zusammenwirken aller Kräfte des Volkes zu gestalten. Bis zur Stunde wird dieses Recht dem deutschen Volk noch vorenthalten. Bundesregierung und Bundestag waren sich zu jeder Stunde darüber einig, daß die Wiedervereinigung ein unverzichtbares Anliegen des deutschen Volkes und ein unverrückbares Ziel der Außenpolitik sein und bleiben muß. Wenn wir diese Forderung unausgesetzt wiederholen, dann nicht nur, weil wir an die Millionen von Menschen denken, die durch Zwang daran gehindert werden, mit uns am friedlichen Wiederaufbau unseres Vaterlandes zu arbeiten, sondern ebenso, weil dieser Unrechtstatbestand den Spannungszustand in der Welt erhöht und jeden Menschen, der in der Freiheit lebt, veranlassen sollte, in den Bemühungen nicht nachzulassen, um der Erhaltung des Friedens willen diesen Millionen die Freiheit wiederzugeben. ({30}) Ich glaube keinen Widerspruch zu finden, wenn ich feststelle, daß es hier keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Parteien und Fraktionen gibt, wenn wir Ziel und Aufgabe diskutieren. Es mag vielleicht Differenzen darüber geben, auf welchem Wege wir dieses Ziel erreichen. Diese Differenzen wurden sichtbar, als die Opposition nach der Entscheidung der Pariser Kammer die unverzügliche Einberufung einer Vier-MächteKonferenz forderte, während w i r den Zeitpunkt für eine solche Konferenz für denkbar unglücklich hielten. Ich bin auch heute noch unverändert der Überzeugung, daß eine in sich gespaltene freie Welt uns nicht, zum mindesten nicht mit den gleichen Erfolgsaussichten, in unseren Bemühungen unterstützen könnte. Wenn der Vertrag von London Gestalt angenommen hat, dann werden wir unsere Forderung gemeinsam mit denen, die sie nunmehr erneut als Ziel ihrer eigenen Politik bestätigt haben, mit mehr Aussichten auf Erfolg vertreten können. ({31}) Niemand von uns hat doch wohl die Berliner Konferenz vergessen. Den vereinten ernstlichen und wirklich redlichen Bemühungen der Außenminister der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs ist es in dieser Konferenz noch nicht einmal gelungen, von dem vierten Partner, der Sowjetunion, auch nur eine Erklärung zu erhalten, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen er bereit sein könnte, der Wieder({32}) vereinigung eines freien Deutschlands zuzustimmen. Wenn ich Herrn Kollegen Ollenhauer recht verstand, glaubt er, in der heute nacht durch Radio und heute morgen in einigen Zeitungen verbreiteten Erklärung des russischen Außenministers Molotow über die Frage der Wiedervereinigung doch einen verheißungsvollen Ansatz zu sehen. Soweit ich diese Erklärung hörte und las, ({33}) - soweit ich diese Erklärung hörte und las; ich drücke mich auch sehr vorsichtig aus - enthält sie nichts, was auch nur um Millimeterbreite über das hinausginge, was man in Berlin sagte. ({34}) Wenn man sagt „freie Wahlen", ohne das Wort „frei" zu definieren, dann denkt man wohl an die Definition der Freiheit, die in Berlin diskutiert worden ist und die uns nicht zu befriedigen vermag. Und wenn man im gleichen Atemzug sagt: „Freie Wahlen und gleichzeitiger Abzug aller Besatzungstruppen" - meine Damen und Herren, ich glaube, ein solcher Vorschlag ist wirklich nicht wert, ernstlich diskutiert zu werden; ({35}) denn man spürt doch hier die Absicht und wird mit Recht verstimmt. Meine Damen und Herren! Selbstverständlich ist es die Aufgabe der Bundesregierung - der Bundeskanzler hat es vorgestern gesagt, und ich unterstreiche es -, zu jedem Zeitpunkt die Frage der Wiedervereinigung anzusprechen, zu jedem Zeitpunkt die Bemühungen fortzusetzen, zu einer Viererkonferenz zu gelangen, von der wir alle wissen, daß sie ja die einzige Möglichkeit ist, dieses Problem zu lösen. Aber an dem Ende der Bemühungen muß ein freies Deutschland stehen. Ich möchte mich hier auch mit Äußerungen beschäftigen, die in jüngster Zeit gefallen sind und denen ich mit Nachdruck und Schärfe entgegentreten muß. In voller Einmütigkeit hat der Bundestag wiederholt erklärt, daß freie Wahlen eine unabdingbare Voraussetzung der Wiedervereinigung sind. ({36}) Wer bereit ist, auch unfreie Wahlen zu akzeptieren, unterschreibt einen Blankowechsel, den die sowjetzonalen Machthaber auf Kosten des ganzen deutschen Volkes einlösen würden, ({37}) und er begeht ein Unrecht an den 18 Millionen Menschen, die mit uns in der Forderung einig sind, frei ihre politische Meinung zu bilden und frei ihre politische Meinung zu äußern. ({38}) - Herr Kollege Erler, nicht Sie und Ihre Freunde. Die Freiheit ist unteilbar. Wollte man sie nur einem Teil des deutschen Volkes geben, dann brauchten wir uns nicht ernstlich um die Wiedervereinigung zu bemühen. ({39}) Oder glaubt wirklich jemand, daß wir den Aufbau einer friedlichen und freiheitlichen Ordnung gemeinsam mit solchen Menschen durchführen könnten, die ihr Mandat und ihre Legitimation aus Zwang und Terror herleiten? Das soll nicht besagen, daß wir etwa ängstlich wären, wenn freie Wahlen auch einer Handvoll Kommunisten den Einzug in ein gesamtdeutsches Parlament ermöglichen würden. Uns mit ihnen auseinanderzusetzen und den letzten ihrer Wähler von seinem politischen Irrtum zu überzeugen, würde uns sicherlich nicht schwerer fallen als in den vergangenen Jahren der Bundesrepublik. Herr Kollege Ollenhauer sagte, als er den Londoner Pakt und insbesondere den Brüsseler Pakt behandelte, der Wiedervereinigung stünde jede aktive Beteiligung Deutschlands an Vereinbarungen dieser Art entgegen, solange nicht vorher die letzte Verhandlungsmöglichkeit ausgenützt sei; wir dürften also einem militärischen Sicherheitssystem nur unter der Voraussetzung beitreten, daß die Verhandlungen der Viererkonferenz endgültig gescheitert seien. Meine Damen und Herren, hier ist allerdings eine Meinungsverschiedenheit, die so tiefgehend ist, daß ich glaube, allein an dieser Fragestellung müßte jedes Bemühen um eine gemeinsame Außenpolitik scheitern. ({40}) Ich bedaure das, meine Damen und Herren, aber ich halte es für vollkommen undenkbar, nun in Viererverhandlungen einzutreten und alle Entscheidungen, von deren Beantwortung Leben und Tod von uns und anderen abhängen, hinauszuschieben und den Zeitpunkt, zu dem, und die Frage, wie sie fallen sollen, in das diskretionäre Ermessen des Herrn Malenkow zu stellen. ({41}) Wer entscheidet denn, wann diese Verhandlungen endgültig gescheitert sind, und wer sagt Ihnen, meine Damen und Herren, wie lange die anderen auf uns warten wollen? Wer sagt Ihnen, daß sich die anderen dieser Prozedur auch unterziehen wollen? ({42}) Ich darf hier noch einmal den von Ihnen zitierten belgischen Außenminister Spaak nennen, der nahezu wörtlich vor zehn Tagen in Straßburg in seiner, ich glaube sagen zu können: historischen Rede erklärte: Wer heute bereit ist, auf ein militärisches Sicherheitssystem zu. verzichten um den Preis eines politischen Akkords mit der Sowjetunion, ist in meinen Augen ein Narr oder ein Verbrecher. ({43}) Meine Damen und Herren, diese Auffassung, die Herr Spaak mit so eindringlicher Schärfe vorgetragen hat, entspricht im Grundsatz auch der meinen und der meiner Freunde, daß es nämlich unerträglich ist, alle Entscheidungen hinauszuschieben und damit auch das Vertrauen derer zu verscherzen, um deren Vertrauen wir uns jahrelang und mit Erfolg bemüht haben, um nun abzuwarten, ob und wann es der sowjetrussischen Regierung gefällt, ernste Verhandlungen aufzunehmen und ernst zu nehmende Vorschläge zu machen. ({44}) ({45}) - Es gibt Termine, meine Damen und Herren; das erkenne ich völlig an. Es gibt aber Termine, die sich einfach durch Zeitablauf setzen. Wir haben nunmehr einige Jahre auf dieses Entgegenkommen, auf diese Verständigungsbereitschaft der Sowjetunion gewartet. Da scheint es mir doch müßig zu sein, nun zu sagen: Setzen wir dem Kreml noch einen Termin von drei Monaten! Ich glaube, das würde nur ein höfliches Lächeln auslösen. ({46}) Es ist dann auch das Problem der Saar behandelt worden, und ich halte es für nötig, ein Wort dazu zu sagen. Ich habe in der Erwiderung auf die Regierungserklärung am 28. Oktober 1953 hierzu einiges gesagt und möchte das Wesentliche kurz wiederholen. Ich habe damals erklärt: Wir wissen natürlich, daß im Laufe der letzten Jahre im Saargebiet Tatsachen geschaffen wurden, die wir in ihrer faktischen Bedeutung auch dann nicht leugnen können, wenn wir sie bedauern. Niemand erwartet oder verlangt aber doch von uns, daß die Lösung des so bedeutungsvollen Problems etwa darin bestehen sollte, daß wir uns der empirischen Kraft des Faktischen beugen und die Rechtsgültigkeit dessen anerkennen, was ohne unsere Mitwirkung geschehen ist. Dazu bedürfte es doch keiner Verhandlungen! Und es ist auch wahrhaftig kein Ausdruck einer mangelnden Verständigungsbereitschaft, wenn wir daran erinnern, daß das Saargebiet innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 liegt, wenn wir aussprechen, was alle Welt weiß, daß die Einwohner des Saargebiets Deutsche sind, und wenn wir darauf hinweisen, daß die Praxis der Behörden im Saargebiet unserer Überzeugung nach nicht mit Art. 10 der Konvention über die Menschenrechte in Einklang steht und daß wir darum eine freie Willensentscheidung des Volkes an der Saar erwarten, damit dieses Volk dann mit Frankreich und mit uns über diese Frage entscheiden kann, von deren Beantwortung doch unser gemeinsames Schicksal abhängt. Meine Damen und Herren! Ich wiederhole diese Erklärung gerade jetzt, wo vielleicht neue Gespräche mit der französischen Regierung notwendig werden. Der Gedanke, etwa eine Lösung im Sinne des Planes des holländischen Abgeordneten van der Goes van Naters in der in Straßburg entwickelten Form zu finden, muß der Vergangenheit angehören oder muß in die Zukunft verlegt werden; denn die Voraussetzung für eine, wie wir glaubten, echte europäische Lösung ist ja weggefallen und wird erst dann wieder entstehen, wenn im Zuge der von mir erhofften und erwünschten Entwicklung auch die europäische Integration in neuen Formen sich verwirklichen läßt. ({47}) Im übrigen sagt das Londoner Protokoll ausdrücklich, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zum Abschluß einer friedensvertraglichen Regelung für Gesamtdeutschland zurückgestellt werden muß. Diese Erklärung stimmt ja auch überein mit dem Briefwechsel zwischen der französischen und der deutschen Regierung anläßlich der Unterzeichnung des Vertrags über die Montan-Union, so daß hierzu kein Kommentar mehr nötig ist. Das schließt nicht aus, daß wir uns bemühen sollten, das Problem der Saar in freundschaftlichem und aufrichtigem Gespräch zu diskutieren und wenigstens eine vorläufige gute Regelung anzustreben. Die uneingeschränkte Einräumung der staatsbürgerlichen Freiheitsrechte für die Deutschen an der Saar wäre ein hoffnungsvoller Ausgangspunkt. ({48}) Die wirtschaftlichen Interessen und Bindungen Frankreichs an der Saar zu respektieren und zu garantieren, wird, so glaube ich, Deutschland sicherlich jederzeit bereit sein. Selbstverständlich sollten wir bei allen solchen Erwägungen Rücksicht nehmen auf die Wünsche und auf die Vorschläge der deutschen Bevölkerung an der Saar, über deren Kopf hinweg zu entscheiden auch nicht demokratisch wäre. In dem zweiten Teil des Vertragswerks sehe ich im Gegensatz zu dem Herrn Kollegen Ollenhauer einen guten Ansatzpunkt dafür, das System einer weitgespannten europäischen Sicherheit zu errichten. Die Anwendung des Brüsseler Pakts bedeutet die Einbeziehung des Vereinigten Königreichs, und das hat auch Herr Kollege Ollenhauer begrüßt. Es war immer der Wunsch aller Vertragspartner der Verteidigungsgemeinschaft, andere europäische Staaten und an der Spitze England in diese Gemeinschaft einzubeziehen. Die engste Form der Assoziierung schien uns die wünschenswerteste und die volle Mitwirkung an 'der Integration das äußerste Ziel. Ich stehe nicht an, die Entscheidung der englischen Regierung auf das wärmste zu begrüßen und der englischen Regierung zu danken, daß sie durch ihre aktive Teilnahme an der Organisation des Brüsseler Pakts einen, wie ich glaube, entscheidenden Beitrag zum Erfolg der Londoner Konferenz geleistet hat. ({49}) Im übrigen aber scheint mir der Brüsseler Pakt, so wie er nunmehr in London ergänzt worden ist, auch echte und ausbaufähige Ansätze für eine Weiterentwicklung zu bieten. Die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf den bisher nur als Konsultativrat tätigen Ausschuß der Regierungen kann im Rahmen des Brüsseler Pakts einem echten Exekutivorgan zur Entstehung verhelfen. Die Vorschrift, daß der Brüsseler Rat den Delegierten der Brüsseler Vertragsmächte bei der Beratenden Versammlung des Europarats einen Jahresbericht über seine Tätigkeit im Hinblick auf die Rüstungskontrolle erstatten soll, halte ich ebenfalls für glücklich. Sie wird der Beratenden Versammlung des Europarates eine neue, zusätzliche Bedeutung verleihen, und die Unterversammlung der Delegierten des Brüsseler Pakts kann durch ihre Tätigkeit selbst in die Aufgaben eines echten parlamentarischen Kontrollorgans hineinwachsen. ({50}) Diese Berichterstattung gegenüber dem Europarat gilt ja auch für die Montan-Union. Sie war für die Verteidigungsgemeinschaft ebenso wie im Statut über die Politische Gemeinschaft vorgesehen. Darüber hinaus wird der Brüsseler Pakt auch die Möglichkeit geben, daß andere Staaten ihren Beitritt erklären; ich erinnere an die Äußerung des norwegischen Außenministers, die er vor einigen Tagen in New York gemacht hat. Jede solche Ausweitung ides Brüsseler Pakts wird unsere volle Zustimmung und unsere Unterstützung erfahren. ({51}) Aber wie ich schon sagte und wie ich auch wiederholen möchte, werden wir alle Anstrengungen unternehmen, um auf den gegebenen Ansatzpunkten die Politik der Integration fortzuführen. Man sollte nicht meinen, daß das der Ausdruck einer Rechthaberei sei; sie wäre fehl am Platze. Aber ich möchte daran erinnern, daß die politischen Ziele, die in der Montan-Union im ersten Ansatz verwirklicht worden sind und die in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft fortschreitend verwirklicht werden sollten, tatsächlich unverändert geblieben sind. Es kam uns doch nicht in erster Linie darauf an, im Rahmen der Montan-Union die Produktion von Kohle und Stahl zusammenzuführen, und es kann nicht oft genug vor der deutschen und vor der Weltöffentlichkeit gesagt werden, daß das politische Ziel der europäischen Verteidigungsgemeinschaft ein größeres und bedeutungsvolleres war als der Beitrag deutscher Divisionen zu der leider notwendigen Verteidigung. ({52}) Das scheint mir hier ganz klar gesagt werden zu müssen. Denn ich habe zwei Äußerungen des Herrn Kollegen Ollenhauer auf das tiefste bedauert. Er hat davon gesprochen, daß für weite Kreise des deutschen Volkes die Aussichten auf die Rüstungskonjunktur ihre Zustimmung zur Politik bedingen würden. ({53}) Meine Damen und Herren, daß es irgendwelche charakterlosen Lumpen dort und dort und dort gibt, wissen wir alle. Aber wir sollten sie nicht hier nennen und im Ausland den Eindruck erwecken, als stellten sie die Mehrheit des deutschen Volkes dar. ({54}) Und noch mehr, meine Damen und Herren, ({55})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Bitte schön!

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr von Brentano, haben Sie wirklich aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer den Eindruck gewonnen, daß er mit diesen Kräften, die an einer deutschen Aufrüstung auch materiell interessiert sind, die Mehrheit des deutschen Volkes meinte, oder meinen Sie nicht auch, daß er sich vielleicht beim Lesen der Börsenkurse einige Gedanken gemacht hat? ({0})

Dr. Heinrich Brentano (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auf die Frage, ob der Herr Kollege Ollenhauer die Börsenkurse liest, kann ich keine Antwort geben. Das muß er selbst tun. ({0}) Die erste Frage kann ich dahin beantworten, daß aus den Äußerungen des Herrn Kollegen Ollenhauer allerdings geschlossen werden mußte, daß er der Meinung sei, daß solche Kreise, die an der Rüstungskonjunktur mehr als an den politischen Entscheidungen interessiert sind, die politischen Entscheidungen hier maßgeblich bestimmten. Und dagegen verwahre ich mich. ({1}) Und ein Zweites habe ich in .diesem Zusammenhang tief bedauert: daß Herr Kollege Ollenhauer, als er von dem Verteidigungsbeitrag sprach, ausgerechnet hier an dieser Stelle und von uns die Loyalität gegenüber dem Vertrag verlangte und aussprach, daß ja mit einem Augenzwinkern bereits jetzt der Bruch des Vertrages angekündigt werde. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn Herr Kollege Ollenhauer die Loyalität verlangt, die wir dem Vertrag entgegenbringen sollten, dann verlange ich von ihm so viel Loyalität, daß er nicht hier vor der Weltöffentlichkeit solche subversiven Unterstellungen ausdrückt. ({3}) Ich kann Ihnen heute schon sagen, Herr Kollege Ollenhauer, wo Sie Ihre Zustimmung finden werden: in der gesamten Ostpresse und in der „Humanité" in Paris. ({4}) Aber ich glaube, ich kann für die Mehrheit dieses Hauses und auch für die Bundesregierung sagen, daß wir allerdings beabsichtigen, die Verträge so einzuhalten, wie wir sie unterschreiben, und daß keiner von uns daran interessiert ist, auf ,dem Gebiete der Rüstung um einen Deut mehr zu tun, als die Lebensnotwendigkeit des deutschen Volkes es gebieterisch von uns verlangt. ({5}) Ich bedauere es, daß angesichts der lebensgefährlichen Bedrohung, die nun einmal ein hochgerüstetes totalitäres System darstellt, der Wille zur Selbsterhaltung, aber auch das Bekenntnis zur Freiheit als dem höchsten Wert einer jeden menschlichen Ordnung uns zwingen, an den Bemühungen der anderen freien Völker der Welt teilzunehmen, wenn wir nicht auf unsere Zukunft freiwillig verzichten wollen. ({6}) Mit voller Klarheit stellt der Londoner Vertrag auch fest, daß alle Vereinbarungen, die der Ausweitung des Brüsseler Paktes und der Einbeziehung Deutschlands in dieses Paktsystem und in die NATO gelten, ausschließlich defensiven Charakter haben. Ich begrüße es - und ich unterstreiche die Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer -, daß hierbei ausdrücklich Bezug genommen ist auf die Charta der Vereinten Nationen; denn wir - ich glaube, das gilt für alle hier - wären jederzeit und gerne bereit, auch in den Vereinten Nationen unseren aktiven Beitrag zu leisten. Bundestag und Bundesregierung können heute nur wiederholt den übereinstimmenden Willen bekunden, daß Deutschland nicht die Absicht hat und niemals die Absicht haben wird, Machtkämpfe auszutragen oder territoriale Fragen - auch nicht die der Wiedervereinigung unseres Vaterlands - unter Anwendung von Waffengewalt zu lösen. ({7}) Unsere Anstrengungen dienen ausschließlich dem Zweck, die Sicherheiten dafür zu schaffen, daß Freiheit und Frieden nicht gestört werden. Man sollte an der Aufrichtigkeit dieser Erklärung wirklich nicht zweifeln; denn es kann nicht oft genug gesagt werden, daß wohl kein Volk der Welt eine solche ({8}) Sehnsucht nach Frieden hat wie das deutsche und daß kein Volk die furchtbaren Folgen eines Krieges so klar zu übersehen vermag wie das deutsche. Wie ich glaube und hoffe, wird der Zusammenbruch im Jahre 1945 mit allen seinen furchtbaren Folgen doch noch auf Generationen dem deutschen Volk mahnend vor den Augen stehen. Ich sehe darum auch in den freiwilligen Beschränkungen, die Deutschland im Rahmen dieses Vertrages auf sich genommen hat, keine Beeinträchtigung, im Gegenteil, einen Vorzug. Gerade der Verzicht auf die Herstellung von atomischen und chemischen Waffen und die Bereitschaft, auf die Erzeugung besonders schwerer Waffen zu verzichten, ist ein überzeugender Beweis für diese innere Haltung des deutschen Volkes und sollte in der ganzen Welt, auch drüben in der Sowjetunion, entsprechend erkannt werden. ({9}) Für unser Verhältnis zur Sowjetunion gilt die Feststellung, daß es sicherlich nicht von Haßgefühlen bestimmt wird. Wir wissen, daß wir gemeinsame Grenzen mit den Teilen der Welt besitzen, die dem sowjetischen Herrschaftsbereich angehören. Aber es ist unser Recht und unsere Pflicht, uns gegen die Ausdehnung dieses art- und wesensfremden Systems auf unser Volk zu wehren. ({10}) Die Vorstellungswelt des Bolschewismus ist uns unbegreiflich und unerträglich. Wir lehnen sie ab und wir verlangen, daß wir unser Vaterland in den Lebensformen aufbauen dürfen, die uns gemäß sind. Nur ein Staat, in dem Menschenwürde und Freiheit den Schutz der staatlichen Ordnung genießen, nur eine Gemeinschaft, in der der einzelne denkende und handelnde Mensch im Zentrum des Geschehens steht und in voller Freiheit mitzuhandeln berechtigt ist, kann uns wesensgemäß sein. Diese Feststellungen sind nicht der Ausdruck einer aggressiven Gesinnung; sie sind nicht mehr und nicht weniger als die berechtigte Äußerung eines eigenständigen und eigenbewußten Gestaltungswillens. Ich habe die Hoffnung, daß die Vereinbarungen von London, wie sie uns heute vorliegen, letztlich vielleicht doch noch die Zustimmung der Opposition finden werden. Einiges in den Erklärungen des Herrn Kollegen Ollenhauer war vielleicht dahin zu deuten. Es war ja die Opposition, die nach einem Sicherheitssystem verlangte, an dem Großbritannien und andere Staaten teilnehmen sollten. ({11}) Herr Kollege Ollenhauer hat selbst in einer Rede vom 19. März 1953 den Ministerrat als eine geeignete Instanz zur Zusammenfassung und Koordinierung bezeichnet, und die Mitarbeit in einem solchen europäischen Sicherheitssystem, dessen Verhältnis zur atlantischen Gemeinschaft noch bestimmt werden sollte, erschien dem Herrn Kollegen Ollenhauer denkbar und gut. Die Bedenken, die bei der Beratung des Vertrages über die Verteidigungsgemeinschaft von ihm und beispielsweise von dem Herrn Kollegen Schmid geäußert wurden, als das Problem der NATO behandelt wurde, sind beseitigt. Es war der Herr Kollege Schmid, der bei der ersten Lesung des Vertrages die Frage stellte, warum man den Deutschen nicht den Eintritt in das Atlantikpaktsystem gestatte. Die Entwicklung über die Verteidigungsgemeinschaft hätte unzweifelhaft auch zu diesem Ergebnis geführt. Aber es ist müßig, darüber zu sprechen, denn die Entscheidung von London nimmt uns eine solche Disskussion ab. Meine Damen und Herren, der Londoner Vertrag schließt mit der Feststellung, daß die darin getroffenen Abmachungen einen bedeutsamen Beitrag zum Weltfrieden darstellen. Ich wiederhole, was auch der Herr Bundeskanzler aus diesem Vertrag sinngemäß zitiert hat: Nunmehr ist ein Westeuropa im Entstehen, das auf der Grundlage der engen Assoziation des Vereinigten Königreichs mit dem Kontinent und der sich vertiefenden Freundschaft zwischen den Teilnehmerstaaten die Atlantische Gemeinschaft festigen wird. Das von der Konferenz ausgearbeitete System wird die Entwicklung der europäischen Einheit und Integration fördern. Wenn wir uns diese Feststellungen zu eigen machen, dann können wir wohl sagen, daß die Londoner Konferenz vielleicht einmal ein entscheidender Markstein auf dem Wege zu einer dauernden und unverbrüchlichen Solidarität zwischen den freien Völkern der Welt sein wird. Darum glaube ich, daß es auch die Pflicht des Bundestages ist, dem Bundeskanzler für seine unausgesetzten und erfolgreichen Bemühungen zu danken, ({12}) in diesen Dank aber auch die anderen Staatsmänner einzuschließen, die an dem Entstehen der Londoner Vereinbarungen mitgewirkt haben. ({13}) Wenn die Bundesrepublik diese Vereinbarungen demnächst ratifizieren wird, dann wird sie es in dem Bewußtsein tun, damit einen Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens zu leisten. Sie wird es aber auch in dem Bewußtsein tun, damit dem Wohlergehen des deutschen Volkes, des ges a m -t e n deutschen Volkes, zu dienen und denjenigen Deutschen, die heute schon in der Freiheit leben dürfen, das Gefühl der Sicherheit, denjenigen, die auf diese Freiheit noch warten, die begründete Hoffnung auf eine gesicherte Freiheit zu vermitteln. Am Ende dieser Entwicklung soll dann, wie ich hoffe, ein mit der atlantischen freien Welt eng verbundenes, vereintes Europa stehen, an dessen Aufbau das ganze deutsche Volk mit seiner ganzen Kraft teilnehmen wird. ({14})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.

Dr. Thomas Dehler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000364, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Außenpolitische Aussprachen in diesem Hause stimmen mich traurig. Sie wären sinnvoll, wenn sie Wille und Kraft hätten, gestaltend zu wirken, auf der einen Seite zu lockern, auf der anderen Seite zu gewinnen. Statt dessen hören wir Streitgespräche wie in einem Prozeß bei Gericht: These, Antithese ({0}) und Verdächtigungen des Willens der anderen, dann Beifallskanonaden, als ob man durch die ({1}) Lautstärke der Zustimmung die Kraft von Argumenten ersetzen könnte. Ein schlechter Stil! Zeichen einer schlechten Situation, einer schlechten Verfassung unseres Volkes nach außen, daß wir nicht die Kraft haben, uns außenpolitisch über die Lebensfragen unseres Volkes in dieser Lage zu verständigen. Ich habe heute Nacht ({2}) in meinem Streben, zu wissen, was hinter diesem „Eisernen Vorhang" vorgeht, womit wir wohl rechnen müssen, in dem Buch des früheren Generals und Botschafters und bisherigen Unterstaatssekretärs Walter Bedell Smith „Meine drei Jahre in Moskau" geblättert. Er zitiert darin - und das hat mich sehr beeindruckt - einen Bericht des Marquis de Custine aus dem Jahre 1839, der von Moskau geschrieben hat. Und was sagt er? In den zivilisiertesten Ländern machen unsere Zeitungen auf alles aufmerksam, was in unseren Ländern vor sich geht oder gar erst geplant wird. Zum andern stellen wir schonungslos jeden Morgen unsere eigenen Schwächen zur Schau, statt sie klug zu verbergen. Ihre byzantinische Politik dagegen arbeitet im Schatten und verheimlicht sorgfältig alles, was in ihrem Land gedacht, getan und befürchtet wird. Wir marschieren im hellen Licht des Tages, sie rücken unter Tarnung im Zwielicht vor. Das Spiel ist einseitig. . Die Unwissenheit, in der sie uns halten, macht uns blind, während unsere Offenheit sie aufklärt. Und jetzt kommt ein herrlicher Satz, den meine Kritiker in der mir liebwerten, koalitionsbefreundeten CDU-Fraktion als Waffe gegen mich benutzen mögen: Wir haben die Schwäche des Schwätzens, sie haben die Stärke des Schweigens. ({3}) - Ja, das ist die Frage! Ich bin nicht empfindlich. Aber daß ausgerechnet meine Freundin Helene Weber sofort die Waffe, die ich ihr gebe, schwingt, nun, das ist nicht ganz gut, ist keine Nächstenliebe! ({4}) Nein, meine Damen und Herren, ernstlich: Ich glaube, wir sollten uns bemühen um einen anderen Stil. Dann würde vielleicht manchmal auch, liebe Frau Helene Weber, ein etwas kühnes Wort nicht zur unrechten Zeit und nicht am unrechten Platze gesprochen werden. Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben es sich doch eigentlich arg leicht gemacht, finde ich, ein bißchen zu einfach gemacht: „Scheitern der Außenpolitik!" „Wir, die Sozialdemokraten, haben es immer recht gesehen, haben immer die richtigen Vorschläge gemacht, ({5}) Ihr wart verblendet!" Nun, so ungefähr hat er's doch gesagt. So einfach ist es nicht! Ich habe schon einmal gesagt: Es ist ein Gesetz der Geschichte, daß sie Möglichkeiten, die sie Chancen immer nur einmal gibt. Und es ist die große Aufgabe des Politikers, das Gefühl für die Chance zu haben und sie zu nützen. Es ist doch sehr charakteristisch, was Herr Mendès-France selbst gesagt hat: vor 15 Monaten wäre der EVG-Vertrag in der französischen Nationalversammlung angenommen worden. Was haben wir vor 15 Monaten getan? Nun, wir haben, genau so wie heute, uns gezankt und gestritten, haben rechthaberische Prozesse geführt und vieles andere. Und die Chance ist vertan worden, vielleicht eine einmalige große geschichtliche Chance. Inzwischen haben sich Änderungen der Einsichten vollzogen. Das, was unter dem Schock von Korea angesichts der ungeheuren Bedrohung, die uns bewußt wurde, ein erstrebenswertes Ziel war, das schwand, das wurde blaß, das schien nicht mehr erstrebenswert. Es war an sich keine einfache Entwicklung vom Plevenplan bis zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gewesen. Sicherlich bestand zunächst bei den Franzosen aus dieser jähen Einsicht des Koreaschocks eine Bereitschaft für die europäische Form. Wir haben sie - auch für meine Freunde sage ich das - mit einem starken Glauben aufgenommen. Wir haben anknüpfend an uralte deutsche Haltungen geglaubt, es sei möglich und es gelte, einem neuen Europabürgertum die staatliche Form zu schaffen. Der Initiative unserer Freunde von Brentano, Becker und anderen ist der kühne Wurf gelungen, eine Verfassung für eine europäische politische Gemeinschaft zu schaffen. Ich möchte ausdrücklich sagen: ich bereue gar nichts. Ich bereue nicht, hinter diesem Gedanken mit meiner ganzen Kraft gestanden zu haben, ({6}) wenn ich auch mit etwas Wehmut an den Leidensweg zurückdenke, an diesen Kampf von vier Jahren, an meine Bemühungen um die schwierigen Bestimmungen des Vertragswerks, an den Leidensweg der Ratifikation dieser Verträge. Ich denke auch mit Wehmut an meinen Kampf mit Ihnen, mit Kurt Schuincher, mit Arndt. Was habe ich da an Seelenkraft und Nervenkraft zugesetzt! Dafür habe ich dann Mißbilligungsanträge von Ihnen am laufenden Band geerntet, ({7}) - manchmal vielleicht auch zu Recht. - Immerhin einige! ({8}) Wenn ich zurückdenke: was ist das für ein Einsatz, für eine Hingabe gewesen! Es wäre schon bitter, wenn man heute wirklich auftreten und erklären könnte, alles sei fehlgetan. Aber über etwas muß man sich, glaube ich, auseinandersetzen. Wir wissen, das ist in Straßburg aufgeklungen, das erscheint auch in einigen Formulierungen der Londoner Niederschrift, das hat Herr von Brentano deutlich zum Ausdruck gebracht: der Glaube an die europäische Integration, der Glaube an die Möglichkeit, supranationale Formen in Europa zu schaffen, der Glaube, den Gedanken der Montan-Union immer noch auf die militärische, auf die politische Ebene übertragen zu können, ist noch vorhanden. Ich glaube, man muß wenigstens zu deuten versuchen, welche Problematik deutlich geworden ist. Unser Kollege Gerstenmaier hat in Straßburg etwas ironisch von der Mystik des 19. Jahrhunderts gesprochen, die wieder hochkomme; Herr von Brentano spricht gar von der Gefahr des Nationalismus, der sich zeige. Ich glaube, wir müssen die Dinge nüchtern sehen, nicht zu sehr von unserem Standpunkt als von dem Standpunkt der anderen Welt aus. Wir waren immer aufgeschlossen für Formen über den Staat hinaus. Viele von uns kennen Friedrich Meineckes „Weltbürgerturn und Nationalstaat" - deswegen auch unsere ({9}) echte Bereitschaft zu neuen Formen. Aber ich glaube, wir haben vergessen, daß die Dinge im übrigen Europa anders aussehen, haben gerade die Möglichkeiten, die in Frankreich nach seiner geschichtlichen Entwicklung vorhanden sind, überschätzt, haben vergessen, daß gerade in der Abwehr der europäischen Einigungsbestrebungen Karls V. König Franz I. die wesentlichen nationalen Grundlagen des nationalen Frankreichs geschaffen hat. Wir haben diese Möglichkeiten überschätzt und haben den möglichen Zeitpunkt nicht erfaßt. Darin liegt die Tragik der letzten Jahre. Viele Freunde, die in Straßburg waren, denken sicherlich noch daran, was unser verstorbener Freund von Rechenberg emphatisch erklärt hat: wir brächten die deutsche Jugend nicht zu den Waffen, wenn sie nicht mit einem neuen Ideal erfüllt wäre, wenn wir ihr nicht das Ideal Europas gäben. Wie haben sich die Dinge seit dieser Zeit geändert! Ich bin der Meinung - und darin sehe ich den großen Gewinn der Londoner Vereinbarungen -, daß das Europa sich als Gemeinschaft des Rechtes organisieren wird, des freiwilligen, des vertraglichen Rechtes, auf jeden Fall eher als in der Form einer institutionellen Gemeinschaft. In dieser Sicht erkennen meine Freunde und ich das, was in London erreicht worden ist, durchaus an und bedauern nichts von dem, was vorher geschehen ist, auch nichts an der gläubigen Hingabe, die die Regierung, die die Koalitionsmehrheiten diesem Gedanken noch in einer Zeit, in der die Verwirklichung nicht mehr real war, gegeben haben. ({10}) Auf der Bühler Höhe habe ich mit dem Herrn Bundeskanzler ein nettes Gespräch geführt über das Wesen - ({11}) - Er ist ein besonders scharmanter Mann, trotz allem; ({12}) die letzte Kabinettssitzung klammere ich dabei aus. ({13}) Wir haben uns beim Essen auf der Bühler Höhe über den Sinn des Wortes Integration unterhalten, über seine Bedeutung. Ich habe nicht die Möglichkeit gehabt, ihm zu sagen, daß ich auf ein so reizendes Wort vom römischen Dichter Terenz gestoßen bin, das heißt: „amantium irae amoris integratio"; wenn die Liebenden sich zürnen, dann erneuert, dann vertieft, dann verstärkt sich die Liebe. ({14}) Fast möchte ich das als ein Wort über die Entwicklung der letzten Wochen und Monate setzen. Gott, was da alles geschehen ist vor und nach Brüssel, vor und nach dem 30. August! So viel ira! Aber das möchte ich in London sehen: die integratio, die Erneuerung des Willens zur Gemeinschaft. Dieser Wille hat sich erneuert und verstärkt. ({15}) Deswegen kann sich von dem, was doch in einem erstaunlichen Impetus in London geschaffen worden ist, ein neuer Kraftstrom auf die europäische Politik ergießen. Wir begrüßen das Ergebnis - das sage ich namens meiner Fraktion - und wir schließen uns dem Dank, den der Kanzler, den Herr von Brentano den maßgebenden beteiligten Staatsmännern gezollt haben, durchaus an. Unser Dank gilt den Vereingten Staaten, seinem Präsidenten und dem Mann, der doch beinahe zum guten Mentor Europas geworden ist, dem Staatssekretär Dulles. ({16}) Wir huldigen dem großen Winston Churchill, der die geistigen Voraussetzungen für das, was wir erstreben, wesentlich mit geschaffen hat. Der Kanzler und ich, Helene Weber und manche anderen werden es unvergeßlich in Erinnerung haben, wie er bei dem Europäischen Kongreß im Mai 1948 in Den Haag mit seherischer Kraft das aufgezeigt hat, an dessen Erfüllung wir jetzt mit größerem Grunde glauben können. Wir sehen in dem Engagement Großbritanniens an den europäischen Dingen, an dieser großen Geste, die der Außenminister Anthony Eden machen konnte und gemacht hat, die Voraussetzung für die Ordnung der europäischen Dinge. Und wenn man, wie es Herr Kollege Ollenhauer tut, an der Praktikabilität von EVG mäkeln will, nun, dann muß man eben feststellen, daß das Fehlen Großbritanniens, das eines der großen psychologischen und militärtechnischen Schwierigkeiten der EVG war, überwunden wurde. Wir sehen darin einen gewaltigen Vorteil. Wir wollen nicht vergessen, daß der Mann, der an der Spitze unserer Regierung steht, mit Genugtuung auf das, was wesentlich auch durch seinen Einsatz erreicht worden ist, jetzt zurückblicken kann. Auch wir danken ihm für seine Hingabe. ({17}) Ich möchte mich ein kleines bißchen kritisch mit dem auseinandersetzen, was Herr Ollenhauer gesagt hat. Das kann man nur unter der Voraus- setzung der Würdigung der Gesamtlage. Es gibt wenige Aktiva in der Weltpolitik nach 1945. Wir brauchen uns über die Fehler, die gemacht wurden, nicht zu unterhalten. Ein Aktivum ist, daß die Vereinigten Staaten nicht den Fehler von 1918/19 wiederholt haben, nicht sich aus der Weltpolitik, aus der Europa-Politik zurückgezogen haben, daß sie vielmehr erkannt haben, daß Sieg vor allem Verpflichtung und Verantwortung ist, daß dem Sieger die Aufgabe zugefallen ist, Hüter des Friedens und der Ordnung der Welt zu sein. Daß Amerika in so großer Form von Roosevelt, Truman bis Eisenhower diese Verpflichtung auf sich genommen hat und daß wir die Gewißheit haben können, daß diese Linie auch im Falle von politischen Änderungen in Washington eingehalten wird, das ist das große Positivum. ({18}) Daß wir die Hand des Siegers, die uns entgegengestreckt ist, nicht ausschlagen, sondern mit der beherrschenden Macht der Welt zusammen versuchen, das Richtige zu tun, ist doch so selbstverständlich wie nur etwas. Die Vereinigten Staaten haben auch den Fehler, den sie nach 1945 gemacht haben - abzurüsten, also ihre militärische Stärke und Überlegenheit nicht zu behaupten -, wiedergutgemacht. Bei diesem Versuch fällt uns die Aufgabe der Mitwirkung zu, die wir des Friedens der Welt wegen und unserer Sicherheit wegen zu erfüllen haben. Es ist ein weiteres Aktivum, daß Großbritannien auch entgegen seiner Haltung nach dem Ersten Weltkrieg und entgegen der Haltung, die es 1945 zunächst eingenommen hat, jetzt seine geschichtliche europäische Verpflichtung anerkennt und in den Kreis der europäischen Mächte im Rahmen des Brüsseler Pakts getreten ist. ({19}) Herr Ollenhauer sagt, die Situation sei ganz anders geworden, als sie vor einigen Jahren war; die Konflikte in Korea und Indochina seien beseitigt worden; wir hätten jetzt die Verpflichtung, zu prüfen, ob nicht ganz andere Chancen für die Wiedervereinigung gegeben seien, ob sich nicht die Tendenzen zur Entspannung erheblich verstärkt hätten, ob deswegen nicht auch die Frage eines Verteidigungsbeitrages in einem ganz anderen Lichte erscheine. Ich bin nicht dieser Ansicht. Ich teile die von den europäischen Mächten in London vertretene Anschauung - die auch von den Parteifreunden des Herrn Ollenhauer vertretene Anschauung -, daß Europa die Verpflichtung hat, für seine Sicherheit zu sorgen, daß Europa die Verpflichtung hat, einen russischen Angriff zum mindesten riskant zu machen und dadurch zu verhindern. In der Politik hilft nicht die Spekulation, hilft nicht die Wahrscheinlichkeitsrechnung, daß Rußland nicht aggressiv werden würde. Wer politische Verantwortung trägt, der hat die Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß auch in einem unwahrscheinlichen Falle Hemmungen eingeschaltet werden. ({20}) Das ist der Sinn der europäischen Aufrüstung und der Sinn der Verpflichtung, die wir übernehmen müssen, das Unsere zu tun. Aber ich möchte sagen, daß ich die Fragestellungen des Herrn Ollenhauer durchaus bejahe, daß wir bei jedem Anlaß uns besorgt fragen: Nützt eine Maßnahme dem Ziel, dem wir uns alle unterordnen - ,der Wiedervereinigung Deutschlands -, oder schadet sie diesem Ziele? Ich glaube, wir wollen doch diesen Wettstreit, daß der eine die Wiedervereinigung stärker, mit heißerem Herzen anstrebt als der andere, endlich einmal kupieren. ({21}) Er ist unwürdig. Ich habe immerhin vier Jahre mit dem Bundeskanzler 'im Kabinett gesessen, ich habe von ihm nie ein Wort, nie eine Silbe gehört, aus der man hätte folgern können, daß er nicht genau so wie wir in der Wiedervereinigung das wesentliche, das aktuelle Ziel sieht, daß er nicht alle Möglichkeiten wahrnimmt, dieses Ziel zu erreichen. ({22}) Ich habe auf jeden Fall aus seinem Munde nie eine so vorsichtige, zurückhaltende Formulierung gehört, wie sie kürzlich Herr von Brentano geäußert hat. Wir sollten uns darauf einigen, Wiedervereinigung ist in seiner Tragweite das Kernproblem der deutschen Politik und, ich glaube, auch das Kernproblem der europäischen Politik. Ich bin der Meinung, unser Volk verlangt mit Recht, daß unsere ganze Politik auf die Wiedervereinigung ausgerichtet ist und daß - ich möchte es einmal so formulieren - keine Möglichkeit einer Verwirklichung unseres Rechtes auf Wiedervereinigung ausgelassen wird, sofern sie nicht die Freiheit und den Bestand der Bundesrepublik gefährdet. Auf diese Prämisse muß man sich, glaube ich, und könnte sich die Opposition einlassen. Wir sind uns auf der anderen Seite wohl auch darin einig, daß es keine Wiedervereinigung ohne Einvernehmen mit den Sowjets gibt. Herr Ollenhauer hat erklärt, das Londoner Abkommen sei geeignet, die Wiedervereinigung zu gefährden, und verlangt deswegen, die weitere Behandlung des Abkommens zurückzustellen, keine Ratifikation herbeizuführen, sondern zunächst mit den Sowjets zu verhandeln, die Einberufung einer ViererKonferenz zu veranlassen. Diese Auffassung entspricht nicht der meiner Freunde. Wir sind der Ansicht, was in London erreicht worden ist, muß mit aller Konsequenz realisiert werden. ({23}) Die Wiederaufrüstung, die im Rahmen des Brüsseler Paktes vorgesehen ist, bedeutet für die Sowjets keinerlei Gefahr und kann sie nicht hindern, ein ernstes Gespräch über die Wiedervereinigung zu führen. Was hier geschieht, ist ja nur ein kleiner Schritt gemessen an dem, was in der Sowjetzone schon vollzogen ist, dort unter dem Vorzeichen der Volkspolizei und einer weitgehenden Aufrüstung, verbunden mit vormilitärischer Ausbildung beider Geschlechter, mit militärischer Ausbildung der Werktätigen beider Geschlechter. Den Sowjets steht also kein durchschlagendes Argument zur Verfügung, sich der Londoner Vereinbarungen wegen der Erfüllung der auch ihnen obliegenden Pflicht zu entziehen, der Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen. Aus diesem Grunde halten wir die Forderung der Opposition, die Verwirklichung des Vertragswerkes von London aufzuschieben, für unbegründet. Ich habe in der Öffentlichkeit, als die ersten Mitteilungen von der Rede Wyschinskis in der UNO-Versammlung kamen, die Frage erörtert, ob sich hier nicht eine Chance für ein Gespräch der westlichen Welt besonders im Rahmen zunächst der UNO, später im Rahmen einer Vierer-Konferenz abzeichnet, zu einer globalen Entspannung zu kommen, die wir alle erhoffen. Wir wissen, es wird keine Wiedervereinigung geben, wenn sich die Weltspannung nicht zumindest lindert, die durch die beiden großen Machtblöcke geschaffen worden ist. Ich will es mir versagen, auf die technischen Details dieser Vorschläge einzugehen. Ich würde nur in der Verbindung der Vereinbarung über die Erweiterung des Brüsseler Paktes - mit seinen bestimmten Beschränkungen der Rüstung und Kontrollen der Rüstung - mit den Vorschlägen Wyschinskis eine solche Lösungsmöglichkeit sehen; diese muß man auf jeden Fall einmal behandeln. Natürlich ist es undenkbar, daß man, wie es in dem Vorschlag Wyschinskis enthalten ist, von dem Stand der Rüstung vom 31. Dezember 1953 auch für Europa ausgeht. Denn das würde ja in Wirklichkeit bedeuten, daß dieses Europa, dessen stärkste Militärmacht, glaube ich, immer noch die Schweiz ist, tatsächlich ungerüstet bliebe. Nur die Verbindung der beiden Vereinbarungen könnte zu einer Verständigung führen, und man muß - das ist meine Überzeugung- doch jede Chance nützen. Die Vorschläge Wyschinskis sind doch verblüffend konkret. Im Gegensatz zu früheren Vorschlägen wird nicht mehr gefordert, daß zunächst die Atomwaffe abgeschafft und die Produktion kontrolliert wird, ein Vorschlag, der dazu geführt hätte, daß die westliche Welt im wesentlichen schutzlos gewesen wäre, während Sowjetrußland im Besitze seiner gewaltigen Landmacht, Luftwaffe und auch Seemacht geblieben wäre. Jetzt wird vorgeschlagen: stufenweiser Abbau aller Waffen und Einrichtung internationaler Institutionen. Hier hat, glaube ich, die westliche Welt wirklich die Pflicht - ich habe es so formuliert -: den Russen beim Wort zu nehmen und zu klären, ob sich hier eine Chance der Entspannung ergibt. Ich sage: Wiedervereinigung, - wirklich ein ernstes Ziel, und ein schlechter Politiker, der nicht ({24}) Tag für Tag und bei jeder Maßnahme sich prüft, ob er dieses Ziel richtig anstrebt und ob er nichts tut, was hemmt! Er soll vielleicht nicht jeden Tag seine gerade gewonnenen Erkenntnisse äußern! ({25}) Aber es hängt von dem Geschick des Mannes ab, der gerade ein Interview von ihm will. Und das Schicksal teilt ja der Herr Bundeskanzler mit mir, daß Interviews oft Glücksache sind! ({26}) - Nein, sagen wir: in einem gelösten Augenblick, obwohl ich den guten Frankenwein in Würzburg erst nachher getrunken habe! ({27}) Ich muß es doch einmal wiedergeben, nachdem Herr Kollege von Brentano mit etwas sehr streng erhobenem Zeigefinger und Querfalten in der Stirn mich getadelt hat. ({28}) Es war wirklich ein lockeres Gespräch mit einem Pressemann, der mich fragte: Bitte, wie stellen Sie sich die Wiedervereinigung vor? - Es geht nicht ohne Verständigung mit Rußland. Es geht am Ende nicht ohne freie Wahlen. - Ja, und wenn keine freien Wahlen gewährt werden? - Eine sehr schwierige Fragestellung; ich habe oft darüber nachgedacht. ({29}) - Frau Kollegin Weber, ich bin wirklich nicht so blöd, daß ich nicht freie Wahlen wollte und daß ich diese Forderung nicht unterschriebe! ({30}) Ich glaube, das ganze Kabinett unterstellt, daß ich ungefähr mit der Intelligenz eines 15jährigen ausgestattet sei; zumindest mit der Verantwortung eines 50jährigen, glaube ich, bin ich erfüllt. ({31}) Ich meine, daß man dann die Frage wägt: was geschieht, wenn die letzte Möglichkeit der freien Wahlen nicht gegeben ist? Ist sie überhaupt gegeben? Wie wird sie geschaffen? Schaffen Kontrollorgane von Neutralen ernstliche Freiheit, wenn der Russe, wenn Pankow noch vorhanden sind? Ich weiß die Wirkungen, die Querwirkungen, die kommen. Aber kein verantwortlicher Politiker, der nicht einmal versucht, diese Dinge zu Ende zu denken! Ich darf immerhin daran erinnern, daß Eden auf der Berliner Konferenz in Abweichung von unserem Wahlvorschlag einen Vorschlag gemacht hat, der durchaus zu dieser Konsequenz führt. Sie wissen, unser Vorschlag ging auf die Herstellung eines Wahlkreises für Gesamtdeutschland, mit Listen für ganz Deutschland. Eden hat in Berlin einen abweichenden Vorschlag gemacht: das alte Weimarer Reichstagswahlrecht zugrunde zu legen mit der Konsequenz, daß die Freiheit bei den Wahlen in der Sowjetzone immerhin beschränkt erscheinen müßte, daß also die Garantie für eine restlose Freiheit, auch für eine restlose innere Freiheit, für das Verscheuchen von Angst, nicht gegeben wäre. Mehr wollte ich doch nicht sagen! Wir sind uns doch einig, daß wir das Ziel der Freiheit haben. Die Frage ist: welches Risiko können wir tragen? Ich habe gesagt: ich bin überzeugt, daß die Menschen hier in der Bundesrepublik nun in einer Art mit ihrem Staat verknüpft sein werden, ein solches Bollwerk der Demokratie und der Freiheit darstellen werden, daß sie am Ende auch ein Risiko tragen können, daß sie am Ende auch eine kleine bolschewistische, eine kleine kommunistische Minderheit - ich habe den bayerischen Ausdruck gewählt - „verkraften" können. Und wie die Stimmung, wie der Geist in der Sowjetzone ist, wir wissen es doch! Wir wissen es seit dem 17. Juni vorigen Jahres und haben, glaube ich, aus dieser Aufwallung des Volkes nun auch die Überzeugung gewonnen: wir können uns auf die Deutschen drüben verlassen! ({32}) Bedeutsam für unsere weitere Entwicklung ist unser Verhältnis zu Frankreich. Ich möchte hoffen, daß die Beziehungen zu Frankreich, fernab der aktuellen parteipolitischen Situation drüben, sich freundschaftlich entwickeln. Unser Verhältnis zu Frankreich ist das Rückgrat Europas. Hier dürfen keine taktischen Fehler geschehen. Wir haben manche Dinge in den letzten Monaten nicht ganz verstanden. Wir hoffen, daß der Geist von London das verscheucht hat und daß die Möglichkeit besteht, wirklich zu einem Fundament der Gemeinschaft und der vollen Verständigung mit Frankreich zu kommen. Zur Saarfrage! Die Vorstellung der Europäisierung der Saar ist am 30. August als irreal festgestellt worden. Diese Form wird es nicht geben. Frage: ist es nicht an der Zeit, den Versuch, den unglücklicherweise der damalige amerikanische Staatssekretär Byrnes im Jahre 1947 unternommen hat, Frankreich gewissermaßen mit der Saar abzufinden, als untauglich festzustellen und davon abzukommen? Meine Fraktion hat in dieser Frage von Anfang an einen klaren Standpunkt eingenommen. Wir sind bereit zu jedweder wirtschaftlichen Verständigung. Wir haben gerade auch bei der Beratung des Naters-Plans durch unseren Freund Pfleiderer Möglichkeiten aufgezeigt. Dazu stehen wir. Wir sind nicht gewillt, ein politisches Zugeständnis zu machen. ({33}) Wir können das nicht nur der Saar wegen nicht, wir können das auch deswegen nicht, weil eine solche Entwicklung eine Wunde schaffen würde, die an unserem Volkskörper schwären und die Gefahr heraufbeschwören würde, daß wir dann wirklich von einem unheilvollen Nationalismus vergiftet würden. Wir sehen in dem Zugeständnis - ich darf einmal das Wort gebrauchen - der Souveränität - oder richtiger: in der Abschaffung des Besatzungsregimes - eine notwendige Konzession, die überfällig ist. Ihre Verzögerung war der Kaufpreis, den wir für die langverzögerte Behandlung des EVG-Planes zahlen mußten. Daß der Wille, uns die Souveränität im möglichen Rahmen zurückzugeben, an sich schon 1950/1951 vorhanden war, brauche ich Ihnen nicht in die Erinnerung zurückzurufen. Und der Gedanke, daß vier Sieger ein neues, ein besseres, ein anderes, demokratisches Deutschland im Wege der Neuerziehung schaffen könnten - nun, der hat sich ja wirklich als utopisch erwiesen. Das wissen wir besser, und wir haben es früher schon besser gewußt, welche politische Aufgabe uns ({34}) Deutschen gestellt ist, daß nur aus eigener seelischer und geistiger Kraft die neue deutsche Armee, ich meine eine neue deutsche Demokratie - ich war schon einen Gedanken weiter! ({35}) - ach, auf die Armee kommt's auch an, warten Sie nur, die Armee als wesentlichen Teil einer deutschen Verfassungswirklichkeit! -, die deutsche Demokratie geschaffen werden kann. Der Wegfall der Notstandsklausel! Herr Ollenhauer, ich glaube nicht, daß Sie die Sorge haben müssen, daß ein neuer Art. 48 der Weimarer Verfassung vorbereitet wird. ({36}) Aber was werden wir uns zugestehen müssen? Ich glaube, nicht einmal Herr Kollege Arndt wird darin eine Änderung der Verfassungsordnung sehen, wenn ich sage, daß die Notstandsklausel Pflicht und Recht jeder Regierung über die geschriebene Verfassung hinaus ist. Daß die Bindungsklausel fällt - wir erwarten das -, erfüllt uns mit Freude. Wir, meine Freunde, haben schon vor der Unterzeichnung der Verträge in letzter Stunde erreicht, daß der Automatismus in Art. 7 wegfiel. Die Voraussetzungen für diese Bindungsklausel sind endgültig gefallen und können daher gerade als ein Hindernis für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes nicht mehr bestehen. Herr Kollege Ollenhauer, ich möchte auch noch Ihre Bemerkung aufgreifen, soziale Leistungen seien wichtiger als Divisionen. Ist das die Sprache, die wir sprechen können? ({37}) Es hat keinen Staat in der Welt gegeben und hat kein Volk in der Welt gegeben, die nicht die Last der Rüstung getragen haben, und Sie werden doch nicht glauben, daß für Deutschland nach 1945 mit einem Male die Gesetze der Geschichte aufgehört haben, daß wir in der bedrängten Situation unseres Volkes im Herzen Europas nicht die Verpflichtnug haben, uns im Rahmen des Möglichen zu schützen und die Opfer, die das erfordert, zu tragen. ({38}) Ich glaube, es ist ein gefährlicher Zungenschlag, hier soziale Leistungen und Aufwand für die Rüstung gegenüberzustellen. Es ist auch sachlich sehr irreführend. Das führt wieder zu der These, mit der man lange Jahre die deutsche Wirtschaft als solche diffamiert hat, indem man behauptet hat, sie habe die Aufrüstung Hitlers mitgemacht ({39}) um der Profite willen. - Ach Gott, wie kümmerlich, sage ich Ihnen! Die deutsche Wirtschaft hat sich mit Händen und Füßen gesträubt, die Auflagen zu übernehmen. ({40}) Lesen Sie die Tatsachen nach! Zeigen Sie mir den Fabrikanten, der sich danach drängt, Kriegswaffen zu produzieren! ({41}) Aber davon ganz abgesehen: wie kann man solche Lebensfragen auf diesen Nenner bringen?! Eine deutsche Wehrmacht setzt voraus, daß der Arbeiter zu ihr gehört und zu ihr gehören will, daß er eine deutsche Wehrmacht als seine Wehrmacht empfindet. Das ist ja das Beklemmende in der heutigen Auseinandersetzung, daß dieser Zwiespalt sich auftut, daß wir uns über dieses Notwendige nicht verständigen, ({42}) daß wir am Ende auch nicht gewillt sind, die Konsequenzen aus den Urgesetzen der Demokratie zu ziehen und das, was aus höchster Verantwortung Regierung und Mehrheit des Bundestags für richtig halten, im Interesse unseres ganzen Volkes und im Interesse auch des deutschen Arbeiters anzuerkennen und auszuführen. ({43}) Da tut sich eine wichtige Frage auf - das war der falsche Zungenschlag, der mir vorhin unterlaufen ist -: die Frage der richtigen Wehrverfassung. Darum müssen wir nun kämpfen; hier kommen ein Recht und eine Pflicht des Parlaments zur Geltung. Ich sagte schon: die Wehrverfassung ist ein wesentlicher Teil der Verfassungswirklichkeit. Sie bestimmt weitgehend die Haltung der jungen deutschen Menschen zum Staat. Die allgemeine Wehrpflicht - ein Satz des Herrn Bundespräsidenten - ist das legitime Kind der Demokratie. So wie die Wehrmacht aussehen wird, wird weitgehend unser Staat, wird weitgehend unsere Demokratie aussehen. Frage, welche Erziehungsgrundsätze angewandt werden, welcher Geist in dieser Truppe herrscht. Es ist die Frage, ob wir nicht den Geist Scharnhorsts, Gneisenaus, Boyens berufen müssen, ob wir ihre Ideen nicht neu beleben müssen, Fehlentwicklungen während der letzten, man kann fast sagen 100 Jahre beseitigen müssen. Und das soll geschehen ohne Sie, ohne die .Sozialdemokratie?! Ich hoffe doch, nicht. Hier müssen wir uns zusammenfinden in der Erfüllung einer echten, im besten Sinne nationalen Aufgabe, die wir haben. ({44}) Ich möchte noch ein persönliches Wort sagen. Die CDU-Presse hat mich in den letzten Tagen schlecht behandelt. ({45}) Man hat sogar befürchtet oder erwartet, ich würde politisch entmündigt oder unter politische Vormundschaft gestellt werden; so ähnlich hat man sich wohl ausgedrückt. ({46}) Das ist einer der Gründe, warum ich hier stehe. Es geht über den „Fall Dehler" hinaus. Ich habe das merkwürdige Geschick, die Gemüter zu erregen, ({47}) häufig ohne Grund, manchmal mit Grund. Aber was ich in den letzten Tagen erlebt habe, das rührt auch an unseren Lebensstil. Ich habe mich schon in der Weimarer Zeit politisch bekannt, und viele auch in Ihren Kreisen, glaube ich, erkennen an, daß ich mutig meinen Mann gestanden habe, mich nach meinen Kräften bemüht habe, das Unglück des Nationalsozialismus von unserem Volk fernzuhalten. Ich habe mich nach 1945 nicht geschont, bin in den Kampf gegangen, in meiner Heimat und hier. Daß ein Wort, daß ein unglücklich ({48}) herausgekommener Satz genügt, mich in einer solchen Weise aller politischen, fast möchte ich sagen, persönlichen Ehre zu entkleiden, hat mich zutiefst betroffen. ({49}) Wenn es eine Koalitionsfrage gibt, dann gibt es auch die Frage dieses Stils! ({50})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.

