Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 25. Sitzung des Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub erteilt den Abgeordneten Struve, Seuffert, Miller ({0}), Schill ({1}), Mensing, Dr. Jentzsch, Hansen ({2}), Dr. Gille, Dr. Hoffmann, Dr. von Brentano, Wehking und Dr. von Merkatz.
Ich danke vielmals.
Meine Damen und Herren, ich habe einen Hinweis zu geben. Der Ältestenrat hat sich nach Schluß der gestrigen Sitzung mit der Zeiteinteilung und dem Verlauf der Haushaltsdebatte in der zweiten Beratung und eventuell in der dritten Beratung befaßt. Ich bin gebeten worden, zu Beginn der heutigen Sitzung einen Appell an den - ich zitiere wörtlich - guten Willen des Hauses zu richten
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und zu bitten, sich nach Möglichkeit so zu konzentrieren, daß sich ein Abschluß der Haushaltsberatungen noch am Freitag ermöglichen läßt, offenbar auch deswegen, weil Einmütigkeit darüber bestand, daß es nicht sehr zweckmäßig erscheine, die Beratungen morgen noch fortsetzen zu müssen. Ich darf also bei aller Erkenntnis der Notwendigkeit der Ausführungen, die gemacht werden, bitten, sie doch so zu konzentrieren. Wir nehmen, glaube ich, gemeinsam die Erklärung jedes Abgeordneten, daß er sich kurz fassen werde, von vornherein entgegen. Dann haben wir immerhin schon einige Minuten gespart.
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Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 6. April 1954 die Kleine Anfrage 36 der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Unertl und Genossen betreffend öffentliche Fürsorge für ausländische Staatsangehörige ({2}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 447 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 5. April 1954 über die Maßnahmen zur Ausführung des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 19. Sitzung betreffend Reorganisation des Agrarrechts und der Agrarwirtschaft einen Zwischenbescheid gegeben, der als Drucksache 449 vervielfältigt wird.
Wir fahren fort in der
Zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954 ({3}); ({4})
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) ({6})
({7}),
und zwar in der Beratung des
Einzelplanes 06 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern - ({8}).
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, das Hohe Haus schenkt mir das Vertrauen, daß ich zu den kürzeren und nicht zu den längeren Rednern gehöre. Ich werde mich bemühen, ein solches Vertrauen zu rechtfertigen.
Ich beantworte das, was gestern hier ausgeführt worden ist, in der Reihenfolge, in der es gesagt worden ist. Nur auf das Problem des Luftschutzes, dem ich einige Worte mehr widmen muß, komme ich zum Schluß zu sprechen. Ich darf vorweg sagen, daß ich all den Damen und Herren, die gestern gesprochen haben, für viele wertvolle Anregungen, die sie mir gegeben haben, sehr dankbar bin. Wenn ich nach dem gehen sollte, was hier gesagt worden ist, hätte ich es bis auf einen Punkt ganz leicht. Ich sollte nämlich für die Aufgaben meines Ministeriums sehr viel mehr Geld bekommen, als mir etwa an einer einzigen Stelle gestrichen worden ist. Leider hat unser Haushalt so enge Grenzen, daß sich viele gute Absichten, die wir gemeinsam haben, nicht verwirklichen lassen.
Ich beginne mit der Bemerkung, die Herr Kollege Maier über das Technische Hilfswerk und die Beteiligung der Gewerkschaften am Technischen Hilfswerk gemacht hat. Ich wiederhole hier, daß mir außerordentlich viel daran liegt, die Mitarbeit der Gewerkschaften bzw. des Deutschen Gewerkschaftsbundes an den Aufgaben des Technischen Hilfswerks zu gewinnen. Ich habe vor wenigen Tagen erneut an den Herrn Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes in diesem Sinne geschrieben und hoffe, daß die noch bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die Möglichkeit einer richtigen Abgrenzung des Begriffs „Notversorgung der Bevölkerung" recht bald im, wie ich glaube, gemeinsamen Interesse von uns allen geklärt werden können.
Die Fraktion der SPD hat einen Antrag gestellt, wonach die Mittel, die für den Verfassungsschutz aufgewendet werden sollen, nicht nur durch den Präsidenten des Bundesrechnungshofes, sondern durch ein Dreiergremium geprüft werden sollen. Ich bitte diesem Antrag nicht zuzustimmen. Ich glaube, wir können uns darin einig sein, daß die Mittel, die für den Verfassungsschutz ausgegeben werden, nur 'dann richtig verwendet werden können, wenn ein umfassender Geheimnisschutz gewährleistet ist. Ich brauche darüber wohl schon deswegen nicht mehr zu sagen, weil in allen deutschen Ländern, die eine ähnliche Institution haben, dieselbe Regelung besteht, wie sie hier vorgeschlagen und auch gehandhabt worden ist. Die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz kann nur dann richtig ausgeübt werden, wenn in persönlicher wie sachlicher Hinsicht die Gewähr für größtmöglichen Schutz gegeben ist. Das ist aber nur dann der Fall, wenn das Wissen um Staatsgeheimnisse auf die Personen beschränkt bleibt, die
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notwendigerweise dienstlich mit ihnen befaßt sind.
Es ist dann beantragt worden, der Bundeszentrale für Heimatdienst größere Mittel als hier vorgesehen zur Verfügung zu stellen. Ich würde das sehr begrüßen, das brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Aber ich fürchte, daß für 1954 keine Möglichkeit besteht, einen geeigneten Vorschlag zur Deckung dieser Mehrforderung zu machen.
Sodann ist von dem Büro für Aufenthaltsgenehmigungen beim Bundesministerium des Innern gesprochen worden. Dabei ist der Antrag gestellt worden, die Mittel auf 40 000 DM herabzusetzen. Voraussetzung für die Durchführung dieses Antrags, der sich in seinem Endziel durchaus mit dem deckt, was der Bundesregierung vorschwebt, wäre, daß die Reisenden-Kartei tatsächlich auf Staatenlose und auf die Angehörigen von Satellitenstaaten beschränkt wird. Zu dieser Maßnahme, die an sich beabsichtigt ist, ist die Zustimmung der Alliierten Hohen Kommission erforderlich, weil diese Zählkartei für ein-, aus- und durchreisende Ausländer und Staatenlose durch eine Vereinbarung mit der Alliierten Hohen Kommission vom 29. August 1952 eingeführt worden ist. Die Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission bezüglich der Einschränkung der Reisendenkartei sind noch nicht abgeschlossen. Deshalb läßt sich zur Zeit auch noch nicht übersehen, ob Ausgaben eingespart werden können. Sobald aber die Zustimmung vorliegt, können die sich dann ergebenden Einsparungsmöglichkeiten voll wahrgenommen werden.
Herr Kollege Ritzel hat besonders auf die Förderung der Ultraschall-Forschung hingewiesen. Die Bundesregierung ist sich der Bedeutung der Ultraschall-Forschung, insbesondere auch durch ein Votum der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung, bewußt. Ich bin gern bereit, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft anzuregen, daß sie bei der durch sie erfolgenden Vergabung der Schwerpunktmittel ihre Aufmerksamkeit auch auf die Notwendigkeit der Ultraschall-Forschung richtet. Ich bin ferner bereit, zu prüfen, ob im Rahmen der dem Bundesministerium des Innern zur Verfügung stehenden Forschungsmittel etwaige Einzelanträge, die die UltraschallForschung betreffen, unter Beachtung der für die Ausschüttung dieser Mittel geltenden Richtlinien gefördert werden können.
Als weiteres Anliegen ist das des Neubaus der Deutschen Bibliothek in Frankfurt angesprochen worden. Ich möchte vorweg sagen, daß ich diesem Anliegen - wenn ich das als eine persönliche Meinung sagen darf - sehr sympathisch gegenüberstehe. Die Notwendigkeit eines Neubaus in Frankfurt ist nicht zu bestreiten, jedoch ist es hier, wie bei vielen Stellen, fraglich, ob die Kosten vom Bund mitzufinanzieren sind. Außerdem liegen noch keine baulich und finanziell geprüften Unterlagen vor, und eine Deckung der Mehrausgabe ist in diesem Bundeshaushalt 1954 nicht möglich. Die Konferenz der Kultusminister hat sich gerade mit dieser Frage beschäftigt, aber auch kein sonderlich positives Ergebnis dabei erzielt, so daß ich fürchte, wir müssen diesen Antrag zurückstellen und die Möglichkeiten einer teilweisen Finanzierung durch den Bund bei den Haushaltsvorbereitungen für 1955 überprüfen.
Frau Kollegin Hubert hat dann etwas ausführlicher über die Fragen der Gesundheit gesprochen. Die verehrte Frau Kollegin weiß, daß mir
dieses Thema sehr am Herzen liegt. Erst vorgestern ist ja der Bundesausschuß für gesundheitliche Volksbelehrung gebildet worden. Ich glaube, er wird in der Koordinierung aller Bestrebungen auf dem Gebiet der gesundheitlichen Volksbelehrung eine gute Arbeit leisten können. Leider sind die Mittel, die uns für die Aufgaben der Gesundheit zur Verfügung stehen, so begrenzt, daß wir vielen der Anregungen, die die Frau Kollegin gegeben hat, zur Zeit noch nicht folgen können. Ich muß dabei allerdings auch darauf hinweisen, daß die Aufgabenverteilung nach dem Grundgesetz uns nicht selten entgegengehalten wird und daß infolgedessen auch da, wo der Bund, wenn ich so sagen darf, zusätzlich einen besonders guten Willen und eine besondere Förderung für eine bestimmte Aufgabe zeigen möchte, die Möglichkeiten so begrenzt sind, daß wir es nicht ganz leicht haben. Jedenfalls hat es der Herr Bundesfinanzminister - ich sehe den Kollegen Schäffer nicht hier - bei der notwendigen Auseinandersetzung immer sehr, sehr leicht, auf die Grenzen, die durch das Grundgesetz gegeben sind, hinzuweisen und alles von vornherein beseite zu schieben, was - ich will mich einmal vorsichtig ausdrücken - zu sehr außerhalb dieser Grenzen zu stehen scheint. Ich habe aber die Hoffnung, daß es für dieses außerordentlich wichtige Anliegen der Volksgesundheit doch möglich sein wird, im nächsten Haushalt zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.
Ich möchte wegen der Knappheit der Zeit nicht ausführlicher über diese Fragen sprechen. Ich darf nur noch darauf hinweisen, daß der Versehrtensport, der besonders angesprochen worden ist, uns am Herzen liegt und auch tatsächlich gefördert wird, wenn auch zur Zeit leider nur in einer Größenordnung von 35 000 DM. Aber immerhin ist das ja wenigstens schon eine Hilfe, mit der Wesentliches geleistet werden kann.
Herr Kollege Seiboth hat das Auswanderungswesen angesprochen. Der Antrag, den er gestellt hat, geht, wie ich glaube, über das hinaus, was er als Gegenstand dieses Antrags vorgetragen hat. Er hat sich speziell mit dem Siedlungsfall La Serena beschäftigt. Nach den Aufzeichnungen, die ich über diesen Siedlungsfall habe, ist es ganz offenbar, daß dabei Fehler gemacht worden sind, Fehler, aus denen man lernen sollte. Ich darf ihm aber auch sagen, daß alle aufgegebenen Siedlerstellen inzwischen tatsächlich wieder besetzt sind, und zwar sehr stark von Angehörigen benachbarter deutscher oder deutschstämmiger Siedler, die von den Siedlern zu diesem Zweck nachgeholt worden sind. Es scheint also doch mehr so zu sein, Herr Kollege, daß man bei der Auswahl der Siedler vielleicht nicht ganz zweckmäßig verfahren ist. Wollte man die Sperrung, die Sie und Ihre Freunde beantragt haben, vornehmen, würde man, glaube ich, über das von Ihnen angestrebte Ziel hinausschießen. Von diesen 207 000 DM entfallen auf die Gesellschaft, deren Praxis Sie angegriffen haben, rund 60 000 DM. Die Zuschüsse, die die anderen Gesellschaften mit betreffen, werden für den laufenden Betrieb dieser gemeinnützigen Organisationen gebraucht, die jeden Auswanderer beraten, bis zur Ausreise betreuen und unterstützen, und auch für solche Fälle, die tatsächlich in der Durchführung begriffen sind. Ich würde Sie daher doch bitten, Ihre Stellungnahme zu überprüfen, soweit es sich um den Umdruck 61 handelt. Ich bin gern bereit - das ist auch schon vorgesehen -, auf der
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Basis einer umfassenden Denkschrift das Thema demnächst hier oder im Ausschuß zu erörtern.
