Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 43. Sitzung des Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Der Präsident hat für einen Tag Urlaub erteilt den Abgeordneten Könen ({0}), Böhm ({1}), Dr. Pferdmenges, Winkelheide, Schill ({2}), Dr. Schöne, Kramel, Dr. Franz Gleissner ({3}), Dr. Baade, Dr. Orth, Lenz ({4}), Margulies, Dr. Wellhausen, Cillien und Frau Wolff ({5}).
Danke schön!
Meine Damen und Herren, es ist eine interfraktionelle Vereinbarung darüber zustande gekommen, die heutige Tagesordnung zu erweitern um die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherstellung der Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ({0}).
Außerdem bestand gestern schon Einmütigkeit darüber, daß die Tagesordnung von gestern, soweit sie nicht erledigt ist, heute erledigt werden soll. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Dann habe ich auf folgendes hinzuweisen. Am 6. Mai 1954 ist das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den vier Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 1949 verabschiedet worden. Dabei haben sich nachträglich Bedenken gegen die deutsche Übersetzung des Abkommens herausgestellt. Nach Rücksprache mit dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten hat das Auswärtige Amt eine berichtigte Fassung erstellt, die den Mitgliedern des Hauses als Drucksache zu 152 inzwischen zur Kenntnisnahme zugegangen ist. Ich darf annehmen, daß das Haus davon Kenntnis genommen hat und daß sich eine erneute Behandlung erübrigt. Ich wäre im übrigen dankbar, wenn die beteiligten Dienststellen der Ministerien zutreffende Übersetzungen dem Bundestag zur Verfügung stellen würden.
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Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 4. September 1954 gemäß § 2 des Gesetzes über die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 13. Juli 1948 in Verbindung mit § 1 Abs. 3 der Reichsschuldenordnung die Anleihedenkschrift 1953 übersandt. Die Denkschrift liegt im Archiv zur Einsichtnahme aus. Sie wird in den Allgemeinen Vorbemerkungen zum Entwurf des Bundeshaushaltsplanes für 1955 veröffentlicht.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 14. September 1954 die Kleine Anfrage 8Z der Fraktion der FDP betreffend Erhöhung der Postgebühren - Drucksache 632 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 819 vervielfältigt.
Wir fahren in der Besprechung zu Punkt 1 der gestrigen Tagesordnung fort:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Fall John ({2});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Falle John ({3});
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Mißbilligung des Verhaltens des Bundesministers des Innern ({4}).
Das Wort hat der Abgeordnete Heye.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich könnte mir vorstellen, daß zur gleichen Zeit, in der wir gestern hier im Bundestag der Bundesrepublik über Entstehung, Ursachen und Folgen des Johnschen Verrates gesprochen und nach einem für uns erreichbaren Schuldigen gefahndet haben, der Chef der sowjetischen Befehlsstelle für die Führung des Kalten Krieges seinem Deutschlandbearbeiter mit Worten der Anerkennung einen hohen Orden verliehen hat für den
Erfolg seiner planmäßig verlaufenen Operation John und Schmidt-Wittmack.
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Die gestrige Debatte des Bundestages und die Tatsache, daß diese Debatte leider heute fortgesetzt werden muß, sind der beste Beweis dafür, in welchem Maße es der geschickten östlichen Regie gelungen ist, in einer Zeit höchster innen- und außenpolitischer Spannung und gefahrvoller Krisen für die Zukunft der Bundesrepublik, ja auch Europas ein allgemeines Gefühl der politischen Unsicherheit und eine Atmosphäre des wechselseitigen Mißtrauens zu schaffen. Der Verlauf der gestrigen Sitzung ist für mich ein erschreckender Beweis für diese Behauptung.
Nach meiner Ansicht sind sowohl John wie auch Schmidt-Wittmack in dem üblichen Sinne keine Agenten der östlichen Macht, sondern sind einfach Figuren gewesen, die die östliche Regie zu einem ihr genehmen und günstig erschienenen Zeitpunkt ihres psychologischen Angriffs eingesetzt hat. Wären sie wirklich Agenten in dem Sinne, wie wir es verstehen, gewesen, so säßen beide, davon bin ich überzeugt, heute noch hier in Westdeutschland.
Ich werde keine großen Worte über die Entstehungsgeschichte des Falles, über die Schuldfrage und über die charakterliche Analyse eines zum Verräter gewordenen John verlieren. Hierüber ist nach meinem Gefühl bereits zuviel gesprochen und bereits zuviel geschrieben worden, mehr, als es die Sicherheit unserer Demokratie eigentlich verträgt.
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Ich will auch keinen Beitrag dazu liefern, ob die anfangs zweifellos nicht geschickte psychologische Behandlung des Falles John in dieser Zeit reifender schwerer politischer Entschlüsse noch Schlagzeilen verdient. Ich möchte versuchen, in kurzen Ausführungen nur einige Randbemerkungen zu dem Fall John und seiner Behandlung zu machen.
Wenn ich mich im folgenden im Sinne einer sachlichen und positiven Kritik zu dem Problem eines politischen Nachrichtendienstes äußere, so tue ich das nicht als ein Mensch, der jemals als fachliche Kraft in irgendeiner Form dem Nachrichtendienst angehört hat. Ich habe aber in vielen Dienststellen meiner militärischen Laufbahn mit den verschiedensten Nachrichtendiensten, nicht nur mit den militärischen, zu tun gehabt und besitze deshalb vielleicht eine gewisse Erfahrung.
Einige Bemerkungen vorweg: Manche Menschen versuchen, an die Ereignisse des Jahres 1944 oder 1950 oder 1954 die gleichen Maßstäbe anzulegen, wie sie sich aus dem heutigen Blickpunkt ergeben. Meines Erachtens kommt man nur dann zu einer sachlich richtigen Beurteilung der politischen Geschehnisse, wenn man sich in das Klima der jeweiligen Epoche versetzen kann und sowohl die politischen Möglichkeiten der Bundesrepublik wie die menschlichen Handlungen aus dieser Atmosphäre heraus betrachtet. Fehlurteile ergeben sich besonders dann, wenn weltfremde Menschen in einer oft anmaßend anmutenden Naivität sich nicht darüber im klaren sind, daß jedes Land primär und ausschließlich in seinem Interesse handelt, sofern es nicht um gemeinsame Interessen gleichgesinnter Staaten geht. Der Franzose spricht und handelt selbstverständ({2})
lich als Franzose, der Engländer als Engländer, und der Deutsche sollte nicht anders handeln, er sollte aber auch nichts anderes von fremden Nationen erwarten. Ich bin sicher, daß die britische Regierung 1944, im Kriege mit Deutschland, die Figur John als eine nützliche Hilfe britischer Interessen angesehen hat. Auch die Alliierten hatten, ganz nüchtern betrachtet, 1950 bestimmt noch kein Interesse daran, einen gut funktionierenden und im rein deutschen Interesse arbeitenden Nachrichtendienst aufzubauen. Im Gleichklang mit der veränderten politischen Lage ist heute der britische Außenminister bemüht, die nunmehr gemeinsamen Interessen der freien europäischen Völker einschließlich der Bundesrepublik als ehrlicher Makler zu fördern.
Ich habe aus der gestrigen Debatte den Eindruck gewonnen - ich habe ihn aber auch sonst -, daß in der Bundesrepublik die Kenntnis über die Aufgaben und das Wesen eines politischen Nachrichtendienstes gering ist. Abgesehen von reißerisch aufgemachten und oft nur ein Körnchen Wahrheit enthaltenden Zeitungsberichten, sehe ich die Ursache dafür darin, daß die Bundesrepublik im Gegensatz zu anderen Staaten keinen als Beispiel dienenden Vorgang und keine nachrichtendienstliche Erfahrung besitzt, die auf die gegenwärtige politische Lage und die Notwendigkeiten des Kalten Krieges anwendbar sind. Wir, d. h. in diesem Falle die gesamte westliche Welt, stehen den Methoden und den Waffen des Kalten Krieges noch zu unerfahren gegenüber und wissen den ideologischen Angriffen der Kommunisten auf die Demokratie nicht schnell genug und vor allen Dingen nicht offensiv zu begegnen. Ich möchte daran die Bemerkung knüpfen, daß vielleicht gerade wir Deutschen auf dem Gebiete der Psychologie, auf dem Gebiete der Menschenführung nicht besonders begabt sind.
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Der Verfassungsschutz als politischer Nachrichtendienst dient der Sicherung des Staates gegenüber allen Kräften, die die Zerstörung der Grundlagen des Staatswesens anstreben. Ich persönlich halte die kommunistischen Kräfte für die weitaus gefährlichsten, schon allein aus dem realen Grunde, weil hinter dem Kommunismus ein ungeheures, ganz Europa überlegenes politisches Machtinstrument in der staatlichen Form des Sowjetblocks steht.
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Ich bin überzeugt, daß allein die Ausstrahlung und die Anziehungskraft dieser realen Macht die kommunistischen Kräfte in den nichtsowjetischen Ländern zu einem Machtfaktor haben werden lassen. Wir haben selber die Erfahrung gemacht, daß Macht anzieht, und zwar nicht nur, wie gestern gesagt worden ist, Spießer und vorsichtige Leute. Die Ultra-Rechtsbewegung dagegen bedeutet wegen des Fehlens einer effektiven Macht, die hinter ihr steht, nicht annähernd die gleiche Gefahr, abgesehen davon, daß der Nährboden für ein gefährliches Wachstum in der Bundesrepublik für diese Bewegung endgültig verloren ist, wenn man von kleinen Gruppen absieht, deren Bedeutung leider Gottes sehr oft durch die Presse aus Sensationslust, vielleicht auch manchmal in böswilliger Absicht weit übertrieben wird. Die Ultra-Rechtskreise haben insofern allerdings eine Bedeutung, als sie in ihrer
Wirkung die staatsfeindlichen Kräfte des Kommunismus verstärken und die demokratischen Abwehrkräfte zersplittern.
Welche Aufgaben hat nun der politische Nachrichtendienst? Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der politische Nachrichtendienst niemals von sich aus neue politische Situationen schafft. Er beleuchtet auf seine Weise und mit seinen Mitteln die bestehende Situation, indem er das vom Gegner Geheimgehaltene aufklärt und damit zugleich die Entwicklungsmöglichkeiten der politischen Lage für die Zwecke des verantwortlichen Politikers deutet. Er beschäftigt sich nur mit den Regisseuren der anderen Seite, mit ihrer Taktik und, wenn es geht, auch mit der Strategie der dortigen Führung, damit die eigene politische Führung darauf eingestellt ist und man der Absicht des Gegners vorbeugen oder begegnen kann.
({5})
Dies erfordert ein ungeheuer elastisches und sich jeder Veränderung auf der Gegenseite anpassendes Instrument. Der Verfassungsschutz als politischer Nachrichtendienst ist deshalb - er sollte es jedenfalls sein - eine mit keiner anderen staatlichen Institution vergleichbare Sonderinstitution, die sich jeder Abhängigkeit von der Verwaltung und damit jedem Schema entziehen muß. Sein Wesen und seine Tätigkeit werden lediglich vom Politischen her bestimmt, er ist ein Organ der verantwortlichen politischen Führung, deren Diener er sein soll.
Ich bin weiterhin der Ansicht, daß ein politischer Nachrichtendienst, wie wir ihn im Verfassungsschutzamt haben, eher klein als groß sein soll. Schon aus diesem Grunde halte ich es nicht für richtig, ihn der Verwaltung einzuordnen, da sich dort sehr oft - und das bezieht sich nicht auf die staatlichen Organisationen allein - die Eigenschaften der Hydra bemerkbar machen, nur im Gegensatz zur Sage mit dem Unterschied, daß hier oft Köpfe nachwachsen, ohne daß vorher welche abgeschlagen sind. Ich bin deshalb der Auffassung, daß alle Zweige der staatlichen Verwaltung der öffentlichen parlamentarischen Behandlung unterliegen sollten, daß aber der Verfassungsschutz, der im Interesse der Sicherheit unseres Staatswesens nicht vom Verwaltungsmäßigen her bestimmbar ist. sich als Thema für eine breite parlamentarische Behandlung nicht eignet. Diese liefert in jedem Falle dem Gegner Material. Wenn z. B. der feindliche Nachrichtendienst, sagen wir, ein angenommener Befehlsstand des Kalten Krieges, eine Analyse der gestrigen Debatte durchführen würde, könnte er zweifellos viele Ansatzpunkte finden, wohin er seine zerstörenden Bestrebungen richten soll. Das bezieht sich nicht allein auf das Problem des 20. Juli, sondern auch auf Spannungen und Mißtrauen, die sich gestern in der Debatte ergeben haben.
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- Ich habe es nicht verstanden, aber es war sicher sehr schön.
Ich glaube, es gibt in der Demokratie auch noch andere Formen für die Behandlung von Dingen, wenn sie im Interesse der Demokratie notwendig ist, als die, sie ausgerechnet in der breiten Öffentlichkeit zu erörtern.
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Ich sehe in der Tatsache, daß es trotz unserer zweifellos schwierigen und kritischen Lage nicht möglich gewesen ist, diese unser aller Sicherheit betreffenden Fragen außerhalb der breiten Öffentlichkeit zu behandeln, einen Beweis dafür, wie labil die innere Struktur unseres jungen Staates noch ist. Ich bin überzeugt, daß die alten und erfahrenen westlichen Demokratien hinsichtlich ihrer nachrichtendienstlichen Angelegenheiten geräuschloser arbeiten und ohne gesetzgeberische Maßnahmen und vielleicht auch ohne parlamentarische Debatten auskommen.
Ich freue mich, daß gestern meine Fraktionskollegen von Brentano und Kiesinger und auch andere Sprecher aus der Koalition den Gedanken der Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten hervorgehoben haben. Ich schließe mich dem an. Ich bin überzeugt, daß es Aufgabe des ganzen Hauses ist, in diesen Fragen das Parteiinteresse gegenüber dem Interesse des Ganzen zurückzustellen und die Behandlung des Themas in der Öffentlichkeit - soweit sie überhaupt jetzt noch möglich ist -, nach Form und Inhalt nur so weit zu vertiefen, als es unserem gemeinsamen Interesse und unserer gemeinsamen Verantwortung entspricht. Wenn wir in der heutigen äußerst kritischen Situation es nicht fertigbringen, eine einheitliche überparteiliche Linie in der Behandlung des ganzen Fragenkomplexes zu finden, werden wir nicht nur einem frohlockenden Gegner in die Hände spielen, sondern meiner Überzeugung nach auch gegen den Willen der Mehrheit des Volkes handeln. Wir vergessen allzu oft, daß wir noch keinen echten Frieden haben und daß man auch im Zeichen des Kalten Krieges dem Gegner nicht die eigenen schwachen Stellen aufzeigen und ihm I) damit die Möglichkeit eines allzu leichten Einbruchs geben darf. So wie auch heute trotz der Preisgabe des EVG-Plans die europäischen Staaten in einem Boot sitzen - wenn auch im Moment auf getrennten Bänken - und auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden sind, so gibt es auch in der Bundesrepublik staatliche Aufgaben, die nur unter gemeinsamer Verantwortung von Regierung und Opposition gelöst werden können. Das bezieht sich nach meiner Auffassung einmal auf die Außenpolitik, dann aber auch auf alle anderen Maßnahmen, die in irgendeiner Form mit der Sicherung unseres jungen und - darüber sind wir uns wohl alle klar - noch sehr anfälligen Staatswesens zusammenhängen. Ich beschränke mich an dieser Stelle darauf, diese Forderung zu erheben, ohne sie im einzelnen zu begründen.
Ich will nur noch mit einigen Worten auf die gemeinsame Verantwortung von Koalition und Opposition hinsichtlich des politischen Nachrichtendienstes hinweisen.
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Der ganze Realismus der politischen Wirklichkeit findet seinen klarsten Ausdruck darin, daß es gegenüber dem Kommunismus keinen Unterschied zwischen Koalition und Opposition gibt. Dieser Unterschied ist auf anderen Gebieten eine wertvolle Wirklichkeit, ihn aber angesichts der unmittelbaren Bedrohung der gemeinsamen Existenz aufrechtzuerhalten, bedeutet, so wie die Dinge heute liegen, die Stärkung des lebensgefährlichsten Gegners. Jeder deutsche Nachrichtendienst sollte deshalb dem Klima der Vorherrschaft der Parteiinteressen und einer sich daraus ergebenden
Stellenbesetzung entzogen werden, ebenso wie eine zu weitgehende Aufteilung in mehr oder weniger selbständige Verfassungsschutzämter ohne eine weisungsberechtigte Bundeszentrale nicht zweckmäßig ist. Kein nachrichtendienstlicher Gegner und keiner seiner Helfershelfer werden regionalen Gliederungen in unserer kleinen Bundesrepublik eine größere Bedeutung zumessen als Postleitzahlen. Unzeitgemäße und unzweckmäßige Überbetonung der regionalen Gliederungen des Verfassungsschutzes geht auf die seinerzeit verständliche, aber inzwischen nicht mehr gerechtfertigte Siegermentalität von 1945 zurück. Auf Grund der Erkenntnis, daß ebenso wie beim Kriminalamt auch beim Nachrichtendienst Sonderinteressen dem Ganzen untergeordnet werden müssen, wird sich eine für alle tragbare und arbeitsfähige Lösung finden lassen. Es wird sich dann sehr bald zeigen, daß sich in dieser Frage Bundes- und Länderinteressen nicht unterscheiden, weil sie identisch sind.
Ein Wort zur Polizei. Sie hat ganz andere Aufgaben als der politische Nachrichtendienst, womit nicht gesagt werden soll - ich kenne die Struktur des Verfassungsschutzes nicht genau -, daß es nicht möglich wäre, einige Aufgaben, die bisher der Verfassungsschutz zu erfüllen hatte und die in die Exekutive hineingehen, der Kriminalpolizei abzugeben. Die Arbeit des politischen Nachrichtendienstes entzieht sich sowohl den Möglichkeiten als auch den Notwendigkeiten der Polizei, die stets ein Teil der staatlichen Verwaltung bleibt und bleiben soll. Polizei und Verfassungsschutz sind jedoch aufeinander angewiesen, weil sie ineinander übergehen und sich ergänzen. Man kann vielleicht mit einem Wort, das nicht von mir stammt, das Verhältnis von Polizei und Verfassungsschutz schlagwortartig zusammenfassen: Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe zu „erkennen"; das „Erkannte" weiterzubehandeln, ist Sache der Polizei.
Organisatorisch sollte man beim politischen Nachrichtendienst von der bei uns Deutschen so beliebten Kästchenorganisation mit einer festgelegten Hierarchie abgehen. Ich könnte es mir als zweckmäßig vorstellen, daß an der Spitze des politischen Nachrichtendienstes eine politische Persönlichkeit von Ansehen und Gewicht steht, die auch gegenüber den höchsten Staatsbehörden die notwendige Durchschlagskraft besitzt. Es ist meiner Ansicht nach nicht nötig, daß diese Persönlichkeit ein Nachrichtenspezialist ist, abgesehen davon, daß wir über sehr wenige Spezialisten auf diesem Gebeit verfügen. Einer der wenigen, der ebenfalls über die notwendige Lebenserfahrung verfügt, ist ein Fraktionskollege von mir. Im übrigen bedeutet aber der Spezialist in hohen Stellungen keineswegs immer die glücklichste Lösung aller Probleme. Die Hauptsache scheint mir zu sein, daß eine solche Persönlichkeit, wie sie mir vorschwebt, mit den politischen Spielregeln vertraut ist und daß sie für diese schwere und verantwortungsvolle Aufgabe die charakterlichen Voraussetzungen mitbringt, wobei es völlig gleichgültig ist, aus welchem parteipolitischen Lager der demokratischen Parteien sie kommt. Die Persönlichkeit muß natürlich ebenso wie vergleichsweise der Bundespräsident die Gewähr dafür bieten, daß sie ihr Amt über den Parteien stehend führt. Ich habe keinen Zweifel, daß wir mehrere solche Männer zur Verfügung haben. Einer solchen Persönlichkeit ist dann ein kleiner, aber ausgesuchter - ausgesucht nach Fachwissen, nach charakterlicher Integrität
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und nach staatsbejahender Gesinnung - Stab von Fachleuten beizuordnen. Auf diese Weise werden wir hoffentlich dazu kommen, daß ein wirklicher und den deutschen Verhältnissen angepaßter Nachrichtendienst in engem persönlichem Kontakt der politischen Führung die Unterlagen für ihre Entschlußfassung liefert.
Und noch ein Wort zu der von mir betonten Notwendigkeit des engen Kontaktes. Ich weise deshalb darauf hin, weil nach meinem Gefühl die Handhabung des politischen Nachrichtendienstes durch die bisher zuständigen Stellen bis nach oben hin nicht allen Möglichkeiten, die in einem richtig aufgezogenen politischen Nachrichtendienst liegen, Rechnung getragen hat. Ein politischer Nachrichtendienst, der seine Auswertung und seine Erkundung sozusagen auf dem Dienstwege und nur ab und zu in persönlichen Gesprächen durch sämtliche Instanzen bis nach oben weitergibt, hat nicht mehr Wert als einer der vielen Presse- und Informationsdienste.
Ich möchte einen Vergleich aus meiner militärischen Erfahrung bringen, nachdem Themen über alles, was mit Soldatentum zusammenhängt, heute fast wieder gesellschaftsfähig geworden sind.
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- Ja, zum Teil! Es ist eine alte Erfahrung, die sich in der Geschichte immer wieder bestätigt hat, daß die größten Erfolge auf allen Gebieten dort erzielt werden, wo es gelingt, die verantwortlichen Mitarbeiter durch den Kontakt von Mensch zu Mensch so weit zu beeinflussen, daß sie in der Lage sind, auch bei Fortfall der räumlichen Nähe des verantwortlichen Vorgesetzten im Sinne der Führung zu handeln und damit die eigene Entschlußfassung auch ohne unmittelbare Befehlserteilung auf das von der Führung angestrebte Ziel auszurichten. Nur auf diese Weise kann man erreichen, daß man auch in höheren verantwortungsvollen Stellen Mitarbeiter bekommt, die, wie es der klassische Ausdruck des britischen Admirals Nelson besagt, eine band of brothers, eine Gemeinschaft von Brüdern bilden. Diese Forderung scheint mir beim politischen Nachrichtendienst unbedingt notwendig zu sein. Nur der persönliche Kontakt, und zwar der unmittelbare Kontakt, wird den Chef eines politischen Nachrichtendienstes in die Lage versetzen, den Nachrichtendienst als Diener der politischen Führung einzusetzen.
Ein Wort zur Methode und Arbeitsweise des Verfassungsschutzes. Es ist selbstverständlich, daß nicht nur alle staatlichen Einrichtungen, sondern alle Parteien und alle Organisationen Objekt des kommunistischen Angriffes sind, Organisationen wie z. B. die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften, die Jugendgruppen und alle kirchlichen Vereinigungen usw. Was liegt näher als der Gedanke, daß ein elastischer und unbürokratischer Nachrichtendienst mit den Vorständen und Leitungen derartiger Verbände zusammenarbeitet und sie auch verantwortlich in die Abwehr der ideologischen kommunistischen Angriffe zur Verhinderung der inneren Zermürbung einschaltet?
Abschließend ein Vorschlag zur parlamentarischen Kontrolle einer Nachrichtenorganisation. In einer alten und gerade auf dem Nachrichtengebiet geschulten Demokratie - wobei nicht gesagt sein soll, daß dort nicht auch Fehler und Versager vorkommen - gibt es keine sichtbare parlamentarische Kontrolle, gibt es keinen öffentlich ausgelegten Haushaltsplan für den Nachrichtendienst, und es gibt keine allgemein bekannte Stellenbesetzung. Das ist im Grunde das für den Nachrichtendienst Zweckmäßigste. Es setzt aber eine Tradition und ein Vertrauen in diese Institution voraus, die bei uns nicht vorhanden sind. Ich könnte mir deshalb vorstellen, daß in dieser oder jener Form eine gewisse demokratische Kontrolle - Kontrolle nicht im Sinne der Überwachung, sondern der gemeinsamen Bemühung um Sicherung gegen Mißbrauch und Mißverständnis -vertrauen-schaffend wirken kann, um die Sorge vor einem Wiedererstehen des SD oder einer ähnlichen Machtkonzentration zu beheben. Allerdings bin ich der Auffassung, daß eine solche Kontrolle, wenn sie in Erwägung gezogen wird, nur einem ganz kleinen Kreis von Menschen verantwortlich übertragen werden sollte. Ich könnte mir sogar denken, daß man nur einen Abgeordneten der Koalition und einen der Opposition zu dieser Aufgabe heranzieht, wobei es nicht einmal nötig ist, daß die Namen dieser beiden Abgeordneten der Öffentlichkeit bekannt sind.
Ich persönlich verspreche mir nicht allzuviel von einem Untersuchungsausschuß, sofern er einen größeren Kreis umfaßt. Ich will aber diese Frage nicht weiter vertiefen. Ich sehe ein, daß eine Überprüfung notwendig ist, glaube jedoch, daß sich noch andere Möglichkeiten finden lassen, diese Fehler und Versager in der Zukunft - das kann ja nur der Sinn sein - auszuschalten.
