Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich eröffne die 37. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte, die Namen der entschuldigten Abgeordneten zu verlesen.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Kunze ({0}) für 8 Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Leverkuehn für 2 Wochen wegen Krankheit und Abgeordneter Schlick für weitere zwei Wochen wegen Krankheit.
Der Herr Präsident hat für 3 Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Könen ({1}), Dr. Lütkens, Lemmer, Frau Dr. Jochmus, Schneider ({2}), Hilbert, Dr. Lenz ({3}), von Bodelschwingh, Dr. Furler, Dr. Friedensburg, D. Dr. Ehlers, Dr. Maier ({4}), Gerns, Bausch, Dr. Kreyssig und Pöhler.
Der Herr Präsident hat für 2 Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Metzger, Dr. Dr. h. c. Müller ({5}) und Fassbender.
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Erler, Frau Dr. Weber ({6}), Leibfried, Müser, Schill ({7}), Müller-Hermann, Müller ({8}), Frau Welter ({9}), Dr. Franz, Jahn ({10}), Richter, Hansen ({11}), Dr. Schöne und Berlin.
Ich darf annehmen, daß das Haus mit der Erteilung des Urlaubs, soweit er über eine Woche hinausgeht, einverstanden ist.
Ich darf dann folgendes bekanntgeben. Die Fraktion der CDU/CSU hat unter dem 25. Juni 1954 mitgeteilt, daß Herr Abgeordneter Rösing der Fraktion gemäß § 10 Abs. 3 der Geschäftsordnung als Gast beitritt.
Ich habe die Ehre, Glückwünsche auszusprechen dem Herrn Abgeordneten Schill ({0}), der am 7. Juli seinen 66. Geburtstag gefeiert hat,
({1})
dem Herrn Abgeordneten Dr. Köhler, der am 27. Juni seinen 62. Geburtstag gefeiert hat,
({2})
dem Herrn Abgeordneten Ludwig, der am gleichen
Tage ebenfalls seinen 62. Geburtstag gefeiert hat,
({3})
und dem Herrn Abgeordneten Scharnberg, der
am 28. Juni seinen 61. Geburtstag gefeiert hat.
({4})
Ich darf weiter folgendes bekanntgeben. Nach dem Ausscheiden des Abgeordneten Dr. Kather aus der Fraktion der CDU/CSU hat die Fraktion für den Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt als neues Mitglied den Abgeordneten Kuntscher und als dessen Stellvertreter den Abgeordneten Dr. Götz vorgeschlagen. Gemäß § 313 des Gesetzes über den Lastenausgleich sind die Mitglieder und Stellvertreter vom Bundestag zu wählen. Ich möchte Ihnen vorschlagen, die Wahl der beiden neu benannten Herren ohne besondere Vorlage und ohne Stimmzettel jetzt nur durch Handaufheben vorzunehmen. - Widerspruch dagegen erfolgt nicht. Wer also dem Vorschlag, den Herrn Abgeordneten Kuntscher als Mitglied und als Stellvertreter den Herrn Abgeordneten Dr. Götz zu wählen, zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 2. Juli 1954 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
({5})
Gesetz über die Ermächtigung der Landesregierungen zur
Verlängerung der Wahlperiode der ehrenamtlichen Mitglieder der Finanzgerichte;
Gesetz über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1954/55 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft ({6});
Erstes Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Bundesvertriebenengesetzes;
Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts ({7});
Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes.
Zum Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes hat- der Bundesrat ferner eine Entschließung gefaßt, die als Drucksache 661 verteilt wird.
Der Bundesrat hat weiterhin zum Gesetz fiber den Erlaß von Strafen und Geldbußen und die Niederschigaung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren ({8}) gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlanet; sein diesbezüglicher Antrag wird als Drucksache 660 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 26. 6. 54 die Kleine Anfrage 41 der Aheenrdneten Dr. Atzenroth. Gibbert und Genossen betreffend Mehrausgaben bei Ortskrankenkassen infolge Besatzunasbauten - Drucksache 382 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 654 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister fair das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 30. 6. 54 die Kleine Anfrage 64 der Abgeordneten Neubauer. Brandt ({9}) und Genossen betreffend Entfernungstarife der Deutschen Bundespost - Drucksache 538 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 648 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister des Innern und der Herr Bundesminister des Auswärtigen haben unter dem 29. und 30. R 54 die Kleine Anfrage 69 der Fraktion der SPD betreffend Pflege der Kenntnisse über osteuropäische Fragen - Drucksache 589 - beantwortet. Ihre Schreiben werden als Drucksachen 659 und zu 659 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 5 7. 54 die Kleine Anfrage 70 der Fraktion der SPD betreffend Durchführung der Hvnothekengewinnabanbe im Lastengusgleichsaesetz - Drucksache 590 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 673 vervielfältigt.
Die Fraktion der CDU/CSU hat gebeten,
Punkt 14 der heutigen Tagesordnung, Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes - Drucksache 558 -, eine Woche zurückzustellen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist.
Dann treten wir in die Tagesordnung ein. Ich rufe auf Punkt 1:
a) Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung
b) Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
1. In der Öffentlichkeit ist in den letzten Monaten durch Nachrichten und Ausführungen über den Verfassungsschutz zunehmend eine gewisse Beunruhigung entstanden. Die Ausführungen wiesen zum Teil in sachlicher Art auf echte Probleme hin, die bei der Weiterentwicklung des Verfassungsschutzes noch der Lösung bedürfen. Ein großer Teil der Erörterungen hat aber leider die gerade hier gebotene Sachlichkeit vermissen lassen. Wenn z. B. behauptet wurde, daß in den Verfassungsschutzämtern sich ein Staat im Staate herausgebildet habe, der mächtiger sei als alle Grundrechte, wenn die Frage gestellt wurde, wer die Verfassung vor den Verfassungsschutzämtern schütze, wenn die Verfassungsschutzämter als eine neue Gestapo bezeichnet wurden, so sind dies Auffassungen, denen entgegengetreten werden muß, wenn die Sicherheit des demokratischen Staates
und, was ebenso wichtig ist, das Vertrauen des Staatsbürgers zum demokratischen Staat nicht Schaden leiden sollen. Die Bundesregierung hält es daher für ihre Pflicht, vor dem Hohen Haus und vor der deutschen Öffentlichkeit eine Erklärung zum Gesamtproblem des Verfassungsschutzes abzugeben.
2. Die Bundesregierung begrüßt diese Möglichkeit, einige grundsätzliche Feststellungen über folgende Punkte zu treffen: a) die Aufgaben des Verfassungsschutzes und die gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit der Verfassungsschutzämter, b) die Methoden dieser Behörden bei der Durchführung ihrer Aufgaben und schließlich c) die bei der endgültigen Gestaltung des Verfassungsschutzes im Verhältnis zwischen Bund und Ländern noch zu lösenden Fragen.
3. Diesen Ausführungen darf ich eine grundsätzliche Bemerkung vorausschicken.
Der Verfassungsschutz ist, besonders bei der exponierten Lage der Bundesrepublik, ein wesentlicher Teil unserer gesamten staatlichen Sicherheitsvorkehrungen. Wir müssen auf diesem Gebiet zwei Forderungen aufstellen:
a) Die Verfassungsschutzbehörden müssen im Interesse aller Staatsbürger in dem gesetzlich gezogenen Rahmen sachlich so organisiert und personell so zusammengesetzt und geleitet sein, daß ihre Gesetzestreue und ihre demokratische Zuverlässigkeit nicht bezweifelt werden können. Das ist eine fundamentale Forderung, die für jede demokratische Staatsführung gilt. Ein Verfassungsschutz, dem es nicht gelingen würde, dieses Vertrauen zu erwerben, hätte seine Aufgabe verfehlt.
b) Die zweite Forderung richtet sich an alle: Das Gefühl für die Notwendigkeit und die Erfordernisse der Staatssicherheit muß gerade in einem demokratischen Staat in allen Schichten des Volkes eine Realität, ein gegebener Zustand sein und darf unter keinen Umständen einen öffentlichen Streitpunkt bilden. Daher müssen sich alle Kreise unseres Volkes, besonders auch die berufenen Vertreter der öffentlichen Meinung, der Notwendigkeit bewußt sein, daß im Interesse der Sicherheit aller die Fragen der Staatssicherheit nur in geeigneter Form und nur mit der gebotenen Zurückhaltung behandelt werden können.
Die beiden Forderungen, die damit gegenüber der Staatsführung und dem Verfassungsschutz auf der einen Seite und gegenüber der Öffentlichkeit auf der anderen Seite erhoben werden, sind in demokratisch gefestigten Staaten seit langem eine Selbstverständlichkeit. Die Bundesregierung möchte der dringenden Hoffnung Ausdruck geben, daß auch wir in absehbarer Zeit diesen Zustand erreichen.
4. Nach diesen grundsätzlichen Bemerkungen darf ich zunächst die Aufgaben des Verfassungsschutzes im allgemeinen und die gesetzlichen Grundlagen für die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden darlegen. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Sicherung des Staates gegen Angriffe, die besonders in der Form des Hochverrats, der Staatsgefährdung, des Landesverrats und der Ausspähung von Staatsgeheimnissen geführt werden.
5. In diese Aufgabe der Wahrung der Staatssicherheit teilen sich die Verfassungsschutzbehör({0})
den und die Strafverfolgungsbehörden. Hier darf ich etwas hervorheben, was augenfällig zeigt, wie unbegründet der Vorwurf eines Wiederauflebens der Gestapo ist. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sind nach dem Gesetz vom 27. September 1950 lediglich berechtigt, Nachrichten und sonstige Unterlagen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln, sie auszuwerten und sodann an die Regierungen zu deren Unterrichtung oder an die Strafverfolgungsbehörden als Beweismaterial für die strafrechtliche Behandlung weiterzuleiten.
6. Die Verfassungsschutzbehörden haben also nicht die geringsten Exekutivbefugnisse. Sie sind weder zu Verhaftungen noch zur Durchsuchung von Personen oder von Räumen noch zur Ausübung einer Postzensur noch zum Abhören von Ferngesprächen befugt. Sie haben solche Handlungen auch niemals vorgenommen. Die Feststellung, die ich hiermit treffe, gilt ebenso für die von einem Mitglied der SPD-Fraktion völlig zu Unrecht erhobene Behauptung, die Räume des RheinRuhr-Klubs seien durchsucht worden, wie für die Behauptung des stellvertretenden nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden der „Deutschen Jungdemokraten", daß seit einigen Wochen führende Angehörige der Jungdemokraten in Nordrhein-Westfalen durch Telefonüberwachung bespitzelt würden. Der für den technischen Teil des Fernmeldewesens verantwortliche Herr Bundespostminister hat mich zu der ausdrücklichen Feststellung ermächtigt, daß von deutscher Seite keine, aber auch gar keine Überwachung des Telefonverkehrs durchgeführt wird.
Jede exekutive Handlung eines Beamten oder Angestellten der Verfassungsschutzbehörden wäre eine Amtsanmaßung im Sinne des § 132 des Strafgesetzbuchs, die ihn nicht nur disziplinärer, sondern auch strafrechtlicher Ahndung aussetzen würde.
7. Der § 3 des Verfassungsschutzgesetzes enthält noch eine weitere, nicht minder wichtige Begrenzung der Aufgaben der Verfassungsschutzämter. Sie haben lediglich Nachrichten über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten. Sie sind daher ausschließlich Instrumente der Staatssicherheit und damit der Staatspolitik, niemals aber Hilfsorgan einer Parteioder Koalitionspolitik. Objekt der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden ist niemals der demokratisch loyale und legal kämpfende politische Gegner der Regierung, sondern stets nur der Staatsfeind, der die Sicherheit des Staates als solchen und damit seine verfassungsmäßige Ordnung untergräbt.
8. In der öffentlichen Kritik am Verfassungsschutz spielen eine besondere Rolle die Methoden, mit denen die Verfassungsschutzbehörden tatsächlich oder vermeintlich arbeiten.
Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden ist zunächst das Sammeln von Nachrichten über verfassungsfeindliche Bestrebungen. Da die Staatsfeinde ihre Tätigkeit in der Regel auf das sorgfältigste tarnen und die Nachrichten, die den Staatssicherheitsbehörden ohne eigenes Zutun zugehen, nur die Ausnahme darstellen, ist jede Sicherheitsbehörde - dies ist in allen Staaten der Welt so - darauf angewiesen, sich solche Nachrichten zu beschaffen. Auch die deutschen Verfassungsschutzämter müssen daher eine sogenannte
Beschaffungsabteilung unterhalten. Die von den Außenorganen dieser Abteilung zu leistende Tätigkeit erfordert Intelligenz, in manchen Fällen auch die Bereitschaft, sich persönlichen Gefahren auszusetzen. Am wichtigsten scheint es mir aber zu sein, daß nur Personen verwendet werden, die in ihrer Tätigkeit die rechtsstaatlichen Prinzipien und die Gebote des menschlichen Anstandes beachten. Alle zuständigen Stellen müssen diesem Problem dauernd ihre Aufmerksamkeit widmen.
9. Was in der Nachrichtenbeschaffung der Verfassungsschutzämter vornehmlich zu verbessern ist, liegt auf folgendem Gebiet. Zunächst einmal muß das vielfache Neben-, ja Gegeneinanderarbeiten der Nachrichtendienste beseitigt werden. Die Vielzahl der hier konkurrierenden Einzelpersonen und Organisationen ist auf die Dauer unerträglich. In dieser Beurteilung ist sich die Bundesregierung mit den Landesregierungen einig. Sie wird mit ihnen prüfen, welche gesetzlichen Handhaben wir brauchen, um hier Abhilfe zu schaffen.
Stärker als bisher ist ferner zu beachten, daß jede Auskunft, die durch die ordentliche Polizei beschafft werden kann, durch diese und nicht durch Organe der Verfassungsschutzbehörden eingeholt wird.
Auch das Verfahren zur Überprüfung von Bewerbern für den öffentlichen Dienst kann mehr als bisher aus der Sphäre der Verfassungsschutzbehörden herausgelöst werden. Daß auf Posten, die mit geheimem oder vertraulichem Material zu arbeiten haben, nur Personen berufen werden, die auf ihre Zuverlässigkeit geprüft sind, ist notwendig. Wir können den öffentlichen Dienst nicht von Staatsfeinden durchsetzen lassen. Bei den oft nicht einfach zu klärenden Verhältnissen sind die Mitarbeit und die Erfahrungen der Verfassungsschutzbehörden nicht zu entbehren. Ihre Einschaltung muß aber auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden.
10. Noch wichtiger und verantwortungsvoller als die Nachrichtenbeschaffung ist die Nachrichtenauswertung. Jede Verfassungsschutzbehörde hat daher in Übereinstimmung mit der internationalen Praxis eine besondere Auswertungsabteilung. Die Schlüsse, die diese Abteilung aus den ihr zugeleiteten Unterlagen zieht, berühren entscheidend die Interessen derer, über die Nachrichten eingegangen sind. Hier muß daher neben dem selbstverständlichen Verlangen auf gewissenhafte Prüfung des Materials auf seine Zuverlässigkeit die Forderung streng rechtsstaatlichen Vorgehens mit besonderem Nachdruck erhoben werden. Das zu sichern ist Aufgabe geschulter Juristen.
({1})
Ihnen obliegt beim Bundesamt für Verfassungsschutz und bei den Landesverfassungsschutzämtern die weitere wichtige Aufgabe, zu prüfen, welches Material genügend erhärtet ist, um es an die Strafverfolgungsbehörden, weiterzuleiten oder in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu verwerten. Die letzte Klärung des objektiven und subjektiven Tatbestands einer strafbaren Handlung bleibt der Würdigung durch die Staatsanwaltschaft und der völlig unabhängigen Entscheidung der Gerichte vorbehalten.
11. Was nach dieser Sichtung in der Auswertungsabteilung an beschafftem Material übrigbleibt, muß mit besonderer Sorgfalt und Rücksichtnahme
({2})
auf den betroffenen Staatsbürger behandelt werden. Der Leiter der Auswertungsabteilung oder der Behördenleiter hat zu entscheiden, ob solches Material abgelegt wird oder ob es zur Unterrichtung der Regierung verwendet werden soll. Wenn es sich um Material gegen einen politisch unbescholtenen Staatsbürger handelt, kommt eine Verwendung grundsätzlich nicht in Frage, solange die Zuverlässigkeit des Materials nicht einwandfrei feststeht. Glaubt der Leiter des Verfassungsschutzamtes, wegen der Wichtigkeit des Materials von diesem Grundsatz abweichen zu müssen, so hat er den zuständigen Minister zu unterrichten.
({3})
12. Völlige Diskretion hinsichtlich aller Erkenntnisse, die nicht zu strafgerichlichem oder verfassungsgerichtlichem Verfahren führen, muß der oberste Grundsatz jeder Verfassungsschutzarbeit sein.
13. In der Öffentlichkeit ist mehrfach der Gedanke angeklungen, ob dem Staatsbürger, der sich durch eine ungünstige Auskunft der Verfassungsschutzbehörden benachteiligt fühlt, z. B. weil ihm eine bestimmte von ihm angestrebte Stelle nicht übertragen worden ist, ein Rechtsweg gegen die Beurteilung durch die Verfassungsschutzbehörden eröffnet werden sollte. Der Weg zu den ordentlichen Gerichten steht dem Staatsbürger, der glaubt, durch eine Pflichtverletzung der Verfassungsschutzbehörden geschädigt worden zu sein, nach Art. 19 des Grundgesetzes offen. Darüber hinaus etwa auch die Verwaltungsgerichte einzuschalten, wäre abwegig. Die Verfassungsschutzbehörden setzen keine Verwaltungsakte, die angefochten werden können. Ihre Tätigkeit besteht vielmehr ausschließlich in der pflichtgemäßen Abwägung von Unterlagen und eignet sich ihrem Wesen nach nicht für eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfung. Jeder Staatsbürger, der sich durch die Arbeit der Verfassungsschutzämter benachteiligt fühlt, hat jedoch immer die Möglichkeit, durch eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den vorgesetzten Minister eine Überprüfung der Behandlung seines Falles herbeizuführen.
14. Schließlich, meine Damen und Herren, bleibt ein Wort darüber zu sagen, wie die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf dem Gebiete des Verfassungsschutzes noch wirksamer als bisher gestaltet werden kann. Bundestag und Bundesregierung sind in manchen Pressestimmen dafür getadelt worden, daß neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz noch die Landesämter für Verfassungsschutz bestehen und daß an deren Stelle nicht schon längst Zweigstellen des Bundesamtes in den Ländern geschaffen worden seien. Diese Kritiker übersehen, daß das Grundgesetz in seinem Art. 73 Nr. 10 dem Bund nur die gesetzgeberische Zuständigkeit dafür eingeräumt hat, die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zu regeln. Allerdings, meine Damen und Herren, ist die Bundesrepublik, soweit ich feststellen kann, der einzige Staat, der die Wahrung der Staatssicherheit nicht zentral organisiert hat. Selbst die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich bei aller Betonung der Länderzuständigkeit auf dem Gebiet der Polizei im Federal Bureau of Investigation ({4}) ein zentrales Instrument zur Bekämpfung staatsfeindlicher Umtriebe geschaffen.
({5})
Wenn auch bei uns die Verfassungslage eine andere ist, so werden die Landesregierungen letztlich nicht verkennen, daß der Angriff der Staatsfeinde in aller Regel nicht regional begrenzt erfolgt, sondern die ganze Bundesrepublik zum Ziel und meist auch das ganze Bundesgebiet zum Schauplatz hat. Die Bundesregierung wird daher eine wichtige Aufgabe der nächsten Zeit darin sehen, die Bemühungen von Bund und Ländern auf dem Gebiet der Staatssicherheit noch mehr als bisher zu koordinieren.
({6})
15. Im komme zum Schluß meiner Ausführungen. Ich glaube, meine Damen und Herren, so offen gesprochen zu haben, wie es die schwierige und empfindliche Materie verträgt. Es war mein Bestreben, die Problematik des Gegenstandes sachlich zu beleuchten. Dies berechtigt mich, nun noch eine dringende Bitte vorzutragen.
Ich habe einleitend die überscharfe Kritik gekennzeichnet, der der Verfassungsschutz in den letzten Monaten vielfach begegnet ist. Natürlich müssen die Verfassungsschutzbehörden wie alle demokratischen Einrichtungen sich jede berechtigte Kritik gefallen lassen. Man darf sie aber nicht für Fälle zur Rechenschaft ziehen wollen, in denen sie überhaupt keine Verantwortung trifft. Eine nicht gerechtfertigte Kritik müßte auf die Dauer die Verantwortungsfreudigkeit und den Arbeitseifer des Personals der Verfassungsschutzbehörden untergraben.
({7})
Dieses Personal verdient für die pflichtgemäße Ausführung seiner dienstlichen Obliegenheiten in gleichem Maße den Schutz seiner Vorgesetzten und die Anerkennung durch die Öffentlichkeit wie alle anderen Staatsdiener.
({8})
Von einer nicht gerechtfertigten Kritik, meine Damen und Herren, hätte den Schaden auf weite Sicht allein unser demokratischer Staat.
({9})
Er würde in der Staatssicherheit und damit in seinem empfindlichsten Nerv getroffen.
Die Bundesregierung richtet daher an die gesamte Öffentlichkeit die Bitte, durch eine maßvolle Kritik und dort, wo es am Platze ist, auch einmal durch ein Wort der Anerkennung die Verfassungsschutzbehörden bei der Erfüllung ihrer schweren und verantwortungsvollen Aufgabe zu unterstützen.
({10})
Das Haus hat die Erklärung der Bundesregierung entgegengenommen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Blank ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon seit der ersten Legislaturperiode ist es Übung in diesem Hohen Hause, daß nach der Abgabe wichtiger Erklärungen der Bundesregierung die Fraktionen die Möglichkeit bekommen, sich ihre Stellungnahme hierzu einige Zeit zu überlegen. Angesichts der höchst bemerkenswerten Erklärung, die der Herr Bundesminister des Innern soeben abgegeben hat, schiene meinen Freunden und mir eine derartige Zeitspanne auch in jeder Weise erforderlich; wir glau({0})
ben es aber nicht verantworten zu können, angesichts der Fülle des nach unseren Tagesordnungen bis zu den Ferien noch zu behandelnden Stoffes jetzt eine Unterbrechung der Sitzung um eine kürzere Zeitspanne vorzuschlagen. Wir haben noch zuviel zu erledigen.
Ich beantrage daher im Namen meiner Freunde, den Punkt 1 b der heutigen Tagesordnung: Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung auf eine der Plenarsitzungen der nächsten Woche zu vertagen.
({1})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist zwar richtig, daß der Bundestag bei Regierungserklärungen größeren Umfanges die Besprechung hierüber um einige Tage hat verschieben lassen. Das war bei der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers bei seiner zweiten Inthronisierung der Fall; das ist üblich geworden
({0})
- das kam ein bißchen spät an! ({1})
bei der Haushaltsbegründung des Herrn Bundesfinanzministers, der bei dieser Gelegenheit dem Hause ein umfangreiches Zahlenmaterial über das gesamte Finanz- und Steuergebäude vorträgt. Darum ist das Verlangen durchaus berechtigt, den Mitgliedern dieses Hauses zur sorgfältigen Vorbereitung der Aussprache einige Tage Zeit zu geben. Hier aber, meine Damen und Herren, handelt es
sich um etwas ganz anderes. Seit Tagen wissen wir, daß die Bundesregierung - vertreten durch den Herrn Bundesinnenminister - etwas zu den Fragen der Verfassungsschutzämter sagen werde. Diese Probleme sind überhaupt nicht neu. In der Öffentlichkeit ist darüber schon so viel geäußert worden, daß man sich fragen könnte, ob sich im Plenum etwas Zusätzliches überhaupt noch sagen ließe. Was aber jetzt nach der Rede des Herrn Bundesinnenministers an Politischem und Kritischem zu sagen ist, muß jetzt und sofort vorgebracht werden, damit morgen in der Öffentlichkeit und in den Zeitungen nicht allein diese Rede des Ministers steht.
({2})
Wir sind bereit, einem Antrag auf eine Unterbrechung - ob eine halbe Stunde oder eine Stunde,
das überlassen wir dem Ermessen der Herren Antragsteller - zuzustimmen. Einer Vertagung auf
die nächste Woche würden wir widersprechen. Wir
beantragen eine Aussprache über die Regierungserklärung gemäß § 48 Abs. 3 der Geschäftsordnung.
({3})
Herr Abgeordneter Dr. Krone!
Bei dieser Diskrepanz der Meinungen über die Behandlung dieser Frage ist es doch am ratsamsten, daß wir ganz kurz unterbrechen, um uns zu verständigen. Vielleicht können wir dann einen Termin herausbekommen, der am kommenden Sonnabend liegt.
Es liegen also im Augenblick zwei Anträge vor: der Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Blank, die Aussprache auf nächste Woche zu verschieben, und der Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Krone, für eine halbe Stunde zu unterbrechen.
({0})
Zieht der Herr Abgeordnete Dr. Blank seinen Antrag zurück, oder stellt er ihn zurück?
({1})
- Nein, Herr Abgeordneter Menzel, hier befinden Sie sich deshalb in einem Irrtum, weil der Herr Minister nicht außerhalb der Tagesordnung das Wort ergriffen hat, sondern innerhalb der Tagesordnung. Denn als Punkt 1 der Tagesordnung ist die Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung vorgesehen. Unter Buchstabe b findet sich „Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung". Also findet die Aussprache dann statt, wenn das Hohe Haus nicht anders beschließt. Folglich muß ich über den Antrag Dr. Blank oder den Antrag Dr. Krone abstimmen lassen. Wenn Herr Abgeordneter Dr. Blank seinen Antrag nicht zurückzieht oder zurückstellt, muß ich über diesen Antrag zuerst abstimmen lassen, denn er ist der weitergehende.
Ich bin bereit, meinen Antrag zurückzustellen, damit die von Herrn Kollegen Krone vorgeschlagene Aussprache stattfinden kann.
Gut! Dann darf ich das Einverständnis des Hohen Hauses unterstellen, daß wir für eine halbe Stunde unterbrechen, und vertage die Sitzung auf pünktlich 10 Uhr.
({0})
Die Sitzung wird um 10 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung.
Der Herr Abgeordnete Dr. Blank hält nach Rücksprache mit der Koalition seinen Antrag nicht mehr aufrecht, so daß nunmehr in die
Aussprache über die Erklärung der
Bundesregierung
eingetreten werden kann. Ich sehe den Wortmeldungen, die nach Möglichkeit bei den Schriftführern erfolgen sollen, entgegen. - Herr Abgeordneter Dr. Menzel!
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verfassungsschutzämter machen in der letzten Zeit sehr viel - nach unserer Meinung viel zuviel - von sich reden, und das ist nicht gut. Ich glaube, daß das auch nicht durch die heutige Rede des Herrn Bundesinnenministers besser geworden ist. Das, was uns der Herr Bundesinnenminister heute über das Verfassungsschutzamt des Bundes, über die Beschaffung und vor allem über
({0})
die Auswertung des Materials erklärt hat, war wenig überzeugend.
({1})
Der Innenminister ist aber an dem entscheidenden Problem dieser Debatte vorbeigegangen, nämlich an dem Problem, ob man das von Spitzeln beschaffte Material ohne weiteres, ohne sorgfältige Nachprüfung zur Grundlage politischer Aktionen machen darf.
({2})
Das ist geschehen. Daher ist es etwas verblüffend, daß der Herr Bundesinnenminister dann seinerseits - wenn dieses Verhalten jetzt in der Öffentlichkeit, und zwar mit Recht, kritisiert wird - von sich aus um Zurückhaltung bei der Kritik bittet. Nun, Herr Bundesinnenminister, w i r sind doch nicht daran schuld, daß es zu dieser Erörterung in der Öffentlichkeit gekommen ist.
({3})
Wir sind doch nicht an den Fehlern schuld, die hier offenbar sowohl im Verfassungsschutzamt als auch bei der Auswertung von politischer Seite begangen worden sind. Es wäre besser, Sie hätten diesen Appell an das eigene Amt und vor allem an die eigenen Kabinettsmitglieder gerichtet.
({4})
Zwei Fragen sollte man in dieser Debatte von Anfang an klar voneinander trennen. Das ist erstens das Verhalten des Bundesamts für Verfassungsschutz, und das ist zweitens die mißbräuchliche Benutzung des Materials.
Wie ist die Rechtslage, und wie sind die Tatsachen wirklich? Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in den Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom September 1950 besagt ganz einwandfrei, daß die Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz lediglich die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten über Bestrebungen ist, die eine Aufhebung, Anderung oder Störung der verfassungsmäßigen Ordnung oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung verfassungsmäßiger Organe zum Ziele haben. Das Gesetz sagt ausdrücklich, daß dem Verfassungsschutzamt sonstige Kontrollbefugnisse und vor allem polizeiliche Befugnisse nicht zustehen. Das sind doch, möchte ich meinen, ganz klare Grenzziehungen. Wenn auch vielleicht ein moderner Staat nicht ganz ohne bestimmte Einrichtungen zum Schutze seiner Sicherheit auszukommen vermag, so muß aber doch beanstandet werden, daß sieh das Verfassungsschutzamt an diese ihm vom Bundestag durch das Bundesgesetz gezogenen Grenzen offensichtlich nicht gehalten hat.
({5})
Wie wäre es denn sonst möglich - diesen Fragen sind Sie leider ausgewichen, Herr Bundesinnenminister -, daß man Erkundigungen über Personen eingezogen hat, die doch über allen Verdacht erhaben sind - über den Verdacht, die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes stören zu wollen -, daß man über solche Männer Verdächtigungen ausstreut, daß man über sie Material sammelt, um dieses Material einer politischen Instanz zu geben, die es dann zu rein parteipolitischen Zwecken mißbrauchen kann und auch mißbraucht hat?
({6})
Sie sagen - und hier stimmen wir Ihnen zu -, daß die Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz sich lediglich gegen offensichtliche Staatsfeinde zu richten hat. Aber, Herr Bundesinnenminster, bei all dem, was in den letzten Wochen an Fehlgriffen in der Öffentlichkeit zur Sprache gekommen ist, handelt es sich doch nicht um Material gegen Männer, bei denen offensichtlich solche verfassungswidrige Bestrebungen vorlagen. Das waren doch weiß Gott keine Staatsfeinde!
({7})
Oder ist es schon so weit, daß in den eigenen Reihen der Regierungsparteien prominente Männer, wenn sie eine andere Meinung als der Kanzler haben, als Staatsfeinde angesehen werden?
({8})
Wir sollten uns, meine Damen und Herren, ob Regierungsparteien oder Opposition, alle einig sein, daß wir solchen Anfängen nicht rechtzeitig und früh genug wehren können.
({9})
Wie sieht es nun draußen in der Praxis aus? Lassen Sie mich aus der Fülle des Materials, das uns zugegangen ist, einige eklatante Fälle vortragen. Da gibt es - um mit weniger Prominenten zu beginnen - z. B. einen Rechtsanwalt, der vor ein bis anderthalb Jahren aus der russisch besetzten Zone weggehen mußte. Vergeblich kämpft er seit jener Zeit um die Zulassung zur Anwaltschaft in der Bundesrepublik, weil das Verfassungsschutzamt der zulassenden Stelle erklärt hat, dieser Mann könne sich ruhig irgendwo in der Wirtschaft betätigen, aber als Anwalt sei er auf Grund seiner politischen Betätigung in der russisch besetzten Zone unmöglich.
({10})
Nun, ich kenne den Mann nicht; ich weiß auch nicht, was er drüben getan hat. Aber die Frage, ob gegen jemand ein Grund vorliegt, ihm die Zulassung zur Anwaltschaft zu versagen, darf und kann doch nur in einem rechtsstaatlich vorgeschriebenen Verfahren geprüft werden.
({11})
Alle Versuche dieses ehemaligen Rechtsanwalts, zu erfahren, was ihm eigentlich im einzelnen vorgeworfen wird, werden mit Stillschweigen, Achselzucken und Kopfschütteln übergangen.
({12})
So sieht das aus, Herr Bundesinnenminister! Sie haben die Frage, ob man solchen Betroffenen das Recht der Anhörung geben müßte, völlig unbefriedigend beantwortet. Obwohl dem Betroffenen in dem in der Anwaltsordnung vorgesehenen Verfahren ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, kommt er praktisch nicht weiter, weil jede Stelle sich weigert, die Gründe anzugeben. Somit ist er gar nicht in der Lage, Gegengründe anzuführen oder vielleicht - wie wir es in anderen Fällen schon erleben mußten - den Nachweis zu führen, daß es sich um gefälschtes Material von DreiGroschen-Jungens handelt. Das Verfassungsschutzamt hat kein Vetorecht. Und seit wann bedarf es denn in dieser Bundesrepublik für den Beruf des Anwalts wieder einer politischen Erlaubnis?
({13})
Ehe ich diesen Fall hier zur Sprache brachte, habe ich ihn dem Herrn Bundesinnenminister vor mehr als zwei Monaten, wobei ich Roß und
({14})
Reiter genannt habe, mitgeteilt. Unter dem 4. Mai 1954 wurde mir erwidert, daß man mir das Material zur Verfügung stellen würde. Wir schreiben heute den 8. Juli. Ich habe nichts mehr davon gehört.
({15})
Oder nehmen wir jenen Ministerialrat im Bundeswirtschaftsministerium, der anscheinend bei seinen Entscheidungen nicht alle Wünsche bestimmter industrieller Kreise erfüllt hatte, vielleicht auch nicht erfüllen konnte; ich weiß das nicht. Als er diesen Wünschen nicht nachkam, wurden gegen ihn, wie es in einem Schreiben des Herr Bundeswirtschaftsministers heißt, „Bedenken" geltend gemacht, und diese Bedenken, heißt es, seien auch dem Bundesamt für Verfassungsschutz zur Kenntnis gekommen. Ergebnis: dieser Mann mußte sein Referat aufgeben,
({16})
obwohl der Herr Bundeswirtschaftsminister sich sachlich hinter diesen Beamten stellte - das soll hier ausdrücklich anerkannt werden -, dann diesem selben Mann jedes formelle Verfahren zur Rechtfertigung angesichts der gegen ihn anonym erhobenen Beschuldigung verweigerte. Dieser Beamte hat bis heute sein früheres Referat nicht zurückbekommen und läuft also als ein Gestempelter im Bundeswirtschaftsministerium und gegenüber den Petenten herum.
Oder nehmen Sie noch einen anderen Fall! Da muß ein älterer Angestellter aus der russisch besetzten Zone, weil er Schwierigkeiten mit bestimmten Parteistellen bekommt - wir alle kennen ja dieses System aus der Zeit von 1933 bis 1945 -, nach der Bundesrepublik fliehen. Er bekommt auch alsbald eine Stelle, aber er darf sie gar nicht erst antreten. Die Firma teilt ihm, nachdem sie zunächst zustimmend geantwortet hat, mit, es täte ihr sehr leid, sie sei durch höhere Weisung daran gehindert, ihn einzustellen; sie sei aber gleichzeitig bereit, ihm für einen Monat das Gehalt zu zahlen. Der Mann läßt nicht locker, und nach vielem Drängen erfährt er, daß das Verfassungsschutzamt der Firma irgend etwas über ihn mitgeteilt und sie aufgefordert habe, ihn nicht einzustellen. Bis heute ist es nicht möglich gewesen, daß dieser Mann rehabilitiert wurde. Bis heute ist es nicht einmal möglich gewesen, zu erfahren, was man ihm überhaupt vorwirft.
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Jetzt wandert er von Stelle zu Stelle, und immer, wenn er eine Woche oder zwei Wochen tätig ist, verfolgt man ihn, und er wird wieder gekündigt.
({18})
Meine Damen und Herren, es gibt aber noch prominentere Fälle. Wir alle . sind in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit sehr häufig auf den Streit zwischen dem Staatssekretär Sonnemann und dem Kaufmann Hertslet angesprochen worden. Ich kenne die Einzelheiten dieses Rechtsstreits nicht, sie interessieren mich nicht, und sie interessieren auch diese Debatte nicht. Aber was an dieser Stelle zu sagen ist, ist folgendes. In dem Strafverfahren, das Herr Hertslet gegen Herrn Sonnemann eingeleitet hat und dem er sich als Nebenkläger angeschlossen hat, spielt ein Vermerk eine Rolle - von wem der Vermerk in die Akten gesetzt worden ist, weiß man nicht -, in dem auf ein Dossier, auf Material hingewiesen wird, das beim Bundesverfassungsschutzamt gegen Herrn Hertslet vorliege. Alle Versuche des Herrn Hertslet, alle Schreiben an das Ministerium, alle Verhandlungen im Ministerium und in Köln, man möge ihm doch einmal sagen, was das für Material sei, werden mit Achselzucken beantwortet. Auch hier wird also - ohne daß ich auf die Qualitäten der einen oder anderen Prozeßpartei einzugehen brauche - einem Staatsbürger das Recht der Anhörung und der Rechtfertigung verweigert.
Wenn die Zeitungsnachrichten von heute früh stimmen
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- ich weiß, man braucht nicht immer alles als wahr zu unterstellen, was in den Zeitungen steht -, dann ist nun, wie es hier in der Überschrift heißt, auch Herr Heinemann an der Reihe.
Herr Heinemann, der vor einigen Tagen in Moskau war, hat begreiflicherweise das politische Interesse auch der Mitglieder der Bundesregierung veranlaßt. Es soll auch nicht das Recht der Bundesregierung und des Herrn Kanzlers bestritten werden, wenn sie gern dahinterkommen möchten, was dort gesprochen worden ist und wo all die Fäden zusammenlaufen. Aber, meine Damen und Herren, daß man mit solchen Ermittlungen das Verfassungsschutzamt beauftragt, ist das, was wir zu beanstanden haben.
({20})
Denn damit wird wieder gegen die ausdrücklichen Bestimmungen des Gesetzes verstoßen. Schließlich sind doch der sonstige Nachrichtenapparat des Herrn Bundeskanzlers und auch sein Presseamt so groß, daß es möglich sein müßte, damit die erforderlichen politischen Erkundigungen einzuziehen.
({21})
Was diese ganze Debatte überhaupt notwendig machte, war ja der Fall Reinhold Maier, der - das ist eigentlich das Betrübliche an der Sache - auf Grund unbestätigten, unkontrollierbaren anonymen Materials bei dem Vorsitzenden seiner Partei und sogar beim Herrn Bundespräsidenten verpetzt wurde. Es ist gut, daß beide Männer diesen ganzen Spuk sofort dadurch beendeten, indem sie Herrn Maier mitteilten, wie gegen ihn geschossen und was gegen ihn lanciert werden sollte. Hier war ein Mann, der den Mut hatte und der es sich auf Grund seiner politischen Stellung in Deutschland und als ehemaliger Ministerpräsident des Südweststaates leisten konnte, sich in der Öffentlichkeit zu wehren und zu sagen, was geschehen war. Aber denken Sie doch bitte - und das ist unser aller Aufgabe! - an die vielen anderen, die, noch verstört und verängstigt aus den Erfahrungen vor 1945, auch jetzt schon wieder Angst haben müssen und Angst haben, sich gegen Eingriffe in ihre Grundrechte zu wehren.