Damit habe ich die Punkte behandelt, die ich nur kurz ansprechen wollte. Erlauben Sie mir nun, einige Worte zu der Frage des Luftschutzes zu sagen. Ich möchte vorweg ein Wort des Dankes an den Herrn Kollegen Maier richten, der sich dieser Frage mit großem Interesse und mit großem Nachdruck angenommen hat. Ich richte dieses Wort des Dankes an ihn um so lieber, als sich hier die für mein Gefühl richtige Behandlung des Themas anzubahnen scheint, nämlich eine Behandlung, die nicht zwischen den Parteien dieses Hauses irgendwie kontrovers ist, sondern eine Behandlung im Sinne der gemeinsamen Verantwortlichkeit ohne Rücksicht auf diese oder jene abweichende politische Meinung.
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Sie werden mit mir darin einig sein, daß das Luftschutzproblem wohl das schwierigste und verantwortungsvollste Aufgabengebiet ist, das dem Bundesminister des Innern anvertraut ist. Daß es nicht ganz leicht fällt, in diesen Tagen zum Luftschutzproblem zu sprechen, versteht sich von selbst, jedenfalls für alle diejenigen, die eifrige Leser der Zeitungen und der Weltnachrichten sind. Wir finden dabei Überschriften wie die Frage, ob Luftschutz nicht überhaupt sinnlos, ob Luftschutz nicht überhaupt Luxus ist. Wenn Sie z. B. heute „Die Welt" lesen, die ich gerade vor mir habe, und auf den beiden rechten Spalten die Überschrift finden „Kobaltbombe löscht alles Leben aus - Versuche wegen der damit verbundenen Gefahr nicht möglich", dann zeigt das, daß dieses Thema in der ganzen Welt - denn es sind ja keine deutschen Erörterungen, sondern es sind Berichte, die dort angesprochen werden - derzeit eine besondere Aufmerksamkeit findet. Dabei ergibt sich eine Situation, in der sich die Menschheit, wir mir scheint, nicht sehr oft befunden hat, eine Situation, in der sie wirklich unter dem Eindruck steht, daß es Massenvernichtungsmittel gibt, die überhaupt das Ende allen Lebens bedeuten könnten. Ich habe gerade „Die Welt" zitiert, in der Hans Zehrer heute in der ersten Spalte einen Leitartikel zu dieser Frage geschrieben hat und in dem angeregt wird, daß dieses Thema doch einmal in aller Ausführlichkeit im Bundestag erörtert werden sollte. Diese ausführliche Erörterung werden wir sicherlich in Kürze haben. Ich möchte aber schon jetzt sagen, daß es ganz falsch wäre - und ich sage das in voller Kenntnis aller dieser Meldungen -, wenn sich hier ein unnatürlicher Defaitismus breitmachte. Es ist sicher richtig, daß die Luftangriffsmittel in der letzten Zeit eine wahrhaft beängstigende Entwicklung genommen haben. Das stellt die für die Schaffung einer einigermaßen wirksamen Abwehr verantwortlichen Instanzen vor eine Aufgabe, deren Schwierigkeit kaum noch zu überbieten ist. Diese Feststellung gilt in gleichem Maße für die militärische Luftabwehr und für den zivilen Luftschutz. Vor allem die Entwicklung der Atom- und der Wasserstoffbombe sowie der Kobaltbombe, die ich gerade erwähnt habe, hat auch auf dem Gebiete des zivilen Luftschutzes die ganze Welt in Unruhe gesetzt. So darf ich auf Zeitungsnachrichten hinweisen, wonach der Leiter des New Yorker Luftschutzes vor wenigen Tagen erklärt hat, daß bei einem Wasserstoffbombenangriff New York völlig geräumt werden solle und daß die Luftschutzkeller zwecklos geworden seien.
Nach anderen Pressenachrichten hält Großbritannien es für nötig, seine gesamte zivile Verteidigung und insbesondere auch das Problem des zivilen Luftschutzes zu überprüfen.
Ich darf ferner darauf hinweisen, daß ein Ausschuß der NATO die Bundesrepublik zur Teilnahme an den Beratungen über Luftschutz eingeladen hat.
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Dabei handelt es sich um die Vorbereitung gemeinsamer Luftschutzmaßnahmen einschließlich des Luftwarndienstes.
Der Luftwarndienst ist auch für uns eines der vordringlichsten Luftschutzprobleme. Bei den ungemein kurzen Anflugzeiten der modernen Flugzeuge und der Fernraketen kommt alles darauf an, eine enge Verbindung zwischen dem militärischen Fernmeldedienst und dem zivilen Luftwarndienst herzustellen und den letzteren nach modernsten Grundsätzen aufzubauen. Die Einrichtung und die Unterhaltung des örtlichen Alarmdienstes muß wohl den Gemeinden auferlegt werden. Der nach lufttaktischen Gesichtspunkten zu gliedernde überörtliche Luftwarndienst kann nur vom Bunde her entwickelt und in bundeseigener Verwaltung durchgeführt werden. Wir haben die Beträge, die uns bereits in den Haushaltsjahren 1952 und 1953 zur Verfügung standen, dazu benutzt, technische Einrichtungen zu entwickeln, die, soweit sich das bisher überblicken läßt, auch den heute zu stellenden Anforderungen gewachsen sein werden. Die 5 Millionen DM, die im Haushalt 1954 vorgesehen sind, werden wir dazu verwenden, den Aufbau der Luftwarnämter voranzutreiben.
Herr Minister, darf ich Ihnen eine Frage stellen? Ich bitte, die Unterbrechung zu entschuldigen.
Bitte sehr!
Ich habe gestern anläßlich der Begründung unseres Antrags gesagt, daß demnächst neue Verhandlungen über den EVG-Beitrag beginnen müssen, da ja im Frühsommer die Festlegung des alten abläuft. Sind Sie bereit, mit Ihrem Herrn Kollegen Finanzminister darüber zu sprechen, daß er bei diesen Verhandlungen die besondere Lage, in der wir stehen, berücksichtigt und versucht, diese Milliarde, die als Jahresbetrag für nötig angesehen wird, bei den Verhandlungen für die deutsche Bundesrepublik herauszuholen?
Herr Kollege Maier, Sie werden verstehen, daß ich diese Frage mit Verpflichtung für die Bundesregierung hier nicht abschließend behandeln kann. Ich bin aber durchaus der Meinung, daß sich die exzeptionelle Lage der Bundesrepublik, die überhaupt unter dem speziellen Aspekt des Luftschutzes nichts weiter als ein einziger großer Grenzstreifen ist, in den von Ihnen angeschnittenen Verhandlungen auswirken sollte. Ich glaube, weiter kann ich nicht gehen, um nicht in diesem Stadium die Bundesregierung, bevor sie Gelegenheit gehabt hat, dazu Stellung zu nehmen, unnötig zu verpflichten.
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Ich darf fortfahren und sagen, daß der moderne Luftschutz weithin ein technisch-wissenschaftliches
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Problem ist. Sobald die Behandlung von Luftschutzfragen uns durch die alliierte Kommission im Herbst 1951 freigegeben wurde, haben wir in engstem Zusammenwirken mit dem Deutschen Forschungsrat eine Schutzkommission gebildet, der eine große Anzahl namhafter Wissenschaftler angehört. Die Kommission bearbeitet aus der Grundlagenforschung heraus die für den Luftschutz auf dem Gebiet der Kernphysik, der Chemie, der Biologie und der Medizin sich ergebenden Probleme. Aus erfahrenen Luftschutzsachverständigen haben wir zur Vorbereitung der technischen Fragen auf dem Gebiet des baulichen Luftschutzes, des Brandschutzes, des Sanitäts- und Entgiftungsdienstes eine Reihe von technischen Ausschüssen gebildet.
Wir haben ferner inzwischen die Bundesanstalt für Luftschutz errichtet, die Mitte Mai vorläufig in Bad Godesberg ihre Tätigkeit aufnehmen wird. Die Anstalt hat zwei wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die erste besteht darin, die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung für die Praxis des Luftschutzes auszuwerten. Die zweite nicht minder wichtige Aufgabe besteht darin, die führenden Persönlichkeiten auf dem Gebiete des praktischen Luftschutzes, insbesondere die Luftschutzleiter unserer Großstädte mit den Aufgaben vertraut zu machen, vor die ein moderner Luftkrieg sie stellen würde.
Wir wissen, meine Damen und Herren, welch große Bedeutung der Aufgabe zukommt, unserer Bevölkerung die Notwendigkeit und Möglichkeit des Luftschutzes wieder nahezubringen. In uns allen wirkt der Schrecken der Bombennächte bis zum heutigen Tage nach. Wir haben den Bundesluftschutzverband errichtet, damit er Hand in Hand mit der Presse und den großen berufsständischen und sonstigen Organisationen unseres Volkes die gesamte Bevölkerung des Bundesgebiets über die Notwendigkeit von Luftschutzmaßnahmen und über die Luftschutzselbsthilfe aufklärt, ohne die wir in einem Ernstfall nicht auskommen würden. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, daß sich trotz der großen psychologischen Schwierigkeiten, die das Luftschutzproblem bietet, bereits Tausende von freiwilligen Helfern zur Verfügung gestellt haben. Die 3,5 Millionen DM, die im Haushalt 1954 für den Bundesluftschutzverband ausgeworfen sind, werden uns helfen, die Organisation dieses Verbandes weiter auszubauen.
Auch das Technische Hilfswerk mit seinen 28 000 fest verpflichteten Helfern wird als technischer Arm des Luftschutzes wichtige Aufgaben zu erfüllen haben. Die Planung für die Aufstellung eines Luftschutzhilfsdienstes ist abgeschlossen. Er wird einen Brandschutzdienst, Bergungs- und Instandsetzungsdienst, Sanitätsdienst, Entgiftungsdienst und einen sozialen Betreuungsdienst umfassen. Der Luftschutzhilfsdienst soll zunächst in den besonders gefährdeten Orten des Bundesgebiets, und zwar zunächst auf freiwilliger Grundlage, organisiert, ausgebildet und ausgestattet, aber erst im Ernstfall zur Dienstleistung einberufen werden.
Das schwierigste Problem des gesamten Luftschutzes bildet bei der Entwicklung der modernen Luftangriffsmittel die Errichtung von Schutzräumen. Die sehr pessimistische Erklärung des Luftschutzleiters von New York zu dem Problem der Schutzräume geht von den amerikanischen städtebaulichen Verhältnissen aus, die für uns in Deutschland nicht zutreffend sind. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß gegenüber Luftangriffen mit Spreng- oder Brandbomben, mit denen wir in Deutschland auch in Zukunft im Ernstfall zu rechnen hätten, ein entsprechend gestalteter Luftschutzraum auch heute noch sinnvoll ist. Nach der übereinstimmenden Auffassung der Wissenschaftler und Techniker vermag ein Schutzraum geeigneter Konstruktion in einer gewissen Entfernung vom Detonationszentrum einer Atombombe noch wirksamen Schutz zu gewähren. Die durch die Wasserstoffbombe geschaffene neue Lage bedarf noch der wissenschaftlichen und technischen Überprüfung. Die meisten Erfahrungen auf diesem Gebiete haben die USA aufzuweisen. Ich begrüße es daher besonders, daß ich bereits in der nächsten Zeit auf Grund einer amerikanischen Einladung eine Studienkommission in die Vereinigten Staaten entsenden kann. Sobald die Erfahrungen dieser Studienkommission ausgewertet sind, werde ich ein bereits vorbereitetes umfassendes Luftschutzprogramm dem Kabinett zur Beschlußfassung vorlegen. Dann wird auch die Zeit gekommen sein, sich über die Deckung der für einen umfassenden Luftschutz erforderlichen Kosten schlüssig zu werden. Dieses Luftschutzprogramm wird die Beträge aufweisen, die für die Durchführung der in ihm vorgeschlagenen Maßnahmen erforderlich sind. Es wird auch die Frage behandeln, ob die Kosten für den Luftschutz grundsätzlich vom Bunde zu tragen sind oder ob auch die Länder und die Gemeinden an diesen Kosten beteiligt werden müssen. Ich habe eben schon auf eine Zwischenbemerkung des Herrn Kollegen Maier gesagt, daß das dann auch der Augenblick sein wird, abschließend zu der Kostenfrage Stellung zu nehmen. Ich freue mich, aus dem Verhalten gerade unserer Kollegen von der SPD-Fraktion entnehmen zu können, daß wir die sehr, sehr schwierige Aufgabe der Finanzierung hoffentlich in einem allgemeinen Einverständnis werden lösen können.
