Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 42. Sitzung des Deutschen Bundestages. Ich heiße Sie nach den Parlamentsferien herzlich willkommen und hoffe, daß Sie während der Pause in den Parlamentsberatungen die Kräfte gesammelt haben, damit wir in die großen Aufgaben dieses Winters gestärkt hineingehen können.
Ich bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach: Frau Abgeordnete Schroeder ({0}) für sechs Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Koenen ({1}) für vier Wochen, Abordneter Dr. Bucerius für drei Wochen, Frau Abgeordnete Korspeter für drei Wochen, Frau Abgeordnete Renger für drei Wochen, Abgeordneter Wieninger für zwei Wochen, alle wegen Krankheit; Abgeordneter Dr. Mende für acht Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Wienand für sieben Wochen, Abgeordneter Majonica für fünf Wochen, Abgeordneter Dr. Kopf für fünf Wochen, Abgeordneter Gengler für drei Wochen, Abgeordneter Stücklen für drei Wochen, Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß für zwei Wochen, Abgeordneter Mißmahl für drei Wochen, alle wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Ich danke vielmals.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Richarts, von Hassel, Dr. Bürkel, Frau Dr. Schwarzhaupt, Heiland, Dr. Wahl, Schneider ({0}), Dannemann und Schulze-Pellengahr.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Häussler, Müller ({1}) und Dr. Mocker.
Außerdem sind entschuldigt die deutschen Delegierten beim Europarat.
Ich stelle fest, daß der größere Teil der Delegierten zum Europarat, wenn ich recht sehe, heute hier ist.
Ich darf unterstellen, daß das Haus mit der Erteilung des Urlaubs, soweit er über eine Woche hinausgeht, einverstanden ist.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung
({0})
gedenke ich zunächst der Tatsache, daß am 22. August der Bundestagsabgeordnete der SPD Wilhelm Tenhagen durch einen Unglücksfall ums Leben gekommen ist. Er ist 1911 in Duisburg geboren, hat dort als Schriftsetzer gelernt und ist in die Sozialistische Arbeiterjugend eingetreten. Er ist dann in Werken des Ruhrgebiets tätig gewesen. Nach 1945 hat er am Aufbau der Gewerkschaft mitgewirkt und war 1946 Oberbürgermeister von Bottrop. Er hat dem 1. Bundestag angehört und ist ebenfalls in den 2. Bundestag gewählt worden. Er war Mitglied des Vorstandes des Bundestags und Mitglied des Ausschusses für Kommunalpolitik, des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des Unterausschusses für Fragen der Umsatzsteuer. Der Bundestag gedenkt der Arbeit, die Herr Tenhagen geleistet hat, mit Dank und spricht der Fraktion des Verstorbenen sein Beileid aus.
Ich gedenke weiter der Tatsache, daß das Staatsoberhaupt der Republik Brasilien, Herr Dr. Vargas, in tragischer Weise am 24. August 1954 ums Leben gekommen ist. Er war seit 1930, mit Unterbrechung in mehreren Jahren, Staatsoberhaupt der uns befreundeten Republik Brasilien. Der Deutsche Bundestag benutzt diese erste Gelegenheit nach seinem Tode, um dem brasilianischen Volke seine Anteilnahme zum Ausdruck zu bringen.
In den Nächten vom 9. zum 11. September hat es in Algerien, in Orléansville, eine Erdbebenkatastrophe großen Ausmaßes gegeben, der weit über tausend Personen zum Opfer gefallen sind. Der Deutsche Bundestag nimmt auch an diesem schweren Unglück aufrichtigen Anteil.
Ich danke Ihnen.
Ich habe mitzuteilen, daß Herr Abgeordneter Dr. Middelhauve gemäß § 51 des Wahlgesetzes seinen Verzicht auf sein Mandat als Bundestagsabgeordneter erklärt hat. Als sein Nachfolger ist Herr Abgeordneter Fritz Held aus Lemgo in den Bundestag eingetreten. Ich heiße ihn herzlich willkommen und wünsche ihm eine ersprießliche Arbeit in unserem Kreise.
Als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Tenhagen ist der Abgeordnete Friedhelm Mißmahl in den Deutschen Bundestag eingetreten. Er ist heute nicht anwesend; ich werde ihn begrüßen, wenn er das erste Mal an der Sitzung des Bundestages teilnimmt.
Der Abgeordnete Meyer-Ronnenberg hat mir mitgeteilt, daß er aus der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE ausgetreten und zur Fraktion der CDU/CSU übergetreten ist.
({1})
Meine Damen und Herren, die längere Sitzungspause hat es mit sich gebracht, daß eine größere Zahl von Abgeordneten Geburtstage gefeiert haben. Wir nehmen von ihnen wie üblich Notiz, soweit die Abgeordneten über 60 Jahre alt sind.
Am 29. Juli feierten den 70. Geburtstag der Abgeordnete Dr. Dr. Müller ({2})
({3})
und der Abgeordnete Bundesminister Neumayer,
({4})
am 29. August den 69. Geburtstag Abgeordneter Jahn ({5}),
({6})
am 7. August den 67. die Abgeordnete Frau Welter ({7}),
({8})
am 17. Juli den 66. der Abgeordnete Brockmann ({9}).
({10})
Den 64. Geburtstag feierten am 29. Juli der Abgeordnete Bock und am 30. August der Abgeordnete Dr. Königswarter,
({11})
den 63. Geburtstag am 21. August der Abgeordnete Ruhnke,
({12})
den 62. am 19. August die Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
({13})
Den 61. Geburtstag feierten am 31. Juli Herr Abgeordneter Dr. Leverkuehn, am 5. August Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann und am 19. August Herr Abgeordneter Reitzner,
({14})
und in die Reihe der erwähnenswerten Abgeordneten trat am 4. August Herr Abgeordneter Platner mit seinem 60. Geburtstag ein.
({15})
Ich spreche all diesen genannten Abgeordneten namens des Bundestages herzliche Glückwünsche aus.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seinen Sitzungen am 16. und 23. Juli 1954 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz über die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung von Kindergeld;
Viertes Gesetz zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes;
Gesetz über den Erlaß von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren ({16});
Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes;
Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes:
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die vorläufige Regelung der Errichtung neuer Apotheken;
Gesetz betreffend das Abkommen vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung;
Gesetz über die Verlängerung der Vereinbarung vom 14. Juli 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Fürsorge für Hilfsbedürftige;
Gesetz zur Ergänzung des Zuckergesetzes;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Herkunftsbezeichnung des Hopfens;
({17})
Gesetz über das Zweite Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Osterreich über Sozialversicherung;
Gesetz betreffend das Übereinkommen Nr. 101 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 26. Juni 1952 über den bezahlten Urlaub in der Landwirtschaft;
Gesetz über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Dänemark über Sozialversicherung;
Gesetz über das Dritte Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 24. Oktober 1953 zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ({18});
Gesetz über das Zweite Zusatzabkommen vom 4. Dezember 1953 zum Zollvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft;
Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung der Bank deutscher Länder;
Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Genossenschaftskasse in der Fassung vom 3. Februar 1951;
Gesetz betreffend die Treuhandverwaltung über das Vermögen der Deutschen Reichsbank.
Zum Gesetz über die steuerliche und sozialrechtliche Behandlung von Kindergeld und zum Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes hat der Bundesrat ferner Entschließungen gefaßt, die als Drucksachen 752 und 754 verteilt worden sind.
Der Bundesrat hat weiterhin zum Gesetz über die Lastenausgleichsbank gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt; sein diesbezüglicher Antrag ist als Drucksache 753 verteilt worden.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 10. August 1954 die Kleine Anfrage 44 der Abgeordneten Frau Korspeter und Genossen, betreffend Entschädigung für Besatzungsmaßnahmen Im Lande Niedersachsen - Drucksache 388 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 770 vervielfältigt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 15. Juli 1954 die Kleine Anfrage 79 der Fraktion der DP, betreffend Sonderstempel der Deutschen Bundespost für Parteitage - Drucksache 620 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 747 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 24. August 1954 die Kleine Anfrage 81 der Fraktion der FDP betreffend Tilly-Strumpffabrik GmbH - Drucksache 631 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 786 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 15. Juli 1954 die Kleine Anfrage 83 der Fraktion der DP betreffend Deutsche Werke Kiel AG - Drucksache 636 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 764 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 24. Juli 1954 die Kleine Anfrage 85 der Abgeordneten Funk, Wieninger, Dr. Dollinger und Genossen betreffend Illoyale Konkurrenz bei Walzstahleinfuhren - Drucksache 639 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 761 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 15. Juli 1954 die Kleine Anfrage 87 der Abgeordneten Sassnick, Seidel ({19}) und Genossen betreffend Rhein-Main-Donau Großschifffahrtsstraße - Drucksache 641 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 748 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 23. Juli 1954 die Kleine Anfrage 90 der Fraktion der DP betreffend Versorgung von Kriegsopfern mit ständigem Wohnsitz im Ausland - Drucksache 670 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 756 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 16. August 1954 die Kleine Anfrage 91 der Fraktion der DP betreffend Zusammenführung ehemals preußischen Kulturgutes in Berlin - Drucksache 671 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 777 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 5. August 1954 die Kleine Anfrage 92 der Abgeordneten Lermer, Höcherl, Unertl, Wittmann und Genossen betreffend zusätzliche Agrareinfuhren - Drucksache 672 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 766 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 17. August 1954 die Kleine Anfrage 95 der Abgeordneten Dannemann, Frühwald, Hepp, Mauk, Schwann und Genossen betreffend Einfuhr von Frühkartoffeln - Drucksache 704 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 776 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 19. August 1954 die Kleine Anfrage 96 der Fraktion der SPD betreffend Einfuhrmindestpreise - Drucksache 726 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 778 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 8. September 1954 die Kleine Anfrage 97 der Abgeordneten Platner, Dr. Leiske, Dr. Löhr und Genossen betreffend Förderung der Notstandsgebiete - Drucksache 706 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 808 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 14. August 1954 die Kleine Anfrage 99 der Abgeordneten Dr. Becker ({20}) und Genossen betreffend Kostenaufwand für die Bearbeitung der Hypothekengewinnabgabe - Drucksache 737 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 773 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 7. September 1954 die Kleine Anfrage 103 der Fraktion der FDP betreffend Auflösung von Wetterdienststellen - Drucksache 779 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 797 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, wir treten damit in die Tagesordnung ein. Ich weise darauf hin, daß eine Verständigung im Ältestenrat darüber zustande gekommen ist, daß die Sitzung etwa bis 19 Uhr ausgedehnt werden soll, und für den Fall, daß der Punkt 3 der Tagesordnung heute nicht mehr erledigt werden könnte, in Aussicht genommen ist, ihn morgen auf die Tagesordnung zu setzen. Ich bitte freundlichst, sich darauf einzurichten.
Wir kommen zunächst zum Punkt 1:
a) Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Fall John ({21});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Falle John ({22});
c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Mißbilligung des Verhaltens des Bundesministers des Innern ({23}).
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen folgendes Verfahren vor: daß im Interesse der Vereinfachung die beiden Anträge und die Große Anfrage zuvor begründet werden - und zwar werden Herr Abgeordneter Mellies und Herr Abgeordneter Dr. Menzel, wenn ich recht weiß, diese Anfrage begründen -, daß danach die Große Anfrage vom Herrn Bundesminster des Innern beantwortet wird und daß dann die gemeinsame Aussprache über die Große Anfrage und über die beiden von der Fraktion der SPD gestellten Anträge stattfindet.
Ich glaube, ich brauche mich nicht zu vergewissern, daß das Haus eine Aussprache über die Große Anfrage wünscht. Ich stelle also fest, um den geschäftsordnungsmäßigen Erfordernissen zu entsprechen, daß die entsprechende Zahl von Abgeordneten eine solche Aussprache wünscht.
Ich bitte zunächst zur Begründung der Anträge Herrn Abgeordneten Mellies.
Mellies ({24}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Bemerkungen möchte ich meinen Ausführungen vorausschicken. Erstens. Bei der Bedeutung und Schwere des Falles für die Bundesrepublik und die parlamentarische Demokratie kann es sich nicht um eine Begründung im engen Rahmen handeln. Es ist notwendig, gleich einiges zu dem Gesamtgehalt der Dinge zu sagen.
Zweitens. Wenn über den Fall John debattiert werden soll, dann kann das auf keinen Fall mit der einfachen Bemerkung abgetan werden: Es hat immer Verräter gegeben, und im Fall John trifft eben auch das Wort zu: „Einer unter euch wird mich verraten." Damit kann man das Problem nicht erledigen.
Und eine dritte Bemerkung: Fehlgriffe in der Personalpolitik werden nie ganz zu vermeiden sein. Das liegt begründet in der Unzulänglichkeit der Menschen. Aber - damit komme ich schon zur Sache - gerade diese Erkenntnis verpflichtet, in
({25})
allen Personalfragen sehr sorgfältig zu verfahren. Je höher die Stellung ist, je größer die Verantwortung, die dort getragen werden muß, aber auch je größer die Versuchungen und Gefahren eines Amtes sind, desto sorgfältiger muß eine solche Prüfung vorgenommen werden.
Man kann aber diese Frage nicht behandeln vom Standpunkt der moralischen Aufrüstung, wie das von Herrn Minister Hellwege in seinem Artikel in der „Welt" vom 9. September dieses Jahres geschehen ist.
({26})
Dieser Artikel war auch wohl in erster Linie zu dem Zweck erschienen, der schleswig-holsteinischen Bayernpartei noch ein wenig auf die Beine zu helfen.
({27})
Viel genützt hat es offenbar nicht, Herr Minister. Wenn aber in dem Artikel von der Zusammenarbeit der Regierung und der Opposition in den Fragen der Personalpolitik gesprochen wird, dann möchte ich Sie, Herr Minister, doch bitten, einmal nachzulesen, was Ihre Fraktionskollegin Kalinke im vorigen Bundestag gegen sozialdemokratische Beamte gesagt hat. Wahrscheinlich werden Sie dann erkennen, daß in Ihrer eigenen Partei noch außerordentlich viel moralisch aufzurüsten ist.
({28})
- Das haben wir nach dem Ergebnis der Wahl in
Schleswig-Holstein gar nicht nötig, Herr Kollege!
({29})
Der Herr Bundeskanzler soll gesagt haben, John habe ihm schon immer nicht gefallen. Wann war das, Herr Bundeskanzler, d. h. wann kam Ihnen diese Erkenntnis?
Als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, und deswegen war ich so erstaunt, daß Sie ihn ins Auswärtige Amt haben wollten!
({0})
Mellies ({1}), Anfragender: Herr Bundeskanzler, Sie dürften da einem großen Irrtum unterliegen. Die Sozialdemokratische Partei hat zwar gegen die Berufung von John in das eine oder andere Amt der Bundesrepublik keine Einwendungen erhoben;
({2})
sie hat sich aber nie positiv für ihn eingesetzt. Das möchte ich in aller Deutlichkeit hier festgestellt haben.
({3})
Wenn Ihnen aber, Herr Bundeskanzler, diese Unlustgefühle in bezug auf den Präsidenten des Bundesverfassungsschutzamtes gekommen sind, haben Sie dann Ihren Innenminister angewiesen, fein achtzuhaben auf den Knaben John, oder haben Sie diese Gefühle einsam in Ihrem Busen verwahrt?
({4})
Hier ergibt sich die nächste Frage: ob und wie die Dienstaufsicht von dem dazu berufenen Innenminister gehandhabt worden ist. Bestand eine Geschäftsordnung für das Amt, die klar und eindeutig bestimmte, daß alle Auskünfte nur durch die Hand des Innenministers zu gehen hatten? Oder
haben Sie es geduldet, Herr Innenminister, daß auch von anderen Stellen, vor allen Dingen vom Bundeskanzleramt, und zwar nicht nur vom Bundeskanzler persönlich, sondern auch von den anderen Beamten des Bundeskanzleramtes, Aufträge an das Bundesverfassungsschutzamt gegeben wurden? Ich habe wohl Grund zu der Annahme, daß das letztere der Fall ist. Sind Ihnen denn bei einer solchen Handhabung der Dinge, mindestens nach der Affäre „Vulkan", nie irgendwelche Bedenken gekommen? Und haben Sie darüber nicht einmal eine Aussprache mit dem Herrn Bundeskanzler herbeigeführt? Wie wollten Sie die Verantwortung tragen, wenn mehrere Stellen Aufträge, die Sie gar nicht kannten, an das Amt gegeben haben?
Und eine letzte Frage steht in diesem Bereich, die vom Parlament sehr sorgfältig zu prüfen ist. Wir werden uns zu überlegen haben, ob der gegenwärtige Aufbau des Amtes nicht auch viele Unzulänglichkeiten enthält und vor allen Dingen große Gefahren in sich birgt. Diese Fragen werden wir heute hier nicht ausdiskutieren können. Aber es ist notwendig, daß sie vom gesamten Parlament sehr ernst gesehen werden. Mit Vorschlägen der einen oder der anderen Art sollte man vielleicht im Augenblick noch zurückhalten, damit keine voreiligen Festlegungen erfolgen. Aber, wie gesagt, der Gesamtgehalt muß überprüft werden, und diese Überprüfung muß möglichst bald erfolgen, damit nicht plötzlich neue Schwierigkeiten vor uns stehen. Hier ergibt sich für das gesamte Parlament eine besondere Verantwortung.
Der Fall John hat eine außergewöhnliche Erschütterung und die größte Vertrauenskrise seit dem Jahre 1945 im gesamten deutschen Volk hervorgerufen. In anderen demokratischen Staaten würde ein solcher Fall selbstverständlich auch ungeheures Aufsehen erregen, aber eine so ausgesprochene Vertrauenskrise würde damit wohl nicht verbunden sein. Wir müssen uns deshalb fragen, worauf diese Vertrauenskrise zurückzuführen ist. In den letzten Wochen zeigte sich die ganze Labilität unserer parlamentarischen Demokratie, vor der viele in den letzten Jahren so gern die Augen verschlossen haben. Es ist mit erschreckender Deutlichkeit klargeworden, wie wenig in der Bundesrepublik getan wurde, um eine echte parlamentarische Demokratie aufzubauen. Ja, man kann sagen, daß sehr viel getan wurde, um ein Vertrauen zu dieser parlamentarischen Demokratie zu verhindern. Bei dieser Prüfung, meine Damen und Herren, muß das Parlament bei sich selbst anfangen.
Die sozialdemokratische Fraktion bedauert außerordentlich, daß diese Aussprache erst heute stattfindet. Es wäre Aufgabe des Parlaments gewesen, zu diesen Fragen möglichst bald in voller Öffentlichkeit Stellung zu nehmen.
({5})
Das konnte die Bevölkerung der Bundesrepublik erwarten.
Wir haben deshalb eine Sondersitzung beantragt und hätten gewünscht, daß sie noch im August stattgefunden hätte. Aber leider ist die Mehrheit des Hauses unseren Vorschlägen nicht gefolgt, so daß wir erst jetzt, fast zwei Monate nach dem Vorgang, zu einer Erörterung im Parlament kommen. Es wird wohl niemanden geben, der behauptet, das habe der Demokratie und dem Ansehen des Parlaments keinen Schaden zugefügt. Es bestand auch
({6})
kein sachlicher Grund, eine solche Sondersitzung nicht abzuhalten. Die Notwendigkeit der Ferien für die Abgeordneten wird von niemandem verkannt; aber wenn es um so wichtige staatspolitische Fragen geht, müssen Ferien zurückstehen. Dafür haben wir schließlich den Auftrag von unseren Wählern bekommen.
({7})
Der von uns genannte 24. August hätte auch auf alle anderen Tagungen gebührend Rücksicht genommen. Es konnten dann die Kollegen, die an der Tagung der Interparlamentarischen Union teilnehmen wollten, noch rechtzeitig genug nach Wien fahren. Der Katholikentag, den wir selbstverständlich zu respektieren hatten, wäre nicht berührt worden. Und man hätte auch nicht die Sorge zu haben brauchen, daß die Wahlen in Schleswig-Holstein so kurz nach der Debatte stattgefunden hätten.
Der Einwand gegen den 24. August war die Brüsseler Konferenz. Aber, meine Damen und Herren, sind Sie nicht auch der Meinung, daß der Schock auf der Brüsseler Konferenz bei der Nachricht von dem Übertritt Schmidt-Wittmacks in die Sowjetzone geringer gewesen wäre, wenn man vorher in der Sache John die Angelegenheit hier im Hause klar und offen erörtert hätte?
({8})
Ich glaube, auch der Bundeskanzler hätte sich dann dort in einer besseren Position befunden.
({9})
Es ist gewiß ein Rezept für die Bürokratie, daß unangenehme Sachen durch Ablagern viel von ihrem Explosivgehalt verlieren. In der Politik ist dieser Satz aber grundfalsch! Und wer es ehrlich meint mit der Demokratie, muß sagen: Gott sei Dank ist das grundfalsch! Das Parlament hat sich selbst und der Demokratie keinen Gefallen damit getan, daß diese Sitzung so lange hinausgeschoben wurde.
({10})
Sie haben auch den dann gemachten Vorschlag, in der vorigen Woche eine Sondersitzung abzuhalten, wieder fallen gelassen. Sie fürchteten offenbar ungünstige Auswirkungen bei der Wahl in Schleswig-Holstein, wenn die Debatte vorher stattfand. Nun, Sie haben trotzdem den Schaden zu tragen, und auch hier wäre Ihnen wahrscheinlich eine Debatte vorher besser bekommen.
Aber wenn die Mehrheit dieses Hauses oder wenigstens ein Drittel des Parlaments nicht wußte, was in diesem Augenblick zu tun war, hätte die Bundesregierung es wissen müssen. Sie, Herr Bundeskanzler, hätten eine Sitzung des Parlaments bald nach dem Verschwinden Johns fordern müssen, um hier im Hause und vor aller Öffentlichkeit eine Aussprache über diese Angelegenheit zu ermöglichen.
({11})
Aber wie sollte eine Regierung dazu kommen, die sich in den verflossenen Jahren nicht im geringsten bemüht hat, zwischen ihr und dem Parlament ein Verhältnis herzustellen, wie es in einem demokratischen Staat notwendig ist?
({12})
An eine Tatsache haben diejenigen, die eine Sondersitzung während der Ferien ablehnten, wohl überhaupt nicht gedacht: nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der sowjetisch besetzten Zone hat die Flucht Johns große Bestürzung ausgelöst. Wie muß die Bevölkerung dort es auffassen, wenn das Parlament in der Bundesrepublik eine Aussprache so lange hinausschiebt?
({13})
Glauben Sie, daß Sie damit Vertrauen und Begeisterung für den Westen und die Demokratie erreichen?
({14})
Die Regierung hat das Parlament von Anfang an, d. h. von 1949 an, nicht so respektiert, wie es notwendig gewesen wäre.
({15})
Daran hat das Parlament selber erheblich schuld. In der Mehrheit des Hauses hat sich z. B. immer eine große Zahl von Abgeordneten gefunden, die dem Bundeskanzler noch Beifall gespendet haben, wenn er von dieser Tribüne aus seine beliebte Mißachtung des Hauses zum Ausdruck gebracht hat.
({16})
Herr Abgeordneter Mellies, wenn der Herr Bundeskanzler die Mißachtung des Parlaments zum Ausdruck gebracht hätte, hätte jeder amtierende Präsident das gerügt und die entsprechenden Maßnahmen getroffen. Das ist aus dem Protokoll nicht zu ersehen. Ich stelle das fest.
({0})
Mellies ({1}), Anfragender: Ich glaube, Herr Präsident - gestatten Sie mir diese Bemerkung -, daß eine solche Mißachtung nicht nur in Worten zum Ausdruck kommen kann.
({2})
Sie erinnern sich an die Aussprache zum Haushalt des Bundeskanzleramts. Damals hat sich der Bundeskanzler zu seiner Methode der grundlosen Verdächtigung der Opposition im Wahlkampf von dieser Stelle aus bekannt,
({3})
und er hat dabei starken Beifall bei seiner Fraktion gefunden.
({4})
Aber die Durchführung dieser Methode würde doch den schnellen Verfall der Demokratie bedeuten. Denn die Folge wäre, daß das Vertrauen zu den politischen Parteien vorlorengeht. Ich erinnere an das Verhalten der Bundesregierung in der Frage des Bundesverfassungsgerichts. Sie alle wissen, daß damals - im Dezember 1952 - auch eine große Erschütterung durch das Volk ging, wenn sie auch mit der jetzigen Erschütterung nicht zu vergleichen ist. Das System der einsamen Beschlüsse des Bundeskanzlers, ein Verfahren, das der Demokratie widerspricht, wurde hier im Hause geradezu gefeiert. Vergessen wir auch nicht, daß das Parlament sich allzu oft als verlängerter Arm der Bürokratie fühlte.
({5})
Diese Dinge - und ich habe hier nur eine kleine Auslese gebracht - haben ein gesundes Wachstum der Demokratie im Volke verhindert. Im Volke empfand man aber sehr stark das Ungesunde und Unhaltbare dieses Zustands. Darum mußte die Flucht von John und Schmidt-Wittmack eine solche Vertrauenskrise auslösen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rundfunkrede zum Fall John ausgeführt: „Die wenigen fanatischen Anhänger des Nationalsozialismus, die es in Deutschland noch geben mag, verhalten sich ruhig." Nun, Herr Bundeskanzler, Sie haben hier sehr eng begrenzt und eben nur von den „fanatischen" Anhängern des Nationalsozialismus gesprochen. Aber vielleicht haben Sie auch bemerkt, wie stark sich die alten nationalistischen Kräfte nach dem Fall John wieder hervordrängten und noch weiter hervor-drängten. Die Reden, die gerade in den letzten Wochen auf verschiedenen Tagungen gehalten worden sind, sollten uns beweisen, daß man in gewissen Kreisen sehr stark Morgenluft wittert.
({6})
Was dann die Bundesregierung und vor allen Dingen der Innenminister nach der Flucht Johns taten, war noch schlimmer und schwerwiegender. Herr Innenminister, wir haben bei der Debatte über die Vulkan-Affäre und auch nachher bei der Debatte über das Bundesverfassungsschutzamt bemerkt, daß Sie offenbar nicht immer Herr im eigenen Hause gewesen sind und vielleicht auch heute noch nicht sind. Sie haben, Herr Minister, nach Ihren Maßnahmen im Fall John so ziemlich von der gesamten Öffentlichkeit bescheinigt bekommen, daß Sie - und ich glaube, das ist sehr milde augedrückt - eine höchst unglückliche Hand gehabt haben. Sie haben eine erste Erklärung herausgegeben, von der man nur sagen kann: sie war einfach eine Zumutung für die Bevölkerung der Bundesrepublik.
({7})
Man würde doch dem letzten Beamten eine solche Erklärung nicht abgenommen haben. Sie aber muten dem Volke zu, daß es diese Erklärung zum Fall des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzamts abnimmt. Was zwang Sie denn überhaupt, eine solche Deutung zu geben? Sie konnten doch die Frage, ob John freiwillig oder gezwungen in die Sowjetzone gegangen ist, durchaus offenlassen. Aber Sie durften doch auf keinen Fall der Bevölkerung eine solche Erklärung vorsetzen.
({8})
Wenn der Dienststellenleiter einer kleinen Behörde
oder der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde,
falls ein Beamter aus dieser Verwaltung einen solchen Schritt wie John getan hätte, eine solche Erklärung gebracht hätte, würden ihnen von der vorgesetzten Behörde oder von der Gemeindevertretung Dinge gesagt worden sein, die sie sich sicher
nicht hinter den Spiegel gesteckt hätten. Ich hoffe
in Ihrem eigenen Interesse, daß Sie an diese Erklärung selbst nicht voll und ganz geglaubt haben.
Aber wenn Sie daran geglaubt haben, Herr Minister, welche Qualitäten haben Sie dann bei dem.
Präsidenten dieses wichtigen Amtes vorausgesetzt?!
({9})
Sie haben offenbar nicht die Absicht, zurückzutreten, obwohl das guten parlamentarischen Sitten in der Demokratie entsprechen würde.
({10})
- Nun, meine Damen und Herren, diese Formulierung - und das wollte ich eben noch hinzufügen - stammt aus einer großen und angesehenen Zeitung in der Bundesrepublik, und Sie haben es nicht nur in einer, sondern in sehr vielen Zeitungen lesen können, daß das notwendig ist.
({11})
Aber wenn Sie nicht zurücktreten wollen, Herr Minister, dann sollten Sie dem Hause heute wenigstens die Erklärung abgeben, daß der Beamte, der Ihnen diese Stellungnahme ausgearbeitet hat, auf ein anderes Arbeitsgebiet oder noch besser in ein anderes Ministerium versetzt worden ist, damit wir nicht befürchten müssen, daß solche Zumutungen für das deutsche Volk noch öfter aus dem Innenministerium kommen.
({12})
Sie haben selbst in dem Interview im NWDR erklärt:
Eine Regierung ist nicht dazu da, um zu spekulieren, um Thesen und Hypothesen aufzustellen; eine Regierung ist nicht dazu da, um morgen zu dementieren und übermorgen eine andere Darstellung zu geben.
Nebenbei, Herr Minister: soviel Bosheit gegen den Bundeskanzler und vor allen Dingen gegen Ihren Kollegen aus dem Verkehrsministerium hätte ich Ihnen eigentlich gar nicht zugetraut.
({13}) Sie fahren dann in Ihrem Interview fort:
. . . sondern sie ({14}) ist auf festem Boden nur dann, wenn sie eine durch Tatsachen erhärtete Feststellung trifft.
Aber warum haben Sie sich denn nicht an das von Ihnen selbst gegebene Rezept im Falle John gehalten? Herr Innenminister, sind Sie auch dafür verantwortlich, daß an die Hohen Kommissare die Note geschickt wurde, in der ein Schritt der westlichen Besatzungsmächte bei dem russischen Hohen Kommissar gewünscht wurde, damit eine Rücksendung Johns erfolgte?
({15})
Auch hier muß das Parlament wissen, wer für diesen unglaublichen Schritt die Verantwortung trägt, und zur Beseitigung des Mißtrauens müßten auch hier klar und eindeutig die Verantwortlichen für diese Blamage der Bundesrepublik genannt werden.
Sie haben dann die Belohnung von 500 000 DM ausgesetzt und damit dem deutschen Volk gezeigt, wie spendabel man offenbar mit den Geldern aus dem Fonds für den Bundesverfassungsschutz ist. Besteht denn bei Ihnen kein Gefühl dafür, wie verheerend eine solche Ankündigung auf die Bevölkerung wirken muß, und sind die Honorare, die an die V-Männer gezahlt werden, etwa im Verhältnis gesehen ähnlich hoch, oder was hat Sie veranlaßt, einen solchen Schritt zu tun, der doch nur dazu geführt hat, daß die ganze Angelegenheit in den Augen der Bevölkerung noch schlimmer erschien?
Sie haben es dann, Herr Innenminister, vorgezogen, in die Ferien zu gehen, weil nach Ihrer Auffassung im Augenblick nichts Weiteres zu veranlassen war. Auch hier haben Sie der Demokratie einen sehr schlechten Dienst erwiesen. Es geht gar nicht einmal um die Frage, ob eine tatsächliche Notwendigkeit für Ihre Anwesenheit im Ministerium
({16})
bestand, sondern es geht um die politische Optik, die in der Demokratie eine nicht geringe Rolle spielt. Es gibt niemanden hier im Hause, der Ihnen nicht die verdienten Ferien gönnt. Wir hätten zu einem späteren Zeitpunkt bei unseren Verhandlungen gern darauf Rücksicht genommen, daß Sie einige Wochen nicht zur Verfügung stehen könnten, weil Sie die Ferien nachholen mußten; aber in diesem Augenblick der politischen Spannung das Amt zu verlassen und einen Vertreter zu bestellen, der von demokratischen Gesichtspunkten aus gesehen im In- und Ausland nach seiner politischen Vergangenheit nun wirklich nicht gerade als der ideale Hüter der Demokratie bezeichnet werden kann,
({17})
das beweist doch, wie wenig Sie die politischen Notwendigkeiten erkannt haben.
Sie haben sich auch nicht bereit gefunden, wenigstens vor dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung so Rede und Antwort zu stehen, wie es notwendig war und wie es erwartet werden konnte. Sie haben offenbar auch die Kommission, die zur Überprüfung des Amtes eingesetzt werden soll, jetzt ohne jede Verbindung mit dem Parlament bestellt. Geschah das, um heute vor dem Hause und der Öffentlichkeit den Nachweis zu erbringen, daß von Ihnen etwas geschehen ist? Vertrauen in die parlamentarische Demokratie können Sie, Herr Minister, in der Bevölkerung jetzt nur dann noch erringen, wenn man weiß, daß nach dieser Erschütterung alle Schritte im Einvernehmen mit den gewählten Vertretern des Volkes getan werden. Wenn Sie aber glauben, nach dem Vorbild Ihres Kabinettschefs eigensinnig und ohne Parlament die Dinge regeln zu können, entsteht für die Demokratie weiter erheblicher Schaden.
({18})
Wir haben auf Grund aller dieser Vorgänge unsern Mißbilligungsantrag gegen den Herrn Innenminister eingebracht. Die CDU-Fraktion hat daraufhin schon den Beschluß gefaßt, daß sie weiterhin Vertrauen zu dem Innenminister habe.
({19})
Aber, meine Damen und Herren, es geht ja nicht um die Frage des Vertrauens oder des Mißtrauens; es geht hier um einfache und klare Tatbestände. Unser Antrag lautet:
Der Bundestag mißbilligt das Verhalten des Bundesministers des Innern anläßlich des Übertritts des früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. John, in die sowjetisch besetzte Zone Deutschlands.
Wenn Sie unseren Mißbilligungsantrag ablehnen, billigen Sie damit das Verhalten des Bundesinnenministers in dem ganzen Falle John. Sie billigen damit die erste Erklärung, die er nach dem Übertritt Johns abgegeben hat. Sie billigen die Aussetzung der 500 000 DM Belohnung. Sie billigen den politischen Skandal mit der Absendung der Note an die Hohen Kommissare. Sie müssen sich darüber klar sein, welche Wirkung ein solches Verhalten haben wird.
Die Sozialdemokratische Partei hat weiter den Rücktritt des Innenministers gefordert. Meine Damen und Herren, bei unserem konstruktiven Mißtrauensvotum ist es schon schwer, zu einer guten parlamentarischen Demokratie und zu einer
echten Ministerverantwortlichkeit zu kommen. Um so sorgfältiger sollte man darauf achten, daß hier dem Genüge geschieht, was, wie ich vorhin schon einmal ausgeführt habe, den guten Sitten einer parlamentarischen Demokratie entspricht.
Lassen Sie mich jetzt noch eins sagen, Herr Bundesinnenminister. Diejenigen, die Ihren Rücktritt anläßlich dieser Vorgänge wünschen und fordern, denken nicht nur mit großer Sorge an das Schicksal der parlamentarischen Demokratie, sondern sie meinen es auch mit Ihnen und Ihrer politischen Zukunft gut.
({20})
Zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Dr. Menzel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast zwei Monate liegen zwischen der Flucht Johns und der heutigen Aussprache, die viel zu spät kommt, und noch immer fühlt sich die Bevölkerung draußen mit Recht verraten und verkauft, weil die Regierung offensichtlich der Situation nicht gewachsen war und jeweils das Verkehrteste tat, was sie tun konnte. Sie merkte offenbar gar nicht, wie tief diese beiden Vorfälle, die Flucht von John und die Flucht von Schmidt-Wittmack, das rechtsstaatliche - ({0})
- Was hat er dann nach Ihrer Meinung getan?
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- Nun fragen Sie auch noch warum! ({2})
Aber das ändert ja nichts an der Tatsache, Herr Kollege, daß die Regierung, und das ist doch das Entscheidende, gar nicht gemerkt hat, wie durch diese beiden Vorfälle das rechtsstaatliche Gefüge beeinflußt wurde und wie sie das leider noch immer bestehende Mißtrauen gegen den neuen Staat neu beleben mußten. Daher sind die kläglichen Versuche des Innenministers und der Regierung, mit den beiden Fällen John und Schmidt-Wittmack fertigzuwerden, politisch noch viel ernster zu nehmen und bedauerlicher als die Fälle selbst.
Anstatt etwas aus dem Fall John zu lernen, beging man die gleichen Fehler, als Schmidt-Wittmack ausriß, ein Fall, der noch einmal die Tragik unterstrich, in die unsere Innenpolitik seit langem geraten ist. So häufte die Regierung einen Fehler auf den anderen, vermied jede rücksichtslose Offenheit, die notwendig gewesen wäre und zu der sich der Innenminister nicht einmal in den vertraulichen Sitzungen des Ausschusses zum Schutze der Verfassung hat aufraffen können. Was uns der Innenminister dort zumutete, war im wesentlichen doch nur die Wiederholung längst überholter und abgestandener Erklärungen, die er tags zuvor schon der Presse gegeben hatte.
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Der Ausschuß zum Schutze der Verfassung war gerade deswegen zusammengetreten, um sich wegen der berechtigten Erregung und der berechtigten Beunruhigung der Öffentlichkeit darüber Gewißheit zu verschaffen, daß zur Aufklärung des
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Falles John alles Erdenkliche geschehe. Aber der Innenminister verweigerte jede Aufklärung, die über das von ihm bereits der Presse Mitgeteilte hinausging, mit dem sehr fadenscheinigen Hinweis, der Oberbundesanwalt habe nun das Wort. Natürlich, meine Damen und Herren, hat der Fall John auch eine kriminelle Seite, aber das Schwergewicht lag doch und liegt noch heute auf dem p o l i t i s c h en Gebiet. Daß der Innenminister weder damals erkannt hat noch anscheinend auch heute erkennt, daß es sich in erster Linie um eine politische und nicht um eine kriminelle Frage handelt, das ist der schwerste Vorwurf, den man einem Innenminister machen kann.
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Aus dieser völlig falschen Einstellung zu den Problemen, die hier auf die deutsche Politik zukamen, hat der Innenminister durch sein Verhalten zur Lösung der entstandenen Probleme überhaupt nichts beigetragen, die Lösung vielmehr durch sein Verhalten noch erschwert. Noch - es ist blamabel, das sagen zu müssen - in der vorigen Woche, am 10. September, erklärte der Herr Innenminister in dem Ausschuß, es sei in diesen beiden Fällen seit dem 3. August nichts Neues hinzugekommen, und er habe daher nicht viel zu berichten. Das ist eine Zeitspanne von sechs Wochen. Der Innenminister tat so, als ob der Fall Schmidt-Wittmack ihn als Innenminister überhaupt nichts anginge. Aber gleichzeitig hatte er seiner eigenen Fraktion zweimal berichtet und den Ausschuß zum Schutze der Verfassung übergangen.
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Meine Damen und Herren, als ich in der Plenardebatte vom 8. Juli über die Arbeitsmethoden und die Mängel des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Regierung warnte, an unseren Sorgen wegen der Übergriffe dieses Amtes achtlos vorbeizugehen, als ich von der Beunruhigung weiter Kreise über die neuen Methoden der Überwachung, der Schnüffelei und der Bespitzelung sprach, war es Herr Kollege Kiesinger, der mir antwortete, ich hätte wohl ein zu düsteres Bild entworfen. Aber heute, glaube ich, wird mir Herr Kollege Kiesinger zugeben müssen, daß mein damaliger Pessimismus noch gar nicht groß genug gewesen ist. Denn wie konnte es kommen, daß ein Mann, dem als Präsident des Verfassungsschutzamtes die Freiheit der Deutschen anvertraut war, selbst in die Unfreiheit desertierte und daß ein führendes Mitglied der CDU-Fraktion später den gleichen Weg ging?
Nun einige Ergänzungen zu den einzelnen Fragen, die wir in der Großen Anfrage gestellt haben. Zunächst möchten wir wissen, Herr Bundesinnenminiser, was haben Sie unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Falles John getan? Sie werden uns wahrscheinlich heute antworten, Sie hätten zunächst einen neuen kommissarischen Leiter bestellt. Herr Innenminister, das ist eine ganz selbstverständliche, verwaltungsmäßig-routinemäßige Angelegenheit. Uns interessiert hier, was Sie politisch veranlaßt haben, um neue Vorfälle zu vermeiden und den Dingen auf den Grund zu gehen.
Die Verniedlichung, um die Sie sich damals krampfhaft bemühten, war unverantwortlich. Sie geschah offenbar, weil Sie hofften, mit dieser Methode der Verniedlichung am leichtesten von einer Rechenschaftslegung entbunden zu werden. Denn alles, was wir gehört haben, vor allem später aus Ihrem eigenen Munde, läßt auf einen mehr als
mangelhaften Kontakt zwischen Ihnen als dem verfassungsmäßig verantwortlichen Minister und dem Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz schließen. Ihre Erklärung in der Öffentlichkeit, daß Sie in Ihrer neunmonatigen Amtszeit als Bundesinnenminister Herrn John nur zweimal gesprochen haben, ist beachtlich. Gerade bei dem zwielichtigen Milieu, in dem derartige Dienste zwangsläufig arbeiten, mußte sich der Innenminister um dieses Amt mehr kümmern als um andere Abteilungen seines Ministeriums. Selbst wenn Ihnen Herr John nicht sympathisch war, dann entband Sie das nicht von der Verpflichtung, sich gerade dann mit der dienstlichen Arbeit dieses Mannes zu befassen.
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Wir verkennen nicht, daß der Herr Bundesinnenminister - und wir machen ihm daraus keinen Vorwurf - Herrn John vorfand, als er seinen Dienst übernahm. Wir verkennen nicht, daß sich bei Personaleinstellungen Fehler nie völlig vermeiden lassen. Aber entscheidend ist doch - und hier beginnt Ihre Verantwortung, und das interessiert die Öffentlichkeit und dieses Parlament -, was ein Vorgesetzter dann tut, wenn er plötzlich Unzulänglichkeit, Unzuverlässigkeit oder gar Treulosigkeit eines Beamten feststellt. Im Falle John half nur eine sofortige öffentliche klare Distanzierung von diesem Mann. Das haben Sie unterlassen.
Nachdem John verschwunden war, glaubte plötzlich alle Welt zu wissen, warum er für dieses Amt nicht geeignet sei, und zwar auf Grund der persönlichen Lebensführung. Woher kam denn die Kenntnis erst, nachdem dieser Mann weg war?
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Uns interessieren Vorgänge aus dem persönlichen Leben eines leitenden Beamten grundsätzlich gar nicht. Wir lieben keine Schnüffelei und kein Pharisäertum: aber schließlich wissen wir doch auch um die Methoden der Gegenspionage und der Agenten von der anderen Seite, wissen, wie solche Geheimdienste arbeiten und auch ihrerseits wieder von anderen Geheimdiensten bespitzelt werden, wissen - und das mußten auch Sie wissen, Herr Innenminister -, daß diese Gegenagenten nicht den Weg gehen, den Gegner mit sachlichen Argumenten zu überzeugen, sondern daß sie wie eine giftige Spinne darauf lauern, ihr Opfer in bestimmte, schwierige Situationen zu bringen, um es dann zu erpressen und zum Überläufer zu machen. Daher ist es bei einem solchen Amt schon wichtig, um die persönliche Lebensführung seines Chefs zu wissen.
Wir fragen Sie daher in der Großen Anfrage, was Sie im einzelnen darüber gewußt haben. Die geringste Besorgnis - und Ihre Verlautbarung vor der Presse hat klipp und klar ergeben, daß Sie auf diesem Gebiet Besorgnisse gegenüber Herrn John hatten -, der leiseste Verdacht hätte hier zu einer Personalveränderung Veranlassung geben müssen.
Ein anderer Geheimdienst in Deutschland, der Dienst Gehlen, soll Material über Herrn John gehabt haben. Auch danach fragen wir. Die Antwort auf die Frage, was der Geheimdienst Gehlen gewußt und Ihnen vielleicht erst später mitgeteilt hat - auch das wäre interessant zu wissen, wann Sie davon erfahren haben -, interessiert uns auch deshalb, weil wir bei dieser Gelegenheit feststellen wollen, ob es stimmt, daß sich der Dienst Gehlen auf innerdeutsches Gebiet beschränkt.
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Als sich herausstellte, daß Herr John geflohen und nicht, wie man erst sagte, geraubt worden war, kündigten übrigens die Alliierten an, sie würden nunmehr restlos auspacken, John sei ihnen schon seit langem verdächtig gewesen. Aber bis heute ist nichts erfolgt. Daher fragen wir. Sie, Herr Bundesinnenminister: Was haben die Alliierten über John gewußt? Was haben sie Ihnen darüber gesagt? Oder: warum haben die Alliierten Ihnen v o r h e r nichts gesagt? Wir wünschen hierüber eine klare Auskunft. Verstecken Sie sich nicht hinter der Behauptung, die Alliierten hätten Ihnen ein Schweigeverbot auferlegt.
Bei der Gelegenheit sei übrigens die Frage gestellt: Welche Rolle spielte Herr Söderman au, Schweden dabei? In wessen Auftrag war er in Berlin? Worauf beruht seine Erklärung - und nicht einmal das haben Sie bisher dem Ausschuß mitgeteilt -, der Fall John sei für ihn klar, während unsere Regierung immer noch an den Problemen herumorakelt und nach wie vor eine halbe Million Belohnung aussetzt?
In der dritten Frage - sie knüpft an die Aussprache vom 8. Juli im Bundestag an - geht es darum, wie es dazu kommen konnte, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz Material über politisch zuverlässige Bewegungen und politisch zuverlässige Männer und Frauen sammelte und Aktenstücke anlegte und daß dieses unzulässigerweise gesammelte Material dann noch der Bundeskanzler für parteipolitische Zwecke mißbrauchte. Wie konnte es überhaupt zur Sammlung von solchem Material kommen? Wir möchten heute endlich Einzelheiten wissen. Herr Dr. Schröder, nachdem die Debatte in der Sitzung vom 8. Juli keine Aufklärung gebracht hat.
Wir haben zwar damals das peinliche Eingeständnis des Herrn Kanzlers erlebt, daß er Material, das ihm vom Bundesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung gestellt war, ohne jede Nachprüfung, ohne eine Bestätigung der sachlichen Richtigkeit abzuwarten, benutzt hat, um gegen Herrn Kollegen Maier zu schießen. Man hat uns damals keine Auskunft darüber gegeben, wie es überhaupt zur Sammlung dieses Materials kommen konnte, und zwar nicht nur gegen Herrn Kollegen Maier, sondern auch gegen andere politisch zuverlässige Männer.
Ein weiterer Mißbrauch des Amtes liegt zweifellos darin, daß es in die Personalpolitik der Bundesregierung eingeschaltet worden ist. Herr Bundesinnenminister, Sie haben damals bei Ihrer Regierungserklärung selbst darauf hingewiesen, das Bundesamt werde eingeschaltet, wenn die Bundesregierung beabsichtige, einen Beamten einzustellen. Wir haben Ihnen damals gleich Vorhaltungen gemacht, daß das nicht nur gegen das Gesetz verstößt, sondern daß es jeder anständigen, fairen demokratischen Gepflogenheit widerspricht, jemanden zu bespitzeln, zu überwachen, um dann zu entscheiden, ob er als Beamter für diesen Bund geeignet ist oder nicht.
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Trotz dieses Vorhalts sind Sie dabei geblieben, daß das so sein müsse. Und heute stellen wir fest, daß Sie damit damals doch in der Person des Herrn John, der der entscheidende Mann wurde, wenn es darum ging, ob jemand eingestellt, befördert oder entlassen wurde, den Bock zum Gärtner angestellt hatten. Im übrigen genügte wahrscheinlich
für die Entscheidung, ob jemand als Beamter geeignet war oder nicht, das, was ein Kollege der CDU-Fraktion dieses Hohen Hauses einer Kopenhagener Zeitung gegenüber verlauten ließ, wenn er sagte: Wer in Bonn Karriere machen will, muß selbstverständlich daran denken, daß der Kanzler nicht gern Leute befördert, die nicht in seine Richtung steuern.