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Es ist nicht immer leicht für einen Staatsbürger, genug Zivilcourage gegenüber Entscheidungen und Anordnungen der Behörden aufzubringen. Durch diese Methoden bringen Sie die innere Freiheit in Deutschland in Gefahr; damit wird jede Chance für eine freie Aussprache, für eine freie politische Meinungsbildung von vornherein untergraben. Wie häufig hat sich der Herr Bundeskanzler gegenüber seinen Kritikern beklagt, sie hätten keine eigenen
({23})
positiven Gegenvorschläge. Aber wer immer dann seine Kritik mit anderen Vorschlägen verband, der wurde doch sofort verdächtigt und in die Nähe des bolschewistischen Moskau gestellt, und schnell fand sich dann auch immer angeblich richtiges Material, das diese Verdächtigungen gegenüber den Kritikern zu unterstützen schien.
Das sind hier nur einige Fälle; sie ließen sich leider Gottes erheblich vermehren, und keiner von uns, meine Damen und Herren, weiß, ob er nicht morgen selbst das Interesse eines solchen DreiGroschen-Jungen erweckt, nur damit der seine drei Groschen verdienen kann.
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Diese Fälle beleuchten schlagartig die Gefahr, die dem Staatsbürger droht, der bisher glaubte, in einem freien Deutschland zu leben, sintemal er selbst immer aufgerufen wird mit Recht aufgerufen wird -, gegen Terror und Unfreiheit des Ostens zu Felde zu ziehen. Die Beunruhigung über diese Methoden geht viel weiter, als der Bundesinnenminister heute wohl selber zugeben wollte. Selbst auf einer der letzten Ministerpräsidentenkonferenzen fand man seitens der Länderchefs sehr harte Worte, und sogar auf dieser Konferenz wurden Stimmen laut, die fragten, ob die Verfassungsschutzämter überhaupt oder in dieser Form bleiben könnten.
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Wenn schon der moderne Staat - und Sie wissen alle, daß wir die entsprechenden Bestimmungen im Grundgesetz haben und daß wir das Gesetz über die Verfassungsschutzämter mit verabschiedet haben - ohne derartige Ämter nicht glaubt auskommen zu können, dann sollte er ängstlich bemüht sein, deren Tätigkeit so sorgfältig zu überwachen und so weitgehend einzuschränken, wie das nur irgend möglich ist. Aber, Herr Bundesinnenminister, wenn Sie in Ihren Ausführungen weiter sagen, daß das Bundesverfassungsschutzamt bei Bewerbungen von Beamten nicht ausgeschaltet werden dürfe, dann ist das ein glatter Mißbrauch dieses Amtes. Es ist unmöglich, Personalpolitik mit Hilfe anonymer Nachforschung der Agenten des Bundesverfassungsschutzamtes zu machen.
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Hier ist es also in erster Linie Ihre Aufgabe, für klare Weisungen, für klare Richtlinien und für die strikte Einhaltung der Befugnisse des Amtes zu sorgen.
Entscheidend aber, und hierauf - ich sagte es schon zur Einleitung - ist der Herr Bundesinnenminister leider gar nicht eingegangen, ist das viel wichtigere Problem des Mißbrauchs der Verwertung unkontrollierbarer Agentennachrichten. Wir hätten gewünscht, daß der Herr Bundesinnenminister hierzu zum mindesten etwas mehr und etwas Deutlicheres gesagt hätte. Sie haben uns, Herr Bundesinnenminister, sehr viel über die Ämter und ihre Arbeitsmethode erzählt; aber den eigentlich Schuldigen, um dessentwillen diese Aussprache und Ihre Regierungserklärung nötig wurden, haben Sie nicht genannt. Er sitzt nämlich auf der Regierungsbank selbst.
({27})
Wir fragen daher den Bundesinnenminister: Wird
das vom Verfassungsschutzamt gesammelte Material ohne jede Sichtung nach Zuverlässigkeit und nach seiner Bedeutung an alle interessierten Ressorts weitergeleitet? Und: Darf solches Material nur über den verantwortlichen Ressortchef weitergegeben werden? Schließlich müssen ja Parlament und Öffentlichkeit wissen, wer Koch und wer Kellner ist,
({28})
wer verantwortlich ist, wenn etwas passiert, und es ist ja schließlich genug passiert. Reichlich vermessen - entschuldigen Sie das Wort, Herr Bundeskanzler! - stellten Sie sich - in der Öffentlichkeit zur Verantwortung gezogen - auf den Standpunkt, Sie hätten das Recht, solches Material gegen jedermann zu gebrauchen.
({29})
Hier irrt der Herr Bundeskanzler. Ich will von der moralischen Seite eines solchen Verfahrens einmal ganz absehen.
({30})
Aber wir empfehlen dem Herrn Bundeskanzler, erst einmal den von ihm selbst und seiner Regierung eingebrachten Gesetzentwurf - ({31})
Ich bitte, den Herrn Redner ausreden zur lassen. Ich bitte den Herrn Kollegen, gegebenenfalls das Wort zu ergreifen. Ich habe hier nichts gehört.
({0})
Wir empfehlen dem Herrn Bundeskanzler - ({0})
Ich bitte den Herrn Abgeordneten Sabel, ans Mikrophon zu treten und das zu sagen, was er eben sagen wollte.
({0})
- Einen Augenblick! Der Herr Abgeordnete Sabel behauptet, es sei eine Beleidigung gegen den Herrn Bundeskanzler gefallen. Ich muß zuerst darauf eingehen, ob das stimmt. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Menzel, einen Augenblick zu unterbrechen!
Herr Abgeordneter Heiland, ({0})
Ist eingeschaltet!
Herr Abgeordneter Heiland hat den Zwischenruf gemacht: „Die Moral ist bei
({0})
dem Herrn Bundeskanzler sowieso nicht vorhanden!" Das möchte ich feststellen.
({1})
Herr Abgeordneter Heiland!
Herr Sabel, wenn Sie zitieren, dann sollten Sie sachlich zitieren. Den Namen „Herr Bundeskanzler" hat Herr Heiland gar nicht im Mund gehabt. Ich habe auf die Ausführungen des Herrn Menzel wörtlich erklärt, daß es mit der Moral bei solchen Äußerungen doch irgendwie dünn sei.
({0})
- Warten Sie doch ab! Warum denn so nervös, meine Herren? Ich habe zu der Moral, von der der Redner gesprochen hat, gesagt: die ist sowieso nicht vorhanden.
({1})
Herr Abgeordneter Sabel!
Herr Heiland hat nicht den Namen „Bundeskanzler" genannt.
({0})
Er hat erklärt: „Sie ist bei ihm sowieso nicht vorhanden!" Meine Damen und Herren, ich überlasse es Ihnen, was er damit gemeint hat.
Ich halte es nicht für fruchtbar, wenn wir die Diskussion hier fortsetzen. Ich mache Ihnen den Vorschlag, daß sämtliche hier gefallenen Bemerkungen vom Ältestenrat überprüft und auf Grund der dort getroffenen Feststellungen die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden.
({0})
Es scheint mir nicht im Sinne dieses Hauses zu liegen, daß wir das jetzt hier machen. Ich muß erst genau durch Zeugenvernehmungen feststellen, was der Herr Abgeordnete Heiland nun wirklich gesagt hat.
({1})
- Nein, das werden wir ohne Verfassungsschutzamt machen. Der Deutsche Bundestag braucht das nicht.
Ich bitte Herrn Abgeordneten Dr. Menzel, fortzufahren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte gerade dem Herrn Bundeskanzler empfehlen, er möge das Gesetz über die Grenzen des Verfassungsschutzamts selbst lesen. Dann würde nämlich der Herr Bundeskanzler sehen, daß er sich bei der Äußerung, er dürfe von diesem Material unbesehen Gebrauch machen, ganz offenbar eines Mißgriffs schuldig gemacht hat. Daher, Herr Bundesinnenminister, darf ich meine Bitte wiederholen, für klare Anweisungen zu sorgen, daß das Amt künftig nur das tun darf, was ihm durch das Gesetz zugewiesen ist. Sorgen Sie für eine wirksame Kontrolle, damit wir nicht in das greuliche System ehemaliger Gestapo-Methoden abrutschen!
Wenn der Unmut über das Bundesverfassungsschutzamt und wenn die Angst vor seinen Methoden nicht endlich verschwinden, dann schützen diese Ämter die Verfassung nicht, sondern gefährden sie geradezu,
({0})
weil sie auf die Dauer die verfassungsmäßigen Grundrechte jedes einzelnen Staatsbürgers untergraben. Sorgen Sie daher dafür, daß das von Ihrem Amt ermittelte Material vor allem nicht dazu mißbraucht wird, andere anzuschwärzen! Schützen Sie die Bevölkerung vor solchen Gefahren gegenüber jedermann, auch gegenüber dem Herrn Bundeskanzler! Sie würden damit, Herr Bundesinnenminister, Ihrem Amt, vor allem aber der so arg bedrohten Freiheit des deutschen Staatsbürgers einen großen Dienst erweisen.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider liegt es in der Natur der Sache und an gewissen rein technischen Schwierigkeiten, daß die Ausführungen, die man hier macht, nicht schnell genug jedem einzelnen Mitglied des Hauses vorgelegt werden können. Ich habe allerdings gesehen, daß Herr Dr. Menzel über ein vervielfältigtes Exemplar meiner Erklärung verfügt. Deswegen wundert es mich eigentlich um so mehr, daß er sich in einigen Punkten doch nicht an das gehalten hat, was ich tatsächlich gesagt habe. Ich habe sowohl zur Auswertung wie zur Verwertbarkeit sehr klar und, wie ich glaube, sehr wohl abgewogen Stellung genommen. Mit Rücksicht darauf, daß nicht jeder meine Erklärung vor sich hat, erlauben Sie mir, das noch einmal zu wiederholen. Ich habe folgendes gesagt - Sie finden es unter Ziffer 10 meiner Erklärung -:
Noch wichtiger und verantwortungsvoller als die Nachrichtenbeschaffung ist die Nachrichtenauswertung. Jede Verfassungsschutzbehörde hat daher in Übereinstimmung mit der internationalen Praxis ... eine besondere Auswertungsabteilung. Die Schlüsse, die diese Abteilung aus den ihr zugeleiteten Unterlagen zieht, berühren entscheidend die Interessen derer, über die Nachrichten eingegangen sind. Hier muß daher neben dem selbstverständlichen Verlangen auf gewissenhafte Prüfung des Materials
({0})
auf seine Zuverlässigkeit die Forderung streng rechtsstaatlichen Vorgehens mit besonderem Nachdruck erhoben werden.
({1})
Das zu sichern ist Aufgabe geschulter Juristen. Ihnen obliegt beim Bundesamt für Verfassungsschutz und
- nun darf ich vielleicht das, was jetzt kommt, noch etwas betonen bei den Landesverfassungsschutzämtern die weitere wichtige Aufgabe, zu prüfen, welches Material genügend erhärtet ist, um es an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten oder
({2})
in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu verwerten.
({3})
Die letzte Klärung des objektiven und subjektiven Tatbestandes einer strafbaren Handlung bleibt auf jeden Fall der Würdigung durch die Staatsanwaltschaft und der völlig unabhängigen Entscheidung der Gerichte vorbehalten.
Unter Ziffer 11 heißt es dann:
Was nach dieser Sichtung in der Auswertungsabteilung an beschafftem Material übrigbleibt, das muß mit besonderer Sorgfalt und Rücksichtnahme auf den betroffenen Staatsbürger behandelt werden. Der Leiter der Auswertungsabteilung oder der Behördenleiter hat zu entscheiden, ob solches Material abgelegt wird oder ob es zur Unterrichtung der Regierung verwendet werden soll. Wenn es sich um Material gegen einen politisch unbescholtenen Staatsbürger handelt, kommt eine Verwendung grundsätzlich nicht in Frage,
({4})
solange die Zuverlässigkeit des Materials nicht einwandfrei feststeht.
({5})
Ich glaube, meine Damen und Herren, wir kämen gerade bei einer so schwierigen Materie weiter, wenn Sie mich genau so ruhig anhören wollten, wie ich Herrn Kollegen Dr. Menzel angehört habe. Dann werden wir wenigstens den Versuch machen können, in dieser Debatte etwas weiterzukommen. Es hat gar keinen Zweck, daß wir uns nur gegenseitig in Deklamationen ergehen.
({6})
- Nun warten Sie doch ab! Ich bin ja noch dran. Ich habe nur die Bitte, daß Sie mich mit derselben Ruhe anhören, mit der ich Herrn Dr. Menzel angehört habe.
. . . kommt eine Verwendung grundsätzlich nicht in Frage, solange die Zuverlässigkeit des Materials nicht einwandfrei feststeht.
({7})
Glaubt der Leiter des Verfassungsschutzamtes wegen der Wichtigkeit des Materials von diesem Grundsatz abweichen zu müssen, so hat er den zuständigen Minister zu unterrichten.
Völlige Diskretion hinsichtlich aller Erkenntnisse, die nicht zu strafgerichtlichem oder verfassungsgerichtlichem Verfahren führen, muß der oberste Grundsatz jeder Verfassungsschutzarbeit sein.
Nachdem ich das noch einmal in das Gedächtnis zurückgerufen habe, darf ich nun auf einzelnes von dem eingehen, was Herr Kollege Dr. Menzel ausgeführt hat.
({8})
Herr Dr. Menzel zu einer Zwischenfrage.
Eine Frage, Herr Bundesminister. Gegen die Richtigkeit dieser Grundsätze ist nichts einzuwenden. Ich frage Sie aber: Waren alle diese Voraussetzungen gegeben, als die Ermittlungen und die Verwertung des Materials gegen Herrn Reinhold Maier erfolgten?
Ihre Frage geht von mehreren unrichtigen Voraussetzungen aus. Ihre Beantwortung wird sich im Laufe meiner weiteren Ausführungen ergeben.
Es ist gesagt worden - ich befasse mich jetzt nur mit dem, was Herr Kollege Dr. Menzel ausgeführt hat -, daß Erkundigungen über Personen eingezogen worden seien, die völlig unverdächtig seien. Ich kann nur sagen: Erkundigungen über solche Personen sind nicht und zu keiner Zeit eingezogen worden. Ich darf gleich, um nur mal einen von Ihnen erwähnten Namen zu nennen - ich habe mir das unter e) notiert -, auf Herrn Heinemann kommen. Es hat nie einen Auftrag dazu gegeben und es ist nie etwas geschehen, um Herrn Heinemann zu beobachten.
({0})
Das erkläre ich hier mit allem Nachdruck.
Sie haben dann drei oder vier Fälle genannt, zu denen ich nun im einzelnen etwas sagen möchte. Das eine ist der Fall eines Rechtsanwalts. Sie haben mir darüber vor einiger Zeit geschrieben,
({1})
und Sie hätten dem Hohen Hause gleich mitteilen können
({2})
- ja, bitte, nun hören Sie doch! -, daß diese besondere Sache, nachdem ich mich in der Sache informiert oder, ich will sagen, recherchiert habe, morgen nachmittag in dem unter Ihrem Vorsitz tagenden Ausschuß zum Schutze der Verfassung behandelt werden soll.
({3})
- Warten Sie doch nur! Ich kann in einer solchen Sache, in der Beanstandungen erhoben werden - ich sage kein Wort dazu, ob diese Beanstandungen gerechtfertigt sind -, nicht mehr tun, als mich selbst in eine Prüfung einlassen. Ich habe hier gesagt: Jeder hat im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde die Möglichkeit, eine solche Prüfung zu veranlassen. Da Sie den Wunsch haben, daß das Ergebnis in dem Ausschuß erörtert werden soll, werden wir es dort morgen erörtern. Ich bin der Meinung, daß dieser Fall nichts an sich hat, was irgendwie als inkriminierend angesehen werden könnte. Aber vielleicht ist das Hohe Haus damit einverstanden, da ich diese Unterlage hier jetzt nicht zur Verfügung habe, daß das morgen in aller Ruhe in dem Ausschuß dargelegt wird. Ich bin gerne bereit - ich erkläre das ausdrücklich -, alle Fälle, die Sie hier genannt haben, auch noch durch eine schriftliche Mitteilung gegenüber allen Mitgliedern des Hohen Hauses einwandfrei klarzustellen. Mir liegt daran, daß nicht aus einigen vermuteten Ungenauigkeiten, so will ich einmal sagen, Schlüsse gezogen werden, die allen abträglich wären. Sie müssen sich dessen bewußt sein, daß ich sozusagen ex officio nur für das Bundesamt für Verfassungsschutz sprechen kann. Wir haben aber die neunfache Anzahl von Landesverfassungsschutzämtern, und wenn Sie bedenken, wem diese Landesverfassungsschutzämter seit Jahren unterstehen, dann glaube ich, daß jeder Anlaß besteht, mir darin zuzustimmen, wenn ich sage, daß man
({4})
gut daran tut, diese Dinge mit einem äußersten Maß von Abgewogenheit hier zur Sprache zu bringen.
({5})
Ich möchte nicht gerne die Grenzen überschreiten, die mir durch mein derzeitiges Amt gezogen sind.
Ich komme zu dem zweiten Fall. Wenn ich recht verstanden habe, handelt es sich um einen Ministerialrat im Wirtschaftsministerium. Auch dieser Fall steht auf der morgigen Tagesordnung des von Herrn Kollegen Dr. Menzel geleiteten Ausschusses zum Schutze der Verfassung. Ich habe noch nie eine Notiz über diese Sache gesehen und kann also nur das sagen, was mir dazu von meinen Mitarbeitern soeben mitgeteilt worden ist, daß eine Klage des Betreffenden - wenn ich richtig verstanden habe - vor dem ordentlichen Gericht läuft. Gerade in einer solchen Sache geschieht also das, was ich als in allen derartigen Fällen möglich bezeichnet habe, nämlich letztlich im ordentlichen Rechtsweg zu klären, ob eine tragfähige Beschuldigung vorliegt oder nicht. Also gerade dieser Fall wird in der Tat so ausgeräumt und in einem ordentlichen Verfahren erledigt werden, wie ich das als möglich und wünschenswert bezeichnet habe.
({6})
- Ja, lieber Herr Kollege Arndt, ich kann nicht auf Fälle angesprochen werden, von denen ich noch nie auch nur eine Zeile gelesen habe. Ich kann nur die Erklärung abgeben: Mir liegt daran, daß das letztlich ausgeräumt wird, und ich bin dazu bereit, dem ganzen Hohen Hause - nicht nur dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung - in all diesen Fällen eine klipp und klare Feststellung zuzuleiten, sobald ich Gelegenheit gehabt habe, sie zu treffen.
Herr Kollege Menzel hat dann einen dritten Fall genannt, der sich auf einen Vorgang in der freien Wirtschaft bezieht. Ich kann dazu nichts sagen, weil ich den Vorgang gar nicht kenne. Ich habe also nur die Bitte, man möge mir diesen Vorgang möglichst genau bezeichnen, damit ich prüfen kann, ob es sich um das Bundesverfassungsschutzamt oder um das Verfassungsschutzamt eines der Länder handelt. Ich werde auch hier in derselben Weise wie in den vorgenannten Fällen verfahren.
Schließlich ist noch der Name des Herrn Staatssekretärs Sonnemann bzw. in einem Verfahren der Name Hertslet genannt worden. Nach meiner Unterrichtung läuft auch dort ein ziviler Rechtsstreit -meine Damen und Herren, ein Rechtsstreit, ich bin über die Einzelheiten nicht unterrichtet -, der also auch die Möglichkeit zu einer völlig befriedigenden Klärung aller erhobenen Vorwürfe geben wird. Ich kann zusammenfassend nur sagen: Ich habe in meiner Erklärung ausdrücklich festgehalten, daß die letztliche Klärung von Schuld oder Nichtschuld, von Unrecht oder von falscher Beschuldigung halt in einem solchen öffentlichen Verfahren dieser Art geprüft werden muß.
Ich komme dann noch auf zwei weitere Punkte. Zu dem Personalüberprüfungsverfahren habe ich eingehend Stellung genommen. Im Eingang meiner Erklärung - ich habe diesen Passus gerade nicht vor mir; aber es war zu Beginn meiner Erklärung, aus dem Protokoll wird es ja sicher von allen Mitgliedern des Hauses sehr leicht zu entnehmen sein
- sagte ich, ich bin der Meinung, daß man hier wahrscheinlich nicht ganz ohne eine Einschaltung der Verfassungsschutzämter auskommen wird, wie diese Praxis übrigens seit vielen Jahren besteht, und zwar in Ländern, wo diese Arbeit, wenn ich so sagen darf, meine Damen und Herren, vor meiner Zeit durchgeführt wurde - ich lege doch Wert darauf, das zu unterstreichen - und lange bevor es ein Bundesamt für den Verfassungsschutz gab. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß ich diese Angelegenheit gerade deswegen mit aller Sorgfalt betrachtet haben möchte. Sie haben die Konferenz der Ministerpräsidenten von Anfang Februar dieses Jahres erwähnt. Das Referat auf dieser Konferenz hat der Ministerpräsident Dr. Zinn von Hessen gehalten. Ich habe das Referat mit großem Interesse gelesen und habe, wie Sie bei sorgfältigem Studium der Regierungserklärung sehen werden, in manchem mich durchaus in Übereinstimmung mit seinen Auffassungen erklärt. Aber ich glaube, gerade ein Mann wie der Ministerpräsident Dr. Zinn ist wohl in der Lage, die richtige Gewichtsverteilung, möchte ich einmal sagen, in den Vorwürfen zwischen Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern für Verfassungsschutz seinerseits etwas abzuwägen. Dort in München ist nicht gesagt worden, daß man die Verfassungsschutzämter abschaffen sollte, sondern es ist erwogen worden - ein Gedanke, dem ich einstweilen nicht sehr positiv gegenüberstehe -, ob man die ganze Tätigkeit nicht etwa wie früher in die Kriminalpolizei zurückverlegen sollte. Ich bin - das ist jedenfalls mein derzeitiger Standpunkt
- nicht der Meinung, daß wir wieder zu dieser Verbindung kommen sollten, die man damals abgeschafft hat. Ich weiß aber, daß die Auffassungen darüber geteilt sind. Diese Fragen werden mit aller Gründlichkeit auf einer demnächst von mir einzuberufenden Konferenz mit den Herren Innenministern der Länder behandelt werden. Ich hoffe, daß wir zu einem guten Ergebnis und zu brauchbaren Vorschlägen kommen.
Sie haben vielleicht vermißt, daß ich den Fall eines Kollegen aus dem Hause, dessen Namen Sie genannt haben, meinerseits nicht behandelt habe. Der Herr Bundeskanzler selbst wird sich dazu noch äußern.
({7})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Herr Abgeordnete Menzel hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, gesagt, daß ich Ermittlungen gegen den Herrn Abgeordneten Reinhold Maier durch das Verfassungsschutzamt veranlaßt hätte, und er hat, glaube ich, auch gesagt, daß ich Angaben über diesen unberechtigterweise verwertet hätte. Ich möchte zunächst ausdrücklich feststellen, daß ich niemals Ermittlungen gegen den Herrn Abgeordneten Reinhold Maier veranlaßt habe.
({0})
Der Tatbestand ist der folgende. Es wurde mir durch den Herrn Bundesinnenminister ein Bericht des Verfassungsschutzamtes vorgelegt, der sich mit der Tätigkeit des früheren Abgeordneten der Bayernpartei Herrn Etzel aus Bamberg in Genf beschäftigte. In diesem Bericht war der Name des
({1})
Herrn Abgeordneten Maier überhaupt nicht - auch nicht andeutungsweise - erwähnt. Diesen Bericht habe ich dem Herrn Abgeordneten Dehler vorgelesen. Ich habe Herrn Dehler auf dessen Frage, ob er diese Angaben verwerten könne, gesagt, ich müßte es ihm überlassen, das mit der gebotenen Vorsicht zu tun.
Dann kam später ein zweiter Bericht,
({2})
der Äußerungen wiedergab, die der Herr Etzel ({3}) - ich betone immer: Etzel ({4}), damit keine Verwechslungen mit dem anderen Herrn Etzel vorkommen ({5})
in Bamberg über seine Gespräche in Genf gemacht hat, und weiter Äußerungen, die Herr Etzel ({6}) über seine Verbindung mit dem Abgeordneten Reinhold Maier gemacht hat. Ich habe diesen Bericht dem Herrn Abgeordneten Dehler zugänglich gemacht, ohne irgendwie dazu Stellung zu nehmen. Der Tatbestand ist also lediglich der: Herr Etzel ({7}) hat Angaben über seine Verbindung mit Herrn Abgeordneten Reinhold Maier gemacht. Das habe ich Herrn Dehler mitgeteilt.
Im übrigen möchte ich noch betonen, meine Damen und Herren, daß ich vom Bundesinnenminister außerordentlich wenige Mitteilungen über die Tätigkeit des Verfassungsschutzamtes bekomme.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist in der Situation und unter den Umständen, in denen wir hier leben, von besonderer Schwierigkeit. Das sollte am Beginn unserer Überlegungen stehen und von niemandem vergessen werden. Ich meine, daß die Situation deshalb besonders schwierig ist, weil staatsfeindliche Umtriebe in der Bundesrepublik weitgehend von Kraftzentren außerhalb unseres Landes - sprich deutlich Moskau - gesteuert werden. Ich bitte Sie, diesen Tatbestand nicht zu übersehen, um zu einem gerechten Urteil in der Frage der Arbeitsbegrenzung und des Aufgabenkreises des Verfassungsschutzamtes zu gelangen.
Wir sind 'deshalb der Auffassung, daß 'das Verfassungsschutzamt hinsichtlich der Materialbeschaffung und -sammlung jede nur denkbare Möglichkeit haben sollte. Nach meiner Meinung wird auch niemand in seinen Interessen und in seinen Rechten oder gar Grundrechten beeinträchtigt, wenn er eines Tages infolge irgendeiner Meldung in der Kartothek des Verfassungsschutzamtes erscheint. Das müssen wir doch einmal ganz deutlich erkennen. Wenn wir der Arbeit des Verfassungsschutzamtes insoweit Schranken setzen, ist dieses Amt angesichts der unerhörten Schwierigkeiten und vielfältigen Möglichkeiten der Tarnung der Staatsfeinde heute einfach nicht in der Lage, mit Erfolg zu arbeiten. Ich glaube aus den Äußerungen des Sprechers der Opposition entnehmen zu können, daß insoweit dort keine unterschiedliche Meinung besteht.
Das Problem beginnt mit der Frage: Wer wertet das Material aus, und was geschieht bei dem Auswertungsvorgang, um die Rechte des einzelnen
nach rechtsstaatlicher Auffassung ausreichend zu sichern? Ich will mich bemühen, der Mahnung des Herrn Bundesinnenministers nachzukommen, und das, was wir zum Grundsätzlichen zu sagen haben, in der Weise vortragen, daß nicht der Eindruck in der Öffentlichkeit entsteht, es bestünden Meinungsschiedenheiten über die Notwendigkeit eines ausreichenden Verfassungsschutzes. In diesem Sinne möchte ich folgendes sagen.
Die heutige Debatte hat gezeigt - und das entspricht auch meiner Erfahrung -, daß an einer bestimmten Stelle der bisherigen Übung sehr nachdrücklich eingesetzt werden sollte: Das Verfassungsschutzamt darf nie und nimmer eine Auskunftsstelle für irgendwelche interessierten Behörden oder gar für Private sein.
({0})
Der Herr Innenminister hat angedeutet, daß er bereit ist, an diesem Punkt starke Sicherungen einzubauen. Wenn wir nicht dafür ,sorgen, daß die von solchen Auskünften betroffenen Personen die Möglichkeit haben, sich zu wehren, ist allerdings auf einem beachtlichen Lebensgebiet eine echte rechtsstaatliche Lücke vorhanden. Es muß entscheidend berücksichtigt werden, daß die von den Auskünften Betroffenen nur in den seltensten Fällen etwas davon erfahren. Es muß schon ein glücklicher Zufall sein, daß einem Mann, der sich um eine Anstellung bemüht und eine Ablehnung erhält, gesagt wird: „Wir lehnen ab, weil das Verfassungsschutzamt dieses und jenes dagegen vorzubringen hat." Der Hinweis auf Art. 19 unseres Grundgesetzes, Herr Bundesinnenminister, wonach jeder Staatsbürger die Möglichkeit hat, die Gerichte anzurufen und ihre Entscheidung zu erbitten, bleibt doch Theorie, solange der von solchen nachteiligen Äußerungen Betroffene keine Kenntnis davon erhält. Ich möchte meinen, es sollte wirklich einer ernsten Nachprüfung wert sein, ob man nicht in einer sehr großen Zahl von Fällen, ohne die Aufgabe des Verfassungsschutzamtes zu beeinträchtigen, die Möglichkeit geben sollte, den Betroffenen anzuhören. Ich bin davon überzeugt, daß bei den vielen ja kaum kontrollierbaren Nachrichten, die auch aus Quellen zugehen, die das Verfassungsschutzamt in seiner Bedeutung gar nicht recht erkennen kann, häufig eine kurze Erklärung des Betroffenen oder die Beibringung eines schnell beschaffbaren Beweismaterials völlig genügen würde, um den Mann auch in der Kartothek des Verfassungsschutzamtes wieder reinzuwaschen. Ich glaube, hier sollten ernste Erwägungen angestellt werden, ob nicht weitgehende Möglichkeiten vorhanden Sind, die Menschen anzuhören.
({1})
Ich glaube wirklich, daß die Aufgabe des Verfassungsschutzamtes in keiner Weise dadurch berührt wird.
In zweierlei Hinsicht bin ich nicht der Auffassung von Herrn Kollegen Menzel. Auch das möchte ich zur Klarstellung unserer Meinung einmal deutlich aussprechen. Sobald Aktionen in Gang gesetzt werden, d. h. doch Aktionen der Strafverfolgungsbehörden, brauchen wir nach meiner Meinung nicht kleinlich zu sein. Noch niemand wird dadurch beschwert, daß er unter voller Wahrung des Rechtsschutzes und all der Rechtsmittel und Möglichkeiten von den ordentlichen Strafverfolgungsbehörden in den Kreis irgendeines Verdachts hineingezogen wird.
({2})
({3})
- Doch, Herr Professor, der Meinung bin ich. Ich bin der Meinung, daß insoweit - insoweit! - lieber etwas zuviel als zuwenig getan werden sollte. Was passiert denn schon, wenn der ordentliche Richter durch Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden eines Tages, meinetwegen nach Wochen nervöser Spannung und nach Wochen von viel Ärger und Mühe und Kosten, zu der Feststellung kommt: Der betreffende Staatsbürger_ ist unschuldig!
({4})
- Sie wissen ja: wenn die Unschuld festgestellt ist, gibt es auch entsprechende Möglichkeiten der Ersatzleistung.
({5})
- Herr Professor, ich bitte nicht zu vergessen, daß wir, wenn wir versuchen, den Verfassungsschutzinstanzen in dieser Beziehung Zügel und Hemmungen anzulegen, leicht Gefahr laufen, in einem Falle nicht zuzuschlagen, in dem es sich später als sehr notwendig erweist.
Zum Fall Heinemann, den Sie auch angesprochen haben! Ich möchte meinen, Herr Kollege Menzel, daß das Verfassungsschutzamt im Rahmen seiner gesetzlichen Befugnisse bleibt, wenn es sich bemüht, alle die Reiselustigen, die nach Moskau fahren, daraufhin zu überprüfen, was sie dort getan, gesagt und gemacht haben. Darüber darf sich auch Herr Heinemann nicht wundern und beschwert fühlen.
({6})
- Selbstverständlich. Auch da hätte ich keine Bedenken.
({7})
- Verzeihen Sie, Herr Menzel, wenn Sie das bestreiten wollen, dann übersehen Sie die Tatsache, daß die staatsfeindlichen Umtriebe in unserem Lande weitgehend von Moskau gesteuert werden.
({8})
Wenn ich eines Tages nach Moskau führe, würde ich mich nicht beschweren, wenn das Verfassungsschutzamt sich sehr dafür interessierte, was ich dort getan, geredet und gemacht hätte. Darüber braucht sich niemand beschwert zu fühlen, der diese Reisen unternimmt. Insoweit möchte ich also mit Ihnen nicht einer Auffassung sein.
({9})
Meine Damen und Herren, nun noch ein Zweites. Es gibt noch eine zweite Grenze, die sehr genau beachtet werden muß, wenn die ganze Einrichtung im Rahmen des Gesetzes und im Rahmen rechtsstaatlicher Erwägungen bleiben soll. Das ist die Frage, in welcher Weise das Material, das das Verfassungsschutzamt zusammengetragen hat, außerhalb der Strafverfolgungsbehörden noch Verwendung finden kann. Da bin ich der Meinung, daß es eigentlich nur einen Grundsatz gibt: Dieses Material sollte von allen Amtsstellen, die davon Kenntnis erhalten, mit besonderer Diskretion behandelt werden. Ich glaube nicht, daß sich dieses Material, das ja noch nicht richterlich überprüft ist, sondern sich häufig nur auf Vermutungen oder auf völlig ungeprüfte Aussagen Dritter stützt, in irgendeiner Weise dazu eignet, über den klein zu ziehenden Kreis der Amtspersonen, die durch ihr
Amt etwas davon wissen müssen, hinausgetragen zu werden.
({10})
- Ich würde den Kreis so eng ziehen, daß ich es nicht einmal für erforderlich hielte, sämtliche Kabinettsmitglieder darüber zu orientieren. Der erste Verantwortliche ist der Innenminister, der zweite, der für die Gesamtheit der Politik die Verantwortung trägt, ist der Herr Bundeskanzler. Ich würde diese Nachrichten nicht etwa schematisch noch an andere Ministerien weitergeben, es sei denn, daß der Herr Bundesinnenminister sich in einem besonderen Fall dazu entschließt. Ich bitte also, den Kreis derjenigen, die außer den Strafverfolgungsbehörden etwas von diesem Material erfahren, so eng wie möglich zu fassen und die Diskretion in der Behandlung dieses Materials zu gewährleisten.
Meine Damen und Herren, noch ein Letztes. Der Herr Bundesinnenminister hat zum Ausdruck gebracht, daß das Funktionieren des Verfassungsschutzes weitgehend von den Personen abhängig sein wird, die man dort verwendet. Dem stimmen wir zu. Wir stimmen ihm weiter darin zu, daß Verfassungstreue und menschlicher Anstand die beiden Voraussetzungen sind, die für eine Beschäftigung im Verfassungsschutzamt unbedingt notwendig sind. Hier möchte und muß ich nun aber etwas vorbringen, was in den letzten Monaten vorgefallen ist und was ich im Zusammenhang mit dieser Erörterung nicht unterdrücken möchte.
In der Zeitschrift des Bundesgrenzschutzes „Die Parole" hat der Präsident des Verfassungsschutzamtes im Januar oder Februar Ausführungen über die Aufgaben seines Amtes gemacht. In diesem Artikel beschäftigt er sich mit den besonderen Schwierigkeiten, die die vielen Illegalen, die in der Bundesrepublik wohnen, bereiteten und die seine Arbeit so schwer machten. Dann zählt er die Personenkreise auf, ,die ihm als besonders suspekt erscheinen. Nach dieser Aufzählung gehören, wie darin geschmackvollerweise gesagt wird, zu dem besonders suspekten Personenkreis „Heimatvertriebene, Gestrandete des Lebens und Kriminelle"!
({11})
Meine Damen und Herren, Sie werden wohl Verständnis dafür haben, daß nicht nur ich, sondern
auch meine Schicksalsgefährten eine solche Äußerung von dem Präsidenten des Verfassungsschutzamtes nicht unwidersprochen hinnehmen können.
({12})
Das ist auch nicht geschehen. Ich hoffe, daß ich im Parlament Verständnis dafür finde, wenn ich als Heimatvertriebener etwas dazu sage. Wir haben auch nicht geschwiegen. Der Verband der Landsmannschaften hat sich in dieser Angelegenheit mit einem Schreiben an den Herrn Bundeskanzler gewandt. Die Antwort ist von Herrn Staatssekretär Globke gekommen und befriedigt uns in keiner Weise. Meine Damen und Herren, wenn der Herr Präsident Dr. John sich damit ausredet. daß er sagt, er habe ja nur von illegal in der Bundesrepublik Wohnenden gesprochen,
({13})
dann war die Hereinnahme der Heimatvertriebenen
in diese Aufzählung völlig sinnwidrig. Denn soviel
müßte ihm doch bekannt sein, daß nichts dafür
({14})
spricht, daß Heimatvertriebene in größerer Zahl
als andere illegal in der Bundesrepublik wohnen.
Im Zusammenhang mit diesen Äußerungen habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Vertriebenen tatsächlich in der Beurteilung des Verfassungsschutzamtes von vornherein mit einem Fragezeichen versehen sind. Mir ist in den letzten Tagen folgender Fall zu Ohren gekommen. Ein heimatvertriebener Sudetendeutscher, der auch mehrere Jahre in der Sowjetzone war, bemüht sich um eine durchaus nicht bedeutungsvolle Stelle in irgendeinem Ministerium. Er unterhält sich mit dem Personalchef, und alles scheint in Ordnung zu sein, weil er die gewünschten Fachkenntnisse mitbringt. Eines Tages kommt die Ablehnung, - aber nicht mit der Begründung, das Verfassungsschutzamt habe Bedenken, sondern mit den schlichten Ausflüchten, die ein Personalchef in einer solchen Situation zu machen pflegt. Nur durch einen glücklichen Zufall erfuhr der Mann dann Monate später, daß das Verfassungsschutzamt tatsächlich Bedenken geäußert hatte. Diese Bedenken bestanden in folgendem. Der Bewerber hat in der Sowjetzone in einem Betrieb gearbeitet, und zwar zunächst als Arbeiter, und ist dann nach einiger Zeit Angestellter geworden. Diese Tatsache veranlaßte das Verfassungsschutzamt zu dem Urteil, der Mann wäre in der Sowjetzone ja niemals Angestellter geworden, wenn er nicht sehr enge Beziehungen zur SED unterhalten hätte. Dieses Urteil wäre mit wenigen Bemerkungen zu beseitigen gewesen. Der Mann wäre in der Lage gewesen, viele Vertrauenspersonen zu benennen, die ihn nicht erst seit gestern und heute, sondern schon seit langem kannten, wenn ihm dazu nur Gelegenheit gegeben worden wäre. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Er erfuhr nur durch Zufall davon. Hier ist die rechtsstaatliche Lücke deutlich erkennbar. Dieses Beispiel möchte ich den Beispielen hinzufügen, die Herr Menzel genannt hat.
({15})
- Verzeihen Sie, ich habe mich mit aller Entschiedenheit gegen eine Auskunftserteilung gewehrt. Ich habe keine Bedenken, Herr Professor Schmid, wenn Meldungen oder Nachrichten dieser Art irgendwo niedergelegt werden. Bis zu dem. Augenblick, in dem sie verwertet werden, habe ich keine Bedenken. Ich habe mich aber mit aller Entschiedenheit dagegen gewehrt, daß auf Grund dieser Unterlagen Auskünfte gegeben werden. Ich glaube, damit befinde ich mich nicht in Widerspruch zu meinen früheren Ausführungen.