Meine Damen und Herren! Ich glaube dargelegt zu haben - so gut das in diesen wenigen Minuten möglich ist -, welche riesengroße Verantwortung das Problem des zivilen Luftschutzes nicht nur dem Bundesminister des Innern, sondern der Bundesregierung und zu gegebener Zeit, wenn es nämlich gilt, die zur Durchführung des zivilen Luftschutzes erforderlichen Gesetze zu beschließen, auch diesem Hohen Hause auferlegt. Wir werden, wie ich glaube, alle einträchtig zusammenarbeiten müssen, um die überaus schwere Aufgabe, die uns hier gestellt ist, zum Besten unseres Volkes gemeinsam zu meistern.
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Meine Damen und Herren! Ich habe übersehen, auch heute wieder einem Geburtstagskinde zu gratulieren, soweit man noch von „Kind" sprechen kann. Der Abgeordnete Eberhard wird heute 62 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch!
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
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Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden!
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Tagen hat der Herr Bundeskanzler in einer sehr beachtenswerten Rede in Düsseldorf auf dem Kongreß für die freien Berufe sein lebhaftes
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Mißfallen der Tatsache gegenüber ausgesprochen, daß die geistige Arbeit so ungeheuer unterbewertet wird. Wir werden dem alle zustimmen, einerlei, wo wir politisch oder sonst stehen. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte doch darauf hinweisen - es gab in Düsseldorf natürlich keine Diskussion -, daß ganz besonders niedrig die geistige Arbeit von Frauen bewertet wird. Sie werden höchstwahrscheinlich alle mit mir der Meinung sein, daß die vor vielen Jahrzehnten gemachten Ausführungen eines bekannten Arztes - ich glaube, er lebte in München - über den „physiologischen Schwachsinn des Weibes"
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heute nicht mehr unbedingt zutreffen, sondern daß der physiologische Schwachsinn gleichmäßig auf beide Geschlechter verteilt ist.
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Es ist überaus bemerkenswert, in welcher Weise man sich, um die Benachteiligung der geistig arbeitenden Frauen zu erreichen, über vorhandene Bundesgesetze einfach hinwegsetzt, z. B. Frauen, Akademikerinnen, die einen 131er-Schein besitzen, unter ganz fadenscheinigen Begründungen immer wieder abweist und ihnen das nicht zugute kommen läßt, was man bei den Männern auf Grund des Art. 131 absolut selbstverständlich findet. Auch die Juristinnen, die in der Nazizeit aus ihren Ämtern entfernt oder z. B. an der Ausübung der Anwaltspraxis gehindert worden sind, werden heute bei der Einstufung immer noch zurückgestellt. Wozu haben wir eigentlich allgemein gültige Bundesgesetze, wenn jedes Land oder jede Organisation - auch die Universitäten und diese nicht zuletzt - glaubt, es sich herausnehmen zu können, gegen diese Gesetze zu verstoßen?
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- Es gibt ja ganz exzeptionelle Verdienste, und ich
freue mich, daß ich immer schon Gelegenheit hatte,
bei Ihnen diese Verdienste beobachten zu können;
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und weil ich das, verehrte Frau Kollegin Weber, aus jahrzehntelanger Erfahrung weiß, darf ich annehmen, daß Sie für meine folgenden Ausführungen großes Verständnis besitzen und mir und uns allen helfen werden.
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- Ich weiß nicht, ob alle „sehr gern" sagen werden; Sie sicher.
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Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich einige weitere, aber sehr ernste Worte zu dem Tatbestand der völligen Mißachtung von Bundesgesetzen und damit der völligen Mißachtung der Autorität der Bundesregierung an Sie richte. Seit Jahr und Tag beobachten wir täglich immer schwerere Verstöße beinahe in allen Großstädten, wahrscheinlich auch in mittleren - ich habe sie sogar auf dem Lande beobachtet -, gegen das „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten". Meine Damen und Herren, erschrecken Sie nicht über das, was ich jetzt sagen werde. Sie werden es verstehen von jemandem, der vierzig Jahre lang gekämpft hat, um den Dingen, die in diesem Gesetz behandelt werden, zu Leibe zu rücken. Dieses Gesetz von 1953 verbietet klipp und klar und ganz unzweideutig die Einrichtung und die Unterhaltung von Bordellen. Man fällt aber täglich mehr in die Methoden der Nazi zurück, die 1940 gegen das erste Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1927 einen schweren Stoß unternommen und dem System der „Reglementierung" mit allem, was dazu gehört, wieder den Weg gebahnt haben. Wollen wir Nazi-Systeme nachahmen oder nicht? Darüber müssen wir uns klar sein, und dann müssen wir ehrlich genug sein, j a oder nein zu sagen; dazwischen gibt es hier nichts.
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Aber wie denken wir denn eigentlich über die Verwendung öffentlicher Mittel zum Ankauf von Gelände zur Errichtung von Bordellen sowie zur Ausstattung der Gebäude für dieses schmutzige Handwerk oder Gewerbe - man darf ja beide Worte eigentlich gar nicht gebrauchen; es ist eine Beleidigung für das Handwerk und eine Beleidigung für das Gewerbe -, wie denkt man eigentlich über die Verwendung öffentlicher Mittel für solche schmutzigen Zwecke?
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- Jawohl, pfui! Und wer genehmigt denn diese Mittel, und wer weiß um die Verwendung dieser Mittel, und wer rührt keinen Finger dagegen?
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Meine Damen und Herren, das sind die amtlichen Kuppler; einen anderen Ausdruck gibt es für Oberbürgermeister und Bürgermeister, die so etwas dulden, überhaupt nicht.
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Und wer bringt diese amtlichen Kuppler, die nicht besser sind als die, die in die Häuser hineingesteckt werden, vor den Strafrichter - mir ist nichts bekannt! -, so wie das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten es verlangt? Nichts dergleichen geschieht! Kennt man vielleicht in den Verwaltungsbehörden den § 180 des Strafgesetzbuches nicht, oder will man ihn eigentlich nicht kennen? Ich behalte mir vor, dem Strafrechtsausschuß entsprechende Vorschläge zur Ergänzung von § 180 Abs. 2 zu machen. Kennt man auch nicht die Entschließung der Vereinten Nationen zu diesen Fragen? Man scheint immer dann ein Analphabet zu sein, wenn es einem gerade paßt.
Und was tut die Staatsanwaltschaft? Sie verschanzt sich zur Begründung für ihr Nichteingreifen dahinter, daß in diesen Lokalitäten angeblich „keine Ausbeutung" und „kein Anhalten" zur Unzucht stattfinde. Dann möchte ich doch einmal fragen: sind 15 bis 25 DM und mehr tägliche Miete keine Ausbeutung, und ist das kein Anhalten zur Unzucht? Denn es muß ja erst einmal das Geld verdient werden, um diese Mieten bezahlen zu können.
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Mit uns deutschen Frauen kämpfen seit Jahrzehnten die Deutsche Dermatologische Gesellschaft, die Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, der Internationale Verband zur Bekämpfung des Mädchenhandels - der Mädchenhandel besitzt j a bekanntlich in den Bordellen Zutrei({13})
ber für sein schmutziges Geschäft -, und mit uns kämpfen seit Jahrzehnten die Kirchen aller Konfessionen, - alles vergebens!
Wie denkt man sich denn eigentlich die Möglichkeit, die Methode gewisser Besatzungsstellen zu bekämpfen, die innerhalb von Kasernen deutsche Mädchen in Bordellen halten? Will die Besatzungsbehörde solche Unternehmungen in ihren Kasernen haben, dann mag sie es tun; aber dann mag sie es bitte tun unter ihrer nationalen Flagge, die sollten sie dann dort hochhängen,
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und dann mag sie es bitte tun auf ihre Kosten, aber nicht über Besatzungskosten auf unsere Kosten. Dann mag sie es auch tun mit Frauen ihrer Nation, aber nicht mit deutschen Frauen.
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Meine Damen und Herren, Kollegin Weber ist Zeuge, Kollegin Teusch aus dem Reichstag ist Zeuge, und die Kollegin Schroeder ist Zeuge: wir haben seinerzeit nach 1918 nicht ohne Erfolg gegen diese Methoden der damaligen Besatzungsbehörden gekämpft.
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Sollten Sie uns nicht alle unterstützen, wieder den Kampf durchzuführen und mit Erfolg durchzuführen?
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Aber, meine Damen und Herren, es wird ungeheuer schwer sein, wenn ich rufe: „Haltet den Dieb!" und meine Hände selber in der Tasche des Nachbarn habe. Wie will eine deutsche Obrigkeit sich dagegen auflehnen, wenn man ihr Material über Material nachweisen kann, daß sie genau das gleiche tut! Aber wollen die deutschen Behörden das selber tun, - dann bitte unter vollkommen gleichen Voraussetzungen für die Behandlung der Besucher wie für die Behandlung der Insassen dieser Häuser. Die Besucher sind nicht einen Deut besser als die anderen.
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Es gibt ein altes Wort: „Der Hehler ist so gut wie der Stehler." Wenn man die deutschen Gesetze und wenn man die Autorität der Bundesregierung derart mißachten will, dann höre man endlich auf mit dem heuchlerischen Gejammer vom Verfall von Sitte und Moral bei der Jugend.
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„Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen", das wissen wir sehr genau. Man höre endlich einmal auf, volltönende Reden über den Schutz von Ehe und Familie zu halten, wenn man nicht den Mut hat, hier offen einzugreifen und den Bundesgesetzen Geltung zu verschaffen; denn Bundesrecht geht vor Landesrecht.
Man hat sich früher bezüglich dieser Einrichtungen darauf berufen, sie wären aus gesundheitlichen Gründen notwendig. Wer will das heute noch behaupten? Wenn uns jeden Tag erzählt wird, welche Wirkungen das Penicillin - die einen sagen: Gott sei Dank, die anderen sagen: leider - hat, dann ist kein Anlaß mehr vorhanden, diese Einrichtungen aus gesundheitlichen Gründen aufrechtzuerhalten. Man hat sich darauf berufen, man wolle
dort dem Verbrechertum zu Leibe rücken. Nun, da züchtet man Verbrecher en gros, und da zieht man die Jugend auf einen verbrecherischen Weg! Aber wenn man alles das, was das Gesetz vorschreibt, mißachtet, dann, so bitte ich, bekenne man sich ganz offen und ehrlich zum „Grundsatz der doppelten Moral!" Will man ihn, oder will man ihn nicht?
Man leugnet, daß wir schon wieder bei der im alten Gesetz verbotenen Kasernierung angekommen sind. Nun, wenn ein Häuserbesitzer oder mehrere Mädchen als Häuserbesitzer in einer größeren Anzahl nebeneinander liegender Häuser in der gleichen Straße wohnen - sie sind zwar nicht qua Gesetz, wie früher, kaserniert -, sagen Sie, ist das keine, nun, meinetwegen sagen Sie: freiwillige Kasernierung? Verstößt die nicht genau so gut gegen das Gesetz wie das, was ich vorher gesagt habe? Je länger man das duldet, desto lückenloser wird dieses System.
Was ich hier sage, kann ich Ihnen alles an Hand einer Fülle von Material beweisen. Wer wird denn in diese Wohnungen ziehen? Die Herren der Obrigkeit, die es dulden, daß das alles gemacht wird, werden sich dort ganz bestimmt keine Villen bauen, aber die Stiegen kehrt man bekanntlich von oben.
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Da fängt man an. Man sagt ja immer, wir Alten
hätten alles hinter uns, wir könnten schlau reden.
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Ganz so ist es ja nun doch nicht. Man höre aber auf mit Moralpredigten! Die stehen mir sämtlich h i er, wenn ich das immer alles anhören muß, was den Jungen nahegelegt wird und was uns angeblich so am Herzen liegt. Auf der anderen Seite stört es niemanden, wenn alle diese Dinge vorkommen.
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- Ja, das wäre eine ausgezeichnete Aufgabe. Aber ich möchte ihn nicht zitieren, weil ich fest überzeugt bin: er weiß selber ganz genau, was er auf dem Gebiet tun könnte, wenn er wollte.
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Ich darf Ihnen aber ganz zum Schluß nur einmal einige Beispiele geben. Es hat vor gar nicht sehr langen Jahren - es war zur Nazizeit - in Düsseldorf einen Stadtobermedizinalrat gegeben, der für den damaligen Herrn Oberbürgermeister - er war später Bundesminister - einen sehr ausführlichen Plan ausarbeitete unter dem Titel „Sexualverkehrsgewerbeordnung".
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- Meine Herren und Damen, das ist gar nicht lächerlich!
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Ist das vielleicht ein Gewerbe? Ich nehme jedes anständige Gewerbe dagegen in Schutz, daß man die Bezeichnung für anständige Gewerbe hierauf überträgt. Und vor allem: zahlen denn die Bewohnerinnen dieser Häuser Gewerbesteuer, Herr Finanzminister?