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Meine Damen und Herren, ich sage dies vor allem deswegen, weil die Bundesregierung mit diesen Methoden, mit diesem doppelten Mißbrauch der Verfassungsschutzämter doch selbst mit die Grundlage dafür geschaffen hat, daß es zu diesem Skandal, vor dem wir heute stehen, kommen konnte.
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Nun zur Frage 4. Die Konjunktur für Agenten und Geheimdienste scheint zur Zeit nicht nur in Europa, vor allem aber in Deutschland, außerordentlich günstig zu sein. Plötzlich und erst jetzt weiß alle Welt, daß wir in einem Dschungel von Geheimagenten und Geheimagenturen stehen. Wer beobachtet denn nun eigentlich in Deutschland wen, wer fertigt über wen Dossiers an und wer sammelt über wen noch alles Material?
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Wir möchten heute endlich einmal Einzelheiten haben. Wir bitten, uns nicht mit allgemeinen Redewendungen abzuspeisen. Wir möchten Roß und Reiter genannt hören.
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In der Öffentlichkeit schwirren seit langem phantastische Gerüchte über die Anzahl der Geheimdienste herum. Ich meine damit nicht nur den bereits erwähnten Dienst Gehlen und das, was die Dienststelle Blank sich aufgebaut hat. Ich meine auch so merkwürdige Unternehmungen wie die von der Großindustrie genährte Streikbrecherorganisation des Herrn Gosekuhl in Essen, den Nachrichtendienst der deutschen Industrie in Köln und schließlich den auch hier durch einen Untersuchungsausschuß des 1. Bundestages sattsam bekannten Herrn Heinrichsbauer aus Köln mit seinen Geldsammlungen für die Wahlen der Regierungsparteien.
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- Kein geborener Kölner, - aber das Geldsammeln kann er trotzdem gut, Herr Kollege Albers!
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Durch die Frage 5 wünschen wir eine Aufklärung, ob und welche Vereinbarung der deutschen Bundesrepublik mit den Alliierten über die Zusammenarbeit der deutschen Geheimdienste besteht. Wie bitter muß das übrigens, wenn das der Fall sein sollte, für die Deutsche Partei sein, wenn tatsächlich solche Vereinbarungen da sind, nachdem ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Kollege von Merkatz, am 8. Juli hier im Plenum so pathetisch gegen jede Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf diesem Gebiete gesprochen hat! Gibt es - und das ist unsere unmißverständliche Frage, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesinnenminister - ein Schreiben von Herrn Dr. Lenz, daß nach dem Inkrafttreten des EVG-Vertrages die Nachrichtendienste der Vertragspartner koordiniert werden sollten?
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Es ist klar, meine Damen und Herren, daß abgesehen von der Kritik an dem Verhalten der Bundesregierung und des Herrn Bundesinnenministers nach der Flucht des Herrn John und des Herrn Schmidt-Wittmack die Öffentlichkeit genau das gleiche Interesse daran hat, zu wissen, was denn nun auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes künftig werden soll. Aus dieser Sorge heraus haben wir die Fragen 6 a und 6 b gestellt, die Fragen, welche Vorstellung die Bundesregierung, insbesondere ihr Bundesinnenminister hinsichtlich der Reorganisation des Verfassungsschutzamtes haben. Herr Dr. Schröder hatte bereits am 8. Juli Vorschläge angekündigt. Schon sein Vorgänger hatte im vorigen Jahr an die Landesinnenminister geschrieben und um Vorschläge gebeten. Aber bis heute, nachdem ein Jahr vergangen ist, weiß die Öffentlichkeit noch immer nicht, was werden soll. Daß Sie jetzt in den letzten Tagen eine Viererkommission eingesetzt haben, ist selbstverständlich kein Ersatz; denn in der letzten Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung am 10. September - in der vorigen Woche - machten Sie, Herr Dr. Schröder, geheimnisvolle Andeutungen, daß man vielleicht an einen kleinen Ausschuß denken könne, der die Verfassungsschutzämter überprüfe. Heute wissen wir, daß Sie, als Sie damals Ihre geheimnisvollen Andeutungen machten, längst diese Kommission, bestehend aus vier Länderministern, zusammengesetzt hatten. Es bleibt unverständlich, entspricht aber Ihrem bisherigen Verhalten vor dem Ausschuß, daß Sie den Ausschuß stundenlang über diese Frage haben debattieren lassen, ohne ihm mitzuteilen, daß es eine für Sie längst erledigte Sache sei.
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Es mag dahingestellt bleiben, ob zur Reorganisation des Verfassungsschutzes Änderungen des vorhandenen Gesetzes notwendig sind. Die Formulierung des Gesetzes von 1950 ist an sich absolut klar und einwandfrei. Man muß sich nur an das Gesetz halten, meine Damen und Herren, und das hat man bisher nicht getan. Das ist mit ein Grund dafür, daß wir vor der Lage stehen, wie sie heute gegeben ist. Mit Änderungen des Gesetzes allein ist also nichts getan, und damit allein kommen wir nicht weiter, wenn die verantwortlichen Regierungsmitglieder nicht gewillt sind, Gesetze zu beachten.
Wir bemängeln, daß, obwohl das Gesetz von 1950 nun schon vier Jahre besteht, keinerlei Durchführungsbestimmungen, keinerlei Durchführungsverordnungen erlassen wurden. Offenbar geschah das, um die Rechte und die Vollmachten des Bundesamts vor allem gegenüber den Ländern nicht einschränken zu lassen. Hier bedarf es einer alsbaldigen gründlichen Klärung der Zuständigkeiten und der einzelnen im Gesetz festgelegten Begriffe.
Noch mehr und noch vordringlicher bedarf es der Bereinigung der unerträglichen Lage, daß sich in Deutschland nicht weniger als sechs Ämter mit der Bekämpfung staatsfeindlicher Umtriebe befassen: Da ist das Bundesamt für Verfassungsschutz, da ist das Bundeskriminalamt mit seiner recht merkwürdigen Sicherheitsgruppe, von der eigentlich keiner weiß, wer sie aufgebaut hat, wer dafür verantwortlich ist und wo sie herumspitzelt. Da sind die Landesverfassungsschutzämter, die Landeskriminalpolizeiämter, da ist die uniformierte Polizei, und da sind schließlich noch die Alliierten mit ihren eigenen Abwehrdiensten. In dieses Durcheinander muß endlich einmal hineingeleuchtet und Ordnung gebracht werden.
Damit uns nichts erspart bleibt, hat sich nunmehr auch der Gründer der damaligen Gestapo unter Hermann Göring zum Fragenkomplex John gemeldet. Wie eine giftige Kröte gießt Herr Diels in einem Pamphlet die Kübel seines Unrats über die heutige Zeit,
({19})
über die Widerstandskämpfer, insbesondere über die Männer des 20. Juli.
({20})
Er, der Nutznießer des „Dritten Reiches" war, ist heute als Pensionsempfänger wieder Nutznießer einer allzu nachsichtigen Demokratie geworden.
({21})
Wenn ich hier zu dieser Schrift überhaupt etwas sage, dann deshalb, weil eine sehr angesehene und durchaus demokratische Tageszeitung Diels als „Fachmann" bezeichnet hat, an dessen Wort man doch noch nicht so einfach vorbeigehen könne.
({22})
Herr Diels war einer der wesentlichsten Wegbereiter des Nationalsozialismus; denn er gründete die Gestapo und leitete sie. An einer Stelle seines Pamphlets gegen die Demokratie spricht er von „seinem Nachfolger John". Meine Damen und Herren, das ist vielleicht der einzige Punkt, worin man Herrn Diels nicht widersprechen sollte;
({23})
denn genau so wie John zum Feind überwechselte, hat Diels damals die Weimarer Demokratie verraten.
({24})
Während er sich noch bis Anfang 1933 im Demokratischen Klub in Berlin als eifrigster Vorkämpfer für Recht und Freiheit gebärdete, während ihm im Ministerium die Überwachung und Bekämpfung der rechtsradikalen Bewegungen anvertraut war, war Herr Diels schon ein Jahr vorher - bereits seit Anfang 1932 - mit Hilfe einer feigen anonymen Tarnung der SA beigetreten und rühmte sich später gegenüber Göring, daß er dadurch die geheimen Dossiers des Innenministeriums an die NSDAP habe verraten können.
({25})
Ist diese Schrift an sich schon verhängnisvoll, weil sie leider dem deutschen Volk draußen in der Welt wieder Schande und Unglück bringen wird, so ist, politisch gesehen, eigentlich noch erschütternder, daß solche schmutzigen Sachen in Deutschland bereits wieder g e druck t werden können, weil es anscheinend ein Publikum dafür gibt.
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Wir teilen gar nicht die Ansichten, die vielfach mit Übertreibungen hier und da vertreten werden, daß etwa in Deutschland ein neuer Hitler vor der Türe steht. Aber das hindert doch nicht, daß wir, die wir für die politische Entwicklung in diesem Volke verantwortlich sind, die bittere und enttäuschende Feststellung machen müssen, daß uns die innerpolitische Entwicklung der letzten Jahre in Deutschland der Demokratie zumindest nicht näher gebracht hat.
({27})
({28})
Niemanden kann wohl diese Entwicklung wundern, wenn sogar führende Männer dieses Staates schwarz-weiß-roten Veranstaltungen ihre telegraphischen Huldigungsgrüße schicken.
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Wie kann es kommen, wie kann es die Regierung dulden, daß der Vertreter einer Regierungspartei sich auf einer solchen Kundgebung vor noch zwei Wochen hinstellte und erklärte, es komme gar nicht darauf an, daß wir den zweiten Weltkrieg verloren hätten; entscheidend sei doch vielmehr, wie wir in diesem Kriege gut gekämpft hätten. Das heißt doch nichts anderes, als den Versuch zu unternehmen, auch die Hitlersehen Greuel des Krieges nachträglich in aller Öffentlichkeit zu legalisieren.
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Wir warnen die Regierung, an solchen Vorgängen achtlos vorüberzugehen, wenn sie sich an einer solchen verhängnisvollen Entwicklung nicht mitschuldig machen will.
Denn die Reorganisation des Verfassungsschutzes ist doch nicht nur eine Frage des Technischen und des Bürokratischen, sie kann nur gelingen, wenn wir alle, insbesondere die Mitglieder der Bundesregierung, bereit sind, an diese Fragen mit mehr demokratischem Willen und demokratischen Vorsätzen heranzugehen, als es bisher geschehen ist. Wenn wir alle aus den Fällen John und Schmidt-Wittmack Lehren ziehen, dann muß eine völlig neue Vertrauensbasis geschaffen und den staatsfeindlichen Elementen von allen Parteien, die hier im Hause vertreten sind, endlich klargemacht werden, daß diese Demokratie nicht mehr mit sich spaßen läßt.
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Nun noch einige Hinweise zur Reorganisation. Ausgangspunkt ist und bleibt zunächst natürlich Art. 87 des Grundgesetzes. Danach hat der Bund lediglich das Recht zur Sammlung und Auswertung von Material. Jede eigene staatsanwaltschaftliche oder polizeiliche Exekutive ist ihm untersagt. Will man das ändern, dann läge es nahe, zunächst einmal mit den Ländern zu sprechen und zu verhandeln, ob sie zu einer entsprechenden Grundgesetzänderung bereit sind. Nach den Verlautbarungen der Ministerpräsidenten einzelner Länder in der letzten Zeit ist kaum damit zu rechnen, daß sie im Bundesrat einer Verfassungsänderung zustimmen werden.
Ich frage daher den Bundesinnenminister: Seit wann haben Sie Verhandlungen mit den Ländern, haben Sie sie überhaupt schon begonnen, und welches Ergebnis haben diese Verhandlungen bisher gehabt?
In Verbindung mit dem Problem „Bund und Länder" und der Zusammenarbeit beider auf diesem so wichtigen Gebiet stößt man natürlich sofort auf die weitere Frage, ob den Verfassungsschutzämtern eine eigene Exekutive zugebilligt werden soll oder nicht. Es wird nicht leicht sein, zu sagen, und es ist heute nicht zu entscheiden, ob die Gründe, die dafür sprechen, oder die Gründe, die dagegen sprechen, überwiegen. Jede Machterweiterung erhöht die Gefahr der Eigenmächtigkeit und des Mißbrauchs. Aber jede Machtminderung kann die Durchführung der den Ämtern übertragenen Aufgaben schwächen und den Staatsfeinden ihre Arbeit erleichtern.
Aber wir sollten nicht vergessen: Eines der wichtigsten Elemente jeder demokratischen Ordnung ist und bleibt, die Gewalt zu teilen und nicht zuviel Macht in die Hände des einzelnen zu geben; denn das ist immer der beste Weg gewesen, eine Bürokratie übermütig werden zu lassen.
Als wir damals, 1950, das Gesetz über das Verfassungsschutzamt berieten, hat schon mein Freund Greve vor dem Wiedererstehen einer Gestapo gewarnt, und Herr von Merk a t z hat ebenfalls auf die Gefahren eines neuen Amtes, das sich der Schnüffelei im politischen Leben bedienen könnte, hingewiesen. Das war 1950. Heute, nach vier Jahren, wissen wir, daß diese Warnungen, die damals im Bundestag ausgesprochen wurden, zum großen Teil vergeblich gewesen sind. Das beweisen nicht nur die Fälle John und Schmidt-Wittmack, sondern auch die vielen Fälle von Eingriffen in die persönliche Freiheit einzelner Deutscher, Vorfälle, wie sie in der „Vulkan"-Affäre und in der Debatte vom 8. Juli dieses Jahres im Plenum des Bundestags vorgebracht worden sind.
Das zwingt uns, die Frage zu überlegen, wie es möglich ist, diese Ämter künftighin nicht nur von der Bürokratie, nicht nur von dem vorgesetzten Minister aus, sondern auch vom Parlament aus mehr und wirksamer zu überwachen.
Dazu gehört, das muß endlich einmal auf Grund der Verhandlungen im Ausschuß zum Schutze der Verfassung gesagt werden, zunächst, diesem Ausschuß das Initiativrecht zu geben. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesinnenminister der ersten Regierung Adenauer, Herrn Dr. Lehr, und dem Ausschuß war ausgezeichnet. Herr Dr. Lehr hat damals selbst immer Wert darauf gelegt, daß die schwierigen Fragen, die Randgebiete der rechts- und linksradikalen Bewegungen in die Zuständigkeiten, in die Bearbeitung, in die Debatten des Ausschusses fielen.
Ein völlig anderes Bild entstand, als der jetzige Bundesinnenminister Dr. Schröder sein Amt übernahm. Sein erstes Schreiben an den Ausschuß zum Schutze der Verfassung, der gebeten hatte, Herr Dr. Schröder möge selbst oder durch einen seiner Herren den Mitgliedern dieses Ausschusses, vor allem den neuen Mitgliedern, einmal einen Überblick über die verfassungspolitische Situation der Bundesrepublik geben, bestand darin, daß er erklärte, er lehne das ab.
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Es hat dann einen langen Schriftwechsel gegeben. Durch ein Eingreifen seiner eigenen Freunde und, wie ich glaube, auch durch ein Eingreifen des Herrn Bundeskanzlers hat Herr Schröder dann eingesehen, was seines Amtes in Wirklichkeit ist.
Der AusscHuß zum Schutze der Verfassung ist wie der Auswärtige Ausschuß, wie der Gesamtdeutsche und wie der Sicherheitsausschuß seiner Natur nach vertraulich. Er ist nicht auf Vorlagen des Plenums angewiesen. Er ist seiner ganzen politischen Zweckbestimmung nach nicht ein Ausschuß, der sich mit Gesetzentwürfen oder dergleichen zu befassen hat, sondern auf der politischparlamentarischen Seite eine Art Wächter der Verfassung,
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der, wenn er funktionieren soll und wenn er seiner Aufgabe gegenüber dem Plenum gerecht werden soll, das Recht haben muß, von sich aus auf
({34})
k) alle Vorgänge des politischen Lebens hinzuweisen, die ihm die Grundlagen der demokratischen Staatsordnung zu gefährden scheinen.
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Niemand denkt daran, diesem Ausschuß etwa das Recht zu geben, selbst Gesetzesvorschläge zu machen.
Die Änderung der Geschäftsordnung ist auch deshalb notwendig, weil der Unmut im Ausschuß zum Schutze der Verfassung über seine Behandlung durch den Innenminister eindeutig und einstimmig war. Durch sein Verhalten häufte der Innenminister Mißachtung auf Mißachtung gegenüber den Abgeordneten. Nicht einmal dem kleinen Unterausschuß, bestehend aus sieben Personen, dem über den Fall John berichtet werden sollte - nicht einmal diesem Unterausschuß hat der Bundesinnenminister berichtet, auch nicht nach der Flucht von Schmidt-Wittmack.
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Die nach dem Grundgesetz und unserer Geschäftsordnung bestehende Verpflichtung des Parlaments, Petitionen des Staatsbürgers richtig und sachgemäß zu beantworten, wurde vom Innenministerium gröblichst mißachtet.
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Nicht einmal die einfachsten, selbstverständlichsten Unterlagen wurden dem Ausschuß zur Verfügung gestellt, obwohl es sich zum Teil um Kopien von Schreiben handelte, die bereits längst an andere Personen herausgegangen waren
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B) und in denen auch nicht ein einziges Wort geheim war. Kaum einer der Fälle ist befriedigend oder rechtzeitig bearbeitet worden. Immer wieder mußten wir an die Erledigung erinnern und monatelang warten, ehe der Innenminister zur Auskunft bereit war, und auch diese Auskünfte waren dann nur noch lückenhaft.
Das störrische Verhalten des Innenministers im Ausschuß, das ängstliche, geradezu krankhafte Bemühen, alle Informationen, soweit sie nicht schon längst der Presse draußen bekannt waren, dem Ausschuß fernzuhalten, seine innere Ablehnung eines vernünftigen Zusammenarbeitens mit dem dafür zuständigen parlamentarischen Ausschuß bestätigt die Befürchtung, daß wir auch in Zukunft vor Fällen wie John und Schmidt-Wittmack nicht geschützt sind, solange dieser Innenminister in seinem Amt ist.
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Ich will dabei gar nicht entscheiden, ob diese Haltung des Herrn Dr. Schröder auf Unsicherheit oder Unvermögen oder auf Absicht beruht. Aber ich warne den Herrn Innenminister, dieses Verhalten fortzusetzen; denn dieser Weg muß ihn unweigerlich in neue Konflikte mit dem Parlament und der Öffentlichkeit führen.
Wir haben bei einigen Gelegenheiten vernommen, die öffentliche Aussprache im Bundestag über die Fälle John und Schmidt-Wittmack und die ebenfalls öffentlich zu führende Untersuchung in dem Untersuchungsausschuß bedeute eine Gefährdung des demokratischen Gedankens. Ist es nicht allein die Schuld der Regierung, daß sie das Parlament auf diesen Weg gezwungen hat? Weder
der Kanzler noch vor allem der zuständige Innenminister waren bereit, dem Bundestag von sich aus oder im Ausschuß zum Schutze der Verfassung Rechenschaft zu geben. Daher müssen sie diese Rechenschaft heute ablegen. Das Schlimmste wäre, die Wahrheit zu unterdrücken oder zu versuchen, die Tatsachen zu verwischen. Gerade das würde eine weitere Abschwächung des demokratischen Gedankens zur Folge haben. Wir sollten nicht um die Dinge herumreden und auch hier Roß und Reiter nennen. Daher können die politischen Stahlhelm-Kundgebungen, die Mainzer Ereignisse des letzten Sonntags und die zum Teil politisch arroganten SS-Treffen nicht totgeschwiegen werden. Gerade das Parlament hat die Verpflichtung, den Finger auf diese offene Wunde zu legen,
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um die Ordnung wiederherzustellen, die erschüttert scheint. Darum sollte niemand diese Aussprache fürchten.
Alle diese Fragen und die Aussprache hierüber dürfen den politischen Hintergrund nicht verwischen. Wenn wir auch wiederholt die Namen des Zwillingspaares John und Schmidt-Wittmack nennen mußten, um den Gesamtkomplex zu umreißen, der hier zur Debatte steht, und so sind es doch nicht in erster Linie diese Männer, die hier zur Erörterung stehen, sondern - das hat mein Freund Mellies bereits gesagt - es ist die Politik der Regierung Adenauer; denn nichts wäre falscher, als die Fälle der beiden Ausreißer isoliert zu sehen. Sie sind gleichsam die plötzlich aufsteigenden und nach außen sichtbar werdenden Blasen, die aller Welt noch einmal die Labilität der deutschen Innenpolitik vor Augen führen.
Plötzlich wußte man, was den Ausreißern alles vorzuwerfen war. Auf einmal waren die Männer, die Regierung und die CDU-Fraktion in wichtigste politische Funktionen gebracht hatten, politische Ignoranten und „kleine Würstchen", die man kaum kannte. Obwohl Herr John das seinem Charakter nach geheimste Amt der Bundesrepublik leitete und Herr Schmidt-Wittmack von seiner Fraktion in die vertraulichsten Ausschüsse des Bundestags geschickt wurde, sagte man jetzt plötzlich, beide hätten gar keine Geheimnisse verraten können, weil sie keine gewußt hätten. Nun, wer kennt denn dann eigentlich die Geheimnisse? Warum denn die ganze Geheimniskrämerei um die Verhandlungen im Ausschuß, wenn sogar das, was der Chef des Bundesamtes und ein Mitglied der Ausschüsse wissen, plötzlich völlig ohne Bedeutung ist? Glaubt man denn wirklich, die Bevölkerung nimmt Ihnen das ab, daß es im Amt John und in diesen beiden Ausschüssen keine Geheimnisse gegeben hat? Mit Recht fühlte sich die Bevölkerung und fühlt sie sich heute noch gefoppt.
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Bei Schmidt-Wittmack übrigens entdeckte man auf einmal, nachdem er weg war, daß er Monarchist, Militarist, Egoist, Intrigant, ein Prahler und Verschwender gewesen sei. Na, ich muß schon sagen, das sind ja schöne Demokraten, die Sie da in Ihren Reihen haben und denen Sie die wichtigsten Posten anvertraut haben!
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({43})
Um keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen - denn schließlich war Schmidt-Wittmack nicht ein Irgendwer -, möchte ich Ihnen ein Flugblatt in Erinnerung bringen, eine Zeitschrift vor dem Wahlkampf in Hamburg im vorigen Herbst, den „Hanseat", unter der Devise „Für Freiheit und Recht". Das paßt auf Herrn Schmidt-Wittmack ausgezeichnet.
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An der Spitze steht verständlicherweise eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers. Dann sind darauf auch noch Begrüßungsworte des Herrn Bundeswirtschaftsministers Erhard und des Herrn Bundestagspräsidenten Ehlers. Aber beide sind in diesem Flugblatt doch nicht so prominent, wie Herr Schmidt-Wittmack es damals in Hamburg war, denn er kommt gleich nach dem Aufruf des Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer!
({45})
Es ist erstaunlich, wie dann dieser Mann bei Ihnen unbekannt war.
({46})
Meine Damen und Herren, auch das mußte gesagt werden. Schon die Flucht dieser beiden Männer war eine blamable Sache. Aber in noch stärkerem Maße ist die Reaktion seiner politischen Freunde und der Regierung bestürzend, da ihr Verhalten der Öffentlichkeit schlagartig gezeigt hat, wie man in Deutschland Politik zu machen und regieren zu können glaubt. Uns interessieren diese Fälle gerade als Symptome unserer Innenpolitik. Die Art, wie Sie nun von der Regierung aus auf unsere Große Anfrage reagieren, wie Sie sie beantworten und in welchem Maße Sie bereit sein werden, im Untersuchungsausschuß wirklich alles zur Klärung beizutragen
({47})
- ausgezeichnet, ich freue mich, daß ich bei meinem Schlußsatz eine Zustimmung sogar von Ihrer Seite bekomme -, wird ein Prüfstein sein dafür, ob Sie ernsthaft den Willen zu einem Zusammenspiel der demokratischen Kräfte in Deutschland besitzen.
({48})
Meine Damen und Herren, die Große Anfrage und die Anträge der Fraktion der SPD sind begründet.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Bundesminister des Innern.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Übergang des früheren Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Dr. John, in die Sowjetzone erklärt die Bundesregierung folgendes:
({0})
1. Der Fall John hat die deutsche Öffentlichkeit tief erregt und beunruhigt. Er ist eine Schlappe im Kalten Krieg, eine Niederlage an jener unsichtbaren Front, an der der Krieg im Dunkel geführt wird. Er ist der bisher größte politische Skandal in der Bundesrepublik und zugleich ein Erfolg der Sowjets. Dennoch gilt es, ein nüchternes Urteil zu bewahren und den Fall John als das zu sehen, was
er ist. Es handelt sich keinesfalls um eine nationale Katastrophe, die nicht mit klaren und energischen Maßnahmen, wie sie die Bundesregierung sofort eingeleitet hat,
({1})
überwunden werden könnte und überwunden werden wird.
({2})
- Meine Damen und Herren, ich wiederhole meinen Satz: Es handelt sich keinesfalls um eine nationale Katastrophe, die nicht mit klaren und energischen Maßnahmen, wie sie die Bundesregierung sofort eingeleitet hat,
({3})
überwunden werden könnte und überwunden werden wird.
({4})
2. Den Fall John können die Sowjets, wie gesagt, als einen Erfolg buchen. Dabei ist es gleichgültig, ob eine geschickte Regie von langer Hand oder ein plötzlicher Zufall ihnen diese Karte zuschob. Sie benutzten John, um in schwierigen Wochen außenpolitischer Entscheidungen den Gegnern der Bundesrepublik in die Hand zu spielen.
({5})
Sie hofften, durch den Fall John das Ansehen der Bundesrepublik nach außen erschüttern zu können und im deutschen Volk selbst Verwirrung und Mißtrauen hervorzurufen.
({6})
Diesem Zweck dienen die von John in Ost-Berlin abgegebenen Erklärungen. Mit Hilfe eines ehemaligen hochgestellten Beamten der Bundesrepublik glaubt man die Verleumdung in die Welt setzen zu können, die Bundesrepublik sei von Nazis beherrscht und deshalb kein würdiger und zuverlässiger Partner der freien Welt. Das ist die verlogene Rolle, die John im Auftrage von Pankow und Karlshorst zu spielen hat.
({7})
3. Sofort nach dem Verschwinden Johns ist der Oberbundesanwalt mit einer umfassenden Untersuchung des Falles beauftragt worden. Dafür sind seine tüchtigsten Beamten eingesetzt. Die Ermittlungen des Oberbundesanwalts, die begreiflicherweise schwierig sind, konnten bisher noch nicht abgeschlossen werden. Jedoch wird der Öffentlichkeit in diesem Augenblick ein schriftlicher Bericht über den bisherigen Stand der Untersuchungen gegeben. Das in diesem Bericht entwickelte minutiöse Bild der Vorgeschichte und des Ablaufs des Falles John zeigt die Intensität der Bemühungen, die an die restlose Aufklärung gewendet werden.
Herr Minister, darf ich einen Augenblick unterbrechen. Ich habe dafür Sorge getragen, daß die Abgeordneten diesen Bericht in dem gleichen Augenblick bekommen wie die Öffentlichkeit.
({0})
({1})
- Meine Damen und Herren, Ihr Beifall scheint mir zu zeigen, daß Sie meine Mitteilung mißverstanden haben. Ich habe die selbstverständliche Praxis befolgt, die ich immer befolge, dafür Sorge zu tragen, daß Mitteilungen an die Presse gleichzeitig an die Abgeordneten verteilt werden. Das ist geschehen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bedauere ganz außerordentlich, daß Sie diese Mitteilung so falsch auffassen konnten. Es war völlig selbstverständlich, daß in dem frühesten - ({0}) - Lassen Sie mich doch aussprechen!
({1})
Es ist völlig selbstverständlich, daß dieser Bericht in dem frühesten Augenblick, in dem er zur Verfügung gestellt werden konnte, zur Verfügung gestellt wird. Ich bin heute morgen dahin unterrichtet worden, daß das erste Exemplar dieses Berichts Herr Mellies bekommen sollte.
({2})
- Ich selbst habe diesen Bericht in dem Augenblick bekommen, als ich die Regierungsbank betreten habe.
({3})
Ich fahre fort.
({4})
Allein die Zahl der bisher - ({5})
Meine Damen und Herren, darf ich bitten! Die Begründung der Großen Anfrage ist mit Ruhe angehört worden. Wir haben nachher Gelegenheit zu einer in der Zeit nicht begrenzten Aussprache. Ich bitte freundlichst, sich darauf einzurichten.
Allein die Zahl der bisher schon vernommenen Zeugen beträgt insgesamt über 800. Diese so gründliche Untersuchung war angezeigt und erforderlich, um nicht nur den tatsächlichen äußeren Ablauf des Übergangs in die Sowjetzone feststellen, sondern darüber hinaus die gesamte Vorgeschichte, die Hintergründe und die Verbindungen dieses Falles aufdecken zu können.
({0})
Die nachdrückliche Verfolgung aller sachdienlichen Hinweise gibt uns die Wahrscheinlichkeit, daß alle Stellen, die mit John in Verbindung gestanden haben oder etwa stehen könnten, auf ihre Verläßlichkeit eingehend und sorgfältig geprüft werden.
4. Die eingeleiteten Untersuchungen werden mit dem Ziel geführt, endgültige und vollständige Klarheit zu schaffen. Die Bundesregierung wird sich dabei weder von irgendwelchen Wünschen
noch gar von vorgefaßten Meinungen leiten lassen. Ihr liegt nur daran, die Wahrheit zu ermitteln und alle Zusammenhänge aufzudecken.
Um diese Untersuchung zu unterstützen, ist für die restlose Aufklärung eine Belohnung von 500 000 DM ausgesetzt worden.
({1})
Die Höhe der Summe erscheint gewiß ungewöhnlich
({2})
und ist von mancher Seite zunächst nicht verstanden worden. Die Aufklärung im Kalten Krieg verlangt aber ungewöhnliche Mittel.
({3})
Zur restlosen Aufklärung gehört die Feststellung, ob John, wie von manchen Seiten behauptet wird, seit Jahr und Tag ein ungewöhnlich geschickter kommunistischer oder sowjetischer Agent war oder ob er in der Nacht vom 20. zum 21. Juli in plötzlichem Entschluß seiner Regierung die Treue brach und den kommunistischen Machthabern erlag. Darüber hinaus gilt es, das östliche Agentennetz aufzudecken, das möglicherweise in seinem Falle tätig war, und die Zusammenhänge mit früheren Organisationen, die wie die „Rote Kapelle" von kommunistischer Seite gesteuert waren und heute vielleicht noch Kontakte zu ihren einstigen Auftraggebern haben.
5. Die restlose Aufklärung dieses Falles ist, wie das Hohe Haus ohne weiteres zugestehen wird, von großer Bedeutung. Aus ihr ergeben sich wichtige Folgerungen für das von John früher geleitete Amt. War John ein langjähriger Verräter im sowjetischen Auftrag, so wird dadurch sein Mitarbeiter-, sein Bekannten- und Freundeskreis in ganz anderen Weise betroffen, als wenn John plötzlich in das gegnerische Lager übergegangen ist. Darüber werden wir den letzten Aufschluß vielleicht nur von Menschen oder Stellen erhalten, die durch die ungewöhnliche Höhe der Belohnung angezogen werden können und sollen. Wenn der Fall John in der Tat den größten politischen Skandal der Bundesrepublik darstellt, dann müssen dessen restlose Aufklärung und die Aufdeckung und Unschädlichmachung der Helfershelfer sicher eine halbe Million Mark wert sein.
({4})
6. John wird von der Gegenseite als ein Mittel der Propaganda und der politischen Zersetzung benutzt. Bei aller Bedeutung, die dem Fall zukommt, wäre es falsch, sich über den sachlichen Schaden, den John durch Verrat von Geheimnissen anrichten kann, übertriebene Vorstellungen zu machen. Die Frage: „Was hat er und was konnte er verraten?", beschäftigt die Öffentlichkeit mit Recht. Die Hauptgegenstände, auf die sich die Ausspähung und der Verrat im Kalten Krieg in der ganzen Welt richten, sind infolge der Lage, in der sich die Bundesrepublik befindet, hier nicht vorhanden. Die Bundesrepublik hat kein Militär, sie hat keinen Generalstab, sie hat keine Aufmarschpläne, die dem Gegner in die Hand gespielt werden könnten; sie besitzt keine geheime Rüstungsindustrie und keine verborgenen Waffenarsenale, deren Produktionsziffer oder deren Lage auszuspionieren wären; es gibt in der Bundesrepublik auch keine Forschungsstellen im Dienst der Rüstung, aus denen etwa die Formel für die Herstellung neuer Waffen
({5})
verraten werden könnte. John war Leiter einer Behörde, deren Aufgabe es ist, rechts- oder linksradikale Bewegungen, die auf den Umsturz der im Grundgesetz gegebenen staatlichen Ordnung ausgehen, zu beobachten und darüber zu berichten. Sein Amt hatte Nachrichten zu sammeln. Es ist abwegig, ihn, wie das in der Öffentlichkeit häufig geschehen ist, als einen Abwehrchef zu bezeichnen. Der Vergleich mit Canaris ist nicht nur zu hoch gegriffen, sondern falsch.
Zur Frage, ob John Agenten verraten konnte oder verraten hat, wiederholt die Bundesregierung hier die bereits abgegebene Erklärung, daß nach den Feststellungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Fall John nicht erfolgt sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist im übrigen ebenso wie andere Nachrichtendienste so aufgebaut, daß, wie alle Fachleute wissen, der Leiter nicht selbst über Agentenlisten verfügt. Diese Feststellungen sollen nicht dazu dienen, den Fall in irgendeiner Weise zu verkleinern; sie haben nur den Zweck, die Vorstellungen über diesen Fall auf das richtige Maß zurückzuführen. Die Bundesregierung spricht mit aller Offenheit. Sie hat und hatte niemals die Absicht, in dieser Affäre irgend etwas zu verschweigen oder gar zu vertuschen.
7. Die Öffentlichkeit ist besonders an einer näheren Aufklärung darüber interessiert, wie John in sein Amt gekommen ist. Die Tatsachen seiner Einstellung sind folgende: Als das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. September 1950 in Kraft trat, hatten bereits viele Monate umfassende Verhandlungen mit den alliierten Sicherheitsdirektoren über die Berufung der leitenden Persönlichkeiten des künftigen Bundesamtes für Verfassungsschutz stattgefunden. Die Alliierten hatten sich ein Einspruchsrecht für das Personal dieses Amtes ausdrücklich vorbehalten. Der erste, bereits am 16. März 1950 vorgeschlagene Leiter des künftigen Amtes fand ebensowenig Zustimmung wie drei weitere, später präsentierte Kandidaten. Vier andere in Aussicht genommene Persönlichkeiten lehnten die Übernahme des Amtes ab. Trotz einer Intervention des Herrn Bundeskanzlers selbst am 11. Juli 1950 bei dem britischen Hochkommissar gelang es bis zur Verkündung des Verfassungsschutzgesetzes nicht, die Einsprüche der Alliierten gegen die deutschen Kandidaten zu beseitigen.
({6})
- Meine Damen und Herren, ich erlaube mir, den Herrn Zwischenrufer daran zu erinnern, daß wir einstweilen noch unter der Herrschaft des Besatzungsstatuts leben und daß unser intensivstes Bemühen dem Tage gilt, an dem wir diese Fessel beseitigt haben werden.
({7})
In dieser schwierigen Lage tauchte der Name von Dr. John auf, einer Persönlichkeit, deren antinationalsozialistische Einstellung nicht bestritten werden konnte und die von namhafter politischer Seite bereits mehrfach empfohlen war. Die Berufung Johns wurde im November 1950 mit der Alliierten Hohen Kommission erörtert. Sie erklärte
wenige Wochen darauf, gegen diese Kandidatur I keinen Einspruch einzulegen. Die Opposition wurde von diesem Vorschlag unterrichtet und erhob ebenfalls keine Bedenken.
({8})
Daraufhin wurde Dr. John Anfang Dezember 1950 mit der kommissarischen Leitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz betraut.
8. Dr. John ist dann fast ein Jahr lang nur kommissarisch verwendet worden. Dies erklärt sich daraus, daß gegen ihn Bedenken wegen seiner Tätigkeit bei der Überprüfung kriegsgefangener Offiziere in England, wegen seines Auftretens vor dem amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg im Jahre 1948 und wegen seiner Tätigkeit im Manstein-Prozeß in Hamburg im Jahre 1949 erhoben wurden. Diese Bedenken, die unter anderen der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion erhoben hatte, wurden überprüft. Unter den gegebenen Verhältnissen erschienen sie nicht durchschlagend. Das Kabinett hat dann in seiner Sitzung vom 26. Oktober 1951 die Ernennung von Dr. John bei einer Stimmenthaltung beschlossen.
Was die Eignung Johns für den öffentlichen Dienst angeht, so hat sich die Bundesregierung damals in Übereinstimmung mit dem Hohen Hause befunden. Ich verweise auf die Verhandlungen vor dem Untersuchungsausschuß des 1. Bundestages, dem die Prüfung der Personalpolitik im Auswärtigen Amt oblag und dessen Einsetzung von derselben Seite beantragt worden war wie jetzt die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Fall John. Jener Ausschuß hat in seinem Schriftlichen Bericht vom 18. Juni 1952 auch die Behandlung einer Bewerbung Johns für den Auswärtigen Dienst geprüft. Er hat in diesem Bericht festgestellt, daß über John von mehreren Seiten beste Auskünfte vorlagen.
({9})
Schließlich hat der Ausschuß, nachdem seitens des Auswärtigen Amts eine positive Entscheidung über die Einstellung Dr. Johns nicht erfolgt war, im Zusammenhang damit dem mit der Sache betrauten Beamten der Personalabteilung des Auswärtigen Amts „einen außerordentlich eingeengten Horizont" und „eine bestimmte Beschränktheit der Aspekte" vorgeworfen.
({10})
9. Ich für meine Person, meine sehr verehrten Damen und Herren, stehe nicht an, zu erklären, daß die Berufung von John objektiv ein Fehler gewesen ist.
({11})
Dieser Fehler lag nach meiner Meinung darin, daß die Tätigkeit Johns außerhalb Deutschlands Angriffs- und Gefahrenquellen barg, die bei dem Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht gegeben sein durften.
({12})
Eine andere Besetzung seiner Stelle war daher bereits seit einiger Zeit vorgesehen. Zwingende Gründe aus der Amtsführung des Dr. John, die seine sofortige Enthebung unabweisbar gemacht hätten, lagen nicht vor und haben sich auch aus der bisherigen Untersuchung nicht ergeben.
({13})
10. Bei der Erörterung des Falles ist des öfteren
auch das Thema der Widerstandskämpfer des
20. Juli 1944 und die Frage der Emigranten behandelt worden. Dazu hat der Herr Bundeskanzler in
seiner Rundfunkerklärung vom 6. August 1954 bereits Stellung genommen. Ich darf hier an seine
Worte erinnern. Der Herr Bundeskanzler erklärte: Wir dürfen unter keinen Umständen in einen Kampf aller gegen alle verfallen und eine politische Schnüffelei treiben, die das gegenseitige Vertrauen zerstört. Es waren zur Zeit des Nationalsozialismus und insbesondere, als Deutschland in Blut und Feuer unterzugehen drohte, besondere Verhältnisse, die mit besonderen Maßstäben gemessen werden mußten. Wer aus Liebe zum deutschen Volk es unternahm, die Tyrannei zu brechen, wie das die Opfer des 20. Juli getan haben, ist der Hochschätzung und Verehrung aller würdig. Wer damals in die Emigration gegangen ist, verdient keinen Tadel. Er hat in der Emigration, wenn er ein ehrlicher Deutscher war, ebenfalls schwer gelitten.
11. Die vordringliche Sorge der Bundesregierung nach Bekanntwerden von Johns Übertritt war - abgesehen von der sofortigen Einleitung einer umfassenden Untersuchung - die Wiederbesetzung seiner Stelle durch eine in jeder Beziehung geeignete Persönlichkeit. Kaum 24 Stunden nach Bekanntwerden seines Verschwindens wurde durch den Bundesminister des Innern die Leitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, zunächst kommissarisch, übertragen. Die sofort angeordnete Überprüfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist im Gange. Ein Bericht darüber wird später erstattet werden.
12. Der Fall John als solcher ist zu trennen von den Fragen, die mit der Organisation und den Arbeitsmethoden des Verfassungsschutzes zusammenhängen. Das große organisatorische Problem einer Reform des Verfassungsschutzes ist von der Bundesregierung in ihrer Erklärung vom 8. Juli vor diesem Hause bereits behandelt worden. Als wesentliche Gesichtspunkte aus der damaligen Erklärung der Bundesregierung darf ich die folgenden ins Gedächtnis zurückrufen: Gesetzestreue und demokratische Zuverlässigkeit des im Verfassungsschutz tätigen Personals, Wahrung nicht nur der Erfordernisse der Staatssicherheit, sondern auch aller berechtigten Interessen der betroffenen Staatsbürger, Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf diesem für die Sicherheit unseres Volkes so wichtigen Gebiet.
13. Der Fall John, meine Damen und Herren, ist eingangs als eine Schlappe der Bundesrepublik im Kalten Krieg bezeichnet worden. Die Sowjets, deren Helfershelfer in Pankow John jetzt als eine Beutefigur herausstellen, haben selbst im Kalten Krieg viele ihrer Leute verloren, angefangen mit Gouzenko, dem Leiter der Code-Abteilung der sowjetischen Botschaft in Kanada, bis zu Petrow und Rastworow, der eine Spionageleiter in Australien, der andere Leiter der sowjetischen Spionage in Japan. Die Sowjets glaubten sogar vor einigen Monaten Berija, den obersten Chef dieser Art ihrer Kriegführung, liquidieren zu müssen, da er, wie sie sagten, Verrat plante. Die Erfahrungen dieser Jahre lehren, daß weder der totalitäre, noch der demokratische Staat hier gegen Verluste gesichert sind. Großbritannien mußte das Verschwinden hoher Beamter des Auswärtigen Amtes, McLean
und Burgess, hinnehmen. Die Vereinigten Staaten mußten sich damit abfinden, daß Alger Hiss, der Berater des Präsidenten der USA, als Spion entlarvt wurde.
14. Die Lage Deutschlands in dem weltweiten Kalten Krieg wird dadurch verschärft, daß ein Eiserner Vorhang unser Vaterland zerrissen und zerteilt hat. Wenn die Pankower Propagandisten glauben, John als jemanden vorstellen zu können, der bei ihnen Freiheit und Sicherheit gefunden hätte, dann werden sie durch den ununterbrochenen Flüchtlingsstrom vom Osten in den Westen Lügen gestraft.
({14})
In ,diesem Flüchtlingsstrom befinden sich bekannte Namen und ungezählte Namenlose. Wir könnten hier die 61 führenden Politiker und Funktionäre aufzählen, die seit 1951 aus der Sowjetzone nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik geflüchtet sind. Fünf von ihnen waren Mitglieder der Pankower Regierung, 13 gehörten den Länderregierungen der Sowjetzone an, 28 waren maßgebende Vertreter sowjetzonaler Ministerien. In dem Flüchtlingsstrom befinden sich auch die 14 500 Offiziere und Mannschaften der Volkspolizei, die seit 1952 nach Westen übergetreten sind.
({15})
Nahezu jeder zehnte Bewohner der Sowjetzone hat seit 1949 den Weg aus der Unfreiheit in die Freiheit genommen.
({16})
Fast zwei Millionen sind es, die in der Bundesrepublik Schutz vor den Nachstellungen und Bedrükkungen des östlichen Systems suchten. Gewaltig aber ist auch die Zahl derer, die drüben still und mit zusammengebissenen Zähnen ausharren und mit heißem Herzen den Tag der Wiedervereinigung in Freiheit herbeisehnen,
({17})
jene Stunde, da in unserem Vaterland die Grenzen fallen und wir uns alle wieder als ein einig Volk von Brüdern zusammenfinden.
({18})
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, welcher Abgeordnete das Wort „Heuchler" gebraucht hat. Ich weiß auch nicht, welcher gelacht hat. Mir scheinen beide Vorgänge in diesem Augenblick bei dieser Feststellung des Herrn Ministers der Würde des Hauses in jeder Weise zu widersprechen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich wiederhole den Satz, bei dem ich unterbrochen wurde: Gewaltig aber ist auch die Zahl derer, die drüben still und mit zusammengebissenen Zähnen ausharren und mit heißem Herzen den Tag der Wiedervereinigung in Freiheit herbeisehnen, jene Stunde, da in unserem Vaterland die Grenzen fallen und wir uns alle wieder als ein einig Volk von Brüdern zusammenfinden.
({0})
({1})
1 An diesem Tage, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird uns ein Fall John nur noch wie ein böser Spuk vorkommen, der uns eine kurze Spanne Zeit zu verwirren drohte, der aber unsere Kräfte nicht erlahmen ließ, um für das ganze Deutschland jenen Tag der Freiheit herbeizuführen, der heute im Munde eines verächtlichen Überläufers schändlich mißbraucht wird.
({2})
Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, meine Damen und Herren, habe ich die Ehre, namens der Bundesregierung die Große Anfrage wie folgt zu beantworten. Ich wiederhole der Verständlichkeit halber die gestellten Fragen:
1. Was hat die Bundesregierung unternommen, um ihre Verpflichtung zur Dienstaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz, dessen Arbeiten und die Tätigkeit des bisherigen Leiters, Dr. John, zu erfüllen?
Die Dienstaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz ist mit Rücksicht auf die schwierigen Aufgaben des Amtes besonders sorgfältig gehandhabt worden. Einstellungen erfolgten nur nach genauer Überprüfung auf Grund aller inländischen Auskunftsquellen, insbesondere von Referenzen zuverlässiger Persönlichkeiten
({3})
und auf Grund getrennter Nachforschungen aller drei Sicherheitsdienste der Alliierten. Während das Bundesministerium des Innern im Jahre 1953 die Ausübung des Rechts zur Ernennung vom Oberinspektor abwärts grundsätzlich auf die ihm unterstellten Bundesoberbehörden übertrug, wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz von dieser Regelung bewußt ausgenommen. Ernennungen und Beförderungen von Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz sind nach wie vor nur mit Zustimmung des Bundesministeriums des Innern möglich.
Auch die laufende und enge Verbindung, in der das Bundesamt mit dem Bundesministerium des Innern gestanden hat, hat Anlaß gegeben, die Arbeiten des Bundesamts und die Tätigkeit des bisherigen Leiters ständig zu überwachen. In dem Dienstgebäude des Amtes haben wöchentliche Routinebesprechungen zwischen Vertretern des Ministeriums und den leitenden Beamten des Bundesamts für Verfassungsschutz stattgefunden.
Ich komme zur Frage
1 a) Stimmt es, daß bereits seit langem Bedenken gegenüber dem bisherigen Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. John, bestanden?
Was hat die Bundesregierung getan, um fest-
zustellen, ob diese Bedenken berechtigt sind?
Die Antwort lautet wie folgt: John ist im Jahre 1952 eines Ostkontaktes, nämlich der Beziehungen zu einer Ost-West-Handelsgesellschaft, und der Unterhaltung eines Bankkontos in der Schweiz verdächtigt worden. Der zuständige Abteilungsleiter des Bundesministeriums des Innern hat sofort Untersuchungen eingeleitet und John überwachen lassen. Diese umfassenden Ermittlungen haben keine Anhaltspunkte für den Verdacht erbracht.
Für die in der Presse nach dem Übertritt Johns wiederholt aufgetauchte Behauptung einer homosexuellen Betätigung Johns haben sich keine Verdachtsgründe ergeben.
Im übrigen haben sich auch sonst während der Amtsführung Johns keine Tatbestände ergeben, die ein disziplinäres Einschreiten erforderlich gemacht hätten.
Ich komme zu
1 b) Waren ihr insbesondere die Beziehungen Dr. Johns zu Dr. Wohlgemuth und von Putlitz bekannt?
