Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 35. Sitzung des Bundestages und bitte um die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Frau Dr. Weber ({0}), Dr. Königswarter, Dr. Orth, Frau Schroeder ({1}), Lenze ({2}), Frau Beyer ({3}), Frau Strobel, Dr. Jentzsch, Pusch, Voß, Demmelmeier, Dr. Leverkuehn, Haasler, Gefeller, Rasner, Naegel, Schneider ({4}), Raestrup.
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Frau Meyer-Laule, Dr. Bürkel, Leibfried, Jahn ({5}), Morgenthaler, Wehking, Frau Dr. Steinbiß, Dr. Weber ({6}), Jacobs, Dr. Vogel, Jaksch, Frau Dr. Bleyler ({7}), Caspers, Dr. Pohle ({8}), Hilbert, Weyer.
Ich danke vielmals.
Ich habe zum Geburtstag zu gratulieren der Frau Abgeordneten Wolff, die ihren Geburtstag am 22. Juni gefeiert hat,
({0})
und Herrn Abgeordneten Holla, der am 24. Juni ebenfalls 66 Jahre alt wurde.
({1})
Ich weise darauf hin, meine Damen und Herren, daß die heutige Sitzung nach einer Vereinbarung im Ältestenrat spätestens um 16 Uhr beendet werden soll, daß aber nach 13 Uhr 30 Abstimmungen nicht mehr stattfinden sollen mit Rücksicht auf die Inanspruchnahme vieler Abgeordneter durch den Wahlkampf im Land Nordrhein-Westfalen.
Ich rufe auf den Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde ({2}).
Zur ersten Frage hat das Wort der Abgeordnete Dr. Lütkens. - Er scheint nicht anwesend zu sein.
Ich komme zur Frage 2,
({3})
- die zurückgestellt werden soll.
Billigt der Herr Bundesminister für das Post-und Fernmeldewesen, daß einem Beschwerdeführer von der Oberpostdirektion Bremen mit Schreiben vom 22. Februar 1954 ({0}) Vorhaltungen darüber gemacht werden, daß er sich vor Abschluß der postalischen Ermittlungen an zwei Bundestagsabgeordnete und an die Presse gewandt hat?
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen!
Die Deutsche Bundespost begrüßt jede Anregung und jede sachliche Kritik an ihren Einrichtungen, von welcher Seite sie auch kommen mögen. Ich würde es daher nicht billigen, wenn
({0})
eine Oberpostdirektion einem Beschwerdeführer Vorhaltungen darüber machte, daß er sich vor Abschluß der postalischen Ermittlungen an zwei Bundestagsabgeordnete und an die Presse 'gewandt hat. Das Schreiben der OPD Bremen vom 22. Februar 1954 enthält jedoch solche Vorhaltungen nicht. Die Oberpostdirektion hat vielmehr in dem Schreiben lediglich ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Beschwerdeführerin während der noch laufenden Ermittlungen der Deutschen Bundespost die Angelegenheit an die Öffentlichkeit gebracht hat, indem sie sich an zwei Abgeordnete und an die Presse gewandt hat. Die Beschwerdeführerin handelte in diesem Fall sicherlich unzweckmäßig, wenn sie die von der OPD eingeleiteten besonderen Überwachungsmaßnahmen zur Ermittlung der für die angeblichen Briefverluste verantwortlichen Personen bereits während des noch schwebenden Verfahrens der Öffentlichkeit bekanntgab. Hierdurch wurden die mutmaßlichen Täter gewarnt, die in der Durchführung begriffenen Überwachungsmaßnahmen wurden sinnlos. Aus diesen Gründen vermag ich den Bescheid der OPD Bremen insoweit nicht zu beanstanden.
Im übrigen hat die Oberpostdirektion Bremen das für den Wohnsitz der Beschwerdeführerin zuständige Postamt angewiesen, die für die Beschwerdeführerin eingehende Post besonders sorgfältig zu behandeln. Die OPD hat alles getan, um die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer postalischen Wünsche zufriedenzustellen.
Herr Abgeordneter Hübner, ich darf noch darauf hinweisen, daß die einzelnen Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, in meinem Schreiben an Sie vom 29. April aufgeführt sind.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Bitte schön, Herr Abgeordneter Hübner, eine Zusatzfrage.
Herr Bundespostminister, sind Sie nicht der Auffassung, daß wir es hier nicht mit einem gerichtlichen Ermittlungsverfahren zu tun haben, sondern doch lediglich mit einem verwaltungsmäßigen Ermittlungsverfahren, und daß jeder Beschwerdeführer ohne weiteres das Recht hat, sich nach Belieben auch während der Zeit dieser laufenden Ermittlungen an Mitglieder des Bundestages oder an die Presse zu wenden?
Ja, selbstverständlich, Herr Abgeordneter Hübner. Zur Debatte steht aber eigentlich nur, ob dieses Verfahren zweckmäßig ist. Denn wenn jemand merkt, daß er in bezug auf eine solche Handlung überwacht wird, wird er natürlich keinen Anlaß geben, daß man ihn entdeckt. Also nicht die grundsätzliche Frage, in deren Beurteilung ich selbstverständlich mit Ihnen übereinstimme, steht zur Debatte, sondern nur die Frage der Zweckmäßigkeit.
Noch eine Zusatzfrage!
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hübner.
Sie billigen also das Verhalten der Oberpostdirektion Bremen in dem vorliegenden Fall völlig?
Dr. Balke. Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen: Nachdem ich feststellen mußte, daß hier keine Vorhaltungen gemacht worden sind, sondern nur die Zweckmäßigkeit der Handlungen der Beschwerdeführerin zur Debatte stand, kann ich das Verhalten der OPD Bremen nicht als falsch ansehen.
Zur Frage 4 Herr Abgeordneter Hübner!
Welche Gründe veranlassen den Herrn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, im Gegensatz zu einem zwischen der Deutschen Bundespost und der Deutschen Postreklame abgeschlossenen Vertrag, wonach die Herausgabe von örtlichen Fernsprechverzeichnissen in Orten, die der Sitz einer Oberpostdirektion sind, nicht zulässig ist, an einigen dieser Orte die Herausgabe solcher Verzeichnisse zuzulassen und zu fördern, dagegen an anderen entsprechenden Orten vorgelegte Anträge unter Hinweis auf die Vertragsverpflichtung abzulehnen?
Bitte, Herr Bundesminister!
Für einge Ortsnetze am Sitz der Oberpostdirektionen sind örtliche Fernsprechbücher herausgegeben worden, bevor das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen die Leitung des Post- und Fernmeldewesens nach dem Zusammenbruch des Reiches wieder übernommen hatte. Nach dieser Zeit ist die Herausgabe nur weniger örtlicher Fernsprechbücher zugestanden worden, und zwar im Rahmen des Vertrages mit der Deutschen Postreklame GmbH., nach dem die Herausgabe derartiger Bücher in besonders triftigen Fällen zugelassen ist. Da in zwei bis drei Jahren mit einer Neuregelung des Fernsprechbuchwesens, also einer neuen Abgrenzung des Geltungsbereichs der amtlichen Fernsprechbücher zu rechnen ist, habe ich bisher davon abgesehen, die bestehenden Verträge über die Herausgabe örtlicher Fernsprechbücher aufzuheben oder neue Bestimmungen über die Herausgabe zu erlassen, um mehrmalige Änderungen in kurzer Zeit zu vermeiden.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hübner!
Halten Sie es dann für richtig, Herr Minister, daß die Antragsteller ungleich behandelt werden, daß also Antragsteller zum Teil noch etwa zwei bis drei Jahre abgewiesen werden, während denjenigen, die eine Bewilligung bereits bekommen haben, diese Bewilligung weiter erhalten bleibt?
Herr Hübner, ich bitte Sie, mir die Fälle zu unterbreiten. Ich werde selbstverständlich den Dingen nachgehen.
({0})
Zur Frage 5! An Stelle des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt stellt die Frage Herr Abgeordneter Dr. Greve.
Ist es richtig, daß der als Leiter des Dezernats 15 bei der Bundesbahndirektion Hannover tätige Bundesbahnrat Heinrich Schmücker in einer Beamtenversammlung in Alfeld geäußert hat: „Die Richter des Karlsruher Urteils kennen die deutschen Verhältnisse überberhaupt nicht, da sie - ebenso wie die 1945er Spätlese - sich in London oder Moskau aufgehalten haben." Was hat die Bundesregierung getan, um den Sachverhalt zu ermitteln?
Welche Schritte wird sie unternehmen, falls Bundesbahnrat Schmücker diese Äußerung getan hat?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß nach dem Bundesbahngesetz der oberste Dienstvorgesetzte der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Deutschen Bundesbahn nicht der Bundesminister für Verkehr, sondern der Vorstand der Deutschen Bundesbahn ist.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Greve, wollen Sie freundlichst Zusatzfragen nachher stellen. Im Augenblick muß der Herr Minister erst eine Antwort geben.
({0})
Der Bundesbahnrat Schmücker bestreitet, die ihm zur Last gelegte Äußerung über die Richter des Bundesverfassungsgerichts getan zu haben. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn, von dem ich eben sagte, daß er der höchste Dienstvorgesetzte des Bundesbahnrats Schmücker ist, hat auf Grund der Presseveröffentlichungen in der Zeitung „Welt der Arbeit", Ausgabe Nr. 19, den Präsidenten der Bundesbahndirektion Hannover sofort veranlaßt, Vorermittlungen einzuleiten. Er hat sich aber dann genötigt gesehen, diese Vorermittlungen auf Grund des § 13 der Bundesdisziplinarordnung deswegen auszusetzen, weil der Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts inzwischen Strafantrag wegen Vergehens gegen §§ 185 ff. des Strafgesetzbuchs über den Herrn Staatssekretär des Landesjustizministeriums in Hannover gegen den Bundesbahnrat Schmücker gestellt hat. Wir werden die Angelegenheit auch weiterhin nach den Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung behandeln, die vorschreibt, daß zunächst das Strafverfahren zu entscheiden ist. Da es sich hierbei um zwei Verfahren handelt, die schweben, kann ich natürlich eine Meinung so lange nicht äußern, wie diese Verfahren nicht rechtskräftig entschieden sind.
Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Greve!
Herr Minister, ist es demnach richtig, daß Sie die Strafanzeige, die der Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts gegen den Herrn Bundesbahnrat Schmücker erstattet hat, für keine genügende Grundlage halten, Herrn Schmükker vom Dienst zu suspendieren?
Darüber hat der Vorstand der Deutschen Bundesbahn zu entscheiden.
Eine weitere Frage: Werden Sie den Vorstand der Deutschen Bundesbahn veranlassen, Herrn Bundesbahnrat Schmücker vom Dienst zu suspendieren?
Ich kann den Vorstand der Deutschen Bundesbahn in diesem Falle nicht veranlassen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, weil mir das gesetzlich nicht zusteht. Ich kann ihn nur bitten, die Angelegenheit mit allem Ernst zu behandeln, und zwar mit dem Ernst, mit dem ich selber die Sache ansehe.
({0})
- Nein, ich muß das Gesetz fragen und habe mich nach den Bestimmungen des Gesetzes zu richten.
Zur Frage 6 Herr Abgeordneter Dr. Leiske!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, folgende Frage an die Bundesregierung zu richten:
Sind die technischen Vorarbeiten für die Planung derjenigen Autobahnen, deren Bau nach der Begründung zum Entwurf eines Verkehrsfinanzgesetzes 1954 Abschnitt IV als vordringlich anzusehen ist, so weit gefördert und abgeschlossen, daß nach Verabschiedung des Verkehrsfinanzgesetzes der Bau dieser Bundesautobahnen unverzüglich begonnen und zügig durchgeführt werden kann?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Leiske mit Ja beantworten. Die schon vor längerer Zeit eingeleiteten Vorarbeiten sind so rechtzeitig abgeschlossen, daß der Bau einer ganzen Reihe von Autobahnteilstrecken nach Freigabe der ersten Baumittel unverzüglich beginnen kann. Selbstverständlich gibt es noch Strecken im Zuge des Gesamtprogramms, die noch nicht bis ins letzte durchgearbeitet sind. Wir sind aber der Meinung, daß wir mit diesen Arbeiten, für die uns jetzt im Bundeshaushalt ein Betrag von insgesamt 1,23 Millionen DM bewilligt worden ist, so vorankommen, daß die Durchführung der Bauten im Zuge der Geldbewilligung ohne Schwierigkeiten erfolgen kann.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Die Frage 7 wird an Stelle des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt von Herrn Abgeordneten Freidhof gestellt.
Ist die Bundesregierung bereit, die bundeseigene Kurhessische-Bergbausiedlungs-Genossenschaft in Sontra zu veranlassen, den beim Amtsgericht Sontra gestellten Antrag auf eine bis zum Jahre 1951 zurückwirkende Mieterhöhung um durchschnittlich 60 % zurückzunehmen?
Der Herr Bundesminister der Finanzen?
({0})
Der Herr Staatssekretär ist auch nicht da. Ich hoffe, daß die Herren noch kommen. Ich bitte um Entschuldigung, Herr Abgeordneter Freidhof, daß ich das übersehen habe. Ich komme auf die Frage zurück, sobald die Herren eingetroffen sind.
Zur Frage 8 Herr Abgeordneter Maier ({1})! Maier ({2}) ({3}):
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um für die Bevölkerung der von schweizerischem Staatsgebiet umschlossenen Gemeinde Büsingen einen klaren Status zu schaffen?
Welche vertraglichen Abmachungen bestehen bereits mit der Schweiz und welche sind noch beabsichtigt?
Ist die Bundesregierung bereit, den Bürgern der Gemeinde Büsingen in Anbetracht der ungleich höheren Lebenshaltungskosten in dem der Frankenwährung unterliegenden Gebiet Steuervergünstigungen zu gewähren?
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts!
Die Fragen a) und b) darf ich namens des Auswärtigen Amts wie folgt beantworten. Die vertragliche Grundlage für den Status der Exklave Büsingen bildet die „Übereinkunft zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz, betreffend die Großherzoglich Badische Gemeinde Büsingen, vom 21. September 1895". Nach diesem Vertrag ist Büsingen deutsches Zollausschlußgebiet, ohne an das schweizerische Zollgebiet angeschlossen zu sein. Nach dem zweiten Weltkrieg ist am 1. Januar 1947 die schweizerische Zollkontrolle um die Exklave Büsingen aufgehoben worden. Als Folge hiervon hat sich de facto eine Einbeziehung Büsingens in das schweizerische Zollgebiet ergeben.
Die Bundesrepublik hat mit der Schweiz noch keine vertraglichen Abmachungen über die Exklave Büsingen getroffen. Sie beabsichtigt aber, in Anbetracht der nach dem zweiten Weltkrieg eingetretenen Entwicklung mit der Schweiz Verhandlungen über den Abschluß eines deutsch-schweizerischen Staatsvertrages über die Exklave Büsingen aufzunehmen. Die Vorarbeiten hierzu werden von der Bundesregierung im Einvernehmen mit der Landesregierung von Baden-Württemberg durchgeführt.
Auf die Frage c) darf ich namens des Bundesfinanzministeriums wie folgt antworten. Es kommt § 33 des Einkommensteuergesetzes in Betracht. Jedoch ist es nicht möglich, sämtlichen Steuerpflichtigen der Gemeinde Büsingen zum Ausgleich der höheren Lebenshaltungskosten eine Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung im Sinne dieser Bestimmung zu gewähren. Die Vorschrift des § 33 des Einkommensteuergesetzes hat lediglich den Zweck, außerhalb der allgemeinen Lebenshaltung liegende außergewöhnliche Belastungen im einzelnen Fall durch eine Steuermäßigung zu berücksichtigen. Bei inzwischen durchgeführten Vergleichen ist zudem festgestellt worden, daß die wirtschaftliche Lage der Einwohner der Exklave Büsingen auch unter Berücksichtigung der deutschen Einkommensteuerbelastung nicht schlechter ist als die Lage in den benachbarten Gemeinden des Bundesgebiets. Die in Büsingen entstehenden höheren Lebenshaltungskosten werden in aller Regel durch die dort vorhandenen besseren Verdienstmöglichkeiten ausgeglichen. Der Bundesregierung ist es hiernach nicht möglich, eine steuerliche Sonderregelung für die Einwohner der Gemeinde Büsingen in Aussicht zu stellen.
Im übrigen unterliegen die Umsätze in der Gemeinde Büsingen bereits nach geltendem Recht nicht der Umsatzsteuer. Gemäß § 1 des Umsatzsteuergesetzes sind der Umsatzsteuer nur Umsätze unterworfen, die im Inland erzielt werden. Zum Inland im Sinne des Umsatzsteuergesetzes gehören jedoch nicht die Zollausschlußgebiete, zu denen auch Büsingen zählt.
Eine Zusatzfrage, Herr Präsident.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Maier.
Sind in dem Vertrag mit der Schweiz seitens der Bundesregierung für die Arbeiter, die aus Büsingen in Schaffhausen und in sonstigen schweizerischen Gemeinden arbeiten, Schutzbestimmungen vorgesehen, daß sie nicht schlechter behandelt werden als Arbeiter aus der Schweiz, d. h. daß bei rückläufiger Konjunktur nicht in erster Linie die Deutschen entlassen werden?
Dazu liegt noch keine abschließende Stellungnahme vor. Ich darf aber diese Anregung aufnehmen und versprechen, sie zu berücksichtigen.
Ich danke Ihnen.
Damit ist diese Frage erledigt. Zur Frage 9 Herr Abgeordneter Dr. Greve.
Herr Präsident, darf ich bitten, vorher festzustellen, ob der Herr Bundesminister der Finanzen im Hause ist.
Mir wurde gesagt, daß der Bundesminister der Finanzen bereits vor längerer Zeit aus seinem Hause abgefahren sei. Ich vermag nicht zu sagen, warum er noch nicht hier ist. - Inzwischen ist er eingetroffen. Ich glaube aber, wir geben noch eine kurze Verschnaufpause und nehmen, wenn Sie gestatten, zunächst die Frage 10.
Herr Abgeordneter Kühltau zur Frage 10.
Ist der Herr Bundesminister für Verkehr bereit, mit den zuständigen Dienststellen der britischen Besatzungsbehörden Verhandlungen aufzunehmen mit dem Zweck, die nicht ausgelasteten Besatzungszüge deutschen Reisenden zugänglich zu machen?
Der Herr Bundesminister für Verkehr, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die britischen Besatzungsbehörden in der Bundesrepublik verkehren bis und ab Hoek van Holland nur noch drei Urlauberzugpaare. Sie fahren aber nur noch jeden zweiten Tag und sind bei Grenzübertritt voll besetzt. Auf den An- und Auslaufstrecken ist die Besetzung natürlich schwächer, weil die Leute unterwegs zum Teil aussteigen. Ein Bedürfnis zur Benutzung der Urlauberzüge auf diesen Teilstrecken durch deutsche Reisende liegt nach Auffassung des Vorstandes der Deutschen Bundesbahn nicht vor, da für den deutschen Zivilverkehr in entsprechender Zeitlage genügend andere und nicht überfüllte Züge vorhanden sind. Ein Grenzüberschreitender deutscher Reiseverkehr kann dagegen in diesen Urlauberzügen schon aus zoll- und grenzabfertigungstechnischen Gründen nicht in Betracht kommen, weil für diese Züge besondere Bestimmungen für die Zoll- und Grenzabfertigung bestehen.
Danke sehr!
Ist die Frage erledigt, Herr Abgeordneter Kühlthau?
({0})
- Jawohl.
Ich kehre also zurück zur Frage 7, die an den Herrn Bundesminister der Finanzen durch Herrn Abgeordneten Freidhof für Herrn Abgeordneten Dr. Arndt bereits gestellt worden ist. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, sie zu wiederholen. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat die Anfrage zweifellos vorliegen. Bitte schön, Herr Minister!
Die Kurhessische Bergbau-Siedlung Gemeinnützige Wohnstätten-Gesellschaft mbH. Sontra muß als privatrechtliches gemeinnütziges WohnungsbauUnternehmen darauf bedacht sein, eine ausgeglichene Ertragslage herzustellen. Die Organe der Gesellschaft und der Aufsichtsrat, in dem neben Vertretern von Bundes- und Landesministerien, der hessischen Heimstätten und des Landkreises Rotenburg auch Angehörige des Betriebsrats der Kurhessischen Kupferschieferbergbau GmbH vertreten sind, haben einmütig die Heraufsetzung der Mieten für notwendig angesehen und einen entsprechenden Antrag bei dem Amtsgericht Sontra gestellt. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, in das schwebende Verfahren einzugreifen und die Gesellschaft zur Einstellung der von ihr für notwendig erachteten Maßnahmen zu veranlassen.
Eine Zusatzfrage!
Herr Abgeordneter Freidhof, eine Zusatzfrage.
Billigt der Herr Minister, daß jetzt - im Jahre 1954 - Mieten bis zu den Jahren 1950/51 rückwirkend gerichtlich eingeklagt werden?
Das ist eine ganz andere Frage. Hier handelt es sich um die Klärung der Rechtslage. In die Klärung der Rechtslage will die Bundesregierung nicht eingreifen, und
sie will ein Gericht nicht beeinflussen. Was auf Grund des Urteils und nach der Klärung der Rechtslage geschieht, ist eine zweite Frage.
({0})
Die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Greve wird sofort kommen. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Greve.
Die Vertreter welcher Organisationen hat der Herr Bundesminister der Finanzen in seiner Rede in der 32. Sitzung des Bundestages ({0}) gemeint, mit denen er sich bei Ausarbeitung der Rechtsverordnungen zum Bundesentschädigungsgesetz ins Benehmen gesetzt hat?
Warum sind die Organisation der verfolgten Sozialdemokraten und der an Entschädigungsfragen sehr interessierte Deutsche Gewerkschaftsbund nicht beteiligt worden?
Welchen Entwurf hat Herr Dr. Goldmann selbst gekannt?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Es ist bisher nur die vom Bundeskabinett verabschiedete und dem Bundesrat zur Einholung seiner Zustimmung bereits zugeleitete Rechtsverordnung zu § 14 des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung dem Vertreter der in das Conference for Jewish Material Claims against Germany zusammengefaßten Verfolgtenorganisationen ({0})
- Ich wiederhole es ganz kurz. Bisher ist die Rechtsverordnung - ({1})
Herr Minister, ich wäre doch dankbar, wenn Sie nun angesichts der Nähe von Herrn Dr. Greve ins Mikrophon sprächen; dann kann auch das übrige Haus Sie hören.
Gut, wenn Sie mitzuhören imstande sind, sehr gern.
Ergangen ist also bisher die Rechtsverordnung zu § 14 des Bundesergänzungsgesetzes. Sie liegt zur Zeit dem Bundesrat vor. Über diese Rechtsverordnung zu § 14 wurde mit dem Vertreter der - ich fasse kurz - Jewish Claims Conference allein gesprochen, mit irgendwelchen anderen Vertretern nicht. Mit ihm wurde gesprochen, weil diese Organisation, die den größten Teil aller rassisch Verfolgten betreut, in einem Vertragsverhältnis zur Bundesregierung steht, weil die Bundesregierung durch die Haager Protokolle zum Israel-Vertrag Bindungen gegenüber dieser Organisation eingegangen ist. Um den Erlaß dieser ersten Rechtsverordnung der Bundesregierung noch vor der parlamentarischen Sommerpause sicherzustellen, wurde das Benehmen auf das Benehmen mit dieser einzigen Organisation beschränkt. Mit Vertretern irgendeiner anderen Verfolgtenorganisation Rücksprache zu nehmen, war nicht mehr Zeit. Es ist aber Vorsorge getroffen,
({0})
daß die Entwürfe der Rechtsverordnungen zu § 15 und § 37 des Bundesergänzungsgesetzes mit Vertretern aller Verfolgtenorganisationen erörtert werden, die an der Beratung des Entwurfs zum Bundesergänzungsgesetz bereits beteiligt waren. Hierzu gehören natürlich auch die Organisation der verfolgten Sozialdemokraten und der Deutsche Gewerkschaftsbund. Sie werden also zu den Besprechungen eingeladen.
Dr. Goldmann hat den Entwurf der Rechtsverordnung zu § 14 selbst nicht gekannt. Wie ich bereits in der 32. Sitzung erklärt habe, ist er von den Herren der Claims Conference über den Inhalt der Rechtsverordnung verständigt worden.
Danke schön!
Die Frage ist erledigt. Zur Frage 11 Herr Abgeordneter Dr. Rinke. Dr. Rinke ({0}):
Entspricht die von ungarndeutscher Seite aufgestellte und in der Presse und in Drucksachen verbreitete Behauptung den Tatsachen, daß mehrere hundert magyarische Emigranten es verstanden haben sollen, als deutsche Heimatvertriebene und damit Lastenausgleichsberechtigte und Angehörige des Personenkreises, der unter das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen fällt, anerkannt zu werden? Wenn ja, was hat die Bundesregierung veranlaßt, um diese Entscheidungen rückgängig zu machen und ähnlichen Entscheidungen in Zukunft vorzubeugen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.
Im Frühjahr dieses Jahres erschien ein von dem Journalisten Günter Kaufmann verfaßter, in einer Reihe von Zeitungen des In- und Auslandes abgedruckter Artikel unter der Überschrift „Deutscher werden ein Geschäft", in dem behauptet wurde, daß Tausende magyarische Beamte und Offiziere mit deutschen Flüchtlingspässen versehen worden und auf diese Weise in den Genuß von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz und dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes gelangt seien, die Vertriebenen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit vorbehalten sind. Namen von Personen, die unberechtigterweise in den Genuß solcher Leistungen gelangt sind, wurden in diesem Artikel nicht genannt.
Ein gewisser Eugen Seh aus München verschickte im Mai 1954 an zahlreiche Behörden und Abgeordnete des Bundestags und der Länderparlamente einen Aufsatz unter der Überschrift „Flüchtlingspan als Geschäft", in dem er unter anderem behauptete, daß Personen, die sich an der Unterdrükkung des Deutschtums in Ungarn beteiligt hätten, insbesondere Offiziere der ungarischen Wehrmacht, der Gendarmerie, der Polizei und sonstige Beamte, es verstanden hätten, sich in den Besitz des Flüchtlingsausweises zu setzen. Mehrere hundert derartiger magyarischer Emigranten hätten sich unberechtigt Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz
und dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes verschafft. Namentlich führte er fünf Fälle an. Ihre Überprüfung ist durch die zuständigen Dienststellen eingeleitet. Bemerkenswert ist, daß der Verfasser diesen Aufsatz zwar im Rahmen der „Nachrichten der Deutschen aus Ungarn" herausgegeben hat, jedoch hierfür keine Legitimation seitens der ungarndeutschen Landsmannschaft besitzt. Bisher konnte auch nicht geklärt werden, aus welchen Mitteln diese Nachrichten finanziert werden.
Was die rechtlichen Möglichkeiten für eine Überprüfung von eventuellen Fehlentscheidungen anbelangt, so darf auf folgendes hingewiesen werden. Die Ausstellung von Vertriebenen- oder Flüchtlingsausweisen ist Sache der Länderflüchtlingsbehörden, d. h. im allgemeinen der Kreisflüchtlingsämter. Bis zum Inkrafttreten des Bundesvertriebenengesetzes erfolgte ihre Erteilung auf Grund der Länderflüchtlingsgesetze. In diesen Vorschriften war der Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit unterschiedlich und zum Teil unzureichend definiert. Es ist daher durchaus möglich, daß sich eine Reihe von Personen magyarischen Volkstums in den Besitz eines nur deutschen Volkszugehörigen vorbehaltenen Länderflüchtlingsausweises setzen konnten. Im Zuge der Neuausstellung der Ausweise nach dem am 5. Juni vorigen Jahres in Kraft getretenen Bundesvertriebenengesetz, das in § 6 den Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit besonders definiert, werden die auf Grund der landesrechtlichen Bestimmungen erfolgten Anerkennungen zur Zeit überprüft. Diese Überprüfung erstreckt sich insbesondere auch auf die Fälle, in denen die deutsche Volkszugehörigkeit zu Unrecht behauptet wurde.
Was die Gewährung von Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz betrifft, so sind hierfür die Lastenausgleichsämter zuständig, die sich zwar im allgemeinen bezüglich der Flüchtlings- oder Vertriebeneneigenschaft ({0}) an die Entscheidungen der Flüchtlingsbehörden halten, jedoch rechtlich hieran nicht gebunden sind. Das gleiche gilt im wesentlichen für die Gewährung von Leistungen nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes. Hier sind es die obersten Dienstbehörden, die im Zusammenwirken mit den Flüchtlingsbehörden prüfen, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 d des Gesetzes erfüllt sind. Die Bundesregierung oder der Bundesvertriebenenminister kann im Einzelfalle weder Ermittlungen anstellen noch auf Grund von Ermittlungen Entscheidungen treffen. Sie werden aber wie bisher in den Fällen, die namentlich an sie herangetragen sind, eine Überprüfung durch die zuständige Landes- bzw. oberste Dienstbehörde veranlassen.
Es sollte aber nicht verkannt werden, daß die Feststellung und Entscheidung über die Volkszugehörigkeit im Einzelfalle gerade bei Antragstellern, die aus Ungarn vertrieben worden sind, außerordentlich schwierig ist. Infolge der von der früheren ungarischen Regierung betriebenen Magyarisierungspolitik ist die Anzahl der Grenzfälle bei dieser Volksgruppe erheblich größer als z. B. bei den volkstumsmäßig viel schärfer profilierten Rumäniendeutschen. Eine auch einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung standhaltende Entziehung des Vertriebenenausweises wird daher nur dort möglich sein, wo seine Erteilung durch eindeutig falsche Angaben erschlichen worden ist. Dies ist in § 18 des Bundesvertriebenengesetzes ausdrücklich vorgesehen. Entsprechend gilt für das
({1})
I Lastenausgleichsgesetz und das Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes. Aber auch für diese Entscheidung ist nicht die Bundesregierung zuständig, sondern entweder das Flüchtlingsamt, das den Ausweis erteilt hat, oder das Ausgleichsamt bzw. die Dienstbehörde, die Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz oder nach dem Gesetz zu Art. 131 gewährt haben.
Ohne dem Ergebnis einer Überprüfung vorzugreifen, kann bereits jetzt festgestellt werden, daß sich die mißbräuchliche Inanspruchnahme der Vertriebeneneigenschaft durch Personen magyarischer Volkszugehörigkeit auf einen Bruchteil der in den zitierten Artikeln behaupteten Größenordnung beschränkt.
Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rinke!
Dürfen wir damit rechnen, erneut Bericht zu erhalten, wenn die in Aussicht gestellten Ermittlungen abgeschlossen sind?
Dr. Dr. Oberländer Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte: Über die fünf Fälle will ich sehr gern Auskunft geben. Mehr Fälle sind mir nicht bekannt; ich wäre aber dankbar, wenn ich von Ihnen neue Fälle erfahren könnte.
Die Frage 11 ist damit erledigt.
Zur Frage 12 Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg.
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um der fortschreitenden Verschandelung des Bildes der deutschen Landschaft durch die Errichtung von Funk- und Fernsehtürmen und -gerüsten und ähnlichen Einrichtungen entgegenzutreten?
Der Herr Bundesminister des Innern, bitte!
Die Antwort lautet wie folgt: Nach Art. 75 Ziffer 3 des Grundgesetzes hat der Bund nur das Recht, Rahmenvorschriften über den Naturschutz und die Landschaftspflege zu erlassen. Das Reichsnaturschutzgesetz vom 26. Juni 1935, das noch rechtswirksam ist, gibt im § 19 die Ermächtigung, verunstaltende, die Natur schädigende oder den Naturgenuß beeinträchtigenden Änderungen der Landschaft durch Anordnungen der Naturschutzbehörden von ihr fernzuhalten. Für diese Anordnungen und ihre Durchführung sind ausschließlich die Landesbehörden zuständig. Die Bundesregierung und das Bundesministerium des Innern haben keine unmittelbare rechtliche Möglichkeit, unter den Gesichtspunkten von Naturschutz- und Landschaftspflege im Einzelfall einzugreifen und den Bau von Einrichtungen zu verhindern, die das Landschaftsbild beeinträchtigen oder stören.
Aus dieser Rechtslage ergibt sich folgendes: Auf die Gestaltung der technischen Einrichtungen der Rundfunkanstalten, die im Eigentum der Rundfunkanstalten stehen, unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes, können nur die Landesregierungen auf der Grundlage des noch geltenden Reichsnaturschutzgesetzes einwirken. Bei den drahtlosen Übertragungseinrichtungen der Deutschen Bundespost prüft diese in jedem Einzelfall mit den zuständigen Behörden des Landes die Einpassung des Bauwerkes in das Landschaftsbild. Wenn so die Bundesregierung nur im Bereich der bundeseigenen Verwaltungen unmittelbar darauf hinwirken kann, daß der Landschaftsschutz berücksichtigt wird, so ist sie doch bemüht, in enger Fühlungnahme mit den obersten Landesbehörden und im Zusammenwirken mit der Arbeitsgemeinschaft der Heimat-, Wald- und Naturschutzbünde auf den dringend gebotenen Schutz des Landschaftsbildes und der Natur hinzuwirken.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Friedensburg!
Nachdem sich die von dem Herrn Bundesminister dankenswerterweise mitgeteilte enge Fühlungnahme als unzulänglich erwiesen hat, um die Landschaftsschutzinteressen zu sichern, frage ich: Ist die Bundesregierung bereit, von der ihr nach dem Grundgesetz zustehenden Rahmengesetzgebung Gebrauch zu machen, um für die Zukunft eine bessere Regelung vorzubereiten?
Die Antwort lautet wie folgt. Die von Ihnen angeregte Alternativlösung ist bisher noch nicht in nähere Erwägung gezogen worden. Ich glaube, daß wir versuchen sollten, auf dem bisher verfolgten Wege weiter fortzufahren und damit entsprechend einzuwirken. Aber, Herr Kollege, Sie müssen sich darüber klar sein, daß bei der Kompliziertheit der Zuständigkeiten die Einwirkungsmöglichkeiten in der Tat relativ begrenzt sind.
Darf ich aber noch eines fragen?
Noch eine Zusatzfrage!
Ist denn die Bundesregierung der Ansicht, daß der von ihr befolgte Weg auf diesem Gebiet besonders erfolgreich gewesen ist?
Ich bin in der Beziehung überfragt,
({0})
weil das eine Würdigung aller deutschen Landschaften zur Folge haben würde.
({1})
Ich glaube aber, Herr Kollege, daß wir - und vielleicht gibt diese Debatte dazu Anregungen - gegenüber den hier zitierten eigentlich zuständigen Stellen unsere Bemühungen in dieser Richtung verstärken sollten. Dann ist immer noch Zeit, auf die Alternativlösung zurückzukommen.
Offenbar hat Herr Dr. Friedensburg keine Zusatzfrage mehr.
Ist die Bundesregierung bereit, den Wiederaufbau der Hindenburgbrücke zwischen Bingen
({0})
und Rüdesheim zu ermöglichen, um den Straßenverkehr auf der Rheinstrecke zwischen Mainz und Koblenz zu entlasten?
Der Herr Bundesminister für Verkehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hindenburgbrücke, die in den letzten Kriegstagen zerstört worden ist, war als Eisenbahnbrücke aus strategischen Gründen gebaut. Sie ist nur von wenigen Zügen befahren worden. Sie besaß einen Bohlenbelag und konnte in den Zugpausen von Straßenfahrzeugen mitbenutzt werden.
Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn ist der Auffassung, daß die Brücke für den Eisenbahnbetrieb heute nicht mehr gebraucht wird. In ihrem früheren Zustand würde sie sich auch für den Kraftfahrzeugverkehr nicht eignen. Außerdem sind die noch vorhandenen Auffahrtrampen zu schmal und zu steil und müßten umgebaut werden.
Wir haben trotzdem die Frage des Wiederaufbaus der Hindenburgbrücke für den Straßenverkehr eingehend untersucht. Eine genaue Prüfung des Verkehrsbedürfnisses hat aber ergeben, daß ein größerer finanzieller Aufwand hier zur Zeit nicht zu verantworten sein würde. Die für den Straßenbau verfügbaren Mittel sind so knapp, daß schon wesentlich dringendere Arbeiten leider unterbleiben müssen. Es werden bei dieser Einstellung keine berechtigten Forderungen des Verkehrs außer acht gelassen. Dem Durchgangsverkehr von Wiesbaden in Richtung Bingen und von
Wiesbaden über Koblenz in Richtung Bingen stehen die beiden Brücken in Wiesbaden und Koblenz zur Verfügung; der geringe Umweg über die Rheinbrücken kann ihm zugemutet werden. Er wird zudem noch durch die in Bau befindliche Verlegung der Straße Mainz-Ingelheim wesentlich verkürzt und erleichtert. Der Fernverkehr, der den Rhein gerade bei Bingen überqueren will, und der Fremdenverkehr aus der Kreuznacher Gegend sind außerhalb der Hauptreisezeit nicht bedeutend und können sich der Fähre zwischen Rüdesheim und Bingen bedienen. Falls notwendig, könnte hier auch noch eine leistungsfähigere Schnellfähre eingesetzt werden. Ich habe aber selber Pfingsten die Frage örtlich überprüft und festgestellt, daß die Fähre allen Anforderungen ohne Stockungen entsprochen hat.
Eine Zusatzfrage!
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Josten!
Die Meinung des Herrn Ministers ist nicht die Meinung der Bevölkerung am Mittelrhein. Ich frage daher den Herrn Minister, ob vielleicht die Bundesregierung mit den Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Hessen, die daran interessiert wären, daß zwischen Koblenz und Mainz eine Straßenbrücke errichtet wird, die Frage erneut überprüfen wird.
Wir haben gerade diese Frage erst kürzlich überprüft. Die Landesregierungen sind nicht mit neuen Anregungen an uns herangetreten.
Die Frage ist damit erledigt. Zu Frage 14 Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Ist die Bundesregierung bereit, dem Beispiel der französischen Regierung zu folgen und den Personalausweis, welcher den Mitgliedern der Beratenden Versammlung des Europarats ausgestellt wird, als Paß anzuerkennen?
Wann wird sie die nötigen Maßnahmen treffen und den Generalsekretär des Europarates verständigen?
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts, bitte!
Die für die Paßnachschau zuständigen Behörden sind bereits angewiesen worden, von Inhabern des Identitätsausweises des Europarats keinen anderen Reiseausweis zu verlangen.
Der Generalsekretär des Europarats wird verständigt.
Danke sehr!
Die Frage 14 ist damit erledigt. Zu Frage 15 ebenfalls Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Ist der Bundesregierung bekannt, daß an Tagen starken Andrangs an den Grenzübergangsstellen die Ausfüllung der Zählkarten zu mehrstündigem Schlangestehen der Besucher der Bundesrepublik führt?
Ich weiß, daß die Frage sachlich überholt ist und daß die Bundesregierung dem Wunsch des Bundestags nach Fortfall der Zählkarten Rechnung getragen hat. Ich halte meine Frage formal aufrecht, um der Bundesregierung Gelegenheit zur Bekanntgabe des Wegfalls einer lästigen Grenzkontrollmaßnahme zu geben.
Ich bin dem Herrn Kollegen dankbar, daß er mir die Gelegenheit gibt, zu bestätigen, was er gesagt hat. Die Frage ist in der Tat sachlich erledigt. Mit Wirkung vom 5. Juni dieses Jahres sind beim Grenzübertritt von ein-, aus- oder durchreisenden Ausländern Zählkarten nicht mehr auszufüllen. Von dieser Regelung sind nur staatenlose Personen und Staatsangehörige der Ostblockstaaten ausgenommen.
Damit ist die Frage erledigt.
Zur Frage 16 an Stelle von Herrn Abgeordneten Meyer ({0}) Frau Abgeordnete Meyer ({1}), bitte schön!
Besteht die Absicht im Bundesministerium der Finanzen, sich das Gutachten des Bundesfinanzhofes zu eigen zu machen, nach dem die pharmazeutische Industrie nicht mehr berechtigt sein soll, steuerbegünstigten Alkohol zu beziehen?
Ist sich das Ministerium darüber im klaren, daß dies eine fühlbare Steigerung der Arznei({0})
preise mit unsozialen Auswirkungen und eine weitere starke Belastung der Krankenkassen herbeiführen würde?
Hat das Ministerium bzw. die Monopolverwaltung die seinerzeit angeregte weitere Herabsetzung der Steuer auf Weingeist für medizinische Zwecke erwogen?
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Das Gutachten des Bundesfinanzhofes, nach dem die pharmazeutische Industrie nicht mehr berechtigt sein soll, steuerbegünstigten Alkohol zu beziehen, macht noch weitere Besprechungen insbesondere mit dem Bundesverband der pharmazeutischen Industrie selbst notwendig. Nach Möglichkeit soll allen berechtigten Bedürfnissen Rechnung getragen werden. Ich möchte 'dem Ergebnis der Besprechungen nicht vorgreifen. Ich bin daher noch nicht in der Lage, mich zu der Frage, ob ich mich dem Gutachten des Bundesfinanzhofes anschließen werde, und zu der weiteren Eventualfrage der Auswirkungen im Fall der Versagung der Steuerermäßigung zu äußern.
Auf die dritte Frage, ob von mir die Anregung, die Branntweinsteuer für medizinische Zwecke herabzusetzen, weiter verfolgt wurde, muß ich mit Nein antworten. Bei den vielseitigen Wünschen auf Senkung der Branntweinsteuer kann eine einzelne Position des Steuertarifs nicht für sich behandelt und aus dem Tarif herausgebrochen werden. Die gewünschte Änderung des Tarifs würde sicherlich weitere Steuersenkungen nach sich ziehen. Bei der sehr angespannten Finanz- und Haushaltsage des Bundes muß ich mich daher gegen eine Senkung der Branntweinsteuer aussprechen. Ich darf ergänzend bemerken, daß in diesem Hohen Hause sogar die Anregung auf Erhöhung der Branntweinsteuer gegeben worden ist.
Keine Zusatzfrage? Frau Meyer ({0}) ({1}): Danke.
Dann zur Frage 17 ebenfalls Frau Abgeordnete Meyer.
Entspricht es den Tatsachen, daß das Bundesministerium der Finanzen es ablehnt, die Einfuhr wertvoller Rohstoffe zur Herstellung von Rheumamedikamenten durch Zollnachlaß zu erleichtern, obwohl diese lizenzierten Medikamente in Deutschland nicht hergestellt werden?
Ist bekannt, daß sich dadurch diese Medikamente um 2,40 DM Zoll und 1,51 DM Umsatzausgleichsteuer verteuern?
Ist es wahr, daß die zuständige Oberfinanzdirektion in Karlsruhe einer Firma, die diese Rheumamedizin herstellt bzw. verkauft und die um Nachlaß dieser Abgaben gebeten hatte, überhaupt keine Antwort erteilt hat?
Der Herr Bundesminister der Finanzen, bitte!
Ich darf grundsätzlich zur Rechtslage etwas vorausschicken. Die Abgabenbelastung für die den Gegenstand der
Anfrage bildenden Medikamente beträgt nach Tarifnummer 3003-C autonom 18% Zoll und 6% Umsatzausgleichssteuer. Für einzelne Waren dieser Tarifstelle besteht aber vertragsmäßig ein zollfreies Kontingent. Das gilt dann, wenn die Waren nicht für den Einzelverkauf aufgemacht sind.
In der Anfrage handelt es sich um zwei Einzelfälle. Im Juli 1953 hat eine in Zürich ansässige schweizerische Firma, die sich mit der Herstellung von Rheumaheilmitteln befaßt, beantragt, ihr für die Einfuhr von unentgeltlichen Mustern für wissenschaftliche Versuche die Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Dieser Antrag mußte abgelehnt werden, weil weder die Unentgeltlichkeit der Einfuhr noch der Umstand, daß es sich um Versuchsmuster handelte, einen Erlaß der Eingangsabgaben gemäß § 131 der Abgabenordnung gestattet. Für die Schweizer Firma handelt es sich um eine Werbung. Zu den Kosten der Werbung gehören grundsätzlich auch die Eingangsabgaben. Auch der Umstand, daß die Medikamente im Inland nicht hergestellt werden, rechtfertigt einen Erlaß der im Zolltarif vorgesehenen Eingangsabgaben nicht. Wenn der Gesetzgeber einen Zoll auch für solche Waren vorsieht, die im Inland nicht hergestellt werden, würde ein Erlaß der Eingangsabgaben für diese Waren durch die Verwaltung eine Umgehung des Gesetzes bedeuten. Weitere Anträge auf Erlaß der Eingangsabgaben für Rheumamedikamente sind meiner Unterrichtung nach nicht gestellt worden.