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- Ach, Sie sind nicht hier. - Mir ist nichts davon bekannt. - Ah, da sind Sie ja. Verehrter Herr Minister, ich will Ihnen nur zu Einnahmen verhelfen.
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Zahlen die Insassinnen dieser Häuser Einkommensteuer, Herr Minister? Ich glaube nicht.
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Der Herr Arbeitsminister ist auch nicht hier. Haben diese Frauen ein Recht, wenn sie arbeitslos sind, sich bei den Arbeitsnachweisen einzutragen und vermitteln zu lassen?
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- Nein, meine Herren, das ist gar nicht lächerlich! Sie verkennen ganz den Ernst dessen, was ich sage. - Herr Arbeitsminister, sind sie versicherungspflichtig? Mir ist nichts davon bekannt.
Aber noch etwas, was in dieser schönen „Sexualverkehrsordnung" angeraten war. Das ist gar nicht gleichgültig im Hinblick auf die vielen Messen und Ausstellungen, die wir haben. Es wurde dort von jenem Stadtobermedizinalrat empfohlen, den Polizisten Lagepläne dieser Häuser in die Hand zu geben, damit sie die ortsfremden Besucher davor behüteten, wie es in dem Entwurf heißt, in der falschen Richtung zu gehen, sich zu verlaufen. Mir scheint, sie verlaufen sich unter allen Umständen, mit und ohne polizeiliche Anweisung.
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Kann man vielleicht von diesen Einnahmen, die man in den Häusern hat, etwas bei der Steuer absetzen oder nicht? Und können die Besucher auch etwas von der Steuer absetzen für die Ausgaben, die in diesen Häusern bekanntlich sehr hoch sind?
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Sehr hoch. Ich will weiter niemanden fragen.
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- Meine Herren, regen Sie sich ja nicht auf!
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Ich verzichte darauf, Ihnen das Material hier vorzulesen, das ich besitze.
({35})
Es ist wohl besser, wir betrachten die Dinge einmal ohne diese Begleitmusik; die könnte sonst anders ausfallen.
Wie denkt man darüber, daß diese Frauen einen bevorzugten Zuzug in Städten bekommen? Wie denkt man darüber, daß sie bevorzugt Wohnung bekommen? Wie denkt man darüber, daß in mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus erbauten Wohnungen die Untervermietung an diese Frauen zugelassen ist? Wie denkt man darüber, daß eine nahegelegene Stadt in ihrem Aufbauplan eine riesig hohe Mauer in der Planung vorgesehen hatte, lie erst von einer mutigen Stadtverordneten entdeckt und dann wegrasiert wurde? Wie denkt man darüber, daß man alles mögliche beschlagnahmt; aber z. B. ist mir gar nichts von der Beschlagnahmung der Zeitschrift „Quick" bekanntgeworden, die n Hamburg vier Seiten umfassende Abbildungen Tiber die Hamburger Bordelle, ihre Eigentümer und ihre Insassinnen brachte. Und wo bleibt das Bewahrungsgesetz? „Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube." Will man also „doppelte Moral", dann sage man es offen. Will man christliche Ethik oder nicht, dann sage man es offen. Will man Ausnahmegesetze nur für Frauen, dann sage man es ebenfalls offen, und dann werden wir uns darüber weiter unterhalten.
({36})
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Mein Damen und Herren! Ich möchte mich der Äußerung meiner Auffassung dazu enthalten, ob es richtig ist, die Fragen, die Frau Kollegin Lüders angeschnitten hat, gerade anläßlich der Behandlung des Haushalts des Bundesministers des Innern aufzuwerfen.
({0})
Da die Frau Kollegin - ({1})
- Bitte, hören Sie doch eben weiter an, was ich jetzt sagen werde. - Da die Frau Kollegin das getan hat, darf ich wenigstens kurz darauf erwidern. Die Frau Kollegin war so freundlich, mir kürzlich anzukündigen, daß sie diese Frage im Bundestag zur Sprache bringen wolle. Ich habe sie gleich darauf hingewiesen, daß dieses Thema nach meiner Überzeugung eher in den Landtagen zu behandeln wäre
({2})
als hier im Bundestag.
({3})
Ich bin nämlich der Auffassung,
({4})
- vielleicht erlauben Sie mir, das zu sagen, Herr Kollege -, daß die gesetzgeberischen Handhaben
- und das ist doch das Thema, für das wir hier eine Zuständigkeit haben - durchaus ausreichen, um mit diesem Problem in einem angemessenen Rahmen fertig zu werden. Ich bin der Auffassung, daß alles das, was die Frau Kollegin ausgeführt hat, eine Aufgabe der Justizverwaltung und der Polizei ist, also zweier Instrumente, die sich in den Händen der Länder befinden.
({5})
Daß wir an diesen Fragen, soweit sie zur Zuständigkeit des Bundes gehören, ein besonderes Interesse, auch aus der Perspektive des Jugendschutzes nehmen, ist sicher. Kürzlich haben darüber sogar interministerielle Besprechungen stattgefunden, in denen dieses Problem erörtert worden ist mit dem Ziel, vielleicht zu irgendwelchen besseren Handhaben zu kommen. Ich kann nur sagen: Ich bin überzeugt, daß die Bestimmungen sowohl im Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten wie die Bestimmungen im Strafgesetzbuch ausreichen, mit diesen Tatbeständen fertig zu werden.
({6})
Ich glaube, daß alles, was darüber gesagt worden ist, an die Adresse der für die Handhabung dieser Bestimmungen Verantwortlichen zu richten ist.
({7})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Beratung des Einzelplans 06.
Wir kommen zur Abstimmung über die Änderungsanträge, zunächst den der Fraktion der SPD auf Umdruck 36 *) betreffend Kap. 0602 Tit. 640. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit. Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zum Umdruck 48**), Änderungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Kap. 0609 Tit. 300. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der SPD Umdruck 37***). Meine Damen und Herren, ich darf hier eine Frage stellen. Ihre Meinung ist ja, daß über die beiden Teile dieses Antrages zu Einzelplan 06 und Einzelplan 35 gemeinsam abgestimmt werden soll.
({0})
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zustimmen wollen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt. Damit erübrigt sich auch die Abstimmung zu Einzelplan 35.
Umdruck 38****), Antrag der Fraktion der SPD zu Einzelplan 06. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Umdruck 39*****), Antrag der Fraktion der SPD betreffend Bundeszentrale für Heimatdienst. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE, Umdruck 61******), betreffend Kap. 0602!
Wir beschränken diesen Antrag auf die Sperrung der Mittel in Höhe von 60 000 DM für die Degesa.
Also der Antrag wird in der Form gestellt, daß Sie einen Sperrvermerk für 60 000 DM, Mittel für die Degesa, haben wollen?
({0})
Meine Damen und Herren, ist das klar? - Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag in dieser geänderten Form zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite war die Mehrheit. Dieser Antrag ist abgelehnt.
*) Siehe Anlage 16 zum Stenographischen Bericht der 24. Sitzung Seite 941 A
SS) Siehe Anlage 20 zum Stenographischen Bericht der 24. Sitzung Seite 943 A
***) Siehe Anlage 17 zum Stenographischen Bericht der 24. Sitzung Seite 941 B
****) Siehe Anlage 18 zum Stenographischen Bericht der 24. Sitzung Seite 942 A
*****) Siehe Anlage 19 zum Stenographischen Bericht
der 24. Sitzung Seite 942 B
******) Siehe Anlage 21 zum Stenographischen Bericht
der 24. Sitzung Seite 943 B
Damit sind sämtliche Änderungsanträge erledigt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses - Drucksache 356 - betreffend Einzelplan 06 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zu
Einzelplan 08 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen ({1}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Krammig. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Krammig ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 08 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - schließt mit einem Zuschußbedarf von 647,6 Millionen DM ab.
({3})
Das ist gegenüber dem Rechnungsjahr 1953 ein
Mehr von etwa 48 Millionen DM. Ich komme noch
darauf zurück, warum dieses Mehr entstanden ist.
Im Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen sind 45 088 Personen tätig. Neben der Bundespost und der Bundesbahn umfaßt dieser Geschäftsbereich den größten Personalhaushalt des Bundes. Auf die Bundeszollverwaltung entfallen allein 39 332 Personen. Ich darf bemerken, daß gegenüber dem Rechnungsjahr 1953 im gesamten Geschäftsbereich ein Weniger von 5 Arbeitskräften zu verzeichnen ist. Der Herr Bundesminister der Finanzen hat also sein Wort, das er bei der Einbringung dieses Haushalts gesprochen hat, wahr gemacht, indem er in seinem eigenen Haushalt auf unbedingte Sparsamkeit geachtet hat.
Der Haushaltsausschuß hat den Einzelplan 08 in der 17. und in der 30. Sitzung beraten. Ich darf das Ergebnis der 30. Sitzung vorwegnehmen.
({4})
In ihr wurde dem Antrag des Finanz- und Steuerausschusses, bei der Bundesfinanzverwaltung - Steuer den Betriebsprüfungsdienst „Steuer" um einige Kräfte zu vermehren, entsprochen.
Wegen der Kürze der Zeit will ich mich auf zwei Probleme dieses Haushalts beschränken. Die Steuerverwaltungskostenbeiträge des Bundes an die Länder, die mit 220 Millionen DM veranschlagt sind, nahmen in den Erörterungen des Ausschusses einen breiten Raum ein. Der Vertreter des Bundesrats beantragte eine Erhöhung auf 450 Millionen DM. Wenn diesem Antrag entsprochen worden wäre, hätte der Bund damit 662/3°A der Steuerverwaltungskosten der Länder übernommen. Der Ansatz macht ein Drittel der Steuerverwaltungskosten der Länder aus. Der Ausschuß billigte mit Mehrheit diesen Ansatz.
Die Erhöhung des Zuschußbedarfs ist im wesentlichen auf das Kap. 0806 - Bundesvermögens- und Bundesbauverwaltung - zurückzuführen. Dort zeigt sich gegenüber dem Rechnungsjahr 1953 ein Mehr von '72 Millionen DM. Dieses Mehr ist im wesentlichen in den Sachausgaben, die auf Grund gesetzlicher Bestimmungen auf uns zugekommen sind, zu suchen. Ich darf erwähnen, daß das Bundesfinanzministerium einer Reihe besonderer Anliegen des Bundestages aus der verflossenen Legislaturperiode hierbei Rechnung getragen hat.
({5})
Beim Kap. 07 hat der Ausschuß mit Befriedigung von der Übersicht über das Sondervermögen ({6}) Kenntnis genommen.
Im außerordentlichen Haushalt sind bei der Bundesfinanzverwaltung Zoll keine Neubauten, bei der Bundesvermögens- und Bundesbauverwaltung zwei Neubauten und ein Umbau vorgesehen. Damit wäre im großen und ganzen der Gang durch den Einzelplan 08 beendet.
({7})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. - Änderungsanträge liegen nicht vor. Bitte, Herr Abgeordneter Professor Gülich!
Meine Damen und Herren, ich darf darauf hinweisen, daß sich der Herr Bundesfinanzminister nicht demonstrativ entfernt hat, sondern daß er in diesem Augenblick in den Bundesrat, der gleichzeitig die Finanz- und Steuerreform berät, gerufen worden ist. Er hat den Wunsch ausgesprochen, daß wir, wenn seine Anwesenheit erwünscht und notwendig ist, die Beratung etwas vertagen. Ich mache Ihnen diesen Vorschlag für den Fall, daß es gewünscht wird.
Bitte, Herr Professor!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage meiner Fraktion habe ich zunächst noch eine Bemerkung zum soeben abgeschlossenen Einzelplan 06 Kap. 20 - Bundesamt für Landbeschaffung - zu machen, das der Ausschuß mit Mehrheit gestrichen hat und zu dem ich infolgedessen gestern nicht sprechen konnte. Ich möchte dazu bemerken, daß die sozialdemokratische Fraktion nicht wünscht, daß die Landbeschaffung der Dienststelle Blank unterstellt wird, und daß sie auch nicht wünscht - das hat sie bei den Beratungen des Haushalts des Bundesinnenministeriums zum Ausdruck gebracht -, daß eine solche Bundesanstalt für Landbeschaffung geschaffen wird. Sie ist vielmehr der Meinung, daß die Landbeschaffung im Bundesministerium der Finanzen bestens aufgehoben ist.
({0})
Wir haben im Bundesministerium der Finanzen eine Vermögens- und Bauabteilung.
({1})
Diese Abteilung verwaltet die gesamten Liegenschaften des Bundes, sie stößt Liegenschaften ab, sie gibt Liegenschaften für Zwecke der Dienststelle Blank ab, sie erwirbt neue Liegenschaften, wenn es nötig ist, oder gibt alte Liegenschaften in Tausch. Das ist also bestens eingerichtet, und es ist nicht einzusehen, warum man hier eine Neuerung einführen sollte.