Horst Haasler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000766, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der schwerste Vorwurf, der gegen den Londoner Pakt erhoben worden ist, sagt, er beinhalte einen Verzicht auf aktive Politik einer deutschen Wiedervereinigung. Es scheint mir der Mühe wert, diesen Vorwurf einmal sehr genau zu untersuchen. Er bezieht sich ja schließlich auf unser wichtigstes nationales Problem. Will man behaupten, daß der Pakt sinngemäß unvereinbar sei mit einer aktiven Politik deutscher Wiedervereinigung? Ich glaube, daß solche Behauptungen in Anbetracht des sehr klaren Textes abwegig sind. Denn dieser Text geht ja gerade davon aus, daß es grundlegender Anstrengungen aller Vertragspartner bedürfen wird - die auch gewährt werden sollen -, um die deutsche Wiedervereinigung herbeizuführen. Ist die Behauptung, der Pakt bedeute einen Verzicht auf die Politik der Wiedervereinigung, aufgestellt, weil man etwa das Kabinett und die hinter dem Kabinett stehenden Parteien in dem Verdacht hat, daß sie die Wiedervereinigung nicht intensiv genug betreiben? Man hat sich darüber nicht so sehr genau geäußert. ({0}) Aber ich glaube, nicht nur ich allein, Herr Wehner, hatte den Eindruck, daß dieser Verdacht mitklang. Auch mein Vorredner, Herr Dehler, ist bereits darauf eingegangen und hat hier für das Kabinett und den Kanzler aus eigener Anschauung eine Ehrenerklärung abgegeben. Ich glaube, Herr Wehner, hinzufügen zu können, daß keine der Parteien dieses Hauses, auch keine der Koalitionsparteien, die Frage der deutschen Wiedervereinigung hinter irgendeine andere Frage unserer nationalen oder internationalen Politik stellen wird. ({1}) Mindesten kann ich aber für meine Partei, den Gesamtdeutschen Block/BHE, sagen, daß wir uns von niemandem, auch nicht von der Opposition, in dem Bestreben werden übertreffen lassen, alles und auch das Allerletzte für diese Wiedervereinigung zu tun. ({2}) Oder meinte man etwa, der Verzicht auf die Politik einer Wiedervereinigung läge in dem Pakt, weil die Sowjetunion das sagt? Zweifellos hören wir von der Sowjetunion fast jeden Tag eine Äußerung in diesem Sinne: Wenn ihr das macht, dann verschüttet ihr die letzte Möglichkeit einer Wiedervereinigung; wenn ihr euch etwa in dieses Lager - es war damals das Lager der EVG, es ist heute das Lager der Brüsseler Vertragsstaaten - begebt, dann begrabt ihr jede reale Chance einer Wiedervereinigung. Nun, meine Damen und Herren, es gab ja genug Zeiten, in denen die Einordnung Deutschlands in ein Paktsystem des Westens nicht zur Diskussion stand. Aber in diesen Zeiten ist doch von der Sowjetunion nichts getan worden, was die Wiedervereinigung überhaupt in das Stadium einer ernstlichen Diskussion gerückt hätte. Wir haben dagegen eine andere Erfahrung. Als es vor etwa zweieinhalb Jahren - es dürfte so um den März, April 1952 herum gewesen sein - so aussah, als ob aus der EVG Wirklichkeit würde, da kamen dann plötzlich aus der Sowjetunion reale Angebote, die realsten, die wir bisher in der Richtung erlebt haben. ({3}) Man sprach dann im Laufe der Monate immer weniger und immer weniger davon, nämlich in dem Maße weniger, wie die Aussichten der Verwirklichung der EVG geringer wurden. Und es scheint doch nicht ganz von ungefähr, daß nunmehr, nachdem sich in London eine neue Lösung der europäischen Verteidigung abzeichnet, die Sowjetunion wieder mit positiven Vorschlägen aufwartet. Sind Sie, die Sie heute dieses Londoner Paktsystem kritisieren, so sicher, daß die jetzigen Vorschläge ergänzt oder überhaupt nur aufrechterhalten würden, wenn sich eines baldigen Tages herausstellte, daß das Londoner Projekt scheiterte? Glauben Sie nicht vielmehr, daß in diesem Augenblick die, na, ich will noch gar nicht einmal sagen, ausgestreckte Hand, sondern nur die Andeutung, daß man eine Hand ausstrecken wolle, dann prompt zurückgezogen werden würde? ({4}) Aus den Erfahrungen der letzten Jahre heraus sollten wir diese Befürchtung schon haben. Herr Kollege Mommer, Sie haben hier einen Zwischenruf gemacht: Ja, man könne doch Termine setzen; der Westen könne doch der Sowjetunion mit Terminen aufwarten, so etwa wie es Herr Mendès-France in seiner innenpolitischen Sphäre tut. - Nun, Herr Mommer, ich glaube, die Termine liegen sowieso in der Luft, ohne daß sie ausdrücklich gesetzt werden müßten. Wenn es der Sowjetunion wirklich ernst mit einer Wiedervereinigung, einer Entspannung wäre- wohlgemerkt: alles im Rahmen einer wirklich freiheitlichen Lösung -, dann hätte sie auch ohne besondere Aufforderung bis zur Ratifikation dieses Werks genügend Zeit, um uns davon zu überzeugen, daß sie guten Willens ist. ({5}) Wir meinen, solange wir dort nicht genügend guten Willen sehen, solange wir befürchten müssen, daß es jenseits unserer Grenzen Kräfte gibt, die Lösungen auch mit Mitteln des kalten oder warmen Krieges anstreben, haben wir gegenüber unserer Nation die Verpflichtung, alles zu tun, um uns vor den Zufälligkeiten und Willkürlichkeiten einer solchen Politik zu sichern. Oder hatten Sie, als Sie davon sprachen, eine aktive Politik der Wiedervereinigung werde durch dieses Paktsystem erschwert, etwa die Tatsache im Auge, daß die Frage der sogenannten Bindungsklausel nicht ausdrücklich geregelt worden ist? Herr Ollenhauer hat, wenn ich recht hörte, sogar gesagt: Die Tatsache, daß eine Auflösungsklausel für den Fall der Wiedervereinigung fehle, ziehe ja automatisch das wiedervereinigte Deutschland in ({6}) das Paktsystem, hinein. Wahrscheinlich wird er daran die Überlegung angeschlossen haben, daß unter diesen Umständen mit einem Entgegenkommen des Ostens absolut nicht zu rechnen sei, weil der Osten die sowjetisch besetzte Zone nicht in ein Militärsystem des Westens hineinziehen lassen wolle. Sicherlich ist es richtig, daß eine ausdrückliche Bestimmung über die Frage der Entscheidungsfreiheit eines künftigen Gesamtdeutschlands in dem Vertragswerk nicht enthalten - offenbar auch nicht vorgesehen - ist. Ich möchte aber davor warnen, diese Tatsache nun so wie Herr Ollenhauer einfach in dem Sinne zu interpretieren, daß wir deshalb Gesamtdeutschland gebunden hätten. Das geltende Völkerrecht scheint mir eine ganz andere Lösung nahezulegen, nämlich die Lösung, daß die deutsche Bundesrepublik niemals in der Lage ist, durch ihre Unterschrift das ganze Deutschland zu binden. Ich glaube, wir tun unserer Sache einen sehr schlechten Gefallen und helfen damit dem Bolschewismus nur argumentieren, wenn wir für die Beurteilung der Frage einer Entscheidungsfreiheit eine Auslegung wählen, die im internationalen Recht nicht herrschend ist. Die Auseinandersetzungen um die Frage der deutschen Entscheidungsfreiheit scheinen mir überhaupt einen etwas zu großen Umfang in der öffentlichen Diskussion einzunehmen. Sie könnten in der überintensiven Form, in der sie heute betrieben werden, eher dazu geeignet sein, Mißtrauen zu säen, als zur Lösung der Sache beizutragen. Wir geraten nämlich langsam in den Verdacht, daß wir eine Hintertür suchten, daß wir es mit den jetzt von uns zu übernehmenden Verpflichtungen nicht ernst meinten und daß wir uns oder dem hoffentlich recht bald geeinten Deutschland einen Kurs geben wollten weg vom Westen. Anders können diese mit so großer Intensität betriebenen Erörterungen beinahe kaum noch verstanden werden. Deshalb halte ich es für richtig, das noch einmal zu wiederholen, was seitens des Herrn Bundeskanzlers, was seitens sehr vieler verantwortlicher Politiker zu diesem Thema schon mehrfach gesagt worden ist. Unser Platz, der Platz des deutschen Volkes, ist zweifelsfrei an der Seite derjenigen Völker, die sich ihre Freiheit nach westlichem Muster gegeben haben. ({7}) Daran wird sich auch nichts ändern, gleichgültig, ob dieses Deutschland nur im Rahmen der Bundesrepublik organisiert ist oder hoffentlich recht bald im Rahmen eines gesamten, eines geeinten Deutschland. ({8}) Wir wollen nicht in den Verdacht kommen, das nur rein deklaratorisch der Welt vorzusetzen und heimlich daran vielleicht die Erwägung zu knüpfen: Ja, aber politisch mag dann dieses Deutschland doch einen anderen Weg gehen oder jedenfalls gehen dürfen. Solche Anspielungen, solche Pläne scheinen mir gefährlich. Wir sind davon überzeugt, daß ein geeintes Deutschland in seiner politischen freiheitlichen Grundhaltung niemals einen Weg gehen wird, der sich in das Gewaltsystem des Ostens irgendwie einordnet. ({9}) Allerdings wird auch das geeinte Deutschland den gleichen Willen zu friedlichen Regelungen bekunden, wie die Bundesregierung das für die Bundesrepublik anläßlich der Londoner Verhandlungen getan hat. Wir tun damit der Menschheit und insbesondere der freien Welt den größten Gefallen. Lassen Sie mich zu dem in London ausgesprochenen Verzicht auf jede kriegerische Lösung noch ein paar Worte sagen. Diese Erklärung ist in der Öffentlichkeit leider nicht so beachtet worden, wie sie das verdiente. Es ist doch vielleicht das erste Mal in der Geschichte der modernen Politik, daß ein großes Volk erklärt, selbst die Lösung seiner wichtigsten Lebensfrage, selbst sein höchstes nationales Anliegen, die Wiedervereinigung, werde es nicht mit kriegerischen Mitteln betreiben. In dieser Erklärung liegt doch eine wirklich moderne, moralisch gar nicht hoch genug zu wertende Grundhaltung, für die uns die Welt dankbar sein sollte. ({10}) Es stünde besser um die Menschheit, wenn jedes Land der Erde sich zu solchen Erklärungen bereitfinden würde und diese Erklärungen dann auch hielte. Lassen Sie mich gerade als Sprecher der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE dem Bundeskanzler für diese Erklärung Dank sagen. Ich tue das deshalb, weil im Laufe des letzten Jahres böswillige Pressestimmen des Auslandes meine Partei in den Verdacht bringen wollten, eine „Politik der Irredenta" zu betreiben, eine Politik, die auf gewaltsame Lösungen insbesondere bezüglich unserer Ostgrenzen hinsteuerte. Möge man dort zur Kenntnis nehmen, daß gerade wir die Erklärung des Kanzlers billigen. Wir werden niemals aufhören, für unsere Heimat, für unsere Gebiete ostwärts der Oder-Neiße-Linie mit allen friedlichen Mitteln zu kämpfen, aber wir wollen nicht zurück in die Heimat an neuen Gräbern vorbei. ({11}) So schmerzlich die Entwicklung für uns sein mag, wir möchten durch eine gewaltsame Erfüllung unseres Wunsches die westliche Zivilisation und die Menschheit nicht in unsägliches Unglück stürzen, vielleicht in einen Zustand, der überhaupt das Ende jeder Zivilisation bedeutete. Wenn die Sowjetunion die Absicht hat, zu einer Beilegung der Spannungen zu kommen, so wird - und das ist unsere Meinung - der Londoner Pakt dem nicht entgegenstehen. Im Gegenteil, wenn die Sowjetunion es mit ihren Erklärungen, die sie als Mitglied der UNO abgegeben hat, ernst meint, dann sollte sie sich über die Hereinnahme der Bundesrepublik in dieses System freuen; denn hier wird ja die deutsche Bundesrepublik zum erstenmal in einen festen, sehr festen Zusammenhang mit den Grundsätzen der UNO gebracht. Und wenn es der Sowjetunion wirklich um das Selbstbestimmungsrecht der Völker und um all die anderen Grundsätze geht, die in der UNO-Satzung verankert sind, dann sollte sie in dem Heranziehen der Bundesrepublik an diese Satzung eine neue Chance für den Frieden sehen. Von uns aus - und das wäre auch noch ganz deutlich zu sagen - wird der Brüsseler Pakt nicht etwa in der Annahme geschlossen, daß wir damit in kriegerische Verwicklungen hineinkommen, auch nicht etwa in der Annahme, daß ein Krieg unumgänglich sei und daß wir eine bestimmte Seite, die zur Zeit mehr Aussichten besitzt, unterstützen wollten, sondern von uns aus wird der Beitrag zur Verteidigung nur geleistet in der Zu({12}) versieht, daß dieser Beitrag dazu mithelfen wird, der Welt den Frieden zu erhalten. ({13}) Zu irgendeiner anderen Auslegung, irgendeiner anderen Politik innerhalb der Paktorganisation wird das deutsche Volk niemand bringen können. Man tut einer Verständigung, die wir alle, Herr Ollenhauer, wir alle , mit Sowjetrußland anstreben, aber keinen Gefallen mit Verdächtigungen, am wenigsten schon mit Verdächtigungen der Art, daß die angegebenen Zahlen des Wehrbeitrags nur zur Beruhigung irgendwelcher Leute draußen gedacht seien und daß man sich bereits höhere Zahlen zuflüstere. Ich habe solche höheren Zahlen nicht gehört. Wenn sie aber geflüstert werden, sollte man die, die da flüstern, stellen. ({14}) Die deutsche Öffentlichkeit und auch die Weltöffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, die Wahrheit zu erfahren. Was an uns liegt, so werden wir uns dafür einsetzen, daß auch hier die Wahrheit offenbar wird und bleibt. Aber man tut der deutschen Sache auch keinen Gefallen mit Verdächtigungen, die in der Richtung eines wiedererwachenden Nationalismus liegen. Ein solcher Nationalismus erwacht bei uns nicht; es sei denn, Sie betrachten die einheitliche Ablehnung des deutschen Volkes gegenüber undemokratischen Saarlösungen schon als erwachenden Nationalismus. Das glaube ich aber nicht, denn Sie gehören ja zu denen, die gegen die bisher vorgesehenen und etwaigen noch in Aussicht stehenden Saarlösungen am lautesten polemisieren. Wenn Sie nun aber doch meinen, daß das schon Nationalismus sei, dann können Sie auch uns als Nationalisten bezeichnen. Wollen Sie aber den Begriff klassisch fassen, dann sind wir nicht mehr dabei. Über die Saarfrage ist von meinen drei Vorrednern schon Wichtiges gesagt worden. Die Akzente waren etwas unterschiedlich. Ich glaube aber nicht, daß es notwendig ist,- in diesem Zeitpunkt hier eine Saardebatte zu führen. Sie gehört auch nur sehr mittelbar zu den heute zu behandelnden Problemen. Das Londoner Vertragswerk sagt nichts über die Saar. Uns ist erklärt worden, daß irgendein Junktim nicht besteht. Lediglich die Tatsache, daß der Herr französische Ministerpräsident die Saarfrage in einen Zusammenhang mit dem Vertragswerk gebracht hat, gab uns Veranlassung, darauf einzugehen. Ich meine, wir tun der Sache jedoch keinen Gefallen, wenn wir das allzuweit ausbauen. Deshalb möchte ich gleich mit gutem Beispiel vorangehen und mich auf ganz wenige Sätze beschränken. Auch wir sind der Meinung, daß das Problem der Saar nur auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker gelöst werden kann. Wir wünschen nicht, daß an der Saar ein Präzedenzfall geschaffen wird, der uns bei der Verfolgung unserer berechtigten Ansprüche auf der anderen Seite des deutschen Lebensraums Schwierigkeiten - vielleicht sogar unüberwindliche Schwierigkeiten - macht. Wir sind auch bereit, das Prinzip der Selbstbestimmung dann zu achten, wenn es für uns etwa ungewisse oder vorübergehend sogar ungünstige Ergebnisse zeitigen sollte. Es geht uns um eine saubere Auffassung vom Recht, es geht hier um Rechtsprinzipien, die in jedem Falle auch dann nicht wegzudiskutieren sind, wenn man Befürchtungen über ihre praktischen Auswirkungen haben sollte. Wir meinen jedoch, daß im gegenwärtigen Stadium eine gerechte Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker an der Saar überhaupt nicht möglich ist, ({15}) weil man der Bevölkerung der Saar seit fast einem Jahrzehnt wider jedes Menschen- und Völkerrecht eine freie Meinungsbildung untersagt, weil man ihre politische Entwicklung in eine ganz einseitige, uns abträgliche Richtung gedrängt und weil man es verstanden hat, durch politische Maßnahmen das deutsche Wort dort drüben zum Schweigen zu bringen. ({16}) Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang nur auf die Tatsache verweisen, daß auch in dem uns vorliegenden Vertragswerk davon die Rede ist, daß die Grenzen Deutschlands erst in einer Friedensregelung mit dem gesamtdeutschen Staat festgelegt werden können. Es gibt mancherlei Bedenken gegen das Londoner Vertragswerk. Ich habe es begrüßt, daß die Bedenken - die anderen Parteien haben. sie wohl genau so wie wir - hier nicht im einzelnen ausgebreitet wurden. Vielleicht ist der Zeitpunkt dazu auch noch etwas früh. Ich möchte auch nicht in die Einzelheiten gehen. Ich möchte aber erklären, daß uns die Tendenz dieses Vertrags eine positive Wertung nahelegt, daß wir meinen, daß hier ein Weg ist, ein Weg, den wir gehen sollten, ohne übermäßige Hast, ohne allzu großen Jubel, aber mit dem festen Vorsatz, das unsrige zu tun, um die freie Welt zu verteidigen, das unsrige zu tun, um eines Tages doch noch zu Europa zu kommen. ({17})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Herr von Merkatz.

Dr. Hans Joachim Merkatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001477, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Aussprache und namentlich die Stellungnahme der Opposition hat einen Vorteil gebracht, nämlich den Vorteil der Klarheit. Wir haben damit die Möglichkeit, uns mit den Auffassungen der Opposition deutlich auseinanderzusetzen, und ich halte das für nötig. Ich stimme nur in einem einzigen Punkt mit den Darlegungen der Opposition überein, nämlich darin, daß eine deutsche Außenpolitik nur mit den Mitteln des Friedens betrieben werden kann. Ich glaube, daß diese Auffassung, diese innerste Friedensbereitschaft unseres Volkes und Staates eine der wichtigsten Grundlagen überhaupt für die neue Existenz unseres Volkes in der Gemeinschaft der Völker ist. Aber wir haben uns zu fragen, wie diese Friedenspolitik betrieben werden kann. Wir überschauen drei Phasen der Entwicklung. Die erste Phase, die mit dem Kriegsausgang verknüpft war und ihre Grundlage in Yalta und Potsdam gefunden hat, war eine reine Siegerpolitik, aufgebaut auf dem Tatbestand der Unterdrückung des Besiegten. Die zweite Phase zielte darauf ab, eine westliche Zusammenarbeit zustande zu bringen, eine Zusammenarbeit der freien Völker und eine ganz enge Zusammenarbeit der europäischen Völker. Diese Phase hat sich lange hingezogen, und das Londoner Instrument hat nun den Namen „Schlußakte" bekommen. Ich möchte hier der Hoffnung Ausdruck geben, daß es sich nicht um eine ({0}) Schlußakte, sondern um eine Londoner Anfangsakte handeln möge, die eine dritte Phase der Vollendung der europäischen Einigung einleitet. Was bedeutet eigentlich der Friede? Welches sind die Grundelemente des Friedens unter den Völkern? Ich möchte es dahingehend definieren, daß Freiheit und Sicherheit die Substanz des Friedens sind und sein müssen, den wir erreichen wollen. Freiheit und Sicherheit sind die unverzichtbaren Grundpfeiler des Friedens. Wenn wir die deutsche Außenpolitik überblicken und uns einen Begriff machen wollen, worum es eigentlich gegangen ist, so läßt sich alles unter den Generalnenner vereinigen: es ist um den Frieden Deutschlands mit friedlichen Mitteln gerungen worden. Aber wenn der Weg beschrieben werden soll, den wir gehen müssen, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß der deutsche Friede nur eingebettet sein kann in einen europäischen Frieden. Um diesen europäischen Frieden und damit auch den deutschen Frieden zu erlangen, ist es notwendig, daß Deutschland - ganz Deutschland - einen neuen Status in diesem zerstörten und neu zu schaffenden europäischen Staatensystem findet. Wie aber - so ist die Frage zu stellen - ist die Möglichkeit der Freiheit und der Sicherheit zu gestalten? Deutschland war im Mittelalter als Heiliges Römisches Reich in der Mitte Europas gewissermaßen das Zentrum unseres Kulturkreises. Im 19. Jahrhundert, als die beiden großen Mächte im Osten und im Westen aufstiegen, wurde es zu einer Brücke, in der Mitte dieses Kontinents gelegen, einer Brücke zwischen Ost und West. Wir können in unserer neu zu erarbeitenden außenpolitischen Grundkonzeption nicht an dem Tatbestand vorbeigehen, daß Deutschland in eine Randlage geraten ist, zu einem Grenzland zwischen Ost und West geworden ist. Ich sage dies, um auch dem Altreichskanzler Brüning zu begegnen, der eine politische Konzeption entwickelt hat, aufgebaut auf die sogenannte Brückenfunktion in der Mitte Europas. Diese Brückenfunktion ist nicht mehr gegeben; denn das alte Staatensystem ist zugrunde gegangen, vor allen Dingen dadurch, daß Osteuropa dem Ostblock anheimgefallen ist. ({1}) Eine Brückenfunktion zwischen Ost und West - und ich halte es für wichtig, das einmal zu betonen - ist nur dann gegeben, wenn Osteuropa frei ist. Dann erst wieder wird Mitteleuropa zu jener brückenmäßigen Mittellage kommen. Jetzt - und das sei tief beklagt - ist Deutschland zum Randgebiet geworden. Daher stimmt keine Berufung auf historische außenpolitische Konzeptionen mehr. Wir haben eine völlig neue außenpolitische Konzeption zu entwickeln. An dieser Tatsache scheint mir die Grundauffassung der Opposition, der Sozialdemokratie vorbeizugehen. Es scheint mir, daß sie immer noch von jenem nationalstaatlichen Konzept der Brückenfunktion Deutschlands getragen ist. Herr Ollenhauer hat die wichtige Kernfrage in einem Kontrast gesehen: ob erst und mit jedem Vorrang eine Wiedervereinigungspolitik betrieben werden soll oder mit Vorrang eine europäische Einigungspolitik. Diese Alternative ist falsch gestellt. ({2}) Es ist eine falsche Frage, denn europäische Einigungspolitik und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, d. h. die Bestimmung Deutschlands im Status eines neuen Staatensystems, die Voraussetzung für unseren Frieden, die Voraussetzung für die Wiederherstellung der Einheit, alles dies ist ein und dasselbe Problem von verschiedenen Seiten aus betrachtet. ({3}) Deshalb halte ich den ganzen Rangstreit für einen unlogischen Schluß. Jede Isolierung aber - das möchte ich auch der Opposition sagen -, jede Isolierung Deutschlands zwischen Ost und West bedeutet praktisch seine Neutralisierung, ob die Opposition das will oder nicht will, und es ist ja nicht nur die Opposition, sondern es gibt auch so gewisse intellektuelle Labilitäten, die sich immer von dem Prestige der Macht imponieren lassen, die damit auch Hitler anheimgefallen sind; denn wenn dieses Imponieren, dieses Verbeugen des bindungslosen Intellekts vor den dämonischen Kräften der Macht nicht gewesen wäre, wäre manches in Deutschland nicht geschehen. ({4}) Jede Isolierung Deutschlands bedeutet eben, ob man will oder nicht, seine Neutralisierung. Neutralisierung, was ist denn das? Ich bitte, klarstellen zu dürfen: wir haben ein ganz klares Neutralisierungskonzept einmal im Potsdamer Abkommen, wir haben ein Neutralisierungskonzept im russischen Notenwechsel, verschärft und noch einmal verdeutlicht und unannehmbar gemacht auf der Berliner Konferenz. Neutralisierung heißt: VierMächte-Herrschaft auf Dauer über dieses Land; denn bei einer Neutralisierung soll die Neutralität dieses Landes nicht von seinem eigenen Willen, nicht von seiner eigenen Kraft abhängen, seine Neutralität gewährleisten zu können, sondern von dem Willen der vier Oberherren, die den Status des Landes jeweils in jedem neuen Konflikt neu bestimmen. Neutralisierung auf der Potsdamer Grundlage - wozu noch die Kontrollen für das Innen-, Sozial- und Wirtschaftsgefüge dieses Landes und jegliche politische Regungen kommen -, Neutralisierung auf dieser Grundlage bedeutet nicht etwa den Frieden bringen, sondern die dauernde Zerreißung nicht nur gebietsmäßig, sondern auch im Gemüt und in den Funktionen der Menschen, die dauernde Zerreißung unter dem divergierenden Einfluß von vier Oberherren, d. h. das dauernde Austragen der Konflikte im deutschen Raum, den dauernden Zustand des Dreißigjährigen Krieges im deutschen Volke. ({5}) Neutralitätspolitik ist etwas ganz anderes. Neutral bleibt man in dem Willen, aus einem Konflikt aus eigener Kraft herauszubleiben, und man hat die Kraft, diesen Zustand respektieren zu lassen. Jeder andere Staat, der die Neutralität verletzt, wird zurückgeworfen. Eine deutsche Neutralitätspolitik ist bisher in der Geschichte gescheitert. Es gibt keinen Fall, in dem eine deutsche Neutralitätspolitik mit Erfolg durchgeführt wurde, mit Rücksicht auf unsere geographische Lage und mit Rücksicht darauf, daß das Spannungsfeld der Welt sich auf unser Land mit erstreckt. Ich frage aber, ob überhaupt - und diese Frage hat sich der Schweizer Bundesrat 1919 bei der Frage eines Eintritts in den Völkerbund sehr klar vorgelegt - in diesem Jahrhundert noch eine Neutralitätspolitik im klassischen Sinn möglich ist. Ich ({6}) möchte das verneinen. Ich glaube, daß an die Stelle der historischen, dem 19. Jahrhundert wesentlich entsprechenden Vorstellung von der Neutralitätspolitik vielmehr eine Politik treten sollte, die ich Entspannungspolitik nenne, eine Politik, die darauf gerichtet ist, Konflikte zu entschärfen. Denn der moderne Krieg läßt weder Sieger noch Besiegte zurück. Der moderne Krieg bedeutet die Katastrophe für alle Teile; er kann keine machtpolitischen Entscheidungen bringen. Diese neue Möglichkeit einer Politik - dem dient ja das ganze Konzept der Politik einer europäischen Einigung - möchte ich als Entspannungspolitik bezeichnen. Die neue Politik, die darauf gerichtet ist, eingebettet in die größere Politik das Staatensystem Europas neu, und zwar im Sinne der Einheit, im Sinne der dauernden Zusammenarbeit zur Gewährleistung der Sicherheit und der Freiheit, also zur Erarbeitung der Substanz des Friedens, zu gestalten, ist ihrem ganzen Wesen nach Entspannungspolitik in dem Gegensatz zwischen Ost und West. Der Weg, der mit deutscher Initiative zu dieser Entspannungspolitik führen sollte, war weit, aber er ist erfolgreich beschritten worden. Ich glaube, die Stunde, in der wir allgemein über die Londoner Schlußakte oder Anfangsakte sprechen, gebietet uns, ein klares Gesicht zu zeigen und uns zu besinnen. Der erste Schritt, den deutsche Politik tun mußte, war der, die völkerrechtliche Stellung Deutschlands wieder aufzurichten. Die Bundesrepublik ist hierbei nichts anderes als das Instrument, damit das deutsche Volk, dessen staatlicher Zusammenhang vernichtet worden ist, bei diesen weltumspannenden Verhandlungen nicht Objekt, sondern mitbeteiligtes Subjekt ist. In diesem Mitam-Tisch-Sitzen bei den Nationen, in dieser Mitbeteiligung, sehe ich den Hauptgehalt dessen, was man heute Souveränität nennt, nämlich die Fähigkeit und Verantwortlichkeit, als gleichberechtigter Partner für seine Interessen einzustehen und als gleichberechtigter Partner am Tisch der Völker zu verhandeln und zu handeln. Es geht darum, die Geschicke Deutschlands durch eigene Initiative, durch ein eigenes Selbstbewußtsein - bei aller Zurückhaltung im Wort - in die Hand zu nehmen. Die Opposition kritisiert nun, daß dieser Staat, die Bundesrepublik, jenes Gebilde, das aus einer deutschen Not hervorgegangen ist, sich zu sehr perfektioniere, daß damit die Bundesrepublik einen Teilstaat in einem vollen Sinne entstehen lasse. Ich möchte hierauf namens meiner politischen Freunde klar und deutlich antworten: es gibt keinen deutschen Teilstaat, es gibt heute und in Zukunft immer nur einen Staat, den deutschen Staat, der in der Welt als Völkerrechtssubjekt noch heute anerkannt ist. ({7}) Was hier in der schweren Verantwortung, aber auch Pflicht gegenüber dem ganzen deutschen Volk wahrgenommen wird, ist stets eine treuhänderische Ausübung der Rechte und Pflichten für das Ganze, das allein als Völkerrechtssubjekt noch besteht, das allein das Subjekt ist, für das gehandelt wird, das ganze Deutschland, das allein auch der Partner eines Friedensvertrages sein kann. Ich möchte an dieser Grundauffassung mit aller Deutlichkeit festhalten, weil wir damit auf der einen Seite die Grenzen unserer Möglichkeiten sehen, die Grenzen unserer Rechte und die Tiefe der Verantwortung und unserer Pflichten gegenüber dem Ganzen, weil wir auf der andern Seite damit aber auch erkennen, daß die Ausübung dieser Pflicht das höchste Maß an Staatsbewußtsein und an Treue gegenüber diesem Staat zum Ausdruck bringen muß. Dieses Staatsbewußtsein und diese Treue sind zugleich das Staatsbewußtsein und die Treue gegenüber dem Ganzen, und daneben. gibt es keinen Teilstaat. Ich habe immer etwas gegen den Begriff der Wiedervereinigung polemisiert, denn er setzt irgendwie schon in einer Gefolgschaft gegenüber der ostzonalen Propaganda die Existenz von zwei Gebilden voraus, die irgendwie gleichrangig seien, die irgendwie beide in ein Kollaborationsverhältnis zu zwei Mächtegruppen geraten seien. Das ist eine völlig falsche Sicht und ein Verstoß gegen die Grundlagen des Staatsgefühls, auf die es ankommt und nach denen wir zu handeln haben, die das Maß unserer Verantwortung verdeutlichen. Es gibt eine Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, aber es gibt nicht die Wiedervereinigung von zwei gleichberechtigten Staaten und Teilen. Es gibt nur ein en Staat, und dessen Rechte nimmt die Regierung der Bundesrepublik, der freie, demokratisch legitimierte Teil Deutschlands wahr. ({8}) Die Handlungsfähigkeit dieses freien Deutschlands wurde durch die Außenpolitik der letzten fünf Jahre tatsächlich errungen, wenn auch noch nicht de jure. Die dazu nötigen Rechtsakte sind überfällig, und wir stehen dicht vor dem Abschluß dieser Entwicklung; aber die Substanz wurde bereits errungen. Was sind im Völkerrecht papierene Rechte, die nicht von der Wirklichkeit politischer Gestaltungsfähigkeit getragen werden? Wenn wir nach der Wirklichkeit politischer Gestaltung fragen, dann kann man wohl sagen, daß fünf Jahre ein kurzer Weg und eine kurze Zeitspanne waren, daß vieles, sehr vieles, ja Entscheidendes damit erreicht worden ist, daß dieses Land überhaupt wieder die Rechte des Ganzen - die Rechte des Ganzen, wohlgemerkt, und das ist jetzt in der Londoner Schlußakte anerkannt worden - am Tisch der Völker wahrnimmt. Ich halte das für entscheidend. Nun ein Wort zur Integrationspolitik. Die Opposition hat die Integrationspolitik angegriffen, weil sie sagt, diese Integration schaffe ein Klein-Europa und spalte Europa weiterhin auf. Auch das halte ich für eine vollkommen falsche Betrachtung. Integration ist ja nicht etwa die enge Verschmelzung, die gewissermaßen eine neue, nach außen abgeschlossene, mit einer chinesischen Mauer umzogene Einheit entstehen läßt, sondern Integrationspolitik bedeutet in diesem Sinne, daß auch nicht so sehr der Souveränitätsverzicht wesentlich ist. Jeder völkerrechtliche Vertrag enthält Bindungen und damit Souveränitätsverzichte. Nehmen Sie die Donauschiffahrts-Akte; nehmen Sie irgendeinen Vertrag, der beispielsweise eine Gerichtsbarkeit einsetzt; alles das sind Souveränitätsverzichte. Das ist also nicht das Wesen der Integration. Es ist auch nicht das Wesen der Integration, daß in ihr gewissermaßen die eigene Existenz aufgebende Verschmelzungen stattfinden. Auf das kommt es nicht an. Ich gebe den Gegnern zu, daß die Integrationspolitik mit dem Begriff des Supranationalen vielleicht ein ferneres Ziel zu sehr dogmatisiert hat, zu schnell vorweggenommen hat. Möglich! Es ist klar, daß diese Souveränitätsverzichte in der dogmatischen Darstellung, die sie oft in der öffentlichen ({9}) Polemik gefunden haben, für England und für die skandinavischen Staaten z. B. nicht möglich waren, daß man da in der Wortung und in den Vorstellungen zum Teil viel zu weit gegangen zu sein scheint. Aber worauf kommt es denn an? Es kommt darauf an - und das ist das Unverzichtbare für meine Freunde -, daß eine europäische Zusammenarbeit so eng gestaltet wird, daß sie nicht nur ein leicht lösbares internationales Bündnis ist, sondern ein Grundprinzip der künftigen Politik, - eine enge Zusammenarbeit, die Krisen standhält, die Dauer hat und in dieser Dauerhaftigkeit jenen Faktor in der Welt darstellt, der zum Ausgleich führen kann. ({10}) Um eine solche krisenfeste, dauerhafte und enge Zusammenarbeit auf den wichtigsten Gebieten zustande zu bringen, ist es auch notwendig, eine Gemeinschaftsautorität zu errichten. Lassen wir einmal das Wort „supranational" weg - es mußte gebildet werden, weil es einen logischen Gegensatz zum Begriff des Internationalen, der Nebenordnung, der zufälligen Ordnung, der leicht auflösbaren Ordnung darstellt -; sprechen wir der Substanz nach einfach von Gemeinschaftsautorität, wie jede auf enge Zusammenarbeit, auf Dauer und Krisenfestigkeit begründete Genossenschaft sie zu entwickeln vermag. Ohne eine solche Gemeinschaftsautorität in der Ausführung der Aufgaben der Zusammenarbeit wird man nicht auskommen können. Nun wurde heute von der Opposition behauptet, es habe ein Bruch in der Außenpolitik der Regierung stattgefunden. Ich kann einen solchen Bruch nicht sehen. Die Regierung hat nichts anderes getan, als das, was möglich ist, zu realisieren. Ich glaube, daß dieses Londoner Übereinkommen in einer wahrhaft tiefen, gefährlichen Krise zustande gekommen ist; ({11}) und es wäre doch gegen jede Gerechtigkeit, gegen jedes Maß, möchte ich sagen, wenn man der Regierung, die in diesem Punkte nicht versagt hat, die in diesem entscheidenden Krisenpunkt das Mögliche ergriffen hat, hier nicht die Anerkennung, die Billigung, ja die treue Unterstützung geben wollte. ({12}) Wenn ich von der Londoner Anfangsakte gesprochen habe, so glaubte ich, das sagen zu dürfen, weil in diesen Abmachungen alle guten und konstruktiven Entwicklungsmöglichkeiten liegen. Sie sind noch nicht gesichert; wir haben keinen Anlaß, in Begeisterung auszubrechen; ({13}) aber wir haben die konstruktive Möglichkeit: dann nämlich, wenn starke Regierungen, entschiedene Regierungen mit einem klaren Konzept auf diesen Grundlagen weiter bauen. Ich möchte für unsere deutsche Situation sagen - diese Bemerkung und diese Bitte richtet sich nicht nur an die Opposition, sondern auch an die eigenen Reihen, und zwar möchte ich nur diese kurze Feststellung treffen und mir einen Kommentar dazu ersparen Eine schwache Regierung - im Innern eines Staates geschwächt, weil ihre Grundlagen nicht mehr festgefügt sind - ist draußen um so schwächer. ({14}) Deshalb sind hier für uns alle Verantwortungen vor unserem deutschen Volk gesetzt, gerade weil wir eben treuhänderisch etwas für ein Ganzes wahrnehmen müssen, ohne das Gewicht und die Macht des Ganzen zu haben. Das erschwert unsere Lage. Gerade deshalb ist unsere Verantwortung hinsichtlich der Grundlagen dessen, was wir hier treuhänderische Regierung nennen, ganz besonders groß. Meine Partei hat damals - ich muß das hier wieder erwähnen - auf die verhängnisvollen Folgen der Verzögerung im Jahre 1952 hingewiesen, daß versäumt worden ist, den „vorüberrauschenden Mantel der Geschichte", wie Bismarck es ausdrückte, zu ergreifen, die EVG zu ratifizieren und auf juristische Schwierigkeiten, die beim Bundesverfassungsgericht gemacht wurden, keine Rücksicht zu nehmen. Ich glaube, es liegt hier - und das ist ein Irrtum und eine Schuld, die wir eingestehen sollten, von der wir uns aber in Zukunft lösen sollten, damit solche Verzögerungspolitik nicht wieder betrieben wird - ein gewisses Versagen vor, eine innere Unsicherheit gegenüber dem, was notwendig war. Denn wenn etwas politisch gestaltend richtig ist, dann - das sage ich als Jurist - finden sich auch die juristische Form und der entsprechende Urteilsspruch, der Bestand hat. Ich hätte es riskiert, daß das Bundesverfassungsgericht meinetwegen nein gesagt hätte. Wir haben damals eine Verzögerungspolitik betrieben, die ich heute noch, nachträglich, nach zwei fahren, als verhängnisvoll bezeichnen muß. Die westeuropäische und atlantische Solidarität ist ein Prinzip, das zu einem dauernden Grundsatz jeder Politik gestaltet werden muß. Ich schicke das voraus, damit keinerlei Mißverständnisse hinsichtlich meiner weiteren Ausführungen entstehen. Die westeuropäische Zusammenarbeit, die wir jetzt gestalten können, ist gewiß nicht die letzte Lösung. Sie gewährt Freiheit und Sicherheit in Westeuropa und in Westdeutschland; aber sie gewährt noch nicht Freiheit und Sicherheit in ganz Europa und in ganz Deutschland. Sie ist - und darüber hat unsere Regierung, haben auch wir nie einen Moment einen Zweifel gelassen - immer nur eine Vorstufe, um den wirklichen deutschen, den wirklichen europäischen und damit den Frieden der Welt neu zu gestalten. Das Militärische - ich gebe das der Opposition zu - hat allzu stark im Vordergrund gestanden. Aber bitte: war es denn unsere Absicht, das Militärische an diesen Platz zu rücken? War es denn überhaupt die Absicht von uns, an Stelle allgemeiner europäischer Politik so stark und so viel Militärpolitik betreiben zu müssen? Ich finde, die Opposition und die Darstellung von Herrn Ollenhauer haben die Dinge auf den Kopf gestellt. Die Spaltungspolitik ging nicht von Westdeutschland oder von Westeuropa oder überhaupt von der freien Welt aus; die Spaltungspolitik ging klar und eindeutig vom Osten aus. Wenn wir dies auf Deutschland projizieren: was ist denn drüben geschehen? Wir haben nicht nur ein SED-Regime, wir haben ein Volkspolizeiregime, und das ist doch die eigentliche Ursache der Spaltung. Drüben hat man integriert, nicht nur wirtschaftlich, nicht nur militärisch, nicht nur politisch, sondern der Integrationsprozeß soll im Wege der Bolschewisierung noch um ein Erhebliches weitergetrieben werden, vertieft werden. Gesellschaftlich soll durch die zwangsweise, terroristische Herstellung der bolschewistischen Gesellschaftsordnung eine Integration stattfinden, ein Prozeß von solcher ({15}) Intensität, von der Westeuropa hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Zustände, seiner wirtschaftlichen, politischen, militärischen Zustände noch nicht einmal träumt. Drüben handelt es sich um eine Einheitsverschmelzung, und wenn daher die Opposition sagt: „Ihr dürft keinen Schritt tun, in dem ihr zum Bunde mit dem Westen kommt; ihr erschwert damit die Wiederherstellung der Einheit", so muß ich klar und deutlich feststellen: durch diese gesellschaftliche und wirtschaftliche Desintegration Deutschlands, nämlich durch die Eingliederung der sogenannten DDR in den Ostblock ist ja jene Spaltung zustande gekommen, um deren Aufhebung wir uns zu bemühen haben. ({16}) Darüber hinaus ist es ja nicht nur die sowjetisch besetzte Zone, die sogenannte DDR, die integriert ist. Noch weiter gegangen ist der Integrationsprozeß hinsichtlich der deutschen Gebiete ostwärts der Oder und Neiße, indem man das Gebiet dadurch integriert hat, daß man die Bevölkerung ausgetrieben hat. ({17}) Und schließlich die gesamte Errichtung des politischen Systems des Ostblocks mit seinen Satellitenverhältnissen: Es handelt sich hier nicht nur um ein Defensivbündnis unter Führung der Sowjetunion, sondern um eine Allianz, eine Blockbildung, deren aggressiv gegen Westeuropa und Ostasien gerichtete Spitze einfach nicht geleugnet werden kann, weil die Praxis dieser Politik diese Aggressionsabsicht bisher bestätigt hat. Ich möchte nochmals wiederholen: In Verkennung der Tatsache, daß die Spaltung aus dieser Blockbildung und aus dieser Expansionspolitik hervorgegangen ist, setzt die Opposition die Folgen für die Ursache. Ich glaube, sowenig wir es dulden können, daß die sowjetisch besetzte Zone gewissermaßen zur Speerspitze dieses aggressiven Ostblocks gemacht wird, so wenig dürfen wir es dulden - und darauf ist die westliche Politik auch nicht gerichtet -, daß die Bundesrepublik gewissermaßen zu einer Speerspitze nach der andern Seite hin mißbraucht wird. Ich habe dieses etwas übertriebene Bild gewählt, um den Kontrast deutlich zu machen und weil wir von dieser Vorstellung gegeneinander gerichteter Blöcke zu einer konstruktiven Lösung kommen müssen und kommen können, und zwar durch Überwindung des Gegensatzes dieser Systeme. Wie gesagt, wir haben konstruktiv politisch zu denken, und die Voraussetzung jeder konstruktiven Politik. ist, daß nicht Systeme aufgebaut werden, die in einen Gegensatz zueinander gebracht werden oder die im Innern auf ein Mißtrauen, z. B. das Mißtrauen gegen Deutschland, begründet werden. Es wurde von Anzeichen der Entspannung gesprochen. Mag sein. Ich sehe keine Entspannungspolitik des Kremls. Aber ich wäre natürlich glücklich, wenn die Opposition in diesem Punkte recht hätte. Ich habe vielmehr das Gefühl, daß die sogenannte Entspannungspolitik, die seit der Erklärung Malenkows vor dem Obersten Sowjet im März 1953 angeblich getrieben wird, vor allem auf dem Eindruck des ungewöhnlichen Prestigegewinns des Ostblocks beruht. Das hat Früchte gebracht - halb Indochina ist praktisch erobert worden -, und schließlich hat dieser Prestigegewinn auch zu einer starken Erschütterung des westlichen Allianz-systems geführt; das wollen wir uns ganz offen eingestehen. Meine Hoffnung ist die, daß London diesen Zerfallsprozeß beendet hat. Nun lautet die Hauptthese der Opposition - und das ist der eigentliche Gegensatz zwischen der Opposition und uns -, man solle, ehe man militärpolitisch etwas forme, in Verhandlungen mit dem Ostblock eintreten. Ich warne vor diesem Mythos der Verhandlungen, der dem Osten bisher so hohe Prestigegewinne gebracht hat, wie die Praxis beweist! ({18}) Vielleicht liegt es an meiner etwas pessimistischen Grundauffassung von der Geschichte und den Grundlagen der Politik; jedenfalls habe ich sehr den Eindruck: indem man mit den Russen causiert, indem man bei einem Machthaber gewissermaßen den Bart des Propheten streichelt, ({19}) vermag man nicht die echten Gegensätze, die nüchternen Tatsachen von Gewaltverhältnissen zu ändern. ({20}) Es ist vielleicht ein uralter - Herr Kollege Dehler mag es mir nicht übelnehmen, wenn ich jetzt gegen den Politiker Dehler etwas polemisieren muß - liberaler Irrtum, daß man sich gegenüber den Härten der Daseinsbedingungen dieser Welt gewissermaßen in einen humanitären, gewaltlosen Raum flüchten könne und daß sich dort in der Auseinandersetzung des klaren, lauteren und gehobenen Geistes, dem dann so ein bißchen auch die moralischen Engelsflügelchen wachsen, daß es sich dort irgendwie causierend freundlich am Kamin der Geschichte diskutieren ließe. ({21}) Alles wohlverdient, diese Grundlinie des Liberalen. Wir wollen das nicht schmälern. Aber die Auseinandersetzungen der Welt werden in ihrer letzten Formung gewiß zwar von klarer Intelligenz getragen; doch die gestaltenden Kräfte liegen tiefer, als daß sie der intellektuelle Verstand causierend beeinflussen könnte. ({22}) - Ja, das Diabolische! Gut, dieses Stichwort, Herr Dehler, gefällt mir. Zur Überwindung des Diabolischen in dieser Welt gibt es, glaube ich, nur eine Möglichkeit: Standhaftigkeit des -Charakters! ({23}) Wirklicher Geist baut sich auf der Standhaftigkeit des Charakters auf, auf jenen zutiefst im Herzen erlebten moralischen Verpflichtungen. Dann ergibt sich auch jene Möglichkeit des Agreements, des Ausgleichs. Aber dies ist meiner Ansicht nach nicht, wie so viele Liberale meinen - ich nenne es den liberalen Irrtum in der Geschichte -, das Produkt glücklicher Einfälle und glücklicher Kontakte sanfter Stunden des Geistes, sondern es ist die Frucht harter Bemühung, des Aufsichnehmens von Gefahren, des Risikos und letzthin des persönlichen Opfers. ({24}) Es wurde gesagt, diese Verhandlungen sollten uns einem kollektiven Sicherheitssystem, einem europäischen Sicherheitssystem näherbringen. Das ist die Grundthese der Opposition. Ich glaube, in der gegenwärtigen Situation, wo eine Sicherheit in Europa noch nicht oder nur schwach ausgebildet vorhanden ist, in der gegenwärtigen Situation des ({25}) Übergewichts der Sowjetunion und des Ostblocks könnten solche Verhandlungen nur zu dem Ergebnis der Neutralisierung führen. Ehe wir von einem kollektiven Sicherheitssystem sprechen, müssen wir nach der Sicherheit im gegebenen Zustand fragen. Denn erst wenn Sicherheit vorhanden ist, kann man diesen Zustand der Sicherheit gewissermaßen allgemein, kollektiv machen. Was ist denn überhaupt der Inhalt dieses so oft mißbrauchten Begriffs „kollektive Sicherheit"? ({26}) Wir müssen unterscheiden zwischen aggressiven Militärallianzen - ich möchte sagen: der Ostblock ist ein klassisches Beispiel nicht nur einer aggressiven Militärallianz, sondern eines Militärblocks - und Verteidigungsbündnissen. Natürlich ist ein Verteidigungsbündnis gegen eine bestimmte Bedrohung, also gegen einen bestimmten potentiellen Gegner gerichtet. Schließlich gibt es noch kollektive Sicherheitssysteme. Das sind Systeme, in denen ein Gegensatz dadurch zum Ausgleich gebracht wird, daß man ein drittes gleichwertiges Element schafft, so daß gewissermaßen jeder Angreifer mit Sicherheit auf eine unüberwindliche Übermacht stößt, also dadurch, daß man in ein solches System den potentiellen Gegner mit hineinnimmt. Nun muß ich fragen: Wenn in Europa, in der freien Welt kein System der Sicherheit gegeben ist, wenn augenblicklich die Sowjetunion die volle Hegemonie ausübt und in der Lage bleibt, diese Hegemonie über den Kontinent auszuüben, ist dann die Möglichkeit der Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems gegeben? Ich sage nein. Die Hereinnahme eines übermächtigen Gegners in ein solches System bedeutet dann nicht die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems, sondern die vertragsmäßige Anerkennung der Hegemonie der Sowjetunion über Europa, d. h. die Unterwerfung. ({27}) - Gewiß, lieber Kollege Kiesinger, mehr als die Hegemonie! Ich bewegte mich auf einer völkerrechtlichen Begriffsebene, und da sind die Ausdrücke etwas neutraler; wir haben die Wirklichkeit dieser Dinge ja am eigenen Leibe erspürt und erlebt. - Ohne den vorherigen Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems ist an ein kollektives Sicherheitssystem unter Hereinnahme des potentiellen Gegners, in diesem Falle nämlich der Sowjetunion, nicht zu denken. Es bedeutete die Unterwerfung. Dieses System läßt sich dann auch nicht über die UNO schaffen. Wie sollte, abgesehen von den verfassungsmäßigen Grundlagen der Vereinten Nationen mit dem Sicherheitsrat, mit dem Vetorecht, wie sollte in einem solchen System, das bisher auch nicht den Konflikt in Korea und andere Zusammenstöße in der Welt verhindern konnte, ein so schwieriger Spannungszustand ohne die Schaffung eines regionalen, also europäischen Sicherheitssystems, also ohne die Schaffung einer dritten Kraft, behoben werden? Ich sehe darin keine Möglichkeit. Von diesem Sicherheitssystem - nennen wir es ruhig ein kollektives - hängt letzthin die Zustimmung der Sowjetunion zur friedlichen Wiederherstellung der Einheit unseres Landes ab. Es muß also eine Politik getrieben werden - und das nenne ich die aktive Politik zur Wiederherstellung der Einheit unseres Landes -, die die realen Grundlagen der Freiheit und der Sicherheit schafft, damit dann auf diesen realen Grundlagen echte und erfolgreiche Verhandlungen über ein kollektives Sicherheitssystem geführt werden können. Deshalb ist tatsächlich der Aufbau zunächst dieses Systems, das sich, wie wir zu Gott hoffen, aus der Londoner Anfangsakte entwickeln möge, die Voraussetzung für die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems. Der dritte Faktor, der Faktor des Ausgleichs, der hier notwendig ist und der dann, wenn er zustande kommt und die Verhandlungen erfolgreich laufen, auch eine Zustimmung des Ostblocks zuläßt, vorausgesetzt, daß er Frieden schließen will, diese dritte Kraft heißt Europa. Sie ist eine Kraft, die nicht nur auf Europa beschränkt bleiben darf. Sie vermag, über die europäische Gemeinschaft hinausgreifend, als dritter Faktor zwischen den Spannungspolen von Ost und West ein Feld des Ausgleichs zustande zu bringen. Nicht mehr Deutschland hat jene Brückenfunktion des 19. Jahrhunderts, sondern diese Brückenfunktion zwischen den Weltmächten von Ost und West ist auf ganz Europa übergegangen. Ich glaube, die Schaffung dieses Entspannungsblocks - ich gebrauche ausdrücklich nicht das Wort „Neutralitätspolitik", weil es die nicht mehr gibt; es gibt nur noch Entspannungspolitik -, diese Entspannungspolitik als dritte Kraft in einem weltumspannenden System kollektiver Sicherheit scheint mir die einzige wirklich reale Aussicht zu sein, zu einer Befriedung der Welt, zum Frieden Europas, damit zum deutschen Frieden und damit zur Wiederherstellung der Einheit unseres Landes zu kommen. Ein fernes Ziel! Sie werden sagen: nicht real. Wir stehen hier nicht als Diplomaten, wir stehen hier nicht als Exekutivbeamte, wir stehen hier als Vertreter von Parteien, die ein Bild, eine Möglichkeit, ein Ziel aufzeigen. Und dieses Bild, die Möglichkeit und das Ziel - es mag so fern sein, wie es wolle, ich hoffe, es ist gar nicht so fern -, dieses reale Bild, durch eine dritte Kraft hier eine echte Entspannungspolitik, ein echtes kollektives Sicherheitssystem also dann auch zugunsten des potentiellen Gegners, der Sowjetunion, einzuleiten, - wenn wir hier nicht die Grundlagen dieser europäischen Einheit schaffen, dann gibt es keine Aussicht, diese dritte Kraft des Ausgleichs, des Gleichgewichts zu schaffen, und dann ist es aussichtslos, von einer Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Freiheit und Sicherheit und damit in echtem Frieden zu reden. Gewiß, die Einheit als Satellitenstaat des Ostens und damit den dritten Weltkrieg können wir jeden Tag haben. Damit in der Konsequenz den dritten Weltkrieg! Ich bitte, das auch zu bedenken. Ich sprach davon, daß nicht nur die dritte Kraft Europa, die sich einmal finden muß, das Entscheidende ist, um jene große, den Frieden bringende Konzeption zu ermöglichen. Denken wir daran, daß nicht nur die Erscheinung des Bolschewismus unsere Welt heute so tief umgestaltet hat. Es ist auch das Ende des Zeitalters des Kolonialismus. Die ehemaligen Kolonialvölker sind aufgestanden und kommen zu ihrer Einheit, zu ihrem Nationalbewußtsein, zum Selbstbewußtsein ihrer Existenz. Wenn Europa die Idee der Freiheit dadurch verwirklicht hat, daß es mit dem Besiegten nicht im Sinne der Unterdrückung Frieden schließt, sondern daß es mit dem Besiegten und aus dem Tatbestand dieses zweiten Weltkrieges jenes große neue ({28}) Staatensystem auf den Grundbegriffen der Freiheit aufzubauen vermag, dann, sage ich, bietet Europa aber auch diesen Kolonialvölkern das an, was echte Freiheit ist und damit die Grundlage echter Freundschaft und Zusammenarbeit. Es muß ein Ende haben mit jenem Denken in Hegemonien und Imperialismen. Ich glaube, daß die Ausdehnung dieses Systems der europäischen Einheit zur Herstellung eines echten Freundschaftsverhältnisses mit jenen Völkern, die neu auf dem Plan der Geschichte erscheinen, daß diese Ausdehnung wahrhaft zu jener Entspannungspolitik in der Welt beiträgt und daß diese Völker dann nicht eine Beute des Kremls werden. Der Anschluß dieser Völker an Europa, das dann auch in sich selbst den Geist von Siegern und Besiegten verloren hat, den Geist des Imperialismus und den Geist der Ausbeutung überwunden hat und mit dem Geist der Hegemonie Schluß gemacht hat, wäre tatsächlich eine geistige und reale und gestaltende politische Grundlage für eine künftige Welt des Friedens. Das würde Anziehungskraft ausüben. An diesem Tatbestand könnte auch der Ostblock auf die Dauer und in den Zeiträumen der Geschichte nicht vorbeigehen. Deshalb glaube ich, daß es unbedingt notwendig sein wird, die Londoner Anfangsakte vor allen Dingen im Hinblick auf das Politische und auf die wirtschaftliche Integration zu erweitern. Mit der wirtschaftlichen Integration können wir am leichtesten beginnen, weil sie auch in den herkömmlichen internationalen Formen, von denen sich die Mächte in Europa schwer trennen können, noch am leichtesten zustande kommt. Ich möchte hier jede Festlegung hinsichtlich der Abmachungsergebnisse der Londoner Anfangsakte vermeiden. Wir werden das prüfen, wenn die Texte ausgearbeitet sind. ({29}) Es handelt sich bei dieser Londoner Anfangsakte einmal um schon jetzt, und zwar im Prinzipiellen, getroffene Abmachungen und zweitens darum, weitere Abmachungen zu treffen. Ich sprach davon, daß die Regierung einen Anspruch auf Billigung hat, wenn wir auch noch nicht zu dem einzelnen Stellung nehmen können. Den Anspruch auf Billigung aber möchte ich unterstreichen. Ich bin der Auffassung, daß in der Londoner Schlußakte zwei ganz wichtige Punkte noch klargestellt werden müssen. Es handelt sich einmal um die Frage: Sind die Elemente, die eine Integration, d. h. eine enge und dauerhafte Zusammenarbeit möglich machen, stark genug ausgebaut, oder sind sie noch zu schwach? Ich möchte mich namens meiner Freunde - das entspricht der Konsequenz unserer politischen Haltung - nun nicht von den Grundlagen und den Erkenntnissen, die bei den Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gewonnen worden sind, trennen. Ich weiß, daß viele unserer Freunde, ehrliche Europäer, auch im Ausland, an diesen Grundbegriffen und Grunderkenntnissen festhalten. Ich sehe keinen Anlaß, das, was ich gestern stark befürwortet habe, heute aus Opportunismus ins Feuer zu werfen. ({30}) Denn an die Fragen der Gleichberechtigung, der Nichtdiskriminierung, der Rüstungskontrolle und aller jener Garantien für das Zusammenhalten ist in einem sogenannten integrierten, sogenannten supranationalen Konzept viel deutlicher der Maßstab der Gerechtigkeit anzulegen als in einer Konstruktion auf der Grundlage vereinzelter, nebeneinander kooperierender nationaler Einheiten. Aber darüber werden wir später, wenn wir die einzelnen Fragen prüfen, noch zu sprechen haben. Der zweite Punkt betrifft die Umgestaltung des Ministerrates, der im Brüsseler Pakt nur ein Konsultativrat ist, zu einem mit Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten Rat, also vergleichsweise zu einem Bundesrat. Es ist zu fragen, ob das genügt und was daraus entwickelt werden kann. Warten wir ab, was die Experten uns vorzulegen haben! Ich möchte hier nicht voreilig etwas zerreden. Sehr schwierig wird auch die Frage der parlamentarischen Kontrolle des Ganzen sein. Auf diese parlamentarische Kontrolle, die die wahre Integration politischer Willen darstellt, kommt es an. Hinsichtlich der Produktionsbeschränkungen und Rüstungskontrollen habe ich für meine politischen Freunde folgendes zu sagen. Wir legen keinen Wert auf ausgesprochene Angriffswaffen; damit meine ich die überschweren Waffen, die ABC-Waffen und die in den Zusatzprotokollen beschriebenen Waffen, wenn wir auch wissen, was es bedeutet, daß eine Nationalarmee geschaffen wird, die unter Umständen ihrer notwendigen Ausrüstung und ihres Nachschubs plötzlich beraubt sein kann. Ich möchte die Gefährdung, die darin liegt, nicht verkleinern und sage es hier ganz deutlich. Aber wir sind einverstanden, daß man gewisse grundlegende Verzichte ausgesprochen hat. Wir sind damit einverstanden, wenn die Kontrolle dieser Beschränkungen in einer möglichst supranationalen Praxis und damit mit der Möglichkeit und dem Maßstab der Gerechtigkeit gestaltet wird. Wir würden aber nicht einverstanden sein und müssen uns auf Grund unserer Verantwortung alles vorbehalten, wenn diese Verzichte diskriminierend ausgenutzt werden sollten. Dann kann das Vertragswerk nicht funktionieren; dann ist überhaupt dieser ganze Weg ein hoffnungsloser gewesen. Aber es gehört zu den politischen Pflichten, optimistisch zu sein, Willen und Aktivität zu haben, das Selbstbewußtsein zu haben, etwas Gutes zu gestalten. Nun kann ich nicht - und damit komme ich zum Schluß - einer Frage ausweichen, die oft in diesem Hause berührt worden ist bei Opposition und Regierungskoalition. Ich meine das künftige Schicksal von Volk und Gebiet an der Saar. Dazu möchte ich bei aller Zurückhaltung doch mit der notwendigen Deutlichkeit namens meiner politischen Freunde sagen: Eine Junktimspolitik ist Erpressungspolitik. Wir können das nicht annehmen. Wir begrüßen es deshalb, daß die Londoner Akte nichts über dise Frage enthält. Deswegen, weil die Londoner Akte keinerlei Junktim enthält, halten wir es auch für richtig, daß die Regierung auf dieses Problem nicht eingegangen ist. Sie hatte keinen Anlaß, in ihrer Berichterstattung über die Londoner Akte auf diese Frage einzugehen. Ein Junktim ist also nicht in der Welt. In der Welt ist aber ein politischer Zusammenhang. Den erkennen auch wir an. Aber wir müssen eine Politik des Junktims im Sinne der Erpressung ablehnen, weil damit eine der wichtigsten Grundlagen des europäischen Systems der engen und vertrauensvollen europäischen Zusammenarbeit überhaupt gefährdet wäre. ({31}) ({32}) Mit der gleichen Deutlichkeit wie die Opposition - eigentlich sollten solche Bekenntnisse gar nicht mehr abgegeben werden, weil sie selbstverständlich sind -, also, ich glaube, für alle, möchte ich sagen: Es kann doch gar kein Zweifel daran bestehen, daß Volk und Gebiet an der Saar deutsches Volk und deutsches Gebiet sind. Es kann doch gar kein Zweifel sein, daß man hier keine politischen Verzichte aussprechen kann und aussprechen wird. Das ist doch auch gar nicht das Problem! Es geht doch nicht darum, Fragen der Abtretung, der Annexion zu billigen. Ich glaube, das ist für einen künftigen Friedensvertrag völlig undiskutabel. Es geht um etwas anderes, nämlich darum - und da möchte ich ein Wort von Kollegen Mommer aufgreifen -, einen Modus vivendi zu finden für die Behandlung der schwerwiegenden Fragen, wie sie eine Treuhandschaft aufwirft unter Berücksichtigung der Grenzen, die jede Treuhandschaft auferlegt, bis ein Friedensvertrag kommt. Es gilt also einen Modus vivendi zu finden, der nicht die grundsätzliche Frage präjudiziert, sondern so konstruktiv ist, daß die Anerkennung der Tatsache, daß es sich hier um deutsches Volk und deutsches Gebiet handelt, öffentliche Meinung wird. Verzichte auf selbstverständliche politische Ansprüche des deutschen Staates können also gar nicht ausgesprochen werden. Auch unser französischer Nachbar muß einsehen, daß fremde Oberhoheit über die Saar, französische Oberhoheit, keine Grundlage des Vertrauens ist, der Aussöhnung und der konstruktiven Zusammenarbeit für die Zukunft. 1951 gelang es der Bundesregierung - und das war ein sehr entscheidender Schritt -, in jenem Briefwechsel mit Herrn Robert Schuman, dem damaligen französischen Außenminister, als Modus vivendi wenigstens den Status quo bzw. die Nichtveränderung des Status quo sich bestätigen zu lassen. Das war damals - so habe ich es empfunden - ein entscheidender Fortschritt in einer fast hoffnungslosen Lage einem Gebiet gegenüber, über das uns die Oberhoheit tatsächlich weggenommen war. Ich glaube aber, daß der hier geschaffene Modus vivendi von folgenden Grundlagen ausgehen muß: keine politischen Konzessionen, keine Annexionsvorstellungen und auch keine einen Annexions- und Abtrennungstatbestand verschleiernde sogenannte europäische Vorregelung. Aber im Wirtschaftlichen dürfte sich ein Boden der Verständigung finden lassen. Wir sind die Sachwalter des deutschen Volkes an der Saar, und ein Sachwalter hat in erster Linie die Interessen der Saarbevölkerung wahrzunehmen. Wirtschaftlich, glaube ich, kann man zu einem konstruktiven Ausgleich kommen. Und noch ein zweiter Punkt ist für einen Modus vivendi klarzustellen: Die deutsche Bevölkerung an der Saar muß hinsichtlich der Ausübung ihrer demokratischen Rechte alle die Rechte zuerkannt bekommen, wie sie die Grundlagen des Statuts des Europarats und die Grundlagen der Menschenrechtskonvention beinhalten, d. h. alle staatsbürgerlichen Freiheiten, die einem modernen europäischen zivilisierten Kulturvolk zukommen. Diese beiden Grundlagen, für einen Modus vivendi wirtschaftlich konstruktive Lösungen zu suchen und politisch unserer Bevölkerung drüben alles das an Rechten, was einem modernen Zustand entspricht, zuzuerkennen, dürften Grundlagen sein, um später einmal, wenn es zum Friedensschluß und zum Friedensvertrag kommt, eine Regelung zu finden, die dann auf einen Tatbestand der Verständigung aufgebaut ist. Die Pläne des Kollegen van der Goes van Naters aus dem Europarat haben ja ihre Grundlagen nun verloren, nachdem man so sich von den supranationalen Konstruktionsprinzipien trennen wollte. Natürlich muß auch ein Modus vivendi irgendwie durch eine Autorität gewährleistet sein. Aber die Autorität, die man da in supranationalen Behörden suchte, hat man vorerst selber zerschlagen. Man muß sich also bei dieser Frage durchaus im Sinne der Verständigung, aber niemals im Geiste des Verzichts auf Unverzichtbares, sondern in einem Geiste, konstruktive Lösungen für eine gute Zukunft zu suchen, auseinandersetzen. Ich bin nicht der Auffassung, daß man durch dauerndes Ausklammern dieses Problems die Dinge bessert, obwohl man sagen muß: Zeit ist notwendig. Vor allen Dingen: was auch geschieht, es muß den Interessen unserer deutschen Menschen an der Saar dienen. Das ist der Maßstab, das ist die Verantwortung, nach denen wir zu handeln haben. Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen. Die Aussöhnung mit Frankreich, die wirkliche Aktivierung auch der britischen Verantwortung in Europa, der Schutz, den uns die Vereinigten Staaten gewähren, und dann stehe ich nicht an zu sagen: auch das Ziel einer vernünftigen Politik mit der Sowjetunion, durchaus einen Zustand friedlicher Verständigung zu finden und nicht den Haß wachsen zu lassen, sondern die Vernunft, eine Politik gegründet auf diese Prinzipien sind notwendig. Nun wohl, Koexistenz - ein mißbrauchter Begriff! Solange man um sich eine chinesische Mauer zieht, schließt man sich aus der Gemeinschaft der Völker aus, und dann gibt es eben keine Koexistenz, dann gibt es eben nur jene verderbliche gefährliche Isolierung. Ich als Ostdeutscher vertrete durchaus den Standpunkt: wir haben uns zu verständigen, aber auf realen Grundlagen, die wir mit unserer Ehre und mit unserer Verantwortung vor der Zukunft wirklich verantworten können: Freiheit und Sicherheit nicht nur für Deutschland, nicht nur für Europa, sondern für die ganze Welt als Grundlage des Friedens. Ich kann nach dem Osten - und auf den kommt es jetzt an, etwas zu sagen - nur hinüberrufen: Schließt ihr Frieden, wir sind zum Frieden mehr als bereit. ({33})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Baron Manteuffel-Szoege.