Ich halte es für überflüssig und auch unzweckmäßig, über diesen Rahmen hinaus noch die Probleme des Nachrichtendienstes, seine Vergangenheit und seine Zukunft vor der Öffentlichkeit darzulegen. Nur noch einmal kann ich aus meiner Erfahrung darauf hinweisen, daß die Verantwortung gerade in den Fragen der Sicherheit unseres schwach geschützten Staates auf uns allen liegt und daß wir, wenn wir diese These nicht beachten, dem im Kalten Kriege überlegenen Gegner - daran ist wohl kein Zweifel - das Material in die Hände spielen. Der Gegner ist lebensgefährlich, weil diktatorische Systeme - um mit dem Bundespräsidenten zu sprechen - den Menschen verstaatlicht haben. Der Mensch ist zu einem Teilchen einer exakt arbeitenden Staatsmaschinerie geworden, die durch einen Hebeldruck kurz und schnell in Aktion gesetzt werden kann. Die Demokratie hingegen strebt die Vermenschlichung des Staates an, und die Demokratie ist immer ein Umweg, niemals die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten. Sie ist der Umweg über die Menschlichkeit in der Bemühung, Notwendiges und Mögliches für die Gemeinschaft zu tun. Eins aber ist notwendig. Die Demokratie kann den Nachteil der verzögerten Handlungsfähigkeit bei lebenswichtigen staatlichen Funktionen - ein Nachteil, der durch das Wesen der wahren Demokratie bedingt ist und auf den wir nicht verzichten wollen und dürfen - nur dadurch ausgleichen, daß sie Persönlichkeiten von einwandfreiem Charakter und erprobter Zuverlässigkeit mit solchen Aufgaben betraut und sie damit ermächtigt, im Interesse der Gemeinschaft verantwortlich zu handeln. Der Mensch, die Persönlichkeit hat deshalb in der Bundesrepublik eine sehr viel größere Bedeutung als eine noch so vollendete Organisation, in der wir ja sonst Meister sind. Es kommt darauf an - um ein kurzes Wort zu gebrauchen -, den richtigen Mann an die richtige Stelle zu setzen.
Diese Erkenntnis muß daher der Leitgedanke gerade auch bei der Stellenbesetzung des Nachrich({12})
tendienstes sein. Es kommt nicht auf viele an, sondern es kommt nur darauf an, wer da sitzt, völlig unabhängig davon, woher er kommt und was er sonst tut. Ich habe das feste Vertrauen, daß wir trotz des Materialismus und aller Schicksalsschläge in allen Kreisen der Bevölkerung noch genügend Menschen haben, die bereit sind, eine Sache um der Sache willen zu tun und sich im wahren Sinne für die Sache der Gemeinschaft einzusetzen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Ho o g en hat gestern einen Zusatzantrag zum Thema Untersuchungsausschuß gestellt. Wir halten den Antrag für zulässig und werden ihm zustimmen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die von Herrn Geheimrat L a f o r et in seinem Rechtsgutachten gegen Zusatzanträge erhobenen Bedenken sonst begründet sind. In Übereinstimmung mit dem Rechtsstandpunkt, den meine Partei in Niedersachsen eingenommen hat, halten wir es - vorbehaltlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - für statthaft, solche Ergänzungen der Aufgaben zu beschließen, die das Anliegen der antragstellenden Minderheit nicht beeinträchtigen, also das Beweisthema weder verändern noch verfälschen. Unserer Meinung nach hätte es allerdings der Zusatzfrage nicht bedurft; denn die Frage 1 nach der Aufsicht über das Amt und die Frage 5 nach den Umständen des Verrats umschließen es ohnehin, daß man die Wahrheit über John feststellt, um das Kontrollrecht des Bundestags gegenüber der Bundesregierung wahrzunehmen.
Daß unser Antrag die Verantwortlichkeit des Bundeskanzlers für Johns Ernennung nicht ausdrücklich ansprach, hat einen klaren Grund. Uns lag und liegt es fern, die Bundesregierung oder eine der Regierungsparteien sozusagen - meine Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte - noch in Tuchfühlung mit dem zum Verräter gewordenen John zu bringen. Ist es denn wirklich nötig, solche Selbstverständlichkeiten auszusprechen? Zu den gestern hier so beredt beschworenen Gemeinsamkeiten dürfte es doch als das Erste, als der einfachste Anfang einer Grundlage gehören, uns in einer Überzeugung einig zu sein: in dem Augenblick, als John die Grenze zum Berliner Ostsektor überschritt, als er die Unfreiheit wählte und die Demokratie verriet, wurde zwischen ihm und uns allen ein solcher Trennungsstrich gezogen, daß es für jeden Demokraten und für jede demokratische Partei eine Beleidigung ist, mit diesem John noch in einem Atemzug genannt zu werden.
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Wer jetzt von uns dem anderen anhängen wollte: „Seht, dieser da ist euer John!", der handelt unanständig
({1})
und muß sich gefallen lassen, daß man ihn auch so benennt.
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Meine Damen und Herren, um Johns willen bedürfte es keines Untersuchungsausschusses, weil unser aller Urteil über ihn gesprochen ist. Was es im gemeinsamen Interesse zu ermitteln gilt, sind die Fehlerquellen. Man muß sie kennen, wenn man für die Zukunft ein gleiches Unheil vermeiden will.
Das Thema eines Untersuchungsausschusses ist stets einzig und allein die Verantwortlichkeit der Regierung, weil die Befugnis, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, nur dazu gewährt ist, dem Parlament eine Ausübung seines Kontrollrechts der Regierung gegenüber zu ermöglichen. In der Staatsrechtslehre hat man deshalb den Untersuchungsausschuß, der die Ursache des 1. Weltkrieges feststellen sollte, zutreffend als verfassungswidrig kritisiert. Ebenso wäre es unzulässig - ich sage das mit aller Offenheit -, den Fall Schmidt-Wittmack als solchen zum Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung zu machen, weil dabei keine Verantwortlichkeit der Regierung in Frage steht.
Ihr Zusatzantrag, Herr Kollege Hoogen - ich fürchte, er ist im Augenblick nicht anwesend ({3})
- so? -, kann daher nur den Sinn haben, ausdrücklich mit zu prüfen, ob von seiten der Bundesregierung, als sie John ernannte, etwas versäumt oder sonst fehlerhaft von ihr gehandelt wurde.
Wenn ich sagte, ein Untersuchungsausschuß könne sich immer nur mit der Suche nach Fehlern der Regierung und mit nichts sonst befassen, so wünschte ich doch, daß wir uns hierbei über einen Gesichtspunkt verständigten, der von entscheidender Bedeutung ist. In einer Demokratie sind die Rollen zwischen der Mehrheit und der Minderheit nicht so verteilt, daß jeder Fehler der Regierung ein Sieg der Opposition oder jedes Versäumnis der Regierung nur eine Schlappe für ihre Mehrheit wäre. Es gibt auch Fehler, die wir allesamt zu büßen haben, und daher auch Fehlerquellen, die aufzudecken und zu verstopfen eine gemeinsame Aufgabe und ein Gewinn für das Ganze sind. Ich kann deshalb für meine Fraktion vieles von dem gutheißen, was gestern hier Herr von Brentano und Herr von Merkatz geäußert haben, wenn es dabei auch Zwischentöne und Untertöne gab, die mir nicht gefallen haben, und Bemerkungen, die durchaus auf unsere entschiedene Ablehnung stoßen müssen. Ich will das Haus nicht damit aufhalten, mich damit nun im einzelnen auseinanderzusetzen. Jedenfalls sehe ich einen guten Anfang in dem Anerkenntnis, daß es um unser politisches Klima leider nicht zum besten bestellt ist. Man schafft aber kein neues Klima schon nur mit der wortstarken Aufforderung zum Zusammenrücken. Voraussetzung des Zusammenrückens ist zuweilen ein Abrücken. Es wäre an der Zeit, daß Sie endlich einmal abrückten von dem auch auf die Sozialdemokratie gemünzten Plakat der CDU: „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau",
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abrückten von der Verdächtigung, daß unsere politische Haltung die antideutschen Kräfte im Ausland ermuntere,
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abrückten von der Rundfunkrede eines Bundesministers ohne besondere Aufgaben, der sich selbst
als Persönlichkeit in der Mitte Europas bezeichnete.
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Es dient auch nicht unserem Gespräch, wenn der Herr Bundesminister des Innern jedesmal, in
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der „Vulkan"-Debatte gegenüber dem Herrn Kollegen Greve und gestern gegenüber Herrn Kollegen Menzel, seine Kritiker eines Bruches der Vertraulichkeit bezichtigt und damit nur in kleiner Weise nachahmt, was ihm der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus gegenüber meinem Freunde Carlo Schmid zu Unrecht vorexerziert hat.
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In diesem Zusammenhang auch zu dem, was soeben der Herr Kollege Heye ausgeführt hat: Was uns von den sogenannten Volkskammern unterscheidet, ist die Freiheit unserer Rede und die gemeinsame Überzeugung, daß man den Demokraten, der eine andere Meinung hat oder Kritik übt, nicht als Staatsfeind abtun darf.
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Wir sollten uns diesen Unterschied eines freien Parlaments zu den Volkskammern nicht verkümmern lassen.
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Ich bedauere es deshalb, daß der Herr Kollege Heye hier soeben gesagt hat, wir hätten gestern nur dem Gegner Material geliefert.
Wir haben uns frei ausgesprochen. Und wenn es ein Material ist, dann können die Volkskammern daran lernen, wie es in einer Demokratie zugeht, und könnten sich danach sehnen, so frei zu sein wie wir. Man soll doch nicht immer die Freiheit als einen Schaden darstellen, weil dann letzten Endes das aufgegeben wird, was einer Verteidigung erst ihren Wert gibt.
({11})
Es ist Ihnen unbenommen, der Rede des Herrn Kollegen Reinhold Maier entgegenzutreten oder seine Ansichten, wenn Sie es können, zu widerlegen. Der Untersuchungsausschuß wird ja manche Gelegenheit nach der Richtung hin bieten. Aber keiner von uns sollte ohne zwingende Beweise die redliche Absicht einer Kritik in Zweifel ziehen und den Gegner mundtot machen wollen durch den Vorwurf, daß er mit seiner Rede Deutschland in den Rücken falle.
({12})
Warum konnte denn das Überlaufen von ein, zwei Verrätern ein politisches Erdbeben auslösen und zum nationalen Unglück werden? Weil die Mißgriffe des Herrn Bundesministers des Innern den bedauerlichen Eindruck der Vertuschung und der Verharmlosung machten,
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weil das nicht oder nicht rechtzeitig in Erscheinung trat, was man gestern hier so wohlklingend das gemeinsame Handeln in gemeinsamer Sache nannte, weil das schlechte Klima unserer Innenpolitik die Menschen draußen daran zweifeln läßt, ob wir gemeinsame Maßstäbe haben und gewillt sind, den Bundestag zum Wächter der Freiheit zu machen!
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Die Mehrheit sollte nach der Gemeinsamkeit nicht nur dann rufen, wenn sie in Schwierigkeiten zu geraten droht und die Minderheit an Verlusten zu beteiligen wünscht.
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Nach unserer Meinung bleibt es dabei, daß wir bedauern, daß der Herr Bundesminister des Innern nicht bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß in einem ihm nachgeordneten Amt nicht alles zum besten gestanden hat. Auch Sie können die ja von Ihren eigenen Rednern gestern vielfach ausgesprochene Mißbilligung nicht dadurch wieder auszulöschen suchen, daß Sie nachher formell bei der Abstimmung unserem Mißbilligungsantrag mit allerlei Beschönigungen die Stimme versagen.
Herr Kollege Hoogen, mein Freund Mellies hat sehr deutlich gesagt, welche Mißgriffe des Herrn Bundesministers des Innern mißbilligt werden sollen: Das ist das Preisausschreiben mit den 500 000 Mark, das ist diese Geschichte da, daß John entführt ist, all das - ({16})
- Nun, daß er sich jedenfalls unfreiwillig drüben im Ostsektor aufhält, Herr Minister, alles das - ich will es nicht wiederholen - ist sehr klar gesagt worden. Wir sollten nicht in einer solchen Weise diskutieren, daß man einfach tut, als hätte man die Ausführungen des Vorredners - in diesem Falle meines Freundes Mellies - überhaupt nicht gehört.
Das Wachstum unseres Staatsbewußtseins krankt daran, daß man das Regierungsinteresse zu sehr mit dem Staatsganzen gleichsetzt
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und aufbauwillige Kräfte in die Ecke gestellt hat, obgleich auch aus ihren Reihen unvergängliche Opfer an der äußeren und an der inneren Front der Freiheit gebracht wurden. Diese Front der Freiheit - und das muß ich gegenüber dem Herrn Kollegen Heye sagen - kennt in unserer Zeit keine nationalen Grenzen und kannte sie auch im letzten Weltkrieg nicht mehr. Ein Verrat am Volke konnte auch im Staatsinnern begangen werden, und das deutsche Volk hat niemals einen ärgeren Feind gehabt als den Nationalsozialismus.
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Ein Wirken für seine Freiheit und seine Gesundung war in den dunklen Tagen der Gewaltherrschaft auch von den Ländern her möglich, denen die Freiheit wie uns teuer ist und um deren Freundschaft wir jetzt werben. Die Ideale der Freiheit und der Menschlichkeit galten bereits 1944 und zuvor.
Aus dem Fall John gilt es eine dreifache Lehre zu ziehen, und Sie alle werden bei der Abstimmung, aber auch bei der Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuß Gelegenheit haben - jeder von uns wird sich bemühen müssen -, diese Lehre zu beherzigen: Klarheit in der Verantwortung der Regierung, Wahrheit für das Volk als Grundlage seines Vertrauens, und Achtung vor den Rechten des Bundestages als des Wächters der Freiheit.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, schon an dieser Stelle der Debatte zu sprechen. Die Ausführungen des Herrn
({0})
Kollegen Arndt veranlassen mich, früher das Wort zu ergreifen, als ich es ursprünglich beabsichtigt hatte.
Ich bin der ganzen Debatte, wie das selbstverständlich ist, mit größter Aufmerksamkeit gefolgt. Ich muß sagen, daß in der Debatte manches gesagt worden ist, wofür ich aufrichtig dankbar bin. Für Vorschläge positiver Kritik aufnahmebereit zu bleiben, wird immer die vornehmste Pflicht der Regierung sein. In diesem Sinne möchte ich ganz besonders Herrn Kollegen Heye danken, der heute morgen hier gesprochen hat, und zum Ausdruck bringen, daß ich auch für manches dankbar bin, was Herr Kollege Mellies gesagt hat. Von Herrn Kollegen Arndt, der bisher in der öffentlichen Diskussion dieses Problems geschwiegen hatte, hätte ich allerdings eine gerechtere Würdigung erwartet, als er sie soeben hier vorgetragen hat. Ich komme darauf im einzelnen zurück.
Ich bin froh, daß Herr Kollege Heye, der vielleicht als unbefangener gelten könnte als ich, sich wenigstens am Rande mit dem Problem der Vertraulichkeit beschäftigt. Meine Damen und Herren, wir wollen in diesem Punkt doch ganz offen sein. Jeder von uns weiß, daß Ausschüsse in der Größe von 23 Mitgliedern plus 23 Stellvertretern plus anderthalb Dutzend Vertretern des Bundesrates plus anderthalb Dutzend Vertretern der Ministerien - ({1})
- Ich werde gleich im einzelnen darauf zurückkommen, Herr Kollege Menzel, und den Ausdruck „Unwahrheit" möchte ich überhört haben. Ich werde Ihnen gleich Gelegenheit geben, zu exakten Tatsachen Stellung zu nehmen.
Ich sagte, Ausschüsse in dieser Größe, für die die größten Sitzungssäle in diesem Haus gebraucht worden sind - der Ausschuß hat das erstemal im früheren Sitzungszimmer der SPD getagt, das zweitemal in einem der größten Sitzungsräume, die dieses Haus überhaupt zur Verfügung hat, und allein das deutet doch wohl schon die Größe der Ausschüsse an -, Ausschüsse von solcher Größe können ihrer Natur nach schon nicht unbedingt vertraulich sein.
Ich habe gestern in diesem Sinne einige Anmerkungen zu dem gemacht, was Herr Kollege Menzel vorgetragen hat. Ich habe inzwischen das Stenogramm seiner Rede gesehen, und ich bleibe dabei, daß auch seine Rede, nach meiner Meinung jedenfalls, nicht das Maß von Vertraulichkeit einhält, das erforderlich ist. Ich bin gern bereit, Herrn Kollegen Menzel die Stellen zu zeigen, auf die ich mich beziehe.
({2})
Selbst wenn Ihnen, meine Damen und Herren, das nicht genügen sollte - es ist etwas, was Sie ja selber bei der Lektüre des Protokolls feststellen können -, darf ich Ihnen die Lektüre eines Zeitungsaufsatzes empfehlen. Ich habe vor mir die in München erscheinende „Abendzeitung", und zwar die Nr. 211, ausgegeben Montag, den 13. September 1954. In dieser Nummer findet sich ein Aufsatz „Mit den Augen der Opposition" und mit der weiteren Überschrift Warum Minister Schröder schweigt". Dieser Aufsatz ist geschrieben von einem Angehörigen des Bundestagsausschusses zum
Schutze der Verfassung aus den Reihen der Opposition.
({3})
Ich stelle jedem Mitglied des Hauses frei, diesen Aufsatz zu lesen, und wir können dann weiter darüber diskutieren, ob das die Innehaltung der Vertraulichkeit des Ausschusses ist. Ich erspare mir dazu jede weitere Bemerkung.
({4})
Im Gegensatz zu dem, was heute morgen in einigen Zeitungen zu lesen ist, möchte ich klarstellen, daß ich nicht gesagt habe, die Konferenz der Länderinnenminister sei nicht vertraulich geblieben, sondern ich habe gesagt: Die Konferenz der Länderinnenminister hat den Beweis dafür erbracht, daß der Ausschuß nicht vertraulich war. Ich habe mich auf das Fernschreiben bezogen, welches dort vorlag - ein Fernschreiben über einen öffentlichen Fernschreiber.
Soweit dieser Punkt. Es ist hier gesagt worden - ich komme damit auf etwas zurück, was Herr Kollege Menzel ausgeführt hat -, ich hätte in dem Ausschuß nicht bekanntgegeben eine Kommission, die damals schon eingesetzt worden sei. Das trifft nicht zu. Diese Kommission war damals nicht eingesetzt. Sie stand auch in ihrer personellen Zusammensetzung noch nicht fest. Sie ist heute noch nicht endgültig konstituiert.
Meine Damen und Herren, es ist in der Debatte ein Vorschlag gemacht worden. Ich gehe damit zurück auf etwas, was ich in der ersten Sitzung dieses Ausschusses schon ausgeführt habe, möchte mich allerdings vor dem Vorwurf zu bewahren suchen, daß ich nun meinerseits die Vertraulichkeit der Ausschußsitzung verletze. Das Projekt ist an sich nicht neu aufgekommen; da es aber hier neu aufgekommen ist, darf ich es vielleicht als neues Projekt behandeln. Herr Kollege Heye hat - und Herr Kollege von Merkatz hat gestern etwas ähnliches gesagt - zu bedenken gegeben, ob es nicht richtig wäre, ob es nicht zwingend wäre, ob es nicht natürlich wäre, bestimmte Sicherheitsfragen - Sicherheitsfragen und nicht die Aufklärung mehr oder weniger belangloser Kleinigkeiten! - in einem ganz engen Kreise zu behandeln. Herr Kollege Heye ist sogar so weit gegangen, diesen Kreis vielleicht nur auf zwei Mitglieder, eines aus den Reihen der Koalition, eines aus den Reihen der Opposition, zu beschränken. Das trifft sich mit Gedanken, die ich seit längerer Zeit, wenn ich nicht irre, wohl schon in der Bundestagsdebatte damals, geäußert habe. Ich werde Gelegenheit nehmen, diese Frage in den allernächsten Tagen, in der allernächsten Zeit mit den Herren Fraktionsführern hier zu besprechen, um ihre Meinung dazu kennenzulernen. Ich würde es begrüßen, wenn es möglich wäre, etwas zu schaffen, meine Damen und Herren, was in glücklicheren Demokratien, als wir es sind, durchaus üblich ist. Ich habe kürzlich mit dem Leiter einer hohen, vielleicht der höchsten Sicherheitsstelle in Großbritannien gesprochen, weil ich sehr begierig darauf war, zu sehen, was man nun eigentlich tun kann, um Schwierigkeiten zu vermeiden wie die, die wir hier haben. Er hat mir gesagt, und ich werde es Ihnen gleich aus den Protokollen des britischen Unterhauses beweisen, daß es dort Sicherheitsfragen gibt, die nicht zur plenaren Behandlung kommen, sondern in anderer Weise behandelt werden können, ja, daß es gewisse Fragen gibt, die überhaupt nur zwischen dem Prime Minister und dem Führer der Opposition in besonders wichtigen Fällen behandelt werden. Selbst
({5})
wenn wir, unserer Parteistruktur nach, nicht nur auf ein solches Gegenüber gestellt sein können, sollten wir wenigstens den Versuch machen, zu etwas Ähnlichem zu kommen. An meiner Bereitwilligkeit wird dieser Versuch sicherlich nicht scheitern.
In der Debatte ist gestern - ich glaube, sowohl von Herrn Kollegen Menzel wie von Herrn von Brentano - ein Name erwähnt worden, den ich von mir aus lieber nicht hier in die Debatte eingeführt hätte, weil ich glaube, daß es zuviel Ehre bedeutet, ihn hier in diesem Hause zu behandeln. Das ist der Name von Herrn Diels. Es ist der Vorschlag gemacht worden, zu überprüfen, ob der § 9 des Gesetzes zu Artikel 131 des Grundgesetzes im Falle des Herrn Diels angewendet werden kann. Wenn ich richtig unterrichtet bin, ist Herr Diels in Niedersachsen entnazifiziert worden und bezieht auch seine Bezüge in Niedersachsen. Es wird also Sache der niedersächsischen Regierung sein, sich mit dieser Frage, soweit es sich um die tatsächlichen Voraussetzungen handelt - -({6})
- Ich bin noch nicht am Ende.
({7})
- Ich bitte zuzuhören; ich bin noch nicht am Ende.
({8})
- Bitte hören Sie doch zu! Ich bin noch nicht am Ende. Nach § 9 des Gesetzes zu Art. 131 kann dieses Verfahren - darf ich mich so ausdrücken: dieses Disziplinarverfahren - durch die Bundesregierung eingeleitet werden,
({9})
- ich wäre dankbar, wenn ich erst aussprechen dürfte, um den Gedankengang zu entwickeln - und es wird eingeleitet werden. Wir werden die niedersächsische Regierung bitten - soviel ich weiß, lebt Diels in Göttingen -, uns alles ihr zugängliche Material zur Verfügung zu stellen. Wir werden dieser Anregung aus dem Hause in der schnellsten Weise entsprechen. Ich darf zur Erläuterung hinzufügen: Ich habe inzwischen bereits festgestellt, daß Herr Diels Bezüge, und zwar ein Wartegeld, nach A 2 b bezieht.
({10})
Um den genauen Betrag zu nennen, der das Haus vielleicht interessiert: Es sind nach meinen Aufzeichnungen 658,78 DM.
({11})
Ich glaube das Einverständnis des Hohen Hauses zu haben, daß die Bundesregierung in dieser Weise verfährt.
({12})
Nun, meine Damen und Herren, darf ich auf den Punkt zurückkommen, den ich hinsichtlich der Behandlung von Sicherheitsfragen und von Fragen parlamentarischer Verantwortlichkeit in Großbritannien behandelt habe. Ich darf nur ganz kurze Zitate mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus den Debatten des Unterhauses vom 18. Juli 1951, dem 12. November 1952 und dem 11. Juni 1951 geben. Die relevanten Auszüge heißen folgendermaßen - ich zitiere zunächst Herrn Morrison, Außenminister, aus einer Debatte über die Fälle McLean und Burgess -:
Alle geeigneten Nachforschungen diesem Verschwinden zufolge sind angestellt worden. Der ehrenwerte Kollege fragt, ob ich persönliche Verantwortung für diese Ernennungen übernehme. Da ich damals nicht Außenminister war, kann ich das selbstverständlich nicht tun. Das ist die Antwort, denke ich.
Aus der Debatte vom 12. November 1952 Mr. Nutting in Vertretung des Außenministers:
Nein, überhaupt niemand wird in dieser Angelegenheit gedeckt. Ich habe bestimmt oft genug im Hause betont, daß der Grund, weswegen wir nicht öffentliche Anfragen wünschen oder mehr Einzelheiten veröffentlichen, als wir es in dieser Sache getan haben, der ist, daß wir keine Auskunft über Untersuchungsmethoden geben oder andere vertrauliche Angelegenheiten offenlegen wollen.