Die Antwort lautet: Nein.
lc) Trifft es zu, daß Dr. John Mitglied des „Demokratischen Kulturbundes" war?
Die Antwort lautet: Hiervon ist nichts bekannt.
1d) Stimmt es, daß gegen Dr. John vor dem Amtsgericht in Köln ein Strafverfahren wegen Trunkenheit am Steuer schwebt? Wann ist die Tat begangen worden? Was hat der Bundesminister des Innern veranlaßt, als er von dem Strafverfahren erfuhr?
Die Antwort lautet: Es hat kein Strafverfahren wegen Trunkenheit stattgefunden. Es erging lediglich ein Strafbefehl des Amtsgerichts Köln vom 2. Dezember 1953 über 50 DM wegen Körperverletzung und Verkehrsgefährdung, begangen am 28. April 1953. John wurde beschuldigt, aus dem von einem Fahrer seines Amtes gesteuerten Pkw während eines Halts auf offener Straße ausgestiegen zu sein und durch das Öffnen der Wagentür einen rechts vorbeifahrenden Radfahrer fahrlässig verletzt zu haben. John hatte Einspruch eingelegt. Die Sache fällt unter die Amnestie. Das Zivilverfahren ist noch anhängig. Es bestand niemals der Verdacht der Trunkenheit.
le) Trifft es zu, daß die Organisation Gehlen über die Person Dr. Johns Material besaß ({4}) Ist der Bundesregierung erst jetzt Material über Dr. John zugänglich gemacht worden, das andere inländische oder ausländische Stellen schon früher über Dr. John hatten?
Die Antwort lautet: Der Bundesregierung ist weder früher noch jetzt solches Material von irgendwelchen inländischen oder ausländischen Stellen zugegangen.
2. In welchem Umfange sind in der letzten Zeit Verhaftungen in der sowjetisch besetzten Zone wegen des Verdachtes sogenannter Agententätigkeit erfolgt?
Stehen diese Verhaftungen in einem Zusammenhang mit dem Fall John?
Die Antwort lautet: Nach den Feststellungen des Bundesamts für Verfassungsschutz sind Verhaftungen im Zusammenhang mit dem Fall John nicht erfolgt.
({5})
Die Frage 3 wird dahin beantwortet: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat solches Material weder gesammelt noch ausgewertet noch auswerten lassen.
4. Wie viele Organisationen gibt es zur Zeit in Deutschland, die sich mit einer vertraulichen Beschaffung von politischem Material befassen?
({6})
Die Antwort lautet: Ich verweise auf meine Ausführungen in der Verfassungsschutzdebatte des Deutschen Bundestages am 8. Juli 1954.
5. Bestehen geheime Abkommen zwischen den Vertragsmächten des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und
- hier steht: des Generalvertrages des Deutschland-Vertrages
({7})
über eine Zusammenarbeit von politischen Nachrichtendiensten?
Antwort: Geheime Abkommen der genannten Art zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft bestehen nicht. Auch zum Bonner Vertrag bestehen keine derartigen Abkommen.
({8})
- Hören Sie doch bitte zu!
({9})
Es hat lediglich ein mündlicher und schriftlicher Gedankenaustausch über eine später abzuschließende Vereinbarung zur Durchführung des Truppenvertrages auf dem Gebiete des Nachrichtendienstes stattgefunden.
6a) Welche Folgerungen denkt die Bundesregierung aus dem Fall John zu ziehen?
Zur Beantwortung darf ich auf die Ausführungen verweisen, die ich eingangs gemacht habe.
6b) Ist die Bundesregierung bereit, eine ständige Kontrolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz durch den Bundestag zu gewährleisten?
Die Antwort lautet: Die Bundesregierung ist hierzu im Rahmen der Zuständigkeit des Bundestagsausschusses zum Schutze der Verfassung bereit.
Das sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, die formulierten Antworten auf die Große Anfrage. Von den Kollegen Mellies und D r. Menzel sind eine Reihe von Punkten vorgetragen worden, insbesondere über das Verhältnis des Bundesministers des Innern zum Bundestagsausschuß zum Schutze der Verfassung, auf die ich im Laufe der Debatte weiter eingehen werde. Mir liegt nur daran, einige wesentliche Punkte hier vorweg klarzustellen, damit kein falscher Eindruck entsteht.
Die stenographischen Protokolle über die Aussprachen, die ich in dieser Sache mit dem Bundestagsausschuß zum Schutze der Verfassung gehabt habe, umfassen etwa 400 Seiten. Ich bedaure, daß dieser Ausschuß, obwohl seine Vertraulichkeit, wie auch diese Debatte bereits ergeben hat, in keiner Weise gewahrt wird, ein vertraulicher Ausschuß ist. Ich wäre sonst gern bereit, alles, was ich dort gesagt habe, der Öffentlichkeit mit dem Ziele zur Verfügung zu stellen, jeden falschen Eindruck, der vielleicht sonst bei einer ungeordneten Durchbrechung der Vertraulichkeit entstehen könnte, klarzustellen. Mit Rücksicht auf den vertraulichen Charakter des Ausschusses werde ich mich hier weiter zurückhalten.
({10})
- Herr Kollege Meitmann, wenn Sie das gleich hier hören wollen, dann darf ich dem Hohen Hause folgendes mitteilen, was ich sonst mit Rücksicht auf andere Dinge nicht getan hätte. Meine Damen und Herren, die erste Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung, in der ich über diese Sache berichtet habe, umfaßt ein stenographisches Protokoll von rund 200 Seiten. Noch während ich sprach
- in einem Kreis, der sich durch Vertreter aus allen möglichen Stellen auf etwa 70 Personen, ich wiederhole: etwa 70 Personen, ergänzt hatte -, wurde draußen Meldungen über den Inhalt dessen, was ich sagte, durchtelefoniert.
({11})
Dieses Vorkommnis ist nach der ersten Sitzung im Ausschuß selbst lebhaft getadelt worden, u. a. auch, wie das Protokoll ergeben wird, von zwei Vertretern der Opposition, die hier anwesend sind.
({12})
Meine Damen und Herren, ich - ({13})
- Meine Damen und Herren, ich berichte hier Tatsachen.
({14})
- Ich berichte hier Tatsachen! Welche Schlüsse Sie aus diesen Tatsachen ziehen wollen, das ist Ihre eigene Sache.
({15})
- Ja, meine Damen und Herren, das, was ich hier sage, ist, wie das Protokoll der zweiten Ausschußsitzung ergeben wird, eingehend in dem Ausschuß besprochen worden.
Ich gehe noch ein Stück weiter. Ich habe bei der anschließenden Konferenz der Innenminister der deutschen Länder in der Hand eines der Beteiligten ein langes offenes Fernschreiben über das gesehen, was ich im Ausschuß gesagt habe. Meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, daß die Bundesregierung unter solchen Arbeitsbedingungen in der Lage sei, Staatsgeheimnisse vor 70 Leuten zu behandeln, dann muß ich Ihnen erklären, daß ich eine andere Auffassung von Staatssicherheit habe.
({16})
- Jedes Wort, was ich hier gesagt habe, steht protokollarisch fest und läßt sich beweisen.
({17})
Ich komme zum Schluß.
({18})
- Ich bin nicht bereit, mich in diesem Augenblick unterbrechen zu lassen.
({19})
Meine Damen und Herren, ich stelle ausdrücklich fest, daß es zu unserer Gepflogenheit gehört, Zwischenrufe zu machen und Fragen zu stellen. Es steht selbstverständlich jedem Redner frei, zu erklären, daß er diese Fragen in diesem Augenblick nicht zu beantworten wünscht. Ich bitte eine Frage zu stellen, Herr Kollege Menzel. Welche Antwort der Herr Minister zu geben hat, ist seine Sache.
Ich frage den Herrn Bundesminister des Innern: Welches Mitglied des Ausschusses zum Schutze der Verfassung hat in irgendeiner Sitzung, nach irgendeiner Sitzung oder heute die Vertraulichkeit gebrochen?
Die Frage ist sehr einfach beantwortet: Das Protokoll wird ergeben, daß ich nicht von anderen Mitgliedern des Ausschusses gesprochen habe, sondern ich habe gesagt: „aus dem Ausschuß". Sie wissen
({0})
-- bitte, hören Sie doch zu! - Sie wissen ja, daß in dem Ausschuß teilweise Personen sind, - ({1})
Meine Damen und Herren, es scheint mir kein Anlaß zu bestehen, daß Sie, nachdem der Herr Bundesminister die Frage angehört hat, die Antwort nicht ruhig anhören.
({0})
Meine Damen und Herren, ich wiederhole noch einmal Aus diesem Ausschuß sind mit Sicherheit Indiskreditionen begangen worden, die durch die von mir geschilderten Fakten belegt sind. Ich bin nicht als Detektiv engagiert, um das im einzelnen festzustellen.
({0})
Ich wiederhole weiter - ich komme auf den zweiten
Teil der Frage des Herrn Kollegen Menzel -: Ich
habe gesagt, daß nach meiner Auffassung auch in
dieser Sitzung die Vertraulichkeit durchbrochen ist.
Dabei bleibe ich. Das Protokoll wird ergeben, - ({1})
- Hören Sie doch bitte zu! ({2})
In dieser Debatte haben vor mir nur zwei Herren gesprochen. Ich sage klar, was ich meine. Ich bin der Meinung, daß die Schilderung, die Herr Kollege Menzel über die Arbeitsweise des Ausschusses gegeben hat, bereits eine Durchbrechung der Vertraulichkeit bedeutet.
({3})
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern. Ich bitte freundlichst, ihn nicht weiter zu stören.
Meine Damen und Herren! Ich sagte schon, es gibt eine Reihe von Gesichtspunkten, auf die ich im Laufe der Debatte noch kommen werde. Vielleicht ist Herr Kollege Menzel so freundlich, mir dafür das Stenogramm seiner Ausführungen zur Verfügung zu stellen.
({0})
Ich darf jetzt mit zwei Bemerkungen abschließen:
Als ich diesen Fall und seine Behandlung studierte, konnte es nicht ausbleiben, daß man sich auch eingehend mit dem beschäftigen mußte, was in anderen großen Staaten an ähnlichen Vorgängen zu verzeichnen war. Ich möchte allen denjenigen, die auf klassische demokratische Vorbilder verweisen, die Protokolle des britischen Unterhauses empfehlen, die im Zusammenhang mit der Behandlung der Fälle MacLean und Burgess entstanden sind.
({1})
Im Fall MacLean handelte es sich um einen Abteilungsleiter des Foreign Office in London, und zwar den Leiter der wichtigsten, nämlich der Amerika-Abteilung. Der damalige Außenminister, es war der der Labour Party angehörende Außenminister Morrison,
({2})
hat zu dieser Sache im Unterhaus Stellung genommen. Ich würde wirklich jedem, der bemüht ist, demokratische Vergleiche zu ziehen, das Verhalten in doppelter Beziehung zur Lektüre empfehlen, erstens in der Frage der Behandlung von Sicherheitsfragen in der Öffentlichkeit und zweitens in der Frage parlamentarischer Verantwortlichkeit.
({3})
Eine große deutsche Zeitung hat heute, wenn ich nicht irre, einen Leitartikel über den Gegenstand, über den wir jetzt gesprochen haben, veröffentlicht. Dieser Artikel trägt, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, die Überschrift „Ein nationales Unglück". Meine Damen und Herren, diese Sache ist nicht das persönliche Unglück des Bundesministers des Innern, sie ist nicht das persönliche Unglück der Bundesregierung und nicht das persönliche Unglück der Regierungskoalition, sondern sie ist das Unglück von uns allen, nämlich ein nationales Unglück. Ich werde die Sache in keinem Stadium des Verfahrens anders ansehen als ein gemeinsam zu tragendes, als ein gemeinsam zu bewältigendes nationales Unglück.
({4})
Meine Damen und Herren! Sie haben die Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD gehört. Ich eröffne die gemeinsame Aussprache über die Große Anfrage - ich habe mich bereits vorhin dessen vergewissert, daß die Aussprache gewünscht wird - und die beiden von der Fraktion der SPD gestellten Anträge Drucksachen 768 und 769. In dieser Aussprache hat zunächst das Wort Herr Abgeordneter Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion, die die Anträge
({0})
der sozialdemokratischen Fraktion hier zu begründen hatten, haben mit Recht im Zusammenhang mit dem Fall John von einer Vertrauenskrise gesprochen. Herr Kollege Mellies hat gesagt, man müsse nach den Gründen für diese Vertrauenskrise fragen, und ich habe aufgehorcht, als er sagte, dann müsse das Parlament zuerst bei sich anfangen. Ich habe deshalb aufgehorcht, weil ich hoffte, daß nun nicht wieder das alte Spiel beginnen würde, daß man, wenn man nach einer Gewissenserforschung des Parlaments ruft, doch nichts anderes tut, als die alten, uns wohlbekannten Vorwürfe der Minderheit gegen die Mehrheit vorzubringen.
({1})
Ja, der Fall John hat eine Vertrauenskrise in diesem Volke hervorgerufen. Aber ich glaube nicht, daß es jene ist, von der Herr Mellies, und auch nicht jene, von der Herr Menzel gesprochen hat. Es soll eine Krise des Vertrauens in die parlamentarische Demokratie hervorgerufen worden sein; es soll sich erneut die Labilität unseres parlamentarisch-demokratischen Systems erwiesen haben. Nun, meine Damen und Herren, erinnern wir uns einmal in aller Ruhe, was sich zugetragen hat und was für eine Krise daraufhin ausgebrochen ist.
Das deutsche Volk wurde eines Tages durch die Mitteilung überrascht, daß der Präsident des Bundesverfassungsschutzamtes verschwunden sei. Die Meldungen darauf ließen die Möglichkeit erkennen, daß er freiwillig in die Ostzone gegangen sei, daß er zu den Bolschewiken übergelaufen sei. Selbstverständlich wirkte es auf unser Volk wie ein Schock, daß es sich ereignen konnte, daß der Inhaber eines so hohen Amtes diese Fahnenflucht vollzog.
Dann kamen Schlag auf Schlag neue Nachrichten. Viele Menschen in diesem Volke hatten überhaupt nicht gewußt, daß es so etwas wie den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz gibt. Viele hatten nicht gewußt, daß es einen Herrn John gibt. Es sind nicht alles Parlamentarier und sind nicht alles Leute, die irgendwann einmal durch ein Eingreifen des Bundesamtes betroffen worden waren. Nun erfuhren sie, daß dieser Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein ehemaliger Emigrant war. Sie erfuhren dazu, daß er nicht nur ein Emigrant war, sondern daß er - ob das nun stimmte oder nicht, die Meldung wurde verbreitet - während des Krieges im englischen Dienst, ja sogar im englischen Geheimdienst beschäftigt gewesen sei. Sie erfuhren weiter, daß derselbe Herr John in den Jahren nach 1945 hier in Deutschland eine höchst eigentümliche Rolle gespielt habe, daß er nämlich in gewissen Prozessen in Nürnberg und in Hamburg, im Krupp-Prozeß und im Manstein-Prozeß, als Zeuge der alliierten Anklagebehörde gegen die deutschen Angeklagten aufgetreten sei. Es kam hinzu, daß man hörte, dieser Herr sei überdies ein Trunkenbold und ein Homosexueller und im ganzen eine ungemein zweifelhafte und problematische Persönlichkeit.
Meine Damen und Herren! Welcher Art war der Schock, den unser Volk bei diesen Nachrichten empfing? Sehr einfach. Der Schock war der, daß man sich fragte: Wie war es überhaupt möglich, daß eine solche Persönlichkeit in die Leitung eines so hohen Amtes gelangte? Daß man diese Frage stellte, ist mehr als selbstverständlich.
Nun, wir haben allen Grund - wir alle zusammen -, in diesem Zusammenhang eine Gewissenserforschung zu machen. Aber Sie, meine Herren von der sozialdemokratischen Partei, haben Sie es weniger als wir? Die Ausführungen, die Sie heute hier gehört haben, haben Ihnen in die Erinnerung gerufen, daß gerade jener Untersuchungsausschuß, an dem Sie maßgeblich beteiligt waren, es war, der dem Mann des Auswärtigen Amtes, der die Einstellung des Herrn John dort abgelehnt hatte, heftige Vorwürfe deswegen machte und ihm die Bescheinigung erteilte, daß er ein sehr mediokrer Geist sei.
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- Nun ja, Herr Erler, aber in diesem Zusammenhang -
({3})
- Lieber Herr Erler, Sie können nicht aus weiß schwarz machen.
({4})
Dem betreffenden Mann wurde die Verweigerung der Einstellung Herrn Johns ausdrücklich zum Vorwurf gemacht.
({5})
- Ich gebe zu, daß auch Leute von uns dabei waren: ich mache Ihnen keinen einseitigen Vorwurf.
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- Nein, darauf lief es bei Ihnen hinaus.
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- Herr Schoettle, lassen Sie mich einmal in aller Ruhe ausreden! Ich versichere Ihnen, daß mir diese Stunde viel zu ernst ist, als daß ich nun den Stiel umkehren und auf ähnliche Weise argumentieren möchte, wie es vorhin in der Begründung der Anträge zum Teil geschehen ist.
({8})
Ich richte an Sie eine Gewissensfrage, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie - Sie haben gehört, daß der Innenminister mit Recht der Überzeugung war, daß Herr John für sein Amt aus vielen Gründen nicht taugte -: Was wäre wohl passiert, wenn der Innenminister bald nach Amtsantritt die Entlassung von Herrn John verfügt hätte?
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Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Aber in Unkenntnis der wirklichen Persönlichkeit des Herrn John hätten sich doch viele auch in Ihren Reihen einfach an die Tatsache geklammert, daß hier ein Mann des Widerstandes und der Emigration entfernt worden sei, und daraus wären ganz sicher schwere Angriffe gegen den Bundesinnenminister erfolgt.
({10})
({11})
- Herr Mellies, Ihr Wort in Gottes Ohr! Das zeigt eben die außerordentliche Schwierigkeit, in der wir stehen.
Meine Damen und Herren, die Vertrauenskrise nach dem Fall John sah anders aus, als Herr Mellies und Herr Menzel sie dargestellt haben.
({12})
Diese Vertrauenskrise geht viel, viel tiefer, als diese beiden Herren angedeutet haben. Sie konnten in Gesprächen in diesem Lande nach dem Fall John vernehmen, daß jeder, der zu dem Fall Stellung nahm, den Akzent seiner Sorge und seines Vorwurfs anders setzte. Da gab es natürlich Leute, die sagten: Wie kann man überhaupt einen Mann des 20. Juli auf einen solchen Posten stellen! Ich brauche nicht zu versichern, wie sehr ich diesen Menschen unrecht gebe. Ich neige mich in Respekt vor den Männern des 20. Juli, ob sie nun ihr Leben lassen mußten oder ob sie heute noch unter uns sind. Da gab es wieder andere, die sagten: Ja, aber es ist ein Unterschied, ob es ein Mann des 20. Juli ist, der hier seinem Schicksal mutig ins Auge sah, oder ob es ein Mann ist, der draußen in der Emigration gearbeitet hat. Auch hier erkläre ich ganz klar, daß ich mich weigere, mich einer solchen Argumentation anzuschließen. Ich habe mich in diesen leidvollen vergangenen Jahren daran gewöhnt, den Mann zu sehen und seine Situation zu verstehen, aus der heraus er gehandelt hat, ob er nun hinausgegangen oder ob er zu Hause geblieben ist. Aber so sicher es großartige Persönlichkeiten gegeben hat, die in die Emigration gegangen sind - der Herr Bundeskanzler hat es ja in seiner Rundfunkerklärung mit so schönen Worten gesagt -, so sicher hat es auch fragwürdige Persönlichkeiten gegeben.
({13})
Wir wissen nicht, ob Herr John schon damals eine solche fragwürdige Persönlichkeit war. Noch heute liegt darüber der Schleier der Ungewißheit. Weiter gab es Menschen, die sagten: Wenn das alles nicht zählt, dann hätte man doch nie und nimmer einen Mann nehmen dürfen, der noch nach der Katastrophe den recht zweifelhaften Mut hatte, sich in Verfahren gegen Deutsche der alliierten Anklage zur Verfügung zu stellen. Ich will zu diesem Verhalten des Herrn John keine persönliche Stellung beziehen. Aber es kann kein Zweifel darüber sein, daß hier eine ganz echte und zu einem guten Teil auch sehr berechtigte Sorge in unserem Volke aufsteigt.
({14})
Was die übrigen Qualitäten des Herrn John anlangt, von denen man dann hörte, - nun ja. Aber das Allerschlimmste: Herr John, der behauptete, er sei hinübergegangen, weil er hier in diesem Lande ein Wiederauferstehen des Nationalsozialismus fürchte, hat diese Erklärung ohne jeden Zweifel wider besseres Wissen abgegeben;
({15})
denn gerade in seinem Amte hat er feststellen müssen, wo die wirkliche Gefahr unserer Zeit liegt.
Ich will nicht verschweigen, daß auch meine Freunde und mich mitunter Sorge erfüllt über die Unverbesserlichen, die nichts vergessen und nichts hinzugelernt haben. Wir kennen sie. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch Millionen in diesem Lande, die in der tragischen Situation der
Hitlerzeit eben nicht jene heroische Haltung der Widerstandskämpfer oder nicht jenen Entschluß zur Emigration finden konnten oder finden wollten und die trotzdem nach der Katastrophe echte und überzeugte Bürger dieses demokratischen Staatswesens geworden sind und sich in ehrlicher Bemühung mit ihm auseinandersetzen.
({16})
Diese Frauen und Männer fühlen sich natürlich immer wieder angesprochen, wenn solche Dinge passieren. Tatsache ist eben, daß in diesem Volke noch manches ungelöst ist, noch manche Spannungen da sind, die gelöst werden müssen, daß Wunden noch nicht vernarbt sind, die vernarben müssen.
Herr Menzel hat gesagt, wir müßten - das sei die Aufgabe des Parlaments -, wenn sich Gefahren für diesen Staat zeigten, den Finger auf die Wunde legen. Ja, wir müssen es in der Tat. Aber eine wichtige Aufgabe dieses Parlaments ist es auch, diese Wunden mit heilen zu helfen
({17})
und nicht bei jedem Anlaß die kaum vernarbten Wunden wieder aufzureißen.
({18})
Wir haben in den letzten Jahren viel über die europäische Integration gesprochen, und sie ist wahrhaftig nötig, wenn wir mit dem Leben davonkommen wollen. Aber es gibt auch eine innerdeutsche Integration. Wir dienen Europa nicht und wir dienen diesem Volke nicht, wenn wir nicht alles daransetzen, diesen Integrationsprozeß voranzutreiben und aus diesem immer noch gespaltenen und blutenden, unsicheren und verwirrten Volk endlich wieder ein gesundes Volk zu machen, das zu sich selbst und zu seinem zukünftigen Schicksal Zutrauen hat.
({19})
- Ich habe nichts dagegen, verehrter Herr Kollege Schmid, gar nichts. Wogegen ich mich wehre, ist doch lediglich dies: wir sollten in diesem Augenblick nicht klein genug sein, aus dieser Vertrauenskrise vielleicht ein bißchen parteipolitisches Kapital zu schlagen, sondern an das Ganze und seine Bedrohung denken.
({20}) Nun, das war der Vorgang.
Im Zusammenhang damit sind dem Bundesinnenminister eine Reihe von Vorwürfen gemacht worden. und im Zusammenhang damit ist auch dieser Mißbilligungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion eingebracht worden. Meine Damen und Herren, weder ich noch viele meiner politischen Freunde haben alles, was der Bundesminister des Innern im Fall John getan, gesagt, erklärt hat, gutgeheißen oder immer geschickt gefunden. Wir alle sind Menschen, und jeder von uns kann Fehler machen. Ich muß sagen, ich bin froh, daß ich nicht in der Haut des Bundesinnenministers stak, als diese schwere Krise unseres Volkes ausbrach.
({21})
Aber eines wollen wir in diesem Augenblick doch
anerkennen: wir wollen anerkennen, daß es tatsächlich dieser Bundesminister des Innern war, der,
({22})
ohne etwas ahnen zu können von der fragwürdigen Persönlichkeit dieses Herrn John, aus ganz objektiven Gründen erkannt hatte, daß er nicht zu halten sei, und der entschlossen war, ihn von seinem Amte zu entfernen. Das, glaube ich, ist sehr viel wichtiger als vieles andere. Wenn dieselbe große Zeitung, die der Herr Bundesinnenminister heute schon angeführt hat, zugesteht: „Gerade die Erkenntnis des Bundesinnenministers, wie ungeeignet John für sein Amt war, war eine der Ursachen, die John zu seiner Fahnenflucht veranlaßten", dann, glaube ich, spricht das zugunsten des Bundesinnenministers.
({23})
Er hat uns erklärt, es sei ein Unterschied zwischen dem, was man in einem solchen Augenblick erkläre oder nicht erkläre, und dem, was man an notwendigen Maßnahmen ergreife. Ich glaube, auch darin muß man ihm recht geben. Es kann niemand behaupten, der Bundesminister des Innern habe das Geringste unterlassen, das notwendig war, um den Fall aufzuklären und die daraus drohenden Gefahren zu beseitigen. Was er vielleicht von vornherein nicht ganz erkannt hat, war die Natur der Beunruhigung, die in unserem Volk in diesem Zusammenhang entstand. Das mag gesagt sein. Aber das kann uns keinen Grund geben, dem Bundesminister des Innern in diesem Zusammenhang eine Mißbilligung auszusprechen.
({24})
Sie ({25}) haben die Gelegenheit benutzt, um wieder einmal zu beklagen, daß unsere parlamentarische Demokratie im Volke nicht genug verwurzelt sei. Ja, sie ist es in der Tat nicht oder jedenfalls nicht genug. Immerhin: seit Jahr und Tag wählen die Massen unseres Volkes staatstragende und unbezweifelbar demokratische politische Parteien. Und jene Gespenster von rechts und links, die uns einmal in diesem Saal Unruhe und Unordnung machten, sind verschwunden und zerstoben.
({26})
Darüber hinaus: ist es wirklich das Verhalten der Regierung, das an einer solchen Krise der Demokratie schuld wäre? Was am 6. September des letzten Jahres geschah, war alles andere. als eine Krise unseres parlamentarisch-demokratischen Staatswesens, sondern es war - einschließlich der Wähler der Sozialdemokratischen Partei - ein Bekenntnis, ein überwältigendes Bekenntnis dieses Volkes zu diesem Staat und zu dieser Demokratie.
({27})
Muß man es denn immer wieder aussprechen, wie sehr es gerade die persönliche integrierende Wirkung des Bundeskanzlers war - alle Welt weiß es doch, und deswegen darf ich es auch sagen, ohne daß es als eine Schmeichelei aufgefaßt werden könnte -, wie sehr es die persönliche integrierende Wirkung dieses Mannes war, die unser Volk wieder zu einem echten Staatsbewußtsein gebracht hat?
({28})
Vielleicht wäre es, wenn das Schicksal anders entschieden und Ihren Dr. Kurt Schumacher an die Spitze des neuen Staates gestellt hätte, ähnlich gewesen. Ich weiß es nicht; das Schicksal hat anders
entschieden. Aber wir müssen doch solche Tatsachen anerkennen und solche Verdienste - Verdienste, die eine spätere Geschichtsschreibung erst einmal richtig herausstellen wird - unterstreichen.
Es ist etwas ganz anderes, was diese Labilität unserer Demokratie befördern könnte. Es ist das, was in den letzten Jahren in Deutschland so vielen Menschen Kummer gemacht hat: daß man den Eindruck hatte, daß es nicht gelingen will, ein politisches Klima zu schaffen, in dem sich als deutscher Staatsbürger wohl wohnen läßt. Und dieses Parlament hat oft genug Gelegenheit gegeben, dem deutschen Staatsbürger in diesem Zusammenhang Unbehagen zu schaffen.
({29})
Ich weise namens meiner Freunde den Vorwurf zurück, der Bundeskanzler habe das Parlament mißachtet. Das war wirklich keine gute Formulierung.
({30})
Wir alle wissen, daß der Bundeskanzler eine Neigung zu einem starken persönlichen Regiment hat.
({31})
Auch uns in der Christlich-Demokratischen Union ist das nicht unbekannt geblieben.
({32})
Aber in diesen Jahren seit 1949 ist mir am deutschen Ruder eine Persönlichkeit mit dieser Neigung und diesem Willen tausendmal lieber als jene
schwachen Reichskanzler seit 1919, die niemals ({33})
- Meine Damen und Herren, wenn zu viele auf einmal bei Ihnen sprechen, kann ich Sie nicht verstehen und Ihnen auch keine Antwort geben.
({34})
- Meine Damen und Herren, ich habe vollen Respekt für die Anstrengungen der Reichskanzler nach 1919.
({35})
Ich kannte einige von ihnen. Aber das ändert nichts daran, daß sie eben nicht die Kraft aufbrachten, jenen Integrationsprozeß zu vollenden, der notwendig gewesen wäre, um die nationalsozialistische Flut abzuwehren.
({36})
- Meine Damen und Herren, Sie reden zuviel auf einmal; ich kann Sie nicht verstehen.
({37})
Meine Damen und Herren, Sie haben auch Ihre Erinnerungen. Ich bin überzeugt, wenn Ihr verehrter Dr. Kurt Schumacher Bundeskanzler geworden wäre, hätten Sie auch manchmal gesagt, er führe ein etwas zu hartes persönliches Regiment.
({38})
({39})
Ich bin auch überzeugt, daß manche von Ihnen in ihrem geheimsten Herzenskämmerlein ganz zufrieden sind, daß wir nicht einen schwachen Bundeskanzler haben.
({40})
Nun zu uns, zum Parlament! Ich bekenne, ich begrüße als einen der glücklichsten Einfälle des Parlamentarischen Rats die verfassungsjuristische Festigung der Position des Bundeskanzlers. Kommt dann noch ein Mann hinzu, der willens ist, diese Position auch auszunutzen, so haben wir das, was wir wollen, was wir auf beiden Seiten wollten, als wir noch nicht wußten, wer Bundeskanzler sein würde.
({41})
Aber das gebe ich zu: das Parlament muß gerade in einem solchen Fall auf seiner Kompetenz und seiner Würde nachdrücklich bestehen.
({42})
Aber, meine Damen und Herren, Kompetenz und Würde eines Parlaments bestehen doch nicht in Lärmszenen in diesem Hause, in Randalieren oder in Anklagen, wie sie in einer verhängnisvollen Nacht in diesem Hause gegen den Chef dieser Regierung geschleudert worden sind.
({43})
Die Verfassung gibt uns alles in die Hand, was wir brauchen, um gegenüber einer starken Regierung eine starke Legislative darzustellen. Haben wir den Mut, davon Gebrauch zu machen!
({44})
Die Tatsache, daß wir in den letzten Jahren mit dem Herrn Bundeskanzler so weitgehend einig waren, beruht ja nicht darauf, daß wir wie sanft blökende Lämmlein hinter seinem Hirtenruf einhertrabten, sondern darauf, daß wir erkannten, daß er recht hat, und weil wir wollten, daß sich das, was recht und richtig ist, auch durchsetzt.
({45})
Ich weiß nicht, ob sich nicht einmal in diesem Parlament eine Situation ergeben wird, wo wir mit ihm verschiedener Meinung sein werden. Wenn es so sein sollte, dann versichere ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, werden wir dies klar und deutlich hier aussprechen.
({46})
Nun, meine Damen und Herren, ziehen wir doch die Lehren aus den Vorgängen, versuchen wir doch, diese Unruhe in unserm Volk, diesen bei vielen geringen Glauben in dieses demokratische Staatswesen zu erkennen und das Nötige zu tun; und das Nötige heißt in diesem Falle ganz einfach: zusammenrücken!
({47})
In unserm Volk und in diesem Parlament wird sehr viel von Gefahren von rechts und links geredet. Diese Gefahren sind da. Aber - darf ich es einmal hier aussprechen - wenn ich in diesem lieben deutschen Vaterlande landauf, landab reise und so viele Menschen höre, oft in der Bahn, an Stammtischen, aber auch ganz zynisch und offen ins Gesicht hinein gesagt, dann finde ich, daß es eine Gefahr in diesem Lande gibt, die vielleicht die größte ist, daß es eine Gruppe gibt, die vielleicht die gefährlichste ist: das ist die Gruppe der Gesinnungslosen, die nie in ihrem Leben zu einer Gesinnung kommen konnten, die immer obenauf schwimmen und letzten Endes kein anderes Interesse haben als zu leben und zu verdienen und den Staat Staat sein zu lassen.
({48})
- Nein, deuten Sie nicht, verehrte Frau Kollegin, deuten Sie nicht! Diese Gesinnungslosen sitzen in allen Lagern
({49})
und geben ihre Stimme allen Parteien nur so gerade, wie es ihnen ins Konzept paßt. Passen wir alle gemeinsam auf sie auf; denn sie sind unser aller gemeinsamer Feind.
({50})
Und das bedeutet sehr viel in einer Zeit, in der eine fanatisierte Masse von Millionen - denn alle diese jungen Menschen in dem 800-Millionen-Verband, der an unserer Grenze steht, sind ja eine solche fanatisierte Masse - drüben steht. Wem von uns ist nicht schon einmal die Gänsehaut den Rücken hinuntergelaufen, wenn er an diesen Gegensatz der Fanatiker dort drüben und der Spießer aller Lager hier in diesem Volke dachte?
({51})
Das ist doch die wirkliche Gefahr; das ist doch die wirkliche Krise!
Ich sehe in Ihren Reihen ({52}) so manchen, mit dem ich unter vier Augen Sorgen ausgetauscht habe. Wir waren uns so herrlich einig; wir wußten, daß wir zusammenstehen müßten. Nun, tragen wir doch etwas von dem auch in die öffentlichen Sitzungen dieses Parlaments hinein!
({53})
Lassen wir doch nicht immer den Schematismus
abrollen, den dieses Volk seit Jahren gewohnt ist!
({54})
Zeigen wir, daß wir gemeinsame höchste Güter haben, ja daß das Gemeinsame, das wir haben, viel, viel größer ist als das, was uns trennt, und bringen wir das auch in einem Ton menschlicher Herzlichkeit zum Ausdruck, der diesem Parlament ja wahrhaftig nur zu gut täte!
({55})
- Ich sage es, Herr Mellies, zu allen Bänken, zu diesen ({56}), zu diesen ({57}) und zu dieser ({58}), damit Sie zufriedengestellt sind.
Was soll nun geschehen? Meine Damen und Herren, es ist einiges in dieser Diskussion bös durcheinandergemischt worden. Bevor der Fall John kam, hatten wir hier eine Debatte über das Bundesamt für Verfassungsschutz, bei der es hauptsächlich darum ging, daß dieses Bundesamt seine Befugnisse übertreiben könnte, in einer rechts({59})
staatlich nicht zu billigenden Weise ausnutzen könnte. Insbesondere ging es um die Frage, wo in der Erforschungs- und Auswertungstätigkeit dieses Amtes die Grenze zu ziehen ist. Ich muß schon sagen, ich habe nicht verstehen können, Herr Kollege Menzel, wie Sie die Fälle John und Schmidt-Wittmack mit diesem ersten Problem verkoppeln konnten; denn Sie konnten doch höchstens sagen: Der Fall John ist deswegen bedauerlich, weil es dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder den sonstigen Aufklärungsinstitutionen nicht früher gelungen ist, die zweifelhafte Persönlichkeit des Herrn John aufzudecken. Sie konnten ebensogut nur sagen: Es ist bedauerlich, daß es dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht gelungen ist, die Tätigkeit des Herrn Schmidt-Wittmack früher aufzudecken.
({60})
Das aber hätte doch in der Logik die Folge gehabt, daß Sie fordern mußten, daß man dem Bundesamt für Verfassungsschutz erheblich mehr Kompetenzen, vielleicht sogar Exekutivkompetenzen zusprechen mußte. Es hat aber gewiß nichts damit zu tun, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Kompetenzen in anderer Richtung, etwa in der Beobachtung von einwandfreien demokratischen politischen Persönlichkeiten der Bundesrepublik überdehnte. Wir wollen doch die Komplexe fein säuberlich getrennt lassen. Ich kann zu diesem Komplex nur dasselbe wiederholen, was ich jüngst sagte. Herr Menzel, ich meinte damals, Sie hätten zu schwarz gemalt. Habe ich mich getäuscht? Haben nicht die Ereignisse gerade jetzt gezeigt, daß die Gefahr ganz woanders lag, daß offenbare Feinde dieses Staates und dieser Demokratie nicht entdeckt worden sind, daß man also statt des Guten zuviel des Guten zuwenig getan hat?
({61})
- Verehrter Herr Mellies, ob der Herr John staatstreu oder nicht staatstreu war, konnte vor seinem Überlaufen in die Region des Bolschewismus niemand sagen. Wir alle wußten nicht genug.
({62})
- Nun, Herr Schoettle, Spitzenkandidat war er nicht.
({63})
- Wir wissen genau, was Herr Schmidt-Wittmack war. Er war gewiß keine Null. Nebenbei: Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß dieses Wort so nicht gefallen ist.
({64})
Aber da nun einmal das Wort Null in der Luft stand, war es selbstverständlich ein willkommener Anlaß für alle Feinde dieses Parlaments, zu fragen: Aha, in diesem Parlament sitzen also Nullen, oder gar lauter Nullen?
({65})
Daß es eine unglückliche Bemerkung in jedem Fall
war, ist klar. Aber der sie gemacht hat - das muß
ich wirklich zu seiner Verteidigung sagen - hat sie in völlig anderem Zusammenhang und in völlig anderer Bedeutung gemacht.
({66})
Meine Damen und Herren, viel besser ist es, dieses Parlament beweist durch seine ganze Existenz und durch sein ganzes Tun dem Volke, daß in ihm vertrauenswürdige und hochqualifizierte Vertreter des Volkes sitzen.
({67})
Das gehört wieder zu jenem Integrationsprozeß, von dem ich sprach und an dem auch dieses Parlament mitzuwirken hat.
Sie sagten: Niemand konnte wissen, daß ein Mann wie Schmidt-Wittmack ein Agent der Bolschewisten sei. Verehrter Herr Schoettle! Niemand kann wissen, wieviele Agenten jener gefährlichen Macht in diesem verwirrten und verstörten Volke, von dem ich sprach, heute noch an irgendwelchen Stellen sitzen.
({68})
Lassen Sie mich ein paar ernste Sätze dazu sagen. Hier in Deutschland - wir alle freuen uns darüber - ist im Gegensatz zu einem Teil unserer westlichen Nachbarn die Kommunistische Partei weder im Parlament mehr vertreten noch verfügt sie über starke und gefährliche Hilfstruppen wie in anderen Ländern. Das ist eine für die Geschichte Europas vielleicht entscheidende Tatsache. Aber weil der Bolschewismus erkannt hat, daß er mit diesen Mitteln in diesem Lande nicht kämpfen kann, hat er an anderen Stellen, an anderen Punkten angesetzt, und es ist vielleicht bisher unser aller Schuld gewesen, daß wir, weil in den letzten Jahren keine größeren Katastrophen passiert sind, uns in ein Gefühl der Sicherheit gewiegt haben, daß wir den Kampfeswillen und die Kampfmethoden dieses Gegners unterschätzt haben und daß wir daher alle die nötige Wachsamkeit vergessen haben. Holen wir es überall nach und passen wir nicht nur gegenseitig aufeinander auf, sondern versuchen wir, jeder bei sich, alles in Ordnung zu bringen!
({69})
Alles, was ich bis jetzt gesagt habe, meine Damen und Herren, zeigt uns, was zu tun ist, und wenn in diesem Lande und in diesem Parlament nur guter Wille vorhanden ist, müssen wir es tun. Wir müssen diese Stunde dazu benutzen, es zu tun. Millionen in diesem Volke warten darauf, daß endlich eine Sitzung dieses Parlaments stattfindet, in der der gemeinsame Wille des Parlaments zur Verteidigung der gemeinsamen Güter deutlich wird.
({70})
Es ist mir bitter, bitter aufgefallen, wie vorhin bei den Worten des Bundesinnenministers über die Einigkeit der Deutschen, auf die wir alle hoffen, ein zynisches Hahaha aus den Reihen da hinten ertönte. Wenn wir einander nicht mehr zutrauen
({71})
- ich traue es Ihnen zu -, daß wir dazu fähig sind, trotz aller leidigen Gegensätze, die uns trennen, - wohin mit diesem Staat?
Nun, was soll im einzelnen geschehen? Ich komme zurück auf die Frage des rechtsstaatlichen Schutzes. Herr Menzel hat eine Reihe von Ausführungen gemacht, zu denen ich in vielem ja sagen
({72})
1 kann. Ich will jetzt kein Programm des rechtsstaatlichen Schutzes entwickeln. Auch wir sind der Überzeugung, daß es gelingen muß, eine klare Grenze für die Erforschungs- und Auswertungstätigkeit des Verfassungsschutzes zu finden. Auch wir sind der Überzeugung, daß der Verfassungsschutz nicht dazu dienen kann, einwandfreie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu beobachten oder gar in einseitiger parteipolitischer Richtung Erforschungen anzustellen. Darüber darf es unter uns gar keine geteilte Meinung geben. Die Frage ist nun, wie man diesen Entschluß juristisch festigen kann. Ich sagte schon letztes Mal: wir haben in unserer Rechtsordnung ein ausgebautes rechtsstaatliches System, das vor allem durch die Gewährung von Rechtsmitteln hilft, gegen etwaige Fehler und Mißgriffe des Staates einzugreifen. Ich bedauere, es ist mir - und wohl auch Ihnen - bis jetzt ein solches Mittel gegenüber der Erforschungstätigkeit und auch der Auswertungstätigkeit des Verfassungsschutzes nicht eingefallen.
({73})
- So ist es. Es wird also darauf ankommen, daß man in diese Ämter nur Persönlichkeiten beruft, die von einwandfreier, unzweifelhafter und erprobter rechtsstaatlicher Gesinnung sind. Herr Kollege Menzel, Sie können sich darauf verlassen, daß meine politischen Freunde alles tun werden, um diese Garantie nach menschlichen Kräften für die Zukunft zu geben, und zwar gern im Zusammenwirken mit Ihnen.
Ich bedauere, daß es vorhin bei den Äußerungen des Bundesministers des Innern zu wenig schönen Szenen gekommen ist, als er über den Ausschuß zum Schutze der Verfassung sprach. Sie wissen, daß ich mich selbst um diesen Ausschuß gekümmert habe, daß ich von meiner Fraktion als stellvertretender Vorsitzender benannt wurde. Es war damals eine Zeit, zu der uns die Dinge noch nicht so auf den Nägeln brannten wie jetzt - oder nicht so zu brennen schienen. Ich fürchtete aber damals schon, daß der Ausschuß in seiner parlamentarischen Position nicht genug Kompetenz hätte. Ich stehe nicht von vornherein einer Erweiterung der Kompetenzen des Ausschusses zum Schutze der Verfassung ablehnend gegenüber. Ich glaube, auch der Bundesminister des Innern tut es nach den Unterhaltungen, die ich mit ihm gehabt habe, nicht. Das einzige, was ich zu bedenken gehe, ist natürlich, daß auf der andern Seite die Grenze da zu ziehen ist, wo es unbedingt notwendig ist, Staatsgeheimnisse zu sichern. Daß im Ausschuß unliebsame Dinge vorgekommen sind, läßt sich nun einmal nicht leugnen.
({74})
- Ja, ja! Ich behaupte ja nicht, daß ein -
Herr Abgeordneter Kiesinger, Herr Schoettle möchte eine Frage stellen.
Herr Kollege Kiesinger, eine Frage! Was immer in dem Ausschuß passiert ist. - halten Sie es für gut. daß der Herr Minister hier in seiner Erwiderung Bemerkungen gemacht ha+, die so vage und zweideutig gewesen sind, daß man daraus immerhin eine Verdächtigung der Mitglieder des Ausschusses entnehmen konnte?
({0})
Ich darf Ihnen gleich die Antwort geben, Herr Kollege Schoettle.
({0})
Als ich die Auseinandersetzung hörte, versuchte ich, einen Zwischenruf zu machen, weil ich den Eindruck hatte, daß der Bundesminister des Innern aus dem vielstimmigen Chor, der ihm entgegen-klang, leider Gottes eben die Sorge nicht verstand, auf die es Ihnen ankam, daß Sie sagen wollten: Es war ja kein Ausschußmitglied, das diese Indiskretion begangen hat. Nun mache ich Sie aber darauf aufmerksam, daß der Minister eingangs seiner Erörterungen ausdrücklich betont hat, daß es sich um eine Ausschußsitzung gehandelt habe, bei der die Mitgliederzahl durch Anwesenheit zahlreicher anderer Personen bis auf etwa 70 erhöht worden sei.
({1})
Ich kann Ihnen versichern, daß mir der Minister im Privatgespräch gesagt hat, gerade diese Tatsache der nach seiner Meinung - und ich glaube, er hat recht - völlig unnötigen Überlastung des Ausschusses durch Nichtmitglieder des Parlaments sei eine große Gefährdung.
({2})
Das war mein Eindruck. Ich bedauere, Herr Schoettle, wenn in Ihren Reihen die Äußerungen des Ministers so verstanden worden sind, als hätte er - das hat er ganz bestimmt nicht gewollt -eine persönliche Bezichtigung der Mitglieder des Ausschusses aussprechen wollen.
Er hat aber den Eindruck nach außen erweckt. Ich wäre sehr glücklich, wenn der Eindruck verwischt würde. Aber eines darf ich noch fragen, Herr Kollege Kiesinger: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß dann das Problem nicht ist, wie man dem Ausschuß Informationen vorenthalten kann, sondern wie man einen vertraulichen Ausschuß wirklich vertraulich macht, damit er seine Funktion als Instrument des Parlaments erfüllen kann?
({0})
Herr Kollege Schoettle, ich stimme Ihnen vollkommen zu. Das einzige Problem ist, ob und wie es möglich ist - ich hoffe, daß es geht -, einen Ausschuß, der sich mit so prekären Materien zu befassen hat, wirklich vollkommen dicht zu halten.
({0})
- Herr Menzel, ich habe ja nichts dagegen.
Ob wir weitere Maßnahmen ergreifen können, ob wir etwa die Institution des Bundesamts für Verfassungsschutz abschaffen und statt dessen nach früheren Vorbildern den Verfassungsschutz mit der Bundeskriminalpolizei vereinigen, werden wir uns zu überlegen haben, wie ich überhaupt meine, daß der Ausschuß zum Schutze der Verfassung in den kommenden Wochen und Monaten reichlich Gelegenheit haben wird, sich mit diesem heiklen Problem zu befassen. Es wird von uns aus ganz bestimmt nichts unternommen, was verhindern wird, daß dieser Ausschuß zum Schutze der Verfassung im Rahmen seiner grundgesetzlichen Kompetenz zur vollen Auswirkung gelangt.
({1})
Meine Damen und Herren, das ist es, von dem ich glaubte, daß es meine Pflicht sei, es in dieser Stunde unserer parlamentarischen Geschichte zu sagen. Ich glaube, Herr Schoettle, daß ich mein Versprechen wahrgemacht und nicht versucht habe, den Stiel umzudrehen und einseitige Beschuldigungen auszusprechen. Wenn Sie da und dort diesen Eindruck gehabt haben sollten, dann fragen Sie sich auch einmal, ob wir in diesem Hause nicht überhaupt schon verlernt haben, einander zuzuhören.
({2})
Ich hoffe, daß Sie es heute getan haben.
Wie ich es am Anfang des ersten Bundestages getan habe, als ich die Ehre hatte, gegen eine mißglückte und gefährliche Formulierung über diese Fahne dort das Wort zu ergreifen und mich zu ihr zu bekennen, so wie sich Tausende edler Deutscher vor uns zu ihr bekannt haben, so bekenne ich mich in dieser Stunde erneut zu ihr. Das aber heißt auch, daß wir uns zueinander bekennen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reinhold Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Die Verfassungsschutzkrise ist langsam auf uns zugerollt. Sie kündigte sich an bei der „Vulkan"-Debatte dieses Hauses Ende Juni dieses Jahres. Der Herr Bundesinnenminister hat damals in der Vollkraft seiner Jugend den Angriff als die beste Verteidigung gewählt. Er hat damals die zahlreichen rechtlichen und politischen Hürden mit Bravour - wir müssen das anerkennen - niedergeritten.