Dr. Georg Manteuffel-Szoege (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Wochen der Sorge und der Unruhe, die uns nach dem Scheitern der Brüsseler Konferenz und der Ablehnung der EVG durch die französische Nationalversammlung erfaßten, liegt nun das Ergebnis der NeunMächte-Konferenz von London vor. Dieses Ergebnis stellt einen neuen Meilenstein im Bestreben der freien Völker, sich zu verständigen und zu einigen, dar. Darüber hinaus hat die Konferenz Gott sei Dank das Prinzip nicht preisgegeben, für das die Bundesregierung, getragen von der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes, mit unermüdlicher Zähigkeit gekämpft hatte. Allen Zweiflern und Spöttern zum Trotz spricht die Schlußakte von London von den wichtigsten Problemen der westlichen Welt, nämlich von der Sicherheit und von der europäischen Integration. Die Erläuterungen, die vorgestern der Herr Bundeskanzler dazu gegeben hat, beweisen uns, daß ({0}) die Bundesregierung auch heute noch an diesem Ziele festhält, um unter veränderten Umständen auf anderem Wege das gleiche Ziel zu erreichen. Das außenpolitische Ziel der Bundesregierung hat immer darin bestanden, den von französischen Staatsmännern eingeleiteten Plan der Integrierung Westeuropas zu verwirklichen. Das Ergebnis von London begrüßen wir auf alle Fälle. Der Besatzungszustand wird definitiv beendet. Dieses Ergebnis beweist, daß sich die Bundesrepublik Deutschland das Vertrauen der freien Welt weitgehend erworben hat. Es ist auf dem Wege, aus einem besetzten Land ein verbündetes Land zu werden. Mögen sich nun neue Wege ergeben oder mögen diese Wege in die alten einmünden, fest steht doch wohl folgendes: wir sollen unsere Souveränität, d. h. unsere nationale Unabhängigkeit wieder erhalten. Daß dieses möglich geworden ist, muß als Zeichen eines uns gewährten Vertrauens gewertet werden. Vertrauen ist im Leben der Völker und der Staaten genau so wie im Leben der einzelnen Menschen eine zarte Pflanze. Sie gedeiht nicht, sondern verkümmert, wenn sie nicht fortlaufend gepflegt wird. Schon in Brüssel zeigte es sich, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht allein stand. Zwar vermochten die Beneluxstaaten und Italien die Widerstände nicht zu überwinden, die sich damals auf französischer Seite entgegenstellten. So negativ auch zunächst das Ergebnis von Brüssel erschien, so wurde doch bereits damals eine der Grundlagen für London gelegt. Wenn dann die beiden angelsächsischen Großmächte nach gründlicher Vorbereitung alles taten, um die Londoner Konferenz zu einem positiven Ergebnis zu führen, so ist das auch ein Beweis des uns geschenkten Vertrauens. Trotz 1 allen Belastungen aus der Vergangenheit und trotz allen Mißverständnissen in jüngster Zeit sollten wir nicht vergessen, daß es auch in Frankreich weite Kreise gibt, die uns vertrauen. Wenn das in London erreichte Ergebnis nicht wieder gefährdet werden soll, haben wir die wahrlich nicht leichte Aufgabe, uns diese Vertrauensbasis zu erhalten und darüber hinaus weiteres Vertrauen zu gewinnen. Ich möchte mit aller Deutlichkeit feststellen, daß dieses Vertrauen nicht in diesem Ausmaß vorhanden gewesen wäre und nicht so reiche Früchte getragen hätte, wenn nicht die Linientreue der deutschen Bundesregierung uns den Ruf der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit in der internationalen Politik wieder eingebracht hätte. Nunmehr sind anscheinend die Voraussetzungen für eine ruhige und stetige Außenpolitik gegeben. Wir denken auch nicht daran, die uns durch das Ende des Besatzungszustandes wiedergewonnene Bewegungsfreiheit für etwas anderes zu gebrauchen als für die Fortsetzung einer ruhigen und stetigen Außenpolitik. ({1}) Jemand, der sich plötzlich nach langen Bemühungen frei bewegen kann, sollte nicht sofort mit einem Dauerlauf beginnen. ({2}) Daher würde ich es begrüßen, wenn unsere Regierung nicht unter den ersten Schritten, sondern erst nach sorglicher Erwägung des Für und Wider diplomatische Vertretungen errichtete, wo solche noch nicht bestehen. Die Bedeutung einer solchen Vertretung auch bei einer Weltmacht hängt nicht von der Schnelligkeit ihrer Errichtung ab, sondern sie hängt ab von der Wahl der geeigneten Person oder der geeigneten Persönlichkeiten und sie hängt weiterhin von dem richtig gewählten Zeitpunkt ab. ({3}) Zwar haben die verhinderten deutschen MoskauPilger in letzter Zeit prominenten Zuzug erhalten, aber diese gut gemeinten Reisepläne werden auf unseren außenpolitischen Kurs nicht den geringsten Einfluß ausüben. Mit dem Ergebnis von London ist der Zeitpunkt nähergerückt, in dem deutsche Streitkräfte errichtet werden sollen. Das Recht der Verteidigung ist ein Bestandteil der Souveränität eines freien Volkes. Die Aufstellung unserer Streitkräfte ist für uns nicht nur die freiwillige Ausübung eines uns wiedergewährten Rechtes, sondern wird von uns in erster Linie als eine schwere und harte, ja sogar vielleicht drückende Pflicht empfunden, ({4}) die wir als Bestandteil der freien Welt auf uns nehmen müssen. Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß wir in den ersten Jahren nach der Errichtung deutscher Streitkräfte im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit argwöhnischer und nicht immer wohlwollender Kritik ausgesetzt sein werden. Daher sollten wir in Wort und Schrift alle Äußerungen vermeiden, die, so harmlos sie auch gemeint sein mögen, trotzdem als ein Rückfall in eine unglückselige Vergangenheit empfunden werden könnten. ({5}) Wir wissen jetzt, daß England entgegen den Traditionen, j a fast entgegen den Grundsätzen seiner eigenen Geschichte sich bereit erklärt hat, Truppen auf dem Kontinent zu belassen, und diese nur mit Zustimmung der Mehrheit seiner Vertragspartner - zu denen j a auch wir gehören - zurückziehen wird. Wenn unsere Gegner uns vorhalten, daß wir durch unseren Beitrag zur Verteidigung der freien Welt eine Pflicht oder eine Vorleistung auf uns nehmen, dann sollten wir ehrlich genug sein, zuzugeben, daß die von uns geforderten Leistungen nicht größer sind als die, die die übrigen Vertragspartner auf sich genommen haben, insonderheit Großbritannien. In der Herstellung von Waffen mußte die Bundesrepublik Beschränkungen hinnehmen, denen die übrigen Mächte nicht unterworfen sind. Man soll diese Beschränkungen nicht als Diskriminierung bezeichnen, auch wenn die übrigen Großmächte ihnen nicht unterworfen sind. Wir sind aus eigener Kraft nicht in der Lage, die sogenannten A-, B- und C-Waffen herzustellen. Wir befinden uns ohne Zweifel in der Zone der strategischen Gefährdung. So entschlossen unsere Bereitschaft ist, einen Beitrag zur Verteidigung der freien Welt zu leisten, so sehr sollten wir es im Grunde begrüßen, daß Deutschland an der Herstellung dieser apokalyptischen Massenvernichtungsmittel nicht beteiligt ist. Der Brüsseler Vertrag richtete sich ursprünglich gegen Deutschland. In der neuen Fassung werden Deutschland und Italien in den Vertrag einbezogen. Er richtet sich grundsätzlich gegen niemanden und damit gegen jeden, der eine Aggression gegen eine Vertragsmacht unternimmt. Er hat gegenüber der NATO zwei erhebliche Vorzüge für uns. Erstens: er setzt nicht ein Minimum der Rüstungen fest wie die NATO, sondern er bestimmt das Höchstmaß der Rüstung. Er ist damit geeignet, der Sowjetunion ({6}) den Vorwand zu nehmen, ein neuer deutscher Militarismus mit Angriffsabsichten gegen den Osten sei im Entstehen begriffen. Die Brüsseler Organisation ist damit gleichzeitig ein Instrument der Rüstungskontrolle und damit der internationalen Sicherheit. Zweitens: im Gegensatz zur NATO geht aber der Brüsseler Pakt in dem Ausmaß der Hilfeleistung gegen einen Angriff weiter; denn die Hilfeleistung sämtlicher anderer Vertragspartner zugunsten des angegriffenen Staates setzt dann automatisch ein. Man kann die Lage Deutschlands nach dem ersten Weltkrieg infolge der völlig veränderten Umstände nicht mit der heutigen vergleichen. Der Zusammenbruch nach dem ersten Weltkrieg war nicht annähernd so groß wie der nach 1945. Vor allem aber blieb die Einheit unseres Reiches erhalten. Gerade deshalb wage ich, das kühne Wort zu sagen: Hätte sich Stresemann nicht glücklich gepriesen, wenn er nach fünfjährigen Bemühungen das erreicht hätte, was, wie wir hoffen, nun Wirklichkeit zu werden scheint? ({7}) Ich glaube, auch bei kühler und abwartender Betrachtung der Sachlage ist diese Überlegung nicht unberechtigt. Wenn in der Schlußakte der Londoner Konferenz die Regierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs erklären, daß sie die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als die einzige deutsche Regierung betrachten, die frei und rechtmäßig gebildet wurde und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen, so ist damit, glaube ich, eine Festlegung erfolgt, die bei den künftigen Verhandlungere über die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit ein unschätzbares politisches Kapital darstellt. ({8}) Ob man damit einverstanden ist oder nicht, ob man es bedauert oder nicht, auf unserer irdischen Welt muß ein Staat auch über konkrete politische Macht verfügen, um seine ethisch berechtigten Aufgaben verwirklichen zu können. Das heißt auf unsere Verhältnisse übertragen: die Bundesrepublik Deutschland braucht politische Macht und zuverlässige Partner, wenn sie mit der Sowjetunion in ein echtes Gespräch kommen will. Nur eine politisch handlungsfähige und von starken Partnern unterstützte Bundesrepublik Deutschland hat eine konkrete Chance, mit der Sowjetunion in ein reales Gespräch über die Wiedervereinigung Deutschlands im richtigen Zeitpunkt zu gelangen. Alle Hoffnungen auf die Wiedervereinigung Deutschlands und alle Bemühungen um dieses Ziel entheben uns nicht der Aufgabe, die Bundesrepublik Deutschland nach innen und nach außen so widerstandsfähig wie nur immer möglich zu machen. Dafür genügen nicht allein militärische Machtmittel - ich möchte das nachdrücklich unterstreichen -; dafür bedarf es ebenso sehr der geistigen Klarheit wie der sozialen Stabilität. Es bedarf außerdem einer ausgewogenen Gesellschaftsordnung und einer über den materiellen Bereich hinausgehenden Wertordnung der Güter dieses Lebens, wenn wir mit der Ratifizierung der Verträge von London eine feste außenpolitische Basis erhalten haben. Unser außenpolitischer Wert und unsere Bedeutung für unsere Vertrags- und Verhandlungspartner hängen nicht zuletzt davon ab, daß wir aus dem Zustand der innenpolitischen Improvisation herauskommen und zu stabilen Dauerlösungen gelangen. Das Wort vom Primat der Außenpolitik findet seine Bestätigung nur auf dem Hintergrunde einer geordneten Innenpolitik. ({9}) Gestatten Sie mir, noch ein weiteres, vielleicht sehr persönliches Wort vorzubringen. In der Christlich-Sozialen Union sind die Vertriebenen durch Abgeordnete verhältnismäßig zahlreich vertreten. Ich selbst gehöre zu ihnen. Bei uns ist die Enttäuschung darüber, daß der EVG-Vertrag gescheitert und die Europäische Politische Gemeinschaft zunächst in den Hintergrund getreten ist, besonders groß. ({10}) Haben doch viele von uns gehofft, daß die Zugkraft eines vereinigten Europa besonders gute Lösungsmöglichkeiten für die zahlreichen Ostprobleme gebracht hätte, nicht nur für die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes in Frieden und Freiheit, sondern auch für eine gewaltlose Rückkehr in die unvergessene Heimat. ({11}) Das Wort des ersten Vertriebenenministers, Lukaschek, steht vor meinen Augen: „Wir wollen nicht an frischen Gräbern vorüber die Heimat betreten". Es ist ganz selbstverständlich, daß die Vertriebenen den Gedanken der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes immer wieder ganz besonders stark herausstellen. In der Disziplin, die sie in der erdrückenden Mehrheit auszeichnet, sind sie auch nach allem, was sie getroffen hat, bereit, die wirtschaftlichen und persönlichen Lasten der militärischen Verteidigungsbereitschaft auf sich zu nehmen. Sie bleiben dabei den Grundsätzen der Charta der Vertriebenen treu, die jeden Gedanken an Rache und Gewalt von vornherein grundsätzlich ausschließen. Zum Schluß noch eines. Ein leiser Neid erfaßte einen, wenn man beobachten konnte, in wie geringem Ausmaße sich die außenpolitischen Auffassungen bei Regierung und Opposition in England voneinander unterscheiden. In der Vergangenheit drehte sich der Kampf der Regierungsmehrheit mit der Opposition bei uns um die Frage der europäischen Integration. Der Gedanke der Integration, der im Montanvertrag seinen ersten und konkreten Ausgang gefunden hatte, kann zunächst nicht weitergeführt werden. Damit entsteht für die Opposition ein Ausgangspunkt, zu einer gemeinsamen Außenpolitik mit der Regierung zu gelangen. ({12}) Sie kann dabei allerdings nicht an ihrer Forderung festhalten, daß unter den gegenwärtigen Umständen sofort eine Vierer-Konferenz über die Wiedervereinigung Deutschlands stattfinden soll. ({13}) Und zudem soll die Opposition endlich in der Frage der Verteidigungsgemeinschaft klar Farbe bekennen, ({14}) ({15}) damit wir und die Welt wissen, woran wir sind. Denn ein Volk in unserer Lage ist um so stärker, je einiger es nach außen hin auftritt. ({16}) In schwersten Stunden hat das deutsche Volk außerordentliche Widerstandskraft bewiesen. Es wird daher jetzt die Nerven haben, einer Politik zu folgen, die schrittweise und unpathetisch vorgeht. Manchmal hat man das Empfinden, als ob die schwergeprüften Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhangs dieses unser Handeln am tiefsten begreifen, jedenfalls besser als manche Satten und Kurzsichtigen diesseits des Eisernen Vorhangs. ({17}) Jede Politik besteht in der Kunst, das Mögliche zu erreichen. Wir sollten uns daher bei der Kritik am Londoner Ergebnis davor hüten, Unmögliches zu verlangen. Jeder Billigdenkende wird der Regierung und vornehmlich dem Manne, der ihre Außenpolitik führt, die Anerkennung nicht versagen können, daß mit großer Hingabe, mit großer Anspannung aller physischen und geistigen Kräfte in London alles getan wurde, was überhaupt nach menschlichem Ermessen geschehen konnte, und daß erreicht wurde, was unter den gegebenen Umständen überhaupt zu erreichen war; und dafür sollten wir alle, ohne Rücksicht auf parteipolitische Unterschiede, ihm aufrichtig danken. ({18})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Stegner. Stegner ({0}): Herr Präsident! Meine 1 Damen und Herren! Die Ausführungen, die Herr Kollege von Merk a t z gemacht hat, veranlassen mich eigentlich, all das nicht zu sagen, was ich von Hause aus sagen wollte, und veranlassen mich, einiges zu fragen, was ich ursprünglich gar nicht fragen wollte. Diese Fragen richten sich an die Bundesregierung, die, wie ich sehe, gerade beim Mittagessen ist. Meine Bitte geht deshalb an den Herrn Staatssekretär des Auswärtigen, meine Fragen der Bundesregierung zu übermitteln. Herr Dr. von Merkatz - ich sehe, auch er ist zum Mittagessen; ich darf also allgemein sagen: ({1}) Glaubt denn Herr Dr. von Merkatz, daß Definitionen und aphoristische Ausführungen, die hier in diesem Hause ad usum Delphini formuliert werden oder, wenn sie schon einmal in früheren Zeiten formuliert waren, hier noch einmal postuliert werden, den Gang des Völkerrechts oder der Außenpolitik auch nur in irgendeiner Weise beeinflussen können? Ich glaube das nicht. Ich greife ein einziges Beispiel aus seinen Ausführungen heraus. Er hat den Begriff der Wiedervereinigung definiert. Diese Definition des Herrn Kollegen von Merkatz steht in keiner Weise in Übereinstimmung mit der Formulierung des Begriffs, wie er in der Erklärung der Drei Mächte, der USA, Frankreichs und Großbritanniens, in der Londoner Schlußakte festgelegt ist. Dort spricht man in keiner Weise von dem Fortbestand des deutschen Staates, sondern der Punkt 4 der Erklärung formuliert eindeutig: Die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel bleibt ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik. Also: Herr Dr. von Merkatz - wenn Sie hier wären! -: „Die Schaffung eines geeinten Deutschlands", das ist die Formulierung, die darinsteht, und diese Formulierung ist allein zukunftsträchtig. Meine Damen und Herren, ich möchte mich, wie gesagt, aus der Debatte heraushalten, möchte aber nun einige Fragen stellen, die mir sowohl in der Regierungserklärung wie auch in dem überreichten Material bisher noch nicht klargeworden sind. Für mich steht im Angelpunkt der Londoner Akte die Erklärung der Drei Mächte, die ich schon angezogen habe. Denn es ist in der Außenpolitik aller Völker, glaube ich, etwas Einmaliges, daß drei Nationen, die Weltbedeutung haben, ihre zukünftige Außenpolitik so langfristig festlegen, wie es in dieser Erklärung geschieht. Das ist eine Erklärung, die sich nicht nur mit Deutschland befaßt. Immerhin endet diese Erklärung mit der Feststellung, daß nunmehr ein Westeuropa im Entstehen ist, das auf der Grundlage der sich vertiefenden Freundschaft zwischen den Teilnehmerstaaten die Atlantische Gemeinschaft festigen wird. Meine Damen und Herren Kollegen dieses Hohen Hauses, es ist nun merkwürdig, daß zwar Deutschland als gleichberechtigter Teilnehmerstaat hier angesprochen wird, daß aber trotzdem die Drei Mächte den Abschluß eines Friedensvertrages mit einer gesamtdeutschen Regierung für eine absolute Voraussetzung halten. Denn die Erklärung sagt ja: Eine zwischen Deutschland und seinen früheren Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für Gesamtdeutschland . . . ein wesentliches Ziel ihrer Politik . . . Das bedeutet doch: ein Friedensvertrag mit allen Gegnern, also auch mit der Sowjetunion; das bedeutet doch nach den Erfahrungen, die wir ja nun seit acht oder neun Jahren machen, daß ein solcher Friedensvertrag noch sehr lange auf sich warten lassen kann. Nun, meine Damen und Herren, wir brauchen die Dinge an sich nicht so tragisch zu nehmen. Aber es steht in der gleichen Schlußakte: Die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands muß bis zum Abschluß einer solchen Regelung zurückgestellt werden. Das heißt doch: ein Friedensvertrag kann erst geschlossen werden, wenn sich die vier HauptGegnerstaaten, also auch die Sowjetunion, über den Status eines kommenden Gesamtdeutschland klar und einig sind. Eher kann also gar kein Friedensvertrag geschlossen werden. Nun, dauert das sehr lange, wird die Frage der Grenzen für uns natürlich nicht unwichtig. Ich erwähne diese Frage deswegen, weil die Grenzfrage im Hinblick auf einen Beitritt zur NATO schon einmal eine interessante Präzedenzrolle gespielt hat. Sie wissen, daß sich seinerzeit der irische Freistaat geweigert hat, der NATO beizutreten, weil man im irischen Freistaat die Meinung vertrat, daß ein Beitritt zur NATO den staatlichen Bestand in den Grenzen während der Zeit der Unterschrift stabilisiert. Wenn nun die Bundesrepublik der NATO beitritt, wie verhält es sich - und das ist meine erste Frage an die Bundesregierung - hier mit der Stabilisierung der deutschen Grenzen? Zwar ist die Wiedervereinigung als die Politik des Brüsseler Paktes und der NATO in London postuliert; aber wer garantiert uns denn, wann diese Wiedervereinigung kommt, und was geschieht bis dahin? Ich stelle diese Frage im Hinblick auf den irischen Präzedenzfall. Dieser ({2}) bezieht sich bekanntlich auf Nordirland, das heute noch zur englischen Krone gehört, ein Zustand, der vom irischen Freistaat nicht anerkannt wird oder moniert wird. Wie liegen denn die Dinge in Deutschland hinsichtlich der Wiedervereinigung und des Saarproblems unter Berücksichtigung dieses Abs. 1 in der Drei-Mächte-Erklärung, insbesondere mit Rücksicht darauf, daß eine friedensvertragliche Regelung nach der Wiedervereinigung noch sehr lange auf sich warten lassen kann? Das ist ja immerhin eine Frage, die für die Behandlung des Saarproblems und für das gesamte deutsche Volk von ausschlaggebender Bedeutung ist. Dies ist die erste Frage, die ich zu stellen habe. Die zweite Frage basiert auf Punkt 1 dieser Erklärung. Dieser Punkt 1 sagt: Die Regierung der Bundesrepublik wird als einzige deutsche Regierung betrachtet, die berechtigt ist, für Deutschland als Vertreter des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen. Dieses Problem ist hier schon in der Diskussion angeschnitten worden. Ich darf mir trotzdem die ganz konkrete Frage erlauben: Bestehen irgendwelche Sicherungen oder ist geplant, irgendwelche Sicherungen einzubauen, daß eine gesamtdeutsche Regierung, die also z. B. den Friedensvertrag schließen muß, das Recht hat, die Bindung an Verträge, die die Bundesrepublik als Provisorium geschlossen hat, zu erweitern oder aber abzulehnen? Das kann sich ja z. B. aus dem Friedensvertrag heraus ergeben und braucht gar keine Änderung in Richtung Ost oder West zu sein. Aber es ist doch eine grundsätzliche Frage: Kann die Bundesrepublik als Provisorium eine kommende gesamtdeutsche Regierung an Vertragswerke binden bzw. zu deren Ausdehnung oder Verminderung oder Abschaffung verpflichten? ({3}) Zu dieser Frage möchte ich konkret erklärt haben, wie die Stimmung in London darüber gewesen ist. Ich bin ja immer einer derjenigen gewesen, die in diesem Hause die Wiedervereinigung als einen sehr wesentlichen Faktor nicht nur der deutschen, sondern der europäischen Politik überhaupt betrachtet haben; denn diese offene Wunde im Herzen Europas ist nicht nur eine Frage Deutschlands. Diese offene Wunde, die geschlossen werden muß, ist vielmehr eine Wunder die den Frieden Europas und der Welt am allerstärksten gefährdet. Infolgedessen freue ich mich, daß man der Beseitigung dieser Frage in der Londoner Akte einen breiten Raum widmet. Punkt 4 der Drei-Mächte-Erklärung sagt: Die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ist ein grundsätzliches Ziel ihrer Politik. Sehr gut! Da aber der Friedensvertrag und alle kommenden Regelungen sehr einschneidend von dieser Politik betroffen werden, einer Politik, für die wir den Westmächten nur danken können, geht meine Frage dahin: Sind in London während der Besprechungen schon irgendwelche Wege aufgezeigt worden, die dieses Ziel ansteuern, das ja eines der wesentlichsten Ziele ist? Aus den Unterlagen geht darüber nichts hervor. Es wäre jedoch interessant, zu wissen, auf welchen Wegen man dieses Ziel zu erreichen bestrebt ist. So weit meine Fragen zu der Erklärung der Drei Mächte. Ich komme nun noch zu einem andern Fragenkomplex. Es ist hier in der Diskussion sehr deutlich angeklungen, daß man sich um die deutsche Sicherheit bemüht, und das ist ja zweifellos auch der Sinn der Londoner Verhandlungen gewesen. Nun hat General Gruenther, der Oberkommandierende der NATO, vor kurzer Zeit Äußerungen getan, die immerhin zu Bedenken Anlaß geben. Diese Äußerungen sind in der Basler „NationalZeitung" ausführlich abgedruckt und von der deutschen Presse übernommen worden. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vier Zeilen aus der „Welt" verlesen, die sich damit befassen; es ist „Die Welt" vom 27. September dieses Jahres. Da heißt es: Andererseits machte Gruenther klar, daß die Verteidigung Europas nach dem Konzept der NATO nur in beschränktem Rahmen durchzuführen sei, indem so etwas wie ein Schutzschild von Minimalstärke errichtet werden könne, und dazu brauche man die deutschen Kontingente. Man kann diese Äußerungen Gruenthers nach den verschiedensten Seiten kommentieren. Sie können den Inhalt und den Zweck haben, dem Ostblock zu zeigen, daß das Brüsseler Abkommen und die NATO lediglich defensiven Charakter haben und mit ganz geringen Kräften versuchen, hier ein minimales Schutzbedürfnis zu befriedigen, und das nach Einschluß der deutschen Kräfte. Man kann aber die Erklärung natürlich auch als den Notschrei des Oberkommandierenden betrachten, der die Tatsache des minimalen Schutzbedürfnisses hier in den Vordergrund stellt. Ja, meine Damen und Herren, wenn wir die Verantwortung für die deutsche Beteiligung an einer koalierten größeren Wehrmacht in Kauf nehmen, dann muß doch auch in etwa die militärische Sicherheit des deutschen Volkes garantiert sein. Da ich selber die NATO nicht kenne - ich lese auch nur aus der Zeitung von ihr -, möchte ich eine weitere Frage an die Bundesregierung richten. Kürzlich haben im Raume Paderborn NATO-Manöver stattgefunden, die möglicherweise ein Bild von der Schutzbedürftigkeit bzw. von der militärischen Sicherheit geben. Ich möchte deswegen die Bundesregierung fragen, ob ihr die strategischen und militärpolitischen Erkenntnisse, die sich aus den NATO-Manövern im Raum Paderborn ergeben haben, bekannt sind. Im Falle des Bejahens möchte ich die Bundesregierung fragen, ob sie hinsichtlich dieser ihr bekanntgewordenen Erkenntnisse für die Sicherheit des deutschen Volkes befriedigt ist. Ich habe einen dritten Fragenkomplex, den ich nur kurz anfassen möchte; das ist das Saargebiet. Wir haben alle heute mit Interesse gelesen, daß der französische Ministerpräsident mit dem Herrn Bundeskanzler noch im Laufe dieses Monats zusammentreffen wird, um über die Saarfrage zu sprechen. Ich habe volles Verständnis, wenn von der Bundesregierung bisher noch nicht viel über Möglichkeiten einer Saarregelung gesagt ist; denn kein Mensch dekuvriert gerne, bevor er in Verhandlungen geht, seine Verhandlungsposition. Das würde ich auch nicht tun. Aber in diesem Hause ist die Behandlung des Saarproblems ja nicht gerade neu. Es ist mehrfach Gegenstand der Diskussionen gewesen. Nachdem Herr Kollege von Merkatz van Naters zitiert und auch zugegeben hat, daß die ({4}) Möglichkeit einer Europäisierung des Saargebiets nun in weite Ferne gerückt ist, und weil wir wohl alle in diesem Hause der Auffassung des Herrn Bundeskanzlers zuneigen, daß nur ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den Völkern die europäische Zukunft sicherstellt - der Angelpunkt des europäischen Verhältnisses ist eben das deutschfranzösische Verhältnis, und ein wesentlicher Drehpunkt in diesem Verhältnis ist nun einmal die Saarfrage -, ist es von flagranter Wichtigkeit, einmal zu hören, welche Pläne, die publizierbar sind - etwas anderes möchte ich der Bundesregierung nicht zumuten -, oder welche Konzeption im Grundsatz die Bundesregierung für die kommenden Verhandlungen mit Frankreich hat. Ich möchte also auch hier die Bundesregierung um Auskunft bitten, in welcher Weise die Verhandlungen geführt werden sollen, sofern die Bundesregierung dazu Stellung nehmen will. Ich wollte nur einmal diese wenigen Fragen ganz konkret stellen, weil ich nicht zuletzt aus den Erfahrungen in diesem Hause - ich meine in erster Linie den 1. Deutschen Bundestag - gelernt habe, daß es gar nicht so sehr darauf ankommt, Proklamationen und große Worte zur außenpolitischen Lage zu machen - diese beeinflussen sie am allerwenigsten -; aber ein genaues Studium der nüchternen Grundlagen ist ein ganz entscheidender Faktor, und ich wollte mit meinen Fragen die Diskussion in diese Richtung lenken: die Aufmerksamkeit auf die konkreten Unterlagen zu richten, die eben das Schicksal der Londoner Abmachungen in der Zukunft beeinflussen werden. Meine Bitte an den Herrn Bundeskanzler geht - ohne daß ich den Streit des Primats wieder hervorrufen will - dahin, bei den künftigen Verhandlungen der Frage der deutschen Wiedervereinigung - ich behalte trotz der Ausführungen des Kollegen von Merkatz dieses Wort als Terminus technicus bei - die große Beachtung in den Verhandlungen zu schenken und auch den übrigen Nationen gegenüber immer wieder klar zum Ausdruck zu bringen, daß die Frage einer deutschen Wiedervereinigung nicht nur das Schicksal der 18 Millionen Deutschen in der Ostzone sehr stark beeinflußt, sondern daß die Beseitigung der Zerreißung Deutschlands eine der wesentlichen Stützen einer Friedenspolitik in der gesamten Welt werden muß.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Redner der zweiten Runde einer parlamentarischen Debatte haben in erster Linie die Aufgabe, auf das vor ihnen Gesagte einzugehen, in mehrfacher Weise: sie haben die vorgebrachten Argumente auf ihre Schlüssigkeit zu prüfen. Sie haben vielleicht auch das eine oder andere Gesagte richtigzustellen, und schließlich kann es auch notwendig sein, das von den Vorrednern angefangene Gewebe weiterzuweben. Ich will mich also zunächst einigen meiner Vorredner zuwenden, zunächst dem Kollegen Dr. Dehler - der leider nicht anwesend ist -, der uns in so sympathischer Weise als Praeceptor Germaniae Lektionen erteilt hat, wie wir uns in diesem Hause verhalten sollten. Er hat das in wirklich sehr sympathischer Weise getan, ganz in der Art seines großen Landsmannes Jean Paul, dem wir die Figur des Schulmeisterleins Wuz verdanken. ({0}) Er hat sehr darüber geklagt, daß man in diesem Raume Thesen und Antithesen aufstelle und gewissermaßen plädiere. Nun, ich glaube nicht, daß wir so empfindlich sein sollten. Das Aufstellen von Thesen und Antithesen ist doch schließlich das Lebensblut der parlamentarischen Diskussion, es ist doch vielleicht das Lebensblut der Demokratie überhaupt! ({1}) Ich meine, wir sollten uns auch nicht davor fürchten, uns gelegentlich die Wahrheit oder was wir dafür halten, recht deutlich zu sagen. Auch davon können wir nur profitieren. Und wenn wir hier profitieren, glaube ich, profitiert von einem solchen Prozeß das ganze deutsche Volk. ({2}) - Wir sollten es versuchen, Herr Kollege! Auch hier beginnt man am besten zu Hause. ({3}) Ich hatte, als der Kollege Dehler sich meldete, nach den Reden und Interviews der letzten Wochen und Monate eigentlich eine Fanfare von ihm erwartet. ({4}) Statt dessen hat er reichlich elegisch gesprochen. Er hat sogar einen großen lateinischen Elegiker zitiert, den Dichter Terenz, der manchem von uns in seiner Gymnasialzeit sehr viele Schwierigkeiten gemacht hat - nicht nur grammatikalische -; ({5}) denn Terenz spricht ja von Dingen, die man, wenigstens zu meiner Zeit, in der Obersekunda in ihrer ganzen Tragweite noch nicht zu übersehen vermochte. ({6}) Herr Kollege Dehler hat geglaubt, den Begriff der Integration Terenz entlehnen zu können. Nun, mich hat sein Zitat erfreut. Aber vielleicht sollte man doch, wenn man von Integration spricht, nicht meinen, daß der politische Begriff sich mit dem elegischen völlig decke. In der Liebe handelt es sich - Terenz sagt uns das - im wesentlichen um die Stillung von Gemütsbedürfnissen. ({7}) In der Politik handelt es sich darum, daß man die Verantwortung für Pläne zu übernehmen hat, von denen Wohl und Wehe der Völker abhängen können. ({8}) Darum muß man sich auch fragen, ob das Bauwerk, das man errichten will, hält oder nicht hält; und da genügen im allgemeinen, im Gegensatz zu der Welt des Terenz, gute Gefühle und ein gemeinsames Kopfkissen nicht. ({9}) Ich glaube, daß man sich da mehr dem anderen Begriff der Integration zuwenden müsse, dem, den wir - in der Schule sagten wir: zu unserem Leidwesen - Sir Isaac Newton und Leibniz verdanken, dem mathematischen Begriff nämlich, also ({10}) den Rechnungsmethoden, deren sich die Statiker bedienen, wenn sie einen Entwurf daraufhin durchrechnen, ob er trägt oder nicht. Ich glaube, daß man diesen Aspekt des Integrationsproblems vielleicht nicht genug im Auge behalten hat, als man an diese Vertragswerke ging. Herr Dehler hat auch gesagt, er bereue nichts. Er soll auch gar nicht bereuen. Warum auch? Mit Reue kommt man in der Politik nicht viel weiter. Aber er sollte vielleicht etwas aus seinen Mißerfolgen lernen, und dazu sind wir hier. ({11}) Er sagte, „unsere Politik ist nicht gescheitert" - auch Herr von Brentano hat das gesagt -; „denn immerhin haben von sechs Vertragspartnern fünf zugestimmt". Nur einer habe ja nein gesagt. Damit kommen wir zum alten Problem der Kette und der Kettenglieder. Wenn ich mir vornehme, eine Kette zu schmieden, die sechs Glieder braucht, um zu halten, und ich täusche mich bei der Einschätzung des Metalls eines dieser sechs Kettenglieder, dann nützen mir alle anderen fünf Glieder nichts; dann ist die Kette eben nicht zustande gekommen, und ich kann nichts daran aufhängen! ({12}) Und in einem solchen Fall spricht man davon, daß ein Vorhaben gescheitert ist. Man braucht das nicht als Beschimpfung zu nehmen, es ist auch keine Schande. Man kann sich in der Politik wirklich auch bei bestem Wissen, bei bestem Wollen täuschen. Man hat sich bei dieser Integrationspolitik - wenn ich das Beispiel von den Kettengliedern weiter ausführen darf - in einem besonders getäuscht. Man hat geglaubt, es genüge, mit dem Mann einig zu sein, der sich nach den Kompetenzverteilungen der französischen Verfassung im Augenblick gerade als Sprecher des „legalen" Frankreichs fühlen durfte. Mit so jemand kann man in den laufenden Geschäften recht viel tun; es ist aber sehr schwer möglich, mit so einem Vereinbarungen zu treffen, die an den Bestand der Nation selber gehen, und die Integrationspolitik sollte das ja tun. In diesem Falle wird man im allgemeinen nur dann Erfolg haben, wenn der Mann, der „le pays légal", wie die Franzosen sagen, vertritt, auch gleichzeitig der Sprecher des „pays réel" ist, der der nicht nur „legalen" sondern „realen" Wirklichkeit des Volkes, der Wirklichkeit des Landes. Man hat sich schon einmal in diesem Punkte getäuscht, 1919, als man glaubte, in Präsident Wilson den Mann zu sehen, der Amerika sei. Er war es aber nicht; er war nur der Vertreter der juristischen Person „Vereinigte Staaten von Amerika", und eben nicht die Verkörperung dessen, was das Volk der Vereinigten Staaten umtrieb. Deswegen hat ihm der Senat die Ratifikation des Versailler Vertrags und der Völkerbundssatzung verweigert. Dabei sollte man eines nicht übersehen - das ist schmerzlich für uns; aber ich glaube, es ist eine Tatsache -, daß, während uns Deutschen der Fortschritt vom Nationalstaat zum Supranationalen, zum Universellen als ein Fortschritt schlechthin erscheint, den Franzosen - und das ist eine lange, alte Tradition - die Entwicklung aus dem europäischen Universellen zum Nationalstaat als der eigentliche Fortschritt in der Geschichte erscheint und das Allgemeinere, das Universelle als etwas Vergangenes, Unvollkommenes gedeutet wird. Deswegen, sagen die Franzosen, liebten die Deutschen das Universelle so sehr, eben weil es das Unvollkommene, das „Werdende" sei. Das können wir bedauern, wir müssen es sogar bedauern, es ist aber eine Realität, die zur Wirklichkeit Frankreichs gehört, eine Wirklichkeit, mit der man hätte besser rechnen müssen. Man hat das, glaube ich, nicht in genügendem Maße getan. Auch das sage ich nicht, um Vorwürfe zu erheben, sondern um etwas ins richtige Licht zu stellen. Nun zu den Texten, die uns vorliegen! Ich habe nicht die Absicht, die Einzelbestimmungen der Texte zu diskutieren. Dazu sind sie zu allgemein. Nur eines möchte ich kurz anführen: Es ist doch bezeichnend, daß überall, wo es sich um Verpflichtungen Deutschlands handelt, die Texte sehr konkret sind; überall aber, wo es sich um Verpflichtungen der anderen handelt, sind die Texte sehr allgemein, sehr interpretationsfähig und sehr offen gehalten. Das gibt keine besonders gute Verhandlungsposition für das Aushandeln der „Texte". In der Londoner Akte selber ist eine Bestimmung, deren Tragweite ich nicht recht verstehe. Vielleicht sind meine Bedenken unbegründet, aber ich möchte Aufklärung haben. Es heißt da, daß die Bundesregierung berechtigt sei, „für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen". Wenn das so zu verstehen ist, daß die Bundesregierung Treuhänderin für die gesamtdeutschen Interessen sein soll, ist die Bestimmung ausgezeichnet. Aber das bedeutet dann, daß die Bundesregierung zwar für Gesamtdeutschland Rechte geltend machen kann, wo auch immer solche Rechte zu wahren sind. daß sie aber nicht über die Befugnis eines Treuhänders hinaus, also über Provisorisches hinaus Bindungen für Gesamtdeutschland eingehen kann. Ich bin stutzig geworden, weil ich in einer angesehenen Schweizer Zeitung einen Ausspruch des belgischen Außenministers Spaak zitiert gefunden habe. Wenn die Zeitung richtig berichtet, hat er dem Sinne nach gesagt: Für uns ist die Bundesregierung die gesamtdeutsche Regierung. Wenn die Bestimmung in der Londoner Akte so verstanden werden sollte, dann müßte ich diese Formulierung für eine schlimme Sache halten. Das würde dann bedeuten, daß zum mindesten einzelne der Vertragspartner der Meinung sein könnten, daß die Bundesregierung rechtlich in der Lage sei, Bindungen dauernder Art für ein künftiges wiedervereinigtes Deutschland zu übernehmen. Das ist zwar rechtlich eine Unmöglichkeit - das wissen wir -, aber auch Fiktionen können sich ja politisch auswirken und Ursachenreihen in Gang setzen, die man am Anfang vielleicht übersehen hat. Für manche mag in einer solchen Bestimmung ein Anreiz liegen, in diesem Vertragswerk einen Trend dahin erkennen zu wollen: Gesamtdeutschland werde einmal als Ausweitung des Gebiets der Bundesrepublik entstehen. Das wäre nicht nur im Widerspruch zu unserem Grundgesetz, sondern auch, was die Substanz des Politischen betrifft, eine höchst verhängnisvolle Auffassung; denn die Wiedervereinigung Deutschlands, oder sagen wir besser - hier stimme ich Herrn von Merkatz völlig zu -: die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands kann doch nur durch einen Gesamtakt der ganzen deutschen Nation erfolgen und nicht durch Ausdehnung des Anwendungsbereichs des Bonner Grundgesetzes. ({13}) Ein anderes Wort in den Texten, das mich bedenklich gemacht hat: die Art und Weise, wie dort das Wort „Grenze" verwendet wird. Es wird in einer Weise verwendet, die den Anschein erweckt, als wolle man mit diesem Wort wirklich eine echte Staatsgrenze bezeichnen. Ich hoffe, daß ich mich täusche, und daß dieser Ausdruck eben nur in einer ganz allgemeinen Weise verwendet worden ist. Wir haben im Bundestag - Herr von Merkatz wird sich erinnern - mit vollem Bewußtsein diesen Ausdruck immer vermieden. Wir haben sogar das Wort „Gebiet der Bundesrepublik" vermieden und immer nur vom „Anwendungsbereich des Grundgesetzes" gesprochen, nicht weil wir griffelspitzende Juristen gewesen wären, sondern weil wir vermeiden wollten, daß man dem Provisorium Bundesrepublik echte Staatsattribute zuordnete, die nur einem endgültigen Staatswesen zukommen; daraus ergäben sich doch' Konsequenzen sehr weittragender Art, die für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands Voraussetzungen schaffen und bestehende Voraussetzungen nehmen würden, die wir einfach nicht verantworten könnten. Ich habe in der Regierungserklärung vermißt, daß bei der Diskussion des Brüsseler Paktes, des modifizierten Brüsseler Paktes, auf die Frage nicht eingegangen wurde, ob die zwischen Frankreich und Sowjetrußland und die zwischen Großbritannien und Sowjetrußland bestehenden Bündnisverträge noch als weiter geltend betrachtet werden oder ob man sie als stillschweigend außer Kraft getreten ansieht. Im einen wie im anderen Fall muß dazu eine ganz klare Erklärung der Bundesregierung diesem Hause gegeben werden. Denn die Möglichkeiten, mit den neuen Verträgen wirksam und auf sicherem Grunde Politik zu machen, hängen entscheidend davon ab, ob nicht der eine oder andere Vertragspartner zu den Bindungen aus diesem Vertrag an uns noch weitere Bindungen an eine andere Macht hat, nämlich die Sowjetunion. In der Debatte ist erfreulicherweise manches Grundsätzliche über den möglichen Ansatz einer deutschen Politik, einer Politik, die auf die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ausgeht, gesagt worden. Der Ausgangspunkt für die Politik, die zu den Vertragswerken geführt hat, ist im allgemeinen der gewesen - in Straßburg konnten wir das vor einigen Wochen noch erleben -, daß man auf der anderen Seite fragte: Kann man und muß man die Deutschen wieder bewaffnen - es sei dies die einzige Frage, auf die es ankomme -, und wenn ja, was muß geschehen, um die Deutschen daran zu hindern, mit ihren Waffen Böses anzurichten? Auf der deutschen Seite, auf Ihrer Seite, ist bald die Fragestellung: Wir brauchen jetzt, weil wir bedroht sind, zu unserer und des ganzen freien Westens Sicherheit Waffen auch in Deutschland. Bis zu welchem Preis dürfen wir gehen, um diese Waffen zu erhalten? Ich glaube, daß die ganze Fragestellung falsch ist, zumindest wenn man sie zum Ansatz der Gleichung machen will, mit der man die Lösung sucht. Denn hierbei wird ein sekundäres Element zu einem primär en Problem gemacht. Politisch gesehen muß man doch so fragen: Was für eine Politik muß getrieben werden, damit der Kalte Krieg zu Ende gehen kann, dieser Kalte Krieg, der ein kalter Weltkrieg ist? ({14}) Wir wissen doch genau: man kann ihn nicht dadurch beenden, daß man den einen Teil zwingt, die Waffen niederzulegen. Man kann ihn nur beenden ( durch einen Friedensschluß derer, die dabei im Streite liegen. Alle Nöte, gegen die wir Vorsorge treffen wollen, alle Gefahren, gegen die wir Barrieren aufrichten wollen, haben doch ihren Ursprung darin, daß dieser Kalte Krieg besteht und daß dieser Kalte Krieg noch weiter dauert. Die Beantwortung der Frage, was geschehen muß, um ihn zu beendigen, regiert auch die Frage: Was muß geschehen, um eine richtige Wiedervereinigungspolitik zu treiben, und was muß geschehen, wenn man Europa in wirksamer und dauerhafter Weise anders denn nur als Aufmarschgebiet im Kalten Krieg organisieren will? ({15}) Die Spaltung Deutschlands, diese Zustände in anderen Teilen der Welt, die für diesen Kalten Krieg charakteristisch sind, sind doch keine Probleme für sich, sondern sind doch Schlachtfelder im Kalten Krieg. Und die politischen und militärischen Positionen, die die einzelnen Parteien dieses Krieges dort einnehmen, sind doch strategische Positionen in diesem kalten Weltkrieg! Keine Macht der Welt, die es verhindern kann, wird eine solche Stellung räumen, solange dieser Weltkrieg nicht durch einen Friedensschluß beendet ist. Wir wollen das doch ganz klar aussprechen, so bitter diese Erkenntnis für uns auch sein muß, - denn es ist eine bittere Erkenntnis für uns. Dieser Friedensschluß kann nicht anders erfolgen als dadurch, daß die Großen, die nach dem zweiten Weltkrieg übriggeblieben sind, die Staaten, die man noch als Weltmächte bezeichnen kann, sich über die Ordnung der Machtverhältnisse einigen, wie sie der zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg geschaffen haben. Der Fehler, den man auf der Seite der Sieger nach diesem zweiten Weltkrieg gemacht hat, ist doch wohl der gewesen, daß man angenommen hat, man brauche nichts zu ordnen, es genüge, daß man die traditionellen Bösewichte Deutschland und Japan außerstand setze, noch zu schaden; alles andere werde sich dann von selbst ergeben, und wo gewisse Probleme noch nicht gelöst seien, werde man sich schon zusammenraufen. Statt eine Abschlußbilanz und eine Eröffnungsbilanz zu machen, wie man das früher nach Weltkatastrophen gemacht hat, hat man es darauf ankommen lassen, was aus den Dingen werden könnte. Die Folge ist gewesen, daß die Verbündeten von gestern sich umdrehten und zu Gegnern in einem neuen, wenn auch kalten Kriege geworden sind. Nun leiden wir alle unter diesem Zustand, und alle sind wir daran interessiert, daß dieser Zustand sich ändert. Solange diese Vereinbarung der Großen über die Neuverteilung der Machtverhältnisse in der Welt' nicht erfolgt ist, wird keine dieser Mächte das Risiko übernehmen, das mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands für ihr Machtpotential geschaffen wird. Das wird sie nur tun, wenn sie weiß, in welches Koordinatensystem der Macht dieses neue Gebilde hineingebracht wird. Ob das nun so erfolgt oder auf andere Weise, in jedem Falle geht damit eine wesentliche Veränderung und Verschiebung der Machtverhältnisse vor sich. Da gibt es keinen Staat, der zustimmte, solange er nicht weiß, in welche Rechnung dieser neue Posten hineingestellt werden soll. Eine solche Vereinbarung wird natürlich nur einen Sinn haben, wenn die Beteiligten sie durch vertragliche Systeme kollektiver Sicherheit absichern. Ich brauche hier nur auf das hinzuweisen, ({16}) war Herr von Merkatz ausgeführt hat. Kollektive Sicherheit schafft an noch nicht dadurch, daß man Bündnissysteme schafft und diese Bündnisblöcke einander gegenüberstellt. Wenn man von kollektiver Sicherheit spricht, dann muß man das im Sinne des Sprachgebrauchs tun, der dieses Wort geschaffen hat, dann muß man Verträge zu schaffen versuchen, bei denen die potentiellen Gegner durch den Mechanismus des Vertrags verbunden sind. Nun werden einige vielleicht sagen, das wird man nicht erreichen, das wird nicht geschehen, dazu werden wir nie kommen, mit den Russen kann man das nicht machen, und was solche Redewendungen mehr sind. Das mag sein; dann aber um so schlimmer für uns. Denn dann sehe ich in der Tat keine Möglichkeit, wie wir auf gutem Wege zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands kommen sollen. ({17}) Jene unter Ihnen, meine Damen und Herren, die wirklich der Meinung sein sollten, mit den Russen könne man eben nicht, mit denen könne man eben mal keine Verträge schließen - vielleicht haben Sie recht. Aber wenn Sie glauben, recht zu haben, dann müssen Sie das sagen und dann müssen Sie auch dem deutschen Volke sagen, welche Konsequenzen sich aus diesem Tatbestand ergeben! ({18}) Was können wir tun, um das Richtige zu fördern? Es ist schon viel darüber gesprochen worden, daß wir zunächst einmal verhindern können, daß vollendete Tatsachen geschaffen werden, die die Wahrscheinlichkeit, daß eine Verhandlungssituation entsteht, noch geringer machen, als sie heute schon ist. Aber ich glaube, man kann auch etwas Positives tun. Damit, daß wir uns bemühen, mit den Staaten, die uns näherstehen als anderen, nach Formeln für den Status eines wiedervereinigten Deutschlands zu suchen, nach Formeln, die für a 11 e akzeptabel sind, können wir vielleicht das Klima mitschaffen, in dem es zu dem planetarischen Generalakkord kommen könnte, von dem ich gesprochen habe. ({19}) Was diesen Status des wiedervereinigten Deutschlands betrifft, so gibt es doch hier auch einige sehr einfache und für uns nicht sehr angenehme Feststellungen. Dieser Status kann nicht geschaffen werden etwa durch eine Vereinbarung der Bundesrepublik mit dem Westen allein, so wenig wie durch Vereinbarungen Pankows mit dem Osten allein. Ich glaube, er kann nicht einmal durch Vereinbarungen der vier Besatzungsmächte allein geschaffen werden. Er kann nur durch Vereinbarung der vier Besatzungsmächte mit einer gesamtdeutschen Regierung geschaffen werden, die auf Grund eines gesamtdeutschen Mandates verhandeln kann. Was bei diesen Verhandlungen herauskommen wird, kann heute niemand sagen, der nicht über die Gabe der Prophetie verfügt. Man kann bestenfalls sagen - das sollte man sich fragen -: mit welchem Auftrag soll ein gesamtdeutscher Außenminister in solche Verhandlungen gehen? Auf was hin soll er verhandeln? Ich glaube, da gibt es wohl kaum eine andere Formel als die: er müßte versuchen, seine Verhandlungspartner dazu zu bringen, sich mit ihm auf eine Formel zu einigen, in der keiner der Beteiligten eine politische und militärische Bedrohung zu erblicken braucht. Weder werden sich die Amerikaner und die anderen westlichen Staaten mit einem Gesamtdeutschland abfinden, das von den Russen beherrscht oder auch nur wesentlich bestimmt ist, noch wird sich die Sowjetunion mit einem Gesamtdeutschland abfinden, das ein in die Automatik eines atlantischen Bündnissystems einbezogener Staat wäre. Ich glaube, daß dies eine ganz einfache Überlegung ist. Das muß man sich klarmachen. Dann erweisen sich manche Dinge von vornherein als Unmöglichkeiten. Beide Teile aber könnten es hinnehmen, daß dieses Gesamtdeutschland normale nachbarschaftliche Beziehungen nach allen Seiten unterhält und auf diese Weise - und hier komme ich zu Ihrem glücklichen Begriff von der Entspannungspolitik, Herr von Merkatz - die beiden Blöcke ein bißchen weiter auseinander hält, als sie es wären, wenn sie unmittelbar aneinander grenzten. Daß das deutsche Volk nicht Lust hat, sich satellitisieren zu lassen, und daß es auch nicht nur eine Sekunde lang daran denkt, sich aus der Freundschaft und aus der Solidarität der freien Völker zu lösen, das brauche ich hier nicht besonders zu sagen. Aber das ist doch etwas anderes, als sich zu verpflichten, zu einem Bestandteil eines mehr oder weniger automatisch funktionierenden militärpolitischen Blocks in der einen oder anderen Himmelsrichtung zu werden! Es müßte also, glaube ich, ein solcher deutscher Außenminister daraufhin verhandeln, daß dieses Gesamtdeutschland frei von Bündnisverpflichtungen sein soll, nicht frei zu Bündnissen, sondern frei v o n Bündnissen. Wenn Sie mir sagen sollten: ja, damit begeben wir uns doch einer ganz entscheidenden Prärogative eines freien Staates, erwidere ich: im Brüsseler Pakt verzichtet man ja auch auf Bündnisfreiheit im vollen Sinne; denn man verpflichtet sich doch dort, keine Bündnisse zu schließen, die sich gegen einen der Paktteilnehmer richten könnten. Auch hier stimme ich Herrn von Merkatz völlig zu, wenn er statt von Souveränität von der Freiheit der Völker, der Staaten spricht, sich mit ihren Nachbarn in zweckentsprechender Weise einrichten zu können. Was ich vorschlage, scheint mir eine solche zweckentsprechende Methode, sich mit seinen Nachbarn einzurichten, zu sein. Was nun den Schutz der Grenzen anbetrifft, so müßte dieses vereinigte Deutschland - aber das müßte ja auch erst aus den Verhandlungen mit den anderen herauskommen -, so glaube ich, stark genug sein, um nicht einen Nachbarn in Versuchung zu führen, aber nicht so stark, daß, wenn es auf die eine oder andere Seite sollte übergehen wollen, diese Seite eine überwältigende Überlegenheit über die andere bekommen könnte. Wie gesagt, ich weiß nicht, ob ein solches Ergebnis erzielt werden kann, aber ich glaube, daß man deutscherseits mit einiger Aussicht auf Erfolg auf Grund dieses Schemas verhandeln könnte. Mag es so sein oder anders, eines ist sicher - und ich wiederhole mich hier -, daß keine Macht eine Lösung akzeptieren wird, die sie als eine militärische Bedrohung ihrer selbst empfinden wird. Nun, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, Sie sind der Meinung: Unsere Westpaktpolitik treiben wir ja gerade zu dem Zweck, dieses Ziel zu erreichen; das ist unserer Meinung nach der bessere Weg, um zu dem zu kommen, was du hier ausführst! - Sie wissen, daß wir glauben, daß Sie sich hier täuschen. Wir sagen: eine solche Westpaktpolitik - ich gebrauche absichtlich dieses ver({20}) schwommene und allgemeine Wort - ist bestenfalls als eine provisorische Notlösung möglich, die man vielleicht braucht, wenn durch das Verhalten der Sowjetunion die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands sich als vorderhand schlechthin unmöglich erweisen sollte und man der Meinung sein müßte, daß uns von der Sowjetunion Gewalt droht. Diese Probe muß gemacht werden. Ich glaube nicht, daß man bisher in genügend wirksamer Weise versucht hat, sie zu machen. Man muß sie auf dem Grunde einer beweglichen Politik und nicht durch Dogmatisieren vielleicht früher - in anderen Situationen - gefaßter Beschlüsse oder geschriebener Noten zu machen versuchen. Sie sagen: Auf diese Weise stellten wir die Frage, wann wir uns denn endlich schützen werden, zur Disposition des Herrn Malenkow. Aber das ist doch wirklich zu einfach gesehen! Nein, wir werden das schon selber feststellen, ob wir die Überzeugung haben müssen, daß die Russen wirklich nicht wollen. Das werden wir dann schon allein feststellen! Was Sie sagten, ist genau so scharfsinnig, als wenn ich sagte: Sie stellen die Frage, wann die Menschenrechte im Saargebiet eingeführt werden sollen, zur Disposition der französischen Regierung! ({21}) Ich sage das nicht, aber dann dürfen Sie auch solche Dinge nicht uns entgegenhalten. ({22}) - Der Vergleich hinkt, wie die meisten Vergleiche hinken. Natürlich geht es im Saargebiet nicht so zu wie in der Sowjetzone, aber das Grundverhältnis ist dasselbe. Sie warten darauf, bis die Franzosen geneigt sind, mit Ihnen über diese Dinge zu verhandeln. So ist es doch! Selbst wenn es nötig sein sollte, eine solche Westpaktpolitik zu machen, müßte die Politik, die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung Deutschlands trotzdem zu schaffen, weitergehen. Sie müßte aber, glaube ich, dann neben dieser Westpaktpolitik weitergehen; sie würde kaum innerhalb dieser Politik weiter betrieben werden können. Nun hat Herr von Merkatz gesagt: Man kann doch nur verhandeln, wenn man stark ist. - Das ist richtig. Er hat sich auch gegen den Mythos der Verhandlungen gewandt. Gut. Man kann aber auch die Politik der Stärke mythisieren, Herr von Merkatz, ja, das kann man auch! ({23}) Sie sagen, man müsse hart sein, - gut, natürlich geht es in der Politik hart zu. Sie werden sich erinnern, Herr von Merkatz, daß wir Ihnen gelegentlich vorgehalten haben, daß Sie im Westen, statt harte Politik zu machen - genauer gesagt: statt auf Grund der harten Tatsachen Politik zu machen -, sich damit begnügten, an den Kaminen eines Europas zu causieren, das noch nicht einmal als Kartenhaus stand. ({24}) Sie sprechen von dem Risiko, das zu jeder Politik gehöre. Gewiß, aber die Frage ist doch die: wo stecken Sie das Limit für Ihr Risiko? Wieviel wollen Sie riskieren? Wie weit wollen Sie im Aufsichnehmen eines Risikos, das Sie ja auf militärische Macht abstützen wollen, gehen? Da werden Fragen sehr dramatisch, Herr von Merkatz, und ich möchte darum das hier Angedeutete nicht weiter ausführen. Man darf vor allen Dingen nicht aus dem Auge lassen, daß man, mag man im einzelnen tun, was man will, niemals eine Verhandlungssituation wird schaffen können, wenn man nicht zum mindesten die Frage des Statuts Gesamtdeutschlands offenläßt. Nun werden Sie sagen: Das ist doch offen, denn die gesamtdeutsche Regierung ist frei, sich so oder so zu entscheiden, da die Bundesrepublik, die Bundesregierung sie nicht binden kann. Gewiß! Aber es können doch gewisse Bindungen der Bundesrepublik bestehen, die es ihr unmöglich machen, das für die Wiederherstellung der Einheit Notwendige auch wirklich im Bereich der Realitäten zu tun. Wir fürchten, gewisse Bindungen der Bundesrepublik gehen so weit, daß eine deutsche Wiedervereinigungspolitik so sehr an die Zustimmung westlicher Partner gebunden wird, daß sie als deutsche politische Möglichkeit schlechthin nicht mehr besteht. ({25}) - Ja, bitte, stellen Sie eine Frage!