({13})
Ich darf wiederum Mr. Morrison zitieren, und zwar am 11. Juni 1951:
Ich möchte das Haus davon informieren, daß die Sicherheitsaspekte dieses Falles sich in Untersuchung befinden und daß es nicht im öffentlichen Interesse liegt, sie offenzulegen.
Meine Damen und Herren, ich habe in diesen Wochen immer wieder vor der Frage gestanden und stehe auch jetzt noch immer wieder vor ihr, wie man das öffentliche Interesse an einer vollen Information mit dem, was wir als notwendig zur Wahrung der Staatssicherheit ansehen, in Übereinstimmung bringen soll. Ich glaube, jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, wird zugeben, daß dies ein außerordentlich schwieriges Problem ist. Ich bin nur dankbar, wenn wir wenigstens auf das richtige Verständnis in diesem Bemühen stoßen, selbst wenn wir Sie nicht alle bei unseren Bemühungen befriedigen können. Das ist nach der Natur der Dinge ausgeschlossen, und nur deswegen habe ich aus den Protokollen eines ausländischen Parlaments zitiert. Ich hätte das sonst nicht getan.
Ich möchte aber doch noch einmal, nachdem so viel Falsches in der Welt ist und es beinahe unausrottbar zu sein scheint, eindeutig feststellen: ich habe in diesem Fall zu keinem Zeitpunkt davon gesprochen, ich wiederhole: zu keinem Zeitpunkt davon gesprochen, daß Herr John entführt worden sei. Es wird ständig mit der Behauptung operiert, ich hätte die Entführungsthese aufgestellt. Dies trifft nicht zu. Sämtliche öffentlichen Erklärungen, die ich über diese Sache abgegeben habe, stehen zur Verfügung: das Wort „Entführung" befindet sich nicht in einer einzigen. Wenn ich dazu bisher geschwiegen habe, meine Damen und Herren, so eigentlich nur deswegen, weil ich bei der großen Emotion, die diese Sache ausgelöst hat, offenbar gar nicht in der Lage war, gegen diesen Strom der Emotion anzukommen. Ich hätte aber gerade von Ihnen, Herr Kollege Arndt - und das ist das, was ich ehrlich bedaure -, erwartet, daß Sie wenigstens in diesem Punkte korrekter gewesen wären.
({14})
({15})
Ich darf fortfahren. Alles, was ich in dieser Sache gesagt habe, meine Damen und Herren - und das sind nun schon rund zwei Monate -, deckt sich völlig - und ich lege großen Wert darauf, das zu unterstreichen - mit dem bis heute vorliegenden Ergebnis der Ermittlungen des Herrn Oberbundesanwalts. Jeder, der sich damit eingehender beschäftigen möchte, ist mir jederzeit zu einer intensiven Aussprache darüber willkommen.
Es gibt noch eine Reihe von Punkten, auf die ich gern eingehen würde. Ich möchte Sie aber mit Rücksicht auf die große Beanspruchung, die angesichts der umfangreichen Tagesordnung heute noch vor Ihnen liegt, nicht übermäßig in Anspruch nehmen. Ich darf aber eines sagen: Der Kalte Krieg, in dem wir uns befinden und in dem wir uns schon vor dem Verschwinden des Herrn John befunden haben, dauert an, und wir müssen leider befürchten, daß er noch recht lange andauern wird. Deswegen kann es nur unser gemeinsames Bestreben sein, zu einer Haltung zu finden, die den nationalen Erfordernissen in einem solchen Kalten Krieg gerecht wird.
({16})
Meine Damen und Herren, ein Volk wird in einer solchen Lage von allen Seiten in einer Weise beunruhigt, daß es intensivster Gegenwirkung durch diejenigen bedarf, die die Gefahr wirklich sehen und sich im Augenblick der Gefahr richtig verhalten. Ich glaube, daß die eigentliche Bewährung unseres Volkes noch nicht in den Jahren gelegen hat, die hinter uns liegen. Diese Jahre seit 1945 haben wir relativ gut durchgestanden. Die eigentliche Bewährung, meine sehr verehrten Damen und Herren - dessen seien Sie sich sicher -, liegt noch v o r uns,
({17})
und wir werden diese Bewährung nur dann durchstehen, wenn wir die grausame Unerbittlichkeit, die Heimtücke und Gefährlichkeit des Gegners, mit dem wir es zu tun haben, endlich alle erkennen. Deswegen bleibe ich dabei: die Behandlung dieses Falles kann nur richtig erfolgen - und wir werden uns mit dieser Sache und ihren Folgen noch lange beschäftigen müssen -, wenn wir wirklich darin übereinstimmen, daß es nicht ein persönliches Unglück ist, nicht eine Sache der Regierung oder gar eines einzelnen Ressortministers, sondern daß diese Sache ein Akt des Gegners im Kalten Krieg ist, ein nationales Unglück, das wir nur dann, aber auch nur dann überwinden können, wenn wir es gemeinsam versuchen.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Herr Bundesinnenminister sich zum Wort meldete, nahm ich zunächst an, daß er entsprechend seiner Zusage in der gestrigen Regierungserklärung unsere Große Anfrage nun auch endlich restlos beantworten würde. Herr Bundesinnenminister, wir stellen zunächst fest, daß Sie um einen Teil dieser Großen Anfrage herumgegangen sind. Ich will, obwohl es sich am Schluß der Debatte vielleicht nicht mehr um entscheidende Punkte handelt, die Unterlassungen kurz aufzählen.
({0})
- Nein, das heißt es gar nicht, Herr Kollege! Der Herr Bundesinnenminister hat zum Schluß einen Appell zur nationalen Zusammenarbeit an uns gerichtet. Da wäre es zunächst seine Verpflichtung gewesen, dem deutschen Parlament ordentliche Rechenschaft zu legen!
({1})
Herr Bundesinnenminister, Sie sind um die mehrfach gestellte Frage nach der Zahl und dem Umfang der Geheimdienste in Deutschland herumgegangen. Wir wünschen, daß endlich einmal genau die Zahl und genau die Namen der Geheimdienste der Öffentlichkeit hier bekanntgegeben werden.
({2})
- Das mag manchem unbequem sein, aber wir wünschen das, damit wir endlich wissen, wer das deutsche Volk alles überwacht.
({3})
Dazu, Herr Bundesinnenminister, gehört auch, daß Sie die Frage nach der alliierten Zusammenarbeit mit den deutschen Geheimdiensten nur sehr mager behandelt haben.
({4})
Wir wünschen, daß der Schriftwechsel mit den Alliierten hierüber, von dem Sie gesprochen haben, auf den Tisch des Hauses gelegt wird.
Noch magerer war das, Herr Bundesinnenminister, was Sie uns darüber sagten, was mit dem Verfassungsschutz werden soll. Vielleicht war dieses Ergebnis nur deshalb so mager, weil Sie sich in der Tat bisher keine Mühe gegeben haben, darüber besondere Überlegungen anzustellen. Sonst hätte es doch, nachdem diese Probleme von allen Fraktionen angesprochen worden sind, nahegelegen, daß Sie wenigstens heute in Ihrem Schlußwort erklärt hätten, wie Sie sich die Reorganisation künftig vorstellen. Aber, Herr Bundesinnenminister, statt um eine sachliche Aufklärung bemüht zu sein, haben Sie versucht, von all diesen Themen abzulenken und - entschuldigen Sie bitte - Verdächtigungen auszustreuen.
({5})
Meine Damen und Herren, zunächst eine Richtigstellung! Der Herr Bundesinnenminister hat so viele Verlautbarungen über die Gründe, warum John geflohen ist, herausgegeben, daß er heute wahrscheinlich selber gar nicht mehr weiß, was er alles gesagt hat.
({6})
Der Herr Bundesinnenminister hat sich eben dagegen gewandt, er habe einmal davon gesprochen, daß John das Opfer einer Entführung geworden sei. Ich verweise zunächst auf das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 27. Juli dieses Jahres. Darin steht unter den Überschriften „Vorläufige Erklärung zur Angelegenheit Dr. John - Der Bundesminister des Innern vor der Bundespressekonferenz":
Das bisherige Bild deutet darauf, daß Dr. John in Berlin überlistet worden ist.
({7})
Nun, wenn man jemanden überlistet, so heißt das ja schon, daß er wohl entführt worden ist.
({8})
- Augenblick! Sie frohlocken zu früh! - Am 23. Juli berichtet das gleiche Bulletin:
Das Bundesministerium des Innern gibt dazu
- zu dem Fall John bekannt: Alle Anzeichen ergeben bisher, daß der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. John, das Opfer einer Entführung . . . geworden ist.
({9})
- Da steht es doch!
({10})
- Entschuldigen Sie, wenn das amtliche Bulletin Ihre amtliche Erklärung wiedergibt, dann können Sie doch jetzt nicht - Dr. Schröder, Bundesminister des Innern: Das ist keine Erklärung von mir; ich wiederhole das!
({11})
Nun wird auch noch das amtliche Bulletin verdächtigt!
({0})
Der Herr Bundesinnenminister hat mit der gleichen, sehr, ich kann schon gar nicht mehr sagen: geschickten, sondern raffinierten Weise auch andere Behauptungen in die Welt gesetzt, die Dritte in ein Zwielicht setzen sollten. Herr Bundesinnenminister, Sie als Bundes innenminister müssen doch über die Organisation des Bundes und seine Verwaltung eigentlich am besten Bescheid wissen. Wie kommt es dann, daß Sie sich heute hinstellen und zum Fall Diels als Innenminister der Öffentlichkeit weiter nichts zu sagen haben als zu erklären: „Wenn ihr was machen wollt, müßt ihr euch an die Regierung in Hannover wenden!" Was ist denn das für eine Methode? Die Öffentlichkeit erwartet, Herr Bundesinnenminister, daß Sie erklären, ob Sie mit Diels einverstanden sind oder nicht!
({1})
- Sie haben hier gesagt, die Frage der Durchführung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes sei Ländersache und dafür sei also Niedersachsen zuständig. Herr Bundesinnenminister, erst auf die Zwischenrufe meiner Fraktion hin haben Sie dann beigeben müssen und gesagt: Selbstverständlich habe der Bund zu entscheiden, ob Herr Diels die Pension zu bekommen habe oder nicht. - Das alles steht in krassem Widerspruch zu Ihrem Schlußwort. Wir wehren uns mit aller Entschiedenheit gegen solche Methoden.
Das gleiche gilt nun für den - ich muß schon ( sagen - erstaunlichem Kampf des Herrn Bundesinnenministers um die Frage der Vertraulichkeit im Ausschuß zum Schutze der Verfassung. Ich verstehe eines nicht: seit nunmehr fünf Jahren hat es ganz selten - ich glaube, nur ein-, zweimal hinsichtlich des Auswärtigen Ausschusses - eine Kontroverse auf diesem Gebiet gegeben. Beim Ausschuß zum Schutze der Verfassung, beim Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen, beim Sicherheitsausschuß und auch sonst beim Auswärtigen Ausschuß, bei denen die gleiche Vertraulichkeit besteht, hat es nie eine gleiche Schwierigkeit gegeben. Die Schwierigkeit beim Ausschuß zum Schutze der Verfassung ist doch erst entstanden, Herr Bundesinnenminister, seit Sie dieses Amt übernommen haben.
({2})
Sie argumentierten hier wieder, es seien in den Ausschüssen zu viele Menschen anwesend. Nach Ihren gestrigen Angaben waren es 70, was Sie heute aufgezählt haben, waren fast 100. Herr Kollege Rehs hat Ihnen doch gestern vorgehalten - es mag sein, daß Ihnen das gestern bei der Länge der Sitzung entgehen konnte -, daß nach der Anwesenheitsliste der Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung im Durchschnitt 20 Mitglieder, 9 Stellvertreter, aber 9 Vertreter des Bundesrats und allein 6 Herren Ihres Hauses an der Sitzung teilgenommen haben.
({3})
Das gibt nach Adam Riese rund 40 Personen, also ungefähr die Hälfte der Zahlen, die Sie genannt haben. Dabei müssen Sie die Herren der Regierung abrechnen; es ist doch nicht unsere Schuld vom Ausschuß, wenn die Ministerien so viele Herren mitschicken.
Sie haben gestern, Herr Bundesinnenminister, wieder in der gleichen merkwürdigen Methode bedauernd erklärt, aus dem Ausschuß seien Indiskretionen herausgekommen. Nachher erst auf Grund von Zwischenrufen haben Sie zugeben müssen, daß dieser Vorwurf kein Mitglied des Ausschusses treffe. Dann sorgen Sie doch für Sauberkeit in Ihrem eigenen Hause, wenn da etwas nicht klappt!
({4})
- Das Protokoll kenne ich genau, und wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen würde, wieder etwas Vertrauliches aus dem Protokoll zu sagen,
({5})
könnte ich es verlesen. Dann würden Sie feststellen, was der Herr Bundesinnenminister auch da
wahrscheinlich nicht absolut korrekt zitiert hat.
Wir haben uns seinerzeit bei diesen vertraulichen Ausschüssen dagegen gewehrt, daß sie so groß werden sollen. Es war doch der Wunsch Ihrer Fraktion, daß die Ausschüsse so groß wurden! Wir haben das damals hingenommen, um eine allgemeine interfraktionelle Verständigung über Größe, Zahl, Zuständigkeit und Besetzung der Ausschüsse herbeizuführen. Sie können doch jetzt nicht dar({6})
aus, daß diese Ihre Wünsche erfüllt worden sind, heute den Vorwurf herleiten, die Ausschüsse seien zu groß.
Bereits im Parlamentarischen Rat hat es eine längere Auseinandersetzung über die Rechte der Länder und des Bundesrats gegenüber dem Bundestag und seinen Ausschüssen gegeben. Aber bitte, es waren doch Ihre politischen Freunde, die es damals im Parlamentarischen Rat durchgesetzt haben, daß die Länder und der Bundesrat nicht nur im Plenum jederzeit das Wort ergreifen, sondern auch jeweils Vertreter in die Ausschüsse entsenden dürfen. Das sind doch Konsequenzen Ihrer Wünsche. Wenn Sie es ändern wollen, stellen Sie bitte entsprechende Anträge; wir werden sie sorgfältig prüfen.
Im übrigen hört es sich wirklich etwas lächerlich an, Herr Innenminister - entschuldigen Sie diese Bezeichnung! -, wenn Sie sogar auf die Größe der Sitzungszimmer anspielen. Auch der Auswärtige Ausschuß und der Sicherheitsausschuß haben in dem alten Fraktionszimmer der CDU getagt, und ich habe mir nicht vorstellen können, daß dieses Milieu dem Herrn Bundesinnenminister nicht genehm sei.
({7})
Der Herr Innenminister beklagt sich nun, daß vertrauliche Tatsachen und Mitteilungen im Ausschuß an die Öffentlichkeit gekommen seien. Er hat auch gestern in seiner Rede erklärt:
Ich bedauere, daß dieser Ausschuß, obwohl seine Vertraulichkeit, wie auch diese Debatte bereits ergeben hat, in keiner Weise gewahrt wird, ein vertraulicher Ausschuß ist.
Die Debatte, auf die der Bundesinnenminister verweisen konnte, bestand bis zu diesem Zeitpunkt lediglich in der Rede meines Freundes Mellies und in meinen Ausführungen. Ich habe den Herrn Bundesinnenminister bereits gestern gefragt und ich frage ihn erneut: Welches sind die Sätze, die einen Bruch der Vertraulichkeit des Ausschusses darstellen? Welche Tatsachen, deren Kenntnis die öffentliche Ordnung gefährden könnte, welche Staatsgeheimnisse sind aus den Ausschüssen mitgeteilt worden? Denn darauf kommt es doch an, daß vertrauliche Tatsachen, die sich auf die Sicherung der Fundamente dieses Staates beziehen, daß bestimmte, im Laufe der Ermittlungen notwendigerweise zunächst vertrauliche Tatsachen nicht voreilig weitergetragen werden. Unter den Begriff „vertraulich" kann doch nie und nimmer eine Mitteilung fallen, in der, wie ich es gestern getan habe und wie es Herr Kollege Kahn-Ackermann in dem zitierten Münchener Artikel getan hat, erklärt wird, der Bundesinnenminister habe es abgelehnt, dem Ausschuß zu berichten. Seit wann kann den ein politisches und parlamentarisches Versagen eines Ministers ein vertrauliches Staatsgeheimnis sein?
({8})
Und wenn Sie, Herr Bundesinnenminister, sorgfältig die Protokolle nicht nur selbst durchlesen, sondern von den zu Ihrer politischen Partei gehörenden Mitgliedern des Ausschusses durchlesen lassen, dann werden Sie feststellen - und gerade das haben wir gestern gerügt -, daß Sie dem Ausschuß nicht eine einzige Tatsache mitgeteilt haben, die nicht schon vorher der Presse bekannt war.
({9})
Also Vertrauliches hat sich im Falle John/Schmidt- Wittmack im Ausschuß bisher überhaupt nicht abgespielt,
({10})
und darum, Herr Bundesinnenminister, stehen die Methoden, mit denen Sie hier vorgegangen sind, zwar in Übereinstimmung mit Ihrem persönlichen Verhalten im Ausschuß, aber sie sind ein krasser Widerspruch zu dem, was Sie am Schluß mit Ihrem Appell an die nationale Einheit gesagt haben. Uns nützen keine Worte; wir wollen von Ihnen entsprechende Taten sehen!
({11})
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte darauf kurz erwidern. Ich verweise nur auf ein einziges Zitat aus den gestrigen Ausführungen des Herrn Kollegen Menzel, in dem z. B. gesagt wird:
In der vorigen Woche machten Sie
- es bezieht sich auf diese Ausschußsitzung - recht geheimnisvolle Andeutungen, daß man vielleicht an einen kleinen Ausschuß denken könne, der die Verfassungsschutzämter überprüfe.
Sie haben sich dann nachher in der Fortsetzung Ihrer Ausführungen bezogen auf einen bisher noch nicht bekanntgegebenen - ({0})
- Herr Kollege Menzel, ich bin der Auffassung, daß das eine Durchbrechung der Vertraulichkeit ist.
({1})
Wenn Sie in diesem Punkt anderer Meinung sind, dann bedaure ich das.
Ich komme zu dem Aufsatz des Herrn Kollegen Kahn-Ackermann - ich nenne also nun den Namen -: „Warum Minister Schröder schweigt". Ich werde Ihnen die Stellen vorlesen, die ich für relevant halte.
({2})
Der Herr Innenminister
- es bezieht sich auf den Ausschuß wurde nämlich kürzlich gefragt, welche ihm bekannten Tatbestände das Mitglied der Bundesregierung Minister Franz-Josef Strauß am Tage des Verschwindens des CDU-Abgeordneten Schmidt-Wittmack in die Ostzone veranlaßt haben könnten, in einem Interview zu erklären, daß weitere Überläufer folgen würden.
Ich wiederhole: das ist die Wiedergabe von Ausführungen in dem Ausschuß.
Der Bundesinnenminister antwortete,
- ich werde im übrigen jetzt nicht richtig zitiert ihm seien keine Anhaltspunkte bekannt, welche eine derartige Erklärung rechtfertigten, wie sie sein Kollege Strauß abgegeben habe.
({3})
Eine klare Sache aus einer als vertraulich bezeichneten Sitzung.
({4})
({5})
- Es handelt sich hier um meine Ausführungen in dem Ausschuß und nicht um Betrachtungen in irgendwelchen anderen Zeitungen. Ich habe zu dieser Sache sonst nie etwas gesagt. Im übrigen werde ich hier inkorrekt zitiert. Ich kann nur sagen: ich bitte alle Unbefangenen, sich diesen Zeitungsaufsatz selbst zur Hand zu nehmen und sich dann ein Bild davon zu machen, ob das die Behandlung von solchen Ausschußsitzungen sein kann.
({6})
Ich wiederhole, ich werde an die Herren Fraktionsvorsitzenden herantreten in Ausführung des Gedankens, den ich soeben geäußert habe, daß wir nämlich dazu kommen sollten, einen engsten Kreis zu bilden, bei dem die Vertraulichkeit vielleicht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesichert werden könnte, bei dem wir die Möglichkeit hätten, alles auf einen ganz engen Kreis zurückzuführen. Dabei ist der Gedanke von Herrn Kollegen Heye, daß es überhaupt nicht bekanntzuwerden brauchte, mit wem aus Regierungskoalition und Opposition wichtige Fragen besprochen werden - so weit werden wir ja schwer gehen können-, sicherlich erwägenswert. Ich glaube, daß es der einzige Weg ist, dies zu versuchen. Ich bedaure sehr, daß wir hier in die Debatte über Vertraulichkeit eintreten mußten, aber seien Sie sicher, daß die Behandlung von Sicherheitsfragen und Vertraulichkeit eben unbedingt auf das engste zusammenhängen und daß es überhaupt von keiner Regierung, sei sie geartet, wie sie will, verantwortet werden kann, auf das stärkste bedrängt, wirklich das Letzte zu sagen, was sie weiß, wenn sie nicht die Sicherheit haben kann, daß es entsprechend behandelt wird. Ich glaube, meine Damen und Herren, Ihnen aus Debatten des englischen Unterhauses nachgewiesen zu haben, daß es dort so gehandhabt wird.
({7})
Meine Damen und Herren, es wird in zahlreichen Fällen telegraphisch und telephonisch gebeten, wegen der Rundfunkübertragung die Parteizugehörigkeit der Redner anzugeben. Ich werde das tun, um die Dinge in der Öffentlichkeit klarzustellen. Sie haben Verständnis dafür.
({0})
- Wozu ist der Bundestag nicht da? ({1})
- Ich bin auch nicht der Meinung, daß er eine Kulisse ist. Ich glaube auf der anderen Seite, daß es den Menschen, die mit einem lebhaften Interesse in der Öffentlichkeit an solchen Debatten teilnehmen, nicht völlig bekannt zu sein braucht, welcher Partei der einzelne Abgeordnete angehört. Darum sage ich es.
Zunächst hat das Wort Herr Abgeordneter Kiesinger von der Fraktion der CDU/CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann über die Auffassung, die der Herr Präsident soeben geäußert hat, streiten. Es gibt zwei Methoden: entweder die englische, d. h. die Sitzungen des Parlaments und seine Verhandlungen in den vier Wänden stattfinden zu lassen, oder die andere, die wir gewählt haben. Gestern und heute wurden und werden unsere
Verhandlungen im Rundfunk und im Fernsehen übertragen. Wir haben vor dem ganzen deutschen Volk verhandelt. In diesem Fall ist es nur konsequent, daß neben den Namen der Abgeordneten auch ihre Parteizugehörigkeit bekanntgegeben wird. Wie wir in Zukunft verhandeln wollen, ist eine andere Frage. Ich persönlich bekenne mich zu der englischen Methode. Ich wäre froh, wenn wir hier einen um die Hälfte kleineren Saal hätten, wenn wir anders säßen, so wie es drüben in England der Fall ist, und wenn wir unsere Verhandlungen in einem sehr viel informelleren und netteren Ton miteinander führen könnten. Von dieser Tribüne aus ist man ja immer versucht, als Volksredner zu sprechen. Ich will versuchen, das jetzt nicht zu tun.
Ich habe mir die paar Bemerkungen vorhin angehört. Ich will keine langen Ausführungen machen. Legen Sie es mir bitte nicht als Arroganz aus, wenn ich jetzt sage: Meine Herren, laufen wir nicht Gefahr, uns jetzt zum Schluß dieser Debatten in Haarspaltereien und Spitzfindigkeiten zu verlieren?
({0})
- Nein! Ich würde die Schuld nicht einseitig suchen. Der Minister hat wirklich versucht, klarzulegen, was er gesagt hat und was er nicht gesagt hat.
({1})
Ich kann Ihnen wirklich versichern: vom ersten Augenblick an habe ich mit ihm über diese These des freiwilligen oder unfreiwilligen Verbleibens bzw. des freiwilligen oder unfreiwilligen Übertritts gesprochen. Der Minister hat nicht eine Sekunde lang an eine Entführung geglaubt.
({2})
- Nein! Nun, Herr Menzel, - ({3})
- Nein! Herr Menzel, Sie wissen, wieviel auf dem Papier steht,
({4}) und selbst amtliche Papiere sind geduldig.
({5})
- Ja, meine Damen und Herren, Sie ganz dahinten, Sie bringen immer den meisten Stimmaufwand in dieses Haus herein. Man kann es nur dadurch entschuldigen, daß Sie so weit weg von hier sitzen. Glauben Sie, daß in Ihren Parteizeitungen, in Ihren Parteipapieren nur Richtiges steht? Es wäre schrecklich!
({6})
Selbst wenn ich irgendwo etwas lese, was Herr Ollenhauer gesagt haben soll, habe ich mir immer noch gesagt: ich kenne Herrn Ollenhauer doch als einen sehr vernünftigen Mann, das kann er gar nicht gesagt haben.