Die weitere Frage darf ich mit Nein beantworten. Eine Heidelberger Firma - die Terrapharm GmbH. -, die ein bestimmtes Rheumamedikament aus dem Fürstentum Liechtenstein einführen will, hat am 10. Mai 1954 beim Hauptzollamt Heidelberg beantragt, dieses Mittel vom Zoll allgemein freizustellen, und zwar wiederum mit der Begründung, „weil es im Inland nicht hergestellt werden könne". Es handelt sich also nicht etwa um einen Antrag auf Abgabenerlaß aus Billigkeitsgründen.
Die Oberfinanzdirektion hat am 26. Mai 1954 das Hauptzollamt Heidelberg auf dessen Bericht hin angewiesen, die Firma darauf aufmerksam zu machen, daß das Mittel im Rahmen eines Zollkontingents zollfrei eingeführt werden könne. Das Hauptzollamt hat dies am 31. Mai 1954 dem Geschäftsführer der Antragstellerin fernmündlich mitgeteilt und um Vorlage der zur weiteren Klärung erforderlichen Unterlagen gebeten. Das Hauptzollamt mußte am 3. Juni 1954 die Firma fernmündlich hieran erinnern. Daraufhin hat diese am 5. Juni 1954 gewisse Unterlagen vorgelegt, die aber nicht erkennen ließen, ob die Firma das Zollkontingent in Anspruch nehmen will. Eine Entscheidung über die Eingabe war deshalb noch nicht möglich. Die Oberfinanzdirektion hat also auf den Antrag der Firma hin das Notwendige veranlaßt.
Keine Zusatzfrage. Zur Frage 18 Herr Abgeordneter Griem.
Ist der Herr Bundesminister des Innern bereit, von der Ermächtigung zu Ausnahmeregelungen des § 8 Abs. 2 des Maß- und Gewichtsgesetzes von 1935 Gebrauch zu machen und die noch übliche, aber nach Abs. 1 dieses Gesetzes nicht mehr anzuwendende Gewichtsbezeichnung „Pfund" wieder gesetzlich zuzulassen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Zum ersten Teil der Frage bemerke ich: Die alte Gewichts- oder richtiger Maßeinheit „Pfund" ist durch die Maß- und Gewichtsordnung für die Preußischen Staaten im Jahre 1816 ebenso wie die Maßeinheit der Länge „Fuß" einheitlich festgelegt worden. Die Maßeinheit „Fuß" ist bereits durch die Maß- und Gewichtsordnung des Norddeutschen Bundes vom 17. August 1868 beseitigt und durch die metrische Längeneinheit ersetzt worden.
Am 20. Mai 1875 hat Deutschland zusammen mit 17 anderen Staaten die Internationale Meterkonvention, der heute insgesamt 52 Staaten beigetreten sind, unterzeichnet und sich damit verpflichtet, die Vervollkommnung des metrischen Systems zu sichern. In Verfolg des Beitritts Deutschlands zur Internationalen Meterkonvention ist mit Wirkung vom 11. Juli 1884 durch das „Gesetz betreffend die Änderung der Maß- und Gewichtsordnung vom 17. August 1868" auch die Maßeinheit „Pfund" abgeschafft und durch das „Kilogramm" ersetzt worden.
Ebenso wie das Gesetz von 1884 setzt das Maß-und Gewichtsgesetz vom 13. Dezember 1935 durch Anwendung des dezimalen Systems die Bezeichnung für die Teile und Vielfachen der Maßeinheit fest. Dieses System hat sich im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr durchgesetzt. Die Maßeinheiten „Fuß", „Zoll" und „Quart" sind in Deutschland praktisch verschwunden. Nur die Bezeichnung „Pfund" für 0,5 kg hat sich in Verbraucherkreisen noch in größerem Umfange behauptet.
In vielen . Wirtschaftszweigen werden Lebens-und Genußmittel nur noch in Mengen abgegeben, die aus glatten Teilen oder Vielfachen der Maßeinheit „Kilogramm" bestehen. Beispielsweise wird Schokolade in Mengen von 100 g, 200 g, 500 g, aber nicht in Mengen von 125 g, also 1/4 Pfund oder 1/2 Pfund abgegeben. Dasselbe gilt zum Teil auch für den Handel mit anderen Süßwaren und auch für den Tabakhandel. Hierdurch wird bewiesen, daß das „Pfund" als Einheit und die daraus durch einmaliges oder mehrmaliges Halbieren abgeleiteten Mengen tatsächlich überflüssig geworden sind und entbehrt werden können.
Die Vorzüge des metrischen Systems sind so beträchtlich, daß sich die Internationale Handelskammer auf ihrem Kongreß 1935 in Paris eindeutig für das metrische System ausgesprochen hat und daß dieser Entschluß vom Kongreß der Internationalen Handelskammer 1939 in Kopenhagen nochmals bekräftigt wurde.
Es heißt dort:
Die Existenz mehrerer Systeme für Maß und Gewicht kann nur unnütz den internationalen Handel komplizieren, und das gilt gerade für die Länder, die noch andere Maßsysteme gebrauchen als das metrische System.
Die Einführung eines einheitlichen Systems in allen Ländern würde unzweifelhaft viel Verdruß und überflüssige Arbeit bei Berechnungen aller Art vermeiden. Da die überwiegende Majorität der Nationen das dezimale metrische System für Maß und Gewicht angenommen hat, ist es in höchstem Maße wünschenswert, daß alle Länder ihrem Beispiel folgen.
Demgemäß empfiehlt die Internationale I Handelskammer von neuem eindringlich ihren nationalen Komitees in den Ländern, wo andere Systeme für Maß und Gewicht als das metrische in Kraft sind, ihre Regierungen nachdrücklich aufzufordern, daß sie geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Annahme dieses metrischen Systems nach einer Übergangsperiode herbeizuführen.
Im Hinblick auf diese Sachlage möchte ich die Wiedereinführung der Gewichtsbezeichnung „Pfund" nicht vertreten.
Zur Frage der Fortgeltung der Ermächtigung in § 8 Abs. 2 Satz 2 des Maß- und Gewichtsgesetzes ist folgendes zu bemerken. Die Ermächtigung in § 8 des Maß- und Gewichtsgesetzes gibt dem Reichswirtschaftsminister die Befugnis, „weitere Ausnahmen zuzulassen". Nach Art. 129 Abs. 2 des Grundgesetzes sind Ermächtigungen zur „Änderung oder Ergänzung oder zum Erlaß von Rechtsvorschriften" erloschen. Damit sind die sogenannten gesetzesvertretenden Rechtsverordnungen gemeint.
({0})
Ich beziehe mich auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Juni 1953. Nach der genannten Entscheidung fallen unter diese ungültig gewordenen Ermächtigungen vor allem die „typischen Ermächtigungsformeln des nationalsozialistischen Gesetzgebers". Eine solche wird man im vorliegenden Falle annehmen müssen. Es war typisch für die damalige Gesetzgebung, dem zuständigen Ressortminister die Änderung und Ergänzung des Gesetzes zu überlassen. So wird auch die Ermächtigung in § 8 des Maß- und Gewichtsgesetzes verstanden werden müssen, d. h. nicht als eine Ermächtigung zum Erlaß von Vorschriften lediglich zur Durchführung des die Materie abschließend regelnden Gesetzes, sondern als Ermächtigung zur Änderung des Gesetzes durch Aufnahme weiterer zulässiger Maße und Gewichte als der in § 5 genannten.
({1})
Als ein Verlangen zu einer Änderung des Gesetzes im Wege einer nach Art. 129 des Grundgesetzes unzulässigen Rechtsverordnung auf Grund des § 8 ist auch das in der Anfrage zum Ausdruck kommende Verlangen zu verstehen, durch Anordnung des Bundesministers für Wirtschaft das „Pfund" als Gewichtsbezeichnung wieder zuzulassen. Aus verfassungsrechtlichen Gründen wird daher von der Ermächtigung in § 8 kein Gebrauch gemacht werden können.
Danke, Herr Minister.
Eine Zusatzfrage wird offenbar nicht gestellt.
Ich darf an die Herren Minister noch einmal die Bitte richten, in der mündlichen Beantwortung sich möglichst kurz zu fassen und gegebenenfalls eine schriftliche Ergänzung zu geben.
({0})
Zur Frage 19 wünscht Herr Abgeordneter Brück eine Erklärung abzugeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte folgendes erklären. Nachdem mir inzwischen von den verschiedensten Seiten Informationen zu den von mir gestellten Fragen
({0})
zugegangen sind, möchte ich, obwohl sie mich nicht voll befriedigen, trotzdem heute auf die Beantwortung der Fragen verzichten.
({1})
Zur Frage 20 Herr Abgeordneter Dr. Menzel.
Billigt der Herr Bundesminister für Arbeit die Ansichten des Versorgungsamtes Düsseldorf, das in einem Bescheid vom 12. April 1954 ({0}) einen Versorgungsantrag u. a. mit der Begründung ablehnte, der Antragsteller hätte seine Inhaftierung in der russisch besetzten Zone selbst verschuldet, da er einer Organisation beigetreten war, deren Tätigkeit in der Ostzone als verbrecherisch gilt, er im Falle der Entdeckung mit schärfsten Bestrafungen rechnen mußte und daher die tatsächlich eingetretenen Folgen nicht auf eine „besondere Gefahr" im Zusammenhang mit der militärischen Besetzung der Ostzone zurückzuführen sei?
Der Bundesminister für Arbeit, bitte.
Die Ansicht des Versorgungsamtes Düsseldorf, die in dem Bescheid vom 12. April 1954 ausgesprochen worden ist, wird vom Bundesminister für Arbeit nicht gebilligt.
({0})
In der Zwischenzeit ist dieser Bescheid vom Versorgungsamt in Düsseldorf aufgehoben worden. Dem Beschädigten ist durch einen neuen Bescheid eine Rente auf der Basis der Erwerbsminderung von 30 % zugesprochen worden.
Danke!
Ist die Frage erledigt?
({0})
Zur Frage 21 Herr Abgeordneter Schmidt ({1}).
Aus welchem Grunde hat Herr Bundesminister Strauß die „Grüße des Herrn Bundeskanzlers und der Bundesregierung an den Dritten Deutschen Studententag" auf einem „FestKommers" überbracht, der außer h a 1 b des offiziellen Tagungsprogramms von einem Convent meist schlagender Korporationen veranstaltet wurde, während die Bundesregierung auf der offiziellen Eröffnungsveranstaltung des Studententags, an der auch der Herr Bundespräsident teilnahm, nicht vertreten war?
Der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben!
({0})
Ich darf die Frage des Kollegen Schmidt folgendermaßen beantworten.
1. Der Fragesteller geht offensichtlich 'auf Grund einer falschen Information von einer falschen Voraussetzung aus. Denn die Grüße des Bundeskanzlers und der Bundesregierung an den Dritten Deutschen Studententag sind nicht durch Bundesminister Strauß und nicht auf einem Convent überbracht worden.
2. Es ist auch nicht richtig, daß Bundesminister Strauß nur auf dem Convent meist schlagender Verbindungen Grußworte gesprochen hat, sondern er hat dies ebenso auf dem Festkommers der Katholischen Studentenverbindungen getan.
3. Der Bundesminister Strauß hat dabei sinngemäß folgendes ausgeführt:
Es ist keine Geste der Höflichkeit, wenn die Bundesregierung den Dritten Deutschen Studententag mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Bei der feierlichen Eröffnung haben der Herr Bundespräsident und der Herr bayerische Ministerpräsident d'as Wort iergriffen. Bei der Schlußveranstaltung wird der Herr Bundesinnenminister die Bundesregierung vertreten und das Wort ergreifen. Steht doch der Dritte Deutsche Studententag unter dem Thema „Die Verantwortung des Studenten für Volk und Staat". In diesem Sinne überbringe ich auf diesem Festconvent die Grüße' der Bundesregierung.
Daran schlossen sich einige Ausführungen über das Thema des Dritten Studententages.
4. Die gleichen Ausführungen wurden beim Festkommers der Katholischen Studentenverbindungen zu demselben Thema gemacht.
5. Entgegen gewissen Behauptungen hat die Bundesregierung damit in der Frage der studentischen Verbindungen weder in dem einen noch in dem anderen Sinne Stellung genommen, wed diese ganze Frage außerhalb ihrer Zuständigkeit liegt. Sie hat allerdings jede Gelegenheit benutzt - damit darf ich Ihre Frage im engeren Sinne des Wortes beantworten -, auch außerhalb der offiziellen Tagesordnung auf die Bedeutung des Themas „Die Verantwortung des Studenten für Volk und Staat" mit besonderem Ernste hinzuweisen. Verständnis und Verantwortung der deutschen Studenten, gleichgültig ob in Verbindungen organisiert oder nicht, können nach Ansicht der Bundesregierung nicht oft genug betont werden, gerade wenn bestimmte Fehlentwicklungen der Vergangenheit vermieden werden sollen.
6. Die in der kommunistischen und leider auch in einem Teil der sozialdemokratischen Presse erschienene Behauptung, daß der Saal dieser Veranstaltungen schwarz-weiß-rot geflaggt gewesen sei, ist ebenso unrichtig wie die Feststellung, daß Bundesminister Strauß Waffenstudent oder Reaktionär sei.
({0})
Herr Abgeordneter Schmidt, eine Zusatzfrage!
Ich bitte, mir zu gestatten, daß ich mehrere Zusatzfragen stelle, weil der Herr Bundesminister beide aufeinanderfolgenden Fragen, die verschiedene Nummern tragen, gemeinsam beantwortet hat, so daß sich daraus mehrere Zusatzfragen ergeben wenden.
Bitte schön!
Schmidt: ({0}) ({1}): Herr Bundesminister Strauß, Sie sagten soeben, daß die Bundesregierung auf diesem Studententag vermieden habe, zur Frage der studentischen Verbindungen und Korporationen Stellung zu nehmen. Ich glaube, das war Ihr Wortlaut. Was hat es dann zu bedeuten, daß Säe wörtlich ausgeführt haben, der engere Zusammenschluß aller Studentenschaften deutscher Zunge sei nunmehr wieder eine Notwendigkeit?
Ich bitte Sie, mir die Quelle Ihrer Behauptung nachzuweisen. In meinem heute noch vorhandenen Stichwort-Manuskript steht, ebenso wie im Gedächtnis der Teilnehmer, nichts Derartiges.
Ich bin gerne bereit, Ihnen die Quelle dafür nachzuweisen. Es handelt sich hier um Augen- und Ohrenzeugen, die mir dies berichtet haben, die auch mitstenographiert haben, wie übrigens auch die Behauptung der schwarz-weiß-roten Ausschmückung dieses Saales sich auf sehr profunde und angesehene Quellen stützt, z. B. auf den „Rheinischen Merkur". Darf ich Sie fragen, Herr Bundesminister, was Sie davon halten, wenn der „Rheinische Merkur" schreibt:
Überhaupt eine schmissige Atmosphäre. Neben
dem Rednerpult stand die schwarz-weiß-rote
Fahne.
({0})
Manchmal sogar das, Kollege Wehner. - Das ist einer der seltenen Fälle, wo der „Rheinische Merkur" mit der „Südpost" im Irrtum wenigstens einig geht.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage!
Ich darf allerdings noch ergänzend - ({0})
Augenblicklich wird noch eine Zusatzfrage beantwortet.
Ich darf noch ergänzend dazu bemerken, daß neben den zahlreichen Vereinsfahnen, deren farbige Zusammensetzung in einem kurzen Aufenthalt im einzelnen festzustellen mir bei aller politischen Gewissenhaftigkeit nicht möglich war,
({0})
die offiziellen Farben Schwarz-Rot-Gold gewesen sind. Sie können überzeugt sein, Kollege Schmidt: unter einer anderen offiziellen deutschen Fahne würde ich als Mitglied der Bundesregierung, aber auch als Mitglied des Bundestages nicht sprechen.
({1})
Herr Abgeordneter Schmidt, bitte!
Herr Bundesminister, ich bin von dieser Ihrer letzten Erklärung außerordentlich befriedigt. Ich darf gleich hinzufügen, daß ich auch darüber sehr befriedigt war, daß Sie erklärt haben, daß sich auch der „Rheinische Merkur" irren könne.
({0})
Herr Abgeordneter Schmidt, die Frage 22 ist damit ebenfalls erledigt; sie ist gleichzeitig mit Frage 21 beantwortet worden. Wünscht der Herr Bundesminister zur Frage 22:
Hält es die Bundesregierung für angebracht, daß eines ihrer Mitglieder die offiziellen Grüße der Bundesregierung auf einem Podium und in einem Saal verliest, die überwiegend mit den Farben schwarz-weiß-rot drapiert sind?
noch eine weitere Antwort zu geben?
Antwort auf Frage 22: Nein!
({0})
Mit dieser Antwort ist der für die Fragestunde zur Verfügung stehende Zeitraum verstrichen. Die übrigen Fragen werden in der üblichen Weise schriftlich beantwortet werden, falls sie nicht wiederholt werden, um auf die Liste für die nächste Fragestunde gesetzt zu werden.
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betreffend Wahl der deutschen Mitglieder der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.
Es liegt ein Antrag vor der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP betreffend die Wahl der deutschen Mitglieder der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, Drucksache 634. Da es sich um einen gemeinsamen Vorschlag aller Fraktionen des Hauses handelt, darf ich Ihr Einverständnis unterstellen, daß wir über diesen Antrag en bloc abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die die Wahl in der im Antrag Drucksache 634 vorgeschlagenen Weise vorzunehmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. -Enthaltungen? - Bei, wenn ich recht sehe, einer Enthaltung und ohne Gegenstimmen ist die Wahl erfolgt.
Die formelle Frage über die Annahme der Wahl brauche ich nicht zu stellen. Ich nehme an, daß die Fraktionen die Mitglieder mit ihrem Einverständnis vorgeschlagen haben, und stelle fest, daß die Wahl von den vorgeschlagenen Abgeordneten angenommen worden und damit erfolgt ist.
Weiter liegt mir ein noch nicht als Drucksache verteilter gemeinsamer Antrag aller Fraktionen des Hauses vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes wird ersucht, den deutschen Mitgliedern der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl unverzüglich Diplomatenpässe ausstellen zu lassen.
({0})
Soll dieser Antrag begründet werden? - Offenbar nicht. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag aller Fraktionen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen.
Ich komme zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend „Vulkan"-Fall ({1}).
Herr Abgeordneter Dr. Greve begründet die Große Anfrage. Im Ältestenrat hat man sich auf eine Begründungszeit von 20 Minuten geeinigt.
Dr. Greve ({2}), Anfragender: Das ist mir nicht bekannt, Herr Präsident; damit komme ich auch nicht aus.
({3})
- Mit 25 Minuten komme ich auch nicht aus. Davon ist mir erst jetzt etwas bekanntgeworden.
Das liegt nicht an mir. - Meine Damen und Herren, es pflegt sich ja manchmal so zu entwickeln, daß sich vorgesehene Zeiträume einschränken.
Dr. Greve ({0}), Anfragender: Meine Damen und Herren!
Der staatliche Hochmut, den Bonn bei der Affäre „Vulkan" gezeigt hat, ist in der Bundesrepublik keineswegs eine Ausnahme.
({1})
Die totalitärer Gesinnung entsprechende Ansicht, daß der Staat allmächtig sei und seine Interessen denen der Bürger vorzugehen haben,
({2})
ist so verbreitet, daß es kaum noch Abgeordnete und Staatsanwälte gibt, die ihr zu widersprechen wagen.
({3})
- Ja, meine Damen und Herren, Sie können murren, soviel Sie wollen. Das stammt nicht von mir, sondern ist ein Zitat von Herrn Richard Tüngel, dem Chefredakteur der Zeitschrift „Die Zeit", die von dem in Ihren Kreisen sehr geachteten und von uns des öfteren beachteten Kollegen Dr. Bucerius als Verleger herausgegeben wird.
({4})
Ich nehme an, daß Sie diesen doch immerhin beachtenswerten Ausführungen von Herrn Richard Tüngel die Aufmerksamkeit zollen, die ihnen ohne Zweifel zukommt.
Um die von meiner Fraktion gestellte Große Anfrage zu begründen und Ihnen die Vorgänge mit der notwendigen Klarheit ins Gedächtnis zurückzurufen, ist es unerläßlich, auf 'die nunmehr schon historisch gewordenen Dinge etwas näher einzugehen.
Am 9. April 1953 sollte, nicht etwa nach dem Willen der Götter, sondern nach dem Willen von bundesministeriellen Menschen, ein Vulkan ausbrechen, und zwar mit elementarer Gewalt, wie es unseligen Angedenkens auch mit dem Wort „schlagartig" gesagt worden ist. Ein Vulkan ganz anderer, nämlich politischer Art sollte ausbrechen und mit seiner Lava alle diejenigen vernichten, die sich zu einem Spionagering als der größten sowjetischen Geheimorganisation seit dem Kriege zusammengeschlossen hätten, wie es wörtlich gesagt worden ist. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, kein Mensch in der Bundesrepublik hätte irgend etwas dagegen gehabt, wenn nach Grundgesetz und Gesetzen, die in der Bundesrepublik Deutschland gelten, gegen hier in der Bundesrepublik befindliche Menschen vorgegangen worden wäre, wenn sie sich tatsächlich in einer Art und Weise verhalten hätten, daß hinreichender Verdacht vorlag, sie des Landesverrates oder ähnlicher Delikte überführen zu können. Am 9. April und in der Nacht vom 9. zum 10. April 1953 erfolgten an allen möglichen Orten in der Bundesrepublik Verhaftungen, Verhaftungen, die nun am 10. April, also am folgenden Tage, nicht etwa von dem für Verhaftungen ganz allgemein diesem Hause verantwortlichen Bundesminister der Justiz bekanntgegeben wurden, da die Haftbefehle auf Antrag des Oberbundesanwalts in Karlsruhe von einem als Ermittlungsrichter bestellten Richter des Bundesgerichtshofes erlassen worden waren; nein, am 10. April 1953 nannte der Stellvertreter des Bundeskanzlers - in Abwesenheit des sich in den Vereinigten Staaten befindenden Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer -, Herr Bundesminister Blücher, in Anwesenheit nicht etwa eines zuständigen Beamten aus dem Bundesjustizministerium, sondern des Herrn Ministerialdirektors Egidi aus dem Bundesministerium des Innern auf einer auf Veranlassung des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach Köln einberufenen Pressekonferenz die Namen von etwa 40 verhafteten Staatsbürgern und kennzeichnete diese als Landesverräter und Wirtschaftsspione, ohne daß auch nur gegen einen einzigen von ihnen in einem Untersuchungsverfahren die gegen sie erhobenen Verdächtigungen bestätigt worden waren.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein so ungewöhnlicher Vorgang in einem Staate, der sich Rechtsstaat nicht nur nennt, sondern nach unserer Auffassung ein Rechtsstaat auch sein soll,
({6})
daß wir uns gegen derartige Methoden in den Anfängen mit aller Schärfe zur Wehr setzen müssen.
({7})
Was heißt es, daß nicht etwa der Herr Bundesminister der Justiz, sondern der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers in Anwesenheit eines Ministerialdirektors aus dem Bundesministerium des Innern diese Dinge auf einer Pressekonferenz bekanntgab? Das heißt doch nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesregierung diese Angelegenheit nicht als einen juristischen, sondern als einen politischen Vorgang betrachtete.
({8})
Ich glaube, wir erinnern uns nur allzugut der Dinge, die mit dem Jahre 1945 bei uns in Deutschland ein Ende gefunden haben sollten und immer als politische Maßnahmen bezeichnet wurden, in Wirklichkeit aber Vorgänge waren, denen man nur juristisch hätte begegnen sollen. Denn wenn die Bundesregierung diese Angelegenheit - Landesverrat, Wirtschaftsspionage - als eine juristische Angelegenheit betrachtet hätte, wozu sie bei Vor({9})
liegen entsprechender Anhaltspunkte zweifelsohne verpflichtet gewesen wäre, dann war der Herr Bundesminister der Justiz und waren nicht etwa der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers und das Bundesministerium des Innern für diese Angelegenheit zuständig.
Seitdem ist selbstverständlich diese Affäre weder in der Presse noch sonst in der öffentlichen Diskussion zur Ruhe gekommen. Die Presse, die sich ursprünglich zu einem Teil etwas reserviert verhielt, hat schon nach ganz kurzer Zeit ihre eindeutig ablehnende Haltung bekanntgegeben. Es fragt sich jetzt: wer sind eigentlich die Auguren dieser „Vulkan"-Affäre? Es sind in erster Linie das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundesministerium des Innern, der Oberbundesanwalt und das Bundeskriminalamt.
Nun darf aber niemand etwa annehmen, meine sehr verehrten Damen und Herren, „Vulkan" sei eine Maßnahme gewesen, für die die Bundesregierung nicht die Verantwortung trage. Nein, im Gegenteil! In der Presse - und ich darf mich hier wiederum auf die Zeitschrift „Die Zeit" beziehen - ist deutlich geworden, daß man sich ursprünglich im Kabinett keineswegs darüber im klaren war, wie in dieser Angelegenheit verfahren werden solle. Herr Richard Tüngel schreibt in der „Zeit" vom 16. April 1953:
Nachdem das Kabinett in einer mehrstündigen Sitzung beschlossen hatte, die Öffentlichkeit auf eine hochoffizielle Weise, die in einem demokratischen Staat ganz außergewöhnlich ist, von den Vorfällen zu benachrichtigen, konnte man sich zunächst nicht einigen, ob es in Form eines Kommuniqués oder ob dies in Form einer Pressekonferenz geschehen sollte. Anfänglich war man für eine Pressekonferenz, dann für ein Kommuniqué - dieses Kommuniqué ist sogar entworfen gewesen -, und schließlich entschied man sich wieder für eine Pressekonferenz.
Aus dieser Erörterung in der Zeitschrift „Die Zeit" hat sich eine Diskussion zwischen dem Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz, dem Präsidenten Otto John, und Herrn Richard Tüngel ergeben. In einem Brief als Antwort auf die Ausführungen von Herrn Richard Tüngel schreibt der Präsident Otto John als derjenige, der es am besten wissen mußte:
Richtig ist vielmehr, daß das Kabinett auf Grund und unter dem Eindruck des Sachvortrags
- wer diesen Sachvortrag gehalten hat, ist hier nicht gesagt; anzunehmen ist, daß Herr John das selbst getan hat unverzüglich und einstimmig beschlossen hat, die von Vizekanzler Blücher später verlesene Mitteilung an die Presse herauszugeben.
Die Bundesregierung hat also einstimmig beschlossen, so zu verfahren, wie Herr Bundesminister Blücher es dann am 10. April 1953 getan hat, nämlich, ohne daß vorher in einem entsprechenden Untersuchungsverfahren hinreichender Tatverdacht festgestellt worden war, die Namen von 40 in der Bundesrepublik vorhandenen Menschen, zum großen Teil Staatsbürgern dieser Bundesrepublik, bekanntzugeben, so daß keiner etwa annehmen könnte, daß die Bundesregierung für das Verhalten des Herrn Bundesministers Blücher nicht die volle Verantwortung trägt. Ich weiß nicht, welchen Einfluß Herr Bundesminister Blücher selber auf die Angelegenheit genommen hat. Ich kann mir vorstellen, daß er ohne großen Widerspruch sich hier einem Beschluß der Bundesregierung gebeugt hat. Aber wenn man Minister ist und sogar als Stellvertreter des abwesenden Herrn Bundeskanzlers amtiert, dann muß man eben andere Prüfungen vornehmen, als es hier offenbar geschehen ist.
Wie es dann bei der Durchführung der Verhaftungen ausgesehen hat, meine verehrten Anwesenden, das haben wir aus den Zeitungen entnommen. Da sind die gleichen Dinge passiert, die seit dem 30. Januar 1933 des öfteren vorgekommen sind - auch am 30. Juni 1934, als man nicht die Richtigen, sondern die Falschen erschossen hat. Zum Erschießen ist es hier Gott sei Dank nicht gekommen, aber zum Verhaften, und das genügt schon nach unserer Auffassung.
({10})
So ist nämlich statt des richtigen ein falscher Karl Becker im Zusammenhang mit dem von den Sicherheitsbehörden des Bundes aufgedeckten sowjetischen Agenten- und Spionagering verhaftet worden, den man dann wieder entlassen mußte, nachdem man den richtigen Karl Becker gefunden und der zuerst Verhaftete sich als der falsche herausgestellt hatte.
({11})
In diesem Zusammenhang ist es nicht uninteressant, daß bei der Erörterung dieser Dinge mit den zuständigen Bundesdienststellen darauf hingewiesen wurde - ich zitiere auch hier wieder Herrn Tüngel -, daß auf der bei der Aktion „Vulkan" verteilten Liste von Verhafteten deren Namen zum Teil in falscher Schreibart angegeben waren und daß man im Zuge der Erörterungen aller dieser Maßnahmen in Bonn erklärte, es sei unvermeidlich, daß bei einem solchen Schlag mehr Leute verhaftet würden, als eigentlich schuldig seien.
({12})
Meine Damen und Herren, das in der rechtsstaatlichen Bundesrepublik Deutschland!
Die Dinge nehmen ihren Lauf. Es zeigte sich, daß die Angelegenheit von den zuständigen Bundesdienststellen völlig mangelhaft vorbereitet war und daß mit einer Leichtfertigkeit sondergleichen vorgegangen worden ist.
({13})
Der Herr Oberbundesanwalt Dr. Wiechmann erklärte in einem späteren Zeitpunkt, als wieder einmal diese Angelegenheit mit der Presse erörtert wurde, nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 7. Mai 1953, daß der Komplex der Bundesanwaltschaft erst kurz vor dem 8. und 9. April bekanntgegeben worden sei. Die Bundesanwaltschaft, die die Haftbefehle beantragt hat, hatte also bei diesem doch nicht einfachen, sondern sehr schwierigen Komplex, für den man nach den eigenen Angaben der zuständigen Dienststellen schon Jahre gebraucht hatte, um herauszufinden, was eigentlich daran sei, nur wenige Tage Zeit, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob es angebracht sei, so zu verfahren, wie verfahren worden ist.
({14})
Es gab sofort Entlassungen, und bei diesen Entlassungen gab es sich völlig widersprechende Aussagen der Bundesbehörden über die Gründe der
({15})
Entlassungen. Während z. B. der Oberbundesanwalt noch am 6. Mai vor der Presse in Karlsruhe erklärte, daß es sich bei dem Fall „Vulkan" weder um illegalen noch um legalen Ost-West-Handel handle, sondern ausschließlich um ein Nachrichtensystem, wird am 7. Mai, also am folgenden Tage, der Bonner Chemiekaufmann Friedrich Brannenkamper aus der Haft entlassen und die Freilassung vom Ermittlungsrichter damit begründet, daß der Verdacht, der Verhaftete habe illegale Ost-West-Geschäfte getätigt, durch die Vorlage der Geschäftsakten widerlegt sei.
({16})
Demgegenüber hatte Herr Egidi in der Eröffnungspressekonferenz erklärt, daß die Spionage - Spionage! - sich sowohl auf wirtschaftliche als auch auf militärische und politische Gebiete erstrecke.
Ja, meine Damen und Herren, was ist denn nun eigentlich gewesen? Der Herr Oberbundesanwalt erzählt, daß es sich weder um illegale noch um legale Ost-West-Handelsgeschäfte handle, sondern ausschließlich um Nachrichtenfragen, der Haftrichter entläßt einen Verhafteten mit dem Begründen, daß der Verdacht, Ost-West-Handelsgeschäfte betrieben zu haben, nicht vorliege, und der Herr Ministerialdirektor Egidi hatte erklärt, die Angelegenheit erstrecke sich auch auf militärische und politische Vorgänge in der Bundesrepublik.
Daß bei dieser Art, etwa vierzig Bürger zu verhaften, kein großer Erfolg auf die Dauer beschieden sein konnte, das, glaube ich, wird die Bundesregierung inzwischen selbst eingesehen haben.
Es folgten Entlassungen auf Entlassungen. Ich will Ihnen nur einige kurze Daten geben. Von den am 9. und 10. April 1953, ich glaube, 39 oder 38 Verhafteten waren am 11. Mai 1953 noch 26 in Untersuchungshaft, am 13. Mai noch 24. Zunächst scheute man sich auch nicht, offen zuzugeben, daß kein hinreichender Tatverdacht vorliege und die Entlassungen aus diesem Grunde erfolgt seien. Als aber die Zahl derer, die entlassen werden mußten, zu groß wurde, schien einigen die Scham doch etwas mehr ins Gesicht zu steigen - es wäre angebracht gewesen, daß das früher geschehen wäre -,
({17})
und man gab überhaupt nicht mehr bekannt, aus welchen Gründen die Entlassungen erfolgten. Auf Anfragen der Presse weigerte man sich sogar, die Gründe bekanntzugeben, aus denen die Haftentlassungen erfolgten, und man weigerte sich auch anzugeben, wie viele der ursprünglich Verhafteten sich noch in Untersuchungshaft befänden. Als ob es sich dabei um ein Staatsgeheimnis handelte! Die Presse war mit Recht aufgebracht, und wir sind es heute noch.
Schließlich entschlossen sich einige Anwälte, die Haftentlassung der von ihnen vertretenen Mandanten bekanntzugeben.
Einige Monate später, am 21. Oktober 1953, waren noch ganze vier der ursprünglich Verhafteten in Haft, am 8. Dezember 1953 waren es noch drei, am 14. Juni 1954 noch zwei, und heute morgen war in der Zeitung zu lesen, daß wiederum einer der ursprünglich Verhafteten entlassen worden ist, so daß also außer anderem ein ganzer Untersuchungshäftling für die Behandlung der mit so großem Aplomb eingeleiteten Affäre „Vulkan" noch übrigbleibt. Inzwischen sind allerdings, wie bemerkt
werden muß, um der richtigen Berichterstattung in diesem Falle zu genügen, zwei der ursprünglich Verhafteten zu Gefängnisstrafen von 1 Jahr 9 Monaten und 2 Jahren verurteilt worden.
Die Bundesanwaltschaft und die für diese Angelegenheit politisch zuständigen Ministerien der Bundesrepublik haben aber bis heute noch nicht bekanntgegeben, was nun eigentlich mit den zu Unrecht Verhafteten hinsichtlich der Schadensersatzansprüche, die gestellt worden sind, zu geschehen hat, was im einzelnen vorgelegen hat, aus welchen Gründen diese und jene verhaftet worden sind und welche Gründe dafür maßgebend gewesen sind, eine Reihe der ursprünglich Verhafteten zu entlassen. Es ist nur ein Streit darüber geführt worden, ob eine Reihe der Verhafteten entlassen worden sind, weil ihnen gegenüber der Nachweis, daß sie sich einer strafbaren Handlung schuldig gemacht haben, nicht geführt werden konnte, oder ob es sich sogar darum handelt, daß die Betreffenden unschuldig in Untersuchungshaft genommen worden sind; und diese Diskussion in einer politisch aufgezogenen Angelegenheit wird deswegen geführt, weil es sich um die Frage der materiellen Regelung handelt, die man doch in irgendeiner Art und Weise für die zu Unrecht Verhafteten finden muß.
Meine Damen und Herren! Welche Konsequenzen eine solche Maßnahme der Bundesregierung hat, das, glaube ich, brauchen wir hier im einzelnen zur Begründung unserer Großen Anfrage nicht auszuführen.
Wenn wir die Affäre „Vulkan" noch einmal vor dem Parlament zur Sprache bringen, dann sind wir uns dessen gewiß, daß es sich dabei nicht um einen Eingriff in schwebende Verfahren handelt; denn die Öffentlichkeit hat, nachdem sie offiziell durch den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers aus politischen Motiven, wie ich sagte, unterrichtet worden ist, ein Interesse daran, zu erfahren, was aus einer solchen politisch gestarteten Aktion nach mehr als einem Jahre übriggeblieben ist. Wenn einer in ein schwebendes Verfahren eingegriffen hat, dann der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers, Bundesminister Blücher, am 10. April 1953, als er auf der von mir bereits erwähnten Bundespressekonferenz in Köln Namen von Verhafteten bekanntgegeben hat, was nach der in einem Rechtsverfahren üblichen Praxis ausschließlich Angelegenheit der zuständigen Pressestelle bei den Gerichten bzw. Staatsanwaltschaften ist. Was ist also heute von diesem ganzen „Vulkan" übriggeblieben? Meines Erachtens nichts weiter als ein Haufen stinkenden Unrats!
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- Ja, genau so ist es. Man soll die Dinge einmal beim Namen nennen, oder glauben Sie etwa nicht, daß das eine Angelegenheit ist, die die Öffentlichkeit auch dann noch beschäftigen wird, wenn die Bundesregierung weiterhin schweigt?
Wir haben zwar aus der Presse vernehmen können, daß der Herr Bundesminister des Innern zu der Angelegenheit „Vulkan" heute vor dem Bundestag Stellung nehmen will, und wir sind begierig darauf zu hören, was der Herr Bundesminister des Innern zur Rechtfertigung der Maßnahmen, die im Zuge der Aktion „Vulkan" getroffen worden sind, zu sagen hat. Ich zitiere wiederum Herrn Tüngel, und das mag Ihnen den Beweis dafür liefern, daß
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wir uns bemühen, auch aus den Blättern, die uns nicht gerade nahestehen, wertvolles Material zu sammeln. Herr Tüngel fragt:
Welche Konsequenzen will man in Bonn aus dieser Situation ziehen? Urheber der Affäre ist das Bundesverfassungsschutzamt in Köln, das sein ungeprüftes Agentenmaterial als Tatsachenmaterial ausgegeben hat.
Und eine unseren Kreisen wirklich nicht nahestehende Zeitung wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" führt aus, daß es sich bei den Verhafteten zu einem großen Teil um wirklich unschuldige Opfer der Anschwärzerei einer düsteren Existenz, eines übergelaufenen Agenten, handle und daß das nur zu bedauern sei. Dann heißt es in diesem Blatt:
Trotzdem wird eine Regierung, die jederzeit den größten Wert auf Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Einzelpersönlichkeit legen sollte, sich schwer von dem Argwohn reinigen können, in diesem Falle mit dem Ruf und dem Ansehen von drei Dutzend Bürgern und einer Anzahl von Unternehmen recht leichtfertig umgesprungen zu sein.
Meine Damen und Herren! Wir wollen unsererseits - ich sagte es schon - nicht in ein schwebendes Verfahren eingreifen, und wir sind uns auch dessen bewußt, daß wir es nicht tun, weil die Angelegenheit von der Bundesregierung politisch aufgezogen worden ist. Aber wir wünschen, daß der Herr Oberbundesanwalt sich von Vorstellungen frei macht, die wie in diesem Falle keine Möglichkeit nüchterner Betrachtung von delikaten Delikten bieten. Es ist durchaus unsere Auffassung, daß keine Landesverräter, wenn es wirklich welche sind, geschont werden sollten. Noch mehr legen wir allerdings Wert darauf, daß man nicht Methoden anwendet, wie sie in diesem Falle angewendet worden sind, Methoden, die nichts anderes bedeuten als ein Aufleben derjenigen Verhältnisse, die uns bis zum Jahre 1945 zum großen Teil unserer Freiheit beraubt haben. Voreiligkeit, wie sie sich zu allen möglichen Zeiten der Durchführung der Aktion „Vulkan" gezeigt hat, ist weiß Gott kein Zeichen von Stärke, sondern ein Zeichen von ausgesprochener Schwäche.
Wie sieht es nun mit den Betroffenen selbst aus? Ich glaube, daß unsere Anfrage durchaus berechtigt ist, wenn man weiß, daß in den letzten Wochen zumindest einer der Betroffenen eine Klage gegen die Bundesregierung auf Schadenersatz von 500 000 DM beim Landgericht Bonn erhoben hat, und zwar weil hier tatsächlich ohne Not deutsche Staatsbürger schwerer Verbrechen verdächtigt worden sind. Ihr Ruf wurde geschädigt, ebenso der ihrer Familie und ihres Geschäfts. Ihre Gesundheit hat zum Teil schwer gelitten. In einem Fall endete das Leben eines Menschen durch Selbstmord. Er würde heute noch unter uns weilen, wenn nicht so verfahren worden wäre, wie verfahren worden ist; denn es hätte keine Möglichkeit gegeben, den Mann mit dem Tode zu bestrafen, selbst wenn er das schwerste Delikt nach unserem Strafgesetzbuch begangen hätte. Das sind Folgen, für die jene aufzukommen haben, die die Aktion „Vulkan" verantworten müssen.
Und das alles, meine verehrten Anwesenden, ist geschehen nach der Konvention zum Schutz der Menschenrechte, die von der Bundesregierung selbst ratifiziert worden ist und nach deren § 6 Abs. 2
vermutet wird, daß bis zum Nachweis seiner Schuld der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.
({20})
Wer diese Konvention zum Schutz der Menschenrechte unterschrieb, der durfte nicht so handeln, wie es im Falle der Aktion „Vulkan" geschehen ist, und durfte auch nicht veranlassen, so zu verfahren wie im Falle der Aktion „Vulkan".
({21})
Ich glaube, meine Damen und Herren, allein diese Ausführungen, die ich zur Begründung der Großen Anfrage meiner Fraktion gemacht habe, sind ausreichend, um Ihnen zum Bewußtsein zu bringen, daß die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, endgültig zu erfahren, welche Stellung die Bundesregierung zu den Fragen der Großen Anfrage meiner Fraktion, die in der Drucksache 315 aufgeführt sind, nimmt. Ich wünsche nur, daß die Rechtsstaatlichkeit unseres Lebens und daß das rechtsstaatliche Denken der Bürger dieser Bundesrepublik Deutschland durch die Aktion „Vulkan" keinen größeren Schaden genommen hat als den, der bisher eingetreten ist. Dieser Schaden ist schon groß genug; und der Herr Bundesminister des Innern mag uns auch sagen, wie er nicht nur materiell die Opfer zu entschädigen gedenkt, sondern wie er den Glauben an die Rechtsstaatlichkeit und Verfassungsmäßigkeit, die insbesondere in der Freiheit jedes einzelnen deutschen Bürgers ihren Ausdruck finden, wiederherstellen will.
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Meine Damen und Herren! Bevor ich dem Herrn Bundesminister des Innern das Wort erteile, gebe ich auf Wunsch des Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten bekannt, daß die für 11 Uhr angesetzte Sitzung erst um 11 Uhr 30 beginnt. Ich bitte freundlichst, davon Kenntnis zu nehmen.
Zur Beantwortung der Großen Anfrage der Herr Bundesminister des Innern!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir an sich leid, daß es sich so lange herausgezögert hat, bis diese Frage hier zur Behandlung gestellt worden ist. Ich hatte mich längst vorher dazu bereit erklärt, diese Große Anfrage zu beantworten. Wir haben aber in der letzten Zeit häufiger aus rein geschäftsordnungsmäßigen Gründen Verzögerungen erlebt, die der Sache nicht immer dienlich gewesen sind. Ich darf dem Hohen Hause sagen, daß ich in künftigen Fällen, in denen die Dringlichkeit besonders groß sein wird, von dem Recht Gebrauch machen werde, eine Regierungserklärung abzugeben, weil es gewisse Dinge von so großer Bedeutung gibt, daß wir sie nicht der geschäftsordnungsmäßigen Behandlung und ihren Risiken wochenlanger Verzögerung aussetzen können.
Zur Beantwortung dieser Großen Anfrage bin ich vielleicht deshalb am besten in der Lage, weil die Dinge weit über ein Jahr zurückliegen und nicht in meine Amtszeit fallen. Ich glaube, daß ich deswegen am ehesten dazu berufen bin, eine unbefangene Meinung zu vertreten.