({0})
Auch bei Zuhörern mit gegensätzlichen Auffassungen ist sein Vorgehen mit Achtung aufgenommen worden, weil er ohne Zögern eine höchst zweifelhafte Sache vertrat, an der er einst nicht mitgewirkt hatte. Der Herr Bundesinnenminister konnte damals zur Not noch beschwichtigen, den steigenden Unmut im Parlament und in der Öffentlichkeit jedoch nicht vollständig bannen. Das Feuer schwelte weiter, die Diskussion wurde heftiger, die Presse ließ nicht locker. Jetzt entschloß sich der Herr Minister, den Stier bei den Hörnern zu pakken. Er brachte am 8. Juli das Gesamtproblem vor den Bundestag. Man hörte eine Rede, wie der Verfassungsschutz sein sollte, wie gerecht und billig Denkende ihn sich wünschen, weniger aber, wie er ist, nicht, was er geworden ist, was aus ihm gemacht wurde. Wir brauchen uns in keine großen geistigen Unkosten zu stürzen, um Ziel und Zweck und auch die Methode des Verfassungsschutzes herauszudestillieren. Das alles ist beinahe klassisch formuliert im Bundesgesetz vom Jahre 1950, einem der kürzesten Gesetze, die wir haben. Dort heißt es in § 3:
Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz . . . ist die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über Bestrebungen, die eine Aufhebung, Änderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung im Bund oder in einem Land
- und dann ist noch beigefügt, das ist eigentlich ein Ohrenschmaus für uns Abgeordnete oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben.
Also wir Abgeordneten sind nicht vergessen, und wir können beruhigt sein: wir sind primär S u b -j e k t e, nicht nur Objekte dieser Einrichtung.
({1})
Besonders den Berliner Abgeordneten wird der schicksalsergebene Refrain des Liedes von Willi Prager einfallen:
Ich weiß, es ist nicht so;
ich weiß, es 'kommt nicht so; ich weiß, es wird nie sein.
Aber machen Sie, was Sie wollen, ich Bild mir's eben ein.
({2})
Wir wollen davon absehen, miteinander das Lied
weiterzusummen. „Jetzt haben wir 'ne Republik."
({3})
Meine sehr verehrten Abgeordneten, die angeführte Legaldefinition ist vollkommen ausreichend. Sie bedarf nur korrekter, ja strenger Anwendung nach allen Seiten. Geschieht es, so ist den Staatsnotwendigkeiten der Bundesrepublik Genüge getan. Alles, was darüber hinausgeht, ist vom Übel, ist ungesetzlich, ist auch politisch nicht zu verantworten, ja, es kann zum groben Unfug hinüberführen. Vor allem gibt es nur einen einzigen le- ( galen Verfassungsschutz, und das ist der zivile im Bundesgesetz von 1950 geregelte. Alles andere sind mehr als dubiose Einrichtungen und Verfahren. Höchstwahrscheinlich werden sie die Bundesrepublik eines schönen Tages in neue Verlegenheiten bringen, vielleicht auch in zwischenstaatliche Verwicklungen.
({4})
Wir möchten von dieser Stelle aus warnen.
Die Initiative, mit welcher der Herr Bundesinnenminister damals selbst an das Parlament herantrat, in allen Ehren! Wiederum löschte er nicht den Brand. Das Echo der Presse sprach Bände. Die Presse spann den Faden weiter. Die Regierung war irgendwie unfrei. Bei der „Vulkan"-Affäre war sie es - und das war ja die alte Regierung -, die von sich aus ohne Antrag des Bundeskriminalamts, ohne Antrag des Amtes für Verfassungsschutz im April 1953 während der Amerikareise des Herrn Bundeskanzlers die Veröffentlichung der Namen vorgenommen hatte, darunter eine große Anzahl Unschuldiger, völlig Unschuldiger. Dazu kam, daß die alte und die neue Regierung in die zunehmend anwachsende Erörterung über die Verwendung von Nachrichtenmaterial verwickelt war.
Auch bei dieser zweiten Debatte glaubte man noch, mit der bewährten Kunst des auf alle Fälle Vor-dem-Parlament-Rechtbehaltens durchkommen zu können. Hätte man weithin vernehmlich erklärt, daß etwas faul im Staate ist, hätte man sich von der Institution kräftig distanziert - die Vorgänge, die zwölf Tage später über das Amt, das Innenministerium, die Regierung, über uns Abge({5})
ordnete, die ganze Öffentlichkeit hereinbrachen, hätten nicht zu diesem Schock erster Ordnung in unserer Bevölkerung geführt, hätten nicht die Bundesrepublik im Ausland in dieser Weise kompromittiert.
({6})
Hätte man zugegriffen, wer weiß, ob nicht doch das Nest hätte noch vorher ausgenommen werden können, ehe der lockere Vogel entflatterte.
({7})
Meine sehr verehrten Abgeordneten, das Maß war schon hoch angefüllt, ehe Otto John „überging", um dieser originellen Sprachschöpfung zu folgen.
({8})
Warum, fragt man, diese neutralistische Formulierung? Der Herr Bundeskanzler ist doch nicht als Neutralist bekannt! Warum hat er diese neutralistische Formulierung gewählt? Warum nennt man das Kind nicht beim Namen? Mit Furcht und Zittern lernten wir einst in den Lateinstunden: transfuga - der Überläufer. Wird man jetzt „der Übergänger" lernen?
({9})
Offensichtlich hat sich jetzt den Zeittafeln zum Übergang über die Beresina am 27. November 1812 der Übergang an der Passierstelle beim Sandkrug nach Ostberlin gesellt, 20. Juli 1954.
({10})
Spaß beiseite und im Ernst: Was muß in der Bundesrepublik eigentlich passieren, bis irgend etwas passiert,
({11})
bis irgendeinem Verantwortlichen etwas passiert?
({12})
Die Frage war als allgemeine Frage schon gestellt, noch ehe der Präsident des Bundesamts sein Amt aufgegeben hatte.
Was entrang sich der Brust der verantwortlichen Persönlichkeiten, als der Kladderadatsch da war? - Das Kanzlerwort: „Der Mann hat mir nie gefallen!" Die anderen Worte: „Die Briten haben ihn uns aufgezwungen!" „Der Mann weiß nichts!" Wie billig glaubte man diese ernste Situation überwinden zu können!
Nach wenigen Wochen, als Schmidt-Wittmack zusätzlich türmte, bot man der Öffentlichkeit nochmals das gleiche Trauerspiel. Nur die Betroffenen hatten gewechselt, nicht aber die wenig eindrucksvollen Ausflüchte: „Ein Mann ohne Bedeutung!" Ein Mann - nicht, wie wir eben gehört haben, eine Null, aber ähnlich wie eine Null!
({13})
Und dann das „Ich kenne diesen Menschen nicht" des Fraktionsvorsitzenden! Ich weiß, es gibt tragische Größenordnungen, die einem über den Kopf wachsen!
({14})
Wenn der Herr Bundesinnenminister gut beraten gewesen wäre, hätte etwas ganz anderes von seiner Seite geschehen müssen. Er hätte sich unverzüglich auf den leeren Präsidentenstuhl in Köln setzen müssen und nicht mehr von ihm aufstehen dürfen, bis der „Laden" garantiert in Ordnung war.
({15})
Eine solche Aktion tatkräftiger Verantwortungsbereitschaft hätte imponiert und hätte die Bevölkerung beruhigt.
Was geschah aber? Im Rundfunk wurde an einem spannungsvollen Abend ausgeholt und angekündigt: „Die Regierung hat die ersten Konsequenzen aus dem Fall gezogen". Halb beklommen, halb hoffnungsfroh horchten die Bürger auf. Jetzt kommt der große Gegenschlag, dachten sie. Was kam? Ein Mäuschen wurde geboren! Es wurde verkündet: „Der Leiter des Bundeskriminalamtes wurde kommissarischer Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz". Im übrigen, soviel wir wissen, ein Mann mit 68 Jahren.
({16})
Es war wirklich eine welterschütternde Neuigkeit. Der neue Chef übernahm nach einigen Tagen auch das Amt. Er kam aus dem Urlaub, und er ging unverzüglich wieder in den Urlaub.
({17})
Schließlich ist vor bereinigter Regelung der Angelegenheit auch der Minister selber in Urlaub gegangen.
({18})
Mit Verantwortungsgefühl dieser Art hat man eine tiefernste Angelegenheit behandelt. Im Vakuum stand über zwei Wochen, mindestens zwei Wochen, wahrscheinlich beträchtlich länger, das herrenlos gewordene Amt in einem kritischen Zeitraum, in welchem es den heftigsten Angriffen der Öffentlichkeit ausgesetzt war und in welchem die günstigste Gelegenheit war, die Dinge zu vertuschen und Spuren zu verwischen.
Wie kommt es, daß man so vorgehen konnte? Es lohnt sich, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Wir bekommen den Schlüssel für einen generellen Mißstand in der Bundesrepublik in die Hand. Eine prinzipielle Seite von Staat und Verwaltung ist angeschnitten.
Jedes neu beginnende staatliche System schützt sich vor den Mängeln eines vorhergegangenen. So sicherte sich der Parlamentarische Rat vor den Fehlern der Weimarer Republik. Er schützte die Bundesrepublik vor Regierungskrise auf Regierungskrise, vor Regierungsstürzen und Regierungsneubildungen am laufenden Band. Mein Herr Vorredner hat ja diesen Fragenkomplex schon angeschnitten und behandelt.
({19})
- Ich meine, von Niveau wollen wir vorläufig nicht reden.
({20})
Das könnte sich noch steigern, oder es könnte auch noch herabsinken. Es kommt nämlich auch auf die Zwischenrufe an. ({21})
Der Parlamentarische Rat hat mit Recht so entschieden; das konstruktive Mißtrauensvotum ist
({22})
I eine Wohltat. Es bleibt auf die Dauer nur dann ein Vorteil, wenn die ungeschriebenen Gesetze parlamentarisch-demokratischen Verfahrens strikt eingehalten werden.
({23})
Zu den obersten Gesetzen dieser Art zählt der Grundsatz, daß in der parlamentarischen Demokratie Männer ohne die herkömmlichen Laufbahnen unter Überspringung aller Zwischenstationen in das höchste Staatsamt, das Ministeramt, berufen werden, daß dafür aber von solchen Männern die schwere Last der Verantwortung für alle Vorgänge in ihren Ressorts übernommen wird, die Last der vollen Verantwortung auch ohne eigenes persönliches Verschulden.
({24})
Diesen Sichtwechsel unterschreibt jeder, der ein parlamentarisches Ministeramt übernimmt.
Mehr und mehr kommt die Einlösung bei Fälligkeit aus der Übung.
({25})
Die Termine werden überschritten, Proteste werden nicht erhoben; man wartet, bis eine Panne durch ein anderes, sensationelleres Ereignis, im Zweifel durch eine noch größere Panne, abgelöst und übertönt wird.
({26})
An die Stelle der unbedingten Achtung vor dieser verpflichtenden Regel tritt zusehends in der durch das konstruktive Mißtrauensvotum unangreifbaren Regierungsmaschinerie ein Standpunkt, welcher, in die Sprache der unteren Ränge der Ausführungsorgane übersetzt, heißt: Uns kann keener!
({27}) Ein schnöder Standpunkt,
({28})
ein volksverachtender, ein volksvertretungsverachtender Standpunkt, vor allem ein überheblicher Standpunkt.
({29})
Auch grobe Fehler führen nicht mehr zur exemplarischen Statuierung der Verantwortlichkeit. Wird von oben ein Auge zugedrückt, dann ist der Mann gerettet, sein Amt entschuldigt. Die da unten, Volk, Presse, Abgeordnete, mögen rumoren; das geht ja vorbei!
({30})
Einem parlamentarischen Minister darf die harte Lebensschule der Kontrolle durch das Parlament nicht erspart bleiben. Er muß wissen, daß er immer wieder vor die letzte Frage gestellt wird, wie er parlamentarisch weiterkommt. Wie der Autofahrer auf Bergstraßen an den dünnen Warnbrettern vor dem steilen Felsenhang des Abgrunds entlangfährt,
({31})
so muß dem parlamentarischen Minister stets der Blick auf die politischen Absturzstellen geöffnet bleiben. Nur so lernt er, an gemachten Fehlern zukünftige zu vermeiden. Und es ist ja so: er hat meistens für Fehler einzustehen, die andere gemacht haben. Für die unterstellten Ränge ist es höchst erzieherisch, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ihnen durch den bitteren Weg, der ihrem Chef auferlegt wird, eindringlich demonstriert wird, wie sie ihn durch Sorglosigkeit und
Unachtsamkeit parlamentarisch in Verlegenheit gebracht haben.
Verzichten wir auf das Wirksamwerden dieser inneren Kräfte des parlamentarischen Prinzips, dann setzen wir das parlamentarische Prinzip außer Kurs.
({32})
Das konstruktive Mißtrauensvotum entwickelt sich dann zum allzu leicht gereichten und allzu leicht ergriffenen Rettungsanker im politischen Schiffbruch.
Der durchgebrannte Otto John füllt demnächst zwei Monate lang die Zeitungen. Unzählige Äußerungen sind erfolgt. Er hat der demokratischen Sache einen ungeheuren Schaden zugefügt. Er hat vor allem die Männer und Frauen des 20. Juli diffamiert. Er hat den nach maßlosen geistigen und körperlichen Drangsalen ins Ausland getriebenen deutschen Demokraten einen moralischen Dolchstoß übelster Art versetzt.
({33})
Ist er schon ein Mann ohne Bindungen an irgend etwas, diese bittere Konsequenz für andere hätte ihn zur Besinnung bringen müssen. Die Verurteilung, die er in der Öffentlichkeit gefunden hat, kann nicht mehr gesteigert werden. Sie müßte sonst gesteigert werden. Doch er ist fort. Wir bellen den Mond an, wenn wir uns noch zu sehr mit ihm befassen. Es ist dafür gesorgt worden, daß die Kritik des Bundestages nicht mehr hoch aktuell ist, sondern ganz erheblich nachhinkt.
({34})
Die anderen Objekte allerheftigster Kritik der Öffentlichkeit weilen unter uns. Sie sind uns verantwortlich, und das Parlament hat diese Verantwortung pflichtgemäß festzustellen. Auch in dieser Richtung sind Qualifikationen, Charakterisierungen von unüberbietbarer Schärfe vorgenommen worden.
({35})
Es besteht kein Anlaß, sie hier zu wiederholen. Repetieren wollen wir aber als eine Art Standardkritik und Qualifikation einen Bundesminister, der im Münchener Rundfunk losdonnerte: ,.Die größte Blamage der Bundesrepublik!" Gilt diese Kennzeichnung nur für das Publikum, gilt sie sie nur für die demnächst zur Feldschlacht antretenden bayerischen Wähler, oder gilt sie auch für die Entscheidungen und Beratungen im Schoße des Kabinetts, im Plenum des Bundestages und in der Fraktion des sehr verehrlichen Rundfunksprechers?
({36})
Der Bundestag braucht solche Schlagworte nicht, er kann und wird objektiv bleiben.
Dem Herrn Bundesinnenminister ist als relativem Neuling in seinem Ressort zuzugestehen, daß er für den Status quo ante nur sehr bedingt verantwortlich ist. Er hatte, wie man einst, als ich Soldat war, beim deutschen Kommiß sagte, den Präsidenten so, wie er war, ,gefaßt", d. h. er hat ihn übernommen.
({37})
Der Verantwortungskomplex der Anstellung und des vierjährigen Belassens des Präsidenten ist dem Herrn Bundeskanzler reserviert. Zu beachten ist, daß dem Herrn Bundeskanzler nicht nur das Ernennungsrecht zusteht, sondern auch das Abberufungsrecht.
({38})
({39})
Vor allem liegt ihm bei einem Amt dieser Art eine fortlaufende Prüfungspflicht ob und eine mit Strenge zu handhabende Abberufungspflicht.
Rückschauend ist die schlichte Feststellung zu treffen, daß ein unerhörter personeller Mißgriff erfolgt ist. Es ist schon gesagt worden: Der Bock wurde zum Gärtner gemacht. Der Herr Bundeskanzler ist, was jedermann weiß und berücksichtigt, mit seinen großen Verpflichtungen auf das stärkste in Anspruch genommen. Niemand wird sich jedoch dem Eindruck entziehen, daß sich über den innerpolitischen Vorgang ein Stück Außenpolitik abgewickelt hat, und zwar ein der Bundesrepublik höchst abträgliches Stück. Wir warnen auch bei diesem Anlaß vor dem grundsätzlichen Desinteressement an der Innenpolitik, welches das derzeitige Kennzeichen der Bundesrepublik ist. Die entscheidenden inneren Fragen, welche zur Diskussion gestellt sind, werden geflissentlich nicht mit vollem Ernst behandelt. Sie werden vertagt, auf die Seite geschoben und dann jeweils durch die außenpolitischen Ereignisse in die Ecke gedrückt.
({40})
Ich sage, die entscheidenden inneren Fragen werden nicht nur sträflich vernachlässigt, die Innenpolitik ist nicht bloß das Stiefkind, es wird an ihr sozusagen die strafbare Handlung der Kindesaussetzung vollzogen.
({41})
Die Bundesrepublik hat für diese Versäumnisse in den letzten Wochen die Quittung bezogen. Auf den Fall John hat sich eine schlimme Propaganda des Auslandes, vor allem auch in dem sonst wohlmeinenden Ausland, gegen uns entfacht.
({42})
Um zum Herrn Bundesinnenminister zurückzukommen, so darf wohl das Verschwinden auch nicht ihm selbst zugerechnet werden, vielmehr erscheint dieser Vorgang uns allen als ein Fall höherer Gewalt. Man sieht schließlich niemandem ins Herz. Was aber seit dem 20. Juli dieses Jahres an innenministerieller Staatskunst entfaltet wurde, das kann auch Wohlwollende nur mit Bestürzung erfüllen.
({43})
Genau nach demselben Rezept wie in der „Vulkan"-Debatte, wie in der Verfassungsschutzdebatte ist man verfahren. Man gab nichts zu, man gestand nichts ein. Man suchte wertlos gewordene Randpositionen zu retten und verlor bei diesen Bemühungen Kopf und Kragen.
({44})
Man büßte auf diese Weise zusätzlich den guten Glauben des Teils der Bevölkerung ein, der einsah, daß gegen die Einzelhandlung einer Einzelpersönlichkeit kein Kraut gewachsen ist. Die Verlautbarungen der Regierung nach dem Eintritt der Katastrophe zeigen die Tendenz, doch noch um die letzten Klarstellungen herumzukommen.
Hochinteressant war unmittelbar nach dem 20. Juli der Kampf der Sachdarstellungen, nämlich der von Bonn und der von Berlin. Berlin meldete: verschwunden - freiwillig gegangen - nicht entführt; Bonn: verschwunden - entführt. 600 km
vom Tatort entfernt wußte es Bonn besser als der Berliner Polizeivizepräsident an Ort und Stelle.
({45})
Die Berliner standen früher in dem Ruf, daß sie alles besser wissen. Jetzt hat Bonn diesen Ruf übernommen.
({46})
Aber Bonn ist ja zur Zeit mächtiger als Berlin, und so mußte seine Fernanalyse die Oberhand gewinnen. Diese wurde schließlich auch Bestandteil der vom Herrn Bundesinnenminister am 26. Juli vorgetragenen Legende, welche lautete: John ist in die Ostzone teils e n t führt, teils v e r führt worden.
({47})
In meiner Studentenzeit standen die Rechtsfakultäten im Meinungskampf zwischen der alten Schule der abstrakten Jurisprudenz und der neu aufgekommenen Interessenjurisprudenz. Der im Bundesinnenministerium versammelte Juristennachwuchs scheint sich ganz und gar der Interessenjurisprudenz verschrieben zu haben.
({48})
- Ja, ich glaube, Herr Kollege Kiesinger, Sie haben an der Universität Tübingen noch eine Spur der abstrakten Jurisprudenz mit auf den Weg bekommen, wozu ich Ihnen gratuliere.
({49})
Aus Staatsräson glaubte man die Entführungstheorie plausibel machen zu müssen. Das Volk will aber keine Theorie, es will die Wahrheit, und es hat auch Anspruch darauf.
({50})
Die beste Staatskunst ist in einem solchen Fall rigorose Offenheit. Wegen eines Krankenberichts des verstorbenen Mannes einer befreundeten Dame hat der Gebieter über die bundesrepublikanische Staatssicherheit die Fahrt nach Ostberlin unternommen! Der Herr Bundesinnenminister vermittelte prima facie den Eindruck eines Realisten. So viel Courths-Mahler wie am Abend jener Pressekonferenz hatte ihm wohl niemand zugetraut.
({51})
- Seien Sie froh, daß ich die Dinge so liebenswürdig ausdrücke!
({52})
- Sie brauchen mir nicht mit dem Finger zu drohen, Herr Kollege! - Hörte man die Rundfunksendung in weiblicher Gesellschaft, so beobachtete man beinahe Tränen der Rührung über die einem unglücklichen Menschen auferlegten, ach so harten Schicksalsschläge.
({53})
Der seinen Brotherrn zum viertenmal wechselnde
Geheimdienstfachmann wurde unter der eindringlichen Beweisführung des durch sein Amt zur letz({54})
ten Strenge verpflichteten Polizeiministers zusehends eine Mignon-Figur, - „Was hat man dir, du armes Kind, getan?"
({55})
Bestenfalls hätte an jenem Abend ein non liquet, ein „Unentschieden" ausgesprochen werden dürfen. Das Elaborat, das die Referenten ihrem Minister vorgelegt haben, verstieß gegen jede Regung der Klugheit, noch mehr, es verstieß gegen den gesunden Menschenverstand, und es war eine Fehlleistung ersten Ranges.
({56})
Stur wurde die Linie weiterverfolgt, wieder einmal der Grundsatz der Felddienstordnung des alten kaiserlichen Heeres angewandt: „Der einmal gefaßte Entschluß ist durchzuführen, selbst wenn er sich später als falsch herausstellen sollte!"
({57})
Es folgte das 500 000-Mark-Preisausschreiben.
({58})
Hierzu lag der Einspruch des Bundesjustizministeriums - ({59})
- Meine sehr verehrten Herren von der CDU, ich würde Ihnen sehr empfehlen, wieder zur Ruhe zurückzukehren. Ich bin schon sehr oft Ihren Zurufen, auch Ihren lauten Rufen, um nicht zu sagen: Geschrei, in Stuttgart ausgesetzt gewesen, - und Sie haben immerhin acht Jahre gebraucht, bis Sie mich dort weggebracht haben!
({60})
Sie müssen mich hier auch mindestens eine halbe Stunde aushalten.
Hiezu lag der Einspruch des Bundesjustizministeriums vor, die Unkenntnis - wie wir hören - einer Reihe von Ministern, aber - wie uns ebenfalls berichtet wurde - die Zustimmung des Herrn Bundeskanzlers. Es folgte die Demarche bei den Alliierten, die Hohen Kommissare zu ersuchen, den verlorenen Sohn wieder zurückzubringen. Diese lehnten höflich ab. Diese Demarche ist, wie wir hören, von dem Herrn Außenminister veranlaßt worden. Die Wege der deutschen Außenpolitik sind für die nicht spezialisierten Abgeordneten nicht ohne weiteres erforschlich.
({61})
Sie können sich eben der höheren Einsicht fügen. Die Geheimdienste der Alliierten dürften auf den Stockzähnen gelacht haben.
({62})
Der geneigte Zuhörer wird bemerken, daß bei der Erörterung des heiklen Themas der Bewährung oder des Versagens eines Bundesministers nicht tierischer Ernst vorgewaltet hat, höchstens bei einigen Zuhörern. Ich konnte es tun mit der Heiterkeit des Gemüts eines Politikers, der oft genug in bedrängter Lage stand, der weiß, wie oft und wie viele Fehler jemandem unterlaufen, auch einem selbst, viel mehr Fehler, als die anderen bemerken.
({63})
Ich habe mir als Anwalt und als Politiker im vorgerückten Alter die Lebensphilosophie angeeignet, in schwierigen Situationen zu sagen: Eine Sache lebt von ihren Fehlern. Versöhnend dürfen wir vielleicht sagen: auch der Fall John hat von seinen Fehlern gelebt; und vielleicht ganz allgemein: die ganze Bundesrepublik lebt von ihren Fehlern.
({64})
Wir kommen damit über unsere gemeinschaftlichen Sorgen - ein Wort des Herrn Kollegen Kiesinger - besser hinweg.
Es darf als Vorausklärung empfunden werden, daß die CDU/CSU-Fraktion schon vor Wochen erklärt hat, daß sie an ihrem Bundesinnenminister nichts auszusetzen habe.
({65})
Eine Zwischenfrage: warum kommen wir eigentlich noch zusammen, wenn die größte Parlamentsfraktion die Gründe und Gegengründe der anderen gar nicht abwartet,
({66})
ihr Urteil vor der Parlamentsdiskussion schon feststellt und bekanntgibt? Der Deutsche Bundestag wird bei einem solchen Verfahren außer Kurs gesetzt, und er hat sich eben mit dem in der Folgezeit ja auch nicht unbestrittenen Satz, mit dem umgewandelten Satz Augustins abzufinden: „Fractione Christiana Democratia locuta, causa finita."
({67})
Sie von der CDU/ CSU haben eine Stimme mehr als alle anderen Fraktionen zusammen. Sie können jeden Beschluß verhindern. Sie haben das allergrößte Interesse, daß hier eine genaue und gründliche Aussprache stattfindet.
Für einen zurückgetretenen, die unabänderlichen Gesetze der parlamentarischen Demokratie mit der Tat achtenden Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder wäre er selbst als geeigneter und würdiger Nachfolger erschienen. Gewiß, ein Vollblutdemokrat ist er nicht. Es besteht gegenwärtig in der Bundesrepublik eine leichte Tendenz der Abweichung von der demokratischen Magnetnadel im Sinne einer leichten Hinwendung zu absoluteren Auffassungen.
({68})
Der Herr Bundesinnenminister dürfte dem reaktionären Absolutismus weniger nahestehen, eher dem aufgeklärten. Wir werten diesen Umstand als Plus, das wir zu diskontieren bereit sind.
Meine sehr verehrten Abgeordneten! Der schwierigste Teil ist also vorbei, was vielleicht zur Beruhigung gewisser Herren, die hier vorne sitzen, beitragen dürfte.
({69})
({70})
- Herr Abgeordneter Hilbert, ich spekuliere natürlich nicht darauf, daß Sie sich beruhigen.
({71})
Was nun das Mißbilligungsvotum anbelangt, so sind wir folgender Ansicht, die ich im Auftrage meiner Fraktion bekanntgebe. Wir halten eine Entscheidung über den Mißbilligungsantrag der Opposition, Drucksache 769, im gegenwärtigen Augenblick nicht für möglich.
({72})
- Meine Begründung war in vielen Punkten eine weitgehende Entschuldigung des Herrn Bundesinnenministers Schröder.
({73})
Ich habe immer davor gewarnt, aus dem Fall John
nun einfach einen Fall Dr. Schröder zu machen.
({74})
Wir messen den Verhandlungen des Untersuchungsausschusses eine wichtige sachliche Bedeutung bei. Diese und die Ermittlungen des Oberbundesanwalts können sehr wohl Anhaltspunkte für eine weitere Belastung wie für eine entscheidende Entlastung von beteiligten Persönlichkeiten geben. Sie können gegenüber dem heutigen Stand auch eine wesentliche Verlagerung in der Beurteilung der Verantwortlichen erbringen.
({75})
Wir bestehen auf der Feststellung dieser Verantwortlichkeit und werden auf sie nicht verzichten, und das ist der ganze Bundestag dem deutschen Volk schuldig. Wir sind der Ansicht, daß ein Beschluß auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, den wir begrüßen, mit einer sofortigen Abstimmung über den Mißbilligungsantrag im Widerspruch steht. Wir jedenfalls möchten das Risiko einer späteren Desavouierung durch die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses nicht übernehmen. Im gegenwärtigen Augenblick ist für objektiv Denkende die Angelegenheit nicht spruchrei. In diesem Sinne bitten wir das Hohe Haus, unsere derzeitige Enthaltung aufzufassen.
Aber wie kommen wir weiter? Diese Frage haben meine Herren Vorredner ebenfalls behandelt. Man mag retrospektiven Betrachtungen grundsätzlich abgeneigt sein; die Innenpolitik mag noch so sehr durch den Ernst, mit welchem die internationalen Beziehungen der Bundesrepublik zu betrachten sind, zurücktreten, der Verfassungsschutz kann nicht so bleiben, wie er ist! Er ist ein neues Element der Demokratie in Deutschland. Er muß garantiert ein Instrument zum Schutze der Demokratie sein, wieder werden und dann auch bleiben, nicht ein Instrument für anderes, etwa für die Stabilisierung von Macht und Einfluß der Regierung oder gar einer Partei. Wir brauchen vielleicht in der späteren Zukunft eine Generalreform dieser Institution, dieser Institutionen. Änderungen aus besonders ungutem Anlaß sind, wie wir ja sehr wohl wissen, sowieso unzweckmäßig. Man schützt sich dann eben vor der Wiederholung gerade dieser schlechten Erfahrungen. Für heute genügt das Gesetz so, wie es ist. Wir brauchen nur ein zweifaches: Rückkehr zu den gesetzlichen Grundlagen, welche sich die Bundesrepublik durch das Bundesgesetz selbst geschaffen hat, und zwar sofortige Rückkehr, und zweitens Achtung dieser Grundlagen bei allen, also nicht mehr als Wiederherstellung der Legalität und der Neutralität dieser Ämter.
Bei den Auseinandersetzungen über die gegenwärtige Lage des Verfassungsschutzes überschneiden sich praktische Erfahrungen und grundsätzliche Erwägungen. Beginnen wir mit der Praxis, dann stellen wir fest: der Verfassungsschutz ist desorganisiert. Warum und wieso?
1. Das Bundesamt ist ohne Führung. Es wird mir niemand widersprechen. Es muß ohne Führung gewesen sein. Ein Mann, der Pläne wälzt, welche er bei anderen kraft seines Amtes als schwere politische Verbrechen zu verfolgen hat, war seit langem unbrauchbar für dieses Amt.
2. Die zentrale Bedeutung des Bundesamtes wurde durch die ungeregelte Konkurrenz anderer Dienste gemindert. Eine heillose Verwirrung entstand und wurde nicht verhindert, und zwar dadurch, daß ein Spezialdienst den andern zu übertrumpfen suchte, ihn zu verdächtigen, ihn mattzusetzen suchte.
3. Die Verantwortlichkeit wurde verwischt, gestört, jedenfalls in Widerspruch mit der gesetzlichen Ordnung gebracht. Die alleinige Verantwortung des Bundesinnenministers ist in § 2 Abs. 1 Satz 2 des Bundesgesetzes mit klaren Worten statuiert. Danach ist das Bundesamt ihm und niemand anders unterstellt. Der Innenminister trägt politisch die Verantwortung für den entscheidend wichtigen Akt der Auswertung. Er kann sie aber nicht tragen, wenn die Meldungen an ihm vorbeigehen, unter Vermeidung seiner sachlichen Stellungnahme an andere Regierungsstellen, vor allem an die Regierungsspitze gehen. Wir haben dies schwarz auf weiß. Über den direkten Verkehr des Bundesamtes mit dem Bundeskanzleramt sind neulich hohe Prozentsätze veröffentlicht worden, die ich nicht zugrunde lege, zu denen aber bisher eine l verantwortliche und verbindliche Stellungnahme fehlt, und dieser darf wohl das Hohe Haus entgegensehen.
Der Herr Bundeskanzler hat am 8. Juli vor dem Bundestag erklärt, die berühmte Meldung über Dr. Hermann Etzel - ich möchte hier einfügen: eine der deftigsten politischen Intrigen dieses Jahres - sei ihm vom Herrn Bundesinnenminister vorgelegt worden. Diese Mitteilung ist leider nicht richtig.
({76})
Es ist bedauerlich, daß im fünften Jahr seines Bestehens das Bundeskanzleramt noch nicht so weit durchorganisiert ist, daß der Herr Bundeskanzler davor geschützt ist, vor dem Plenum des Bundestags angreifbare Tatsachen vorzubringen.
({77})
Die Meldungen gingen zwar an das Innenministerium, aber gleichzeitig an das Bundeskanzleramt zu Händen des Staatssekretärs.
({78})
Ohne Prüfung und Plazet des Innenministeriums hat das Bundeskanzleramt sich dieser Meldungen bemächtigt, sie nach seinem Belieben ausgewertet und unverzüglich verwertet, z. B. durch Übermittlung an den Herrn Bundespräsidenten. Es wird uns geantwortet, dieses Verfahren sei üblich, ja es sei gedeckt durch eine Berichtsanordnung des früheren Kabinetts. Dieses Verfahren ist formal und sachlich unzulässig und bedarf der sofortigen Korrektur. Dieses Verfahren ist weder secundum legem noch praeter legem, es ist klar contra legem.
({79})
({80})
Was alles diesen Weg gegangen ist, entzieht sich der genauen Kenntnis. Man kann sich aber die Abirrungen des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt vom gesetzlichen Dienstweg nicht umfangreich genug vorstellen.
({81})
So das geschieht am grünen Holz, was soll mit dem dürren werden?
({82})
Wenn oben die Bundesgesetze nicht auf das korrekteste eingehalten werden, zu Durchstechereien welchen Ausmaßes muß es unvermeidlich unten kommen? Die Anzahl dürfte Legion sein. Die Desorganisierung des Verfassungsschutzes wechselt damit das Gesicht zu einer gewissen Demoralisierung.
Neben den erwiesenen Mängeln der Praxis stehen die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten. Der Verfassungsschutz ist eine der jüngsten Institutionen des Bundes und der Länder. 1945 hieß das Motto aller Alliierten: Nicht die Spur einer Staatsmacht mehr bei den Deutschen oder neu wieder an die Deutschen! Hochverrat, Landesverrat konnte es somit nicht geben. Gründlich wie sie waren, hoben die Alliierten die deutschen Strafbestimmungen über Hoch- und Landesverrat auf. Diese Delikte waren erlaubt. Es dauerte sehr lange, bis dieser unheilvolle Unrechtszustand dahinschwand. Er begann, die Interessen der Westalliierten selbst zu schädigen. Jedes Staatswesen bedarf in der turbulenten Gegenwart des Schutzes vor antidemokratischen Kräften. Staatsfeinde bedürfen der sorgfältigen Beobachtung und des energischen Zugriffs. Unsere höchst exponierte Lage macht es zur unverzichtbaren Staatsnotwendigkeit. Und es ist so: Auf seinem eigentlichen, dem gesetzlichen Betätigungsfeld hat das Bundesamt keineswegs versagt. Im Zusammenwirken mit den Landesverfassungsschutzämtern hat es dem Bundesverfassungsgericht prompt beweiskräftiges Material vorgelegt. Der Rechtsradikalismus konnte damit der Staatsfeindlichkeit überführt werden. Der gleiche Beweis wurde vom Bundesamt gegen die KPD erbracht. Es sind andere Gründe, welche bisher nicht zum Verbot dieser Partei geführt haben.
Das Parlament versagt keineswegs die Anerkennung dieser Leistungen. Die Beamten und Angestellten erfüllen eine vom Gesetz vorgesehene Aufgabe. Sie dürfen des Schutzes des Parlaments und des Verständnisses der Allgemeinheit versichert sein. Die technische Leistung dieser Ämter steht außerhalb des Zweifels. Es sind aber politische Momente, welche sie einem Zwielicht aussetzen.
Es gilt vorweg eines klarzulegen. Die ganze Methode, mit welcher das moderne Nachrichten- und Abwehrwesen arbeitet, schließt eine objektive, von niemand zu vertretende Gefahrenquelle in sich. Sie hat weit ausgreifende, viel zu weit ausgreifende Tendenzen. Der Staatsfeind wird vorzugsweise nicht mehr unmittelbar beobachtet, ihm wird nicht mehr an Ort und Stelle nachgestellt und er wird schließlich nicht mehr auf frischer Tat ertappt. Diese Verfahren sind vielmehr dem Schlußstadium vorbehalten, wenn der Verdacht sich konkretisiert hat. Die Methode ist weitgehend eine mittelbare geworden. Sammlung von Nachrichten und nochmals Nachrichten heißt die Parole. Treffen soundso viele gleich oder ähnlich lautende Nachrichten ein, so entsteht nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung eine
Vermutung ihrer Richtigkeit. Um die Schnittpunkte, in denen sich die Nachrichten übereinstimmend treffen, entsteht ein Wahrheitskern. Bei diesem Vorgehen gibt es überhaupt keine Nachricht, die unwichtig ist. Jede Nachricht kann einmal in der Zukunft wichtig werden. Der Erfolg solcher methodischer Nachrichtensammlung ist nicht abzustreiten, gleichzeitig aber auch nicht die Riesengefahren, die sich für die Allgemeinheit aus drei Gründen ergeben.
Erstens. Die gefundene Wahrheit ist und bleibt immer nur Wahrscheinlichkeit. Dieser Tatsache sind sich die Männer vom Fach durch täglichen Umgang mit der Materie bewußt. Auch der Nachrichtendienst ist ein Handwerk und wird nach bestimmten Handwerksregeln ausgeführt, die nicht immer Kunstregeln, sondern oft Faustregeln sind. Die Nachrichtenmänner kalkulieren die stets bestehende Irrtumsmöglichkeit ein. Anders ist die Reaktion der Außenstehenden, des Nachrichtenlaien, die Politiker nicht ausgenommen. Diese stehen nicht unter einem solchen ständigen psychischen Training. Sie stürzen sich auf solche Neuigkeit, werten sie als Trüffel und glauben ihr aufs Wort.
Zweitens. Der Personenkreis, über den Nachrichten eingehen, wächst ins Ungemessene weit über die Zahl der möglichen Verdächtigen hinaus. Jeder, auch der loyale ruhige Bürger steht in der Gefahr, entweder schon registriert zu sein oder es zu werden.
Drittens. Hier kommen wir auf einen wichtigen Punkt. Einzelmeldungen, so interessant sie sind, haben bei diesem System nur höchst bedingten Wert. Werden sie aus dem Zusammenhang gerissen weitergetragen, so ist die Bescherung da. Geheim, meine sehr verehrten Abgeordneten, ist nur das, was ein einzelner weiß. Alles andere geht, einmal in Umlauf gesetzt, von Mund zu Mund, vollends im Parlament. Je vertraulicher die Verbreitung, desto rascher und wirkungsvoller dringt die Nachricht in die gewünschten Kanäle. Die gebieterische Konsequenz für ein Staatswesen von Rang diesem offen zutage liegenden Hauptgefahrenherd dieser Institution gegenüber ist höchste Sorgfalt und Konzentration des Auswertungsvorgangs, schärfste Unterdrückung von Indiskretion, Disziplin und Schweigsamkeit des Personals dieser Am-ter, unten sowohl wie oben.
Blicken wir in der Welt umher, so werden wir gewahr, wie gerade die Regierungen vollwertiger demokratischer Staaten ihr Überwachungs- und Nachrichtenwesen in seinen Spitzen in die Hand charakterlich erprobter und, was Sach- und Fachkunde anlangt, hervorragender Persönlichkeiten ersten Ranges legen. Wir Deutsche besitzen auf diesem Gebiet keine richtungweisende Tradition. Was bei uns bestand, ist nichts mehr als ein abschrekkendes Beispiel. Trotzdem besteht die Neigung zur fortlaufenden, bloßen Kopierung. Wir müssen uns ganz von unten her selbst erziehen.
Es hat Generationen gedauert, bis sich in Deutschland der Grundsatz der Nichteinmischung durch die Regierungen als eine Selbstverständlichkeit durchgesetzt hat. Eine gleiche Position ist dem Material der Verfassungsschutzämter einzuräumen. Ein „noli me tangere" muß es umgeben und jeden Eingriff von außen unmöglich machen. Vor allem ist das kein Tummelplatz für einen ränkeschmiedenden Staatssekretär,
({83})
({84})
das ist kein Spielzeug für Parteipolitiker, denen aus eigener Phantasie nichts mehr einfällt, wenigstens nichts mehr Gescheites.
({85})
Die Ämter des Verfassungsschutzes sind Stätten, in welchen sich die innersten Dienste des Staates vollziehen. Wie ein Buch mit sieben Siegeln sind die Staatsgeheimnisse zu verschließen. Ein hieb-und stichfester disziplinärer und moralischer Panzer hat sie zusammenzuhalten. Undichte Stellen nützen dem, der durch diese Arbeit lahmgelegt werden soll, den der Verfassungsschutz aktiv bekämpft, nämlich dem politisch Kriminellen. Ein Gefäß, einmal angezapft und durchlöchert, rinnt bekanntlich nach allen Seiten, nicht nur nach der Seite, mit der man sympathisiert. Das törichtste Beginnen ist, wenn Staatsorgane selbst diese Ämter zu ihrem willfährigen Werkzeug machen. Das hat dieselbe Wirkung, wie wenn der Tresorwächter den Geldschrankknacker selbst spielt. Wenn die so gewonnenen Nachrichten gar in die Presse lanciert werden, wenn das passiert, stehen wir einem Tiefstand in unserem öffentlichen Leben gegenüber, von der vorbedachten Fabrikation solcher Nachrichten ganz zu schweigen!
Die Ergebnisse der Ämter sind Unterlagen für die Strafverfolgung von politischen oder anderen Verbrechen und Vergehen und für die Verfassungswidrigkeit von Organisationen; sie haben nur an die hierfür zuständigen Exekutivorgane und sonst an niemanden zu gehen. Die Ergebnisse, meine sehr verehrten Abgeordneten, sind Unterlagen für Tatbestände; aber sie sind nicht Orientierungsmittel für die Regierungsstellen. Sie sind es ganz und gar nicht! Hier liegt der Hund begraben: Eine grundsätzlich irrige Auffassung hat zu grundsätzlich falscher Handhabung geführt. Wir müssen weg von diesem staatsschädigenden System, das sich leider eingebürgert hat. Die Orientierungsquellen der Regierung sind anderer Art, und diese fließen legal in Hülle und Fülle.
Wir kommen mit dem Fragenkomplex in den innersten Bezirk des gesunden Funktionierens der Demokratie. Dazu gehört eine gewisse Ausgewogenheit in der Kräfteverteilung zwischen der Regierung einerseits und öffentlicher Meinung Bürger, Presse, Rundfunk - andererseits. Dies setzt eine gewisse Waffengleichheit voraus. Ein Grundprinzip der Demokratie wird über den Haufen geworfen, wenn einem Teil neben dem offenen auch geheimes Nachrichtenmaterial zur Verfügung steht. Der Meinungskampf vollzieht sich dann in voller Unordnung. Die gleiche Ebene ist verlassen. Das Forum der Auseinandersetzung teilt sich in ein öffentliches und ein verstecktes, ein oberirdisches und ein unterirdisches, eines von vorn und eines von hinten. Es ist klar, daß diesen Gedankengängen diejenigen nicht gern folgen, welche in allen Fragen der Information der Öffentlichkeit ein immer größeres Gewicht der Regierung schaffen wollen. Das alles sind klar Schritte von der Demokratie weg. Wir aber wollen entschlossen und entschieden auf die Demokratie zu.
Und noch eines. Der Verfassungsschutz arbeitet der Natur der Sache nach mit juristischen Begriffen, Verdacht, Vermutung, die Wahrscheinlichkeitsrechnung sogar mit mathematischen Begriffen. Solche Grundlagen der Wahrheitserforschung sind für die Politik nicht brauchbar. Die Diskussion des heutigen Tages schiebt eine oft unterdrückte, aber
unbestreitbare Erkenntnis von demokratischem Ewigkeitswert erneut in den Vordergrund, und die lautet: Wahrheitswert für eine Auseinandersetzung in der Demokratie hat eine Nachricht überhaupt nur dann, wenn der von ihr Betroffene zu ihr Stellung genommen hat oder Stellung nehmen kann.
({86})
Wir haben einen unvollkommenen Staat - ohne unsere Schuld -, die normalen Korrelate eines Staates, nämlich ein fest abgegrenztes, sicher geschütztes Staatsgebiet und in ihm eine unabhängige Staatsmacht, fehlen uns. Wir haben nur das Staatsvolk, zwar nicht alle Deutschen in einem Staat, aber wir haben im Grunde genommen nur die Menschen. Wir leiden in vieler Hinsicht darunter, daß wir uns trotz des unvollständigen Staates den Apparat eines fix und fertigen Staates zulegen. Wir neigen auf vielen ,Gebieten zur übertriebenen Perfektion und werden es in kritischen Augenblikken gewahr, daß manches in unserem Staat doch nur Ausstattung, Konfektion ist, nicht hält, wenn es wirklich darauf ankommt. Wir kämpfen wirklich um die Grundprinzipien unseres Staates. Denjenigen, welche leichthin darüber hinweggehen wollen, bestreiten wir die Legitimation als Hüter der Verfassung. Der Verfassungsschutz ist eine der Blutproben der Demokratie. Die Bundesrepublik hat diese Probe bisher nicht bestanden.
({87})
1945 hat der Kommunismus in Deutschland das Haupt erhoben. Die Beute schien ihm beinahe sicher. Das allgemeine Elend war wahrhaftig groß genug, um dem Kommunismus eine Pflanzstätte zu bereiten. Er hatte, wenigstens regional, Anfangserfolge. Diese konnten ihm aber wieder abgejagt werden. Von Jahr zu Jahr ist von den Bundesländern her das Gebiet der heranreifenden Bundesrepublik kommunismusfest gemacht worden. Das ist alles geschehen ohne Paragraphen, ohne Verfassungsschutzämter, durch die lebendige demokratische Eigenkraft des deutschen Volkes.
({88})
Dieser Wille darf nicht erlahmen. Niemand darf dazu beitragen, daß die demokratische kinetische Energie sich mindert, daß sie durch ein Allzuviel an formaler Demokratie erschlafft und ermüdet. Eines Tages wird das deutsche Volk wohl oder übel zu einem Wettstreit zwischen Demokratie und Kommunismus herangeführt werden. Die Aufgabe des westdeutschen Parlaments ist es, das gesamte Volk, vor allem die rasch heranwachsende und nachrükkende Jugend für diese kommenden hochpolitischen Auseinandersetzungen vorzubereiten, alle mit einem entschlossenen Willen des Widerstands und der Kampfbereitschaft zu erfüllen. Wir haben jetzt durch John und Schmidt-Wittmack eine moralische Ohrfeige erhalten.
({89})
Die Bundesrepublik hat zum erstenmal der Ostzone gegenüber eine Einbuße erlitten. Der Gewinn der Bundespräsidentenwahl in Berlin ist uns aus der Hand geschlagen worden. Meine sehr verehrten Abgeordneten, es gilt die Scharte auszuwetzen, und die demokratische Karte wird immer stechen. Sie wird alle anderen ausstechen. Aber, meine sehr verehrten Frauen und Männer, führen müssen wir sie!
({90})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Die Rede des Herrn Abgeordneten Reinhold Maier enthielt eine Fülle von rechtlichen und tatsächlichen Unrichtigkeiten. Ich kann jetzt nicht auf sie eingehen, weil ich nach Wahn muß, wo in einer Stunde der amerikanische Außenminister zu für das deutsche Geschick entscheidenden Verhandlungen eintrifft. Ich kann nur mein tiefstes Bedauern darüber ausdrükken, daß in einem solchen Augenblick eine solche Rede gehalten wird.
({0})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete von Brentano.
({0})
Der Abgeordnete von Brentano hat das Wort.
Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU beantrage ich, die Sitzung für eine Stunde zu unterbrechen.