Das war ein Einzelfall. Aber gerade die Menschen, die aus der Sowjetzone zu uns herüberkommen und dort jahrelang unter den besonderen Verhältnissen leben und arbeiten mußten, sind in besonderem Maße daran interessiert, daß die Tätigkeit des Verfassungsschutzamtes hinsichtlich der Auskünfte auf das äußerste Maß beschränkt wird. Ich möchte .noch sagen, was ich als das äußerste Maß ansehe. Zweifellos gibt es in unserem Staatsorganismus gewisse Funktionen, zu denen man nur Personen heranziehen kann, die man bis in die letzten Falten ihrer Seele überprüft hat. Ob das immer mit Erfolg geschieht, ist eine ganz andere Frage; aber die Berechtigung zu einer solchen Überprüfung sollte man einer Staatsführung nicht verwehren. Den Kreis der in Frage kommenden Funktionsträger sollte der Herr Bundesinnenminister einmal genau und ohne daß da ein Mißverständnis möglich ist, abgrenzen. Dann sind die Dinge erträglich.
Noch einmal zurück zur Person des Herrn Präsidenten Dr. John! Wir haben die Auffassung, daß die Einstellung des Verfassungsschutzamtes gegenüber den Heimatvertriebenen - aus diesen Äußerungen des Herrn Präsidenten zu schließen - irgendwie aus einem besonderen Verdacht entspringt. Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit und Empörung gegen solch ein Kollektivurteil einer Persönlichkeit, die an der Spitze unseres Verfassungsschutzamts steht. Wir haben die herzliche Bitte an den Herrn Innenminister und auch an den Herrn Bundeskanzler, noch einmal zu überprüfen, ob die Erledigung dieses Falles durch den Brief des Herrn Staatssekretärs Dr. Globke das letzte Wort sein soll. Wir sind mit dem Herrn Bundesinnenminister der Meinung, daß gerade die Personen, die im Verfassungsschutzamt tätig sind - es handelt sich in besonderem Maße natürlich um den Präsidenten -, die Regeln des menschlichen Anstands unter allen Umständen zu wahren haben. Diese Kollektivdiffamierung der Heimatvertriebenen ist für uns unerträglich. Wir bitten, daraus die Konsequenzen zu ziehen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Herrn Kollegen D r. Gille für die verständnisvolle Würdigung der Problematik danken, mit der wir es hier zu tun haben.
Dies vorausgeschickt, möchte ich zu zwei Punkten Stellung nehmen. Herr Kollege Dr. Gille hat einen Einzelfall genannt, von dem er selber schon gesagt hat, daß der Fall in einem positiven und erfreulichen Sinne erledigt worden ist. Ich darf hier vielleicht sagen, Herr Kollege Dr. Gille, daß wir gerade über die Fragen der Personalüberprüfung eine Unterhaltung gehabt haben und daß ich Ihren Vorschlag, die zahlreichen Organisationen der Heimatvertriebenen, der Landsmannschaften usw. in geeigneter Weise einzuschalten, für sehr begrüßenswert halte. Wir haben ein Interesse daran, uns für alle Arten von Auskunfterteilung an diejenigen zu halten, die einen breiten personellen Überblick haben. Ich könnte mir denken, daß ein Fall wie der gerade von Ihnen behandelte sich schon dadurch allein ausschließen würde, wie es glücklicherweise inzwischen gelungen ist.
Zu dem Aufsatz, den Herr Dr. John geschrieben hat und dessen Wortlaut ich leider nicht vor mir habe, möchte ich folgendes sagen. Die Bundesregierung ist der Meinung, daß das eine äußerst unglückliche Formulierung ist, daß es aber eine Formulierung ohne Dolus war. Ich glaube, daß diese meine Erklärung von den Heimatvertriebenen wirklich in gutem Glauben aufgenommen werden kann. Es ist völlig undenkbar, Heimatvertriebene etwa in Zusammenhang mit den Illegalen usw. usw. zu bringen. Es ist eine unglückliche Formulierung, die die Bundesregierung mißbilligt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion steht der Tätigkeit der Verfassungsschutzämter sehr kritisch gegenüber. Wenn ich das hier an den Anfang meiner Ausführungen stelle, so möchte ich zugleich zum Ausdruck bringen, daß die Erklärung des Herrn Innenministers und die darin enthaltene sehr exakte Durchleuchtung der Methode dieser Arbeit durchaus zufriedenstellend ist, wenngleich die Erklärung nicht geeignet sein kann, die Problematik der Tätigkeit solcher Ämter und die Problematik der organisatorischen Bestimmungen im vollen Umfange auszuschöpfen. Ich lege bei meiner Kritik an den Methoden des Staatsschutzes in dieser Form darauf Wert, zum Ausdruck zu bringen, daß dies keine Kritik an den Beamten dieser Stellen ist, die wie alle anderen Beamten ihre Pflicht tun. Es besteht ebensowenig wie bezüglich jedes anderen Beamten ein Anlaß, diesen mit einer so schweren Tätigkeit betrauten Beamten in der Öffentlichkeit mit einem Mißtrauen zu begegnen.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in einem Land wie der Bundesrepublik, das an der Grenze eines totalitären Systems liegt, welches Unterminierungsarbeit leistet, die notwendigen Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. Allerdings fragt man sich manchmal, ob die politische Bazillenjagd nicht unter Umständen eine Anstekkungsgefahr mit sich bringt, indem die Methoden des Spitzeltums, des Vigilantentums und des Denunziantentums übernommen werden. Das sind drei ganz verschiedene Dinge. Ich verstehe unter Spitzeln jene Schlüssellochgucker, die überall da sind, die das Leben der Menschen untereinander vergiften und eine Atmosphäre des Mißtrauens schaffen. Unter Vigilanten verstehe ich jene Wachsamkeitsorgane, die mit einem neugierigen Auge auf das Leben der Menschen sehen und die Atmosphäre menschlichen Vertrauens und der natürlichen Harmlosigkeit in Frage stellen. Unter Denunzianten verstehe ich diejenigen Elemente, die ungerufen kommen, um in diesem Dunkel das schmutzige Geschäft des Nachrichtenzutragens, selbst nicht mit der Feuerzange anzufassen, versehen.
Das Hohe Haus muß sich darüber klar sein, daß die Atmosphäre des Mißtrauens und des Vigilantentums - etwas, was uns durch einen Angriff von außen diktiert wird - eine letztlich fast noch größere Gefahr ist
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als die Gefahren, die durch die dunkle Unterminierungsarbeit von der anderen Seite kommen; denn ein vergiftetes Gemeinschaftsleben ist das Ende eines anständigen Staates und seiner Widerstandskraft.
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Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen heraus ist die Frage zu stellen, wie nun im einzelnen die Organisation der Staatsnotwehr und des Staatsschutzes praktisch aufgebaut werden kann. Es wäre eine Platitude, hier zu sagen, daß der beste Staatsschutz natürlich in dem festen Willen der Bürger liege und in dem instinktiven klaren Bejahen der Staatsgrundlagen. Das ist natürlich die beste Abwehr. Man muß aber zugeben, daß, genau wie ein Arzt Krankheitsherde erkennen muß, hier auch irgendwie Einrichtungen geschaffen werden müssen, die die wirklichen Krankheitsherde erkennen. Aber
bitte, hier gibt es doch Grenzen! Ich möchte keine Verdächtigungen aussprechen, aber auf diesen Laufzetteln, auf denen dann eine Person durchleuchtet wird, steht doch oft ein solcher Unfug!
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Zufälligerweise - ich könnte dem Herrn Innenminister eine genaue Auskunft geben - ist bei mir in meinem Hause eine Nachfrage erfolgt in Unkenntnis, wer das eigentlich war. Und das, was da gefragt worden ist, war höchst erheiternd, nämlich ob die Eltern verschuldet sind, ob dieses oder jenes - lauter private Dinge. Meine Damen und Herren, das Privatleben sollte in einer freiheitlichen Demokratie unangetastet bleiben.
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Die Fälle -des Staatsschutzes, d. h. die politische Bazillenjagd, sind im Strafgesetzbuch und auch nach gewissen Erörterungen unseres Ausschusses für Verfassungsschutz ziemlich genau und exakt umgrenzt. Es gibt ganz bestimmte Tatbestandskomplexe, die unter Umständen einer dauernden Beobachtung und Durchleuchtung bedürfen. Wir sind nun einmal in diese scheußliche Welt des 20. Jahrhunderts hineingeboren, mit der wir uns auseinandersetzen müssen und in der tatsächlich durch die Systematik und den Angriff der totalitären Systeme aller Arten - wir haben sie ja selbst durchgemacht - die menschlichen Beziehungen vergiftet werden. Als eine freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie haben wir hier die Aufgabe, eine Therapie zu treiben, die vor allem in dem exakten Erkennen dessen liegt, was denn hier überhaupt konkret Gegenstand des Staatsschutzes ist. Und dazu gehören nicht irgendwelche vagen denunziatorischen Verdachtsmomente,
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abgesehen davon, daß sie auch immer in die Irre führen, enorme Mittel kosten und sehr viele Leute beschäftigen.
Ich weiß um die große Problematik und die hohe Aufgabe, die in der Auswertung von Informationen liegt. Kein Vorwurf gegen die Beamten, die das tun! Aber es erhebt sich dann immer die Frage: Kontrolle und Beobachten ist notwendig, gut! Wer aber kontrolliert die Kontrolleure?
Meine Damen und Herren! Damit komme ich zu dem zweiten Punkt, der uns hieran interessiert. Man hat gesagt - ich bitte um Auskunft, ob das zutrifft, und wenn die Antwort aus Gründen der Staatsräson nicht öffentlich gegeben werden kann, bin ich auch mit anderen Formen der Auskunft einverstanden -: Es gibt sogenannte Abwehrbeauftragte in den Ressorts. Es soll sie geben! Ich bin der Auffassung und mit mir meine politischen Freunde: Wenn wir überhaupt dieses Wort übernehmen wollen angesichts einer im letzten Kriege höchst unwirksamen Abwehr, wenn es um militärische Dinge und um wirkliche Spionagefälle ging; - man hat von Casablanca nichts gewußt, da waren die Alliierten schon da! Trotzdem hat man viel Geld dafür ausgegeben. - An dieser Abwehr hängt für mich deshalb immer ein klein wenig etwas Ridiküles; denn wenn man das so mechanisch und methodisch und bürokratisch auch nachher noch macht, kommt ziemlich viel Unfug dabei zutage. Aber das nur nebenbei.
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- Nun, das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. - Ich meine, der geborene Abwehrbeauftragte in einem Ressort dürfte der Vorgesetzte sein, in allererster Linie der Minister selber. Ich muß sagen, daß eine zweite Kontroll- und Übersichtsorganisation neben den im Aufbau eines Ressorts gegebenen Vorgesetztenverhältnissen oder gar eine Überwachung der Vorgesetzten, ja, eine Überwachung der Minister und Staatssekretäre - so etwas soll vorgekommen sein, - eine Untersuchung von deren Vorleben usw., verfassungsmäßige Grundsätze über den Haufen wirft. Denn es ist nicht möglich, daß ein Minister, dem etwa das Amt des Innenministers zufällt, sozusagen die Personalaufsicht über die anderen Minister führt; das ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Es sind also solche Untersuchungen nicht zulässig, wie sie über gewisse Zusammenhänge möglicherweise erfolgt sein sollen. Das ist ja das etwas Eigenartige, daß über dieses Gebiet immer im Konjunktiv gesprochen werden muß, genau so wie das Halbdunkel charakteristisch ist, das über den Verhältnissen liegt.
Niemals also und unter keinen Umständen darf eine Überwachung eines Ressorts die Vorgesetztenverhältnisse untergraben. Wenn Verdachtsmomente auftreten, muß der Vorgesetzte in der Lage sein, zu konfrontieren und dem Betreffenden sofort Gelegenheit zu geben, die Dinge aufzuklären. Das ist auch viel zweckmäßiger; denn dann kommt es klar heraus. Alles Halbdunkel - manchmal geht es nicht ohne ein solches - sollte man auf Fälle reiner Spionage- und Sabotagetätigkeit beschränken.
Aber auch dazu ein Wort. Man hat den Eindruck, daß Deutschland sozusagen ein Paradies oder ein Jagdgrund von ich weiß nicht wievielen Nachrichtendiensten ist, die sich dann auch noch, wie das üblich ist, gegenseitig kräftig bekämpfen. Das geht gegeneinander, die gönnen einander die Nachrichten nicht und jagen sie sich gegenseitig ab. - Es wird, glaube ich, wirklich eine Aufgabe deutscher Politik sein, möglichst bald im Erringen der Souveränität und dem Inkrafttreten der Verträge diesem Chaos endlich einmal ein Ende zu machen und auch auf diesem Gebiet Ordnung und Sauberkeit zu schaffen. Es ist ein unmöglicher Zustand, daß ein Volk sozusagen das Objekt von 17 oder 18 Nachrichtendiensten ist. Und da habe ich eine konkrete Frage zu stellen.
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- Die Sicherheitsvorbehalte: es gibt immer noch eine Praxis in der Auslegung der Gesetze. Sicherheitsvorbehalte jedenfalls in dem Sinne, daß deutschen Stellen zugemutet wird, zu kollaborieren und etwa Untersuchungen über deutsche Persönlichkeiten, gleichgültig welcher Art sie sind, aufzunehmen und an sogenannte alliierte Dienststellen abzugeben, ein System der Kollaboration auf diesem Gebiet würde von meiner Fraktion auf das entschiedenste abgelehnt werden,
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und zwar auf die Gefahr hin, daß zwanzig Leute dabei durch die Maschen schlüpfen. Nach dem Prinzip der Sauberkeit ist es wirklich besser, daß zwanzig Leute, die ungerecht sind, nicht ereilt werden, als daß auch nur ein Fall schäbigen internationalen Denunziantentums vorkommt.
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Zum Schluß ein Wort zu den Landesverfassungsschutzämtern. Gerade wenn man die Problematik solcher Tätigkeit, solcher Staatsnotwehr - darum handelt es sich ja - einsieht und wenn man erkennt, wie heikel und schwierig die Aufgabe der Auswertung dieser Dinge ist, dann weiß ich wirklich nicht, warum wir außer dem Bundesverfassungsschutzamt, das sich bei dieser Aufgabe schon sehr schwer tut, noch neun Landesverfassungsschutzämter mit wieder ganz anderen Auswertungsmethoden und Möglichkeiten und Gefahren haben, die damit verknüpft sind. Ich will hier nicht tiefer in dieses Problem eindringen.
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- Mein lieber Herr Kollege, Föderalismus ist kein Selbstzweck; Föderalismus hat den einzigen Sinn, die Freiheit unter den Menschen zu verstärken,
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und in dem Augenblick, wo das nicht der Fall ist, bin ich für eine klare Bundesregelung. Das sei in allen Dingen ein für allemal gesagt.
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Ich bin der Auffassung, daß wir mit neun weiteren Untersuchungsärzten für Krankheitsherde auf politischem Gebiet die Gefahr neunmal nicht nur im Sinne der Multiplikation, sondern des Potenzierens vergrößern. Wir sind also der Auffassung, daß man mit diesen 9 Landesverfassungsschutzämtern Schluß machen sollte und dafür meinetwegen Dienststellen des Bundesamtes einrichten sollte.
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Meine Damen und Herren! Zusammengefaßt sei eines gesagt: Wir wünschen nicht, daß die politische Bazillenjagd ein Zensorenamt entstehen läßt, das nachher die Information zur politischen Macht ummünzt und das dann, wie auch Ortega y Gasset einmal gesagt hat, dem ganzen Staatswesen sein Gesetz aufprägt. Wir haben einmal erlebt, wie das preußische Amt, das diese Aufgabe hatte, unter der kundigen Führung eines Mannes, dessen Name hier nicht nochmals wieder erwähnt werden soll, sich zu dem entwickelt hat, was man später Gestapo genannt hat. Natürlich, unsere kundigen Herren vom Verfassungsschutzamt stehen weit ab von dem Verdacht, irgendwie gestaporale Tendenzen oder Allüren zu haben. Aber es gibt verfluchte Dinge in dieser Welt, die vom Teufel besessen sind, und davor sollte man sich hüten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ende letzten Jahres hat ein etwas in Bedrängnis geratener Minister eines deutschen Landes in einer Verfassungsschutzdebatte folgenden Stoßseufzer ausgestoßen:
Ich würde mich glücklich schätzen, wenn wir auf der Welt ohne Nachrichtenbehörden oder Geheimdienste auskommen könnten. Solange aber die Gegner der Demokratie Millionensummen zu Informationen und Agitationen gegen die Demokratie aufwenden, ist die Abwehr solcher Bestrebungen nur mit Mitteln möglich, die jenen Maßnahmen annähernd gewachsen sind.
({0})
Und er fuhr fort:
Die Zeitungen haben sich darüber entrüstet, daß es westliche Geheimagenten gibt. Aber von den östlichen war kaum die Rede. Man erzürnte sich über das Spitzelunwesen, das die Demokratie gefährde. Aber die Gefahr, die dem Staat durch die Aktivität des östlichen Agentenuntergrundes droht, wird entweder gar nicht gesehen oder unterschätzt.
Der Minister, der das aussprach, war der hessische sozialdemokratische Minister Zinnkann. ({1})
Ich erwähne das nicht gegen die Gravamina, die Herr Menzel hier vorgebracht hat; ich bin der Überzeugung, wir sind uns im wesentlichen einig. Ich habe es nur deswegen zitiert, weil gewisse Nebensätze und etwas Atmosphärisches in den Worten von Herrn Menzel und auch in gewissen Zwischenrufen aus den Reihen der Sozialdemokraten mich veranlaßten, wenigstens das Grundsätzliche von vornherein zu betonen.
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-Ich glaube nicht! Bei der Auswertung, verehrter Herr Kollege Schmid, läuft man immer Gefahr, verschiedener Meinung zu sein.
({3})
- Sehen Sie, diese Frage der verschiedenen Meinung: Wir alle haben ein großes Unbehagen gegenüber dem Dasein solcher Institutionen. Ich glaube nur, das Unbehagen sollte stets allgemein sein und nicht in einem Land mit sozialdemokratischer Regierung bei der CDU und bei der Bundesregierungskoalition bei der SPD.
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Wenn wir uns über dieses Prinzip einig sind, dann möchte ich nun auch allen Ernstes auf die Grundproblematik eingehen, um die es sich hier handelt. Es geht um das uns Juristen altbekannte Problem der rechtsstaatlichen Grenzziehung zum Schutze der Freiheit, der Ehre und der Würde des einzelnen. Zwei große Interessen sind es, die hier mitunter miteinander in Kollision kommen. Das erste Interesse ist das Interesse der Staatssicherheit, das zweite ist das Interesse an der Aufrechterhaltung der Freiheit und Ehre der Einzelpersönlichkeit.
Jeder, der an der großartigen Leistung der Jurisprudens des neunzehnten Jahrhunderts lebendig Anteil genommen hat, der darin seine Wurzeln hat, muß sich gerade bei dieser neuen Institution mit diesem Problem der Grenzziehung und der Interessenkollision sehr ernst beschäftigen. Wir haben die rechtsstaatliche Grenzziehung in einer bewundernswürdigen Arbeit, durch eine Leistung von Generationen von Gelehrten, Juristen, Verwaltungsbeamten und Richtern, vor allen Dingen auf den Gebieten des Strafrechts und des Polizeirechts erarbeitet. Wer einmal die Freude hatte, als Student etwa die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zum Polizeirecht, noch bevor das Polizeiverwaltungsgesetz in Preußen erschienen war, durchzuarbeiten, der kann sich für sein ganzes Leben diesem großartigen Eindruck nicht mehr entziehen.
({5})
Hier ist etwas Unverlierbares für unser Volk, für unseren Staat - auch für diesen Staat - geleistet worden.
Etwas Ähnliches muß auch auf dem Feld getan werden, das wir heute behandeln. Ich erkläre, daß mich die Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers in ihrem grundsätzlichen Gedankengang durchaus befriedigt haben. Es sind wohlabgewogene, sorgfältig durchdachte Gedankengänge gewesen, die nach meiner Meinung die Grundlage für eine weitere Bearbeitung des Problems in seinen Einzelheiten bilden können.
({6})
- Die Grundsätze, die der Herr Minister vorgetragen hat, Herr Kollege Menzel, sind Grundsätze, die er ohne Zweifel als Grundlage der Arbeit der Verfassungsschutzorgane für die Zukunft gemeint hat.
({7})
- Ich habe mich hier bei meinen Darlegungen nicht so sehr um gewisse Pannen, um „zwangsläufige Pannen", wie Herr Zinnkann sie bei der Debatte in Hessen genannt hat, zu kümmern, sondern darum, wie es in Zukunft in Ordnung geht.
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- Wir sorgen immer für die Zukunft, Herr Kollege Schmid; für die Vergangenheit können wir leider nicht mehr viel tun.
({9})
Sie haben, wie ich annehme, nachher noch das Wort und können nach Belieben und nach Kräften darüber sprechen. Sie werden es nicht gerade von mir verlangen.
({10})
- Gewiß, dann und wann tue ich es ja auch.
Die Frage, wo diese Grenze zu ziehen ist, ist nun gerade auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes außerordentlich schwierig. Ich will ein etwas gefährliches Wort des englischen Historikers Seeley zitieren. Ich sage, ein gefährliches Wort, aber es hat einen Wahrheitsgehalt. Das Wort lautet, daß die Freiheit, die ein Staat seinen Bürgern gewähren könne, im umgekehrten Verhältnis stehe zu dem Druck, der auf den Grenzen dieses Staates laste. Mit allen Vorbehalten und mit aller Vorsicht gegenüber diesem Wort muß aber doch gesagt werden, daß die in ihm enthaltene Wahrheit gerade auf dem Felde des Verfassungsschutzes zutrifft. Wenn wir in der Situation des 19. Jahrhunderts lebten, brauchten wir uns über die Existenz von Verfassungsschutzämtern nicht zu unterhalten. Die leidige Notwendigkeit ist einfach dadurch gegeben
- Herr von Merkatz und alle meine Vorredner sagten es schon -, daß wir in einer furchtbaren Bedrohung unseres nationalen Lebens nicht nur durch eine auswärtige Macht, sondern auch durch das Bündnis einer auswärtigen Macht mit einer
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ganz bestimmten aggressiven menschenfeindlichen Ideologie stehen. Das ist der Tatbestand.
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- Sie haben vollkommen recht; das andere ist auch eine Gefahr, und sie muß genau so abgewehrt werden. Nur ist im Augenblick die erstgenannte Gefahr, das werden Sie mir zugeben, die ungleich größere. Prinzipiell bin ich natürlich vollkommen mit Ihnen einverstanden.
Wenn wir nun der Frage der Grenzziehung nähertreten, so möchte ich zunächst den Gedanken aufgreifen, den Herr Gille hier vertreten hat. Herr Gille meinte - unter Ihrem Widerspruch, Herr Kollege Schmid -, daß die Grenzziehung zwischen der Beschaffung des Materials und der Auswertung des Materials liegen könnte. Das ist sicherlich ein sehr erwägenswerter Gedanke. Ich möchte ihm nicht ohne weiteres in Gänze zustimmen. Denn ich sehe auch in der Sammlung des Materials schon eine beträchtliche Gefahr, vor allen Dingen in der Anlage einer Personenkartei. Das sind Fragen, die man aber jetzt hier nicht durchdiskutieren kann, sondern da, glaube ich, hat der Ausschuß zum Schutze der Verfassung reichliches Arbeitsmaterial. Sicherlich aber liegt die eigentliche Gefahr auf dem Gebiete der Auswertung.
Nun ist die Arbeit der Verfassungsschutzämter nicht in erster Linie darauf gerichtet, daß irgendwelche Schuldige einer Strafverfolgung zugeführt werden. Es kann im Gegenteil oft im Interesse der Arbeit der Verfassungsschutzämter liegen, daß eine Strafverfolgung nicht einsetzt, weil den Verfassungsschutzämtern daran gelegen sein muß, ganze Organisationen aufzudecken, die eine staatsfeindliche Tätigkeit entfalten, und weil durch eine voreilige Strafverfolgung eines einzelnen dieses Vorhaben vereitelt werden könnte. Wir haben dabei aber mit einer großen Schwierigkeit zu rechnen. Es wird hier so leicht gesagt, daß einwandfreie demokratische Mitbürger nicht Gegenstand einer Überprüfung durch die Verfassungsschutzämter sein dürften. Soweit es sich um die Fälle handelt, in denen die Verfassungsschutzämter aus irgendeinem allgemeinpolitischen Anlaß auf die spezielle Überprüfung eines einzelnen angesetzt werden, stimme ich zu. Aber der Feind, der uns bedroht, arbeitet nicht offen, sondern getarnt mit Tarnorganisationen, und es ist nicht immer ganz leicht, zu unterscheiden, ob irgendeine Organisation wirklich so harmlos ist, wie sie aussieht, oder ob dahinter nicht die diabolische Geschicklichkeit des gemeinsamen Feindes steckt. Ich stimme ganz sicher nicht dem berüchtigten Wort zu: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne." Ich erinnere mich noch ganz genau des infernalischen Satzes in dem „Schwarzen Korps" und darf dabei zurückerinnern, daß das Blatt, das das Justizministerium damals im „Dritten Reich" herausgab, noch den Mut gehabt hat, gegen solche Methoden anzugehen, wogegen dann das „Schwarze Korps" höhnisch erwiderte, das Justizministerium gebe „ein Blättchen" heraus, in dem man noch mit rechtsstaatlichen Argumenten arbeite. Dann fiel der Satz: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne."
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- Sie mögen recht haben, Herr Kollege Schmid.
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Jedenfalls hoffe ich, daß er nicht bei einem Verfassungsschutzamt, weder beim Bund noch in einem
sozialdemokratisch regierten Lande, beschäftigt ist.
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Gewiß kann man das bei diesem Geschäft nie wissen.
Herr Gille, glaube ich, hat den Satz gesagt, jeder von uns müsse sich eben gefallen lassen, daß er einmal unter die Lupe genommen werde. Ich würde es einschränken. Jeder von uns, würde ich sagen, muß sich leider gefallen lassen, daß, wenn sein Name oder seine Person im Zusammenhang mit einer verfassungsfeindlichen Organisation oder Gruppe oder Personen, die sich in solchen Gruppen betätigt haben, auftaucht, er dann zunächst jedenfalls im Material der Verfassungsschutzämter festgehalten wird. Es sollte nur so sein können wie im Strafrecht, daß dies auch dazu führen könnte, daß der Betreffende,
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Gelegenheit hätte, seine Nichtbeteiligung nachzuweisen. Das ist das schwierige Problem des rechtlichen Gehörs in diesem Zusammenhang. Ich muß gestehen: ich habe noch keine Patentlösung dafür. Vielleicht wissen Sie schon eine, Herr Kollege Schmid?
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- Ja, mag sein. Jedenfalls würde ich auch hier vorschlagen, daß der Ausschuß für Verfassungsschutz das Problem einmal ernsthaft durchdenkt. Es ist etwas Neues, und ich sehe nicht ein, warum es uns in unserer Zeit nicht gelingen sollte, eine ähnliche rechtsstaatliche Grenzziehung zuwege zu bringen, wie sie damals für das Gebiet des Strafrechtes und des Polizeirechtes gefunden worden ist.
Eines aber, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang wirklich mit allem Ernst: Wir entziehen uns ganz gewiß nicht der Auseinandersetzung über dieses Problem. Im Gegenteil, wir wünschen sie. Jeder rechtsstaatlich Gesonnene muß die Gefahren sehen - ich stimme Herrn von Merkatz zu -, die auf diesem Gebiet entstehen können. Nur um eines bitte ich: Man benutze doch dieses Problem nicht als Vorspann für ganz anders geartete politische Diskussionen und Auseinandersetzungen!
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Wir schaden damit nur einer gemeinsamen Angelegenheit.
Bei Herrn Menzel klang es an, daß das arme deutsche Volk schon wieder in Beben und Angst vor gestapoähnlichen Methoden lebe.
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- Gut, wenn es Herr Maier gesagt hat, dann gilt für ihn dasselbe.
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Herr Kollege Menzel, ich habe die Fälle, die Sie
vorgetragen haben, durchaus ernst genommen. Ich
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würde z. B. den Fall des Rechtsanwalts, den Sie genannt haben, wenn er so liegt, auch für einfach unerträglich halten. Der Mann muß doch die Möglichkeit haben, irgendwann und irgendwo einmal rechtliches Gehör zu finden. Wir sollten aber dann die echte Problematik nicht durch Beimischung von, nun, sehr stark propagandistisch gewürzten Feststellungen trüben. Ich jedenfalls habe dieses Angstbeben im deutschen Volk bisher noch nicht wahrgenommen.
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Ich habe manchmal das Gefühl, daß es eher so ist, daß, wenn der Herr Bundeskanzler, dessen Wort natürlich Gewicht und Autorität hat, gelegentlich in der Art, die wir an ihm kennen, mit Nachdruck und mit Ernst jemanden wegen irgendeiner Haltung oder irgendeiner Äußerung tadelt, was sein gutes Recht ist, eben diese Autorität und das Gewicht des Wortes des Herrn Bundeskanzlers auf sehr viele Deutsche Eindruck machen.
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Nun, meine Damen und Herren, das ist eine Tatsache, die manchen Leuten nicht recht behagt.
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- Verehrter Herr Kollege, ich habe gar nichts dagegen, daß Sie das kritisieren, nur meine ich, sollte man es auch mit der gebotenen Sachlichkeit im konkreten Fall tun.
Ich schlage vor, die echten Anliegen, die heute vorgetragen worden sind, und das von mir angeschnittene Problem der rechtsstaatlichen Grenzziehung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes in allem Ernst und mit aller Sorgfalt im Ausschuß zum Schutze der Verfassung miteinander zu prüfen. Ich weiß mich doch mit Ihnen allen einig, meine Damen und Herren, daß wir auf diesem Gebiet, wo man zwar leicht ein paar markige Männerworte mit dem Pathos des Stolzes vor Königsthronen formulieren und des Beifalls aller rechtsstaatlich Aufrechten sicher sein kann, doch alle auch die große Gefahr, die uns droht und die keineswegs geringer geworden ist, sehen. Ich weiß mich mit Ihnen allen auch in der Einsicht einig, daß wir unsere rechtsstaatlichen Sicherheitsbedürfnisse ein wenig zurückstecken müssen gegenüber Zeiten einer, ach so lange verschwundenen, bürgerlichen Sekurität. Halten wir nach beiden Seiten zusammen! Halten wir zusammen in der Abwehr der Staatsfeinde, und halten wir zusammen in der Abwehr der aus Institutionen, wie es die Verfassungsschutzämter sind, nun einmal leider drohenden Gefahren! Dann wird man uns nicht eines Tages - und das wäre ja der bitterste Vorwurf - sagen können: Ihr habt nicht genug getan, um eine neue Katastrophe zu verhindern.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Carlo Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in diesem Hause wohl keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß heute Verfassungsschutzämter notwendig sind. Es gibt wohl auch keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß die Grenzen für die Tätigkeit dieser
Verfassungsschutzämter nicht immer mit dem Lineal gezogen werden können. Das liegt zum Teil an der Einrichtung selber, zum Teil liegt es an den Umständen, mit denen sie fertig werden müssen. Darüber brauchen wir nicht zu reden. Ich glaube, daß jeder vernünftige Mann, der es mit diesem Staat, mit der Demokratie und mit der Freiheit ernst meint, dieser Meinung sein wird.
Worum es sich hier handelt, ist etwas anderes. Es geht darum, ob die Verfassungsschutzämter, die wir haben, so arbeiten, wie sie arbeiten sollen und arbeiten könnten, und zweitens, ob mit dem Ergebnis ihrer Arbeit richtig verfahren worden ist, also nicht nur, Herr Kollege Kiesinger, ob man dort richtig aus gewertet hat, sondern ob auch richtig ver wertet wurde, was dort ausgewertet worden ist, und ob vielleicht nicht mit der Verwertung begonnen worden ist, ehe man mit der Auswertung angefangen hat.
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Das ist die Frage, und hierüber werden wir uns unterhalten müssen.
Herr Bundesminister des Innern, Sie sagten, das Parlament solle in seiner Kritik gegenüber diesen Ämtern Zurückhaltung üben, denn eine zu herbe Kritik könnte unverdientermaßen verdiente Männer treffen. Sicher werden wir hier nicht Kritik üben, nur um verdiente Männer zu treffen. Aber es ist nun einmal die Aufgabe des Parlamentariers, daß er, wenn er aus irgendwelchen Gründen glaubt, um das Gemeinwohl besorgt sein zu müssen, diese Sorge nicht für sich behält, sondern hier von diesem Platze aus spricht.
({1})
Dafür sind wir gewählt worden, und dafür sind wir hier! Das ist keine Nörgelei, sondern Pflichterfüllung. Wo wir glauben, daß es nötig ist, haben wir Kritik zu üben. Man kann uns ja dann hier in diesem Raume sagen und beweisen, daß unsere Kritik unberechtigt war. Man darf uns aber nicht sagen, daß Kritisieren unberechtigt sei.
({2})
Die Grundsätze, die der Herr Minister entwickelt hat, sind vortrefflich. Ich glaube, daß man bessere Grundsätze für die Tätigkeit von Verfassungsschutzämtern nicht finden kann.
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Aber die Frage ist doch, ob diese Grundsätze auch wirklich angewandt worden sind. Herr Bundesminister, ich werfe Ihnen nicht vor, daß Sie uns etwas verschwiegen hätten. Ich bin überzeugt, daß Sie uns alles gesagt haben, was Sie wissen. Ich frage aber: wissen Sie wirklich alles, was der Eifer Ihrer Beamten leistet? Das ist es, worum es sich handelt! Sie sprachen vorher von Mißtrauen, das man nicht haben sollte. Nun, Mißtrauen gegen politische Polizei ist in alten Demokratien eine Tradition;
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in Großbritannien vielleicht nicht, aber dort hat
das Vertrauen zur Polizei Gründe, die in einer
Tradition liegen, die wir leider Gottes nicht haben.
({5})
Ich meine, daß es für die Demokratie besser ist, wenn man in die Tätigkeit der politischen Polizei eher Mißtrauen als allzuviel Vertrauen setzt.
({6})
({7})
Ich sage das nicht, weil ich etwa glaubte, die Beamten dieser Polizei seien Sbirren oder schlechte Menschen, nur weil sie in dieser Polizei sind. Sie mögen die vortrefflichsten Menschen der Welt sein. Im Polizeiwesen als solchem liegt aber eine große Versuchung, nämlich die Versuchung des Übereifers und die Versuchung - der wir anderen Menschen gelegentlich auch unterliegen -, den Scharfsinn allzusehr zu strapazieren. Dieser Polizeischarfsinn ist etwas Gefährliches. Mancher von uns hat vielleicht am eigenen Leibe einiges davon zu spüren bekommen, was dieser Polizeischarfsinn alles an Verhängnisvollem zu leisten vermag.
({8})
- Ja, das ist schon sehr ernst gemeint, Herr Kollege Tillmanns. Verzeihen Sie, wenn ich Sie so anrede. Sie sitzen aber heute tief unten in den Niederungen der Parlamentsbänke und nicht auf den Höhen der Regierungsbank.
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Ich meine also, Herr Bundesminister, daß Sie gut daran täten, sich über die Tätigkeit Ihrer Verfassungsschutzämter konkret und nicht nur vom Grundsätzlichen her zu orientieren.
Sie haben auch auf die Praxis der Landesverfassungsschutzämter hingewiesen. Ich kenne diese Praxis nicht im einzelnen. Es mag sein, daß dort manches nicht gut ist, es mag sogar sein, daß diese Praxis in einem sozialdemokratisch verwalteten Lande zu wünschen übrig läßt. Sollte es so sein, - nun, dann machen S i e es besser, Herr Bundesinnenminister!
({10})
Geben S i e ein Vorbild, an dem die Landesverfassungsschutzämter ihr Maß nehmen können! Vielleicht ist Vorbildsein auch eine Funktion der Bundesstellen in einer Bundesrepublik!
Ich halte es für eine ganz schlechte Sache, die Verfassungsschutzämter praktisch zum Richter darüber zu machen, ob ein Bewerber angestellt werden kann; das werden sie aber von dem Augenblick an, wo sie nicht verpflichtet sind, dem Betroffenen zu sagen, was sie gegen ihn festgestellt haben. Wir wissen doch, wie das ist! Wenn ein Verfassungsschutzamt sagt: Ich habe aus den und den Gründen Bedenken, wird das meistens sehr ernst genommen, und die Neigung der Behörde geht dann leider Gottes dahin, dem Verfassungsschutzamt nachzugeben, und sei es nur, um später keine „Geschichte" zu bekommen, und nur selten wird gefragt werden: Können wir das dem Betroffenen gegenüber, den das Verfassungsschutzamt mit einem Veto belegt, wirklich verantworten?
Herr Bundesinnenminister, ich bin auch nicht Ihrer Meinung, daß die Verwaltungsgerichte hier nichts zu bestellen hätten. Die Beteiligten können natürlich nicht gegen das Verfassungsschutzamt klagen, aber sie können eine Klage gegen die Verwaltungsbehörde bzw. das Land, dessen Verwaltungsbehörde gehandelt hat, einreichen. Wenn das geschieht, möchte ich hoffen, daß das angerufene Gericht bei der Beweiserhebung die Beamten des Verfassungsschutzamts als Zeugen zitieren und - meinetwegen in nicht öffentlicher Sitzung - vernehmen wird. Herr Bundesinnenminister, ich hoffe, daß Sie dann die Aussageerlaubnis erteilen werden.
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In der „Vulkan"-Sache ist man mit der Auswertung offensichtlich nicht so verfahren, wie man es hätte tun müssen. Es wird gesagt - und da muß ich mich an Sie wenden, Herr Kollege Gille -, daß es doch niemandem etwas auszumachen brauche, wenn er in das Räderwerk der Strafverfolgung komme, er könne ja irgendwann einmal freigesprochen werden. Ist das wirklich Ihr Ernst?
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Haben Sie nie erlebt, wie jemand allein dadurch, daß er in Untersuchungshaft genommen worden ist, bei seinen Mitbürgern diffamiert worden ist?
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Haben Sie nie erlebt, wie so jemand ruiniert worden ist?
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Wir werden vielleicht des näheren von einem solchen Schicksal hören, wenn in der „Vulkan"-Sache der Prozeß van Hazebrouk durchgeführt werden wird.
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- Da sei keine rechtsstaatliche Lücke?!
({16})
- Ach, aber hier ist doch nicht richtig verfahren worden,
({17})
und das geht doch auf die Verantwortung des Ministers, und dieser Minister hat uns in diesem Parlament auch für diese Sache Rechenschaft abzulegen!