Die Angelegenheit „Vulkan" ist, wie Herr Kollege Greve bei Begründung der Großen Anfrage ausgeführt hat, ein Komplex von Strafverfahren
({0})
gegen einen größeren Personenkreis, der der Mitwirkung in einem sowjetisch gesteuerten Spionagering beschuldigt wurde. Sie hat dadurch besonderes Aufsehen erregt, daß kurz nach Ostern 1953 38 Personen aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten verhaftet und die Namen der Verhafteten auf einer amtlichen Pressekonferenz der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden.
Dieses Vorgehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, mag ungewöhnlich erscheinen, aber die Umstände, die es ausgelöst hatten, waren ebenfalls ungewöhnlich. Im März 1953 erfuhr das Bundesamt für Verfassungsschutz, daß sich der Abteilungsleiter Krauss des sogenannten Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung in Ost-Berlin in das Bundesgebiet absetzen würde. Dieses Institut stand schon seit längerer Zeit in dem Verdacht, im Bundesgebiet Tarnfirmen gegründet zu haben und darüber hinaus auch mit bestehenden Firmen laufend Beziehungen zu unterhalten, um geheimzuhaltende wirtschaftliche und politische Vorgänge in der Bundesrepublik zu erkunden.
Am 6. April 1953, dem zweiten Osterfeiertag, traf Krauss im Bundesgebiet ein. Er wurde durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sofort dem Oberbundesanwalt, dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs und Beamten des Bundeskriminalamts zugeführt. Die sofortige erste Auswertung des umfangreichen, von Krauss mitgebrachten Materials ergab den Eindruck, daß man einem weitgespannten gefährlichen Spionageunternehmen gegenüberstand. Die Leitung des bereits im Jahre 1951 errichteten Instituts bestand danach aus bewährten Mitarbeitern des Zentralkomitees der SED, unter denen die Namen Ackermann und Heidenreich hervorstechen. Auch im übrigen sind im Institut nur besonders bewährte, politisch und nachrichtendienstlich geschulte Kräfte verwendet worden.
Die Aufgaben des Instituts sind in dem von Krauss mitgebrachten Programm dahin festgelegt - ich zitiere wörtlich -,
aus dem Nervenzentrum des Gegners politische, wirtschaftliche, technische, wissenschaftliche und militärische Nachrichten zu beschaffen, um der Führung der Partei der Arbeiterklasse und der Staatsführung Kenntnisse über die Lage im gegnerischen Lager, seine Pläne und Absichten sowie über die in seinem Lager herrschenden Gegensätze zu verschaffen.
Das Institut gliedert sich nach dem gleichfalls vorgelegten Organisationsplan in vier Hauptabteilungen, nämlich je eine für politische und militärische Spionage, für Wirtschaftsspionage, für zentrale Auswertung aller Nachrichten und für allgemeine Verwaltung. Daneben bestehen zwei selbständige sogenannte „Operative Abteilungen" für Spionageabwehr und für Spionage auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik, ferner eine Kaderabteilung zur Werbung der hauptamtlichen Mitarbeiter sowie für Beobachtung und Beschattung. Nach den überbrachten Unterlagen unterhielt das Institut in der Bundesrepublik Agenten, Residenten und sonstige Informanten.
Das Institut führte Personalakten über alle Personen, die für nachrichtendienstliche Aufgaben angeworben wurden, und Objektsakten über alle den Nachrichtendienst interessierenden Behörden, Industriewerke, militärische Bauten und ähnliches. Die durch einen Agenten geleistete Arbeit wurde
in Arbeitsakten zusammengefaßt. Sperrkarten sollten sicherstellen, daß der darin Vermerkte nicht gleichzeitig durch verschiedene Abteilungen des Instituts oder andere östliche Nachrichtendienste zum Einsatz gelangte. Die Anlegung einer Sperrkarte zeigte, daß der Betreffende nach Abklärung zur Mitarbeit bereits ausgewählt war. Dies begründete und begründet auch heute noch den Verdacht, daß er sich schriftlich oder mündlich zur Mitarbeit bereit erklärt hatte und dem Institut hierfür geeignet erschien.
Als Quellen wurden nach den gleichen Unterlagen bevorzugt Personen benutzt, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Beziehungen zum Osten als besonders ansprechbar oder abhängig betrachtet wurden. Als Deckmantel für die Spionagetätigkeit wurden hauptsächlich Firmen benutzt, die im Rahmen des legalen oder illegalen Interzonenhandels tätig sind. Standen solche Firmen nicht zur Verfügung, so wurden sie durch Beauftragte des Instituts, zum Teil unter Einsatz ganz erheblicher Mittel, als Tarnfirmen besonders aufgebaut.
Die aus der sofortigen Durcharbeitung dieser Unterlagen gewonnenen Eindrücke bildeten eine Bestätigung von Erkenntnissen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik in der Spionageabwehr aus anderen Fällen bereits gewonnen hatten. Ende 1950 hatte das Bundesamt Hinweise dafür erhalten, daß besonders unter dem Deckmantel des Handels zwischen dem Bundesgebiet, der Sowjetzone und den östlichen Satellitenstaaten Nachrichtenverbindungen aufgebaut wurden, um Spionage in der Bundesrepublik zu betreiben. Die Ergebnisse der Schritt für Schritt sich vortastenden Abwehrarbeit hatten am 15. April 1952 zur Verhaftung der früheren Schauspielerin Maria Knuth, der Hauptperson eines in der Bundesrepublik tätigen Spionageringes, geführt. Frau Knuth ist am 31. Januar 1953 wegen versuchten Landesverrats und anderer Delikte zu 4 Jahren Zuchthaus, ihr Mitarbeiter Westbeld wegen landesverräterischer Beziehungen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Am 22. August 1952 war der Leiter des sowjetzonalen Büros für innerdeutschen Handel in Frankfurt am Main, Ludwig Weis, verhaftet worden. Er hatte seine Stellung dazu benutzt, um selber geheime Nachrichten über die wirtschaftliche, politische und militärische Situation im Bundesgebiet zu sammeln und um weitere Quellen, die sich bewußt oder gutgläubig ihm zur Verfügung stellten, für eine Spionagetätigkeit zu gewinnen. Weis ist inzwischen durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. März 1954 wegen versuchter Ausspähung von Staatsgeheimnissen zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Zwischen dem 24. und 26. Februar 1953 war eine im Bundesgebiet für den tschechischen Spionagedienst arbeitende Gruppe, die unter der Führung eines gewissen Woyde stand, verhaftet worden. Woyde und seine fünf Mitarbeiter sind inzwischen durch Urteil des Kammergerichts in Berlin vom 11. März 1954 wegen landesverräterischer Beziehungen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden.
In dem von Krauss überbrachten Material fanden sich zahlreiche Namen von Inhabern und Angestellten westdeutscher Firmen sowie von anderen Personen, die zu Mitarbeitern des sogenannten Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik oder in der Sowjetzone Beziehungen unterhielten. Für einen
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großen Teil dieser Personen wurden nach Aussagen des Krauss beim Institut Personal- und Arbeitsakten, zum Teil auch Sperrkarten geführt.
Dies war die Gesamtlage, vor die sich der Oberbundesanwalt und der Ermittlungsrichter nach der einige Tage erfordernden ersten Überprüfung des gesamten überbrachten Materials gestellt sahen. Schnellstes Handeln war erforderlich, weil mit dem Ablauf der Osterfeiertage die Entfernung des Angestellten im Ost-Berliner Institut bekannt und mit einer Warnung der im Bundesgebiet für das Institut tätigen Personen gerechnet werden mußte. Der Oberbundesanwalt entschloß sich daher, gegen 44 Personen, die er für dringend tatverdächtig hielt und bei denen er Fluchtverdacht oder Verdunkelungsgefahr annahm, Antrag auf Haft- und Durchsuchungsbefehl zu stellen. Der Ermittlungsrichter, der an der Vernehmung des Krauss und der Durchsicht des Materials beteiligt war, entsprach diesem Antrag.
Ich glaube, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß unter den gegebenen Umständen weder gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz, das das aus der Sowjetzone gebrachte Material sofort für die Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stellte, noch gegen den Oberbundesanwalt und den Ermittlungsrichter, die nach pflichtgemäßer Prüfung die Folgerungen aus dem Beweisstoff zogen, ein begründeter Vorwurf erhoben werden kann. Ich möchte bereits hier feststellen, daß in der Begründung zu den schon vorliegenden Urteilen des Bundesgerichtshofs der Zeuge Krauss als glaubwürdig und zuverlässig bezeichnet wird und daß er kein agent provocateur war. Pressenotizen, die ihn als einen Agenten oder sogar als einen agent provocateur des Bundesamtes für Verfassungschutz hingestellt haben, treffen nicht zu.
Mit dem Vollzug der Haftbefehle wurde im ganzen Bundesgebiet am 9. April 1953 begonnen. 38 Beschuldigte wurden in Haft genommen. Am 10. April wurde in dem damaligen Kabinett über die Aktion berichtet. Das Kabinett beschloß, die Öffentlichkeit über die . eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten. Um aufbauschenden Gerüchten entgegenzutreten,
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entschloß es sich, der Öffentlichkeit auch Einzelheiten über die durchgeführte Aktion, darunter
auch die Namen der Verhafteten bekanntzugeben.
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Die von den Strafverfolgungsbehörden im weiteren Verfahren gründlich und mit Umsicht durchgeführten Erhebungen ergaben, daß eine Reihe von Firmen ausschließlich für nachrichtendienstliche Zwecke gegründet war. In zahlreichen bereits bestehenden Firmen waren zumindest einzelne Personen für das Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung nachrichtendienstlich tätig.
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Die Durchführung der Strafverfahren in den 38 Haftfällen hat bisher folgende Ergebnisse gezeitigt. Rechtskräftig verurteilt sind zwei Beschuldigte wegen landesverräterischer Beziehungen zu einem Jahr neun Monaten und einem Jahr sechs Monaten Gefängnis. Zu dem verhältnismäßig geringen Strafmaß ist zu bemerken, daß trotz voller Erfüllung des Tatbestandes in der Person der Verurteilten besondere Milderungsgründe, und zwar bei dem einen jugendliches Alter und besonders bedrängte familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse, bei dem anderen langjährige Kz-Haft, gegeben waren. In dem ersten der beiden Urteile stellt der Bundesgerichtshof fest, daß das sogenannte Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung die von dem Zeugen Krauss bekundete, von mir oben geschilderte Aufgabenstellung und Organisation hat. Das Gericht erklärt ausdrücklich, daß der Schwerpunkt der Arbeit des Instituts auf der Erkennung von Staatsgeheimnissen in der Bundesrepublik liegt. Das Institut ist also erwiesenermaßen eine östliche Spionagezentrale. In drei weiteren Fällen hat der Bundesgerichtshof auf die Anklage des Oberbundesanwalts das Hauptverfahren eröffnet. Weitere fünf Personen werden voraussichtlich demnächst unter Anklage gestellt werden. 14 weitere Beschuldigte waren so belastet, daß die Voruntersuchung gegen sie durchgeführt wurde. Gegen 3 von ihnen sind die Ermittlungen noch im Gange, 11 sind inzwischen außer Verfolgung gesetzt worden.
Welches Maß von Verdacht auf ihnen gelastet hat, sei an mehreren Beispielen gezeigt. Ich verwerte dabei ausschließlich Gesichtspunkte, die der Oberbundesanwalt in seinem Antrag auf Außerverfolgungsetzung zur Darlegung des immer noch bestehenden, wenn auch zum Hauptverfahren nicht ausreichenden Tatverdachts vorgebracht hat.
Im Falle 1 war der Angeschuldigte, der sich zur kommunistischen Ideologie bekennt,
({5})
in zwei sowjetzonalen Tarnfirmen im Bundesgebiet als Scheingesellschafter eingebaut.
({6})
Er unterhielt nachgewiesenermaßen Beziehungen zu Mitarbeitern des Spionageinstituts.
In den Fällen 2 und 3 erstatteten die Angeschuldigten fortlaufend Berichte an Angehörige eines sowjetzonalen Ministeriums, die an das Spionageinstitut weitergeleitet wurden. Sie beschafften ihnen nicht näher bekannten Personen der sowjetischen Besatzungszone, die Mitarbeiter des Instituts waren, Aufenthaltsgenehmigungen im Bundesgebiet. Für sie waren im Institut sämtliche Personalunterlagen vorhanden, die bei einer Zusammenarbeit angelegt wurden.
Im Falle 4 hat der Angeschuldigte, Mitglied der KPD seit 1932, Mitglied der VVN und Ehemann einer höheren KPD-Funktionärin,
({7})
wichtigen Mitarbeitern des Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung Laufend wertvolles wirtschaftsstatistisches Material aus .einem bedeutenden Betrieb geliefert. Die Mitarbeiter hat er auch in Ost-Berlinaufgesucht.
In allen diesen Fällen, meine sehr verehrten Damen Fund Herren, ist in gewissenhafter Anwendung rechtsstaatlicher Prinzipien Antrag auf Außerverfolgungsetzung gestellt worden, weil der subjektive Tatbestand trotz des erheblichen Verdachts nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden kann.
In 14 Haftfällen ist das Verfahren vom Oberbundesanwalt bereits ohne Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung eingestellt worden. Aber auch hier lagen erhebliche Verdachtsmomente vor. Ich greife folgende Beispiele heraus.
({8})
Fall 1: Der Beschuldigte wird in Agentenberichten des Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung ,als sehr guter und zuverlässiger Mann geführt. Er war wiederholt in Ost-Berlin und in den Arbeitsplan des Spionageinstituts eingebaut, also zur Mitarbeit vorgesehen.
Fall 2: Der Beschuldigte gibt enge Beziehungen zu dem Büroleiter Weis zu. Er wird in den Akten des Spionageinstituts als für die DDR eingestellt bezeichnet, und zwar mit dem Hinweis darauf, daß sein Haus ein guter Stützpunkt sei.
Fall 3: Der Beschuldigte ist nach den Akten des Instituts von dem Büroleiter Weis als eine mögliche Verbindung für das Institut abgeklärt worden. Er hat seine Bereitschaft erklärt, für den Osten zu arbeiten und eine politische Umwälzung in der Bundesrepublik zu unterstützen.
Fall 4: Der Beschuldigte ist Inhaber einer Firma, die auf der westdeutschen Tarnfirmenliste des Spionageinstituts aufgeführt ist. Er ist zu mehreren in Ost-Berlin wohnhaften Exponenten des Instituts laufend in Verbindung getreten.
Fall 5: Berichte des Beschuldigten, der während der Untersuchungshaft bedauerlicherweise seinem Leben ein Ende gesetzt hat, befanden sich nach der Aussage des Zeugen Knauss in dem Nachrichtenmaterial des Spionageinstituts. Die Berichte bezogen sich zum Teil auch auf militärische Bauten.
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Der Oberbundesanwalt hat in gewissenhafter Abwägung aller Umstände das Verfahren in 12 Fällen eingestellt, weil trotzerheblicher Verdachtsgründe sich ,ein zur Verurteilung ausreichender Beweis aus den Ermittlungen nicht ergeben hatte. Er hat es z. B. in verschiedenen Fällen nicht für hinreichend erwiesen angesehen, daß sich die Beschuldigten bei ihren festgestellten Beziehungen zu dem Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung ides Charakters dieser Einrichtung als eines Spionageinstituts bewußt waren. In den zwei restlichen Fällen erfolgte Einstellung wegen Ablebens oder Flucht des Beschuldigten. Nur bei drei der 38 Verhafteten ist das Verfahren eingestellt worden, ich wiederhole: nur bei drei der 38 Verhafteten ist das Verfahren eingestellt worden, weil bei ihnen der ursprünglich gegebene Tatverdacht im Laufe der Ermittlungen entkräftet wurde. Die Fälle lagen folgendermaßen:
Fall 1. Der Zeuge Krauss hatte glaubwürdig angegeben, daß er auf dem Tisch eines Hauptabteilungsleiters des Spionageinstituts die Photokopien eines von dem Beschuldigten verfaßten Berichts mit einem Anschreiben gesehen habe. Krauss hielt den Bericht deshalb für wichtig, weil dieser unverzüglich an die Auswertungsabteilung des Instituts weitergeleitet worden ist. Der Oberbundesanwalt hatte bei dem, Beschuldigten als glaubhaft angenommen, daß es sich bei diesem Bericht um einen gedruckten, keine Staatsgeheimnisse enthaltenden Geschäftsbericht gehandelt habe, der ohne Zutun des Beschuldigten in den Besitz des Spionageinstituts gelangt sein konnte.
Fall 2. Der Beschuldigte war durch die Aussage eines anderen Zeugen dahin belastet worden, daß er einem Hauptagenten des Spionageinstituts Photokopien wichtiger Konstruktionspläne geliefert habe. Der Beschuldigte war mindestens bis 1951 Mitglied der KPD
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und hatte diese Partei, wie er selbst zugab, bereits früher mit Photokopien dienstlichen Materials beliefert.
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Der Oberbundesanwalt hat in diesem Fall lediglich deshalb eingestellt, weil auf jeden Fall nach Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes eine nach diesem Gesetz strafbare Tätigkeit nicht festzustellen war.
Fall 3. Der Beschuldigte war durch die im Fall 2 erwähnte Zeugenaussage dahin belastet, daß er für den dort genannten Hauptagenten des Spionageinstituts Pläne bereitgehalten habe, die photokopiert und sofort wieder an ihren Aufbewahrungsort zurückgebracht werden sollten. Der Oberbundesanwalt hat in ,diesem letztgenannten Fall die Möglichkeit einer Personenverwechslung seitens des Belastungszeugen nicht ausschließen können.
Eine zusammenfassende Würdigung des in den „Vulkan"-Fall verstrickten Personenkreises ergibt, daß folgende Gruppen zu unterscheiden sind:
1. Eine Gruppe von Personen, ,die bereits verurteilt sind oder der Durchführung der Hauptverhandlung entgegensehen.
2. Eine Gruppe von Personen, die unter dem begründeten Verdacht stand, landesverräterische Beziehungen gepflogen zu haben, bei der aber der Tatbestand trotz des erheblichen Verdachts nicht mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen werden konnte.
3. Eine kleine Gruppe von drei Personen, bei der der Tatverdacht zunächst gleichfalls gegeben erschien, sich jedoch im Fortgang des Verfahrens als nicht begründet erwiesen hat.
In der Öffentlichkeit sind bei der Erörterung der „Vulkan"-Angelegenheit zum Teil Vorwürfe gegen die mit der Behandlung des Falles befaßten Dienststellen erhoben worden, weil ein erheblicher Teil der Verhafteten aus der Untersuchungshaft wieder entlassen werden mußte und die Verfahren geigen sie eingestellt wurden. Bei dieser Kritik, meine verehrten Damen und Herren, wird übersehen, daß das ganze Spionageunternehmen bei dem durch die Flucht des Abteilungsleiters Krauss ausgelösten Zugriff der Bundesbehörden noch im Aufbau begriffen war und verschiedene Fälle noch nicht zur vollen Entfaltung gekommen waren. Dies hat sich natürlich auf ,das prozessuale Ergebnis ausgewirkt. Andererseits ist der wichtige Erfolg erzielt worden, daß ein gefährlicher Spionagering bereits im Entstehen zerschlagen worden ist.
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Ich muß aber noch auf einen anderen, und zwar grundsätzlichen Gesichtspunkt mit allem Nachdruck hinweisen. Bei der Aufdeckung eines von einem fremden Nachrichtendienst organisierten landesverräterischen Unternehmens begründet jede irgendwie geartete Verbindung zu ,diesem Nachrichtendienst und seinen Organen zunächst den Anschein der Beteiligung an diesem Unternehmen und damit den untersuchungsbedürftigen Verdacht einer strafbaren Handlung. Der endgültige Nachweis des objektiven und subjektiven Tatbestands einer strafbaren Handlung bleibt selbstverständlich der Entscheidung des Gerichts vorbehalten, und hier gilt ebenso selbstverständlich der Grundsatz: „In dubio pro reo". Im Vorverfahren aber muß es jeder, der den Anschein der Beteiligung durch einen Kontakt mit Organen des fremden Nachrich({13})
tendienstes hervorgerufen hat, hinnehmen, daß, wenn dies zur Aufklärung des landesverräterischen Unternehmens nötig ist, mit den in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Maßnahmen gegen ihn vorgegangen wird.
({14})
Wenn es sich um einen größeren Täterkreis handelt und schnelles Zugreifen erforderlich ist, kann es auch bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt in einzelnen Fällen vorkommen, daß sich der ursprünglich erweckte Anschein nachträglich als unbegründet erweist
({15})
und der Verdacht wieder entfällt. Auch Namensverwechslungen sind hierbei, wie die Erfahrungen der Polizeien in allen Staaten beweisen, nicht ganz ausgeschlossen.
({16})
Solche Fälle müssen zu gegebener Zeit durch eine Ehrenerklärung und allenfalls durch eine Schadensersatzleistung bereinigt werden.
Bei der zusammenfassenden objektiven Würdigung des gesamten „Vulkan"-Komplexes erscheinen mir folgende Punkte als wesentlich.
Erstens. Ein wohlorganisierter sowjetzonaler Nachrichtendienst hat unter Anwendung raffinierter Methoden das Bundesgebiet in seiner ganzen Ausdehnung mit einem Netz von Tarnfirmen und Agenten überzogen, um Staatsgeheimnisse auszuspähen.
({17})
Zweitens. - Und ich bitte Sie, meine verehrten Herren von der Opposition, die Sie diese Große Anfrage gestellt haben, doch einmal besonders hinzuhören.
({18})
- Nein, Herr Greve, diese Tatsachen, die ich jetzt vortrage, kennen Sie nicht, und deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Ausführungen zuhören würden.
({19}),
- Die Tatsachen, die ich jetzt vortrage, kennen Sie nicht. Nun hören Sie doch, bis sie kommen!
Zweitens. Unter den 38 verhafteten Personen sind nicht weniger als 21 Mitglieder der KPD oder ihrer Jugendorganisationen,
({20})
haben KPD-Mitglieder als engste Verwandte, waren früher auf Antifa-Schulen gewesen oder erwiesen sich als Gesinnungsmitläufer des östlichen Systems.
({21})
Drittens. Die Abwehr eines so gefährlichen Angriffs konnte nicht zurückgestellt werden, bis in jedem einzelnen Fall völlige Klarheit erzielt war. Bei dem Umfang eines solchen Verfahrens ist es leider nicht immer zu vermeiden, daß einzelne Personen wegen eines Tatverdachts, der sich im Lauf der Nachprüfung als unbegründet erweist, in Mitleidenschaft gezogen werden.
({22})
Viertens. Allein ausschlaggebend ist, daß die Grundsätze rechtsstaatlichen Denkens auch bei der Abwehr eines so schweren staatsgefährdenden Angriffs in vollem Umfang gewahrt worden sind.
({23})
Diese Forderung ist dadurch erfüllt worden, daß Verhaftungen ausschließlich auf Grund richterlichen Befehls durchgeführt wurden.
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Jedem Verhafteten standen die Rechtsbehelfe des Haftprüfungsverfahrens zur Verfügung. 18 Haftbefehle sind bereits nach kurzer Zeit aufgehoben worden. Der Oberbundesanwalt und der erkennende Senat haben in strenger Objektivität das Verfahren gegen zahlreiche Beschuldigte durch Einstellung oder Außerverfolgungsetzung abgeschlossen.
Unter Hinweis auf alle diese Gesichtspunkte beantworte ich namens der Bundesregierung die Große Anfrage der Fraktion der SPD zum „Vulkan"-Fall wie folgt.
({25})
- Ich denke, meine Damen und Herren, Sie werden daran interessiert sein, nun wenigstens in Ruhe die Antwort im einzelnen zu hören.
Zu Ziffer 1. Wie die derzeitige Bundesregierung bereits durch die Presseverlautbarung vom 29. Januar 1954 zum Ausdruck gebracht hat, hat der Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers in der Pressekonferenz am 10. April 1953 durch seine Erklärungen einen Auftrag des damaligen Kabinetts ausgeführt, um die Öffentlichkeit über die von den amtlichen Stellen eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten und aufbauschenden Gerüchten entgegenzutreten.
Zu Ziffer 2. Die Verlautbarung in der Pressekonferenz vom 10. April 1953 enthielt den ausdrücklichen Hinweis, daß nur von dem Verdacht einer strafbaren Handlung, nicht aber von einer Schuldfeststellung gesprochen werde. Die Verlautbarung enthielt daher weder einen Eingriff in ein schwebendes Verfahren, noch wurde, wie sich erwiesen hat, einer Schuldfeststellung der unabhängigen Gerichte vorgeriffen. Im übrigen kann nach Auffassung der Bundesregierung eine weitgehende Unterrichtung der Öffentlichkeit erforderlich sein, wenn überwiegende Staatsinteressen auf dem Spiele stehen.
Zu Ziffer 3. Die Bundesregierung wird eine Ehrenerklärung zugunsten der Beteiligten, deren Schuldlosigkeit sich herausgestellt hat, abgeben. Die Ehrenerklärung kann jedoch erst ,dann erwartet werden, wenn der gesamte Komplex der Verfahren „Vulkan" abgeschlossen ist, da erst dann wegen des Zusammenhangs der einzelnen Fälle eine restlose Klärung der Frage der Schuldlosigkeit möglich ist.
Zu Ziffer 4. Die Bundesregierung wird nach Abschluß aller Strafverfahren in der Angelegenheit „Vulkan" die Frage des Schadensersatzes prüfen und gegebenenfalls entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen Ersatz des Schadens leisten. Eine Prüfung einzelner Schadensersatzansprüche ist bereits eingeleitet worden.
({26})
Ich möchte einen Hinweis des Herrn Bundesministers des Innern klarstellen. Es konnte eingangs der Eindruck entstehen, als ob die Behandlung dieses Falles durch geschäftsordnungsmäßige Schwierigkeiten über Gebühr verzögert worden sei. Ich weise darauf hin, daß die am 10. März eingegangene Anfrage dem Herrn Bundeskanzler wenige Tage später weitergeleitet worden ist. Das Innenministerium hat sich zu einer Beantwortung zwischen dem 3. und 8. Mai am 1. April bereit erklärt. Die einzige Plenarsitzung dieser Zeit kam nicht in Frage, da das Haushaltsgesetz an diesem Tage behandelt werden mußte. Darüber bestand kein Zweifel. Dann sind die Sitzungen vom 20., 21., 26. und 28. Mai als Verhandlungstage erörtert worden. Auf den 26. Mai ist die Große Anfrage anberaumt worden. Sie ist damals wegen Zeitmangels in der Sitzung nicht behandelt worden. Am 28. Mai stand der Herr Minister nicht zur Verfügung. Sie mußte abgesetzt werden. Dann ist sie auf die Tagesordnung einer der ersten Sitzungen nach Pfingsten gesetzt worden. Ich möchte das nur feststellen, damit darüber kein Zweifel besteht.
Ich eröffne die Aussprache zu der Großen Anfrage. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Greve.
Meine Damen und Herren! Vorab möchte ich bemerken, daß sämtliche Ausführungen, die der Herr Bundesminister des Innern D r. Schröder hier gemacht hat, von meinen Freunden und mir gutgeheißen werden
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- warten Sie nur ab, Herr Pelster -, soweit sie die Verfolgung von landesverräterischen Unternehmungen irgendeiner Person angehen, die sich gegen die verfassungsmäßigen Zustände in der Bundesrepublik Deutschland wendet, auch wenn es sich um Kommunisten handelt. Ich möchte das ausdrücklich erwähnen, damit kein Verdacht aufkommen kann, daß wir irgendeine Aktion von kommunistischer Seite, die die Staatssicherheit der Bundesrepublik gefährdet oder die gar als Landesverrat angesprochen werden könnte, auch nur entschuldigen oder gar als etwas anderes ansehen wollen als das, was sie in Wirklichkeit ist.
Meine Sorgen und die Sorgen meiner Freunde wegen der Methoden, die in dem Verfahren „Vulkan" angewendet worden sind, sind von dem Herrn Bundesminister des Innern nicht zerstreut worden. Wir sind uns auch darüber einig, daß nur die in einem Rechtsstaat gültigen und nach den Gesetzen zulässigen Mittel angewendet werden sollten, insbesondere die Mittel, die bei uns in der Bundesrepublik in der Strafprozeßordnung vorgesehen sind, um Strafverfolgungen durchzuführen. Wir sind uns nicht einig darüber, daß in diesem Falle, wie Herr Bundesminister Dr. Schröder es behauptet hat, sämtliche in einem Rechtsstaat gebotenen Gesichtspunkte beachtet wurden und die Methoden dementsprechend waren.
Der Herr Bundesminister des Innern hat uns einiges über Spionageabwehr gesagt. Er hat uns einiges über Spionageringe hier in der Bundesrepublik gesagt. Dagegen, Herr Bundesminister, wenden sich ja meine Ausführungen nicht. Sie wenden sich dagegen, daß die Bundesregierung durch den Mund des Herrn Stellvertreters des Bundeskanzlers die Angelegenheit, die eine reine Rechtsfrage war und auch noch eine reine Rechtsfrage ist, zu einer politischen Frage gemacht hat. Sie sind mir die Antwort darauf schuldig geblieben, was die Bundesregierung veranlaßt hat, den einstimmigen Beschluß zu fassen, durch den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers die Namen von 38 Verhafteten bekanntzugeben, also etwas zu tun, was in einem Strafverfahren ungewöhnlich ist. Sie sind mir auch die Antwort darauf schuldig geblieben, warum das nicht der zuständige Bundesminister der Justiz, damals Dr. Dehler, getan hat, sondern warum das unter der Mitverantwortung Ihres Ministeriums, das damals von Herrn Dr. Robert Lehr geleitet wurde, geschehen ist.
Sie haben auf eine Reihe von Fällen hingewiesen, mit denen ich mich selbst auch beschäftigen will. Sie haben mir auch die Stichworte gegeben, so daß ich in der Lage bin, auch Ihnen vielleicht etwas zu sagen, was Sie noch nicht wissen. Vielleicht sind auch Sie, Herr Bundesjustizminister, so freundlich, sehr genau zuzuhören, was ich jetzt sagen werde.
({1})
Herr Bundesminister Dr. Schröder hat die Namen Krauss und Weis bekanntgegeben. Krauss ist der Leiter eines Amtes der Sowjetzonenregierung gewesen, bei dem sämtliche Meldungen eingingen,
({2})
die aus der Bundesrepublik Deutschland, u. a. auch von Herrn Weis, an die verschiedenen ostzonalen Ministerien gingen. Es ist richtig, daß u. a. auch Herr Weis, der Leiter der Dependance des sowjetzonalen Ministeriums für Außenhandel und innerdeutschen Handel, Berichte an sein Ministerium geliefert hat - die z. B. auch besagten, daß ein Industrieller Sowieso dem Handel mit der Sowjetzone gegenüber durchaus aufgeschlossen sei, und manches andere - und daß Herr Weis diese Berichte an die Dienststelle, nun erschrecken Sie bitte nicht: Koordinierungsdienststelle
({3})
des genannten Ministeriums der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik gegeben hat. So hieß es nämlich. Es war kein Ausschuß für Koordinierung, sondern eine Dienststelle für Koordinierung, die in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik errichtet worden war.
({4})
Diese Dienststelle für Koordinierung leitete Herr Krauss, dem der Boden unter den Füßen zu heiß wurde. Er sammelte schnell Material, das ihm ja aus seinem ostzonalen Ministerium zugeflossen war, packte dieses Material in einen Koffer, begab sich dann in den Schutz des Bundesamts für Verfassungsschutz und wurde von diesem unterstützt.
Unter diesem Material, das Herr Krauss mit nach Köln brachte, befanden sich u. a. auch vier oder fünf Briefe des Leiters der Dienststelle des Ministeriums für Interzonenhandel und innerdeutschen Handel in Frankfurt am Main, d. h. vier oder fünf Briefe dieses Herrn Weis, die er an sein Ministerium geschrieben hatte und in denen nun alle möglichen Namen standen. Es ist durchaus richtig, was der Herr Bundesminister Dr. Schröder hier bekanntgegeben hat: daß darin sicher auch Namen von Kommunisten enthalten waren, aber auch Namen von Personen - und das ist das Interessante, meine Damen und Herren -, die der Herr Stell({5})
vertreter des Bundeskanzlers am 10. April 1953 der Öffentlichkeit als im Zuge' dieser Spionageaktion „Vulkan" verhaftet bekanntgegeben hat. Der Herr Krauss hat also Material mitgebracht, das zum Teil eben Hinweise auf den Herrn Weis gab, der inzwischen zu vier Jahren Zuchthaus wegen versuchter Ausspähung von Staatsgeheimnissen verurteilt ist. Das ist alles richtig, was Herr Bundesminister Schröder insoweit gesagt hat.
({6})
- Ich komme nachher noch darauf zurück. Es wird noch viel interessanter. Bleiben Sie nur hier und gehen Sie nicht weg!
Dieser Herr Krauss hat also das Material geliefert. Nun vermisse ich nur einen Namen in Ihren Ausführungen, Herr Bundesminister, und das ist der Name Ruschmeyer. Fest steht also zunächst einmal für uns, daß Herr Krauss ein Agent des Bundesamtes für Verfassungsschutz war, nachdem er gerade warm aus der Ostzone gekommen war und seinen Posten als Dienststellenleiter für Koordinierung dort drüben aufgegeben hatte.
Vorher war aber schon jemand für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig geworden. Diesem hatte sich das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht von sich aus verschrieben, sondern der hatte schon in Minden seinerzeit in der Verwaltung, die später nach Frankfurt übersiedelte, sein Unwesen getrieben. Dieser Herr Ruschmeyer ist von den Amerikanern aufgetan worden, damit er gewisse Leute beschatte, zu denen dann später in der Dienstnachfolge auch der Herr Weis gehörte, der der Leiter der Außenstelle des genannten sowjetzonalen Ministeriums in Frankfurt am Main war.
Nun kommen die Querlinien zum Fall „Vulkan", und nun kommen auch Ausführungen über Methoden, von denen ich annehme, daß sie auch in der Affäre „Vulkan" zur Anwendung gelangt sind. Diese Methoden lassen es angebracht erscheinen, uns doch etwas näher mit dem Fall Weis zu befassen, der ja auch in den Ausführungen des Herrn Bundesministers des Innern eine Rolle gespielt hat. Herr Weis wurde nämlich auch beschuldigt und verhaftet auf Grund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofs, den der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs erlassen hat.
Diesen Haftbefehl habe ich nun hier, meine Damen und Herren. Wenn alle Haftbefehle in der Affäre „Vulkan" so aussehen wie dieser Haftbefehl in der Affäre Weis, der von einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs erlassen wurde, dann muß ich allerdings erhebliche Mängel bei der Durchführung nach den bei uns geltenden Gesetzen feststellen.
({7})
- Er hat vier Jahre Zuchthaus bekommen, und es ist auch richtig, daß er Zuchthaus bekommen hat, Herr Dr. Gille; aber die Methoden, die in diesem Verfahren angewandt worden sind, sind beanstandenswert. Hören sie doch erst einmal zu! Sie sind in der Lage, das sofort zu begreifen, was ich jetzt sage!
({8})
Dieser Haftbefehl trägt zunächst einmal das Wort „Geheim". Mir ist bisher in meiner Praxis noch nicht vorgekommen, daß Haftbefehle als „geheim" bezeichnet werden. Dann steht hier in diesem Haftbefehl, daß gegen den Leiter des Handelsbüros Ludwig Weis, also gegen den besagten Weis, die Untersuchungshaft angeordnet wird. Und nun kommt es, und da bitte ich insbesondere die Juristen zuzuhören:
Er ist dringend verdächtig, den Entschluß, sich Staatsgeheimnisse zu verschaffen und sie zu verraten, durch Handlungen betätigt zu haben, die den Anfang der Ausführung eines Landesverrats enthalten, ferner für eine Regierung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Strafrechtsänderungsgesetzes
({9}) - das können Sie alles nachlesen tätig gewesen zu sein und Beziehungen zu einem andern aufgenommen und unterhalten zu haben, die die Mitteilung von Staatsgeheimnissen zum Gegenstand haben.
Das ist der Wortlaut des Strafgesetzbuches, und nun erwartet man, daß konkret gesagt wird, was er getan hat, das unter dem entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuches, der hier erwähnt ist, subsumiert werden kann. Und dann heißt es:
Indem er als Agent eines Nachrichtendienstes
sich fortgesetzt Unterlagen über Besatzungsund Wirtschaftsangelegenheiten verschafft hat,
um sie an seine Auftraggeber weiterzuleiten.
({10}).
Wenn jemand nun weiß, was der Mann konkret getan hat, dann bitte ich, es mir zu sagen. Und was das Erstaunlichste ist: in diesem Haftbefehl steht noch nicht einmal, wann und wo der Betreffende diese strafbare Handlung begangen haben soll. Also das, was ein unabdingbares Erfordernis jeder Beschuldigung ist, daß nämlich dem Betreffenden nicht nur gesagt wird, was er getan hat, sondern wann er und wo er etwas getan hat, das ist hier in diesem Haftbefehl nicht enthalten. Wenn Sie, Herr Bundesminister der Justiz, als der für die Justiz in Deutschland Verantwortliche die Ausfertigung eines solchen Haftbefehls für ausreichend halten, um einzelnen Staatsbürgern - auch wenn sie Kommunisten oder sonst irgend etwas sind - die Freiheit zu nehmen, dann verlassen Sie den Boden des Rechtsstaates.
({11})
Das sind Methoden, die wir alle schon einmal erlebt haben, indem einem nicht gesagt wurde, was man getan haben sollte und wo man etwas getan haben sollte, indem einfach der Verdacht genügte oder, wie Herr Bundesminister Dr. Schröder sich heute ausdrückte, man den Eindruck haben konnte, daß hier etwas geschehen sei, was den Tatbestand eines Paragraphen des Strafgesetzbuches erfüllte. Meine Damen und Herren, wir sind uns ja einig darin, daß, wenn es sich um eine echte strafbare Handlung handelte, der Mann verhaftet werden mußte; aber dann mußte auch ein gehöriger Haftbefehl erlassen werden und kein Haftbefehl, der den Anforderungen der Strafprozeßordnung nicht genügte. Wenn hier einzelne von Ihnen mit dem Kopf schütteln, dann ist das einfach nicht zu begreifen. Ein Haftbefehl - weil er nun einmal dazu führen kann, dem Menschen die Freiheit zu nehmen, dem Menschen, der noch nicht verurteilt ist - hat nach unseren gesetzlichen Bestimmungen alle Momente zu enthalten, die notwendig sind, um jeden in die Lage zu versetzen, zu erkennen, welcher strafbaren Handlung er sich schuldig gemacht hat.
({12})
Nun will ich Ihnen gleich, um die Sache nicht zu sehr in die Länge zu ziehen,
({13})
sagen, was sich herausgestellt hat. - Sie sagen: „Aha!" Wundern Sie sich nur nicht; es kommt noch viel besser!
Diesem Angeklagten hat man beispielsweise auch erst einige Monate später die Möglichkeit gegeben, sich eines Verteidigers zu bedienen. Und was ist dem Betreffenden dann vorgeworfen worden? Welches sind unter anderem die Unterlagen über Besatzungs- und Wirtschaftsangelegenheiten, die er sich zu verschaffen versucht hat? Ich sage: unter anderem. Er ist wegen des Versuchs, sich Informationen über militärische Angelegenheiten zu beschaffen, rechtskräftig und zu Recht verurteilt worden. Über das Strafmaß wollen wir uns hier nicht unterhalten. Aber was ihm sonst noch vorgeworfen worden ist und was offenbar ja auch in dieser summarischen Darstellung den Verdacht und auch die Verhaftung rechtfertigen sollte, das ist folgendes: daß der Betreffende Informationen zu erlangen versucht hat, und zwar Telefonverzeichnisse des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesstelle für den Warenverkehr,
({14})
die Organisationspläne beider Dienststellen, Schriftstücke über die Anforderungen der Besatzungsmächte - die zu Tausenden da unten in Kaiserslautern herumschwirren -, Angaben über persönliche Verhältnisse einzelner Beamter des Bundeswirtschaftsministeriums, die hier namentlich aufgeführt sind, Angaben über das Referat IV A 7 des Bundeswirtschaftsministeriums und Angaben über einen Neubau in der Adickesallee in Frankfurt am Main, der unter den Augen der gesamten Öffentlichkeit errichtet wurde.
({15})
Das sind Tatbestände, die diesem Angeschuldigten als strafbare Handlungen vorgeworfen wurden. Also: Telefonverzeichnisse des Bundeswirtschaftsministeriums usw., Organisationspläne, also Sachen, die der gesamten Öffentlichkeit zugänglich sind. Ein Beamter des Bundeswirtschaftsministeriums hat auch zum Ausdruck gebracht, daß der Betreffende sie nur hätte bei ihm anzufordern brauchen, dann hätte er sie ohne weiteres bekommen.
Aber dieses Verfahren und seine Durchführung sind so aufgezogen worden, daß man sich eben eines gewissen Herrn Ruschmeyer als Agenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz bediente, der gegenüber Herrn Weis als agent provocateur auftrat. Um die Sache vollkommen zu machen - ich will nur einige Beispiele erwähnen -, hat man im Bundeswirtschaftsministerium sogenannte unechte Geheimdokumente angefertigt, um sie Herrn Weis in die Hände zu spielen, u. a. den Entwurf eines Entwurfs zur Organisation einer Abteilung, und dann auf diese Dokumente, die gar keine Dokumente waren, einfach einen Stempel „Geheim" gesetzt. Das reichte aber nicht aus, und man kam im Bundesverfassungsschutzamt auf den Gedanken, etwas mehr zu tun. Auch mit den Bedarfszuweisungsformularen klappte es nicht. Dann soll da ein tatsächlich geheimes Dokument, das sich mit Lufthoheitsdingen beschäftigt, irgendwie eine Rolle gespielt haben. Das sind alles Angelegenheiten, die man in der Zeitung lesen konnte. Mit diesem Protokoll ist es tatsächlich gelungen, obwohl Weis es zwar zurückgewiesen und gar nicht in seinem Be-
sitz gehabt hat, als er verhaftet wurde, ihn dennoch zu verhaften. Gut, Weis ist verurteilt worden, und ich stehe nicht an, zu erklären, daß Weis wegen anderer Dinge, die hier keine Rolle spielen, zu Recht verhaftet worden ist. Aber die Methoden, die hier angewendet worden sind, - -
Abg. Spies [Emmenhausen] : Begreifen Sie
immer noch nicht, daß bei Spionage Wichtiges in Unwichtiges eingewickelt wird?)
- Doch, doch, das ist sehr interessant, wenn jemand auf Grund von „Haftbefehlen" verhaftet wird, die in Wirklichkeit keine Haftbefehle sind. Wenn Sie das als Haftbefehl ansehen, kann ich nur sagen, daß Sie von den Dingen jedenfalls nichts zu verstehen scheinen.
Der sogenannte Gotthold Krauss, der aus der Ostzone kam und zusammen mit dem Herrn Ruschmeyer die Unterstützung des Bundesamtes für Verfassungsschutz fand, spielte nun in dem Verfahren, das gegen Weis durchgeführt worden ist, eine Rolle. Herr Bundesminister des Innern, ich darf in diesem Zusammenhang eine Frage an Sie richten. Ist es richtig, daß in dem Verfahren gegen Weis Quittungen über Gelder eine Rolle gespielt haben, die Ruschmeyer erhalten oder nicht erhalten haben soll bzw., nachdem er bereits von Weis Gelder für seine Zwecke erhalten hatte - er hat also von beiden Seiten Geld genommen -, an das Bundesamt für Verfassungsschutz zurückgezahlt oder nicht zurückgezahlt hat? Über diese Frage sollen in dem Prozeß Zweifel hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugen entstanden sein, und um die Glaubwürdigkeit nachzuweisen, was ja notwendig ist, wenn man die Aussage eines Zeugen zur Urteilsgrundlage machen will, sollen von dem Bundesamt für Verfassungsschutz Quittungen angefordert worden sein. Ich frage Sie: Ist es richtig, daß dies zutrifft und daß Sie unter Berufung auf § 96 der Strafprozeßordnung die Herausgabe dieser Schriftstücke verweigert haben? Es ist nämlich nicht einzusehen, warum dem Bundesgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung nicht Unterlagen zur Verfügung gestellt werden können, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen darzutun oder zu erschüttern. Was hat Sie veranlaßt, dem Bundesgerichtshof diese Unterlagen, auf Grund deren in nichtöffentlicher Sitzung die Glaubwürdigkeit eines Zeugen geprüft werden sollte, vorzuenthalten? Ich vermag nicht einzusehen, Herr Bundesminister, daß die Staatssicherheit hier in irgendeiner Art und Weise gefährdet war. Das alles sind doch Methoden, die, wenn man sich die Verhaftungen im Falle „Vulkan" vorstellt und wenn man die Querverbindungen des Falles Weis zum Fall „Vulkan" kennt, einen zumindest sehr nachdenklich stimmen müssen, insbesondere wenn zwei so wenig gut beleumundete Agenten, wie es Krauss und Ruschmeyer sind, hierbei eine Rolle gespielt haben.