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie selbst haben die Auffassung vertreten, daß nur durch eine Einigung der großen Mächte auch die deutsche Frage gelöst werden kann. Formell juristische Bindungen der Bundesrepublik hin oder her, ohne die faktische Zustimmung der westlichen Mächte wird die deutsche Frage nie gelöst werden können.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben vollkommen recht, Herr Kiesinger, darüber besteht kein Zweifel. Aber nicht nur nicht ohne die Zustimmung der westlichen Mächte, sondern auch nicht ohne die Zustimmung der östlichen Macht! ({0}) Nun ist die Frage, ob die westlichen Mächte ihre Zustimmung verweigern werden, wenn man die Bindung der Bundesrepublik lockerer hält, als sie heute ist. Ich glaube, bei der offensichtlichen Bereitschaft der westlichen Mächte, alles zu tun, was die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands fördern könnte, müßten sie doch zustimmen können, wenn es ihnen deutscherseits nur genügend deutlich gesagt wird! ({1}) Wir sollten uns von der militärpolitischen Seite unserer politischen Situation nicht hypnotisieren lassen. Natürlich besteht dieser militärpolitische Aspekt durchaus; das läßt sich nicht leugnen. Aber das Allgemeinpolitische steht doch nach wie vor über dem Militärpolitischen, und es ist es doch, was unser Verhalten regieren soll und regieren muß. Deswegen, meine Damen und Herren, können wir Ihrer Resolution, so wie sie jetzt ist, nicht zustimmen. Sie wird den Notwendigkeiten, die ich hier zu entwickeln versucht habe, nicht gerecht. Wenn ich die Resolution richtig deute und verstehe, machen Sie auch die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands davon abhängig, daß Europa, wie Sie sich das vorstellen, vorher geschaffen wird. - Sie schütteln den Kopf, Herr Kiesinger. Aber so steht es für den unbefangenen Leser im Text. Das scheint uns nicht der richtige Weg zu sein. Ich glaube, wir müssen den umgekehrten Weg gehen. Wir müßten, wie es in unserem Resolutionsentwurf gesagt ist, zunächst versuchen, unsererseits alles zu tun, was die Verhandlungssituation für die ({2}) Beendigung des Kalten Krieges verbessern kann. Man hat in der Londoner Schlußakte Kommissionen für alle möglichen Dinge vorgesehen. Nur für eine Aufgabe, die sich die Paktmächte gesetzt haben, die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, hat man keine Kommission vorgesehen, um gemeinsame Richtlinien auszuarbeiten. Mir scheint aber gerade das eine sehr vordringliche Notwendigkeit zu sein; denn ohne ein Gremium, das versucht, die Politik der Paktmächte zu koordinieren, wird es doch kaum je möglich sein, einen gemeinsamen Generalnenner für die vertraglich vorgesehene Wiedervereinigungspolitik zu finden. Ich glaube, daß unsere Resolution den besseren Weg geht, und ich fordere Sie darum auf, diesen Weg mit uns zu gehen. ({3})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Kollegen Professor Carlo Schmid dankbar für eine Reihe sehr konkreter Fragestellungen, auf die ich antworten kann. Ich kann schon vorweg sagen, daß eine ganze Reihe seiner Besorgnisse von mir widerlegt werden können. Ich habe nicht die Absicht, jetzt etwa in die Vergangenheit zurückzusteigen und jene Rechnung aufzumachen, die heute schon zu verschiedenen Malen vorgelegt worden ist, wer sich in der Vergangenheit getäuscht und wer recht behalten habe. Aber, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, Sie müssen mir schon gestatten, wenigstens zwei Sätze dazu zu sagen. ({0}) Wir haben ja eine ganze Menge der Aussprüche, der Reden und der Verlautbarungen der Sozialdemokratischen Partei auch in unserem Archiv, und es wäre sehr leicht, nun hier eine Blütenlese dieser Verlautbarungen dem Hohen Hause darzubieten, ({1}) um zu beweisen, daß die Sozialdemokratie wahrlich nicht recht behalten hat. Ich kann es sehr einfach machen. Es ist richtig, verehrter Herr Kollege Schmid: Wir haben ein Ziel, ein Zwischenziel unserer bisherigen Politik nicht erreicht, nämlich die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Niemand von uns wird sich dagegen wehren, wenn Sie das auch sonst in der Öffentlichkeit so formulieren. Aber es ist ja ganz anders formuliert worden. Man hat gesagt: die Politik des Bundeskanzlers sei gescheitert. ({2}) - Nein, verehrter Herr Kollege Schmid, das hat niemand von uns jemals getan. ({3}) Lassen Sie mich ausführen, was wir gesagt haben. ({4}) Ich habe schon bei meinen letzten Ausführungen hier in diesem Hohen Hause, meine verehrten Kollegen von der Opposition, gesagt, daß wir uns vielleicht doch angewöhnen sollten, genau zuzuhören. ({5}) Was haben wir also als unser Ziel bezeichnet und betrachtet? Meine Damen und Herren, von dem Augenblick an, als es wieder die Möglichkeit gab, für Deutschland zu handeln, war das Ziel klar. Es hieß: erstens: das deutsche Volk aus seiner Isolierung herauszuführen zurück in die Gemeinschaft der Völker, zweitens: das deutsche Volk wieder freizumachen, d. h. das Besatzungsregime zu beenden. Und es hieß ferner, diese Ziele für das ganze deutsche Volk zu erreichen. Das war, das ist und das bleibt unser Ziel. ({6}) Allerdings kam sehr bald eine andere Einsicht hinzu. Hätten wir noch in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg gelebt, so wäre es wahrscheinlich mit dieser Zielsetzung genug gewesen. Wir sahen aber, daß sich inzwischen eine Weltlage entwickelt hatte, in der die Zielsetzung der Erlangung einer nationalen Souveränität einfach zuwenig war. Wer sich damit begnügt hätte, hätte schlechte Politik gemacht. Wir erkannten, daß angesichts der Bildung gewaltiger Machtblöcke, insbesondere des östlichen Machtblocks, ein nationales souveränes Deutschland viel zu schwach sein würde, um der großen Bedrohung von dorther zu widerstehen. Daher konnten wir auch nur eine gute nationale Politik treiben, indem wir eine gute europäische Politik trieben; denn Europa war mit uns in der gleichen Lage. ({7}) Daraus entwickelten sich nun die Bemühungen der vergangenen Jahre. Dabei tauchte eine große Reihe von Schwierigkeiten auf. Ich sagte schon: dieses Europa war hineingestellt zwischen die beiden großen Machtsysteme, zwischen den Sowjetblock, zu dem später China hinzutrat, und den Block der, ich will einmal sagen: maritimen Mächte mit den Vereinigten Staaten als Mittelpunkt. Dabei war dieser maritime Block schon wieder problematisch genug, da natürlich zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und dem britischen Weltreich zwar keine vitalen Gegensätze bestanden, aber immerhin gewisse Differenzierungen der Meinungen und der politischen Tendenzen in der Welt. Ich will einmal absehen von den großen Völkern des Ostens, etwa dem großen indischen Volk, auch dem chinesischen Volk, von dem ich sehr hoffe, daß es nicht ein Satellit Moskaus werden oder bleiben wird. Ich will auch absehen von dem sich vielleicht bildenden großen Block der islamischen Welt und auch von Südamerika. Wir sollten auch diese Dinge in unsere Betrachtungen mehr einbeziehen, als wir es im allgemeinen bei den Debatten in diesem Hause tun. Davon will ich aber jetzt„ wie gesagt, absehen. Es bildete sich für uns Europäer ein eigentümliches Problem heraus. Wenn wir Kontinentaleuropäer von Europa sprechen, dann gebrauchen wir ein Wort, das wir in der Schule gelernt haben. Es ist noch immer das alte Europa von der Pyrenäenhalbinsel bis zum Ural. ({8}) ({9}) - Lieber Herr Dr. Greve, das ist immer noch der geographische Europabegriff. Wenn wir vom freien Europa sprechen, dann haben wir ganz selbstverständlich Großbritannien mit einbezogen; ich meine nun wirklich nur Großbritannien, nicht einmal das britische Weltreich. Bei einem kurzen Besuch in England, meine sehr verehrten Herren Kollegen, können Sie sich aber davon überzeugen, daß unsere britischen Nachbarn ganz anderer Auffassung sind. Sie fragen Sie nämlich freundlich einen Tag vor Ihrer Abreise: ,,Wann gedenken Sie nach Europa zurückzufahren?" Und britische Post, die für den Kontinent bestimmt ist, trägt den offiziellen Aufdruck: "To Europe". Nun will ich nicht behaupten, daß sich die Engländer zu Asien oder zu Amerika oder zu Australien rechneten. Aber sie haben ihren eigenen Standort in dieser Welt; wir wissen es alle. Sie liegen zwar an der Küste Europas, blicken aber über die sieben Meere auf ihr großes Weltreich, das ihnen immer noch sehr viel bedeutet, und sie haben im Laufe der letzten 400 Jahre alles getan, um uns Kontinentalen deutlich zu machen, daß sie sich dieses Reservat, nur bedingt zu Europa zu gehören, nicht wegnehmen lassen werden. Vielleicht haben manche das verkannt. Ich gebe Ihnen und auch Herrn von Merkatz zu, daß man möglicherweise Großbritannien bei den europäischen Planungen mehr zugemutet hat, als es leisten kann. Ich darf persönlich für mich in Anspruch nehmen, daß ich in dieser Frage immer etwas skeptischer dachte als mancher meiner Freunde. Aber das besagt nicht, daß der Versuch nicht unternommen werden sollte. Es ist außerordentlich schwer, in einer Zeit wie der unseren, nach einem Weltkrieg, der alles auf den Kopf gestellt hat, festzustellen, ob die alten geographischen, politischen und geopolitischen Gesetzmäßigkeiten noch ihre Gültigkeit behalten haben oder ob die Möglichkeit besteht, einen wirklich neuen Abschnitt politischen Handelns zu beginnen. Für England - ich schicke das vorweg - muß man sagen, daß die Entscheidungen nicht erst der Londoner Konferenz, aber erst recht der Londoner Konferenz, bedeuten, daß England eine Epoche seines politischen Verhaltens gegenüber Kontinentaleuropa beendet und eine neue begonnen hat. Das heißt allerdings nicht, daß England bereit sein könnte, einen so engen Zusammenschluß mit anderen europäischen Staaten einzugehen, wie es eine Reihe von europäischen Staaten gewollt haben und ferner wollen. Hieraus ergab sich jene eigentümliche Problematik, die uns seit Jahren bekannt ist. Wir haben im Europarat diese Kämpfe zwischen den Föderalisten und den Funktionalisten bis zum Überdruß durchgestanden. ({10}) - Wahrscheinlich wird dieser Kampf überhaupt nicht aufhören, solange nicht der Kanal zwischen dem Kontinent und Großbritannien durch irgendein Wunder der Schöpfung zu Festland geworden ist, Herr Kollege Schmid, ({11}) - Lieber Freund Gerstenmaier, ich gestehe Ihnen gern einen etwas größeren Optimismus zu; aber ich persönlich bin Formulierungen wie der, die englische Grenze liege heute an der Elbe usw., immer nur mit einem leichten skeptischen Lächeln begegnet. Es hat noch etwas für sich, ein gutes Stück Meer zwischen sich und den Bolschewiken zu haben. Doch das bedeutet ja nun nicht, daß im Laufe der kommenden Jahre die Entwicklung der englischen Politik nicht über den bisher erreichten Punkt hinausgehen könnte. Ich habe diese Ausführungen deswegen gemacht, meine Damen und Herren, weil ich einmal ganz klar das eigentlich kontinentaleuropäische Anliegen herausstellen wollte. Man hat es in einem guten Teil Europas und vor allen Dingen in Großbritannien für genügend erachtet, den Schutz Europas dadurch sicherzustellen, daß man die atlantische Verteidigungsgemeinschaft gründete und immer enger ausgestaltete. Wir waren von vornherein der Auffassung, daß das allein für den endgültigen Schutz, für die Stabilisierung der Sicherheit Kontinentaleuropas nicht ausreichen würde, d. h. wir waren der Meinung, daß sich die kontinentaleuropäischen Staaten in einer engeren Form zusammenschließen müßten. Das ist eine sehr einfache Überlegung. Dieses Europa und gerade auch dieses Kontinentaleuropa, einst der führende Kontinent, von dem die ganze Prägung unseres Planeten ausgegangen ist, ist nun nach zwei Weltkriegen in kleine, armselige Nationalstaaten aufgelöst und zersplittert, auf einem so engen Raum zusammengepfercht, daß diese Staaten für sich allein nicht hoffen können, jemals wieder eine Politik zu machen, die man als souverän bezeichnen könnte. Auch im Rahmen eines atlantischen Sicherheitssystems wäre dieses Kontinentaleuropa sicherlich der schwächste Teil, wenn es auf unabsehbare Zeit in seine kleinen nationalen Staaten aufgesplittert bliebe. Daher muß der Prozeß der kontinentaleuropäischen Integration auch nach dem Ergebnis der Londoner Konferenz weitergehen. Wir haben zu verschiedenen Malen betont, daß das Londoner Abkommen Ansätze dieser Art enthält. Aber, meine Damen und Herren, mehr als diese vertraglichen Ansätze sind für mich die Millionen von auf diesem europäischen Kontinent lebenden Menschen Garantie dieser Weiterentwicklung. Es sind Menschen, die wissen, daß die Entscheidung über das Schicksal Europas und gerade Kontinentaleuropas darin beschlossen liegt, ob dieses Kontinentaleuropa wirklich den Willen zu diesem Zusammenschluß findet. ({12}) Dieses Ziel, meine Damen und Herren, war und ist wahrhaftig des Schweißes der Edlen wert. ({13}) Wir haben es nicht - noch nicht - erreicht. Sie, verehrter Herr Kollege Schmid, haben uns darauf aufmerksam gemacht - und Herr Kollege Ollenhauer hat es auch getan -, wir hätten früher einsehen müssen, daß dieses Ziel nicht erreicht werden könnte. Sie haben von dem pays réel gesprochen. Aber die Frage nach dem pays réel ist es gewesen und ist es heute noch, die nicht ohne weiteres in ihrem Sinne beantwortet werden kann. Was war denn die Meinung der französischen Öffentlichkeit zum EVG-Vertrag? Immer wieder haben uns Franzosen gesagt: Das französische Volk, das pays réel, denkt über den europäischen Zusammenschluß sehr viel positiver als das Parlament. ({14}) Erinnern Sie sich? Wir wissen, was Gallup-Umfragen, Meinungsbefragungen auf sich haben; aber in der Erfahrung ({15}) der letzten Jahre haben wir ja gewisse Bestätigungen gefunden. ({16}) - Gut, gut, sogar der letzten Wochen! bloß müssen Sie richtig interpretieren, verehrter Herr Kollege Schmid! ({17}) Eine Umfrage hat damals, Ende 1953, im französischen Volk folgendes Ergebnis gehabt: Von den Befragten stimmten 46 % für die EVG, 22 % dagegen; der Rest war unentschieden und ohne eigene Meinung. Ich will das mit allem Vorbehalt gegenüber solchen Umfragen anführen, um Sie darauf hinzuweisen, daß das pays réel in Frankreich auch heute noch wesentlich anders denken kann - und nach meiner Überzeugung sogar wesentlich anders denkt - als das zur Zeit bestehende französische Parlament. Die Nachwahlen der letzten Zeit in Frankreich haben uns jedenfalls in dieser Überzeugung gestärkt, weil sich bei ihnen stets überzeugte Anhänger der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft durchgesetzt haben. ({18}) - Sicherlich, aber man muß doch wohl auf irgendeine Weise, da Sie nun einmal das Thema angeschnitten und uns vorgeworfen haben, wir hätten nicht das richtige Fingerspitzengefühl für dieses pays réel gehabt, nachweisen, daß es damit so schlimm nicht bestellt war. ({19}) Wir haben dieses Ziel nicht erreicht. Aber es war nach meiner Meinung richtig, den Weg bis zu Ende zu gehen und bis zum letzten Augenblick zu versuchen, das Bessere statt des Schlechteren zu bekommen. ({20}) Wir haben dieses nach unserer Meinung Bessere nicht bekommen, d. h. wir sind in unseren Bemühungen zunächst um eine Strecke zurückgeworfen worden. Aber zu keinem Zeitpunkt sind wir aus unserer Bahn geworfen worden, und zu keinem Zeitpunkt haben wir das uns gesteckte Ziel aus den Augen verloren. ({21}) Nun, ich will nicht mehr mit der Vergangenheit rechten. Ich hätte Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen können, daß Ihre Argumente gar nicht lange deshalb gegen die EVG gingen, weil nur durch einen bündnisfreien Status Deutschlands die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht würde. Sie haben sich sehr früh mit einer Zulassung Deutschlands zur nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft an Stelle der EVG-Lösung einverstanden erklärt ({22}) -- jedenfalls eine ganze Reihe von Ihnen -, und was damals recht war, kann heute nicht falsch sein. Sie haben uns damals in sehr vielen Äußerungen vorgeworfen - ich erinnere an jede Debatte vom Petersberger Abkommen an, wo ich für die Koalition zu sprechen die Ehre hatte -, daß wir durch unsere Politik uns einer Hegemonie Frankreichs auslieferten. Das war beim Eintritt in den Europarat, bei der Montan-Union der Fall, das war bei allen diesen Schritten Ihre Warnung. ({23}) Paradoxerweise ist es nun gerade die französische äußerste Rechte, paradoxerweise war es der General Aumerand, der den bekannten Antrag jüngst in der französischen Kammer gestellt hat, der schon bei der Debatte über den Schuman-Plan ausgerufen hat: „Unsere Toten sind nicht dafür gefallen, daß wir uns der wirtschaftlichen Vorherrschaft Deutschlands ausliefern." Monsieur Pleven hat ihm damals die passende Antwort gegeben: „Unsere Toten sind nicht dafür gefallen, daß alles von neuem anfange". Das ist doch ein höchst eigentümliches Zusammentreffen der Argumente. Irgend etwas kann doch nicht stimmen, wenn man uns hier vorgeworfen hat, wir lieferten uns einer Hegemonie Frankreichs aus, und wenn die Rechtsradikalen Frankreichs ihren Europäern vorgeworfen haben, sie lieferten Frankreich einer Vorherrschaft Deutschlands aus. Aber schließen wir diese Rechnung ab und fragen wir uns: was bleibt nunmehr zu tun? Dabei konzentrieren sich ja unsere Sorgen auf folgende Punkte. Erstens auf die Bewahrung unserer Freiheit. Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben es beklagt, daß die europäischen Einigungsbestrebungen damit belastet seien, daß man mit dem Militärischen beginnen müsse. Das ist wahr, das ist schlimm. Aber so ist es in der Geschichte der Menschheit immer gewesen. Die große Blüte der griechischen Polis, die Ordnung des Friedens und des Rechtes in Rom, die Freiheit eines germanischen Stammesstaates und das Blühen der jeweiligen volklichen Kulturen, sie waren immer davon abhängig, daß sie abgeschirmt und geschützt waren durch eine starke Wehr. Das ist, solange Menschen Menschen bleiben, so. Herr Kollege von Merkatz hat ein paar anthropologischphilosophische Bemerkungen zu dem falschen Weltbild eines gewissen Liberalismus gemacht. Natürlich war der Fehler dieses Liberalismus der, daß er den Menschen in seiner Wirklichkeit nicht mehr sah, daß der Mensch als autark gutes Wesen betrachtet wurde. Dieser Irrtum ist natürlich überwunden. Ich werfe das keinem unserer heutigen liberalen Freunde vor. ({24}) - Es war ein generöser Irrtum, das gebe ich zu. Verehrter Herr Kollege Schmid, auch der Irrtum Karl Marx, daß es eines Tages eine Gesellschaft freier, unabhängiger Menschen auf dieser Welt gäbe ohne den Zwangsapparat des Staates, wie er meinte, war ein generöser Irrtum, ich sage sogar: war der Irrtum eines großen Herzens. Aber mit solchen Irrtümern baut man nicht ,Geschichte, mit solchen Irrtümern verteidigt man nicht Kulturen, sondern mit solchen Irrtümern - Karl Marx hat es bewiesen - schafft man die schauerlichen Wirklichkeiten, wie sie sich uns heute um Moskau darstellen. ({25}) - Meine Damen und Herren, Sie glauben das ins Lächerliche ziehen zu können. Haben Sie noch nie darüber nachgedacht, daß es vielfach die großen Utopisten waren, die es gut meinten und die doch ({26}) über die Menschen die schlimmsten Übel gebracht haben? ({27}) Wir betrachten uns nicht als Realpolitiker in einem Sinne, wie es einmal in Deutschland gemeint war. Was wir unter realer Politik verstehen, ja, meine Damen und Herren, das haben Sie ja in den letzten Jahren gesehen. Und Sie werfen uns ja gar nicht Realpolitik vor, im Gegenteil: die nehmen Sie für sich in Anspruch, uns werfen Sie Utopismus vor. ({28}) - Was Sie vorhin aus dem Munde von Herrn Carlo Schmid hörten, war der Vorwurf einer unrealistischen Politik, verehrter Herr Kollege Greve. Und wenn das richtig ist, was ich von Ihnen gehört habe, daß Sie gegen jede deutsche Wiederbewaffnung sind, dann, verehrter Herr Kollege Greve, muß ich Ihnen lallerdings sagen, daß das eine höchst unreale Politik wäre. ({29}) Die Sicherung der Freiheit bedarf einer starken westlichen militärischen Gewalt so lange, wie in Sowjetrußland eine noch stärkere militärische Gewalt steht. Das ist doch eine Binsenwahrheit, meine Damen und Herren. ({30}) Deswegen lasse ich mich nicht mehr auf Streitereien um Worte ein. Ich lasse mich nicht mehr in eine Diskussion darüber ein, was „rangmäßig" das Erste und Wichtigste sei. Alle drei Ziele haben den gleichen Rang und müssen gemeinsam verfolgt werden. Es mag zeitlich, etappenmäßig, methodisch Unterschiede geben. Man kann darüber streiten. Aber wir sollten in diesen Dingen in unser ohnehin schon arg verquältes Volk nicht noch mehr Unsicherheit tragen. Was die Freiheit bedeutet und wie sie bedroht ist, das ist mir wieder klargeworden, als ich jetzt die neueste Rede Molotows zum fünfjährigen Bestehen der Deutschen Demokratischen Republik gelesen habe. Ich weiß nicht, wie viele meiner Kollegen die Rede bereits aufmerksam studiert haben. Wir alle kennen ja das sowjetische Wörterbuch, das demokratische, freiheits- und friedliebende Völker nirgendwo anders sehen kann als im Machtbereich Moskaus selbst. „Freiheits- und friedliebende demokratische Völker" sind in diesem Wörterbuch eben die Satelliten Moskaus. Das ist zu beachten. Es ist ja eine eigentümliche Schwäche totalitärer Systeme, daß sie im Grunde genommen das, was sie wollen, gar nicht verbergen können, selbst wenn sie es wollten. Verehrter Herr Kollege Dehler, insofern möchte ich eine kleine Berichtigung anbringen. So wie Adolf Hitler ziemlich brutal, sehr früh hinausgebrüllt hat, was er wollte, so wird es auch aus all diesen Äußerungen immer wieder klar, wie man sich die Entwicklung der Dinge, wie man sich z. B. die deutsche Wiedervereinigung denkt. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur ein paar Sätze verlesen. Die sogenannte Deutsche Demokratische Republik wird von Molotow sehr gelobt, und dann heißt es: Diese Erfolge werden die Anziehungskraft der Deutschen Demokratischen Republik als des Trägers der berechtigten Bestrebungen des deutschen Volkes, die Möglichkeit der Entwicklung auf friedlicher und demokratischer Grundlage zu sichern, noch mehr verstärken. N u r a u f dies e m Wege wird das deutsche Volk die Möglichkeit erlangen, seine großen schöpferischen Kräfte vollkommen wirksam zu machen und zu entfalten. . . . Die Deutsche Demokratische Republik ist das feste Bollwerk der friedliebenden demokratischen Kräfte ganz Deutschlands. ({31}) So geht es in einem Zuge weiter, und im nächsten Satz wird davon gesprochen, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands nur gestützt auf diese „friedliebenden demokratischen deutschen Kräfte" erfolgen könne. Meine Damen und Herren, was bedeutet das? ({32}) Man sagt uns durch den Mund des Herrn Molotow klipp und klar, daß Moskau eine deutsche Wiedervereinigung nicht anders sehen kann als so, daß Gesamtdeutschland zu einem sowjetischen Satelliten wird. ({33}) Ich behaupte nicht, daß das in alle Ewigkeit so sein müßte. Ich greife das Argument auf, das Sie, verehrter Herr Kollege Schmid, vorhin gebraucht haben, den Vorwurf, daß wir glaubten, es gebe niemals die Möglichkeit eines kollektiven Sicherheitssystems mit Rußland. Wir waren nie dieses Glaubens. ({34}) - Gut, wenn Sie es nicht so gemeint haben.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe gesagt, es möge Leute geben, die glauben, mit den Russen könne man sich überhaupt nicht einigen. Wenn es solche Leute geben sollte, sollten sie auch sagen, welche Konsequenzen sich aus ihrer Meinung ergeben.