Das beste wäre, wenn man in diesen Bereichen, an deren Rändern immer Zwielicht herrschen wird, so weit wie möglich eine - vielleicht beschränkte - Parlamentsöffentlichkeit schüfe. Dann könnte man vielleicht einmal volles Vertrauen zu unseren Verfassungsschutzämtern fassen. Wir haben einen Ausschuß zum Schutze der Verfassung. Das ist gut so. Aber dieser Ausschuß erfährt nicht genug. Wir müßten entweder diesem oder einem kleineren Ausschuß das Recht geben, von Ihnen, Herr Bundesinnenminister, laufend zu erfahren, was Ihnen Ihre Verfassungsschutzämter an Auswertungen vorgelegt haben und an wen Sie diese weitergegeben haben. Wenn wir das schaffen, wird sehr vieles in der Atmosphäre um die Verfassungsschutzämter entgiftet worden sein. Dann werden Debatten wie diese vielleicht - und hoffentlich - nicht mehr notwendig werden.
Es ist hier von dem Fall Hertslet gesprochen worden. Ich habe die Tätigkeit dieses Herrn zur Zeit des Israel-Vertrags von außen kennengelernt. Um es gleich zu sagen: diese Tätigkeit war mir schlechthin unsympathisch. Aber ist denn der Mann damit, daß er die Politik der Regierung störte - und er hat sie bedauerlicherweise gestört -, schon ein Staatsfeind? Er ist es damit allein nicht, und darum hatte sich das Verfassungsschutzamt nicht um ihn zu kümmern. Damit kommen wir zu der entscheidenden Frage. Ich habe Ihnen den Zuruf gemacht: Das Anlegen einer Namenskarte in der Verdächtigen-Kartei ist für sich allein unter Umständen ein unzumutbarer Eingriff. Kann sich denn das Verfassungsschutzamt schlechthin mit jedermann beschäftigen? Ich glaube, daß es das nicht kann.
({18})
Es kann, es darf sich nicht mit Leuten beschäftigen, von denen jeder weiß: das sind unzweifelhaft demokratische Persönlichkeiten, Persönlichkeiten, die auch dann, wenn ihnen die Politik der Regierung nicht gefällt, doch bereit sind, unter Umständen mit Leib und Leben für die demokratische Grundordnung einzustehen. Mit solchen Leuten hat sich das Verfassungsschutzamt überhaupt nicht zu befassen.
({19})
Und wenn in irgendeiner Agentenmeldung der Name eines solchen Mannes auftaucht, dann ist es die Pflicht des Präsidenten dieses Amtes oder des Ministers, dem er untersteht, dem Betroffenen zu sagen: „Hören Sie, da ist das und das über Sie behauptet worden; ich sage es Ihnen, damit Sie es wissen". Er soll gar nicht sagen: „Ich sage es Ihnen, damit Sie sich rechtfertigen können." Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Über diese Frage - damit greife ich Ihre Anregung auf, Herr Kiesinger - sollten wir im Ausschuß sehr eingehend sprechen; denn das scheint mir die Kardinalfrage schlechthin zu sein.
Gegen eines möchte ich mich aber mit einigen meiner Vorredner mit aller Entschiedenheit wehren, nämlich gegen das Wort: Schließlich ist es besser, es wird einer zuviel als einer zuwenig verhaftet. So hat man im „Dritten Reich" gedacht.
({20})
Damit hat man angefangen, und man hat geglaubt, damit bleibe man noch im Rahmen einer vernünftigen Staatsräson. Aber mit diesem Anfang hat man den ersten Schritt auf dem Weg zum Totalitarismus getan.
({21})
- Doch, es ist vom Herrn Kollegen Gille gesagt worden und kann darum nicht unwidersprochen bleiben. Rechtsstaatliches Denken ist genau anders - nicht aus Fahrlässigkeit oder aus Gemütlichkeit oder aus irgendeiner Art von Wolkenkuckucksillusionismus -, rechtsstaatliches Denken ist genau anders! Wer so denken will, sagt: Es mag sein, daß einer durch die Lappen geht, aber das ist kein Grund, einen Unschuldigen seiner Freiheit zu berauben,
({22})
es sei denn, er sei dringend verdächtig. Aber um einen dringenden Verdacht feststellen zu können, muß mehr vorliegen als eine Agentenmeldung, in der womöglich nur steht: Herr X soll gesagt haben, Herr Y soll getan haben! Wir wissen doch - Herr von Merkatz hat davon gesprochen -, was für eine Agentenseuche in unserem Lande grassiert. Wir wissen doch, daß es nicht nur fahrlässig aufgebrachte Falschmeldungen gibt, sondern daß es regelrechte Nachrichtenfabrikanten gibt. Es gibt ganze Nachrichtenfabriken, und es soll schon mancher einer solchen fabrizierten falschen „Nachricht" aufgesessen sein.
({23})
Nun, meine Damen und Herren, möchte ich noch eines sagen, und damit möchte ich schließen. Natürlich sind unsere Verfassungsschutzämter keine Gestapostellen. Sie sind es nicht, weil sie es nicht sein können, weil sie bestimmte Kompetenzen nicht haben, und sie sind es nicht, weil sie es nicht sein
wollen. Ich möchte das hier ausdrücklich sagen. Aber im Übereifer und vielleicht auch im Dilettantismus kann manches geschehen, was einen unschuldigen Menschen so sehr versehren kann wie die Einschließung hinter Stacheldraht. Man kann einen Menschen auch mit anderen Mitteln fertigmachen als mit Konzentrationslager, z. B. damit, daß man ihn hinter dem Stacheldraht des Verdachts verschwinden läßt!
({24})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mein Vorredner, Herr Kollege Schmid, hat einige Sätze gesagt, für die ich ihm aufrichtig dankbar bin, so den Satz, daß er es ablehne, die Verfassungsschutzämter irgendwie mit der Gestapo zu vergleichen; daß sie es nicht seien, es nicht sein könnten und auch nicht sein wollten. Ich bin ihm dafür dankbar. Aber, meine Damen und Herren, er hat auch andere Formulierungen gebraucht, namentlich jetzt zum Schluß: man könnte einen Menschen hinter dem Stacheldraht des Verdachts verschwinden lassen. Wenn ein solcher Satz von Herrn Professor Carlo Schmid ausgesprochen wird, nehme ich ohne weiteres an, daß er nicht hat sagen wollen: absichtlich hinter dem Stacheldraht des Verdachts verschwinden lassen.
({0})
- Insofern akzeptiere ich das.
Ich möchte es aber dem Herrn Bundesinnenminister überlassen, auf die Ausführungen noch weiter einzugehen, und mich auf folgendes beschränken: Wäre vor dem „Dritten Reich", meine Damen und Herren, mehr geschehen, als geschehen ist, hätten wir das „Dritte Reich" mit allem Elend, das in seinem Gefolge gekommen ist, niemals erlebt!
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz auf einiges von dem eingehen, was Herr Kollege Schmid ausgeführt hat. Herr Kollege Schmid, ich habe erklärt - und ich hoffe, daß ich dafür doch die Zustimmung des Hauses finden werde -, dies sei ein so empfindlicher Gegenstand, daß im allgemeinen Interesse - wirklich im Interesse von uns allen - jeder, der sich kritisch, wie es sein gutes Recht ist, damit beschäftigt, dies in einer maßvollen und abgewogenen Kritik tun sollte. Das sollte man an und für sich immer tun, aber dieser Gegenstand verlangt es ganz besonders.
Herr Kollege Schmid, Sie haben hier gesagt, es sei das gute Recht dieses Hauses, Kritik zu üben. Darin stimme ich mit Ihnen überein. Aber würdigen Sie doch bitte einmal, daß es die Bundesregierung gewesen ist, die von sich aus trotz aller Bedenken hinsichtlich eines so heiklen Gegenstandes den Weg vor dieses Haus gefunden hat.
({0})
Es ist die Initiative der Bundesregierung gewesen,
({1})
daß heute hier diese Debatte stattfindet, nicht die Initiative von irgend jemand anderem.
({2})
Das dürfte uns wahrscheinlich auch viel näher bringen in der Bereitwilligkeit, dieses Thema offen und freimütig zu diskutieren.
Ich gehe auf einen Punkt ein, der sich auf sehr Konkretes bezieht, nämlich auf das, was Sie über die Stellung der Verwaltungsgerichte gesagt haben. Eine Auskunft als solche ist noch nicht ein Verwaltungsakt, der angefochten werden könnte. Ich stimme aber mit Ihnen darin überein, daß dort, wo irgendeine Behörde von einer Auskunft Gebrauch macht und etwas versagt, der Weg vor das Verwaltungsgericht gegeben ist. Ich habe mich nachdrücklich dafür eingesetzt, daß jeder Rechtsweg, sowohl der ordentliche wie der vor dem Verwaltungsgericht, gewählt werden soll, um in diesen Dingen aber auch wirklich letzte Klarheit zu schaffen. Ich darf noch einmal unterstreichen, daß mir auch gerade der Weg über die Dienstaufsichtsbeschwerde - die zwei Fälle, die hier erwähnt worden sind, sind Fälle, die im Wege der Dienstaufsichtsbeschwerde behandelt werden - der geeignete und jedermann zugängliche Weg zu sein scheint, um Klarheit über Vorwürfe zu schaffen, die ihm vielleicht unberechtigt gemacht worden sind.
Dann sind Sie noch einmal auf die Sache „Vulkan" zurückgekommen, die wir kürzlich in diesem Hause diskutiert haben. Ich bedaure es sehr, meine Damen und Herren - das sage ich ganz offen -, daß man das, was ich damals sehr detailliert und nach sehr sorgfältiger Abwägung vorgetragen habe, sich nicht doch noch einmal genau angesehen hat. Herr Kollege Schmid, wenn Sie mit mir noch einmal in jeden einzelnen Fall einstiegen, - ich habe ja damals gezeigt, daß allein 21 von diesen 38 Leuten von vornherein in eine bestimmte Nomenklatur gehören. Ich habe den ganzen Tatbestand entwickelt, der hier vorlag. Da wird man doch schwerlich einen Ausdruck aufrechterhalten können, den Sie, Herr Kollege Schmid, wohl nicht gerade hier, aber, wenn ich nicht irre, gestern abend in Ihrem Rundfunkvortrag gebraucht haben, nämlich daß es einen „Vulkan"-Skandal gebe. Das geht für jemanden, der meine Erklärung gelesen hat, über das hinaus, was ich als gerechtfertigt ansehen kann. Aber auf gar keinen Fall ist die Sache „Vulkan" ein Fall falscher Auswertung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Das Material, das es dort gab, ist a tempo den Strafverfolgungsbehörden, den ordentlichen, angesichts der ganzen Öffentlichkeit arbeitenden Stellen wie Oberbundesanwalt und Bundesgerichtshof zur Verfügung gestellt worden. Ich muß das Bundesverfassungsschutzamt unbedingt dagegen in Schutz nehmen, daß es hier irgend etwas getan hätte, was unter das Stichwort „falsche Auswertung" fallen könnte.
Sie haben dann einen Gedanken wiederholt, den Sie offenbar gestern abend entwickelt haben, nämlich den einer parlamentarischen Kontrolle in den verschiedenen Ebenen. Sie haben das für das Bundesamt und die Länderämter vorgeschlagen. Sie werfen damit - dessen sind Sie sich bestimmt bewußt - ein Problem auf, das eben in jenem Grenzbereich zwischen den Rechten des Parlaments und den Rechten und vor allen Dingen Pflichten der Regierung liegt. Ich stehe dem Vorschlag nicht
sonderlich positiv gegenüber, das muß ich um der Klarheit willen vor dem Hohen Hause sofort sagen. Ich bin der Meinung, daß Arbeit und Organisation nach den Prinzipien, wie ich sie selber vorhin entwickelt habe, im Grunde nur unter der Verantwortlichkeit des Ministers stehen können. Schaffen Sie ein Gremium dieser Art, so bringen Sie einen ganz neuen, wie soll ich sagen, „Verantwortungs-Puffer" in die Sache hinein, also etwas, was sich nach meiner Auffassung mit der verfassungsmäßigen Stellung und der Verantwortung des Ministers und der Bundesregierung nicht verträgt. Ich bin aber gern bereit, das erkläre ich ganz freimütig, diese Frage mit aller Gründlichkeit und nach allen Seiten hin abwägend mit dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung zu diskutieren. Ich habe die Hoffnung, daß wir uns dabei wenigstens in dem Prinzipiellen doch irgendwie finden können.
Ich nehme dankbar zur Kenntnis, daß, wenn ich nicht irre, von allen Sprechern dieser Debatte die Grundsätze, die ich entwickelt habe, voll gebilligt worden sind. Es sind Sätze zitiert worden wie der: „Wo gehobelt wird, fallen Späne" - zitiert aus einer anderen Zeit -, und ein anderer Satz, den Sie angegriffen haben und der auch nicht von mir stammt: „Lieber einen zuviel verhaften als einen zuwenig". Ich bin überzeugt, daß diese Sätze, wenn sie so stehenblieben, mißverstanden werden könnten. Ich darf deswegen noch einmal wiederholen, was ich in der Sache „Vulkan" gesagt habe. Jemand, der sich mit einem bekannten und sicher ermittelten Staatsfeind einläßt oder einzulassen scheint - wenn es durch äußere Umstände belegt ist -, gerät damit in den untersuchungsbedürftigen Verdacht, an einer staatsfeindlichen Handlung beteiligt zu sein. Das ist der untersuchungsbedürftige Verdacht, über den letztlich die Staatsanwaltschaft und die ordentlichen Gerichte zu befinden haben. Ich glaube, wenn man sich auf diesen Satz verständigen kann, kann vieles von dem, was an Unruhe da ist, verschwinden.
Ich möchte aus der Debatte für meine künftige Arbeit auf diesem Sektor den Eindruck mitnehmen, daß das Hohe Haus bereit ist, diese Arbeit in allem Grundsätzlichen zu unterstützen. Die Wünsche, die hier vorgetragen worden sind, können in dem Ausschuß zum Schutze der Verfassung weiter untersucht werden.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei bedauert es auf das tiefste, daß diese Debatte in Abwesenheit von Herrn Dr. Reinhold Maier stattfindet, der mit einer Blinddarmerkrankung im Krankenhaus liegt und gehindert ist, hier zu erscheinen. Da Herr Dr. Maier erklärt hat, daß er die ihn betreffende Angelegenheit im Rahmen des Parlaments selber verfolgen werde, hatten wir die Absicht, diese Angelegenheit hier auszuklammern und nur über das allgemeine Problem des Verfassungsschutzes zu sprechen. Nach dem Verlauf der Debatte können wir diese Absicht nicht mehr ganz aufrechterhalten, vor allem nicht nach der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers. Wir bezweifeln zwar nicht die Richtigkeit dieser Erklärung, aber wir finden sie nicht vollständig. Durch diese Erklärung ist in zweierlei Beziehung ein falscher Eindruck entstanden. Einmal wurde
({0})
erklärt, die Meldung sei vom Herrn Bundeskanzler nur an Herrn Dr. Dehler gegeben worden. Die Meldung stand aber auch in der Presse. Zum zweiten entstand doch im Hause so leicht der Eindruck, daß Herr Dr. Maier eben doch mit Herrn Etzel ({1}) etwas zu tun gehabt habe.
Was zunächst die Weitergabe der Meldung angeht, so halte ich persönlich es schon für falsch und unberechtigt, daß diese Meldung an den Partei- bzw. Fraktionsvorsitzenden des Betroffenen gegeben wurde.
({2})
({3})
Zwar kann man in diesem Fall davon ausgehen,
daß die beiden Männer, um die es sich handelt,
gute Freunde sind. Aber man kann das ja nicht
zu einem Grundsatz erklären. Weiter ist die Meldung eben auch in der Sitzung der CDU/CSUFraktion am 25. Mai 1954 bekanntgemacht worden.
({4})
Wie sollte sie sonst in die Presse gekommen sein?
Was zweitens das Verhältnis von Herrn Dr. Maier zu Herrn Etzel angeht, so ist, glaube ich, eigentlich jedes weitere Wort überflüssig. Reinhold Maier hat klar erklärt, daß er Herrn Etzel überhaupt nicht kannte. Er gehörte ja dem ersten Bundestag nicht an; er mußte erst nachschlagen, um festzustellen, wer das ist.
Was steht im übrigen in dieser Meldung drin? Einmal steht drin, Maier habe die Absicht gehabt, sich einer Reise nach Moskau anzuschließen. Nun, wenn er diese Absicht gehabt hätte, wäre sie jedenfalls für das Verfassungsschutzamt uninteressant.
({5})
Das andere, was in dieser Meldung angedeutet werden sollte, daß Maier Verbindung mit Staatsfeinden aufnimmt, ist - ich glaube, darüber sind wir uns doch einig - nach der Person von Reinhold Maier von vornherein als völlig unmöglich anzunehmen.
Es hat natürlich auch nicht zur Verbesserung der Atmosphäre beigetragen, daß der Brief von Herrn Dr. Maier an den Herrn Bundeskanzler vom 1. Juni erst am 24. Juni und auch erst nach einer Fristsetzung beantwortet wurde.
({6})
Da kann man es wohl verstehen, daß in dieser Atmosphäre Herr Dr. Maier, der sonst als Remstäler ein milder Mann ist, etwas stärkere Töne angeschlagen hat.
Ich möchte hier nur zu einem Stellung nehmen, was ihm besonders übelgenommen wurde, nämlich das Aristoteles-Zitat. Nun wissen wir ja alle - und der Herr Bundeskanzler als besonderer Kenner des klassischen Altertums bestimmt -,
({7})
daß das griechische „Tyrannos" eben mit „Alleinherrscher" zu übersetzen ist und nicht einen Dschingis-Khan oder einen Adolf Hitler bedeutet, allerdings auch keinen „großen Liberalen".
({8})
Der Herr Innenminister hat uns in einer ausgezeichneten Darlegung die Ziele und Aufgaben des Verfassungsschutzes aufgezeigt. Er hat u. a. gesagt, die personelle Zusammensetzung des Amtes müsse so sein, daß die demokratische Zuverlässigkeit der Mitarbeiter nicht bezweifelt werden könne; die Fragen der Staatssicherheit sollten in geeigneter Form und mit der gebotenen Zurückhaltung behandelt werden. Er hat erwähnt, daß die Handlungen, gegen die das Verfassungsschutzamt sich wenden müsse, Hochverrat, Landesverrat, Staatsgefährdung, Verbindung mit Staatsfeinden seien und daß es nicht bei zuverlässigen Staatsbürgern in Funktion trete.
Wenn wir nun die vorgekommenen Fälle - es wurden ja hier viele Beispiele genannt - unter diese Regel subsumieren, müssen wir doch feststellen, daß die Praxis oft in einem Widerspruch zu diesen Regeln steht und im Falle Reinhold Maier bestimmt in einem krassen Widerspruch. Ich möchte also eigentlich die Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers, wenn auch er das bestimmt nicht möchte, als eine Kritik am bisherigen Verfahren der Verfassungsschutzämter auffassen.
Man gibt uns wohl den Trost, das Amt habe keine Exekutive, es habe nur zu sammeln. Aber - das ist hier, wenn ich richtig verstanden habe, auch vom Herrn Kollegen Kiesinger und vom Herrn Kollegen Schmid ausgedrückt worden - schon dieses Sammeln ist gefährlich. Der Mann, über den eine Nachricht vorliegt, stößt schon deswegen oft gegen eine Mauer, wenn er sich z. B. um eine Stelle bewirbt oder etwas ähnliches. Das zeigt uns aber auch die Problematik einer Kontrolle. Es ist freilich theoretisch richtig, zu sagen, das Amt dürfe nur das und das sammeln. Aber in der Praxis ist diese Grenzziehung natürlich sehr schwierig. Jedenfalls sollte man das Amt verpflichten, überhaupt keine unbestätigte Nachricht auch nur liegen zu lassen. Schon ,dieses Liegenlassen bedeutet, daß der Betreffende angeschwärzt ist. Es müßte dafür gesorgt werden, daß man so bald wie möglich eine Bestätigung dieser Nachricht erhält.
Nun zur Auswertung und Verwertung. Jetzt gehen also ohne Gehör des Betroffenen Meldungen an Personalstellen. Es werden, wie es so schön heißt, „unkontrollierte Meldungen aus zuverlässiger Quelle" in die Welt gesetzt. Wenn diese Meldungen falsch sind, dann ist der Betreffende eben einmal mit Schmutz beworfen, und es ist ein geringer Trost für ihn, daß er sich gemäß Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes von diesem Schmutz nun selbst reinigen muß. Es ist hierbei gleichgültig, ob es sich um Anhänger der Regierung wie Reinhold Maier
({9})
oder um Mitglieder der Opposition handelt; denn der Verfassungsschutz ist eine gemeinsame Angelegenheit, wie wir ja auch davon überzeugt sind, daß sowohl auf den Bänken der Regierungsparteien wie auf den Bänken der Opposition die vorhin genannten Kategorien der Hochverräter, Landesverräter, Staatsfeinde nicht zu finden sind.
Was kann nun in dieser Sache geschehen? Einmal greifen wir sehr gern die Anregung auf - wir greifen sie um so lieber auf, als sie von den Verfechtern des Föderalismus kommt daß eine bessere Koordination zwischen Bundes- und Landesverfassungsschutzämtern, am besten überhaupt die Schaffung eines einheitlichen Bundesverfassungsschutzamts anzustreben ist.
({10})
Zu einer Kontrolle durch das Parlament möchte ich mich etwas skeptisch äußern. Jedenfalls müssen wir diese Frage im Verfassungsausschuß eingehend prüfen. Vor allem müssen wir natürlich einen Appell an den politischen Takt der Beamten des Verfassungsschutzamts und der Regierung überhaupt richten, daß solche Dinge, wie sie bedauerlicherweise vorgekommen sind, sich nicht wiederholen.
Wir müssen, das scheint mir das Wesentlichste dieser Debatte zu sein, jedem dafür dankbar sein, der hier aus der Sorge um die Entwicklung unseres Staates warnend seine Stimme erhebt. Ich möchte voll und ganz das unterstreichen, was Herr Kollege Schmid über den Wert und die Berechtigung der Kritik in solchen Dingen gesagt hat. Freilich haben wir noch lange keine Gestapo; aber es heißt, hier ja auf die Anfänge zu achten. Der erste Schritt zu einer Gestapo wurde von Männern getan, teilweise von Männern guten Willens, die entsetzt gewesen wären, wenn sie gewußt hätten, zu was sie den ersten Schritt getan haben.
({11})
Freiheit und Staatssicherheit sind natürlich eng miteinander verbunden. Die persönliche Freiheit ist unser höchstes Gut; sie kann allerdings nur in einem sicheren Staat gedeihen. Wenn der Herr Bundeskanzler sagt: „Wäre die Staatssicherheit vor 1933 immer gebührend beachtet worden, dann hätten wir 1933 nicht erlebt", so ist es genau so richtig, zu sagen: Wäre die persönliche Freiheit vor 1933 immer hochgehalten worden, dann hätten wir auch weiterhin in einem sicheren Staat gelebt.
({12})
- Ich möchte damit, um nicht mißverstanden zu werden, nur sagen, daß eben auch damals Einzelfälle vorgekommen sind,
({13})
in denen man geneigt war, eine Überbetonung des Sicherheitsgedankens gegenüber der persönlichen Freiheit vorzunehmen. Ich möchte nicht etwa sagen, daß das ganze System vor 1933 nicht die persönliche Freiheit geschätzt habe. Das ist selbstverständlich.
({14})
Das Verfassungsschutzamt soll ein Instrument zum Schutz der Verfassung sein, nicht ein Instrument zum Schutz der Regierung.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heftige Mißbilligung, die meine Äußerung, man solle in manchen Fällen eher zuviel als zuwenig tun, erfahren hat, gibt mir Veranlassung, noch einmal das auszudrücken, was ich sagen wollte. Wenn Sie meine Rede lesen - ich habe die Niederschrift bereits da -, ist das völlig unmißverständlich. Ich habe von Aktionen der Strafverfolgungsbehörden gesprochen,
({0})
die das Material vom Verfassungsschutzamt bekommen haben und daraufhin nach ihrem pflichtgemäßem Ermessen zugreifen. Das sind also Verfahren, die sich im Rahmen eines völlig ausreichenden Rechtsschutzes abspielen; und da bin ich der Meinung, daß wir allen Anlaß hätten, nicht etwa zügelnd hier einzugreifen, sondern bei ausreichendem Verdacht zuzugreifen - das ist ja die Pflicht -, auch wenn sich nachher herausstellen sollte, daß der einzelne unschuldig verdächtigt worden ist. Wer sich in den Gefahrenkreis dadurch begibt, daß er mit Personen ins Gespräch kommt, die suspekt sind, der muß auch das wirtschaftliche Risiko der Gefahren tragen, in die er sich begeben hat.
({1})
Ist seine völlige Unschuld erwiesen, dann reichen die Gesetze aus, auch seine wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen.
Ich glaube, Herr Professor Dr. Schmid, wenn Sie meine Worte in diesem Sinne verstanden hätten, dann hätten Sie mir wohl nicht den Sinn unterstellen können, den Sie unterstellt haben. Es handelt sich hier nicht um eine rechtsstaatliche Lücke; es handelt sich um eine Auseinandersetzung eines verdächtig gewordenen Staatsbürgers mit den Strafverfolgungsbehörden und mit den Strafgerichten. Auf diesem Gebiet brauchen wir nicht die Mahnung auszusprechen, daß die Strafverfolgungsbehörden besondere Vorsicht gerade bei diesem Komplex walten lassen sollen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, erklären zu müssen, daß mich die Selbstinterpretation des Herrn Kollegen Dr. Gille nicht voll befriedigt hat. Es ist doch durchaus möglich und immer wieder vorgekommen, daß ein Gericht zugreift, weil ihm eine Polizeistelle, ein Verfassungsschutzamt, sogenanntes „Material" vorlegt, das vielleicht unter Vorlage falscher Zeugnisse durch einen Nachrichtenfabrikanten so zurechtgemacht ist, daß der Haftrichter beim ersten Lesen sagen muß: „Da muß ich zugreifen, und zwar schnell zugreifen, sonst gehen mir die Leute durch die Lappen." Das haben wir doch hundertmal erlebt! Und da meine ich, daß ein Verfassungsschutzamt, ehe es dem Gericht solches Material vorlegt, dieses Material durch und durch gesiebt haben muß. Ich habe trotz der Erklärung des Herrn Innenministers nicht den Eindruck, daß das im „Vulkan"-Fall in der gebührenden Weise getan worden ist.
({0})
Eine zweite Bemerkung zu einer Ausführung des Herrn Innenministers. Herr Innenminister, es ist mir bei meinem Vorschlag, einen parlamentarischen Ausschuß zu bilden, nicht eingefallen, die Grenze zwischen Exekutive und Legislative zu verwischen. Worauf es mir ankam, ist, durch diesen Ausschuß die Möglichkeit zu schaffen, vom Psychologischen her Reibungen und Mißverständnisse, die ohne laufende Fühlungnahme aufkommen möchten, von vornherein gegenstandslos werden zu lassen. Das ist der Sinn meines Vorschlags gewesen, und ich glaube, daß dieser Vorschlag schon einigermaßen wert ist, erwogen zu werden.
({1})
Ein Drittes: Es ist mir nicht eingefallen, zu behaupten, daß etwa der Bundeskanzler jemanden „hinter dem Stacheldraht des Verdachts verschwinden" lassen wolle. Das habe ich nicht gesagt. Was ich meinte, ist das, daß gewisse Praktiken - auch fahrlässige - dazu führen könnten, jemanden hinter dieser Mauer verschwinden zu lassen.
({2})
Und auch da gibt es doch einige Vorgänge!
Und nun das Vierte. Ich glaube nicht, daß Hitler deswegen an die Macht gekommen ist, weil wir vom Polizeilichen her zuwenig von ihm, seinen Absichten und seinen Helfershelfern gewußt hätten. Er ist an die Macht gekommen, weil nicht in allen Schichten der deutschen Bevölkerung genügend demokratischer Kampfgeist war,
({3})
und er ist an die Macht gekommen, weil ihm manche, die es heute nicht mehr wahrhaben wollen, dazu verholfen haben.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Bucher hat vorhin gesagt, in der Fraktionssitzung der CDU/CSU am 25. Mai sei von dem Herrn Bundeskanzler die Behauptung aufgestellt worden, daß der Abgeordnete Reinhold Maier mit Herrn Etzel ({0}) und dessen politischen Absichten in Verbindung stehe. Ich stelle fest, daß diese Behauptung in der Fraktion nicht aufgestellt worden ist.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe daher die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung. Damit ist der Punkt 1 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2:
Beratung des Antrags der Fraktion der DP
betreffend Amtssitz des Bundesministeriums
für gesamtdeutsche Fragen ({0}).
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete von Merkatz.
Bevor der Redner beginnt, möchte ich mitteilen, daß der Unterausschuß für Verkehrswesen jetzt zusammentritt.
Bitte, Herr Abgeordneter!
Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Bitte aussprechen, daß ich die beiden Anträge, die meine Fraktion gestellt hat - den Antrag über den Amtssitz des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen und den Antrag über den Hauptamtssitz des Bundespräsidenten in Berlin -, da es sich um dieselben Grundlagen handelt, zusammen begründen darf.
Ich habe zunächst zu einer Frage Stellung zu nehmen, die etwas in den Bereich des politischen Taktes fällt. Bei der Erwägung, ob wir diese beiden Anträge in dieser Stunde begründen oder gar besprechen sollten, ist erstens die Frage aufgeworfen worden, ob es sich hierbei um eine Angelegenheit von besonderer Aktualität handelt, zweitens ob die Stunde geeignet ist, daß wir über solche Probleme sprechen; denn das liegt auf der Hand: bei der jetzigen Lage Deutschlands sind sehr viele Spannungsmomente zu ertragen. Das Mißtrauen gegen unser Land ist wieder wachgerufen worden. Wir befinden uns in den Geburtswehen eines neuen Staatensystems. Diese Wehen sind .schwer, und jedes Wort, das in dieser Zeit auch über Grundanliegen unserer Nation gesprochen wird, trägt ein hohes Maß an Verantwortung in sich. Aber gerade weil es so ist und weil ich zu meinem Bedauern die Beobachtung habe machen müssen, daß diese beiden Anträge meiner Fraktion in ihrer politischen Tragweite verkannt worden sind, fühle ich mich verpflichtet, die Anträge in dieser Stunde zu begründen.
Zunächst zur Frage der Aktualität. Ich glaube, Fragen, die den Komplex des deutschen Staates - worunter ich immer das Deutsche Reich verstehe - angehen, sind immer und in jeder Stunde aktuell. Das kann nicht bestritten werden. Meine politischen Freunde haben in ihrem Verhalten, in der Unterstützung der Außenpolitik der Bundesregierung stets die Beweise erbracht, daß wir eine Außenpolitik wünschen, die uns in eine Position bringt, aus der heraus wir wirksam für die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes eintreten können. Wir haben dabei stets eine Linie verfolgt, die die Geltendmachung der unverzichtbaren nationalen Interessen in einer Form ermöglicht, die unserer gefährlichen Situation angemessen ist, d. h. die alle die Rücksichtnahmen in sich schließt, die die Weltlage gebietet. Ich bitte, auch in unseren beiden Anträgen dieses Anliegen zu würdigen und, um alle Mißverständnisse auszuschließen, hierin nicht etwa eine rein propagandistisch-deklaratorische Demonstration zu sehen, in Fortsetzung des Spiels, daß sich die einzelnen Fraktionen in Anerbieten für Berlin gegenseitig zu überbieten trachten. Das ist nicht der Zweck und der Sinn. Es ist auch nicht der Zweck und nicht der Sinn - und das soll man mir glauben -, hier einen Moment zu wählen, in dem schon viel Porzellan in der Welt zerschlagen worden ist, um nun auch von uns aus in besonderer Lautstärke nationale Grundanliegen zu betonen und so etwa den Gegnern Deutschlands wieder mehr Wind in die Segel zu blasen für die gefährliche Entwicklung, daß durch ihr eigenes Verhalten bei uns wieder eine nationalistische Unruhe entsteht. Hiergegen wende ich mich ausdrücklich. Ich bin mir auch bewußt, daß in diesen Fragen nationaler Grundanliegen in diesem Haus stets erwogen werden muß, ob eine solche Debatte den deutschen Belangen nützt oder schadet. Denn das ist ja der Sinn aller Debatten dieses Hauses, nicht nur in Fragen der Außenpolitik, sondern vor allem auch in Fragen der Innenpolitik ein Verhalten an den Tag zu legen, das den Grundanliegen und Bedürfnissen unseres Landes nützt und sie nicht schädigt.
Die beiden Anträge, die wir gestellt haben, gehören nicht in den Bereich der Außenpolitik, sondern sind Anträge, die ausschließlich auf den Bereich der Innenpolitik beschränkt bleiben und aus diesem Blickwinkel zu sehen sind.
Wir stehen am Vorabend der Wahl des Bundespräsidenten. Der Herr Präsident dieses Hauses hat sich entschlossen, die Bundesversammlung nach Berlin einzuberufen und damit eine der großen Tatsachen zu setzen, durch die aus diesem freien Raum jenseits des Eisernen Vorhangs heraus im
({0})
Sinne des unzerstörten Zusammenhalts der ganzen deutschen Nation ein Schritt auf dem Wege getan wird, der uns zur Wiederherstellung der Einheit unseres Landes in Freiheit führen möge. Bevor dieser Entschluß gefaßt worden ist, hatte meine Fraktion diese Anträge eingebracht. Darüber sind nun Mißverständnisse entstanden, und ich will mich bemühen, diese Mißverständnisse aufzuklären.
Ich glaube, daß wir uns immer wieder klarmachen müssen, welches eigentlich die Stellung unseres Staatswesens im Geltungsbereich des Grundgesetzes ist. Dazu sei folgendes gesagt. Schon bei den Herrenchiemseer Beschlüssen, bei den Vorbesprechungen, und dann bei den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat ist über den Begriff des Deutschen Reiches als der Bezeichnung des deutschen Staates gesprochen worden. Als beraten wurde, welche Überschrift dem Grundgesetz zu geben sei, hat man sich über die Bezeichnung Gedanken gemacht und hat lediglich aus einem Grunde darauf verzichtet, den Namen des Reiches zu wählen, den unser deutscher Gesamtstaat seit dem Jahre 911 trägt: weil mit dieser Bezeichnung das Ressentiment besonderen Vormachtstrebens verbunden sei. Es war also eine gewisse politische Abstinenz, daß man auf die Wiedererwähnung des Namens unseres Gesamtstaates verzichtete, um Zurückhaltung gegenüber den Gefühlen einer wunden Welt zu üben.
Meine politischen Freunde waren von Anfang an mit dieser Methode nicht einverstanden, weil sie es für eine geschichtliche Unmöglichkeit hielten, auf den Begriff und den Namen unseres Landes, der tausend Jahre und länger bestanden hat, zu verzichten. Es gibt nationale Anliegen, meine Damen und Herren, zu denen muß man stehen, wie man zu seiner Geschichte stehen muß, in jedem Zeitpunkt und in dem vollen Bewußtsein, daß man Träger der Verantwortung für jede Vergangenheit ist.
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In der Geschichte kann die philosophische Frage nach der Schuld wohl nicht gestellt werden. Die Haftung aber trifft jedes Volk, und an der Tatsache, daß jede Regierung in einem kontinuierlichen Staat die Konsequenzen einer Vergangenheit mit zu verantworten hat und mit ihr ein Volk, mit ihr eine Nation, führt nichts vorbei. Meine politischen Freunde haben sich damals auch im Parlamentarischen Rat zum Begriff des Deutschen Reiches bekannt mit den Vertretern auch anderer Fraktionen, die sich von denselben Erwägungen leiten ließen ungeachtet alles dessen, was man, auch verhärtet durch eine jahrzehntelange antideutsche Kriegspropaganda, gegen diesen Begriff vorgebracht hat. Wir haben uns ungeachtet all dieser Tatsachen zur Vergangenheit in der Gegenwart und damit auch zur Zukunft dieses Landes mitverantwortend bekannt.
Warum habe ich diese Einleitung gegeben? Weil es notwendig ist, sich immer wieder klarzumachen, daß das Deutsche Reich, nämlich der deutsche Staat, ungeachtet der Spaltung durch fremde Gewalt heute noch besteht. Noch heute besteht ungeachtet des Eisernen Vorhangs das Deutschland als Ganzes im Sinne des Deutschen Reiches. Alles, was de facto geschehen ist und was im Vordergrund steht, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die ganze deutsche Nation heute noch besteht und daß es sich lediglich darum handelt, den staatsrechtlichen Aufbau und die Organisation
dieses Ganzen wiederherzustellen. Das ist die grundsätzliche Bedeutung auch dieses Antrags: wir und mit uns, glaube ich, alle in diesem Hause sind niemals bereit gewesen, anzuerkennen, daß etwa hier ein Deutsch-West-Reich im Geltungsbereich des Grundgesetzes entstanden sei. Das Deutsche Reich besteht heute noch als Ausdruck Deutschlands,
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als völkerrechtliches Subjekt der ganzen deutschen Nation.
Wenn man am Vorabend der Wahl eines Staatsoberhauptes - des Bundespräsidenten - für einen Teil des Deutschen Reiches, im Geltungsbereich des Grundgesetzes, steht, so muß man sich darüber klar sein, daß alle Gewalt, die in diesem Bereich ausgeübt wird, immer treuhänderisch für das Ganze ausgeübt wird und nur so ausgeübt werden kann. Sie findet darin ihre geschichtliche Legitimation, daß sie Treuhandschaft für eine Staatsgewalt des Ganzen ist. Mit der Beseitigung einer Staatsgewalt durch fremde Gewalt werden die natürlichen Grundrechte einer Nation nicht beseitigt.
Es gibt nur eine deutsche Souveränität, die einheitlich und unteilbar ist, und soweit auf diesem Gebiet Rechte der Souveränität ausgeübt werden müssen und können, werden sie in Treuhandschaft und mit der Zielsetzung der Wiederherstellung der Einheit dieses Landes ausgeübt werden müssen. Wir sind der Auffassung, daß diese Einheit des Landes nur erzielt werden kann, nur Bestand und Freiheit haben kann im Zusammenhang mit einem völlig neugeordneten Staatensystem, einem System der Zusammenarbeit aller freien Völker, der Zusammenarbeit Europas. Aber bis dieser abschließende Zustand erreicht sein wird, ist alles, was hier in dem freien Teil Deutschlands geschieht, da, wo Staatsgewalt mit echter Legitimation auf demokratischem Wege ausgeübt werden kann, immer Treuhandschaft für das Ganze, gewinnt daraus seine Legitimation, gewinnt daraus seinen Sinngehalt und geschichtlichen Auftrag. Insofern ist auch nach unserer Auffassung der Herr Bundespräsident Treuhänder der Rechte eines deutschen Staatsoberhauptes schlechthin.