Der Bundesgerichtshof hat am 4. März 1954 gegen Weis wegen versuchter Ausspähung von Staatsgeheimnissen und anderem ein Urteil gefällt, das ihm vier Jahre Gefängnis zuerkennt. Dieses Urteil ist vom Zweiten Strafsenat des Bundesgerichtshofes in öffentlicher Sitzung erlassen und von den Richtern unterschrieben worden. Auf der ersten Seite dieses Urteils soll sich ein Vermerk ohne Datum und ohne Kennzeichnung desjenigen, der den Vermerk auf diesem Urteil veranlaßt hat, befinden, der folgendermaßen lautet: „Dieses Urteil ist ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 99 StGB. Geheim!"
({16})
({17})
Das Urteil ist in 125 Abschriften ausgefertigt worden.
({18})
Es wäre außerordentlich interessant zu wissen, ob es richtig ist, daß dieser Vermerk auf das Urteil auf Veranlassung des Vorsitzenden - des Vorsitzenden! - des 6. Strafsenats beim Bundesgerichtshof gekommen ist, ohne daß weder der 2. noch der 6. Senat einen derartigen Beschluß gefaßt haben, so daß also der Vermerk auf dem Urteil „Dieses Urteil ist ein Staatsgeheimnis im Sinne des § 99 StGB" sinn- und wertlos ist. Dies aber auch aus einem anderen Grunde. Nach den mir bekannten Vorschriften des Strafgesetzbuches und der Strafprozeßordnung ist es gar nicht anders möglich, als daß in diesem Falle das Gericht, auch der Bundesgerichtshof, der ja nach den Gesetzen zu urteilen hat, nach § 174 der Strafprozeßordnung verfahren wäre - wie er auch zum Teil verfahren sein soll -, daß er nämlich wegen Gefährdung der Staatssicherheit den anwesenden Personen die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift oder durch andere amtliche Schriftstücke des Prozesses zu ihrer Kenntnis gelangt sind, zur Pflicht gemacht hätte. Das wäre ein Verfahren gewesen, bei dem man unter Umständen hätte sagen können: es ist wenigstens formell in Ordnung. Aber diese Art, Urteile des Bundesgerichtshofs für Staatsgeheimnisse zu erklären, ohne daß das den gesetzlichen Erfordernissen entspricht, scheint mir mit rechtsstaatlichen Grundsätzen einfach unvereinbar zu sein; und das sage ich auch, wenn diese rechtsstaatlichen Grundsätze von Richtern oder gar Senatsvorsitzenden des Bundesgerichtshofs nicht beachtet werden.
({19})
Im übrigen halte ich es für außerordentlich bedenklich, ganze Urteile für Staatsgeheimnisse zu erklären,
({20})
so daß der Öffentlichkeit, die ja sonst in ganz anderen Fällen bemüht wird, die Möglichkeit genommen wird, in rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren selbst zu ureilen, ob hier die rechtsprechende Gewalt richtig gehandelt hat oder ob ein Urteil - auch vom Bundesgerichtshof - ergangen ist, das mit diesem Spruch und in dieser Weise nicht ergehen durfte. Eine Justiz, die sich scheut, ihre Urteile der Öffentlichkeit zur Kritik zu stellen, rüttelt selbst mit dieser Art und Weise ihrer Rechtsprechung bedenklich an den Grundfesten unserer rechtsstaatlichen Ordnung.
({21})
Ich glaube, wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie diese Dinge im Falle Weis und in den Querverbindungsfällen der Affäre „Vulkan" zustande gekommen sind und was unter anderem der Bundesminister der Justiz und die Bundesregierung angesichts der von mir soeben vorgetragenen Methoden - ich spreche ausdrücklich von Methoden - im strafprozessualen Vorgehen bezüglich der Angeschuldigten, Beschuldigten, Angeklagten und Verurteilten tun werden. Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß jeder, dem ein Haftbefehl zugestellt wird, das Recht hat, von diesem Haftbefehl öffentlich Gebrauch zu machen. Haftbefehle dürfen also nicht als geheim gekennzeichnet werden. Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß in Haftbefehlen anzugeben ist, welches Delikt jemand begangen haben soll, wann er es begangen haben soll und wo er es begangen haben soll. Meine Freunde und ich sind ferner der Auffassung, daß Urteile, gerade in so delikaten Angelegenheiten wie hier bei der Affäre „Vulkan", nicht der Öffentlichkeit vorenthalten werden dürfen, sondern ihr zugänglich gemacht werden müssen, damit wir rechtzeitig eingreifen können, wenn uns etwa im Hinblick auf die verfassungsmäßige Ordnung unseres Staates von anderer Seite Gefahr droht. Das gilt auch für die Zukunft, nicht nur für die Vergangenheit, Herr Bundesminister Dr. Schröder, und ich wäre außerordentlich dankbar, wenn es sich nicht bewahrheitete, daß anläßlich der vom Herrn Bundeskanzler beabsichtigten zweiten Amerika-Reise wieder ins Auge gefaßt wird, schon jetzt den Herrn Staatssekretär des Auswärtigen Amts zu beauftragen, Namenslisten über geschäftlich nach Rußland Reisende zusammenzustellen, um damit abermals etwas zu veranstalten, was der Herr Vizekanzler Blücher am 10. April 1953 getan hat.
({22})
Das Wort hat der Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst meiner Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß meine Antwort, die sich auf den Fall „Vulkan" bezog, von den Herren Anfragenden offenbar so positiv aufgenommen wird, daß sie in ihrer weiteren Erörterung praktisch darauf nicht mehr eingegangen sind.
Ich muß aber in allem Ernst folgendes sagen. Es dürfte ein in der deutschen Parlamentsgeschichte ungewöhnlicher Vorgang sein, daß zu einem rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren wegen Landesverrats hier Details entwickelt werden, von denen ich nicht weiß, wie der Herr Kollege Dr. Greve seine Quellen dafür etwa bezeichnen möchte. In einem solchen Zusammenhang Dinge auszubreiten, die sich in einem unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelten Verfahren ereignet haben sollen, scheint mir nicht richtig zu sein.
({0})
Die vorgetragenen Punkte können hier natürlich nicht in allen Einzelheiten verfolgt werden. Wir können ja nicht etwa ein Verfahren wegen Landesverrats, das unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden hat und von dem Sie sagen, daß es zu Recht - auch nach Ihrer Überzeugung - zu einer Verurteilung des Betreffenden zu mehreren Jahren geführt hat, vor dem Bundestag noch einmal aufrollen.
({1})
Ich möchte dazu nichts weiter sagen. Ich glaube, es gibt wohl kaum jemanden im Hause, der glaubt, daß es dem Verhältnis von Parlament und Justiz entspräche, wenn wir zu einem Verfahren, von dem ich immer wieder sage, daß ja auch Sie die zu Recht erfolgte rechtskräftige Verurteilung herausgestellt haben, hier sozusagen einen Nachprozeß im Bundestag veranstalten wollten.
({2})
({3})
- Herr Kollege Greve, in dieser Sache gibt es eine Menge Punkte - ich sage das ganz offen vor diesem Hause -, über die ich mit Ihnen doch selber sprechen möchte. Es handelt sich nicht um den Gegenstand, der hier zur Debatte steht, sondern Sie bringen ein anderes, rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren wegen Landesverrats in die Debatte.
({4})
- Doch! Sie haben dieses Verfahren hier zur Debatte gestellt, und ich werde Gelegenheit nehmen, mit Ihnen darüber zu sprechen. Das ist nicht ein Gegenstand, der vor das ganze Haus gehört. Die Bundesregierung wird sehr sorgfältig das Stenogramm Ihrer Rede daraufhin durchprüfen, zu welcher Erklärung etwa vor dem Hause oder zu welchen Maßnahmen es Anlaß gibt.
({5})
Ich kann mich darauf - ({6})
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Herrn Minister aussprechen zu lassen!
Herr Kollege Greve, Sie haben einen Haftbefehl in der Hand, einen Haftbefehl, der ja wohl schwerlich in einem Sie betreffenden Verfahren ergangen sein kann, der also offenbar nicht ein nachgeschriebener, sondern ein echter Haftbefehl ist. Es gäbe allerhand Anlaß, darüber nachzudenken, wie dieser Haftbefehl überhaupt in Ihre Hand gekommen sein mag!
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte, den Herrn Minister ausreden zu lassen.
({0})
Sie können sich zum Wort melden und die Äußerung des Herrn Ministers Ihrer Kritik unterziehen, aber Sie haben ihn ausreden zu lassen.
Meine Damen und Herren! Ich sage nochmals, wir wollen uns hier wirklich verstehen.
({0})
- Sie werden ja wohl nicht sagen wollen, daß wir uns hier nicht verstehen w o 11 e n !
Für mich ist die Angelegenheit der Staatssicherheit nicht eine Sache, die die eine oder andere Seite dieses Hauses allein beträfe, sondern eine Angelegenheit aller.
({1})
- Bitte, hören Sie doch ruhig zu! - Für mich ist auch die Unabhängigkeit der Rechtspflege und der Rechtsprechung nicht eine Angelegenheit, für die ich allein einzutreten hätte, sondern für die alle einzutreten haben.
({2})
Wenn in dieser Beziehung irgendwelche Kritik geübt wird, dann muß dies in einer Weise geschehen, die die Möglichkeit gibt, dazu Stellung zu nehmen. Soweit ich Sie verstanden habe, Herr Kollege Greve, haben Sie Einzelheiten aus einem unter Ausschluß der Öffentlichkeit
({3})
- doch, doch - rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren entwickelt, und ich werde Gelegenheit nehmen, an Hand des Stenogramms Ihre Rede nach Rücksprache mit den übrigen beteiligten Ressorts
- ich bin ja gar nicht einmal zuständig für den Oberbundesanwalt und für die Bundesgerichte - dazu das Erforderliche zu sagen. Ich kann nur noch einmal versichern, das wird in einem Geiste erfolgen, der ganz klarstellt, daß dies Angelegenheiten des ganzen Hauses und nicht nur einer Seite sind. Ich bin aber der Meinung, daß die Unabhängigkeit der Rechtspflege und das Ansehen unserer höchsten Gerichte so hohe Werte sind, daß sie nicht in einer solchen Weise gefährdet werden dürfen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die ausführliche, gewissenhafte und sachliche Berichterstattung, die uns der Herr Bundesinnenminister heute in seiner ersten Rede gegeben hat, hat uns ausgesprochen befriedigt.
({0})
Wir freuen uns, feststellen zu können, daß ein großer Teil der Einwendungen, die zunächst gegen das Verfahren erhoben werden mochten, durch diese Ausführungen als erledigt und ausgeräumt angesehen werden kann. Ich stehe nicht an zu erklären, meine Herren von der Opposition, daß ich selber nicht ohne Bedenken an die Beurteilung des Falles herangegangen bin. Gewiß stimmt ein großer Teil des Hauses mit mir darin überein, daß durch die Beantwortung der Großen Anfrage durch den Herrn Bundesinnenminister diese Bedenken im wesentlichen zerstreut sind. Meine Herren von der Opposition, Sie täten gut daran, nicht durch Dramatisierung von Einzelfragen den Blick vom Ganzen abzulenken.
({1})
Sie gestatten deshalb, daß ich noch einmal das Gesamtbild vor Ihnen aufrolle.
Wie unbestreitbar und unbestritten feststeht, hat die „Vulkan"-Aktion einen sehr ernsten Hintergrund gehabt. Es kann nicht bestritten werden, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik eine weit gespannte, systematische und gut durchorganisierte Verbindung bestanden hat mit dem Zweck, hier
({2})
Dinge auszuspähen, die im Staatsinteresse als geheim angesehen werden müssen.
({3})
Die zuständigen Behörden der Bundesrepublik haben rechtzeitig, noch ehe diese Organisation zur vollen Entfaltung gelangte, von dem Treiben Kenntnis bekommen und haben nunmehr meiner Überzeugung nach durchaus pflichtgemäß und pflichtgetreu eingegriffen. Ich wüßte nicht, wie wir die Gelder verantworten sollten, die wir für diese Institutionen ausgeben, wenn sie gegenüber einem solchen Tatbestand versagten.
Die Öffentlichkeit hatte ein berechtigtes Interesse daran, darüber informiert zu werden, und sie ist informiert worden. Alles, was sich seitdem ereignet hat, kann die berechtigte Grundlage des ganzen Vorgehens nur bestätigen. Der Abgeordnete Greve hat - namentlich in seiner ersten Begründung - die zahlreichen nachträglichen Haftentlassungen als Beweis dafür angeführt, daß die Aktion doch wohl nicht ganz zu rechtfertigen sei. Ich würde das für einen sehr bedenklichen Fehlschluß halten, Herr Kollege Greve, einen Fehlschluß, den wir auch im Interesse der Inhaftierten gar nicht für richtig halten wollen. Es wäre für die Rechtsprechung sehr bedenklich, wenn die Entscheidung eines Richters, der mit der Haftnachprüfung beauftragt ist, etwa nachher immer dahin beurteilt würde, ob sie ein Vorgriff auf die endgültige Urteilsfindung des Gerichtes ist. Im Gegenteil, wir freuen uns, daß sich der Richter im Laufe des Verfahrens für berechtigt angesehen hat, den einen oder anderen der ursprünglich Inhaftierten wieder freizugeben. Das ist durchaus normal und durchaus üblich. Ich wüßte nicht, wie man daraus die Schlußfolgerung ziehen könnte, daß das gesamte Verfahren etwa ungerechtfertigt gewesen sei.
Gestatten Sie mir ein besonderes Wort über dieses sogenannte Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute habe ich das Bedürfnis, festzustellen, daß es sich um eine ausgesprochene Tarnorganisation handelt, die mit eigentlicher wissenschaftlicher Forschung auch nichts gemein hat. Der Name ist gegeben worden, um die Beteiligten oder die Nichtbeteiligten irrezuführen. Aber selbst im sowjetischen Besatzungsgebiet gibt es Wirtschaftsforschungsinstitute, die, mögen sie auch zum großen Teil der Propaganda ihrer Regierung dienstbar sein, einen gänzlich anderen Charakter haben als dieses sogenannte wirtschaftswissenschaftliche Forschungsinstitut, dessen Name lediglich ein Deckmantel für eine andersgeartete Tätigkeit war.
Jedenfalls können wir in der bedrängten und bedrohten Lage, in der sich die Bundesrepublik befindet, von unseren Bundesbehörden gar nichts anderes erwarten, als daß sie in solchen Fällen wach und verantwortungsfreudig auf dem Posten sind, um die Gefahren, die sich dort zeigen, auszuräumen.
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Es liegt in der Natur der Sache, daß ein solches Durchgreifen zunächst in einer gewissen summarischen Weise erfolgen muß; das läßt sich gar nicht anders machen. Ich kenne das aus meiner eigenen Verwaltungspraxis nur zur Genüge. Ich muß sagen,
Herr Bundesminister des Innern, ich bin eher überrascht, daß die Zahl der Fälle, in denen sich der Verdacht mehr oder weniger bestätigt hat, noch so groß gewesen ist. Das ist beinahe eine Rarität in Polizeiaktionen dieser Art. Man kann im Einzelfall - gestatten Sie, daß ich das als alter Fachmann einmal sage - nicht abwarten, bis der Tatverdacht für jeden der Beteiligten bis ins einzelne nachgewiesen ist. Das ist gar nicht möglich, da sonst die anderen durch die Verhaftung der ersten gewarnt würden. Der Eingriff also kann nur in einem gewissen summarischen Verfahren erfolgen. Der Haftrichter hat doch auch zunächst nur die Haftbefehle erlassen und ihre Zahl dann allmählich wieder verringert.
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Man kann auch eine Verpflichtung der Minister der Bundesregierung nicht bestreiten, die Öffentlichkeit über solche Fragen, die sie in hohem Maße angehen, zu unterrichten. Ob bei der ersten Presseverlautbarung der von mir als notwendig oder unvermeidbar angesehene summarische Charakter der Aktion nicht vielleicht etwas zu stark zum Ausdruck gekommen ist, mag dahingestellt bleiben. Wir freuen uns, aus dem Munde des Bundesinnenministers zu hören, daß er bereit ist, sowohl nach der moralischen wie nach der materiellen Seite hin die notwendigen Korrekturen eintreten zu lassen, sobald das Verfahren abgeschlossen ist. Wir alle haben ein Interesse daran, daß das Anliegen, das die sozialdemokratische Fraktion hierbei vertritt, nämlich der Schutz der persönlichen Freiheit, gewahrt wird.
Herr Kollege Greve, Sie haben verschiedentlich den Journalisten Herrn Tüngel zitiert. Gestatten Sie, daß ich aus seinem Artikel ein weiteres Zitat bringe, das Sie vielleicht doch zum Nachdenken veranlassen kann.
({6})
- Ich werde nicht unfair.
({7})
- Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will, Herr Kollege Greve! In dem von Ihnen mehrfach zitierten Artikel von Herrn Tüngel zum Falle „Vulkan" heißt es wörtlich:
Wir haben schon mehrfach Veranlassung gehabt, davor zu warnen, daß in der Bundesrepublik vor allem auf der Landesebene
({8})
mit den Methoden des Polizeistaates regiert wird.
Ich glaube, daß, wenn das Wort „Landesebene" hier fällt, bestimmte Länder gemeint sind, auf die unser Kollege Greve örtlich und politisch stärkeren Einfluß hat, als ihn die Bundesregierung besitzt.
({9})
({10})
Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas Grundsätzliches sagen. Es handelt sich bei dem hier erörterten Problem in der Tat um eine besonders schwierige Aufgabe des demokratischen Rechtsstaats. Wir wünschen von unserer Staatsregierung, daß sie wachsam ist und verantwortungsbewußt allen Versuchen, die demokratische Staats-und Rechtsordnung zu untergraben, entgegentritt.
({11})
Auf der andern Seite erwarten wir von der Staatsregierung, daß sie die Interessen des einzelnen, seine Ehre und seine materiellen Belange, schützt. Wenn es im Grenzfalle nicht ganz leicht ist, die Interessen des einzelnen mit dem Interesse der Staatssicherheit in Einklang zu bringen, sind wir nach den Erfahrungen aus der Zeit vor 1933 lieber dafür, daß die Staatsregierung kraftvoll und verantwortungsfreudig eingreift, als daß sie aus Angst, irgendwelche Einzelinteressen zu stören, eine notwendige und von uns allen für richtig gehaltene Maßnahme unterläßt.
({12})
Gerade in der Weimarer Republik hat es genug Schaden gegeben, weil sich eine Polizeibehörde aus Erwägungen, wie sie hier der Herr Kollege Greve vorgetragen hat, nicht für stark genug gehalten hat und nicht genügend selbstbewußt gewesen ist, einzugreifen. Es ist vielleicht kein Zufall, daß die in erster Linie zuständige Staatsbehörde unter der Leitung eines der Opfer der damaligen Zeit steht, das ganz genau weiß, was in solchen Fällen die Folge ist, wenn die Behörden nicht auf dem Posten sind und nicht ihre Pflicht tun.
Und ein Letztes, meine Damen und Herren! Ich kann es nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß wir auch hier wieder ein schmerzliches Beispiel für den Zustand erleben, in dem sich unser armes Vaterland befindet. Was hier als „Staatsgeheimnis" angesehen wird, betrifft großenteils Tatsachen, deren Kenntnis wir uns noch vor wenigen Jahren aus den statistischen Handbüchern oder mit einer einfachen telefonischen Anfrage innerhalb Deutschlands zu beschaffen pflegten.
({13})
Es ist außerordentlich bitter, daß sich nun auf deutschem Boden solche Tatbestände ergeben. Ich glaube, wir sollten auch diesen Vorfall zum Anlaß nehmen, alles zu tun, um die Uneinigkeit, die Zerrissenheit, die zu solchen Folgen führen kann, zu beseitigen.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, das ganze Haus hat Anlaß, dem Herrn Bundesinnenminister für die außerordentlich subtile Darlegung des Falles zu danken, der in der Öffentlichkeit auf den Namen „Vulkan" getauft wurde. Diese Ausführungen werden ihren Eindruck gerade auch bei den Damen und Herren der sozialdemokratischen Opposition nicht verfehlt haben. Denn was machen diese Darlegungen allerdings klar? Sie machen doch der ganzen Öffentlichkeit klar, daß bisher in der Beurteilung des Falles „Vulkan" von falschen Grundlagen ausgegangen wurde.
({0})
Die öffentliche Beurteilung des Falles „Vulkan" hatte bisher völlig andere Wertakzente, als sie nach den heutigen Darlegungen des Innenministers angebracht sind. Ich möchte sagen, gerade das, was der Herr Innenminister über die Tatbestandsmerkmale bei den verschiedenen Gruppen der Beschuldigten sagte, zeigt, daß wir hier einen Rechtsstaat haben, in dem sich die sorgfältigste Prüfung in Fällen durchsetzt, in denen nach der Beurteilungsweise in der sowjetischen Diktatur, wie wir sie in Mitteldeutschland haben, ohne weiteres Zuchthausstrafen von 15 bis 20 Jahren verhängt würden.
({1})
Über diesen Unterschied sollte man die Öffentlichkeit nicht hinwegzutäuschen suchen, sondern gerade an Hand der völlig unterschiedlichen Behandlungsweise der Fälle hier gegenüber der üblichen Behandlung in der Sowjetzone sich bewußt werden, daß wir mit Recht den Anspruch erheben, als Rechtsstaat gewertet zu werden.
({2})
Gerade die Kritik des Herrn Kollegen Dr. Greve hat aber auch nicht den mindestens Anlaß gegeben, die Sachlage anders zu beurteilen.
({3})
Im Gegenteil, was er an kleinlicher Kritik von Einzelheiten, die hier der Nachprüfung überhaupt nicht zugänglich sind, vorgetragen hat, war doch nicht anders zu werten als ein Rückzug aus Verlegenheit, nachdem er in der Hauptsache anerkennen mußte, daß die Darlegungen des Innenministeriums nicht angreifbar sind.
({4})
Was er zuletzt noch glaubte an Kritik gegenüber dem Beschluß der Bundesregierung vorbringen zu können, den der Herr Vizekanzler damals in der Öffentlichkeit nur ausgeführt hat, ist schon deshalb ungerechtfertigt, weil zum ersten nicht bestritten werden kann, daß die Bekanntgabe der Aktion und die Nennung der Namen damals nur aus der Erwägung hervorgegangen sind, ein weiteres Aufsehen und eine größere Personenkreise ergreifende Ungewißheit und Unsicherheit auszuschließen, gerade also um Aufbauschungstendenzen der Öffentlichkeit entgegenzuwirken. Zum zweiten ist die Bekanntgabe der Namen seinerzeit unter dem ausdrücklichen Hinweis erfolgt - der dann allerdings in der Presse vielfach verlorenging -, daß es sich nicht um die Nennung von Schuldigen, sondern lediglich um die Nennung von Beschuldigten handle, die einer Tat verdächtig seien. Daß das Zufassen damals richtig war, daß der Tatverdacht hinreichend konkret war, haben die Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers, ich glaube, auf das allerwirksamste ergeben. Und so glaube ich abschließend sagen zu können, daß, wenn Herr Dr. Greve vorhin als das Ende der Aktion „Vulkan" bezeichnete, es sei lediglich ein Haufen Unrat übriggeblieben, wir zu dem Urteil befugt sind: der Haufen Unrat ist nur in dem Gehirn eines Abgeordneten vorhanden, der eine so überspitzte Kritik ausdrückt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mocker.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Eine der schlimmen Erbschaften, welche die Nachkriegszeit uns brachte, besteht nun einmal darin, daß die Bundesrepublik vielfach zum Tummelplatz von Agenten mit den verschiedensten Aufträgen wurde. Die Teilung Deutschlands, die aus den weltpolitischen Spannungen resultiert, brachte es weiter mit sich, daß die Bundesrepublik in die unmittelbare Gefahrenzone der kommunistischen Aggression kam. Die Bundesrepublik ist dadurch in eine besonders schwierige Lage gekommen und verpflichtet, um ihre verfassungsmäßigen Einrichtungen besonders besorgt zu sein und besonders darüber zu wachen. Jeder Staat hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, mit allen ihm gesetzmäßig zu Gebote stehenden Mitteln gegen die äußeren und inneren Feinde anzugehen.
Es ist auch mit ein Kriterium des Rechtsstaats, daß er die Schutzmaßnahmen, die er für sich selbst ergreift, nicht zum Gegenstand einer besonderen Gesetzgebung macht, sondern in den Rahmen der allgemeinen Strafgesetzgebung einschließt und daß er weiter auch die Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen diese Schutzbestimmungen nicht etwa Sonderbehörden, sondern den ordentlichen Gerichten in die Hand gibt.
Hierbei muß aber eingeräumt werden, daß die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden jene Methoden im Rahmen der Gesetze anwenden können, die nach Art des Delikts allein die Gewähr bieten, das doch vom Gesetzgeber in jedem Fall erstrebte Ziel zu erreichen, nämlich den Schutz des Staates und seiner verfassungsmäßigen Einrichtungen und damit auch den Schutz des einzelnen Staatsbürgers.
Die Leute, die sich mit Spionage beschäftigen, sind nicht nur besonders ausgesucht, geschult und stellen damit nicht nur besonders gerissene Delinquenten dar, sondern sie sind auch mit allen modernen technischen Mitteln ausgerüstet, die ihnen ihr Geschäft wesentlich erleichtern und vor allem auch ihr Erkennen, ihre Entdeckung wesentlich erschweren. Die vom Staat mit der Spionageabwehr betrauten Organe werden daher nicht erst dann berechtigt sein, zuzupacken, wenn sie gewiß sind, daß sie den Verdächtigen auch endgültig und wirklich überführen, sondern auch schon dann, wenn an und für sich der Verdacht als solcher besteht. Es ergibt sich nun einmal aus der Natur der Sache, daß eben bei Beginn einer derartigen Aktion Unschuldige mitbetroffen werden können, und vor allem dann, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um eine größere Aktion handelt.
Man wird den mit der Spionageabwehr betrauten Organen erst recht dann keinen Vorwurf machen können, wenn sich diese Verdächtigen durch ihr Verhalten selbst in diesen Zustand des Verdachtes gebracht haben oder wenn sie sich durch auf welche Art auch immer zustande gekommene Verbindungen mit den zu Recht Verdächtigen selbst in die Gefahr bringen, mitverdächtigt zu werden.
Meine Fraktion ist der Ansicht, daß die im Zusammenhang mit dem Sachverhalt der „Vulkan"-Affäre erfolgten Maßnahmen, wie sie heute in der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD vom Herrn Innenminister vorgetragen wurden, insoweit keinen Raum zu Beanstandungen geben, als
sie ergriffen wurden, um den Personenkreis, der der Spionage verdächtig war, sicherzustellen, und um zu gewährleisten, daß irgendwelche Spionagehandlungen keine nachteiligen Folgen und Auswirkungen für den Staat haben können.
Wenn aber dem Staat zu seinem Schutz eine so weitumfassende Vollmacht eingeräumt wird, trifft ihn auf der anderen Seite auch die Pflicht, die Interessen des einzelnen der Spionage Verdächtigen nicht weiter zu beeinträchtigen, als dies zur erfolgreichen Aufklärung und Abwehr dieser Spionagehandlungen unbedingt notwendig ist.
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Insbesondere hat der Staat alles zu unterlassen, was dem Ansehen und der Integrität der Person des einzelnen Festgenommenen schaden könnte, solange er ihn nicht ausreichend irgendwelcher Spionagehandlungen wirklich überführen kann.
Der Staat wird auch dafür Sorge tragen müssen, daß überall dort, wo nicht an und für sich stärkere Beweise als das von seinen Agenten beigebrachte Material vorliegen, dieses sogenannte Beweismaterial auf schnellstem Wege auf seine Stichhaltigkeit überprüft wird; denn alle Agenten, ob es nun eigene oder fremde sind, sind nun einmal mit ganz wenigen Ausnahmen charakterlich nicht ganz einwandfrei. Sie nehmen es mit der Wahrheit nicht ganz genau,
({1})
und ihre Angaben sind mit Vorsicht aufzunehmen.
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Meiner Meinung nach sollte daher vermieden werden, daß ein Zeitraum von 14 Tagen vergeht, bis eine durch eine Agentenangabe erfolgte Personenverwechslung aufgeklärt wird. Das sollte doch viel schneller möglich sein.
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Es wäre auch bestimmt glücklicher gewesen, wenn nicht die Bundesregierung in der „Vulkan"-Affäre die Namen aller Verhafteten zu einem Zeitpunkt bekanntgegeben hätte, als noch keineswegs überprüft war, ob sich der Spionageverdacht tatsächlich begründeterweise auf alle Verhafteten bezog.
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Um aufbauschenden Gerüchten entgegenzutreten, muß man keineswegs Namen bekanntgeben, sondern es genügt, die Zahl und in großen Zügen auch den Sachverhalt mitzuteilen.
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Die Nennung von Namen sollte man überhaupt immer den Anklagebehörden überlassen, nicht allein aus staatsrechtlichen Überlegungen, sondern auch deshalb, weil die Anklagebehörde aus dem Fortgang der Ermittlungen am besten den Zeitpunkt erkennen kann, wann man mit den Namen herauskommen kann, dies sowohl im Interesse der Aufklärung der Spionagefälle wie auch im Interesse der Integrität der Person des einzelnen Betroffenen.
In der Öffentlichkeit entstand vor allem dadurch der Eindruck eines Fehlgriffs, weil anfänglich allzu schnell und in einer doch hervorstechenden Form die Öffentlichkeit von der „Vulkan"-Affäre mit Nennung aller Verhafteten unterrichtet wurde, während in der Folgezeit weitere Mitteilungen allzu lange auf sich warten ließen. Dieser Eindruck wäre vermieden worden, wenn die Auskünfte, wie
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dies heute auch der Herr Innenminister selbst ganz richtig festgestellt hat, viel eher gegeben worden wären. Dazu bestand ohne weiteres die Möglichkeit.
Nach den heutigen Darlegungen des Herrn Innenministers besteht aber wohl kein Anlaß mehr, daß die „Vulkan"-Affäre in der Öffentlichkeit in der bisherigen Art und Weise weiter diskutiert wird. Mit besonderer Freude haben meine politischen Freunde und ich die Erklärungen des Herrn Innenministers zur Kenntnis genommen, daß die Fälle, in denen sich die Verhaftung als unbegründet erwiesen hat - das sind weitaus weniger Fälle, als man bisher in der Öffentlichkeit annahm -, durch Ehrenerklärungen und allenfalls durch Schadensersatzleistung bereinigt werden; denn nur eine solche Erledigung entspricht tatsächlich staatsrechtlichen Prinzipien.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat in dieser Angelegenheit der Bundesregierung vier ganz bestimmte Fragen vorgelegt. Eigentlich sollte sich unsere Erörterung heute auf diese vier bestimmten Fragen und das, was mein Kollege Greve zur Begründung dieser vier Fragen vorgetragen hat, beschränken. Nicht dagegen steht zur Erörterung, ob man gegen solche Personen, die Spionage treiben oder sich sonst eines Vergehens oder Verbrechens schuldig machen, zugreifen muß. Ich glaube, darüber sollten zwischen uns keinerlei Zweifel bestehen.
({0})
- Nein, Herr Kollege, um diese vier bestimmten Fragen handelt es sich und um das Verhalten der Bundesregierung bzw. bestimmter Minister und bestimmter Beamter der Bundesregierung in diesem Falle, um gar nichts anderes! Wir haben hier nicht den Prozeß zu führen, für den Karlsruhe zuständig war. Wir haben es hier mit der Bundesregierung zu tun und mit gar nichts anderem!
({1})
Bezüglich dieser vier bestimmten Fragen hat der Bundesminister des Innern zu Frage 3 und Frage 4 durchaus befriedigende Antworten gegeben, über die wir uns freuen. Auch die Opposition freut sich, wenn ein Bundesminister und die Bundesregierung Antworten geben, die befriedigend sind.
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Zur dritten Frage hat der Herr Bundesminister des Innern gesagt, die Bundesregierung sei bereit, in einem noch ausstehenden Zeitpunkt denjenigen, die zu Unrecht ehedem verhaftet und in der Öffentlichkeit angeprangert worden sind, eine Ehrenerklärung abzugeben. Das freut uns, und es ist gut, daß das geschieht. Wir bedauern nur eins: daß die Bundesregierung sich zu dieser öffentlichen Erklärung erst durch die Große Anfrage veranlaßt gesehen hat.
({3})
Warum konnte das nicht früher geschehen? Denn, Herr Bundesminister, wir haben ja als Opposition nur eine Frage aufgenommen, die von parteipolitisch durchaus nicht gebundenen, angesehenen Zeitungen schon wochenlang vorher wiederholt an die Bundesregierung gestellt war. Hält man die Presse für so „untergeordnet", daß man ihr nicht zu antworten braucht, oder warum läßt man sich erst im letzten Augenblick zwingen?
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Das bedauern wir. Aber wir freuen uns, daß eine solche Ehrenerklärung bevorsteht; denn wir sind mit Ihnen einig: es können Fehlgriffe geschehen, es können auch einmal Falsche verhaftet werden. Es kann auch einmal jemand auf Grund einer Namensverwechslung verhaftet werden; allerdings darf es dann nicht 14 Tage dauern, bis sich das herausstellt.
({5})
Dann soll man auch mit der Ehrenerklärung schneller sein, mindestens so schnell wie mit der Verhaftung.
({6})
Wir freuen uns auch über die Beantwortung der vierten Frage, was die Bundesregierung zu tun gedenke, um die Schäden auszugleichen. Wir haben gehört, es sei in Einzelfällen schon eine Prüfung im Gange, ob Schadenersatz zu leisten sei, und im ganzen werde anschließend an die Erledigung aller Verfahren diese Frage Gegenstand der entsprechenden Maßnahmen der Bundesregierung sein. Auch das hätte früher erklärt werden können.
({7})
Aber nun sind ja noch zwei andere Fragen gestellt worden, und die Antwort des Herrn Bundesministers des Innern auf diese Fragen befriedigt uns nach wie vor nicht. Das eine ist die Frage, ob die Bundesregierung das Verhalten des Herrn Bundesministers Blücher billigt, das andere die Frage, welche Vorsorge die Bundesregierung treffen will, um künftig zu vermeiden, daß eine für die Strafverfolgung nicht zuständige Behörde, insbesondere ein Mitglied der Bundesregierung, in ein schwebendes Verfahren durch öffentliche Äußerungen eingreift, die geeignet sind, einer Schuldfeststellung der unabhängigen Gerichte vorzugreifen.
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Der Herr Bundesminister des Innern hat auf die Ausführungen meines Fraktionskollegen Greve geantwortet, offenbar sei Dr. Greve mit seinen Darlegungen durchaus zufrieden, weil er in seiner Erwiderung darauf nicht eingegangen sei. Aber, meine Damen und Herren, das hat doch einen vollkommen anderen Grund! Sie, Herr Bundesminister des Innern, haben doch zu Fragen gesprochen, die hier gar nicht gestellt sind,
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nämlich zu den Fragen, ob die inzwischen verurteilten Leute schuldig waren und ob andere noch in Verdacht Stehende sich schuldig gemacht haben. Das bestreitet doch kein Mensch. Das ist doch überhaupt nicht Gegenstand unseres Anliegens.
({10})
Es ist doch auch gar nicht zu diskutieren, um es zum tausendsten Male zu wiederholen, daß es keinen Abgeordneten dieses Hauses gibt, der nicht ein Vorgehen mit der ganzen Strenge des Gesetzes gegen alle diejenigen will, die sich vor dem Gesetz schuldig gemacht haben oder in Verdacht stehen, sich schuldig gemacht zu haben. Darüber ist keine
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Diskussion, sondern die Diskussion ist darüber, ob man einen Kriminalfall benutzen durfte, um damit Politik zu machen.
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Das ist allein der Kern der Sache. In Rechtsstaaten ist es die Aufgabe der Rechtspflege, mit Kriminalfällen fertig zu werden, aber man treibt damit keine Politik. Das geschieht nur in gewissen anderen Ländern.
({13})
Da kann man uns nun auch nicht mit einer Erwägung kommen, die wir, um es einmal auf eine kurze Formel zu bringen, so zu hören pflegen: Wo gehobelt wird, da fallen Späne! Meine Damen und Herren, das ist nichts, was es in einem Rechtsstaat gibt. In einem Rechtsstaat gibt es das Gesetz und nochmals das Gesetz. Es gibt Irrtümer, die mit rechtlichen Mitteln ausgeglichen werden. Aber es gibt weder Hobel noch Späne in einem Rechtsstaat.
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-Mit Herrn Kollegen Euler möchte ich mich heute hier nicht beschäftigen, denn ich glaube, seine Ausführungen waren so, daß sich das wirklich nicht verlohnt.
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Es geht darum, daß hier mit einem rechtlichen Verfahren Politik gemacht worden ist, und zwar in einem ganz bestimmten Zeitpunkt, und daß man es nicht dem Herrn Oberbundesanwalt und seiner Pressestelle oder dem Bundesgerichtshof und dessen Pressestelle überlassen hat, etwas bekanntzugeben, sondern daß dafür gänzlich ungeeignete Instanzen, der Herr Bundesminister des Innern, Ihr Herr Amtsvorgänger, durch seinen Beamten Herrn Ministerialdirektor Egidi und der Herr Bundesminister Blücher, eine Pressekonferenz veranstalteten und dabei 40 Namen bekanntgaben, und zwar so bekanntgaben, als ob die Schuld aller dieser 40 Personen im wesentlichen feststand.
Ich empfehle Ihnen, nur einmal das „Bulletin" jener Zeit nachzulesen, die Nummern vom 11. und vom 14. April 1953, in denen die Sache unter der Überschrift „Sowjetischer Spionagering zerschlagen" groß aufgemacht worden ist und die Aktion „Vulkan" in Frage und Antwort - die Antwort immer von dem Herrn Ministerialdirektor Egidi - behandelt worden ist. Ein völlig ungewöhnliches Verfahren bei der Namensnennung und bei der Verfolgung strafbarer Handlungen!
Meine Damen und Herren! Überlegen Sie doch einmal, was das für einen Beteiligten und für seine Angehörigen bedeutet, wenn der Name in der Zeitung erscheint als der eines sowjetischen Agenten, eines absolut verwerflichen Menschen, der sich schlimmster und unehrenhaftester Straftaten schuldig gemacht hat. Dann bleibt das auf der Familie Wochen und Wochen, Monate und Monate sitzen; denn der Familie steht ja kein „Bulletin" zur Verfügung, damit sie sich dagegen zur Wehr setzen kann, was hier „von hoher Hand" durch die Bundesregierung geschehen ist. So kann eine demokratische und rechtsstaatliche Bundesregierung den Bürgern gegenüber nicht vorgehen. Das ist unser Anliegen.
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Da haben wir keine irgendwie befriedigende Antwort gehört, und ohne Rücksicht darauf, wie man darüber denkt, ob aus der „Aktion Vulkan" viel oder wenig herausgekommen ist - nach unserer Auffassung ist bedenklich wenig dabei herausgekommen -, sind diese Fehler ganz anderer Art, die auf einem ganz anderen Blatt stehen, große Fehler, die sich in Deutschland nicht wiederholen sollen.
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Nun noch einige weitere Bemerkungen, nämlich dazu, daß der Herr Bundesminister des Innern gesagt hat, Dr. Greve habe hier geheime Verfahren zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen gemacht. Meine Damen und Herren, ich darf dazu sehr einfach feststellen: mein Kollege Greve hat lediglich aus zwei Schriftstücken zitiert, aus einem Haftbefehl und aus einem Eröffnungsbeschluß, die in gar keiner Weise irgendwie geheim sind und geheim sein können.
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Wir bedauern es, daß der Herr Bundesminister des Innern zu einer solchen, ich möchte doch fast das Wort sagen: Verdächtigung
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des Abgeordneten Greve gegriffen hat. Denn damit wird der Sache in keiner Weise gedient. Jedenfalls objektiv ist es unrichtig, was insoweit erklärt worden ist. Wenn einer etwas aus Verfahren gesagt hat, die insoweit geheim sind, dann ist es jedenfalls nicht von seiten meines Parteifreundes Greve geschehen. Aber wir haben ja doch überhaupt schließlich im Bundestage die Öffentlichkeit und müssen uns über solche Dinge, die nun einmal zum Wohl und Wehe eines Rechtsstaats gehören, offen auseinandersetzen können. Dadurch unterscheiden wir uns glücklicherweise und Gott sei Dank von den Staaten und Ländern ohne ein Parlament. Also dieser mehr oder weniger offene oder verdeckte Vorwurf, der hier gegen Dr. Greve erhoben worden ist, entbehrt jeder Grundlage.
Es hat auch keinen Sinn, Herr Kollege Friedensburg , wenn Sie uns nun die Dinge auf die parteipolitische Ebene bringen und etwas erzählen von Ländern, etwa vom Lande Niedersachsen, und ähnliches mehr. Das ist doch einfach keine Art der Diskussion und der Erörterung!
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Wenn Sie glauben, in irgendeinem Lande etwas beanstanden zu müssen, dann, bitte, bringen Sie es vor den Landtag, wo es hingehört. Aber tun Sie doch uns das nicht an, daß Sie hier Angelegenheiten, die uns alle angehen und von denen wir glauben, daß Weise auf die parteipolitische Ebene bringen.
Der Herr Bundesminister des Innern hat welter-hin im Verlaufe seiner Erörterungen Ausführungen gemacht, die doch einen Grund geben, solche Ausführungen hier zurückzuweisen. Herr Bundesminister Schröder, meiner Fraktion und mir ist bekannt, daß Sie für Ihr hohes Amt recht viel guten Willen mitbringen. Wir haben dafür wiederholt Beweise gesehen, und wir freuen uns darüber, daß Sie auch die Absicht haben, mit der Opposition entsprechend umzugehen. Aber um so mehr muß ¡bedauert werden, daß Sie manchmal, wenn Sie hier im Hause sprechen - früher als Abgeordneter und jetzt als Minister -, einen falschen Zungenschlag
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haben und sich zu Äußerungen versteigen, die dann sehr empörend und sehr aufreizend wirken. Ich habe jetzt nicht das Stenogramm des vollen Wortlauts Ihrer Ausführungen da; aber so viel ist sicher, daß Sie erklärt haben, die Ausführungen, die Herr Dr. Greve in seiner Eigenschaft als Mitglied des Bundestages hier im Bundestag gemacht hat, würden der Bundesregierung Veranlassung geben zu Maßnahmen, und zwar auch zu der Prüfung, wie und auf welche Weise Herr Dr. Greve in den Besitz dieses oder jenes Schriftstückes gekommen ist, z. B. eines Haftbefehls,
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der in einem dieser Verfahren ergangen ist. Herr Bundesminister, das Wort „Maßnahmen" hätte in diesem Zusammenhang nicht fallen dürfen. Wenn es fiel und wenn Sie die berechtigte Empörung darüber sahen, so hätte Ihnen das alsbald Veranlassung geben sollen, klarzustellen, daß nicht etwa irgendwie an Maßnahmen auch nur im entferntesten gedacht sein konnte, die sich gegen den Abgeordneten richten würden, der hier in diesem Hause Ausführungen gemacht hat. Ich darf erwarten, daß Sie noch in dieser Debatte Gelegenheit nehmen werden, das mit aller Klarheit dem Hause zu sagen. Denn Maßnahmen gegen einen Abgeordneten gibt es nicht,
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am allerwenigsten von der Regierung aus.