({0})
Die Sitzung wird unterbrochen. Der Bundestag tritt um 14 Uhr wieder zusammen.
({0})
Die Sitzung wird um 15 Uhr 5 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die unterbrochene Sitzung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Sitzung ist mit harten Tönen zu Ende gegangen. Wir können verstehen, daß der Herr Bundeskanzler, dessen Sinn erfüllt ist von den Sorgen dieser Tage, der den Blick nach außen wendet und das Schicksal unseres Volkes vor allem in seinen Beziehungen nach außen sieht, scharf reagiert hat. Wir wollen keine Kritik daran üben. Unsere Sache in diesem Raum ist es, andere Dinge zu erwägen, uns über Fragen, die unseren Staat tief berühren, zu unterhalten.
Nun ist heute manches aufgeklungen, was hier Mißfallen erweckt hat. Als ich meinen Freund Reinhold Maier sprechen hörte, da ist mir der ganze Reichtum des schwäbischen Stammes wieder bewußt geworden, vom Schiller bis zum Hegel, von dem liebenswerten Kiesinger bis zum Carlo Schmid und so manchem andern.
Wir sind ja eine betont individuelle Partei. Wir lieben die Eigenart der Menschen und lieben in unserer Gemeinschaft, daß sich die Vielfalt der Art unseres Volkes niederschlägt. Aber nicht alle Töne hat unser Freund Reinhold Maier ganz richtig getroffen.
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Er hat das wunderschöne Wort geprägt: Man lebt von seinen Fehlern, jeder lebt von seinen Fehlern! - Ich bin ja Anwalt wie er, und wenn man den Prozeß des Lebens als Anwalt betrachtet und bewertet, dann weiß man, wie fruchtbar Fehler sein können. Er ist durchaus geneigt, diesen seinen philosophischen Erfahrungssatz auch auf sich zu erstrecken.
Er sieht die Dinge des Staates sehr unter dem Gesichtspunkt seiner politischen Tätigkeit. Wir, die wir hier in Bonn, in diesem Hause nun immerhin seit dem Mai 1948 oder noch eher uns bemühen, das Notdach für unseren Staat zu errichten, die wir die ersten schmerzlichen vier Jahre der neuen Staatswerdung miterlebt, diese Staatswerdung mit unterstützt haben, wissen, daß unser Bemühen häufig draußen eine Bewertung erfahren hat, die wir nicht verstanden haben; und unser Freund Reinhold Maier hat manches Wort gesagt, das unter diesem Blickwinkel gesehen war. Ich will gar nicht mit ihm rechten, ob er immer das Richtige gesehen hat. W i r sehen auf jeden Fall manches anders, wir kleinen Werkleute an diesem Staate. Es soll nicht nach außen ein falscher Eindruck entstehen, es soll aus diesem vermaledeiten Fall John nicht ein Fall des deutschen Staates werden. Wir wollen uns hier wahrlich nicht auseinanderreden. Herr Kiesinger hat viel Richtiges darüber gesagt, was Lehre dieser Auseinandersetzung sein soll: uns zusammenzufinden. Niemand wird doch auf den törichten Gedanken kommen, aus einem solchen Notstand unseres Staates heraus Geschäfte, politische Geschäfte, parteitaktische Geschäfte machen zu wollen;
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ich glaube, niemand, auch nicht die Sozialdemokratische Partei. Ich habe einen solchen Gedanken aus den Worten besonders des Herrn Kollegen Mellies nicht herausgehört, sondern die ehrliche Sorge um diesen Staat, Und nur so können wir doch den Fall John begreifen und behandeln: als ein Menetekel, als ein böses Zeichen dafür, daß Dinge nicht in Ordnung sind, daß sie sich nicht richtig entwikkelt haben. Das möchte ich für meine Freunde, auch für meinen Freund Reinhold Maier, sagen. Bestimmt, er trägt manchen Groll, auch manchen berechtigten Groll, in sich, und er ist zum Ausdruck gekommen. Darüber wollen wir bei anderer Gelegenheit einmal reden, aber nicht in diesem Zusammenhange. Was ihn bewegt - das wissen wir aus unseren Auseinandersetzungen mit ihm -, ist die gleiche Sorge um diesen Staat.
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In dieser Frage, meine Damen und Herren, sollen wir uns, glaube ich, alle finden. Es wäre ja erschütternd, wenn der Eindruck entstände, dieser Fall John sei für die Gesundheit unseres Staates charakteristisch, das, was sich an Üblem, an Widerlichem, an Krankhaftem im Falle John manifestiert habe, sei ein Zeichen für den Zustand unse({3})
res Staates. Das will unser Freund Reinhold Maier nicht sagen. Das hat er auch, wenn man seine Worte richtig wägt, nicht gesagt. Das wäre ja eine Kritik an uns selbst, an den Menschen, die sich jetzt - ich wiederhole es - bemühen, aus dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus, aus dieser deutschen Katastrophe wieder einen Staat aufzubauen.
Wir empfinden doch alle die eigentliche Sorge, die Kiesinger richtig angeschnitten hat, daß das Staatsgefühl bei uns nicht fundiert ist. Das ist doch das Wesentliche der Vorgänge, der Flucht Johns und der Flucht eines Abgeordneten, daß Menschen mit höchster Verantwortung in unserem Staate, ein Mann in einem prominenten Amte, das dem Schutze dieses Staates dient, ein anderer, der als Mandatar des Vertrauens des Volkes wirken soll. sich an den Staat nicht gebunden fühlen, fliehen, den Staat verraten und zu den Todfeinden dieses Staates übergehen. Das ist die Frage, die uns gestellt ist, die Frage, die jede Partei in ihrem Schoße ernstlich wägen soll: Ist es uns gelungen, die deutschen Menschen an den Staat heranzuführen, wenn selbst an diesen Stellen Übles geschieht? Welches Verhältnis haben die Menschen zu unserem Staate? Wollen sie ihn? Bejahen sie ihn? Lieben sie ihn? Welches ist der richtige Weg, die Menschen zu dem Staat zu führen? Ist unsere Parteistruktur richtig? Haben wir das geistige Rüstzeug, um den Menschen an den Staat zu binden? Wenn ich meiner Partei eine Aufgabe gebe, dann ist das die höchste: über Interessen hinweg, über die religiöse Spaltung unseres Volkes hinweg Staatsbürger zu erziehen, Menschen, die eine echte Verpflichtung zu diesem Staate haben. Das ist die eigentliche Krisis, daß wir erkennen: Wir sind nicht so weit, es fehlt so viel; neben dem tragischen Schicksal unseres zerrissenen Vaterlandes kommt die weitgehende Apathie in unserem Volke. Fühlt sich der einzelne nicht zutiefst von dem Staate angesprochen? Wir haben durch eine gute Wirtschaftspolitik doch eine Art Wohlleben - ich weiß die sozialen Nöte -, aber ein weitreichendes Wohlleben geschaffen. Danken es die Menschen dem Staate? Haben wir nicht das bittere Empfinden, im Gegenteil, die Armut würde sie vielleicht stärker verpflichten, würde sie mehr an den Staat heranziehen? Wenn man durchs Land zieht in Wahlversammlungen - es ist ganz heilvoll, mit den Menschen zu sprechen -, erkennt man: ein großer Teil denkt nur an sich, an seinen Stand, an seine Interessen und hat nicht die Verpflichtung für das Ganze vor sich, sieht das Wesen der Politik nicht darin, zu fragen: Was nützt es dem ganzen Volke?, sondern nur darin, zu fragen: Welchen Vorteil kann ich für mich herausschlagen? Das sind die eigentlichen staatsbewegenden Probleme, die hinter diesen ephemeren Fällen John und Schmidt-Wittmack stehen.
Ich erkenne nicht an -- ich will das deutlich unterstreichen -, daß dieser Staat nicht sauber sei - ich wiederhole es noch einmal; man könnte aus den Worten meines Freundes Reinhold Maier den Vorwurf heraushören; das wäre wirklich ein Mißverständnis -,
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daß nicht in diesem Staate, in seinen Parlamenten, in seinen Regierungen, nun, in den Büros anständige, saubere, pflichteifrige Menschen am Werke seien, daß es uns nicht gelungen sei, so wie in den Ländern auch im Bunde eine vorzügliche Beamtenschaft zu schaffen. Das nehme ich auch für mich
als einen der Männer, die mit versucht haben aufzubauen, in Anspruch. Das war doch die Tragik des Falles John, daß wir damals genötigt waren, einen Mann auf einen Posten zu stellen, der nicht als Beamter gewachsen war, der uns nicht klar war als Persönlichkeit, den wir nicht durchschauen konnten, sondern der ein Hasardeur war, ein labiler Mann;
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ein Fall, der sich gar nicht mehr wiederholen kann, meine Damen und Herren, und das ist ein Erfolg der aufbauenden Tätigkeit der letzten Jahre.
Aber wir wollen etwas nicht verkennen, und ich will das auch nicht verkleinern - insoweit folge ich meinem Freunde Reinhold Maier -: die Erkenntnis der tiefen Erschütterung, der an sich labilen Haltung unseres Volkes. Das ist lebendig vorhanden. Das habe ich erst in den letzten Tagen wieder gefühlt, als ich in den Gremien meiner Partei - nicht nur der Fraktion, sondern auch der Partei - mit Menschen aus dem Lande sprach, wie die Menschen zutiefst aufgewühlt sind. Da setzt doch die Kritik an dem ein, was geschah.
Ich habe es für richtig gehalten, nach dem 20. Juli mich sehr hart zu äußern. Herr Innenminister Schröder hatte berechtigten Anlaß, gekränkt zu sein über mich und über meine Äußerungen, und war es auch. Ich halte trotzdem die Korrekturen, die ich angebracht habe, für richtig. Ich halte es für richtig, daß ich nach wenigen Tagen erklärt habe: John ist ein Verräter. Es hat mich keinen Augenblick interessiert, wie die Vorgänge in Wirklichkeit waren. Daß der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei den Todfeinden dieser Verfassung und dieses Staates war, das war Verrat, mag geschehen sein, was wollte. Auf jeden Fall wollte unser Volk - das war meine Überzeugung - eine klare Distanzierung von diesem Mann und von seinem Verhalten haben.
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Ich habe in der Folgezeit, glaube ich, auch das Empfinden der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht, wenn ich gesagt habe: diese Auslobung in Verbindung mit der Anregung an die Alliierten, die Auslieferung von John zu fordern, das hat auf jeden Fall in der Öffentlichkeit hilflos gewirkt. Man hat das Empfinden gehabt, die Bundesregierung hat nicht sensibel reagiert, die Bundesregierung hatte ihr Ohr nicht am Volke, am Herzen des Volkes.
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Die Bundesregierung hat - ich habe mit Herrn Bundesinnenminister Schröder ein eingehendes Gespräch über die Zusammenhänge gehabt - sicherlich von Fall zu Fall richtig, nach bestem Wissen entschieden. Es ist nur falsch angekommen und hat die Krisis nicht abklingen lassen, sondern hat sie verschärft und hat die Mißstimmung, die Erregung, die über den Fall John herrschte, auf die Regierung übertragen. So war die Entwicklung der Dinge. Deswegen sage ich Ihnen ganz freimütig die Meinung meiner Freunde: hier muß man die Verantwortlichkeiten deutlich erkennen lassen. Unser Volk muß fühlen, daß Verantwortungen getragen werden. Es kommt nicht auf das Verschulden an.
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Es kommt nicht darauf an, wie die Franzosen
sagen, ob jemand coupable, schuldig ist, sondern
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darauf, daß er responsable, daß er verantwortlich ist, daß er die Verantwortung trägt. Das war das Empfinden unseres Volkes: hier werden keine Verantwortungen getragen, hier werden - und da gebe ich Reinhold Maier recht - die innerstaatlichen Dinge nicht klar genug gesehen, hier hat man nicht die Hand am Puls unseres Volkes, hier denkt man nur weitgehend an die Wirkungen nach außen und übergeht eine Möglichkeit, aus einer Erkrankung unseres innerpolitischen Lebens einen beschleunigten Gesundungsprozeß zu machen. Das war unser deutliches Empfinden.
Deswegen können wir uns auch nicht entschließen, in klarer Weise ein Vertrauen auszusprechen. Das richtet sich nicht gegen den Herrn Bundesinnenminister Schröder, einen Mann mit vielen Fahigkeiten. Viele seiner Handlungen und Äußerungen sind doch in ein ganz schiefes Licht gekommen. Er kann mit Recht, wenn er die Situation, aus der eine Äußerung oder eine Handlung geschah, schildert, uns überzeugend nachweisen, daß er richtig gehandelt hat. Aber wir sind der Meinung, es ist jetzt schon zu viel Zeit verflossen, um solche äußersten Konsequenzen zu ziehen. Das wird auch unser Volk nicht mehr verstehen. Hier hat man in jeder Hinsicht nicht rasch, nicht entschlossen, nicht mit sicherem Gefühl gehandelt. Das kann man nicht nachträglich korrigieren.
Vielleicht, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, hat da auch das Gespräch zwischen uns gefehlt. Ihre Anträge standen ein kleines bißchen leer im Raum. Man hat nun das Empfinden: hier wird eine Gelegenheit genützt, um zu schlagen. Besonders angesichts des Katalogs Ihrer Fragen hatte ich das Gefühl: hier werden die Dinge doch ein kleines bißchen taktisch gesehen
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mit dem Ziel, weh zu tun, nicht mit dem Ziel, zu ordnen, zu regulieren, über diese Erschütterung unseres Staates hinwegzukommen. Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, den Gef allen werden wir Ihnen nicht tun, daß die Koalition, die sich unter höheren Gesichtspunkten zusammengefügt hat als unter denen der Politik des Tages, über diesen Fall zerbricht. Wir fühlen mit dem Bundeskanzler, dem unser Vertrauen gehört ({11})
- ich gebe Herrn Kiesinger durchaus recht -, in dessen Person, das darf ich vielleicht sagen, neben der Person unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten sich die Verkörperung des Staates, die Vertiefung des Staatsgefühls, soweit überhaupt diese Entwicklung möglich war, dargestellt hat und darstellen wird.
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Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren ({13}), wir würden ja kläglich politisch versagen, wenn wir über den Tagesstreit diese Grundlage unserer Außenpolitik und unserer entscheidenden innerstaatlichen Politik opfern würden.
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Das geschieht nicht, und das ist auch nicht der Wille meines Freundes Reinhold Maier.
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Wir sind mit großen geschichtlichen Aufgaben belastet. Wir werden uns dieser Last nicht entziehen. Wir hoffen nur - Herr Mellies, jetzt dürfen Sie nicht lächeln -,
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daß sich diese Gemeinschaft ausweitet. Gerade die Krisis der letzten Wochen könnte vielleicht ein Anlaß sein, daß das Verhältnis der Mehrheit des Bundestags zur Opposition sich wesentlich bessert. Ich habe das schon einmal an diesem Platze gesagt, Herr Ollenhauer, und ich wiederhole es und ich glaube es auch.
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Wir beschuldigen Sie nicht, meine Damen und Herren. Darüber kommen wir hoffentlich auch hinweg. Die Dinge sind zu tragisch, als daß sie mit dem Wollen oder dem Tun einer Partei in Zusammenhang stünden. Es sind höhere Gesetze, die am Werke sind. Aber wir können die Dinge nur besser leiten, wenn in diesem Hause ein grundsätzlich anderer Geist einzieht.
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Ich habe mit der Opposition bedauert, daß in dieser Woche die außenpolitische Aussprache nicht möglich war. Sie war überfällig, und sie war notwendig, gerade um uns zusammenzufinden. Und ich erkläre hiermit der Sozialdemokratie, daß es unser Wille, der Wille der Freien Demokraten ist, zu bekunden, daß uns diese Art der einseitigen, von der Opposition nicht unterstützten Außenpolitik nicht mehr tragbar erscheint.
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Wir meinen, daß die Bundesregierung, daß der Herr Bundeskanzler die Verantwortung trägt und tragen wird und daß sie niemand ihm abnehmen kann; daß die Regierungskoalition ihn dabei tragen muß, ist selbstverständlich. Aber das Schauspiel wollen wir unserem Volke und der Welt nicht mehr bieten, daß wir in den großen Zielen nicht eins seien, als ob eine Gruppe die Wiedervereinigung mit heißerem Herzen anstrebe als die andere. Hier müssen wir erreichen, eine Sprache zu sprechen. So wie die Krisis unsere Außenpolitik bereinigen muß, so hoffe ich auch, daß die inner-politische Erschütterung nicht die Atmosphäre innerhalb der Koalition, aber auch nicht in diesem Hause verdirbt, sondern daß wir uns - Herr Kiesinger hat es in ergreifender Weise gesagt - zusammenfinden. Es war schlimm, als Reinhold Maier hier heraufging und, lieber Herr Kiesinger, einer Ihrer Freunde von der bayrischen „Abart"
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sagte: „O weh!" - vielleicht hat er manches vorausgeahnt -,
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aber das war gerade nicht das Echo auf Ihre Mahnung: Hören wir uns an, schließen wir die Ohren auf!
Ich möchte meinen, wir sollten aus der Diskussion des Tages und aus der Erschütterung der Dinge, die dieser Aussprache zugrunde liegt, einen Entschluß fassen: mit besserem Willen als bisher uns anzuhören und uns zusammenzufinden am Dienste dessen, dem doch unser Wirken gelten muß, am Dienst für die deutsche Demokratie, die das Schicksal unseres deutschen Vaterlandes in sich schließt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Meine Damen und Herren! Der Verlauf der heutigen Debatte zeigt einige Eigenarten. Ich meine damit nicht so sehr das dramatische Zwischenspiel, dessen versöhnlichen Ausklang wir eben in den Worten von Herrn Dehler miterlebt haben. Der Ablauf der Debatte hat auch noch manche anderen Eigenarten.
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- Vielleicht, meine Damen und Herren, sind Sie bereit, mir zu folgen. - Ich habe den Eindruck, daß fast jeder Redner zu einem anderen Thema gesprochen hat. Wenn einige von den heute verlesenen Manuskripten als Schulaufsätze hätten zensiert werden müssen, ich fürchte, es hätte darunter gestanden: „Thema verfehlt".
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- Ich mache ja jetzt auch einen Aufsatz.
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Den können S i e ja korrigieren; das paßt besser in Ihren Beruf hinein, Herr Professor!
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- Meine Damen und Herren von der Opposition, warum sind Sie so nervös?!
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Ich gebe zu, daß ich mich in einer etwas glücklicheren Lage befinde, und nicht nur ich, sondern auch meine politischen Freunde befinden sich in einer glücklicheren Lage, denn an den Vorgängen, die heute Thema dieser Aussprache sein sollen, sind wir weiß Gott nicht beteiligt.
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- Sie bekommen auf alles eine Antwort; nur nicht so hastig!
Das Verfehlen des Themas liegt bereits in der merkwürdigen Formulierung, die Herr Dr. Menzel über seine Ausführungen stellte, als er von der Flucht des Dr. John sprach, und unsere durchaus freundschaftlich gemeinten Fragen, vor wem denn eigentlich Herr John geflohen sei, haben ihn bis zum Schluß nicht dahin bringen können, von dieser Vorstellung abzugehen. Als ob wir uns damit befassen könnten, aus welchen Gründen Herr John geflohen ist!
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Das richtige Stichwort zu dem eigentlichen Thema ist heute eigentlich nur in einer Äußerung des Herrn Bundesinnenministers gefallen. Er war meines Wissens der einzige, der die Formulierung „Kalter Krieg", „Auseinandersetzung im Kalten Krieg" hier in die Erörterung hereingebracht hat.
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- Verzeihung! Es kann sein, daß ich es überhört habe. Ich halte jedenfalls dieses Stichwort für das
entscheidende, und an diesem Stichwort haben viele der heute zu Worte gekommenen Redner glatt vorbeigesprochen.
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Es ist weiter gesagt worden, es sei ein nationales Unglück, mit dem wir uns nun auseinanderzusetzen und aus dem wir die Folgerungen zu ziehen hätten. Meine Damen und Herren, ist es zuviel gesagt, darüber noch einen Schritt hinauszugehen und zu erklären: es ist nicht nur ein nationales Unglück des deutschen Volkes, sonders es ist eigentlich ein Unglück aller Völker der freien Welt in ihrer harten Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus passiert!?
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Wenn dies richtig ist, dann sind daraus Folgerungen zu ziehen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde.
Meine Damen und Herren, über dieser Debatte haben von vornherein zwei Gefahren gestanden: einmal, daß man geneigt sein würde, zu versuchen, die Vorfälle zu bagatellisieren und zu verniedlichen, und zum andern - und das halte ich für eine noch größere Gefahr -, daß man den Versuch machen würde, von den entscheidenden Fragen abzulenken, um die es heute geht.
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- Es freut mich, daß ich gerade von Ihnen Zustimmung bekomme; denn Sie habe ich nämlich damit gemeint.
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Meine Damen und Herren! Die ersten Sätze, die Herr Mellies aussprach, berechtigten eigentlich zu einer gewissen Hoffnung. Er sagte nämlich, er sei gewillt, heute bei der Erörterung des Themas den Gesamtinhalt des Problems auszuschöpfen. Bei dieser hoffnungsvollen Ankündigung ist es dann aber leider verblieben. Ich habe nur den Eindruck, daß er in der Suppe etwas herumgerührt hat, so daß es vielleicht richtiger ist, zu sagen, er sei geradezu um den heißen Brei herumgegangen. Die entscheidende Frage scheint doch zu sein, eine Prüfung der Vorgänge von der Einstellung bis zum Überlaufen Johns zu erreichen, um festzustellen, ob sich die Beurteilungs- und Bewertungsmaßstäbe, die bei der Einstellung dieses Mannes seinerzeit angewendet und die lange aufrechterhalten wurden, im Interesse nicht nur Deutschlands, sondern auch im Interesse der Auseinandersetzung der freien Welt mit dem Bolschewismus überhaupt noch rechtfertigen lassen. Bei der Einstellung - ich habe es auch heute noch nicht recht klar erfahren - war doch offenbar bekannt -ich bitte den Herrn Bundesinnenminister, mir zu widersprechen, wenn ich das falsch aufgefaßt habe -, in welchen Wirkungskreisen Herr Dr. John vom Jahre 1944 bis zum Amtsantritt als Präsident des Verfassungsschutzamtes tätig gewesen ist. Nach meiner Auffassung wartet das deutsche Volk jetzt darauf, daß wir die Frage beantworten, ob man heute noch gewillt ist, einem Mann eine Chance in entscheidenden öffentlichen Schlüsselpositionen zu geben, der eine derartige Vergangenheit aufzuweisen hat, wie das bei Herrn Dr. John der Fall ist. Hierauf, meine Damen und Herren, sollte man eigentlich mit einem klaren Ja oder Nein antworten, und nach meiner Auffassung hat eigentlich
({12})
nur der ein Recht, die Entschließung der Bundesregierung - ({13})
- Ich komme auch darauf! Haben Sie keine Furcht; ich komme auch darauf! - Aber vielleicht ist es besser, - ({14})
- Das ist ja nett! Das ist ja ausgezeichnet! Hoffentlich sind Sie keinem Schwindel aufgesessen.
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- Mir reicht es!
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Meine Damen und Herren, ich bitte, die Rede nicht zu einer persönlichen Diskussion ausarten zu lassen.
Ich bleibe Ihnen die Antwort nicht schuldig; haben Sie keine Furcht!
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Es hat doch nur derjenige ein Recht, die Einstellung Dr. Johns - ich setze voraus: bei Kenntnis seiner Vergangenheit - heute zu kritisieren, der im damaligen Zeitpunkt bereit war, aus den Gründen dieser Vergangenheit ein klares und deutliches Nein zu sagen. Wir haben heute bereits gehört, daß damals bei den Erörterungen des Untersuchungsausschusses über die Personalpolitik des Auswärtigen Amts die Personalpolitik von der SPD - und wenn ich recht unterrichtet bin, ich habe ja damals nicht im Bundestag und nicht im Ausschuß gesessen, ist der Wortführer Herr Dr. Menzel gewesen - in besonders pointierter Weise deshalb kritisiert worden ist, weil sie nicht bereit war, einen so verläßlichen und vielleicht auch verdienten Mann wie Dr. John in den Apparat hineinzunehmen.
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- Ich hoffe, daß Sie sich dazu melden werden! Ich habe meine Kenntnis nämlich von einem der Vorredner - wenn ich nicht irre, war es sogar der Herr Bundesinnenminister -, und ich habe bisher keinen Widerspruch gehört. Es ist doch von Ihrer Seite aus bei den Erörterungen der Personalpolitik des Auswärtigen Ausschusses eine Lanze für Herrn Dr. John gebrochen worden, weil das Auswärtige Amt vorsichtiger war als das Innenministerium und die Beschäftigung dieses Herrn abgelehnt hat.
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Ich bitte um eine Frage, Herr Präsident!
Herr Kollege Erler, bitte!
Ich frage den Herrn Abgeordneten, ob er bei der Vorbereitung seiner Rede nicht die Gelegenheit benutzt hat, den Schriftlichen Bericht
des Untersuchungsausschusses, des 47. Ausschusses, Drucksache 3465, des 1. Deutschen Bundestages vor Erhebung dieser Angriffe zur Kenntnis zu nehmen.
Ich werde darauf antworten. Ich habe eben bereits darauf hingewiesen, daß die Behauptung, die ich jetzt wiederhole, heute von dem Herrn Bundesinnenminister hier vorgetragen worden ist, ohne daß ein Widerspruch entstand.
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Ich werde nachher auf diese Verletzung der Sorgfaltspflicht bei der Vorbereitung von Ausführungen im Bundestag zurückkommen.
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Hier haben Sie einen Zensor, der bietet sich schon an! Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, weshalb Sie auf diese Bemerkung einen so ungeheuren Wert legen.
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Meine Damen und Herren, Sie können sich ja von den Befürchtungen, die ich hege, viel einfacher exkulpieren. Antworten Sie doch klipp und klar auf die Frage, ob die Opposition bei Kenntnis der Vergangenheit des Herrn Dr. John im Jahre 1950 bereit gewesen wäre, mit allen Zeichen des Abscheus zu sagen: Unmöglich, diesen Mann in eine Schlüsselposition hineinzusetzen. Aus dieser Antwort wird die Kontroverse, die wir augenblicklich haben, ja sehr leicht geklärt werden können.
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- Entschuldigen Sie einmal: Warum soll ich nicht dazu legitimiert sein? Ich besitze genau so das Vertrauen deutscher Wähler wie Sie, verehrter Herr Kollege. Daß Ihre Wähler mit größerem Recht ihre Mandate verteilen können als meine Wähler, werden Sie uns erst erklären müssen. Diese demokratische Auffassung haben wir bisher noch nicht gehört.
({2})
Meine Damen und Herren, es ist doch der einzige Grund gewesen, mit dem man im Jahre 1950 Herrn John hätte ablehnen können. Es hat doch tatsächlich damals nicht etwa Gründe gegeben, die uns heute bekannt sind, nämlich seine möglicherweise schon länger vorhandene Verbindung mit dem Sowjetsystem. Die verschiedenen Vorwürfe, die jetzt in letzter Zeit hinsichtlich seines persönlichen Lebens, ob mit Recht oder Unrecht, erhoben wurden, haben damals noch nicht vorgelegen. Wenn also ein Vorwurf erhoben werden kann, dann doch nur der, daß man damals nicht bereit gewesen ist, aus dieser Vergangenheit die Schlüsse zu ziehen, nämlich den einzig möglichen Schluß: Nein, solch ein Mann gehört nicht hinein! Und hierzu ist heute deutlich mit Nein oder Ja zu antworten. Das erwartet nach meiner Auffassung das Volk mit Recht von seinem Bundestag.
Zu einer Zwischenbemerkung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Lütkens.
Kann mir der Herr Abgeordnete Dr. Dehler sagen, ob - ({0})
Herr Dr. Dehler, Sie wurden angesprochen!
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Ich nehme an, daß der Herr Abgeordnete Dr. Lütkens auf seine Frage verzichtet. - Fahren Sie fort!
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Er kommt jetzt noch. Na also, endlich!
Herr Abgeordneter Lütkens zu einer Frage!
Herr Präsident! Ich ziehe diese Frage zurück. Ich konnte meiner Augen wegen den Redner nicht sehen und an seiner Sprache nicht erkennen.
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Ich bitte den Redner, fortzufahren!
Ich weiß nicht, war es eine Frage oder war es eine kluge Bemerkung?
Herr Abgeordneter Dr. Gille, bitte fahren Sie fort!
Es ist heute schon mit Recht gesagt worden - vielleicht darf ich es noch einmal unterstreichen und etwas deutlicher formulieren -: Wenn der neue Bundesinnenminister im Laufe des letzten Jahres eines Tages aus Gründen, die er nicht ohne weiteres der Öffentlichkeit verständlich machen konnte und die etwa so lauteten: „Ich traue diesem Mann nicht mehr über den Weg, er muß mir da weg", den Entschluß gefaßt hätte, Herrn Dr. John abzubauen: ich hätte das Geschrei hören wollen von denjenigen,
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die heute nicht bereit sind, die Grundfrage, die ich vorhin bereits formuliert habe, wirklich ohne jeden Vorbehalt zu bejahen.
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Der Herr Bundesinnenminister hat eine Formulierung gebraucht; bei der möchte ich - ({2})
- Ich habe etwas von Entnazifizierung gehört. Ich komme auf das Thema noch.
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Dazu haben Sie mir das Stichwort ja vorhin schon zugeworfen.
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Der Herr Bundesinnenminister hat in seinen Ausführungen davon gesprochen, daß bei der Einstellung des Herrn Dr. John eine Empfehlung - ich glaube, es waren Ihre Worte - von namhafter Seite vorgelegen habe. Meine Damen und Herren, wir sollten doch heute frei und offen reden, um den ganzen Nebel zu zerstreuen und um auch klare Antworten zu geben, wie sie heute von uns erwartet werden. In der deutschen Presse ist im Zusammenhang mit der Einstellung von Herrn Dr. John
wiederholt der Name des Herrn Bundesministers Jakob Kaiser gefallen.
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Ich glaube, man sollte aus verschiedenen Gründen darüber nicht mit Stillschweigen hinweggehen, nicht zuletzt auch im Interesse des Herrn Jakob Kaiser. Es sollte doch von Herrn Jakob Kaiser eine Äußerung erbeten werden, ob er der Meinung ist, daß bei voller Kenntnis des Treibens des Herrn Dr. John vom Jahre 1944 bis zum Antritt seines Amtes tatsächlich eine Empfehlung für die Einnahme einer solch wichtigen Schlüsselstellung berechtigt gewesen ist.
Über die fachliche Eignung dieses Herrn ist heute verhältnismäßig wenig gesagt worden. Es kann sein, daß man sich damals darüber gar keine Kopfschmerzen gemacht hat. Irgend etwas aus seinem bisherigen beruflichen Wirken brachte er für diese doch sehr schwere Materie weiß Gott nicht mit. Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, wissen alle viel mehr als vorher. Ich habe gerade aus den Kreisen der Länderinnenministerien Stimmen gehört, die etwa so lauteten: Daß dieser Mann völlig fehl am Platze war, schon wegen seiner völlig fehlenden fachlichen Qualität, ist uns seit Jahr und Tag bekannt!
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- Entschuldigen Sie, diese schlaue Äußerung habe ich erst hinterher zu hören bekommen.
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- Entschuldigen Sie, ich sagte ja eben, diese Äußerungen kommen jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, von allen Seiten, und jeder weiß etwas hinzuzutragen. Dazu gehört auch die Behauptung der völlig fehlenden Eignung fachlicher Art.
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- Ich habe Sie nicht verstanden.
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- Ja, ganz genau.
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- Ich weiß nicht.
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Meine Damen und Herren, es ist auch schon mit Recht die Frage gestellt worden: Wenn schon im Jahre 1950 die Einstellung unter starker Einflußnahme der Besatzungsmächte erfolgt ist, mußte das wirklich vier Jahre so bleiben?
Ich darf Sie einmal an die Sitzung des Bundestags vom 8. Juli dieses Jahres erinnern, in der meine Fraktion einen persönlichen Vorwurf gegen Herrn Dr. John zu erheben gehabt hat. Zu unserer großen Freude hat sich damals der Herr Bundesinnenminister sofort erhoben und im Namen der Bundesregierung erklärt, daß diese unqualifizierbare Äußerung des Herrn Dr. John bedauert und mißbilligt wird. Es war meines Wissens das erstemal, daß in bezug auf einen Vorwurf gegen die Person des Präsidenten des Verfassungsschutzamtes eine
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so erfreulich deutliche Äußerung von der Regierungsbank zu hören war. Ich vermißte von seiten der heute so heftigen Kritiker damals auch nur die Andeutung eines Beifalls zu dieser Erklärung des Herrn Bundesministers.
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Gerade zu diesem letzten Fall darf ich hinzufügen, daß uns die Antwort des Herrn Bundesinnenministers seinerzeit deshalb so erfreulich klang, weil die Bemühungen, die Dinge in einem persönlichen Schreiben an das Bundeskanzleramt zu bereinigen, leider eine völlig unbefriedigende Antwort des Herrn Staatssekretärs Globke einbrachten. Ich habe das nur angeschnitten, weil es mir wichtig zu sein schien, auch einmal das Positive in der Behandlung dieser Materie durch den Herrn Bundesinnenminister hervorzuheben.
Nun zu den ersten Reaktionen in Bonn. Herr Bundesinnenminister, ich bin für vieles, was damals von Ihnen persönlich geschehen und auch von Ihnen zu verantworten ist, nicht in der Lage, Ihnen den Beifall meiner politischen Freunde zu zollen. Es ist insoweit so vieles an Einzelheiten gesagt worden, daß ich es mir wohl ersparen kann, es zu wiederholen.
Ich darf in diesem Zusammenhang gleich zu der Frage Stellung nehmen, wie meine Fraktion zu dem Mißbilligungsantrag der Opposition stimmen wird. Zweifellos ist etwas Berechtigtes an der Äußerung, die, glaube ich, Herr Maier im Namen seiner Fraktion getan hat: Die ganzen Zusammenhänge, in deren Rahmen auch nur die Vorgänge unmittelbar nach dem Überlaufen Johns richtig zu beurteilen sind, sind im Augenblick in keiner Weise so geklärt, daß man das Verhalten des Bundesinnenministers in seiner Gesamtheit beurteilen könnte. Aber das ist nicht der wichtigste Grund, weshalb wir dem Mißbilligungsantrag nicht zustimmen können. Der eigentliche Grund ist der: wir möchten uns durch eine Zustimmung zu diesem Antrag die Begründungen, die heute von der Opposition vorgetragen worden sind, keineswegs zu eigen machen. Sie gehen in vielen Fällen am Ziel vorbei und finden nicht unsere Zustimmung.
Im Laufe der Debatte sind die verschiedensten Differenzierungen von Bevölkerungsgruppen gemacht worden. Wir haben von „echten" Widerstandskämpfern, von „unechten" Widerstandskämpfern, von Nazis, von „alten" Nazis, von „unverbesserlichen" und von solchen, die sich „gebessert" hätten, gehört. Wir haben heute gehört, daß man auch von „Vollblutdemokraten" sprechen könne. Vielleicht kann man auch - wenn ich diese Differenzierung noch weitertreiben darf - von jungen, von alten und von uralten Demokraten sprechen. Aus all diesem geht doch wohl das eine mit erschreckender Deutlichkeit hervor: daß wir in unserem Volke vor der traurigen, der tieftraurigen Situation stehen, daß immer wieder mit Pauschalurteilen versucht wird, uns auseinanderzubringen, uns auseinanderzureden, anstatt uns zusammenzufügen.
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In diesem Zusammenhang komme ich auch auf die angebliche Nazigefahr, ein Stichwort, das ja bezeichnenderweise Herr Dr. John in seinem ersten Interview in Pankow hier zu uns herübergerufen hat. Dieses Stichwort ist leider von einigen mit besonderer Freude aufgenommen und auch heute in der Diskussion breitgetreten worden. Herr Mellies hat es dabei für notwendig befunden, einen
meiner Parteifreunde besonders zu apostrophieren. Wir sind es ja in der letzten Zeit gewohnt, daß die SPD keine Gelegenheit vorübergehen läßt, derartige Vorwürfe auszusprechen. Ich verstehe nicht, daß nicht langsam das Empfinden überhandnimmt, daß man damit doch eigentlich die Arbeit deutschfeindlicher Kräfte des Auslands tut.
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Es scheint doch nötig zu sein, diese Überlegung endlich einmal ernstlich anzustellen.
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Meine Damen und Herren, ich will Ihnen auch noch mehr dazu sagen. Ein Mann wie mein Parteifreund Waldemar Kraft, der in seinem ganzen Leben, und zwar unter Umständen, die wesentlich schwieriger gewesen sind, als die Mehrzahl von uns sie haben erleben dürfen, nämlich im polnischen Ausland, führend in der deutschen Volksgruppe tätig war, hat sich in dieser seiner jahrzehntelangen Tätigkeit, was Sie bei einiger Nachprüfung unschwer hätten feststellen können, nicht nur das Vertrauen der deutschen Volksgruppe, sondern, was noch wertvoller war, in hohem Maße auch das Vertrauen des polnischen Volkes erwerben können. Ich habe keine Veranlassung, mich über diese Tatsachen, die der Öffentlichkeit nicht erst seit gestern und heute bekannt sind, weiter zu verbreiten. Aber man hat beinahe so den Eindruck - wenn Sie gerade im Zusammenhang mit Dr. John auch heute hier in aller Breite von dieser angeblichen Nazigefahr sprechen -, als ob Herr Dr. John zu Himmler übergelaufen wäre. Davon kann doch keine Rede sein. Herr Dr. John ist doch nicht etwa zu Himmler, sondern zu einem System übergelaufen - und nun lassen Sie mich etwas deutlich antworten -, in dem einzelne Ihrer Freunde jahrelang eine politische Erziehung genossen haben. Es ist mehr als dreist, meine Damen und Herrn, bei der Erörterung eines solchen Themas nun die Dinge auf den Kopf zu stellen und so zu tun, als ob Sie es gerade in diesem Augenblick notwendig hätten, hier von einer Nazigefahr zu sprechen.
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- John ist nicht mein Kronzeuge, sondern Ihrer! Denn Sie, Herr Menzel, oder vielmehr einzelne Ihrer Parteifreunde, haben dieses Stichwort mit Wonne in der Begründung aufgegriffen.
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Herr Abgeordneter Dr. Arndt, Sie haben die Würde des Parlaments verletzt. Ich rufe Sie zur Ordnung.
Sie haben es gerade nötig!
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Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Redner in Ruhe ausreden zu lassen. Es wird viel wirkungsvoller sein, wenn Sie ihm von der Rednertribüne aus erwidern.
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Na, wann sind die Nerven beruhigt?
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- Ich kann warten, ich habe keine Veranlassung, weiterzusprechen. Meine Damen und Herren, ich habe schon eingangs gesagt, daß es hier um eine Auseinandersetzung im Kalten Krieg geht, um eine Auseinandersetzung innerhalb der Spannungen zwischen Ost und West, um eine Auseinandersetzung zwischen der freien Welt und der bolschewistischen Gefahr. Hier muß nun klar und unmißverständlich Stellung bezogen werden. Auch kann die Aufgabe eines Verfassungsschutzamtes in einem Staate, der in einer derartigen Spannungssituation lebt, nicht verglichen werden mit dem normalen Aufgabenbereich eines Verfassungsschutzamtes, das dieser besonderen Situation nicht gegenübersteht. Ich glaube, wir sollten uns doch über eines einmütig im klaren sein, daß, mögen noch so viel unverbesserliche Nationalsozialisten im Lande herumschwirren, mit dieser Gefahr die Machtmittel unseres Staates ganz allein fertig werden können. Dem steht aber doch die kommunistische Infiltrationsgefahr im Kalten Kriege in einer viel, viel größeren Stärke gegenüber, weil hinter dieser Gefahr die gesamte geballte Kraft des Bolschewismus steht. Es bedeutet also eine völlige Verniedlichung dieser Gefahr, wenn Sie bei jeder Gelegenheit so tun, als ob hier etwa in bezug auf die Größe der Gefahr gleich zu bewertende Tatbestände vorlägen.
Ich glaube, wir sollten es auch heute nicht unterlassen - der Name ist wohl schon zweimal genannt worden -, das merkwürdige Wirken des englischen Korrespondenten Delmer in das richtige Licht zu rücken. Das deutsche Volk und auch die Bundesregierung haben eigentlich genügend Anlaß, zu erwarten, daß die Regierungen der freien Länder auch einmal diesen Vorfall zum Anlaß nehmen, zu überprüfen, in welchem Maße denn von ihrer Seite oder von seiten der Angehörigen ihrer Staaten hier mitgewirkt ist, und zwar für uns unabwendbar.
Der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stimmen wir zu. Wir bedauern, daß die Antragsteller die Mitgliederzahl des Untersuchungsausschusses auf 15 Personen begrenzt haben. Ich habe mich davon überzeugen müssen, daß ich nach unserer Geschäftsordnung nicht in der Lage bin, Ergänzungsanträge zu einem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu stellen. Ich glaube der Opposition nicht unterstellen zu dürfen, daß die Einsetzung - ({1})
- Ist das möglich, Herr Präsident, daß ich einen Zusatzantrag stelle?
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- Aha, dann darf ich vielleicht einen Ergänzungsantrag stellen. Sonst wollte ich eine entsprechende Bitte an die Antragsteller richten. Ich kann nicht annehmen, daß es ihre Absicht war, uns und die Deutsche Partei bei dieser bedeutungsvollen Arbeit auszuschließen. Wenn die Antragsteller die Absicht gehabt haben - Ihr freundliches Lächeln scheint das anzudeuten -, dann bitte ich einen Antrag von unserer Seite nachreichen zu dürfen, der dahin lauten wird, entweder die Mitgliederzahl t des Ausschusses auf 27 zu erhöhen, damit nach dem
d'Hondtschen System jede Partei mit mindestens einem Abgeordneten vertreten ist, oder dafür zu sorgen, daß jede Partei dieses Bundestages an dieser Arbeit beteiligt werden kann. Den schriftlich formulierten Antrag wird meine Fraktion wohl inzwischen einreichen.
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- Das können Sie ja dann zusätzlich beschließen. Die Aufgaben dieses Untersuchungsausschusses sind von den Antragstellern umrissen. Wir haben nur den einen Wunsch, daß man hier wirklich ganze Arbeit leistet.
Ich bitte, einen Augenblick zu unterbrechen. Der Abgeordnete Welke wünscht, eine Zwischenfrage zu stellen.
Herr Kollege Dr. Gille, Sie haben sich vorhin im Zusammenhang mit dem Zwischenruf meines politischen Freundes Dr. Arndt gegen die Bezeichnung „Lump" zur Wehr gesetzt. Ich habe eine Frage an Sie. Mir ist bekanntgeworden, daß Sie im schleswig-holsteinischen Wahlkampf den Mann, zu dessen Gedenken wir am heutigen Morgen aufgestanden sind, nämlich meinen Freund Willi Tenhagen, in einer Art und Weise in der Öffentlichkeit beschmutzt und besudelt haben, daß ich mich eben aus diesem Grunde hier zu Wort melden muß. Sie haben ihn im Zusammenhang mit dem Fall John genannt und haben zum Ausdruck gebracht, daß er eventuell Selbstmord begangen habe. Ich stelle an Sie die Frage: Ist das wahr?
Ich darf festhalten, daß, wenn der Redner im Wahlkampf eine Beleidigung gebraucht hat, es Sache der betreffenden Stelle ist, einen Antrag zu stellen und auf dem 1 ordentlichen Wege über den Ausschuß für Wahlprüfung und Immunität die Immunität aufheben zu lassen.
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- Meine Damen und Herren, Sie werden von mir nicht verlangen, daß ich auf Grund von Äußerungen im Wahlkampf Ordnungsstrafen verhänge.
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Meine Damen und Herren! Ich stelle zunächst fest, daß der Herr Dr. Arndt den Ausdruck „Lump" in einem Zusammenhang mit Äußerungen, die ich hier auf dem Rednerpult getan habe, gebraucht hat und daß dieser Ausdruck in keinerlei Zusammenhang gestanden hat mit irgendwelchen Äußerungen, die ich im Wahlkampf getan habe. Bitte, ziehen Sie die Konsequenzen, die Sie für notwendig halten. Ich werde das, was ich gesagt habe, zu verantworten wissen. Da brauchen Sie gar keine Furcht zu haben.
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- Das Entscheidende ist, daß diese Rede keine Begründung für den Ausdruck ist, für den Herr Dr. Arndt zur Ordnung gerufen wurde.
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Meine Damen und Herren! Über das Ziel des Untersuchungsausschusses haben die Antragsteller versucht, gewisse Vorschläge zu machen. Wir haben den dringenden Wunsch, daß hier der Versuch gemacht wird, wirklich ganze Arbeit zu leisten. Ich will ausdrücken, was ich damit meine. Der Fall Dr. John gibt uns ausreichenden Anlaß, einmal zu überprüfen, ob all diejenigen, die durch irgendwelche Einflußnahmen von Angehörigen der Besatzungsmächte in Schlüsselstellungen hineingekommen sind, tatsächlich unter der gegenwärtigen Situation als tragbar bezeichnet werden können. Ich glaube, diese Klärung und notfalls diese Säuberung ist das, was der Fall John als politische Lehre von uns verlangt.
Die Reaktion der Bevölkerung auf das Überlaufen von John ist schockartig gewesen. Es wird auch von uns bedauert, daß wir erst verhältnismäßig spät die Möglichkeit haben, dazu hier im Bundestag zu sprechen.
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- Leider nicht!
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Wir glauben, der Bundestag würde seine Aufgabe verfehlen, wenn er nicht in diesem Ziel der Nachprüfung zu einer einmütigen Auffassung kommen könnte. Ich darf darauf hinweisen, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik - das möge insbesondere das Ausland, das ja im Falle John manche Kritik an uns geübt hat, sich gesagt sein lassen - sich derart immun gegen radikale Tendenzen nach beiden Seiten, insonderheit aber gegen die bolschewistische Gefahr gezeigt hat. Der Beweis I liegt vor aller Augen hier in der Tatsache, daß im 2. Bundestag kein Angehöriger der kommunistischen Partei mehr ist.
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Dies ist eine Leistung für die Gesamtheit der freien Welt. Daraus kann das deutsche Volk das Verlangen herleiten, daß auch die Regierungen der freien Welt sich bemühen, von ihrer Seite alles zu tun, damit der Bundesregierung die volle Entschlußfähigkeit gegeben wird, um Vorfälle wie den Fall John für die Zukunft unter allen Umständen zu verhindern.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war für den heutigen Tag ein sogenanntes parlamentarisches Gewitter angekündigt. Es hat Donner und Blitz und auch einen recht giftigen Nebel hier schon gegeben. Ich glaube, dieses parlamentarische Gewitter, die verschiedenen Äußerungen, die Bälle der Vorwürfe, die sich in dieser sehr ernsten Frage die einzelnen Gruppen zuwerfen, - das kann nicht der Sinn einer solchen Aussprache sein.
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Meine Damen und Herren! Ich sage hier vorweg, daß ich Kritik an unserer Bundesregierung zu üben habe, Kritik auch an uns selbst, an uns allen, die wir hier sitzen. Ich fühle hier solidarisch und - in diesem Zusammenhang möchte ich einmal diesen Ausdruck gebrauchen - in einem gewissen Kollektivbewußtsein, daß wir einen Anlaß haben, in uns zu gehen.
Der Sinn dieser Sitzung ist doch der, daß die gestörten Loyalitäts- und Vertrauensgrundlagen im Volke in einer sehr gefährlichen und gefährdeten Zeit wiederhergestellt werden müssen. Es ist nicht so sehr der Sinn, uns gegenseitig Vorwürfe zu machen; der Sinn ist, in uns zu gehen und einige Dinge zu begradigen und zu berichtigen, die dafür überreif sind. Es ist ein Mißtrauen aufgekommen, eine Atmosphäre, die geradezu das gegebene Feld für die Taktik der von Moskau aus gelenkten Kräfte in diesem Lande ist, nämlich das zu verwirklichen, was sie wollen: Zersetzung, Zerreißung, Hoffnungslosigkeit, Nihilismus. Schließlich wirft jeder die Sache weg und hat nicht mehr die tiefe, klare Überzeugung in sich über den Weg, den wir gemeinsam zu gehen haben.