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Schön, dann wollen wir also ganz klarstellen, daß von meinen Freunden niemals jemand die Möglichkeit der Einbeziehung Sowjetrußlands in ein kollektives Sicherheitssystem geleugnet hat. ({0}) - „Na also", verehrter Herr Kollege? Nur nicht so kurzschlußhaft gedacht! Wann die Sowjetunion in ein solches System kollektiver Sicherheit einbezogen werden kann und unter welchen Voraussetzungen, das ist doch die Frage. Darüber hat schon mein verehrter Herr Kollege von Merkatz einige Ausführungen gemacht. Ich kann natürlich den Hecht in den Karpfenteich des Systems kollektiver Sicherheit hineinsetzen - die Karpfen werden dann einiges erleben! ({1}) Die Voraussetzungen müssen erst geschaffen werden, und das ist nun, wie Sie es zu nennen belieben, die berühmte „Politik der Stärke". Was ist diese Politik? ({2}) ({3}) - Nun, der Ausdruck mag da und dort einmal gefallen sein. ({4}) - Aber zur Kennzeichnung unserer Bemühungen haben Sie die Freundlichkeit gehabt, diesen Ausdruck fast ausschließlich zu verwerten. ({5}) Was ist denn die „Politik der Stärke"? Ich will die Formulierung gar nicht ablehnen. Ich sage nur: Sie kann irreführend wirken, wenn sie als einzige Etikette unserer Bemühungen benutzt wird. Das ist heute nun schon verschiedentlich dargestellt worden. Sie sagen: Keine Bemühungen um militärische Sicherheit der westlichen Welt, bevor nicht endgültig klargestellt ist, daß Sowjetrußland keine deutsche Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit will. Wir sagen - und da können wir nur These gegen These stellen, und es ist nur recht und gut, daß wir das in voller Klarheit vor dem deutschen Volk tun -: Alle Erfahrungen, die man mit der Sowjetunion bisher gemacht hat, belehren uns darüber, daß die Sowjetunion erst dann bereit sein wird, zu einer echten deutschen Wiedervereinigung die Hand zu reichen, wenn der Westen sich in einer Lage befindet, die Sowjetrußland zwingt, den Westen zu respektieren. ({6}) Es gibt eine paradoxe Entwicklung in der Geschichte. Ich möchte denjenigen unter Ihnen, die fleißige Karl-Marx- und Friedrich-Engels-Leser sind - Sie sind es sicherlich, verehrter Herr Kollege Schmid -, ins Gedächtnis rufen, wie Karl Marx und Friedrich Engels über das Problem Rußland gedacht haben. Karl Marx hat zum . Beispiel den berühmten Satz gesagt: Rußland ist ein Tier, das nur mit einem Tier verhandelt, das gleich stark ist wie es selbst. ({7}) Und Friedrich Engels hat sehr viel schärfere Formulierungen gebraucht und Vorschläge gemacht. ({8}) - Nun, die beiden haben sich natürlich auch in diesem Punkte geirrt, sagen Sie, verehrter Herr Kollege Schmid? ({9}) Wir haben eine sorgfältige Analyse der europäischen und der Weltsituation gemacht, bevor wir unsere Entschlüsse faßten. Nichts ist inzwischen geschehen, auch - trotz Herrn Rauschning - das Phänomen der Wasserstoffbombe nicht, was uns gezwungen hätte, unsere Politik grundlegend zu ändern. Das heißt, wir werden so lange fortfahren, uns mit der westlichen Welt zusammen zu stärken, bis Sowjetrußland bereit ist, in Anerkennung dieses Faktums auf Ziele zu verzichten, die es sich gesteckt hat, so lange das machtpolitische Vakuum im Westen besteht. ({10}) Ich behaupte nicht, daß Sowjetrußland an einen Krieg denkt. Aber Sowjetrußland denkt ganz gewiß daran, dieses westliche Europa im Kalten Krieg eines Tages für sich zu vereinnahmen, und es hat allen Grund, solche Hoffnungen zu hegen. ({11}) Ich habe schon öfter in diesem Hause darauf hingewiesen, wie einem Politiker in Moskau wohl zu Mute sein mag, wenn er auf dieses westliche Europa blickt, das schon im 19. Jahrhundert einmal ein Russe verächtlich genug „ein Furunkelchen am Körper Asiens" genannt hat. Wenn er im westlichen Europa diese nun nicht mehr querelles allemandes, sondern diese querelles européennes, diese widerlichen europäischen Streitigkeiten wahrnimmt und wenn er die starken Schutztruppen des Bolschewismus bei einigen unserer westlichen Nachbarn, bei einem unserer Nachbarn über ein Drittel stark, bemerkt. Dann muß sich doch ein Moskauer Politiker sagen: Was soll ich meine Position an der Elbe aufgeben? Wo ist denn dieses berühmte bedrohte Sicherheitsbedürfnis Sowjetrußlands, von dem so oft die Rede ist? Das ist irgendwann, zu irgendeiner Zeit einmal ein Problem, wenn die westliche Welt wirklich jenen Grad der Verteidigungskraft erreicht haben wird, den sie heute leider immer noch nicht hat. Dann wird vielleicht auch einmal das Problem des russischen Sicherheitsbedürfnisses ein echtes und aktuelles sein, dann wird man auch darüber reden können; dann, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition! Sie sagen, verehrter Herr Kollege Ollenhauer: Ihr könnt ja die Entwicklung nicht aufhalten, die Konferenzen werden kommen, ihr könnt ihnen nicht ausweichen. Wir wollen ihnen nicht ausweichen. Wir wissen alle und wir haben es immer wieder betont, daß auch die deutsche Frage, wie überhaupt alle politischen Fragen, die heute den Menschen Sorge machen, nur auf Konferenzen der Großen gelöst werden kann. Wir wollen diese Konferenzen, aber wir wollen diese Konferenzen nicht jetzt, in einem Zeitpunkt absoluter machtpolitischer Ohnmacht. Das ist die Lage. Es ist in den letzten Jahren immer dasselbe gewesen. Immer wieder hat man erlebt, daß sich bei solchen Konferenzen praktisch der sowjetische Standpunkt ganz oder zu einem erheblichen Teil durchgesetzt hat. Warum? Weil die westliche Welt nicht stark genug war, Widerpart zu bieten. Es würde auch jetzt bei einer neuen Konferenz nicht anders sein. Wie verhängnisvoll würde es sich auf die Stimmung, würde es sich in den Herzen der 'deutschen Bevölkerung des Ostens auswirken, wenn eine Konferenz in diesem Zeitpunkt aufs neue mit einem Mißerfolg endete! Sagen wir lieber den Menschen im Osten: Bitte, haltet noch durch, noch sind wir nicht so weit! ({12}) Sie verstehen diese Sprache; oft genug haben sie es uns gesagt. In diesem Zusammenhang fiel der Satz - ich glaube, auch der Herr Kollege Ollenhauer hat ihn ausgesprochen -, wir stellten unsere Politik darauf ab, daß die Spaltung der Welt und damit auch die Spaltung Deutschlands ins Unabsehbare hinein dauern werde. Nein, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, das tun wir nicht. Aber wir begehen auch nicht den anderen Fehler, zu glauben, daß eine freundliche Unterhaltung mit Moskau in einem Augenblick wie dem jetzigen, wo noch nichts gefestigt ist, genügen könne, um die ungeheueren, für die beteiligten Mächte lebenswichtigen Probleme zu lösen. Wann der Kalte Krieg beendet werden kann, wann es zu einem globalen Ausgleich ({13}) zwischen ,den großen Machtgruppen und damit auch zur Lösung der deutschen Frage kommt, davon weiß niemand von uns etwas Gewisses zu sagen. Gut, das sind also unsere verschiedenen Meinungen zu diesem Punkte. Jede ist respektabel; versuchen wir, jede respektabel zu vertreten. Wir werden nie aufhören, zu sagen, daß Ihre Meinung nach unserer Auffassung falsch ist und daß sie nach unserer Auffassung große Gefahren in sich birgt, daß sie uns dazu verurteilen würde, Objekt des Weltgeschehens zu bleiben, daß wir das hinzunehmen hätten, was die großen Mächte über uns verhängen. Ist es denn nicht so? Ihr Vergleich mit dem Saargebiet hat gehinkt, verehrter Herr Kollege Schmid. Dort handelt es sich doch nicht darum, endlich herzustellen, was fehlt, was die Völker in Europa so schmerzlich vermissen: die Verteidigungskraft Europas. ({14}) Wir haben uns über alle möglichen Lösungen zerstritten, und noch immer ist in diesem kontinentalen Europa keine Macht und keine Kraft da, die in der Lage wäre, den Russen jenen Respekt zu geben, der notwendig ist, damit sie sich zur Beendigung des Kalten Krieges entschließen. ({15}) Wer hat denn nach dem zweiten Weltkrieg den Kalten Krieg begonnen? Nicht der Westen, Rußland hat ihn begonnen! Wer hat damals, 1945, utopische Politik betrieben? Die amerikanischen Mütter, die gefordert haben: „Bring the boys home!" Schickt unsere Jungens nach Hause!, die glaubten, wie schon einmal nach dem ersten Weltkrieg, es sei nun die Zeit ewigen Friedens angebrochen! Und wie vieler Aggressionen Sowjetrußlands hat es bedurft, bis man sich in Washington endlich entschloß, die vollkommene Abrüstung zu beenden und langsam wieder einen Verteidigungsapparat der westlichen Welt aufzubauen, der diesen ewigen russischen Aggressionen ein Ende setzen sollte! Griechenland war die erste Station, Korea hat die endgültige Entscheidung gebracht, und in der Linie dieser Entwicklung befinden wir uns heute immer noch. Nach unserer Meinung ist es noch nicht so weit, daß man von jenem Gleichgewicht der Kräfte sprechen könnte, welches es erlauben würde, jetzt den globalen Ausgleich herbeizuführen. Damit ist auch das Notwendige über das tragische Thema der deutschen Wiedervereinigung gesagt. Wenn Sie selbst die Einsicht haben, verehrter Herr Kollege Schmid, daß diese deutsche Wiedervereinigung erst erreicht wird im Rahmen eines globalen Ausgleichs unter den Machtgruppen, dann müssen Sie doch auch die riesenhafte Schwierigkeit der Aufgabe sehen und müssen einkalkulieren, was alles noch notwendig sein wird, um der westlichen Welt jene Stärke und jene Stabilität zu geben, die sie zu einem gleichrangigen Partner Sowjetrußlands und Chinas machen werden. Das große Anliegen, das uns alle beschäftigt, ist die Sache des Friedens. Ich will auch dazu ein paar Sätze sagen, weil das, was dazu zu sagen ist, vielleicht nicht oft und nicht klar genug gesagt wird. Jeder Krieg - wir haben es oft genug gesagt -, wie immer er ausgehen würde - ich habe keinen Zweifel, daß er mit dem Siege der maritimen Mächte enden würde -, jeder Krieg würde das Ende Europas, zumindest des kontinentalen Europas bedeuten, ja wahrscheinlich darüber hinaus das Ende eines guten Teils der menschlichen Zivilisation überhaupt. Aber besonders wir Europäer sind von diesem Kriege bedroht. Sehen Sie, da will mir sehr häufig Ihre Argumentation, meine Damen und Herren von der Opposition, unlogisch erscheinen. Dieses Europa, wenn es sich vereinigt, wenn es seine militärischen Anstrengungen zusammenwirft, soll eine Bedrohung Sowjetrußlands bilden, und daher soll Sowjetrußland sich nicht entschlossen zeigen, einen Teil seiner Positionen aufzugeben? Sie argumentieren manchmal in einer Rede mit jenen 12 deutschen Divisionen und sagen: die 12 deutschen Divisionen sind ohnehin nicht zahlreich genug, um unseren Schutz zu verbürgen, und in derselben Rede sagen Sie uns: diese 12 deutschen Divisionen bilden eine Bedrohung des Sicherheitsgefühls Sowjetrußlands. Meine Damen und Herren, das sind Widersprüche, die bei außenpolitischen Diskussionen schwer wiegen. Nehmen wir einmal an, dieses Europa sei politisch, militärisch in einem viel engeren Sinne vereinigt, als es sich unsere besten Europäer in ihren kühnsten Vorstellungen je gedacht haben. ({16}) - Ich komme auf Dulles zurück, Herr Greve! - Was müßte dieses vereinigte Europa für eine Außenpolitik betreiben? Wenn es wahr ist, was wir alle immer sagen, daß jeder Krieg dieses Europa zerstören würde, dann kann der Kurs der europäischen Außenpolitik und gerade eines vereinigten Europas gar kein anderer Kurs sein als ein Friedenskurs. ({17}) Ich habe es nicht nötig, das nach Moskau hinüberzurufen. Die Herren in Moskau wissen es leider nur zu gut. ({18}) Weil sie es so gut wissen, deswegen handeln sie immer noch so, wie es tagtäglich geschieht. Wenn eine Krise entstehen würde, wenn die Waage des Geschicks zwischen Krieg und Frieden schwanken würde, dann müßte diese europäische Außenpolitik ihr ganzes Gewicht in die Waagschale des Friedens werfen. Was bedeutet das für die Sowjetunion? Das bedeutet, daß eine westeuropäische Vereinigung niemals eine Lebensbedrohung Sowjetrußlands darstellen kann, solange Sowjetrußland die Macht darstellt, die es heute ist und die es morgen bleiben wird. Insofern könnte, Herr von Merkatz, das vereinigte Europa so etwas wie eine Brücke bilden: eine Kraft, die es der Sowjetunion ganz klarmacht, daß sie niemals willens ist, ihre Freiheit durch ein bolschewistisches System bedrohen zu lassen, die aber zugleich entschlossen ist, für ihre Völker den Frieden zu wahren. Sollte das ein Gebilde sein, mit dem Moskau nicht wohl rechnen könnte und auf Grund dessen Moskau nicht bereit sein könnte, sich einem System kollektiver Sicherheit anzuschließen und damit endlich den Kalten Krieg zu beenden? Ich behaupte, es steht ausschließlich bei Moskau, daß dieser Kalte Krieg beendet wird, und wir warten auf diese Entscheidung Moskaus. ({19}) Es ist in dieser Debatte des öfteren darauf hingewiesen worden, die Bemühungen der westlichen ({20}) Verteidigung hätten je und je dazu geführt, daß Moskau im letzten Augenblick mit einlenkenden Vorschlägen gekommen sei. Wieviel daran wahr ist, mag dahingestellt bleiben. Im großen und ganzen waren es doch nur Störungsmanöver, Ablenkungsmanöver, zu denen sich Sowjetrußland bis jetzt entschlossen hat. Was in dem neuen Abrüstungsvorschlag Moskaus steckt, kann noch niemand von uns mit Sicherheit sagen. Wir sollten ihn gewiß nicht mit leichter Hand beiseite schieben. Es ist klar - ich will es ungeschminkt aussprechen -: der Tag muß kommen, an dem der Kalte Krieg beendet wird. Der Tag des Ausgleichs zwischen den Machtblöcken, wenn vorher nicht ein Wunder geschieht, muß kommen, damit endlich die Angst und die Sorge aus den Herzen der Menschen gerissen werden. Denn ein hundertjähriger Zustand des Kalten Krieges würde eines Tages den wirklichen Krieg bedeuten können. Aber wiederum sei betont: gerade weil wir dies so klar und genau sehen, machen wir eine Politik, die sich nicht auf Illusionen einläßt, die sich vor allen Dingen nicht leichtfertig mit einem Partner einläßt, von dem wir bisher nur erfahren haben, daß er keine andere Alternative kennt, nicht einmal, Herr von Merkatz, die Alternative der Hegemonie, von der Sie vorhin gesprochen haben, als die: entweder bist du mein Satellit oder du bist mein Feind! ({21}) Und das wird in der Rede Molotows, wenn Sie sie sorgfältig durchlesen, meine verehrten Damen und Herren dieses Hohen Hauses, wieder ganz klar. Von Seite zu Seite spricht hier ein Mann, der sich die Welt, wie er sich ausdrückt, „freiheits- und friedliebender demokratischer Völker" nicht anders vorstellen kann als in der gegenwärtigen Ordnung des Sowjetmachtsystems, d. h. in der gegenwärtigen Ordnung des Satellitensystems. Niemals werden wir uns dazu bereit finden! ({22}) Ich bin der Meinung, meine Damen und Herren - und die Geschichte beweist es immer wieder -: Frieden, Frieden machen, Frieden bewahren ist - in den Ausführungen meines Kollegen von Merkatz klang es schon an - nicht nur eine Frage der Gesinnung und des Wohlverhaltens. Ich habe schon erwähnt, daß es die Utopisten sind, die schon so häufig großes Elend über die Menschheit gebracht haben. Frieden bewahren ist eine schwere und harte Kunst. Frieden bewahren heißt eine richtige, kraftvolle Politik machen. Und das alles versuchen wir, Menschen, die wir sind, und im Bewußtsein auch unserer eigenen Fehlermöglichkeiten nun all die Jahre her zu tun. Herr Ollenhauer hat - auch dazu noch einen Satz - als ganz wesentlichen Fehler des Londoner Abkommens beanstandet, daß keine Kündigungsklausel enthalten sei, und Professor Carlo Schmid hat dem zugestimmt. Nun, dazu möchte ich zwei Dinge sagen. Jedes Kündigungsrecht ist zweiseitig, und daher ist in jedem Kündigungsrecht ein gewaltiges Risiko enthalten. Meine Damen und Herren! Wenn schon heute immer wieder davon geredet worden ist, man müsse ein System finden, bei dem weder der Westen noch der Osten sich bedroht fühlen könnten, dann möchte ich doch die Aufmerksamkeit dieses Hohen Hauses einen kleinen Augenblick auf die Tatsache zurücklenken, daß es ja auch notwendig ist, ein System zu finden, bei dem wir, dieses Land und dieses Volk sich nicht mehr bedroht fühlen können. ({23}) Im übrigen ist die Frage, wieweit eine Bindung, eine Hemmung der deutschen Wiedervereinigungspolitik dadurch bestehen könne, daß die Bundesrepublik ihrerseits gewisse Verpflichtungen ohne formelle Kündigungsklausel eingegangen sei, wahrhaftig nicht so schlimm, wie sie gesehen wird. Ich sehe die Dinge folgendermaßen an. Dieses vereinigte Europa im Rahmen der atlantischen Solidarität kann ja nur existieren auf Grund einer wahrhaften Interessengemeinschaft. Die Interessengemeinschaft dieser Völker wird die weitere Entwicklung beeinflussen. Im Rahmen dieser Solidarität der westlichen Welt spielt unser Volk, spielt unser Land eine bedeutende Rolle. Übrigens hat sich die westliche Welt - man kann nicht genug darauf hinweisen - feierlich verpflichtet, das ihre mit allen Kräften dazu beizutragen, die deutsche Wiedervereinigung in Freiheit und in Frieden herbeizuführen. Sehr verehrter Herr Kollege Ollenhauer, da steckt nun nach meiner Meinung wirklich alles drin. Ich brauche nicht auf die berühmten völkerrechtlichen Grundsätze der clausula rebus sic stantibus hinzuweisen. Es könnte mißverstanden werden. Man könnte uns vielleicht, so wie es heute schon einmal in anderer Hinsicht geschehen ist, sagen: Aha, ihr schielt schon wieder nach der Möglichkeit, euch von eingegangenen Verbindlichkeiten zu lösen! Nein, das erklären wir in diesem Hause und vor aller Welt: wir werden die kommenden Aufgaben nur gemeinschaftlich mit der freien Welt lösen. Und wenn wir eines Tages glauben sollten, daß die von der Bundesrepublik eingegangenen Verpflichtungen einer Wiedervereinigung Deutschlands wirklich entgegenstehen, dann werden wir die Bitte an unsere Freunde in der westlichen Welt richten, die Dinge neu zu betrachten und neu mit uns zu verhandeln. Glauben Sie, daß eine politische Kraft, wie es Deutschland immerhin ist, im Rahmen der westeuropäischen Friedenssolidarität nicht Gewicht genug hätte, in der westlichen Welt jede ernsthafte Erwägung für diese neue Situation zu erwirken? Wenn ich die Verhandlungen in London zu führen gehabt hätte, hätte ich gerade im Interesse der deutschen Wiedervereinigung, die ja ohne Freiheit und Frieden nicht betrachtet werden kann, mich selber einer beiderseitigen Kündigungsklausel widersetzt. Sie haben, verehrter Herr Kollege Schmid, noch ein paar andere Besorgnisse gehabt, auf die ich kurz eingehen will. Sie sagten, all das, was wir hier tun, ist bestenfalls eine provisorische Notlösung. Ja, es ist eine provisorische Notlösung im Hinblick auf das Ziel einer endgültigen Bereinigung des Konflikts, der Herbeiführung eines echten Friedenszustandes in dieser Welt. Niemand von uns hat je etwas anderes gedacht oder etwas anderes gesagt. Sie sagten, es sei bedenklich, daß der Status Gesamtdeutschlands wegen dieser Bindungen der Bundesrepublik offengeblieben sei. ({24}) Diese Frage ist geklärt. Sie haben aber, glaube ich, noch ein anderes Bedenken gehabt, die Formulierung betreffend, daß die Regierung der deutschen ({25}) Bundesrepublik berechtigt sei, in internationalen Angelegenheiten für Gesamtdeutschland. zu sprechen. ({26}) Sie wissen ja, daß das nichts Neues ist. In Wahrheit liegt ja der Akzent bei diesem Passus darauf, daß uns die westliche Welt erklärt: Für uns gibt es keine „Deutsche Demokratische Republik" als Vertreterin irgendeines Teiles des deutschen Volkes, sondern für uns gibt es nur die deutsche Bundesrepublik als Sprecherin ganz Deutschlands. ({27}) Ich bin zwar bereit, der Sache politisch eine etwas weitere Interpretation zu geben, indem ich das der kommenden Entwicklung anvertraue. Ich sehe einen Wachstumsprozeß darin, daß wir immer mehr in die Rolle des Treuhänders für das gesamte deutsche Volk hineinwachsen. So glaubte ich, ein paar der heute hier angesprochenen Gesichtspunkte noch einmal klarstellen zu müssen. Aber sagen Sie nicht, verehrter Herr Kollege Ollenhauer, daß damit - denn der Prozeß der europäischen Integration, der kontinentaleuropäischen Integration wird ja weitergehen - eine neue Spaltung Europas drohe! Das ist in Wirklichkeit nie der Fall gewesen. Es gab gewisse englische Interessen im Zusammenhang mit jener Position Englands, die ich bereits zu zeichnen versucht habe, der Politik der balance of power und dergleichen. Aber die Engländer haben ja auch inzwischen eingesehen - es fiel ihnen schwer; es war ja auch nicht leicht, aus einer vielhundertjährigen politischen Tradition plötzlich herauszuspringen -, daß es geradezu ein Lebensrecht Kontinentaleuropas ist, sich enger zusammenzuschließen. Wo die Grenzen dessen liegen, was man England auf die Dauer zumuten kann, das ist eine Frage, die wir getrost der Zukunft und dem gemeinsamen Vertrauen der europäischen Partner und Großbritanniens selber überlassen wollen. Wir haben allen Grund, den Punkt, den wir heute in der Entwicklung erreicht haben, zu begrüßen, wenn auch nicht mit großem Jubilieren. Wer könnte dies angesichts der Lage unseres Volkes, angesichts der noch immer ungelösten Verteidigungsprobleme der westlichen Welt? Aber wir glauben sagen zu dürfen, daß trotz des Rückschlags in einer Etappe, der EVG, das in London Erreichte, soweit eine vorläufige Prüfung dieses Urteil schon zuläßt, Anlaß zur Genugtuung gibt. Es ist heute schon von verschiedenen Seiten - auch der Bundeskanzler hat es getan - der Dank an jene Völker und jene Politiker ausgesprochen worden, die auf diesem Wege mitgegangen sind. Wir haben jetzt jedenfalls das vorläufige Ergebnis einer echten europäischen Einigung vorbehaltlich der endgültigen Zustimmung aller Partner. Es beginnt sich die Möglichkeit eines endlichen deutschfranzösischen Ausgleichs abzuzeichnen. Wir haben Großbritannien auf dem Festland verpflichtet. Wir sehen, daß auch die Vereinigten Staaten von Nordamerika Genugtuung über das Erreichte haben. Ich kann diesen Augenblick nicht vorübergehen lassen, ohne einmal über die üblichen Versicherungen hinaus an die Adresse der Vereinigten Staaten von Nordamerika ein besonderes Dankeswort zu richten. Bis jetzt herrschte in der Geschichte der Völker leider Gottes jenes trübselige Einerlei, daß eine stärkere Macht ihr Verhältnis zu anderen Mächten meist nur dadurch glaubte regeln zu können, daß sie das unheilvolle Prinzip des „divide et impera", des „Teile und herrsche" anwandte. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben das keinen Augenblick lang uns Europäern gegenüber getan; und das ist keine Kleinigkeit. Sie haben es nicht nur hinsichtlich der 150 Millionen Europäer nicht getan, die schließlich bereit waren, sich in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft wie auch in der Politischen Gemeinschaft zusammenzufinden; sie haben es gegenüber ganz Europa nicht getan, als gegenüber einer Zahl von Völkern, gegenüber einer Millionenzahl von Menschen, die die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten von Nordamerika um ein sehr Erhebliches übertrifft, gegenüber einer in Zukunft möglichen Mächtekombination, die auch an Wirtschaftskraft den Vereinigten Staaten ebenbürtig oder nahezu ebenbürtig ist. Das festzustellen, ist einfache Pflicht der Anerkennung und des Dankes. Ich nenne dieses Verhalten der Amerikaner in den letzten Jahren großartig, segensreich und zukunftsträchtig. ({28}) Ich darf und will die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne auch all jenen zu danken, die uns außerhalb der Gespräche der Sechs, der Sieben, der Acht oder der Neun auf unserem Wege ermutigt haben. Viele, die nie in Straßburg gesessen haben, die nie an diesen europäischen Verhandlungen beteiligt gewesen sind, haben uns durch ihren Zuspruch und ihren Rat den Entschluß leicht gemacht. Ich nehme die Gelegenheit gerne wahr, anläßlich des Besuchs des türkischen Ministerpräsidenten und des türkischen Außenministers in Bonn des großen, uns befreundeten türkischen Volkes in Dankbarkeit zu gedenken und ihnen und ihrem Volke zu versichern, daß wir in Deutschland ihrem Volke gegenüber die Gefühle engster Verbundenheit und Freundschaft hegen, ({29}) so wie auch die Türkei in den vergangenen Jahren unwandelbar an unserer Seite gestanden hat. Wir haben über die formulierten Verträge und Vertragsentwürfe hinaus sehr viel mehr erreicht, als viele Menschen in Europa wissen. Es ist ja leider so, daß unsere Publizistik meistens nur über ganz konkrete Erfolge oder Mißerfolge zu berichten weiß. Wir aber, die wir in ständiger Berührung mit den europäischen und den überseeischen Nachbarn stehen, die wir die große Freude haben, mit vielen, mit Hunderten von bedeutenden Politikern Europas und der übrigen Welt in immer engerer Zusammenarbeit und in freundschaftlichstem Kontakt zu stehen, wissen, daß Europa schon sehr, sehr viel weiter ist, als viele wissen. ({30}) Wir alle wissen aus der Geschichte der Einigung der Nationalstaaten, daß dies die wichtigste Voraussetzung der Integration ist und nicht der in die Luft geworfene Entwurf utopischer Verfassungen: der Integrationswille der Gehirne und der Herzen der Menschen und der Völker, die zusammenkommen wollen. Dieser Integrationswille lebt. Auch der kontinentale Integrationswille ist nicht erloschen. Wir werden in voller Loyalität gegenüber den eingegangenen Verpflichtungen daran weiterarbeiten. ({31}) Wir werden, davon bin ich überzeugt, allen Schwierigkeiten zum Trotz auch mit unserem französischen Nachbarvolk immer enger zusammenarbeiten. Und es wird der Tag kommen, und wir werden ihn erleben, meine Damen und Herren, wo die Fahnen des Sieges der europäischen Einigung über unseren Häuptern flattern werden. ({32}) Der Tag wird kommen, und Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, werden dann hoffentlich die Größe des Herzens haben, mit in die Hymnen des Sieges einzustimmen. ({33})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich bin Herrn Abgeordneten Kiesinger und Ihnen allen sehr dankbar dafür, daß er unserer türkischen Gäste und des türkischen Volkes gedacht hat. Es ist in der Tat so, daß das türkische Volk durch viele Jahrzehnte hindurch eine wahre freundschaftliche Gesinnung gegenüber dem deutschen Volk gehabt hat, wie wir zu ihm, und daß die Trübungen, die gewesen sind, ausgeglichen und vorbei sind und daß uns wie zuvor eine herzliche Freundschaft verbindet. ({0}) Meine Damen und Herren! In einer halben Stunde wird in Paris die französische Nationalversammlung mit der Beratung der Londoner Abkommen beginnen. So ist in der Tat der heutige Tag nach meiner tiefen Überzeugung entscheidend für das Schicksal des deutschen Volkes und für Europa, entscheidend dafür, ob Friede und Freiheit erhalten bleiben oder nicht. Ich danke allen Rednern der Koalitionsfraktionen, daß sie sich mit solcher Wärme und mit solcher Überzeugungskraft für das eingesetzt haben, was in London vereinbart worden ist. Ich möchte auch an die Damen und Herren von .der Opposition die sehr dringende Bitte richten, doch einmal zu überprüfen, ob es nicht eine Möglichkeit für sie gibt, ebenfalls den Grundgedanken zuzustimmen, die in London festgelegt sind. Meine Damen und Herren, ich widerstehe der Versuchung, in den Protokollen über die Debatten nachzulesen, die das Thema der europäischen Verteidigung in den letzten Jahren betreffen, obgleich ich weiß, daß ich gerade bei der Lektüre der Ausführungen der Herren Kollegen Ollenhauer und Schmid eine reiche Fundgrube hätte, um das, was jetzt in London geschaffen worden ist, zu begründen. Aber ich widerstehe dem, meine Damen und Herren; es hat keinen Zweck. ({1}) - Ja, eine kleine Erinnerung, Herr Heiland! Eine ganz kleine Erinnerung! ({2}) Ich wünschte, Sie würden mich auch immer so zart erinnern, wie ich das jetzt getan habe! ({3}) Aber ich möchte doch auf einige Ausführungen und Fragen, die von seiten der Herren von der sozialdemokratischen Opposition heute gestellt worden sind, Auskunft geben. Lassen Sie mich eines aber an die Spitze meiner Ausführungen stellen, ein Wort, das eben auf der Regierungsbank fiel und das mir im Ohr haften geblieben ist: Wie die Welt einmal ist, wie die Menschen einmal sind, ist der Frieden nicht etwas, was von Natur wegen dem Menschen geschenkt ist. ({4}) Frieden, meine Damen und Herren, muß erarbeitet werden, Frieden muß mit Konsequenz und mit Zähigkeit und mit ruhiger Überlegung herbeigeführt werden, und der Frieden muß auch verteidigt werden - nicht mit den Waffen des Krieges, sondern mit den Waffen der Gesinnung und den Waffen des Beispiels. ({5}) Nun, ein solches Beispiel hat die Bundesrepublik in London gegeben, als sie erklärt hat, daß sie aus den Gebrauch dieser fürchterlichen Waffen der Massenvernichtung, die allein doch schließlich auch Sowjetrußland schrecken könnten, verzichte und sich einer besonders strengen Kontrolle, daß dieser Verzicht innegehalten wird, zu unterwerfen bereit sei. ({6}) Sagen Sie nicht: „Das hast du leicht sagen! Ihr habt ja gar nicht die Möglichkeit, weder finanzieller noch physikalischer Art!" Um chemische Waffen herzustellen, braucht man keine solch besonderen Möglichkeiten, um biologische Waffen herzustellen, braucht man sie ebenfalls nicht; und wie es einmal mit der Entwicklung der Atomwaffen werden wird, das wissen wir jetzt auch noch nicht. Aber, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist hier beispielhaft vorangegangen, ({7}) und ich glaube, das ist ein überzeugender Beweis für das, was wir wollen: Frieden in Europa und in der Welt. Ich war in London sehr glücklich, als sich spontan der Vertreter Belgiens und der Vertreter der Niederlande dieser Erklärung des deutschen Vertreters anschlossen. ({8}) Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat seine Rede heute morgen damit begonnen, daß er sagte, die Europapolitik des Bundeskanzlers und der Regierungskoalition sei gescheitert, und Herr Kollege Schmid hat etwas Ähnliches gesagt. Wenn sie allerdings unsere Europapolitik mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft identifizieren, würden sie recht haben. ({9}) Aber ich darf Sie vielleicht ,an ein Wort erinnern, das Herr Robert Schuman, damals Außenminister - der Plan zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ist, wie Sie wissen, von Frankreich ausgegangen -, gesagt hat. Er hat gesagt, normalerweise müßte es so sein, daß in dem ganzen europäischen Bau, den wir errichten wollen, die Verteidigungsgemeinschaft den Schlußstein bilden würde, wenn insbesondere auch die Politische Gemeinschaft geschaffen wäre. Aber - so hat er ausgeführt - nun ({10}) zwingen uns die Verhältnisse in der Welt, dieses Stück europäischer Gemeinschaft vorzuziehen und zu versuchen, es jetzt schon zu verwirklichen. Aber eines möchte ich Ihnen sagen - auch einer der Herren hat das heute morgen schon anklingen lassen -: Ohne die Auseinandersetzungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft während aller dieser Jahre wäre der europäische Gedanke nicht so stark geworden, daß er in London diesen Erfolg hätte davontragen können. ({11}) Wenn Sie mich nun fragen würden: Ist die Europäische Verteidigungsgemeinschaft besser oder der Brüsseler Pakt usw., dann würde ich in aller Offenheit sagen: zum Teil ist die Situation besser, zum Teil ist sie genau so gut, weil ein Teil aus der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft übernommen worden ist, und zum Teil ist sie schlechter. Aber es ist doch gerade die Kunst der Politik, daß, wenn ein Ziel wenigstens zur Zeit nicht erreichbar ist, man versucht, auf einem andern Wege zu einem mindestens gleich guten Ergebnis zu kommen. ({12}) Aber, meine Damen und Herren, die Londoner Besprechungen und das Londoner Abkommen erschöpfen sich doch in keiner Weise in militärischen Fragen, und ich bedauere eigentlich außerordentlich, daß man sich viel zuviel mit militärischen Fragen beschäftigt. ({13}) - Ja, meine Damen und Herren ({14}), das tun Sie; ich nicht! ({15}) Sehen Sie, meine Damen und Herren: daß wir endlich das Besatzungsregime hinter uns bekommen, ({16}) daß ein Volk von 50 Millionen braver, fleißiger, tüchtiger Menschen jetzt seine Freiheit wiederbekommt, das ist doch das Große! ({17}) Und noch ein Weiteres lassen Sie mich wiederholen; man soll einfache, aber wahre Dinge mehrfach sagen, weil über allen möglichen Arabesken, die hier gemacht werden, vieles versinkt, was man sehen sollte. ({18}) Meine Damen und Herren! Der Art. 2 der UNO-Satzung, das Kernstück dieser UNO-Satzung, den ich so zusammenfassen möchte, daß keine Gewalt mehr angewendet werden soll, sondern im Wege der friedlichen Auseinandersetzung die Gegensätze beglichen werden sollen, ist von Deutschland bekräftigt worden und von den Mächten uns gegenüber bestätiigt worden! Nun zur Frage der Wiedervereinigung. Ja, meine Damen und Herren, die Wiedervereinigung hat auf der Londoner Konferenz eine sehr große und sehr entscheidende Rolle gespielt, und Sie reden vollständig an den Tatsachen vorbei, wenn Sie glauben, daß sie auf der Londoner Konferenz nicht eine wichtige Rolle gespielt hätte. Es wird mir gesagt, daß ich eine Chance ausgelassen hätte. Ich habe sie nicht nur nicht ausgelassen, meine Damen und Herren, sondern ich habe sie weidlich genützt. Lesen Sie doch bitte nach, was darüber in der Schlußakte der Londoner Konferenz steht. Da sind doch, und zwar losgelöst von dem Junktim zwischen dem Bonner Vertrag und der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die Bestimmungen über eine gemeinsame Politik in der Frage Gesamtdeutschlands niedergelegt. Darin steht doch, daß die Schaffung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands durch friedliche Mittel ein grundsätzliches Ziel der Politik der Drei Mächte und der Bundesrepublik bleibt. ({19}) Meine Damen und Herren, der Berliner Bürgermeister Schreiber hat sich durch ein sehr schönes Telegramm bei der Bundesregierung dafür bedankt, ({20}) daß wir bei diesen Verhandlungen auch für Berlin gesorgt haben. ({21}) Nun wollte ich etwas über den Brüsseler Pakt sagen. Vorher allerdings möchte ich einige Worte sagen über die Ausführungen des Kollegen Ollenhauer, daß sich die Lage seit Korea gebessert habe. Das ist nach meiner Meinung nicht der Fall. ({22}) Es ist gelungen, unter blutigen Kämpfen in Korea einen Status herzustellen, der weder Krieg noch Frieden ist. Es ist gelungen, in Indochina den Krieg zu beenden. Aber, meine Damen und Herren, glauben Sie nicht, daß damit in Indochina friedliche Zustände eingetreten sind! ({23}) Und von neuem fängt es an - wenn man auf die äußeren Ereignisse sehen will - zwischen Rotchina und Formosa. Dort schwelt es doch schon die ganze Zeit, dort liegt eine akute Gefahr. Dort fängt es wieder an zu brennen! Und endlich, was ist denn das wahre Kennzeichen der Spannungen in unserer Welt? Das ist doch die ungeheure Aufrüstung auf allen Seiten! ({24}) Sie beweist doch, daß diese Spannungen noch unverändert vorhanden sind! ({25}) Daher kann wirklich niemand sagen, daß eine allgemeine Entspannung eingetreten sei. Sicher wollte Herr Ollenhauer nicht sagen - ich glaube, er hat es auch gar nicht gesagt - ({26}) - Ja, meine Damen und Herren, ich konnte doch das Stenogramm noch nicht lesen. - Sicher wird Herr Ollenhauer nicht behaupten wollen, die Spannungen seien bis zu einem Grad geschwunden, daß militärische Sicherungen nicht mehr nötig seien. ({27}) ({28}) Aber nun der Brüsseler Pakt! Es liegt Herrn Ollenhauer und den Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion ebenso wie uns allen am Herzen, daß durch einen Sicherheitspakt in Europa und in der Welt Ruhe und Frieden und Abrüstung eintritt. ({29}) Nun betrachten Sie doch gerade den Brüsseler Pakt im Hinblick auf die Kennzeichen, Herr Ollenhauer, die die wahren Kennzeichen eines Sicherheitssystems sind! Der Brüsseler Pakt, dem angehören: Großbritannien, Italien, Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder und dem, wie ich mit Sicherheit glaube sagen zu können, weitere europäische Staaten sich anschließen werden, hat doch die beiden wesentlichen Kennzeichen eines kollektiven Sicherheitspaktes in sich, nämlich einmal eine Begrenzung der Rüstung und zweitens eine effektive Kontrolle dieser Rüstung. ({30}) Betrachten Sie doch bitte den Brüsseler Pakt einmal auch von dieser Seite! Er ist doch gleichzeitig ein Sicherheitspakt zur Wahrung der Ruhe in Europa, geschlossen für 50 Jahre. Die jetzige Spannung zwischen Osten und Westen wird, wie wir alle hoffen, eines Tages aus der Welt verschwinden. Aber dann wird dieser Sicherheitspakt, der Brüsseler Pakt, die Funktion haben, unter den europäischen Mächten Frieden und Ruhe und gegenseitige Sicherheit zu garantieren. Ich wiederhole: betrachten Sie doch bitte auch unter diesem Gesichtspunkt einmal den ganzen Vertrag. Nun möchte ich doch noch etwas zu der „Besserung der Lage" sagen. Ich gestehe Ihnen aufrichtig - man kann ja jetzt ruhig darüber sprechen -, daß ich, solange ich die Ehre habe, die Geschäfte des Bundeskanzlers zu führen, also seit dem Jahre 1949, aber auch schon in den Jahren vorher, niemals in einer solchen Sorge und ernsten Unruhe über unser aller Geschick gewesen bin wie in der Zeit seit Mitte August. ({31}) Ich kann Ihnen das mit sehr wenigen Sätzen erklären. Durch das Scheitern des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bestand die außerordentlich ernste Gefahr, daß die Vereinigten Staaten sich von Europa abwenden würden. ({32}) - Glauben Sie mir, meine Damen und Herren, die Gefahr war sehr groß und sehr ernst. ({33}) Ich bin nicht in der Lage, Ihnen hier zu sagen - ich will es Ihnen unter vier Augen, meinetwegen unter acht Augen gern sagen -, wie die Stimmung in den Vereinigten Staaten bei maßgebenden Stellen ist. Aber glauben Sie mir, die Gefahr war sehr nahe und sehr ernst, und sie hätte für uns alle miteinander, für die Deutschen und die Franzosen, die Italiener, für alle miteinander den Verlust von Frieden und von Freiheit bedeutet. Dann hat Herr Ollenhauer gefragt: Wird dann dieser Vertrag die Sicherheit für uns erhöhen? Ich habe die Frage eben zum Teil schon dadurch beantwortet, daß ich auf die Funktion des geänderten Brüsseler Pakts innerhalb der europäischen Völker hingewiesen habe. Aber ich füge noch folgendes hinzu: Durch den Brüsseler Pakt wird Großbritannien mit dem Geschick des Kontinents verbunden, und ich glaube, niemals werden die Vereinigten Staaten unbeteiligt bleiben, wenn insbesondere die zweite angelsächsische Macht, Großbritannien, auf Gedeih und Verderb mit dem Kontinent verbunden ist. ({34}) Infolgedessen sage ich Ihnen: Ja, durch den Brüsseler Pakt wird die Sicherheit für uns in eminenter Weise erhöht, nicht durch die zwölf Divisionen allein, meine Damen und Herren - das gehört auch dazu -, aber sie wird erhöht durch die politische Weltlage, die dadurch geschaffen ist, während wir vorher einfach in der Schwebe gewesen sind. ({35}) Ich muß jetzt zu einigen kleineren Fragen übergehen. Ich bin gefragt worden, ob wir einen Art. 48 vorbereiten. Sehen Sie, wenn ich darauf geschwiegen hätte, würde, davon bin ich überzeugt, hier oder da in der Presse gestanden haben: Aha! ({36}) Deswegen möchte ich Ihnen laut und deutlich sagen: nein. ({37}) Dann bin ich zum Thema Saar gefragt worden. Es ist richtig, daß mir der französische Ministerpräsident nach Schluß der Konferenz gesagt hat: Wir müssen uns aber über die Saarfrage unterhalten. Wir haben dann, wie Sie aus der Presse ersehen haben, abgesprochen, daß dieses Gespräch am 20. Oktober in Paris stattfinden soll. Die heutigen Äußerungen über die Regelung der Saarfrage hier in diesem Raume habe ich natürlich sehr gut beachtet, und ich kann Ihnen sagen: 'im großen und ganzen stimmen sie vollkommen mit meiner Überzeugung überein. ({38}) Nun noch folgendes. Sie werden denken, es ist eine Kleinigkeit; aber „vestigia terrent"; es ist schon mal so passiert, deswegen wollen wir aufpassen. Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, wir sollten alle diese Dinge nicht übereilen, und er hat so nett gesagt: in der Fixigkeit hätten wir die Fleißnote Nummer 1 bekommen. Nein, das ist ein Irrtum. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien hatten viel schneller gearbeitet; ({39}) die waren schon im Sommer fertig. ({40}) Wir haben, Herr Kollege Ollenhauer - jetzt sehe ich mal vom Bundesverfassungsgericht ganz ab -, ({41}) wir haben hier in diesem Saal über 10 Monate daran gearbeitet. ({42}) So besonders fix war es also nicht. ({43}) Es wäre aber sehr wünschenswert, daß, nachdem doch jetzt die ganze Materie uns allen klar vor Augen liegt, sobald die Dokumente im Wortlaut fertiggestellt sind und wir sie Ihnen vorlegen können, dann auch möglichst schnell die Ratifizierung ({44}) erfolgen kann, damit wir unseren Beitrag dazu geben, daß die Unruhe aus der Welt kommt. Das ist das Wesentliche. ({45}) Und nun die Frage der Wiedervereinigung! Meine Damen und Herren, ich empfinde es - ich habe das neulich in Offenbach einmal sehr deutlich gesagt - immer etwas peinlich, wenn Deutsche sich gegenseitig vorhalten, der eine tue mehr für die Wiedervereinigung als der andere, ({46}) und dem einen liege sie nicht so sehr am Herzen wie dem andern. Ich muß sehr nachdrücklich erklären - und ich bin Herrn Kollegen Dehler dankbar, daß er das gesagt und mir das bezeugt hat -: Mir liegt - und ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen - die Wiedervereinigung Deutschlands genau so am Herzen und ich arbeite mit ganzer Kraft genau so gut dafür wie irgendeiner sonst hier im Saal. ({47}) Aber nun lassen Sie mich übergehen zu der Frage: Wie wird sich der Abschluß der Verträge, die Ihnen vorgelegt werden, zu der Frage der Wiedervereinigung stellen? Wird er sie beschleunigen? Wird der Abschluß sie verhindern? - Ich möchte eine Gegenfrage stellen, und auch an den Herrn Kollegen Schmid möchte ich die Gegenfrage stellen. Glaubt denn einer von Ihnen, daß, wenn diese Pakte nicht geschlossen werden, wenn also in Verfolg dessen dieses Europa zerrissen, geschwächt und miteinander verfeindet liegenbleibt und wenn die Vereinigten Staaten sich von einem solchen Europa abwenden, glaubt einer, daß Sowjetrußland dann kommen wird, um uns die Sowjetzone in Frieden und Freiheit auf den Händen entgegenzubringen, und sagen wird: Da habt ihr euch wieder, seid glücklich?! - Ich glaube es nicht. ({48}) - Das Wort „albern" ist etwas hart, aber ich trage es. ({49}) Nun darf ich fortfahren. Aber lassen Sie mich vorerst doch sagen, wie der Stand der Dinge, der Verhandlungen mit Sowjetrußland zur Zeit ist. Vor wenigen Wochen ist eine Note der Drei an Sowjetrußland ergangen, die Antwort auf die Sowjetnote wegen Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands. In dieser Note ist gesagt, daß man zu Verhandlungen bereit sei, sobald Sowjetrußland die freien Wahlen in dem Sinne, wie sie auf der Berliner Konferenz erörtert worden sind, konzediere. Ich glaube, es ist doch keiner hier im Saale, der von dieser Forderung auf freie Wahlen abzugehen bereit ist. Nun müssen wir abwarten, was Sowjetrußland dazu sagen wird. Wird es ja sagen? Wird es nein sagen? Wenn es ja sagt, werden - davon bin ich fest überzeugt, und wir werden auch darum bitten, daß es geschieht - die Verhandlungen wieder in Gang kommen. Aber nun die These: Man kann so etwas wie den Brüsseler Vertrag erst beschließen, wenn feststeht, daß Sowjetrußland sonst zu einer Wiedervereinigung nicht ja sagt. Es ist hier viel darüber gesprochen worden; Herr Kiesinger hat viel dazu gesagt; ich brauche dem weniges hinzuzusetzen. Ich habe mir zwischendurch einmal ein Verzeichnis der Vier-Mächte-Konferenzen über Deutschland geben lassen. Ich möchte es Ihnen doch vorlesen: Moskau vom 10. März bis 24. April 1947, London vom 25. November bis 15. Dezember 1947, Paris vom 23. Mai bis 20. Juni 1949, Paris Stellvertreterkonferenz vom 4. März bis 20. Juni 1951, Berlin vom 26. Januar bis 18. Februar 1954. Keine einzige dieser Verhandlungen hat uns auch nur einen Schritt weitergebracht. ({50}) Ich kann wirklich nicht glauben - und ich glaube, auch keiner der Damen und Herren hier im Saal kann das meinen, wenn er sich das einmal ruhig und unvoreingenommen von all dem Staub und Lärm und Nebel aus den Streitigkeiten der vergangenen Jahre überlegt -, daß der Abschluß eines Paktes zwischen den sieben Ländern, die ich vorhin genannt habe, eines Paktes, der ihre Rüstungen begrenzt, der sie der Kontrolle unterwirft und der ausdrücklich zu dem Zwecke geschlossen wird, einen Angriff auf einen der Betreffenden abzuwehren, also eines reinen Defensivvertrages, Sowjetrußland irgendwie aufregen könnte, es sei denn, es habe die Absicht, einen der Betreffenden anzugreifen. Aber man sagt doch allgemein, das sei nicht der Fall. Nehmen Sie also die Dinge doch, wie sie wirklich sind, und lösen Sie sie nicht aus dem Zusammenhang. Die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands ist ein Teil des ganz großen Spannungsfeldes, das sich über die Erde erstreckt, und nichts anderes. Den Abschluß des Brüsseler Vertrages kann Sowjetrußland in keiner Weise als Drohung empfinden; es wird ihn auch nicht als Drohung empfinden. Meine Damen und Herren, ich möchte nicht mehr viel sagen, ich möchte mit wenigen Worten schließen. Das deutsche Volk hat sich nach den Jahren des Nationalsozialismus, nach diesem furchtbaren Kriege, der nicht nur bei uns furchtbar war, sondern der in vielen Ländern der Welt blutige Wunden geschlagen hat, die noch nicht geheilt sind, seit diesem Zusammenbruch durch seine guten Eigenschaften, durch seinen Fleiß, seine Tatkraft, seine Mäßigung, auch in politischer Hinsicht, das Vertrauen und die Achtung der übrigen Welt wiedererworben. ({51}) Was sich jetzt in London ereignet hat, ist nichts anderes als die Anerkennung der freien Welt für diese guten Eigenschaften des deutschen Volkes. ({52}) Daher bitte ich Sie sehr: Prüfen Sie doch die Sachlage und fallen Sie nicht auseinander! Versuchen wir doch einmal, in Einigkeit zu einer Entschließung zu kommen in einer Frage, die von einer solchen Bedeutung ist über viele Geschlechter hinaus, für Deutschland, für unser gemeinsames Vaterland, für das Volk, dem wir angehören. ({53})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Erler. ({0}) - Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter von Merkatz. ({1}) - Ich hatte angenommen, Herr Merkatz habe sich in der laufenden Reihenfolge erneut zum Wort gemeldet. Aber es ist doch in der Geschäftsordnung vorgesehen, daß außerhalb der Reihenfolge zur Geschäftsordnung gesprochen werden kann. ({2}) Ich erteile Ihnen das Wort, Herr von Merkatz!

Dr. Hans Joachim Merkatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001477, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, daß zu diesem Zeitpunkt etwa die Debatte der französischen Nationalversammlung beginnt. Ich bin mir bewußt - und ich bitte das nicht als eine unangebrachte Unbescheidenheit anzusehen -, daß noch vieles zu sagen ist. Aber irgendwie habe ich den Eindruck, daß die Worte des Herrn Bundeskanzlers angesichts der politischen Situation, in der unser Land steht, zunächst einmal abschließend in dieser Debatte im Sinne einer echten außenpolitischen Debatte stehen sollten. ({0}) Ich beantrage namens meiner politischen Freunde Schluß der Debatte ({1}) und Fortsetzung an einem anderen Tage. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Mellies.

Wilhelm Mellies (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Es ist eine gute Übung in allen Parlamenten und Organisationen, daß Redner, die zur Debatte gesprochen haben, nicht nachher Schluß der Debatte beantragen. ({0}) Herr von Merkatz, es ist doch geradezu eine Anmaßung, wenn Sie jetzt hier auftreten und Schluß der Debatte beantragen. ({1}) Außerdem, meine Damen und Herren, haben wir in der Geschäftsordnung ja wohl eine Bestimmung, wonach die Debatte wieder eröffnet ist, wenn ein Mitglied der Bundesregierung gesprochen hat. ({2}) Ich glaube, daran sollten wir uns halten, und diese Bestimmung sollten auch Sie kennen, Herr von Merkatz. ({3})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat weiter zur Geschäftsordnung der Abgeordnete Euler.

August Martin Euler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000500, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es wäre nicht gut, wenn wir dem Antrag des Herrn Kollegen von Merkatz folgten. Das würde unweigerlich zu großen Mißverständnissen führen ({0}) und auch zur Folge haben, daß gerade in außenpolitischen Fragen die Atmosphäre in diesem Hause wieder eine unerfreuliche Verschärfung erfahren würde. ({1}) Um alle Mißverständnisse auszuschließen, bitte ich gerade deswegen die Abgeordneten der Koalition, dem Antrag auf Schluß der Debatte nicht zuzustimmen. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat Herr Abgeordneter von Brentano, auch zur Geschäftsordnung.

Dr. Heinrich Brentano (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schließe mich dem an, was mein Kollege Euler sagte, und möchte noch einen Schritt weitergehen. Ich möchte Herrn von Merkatz fragen, ob er nicht vielleicht unter diesen Umständen seinen Antrag zurückzieht, der bestimmt nicht so gemeint war, wie er jetzt ausgelegt wird. ({0}) Wenn er zurückgezogen wird, enthebt uns das der Abstimmung. Ich wünsche auch, daß die Debatte fortgeführt wird, solange große Gruppen dieses Hauses das wünschen.

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat Herr Abgeordneter von Merkatz. ({0})

Dr. Hans Joachim Merkatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001477, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Meine Damen und Herren! Meine letzten Worte vorhin sind in der von mir nicht erwarteten Empörung der Opposition untergegangen. Ich wollte nicht die Aussprache als solche abschließen und abschneiden, sondern hatte den Vorschlag gemacht, mit Rücksicht auf die Lage die sehr notwendige Aussprache vielleicht morgen fortzusetzen. ({0}) Aber angesichts der Reaktion des Hauses, die ich nicht berechnet habe, angesichts einer Empörung, die ich nicht ganz verstehe und angesichts der Wünsche meiner Freunde in der Koalition ziehe ich selbstverständlich den Antrag zurück. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dann brauchen wir den Antrag nicht mehr zu behandeln. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Erler.

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist gut, wenn ich zur Beseitigung einiger Mißverständnisse noch einmal einige Hauptpunkte sozialdemokratischer Außenpolitik, von denen ich glaube, daß sie eigentlich auch Hauptpunkte der Außenpolitik des ganzen Hohen Hauses sein könnten, hier herausstelle. Die Debatte ist mitunter so geführt worden, als gäbe es darüber Zweifel. Erstens: Niemals wird die deutsche Sozialdemokratie sich bereit finden, Deutschland dem sowjetischen Satellitensystem preiszugeben. ({0}) Zweitens: Aber ebenso wird die deutsche Sozialdemokratie sich niemals mit ,der Spaltung unseres Vaterlandes abfinden. ({1}) - Meine Damen und Herren, ich habe eben unterstellt, daß Sie bereit sind, diese Punkte auch als Punkte Ihrer Außenpolitik zu akzeptieren. Was wollen Sie denn eigentlich mehr? ({2}) Drittens: Niemals soll unser Volk - auch darüber sind wir uns einig - dem Schrecken eines Krieges ausgesetzt werden. ({3}) Es ist notwendig, im Lichte dieser drei Punkte einiges aus der heutigen Debatte hier Revue passieren zu lassen, und zwar zunächst den Hauptpunkt, der den Gegenstand unserer meisten Auseinandersetzungen gebildet hat: das ist die Wiedererlangung der Einheit unseres Vaterlandes. Da klingt mir ein Wort des Herrn Bundeskanzlers in den Ohren, mit dem ich innerlich einfach noch nicht fertig geworden bin. Er sprach vorhin von der Freiheit für ein Volk von 50 Millionen Menschen. Dieses Volk gibt es nicht. Für mich gibt es nur ein Volk von 70 Millionen Menschen, ({4}) zu dem die Bewohner Berlins, die Bewohner der Saar und die Bewohner der Sowjetzone genau so hinzugehören wie die Deutschen in der Bundesrepublik. ({5}) - Sie winken ab, meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat uns einmal den Rat gegeben, unsere Worte sorgfältig zu wägen. Dann müßte der Regierungschef das auch tun. ({6}) Nun ein Zweites. In welchem Zusammenhang steht die Freiheit, die in der Londoner Akte für die Bundesrepublik Deutschland begründet werden soll, mit der Leistung eines militärischen Beitrags dieser Bundesrepublik Deutschland zu dem westlichen Verteidigungssystem? Gestatten Sie mir dazu eine I ganz offene Bemerkung. Da der Bundeskanzler sagt, erst die Londoner Akte und ihre Verwirklichung bringe uns die langersehnte Freiheit, so bedeutet das nicht mehr und nicht weniger, als daß dieser Verteidigungsbeitrag versprochen und zugesagt wird von einem Staat, der noch nicht in Freiheit lebt. ({7}) Das hätte man eigentlich erst tun dürfen, nachdem die Besatzungsmächte klargestellt haben, daß sie es mit einem freien- Staat und nicht mehr mit einem von ihnen besetzten zu tun haben. ({8}) Der Bundeskanzler leugnet das weitere Vorhandensein eines Junktims zwischen Verteidigungsbeitrag und größeren Freiheiten für Regierung und Parlament der Bundesrepublik. Aber ich darf an die Akte selbst erinnern: Die vereinbarten Abmachungen können entweder vor den Abmachungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag oder gleichzeitig damit in Kraft gesetzt werden. Ich frage die Regierung, ob die Vereinbarungen über die Freiheiten für die Bundesrepublik vor den Vereinbarungen über den deutschen Verteidigungsbeitrag in Kraft gesetzt werden oder nicht. Das ist entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob man wieder einmal mit dem Ersuchen an uns herangetreten ist, für die Freiheit zunächst den Beitrag zur Verteidigung zu bezahlen, oder ob man es in das Ermessen eines freien Staates stellt, selbst zu entscheiden, wie er es mit der Verteidigung halten will.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

. Ich beantworte Ihre Frage mit Ja.

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir nehmen Ihre Erklärung - laut und deutlich - zur Kenntnis. Ich hoffe, daß sie in gleicher Weise auch allen anderen Partnern der Londoner Akte zur Kenntnis gebracht worden ist.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Jawohl.

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ein Weiteres, meine Damen und Herren. Der Herr Bundeskanzler hat von dem Erfolg für Berlin gesprochen. Auch hier muß ich darauf hinweisen, daß die Londoner Akte nichts Neues bringt. ({0}) Es wird wiederholt, was seit dem Jahre 1950 für Berlin Rechtens ist, und es wird zu diesem Stand für Berlin nichts hinzugefügt. Das sei zur Steuer der Wahrheit hier festgehalten. ({1}) Nun möchte ich mich mit den Ausführungen unseres Kollegen Kiesinger befassen. Ich erblicke in ihnen eine Art Kommentar zum Antrag der Fraktionen der Regierungskoalition, den Sie alle kennen. Dieser Antrag fängt mit einem Satz an, der durchaus auch unsere Zustimmung finden kann. Es fängt an damit: „Der Deutsche Bundestag bekräftigt den Beschluß des 1. Deutschen Bundestages vom 26. Juli 1950." Aber dann geht es ganz anders weiter als in jenem Beschluß. Jener Beschluß sprach von der wirtschaftlichen Einheit Europas auf der Grundlage der sozialen Gerechtigkeit, von einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik, die dem Frieden in der Welt dient, von der Gleichheit der Rechte aller europäischen Völker und von den ({2}) Grundrechten und menschlichen Freiheiten der europäischen Bürger und ihren Garantien und davon, daß sie unter Rechtsschutz gestellt werden sollen. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich den Text Ihres eigenen Antrags ansehen, werden Sie feststellen, daß Sie diese Entschließung zur Bekräftigung einer Politik benützen, von der in dieser Entschließung gar nicht die Rede ist. ({3}) Denn in dieser Entschließung steht nichts von den zwölf Divisionen, die das halbe Deutschland einer Verteidigungsorganisation liefern soll. Und zweitens - und das ist wohl das Entscheidende -, Sie haben alle bisherigen Beschlüsse des Deutschen Bundestages in der Frage der deutschen Einheit buchstäblich auf den Kopf gestellt. Sie haben gesagt, der Deutsche Bundestag bekennt sich zur Einigung Europas und er sieht in der Erreichung dieser Ziele die Voraussetzung für die baldige Wiedervereinigung Deutschlands ohne Gewalt und mit den Mitteln des Friedens. Meine Damen und Herren, das große Wort von der Einigung Europas ist heute verschiedentlich beschworen worden, aber wenn Sie die Deutschen in der Sowjetzone so lange auf ihre Erlösung warten lassen wollen, bis Europa zu einer wirklichen Einheit zusammengewachsen ist, dann darf man ihnen nicht mehr das Lied über den Zonengrenzvorhang hinüber - gewissermaßen vom sicheren Ort - zusummen: „Haltet aus im Sturmgebraus"; ({4}) dann werden sie leider, leider, leider auf sehr, sehr lange Zeit warten müssen. ({5}) Es ist infolgedessen ausgeschlossen, daß wir an die Probleme in der Reihenfolge, die Sie hier aufgestellt haben, herangehen können. Es ist im Zusammenhang mit dem Werk der europäischen Einigung von Herrn Kiesinger, von Herrn von Brentano, und auch vom Bundeskanzler darauf hingewiesen worden, daß .man gewissermaßen statt anderer 'dringlicher Probleme zunächst nur die Frage der gemeinsamen Verteidigung habe vorziehen müssen. Meine Damen und Herren, das ist im Jahre 1950 geschehen, und ich finde, seit dem Jahre 1950 ist eine ganze Masse Zeit verstrichen, um auch auf anderen als militärischen Gebieten einen wesentlich wirksameren Beitrag zur europäischen Einheit durch die Bundesrepublik leisten zu lassen, als das bisher geschehen ist. Ich will Ihnen hier dieses kleine Register nur in aller Kürze einmal zur Kenntnis geben; vielleicht erleben wir, daß dann endlich einmal Taten kommen. Eines der ersten großen Werke des Europarats war das Bekenntnis zu den staatsbürgerlichen Grundrechten und Grundfreiheiten, und zwar in der Form, daß es nicht nur ein platonisches Bekenntnis bleibt, sondern daß der einzelne Staatsbürger die Möglichkeit hat, europäische Institutionen und Gerichte anzurufen, um sich zu wehren - auch gegen seine nationalen Behörden und Regierungen -, wenn er in seinen Grundfreiheiten und Grundrechten gekränkt wird. Gerade die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, also eines Landes, dessen schmerzliches Schicksal in der nationalsozialistischen und in der bolschewistischen Diktatur doch Anlaß zu dieser Konvention gegeben hat, hat trotz der Beschlüsse dieses Hauses bis zum heutigen Tage die Zuständigkeit der europäischen Kommission für Menschenrechte und die Zuständigkeit des Gerichtshofes für sich nicht anerkannt ({6}) und bleibt damit hinter anderen europäischen Ländern, die diesen Schritt seit langem getan haben, bedauerlicherweise zurück. ({7}) Ein zweites! Am 13. Dezember 1953 sind fünf wesentliche europäische Konventionen vom Ministerkomitee in Straßburg verabschiedet worden. Sie tragen die Unterschrift des deutschen Regierungsvertreters. Herr Bundeskanzler, wo bleiben die Vorlagen an dieses Haus, damit das Haus in voller Einmütigkeit seinen Beitrag zum Zusammenwachsen Europas auf sozialem, auf wirtschaftlichem und auf kulturellem Gebiete leisten kann? ({8}) Das ist es ja, was wir beklagen: daß alle Energien immer wieder nur von den Auseinandersetzungen um die militärischen Probleme verbraucht worden sind und daß wir zusehen müssen, wie andere Staaten, die man doch mitunter nur als halbe Europäer behandelt hat, der Bundesrepublik Deutschland mit gutem und besserem Beispiel vorangegangen sind! ({9}) Wo bleibt es mit der konkreten Unterstützung der deutschen Regierungsstellen zu den in Straßburg eingehend behandelten Versuchen, zu einem gemeinsamen Niveau auf dem Gebiet der Sozialleistungen zu kommen? Wo bleibt es mit den Versuchen, die Zollmauern in Europa durch das Vertragswerk über den Low Tariffs Club allmählich zielbewußt abzubauen? Wo bleibt es mit der im Europarat geforderten gemeinsamen europäischen Politik der Vollbeschäftigung? Ich habe all diese Fragen, die ich nicht als Kleinigkeiten zu behandeln bitte, bewußt in dieser Konkretheit angesprochen, damit Sie sehen, daß es nicht um Allgemeinheiten geht, sondern daß wir auf diesem Gebiet wirklich nicht an der Spitze der Europäer, verehrter Herr Gerstenmaier, sondern am Schwanze der Europäer marschieren. ({10}) - Wenn Sie also gern davon sprechen, Kollege Hilbert: unsere Bedenken gegen den damaligen Eintritt in den Europarat haben sich als vollkommen berechtigt erwiesen. Denn bis zum heutigen Tage spuken die Pläne der Europäisierung der Saar doch nur deshalb noch in den Köpfen, weil man das Saargebiet seinerzeit als ein gewissermaßen eigenstaatliches Gebilde in diese Körperschaft gleichzeitig mit der Bundesrepublik hineingenommen hat! ({11}) Es wurde hier von den „Schutztruppen" gesprochen, die der Bolschewismus im Kalten Krieg in einigen europäischen Ländern habe. Jawohl, meine Damen und Herren, das ist völlig richtig. Aber meinen Sie nicht auch, daß man durch ein anständiges soziales Gefüge, durch ein Höchstmaß an ({12}) sozialer Gerechtigkeit, durch eine gesunde Wirtschaft den Kommunisten in Frankreich und Italien mehr zu Leibe rücken kann als mit den Divisionen der europäischen Armee? Ich fürchte, die werden kein geeigneter Beitrag zur Bekämpfung dieser Schutztruppen sein. ({13}) - Ich spreche nicht von der Verteidigung Europas gegen eine mögliche sowjetische Aggression. Vielmehr ist hier ausdrücklich von der Sicherheit vor den Schutztruppen der Bolschewisten im Kalten Krieg in einigen unserer Nachbarländer gesprochen worden, und dafür ist nun einmal dieses Instrument der Rüstung leider untauglich. ({14}) - Sie haben davon gesprochen, nicht ich. Nun ein Weiteres. Der Herr Bundeskanzler hat sich mit dem Brüsseler Pakt als einem Modell für ein System der kollektiven Sicherheit befaßt. Ich würde ihm recht geben, wenn lediglich Deutschland als der ursprünglich vom Brüsseler Pakt vorgesehene potentielle Angreifer - denn der Vertrag war gegen Deutschland gerichtet - nun zur Abrundung in diesen Vertrag hineingenommen würde, damit alle Teilnehmerstaaten dieses Systems untereinander den Frieden sichern. Das wäre ein wirkliches System der kollektiven Sicherheit. Beim Brüsseler Pakt ist aber etwas anderes geschehen. Die Londoner Akte macht aus ihm statt einer Militärallianz gegen Deutschland. eine Militärallianz gegen die Sowjetunion. Damit ist aus dem Brüsseler Pakt noch lange nicht ein System der kollektiven Sicherheit geworden. Wir sollten uns diesen Sprachmißbrauch, diese Sprachverwilderung endlich einmal abgewöhnen, eine Militärallianz einfach einem System der kollektiven Sicherheit gleichzusetzen. ({15}) Das ist absolut zweierlei. Der Herr Bundeskanzler hat von der Gefahr gesprochen, die Europa aus einer Abwendung der Vereinigten Staaten drohe. Ich will nicht untersuchen, wieweit dieses Argument allzu häufig strapaziert worden ist, um im Sinne einer mehr oder minder sanften Pression die europäischen Völker zu einer bestimmten, mit den Amerikanern gleichlaufenden Politik zu veranlassen. Aber erstens sind nach meiner Überzeugung die Amerikaner nicht so töricht, Selbstmord aus Angst vor dem Tode zu begehen, ({16}) und zweitens findet man, wenn man in vernünftiger Weise auch und gerade mit den Vertretern der amerikanischen Diplomatie und der amerikanischen Regierung spricht, Verständnis für die Forderung, daß die Formen des europäischen Zusammenwachsens von den Europäern selbst entwickelt werden müssen und ihnen nicht von anderen vorgeschrieben werden dürfen. ({17}) Der Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, die wirkliche Sicherheit für Deutschland liege auch nach seiner Überzeugung nicht in jenen zwölf deutschen Divisionen, sondern sie liege in der damit erreichten Gewißheit, daß jeder, der eine Aggression gegen die Bundesrepublik begehen würde, damit - er hat es nicht so gesagt, aber es war der Sinn seiner Ausführungen - den dritten Weltkrieg auslösen werde. Das sollten wir uns merken. Damit ist eine sehr beachtliche Erkenntnis für die Formen und Möglichkeiten aufgedämmert, die sich auch für den Status eines wiedervereinten Deutschland ergeben. Gerade davon hat Erich Ollenhauer vorhin hier sehr ausführlich gesprochen. Da ich nun einmal bei den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers bin, noch eine weitere Bemerkung. Der Herr Bundeskanzler hat gemeint, die Frage nach einem etwa geplanten Notstandsartikel analog dem Art. 48 der Weimarer Verfassung rundheraus verneinen zu können. Vielleicht ist dann der Herr Bundeskanzler so freundlich und erklärt uns, was der folgende Satz in der Londoner Schlußakte eigentlich heißt. Dort steht, daß die Hohen Kommissare von den Befugnissen, die aufgegeben werden sollen, nur im Einvernehmen mit der Bundesregierung Gebrauch machen werden, ausgenommen auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung - es ist sehr schön, daß das hier noch einmal drinsteht; und in Fällen, in denen die Bundesregierung aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Maßnahmen zu treffen . . ., die in den vereinbarten Abmachungen vorgesehen sind. Ich möchte nun gern einmal wissen, was der Herr Bundeskanzler hier unter den „rechtlichen Gründen" versteht, die die Bundesregierung am Treffen von Maßnahmen hindern und die dann eventuell eine Notstandsmaßnahme der Hohen Kommissare auslösen könnten. (

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Das hat damit gar nichts zu tun!) - Herr Bundeskanzler, vielleicht können Sie uns das nachher im einzelnen darlegen; denn dieser Satz muß ja einen Sinn haben, er wird doch nicht nur so hingeschrieben worden sein. Dann ein Weiteres. In London - darauf ist mit Nachdruck auch in den Reden der Regierungssprecher hingewiesen worden - ist die Wiedervereinigung Deutschlands als grundsätzliches Ziel vereinbart worden. Aber, meine Damen und Herren, während für alle anderen in der Londoner Akte niedergelegten Ziele konkrete Schritte der Verwirklichung in der Akte enthalten sind, fehlt das für dieses Kernstück unserer Politik, nämlich für die Wiedervereinigung. ({0}) Daher würde ich Sie bitten, diese Lücke der Londoner Akte zu schließen, indem Sie die Vorschläge akzeptieren, die die Sozialdemokratische Partei Ihnen auf dem Gebiet heute vorgelegt hat. Dann werden wir unter Umständen dieses Kapitel bei den kommenden Verhandlungen vielleicht doch noch in befriedigenderer Weise als bisher behandeln können. Herr Kollege Kiesinger hat - und auch darin hat er sich mit dem Herrn Bundeskanzler einig gewußt - von dem Zwischenziel der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gesprochen und abgestritten, daß das gewissermaßen das Hauptziel der Politik seiner Partei gewesen sei. Ich möchte Sie ({1}) ein ganz klein wenig an den Bundestagswahlkampf des Jahres 1953 erinnern, wie dort in der vereinfachenden Propaganda der Regierungsparteien ganz bewußt - so hat es auch der kleine Mann draußen im Lande aufgefaßt - Europa mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gleichgesetzt wurde. ({2}) Sie haben dieser Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die für Sie nur ein Zwischenziel, ein Durchgangsstadium ist, immerhin soviel Wert beigemessen, daß Sie sie in unser Grundgesetz hineingeschrieben haben. Wir haben jetzt einigermaßen große Sorge, wie wir dieses Instrument, das doch nun tot ist, aus unserem Grundgesetz wieder herausbringen. Das werden Sie wieder ändern müssen, um dieses Zwischenziel endgültig zu beerdigen! ({3}) - Ja, aber es steht im Grundgesetz drin! ({4}) - Nicht ganz! Lesen Sie bitte nach, wo es steht! ({5}) - Das glaubt nicht einmal der Bundeskanzler, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft mit den Verträgen, wie sie im Wortlaut im Grundgesetz verankert sind, noch einmal Wirklichkeit wird. ({6}) - Aber Frau Kollegin Weber, darüber wollen wir doch jetzt nicht streiten. Aus dem Grundgesetz wird mit Ihrer Zustimmung die EVG wieder herausgestrichen; davon bin ich überzeugt. ({7}) Wir haben uns heute hier in einer ganzen Reihe von Diskussionsreden mit den Fragen der europäischen Zusammenarbeit befaßt. Ich bin erfreut, daß eine Erkenntnis - davon zeugt die Londoner Akte; leider im wesentlichen nur auf dem militärischen Gebiet, denn die meisten Teile handeln davon - sich Bahn gebrochen hat, nämlich daß man sich in der Auseinandersetzung, was man vorziehe: eine festere Form mit einem kümmerlichen und mageren Inhalt oder eine lockerere Form und dafür den umfassenderen Inhalt unter Mitwirkung Großbritanniens, für die letztere Form entschieden hat. Das ist eindeutig ein Fortschritt; das geben wir Ihnen gern zu. ({8}) Nun hat Kollege Kiesinger davon gesprochen, man habe doch eigentlich das Bessere aufgeben müssen statt des Schlechteren und nun das Schlechtere akzeptieren müssen. Ich habe gar nicht gewußt, daß er in dieser Weise dem Kampf des Herrn Bundeskanzlers in London in den Rücken fällt. ({9}) Der Herr Bundeskanzler hat sich dort alle redliche Mühe gegeben - darauf hat er voller Stolz vorhin hingewiesen -, unter endlich einmal! - Ausnutzung der Argumente der sozialdemokratischen Opposition sich dagegen zu wehren, daß man irgendeinen deutschen Soldaten aufstellt, der einer Verfügungsgewalt ohne deutsche Mitwirkung und ohne deutschen Einfluß unterstellt wäre. Er hat sich auch, wie wir eben erfahren haben, mit Energie gegen jene Notstandsklausel und ihr Wiederaufleben gewehrt. Aber, Herr Kollege Kiesinger, damit geben Sie doch zu, daß er sich für das Bessere und nicht etwa für das Schlechtere geschlagen hat. ({10}) Was für ein Glück, daß die Verträge, die Sie so heiß verteidigt und die wir ebenso erbittert bekämpft haben, nicht zustande gekommen sind; was für ein Glück selbst im Lichte der Politik des Herrn Bundeskanzlers, daß er sich nicht für fünfzig Jahre mit der Notstandsklausel und mit der Entmündigung des deutschen Soldaten verheiratet hat!

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, darf ich eine Frage an Sie stellen? - Herr Kollege Erler, ich habe natürlich das nötige Verständnis für Kurzfassungen auch bei diesen Reden. Aber Sie haben ja sowohl mich als auch den Herrn Bundeskanzler gehört. Sie haben dabei gehört, warum ich die schlechtere Lösung in der Londoner Vereinbarung sehe. Ich habe aber - und das frage ich Sie! - mit keinem Wort gesagt, daß ich in den Londoner Vereinbarungen nur eine schlechtere Lösung sehe. ({0}) Meine Damen und Herren, ich habe nichts anderes gesagt, als auch der Herr Bundeskanzler hier klipp und klar erklärt hat: Das Londoner Ergebnis ist zum Teil besser, zum Teil gleichgut und zum Teil schlechter; und ich will mit allem Nachdruck erklären, damit ja kein Mißverständnis übrigbleibt - ich nehme auch gar nicht an, daß man es glauben würde! -, ({1}) daß das Schlechtere für uns die Preisgabe der kontinentaleuropäischen Solidarität wäre. Wir hoffen allerdings, daß sie nicht preisgegeben worden ist.

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kiesinger, ich bin für diese Intervention außerordentlich dankbar. Es ist eigentlich doch ein schönes Stück erfolgreicher Arbeit der parlamentarischen Demokratie, wenn ein Redner, der sich vorher bei weitem nicht so klar ausgedrückt hat, nun unter dem Eindruck der Argumente des Kanzlers und eines Sprechers der Opposition überzeugt werden kann. ({0}) Ich möchte nun umgekehrt von mir aus einen kleinen Irrtum richtigstellen, der hier in den Debatten verschiedentlich anklang. Es ist richtig: wir Sozialdemokraten haben immer darauf hingewiesen, daß der Ausschluß der Bundesrepublik Deutschland von der Mitwirkung in der Nordatlantikpakt-Organisation auf eine Bereitstellung von Soldaten ohne Mitwirkung an der Verfügungsgewait hinausliefe. Wir Sozialdemokraten haben nie gesagt, daß wir nur aus diesem Grunde etwa in die Nordatlantikpakt-Organisation hineinwollten. ({1}) Wir haben Ihnen lediglich gezeigt, wie Ihre eigene Politik in diesem Punkte zu einer entscheidenden - jetzt zu einem großen Teil überwundenen - Diskriminierung auf diesem Gebiet geführt hätte. Unser Haupteinwand gegen die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft gründete sich nicht auf die Argumente wegen der minderen ({2}) Rechtslage der Bundesrepublik gegenüber den anderen Teilnehmern nicht allein der EVG, sondern des gesamten Systems der Atlantikpakt-Organisation; unser Haupteinwand - und der trifft auf die NATO-Mitgliedschaft genau so zu wie auf die Mitgliedschaft in der EVG - betraf das Verhältnis des Einbaues der Bundesrepublik Deutschland in ein westliches Militärsystem zur Wiedererlangung der deutschen Einheit. Das ist der Kern auch unserer heutigen Auseinandersetzungen. Da ist es doch vielleicht gut, wenn man um der Deutlichkeit willen hier noch einmal - von Ihnen ist auch manches doppelt gesagt worden - an die entscheidenden Gesichtspunkte erinnert. Kollege Dehler hat davon gesprochen - und da gebe ich ihm recht -, man dürfe die Hand des Siegers nicht ausschlagen. Er hat weiter davon gesprochen, daß die Vereinigten Staaten die beherrschende Macht der Welt seien und daß sie den Fehler, den sie mit ihrer einseitigen Abrüstung im Verhältnis zum Sowjetblock begangen hätten, wieder gutgemacht hätten. Nun also, darin liegt doch das Anerkenntnis, daß diese beherrschende Macht der Sowjetunion nicht bedingungslos ausgeliefert ist, wie es manchmal den Anschein hat, daß diese Macht durchaus auf der Basis der Gleichwertigkeit und der gleichen Stärke mit der Sowjetunion verhandeln kann, wenn wir sie davon überzeugen, daß es auch in ihrem Interesse nützlich ist, derartige Verhandlungen zu führen. ({3}) Der Verhandlungspartner ist doch nicht Deutschland, der Verhandlungspartner ist nicht einmal Europa; denn in der Lage, in der wir uns befinden, sind die wirklichen Teilnehmer auch von VierMächte-Verhandlungen über Deutschlands Wiedervereinigung in Wahrheit die Sowjetunion hüben und die Vereinigten Staaten drüben. ({4}) Das ist die reale Lage, und auf das Verhältnis von deren Stärke zueinander - wenn Sie sich schon auf den Boden der sogenannten Politik der Stärke bei Verhandlungen stellen wollen - kommt es an. Da meinen wir nun, daß es ziemlich sinnlos ist, auf ein Anwachsen der Stärke der westlichen Welt durch das Hinzufügen deutscher Divisionen in einem Zeitpunkt zu warten, in dem die Vereinigten Staaten als Gegenleistung gewissermaßen ihren eigenen Militärhaushalt um 5 Milliarden Dollar verringert haben. ({5}) Die Vereinigten Staaten haben damit zu erkennen gegeben, daß sie dieses Argument des Aufbaus rein militärischer Stärke für Verhandlungen selbst nicht für so entscheidend halten. Hier liegt doch auch der Trugschluß mit dem Tier, mit dem Rußland angeblich nur verhandeln könne, wenn es einigermaßen seine eigene Gestalt habe. ({6}) - Dieses Tier Karl Marx ist doch heute nicht der arme Herr Bundeskanzler, sondern das ist, wenn Sie es personifizieren wollen, der Präsident der Vereinigten Staaten, und der hat heute schon durchaus die Statur von Herrn Malenkow. Der wartet nicht auf die zwölf deutschen Divisionen, um zu dieser Stärke heranzuwachsen. ({7}) - Bitte, bitte!