Wenn auch die Weimarer Verfassung durch diktatoriales Unrecht im eigenen Land und durch die Zerstörung der Struktur unseres verfassungsmäßigen Zusammenhaltes durch fremde Gewalt, durch die Übernahme der obersten Gewalt seitens der Sieger, untergegangen ist, so besteht dennoch - wenn auch ungeschrieben - heute und in Zukunft und als der Ansatzpunkt für die Wiederherstellung der Einheit eine gesamtdeutsche Verfassung. Verfassungen von Staaten müssen nicht immer geschrieben sein; sie müssen nicht Ausdruck eines urkundlich nachweisbaren Rechtsaktes sein. Es gibt ungeschriebene Verfassungssätze, an denen festzuhalten uns ein Anliegen der Erhaltung der gesamten Nation ist.
Zu diesen ungeschriebenen Verfassungssätzen gehört, daß Berlin die Reichshauptstadt war, ist und bleiben wird.
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Das ist so, obwohl die Weimarer Verfassung über die Reichshauptstadt und über den Sitz des Staatsoberhauptes keine Aussage gemacht hat. Es ist ein ungeschriebener Verfassungssatz, daß dieses Land, das durch fremde Gewalt geteilt ist, in
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seinem Gesamtzusammenhang heute noch besteht, heute noch seine Reichshauptstadt und auch heute noch sein Staatsoberhaupt als Institution hat. Deshalb bedeutet unser Antrag, der feststellt, daß der Hauptamtssitz des Bundespräsidenten Berlin ist, nicht etwa, daß dieses Hohe Haus durch einen Beschluß konstitutiv feststellen soll, daß der Sitz nach Berlin verlegt werden muß, sondern er bedeutet nichts anderes als die staatsrechtliche Feststellung, daß der Amtssitz Berlin ist, so wie Berlin die Reichshauptstadt ist und so wie überhaupt eine gesamtdeutsche Verfassung als Grundlage der völkerrechtlichen Subjektivität des ganzen deutschen Volkes nach außen auch heute noch besteht.
Ich glaube, daß die Frage der Souveränität und ihrer Ausübung durchaus einmal des Durchdenkens bedarf, vor allen Dingen im Hinblick auf den Tatbestand, daß die Administration in Pankow, die von der dortigen Besatzungsmacht eingesetzt und am Leben erhalten worden ist, auch seitens dieser Besatzungsmacht mit Rechten ausgestattet worden ist, die den Rechtsschein der Souveränität in sich schließen.
Souveränitätsrechte, die auf dem Boden dieses Landes ausgeübt werden, sind Rechte in der Treuhandschaft für die Souveränität des Ganzen. Der Augenblick der Wahl des Staatsoberhauptes soll wieder bewußt werden lassen, daß es der Treuhänder für die Repräsentation dieses ganzen und einheitlichen und aus sich staatsrechtlich ungeteilt gebliebenen Volkes ist.
Aus dieser Grundlehre von der Fortexistenz des Deutschen Reiches ergeben sich viele Konsequenzen, vor allen Dingen aber die eine Konsequenz - und das gehört mit zur Tragweite auch unseres Antrages -, daß alle Fragen, die sich bei der Ausübung von Souveränitätsrechten im Inneren dieses Landes ergeben, eine ausschließlich d e u t sch e staatsrechtliche Angelegenheit sind. Mit Rücksicht auf die Existenz des Ganzen als völkerrechtliches Subjekt kann mit der Anerkennung des einen oder anderen Bereiches niemals eine Anerkennung der Spaltung verbunden sein. Die Frage, wie im Zustand unter fremder Gewalt, der nun einmal mit dem Ausgang dieses Krieges verbunden ist, das deutsche staatsrechtliche Leben sich ordnet, muß eine Frage des deutschen Staatsrechtes sein und bleiben, letzthin im Kern eine Frage der Auseinandersetzung ausschließlich unter Deutschen sein.
Dabei ist es - und das wiederhole ich an dieser Stelle nochmals - eine Notwendigkeit und ein Anliegen, daß hier eine Politik nach außen getrieben wird, die diesem einzigen Bereich in Deutschland, der sich nach demokratischen Grundsätzen organisieren konnte und der damit eine für das Ganze gültige Struktur erhalten hat, die Position einräumt, um wirksam für die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes arbeiten zu können. Dieser Prozeß der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes muß in die sich wandelnde Weltlage eingebettet werden. Wir müssen bei der Herstellung des neuen Staatensystems der Zusammenarbeit und der Einheit unter den freien Völkern mitgestalten, mitverantworten und mitwirken können. Das allein wird geeignet sein, den Frieden in Europa wiederherzustellen. Nachdem im ost- und mitteleuropäischen Raum die Staatenordnungen zerstört sind, können nur aus der Staatsordnung des freien Westens heraus die Elemente der Freiheit und des Friedens wieder gesichert werden.
Das ist der Sinn: eine deklaratorische, keine konstitutive Bedeutung; aber deklaratorisch im Sinne des Juristischen, nicht im Sinne der Propaganda gemeint. Es gibt bekanntlich die Feststellung _eines bestehenden Rechts. Diese ist von deklaratorischer Bedeutung. Dann gibt es einen rechtlichen Akt, der konstitutiv ist, etwas Neues setzt. In diesem Falle soll jedoch nichts Neues gesetzt werden, sondern wieder ein Tatbestand staatsrechtlich bestimmt werden, so wie er geschichtlich geworden ist, als Ausdruck der Grundtatsache unserer staatlichen Existenz, daß das Ganze noch besteht und daß, um organisatorisch das Ganze wiederherzustellen, hier die Treuhandschaft für das Ganze ausgeübt wird.
Man kann dagegen einwenden, daß diese im staatsrechtlichen Raum bestehenden Unterscheidungen den Mann auf der Straße nicht erreichten und damit mehr Verwirrung gestiftet als politische Substanz gewonnen würde. Die Fragen der staatsrechtlichen Grundlagen eines Landes und des Kurses, der darauf nicht nur juristisch, sondern auch geschichtlich aufgebaut wird, sind sehr stark gestaltende Elemente. Es wäre eine völlig falsche Unterstellung, daß die deutschen Menschen in West und Ost infolge der De-facto-Verhältnisse die letzthin von fremder Gewalt vollzogene, über unser Land verhängte Teilung jemals in ihren Herzen anerkannt hätten.
Es gibt Standpunkte, die man klarmachen muß, weil sie gewissermaßen das Fundament sind für alle weiteren Gedanken und praktischen Maßnahmen. Es wäre ein sehr blutleerer Positivismus, wenn man den rechtlichen Grundlagen der Existenz eines Volkes nur jene Qualität einer bloßen deklaratorischen Bedeutung zuerkennen wollte, die den Mann auf der Straße, d. h. das Herz des Volkes nicht mehr erreichte. Ich habe eine andere Rechtsauffassung. Ich bin der Ansicht, daß gewisse, gerade im Raume der Verfassungsgesetzgebung vorhandene Institutionen und Akte von symbolischer Bedeutung sind und einen sehr tiefen, gestaltenden Einfluß haben. Man muß konsequent an dem festhalten, was noch ist und nicht zerstört werden darf, an jener nach außen und innen noch existierenden deutschen Einheit.
Daraus können fruchtbare Gedanken kommen für die praktische Politik, die dieses so schwere Werk der Wiederherstellung der Einheit eines so zerstörten Landes, wie wir es sind, vollziehen muß. Die Ausübung deutscher Staatsgewalt von Berlin aus wird von fremder Gewalt verhindert, Berlin ist zu einer Insel gemacht worden, die allerdings ihre ganz große Bedeutung für den Zusammenhalt unseres Landes hat. Man darf deswegen Fragen Berlins und Fragen Deutschlands - auch der sowjetisch besetzten Zone - nicht in einen systematischen Gegensatz zueinander bringen. Berlin, das freie Berlin, ist die letzte Nahtstelle, aus der heraus wirkungsvoll der Zusammenhang mit der sowjetischen besetzten Zone, jenem unfreien Teil Deutschlands, noch gehalten wird. Es geht hier um Deutschland. Ich bin mir sehr bewußt, daß vielleicht gerade in diesem Augenblick, da so viel Mißtrauen und Schwierigkeiten in der Welt vorhanden sind, eine Überbetonung nationaler Interessen sehr schädlich sein könnte. Aber diese Feststellung, die wir zu diesem Zeitpunkt zu treffen uns verpflichtet fühlen in dem Auftrag, den wir als Abgeordnete haben, diese Feststellung der Grundlagen unserer Existenz als ganzer Nation sollte man nicht schamhaft verschweigen. Wir wenden uns durchaus
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gegen eine Politik, die sich in Deklamationen, in dem Feststellen abstrakter Tatbestände erschöpft. Ich glaube aber, daß eine Phase kommen muß, in der die Kontakte in der Praxis, d. h. im gegenseitigen Besuch, auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiete, enger gestaltet werden und daß dieser konkrete Kontakt immer mehr vertieft werden muß, weit praktischer, als das durch deklamatorische Akte erfolgen kann. Aber der Sinngehalt einer praktischen Politik muß auch ein völlig klares Fundament haben, das für uns die heute noch bestehende Existenz des ganzen Staates ist. Damit wird festgestellt, daß der eigentliche Dienstsitz des Repräsentanten, der den obersten Rang hat, der das Ganze darstellt, Berlin ist.
Ich bin mir über die verfassungsrechtlichen Grenzen im klaren, darüber, daß dieses Haus kein Recht hat, in die Organisationsgewalt der Regierung, der Exekutive, einzugreifen. Das ist damit auch nicht beabsichtigt. Durch die Zustände, die fremde Gewalt geschaffen hat, ist das Führen der Geschäfte aus dem freien Teil Berlins heraus tatsächlich sehr erschwert. Aber ich glaube, wir sollten den Teil Deutschlands, der die Treuhänderschaft für das Ganze hat, doch etwas stärker drüben in der alten und auch heute noch gegebenen Reichshauptstadt repräsentiert sehen. Wir haben dort einen Bevollmächtigten. Es ist nicht ein Bevollmächtigter im Sinne eines Botschafters, gewiß nicht, das ist nicht der Sinn. Aber es sieht so aus, als unterhielten wir am Platz der alten Reichshauptstadt so eine Art von Vertretung, eine Vertretung eines in seinem Wesen andersgearteten Staatswesens. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland ist mit dem Deutschen Reich identisch, zwar nicht im Sinne der Ausdehnung ihrer Gewalt, ihrer Möglichkeit, Hoheit auszuüben, aber sie ist im Sinne der Kontinuität, der politischen und rechtlichen Existenz des Deutschen Reiches mit dem deutschen Gesamtstaat identisch. Sie hat infolgedessen in der Reichshauptstadt keine auch nur wie eine Vertretung aussehende Repräsentation. Man sollte diese Dinge verstärken, wobei ich nicht in die Organisationsgewalt, in die letzte Verantwortung der Regierung in diesem Punkte eingreifen möchte. Das ist Sache der Regierung.
Dann der Sitz des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen. Wir sind uns bewußt, daß unsere deutschen Regierungsorgane durch fremde Gewalt hier in Bonn gewissermaßen im Exil sitzen müssen. Sie müssen hier sitzen. Aber es ist doch die Aufgabe dieses Ministeriums, aus dem freien Teil Berlins heraus in die sowjetisch besetzte Zone zu wirken. Ich glaube, auch hier ohne den administrativen und organisatorischen Maßnahmen im einzelnen vorgreifen zu wollen - das steht mir nicht zu -, daß ein gewisser Umbau unserer gegenwärtigen Regierungsgewalt in Deutschland im freien Teil Berlins erforderlich ist. Wie das im einzelnen durchgeführt werden muß, bedarf natürlich der praktischen Überlegung. Ich hätte es jedenfalls für viel günstiger angesehen, wenn beispielsweise, da der Minister in den Kabinettssitzungen sein muß, die hier abgehalten werden müssen, weil sie nicht gewissermaßen unter einer Viermächteherrschaft abgehalten werden können, wenigstens ein Staatssekretär mit einem Behördenapparat in Berlin säße.
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- Es ist mir bekannt, daß eine Hauptabteilung dieses Ministeriums bereits in Berlin sitzt,
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- aber ohne Haupt, darauf kommt es mir an.
Das sind organisatorische Fragen, bei denen ich die Regierung in nichts präjudizieren möchte. Aber das, worauf es uns ankommt, sei deutlich und klar herausgestellt: daß die Existenz der deutschen treuhänderischen Regierungsgewalt in der alten Reichshauptstadt ihre nicht nur deklamatorische, sondern äußerst praktische Bedeutung hat und daß hier in einer weiteren Entwicklung unserer Politik zur Wiederherstellung der deutschen Einheit ein Übriges getan werden muß. Dazu kommen viele andere praktische Fragen, die hier zu entwickeln mir die Zeit mangelt.
Meine Damen und Herren, so betrachtet sollten diese beiden Anträge einen staatsrechtlichen Tatbestand nochmals und zu diesem Zeitpunkt im Sinne des Ausgangspunkts überhaupt der Politik zur Wiederherstellung der Einheit unseres Landes zum Ausdruck bringen, sollten sie ein Ausdruck sein unseres Wollens, daß aus dem freien Raum Deutschlands heraus immer nur in Treuhandschaft für das Ganze gearbeitet werden kann, darf und gearbeitet worden ist und daß diesem Ganzen und seiner Repräsentation in der Reichshauptstadt Rechnung getragen werden muß. Unsere Anträge sollen dazu dienen, diese Überlegungen wieder in Gang zu bringen und von dem Begriff der einheitlichen und unteilbaren deutschen Souveränität aus die weitere Zukunft auch gedanklich, wenn Sie wollen konstruktiv zu begründen.
Die staatsrechtlichen, politischen und praktischorganisatorischen Fragen, die mit der Feststellung verbunden sind, daß der Hauptamtssitz des Bundespräsidenten in Berlin als Treuhänder der Rechte des Staatsoberhauptes des ganzen Volkes ist und daß der eigentliche Sitz deutscher Staatsgewalt, nur verhindert durch fremde Gewalt, eben Berlin ist, bilden einen sehr großen Komplex. Er bedarf der wirklich unvoreingenommenen, gründlichen Überprüfung und Analyse. Da zu dieser Frage nicht improvisiert Stellung genommen werden kann, weil solche Improvisationen Mißverständnisse zeugen wie die Mäuse
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- ja, weiße, wenn Sie wollen -, beantrage ich, da es sich im Schwerpunkt um politische Fragen handelt, Überweisung der beiden Anträge an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, der federführend sein soll. Außerdem sind, wie wir überzeugt sind, äußerst wichtige staatsrechtliche Probleme neu zu durchdenken. Infolgedessen beantrage ich, die Anträge auch an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.
Ich weiß, daß ich in manchem Dinge zum Ausdruck gebracht habe, die vielleicht nicht die ungeteilte Zustimmung aller finden werden. Aber eine ruhige Abwägung der Frage, die hier auf dem Spiele steht, scheint mir geboten zu sein. Ich weiß nicht, ob es tunlich ist, nun an den Grundfragen unserer deutschen Existenz etwa im Sinne einer Polemik herumzurätseln. Ich sah mich aber verpflichtet und veranlaßt, auf der Begründung unserer Anträge zu bestehen, um ihren Sinngehalt und ihre Tragweite vor dem Hohen Haus und vor der Öffentlichkeit darzulegen und zu unterstreichen. Ich bitte, unseren Anträgen gemäß zu beschließen.
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Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter von Merkatz hat seinen Antrag, der auf der heutigen Tagesordnung unter Punkt 3 steht, gleich mitbegründet, ohne daß ich ihn aufgerufen hatte. Wir müssen das also geschäftsordnungsmäßig noch nachholen. Ich unterstelle, daß das Haus gemäß § 28 beschließt, daß die beiden Punkte 2 und 3, weil sie verwandt sind, zur gemeinsamen Beratung verbunden werden. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann rufe ich auch Punkt 3 der heutigen Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der DP betreffend Amtssitz des Bundespräsidenten ({0}).
Ich bitte die Herren Redner, zu beiden Punkten zu sprechen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Kihn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Parlamentarische Rat hat seinerzeit beschlossen: „Die leitenden Bundesorgane nehmen vorläufig ihren Sitz in Bonn". Dadurch ist der vorläufige Amtssitz des Bundespräsidenten festgelegt. Auch der Bundestag hat sich später mit dieser Frage beschäftigt, ohne eine andere Entscheidung zu treffen. Jedenfalls haben Parlamentarischer Rat und Bundestag die Kompetenz für sich in Anspruch genommen, den Sitz der obersten Bundesorgane zu bestimmen, wenn auch das Grundgesetz keine Bestimmungen hierüber enthält.
Bei Würdigung der vorliegenden Anträge wird man grundsätzlich davon ausgehen, daß Berlin als Symbol der deutschen Einheit die politische Hauptstadt ist. Dies zu betonen, besteht Anlaß; denn die Annahme ist nicht unbegründet, daß sich der jetzige vorläufige Zustand im Bewußtsein der Menschen verfestigt, daß es den Bürgern unseres Staates nicht mehr selbstverständlich erscheint, daß Berlin die Hauptstadt ist. Herr Kollege von Merkatz hat vorhin ausgeführt, der Antrag der DP solle nur deklaratorisch erklären, daß der Hauptamtssitz des Bundespräsidenten Berlin ist, daß kraft ungeschriebenen Rechtes dieser Zustand schon besteht. Ich möchte für meine Person dieser Auffassung grundsätzlich zustimmen. Gerade diese Feststellung hat symbolische Bedeutung. Eine solche Auslegung dieses Antrags läßt aber auch gleichzeitig die Schwierigkeiten erkennen, die sich böten, wenn man praktische Konsequenzen aus dieser Feststellung zöge. Denn wir dürfen nicht übersehen, daß unser Staatsleben, das normale Funktionieren der Regierungsarbeit, die Zusammenarbeit der obersten Bundesorgane untereinander und mit denausländischen Vertretungen eine tatsächliche Änderung des gegenwärtigen Zustandes kaum gestatten.
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Auch die Verlegung des Hauptamtssitzes des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen nach Berlin wird gewisse praktische Schwierigkeiten bieten, die aber wohl nicht unüberwindlich sein werden. Daher wird es sich empfehlen, grundsätzlich Berlin als Hauptstadt anzuerkennen, den praktischen Bedürfnissen aber wird in den Verhandlungen der beiden Ausschüsse Rechnung zu tragen sein.
Ich schließe mich deshalb dem Antrag des Herrn Vorredners an, die beiden Anträge dem Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen und dem
Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen, von denen der erste federführend sein soll.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haasler.
Herr Präsident! Vorab eine Klarstellung: ich führe nicht den Doktor-Titel. Ich möchte nicht unter jene gezählt werden, die ihn sich nach 1945 angeeignet haben.
Meine Damen und Herren, in diesem Hohen Hause gibt es sicherlich niemanden, der nicht bereit wäre, jeden mit Berlin und Gesamtdeutschland zusammenhängenden Antrag sehr sorgfältig und wohlmeinend zu prüfen. Wir mußten aber aus der Begründung des Antrages den Eindruck gewinnen, daß es sich hier eigentlich nicht um Berlin handelt, sondern, wie der Herr Kollege von Merkatz sich ausdrückte, um „nationale Anliegen". Wir sind in bezug auf sogenannte nationale Anliegen etwas skeptisch, insbesondere wenn sie uns, wie geschehen, in einer Weise vorgetragen werden, die es vielen - mindestens aber mir - nicht ermöglicht, die volle Bedeutung dessen, was die Antragsteller meinen, zu erfassen.
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Es wurde gesagt, es sollten keine wirtschaftlichen Bestrebungen damit verknüpft werden - wirtschaftliche Bestrebungen, die sicherlich in Berlin und in der Zone sehr willkommen wären und die in unserer heutigen Situation ,auch geeignet sind, als fördernde Mittel angesprochen zu werden. Es sollten weiter damit keine außenpolitischen Konzeptionen geschaffen werden. Man hat sich sogar sehr intensiv bemüht, uns klarzumachen, daß die Anträge eigentlich auch keine außenpolitischen Folgen haben 'dürften. Darüber, lieber Herr Kollege von Merkatz, läßt sich sehr streiten, ob es in unserer Hand liegt, festzustellen, daß derartige Anträge zu einem beliebigen oder insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt außenpolitische Folgen nicht haben könnten. Es sollte sich, wie es in der Begründung hieß, um allgemeine staatspolitische Dinge handeln, um die „Dokumentation des Zusammengehörigkeitsgefühls" und anderes mehr. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich nicht auf jedes Ihrer Argumente eingehen kann und vielleicht auch nicht jedes behalten habe. Es war für mich als gebürtigem Ostpreußen, der geistig oft nur „langsam Trab" kann, etwas viel. Aber ich meine, wenn es sich hier um die Dokumentation des Zusammengehörigkeitsgefühls handeln sohlte, hätte man einen besseren, sichtbareren und auch einen würdigeren Weg finden müssen als den eines so speziellen und überdies noch umstrittenen Antrages.
Sie haben sich, lieber Herr Kollege von Merkatz, sehr entschieden gegen die Unterstellung gewandt, daß man mit Ihren Anträgen irgendeine parteipolitische Propaganda machen wollte. Sie haben sich weiter gegen die Unterstellung gewandt, daß es sich nur - und hier haben Sie das Wort Deklarationen in einem etwas anderen Sinne gebraucht - um leere Bekundungen, um leere Deklarationen handle. Wir wissen nun eigentlich nicht mehr recht, worum es sich wirklich handelt.
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Wir haben nämlich nach Ihren Ausführungen nicht
den Eindruck, daß Sie überhaupt wollen, daß der
Herr Minister Kaiser und daß der Herr Bundespräsident nach Berlin gehen. Es scheint Ihnen nur
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darauf anzukommen, uns eine staatsrechtliche, vielleicht richtige - ich sage: hoffentlich richtige - Theorie hier im Sinne eines Kollegs vorzutragen.
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Ich fürchte, lieber Herr Kollege von Merkatz, gerade im Interesse Berlins ist das nicht der richtige Weg.
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Wir erzeugen hier langsam so etwas wie eine Berlin-Müdigkeit,
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dadurch, daß man dieser so schwer kämpfenden
Stadt nicht ihre praktischen Alltagssorgen abnimmt,
sondern daß man sie mit Deklarationen füttert.
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Meine politischen Freunde sind gebrannte Kinder, wir denken nämlich dabei an die Lastenausgleichsmüdigkeit, die im deutschen Volk schon den Eindruck erweckte, als ob die Wirtschaft zusammenbräche, bevor ein einziger Ausgleichsberechtigter einen Pfennig hatte. Dieses Schicksal möchten wir Berlin ersparen.
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- Ich weiß, daß Berlin etwas bekommen hat, ({8})
aber nach unserer Meinung noch nicht genug.
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Wir sind trotzdem bereit, das in diesen Anträgen liegende politische und reale Anliegen in den Ausschüssen zu prüfen, und wir werden die vorliegenden Anträge fördern, wenn sich herausstellt, daß sie unserem ständigen Streben, der gesamtdeutschen Idee zu nützen, entsprechen. Wir werden aber auch nicht anstehen, uns solchen Maßnahmen zu widersetzen, die etwa nur jenen kritischen Behauptungen recht geben könnten, daß Worte billig und im Falle Berlin Sympathieerklärungen keine Mangelware mehr sind.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß doch einige Bemerkungen zu der Begründung der beiden Anträge machen, weil ich leider zu der Auffassung kommen mußte, daß diese Begründung dort abbrach, wo sie hätte interessant werden können.
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Nämlich dort, wo es sich darum handelte, herauszufinden, ob nun die betreffenden Regierungs- und Bundesstellen wirklich nach Berlin sollen oder ob darüber nur wieder einmal eine neue soundsovielte grundsätzliche Erklärung abgegeben werden soll. Ich bin nach dieser Begründung unsicher, was wir von der Sozialdemokratie mit diesen Selbstgesprächen zwischen Koalitionsparteien eigentlich anfangen sollen. Ich muß, entschuldigen Sie das, der Befürchtung Ausdruck geben, daß es sich eigentlich
gar nicht um Anträge zur Verlegung von Amtssitzen der darin bezeichneten Stellen handelt, sondern vielleicht um Anträge, die - das ist verständlich, aber das ist nun schwierig - sehr in Zusammenhang mit dem Berliner 5. Dezember stehen.
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Das aber sollten wir hier doch ein wenig wegzubekommen versuchen.
Herr von Merk a t z meinte, man solle nicht polemisieren. Es kann doch wohl niemanden geben, der im Ernst dagegen polemisiert, daß etwas in der Richtung nach Berlin geschieht. Aber wenn das dann mit der Bemerkung entwertet wird, man wolle nicht in die Organisationsgewalt der Regierung eingreifen - wozu sind uns denn dann diese Anträge und dazu noch mit diesem Eilbedürfnis vor den Parlamentsferien zur heutigen Beratung auf den Tisch gelegt worden?!
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Ich will einige kurze Erklärungen abgeben, die in meiner Fraktion besprochen worden sind. Wir waren der Meinung: wenn durch solche Anträge wie diese hier der Hauptstadt gegeben werden soll, was der Hauptstadt gebührt, dann kein Wort dagegen, dann natürlich dafür! Wer wollte denn dagegen sein? Wir haben uns besonders darüber gefreut - nach der Begründung muß ich das alles sehr einschränken -, daß dies nach der bedeutungsvollen Festsetzung der Wahl des Herrn Bundespräsidenten in Berlin sozusagen ein neuer Akt sei. Unsere Auffassung ist nämlich, um das ganz klar zu sagen: es soll soviel Bundesregierung wie möglich nach Berlin. Wir möchten, daß die Regierung - das ist eine Frage auch der Arbeitsverteilung der Regierung - sich konkret Gedanken darüber macht, w i e das geschehen kann, wenn keine politisch andere Auffassung darüber besteht, daß es richtig sei, soviel Bundesregierung wie möglich nach Berlin zu bringen. Aber - ich sage das, weil mich eine Bemerkung des einen Herrn Diskussionsredners dazu veranlaßt - wir möchten nicht einen Wettlauf in Symbolik. Das paßt nicht! Das paßt nicht in unsere politische Lage und paßt auch nicht zur politischen Lage Berlins.
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Wir haben die Verpflichtung, immer nachzudenken und alles zu tun und in die Tat umzusetzen, was zur weiteren Verflechtung Berlins mit dem Bund und zur ökonomischen Verankerung dieser Stadt, die in einer so schwierigen Lage ist, führen kann. Das ist nicht mit Gesten wettzumachen. Entschuldigen Sie, ich will dem Herrn Begründer dieser Anträge nicht unterstellen, daß er von Anfang an nur an Gesten und Deklarationen gedacht hat; aber dazu haben wohl eben die Gespräche in der Koalition geführt, daß heute nicht mehr herausgekommen ist als das, was wir nun vor uns haben.
Wenn es sich um den Antrag handelt, das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen nach Berlin zu verlegen, so hat ein solcher Antrag unseren vollen Beifall. Die Frage ist nur: Wie wird die Bundesregierung die Arbeit dieses Ministeriums mit ihrer übrigen Arbeit in Einklang bringen? Es kann sich doch nicht etwa darum handeln, daß der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen so eine Art Bundesvertreter oder Bundesbevollmächtigter oder Bundespropagandist in Berlin sein soll, sondern es müßte dann ja eine sinnvolle Verteilung und Neuaufteilung der ganzen Arbeit vorgenommen wer({4})
den. Es geht dabei auch um die Stellung dieses einsam in Berlin residierenden Ministers im Kabinett und zum Kabinett, und es geht um solche Fragen wie die seiner Stellung zum Bundesbevollmächtigten oder der Stellung des jetzigen Bundesbevollmächtigten zu den übrigen Stellen. Bitte, darüber muß man reden, und wir möchten gern, daß darüber sehr konkret geredet würde. Deswegen begrüßen wir es, daß man diese Anträge in den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen, in den Rechtsausschuß und, ich glaube, zur Mitberatung wohl auch noch in den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung überweist - denn dort gehören sie sicher hin -, damit man herausbekommt, was mit ihnen gemeint ist, auch wenn das vielleicht nicht ganz so schnell gehen kann.
Bezüglich der Stellung eines Antrages, der den Amtssitz des Bundespräsidenten betrifft, will ich mich nicht weiter äußern. Es gibt da sicher manche Zweifel, ob es richtig ist, in diesem Moment, kurz vor der Wahl des Bundespräsidenten, die erfreulicherweise in Berlin stattfindet, einen solchen Antrag so zu stellen. Aber auch das wird in den Ausschüssen behandelt werden können.
Wir unterstützen also den Antrag auf Überweisung, erweitern ihn nur noch dahin, daß mitberatend auch der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung tätig sein soll.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion stimmt der Ausschußüberweisung zu. Ich möchte nur Herrn Kollegen Wehner sagen, daß seine Vermutung, daß dieser Antrag durch Koalitionsbesprechungen unverständlich geworden sei,
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nicht zutrifft. Ich möchte im Gegenteil sagen, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn dieser Antrag in Koalitionsbesprechungen behandelt worden wäre - ohne Schärfe, möchte ich sagen -; dann hätten wenigstens die Koalitionspartner ihn verstanden.
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- Meine Damen und Herren, ich glaube, jeder von uns hat das Recht, zu sagen, in welcher Weise er Herrn von Merkatz falsch verstanden hat. Ich habe es so verstanden, daß der Sitz des Bundespräsidenten Berlin ist, und ich war etwas erstaunt, zu erfahren, daß nach seiner Argumentation im Grunde genommen auch der Herr Minister Kaiser schon längst in Berlin sitzt; ich glaube, das hat er bewiesen. Aber wir kommen natürlich mit diesen Dingen nicht weiter und sind wohl alle der Meinung, daß wir jetzt in den Ausschüssen versuchen müssen, festzustellen, was sich mit diesen Anträgen machen läßt. Wir sind selbstverständlich alle miteinander bereit, alles zu machen, was sich daraus machen läßt.
Ich erteile Herrn Abgeordneten von Merkatz das Wort. Ich darf wohl annehmen, daß es das Schlußwort ist.
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Dr. von Merkatz ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sache mit den Mißverständnissen hat oft zwei Seiten. Einmal gibt es echte Mißverständnisse, weil man's nicht verstehen kann; es gibt aber auch Mißverständnisse, weil man's nicht verstehen will.
({2}) - Sicherlich. Ich will nicht behaupten, daß meine Darlegung des deutschen Zusammenhaltes und seiner staatsrechtlichen Grundlagen vollendet gewesen sei. Das wäre ein unangebrachtes Selbstlob, aber ich bin doch sehr erstaunt, von Herrn Kollegen Haasler, der ungefähr aus den gleichen heimatlichen Gefilden kommt wie ich selber, zu hören, daß die Grundtendenz unseres Vorbringens, gerade in diesem Zeitpunkt die Gesamtheit des Reiches nicht nur symbolisch, sondern als eine reale juristische Existenz zu unterstreichen, mißverstanden wurde. Er hat darüber geredet, daß es besser wäre, Berlin wirtschaftliche und andere reale Hilfe zu bringen. Der Gegenstand meiner Anträge war nicht der Komplex der Berlin-Hilfe, sondern der Komplex der Grundlagen und Tatsachen, die den Zusammenhalt des Reiches noch bestimmen und die von uns zu verstärken sind und verstärkt werden können. Wenn man das mißverstehen will, tut's mir leid. Aber ich glaube, daß ich in dieser Hinsicht für jeden, der die Materie kennt, einigermaßen deutlich gesprochen habe. Ich weiß, es ist das gute Recht eines jeden, zu sagen: In diesem Zeitpunkt ist uns das zuwenig; das ist nur etwas Deklaratorisches! Gut, ich habe in meinen Ausführungen haltgemacht an den Kompetenzen der Organisationsgewalt der Exekutive. Aber ich stimme der Sozialdemokratie absolut zu: Soviel Bundesregierung nach Berlin als möglich!
Der Grundtatbestand ist doch, daß unsere Regierung durch fremde Gewalt gehindert ist, von der Reichshauptstadt aus überhaupt deutsche Staatsgewalt auszuüben. Es ist der Sinn des Antrags, die Frage, inwieweit diese Hinderung besteht, einer neuen Prüfung zu unterziehen. Darüber muß in den kompetenten Fachausschüssen beraten werden. Man wird dann sehen, inwieweit die deutsche Reichshauptstadt und die .Möglichkeit, deutsche Regierungsgewalt von dem zentralen Ort Berlin aus auszuüben, zu einem nur noch symbolischen Begriff geworden sind oder nicht und was wir dazu tun können, um einen solchen Zustand leerer Symbolik wieder mit Leben zu erfüllen. Das war die Absicht, und daß gerade Sie, Herr Haasler, mich da heruntermachen, das verstehe ich nicht.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe daher die Beratung der miteinander verbundenen Punkte 2 und 3 der heutigen Tagesordnung. Es liegt der Antrag vor, die beiden Anträge Drucksachen 584 und 586 an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen, federführend, sowie an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht und den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zur Mitberatung zu überweisen. Stimmt das Haus diesem Antrag zu? - Das ist der Fall; die Überweisung ist beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 4 der heutigen Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs einer Verwaltungsgerichtsordnung ({0}) sowie des Ent({1})
wurfs eines Gesetzes über die Beschränkung der Berufung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ({2}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Innenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde es so kurz machen, wie es nur irgend geht. Der Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung ist schon am 15. April 1953 beim ersten, Bundestag eingebracht worden. Ich rufe in Erinnerung, daß sie zurückgeht auf eine Anregung der Innenministerien der Länder vom 27. Oktober 1949.
Das Ziel des Gesetzentwurfs ist es, das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren bundeseinheitlich zu regeln. Eine solche Regelung ist dringend geboten. Bisher galten in Süddeutschland Landesgesetze und in Norddeutschland die Militärregierungsverordnung Nr. 165, die durch ein deutsches Gesetz abzulösen ist. Zudem ist durch das Bundesbeamtengesetz der Verwaltungsrechtsweg auch für die vermögensrechtlichen Klagen der Beamten eröffnet worden, wozu die bisherigen Verwaltungsgerichtsgesetze aber nicht ausreichen. Käme es jetzt nicht zu einer bundeseinheitlichen Verfahrensordnung, so würden mehrere Länder selber eine Reform ihrer Gesetze durchführen müssen. Damit wäre die Rechtszersplitterung weiter vergrößert.
Wie in jeder echten Prozeßordnung werden in dem Gesetzentwurf die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren behandelt. Es sind drei Rechtszüge vorgesehen, eine Tatsachen-, eine Berufungs- und eine Revisionsinstanz. Der gleichzeitig vorgelegte Gesetzentwurf über die Beschränkung der Berufung soll das Übermaß der Rechtsbehelfe bekämpfen.
Die Verwaltungsgerichtsordnung hat das Ziel, die seit 1946 neu entstandene Verwaltungsgerichtsbarkeit zu der Entfaltung und zu der inneren Festigung zu führen, deren sie als starke Stütze des Rechtsschutzes bedarf. Während in der Bundesrepublik der Staatsbürger einen vollständigen Rechtsschutz genießt und z. B. im Jahre 1953 in der ersten Instanz 80 000 Klagen - ich wiederhole die Zahl: 80 000 Klagen! - erhoben wurden, ist der Staatsbürger in der Sowjetzone jeder Willkür ohnmächtig ausgeliefert. Dort kann nämlich die Legislative durch einfachen Beschluß in jedes verwaltungsgerichtliche Verfahren eingreifen und die Fortsetzung des Verfahrens verbieten oder die Entscheidung an sich ziehen. Dieser Vergleich zwischen der Bundesrepublik und der sowjetischen Besatzungszone zeigt, in welchem Umfang der Rechtsstaat seinen Bürgern gestattet, behördliche Maßnahmen einer Rechtskontrolle durch unabhängige Gerichte zu unterwerfen. Es dürfte auch interessieren, daß im Durchschnitt 10 % der Verfahren erster Instanz mit einem obsiegenden Urteil des Staatsbürgers enden.
Allerdings könnte man hier die Frage stellen, ob die Verwaltungsgerichte die Rechtskontrolle in manchen Fällen nicht schon überspannt haben und in die Nachprüfung von Zweckmäßigkeitsfragen eingedrungen sind. Man darf daran zweifeln, ob es z. B. überhaupt Aufgabe der Verwaltungsgerichte ist, die Nichtversetzung eines Schülers von einer Klasse in die andere zu prüfen oder die Entscheidung einer Examenskommission zu würdigen. Sind hier nicht doch wohl ausschließlich die Aufsichtsbehörden zu einem etwaigen Einschreiten berufen? Ich möchte diese Frage hier wenigstens gestellt haben.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die große Bedeutung dieses Gesetzgebungswerks ist darin zu sehen, daß hier ein Verfahrensrecht festgelegt wird, das dem Bürger die absolute Garantie für eine rechtsstaatlich geführte Verwaltung gibt.
Meine Damen und Herren! Ich höre eben, daß in der ersten Beratung keine Grundsatzdebatte erfolgen soll. Ist das in Ordnung?
({0})
Es liegt vor der Antrag auf Überweisung der beiden Gesetzentwürfe an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - federführend - und den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zur Mitberatung.
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- Bitte, Herr Minister!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da ich noch mit einer Debatte rechnete, habe ich nicht zur Frage der Überweisung Stellung genommen. Ich möchte mich dafür aussprechen, daß der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung federführend wird, weil ich das aus manchen Gründen für richtiger erachte. Auf jeden Fall möchte ich diesen Wunsch dem Hohen Hause vorgetragen haben.
Darüber muß ich wohl abstimmen lassen. Der Herr Minister meint also: Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung.
({0})
- Er „meint" es bloß; es ist kein eigentlicher Antrag.
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- Sie stellen den Antrag, den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als federführend zu bestimmen. Dann muß ich über diesen Antrag abstimmen lassen, wobei ich unterstelle - damit wir nicht noch einmal abzustimmen brauchen -, daß im Falle der Annahme des letztgenannten Antrags gleichzeitig die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatenden Ausschuß beschlossen ist.
Wer dem Antrag zustimmen will, daß nicht der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, sondern der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung federführend sein soll, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, das Präsidium ist sich nicht einig.
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Bei der schlechten Besetzung des Hauses ist es auch schwer zu übersehen. Ich wiederhole also die Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind, daß der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung federführend sein soll, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich kann dann wohl unterstel({3})
len, daß das Haus so beschließt, wie vorher vorgeschlagen: federführend Rechtsausschuß und mitberatend Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung. - Das ist der Fall. Die Überweisung ist erfolgt.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Wettbewerbsbehinderungen durch Automobilfabriken ({4}).
Wer begründet? - Bitte, Herr Abgeordneter Dollinger!
Dr. Dollinger ({5}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens meiner Fraktion die Große Anfrage Drucksache 451 betreffend Wettbewerbsbehinderungen durch Automobilfabriken wie folgt zu begründen.
Die Automobilindustrie fertigt einen Teil der Ersatz- und Zubehörteile im eigenen Werk. Andere Ersatz- und Zubehörteile werden nur von selbständigen Unternehmungen der Kfz-Zulieferindustrie hergestellt, wobei die Entwicklungsarbeiten sowohl von der Automobilindustrie wie auch von der Ersatzteilindustrie getragen werden.