Meine Damen und Herren, der Mann John mag sehr uninteressant sein, und auch der Abgeordnete Schmidt-Wittmack und die ganzen Gründe hin und her, warum und wieso. Das ist nicht das Wesentliche. Wesentlich ist, zwei Dinge zu erkennen: daß anhand dieser beiden Fälle sich etwas ausgelöst hat - wie manchmal ein Anlaß eine Entwicklung ins Rollen bringen kann -, was eine Gefahr für Staat und Volk und Zukunft darstellt. Diesen Ernst der Situation - daß hier sozusagen ein Tropfen noch hinzugekommen ist, um das Gefühl der Unsicherheit auszulösen - hat man weitgehend und, ich möchte sagen, auf allen Seiten nicht ganz begriffen, nicht schnell genug begriffen, hat nicht aus gesundem Instinkt auf diese Gefahr hin zu handeln gewußt.
Wir haben hierbei zwei Dinge zu unterscheiden. Einmal sind die Vorgänge auf diesem Feld Maßnahmen im Kalten Kriege. Das zweite ist die Frage der innenpolitischen Staatsgrundlagen, die mit diesen beiden Fällen erneut zur Diskussion gestellt worden ist. Hier ist eine Verantwortung von uns wahrzunehmen, daß wir auf diesen beiden kritischen Gebieten das richtige Maß halten, damit wir nicht aus dem einen Feld in das andere Feld vorstoßen und dort Grundlagen unserer gemeinsamen Existenz gefährden.
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Hier ist Maßhalten geboten. Ich darf für das innere Feld allerdings vorweg eines sagen - und das ist der Grundsatz, aus dem heraus ich heute namens meiner politischen Freunde Stellung nehmen möchte -: Wir werden uns - und da sind Sie wohl alle meiner Meinung - immer gegen eine Auffassung wenden: Ein Staat kann niemals auf das Satellitenverhältnis der Kollaboration begründet werden;
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und hier ist der Punkt, der das Volk so tief beunruhigt hat.
Wir sollten heute -- das sind wir der Öffentlichkeit schuldig - einmal glatt zugeben, daß wir Fehler gemacht haben, und zweitens, daß das Gebot der Stunde Aufrichtigkeit ist, Aufrichtigkeit in dem, was hier gebessert werden kann. Denn dieses Stückchen Erkenntnis wird uns wesentlich weiterbringen.
Man muß natürlich die Fälle John und Schmidt-Wittmack unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Der Fall unseres Kollegen - ich
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möchte ihn nicht mehr Kollege nennen; denn ich meine, mit dem, was er getan hat, hat er das Recht verwirkt, von uns überhaupt noch als Mensch anerkannt zu werden, mit dem man zusammensitzen könnte - Schmidt-Wittmack ist an sich der viel ernstere Fall. Er geht auf die Wurzel. Daß ein Mann, der von seinen Wählern ein Mandat erhält, dieses Mandat verrät, und zwar in einem grundsätzlichen Sinne verrät, ist eine Ungeheuerlichkeit, die weit über das hinausgeht, was jener labile Mensch mit dem Namen John - Verräter hat es immer gegeben, auch in anderen Situationen - gemacht hat. Ich muß sagen, da wir hier in diesem Hause sind: wer diese Loyalitätspflichten gegenüber den Grundlagen des Staates verrät, der hat damit allerdings ein Verbrechen begangen, das ich moralisch schlimmer werte als den juristischen Tatbestand des Landesverrates. Es ist ein tiefer Verrat all der Grundlagen, aus denen wir überhaupt unsere Legitimation beziehen, Sprecher dieses Volkes und in dieser Zeit zu sein. Ich muß sagen, daß ich persönlich durch dieses Überlaufen am tiefsten betroffen bin, daß ich mich persönlich in meiner eigenen Legitimation gekränkt fühle. Das sollten wir in diesem Hause einmal ganz klarstellen, nicht Vorwürfe machen, sondern uns bewußt machen, was es heißt, daß in dieser Stunde ein Mann aus unseren Reihen, gleichgültig, wo er politisch gestanden haben mag, überläuft, und zwar nicht nur zum Feinde, sondern zu jener Gruppe, die die letzten Reste der Menschenwürde vernichten will, übergeht
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und dazu noch das Anliegen mißbraucht, das wir als tiefe Sehnsucht in uns tragen: die Einheit un-seres Staates wiederherzustellen. Auf diesen Mißbrauch hin jenen Weg zu gehen, ist allerdings tief betrüblich.
Die psychologischen Fehler. Was mache ich hier der Regierung zum Vorwurf? Ich kann auch da trotz unserer alten und guten kollegialen Beziehungen den Herrn Innenminister nicht auslassen. Der Grundfehler war die Neigung zur Bagatellisierung, einem Wunschbild zu folgen: Es wird doch wohl nicht wahr gewesen sein; so können wir uns ja in einem Manne nicht geirrt haben. Das ist meiner Ansicht nach der psychologische Grundfehler, und das soll man eingestehen. Jeder Mensch kann sich irren. Ein sozusagen gewerbsmäßiges, grundsätzliches Mißtrauen gegen seinen Nächsten, besonders auch in der Verwaltung, betrachte ich als die Zumutung einer menschlichen Erniedrigung, die man gar nicht schlimmer machen kann; denn Mißtrauen macht den Menschen gemein. Es ist ganz undenkbar, daß wir nun etwa einen Staat auf den Grundsätzen des Mißtrauens aufbauen. Mein Gott, wo sollen wir dann hinkommen! Dann besteht dieses Volk keine Krise; dann besteht man auch menschlich nichts mehr.
Das ist nicht der Punkt gewesen, sondern es ist doch ein ganz einfacher Tatbestand: Ein Mann dieses Amtes geht über die innerdeutsche Leidensgrenze. Was hat der Chef eines Verfassungsschutzamtes drüben Kontakt zu nehmen? Schon dieser Tatbestand allein genügte, daß eine Reaktion mit absoluter Klarheit erfolgte. Gerade diese innere Neigung, die sogenannte Entführungstheorie aufzustellen und dann allzulange aufrechtzuerhalten, ist eine Verkennung der Situation im Grundsätzlichen. Das sollte man eingestehen und ruhig zugeben. Es ehrt einen Menschen, einen Irrtum einzugestehen. Das ist meine Auffassung.
Es kommt noch ein Zweites hinzu. Ich begrüße es - ich selbst habe diesen Grundsatz als Jurist immer sehr verteidigt -, daß man in allen rechtsstaatlichen Fragen, zumal dann, wenn es auch um Verdächtigungen geht, sehr korrekt zu verfahren hat. Dieser Grundsatz der absoluten Korrektheit ist natürlich auch von dem Herrn Innenminister zu wahren, und er hat ihn auch sehr gewahrt. Aber ich habe doch den Eindruck gewonnen, daß in der Art der Untersuchung das juristisch Korrekte gegenüber der politischen Tragweite dieses Falles etwas zu sehr in den Vordergrund gestellt worden ist. Wie man dann noch dazu kommen konnte, diese Note an die Alliierten loszuschicken, ist mir restlos unverständlich. Das hat der Innenminister natürlich nicht zu verantworten. Ich möchte überhaupt in diesen meinen Ausführungen nicht so sehr mit dem Finger auf Personen zeigen und mit Entschuldigungsgründen hin und her operieren. Nein, gerade wir, die wir die Koalition tragen und sie bejahen, sollten einen Fehler, der hier begangen worden ist, auch deutlich machen. Da wir selbst ja nicht beratend gesagt haben: nein, das muß man anders machen, haben wir, ich selbst eingeschlossen, mit Schuld daran, daß die Angelegenheit falsch angefaßt worden ist.
Meine Damen und Herren, wir leben jetzt natürlich in der Gefahr der Übertreibung. Es ist so eine Art von Hysterie der Verdächtigung ausgebrochen, eine Selbstzersetzung, die sehr gefährlich ist. Deswegen darf ich noch einmal auf den Grundsatz der Behandlung zurückkommen. Nach allen Seiten hin müssen angemessene Maßstäbe angelegt werden. Aber ausreichende Aufklärung der Öffentlichkeit über die grundsätzliche Einstellung der Regierung zu diesem Fall ist nun einmal geboten und gehört zu den Grundspielregeln einer Demokratie.
Mir erscheint wesentlich, nicht nur in bezug auf die Fälle John und Schmidt-Wittmack, sondern wesentlich auch für die Strafrechtsreform, auf folgenden Punkt einzugehen. Lassen wir doch in unserem öffentlichen Leben einmal von dieser Untugend ab, alles aus subjektiven Maßstäben heraus beurteilen zu wollen, tausend Gründe zu finden, sei es Cognak, seien es Weiber oder seien es sonstwelche Dinge, Nervenzusammenbrüche, die einen Menschen zu irgendeiner Tat, die objektiv feststeht, veranlaßt haben. Mit dieser psychologischen Schulderforschungsmethode, die schließlich den eigentlichen Gehalt und den Ernst der Schuld vollkommen im Nebel zerfließen läßt, kommt man dazu, alles zu verstehen, alles zu verzeihen. Das ist eine Gefahr. Nein, hier müssen objektive, klare, harte Rechtsgrundsätze gelten, die über uns stehen. Die Maßstäbe dürfen nicht aus irgendwelchen subjektiven Erwägungen heraus genommen werden, indem man versucht, zu verstehen, warum und wieso diese Dinge passieren konnten.
Damit komme ich zu dem Teil, der für mich und meine Freunde der wichtigste ist, nämlich zu den Folgerungen, die hieraus zu ziehen sind. Meine Damen und Herren, es ist ein Mißbilligungsantrag eingebracht worden. Dieser Mißbilligungsantrag enthält eine Formulierung, die ich bei unbefangenem Lesen doch für sehr bedenklich halte. Hier steht drin: „Der Bundestag mißbilligt das Verhalten . . . . anläßlich des Übertritts " Meine
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Damen und Herren, vielleicht liegt das in unserer Zeit, aber das ist zweideutig ausgedrückt, und diesem Gedanken nachzugehen sehen wir uns nicht in der Lage. Wir sind auch nicht der Auffassung, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt, bei Abwägung aller Umstände und bei Abwägung auch des gerüttelten Maßes der, ich möchte sagen, gemeinsamen Irrtümer, die hier begangen worden sind, diesem Antrag entsprochen werden kann. Ich will mich jetzt gar nicht hinter die alte, von der Fraktion meiner Partei vertretenen Auffassung verstecken, daß solche Anträge verfassungswidrig sind. Das ist nicht der Punkt; ich meine eine politische Frage. Wir halten ungeachtet der harten Kritik, die wir hier an der Regierung und auch an dem Minister zu üben gezwungen sind - es macht keine Freude, einen Mann aus der eigenen, von uns mit getragenen Regierung kritisieren zu müssen, sogar die ganze Regierung bis auf wenige Ausnahmen kritisieren zu müssen -, diesen Mißbilligungsantrag auch aus politischen Gründen im gegenwärtigen Zeitpunkt für absolut abwegig. Das sind ja die Konsequenzen des Auseinanderhauens, die die Drahtzieher dieser ganzen Angelegenheit drüben wünschen,
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und dazu geben wir nicht die Hand, bestimmt nicht!
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Aus diesem Grunde habe ich namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir die Zustimmung zu dem Antrag der SPD nicht erteilen können, - woraus aber nun nicht gefolgert werden darf, daß nicht mancher Grund für alle Beteiligten und auch für diejenigen, die die Last der formellen Verantwortung zu tragen haben, vorhanden wäre, in sich zu gehen. Aber zustimmen, daraus eine Folgerung zu ziehen, die genau in die Zielsetzung des Gegners im Kalten Krieg hineinpaßt, und uns unsere Koalition auseinanderzuhauen, - meine Damen und Herren, solche Esel sind wir nicht, und das wollen wir nicht tun.
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Und nun das Maß des Aufdeckens! Ich habe vorhin davon gesprochen, daß ich die Verdächtigung ohne hinreichenden Grund für eine menschliche Erniedrigung, eine Zumutung ersten Ranges halte. Aber nun ist das immerhin geschehen, und jetzt muß einmal in diese Verhältnisse Klarheit gebracht werden. Und da reicht uns die Befugnis des Untersuchungsausschusses hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes - wie auch bereits von anderen Fraktionen zum Ausdruck gebracht worden ist - nicht aus.
Es besteht ein Rechtsgutachten des Geschäftsordnungsausschusses, der der Meinung Ausdruck gegeben hat, daß ein solcher Untersuchungsausschuß - gewissermaßen als ein Minderheitenrecht - den Untersuchungsgegenstand weder mindern noch vermehren kann. Ich bin nicht dieser Meinung, auch damals bin ich nicht dieser Meinung gewesen. Der Untersuchungsgegenstand, für den eine Minderheit einen Ausschuß fordert, muß konkretisiert werden. Diesen Gegenstand zu konkretisieren muß auch die Mehrheit das Recht haben, weil ja auch sie das Recht hätte, einen zweiten Untersuchungsausschuß einzuberufen. Aber daß
dann zwei Untersuchungsausschüsse nebeneinander oder gar gegeneinander arbeiten können, ist doch offenbar unsinnig.
Ich möchte hier nicht einen juristischen Streit austragen. Ich habe den Vorschlag gemacht, daß wir wenigstens in Punkt 6 dem Gegenstand nach eine Erweiterung vornehmen. Ich würde es begrüßen, wenn wir einen gemeinsamen Antrag einbringen und uns in diesem Punkt auch mit der Opposition einigen könnten.
Dieser Vorschlag soll bezwecken, daß auch die ganzen Umstände des Vorlebens von John, ,auch der Personenkreis um ihn und auch ein Tatbestand, der unter dem Begriff „Rote Kapelle" läuft, mit untersucht werden.
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Auch in dieser Frage hat man versucht zu verniedlichen. Es wurde das Gerücht in Umlauf gesetzt, so etwas habe es nie gegeben und eine solche Organisation, eine Unterorganisation der Kommunisten wie die „Rote Kapelle", habe nie bestanden. Diese Bezeichnung habe lediglich ein Aktenstück getragen, unter dieser Bezeichnung seien bei der Geheimen Staatspolizei oder bei der Abwehr mehrere Spionagefälle, die während des Krieges aufgedeckt worden seien, gelaufen. Meine Damen und Herren, das ist nicht der Fall. Diese Organisation hat bestanden. Dies geht aus einer Quelle hervor, die ich hier zitiere, aus dem Buch eines Mannes, der die Dinge sehr gut kennt. Es ist ein Kollege von uns. Der Abgeordnete Leverkuehn hat über diese Sache in englischer Sprache ein ausgezeichnetes Buch, ein sehr maßvolles und exaktes Buch veröffentlicht, in dem er sogar die Möglichkeit offenläßt, daß diese Organisation auch heute noch besteht.
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Meine Damen und Herren, hier muß hineingeleuchtet werden!
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Das muß geklärt werden! Ich hoffe, daß der Untersuchungsausschuß dazu auch in der Lage ist. Aber hier hat auch die Regierung jeden Beistand zu gewähren, damit Licht in diese Vorgänge hineinkommt, die das deutsche Volk in zunehmendem Maße beunruhigen.
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Ich sage ausdrücklich, daß diese Ausdehnung des Untersuchungsgegenstandes erforderlich ist. Ich verdächtige niemanden, aber ich sage: es ist notwendig, daß hier ein für allemal die nötigen Feststellungen getroffen werden.
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Ich glaube, daß darüber hinaus auch aus diesen beiden Fällen sehr ernste Konsequenzen gezogen werden müssen. Ich meine damit eine völlige Reorganisation des Staatsschutzdienstes. Bei dem Verfassungsschutzdienst ist es wie bei der Psychotherapie. Die Psychotherapie ist nämlich die Krankheit, die man damit heilen will. Und ich habe ein bißchen das Gefühl, daß der Verfassungsschutz selber die Krankheit ist, die man heilen will. Das muß mal ein Ende finden.
Es ist natürlich für einen Laien unmöglich, auf alle Einzelheiten einzugehen. Ich bin nie Abwehrmann gewesen, ich bin auch kein Kriminalist und kein Polizist. Ich verstehe nicht viel von den
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Dingen. Aber einige Dinge, die dem gesunden Menschenverstand zugänglich sind, fallen mir dabei auf. Ich glaube, hier könnten wir wirklich zu einer ganz erheblichen Reorganisation kommen, indem man von dem Spitzelsystem, von diesem ganzen V-Mann- und Dreigroschenjungs-System abgeht, in dem immer Schmutz ist und Schmutz sein wird. Ich glaube, daß unsere Kriminalpolizei ein geschulter Apparat ist, der überall diese Nachrichten sammeln kann. Ich halte es auch für richtig, daß die Nachrichten zunächst einmal durch einen Filter laufen, nämlich örtlich, um sofort Denunziationen, Verdächtigungen, Nachbarschaftsstreit, örtliche politische Kämpfe usw. auszuscheiden. An der Spitze sollte schließlich lediglich ein Amt sein, das meiner Ansicht nach unter der unmittelbaren Verantwortung eines Ministers zu stehen hätte. Denn der Chef eines solchen Amtes ist kein Kriminalpolizist und kein Schnüffler. Er hat zu analysieren, auszuwerten und zu vergleichen. Das ganze Werten des Nachrichtendienstes ist ja doch der Vergleich, damit man aus einem Mosaik, aus Doppel-, Dreifach- oder Vierfachmeldungen dem Sachverhalt näherkommt. Ich möchte also sagen: Bei diesem Nachrichtendienst handelt es sich um eine geistige Arbeit, die völlig getrennt ist von dem militärischen Nachrichtendienst, der nun einmal notwendig ist. Während der militärische Nachrichtendienst sich mit ganz konkreten Dingen befaßt, gewissermaßen eine Art von Naturwissenschaft betreibt und objektive Feststellungen trifft, ist der politische Nachrichtendienst eine Geisteswissenschaft, die einen von hoher Intelligenz getragenen, integren, großzügigen menschlichen Charakter verlangt, wenn ihre Analysen zu brauchbaren Ergebnissen führen sollen.
Ich habe bereits in meiner letzten Rede zum Ausdruck gebracht, daß bisher in der Geschichte noch nicht ein einziges Mal eine politische Polizei dem gedient hat, der sie hervorgebracht hat. Ich möchte deshalb vor allen Dingen Sicherungen eingebaut sehen, damit dieser Dienst nicht für politische Machtkämpfe mißbraucht werden kann. Denn darin liegt nicht seine Aufgabe. Er gibt eine Photographie seiner Zeit, er deckt Dinge auf, deren Aufhellung notwendig ist, damit die Regierung arbeiten kann. Aber er darf nicht zu einer Machtorganisation werden, und deshalb ist auch hier die parlamentarische Kontrolle durch je einen Mann aus jeder Partei dieses Hauses notwendig. Das sind gar nicht so viele. Ich sprach das letzte Mal davon: wer kontrolliert die Kontrolleure?, und nachher ist dann leider bald dieses Unglück passiert. Bei diesen parlamentarischen Kontrolleuren trägt jede Fraktion dann die hohe Verantwortung für ihre absolute Integrität und Verschwiegenheit, so daß vor diesen unseren parlamentarischen Kollegen, die unser Vertrauen haben, wirkliche Staatsgeheimnisse ausgebreitet werden können, ohne daß ein Mißbrauch zu befürchten ist. Das ist notwendig, dann schaut man in die Tiefe der Dinge hinein.
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- Der bisherige Ausschuß hat diese Funktion nicht ausüben können. Ich bin für ein viel kleineres Gremium, in dem der verantwortliche Minister und der Leiter dieses Amts wirklich vollkommen offen
! auf einer gesunden Vertrauensbasis sprechen können. Es müssen Leute sein, denen es eine Ehrenpflicht ist, ihre Funktion so zu gestalten, daß nichts über diesen Rahmen hinausschlägt.
Dann bin ich auch der Auffassung - denn wir wollten ja das Konstruktive, das, was in Zukunft geschehen soll, ansprechen -, daß eine Neufassung unseres strafrechtlichen Staatsschutzes erfolgen muß. Ich halte die Bestimmung, wie sie jetzt im Strafgesetzbuch enthalten ist, für reformbedürftig, weil in ihr die Tendenz steckt: wer Staatsfeind ist, bestimmt die jeweils herrschende Gruppe. Davon müssen wir herunterkommen, denn sonst kann eine gesunde Demokratie nicht bestehen. Ich glaube, daß man mit dem Tatbestand der Geheimbündelei, wenn er wirklich sauber durchdacht und exakt ist, sehr viel besser kriminalistisch das erfaßt, was ein solcher Staatsschutzdienst erfassen muß. Denn alle Machenschaften, die subversiv sind, die Untergrund sind, gehen irgendwie in Form der Geheimbündelei vor sich. Dann hat man auch einen exakten Untersuchungstatbestand und hat nicht etwa zu untersuchen, ob der Politiker Soundso, der Generaldirektor Soundso irgendwo in einem Hotel - nun, es ist hier nicht der Platz, um die nähere Beschreibung einer solchen Situation zu geben -, bei irgendwelchen privaten Dingen befunden worden ist, die vielleicht seine Familie, aber nicht den Staat gefährden, um es bei passender Gelegenheit dem betreffenden Herrn unter die Augen zu führen.
Nun ein sehr heikler Punkt: die Frage der Überprüfung unserer personalpolitischen Grundsätze. Es wurde hier vorhin gesagt: Das Bild von Herrn John war schlecht, sehr schlecht, und dennoch hat man seiner Ernennung nachher zugestimmt, weil man mußte. Meine Damen und Herren, das ist keine Begründung und keine Entschuldigung. Es ist sehr schwer, in dieser Zeit, die man ohne Übertreibung für manchen als tragisch bezeichnen muß, in dieser labilen Zeit eines geteilten Landes im Kalten Krieg, bei allem, was jeder von uns an Schicksal hinter sich hat, Grundsätze aufstellen zu wollen wie etwa den: Ein Mann, der mit dem Feind zusammengearbeitet hat, ist für jedes öffentliche Amt disqualifiziert. Ich würde diesen Grundsatz vertreten; aber alle diese Generalisierungen, wie sie bei der Entnazifizierung in den Kategorien oder sonst mit jeder schlagwortartigen Kategorisierung auf allen Gebieten gemacht werden, führen uns nicht weiter. Aber einen Punkt kann man doch aus allen Verwirrungen herauslösen: Wer Verrat an seinem Volke betrieben hat - Verrat an seinem Volke! -, ist - und das sollte die Richtschnur sein - für ein öffentliches Amt disqualifiziert.
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Ich möchte das von dem Tatbestand des Widerstandes abgrenzen. Das ist Hochverrat gewesen! Es sind so viele Worte gerade über diesen Punkt gefallen. Ich denke an die 6000 Toten, die um der Freiheit und Menschenwürde willen das Letzte gewagt haben. Alle Worte, die man hier gebraucht, schöne Worte, tiefe Worte, können doch nicht die Würde dieses Tatbestandes wirklich erfassen. Herr John hat etwas Schlimmes gemacht: ein Attentat gegen die Würde des Menschen, der für seine Freiheit das Letzte einsetzt.
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Das kann nicht gemeint sein, und niemand darf
uns unterstellen - ich denke hier an Ausführun({18})
1 gen meines verehrten Parteivorsitzenden -, daß wir an der Würde dieses Freiheitskampfes, dieses Einsatzes bis zum Letzten etwa rühren wollen. Es wäre auch eine Gemeinheit - ich sage es so -, an den Tatbestand der Emigration irgendwelche abfälligen Betrachtungen zu knüpfen. Dabei handelt es sich um Menschen, die ihr Vaterland verlassen mußten, die dann nicht erster Klasse gefahren sind. Wer selber aus seiner Heimat vertrieben worden ist, in eine fremde Landschaft hinein versetzt worden ist, kann dieses Schicksal wohl nachfühlen, wenn es auch gar nicht mit dem zu vergleichen ist, was Emigration und Heimatlosigkeit bedeuten; ich muß sagen: ich habe in Amerika manche dieser Menschen, die noch heute dort sind, gesehen; ich habe die Züge dieser Gesichter gesehen, - und darin viel Verlassenheit erblickt. Es gehörte schon eine Niederträchtigkeit dazu, solchen Menschen nun noch ein mißachtendes Vorurteil anzuhängen, denn Emigration ist ein tragisches, leidvolles Schicksal. Aber die Grenze kommt dann - ich möchte hier gerade an das Buch erinnern, das Matthias, glaube ich, geschrieben hat, „Sozialdemokratie und Nation" -, wo man kollaboriert, weil man seinen Ehrgeiz oder seinen Haß nicht zügeln kann. Jeder Fall liegt hier verschieden, und jeder Fall hat sein eigenes Gewicht. Hier ist aber von sauberen Menschen, die ein Herz für das haben, was Ehre und Treue zu ihrem Volk ist, zu prüfen: Bist du tragbar oder bist du's nicht? Eine sehr ernste Frage, die ich nicht in einen Grundsatz fassen möchte, aber mit dem Richtpunkt: Verrat am Volke ist ein unverzeihliches Delikt, viel schlimmer als das, was der Landesverrat juristisch bedeutet. Tatbestände des Hochverrats nehme ich sowieso aus. Aber wer einmal Verräter geworden ist -- Verräter wohlgemerkt! -, hat die charakterliche Neigung, das bei der nächsten Belastung wieder zu sein. Dagegen hat man bei der Einstellung von John verstoßen.
Wir müssen uns und mußten uns auch im Jahre 1950 gegen das Oktroi, gegen das Aufdrücken irgendwelcher Persönlichkeiten wehren, die dem Gusto der Besatzungsmacht, der Fremdherrschaft entsprachen. Ich glaube, auch das Verhältnis zu den Besatzungsmächten, die hoffentlich bald keine Besatzungsmächte mehr, sondern wirkliche Bundesgenossen sind, wird sauberer und klarer, wenn man künftig auf diesen selbstverständlichen Staatsgrundlagen besteht. Was da an Resten noch übrig ist, muß jetzt aus Anlaß dieser Sache - das ist der Auftrag des Volkes, den wir hier haben - bereinigt werden, damit jeder das Zutrauen zu seinem Staat hat, daß hier eine saubere Luft ist.
Es gibt ein paar Gruppen, die ich aufzählen möchte: Agenten und Gehilfen der Fremdherrschaft - die haben nichts in deutschen Ämtern zu suchen -, zweitens die Gruppe der Rückversicherer und drittens die Gruppe der Komplicen, jene Kameraderie, die das beschönigt und zudeckt, was peinlich und widerlich ist. Die vierte Gruppe schließlich ist die der Opportunisten. Kein Staat kann bestehen, dessen Amtsträger dem Opportunismus zugeneigt sind; denn das ist eine Charaktereigenschaft.
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Das bedeutet eine Klärung der charakterlichen Grundlagen und Erfordernisse, die wir an unsere öffentlichen Bediensteten stellen müssen. An uns als Abgeordnete dieses Hauses aber haben wir noch höhere Anforderungen zu stellen.
Es wäre ganz reizvoll, noch etwas über den politischen Spießbürger zu sagen. Auch der stellt eine Gefahr dar. Er ist gar nicht so harmlos, wie er immer tut. Aber Herr Kollege Kiesinger hat das bereits getan, und die Zeit drängt. Ich rede hier also nicht dem McCarthyismus das Wort und bekämpfe jede Art von Schnüffelsystem; denn die Freiheit ist ein Wagnis, und das sollen wir auch eingehen. Das Wagnis der Freiheit! Das ist jene Haltung, die letzthin denn auch der Halt ist für unsere Brüder und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone, der Halt, den sie von uns fordern.
Lassen Sie mich hier bitte einmal ein Wort sagen - verstehen Sie es nicht falsch: Kontakte zu nehmen mit den Leuten drüben, die mit Schuld an der Qual und Entwürdigung der Deutschen, wo auch immer, tragen, Kontakte zu nehmen, ist mindestens ein Tatbestand der Verwirrung. Was sollen denn unsere Menschen da drüben sagen, wenn man mit Funktionären, die Mitschuld und Mitverantwortung tragen, an einem Tisch sitzt? Was soll dann der Mann drüben sagen, der Jahre hindurch den Widerstand dort in seinem Herzen trägt, wenn auch hier maßgebliche Sprecher und Politiker dieses Landes plötzlich die Sache so ein bißchen harmloser sehen, etwa in dem Sinne: Man kann sich ja da oder dort begegnen? - Meine Damen und Herren, das ist der Anfang vom Ende!
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Es gibt in diesen Fragen keine politischen und keine moralischen Relativitätstheorien.
Kommen wir zu ganz einfachen Grundsätzen zurück. Einfach so: In einer Demokratie hat niemand das Recht, sich geistreich über die Grundauffassungen seines Volkes zu erheben. Keiner hat das Recht! Wir müssen ein Ende machen mit diesem überheblichem Geist, und heute sind manche Wörter und Sprüche dahingehend angeklungen, die ich deswegen so ernst nehme und als einen Tatbestand auffasse, der nicht, auch nicht durch eine kluge, maßvolle Erklärung des Herrn Kollegen Dehler aus der Welt gebracht werden kann. Ich möchte in dieser Sache nicht, auch besonders nicht persönlich, den Kollegen, der diese Rede gehalten hat, angreifen. Aber befreien wir uns doch einmal bei Beurteilung unserer Pflichten von jener feigen Klugheit taktischer Elastizität, die uns nur schwächen kann.
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Das Volk will von uns ein klares Gesicht in den Grundfragen von Freiheit und Unfreiheit.
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Da gibt es keine Kompromisse. In den „Bremer Nachrichten", eine Zeitung, die ich sehr schätze, ist ein Aufsatz aus der Schweizer „Tat" abgedruckt - ich habe ihn eben nicht zur Hand -, wieder einmal aus der Feder von Herrn Fleig. Da steht unter anderem - ich kann nur aus dem Gedächtnis zitieren -: Bonn ist eine Art „politisches Krebsgeschwür", das sich selbständig gemacht hat und selbständig im Körper des Ganzen wuchert. Meine Damen und Herren, wir sollten uns als Deutsche und Patrioten dagegen empören, daß diese Zersetzungspolitik, dieser intellektuelle Nihilismus weiter um sich frißt.
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Drüben sitzen die Leute in den Zuchthäusern, verhungern sie und werden gequält, quälen sich hin, hoffnungslos, denn sie sehen ja gar kein Ende. Gerade bei Ihnen in der Opposition gibt es Leute, die
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auch in einer Lage waren, in der sie kein Ende absahen. Was dazu gehört, das durchzuhalten! Da kann man nur Respekt haben. Hut ab vor dieser Haltung! Das ist das, worauf Staaten gebaut werden, jene Zuverlässigkeit. Aber dürfen wir dann durch unseren eigenen Nihilismus, durch unsere eigene Sucht nach Geistreichigkeit und Zweideutigkeit hier diese Grundlagen vernichten? Ist es nicht unmenschlich, so etwas zu tun, nicht nur verantwortungslos, sondern schlecht?
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Man wirft mir oft vor, daß meine Rede Pathos habe. Aber ich kann diesen Dingen gegenüber nicht ruhig bleiben. Denn wenn wir da ruhig und gelassen bleiben und uns überheblich geben wollen, dann ist es überhaupt aus mit jeder Haltung im Staate.
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Es gibt Punkte, da muß wirklich das Herz und das Gefühl sprechen.
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- Nur der Spießer und der Nihilist! Sie sind ja im Grunde genommen dasselbe. Der eine geht nur noch ein bißchen großartiger - möchte ich sagen
- durch die Welt. Der andere begnügt sich mit den materiellen Genüssen und hält sich nicht selbst für einen großartigen Kerl. Ich möchte sagen, dieses verfaulte Jahrhundert menschlicher Selbstüberhebung und des intellektuellen Zynismus - der steckt nämlich dahinter - geht zu Ende. Die Minute in der Weltenuhr ist anders gestellt, und wir stehen unmittelbar in der Gefahr. In solchen gefährlichen Augenblicken habe ich für manche Dinge kein Verständnis, wenn sie auch nicht so gemeint sind. Aber der Kollege Reinhold Maier ist ein erfahrener Politiker. Er weiß, was solche Worte für Wirkung haben. Sie werden uns aus dem sowjetischen Rundfunk noch durch Monate hindurch entgegenschallen.
({28})
Ich muß kritisieren, wenn gesagt wird, die ganze Bundesrepublik lebt von ihren Fehlern. Vergleichen Sie das mit den Aussagen von Herrn Fleig vom Krebsgeschwür. Wollen wir selbst die Grundlagen, auf denen wir stehen, zertrümmern und vernichten? Das dürfen wir nicht tun. Hier hängt mehr daran. Ich kann auch nicht - und das sage ich auch zu unseren eigenen Freunden in dieser Koalition, die in diesem gefährlichen Augenblick in der Welt zusammenstehen muß - diese Zweideutigkeiten in den Kernfragen dulden. In Einzelheiten kann man ganz verschiedener Meinung sein. Aber diese Zweideutigkeiten müssen in unserem öffentlichen Leben aufhören. Auch die Presse sollte sich gerade in diesen Dingen eine gewisse Vorsicht auferlegen und ein Maß halten und den Dienst an einer Aufgabe unseres Vaterlandes spüren. Denn nur klare Konturen und klare Auffassungen können nützen. Ich meine damit nicht etwa, daß die Opposition anderer Meinung ist. Aber dieser Neutralismus - intellektuell und in der Zweideutigkeit unserer Aussage - ist ein Krebsschaden. Das ist das Krebsgeschwür dieser Zeit. Da muß Klarheit herrschen.
Wenn jetzt die Propagandisten des Ostblocks frohlocken wollen und denken, sie hätten mit den beiden Fällen Dr. John und Schmidt-Wittmack das Instrument in die Hand bekommen, um unsere Grundlagen in die Luft zu sprengen, um erst einmal damit anzufangen, unsere Koalition in die Luft zu sprengen, dann kann ich den Leuten nur erwidern: Ihr habt euch verrechnet! Aus einer höheren Verantwortung können wir hier den Anträgen der Opposition, die zum Teil sehr berechtigt sind, nicht zustimmen. Jener Antrag betreffend den Innenminister enthält auch ein Mittel, das diese Grundlagen in die Luft sprengen sollte. Wir können dem nicht zustimmen, ganz ohne Rücksicht auf das, was dahinter stehen mag. Politisch geht es hier aufs Ganze, und diesen Herzschuß lassen wir nicht zu.
({29})
- Die parlamentarische Demokratie ist die der aufrichtigen, freien Aussprache. Ich nehme Ihnen nichts übel. Ich erwarte allerdings auch von Ihnen, daß Sie sich im Rahmen der sachlichen Diskussion bewegen. Ich schließe mich all denen an, die sagen: In den Grundfragen der Nation sollten wir in diesem Hause Einigkeit erzielen. Und wir wollen das!
({30})
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat heute vormittag eine Stunde gehabt, die es verdient, zu den bisher wenigen großen in diesem Hause gezählt zu werden. Hier ist aus der Mitte der Koalition ein Mann aufgestanden und hat aus der Lauterkeit seiner Gesinnung, aus heißem demokratischen Herzen,
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aus der Erfahrung eines langen, kämpferischen, politischen Lebens und aus tiefer Sorge um die Entwicklung
({1})
den Mut aufgebracht, das zu beweisen, was die Stunde erforderte, was jeder Staatsbürger von uns allen erwartet
({2})
und was jeder Abgeordnete dieses Hauses gelobt hat, nämlich nur seinem Gewissen verpflichtet zu sein.
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Hier hat ein Mann aus der Mitte der Koalition die innere Kraft bewiesen, sich nicht als Eideshelfer der Regierung zu fühlen, sondern ihr Richter zu sein. Wer sich das Urteil nicht hat trüben lassen, wird mir beipflichten, wenn ich sage: ich neige mich in tiefem Respekt vor dem Bürgersinn, dem Mut und der Größe dieses Mannes Reinhold Maier.
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Der deutsche Staatsbürger wird wissen und als den Gewinn dieser Stunde die Ermutigung buchen:
({5})
nur solange es noch solche Charaktere in Deutschland gibt,
({6})
solange noch solche Männer reden können und sich
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das Reden nicht nehmen lassen, ist der Geist der Demokratie am Leben.
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Meine Damen und Herren, wir haben aber auch unmittelbar danach einen Augenblick erlebt, der uns wie ein Keulenschlag getroffen hat: nach dieser Rede von Herrn Reinhold Maier die se Erklärung des Herrn Bundeskanzlers!
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Wenn es noch irgendeines Beweises für die tiefe, innere Wahrheit und Berechtigung der Ausführungen des Herrn Kollegen Maier bedurft hat, hier folgte er auf dem Fuße
({10})
und mit einer Wucht, daß nur Gedankenlose und Unwillige nicht das Beben verspürt haben, das dabei die Fundamente des Geistes der Demokratie berührt hat.
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Von wem, wenn nicht von dem Regierungschef der Demokratie, soll man verlangen, daß er wenigstens die Pflicht des Gewissens und den Willen und den Mut zur Wahrhaftigkeit respektiert!?
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Herr Kollege Dehler hat vorhin beschworen, einen neuen Geist entstehen zu lassen. Mag er dazu mithelfen, daß die Entstehung dieses neuen Geistes nicht durch solche Erklärungen und Reden des Herrn Bundeskanzlers im Keime unmöglich gemacht wird.
({13})
Nun haben wir nach Mittag die Ausführungen von Herrn Dr. Dehler gehört. Wir wissen nicht, was hinter den verschlossenen Türen des inneren Rates der Koalition in dieser Pause vor sich gegangen ist. Die Ausführungen weckten Erinnerungen an das klassische Altertum und das Delphische Orakel, und man könnte geneigt sein, dabei vom Dehlerschen Orakel zu sprechen. Ist es schon so weit, daß ein Demokrat, ein unantastbarer Demokrat entschuldigt werden muß, wenn er von dem Recht der Rede und der Kritik auf diesem Platze Gebrauch macht?
({14})
Ist es schon so weit, daß sein eigener Fraktionsvorsitzender dieses klägliche Amt der Entschuldigung für die freie Mannesrede auszuüben sich bereit findet?
({15})
- Welchen Sinn sollten denn die ganzen Erklärungen von Herrn Dr. Dehler anders haben, als zu reduzieren, als abzurücken, als Nebel abzublasen gegenüber dem, was an harter und wahrer Kritik von Herrn Kollegen Maier vormittags ausgesprochen worden war?!
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Herr Kollege Dehler hat eingangs dieser Legislaturperiode an diesem Platze davon gesprochen, er sei nun ein wirklich freier Mann.
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Nach seiner heutigen Erklärung müssen wir den
Eindruck festhalten, daß anscheinend nicht alle Freien Demokraten wirklich freie Demokraten sind.
({18})
Nach dem Ereignis, mit dem der Vormittag abschloß, konnte es schwerfallen, in dieser Sache heute überhaupt noch das Wort zu nehmen, weil sich die Frage aufdrängte, ob die weitere Aussprache angesichts einer solchen Erklärung überhaupt noch einen Sinn hat.
({19})
Die Ausführungen, die am Nachmittag gemacht worden sind, haben den Mut zu einer Fortsetzung dieser Aussprache nicht gesteigert. Aber verschiedene Bemerkungen, verschiedene Erklärungen, verschiedene Aggressionen können nicht unwidersprochen bleiben und müssen zurückgewiesen werden.
Herr Kollege Kiesinger, Sie haben appelliert, wir sollten nicht klein genug sein, aus der Vertrauenskrise, die Sie feststellten, parteipolitisches Kapital zu schlagen.
({20})
Begeben Sie sich bitte an das Mikrophon, damit das ganze Haus verstehen kann.
Herr Kollege Rehs, Sie haben mir eben die Ehre angetan, mich zu zitieren, und zwar meinen leidenschaftlichen Appell an dieses Haus, einig zu sein. Sie haben soeben die Reden von Herrn Reinhold Maier und Herrn Dr. Dehler einer Kritik unterzogen. Sie haben unterstellt, daß nur der eine die Wahrheit gesagt habe und daß der andere mit seinen Bemerkungen nur versucht habe, Nebel abzublasen. Ich frage Sie, Herr Kollege Rehs: Ist Ihnen bekannt, daß sich im 1. Deutschen Bundestag der Vorfall ereignete, daß ein Mitglied Ihrer Fraktion von dieser Tribüne Meinungen kundgab, die sofort von dem Vorsitzenden Ihrer Fraktion dementiert wurden und von denen sich ,der Vorsitzende Ihrer Fraktion distanzierte?
({0})
Glauben Sie, Herr Kollege Rehs, daß, wenn die
Sozialdemokratie das tut, dies um der Wahrheit
willen geschieht, daß aber, wenn Thomas Dehler
das tut, es nur geschieht, um „Nebel abzublasen"?
({1})
Meine Damen und Herren, das Recht jedes Abgeordneten auf eigene Meinung und zur Erklärung und Vertretung dieser eigenen Meinung bleibt unbestritten und unangetastet.
({0})
Ich habe nicht umsonst die Frage nach dem Sinn der delphischen Erklärungen des Herrn Kollegen Dehler gestellt. Diese Erklärung, die Art ihrer nebulösen Formulierung mußte den Eindruck erwecken, daß das, was an eindeutiger und unerbittlicher Kritik vom Herrn Kollegen Maier - unerwünscht für manche Ohren der Koalition - ausgesprochen worden war, eben zurückgedrückt werden sollte.
({1})
({2})
Das habe ich zum Ausdruck gebracht, Herr Kollege Kiesinger.
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Aber, Herr Kollege Kiesinger, ich habe eben Ihr Wort zitiert, „wir sollten nicht klein genug sein, aus der Vertrauenskrise parteipolitisches Kapital zu schlagen". Ich bin Ihnen die Antwort hierauf noch schuldig. Sie lautet: Sie sollten nicht klein genug sein, aus parteipolitischen Gründen über die Vertrauenskrise hinwegzugehen und sie zu verfälschen!
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Muß ich Ihnen, Herr Kollege Kiesinger, nach all dem, was meine Fraktionsfreunde Mellies und Menzel vorgetragen haben und was Herr Reinhold Maier heute bereits vorgetragen hat, noch ins Gedächtnis zurückrufen, was die große Presse, die Ihnen wohlwollend gesinnt ist und nahesteht, in dieser Frage seinerzeit meinte und heute meint? Muß ich Ihnen aus der Zeitschrift „Die Zeit" vom 29. Juli die Worte der Kritik in Erinnerung rufen:
Diese Folgen der Bonner Sorglosigkeit sind
entsetzlich. Der Hochmut, mit dem man jede
Warnung in den Wind schlägt, wird eines
Tages böse Früchte tragen.
Muß ich Ihnen die Kritik der „Frankfurter Allgemeinen" in Erinnerung rufen, die in Zusammenhang mit dem Journalistentum damals, am 31. Juli., schrieb:
Ein nationales Unglück ist die veraltete, aus dem Autoritätsgefühl vor 1914 herrührende Art, mit der die Regierung sich in ihr trügerisches Unfehlbarkeitsgefühl . . . einzukapseln sucht.
Muß ich Ihnen einen Hinweis geben auf die heutige Nummer des „Presse- und Funkberichtes", in der ein Auszug aus dem „Rheinischen Merkur" Nr. 38 enthalten ist, aus dem ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren darf. Es handelt sich um eine Betrachtung zu dem Ausgang der Wahlen in Schleswig-Holstein:
Diese Reaktion dort ist die Quittung dafür, daß die CDU in Bonn seit dem 6. September 1953 praktisch nicht regiert hat und von der unpopulären Kabinettsbildung bis zur Affäre John/Schmidt-Wittmack nur innenpolitische Pannen vorzeigen kann.
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Sie hätte auch in Kiel sicher die Führung behalten, wenn spätestens Anfang August die Konsequenzen aus der John-Affäre gezogen worden wären. Skandale werden nicht dadurch bereinigt, daß man sie verharmlost.
Und weiter:
Wer das Ohr am Mund des Volkes hat, braucht die überfälligen Minister gar nicht beim Namen zu nennen.
Das sagt der „Rheinische Merkur"!
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Bei dieser Sachlage einer Vertrauenskrise des Staates umbiegend nur von einer Vertrauenskrise im Verhältnis der Opposition zur Koalition reden zu wollen, - ({7})
- Herr Kollege Kiesinger, Sie haben von den tieferen Gründen gesprochen, und Sie haben davon gesprochen, daß die Opposition wieder einmal nur aus der Animosität der Minderheit gegen die Mehrheit diese Frage auf die Tagesordnung gebracht habe.
Ich habe weder das eine noch das andere getan, Herr Kollege. Die tieferen Gründe dieser Krise habe ich sehr deutlich angesprochen; sie gehen uns alle an. Ich habe die Opposition nicht beschuldigt, daß sie nur aus parteitaktischen Gründen diese Tagesordnung veranlaßt hat.
Herr Kollege Kiesinger, ich nehme diese Erklärung Ihrerseits zur Kenntnis.
({0})
Ich stelle aber gleichzeitig erneut fest, daß Sie darauf hingewiesen haben, daß doch wieder das alte Spiel betrieben würde - das war Ihr Ausdruck - und die alten Vorwürfe der Minderheit gegen die Mehrheit hier wieder verwendet würden; das war auch Ihre Redensart.
({1})
Nun, Herr Kollege Kiesinger, darauf möchte ich Ihnen antworten: Nehmen Sie diesen Vorwürfen der Opposition und der Minderheit den Grund, nehmen Sie uns den Anlaß und fangen Sie selber erst einmal damit an, die Vertrauensgrundlage in diesem Parlament durch eigenes Verhalten zu bauen!
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Muß ich angesichts eines solchen erneuten, doch nur zur Ablenkung vorgebrachten Vorwurfs von Ihrer Seite etwa wieder einmal auf die Sache Schroth/Scharley, auf das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers, auf seine Erklärung, wir sollten diese Dinge nachahmen, hinweisen, um Ihnen gegenüber zu rechtfertigen, daß der Grund zu diesem fehlenden Vertrauen sicherlich nicht bei der Opposition entstanden ist?
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Sie haben weiter gemeint, Herr Kollege Kiesinger, wir sollten etwas unser Gewissen erforschen und sollten uns prüfen, ob wir nur aus Gründen der Objektivität und der Besorgnis um die gefährdete oder bedrohte Staatssicherheit oder um das Gemeinwohl diese Frage heute zur Tagesordnung gestellt haben.
Wieder, Herr Kollege, haben Sie unrecht. Ich habe mit diesem „wir" deutlich das ganze Haus gemeint.
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Nun, Herr Kiesinger, wir werden dieses „wir" bei der Rede in dem Protokoll in dem Sinne wiederfinden, und wir werden uns dann darüber unterhalten, ob dieser Rechtfertigungsversuch seinem Sinn nach wirklich standhalten wird.
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Sie haben, Herr Kollege Kiesinger, wieder an die Einheit und das Zusammenstehen appelliert. Aber bitte, ich fordere Sie auf und appelliere an Sie: Schaffen Sie erst die Hindernisse weg, die durch
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dieses fortgesetzte Verhalten von Ihrer Seite und von seiten Ihrer Freunde geschaffen worden sind! Nur auf diesem Wege werden wir aus der Vertrauenskrise herauskommen.
Es wäre ja auch auf der Seite Ihrer Freunde schon während der Ausführungen des Herrn Kollegen Maier zu beweisen gewesen, daß Sie bereit sind, diese vertrauensvolle Atmosphäre entstehen zu lassen. Nun, aus der Art, wie dieser Rede begegnet worden ist, haben sich, glaube ich, die hinreichenden Schlüsse auf diese Bereitwilligkeit ergeben. Erst dann, als am Schluß der Ausführungen des Herrn Kollegen Maier zu erkennen war, daß mit einer Mißbilligung des Innenministers gemäß unserem Antrage nicht gerechnet zu werden brauchte, stellte sich auch in Ihren Reihen die demokratische Toleranz und die Bereitschaft zum Zuhören ein.
Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu der Darstellung machen, die der Herr Innenminister heute zu dem Fragenkomplex gegeben hat. Wer unter Regieren die Aufgabe versteht, das Parlament von dem fernzuhalten und abzulenken, was es angeht, der allerdings wird mit diesen Ausführungen zufrieden sein. Sie schließen sich folgerichtig, das können wir dem Herrn Innenminister bescheinigen - es ist aber auch das einzige Positive, das wir ihm in dieser Sache bescheinigen können -, an das Verhalten an, das das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit in der Angelegenheit John von seiner Seite, von seiten des Herrn Bundeskanzlers und des tapfer mitschweigenden Kabinetts von Anbeginn an haben über sich ergehen lassen müssen.
Wahrheiten sind meistens bitter, auch für ein Parlament. Aber deshalb können wir nicht um die Feststellung herumkommen, daß die nach dem Willen der Mehrheit des Bundestages in der Behandlung dieser Staatsaffäre geübte Langmut ganz offensichtlich von dem Herrn Innenminister und dem Kabinett falsch verstanden worden ist. Wer bis zum heutigen Tage noch der Hoffnung sein konnte, daß sich hier doch noch ein Funke der Selbstbesinnung entzünden würde, der muß leider enttäuscht aus der heutigen Erörterung herausgehen. Weder die Forderungen und Mahnungen aus der Mitte des Parlaments, die dringlichen Appellationen im Ausschuß zum Schutze der Verfassung, der Unwille namhafter Kollegen aus den Reihen der eigenen Partei und Koalition, weder die heftigen Reaktionen in der Presse und der ganzen deutschen Öffentlichkeit noch das dann einsetzende erwartungsvolle Schweigen haben, wie die heutigen Erklärungen des Herrn Innenministers beweisen, die Einsicht zu erzeugen vermocht, daß bei der Behandlung dieses Geschehnisses eine Methode angewandt worden ist und offenbar, wenn es nach dem bisher bekundeten Willen der Koalition geht, weiter angewandt werden soll, die für denkende Staatsbürger einfach unzumutbar, für das Parlament unwürdig und mit dem Sinn der Demokratie unvereinbar ist.
Der Herr Innenminister hat seinerzeit am 8. Juli am Anfang seiner Ausführungen geäußert:
Das Gefühl für die Notwendigkeiten und die Erfordernisse der Staatssicherheit muß gerade in einem demokratischen Staat in allen Schichten des Volkes eine Realität, ein gegebener i Zustand sein und darf unter keinen Umständen einen öffentlichen Streitpunkt bilden.
Nun, meine Damen und Herren, was soll der Staatsbürger von solchen Erklärungen, den Erklärungen seiner Regierung, halten, wenn schon zwei, drei Wochen danach bei dem nächsten akuten Fall von demselben Minister dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber ein Verhalten praktiziert wird, das in dem denkbar direktesten Widerspruch zu dieser Erklärung steht, wenn mit Hypothesen, Versionen und allen möglichen Theorien, die selbst bei dem einfachen Mann auf der Straße wegen der peinlichen Unglaubhaftigkeit nur ein Achselzucken auslösen, der Versuch unternommen wird, einem Tatbestand auszuweichen, der notwendigerweise mindestens das Gefühl und die ernste Sorge einer möglichen Gefahr für die Staatssicherheit erzeugen mußte; wenn von demselben Minister in dieser erregenden Situation von Anbeginn an ein Verhalten bekundet und allen Bemühungen zum Trotz fortgesetzt wird, das einen öffentlichen Streitpunkt geradezu zwangsläufig heraufbeschwören mußte!
Das ist die Antwort auch auf alle diese Versuche, hier die Gewichte zu verschieben, Herr Kollege Dehler und Herr Kollege Kiesinger. Die Regierung hatte es in der Hand, die heutige Diskussion überhaupt nicht entstehen zu lassen. Wenn die Regierung ihre Verpflichtung erfüllt hätte, in diesem Augenblick einer bestehenden akuten Staatsgefahr von sich aus an das Parlament heranzugehen, dann wäre die heutige Auseinandersetzung nicht nötig gewesen.
({2})
Meine Fraktionsfreunde Mellies und Menzel haben die fortgesetzte Kette von Mißgriffen, Unverständlichkeiten und Widersprüchen in dem Verhalten des Herrn Innenministers dargelegt. Ich will es mir versagen, hierauf noch einmal einzugehen, aber einige seiner Ausführungen dürfen nicht unwidersprochen bleiben.
Der Herr Innenminister hat offensichtlich doch zum Zwecke der Rechtfertigung eine Zahlenentwicklung gegeben, die die aus der sowjetisch besetzten Zone hierher gekommenen Staatsfunktionäre den beiden nach der Ostzone Gegangenen, John und Schmidt-Wittmack, gegenüberstellt. Hier wird ein Vergleich der Bundesrepublik mit dem System der sowjetisch besetzten Zone gezogen, der nach unserem Dafürhalten gerade in diesem Zusammenhang besser unterblieben wäre.
({3})
Was soll ein solcher Zahlenwettstreit für die Bundesrepublik und für unser Staatsbewußtsein? Was soll der deutsche Bürger von einem solchen Zahlenwettstreit halten?
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Aber immer, wenn irgend etwas zu verdecken ist, immer, wenn irgend etwas schwierig ist, pflegen zwei Formen des Verfahrens in Erscheinung zu treten. Das ist einmal der Appell an die Opposition, doch nun zusammenzustehen, d. h. also, doch nun bloß nicht allzu viel Lärm über das Verpatzte zu machen, um nicht den Staatsbürger draußen noch weiter darauf hinzuweisen, und zum andern pflegt eine bestimmte Art der Appellation an das nationale Gefühl einzusetzen. Meine Damen und Herren, der Herr Innenminister hat in diesem Zusammenhang voll Pathos von der Wiedervereinigung gesprochen und bedauernd auf die dadurch entstehenden Folgen hingewiesen. Wir sind der Meinung, er hätte besser daran getan, eine
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aktive und konstruktive Politik zu fordern, die
auch tatsächlich zu dieser Wiedervereinigung führt.
({6})
Aber lassen Sie mich zu den Rechtfertigungsversuchen des Herrn Innenministers noch etwas anderes sagen. Der Herr Innenminister hat auch heute wieder das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit mit einer Erklärung abzuspeisen versucht, die sich ihrer Substanz und Art nach in nichts von dem unterscheidet, was wir bisher in dieser Hinsicht vernommen haben. Die wenigen tatsächlichen Nuancen, die da neu hineingekommen sind, ändern an dem Kern der Sache nichts. Zur Rechtfertigung dieser Methode hat er sich u. a. darauf berufen, daß diese Dinge nun einmal ihrer Natur nach zum Teil vertraulich seien, und er hat sich gegenüber dem Vorwurf, daß auch im Ausschuß zum Schutze der Verfassung nicht mehr von ihm darüber gesagt worden sei, auf die Geheimhaltungspflicht für die Mitglieder dieses Ausschusses gestützt. Er hat ihnen zwei Fälle vorgesetzt, die ihm angeblich das Recht geben, auch dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung gegenüber in dieser zurückhaltenden Weise zu verfahren.
Meine Damen und Herren, dieser Zwielichtigkeit gegenüber, die in der Erklärung des Herrn Innenministers in diesem Punkte wieder in Erscheinung getreten ist, müssen wir mit aller Deutlichkeit feststellen: es sind hier Verdächtigungen in einer generellen Form ausgesprochen worden, die keiner in diesem Hause auf dem Parlament sitzen lassen sollte. Es ist von ihm wohlweislich die Formulierung gebraucht worden „aus dem Ausschuß", um sich eine Rückzugsbasis zu sichern.
Ich werde nachher noch darüber sprechen.
Die präzise Frage, welches Parlaments- oder Ausschußmitglied dieses Vertrauen gebrochen habe, hat der Herr Minister nicht beantwortet; er hat sich auf diese bewußt gebrauchte Formulierung „aus dem Ausschuß" zurückgezogen.
Nun, meine Damen und Herren, in jener entscheidenden Sitzung des Ausschusses waren 20 Mitglieder des Ausschusses anwesend, 9 stellvertretende Mitglieder, 7 Bundesratsmitglieder und 6 Persönlichkeiten aus dem Innenministerium.
({0})
Da der Herr Innenminister unsere präzise Frage offensichtlich nicht durch Nennung des Namens eines Parlamentsmitgliedes beantworten konnte, mag er sich gegebenenfalls an die dann noch verbleibenden Persönlichkeiten, die an dieser Sitzung teilnahmen, wenden.
({1})
Nun führt der Herr Innenminister außerdem als Rechtfertigung für sein unverständliches Verhalten ein Fernschreiben - das er beanstandet - an, das ein Ländervertreter an seinen Innenminister gerichtet hat. Meine Damen und Herren, hierbei handelt es sich doch um eine amtliche Unterrichtung! Wozu waren denn diese Herren vom Bundesrat überhaupt in der Sitzung, wenn sie nicht die Befugnis haben sollten, hinterher darüber zu berichten?
({2})
Der Herr Innenminister steht ja sogar auf dem Standpunkt, daß bereits die Ausführungen, die Herr Kollege Menzel heute über die Arbeitsweise des Ausschusses gemacht hat, eine Durchbrechung des Prinzips der Vertraulichkeit darstellten. Die Konsequenz dieser Auffassung wäre, daß wir auf die Erörterung aller mit dem Schutz der Verfassung zusammenhängenden Fragen in diesem Hohen Hause überhaupt verzichten müßten.
({3})
- Die Frage ist nur, Herr Kollege, bei wem der Kurzschluß vorhanden ist!
({4})
Ich habe mir bereits vorhin einmal zu bemerken erlaubt: Wahrheiten sind auch für ein Parlament bitter. Wir haben heute so viel hochklingende Appellationen gehört, aber eines bleibt aus diesen Appellationen noch übrig, nämlich die Konsequenz. Es geht heute nicht mehr nur um das verlorene Prestige eines Ministers, der nicht die Einsicht für das aufbringen will, was er seinem Amt, dem Parlament und der deutschen Öffentlichkeit gegenüber schuldig ist. Es geht - das haben die Herren aus der Koalition zwar deklariert - um das Vertrauen des Staatsbürgers zum Funktionieren der Demokratie. Meine Damen und Herren ({5}), es liegt an Ihnen, in diesem Augenblick den Appell an das Zusammenstehen des Hauses zu bewähren, indem Sie sich zu den Erfordernissen des Funktionierens der Demokratie bekennen. Strafen Sie das Wort des Skeptikers Bernhard Shaw für sich Lügen, der gesagt hat: „Die Mehrheit befürwortet niemals eine Maßnahme; sie hat nicht begriffen, was eine Maßnahme ist."
({6})
Das Wort hat Herr Bundesminister Kaiser.
Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Gille eine Antwort schuldig. Ich bin ihm dankbar dafür, daß er in Verbindung mit den an den Herrn Innenminister gerichteten Fragen auch die Frage aufgeworfen hat, ob es 1950 überhaupt zu einer Berufung Johns zum Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz hätte kommen dürfen. Ich bin ihm dabei für sein Ansprechen Jakob Kaisers um so dankbarer, als mein Name im Zusammenhang mit dem Fall John in der Öffentlichkeit immerhin reichlich strapaziert worden ist und zwar nicht nur offen, sondern insbesondere auch in der Flüsterpropaganda. Ich will dabei nicht die Absichten untersuchen, die hinter den Versuchen stecken, mich möglichst eng mit dem Fall John in Verbindung zu bringen.
({0})
Man soll ja in der Politik nicht alle Motive untersuchen wollen. Gewundert hat es mich nur, daß ich nicht auch noch - sowohl in der Öffentlichkeit als auch heute hier - mit dem Fall Schmidt-Wittmack in Verbindung gebracht worden bin.
({1})
Nun zur Sache John! Hätte ich John für die Leitung des Amtes für Verfassungsschutz vorgeschlagen, würde ich nicht die geringste Veranlassung haben, daraus ein Hehl zu machen. Ich bin ge({2})
wohnt, zu den Verantwortungen, zu denen ich zu stehen habe, auch zu stehen.
Tatsache ist nun, daß ich John für dieses Amt nicht vorgeschlagen habe. Wohl aber habe ich mich in selbstverständlicher Solidarität aus der Zeit des Widerstandes her für John anderweitig verwendet. Es geschah das Ende 1949, Anfang 1950 auf sein Ersuchen hin. Ich würde mich vor allen, denen Kameradschaft ein Begriff ist, schämen, wenn ich das heute irgendwie nicht wahrhaben wollte.
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Nach meinem besten Erinnern lernte ich John 1942 bei meinem Freund Josef Wirmer in Berlin kennen, der zu den Toten des 20. Juli zählt. In der Widerstandszeit bin ich John zusammen mit Klaus Bonhoeffer und anderen zwar nicht jeden Tag, aber doch des öfteren begegnet. John und Bonhoeffer brachten Wilhelm Leuschner und mich in Verbindung mit Prinz Louis Ferdinand, während ich wiederum John und Bonhoeffer mit Carl Friedrich Goerdeler, mit Generaloberst Beck und Generaloberst von Hammerstein in Verbindung brachte. Auch Botschafter von Hassell und andere Patrioten, ehrenwerteste Männer,
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waren bei diesem und jenem Gespräch im Hause Bonhoeffer zugegen, an denen auch John teilnahm. Ich kann nur kurz und präzise sagen, um was es bei diesen und bei vielen anderen Gesprächen jener Zeit ging. Zugrunde lag die Auffassung, daß eine Autorität gefunden werden müsse, die es der
Wehrmacht ermöglichen konnte, mit der Hitlersehen Diktatur zu brechen. Diese Autorität konnte entsprechend den damaligen Notwendigkeiten nur aus einer Tradition kommen, die von der Wehrmacht, von ihren Generalen als legitim gegenüber der Hitlerdiktatur anerkannt werden konnte. Auf jeden Fall ging es dabei um die Frage, wie man zu raschem Handeln gegenüber dem Verhängnis, von dem Reich und Volk bedroht waren, kommen konnte. Für jeden Einsichtigen zeichnete sich damals immer greifbarer, immer stärker die Gefahr für Deutschland ab. Es ging einfach darum, so rasch zu handeln, daß wenigstens der Kommunismus vom deutschen Boden ferngehalten wurde. Ganz abgesehen davon, daß es den Männern des Widerstandes selbstverständlich auch darum ging, den Grausamkeiten des Systems und den sinnlosen Zerstörungen eines schon verlorenen Krieges so schnell wie möglich ein Ende zu bereiten.
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Alles, was meine Freunde, meine Kameraden und ich, Soldaten und Zivilisten, in jenen Jahren von John erfuhren, waren Bemühungen in dieser Richtung. Nach seiner eigenen Haltung und nach dem Kreis von Menschen, in dem wir ihn kennenlernten, in dem wir den Mann sahen und sprachen, erschien er ganz einfach als aktiver, als konservativer Mann. Von irgendwelchen anderen Verbin dungen und Tendenzen Johns ist meinen Freunden und mir nie etwas bekanntgeworden.
Ich weiß - und es flackerte ja vorhin auch wieder auf -, daß heute gelegentlich von Verbindungen mit der sogenannten „Roten Kapelle" gemunkelt und gesprochen wird. Die Diffamierungsmaschine hat ja auch versucht, mich, den Jakob Kaiser, in diese Gegend zu rücken.
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Soviel ich weiß, ist dieser Name, dieser Begriff, dieses Rubrum „Rote Kapelle" von der Gestapo geprägt worden. Ich habe die Männer und die Frauen dieses Kreises nicht gekannt. Ich hatte auch nie den geringsten Kontakt mit ihnen. Ich darf überhaupt in diesem Zusammenhang sagen, daß meine Freunde und ich in all den Hitler-Jahren niemals irgendeinen Kontakt mit Kommunisten gehabt haben. Ob John solchen Kontakt hatte, entzieht sich meiner Kenntnis. Sicher ist, daß meine Freunde und ich absolut keinen Anlaß hatten, es anzunehmen.
Nach dem 20. Juli habe ich von John jahrelang nichts gehört. Wer mein eigenes Schicksal kennt, weiß, daß ich kein weiteres Wort dazu zu sagen brauche. Meine eigene Tätigkeit nach 1945 spielte sich bis 1948 in Berlin und in der Sowjetzone ab. Wir standen damals in harter Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Sie wissen alle miteinander, wie abgeschlossen das Leben jenseits der Elbe, Werra, Fulda schon damals war.
Kurz nach meinem Eintritt in die Bundesregierung, Ende 1949, trat John mit mir erstmals wieder in Verbindung. Er schrieb mir aus London und bat mich, ihm behilflich zu sein, nach Möglichkeit eine berufliche Grundlage zu finden, die ihm die Rückkehr nach Deutschland, in die Heimat, woran ihm gelegen sei, ermöglichen könnte. Er interessierte sich dabei für die Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt und für die Ruhrbehörde. Ich habe selbstverständlich seinem Wunsch entsprochen; denn dieser Mann John hatte in meinen Augen bis zum 20. Juli 1944 seinen Mann gestanden. Die Flucht vor dem sicheren Tod war ihm geglückt, wie sie leider - Gott sei es um unseres Volkes willen geklagt - nur allzu wenigen der Männer und Frauen des 20. Juli geglückt war.
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Nun schrieb mir John als Rechtsanwalt aus London. Von irgendeiner anderen Tätigkeit war zu mir in der Abgeschlossenheit von Berlin und Mitteldeutschland nichts gedrungen. Und in Bonn hatte mir damals keiner von denen, die heute so viel wissen wollen, auch nur ein Wort von einer andern Betätigung Johns gesagt.
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Ich erinnere mich auch nicht, damals in irgendeiner Zeitung darüber etwas gelesen zu haben. So gebot es meine kameradschaftliche Pflicht gegenüber einem Mann des Widerstandes, zu versuchen, ihm nach Möglichkeit behilflich zu sein. Wie sich sein Anliegen hinsichtlich des Außenamtes und der Ruhrbehörde entwickelte, ist mir damals nicht weiter bekanntgeworden.
Nun ging es - das haben wir heute vom Innenminister gehört - im Verlaufe des Jahres 1950 um einen geeigneten Mann für die Leitung des im Aufbau befindlichen Amtes für Verfassungsschutz. Acht Kandidaten - wir hörten es vom Innenminister - hatten schon eine Rolle gespielt. Daß man im Innenministerium schließlich auf den Namen John stieß, der seiner Zugehörigkeit zur Widerstandsbewegung wegen von den Alliierten doch wahrscheinlich akzeptiert werden konnte und der von mir in anderem Zusammenhang genannt worA ({9})
den war und sich auch noch auf andere Empfehlungen berufen konnte, entsprach einfach der damaligen Situation. Es handelte sich doch schließlich um 1950 und nicht um 1954.
In einer Zeitung ist nun in diesen Tagen noch die erstaunliche Behauptung aufgestellt worden, daß meinerseits mit Otto John eine enge Fühlungnahme von Haus zu Haus bestanden habe. Hier haben wir wieder einmal ein greifbares Beispiel, wie man versucht, mit bewußten Falschmeldungen Zwiespalt zu säen. Ich stelle dazu fest: ich weiß bis zur Stunde noch nicht, wo John in Köln gewohnt hat. Ich habe ihn im Verlauf der vier Jahre weder in seiner Wohnung noch in seinem Amt besucht. Wohl hat mich John im Verlauf dieser vier Jahre ein-, vielleicht sogar zweimal in größerer Gesellschaft besucht. Aber ich kann mich jedenfalls nicht zu jenen zählen, die mit ihm in diesen Jahren freundschaftlichen Verkehr pflegten. Soviel zu meiner angeblichen engeren Fühlungnahme von Haus zu Haus.
Nun auch meinerseits noch eine kurze politische Bemerkung. Ich habe den Eindruck, bestimmte Kreise suchen an Hand des düsteren Falles John zunächst einmal die ganze Widerstandsbewegung, die Männer und Frauen des 20. Juli, zu treffen.
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Ich sage dazu: traurig genug, daß die Widerstandsbewegung gerade nach diesem 20. Juli 1954, der ihre Bedeutung für ganz Deutschland wie kaum zuvor sichtbar werden ließ, durch die düstere Affäre John für einen Augenblick in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der verantwortungsbewußte, der freiheitliche Wille des deutschen Widerstandes
B ist gerade in unseren heutigen Tagen innen- und außenpolitisch zu bedeutsam, als daß wir ihn angreifen lassen dürften.
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Noch eins, meine Damen und Herren, wenn ich es vielleicht auch nicht mit den glücklichen Worten sagen kann, wie sie heute schon von verschiedenen Sprechern, nicht zuletzt vom Kollegen Kiesinger, zum Ausdruck gebracht wurden: man sollte doch über allem Widerstreit nicht vergessen, wie sehr solche Fälle, mit denen sich der Bundestag heute befassen muß, den ebenso tragischen wie unhaltbaren Zustand unseres Vaterlandes demonstrieren. Solange der Kommunismus auf deutschem Boden steht, solange Deutschland Schauplatz des Kalten Krieges bleibt, solange Deutschland geteilt, gespalten und zerrissen bleibt, wird es Krankheitsund Krisenerscheinungen geben. Wir können uns letzten Endes gegen menschliche und politische Rückschläge und Erschütterungen dieser Art nur dann wirksam sichern, wenn die Teilung unseres Landes überwunden wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während der Debatte heute nachmittag konnte man manchmal vergessen, warum wir eigentlich hier zusammengekommen sind. Ich glaube, wir sollten uns doch daran noch einmal erinnern. Ich habe mit großem Interesse und mit großer Aufmerksamkeit die Begründung gehört, die die Kollegen Mellies und Dr. Menzel
für die Anträge ihrer Fraktion gegeben haben. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, werden nicht erwarten, daß ich nun sage, ich sei mit allem einverstanden gewesen. Aber ich darf doch sagen, daß die ernste Sorge, die aus Ihren Worten sprach, von mir sehr wohl verstanden wurde. Ich möchte Ihnen sehr eindeutig sagen und versichern, das, was sich ereignet hat, was uns hier zusammengeführt hat, der Fall John und auch der Fall Schmidt-Wittmack, ist wirklich geeignet, uns alle unruhig zu stimmen und uns vor die Frage zu stellen, was wir gemeinsam tun können und was wir gemeinsam tun müssen, um dieses Gefühl der Unsicherheit zu bändigen, das sicherlich im deutschen Volke aufgekommen ist.
Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang - und es wäre falsch und schlecht, ihn irgendwie zu bagatellisieren -, daß der Leiter eines Amtes für Verfassungsschutz in der Bundesrepublik und daß ein Abgeordneter dieses Hauses den Weg nach dem Osten finden. Die Tatsache, daß Herr Schmidt-Wittmack meiner Fraktion angehört hat, kann mich in keiner Weise veranlassen, dieses ernste Problem etwa zu bagatellisieren oder zu verkleinern. Im Gegenteil, es ist für mich sicherlich noch schwerer als für Sie, darüber zu sprechen.
Wir haben auch gehört, was an Kritik geäußert wurde über die Reaktion der Bundesregierung und des Bundesinnenministers Dr. Schröder, nachdem die Fälle passiert waren, insbesondere nachdem Herr Dr. John seine Zelte drüben in der sowjetisch besetzten Zone aufgeschlagen hatte. Mein Freund Kiesinger hat es schon ausgesprochen. Ich kann wiederholen, daß auch bei mir und meinen Freunden nicht zu jeder einzelnen Maßnahme und Verlautbarung etwa ungeteilte Zustimmung festzustellen war. Es hätte sicherlich manches - und das kann man und soll man diskutieren - auch anders gemacht werden können. Aber eines sollten wir doch nicht tun: wir sollten doch nun nicht Ursache und Wirkung verwechseln.
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Das ist der Grund, weswegen wir - das darf ich vorwegnehmen - auch nicht in der Lage sind, etwa Ihrem Mißbilligungsantrag zuzustimmen. Wir halten es nicht für sehr glücklich und vielleicht auch nicht - erlauben Sie mir, das zu sagen - für sehr vernünftig, nun aus dem Fall John einen Fall Schröder zu machen. Ich halte es allerdings für noch unglücklicher und werde darauf zurückkommen, wenn sich ein Mitglied des Hauses die Mühe gibt, aus dem Fall John einen Fall Adenauer zu machen.
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Die Vorgänge, die zu der Ernennung des Herrn John geführt haben, hat der Herr Bundesminister des Innern hier sehr klar geschildert. Wir widersprechen der Einsetzung des Ausschusses in keiner Weise. Es wird Sache des Ausschusses sein, auch diese Vorgänge noch zu klären. Aber wir sollten hier uns doch gegenseitig ehrlich zugeben, daß bis zu dem Tage, an dem Herr Dr. John in Berlin über die Grenze ging, auch der Innenminister Schröder von niemand gewarnt wurde, auch nicht von den vielen Illustrierten oder Nichtillustrierten, die nachträglich so vieles Interessante über Herrn Dr. John, sein Vorleben, seine Vergangenheit, seine subversive Tätigkeit, seine Beziehungen, seine Veranlagung und sonstwas zu sagen wußten.
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- Genau.
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- Vollkommen einig! Wobei ich so unbescheiden bin - ich muß es sein, obwohl mich jetzt Herr Schoettle anspricht -, immerhin zu sagen: Wenn ich mich recht erinnere, bin ich der einzige, der Herrn Dr. Lehr einen Brief geschrieben hat, als Herr Dr. John ernannt wurde, der einzige des ganzen Bundestages. Ich glaube, daß zu den Akten des Bundesministeriums auch von all den Journalisten, die nun die Artikel schreiben, keine Warnung erfolgt ist. Meine Warnung erfolgte, um das klarzustellen - denn ich unterstreiche jedes Wort, das mein Freund Kaiser hier gesagt hat -, nicht deswegen, weil ich einem Dr. John mißtraute oder ihn für ungeeignet hielt, weil er zu den Männern des 20. Juli gehörte.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns wirklich hüten - und ich bin meinem Freund Kaiser dankbar, daß er hier einiges dazu gesagt hat -, uns dazu verlocken zu lassen. Ich unterstreiche, was Herr Kollege Dr. Menzel gesagt hat. Gibt es denn nicht uns allen zu denken, daß solche Ratten wie Herr Diels wieder aus den Löchern kommen, daß solche Leute den traurigen Mut haben, anstatt zu schweigen und sich zu schämen, nun Artikel und Bücher zu veröffentlichen und uns die „Segnungen" des „Dritten Reichs" anzupreisen, Leute, die die Gestapo, die die Konzentrationslager aus der Taufe gehoben haben?!
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Ich habe auch hier die Bitte an den Herrn Innenminister, in solchen Fällen doch zu prüfen, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, wo man von der Sondervorschrift in dem Ausführungsgesetz zu Art. 131 Gebrauch macht.
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Menschen, die eine solche Tätigkeit ausuben, Menschen, die in einer so hundsgemeinen und subversiven Weise die neue werdende Demokratie angreifen, haben weiß Gott kein Recht, sich auf Rechtsansprüche zu berufen und Pensionen von den Steuerzahlern zu beziehen, die mit ihren Groschen eine Demokratie bauen wollen.
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Was vorgegangen ist, muß sicherlich geprüft werden. Es soll auch geprüft werden, ob aus der Tätigkeit des Herrn Dr. John noch irgendein Schaden entstehen konnte oder entstehen kann. Es wird hier vielleicht nötig sein, personelle Entscheidungen in dem Amt oder was sonst nachzuprüfen. Ich möchte den Einzelheiten nicht vorgreifen. Aber es scheint mir doch etwas zu primitiv, wenn sich ein Redner etwa hinstellt und sagt: Eines müssen wir feststellen: hier ist ein unerhörter personeller Mißgriff vorgekommen. Meine Damen und Herren, wenn man vom Rathaus kommt, ist man immer klüger. Aber der das gesagt hat - es war der Abgeordnete Reinhold Maier, der einen hochinteressanten Beitrag zu dieser Diskussion geleistet hat, was mich veranlaßt, einige Bemerkungen zu machen -, hat damals - er war ja seinerzeit noch im Bundesrat - auch zu diesem „unerhörten personellen Mißgriff" geschwiegen. Es macht keinen sehr überzeugenden Eindruck, wenn er sich nun hierherstellt und den Empörten spielt. Ich habe überhaupt - und ich muß es sagen trotz der beinahe dithyrambischen Anerkennung, die Herr Rehs Herrn Kollegen Reinhold Maier gezollt hat - nicht den Eindruck, daß diese Äußerungen des Abgeordneten Maier sehr glücklich waren. Ich persönlich darf Ihnen sagen, daß ich während dieser Rede ein peinliches Gefühl nicht loswurde.
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- Ich darf Ihnen auch sagen, warum. Ich habe den Eindruck, daß uns diese Rede veranlassen sollte, den Herrn amtierenden Präsidenten zu bitten, in Zukunft die Verlesung wohlvorbereiteter Reden zu verhindern; denn wenn er diese Rede nicht wortwörtlich vorgelesen hätte, wäre uns vieles erspart geblieben.
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Der Herr Abgeordnete Maier hat an einer Stelle seiner Rede gesagt: Wie kommt eigentlich diese böse CDU/CSU dazu, einen Fraktionsbeschluß zu fassen, in dem sie erklärt, daß der Innenminister Dr. Schröder ihr Vertrauen hat? Das ist eine Ungeheuerlichkeit, eine Sitzung so vorzubereiten; denn man muß doch hier erst in der Sitzung diese Entscheidung treffen. - Aber er kommt mit einem Manuskript von 30, 40 Seiten wohlvorbereitet, er hört nicht, was vorher gesagt wird, er geht nicht darauf ein, sondern er liest treuherzig ab mit all den kleinen Mätzchen und Aperçus.
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Ich hatte manchmal den Eindruck, in einem sehr billigen Kabarett zu sein, und ich frage auch den Herrn Kollegen Maier, ob er diese Dinge für sehr geschmackvoll hält. Er macht beispielsweise diesem Bundestag, er macht dieser Koalition, er macht diesem Kabinett den Vorwurf, die Innenpolitik nach „Methoden der Kindesaussetzung" zu behandeln. Nun, ich habe die Hoffnung, daß vielleicht die vier Minister, die seine Fraktion in dieses Kabinett entsandt hat, sich mit ihm über diese Kindesaussetzung unterhalten werden. Wenn man einer solchen Koalition angehört und hier im Bundestag jede Gelegenheit hat, die vermißte Initiative zu entfalten - ich vermisse sie bisher bei Ihnen, Herr Kollege Maier -, dann kann man sich nicht hier herstellen und sagen: Das, was hier geschehen ist, ist schlecht. Ach, Herr Maier, Sie hatten hier ebensoviel Gelegenheit, eine falsche Initiative zu entfalten, wie in Stuttgart auch!
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Ich muß ein paar weitere Bemerkungen machen. Herr Kollege Maier hat dann sehr ernst und mit einer ungeheuer moralischen Miene gesagt - so ungefähr war es -: Was muß eigentlich in der Bundesrepublik passieren, bis was passiert? Nun, die Fragestellung ist an sich sehr schön, und wenn Herr Innenminister Schröder etwa die Flucht von Herrn John gedeckt hätte, dann müßte allerdings sehr viel geschehen. Wenn er eine Verantwortung hätte, wenn er gegen sein besseres Wissen Herrn John gehalten oder berufen hätte, auch dann müßte sehr viel geschehen. Aber hier ist etwas passiert, was nach meiner Meinung, nach unserer Meinung, die vielleicht von der des Herrn Kollegen Maier ab({11})
weicht, nicht in den Verantwortungsbereich unseres Freundes Schröder hineinfällt.
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- Ich werde gern darauf eingehen, Herr Kollege.
- Aber ich darf vielleicht eine indiskrete Frage stellen: Was ist denn eigentlich alles in Stuttgart passiert, ohne daß etwas passierte, als Sie Ministerpräsident waren?
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Meine Damen und Herren, es wäre wirklich verlockend, auf einzelne Dinge einzugehen.
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Meine Damen und Herren, ich werde mich hier nicht auf Einzelheiten einlassen. Ich bin gern bereit, mit Ihnen darüber zu reden.
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- Nun, ich darf an den Fall Maier/Meier, an den Fall Bürkle und an ähnliches mehr erinnern, was für Herrn Maier in keiner Weise Veranlassung war, daß mit ihm etwas passierte. Dazu mußten erst die Wähler kommen, daß ihm was passierte.
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Es wäre noch einiges dazu zu sagen, und es wäre auch so einiges zu den mißglückten Aperçus unseres verehrten Kollegen Maier zu sagen,
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der böse war, weil er in einer Erklärung des Herrn Bundeskanzlers das Wort vom „Übergang" des Herrn John fand. Er glaubte, das sei nicht so ganz richtig. Er zeigte dann, daß er klassisch gebildet sei. Er sprach von „transfuga" und davon, daß das „Überläufer" bedeute. Ja, meine Damen und Herren, wir wollen uns über diese Dinge nicht so intensiv unterhalten. Die SPD spricht in ihrem Antrag vom „Übertritt". Ob das die Übersetzung von „transfuga" ist, weiß ich auch nicht. Herr Maier hat dann selbst in seiner Rede von dem Tag der „Amtsaufgabe" des Herrn John gesprochen. Ist das die neue Übersetzung von „Überläufer"? Also wollen wir uns doch nicht so sehr an die Worte klammern! Lassen Sie mich das noch sagen: Ich hatte wirklich die Hoffnung, die aufrichtige Hoffnung gehabt, daß der gute Appell meines Freundes Kiesinger, den wir alle unterstützt haben, auch so begriffen und verstanden werde. Ich hatte auch den Eindruck, daß er zunächst so verstanden wurde.
Sehen Sie, meine Damen und Herren, wir können in diesem Parlament nicht die prästabilierte Harmonie schaffen, daß wir nun in allen Fragen einig sind. Wir haben auch sehr viel Verständnis für die berechtigte Kritik der Opposition an vielen Dingen, und wir haben sehr viel Verständnis für die Notwendigkeit einer solchen Kritik. Alles das soll nicht unterbleiben. Aber hier geht es doch wirklich - und das hat mein Freund Kiesinger ausgesprochen - um die Grundlagen dieses demokratischen Staates, und wir sollten uns gemeinsam bemühen, sie nicht zu erschüttern, sondern sie zu festigen. Wir sollten den Gründen der Vertrauenskrise nachgehen und sollten uns auch darüber, wenn wir verschiedener Meinung sind, offen und ehrlich die Meinung sagen, aber nicht, indem wir, wie es dann in dieser Rede des Herrn Maier geschah, von der ich schon sprach, unterdrückte Ressentiments loslassen, die wirklich mit diesem Fall gar nichts zu tun haben und für die die Öffentlichkeit in dieser Stunde kein Verständnis hat.
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Ich habe es auch nicht so scharf beurteilt wie mein verehrter Kollege Rehs, daß Herr Dr. Dehler als Fraktionsvorsitzender dann auf die Tribüne gegangen ist, aber nicht um Nebel abzulassen, sondern um den bedauerlicherweise nicht vollkommen gelungenen Versuch zu unternehmen, eine Atmosphäre zu entgiften, die durch den rhetorischen Beitrag unseres Kollegen Maier wirklich schlecht geworden war.
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Aber dazu zu sprechen, ist hier nicht der Platz. Es gibt andere Möglichkeiten.
Meine Damen und Herren, die Notwendigkeit besteht, uns in diesen Fragen, die uns doch alle angehen, in der sachlichen Diskussion zu finden, uns gegenseitig anzuhören. Ich versichere Ihnen, meine Fraktion ist dazu bereit, in einer solchen Situation besonders bereit, jedes sachliche, ernste, kritische Wort, das hier gesprochen wird, anzunehmen; denn wir wissen - und davon befreit uns niemand -, daß wir in der Verantwortung stehen, auch wenn Fehler geschehen, und wir müssen diese Verantwortung dann auch tragen. Aber das sollte uns doch dazu bringen, uns zu verständigen. Ich möchte den Appell aufnehmen, den dankenswerterweise Herr Kollege von Merkatz wiederholt hat: Können wir nicht den Versuch unternehmen - bei allem, was uns trennt, und bei aller Schärfe der Kritik -, uns gegenseitig die Möglichkeit zu geben, diese Mißstände gemeinsam zu beseitigen? Meine Damen und Herren, es geht um den Staat, in dem wir alle leben. Dieser Staat ist kein Verein, von dem sich der eine distanzieren kann, und eine Regierung ist auch kein Vereinsvorstand. Es ist mehr, und es geht darum, Vertrauensgrundlagen wiederherzustellen, die - ich betone und wiederhole es und muß es anerkennen - durch die Vorgänge der jüngsten Vergangenheit erschüttert worden sind. Ich glaube, wir dienen diesem Vertrauen draußen nicht, wenn wir uns nun hier zanken, wenn wir uns gegenseitig den guten Willen absprechen, wenn wir das Wort des anderen so auslegen, wie es der Herr Kollege Rehs gegenüber meinem Freund Kiesinger getan hat.
In der Aufklärung dieses Tatbestandes, in dem Bemühen, die Wiederholung ähnlicher Ereignisse zu verhindern, in dem Bemühen, alles zu tun, um auch die möglichen Auswirkungen zu ergründen, in dem Bemühen, alle Vorgänge zu durchleuchten, um jede schädliche Auswirkung, soweit sie noch vorhanden sein könnte oder sich später zeigen könnte, auszuräumen, in diesem Bemühen werden Sie uns im Ausschuß und außerhalb des Ausschusses, im Untersuchungsausschuß und im Ausschuß für Verfassungsschutz auf Ihrer Seite haben. Sie werden uns auch auf Ihrer Seite haben in dem Bemühen, die Grundlagen der Arbeit der Verfassungsschutzämter - lassen Sie es mich sagen - in Bund und Ländern einer echten und gründlichen Revision zu unterziehen. Denn wir sind der Meinung - und ich unterstreiche, was mein Freund Kiesinger in der
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Debatte gesagt hat, als hier das ganze Verfassungsschutzwesen seinerzeit einmal zur Diskussion stand -: Hier brauchen wir die rechtsstaatlichen Grundlagen, und wir brauchen die rechtsstaatlichen Garantien auch für den einzelnen. Ich widersetze mich genau wie Sie der Duldung einer Institution, die außerhalb dieser rechtsstaatlichen Ordnung Eingriffsmöglichkeiten besitzt.
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Ich widersetze mich der Möglichkeit, als Staatsbürger dieses Landes etwa kontrolliert und beobachtet zu werden, ohne daß man mir die Möglichkeit gibt, gegen Verleumdungen Stellung zu nehmen. Alles das wird zu einer organischen Reform des Verfassungsschutzes gehören. Ich meine, wir sollten gemeinsam daran arbeiten. Die Grundlagen dafür sind in dieser Diskussion zumindest teilweise entstanden, und es ist mein Wunsch, daß sie in der Fortsetzung dieser Diskussion auch noch endgültig gelegt werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bauer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bin mit dem Herrn Kollegen von Brentano der Meinung, daß die Reden, die heute nachmittag hier über die Bühne gegangen sind, sich teilweise nur noch sehr indirekt mit dem Problem Dr. John beschäftigt haben, mögen sie auch von mehr oder weniger Pathos getragen gewesen und mehr oder minder ins Grundsätzliche gegangen sein. Ich will mich jedenfalls bemühen, wiederum auf den grundsätzlichen Fall, auf den Fragenkomplex John zurückzukommen.
Wie ist die Lage? Die deutsche Öffentlichkeit ist seit den letzten Julitagen wahrhaftig zur Genüge mit Fragestellungen gefüttert worden, zuerst zum Komplex John, dann zur Affäre Schmidt-Wittmack. Eine klare Beantwortung ist auf die wenigsten Fragen erfolgt. Vor allem konnten heute durch den Herrn Bundesinnenminister auch nur einige Fragen beantwortet werden, und wer eine vollständige Beantwortung aller Fragen erwartet hat, wird wohl ziemlich enttäuscht nach Hause gehen. Die Fragen konnten vor allem insoweit nicht beantwortet werden, als nichtdeutsche Instanzen bei der Antwort beteiligt sind.
Aus der verwirrenden Fülle der geäußerten Thesen und Hypothesen kann ein bunter Strauß aus dem deutschen Blätterwald zusammengestellt werden, ohne daß man dabei im geringsten etwa den Anspruch auf Vollständigkeit erheben wollte. Ist es z. B. wahr, daß sich John während des Krieges in der Schweiz mit dem später dort verurteilten Sowjetagenten Rösler traf und daß sein Kontaktmann in England der später nach dem Osten übergelaufene Mr. Burgess war? Warum hat die Bundesregierung, so ist gefragt worden, nicht nach diesem Prozeß unmittelbar eigene Ermittlungen angestellt? Stimmt es, daß sich John mit dem Sowjetagenten Chapman in Tanger getroffen hat, daß die portugiesische Polizei damals schon John als einen Sowjetagenten bezeichnet hat und daß auch die schwedische Polizei Unterlagen über einen Kontakt des Dr. John mit den Sowjets in der Hand haben soll? Weiter, hat Dr. John wirklich der sogenannten „Roten Kapelle" angehört? Stammt Material in deutschfeindlichen Artikeln, die in der englischen Presse erschienen sind, aus seiner Feder? Hat er überhaupt für die Engländer gearbeitet?
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Meine Damen und Herren! Ich bitte doch um etwas Ruhe, damit der Redner verstanden wird.
Ist Herr Dr. John tatsächlich vom englischen Secret Service und von den Amerikanern überwacht worden? Trifft es zu - das ist eine besonders delikate Frage -, daß die Saarregierung Hoffmann Material verwandt hat, das sie insofern über die Sûreté erhalten konnte, als John den Franzosen Edmond Beer unter der Decknummer 90 zu seinem Mitarbeiter gemacht hat?
In welchem Zusammenhang - auch das interessiert uns Deutsche - steht der Selbstmord des amerikanischen CIC-Offiziers Höfer mit diesem Fall John? Stimmt es, ist weiter gefragt worden, daß der zunächst im Bundespresseamt, später im Amt Blank tätige ehemalige Oberleutnant Scheidt im Bundespresseamt im Auftrage des Dr. John besondere Erkundigungen für die Amerikaner hinsichtlich der Herren Lenz und Globke zusammengetragen hat?
Welche näheren Gründe bestanden für die Note an die Alliierte Oberkommission, die Freilassung des Dr. John aus dem östlichen Sektor zu veranlassen? Warum sind die vorher angeblich so zahlreich abgegebenen Warnungen allen möglichen anderen Personen zugegangen, nur nicht dem Herrn Bundesinnenminister selbst? Wie kommt es, daß sowohl Minister wie Kanzler von Johns Aktennotiz betreffend Beeinflussungsversuche durch Herrn von Putlitz vorher keine Kenntnis erhielten?
Trifft es schließlich zu, was auch behauptet wurde, daß die 500 000 DM nur auf einen Hinweis ausgesetzt worden sind, eine interessante Persönlichkeit aus dem Osten wolle gegen materielle Sicherheit nach dem Westen übertreten und dann die Hintergründe des Falles John bekanntgeben?
Ist etwas Wahres dran, daß der ehemalige niedersächsische stellvertretende Ministerpräsident Gereke erst durch eine zu dauernder Belästigung ausgeartete Bespitzelung in den Osten getrieben worden ist?
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Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, die heutige Debatte hat in diesen Fragen, die in der deutschen Öffentlichkeit aufgetischt worden sind, keine befriedigende Klärung bringen können.
Um nun wenigstens in etwa hinter diese Probleme, hinter diese Fragen zu kommen, ist der Untersuchungsausschuß eine zwingende Notwendigkeit, und seine wahrhaftig nicht zu beneidenden Mitglieder werden sich in zäher, länger dauernder Kleinarbeit bemühen müssen, Stein um Stein zusammenzutragen, um Klarheit zu gewinnen und den Versuch einer größtmöglichen Klärung der Vorgänge zu unternehmen, wobei - da gehe ich mit dem Herrn Kollegen von Merkatz vollkommen einig - nur zu hoffen ist, daß die Unterstützung seitens der Regierungsstellen durch Zurverfügungstellung des Materials ohne Rückhalt - ich betone ausdrücklich: ohne Vorbehalte - gewährt wird.
Meine Fraktion hat schon durch einen vorherigen Sprecher andeuten lassen, daß uns die derzeitige rechtliche Untermauerung des Ausschusses zum
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Schutze der Verfassung ungenügend erscheint. Um für die Zukunft geschäftsordnungsmäßige Zweifel zu vermeiden, inwieweit dieser Ausschuß für die Staatssicherheit überhaupt selbständig tätig werden kann, reichen wir hiermit einen Antrag, betreffend Initiativrecht des Ausschusses zum Schutze der Verfassung, ein:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Ausschuß zum Schutze der Verfassung ist berechtigt, sich gemäß § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung im Rahmen seines Aufgabenbereiches auch mit Fragen zu befassen, die ihm nicht ausdrücklich überwiesen worden sind.
Ich darf dem Herrn Präsidenten diesen Antrag übergeben.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, bei allen Zweifeln steht heute eines jedoch fest. Es ist bis zur Stunde kein schlüssiger Beweis dafür erbracht worden, daß sowohl Dr. John wie auch Herr Schmidt-Wittmack aus niedrigen materiellen Beweggründen oder aus unehrenhaften Zielsetzungen ihren Schritt getan haben. Sie sind nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen keinesfalls etwa deshalb nach dem Osten gegangen, weil ihnen im Westen der Boden zu heiß unter den Füßen geworden wäre oder der Staatsanwalt hinter ihnen her gewesen wäre.
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Die am meisten einleuchtende Begründung bei allen Durchleuchtungsversuchen, die von verschiedenster Seite angestellt worden sind, scheint mir die „Englische Rundschau" - erschrecken Sie bitte nicht, wenn ich die „Englische Rundschau" zitiere; ich bin der Meinung, daß die Wahrheit unteilbar und etwas 1 Absolutes ist - noch die glaubwürdigste Formulierung in zwei kurzen Sätzen gebracht zu haben; und diese lauten:
Dr. John war es müde, von der deutschen Regierung links liegengelassen und als Emigrant, der im letzten Kriegsjahr in Großbritannien aktiv „dem Feind" gedient hat, abgelehnt zu werden.
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Er war beunruhigt durch die seinem Vorgesetzten, dem Bundesinnenminister Dr. Schröder, entschlüpfte Äußerung, daß er Ende August von seinem Posten entfernt werden würde.
Nun, damit muß wohl oder übel eine Stellungnahme verbunden werden, inwieweit die Bundesregierung, vornehmlich der Herr Bundesinnenminister selbst, Mißgriffe getan hat, und zwar sowohl vor wie nach dem Eintreten der Panne Dr. John.
Vor mir liegt ein nicht dementierter Bericht der „Süddeutschen Zeitung" vom 26. Juli, in dem es heißt - ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren -:
„Dies aber, bitte, vertraulich", sagt Bundesinnenminister Schröder am Nachmittag des 14. Juli im Bonner Presseclub vor etwa zwei Dutzend Journalisten. Seine Stimme wird etwas leiser, als fürchte er irgendwelche Horcher an der Wand. Er kann nicht ahnen, daß er mit diesen Worten den „Sturm auf die Bastille" des Dr. John eröffnet hat. Vertraulich sollten die Vorstellungen bleiben, die der Herr Bundesinnenminister von einem idealen Leiter
des Bundesverfassungsschutzamtes hegte: einwandfreie Vergangenheit; starker, integrer Charakter; juristische Abschlußprüfungen.