({7})
({8})
- Regen wir uns darüber jetzt nicht auf. Herr Menzel, ich kenne Ihr großes Anliegen. Verlieren wir uns doch nicht in Kleinigkeiten. Der Minister hat ein Angebot gemacht. Akzeptieren wir das Angebot, unterhalten wir uns in den nächsten Wochen darüber, wie wir das Problem lösen können. Dazu gehört auch, ob wir alles im Ausschuß zum Schutze der Verfassung behandeln können oder ob es Dinge gibt, die in diesem Ausschuß einfach nicht behandelt werden können. Wir können uns darüber unterhalten, wie groß der Ausschuß sein soll, d. h. wie viele Gäste dazukommen sollen. Ich habe gestern klar und deutlich gesagt, daß Sie unserer Unterstützung dabei sicher sein können.
Sollte sich unser Minister dabei vielleicht etwas zu spröde zeigen, dann gibt es auch Gelegenheit, mit ihm darüber zu reden. Aber legen Sie doch wirklich nicht jedes Wort, das er sagt, falsch aus. Er hat doch z. B. nicht von Ihrem Fraktionszimmer gesprochen, um irgendwie anzudeuten, daß wir eine Gänsehaut bekommen und es uns kalt den Rücken herunterläuft, wenn wir in Ihr Zimmer kommen müssen.
({9})
Wir gehen gern in dieses alte Zimmer hinein und haben gar keine Ressentiments. Wir hoffen, daß Sie keine Ressentiments haben, wenn Sie in das unsre kommen. Also machen wir doch jetzt mit den Haarspaltereien Schluß. Das soll kein Appell sein, das freie Wort hier zu unterbinden.
Zum Schluß noch ein Wort! Herr Kollege Arndt, Sie haben gesagt, die Aufforderung zum Zusammenrücken soll nicht nur in großen Worten bestehen. Ich gebe es Ihnen zu. Natürlich ist es so. Aber es gibt Stunden in der Geschichte dieses Parlaments, wo man auch das große Wort gebrauchen muß. Wenn Sie das, was ich in diesem Hause seit Jahren gesagt habe, nachlesen, dann werden Sie finden, daß ich persönlich - und so geht es manchem anderen - keineswegs diese Aufforderung zum Zusammenrücken nur ausgesprochen habe, wenn es galt, die Minderheit an Verlustgeschäften der Mehrheit zu beteiligen. Ganz im Gegenteil, ich habe bei Beginn dieses Bundestages, als wir nach einem triumphalen Sieg in dieses Haus zurückkehrten - bitte lesen Sie es nach - die Aufforderung zur Einigkeit an Sie gerichtet. Was konnte denn damals diese Aufforderung anderes bedeuten, als daß wir das Bekenntnis ablegen wollten, daß uns dieser Sieg nicht maßlos und arrogant machen sollte, sondern daß wir trotz dieses Sieges mit Ihnen zusammenarbeiten wollten?
({10})
Warum glauben Sie uns das nicht?
({11})
Meine Damen und Herren, diese Sitte, mit zynisch lächelnden Gesichtern dazusitzen und jedes ehrlich gemeinte Wort - ({12})
- Ich meine nicht Sie, Herr Arndt.
({13})
- Verehrter Herr Kollege Arndt, Sie wissen, daß über diese Äußerungen mehrere Interpretationen möglich sind.
({14})
- Ich bin gerne bereit, mich mit Ihnen über diese Äußerungen zu unterhalten, über die Sie mir - ich weiß es - gram sind. Ich habe sie nie in dem Sinne gemeint, wie Sie sie damals ausgelegt haben. Aber ich glaube wirklich, dieses Haus zum Zeugen anrufen zu können, daß ich mich nach besten Kräften bemüht habe, stets an diese Einigkeit des Parlaments zu appellieren, gerade auch in Stunden, wo wir es an sich machtmäßig nicht nötig gehabt hätten.
({15})
- Was ist das? Mit Worten? O nein, verehrter Kollege. Mit Ihnen habe ich noch nicht gesprochen. Sie sind mir noch nicht bekannt. Sie sind wahrscheinlich neu hier. Aber ich habe mit so vielen Ihrer Freunde hier in diesem Hause gesprochen unter vier Augen und im kleinen Kreise, und wir haben manches gute Stück Arbeit zusammen geleistet. Das wissen Sie eben nicht, weil Sie nicht im 1. Bundestag gesessen haben. Ich sehe nicht ein, warum jetzt am Ausgang der Debatte wieder das betrübliche Ergebnis stehen soll: „Wir akzeptieren Worte nicht! Wir glauben aneinander nicht!" Die deutsche Spaltung bleibt dann unheilbar.
({16})
Und das angesichts der Tatsache, daß drüben ein einiger Block steht, angesichts des Kalten Krieges, auf den der Innenminister hingewiesen hat! Meine Damen und Herren, wie wirkt diese Debatte, die wir hier heute morgen geführt haben, gegenüber dieser Riesengefahr, die uns bedroht?
({17})
Wir sind kleine Geister gegenüber dem, was uns bedroht.
({18})
Präsident c D. Dr. Ehlers: Das Wort hat der Abgeordnete Welke von der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, die Debatte über den Fall John vom Materiellen her zu vertiefen, betrachte es aber als notwendig und wichtig genug, auf einige Äußerungen, die gestern hier gefallen sind, einzugehen; denn sie beleuchten ein Problem, zu dem die Aussprache viele Beiträge geliefert hat, nämlich die ernste Sorge um den Bestand unserer jungen Demokratie. Wir haben es gestern erlebt, daß sich der Bundesminister Kaiser aus wohlerwogenen Gründen schützend vor die Männer und Frauen des 20. Juli stellen mußte.
({0})
- Er mußte es - und deswegen komme ich darauf zu sprechen -, weil es Kreise und Kräfte in unserm Volke gibt, die den Versuch unternehmen, im Zusammenhang mit dem Fall John die Widerstandskämpfer gegen das „Dritte Reich" in einer Weise zu diffamieren, die sich das deutsche Volk und dieses Hohe Haus eben nicht gefallen lassen können.
({1})
- Ich komme darauf. Was glauben Sie, weshalb ich mich gemeldet habe!
({2})
Der Kollege von Brentano hat gestern die Frage angesprochen, die ich behandeln möchte. Er hat von den „Ratten, die wieder aus den Löchern hervorkommen" geredet. Um solche „Ratten" handelt es sich zweifellos. Im Zusammenhang mit dieser Gefahr ist schon der Name Diels erwähnt worden. Ich bin aber der Meinung, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß solche „Ratten" ihr dunkles Gewerbe nicht nur außerhalb der Mauern dieses Hauses betreiben. Das kam auch gestern schon in meiner Frage an Herrn Gille zum Ausdruck. Von zahlreichen Rednern wurde gerade im Zusammenhang mit dem Fall John eine ernste Sorge zum Ausdruck gebracht. Sie haben diese Sorge ausgedrückt, weil Sie dazu legitimiert und sicherlich auch prädestiniert waren. Dazu gehört in erster Linie Herr Bundesminister Kaiser. Ich möchte ihm in diesem Zusammenhang für die Worte danken, die er hier bezüglich der Widerstandskämpfer des 20. Juli sprach.
({3})
Aber - und es war nicht Ihre Sache, Herr Minister - der Widerstand im „Dritten Reich" beschränkte sich nicht auf die Leute des 20. Juli. Der Widerstand gegen den Faschismus in unserem Vaterland begann im Jahre 1933.
({4})
Er wurde rein äußerlich dadurch eingeleitet, daß man die ersten KZs im Emsland, und zwar die Lager Börgermoor und Aschendorf schuf. Meine Aufgabe ist es - Sie konnten das nicht, Herr Minister, es war nicht Ihr Amt; ich sagte es schon
mich gerade bei der Diskussion über den Fall John genau so schützend vor diese Widerstandskämpfer zu stellen, wie es der Herr Minister Kaiser in dankenswerter Weise gestern für die Leute vom 20. Juli tat.
({5})
Nach diesen einleitenden Bemerkungen darf ich jetzt auf einen Vorfall eingehen, der mir gestern Veranlassung gab, an den Herrn Dr. Gille eine Frage zu stellen. Herr Dr. Gille hat gestern hier für seine Fraktion zum Fall John gesprochen. Ich bin persönlich der Meinung, daß die Fraktion des GB/BHE sehr schlecht beraten gewesen ist, als sie Herrn Dr. Gille dazu sprechen ließ.
({6})
Herr Dr. Gille hat hier nicht nur die Leute des 20. Juli, sondern auch die Widerstandskämpfer schlechthin in einer Weise diffamiert, die wir uns nicht gefallen lassen sollten und die ich mir nicht gefallen lassen möchte.
({7})
- Lassen Sie mich ausreden! Sie haben gleich Zeit genug!
({8})
Aber wir haben bemerkt, daß die Krönung in diesen seinen Verdächtigungen fehlte. Es handelte sich nämlich um die gleiche Rede, die er im schleswigholsteinischen Wahlkampf gehalten hat, und zwar im „Eichhof" in Kiel; darauf möchte ich jetzt eingehen. Diese Krönung war nämlich - und das eben hat hier gefehlt -, daß er in engsten Zusammenhang mit dem Fall John den tragischen Unglücksfall unseres Kollegen Tenhagen brachte.
({9})
Er sagte dort nicht mehr und nicht weniger,
({10})
als daß ihm bei diesem Unglücksfall sehr unwohl sei, er befürchte, daß dies kein Unglücksfall, sondern ein Selbstmord sei, eben weil der Kollege Tenhagen
({11})
auch mit dem Fall John in Zusammenhang gebracht werden müsse.
({12})
Ich spreche hier für einen Mann, der sich gegen so-was nicht mehr zur Wehr setzen kann.
({13})
- Meine Damen und Herren, seien Sie doch friedlich!
({14})
Ich glaube, daß wir aus der Debatte von gestern nicht nur die Lehre zu ziehen haben, zu überlegen, w a s über den Fall John zu sagen ist, sondern daß wir uns auch einige Gedanken mit Schlußfolgerungen zu machen haben, w e r über den Fall John etwas sagt!
({15})
Soll das Vertrauen zu unserer jungen Demokratie, das durch die Krise, von der gestern hier die Rede war, erschüttert worden ist, draußen in der Bevölkerung wachsen, dann, glaube ich, ist es erforderlich, daß wir Schlußfolgerungen aus einer solchen Überlegung ziehen.
Wenn ich sagte, daß ich mich im Namen aller Widerstandskämpfer gegen eine solche Diffamierung wehre, darf ich daran noch die persönliche Bemerkung knüpfen, daß ich mich gegen Sie, Herr Dr. Gille, wehre, weil ich ein Freund von Willi Tenhagen war und weil er sich dagegen nicht mehr zur Wehr setzen kann.
Abschließend vielleicht noch zwei Sätze. Ich persönlich bin der Meinung, daß der Zwischenruf, der gestern von meinem Freund Arndt hier in der Debatte gemacht wurde, von mir bestätigt werden sollte. Es ist auch meine Meinung.
({16})
Ich bin darüber hinaus der Auffassung, -
Herr Abgeordneter Welke, Sie machen sich einen Zwischenruf ausdrücklich zu eigen, der einen sehr schweren beleidigenden Inhalt hat. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung.
Ich bin mir dieser Tatsache bewußt, Herr Präsident. - Darüber hinaus glaube ich, daß Herr Dr. Gille sicherlich alles getan hat, um seine akademische Bildung zu einem guten Abschluß zu bringen, bin aber der Meinung, daß er seine Charakterbildung dabei vernachlässigt hat.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.
({0})
Ich glaube, Herr Kunze, ich bin in Deutschland so bekannt als Franz Neumann, daß man meine Parteizugehörigkeit nicht nennen muß.
({0})
Also Herr Abgeordneter Neumann von der Fraktion der SPD.
({0})
Sie irren. Wir haben nur einen Abgeordneten Neumann, einen Franz Neumann.
({0})
- Aus Berlin, sehr richtig, Herr Kollege Krone.
Meine Damen und Herren, ich möchte nur zu einigen wenigen Punkten Stellung nehmen, und ich glaube, Sie sind in Anbetracht der vorgerückten Zeit auch damit einverstanden. In Punkt 3 der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion heißt es:
Inwieweit hat Dr. John in seinem Amt Material über Personen des politischen Lebens gesammelt, ausgewertet oder auswerten lassen, deren politische Betätigung nicht darauf ausging, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu gefährden?
Der Herr Bundesminister des Innern - ich bitte ihn, zuzuhören - hat diese Frage glattweg verneint. Herr Bundesminister, ich möchte Ihnen folgendes sagen: Es gibt einen Schriftwechsel des Leiters der Berliner Verwaltung - hier im Lande würden Sie sagen: des Ministerpräsidenten - mit einem der höchsten Beamten über seine Bespitzelung. Sie persönlich haben nichts damit zu tun, da es vor Ihrer Zeit war. Der Leiter der Berliner Verwaltung schreibt dabei, daß diese Maßnahme der Bespitzelung vom Bundesamt für Verfassungsschutz unter Übergehung des Landesamtes für Verfassungsschutz erfolgt ist. Ich möchte mit den vornehmen Worten Reinhold Maiers von gestern nur feststellen: Es ist bedauerlich, daß das Innenministerium nicht so organisiert ist, daß der Minister des Innern vor falschen Mitteilungen an das Parlament geschützt ist.
Was soll man aber sagen, Herr Minister, wenn Sie bei der Auskunft über Fälle der Bespitzelung von Mitgliedern des Bundestages überhaupt die Tatsache verneinen, obwohl Ihnen seit vier Wochen von einem in Frage kommenden Abgeordneten die Einzelheiten der Bespitzelung bekannt sind. Der Abgeordnete, der nicht zu meiner Partei gehört, sondern zu Ihrer, hat Ihnen erklärt, daß seine eigene Akte - er hatte das Glück, sie einsehen zu können - Tatsachen enthält, die mit seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter nichts zu tun haben, und daß sie überhaupt gar nichts enthalte, bei dem die politische Gefahr bestehe, daß er die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik stören könne. Er hat Ihnen persönlich, Herr Minister, vor vier Wochen in einer Sitzung erklärt, daß in diesem Dossier enthalten sei, wie oft er Skat gespielt habe,
({1})
wieviel Bier und wieviel Schnaps er an den betreffenden Abenden getrunken habe.
({2})
Ich möchte sagen, Herr Minister - ich glaube, dieses Recht steht wohl jedem Bundestagsabgeordneten zu - -({3})
- Entschuldigen Sie, Sie wissen, wen ich meine. Ich nenne den Namen nicht, weil der Abgeordnete nicht in Bonn ist und ich ihn nicht fragen konnte. Wenn Sie auch sagen „Die Sache gibt es nicht", so stelle ich fest: Er selbst hat Ihnen versichert, daß er die Akte, seine eigene Akte, in der Hand gehabt hat.
({4})
- Nein, vom Bundesamt für Verfassungsschutz! Darum geht es!
({5})
Ich möchte gerade in diesem Zusammenhang einmal die Frage aufwerfen: Ist denn eine kritische Äußerung irgendeines Abgeordneten eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik, die Veranlassung gibt, diesen Mann nun zu überwachen?
Herr Minister, Sie sagen, diese Akte gebe es nicht. Ich verweise auf den andern Fall, in dem ich selber den Schriftwechsel gelesen habe. Infolgedessen bedauere ich, Herr Minister, daß Sie zu Punkt 3 unserer Anfrage hier im Bundestag eine nicht den Tatsachen entsprechende, unrichtige Mitteilung gemacht haben.
({6})
Ich möchte einen anderen Fall anschneiden, einen Fall, der den Bundeskanzler und den Bundesinnenminister angeht. Eines Tages - 13 1/2 Monate sind seit diesem Tage verflossen - kommt ein Mann in das Bundeshaus in Berlin. Er legt ein Dokument vor, und die in Frage kommenden Herren im Bundeshaus benutzen die Kenntnis gerade dieses Dokuments, einen Bericht an den Herrn Bundeskanzler zu geben. Dieser nimmt ebenfalls Kenntnis von dieser Meldung und benutzt sie als Vorsitzender der CDU, sicherlich in gutem Glauben daran, die Aktion Schroth/Scharley in Bewegung zu setzen.
({7})
- Entschuldigen Sie, Sie werden vielleicht nachher nicht rufen „Alle Jahre wieder", wenn ich in dieser Darstellung zum Schluß komme. Er benutzt diese Mitteilung - und ich wiederhole: sicherlich in gutem Glauben - dazu, weiteste Schichten des deutschen Volkes, die Sozialdemokraten, im Wahlkampf zu diffamieren. Sie wissen,
({8})
daß er durch eine einstweilige Verfügung daran gehindert wurde, diese unwahren Behauptungen weiter zu verbreiten, und daß er nach der Wahl diese Vorwürfe mit dem Ausdruck des Bedauerns zurückgenommen hat. Im Bundestag hat er dann aber die Erklärung abgegeben, Herr Kiesinger - und damit komme ich zu dem Problem -, er sei froh, daß durch seine Reden den Sozialdemokraten einige Millionen Stimmen abgenommen worden seien.
({9})
Herr Kollege K i e sing er, Sie sprachen gestern von der Vertrauenskrise. Sie haben erklärt, daß Sie keinen Vorwurf gegen die Opposition erheben wollten; es gehe uns alle an. Wir haben dann gestern persönlich kurz miteinander gesprochen und haben unsere Unterhaltung mit der Feststellung abgeschlossen: Jawohl, es geht uns alle an, das Maß von Anstand auch im politischen Kampf durchzusetzen, das Mindestmaß im politischen Leben überhaupt sein sollte. Herr von Brentano hat dann vom guten Appell des Herrn Kiesinger gesprochen, und Herr Hoogen hat beklagt, daß diese Worte nicht angekommen seien. Wir haben ja gestern hier im Hause so einige Proben der Praxis erlebt, die mit der Theorie, die Sie, Herr Kiesinger, entwickelt haben, leider in einem sehr harten Widerspruch stehen. Ich meine das, was der Herr Bundeskanzler im Anschluß an die Rede des Herrn Kollegen Maier von dieser Stelle aus gesagt hat.
({10})
Und, Herr Kiesinger, haben Sie angesichts des Vorgehens mancher Ihrer Freunde gegen Andersdenkende hier im Hause nicht ein Gefühl dafür, daß die Toleranz bei manchen Ihrer Kollegen überhaupt fehlt?
Herr Neumann, eine Frage!
({0})
Wenn wir schon ehrlich miteinander sprechen - haben Sie nicht ein Gefühl dafür, daß das gemeinsame Fehler sind? Haben Sie nicht auch aus den Reihen Ihrer Bänke manche Zurufe gehört, bei denen man nur sagen konnte: „Die Leute wollen einfach nicht hören!"?
({1})
Herr Kollege Kiesinger, ich sage Ihnen dazu, daß es sicherlich auf allen Seiten Fehler gibt;
({0})
aber ich möchte Ihnen sagen: ich glaube, die Toleranz sollte wohl auch irgendwie in Verbindung zum Christentum stehen, und darum sollten in stärkerem Maße als bisher ven Ihnen hier die Wechselbeziehungen gepflegt werden.
({1})
Meine Damen und Herren, ich möchte hier das eine wiederholen, was mein Kollege Arndt gesagt hat. Es sollte darauf ankommen, daß Sie nicht nur gute Theorien entwickeln; Sie als der stellvertretende Vorsitzende der Fraktion sollten auch den Versuch machen, auf den Vorsitzenden der CDU einzuwirken,
({2})
daß von seiner Seite Vorbildliches getan wird.
({3}) Das, meine Damen und Herren, Herr Kollege Kiesinger, was wir gestern im Anschluß an die Rede Reinhold Maiers erlebten, war leider nichts Vorbildliches.
({4})
Ich bin gestern abend kurz nach dem Kollegen Maier hier aus dem Hause gegangen und habe mit ihm gemeinsam den Weg zur Koblenzer Straße benutzen müssen. Ich mußte durch den Sumpf stapfen. Herr Bundestagspräsident, vielleicht darf ich es bei dieser Gelegenheit einmal für alle Fußgänger des Bundestags sagen: Im sechsten Jahr müssen wir jetzt bei schlechtem Wetter gleich beim Verlassen des Bundestages am Tor I durch einen Dreck waten, der am Haus Nordrhein-Westfalen beginnt und bis zum Bundeskanzlerpalais andauert.
({5})
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat an seinem Haus eine wunderbare Einfahrt asphaltieren lassen, und die Autos parken auf einer asphaltierten Fläche. Die Bundestagsabgeordneten aber und alle Besucher des Bundestages müssen bei schlechtem Wetter durch den Dreck stapfen am Haus des Herrn Bundeskanzlers vorbei.
({6})
Vielleicht könnten Sie einmal beim Herrn Bundeskanzler erreichen, daß an seinem Grundstück das getan wird, was zwingende Verpflichtung für alle Hausbesitzer in Bonn ist:
({7})
den Bürgersteig noch vor Eintritt des Winters asphaltieren zu lassen!
({8})
- Aber Sie haben doch selbst den Nutzen davon, Sie Autofahrer sollten doch nicht die Zwischenrufe machen!
({9})
Nun, meine Damen und Herren, noch eins. Herr Maier stapfte also vor mir her, und als er sich von seinen Freunden verabschiedete, sagte er: „Wir wollen doch zum Schluß noch das Thomas-DehlerLied singen". Ich war gespannt, und dann hörte man es summen:
Ich hatt' einen Kameraden, einen besseren findst du nicht.
Die Trommel schlug in Bonn zum Streite, Thomas Dehler ging an meiner Seite,
als wär' er ein Stück von mir.
({10})
Wahrhaftig, für Herrn Reinhold Maier hat der
gestrige Tag dann einen würdigen Abschluß mit
dem Singen des Thomas-Dehler-Liedes gefunden.
Aber ich komme zum Sumpf und zu Ihrem Zwischenruf. Was hat es hier denn überhaupt zu tun, daß er in dieser Debatte noch einmal den Fall Schroth/Scharley bringt? Meine Damen und Herren, wenn jemand im bürgerlichen Leben, überhaupt im Leben, ein kriminelles Verbrechen begeht, dann wird er nach den Bestimmungen des Gesetzes bestraft. Wenn jemand politische Nachrichten fälscht, um Geld zu bekommen, um große Teile des deutschen Volkes diskriminieren zu können, dann ist er ein ganz gewöhnlicher krimineller Verbrecher, der bestraft werden muß. Herr Bundesinnenminister, ich habe in den letzten Mona({11})
ten, zuletzt in einer Rundfunkansprache vor vier bis fünf Wochen, wiederholt die Frage aufgeworfen: Was haben Sie gegen den Nachrichtenverkäufer, der sicherlich auch der Hersteller ist, unternommen? Was haben Sie getan, um ähnliche Vorfälle zu verhüten, was haben Sie getan, daß wir für die Zukunft gegen derartige gemeine Menschen gefeit sind? Das sind die Fragen, die ich Ihnen stellen will, und ich glaube, das sind sehr wichtige Fragen, die heute von Ihnen beantwortet werden sollten. Leider ist es so, daß bis zum heutigen Tage gegen diesen Mann nichts unternommen worden ist.
({12})
Meine Damen und Herren, hier sollte sich doch der Deutsche Bundestag in seiner Gesamtheit einig sein, daß gegen derartige Brunnenvergifter mit aller Schärfe des Gesetzes vorgegangen werden sollte. Herr Kiesinger, wir wollen nicht besser als irgendein anderer in Deutschland behandelt werden, wir wollen aber nicht so behandelt werden, wie das im Falle Schroth/Scharley wiederum Wirklichkeit geworden ist. Wir wollen nicht, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz irgendeiner Partei nutzbar sind, sie haben vielmehr bestimmte Aufgaben für die Sicherheit des deutschen Volkes zu erfüllen. Wenn wir uns darin einig sind, wird manche Schwierigkeit aus dem Wege geräumt werden können.
({13})
- Ich freue mich, daß wir übereinstimmen, Herr Kiesinger.
Aber es ist doch leider so, daß die Machtmittel des Staates einseitig gegen die Sozialdemokratie benutzt werden. Mein Freund Willy Brandt kommt gerade in den Bundestag, Herr Kollege Kiesinger, und erzählt mir folgendes, was sich am gestrigen Tage ereignet hat. Es handelt sich um den Herrn Senator a. D. Dr. Günther Klein, der Ihnen als ein Mann bekannt ist, der sich als Senator für Bundesangelegenheiten große Verdienste um Berlin erworben hat, der mit allen Kräften dieses Hauses alles Mögliche versucht hat, um Berlin zu helfen, ein Mann, der seiner politischen Anschauung wegen zwölf Jahre aus staatlichen Diensten entfernt war. Wissen Sie, was gestern hier in Bonn und in Berlin passiert ist? Hier in Bonn - er war nicht anwesend - ist seine Wohnung aufgebrochen worden von der Polizei
({14})
nach Gestapo-Manier, die Türfüllung ist eingeschlagen worden, weil er eben nicht da war. In Berlin ist sein Haus durchsucht worden, und wir hören,
({15})
daß Akten beschlagnahmt worden sind, daß private Dinge beschlagnahmt worden sind. Wir hören, daß persönliche Korrespondenz mit mir, mit dem Kollegen Brandt, mit Herrn Ollenhauer und anderen beschlagnahmt worden ist
({16})
auf Anweisung von Kräften, die in den zwölf Jahren auf der anderen Seite führend waren.