In Verfolg dieser Dinge möchte ich an den Bundesfinanzminister die Bitte richten, nun doch einen Teil seiner Kraft darauf zu konzentrieren, daß im 2. Deutschen Bundestag die Auseinandersetzung über Bundes- und Ländervermögen endlich abgeschlossen wird. Wir haben es im 1. Bundestag nicht geschafft, das nach Art. 134 Abs. 4 des Grundgesetzes notwendige Ausführungsgesetz zu machen. Wegen der schwierigen Verhandlungen mit den Ländern ist es nur zu dem sogenannten Vorschaltegesetz gekommen. Aber es ist nun an der Zeit, daß wir das Problem endgültig lösen, und dazu möchten wir die ausdrückliche Unterstützung der sozialdemokratischen Fraktion zusagen.
Eine weitere Bemerkung, die ich machen möchte, betrifft die Finanzpolitischen Mitteilungen des Bundesministers der Finanzen, die dem Bulletin des Presse- und Informationsamtes beigegeben sind. Im allgemeinen kann man mit diesen Finanzpolitischen Mitteilungen zufrieden sein.
({2})
Sie enthalten sehr viel gutes Material. Hier und da wird in den Finanzpolitischen Mitteilungen auch, wie mir scheint, nicht zulässige Propaganda gemacht, oder es wird mal eine ministerielle Darstellung gegeben, um - das habe ich im vorigen Jahre einmal gerügt - damit in eine Auseinandersetzung einzugreifen, die nur im Plenum des Bundestages möglich ist.
({3})
- Nein, Herr Dresbach, es soll nur darin alles so dargestellt werden, wie es nun einmal dem Ansehen des Finanzministeriums entspricht.
({4})
- Man kann darüber geteilter Meinung sein. Aber, Herr Willeke, ich glaube, wenn wir beide die Dinge konkret betrachten, werden wir feststellen, daß die Dinge, die ich beanstande, auch von Ihnen beanstandet werden; davon bin ich überzeugt. Wenn wir schon ein Organ brauchen, das die Bevölkerung über finanz- und steuerpolitische Tatsachen und Maßnahmen und über Haushaltsfragen unterrichtet, dann sollte man auch ein paar Mark mehr ausgeben - Mittel für Propaganda stehen im Etat ja genug zur Verfügung - und die Finanzpolitischen Mitteilungen verselbständigen.
Dann muß ich eine weitere Bemerkung machen zum Herrn Bundesfinanzminister selber, der nun leider nicht da ist. Wir wissen, daß ein Finanzminister ein sehr schweres Amt hat, und wir erkennen an, daß die Beamten des Finanzministeriums in allen Ausschußsitzungen eine außerordentlich gute, treffliche und sachliche Arbeit leisten.
({5})
Wir haben - auch eine Feststellung, die ich treffen möchte - lange beobachten können, daß der Bundesfinanzminister selbst von politischen Gegnern so weit geschätzt wurde, wie es seine Persönlichkeit, sein Fachwissen und sein Dienstwissen betrifft. Daß dieser Bundesfinanzminister nun als Bayer und als Föderalist eine besonders schwere Stellung im System des Grundgesetzes hat, ist eine bekannte Tatsache. Man könnte lediglich wünschen - damit spreche ich etwas aus, was ich schon oft gesagt habe -, daß der Bundesfinanzminister endlich über den bayerischen Föderalisten siegen möge.
Aber ich muß nun doch eine sehr ernsthafte Anmerkung machen zu den gestrigen Ausführungen, die der Herr Finanzminister hier, ich kann nur sagen, sich erlaubt hat. Das war ein Stil, mit dem Bundestag, ein Stil, mit der Opposition umzugehen, den wir in aller Form und in aller Entschiedenheit zurückweisen müssen.
({6})
Er möge damit vergleichen die sympathische und
verbindliche Art, mit der sein um Jahrzehnte jün({7})
gerer Innenminister-Kollege heute mit der Opposition gesprochen hat. So kann man es ja auch machen, man braucht nicht derartige Schärfen herauszuholen.
Wenn ich eben sagte, daß selbst politische Gegner ihn geschätzt haben, so nimmt das in einem für die Stellung des Finanzministers bedrohlichen Ausmaß ab. Wir erleben immer wieder, daß der Herr Bundesfinanzminister in den Ausschüssen Ausführungen macht, mit denen er nicht bestehen kann. So hat er beispielsweise jetzt, als wir über Berlin sprachen, alle möglichen Leistungen des Bundes aufgezählt, um dadurch begreiflich zu machen, daß die Forderungen Berlins nicht erfüllt zu werden brauchten. Damit hat er Dinge aufgezählt, die er auch in bezug auf Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein oder jedes andere deutsche Land aufzählen könnte. So - das möchte ich dem Herrn Bundesfinanzminister sagen - geht es nicht. So bringt er sich um seine Glaubwürdigkeit, so mindert er sein Ansehen.
({8})
Wenn er gestern nicht so zur Opposition gesprochen hätte, würde ich das heute nicht mit solcher Schärfe sagen.
In den letzten Tagen - so liest man - ist das großartige Gebäude der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein in Frankfurt eingeweiht worden. Dazu waren zahlreiche Gäste erschienen, und dann wurde den Gästen mitgeteilt, sie hätten auf Wunsch des Bundesfinanzministers ihr Frühstück selber zu bezahlen. Daraufhin wurden von jedem 5 Mark kassiert.
({9})
- Es traf natürlich keine Minderbemittelten; aber das ist ja nicht das Problem.
({10})
- Ach, Herr Dresbach, wenn auf diese Art die blödsinnige Frühstückerei eingeschränkt würde, dann würde ich Ihnen voll zustimmen, denn ich bin auch der Meinung, daß zu viel gefrühstückt wird.
({11})
Wir haben immerhin in den Einzelplänen, die wir jetzt verabschieden, eine runde halbe Million als Frühstücksfonds für die Herren Minister stehen, auch für den Herrn Bundesfinanzminister neben der Aufwandsentschädigung. Aber im Haushaltsausschuß haben wir diese Sonderposition für die vier Sonderminister von je 20 000 DM - ich glaube, wir waren im Haushaltsausschuß einmütig
- auf je 10 000 DM gekürzt und haben die dadurch eingesparten 40 000 DM einem guten wissenschaftlichen und demokratischen Zweck zugeführt, nämlich als Zuschuß an die Gesellschaft für die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien.
({12})
Im übrigen lädt jedes Dorf, wenn es eine Schule einweiht, Gäste ein und bewirtet sie. Wenn man schon einlädt, dann soll man den Gästen nicht hinterher sagen, sie sollten bezahlen. Das geschieht
nämlich nicht um der Sparsamkeit willen, sondern das geschieht, damit man entsprechend in die Zeitung kommt und dann in den Zeitungen gesagt wird: Was ist doch dieser arme Bundesfinanzminister, der es so schwer hat - er hat es schwer! - für ein sparsamer Mann! Wenn das zutreffen soll, dann soll er zunächst einmal seinen Frühstücksfonds streichen; dann könnten wir darüber reden.
({13})
- Ich denke nicht, Herr Vogel, denn ich antworte ja nur dem Bundesfinanzminister auf eine Maßnahme, die ich, wenn Sie wollen, als ein Mätzchen bezeichnen muß.
({14})
Denn das ist keine ernsthafte Art, Sparsamkeit zu treiben. Und ich sage diese Dinge nur - ich wiederhole es -, weil der Herr Bundesfinanzminister in seinen gestrigen Ausführungen jeden Sinn für Maß und Wert hat vermissen lassen.
({15})
Meine Damen und Herren, beim Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums ist der Entschließungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 31 nicht zur Abstimmung gekommen und, ich glaube, auch nicht erörtert worden. Herr Abgeordneter Dr. Bleiß wollte diesen Entschließungsantrag begründen. Er kommt ja erst in der dritten Beratung zur Debatte. Wollen Sie ihn jetzt begründen, Herr Abgeordneter Dr. Bleiß?
({0})
- Sie können ihn jetzt begründen, dann stimmen wir in der dritten Beratung darüber ab.
({1})
- Das ist richtig; es dreht sich nur um die Frage des Entschließungsantrags. Er wird jetzt begründet, und in der dritten Beratung stimmen wir dann darüber ab. Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Entschließungsantrag meiner Fraktion auf Umdruck 31*) zu begründen. Vor einiger Zeit ist - in Zusammenhang mit der Regelung von Anleihen des Deutschen Reiches und des Landes Preußen - von Mitgliedern der Koalitionsparteien der Vorschlag gemacht worden, erhebliche Teile des Bundesvermögens zu privatisieren respektive zu reprivatisieren.
Über diesen Vorschlag läßt sich vielleicht reden. Auch wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß eine Beteiligung der öffentlichen Hand nicht eine Hortung von Sachwerten aller Art bedeuten muß. Das gilt besonders für die Grundstücke, die beispielsweise während der Naziherrschaft durch Umsiedlung für die Reichswerke und das Volkswagen-
*) Siehe Anlage 5 des Stenographischen Berichts der 24. Sitzung, Seite 932 A.
({0})
werk enteignet wurden und die heute für den unmittelbaren Zweck dieser Werke nicht gebraucht werden. Das gilt auch für eine Reihe von kleineren Beteiligungen, deren wirtschaftlicher Nutzeffekt unbedeutend ist und die nur aus einer gewissen Hausmachtpolitik heraus von den beherrschenden Gesellschaften festgehalten werden.
Anders aber liegen die Dinge, wenn die wirtschaftliche Beteiligung des Bundes im Allgemeininteresse liegt. Das gilt besonders in den Fällen, in denen Bundesunternehmen preissenkend und preisregulierend wirken können. Diese preissenkende Tendenz der Einschaltung der öffentlichen Hand war über einen langen Zeitraum hinweg manchmal recht deutlich zu spüren. In den vergangenen Jahrzehnten hat die öffentliche Hand auf den Gebieten des Verkehrs, des Bergbaus und der Energiewirtschaft über ihre öffentlichen Unternehmungen einen gesunden Einfluß auf die Produktion, auf den Absatz und auf die Preisbildung ausgeübt und sicherlich manche übertriebene Preispolitik verhindern können. Deshalb darf der Bundesbesitz wegen dieser Regulierungsmöglichkeiten im Verkehr, in der Grundstoffindustrie und in der Energiewirtschaft aus gesamtwirtschaftlichen Gründen nicht angetastet werden.
An dieser Auffassung halten wir fest, wenn wir auch einigen Grund zu der Feststellung haben, daß nach 1945 die alten guten Grundsätze der wirtschaftlichen Einflußnahme noch nicht wieder voll zum Durchbruch gekommen sind. Darüber ließe sich manches aus dem Bergbau sagen; dafür scheint mir aber vor allem das Volkswagenwerk ein sehr treffendes Beispiel zu sein.
Herr Staatssekretär Westrick hat gestern von dieser Stelle aus mit etwas überschwenglichem Lob von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister behauptet, daß sich - wie er wörtlich sagte - „wohl kaum jemand finde, der sich mit solcher Liebe um die Verbraucher sorgt wie Herr Professor Erhard". Ich möchte dringend empfehlen, daß sich der Herr Bundeswirtschaftsminister unter diesen Gesichtspunkten einmal um das Volkswagenwerk kümmert. Vielleicht kommt er dann zu der Feststellung, daß gerade dieser Betrieb ein Instrument aktiver Wirtschaftspolitik des Bundes werden und durch wirklich kostennahe Verkaufspreise zu einer Ausweitung der Verbraucherwirtschaft wesentlich beitragen könnte. Wenn das Volkswagenwerk unter dem leichten Druck des Bundeswirtschaftsministeriums sich zu einer solchen Politik entschlösse, dann ließe sich wahrscheinlich eine preissenkende Tendenz auf dem gesamt en Markt für Personenkraftfahrzeuge erzielen und eine nicht unwesentliche Ausweitung der Produktion herbeiführen. An diese Möglichkeiten - praktisch im eigenen Hause - hat anscheinend der Herr Bundeswirtschaftsminister noch nicht gedacht oder will er vielleicht auch nicht denken.
({1})
- Ich kenne den Aufsichtsrat nicht, aber ich werde Ihrem Wunsch gern nachkommen. - Ich bin der Meinung, daß, insbesondere weil es ein quasi bundeseigener Besitz ist,
({2})
der Bundeswirtschaftsminister in der Lage wäre, auf die Geschäftsführung im Sinne einer Verbraucherwirtschaft einzuwirken.