Der Innenminister wird verstanden. Jeder Teilnehmer dieses Gesprächskreises weiß, daß der derzeitige Leiter des Bundesverfassungsschutzamtes diesen Anforderungen nicht entspricht. Schröder wird noch deutlicher. „Wenn wir einmal über unsere Souveränität verfügen", setzt er hinzu, „dann wird es leichter sein, Umbesetzungen auch in Stellen vorzunehmen, die seinerzeit praktisch von den Alliierten besetzt worden sind." Wenige Stunden später jagt eine ausländische Nachrichtenagentur die Sätze über ihren Fernschreiber. Ein Mißverständnis, beteuert später der betreffende Journalist. Die Bundespressekonferenz debattiert Tage darauf den Fall einer „Verletzung von Standespflichten". Otto John aber scheint sich nicht nur gewarnt, sondern auch getroffen zu fühlen.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist man geneigt, die Frage zu stellen, ob man nicht die Panne des Übertritts vielleicht dadurch hätte vermeiden können, daß man zunächst geschwiegen hätte oder den damaligen Herrn Präsidenten auf die Seite genommen und ihm etwa gesagt hätte: Sie sind Beamter; wir wollen uns darüber unterhalten, inwieweit wir Sie als Beamten an einer anderen Stelle, da Sie demnächst an der Stelle im Rampenlicht der Öffentlichkeit nicht mehr tragbar sein werden, entsprechend einbauen. Meine Herren vom BHE, ich bitte Sie, einmal der Überlegung zu folgen: Was wäre für die westdeutsche Bundesrepublik besser gewesen, einen Dr. John als Beamten in irgendeinem Amt, wo er politisch keinen großen Einfluß ausüben kann, an die Kette zu legen oder ihn, sagen wir, rechtzeitig zu warnen: Du wirst in absehbarer Zeit an die Luft gesetzt!? Ich habe die Befürchtung, daß der labile Charakter, als der Herr Dr. John überall geschildert worden ist, letzten Endes und im tiefsten Grunde durch dieses Moment des Hinauswurfs bei nächster Gelegenheit zu seinem Schritt gekommen ist.
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Meine Damen und Herren, das war ein negativer Punkt im Verhalten des Herrn Bundesinnenministers vor Eintreten der Panne. Was sich nachher abgespielt hat, ist nach meiner Ansicht nicht weniger einer Kritik zu unterwerfen.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie einen Moment unterbrechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird mir gerade gemeldet, die Gespräche im Hause seien so stark, daß man draußen am Rundfunk nichts verstehen kann. Diese Meldung ist eben hereingekommen. Ich darf Sie doch bitten, die Unterhaltungen einzustellen, damit die Übertragung am Rundfunk für diejenigen, die dieser Debatte folgen wollen, auch wirklich verständlich ist.
Bitte, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren! Ich habe mich gestern abend einmal der Mühe unterzogen, die vielen Blätter des Presse- und Funkberichts, die uns ja jeden Tag in die Fächer gelegt werden, seit dem Beginn der Affäre John durchzusehen. Ich muß schon gestehen, ich bin beim
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Überblättern baß erstaunt gewesen, wie scharf die Presse mit dem Herrn Bundesinnenminister ins Zeug gegangen ist, ja, welch miserable Presse der Herr Bundesinnenminister überall, auch in den Blättern, die der CDU nahestehen, gefunden hat. Ich unterstelle doch, daß in dem Presse- und Funkbericht, den wir bekommen, nicht ausgesprochene
- sagen wir - Revolverblätter und unseriöse Presse abgedruckt wird. Ich möchte einige ganz kurze Verlautbarungen hier zum besten geben.
Was hat Sie,
- fragt eine Zeitung Herr Bundesinnenminister, veranlaßt, noch nach acht Tagen, nachdem klar und eindeutig sowohl durch die Ermittlungen der Polizei als auch durch Dr. John selbst erwiesen worden war, daß dieser Verräter freiwillig zu seinen sowjetischen Freunden hinüberwechselte, noch den Irrsinn von der gewaltsamen Entführung aufrechtzuerhalten?
Eine Zeitung, die der CDU zugeschrieben wird, sagt:
Es ist zweifellos richtig, daß wir im Kalten Krieg leben. Wenn das aber richtig ist, dann ist ein Innenminister in der gegenwärtigen Phase dieses Krieges ein General in einer Schlacht. Und hat man je gehört, daß ein General mitten in einer Schlacht auf Urlaub geht?
Wiederum eine Zeitung der CDU sagt:
Es liegt nahe, hinter dem plötzlichen Urlaub des Bundesinnenministers Dr. Schröder politische Gründe zu sehen. Die Empörung der deutschen Öffentlichkeit über die unverständliche Behandlung des Falles John hat sich bevorzugt an den verantwortlichen Ressortminister gehalten. Die Beauftragung von Waldemar Kraft muß Aufsehen erregen. Wie dem auch sei, er und mit ihm noch andere haben denkbar unglücklich operiert und sich als schlechte Psychologen erwiesen.
Nun ist auch noch eine andere Frage aufgeworfen worden: die Frage, was die Note an die Alliierte Oberkommission bedeutet mit der Bitte um Einwirkung auf den Osten hinsichtlich einer Freilassung des Dr. John. Sollte damit vielleicht angedeutet sein, daß die Ermittlungen des Oberbundesanwalts nicht zum gewünschten Erfolg führen könnten, so daß man auf die Mithilfe der Öffentlichkeit angewiesen sei?
Besonders heftig war, wie Sie sich alle erinnern, die Reaktion auf die 500 000-Mark-Prämie. Ein angesehenes Blatt spricht wörtlich von der „Kopflosigkeit" der Prämie und sagt:
Hier offenbart sich ein Eigensinn, der beinahe bewundernswert erscheinen könnte, wenn er nicht schon zum öffentlichen Ärgernis geworden wäre. Es ist schade, daß sich der Herr Innenminister solche Blöße gibt. Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, kann es doch nicht darum gehen, für eine halbe Million zweckdienliche Angaben für dieses Ereignis zu sammeln.
Meine Damen und Herren, ich betone ausdrücklich, daß ich kein Blatt der Opposition zitiert habe, sondern nur Zeitungen, die als unabhängig oder der CDU zugehörig deklariert sind.
Nun verdient besondere Erwähnung die Behandlung des zuständigen Parlamentsausschusses durch den Herrn Bundesinnenminister. Zu dem Thema ist ja schon allerhand gesagt worden. Es kommt mir aber darauf an, hier noch einmal etwas zu unterstreichen. Ich kann hier wiederum eine führende Zeitung zitieren, die „Süddeutsche Zeitung", die wörtlich schreibt:
Nicht weniger als 200 Journalisten des In- und Auslandes waren am Montag im Bonner Bundesratssaal versammelt, als Bundesinnenminister Gerhard Schröder zur Überraschung der politischen Kreise in Bonn, noch bevor er zum Bundestagsausschuß für Verfassungsschutz gesprochen hatte, seine mit Spannung erwartete Erklärung zum Fall John abgab.
Diese mangelnde Unterrichtung des Ausschusses ist also nicht nur etwa von uns Sozialdemokraten, sagen wir einmal, mit gewisser Bitterkeit vermerkt worden, sondern auch in der übrigen deutschen Öffentlichkeit ziemlich schlecht angekommen. Und was ist dazu weiter zu sagen? Es ist in der Tat so - es läßt sich nicht leugnen -, daß der Herr Minister den Ausschuß stets Tage bzw. Wochen später unterrichtet hat als die Presse und dann überdies kein einziges Wort geäußert hat, das nicht bereits in den Pressekonferenzen bekanntgegeben worden wäre. Außerdem war nach der ersten Sitzung des Ausschusses zum Schutze der Verfassung beschlossen worden, ein Sieben-Männer-Kollegium zu bilden, das von Fall zu Fall zu informieren sei. Der Herr Minister hat wohl seiner eigenen Fraktion zweimal ausführlichen Bericht erstattet, diesen verkleinerten Ausschuß jedoch nie zusammenrufen lassen.
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Ich bin der Meinung, selbst wenn er Zweifel an der Verschwiegenheit der Ausschußmitglieder oder des Publikums, das sich dort zusammengefunden hatte, gehegt hätte, hätte es für ihn ein nobile officium sein müssen, in der Demokratie den parlamentarischen Sitten gemäß die Vertreter des Bundestages vor allen anderen, vor der breiten Öffentlichkeit, zu unterrichten.
Ich kann es mir auch nicht verkneifen, ein Wort zu sagen über die Tatsache, daß der Bericht des Herrn Bundesinnenministers erst heute früh bei Beginn der Sitzung verteilt worden ist.
Des Justizministers, haben Sie vielleicht gelesen!
Des Justizministers? Dann bitte ich um Verzeihung. Jedenfalls ist so vielen Kollegen die Möglichkeit genommen gewesen, vor allen Dingen denen, die zuerst gesprochen haben, das zu studieren und ihre Rede auf das abzustellen, was darin gesagt worden ist. Ich muß sagen, ich habe die Vermutung, daß vielleicht außerparlamentarische Kreise bereits informiert waren. Denn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" z. B. bringt heute die große Überschrift: „Ein nationales Unglück". Das ist heute erst in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen, muß aber anscheinend gleichwohl schon vorher bekannt gewesen sein.
Ich fühle mich weiter verpflichtet, auch ein Wort der Kritik zu sagen zu dem Verhalten des Herrn Bundesinnenministers in der Ausschußsitzung am vergangenen Freitag. Diese Sitzung hat Zweifel aufkommen lassen, ob sich der Herr Bundesinnen({0})
minister im klaren ist, wer in einem Gremium des Parlaments, von dem letzten Endes jeder Minister seinen Auftrag hat, der primus inter pares, d. h. der Erste unter Gleichen ist. Das ist immer noch - das muß einmal klar gesagt werden - der Ausschußvorsitzende, nicht aber der Herr Minister.
Ich kann es mir auch nicht versagen, eine Pressestimme zu erwähnen, die nicht etwa in diesem Zusammenhang geäußert worden ist, sondern immerhin die angeblich wegen der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein nicht durchgeführte Sondersitzung des Bundestags behandelt, die ja auch in der breitesten Öffentlichkeit gefordert worden ist. Man hat gesagt: „Man muß allmählich den Eindruck gewinnen - denkt man dabei noch an frühere Ereignisse -, daß die Mißachtung des Volkswillens zum Bonner Stil gehört." - Gewiß ein sehr hartes Wort.
Der Herr Bundesinnenminister hat, wie gesagt, allseitig eine so schlechte Presse gefunden und hat so mannigfach schwache Punkte gezeigt, daß man mit Fug und Recht sagen kann, daß er in einer der Urdemokratien - ich denke an England und Amerika - wohl kaum mehr an seinem Platze säße. Dabei verdient aber immerhin die Tatsache eine Erwähnung, daß das Wort „Rücktritt" nicht etwa von der bösen, angeblich stets negierenden Opposition zuerst in die Debatte geworfen worden ist, sondern von einem CDU-Fraktionsmitglied, das allerdings die Frage scherzhaft aufgefaßt wissen wollte. Ich betone ausdrücklich: ich begehe damit keine Indiskretion, weil diese Tatsache bereits zwei Tage später auch in einer großen deutschen Zeitung gestanden hat. Wir sind der Meinung, daß der von uns eingebrachte Mißbilligungsantrag bei Abwägung aller Umstände mehr als gerechtfertigt ist, um so mehr, als die deutsche Presse hier wohl immerhin als Spiegelbild der öffentlichen Meinung betrachtet werden muß.
Allerdings muß auch ein Wort zur Entschuldigung des Herrn Bundesinnenministers gesagt werden, und zwar muß die Tatsache unterstrichen werden, daß er in diesem Fall nicht ganz allein die Verantwortung zu tragen hatte. Der Herr Dr. John hatte nämlich die dienstliche Anweisung, nicht nur dem Herrn Bundesinnenminister, sondern auch dem Herrn Bundeskanzler zu berichten. Es gibt böse Zungen, die behaupten, er sei im Bundeskanzleramt häufiger gewesen als bei seinem unmittelbaren Chef. Wichtiger aber ist, daß deutschen Stellen, und zwar offensichtlich dem Bundeskanzleramt, manche Warnung hinsichtlich Dr. Johns zugekommen sein muß, nicht aber, wie der Herr Bundesinnenminister auf seiner ersten Pressekonferenz ausdrücklich bestätigt hat, ihm selber.
Nun, zum einen hat der Herr Bundesinnenminister das Verfassungsschutzamt anscheinend nicht genügend in der Kontrolle gehabt, denn sonst hätte er von seinen Beamten über den von Dr. John selbst zu den Akten genommenen Schriftwechsel mit Herrn von Putlitz unterrichtet werden müssen. Zum andern sind Fäden beim Bundeskanzleramt zusammengelaufen, die dem Herrn Bundesinnenminister weitgehend verborgen bleiben mußten. Das letzte ist wieder einmal ein Beweis dafür, wie mißlich sich die Machtkonzentration im Palais Schaumburg tatsächlich auswirkt. Denn es sieht so aus, als ob dort neben dem Kanzler, dem Außenminister, dem CDU-Landesvorsitzenden und dem Verteidigungsminister anscheinend noch
ein Stück Sicherheitsminister und oberster Personalleiter beherbergt wird.
Eine Beurteilung des Falles Dr. John wäre unvollständig, wollte man diesen Fall allein oder überwiegend nach der Frage der Verantwortlichkeit für die Pannen werten. Ganz im Gegenteil erscheint eine politische Würdigung nach größeren Maßstäben weitaus wichtiger. Ich habe im Anfang bewußt betont, daß bis jetzt keine klaren Beweise dafür vorliegen, daß sowohl Herr Dr. John als auch Herr Schmidt-Wittmack etwa aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Ich unterstelle dem einen wie dem anderen als Triebfeder weder ein krankhaftes Geltungsbedürfnis noch etwa Geldsorgen noch etwa krasse Verratsabsichten. Insofern bin ich bereit, das Vorbringen der beiden nüchtern, ohne Zorn und Eifer zu beurteilen.
Nun, was hat Dr. John gesagt? Was er erklärt hat, ist eigentlich längst bekannt gewesen und auch von anderen vor ihm klar und deutlich gesagt worden, die nicht in dem Verdacht stehen, mit dem Osten irgendwie zusammenzuhängen. Daß das Wiederauftreten der Generäle Ramcke, Remer, Kesselring - ich denke besonders an sein Auftreten in Österreich mit den entsprechenden Folgen -, dann das Wiedererscheinen des Stahlhelms unter der Reichskriegsflagge, die Anerkennung der Legion Condor durch das Innenministerium durch Einbeziehung unter das 131er Gesetz unter doppelter Anrechnung der in Spanien verbrachten Zeit als normale Kriegsdienstzeit, das Eindringen von manchen in mehr als niedriger und mittlerer Tätigkeit im „Dritten Reich" mit den maßgebenden Instanzen liierten Leuten in höhere und höchste Stellen im Bund, - daß all das einen aufrechten Republikaner nicht heiter stimmen kann, ist ja heute schon genügend zum Ausdruck gekommen.
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Wir sind der Meinung, daß sich die Wahrheit solcher Tatsachen nicht bestreiten läßt. Sie werden auch im Ausland sorgfältig registriert, und ich kann es mir nicht verkneifen, eine Pressestimme aus dem Ausland zu zitieren, und zwar - erschrecken Sie nicht! - aus dem liberalen News Chronicle, der nicht etwa unter deutschfeindlicher Flagge segelt. Hier werden aufgezählt als Kräfte für die Demokratie: Professor Dr. Heuß, Dr. Adenauer, die Sozialdemokraten, die Gewerkschaften, Dr. Erhard, Fritz Schäffer, Dr. Pünder, Dr. Reinhold Maier, Dr. Dehler und die „Süddeutsche Zeitung" - als einziges deutsches Blatt interessanterweise. Als Gegenkräfte werden dort erwähnt: Dr. Schröder, Dr. Globke und Dr. Lenz. Ich betone ausdrücklich, ich zitiere diese englische Zeitung deshalb, weil ich im heutigen Europa im Engländer, im Franzosen genau so wie im Holländer und Belgier keinen Feind mehr sehe, sondern eher einen Freund, der mit uns im gleichen Boote sitzt. Ich fühle mich in dieser Meinung um so mehr bestärkt, als kein Geringerer als der Herr Bundeskanzler unlängst in ziemlich starker Kritik in die französische Innenpolitik eingegriffen hat und die Franzosen sich damit wohl oder übel befassen müssen.
Ich habe von der allgemeinen größeren politischen Würdigung gesprochen, und da kommen wir nicht darum herum, im Zusammenhang auch den Fall Schmidt-Wittmack einer kurzen Beleuchtung zu unterziehen. Mir scheint, daß die Bedeutung des
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ehemaligen Kollegen Schmidt-Wittmack seitens seiner früheren Fraktionsführung nachträglich doch etwas unterschätzt wird. Ich kann da wiederum eine Pressestimme vom 13. August 1954 anführen. Da heißt es im Zusammenhang mit dem Antrag der SPD auf eine Sondersitzung:
Mitglieder des Fraktionsvorstandes der CDU/ CSU wollten noch am Donnerstag einen vorbereitenden Entschluß dazu fassen. Die Abgeordneten Krone, Hoogen, Lenz und Schmidt-Wittmack berieten zunächst untereinander und verständigten später den Fraktionsvorsitzenden Heinrich von Brentano.
Also immerhin scheint Herr Schmidt-Wittmack mit führenden Fraktionsmitgliedern, mit dem Vorstand konferiert zu haben, und ich glaube, daß dieses Glück nicht allzuvielen normalen Sterblichen zuteil wird.
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Herr Schmidt-Wittmack hat aus der Kenntnis seiner parlamentarischen Tätigkeit etwas konkreter und substantiierter berichtet. Ich bin der Meinung, daß die breiteste deutsche Öffentlichkeit ein Anrecht darauf hat - auch diejenigen, die die Zeitung nicht so genau und vor allen Dingen nicht jeden Tag lesen -, zu erfahren, was Herr Schmidt-Wittmack im einzelnen - ich nehme nur ganz weniges heraus - geäußert hat. Er hat gemeint:
Ich war für eine Wiederbewaffnung im Hinblick auf die uns stets vorgehaltene Gefahr aus dem Osten. Ich glaubte an die Möglichkeit einer wirklichen parlamentarischen Einflußnahme bei dem Aufbau dieser Streitkräfte, und dies war auch mein Bestreben seit Eintritt in den Ausschuß für die Europäische Sicherheit des Bundestages. Dieser Glaube wurde aber besonders auf Grund der Arbeit im engeren Kreis des EVG-Ausschusses zerstört. Ich mußte mich davon überzeugen, daß der Bundeskanzler in den wesentlichen Fragen der Außenpolitik und der Aufrüstung den Bundestag und seine Ausschüsse nicht informiert und Entscheidungen trifft, die im Gegensatz zu seinen Versicherungen gegenüber der Öffentlichkeit und den Vertragspartnern stehen.
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- Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, daß Sie das nicht gerne hören. Aber wenn man die Frage der „Überläufer", wie sie genannt werden, durchleuchten will und verhindern will. daß sich derartige Fälle wiederholen, dann muß man sich notgedrungen mit den, sagen wir, Argumenten dieser Personen auseinandersetzen.
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- Ich habe ausdrücklich gesagt, daß ich bis jetzt
hei allem genauen Studium der Probleme keinen Beweis finden konnte, daß etwa unehrenhafte Momente oder n u r krankhaftes Geltungsbedürfnis die Leute zum Übertritt verleitet hat.
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- Lieber Herr Kollege, ich wage hier die Behauptung, daß ein Mann auch an führender Stelle im Bund so isoliert werden kann - auch in einer Demokratie so isoliert werden kann -, daß er z. B. wirtschaftlich, wenn er einmal hier ausscheidet, keinen Fuß mehr unter den Tisch bekommt. Also es gibt schon gewisse Einwirkungsmöglichkeiten.
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Ich bin der Meinung, daß man die Gründe, die vorgebracht werden, zur Kenntnis nehmen muß und den Kopf nicht in den Sand stecken darf; man darf sich nicht vor dem verschließen, was die Leute als ihre Gründe anführen.
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- Nun, ich glaube, ich persönlich dürfte über diesen Verdacht haushoch erhaben sein.
Schmidt-Wittmack sagt weiter:
Das Bedrückende für mich und viele Kollegen ist, daß all dies unter Ausschaltung der parlamentarischen Körperschaften vorgeht und keine Einflußnahme möglich ist. Besser informiert ist lediglich der engere Kreis der CDU-Fraktion.
- Dann werden Namen genannt.
Der Parlamentsausschuß dagegen wird seit Monaten mit allgemeinen Fragen und Berichten, mit Problemen der inneren Führung wie den Rechten und Pflichten des Soldaten, seiner Stellung als Staatsbürger, der Disziplinarstrafordnung und ähnlichem beschäftigt. Alle wesentlichen Fragen entscheidet der Kanzler allein. Die Tätigkeit des Amtes Blank ist somit weitgehend der parlamentarischen Einflußnahme entzogen.
Ich sehe davon ab, noch interessantere Punkte aus den Auslassungen des Herrn Schmidt-Wittmack vorzutragen; ich kann mich darauf beschränken, zu sagen, daß sie sich durchaus in dieser Linie bewegen. Aber ich möchte gerade für die Kollegen des BHE, insbesondere Herrn Kollegen Gille, damit Klarheit besteht, eines herausstellen. Wenn nämlich die beiden übergetretenen Herren von Mißständen in ihren bisherigen Tätigkeitsbereichen sprechen, dann ist dazu zu sagen, daß dies unter keinen Umständen eine ausreichende Begründung dafür ist, sich aus dem westdeutschen Strichregen in die volksdemokratische Traufe zu begeben. Ich glaube, in dieser Beziehung sind wir vollkommen einig. Aber so einfach liegen die Dinge nicht, daß man sagen könnte: nur Geltungsbedürfnis und krankhafte Eitelkeit, und was derartige Begründungen mehr sind, seien allein ausschlaggebend gewesen.
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Peinlich für uns westdeutsche Bundesrepublikaner ist und bleibt trotz allem Gezeter über den Verrat, daß von den Begründungen ein gut Teil nicht aus der Luft gegriffen zu sein scheint und propagandistisch drüben nicht hätte herausgestellt werden können, wenn nicht, sagen wir, wenigstens ein gewisser Anhaltspunkt dafür gegeben wäre.
Da möchte ich mir zum Schluß eine etwas grundlegende Wertung erlauben. Unsere Demokratie hier in der westdeutschen Bundesrepublik hat seit
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dem Ende der uneingeschränkten Besatzungsherrschaft einen merkwürdigen Weg zurückgelegt. Bei Unterzeichnung des Grundgesetzes im Mai 1949 haben wir alle gedacht, daß nun in etwa der Grundstein für die Weiterentwicklung zu einer freiheitlichen Demokratie gelegt sei. Dieser Gedanke findet sich übrigens wörtlich in dem Kommentar unseres verehrten verstorbenen Kollegen von Mangoldt. Es mag Zufall sein, aber jedenfalls fällt auf, daß in dem Maß, wie wir Deutschen militärisch wieder interessant zu werden beginnen, eine deutlich sichtbare Tendenz, - nun bin ich nicht so zurückhaltend wie der Kollege Dr. Maier, zu sagen: zu absoluten Regierungs- und Denkformen zu verzeichnen ist, sondern ich nenne die Dinge beim Namen: zu gewissen autoritären Regierungs- und Denkformen. Ich habe vorhin von der Machtkonzentration im Palais Schaumburg gesprochen. Im übrigen bin ich der Meinung, daß sich der Beamten- und Obrigkeitsstaat allmählich immer mehr etabliert, und schon liegt z. B. ein bundesgerichtliches Urteil vor, das in der Frage der sogenannten verdrängten Beamten genau das Gegenteil von dem sagt, was das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Urteil festgestellt hat. Ich erwähne weiter nur stichwortartig die unkontrollierten Fonds, die bei dem Herrn Bundeskanzler, bei dem Minister für gesamtdeutsche Fragen und beim Innenministerium bestehen. Sie dienen überwiegend sogenannten Informationszwecken, sagen wir ruhig: der Propaganda, und der sogenannte Koordinierungsausschuß hat ja so ungefähr dasselbe bewirken, nämlich die Meinungen - zuerst leise und später vielleicht stärker - beeinflussen sollen. Es läßt sich nun einmal nicht leugnen, daß neuerdings im deutschen Sprachgebrauch das Wort Gleichschaltung aufgetaucht ist. Denken wir an den Südweststaat, denken wir an Nordrhein-Westfalen, und ich glaube, wir werden jetzt in Schleswig-Holstein, soweit es nicht schon eingetreten ist, genau dasselbe erleben. Von dem Föderalismus, der so gut und gern immer als die Grundlage einer gesunden Demokratie bezeichnet worden ist, merkt man hier nicht mehr allzuviel.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, um das Bild abzurunden: Im Vulkan-Fall werden Leute verhaftet, werden Namen publiziert, und hernach stellt sich heraus: die Leute sind geschädigt, weil sie nicht betroffen sind. Die Dinge sind ja schon alle zur Genüge durchgesprochen worden. Ich will dazu nur noch sagen: Eine Hochsaison für Agenten! Sogar Jugendliche werden, zwar nicht von der Regierungsseite, aber eventuell auch aus gewissen Fonds gefördert, für dunkle Zwecke eingespannt, und die Gefahr steigt herauf, daß vom Verfassungsschutz auch Leute kontrolliert werden, die nicht, sagen wir einmal, als Staatsfeinde zu betrachten sind.
Für den Film wird eine Volkszensur angeregt. Wie es anfängt, weiß man. Der Appetit kommt beim Essen. Wie es endet, weiß keiner.
Zwei Mahnungen drängen sich nach meiner Meinung bei Betrachtung dieses Gesamtbildes auf. Einmal, daß man weniger die Außenpolitik forcieren als für die Innenpolitik Sorge tragen soll. Denn das, was sich dem Staatsbürger hier auf der unteren, bei der mittleren, bei der höheren Stufe der Verwaltung präsentiert, ist doch jeden Tag ein Stück dieser gelenkten Staatsauffassung. Die Mahnung tut not, daß die innere Verwaltung mehr gepflegt wird und daß sich vor allen Dingen eine
Entwicklung zu einer echten parlamentarischen Demokratie, besonders unter größerer Achtung der Parlamente und der parlamentarischen Sitten anbahnt.
Der Kanzler bestimmt letzten Endes die Richtlinien der Politik. Seine Verantwortlichkeit erstreckt sich genau so auf die innenpolitische Entwicklung wie auf das außenpolitische Schicksal unseres Volkes. Deshalb lautet neben der Pflege der Innenpolitik die andere Mahnung: Die Wiedervereinigung muß von der Deklamation zu einer Herzensforderung werden. Gerade dieser Frage ist in der Zukunft die größte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der westdeutsche Bürger kann eigentlich nur eine Hoffnung aussprechen, nämlich die, daß sich die verantwortlichen Staatsmänner in der Bundesrepublik, an der Spitze der Kanzler, in vorderster Front der Herr Bundesinnenminister, zu klaren Entschlüssen aufraffen, um diese Niederlage im kalten Krieg - es ist wirklich eine - zu einem Gesundungsprozeß unserer Demokratie umzugestalten, und ich bin sicher, daß beiden dabei die Unterstützung aller Anhänger einer freiheitlichen Staatsauffassung in diesem Hause zuteil werden wird.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hoogen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß die Ausführungen meiner Parteifreunde Dr. von Brentano und Kiesinger bei den Rednern der sozialdemokratischen Fraktion, bei dem Herrn Kollegen Rehs und bei dem Herrn Kollegen Bauer - wie soll ich mich ausdrücken? - anscheinend nicht richtig angekommen sind. Ich glaube, wir alle, auf beiden Seiten des Hauses, die wir Herrn Kollegen Kiesinger kennen, wissen, wie ernst ihm sein Anliegen war. Ich will mich zu dieser Frage hier jetzt nicht weiter auslassen.
Da ich Herrn Kollegen Meitmann gerade vor mir sehe, glaube ich, um der Wahrheit zu steuern, folgendes sagen zu müssen und auch sagen zu dürfen. Herr Kollege Meitmann, heute morgen ist zwischen Ihnen und Herrn Kollegen Dr. Menzel auf der einen Seite und dem Herrn Bundesinnenminister auf der anderen Seite eine Meinungsverschiedenheit entstanden, indem Sie aus einer Bemerkung des Herrn Bundesinnenministers den Eindruck gewonnen zu haben scheinen, daß der Herr Bundesinnenminister Mitglieder des Ausschusses zum Schutze der Verfassung verdächtigt habe, sich eines Vertrauensbruches schuldig gemacht zu haben.
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- Ihre jetzige Bemerkung, Herr Kollege Meitmann, zeigt mir, daß diese Ihre Meinung auf einem Irrtum beruhen muß. Sie wissen wie ich, daß diese vertraulichen Ausschußsitzungen sich nicht auf die Mitglieder des Ausschusses beschränken, die sich gegenseitig kennen und einander vertrauen, sondern daß zu diesen Ausschußsitzungen soundso viele andere, die wir nicht kennen, Zutritt haben und - was mir das Schlimmere zu sein scheint -d aß diese anderen, die Mitglieder des Bundesrates und seine Beauftragten und Bevollmächtigten, ihren Regierungen gegenüber eine Berichtspflicht haben, auf die wir als Ausschuß keinen Einfluß nehmen können. Das scheint mir der Grund dafür zu sein,
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daß das Fernschreiben, von dem der Herr Bundesinnenminister gesprochen hat, als offenes Fernschreiben hinausgegangen zu sein scheint und daß möglicherweise auch - und das ist doch gerade, Herr Kollege Meitmann, in der zweiten Sitzung des Ausschusses während der Ferien festgestellt worden - dieses Telefongespräch - ({2})
- Es genügt ja nun, daß es überhaupt gesagt wird.
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Ich möchte es, um der Wahrheit hier zu steuern, sagen und ich hoffe, daß dieses Mißverständnis beseitigt ist.
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So hat es der Bundesinnenminister in der zweiten Sitzung des Ausschusses gesagt.
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Ich sage das deswegen, weil ich es, wie ich schon eingangs erklärte, außerordentlich bedauere, daß die sehr nachdrücklichen und sehr eindrucksvollen Ausführungen meines Kollegen Kiesinger hier nicht auf fruchtbareren Boden gefallen sind.
Im übrigen möchte ich mich mit der Großen Anfrage der Sozialdemokratischen Partei nicht weiter befassen.
Herr Kollege Hoogen, darf ich Sie fragen: was sagen Sie dazu, daß der Herr Bundesminister des Innern auch meinem Kollegen Walter Menzel hier im Hause vorgeworfen hat, die
o Vertraulichkeit gebrochen zu haben?
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Das darf ich der Beurteilung des Herrn Kollegen Dr. Menzel selbst überlassen. Ich darf dazu sagen: wenn die Vertraulichkeit beschlossen ist, Herr Kollege Menzel, dann müssen wir uns darüber unterhalten, ob sie dem Parlament - ich meine jetzt dem Plenum - gegenüber zu halten ist.
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- Meines Erachtens, Herr Kollege Menzel, kann das nur in einer nichtöffentlichen Sitzung dieses Hohen Hauses mitgeteilt werden, die nach dem Grundgesetz möglich ist, die wir bisher Gott sei Dank noch nicht hatten.
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- Ich weiß es nicht, ich habe Ihre Ausführungen insoweit nicht gehört.
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Offenbar hat der Herr Bundesinnenminister - und darin kann ich ihm nicht ganz unrecht geben - überhaupt die Tatsache, daß aus dieser Sitzung, die in ihrem vollen Umfang für vertraulich erklärt war, was ich nicht für besonders glücklich halte - ({3})
- Herr Kollege Meitmann, Sie glauben jetzt, ich hätte selbst etwas aus der Sitzung gesagt, weil ich gesagt habe, daß sie vertraulich gewesen ist!
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Ich glaube, so weit sollte der Formalismus nicht gehen.
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- Herr Kollege Greve, ich glaube, wir sind gemeinsam der Meinung, daß man mit den Beschlüssen, Sitzungen eines Ausschusses oder Teile von Sitzungen eines Ausschusses für vertraulich zu erklären, sehr sparsam umgehen sollte,
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well die Vertraulichkeit ohnehin nicht zu garantieren ist, da wir auf die Teilnahme an diesen Sitzungen unserer Bundestagsausschüsse auf Grund der Bestimmungen unseres Grundgesetzes keinen Einfluß nehmen können.
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Herr Kollege Menzel, das hat weiterhin zur Folge, daß dann der Bundesinnenminister im Interesse der Sicherheit unseres Staates doch mit seinen Äußerungen zurückhaltend sein müßte. Das bedauere ich ebenso.
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- Sehr richtig, Herr Kollege Greve, ich bin durchaus Ihrer Meinung. Da müssen wir eben einen Weg suchen, der es dem Minister ermöglicht, seine Aufgabe zu erfüllen; und die ist, die Sicherheit unseres Staates zu garantieren.
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- Aber gestatten Sie mir, Herr Kollege Menzel, nachdem ich jetzt reichlich auf Ihre Fragen eingegangen bin und da nicht lange reden wollte, zu dem zu kommen, was ich mir vorgenommen hatte, und in kurzen Zügen zu sagen:
Ich habe schon erklärt, daß ich nicht die Absicht habe, zu der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion weiter Stellung zu nehmen. Das ist, wie ich glaube, hinreichend, meines Erachtens sogar etwas überreichlich geschehen.
Ich möchte auf den Fall John zurückkommen. Die sozialdemokratische Fraktion hat die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragt. Von allen Seiten dieses Hauses ist die Einsetzung eines solchen begrüßt worden. Abgesehen davon kommt es nicht darauf an, ob wir das begrüßen. Ein Viertel der Mitglieder dieses Hauses hat die Möglichkeit, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu verlangen. Der Bundestag muß diesem Ersuchen entsprechen. Ich will nicht darauf verzichten, zu sagen, daß ich auf Grund meiner bisherigen Erfahrungen in Untersuchungsausschüssen nicht sehr glücklich darüber bin, daß diese Fragen und möglicherweise weiter auftretende Fragen in dem Untersuchungsausschuß zur Sprache gebracht werden. Die dadurch möglicherweise eintretende Beunruhigung - wir haben doch allmählich wieder eine Beruhigung zu verzeichnen - könnte Wochen, vielleicht Monate hindurch anhalten, und der da({10})
durch entstehende Schaden stünde in keinem Verhältnis zu dem Gewinn, der eventuell erzielt wird.
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Ich habe mir in Besprechungen Mühe gegeben, eine andere Lösung zu suchen, habe aber leider keinen Erfolg gehabt.
Wenn nun dieser Untersuchungsausschuß eingesetzt werden muß, möchte ich folgender Meinung Ausdruck geben. Ich stütze mich da auf eine Bemerkung von Herrn Bundesminister Kaiser, der mit Recht den Ausdruck gebraucht hat, die Affäre John sei „eine düstere" gewesen. Sie ist es in der Tat bis auf den heutigen Tag. Ich bin aber der Ansicht, daß dann diese „düstere Affäre" John - um mit den Worten des Herrn Bundesministers Kaiser zu sprechen - nicht erst von dem Tage seiner Tätigkeit als Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, sondern auch in die Vergangenheit zurück aufgeklärt werden muß.
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Jetzt beginnt eine geschäftsordnungsmäßige Debatte. Ich darf gleich folgendes anfügen, weil ich mir vorstellen kann, daß wie mir ebenso den anderen Mitgliedern des Hohen Hauses das Gutachten des Herrn Professor Dr. Laforet bekannt ist. Es dreht sich um die Frage, ob die Mehrheit dieses Hauses berechtigt ist, zu dem Beweisthema des Untersuchungsausschusses, das zu bestimmen die Minderheit das Recht hat, einen Ergänzungs- oder Zusatzantrag zu stellen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, und wir haben damals an der Erstattung dieses Gutachtens im 1. Deutschen Bundestag mitgewirkt, als der erste Untersuchungsausschuß eingesetzt wurde. Seinerzeit hat Herr Professor Dr. Laforet einen Standpunkt vertreten, den ich zum allergrößten Teil billige, aber in einem hier interessierenden Punkte nicht ohne Einschränkung gutheißen kann, und zwar aus Rechtsgründen. Die Frage ist: Kann das Recht der Minderheit, das Recht eines Viertels der Mitglieder des Bundestages, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu verlangen und sein Beweisthema zu bestimmen, dadurch verkürzt werden, daß die Mehrheit oder ein anderes Viertel dieses Hauses einen Ergänzungsantrag stellt? Meine Damen und Herren, wenn dadurch das Recht der Minderheit verkürzt und eingeschränkt würde, könnte es selbstverständlich nicht geschehen. Wenn aber durch einen Ergänzungsantrag das Begehren der Minderheit vermehrt und dadurch verbessert wird, wenn nämlich die Untersuchung in einem weitergehenden Umfang durchgeführt werden soll, dann kann es meines Erachtens geschehen.
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- Ja, Herr Kollege Greve, ich weiß! Deswegen habe ich schon selbst die gegenteilige Meinung vorgetragen. Ich bitte das als Akt der Freundlichkeit anzusehen.
Es kommt eine weitere Überlegung hinzu. Sie werden sicherlich einer anderen Minderheit dieses Hauses - und ein Ganzes hat bekanntlich vier Viertel, also sind noch drei weitere Viertel vorhanden - nicht das Recht verwehren, ihrerseits zu diesem Thema noch einen Untersuchungsausschuß zu beantragen. Dann hätten wir vier Untersuchungsausschüsse von den vier einzelnen Vierteln dieses Hohen Hauses.
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- Ich weiß, es können noch mehr werden, Herr Mellies. Dann hätten wir sogar ein Ganzes, das aus mehr als vier Vierteln besteht. Ich glaube, wir sollten ein solches Schauspiel aus diesem Anlaß vor der deutschen Öffentlichkeit nicht aufführen.
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Denn ich könnte mir denken, daß dieses Viertel mit unserem Begehren beantragen würde, hierfür einen Untersuchungsausschuß einzusetzen; und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, könnten das dann auch nicht verhindern. Dann würden die beiden Untersuchungsausschüsse vielleicht im gleichen Sitzungszimmer nebeneinander tagen.
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- Wenn sie klug wären, würden sie sogar gemeinsam tagen, Herr Kollege Mellies. Deswegen sollten wir auch hier die Klugheit vor den Formalismus setzen und die These unseres früheren sehr verehrten Herrn Kollegen Professor Dr. Laforet, daß ein Beweisthema der Minderheit nicht vermehrt werden kann, dahin einschränken, daß es doch um ein weiteres Beweisthema vermehrt werden kann, wenn diese Vermehrung eine Verbesserung darstellt; und diese kann Ihnen, meine Damen und Herren, als den Antragstellern doch nur recht sein. Ich nehme doch an, Herr Kollege Greve, daß Ihnen -nicht nur Ihnen persönlich, sondern Ihnen und Ihren Freunden - daran liegt, die volle Wahrheit zu erforschen. Das habe ich doch heute aus allen Reden hier von diesem Platze aus gehört.
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- Das ist genau das, was ich meine, Herr Kollege Dr. Greve. Ich bedaure sehr, ich bitte Sie uni Entschuldigung, daß ich mich so unklar ausgedrückt habe, daß Sie es offenbar aus meinen Worten nicht so entnommen haben.
Ich glaube, wir kommen der Sache näher, wenn ich einmal sage, wie nun dieser Ergänzungsantrag lauten soll. Ich muß zum Verständnis die anderen Punkte anführen, weil er ein sechster Punkt ist. Der erste Punkt befaßt sich mit der Dienstaufsichtspflicht der Bundesregierung, der zweite mit den Nachrichten über demokratische Politiker, der dritte enthält die Frage, ob das Bundesamt für Verf assungsschutz den Dienstweg über den Bundesminister des Innern eingehalten hat, der vierte betrifft die Frage, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz Aufträge erhalten und entgegengenommen hat, die ihm nicht durch den Bundesminister des Innern zugekommen sind, und der fünfte enthält die Frage, unter welchen Umständen sich der Übertritt Johns - der Übertritt, nicht der Übergang Johns - in die sowjetisch besetzte Zone vollzogen hat. Der sechste Punkt soll nunmehr die Frage enthalten, ob zu irgendwelcher Zeit von seiten der politischen Parteien Bedenken gegen die Einstellung oder die Amtsführung Johns erhoben worden sind, insbesondere ob die Tätigkeit Dr. Johns und seine Zusammenarbeit mit anderen während des Krieges in der Emigration weilenden Deutschen zum Gegenstand von Bedenken gemacht worden sind oder ge({18})
macht werden können. Das halten wir - und ich darf diesen Antrag dem Herrn Präsidenten überreichen - für erforderlich, um uns ein abgerundetes Bild machen zu können. Ich darf hinzufügen, daß ich diesen Antrag nicht nur namens meiner eigenen Fraktion, der CDU/CSU, sondern auch namens der übrigen der Koalition angehörenden Fraktionen stelle.
Ich sagte Ihnen die Gründe, aus denen wir diesen Antrag für erforderlich halten. Ich bitte Sie, diesem Antrage bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zuzustimmen. Ich will mich im Augenblick nicht weiter darüber verbreiten. Denn ich möchte fast annehmen, daß die Geschäftsordnungsdebatte, die sich daraus entwickeln könnte, noch bei der einen oder anderen Gelegenheit zu vertiefen sein wird.
Lassen Sie mich noch einige wenige Ausführungen zu dem Mißbilligungsantrag gegen den Herrn Bundesminister Dr. Schröder machen. Es ist bereits von den Rednern unserer Fraktion gesagt worden, daß wir diesem Antrag nicht zustimmen. Die Redner unserer Fraktion haben auch gesagt, daß wir nicht in jeder Hinsicht die Meinungsäußerungen der Bundesregierung zum Fall John, wie sie insbesondere zu Beginn, am 22. Juli, als der Fall bekanntwurde, abgegeben worden sind, in allen Punkten gutheißen und daß man darüber durchaus geteilter Meinung sein kann. Herr Kollege Bauer, es hätte durchaus nicht der zahlreichen Verlesungen von Zeitungen bedurft, um uns davon zu überzeugen. Denn wenn Sie der Debatte aufmerksam gefolgt wären, hätten Sie das aus dem Mund der Redner meiner eigenen Fraktion bereits gehört.
Die sozialdemokratische Fraktion verlangt, daß der Bundestag das Verhalten des Bundesinnenministers mißbilligt. Ich verstehe unter dem Verhalten nicht so sehr die Äußerungen, sondern ich verstehe unter dem Verhalten die Maßnahmen, die der Herr Bundesminister getroffen oder die er nicht getroffen hat. Über diese Maßnahmen ist nun leider heute hier in der Debatte noch nicht gesprochen worden. Es kommt doch nicht darauf an, was er als These vertreten hat, sondern darauf, was er getan hat und worüber er dann naturgemäß im Interesse der Sicherheit unseres Staates nicht sprechen durfte.
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Ich darf mir erlauben, Ihnen diese Maßnahmen ganz kurz einmal aufzuzeigen. Ich zeige sie Ihnen deswegen auf, weil wir der Meinung sind, daß diese Maßnahmen durchaus richtig, zweckmäßig, sachdienlich und auch für die damalige Situation genügend waren. Das ist der eigentliche Grund, weshalb wir dem Mißbilligungsantrag trotz unserer Meinungsverschiedenheit über die Äußerungen des Herrn Ministers nicht zustimmen.
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Am 23. Juli - und ich darf Sie daran erinnern, daß am 22. nachmittags gegen 13 Uhr die Meldung des Bundespresseamts bekanntwurde, daß der Übertritt erfolgt sei -, am nächsten Tage also, ging der Auftrag an das Bundeskriminalamt zur Verfolgung der Angelegenheit gemäß § 4 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt - die bekannten schwerwiegenden Gründe -. Am selben Tage erfolgte die Zurückrufung des in Urlaub befindlichen Präsidenten des Bundeskriminalamts und seine Einsetzung in dieses Amt. Am 26. wurde eine
ausführliche Darstellung des Sachverhalts an die Presse gegeben. Bei dieser Gelegenheit hat der Herr Bundesminister des Innern die Meinung vertreten, die wir schon von Anfang an nicht in jeder Hinsicht geteilt haben. Ich sage es noch einmal: nicht d a s scheint mir das Entscheidende zu sein. Ebenso wie wir unsere Meinung haben dürfen, darf sie auch der Herr Bundesinnenminister haben.
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Dann sind weitere Maßnahmen getroffen worden. Eine Konferenz der Innenminister hat stattgefunden - alles in diesen Tagen -, es ist eine Anweisung zur sofortigen Überprüfung aller im Dienst dieses Bundesamtes befindlichen Beamten und Angestellten ergangen. Es ist eine besondere Dienst- und Schutzanweisung für Dienstreisen nach Berlin erlassen worden. Der Herr Minister hat persönlich das Bundesamt besucht, und zwischen dem 24. Juli und dem 10. September haben zahlreiche Besprechungen mit dem Herrn Oberbundesanwalt stattgefunden. Das scheint mir durchaus die richtige Methode gewesen zu sein. Das sind letztlich die Erwägungen, die uns veranlassen, diesem -vielleicht auch aus etwas anderen Gründen gestellten - Antrag gegen den Herrn Bundesinnenminister nicht zuzustimmen.
Der Herr Bundesinnenminister hat in der vergangenen Woche - ich glaube, auch am heutigen Vormittag - davon gesprochen, daß wir im Kalten Krieg eine Schlacht verloren hätten. Auch in diesem Punkte bin ich nicht ganz einer Meinung mit ihm.
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Ich bin nämlich nicht der Meinung, daß es schon gleich eine Schlacht gewesen ist. Ich glaube, es war ein Gefecht, und den Verlust dieses Gefechts sollten wir nach meiner Meinung nicht dadurch vergrößern, daß wir ihm jetzt in einer Debatte eine Bedeutung verleihen, die er nicht verdient.
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Wie alle Maßnahmen des Gegners wurde auch der Fall John dazu benutzt, die Verwirrung im Lager der westlichen Welt zu vergrößern. Ich darf daran erinnern, daß der Fall John sich in den Tagen ereignete, als die Konferenz in Genf dem Osten einen Sieg eingetragen hatte. Ich glaube, wir würden die vom Osten angestiftete und von ihm geförderte Verwirrung und Erschütterung des Vertrauens im Lager der westlichen Welt nur vergrößern, wenn wir die Kritik aus Anlaß dieses Falles unklug und verantwortungslos führten.
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Wir würden dann nämlich nicht die Geschäfte unseres Volkes, unseres Vaterlandes und unserer Heimat, sondern wir würden ungewollt die Geschäfte unseres Gegners im Osten besorgen. Und das sind wir entschlossen unter keinen Umständen zu tun. Wir werden es auch denen nicht gestatten, die aus vielleicht etwas durchsichtigen Gründen - sie haben sie jedenfalls durchblicken lassen - hier aus dem Fall John einen Fall Schröder oder vielleicht, wie Herr von Brentano sagte, einen Fall Adenauer zu machen versuchen. Das werden wir ihnen im Interesse unseres Volkes nicht gestatten.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben jetzt 19 Uhr. Im Ältestenrat war vereinbart, möglichst pünktlich um 19 Uhr die heutige Sitzung zu schließen. Ich habe, wenn ich einmal von der Diskussion der aufgeworfenen Geschäftsordnungsfragen überhaupt absehe, jetzt noch fünf Wortmeldungen vorliegen. Ich glaube, wir sollten nach der Vereinbarung im Ältestenrat verfahren
({0}) und die Sitzung morgen
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in dem Stadium, in dem sie sich jetzt befindet, fortsetzen. Ist das Haus damit einverstanden?
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- Das ist der Fall; dann wird so verfahren. Ich berufe die nächste, - ({3})
- Ja, ich verstehe nicht ganz. Was ist los?
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Wird ein Antrag gestellt, jetzt weiterzumachen?
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- Ich stelle fest, die Mehrheit des Hauses ist gewillt, jetzt Schluß zu machen.
Ich berufe die nächste, die 43. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 17. September 1954, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.