({17})
Sehen Sie, das ist eben das Traurige, was wir feststellen müssen. In dem letzten Jahr der Regierung des Herrn Dr. Schreiber hat man versucht, das nachzuholen, was in Berlin jahrelang nicht möglich war. Die rechte Hand des Herrn Regierenden Bürgermeisters ist ein Mann, der seit dem 1. Mai 1933 in dieser Organisation tätig war und auf Grund seines Verhaltens in dieser Organisation dann, ich glaube, sieben Jahre von den Sowjets in Waldheim festgehalten wurde. Die linke Hand ist ein Mann, der zwar erst 1937 der NSDAP beigetreten ist, der aber außerdem noch in sechs anderen nazistischen Organisationen aktives Mitglied war. Der Herr Regierende Bürgermeister ist nicht in Berlin, sondern in Wien bei der Tagung Ihrer ({18}) Partei. Diese Leute benutzen nun die staatliche Macht, die sie in der Hand haben, um gegen einen Menschen vorzugehen, der sich zeit seines Lebens nur die größten Verdienste um den demokratischen Staat erworben hat.
({19})
Das ist es, was wir so bedauern. Das ist es, was uns immer wieder von Ihnen trennt. Hier sollte die Praxis der politischen Betätigung der Koalitionsparteien führend sein, um zu verhindern, daß derartige Dinge in der Bundesrepublik weiterhin möglich sind. Sie lassen immer wieder die Gefahr entstehen, daß das Ausland sagt: In dieser Bundesrepublik werden ja die Kräfte von gestern aktiv, haben sie die Möglichkeit, mit den Machtmitteln des Staates gegen die vorzugehen, die gestern noch die Verfolgten waren! Sie sollten überlegen, ob das nicht eine Lehre aus dem Fall John ist, und Sie, Herr Innenminister, sollten uns sagen, ob es nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist, daß man gegen die Brunnenvergifter vorgeht. Im Berliner Bundeshaus haben wir ja leider keinen Kopf, wir haben einen Magen, Herr Minister, und einen Vockel. Falls die Herren vergessen haben sollten, wer der Mann war, ich bin gern bereit, Ihnen den Namen des Nachrichtenverkäufers zu nennen, damit Sie das erfüllen können, was Ihre Pflicht gegen derartige Elemente in Deutschland ist.
({20})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf die Ausführungen des Herrn Kollegen N e u -mann kurz erwidern. Ich beginne mit dem zuletzt von ihm behandelten Tatbestand. Nach der Unterrichtung, die ich darüber habe, schwebt hier auf Ansuchen des Senats der Stadt Berlin ein Verfahren. Hier in Bonn sind gewisse Handlungen auf Ansuchen des Landeskriminalamts in Berlin vorgenommen worden. Ich werde das Haus darüber unterrichten, sobald ich in der Lage bin, darüber eine Erklärung abzugeben. Das wird in dem frühest möglichen Zeitpunkt geschehen.
({0})
- Ich sage: in dem frühest möglichen Zeitpunkt!
Herr Kollege Neumann hat dann zwei oder drei Fälle aufgezählt. Ich kann für jeden dieser Fälle ausdrücklich erklären, daß kein Fall darunter ist, mit dem das Bundesamt für Verfassungsschutz in irgendeiner Verbindung steht.
({1})
Hinsichtlich des Namens des Kollegen aus der Fraktion der CDU/CSU, Herr Kollege Neumann, bin ich leider etwas aufs Raten angewiesen.
({2})
Aber das, was Herr Kollege Neumann meint, bezieht sich offenbar auf einen Berliner Kollegen.
({3})
Ich kann aber erklären: das, was diesen Berliner Kollegen angeht
({4})
- Ihren Schicksalsgefährten -, gibt es keine Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, keinerlei Beteiligung in irgendeiner Weise.
({5})
Mehr kann ich darüber nicht sagen. Ich wäre Ihnen dankbar, meine Damen und Herren, wenn Sie meine Verantwortlichkeit nicht über die Grenzen meines Ressorts hinaus verlangen würden. Ich kann mich nur innerhalb der Grenzen meiner Ressorts verantworten.
Es ist ein zweiter Fall zitiert worden, das ist die Sache, die ich kurz die Sache Schroth/Scharley nennen will. Ich erkläre ausdrücklich, daß diese Sache in keiner wie immer gearteten Verbindung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz steht, daß sie in keiner wie immer gearteten Verbindung mit meinem Ressort steht.
Soweit es sich darum handelt, daß, wie Sie sagten, Maßnahmen gegen irgendwelche Brunnenvergifter unterblieben sind, muß ich erklären, daß diese Maßnahmen nicht in mein Ressort, sondern vielmehr in die Zuständigkeit der Justiz gehören würden, nicht einmal in die Hände des Herrn Bundesministers der Justiz, sondern in die Hände der Landesminister der Justiz. Ich erkläre mich aber gerne bereit, jeden sachdienlichen Hinweis, den ich in dieser Beziehung bekommen kann, an die zuständigen Stellen zu leiten.
Damit habe ich, glaube ich, bereits die wesentlichen Dinge, die Herr Kollege Neumann angesprochen hat, beantwortet. Ich benutze allerdings die Gelegenheit, um noch eine weitere Richtigstellung zu geben. Es ist behauptet worden, daß -auch ein Akt, den angeblich das Bundesamt für Verfassungsschutz vorgenommen haben soll - im Anschluß an die Rede des früheren Reichskanzlers Brüning die Räume des Rhein-Ruhr-Clubs in Düsseldorf durchsucht worden seien. Diese von den Verbreitern leider immer noch nicht widerrufene Behauptung trifft in gar keiner Weise zu.
Als letzten Punkt darf ich doch noch einmal auf die Sache Diels zurückkommen. Ich werde Ihnen genau die Notiz vorlesen, die ich in der Zwischenzeit darüber bekommen habe. Sie werden sehen, daß ich hinsichtlich der Beurteilung meiner Zuständigkeit eigentlich etwas zu optimistisch gewesen bin und daß die Zuständigkeit in erster Linie beim Land Niedersachsen liegt. Ich darf Ihnen die Notiz ganz vorlesen:
Diels war zuletzt Regierungspräsident in Hannover. Infolgedessen ist für die Anwendung des 131er-Gesetzes auf ihn die niedersächsische Landesregierung zuständig. Diese hat unter Anwendung des § 7, nach dem Beförderungen
unberücksichtigt bleiben, die lediglich infolge enger Beziehungen zum Nationalsozialismus erfolgt sind, Übergangsgehalt nach den Bezügen als Oberregierungsrat festgesetzt.
Hiergegen hat Diels das Verwaltungsgericht angerufen,
({6}) und dieses Verfahren schwebt noch.
Das ist der erste Teil der Mitteilung. Der zweite Teil sieht wie folgt aus:
Nach § 9 des 131er-Gesetzes eröffnet der Bundesminister des Innern das Disziplinarverfahren gegen verdrängte 131er. Diels ist nicht, wie zunächst angenommen wurde, zuletzt in Berlin dienstlich tätig gewesen, sondern in Hannover. Infolgedessen ist nicht der Bundesminister des Innern, sondern Niedersachsen für die Einleitung des Verfahrens zuständig.
({7})
Der Leiter der zuständigen Abteilung des Bundesministeriums des Innern ist inzwischen von mir angewiesen worden, diejenigen Stellen aus der inkriminierten Publikation von Herrn Diels zusammenzustellen, die Anlaß zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens geben könnten. Sobald ich diese Zusammenstellung habe, werde ich sie mit einer entsprechenden Bitte an Niedersachsen weiterleiten.
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Prinz zu Löwenstein.
({0})
- Meine Damen und Herren, wenn es Sie tröstet: ich habe außer dieser Wortmeldung nur noch eine; weitere liegen zur Zeit nicht vor.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegt mir daran, einige Tatsachen nachzutragen, die in der bisherigen Debatte zwar erwähnt - besonders vom Herrn Kollegen Welke -, aber vielleicht noch nicht in letzter Schärfe dargestellt worden sind. Auch scheint es mir, daß manchmal der Eindruck entstehen konnte, als ginge es hier um einen Streit zwischen einzelnen Parteien oder gar einzelnen Abgeordneten dieses Hohen Hauses.
Mein lieber Kollege Franz Neumann, Berlin: das mit dem Dehler-Lied habe ich irgendwie nicht sehr witzig gefunden; außerdem stört mich der schlechte Rhythmus darin.
({0})
Das war nicht sehr gut. Die Geschichte mit dem Schlamm habe ich viel witziger gefunden und auch viel zutreffender.
({1})
Meine lieben Freunde!
({2})
Wir wollen nicht ins Persönliche fallen. Wir alle haben Sinn für Lyrik, für kleine Lieder. Aber ich glaube, wir sollten wieder zur sachlichen Diskussion zurückkehren.
Was der Herr Kollege Arndt zu der Debatte gesagt hat, trifft meiner Meinung nach durchaus zu. Auch mit allen Schärfen, die es gegeben hat,
({3})
hat dieses Parlament eben doch bewiesen, daß es ein freies Parlament ist, und ich finde, daß das durchaus ein Stärkezeichen ist. Wir brauchen uns nicht zu schämen, daß diese Debatte stattgefunden hat. Ganz im Gegenteil, gerade denen drüben in der sowjetisch besetzen Zone mag dies als ein Sinnbild für die Freiheit erscheinen.
Worum es eigentlich geht, das ist uns klar. Es geht um etwas Überparteiliches, nämlich um die Würde, den Wert und den Einfluß des Parlaments als solchen. Dieses Parlament ohne Unterschied der Parteien ist durch den Verrat eines der höchsten Beamten der Bundesrepublik schwer getroffen worden, wobei wir uns alle fragen müssen, ob wir unsere parlamentarische Aufsichtspflicht, die wir als Vertreter des Volkes besitzen, auch wirksam ausgeübt haben. Um diesen Kernpunkt handelt es sich, versinnbildlicht durch den Namen Otto John. Daß er als Mensch der schärfsten Verurteilung verfallen muß, mindert nicht die Bedeutung des Falles. Die Folgen im Ausland und im Inland sind noch gar nicht abzusehen. Einige Worte über die Wirkung im Ausland! Eine höchst unerfreuliche Hetze hat in großen Tageszeitungen mit Millionenauflagen eingesetzt, und ich halte es für wichtig, von der Tribüne dieses einzigen freigewählten deutschen Parlaments aus kurz auf diese Dinge einzugehen. Diese Hetze stellt eine große Gefahr dar nicht nur für das Ansehen unserer jungen Demokratie, sondern auch für die Freiheit und die Sicherheit der ganzen westlichen Welt. Wenn in diesen Zeitungen mit Millionenauflagen immer mit dem gleichen Tenor behauptet wird, die Bundesrepublik, die ganz Deutschland vertreten solle, sei unzuverlässig, weil die Nazis sozusagen die Macht übernommen hätten, dann ist das eine schwere Gefährdung für die Sicherheit der westlichen Welt. Und wenn dargestellt wird, daß es die Nazis gewesen seien, die diesen schwachen, aber sonst wohl ordentlichen Mann zur Verzweiflung getrieben hätten, dann ist das ein Angriff gegen unsere Demokratie und damit ein Angriff gegen die Demokratie in der ganzen westlichen Welt. Daher halte ich es für wichtig, einmal ganz kurz die historischen Tatsachen darzustellen.
Wer hat denn mit den Angriffen gegen Otto John begonnen? Waren das die sogenannten Neonazis, die es in diesem Hause überhaupt nicht gibt? Waren es Nazigruppen draußen im Lande, Nazizeitungen vielleicht? Wo sind sie? Nun, die Frage stellen bedeutet, das ganz Unsinnige, das darin liegt, aufzudecken.
Die ersten und bereits außerordentlich scharfen Attacken gegen John erschienen am 16. und 30. April 1953 in der Hamburger Wochenschrift „Die Zeit", die man doch wirklich nicht nazistisch nennen kann. John wurde seiner Unfähigkeit wegen, seines dubiosen Agentencharakters wegen und seiner alles Vertrauen in einen Rechtsstaat zerstörenden Gestapo-Methoden wegen angegriffen. Nicht zuletzt wurden die Angriffe gegen ihn geführt, weil die Redaktion, von der führende Mitglieder zur Widerstandsbewegung gehörten, diesen Otto John als eine Schande für die Antinationalsozialisten empfand. Eine Fülle von Material ist da. Ich empfehle wenigstens nachträglich die Lektüre. Man wird nicht behaupten können, man habe es nicht gewußt. Wir haben in der Pressedebatte alle darauf hingewiesen, wie wichtig es wäre, wenn Politiker und Presse etwas enger zusammenarbeiteten. Auch Politiker können nämlich manchmal durch die Presse interessante Aufschlüsse bekommen.
Nachdem Johns Spitzeltätigkeit in Verbindung 1 mit ausländischen Stellen geschildert worden war, schloß am 14. Mai 1953 in einem weiteren großen Aufsatz, betitelt „Der Kölner Vulkan", Richard Tüngel wie folgt - ich darf drei Zeilen mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, zitieren -:
Zum Schluß haben wir noch eine ergebene Anfrage an die Bundesregierung: Welche Vorbildung, welche Kenntnisse und welche Verdienste muß man eigentlich haben, um in der Bundesrepublik Präsident des Amtes für Verfassungsschutz zu werden?
Der nächste Angriff gegen John erfolgte in der 30. Sitzung des Deutschen Bundestages anläßlich der Pressedebatte am 21. Mai 1954, wiederum, weiß der Himmel, nicht durch neonazistische Kräfte oder aus neonazistischen Beweggründen. Es ging um die Große Anfrage der SPD, in der u. a. gefragt wurde, ob das Bundesverfassungsschutzamt auch in der Pressepolitik der Bundesregierung eingeschaltet werde. Der Herr Bundesminister des Innern hat hierauf wie stets eine sehr beruhigende Erklärung abgegeben. Ich darf das Hohe Haus daran erinnern, daß ich selber als Redner meiner Fraktion an jenem 21. Mai vor diesem Hause die Frage gestellt habe - ich zitiere -: „Wer schützt die Verfassung vor dem Verfassungsschutzamt?"
Wiederum der nächste Angriff kam am 8. Juli in der 37. Sitzung. Das war ein Gegenangriff, getragen von den Freien Demokraten und der Sozialdemokratischen Partei. Da war durch das Bundesamt für Verfassungsschutz jener üble, verleumderische Bericht gegen unsere Parteifreunde Reinhold Maier und Karl Georg Pfleiderer fabriziert worden. Sie erinnern sich: jener Bericht, der dann durch bestimmte Indiskretionen, durch klug organisierte Improvisationen auch in die Presse kam, jener Bericht über das angebliche Gespräch in Genf zwischen Molotow und dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Hermann Etzel. Der Sinn war, Pfleiderer und Maier politisch zu diffamieren. Ich habe damals mit meinen Freunden zusammen am 7. Juli dieses Jahres festgestellt, daß dieser Bericht nur aus östlichen Quellen stammen konnte. Wir haben festgestellt - ich wiederhole, am 7. Juli -, daß unserer Meinung nach das Bundesamt für Verfassungsschutz mit dem SSD und dem sowjetischen Geheimdienst verzahnt sein muß.
Ich möchte im Namen meiner politischen Freunde den Herrn Bundesminister des Innern fragen, was denn nun das Ergebnis der Untersuchung gewesen ist. Dafür interessieren wir uns sehr. Der Bericht ist doch damals im innenpolitischen Kampf verwendet worden, und ich glaube, wir alle ohne Unterschied der Partei haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was sich hier ergeben hat.
Und eine weitere Frage, die man stellen müßte: Wie viele Staatsbürger sind eigentlich durch das Bundesamt für Verfassungsschutz abgeschossen worden,
({4})
ohne daß die Täter und die Beschuldigten jemals bekanntwurden? Herr John hatte es doch in der Hand, die geheimen Dossiers so auszufüllen, daß Bewerber um öffentliche Ämter oder um irgendeine Arbeit abgelehnt wurden, ohne je zu erfahren, warum und wieso. Hier liegt eigentlich eine Frage der Wiedergutmachung, die man einmal besprechen müßte. Was gedenkt die Regierung zu tun, um diesen, vielleicht Tausenden von Staatsbürgern zu
({5})
ihrem Recht zu verhelfen? Lassen Sie mich wiederholen, es ist wichtig, diese Dinge festzustellen, um einer gefährlichen Deutschenhetze im Ausland, die in ihren Auswirkungen nur den Sowjets nützen kann, entgegenzutreten.
Nun die Wirkung nach innen. Sie alle, meine Damen und Herren, haben in Ihren Wahlkreisen ja einiges beobachten können. Es war zweifellos sehr verdienstvoll, daß der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen auch auf gewisse Tendenzen hingewiesen hat, den Fall John für nazistische Propaganda auszunützen. Es gibt viele anonyme Pamphlete, die auch uns zugesandt werden. Es gibt schon so etwas wie einen Versuch von Untergrundkräften in Deutschland, noch aus diesem Fall Kapital zu schlagen. Der Herr Diels wurde so oft erwähnt, daß ich nicht mehr darauf eingehen möchte. Nur noch ein kleiner Hinweis, vielleicht für die jüngeren Mitglieder dieses Hauses: Herr Diels ist der Mann, der den 20. Juli 1932 herbeiführen half, nämlich den Staatsstreich Papens gegen die Preußische Staatsregierung. Er ist der Mann, der Papen mit Material versorgte, mit Vorwänden gegen die legale Regierung, und wir wissen, daß mit diesem 20. Juli 1932 der eigentliche Sturz der deutschen Republik begonnen hat.
({6})
Vergessen wir nicht, daß es auch im Sowjetinteresse läge, die deutsche Demokratie durch Ausbeutung von Ressentiments nationalistischer Art zu schwächen und, wenn möglich, eine neonazistische Partei zu schaffen. Wir haben es in den Jahren vor dem Zusammenbruch der Republik ja schon einmal erlebt, daß die Kommunisten mit den Nazis zusammenarbeiteten. Wenn diese Zusammenarbeit nicht gewesen wäre, hätten wir vielleicht heute noch die ungeteilte und eine deutsche Republik!
({7})
Noch eines gerade im Zusammenhang mit diesem Versuch der zweifellos vorhandenen neonazistischen Propaganda, den Fall John auszuwerten. Ich würde es für sehr wesentlich halten, wenn man den Nachweis führen könnte - vielleicht kann sich der Untersuchungsausschuß damit befassen -, daß Otto John von Anfang an ein Doppel- oder Tripelagent gewesen ist, daß er Widerstandskämpfer spielte und gleichzeitig, wie man hört, im Dienst der Gestapo gewesen ist und, wie man außerdem hört, zu denen sich schlug, die sogar die Listen der Träger des 20. Juli an die Gestapo verrieten. Ich würde es vom innenpolitischen Standpunkt aus für wesentlich halten, wenn dieses Material lückenlos zusammengebracht werden könnte.
Ein letztes Wort über die politische Emigration. Ich glaube, ich darf, ich muß aus eigener fast 13jähriger Erfahrung einige Worte dazu sagen. Eine scharfe Trennung ist nötig zwischen denen, die als deutsche Patrioten Hitler bekämpften, und jenen, die sich ausländischen Mächten zur Verfügung stellten.
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Zu dieser ersten Gruppe der deutschen Patrioten, die aus eigenem Ethos glühend für die deutsche Freiheit den Nazismus bekämpften, haben Männer gehört wie der verstorbene Regierende Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, oder ein Mann wie Friedrich Stampfer, der erst vor wenigen Tagen zu seinem 80. Geburtstag vom Herrn Bundespräsidenten geehrt wurde. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Stampfer, in dem wir darüber sprachen, daß bestimmte Radiostationen in Amerika und England unwahrscheinliche Summen ausgaben, um Leute, die aus Deutschland gekommen waren, in ihren Dienst zu nehmen. Stampfer, der in einer winzigen Eineinhalb-Zimmerwohnung in New York hauste, sagte: „Wissen Sie, diese Millionen, die da ausgegeben werden, das ist Geld für Kujone." Das ist die richtige Haltung gewesen. Das waren die Männer, die auch im Exil sich nur einer einzigen Kraft verantwortlich fühlten: ihrem Gewissen und dem deutschen Volke.
({9})
Ich könnte noch Männer erwähnen wie Ernst-Wilhelm Meyer, den Botschafter in Indien, und viele andere. Diese Gruppe hatte nichts, gar nichts mit den anderen zu tun, die sich ausländischen Mächten zur Verfügung stellten und damit ihre innere Freiheit als deutsche Demokraten aufgaben. Wenn die Mitglieder der zweiten Gruppe ausländische Staatsangehörige wurden und blieben, wird niemand mit ihnen rechten. Wenn sie aber versuchen, als Deutsche aufzutreten, dann ist es etwas anderes. Sie sind ungeeignet, Staatsämter bei uns in der deutschen Demokratie auszuüben. Lassen Sie mich mit aller Deutlichkeit sagen: wer Landesverrat getrieben hat oder gar noch welter treibt, der darf nicht wagen, sich als Widerstandskämpfer und als deutscher Antinationalsozialist zu bezeichnen.
({10})
Zum Schluß nur noch das eine, weil England des öfteren zitiert wurde. Lassen Sie mich an dieser Stelle den Geist Oliver Cromwells für dieses unser Parlament zitieren, daß über alle Parteiunterschiede hinaus dieses Parlament seine souveränen Kontrollrechte auch gegenüber der Regierung ausübt. Dann mag dieser unsägliche Fall John doch zu einem Guten geführt haben: daß unser Parlament über alle Parteien hinaus zum Nutzen der deutschen Demokratie, und zwar von ganz Deutschland, diese Rechte, die ihm anvertraut sind, mit größerer Entschiedenheit als bisher in die Hand nimmt.
({11})
Der Herr Bundesminister des Innern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte nicht mehr das Wort genommen, wenn ich nicht auf die Ausführungen des Herrn Kollegen, der eben gesprochen hat, noch einiges sagen müßte. Ich möchte an seine Adresse ein ernstes Wort richten. In verschiedenen Zeitungen, z. B. in der Nr. 195 der „Stuttgarter Zeitung" vom 23. August 1954, befindet sich der Bericht, daß der Herr Kollege Prinz zu Löwenstein vor Pressevertretern in Würzburg erklärt habe, er besitze ausreichendes Material, durch das bewiesen werde, daß Dr. Otto John seit langem Wasser auf zwei Schultern trage und bereits Widerstandskämpfer des 20. Juli an die Gestapo verraten habe. Der Herr Kollege wird begreifen, daß dieses Material für den Fortgang der Untersuchung von großer Bedeutung ist. Er ist aufgefordert worden, es dem Herrn Oberbundesanwalt zur Verfügung zu stellen. Nach meiner Unterrichtung ist das bisher nicht geschehen.
({0})
({1})
Ich habe eine zweite Bemerkung zu machen, die sich auf das bezieht, was ich einmal als Komplex Bundeskanzler - Kollege Maier bezeichnen möchte. Ich habe - ich sehe mich genötigt, das hier bekanntzugeben - Kollegen Maier angeboten, diesen Vorgang an Hand der Akten mit ihm zu besprechen, um manche falsche Deutungen auszuräumen, soweit das nur irgend möglich ist. Eine Terminverabredung, die ich mit dem Herrn Kollegen Maier getroffen hatte, konnte wegen seiner Beanspruchung durch eine Fraktionssitzung nicht eingehalten werden. Dieses Angebot bleibt aufrechterhalten. Ich hoffe, daß ich bald mit Herrn Kollegen Maier zur Bereinigung dieses Vorgangs zusammenkommen kann.
({2})
Das Wort hat noch einmal der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein. - Sie hatten sich gemeldet, Herr Kollege?!
({0}) Ich wollte es nicht provozieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf ganz kurz auf die Bemerkung des Herrn Bundesinnenministers antworten. Ich habe in einer Pressekonferenz in Würzburg das folgende ausgeführt und, um es ganz klar zu machen, fünf- bis sechsmal wiederholt und unterstrichen, es lägen genügend Verdachtsmomente vor, die uns dazu berechtigten, im Bundestag den Antrag zu stellen, daß sich der Untersuchungsausschuß mit dieser Frage beschäftigen müsse. Ich habe daraufhin einen Brief vom Herrn Oberbundesanwalt bekommen, der sich, wie der Herr Bundesinnenminister ausführte, dafür interessiert hat. Ich habe ihm sofort geantwortet, habe ihm geschrieben, das und das - was ich eben erklärt habe - hätte ich in der Pressekonferenz in Würzburg ausgeführt und stünde ihm selbstverständlich auch zur Erläuterung des gesamten politischen Hintergrundes - Verrat des 20. Juli durch bestimmte Kräfte auch in anderen Ländern - jederzeit zur Verfügung.