Wenn wir im Prinzip die Beteiligung des Bundes an der Wirtschaft bejahen, scheint es uns allerdings notwendig zu sein, sobald wie möglich eine Neuordnung des Bundesvermögens herbeizuführen. Zum Bundesvermögen gehören neben den Reichswerken und dem Volkswagenwerk, dessen Vermögensverhältnisse, wie ich Ihnen zugebe, noch nicht ganz geklärt sind,
({3})
insbesondere der in der Viag zusammengefaßte frühere Reichsbesitz und der in der Veba zusammengefaßte frühere Besitz des Landes Preußen. Von diesen drei großen Dachgesellschaften werden zahlreiche Interessen im Bergbau und an der Energiewirtschaft kontrolliert, die nebeneinander herlaufen und die zweckmäßigerweise umzugruppieren sind.
Wir wünschen, daß diese Aufgaben endlich in Angriff genommen werden, und halten deshalb die Einsetzung eines 21er Ausschusses des Bundestages für erforderlich. In diesen Ausschuß sollten je sieben Mitglieder des Haushaltsausschusses, des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des Ausschusses für Wirtschaftspolitik entsandt werden. Ein ähnlicher Ausschuß, allerdings in verkleinertem Maßstab, hat schon während der ersten Legislaturperiode bestanden, ohne daß uns aber seine Arbeit voll befriedigt hätte; denn die von uns seit jeher geforderte Neuordnung der Vermögensverhältnisse ist nicht einmal in Angriff genommen worden. Wir haben auch eine straffere Kontrolle der Vermögensobjekte vermißt.
Es scheint uns notwendig zu sein, daß der neu zu bildende Ausschuß künftig etwas gründlicher als bisher über wirtschaftliche Vorgänge und finanzielle Transaktionen innerhalb der Bundesbeteiligungen informiert wird. Es ist unmöglich, daß der Bundestag von den Beteiligungen nur dann etwas erfährt, wenn Verkaufs- oder Liquidationserlöse oder vielleicht später einmal Dividendenzahlungen als Einnahmen im Haushalt verbucht werden. Es scheint uns viel wichtiger zu sein, daß finanzielle Transaktionen dem Ausschuß rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Kenntnis gebracht werden und daß man nicht versucht - diese Mahnung möchte ich besonders an Herrn Staatssekretär Dr. Westrick richten -, durch unübersichtliche Zwischenschaltung von Dachgesellschaften wirtschaftlich nützliche Arrondierungen des Bundesvermögens zu erschweren oder gar zu verhindern.
Besonderen Wert sollten die Unternehmungen des Bundes auf eine gute Sozialpolitik und eine vernünftige Berücksichtigung der Vertreter der Arbeitnehmer in den Kontrollorganen legen. Wir haben wiederholt Anlaß zu der Feststellung, daß das Bundeswirtschaftsministerium von dieser Praxis anscheinend nicht viel hält und daß es nur das tut, was nach dem Gesetz unbedingt erforderlich ist. Ich würde es für richtiger halten, wenn der Bund in seinen Wirtschaftsunternehmungen der Entwicklung nicht zögernd folgen, sondern in der Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern einmal einen kräftigen Schritt nach vorn tun würde.
Das Bundesvermögen ohne die Bundesbahn, ohne die Bundespost, ohne das ERP-Sondervermögen und den Ausgleichfonds umfaßt einen Wert von rund 13 Milliarden DM. Die Kapitalbeteiligungen stehen mit etwa 1,2 Milliarden DM zu Buch. Ein({4})
schließlich der stillen Reserven ist der Wert auf mehr als 2 Milliarden DM zu veranschlagen. Wir erklären uns bereit, an einer vernünftigen Neuordnung des Komplexes mitzuarbeiten. Wir haben nichts dagegen, wenn sich der Bund von wirtschaftlich unbedeutenden Betrieben oder von Zufallsbeteiligungen trennt. Wir werden uns aber jeder Regelung widersetzen, die es gestattet, daß interessierte Wirtschaftskreise sich die lohnenden und rentablen Beteiligungen des Bundes heraussuchen und reprivatisieren und die unrentablen Projekte getrost beim Bund belassen.
Wir bitten schließlich den Herrn Bundeswirtschaftsminister, die Bundesgesellschaften wirklich als Instrumente einer aktiven Wirtschaftspolitik zugunsten der Ausdehnung der Verbraucherwirtschaft einzusetzen.
Diesem Zweck soll unser Entschließungsantrag dienen, den wir Ihnen auf Umdruck 31 vorlegen. Wir bitten Sie um Zustimmung zu diesem Antrag.
({5})
Zu diesem Entschließungsantrag Herr Abgeordneter Naegel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Bleiß hat, glaube ich, klar genug herausgestellt, daß das oberste Ziel die Unterstellung des Bundesvermögens unter die wirtschaftspolitischen Grundsätze ist. Das zeigt bereits deutlich an, daß wir hier zwischen werbendem Vermögen und verwaltetem Vermögen unterscheiden müssen.
({0})
Dementsprechend wäre wohl zu trennen zwischen den Beteiligungen des Bundes und den Liegenschaften, die in der Hand des Bundes sind. Wir sind deshalb in einigen Besprechungen der Auffassung gewesen, man sollte doch hier lieber einmal klar die Linie zwischen diesen beiden Polen ziehen. Auch in dem von Herrn Dr. Bleiß erwähnten Unterausschuß des ersten Bundestages für ehemaliges Reichs- und Preußenvermögen hat diese Konzeption bereits vorgeherrscht. Aber wir mußten leider feststellen, daß wir dabei in der Behandlung der eigentlichen Bundesbeteiligungen sehr kurz gekommen sind und uns sehr häufig nur über die Liegenschaften informieren lassen konnten. Das aber ist nicht das Ziel und der Zweck einer solchen Institution.
Wir glauben deshalb, man sollte davon absehen, einen eigenen Hauptausschuß für die Wahrnehmung dieser Aufgaben zu bilden; man sollte lieber - nach dem Schwergewicht von Beteiligungen und Liegenschaften - zwei Unterausschüsse bilden,
({1}) wobei dann selbstverständlich das Schwergewicht in dem einen Unterausschuß bei der Behandlung der Beteiligungen und in dem anderen bei der Behandlung der Liegenschaften liegen müßte. Ich glaube, daß ich beauftragt bin, im Namen unserer Freunde von der Koalition zu sprechen, wenn ich sage: wir wollen den Antrag, den die SPD gestellt hat, in der Form, wie er vorliegt, ablehnen, wir wollen uns aber wohl dazu bekennen, daß eine Neuordnung des Bundesvermögens durchgeführt werden muß und daß man zur Vorbereitung die beiden Unterausschüsse, wie ich sie eben andeutete, in Erwägung ziehen sollte. Ich bitte Sie, so zu entscheiden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Das Anliegen, das Herr Kollege Dr. Bleiß hier vorgetragen hat, wird von uns seit Jahren energisch vertreten. Auch wir sind der Meinung, daß es nicht die Aufgabe des Bundes ist, sich in gewerblichen Betrieben zu betätigen. Wir sind in einigen Punkten anderer Ansicht als der Vertreter der Sozialdemokratie. Wir glauben auch nicht, daß Unternehmen gewerblicher Art in der Hand des Bundes verbleiben müssen mit der Aufgabe, preisregulierend oder in ähnlicher Form zu wirken. Das ist nicht die Aufgabe der öffentlichen Hand. Wir wollen aber - das möchte ich im Hinblick auf ein gestriges Vorkommnis in aller Deutlichkeit noch einmal betonen - unter keinen Umständen uns dem Vorwurf aussetzen, daß wir eine Verschleuderung des Vermögens der öffentlichen Hand betreiben.
({0})
Dieser Vorwurf kam gestern in einem Zuruf von der anderen Seite zum Ausdruck, und dem möchte ich mit aller Entschiedenheit entgegentreten.
Wir erstreben auch nicht, das Vermögen der öffentlichen Hand in die Hände irgendeiner großen Kapitalgruppe oder Kapitalmacht zu führen. Unser Bestreben ist hier mit aller Deutlichkeit wiederholt zum Ausdruck gebracht worden: wir wollen dieses Vermögen der öffentlichen Hand einer großen Zahl kleiner Kapitalbesitzer zugänglich machen,
({1})
und wir wollen bei dieser Gelegenheit auch dem Bund eine Erleichterung in der Weise bringen, daß wir ihn von Lasten befreien, die er sonst aus dem öffentlichen Haushalt bezahlen müßte,
Pelster: Es ist aber der gerechte
Preis zu bezahlen!)
die in der nächsten Zeit erst auf ihn zukommen, noch nicht im Haushalt enthalten sind, Herr Pelster, die aber unseren Haushalt und den Steuerzahler belasten würden. Diese Lasten sollen auf diese Weise von uns abgewendet werden. In diesem Bestreben kann keine Diffamierung liegen, kann nichts Unrechtes liegen, wie das leider von den Kreisen behauptet wird, die erklären, wir wollten das öffentliche Vermögen verschleudern. Im Gegenteil; als letztes Ergebnis soll für den Bund etwas Positives herauskommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß in der Presse und in der Öffentlichkeit allmählich genug über die Notwendigkeit geredet worden ist, die wirtschaftliche Betätigung des Staates einzuschränken oder jedenfalls unter gar keinen Umständen auszudehnen. Ich spreche - das sage ich ausdrücklich - als Abgeordneter.. Ich habe von dem Zwischenfall gehört, daß der Herr Bundesfinanzminister gestern gesagt hat: Schicken Sie mir doch einen Käufer für die Bundesbahn! Herr Bundesfinanzminister, das scheint mir, sagen wir einmal: eine Verniedlichung des Problems zu sein. So einfach liegen die Dinge in der Tat nicht, und ich bin auch nicht der Meinung, daß, wenn wir uns entschließen, einen Ausschuß einzusetzen, dieser
({0})
damit anfangen sollte, einen Käufer für die Bundesbahn zu suchen. Ich stelle aber anheim; vielleicht findet irgend jemand einen.
({1})
- Ich reiße es gar nicht aus dem Zusammenhang, Herr Pelster, sondern Herr Bender hat nach meinen Informationen gesagt: Verkaufen Sie einige Bundesbetriebe! Das war eine durchaus zweckmäßige Bemerkung,
({2})
und ich bin der Meinung, meine Damen und Herren, daß wir uns nun eigentlich nicht weiter mit den Präliminarien aufhalten sollten.
({3})
Wir haben im ersten Bundestag einen Unterausschuß eingesetzt, der nichts, gar nichts zustande gebracht hat. Das sage ich ganz offen, obwohl es ein Unterausschuß des von mir geführten Finanzausschusses war.
({4})
Ich möchte hier aber nicht auf persönliche Dinge eingehen. Jedenfalls hat der Unterausschuß gar nichts zustande gebracht,
({5})
und ich halte es für dringend nötig - wenn Sie glauben, Herr Naegel, daß der Weg, auf dem Sie vorgehen wollen, der bessere ist, dann bin ich natürlich damit einverstanden - ({6})
- Darüber kann man streiten, Herr Schoettle; aber wenn man auf dem Standpunkt steht, daß bis jetzt noch gar nichts geschehen ist - und es ist noch nichts geschehen -, dann ist beinahe jeder Weg richtig, um zu Ergebnissen zu kommen, sowohl der Ihrige als auch der von Herrn Naegel. Das ist meines Erachtens durchaus keine Grundsatzfrage, über die wir uns hier noch unterhalten müßten. Was ich aber in den Vordergrund rücken möchte, ist, daß wir unbedingt - und ich halte dafür ein Gesetz für erforderlich - dazu kommen müssen, daß die wirtschaftliche Betätigung des Staates nicht immer weitere Fortschritte macht,
({7})
daß wenigstens ein Stopp in der wirtschaftlichen Betätigung eintritt; denn auch davon sind wir in dem von mir so geschätzten Land Bayern noch sehr weit entfernt. Wenn wir also dazu mithelfen
- ich wiederhole: gleich auf welchem Wege -, dann ist mir das recht.