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Frage ist nur die: Ist Ihnen bewußt, daß die Einwohnerzahl der Vereinigten Staaten von Amerika 170 Millionen beträgt und die des sowjetrussisch-chinesischen Blocks rund 800 Millionen? ({0})

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich ist mir das bewußt. Deshalb meine ich, daß es an der Zeit ist, Verhandlungen mit der Sowjetunion zu führen, solange der Westen noch über eine relative Überlegenheit verfügt; ({0}) denn mit der allmählichen Erschließung der menschlichen und materiellen Potenzen des Sowjetblocks wird der Abstand zwischen Westen und Osten möglicherweise zugunsten des Ostens verändert und nicht zu unseren Gunsten. ({1}) Das ist ein Argument, etwas eher zu verhandeln und nicht allzulange zu warten. Aber - und hier kommt ein sehr aktuelles Motiv für die Politik der Vereinigten Staaten in unsere Bemühungen um die deutsche Wiedervereinigung herein - gewinnen nicht auch die Vereinigten Staaten mehr an Sicherheit, wenn ein wiedervereintes Deutschland die Voraussetzungen dafür schafft, daß die strategischen Basen der Sowjetunion in etwas größerer Entfernung von den Lebenszentren der europäischen Industrie und Wirtschaft liegen, als das heute der Fall ist? Das ist ein Argument, das sich wahrscheinlich auch in den Überlegungen der amerikanischen Politik durchaus Bahn zu brechen vermag. Man hat hier davon gesprochen, daß man die Sowjetunion anläßlich der neuen Rede etwa des Herrn Molotow beim Wort nehmen soll. Nun, das gilt nicht nur für Molotows Rede; das gilt nicht nur für die Abrüstungsvorschläge bei den Vereinten Nationen; das gilt nach meiner Überzeugung genau so für die sowjetische Note vom 10. März 1952. Damit bin ich bei einem Punkt, der heute nur in einer Rede einmal kurz angeklungen ist. Das muß ich Ihnen noch einmal vortragen. Ich bin leider mit der Politischen Kommission der Beratenden Versammlung des Europarates zu der Überzeugung gelangt, daß die wirkliche Kernfrage, die Frage der deutschen Wiedervereinigung bisher ernstlich überhaupt noch nicht verhandelt worden ist. ({2}) - Herr Gerstenmaier widerspricht. Dann darf ich Ihnen den Wortlaut bringen; sonst hätte ich es mir erspart. Aber nun muß ich doch mit dem Dokument aufwarten; es liegt in französischer Sprache auf meinem Tisch. Darin heißt es: Die Berliner Diskussionen sind nie wirkliche Verhandlungen geworden. ({3}) Der Ablauf der Berliner Konferenz hat bewiesen, daß jede Seite die Gesamtheit des vereinigten Deutschlands in ihr Lager hereinzubringen sucht. Die von beiden Seiten gemachten Vorschläge waren infolgedessen gegenseitig unannehmbar. ({4}) ({5}) Die sich aus dem Status quo auf die Dauer ergebenden Gefahren sind von den westlichen Ministern nicht unterschätzt worden. Die Anwesenheit der Roten Armee im Herzen Europas beraubt den Kontinent jeder Hoffnung auf ein Ende des Kalten Krieges. ({6}) - Bitte schön!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Erler, wollen Sie hier vor dem Bundestag und vor dem deutschen Volk sagen, daß der Satz, den Sie eben verlesen haben und bei dem Sie offenbar unterstellen, daß er einen Beschluß des Politischen Ausschusses des Europarats darstellt, - wollen Sie sagen, daß er einen Beschluß dieses Ausschusses darstellt, oder wollen Sie nur sagen, daß er in der Begründung, in dem Material des Berichterstatters steht?

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerstenmaier, darf ich Ihnen die Frage ganz schnell beantworten. Ich habe vorhin von einem Bericht, nicht von einem Beschluß gesprochen. Sie können mir also nicht unterstellen, daß ich „Beschluß" gesagt habe. Das wird das Stenogramm beweisen. Ich habe von einem Bericht gesprochen. Zum zweiten handelt es sich um einen Bericht des Berichterstatters, der vorgelegt worden ist mit der Bemerkung auf der Titelseite: „Au nom de la Commission des Affaires Générales", „Im Namen der Politischen Kommission der Beratenden Versammlung". ({0}) Berichterstatter war der belgische Senator oder Abgeordnete B o h y.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Erler, Sie werden mir erlauben, Sie daran zu erinnern, daß nach den Gepflogenheiten der Beratenden Versammlung des Europarats die Berichte nicht Gegenstand eines Beschlusses des Ausschusses und der Versammlung sind, ({0}) sondern daß lediglich die Beschlußvorlage des Ausschusses, über die namentlich abgestimmt wird, Gegenstand des Beschlusses ist. ({1})

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dann möchte ich den Kollegen Gerstenmaier darauf aufmerksam machen, daß diese Formulierungen in ,der Beratenden Versammlung des Europarats mehrfach zitiert worden sind und daß zu diesen Formulierungen kein Mitglied des Ausschusses sich ausdrücklich mit abweichender Meinung geäußert hat. ({0}) Damit können wir wohl dieses Kapitel abschließen. Ich gehe über zum nächsten Punkt, nämlich wie sich aus diesem Beschluß ergibt, ist also in Berlin von beiden Seiten lediglich das Maximalziel verkündet worden. In dem gleichen Sinne gebe ich allen recht, die hier davon gesprochen haben, welche Ziele Herr Molotow habe. Jawohl, die russische Politik hat als Maximalziel die Einverleibung des gesamten Deutschlands in ihren Machtbereich. Aber die westliche Politik hat dann ebenso als Maximalziel, daß das vereinigte Deutschland Bestandteil des westlichen Militärsystems wird. Hier gestatte ich mir „zur Klarstellung", mich auf einen unter dieser Überschrift erschienenen Artikel des Bulletins der Bundesregierung zu beziehen. Dort wird zunächst einmal der Herr Bundeskanzler zitiert: Die außenpolitische Handlungsfreiheit eines gesamtdeutschen Staates ist . . . eine weitgehend akademische Frage. In der praktischen Politik ist die Kraft der Tatsachen entscheidend. Steht die Europa-Armee erst einmal, so wird kein Staat mehr aus ihr austreten, auch kein gesamtdeutscher Staat. Das ist ja gerade der Sinn der Integration . . . ({1}) Nicht nur - damit bringe ich eine Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vor dem Deutschen Bundestag wird jede Regierung der Bundesrepublik Deutschland alles tun, um ganz Deutschland in der im Bonner und Pariser Vertrag gegebenen Form in die Gemeinschaft der freien Völker zu führen, sondern wenn die Stunde der Wiedervereinigung gekommen ist, wird das ganze deutsche Volk diese Entscheidung zu der seinigen machen. Das Bulletin bemerkt dazu: In den Verhandlungen bereits ist von deutscher Seite stets mit größter Entschiedenheit betont worden, daß kein Zweifel über die Entscheidung eines wiedervereinigten Deutschlands zugunsten einer politischen und militärischen Zugehörigkeit an den Westen bestehen könne. Und weiter: . . . , daß die Bundesrepublik mit ihrem gesamten politischen Potential dafür bürgt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland ein Glied der integrierten europäischen Gemeinschaften - also auch der militärischen - bleiben wird. Damit sind wir - das ist meine feste Überzeugung; man kann eine andere haben, es ist die meine - beim Kern des Problems. Deutschland wird nicht friedlich vereinigt werden, solange die russische Position darauf beharrt, daß das ganze Deutschland in einer Form geschaffen werden muß, die es sowjetisieren kann; und zwar wird es deshalb so nicht vereinigt werden, weil wir das nicht wollen; denn wir wollen die Vereinigung Deutschlands nicht, indem wir in die Sklaverei der Sowjetzone gehen, sondern indem die Bewohner der Sowjetzone aus der Sklaverei herauskommen. ({2}) Das ist das eine. Zum zweiten wird diese Form der Wiedervereinigung nach kommunistisch-sowjetischem Rezept auch daran scheitern, daß die Westmächte nicht daran denken, unter diesen Umständen ihre Positionen in Deutschland aufzugeben. Und das letztere Argument gilt genau so umgekehrt für den westlichen. Versuch, heute schon die gesamte Politik darauf abzustellen, daß das wiedervereinte Deutschland dem westlichen Heeressystem angehören solle und müsse und werde. Genau so wie wir kein kommunistisches Deutschland friedlich entstehen lassen werden, genau so wird die Sowjetunion - und damit nehme ich die Frage des Herrn Bundeskanzlers auf - nicht auf dem Tablett gewissermaßen die ({3}) Sowjetzone darbieten, damit sie am Tage nach der Wiedervereinigung. amerikanischer Truppenübungsplatz wird. Das ist auch in der weltpolitischen Mächteverteilung heute nicht gegeben, meine Damen und Herren. ({4}) - Was dann? Das ist es eben, daß Sie sich mit dieser Lage der gegenseitigen Ausschließlichkeit nicht abfinden dürfen, daß daher der Versuch unternommen werden muß, zwischen uns und unseren westlichen Partnern einen Status für das wiedervereinte Deutschland zu finden, der uns Sicherheit gibt - jawohl, Kollege Kiesinger, der den Westmächten Sicherheit gibt und der gleichzeitig etwas 'befriedigt, was auch der Herr Bundeskanzler im vergangenen Jahr anerkannt hat, nämlich das sowjetische Sicherheitsbedürfnis. ({5}) Ich weiß, mancher bei Ihnen lächelt. Ich nehme den Herrn Bundeskanzler damit blutig ernst. Es ist nämlich nicht so, daß Furcht trotz der Anwesenheit von 175 sowjetischen Divisionen in der Welt nur in den Ländern des Westens herrscht. ({6}) Furcht - das ist leider die Wahrheit - beruht auf Gegenseitigkeit. So war es bisher immer noch in den großen Konflikten und Spannungen in der Welt. Furcht entsteht mitunter - und das sei auch in diesem Hause einmal deutlich ausgesprochen - aus Erinnerungen an gar nicht allzulange zurückliegende Jahre und Jahrzehnte. ({7}) Bitte, auch das ist ein Motiv, das Mißtrauen in unserem französischen Nachbarvolk gesät hat. Es gibt eine Furcht aus der Erinnerung an die Anwesenheit deutscher Truppen vor Moskau, vor Leningrad und in Stalingrad, eine Furcht, die auch trotz der in unserem Lande als nicht gerade friedliebend anerkannten sowjetischen Politik noch vorhanden ist und das sowjetische Regime und das russische Volk beherrscht. Wir müssen versuchen, eine Lösung zu finden, bei der das vereinte Deutschland in ein kollektives Sicherheitssystem eingebaut wird und die unter unserer eigenen Mitwirkung jedem Teilnehmer die Gewißheit schafft: Wer die Grenzen des. vereinten Deutschlands verletzt, der löst den dritten Weltkrieg aus. Darin liegt Sicherheit für Deutschland und für unsere Nachbarn. Denn keine Lösung wird es geben - so uneigennützig sind die Völker der Welt nicht -, die etwa nur zugunsten der Deutschen getroffen wird. Es tut mir leid, daß ich noch einmal in aller Ausführlichkeit zu dieser Frage zurückkehren mußte. Aber ich bin dazu gezwungen worden, weil immer wieder die Frage gestellt worden ist: Ja, soll man denn in diesem Zeitpunkt eine Konferenz mit der Sowjetunion abhalten? Ich habe nicht gesagt, daß sich der Herr Bundeskanzler sofort mit fliegenden Rockschößen zu Herrn Malenkow begeben solle - weiß Gott nicht -; aber wenn man eine solche Begegnung will, dann muß man wissen, was man auf dieser Begegnung will, und dann muß man wissen, daß man nicht mit einer unerfüllbaren Vorstellung dorthin gehen kann, und dann muß man wissen, daß man für eine solche Lösung natürlich auch und gerade unsere westlichen Partner braucht, und dann muß man das vorbereiten, und daher unsere konkreten Vorschläge ({8}) - ich komme wieder darauf zurück -, daß Sie zur Vorbereitung einer gemeinsamen Stellungnahme des Westens in einer kommenden Verhandlungsatmosphäre mit der Sowjetunion wirklich einen praktischen Beitrag mit der gleichen Dringlichkeit leisten, mit der Sie die anderen Probleme der Londoner Konferenz angehen. Wir verlangen gar nicht von Ihnen - das steht nicht einmal drin -, daß Sie zeitlich einen bestimmten Vorrang geben. Wir verlangen lediglich von Ihnen - und wir hoffen, daß Sie sich dem anschließen -, daß in der gleichen Weise, wie es in den Kommissionen geschehen soll, die man dort beabsichtigt, die anderen Probleme bearbeitet werden und endlich auch an die Erarbeitung eines Standpunkts für die Möglichkeiten der deutschen Wiedervereinigung gegangen wird. Das steht doch drin! ({9}) Nun bin ich gezwungen, noch ein paar kleine Bemerkungen zu den etwas schweifenden Ausführungen unseres Kollegen Dehler zu machen. Er hat u. a. versucht, sozusagen den Widerstand der gesamten deutschen Wirtschaft gegen die ihr von den Nationalsozialisten aufgedrungene, aufgezwungene Aufrüstung vor diesem Hause klarzumachen. Ich möchte in aller Bescheidenheit als Gegner aller Kollektivurteile sagen, daß ich aber auch kein Anhänger einer Art kollektiver Unschuldserklärungen bin. ({10}) Es gibt nun einmal Persönlichkeiten, die in der deutschen Wirtschaft keine kleine Rolle gespielt haben, wie die Herren Thyssen und Kirdorf oder wie schließlich Herr Hugenberg, der doch anerkanntermaßen einer der Führer sowohl der Harzburger Front gewesen als auch aus der deutschen Schwerindustrie hervorgegangen ist, die mit Propaganda und Finanzen ihren Beitrag zu jener Politik geleistet haben, die Deutschland ins Unheil und ins Verderben geführt hat. ({11}) - Gern.

Dr. h. c. Kurt Georg Kiesinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001096, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Erler, es liegt mir wirklich sehr viel daran, daß in diesem Haus keine Unklarheit zu diesem Punkte bleibt. Sie haben eben einen Rückblick ins Vergangene gemacht. Aber Sie haben bei den Ausführungen vorhin ja die Zwischenbemerkung gemacht, ob sich der Redner darüber klar sei, daß Herr Kollege Ollenhauer den Eindruck, daß gewisse Kräfte nur um der Rüstungsgewinne willen auf der Seite dieser Abkommen stünden, vielleicht bei der Lektüre der Börsenkurse bekommen habe. Nun muß ich Sie aber fragen, Herr Erler: Ist Ihnen bekannt, daß es tatsächlich ein echtes Problem ist, überhaupt in Deutschland die Wirtschaft dazu zu bringen, Rüstung zu produzieren? Ist es Ihnen bekannt, daß das deswegen so schwer ist, weil in früheren Zeiten Rüstungsproduktion nur dann gewinnbringend war, wenn man die produzierten Waffen exportieren konnte? Ist Ihnen bekannt, daß gerade dies - der Export von Waffen - für die deutsche Wirtschaft unmöglich sein wird und daß es deswegen tatsächlich eine ernste Schwierigkeit darstellen wird, die deutsche Wirtschaft dazu zu bringen, sozusagen in einer einmaligen Stoßaktion sich für die Rüstung zu interessieren? ({0})

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kiesinger, ich darf die Frage ganz nüchtern beantworten. Selbstverständlich ist mir bekannt, daß es auf Teilgebieten Schwierigkeiten geben würde, in Deutschland geeignete Produzenten zu finden. Aber ich habe mich eben gegen Kollektivurteile gewendet und tue das auch in diesem Fall. Mir ist nämlich auch bekannt, daß es eine ganze Reihe von Wirtschaftsunternehmen gibt, die sich seit langem haben vormerken lassen, um bei der künftigen Produktion beteiligt zu werden. ({0}) - Sie schütteln den Kopf? Die entsprechenden Dienststellen können sich so manchen Angebotes freundlicher Art gar nicht erwehren! ({1}) - Auch für Waffen sogar, so komisch es klingt. Aber wir können das ja gelegentlich einmal in unserem Ausschuß in aller Offenheit miteinander besprechen, was sich da alles mit Angeboten bereits bemerkbar gemacht hat. ({2}) - Freund Blachstein, ich weiß, daß dieses Hohe Haus die entscheidenden politischen Probleme selbstverständlich diskutieren wird und diskutieren muß. Aber ich bin wirklich der Meinung, daß derartige Einzelfälle uns genügen mögen, wenn wir sie als Symptome hier charakterisieren. ({3}) Das reicht zur Beurteilung des Problems völlig aus. Nun zu einer weiteren Frage, die vom Kollegen Dehler angesprochen worden ist. Er meinte in seinen letzten Sätzen, wenn es eine Koalitionsfrage gebe, dann sei das u. a. eine Frage des Stils, und zwar des Stils der persönlichen Auseinandersetzungen. Ich freue mich über dieses mannhafte Bekenntnis des Kollegen Dehler. Ich hätte mich noch mehr darüber gefreut, wenn ihm diese Erkenntnis nicht erst gekommen wäre, als er schon das Opfer einer derartigen Angriffswelle geworden war, ({4}) sondern wenn er sich mit dieser Frage z. B. auch einmal im Bundestagswahlkampf 1953 auseinandergesetzt hätte, als überall in Deutschland die Plakate hingen: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau". Damit waren wir gemeint, Kollege Kiesinger, und nicht die paar überlebenden Kommunisten, sonst hätten Sie es nicht dort angeschlagen, wo es überhaupt keine Kommunisten gibt. Aber, meine Damen und Herren, es waren nicht die Wege eines sozialdemokratischen, sondern die eines Abgeordneten Ihrer Fraktion, die zu Pieck und Grotewohl geführt haben. ({5}) ({6}) - Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen: Das ist der Stil, ({7}) dann will ich Ihnen sagen: Fangen Sie an der Spitze an und sorgen Sie dafür, daß der Herr Bundeskanzler nicht mehr verklagt werden muß! Dann sind wir alle einig in diesem Hohen Hause. ({8}) Damit bin ich beim letzten. Auch heute ist wieder vom Herrn Bundeskanzler der Appell an uns gerichtet worden, wir möchten uns doch nun endlich einmal diesem so heiß errungenen und erkämpften Londoner Werke anschließen. So stellt sich der Führer der deutschen Politik die Gemeinsamkeit von Regierung und Opposition in den Fragen der Außenpolitik vor: daß Entschlüsse nur von ihm, günstigstenfalls mit seinen Freunden, gefaßt und von der vor den Entschlüssen nicht unterrichteten Opposition nachträglich in Bausch und Bogen akzeptiert werden. ({9}) Meine Damen und Herren, manches an der Londoner Akte hätte vielleicht allen unseren Wünschen entsprechend noch ein klein wenig anders aussehen können, wenn wir, bevor man nach London ging, die Aussprache zur Herausarbeitung der Kernprobleme - nicht der Einzelheiten - der deutschen Außenpolitik in diesem Hause gehabt hätten oder wenn als Voraussetzung jeder Gemeinsamkeit mindestens der Wille zur Information. der Wille zur Diskussion und Besprechung, bevor die Entscheidungen gefallen sind und nicht hinterher, dawäre. So lange bleibt das Bemühen um Gemeinsamkeit leer im Raum stehen; denn es wird nicht von Taten begleitet, auf die allein sich die Gemeinsamkeit stützen kann. ({10})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion hat einen Grad erreicht, der es schwierig macht, die Situation, in der wir uns befinden, in aller Ruhe weiterzubesprechen. Wir haben den Wunsch, diese Situation in aller Ruhe mit Ihnen, vor Ihnen und vor dem deutschen Volk weiter zu klären. Es ist unser fester Wille - ich glaube, darin nicht nur für mich allein zu sprechen -, ein Maximum an nationaler Solidarität in diesem Augenblick herbeizuführen. Wir machen kein Hehl daraus, und wir haben das nie getan, daß mit dem 30. August 1954 ein entscheidender Abschnitt unserer politischen Entwicklung beendet wurde. Wir sind uns auch völlig klar darüber gewesen, daß dieser 30. August 1954 uns vor neue, außerordentlich schwere Aufgaben stellen wird. Die große Gefahr, in die nicht nur Deutschland, sondern Europa durch den 30. August geraten ist, hat sich zunächst in einer allgemeinen Betretenheit, einer Ratlosigkeit, ja in einer Art von Desintegration angekündigt, die sogar für unsere Opposition etwas Bedrückendes gehabt hat. Ich glaube, daß ich das aussprechen darf, denn ich habe mit einer gewissen Anerkennung verzeichnet, daß kein sehr lauter Jubel über den 30. August 1954 bei der deutschen Opposition ausgebrochen ist. Ich würde es auch für verfehlt halten, wenn dieser Jubel nachträglich einsetzte. Denn das, was wir heute hier gehört haben sowohl vom Herrn Kollegen Ollenhauer wie soeben vom Herrn Kollegen Erler, läßt sich in vielem hören. Aber es steht alles in ({0}) einem Irrealis, in einer Generalkondition, die in den Worten des Kollegen Erler etwa so aussieht: Wenn wir eine Lösung des kollektiven Sicherheitssystems finden könnte n, dann läge darin die Sicherung für uns und unsere Nachbarn zu beiden Seiten, im Osten und im Westen. Ja, meine Damen und Herren, wenn das alles wäre, dann könnten wir diese Diskussion beenden und könnten sagen: in diesem frommen Wunsch vereinigen wir uns. Aber leider ist die Politik nun weder ein Verfahren, um gelegentlich einmal seinem Unmut Luft zu machen und gegenseitig abzurechnen - das ist nicht so furchtbar interessant -, noch ist die Politik ein allgemeines Wunschfeld. Ich bin mit dem Kollegen Erler völlig darin einig, und ich könnte ebenso sagen wie er: Deutschland niemals den Sowjets! Deutschland wird niemals seine Spaltung hinnehmen! Deutschland immer dem Frieden! Aber die Frage, um die es hier in Wirklichkeit geht, das Thema dieses Tages ist nicht die Feststellung solcher Kardinalüberzeugungen und -wünsche, sondern es ist die Diskussion des Weges, der zur Erreichung dieser Ziele gegangen werden muß. ({1}) Dabei ist uns nicht damit gedient, daß Herr Kollege Ollenhauer - übrigens in einer Form, die der Sache einfach nicht gerecht wird und auch den Tatbeständen widerspricht - uns noch einmal mit seinem globalen Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen kommt. Der Herr Kollege Ollenhauer hat geglaubt, es sei eine Unziemlichkeit, wenn man von dieser Stelle aus erkläre, wie ich es getan habe - wozu ich mich freimütig bekenne - und wie ich es auch heute zu tun gedenke, daß nach unserer immer wieder vorgenommenen Überprüfung das gegenwärtige globale Sicherheitssystem, so wie es in den Statuten der Vereinten Nationen vorgesehen und wie es im Weltsicherheitsrat der Verwirklichung nähergebracht worden ist, die enormen Belastungen der Auseinandersetzungen zwischen Ost und West nicht getragen hat, daß es diese Auseinandersetzungen nicht zu bewältigen vermochte. Nur dadurch kam es zu der Ersatzlösung der europäisch-atlantischen Verteidigungsgemeinschaft in Gestalt der NATO. Wenn wir Deutsche nun kommen und sagen: was uns betrifft, so werden wir an einem irgendwie gearteten Sicherheitssystem nur dann teilnehmen, wenn es global ist, dann heißt das, daß wir uns die Welt malen, wie man sie sich wünscht, aber die Welt nicht hinnehmen, wie sie ist. Das würde ich doch für ein höchst fatales Rezept für den Weg unseres Volkes in die Zukunft halten. Ich persönlich stimme mit dem Herrn Kollegen Ollenhauer darin überein, daß das eine ideale Konzeption ist und daß wir uns von Herzen wünschen müßten, daß diese Konzeption - d. h. die Vereinten Nationen mit der Einrichtung des Weltsicherheitsrates - unsere Sicherheitsprobleme lösen könnte. Aber sie hat es nicht getan. Der Weltsicherheitsrat und die Statuten der Vereinten Nationen haben den russischen Vormarsch bis hinein nach Europa, bis tief hinein nach Südosteuropa nicht aufzuhalten vermocht. Das hat eben erst das Wort des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im Frühjahr 1947 zu tun vermocht. Erst als Mr. Truman vor der russischen Invasion nach Griechenland gesagt hat: Bis hierher und nicht weiter! -, erst da kam die russische Walze in Europa zu einem Stillstand, um allerdings kurz darauf in Ostasien weiterzugehen. Wir unterscheiden uns von dem Herrn Kollegen Ollenhauer - das hat auch der Herr Bundeskanzler schon angedeutet - ganz fundamental nicht nur in der Konstruktion. Diese Debatte zeigt, daß offenbar in absehbarer Zeit keine Aussicht dafür besteht, eine Einigung zu erzielen, obwohl ich persönlich bei allen meinen Vorbehalten gegen die Londoner Schlußakte doch einen Schimmer von Hoffnung hatte, daß sie wenigstens der SPD die doch eigentlich von ihr erwünschte und gewünschte Gelegenheit geben müßte, nunmehr einzutreten. Ich muß - bei all meinen Bedenken gegen die Londoner Schlußakte - doch sagen, daß diese Schlußakte ein Entscheidendes geleistet hat. Sie hat es fertiggebracht, daß das unerhört gefährliche Vakuum im Herzen Europas beendet wurde. Sie hat gezeigt, daß, auch wenn eine Konstruktion nicht durchkommt, wenn eine Konstruktion wie die EVG leider scheitert, dann wenigstens soviel europäischatlantische Solidarität vorhanden ist, daß sie in der Lage ist, das lebensbedrohende Vakuum zu füllen. ({2}) Infolgedessen muß man, wie man auch im einzelnen zu der Londoner Schlußakte steht, die Leistung und das Ergebnis als solche begrüßen, und zwar nicht nur begrüßen für die freie Welt, sondern insbesondere für das Leben und die Zukunft unseres Volkes. ({3}) An dieser Begrüßung hat es bei der Opposition ebenso gefehlt wie an der doch nun billigerweise zu erwartenden Zustimmung und Begrüßung des anderen: daß mit dieser Londoner Schlußakte der Besetzung Deutschlands und damit einem Kapitel der deutschen Geschichte ein Schlußstein gesetzt wird, das wir nur mit Scham und Trauer in unsere Erinnerung hinübernehmen können. Die Diskussion hat gezeigt, daß wir nicht nur in der Beurteilung der Konstruktion, sondern auch in der Beurteilung der Lage weit auseinandergehen. Ich kann mich hier kurz fassen und kann nur noch einmal sagen: Herr Ollenhauer, Ihre Lagebeurteilung nehmen wir Ihnen nicht ab. War Genf so trostreich? Sind die bewaffneten Vorstöße - der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen - gegen Formosa so ermutigend? Sind die Abrüstungsverhandlungen ein Erfolg? Was hat Herr Molotow gestern in Berlin eigentlich Beruhigendes zur deutschen Situation und was hat er zur Beruhigung der Welt zu sagen vermocht? Hat Herr Spaak in Straßburg die Lage nicht diametral anders und ebenso richtig beurteilt, wie sie Herr Ollenhauer hier falsch beurteilt hat? ({4}) Ist, meine Damen und Herren, die potentielle Aggression gebannt, weil seit Korea Moskau in Europa vorsichtiger geworden ist? ({5}) Ich habe heute in einer Zeitung eine Notiz gefunden, wonach sich der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit seinen Kritikern auseinandergesetzt und folgenden Satz ausgesprochen hat: „Wir sind nie begeisterte Militaristen gewesen, aber wir sind bereit, uns zu verteidigen, wenn Not uns dazu zwingt." ({6}) ({7}) - Ja, die Not. Es scheint mir, Herr Ollenhauer ist mit seiner Fraktion der Meinung, daß jetzt nicht die Stunde der Not sei, sondern daß man die vielleicht abwarten müsse und daß man dann erwägen könne, auf die Linie zu treten, die Herr Freitag hier angedeutet hat. Wir unterscheiden uns in der Lagebeurteilung von Herrn Ollenhauer. Wir sind im Sinne dieses Satzes des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes der Meinung, daß uns die Not heute dazu zwingt, das nicht zu ignorieren, was in London neun Mächte zu gestalten versucht haben und von dem wir nur hoffen und wünschen können, daß etwas Konkretes und von diesem Haus zu Ratifizierendes daraus wird. Lassen Sie mich noch ein Zweites dazu sagen. Ich glaube, daß man, ohne die Leistung von London zu schmälern, freimütig wird sagen können, daß noch besser als die Verlautbarung von London und die Londoner Schlußakte die Regierungserklärung gewesen ist, die der Herr Bundeskanzler diesem Hohen Hause kürzlich hier vorgetragen hat. Warum? Deshalb, weil sich in dieser Regierungserklärung ebenfalls gezeigt hat, daß die Kraft ungebrochen weiter am Werke ist, die unsere deutsche Politik in den letzten Jahren gestaltet hat. Wenn irgend jemand angenommen hat, daß wir am 30. August 1954 zerbrechen oder daß wir mit unserer Konzeption zerbrechen würden, dann hat er sich getäuscht. Man sollte uns auch nicht unterstellen, daß wir zu jeder Biegung und Wandlung bereit seien. Wir sind zu allem bereit, was notwendig ist in dieser Welt der harten Tatsachen, zu allem, was notwendig ist für die Lebenssicherung des deutschen Volkes. Aber wir sind nicht bereit zu einem Verzicht, der einen Bruch mit dem Charakter unseres politischen Verhaltens nach dem zweiten Weltkrieg überhaupt bedeuten würde. Das heißt, wir sind nicht bereit - auch trotz allem, was uns Herr Erler hier eben vorgerechnet hat -, dem Ziel abzusagen, zu dem wir uns bekannt haben und das wir wiederum an die Spitze der Entschließung gestellt haben, die wir diesem Hohen Hause zur Abstimmung vorlegen werden. ({8}) Es kann ja gar keine Rede davon sein, daß nunmehr die Politik der europäischen Integration gescheitert ist. Meine Damen und Herren, ich mache nicht den mindesten Hehl daraus, daß ich die Londoner Schlußakte kritisch betrachte. Warum? Weil sie - das sage ich offen und frei - für gewisse Leute, die im 19. Jahrhundert haften geblieben sind, die Möglichkeit bieten könnte, zurückzukehren zu den alten, verstaubten und sehr blutbefleckten Mitteln und Methoden des 19. Jahrhunderts. Sehr verehrter Herr Dr. Dehler, hier handelt es sich nicht um Mystik, nein, hier handelt es sich einfach - darum, daß wir bereit und entschlossen sind, aus den Erfahrungen von zwei Weltkriegen Konsequenzen zu ziehen, die wir nicht fahrenlassen, die wir nicht aufgeben, weil uns ein 30. August 1954 in den Weg kam. ({9}) Das tun wir nicht. Wir haben auch gar keinen Anlaß dazu, diese Sache zu bagatellisieren. Der 30. August 1954 hat uns gezwungen, Umwege zu machen. Wir sind auch gezwungen, uns in Geduld zu fassen. Wir sind gezwungen, nunmehr diese und jene Aushilfe zu benützen. Aber wir sind bei aller Bereitschaft, in dieser Geduld Schritt um Schritt einen mühsamen Weg weiterzugehen, nicht bereit, die allgemeine Richtung, das große Ziel zu wechseln, zu ändern oder fallenzulassen! ({10}) Deshalb ist nicht nur für die Deutschen, sondern, wie ich meine, auch für unsere Vertragspartner von London und in der Zukunft von Wichtigkeit, was in der Regierungserklärung zu diesem Punkte gesagt worden ist. Ich glaube, für meine Freunde zu sprechen - ich denke, auch für die Koalition; unsere Entschließung bringt das zum Ausdruck -, wenn ich sage, daß wir diesem Punkt in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers große Bedeutung zumessen. Wir glauben, daß es eine Pflicht und eine Aufgabe nicht n u r der deutschen Politik, aber vor allem der deutschen Politik ist, mit unseren französischen Freunden, mit allen anderen Bereitwilligen zusammen dafür zu sorgen, daß bei der Durchgestaltung der Londoner Schlußakte in die konkreten Vertragsinstrumente denkbar viel und alles getan wird, was möglich ist, um der supranationalen Entwicklung zum Sieg zu verhelfen. Meine Damen und Herren, die Londoner Schlußakte hätte, so wie die Dinge stehen, der deutschen Sozialdemokratie eine Chance geboten, ihr unglückliches Verhältnis zum Integrationsgedanken zu revidieren. ({11}) Es hätte nicht so zu geschehen brauchen, daß sie dabei das Gesicht verloren hätte. Wir muten das niemandem zu, auch nicht unserer Opposition. Aber es hätte eines Schrittes mehr bedurft als den, den Herr Kollege Ollenhauer heute vollzogen hat. Er hat begrüßt, und ich respektiere das, daß der Verband gelockert, der supranationale Charakter auf ein Minimum, vielleicht sogar auf einen rein intergouvernementalen Charakter - entschuldigen Sie das schreckliche Wort, es ist eines dieser Fachworte geworden - reduziert worden ist. Durch diese Reduktion des supranationalen Charakters des EVG-Vertrags auf den intergouvernementalen Charakter der Londoner Schlußakte wäre doch der deutschen Sozialdemokratie eine Chance geboten gewesen, ohne Gesichtsverlust darauf einzugehen. Ich habe verstanden, daß Herr Ollenhauer es zwar begrüßt, daß. London sein Verhältnis zu den Kontinentalmächten, die an der Integration beteiligt waren, revidiert hat, daß es sich zu engerer Bindung entschlossen hat. Aber ich habe nicht gesehen, daß sich die deutsche sozialdemokratische Opposition bereit erklärt hätte, auf diesem Wege mit neuem Ansatz in eine Richtung mitzugehen, die nach meiner festen Überzeugung in ihrer eigenen Tradition mit angelegt sein müßte. Die Überwindung nationaler Grenzen, die Zusammenarbeit freier Völker, - ich kann mir nicht denken, daß das nicht mit ein Ideengut der klassischen deutschen Arbeiterbewegung gewesen wäre. Herr Marx, Herr Engels hin und her, - lassen wir sie fahren; aber, meine Damen und Herren, Sie können mir nicht sagen, dieser Gedanke sei eine Sache, der Sie nicht ebenso verpflichtet sein und dem gegenüber Sie nicht ebenso offen sein müßten wie wir. ({12}) Statt dessen haben wir heute noch einmal das betrüblichste Argument gehört, das wir uns überhaupt denken können, nämlich, daß man sich aus der Furcht vor einer zweiten Spaltung Europas an der alten Integrationsidee nicht habe beteiligen können ({13}) und daß man sich aus Sicherheitsgründen oder aus Gründen der Wiedervereinigung auch jetzt nicht bereitfinden könne, daran mitzuwirken. Es ist einfach eine politische Kultlegende, wenn man das Wort von der zweiten Teilung Europas vorbringt. Warum, meine Herren von der Sozialdemokratie, sind es denn gerade die Sozialisten des Westens, die mit fliegenden Fahnen als Fahnenträger der europäischen Integration neben uns gestanden sind? Und Sie haben gefehlt! Warum? Herr Erler, Sie haben uns nun hier die kleinen Mittelchen und Mängel vorgerechnet, Sie halten ausgerechnet der Regierung, die ihre ganze Kraft dareingesetzt hat, die europäische Vereinigung dadurch zu erreichen, ja zu erzwingen, daß sie die Bastionen der nationalen Souveränität, nämlich die Nationalarmeen, aus der Welt schafft, halten dieser Regierung vor, daß sie am Schwanz der Europäer marschiere. Das ist ja geradezu grotesk. Sollen wir Ihnen etwa abnehmen, daß es besser gewesen wäre, europäische Briefmarken oder europäische Jugendpässe zu schaffen? Auch dafür sind wir. Wir sind für die europäischen Briefmarken, wir sind für die Jugendpässe, wir sind für alles, was Sie uns auf dieser Linie vernünftigerweise überhaupt vorschlagen und vorschlagen können. Aber wir wollen diese Verniedlichung nicht. Wir lassen uns dadurch nicht von der Erkenntnis abbringen, daß der Kampf um die Bastion geführt werden muß, und diese Bastion heißt: die Wehrverfassungen dieser Staaten. ({14}) Wie konnte Herr Erler uns das vorhalten! Ich muß schon sagen, das war wirklich unter dem Niveau eines Kollegen, der vier Jahre im Europarat neben uns saß. Es mag sein, daß in der Bürokratie der Bundesregierung, in unseren Ministerien die eine oder andere Vorlage ungebührlich lange unterwegs war. Gewiß, wir wünschen mit Ihnen, daß es schneller geht. Warum nicht? Insofern begrüße ich den Appell, insofern nehme ich das Monitum von Herrn Erler hier an, und insofern sollte es auch die Bundesregierung hier aufnehmen. Aber wir sollten uns doch dadurch keinen Augenblick davon abhalten lassen, auf den Kern der Sache zu sehen. Man kann mit lauter solchen kleinen Ausflüchten bequem um den Kern der Sache herumgehen. Aber dann ist nichts geschafft, selbst wenn wir die europäische Briefmarke haben. ({15}) Hier ist gesagt worden, daß die Furcht vor der sogenannten Nord-Süd-Teilung Europas, daß diese politische Kultlegende die Sozialdemokratie gehindert habe, mit anzutreten. Meine Damen und Herren, wir haben nie ein Hehl daraus gemacht, daß das Europa der Sechs auch für uns ein Notbehelf war. Wir haben niemals ein Hehl daraus gemacht, daß es nicht nach unserem Wunsch und Willen war, den EVG-Vertrag mit 6 statt mit 14 europäischen Nationen zu schließen. Wir haben auch niemals ein Hehl daraus gemacht, daß wir es für ein großes Unglück gehalten haben, daß die Statutenreform im Europarat gescheitert ist. Wir haben niemals ein Hehl daraus gemacht, daß es nicht unseren Wünschen entsprach, daß die kontinentale Integration ohne England vor sich gehen sollte, nachdem wir im August 1950 unter dem bestimmenden Eindruck gestanden hatten, daß der Mann, der im Anblick des Kanonendonners im Fernen Osten zum Hauptsprecher der Europaarmee in Straßburg geworden war, nämlich Winston Churchill, eine echte supranationale Organisation mit parlamentarischer Kontrolle damit gemeint hat. Daraufhin sind wir angetreten, und wir halten es auch heute noch für richtig, daß der Bundeskanzler auf diesem Wege weiterging, auch als die 14 sich auf 6 reduzierten. Wir waren der Meinung und sind es heute noch, daß die Bildung eines Integrationskernes nicht nur vertretbar, sondern einfach eine Notwendigkeit geworden ist. Ich halte es für möglich, daß die Londoner Schlußakte sich in den Verhandlungen der nächsten Wochen bei einer richtigen Wahrnehmung der Chancen, die in der Londoner Schlußakte liegen, als Anstoß für den stockenden Straßburger Wagen auswirkt. Wir haben gar keine Absicht, die unbefriedigende Situation in Straßburg irgendwie zu beschönigen. Ich glaube, man kann sagen, daß London den stockenden Straßburger Wagen in Fahrt bringen kann. Uns soll es recht sein, nichts lieber als das! Aber wir sprechen hier auch mit aller Bestimmtheit aus, daß sich die Londoner Akte nicht zu einer Paralysierung der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Integration auswachsen darf. Der Londoner Beschluß könnte unter Umständen das eine oder das andere sein. Deshalb ist es, glaube ich, entscheidend, daß diese Grundsätze und dieses Material in dem Sinn, in dem Geist und in der Richtung geformt und gestaltet werden, wie es in der Regierungserklärung hier vor dieses Hohe Haus gestellt worden ist. London muß ein Ausgang zur Einigung Europas im Sinne supranationaler Gestaltung sein und werden. ({16}) Wir werden prüfen, und zwar sehr genau auch in diesem Hause prüfen, was die Londoner Schlußakte dafür leistet und was daraus in dieser Richtung zu machen ist. Ich werde nun wahrscheinlich morgen oder übermorgen hören, daß man uns dafür Sturheit oder Wirklichkeitsfremdheit anhängen will. Ich habe in diesen Monaten beobachtet, daß eine Reihe von Leuten, die sich in den letzten Jahren scheintot gestellt haben, als wir darum kämpften, daß Europa und das Nationalbewußtsein der europäischen Völker einen anderen Charakter gewinnen als im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, jetzt ihre Zeit für gekommen halten, um aus den Löchern zu kriechen. Meine Herren von der Opposition, das ist nun doch ganz gewiß nicht zu Ihrer Freude; darin sind wir uns doch hoffentlich miteinander einig. So ist doch die Sache nicht gemeint, daß etwa durch den 30. August 1954 alle reaktionären Nationalisten von ehedem ihre Zeit und ihre Tage noch einmal am Horizont der europäischen Geschichte heraufdämmern sehen. Wenn man aber das nicht will, meine Damen und Herren, dann ist es nicht genug, daß wir uns hier solche Redeschlachten liefern. Dann ist es auch nicht erlaubt, so, wie es der Herr Kollege Erler getan hat, den Versuch zu machen, uns ein Bein zu stellen, wie er es vorhin mit dem Bericht des Kollegen Bohy im Allgemeinen Ausschuß des Europarats tat. Es liegt mir nicht an der Polemik; aber es liegt mir alles daran, unseren entschiedenen Willen dafür zu bekunden, daß die größte politische Idee dieses Jahrhunderts nicht an Klippen solcher Art scheitern darf. Ich glaube damit schon ausgesprochen zu haben, daß heute nicht die Stunde der Resignation ist, daß heute auch nicht die Stunde der eiligen Flucht ({17}) in den verstaubten und blutbefleckten Zauber der Militärallianzen, diplomatischen Abreden und politischen Koalitionen geschlagen hat. Auf Grund der Debatten dieses Tages muß ich aber doch fragen: Wo steht nun dabei eigentlich die SPD? - Meine Damen und Herren von der SPD, Sie müssen sich entscheiden! Es ist unerläßlich! Sie kommen uns mit dem Vorschlag der globalen Sicherheitskonzeption. Das liegt weit hinaus. Im übrigen, meine Damen und Herren, bin ich der Meinung, daß das Konzept des Kollegen Ollenhauer und das, was hier vorgetragen ist, sich gar nicht unbedingt auszuschließen brauchen. Es war nie ein Zweifel darüber, daß die vertragschließenden Mächte etwa der Londoner Schlußakte sich seit Jahr und Tag darum bemühen, die Konstruktion der Vereinten Nationen festzuhalten und den Weltsicherheitsrat zum Funktionieren zu bringen, also eine globale Weltsicherheitsorganisation nach wie vor und trotz der betrüblichen Erfahrungen der letzten zehn Jahre festzuhalten entschlossen sind. So, wie die Dinge liegen, meine Herren von der Opposition, hat es aber keinen Zweck, uns oder dem deutschen Volke zuzumuten, daß wir den dritten Schritt vor dem ersten und vor dem zweiten tun sollen. ({18}) Das ist vollkommen unmöglich, und ein solches Verfahren sollte man uns nicht mehr zumuten. Wo steht also hier in dieser Sache und bei diesem Thema nun die SPD? Ich muß gestehen, daß mich weder die Rede des Kollegen Ollenhauer noch die Rede des Kollegen Erler darüber zu belehren vermochten. ({19}) Ich habe mir überlegt, ob man unterstellen soll, daß es eben. die konservativen Züge sind, die sich in einer Partei, die im Begriff ist, sich von Karl Marx abzusetzen, nun darin zu Wort melden. ({20}) Wir begrüßen solche konservativen Entwicklungen. Aber, meine Damen und Herren, wir würden es auch begrüßen, wenn sich neben diesen konservativen Zügen nun gewisse Züge der Aufgeschlossenheit und der Offenheit gegenüber einer großen, nach neuen Ideen zu gestaltenden Zukunft bemerkbar machen würden. Davon haben wir wenig bemerkt, wenig oder nichts. Denn mit europäischen Briefmarken ist es nicht getan! ({21}) - Ach, meine Herren, schreien Sie doch nicht! ({22}) Sie wissen doch selber, wie schwer Sie es damit haben. Ich will Ihnen etwas sagen. Neulich ist an diesem Pult ein Redner gestanden, der Uhland zitiert hat. Wenn ich daran denke, dann fällt auch mir wieder mein Landsmann Uhland ein und ein Gedicht, das einigen von Ihnen wohlbekannt ist. Herr Kollege Erler kennt es aus seinem schwäbischen Aufenthalt: Untröstlich ist's noch allerwärts; doch sah ich manches Auge flammen, und klopfen hört` ich manches Herz. So geht es mir mit einer gewissen Rührung, wenn ich die europäische Gesinnung in der deutschen Sozialdemokratie sehe. ({23}) Man sieht die Augen allerdings mehr flammen und hört die Herzen mehr klopfen außerhalb Ihrer Fraktion in Ihrer Partei; aber man kann sie flammen sehen und kann sie klopfen hören, und das ist für uns immerhin ein kleiner Trost und eine bescheidene Hoffnung. Vielleicht gelingt es auch noch, diese Augen und diese Herzen in Ihrer Fraktion zum Flammen und zum Klopfen zu bringen, und zwar in dieser Sache. ({24}) Hat die SPD mit ihrem Widerstand gegen die supranationale Konstruktion der Wiederbewaffnung wirklich einen ausreichenden Beitrag für diese Lebensfrage der Nation geliefert? Meine Damen und Herren, Sie müssen sich die Frage gefallen lassen! Haben Sie wirklich einen ausreichenden Beitrag geliefert zu dem, was auch nach Ihrer Auffassung von größter Wichtigkeit ist für Deutschland, von größter Wichtigkeit ist für Europa und von größter Wichtigkeit ist für den Frieden der Welt, nämlich einen ausreichenden Beitrag geliefert zur Läuterung und Festigung des gewandelten deutschen Nationalbewußtseins und des gewandelten deutschen Nationalgefühls? Wo bleibt die Befestigung dieser Wandlung? Niemand kann mir vorreden und niemand soll uns unterstellen, wir sagten das nur zur Beruhigung des Auslandes. Niemand soll uns vorwerfen, wir stellten nur aus Propagandagründen oder aus Gründen der Zweckmäßigkeit fest, daß sich in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht schon im Dritten Reich und unter Qualen des Krieges etwas vollzogen habe, was man eine Wandlung des deutschen Nationalbewußtseins und des deutschen Nationalgefühls nennen kann. Ich persönlich bin der Meinung, daß es eine tiefe, fruchtbare und segensreiche Wandlung ist. Aber sie muß doch befestigt werden, sie muß doch eine konkrete, feste Gestaltung bekommen. Bei allem Respekt davor, daß sogar meine juristischen Freunde und Kollegen, auch einige in meiner eigenen Fraktion, die institutionellen Formen nicht zu überschätzen geneigt sind und über den Wert institutioneller Formen zurückhaltender denken als ich, der ich nicht Jurist bin, muß ich sagen, meine Damen und Herren: es ist gut, wenn man einen Inhalt, vor allem einen ätherischen Inhalt, einigermaßen verpacken und fassen kann. Infolgedessen meine ich, daß die Wandlung des deutschen Nationalbewußtseins einer entsprechenden Fassung, auch einer entsprechenden institutionellen Fassung, bedarf. Was haben Sie ({25}) dafür geleistet, meine Damen und Herren? Ich sage nicht, daß Sie nicht daran teilgenommen hätten. Ich sage sogar, daß die Wandlung des deutschen Nationalgefühls ohne die Mitwirkung der freiheitlichen deutschen Arbeiterbewegung, ohne die Mitwirkung der deutschen Sozialdemokratie gar nicht möglich gewesen wäre. Aber nun gilt es doch, sie zu bewahren und in die Zukunft zu bringen. Es ist doch nicht damit getan, Gesinnungen zu proklamieren. Und welchen Zweck hat es denn, meine Damen und Herren - ich frage noch einmal; ich habe es hier schon einmal gesagt -, über Nationalarmee, Militarismus usw. zu klagen und nach parlamentarischen Kontrollen zu rufen und sich anzustrengen, wie es z. B. der Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit in diesem Hause wirklich mit Fleiß und anerkennenswertester Mühe tut, was hat es für einen Zweck, nach solchen Kontrollen usw. zu rufen, sich zu ({26}) sichern, darüber nachzudenken und danach zu trachten, daß um Gottes willen kein Unglück mehr geschehen könnte, was nützt das alles, wenn man nicht den richtigen Grundansatz findet und sich nicht zum richtigen Grundansatz entschließen will? Meine Damen und Herren, es ist zu wenig, was Sie in dieser Hinsicht getan haben. Ich weiß, daß immer wieder all diesen Thesen der Satz vom Primat der Wiedervereinigung entgegengestellt wird. Ich folge dem Herrn Bundeskanzler vollständig aus freier Überzeugung und sage, daß nach meiner Überzeugung die Politik, die deutsche Politik zur Wiedervereinigung, wie sie bisher von der Bundesregierung vertreten und durchgeführt worden ist, seit dem 30. August 1954 ebensowenig ungültig geworden ist wie ihre Integrationspolitik. Ich erlaube mir deshalb, in diesem Zusammenhang zum Antrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei - Drucksache 863 - folgendes zu sagen. Wir sind völlig einig mit den Ziffern 1 und 2 dieses Antrags, und wir könnten uns möglicherweise auch über die Ziffern 3 und 4 verständigen; aber wir können das so lange nicht tun, als wir uns z. B. über die Beurteilung der Lage nicht mehr abgestimmt und nicht besser geeinigt haben, als uns das heute auf Grund der Rede von Herrn Ollenhauer zu tun möglich ist. ({27}) Die Ziffer 3 erfordert eine gewisse Übereinstimmung in der Beurteilung der Lage. Die Lagebeurteilung, die uns Herr Ollenhauer heute vorgetragen hat, kann uns im Blick auf die Wirklichkeit der Welt nicht befriedigen. Infolgedessen ist es uns heute nicht möglich, dieser Ziffer 3 frank und frei zuzustimmen. Ich werde mir daher nachher erlauben, zu beantragen, diesen Ihren Antrag an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Dort werden wir Gelegenheit haben, uns über diese Ziffer 3 im Zusammenhang mit einer genaueren Lagebeurteilung noch einmal zu unterhalten. ({28}) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Mein sonst verehrter Freund und Genosse in Straßburg, Carlo Schmid, hat ein sehr unangenehmes Wort zu Herrn von Merkatz gesagt, das ich hier nicht einfach stehenlassen möchte. Erlauben Sie mir, diese Einzelheit dazwischenzuschieben. Er hat vom Causieren an Kaminen in einem Europa, das ein Kartenhaus ist, gesprochen. Meine Damen und Herren, das geht beim allerbesten Willen nicht. Ich fasse zusammen und sage: Wir begrüßen auch im Lichte der Diskussion von heute aufrichtig das Ende des Besatzungsstatuts in der Londoner Schlußakte. Wo bleibt ({29}) Ihre Anerkennung dafür? Wir sagen ja zu der Regierungserklärung, d. h. zu der Bewährung und Bestätigung unserer seitherigen außenpolitischen Grundsätze und Richtlinien in der Materie der Londoner Schlußakte, und wir wiederholen unsere Absage und unsere Warnung in bezug auf den Rückschritt. Bedenken Sie, meine Damen und Herren: Stillstand ist schon der erste Schritt nach hinten, und den tun wir nicht. Es ist deshalb ganz selbstverständlich, wenn wir wiederholen, daß uns die kurzgefaßte alte Formel unserer Politik auch heute eine absolut verpflichtende Richtlinie ist, nämlich das vereinigte Deutschland im geeinten Europa. Meine Damen und Herren, es bleibt mir noch, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP, des Gesamtdeutschen Blocks/BHE und der Deutschen Partei betreffend die Regierungserklärung vom 5. Oktober 1954, Drucksache 864, formell einzubringen und Ihnen die Annahme dieser Entschließung zu empfehlen. Ich wiederhole, daß wir beantragen, den Antrag Drucksache 863 dem Ausschuß für Auswärtige Angelegenheiten zu überweisen. ({30})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehlers.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000438, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gedenke Sie in dieser vorgerückten Stunde nicht lange aufzuhalten. Mir liegt nicht daran, noch einmal in eine Einzelbetrachtung dessen einzutreten, was heute gesagt worden ist. Ich widerstehe auch wie einige Redner vor mir und insbesondere der Herr Bundeskanzler der Versuchung, eine vergleichende Geschichtsbetrachtung aus den Bundestagsprotokollen der letzten Jahre anzustellen ({0}) und nachzulesen, was etwa über die Notwendigkeit und die wünschenswerte Zulassung zur NATO oder über den Pazifismus oder über das Junktim zwischen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der Herstellung der deutschen Souveränität gesagt ist. Aber es ist doch weit über das hinaus, was die Apokryphen in der Bibel bedeuten, gut und nützlich, solche Dinge wieder einmal nachzulesen, weil sie ein interessantes Bild politischer Entwicklung und politischer Argumentationen je nach der augenblicklichen Lage und den Bedürfnissen des Tages geben. Ich habe mir aber während dieser Debatte zwei Dinge überlegt. Wie wird das, was hier gesagt ist, auf zwei Gruppen von Menschen unseres Volkes wirken, an denen uns aufs äußerste liegt, einmal auf die deutsche Jugend, an die nun, wenn diese Verträge realisiert werden, irgendwann die Forderung, eine Uniform anzuziehen, herantreten wird? Und wie wird das, was hier heute gesprochen ist, wirken auf die Deutschen in Berlin und jenseits der Zonengrenzen drüben im Osten? Ich meine, daß wir verpflichtet sind, hier nicht nur theoretisch zu diskutieren, nicht nur Paragraphen zu sehen, sondern daß wir allerdings verpflichtet sind, die lebendigen Menschen ins Auge zu fassen und ihre Reaktionen, ihre Nöte und Schwierigkeiten uns vor Augen zu stellen. ({1}) Unter diesem Gesichtspunkt habe ich das, was Herr Kollege Ollenhauer gesagt hat und was auch dann und wann in der Diskussion von seiten der Opposition ausgesprochen worden ist, doch nicht ohne Sorge gehört, weil bei denen, die nun vielleicht nicht alle Hintergründe zu erkennen vermögen, doch der Eindruck lebendig werden könnte: Die Zeit der Bedrohung ist vorüber, es ist keine ernsthafte Gefahr mehr; Rußland wird nicht angreifen und keinen Krieg mehr wollen; Militär ist nicht mehr nötig, man muß eine internationale Abrüstung durchführen. „Das Opfer der deutschen Jugend" - das haben Sie gesagt, Herr Kollege Ollenhauer - „ist nicht mehr zumutbar, wenn der Effekt für die Sicherheit gleich Null wäre." ({2}) ({3}) Natürlich, wenn er gleich Null wäre, würden Sie recht haben. Aber ich glaube, daß genau das Gegenteil richtig ist und daß das Gesamtbild dessen, was wir vor uns haben, deutlich macht, daß weder die Bedrohung weggefallen ist noch daß wir aus der Gefahrenzone heraus sind noch daß die Wirkung für die Sicherheit Deutschlands und Europas 'gleich Null wäre. ({4}) Herr Kollege Ollenhauer hat in der ersten Grundsatzdebatte über diese Fragen - und sie ist ja immerhin nun schon drei Jahre alt - etwas gesagt, was wir uns wahrscheinlich damals alle zu eigen gemacht haben und von dem ich hoffe, daß wir es uns heute auch noch zu eigen machen, nämlich den Satz: Die Frage eines deutschen Verteidigungsbeitrages ist keine moralische, sondern eine politische Frage, und sie muß und kann allein unter politischen Gesichtspunkten entschieden werden. Die Anhänger einer pazifistischen Idee müssen sich darüber klar sein, daß sie die Freiheit, nach ihren pazifistischen Grundsätzen zu leben, nur so lange haben werden, wie es gelingt, die Freiheit der Demokratie zu erhalten. Die Alternative sind die Konzentrationslager der totalitären Systeme. ({5}) Meine Damen und Herren, mir liegt nicht daran, Herrn Kollegen Ollenhauer an Dingen festzuhalten, die er vielleicht heute nicht mehr will. Mir liegt gar nichts an der Polemik überhaupt. ({6}) - Also, Herr Kollege Ollenhauer, Sie tun mir den größten Gefallen, der möglich ist, weil mir in diesem Augenblick nach dieser manchmal widerspruchsvollen Debatte daran liegt, wenigstens gewisse Momente herauszustellen, in denen wir uns, auch wenn wir uns über die Wege nicht einig sind, im Grundsatz einig sind. Ich glaube, das ist eine gute und notwendige Aufgabe. Aber nachdem nun auch der Beschluß der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes vorliegt, daß man nicht bereit sei, wieder Waffendienst zu leisten, scheint mir die Versuchung, zu glauben, es sei nicht mehr nötig, so zu verfahren, wie die Mehrheit dieses Hauses es gebilligt hat, wie die Bundesregierung es getan hat, groß zu sein. Ich möchte dem ausdrücklich widersprechen, weil ich nicht glaube, daß die Vorstellung, man könne zu einer Abrüstung und zu einer Beseitigung militärischer Macht in der Welt dadurch kommen, daß die einen vorangehen und die anderen es nicht tun, eine richtige Vorstellung ist. ({7}) Wir haben als Deutsche zweimal binnen 30 Jahren erlebt, daß wir abgerüstet waren, und haben zweimal erlebt, daß dadurch die Sicherheit und der Frieden in der Welt nicht gefördert, sondern ernsthaft bedroht worden sind. ({8}) - Meine Damen und Herren, ich verstehe Ihr Stimmengemurmel nicht. Es scheint mir das historisch nachweisbar zu sein. ({9}) - Eine Frage? Bitte, entschuldigen Sie!