Ich habe vorgestern, Herr Minister, ein Schreiben des Herrn Oberbundesanwalts bekommen, er habe leider noch keine Zeit gehabt,
({0})
sich mit mir in Verbindung zu setzen; auch einer seiner Stellvertreter habe noch keine Zeit gehabt, aber er werde auf die Sache zurückkommen. Ich stehe ihm selbstverständlich zur Diskussion dieser wichtigen Frage jederzeit zur Verfügung.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte - hoffentlich als letzter Redner in dieser langen Debatte - nicht mehr das Wort genommen, wenn ich nur beabsichtigte, Argumente, die hier bereits fünf- oder sechsmal gesagt worden sind, noch einmal zu nuancieren. Auch die Ausfälle des Herrn Kollegen Welke gegen meine politischen Freunde hätten mich nicht
veranlaßt, auf die Rednertribüne zu kommen, wenn
nicht noch etwas Wichtigeres klarzustellen wäre.
Man hat in dieser Debatte mit Argumenten gearbeitet, die man sich von den Überläufern ausborgte. Man hat uns hier in aller Breite geschildert, wie Herr John und wie Herr Schmidt-Wittmack ihr Überlaufen begründen, und hat diese Argumente der Regierung vorgehalten. Ich nehme an, daß auch bei jenen, die das getan haben, nicht die Überzeugung herrscht, daß die Überläufer nun aus den von ihnen angegebenen Gründen auf die andere Seite gegangen sind. Es scheint mir aber außerordentlich gefährlich, daß wir in unserem Hause so tun, als ob wir diese Gründe ernst nähmen und als ob aus den Aussagen dieser Verräter überhaupt etwas über unsere innen- und außenpolitische Situation entnommen werden dürfte.
({0})
Wenn man angedeutet hat, diese Leute seien vielleicht aus all den Gründen übergelaufen oder hätten es sogar sollen, dann ist das noch gefährlicher. Meine Herren von der Opposition, es bleibt Ihnen ja stets unbenommen, Ihre Argumente gegen den Kanzler und gegen die Regierung vorzubringen. Sie haben Ihre Argumente sehr wirkungsvoll schon öfter vorgetragen. Sie haben mit manchem dieser Argumente auch bei meinen politischen Freunden irgendwie Verständnis gefunden. Sie können aber nicht darauf rechnen, daß wir Ihnen etwas von den Argumenten abnehmen, wenn Sie sie als Gründe des Herrn Schmidt-Wittmack oder des Herrn John bringen.
({1})
Und wenn Herr John sagt, er mußte aus Deutschland gehen - ({2})
- Das hat Herr Bauer gestern getan!
({3})
- Ich bin der Überzeugung, daß das nicht Ihre wirkliche Meinung und vor allen Dingen nicht die offizielle Meinung Ihrer Parteiführung ist. Es muß muß hier aber einmal betont werden, daß wir alle es ablehnen müssen, uns mit solchen Äußerungen auseinanderzusetzen.
({4})
Sie können z. B. mit uns durchaus darüber streiten, ob die Stellung des Kanzlers zu autoritär ist oder nicht. Aber bitte machen Sie doch nicht den Versuch, zu sagen, der Herr Schmidt-Wittmack sei rübergegangen, weil der Kanzler hier zu autoritär regiere!
({5})
- Ach, das läßt sich ja im Stenogramm nachlesen, wer das gesagt hat.
({6})
Sie haben weiter erklärt, die Überläufer oder, wie einer Ihrer Redner sagte, die Geflüchteten hätten die Wiedererstarkung des Nationalsozialismus als Grund angegeben. Sie hätten diesem Argument entgegentreten müssen; denn Sie wissen
({7})
ganz genau, daß hier in diesem Hause niemand die Geschäfte des Nationalsozialismus zu besorgen gedenkt.
({8})
Ihr Kollege Welk e hat diesen Eindruck erweckt, als er vom Wiedererstarken des Nationalsozialismus sprach, als er davon redete, daß die Ratten schon hier und da wieder aus den Löchern hervorkämen, und als von Ihnen dort hinten gerufen wurde „Gille!" und als Sie dann gestern Herrn Oberländer, Herrn Kraft und nochmals Herrn Gille in einem gewissen ähnlichen Zusammenhang nannten. Sie wollten uns in den Verdacht bringen, wir besorgten hier die Geschäfte eines erstehenden Neonazismus.
({9})
Sagen Sie uns das offen, ob Sie das meinen! Bitte, sagen Sie das hier!
({10})
- Es ist nicht nötig, daß man Widerstandskämpfer war, um seinem Vaterland dienen zu können.
({11})
Sagen Sie mir bitte, meine Herren von der Sozialdemokratie, wollen Sie behaupten, daß meine Partei, der Gesamtdeutsche Block/BHE diese Geschäfte besorgt?
({12})
- Jawohl, wir können uns zu den Verdiensten der Widerstandskämpfer durchaus bekennen. Trotzdem können wir feststellen, was John für eine Persönlichkeit ist. Das sind wir sogar den Widerstandskämpfern schuldig.
({13})
Und wenn hier von Ihnen gesagt wurde: Ja, der Herr Schmidt-Wittmack hätte doch vielleicht mit wirtschaftlichen Mitteln fertig gemacht werden können, und deshalb sei er möglicherweise hinübergegangen, um von dort aus in, wie Sie vielleicht meinen, wirtschaftlicher Sicherheit seine landesverräterischen Thesen vertreten zu können, dann möchte ich Ihnen entgegenhalten, daß Millionen in Deutschland ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Sicherung eine ehrliche Meinung vertreten.
({14})
Was soll weiter dieser Verdacht: Vielleicht ist ein Mann wie Gereke ja auch nur hinübergegangen, weil man ihn zu sehr bespitzelt hat! Das sind Dinge, die nicht einfach im Raume stehenbleiben können. Meine Herren, so war das nicht! Das sind Verräter in dem ideologischen Krieg zwischen der freien Welt und dem Kommunismus. Das sollten wir ganz deutlich sagen, und da sollten wir um Kleinigkeiten nicht herumdiskutieren!
({15})
Sie werden verstehen, Herr Welke, daß ich auf Ihre Argumente, die Sie gegen Herrn Gille vorgebracht haben und die leider einen verstorbenen Kollegen, der sicherlich bei uns allen unangetastet dasteht, in die Debatte hineinzogen, nicht in
öffentlicher Sitzung antworte. Wir stehen Ihnen gern zur Aufklärung dieses Falles zur Verfügung. Wir bedauern nur, daß eine unaufgeklärte - für Sie unaufgeklärte - Geschichte Veranlassung gegeben hat, in so unparlamentarischer Weise unsere Freunde anzugreifen.
({16})
Lassen Sie mich zum Abschluß eines sagen, und das ist wohl auch wichtig, am Ende der John-Debatte gesagt zu werden: Das deutsche Volk in seiner ganz großen Mehrheit ist absolut gesund und unanfällig gegen Beeinflussungen von kommunistischer Seite, unanfällig gegen Charaktere wie John und Schmidt-Wittmack. Gerade die Ärmsten unserer Volksgenossen sind das am allermeisten, am allermeisten der Mann, der in Deutschland schwer schafft, am allermeisten auch der Vertriebene, der alles gelassen hat. Hier hat der Kommunismus keine Chance!
({17})
Ich erinnere an eine sehr gute Karikatur, die vielleicht den Sinn der ganzen Sache am besten wiedergibt. Auf dieser Karikatur sah man im Hintergrund das Brandenburger Tor, auf der einen Seite einen gut gekleideten Mann, der in Richtung Osten ging, auf der anderen Seite einen Strom von Flüchtlingen, die nach dem Westen kamen. Und aus dem Strom der Flüchtlinge heraus wird gesagt: „Na ja, ein feiner Mann geht nach dem Osten".
({18})
Meine Damen und Herren, wenn hier zwei „feine Männer" nach Osten gegangen sind - das wird uns nicht gefährden; aber daß inzwischen 2 Millionen anständiger, ehrlicher Deutscher nach dem W e s t en gekommen sind, scheint mir mehr Garantie für unsere Demokratie als dieses ganze Gerede um den Fall John zu sein.
({19})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache über die Große Anfrage der SPD und die gestellten Anträge. Zur Großen Anfrage sind keine Anträge gestellt worden.
Auf Drucksache 768 liegt ein Antrag der Fraktion der SPD auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vor. Dazu ist ein Ergänzungsantrag auf Hinzufügung einer Nr. 6 gestellt worden. Ich frage zunächst die Damen und Herren, ob sie bereit sind, diesem Ergänzungs- und Änderungsantrag Umdruck 172, nach dem die Aufgabe des Untersuchungsausschusses erweitert werden soll, zuzustimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind, ihre Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit. Dieser Antrag ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die in dieser geänderten und ergänzten Form dem Antrag der SPD auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses; dieser Antrag ist angenommen.
Weiter liegt der Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 769 vor, das Verhalten des Bundesministers des Innern zu mißbilligen.
Ich beantrage
namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung.
({0})
Vom Herrn Abgeordneten Kunze wird namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist namens der Fraktion gestellt und hinreichend unterstützt.
Meine Damen und Herren, zur Klarstellung des Abstimmungsvorgangs weise ich darauf hin, daß über den Antrag der SPD, das Verhalten des Bundesinnenministers zu mißbilligen, abgestimmt wird. Wer also für die Mißbilligung ist, muß mit Ja stimmen, wer gegen die Mißbilligung ist, stimmt mit Nein. Es geht nicht um eine Pro- oder Kontra-Abstimmung über den Herrn Bundesminister des Innern.
({0})
Ich darf unterstellen, daß der Abstimungsvorgang klar ist, und bitte die Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
({1})
Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Stimmzettel eingesammelt sind. Ich darf Ihnen vorschlagen, daß wir zunächst in der Beratung fortfahren. Ich bitte, dann mit der Auszählung zu beginnen.
Es liegt weiter vor ein Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 171, der sich auf § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung bezieht und sich mit den Funktionen des Ausschusses zum Schutze der Verfassung befaßt. Mir ist soeben angekündigt worden, daß ein Antrag auf Ausschußüberweisung dieses Antrages gestellt werden soll. - Herr Abgeordneter Kunze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion ist durchaus der Auffassung, daß dieser Punkt, der im Ausschuß für Geschäftsordnung bereits behandelt wurde, sehr ernsthaft geprüft werden muß. Da meine Fraktion noch keine Gelegenheit hatte, den Bericht unserer Ausschußkollegen entgegenzunehmen, möchten wir vorschlagen, die Abstimmung über diesen Antrag auszusetzen, bis die Fraktionen selber in der Sache Stellung genommen haben.
({0})
Meine Damen und Herren, das würde also, wenn ich den Antrag recht verstehe, praktisch bedeuten, daß die Entscheidung über den Antrag betreffend das Initiativrecht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung verbunden werden soll mit der Beratung über den, wie Sie sagen und wie ich weiß, bereits vorliegenden Bericht des Geschäftsordnungsausschusses über die Frage des Initiativrechtes anderer Ausschüsse.
Bitte, Herr Abgeordneter Ritzel!
Zur Geschäftsordnung! Meine Damen und Herren! Es liegt hier der eigenartige Fall vor, daß ein Ausschußantrag, nämlich ein Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung auf Verleihung des Initiativrechtes an mehrere Ausschüsse, bereits gestern als Drucksache verteilt worden ist. Unter den da genannten Ausschüssen ist auch der Ausschuß zum Schutze der Verfassung, so daß dazu schon eine Stellungnahme des zuständigen Ausschusses vorliegt, und zwar in bejahendem Sinne.
Der Antrag, der nun von der Fraktion der SPD gestellt worden ist und den Sie im Umdruck in der Hand haben, nimmt nur den Teil aus dem Antrage des Ausschusses für Geschäftsordnung heraus, der sich auf den Ausschuß zum Schutze der Verfassung bezieht. Die Bestimmung der Geschäftsordnung in § 107 sagt, daß dieser Antrag zur Prüfung einem Ausschuß überwiesen werden kann. Tut man das, dann rennt man offene Türen ein; denn der initiative Vorschlag des Geschäftsordnungsausschusses liegt Ihnen bereits als gedruckter Antrag vor. Man kann dann von der Bestimmung der Geschäftsordnung Gebrauch machen, die Abstimmung auf den nächsten Sitzungstag zu verschieben. Ich würde vorschlagen, die Dinge so aufzufassen, als wäre der Antrag der SPD-Fraktion heute eingebracht worden, so daß die Abstimmung am nächsten Sitzungstag, d. h. in der nächsten Woche, stattfinden kann. Vorher finden noch Fraktionssitzungen statt.
Also Vertagung. Ist Ihre Fraktion damit einverstanden? - Die anderen Fraktionen auch? - Offenbar besteht darüber Einverständnis. Dann würden wir diesen Antrag auf eine Tagesordnung der nächsten Woche setzen und zur Abstimmung darüber kommen. Wahrscheinlich wird ja dann auch der andere vorliegende Antrag auf der Tagesordnung erscheinen.
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die an der namentlichen Abstimmung teilzunehmen wünschen und es noch nicht getan haben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
({0})
({1})
- Ich habe die Abstimmung geschlossen. Es ist geklingelt worden, es ist jedes Zeichen gegeben worden, ich habe gebeten, mit der Beratung fortzufahren, habe dann gefragt und .die Abstimmung geschlossen. Irgendwann muß ja einmal der Einschnitt gemacht werden.
Meine Damen und Herren, an der namentlichen Abstimmung haben sich nach dem vorläufigen Ergebnis *) insgesamt 401 stimmberechtigte und 17 Berliner Abgeordnete beteiligt. Für den Antrag haben gestimmt 128 Abgeordnete und 8 Berliner, gegen den Antrag 223 Abgeordnete und 4 Berliner, Enthaltungen: 50 Abgeordnete und 5 Berliner; der Antrag ist abgelehnt. Damit sind die zu Punkt 1 der Tagesordnung gestellten Anträge erledigt.
Ich rufe auf den Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität ({2}) betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Schmidt-Wittmack gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 23. August 1954 ({3}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Klötzer. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
({4})
Dr. Klötzer ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Oberbundesanwalt hat über das Bundesjustizministerium Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Schmidt-Wittmack gestellt. Zur Begründung dieses Antrages ist Bezug genommen auf
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2053
({6})
die dem Hohen Hause bekannten Presse- und Rundfunkmeldungen, insbesondere auf den Bericht über die von dem Abgeordneten Schmidt-Wittmack in Ost-Berlin am 26. August dieses Jahres abgehaltene Pressekonferenz. Aus diesen Meldungen ergebe sich zumindest der dringende Verdacht, daß sich der Abgeordnete Schmidt-Wittmack der Aufnahme und Unterhaltung landesverräterischer Beziehungen im Sinne des § 100 e des Strafgesetzbuchs zu den Machthabern der sowjetischen Besatzungszone schuldig gemacht habe und weiterhin schuldig mache. Ob Landesverrat im Sinne des § 100 e des Strafgesetzbuchs oder eine Zuwiderhandlung gegen eine andere Bestimmung des Abschnittes „Landesverrat" im Sinne der §§ 99 ff. des Strafgesetzbuchs vorliege, sei zu prüfen.
Der Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität hat in seiner Sitzung am 8. September dieses Jahres nach eingehender Prüfung der Unterlagen einstimmig beschlossen, dem Hohen Hause die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Schmidt-Wittmack vorzuschlagen.
Ich darf Sie namens des Ausschusses bitten, dem in Drucksache 800 vorliegenden Antrag zuzustimmen und die Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Schmidt-Wittmack zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich erteile dem Abgeordneten Wittrock das Wort zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird dem Antrag des Immunitätsausschusses zustimmen.
({0})
Unabhängig von dieser Zustimmung sieht sich die SPD-Fraktion veranlaßt, folgendes zu erklären:
Unwidersprochenen Pressemeldungen zufolge ist nach dem Verschwinden des Herrn Schmidt-Wittmack dessen Privatwohnung polizeilich durchsucht worden. Es besteht der dringende Verdacht, daß die Behörden, die diese Maßnahmen veranlaßt oder durchgeführt haben, gegen den Art. 46 des Grundgesetzes verstoßen haben. Die sozialdemokratische Fraktion erwartet, daß der Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität den Sachverhalt aufklärt, der zu dem Verdacht der Verfassungsverletzung Anlaß gibt. Wir erwarten weiterhin, daß der Ausschuß dem Plenum des Bundestages Bericht erstattet erstens über die vom Ausschuß getroffenen tatsächlichen Feststellungen und zweitens darüber, ob und von welchen Behörden bei der bisherigen Behandlung des Falles Schmidt-Wittmack Art. 46 des Grundgesetzes verletzt worden ist.
Meine Damen und Herren, es geht der SPD-Fraktion hierbei allein um die grundsätzliche Wahrung und Respektierung des Rechts der Immunität als verfassungsmäßigen Rechts des Deutschen Bundestages. Wir halten es nicht für erforderlich, hierzu einen förmlichen Antrag zu stellen; denn die sozialdemokratische Fraktion spricht ausdrücklich die Erwartung aus, daß der zuständige Bundestagsausschuß von seinem Initiativrecht Gebrauch macht.
Der Herr Bundesinnenminister hat das Wort.
Herr I Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Hohen Hause eine, wie ich betonen möchte, nur vorläufige Erklärung abgeben. Ein Abgeordneter muß eine Durchsuchung, die zum Zwecke der Überführung eines anderen durchgeführt wird § 103 der Strafprozeßordnung - grundsätzlich dulden. Sie verletzt nicht die Immunität und ist daher auch nicht genehmigungspflichtig. Ich verzichte auf die Anführung der Kommentarstellen für diese Auffassung.
Um eine solche Durchsuchung handelte es sich im Falle Schmidt-Wittmack. Im gleichen Hause, in dem Schmidt-Wittmack in Bonn wohnte, hatte Wohlgemuth bei seinem Freund Diplom-Ingenieur Homberg wiederholt übernachtet,
({0})
zum letztenmal am 10. Juli 1954. Gegen Wohlgemuth lief aber bereits ein Ermittlungsverfahren im Falle John. Die Durchsuchung der Wohnung von Schmidt-Wittmack muß daher unter dem Gesichtspunkt, daß sie Material in der Ermittlungssache gegen Wohlgemuth, also gegen einen anderen im Sinne des § 103 der Strafprozeßordnung, erbringen konnte, gewürdigt werden. Aus diesem Grunde war sie nicht unzulässig.
Ich wiederhole, daß dies lediglich eine vorläufige Stellungnahme ist.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 800. Wer für den Antrag des Ausschusses ist, die Immunität des Abgeordneten Schmidt-Wittmack aufzuheben, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf Punkt 3 der gestrigen Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betreffend Maßnahmen zur Milderung der Ernte- und Hochwasserschäden des Jahres 1954 ({0}).
Wie ich hörte, soll der Abgeordnete Bauknecht diesen Antrag für alle antragstellenden Fraktionen begründen. Ich darf ihm das Wort erteilen.
Bauknecht ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen vor, in dem die Regierung ersucht wird, alsbald im Benehmen mit den Ländern Feststellungen zu treffen über Art und Umfang der durch die außerordentlichen Witterungsverhältnisse des Jahres 1954 verursachten Ernteschäden. Zweitens wird beantragt, wenn die Feststellungen getroffen sind, dafür zu sorgen, daß auf Grund der Ermittlungen die Schäden umgehend behoben werden. Wenn sich alle Fraktionen veranlaßt gesehen haben, diesen gemeinsamen Antrag einzubringen, so bringt das nach außen zum Ausdruck, daß es sich wirklich um außergewöhnliche Verhältnisse handelt, denn sonst wären wirklich nicht alle zu dieser einheitlichen Meinung gekommen.
Es liegt nun schon einige Tage zurück, daß Sie alle, vielleicht nicht allein deswegen, weil Ihr Urlaub verregnete, sondern wirklich aus ernster
({2})
Sorge um die Bergung der Ernte, Ihre Augen zu dem ewig bleigrauen Himmel emporgehoben und sich gefragt haben: Wann wird es wohl aufhören mit den ewigen Regengüssen?
In diesem Jahre sind drei Umstände zusammengekommen, die sich nie zuvor in den vergangenen Jahrzehnten kumuliert haben. Der erste ist die an und für sich um drei, vier Wochen verspätete Reife des Getreides. Zweitens gab es kaum einmal einheitlich im ganzen Bundesgebiet so viel Lagegetreide wie in diesem Sommer, verursacht durch Stürme und Regenfälle während des Reifens. Drittens ist es noch nie vorgekommen, daß es während der ganzen Ernteperiode unaufhörlich geregnet hat. Man kennt verschiedene Jahre, in denen zu Anfang der Ernte oder einmal einige Zeit während der Ernte oder etwa zum Schluß der Ernte schlechtes Wetter geherrscht hat; aber es ist doch nie vorgekommen, daß der Regen kontinuierlich während der ganzen Zeit gewesen ist. Das sind die drei Momente, die drei Faktoren, die in diesem unglücklichen Sommer durch ihr Zusammenwirken das Unheil verursacht haben.
Das Zusammentreffen dieser drei Faktoren hat über die eigentlichen Verluste während der Ernte hinaus auch für die Erntebergung einen ungeheuren Arbeits-, Zeit- und damit Geldaufwand erfordert, wie es nie zuvor der Fall gewesen ist. Praktisch sind davon alle Betriebe, ob sie nun ihr Getreide zum Teil besser oder weniger gut geerntet haben, betroffen. In sehr vielen Fällen kam es vor, daß man zur alten Sense zurückgreifen mußte, die man vor Jahrzehnten gebraucht und schon längst auf die Seite gelegt hatte. Ich kenne Fälle, in denen man Dutzende von Morgen buchstäblich von Hand abernten mußte, weil das Befahren des Feldes mit einer Erntemaschine unmöglich war. Obwohl man noch mit der Maschine hätte mähen können, konnte der Boden nicht befahren werden, weil er so aufgeweicht war, daß die Erntemaschinen trotz der Gummiräder versanken. Ich kenne Fälle, in denen der Wasserstand so hoch war, namentlich auch im Weser-Ems-Gebiet und in Teilen des übrigen Niedersachsens -, daß dort, wo anmoorige Böden sind, das Getreide nach der Handmand aus den Feldern buchstäblich mit der Hand auf trockenere, höhere Stellen herausgetragen werden mußte.
Unter günstigeren Verhältnissen konnte man mit der Maschine arbeiten. Man mußte aber zum Teil auf den Grasmäher zurückgreifen, weil die große Lagerung es nicht ermöglichte, den Bindemäher oder den Mähdrescher einzusetzen. Dadurch sind eminent hohe Kosten entstanden, die wir allein infolge des zusätzlichen Arbeitsaufwands, ganz gering gerechnet, mindestens auf das Drei- bis Vierfache einer normalen Bergung beziffern müssen.
Ich darf Ihnen ein Beispiel aus dem eigenen Betrieb nennen, um zu zeigen, wie kompliziert die Ernte war. Für ein Stück Roggen, das normalerweise in fünf bis sechs Stunden mit dem Bindemäher und zwei menschlichen Arbeitskräften erledigt werden konnte, mußte ich in diesem Jahr fünf Tage lang die Maschine und vier Arbeitskräfte einsetzen, weil die Störungen am laufenden Band nicht abzustellen waren. Das Getreide wurde niemals so trocken, daß man richtig mähen konnte. Ein weiteres Beispiel: Die Bindertücher - das sind Maschinenteile - waren einem solchen Verschleiß unterworfen, daß ich auf meinem Betrieb direkt einen Handwerksmann, einen Sattler ansetzen mußte, der tagelang gar nichts anderes tat, als die zerrissenen Bindertücher zu flicken. Dort, wo die Maschine eingesetzt werden konnte, konnte sie nur im kleinsten Gang, manchmal nur im Kriechgang arbeiten. Überall konnte das Getreide nur von einer Seite gemäht werden, nicht wie normal rundum. Diese Umstände haben bewirkt, daß der Brennstoffverbrauch bei den Traktoren etwa auf das Dreifache des Normalverbrauchs stieg. Wer sein Getreide, wenn er auf die Handmand verzichten mußte, weil er die Arbeitskräfte nicht hatte, nur mit dem Grasmäher mähen konnte, mußte es meist lose liegenlassen. Wer das Getreide aufgestellt hatte, der mußte die Puppen trotz des dauernden Regens umstellen, was aber eine fruchtlose Arbeit war, weil ja jeden Tag wieder neuer Regen kam. Wer es aber nicht aufstellen konnte, weil es zu stark Lagegetreide war, mußte es auf dem Boden mehrmals umkehren, manchmal so oft, bis praktisch keine Körner mehr in den Ähren saßen, der Ausfall also nahezu total war.
So sahen sich sehr viele Bauern aus Angst, daß es überhaupt nicht mehr besser werde, genötigt, das Getreide mit dem doppelten Feuchtigkeitsgehalt einzufahren. Man rechnet normalerweise mit einem Feuchtigkeitsgehalt von 14 bis 16 %. Jetzt kam es sehr oft vor, nicht nur manchmal, daß das Getreide beim Drusch einen Feuchtigkeitsgehalt von 30 bis 35 % aufwies. Dieses Getreide mußte, um es vor einem totalen Verderb zu schützen, künstlich nachgetrocknet werden. Allein die Kosten für diese künstliche Nachtrocknung gehen in die Dutzende von Millionen. Überdies wurden dem Bauern infolge der Überfeuchtigkeit Abzüge gemacht, die in einzelnen Fällen acht bis zehn DM je Doppelzentner betrugen.