Im übrigen muß ich noch darauf hinweisen, was das Grundgesetz über die Stellung eines Bundestagsabgeordneten sagt.
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- Ich fürchte, daß nicht alle Mitglieder des Hohen Hauses es gelesen haben, so daß es doch ganz gut ist, daran zu erinnern. In Art. 46 wird erklärt, daß gegen einen Abgeordneten zu keiner Zeit wegen einer Äußerung gerichtlich oder dienstlich vorgegangen werden darf oder er sonst zur Verantwortung gezogen werden soll. Art. 47 ist noch sehr viel wesentlicher. Da ist das Geheimnis des Abgeordneten geschützt, und zwar auch das Geheimnis, woher er unterrichtet wird oder etwas an Schriftstücken bekommt. Das sollte man nie antasten, und man sollte vor allen Dingen in keiner Weise hier auch nur eine Verdächtigung aussprechen, als ob das, was ein Abgeordneter in der Hand hat und worüber er spricht, schon deshalb irgendwie nicht einwandfrei sei. Herr Bundesminister des Innern, ich hoffe, daß Sie meine Ausführungen zum Anlaß nehmen werden, alsbald von dieser Stelle aus zu sagen, daß auch nach Ihrer Auffassung mit Mitgliedern dieses Hauses und mit Interpellanten so nicht gesprochen werden kann, wie es leider von Ihnen geschehen ist.
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Nun noch ein letztes Wort dazu. Sie haben von der hohen Meinung gesprochen, die Sie von der richterlichen Unabhängigkeit hegen. Da werden Sie unsern vollen Beifall haben. Es ist bestimmt eine heikle Angelegenheit, Fragen eines gerichtlichen Verfahrens zum Gegenstand einer Aussprache im Bundestag zu machen. Wir haben im ersten Bundestag damit schon gewisse Schwierigkeiten gehabt. Aber auch die Achtung und die notwendige Rücksicht auf dieses Palladium der Rechtspflege, ihre Unabhängigkeit, kann nicht ausschließen, daß insbesondere nach dem rechtskräftigen Abschluß eines Verfahrens Fragen zur Sprache gebracht werden, die sich aus einem solchen Verfahren ergeben haben und die Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit dieses Verfahrens erwecken müssen. Dabei ist hier kein Richter namentlich oder auch kein Gericht als solches angegriffen worden, sondern es ist versucht worden, die Aufmerksamkeit des für die Rechtspflege zuständigen Herrn Bundesministers der Justiz auf Vorgänge zu lenken, die sich in einem bestimmten Verfahren dieser Art abgespielt haben. Ich glaube, daß man das bei aller Achtung vor der richterlichen Unabhängigkeit nicht nur tun kann, sondern auch tun muß.
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Denn es gibt in unserer Verfassung sowohl die richterliche Unabhängigkeit als auch das Wächteramt des Abgeordneten,
({27})
der darüber zu wachen hat, daß nicht auf dem Wege, den das Gesetz geordnet hat, um Unrecht zu sühnen, neues und andersartiges Unrecht geschieht.
Dies allein ist in dem ganzen Fall „Vulkan" unser Anliegen. Man will nicht irgendwie daran herummäkeln, daß selbstverständlich alles getan wird, um Menschen vor Gericht zu bringen, die unseren demokratischen Staat zu unterwühlen versucht haben. Das stand nicht zur Debatte. Zur Debatte stand aber, daß in einem Fall, wo es darum ging, daß Recht geschehen mußte und geschehen sollte, nach unserer Überzeugung von Instanzen der Verwaltung, der Exekutive ein Unrecht hinzu- gefügt worden ist, das nicht bestehenbleiben darf.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Bedeutung der Sache rechtfertigt es, daß ich noch einmal das Wort nehme. Herr Kollege Dr. Arndt hat darauf verwiesen, daß seine Fraktion vier Fragen gestellt habe und wir hier eigentlich nur über die vier Fragen sprechen sollten. Eine Debatte wie diese - Herrn Dr. Greves Ausführungen belegen es ja - läßt sich nicht immer nur im Rahmen der strikt formellen Beantwortung halten.
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Ich hatte eingangs meiner Ausführungen gesagt, daß diese ganze Angelegenheit, die nun den Namen „Vulkan" trägt, doch so wichtig ist, daß die ganze deutsche Öffentlichkeit und in erster Linie das Hohe Haus einen Anspruch darauf haben, darüber so umfassend wie möglich aufgeklärt zu werden. Niemand wird das, glaube ich, zum Anlaß eines Vorwurfs nehmen. Soviel zu Punkt 1.
Zum Punkt 2 darf ich folgendes feststellen. Es ist gesagt worden, die Namensverwechslung hätte nicht dazu führen dürfen, den Betreffenden etwa 14 Tage in Haft zu halten. Dies ist keineswegs der Fall gewesen.
({1})
- Nein, Sie irren sich! Herr Becker ist nicht 14 Tage in Haft gewesen, sondern er ist nur von der Polizei mit diesem Haftbefehl besucht worden. Nach seiner Erklärung: „Ich bin das überhaupt nicht" wurde ihm gesagt: „Halten Sie sich bitte
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zur Verfügung". Dann ist schließlich der richtige Becker verhaftet worden.
Was die Ehrenerklärung angeht, haben Sie, Herr Kollege Dr. Arndt, bedauert, daß die Bundesregierung ihre Absicht erst heute, wie das unter Ziffer 3 erörtert worden ist, dargelegt habe. Ich darf Ihnen sagen, daß wir intern den Beteiligten gegenüber längst ähnliche schriftliche Erklärungen abgegeben haben. Warum wir es hier im Hohen Hause nicht eher tun konnten, habe ich schon eingangs an Hand der etwas schwierigen Vorgeschichte der Behandlung dieser Großen Anfrage dargelegt.
({3})
Ich darf Sie aber auch an etwas erinnern, was ich ebenfalls eingangs gesagt habe. Ich bin in der Tat der Meinung, daß man bei Vorfällen dieser Art, bei einem solchen Komplex, der nun schon seit eineinviertel Jahren in der Welt ist, früher zu dem Mittel der Regierungserklärung greifen sollte. Was mich angeht, werde ich das ohne Zweifel tun, weil ich es dem Hohen Hause gegenüber eigentlich auch für das praktikablere Verfahren halte, als daß wir uns mühselig an Große Anfragen anhängen, die manchmal in der Tat in ihrer einzelnen Formulierung überholt sind, bis sie hier zur Erörterung kommen. Wir haben das ja in der letzten Zeit häufig gemeinsam erlebt.
Meine Damen und Herren, was Herr Kollege Dr. Arndt gesagt hat, läuft doch darauf hinaus, daß er etwas zugespitzt formuliert hat, man habe hier aus einem Kriminalfall Politik machen wollen. Ich kann nicht anerkennen, daß das so ist. Ich will nicht noch einmal im einzelnen darlegen, was ich bereits ausgeführt habe. Ich darf Sie aber doch darum bitten, diese Ausführungen und ihre Argumentation im einzelnen noch einmal daraufhin zu prüfen. Es kann Situationen geben - und dabei bleibe ich -, in denen es die staatspolitische Verantwortung - das ist weitgehend eine Frage pflichtgemäßen Ermessens - der Bundesregierung
- oder es kann sich auch um eine andere Stelle handeln - unbedingt nahelegt, eine umfassende Aufklärung der Öffentlichkeit vorzunehmen. Daß das mit aller menschenmöglichen Vorsicht und Zurückhaltung geschehen soll, darüber sind wir uns, glaube ich, alle einig. Das ist ein Prinzip, das wir nicht weiter zu diskutieren brauchen.
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- Ich sage, ich bin der Meinung, Herr Kollege Arndt - das ergibt sich aus meiner Antwort zu den beiden ersten Ziffern -, daß hier in der Tat ein Fall vorlag, der so behandelt werden mußte. Das habe ich dargelegt.
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- Unsere Meinungen darüber mögen auseinandergehen. Mir ist es schon sehr viel wert, wenn wir uns bei vier Punkten wenigstens auf zwei definitiv einigen können. Das ist schon eine ganze Menge.
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Sie werden im Ernst auch gar nicht abstreiten wollen, daß das doch erfreulich ist. Herr Kollege Arndt hat es doch geradezu herausgestellt, wie erfreulich es ist, wenn es Punkte gibt, über die man sich in einer solchen Sache, die öffentliches Aufsehen erregt hat, verständigen kann. Warum wollen Sie das hinterher wieder verkleinern? Ich bleibe dabei, daß ich das für erfreulich halte, und Herr Dr. Arndt hat es ja auch als erfreulich bezeichnet.
Die Kontroverse zwischen Dr. Greve und mir haben Sie, Herr Dr. Arndt, nach meiner Meinung wenigstens, nicht richtig aufgefaßt. Ich will mich bemühen, klarzumachen, was ich in dieser Sache meine. Zunächst will ich einmal für das Hohe Haus, das diesen Fall nicht so genau kennt, klarstellen, daß die Sache Weis - das ist der Fall mit Haftbefehl usw., über den Herr Greve gesprochen hat - völlig getrennt von dieser Geschichte „Vulkan" ist. Wenn man sich darüber einig ist, dann wird man das, was ich jetzt sage, sehr viel besser verstehen. Das hat mit dieser Großen Anfrage also gar nichts zu tun, sondern es sind allgemeine kritische Bemerkungen gegenüber dem Oberbundesanwalt, gegenüber dem Bundesgericht usw.
Dazu sage ich folgendes. Ich will das ganz deutlich machen. Diese Landesverratsverfahren sind Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit, und zwar in allen Ländern der Welt. Das ist ja nichts Besonderes, es sei denn da, wo Schauprozesse veranstaltet werden, und damit will ja keiner von uns etwas zu tun haben. An diesen Verfahren sind beteiligt die Anklagebehörde - hier also der Oberbundesanwalt -, ein Senat, bestehend aus mehreren Richtern, der Angeklagte - den ich nicht weiter zu erwähnen brauche - und sein Verteidiger oder seine Verteidiger. Das ist der Kreis von Menschen, auf den sich ein solches Verfahren beschränkt, ein Verfahren, das unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet.
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- Nun gut, Herr Greve, wenn da noch ein Punkt sein sollte, so können wir uns darüber ja noch einmal außerhalb unterhalten; das ist für das Hohe Haus, für das, was ich prinzipiell meine, jetzt vielleicht nicht wichtig genug. Also ich spreche von einem solchen Verfahren, und Sie haben einen Haftbefehl aus einem solchen Verfahren vorgezeigt. Herr Kollege Arndt sagte, Sie hätten nur von Haftbefehl und Eröffnungsbeschluß gesprochen. Das ist nicht richtig. Sie haben von mehr, von Quittungen und dergleichen gesprochen usw. Sie sind also ohne Zweifel in ein Stück der Beweisaufnahme des Verfahrens hineingegangen. Daß das etwas ist, was der Bundesregierung im einzelnen Anlaß zu einer sehr sorgfältigen Prüfung geben wird, wird niemand bestreiten. Denn ein Verfahren, das an sich als ein unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindendes rechtsstaatlich geordnetes Verfahren in dieser Weise bekannt wird, gibt einem Anlaß, zu prüfen, ob alle Geheimhaltungsvorschriften und dergleichen richtig gewahrt sind.
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- Nein, nein! Das ist etwas ganz Korrektes! Es handelt sich hierbei nicht um Abgeordnete, sondern es geht um die Anklagebehörde, um die Gerichte.
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Wir sind nun einmal mit Ihnen gemeinsam dafür verantwortlich, daß im Staat auch dort nach Recht und Gesetz gehandelt wird. Wenn ein Verfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindet, ist die Öffentlichkeit eben ausgeschlossen.
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Ich sagte auch bereits, die Ausführungen des Herrn Kollegen Greve würden uns möglicherweise Anlaß zu Maßnahmen geben. Herr Kollege Arndt hat - ich weiß nicht, ob Sie, Herr Kollege Greve, es selber auch getan haben - dieses Wort „Maßnahmen", wie aus seinem Vortrag hervorgeht, nicht richtig aufgefaßt. Es hätte keines Hinweises auf Art. 46 des Grundgesetzes, der bei dieser Gelegenheit dem Hohen Hause noch einmal vorgetragen worden ist, bedurft. Es ist völlig selbstverständlich - ich will das noch einmal wiederholen, nicht etwa als meine Meinung, sondern das steht da, das ist Verfassungsrecht -, daß ein Abgeordneter zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden darf. Das ist völlig selbstverständlich.
Aber was Sie, Herr Kollege Greve, gesagt haben, gibt sicherlich Anlaß zu gewissen Maßnahmen. Ich mache mir z. B. Gedanken darüber, ob der Haftbefehl - ich habe ihn nicht in der Hand gehabt, Sie hatten ja den Vorzug, Sie hatten ihn in der Hand - tatsächlich in jeder Nuance strafprozessual richtig ist. Sollte sich herausstellen, daß er das nicht ist - das mag schon einmal vorkommen -, dann werden wir halt dafür sorgen. Das ist eigentlich nicht meine Sorge, das geht mehr meinen Kollegen der Justiz an.
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- Aber ich spreche hier etwas aus, was ohne Zweifel die Meinung der ganzen Bundesregierung ist; hängen Sie uns nicht an den Einzelheiten der Ressorts auf und verlangen Sie nicht, daß wir alle zu den Einzelheiten getrennt Stellung nehmen. Sie werden alle mit mir darin übereinstimmen, daß, wenn sich herausstellt, daß ein Haftbefehl nicht richtig oder unvollständig ausgestellt ist und etwas anderes als ein Versehen vorliegt, wie es Ihnen, mir und allen andern unterlaufen kann, eingegriffen werden muß. Im Grunde handelt es sich dabei nach meiner Meinung um Kenntnisse, die man spätestens bis zum Assessor-Examen erworben haben muß. Aber man kann manches vergessen und man kann sich selbst mit erworbenen guten Kenntnissen einmal irren. Daß wir hier unter Umständen Maßnahmen ergreifen könnten und müßten, ist ganz selbstverständlich. Außerdem ist es unseres Amtes, das zu tun, und niemand von Ihnen wird das bestreiten wollen.
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- Nun, ich bin dafür da, die Dinge „gut hinzukriegen", Herr Kollege Greve. Dafür trägt die Regierung die Verantwortung in diesen Sachen. Unsere Aufgabe ist es - ich betone es immer wieder, daraus möchte ich Sie auch nicht einen Augenblick entlassen -, die Dinge gemeinsam „gut hinzukriegen"; der Ausdruck stammt von Ihnen, nicht von mir.
Ich möchte schließen, indem ich folgendes sage. Nach Auffassung der Bundesregierung ist der Fall Vulkan rechtsstaatlich ordnungsgemäß behandelt worden, und er wird mit den Maßnahmen, die ich zu Ziffer 3 und 4 genannt habe, auch rechtsstaatlich abgeschlossen werden. Das ist alles. Den Fall Weis will ich aus der weiteren Behandlung herauslassen. Aber ich glaube, wir sollten doch positiv und als etwas Gemeinsames feststellen, daß die
Unabhängigkeit der Gerichte, die hier so beiläufig in die Debatte geraten ist, ein Anliegen darstellt, das jeder in diesem Hause gleich hoch hält.
({13})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur die Ausführungen meines Kollegen Dr. Schröder, des Herrn Bundesinnenministers, ergänzen. Der Haftbefehl, den Herr Dr. Greve verlesen hat, war mir natürlich nicht bekannt. Nach dem, was ich den Ausführungen des Herrn Dr. Greve entnehmen kann, könnte es sich aber höchstens um ein formal-juristisches Versehen handeln, niemals um eine Gesetzwidrigkeit oder eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit. Ich werde die Sache selbstverständlich prüfen lassen. Bekannt war sie mir bisher noch nicht.
Der Herr Kollege Dr. Arndt hat in seinen Ausführungen noch einmal besonders darauf hingewiesen - und das möchte ich hier unterstreichen -, daß es nicht angängig ist, Urteile der Gerichte zum Gegenstand einer parlamentarischen Auseinandersetzung zu machen. Die Rechtsprechung unterliegt nicht der parlamentarischen Kontrolle. Sie unterliegt auch nicht der Kontrolle des Bundesministers der Justiz. Infolgedessen halte ich es nicht für zulässig oder jedenfalls für sehr bedenklich, wenn hier richterliche Urteile, die bereits abgeschlossen sind,
({0})
zum Gegenstand einer Auseinandersetzung gemacht werden. Es kann selbstverständlich Kritik an einem Urteil geübt werden;
({1})
dagegen wird niemand etwas sagen können. Aber hier vor dem Forum der Öffentlichkeit
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eine solche Aussprache über ein rechtskräftiges Urteil abzuhalten, dient nicht dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit. Im Gegenteil, ich fürchte, daß dadurch die Rechtsstaatlichkeit Schaden erleidet und daß der Begriff des Rechtsstaats in unserem Volk durch eine derartige Aussprache nichts weniger als gefördert wird.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Erwarten Sie nicht meine politische Jungfernrede,
({0})
sondern lediglich eine ganz kurze Bemerkung zu dem Thema, das eben behandelt wird. Es ist eine eminent ernste Angelegenheit, die hier zur Debatte gestellt ist. Das wird wohl niemand bestreiten. Ich glaube, daß die Praxis der politischen Verwertung von strafrechtlichem Material, noch ehe die Verfahren zum Abschluß gekommen sind, aber auch von Material der Verfassungsschutzämter, ehe es verwertungsreif ist, uns noch zu sehr weit({1})
greifenden und bedeutenden Überlegungen Anlaß geben wird, weil diese Praxis, die sich hier eingeschlichen hat, überaus bedenklich ist.
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Ich möchte in meiner Eigenschaft als Mitglied des Ausschusses zum Schutze der Verfassung nur eine Bemerkung machen. In diesem Ausschuß ist die „Vulkan"-Affäre sehr eingehend erörtert worden. Aus diesen Erörterungen möchte ich festhalten, daß der Vertreter der Bundesregierung mehrfach eindeutig und mit voller Bestimmtheit dargelegt hat, daß weder die Strafverfolgungsbehörde, also beim Stand des Verfahrens die Kriminalpolizei, noch das Innenministerium in diesem Stadium eine Veröffentlichung der Namen für notwendig gehalten hätten.
({3})
Die Herren haben sich hier ganz eindeutig ausgedrückt, und sie haben auf weitere Fragen hinzugefügt, es sei ihnen auch nicht bekannt, aus welchem Motiv die Bundesregierung zur Veröffentlichung dieser Namen geschritten sei.
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Es liege eine Entschließung des Kabinetts vor, über deren Hintergründe sie nicht orientiert seien.
({5})
Wir haben dann gebeten - und zwar alle Ausschußmitglieder; es hat sich niemand davon ausgeschlossen -, daß in der nächsten Sitzung über diese Dinge Bericht erstattet werde und uns die Zusammenhänge dargelegt würden. Die Antwort ist zugesagt worden; aber sie wurde nicht erteilt.
({6})
Meine sehr verehrten Abgeordneten! Die Kernfrage bei der „Vulkan"-Affäre ist nicht etwa das Verfahren - das ist vielleicht eine selbstverständliche Sache -, sind nicht einmal die Verhaftungen - selbst sie sind sekundär -, sondern ist einzig und allein die Veröffentlichung der Namen in diesem Stadium.
({7})
Diese Veröffentlichung hat den Schaden angerichtet. Sie war kriminalistisch auch absolut unzweckmäßig, weil man, hätte man die Namen nicht veröffentlicht, viele Personen, die mit der Sache verquickt waren, nicht gewarnt und es ihnen nicht ermöglicht hätte, sich zu verbergen und zu verschwinden. Selbst wenn man einen großen politischen Erfolg erzwingen wollte, war diese Veröffentlichung der Namen falsch, denn es ist dadurch eine Minderung des Eindrucks entstanden.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Meine Damen und Herren! Ich bedaure nicht weniger als Sie, daß diese Sache noch etwas dauert. Aber Sie werden verstehen, daß ich mich dazu zu äußern habe, wenn Erklärungen von Beamten aus meinem Hause zitiert werden, die mir nicht bekannt sind. Ich kann an Herrn Kollegen Maier - das ist das einzige, was ich sagen will - nur die Bitte richten,
mir die betreffende Ausschußsitzung und den Namen des Beamten anzugeben. Ich werde dann Gelegenheit nehmen, der Sache nachzugehen.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: „der Sache nachzugehen".
Ich komme auf einen früheren Punkt zurück,
um gleich irgendwelche Erörterungen darüber auszuschließen. Ich habe gerade Idas Stenogramm meiner Rede da. Es ist das unkorrigierte Stenogramm.
Ich habe zu Herrn Kollegen Greve gesagt:
Doch! Sie haben dieses Verfahren hier zur Debatte gestellt, und ich werde Gelegenheit nehmen, mit Ihnen darüber zu sprechen. Das ist nicht der Gegenstand, der vor das ganze Haus gehört. Die Bundesregierung wird sehr sorgfältig das Stenogramm Ihrer Rede daraufhin durchprüfen, zu welcher Erklärung etwa vor dem Hause oder zu welchen Maßnahmen es Anlaß gibt.
Das ist genau das, was ich Ihnen vorhin erläutert habe.
({1})
Meine Damen und Herren, ich kann doch wohl nicht noch in eine Auseinandersetzung über den Tonfall eintreten.
({0})
Nachdem weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, darf ich die Debatte zu diesem Punkt der Tagesordnung schließen.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, LandWirtschaft und Forsten hat mich gebeten, den Punkt 5 der Tagesordnung, bei dem seine Anwesenheit notwendig ist, vorzuziehen, da er nachher infolge einer Zusammenkunft mit dem Herrn Botschafter der Vereinigten Staaten von Nordamerika nicht hier sein kann. Darf ich fragen, ob das Hohe Haus damit einverstanden ist, daß wir Punkt 4 zurückstellen und zuerst Punkt 5 behandeln? - Das Haus ist damit einverstanden. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
({1})
a) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Volksernährung und zur Verbesserung der Produktivität in der Landwirtschaft ({2}).
({3})
Ich darf doch um etwas mehr Ruhe bitten und darum, den weiteren Verhandlungen zu folgen oder die Führung von Privatgesprächen nach draußen zu verlegen.
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Volksernährung und zur Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft ({4}).
Zur Begründung zu Punkt 5 a hat das Wort Herr Abgeordneter Mauk.
({5})
Ich darf das Hohe Haus nochmals urn Ruhe bitten, damit die Ausführungen des Redners gehört werden können.
Mauk ({6}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde mich sehr freuen, wenn es ein klein wenig ruhiger würde; die jetzt zur Diskussion stehenden beiden Gesetzentwürfe sind für uns alle so eminent wichtig, daß sich damit nicht nur die Angehörigen der sogenannten Grünen Front, sondern alle Mitglieder dieses Hauses befassen sollten.
Die anerkannten großen Leistungen der deutschen Landwirtschaft nach dem Kriege, die fast zu einer Verdoppelung der Produktion führten, konnten nicht verhindern, daß ihr Anteil am Wirtschaftserfolg gegenüber dem anderer Wirtschaftsgruppen erheblich zurückblieb. Die Tatsache der Disparität begründete mein Fraktionskollege Herr Dr. Preiß schon am 10. Dezember 1953 in diesem Hohen Hause, als die Große Anfrage der Fraktion der Freien Demokraten hier zur Debatte stand. Auch der Bundesernährungsminister Dr. Lübke bestätigte damals im großen und ganzen die Richtigkeit der Ausführungen meines Kollegen Dr. Preiß und trug zusätzlich Zahlenmaterial vor. Auch seine Darlegungen liegen fest und sind jederzeit im Protokoll nachzulesen. In der Zwischenzeit ist ihnen ebenfalls nicht widersprochen worden. Sie werden es mir ersparen, alle Einzelheiten zu wiederholen.
Es ist unbestritten, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen: Von den von der Landwirtschaft völlig unbeeinflußten Instituten, z. B. dem Ifo-Institut, aber auch von anderen wissenschaftlichen Forschungsinstituten, ist errechnet worden, daß die Disparität im vergangenen Wirtschaftsjahr etwa 1,5 Milliarden DM ausgemacht, also die deutsche Landwirtschaft 1,5 Milliarden DM weniger eingenommen hat, als sie entsprechend dem gesteigerten Aufwand für die Produktion hätte einnehmen müssen. Es ist auch unbestritten geblieben: Die deutsche Landwirtschaft war bei einem Beschäftigtenanteil von rund 22 % nur etwa mit 12 % am gesamten Volkseinkommen beteiligt.
Ich glaube ganz kurz darauf hinweisen zu müssen, daß sich diese Disparität hauptsächlich erst nach der Währungsreform durch die Zweigleisigkeit unserer Wirtschaftspolitik ergeben hat. Wir haben nach der Währungsreform der gewerblichen Wirtschaft sofort die Möglichkeit gegeben, sich der freien Marktwirtschaft anzupassen, ihre Preise und alles, was damit zusammenhängt, sich frei entwikkeln zu lassen, während für die Landwirtschaft, wenigstens zum 'größten Teil, noch eine sogenannte Zwangswirtschaft beibehalten worden ist. Sie kennen die Folgen: eine enorme Preiserhöhung bei allen Rohstoffen in der gewerblichen Wirtschaft und insbesondere bei der gewerblichen Grundstoffindustrie. Sie wissen von der allgemeinen Teuerungswelle in der gewerblichen Wirtschaft, teils ausgelöst seinerzeit durch die Korea-Krise, bei gleichzeitiger Drosselung der meisten der Agrarpreise. Diese Tatsache führte im Frühjahr 1950 und schon zuvor zu den damaligen Besprechungen und dann zu der berühmt gewordenen Rhöndorfer Besprechung mit dem Herrn Bundeskanzler.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten möchte ich einige Sätze der damaligen Ausführungen unseres Herrn Bundeskanzlers wörtlich zitieren. Er sagte:
Nun möchte ich einige Sätze sagen, die ich schriftlich niedergelegt und mir überlegt habe, nicht hier, sondern viel eher. Ich darf diese Sätze vorlesen:
Das landwirtschaftliche Preisniveau, das
weitgehend durch innerwirtschaftliche und
handelspolitische Maßnahmen beeinflußt werden kann, muß meiner Überzeugung nach in einer Parität zu den übrigen Preisen der deutschen Wirtschaft gehalten werden, insbesondere auch zu den Löhnen und hier wieder in erster Linie zu ,den landwirtschaftlichen Löhnen.
Das sind, wörtlich zitiert, die Ausführungen unseres Herrn Bundeskanzlers. Damals also wurde das schon erkannt, was wir heute fordern.
In der Zwischenzeit hat sich aber die Preisschere, die Kluft zwischen den Einnahmen und den Ausgaben in der Landwirtschaft noch vergrößert, noch weiter geöffnet. Die Situation hat sich weiter wesentlich verschlechtert. Ich möchte hier nochmals anziehen die Veröffentlichungen des Ifo-Instituts, die Berichte des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften und insbesondere auch die Arbeiten von Herrn Ministerialrat Dr. Padberg, alles Stellen, die nicht etwa einseitig von der Landwirtschaft beeinflußt worden sind, sondern völlig unabhängig ihre Resultate gefunden und ihre Folgerungen gezogen haben.
Ein weiterer Beweis ist der erst dieser Tage veröffentlichte Bericht der Rentenbank. In ihm wird festgestellt, daß die Verschuldung der westdeutschen Landwirtschaft auf 5,57 Milliarden DM angewachsen ist. Dabei erscheint besonders wesentlich die Zuwachsrate des letzten Jahres, die weit über 100 Millionen DM im Schnitt mehr ausmacht als in den Jahren zuvor.
Vor der Wahl am 6. September haben sich alle Parteien daran erinnert, daß die Landwirtschaft bei dem Wiederaufbau unserer Wirtschaft etwas zu kurz gekommen ist. Man hat der Landwirtschaft damals - vor dem 6. September - deshalb einige Versprechungen gemacht und ihr insbesondere zugesagt, daß das, was bisher versäumt worden ist, nach der Wahl, nach dem Wiederzusammentritt des Bundestags nachgeholt werden soll. Wir haben deshalb sehr hellhörig die Regierungserklärung verfolgt und darauf aufgepaßt - wir und die praktischen Landwirte draußen -, was zur Einlösung dieses Versprechens geschehen wird, was der Bundestag tun und was die Bundesregierung in Angriff nehmen wird.
Als wir sahen, die Sache würde anscheinend doch nicht so schnell gehen, wie wir es erwartet hatten, richtete die Fraktion der Freien Demokraten am 12. November eine Große Anfrage an die Bundesregierung, in der wir wissen wollten, bis wann und mit welchen Mitteln sie die zugesagte Gleichstellung herbeizuführen gedenke. Der Herr Bundesernährungsminister hatte seinerzeit die von amtlichen und wissenschaftlichen Stellen festgestellte Disparität völlig anerkannt. Er gab uns aber leider keine ganz befriedigende Antwort, wie diese Disparität abgestellt werden soll. Er hat uns auf das Strukturwandlungsprogramm, auf das Reformprogramm, das wir im Grundsatz in jeder Beziehung bejahen, im übrigen aber in erster Linie auf den Weg der Kostensenkung verwiesen.
Wir haben geglaubt und gehofft, daß die von ihm durchgeführten Besprechungen wenigstens zu einem Teilerfolg führen würden, obwohl wir keine allzu großen Hoffnungen hegten. Aber selbst diese Teillösungen der Kostensenkungen ließen sich nicht durchführen, ja, leider ist das Schlimmste von allem, was man befürchtete, eingetroffen: Das Ge({7})
genteil ist der Fall. Wir wissen: Nur mit Mühe konnte vermieden werden, daß da und dort sogar erneut die Preise erhöht worden sind, was gerade wieder die landwirtschaftliche Produktion in erster Linie getroffen hätte.
Nun zu der Frage, ob die Disparität von der Preisseite her oder aber über die Kostensenkung beseitigt werden kann. Dazu muß ich auch im Namen meiner Kollegen sagen, daß der Weg für uns gleichgültig ist. Wir würden es in erster Linie begrüßen, wenn eine Preiserhöhung und damit eine allgemeine Teuerung vermieden werden könnte; denn es geht uns ja hier nicht um Preise, um eine Preiserhöhung, sondern es geht uns einzig und allein darum, daß auch in diesem wichtigen Betriebszweig unserer deutschen Wirtschaft die Kostendeckung gefunden wird. Es ist auf die Dauer einfach undenkbar, daß ein Teil unserer Wirtschaft produzieren soll und muß und die Einnahmen aus dem Ertrag nicht die Ausgaben, die bei der Produktion entstehen, decken sollen. Einzig und allein entscheidend ist vielmehr für uns die Relation zwischen Erlös und Produktionskosten.
Dieser Gedanke ist nicht neu. Schon im März 1953 hat der Deutsche Bauernverband einen entsprechenden Vorschlag veröffentlicht. Ich darf ihn mit Genehmigung des Herrn Präsidenten hier wörtlich zitieren:
Erstens. Die Regierung wird durch Gesetz verpflichtet, die ihr verfügbaren marktkonformen Mittel der Preis-, Handels-, Steuer- und Kreditpolitik künftig so einzusetzen, daß der Grundsatz der Kostendeckung, der Kapitalverzinsung und eines für familieneigene und familienfremde Arbeitskräfte gleichen Lohnes, der dem Lohn der vergleichbaren Gruppen der übrigen Wirtschaft entspricht, auch im Bereich der Landwirtschaft Verwirklichung findet.
Zweitens. Unbeschadet der grundsätzlichen Forderung, daß als Maßstab dieser staatlichen Agrarpolitik durch eine neutrale Stelle die hierfür erforderlichen Betriebsübersichten hergestellt werden, fordert die Landwirtschaft, daß bis zum Vorliegen dieser Betriebsübersichten der Preisindex der landwirtschaftlichen Erzeugnisse mindestens auf den Stand eines Indexes gebracht wird, der sich zu 50% aus dem Index der Preise der landwirtschaftlichen Betriebsmittel und zu 50 % aus dem Index der landwirtschaftlichen Löhne zusammensetzt.
Mit dieser Forderung bekannte sich der Deutsche Bauernverband zu der nunmehr geradezu klassisch gewordenen These des Herrn Bundeskanzlers in Rhöndorf und zu einer Entschließung, die der Deutsche Reichstag übrigens schon im Jahre 1931 gefaßt hatte.
Es lag deshalb nahe, daß meine Bundestagsfraktion, die sich in ihrem Agrarprogramm schon seit 1950 zu denselben Grundsätzen bekannte, dieser Forderung einen realpolitischen Niederschlag in einem entsprechenden Gesetzentwurf gab. Nachdem die Große Anfrage in der Sitzung vom 10. Dezember nicht zu einer Gesetzesvorlage der Bundesregierung geführt hatte und die wechselweisen Gespräche mit anderen Parteien dieses Hauses keine Hoffnung zugelassen hatten, daß die Situation der Landwirtschaft noch im Laufe des Wirtschaftsjahres 1953/54 mit einem Initiativgesetz auf Koalitions- oder sonstiger Grundlage geändert werden könnte, sahen wir uns genötigt, das von der
Landwirtschaft in uns gesetzte Vertrauen durch den - entsprechend der Ankündigung - fristgemäß am 1. April 1954 eingereichten Gesetzentwurf zu rechtfertigen.
Für diesen Gesetzesvorschlag gelten zunächst einige grundsätzliche Voraussetzungen. In der Marktwirtschaft vermag auf die Dauer nur marktgerechtes Verhalten den Ertrag zu sichern. Dazu sind die rasche Anpassung der Erzeugung an den wechselnden Bedarf auf Grund ständiger Beobachtung des Marktverlaufes und der Marktpreise sowie die Ausnützung des technischen Fortschrittes zum Zwecke der Kostensenkung und der Rationalisierung notwendig. Beide Wege stehen der Landwirtschaft infolge ihrer Bindung an Natur und Boden nicht in demselben Maße wie der Industrie zur Verfügung.
Der Preis übt in Anbetracht der Produktionsdauer und ihrer Bindung an den jahreszeitlichen Produktionsablauf nur sehr beschränkt eine ähnliche Steuerungsfunktion wie in der gewerblichen Wirtschaft aus. Bei der Geburt eines Kalbes z. B. kann nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden, ob es wirtschaftlicher ist, es sofort dem Schlachtviehmarkt zuzuführen, oder ob es richtiger ist, es mehrere Jahre lang zu einem Rind großzuziehen. Bei der Pflanzung eines Obstbaumes, den in der Regel der Vater pflanzt, wenn der Sohn davon ernten will, kann nicht mit Bestimmtheit vorausgesagt werden, wie das Marktgeschehen dann aussehen wird, wenn der Baum Früchte trägt. Es ist heute auch nicht möglich, die etwas zu reichlich vorhandenen Zwetschgenbäume z. B. mit Bananen und Apfelsinen umzupfropfen. Auch die Vielgestaltigkeit der Landwirtschaft, welche uns zwingt, zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit immer wieder mit Kulturen unseren Boden zu bebauen, die nicht unbedingt gerade jetzt marktkonform sind, gibt hier Grenzen auf.
Während Maschinen und sonstige technische Errungenschaften, insbesondere aber neuzeitliche Maschinen, in der Industrie in ganz anderer Weise eingesetzt werden können - man rechnet hier im Jahresdurchschnitt bei arbeits- und zeitsparenden Maschinen ungefähr mit 500 Schichten -, ist dies bei der Vielseitigkeit der landwirtschaftlichen Kulturen bei uns ganz anders. Wir rechnen bei sehr viel Maschinen - die wir allerdings benötigen, um in der Erntezeit möglichst Zeit und Arbeitskräfte zu sparen - nur mit 5 bis 10 Schichten, lediglich bei einzelnen Maschinen mit bis zu 50 Schichten.
Vergleiche mit der gewerblichen Wirtschaft, wie sie da und dort immer wieder angestellt werden, sind deshalb nicht möglich. Es ist einfach nicht möglich, die gleichen Grundsätze wie in der gewerblichen Wirtschaft anzuwenden. Wenn ein Vergleich möglich ist, dann vielleicht noch teilweise mit der Urproduktion, mit der Grundstoffindustrie. Es ist bekannt, daß auch dort die Maßstäbe der gewerblichen Wirtschaft nicht voll angelegt werden können und daß auch dort bestimmte Gesetze gelten.
Diese Tatsache wurde von den meisten Industriestaaten längst erkannt. Ich möchte hier nur kurz die Gesetze anführen, die in einzelnen Staaten zum Teil schon erlassen worden sind, in Amerika, in England, in Schweden, in der Schweiz usw. Wie Sie wissen, ist dort längst erkannt worden, daß die Landwirtschaft eine Eigengesetzlichheit hat und ihr deshalb irgendwie geholfen werden muß, damit sie leistungsfähig bleibt. Am deutlichsten zeigt
({8})
uns England, was es bedeutet, die landwirtschaftliche Produktion zu vernichten oder wenigstens teilweise zu vernichten. England mußte es sehr teuer bezahlen, zweimal in seiner Geschichte seine landwirtschaftliche Produktionsfähigkeit einem allzu freien Außenhandel geopfert zu haben. Ich kann hier nicht näher darauf eingehen. Sie wissen aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß erst heute, 9 Jahre nach dem Kriege, in England die Bewirtschaftung wesentlicher Lebensmittel aufgehoben werden konnte.
Man darf bei der Betrachtung der heutigen Disparität auch nicht vergessen, daß zur Zeit noch etwas über ein Drittel der landwirtschaftlichen Produktionspreise absolut gesetzlich festgelegt sind, und zwar auf Grund von politischen Erwägungen, und daß weitere annähernd 50%, mindestens jedoch 45%, durch andere, teils handelspolitische, teils sonstwie dirigistische und preispolitische Maßnahmen beeinflußt werden. Mindestens 75% unserer landwirtschaftlichen Produkte können sich heute nicht frei im Preis entwickeln, wie es eigentlich in einer freien Marktwirtschaft notwendig wäre. Das geschieht aus zwei Gründen, über die wie heute nicht allzusehr diskutieren wollen: einmal, weil man dem Erzeuger - das wird jetzt zugegeben - die allzugroßen Schwankungen am Weltmarkt nicht zumuten kann, zum andern aber, weil man sie dem Verbraucher ebensowenig auflasten kann. Wenn wir aber solche Wege gehen, dürfen wir nicht einseitig von politischen Erwägungen ausgehen, sondern müssen gesamtwirtschaftliche Grundsätze bei der Gestaltung der Preise anwenden. Dabei darf man nicht nur eine Seite, sondern muß die gesamte Wirtschaft sehen.
Es muß hier einmal ganz besonders - ich bedaure, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister im Moment nicht im Saale ist - betont werden, daß, hätte man damals die Preise, als sie am Weltmarkt hoch waren, nicht niedergehalten, sondern entsprechend dem Markt sich entwickeln lassen, die Landwirtschaft dann die notwendigen Geldpolster bekommen hätte, die ihr heute einfach fehlen, die sie aber jetzt zur Rationalisierung benötigt. Damals hat man die Preise im Interesse unserer Verbraucher künstlich niedergehalten. Wir hatten volles Verständnis dafür. Die anderen müssen dann aber auch Verständnis haben, wenn wir heute Preise wollen, die unsere Unkosten decken. Bisher fehlte einfach das richtige Barometer, der Pegel, die gesamte Wirtschaft auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft abzustellen. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen: es ist unmöglich, die landwirtschaftlichen Erlöse im Preise zu lenken, dabei aber nicht an die Komponenten zu denken, also an das, was wir zur Erzeugung unserer Produkte aufwenden und ausgeben müssen.
Zur Einzelbegründung des Gesetzentwurfs möchte ich nur noch einige grundsätzliche Dinge kurz anführen, weil einigen Behauptungen, die bereits aufgetaucht sind, widersprochen werden muß. Es geht uns nicht darum, den sogenannten Grenzkostenoder fußkranken Betrieben, die nicht leistungsfähig sind, zur Gesundung zu verhelfen, sondern es geht uns darum, die bei „ordnungsmäßiger Bewirtschaftung" notwendige Produktivität zu erreichen. Ich bitte, den Gesetzentwurf zur Hand zu nehmen. Sie werden alles, was Gegenteiliges geschrieben worden ist, darin widerlegt finden.
Es geht uns auch nicht um ein starres Preissystem und ebensowenig um einen Automatismus.
Es gibt so viele Möglichkeiten, diese Preisdisparität zu beseitigen. Wir haben sie in unserem Gesetzentwurf angeführt. Zum Beispiel können wir Maßnahmen der Handels-, der Steuer- und der Wirtschaftspolitik anwenden. Preiserhöhungen brauchen wir nicht unbedingt durchzuführen. Aber ein Ziel muß erreicht werden: Der Ertrag soll wenigstens den Aufwand decken. Daß hierbei der Ertrag und der Kostenaufwand zugrunde gelegt werden müssen, ist für uns eine Selbstverständlichkeit.
Weil wir wissen, daß, wenn man sogenannte Testbetriebe schafft, frühestens in ein oder zwei oder gar erst in drei Jahren ein Ergebnis zu erzielen und Grundlagen zur Berichtigung gegeben wären, sind wir im Gegensatz zu dem Entwurf der CDU/CSU und DP der Meinung, daß man auf das Ergebnis dieser Testuntersuchungen nicht warten kann. Inzwischen würde unsere Landwirtschaft untergehen. Deshalb muß ein Barometer vorhanden sein, das jederzeit und sofort ablesbar ist. Das kann unseres Erachtens nur der Indexvergleich sein, wie er in unserem Gesetzentwurf vorgesehen ist. Dieses Barometer erscheint uns notwendig.
Nur mit dem Indexvergleich kann unseres Erachtens eine Disparität rechtzeitig erkannt werden. Die Disparität kann aber nur beseitigt werden, noch während sie besteht, nicht nachträglich. Wie wollen Sie eine nachträglich festgestellte Disparität beseitigen? Etwa mit Subventionen? Ich glaube, daß es kaum möglich sein wird, die dann notwendigen Beträge aus dem Staatshaushalt herauszuholen. Die Disparität kann aber beseitigt werden, wenn man sofort die Sache an den Wurzeln anfaßt. Auch wird bei einem Testvergleich, bei dem evtl. die Disparität im großen und ganzen, im Durchschnitt festgestellt werden soll, noch lange nicht abzulesen sein, daß für einzelne Erzeugnisse durchaus noch weitere Disparitätsherde vorhanden sind, die nur nach einem Indexvergleich beseitigt werden können.
Da das Licht aufleuchtet, muß ich mich leider kürzer fassen, als ich vorgesehen hatte. Ich bitte aber den Herrn Präsidenten, mir noch einige Minuten Redezeit zu geben. Ich glaube, dieses Gesetz ist so wichtig, daß ich meine Schlußbemerkungen vollends anbringen muß.
Ich darf ausdrücklich sagen: Mit diesem Entwurf ist noch lange nicht gesagt, welche Methoden zur Beseitigung der Disparität angewandt werden müssen. Es ist auch nicht die Rede davon, daß die Parität unbedingt durch eine Preiserhöhung herbeigeführt werden muß. Da und dort wird es notwendig sein, Preisberichtigungen durchzuführen. Ich sehe auch nicht ein, warum sie nicht durchgeführt werden sollen, wenn sie unbedingt notwendig sind, und warum durch eventuelle kleine Berichtigungen gleich die Lohn- und Preisschraube in Bewegung gesetzt werden soll. Wir haben doch durchaus auch in der anderen Wirtschaft immer und immer wieder solche Preiserhöhungen erlebt, und es ist weder eine Inflation eingetreten noch ein allgemeiner wirtschaftlicher Zusammenbruch erfolgt. Ich erinnere an die Postgebühren, an die Kohlenpreise und andere Dinge. Sie alle, meine Damen und Herren, wissen, was alles in den letzten Jahren geschehen ist. Nur wenn es um landwirtschaftliche Preisangleichungen geht, dann schreit man immer gleich Zeter und Mordio.