({6})
Ein Teil der Automobilindustrie belegt nun seine Zulieferanten mit Ausschließlichkeitsklauseln, die bezwecken, daß die Produktion allein an die bestellende Automobilfabrik abgegeben werden darf und nicht an Dritte.
Volkswagengroßhändler, -händler und -werkstätten werden vertraglich verpflichtet, nur vom Volkswagenwerk gelieferte Ersatzteile zu führen und einzubauen und nur Original-Volkswagenersatzteile zu verwenden und zu verkaufen. Als Grundlage dient der offizielle Original-Volkswagenersatzteilkatalog. Soweit es sich um Originalersatzteile und um Teile handelt, die für die Betriebssicherheit des Fahrzeuges erforderlich sind, ist gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden. Es muß jedoch festgestellt werden, daß z. B. im Volkswagen-Originalersatzteilkatalog auch auf genommen sind die Fußbodenmatte, die Armschlaufe, der Ölmeßstab, der Deckel zum Sicherheitskästchen, die Osram-Lampe, der Hella-Scheinwerfer, das Bosch-Horn, die Bosch-Zündkerze, also Teile, die von den Volkswagenwerken nicht produziert werden, von den Volkswagenwerken mit keiner Garantie versehen sind und wohl bis zu einem gewissen Grade auch nichts mit der Sicherheit des Fahrzeugs zu tun haben. Der Volkswagenhändlervertrag enthält unter Ziffer 9 „Ersatzteildienst" folgendes. Ich darf es aus dem Händlervertrag zitieren:
Der Vertragspartner ist dafür verantwortlich, daß im Rahmen seines Volkswagengeschäftes nur vom Volkswagenwerk gelieferte Ersatzteile verkauft und in seiner Werkstatt verwendet werden. Verstöße hiergegen berechtigen die Firma zu fristloser Auflösung des Vertrages.
Soweit die Originalfassung.
Gegen die zweifellos zu weite Fassung des Begriffs „Originalersatz- und -zubehörteile" kann von seiten der Händler und Werkstätten praktisch nichts unternommen werden. Die Folgen dieser
Handhabung sind eine gewisse Auslieferung der Teile-Industrie an die Automobilfabriken, die Aufhebung der Freizügigkeit der Händler und Werkstätten beim Einkauf von Teilen und die Ausschaltung des Großhandels mit Kraftfahrzeugersatz- und -zubehörteilen. Wenn auch von den zirka 14 000 Betrieben des Kraftfahrzeughandwerks nur rund 3000 Betriebe fabrikgebunden sind, so muß doch festgestellt werden, daß wohl ein Großteil der maßgebenden Werkstätten dieser Bindung unterliegt. Es ist darauf hinzuweisen, daß z. B. zirka 50 % aller Wagen mit einem Hubraum bis zu 1,5 1 Volkswagen sind.
Nachdem die beteiligten Kreise bereits im Jahre 1950 mit dem Bundeswirtschaftsministerium wegen der Verhältnisse verhandelt haben und der Herr Bundeswirtschaftsminister selbst mit Schreiben vom 19. September 1951 die Anregung gegeben hat, die Wettbewerbslage zwischen den Automobilherstellern und den Teilegroßhändlern auszugleichen, haben sich die Verhältnisse der Wettbewerbsbehinderung noch weiter verschärft. Da hier die Freiheit der Entscheidung und bis zu einem gewissen Grade auch die Existenz von Großhändlern und die Selbständigkeit von Händlern und Werkstätten bedroht ist, wird die Regierung um Auskunft gebeten, was sie gegen diese Praktiken zu tun gedenkt, die gegen das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft verstoßen und die in besonders krassem Umfang von dem staatseigenen Volkswagenwerk geübt werden, in dessen Aufsichtsrat sowohl das Bundesfinanzministerium wie auch das Bundeswirtschaftsministerium vertreten sind.
({7})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die in der Anfrage erwähnten Vorgänge waren Gegenstand einer Beschwerde des Verbandes der Kraftfahrzeugersatzteile- und -zubehörgroßhändler, mit der ich in den Jahren 1950 und 1951 mehrfach befaßt war. Es handelte sich dabei in erster Linie um die Ausschließlichkeitsvereinbarungen zwischen den einzelnen Automobilfabriken einerseits und den jeweiligen Vertragshändlern und Vertragswerkstätten der betreffenden Werke andererseits. Nach diesen Vereinbarungen sind die Vertragswerkstätten und Vertragshändler verpflichtet, alle sogenannten Originalersatzteile für Kraftfahrzeuge der betreffenden Marke ausschließlich von der Automobilfabrik zu beziehen. Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf solche Teile, die die Automobilfabrik nicht selbst herstellt, sondern von Zuliefererwerken herstellen läßt, sofern nur die Teile wenigstens einer Qualitätskontrolle in den Prüfungsabteilungen der Automobilfabrik unterzogen werden.
Der beschwerdeführende Verband der Teilegroßhändler forderte damals, die Automobilfabriken sollten ihren Vertragshändlern und Vertragswerkstätten die völlige Freizügigkeit hinsichtlich ihrer Einkaufsmöglichkeiten wiedergeben. Die Beschwerde war ausschließlich auf die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb sowie auf die alliierten Dekartellisierungsgesetze gestützt. Für Entscheidungen über Ansprüche auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wett
({0})
bewerb sind jedoch gemäß §§ 24 und 27 des genannten Gesetzes in Verbindung mit § 13 des Gerichtsverfassungsgesetzes ausschließlich die ordentlichen Gerichte zuständig, während Verwaltungsentscheidungen auf Grund der alliierten Dekartellisierungsgesetze, die bekanntlich bis zum Inkrafttreten des deutschen Kartellgesetzes fortgelten, lediglich von der Kartellabteilung der Alliierten Hohen Kommission getroffen werden können.
Unter diesen Umständen habe ich mich schon mangels eigener Zuständigkeit darauf beschränken müssen, die Sach- und Rechtslage in einem eingehenden Bericht vom 19. September 1951 darzustellen und den Automobilfabriken zu empfehlen, den Begriff des Originalersatzteils in vernünftiger Weise abzugrenzen, um nicht die gesamte Rechtsfigur der Ausschließlichkeitsklausel zu gefährden. Es wird dem Hohen Hause bekannt sein, daß derartige Auschließlichkeitsklauseln in vielen Verträgen des geschäftlichen Lebens enthalten sind und teilweise auch ihre Berechtigung haben.
Der von mir im 1. Bundestag vorgelegte und kürzlich erneut vom Bundesrat gebilligte Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen läßt daher derartige Ausschließlichkeitsklauseln an sich zu, gibt jedoch der Kartellbehörde die Befugnis, sie im Einzelfall aufzuheben, wenn die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit eines Vertragsbeteiligten oder, wie das hier behauptet wird, eines Dritten unbillig eingeschränkt wird. Solange diese Bestimmung nicht Gesetz geworden ist, hat keine deutsche Verwaltungsbehörde, auch nicht der Bundeswirtschaftsminister, die Möglichkeit, Empfehlungen, wie ich sie ausgesprochen habe, Nachdruck zu verleihen.
Der Verband der Kraftfahrzeugersatzteile- und -zubehörgroßhändler e. V. hat unter diesen Umständen im Frühjahr 1954 erstens beim Landgericht Düsseldorf eine Klage auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb gegen einen Düsseldorfer Volkswagengroßhändler eingereicht, zweitens bei der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft Strafanzeige gegen die Volkswagen GmbH. wegen Verstoßes gegen die alliierten Dekartellisierungsvorschriften erstattet. In beiden Fällen werden die gleichen Tatbestände vorgetragen, die bereits Gegenstand der von mir behandelten Beschwerde waren. Das angerufene Landgericht ist nach den geltenden Gesetzen in der Lage, über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit eine Entscheidung zu fällen. Nach den inzwischen ergangenen Vorschriften könnte auch das örtlich zuständige deutsche Gericht ein Strafverfahren gegen die Geschäftsführer des Volkswagenwerks GmbH. auf Grund der alliierten Dekartellisierungsgesetze durchführen, sofern die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Selbstverständlich sind sowohl Zivilwie Strafgerichte bei der Beurteilung der ihnen vorgetragenen Tatsachen unabhängig von Meinungsäußerungen der Verwaltungsbehörden; sie haben selbst das Recht zu finden. Indessen hat sich erwiesen, daß auch in den beiden erwähnten Verfahren versucht worden ist, Meinungsäußerungen der Verwaltungsbehörden zugunsten einer Partei in den gerichtlichen Verfahren zu verwerten. Unter diesen Umständen wird das Hohe Haus, wie ich hoffe, Verständnis dafür haben, daß ich mich während eines schwebenden gerichtlichen Verfahrens einer weiteren Stellungnahme zu den Vorgängen, die Gegenstand der Großen Anfrage sind, enthalte.
Was die von mir im Jahre 1951 ausgesprochene Empfehlung angeht, so werden die Gerichte auch insoweit zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen dafür im damaligen Zeitpunkt gegeben waren oder heute noch gegeben sind.
Die Große Anfrage ist beantwortet. Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Dr. Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen sind der Auffassung, daß eine Debatte nicht stattfinden soll, und haben mich gebeten, im Namen aller Fraktionen dieses Hauses einen interfraktionellen Antrag *) vorzulegen. Er lautet:
Interfraktioneller Antrag betreffend Überprüfung der Wettbewerbsmethoden der Firmen Volkswagenwerk GmbH., Adam Opel AG.
und Ford-Werke AG.
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, die Frage zu prüfen, ob die Form des Wettbewerbs dieser Unternehmungen mit den berechtigten Interessen der mittelständischen Wirtschaft und der Verbraucher zu vereinbaren ist.
Ich beantrage gleichzeitig im Namen der Fraktionen, diesen Antrag dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen.
Ich eröffne die Aussprache über diesen Antrag. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich lasse abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
betreffend Legion Condor ({0}).
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt ({1}).
Schmitt ({2}) ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat Ihnen einen Antrag vorgelegt, in dem die Bundesregierung ersucht wird, den Erlaß des Bundesministers des Innern und den Erlaß des Bundesministers für Arbeit betreffend die Anrechnung der Zeit einer Zugehörigkeit zur Legion Condor auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit und als Kriegsjahr nach dem Gesetz zu Art. 131 aufzuheben.
Zur Begründung dieses Antrags ist es notwendig, daß ich bis in die Zeit des Beginns des spanischen Bürgerkrieges im Juli 1936 zurückgehe. Die jüngeren und auch sonst viele Menschen in unserem Volke wissen heute nicht mehr, was sich damals in Spanien zugetragen hat. Wenn man in den Veröffentlichungen aus den Archiven des Auswärtigen Amts die damaligen Vorgänge nachliest, wird man feststellen, daß es sich hier um einen jener typischen Fälle handelt, in denen der Nationalsozialismus in völkerrechtswidriger Weise in die inneren Verhältnisse eines anderen Landes eingegriffen hat. Es war damals ein Kaufmann namens Johannes Bernhardt, der, wie es so oft geschieht, Geschäft und Politik verquickte und bei der Grün-
*) Umdruck 143.
({4})
dung von zwei Firmen beteiligt war, der Hisma und der Rowak, einer spanischen und einer deutschen Handelsgesellschaft, die die Aufgabe hatten, gegen Lieferung von Rohstoffen und gegen die Erteilung von Konzessionen an deutsche Firmen Kriegsmaterial von Deutschland zu beziehen. Dieser Kaufmann wurde im Auftrage General Francos nach Berlin geschickt. Es gelang ihm sehr schnell, über die Dienststellen der NSDAP - alle diese Vorgänge finden Sie in den Veröffentlichungen aus den Archiven des Auswärtigen Amts - Kontakt mit den Stellen der damaligen Reichsregierung zu finden. Tatsächlich lieferte auch die Reichsregierung sofort Flugzeuge, obwohl sie noch normale diplomatische Beziehungen zur spanischen Republik unterhielt. Und während noch die deutsche Gesandtschaft in Madrid amtierte, bombardierten bereits deutsche Junkersmaschinen die spanische Hauptstadt und ihr Regierungsviertel. All das geschah gegen eine Regierung, an deren Spitze damals ein konservativer spanischer Politiker stand. Das wird so oft vergessen, und allzu leicht sagt man, es habe sich vielleicht um ein Eingreifen gegen den Bolschewismus gehandelt.
Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren stets den Standpunkt vertreten, daß es sich hier um ein völkerrechtswidriges Eingreifen gehandelt hat. Ich darf dabei auf die Beratungen über das Bundesversorgungsgesetz hinweisen, wo die Bundesregierung diese Auffassung nachdrücklich vertreten hat. Ich habe hier einen Brief von einem der maßgebenden Herren aus dem Bundesministerium für Arbeit vom 13. September 1951, in dem diese Ansicht noch einmal bekräftigt wird. Auch der Herr Bundesinnenminister hat in der Vergangenheit den gleichen Standpunkt vertreten.
Vor einigen Tagen haben Sie in der Presse gelesen, daß sich ein Offizier an das Innenministerium gewandt und die Anrechnung seiner Dienstzeit in der Legion Condor beantragt hat. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich die Begründung der Ablehnung dieses Antrags vortragen. Das Innenministerium hat unter dem Aktenzeichen IV K 702/52 am 7. Januar 1953 mit Bezug auf die Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg geantwortet:
„Dem Antragsteller, der dem Nationalsozialismus angeblich kritisch und ablehnend gegenüberstand, machte es nichts aus, an diesem
völkerrechtswidrigen Unternehmen des Nationalsozialismus gegen ein neutrales Land teilzunehmen."
({5})
Diese Antwort hat das Innenministerium vor 18 Monaten erteilt. Der Referent ist, wenn ich recht unterrichtet bin, inzwischen Bundesverwaltungsrichter geworden. Die Person des Ministers hat inzwischen auch gewechselt. Offensichtlich hat sich auch die Auffassung des Bundesinnenministeriums in der Zwischenzeit gewandelt.
Selbst die nationalsozialistische Regierung hielt sich damals offiziell an den mit den anderen interessierten Mächten abgeschlossenen Nichteinmischungspakt. Ich habe hier die Abschrift eines Gesetzes zur Verhinderung der Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg vom 18. Februar 1937. Darin wird ausdrücklich allen deutschen Staatsangehörigen die Einreise nach Spanien und nach den spanischen Besitzungen einschließlich SpanischMarokkos verboten, das damals bereits vollständig in der Hand von General Franco war. Sie wissen ja, daß von Spanisch-Marokko aus und mit Hilfe der marokkanischen Truppen die „Befreiung" vorwärtsgetragen wurde. Dieses Gesetz ist übrigens - das wird Sie auch interessieren - erst am 4. Mai 1939, nach dem Einmarsch in Madrid, aufgehoben worden und zeigt, wie es der Nationalsozialismus verstanden hat, unter der Maske der Rechtlichkeit Gesetzesbestimmungen zu bringen, die in Wirklichkeit laufend in flagranter Weise verletzt worden sind.
Sie wissen alle, daß die deutsche Jugend dort ihr Blut vergießen mußte und daß niemand in Deutschland offiziell davon Kenntnis nehmen durfte. Auch ist Ihnen bekannt, meine Damen und Herren, daß damals die deutsche Presse nicht über die Teilnahme Deutscher an den Kriegshandlungen in Spanien schreiben durfte. Die Goebbels-Propaganda, die sonst stets vornedran war, wenn es um nationales Pathos ging, gab die Anweisung, darüber hinwegzugehen. Die Angehörigen Vermißter oder Gefallener der Legion Condor durften sogar keine Trauerkleidung tragen. Wer es womöglich wagte, im Hinblick auf die dem ganzen Volk bekannte Tatsache der deutschen Aggression davon zu sprechen, daß Deutsche in Spanien kämpften, der mußte ein Verfahren wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz gewärtigen. Ich kenne eine ganze Reihe von Menschen, die dadurch mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, indem sie einzig und allein deshalb vor den Richter gezerrt wurden, weil sie die Wahrheit sagten: daß Deutsche in Spanien auf seiten Francos kämpften. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß dieses Vergehen gegen das sogenannte Heimtückegesetz einfach damit begründet wurde, daß es hieß: Nach dem Gesetz vom 18. Februar 1937 ist deutschen Staatsangehörigen die Einreise nach Spanien verboten; ergo kann mit Unterstützung der deutschen Regierung niemand in Spanien kämpfen.
Nun, inzwischen hat Spanien ja eine bessere Presse bekommen. Und seit Franco in die Reihe der Verteidiger westlicher Freiheit eingerückt ist, hat sich ganz offensichtlich auch in Deutschland ein Meinungsumschwung über die damaligen, nunmehr schon historischen Vorgänge angebahnt.
({6})
- Sehr richtig, wenigstens bei gewissen Leuten, die wahrscheinlich mit Franco, Bao Dai und anderen zusammen die westliche Freiheit und Zivilisation verteidigen wollen.
Der Tendenz, diese Jahre doppelt anzurechnen, müssen wir aber entgegentreten. Der Minister des Innern beruft sich in seinen grundsätzlichen Ausführungen auf den § 181 Abs. 5 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes. Dieser Paragraph bestimmt, daß das Versorgungsrecht nach dem Stande vom 8. Mai 1945 - hierüber hat im Ausschuß für Beamtenrecht eine Aussprache stattgefunden - weitergelte. Dieser Rechtsauffassung kann unsere Fraktion nicht beitreten. Die doppelte Anrechnung der Kriegsdienstzeit beruht auf einer Verordnung vom 7. Juli 1939. Diese Verordnung ist ihrerseits auf Grund des Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetzes ergangen. Das Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz aber ist durch das Gesetz Nr. 34 aufgehoben worden. Zwar hat das Gesetz Nr. 16 vom 16. Dezember 1949 seinerseits das Gesetz Nr. 34 wieder aufgehoben, aber es bestimmt ausdrücklich, daß die Rechtsfolgen früherer Gesetze dadurch nicht wieder aufleben und daß es besonderer Vorschriften bedarf, wenn sie wieder
({7})
aufleben sollen. Für die beiden von uns beanstandeten Erlasse des Herrn Ministers des Innern und das Herrn Ministers für Arbeit ist jedenfalls keine Rechtsgrundlage vorhanden.
Ich will nicht untersuchen, was es mit dem Begriff der Freiwilligkeit in Spanien auf sich hat. Ich will auch gar nicht auf die Tätigkeit der einzelnen Mitglieder der Legion Condor eingehen. Wir alle in Deutschland wissen zur Genüge, was Freiwilligkeit im Dritten Reich bedeutet hat. Darüber besteht kein Zweifel.
({8})
- Herr Haasler, Sie werden gleich feststellen, daß Sie wahrscheinlich zu den gleichen Schlußfolgerungen wie ich kommen. - Aber die Teilnahme an diesem rechtswidrigen und völkerrechtswidrigen Unternehmen nun durch eine doppelte Anrechnung jener Jahre zu quittieren, das geht uns zu weit.
Meine Damen und Herren, wir zahlen ja viel zuwenig für die Opfer des Krieges. Wir haben Sorgen und Nöte genug. Wie oft muß von dieser Tribüne aus die deutsche Öffentlichkeit darauf hingewiesen werden, wie groß die Not der Opfer des Krieges ist und wie wenig wir zur Verfügung haben, um dieser Not zu steuern.
({9})
Ich darf Sie nur an die Diskussion über die Rentenerhöhungen erinnern. Wir haben noch vor vierzehn Tagen die Diskussion über die Änderung des Lastenausgleichsgesetzes geführt. Wir alle wissen, wie viele und wie brennende soziale Probleme wir haben. Dann können wir es nicht verstehen, daß hier eine Dienstzeit doppelt angerechnet werden soll.
Ich will auch gar nicht auf die Wiedergutmachung eingehen. Wir hätten allen Grund, auch hier einige Vergleiche anzustellen. Der Herr Bundesminister der Finanzen ist leider heute nicht hier. Er hat uns vor einiger Zeit die Auskunft darüber erteilt, warum sich die Verkündung der Verordnungen zur Durchführung des Bundesentschädigungsgesetzes so sehr verzögert hat. Die Antwort war wenig befriedigend, und die Zusatzfrage, die der Herr Kollege Greve in einer der letzten Fragestunden gestellt hat, hat gezeigt, daß sich das Bundesfinanzministerium offensichtlich in nicht genügender Weise um die Durchführung dieser Verordnungen gekümmert hat.
Ich will dabei nicht länger verweilen. Es kommt uns darauf an, daß die Dienstzeit in der Legion Condor nicht 'doppelt angerechnet, sondern normal wie jede andere behandelt wird. Ich glaube, das ist kein unberechtigtes Anliegen, sondern ein Anliegen, dem Sie alle zustimmen können.
Lassen Sie mich noch eines sagen. Bei dem Antrag auf Aufhebung dieser beiden Erlasse handeln wir auch nicht aus irgendwelchen Ressentiments.
({10})
- Nein, Herr Schneider, davon dürfen Sie überzeugt sein, wir haben keinerlei Ressentiments. Ich möchte im Gegenteil annehmen, daß diejenigen, die der Meinung sind, wir hätten Ressentiments, eher noch Ressentiments gegen die SPD oder gegen die Gewerkschaften haben als wir gegen die Angehörigen der Legion Condor. Wir wollen jedenfalls keine verspätete Solidaritätserklärung für das nationalsozialistische Regime und für sein Eingreifen im spanischen Bürgerkrieg.
({11})
- Dann ist es ja gut. Nur das ist 'unser Anliegen, und nur darum geht es.
Ich bitte das Haus, dem Antrag zuzustimmen, der Ihnen in der Drucksache 553 vorliegt, wonach die Bundesregierung ersucht wird, den Erlaß des Bundesministers des Innern vom 11. Februar 1954 und denjenigen des Bundesministers für Arbeit vom 5. März 1954 betreffend Anrechnung der Zeit der Zugehörigkeit zur Legion Condor auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit und als Kriegsjahr nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes aufzuheben.
({12})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier - um es gleich vorweg zu sagen - nicht um eine politische, sondern um eine Rechtsfrage, und ich werde das dem Hohen Hause erläutern.
Ich glaube, es wird nötig sein, zunächst den Tatbestand zu klären, der dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zugrunde liegt. Der Antrag richtet sich gegen das im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen ergangene Rundschreiben meines Hauses vom 11. Februar 1954 und den dieses Rundschreiben bekanntgebenden Erlaß des Bundesministers für Arbeit vom 5. März 1954. Von den Antragstellern wird anscheinend völlig übersehen, daß das Rundschreiben nicht etwa eine Regelung auf Grund freien Ermessens darstellt, die nach Belieben zurückgenommen werden könnte; es zieht vielmehr lediglich die Folgen aus den geltenden gesetzlichen Vorschriften.
Der Personenkreis, den das Rundschreiben betrifft, umfaßt ausschließlich Berufssoldaten. Sie blieben auch während der Zeit ihres Einsatzes bei der Legion Condor Angehörige der deutschen Wehrmacht ({0}) und haben als solche einen Rechtsanspruch auf Anrechnung dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit.
Daß zusätzlich Kriegsjahre zu berücksichtigen sind, beruht nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes auf § 83 des Deutschen Beamtengesetzes, jetzt auf § 181 Abs. 5 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes. Nach der zu § 83 des Deutschen Beamtengesetzes erlassenen Durchführungsverordnung hatte das Staatsoberhaupt zu bestimmen, „was als Krieg und Kriegsdienstzeit gilt, unter welchen Voraussetzungen bei Kriegen von längerer Dauer mehrere Kriegsjahre anzurechnen sind und ob Soldaten, die auf Befehl einem Kriege ausländischer Truppen beigewohnt haben, Kriegsjahre anzurechnen sind". Eine solche Bestimmung ist hinsichtlich des Dienstes in der Legion Condor während des Spanischen Bürgerkrieges in der Verordnung vom 7. Juli 1939 getroffen worden. An diesem Rechtszustand hat das Bundesbeamtengesetz nichts geändert; es sieht in § 181 Abs. 5 Nr. 1 ausdrücklich vor, daß sich die ruhegehaltfähige Dienstzeit um die nach bisherigem Recht anrechenbaren Kriegsjahre erhöht.
Damit, meine Damen und Herren, habe ich Ihnen bis auf drei Punkte, auf die ich gleich noch kommen werde, in kurzen Zügen die Rechtslage geschildert. Daß sie bezüglich der Anrechnung von Kriegsjahren so ist, beruht - ich möchte nicht unterlassen, dies hervorzuheben - auf einer Änderung, die der Bundestag am Regierungsentwurf des
({1})
Bundesbeamtengesetzes vorgenommen hat. Der Entwurf hatte allgemein die Beseitigung der Erhöhung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit durch „Kriegsjahre" vorgesehen. Demgegenüber vertraten damals alle Fraktionen im Beamtenrechtsausschuß des Bundestags die Auffassung, daß das bisherige Recht bestehenbleiben müsse. Das Plenum des Bundestags beschloß entsprechend.
Schon aus dieser nüchternen Rechtsbetrachtung folgt, daß der Vorwurf, mit dem Rundschreiben meines Hauses sei der Kriegseinsatz der Legion Condor in Spanien legitimiert worden, völlig unsachlich und unrichtig ist. Die Rechtsstellung der in der Legion Condor eingesetzten Berufssoldaten hängt nicht von der Legitimität dieses Hitlerschen Unternehmens ab. Es gilt insoweit nichts anderes als das, was hinsichtlich aller Soldaten gilt, die sich während des zweiten Weltkriegs im militärischen Einsatz befunden haben.
({2})
Übrigens ist es tatsächlich unzutreffend, daß diese Soldaten - das ist ja schon mehr oder weniger anerkannt worden - freiwillig zur Legion Condor gegangen seien. Die „Freiwilligkeit" war nur eine Tarnung, um den Schein aufrechtzuerhalten, daß sich Deutschland nicht am Kriege beteilige.
Hiernach kann eine Aufhebung oder Änderung des Rundschreibens, solange es bei der gegenwärtigen gesetzlichen Lage verbleibt, aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommen.
Noch ein abschließendes Wort zur Bedeutung der Angelegenheit. Die Zahl der betroffenen Personen dürfte keinesfalls groß sein, da lediglich Berufssoldaten in Frage kommen, die vor dem im Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes bestimmten Stichtag vom 8. Mai 1935 in den berufsmäßigen Wehrdienst eingetreten oder in ein dem berufsmäßigen Wehrdienst vorausgegangenes Beamtenverhältnis berufen worden sind. Die Anrechnung von Kriegsjahren bedeutet nicht etwa - wie fälschlich behauptet worden ist - eine Verdoppelung der Pension, sondern lediglich deren Erhöhung tun oder 2% je Kriegsjahr nach Maßgabe der Pensionsskala. Soweit ohnehin das Höchstruhegehalt erreicht ist oder eine von der Dienstzeit unabhängige Unfallversorgung gewährt wird, entfällt eine Erhöhung durch Anrechnung von Kriegsjahren. Ich glaube also, es fehlt auch schon aus diesem Grunde jeder Anlaß, die Versorgung der in der Legion Condor eingesetzten Berufssoldaten zu einer politischen Affäre zu stempeln und künstlich Ressentiments hervorzurufen. Gegenüber Hinweisen auf Reaktionen des Auslandes kann ich nur feststellen, daß mir solche nicht bekanntgeworden sind. Ein Artikel der „Times" vom 28. Mai 1954 nimmt rein sachlich unter der Überschrift „German Pensions Controversy" Stellung. Im übrigen hätten Reaktionen auch nur infolge der bedauerlichen Aufbauschung und entstellenden Behandlung der Angelegenheit eintreten können.
Ich darf mich jetzt drei Punkten zuwenden, die der Herr Kollege vorhin behandelt hat.
Ich beginne mit der Zuschrift in der „Frankfurter Rundschau" vom 22. Juni 1954. Der Verfasser dieser Zuschrift mit dem Titel „Innenministerium gegen Innenministerium" glaubt, einen Widerspruch zwischen dem Rundschreiben vom 11. Februar 1954 und einem aus dem Zusammenhang gerissenen Satz aus der Klagebeantwortung in
einem Wiedergutmachungsverfahren konstruieren zu können. Tatsächlich besteht ein solcher Widerspruch nicht. In dem Wiedergutmachungsverfahren hatte der Kläger zur Begründung des Umfanges seines Wiedergutmachungsanspruches geltend gemacht, daß er als einziger Batteriechef eines Lehrgangs nach Spanien abkommandiert und nach Beendigung des Krieges um einige Monate vorpatentiert worden sei. Darauf wurde entgegnet, eine solche Abkommandierung eines einzelnen Offiziers sei nur möglich gewesen, wenn er sich um sie beworben habe, und es bestünden daher Zweifel an der ablehnenden Haltung des Klägers gegenüber dem Nationalsozialismus. Es ist wohl klar, daß diese wiedergutmachungsrechtliche Würdigung nichts mit der allgemeinen versorgungsrechtlichen Behandlung der bei der Legion Condor eingesetzten Berufssoldaten zu tun hat.
Dann zu dem, was über das Wehrmachtfürsorgeund -versorgungsgesetz ausgeführt worden ist. Dazu ist zu sagen, daß mit der Aufhebung des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes die Rechtsgrundlage für die Anrechnung von Kriegsjahren nicht entfallen ist. Die insoweit für die Wehrmacht erlassenen Vorschriften waren nach § 83 des Deutschen Beamtengesetzes auch Bestandteil des Beamtenversorgungsrechts. § 83 bestimmte ausdrücklich, daß die Zeit eines Kriegsdienstes in der Wehrmacht auf die ruhegehaltfähige Dienstzeit der Beamten mit der gleichen Erhöhung anzurechnen sei wie bei Angehörigen der Wehrmacht. Diese Vorschrift ist durch das vorläufige Bundespersonalgesetz vom 17. Mai 1950 ohne jede Einschränkung in das Bundesbeamtenrecht übernommen worden. Damit galt die Verordnung vom 7. Juli 1939 über die Anrechnung von Kriegsjahren für den Einsatz in der Legion Condor auch für die Bundesbeamten und die entsprechend zu behandelnden Angehörigen des Personenkreises des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes. Die gleiche Rechtslage besteht nach dem Bundesbeamtengesetz; dieses bestimmt in § 181 Abs. 5 Nr. 1, daß sich die ruhegehaltfähige Dienstzeit um die „nach bisherigem Recht anrechenbaren Kriegsjahre" erhöht.
Schließlich zu der Frage, wie es sich mit dem Einsatz bei der Legion Condor in Beziehung zu der Verordnung über Verhinderung der Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg verhält. Dazu ist zu sagen, daß die Verordnung vom 18. Februar 1937 ergangen ist, nachdem der Einsatz der Legion Condor bereits begonnen hatte. Ferner bezog sie sich nur auf Einreisen von Einzelpersonen, nicht auf den Einsatz von Truppenteilen. Die den Angehörigen dieser Truppenteile erwachsenen Versorgungsrechte wurden durch die Verordnung nicht berührt.
Damit glaube ich dem Hause nachgewiesen zu haben, daß hier eine Rechtsfrage und nicht eine politische Frage zur Entscheidung steht. Ich für meinen Teil möchte abschließen, indem ich sage: ich halte es nicht für richtig, daß wir die politischen Fehlentscheidungen der Großen mit den Knochen der Kleinen bezahlen lassen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesinnenminister hat zuletzt darauf hingewiesen, daß wir
({0})
nicht wollen, daß die Fehlentscheidungen der Großen von den Kleinen getragen werden. Nun, ich glaube, daß es niemanden gibt, der diesen Wunsch nicht hat. Wenn es aber ein beredtes Beispiel dafür gibt, daß die Kleinen die Zeche bezahlen, dann ist es das deutsche Volk. Das haben wir nach dem ersten Weltkrieg erlebt, wo die breiten Massen des Volkes durch die Inflation die Zeche bezahlt haben. Das haben wir nach diesem Kriege erlebt, wo durch den Währungsausgleich und das sich anschließende „Wirtschaftswunder" der kleine Mann auf der Straße diese Zeche in sehr starkem Maße mit getragen hat.
Ich will auf diese Dinge nicht eingehen, sondern mich im wesentlichen auf die Rechtsfragen beschränken, um die es hier geht. Der Herr Minister hat darauf hingewiesen, daß die Abkommandierung nach Spanien mehr oder weniger freiwillig gewesen sei. Er bezweifelt in seinen Ausführungen, wenn ich ihn richtig verstanden habe, diese Freiwilligkeit. Auch ich habe sie in meinen Ausführungen bezweifelt. Um so mehr bin ich dann überrascht, Herr Minister, daß Sie in Ihrem Runderlaß vom 11. Februar 1954 ausdrücklich feststellen, daß es sich hier um Freiwillige handelt. Es heißt dort:
Die auf Grund freiwilliger Meldung zur Legion Condor übergetretenen Berufssoldaten
galten als dorthin versetzt und traten nach
Aufhebung der Versetzung, spätestens nach
allgemeiner Beendigung des Spanieneinsatzes,
wieder zu ihren Stammtruppenteilen, nur in
Ausnahmefällen in freie Planstellen anderer
Truppenteile zurück.
({1})
- So wie man das Ganze hier liest, Herr Minister, kann man doch andere Schlüsse daraus ziehen.
Ich darf nun weiter auf die Rechtsfragen eingehen. Sie haben hier ausgeführt, daß es nicht im freien Ermessen liege, den bestehenden Rechtszustand zu ändern, sondern daß es sich einfach um die Wiedergabe des bestehenden Rechts handle. Sie haben sich dabei auf § 83 des Deutschen Beamtengesetzes bezogen. Ich kann diese Auffassung auch nach den Rechtsausführungen des Herrn Ministers nicht teilen. Es steht einwandfrei fest, Herr Minister, daß das Wehrmachtversorgungsrecht nur ergänzend Bestandteil des Beamtenrechts geworden ist, soweit es sich um die Bestimmungen des Einsatzfürsorge- und Versorgungsgesetzes handelt. Dieses Gesetz mit seinen Durchführungsverordnungen ist aber aufgehoben worden. Mit der Aufhebung dieses Gesetzes und der dazu ergangenen Durchführungsverordnungen ist auch die Rechtswirkung dieses Gesetzes und der Verordnungen entfallen.
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- Herr Minister, darf ich dazu folgendes sagen. Die Wiedereinführung von Vorschriften früheren Rechts ist doch nur dadurch möglich, daß ausdrücklich eine neue Vorschrift ergeht, in der es heißt, daß die und die Vorschriften des früheren Rechts wieder in Kraft treten. Es ist doch rechtlich unmöglich, sich einfach durch eine allgemeine Vorschrift darauf zu berufen, daß es heißt, das bisherige Recht gelte weiter, und dann zu sagen, dadurch seien auch ganz bestimmte Gesetze und Verordnungen wieder in Kraft getreten. Das ist doch sonst auch nicht üblich, und ich kann mir nicht vorstellen, daß das plötzlich auf dem Gebiet des Beamtenrechts möglich sein sollte.
Es ist also nicht möglich, aus der Bestimmung des § 181 Abs. 5 Nr. 1, in der es heißt „nach bisherigem Recht", zu schließen, daß durch andere Gesetze aufgehobene Vorschriften damit wieder in Kraft sind, sondern es kann sich doch nur darum handeln, daß diejenigen Bestimmungen weitergelten, die nicht durch andere Bestimmungen ausdrücklich aufgehoben worden sind.
Soviel zur Rechtslage. Im übrigen freue ich mich, daß Sie nach wie vor die Auffassung vertreten, daß es sich bei dem Eingreifen der nationalsozialistischen Regierung um ein völkerrechtswidriges Handeln gehandelt hat.
Was Ihren setzten Hinweis auf das Ausland betrifft, Herr Minister, so können und dürfen wir uns bei der Diskussion um die Probleme, um die wir hier zu ringen haben, nicht davon leiten lassen, ob dieses oder jenes richtig ankommt. Wir haben in den letzten Tagen ein sehr beredtes politisches Beispiel dafür gehabt, daß ein Mitglied der Bundesregierung auch nicht nach den Reaktionen im Ausland gefragt hat und sich politisch geäußert hat.
({3})
Sie dürfen uns dann schon zugute halten, daß wir ebenfalls in einer Frage, in der wir der Meinung sind, daß vor der deutschen Öffentlichkeit gesagt werden muß, was ist, diese Auffassung in diesem Hohen Hause zum Ausdruck bringen.
Ich darf also nochmals bitten, die beiden Erlasse aufzuheben, weil einfach keine Rechtsgrundlage für sie vorhanden ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Hauffe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mich veranlaßt lediglich die letzte Äußerung des Herrn Bundesinnenministers, hier heraufzugehen, nämlich die Bemerkung, man solle die Sünden der Großen nicht mit den Knochen der Kleinen bezahlen, oder wie er sich ausgedrückt hat; außerdem eine zweite Tatsache, nämlich daß den Anstoß zu diesem Erlaß und damit zum Rundschreiben des Herrn Bundesinnenministers der Herr Bundesminister für Arbeit gegeben hat.
Mein Kollege Schmitt ({0}) hat schon anklingen lassen, wie wohl die Situation aussehen würde, wenn wir es unternähmen, hier einen Vergleich zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts zu ziehen. Nun gibt es aber eine gesetzliche Pflicht für die Bundesregierung, besonders für den Herrn Bundesarbeitsminister, der hier solche Eile hat. Auf Grund des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung hat der Bundesarbeitsminister laut § 64 die Pflicht, Ergänzungsvorschriften für die durch die nationalsozialistische Verfolgung benachteiligten Angehörigen der Invaliden- und Angestelltenversicherung zu erlassen. Diese Regelung ist bis heute noch nicht erfolgt, und die Angehörigen der Legion sind finanziell weitaus besser gestellt und gesichert.
({1})
Ich frage jetzt wegen des Vergleichs der Eile einerseits und der Schwäche der einzelnen Verfolgten andererseits den Herrn Bundesinnenminister, ob er bereit ist, wenn ich den Antrag stelle, daß nationalsozialistische Verfolgungszeiten genau so doppelt angerechnet werden wie die Tätigkeit in der Legion Condor, meinen diesbezüglichen Antrag zu unterstützen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleindinst.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Sie werden überzeugt sein, daß wir bezüglich der völkerrechtlichen Beurteilung des Eingreifens in Spanien einer Meinung sind, aber auch einer Meinung darüber, dab die Leute der Legion Condor tatsächlich kommandiert worden sind und es bei den Fragen keinen Widerspruch geben konnte.
Ich darf aber feststellen, daß die doppelte Anrechnung von Kriegsjahren nicht durch das Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz eingeführt worden ist. Das ist ganz altes Recht. Dieses Recht wurde z. B. am Beginn dieses Jahrhunderts angewendet bei den Angehörigen der Expedition in China zur Niederwerfung des bekannten Aufstandes, also im Jahre 1901, vor nun 53 Jahren, dann in den Kolonialkriegen in Afrika. Es war also wirklich altes Recht.