({8})
Herr Abgeordneter Dr. Gülich!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wellhausen, ich stimme Ihnen zu, daß es sich nicht um eine Grundsatzfrage handelt; es handelt sich um eine Frage der Zweckmäßigkeit, und von diesem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit möchte ich etwas zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Naegel sagen. Ich halte es nicht für zweckmäßig, zwei Ausschüsse zu machen, denn wir haben es mit einem Komplex zu tun, nämlich mit dem gesamten Bundesvermögen, mögen es nun
Liegenschaften sein oder Beteiligungen des Bundes an Gesellschaften des privaten Rechts; mit den Beteiligungen sind ja zumeist auch Grund und Boden verbunden. Ich glaube, wir müssen unter allen Umständen daran festhalten, daß die Frage des gesamten Bundesvermögens uneingeschränkt beim Bundesfinanzminister ressortiert. Dorthin gehört sie, auch nach der Reichshaushaltsordnung; der Finanzminister ist eben der Haushalter des Bundes. Würde man aber zwei Ausschüsse einsetzen und den Vorsitz des einen Ausschusses federführend mit dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß verbinden, wie es gedacht ist, und einen zweiten Ausschuß für die Liegenschaften schaffen, der federführend beim Ausschuß für Finanzen und Steuern wäre, dann wäre die Einheit gelöst und die einheitliche Diskussion unmöglich gemacht. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Kollegen vom Wirtschaftspolitischen Ausschuß anders an die Probleme herangehen als die vom Finanz- und Steuerausschuß, wie ja auch der Herr Finanzminister die Dinge anders betrachtet als sein Kollege Wirtschaftsminister. Aber die Gefahr, daß der Finanzminister das gesamte Bundesvermögen einschließlich der Beteiligungen nur unter fiskalischen Gesichtspunkten sieht, ist nicht gegeben. Wenn man den Wirtschaftspolitikern - das will ich ganz offen sagen - hier die Behandlung der Beteiligungen einräumt, dann will ich zwar nicht den Verdacht aussprechen, daß die Herren die Absicht hätten, Bundesvermögen zu verschleudern, aber es liegt doch die Gefahr darin, daß Betriebe des Bundesvermögens, die nicht gut gehen, beim Bund verbleiben, während mit Gewinnen arbeitende Betriebe gern von der Privatwirtschaft übernommen werden. Ich erinnere Sie an die Verhandlungen, die darüber z. B. wegen der Howaldtwerke geführt worden sind. Ich möchte Sie also dringend bitten, sich doch noch einmal zu überlegen, ob sie unserem Antrag zustimmen können, damit diese Einheit in der Behandlung des gesamten Gegenstands gewahrt bleibt.
Nun muß ich auch noch etwas sagen zu den Ausführungen von Herrn Wellhausen, der ja geradezu schonungslos, wie es sonst nicht seine Art ist, die Tätigkeit des Unterausschusses „Ehemaliges Reichsvermögen" im 1. Deutschen Bundestag kritisiert hat. Er hat wörtlich gesagt, dieser Unterausschuß habe gar nichts zustande gebracht. Ich darf dazu erwidern: Der Gedanke zu diesem Unterausschuß kam mir vor über drei Jahren bei der Behandlung des FDP-Antrags, den der verstorbene verehrte Herr Kollege Höpker-Aschoff hier begründet hatte. Ich habe damals gesagt, wir müssen die ganze Frage des Bundesvermögens, seien es Liegenschaften, seien es Beteiligungen, in Parlamentsnähe bringen, und deswegen habe ich im Januar 1951 den Vorschlag gemacht, einen Ausschuß einzurichten, dem jeweils die gleiche Anzahl von Mitgliedern aus dem Haushaltsausschuß, dem Finanz- und Steuerausschuß und dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß angehören sollte. Wie Sie daran sehen, war mir also völlig klar, daß die Wirtschaftspolitiker mit beteiligt sein müßten, um deren Gesichtspunkte bei der Behandlung zur Geltung kommen zu lassen. Herr Kollege Scharnberg hat mich gestern gefragt, ob ich es nicht für gut hielte, wenn man dann wenigstens auch Mitglieder des Ausschusses für Geld und Kredit hineinnähme. Nun, dagegen würde ich gar keine Bedenken haben; dann würde das wirtschaftspolitische Element in dem Ausschuß noch etwas stärker sein.
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Zu dem Vorwurf, daß der erste Ausschuß gar nichts zustande gebracht habe, muß ich sagen: dieser erste Unterausschuß, für den ich ja nicht verantwortlich bin
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- ich habe ihn nur angeregt, und der Bundestag hat ihn beschlossen -, hat sich um die Frage der Klärung des Liegenschaftsvermögens eingehend bemüht. Er hat dafür gesorgt, daß die säumigen Länder ihre Vermögensnachweisungen einreichten. Das war sehr schwierig, weil gewisse Länder eben gar nicht wollten. Der Unterausschuß hat es also zustande gebracht, und durch diese Tätigkeit ist ja dann die Bundesvermögensverwaltung in die Lage versetzt worden, den Vermögensnachweis im Haushaltsplan 1954 zu veröffentlichen. Das ist ja schon ein gewisser Erfolg.
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Wir sollten diesen Erfolg jetzt nicht dadurch schmälern, daß wir in etwas grober Übertreibung sagen, der Ausschuß habe gar nichts getan.
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- Er ist die Grundlage für die kommende Arbeit, das ist der Fall. Und wie gesagt, es läßt sich darüber reden, daß man ihn um einige Mitglieder des Ausschusses für Geld und Kredit erweitert. Aber wenn es nicht dazu kommt, steht es den Fraktionen ja frei, die für diesen Zweck sachkundigsten Mitglieder in den Ausschuß zu delegieren. Der Ausschuß sollte eigentlich nicht größer sein als ein 21er Ausschuß. Ich wäre den Herren Kollegen Naegel und Atzenroth für eine nochmalige Überlegung dankbar, und ich hoffe, daß wir dann einen Weg finden, gemeinsam an der Lösung dieser Frage weiterzuarbeiten.
Frau Abgeordnete MeyerLaule, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Beratung des Haushalts des Bundesfinanzministeriums bin ich gezwungen, zu den Ausgaben Stellung zu nehmen, die der Herr Bundesfinanzminister für die Requisitionen auszuschütten gedenkt. Wir sind mit dem Ansatz nicht einverstanden. Wir wissen, daß die Besatzungsschäden nur ein Teil aus dem großen Zusammenhang der Kriegsschäden sind, und wir sind der Meinung, daß mit dem, was der Herr Bundesfinanzminister als Gesamtsumme angesetzt hat, einfach nichts anzufangen ist. Vor allen Dingen sehen wir in dem Besatzungsschäden- und Besatzungsfolgenproblem nicht nur ein finanztechnisches Problem, sondern ein Politikum, das man nicht ernst genug nehmen kann. In der politischen Frage stecken eine Fülle ungelöster juristischer Fragen, auch Fragen völkerrechtlicher Natur.
Der Bundesminister der Finanzen hat durch die Ersatzwohnungsbauprogramme für Besatzungsverdrängte Erleichterungen geschaffen. In der Gesamtwirkung für alle drei Zonen sind sie nicht ausreichend; denn die Mittel werden nicht planmäßig verteilt. Die Gelder dürfen nicht, wie es praktiziert wurde, schematisch verteilt, sondern sie müssen nach dem Bedarf ausgegeben werden, wie dieser gerade anfällt.
Das Statistische Bundesamt gibt die Zahl der beschlagnahmten Wohnungseinheiten mit rund 53 000
an, und ich will doch annehmen, daß der Statistiker des Herrn Bundesfinanzministers ein exakter Mathematiker war. Ein Restbestand von 43 000 Wohneinheiten, die erst auf Jahrzehnte verteilt zurückgegeben werden können, das ist einfach nicht tragbar.
Wir müssen endlich dahin kommen, daß bei Freigabe die Vorschläge der Verbände und vor allen Dingen der Gemeinden berücksichtigt werden. Ich habe mir aus einem großen Postanfall nur eine Karte herausgezogen. Da schreibt ein 82jähriger Mann:
Ich bitte Sie nochmals dringend, auch die Not der ganz alten 80- bis 90jährigen und von diesen doch wenigstens die schwersten Fälle bei Freigabe zu berücksichtigen.
Ich glaube, da ist jeder Kommentar überflüssig.
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Aber die Zustände müßten nicht so sein und müssen nicht so bleiben. Man beruft sich doch bei uns und auch vom Finanzministerium aus bei Beratungen immer wieder auf Notwendigkeiten, denen man nicht begegnen könne. Ich möchte Ihnen sagen, daß die Alliierten unter sich einen Weg gefunden haben, wie man ihnen begegnen kann. Die NATO-Staaten haben einen Vertrag geschlossen, in dem sie die wechselseitigen Quartierleistungsverpflichtungen geregelt haben. Danach müssen sich fremde Truppen - und es sind nicht wenige auch in England, in Belgien und Frankreich - auf dem normalen Wege nach Quartier umsehen, niemand kann gezwungen werden, seine Wohnung aufzugeben; es müssen Mietverträge abgeschlossen werden, und es ist merkwürdig: auf diesem Wege kommen Mietverträge zustande. Warum macht man das bei uns nicht auch so? Ist die Wohnung eines Deutschen weniger heilig als die Wohnung eines Franzosen oder eines Engländers? Ist das Privateigentum eines Deutschen weniger Schutz wert als das eines Engländers, Franzosen oder Amerikaners? Wie mir bei Unterredungen im amerikanischen Hauptquartier gesagt wurde, warten noch einige tausend amerikanische Familien auf die Überfahrt nach Deutschland. Wie der Herr Bundesfinanzminister diese Wohnungen alle finanzieren will, ist mir einfach ein Rätsel. Auch wenn die Wohnungen aus dem Etat der Alliierten selbst bezahlt werden, fällt doch allein durch die Baulandbeschaffung für diese Wohnungen und für diese ganzen Viertel eine Unsumme an Kosten an.
Wir haben von dieser Stelle aus schon sehr oft Kritik an den Besatzungsmächten in puncto Wohnungsansprüche geübt. Es ist festzustellen, daß das Finanzministerium es erreicht hat, daß die Wohneinheit, die über das Finanzministerium gebaut wird, nicht mehr auf 40- bis 60 000 DM kommt, sondern daß man heute z. B. im amerikanischen Sektor für 30 000 DM eine Wohneinheit bauen kann und daß diese 30 000 DM von den Amerikanern auch gebilligt werden. Die Bundesregierung führt solchen Erwägungen gegenüber oft ins Feld, die Verhältnisse bei uns in Deutschland lägen ganz anders wegen der großen Zahl der Soldaten und ihrer Familien, die hier untergebracht werden müssen. Meine Damen und Herren, als ob die Quantität ein Argument gegen das Recht wäre!
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Die Lösung des gesamten Besatzungskosten- und Verdrängtenproblems liegt in der Freimachung aller beschlagnahmten Objekte. Schließlich kann man von den Besatzungsmächten verlangen, daß sie
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sich auch innerhalb des Besatzungsregimes an die elementaren Grundsätze eines jeden Rechtsstaates halten, als da sind: Eingriffe in die Rechtssphäre eines Individuums nur auf Grund rechtmäßig zustande gekommener Gesetze;
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Respekt vor der Verfassung des Landes und ihren Schutzvorschriften, auch im Verhältnis der Besatzungstruppen zu den Landeseinwohnern; Schutz des Privateigentums; keine Entziehung von Eigentum ohne angemessene Entschädigung. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß es in den ersten Zeiten der Besatzung - in den sogenannten wilden Zeiten - nicht ausschließlich rechtsstaatlich zugehen konnte; aber da war noch Krieg, und das Besetzen will schließlich auch gelernt sein. Ich gebe zu, daß in der Zwischenzeit einiges getan worden ist, um das Verhältnis von Besatzung und Einwohnern mehr im Sinne einer rechtsstaatlichen Ordnung zu gestalten.
Weitere Anliegen sind für uns die Mindestschadensvergütung, Benutzungsentschädigung, Schadensbehebung bei Freigabe, Entschädigung bei Möbelverlust und gewerblichen Schäden. Für die Zwischenzeit verlangen wir die Aufhebung des Verbots des Zusammenwohnens von Deutschen mit Besatzungsangehörigen und Reduzierung der Ansprüche der Besatzungsangehörigen auf ihren heimischen Standard. Dann wäre vieles leichter, sogar, glaube ich, auch für den Herrn Bundesfinanzminister. Entschuldigen Sie, wenn ich jetzt ein vielleicht etwas hartes Wort sage. Aber ich bin überzeugt, wenn wir dahin kämen, fänden die Bestimmungen für den deutschen sozialen Wohnungsbau auch auf einen Großteil der Angehörigen der Besatzungsmächte Anwendung.
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Es hört sich doch seltsam an - wenigstens für mich -, wenn gesagt wird, daß wir alle gemeinsam in einem Schiff untergebracht sind und mit diesem Schiff gemeinsam fahren sollen; wir haben jedoch das Gefühl, daß wir allein das Zwischendeck bewohnen dürfen,
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und die anderen dürfen die Luxuskabinen für sich in Anspruch nehmen.