Es gibt aber, glaube ich, durchaus andere Wege, solche Preisangleichungen durchzuführen. Wir könnten Preisangleichungen für den Erzeuger z. B. bei der Milch erzielen, ohne daß der Verbraucher
({9})
damit belastet würde, wenn wir uns einmal Gedanken darüber machen würden, ob man nicht die Umsatzsteuer bei der Milch und den Milchprodukten wegfallen lassen sollte, oder wenn wir beim Zucker die für ein so wichtiges Nahrungsmittel viel zu hohe Steuer etwas senken würden. Auch solche Erwägungen können durchaus zum Ziel führen. Man müßte sich überhaupt einmal Gedanken darüber machen, ob es moralisch ist, eine Umsatzsteuer auf Grund-Lebensmittel zu erheben.
Es gibt aber auch andere Maßnahmen, und zwar handelspolitischer Art, die den Verbraucher nicht beschweren würden. Ich habe heute früh vor Beginn der Plenarsitzung einen Telefonanruf bekommen, in dem mir mitgeteilt wurde, daß vom 22. Juni 1954, also vorgestern, auf dem Zollbahnhof in München noch 150 Waggons italienische Frühkartoffeln stehen, die inzwischen krank geworden sind und um jeden Preis verschleudert werden, obwohl der letzte Verzollungstag für Frühkartoffeln schon 12 Tage vorher, am 10. Juni, gewesen ist.
({10})
Die Folge war, daß am selben Tage, am 22. Juni, also vorgestern, auf den deutschen Verladestationen für deutsche Frühkartoffeln in Nordrhein-Westfalen, in der Pfalz und in Baden-Württemberg insgesamt etwas über 400 Waggons Kartoffeln stehengeblieben sind, die unverkäuflich waren. Warum stehen diese 400 Waggons seit vorgestern? Das ist eine Tatsache, die nicht bestritten werden kann. Der Preis für Frühkartoffeln ist in Süddeutschland auf 8,50 DM und in Nordrhein-Westfalen auf 7,50 DM je Ztr. gesunken, liegt also heute niedriger als im vorigen Jahr der Preis für die Einkellerungskartoffeln. Ich glaube, hier hätte man schon etwas tun können. Ich möchte den Herrn Ernährungsminister fragen, ob es wahr ist, daß nach dem 10. Juni noch über 400 Waggons Kartoffeln, obwohl es eigentlich verboten gewesen wäre, verzollt worden sind und daß heute noch - außer den auf der Bahn stehenden Waggons in München - sehr viele Frühkartoffeln in den Lagerhäusern des Großhandels liegen.
Ich glaube, ich habe angedeutet, daß es sehr viele Möglichkeiten gibt, die Disparität zu beseitigen. Ich glaube, auch die deutsche Öffentlichkeit, wenn ihr diese Dinge richtig dargelegt werden, hat Verständnis dafür, daß - auf die Dauer gesehen - ein Wirtschaftszweig nicht einfach als zweitrangig behandelt werden kann. Ich traue dem deutschen Volk und jedem einzelnen Deutschen soviel Gerechtigkeitssinn zu. Es geht hier nicht um „höhere Schweinepreise", wie damals, als wir unsern Gesetzentwurf eingebracht haben, in einer der größten deutschen Tageszeitungen unter der Überschrift „FDP fordert höhere Schweinepreise" geschrieben worden ist. Es geht einzig und allein darum, einen wichtigen Wirtschaftszweig und einen unserer besten Bevölkerungsteile nicht vor die Hunde gehen zu lassen, sondern am Leben zu erhalten, nicht zu seinem Wohl allein, sondern zum Wohle des gesamten Volkes.
Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, noch einen Satz aus einer kürzlich gehaltenen Rede eines der hervorragendsten Vorkämpfer des Paritätsgedankens für die Landwirtschaft, des Freiherrn v o n L ü n i n c k, zu zitieren.
({11})
- Da bitte ich ganz besonders diejenigen, die jetzt gelacht haben, zuzuhören. Er sagt:
Gerecht und sozial ist eine Wirtschaftsordnung dann, aber auch nur dann, wenn jedes Glied der Wirtschaftsgemeinschaft einen Anteil am gemeinsamen Arbeitserfolg erringen kann, der seiner Arbeitsleistung und seiner Tüchtigkeit entspricht.
({12})
Wir kommen zur Begründung des Gesetzentwurfs unter Punkt 5 b. Das Wort hat der Abgeordnete Lücker ({0}).
Lücker ({1}) ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU/CSU und der Deutschen Partei haben sich entschlossen, dem Hohen Hause einen eigenen Gesetzentwurf Drucksache 448 vorzulegen, der den gleichen Fragenkomplex zum Inhalt hat. Unsere Fraktionen haben das nicht deswegen getan, um zu dem gleichen Fragenkomplex einen zweiten Gesetzentwurf einzubringen, sondern aus sachlichen Gründen und aus Gründen der allgemeinen politischen Verantwortung. Die sachlichen Gründe sind darin zu suchen, daß wir gegen die Vorlage der FDP in der Formulierung der Drucksache 405 Bedenken haben. Nun haben wir aus den Worten unseres Kollegen Mauk doch sicherlich alle den Eindruck gewinnen können, daß die Ausführungen, die von diesem Pult aus gemacht wurden, mit der Formulierung des Antrags zumindest nicht völlig übereinstimmen.
({3})
- Wir lassen uns gern überzeugen. Insbesondere bin ich dafür dankbar, daß der Sprecher der FDP-Fraktion darauf hingewiesen hat, daß es auch ihm und seinen politischen Freunden in erster Linie darauf ankomme, zwischen dem Erlös der Landwirtschaft und ihren notwendigen Aufwendungen einen Ausgleich herbeizuführen. Dann ist es aber zum mindesten etwas zweifelhaft, wenn in § 2 des Gesetzentwurfs der FDP festgelegt wird, daß der Index der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise in einem angemessenen Verhältnis zum Preisindex der landwirtschaftlichen Betriebsmittel und Löhne stehen soll. Ich will diese Frage hier nicht vertiefen; in den Ausschußberatungen wird sicherlich noch hinreichend Zeit sein, hierüber des näheren zu befinden.
Ein Zweites, das in den Ausführungen des Herrn Kollegen Mauk durchklang und das ich im Namen meiner politischen Freunde und auch im Namen der Fraktion der DP zurückweisen muß, ist die Bemerkung, daß sich die FDP deswegen zur Vorlage eines eigenen Gesetzentwurfs entschlossen habe, weil man mit den anderen Fraktionen der Koalition nicht zu einer Übereinstimmung habe kommen können, wobei in der Formulierung nach außen hin der Eindruck erweckt wurde, als ob das bedauert würde. Das möchte ich doch auf den wahren Kern des Sachverhalts zurückführen. Sowohl die CDU als auch die CSU wie die DP haben sich im vergangenen Jahre in ihren Parteiprogrammen
({4})
ganz eindeutig zu einer gesetzlichen Regelung der Paritätsfrage bekannt.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung keinen Zweifel darüber gelassen - er stimmt darin mit unserer Auffassung durchaus überein -, daß diese Frage im 2. Bundestag nicht auf die lange Bank geschoben werden dürfe, sondern sehr schnell in Angriff genommen werden müsse. Es muß schon eine Portion Böswilligkeit dazu gehören, die Regierungserklärung falsch zu verstehen. Als der Kanzler davon sprach, daß in den letzten zwei Jahren die Landwirtschaft an der allgemeinen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung nicht mehr im notwendigen und wünschenswerten Ausmaß teilgenommen habe, und als er andeutete, daß erfolgversprechende Verhandlungen zwischen den Wirtschaftsgruppen gepflegt würden, die hoffentlich sehr bald zu einem günstigen Abschluß gelangten, da war nichts anderes gemeint als dieser Fragenkomplex der Parität. Wir haben nach der Regierungserklärung dann in der Fraktion der CDU/CSU sehr bald eine Studienkommission, einen Arbeitsausschuß, wenn Sie so wollen, gebildet, der sich mit der Regelung der Paritätsfrage eingehend befaßt hat. Wir haben das gründlich getan; denn es ging uns darum, hier nicht lediglich von landwirtschaftlicher Seite her zu operieren, sondern die Landwirtschaft als einen integralen Bestandteil der Gesamtwirtschaft zu sehen, sie in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung richtig zu behandeln und ihren rechten Standort festzulegen. Daß unter diesem Gesichtspunkt die Verhandlungen bei uns vielleicht etwas länger, dafür aber gründlicher geführt wurden, darf heute jedoch nicht zu der Behauptung führen, wir hätten uns in dieser Frage etwa jungfräulich verhalten und nichts tun wollen.
Als Ergebnis dieser Beratungen - das darf ich hier feststellen - haben wir unseren eigenen Gesetzentwurf eingebracht. Ich darf weiterhin bemerken, daß die jüngste Presseerklärung des agrarpolitischen Ausschusses der FDP in dieser Beziehung sicherlich einen falschen Eindruck hervorruft, wenn sie meint, daß auf Grund der Initiative der FDP die CDU/CSU und die DP aus ihrem „Dornröschenschlaf" hätten wachgerüttelt werden müssen, um nun ihrerseits möglichst schnell nachzuziehen. Ich will aber diese Unterschiedlichkeiten nicht allzu sehr strapazieren, sondern glaube nur einleitend diese wenigen Bemerkungen machen zu müssen, um klarzustellen, daß unsere Fraktionen der CDU/ CSU und der DP in den vergangenen Jahren doch wohl in erster Linie die Hauptlast der Verantwortung auch auf dem Gebiete der Agrarpolitik getragen haben. Man braucht nur daran zu erinnern, daß diese Fraktionen sowohl im ersten wie auch im zweiten Kabinett Adenauer den Bundesernährungs- und Landwirtschaftsminister gestellt haben. Wir sind uns dieser Verantwortung durchaus bewußt und aus dieser Verantwortung heraus auch bemüht, künftig unseren entscheidenden Beitrag zur Lösung der agrarpolitischen Fragen zu leisten.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die derzeitige agrarpolitische Situation durchaus nicht so ist, daß sie in ihrer Gesamtheit befriedigen würde. Wir wollen allerdings auch nicht verkennen, welche Fortschritte in den letzten Jahren gemacht wurden. Als Mitglied des 2. Deutschen Bundestages ist es mir ein aufrichtiges Bedürfnis, zu erklären, daß sich der 1. Deutsche Bundestag mit Erfolg bemüht hat, konstruktive Arbeit zu leisten. Ich brauche nur an die Verabschiedung der Marktordnungsgesetze, an die Verabschiedung des Zolltarifgesetzes zu erinnern, - alles agrarpolitische Entscheidungen, auf denen konstruktiv in die Zukunft zu bauen wir heute in der Lage sind.
Wie sieht die heutige Situation aus? Ich stimme mit dem Herrn Kollegen Mauk darin überein, daß die Rentabilitätslage unserer bäuerlichen Betriebe nicht so ist, daß sie mit dem augenblicklichen Status in der Lage wären, in die großen Aufgaben einzusteigen, die ihnen insbesondere durch das agrarpolitische Lübke-Programm des zweiten Kabinetts Adenauer - wie es mit dem Namen unseres Bundesministers Lübke in der Öffentlichkeit immer wieder genannt wird - gestellt werden und deren Durchführung unter allen Umständen gesichert werden muß.
Die Rentabilitätslage dieser Betriebe ist, wie gesagt, nicht befriedigend. Daran wird auch von niemandem gezweifelt. Es kommt darauf an, daß wir angesichts der hoch gestiegenen landwirtschaftlichen Produktion, die heute rund 20 % über dem Stand der Vorkriegszeit steht, daß wir angesichts des relativ hohen Standes auch der Produktivitätsleistung, d. h. der Leistung je Flächeneinheit und je Arbeitskraft in der Landwirtschaft, die ebenfalls in den letzten Jahren ganz entscheidend gesteigert werden konnte, feststellen müssen, daß die Rentabilität der bäuerlichen Betriebe nicht gesichert ist. Das ist unbefriedigend, und aus diesem Zustand muß ein Weg gezeigt werden. Denn wir sind heute in unserer agrarpolitischen Entwicklung auf einem Stand angelangt, der von unserer Landwirtschaft erfordert, den ungeheuer aufgestauten Investitionsnachholbedarf zu befriedigen, aber auch durch große Investitionen sich „fit" zu machen, sich gegenüber den Entwicklungen wettbewerbsfähig zu machen, wie sie mit einem stärkeren und organischen Hineinwachsen unserer deutschen Landwirtschaft in den wirtschaftlichen Bereich in Sonderheit der westlichen Welt verbunden sind.
Hierbei müssen wir die Entwicklung der landwirtschaftlichen Verschuldung in den letzten Jahren zu unserer Ausgangsbasis machen. Die landwirtschaftliche Verschuldung hat in den letzten Jahren pro anno rund zwischen 500 bis 700 Millionen DM zugenommen. Wir stehen heute vor der Tatsache, daß die normale Investitionstätigkeit der letzten Jahre nicht ausreicht. Es geht ja um das große Anliegen - wie es häufig in der Öffentlichkeit genannt wird; ich selber will mich nicht in allen Nuancierungen mit diesem Wort identifizieren -, die sogenannte „agrarische Revolution" auf dem Lande durch unsere Landwirtschaft und unsere Landbevölkerung zu vollziehen, d. h. eine Modernisierung des produktionellen Apparats unserer Landwirtschaft durchzuführen, um ihre Leistungen im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu steigern und insbesondere für das Hineinwachsen in die Wirtschaft der westlichen Welt noch zu erhöhen. Das erfordert praktisch neue Investitionen, das erfordert damit praktisch neue Kreditaufnahmen, und damit ist die Notwendigkeit und die voraussichtliche Zunahme einer weiteren Verschuldung der Landwirtschaft verbunden.
Diese Aufgabe muß nun psychologisch entsprechend abgesichert werden. Ich glaube, in diesem Hohen Hause besteht kein Zweifel darüber, daß diese Aufgaben, vor denen die Landwirtschaft heute steht, nur gelöst werden können, wenn die nach Hunderttausenden, ja nach Millionen zählenden landwirtschaftlichen Betriebe auf einer festen Basis des Vertrauens in diese Entwicklung hinein({5})
gehen können. Diese feste Basis des Vertrauens muß hergestellt werden, wenn der Erfolg unserer agrarpolitischen Entwicklung gesichert werden soll, die darauf hinausläuft, Produktion und Produktivität zu steigern und unsere Landwirtschaft in den Wettbewerb der europäischen und der Wirtschaft der westlichen Welt einzugliedern.
Dieses Ziel der Agrarpolitik, die Vertrauensgrundlage zu schaffen und den notwendigen Ausgleich zwischen Erlös und Aufwand über eine Preisangleichung nach oben herbeizuführen, ist in den vergangenen Jahren nicht erreicht worden. Wir haben diese Politik versucht - ich muß hier auch die Rhöndorfer Konferenz nennen -, aber sie ist nicht zu einem befriedigenden Erfolg gelangt. Nun geht es darum, daß wir in zweckmäßiger Abstimmung der Bedürfnisse und Notwendigkeiten gesamtwirtschaftlicher Aspekte unter Berücksichtigung des Konjunkturverlaufs den richtigen Weg finden, um diese Aufgabe trotzdem zu lösen.
Der Bundesernährungsminister hat in seinem, in der Öffentlichkeit „Lübke-Programm" genannten Programm den Weg begonnen, der zweifellos geeignet ist, auf eine Unkostensenkung größeren Ausmaßes hinzuwirken. Wenn ich nun zu dem Entwurf der CDU/CSU und der DP spreche, dann möchte ich meinen, daß diese Gesetzesvorlage so zu dem Lübke-Programm paßt, wie die siamesischen Zwillinge zusammengehören. Wenn wir schon an Stelle der Preisangleichung nach oben in erster Linie - ich betone diese Worte - eine Senkung unserer Ausgaben über die Betriebsmittelpreise und über die steuerliche Belastung der Landwirtschaft in den Vordergrund stellen, dann müssen zusätzliche aktive Maßnahmen ergriffen werden, damit die Ausführung dieser Maßnahmen nicht allzu früh im Sand stecken bleibt. Wir müssen zu einer Beeinflussung der Unkostenseite der Landwirtschaft kommen, die nach objektiven Berechnungsmethoden ausreicht, um sowohl in allgemein-gesamtwirtschaftlicher Hinsicht wie auch in spezifisch landwirtschaftlich-betriebswirtschaftlicher Hinsicht zu einem gerechten Ausgleich zu gelangen.
Nun ist eine nicht zu verkennende psychologische Gefahr in unsere Überlegungen mit einzubeziehen. Unsere Landwirtschaft hat die Entwicklung der letzten Jahre mit offenen Augen und Ohren verfolgt und hat zur Kenntnis genommen, daß der notwendige Ausgleich über eine aktive Preisangleichung nach oben offensichtlich nicht erzielt werden kann. Die Verhandlungen mit der Betriebsmittel- und Kunstdünger-Industrie sind bisher nicht zu einem solchen Ergebnis gelangt, daß unsere Bauern daraus bereits das notwendige Vertrauen für die Maßnahmen der nächsten Jahre schöpfen könnten. Diese psychologische Gefahr muß aber überwunden werden. Es ist deshalb notwendig, daß die Absichten unseres Bundesernährungsministers zusätzlich durch die Aktivität, wie sie in unserem Gesetzentwurf durch bestimmte Richtlinien und Grundsätze für die Fortführung der Agrarpolitik postuliert wird, Unterstützung erfahren, damit die großen gesteckten Ziele, wie ich sie eben kurz umrissen habe, auch auf dem Sektor der Agrarwirtschaft erreicht werden.
Die Ziele, die wir mit unserem Gesetzentwurf verfolgen, laufen logischerweise darauf hinaus, daß unsere Agrarwirtschaft in die Lage versetzt wird, im Rahmen einer expansiven Gesamtwirtschaftspolitik, wie sie vom Herrn Bundeswirtschaftsminister Erhard immer und immer wieder in der deutschen Öffentlichkeit vertreten wird, Fortschritte zu machen. Ich glaube, es bestehen keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß es notwendig ist, unsere agrarische Produktion nicht nur zu halten, sondern sogar zu steigern, und daß diese Agrarpolitik von der Produktionsseite her selbstverständlich zu einer reichlicheren und preiswürdigeren Versorgung der Gesamtbevölkerung mit Lebensmitteln führen soll. Insofern ist unser agrarpolitisches Programm durchaus expansiv gedacht. Das soll mit diesen Maßnahmen einer aktiven Wirtschafts- und Agrarpolitik gesichert werden. Wenn es volkswirtschaftlich sinnvoll erscheint - darüber besteht wohl auch kein Zweifel -, daß die landwirtschaftliche Produktion erhalten und gesteigert wird, dann ist es falsch, sich mit engen dogmatischen wirtschaftspolitischen oder wirtschaftswissenschaftlichen Theorien zu befassen. Es kommt dann vielmehr darauf an, daß wir uns experimentell an eine optimale Lösung der Probleme heranbewegen, um die es bei der Aufgabenstellung geht.
Es wird in diesem Zusammenhang notwendig sein, darauf hinzuweisen, daß hier Formen des Ausgleichs, der Abstimmung zwischen dem Binnenmarkt - sprich: speziell Agrarwirtschaft - und unserer Außenwirtschaft gefunden werden. Lassen Sie mich dazu ein kurzes Wort sagen. Wir bemühen uns heute um die Erschließung von Exportmärkten in aller Welt. Das ist zum Teil mit sehr hohen Kosten verbunden. Wir scheuen diese Kosten nicht; wir setzen Kampfmittel ein, um die Exportmärkte zu erschließen. Im Prinzip will ich dagegen - damit ich nicht falsch verstanden werde - gar nichts sagen; wir wissen, wie sehr wir angesichts der ökonomischen Grundlagen unserer deutschen Volkswirtschaft auf einen starken Export angewiesen sind. Wenn wir in unserem Volke 357 Menschen auf 100 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche zu erhalten haben z. B. gegenüber lediglich 34 Menschen in den USA oder 10 Menschen in Kanada, dann ist erwiesen, daß wir sowohl eine starke landwirtschaftliche Produktion als auch eine starke Produktion der industriell-gewerblichen Wirtschaft und einen starken Export brauchen. Aber ich glaube, daß das Erkämpfen von überseeischen Märkten in einem gesunden volkswirtschaftlichen Zusammenhang mit der Möglichkeit gesehen werden sollte, auch den Binnenmarkt in einem entsprechenden Umfange zu mobilisieren. Hier liegt ein Markt vor der Haustür, der ohne besondere Kosten erschlossen und aktiviert werden kann. Diese Aktivierung des Binnenmarktes führt sicherlich sehr konsequent zu einem sozialen und wirtschaftlichen Ausgleich, der auch eine gesunde gesamtpolitische Entwicklung garantieren kann. Auf die Notwendigkeit, aus Gründen der nationalen Sicherheit eine starke landwirtschaftliche Produktion bei uns aufrechtzuerhalten, will ich nur am Rande hinweisen.
Es wird im Zusammenhang mit unseren Gesetzentwürfen immer wieder darauf hingewiesen, daß hier der Versuch gemacht werde, die Landwirtschaft aus dem System der sozialen Marktwirtschaft herauszulösen, sie ökonomisch und soziologisch zu isolieren. Diese Auffassungen sind absolut falsch und sind barer Unsinn. Wir denken nicht daran; im Gegenteil, das Ziel unserer Gesetzentwürfe ist es gerade, die Landwirtschaft stärker in das System der sozialen Marktwirtschaft einzugliedern und die landwirtschaftliche Produktion in den Dienst der gesamtwirtschaftlichen Interessen unseres Volkes zu stellen.
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Man könnte über diese Dinge jetzt lange volkswirtschaftliche Kollegs oder Seminare halten. Es wird vornehmlich eine Aufgabe der Beratung in den Ausschüssen sein, die wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen und insbesondere die wirtschaftspolitischen Erfahrungen miteinander abzustimmen. In der Zusammenfassung muß ich aber doch auf eines hinweisen. Nach dem chemisch reinen Denkmodell einer Marktwirtschaft können wir auf dem ganzen Erdenrund suchen; das gibt es nicht. Was wir heute etwa in England, in den Vereinigten Staaten, bei uns oder sonstwo sehen, läuft immer darauf hinaus, durch staatliche Interventionen und Eingriffe in den Ablauf der Wirtschaft eine optimale Lösung der wirtschaftlichen Probleme zu erreichen, um die es geht. Es ist interessant, daß wir weite Teilbereiche unserer Gesamtwirtschaft haben - ich nenne hier nur den Verkehr, den Wohnungsbau, das Postwesen, die Grundstoffindustrien usw. -, die auch nicht in der Form in die Marktwirtschaft eingegliedert sind, wie es nach dem Denkmodell notwendig und richtig wäre. Wenn man da bestimmte wirtschaftspolitische Maßnahmen zugunsten der genannten Wirtschaftszweige trifft, muß man sich immerhin überlegen, ob es nicht richtig ist, das gleiche für denjenigen Teilbereich der Wirtschaft zu tun, der nach der Begründung zum Kartellgesetz, für das unser Bundeswirtschaftsminister Erhard verantwortlich zeichnet, für sich in Anspruch nehmen kann, der wichtigste Teilbereich der Wirtschaft zu sein, der die größten „unvollständigen Wettbewerbsmöglichkeiten" hat.
Ich glaube also, daß wir in der theoretischen Diskussion weitgehend an den praktischen Dingen vorbeireden. Wenn man sich schon dazu bekennt, daß es notwendig ist, wirtschaftspolitische Maßnahmen zugunsten der Landwirtschaft zu ergreifen, geht es lediglich noch um die Frage, wie man das tut, also um die Frage der Zweckmäßigkeit.
Es ist eine falsche Behauptung, daß mit diesen Gesetzen der Versuch gemacht würde, den landwirtschaftlichen Erlös, den Gesamtertrag der Landwirtschaft in die Kosten hineinwachsen zu lassen, was automatisch mit Kostensteigerungen verbunden wäre. Die Lösung dieses Problems geht entweder nur über eine Angleichung der Preise oder über eine Senkung der Kosten. Wir haben uns in unserem Entwurf im Prinzip vordergründig zu einer Senkung der klassischen Betriebsmittelkosten und der steuerlichen Belastung entschieden. Das haben wir mit Rücksicht auf die Gesamtwirtschaft getan. Wir wollen nicht irgendwie an der Lohn-Preis-Spirale drehen. Es wäre gut, wenn sich alle Wirtschaftsgruppen und Bevölkerungskreise nach dem gleichen Rezept richteten.
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Es gibt heute in der Öffentlichkeit Forderungen, die in eine ganz andere Richtung weisen. Wir wollen aber von der landwirtschaftlichen Seite her bewußt alles tun, um die Stabilität unserer D-Mark nicht zu gefährden. Mit dieser Politik wollen wir auch unseren Beitrag dazu leisten, daß die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft auf den Auslandsmärkten nicht von unserer Seite unnötig erschwert oder kompliziert wird.
Über ein Prinzip muß man sich jedoch einig sein. Wenn wir uns schon zu einer solchen, auf das gesamtwirtschaftliche Wohl ausgerichteten Politik entschließen, dürfen wir auch erwarten, daß man gewillt ist, der Landwirtschaft Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; denn es handelt sich nicht um einen Wirtschaftszweig der deutschen Gesamtwirtschaft, auf den man mehr oder weniger verzichten könnte. Unsere landwirtschaftliche Produktion stellt immerhin einen Gesamtwert von über 15 Mil. liarden DM pro anno dar. Die Gesamtproduktion der Grundstoffindustrie im Kohlenbergbau, bei Stahl und Eisen liegt mit über einer Milliarde DM darunter, denn sie überschreitet knapp die 14-Milliarden-Grenze. Sie sehen daraus, um welche Größenordnungen es in unserem gesamtwirtschaftlichen Konzept geht.
Wir glauben, daß das Prinzip der Ertrags-Aufwands-Parität, das wir unserem Gesetzentwurf zugrunde gelegt haben, ein dynamisch wirkendes Prinzip ist, d. h. eines, das den Fortschritt und die Leistungssteigerung nicht gefährdet. Bewußt haben wir uns nicht zu dem Indexprinzip bekannt. Es ist aber in unserem Entwurf vorgesehen - das werden insbesondere unsere Freunde von der FDP gerne hören -, daß wir in unserer Arbeit die Indexvergleiche mitheranziehen. Wenn Sie § 3 unseres Entwurfes betrachten, werden Sie feststellen, daß solche Indexvergleiche selbstverständlich eine Rolle spielen; denn wir sprechen von der Erstellung und Auswertung volkswirtschaftlich-statistischer Unterlagen. Wir bauen aber darauf nicht unseren Gesetzentwurf auf, legen ihm also nicht das Prinzip der Indexparität zugrunde. Wir weisen vielmehr den Indexvergleichen nur eine Hilfsstellung, nur eine Kontrollfunktion zu unserem Prinzip der Ertrags-Aufwands-Parität zu. Wir befinden uns dabei in einer glücklichen Übereinstimmung mit einem einstimmigen Votum des Deutschen Bauernverbandes. Ich darf das hier sagen, weil infolge einiger Zitate meines Vorredners ein Eindruck hervorgerufen wurde, der nicht bestehen bleiben darf. Der Deutsche Bauernverband hat sich nämlich auch für das Prinzip der Ertrags-AufwandsParität ausgesprochen. Ich brauche von dieser Stelle aus kein Wort zu dem Erfolg oder mehr oder weniger großen Mißerfolg ausländischer Paritätssysteme zu sagen. Diese Paritätssysteme sind von uns eingehend studiert worden. Sie haben aber nicht zu dem Gesetzentwurf geistig Pate gestanden, den wir vorlegen. Alle diese Systeme, ob in den USA, in Schweden, in England oder in der Schweiz, können uns in unserer besonderen wirtschaftlichen Situation nicht helfen. Wir sind deswegen unseren eigenen Weg gegangen, einen Weg, der im System der sozialen Marktwirtschaft, der in Unterstützung der Politik der sozialen Marktwirtschaft auch zum Erfolg führen kann.
Wir haben für die Durchführung dieses Systems der Ertrags-Aufwands-Parität bestimmte Grundsätze gesetzt. Sie sind in § 1 unseres Entwurfs niedergelegt. Es handelt sich darum, daß wir bäuerliche Betriebe mit durchschnittlichen Produktionsbedingungen mit den Mitteln der normalen Wirtschaftspolitik gesund erhalten wollen, wie sie bisher auch mit mehr oder weniger Erfolg angewandt worden sind. Wir erwarten in Zukunft eine bessere Koordinierung dieser wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Das zu erzwingen oder zu erleichtern - wie Sie wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren -, ist insbesondere auch das Anliegen dieses Gesetzentwurfs.
Wir haben in unserem Entwurf eine Sachverständigen-Kommission vorgesehen, die die Aufgabe haben soll, die notwendigen Unterlagen zu erarbeiten, und die in Form von Empfehlungen Vorschläge an die Bundesregierung machen soll. Im
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einzelnen brauche ich darauf nicht einzugehen. In den Beratungen der Ausschüsse wird es noch genügend Gelegenheit geben, sich hierüber zu unterhalten.
Ich möchte zum Schluß kommen und darf feststellen: Man kann sich nur die Frage vorlegen: Gibt es hierzu eine Alternativpolitik? Sie gibt es wie bei jeder Wirtschaftspolitik so auch in dieser Frage. Der eine Weg wäre der, daß wir unter Ablehnung unseres Entwurfs wieder zu der früheren Gepflogenheit zurückgehen und über eine aktive Anziehung der Agrarpreise nach oben den Weg in die Zukunft suchen. Der zweite Weg wäre der, daß man die Dinge so weitergehen läßt, daß man heute hier und morgen dort ein Loch stopft, indem man an anderer Stelle ein neues aufreißt. Ich glaube. beide Wege sind nicht das Richtige. Wenn wir hier den ernstgemeinten Versuch unternehmen, eine Konzeption, eine Grundlinie zu finden und eine konstruktive Agrarpolitik zu begründen, in deren Rahmen dann in den einzelnen Jahren die Einzelmaßnahmen entwickelt werden können, dann, glaube ich, haben wir in unserem Wirtschaftssystem von der Landwirtschaft den Beitrag geleistet, auf den die Volkswirtschaft mit Recht hoffen kann. Wir wünschen uns von diesem Beitrag auch den Erfolg für unsere landwirtschaftlichen Betriebe. Wir müssen wirklich zu dem Ergebnis kommen, daß die Landwirtschaft sich in praxi auch wirklich als ein fester, ein integraler Bestandteil der ganzen Wirtschaft und der ganzen Gesellschaft fühlen kann.
Das Ergebnis unserer Politik dürfte wohl darin liegen, daß wir für den Landwirt die notwendige Grundlage für das Vertrauen in die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben schaffen; es zielt dahin, daß wir für den Verbraucher eine reichlichere und preiswürdige Versorgung mit Lebensmitteln gewährleisten, daß wir für die industrielle gewerbliche Wirtschaft den Binnenmarkt, der durchaus vorhanden ist, erweitern und bereichern. Ich glaube, in diesem Sinne können wir uns alle mutig zur Annahme dieses Gesetzentwurfs bekennen, um damit die Grundlage für eine Politik zu schaffen, die allen Teilen unseres Volkes zugute kommt.
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Meine Damen und Herren, die vorliegenden Gesetzentwürfe sind begründet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es wäre mir sehr viel lieber gewesen, wenn ich im Lauf der Debatte in die Diskussion hätte eingreifen können. Leider aber muß ich um 14 Uhr 45 von hier weggehen, um an einer sehr wichtigen Aussprache teilzunehmen, die nicht verschiebbar ist.
Bevor ich mich grundsätzlich zu dem Problem äußere, möchte ich gerne auf die Rede des Herrn Kollegen Mauk eingehen. Er meinte, daß der das Paritätsgesetz betreffende Antrag der FDP notwendig gewesen sei, weil sich keine Ansätze zu einer Verbesserung der Situation gezeigt hätten und insbesondere wohl auch entscheidende Maßnahmen von seiten der Regierung nicht getroffen worden seien. Zunächst einmal ist dazu zu sagen, daß Maßnahmen, die z. B. auf der Preisseite sofort wirksame Erfolge haben, außerordentlich schwierig und nur mit äußerster Vorsicht durchführbar
sind. Auf dem Gebiet der Unkostensenkung habe ich ja versucht, einiges zu exerzieren. Die Ergebnisse sind außerordentlich sparsam, sind aber immerhin vorhanden, wenn auch noch nicht in dem Umfang, der in irgendeiner Weise befriedigen könnte. Ich komme auf diesen Punkt nachher bei meinen grundsätzlichen Auseinandersetzungen mit der Frage noch einmal zurück.
Der Preisindex für landwirtschaftliche Produktionsmittel und der für landwirtschaftliche Erzeugnisse standen im Jahre 1952/53 bei 211 und 197, wiesen also eine Differenz von 14 Punkten auf. Die Situation ist heute so, daß die Zahlen auf 207 und 201 zusammengedrückt worden sind. Während also die Differenz bisher 14 Punkte betrug, beträgt sie jetzt 6. Damit ist gleichzeitig gegenüber dem allerdings sehr schwierigen Jahr 1952/53 mit geringer Ernte eine Steigerung der Erträge verbunden, die sehr viel größere Produktionsmengen gebracht hat. Auf der andern Seite ist als Negativum - nicht deswegen, weil es nicht notwendig gewesen wäre - auf der Ausgabenseite der Landwirtschaft festzustelien, daß vor kurzem eine Reihe von Lohnerhöhungen stattgefunden haben, die einen erheblichen Teil dieser Verbesserungen wieder annulliert haben, so daß praktisch wahrscheinlich - für das gesamte letzte Jahr gerechnet - ein Fortschritt in der Erhöhung der Rentabilität kaum zu verzeichnen sein wird.
Mit Bezug auf Frühkartoffeln wurde gefragt, ob es richtig sei, daß noch 400 Waggons mit Frühkartoffeln am Bahnhof München ständen, die noch verzollt werden müßten, obwohl der 10. Juni der letzte Verzollungstag gewesen sei. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der letzte Verzollungstag war der 10. Juni, und nachher ist nichts mehr verzollt worden. Aber diese 400 Waggons stehen noch in München. Es ist ja leider bei dem heutigen Verfahren noch nicht zu verhindern, daß in der Zeit etwa vom 1. bis 10. ein Quantum über den Bedarf hinaus hereinkommt. Das haben wir immer erwartet. Dafür sind aber auch in den zehn Tagen vor dem Beginn der Frühkartoffelrodung in Deutschland keinerlei Ladungen mehr nach Deutschland hereingekommen. Diese Waggons sind also nicht etwa in der Zeit seit dem 10. Juni erschienen - dieser Termin bedeutet eine klare Sperre -, sondern vor dem 10. Diese Frühkartoffeln haben sich in der Zeit vom 10. bis 20. nicht verkaufen lassen. Im nächsten Jahre wird dafür Sorge getragen werden müssen, daß eine derart unmögliche Anhäufung auch im Süden unseres Landes vermieden wird.
Im übrigen darf ich mir erlauben, Ihnen kurz einmal die kurzfristig wirksamen Maßnahmen, die seit dem 20. Oktober getroffen worden sind, zur Kenntnisnahme vorzulesen:
1. Stopp der weiteren Liberalisierung für agrarische Erzeugnisse;
2. Gleitzoll für Malz;
3. Förderung der Ausfuhr von landwirtschaftlichen und ernährungswirtschaftlichen Produkten ({0});
4. Trinkmilchpreiserhöhung;
5. Maßnahmen zur Stützung der Magermilchpreise, u. a. durch Bereitstellung von Mitteln durch den Bund in Höhe von 5 Millionen DM;
6. bei der Behandlung der Steuerreform erfolgreiche Abwehr gewisser Vorschläge, die die nicht buchführenden Landwirte erheblich benachteiligt hätten;
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7. Kreditbeschaffung in Höhe von 400 Millionen DM zu ermäßigten Zinssätzen für Besitzbefestigung und Strukturverbesserung, Selbsthilfemaßnahmen, Absatzverbesserung usw.;
8. zur Verstärkung des Kampfes gegen die Rindertuberkulose 10 Millionen DM aus dem Bundesetat.
Dann noch einige Maßnahmen, die ich hier nicht erwähnen werde.
Das Ergebnis der Verhandlungen über Landarbeiterlöhne im Bundesgebiet habe ich ebenfalls vorliegen. In Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern und Westfalen-Lippe sind die Löhne erhöht worden. Ich will damit nichts dagegen sagen, daß diese Erhöhung notwendig gewesen ist. Genau so wie wir in allen übrigen Fragen sowohl in der Preisgestaltung als auch durch Unkostensenkung zur Rentabilität kommen müssen, muß auch in der Lohnzahlung dahin gestrebt werden, daß wir in der Landwirtschaft Löhne zahlen, die den vergleichbaren Gruppen im gewerblichen Sektor angepaßt sind. Hier hat die Landwirtschaft einen entsprechenden weiteren Schritt getan.
Über die sachliche Debatte der sehr schwierigen und weitschichtigen Probleme habe ich mich gefreut. Ich habe am 10. Dezember vorigen Jahres über diese Probleme alles gesagt, was notwendig war. Ich habe die verschiedenen Paritätssysteme erörtert, die Definitionen gegeben und erklärt, daß meiner Meinung nach nur eine Aufwand-ErtragParität möglich sei, weil sie praktisch das einzige Paritätssystem ist, mit dem weder eine Einkommensparität noch eine Indexparität noch ein Automatismus, der die Lohn-Preis-Spirale in Bewegung setzen würde, verbunden ist. Der vorliegende Entwurf der CDU/CSU und DP jedenfalls vermeidet diese Ecken.
Nun ist durchaus nicht gesagt, daß eine Ertragsparität nur durch Unkostensenkung möglich sei. Wenn es nicht möglich wäre, die Unkosten zu senken, würde man bei einer entsprechenden Grundlage auch dazu übergehen müssen, die Preise zu erhöhen. Man kann nicht von der Landwirtschaft erwarten, daß sie dauernd etwa unter den eigenen Selbstkosten produziert. Das tut niemand und hält auch niemand aus.
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Wenn heute auf dem Gebiet der Grundstoffindustrie, auf dem wir ähnliche Verhältnisse haben, auch die Vertreter der sozialen und sogar die der freien Marktwirtschaft durchaus kräftig die Forderung erheben, die heutigen Grundstoffpreise nach den Kosten zu orientieren, dann kann man das auch im landwirtschaftlichen Sektor tun.
Wenn Sie sich aber ein Bild machen wollen, wie man z. B. auch jetzt, nachdem man sich bemüht hat, die Landmaschinenpreise und die Handelsdüngerpreise zu senken, in erheblichem Maße helfen kann, dann wäre z. B. folgender Vorschlag zu machen. Es ist sowieso notwendig, weitere erhebliche Investitionen in unserer Grundstoffindustrie vorzunehmen, um sie in den Stand zu setzen, billiger zu produzieren und damit die Preise für Kohle und Stahl herabzusetzen. Dann könnten wir billigere Landmaschinen und Geräte bekommen und könnten, von uns aus gesehen, vor allen Dingen den Stickstoff verbilligen, der in seiner Preisgestaltung wesentlich von Kohle und Stromabhängig ist. Des weiteren brauche ich nur darauf hinzuweisen, daß wir jährlich erhebliche Beträge aufwenden, damit der Finanzminister die Aufschläge für den Dieselkraftstoff hereinbekommt.
Um die Landwirtschaft gerade in der heutigen Zeit ertragsfähig und leistungsstark zu machen, damit sie in größeren, übernationalen Wirtschaftsräumen wettbewerbsfähig ist, wäre es weiter notwendig, eine Abschreibungsmöglichkeit für Neuanschaffungen, für Rationalisierungs- und Mechanisierungsmaßnahmen zu schaffen, und zwar in einer 'degressiven Form, wie sie die Landwirtschaft brauchen kann. Zur Zeit ist es so, wenn man die Klagen aus der Landwirtschaft richtig versteht und ihnen im einzelnen nachgeht, daß diejenigen, die Bücher führen, oder die „Schätzungslandwirte", also die Landwirte, die zur Buchführung verpflichtet sind, aber keine Bücher führen, eine ganz wesentliche Entlastung bei der Rationalisierung und Mechanisierung ihrer Betriebe finden würden, wenn man eine vernünftige 'degressive Abschreibung durchsetzen könnte. Das sind auf der Unkostenseite ganz beachtliche Positionen. Wenn wir dann noch die Möglichkeit hätten, in einem entsprechenden Ausmaß für einen Mehrverbrauch im Konsumentensektor zu sorgen - und das kann man in erster Linie durch stabile Preise -, dann würden die Bauern gleichzeitig im Rahmen der Mengenkonjunktur erhöhte Einnahmen haben, ohne den Verbraucher zu belasten.
Ich darf dazu sagen, daß die Stabilisierung z. B. der Butterpreise durch eine gleichmäßige Belieferung des Marktes zu einer ganz beachtlichen Ausweitung des Butterkonsums in Deutschland geführt hat, und zwar ohne die Preise zu erhöhen. Wir hatten im vorigen Jahre einen Butterpreis frei Molkerei von 5,20 DM pro Kilogramm, d. h. im Frühjahr, also bei sinkendem Preise, und im Herbst von 5,70 DM pro Kilogramm. In diesem Jahr wird sich diese Spanne wahrscheinlich etwa von 5,40 bis 5,70 DM bewegen. Während im vorigen Jahr die Butterverbrauchssteigerung etwa 22 000 t gegenüber dem Vorjahr betrug, werden wir in diesem Jahr wahrscheinlich auf über 30 000 t kommen.
Sie sehen daraus, daß es viele Wege gibt, die nach Rom führen. Das Haus wird sich nach dieser Vorlage der Paritätsgesetzentwürfe darüber schlüssig werden müssen, an welchem Punkte es ansetzen will. Ich möchte nur ganz klar zum Ausdruck bringen: wenn es nicht die Unkostenseite sein kann, dann muß es die Preisseite sein. Da beißt keine Maus den Faden ab; das muß hier ganz klar erkannt werden.
Auf der andern Seite muß ich ebenso klar aussprechen, daß es unmöglich ist, diejenigen neuralgischen Punkte innerhalb der Landwirtschaft, die zu den ständigen Krisenerscheinungen führen, wie etwa die ausgesprochenen Grünlandgebiete an der Nordsee oder im württembergischen und bayerischen Allgäu, oder bei den Kleinbetrieben, die auf völlig zersplittertem Grund und Boden wirtschaften müssen, oder bei unseren Kleinstbetrieben oder im Gemüse- und Obstbau, der unter der Handelspolitik ganz besonders schwer zu leiden hat, anders zu beseitigen als außerhalb dieser Paritätsbemühungen. Sie wissen, daß wir damit begonnen haben. Wenn also das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats im Wirtschaftsministerium besonders darauf hingewiesen hat, daß es notwendig sein würde, ganz erhebliche Zuschüsse und Kreditverbilligungen für die Landwirtschaft aufzubringen, um ihr die Möglichkeit zu geben, gegenüber der ausländischen Konkurrenz leistungsstark und
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wettbewerbsfähig "zu sein, dann müssen wir uns darüber klar sein, daß das kein Ausweg ist, sondern eine Sache, deren Notwendigkeit sich von selbst ergibt.
Ich möchte glauben, daß mit diesen Erklärungen zu den vorliegenden Paritätsgesetzentwürfen, die nun im Ausschuß beraten werden müssen, von seiten des Ministeriums genug geschehen ist. Wir haben vom Ministerium aus seit Übernahme des Amtes durch mich nicht ohne Erfolg gearbeitet; das kann nicht 'bestritten werden. Aber es ist für mich eine Erleichterung, wenn stichhaltige Unterlagen geschaffen werden können, von denen jeder einzelne Kenntnis nehmen kann, die jeder einzelne kritisieren kann und auf die mir z. B. auch bei den Verhandlungen mit dem Herrn Finanzminister oder dem Herrn Wirtschaftsminister keine Einwendungen gebracht werden können. Das erleichtert die Arbeit auch hier im Bundestag. Wenn wir also in Zukunft beim Aufbau und bei der Durchsetzung neuer landwirtschaftlicher Programme miteinander reden, dann werden wir es einfacher haben, da wir wissen, daß die Berechnungsgrundlagen in Ordnung sind.