Es darf an dieser Stelle dem Bundesernährungsminister insofern Dank ausgesprochen werden, als er zur rechten Zeit diese Dinge erkannt und die Einfuhr- und Vorratsstelle entsprechend dem Marktgesetz für Getreide beauftragt hat, alles ihr angebotene Getreide von Genossenschaften und Handel sofort aufzunehmen und dafür zu sorgen, daß es getrocknet wird, damit es vor dem totalen Verderb bewahrt wird.
Ich darf dann noch auf einen weiteren Umstand hinweisen. Infolge der Auswinterung im vergangenen Winter wurden in der Bundesrepublik 25 % der Winterweizenbestände und 67 % der Wintergerstebestände umgepflügt und mußten aufs neue bestellt werden.
Was ich bisher geschildert habe, sind die erschwerenden Umstände für die Bergung der Ernte. Nun zu den Schäden selber. Eine Zeitlang hatte es so ausgesehen, als bekämen wir heuer, namentlich bei Roggen, eine sehr gute Ernte. Aber die Regenfälle im Juli verhinderten, daß sich das Korn normal entwickeln konnte, und damit war diese Hoffnung bereits zerstört. Durch die eigentlichen Verluste während der Ernte ist der Schaden dann schließlich so groß geworden. Ich will es mir ersparen, auf Einzelheiten genauestens einzugehen, weil die Erhebungen nicht völlig abgeschlossen sind, wenn sie auch ein ungefähres Bild geben, das sich vielleicht etwas verbessern, wahrscheinlicher aber noch verschlechtern kann.
Ich nenne zunächst die Totalverluste auf dem Felde durch ausgewachsenes Getreide. Getreide hat seinen Nährwert, wenn es stark ausgewachsen ist,
({3})
I völlig verloren und entfällt nicht nur als Brotgetreide, sondern kann zum Teil nicht einmal verfüttert werden. Wir werden damit rechnen können, daß dieser Totalverlust durch Auswuchs im Durchschnitt der Bundesrepublik etwa auf 10 bis 12 % zu veranschlagen ist. Wir sind uns darüber klar, daß die Unterschiede sehr groß sind. Es gibt Teile in der Bundesrepublik, wo man bei Roggen
beispielsweise im südlichen Schleswig-Holstein, in Teilen von Westfalen und Niedersachsen und im Alpenvorland - mit Auswuchsverlusten bis zu 40 und 50 % rechnen muß, während andere Gebiete wieder besser weggekommen sind.
Neben diesen Verlusten durch Auswuchs haben wir solche durch Körnerausfall. Ich habe vorhin bereits angedeutet, daß es viele Fälle gibt, wo die Körner, eben weil das Getreide total übereif war und weil es auf dem Feld mehrmals in die Hand genommen werden mußte, ausgefallen sind. Ein Beispiel aus meinem eigenen Betrieb! Mein sehr gut stehender Hafer hat vielleicht noch ein Drittel seiner Körner in den Rispen; alles andere liegt ausgefallen auf dem Boden. Ein anderes Beispiel aus Hessen! Mir ist eine Domäne mit 80 Morgen Roggenbau bekannt. Die Erträge beliefen sich in den vergangenen Jahren normalerweise auf 20 Zentner pro Morgen; das ist also nichts völlig Außergewöhnliches, sondern eine sehr gute Durchschnittsernte. Heuer hat dieser Betrieb durch Auswuchs und Körnerausfall so viel verloren, daß er beim Drusch wirklich nur 8 Zentner pro Morgen einheimsen konnte. Danach kann sich wohl jeder ausrechnen, wie groß die Verluste sind.
Ich nenne drittens die Verluste, die auch beim Futtergetreide, das schlecht eingebracht wurde, entstanden sind. Brotgetreide ist zum Teil wegen minderer Qualität nur noch zur Fütterung geeignet, und Futtergetreide erleidet zum Teil auch infolge verminderter Qualität eine Einbuße für die Fütterung.
Der Ernährungsausschuß hat sich in der letzten Woche bereits mit diesen Fragen befaßt und ist zu der Auffassung gekommen, daß man auf Grund der Berichte des Bundsernährungsministeriums sowie der zentralen Markt- und Berichtsstelle und auch der Erhebungen der bäuerlichen Berufsorganisation mit einem Verlust - Qualitätsminderung und völligem Ausfall - von insgesamt etwa einem Viertel des Erntewertes rechnen müßte. Wenn Sie bedenken, daß der Wert der deutschen Getreideernte in normalen Jahren bei einem Gesamtertrag an Futter- und Brotgetreide in Höhe von 12 Millionen Tonnen ungefähr 4,4 Milliarden DM beträgt, und dann 25 % Verluste berechnen, so kommen Sie auf eine Summe von etwa 1 Milliarde DM an unmittelbaren Verlusten und Wertminderungen, abgesehen von den gesteigerten Erntekosten, die ich eingangs vorgetragen habe.
Im heurigen Jahre sind weitere schädliche, den Betrieb erschwerende Momente durch den vielen Regen und die späte Ernte entstanden.
Ich darf als erstes darauf hinweisen, daß die Stoppeln nicht rechtzeitig geschält werden konnten und damit bereits eine Einbuße für die Ackerkultur entstanden ist. Die Gare wurde in Mitleidenschaft gezogen. Wer sich einen Acker angesehen hat, auf dem man mehrmals bei feuchtem Bodenzustand herumwirtschaften mußte, der weiß, wie fest er wurde, so daß eben die Gare weitgehend Verluste erlitten hat. Das ist bereits eine Hypothek auf die nächste Ernte.
Zweitens hat sich die Aussaat der Winterölfrüchte, die normalerweise Ende August vorgenommen werden muß, verzögert. In großen Teilen der Bundesrepublik fiel sie überhaupt aus; in anderen, wo noch bestellt werden konnte, kam sie viel zu spät.
Drittens kann jeder erkennen, daß die Untersaaten des Getreides keinen Schnitt mehr zulassen, wie es in normalen Jahren der Fall ist. Das bedeutet für sehr viele Betriebe einen großen Futterausfall.
Viertens ein sehr erschwerendes Moment: In den klimatisch günstigeren Gegenden bestellt man nach Roggen, Weizen und Wintergerste normalerweise noch Sommerzwischenfrüchte. Manche Betriebe sind für ihre Viehhaltung direkt auf diese Erträge angewiesen, die in vielen Fällen unter Umständen ein Viertel ihres Gesamtbedarfs an Futter ausmachen. Sie müssen heuer mit einem Totalausfall ihrer Sommerzwischenfrüchte rechnen.
Auf die weiteren Punkte, die ich mir notiert habe, will ich jetzt gar nicht eingehen. Sie betreffen die Schädigungen für die Hackfrüchte. Daß der Futtergehalt infolge des Mangels an Sonnenschein wesentlich niedriger ist, ist genau so klar wie die Gefahr - und sie scheint mir sehr groß zu sein -, daß die Kartoffeln, wenn sie auch noch normale Erträge abwerfen werden, durch das Regenwetter in ihrer Haltbarkeit schwerstens beeinträchtigt sind.
Die Preisentwicklung zeigt, daß das Gemüse wegen des schlechten Wetters rar geworden ist, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in ganz Mitteleuropa. Von Obst will ich nicht reden, von dem Weinherbst auch nicht. Beim Weinherbst ist es noch
möglich, daß ein Altweibersommer den vorher entstandenen Schaden wiedergutmacht.
({4}) - Darauf komme ich gerade.
({5})
Die Heuernte war in Norddeutschland infolge der Trockenheit des Vorsommers so klein, daß sie etwa mit einem Viertel bis einem Drittel einer normalen beziffert werden kann. Anschließend ist die magere Ernte so verregnet, daß schwerste Verluste entstanden sind. Auch in anderen Gebieten, wo der Ertrag gut war, wie in weiten Teilen von Süddeutschland, hat sich die Ernte so lange hinausgezögert, daß in dem Heu praktisch keine Nährstoffe mehr enthalten waren, sondern nur noch Stroh geerntet werden konnte. Und dieses strohige Heu war dann auch noch verregnet. Ich habe immerhin eine praktische Erfahrung von mehr als 40 Jahren in meinem Betrieb hinter mir. In diesen 40 Jahren war die Heuernte noch nie so spät. In jedem, selbst dem schlechtesten Jahr war die Öhmd 14 Tage früher als in diesem Jahr.
Kürzlich wurde der Einwand erhoben: Was ist das schon, da die Getreideerlöse in manchen Fällen ja nur einen Bruchteil des Gesamterlöses des Betriebes betragen! Das stimmt; es gibt Betriebe, bei denen die Einnahmen aus Getreide nur 10 bis 15 % betragen. Aber es gibt in anderen Gebieten Betriebe, wo der Anteil mit etwa 50 % beziffert werden muß. Da komme mir aber nun keiner und sage: Die können ja Schweine und Vieh verkaufen! Die Schweine und das Vieh leben ja nicht von der
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Erde, sondern die fressen eben das Getreide und das Heu. Die Verluste, die hier hingenommen werden mußten, drücken sich auch in den Verkaufserlösen von Milch, Rindfleisch und Schweinefleisch aus.
Die Landwirtschaft erwartet nicht, daß ihr jemand ihr letztes Risiko abnimmt. Sie ist darauf abgestellt, daß sie bei ihrer Naturabhängigkeit im Laufe der Jahre Ernteschwankungen hinnehmen muß. Aber Sie haben meinen Schilderungen entnehmen können, daß es sich bei diesen einmaligen Verhältnissen wirklich um ein Unglück handelt, das nicht allein auf den Schultern der Erzeuger belassen werden darf. Zu jener Zeit, als der Verkehr und die weltwirtschaftliche Verbindung noch nicht so entwickelt waren, war es so, daß eine Mißernte das ganze Volk durch eine Teuerung oder gar Hungersnot zu spüren bekam. Die letzte sogenannte Teuerung hatten wir im Jahre 1896, als eine totale Mißernte die Preise in die Höhe trieb. Die letzte Hungersnot in Mitteleuropa war im Jahre 1846. Wir freuen uns, daß es dank unserer Marktgesetze nun zu keiner Brotverteuerung kommt. Aber man darf, wie ich vorhin ausgeführt habe, nun nicht zu dem Schluß kommen, daß diese einmaligen Verluste in diesem Jahre allein vom Bauern getragen werden müssen. Es ist eine erfreuliche Sache, daß sich das ganze Haus in dem gemeinsamen Antrag dieser Meinung angeschlossen hat.
Ich darf noch auf einiges hinweisen. Es kommt jetzt darauf an, daß das schlecht eingebrachte Getreide nicht noch weiter verdirbt. Es ist Ihnen aus der Presse bekannt, daß bereits sechs Scheunen abgebrannt sind, weil sich das Getreide dort so erhitzt hat, daß es zu einer Selbstentzündung gekommen ist. Das sind schwere Fälle. Ob weitere nachfolgen, weiß man nicht. Ich kenne zahlreiche Fälle, bei denen die Feuerwehr eingreifen mußte und wo es nur deshalb zu keinem Brand kam, weil man den Garbenstock noch rechtzeitig auseinanderreißen konnte.
Weiter handelt es sich aber auch um das noch nicht eingebrachte Getreide. Solches gibt es noch genügend. Man gehe nur einmal in die höheren Lagen, in die Eifel oder auf die Schwäbische Alb und in den Schwarzwald. Ich war am Sonntag in der Eifel. Da stand noch über die Hälfte des Getreides draußen. Ich ließ mir von einem Kollegen aus dem Schwarzwald berichten, daß dort noch Weizen und Hafer draußen steht und noch nicht gemäht werden konnte, weil er heute - am 17. September - noch grün, noch nicht reif ist. Sie sehen also, die Dinge sind noch schwieriger, als sehr viele annehmen wollten. Es muß gerettet werden, was gerettet werden kann.
Ferner - und das ist eine große Sorge und ein Kernpunkt dieser Anträge - muß dafür gesorgt werden, daß keine Gefahren für die Erstellung der nächsten Ernte entstehen.
In dem Antrag ist auch die Rede davon, daß man nicht global entschädigen, also nun jedem etwas geben will, sondern daß genauestens geprüft wird, wo wirklich ernste Gefahren entstanden sind und zu befürchten ist, daß der Betrieb in Not kommt. Das ist leider sehr viel öfter der Fall, als angenommen wird. Ich will nun nicht davon sprechen, wie viele Düngemittel, die im Winter und Frühjahr bezogen wurden, noch nicht bezahlt sind. Wir wissen aber, daß die deutsche Landwirtschaft bei dem Bemühen um Fortschritt im vergangenen Jahr ein Fünftel mehr für Düngemittel aufgewendet hat als in den vorvergangenen Jahren. Die 200 Millionen DM, die dieses Fünftel gekostet hat, sind vollkommen pleite gegangen. Die Düngemittel sind zum Teil nicht bezahlt. Da die Gefahr besteht, daß für das kommende Jahr in diesem Punkt Einsparungen gemacht werden müssen, hat die Öffentlichkeit das allergrößte Interesse daran, daß diese Gefahr ausgeräumt wird. Es handelt sich in zahlreichen Fällen gerade um intensive Betriebe, die hohe Aufwendungen gemacht haben und infolge der Verluste nicht mehr imstande sind, aus eigener Kraft das Notwendige für das nächste Jahr aufzubringen. Ich darf noch auf die große Gefahr für sehr viele kleine Bauern, besonders aber für Siedler hinweisen, die neu auf ihren Stellen angesetzt worden sind oder zum Teil noch Pacht haben.
Das sind die Sorgen, die das ganze Volk bewegen. Ich hoffe, daß aus dem Antrag etwas Brauchbares herauskommt, was auch der Würde dieses Hauses angemessen ist, damit in diesem nationalen Unglück die Schäden behoben werden.
Namens sämtlicher Fraktionen beantrage ich, den Antrag dem Ernährungsausschuß federführend und dem Haushaltsausschuß mitberatend zu überweisen. Ich knüpfe daran die Hoffnung, daß es dem Bundesernährungsminister in Zusammenarbeit mit dem Ernährungsausschuß gelingt, umgehend entsprechende Richtlinien zu erlassen, damit die Schäden gemildert werden können. Die Erstellung der neuen Ernte hat bereits begonnen. Darum tut Eile not.
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Meine Damen und Herren, das Wort wird wohl nicht weiter gewünscht? - Ich komme zur Abstimmung. In der Notiz, die ich hier vorfinde, heißt es: Überweisung an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung. Soeben ist der umgekehrte Antrag gestellt worden. Ist das Haus damit einverstanden, daß so verfahren und der Antrag dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführendem Ausschuß und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird?
Das Wort hat der Abgeordnete Horlacher.
Ich rede nicht zur Sache, sondern zur Geschäftsordnung. Ich bin der Meinung, der Antrag ist so abgefaßt, daß er, zumal da er von allen Fraktionen unterschrieben ist, unmittelbar hier im Hause zur Abstimmung kommen kann. Die Dinge liegen doch so, daß mit jeder Verzögerung um acht oder vierzehn Tage die Verhältnisse nicht verbessert, sondern verschlimmert werden.
({0})
Ich persönlich widerspreche der Überweisung an die Ausschüsse, weil ich das einfach nicht verantworten kann, und stelle den Antrag, die Überweisung an die Ausschüsse abzulehnen und hier unmittelbar dem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für alle, die die nicht sehr einfache Entstehungsgeschichte dieses Antrags kennen, ist es völlig klar, daß, so wie die Dinge ge({0})
laufen sind, leider nicht auf eine Ausschußüberweisung verzichtet werden kann. Ich will mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen und nehme an, daß niemand das Bedürfnis danach hat oder den Wunsch äußert. Es kann also leider nicht auf die Ausschußüberweisung verzichtet werden. Wir werden später Gelegenheit haben, uns über die Ursache dieser Zwangslage zu unterhalten.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Stellungnahme zur Geschäftsordnungsfrage gehört. Nach der Übung dieses Hauses geht der Antrag auf Überweisung an die Ausschüsse dem andern vor. Ich muß also zuerst darüber abstimmen lassen. Wer dafür ist, daß der Antrag auf Drucksache 810 an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen wird, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle fest: das erste war die Mehrheit. Das Haus hat so beschlossen; die Drucksache ist überwiesen.
Damit sind wir am Ende der gestrigen Tagesordnung, und vor uns steht die Abwicklung der heutigen Tagesordnung, die 23 Punkte - darauf darf ich hinweisen - umfaßt. Aber lassen Sie sich durch die Zahl nicht schrecken. Ich glaube, es wird schneller gehen, als wir vermuten.
Ich rufe auf Punkt 1 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu § 4 Abs. 4 des Altsparergesetzes ({0}).
Es besteht die interfraktionelle Vereinbarung, daß weder begründet werden noch eine Aussprache stattfinden soll. - Ich schließe die erste Beratung und schlage dem Hause Überweisung an den Ausschuß für den Lastenausgleich vor. Ist das Haus damit einverstanden?
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- Es wird der weitere Antrag gestellt, die Drucksache zur Mitberatung an den Gesamtdeutschen Ausschuß zu überweisen.
({2})
Entschuldigen Sie, ich kenne zwar die Materie im einzelnen nicht; aber der Antrag scheint mir nicht sehr begründet zu sein.
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- Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 2 dieses Gesetzentwurfs ist die Entschädigungsberechtigung für diejenigen mit eingebaut worden, die ihren Aufenthalt im Saargebiet haben. Ich bin der Meinung, daß diese Frage mit anderen Fragen zusätzlich im Gesamtdeutschen Ausschuß - mitberatend - besprochen werden muß. Ich stelle daher den Antrag, diesen Gesetzentwurf dem Gesamtdeutschen Ausschuß zur Mitberatung zuzuweisen.
Mir scheint im Hause keine Einigkeit darüber zu bestehen. Ich lasse also abstimmen. Daß das Haus die Vorlage an den Lastenausgleichsausschuß überweist, unterstelle ich. - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich lasse über den Zusatzantrag abstimmen. Wer dafür ist, daß die Drucksache 674 auch dem Gesamtdeutschen Ausschuß überwiesen wird, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 2 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft ({0}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die erste Beratung. Ich schlage vor: Überweisung der Drucksache an den Ausschuß für Außenhandelsfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Geld und Kredit zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 3 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft ({1}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage vor: federführend Ausschuß für Wirtschaftspolitik, mitberatend Ausschuß für Geld und Kredit. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; dann ist so beschlossen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung der auf Reichsmark lautenden Wertpapiere der Konversionskasse für deutsche Auslandsschulden ({2}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage dem Hause vor: Überweisung der Drucksache an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Geld und Kredit zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 5 a bis c:
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über eine Berufsordnung der vereidigten Buchprüfer ({3}) ({4});
b) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer ({5}) ({6});
c) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten ({7}) ({8}).
Soweit ich orientiert bin, soll auch hier auf eine Aussprache und Begründung verzichtet werden. Aber immerhin eröffne ich die Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage Ihnen die Überweisung
({9})
der Drucksache 783 - Buchprüferordnung - an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführenden Ausschuß, an die Ausschüsse für Finanz- und Steuerfragen und Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatende Ausschüsse vor. Das Haus ist damit einverstanden? - Das ist der Fall; dann ist so beschlossen.
Bezüglich der Drucksache 784 - Wirtschaftsprüferordnung - schlage ich dem Hause vor, diese Drucksache dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführendem Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Hinsichtlich der Drucksache '785 - Steuerberatungsgesetz - schlage ich Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß, an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik und für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatende Ausschüsse vor.
({10})
- Bitte!
Namens meiner Freunde beantrage ich, auch diesen Entwurf dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführendem Ausschuß zu überweisen. Es handelt sich bei diesen drei Gesetzen um ganz gleichmäßig und schematisch ausgearbeitete Berufsordnungen. Eine Fülle solcher Gesetze kommt noch auf uns zu, wie wir schon aus Bundesratsvorlagen wissen. Ich glaube, wir sollten alle in diesem Fall die Berufsordnung eben als sedes materiae ansehen, nicht die Steuerberatung. Ich bin daher der Meinung, daß der Ausschuß für Wirtschaftspolitik diese Gesetze federführend beraten sollte, und natürlich sollte der Finanzausschuß als mitberatender Ausschuß tätig werden.
Bitte, Herr Abgeordneter Eckhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte dem Antrag des Herrn Kollegen Königswarter widersprechen. Ich bin der Ansicht, daß gerade die Steuerberaterordnung einen sehr engen Zusammenhang mit all den Fragen hat, die im Finanz- und Steuerausschuß behandelt werden müssen, und daß auch hier der Konnex mit dem Bundesfinanzministerium besonders eng ist. Ich meine, aus sachlichen Gründen müssen wir dem Finanzausschuß die Federführung geben.
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Ich meine, wir sollten aber nicht zu lange geschäftsordnungsmäßig debattieren.
Herr Präsident, ich glaube, nicht zu lange gesprochen zu haben, und werde es auch jetzt nicht tun. Ich betone nochmals: Es handelt sich lediglich um die Berufsordnung dieses Standes, und es handelt sich um ein Gesetz, das nach genau demselben Schema ausgearbeitet ist wie das über eine Berufsordnung der vereidigten Buchprüfer und das der Wirtschaftsprüfer.
Der Einfluß des Finanzausschusses wird, soweit steuerliche Interessen im Spiele sind, in keiner Weise durch die Federführung beim Wirtschaftsausschuß ausgeschaltet. Ich glaube, das hat die Zusammenarbeit der beiden Ausschüsse bisher auch da ergeben, wo sich die Kompetenzen überschneiden. Ich halte es für grundfalsch, die Drucksache 785 an den Finanzausschuß als federführenden Ausschuß zu geben; denn dann ahmen wir das nationalsozialistische Beispiel nach, das in den Steuerberatern lediglich den verlängerten Arm des Finanzamts sah und nicht den Berater für das des Rates bedürftige Publikum.
Wird das Wort weiter gewünscht?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich unterstütze den Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Eckhardt und beantrage ebenfalls, die Steuerberaterordnung in erster Linie dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. Mitberatend sollen der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und außerdem der Ausschuß für Wirtschaftsrecht tätig sein.
Ergänzend möchte ich noch beantragen, die Wirtschaftsprüferordnung auch dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als mitberatendem Ausschuß zu überweisen, was der Herr Präsident vorhin nicht erwähnt hat.
Entschuldigen Sie, meine Notizen, die anscheinend doch auf einer interfraktionellen Vereinbarung beruhen, lauten: Drucksache 784 - Wirtschaftspolitik, Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ich habe geglaubt, daß das Haus damit einverstanden sei.
Nein, das ist vermutlich ein Versehen. Ich beantrage also dann, die Wirtschaftsprüferordnung dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zur Mitberatung zu überweisen.
Das Haus hatte ja eigentlich schon beschlossen. Ich glaube aber, es ist nicht so schlimm, wenn ich noch einmal in die Beratung der Drucksache 784 eintrete. Ich frage das Haus, ob es mit dem zuletzt gestellten Antrag, auch die Drucksache 784 dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zur Mitberatung zu überweisen, einverstanden ist. - Das ist der Fall; dann ist der Punkt 5 b endgültig abgeschlossen.
Wir kommen jetzt zu Punkt 5c. Wie wir gehört haben, handelt es sich einzig und allein um die Frage, ob bezüglich der Drucksache 785 der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen oder der Ausschuß für Wirtschaftspolitik federführend sein soll. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag, der dahin geht - ebenso wie bei den anderen beiden Drucksachen -, den Ausschuß für Wirtschaftspolitik als federführend zu erklären; das ist der in diesem Sinne weitestgehende Antrag. Wer also der Meinung ist, daß die Drucksache 785 dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik und nicht, wie bisher vorgesehen, dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführendem Ausschuß überwiesen werden soll, den bitte ich um ein Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist kein Zweifel, daß das erste die überwiegende Mehrheit war. Ich unterstelle nach dem Ergebnis dieser Abstimmung, daß das Haus mit der Mitbe({0})
ratung durch den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und durch den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht einverstanden ist. - Das ist der Fall; dann ist die Überweisung beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungs- und Bausparwesen ({1});
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen vom 6. Juni 1931 ({2}).
Ich eröffne die Aussprache zur Drucksache 666.
- Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe
die erste Beratung. Ich schlage dem Hause vor Überweisung dieses Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Geld und Kredit. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich eröffne die Beratung über Drucksache 782. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung.
Ich habe hier eine Notiz gehabt, wonach auch dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß für Geld und Kredit überwiesen werden sollte. Aber Herr Abgeordneter Jacobi hat hier eine Notiz hinterlassen, in der er wünscht, daß dieser Gesetzesantrag allein dem Ausschuß für Kommunalpolitik überwiesen wird, weil er nur eine dorthin rangierende Materie behandle. Irgend jemand hat es hier auch
1) schon durchgestrichen; ich weiß nicht, wer, ob der Herr Präsident - ({3})
- Also Überweisung an den Ausschuß für Kommunalpolitik. Aber bitte, das Haus ist sich nicht einig?