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ehlers, sind Sie der Meinung, daß die Abrüstung der Weimarer Republik oder die Aufrüstung Hitlers den Weltfrieden gefährdet hat? ({0})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000438, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Arndt, ich bin der von Ihnen vielleicht nicht geteilten Ansicht, daß die Abrüstung der Weimarer Republik und die Parallelerscheinungen in der Welt dazu geführt haben, daß ein Friedenszustand in der Welt nicht eingetreten ist, und daß diese Situation der 14 Jahre von 1919 bis 1933 Wesentliches zur Herbeiführung der weltpolitischen Krisensituation beigetragen hat, die wir erlebt haben. ({0}) Aber sei es, wie es sei, meine Damen und Herren, es geht hier um die Frage, ob es richtig ist, bei Menschen, die vor der Notwendigkeit eines militärischen Dienstes stehen können, den Eindruck zu erwecken, als ob heute eine Sicherung unserer Freiheit, der Aufbau einer staatlichen Macht nicht mehr nötig sei. ({1}) Ich muß deutlich aussprechen, daß das nicht meine Überzeugung ist, und ich glaube, daß es alle nüchtern Denkenden in gleicher Weise ebenso sehen. Das ist kein erfreulicher Zustand, bei Gott nicht; aber es ist ein Zustand, der auf der Situation der Welt beruht, und diese Ansicht nimmt das ernst, was in Ost und West, was insbesondere aber im Osten vorliegt. Darüber ist heute bereits einiges gesagt worden. Wir sind weiterhin der Meinung, daß es nicht geraten ist, mit dem Prinzip des Pazifismus zu versuchen, die Weltprobleme zu lösen. ({2}) Wir wehren uns weiterhin dagegen, daß man in einer falschen Gleichsetzung den Pazifismus und den Willen zum Frieden identifiziert. ({3}) Ich billige jedem und jenen insbesondere, die bei Ihnen in dieser Arbeit stehen - ich kenne die Herren ja sehr genau -, die ehrliche Überzeugung zu, daß sie durch ihr Verhalten und ihre pazifistischen Programme dem Frieden der Welt dienen wollen. Wir müssen aber erwarten, daß man nicht anderen, die in Erkenntnis einer bestimmten politischen und machtmäßigen Situation den Frieden und das Gleichgewicht der Welt auf andere Weise sichern wollen, unterstellt, daß sie damit nicht den Frieden, daß sie vielleicht sogar den Krieg wollten. Das ist nicht möglich. ({4}) Und das zweite, was mich eigentlich noch mehr bewegt: Der Herr Kollege Ollenhauer hat gesagt, es gehe darum und es sei möglich gewesen, nach dem Scheitern der EVG-Pläne einen neuen Start der deutschen Außenpolitik und insbesondere der Politik in Richtung auf die Wiedervereinigung ({5}) Deutschlands zu machen. Ich habe mit gespannter Aufmerksamkeit darauf geachtet, was uns denn nun heute als konkreter Inhalt eines solchen Handelns vorgetragen und geraten worden wäre, und ich muß zu meinem Bedauern sagen, daß das heute über die eindrucksvolle Bekundung des Willens zur Einheit wiederum nicht hinausgekommen ist und daß wir leider wiederum nicht gehört haben, wie die Vertreter der Bundesregierung in London, wie die Bundespolitik überhaupt und wir eine neue Chance für die Förderung der deutschen Einheit hätten schaffen können. ({6}) Die Forderungen von Herrn Kollegen Erler: Niemals sowjetisches Satellitensystem für Deutschland, niemals Abfinden mit der Spaltung, niemals Krieg, sind so selbstverständliche Grundprinzipien unserer Politik, daß wir sie alle mit dem gleichen Nachdruck aussprechen können. ({7}) Aber ich muß dasselbe sagen, was der Herr Kollege Gerstenmaier soeben gesagt hat: Wir hätten gerne gewußt, wie man diese Grundprinzipien anders verwirklicht, als wir es uns nun seit einigen Jahren durch die Außenpolitik der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages zu tun bemühen. ({8}) Eines muß ich nun doch sagen. Herr Kollege Erler hat in einer Weise, die mich betrübt hat, weil sie eigentlich vielleicht etwas an den Dingen vorbeiging, gemeint, gegenüber der Zitierung des Wortes von den 50 Millionen durch den Herrn Bundeskanzler die bessere Verantwortung seiner politischen Freunde und seiner selbst für die 70 Millionen herausstellen zu müssen. Es gibt einige Beweise und Belege dafür, daß wir mit diesen Zahlen schon öfter im Bundestage gearbeitet haben und daß es nicht immer die Opposition gewesen ist, die das Wort von den 70 Millionen gebraucht hat. Mir ist in demselben Augenblick dasselbe eingefallen. Ich möchte hier aber doch einmal eines aussprechen, weil mir in der ganzen Diskussion der letzten Zeit die Gefahr zu bestehen scheint, daß wir die gegenwärtige Aufgabe der Bundesrepublik und die ihr aufgetragene Verantwortung bis zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands nicht ernst genug nehmen: ({9}) Wir haben keine Veranlassung, diesen Staat und seine Funktion zu bagatellisieren. Wir haben seine Verantwortung für die 50 Millionen Deutschen ernst zu nehmen, weil wir wissen, daß es für 70 Millionen Deutsche niemals eine Freiheit gibt, wenn sie nicht für die 50 Millionen sichergestellt wird. ({10}) Ein Weiteres. Mit einer gewissen Kritik ist von Herrn Kollegen Neumann in der „BZ" von heute und dann in Übereinstimmung mit ihm von Herrn Kollegen Erler gesagt worden, für Berlin sei j a gar nichts Neues erreicht worden; Berlin sei in der gleichen Situation wie vorher. Meine Damen und Herren, mir scheint es nach diesem gefährlichen Vakuum ein außerordentlich großer Erfolg zu sein, daß Berlin in der gleichen Situation wie vorher ist ({11}) und daß die Alliierten wiederum eindeutig die Versicherung abgegeben haben, daß sie einen Angriff auf Berlin als einen Angriff auf sich selbst betrachten werden. Wie die Dinge heute liegen, war bestimmt nicht mehr für Berlin zu erreichen. Dann sollten wir das aber auch nicht zum Gegenstand einer Polemik zwischen Opposition und Regierung werden lassen. ({12}) - Herr Kollege Brandt, den Wahlkampf in Berlin werden wir schon mit anderen Argumenten zu führen haben, darauf können Sie sich verlassen. ({13}) Ich glaube, die Deutschen im Osten sind über ihre Lage, über den Ernst und die Bedrohlichkeit ihrer Lage vielleicht besser im Bilde, als wir es manchmal sind, die in der Versuchung stehen, uns und ganz Deutschland schon wieder als viel zu gesichert anzusehen. ({14}) Sie wissen wahrscheinlich auch besser Bescheid über die heute höchst bescheidenen Möglichkeiten des praktischen Tuns auf politischem Gebiet, um den Gedanken der Einheit Deutschlands weiterzubringen, und sie wissen drittens über die äußere, militärmäßige und machtmäßige, politische und über die weltanschauliche Bedrohung, in der sie und wir mit ihnen stehen, besser Bescheid als wir, die wir aus der Distanz solche Dinge oft genug nur debattieren. Meine Damen und Herren, sie wissen aber auch eines: daß, wenn es eine politische Chance für sie gibt, sie in der Politik der Bundesregierung und der Bundesrepublik und ihren Erfolgen und in keinem anderen Moment liegt. Sie wissen- das ist nun doch sehr konkret zu sagen-, daß es keine Chance gäbe und daß das Wollen der deutschen Wiedervereinigung, das wir uns nun endlich einmal mindestens im Grundsatz gegenseitig zugestehen sollten, auf schwachen Füßen stände, wenn es auf dem isolierten politischen Willen und Können der Bundesrepublik Deutschland beruhen müßte. ({15}) Daß wir, wie die Dinge heute liegen, vom Osten keine Unterstützung darin haben werden, wissen wir. Wenn wir aber Unterstützung brauchen, dann werden und können wir sie nur vom Westen haben. Ich glaube, die Deutschen in der Zone haben alles Verständnis dafür, daß es gelungen ist, von 1945 über 1949 bis heute eine grundsätzliche Wandlung in der Anschauung und Politik des Westens herbeizuführen und das an politischen, verpflichtenden Zusagen zu erreichen, was in London wieder ausgesprochen worden ist und was ja doch nicht das Ergebnis einer zufälligen Konstellation, sondern das Ergebnis eines zielbewußten Handelns der Bundesrepublik und der Bundesregierung seit Jahren ist. ({16}) Wir wehren uns - das ist heute erfreulicherweise nicht in diesem Hause geschehen, aber es geschieht außerhalb dieses Hauses - gegen die Verharmlosung des Ostens. Besuchsreisen in Mos({17}) kau pflegen eine sehr oberflächliche Information zu ermöglichen und führen dazu - ({18}) - Ich meinte nun niemand in diesem Hause, Herr Kollege Heiland, auch wenn Sie sich freuen. ({19}) - Allein der Name könnte mich ja schon veranlassen, Sie gern zu haben. ({20}) Ich sagte, Besuchsreisen in Moskau sind ein sehr unzureichendes Mittel. Wenn man darüber so berichtet, daß man plötzlich bei manchen leichtgläubigen Leuten den Eindruck zu erwecken wünscht, als ob der russische Bär keine Krallen mehr hätte, sondern sich zu einem friedlichen Zirkusbären entwickelt hätte, ist es kein guter Dienst, den man dem deutschen Volk und den Christen in Deutschland leistet. Das möchte ich einmal deutlich ausgesprochen haben. ({21}) Das heißt übrigens nicht, daß wir in eine Katastrophenstimmung hineinfallen wollten. Niemand wird uns vorwerfen dürfen, daß wir mit der Erzeugung von Katastrophenstimmungen glaubten, Stimmung für die Politik der Bundesregierung machen zu müssen. Es ist leider so, daß die Sachverhalte völlig ausreichen, Befürchtungen zu begründen, die uns ganz bestimmte Wege unserer Politik vorschreiben. ({22}) Das bedeutet nicht - um das immer noch einmal zu sagen -, daß wir jemals meinten, man käme mit den Sowjets zu einer vertraglichen Vereinbarung unter dem Zeichen einer Bedrohung ihrer Sicherheit. Wenn es denn - und es wird ja auch heute wieder davon gesprochen - eine russische Furcht vor einem Angriff gibt - es scheint mir im Augenblick im Blick auf Rußland und die Satellitenstaaten nicht so übermäßig substantiiert zu sein -, wird niemand mehr als wir, die wir wissen, was Sicherheit und Frieden sind, allen Anlaß nehmen, in den kommenden Zeiten dafür zu sorgen, daß durch wirkliche Systeme kollektiver Sicherheit diese Befürchtung ausgeräumt wird. ({23}) Wir werden ein Weiteres zu tun haben. Wir werden uns darüber klar sein müssen, daß es in Verhandlungen zwischen dem Westen und dem Osten - Herr Kollege Erler hat ja freundlicherweise darauf hingewiesen, daß wir eigentlich gar nicht verhandeln können, sondern daß die eigentlichen Partner Washington und Moskau sind darauf ankommen wird, daß sich das für die eine wie für die andere Seite lohnt, auch für den Osten. Ich bin sehr erstaunt gewesen, daß der Sozialdemokratische Pressedienst, als ich diesen banalen Satz vor einigen Tagen aussprach, geschrieben hat, das sei so vernünftig und decke sich so mit der Überzeugung der Sozialdemokratie, ja es sei mit der Regierungspolitik so wenig vereinbar, daß man eigentlich mit einem Dementi, einer Klarstellung oder etwas Ähnlichem rechnen müsse. Meine Damen und Herren, ich erkläre hier ausdrücklich, daß weder dementiert noch klargestellt wird. Es ist vielmehr meine ehrliche Überzeugung - und ich darf annehmen, die aller vernünftigen Menschen in der Bundesrepublik; auch der Herr Bundeskanzler hat das vorhin ja mit aller Deutlichkeit ausgesprochen -, daß wir nicht damit rechnen können, daß die Russen sich plötzlich in einen Weihnachtsmann verwandeln und uns die deutsche Einheit zum Geschenk machen, sondern daß sie es tun werden, wenn es sich für sie lohnt, 'auf ihre Macht in der sowjetisch besetzten Zone zu verzichten. ({24}) Jeder Vernünftige unter uns weiß, daß dieser Preis nicht allein von uns, vielleicht überhaupt nicht von uns gezahlt werden kann, sondern daß er nur auf weltweiter Basis ausgehandelt werden kann. ({25}) Wenn das aber richtig ist, dann heißt das doch, daß es nichts Vernünftigeres gibt als das, was die Bundesregierung getan hat, nämlich diese Verhandlungsposition zu schaffen, die Voraussetzungen dafür aufzubauen, damit - wenn Sie so wollen - die Waffen gleich und gleich sind, nämlich am Verhandlungstisch, und nicht die eine Seite der anderen etwas diktieren kann. Ich glaube, das ist das richtige System eines Gleichgewichts in Europa und in der Welt. Aber dann erscheint es mir, verehrter Herr Kollege Schmid, auch nicht möglich, zu sagen, man könne das nur erreichen und die zukünftige Wiedervereinigung Deutschlands sei nur gesichert, wenn wir Bündnisse weder nach der einen noch nach der anderen Seite hätten. Ich glaube mich zu erinnern, daß wohlkonstruierte und gegeneinander. abgesicherte Bündnisse immer noch die vernünftigste Möglichkeit der Sicherung des Friedens und der Herstellung eines europäischen Gleichgewichts gewesen sind. Und wir werden das im Ergebnis wohl auch zu tun haben. Wir sollten uns nicht überschätzen. ({26}) Was mir am Herzen liegt, ist, noch einmal zu sagen: lassen wir doch endlich den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vorwurf, daß der eine weniger oder mehr die deutsche Wiedervereinigung wolle als der andere. Wir sind uns über die Wege nicht einig. Die Auswahl an aufgezeigten Wegen ist bis heute wirklich nicht groß. ({27}) Wir haben aber gesehen, daß wir auf dem Wege, den wir gegangen sind, bisher mindestens das eine erreicht haben, daß wir den uns zugänglichen Teil der Welt dazu veranlaßt haben, mit uns in dieser Frage an einem Strang zu ziehen. ({28}) Das ist sicher noch nicht das Ergebnis; aber es ist eine Voraussetzung für das Ergebnis. Darum sollte uns eines hier und im Lande klar sein, daß wir diese Politik weiter betreiben müssen, daß wir auf der anderen Seite das, was in unseren Kräften steht, tun müssen, um den Deutschen im Osten zu helfen, über diese bittere Zeit des Wartens hinwegzukommen. Es gibt dazu viele ungenutzte Möglichkeiten. Vielleicht könnte es sogar eine Hilfe sein, wenn die dazu vorhandenen und eingesetzten Mittel aus dem Inland und aus dem Ausland noch sinnvoller und konzentrierter eingesetzt würden und wenn nicht manchmal diese Frage mit einer Art Trapper- und Indianerspiel verbunden würde. Das nutzt nicht der Zone, das ({29}) nutzt nicht den deutschen Menschen und nutzt nicht der deutschen Wiedervereinigung. Wir haben - nun muß ich, entschuldigen Sie, wieder davon sprechen, nicht, weil ich Oberkirchenrat bin, sondern weil ich mit einigen Kollegen der verschiedenen Fraktionen dort war - auf dem Leipziger Kirchentag erlebt, daß die inneren Kräfte unserer Brüder im Osten stärker sind, als sie nach dieser Belastung eigentlich noch sein könnten. Es geht also nicht nur darum, äußere, finanzielle, wirtschaftliche und technische Voraussetzungen zu schaffen, sondern darum, diese inneren Kräfte zu stärken. Das ist eine Forderung, in der es keine parteipolitische Scheidung, in der es nur eine Zusammenarbeit aller gibt. Es ist gerade ein Jahr her, daß man in Berlin in einer Feier der Übergabe der Freiheitsglocke gedacht hat, die die Amerikaner der Stadt Berlin geschenkt haben. Mir bleibt im Herzen - und das ist nun keine gefühlvolle Erinnerung -, daß Berliner Jungen in dieser Feierstunde zum Abschluß sangen: Wo sich Männer finden, die für Ehr und Recht mutig sich verbinden, weilt ein frei` Geschlecht. ({30})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens und im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion stelle ich den Antrag, daß über den Entschließungsentwurf Drucksache 863 namentlich abgestimmt wird. ({0}) Nur mit einigen wenigen Worten will ich in dieser vorgerückten Stunde den Antrag auf Drucksache 863 und die Notwendigkeit der namentlichen Abstimmung noch einmal begründen. Der Herr Kollege Gerstenmaier hat mit an die Spitze seiner Ausführungen den Wunsch gestellt, daß wir uns um ein Maximum an nationaler Solidarität bemühen sollten. Nun, die Probe darauf ist leicht zu machen: unbeschadet unserer Meinungsverschiedenheiten über die Londoner Schlußakte sollten wir uns doch wirklich alle auf diesen sozialdemokratischen Antrag - Drucksache 863 - einigen können. Da zeigt sich dann, wieweit wir uns darum bemühen. Denn in diesem Antrag ist gesagt, daß die Regierung ersucht wird, „in Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten die Grundlagen einer gemeinsamen Politik zu klären, die in kommenden' Vier-Mächte-Verhandlungen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeiführen soll." Ich habe in den vorausgegangenen Diskussionsreden nichts gehört, was einer solchen nüchternen und vernünftigen Forderung entgegenstehen könnte. Daher - so wird zweitens in unserem Entschließungsentwurf gesagt - soll zu den in der Londoner Akte vorgesehenen speziellen Verhandlungskommissionen die Bildung einer weiteren Kommission betrieben werden, „deren Aufgabe es sein soll, für das in Nr. 4 der Erklärungen der drei Westmächte in Abschnitt V der Akte aufgestellte Ziel gemeinsame Richtlinien festzustellen und eine einheitliche Politik zu ermöglichen". Es sind hier heute sehr große Worte gemacht worden; es sind von verschiedenen Diskussionsrednern ganze Philosophien der Politik entwickelt worden. Aber, Herr Ehlers, den Vorwurf, daß wir über die Wiedervereinigung nichts Konkretes gehört hätten, den gebe ich an Sie, Ihre Freunde und Ihre Koalition zurück. ({1}) Hier ist doch unser Anliegen: daß man sich einmal zusammensetzen soll, um die Politik der Wiedervereinigung zu konkretisieren, und daß dazu auch die Bildung einer Kommission erforderlich ist. Drittens heißt es in unserm Antrag: „bei den westlichen Besatzungsmächten darauf hinzuwirken, daß mit der sowjetischen Besatzungsmacht sobald wie möglich Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und die Eingliederung Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen aufgenommen werden". Hierzu hat der Kollege Gerstenmaier gesagt, das sei deshalb nicht möglich, weil die Lagebeurteilung seitens der Mehrheit und der Minderheit dieses Hauses verschieden sei. Aber was hindert denn das die Regierung, die westlichen Besatzungsmächte auf die Notwendigkeit dieser Vier-Mächte-Verhandlungen hinzuweisen? Doch in gar keiner Weise. Hier muß ich ein Zweites hervorheben, eine Frage, die von der Mehrheit und auch von der Bundesregierung nicht beantwortet worden ist. Mein Freund Erich Ollenhauer, mein Freund Carlo Schmid und mein Freund Fritz Erler haben sehr deutlich die Frage gestellt: Wann ist denn nun nach Auffassung der Regierung und nach Auffassung der Koalition die Stunde für Vier-Mächte-Verhandlungen reif? - Diese Frage ist unbeantwortet geblieben. (

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Beantworten Sie sie mal! - Weitere Zurufe von der Mitte.) - Also, bitte, Herr Bundeskanzler, wir alle sind Ihnen dankbar, wenn Sie uns sagen, wann die Stunde reif ist. (

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Sie sollen es doch sagen!) - Wir sagen, daß sich die Verhandlungen jetzt sobald wie möglich anschließen sollen, (

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Was heißt „sobald wie möglich"?) wobei sich der Westen selbstverständlich vorher untereinander verständigen muß, mit welchem Programm einer deutschen Wiedervereinigung er in die Verhandlungen geht, wobei unser sehr konkreter Vorschlag der der Bündnisfreiheit ist, wie Carlo Schmid und Fritz Erler und Ollenhauer ausgeführt haben. Kein Mensch bei uns - Herr Bundeskanzler, da darf ich jetzt noch einmal auf Ihre Frage antworten - stellt sich vor, daß ein in sich zerrissenes und geschwächtes und miteinander verfeindet liegengebliebenes Europa, um Ihr Wort zu zitieren, das von den Vereinigten Staaten verlassen wird, nun darauf hofft, daß die Sowjetunion kommt und uns die Zone in Frieden und Freiheit auf den Händen entgegenbringt und sagt: Da habt Ihr euch wieder und seid glücklich! - Nun, Herr Kollege Dehler hat von dem Niveau des Fünfzehnjährigen gesprochen; ich glaube, es gibt nicht einmal Fünfjährige, die sich vorstellen, daß etwas Derartiges geschehen könnte. Das ist doch immer diese verfehlte Methode, so zu tun, als gäbe es entweder nur ({0}) EVG oder die Katastrophe, als gäbe es entweder nur den Weg der Londoner Akte mit der einseitigen Einbeziehung Westdeutschlands in ein westliches Militärbündnis oder aber ein in sich zerrissenes, geschwächtes und miteinander verfeindetes Europa, als ob nicht die europäischen Mächte mit Amerika zusammen sich hinsetzen könnten, um das zentralste Problem der Weltsicherheit, das es gegenwärtig gibt, nämlich das der Einigung Deutschlands im Rahmen der Vereinten Nationen, miteinander zu besprechen, die Sowjetunion beim Worte zu nehmen und zu sagen: Jawohl, wir sind bereit zu verhandeln, und das hier sind unsere konkreten Vorschläge, so stellen wir uns die Dinge vor. ({1}) Aber man sollte nicht in einem Zustand, wie Sie ihn geschildert haben, dahingehen! Unser Vorwurf gegen das, was in London geschehen ist, ist ja der, daß bei allem guten Willen, den man dort gehabt hat und den wir dankbarst anerkennen, die Konferenz in. London mit der falschen Tagesordnung stattgefunden hat, ({2}) nämlich mit der falschen Tagesordnung, daß man eine Notlösung behandelt hat, statt das zentrale Problem anzugehen: wie kann man durch VierMächte-Vereinbarungen Deutschland wieder vereinigen? Dann darf ich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Gerstenmaier noch etwas sagen. Herr Kollege Gerstenmaier hat immer wieder bedauert, wir hätten am Londoner Ergebnis nicht gerühmt, daß es den Schlußstrich unter die „Besetzung Deutschlands" ziehe. Herr Kollege Gerstenmaier, hier ist Ihnen ein Irrtum unterlaufen! Selbst wenn ich unterstellte, daß die Londoner Akte uns vom Besatzungsstatut frei mache, dann muß immer noch gesagt werden, daß sie erst nur das besetzte westliche Deutschland frei macht. ({3}) - Ja, „sicher" sagen Sie; und das ist eben für uns noch nicht der Grund zum Jubeln, solange wir nicht die zentrale Frage gelöst haben. ({4}) Aber auch das wissen wir nicht einmal - der Herr Bundeskanzler, der sich inzwischen zu Worte gemeldet hat, schuldet uns noch immer die Antwort auf das, was Fritz Erler ihn gefragt hat -, was unter den rechtlichen Hinderungsgründen zu verstehen ist, die ein Einschreiten der Hohen Kommissare ermöglichen können. Solange das nicht geklärt ist, besteht die Notstandsklausel und sind wir das Besatzungsstatut noch nicht losgeworden. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Zu einer Frage Herr Abgeordneter Gerstenmaier!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Arndt, sind Sie nicht der Meinung, daß - so bedauerlich es ist, daß die Londoner Schlußakte nicht die Aufhebung der Besetzung von ganz Deutschland in Aussicht stellt - es doch voll und uneingeschränkt nicht nur vom deutschen Volk in der Bundesrepublik, sondern vom ganzen deutschen Volk zu begrüßen ist, daß das Besatzungssystem im Bereich der Bundesrepublik Deutschland ein Ende haben soll? ({0})

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerstenmaier, ich habe Ihnen ja gesagt, daß wir das dann begrüßen werden, wenn uns befriedigend aufgeklärt ist, was der Vorbehalt bedeutet, daß dann, wenn die Bundesregierung rechtlich daran gehindert ist, die Hohen Kommissare einschreiten können. Denn das scheint uns nichts anderes als eine getarnte Notstandsklausel zu sein. Das ist noch der Hinderungsgrund für uns. Daß wir uns sonst selbstverständlich freuen, wenn wenigstens für den Westen das Besatzungsstatut fällt, versteht sich doch von selbst. Meine Damen und Herren, es wird ja hier viel zuviel aneinander vorbeigeredet, ({0}) und es wird alles mögliche angegriffen oder unterstellt, ({1}) was überhaupt nicht gesagt worden ist. Der Herr Kollege Ehlers hat z. B. in zwei entscheidenden Punkten geglaubt, einen Angriff führen zu können. Er hat erstens erklärt, daß nach der sozialdemokratischen Auffassung eine Sicherheit nicht mehr notwendig sei, daß wir so täten, als ob wir überhaupt in den gesichertsten Zuständen der Welt lebten. Diese Kurzfassung der Rede meines Parteifreundes Ollenhauer überschreitet nun wirklich jedes angängige und zulässige Maß. ({2}) Von einem Prinzip des Pazifismus ist darin überhaupt mit keinem Worte die Rede gewesen. Sie haben gesagt, es sei sehr ratsam, die Protokolle der Verhandlungen des Bundestages in den bisherigen fünf Jahren nachzulesen. Hätten Sie das mal getan, Herr Kollege Ehlers! ({3}) Dann hätten Sie nämlich gelesen, daß im 1. und im 2. Bundestag der Pazifismus niemals zu einem Prinzip der Sozialdemokratischen Partei und der sozialdemokratischen Opposition erklärt worden ist. ({4}) - Warum tun Sie dann so, als ob das von dem Kollegen Ollenhauer gesagt worden sei! Es ist nichts Derartiges auch nur angedeutet, daß wir aus der Periode der Unsicherheit heraus seien. Sie verkennen immer eins: Sie wollen immer die Frage der militärischen Sicherheit und die Frage der politischen Maßnahmen zur Wiedervereinigung trennen. Aber beides sind doch nur zwei Seiten ein und desselben Problems. Nach sozialdemokratischer Auffassung ist die Einheit auch der Weg zur Sicherheit, und zwar der Sicherheit, wie sie besser überhaupt nicht gedacht werden kann. Erst wenn das wirklich nicht erreichbar sein sollte, wofür ja bisher international gar keine ernsthaften Bemühungen gemacht worden sind - aus den Gründen, die mein Parteifreund Erler ausgeführt hat -, ({5}) kommen wir zur Notlösung, zu dem, was man an militärisch Einseitigem tun könnte. ({6}) Zweitens bedaure ich sehr, Herr Kollege Ehlers, daß Sie gesagt haben, zur Frage der Wiedervereinigung hätten Sie in den Ausführungen nichts gehört. Ich habe nicht die Absicht, das zu wiederholen, was hier von meinen Parteifreunden Ollenhauer, Schmid und Erler gesagt worden ist. Es sind zur Frage der Wiedervereinigung sehr konkrete und präzise Dinge gesagt worden. Ich glaube nicht, daß wir die gegenwärtige Aufgabe der sogenannten Bundesrepublik hier im Westen verkennen. Dazu ein letztes Wort. Es ist nicht die Aufgabe der westlichen Organisation, Selbstzweck zu sein und sich so weitgehend wie möglich zu festigen. Es ist ihre Aufgabe - das ist auch im Vorspruch und in Art. 146 des Grundgesetzes gesagt -, so schnell wie möglich in einem „einen, freien und dadurch gesicherten Deutschland" aufzugehen. Das ist der Weg, der der sogenannten Bundesrepublik vorgezeichnet ist. Zu diesem Wege haben wir Ihnen die Entschließung vorgelegt, die ganz bestimmte Vorschläge auf organisatorischem Gebiet macht. Darüber erbitten wir die namentliche Abstimmung. (Beifall bei der SPD.-Abg. Dr. von Brentano: Ich möchte eine Frage stellen!

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Dr. von Brentano zu einer Frage!

Dr. Heinrich Brentano (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte an den Herrn Kollegen Dr. Arndt folgende Frage richten. Ich wäre ihm dankbar, wenn er hier vor dem Hohen Haus einmal interpretierte, was er mit dem Begriff „sogenannte Bundesrepublik" meint. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Arndt zur Beantwortung der Frage!

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr von Brentano, das will ich Ihnen gern interpretieren. Nach meiner Überzeugung und so, wie ich das Grundgesetz verstehe und die Verhandlungen des Parlamentarischen Rats nachgelesen habe, gibt es als Bundesrepublik einzig und allein die „Bundesrepublik Deutschland", ({0}) die identisch ist mit dem im Jahre 1867 gegründeten deutschen Staate, der bis heute fortbesteht. Das ist der Staat in den Grenzen des Jahres 1937. Mit dieser Auffassung, bei der ich mich freue, daß sie bisher stets vom gesamten Rechtsausschuß geteilt worden ist, ist es nicht vereinbar, die westliche Teil organisation, für die sich leider der Sprachgebrauch allgemein eingebürgert hat, als „die Bundesrepublik" zu bezeichnen und in Gegensatz zu stellen zur Saar, zu Berlin, zur sowjetischen Zone. ({1}) Um mich davon abzugrenzen, spreche ich von der „sogenannten Bundesrepublik", weil das ja „die Bundesrepublik" gar nicht ist.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter von Brentano!

Dr. Heinrich Brentano (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000263, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf Herrn Abgeordneten Dr. Arndt fragen, ob er damit sich selbst von der Gültigkeit des Grundgesetzes entbindet. ({0})

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Frage habe ich nicht verstanden; aber sie ist wahrscheinlich zu hoch. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich will die Fragen des Herrn Abgeordneten Arndt beantworten. Er hat zunächst gesagt, seine Fraktion müsse wissen, was die Worte in der Londoner Akte heißen: ausgenommen auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung und in Fällen, in denen die Bundesregierung aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Maßnahmen zu treffen oder die Verpflichtungen zu übernehmen, die in den vereinbarten Abmachungen vorgesehen sind. Ich gebe ohne weiteres zu, daß das etwas kompliziert ausgedrückt ist. Aber wenn man das Ganze hätte hineinschreiben wollen, wäre es noch viel länger geworden. Beachten Sie bitte folgendes. Das Besatzungsregime wird aufgehoben. An den Texten, die dazu nötig sind, arbeitet eine Kommission, die morgen hier in Bonn zusammentritt. Die Sache soll am 20. oder 21. Oktober in Paris erledigt werden. Es werden Anlagen dazu geschaffen werden müssen, z. B. der Truppenvertrag. Jetzt sind die Truppen ja hier als Besatzungstruppen auf Grund von Besatzungsrecht. Demnächst werden sie als NATO-Truppen hier sein. Darüber muß dann ein besonderer Vertrag geschlossen werden. Nun wollte man auf mein Verlangen sofort etwas tun, um uns entgegenzukommen. Deswegen hat man diese Form gewählt und hat gesagt: In der Zwischenzeit - also bis alles fertig ist, ratifiziert ist usw. weisen die Drei Regierungen ihre Hohen Kommissare an, unverzüglich im Geiste dieser Politik zu handeln. Insbesondere werden die Hohen Kommissare keinen Gebrauch von den Befugnissen machen, die aufgegeben werden sollen, es sei denn im Einvernehmen mit der Bundesregierung, ausgenommen auf den Gebieten der Abrüstung und Entmilitarisierung - das ist dasselbe und in den Fällen, in denen die Bundesregierung aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Maßnahmen zu treffen oder die Verpflichtungen zu übernehmen, die in den vereinbarten Abmachungen - unter Besatzungsregime - vorgesehen sind. Wenn das nicht dastünde und wenn die Hohen Kommissare angewiesen würden, von ihrem Besatzungsregime ab heute keinen Gebrauch mehr zu machen, dann würden die Truppen usw. einfach in der Luft hängen. Es muß also ein rechtlicher Übergangszustand geschaffen werden. Das ist der Sinn dieser Sätze. Ich darf zur Stellungsnahme zu den Anträgen der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei übergehen. Die Bundesregierung soll ersucht werden, ({0}) in Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten die Grundlagen einer gemeinsamen Politik zu klären, die in kommenden Vier-Mächte-Verhandlungen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeiführen soll. Meine Damen und Herren, die Grundlagen sind, so wie zur Zeit die Dinge liegen, völlig geklärt. Das heißt, es werden von den Drei Mächten in Übereinstimmung mit uns verlangt freie Wahlen im gesamten Deutschland, Zusammentritt eines Parlaments für das gesamte Deutschland, das aus diesen freien Wahlen hervorgeht, Bildung einer gesamtdeutschen Regierung durch dieses Parlament. Und nun müssen wir abwarten, meine Damen und Herren, was jetzt Sowjetrußland auf die letzte Note antwortet. Wenn diese Antwort kommt, werden wir uns zusammensetzen, werden sie studieren und werden dann sehen, welche Entschlüsse zu fassen sind. Sich zusammenzusetzen, ehe die Antwort da ist, hat natürlich keinen Zweck. In Ziffer 2 beantragen Sie, die Bundesregierung zu ersuchen, zu den in der Londoner Akte vorgesehenen speziellen Verhandlungskommissionen die Bildung einer weiteren Kommission zu betreiben. Die Verhandlungskommissionen, die in der Londoner Akte vorgesehen sind, werden aller Voraussicht nach kein langes Leben haben. Sie sind auch unter ganz anderen Gesichtspunkten gewählt. Und endlich ist die Frage der Wiedervereinigung für uns so wichtig, daß ich diese Materie nicht etwa an eine Kommission von Experten abgeben möchte. ({1}) Das ist eine so hohe politische Frage, daß sie nur auf der höchsten Ebene erörtert und entschieden werden kann. ({2}) Dann wird unter Ziffer 3 beantragt, die Bundesregierung zu ersuchen, bei den westlichen Besatzungsmächten darauf hinzuwirken, daß mit der sowjetischen Besatzungsmacht so bald wie möglich Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und die Eingliederung Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen aufgenommen werden. Ich unterscheide hier. Die erste Hälfte - daß mit der sowjetischen Besatzungsmacht so bald wie möglich Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit aufgenommen werden ist unser ständig wiederholtes Anliegen, und ich versichere Ihnen, meine Herren: über diese Frage habe ich nicht nur im Plenum in London, sondern auch mit einzelnen maßgebenden Ministern, dem amerikanischen, dem englischen usw., mehrfach gesprochen. Was den zweiten Teil, die Eingliederung Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen, angeht, so ist es da nun zunächst nötig, daß Deutschland in die Vereinten Nationen aufgenommen wird. ({3}) Sobald die Verträge von allen Ländern ratifiziert sind, sobald wir in die NATO aufgenommen sind, werden wir selbstverständlich die Aufnahme der Bundesrepublik in die Vereinten Nationen mit aller Energie betreiben, und wenn wir darin sind, dann kann man dieser Frage dort nähertreten. In Ziffer 4 wird beantragt, die Bundesregierung zu ersuchen, in den Abkommen, die in Ausführung der Schlußakte der Londoner Konferenz vorgesehen sind, nur solche Verpflichtungen und Bindungen der Bundesrepublik einzugehen, die ihrer Grundaufgabe gerecht werden, ihre vordringlichste politische Verpflichtung zu erfüllen: die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit mit friedlichen Mitteln herbeizuführen. Selbstverständlich, meine Damen und Herren! Das ist doch ganz klar. Ich würde doch nicht dafür eintreten, daß darin etwas aufgenommen wird, was die Wiedervereinigung unmöglich macht. Wir sind darin, das hat einer der Herren Vorredner eben gesagt, über das Ziel genau derselben Ansicht; nur sind Sie ({4}) der Auffassung, es geht schneller, wenn wir nicht diese aus der Londoner Akte hervorgehenden Einzelverträge ratifizieren, wogegen die Bundesregierung und die Mehrheit des Hauses der Auffassung sind, daß es damit schneller geht. Also mit dieser Ziffer 4, nehmen Sie es mir nicht übel, kann man eigentlich nichts Rechtes anfangen. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.

Erich Ollenhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001646, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Befürchten Sie nicht, daß ich eine große Schlußrede halte. ({0}) Ich möchte anderen Beispielen hier nicht folgen. Meine Bemerkungen, die ich zunächst im Zusammenhang mit den Ausführungen unseres Herrn Kollegen Dr. Ehlers zu machen habe, sind mehr pädagogischer als politischer Art. ({1}) Mein Freund Arndt hat schon darauf hingewiesen, daß der Herr Kollege Dr. Ehlers hier den Versuch gemacht hat, eine Art von Kurzfassung einiger meiner wichtigsten Argumente in die Debatte zu bringen, und da ich vermute, daß sie unter Umständen der Einfachheit halber auch außerhalb des Hauses eine Rolle spielen könnten, möchte ich von vornherein der großzügigen Auslegung meiner Bemerkungen durch den Herrn Kollegen Dr. Ehlers in einigen Punkten entgegentreten. Ich glaube, das gehört zu dem, was Herr Dr. Ehlers gewünscht hat, nämlich daß man sich bemüht, die Ansichten der in den Auffassungen abweichenden Gruppe nicht nur zu verstehen, sondern sie auch richtig wiederzugeben, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt. ({2}) Es sind drei Punkte, Herr Kollege Ehlers. Sie haben gesagt, ich hätte die Dinge so dargestellt, als gebe es nicht mehr die Gefahr eines Krieges, als sei die Kriegsgefahr beseitigt. ({3}) Ich will Ihnen, damit Sie diesmal vielleicht etwas mehr von dem wirklichen Sinn meiner Bemerkun({4}) gen behalten, die drei Sätze zu diesem Punkt vorlesen: Was die heutige internationale Lage betrifft, so kann nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, daß sie sich wesentlich von der unterscheidet, die bei Beginn des Korea-Konflikts bestand. Die Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen den beiden Hauptlagern in der Welt ist heute wesentlich geringer. Lieber Herr Ehlers, das ist etwas völlig anderes, als Sie mir unterstellt haben. ({5}) Die zweite Bemerkung. Sie haben gesagt, wir hätten die Theorie vertreten, daß es jetzt in der Welt zu einer völligen Entspannung gekommen sei. Auch das stimmt nicht, Herr Kollege Ehlers. Wörtlich habe ich gesagt: Selbst bei vorsichtigster Bewertung aller dieser Entwicklungen - in der internationalen Ebene ist der Schluß unbestreitbar, daß die Tendenzen zur Entspannung heute bei weitem die Gefahren eines gewaltsamen Zusammenstoßes zwischen den beiden großen Mächtegruppen überwiegen. Lieber Herr Kollege Ehlers, ich weiß genau, was ich hier sage und in welcher Form ich es sage, und ich überlege mir aus meiner Verantwortung auch jedem Mitglied Ihrer Koalition gegenüber, was ich sagen kann. Aber ich darf dann wohl erwarten, daß nicht prominente Mitglieder der Koalition auch in diesem zweiten Fall eine Bemerkung in dieser Weise entstellen. ({6}) Ich habe nichts anderes als folgendes hinzugefügt: Die erste Schlußfolgerung, die das deutsche Volk aus einer solchen Feststellung ziehen sollte, wäre ein eindeutiges, positives Bekenntnis zu dieser Politik der Entspannung. Was ich erwartet hätte, wäre, daß in diesem Punkt in dieser Debatte erkennbar geworden wäre, daß es jedenfalls bei der Beurteilung dieser Frage keine Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihnen und uns gibt. ({7}) Das Dritte hat mich am meisten, ich möchte sagen, schmerzlich berührt. Sie haben nämlich gesagt, ich hätte die These vertreten, es bestehe gar keine Notwendigkeit für Sicherheit mehr und man könne doch jungen Menschen in Deutschland nicht ein nutzloses Opfer zumuten. Was habe ich wirklich gesagt!? Ich habe wörtlich ausgeführt: Wir werden auch im Laufe der weiteren Beratungen die Bundesregierung um konkrete Aufklärung darüber bitten, ob tatsächlich bei der Aufstellung von deutschen Divisionen ein höheres Maß von Sicherheit für die Bundesrepublik erreicht wird. Denn es wäre unverantwortlich, dem deutschen Volke und vor allem der deutschen Jugend das schwere persönliche und materielle Opfer einer Aufrüstung zuzumuten, wenn der Effekt für die Erhöhung der deutschen Sicherheit gleich Null wäre. ({8}) Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß Sie sich vor Ihrem Beschluß, auch die Londoner Akte in Kraft zu setzen, vergewissern, in welcher Weise die Bundesregierung diese ernste Lebensfrage des deutschen Volkes Ihnen konkret beantwortet hat. ({9}) Ich glaube, wir haben hier von unserer Seite einen Versuch in dieser Richtung gemacht. Die Lage, in der wir uns befinden, ist ernst genug, daß wir bei aller Schärfe der Differenzen und auch bei der Größe der Meinungsverschiedenheiten auf keinen Fall den Versuch machen sollten, in dieser Weise gegnerische Auffassungen nicht nur primitiv zusammenzufassen, sondern selbst in ihrem Sinne zu verkehren. Es ist gesagt worden - ich habe auch die Rede des Herrn Kollegen Gerstenmaier gehört -: Was ist nun eigentlich mit der Sozialdemokratie los? Das Schlimme ist, meine Damen und Herren, aber das ist nicht unser Fehler, sondern Ihr Fehler: immer dann, wenn die Sozialdemokratie ihre eigenen konkreten Vorstellungen entwickelt, sind Sie auf dem linken Ohr taub. ({10}) Das ist eine schmerzliche Angelegenheit. ({11}) - Auf dem rechten? Vielleicht auf beiden, Herr Kollege von Brentano, noch schlimmer! ({12}) Das ist eine schlechte Sache. Ich will hier nicht in die Geschichte unserer Debatten einsteigen. Ich könnte auch Protokolle zitieren, ohne polemische Absicht, sondern nur in der Form der Aneinanderreihung von sehr konkreten Vorstellungen der Sozialdemokratie, die die Koalition und die Regierung nicht ein einziges Mal in den drei Jahren der Mühe für wert gefunden haben, sie ernsthaft zu diskutieren. ({13}) Heute jedenfalls, um die Sache ganz klarzustellen, darf ich Sie noch einmal auf den Passus hinweisen, der der bestimmende für unsere Entscheidung in diesem Zusammenhang ist, nämlich - es sind wenige Sätze, entschuldigen Sie, wenn ich sie noch einmal zitiere - ich habe gesagt: Wir sind überzeugt, daß die Frage neuer internationaler Konferenzen auch über das deutsche Problem und über die europäische Sicherheit unter Beteiligung der Sowjetunion auf der Tagesordnung bleibt und daß wir deshalb die hier gegebene Chance für eine friedliche und freiheitliche Lösung des deutschen Problems nicht durch die in den Londoner Vereinbarungen vorgesehene militärische Aufrüstung der Bundesrepublik im Rahmen des Brüsseler Paktes und der NATO belasten dürfen. Das ist eine sehr konkrete Feststellung über die Schlußfolgerung, die wir aus der Situation ziehen, die Sie nicht zu akzeptieren brauchen, von der Sie aber nicht behaupten können, daß sie nicht einen konkreten Inhalt hat. Weiter habe ich hinzugefügt: Niemand kann den Erfolg einer solchen neuen Verhandlung über das deutsche Problem vor({14}) aussagen. Aber niemand kann es auch verantworten, auf einen solchen Versuch zu verzichten, ehe wir uns für lange Zeit unwiderruflich an eine Politik binden, die auf der Annahme basiert, daß die Spaltung der Welt in zwei Blöcke und damit auch die Spaltung Deutschlands für lange Zeit eine unabänderliche Tatsache sind. Meine Damen und Herren, das ist unsere Position mit Klarheit und Offenheit, und darüber hinaus haben wir heute morgen in den verschiedenen Reden auch noch einmal ausgeführt, wie wir uns den internationalen Status eines wiedervereinigten Deutschlands im Rahmen eines europäischen Sicherheitssystems auf der Grundlage der. Satzung der Vereinten Nationen denken. Sie sind völlig im Recht, zu sagen, daß Sie diesen Weg und diesen Vorschlag ablehnen, aber Sie können uns nicht mit der These entgegentreten, daß Sie nicht wüßten, was die Sozialdemokratie will. ({15}) Und das, was konkret - ({16})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort zu einer Frage hat Herr Abgeordneter Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ollenhauer, ich nehme Ihre Präzisierung dankbar zur Kenntnis. Aber erlauben Sie mir, zu fragen, ob die Bündnisfreiheit Deutschlands, die ich hier erst in der präzisen Formulierung des Herrn Kollegen Arndt wirklich ganz aufgenommen habe - obwohl es in diesem Hause Leute gibt, die meinen, daß ich auf meinem linken bzw. rechten Ohr viel zu gut höre -, ob diese Bündnisfreiheit nach Ihrer Meinung eine Bedingung ist, die man v o r den freien Wahlen akzeptieren kann. Meinen Sie also, daß die Bündnisfreiheit Deutschlands nicht nur vor den freien Wahlen statthaben muß, sondern daß sie auch - für den Fall des Zustandekommens freier Wahlen - nach den freien Wahlen unter allen Umständen zugestanden werden muß und daß insoweit ein gesamtdeutscher Reichstag ungebunden sein soll?

Erich Ollenhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001646, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Gerstenmaier, wir müssen diesen Teil der Unterhaltung von heute vormittag noch einmal anfangen, wenn ich Ihre Frage beantworten soll. Ich habe heute morgen ausgeführt, daß das wiedervereinigte Deutschland Teil eines europäischen kollektiven Sicherheitssystems werden soll. Ich habe hinzugefügt, daß die Leistung, die dieses wiedervereinigte Deutschland in diesem europäischen Sicherheitssystem als Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft übernehmen solle, von den interessierten beteiligten Mächten in Übereinstimmung mit der gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden sollte, und zwar in einer Weise, daß die Mitgliedschaft eines wiedervereinigten Deutschlands in einem solchen kollektiven Sicherheitssystem weder von der einen noch von der anderen Seite als eine Bedrohung angesehen werden kann. Ich habe hinzugefügt - ich glaube, ich zitiere wörtlich -: „Das bedeutet allerdings, daß ein wiedervereinigtes Deutschland nicht Mitglied einer militärischen Allianz der einen oder anderen Seite sein kann". Das ist eine sehr klare und präzise Bestimmung der Position. ({0}) Lassen Sie mich gleich zu Ihrer zweiten Frage etwas sagen. Vielleicht erspart es Ihnen die dritte. Sie haben die Frage gestellt: Soll man ein solches Zugeständnis hinsichtlich dieser Allianzfreiheit einer gesamtdeutschen Regierung v o r der Zusage und vor der Durchführung von freien Wahlen in Gesamtdeutschland machen? Sehen Sie, Herr Gerstenmaier - das ist auch eine Bemerkung zu einigen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers -, da liegt die Krux. Es ist heute mit Recht wiederholt gesagt worden - es tut mir leid, daß ich hier noch einmal auf die Dinge eingehen muß; aber ich glaube, sie sind wichtig genug -: es ist die Auffassung nicht nur der deutschen Sozialdemokraten, sondern auch vieler anderer. in der Welt, daß man in Berlin auf der letzten Vier-Mächte-Konferenz zu keiner wirklichen Verhandlung über das deutsche Problem gekommen ist. ({1}) Denn was war denn die Verhandlungssituation? Wir alle ohne Ausnahme hier, die deutschen Parteien, die deutsche Bundesregierung und die Westmächte waren uns einig, daß eine Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit auf einer anderen Basis als auf der freier Wahlen nicht möglich ist. Es gibt niemand unter uns - ich meine, bei den Sozialdemokraten -, der von diesem Grundsatz abzugehen bereit ist. Aber was hat sich in dieser sehr interessanten Berliner Konferenz als ein echtes internationales Problem herausgestellt, das gelöst werden muß, wenn weitere Vier-Mächte-Verhandlungen über die deutsche Frage vorankommen sollen? Das Problem ist doch einfach das: Natürlich weiß die Sowjetunion vorher mit derselben Sicherheit wie wir, daß, wenn freie. Wahlen in den vier Zonen von Deutschland und damit auch in der Sowjetzone akzeptiert werden, das Resultat dieser Wahlen den Verzicht der Sowjetunion auf ihre Machtposition in der von ihr besetzten Zone bedeutet. Sie können doch nicht bestreiten, daß, wenn das so ist, jede Verhandlung über die deutsche Frage, die von der anderen Seite die Vorleistung der Blankozusage zu freien Wahlen verlangt, sich totläuft, ({2}) außer wenn wir bereit sind - und das ist der Sinn eines der Punkte in unserem. Antrag -, d. h. wenn der Westen und die Bundesrepublik, die Bundesregierung, bereit sind, zu akzeptieren, daß die Frage der freien Wahlen, die wir kompromißlos fordern, und die Frage des Status eines wiedervereinigten Deutschlands in einem internationalen oder europäischen Sicherheitssystem als ein Ganzes mit dem vierten Partner behandelt werden. ({3}) Ich glaube, das ist eine sehr realistische Beurteilung der Situation. Sie hat überhaupt nichts mit Sympathie oder Antipathie für die eine oder andere Seite zu tun. Wenn es um die Frage der Sympathie geht, dann muß ich feststellen, daß wir in bezug auf die Sowjetunion und die Kommunisten außerordentlich schlechte Partner für die andere Seite sind, und wir gedenken es auch zu bleiben. Aber hier geht es um eine ganz reale Machtverteilung. ({4})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort zu einer Frage hat der Abgeordnete Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ollenhauer, es tut mir leid, daß ich Sie noch einmal unterbrechen muß. Aber mir scheint, die Formulierung, die Sie jetzt vorgetragen haben, ist von solcher Bedeutung, daß ich mir die Frage erlauben muß - aber ich möchte ausdrücklich sagen, daß ich Ihnen damit nicht zu nahe treten möchte -: Wenn dieses globale Sicherheitssystem in nichts anderem als in einer Abrede über den künftigen Status Deutschlands zwischen Ost und West besteht, worin unterscheidet sich dann eine solche Bündnisfreiheit Deutschlands, an die sich ein zukünftiger gesamtdeutscher Reichstag binden soll, von der Neutralisierung Deutschlands? ({0}) Ollenhauer ({1}): Herr Kollege Gerstenmaier, ich muß es Ihnen überlassen, ({2}) einen sachlich fundierten Vorschlag der Sozialdemokratie, der in dieser internationalen Situation vom Standpunkt des Interesses des deutschen Volkes aus einer ernsteren Würdigung wert wäre, mit solchen Fragen, die das Problem verschieben, zu belasten. ({3}) Denken Sie doch nicht, meine Damen und Herren, daß wir uns auf die Linie begeben, daß Sie unserer Politik Ihre falschen Schlagwörter aufsetzen. ({4}) Sie bringen uns nicht in die Position, in der Sie uns durch unser praktisches Verhalten vor dem deutschen Volk und vor den freien Völkern in den Verdacht bringen könnten, wir wären heimliche Satelliten der Sowjetunion. ({5}) Da müssen Sie sich andere Partner aussuchen; dazu haben wir unsere eigenen klaren Vorstellungen. Sie können auch in dieser Frage sagen, Sie akzeptieren es nicht. Einverstanden. Aber bitte, verschonen Sie uns mit solchen Schlagworten, die den Kern der Sache nicht treffen. ({6}) - Ich habe nichts mehr hinzuzufügen. Ich überlasse Ihnen die Entscheidung, welche Anwendung Ihrer Worte Sie für richtig halten. ({7}) Aber Sie können sich darauf verlassen, es wird Ihnen dabei nichts geschenkt werden. ({8}) Meine Damen und Herren, um auf die Sache zurückzukommen: Ob wir jetzt eine solche Möglichkeit internationaler Verhandlungen ausnutzen, um zu versuchen, zu einer Lösung der deutschen Frage durch Verhandlungen zu kommen, ist die Kardinalfrage. Die Entscheidung in unserem konkreten Fall heute abend fällt darüber trotz der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über die Unmöglichkeit oder die Überflüssigkeit der Fragen 1 bis 4. Die Entscheidung darüber, ob in der Bundespolitik der nächsten Periode die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands auf dem Wege von Verhandlungen) mit Vorrang behandelt wird, fällt auch mit der Entscheidung über Annahme oder Ablehnung unseres Antrags. ({9})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Herrn Kollegen Ollenhauer als Vorsitzenden der Fraktion der SPD in dem ernsten Bemühen, seine Ausführungen genau und richtig zu verstehen, gefragt, worin sich die von ihm gegebene Definition der Bündnisfreiheit vom Begriff der Neutralisierung unterscheide. Ich beabsichtige nicht, mit dem Herrn Kollegen Ollenhauer über die von ihm gegebene Antwort nunmehr in eine Debatte einzutreten, sondern ich stelle nur fest, daß diese Antwort weder in der Form noch im Inhalt in irgendeiner Weise meiner Frage gerecht geworden ist ({0}) und deshalb eine Schuldvermutung bestehenbleibt. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der AbAbgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Zu den Bemerkungen des Herrn Dr. Gerstenmaier möchte ich eine Feststellung treffen. Während der Berliner Vier-Mächte-Konferenz haben sowohl mein Freund Ollenhauer als auch ich mit den Außenministern der drei Besatzungsmächte diese Vorschläge über eine Möglichkeit der Verhandlung des deutschen Problems - indem man europäische Sicherheit und deutsche Einheit als eine Ganzheit behandelt - genau so wie hier besprochen. Ich möchte feststellen, Herr Dr. Gerstenmaier, daß keiner der Drei, weder Mr. Eden noch Mr. Dulles - und das heißt etwas - noch Herr Bidault, auch nur andeutungsweise seine Zuflucht zu derartigen Qualifikationen genommen hat, wie Sie es heute hier versucht haben. ({0}) Wir haben von den drei westlichen Außenministern die uns sehr interessierende, aber leider nicht befriedigende Antwort bekommen, daß unsere Vorschläge sehr interessant, sehr erwähnenswert seien, sie könnten ihnen aber nicht nähertreten, weil sie darauf festgelegt seien, an der EVG festzuhalten. ({1}) Darum ging es damals. Das ist unser e Sorge gewesen, ({2}) und das ist unsere Frage. So ist auch unser Resolutionsantrag zu verstehen, dem Sie heute ausweichen möchten, indem Sie ihn an einen Ausschuß abschieben wollen. Aber wir meinen, hier sollte darüber entschieden werden; denn Sie können uns doch nicht fortgesetzt vorwerfen, wir sagten nur ({3}) nein, wenn wir in einer Reihe konkreter Punkte Vorschläge haben, es sind die vier Punkte unseres Entwurfs, denen Sie jetzt durch eine Abstimmung ({4}) - Wir möchten, daß Sie sich zu den vier Punkten erklären, genau so wie Sie wollen, daß wir uns zu Ihren drei Punkten erklären. Wir erklären uns zu Ihren drei Punkten; bitte, erklären Sie sich auch zu unseren vier Punkten. Um nichts anderes geht es dabei. Aber machen Sie nicht diesen Versuch, Ihren Antrag anzunehmen, alles übrige aber mit Ihrer Mehrheit in den Ausschuß abzuschieben. Sie können sich ja dafür entscheiden, genau so wie wir uns entscheiden. Uns liegt nichts anderes im Sinn, als hier festgestellt zu wissen, ob es möglich ist, im Rahmen der Londoner Schlußakte, die uns hier zu einer ersten Stellungnahme vorliegt, Fragen der deutschen Einheit ein solches Gewicht zu geben, daß sie fernerhin nicht hinter den militärischen Fragen zurückstehen müssen. Darum geht es uns, das war unsere Frage! ({5}) Wir wissen ganz genau, wie wesentlich dieser Punkt in der Schlußakte sein kann, die da sagt, eine Friedensregelung für ganz Deutschland, die frei zwischen Deutschland und seinen früheren Feinden ausgehandelt werde und den Grundstein für einen dauerhaften Frieden legen solle, sei ein Hauptziel ihrer Politik. Wir möchten wissen, wie diese und die andere Fassung, daß die Verwirklichung eines völlig freien und geeinten Deutschland durch friedliche Mittel ein grundlegendes Ziel ihrer Politik bleiben wird, wie also diese beiden Prinzipienerklärungen in ihrer Gewichtsbemessung in dem Gesamtkomplex dieser Schlußakte vergleichbar sind mit den militärischen und sonstigen Abmachungen. Wir möchten hier von einer Sorge befreit sein. Wir möchten wissen, ob und wie die Bundesregierung diese Prinzipien nun in Bewegung bringen will, von denen wir meinen, daß sie möglich sind, im Gegensatz zur Auffassung des Herrn Bundeskanzlers, der gesagt hat, er wolle diese Fragen nicht Experten überantworten. Ich muß sagen, das war eine sehr geschickte Antwort; aber das war nicht die Antwort, die man vom Herrn Bundeskanzler in diesem Fall erwarten sollte. Wieso sind zu allen Fragen, von denen doch der Herr Bundeskanzler auch weiß, daß man sie nicht „nur" Experten überweisen möchte, solche Kommissionen möglich, nicht aber zu der Frage der Verwirklichung dieser beiden Prinzipien? Sie sagen, es sei noch nicht an der Zeit - das hat aber nicht der Herr Bundeskanzler gesagt, sondern das hat der Herr Gerstenmaier erklärt -, und deswegen wollen Sie jetzt nicht darüber abstimmen, sondern die Sache an den Ausschuß verweisen. Das aber, meine ich - das ist meine persönliche Auffasssung -, ist etwas, was Sie heute abend nicht machen sollten. ({6})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehlers.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000438, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es widerstrebt mir, eine Debatte, die persönlich scheinen könnte, noch fortzuführen. Aber da Herr Kollege Ollenhauer die Liebenswürdigkeit hatte, das Wort „Entstellung" zu gebrauchen, muß ja wohl doch dazu noch etwas gesagt werden. ({0}) Ich habe nicht den Vorzug gehabt, nach dem Stenogramm der Rede des Kollegen Ollenhauer zitieren zu können, da mir das noch nicht zugänglich war, sondern ich habe nach meinen - wie ich nachträglich festgestellt habe - außerordentlich zutreffenden Notizen zitiert. Ich habe in der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer vom 7. Februar 1952 den Satz gefunden: Die Frage nach der Größe der Kriegsgefahr und nach den aggressiven und kriegerischen Absichten der Sowjetunion gehört für uns alle weitgehend in das Reich der Spekulation. Aber der Kalte Krieg ist eine Realität. Gerade weil ich das gelesen hatte, habe ich mit solchem Interesse gehört, daß Herr Kollege Ollenhauer so großen Wert darauf legte, hier im Gegensatz zur Situation von vor drei Jahren festzustellen, daß sich eine veränderte weltpolitische Situation in der Auseinandersetzung Ost-West ergeben habe und daß eine Entspannung eingetreten sei. Meine Damen und Herren, ich würde mit ihm einig sein, daß alle solche Erwägungen, besonders, wenn man es mit dem Osten und der Sowjetunion zu tun hat, weitgehend in das Reich der Spekulation gehören und so viele Unsicherheitsfaktoren in sich schließen, ({1}) daß man darauf möglichst keine aktuellen politischen Entscheidungen stützen sollte. ({2}) Ich habe das nur zitiert und ich habe hingewiesen auf Ihre Behauptung, es sei friedlicher geworden in der Welt - ich glaube, das ist keine unzulässige Verkürzung -, und es sei eine Entspannung eingetreten. Darum hatte ich bei einer bestimmten Gruppe von Menschen die Sorge - und die habe ich weiter -, daß sie daraus kurzerhand die Folgerung ziehen würden, die damals weithin und in breiter Front vertretene Meinung, es sei nötig, eine militärische Macht zu bilden, sei heute nicht mehr richtig. Wenn Sie das nicht haben sagen wollen, kann ich das nur mit großer Genugtuung feststellen. Dann aber der Satz, Herr Kollege Ollenhauer, den Sie weiter gesagt haben und den ich, wie ich festgestellt habe, beinahe wörtlich wiedergegeben habe: daß man ein Opfer des Waffendienstes der deutschen Jugend nicht zumuten könne, wenn der Effekt für die Sicherheit gleich Null wäre. Wenn nur in der Kombination dieser beiden Aussagen die Folgerung nicht geradezu zwingend wäre: man muß also das, was jetzt geschehen ist, in militärischer Hinsicht ablehnen! Und wenn Sie dann noch die Liebenswürdigkeit gehabt hätten, etwas zu sagen, was uns zur Beurteilung der Gesamtsituation wahrscheinlich außerordentlich wichtig gewesen wäre: wenn Sie oder einer Ihrer Kollegen ein einziges Wort zu dem Beschluß des Jugendkongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesagt hätten! ({3}) - Herr Kollege Wehner, Sie sind aber doch sonst nicht so ohne weiteres geneigt, eine so weite Distan({4}) zierurig zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund und der Sozialdemokratischen Partei vorzunehmen! ({5}) Ich erinnere mich sehr genau, Herr Kollege Ollenhauer, daß Sie gerade bei der Eröffnung des Kongresses des Deutschen Gewerkschaftsbundes gesagt haben: der DGB und die SPD seien die beiden Zweige der deutschen Arbeiterbewegung. ({6}) Ich mache Ihnen gar nicht den Vorwurf, daß Sie sich das zu eigen machen. Aber, meine Damen und Herren, ich hätte es doch begrüßt, wenn Sie ein klärendes und abgrenzendes Wort zu dieser Forderung gesagt hätten, die ich doch in ihrer Totalität nur als ein pazifistisches Postulat verstehen kann.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Heiland.