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Meine Damen und Herren, Wortmeldungen - -. Doch, Herr Abgeordneter Kriedemann! - Ich darf die Damen und Herren grundsätzlich bitten, die Wortmeldung doch nach der Geschäftsordnung schriftlich vorzunehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag vielleicht für die Herren, die diese beiden Anträge hier zu begründen hatten, und für ihre Freunde, auf deren Hilfe sie dabei rechnen müssen, nicht ganz einfach sein, dieses traurige Bild vom Zustand der deutschen Landwirtschaft zu malen, wie es sich im fünften Jahre der Regierung Adenauer nun darstellt. Aber ich bin nicht in der Lage, diesen Schilderungen zu widersprechen; denn Sie wissen ja, daß ich diese Politik, oder besser gesagt: das Nichtvorhandensein einer Agrarpolitik während aller dieser fünf Jahre immer kritisiert habe. Mir ist also heute nichts Neues gesagt. Aber glauben Sie mir, ich habe keineswegs die Absicht, mich an der Verlegenheit zu weiden, die nun hier zum Ausdruck kommt.
Ich habe auch einiges Verständnis, wenn der Kollege Mauk jetzt daran erinnert, daß man einmal Wahlversprechungen gegeben habe. Der Zeitpunkt ist ja ganz geeignet dafür, denn wir sind wieder in Wahlen. Vielleicht hat dieser Umstand auch wesentlich dazu beigetragen, daß wir uns gerade jetzt mit diesen beiden Drucksachen befassen müssen.
Es ist völlig unbestritten, daß es in breiten Teilen der deutschen Landwirtschaft außerordentlich unbefriedigend zugeht, insbesondere für die Menschen, die dort tätig sind. Es ist völlig unbestritten, daß das sehr peinliche und schwerwiegende volkswirtschaftliche Nachteile zeitigt. Daran ändert sich auch dadurch nichts, daß von anderen Teilen der deutschen Landwirtschaft etwas sehr viel Erfreulicheres gesagt werden kann. Es ist sowieso eine sehr unzweckmäßige Verallgemeinerung, immer von d e r Landwirtschaft zu sprechen. Dazu ist das Bild, das die deutsche Landwirtschaft bietet, ihre ganze Struktur auch viel zu uneinheitlich, viel zu sehr voneinander abweichend, als daß man so reden
könnte. Ich habe so den Eindruck, daß aus dieser Verallgemeinerung, insbesondere aus der Verallgemeinerung des Negativen allmählich eine Stimmung entstanden ist, die der sachlichen Erörterung landwirtschaftlicher Probleme - und dazu gibt es eine ganze Menge zu sagen - leider sehr abträglich ist. Ich möchte das mit Bezug auf die Teile der Landwirtschaft sagen, in denen heute ein Grund zum Klagen glücklicherweise nicht vorhanden ist.
Darüber hinaus möchte ich glauben, daß man sich viel zuwenig mit den Gefahren für die deutsche Landwirtschaft beschäftigt, die in der Zukunft liegen. Wir alle müssen ja damit rechnen, daß die wirtschaftliche Verflechtung und die damit verbundene Zunahme der Konkurrenz sich eher steigern, als daß sie abnehmen, und daß sich daraus auch für solche Teile der deutschen Landwirtschaft noch sehr schwerwiegende Fragen ergeben werden, die heute von einer Krise nun wirklich nicht reden können und es deshalb auch nicht tun sollten. Die Frage, was man demgegenüber tun soll, ist nun sehr naheliegend, und sie wird auch hier mit den beiden Entwürfen wieder zur Diskussion gestellt.
Ich würde aber doch vorschlagen, daß man dabei auch einmal, ein bißchen jedenfalls, untersucht, wie denn die Landwirtschaft in die zum Teil recht bedrohliche Situation hineingekommen ist. Niemand wird etwa sagen können, daß das allein in den letzten fünf Jahren geschehen sei. Die eigentlichen Ursachen für den sehr unterschiedlichen Entwicklungsgrad und die unterschiedliche wirtschaftliche Stabilität der deutschen Landwirtschaft im Vergleich zur Landwirtschaft in ihren Konkurrenzländern liegen natürlich sehr viel tiefer. Wenn man einmal untersuchte, wer denn an der verfehlten Agrarpolitik schuld ist, die zu diesem sehr peinlichen Ergebnis geführt hat, zu einem Ergebnis, das wir heute nur mit außerordentlich großen Anstrengungen korrigieren können, dann würde dabei vielleicht wenigstens das herauskommen, daß man verhindern könnte, daß sich solche Leute heute wieder zu Wort melden oder auch nur zitiert werden.
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Das sollte auch einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden. Wir haben am allerwenigsten ein Bedürfnis danach, daß diejenigen, die uns auch diese Suppe eingebrockt haben, nun die Zeit für gekommen halten, sich wieder einmal als Koch zu empfehlen; sie haben immer nur als Sudelköche fungiert, und bei einem kleinen Rest von Schamgefühl sollte sie das wenigstens zum Schweigen bringen.
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Wenn heute festgestellt werden muß, daß das bäuerliche, insbesondere das kleinbäuerliche Element in der deutschen Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten so außerordentlich zu kurz gekommen ist, so steht dem der andere Sektor in der Landwirtschaft gegenüber, der davon profitiert hat, dem zuliebe die größere Zahl der das Land bearbeitenden Menschen nicht nur zurückgesetzt, sondern sogar aufgeopfert worden sind. Wir haben am allerwenigsten heute Lust, noch einmal mit anzusehen, wie man wieder versucht, die Kleinen, die vielen, die in echter Verlegenheit Befindlichen einzufangen als Zuhörerschaft für irgendwelche Leute, die sich immer wieder darauf zu verlassen scheinen, daß jedenfalls sie immer übrigbleiben.
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Ich möchte bei der Überlegung, wie den Schwierigkeiten beizukommen ist, doch einer Bemerkung, die vorhin dem Kollegen Mauk vielleicht nur so entschlüpft ist, widersprechen. Er hat gesagt: Uns - und meint damit also: uns Landwirten - ist es ja egal, ob die Sache über Preise oder über Kosten in Ordnung gebracht werden kann. - Es wird der Landwirtschaft und den Agrarpolitikern soundso oft vorgeworfen, daß es ihnen sowieso egal sei, was aus den anderen werde, und daß sie mit einem fürchterlichen Egoismus und einer außerordentlich gefährlichen Kurzsichtigkeit immer nur ihre Interessen verträten. Nun, eine solche Formulierung, wie Sie sie vorhin gebrauchten, Herr Kollege Mauk, würde geradezu als ein Beweis für die Richtigkeit dieser Unterstellung gewertet werden können. Es kann uns gar nicht egal sein, ob es über Kosten oder über Preise gemacht wird; denn wir fühlen uns in vollem Umfange auch für gesamtvolkswirtschaftliche Angelegenheiten verantwortlich und wollen uns in gar keiner Weise vor den Konsequenzen der Dinge drücken, die wir als berechtigte Forderung der Landwirtschaft vertreten. Aber ich habe gleich gesagt, daß es Ihnen möglicherweise auch nur so herausgerutscht ist, und ich habe aus unserer bisherigen Zusammenarbeit keine Veranlassung, Ihnen zu unterstellen, daß Sie zu den Leuten gehören, die mit einer solchen Bedenkenlosigkeit einseitige Interessentenstandpunkte vertreten.
Meine Damen und Herren! Meinem Eindruck nach aus einer doch schon verhältnismäßig langen Beteiligung an der landwirtschaftlichen, agrarpolitischen Debatte besteht in weiten Kreisen Einigkeit über das, was zu Nutz und Frommen der Landwirtschaft geschehen solllte, und es ist kein
Zufall - ich habe das, glaube ich, von dieser Stelle schon einmal gesagt -, daß in den Katalogen der agrarpolitischen Maßnahmen aller politischen Richtungen eigentlich immer nur dasselbe vorkommt. Unter der Überschrift: „Lübke-Programm" haben wir nun kürzlich wieder eine solche Zusammenfassung der für die Landwirtschaft für erforderlich gehaltenen Maßnahmen gehört. Mir fällt das zustimmende Bekenntnis zu diesem Programm deshalb gar nicht schwer, weil hier weder etwa herauskommen kann, daß ich Lübke-hörig bin, noch etwa das Wunder in Erscheinung träte, daß wir zufälligerweise beide auf dieselbe Idee gekommen sind. Es handelt sich gar nicht so sehr darum, auf Ideen zu kommen, sondern vielmehr darum, ganz nüchtern und ohne Angst davor, auch einmal neuralgische Punkte zu berühren, vielen, ich möchte beinahe sagen, allen Leuten geläufige Tatsachen und Notwendigkeiten auszusprechen, also die Wahrheit zu sagen.
Nun wird aber dann gesagt, daß die Inangriffnahme eines solchen Programms und all dieser darin enthaltenen Maßnahmen zu lange dauere und daß man deshalb etwas anderes tun müsse. Wenn hier vorhin dankenswerterweise gesagt worden ist, es gebe zu jeder Politik auch eine Initiative - das wird sich natürlich nicht nur, auf die Außenpolitik, sondern auch auf die Agrarpolitik beziehen sollen, in dem Zusammenhang ist es ja auch ausdrücklich gesagt worden -, so darf man wohl getrost sagen, daß viel mehr als ein „siamesischer Bruder" der Gedanke der Parität die Alternative zu dem sogenannten Lübke-Programm ist.
Natürlich, manche Dinge währen lange, und es ist auch gar kein großes Verwundern darüber
möglich, daß jahrzehntelange Versäumnisse nicht durch einen kühnen Entschluß von heute auf morgen wieder in Ordnung gebracht werden können. Wenn man weiß - und das ist gesagt worden; es ist hoffentlich allen immer ganz gegenwärtig -, daß es sich im großen Umfang tatsächlich um unerhört schwierige Strukturprobleme handelt, dann liegt schon in diesem Wort begründet, daß man so etwas nicht von heute auf morgen ändern kann. Ich will nur nicht gelten lassen, daß es sich hier um Dinge handelt, die so viel Zeit erfordern, daß sie eigentlich gar nicht praktisch werden können. Ich will nur sagen: die Zeit, die gebraucht wird, um solche Maßnahmen zur Auswirkung zu bringen, hängt im wesentlichen von der Entschlußkraft ,ab, mit der man sich hinter solche Maßnahmen stellt. Ich hörte neulich wieder jemanden sagen: Da heißt es also, daß jetzt einmal etwas für die Flurbereinigung getan werden muß, weil soundsoviele Landwirte unter dem Nichtvorhandensein einer Flurbereinigung, unter der Flurzersplitterung leiden. Das wird nun schon 50 Jahre gemacht! Aber die Antwort darauf muß doch sein: Darüber wird zwar seit 50 Jahren geredet, und es wird daran herumgemurkst; aber gemacht worden ist eben nichts.
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen, über deren Nutzeffekt ein Zweifel überhaupt nicht erlaubt ist, die aber nur deshalb nicht zur Auswirkung kommen, weil man sie nichtenergisch in Angriff nimmt. Wir wissen ja sogar, warum man sie nicht in Angriff nimmt. Auch im Bereich der Agrarpolitik und gerade dann, wenn es sich um die Korrigierung von Fehlern ader das Nachholen von Versäumnissen handelt, geht es mit natürlichen Dingen zu, wie auch sonst in der Welt. Da kann man niemandem etwas geben, wenn man nicht einem andern etwas nehmen will, und da kann man niemandem helfen, wenn man nicht bereit ist, einem andern dafür Opfer aufzuerlegen oder ihn in die ihm gebührenden Schranken zurückzuverweisen. Wenn man ,einanal ernsthaft an die Untersuchung herangehen wollte, ob nicht von der Seite der Kasten her etwas zu tun ist, wenn man z. B. wirklich einmal die Aufgabe in den Vordergrund stellte, die Landwirtschaft möglichst billig mit den besten Maschinen zu versorgen, dann müßte man natürlich in so manches Vorrecht eingreifen und so manche Pfründe beschneiden, die heute z. B. von denen zäh verteidigt wird, die von dem Verkauf von ein paar Bulldogs sehr viel besser leben als viele von der Arbeit mit den Bulldogs.
Deshalb liegen eigentlich die Unterschiede nicht in den Programmen, nicht in der Meinungsverschiedenheit über die Maßnahmen, sondern eigentlich nur in der Möglichkeit und dem Willen, die die eine oder andere Seite hat, solche Maßnahmen auch gegen diejenigen durchzusetzen, die sich dagegen wehren, weil ihnen der gegenwärtige Zustand bequemer ist. Daß man -auch in diesem Hause - nicht so ohne weiteres bereit ist, die Dinge einmal anzupacken, davon haben wir in den letzten Wochen und Monaten einige Beispiele gehört. Und wenn der Minister hier in diesem netten Katalog, den wir eben gehört haben, aufgezählt hat, was inzwischen geschehen ist, dann sollte dem einen oder anderen doch auch einfallen, daß wir durchaus die Möglichkeit gehabt hätten, mehr zu tun und wirksamere Dinge zu tun, wenn sich dafür eine Mehrheit gefunden hätte, die bereit ist, solche Notwendigkeiten der Landwirtschaft einmal an
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den Punkt zu bringen, an den sie gehören. Das ist heute und auf einige Zeit hinaus ein Punkt, der sehr weit vorn liegt. Ich erinnere nur an unsere Anträge bezüglich der Rindertuberkulose, bezüglich der Steigerung des Milchabsatzes usw.
Das Unbehagen gegenüber diesen Maßnahmen ist mir völlig begreiflich, und ich habe auch Verständnis dafür, daß nun nach einem andern, bequemeren Weg gesucht wird. Diesen bequemeren Weg glaubt man schon seit vielen Jahren - denn es wird schon sehr lange davon geredet - in der sogenannten Parität gefunden zu haben. Es ist auch gar nicht zu bestreiten und darf gar nicht übersehen werden, daß mit dieser Formulierung, die leider in vieler Leute Munde zu einem Schlagwort geworden ist, unter dem sie sich konkrete Dinge schon gar nicht mehr vorstellen können und vor dessen Konsequenzen sie auch die Augen sorgfältigst verschließen, weil ,das das Nachdenken besonders erleichtert, draußen in der Landwirtschaft treibenden Bevölkerung viel Resonanz erzeugt worden ist. Es sieht auf den ersten Blick auch tatsächlich wie das Ei des Kolumbus aus: auf irgendeine Weise kriegt man die Differenz zwischen dem, was man aufgewendet hat, und dem, was man nicht auf dem normalen Wege erlöst hat, erstattet, vergütet, ersetzt. Ich habe mich nie darüber gewundert, daß diejenigen, die draußen auf den Dörfern dieses Programm anbieten, kaum Fragen in der Diskussion haben; denn daß das eine feine Sache ist, sieht jeder auf den ersten Blick ein, dazu gehört gar nicht viel. Ich möchte nicht verschweigen, daß es mir einige Sorgen bereitet, wenn man sehen muß, wie so eine Angelegenheit, ich möchte beinahe einmal sagen, Tatsachen schafft, an denen nachher kaum noch jemand vorbeikommt, die kaum noch aus der Welt zu schaffen sind. Aber, meine Damen und Herren, wenn soviel kluge Leute der Überzeugung sind und sich dabei auf die Gutachten von Wissenschaftlern und auf die Berichte und Unterlagen wissenschaftlicher Institute stützen können, daß dies ein gangbarer Weg ist, dann bin ich natürlich nicht so vermessen, nun einfach aus dem Handgelenk zu sagen, daß ich anderer Meinung bin. Ich halte es durchaus für möglich, daß man eine ganze Volkswirtschaft nach dem Prinzip der Parität organisiert. Ich will nicht annehmen, daß der Herr Kollege Lücker vorhin, als er sagte, man müsse das Denkmodell der Marktwirtschaft einmal ein bißchen zerstören, dies auch andeuten wollte, aber wir haben seine für meinen Geschmack sehr beachtlichen und vollkommen richtigen und zutreffenden volkswirtschaftlichen Ausführungen grundsätzlicher Art natürlich auch gehört. Die Frage ist nur, ob denn diejenigen, die nun die Parität wollen, tatsächlich bereit sind, sie auch mit allen Konsequenzen zu wollen oder, wenn überhaupt, eine Parität nur für einen Teil wünschen oder ob sie sich nicht nur mit einem neuen Versuch irgendeiner Parole, irgendeiner beruhigenden Formulierung begnügen möchten.
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- Na also, Herr Lücker! Wir haben ja im Ausschuß und nachher auch hier wieder bei der zweiten und dritten Lesung Gelegenheit, zu sehen, was denn von den hohen Erwartungen, die ich jetzt auch in Sie setze, in Erfüllung gegangen ist.
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Wir haben hier manchmal geglaubt, daß wir Ihnen
etwas zutrauen könnten - ich meine jetzt nicht
nur Sie persönlich -, und haben Ihnen ganz reizvolle Vorschläge gemacht. Aber selbst die Hoffnungen darauf, daß sie einmal vor dem Finanzminister oder vielleicht vor anderen Interessenten bestehen könnten, die ja einen großen Teil ihres Profits daraus beziehen, daß der Landwirtschaft eben nicht das zukommt, was ihr unter allen Umständen gesichert werden müßte, diese Hoffnungen sind eigentlich immer ohne Ausnahme enttäuscht worden.
Da ich weder den Ehrgeiz habe, die Landwirtschaft allein zu retten, noch wegen der Mehrheitsverhältnisse dazu in der Lage bin, bleibt mir übrigens gar nichts anderes übrig, wenn ich überhaupt die Lust an der Agrarpolitik behalten will, als immer wieder zu hoffen, daß wir Ihnen doch noch mehr zutrauen können, daß da mehr drinsitzt, sagen wir einmal, an wirklicher Konsequenz, an wirklichem Willen, nun auch einmal solche Interessen, noch dazu wenn sie volkswirtschaftlich vollkommen durchdacht und abgesichert sind, durchzusetzen und wirklich einmal den Leuten auf die Füße zu treten, die zwar mit den Stimmen der Bauern ihr politisches Gewicht bekommen, aber nachher nicht bereit sind - bisher jedenfalls noch nie dazu bereit waren -, sich dafür auch nur auf eine einigermaßen nachhaltige Weise dankbar zu erzeigen. Die Zeit, da man der Landwirtschaft mit ganz kleinen Geschenken oder gar nur etwa mit Beruhigungspillen dienen kann, sollte von uns allen ja nun als beendet angesehen werden.
Wenn ich mir diese Gesetzentwürfe ansehe, dann kommt mir eine sehr peinliche und sehr bittere Erinnerung hoch, eine Erinnerung an eine Diskussion, die wir hier einmal im Zusammenhang mit dem Getreidegesetz gehabt haben. Diese Erinnerung macht mir Formulierungen, wie sie hier vorliegen - ich werde dazu nachher noch etwas im einzelnen sagen -, eigentlich so zweifelhaft und unsympathisch. Damals haben wir festgestellt, daß es ein Getreidegesetz gibt, nach dem eine Einfuhr- und Vorratsstelle eingerichtet wird. In diesem Gesetz wurde ganz klar gesagt, was die Einfuhr- und Vorratsstelle zu tun hat und zu welchem Zweck sie funktionieren soll, nämlich im Sinne der Marktordnung, um wenigstens für dieses Produkt der Landwirtschaft Preis- und Absatzgarantie zu geben. Als wir im Bundestag ein Getreidepreisgesetz beschlossen, haben wir uns anhören müssen, wie von der Regierungsbank kaltlächelnd - mir fällt ein anderer Ausdruck, der parlamentarisch wäre, nicht ein - erklärt wurde, daß das zwar alles stimmt, daß aber trotzdem kein Rechtsanspruch für die Erzeuger besteht. Die Schriftgelehrten waren sich nachher einig, daß man es entweder vergessen oder sehr sorgfältig vermieden hatte, das, was man nach der Überschrift angeblich wollte, so klar und so konsequent zu formulieren, daß nun wirklich kein Weg mehr daran vorbeigeht. Es hat eine große Mühe gekostet - und es gehört auch nicht zu meinen angenehmen Erinnerungen -, das in diesem Fall durch eine Ergänzung des Gesetzes wenigstens hier hineinzubringen. Wir sollten uns davor hüten, auf diesem Wege fortzuschreiten, auf dem Wege, auf dem die Agrarpolitik viel mehr ein System von Versprechungen und Deklamationen als ein System von wirtschaftlich wirksamen Maßnahmen war. Es hat sich offenbar ganz leicht damit eine ganze Weile leben lassen. Ich lasse es dahingestellt, worauf es zurückzuführen ist, daß gerade die bäuerlichen Schichten so leicht zu beruhigen sind. Aber auch
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diejenigen, die ein erhebliches Maß an Verantwortung dafür haben, daß es in diesem Hause eine Mehrheit, die mit dem Vertrauen der Bauern zustande gekommen ist, gibt, sollten sich klar darüber sein, daß nach alter Erfahrung jeder Krug nur so lange zu Wasser geht, bis er bricht. Wenn wir dieses Maß an Vertrauen und an einer außerordentlich großen Geduld erschöpft haben - wovon man jetzt noch zehrt -, dann sollten wir, nachdem auch diese Mehrheit trotz der nicht vorhandenen Agrarpolitik der ersten vier Jahre so zustande gekommen ist, daran denken, welche Folgen das notwendigerweise haben muß. Wir haben so etwas schon einmal erlebt. Das schlägt nachher in eine Richtung um, die niemandem von uns erwünscht ist. Deshalb kann niemand von denen, die in diesem Hause versammelt sind, nun getrost darauf warten, bis dieses Maß an Geduld erschöpft worden ist. Wir werden alle nachher davon nichts ernten können.
Wir haben nun diese beiden Gesetzentwürfe vor uns. Ich will nicht untersuchen, welcher von beiden mehr bietet. Ich will mich auch keineswegs in den Streit darüber einmischen, warum es überhaupt zwei Gesetzentwürfe gibt und ob einer besser oder nicht so gut ist. Wenn ich mir diese beiden Gesetzentwürfe ansehe - das mögen mir die Damen und Herren, die dahinterstehen, bitte nicht übelnehmen -, dann kann ich mich des Verdachts nicht erwehren, daß wir uns hier wieder auf dem Wege des Getreidegesetzes befinden. Wir wollten doch und wir sollten unserer Meinung nach Deklamationen und leere Versprechungen nicht einmal mehr aufs Papier bringen, auf das Papier der Gesetze; denn wenn auch Papier im allgemeinen geduldig ist, sollte uns doch das Gesetzespapier dafür zu schade sein. Hier wird nun die Regierung verpflichtet, in Zukunft etwas zu tun, was sie offenbar bisher nicht getan hat. Ich will als Mann der Opposition nicht die Frage untersuchen oder beantworten, ob es richtig ist, der Regierung es sozusagen schriftlich zu geben, daß sie bisher die selbstverständlichen Mittel der Politik der Landwirtschaft gegenüber nicht so angewendet hat, wie man das von vornherein jeder Regierung unterstellen muß, die überhaupt regiert. Das würde ja geradezu - wenn man es also ernst nehmen soll - auf einen so unerhört schweren Vorwurf hinauslaufen, daß er eigentlich auf eine andere Weise ausgesprochen werden müßte als in einem im ganzen doch verhältnismäßig harmlosen Gesetzentwurf.
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Wenn man aber diesen Weg beschreitet und es der Regierung nun mal sozusagen schriftlich gibt, dann sollte man doch sorgfältig darüber wachen - wir haben Grund dazu, wir haben lange gemeinsam Erfahrungen gemacht mit der Regierung, wenn es auch Ihre war -, daß man hier keine Lücke läßt und nichts als Gesetz abliefert, was nachher vielleicht doch bloß - günstigstenfalls - eine Entschießung ist.
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Wie es uns gerade im Bereich der agrarischen Fragen mit Entschließungen gegangen ist - ich kann mich hierbei nicht sosehr an Herrn Minister Lübke wenden, denn er ist in dieser Beziehung noch neu in diesem Hause -, darüber haben wir ja Erfahrungen aus früheren Jahren und wissen, welchen Wert Entschließungen haben.
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Unterstellen wir einmal, das Gesetz wird in der vorliegenden Form angenommen, und eines schönen Tages stellt irgendeine Kommission aus den Zahlen - die es, nebenbei bemerkt, jetzt schon gibt und die alle Leute, die vernünftige und sachlich begründete Agrarpolitik betreiben wollen, natürlich auch jetzt schon sehr sorgfältig lesen und studieren - fest, was bisher immer nur behauptet wurde oder privates Eigentum derjenigen war, die für ihren eigenen Bedarf diese Überlegungen und Untersuchungen so gründlich vorgenommen haben, wie es nach dieser Formulierung hier offenbar nicht geschehen ist. Ich möchte bei dieser Gelegenheit sagen, daß es mir einigermaßen schwerfällt, das anzuhören, was vorhin Herr Lübke in diesem Zusammenhang - als seinen Beitrag zu diesen beiden Entwürfen - als eine Art von Zustimmung zu dem Gedankengang, der in diesen beiden Gesetzentwürfen verfolgt wird, gesagt hat. 'Ich möchte eigentlich dasselbe bemerken, was ich vorhin gegenüber dem Kollegen Mauk gesagt habe: hoffen wir, daß auch das nur einmal so herausgerutscht ist. Wäre es nämlich so, daß erst, wenn das hier angenommen ist, an die Sache herangegangen wird und sachverständige Leute die statistischen Unterlagen erarbeiten, damit man eine Grundlage für die Agrarpolitik hat, wem wollten Sie es dann übelnehmen, wenn er sagt, daß man bisher offenbar nur mit der Stange im Nebel herumgefuchtelt hat und alle Leute ihr statistisches Material so behandelt haben, wie es hoffentlich nicht das Ministerium getan hat.
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- Aber nur ein bißchen, Herr Horlacher. - Das wäre doch geradezu ein fürchterlicher Vorwurf. Wir wollen annehmen, daß wir es alle miteinander nicht nötig haben, nun erst einmal mit einer gründlichen Vorbereitung unserer Forderungen, mit einer einwandfreien Untermauerung unserer Behauptungen anzufangen.
Die vorgesehene Kommission sollte übrigens nach meiner Meinung ganz anders zusammengesetzt sein, damit von vornherein niemand ihr den Vorwurf machen kann, sie sei eine reine Interessenvertretung und habe doch nicht so ganz die richtige Brille auf, noch dazu nachdem man nach dem Gedankengang dieser Gesetzentwürfe gegen die Beschlüsse der Kommission irgendeine Berufungsinstanz nicht vorgesehen hat; die Regierung ist hinterher nur noch „verpflichtet".
Es wird dann gefordert, daß man dem hier ausgerechneten und nachgewiesenen Zustand der Disproportionalität in irgendeiner Weise abhilft. Ich will nicht darauf hinweisen, wie angenehm das für die Leute wäre, die heute schon mit ihrem Milchpreis auskommen, die heute schon mit ihrem Betrieb zurechtkommen, wenn die Verhältnisse bei den kleinen Eifelbauern, bei den Bauern auf dem Vogelsberg und im Bayerischen Wald und was in solchen Fällen zum Beweis des Elends und der Not zitiert wird, zum Ausgangspunkt genommen würden. Ich will auch auf einige andere Nebenwirkungen gar nicht eingehen. Mich interessiert hier nur, welche Konsequenzen sich für das Haus und für die Landwirtschaft ergeben würden, wenn etwa die Bundesregierung sagte, daß sie zwar nach diesem Gesetz verpflichtet ist - ich möchte beinahe sagen: neuerdings verpflichtet ist -, das und das zu tun, es aber leider gar nicht kann. Sie kann ja, wenn hier vierteljährlich ausgerechnet werden soll oder pro Jahr, wie es denn eigentlich steht, nicht ihre Handelspolitik entsprechend um({11})
bauen. Denn wir haben uns ja schon früher, wenn wir uns - nicht nur im Plenum, sondern im Ausschuß, wo es ein bißchen ruhiger zugeht - darum bemühten, Einfluß auf die Handelspolitik zu nehmen, immer wieder von der Regierung sagen lassen müssen, daß Handelsvertragspolitik und Handelspolitik leider nicht nach einseitigen Wünschen gemacht werden können, sondern daß es da erstens einmal den Partner gibt und zweitens eine Vielfalt von Interessen, die auch von unserer Seite aus berücksichtigt werden müssen, und zum Schluß eben Verpflichtungen, die für die Landwirtschaft im gegebenen Fall unbequem sein mögen, aber sicherlich bequem sind für diejenigen, die sich unter Hinweis hierauf vor jenen Verpflichtungen drücken können, die ihnen mit diesem Gesetz auferlegt werden sollen.
So vermisse ich in diesen beiden Entwürfen - wenn der eine auch sonst vielleicht ein bißchen radikaler sein mag als der andere oder konsequenter, wie ich vielleicht besser sage; der eine vielleicht ein bißchen milder, versöhnlicher und verantwortungsbewußter -, daß der Regierung nun auch gleich alle die Möglichkeiten im Gesetz zur Verfügung gestellt werden, auf deren Anwendung man besteht. Was soll denn der Finanzminister, der vielgeplagte Finanzminister, wenn man ihn auffordert, auf die hier festgestellte Disparität mit Mitteln der Steuerpolitik zu antworten, d. h. also Steuern zu senken, anders sagen, als daß er das nicht kann, weil ihm dafür im Haushalt gar keine Reserven zur Verfügung stehen? Daß der Finanzminister etwa kommen und sagen würde: Ich habe zwar keine Reserven, aber da haben wir ein bißchen mehr eingenommen, und hier können wir ja einmal etwas für die Landwirtschaft tun, das müssen wir wohl alle miteinander erst hören. So können Sie den ganzen Katalog durchgehen.
Um eine Begründung dafür, daß man in dem Augenblick, in dem das hier festgestellt wird, diese Mittel nicht anwenden kann, wird man nie verlegen sein. Im übrigen wissen wir das schon deshalb, weil wir hier oft genug die fehlende Agrarpolitik oder die negativen Auswirkungen irgendwelcher Maßnahmen beklagt und Abhilfe gefordert haben und immer wieder gehört haben, daß das aus diesem, das andere aus einem anderen Grunde und alles zusammen nicht gehe und dafür im gesamten keine Mittel zur Verfügung stünden. Ich will gar nicht sagen, daß diese Einwendungen immer falsch waren. Manche Forderungen waren sicherlich überspitzt, und außerdem stoßen sich bekanntlich die Sachen im Raum dann sehr hart und sehr viel schneller, als man das beim Ausdenken der Sache gerne möchte. Darum habe ich den Eindruck, daß es sich auch hier mindestens um etwas handelt, was weder die eine noch die andere Fraktion in letzter Konsequenz ganz zu Ende gedacht und vor allen Dingen nicht so ausgestattet hat, wie es ausgestattet werden muß, wenn es wirksam werden soll. Die anderen Dinge sind ja alle da; wir haben die Zahlen, wir haben die Sachverständigen zur Verfügung. Wir erleben zwar immer, daß die Sachverständigen aus den gleichen Zahlen zu manchmal sehr weit auseinanderliegenden Ergebnissen kommen; aber das hat das nun einmal so an sich, und das wird auch in Zukunft kaum besser werden. Aber weil wir das alles schon haben, was hier aufgezählt wird, und weil wir es eigentlich als eine Selbstverständlichkeit unterstellen sollten, daß die Regierung auch schon bisher alles getan hat, was sie tun konnte - ich will ihr das jedenfalls zunächst weiter unterstellen -, müssen wir mehr tun, wenn wir auf diesem Weg gehen wollen, und müssen ihr gleich alle diese Mittel an die Hand geben. Ich stelle mir das etwa so vor, daß man sagt, das Gesetz kann natürlich erst in Kraft treten, wenn im nächsten Haushalt ein so großer Reserveposten vorgesehen ist, daß der Finanzminister nicht sagen kann: Ich kann jetzt mit Mitteln der Steuerpolitik zugunsten der Landwirtschaft nichts tun, weil ich kein Geld habe.
Die Handelsverträge müssen in Zukunft so abgeschlossen werden, daß sie tatsächlich auch in dem Augenblick gekündigt werden können und Einfuhren nicht mehr stattfinden, in dem man erkannt hat, daß man mit den Mitteln der Handelspolitik etwas tun muß. Es müssen meiner Ansicht nach, wenn man der Regierung die Verpflichtung auferlegt, mit den Mitteln der Preispolitik irgendeiner Situation zu begegnen, auch gleich Sicherheiten dafür geschaffen werden, daß nicht etwa nur die Last von den einen Schultern auf die anderen verlagert wird, also etwa die Butter oder das Brot teurer werden und die Rentner es bezahlen müssen. Es müssen also auch Mittel im Haushalt oder auf Grund von Gesetzen vorhanden sein, die es der Regierung erlauben, auch weiterhin alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus einer solchen Einzelmaßnahme ergeben, also Mittel für Rentenerhöhungen oder für Subventionierung von Lebensmitteln, deren Preis durch Maßnahmen der Regierung teurer gemacht wird.
Nur wenn man das alles akzeptierte und es wirklich in dem logischen Zusammenhang sähe, in dem es gesehen werden muß, wenn es funktionieren soll, würde bei mir der Verdacht ausgeräumt sein, daß man sich mit diesen beiden Gesetzentwürfen weiter auf dem Wege fortzuwursteln sucht, auf dem man bisher in Wirklichkeit nicht weitergekommen ist. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, in den Ausschußberatungen alle diese Fragen immer wieder und so lange zur Debatte zu stellen, bis sie tatsächlich ausdiskutiert sind. Nichts wäre hier gefährlicher als halbe Arbeit. Nichts würde der Sache weniger dienen, als wenn man hier etwas machte, von dem man dann wieder sagt, daß es zwar noch nicht gut sei, daß man damit aber vielleicht doch schon ein bißchen etwas tun könnte, womit man mindestens den Eindruck erwecken könnte, daß man etwas getan habe. Was man auf diese Weise auch in Zukunft der Landwirtschaft und damit der Volkswirtschaft - das ist für mich immer dasselbe - schuldig bliebe, was man an ihr versäumte, könnte nicht damit wettgemacht werden, daß man eine neue Formel für das Glaubensbekenntnis findet: Wer ist dafür, und wer ist dagegen? Heute heißt es so: Wer für die Landwirtschaft ist, der muß für die Parität sein; wer gegen die Landwirtschaft ist, der ist gegen die Parität. Weil ich nicht gegen die Landwirtschaft bin, habe ich nur gesagt, was noch alles dazukommen muß, wenn die Parität funktionieren soll.
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Ich möchte insbesondere auch schon im Stile der Beratungen und in der Form unserer Arbeit an dem Gesetz im Bundestag vermieden wissen, daß irgendwo der Eindruck entsteht, es handle sich um ein zusätzliches Geschenk. Ich möchte niemandem die Möglichkeit geben, zu sagen: Kinder, stimmt nur zu, es wird sowieso nichts passieren! Auch wenn alle bisherigen Erfahrungen dafür sprechen, daß, wenn beide Gesetzentwürfe angenommen wer({13})
den, nichts geschieht, möchte ich doch diese Rede nicht ermöglichen, möchte keine Gelegenheit für sie offenlassen.
Ich bitte sehr dringend darum, daß an der Beratung auch der Wirtschaftspolitische Ausschuß beteiligt wird. Der Landwirtschaft kann überhaupt nur dann geholfen werden, wenn das erreicht wird, was bisher nicht erreicht worden ist, wenn nämlich die landwirtschaftlichen Anliegen im Zusammenhang mit allen wirtschaftspolitischen Fragen gesehen werden,
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wenn man, wie es heute von einem meiner Vorredner gefordert worden ist, der Landwirtschaft den richtigen Platz in der Volkswirtschaft zuerkennt, und zwar mit allem, was dazugehört. Nur dann wird die Landwirtschaft überhaupt zu ihrem Recht kommen. Das mag etwas schwieriger sein als die einfache Anwendung des Paritätsgesetzes, oder besser gesagt, des Paritätsgedankens. Ich glaube aber, daß wir es uns in diesem Hause nicht leichter machen dürfen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn das später noch einmal bei der Überweisung der Anträge an die Ausschüsse in aller Form festgestellt und auf die Verpflichtung hingewiesen würde, die sich daraus auch für die, sagen wir mal, Wirtschaftspolitiker im Gegensatz zu den Agrarpolitikern in diesem Hause ergibt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kunz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion des GB/BHE ist gerne bereit, daran mitzuarbeiten, daß die Volksernährung und insbesondere die Existenz unserer Landwirtschaft gesichert werden. Sie wird deshalb alle Maßnahmen unterstützen, die auf diesem Gebiet in diesem Hause vorgeschlagen werden, denn sie ist der Meinung, daß die Landwirtschaft ein bleibendes Fundament unserer Volkswirtschaft ist. Außerdem hat unser Bauerntum stets die Grundlage des Volkstums gebildet.
Dem GB/BHE gehört wahrscheinlich nur eine geringe Zahl von heute tatsächlich wirtschaftenden Bauern an, aber wir haben eine sehr große Zahl von Mitgliedern und Wählern, die einst, bevor man sie aus der Heimat vertrieben hat, zu der Gilde der Bauern mit Ar und Halm gehört haben. Sie sind jetzt Heimatlose, die nicht mehr die Möglichkeit haben, die Scholle zu bewirtschaften.
Die Fraktion ist der Meinung, daß der Antrag der Freien Demokraten mit der Forderung nach Angleichung des Index für landwirtschaftliche Erzeugnisse an den Index der gewerblichen Wirtschaft das Problem nicht lösen kann. Festlegungen dieses Index und der Handelsspannen in der Landwirtschaft müßten automatisch zu Forderungen des Mittelstandes und auch zu Forderungen der Arbeiterschaft führen. Die Lohnschraube würde in Bewegung geraten, und Sie wissen ja, wie stark immer die Volkswirtschaft leidet, wenn es zu derartigen Lohnkämpfen kommt. Wir haben das alles schon miterlebt, und wir kennen ja auch schon die Resultate.
Die im Antrag der FDP geforderte Herstellung der Parität bedeutet nichts anderes als eine Einkommensübertragung. Dieses System blockiert jedoch jede Konjunktursteuerung und den freien Wirtschaftsablauf. Parität bedeutet hier Einkommensparität. Das liegt aber nicht im Interesse der bäuerlichen Familienbetriebe, die unserer Meinung nach errichtet werden müssen, damit auch hier in Westdeutschland eine Gesundung der Landwirtschaft möglich wird.
Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE sieht in dem Antrag der CDU/CSU und der Deutschen Partei in Verbindung mit dem von unserem Herrn Bundesminister Dr. Lübke hier bereits vorgetragenen Agrarprogramm die bessere Lösung. Herr Bundesminister Lübke hat schon vor Monaten all das vorgetragen, was seiner Meinung nach notwendig ist, um sowohl die Agrarstruktur verbessern als auch die Kosten senken und intensiver wirtschaften zu können. Hinter diesen grundsätzlichen Erklärungen unseres Herrn Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten stehen wir. Es ist sicherlich notwendig, daß zunächst die Allgemeinbildung auf dem Lande gehoben wird und daß besonders die jungen Bauern auch die Möglichkeit bekommen, sich in den Fachschulen das Wissen anzueignen, das sie dann später als praktische Landwirte benötigen.
Eine der wichtigsten Fragen, die hier unserer Meinung nach zur Debatte stehen, ist die Flurbereinigung. Besonders in den ausgesprochenen Erbteilungsgebieten werden die Höfe immer und immer wieder zersplittert, und die entstehenden Zwergbetriebe können dann nicht mehr intensiv bewirtschaftet werden. Wir glauben, daß die Flurbereinigung das erste sein muß, was in Angriff genommen wird. Die heutigen rund 2 Millionen landwirtschaftlichen Betriebe haben eine Durchschnittsgröße von 6,8 ha. Das bedeutet, daß der Durchschnitt aller Betriebe unter der Ackernahrung liegt. Diese Betriebe unter der Ackernahrung sind ungesund und müssen irgendwie aufgestockt werden, damit sie ordnungsgemäß und intensiv bewirtschaftet werden können. Wir wissen weiter, daß es in vielen Gebieten der Bundesrepublik - ich denke besonders an die gottgesegnete Wetterau in Hessen - Höfe gibt, die in den Dörfern so ineinandergeschachtelt sind, daß sie einfach nicht ordnungsmäßig bewirtschaftet werden können. Hier ist eine Dorfauflockerung, also die Herausnahme dieser eingeengten Betriebe aus den Dörfern und ihre Verlegung dorthin, wo sie die Möglichkeit einer Entwicklung haben, vordringlich und notwendig. Besonders auch auf diesem Gebiete wollen wir alles unterstützen, was der Ermöglichung einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung dient.
Sicherlich - und darauf hat Herr Kollege Kriedemann schon hingewiesen - kosten diese Verbesserungen Geld. Es wird Sache unseres Herrn Bundesministers Dr. Lübke sein, den Kontakt mit unserem Herrn Bundesfinanzminister zu finden, damit für diese Zwecke auch Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Nur wenn hier die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung besteht, werden wir eine Gesundung der gesamten Landwirtschaft erreichen.
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- Ja, wenn Sie einen besseren Rat wissen, lieber Herr Kollege, dann bitte ich Sie, das doch hier auch zum Ausdruck zu bringen. Ich habe auch nichts anderes gehört als die Begründungen der beiden Anträge. Ich muß auch sagen, Herr Kollege Kriedemann hat mit dem Florett gefochten; aber auch er
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hat nicht gesagt, wie man es endlich besser machen soll.
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Es ist doch auch so: Wir haben ungefähr 14 Millionen ha landwirtschaftliche Nutzfläche. Auch Herr Bundesminister Dr. Lübke hat erklärt - der Herr Bundeskanzler sagte es schon in der Regierungserklärung -, daß von diesen 14 Millionen 7 Millionen umgelegt werden müssen, d. h. daß die Flurbereinigung vorgenommen werden muß. Wir haben schon davon gesprochen, wie lange es dauern würde, wenn nicht entsprechende Geldmittel zur Verfügung gestellt werden. Ich sage Ihnen aber nur das eine: Die ganze Flurbereinigung kann zu keinem Ziele führen, wenn nicht gleichzeitig auch das angekündigte Gesetz über eine Grundstücksverkehrsordnung herauskommt. Denn ansonsten wird weiter geteilt, wie es in den verschiedenen Gebieten üblich ist, und kaum werden wir mit diesem Programm fertig sein, muß die andere, zurückgebliebene Hälfte schon wieder neu umgelegt werden. Das gäbe also Umlegungen und Flurbereinigungen am laufenden Band, und ich glaube, daß sich auch unsere Volkswirtschaft das nicht leisten kann.
Meine Fraktion ist der Meinung, das Gesetz über die Grundstücksverkehrsordnung müßte vordringlich herausgebracht werden, damit endlich die ewige Teilerei aufhört, weil wir mit diesen Zwergbetrieben keine ordnungsmäßige Landwirtschaft betreiben können. Erst in den letzten Wochen kam ein Bürgermeister aus dem Kreis Eschwege zu mir. Dort ist im Jahre 1926 umgelegt, also die Flurbereinigung durchgeführt worden, und jetzt wollen sie es schon wieder tun. Ein Bauer aus dem Kreis Usingen sagte mir vor drei oder vier Tagen: Ich habe den Hof übernommen; wir haben in den 20er Jahren die Flurbereinigung durchgeführt, und ich habe heute bei 42 Morgen 87 Parzellen. Meine Damen und Herren, da ist es unmöglich, wirklich ordnungsgemäß zu wirtschaften.
Die im Antrag der Freien Demokraten geforderte Parität bedeutet aber nichts anderes als eine Einkommensübertragung. Von den 2 Millionen landwirtschaftlicher Betriebsinhaber Westdeutschlands sind 45 % zwischen 60 und 70 Jahre alt, 10 % über 70 Jahre. 10 %aller Betriebsinhaber sind Frauen, davon über ein Fünftel über 65 Jahre. Ich bin mir dessen bewußt, daß dieses Zahlenbild eine Folge des Krieges ist und daß wahrscheinlich in diesen Betrieben die Söhne gefallen sind oder, wenn heute Frauen allein wirtschaften müssen, daß die Männer draußen im Krieg geblieben sind. Aber immerhin ist uns doch bekannt, daß die einzelnen Betriebsführer in diesem Alter nicht mehr in der Lage sind, den Betrieb so zu bewirtschaften und auch die notwendige Arbeit zu leisten, wie es erforderlich wäre.