({4})
- Ausschuß für Kommunalpolitik federführend
und Ausschuß für Geld und Kredit mitberatend. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; dann ist so beschlossen.
Punkt 7 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs ({5}) ({6});
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Horlacher, Bauknecht, Struve, Dr. Dr. h. c. Müller ({7}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung des Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs ({8});
c) Beratung des Entwurfs einer Zwanzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen ({9});
d) Beratung des Entwurfs einer Einundzwanzigsten Verordnung über Zollsatzänderungen ({10});
e) Beratung des Entwurfs einer Sechsten Verordnung über Zolltarifänderungen aus Anlaß der Errichtung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle Stahl ({11}).
Ich trete ein in die Beratung der Drucksache 749.
- Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung. Ich schlage dem Hause Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. Ist das Haus einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich trete ein in die Beratung der Drucksache 677.
- Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung und schlage Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. Das Haus ist einverstanden? - Herr Abgeordneter Horlacher.
Der Vorläufer dieses Gesetzes hat den Bundestag schon einmal beschäftigt. Ich schlage vor, den Entwurf zur Mitberatung dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.
Sie haben den Antrag gehört. Ist das Haus damit einverstanden?-Das ist der Fall. Also: Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 677 an den Ausschuß für Außenhandelsfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Ausschuß. - Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Drucksache 763 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung und schlage Ihnen Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich trete ein in die Beratung der Drucksache 790. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung und schlage dem Hause Überweisung an denselben Ausschuß, den Ausschuß für Außenhandelsfragen, vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Drucksache 772 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die erste Beratung und schlage Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik - mitberatend
- vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) über den Antrag der Abgeordneten Schoettle, Rümmele, Dr. Hoffmann und Genossen betreffend Beteiligung des Landes Baden-Württemberg an den Bundesmitteln für Grenzbezirke ({1}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Wacker.
Wacker ({2}) ({3}), Berichterstatter: Ich habe einen schriftlichen Bericht *) abgegeben, Herr Präsident.
Ist das Haus mit diesem Verfahren einverstanden? -Das ist der Fall. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der
*) Siehe Anlage 4.
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Fall. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrage des Ausschusses auf Drucksache 400 ({1}) zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist angenommen.
Ich rufe Punkt 9 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Besatzungsfolgen ({2}) über den Antrag der Abgeordneten Wehking, Frau Dr. Steinbiß und Genossen betreffend Überbrückungskredit für die Stadt Bad Oeynhausen ({3}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Serres. Ich darf ihn bitten, das Wort zu nehmen.
Dr. Serres ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause ist mit der Drucksache 453 ein Antrag der Abgeordneten Wehking, Frau Dr. Steinbiß und Genossen betreffend Überbrückungskredit für die Stadt Bad Oeynhausen zugeleitet worden. Das Plenum hat ihn dem Ausschuß für Besatzungsfolgen zur Beratung überwiesen. Dieser hat sich in seiner Sitzung am 8. Juli dieses Jahres im einzelnen damit befaßt. Dem Antrage konnte im wesentlichen gefolgt werden; es war nur nicht möglich, den Überbrückungskredit ziffernmäßig festzusetzen. Daher ist eine geringfügige Änderung dahingehend erfolgt, daß geeignete Überbrückungsmaßnahmen beschleunigt zu ergreifen sind und dem Bundestag bis zum 15. Oktober 1954 über die ergriffenen Maßnahmen zu berichten ist.
Ich habe die Ehre, Sie namens des Ausschusses zu bitten, dem Ausschußantrag Drucksache 705 zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wehking.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht das erste Mal, daß sich der Bundestag mit den Notständen in Bad Oeynhausen beschäftigt. Bereits im 1. Bundestag hat die CDU-Fraktion mit ihrer Kleinen Anfrage Nr. 260 vom 20. April 1952, Drucksache 3299, nach der Niederbrennung des von der britischen Besatzungsmacht beschlagnahmten Badehauses II, und nachdem vorher durch andere Brände u. a. eine Kirche, ein Teil des Kurhauses und vier Wohnhäuser wahrscheinlich infolge Fahrlässigkeit der Besatzungsmacht abgebrannt waren, auf die Tatsache hingewiesen, daß die Stadt Bad Oeynhausen mit ihrer totalen Räumung und Besetzung in der Bundesrepublik einzig dasteht, und angefragt, ob die Bundesregierung bereit sei, mit der Besatzungsmacht über die Rückgabe deutschen Eigentums für die heilungsuchende Menschheit zu verhandeln, und ob sie durch wirtschaftliche und finanzielle Hilfsmaßnahmen die außergewöhnlichen Besatzungsnotstände in diesem einstigen Weltbade beseitigen wolle. Der Bundesfinanzminister hat damals in der Drucksache Nr. 3367 vom 11. Mai 1952 zugegeben, daß die Besatzungsnotstände in Bad Oeynhausen ungleich größer seien als in nahezu allen anderen Städten des Bundesgebiets. Er hat erklärt, seine Bereitschaft, durch die Errichtung eines großen Bürogebäudes eine Freimachung von beschlagnahmten Gebäuden zu erreichen, sei von der Besatzungsmacht abgelehnt worden. Wirtschaftliche und finanzielle Hilfsmaßnahmen setzten die Freigabe der Stadt und des Bades voraus.
Dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Da die Stadt, die nun fast zehn Jahre gelitten hat und deren größter Teil jahrelang durch Stacheldraht für den Zutritt Deutscher abgesperrt war, ab 1. Oktober geräumt werden soll, dürfte sie wohl auf die Einlösung des Versprechens rechnen. Was diese Stadt gelitten hat, kann nur der beurteilen, der - wie ich in meiner Stellung als Landrat - in den Jahren, als wir Deutschen noch als Freiwild behandelt wurden, Gelegenheit hatte, einen Einblick in die Verhältnisse zu tun. Scham und Zorn erfüllte uns beim Anblick der Möbel, die die Einwohner hatten stehenlassen müssen und die die Besatzung aus den Häusern entfernte und von Lastwagen unsanft auf den Möbelfriedhof vor den Toren der Stadt niederknallen ließ, weil sie ihr nicht modern genug erschienen, zu einer Zeit, als an eine Wiederbeschaffung für die aus ihrer Wohnung Vertriebenen nicht zu denken war. Noch heute sind 660 Grundstücke requiriert,
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und zwar 76 Hotels und Pensionen, drei Kliniken und Kurheime, 41 sonstige gewerbliche Betriebe, 412 Ein- und Zweifamilienhäuser, 106 Mietwohnhäuser und 22 Gebäude der öffentlichen Hand einschließlich der Gebäude des Staatsbades. Weil jetzt nach der Räumung und der zehnjährigen Zerstörung an Gebäuden und Inventar ein außergewöhnlicher Notstand eintritt und anhalten wird, bis nach Wiederherstellung der Gebäude und der Wiederbeschaffung des Inventars die Werbung um die nach anderen Bädern abgewanderten Kurgäste die ersten Einnahmen wieder bringt, haben wir den Antrag Drucksache 453 betreffend Überbrückungskredit für die Stadt Bad Oeynhausen im Bundestag eingebracht.
Sie haben den Bericht des Berichterstatters gehört, nach dem die Bundesregierung aufgefordert wird, Bad Oeynhausen zu helfen. Sie haben aus dem Bericht weiter gehört, worin laut Schreiben des Bundesfinanzministers die Hilfe bestehen soll. Die Antragsteller erkennen gern an, daß mit den Richtlinien für die Gewährung von Bundesdarlehen an freizugebende Betriebe des Gaststätten- und Beherbergungsgewerbes, an Betriebe der gewerblichen Wirtschaft, für freigegebene Wohngebäude und bei Belegungsschäden an Hausrat neben den immer noch nach dem Gesetz Nr. 47 der Alliierten Hohen Kommission vorzunehmenden Entschädigungen, die bei Inventar 40 bis 50 % des Wertes darstellen, eine zusätzliche Kreditmöglichkeit bis zu 70 % des Schadens gegeben ist. Es ist auch besser als gar nichts, wenn auf die Entschädigungen bis zu 60 % Vorschüsse gezahlt werden können.
Ich freue mich, feststellen zu können, daß unsere Bemühungen Erfolg gehabt haben, die Bestimmungen, nach denen die Abwicklung der Anträge für die Darlehen und Vorschüsse in einem dutzendfachen Instanzengang erledigt werden sollte, dahin abzuändern, daß die Bearbeitung kein halbes Jahr mehr zu dauern braucht, sondern durch Zusammenlegung aller Stellen in Bad Oeynhausen verkürzt wird. Auch die Verlängerung der Tilgungszeit von acht auf zwölf bis fünfzehn Jahre stellt neben der wirtschaftlichen Unmöglichkeit, jährlich neben den Zinsen noch 12 1/2 % Tilgungsbeträge
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aufzubringen, eine Erleichterung dar, ebenso der Verzicht des Bundes auf erststellige Sicherung der Bundesdarlehen.
Aber, meine Damen und Herren und sehr verehrter Herr Bundesfinanzminister, woher sollen die Mittel für die verbleibenden 30 % des Schadens genommen werden? Ganz abgesehen davon, daß die Anschaffung neuzeitlicher Einrichtungen, die notwendig sind, wenn man die abgewanderten Kurgäste wiedergewinnen will, erhebliche zusätzliche Mittel erfordert!
Um Ihnen ein Bild von der Größenordnung der Schäden zu geben, weise ich darauf hin, daß in dem Gutachten des von Herrn Staatssekretär Hartmann beauftragten Weltwirtschaftsinstituts in Kiel der Schaden auf 107 Millionen DM beziffert wird. Das Besatzungskostenamt schätzt den Schaden, der neben der Entschädigung, die aus dem Besatzungskostenhaushalt gezahlt wird, verbleibt, ohne Gebäudeschäden bei Zubehörschäden, die mit rund 40 % entschädigt werden, auf 12 Millionen DM und bei den privaten Möbelverlusten bei einer Entschädigung von 50 % auf 20 Millionen DM. Selbst wenn auf Grund des Erlasses des Bundesfinanzministers bis zu 70 % des Schadens aus Bundesdarlehen gedeckt werden können, bleibt doch noch eine dreißigprozentige Finanzierungslücke für diese Verluste in Höhe von 19 Millionen DM offen. Ich bedaure, daß der Herr Bundesfinanzminister hierfür keinen Überbrückungskredit zur Verfügung stellt. Daß die Verzinsung und Tilgung für Gelder, die hierfür auf dem freien Kapitalmarkt aufgenommen werden müßten, neben den Verpflichtungen, die für die Mittel der Bundesdarlehen und die Finanzierung der Mehrkosten für neuzeitliche Einrichtungen in diesem ersten Jahrzehnt von der um Einschaltung in den Wirtschaftsprozeß ringenden Bevölkerung übernommen werden müssen, unmöglich sein werden, muß wohl jedem klar sein.
Ich erkenne dankbar die Hilfe des Landes Nordrhein-Westfalen an, das neben den erheblichen Mitteln für den Aufbau des Staatsbades nicht nur die Bürgschaft für diese zusätzlichen Kredite übernommen hat, sondern durch dessen Unterstützung es mir gelungen ist, die Bereitstellung von 6 Millionen DM langfristiger Gelder zu sichern. Ebenso bin ich dankbar für die Zusage des Finanzministers Dr. Flecken, die er mir gestern abend gegeben hat, diese Mittel für die Kreditnehmer wirtschaftlich tragbar zu gestalten. Diese 6 Millionen DM stellen aber auch nur, wie ich eben nachwies, einen Teil des fehlenden Kapitals dar. Der Bund kann sich der Verpflichtung, die daraus entsteht, daß die Besatzungslasten Bundesangelegenheiten sind, nicht entziehen. Die Antragsteller der Drucksache 453 halten ihren Antrag daher nach wie vor aufrecht.
Ich möchte aber nicht schließen, ohne auf das andere Problem aufmerksam gemacht zu haben, das auf uns zukommt, wenn beim Abzug des Hauptquartiers der Rheinarmee von den bei der Besatzung beschäftigten 5600 deutschen Dienstkräften 3700 arbeitslos werden. Die größte Schwierigkeit ergibt sich aus der beruflichen Gliederung und der Altersstruktur dieser Dienstkräfte. Während im Mindener Arbeitsamtsbereich 55 % aller Beschäftigten Facharbeiter sind, beträgt deren Anteil bei diesen Dienstkräften 30 %, von denen die Hälfte seit Jahren ihrem Beruf entfremdet sind. Gegenüber einem Durchschnitt von 10 % Hilfsarbeitern sind es hier 34 %. Hinzukommt, daß der Altersdurchschnitt auch noch 15 Jahre höher liegt.
Hier ist es notwendig, daß der Bund ebenfalls durch außergewöhnliche Maßnahmen bei den beabsichtigten Notstandsarbeiten dafür sorgt, daß diesem Notstandsgebiet geholfen wird. Ich hoffe, daß die Bemühungen auf diesem Gebiet ebenfalls zum Erfolg führen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bleiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zum Wort gemeldet, weil der in der Drucksache 705 erwähnte Bericht in der Zwischenzeit vorliegt und weil nach unserer Auffassung dieser Bericht und die darin angekündigten Maßnahmen nicht voll befriedigend sind.
Ich möchte zunächst auf den positiven Teil des Berichts zu sprechen kommen. Wir begrüßen es, daß ab Oktober dieses Jahres ein erheblicher Teil der beschlagnahmten 660 Gebäude endlich freigegeben wird. Wir begrüßen es auch, daß - nach dem Bericht des Herrn Bundesfinanzministers - das Entschädigungsverfahren zur Behebung der entstandenen Sachschäden beschleunigt werden soll, daß Vorschüsse gewährt werden sollen und daß zusätzliche landesverbürgte Kredite in Anspruch genommen werden können. Damit werden wieder viele Menschen in ihre Häuser gehen können und die Hotels und die Pensionen und die Kliniken ihren Kurbetrieb wieder aufnehmen können.
Aber - und damit komme ich zu dem negativen Teil des Berichtes -, das Problem Oeynhausen umfaßt nicht nur die Wiederherrichtung der Wohnhäuser und Hotels und Gaststätten, sondern es umfaßt auch die Fürsorge für etwa 3- bis 5000 Menschen, die mit der Verlagerung des Hauptquartiers der britischen Besatzungsmacht nach Mönchen-Gladbach in Oeynhausen und Umgebung ihre Arbeitsplätze verlieren. Hierüber sagt der Bericht nichts aus. Herr Kollege Wehking, ich muß leider darauf hinweisen, daß in dem Bericht auf Seite 7 - wenn ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren darf - steht, daß der Herr Bundesfinanzminister den Herrn Bundesminister für Wirtschaft gebeten hat, zu prüfen, ob aus allgemeinen Wirtschaftsförderungsmitteln des Bundes Mittel zur Schließung von Lücken oder zur Verbilligung von Zinsen etwa zusätzlich notwendigerweise beanspruchter Bankkredite zur Verfügung gestellt werden können, und daß es dann heißt: „Die Prüfung hat ergeben, daß Mittel für solche Zwecke leider nicht zur Verfügung stehen." Sehen Sie, Herr Kollege Wehking, deswegen haben wir schon vorher im Ausschuß den ausdrücklichen Antrag gestellt, uns ein detailliertes Hilfsprogramm zur Bekämpfung der zu erwartenden Arbeitslosigkeit vorzulegen. Wir glauben, daß gerade hier eine rechtzeitige Vorsorge notwendig ist, weil der Mindener Raum, wie Sie ja auch wissen, zur Zeit nicht in der Lage ist, die freiwerdenden Arbeitskräfte aufzunehmen. Wir glauben, daß gerade mit Rücksicht auf die zu erwartenden Notstände die vom Herrn Bundesminister der Finanzen vorgeschlagenen und in Aussicht genommenen Maßnahmen nicht ausreichend sind.
Wir Sozialdemokraten fordern deswegen, daß man so bald wie möglich dem Ausschuß ein detailliertes Hilfsprogramm vorlegt. Diese Forderung scheint uns besonders vordringlich zu sein, und ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrück({0})
lieh daran erinnern. Ich hoffe, daß die Bundesregierung uns schon in allernächster Zeit diesen Wunsch erfüllt. Sollte das nicht der Fall sein, dann werden wir - das behalten wir uns ausdrücklich vor - mit eigenen Anträgen an den Bundestag herantreten. Abgesehen von diesen Vorbehalten, die ich hier anmelden mußte, stimmen wir der Drucksache 705 zu.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Ausschußbericht Drucksache 705 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Punkt 10 der heutigen Tagesordnung betreffend Sanierungsmaßnahmen für Kreise im Spessart-Gebiet soll auf Antrag der antragstellenden Fraktion und im Einverständnis mit den anderen Fraktionen abgesetzt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich rufe auf Punkt 11 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Berichts des Bundesrechnungshofes über die Prüfung der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein ({0}) für das Rumpfgeschäftsjahr 1949/50, das Geschäftsjahr 1950/51 und das Geschäftsjahr 1951/52 ({1}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 12 der heutigen Tagesordnung:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betreffend Überlassung der Grundstücke Briennerstraße 9 und Ottostraße 10 in München an den Freistaat Bayern zur Verwendung für Tauschzwecke ({2}).
Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag Drucksache 771 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf Punkt 13 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das am 6. September 1952 unterzeichnete Welturheberrechtsabkommen ({3}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die erste Beratung. Ich schlage vor Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht als federführenden Ausschuß und den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 14 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Kuba vom 22. März 1954 über die Wiederherstellung gewerblicher Schutzrechte und über den Schutz von Herkunftsbezeichnungen ({4}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage dem Hause vor 'Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 15 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die am 11. Dezember 1953 unterzeichnete Europäische Übereinkunft über Formerfordernisse bei Patentanmeldungen ({5}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Ich schlage dem Hause vor Überweisung an den Ausschuß für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht. Stimmt das Haus zu? - Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 16 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung ({6}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage vor die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 17 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ablauf der durch Kriegsvorschriften gehemmten Fristen in der Sozial- und Arbeitslosenversicherung ({7}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die erste Beratung. Ich schlage vor Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Sozialpolitik als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Arbeit zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 18:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zweite Abkommen vom 31. Oktober 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Arbeitslosenversicherung ({8}).
Ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich
({9})
schließe die erste Beratung. Ich schlage dem Hause vor Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Arbeit. Stimmt das Haus zu? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 19:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Internationalen Fernmeldevertrag Buenos Aires 1952 ({10}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage dem Hohen Hause Überweisung an den Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen als federführenden sowie an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films und an den Auswärtigen Ausschuß zur Mitberatung vor. Stimmt das Haus zu? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 20:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Landpachtgesetzes ({11}).
Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Ich schlage dem Hause Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Mitberatung vor. Ist das Haus einverstanden? - Das ist der Fall; die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 21:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Seelotswesen ({12});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Verkehrswesen ({13}) ({14}).
({15})
Ich erteile dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Schmidt ({16}), das Wort.
Schmidt ({17}) ({18}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich auf zwei kurze Bemerkungen beschränken. Die eine ist die, daß der Ausschuß für Verkehrswesen angesichts der in der Öffentlichkeit vielfach vorhandenen Kritik an Berufsgesetzen und Interessentenwünschen nach Berufsgesetzen - die Kritik läuft darauf hinaus, daß in solchen Gesetzen vielfach die Tendenz einer gewissen Abgrenzung der Berufe gegenüber neuem Zugang, einer gewissen Abschrankung dieser Berufe vermutet oder erkannt wird - dieses Gesetz gerade auch unter diesem Gesichtspunkt geprüft hat. Er hat, wie wir glauben, hinsichtlich der Regelung des Zugangs zu dem Beruf des Seelotsen im Vergleich zu der hier und dort an der Küste bis jetzt geübten Praxis eher alte Schranken niedergelegt als etwa neue Schranken für den Zugang zu diesem Beruf errichtet.
Die zweite Bemerkung ist die, daß dieses Gesetz nach einer über 30 Jahre sich erstreckenden Kette von Rechtsstreitigkeiten vor Zivilgerichten, Strafgerichten und anderen Gerichten wegen des Fehlens einer grundsätzlichen Regelung der Pflichten,
Aufgaben und Rechte des Seelotsen, wie wir meinen, einen Abschluß bildet. Wir waren der Meinung, daß man diesen Zustand den Männern in diesem außerordentlich schweren und verantwortungsreichen Beruf nicht länger zumuten sollte. Es war daher das Hauptanliegen des Ausschusses, die Rechtsstellung des Lotsen gegenüber dem Kapitän, gegenüber dem Reeder und gegenüber der Aufsichtsbehörde wie auch die Rechtsstellung der Lotsenbrüderschaft klar und bestimmt zu regeln. Es handelt sich also bei diesem Gesetz nicht so sehr um ein Berufsgesetz betreffend die Seelotsen als vielmehr um ein Gesetz, das eine für die ganze Seeschiffahrt lebensnotwendige Frage regelt.
Ich darf im übrigen auf den Schriftlichen Bericht *) des Ausschusses für Verkehrswesen verweisen, der Ihnen die Annahme dieses Gesetzes einstimmig empfohlen hat.
Vizepräisdent Dr. Schneider: Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich rufe auf §§ 1, - 2, -3,-4,-5,-6,-7,-8,-9,-10,-11,12, - 13, - 14, - 15, - 16, - 17, - 18, - 19, 20, - 21, - 22, - 23, - 24, - 25.
Herr Abgeordneter Jacobi!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seien Sie unbesorgt! Ich werde Ihre Geduld nicht lange in Anspruch nehmen, muß jedoch in Verbindung mit der Beratung des § 25 auf etwas hinweisen. Dieses Gesetz kommt in einem harmlosen Gewande zu uns. Aber es ist schon oft vorgekommen, daß Harmlosigkeit auf Kosten Dritter ging. Hier sind diejenigen, die unter Umständen auf die harmlose Gestalt, die dieses Gesetz insoweit hat, hereinfallen können, die Gemeinden. In § 25 steht ganz lapidar eine sogenannte Legaldefinition des Seelotsen: „Der für ein Revier bestellte Seelotse übt seine Tätigkeit als freien, nicht gewerblichen Beruf aus." Damit verbunden ist der Fortfall der Gewerbesteuer für Seelotsen, und das kostet eine einzige Stadt, nämlich die Stadt Brunsbüttelkoog, nach Angaben, die ich mir heute morgen aus den zuständigen Ministerien beschafft habe, allein 100 000 DM.
({0})
Nun will ich in dieser Richtung keine Anträge stellen, aber ich muß Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, daß sich hier Konsequenzen ergeben. Bund und Länder müssen sich in einem solchen Fall darüber klar sein, daß Folgerungen gezogen werden müssen. Sie betreffen den Finanzausgleich. Die Folge dieses Gesetzes ist, wie ich andeutete, die Gewerbesteuerfreiheit für Seelotsen. Auf der anderen Seite wird der Seelotse eine entsprechend höhere Einkommensteuer zahlen müssen. Wer nun letzten Endes sich darüber freuen kann, muß der Zukunft überlassen bleiben. Ich möchte jedoch mit dieser Bemerkung die grundsätzliche Bitte verbinden, daß wir in Zukunft bei solchen Gesetzen, sobald sie in erster Beratung anstehen, mehr, als es in diesem Falle geschah, an die Mitbeteiligung oder Federführung der von der Sache her betroffenen Ausschüsse denken. Wenn ich richtig unterrichtet bin, ist dieses Gesetz nur im Verkehrsausschuß beraten worden. Eine Mitbeteiligung des Kommunalpolitischen Ausschusses hätte vielleicht dazu führen können, daß man sich frühzeitig über die finan-
*) Siehe Anlage 5.
({1})
ziellen Folgen Gedanken gemacht hätte. Es wird aber nur eine Frage des guten Willens, auch des Herrn Bundesfinanzministers, und der Zusammenarbeit mit den Ländern sein, um Schäden, die sich aus diesem Gesetz in der angedeuteten Art ergeben, zu beheben.
Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann rufe ich weiter auf §§ 26, - 27, - 28, - 29, - 30, -31, - 32, - 33, - 34, - 35, - 36, - 37, -38, - 39, - 40. - Wird hierzu das Wort gewünscht? Ich rufe weiter auf §§ 41, - 42, - 43, - 44, -45, - 46, - 47, - 48. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Ich rufe weiter auf §§ 49, - 50, - 51, - 52, 53, - 54, - 55, - 56, - 57, - 58, - 59, - 60, - 61, - 62. - Wird noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Paragraphen sowie Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben.
- Mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Die Einzelberatung entfällt, da keine Änderungsanträge gestellt sind.
Ich komme zur Schlußabstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz als Ganzem ihre Zustimmung geben wollen, sich zu erheben.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die dem weiteren Antrag des Ausschusses, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen durch die Beschlußfassung für erledigt zu erklären, zustimmen wollen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 22:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({0}).
Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte
ich, die Hand zu erheben. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe weiter auf als zusätzlichen Punkt, der heute früh auf die Tagesordnung gesetzt wurde, die
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherstellung der Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ({1}).
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schlage Ihnen die Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik vor. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste, die 44. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 23. September, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.