Für den zweiten Weltkrieg wurde es nicht weiter übernommen, und zwar deshalb, weil die Zivilbevölkerung im Kriege, nicht nur rein passiv, sondern mindestens in der Abwehr von Luftangriffen, in eine ähnliche Lage gekommen war wie die kämpfende Truppe.
Aber nun möchte ich eines besonders hervorheben. Wir wollten im Bundesbeamtengesetz die doppelte Anrechnung der Kriegsjahre - wie der Herr Minister bereits gesagt hat, nicht im Gehalt, sondern nur in bezug auf die Versorgungsdienstjahre - grundsätzlich abschaffen. Der Vorschlag, das nicht zu tun, ist nicht etwa aus den Koalitionsparteien, sondern ({0}) aus Ihren Reihen gekommen.
({1}) - Ich kann mich ganz genau erinnern, -
({2})
- Wollen wir doch hier keine Namen nennen, Herr Baur;
({3})
wir können es dann hernach besprechen. - Das wurde mit sozialen Gründen belegt; es wurde gesagt: Man kann doch den Kriegsteilnehmern, die bisher die doppelte Anrechnung haben, sie nun nicht wieder nehmen! Da wir aus dieser Sache keine Grundsatzentscheidung machen und da wir das Gesetz möglichst einstimmig durchbringen wollten, hat man sich auf die Formel geeinigt:
die nach bisherigem Recht
- also nicht nach dem Recht des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes, sondern nach dem weit zurückliegenden Recht anrechenbaren Kriegsjahre,
also darauf, diese Anrechnung beizubehalten, mit Ausnahme des zweiten Weltkriegs.
Infolgedessen ist der Erlaß des Bundesministeriums des Innern nicht konstitutiv. Wenn man etwas angreifen wollte, dann hätte man diesen Abs. 5 Nr. 1 des § 181 angreifen müssen. Aber es wäre der groteske Zustand eingetreten, daß er von denselben Herren angegriffen worden wäre, die vorgeschlagen haben, ihn einzuführen.
Bezüglich des Verbots der Ausreise nach Spanien brauche ich den Worten des Herrn Ministers nicht viel hinzuzufügen. Ich habe diese Gesetze noch einmal durchgesehen, als es sich um diese Frage handelte. Auch das ist nun interessant, festzustellen: Die Aktion erfolgte im Jahre 1936. Im Jahr 1937 wurde tatsächlich die nationalsozialistische Regierung durch die internationale Stellungnahme zu diesen Maßnahmen, .die bekanntlich nicht auf die nationalsozialistische Regierung beschränkt waren, gezwungen, dieses Gesetz zu erlassen. Man sieht, daß damals noch ein internationales Rechtsbewußtsein Einfluß auf unsere Gesetzgebung genommen hat. Aber das war nur die Verhinderung der Einzelausreise. Besonders charakteristisch ist ja in dieser Hinsicht, daß in demselben Gesetz auch Werbemaßnahmen verboten wurden. Die Legion Condor brauchte nicht auf dem Wege von Werbemaßnahmen nach Spanien geschickt zu werden; sie ist auf Grund eines Kommandos geschickt worden.
Infolgedessen ist das Ziel des Angriffs falsch; es handelt sich hier lediglich um eine Feststellung von Rechten. Man hätte, wenn man vorgehen will, die Nummer 1 des Abs. 5 von § 181 ändern müssen. Aber nun soll man, nachdem seit der Verordnung vom 7. Juli 1937 14 Jahre, seit 1939 beinahe 20 Jahre vergangen sind, wegen dieser wenigen Leute das Gesetz ändern. Ich sehe hier ein Mißverhältnis von Aufwand, Ziel und Zweck, und ich glaube nicht, daß sich im Bundestag eine Mehrheit für die Änderung des Gesetzes lediglich in bezug auf diese Leute finden wird.
Da es sich also nicht um einen konstitutiven Erlaß handelt und da der Antrag falsch gestellt worden ist glaube ich, daß eine Ausschußberatung auf gar keinen anderen Weg kommen wird als den hier dargelegten.
Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, den Antrag abzulehnen. Aber wenn Sie nun einen neuen Antrag bezüglich der vom Nationalsozialismus Verfolgten stellen wollen, dann wird dazu bei dem Rahmengesetz, das wir schaffen, Gelegenheit sein.
({4})
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort weiter erteile, drei Bekanntmachungen: Der Unterausschuß für Verkehrswesen tritt um 14 Uhr 30 im Sitzungszimmer 02 Süd zu einer Sitzung zusammen. Die Sitzung des Rechtsausschusses findet um 15 Uhr im Raum 206 Süd statt. Die Sitzung des Ausschusses für den Lastenausgleich, die für heute 30 Minuten nach Schluß des Plenums anberaumt war, fällt aus.
Das Wort hat der Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich mit ganz wenigen Bemerkungen begnügen. Ich stimme meinem Herrn Vorredner Dr. Kleindinst ganz darin zu, daß hier eine reine Rechtsfrage vorliegt und nichts anderes und daß es einer
({0})
Abänderung des Gesetzes bedürfte, um diesem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Ich bin auch der Meinung, daß diese Sache heute entscheidungsreif ist. Die Gerichte würden diese Frage nicht anders entschieden haben, als sie der Bearbeiter im Bundesministerium des Innern behandelt hat.
Da ich von einem der Herren Kollegen darauf angesprochen worden bin, ob ich bereit sei, mich dafür einzusetzen, daß gewisse Verfolgungstatbestände ähnlich gewürdigt werden, stehe ich nicht an zu erklären, daß ich durchaus bereit bin, mich dafür einzusetzen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir stimmen über den Antrag ab. Wer für den Antrag Drucksache 553 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Es ist sehr schwer, die Mehrheit festzustellen. Darf ich bitten, daß die Damen und Herren, die für den Antrag sind, sich erheben. - Gegenprobe! - Es bestehen Zweifel im amtierenden Präsidium. Wir müssen durch Hammelsprung entscheiden. Ich bitte, den Saal zu räumen.
({0})
Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. In Anbetracht der Länge der Tagesordnung bitte ich um Beschleunigung der Auszählung.
({1})
Ich bitte, die Türen zu schließen.
Die Auszählung ist beendet. Meine Damen und Herren, dies ist das Ergebnis der Auszählung: An der Abstimmung haben sich beteiligt 357 Mitglieder des Hauses. Mit Ja haben gestimmt 127, mit Nein 224, der Stimme enthalten haben sich 6. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Verträgen des Weltpostvereins vom 11. Juli 1952 ({2}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf Entgegennahme einer Begründung und auf Aussprache zu verzichten und den Entwurf zu überweisen an den Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten als mitberatenden Ausschuß. Sind Sie, meine Damen und Herren, einverstanden?
({3})
- Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Horlacher, Stücklen und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Herkunftsbezeichnung des Hopfens ({4});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({5}) ({6}).
({7})
Es liegt ein Schriftlicher Bericht *) vor. Ich frage
*) Siehe Anlage 4.
das Haus, ob es auf die Verlesung dieses Berichts verzichtet.
({8})
- Das ist der Fall.
Dann treten wir ein in die zweite Beratung. Ich rufe auf Art. 1, - Art. la, - Art. 2, - Einleitung und Überschrift. - Wer mit diesen Bestimmungen einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe auf Art. 1, - Art. la, - Art. 2, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen.
Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, der möge sich erheben. - Ich danke Ihnen. Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist Punkt 8 erledigt.
Ich rufe auf Punkt 9:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau ({9}).
({10})
Auch hier schlägt der Ältestenrat vor, auf Entgegennahme einer Begründung und auf Aussprache zu verzichten und die Vorlage an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen zu überweisen.. - Kein Widerspruch. Dann hat das Haus so beschlossen. Punkt 9 ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Treuhandverwaltung über das Vermögen der Deutschen Reichsbank ({11}).
Auch in diesem Fall schlägt der Ältestenrat vor, auf Entgegennahme einer Begründung und auf eine Aussprache zu verzichten und die Vorlage an den Ausschuß für Geld und Kredit zu überweisen. Das Haus ist einverstanden?
({12})
- Dann ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Es folgt Punkt 11 der Tagesordnung:
Erste, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verlängerung der Vereinbarung vom 14. Juli 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Fürsorge für Hilfsbedürftige ({13}).
Ich frage das Haus, ob es auf die Entgegennahme einer Begründung verzichtet. - Das ist der Fall.
Ich eröffne die erste Beratung. Allgemeine Aussprache. - Keine Wortmeldung. Die erste Beratung ist geschlossen.
Ich rufe auf zur
zweiten Beratung
Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Art. 4, - Einleitung
({14})
und Überschrift. - Wer zustimmen will, der gebe ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle die einstimmige Annahme fest. Die zweite Beratung ist abgeschlossen.
Ich rufe zur dritten Beratung auf. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. - Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Einzelabstimmung. Art. 1 bis 4, - Einleitung und Überschrift. - Wer dafür ist, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle die einstimmige Annahme fest. Da es sich um ein Gesetz über einen internationalen Vertrag handelt, entfällt die Schlußabstimmung.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Zweite Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung ({15}).
Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf Entgegennahme einer Begründung zu verzichten, auf eine Aussprache zu verzichten und die Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Ist das Haus einverstanden?
({16})
- Das ist der Fall. Damit ist die Vorlage überwiesen und Punkt 12 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Personenkreis der Anspruchsberechtigten, Bedürftigkeitsprüfung und zusätzliche Leistungen in der Arbeitslosenfürsorge ({17}).
Wer begründet den Antrag? - Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal.
Odenthal ({18}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mit der Drucksache 587 legt die Fraktion der SPD dem Hause den Entwurf eines Gesetzes über eine bundeseinheitliche Regelung der Arbeitslosenfürsorge vor. Es gibt wenige, die sich über die Begriffe, über das Wesen und die Art der einheitlichen Versicherung vollkommen klar sind. Es gibt ganz wenige, die genau wissen, was versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung ist, was Arbeitslosenfürsorge ist. Das sind die Begriffe, die amtlich mit Alu und Alfu bezeichnet werden. Nur derjenige, der in langfristiger Arbeitslosigkeit den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung, auf versicherungsmäßige Unterstützung verbraucht hat, dann ausgesteuert wurde und den Weg in die sogenannte Arbeitslosenfürsorge suchte, dort vielleicht nach engen Bestimmungen des einzelnen Landes abgewiesen wurde und den schweren Weg zur Wohlfahrt ging, um dann in die Mühle der Bedürftigkeitsprüfung zu geraten, weiß, welches Leid mit diesem Weg verbunden ist. Die anderen, die sich beruflich oder sonstwie mit diesen Fragen beschäftigen, wissen auch um dieses Leid. Sie wissen aber auch, daß dringend Abhilfe geboten ist und daß hier bald ein einheitliches Recht geschaffen werden muß. Also hier muß etwas geschehen.
Wir sind uns auch bewußt, daß dieser Neuregelung der Arbeitslosenfürsorge eine Novelle zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Voranzugehen hätte. Wir warten aber schon lange auf diese längst überfällige Neuordnung. Deshalb glauben wir, die einheitliche
Regelung der Arbeitslosenfürsorge schon jetzt unabhängig von dieser kommenden Novelle zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung fordern zu müssen. Das gilt um so mehr, als bereits seit Jahren der Bund der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung den Aufwand an Unterstützungen erstattet.
Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 16. Juli 1927 schuf für das damalige Reichsgebiet einheitliches Recht. Mit der Erschöpfung des Anspruchs auf versicherungsmäßige Unterstützung trat helfend die damalige Krisenfürsorge ein, die nach Umfang des Personenkreises und Höhe der Unterstützungen auf den allgemeinen Grundsätzen der öffentlichen Fürsorge aufbaute, deren Aufwand aber von den Ländern und Gemeinden getragen wurde. So war der Zustand bis zum Jahre 1945. Seit dem Zusammenbruch 1945 haben sich die beiden Unterstützungsarten in den verschiedenen Zonen und innerhalb der einzelnen Zonen in den Ländern ganz verschiedenartig entwickelt. Für die versicherungsmäßige Arbeitslosenunterstützung gab es 1945 kein einheitliches Recht mehr. Das Gesetz von 1927 wurde zwar als Anhalt genommen, um in den einzelnen Ländern durch Gesetze oder Rechtsverordnungen neues Recht zu schaffen. Aber hinsichtlich der Versicherungspflicht, der Versicherungsfreiheit, des Umfangs des Personenkreises der Pflichtigen usw. bestanden erhebliche Unterschiede. Einiges ist zwar inzwischen durch die Bundesgesetzgebung geändert worden, aber noch nicht alles. Wir warten deshalb darauf, daß die Novelle von der Bundesregierung vorgelegt wird, damit dieser Zustand endlich beseitigt wird.
Dahin gehört auch die Änderung des § 168, die wir in erster Lesung bereits behandelt haben. Diese Änderung ist nicht nur für Berlin wichtig, sondern sie kann morgen schon für die ganzen Grenzgebiete entlang der- Ostzone und auch für verschiedene Punkte an der Westgrenze Bedeutung haben.
Wir denken bei dieser Novelle, die kommen soll, nicht nur an den Personenkreis der Versicherungspflichtigen, der nach unserer Auffassung größer sein soll als früher, damit die guten Risiken ebenfalls erfaßt werden. Es soll nicht nur derjenige, der dauernd von der Not der Arbeitslosigkeit bedroht ist, Beiträge zahlen, sondern auch derjenige, der durch Dienstvertrag, durch gute Konjunktur und sonstige Verhältnisse weitestgehend gegen die Gefahr der Arbeitslosigkeit geschützt ist. Wir denken auch daran, daß die 1927 vielleicht richtigen Bestimmungen über Pflichtarbeit und Finanzierung von Notstandsarbeiten längst überholt sind und einer Neuregelung bedürfen. Wir denken vor allem daran, daß die Berufsberatung und Arbeitsvermittlung auf breiteste Grundlagen gestellt werden sollen, damit die Möglichkeiten der Arbeitsbeschaffung nicht nur auf dem öffentlichen Sektor, sondern auch in der privaten Wirtschaft in engste Verbindung mit Arbeitsvermittlung und Berufsberatung gebracht werden, damit die Arbeitsvermittlung und Berufsberatung nicht nur Papierarbeiten sind.
Schlimmer noch als in der Arbeitslosenversicherung sieht es heute in der Arbeitslosenfürsorge aus. Sie ist nach dem Kriege an die Stelle der früheren Krisenfürsorge getreten. Nach dem Zusammenbruch haben die Länder in den einzelnen Zonen die Fürsorge gesetzlich neu geregelt. Sie
({19})
sind dabei nicht immer von ihrer Finanzkraft aus-, aber mit der notwendigen, oft überbetonten Sparsamkeit vorgegangen. Sie haben sich manchmal auf die Finanzkraft anderer Länder verlassen, die durch den Finanzausgleich aushelfen. So entstand der Wirrwarr, der nach einer Neuordnung geradezu schreit. Früher wurden - und das scheint mir sehr wichtig zu sein - nur Arbeitnehmer, die aus der Arbeitslosenunterstützung ausgesteuert waren, in die Fürsorge aufgenommen. Bedingt durch die Umschichtungen in der Bevölkerung, durch den Zuzug von Heimatvertriebenen, durch die Wanderung aus der Selbständigkeit in die Unselbständigkeit erscheinen aber nach dem Kriege neue Schichten, die früher selbständig waren, als Arbeitssuchende erstmalig auf dem Arbeitsmarkt. Man kommt nicht daran vorbei, auch Angehörige dieser Schichten in die Arbeitslosenfürsorge aufzunehmen, selbst wenn sie die Voraussetzungen für die Erfüllung der Anwartschaft auf die Arbeitslosenversicherung nicht erfüllt und keine versicherungsmäßige Unterstützung bezogen haben. Einige Länder haben dieser Notwendigkeit Rechnung getragen; andere haben es nicht getan.
Auch die Anrechnungsbestimmungen sind sehr verschieden, so daß besonders dort, wo die Grenzen flüssig sind, bei den Betroffenen ein Unbehagen entsteht. Es kommt vor, daß in dem einen Land vom Einkommen unterhaltspflichtiger Angehöriger, die mit im Haushalt leben, sechs Mark angerechnet werden, in einem anderen Land neun Mark. Das vermindert die Unterstützung so sehr, daß in die Hände des Arbeitslosen nur ein Bruchteil dessen gelangt, was ihm an sich zustünde. Manche Länder haben Zusatzunterstützungen gewährt, andere wieder nicht. Einige haben die Unterstützung seitens der öffentlichen Fürsorge nur zum Anlaß genommen, sie auf die allgemeine Arbeitslosenfürsorge zu übertragen. Was die Arbeitslosenversicherung angeht, so liegen heute selbst in Süddeutschland die Fürsorgeunterstützungssätze vielfach höher als die Arbeitslosenunterstützungssätze, auf die der Arbeitnehmer mit der Leistung eines eigenen Beitrags einen Anspruch erworben hat. Das alles hat zu unerträglichen Zuständen geführt.
Dabei darf ich noch erwähnen, daß in manchen Ländern zur Unterstützung ein Mietzuschlag gewährt wird, wenn der Arbeitslose die Miete nicht selber tragen kann. Anderswo wird neben der Arbeitslosen- oder Arbeitslosenfürsorgeunterstützung eine Sonderbeihilfe gewährt, wenn ein Notstand vorliegt und der Unterstützte nicht auf die Hilfe des Wohlfahrtsamts verwiesen werden soll.
Soweit und solange die Länder diese Ausgaben selber bestimmten und trugen, war an eine einheitliche Regelung nicht zu denken. Da nun seit Jahren die Ausgaben der Arbeitslosenfürsorge nicht mehr von den Ländern, sondern vom Bund getragen werden, fordern wir eine Einheitlichkeit. Die Länder, die beim Erlaß der einschlägigen Bestimmungen sparsam sein zu müssen glaubten, müssen sich überlegen, ob sie damals richtig handelten. In einigen Ländern werden von den Fürsorgeverbänden Millionen an Arbeitslose in der öffentlichen Fürsorge gezahlt. Allein in Bayern werden auf diese Weise im Jahr 40 Millionen DM an Menschen gegeben, die arbeitsfähig und -willig sind
und nicht zum Wohlfahrtsamt, sondern zum Arbeitsamt gehören.
({20})
Diesen Umstand sollten wir bedenken.
Man könnte mir entgegenhalten, daß die Länder selber daran schuld seien; sie hätten großzügiger sein können, da sie zum Erlaß der Bestimmungen berechtigt gewesen seien. Dieses Argument sollte man aber nicht vorbringen, weil sich fast alles aus den Verhältnissen nach dem Zusammenbruch erklären läßt. Seitdem ist aber manches bundeseinheitlich geregelt worden oder es muß noch geschehen. Auch in diesem Fall, der uns jetzt beschäftigt, kommen wir an einer Neuregelung der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nicht vorbei. Ich weiß, daß sie unabhängig von der Neuregelung der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunterstützung schwierig ist. Unser Anliegen ist aber so dringend, daß auf diesem Gebiet die schnellste Regelung erfolgen muß.
Ich bitte deshalb darum, unseren Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Dabei darf ich die Erwartung aussprechen, daß die längst fällige Novelle zu dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung von der Bundesregierung dem Hause ohne Verzug zugeleitet wird, damit sie zusammen mit unserem Gesetzentwurf beraten werden kann.
({21})
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann mich dem letzten Antrag des Kollegen nur anschließen. Der Entwurf für eine Neuordnung des AVAVG ist bereits bei uns in Druck gegeben worden und geht noch im Laufe dieser Woche an die Bundesregierung, so daß Sie ihn ganz bestimmt in kürzester Zeit vorliegen haben. Ich habe gar keine Bedenken dagegen, daß dann bei der Beratung dieses neuen Gesetzeswerkes auch die Gedanken, die hier vorgetragen worden sind, mit erwogen werden.
Das Wort hat Frau Dr. Bleyler.
Das Anliegen, das hier angesprochen wird, ist auch das unsere. Auch wir sind der Überzeugung, es ist auf die Dauer unerträglich, daß es in den verschiedenen Ländern des deutschen Bundesgebietes völlig verschiedene Voraussetzungen für die Gewährung von Arbeitslosenfürsorgeunterstützung gibt. Sowohl die Voraussetzungen für die Gewährung der Fürsorgeunterstützung wie auch die Anrechnung von Arbeitseinkommen müßten gleichmäßig geregelt werden.
Wir waren aber der Überzeugung, daß diese Regelung an sich in der Novelle vorgenommen werden müsse, und haben darum auch keinen eigenen Antrag stellen wollen. Nachdem wir jetzt vom Herrn Minister gehört haben, daß die Novelle im Arbeitsministerium fertiggestellt ist und in den nächsten Tagen der Bundesregierung zugeht, werden wir hoffentlich auch diese Regelung hier gemeinsam vornehmen können. Die Fraktion schlägt ebenfalls Überweisung an den Ausschuß für Arbeit vor.
Weitere Wortmeldungen? - Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wir halten diese Lösung des einer Lösung wirklich bedürftigen Problems nicht für die richtige. Aber wir erwarten in der neuen Vorlage, die uns der Herr Minister angekündigt hat und die wohl schon kabinettreif sein soll, eine umfassende Lösung des gesamten Problems der Arbeitslosenversicherung. Gerade die Ausführungen des Kollegen Odenthal haben noch einmal bewiesen - das habe ich neulich bei der Beratung der Anfrage bezüglich der Sozialreform gesagt -, daß unsere Arbeitslosenversicherung in dieser Form gar nicht mehr haltbar ist, daß sie keine echte Versicherung darstellt. Sie haben die Forderung erhoben, daß auch Kreise mit hineingenommen werden sollen, die niemals von dem Versicherungsfall betroffen werden können. Wenn wir aber die Deckung der Beiträge auch aus diesen Kreisen fordern, dann ist es keine Versicherung mehr, dann müssen wir andere Formen wählen, um unsere Fürsorge für die Arbeitslosen durchzuführen. Ich hoffe, daß die Vorlage, die wir von dem Kabinett erhalten, das Problem in seiner ganzen Breite aufrollt und nicht nur das eine Teilproblem, das hier angeschnitten wird, behandelt.
Weitere Wortmeldunliegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, den Entwurf dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Punkt 14 ist auf Wunsch der Antragsteller zurückgestellt.
Ich rufe auf Punkt 15 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes ({0});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik ({1}) ({2}). ({3})
Anträge zu diesem Gesetzentwurf finden sich auf den Umdrucken 140 und 141.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Ruf zur Berichterstattung.
Ruf ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei hat mit Drucksache 57 schon im November vorigen Jahres den Antrag eingebracht, den § 16 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes bezüglich der Bestimmungen über die Arbeitgeberbeisitzer in den Sozialgerichten zu ändern. Dieser § 16 bestimmt u. a., daß in die Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung und für Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung als Vertreter der Arbeitgeber nur die Arbeitgeber selber oder, wenn der Arbeitgeber eine juristische Person ist, nur deren gesetzliche Vertreter zu Sozialrichtern berufen werden können, also z. B. bei Aktiengesellschaften nur die Vorstandsmitglieder, bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung nur die Gesellschafter.
Bei der Besetzung der Sozialgerichte haben sich durch diese etwas zu enge Abgrenzung des Arbeitgeberbegriffs im Sozialgerichtsgesetz insofern nicht
unbeachtliche Schwierigkeiten ergeben, als es nicht möglich war und nicht möglich ist, die angeforderte Zahl von geeigneten Arbeitgeberbeisitzern für Sozialgerichte zu benennen. E$ ist insbesondere nicht möglich, den § 13 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes zu erfüllen, der zwingend vorschreibt, bei der Berufung der Sozialrichter auf die hauptsächlichen Erwerbszweige Rücksicht zu nehmen. Wenn nun der Arbeitgeberbegriff nicht erweitert wird, so sind nach den Berichten von Sachverständigen besonders die Mittel- und Großbetriebe der Industrie nicht in der Lage, die auf sie entfallenden Sozialrichter zu stellen.
Der Ausschuß für Sozialpolitik schlägt daher dem Hohen Hause nach eingehender Beratung vor, den Abs. 2 des § 16 durch die in der Drucksache 570 aufgeführten Abs. 2 bis 4 zu ersetzen. Der neue Abs. 2 legt grundsätzlich den Kreis fest, aus dem Sozialrichter entnommen werden können. Der neue Abs. 3 entspricht wörtlich dem bisherigen Recht, ebenso Abs. 4 Zifferl. Abs. 4 Ziffer 2 entspricht der Formulierung des § 22 Abs. 2 Ziffer 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes und stellt gegenüber der bisherigen Formulierung lediglich klar, daß bei juristischen Personen, bei denen die gesetzliche Vertretung üblicherweise durch ein Organ, z. B. den Vorstand als Gesamtheit, wahrgenommen wird, die einzelnen Mitglieder des Organs Sozialrichter sein können. Neu in dieser Ziffer ist lediglich die Erwähnung der Personengesamtheit, die ja nicht juristische Person zu sein braucht. Die Ziffer 3 entspricht inhaltlich dem § 22 Abs. 2 Ziffer 2 des Arbeitsgerichtsgesetzes. Danach sollen auch im Sozialgericht in Zukunft die Dienststellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden Sozialrichter benennen können.
Besonders hervorzuheben ist die neue Ziffer 4 des Entwurfs, wonach in Zukunft als Sozialrichter aus Kreisen der Arbeitgeber auch leitende Angestellte berufen werden können, und zwar leitende Angestellte in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit, wenn ihnen Generalvollmacht oder Prokura erteilt ist oder wenn sie berechtigt sind, im Betrieb Arbeitnehmer selbständig einzustellen und zu entlassen. Die Auffassung einer Minderheit des Ausschusses, daß auch leitende Angestellte von Mittel- und Großbetrieben, die im Eigentum einer natürlichen Person stehen, zu Sozialrichtern berufen werden sollen, hat sich im Ausschuß nicht durchsetzen können.
Die in dem vom Ausschuß vorgelegten Entwurf vorgesehenen Einfügungen in den §§ 14 Abs. 2 und 46 Abs. 1 sind dadurch notwendig geworden, daß nach dem neuen § 16 Abs. 4 Ziffer 3 auch die Angehörigen des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeberbeisitzer herangezogen werden können.
Der Ausschuß für Sozialpolitik schlägt außerdem vor, dem § 73 Abs. 6 des Sozialgerichtsgesetzes eine Bestimmung über die Zulassung von Organisationsvertretern als Prozeßbevollmächtigte anzufügen. Diese Ergänzung soll lediglich die in der Praxis aufgetretenen Schwierigkeiten beseitigen und eine absolute Rechtsklarheit herbeiführen.
Schließlich schlägt Ihnen der Ausschuß für Sozialpolitik vor, in § 86 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes, der bekanntlich die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs zum Gegenstand hat, eine Änderung vorzunehmen. Durch die Einfügung der Worte „in der Sozialversicherung" soll vermieden werden, daß in der Kriegsopferversorgung und in
({5})
der Arbeitslosenversicherung bzw. Arbeitslosenfürsorge durch den Widerspruch eine aufschiebende Wirkung ausgelöst wird.
Ich habe den Auftrag, das Hohe Haus um Zustimmung zu der Gesetzesänderung in der vorgelegten Fassung zu bitten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ehe ich zur zweiten Beratung aufrufe, eine Mitteilung: Die für heute angesetzte Sitzung der Arbeitsgruppe III des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit fällt aus.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung: Art. I. - Hierzu sind zwei Änderungsanträge angemeldet, Umdruck 140 und Umdruck 141. Zunächst Umdruck 141 Ziffer 1 zu Art. I Nr. 2. Wird dieser Antrag besonders begründet? - Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion legt unter Umdruck 141 *) zwei Änderungsanträge vor. Zu dem unter Ziffer 1 aufgeführten Antrag bittet sie, das vorletzte Wort in der ersten Zeile, das Wort „auch", zu streichen. Es soll nicht heißen „können auch sein", sondern „können sein". Im übrigen ist diese kleine Änderung beantragt worden, um Übereinstimmung mit dem Selbstverwaltungsgesetz und ebenfalls mit dem Arbeitsgerichtsgesetz herzustellen. Ich glaube, die Zweckmäßigkeit einer derartigen Übereinstimmung braucht nicht näher begründet zu werden. Ich darf Sie deshalb namens meiner Fraktion bitten, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Soll ich auch den zweiten Antrag begründen, Herr Präsident?
Am besten begründen Sie den zweiten Antrag gleichzeitig.
Die zweite Ziffer ergibt sich im Anschluß an die Änderung, die der Ausschuß zu Ziffer 5 vorschlägt, wonach in § 86 Abs. 2, wie der Herr Berichterstatter vorhin dargetan hat, vor den Worten „eine laufende Leistung" die Worte „in der Sozialversicherung" eingefügt werden sollen. Die weiteren Erörterungen und Überlegungen, die in meiner Fraktion zu diesem Punkte angestellt worden sind, haben - auch nach Besprechungen mit dem Bundesarbeitsministerium - doch immerhin die Erkenntnis aufkommen lassen, daß, wenn es allein bei dieser Ergänzung in Abs. 2 verbliebe, sich vor allen Dingen im Bundesversorgungsgesetz, also bei den Leistungen an die Kriegsopfer, zumindest in Einzelfällen unbillige Härten ergeben könnten. Daher soll diese Bestimmung eine Ergänzung erfahren. Wir schlagen vor, dem § 86 einen neuen Abs. 3 anzufügen. Wenn Sie, meine Damen und Herren, den Text dieses Vorschlages lesen, wird sich eine eingehende Begründung dazu erübrigen. Wir sind der Meinung, daß man im Interesse der Kriegsopfer draußen auch solche eventuell eintretenden unbilligen Härten zumindest auf diese Weise mildern sollte.
Ich habe noch hinzuzufügen, daß wir dem Antrag, wie er unter Umdruck 140 von der Fraktion der SPD gestellt worden ist, unsere Zustimmung nicht geben können.
*) Siehe Anlage 2.
Wird der Antrag Umdruck 140 *) begründet? - Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über die Ausführungen des Herrn Kollegen Horn, der gesagt hat, es sei auch ihm und seinen Freunden klargeworden, daß die ursprünglich im Ausschußbericht vorgesehene Änderung zu unbilligen Härten führen würde. Ich bin aber darüber hinaus der Meinung, daß der Antrag der CDU auf Umdruck 141 erstens - sagen wir es grob - die Einrichtung einer neuen Verwaltungsstelle erfordert. Wir sind der Meinung, daß dies im Interesse der Sache nicht notwendig ist. Wir haben es doch hier mit dem sogenannten Vorverfahren zu tun. Bezüglich des Vorverfahrens heißt es in § 78 des Sozialgerichtsgesetzes, daß die Verwaltungsstelle nur nachzuprüfen hat. Wir meinen, daß es einer nachprüfenden Stelle nicht zusteht, irgendwelche Bezüge zu sperren, sei es auch nur für eine gewisse Zeit. Wir waren doch damals alle der Auffassung, daß es Zweck des Vorverfahrens sein soll, die Sozialgerichte zu entlasten, damit nicht gleich eine Überfülle von Verfahren zu den Sozialgerichten gelangt. Ich glaube nicht, daß es der Wille des Gesetzgebers war, die Rechte der Personen, die das Sozialgericht anrufen können, zu beschneiden. Schon gar nicht kann es die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, den Verwaltungsbehörden einseitig die Möglichkeit zu geben, die Verfahren nicht so durchzuführen, wie es im Interesse der Betroffenen notwendig ist.
Der Änderungsvorschlag unter Ziffer 5, im § 86 Abs. 2 zwischen dem Wort „oder" und den Worten „eine laufende Leistung" die Worte „in der Sozialversicherung" einzufügen, steht meines Erachtens im Widerspruch zum Gesetzgeber selbst und verträgt sich auch in keinem Falle mit § 97 des Sozialgerichtsgesetzes. Eine Annahme dieses Änderungsvorschlages würde nach der Meinung meiner Fraktion eine ungerechte Benachteiligung der Kriegsopfer und der Empfänger von Arbeitslosen- und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung bedeuten. Wir sehen zu einer solchen Gesetzesänderung keinen Grund. Wenn in den Ausschußberatungen darauf hingewiesen wurde, daß das jetzige Recht zu großen finanziellen Belastungen der Versorgungsbehörden führe, so kann hierzu nur festgestellt werden, daß die Behörde es in der Hand hat, unverzüglich über den Widerspruch zu entscheiden und damit den Weg zu den ordentlichen Sozialgerichten frei zu machen.
({0})
Es liegt also in der Hand der Versorgungsbehörden, finanzielle Belastungen von der Bundesversorgungsverwaltung fernzuhalten. Darüber hinaus sind wir der Überzeugung, daß durch eine solche Regelung die einigermaßen gut in Gang gekommene Arbeit der Sozialgerichte gestört würde und die Versorgungsberechtigten und Empfänger von Arbeitslosen- und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung wieder monatelang, wenn nicht in Einzelfällen jahrelang - wie es in der Vergangenheit der Fall war - auf die Erledigung ihrer Angelegenheiten warten müßten. Im übrigen besteht bei einer Überzahlung das Rückforderungsrecht der Versorgungsverwaltung und der Arbeitslosenversicherung. Man kann hier also von finanziellen Schäden im großen und ganzen gar nicht reden.
*)Siehe Anlage 1.
({1})
Im übrigen hält meine Fraktion für entscheidend: es ist nicht gut, in der gesamten Sozialgesetzgebung zweierlei Recht für die ungefähr gleichen Personenkreise zu schaffen. Ich bin der Meinung, man sollte den § 86 des Sozialgerichtsgesetzes so belassen, wie er ist.
({2})
Wenn man sich dazu nicht entschließen kann, sollte man zumindest unserem Umdruck zustimmen. Denken Sie daran, daß wir immerhin 4,5 Millionen Versorgungsberechtigte und eine Million Arbeitslosenunterstützungsempfänger haben! Es würde draußen schlecht ankommen, wenn man erfährt, daß in der deutschen Sozialgesetzgebung systematisch unterschiedliches Recht eingeführt wurde.
Ich bitte Sie also, unserem Umdruck 140 Ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Diese Gesetzesvorlage ist von meiner Fraktion im Dezember vergangenen Jahres eingereicht worden. Das Hohe Haus hat ein halbes Jahr gebraucht, um zur zweiten Lesung zu kommen in der Regelung einer Angelegenheit, die wirklich dringend war und deren Nichterledigung die Bildung von Sozialgerichten an bestimmten Stellen bisher verhindert hat. Aus unserem verhältnismäßig einfachen Antrag der Drucksache 57 - Sie sehen schon an der niedrigen Nummer die zeitliche Dauer der Bearbeitung - ist ein größerer Komplex von Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes geworden.
Wir stimmen den beiden hier vorgelegten Änderungsanträgen der CDU zu. Der Begründung, die der Abgeordnete Horn zu den Änderungsanträgen gegeben hat, habe ich zu meiner Beruhigung entnehmen können, daß auch seine Fraktion sich unseren Argumenten anschließt. Wir haben damals den Antrag gestellt, den Arbeitgeberbegriff dem Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung anzupassen. Wenn man diesen Standpunkt konsequent durchgeführt hätte, dann hätte man sich nicht in Abänderung unseres ursprünglichen Antrags bei der Formulierung des § 16 Absatz 4 Ziffer 2 bezüglich der Erweiterung des Arbeitgeberkreises auf die juristischen Personen beschränkt, sondern man hätte, und das ist nicht mehr als recht und billig, diesen Kreis auch auf die größeren Einzelunternehmen ausgedehnt. Es ist nicht einzusehen, warum eine große Einzelfirma anders behandelt werden soll als eine Aktiengesellschaft. Der Vertreter des Einzelunternehmers sollte dieselben Rechte erhalten wie etwa der Bergwerksdirektor der Aktiengesellschaft, in der er nicht bevollmächtigter Vertreter ist. Das war unser altes Anliegen. Die Tatsache, daß Herr Horn hier in seiner Begründung ausgeführt hat, wir könnten die Angleichung an das Gesetz über die Selbstverwaltung vornehmen, gibt mir Veranlassung, den Antrag zu stellen, nunmehr die alte Formulierung wiederherzustellen.
({0})
- Ja, Herr Schellenberg, Sie haben gehört, daß der Vertreter der größten Fraktion sich auch auf den Standpunkt gestellt hat, es sei nicht mehr als recht und billig, daß wir eine Angleichung des Arbeitgeberbegriffs an den Begriff in dem Gesetz
über die Selbstverwaltung vornehmen, und nur das soll mein Antrag bezwecken. Erst dann kommen wir zu einer wirklichen Lösung des Problems. Was wir bisher vorgenommen haben, ist nur eine Teillösung.
Können Sie mir den Antrag übergeben?
Weitere Wortmeldungen zu Art. I liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wir können aber nicht gut abstimmen, ehe wir nicht Ihren Antrag haben.
({0})
- Er hat einen Antrag zu stellen angekündigt, und er versichert, daß ich ihn schriftlich bekomme. Ich muß ihn schriftlich haben; das schreibt die Geschäftsordnung vor. Der Antrag lautet:
In Art. I Abs. 2 ({1}) erhält Satz 2 folgende Fassung:
2. deren gesetzliche Vertreter, Geschäftsführer oder bevollmächtigte Betriebsleiter;
Sie stellen diesen Antrag als Änderungsantrag zum Änderungsantrag Umdruck 141 Ziffer 1? ({2})
- Als selbständigen Antrag?
({3})
- Der Antrag geht am weitesten; wir stimmen zunächst über diesen Antrag ab. Ich lese noch einmal vor:
In Art. I Abs. 2 ({4}) erhält Satz 2 folgende Fassung:
2. deren gesetzliche Vertreter, Geschäftsführer oder bevollmächtigte Betriebsleiter;
Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr stimmen wir ab über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 141 Ziffer 1. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wir stimmen nun ab über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 140. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Letzteres ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen ab über den Antrag der CDU/CSU Umdruck 141 Ziffer 2. Wer dafür ist, den bitte ich die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf Art. II, - Art. III, - Einleitung und Überschrift. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, der gebe ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Widerspruch erhebt sich nicht. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Einzelberatung. Art I, - Art. II, - Art. III, - Einleitung und Überschrift. ({5})
Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein
Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, der möge sich von seinem Sitz erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist Punkt 15 erledigt.
Ich rufe auf Punkt 16:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ({6});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({7}) ({8}).
({9})
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Seidl ({10}).
Seidl ({11}) ({12}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat durch einen Beschluß vom Dezember 1948 eine Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes angenommen. Die Konvention ist am 12. Januar 1951 in Kraft getreten. Sie ist von 43 Staaten ratifiziert worden, oder sie sind ihr beigetreten. Die Bundesrepublik wurde auf Grund eines Beschlusses der Generalversammlung zum Beitritt aufgefordert.