Ich hätte namens meiner Fraktion eine Bitte auszusprechen, und zwar an die Vertreter der Bauernverbände, die hier im Hause anwesend sind. Wir haben noch ungefähr 160 000 bäuerliche Familien, die aus dem Osten vertrieben worden sind und die noch siedlungswillig sind. Ich bitte Sie: Helfen Sie mit, damit wir zumindest eine größere Anzahl von diesen 160 000 bäuerlichen Familien wieder zur Scholle bringen; denn letzten Endes, wenn tatsächlich einmal wieder die Ostprovinzen zu Deutschland zurückkommen sollten, wird es sehr, sehr wichtig sein, daß zumindest ein Teil
dieses ostdeutschen Bauerntums noch besteht. Ich bin der Meinung, es ist möglich, wenn diese Aktion nicht nur von seiten der Regierung und der Behörden, sondern in erster Linie auch von seiten 'der Vertreter des Bauerntums, also von den Bauernverbänden, unterstützt wird.
Ich sagte ,schon, daß die Dorfauflockerung notwendig ist, um ordnungsgemäß wirtschaften zu können. Ich möchte hier auch an die Vertreter des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Bitte richten, insbesondere diese Maßnahme, die ja in erster Linie der einheimischen Bauernschaft, aber selbstverständlich auch der gesamten Landwirtschaft dient, entsprechend verstärkt fortzusetzen.
Es ist richtig, daß Maßnahmen im Blick auf die Integrationsentwicklung in Europa rechtzeitig vorgenommen werden müssen. Eine Eingliederung der Landwirtschaft in die Wettbewerbsordnung ist im Hinblick auf diese Integrationsentwicklung in Europa unerläßlich. Festpreise, Richtpreise, feste Handelsspannen usw. dürfen nur dort Anwendung finden, wo es unbedingt notwendig ist. Integrationspolitik erfordert Anpassung der deutschen Landwirtschaft an die europäische Wettbewerbsordnung. Ich bin überzeugt, daß der eine oder andere von uns, wenn er hört, was sich auf dem Sektor Integration tut, sehr 'enttäuscht sein wird. Aber dessen ungeachtet dürfen wir diese Zielsetzung nicht außer acht lassen. Wir müssen trachten, daß unsere Landwirtschaft, wenn es einmal dazu kommen sollte, auch in diesem Augenblick konkurrenzfähig ist.
Wir wissen -und das anerkennt die Fraktion des Geamtdeutchen Blocks/BHE -, daß die deutsche Landwirtschaft ihre Pflicht erfüllt hat. Sie hat die Produktion wesentlich erhöht und dazu beigetragen, daß nicht mehr so viel an Nahrungsgütern eingeführt werden muß, wie es noch vor vier oder fünf Jahren der Fall gewesen ist. Die Landwirtschaft soll das Bewußtsein bekommen, daß sie nicht allein steht, sondern daß auch in diesem Hause der gute Wille vorhanden ist, alle Maßnahmen zu treffen, damit ihre Existenz in der Zukunft gesichert wird.
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Bevor ich das Wort weiter .erteile, möchte ich die Damen und Herren nur auf unsere Verhandlungssituation aufmerksam machen. Wir haben heute 14 Punkte auf der Tagesordnung stehen. Wir sind eben erst beim vierten Punkt, und zu diesem Punkt habe ich vorläufig noch fünf Wortmeldungen vor mir liegen. Ich darf also die Bitte aussprechen, daß die nachfolgenden Damen und Herren ihre Ausführungen etwas straffen, damit wir heute nicht schon wieder bloß vier Punkte von 14 erledigen.
Das Wort hat Herr Fassbender.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mir Mühe geben, meine Ausführungen so kurz wie möglich zu halten, was mich allerdings nicht abhalten wird, .auf das einzugehen, was notgedrungen bei der heutigen Grundsatzdebatte, bei der Debatte über ein landwirtschaftliches Grundgesetz - denn ein solches ist es - gesagt werden muß.
Ich bedauere außerordentlich, daß eine sonst von mir hochgeschätzte Zeitung, deren Wirtschaftsteil einer der besten ist, es sich nicht hat verkneifen
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können, es in ihrer heutigen Ausgabe so darzustellen, als wenn diese Anträge, ganz gleich ob es die unsrigen oder die der CDU sind, praktisch Wahlmanöver seien. Ich bedauere außerordentlich, daß diese Presse anscheinend noch nicht begriffen hat, daß es sich wirklich um ein Notproblem allergrößten Ausmaßes handelt.
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- Nun, es ist die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", damit Sie es wissen. Herr Kollege Kriedemann hat hier ähnliche Ausdrücke gebraucht. Nun, ich kenne meinen Freund Kriedemann von der anderen Fakultät lange genug, um zu wissen, daß er immer wieder derartige Extratouren reitet.
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Ich werde mich sehr freuen, Herr Kriedemann, wenn Sie eines Tages einmal die Verantwortung für das deutsche Landvolk zu übernehmen haben sollten. Weniger erfreut würde allerdings, davon bin ich überzeugt, das deutsche Landvolk sein.
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Um aber nun auf die grundsätzlichen Dinge einzugehen: Ich glaube, unser Paritätsgesetzentwurf ist mehr als maßvoll zu nennen. Wir haben ja nicht einmal die wirklichen Zahlen gebracht, d. h. die Zahlen, die man einander gegenüberstellen müßte, wenn man hinsichtlich der Bezahlung ländlicher Arbeit den Dingen wirklich auf den Grund kommen wollte, nämlich die Zahlen von 1913. 1938, meine sehr verehrten Anwesenden, war es schon kein Zahlenspiel mehr, das den Gang der Dinge ohne Subventionierung klarstellte. Im Jahre 1938, unter dem nationalsozialistischen Regime, hatten wir durch Einsatz von Landarbeitsdienst und dergleichen schon eine versteckte Subventionierung der landwirtschaftlichen Arbeit.
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Aber es wird Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, doch einmal interessieren, weil immer wieder, leider Gottes auch in den Ausführungen des Herrn Ministers, von Preissteigerungen gesprochen wird, wie die Dinge denn im Jahre 1913 ausgesehen haben. Ich habe mich der Mühe unterzogen, einmal die Preise für einzelne agrarische Produkte hier anzuziehen. Ich darf Ihnen sagen, daß im Jahre 1913 das Kilo deutscher Butter bereits 2,80 Mark im Durchschnitt kostete, der Milchpreis in allen deutschen Großstädten zwischen 20 und 22 Pfennig je Liter schwankte und die Eier im Jahresdurchschnitt 8 bis 9 Pfennig kosteten. Stellen Sie dem vergleichsweise einmal die heutigen Preise gegenüber respektive die Kaufkraft - denn schließlich lebt der Kleinbauer ja von dem Verkauf der Produkte seiner Hände Arbeit -, dann werden Sie nicht mehr davon sprechen, daß jetzt eine Umschichtung des Einkommens stattfinde. Diese Umschichtung hat seit 1913 laufend stattgefunden, und zwar nicht auf Kosten der Verbraucher, sondern auf Kosten der landwirtschaftlichen Erzeuger.
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Das einmal mit aller Deutlichkeit herauszustellen, erscheint mir notwendig, um eine Grundlage zu finden, wie man dieses - ich bin mir völlig klar darüber - außerordentlich schwierige Problem meistern kann.
Wir haben heute eine Landflucht. Das ist eine Tatsache, die kein Mensch wird bestreiten können.
Welches sind denn die Gründe dieser Landflucht? Ich bin nicht der Meinung, daß sie rein materieller Natur sind. Nicht wegzudiskutieren dürfte aber doch wohl sein: die Landflucht ist in erster Linie dadurch verursacht, daß die an und für sich besonders schwere Arbeit - denn Landarbeit ist schwerste Arbeit - nicht so bezahlt wird, wie man erwarten dürfte.
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Das trifft für alle Sparten der ländliche Arbeit verrichtenden Bevölkerung zu.
Bei dieser Gelegenheit ist es notwendig, auch einmal auf die Überbelastung gerade unserer bäuerlichen Bevölkerung mit Arbeit einzugehen. Ich kenne die Zahlen nicht genau, sie schwanken je nach der Quelle. Fest steht, daß weit über eine halbe Million landwirtschaftlicher Arbeitskräfte seit der Währungsreform abgewandert ist. Ja, warum sind die denn abgewandert? Doch nicht etwa deshalb, weil die deutsche Scholle keine Arbeit für die Leute hätte, sondern einzig und allein deshalb, weil ein großer Teil gerade unseres Klein- und Mittelbauerntums einfach nicht mehr in der Lage ist, bei der jetzigen Preisrelation Arbeitskräfte so zu bezahlen, daß diese Bezahlung dem Lohne eines Industriearbeiters annähernd gleichkäme!
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Man muß doch das Problem in seinen Ursachen anpacken, wenn man es lösen will.
Wenn ich z. B. lese, daß die Forschungsgesellschaft für Agrarpolitik und Agrarsoziologie durch ihre Untersucher, die nicht nur einfach einmal hingeguckt haben, sondern die ein Jahr lang in diesen bäuerlichen Betrieben tätig waren, feststellt, daß auf einem Hof in Süddeutschland eine Bäuerin jährlich 4239 Arbeitsstunden leistet, während der Bauer selber etwa 400 Stunden weniger leistet, dann ist doch die Frage mehr als berechtigt: Ist denn die Preispolitik wirklich richtig, die unsere bäuerliche Bevölkerung zwingt, 50 % mehr Arbeit zu leisten, um existenzfähig zu bleiben, oder sind hier Krankheitsherde vorhanden? Ich glaube, es wird notwendig sein, sich in den Ausschüssen über diese Dinge einmal mit aller Deutlichkeit zu unterhalten.
Wenn es hier dann weiter heißt - auch das ist interessant -, daß die Zahl der Fehlgeburten in der bäuerlichen Bevölkerung prozentual viel höher liegt als in der übrigen deutschen Bevölkerung, und wenn dann noch ausgeführt wird, daß die Kleinbauernkinder den Schulbesuch als Erholung betrachten, dann, glaube ich, hat auch hier der Herr Minister Wuermeling als Familienminister eine Aufgabe zu erfüllen.
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Es geht uns darum, daß auch das bäuerliche Kind froh großwerden kann und nicht gezwungen ist, vom 10. oder 11. Lebensjahr an schon mit körperlicher Arbeit seinen Lebensunterhalt praktisch selbst zu verdienen.
Wenn man durch das Dorf kommt - und Herr Kriedemann kommt ja auch durch das Dorf -, dann sieht man auf der einen Seite die Bäuerin, die durch ihre Arbeit mit 40 Jahren meist schon verbraucht ist, und sieht auf der anderen Seite, daß in demselben Dorf durch eine völlig verfehlte Sozialpolitik junge deutsche kräftige Staatsbürger ein Rentnerdasein führen. Da stehe ich allerdings
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auf dem Standpunkt, daß eine Sozialpolitik, die derartiges zuläßt, falsch ist.
Was werden die Folgen einer solchen Entwicklung sein? Ich befürchte - mehr, als mir lieb ist -, daß auf die Dauer, wenn wir hier nicht eingreifen und durchgreifen, auf dem platten Lande eine politische Radikalisierung nicht zu verhindern sein wird. Ich glaube, alle in diesem Hause sind sich wohl darüber klar, daß wir eine politische Radikalisierung in Deutschland unter gar keinen Umständen brauchen können. Gewiß wäre vielleicht durch eine Änderung der gesamten Struktur der westdeutschen Landwirtschaft hier und da Erleichterung zu schaffen. Aber können wir uns denn aus nationalpolitischen Gründen überhaupt erlauben, auch nur einen einzigen kleinen oder mittleren Bauer von der Scholle weggehen zu lassen?
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Steht denn vor uns Deutschen nicht die große nationalpolitische Aufgabe, hoffentlich in absehbarer Zukunft den deutschen Osten wieder mit deutschen Menschen zu besiedeln? Wenn wir dann keine bäuerlichen Elemente mehr haben, dann mag der Zeitpunkt viel näher liegen, als wir glauben, wo einmal wieder die schwarz-rot-goldenen Grenzpfähle jenseits von Ostpreußen stehen, aber in dem Raum jenseits der Elbe nicht deutsche Bauern, sondern slawische die Furchen ziehen - ein Zustand, der demjenigen, der diesen Raum als deutsch betrachtet, doch weiß Gott bitter aufstoßen wird.
Wenn man jetzt auf die Unterschiede zwischen dem CDU-Entwurf und unserem Entwurf eingeht, so glauben wir, daß der Entwurf, der die Preisparität verfolgt, am schnellsten wirksam werden kann. Darin gehen wir mit Ihnen einig, Herr Kollege Kriedemann, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Man weiß das bei Ihrer orakelhaften Sprache nicht immer!
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- Das ist sehr nett; ich würde mich freuen, wenn Sie da Wort halten würden.
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- Nun regen Sie sich doch nicht auf, meine Herren von der Linken! Sie sind doch sonst so friedliche Menschen; warum jetzt auf einmal so wild? Wild, weil wir endlich einmal das Problem unserer bäuerlichen Bevölkerung mit allem Ernst anpacken wollen! Denn hier nützt kein Maulspitzen mehr, Herr Kollege Kriedemann, hier muß auch preispolitisch einmal gepfiffen werden.
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Wir sind der Meinung, daß wir uns ja auch bei der Durchsetzung der Preisparität in weiß Gott guter Gesellschaft befinden. Denn der Herr Bundeskanzler - und das ist doch wohl gute Gesellschaft, meine sehr geehrten Damen und Herren - hat in Rhöndorf eindeutig erklärt, daß die Preisparität zwischen landwirtschaftlicher Arbeit und der Arbeit der gewerblichen Wirtschaft vordringlich hergestellt werden muß. Ich hoffe, daß Sie, meine Herren von der CDU - mit Ihnen rechne ich nicht mehr, Herr Kollege Kriedemann -, sich dazu entschließen werden, unseren Anträgen im Ausschuß den notwendigen Ernst entgegenzubringen, und ich hoffe darüber hinaus - auch das sage ich mit
tiefem Ernst -, dieses landwirtschaftliche Grundgesetz möge dazu dienen, daß das deutsche Landvolk in Zukunft bei fleißiger Arbeit auch weiterhin seine Ernährung und sein Auskommen findet.
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Das Wort hat der Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kriedemann hat in der Diskussion die beiden Vorlagen nicht sehr schön behandelt. Wesentlich schlechter weggekommen ist allerdings noch unsere Bundesregierung. Als Gegenleistung, möchte ich sagen, ist allerdings die deutsche Landwirtschaft, sind unsere deutschen Bauern gut behandelt worden. Herr Kollege Kriedemann, Sie haben sich bei Ihrer zweiten Behauptung sogar soweit hinreißen lassen, zu sagen, daß man von einem Nichtvorhandensein einer Agrarpolitik sprechen müsse.
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Sie haben dann als Gegenstück auf einige Anträge hingewiesen, die Sie nach Verabschiedung der Vorlage im Haushaltsausschuß hier noch als Zusatzanträge für die Landwirtschaft, für die Bauern gestellt haben. Nun, im Rahmen der auf ein paar Milliarden sich belaufenden Beträge war die Landwirtschaft eigentlich noch verhältnismäßig schlecht behandelt, Herr Kriedemann. Aber wir wissen ja alle, was bei abgeschlossener Arbeit in den Ausschüssen derartige Anträge wert sind, und die Herkunft ist deshalb bei der parlamentarischen Behandlung auch sehr einseitig.
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Wenn Sie in diesem Hause nun davon sprechen, von einer Agrarpolitik könne nicht die Rede sein, so wäre es sehr gut, wenn Sie noch einmal die alten Protokolle zur Hand nähmen, angefangen beim Wirtschaftsrat und fortfahrend beim ersten Bundestag, und sich dann vor allen Dingen auch einmal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen beschäftigten, die im Außenhandelsausschuß oder die in einer Zolldebatte zu den Fragen der deutschen Landwirtschaft Stellung genommen haben. Ich glaube, dann wird der Unterschied klar zwischen einer Wirtschaftspolitik, so wie sie von der Regierungskoalition begonnen wurde und heute fortgeführt wird, und der Kritik, wie sie von der Opposition, das gebe ich zu, manchmal sehr leicht geübt werden kann.
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- Aber, Herr Kollege Kriedemann, vom Frankfurter Wirtschaftsrat her haben Minister der CDU für die Ernährung, für die Agrarpolitik, für die Wirtschaftspolitik und für die Finanzpolitik unserer jungen Bundesrepublik geradegestanden,
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und ich muß Ihnen sagen, wenn Sie auch begeistert
feststellen, daß von unserer Seite her heute Mängel
oder Lücken aufgezeigt werden: die CDU/CSU({4})
Fraktion hindert nichts daran, den 1947/48 für das deutsche Volk beschrittenen Weg mit derselben Konsequenz weiterzugehen, wie wir ihn begonnen haben.
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Wenn die deutsche Landwirtschaft in einzelnen Fragen manche Entscheidungen nicht ohne weiteres verstanden hat, hinter die wir als Koalition und insbesondere wir als große Partei geschlossen getreten sind,
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dann haben wir Bauern es immer noch wieder verstanden, unseren Leuten über das Bauernschicksal hinaus des Volkes Schicksal aufzuzeigen.
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Wie sollten die Arbeitsplätze geschaffen werden, wie sollte das soziale Elend überwunden werden, wenn wir nicht vorweg da eingriffen, wo die größten Chancen gegeben waren, um den Menschen Arbeit zu geben?
Erst in dem Punkte nähern wir uns, wenn Sie die Frage stellen: Wie ist denn heute die Lage, und was ist heute zu machen? Da finden Sie auch den Grund für die beiden Gesetzentwürfe. Im Rahmen der von uns vertretenen - und ich darf hinzufügen: mit Erfolg vertretenen - Wirtschaftspolitik wollen wir jetzt das vom Kanzler und von unserer Regierung Erreichte verstärkt auch unter agrarpolitischen Gesichtspunkten vorantreiben. Aber nichts darf uns in diesem Zusammenhang - das wollen wir nicht den Wählern schlechthin, sondern das wollen wir insbesondere unseren Bauern sagen - aus der Gesamtverantwortung herauslassen; denn wir haben hier nicht nur Stände, nicht nur die Wirtschaft schlechthin, sondern das Schicksal einer jungen Bundesrepublik zu verteidigen, die nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allen Dingen politisch noch dauernd in Bedrängnis steht.
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In dem Zusammenhang mögen hier im einzelnen gewisse Differenzen oder Unterschiede in der Diskussion zum Vorschein kammen. Wir - und ich darf hinzufügen: nicht nur die CDU/CSU als solche, sondern auch die in dieser großen Partei verantwortlichen Männer, die von Bauern gewählt und herausgestellt sind - sind uns dessen bewußt, daß mit falschen Propheten heute nichts zu machen ist,
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daß es sehr leicht ist, unser Volk oder einen einzelnen Stand in bedrängter Lage, wenn man so will, auf die Barrikaden zu bringen. Solche Überlegungen müssen, wenn im Hintergrund gar parteipolitische oder andere, sehr deutlich erkennbare Interessen eine Rolle spielen, mit aller Energie bekämpft werden, und wenn wir hier unsere Regierung stützen,
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wenn wir der Auffassung sind, daß der beschrittene Weg richtig ist, dann meinen wir, daß auf diesem Wege für unser Landvolk ein weiterer Fortschritt und vor allen Dingen auch eine Angleichung gebracht werden kann und soll.
Unsere Minister und nicht zuletzt auch unser Wirtschaftsminister haben in diesem Zusammenhang sehr oft darauf verwiesen, daß Unternehmergeist und Arbeiterfleiß letzten Endes mit die entscheidenden Faktoren waren, die die von uns verteidigte Politik zum Erfolg gebracht haben. Ich glaube, es ist notwendig, daran zu erinnern, daß trotz aller Diskussionen um die Vierzigstundenwoche und die soziale Gesetzgebung schlechthin im Zeichen des gewaltigen Fortschritts, den unsere Wirtschaftspolitik gebracht hat, der deutsche Bauer, die Bauersfrau und alle in der Landwirtschaft Beschäftigten über den Achtstundentag hinaus immer noch zehn und zwölf Stunden am Tage arbeiten.
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Es muß daran erinnert werden, daß dieser lange Arbeitstag auch an Schwere nichts vermissen läßt. Es muß gesagt werden, daß zahlreiche Bauernfamilien auf Kosten ihres Lebensstandards versuchen, ihre Landwirtschaft und damit ihre Existenz zu verteidigen. Wir müssen weiter herausstellen, daß auch solche Betriebe, die arrondiert sind und unter glücklichen Verhältnissen arbeiten, trotz aller Mühen von Jahr zu Jahr weiter verschulden. Das sind Tatsachen, an denen weder eine verantwortungsbewußte Agrarpolitik noch eine verantwortungsbewußte Gesamtwirtschaftspolitik vorbeigehen kann.
Wenn hier und da die Dinge kritisch behandelt werden - es ist von den Erörterungen in der Presse die Rede gewesen -, so bedauern wir das nicht. Das ist notwendig. Wir bedauern nur, daß man hier und da versucht, in diese Notizen und Veröffentlichungen die Tendenz hineinzubringen, daß in der deutschen Landwirtschaft Rückständigkeit vorherrsche, um nicht noch andere Worte zu gebrauchen. Hier wie auf anderen Gebieten haben wir es angesichts unserer Leistungen nicht schwer, uns zu verteidigen. Wir dürfen darauf verweisen, daß nach amtlichen, nicht von uns ermittelten Zahlen die Produktionsleistung der deutschen Landwirtschaft um nahezu 20% über der Vorkriegsleistung liegt. Es kann also nicht daran liegen, daß die Landwirtschaft aus sich heraus nicht genug Werte schafft. Der größte Kritiker wird bezeugen: es liegt bestimmt nicht daran, daß die Landwirtschaft nicht denselben Fleiß, dieselben Energien aufbringt, die wir schlechthin Gott sei Dank in allen Ständen und Schichten unseres Volkes zu verzeichnen haben. Aber die zunehmenden Schulden, die für die Landwirtschaft nicht tragbare Zinsbelastung, der in unseren bäuerlichen Betrieben nicht mehr zu vertretende Lebensstandard, das alles sind Tatsachen, und an diesen Tatsachen wollen wir nicht vorbeigehen.
Ist es ein Anliegen der Landwirtschaft schlechthin? Ich meine: nein. Sehen Sie sich im Zuge unseres Wiederaufbaus unsere Dörfer in rein landwirtschaftlichen Gegenden oder, wenn Sie so wollen, in Agrarländern wie Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern an. Sie wachsen nicht. Man sieht hier zu wenig von Neubauten. Wohl sind die ersten Fortschritte im Landarbeiterwohnungsbau zu verzeichnen, aber darüber hinaus ist unser ländliches Handwerk in der ganz großen Gefahr, in der Heimat, in seinem Dorf nichts zu tun zu haben. Der Sog des Industriegebietes geht auch in diesen Berufen bis in unsere engere Heimat hinein. Wir meinen, daß hier der Landwirtschaft das nötige Geld gegeben werden muß, um nicht nur schlechthin zu investieren, sondern um Gebäude, Maschinenparks und alle diese Dinge so in
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Ordnung zu bringen, wie das unter den nicht nur in Deutschland, sondern auch im übrigen westeuropäischen Raum gegebenen Möglichkeiten nun einmal als zweckmäßig und allgemein richtig anerkannt ist. Die Meinung der Landwirtschaft - darüber möchte ich keinen Zweifel lassen - ist, daß das von unserem Bundesminister Lübke vertretene Programm für alle jene Betriebe, die nicht in der glücklichen Lage sind, aus einem geschlossenen Gelände heraus mit den dazu passenden Gebäuden ihren Betrieb voranzubringen, eine gewaltige Hilfe bringen wird.
Herr Kollege Kriedemann, wenn in diesem Jahr 50 Millionen DM für Flurbereinigung im Bundeshaushalt sind und im vergangenen Jahr es nur 1 Million DM war, dann ist das doch ein Fortschritt! Wenn in diesem Jahr 16 Millionen DM als erster Anfang für die Zinsverbilligung für notwendige Kredite eingesetzt sind und dadurch die Zinsen für manche Gebiete auf 4% oder 5% heruntergeschleust werden, dann ist das konstruktive Agrarpolitik!
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Wenn bei den wasserwirtschaftlichen Aufgaben ein erster Anfang mit 15 Millionen DM gemacht wird, dann sind das neue konstruktive Wege!
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- Wären wir Ihren Parolen vor fünf Jahren gefolgt, dann wäre auch dieses Tröpflein auf die heißen Steine nicht gefallen, sondern dann wäre die deutsche Wirtschaft, dann wäre das deutsche Volk mit all Ihren Plänen, die Sie uns in Frankfurt und während der ersten Legislaturperiode hier serviert haben, einen ganz anderen, aber leider schlechteren Weg gegangen!
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- Dadurch, daß Sie lauter schreien, nimmt die Beweiskraft nicht zu!
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Wir lassen uns in diesen Dingen aber auch nicht etwa auf einen Weg abdrängen, der es dann ermöglicht, es so darzustellen, als sei auf einmal die SPD die Partei, die unserer Landwirtschaft helfen könnte. Die kann es ebensowenig
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wie die von Ihnen vorhin zitierten Propheten, die hier etwas zusagen und in Aussicht stellen, was nie in Erfüllung gehen kann.
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- Na ja, an Intelligenz fehlt es bei Ihnen bestimmt nicht. Aber der deutsche Wähler hat nun mal entschieden, daß wir bestimmen, was zu machen ist, und Sie können dabei mitarbeiten.
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Die Regierungskoalition und die, die hinter diesen beiden Gesetzentwürfen stehen, werden gern die Verantwortung nicht nur für das übernehmen, was in diesen Gesetzen, sondern auch für das, was
hinterher zugunsten der deutschen Landwirtschaft niedergelegt wird.
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Ich bin der Meinung, daß, wenn hier von Unkostensenkung und Preisen, von diesen beiden Polen die Rede war, dieses Gesetz auf dem Unkostensektor beispielsweise auf dem Gebiet der Investition völlig neue Wege aufzeigen kann. Wir haben ein Investitionsgesetz geschaffen, wir haben ein Ausfuhrförderungsgesetz gemacht, - warum sollen wir nicht auch einmal ein Gesetz machen, um der Landwirtschaft, um den Frauen in der Hauswirtschaft die Geräte zu Bedingungen und zu Preisen zu liefern, die den landwirtschaftlichen Rentabilitätsverhältnissen und den landwirtschaftlichen Liquiditätsverhältnissen angepaßt sind? Das ist konstruktive Politik, und mit diesen Vorschlägen werden wir kommen. Und Sie werden sich, der Meinung bin ich, freuen, wenn Sie daran wieder mitarbeiten können.
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- Ja, die „grünen Männer"; ich weiß, daß Sie es sehr schwer haben, gegen diese „grünen Männer" anzukommen. Aber diese grünen Männer gehen ihren Weg, und die deutsche Landwirtschaft, Herr Kriedemann, - ({22})
- Ja, sie muß es bezahlen, aber sie geht nicht auf die vagen Versprechungen ein, die Sie ins Land streuen. Die deutsche Landwirtschaft weiß, daß es keine Patentlösung, daß es kein einfaches Rezept gibt, um diese Dinge zu beseitigen.
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Aber eines steht fest. Unsere CDU/CSU-Fraktion hat sich in ihren langen Beratungen geschlossen hinter den von dem Kollegen Lücker vertretenen Gesetzentwurf gestellt. Die CDU/CSU weiß, daß es nicht mit der bloßen Verabschiedung eines Gesetzes getan ist, sondern daß sie der deutschen Landwirtschaft in dieser Frage stets zur Seite stehen muß. Sie kennt ihre Pflichten gegenüber bäuerlichem Fleiß, gegenüber unseren bäuerlichen Familien, und das soll uns genug Anregung geben, auch dieses Gesetz mit Erfolg über die parlamentarische Bühne zu bringen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dannemann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen 'und Herren! Heute steht ein Problem an, das für die gesamte Wirtschaft, ich darf wohl sagen, für die gesamte Volkswirtschaft von entscheidender Bedeutung ist. Bei den vorliegenden Paritätsgesetzentwürfen wird :sich zeigen, ob es der Regierung und ,den politischen Parteien ernst ist mit den vielfach auch in diesem Hause gegebenen Versprechungen und mit der Bekundung des Willens zur Stärkung und Erhaltung eines gesunden Bauerntums oder ob es platonische Erklärungen waren, die angesichts kommender Wahlen gegeben worden sind. Diesmal kommt es hier im Hause zum Schwur.
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Niemand wird ernsthaft die Sonderstellung der deutschen Landwirtschaft oder gar ihre schwierige Lage bestreiten. Sie ist so offensichtlich, daß uns schon seit Jahren in zunehmendem Maße die Menschen vom Lande weggelaufen sind, weil es sich einfach nicht mehr lohnte.
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Die Disparität in der Frage der Entlohnung für alle in der Landwirtschaft tätigen Personen und das Mißverhältnis der landwirtschaftlichen Preise zu den Preisen der übrigen Wirtschaft gehen aus allen diesbezüglichen Veröffentlichungen so klar hervor, daß es darüber in diesem Haus wohl keine Meinungsverschiedenheiten geben wird.
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Tatsache ist, daß noch heute - das hat mein Kollege Mauk bereits zum Ausdruck gebracht - trotz der Marktgesetze, trotz sozialer Marktwirtschaft ein großer Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Getreide, Zuckerrüben und Milch preispolitisch gebunden sind. Wir wissen, daß das nicht weniger ,als 45 % aller Einnahmen der Landwirtschaft ausmacht. Tatsache ist auch, daß trotz fortschreitender Mechanisierung und Technisierung auf allen Gebieten der Landwirtschaft Erfolge nicht erzielt werden konnten, weil dafür die Voraussetzungen nicht gegeben waren. Das hat mit Rückständigkeit, Nicht-Wollen oder Nicht-Können gar nichts zu tun; das ist einfach durch die Eigenart dieses Wirtschaftszweiges bedingt gewesen, der durch Boden und Klima bestimmt wird. Es ist ferner bedingt gewesen durch das Vorherrschen der großen Zahl kleiner und mittlerer bäuerlicher Betriebe.
In der Leistung kann sich weiß Gott die deutsche Landwirtschaft mit den Leistungen der übrigen Landwirtschaften in Europa messen. Sie steht heute mit der Flächenleistung bereits wieder an dritter Stelle in Europa. Sie braucht sich aber auch nicht ihrer Arbeitsproduktivität zu schämen, denn diese beträgt heute je Arbeitskraft, verglichen mit dem Jahr 1936, in der Landwirtschaft 128, in der Industrie 106 und bei Kohle und Bergbau 70. Insofern braucht sich also unsere deutsche Landwirtschaft wirklich nicht zu verkriechen.
Aber was nützt das alles, wenn trotz all dieser Anstrengungen die Disparität von Jahr zu Jahr größer geworden ist und eine Verschuldung Platz gegriffen hat, die im letzten Jahr nicht, wie Herr Kollege Lücker sagte, 500 bis 700 Millionen DM betragen, sondern zusätzlich fast die Eine-Milliarde-Grenze erreicht hat. Einer solchen Entwicklung kann keine Regierung und kann kein verantwortungsbewußtes Parlament tatenlos zusehen. Die soziale Frage liegt heute auch schon lange nicht mehr beim Industriearbeiter, sondern sie ist längst verlagert. Man braucht sich nur einmal, den Lebensstandard einer kleinbäuerlichen Familie oder eines Siedlers auf Moorboden anzusehen, oder man braucht sich nur einmal die stark einseitigen Grünlandbezirke der Marsch anzusehen, die fast ausschließlich auf die Einnahmen aus dem Verkauf von Veredelungsprodukten, Rindvieh- und Milcherzeugnissen angewiesen sind, um festzustellen, daß 'hier seit Jahrzehnten, insbesondere aber in den letzten Jahren ein offensichtlicher Rückgang zu verzeichnen ist und einst fruchtbare Gebiete zunehmend zu Notstandsgebieten werden. Mit
kleinlichen Pflästerchen, wie wir das in der Vergangenheit gemacht haben, ist hier nun einmal nicht mehr zu helfen, sondern hier muß grundsätzlich entschieden werden, ob wir einer solchen Entwicklung weiter tatenlos zusehen wollen oder ob das Parlament :gewillt ist, der deutschen Landwirtschaft wirklich zu helfen.
Daher unser ein Grundgesetz für die Landwirtschaft darstellender Gesetzentwurf, der im übrigen nichts Außergewähnliches bringt. Sie haben bereits aus den Ausführungen meiner Vorredner gehört, daß in Amerika und in anderen Staaten seit Jahren ein solches Gesetz besteht. Wenn wir uns einmal einen Einblick in die Etats anderer Staaten verschaffen, meinetwegen in den Haushaltsplan der Vereinigten Staaten, eines Landes, in dem die Landwirtschaft zu etwa 7,2 % an der Gesamtproduktion beteiligt ist, dann stellen wir fest, daß in diesem Lande 10 % des gesamten Haushalts für die Förderung der Landwirtschaft eingesetzt sind. In der Bundesrepublik, wo die Landwirtschaft immerhin noch mit 12,5 % an der jährlichen Gesamtproduktion beteiligt ist, stehen nur 2 5 an Aufwendungen für die Landwirtschaft im Haushalt. Darüber hinaus haben andere Länder, so die USA, Großbritannien, die Schweiz und Schweden, schon längst ein solches Paritätsgesetz. Wer sich etwas mit den Dingen beschäftigt hat, wird zugeben müssen, daß das nicht rein theoretische Berechnungen oder Verordnungen sind, sondern daß man mit derartigen Gesetzen wirklich etwas anfangen kann.
Bei uns stellt die Produktion der Landwirtschaft einen Wert von 15,8 Milliarden DM dar. Eben hat ein Vorredner gesagt, daß Kohle und Eisen insgesamt einen Produktionswert von 14,8 Milliarden DM aufzuweisen haben. In der Öffentlichkeit ist jeder davon überzeugt, daß für Kohle und Eisen parlamentarisch alles geschehen muß, und es ist auch von Staats wegen in der Vergangenheit das Bestmögliche geschehen. Wenn aber in der breiten Öffentlichkeit von der Wirtschaft gesprochen wird, denkt man an die Landwirtschaft schlechthin schon gar nicht mehr. Sie wird schon gar nicht mehr zur Wirtschaft gerechnet. Schon in dieser Optik zeigt sich die verschiedenartige Wertung der deutschen Landarbeit gegenüber der Arbeit in den übrigen Wirtschaftszweigen. Man kennt die deutsche Landwirtschaft nur in Krisenzeiten, wenn das deutsche Volk satt gemacht werden muß; sonst aber sieht man in der Landwirtschaft nur einen lästigen Beruf, der immer dann seine Stimme erhebt und unangenehm wird, wenn seitens der Regierung eine ihm nicht genehme Wirtschaftspolitik betrieben wird, die, wie es in der Vergangenheit ganz offensichtlich gewesen ist, den Schwerpunkt einseitig auf den Export von Industrieerzeugnissen legt und auf der andern Seite der Landwirtschaft bei zwangsläufiger Einführung von Nahrungsmitteln nicht den notwendigen Schutz angedeihen läßt. Man vergißt dabei allerdings, daß die deutsche Landwirtschaft auf dem gewerblichen Sektor immerhin noch für 8 Milliarden DM Waren gekauft hat.
Wir von der FDP sind keineswegs so vermessen, anzunehmen oder zu verlangen, daß vom Parlament ein Gesetz verabschiedet werden soll, das nur auf die Landwirtschaft zugeschnitten ist. Wir wissen ganz genau, daß die Landwirtschaft nur ein Teil der Gesamtwirtschaft ist und daß die Probleme der Landwirtschaft nur im Rahmen der Probleme der Gesamtwirtschaft gesehen werden können. Wir
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haben aber kein Verständnis dafür, daß der deutschen Landwirtschaft nicht dasselbe Lebensrecht zugestanden wird, das man den übrigen Zweigen der Wirtschaft auch in den letzten Jahren als ganz selbstverständlich zugestanden hat. Wir haben vor allen Dingen kein Verständnis dafür, daß die in der Landwirtschaft tätigen Personen bei allem Fleiß und aller Tüchtigkeit schlechter bezahlt werden sollen als die übrigen Gruppen, wo die gute Bezahlung als selbstverständlich angesehen wird.
Wir sind uns klar darüber, daß das von uns vorgelegte Gesetz nur ein Grundgesetz ist und daß ihm andere Gesetze folgen müssen. Wir wünschen aber, daß etwas geschieht, und zwar sofort und nicht erst in ein oder zwei Jahren. Es ist uns auch nicht damit gedient, daß nach einem Agrarprogramm vielleicht in fünf oder zehn Jahren günstige Auswirkungen für die Landwirtschaft erhofft werden können.
Wir wollen, daß das bestehende Mißverhältnis sofort beseitigt wird. Wenn Mißstände offenkundig werden, soll die Regierung nach dem Gesetz gezwungen sein, für Abhilfe zu sorgen. Die nachträgliche Feststellung eines krankhaften, wenn nicht gar tödlichen Zustandes nützt nicht viel. Auf Besserung ist auch dann nur wenig Hoffnung, wenn vom Staat Haushaltsmittel von nur wenigen Millionen eingesetzt werden, wie wir das in der Vergangenheit erlebt haben, z. B. bei der Verbilligung von Dieselkraftstoff oder der Subventionierung von Flachs und Hanf usw. Wie soll bei nachträglicher Feststellung einer Disparität in Höhe von 1,5 Milliarden DM hier im Parlament eine solche berechtigte Forderung der Landwirtschaft durchgedrückt werden können? Wir lehnen es ab, daß der deutschen Landwirtschaft auf dem Wege über die Subventionierung geholfen werden soll. Wir wollen nicht, daß sie zum Almosenempfänger wird. Sie kann verlangen, für ihre ehrliche und fleißige Arbeit genau so entlohnt zu werden wie die übrige Wirtschaft, der man das auch ohne weiteres zugesteht. Bei gutem Willen lassen sich Wege finden.
Die Behauptung ist nicht richtig, daß unser Entwurf nicht realisiert werden könnte. Es trifft auch nicht zu, daß zwangsläufig eine Erhöhung der Preise für die Verbraucher eintritt. Jedenfals habe ich einen solchen Entwurf nicht gelesen. Wir meinen mit unserem Entwurf etwas ganz anderes, und wir haben geglaubt, herausstellen zu müssen, daß beide Wege beschritten werden müssen, einmal der Weg der Preiskorrektur, zum anderen der der Kostensenkung. Darüber hinaus wollen wir die Regierung zum Abschluß vernünftiger Handelsverträge verpflichten, die nicht wie in der Vergangenheit einseitig vom Standpunkt des Exports industrieller Erzeugnisse gesehen werden dürfen. Wir haben auch kein Verständnis dafür, daß landwirtschaftliche Produkte eingeführt werden, wie es in den letzten Jahren geschehen ist, von denen wir selber genügend haben. Wir verstehen auch nicht, daß hier Wege beschritten werden, die jeder Privatmann ohne weiteres und von sich aus ablehnt.
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Warum gibt man der Landwirtschaft beim Export ihrer Erzeugnisse nicht dieselben Vergünstigungen wie dem industriellen und gewerblichen Sektor? Warum gibt man ihr nicht das, was der Minister Lübke als Forderung herausgestellt hat, nämlich dieselbe steuerliche Abschreibungsmöglichkeit wie der Industrie? Wir sind fest davon überzeugt, daß die deutsche Landwirtschaft willens und bereit
wäre, sich auf diesem Wege aus eigener Kraft weitgehend zu helfen.
Weiter sind wir der Meinung, daß die Umsatzsteuer, die im Endergebnis nur die Landwirtschaft und den Verbraucher belastet, keineswegs eine unbedingte Notwendigkeit ist. Wir haben bereits bei anderer Gelegenheit die Abschaffung der Umsatzsteuer bei den milchwirtschaftlichen Erzeugnissen verlangt. Wir gehen sogar so weit, zu behaupten, daß die ganze Umsatzsteuerveranlagung für die landwirtschaftlichen Nahrungsmittel im Endergebnis nur zu einer Verteuerung für den Verbraucher und zu einer Belastung der Erzeuger führt.
Ich komme nunmehr zum Schluß. Ich möchte ganz eindeutig zum Ausdruck bringen, daß unser Gesetzentwurf nach unserer Auffassung der Landwirtschaft in der Tat sofort eine Hilfe bringt. Wir lehnen es ab, hier etwa Gesetze zu beschließen, die vielleicht günstigstenfalls nach einigen Jahren Anwendung finden können. Wir haben auch gar kein Verständnis dafür, wenn man glaubt, daß das wirklich gute Zahlenmaterial, das uns das Statistische Bundesamt bereits seit Jahren zur Verfügung stellt, oder die Buchführungsergebnisse der DLG oder der Landwirtschaftskammern, die diese uns seit Jahren gegeben haben, nun mit einemmal keine Gültigkeit mehr hätten, oder nicht vertrauenswürdig genug seien, wenn es sich um die Gleichberechtigung der Landwirtschaft handelt. Man hat dieses Zahlenmaterial bisher jedesmal ganz selbstverständlich als glaubwürdig herausgestellt, wenn es gegen die Landwirtschaft ausgelegt werden sollte. Das hat ja auch Herr Kriedemann zum Ausdruck gebracht. Jetzt mit einemmal, wo wir doch der Landwirtschaft helfen wollen, sollen diese Zahlen nicht mehr herangezogen werden, sondern jetzt glaubt man erst neues Zahlenmaterial ausarbeiten oder neue Testbetriebe aussuchen zu müssen, um dann nach zwei oder drei Jahren festzustellen, daß die Landwirtschaft tatsächlich krank ist, was heute jeder, der nur etwas mit der Landwirtschaft zu tun hat, ohne weiteres weiß. Ich glaube daher schon, daß es an der Zeit ist, jetzt hier zu handeln. Worte sind genug gesprochen worden.
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Wir möchten die Landwirtschaft auch nicht enttäuschen.
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Ich habe nur den einen Wunsch, daß wir bei der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs wirklich - jeder an seinem Platz - hier Farbe bekennen und daß jeder sagt, ob er der Landwirtschaft helfen oder nur Erklärungen abgeben will.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Ältestenrat war ja vereinbart worden, heute aus den Gründen, die ich nicht immer zu wiederholen brauche, pünktlich um 16 Uhr Schluß zu machen. Ich habe jetzt noch zwei Redner auf der Liste, die zu dem Punkt, den wir eben behandelt haben, sprechen wollen. Nun ist aber eben der Wunsch an mich herangetragen worden, daß es doch zweckmäßiger sei, jetzt abzubrechen. Man habe noch vieles zu sagen und zu
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erwidern, was sich natürlich nicht so kurz fassen lasse. Auch Herr Menzel von der SPD-Fraktion war vorhin schon bei mir und meinte, es sei wohl zweckmäßig, weil fast alle in den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen fortmüßten - der scheint sich sehr zuzuspitzen; ich war noch nicht dort -,
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die Sitzung pünktlich jetzt um 16 Uhr zu beenden.
Ich frage deshalb das Haus - ich möchte die Entscheidung nicht selbst fällen -: Ist das Haus damit einverstanden, daß wir die Debatte jetzt abbrechen und das ganze unterbrochene Programm
morgen früh als erstes wieder in die Tagesordnung einschieben? Wird so beschlossen?
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- Jawohl; die Reihenfolge der Redner, soweit sie sich bis jetzt gemeldet haben, bleibt bestehen. Die Drucksachen bitte ich morgen wieder mitzubringen.
Ich berufe die nächste, die 36. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Freitag, den 25. Juni 1954. 10 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.