Rudolf Ernst Heiland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000843, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Ehlers, wenn Sie den Beschluß des Jugendkongresses gelesen haben, dann sollten Sie auch die Berichte über den augenblicklich tagenden Gewerkschaftskongreß gelesen und festgestellt haben, daß gestern vom Deutschen Gewerkschaftsbund zur Verteidigungsfrage eine sehr eindeutige und klare Stellungnahme abgegeben worden ist. Wenn Sie objektiv die Dinge darstellten, müßten Sie auch das erwähnen. ({0})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000438, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrter Herr Kollege Heiland, wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund I sich offenbar als ein Organ versteht, das zu diesem Beschluß des Jugendkongresses Stellung zu nehmen hat, hätte es für Sie um so leichter sein müssen, irgendein Wort zu sagen, das das große Mißverständnis ausräumt, daß ein sehr beachtlicher Teil der deutschen arbeitenden Jugend, die im Deutschen Gewerkschaftsbund organisiert ist, in dieser bedrohlichen Situation des deutschen Volkes sagt: Militärdienst kommt für uns überhaupt nicht in Frage. Gerade weil diese Gefahr besteht, habe ich davon gesprochen. Ich fürchtete, daß Ihre Erklärung und das Wort „Entstellung" die Situation nicht verändert und verbessert hat. ({0}) Ich bedauere, daß die Frage, die Herr Kollege Gerstenmaier gestellt hat, zu einer solch scharfen Auseinandersetzung geführt hat. Ich habe vorhin - Herr Kollege Schmid hat es ja zweifellos verstanden - seine Formulierung, daß man ein Deutschland ohne Bündnisverpflichtung nach der einen oder anderen Seite hin haben müsse, ja schon in die Frage gekleidet: ob das bedeute, daß man meine, man könne ohne eine Zusammenarbeit mit dem Westen - da der Osten ja für uns im Augenblick nicht in Frage kommt - die deutsche Frage lösen. Es ist das, Herr Kollege Schmid - darüber waren wir uns doch wahrscheinlich beide einig -neutrales Deutschland gibt, das neutralisiert ist, von wem, auf welche Weise, zu welchem Ziel? Das ist uns doch eine Frage, nachdem ich ja doch nun aus der Debatte der letzten Jahre einige Belege ganz klarer Äußerungen der Ablehnung einer Neutralisierung durch Sie kenne und keineswegs damit rechne, daß Sie davon abrücken. die Frage: liegt dahinter die Vorstellung - und ich stelle, Herr Kollege Ollenhauer, bitte nehmen Sie es uns ab, die Frage noch einmal -, könnte dahinter die Vorstellung stehen, daß es ein nach Ost und West nicht gebundenes, also dazwischen stehendes ({1}) Aber es ist doch keine unsinnige Forderung, meine Damen und Herren, wenn wir in einer solchen Situation, wo es ja doch nicht um irgendein Techtelmechtel, sondern um Lebensfragen des deutschen Volkes geht, ({2}) die Frage hier einmal stellen: Was verstehen Sie denn unter einem Deutschland, das ohne Bündnisverpflichtungen nach Ost und West dazwischensteht und eine ganz bestimmte Funktion und sogar die Fähigkeit hat, sich wieder zu einigen? Was verstehen Sie darunter? Heute abend werden wir es nicht beantworten. Wir setzen ja die Debatte fort. ({3}) Aber vielleicht darf ich Ihnen den Vorschlag machen - ich möchte es wirklich hier einmal ganz menschlich und persönlich aussprechen -, daß wir auch bei Fragen, die aggressiv klingen könnten, versuchen, zu unterstellen, daß derjenige, der fragt, nicht ein polemisches Anliegen, sondern ein Anliegen sachlicher Klärung hat. Und dann kann ja schließlich sogar eine solche Auseinandersetzung heilsam sein. Die Demokratie besteht ja nicht darin, daß man immer die gleiche Meinung hat, ({4}) sondern die Demokratie besteht darin, daß man die Meinung der anderen hört, daß man sie ernst nimmt, und daß man dann aus eigener Verantwortung entscheidet. Das wollen wir tun und nichts anderes. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzte Stunde dieser Verhandlungen hat überraschend Aufschlüsse über die Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion zur Frage der Verteidigung gebracht. Ich kann nur feststellen, daß die heutige Erklärung in vollem Gegensatz zu allen früheren Erklärungen der sozialdemokratischen Fraktion steht. ({0}) Vor einigen Wochen schon stand, wenn ich nicht sehr irre, in der schwedischen Presse, daß ein führendes Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion in einer Rede erklärt habe, man müsse das Wort Neutralisation durch Bündnislosigkeit ersetzen. ({1}) Sie haben heute die Proklamierung der Bündnislosigkeit gehört. Ich habe Herrn Kollegen Ollenhauer so verstanden, daß er sagt: ein wiedervereinigtes Deutschland soll vorher - vor der Wiedervereinigung - die Verpflichtung eingehen, sich weder militärisch dem Osten noch militärisch dem Westen anzuschließen. So habe ich ihn verstanden. ({2}) ({3}) Wenn ich ihn richtig verstanden habe, meine Damen und Herren, so muß ich sagen, daß das selbstverständlich eine Neutralisierung Deutschlands ist. ({4}) Ich weiß nicht, es fehlt vielleicht eins noch; aber, meine Damen und Herren, das will ich dann Herrn Kollegen Ollenhauer konzedieren: es würde dann diesem Deutschland nicht auferlegt sein, wenn das nicht noch ergänzt wird, daß es nur Streitkräfte in bestimmtem Umfang unterhalten und nur bestimmte Waffen besitzen darf. Ich habe vor mir das Protokoll der Bundestagssitzung vom 19. März 1953 liegen. Und hier hat Kollege Ollenhauer einen völlig entgegengesetzten Standpunkt vertreten. ({5}) Er hat eine sehr große, lange Rede gehalten und darin unter anderem gesagt: Wir sind bereit zur Teilnahme an einem europäischen Sicherheitssystem auf der gleichen Basis der Souveränität und der Gleichberechtigung, . . . Und an einer anderen Stelle hat er die Frage angeschnitten, daß man eben die britische militärische Mitarbeit gewinnen müsse. Die ganze Rede des Herrn Ollenhauer - sie ist, wie gesagt, sehr lang; ich kann sie Ihnen nicht vorlesen, es würde zu lange aufhalten -, geht davon aus, daß die Bundesrepublik einen militärischen Beitrag leistet. ({6}) - Ja, meine Damen und Herren, das ist eine Frage, auf die ich jetzt einmal eingehen möchte. Also konzedieren Sie, daß die Bundesrepublik sich bis zur Wiedervereinigung militärisch in ein anderes System integrieren kann? ({7}) - Bis zur Wiedervereinigung, und dann nicht mehr? ({8}) Meine Damen und Herren, in der Sitzung vom 7. Februar 1952 - sie liegt schon lange zurück - hat der Kollege Ollenhauer gesagt: Der Ohne-mich-Standpunkt löst keines der menschlichen Probleme seiner Anhänger. Im Falle einer Aggression der Totalitären ist ihnen die Uniform auf alle Fälle sicher. ({9}) - Ich doch nicht! Ich lese doch nur vor, was Herr Ollenhauer gesagt hat. ({10}) Er fährt dann so fort: Politisch aber bedeutet dieser Standpunkt unter den gegenwärtigen Umständen eine Hilfsstellung für die Extremen in unserem Volk . . . Die erste uridiskutable Voraussetzung für einen deutschen Beitrag muß daher die Gewißheit sein, daß die entscheidenden Mächte der demokratischen Welt, in erster Linie die Vereinigten Staaten, entschlossen sind, Deutschland mit demselben Einsatz zu verteidigen wie irgendeinen Punkt ihres eigenen Gebiets. ({11}) Meine Damen und Herren, am 25. Februar 1954 hat Herr Kollege Ollenhauer folgendes ausgeführt: Wenn so die Sozialdemokratische Partei ihren ablehnenden Standpunkt gegenüber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in vollem Umfange aufrechterhalten muß, so möchte ich noch einmal und, wie ich hoffe, damit zur endgültigen Ausmerzung des Unfugs des Geredes - also kein Zwischenruf; ich habe es nicht so gehäuft, sondern Herr Kollege Ollenhauer hat es wörtlich so gesagt über die angebliche Ohne-mich-Politik oder Neutralisationspolitik der Sozialdemokratie feststellen, daß die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht die Ablehnung einer Politik der militärischen Sicherheit für unser Volk bedeutet. ({12})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.

Dr. Max Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000130, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht von der letzten Dreiviertelstunde, aber von manchen Teilen dieser sehr langen Sitzung muß ich sagen, daß ich mich oft gefragt habe: haben wir eigentlich eine außenpolitische Debatte oder haben wir nur einen Wettstreit der Parteien untereinander über das, was gesagt worden ist, gesagt sein soll und nicht gesagt sein soll? ({0}) Der Herr Kollege Arndt hat in seinen Ausführungen mit Recht gesagt: Hier wird ja immer nur aneinander vorbeigeredet. Dann haben wir den Fall erlebt, daß ein Kollege - ich glaube, es war der Herr Präsident Ehlers - an die SPD die Frage gerichtet hat, was sie nun für konkrete Vorschläge machen wolle; und da hat der Kollege Arndt zur Antwort gegeben: Ja, Sie haben ja auch keine konkreten Vorschläge gemacht, wo sind denn Ihre? Dann war es so, daß jeder zu seinen eigenen Außerungen von heute und von früher so in Form von Kommentaren noch Erläuterungen gegeben hat, damit wir nur wieder Stoff hatten, uns gegenseitig auch richtig zu erhitzen. Wozu das alles, meine Damen und Herren? Glauben Sie; daß ein Ausländer, der sich an Hand dieser Debatte ein Bild darüber machen will, wo die Deutschen außenpolitisch stehen, sich daran überhaupt hätte orientieren können? Ich glaube es kaum! Nun hat aber die letzte halbe Stunde insofern eine gewisse Aufklärung gebracht - unter der Voraussetzung, daß ich richtig verstanden habe; ich werde es noch einmal nachlesen -, als der Herr Kollege Ollenhauer jetzt erklärt hat, er verlange für das wiedervereinigte Deutschland Bündnislosigkeit. Wenn ich recht verstanden habe, soll diese Bündnislosigkeit für das künftige wiedervereinigte Deutschland im Rahmen der jetzt schwebenden Bündnisverhandlungen ausgehandelt werden. Das ({1}) heißt, wir sollen jetzt nach dem Willen des Herrn Ollenhauer - immer vorausgesetzt, daß ich ihn richtig verstanden habe - in diese Verhandlungen hineingehen mit der Erklärung: Wir verhandeln weiter über die Bündnisfrage, wir machen aber zur Bedingung, daß das vereinigte Deutschland nicht in irgendein Bündnis, auch nicht mit euch, hineinkommt, aber wir verlangen trotzdem von euch, daß ihr uns helft, daß Deutschland wiedervereinigt wird. So ungefähr ist doch ,die Konsequenz. Das alles ist, glaube ich, so wenig durchdacht, so widerspruchsvoll in sich, daß ich schon aus diesem Grunde fragen möchte, ob es nicht richtiger wäre, alle diese Dinge entsprechend einem alten Wunsch von mir einmal ausführlich im Außenpolitischen Ausschuß zu erörtern. Sie wissen, daß ich vor einem halben Jahr den Antrag eingebracht habe, der Außenpolitische Ausschuß möge eine eigene Initiative entwickeln. Der Geschäftsordnungsausschuß hat dem jetzt erfreulicherweise entsprochen. Wir sollten den Versuch machen, das, was jeder dem anderen an konkreten Vorschlägen zu bieten hat - oder auch verweigert -, zu erörtern. Wenn das aber nach dem Gesagten notwendig ist, gehört meiner Ansicht nach auch eine Erörterung des Antrags auf Drucksache 863 zunächst einmal in den Außenpolitischen Ausschuß. Wenn es da z. B. in Ziffer 1 heißt, daß Besprechungen mit den drei westlichen Besatzungsmächten geführt werden sollen, um „die Grundlagen einer gemeinsamen Politik zu klären, die in kommenden Vier-MächteVerhandlungen die Wiedervereinigung Deutschlands herbeiführen soll", dann werden die Drei Mächte uns doch sicher erst einmal sagen: Bitte, gebt uns konkrete Beispiele, konkrete Mittel, konkrete Vorschläge an die Hand, wie ihr euch die Wiedervereinigung und die Durchführung denkt.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, ich bitte doch, mit etwas mehr Ruhe und Aufmerksamkeit den Ausführungen des Redners zu folgen und notwendige persönliche Gespräche in die Wandelhalle zu verlegen.

Dr. Max Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000130, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin der Auffassung, daß wir das im Außenpolitischen Ausschuß klären sollten. Es gibt doch manche Dinge, die man im Plenum einfach nicht sagen kann, weil sie sich der öffentlichen Erörterung entziehen müssen. Oder es gibt Dinge, die man hier deshalb nicht sagen und nicht durchdenken kann, weil die Herrschaften - ich nehme niemanden aus - alle viel zu aufgeregt sind, als daß sie die Dinge in Ruhe durchdenken können. Seien wir uns doch weiter bei all den Dingen, die wir uns hier vorstellen, bei all dem, was wir hier in Deutschland in den Dingen der Weltpolitik machen können, über die Grenzen dessen klar, was wir überhaupt tun können. Können wir denn überhaupt von uns aus die Wiedervereinigung ohne die Hilfe anderer durchführen? Ich will nicht das wiederholen, was hierzu schon von allen Seiten gesagt worden ist. Weiter ist doch folgendes klar. Stellen Sie sich einmal vor, im praktischen Leben will eine Familie von dem Nachbarn ein Stück Garten, das dieser in Anspruch genommen hat, zurückhaben. Glauben Sie, daß die Familie, die das Gärtchen zurückhaben will, bei offenen Fenstern mit unendlichem Spektakel eine Debatte darüber führt, was sie da wohl zu bieten hat, um das Gärtchen wiederzubekommen? Glauben Sie, daß es einen vernünftigen Sinn hat, hier überhaupt solche Verhandlungen zu führen? Also auch in den Ausschuß hinein! Nun meinte Herr Kollege Ollenhauer, wenn wir schon mit dem Vorschlag auf freie Wahlen kämen, so würde bereits das von der russischen Seite falsch aufgenommen, weil sie genau wisse, wie die freien Wahlen ausgingen. Darf ich einmal an folgendes erinnern, was ich auch in Straßburg schon vorgetragen habe. Die Diplomatie hat in den letzten Jahren Differenzen eigentlich nur dadurch lösen zu können geglaubt, daß sie umstrittene Gebiete einfach aufgeteilt hat. Das war bei Deutschland so, das war zum Teil in Österreich so, das war in Korea so, und das ist jetzt auf der Genfer Konferenz über Vietnam auch so gewesen: der Norden den Kommunisten, der Süden den Franzosen. Aber bei dieser Aufteilung ist ein großer Unterschied gegenüber den drei anderen Fällen festzustellen, nämlich der Zusatz: Spätestens am 20. Juli 1956 müssen in beiden Teilen des Landes Vietnam freie Wahlen stattfinden, durch die das Volk über die zukünftige Zusammenfassung dieser beiden Teile und ihre Verfassung Beschluß fassen soll. Bitte, meine Damen und Herren! Die Kommunisten haben das durchgedrückt; sie konnten den Termin nicht früh genug bekommen. Warum? Weil sie die Hoffnung hatten, auf dem Wege den Süden zu bekommen. Sie meinen jetzt, meine Herren, weil wir die Hoffnung haben, unseren Osten im Wege der Abstimmung zu bekommen, könnten die Russen nicht darauf eingehen. Kann man denn nicht im Wege einer nicht nur defensiv, sondern offensiv geführten Diplomatie gegenüber dem Osten - Diplomatie, sage ich -- nun den Herren den Vorschlag unterbreiten und ihnen sagen: Was da nach eurer Auffassung richtig war, muß in dieser Sache hier billig sein? Ein Wort noch zur Europafrage. Ich glaube, es wird mir niemand abstreiten können, daß ich einer der überzeugtesten Anhänger der europäischen Idee gewesen bin und bin. Wenn ich eines Beweises bedürfte, dann darf ich mich auf Herrn Kollegen Ollenhauer beziehen, der in einem Zwischenruf vor einigen Monaten mir das noch einmal besonders attestiert hat. Wir haben als solche Anhänger der europäischen Idee selbstverständlich auch die EVG-Politik mitgemacht, und zwar deshalb, weil wir sowohl in der Montan-Union als auch im EVG-Vertrag Bausteine für ein künftiges Europa sahen, weil wir aber gleichzeitig auch der Meinung waren, daß über beide hinaus eine Europäische Politische Gemeinschaft errichtet werden sollte. Diese hätte dann in ihren Statuten, die ja auch schon vorgearbeitet sind, die Möglichkeit gehabt, die EVG in ihrer etwas komplizierten Form in einfachere Formen umzugestalten. Im Laufe der Jahre hat sich herausgestellt, daß einzelne Länder nicht geneigt waren, diese Europäische Politische Gemeinschaft zu schaffen. Infolgedessen fehlt die Möglichkeit, die EVG und auch die Montan-Union nach vorwärts weiterzuentwickeln. ({0}) Wenn jetzt am 30. August die Französische Kammer das Projekt, das aus Frankreich selbst stammt, abgelehnt und damit die EVG zu Grabe getragen hat, dann ist der Versuch, im Wege einer Kombination sowohl den Gedanken der europäischen ({1}) Einigung wie den der europäischen Sicherheit in einem zu verwirklichen, erledigt, und es ist die Frage offen, was jetzt zu geschehen hat. Die Frage ist schon durch die Londoner Konferenz beantwortet. Der alte Grundsatz der englischen Politik „safety first" geht vor, und wir sind deshalb bereit, auf den Boden dieser Grundlagen, dieser Vorlagen und dieser Konferenzbeschlüsse zu treten. Ich darf hinzufügen, daß wir Deutsche uns keineswegs danach drängen, wieder Soldat zu spielen. Unsere jungen Menschen werden als Staatsbürger in Uniform ihre Pflicht tun, wie es ihre Väter und ihre Vorväter getan haben. Aber wir sind alle nicht wild darauf, wieder Soldat zu spielen. Die Notwendigkeit ist auf uns zugekommen, in verschiedenen Formen und aus verschiedenen Gründen. Einen dieser Gründe möchte ich Ihnen, und zwar auch zu unseren Kollegen von der SPD gewendet, noch sagen. Er ist enthalten in dem Gedankengang, der den Generalsekretär der Sozialistischen Partei Frankreichs, Herrn Guy Mollet, dazu geführt hat, sich für die EVG auszusprechen; er hat ihn uns kürzlich in Straßburg noch einmal erläutert. Herr Guy Mollet hat gesagt: Solange angelsächsische Truppen auf dem Kontinent stehen, wird Rußland dieses Westeuropa nicht angreifen. - Aber die Angelsachsen haben gesagt: Wir bleiben nur dann und unter der Bedingung, daß auch die Europäer selbst mit Hand anlegen; die sollen nicht mit der Zigarette im Munde dabeistehen und zugucken, wenn unsere Jungen da etwa als Soldaten vorbeimarschieren müssen. - Ein Standpunkt, der absolut richtig ist! Und das ist der Standpunkt, der Herrn Guy Mollet veranlaßt hat, mit seinen Freunden für diese Sache einzutreten. Ich meine, allein dieser Gedanke müßte ja wohl auch unsere Kollegen von der SPD veranlassen, für diese Dinge mit einzutreten. Die Europafrage ist mit der Ablehnung des EVG-Vertrages keineswegs erledigt. Auch der Gedanke der deutschen Einigung ging durch Tiefen und über Höhen, und es hat von 1817 bis 1871 gedauert, bis er zu seiner Erfüllung kam. Ich glaube und ich hoffe darauf, daß der Gedanke der europäischen Einigung, die dann nicht nur auf Fragen der Sicherheit, sondern auch auf einer Gemeinschaft wirtschaftlicher Führung und einer Gemeinschaft sozialer und kultureller Errungenschaften aufgebaut werden müßte, doch zum Ziele kommt. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, der Vorsitzende des Finanzausschusses. bittet mich, mitzuteilen, daß die für heute abend 20 Uhr anberaumte Sitzung des Finanzausschusses ausfällt. Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.

Erich Ollenhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001646, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich in so später Stunde noch einmal das Wort nehme; aber es wäre eine Unhöflichkeit gegenüber dem Herrn Bundeskanzler, wenn ich auf seine letzten Ausführungen nicht antwortete. Er hat sie mit der Feststellung eingeleitet, daß nach seinem Eindruck in der letzten halben Stunde eine völlig veränderte Stellung der Sozialdemokratie zur Frage der Verteidigung der freien Welt sichtbar geworden sei. Nun, meine Damen und Herren, da ich dem Herrn Bundeskanzler nicht unterstellen will, daß er mit dieser Bemerkung nur einer Diskussion über den materiellen Inhalt unserer Anträge und einer Abstimmung darüber ausweichen möchte, sondern unterstelle, daß er wirklich von der Sorge erfüllt ist, festzustellen, welche Haltung die Sozialdemokratie in den uns alle bewegenden Fragen hat, möchte ich ihm hier einige Aufklärung geben. Es liegt an der mangelnden Zusammenarbeit zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Parlament, daß solche Aufklärung in einer Plenarsitzung des Bundestages gegeben werden muß. ({0}) Was zunächst einmal den militärischen Beitrag der Bundesrepublik zu einem westlichen Verteidigungssystem angeht, so ist die Haltung der Sozialdemokratie völlig klar und seit Jahren unverändert. Der Herr Bundeskanzler hat völlig recht gehabt, hier Äußerungen von mir von dieser Stelle aus aus dem Jahre 1952 zu zitieren, in denen ich mich im Namen meiner Partei zu dem Grundsatz der Verteidigung der Freiheit und der Demokratie auch mit militärischen Mitteln 'bekannt habe. Unsere Auseinandersetzung in den vergangenen Jahren ging überhaupt nicht um das Prinzip, ({1}) sondern um die Frage - in der wir anderer Meinung waren als Sie - der Zweckmäßigkeit der EVG und der Auswirkungen einer Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der EVG auf die Frage der Wiedervereinigung. Nun, jetzt ist die EVG gefallen; jetzt stehen wir vor dem Versuch, die Bundesrepublik im Rahmen der Londoner Vereinbarung in den Brüsseler Pakt und über den Brüsseler Pakt in die NATO einzugliedern. Die Sozialdemokratie hat heute durch ihre Redner ihre Position wiederum sehr klar gekennzeichnet. Ich habe heute abend noch einmal verlesen, was wir gesagt haben. Wir wünschen nicht, daß die Bundesrepublik jetzt neue militärische Verpflichtungen im Rahmen der NATO übernimmt, solange nicht durch neue Verhandlungen die Frage der Wiedervereinigung und die Möglichkeit ihrer Lösung untersucht ist. ({2}) Das ist unsere Position. Darin liegt nicht, Herr Bundeskanzler, irgendeine andere Haltung in bezug auf unsere grundsätzliche Einstellung gegenüber der Frage der Verteidigung und des Anteils der deutschen Bundesrepublik an einer solchen Verteidigung. Im Gegenteil, ich habe heute morgen, um auch das noch einmal zur Information des Herrn Bundeskanzlers in die Erinnerung zurückzurufen, sogar ausdrücklich erklärt, meine Damen und Herren: Wenn dieser von uns für notwendig gehaltene Versuch neuer Verhandlungen über die Wiedervereinigung scheitert, dann wird sich die Sozialdemokratische Partei in vollem Umfange an die Beschlüsse gebunden halten, die die Partei auf ihrem Berliner Parteitag gefaßt hat. ({3}) In diesem Beschluß ist die Bereitschaft der Sozialdemokratie zur Mitarbeit an einer Verteidigung unter dieser Voraussetzung der Unmöglichkeit der Wiedervereinigung in absehbarer Zeit genau so positiv ausgedrückt wie in früheren Beschlüssen. Es kann also überhaupt nicht die Rede davon sein, daß in dieser grundsätzlichen Frage irgendeine Änderung, irgendeine Unsicherheit oder irgendein ({4}) Abschwächen unseres Standpunktes zu verzeichnen wäre. Wenn wir das für nötig hielten, meine Damen und Herren, würden wir es hier in aller Öffentlichkeit vor Ihnen erklären, ({5}) weil man nämlich in Lebensfragen des Volkes keine illegale Geheimpolitik machen kann. ({6}) Lassen Sie mich dazu noch ein Wort sagen. Vielleicht gelingt es mir, hier ein Wort aus der Diskussion herauszubringen, das - ich meine es jetzt ganz von der Sache her - überhaupt nicht in den Zusammenhang mit der Diskussion über die Vorschläge zu der Position eines wiedervereinigten Deutschlands, so wie wir sie sehen, gehört. Alles nämlich, was ich hier über die Mitgliedschaft Deutschlands in einem kollektiven europäischen Sicherheitssystem im Rahmen der UNO gesagt habe, bezieht sich auf ein Gesamtdeutschland nach der Wiedervereinigung. Nun das Zweite, was ich sagen möchte. Neutralisation oder Neutralisierung bedeutet doch, wenn ich das recht verstehe und wenn wir über den Begriff objektiv reden wollen, die Vorstellung, man könne eine Land wie Deutschland im Zentrum Europas in irgendeiner Weise aus den politischen, wirtschaftlichen, wenn Sie wollen, auch militärischen Gegebenheiten einfach ausklammern und inmitten Europas ein Vakuum schaffen. Eine solche Vorstellung ist absolut irreal, ({7}) und sie entspricht in keiner Weise der sozialdemokratischen Auffassung. ({8}) Meine Damen und Herren, ich sage das hier nicht in Verteidigung gegenüber irgendeiner Bemerkung vorher. Die Vorstellung, die wir in bezug auf den militärischen Status haben - und vielleicht gibt es da eine Meinungsverschiedenheit, über die wir einmal intensiver diskutieren können -, ist die: Wir würden es nicht für richtig und für das Schicksal des deutschen Volkes nicht für glücklich halten, wenn sich ein Gesamtdeutschland, ein freiheitliches und demokratisches Deutschland etwa in dieser Welt auf dem Gebiet der Militärallianzen auf die eine oder andere Seite schlüge, ({9}) sondern wir sind der Meinung, ({10}) - entschuldigen Sie; ({11}) entschuldigen Sie; darf ich fortfahren - daß die deutsche Position im Rahmen eines mit den Hauptbeteiligten vereinbarten und ausgehandelten europäischen Sicherheitssystems sein sollte. Das hat nichts mit Neutralität zu tun, sondern das bedeutet die Eingliederung Deutschlands in eine Gemeinschaft der Völker, die sich durch die höchste internationale Organisation, nämlich die Vereinten Nationen, gebunden fühlt. ({12}) Daß in bezug auf die politische, geistige, kulturelle Einstellung dieses Volkes, daß in bezug auf seine natürlichen Beziehungen die Position eines solchen (I geeinten freien Deutschlands auf der Seite des Westens sein wird, sollte doch ernsthaft in diesem Kreise weder von Ihnen noch von uns diskutiert werden. Ich bin der Meinung, es lohnt sich, daß Sie auch einer solchen Möglichkeit einer konstruktiven Lösung einige Gedanken mehr widmen und sich nicht damit zufriedengeben, daß Sie eine solche Vorstellung als Neutralisierung abtun; denn das trifft praktisch den Inhalt der Sache nicht. Darum wollte ich Sie bitten. ({13})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Angelegenhat ist nach meiner Meinung zu bedeutungsvoll, als daß wir ohne völlige Klärung auseinandergehen können. Ich kann von mir nicht sagen, daß ich durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer eine völlige Aufklärung bekommen habe. ({0}) - Darauf kommt es nicht an. Es liegt vielleicht an meiner Dummheit; aber dann kann man doch Mitleid mit mir haben und mich aufklären! ({1}) Bisher war - das steht auch in dem Antrag der Sozialdemokratie - die Rede von einem europäischen Sicherheitssystem. Es entsteht also sofort die Frage, wenn Herr Kollege Ollenhauer sagt, das wiedervereinigte Deutschland dürfe weder einem östlichen noch einem westlichen System angehören - ({2}) - Wenn einer spricht, dann genügt es vollkommen. ({3}) Ein Sicherheitssystem ohne militärische Hilfsmittel ist doch Unsinn! ({4}) Also frage ich - hören Sie doch einmal meine Frage! -: Soll man nach der Auffassung des Herrn Kollegen Ollenhauer darauf ausgehen, daß diesem europäischen Sicherheitssystem auch die Sowjetunion angehört? Das ist die Frage, die ich zu stellen habe. Das ist eine außerordentlich wichtige Frage. Die Frage ist auch deswegen so wichtig, weil - wie Sie wissen - die westlichen europäischen Mächte die Aufnahme Sowjetrußlands in ein europäisches Sicherheitssystem, die auch schon von Sowjetrußland einmal vorgeschlagen war, abgelehnt haben mit der Erklärung, dann höre es auf mit der Sicherheit. Aber das ist die Ansicht der Westmächte. ({5}) Das braucht uns zunächst nicht zu interessieren, sondern ich möchte nur bitten, daß Herr Kollege Ollenhauer mir die Frage beantwortet: Soll nach ({6}) seiner Auffassung Sowjetrußland zu diesem europäischen Sicherheitssystem gehören? Dann möchte ich - ({7}) - Ja, ich habe die Frage doch nicht an Sie, sondern an Ihren Vorsitzenden gerichtet. Dann, meine Damen und Herren - ({8}) - Nein, es ist immer gut, meine Damen und Herren, man spricht mit der ersten, also mit der allerbesten Quelle. Denn sonst kann man manchmal falsche Schlüsse ziehen. Ich habe hier z. B. Ausführungen, die Herr Wehner am 6. November 1953 über Sowjetnoten gemacht hat. Ich möchte sie Ihnen doch einmal vorlesen. Diese Ausführungen stehen im Sozialdemokratischen Pressedienst vom 6. November 1953 und beziehen sich auf die Sowjetnote vom Spätherbst 1953. Er sagt so: Unbestreitbar ist wohl, daß die Sowjetregierung ohne jede Rücksicht auf die nationalen Rechte und Interessen des deutschen Volkes ihre Entscheidung gefällt hat. Dem Kreml kommt es zunächst darauf an, alle erdenklichen Möglichkeiten der Wiederbelebung einer allgemeinen Furcht und Abneigung einer angeblichen deutschen Aggressionslust gegenüber zu erschöpfen. Die Greuelpropaganda mit der angeblichen deutschen Revanchelust ist für gewisse französische Zwecke wie nach Maß gemacht. Der Kreml weiß natürlich, daß er sich eines Tages wird bereit finden müssen, auch über die Frage der deutschen Wiedervereinigung zu verhandeln. Aber er möchte diesen Termin noch erheblich hinausschieben, um zunächst zu erproben, wie weit er in anderen Ländern Unterstützung findet in -dem Versuch, die deutsche Wiedervereinigung zu einer Angelegenheit der Isolierung Deutschlands zu machen. ({9}) Sehen Sie, das sind ausgezeichnete Darlegungen, allerdings nicht vom Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion. ({10}) - Mit welchen Methoden soll ich denn aufhören? ({11}) - Also, meine Damen und Herren, wenn ich nicht mehr verlesen darf, was ein Mitglied dieses Hauses vor elf Monaten im Sozialdemokratischen Pressedienst geschrieben hat, wohin kommen wir dann überhaupt? ({12}) Für meinen Verstand ist das ein offenbarer Widerspruch zu dem, was uns heute hier vorgeschlagen wird. ({13}) Heute wird uns vorgeschlagen, wir sollten dem Londoner Pakt nicht beitreten und erst noch einmal feststellen, ol. nenn Sowjetrußland wirklich nicht doch bereit ist, in die Wiedervereinigung einzuwilligen. Und hier steht ganz ausdrücklich: Das ist doch immer Mache vom Kreml, der auf diese Weise nur versucht, uns zu isolieren. ({14})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine. Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat gebeten, man sollte ihm zu Hilfe kommen. Ich will es versuchen. Vielleicht wird es dann nachher klarer verstanden werden, was hier von einigen Rednern meiner Fraktion schon gesagt worden ist. Ich will versuchen, so elementar wie möglich zu reden, ({0}) und ich will auch versuchen - Sie werden mir dafür dankbar sein -, möglichst ohne Fremdworte auszukommen. ({1}) Ganz wird es vielleicht nicht gehen. Herr von Brentano, Sie wissen das als Jurist wie ich. Unseren Ausführungen lag der Versuch zugrunde, deutlich zu machen, daß man bei der Frage der Sicherheit zwei Phasen unterscheiden muß: das Problem der Garantierung der Sicherheit eines wiedervereinigten Deutschlands und das davon verschiedene Problem, wie in der Zeit, bis wir dahin gekommen sein werden, die Sicherheit der Bundesrepublik ({2}) - ich sage: der Bundesrepublik - garantiert werden soll. Diese beiden Fragen müssen wir auseinanderhalten. ({3}) Ich habe versucht, das in meinen Ausführungen hier darzutun. Was das Problem der Sicherheit eines wiedervereinigten Deutschlands anbetrifft, habe ich gesagt - und ich glaube, daß mein Freund Ollenhauer es genau so gesagt hätte, wie ich es gesagt habe, wenn er speziell zu dieser Sache gesprochen hätte -, daß der Status Deutschlands - und zum Status gehört ja einfach auch die Frage der politischen Bewegungsfreiheit des Landes - das Resultat von Vereinbarungen sein muß, die eine gesamtdeutsche Regierung mit den vier Besatzungsmächten zu treffen haben wird. Ich habe gesagt, daß es nicht vorauszusagen ist, auf was sich die Mächte einigen werden, daß aber wohl sicher sei, daß keine Formel eine Chance habe, die Zustimmung der Vier und der deutschen Regierung zu finden. die von einer dieser fünf Mächte - denn auch Gesamtdeutschland wäre eine Macht - als eine Bedrohung ihrer militärischen Sicherheit aufgefaßt werden könnte. ({4}) - Ich denke. ({5}) ({6}) - Ich habe versucht, ganz einfach zu sprechen. Ich habe gesagt, daß nach meinem Dafürhalten der deutsche Unterhändler bei dieser Verhandlung über den Statusvertrag oder Friedensvertrag die beste Chance haben könnte, die Zustimmung aller zu einem Modell zu finden, das etwa so aussehen könnte: Dieses wiedervereinigte Deutschland tritt keinem der bestehenden Bündnisblöcke bei, ist stark genug, um nicht einem Nachbarn den Anreiz zur Aggression zu geben, aber nicht so stark, daß, wenn dieses Deutschland auf diese oder jene Seite treten sollte, diese Seite damit ein erdrückendes Übergewicht über die andere bekäme. ({7}) - Meine Damen und Herren, ich mache lediglich den Versuch, Ihnen darzutun, was schon von mir gesagt worden ist, was aber bei Ihnen offensichtlich nicht angekommen ist. Man muß es vielleicht zweimal sagen. ({8}) Nun wurde vorhin gefragt - ich glaube, es war der Herr Bundeskanzler -, ob man sich denn ein Sicherheitssystem ohne militärische Dinge dabei vorstellen könne. Natürlich kann man das nicht; aber es ist doch ein Unterschied, ob man glaubt, die Sicherheit dadurch wahrnehmen zu müssen, daß man hier einen Bündnisblock und dort einen Bündnisblock schafft, die sich nun gegenüberstehen, oder ob man das schafft, was man gemeinhin System kollektiver Sicherheit nennt, wie z. B. - ich sage nicht, daß man das wiederholen müßte: ich sage es nur als Beispiel - der Locarno-Vertrag eines gewesen ist. Das war doch kein System von Bündnisblöcken, die sich gegenüberstanden, sondern die Staaten, die sich im Locarno-Vertrag zusammengetan hatten, hatten vereinbart: Wenn wir eine Kontroverse haben, dann werden wir sie mit friedlichen Mitteln lösen. - Diese friedlichen Mittel sind geschaffen worden. - Und wenn einer von uns von einer Macht innerhalb dieses Systems oder einer Macht außerhalb überfallen oder angegriffen werden sollte, werden sich die anderen diesem Angriff entgegenstellen. Dazu braucht man doch keine Bündnisblöcke zu zementieren! Das hat man bisher nie für notwendig gehalten, und das ist auch morgen nicht notwendig. ({9}) Das ist es, was wir meinten. Wir meinen, daß man versuchen sollte, in Friedensverhandlungen auf einen Status hinzuwirken, der diese Möglichkeiten schafft. Die andere Frage ist, wie die Bundesrepublik dann, wenn man zu einem solchen Sicherheitssystem nicht kommt - d. h. wenn man nicht zur Wiedervereinigung Deutschlands kommt -, zur militärischen Verteidigung des Westens beiträgt. ({10}) - Da allerdings, Frau Weber, bin ich der Meinung, daß man, wenn der andere Teil sich einem Sicherheitssystem verweigert, leider Gottes wahrscheinlich zum Bündnissystem wird greifen müssen. ({11}) Nun unterscheiden wir uns von Ihnen bei dieser Frage u. a. auch darin, daß Sie meinen, daß man das heute schon tun müßte, während wir meinen, wenn man das heute schon tut, dann ruiniert man die schwachen Chancen, die es heute noch geben mag, mit den Russen in Verhandlungen zu kommen, deren Resultat vielleicht die Zustimmung zur . Wiedervereinigung Deutschlands sein kann. ({12}) Wenn Sie, meine Damen und Herren, sagen, das Modell, das ich vorgeschlagen habe, sei identisch mit Neutralisierung, dann verstehen Sie unter Neutralisierung offensichtlich etwas anderes, als was man bisher darunter verstanden hat. ({13}) Unter Neutralisierung hat man verstanden und versteht man doch, wo man über das Problem ernsthaft spricht, folgendes. Ein Staat wird in einer Reihe von vertraglichen Vereinbarungen aus dem politischen Geschehen ausgeklammert. ({14}) Zweitens. Seine Neutralität wird garantiert, entweder durch die eigene Waffenmacht dieses Staates, wie bei der Schweiz. Das ist nicht möglich, wenn es sich um 60 oder 70 Millionen Einwohner handelt, die im Herzen Europas wohnen. Oder - das ist die andere Möglichkeit - diese Neutralität wird durch Dritte garantiert, die Nachbarn oder andere Staaten. Das ist schlechthin eine Unmöglichkeit, weil kein Staat das Risiko übernehmen wird, das in einer solchen Garantieverpflichtung liegt, ohne Befugnisse zu bekommen, sich in die inneren Angelegenheiten des zu neutralisierenden Staates zu mischen. Deswegen ist Neutralisierung schlechthin eine Unmöglichkeit. Wenn Sie das von mir vorgeschlagene Modell Neutralisierung nennen, dann, meine Damen und Herren, ist z. B. das Königreich Schweden neutralisiert. ({15}) Fragen Sie die Schweden, ob sie sich für neutralisiert halten! ({16})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte gerne die Beantwortung meiner Frage gehört, ob in dem europäischen Sicherheitssystem, das in dem Antrag der Fraktion der SPD unter Ziffer 3 steht, Sowjetrußland enthalten sein soll oder nicht. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Erler. ({0})

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir tauschen augenblicklich eine Art diplomatischen Unterrichts aus. Es ist gar kein Grund, dabei so heiter zu sein; es geht um sehr ernste Fragen. Zum Beispiel darf ich auf eine Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers vorhin zurückkommen - sie wirft ein Licht auf diese Frage -, damit wir nicht unbelehrt von dannen ziehen. ({0}) ({1}) - Die Antwort kriegen Sie noch, seien Sie nur still! ({2}) Vorhin hat der Herr Bundeskanzler davon gesprochen, daß er sich darum bemühen werde, nach dem Zustandekommen der Londoner Vereinbarungen die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Vereinten Nationen zu betreiben. Der Herr Bundeskanzler hat uns nicht verraten, wie er, solange ein Vertragssystem auf der Spaltung Deutschlands beruht, das Veto der Vereinten Nationen gegen die Aufnahme gewissermaßen eines Protegés der Westmächte verhindern wolle. Wir müssen begreifen: deutsche Wiedervereinigung und Aufnahme in die Vereinten Nationen sind identisch, weil beides die Einigung der Weltmächte über beide Komplexe voraussetzt. ({3}) Das ist die erste Frage. Sie jagen einem Phantom nach, wenn Sie den westdeutschen Teilstaat in die Vereinten Nationen bringen wollen, ohne sich der peinlichen Lage aussetzen zu müssen, daß Sie dann die Verewigung der Spaltung Deutschlands durch die gleichzeitige Zulassung auch der sogenannten DDR erkaufen. ({4}) Das ist offensichtlich. Infolgedessen führt der Weg Deutschlands in den Kreis der gleichberechtigten Völker dieser Welt nur über die Wiedervereinigung. Das ist das eine. Ein europäisches Sicherheitssystem im Rahmen der Vereinten Nationen setzt also eine Einigung über die Wiedervereinigung voraus und ist damit ein Stück praktischer Entspannungspolitik. Herr Bundeskanzler, ich weiß nicht, ob Sie meine Rede vorhin gehört haben. Ich bitte doch noch einmal, die Teile nachzulesen, in denen ich mich gegen die Vermischung der Begriffe gewehrt habe. „Militärallianzen gegen eine andere Macht" und „kollektive Sicherheitssysteme", die alle Teilnehmer eines bestimmten Gebietes, auch den möglichen Angreifer, umschließen, sind zweierlei. In einem System der kollektiven Sicherheit verpflichten sich alle, gegen jeden von ihnen, der den Frieden bricht, gemeinsam einzuschreiten. Und es scheint mir offensichtlich zu sein - Sie sollen diese Frage ganz offen beantwortet haben -: Eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit wird nur möglich sein, wenn sowohl der Westen wie der Osten das wiedervereinigte Deutschland nicht als gegen sich gerichtetes Aufmarschgebiet im vorhinein präsentiert bekommen. ({5}) Infolgedessen gehören drei Dinge zusammen: Wiedervereinigtes Deutschland, Aufnahme dieses Deutschlands in die Vereinten Nationen und - das muß man aber selbstverständlich vorher im Verhandlungswege klären - Schaffung eines europäischen Sicherheitssystems im Rahmen der Vereinten Nationen, das dann alle jetzigen Besatzungsmächte mit zu seinen Partnern haben wird. ({6}) In welcher Weise die Vereinigten Staaten, die ihre Bindungen an die europäischen Besatzungsmächte in einem anderen Komplex geregelt haben, daran beteiligt werden, das ist eine Aufgabe der praktischen Verhandlungen. ({7}) - Bitte, meine Damen und Herren, Sie können sich über diese Auskunft von mir aus ruhig erhitzen; Sie werden an der Beantwortung der Frage nicht vorbeikommen, wie anders Sie Deutschland vereinigen wollen, solange Sie auf dem Konzept beharren, daß das vereinigte Deutschland amerikanischer Truppenübungsplatz sein muß. ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Herr Abgeordnete Erler hat erklärt, daß diesem Sicherheitssystem die vier Besatzungsmächte angehören müßten. Das sind also sowohl Sowjetrußland wie die Vereinigten Staaten. Ich weiß nicht, ob man das dann noch ein europäisches Sicherheitssystem nennen kann. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Zu einer Frage der Herr Abgeordnete Erler.

Fritz Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000488, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundeskanzler, wenn Sie mich ganz angehört hätten, dann hätten Sie auch den nächsten Satz in Ihre Beantwortung mit einbezogen, daß die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den europäischen Partnern des Sicherheitssystems, da es sich um ein europäisches handeln wird, untereinander bereits geregelt sind oder auch auf andere Weise geregelt werden können. Ich sprach davon, daß das eine Aufgabe der praktischen Politik ist. Daß die Vereinigten Staaten nicht zu Europa gehören, weiß ich. Daß die Westmächte in ein solches Sicherheitssystem nur hineingehen, nachdem sie bestimmte Vereinbarungen mit den Vereinigten Staaten haben, das weiß ich auch. Aber die Erlösung von 18 Millionen Deutschen in der Sowjetzone, die Entspannung in der Welt und die Bewahrung des Friedens sollten ein ernsthaftes Nachdenken über diese Frage wert sein. ({0})

Dr. Konrad Adenauer (Kanzler:in)

Politiker ID: 11000009

Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob das eine Frage war. Aber es ist ja auch gleichgültig. Wir haben die Ausführungen des Herrn Kollegen Erler gehört, und ich stelle fest - wir werden das Stenogramm ja auch sehr genau studieren - ({0}) - Ja, Sie können sich darauf verlassen, sehr genau! ({1}) - Also, ich kann nun machen, was ich will; wenn ich sagte, ich würde es nicht studieren, dann wären Sie auch böse! ({2}) Meine Damen und Herren, Sie müssen meine Hartnäckigkeit verzeihen, aber die Sache ist von einer ganz ungewöhnlichen Wichtigkeit. Wir müssen doch versuchen, wenigstens den Standpunkt, den der andere einnimmt, klar zu erkennen. Nun habe ich eben doch Herrn Kollegen Erler ({3}) hier aussprechen huren, dem Sicherheitssystem müßten die vier Besatzungsmächte angehören. Er hat nicht gesagt, ob nur; er hat aber gesagt, die vier Besatzungsmächte müßten ihm angehören. Ich kann mir nicht helfen, meine Damen und Herren, das klingt nicht nach einem Sicherheitssystem, und jedenfalls würde ich nicht sagen: nach einem europäischen Sicherheitssystem. Ich würde sehr vorziehen, wenn die Herren das entweder hierin änderten, damit man weiß, woran man mit dem Antrag ist, oder wenn Sie zustimmten, daß der Antrag an den Ausschuß überwiesen wird, damit Sie dort die Erklärungen dazu geben. ({4})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid! ({0}) - Herr Dr. Schmid verzichtet. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather. ({1})

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, weshalb mein Erscheinen an diesem Platz diese Ovationen auslöst. ({0}) Ich habe lediglich die Absicht, mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten eine Frage an den Herrn Abgeordneten Dr. Gerstenmaier zu richten. Es sind über den Inhalt der Entschließung, die von den Regierungsparteien auf Drucksache 864 eingebracht worden ist, in der Debatte Bedenken und Zweifel laut geworden. Meine Frage soll dazu dienen, diese Zweifel auszuräumen. Es heißt in Ziffer 1 der Entschließung, daß der Deutsche Bundestag den Beschluß des 1. Deutschen Bundestages vom 26. Juli 1950 bekräftigt. Er soll sich damit erneut bekennen zur Einigung Europas, zur Bewahrung des Friedens und zur Sicherung der Freiheit des deutschen Volkes in der Gemeinschaft der freien Welt. „Er" - der Deutsche Bundestag -„sieht in der Erreichung dieser Ziele die Voraussetzung für die baldige Wiedervereinigung Deutschlands". Der Herr Abgeordnete Erler hat gegen diese Formulierung Bedenken erhoben, auf ,die ich Bezug nehme. Ich halte diese Bedenken für gerechtfertigt. Wenn diese Formulierung bedeuten sollte - und das würde der allgemeine Sprachgebrauch besagen -, daß die Einigung Europas in dem Sinne eine Voraussetzung ist und daß ohne eine solche Einigung die Wiedervereinigung nicht stattfinden könnte, dann könnte ich dieser Entschließung allerdings nicht zustimmen. Ich bitte den Herrn Abgeordneten Dr. Gerstenmaier, der entscheidend an dieser Entschließung mitgearbeitet hat, mir die Frage zu beantworten, ob diese Formulierung diese oder eine andere Bedeutung hat.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wird noch das Wort gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000669, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich antworte auf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Kather wie folgt. Bei der Abfassung dieser Entschließung gingen die Vertreter der Koalitidnsfraktionen nicht von dem Wunsche aus, eine Rangfolge oder eine Zeitfolge der Werte festzustellen. Es hat sich auch nicht um eine programmatische Aussage überhaupt gehandelt, sondern es handelt sich lediglich um die Aussage: zur Zeit ist nur dieser Weg sichtbar. Wir können nur diesen Weg, den wir sehen, den wir für realisierbar, den wir für gangbar halten, dem Hause empfehlen. Einen anderen Weg, den wir nicht sehen, eine leere theoretische Konzeption können wir dem Hause nicht vortragen. Nur insoweit ist dieses Wort „Voraussetzung" zu verstehen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

August Martin Euler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000500, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Antwort, die der Herr Kollege Erler gegeben hat, daß nämlich die vier Besatzungsmächte dem kollektiven Verteidigungssystem ({0}) - also gut: dem kollektiven Sicherheitssystem angehören sollen, stimmt völlig mit dem überein, was der Kollege Schmid gesagt hat; denn er hat ausgeführt, daß dieses Sicherheitssystem etwa nach dem Modell des Locarno-Paktes zu denken sei, daß also nicht Sicherheiten in zwei sich gegenüberstehenden Bündnissystemen gegeben werden, sondern innerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems, in dem die Verabredung besteht, daß jeder die Sicherheit des andern dadurch gewährleistet, daß ein etwaiger Angreifer in diesem System die automatische Beistandsleistung zur Abwehr dieses Angriffs bei allen anderen auslöst. ({1}) - Doch, das war durchaus seine Darlegung. Er hat von einem kollektiven Sicherheitssystem gesprochen und dabei das Modell des Locarno-Vertrags ausdrücklich erwähnt. Das heißt also, auch nach der Antwort, die Herr Kollege Schmid gegeben hat - und die Antwort des Kollegen Ollenhauer bedeutet im Kern genau dasselbe -, soll die Sowjetunion diesem kollektiven Sicherheitssystem angehören. Das bedeutet nichts anderes, als daß man die Vorstellung einer Sicherheit hat, die dadurch gefunden werden soll, daß die Sowjetunion mit ihren Satelliten innerhalb dieses Sicherheitssystems einen Platz findet. ({2}) Nun, wir brauchen aber doch gerade Sicherheit gegenüber denjenigen, durch die sie allein gefährdet ist. ({3}) Es ist doch völlig irreal, den Eindruck zu erwekken, als seien wir hier in einem Niemandsland und als seien die Erwägungen, vor wem wir Sicherheit brauchen, rein theoretischer Natur. Gerade diese Erwägungen sind doch die praktischsten, die es gibt. Wenn sie es nicht wären, wäre ja überhaupt nicht zu verstehen, warum die NATO in verschiedene Machtblöcke auseinandergebrochen ist, warum innerhalb der NATO die tiefgreifende Gegnerschaft entstanden ist. ({4}) ({5}) - Ja, aber die UNO hat doch ihren Zweck gerade deswegen nicht erfüllen können, ({6}) weil sich die aggressive Macht der Sowjetunion innerhalb der UNO destruktiv ausgewirkt hat ({7}) und infolgedessen gegenüber dem Machtblock der UdSSR regionale Verteidigungssysteme zur Abwehr der aus dem Osten kommenden Gefahren erforderlich wurden. Ich glaube, diese Gedanken genügen schon, um den illusionären Charakter Ihres Sicherheitssystems völlig offenbar zu machen. ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich darf damit die Debatte schließen. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, darf ich Sie auf einen Druckfehler in dem Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 863 hinweisen. Es muß unter Ziffer 3 heißen: „bei den westlichen Besatzungsmächten darauf hinzuwirken", nicht „hinzuweisen". Es liegen zwei Anträge vor: der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 863 und der Antrag der Fraktionen der Regierungskoalition auf Drucksache 864. Ich komme zur Abstimmung bezüglich der Anträge in der Reihenfolge, wie sie eingereicht sind, also zuerst zum Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 863. ({0}) Hierzu ist namentliche Abstimmung beantragt. ({1}) - Ich bitte doch, mich ausreden zu lassen. Ich weiß genau, wie es zu behandeln ist. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist an sich ausreichend unterstützt. Es ist jedoch von der Fraktion der CDU/CSU Ausschußüberweisung beantragt. Dieser Antrag auf Ausschußüberweisung geht dem Sachantrag vor. Zu diesem Antrag auf Ausschußüberweisung ist eine namentliche Abstimmung nicht beantragt und wäre auch nach § 58 Buchstabe g der Geschäftsordnung gar nicht möglich. Ich lasse also über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU abstimmen, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 863 dem Ausschuß zu überweisen. ({2}) - Dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten. Wer dem Antrag auf Überweisung an den Ausschuß zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten überwiesen. Ich komme zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE und DP auf Drucksache 864. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Mit Mehrheit gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 48. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 14. Oktober 1954, 9 Uhr, und schließe die 47. Sitzung des Deutschen Bundestages.