Diese Konvention bedeutet einen weiteren Fortschritt in der Fortentwicklung des Völkerrechts, die sich insbesondere auf Grund der traurigen Ereignisse während und nach den letzten beiden Kriegen ergeben hat. Mit dieser Konvention verpflichten sich die Staaten, den Völkermord zu verhüten und zu bestrafen. Die Tatbestände des Völkermordes sind in Art. II der Konvention aufgeführt. Die Aburteilung soll nach dieser Konvention durch nationale Gerichte des Tatortes geschehen. Vorgesehen ist aber auch eine internationale Gerichtsbarkeit, die jedoch noch nicht in Gang gesetzt ist. Um auf alle Fälle eine Bestrafung sicherzustellen, sind diese Verbrechen nicht als politische Verbrechen zu betrachten; die Auslieferung ist daher möglich. Im übrigen darf ich wegen der Einzelheiten des Inhalts der Konvention auf diese selbst und auf die Denkschrift zur Konvention, die der Begründung in Drucksache 162 beigegeben ist, verweisen.
({13})
Der wesentliche Inhalt und vor allem der Fortschritt der Konvention liegen darin, daß sie im Frieden und im Krieg Anwendung finden soll und ihre Anwendung daher nicht von der Macht des Siegers abhängig ist. Insoweit unterscheidet sie sich wesentlich von der Rechtsprechung der Nürnberger Gerichte, die ja diese Verbrechen nur im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg bestraft wissen wollten. Das ist ein außerordentlicher Fortschritt, der nur zu begrüßen ist.
Über die Bedeutung der Konvention auch gerade für uns ist in der ersten Lesung in diesem Hause von allen Fraktionen gesprochen worden. Es ist die einmütige Auffassung des mitberatenden Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten und des federführenden Rechtsausschusses, dem Hohen
Hause den Beitritt Deutschlands zu dieser Konvention zu empfehlen, wozu gemäß Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes die Zustimmung des Bundestages erforderlich ist. Es liegt daher der Entwurf dieses Zustimmungsgesetzes vor. Im Zusammenhang mit diesem Zustimmungsgesetz war es erforderlich, gemäß der in Art. V der Konvention übernommenen Verpflichtung wirksame Strafbestimmungen in unser Strafgesetzbuch aufzunehmen.
Das Zustimmungsgesetz in der Fassung der Drucksache 526 weicht in einigen Punkten von der ursprünglichen Fassung des Zustimmungsgesetzes Drucksache 162 ab. Zum Teil ergeben sich diese Abweichungen daraus, daß die Übersetzung der Konvention nicht in allen Punkten genau zutreffend war. Ich darf hierzu bemerken, daß die Bundesregierung in der Zwischenzeit auf Anregung des Rechtsausschusses eine neue, überarbeitete Übersetzung vorgelegt hat. Diese neue Übersetzung liegt Ihnen vor. Ein Versehen ist meines Erachtens in dieser Übersetzung noch enthalten. Es heißt in Art. II der Konvention „körperliche Vernichtung", wo es „körperliche Zerstörung" heißen sollte.
Außer diesen Bedenken hinsichtlich der Übersetzung wurden in der Öffentlichkeit weitere Bedenken vorgebracht, insbesondere von dem Schöpfer der internationalen Konvention, Herrn Professor Lemkin in New York. Es darf von hier aus eindeutig festgestellt werden, daß weder in den Ausschüssen noch seitens der Bundesregierung je die Absicht bestand, der Nürnberger Rechtsprechung irgendwie Vorschub zu leisten. Der wesentliche Unterschied liegt, wie bereits ausgeführt, darin, daß diese Konvention auch im Frieden Anwendung finden soll. Es ist niemals davon die Rede gewesen, daß dieser Konvention von seiten der Bundesregierung oder von seiten der Ausschüsse eine derartige Auslegung gegeben werden sollte. Es darf aber hier wohl auch im Namen des ganzen Hohen Hauses Herrn Professor Lemkin für seine selbstlose Arbeit bei der Schaffung der Konvention in dem jetzigen Geiste und auch für die Anregungen, die er uns bei unserer Arbeit gegeben hat, Dank und Anerkennung ausgesprochen werden.
({14})
Ich werde nun im einzelnen auf die durch den Ausschuß vorgenommenen Änderungen und die Gründe hierfür eingehen. Im übrigen darf ich mich auf die Begründung zum Zustimmungsgesetz beziehen.
Der Ausschuß war darüber einig, daß es zweckmäßig ist, den Einbau der Strafbestimmungen durch Einfügung nur eines Paragraphen, nämlich des § 220 a StGB vorzunehmen und nicht etwa die in unserem Strafgesetzbuch bereits vorhandenen verstreuten Bestimmungen entsprechend abzuändern. Es herrschte Einigkeit darüber, daß man diese Tatbestände auch als Völkermord bezeichnen könne, obwohl dagegen sprachliche Bedenken vorgetragen wurden. Deshalb wurden am Ende des § 220 a Abs. 1 die Worte „wegen Völkermordes" und entsprechend in § 134 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes gemäß Art. III des Zustimmungsgesetzes das Wort „Völkermord" eingefügt.
Bei Abs. 1 des § 220 a StGB war im Ausschuß die Meinung geteilt, ob man die substantivische oder die adjektivische Fassung wählen sollte. Trotz der vielleicht größeren Klarheit und sprachlichen Einfachheit der substantivischen Fassung ({15})
also etwa „Glaube", „Abstammung" an Stelle von „religiös" und „rassisch" - war die Mehrheit für die adjektivische Fassung und damit für die möglichst wortgetreue Übernahme der dortigen Begriffe, insbesondere um eine Verschiedenheit im internationalen Recht und auch Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden. Lediglich das Wort „ethnical" wurde mit „durch Volkstum bestimmt" übersetzt, weil man der Ansicht war, daß das Strafgesetzbuch, in das diese Bestimmungen ja eingebaut werden sollen, auch für den einfachen Mann lesbar sein solle und der Begriff „ethnisch" doch noch nicht so in die Sprache eingedrungen sei, daß man ihn dem einfachen Manne vorsetzen könne.
Die Begriffe „ausrotten" und „Ausrottung", gegen die sich ja vor allen Dingen Bedenken geltend gemacht hatten, wurden mit Rücksicht darauf geändert, daß sie in der Terminologie der Nürnberger Gerichte eine gewisse Rolle gespielt haben und vor allem das Wort „zerstören" in Abs. 1 ein umfassenderer Ausdruck ist, der die Gruppe als einen soziologischen Begriff einschließen soll. Aus dem gleichen Grunde wurden auch die Worte „als solche", „comme tel", wieder eingefügt, deren Weglassung wohl nur auf einer nicht zutreffenden Übersetzung beruhte.
Gegen die Neufassung der Ziffer 2 des § 220 a Abs. 1 bestanden zunächst wegen der Systematik unseres Strafgesetzbuchs Bedenken, weil damit neben der bereits bestehenden schweren Körperverletzung des § 224 StGB ein neuer Tatbestand der schweren Körperverletzung geschaffen werde. Der Ausschuß glaubte aber auf die Fassung und vor allem auf die besondere Aufführung der schweren seelischen Schäden nicht verzichten zu können, das um so leichter, als für die Auslegung der Bundesgerichtshof in erster und letzter Instanz zuständig ist.
In Ziffer 3 des § 220 a Abs. 1 wurde entsprechend der Begründung die objektive Fassung des Tatbestands gewählt; deshalb die Worte „geeignet ...". Um die Worte „physical destruction" im englischen Text, die jetzt mit „Vernichtung" übersetzt sind, ist nochmals eine Diskussion entstanden. Ich möchte hierzu - weil ja wohl alle Damen und Herren des Hauses hierzu eine Zuschrift bekommen haben - einige Ausführungen machen. Die Worte sind nunmehr - dieser Umdruck liegt Ihnen inzwischen wohl vor - nochmals geändert worden, und zwar wiederum in „körperliche Zerstörung" an Stelle des Wortes „Vernichtung". Ich darf vielleicht der Einfachheit halber, um Wiederholungen zu vermeiden, diesen Antrag, den ich veranlaßt habe und der von sämtlichen Fraktionen unterschrieben ist, ausnahmsweise gleich als Berichterstatter mitbehandeln, weil er hier am besten in das System paßt.
Es fällt zunächst auf, daß im ersten Absatz des Art. II der Konvention das Wort „destroy" oder „détruire" im Französischen ohne jeden Zusatz gebraucht ist, während unter Buchstabe c bei „destruction" „physique" bzw. „physical" hinzugesetzt ist. Mit diesem Zusatz ist der etwas umfassendere Begriff in der Einleitung des Art. II eingeengt. Diese Zusätze sind nach den zugänglichen Berichten der UNO-Kommission aufgenommen worden, um deutlich zu machen, daß hier in der Konvention nur die biologische Zerstörung von Gruppen, also genocide, nicht aber die kulturelle Zerstörung erfaßt sein soll. Auch die kulturelle Zerstörung von Gruppen in die Konvention aufzunehmen, ist dort seinerzeit abgelehnt worden. Der Ausschuß glaubte
daher zunächst, „physical destruction" vor allem aus sprachlichen Gründen mit „Vernichtung" übersetzen zu können, insbesondere wenn man dazu noch die Erklärung abgäbe, daß damit die fremdsprachlichen Begriffe mit allen dazu erarbeiteten Auslegungen der internationalen Konventionen getroffen sein sollten. Um aber nun alle Bedenken derjenigen auszuräumen, die dann trotzdem noch in dem Wort „Vernichtung" eine Einengung erblicken zu müssen glaubten, an der uns auf keinen Fall gelegen sein kann, und um auch denen Rechnung zu tragen, die bei internationalen Abkommen eine möglichst weitgehende Anlehnung an die fremdsprachlichen Grundtexte wünschen, glaube ich, dem Hohen Hause trotz der sprachlichen Bedenken - sprachlich schön ist „körperliche Zerstörung", noch dazu im Zusammenhang mit einer und bezogen auf eine Gruppe, wirklich nicht - die Annahme in der Fassung des Umdrucks 142 empfehlen zu müssen.
Im übrigen wurden lediglich noch in Ziffer 5 des § 220 a Abs. 1 die Worte „durch Gewalt" in „gewaltsam" geändert, was eine sprachliche Verbesserung bedeutet.
Mit dieser neuen Fassung des § 220 a, wie sie nunmehr vorliegt, sind alle Bedenken, die gegen die ursprüngliche Fassung vorgetragen wurden, ausgeräumt. Geblieben ist lediglich die Übersetzung des Wortes „ethnisch" durch „durch ihr Volkstum bestimmt". Der so geschaffene § 220 a verhindert auf alle Fälle auch die geringste Möglichkeit, einer Auslegung sei es in Richtung auf die Terminologie oder auf die Rechtsprechung der Nürnberger Gerichte irgendwie Vorschub zu leisten.
Schließlich war es auch die Auffassung des Ausschusses, daß die nach deutschem Recht bestehenden Teilnahmeformen, wie sie in der Begründung aufgeführt sind, ausreichen und es nicht der Einführung des unserem Recht völlig fremden Begriffs der „conspiracy" bedarf.
Dagegen war bei der Beratung im Rechtsausschuß angeregt worden, in den Schutz des § 220 a StGB auch Gruppen aufzunehmen, die durch ihre gemeinsame politische Überzeugung bestimmt sind. Dieser Anregung wurde im Ausschuß grundsätzlich zugestimmt. Aus rechtssystematischen und vor allem völkerrechtlichen Gründen - es wurde betont, Völkermord, genocide, sei im internationalen Recht schon ein feststehender Begriff geworden und man entferne sich sonst etwas zu weit davon - hielt der Ausschuß eine analoge Regelung im Strafgesetzbuch jedoch für angemessener. Aus diesem Grunde wurde die Ihnen vorliegende Entschließung ausgearbeitet. Ich glaube nicht, daß man in dieser Entschließung irgendwie eine Veränderung der Konvention oder ein Abweichen von ihrer international angenommenen Fassung erblicken kann. Denn es kann und muß uns selbstverständlich vorbehalten bleiben, bei der künftigen Änderung des Strafgesetzbuches auch eine analoge Regelung für den Geltungsbereich unseres Strafgesetzbuches - selbstverständlich nur in diesem Sinne - zu treffen.
Namens des Ausschusses darf ich Sie daher bitten, dieser Entschließung Ihre Zustimmung zu geben, und Ihnen nochmals den Beitritt zur Konvention und die Annahme des Zustimmungsgesetzes empfehlen.
({16})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten nun in die zweite Lesung ein. Ich rufe in der Einzelberatung Art. I des Gesetzes auf. - Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Einzelberatung.
Wer dem Art. I des Gesetzes zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe Art. II auf. Zu diesem Artikel liegt auf Umdruck 142 ein Änderungsantrag vor. Soll die Begründung durch den Herrn Berichterstatter genügen? - Das ist der Fall. Wer diesem Antrag auf Umdruck 142 zuzustimmen wünscht, daß das Wort „Vernichtung" in § 220 a Abs. 1 Ziffer 3 durch die Worte „körperliche Zerstörung" ersetzt wird, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Wer dem nunmehr so geänderten Art. II zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf in der Einzelberatung Art. III, - Art. IV, - Art. V, - Art. VI, - Art. VII, - Einleitung und Überschrift. - Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Einzelberatung.
Wer den aufgerufenen Artikeln, Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung dieses Gesetzes beendet. Ich rufe zur
dritten Beratung
auf und eröffne die allgemeine Aussprache. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Altmaier zur Abgabe einer Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion, die dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmt, habe ich die Ehre, zu erklären:
Der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 9. Dezember 1948 einstimmig angenommenen Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords beizutreten, kann und darf uns Deutschen nicht allein eine gesetzgeberische Maßnahme sein. Dieser internationalen Vereinbarung sich anzuschließen, muß uns allen nicht nur ein Akt des Verstandes, sondern euch ein Anliegen des Herzens sein. Wir haben erfahren müssen, daß die Fortschritte des menschlichen Geistes, insbesondere die technischen Eroberungen, die das naturwissenschaftliche Denken zunächst mit solchem Stolz erfüllten, zu unserem Leidwesen auch Fortschritte zu Gefahren sind. Den Großtaten menschlicher Erfindungsgabe haben sich Untaten beigesellt, Verbrechen, die auszudenken einst nicht möglich erschien. Eine Blutspur zieht sich durch unsere neuere und neueste Geschichte seit jenem Massaker, durch die im Vorderen Orient die Armenier als Volksgruppe niedergemetzelt wurden. Damals waren es Deutsche, deren wir in dieser Stunde dankbar und ehrerbietig gedenken, weil sie die Aufmerksamkeit der gesitteten Welt auf jene unheilvollen Vorgänge lenkten. Ich nenne Johannes Lepsius, ich nenne meinen in der Emigration verstorbenen Freund Hellmuth von Gerlach und den aus Deutschland vertriebenen Dichter Franz Werfel, der die grausige Ausrottung der Armenier in seinem Buch über die 40 Tage des Musa Dagh als Mahnung dichterisch gestaltete.
Was wir zu beklagen haben, das ist, daß uns dieses Wirken eines Johannes Lepsius, eines Hellmut
von Gerlach, eines Franz Werfel und anderer Deutscher leider doch nicht davor bewahren konnte, daß Menschen aus unserem Volke zu Frevlern und Menschen aus unserem Volke zu Opfern inmitten von Geschehnissen wurden, die als Völkermord in die Geschichte eingegangen sind. Unter Mißbrauch des deutschen Namens sind um ihrer Abstammung, ihrer Nationalität und um ihres religiösen Bekenntnisses willen nicht nur Volksgruppen, sondern eine immer noch unvorstellbare Zahl von Menschen ermordet worden. Unrecht hat weiteres Unrecht erzeugt. Die Austreibung der Deutschen aus ihrer eigenen, in mehr als tausendjähriger Kultur durch Werke des Friedens ausgestalteten und unverlierbar gebliebenen Heimat war ein Völkermord. Wir schließen uns deshalb mit allen Menschen und Völkern zu dieser Konvention zusammen, denen, wie Fichte es ausdrückte, „die Freiheit und Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt", das Leben erst lebenswert macht und die Menschwerdung des Menschen vollendet. In dieser Stunde legen wir das Gelöbnis ab, mit allen Kräften der Wiederkehr solchen Unheils zu widerstehen und unseren Beitrag zu leisten, daß eine für jedermann verbindliche und allgemeine Regel des Völkerrechts solche Untaten von vornherein und für alle Zukunft als Unrecht brandmarkt und mit den schwersten Strafen bedroht, die ein Gericht zu verhängen in der Lage ist. Für uns versteht es sich von selbst, daß die sittlichen und rechtlichen Grundsätze dieser Konvention allgemeingültig sein müssen. Sie können keine Bestätigung einseitiger Maßnahmen sein, die aus der Stimmung des Tages heraus ein Prinzip zum Gesetz erhoben hatten, daß die Gewalt die Gewalt erschlagen müsse und das Unrecht die Ungerechten.
Meine Fraktion hätte es vorgezogen, die strafrechtlichen Bestimmungen der Konvention der Form des Regierungsentwurfs anzupassen. Es kann sich nicht um nationale oder um rassische Gruppen handeln, sondern um Gruppen, die durch ihre Nationalität, ihre Abstammung, ihren Glauben oder ihr Volkstum bestimmt sind. Weil wir jedoch in der Sache einig sind, soll uns die Wahl der Worte nicht entzweien.
Was klarzustellen bleibt, ist die Tatsache, daß es in Deutschland kein Rassenproblem gegeben hat und nicht geben kann. Die Verschiedenheiten der Abstammung in unserem Volke sind keine Frage der Rasse; dieser von den nationalsozialistischen Machthabern mißbrauchte Begriff hat für das deutsche Volk weder Gestalt noch Sinn.
Wir halten es für notwendig, daß in unserem inneren Recht der Schutz dieser Gesetzgebung auch auf Volksgruppen ausgedehnt wird, die durch eine gemeinsame politische Überzeugung miteinander verbunden sind. Verfolgungen, denen freiheitlich und demokratisch gesinnte Menschen gegenwärtig und für eine noch nicht absehbare Zeit mitten in unserem Lande - wenn auch außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes - ausgesetzt sind, verpflichten uns, den Schutz der durch politische Überzeugung verbundenen Menschengruppen unverbrüchlich zu gewährleisten.
Niemand aber sollte denken, unser geschichtlicher Auftrag könne lediglich durch ein Werk der Gesetzgebung oder durch Strafandrohungen erfüllt werden. Muß erst ein Urteil auf Grund von Strafbestimmungen gesprochen werden, so wird es in aller Regel zu spät sein. Ihren vollen Sinn kann deshalb diese Konvention erst dann erreichen,
({0})
wenn sie die Gewissen weckt und wir unserer Verpflichtung rechtzeitig gerecht werden, durch unser Gesamtverhalten vorzubeugen; wenn wir also in all unserem Tun und Lassen einander so begegnen, daß wir bereits die Keime einer Giftsaat vermeiden.
Noch haben wir nicht den Ungeist überwunden, der zu den Völkermorden führte, die unter Mißbrauch des deutschen Namens durch Deutsche oder unter ähnlichem Mißbrauch anderer Namen an Deutschen begangen wurden. In unerträglicher Weise werden in der deutschen Öffentlichkeit heute bereits wieder Stimmen laut, aus denen der Haß spricht oder die Verachtung des Mitmenschen, der um seiner Abstammung willen oder aus anderen Gründen nicht als gleichberechtigt anerkannt werden soll.
Wirksam wird der Buchstabe des Gesetzes, das wir heute als Konvention feierlich verbriefen wollen, nur dann, wenn unsere gesamte Öffentlichkeit sich in dem Bestreben einigt, hier gemeinsam eine Erziehungsarbeit zu leisten. Der Geist in allen Schulen muß Geist vom Geiste dieser Konvention sein. Nicht Gesetze allein schützen uns vor dem Sturz. Not tut das tägliche Beispiel, und not tut besonders im politischen Raum die politische Gesinnung. Nur eine Haltung, die gerade im Andersdenkenden den Mitmenschen erkennt, anerkennt, gelten läßt und ehrt, schafft im Grunde jenes geistige Klima, um das es hier geht. Fehlgriffe im Wort tragen bereits Gefahren in sich. Bevor einer den andern bezichtigt, er habe sich durch seine Meinung versündigt, sollte er sich prüfen, zu welchem Ende solches Verdammen führen kann. Allein eine Freiheit des Geistes, bei der sich die eigene Freiheit in der Freiheit des anderen bewährt, in der das Recht, nein zu sagen, das Vorrecht der Freien ist, sichert den menschlichen Raum, den unablässig zu bereiten und zu bewahren unser aller sittliche Pflicht sein muß.
In diesem Sinne hoffen wir, daß diese Konvention dem deutschen Volk und allen Völkern der Erde zum Segen gereicht.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung. Da Änderungsanträge nicht vorliegen, entfällt die Einzelberatung. Ich komme deshalb zur Schlußabstimmung. Wer dem Entwurf eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes in der soeben in der zweiten Beratung verabschiedeten Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich vom Sitz zu erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Meine Damen und Herren, der Ausschuß schlägt unter Ziffer 2 seines Mündlichen Berichts auf Drucksache 526 eine Entschließung vor. Ich brauche sie Ihnen wohl nicht vorzulesen. Sie liegt Ihnen allen gedruckt vor. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer der vom Ausschuß vorgeschlagenen Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit ist Punkt 16 der Tagesordnung erledigt. Ich rufe Punkt 17 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung ({0});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({1}) ({2}).
({3})
Ich erteile dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Fürst von Bismarck, das Wort.
Fürst von Bismarck ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt der Entwurf eines Gesetzes betreffend das Abkommen vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung vor. Der Auswärtige Ausschuß hat sich in einer seiner letzten Sitzungen mit dem Gesetzentwurf befaßt und ihm ohne Aussprache einstimmig zugestimmt.
Ich darf ergänzend bemerken, daß am vergangenen Dienstag die französische Nationalversammlung mit großer Mehrheit dem Ratifikationsgesetz zugestimmt hat, so daß mit der deutschen Ratifikation nunmehr die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Realisierung der vorgesehenen Pläne erfüllt sind. Der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf zugestimmt. Ich darf das Hohe Haus bitten, ebenfalls seine Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf: Art. I, - Art. II, - Art. III, - Art. IV, - Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die zweite' Beratung. Wer den aufgerufenen Artikeln, der Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Ich rufe auf Art. I, - Art. II, - Art. III, - Art. IV, - Einleitung und Überschrift. - Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Die Schlußabstimmung entfällt, da es sich um ein Gesetz gemäß § 88 Satz 4 der Geschäftsordnung handelt. Damit ist auch dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 18 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Besatzungsfolgen ({0}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Entschädigung der Fischer im Luftwaffenübungsgebiet Großer Knechtsand ({1}).
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, Abgeordneten Dr. Zimmermann.
Dr. Zimmermann ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Sie werden mir nicht böse sein, wenn ich auf einen
({3})
längeren mündlichen Bericht verzichte und das, was zu sagen ist, schriftlich zu Protokoll gebe.*)
({4})
Ich empfehle Ihnen, entsprechend dem Antrage des Ausschusses auf Drucksache 527 einen Beschluß zu fassen, zumal der Fragenkomplex in Kürze doch noch einmal auf uns zukommt.
({5})
Vizepräsident' Dr. Schneider: Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir treten in die Aussprache ein. Wird das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion ist mit der Tendenz des Ausschußberichtes, noch praktische Erfahrungen zu sammeln und dann noch einmal zur Frage der Entschädigung der Fischer am Großen Knechtsand Stellung zu nehmen, im Prinzip einverstanden. Sie hält jedoch den Zeitraum, der hierfür in der Drucksache angegeben ist, nämlich sechs Monate, für entschieden zu lang. Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der dem Ausschußbericht zugrunde liegt, wurde im Dezember 1953 gestellt. Der Ausschuß für Besatzungsfolgen hat sich in zwei Sitzungen im März und im April dieses Jahres mit dem Antrag beschäftigt und kommt nun zu der Schlußfolgerung, nochmals sechs Monate zu warten, um sich dann mit den sich aus der Praxis ergebenden Notwendigkeiten nochmals zu beschäftigen.
Wir halten diesen Zeitraum für entschieden zu lang, weil heute bereits eine Reihe von Erfahrungen vorliegen, über die in dem Ausschuß noch nicht gesprochen worden ist. Gegen das Prinzip, der Entschädigung das Ergebnis der letzten vier Jahre zugrunde zu legen, hatte meine Fraktion zunächst keine Einwendungen, und auch die Fischer waren mit dieser Methode einverstanden. Jetzt muß jedoch eine Lösung gefunden werden, die den Fischern das Fangen in besonders guten Fangzeiten noch rentabel und notwendig erscheinen läßt. Sicher ist einigen Herren in diesem Hohen Hause bekannt, daß die Fangergebnisse z. B. im April und im Mai dieses Jahres so gut gewesen sind, daß kaum Entschädigungen an die Fischer gezahlt wurden. In der Praxis heißt das, daß die besonders tüchtigen und leistungsfähigen Fischer keine Entschädigung erhalten haben. Hierin liegt eine große Benachteiligung; denn ohne die Sperrtage hätten sie, wie die Fangergebnisse an anderen Plätzen der Krabbenfischerei zeigen, höhere Ergebnisse erzielen können. Es müßte also eine Lösung gefunden werden, die folgende Gesichtspunkte berücksichtigt. Die Schadensregelung für die Fischer soll diesen nicht nur die durchschnittlichen Fangerlöse der Jahre 1950 bis 1953 garantieren, sondern sie sollte auch sicherstellen, daß die von der Bombardierung betroffenen Fischer nicht schlechter gestellt sind als ihre Berufskollegen in den anderen Küstenorten. Wenn die Fangerlöse an den für den Fang freigegebenen Tagen auf die Entschädigungen voll angerechnet werden, wird den Fischern jeder Anreiz genommen, überhaupt noch auszufahren. Es ist eine Tatsache, daß bereits eine spürbare Beunruhigung bei den Dorumer Fischern eingetreten ist, weil nach den jetzt gültigen Richtlinien fleißige und einsatzfreudige Fischer 'bestraft wer den, während
*) Siehe Anlage 5.
andere, die nicht fleißig sind, Vergünstigungen erhalten. Wir halten diese nicht zu bestreitende Tatsache für außerordentlich bedenklich; in der letzten Konsequenz würde das bedeuten, daß die Fischer ihre Fänge eventuell so einrichten, daß ihnen unter allen Umständen eben noch eine Entschädigung gezahlt werden muß. Die sozialdemokratische Fraktion hält es deshalb für erforderlich, daß der Herr Bundesminister der Finanzen möglichst rasch seine Richtlinien vom 10. März 1954 ergänzt in der Richtung, daß den Fischern ein Jahresausgleich zugesagt wird, der auch die im Jahre 1954 nachgewiesenen, gegenüber den Vergleichsjahren besseren Fangergebnisse berücksichtigt.
Ein Problem, das bei dem jetzigen Entschädigungssystem überhaupt noch nicht angesprochen ist, ist idas der Verarbeitungsbetriebe. Es handelt sich hier nur um drei Betriebe. Aber wir sind der Auffassung, daß diese drei Verarbeitungsbetriebe unbedingt in das Entschädigungssystem einbezogen werden müssen. Denn diese Abnehmer der Fische sind eben durch die erheblichen Unregelmäßigkeiten in den Anlandungen stark benachteiligt. Die sozialdemokratische Fraktion bittet deshalb das Hohe Haus, bei der nächsten Erörterung dieses Komplexes die Frage der Entschädigung der Abnehmerbetriebe unbedingt in dieses System mit einzubeziehen.
({0})
- Ist noch nicht geschehen!
({1})
- Ist noch nicht geschehen! Das steht nicht drin, sie haben bisher noch keine Entschädigung erhalten.
Gestatten Sie mir nun noch ein Wort an das Auswärtige Amt. Die Bombardierung des Übungsziels Großer Knechtsand wird von der britischen Luftwaffe seit dem Jahre 1953 durchgeführt. Es sind inzwischen zirka 70 Übungen angesetzt gewesen, die allerdings zum Teil wieder abgesetzt worden sind. Bei diesen Übungen hat sich herausgestellt, daß die Nachteile für die Fischer insbesondere in Dorum und auch die Nachteile für die Abnehmer viel größer sind, als das bei den ursprünglichen Vereinbarungen zu übersehen war. In dem Notenwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem britischen Hohen Kommissar ist in Ziffer 5 festgelegt worden, daß Tagesübungen nicht ständig, sondern nur von Zeit zu Zeit stattfinden sollen. Demgegenüber sind Z. B. im Mai 1954 an 14 Tagen Tagesübungen durchgeführt worden. Weiter ist in dem Notenwechsel zugesichert, daß keine Bombenabwürfe je drei Stunden vor und nach Hochwasser erfolgen sollen. Auch diese Bedingung ist von der britischen Luftwaffe in keiner Weise eingehalten worden.
({2})
Wir möchten deshalb das Auswärtige Amt bitten, sich unbedingt mit dem britischen Hohen Kommissar in Verbindung zu setzen und zu verlangen, daß die vereinbarten Bedingungen eingehalten werden. Denn, meine Damen und Herren, wir hatten doch, als das Gesetz beschlossen wurde, alle schon Bedenken, daß dieses Gebiet zur Verfügung gestellt werden sollte. Wo sollen wir hinkommen, wenn nicht einmal die vereinbarten Bedingungen eingehalten werden! Das würde natürlich alle Regelungen, die für die Fischer getroffen wurden, . über den Haufen werfen.
({3})
Ich möchte zusammenfassen. Die sozialdemokratische Fraktion bittet den Ausschuß für Besatzungsfolgen, folgende vier Punkte - nicht erst in sechs Monaten, sondern möglichst sofort nach den Parlamentsferien - noch einmal in Angriff zu nehmen: erstens die Überprüfung des Systems der Entschädigung an die Fischer unter Berücksichtigung der inzwischen gemachten Erfahrungen; zweitens die Einbeziehung der Verarbeitungsbetriebe in das Entschädigungssystem; drittens die Aufnahme von Besprechungen mit dem Ziel, daß die britische Luftwaffe die Bedingungen absolut einhält. Schließlich kann vielleicht im Rahmen dieser Verhandlungen die Frage der Revision der Vereinbarungen aufgeworfen werden. Wir hoffen, daß man nach diesen Beratungen bald zu einem Ergebnis kommt, das alle Beteiligten zufriedenstellt.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dannemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als seinerzeit die Insel Helgoland auf Grund wiederholter und dringender Vorstellungen freigegeben wurde, ging ein großes Aufatmen durch das gesamte deutsche Volk. Mit Freuden nahmen wir davon Kenntnis, daß nach Jahren ein Badeort der Bevölkerung wieder zur Verfügung gestellt werden sollte, der Tausenden von Menschen Erholung und Entspannung bringen wird. Leider wurde uns diese Freude durch die Tatsache getrübt, daß bei Freigabe dieser Insel ein anderes Bombenabwurfziel namhaft gemacht werden mußte. Die Entscheidung fiel seinerzeit zuungunsten des Großen Knechtsands aus. Wenn es sich hierbei auch nicht um ein bebautes Gelände handelt, bei dem durch den Bombenabwurf Menschen oder menschliche Behausungen gefährdet werden, so sind doch in der Folgezeit wirtschaftliche Schäden unausbleiblich geworden. Eine große Zahl von Fischern verlor durch diese Entscheidung ihre Fanggründe oder wurde zumindest in der Ausübung des Berufs behindert und geschädigt, wie Sie soeben aus den Ausführungen meines Herrn Vorredners im einzelnen haben entnehmen können. Dieser Schaden wird auch grundsätzlich nicht bestritten, und eine Entschädigung wird auch zugestanden; jedoch waren in der Vergangenheit das Antragsverfahren und die Abwicklung viel zu umständlich.
Nach dem uns jetzt vorliegenden Beschluß des Ausschusses für Besatzungsfolgen soll nunmehr die Regierung ersucht werden, spätestens in 6 Monaten einen Bericht vorzulegen, aus dem der Umfang des Schadens und die vorgesehene Entschädigung ersichtlich sind. Diesem Beschluß stimmen auch wir von der FDP zu. Wir sind jedoch der Auffassung, daß damit das Problem im Endergebnis keineswegs gelöst ist. Keiner wird bestreiten können, daß Bombenabwurfplätze als Übungsgelände notwendig sind. Nur sind wir der Meinung, daß dafür nicht unbedingt deutsches Hoheitsgebiet herangezogen werden sollte, in dem wirtschaftliche Schäden unvermeidbar sind, wenn längs der britischen und schottischen Küsten, insonderheit bei den vielen vorgelagerten kleinen Inseln, die ebenfalls unbebaut sind, derartige Übungsplätze vorhanden sind, auf denen in keinem Falle wirtschaftliche Schäden angerichtet werden. Gerade unter den heutigen Verhältnissen haben wir wahrhaftig alle Veranlassung, das Spannungsfeld zwischen Großbritannien und Westdeutschland durch derartige Maßnahmen nicht unnötig zu beladen. Es liegen keinerlei strategische oder militärische Notwendigkeiten vor, ausgerechnet für diesen Zweck deutsches Hoheitsgebiet zu wählen, solange derselbe Zweck auch auf anderem, ebensogut geeignetem Gelände, ohne Schaden anzurichten, erreicht werden kann.
Wir möchten hoffen, daß die heutige Debatte dazu beiträgt, daß Einsicht und Vernunft in Kürze eine Regelung treffen lassen, daß das Verhältnis zwischen Großbritannien und Deutschland nicht unnötig weiter belastet wird und daß in Kürze das Problem der jetzt den Fischern zugefügten Schäden durch Auswahl anderen Abwurfgeländes ganz von selbst gegenstandslos wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch meine Fraktion steht auf dem Standpunkt, daß das den Fischern zugefügte Unrecht schneller vergütet werden muß, als dies der Ausschuß vorsieht. Die Verhältnisse haben sich gegenüber dem Vorjahr grundlegend geändert. Die Fischer werden aber auf Grund der Fänge des Vorjahrs und der im vorigen Jahre geleisteten Fangtage entschädigt. Es zeigt sich aber, daß in diesem Jahre aus natürlichen Gründen, die nicht beeinflußt werden können, die Fänge größer sind und außerdem die Preise für die Krabben höher liegen als im Vorjahr. Das ergibt folgendes Bild. Wenn ein Fischer im März vorigen Jahres fünf Fangtage und an jedem dieser Fangtage einen Durchschnittserlös von 70 DM gehabt hat, in diesem Jahre durch die Bombenabwürfe vielleicht nur drei Fangtage machen konnte, dann bekommt er für die zwei ausgefallenen Fangtage je Tag 70 DM, also 140 DM vergütet. Er hat aber an den drei Fangtagen sowie durch den größeren Fang und den höheren Preis soviel Erlös, daß er keine Entschädigung mehr bekommt. Die Entschädigung der Fischer muß an die Preise dieses Jahres und an die tatsächlichen Fänge angeglichen werden. Sonst sind die Fischer gegenüber den Fischern in den Nachbargebieten stark geschädigt. Aus diesem Grunde ist eine schnelle Überprüfung der Entschädigung für die Fischer notwendig.
Herr Kollege Hermsdorf hat schon darauf hingewiesen, daß nicht allein die Entschädigung der Fischer überprüft werden muß, sondern daß auch die Verarbeitungsbetriebe entschädigt werden müssen. Die Verarbeitungsbetriebe können sich das Material nicht aus anderen Gebieten holen, weil die Krabbe eine viel zu empfindliche Ware ist, die keine langen Transporte verträgt.
Ich möchte also auch im Namen meiner Fraktion dringend darum bitten, daß in eine beschleunigte Überprüfung der Entschädigung der Fischer eingetreten wird und daß außerdem über das Auswärtige Amt Verhandlungen mit dem Zweck geführt werden, daß die Bedingungen, die bei der Zurverfügungstellung des Knechtsandes vereinbart worden sind, innegehalten werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wahl.
Meine Damen und Herren! Die Aussprache hat gezeigt, daß sich gerade in letzter Zeit die Bedingungen geändert haben, von denen die Höhe des Schadens abhängt. Nicht nur die Preise sind besonders hoch, sondern auch die Fänge sind besonders groß. Ich glaube deshalb, daß der Vorschlag des Ausschusses richtig ist, die Bundesregierung zu ersuchen, unter Berücksichtigung der neuen Verhältnisse noch einmal vor dem Ausschuß zu berichten. Die von uns dafür vorgesehene Frist von sechs Monaten rechnet nicht von heute an, sondern vom Tage des Beschlusses des Ausschusses, also vom 7. Mai 1954 an. Nach Ablauf der bevorstehenden Ferien sind schon vier Monate herum. Als Ausschußvorsitzender verspreche ich Ihnen, daß wir den Problemen im Ausschuß die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdienen. Ich bitte Sie jedoch, dem Vorschlag des Ausschusses zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hermsdorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Vorschlag von Herrn Professor Dr. Wahl zu. Ich möchte jedoch eine Einschränkung machen und nochmals eine Bitte an das Auswärtige Amt richten. Wir halten es für eine sehr schlechte Sache, daß das Auswärtige Amt, nachdem seit November 1953 feststeht, daß die Vereinbarungen zwischen der britischen Besatzungsmacht und der Bundesrepublik nicht innegehalten werden, sich bis zum heutigen Tage mit dieser Nichteinhaltung der Bedingungen noch nicht ein einziges Mal beschäftigt und dem Hause Bericht darüber erstattet hat. Ich glaube, das geht auf die Dauer nicht. Des weiteren hat sich in der letzten Zeit herausgestellt, daß die abgeworfenen scharfen Bomben nicht nur auf das Gebiet des Großen Knechtsandes, sondern bis nach Cuxhaven hinüber Auswirkungen haben. Wir bitten also, daß sich das Auswärtige Amt unabhängig von dem Ausschuß sofort mit dieser Angelegenheit beschäftigt und nicht wie der Ausschuß vielleicht auch noch mehrere Monate wartet. Wir verlangen vom Auswärtigen Amt eine sofortige Aufnahme von Besprechungen.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses, Drucksache 527. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enhaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Bevor ich schließe, gebe ich dem Abgeordneten Dr. Bucher gemäß § 35 der Geschäftsordnung das Wort zu einer persönlichen Erklärung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Krone hat heute früh unter Punkt 1 der Tagesordnung folgendes erklärt:
Herr Abgeordneter Bucher hat vorhin gesagt, in der Fraktionssitzung der CDU/CSU am 25. Mai sei von dem Herrn Bundeskanzler die Behauptung aufgestellt worden, daß der Abgeordnete Reinhold Maier mit Herrn Etzel und dessen politischen Absichten in Verbindung stehe. Ich stelle fest, daß diese Behauptung in der Fraktion nicht aufgestellt wurde.
So weit Herr Abgeordneter Krone.
Demgegenüber habe ich laut stenographischem Protokoll gesagt:
Weiter ist die Meldung auch in der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion am 25. Mai 1954 bekanntgemacht worden.
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Ich lege Wert auf die Feststellung, daß ich also nicht von der Aufstellung einer Behauptung, sondern von der Weitergabe der Mitteilung des Verfassungsschutzamtes gesprochen habe.
Meine Damen und Herren! Ich berufe die nächste, die 38. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 9. Juli 1954, 9 Uhr und schließe die heutige Sitzung.