Wir verlangen weiter, daß Häuser, bei denen Umbauten durchgeführt und die von oben nach unten umgekehrt wurden, ihrer Zweckbestimmung zugeführt werden, wenn dies der Eigentümer bei Übernahme seines Eigentums verlangt. Denn Einbauten, die das Haus so verändern, bringen doch für den Eigentümer eine Belastung mit sich und verursachen Mehrkosten für die Bewirtschaftung, und man kann nicht verlangen, daß sie der Eigentümer trägt.
Hotels sind freizugeben mit Ausnahme derer, die dauernd voll belegt sind. Es ist ein Skandal, das Hotels beschlagnahmt sind - wir können Ihnen das bei Hunderten von Hotels nachweisen -, in denen höchstens einige Zimmer besetzt sind. Damit wird nicht nur notwendiger Hotelraum entzogen, sondern es entstehen der öffentlichen Hand Quartierleistungskosten, die vermeidbar wären.
Dieser ganze Fragenkomplex hätte über ein Bundesleistungsgesetz geregelt werden können. Darin wäre ein rechtsstaatlichen Gesichtspunkten entsprechendes Verfahren festzulegen, kurzer Rechtsweg, volle Entschädigung, rasche Erledigung.
Das Bundesfinanzministerium glaubt, durch das Besatzungsstatut gehandicapt zu sein, und verschanzt sich hinter das Gesetz Nr. 47. Nun, meine Herren und Damen, der US-Hochkommissar ist anderer Meinung. Hier sind Zwiespältigkeiten aufgekommen, und wir möchten gern wissen, an wen wir uns eigentlich zu halten haben. Der US-Hochkommissar schreibt unter dem 24. Juli 1953, das Gesetz Nr. 47 setze nur das Ausmaß der Schadensabgeltung fest, soweit sie auf Rechnung der Besatzungsstreitkräfte aus dem Bundesbesatzungskosten- und Auftragsausgabenhaushalt zu bezahlen ist. Das Gesetz Nr. 47 hindere die Bundesbehörden oder den Bundestag nicht daran, zusätzliche Entschädigungen auf Rechnung der Bundesrepublik aus anderen Etatmitteln zu gewähren.
Das klingt doch wesentlich anders als das, was wir vom Herrn Bundesfinanzminister hören. Die Bundesregierung hat es meiner Meinung nach nicht nötig, Genehmigungen abzuwarten. Wer hätte es ihr denn verwehren können, dem Bundestag ein Gesetz vorzulegen, das ihr die Möglichkeit gab, dort zu handeln, sich den Besatzungsmächten zu substituieren, wenn sie glaubte, daß es nicht mit Recht und Billigkeit zuginge und sie sich nicht entsprechend verhielten. Keine Macht hätte es wagen können, gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz ein Veto einzulegen. Das hätte aber vorausgesetzt, daß die Bundesregierung die sachliche Erledigung eines brennenden Problems vor die Bestrebungen der örtlichen Organe gestellt hätte, daß sie also bereit gewesen wäre, alle freundschaftlichen Überlegungen zurückzudrängen und zuerst einmal für die Durchsetzung des Rechts zu sorgen, das die deutschen Staatsbürger beanspruchen.
Weiteres Unrecht ist an den etwa 10 000 entlassenen Arbeitnehmern der IG-Farben wiedergutzumachen. Diese Entlassenen entbehrten jeglichen Rechtsschutzes, auch des arbeitsrechtlichen. Ich weiß nicht, was sich die Gewerkschaften bei den Beratungen im Entflechtungsausschuß gedacht haben, als sie dieses Unrecht zuließen.
Das traurigste Kapitel aber dürfte doch wohl das der Personenschäden sein. In der britischen und französischen Zone werden auch deutsche Richter zur Mitentscheidung herangezogen. In der amerikanischen Zone liegt die Entscheidung allein bei den zuständigen Heeresdienststellen. Beim Claims Office, das in München gastiert, werden nach unserem Rechtsempfinden oft unverständliche Urteile gefällt. Bis Auszahlungen von Entschädigungen genehmigt werden, entstehen oft solche zeitlichen Spannen, daß man nicht mehr von einer fairen und sauberen Regelung sprechen kann. Wir fordern genau die gleiche Regelung wie in der britischen und französischen Zone.
Die Schreiben, die vorn Bundesfinanzminister an den Fünfer-Ausschuß gehen, sind nicht immer objektiv. Wir haben ein Schreiben unter dem 26. Januar bekommen, worin sich der Herr Finanzminister auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe versteift. Ich möchte dazu sagen, daß sich der Herr Finanzminister in seiner Annahme irrt. Der sogenannte Aufopferungsanspruch und damit auch der Anspruch gegenüber der Bundesrepublik wird als Moralgesetz in allen Kulturstaaten anerkannt. Wir können hier das Gutachten von Professor Grewe, der für Sie kein unbekannter Mann sein dürfte, und viele andere Gutachten hervorheben, um Ihnen klarzumachen, daß in dieser Angelegenheit genau unsere Meinung vertreten wird. Sobald ein Schadensanspruch angemeldet
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wird, wird er in den Staaten, die sich Rechtsstaat nennen, auch geprüft. Das ist bei uns nicht der Fall.
Im dritten Abschnitt Ihres Schreibens, Herr Bundesminister, befinden Sie sich, wie ich glaube, auch mit der Auffassung eines Teils Ihrer Fraktionsmitglieder in Widerspruch. Sie schreiben dort:
Ein Anspruch könnte auch nicht auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den Aufopferungsanspruch gestützt werden, da ein solcher Anspruch dann nicht gegeben ist, wenn das Opfer nicht von dem eigenen Staat gefordert und nicht zu dessen Gunsten erbracht wird, sondern von der Besatzungsmacht verlangt wird und ihren Interessen dient.
Der Herr Bundesfinanzminister verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen. Die Opfer sind zwar nicht vom eigenen Staat gefordert, aber doch ganz zweifelsfrei zu seinen Gunsten erbracht. Der Staat hat die Aufgabe, die Besatzungsstreitkräfte unterzubringen und zu versorgen. Wegen seines Unvermögens, diese Aufgabe zu erfüllen, muß ein bestimmter Kreis betroffener Bürger aus ihrem Privateigentum Vorleistungen erbringen für diese Staatsaufgabe, eine Aufgabe der Allgemeinheit. Deshalb hat der Staat die Pflicht, diese Vorleistungen zu ersetzen.
Noch handgreiflicher wird diese Tatsache durch die schriftliche Erklärung wiederum der Amerikaner von 1951, „daß die Inanspruchnahme von Privateigentum zum Zwecke der Unterbringung und Versorgung der von der Bundesregierung ausdrücklich gewünschten verstärkten Verteidigungsstreitkräfte des Bundes, also für die Landesverteidigung geschehe". Wie kommt der Herr Bundesfinanzminister da zu der Behauptung, die Opfer der Betroffenen würden nicht zugunsten des eigenen Staates erbracht? - Wir würden gern noch einige Fragen zu diesem Schreiben des Herrn Bundesfinanzministers stellen; aber wir werden das im Fünfer-Ausschuß tun.
Ich möchte zum Schluß nur sagen: Wir wissen, daß es der Herr Bundesfinanzminister schwer hat; denn die von mir aufgeworfenen Fragen sind doch zum großen Teil Fragen, die nur sein Kollege, der Herr Außenminister, behandeln und erledigen kann.
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Es mag für den Herrn Bundesminister der Finanzen schwer sein, mit einem Ministerkollegen zu rechten, wenn dieser gleichzeitig der Chef des Ganzen ist. Die Fragen dürften nicht zuletzt auch schon deshalb den deutschen Außenminister angehen, weil es darauf ankommt, wie er das Verhältnis zu unseren Mitintegrierten gestaltet und wie er unsere Integrierer von der anderen Seite des großen Teiches davon zu überzeugen vermag, daß Grundrechte nicht verletzt werden dürfen, auch wenn sie unbequem sind.
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Wir nehmen für alle Bürger die Charta der Menschenrechte in Anspruch und verlangen für alle Bürger die Rechtssicherheit, die das Grundgesetz garantiert.
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Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Gülich wollte noch einmal kurz das Wort haben zu dem Entschließungsantrag Umdruck 31.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Umdruck 31, der unsern Antrag begründet, den 21er-Ausschuß einzusetzen, ist vielleicht nicht ganz klar. Aus der Formulierung, daß es ein 21er-Ausschuß sein soll mit der Bindung, je 7 Mitglieder aus den angeführten drei Ausschüssen zu nehmen, geht an sich schon hervor, daß das kein selbständiger Ausschuß ist, da die Bildung eines solchen nicht an eine derartige Bedingung geknüpft sein könnte. Ich schlage vor, in der vierten Zeile hinter den Worten „des öffentlichen Rechts wird" einzufügen: „unter Federführung des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen" und dann fortzufahren: „ein 21er-Ausschuß ...". Damit dürfte alles ganz klar und den Bedenken gegen die Einsetzung eines Sonderausschusses als Hauptausschuß Rechnung getragen sein.
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Meine Damen und Herren, Sie haben davon Kenntnis genommen. Ich glaube nicht, daß im Augenblick eine Debatte darüber stattfinden soll. Es wird ja erst in der dritten Beratung darüber abgestimmt.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Wahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Einerseits-Andererseits, das aus den Ausführungen der Frau Kollegin Meyer-Laule trotz aller Schärfe, mit der sie das Einerseits betonte, herauszulesen war, bin ich im wesentlichen einverstanden. Es liegt im Wesen jeder Besatzung, daß sie für das besetzte Land und seine Einwohner Opfer, Belästigungen, Nachteile und Schäden mit sich bringt, die für die Betroffenen um so bitterer sind, als sie ihnen im Interesse und von Instanzen eines fremden Staates zugemutet werden, gegenüber dessen Maßnahmen die demokratischen Einrichtungen des besetzten Gebiets zur Kontrolle der landeseigenen Verwaltung naturgemäß weitgehend versagen. Dabei ist die Zahl der Besatzungsbetroffenen sehr erheblich. Es bedarf der größten Behutsamkeit auf beiden Seiten und nach beiden Seiten hin, um vermeidbare Härten und Verhärtungen auszuschließen und wirkliche Fortschritte im Sinne einer echten Befriedung dieses Sektors unseres öffentlichen Lebens zu erreichen. Aber andererseits hat sich in der Besatzungspraxis der Alliierten auch schon manches zum Besseren gewendet. Der Bedeutungswandel, den die Anwesenheit der alliierten Truppen in Deutschland durchgemacht hat, ist nicht ohne Rückwirkungen auf die Praxis der Besatzungsmächte geblieben. Aber es ist doch auch bei manchem geblieben, was auf die Dauer unerträglich ist.
Bisher war die Initiative der Alliierten freilich gelähmt, weil man mit dem früheren Inkrafttreten der Bonner Verträge gerechnet hat, durch die sich manches von selbst erledigt hätte. Aber so wie bei den Kriegsverurteilten die jetzigen Gnadeninstanzen unter deutscher Beteiligung, die die in dem Vertragswerk vorgesehenen gemischten Kommissionen vorwegnehmen, ins Leben gerufen worden sind, ist zu fordern, daß auch schon heute die Rechtsgarantien vor allem durch Gewährung eines
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echten Rechtszuges in Schadensfällen, besonders bei Personenschäden, gerade in der amerikanischen Zone verstärkt werden
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und daß vielleicht ein gemischter Ausschuß gebildet wird, der eine Nachprüfung der alten Ablehnungsbescheide des Claims Office vorzunehmen hätte. Ich darf dabei erwähnen, daß wir in direkten Verhandlungen mit amerikanischen Dienststellen den Eindruck gewonnen haben, daß man dort die große politische Bedeutung dieser Frage erkannt hat. Es darf die Erwartung ausgesprochen werden, daß diese Erkenntnis auch in nicht allzu ferner Zeit ihre Früchte trägt.
Was nun die Gesetzgebung des Bundes betrifft, von der die Betroffenen erwarten, daß sie einfach alle die Schäden auf den Bund übernimmt, die die Besatzungsmächte nicht ausgeglichen haben, so ist hier eine praktisch durchführbare Lösung vielleicht in der Weise denkbar, daß eine Verschmelzung der alliierten und der deutschen Entschädigungen in einem einheitlichen Verfahren und aus einer einheitlichen Kasse ins Auge gefaßt wird, was sich vielleicht im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Rechtszugs unter Beteiligung deutscher Gerichtsstellen erreichen läßt. Aber hierüber wird es noch mancher Verhandlungen und Erwägungen bedürfen.
Ich möchte diese wenigen Bemerkungen nicht beenden, ohne auch der Abteilung des Bundesfinanzministeriums, die seit Jahren die Verhandlungen mit den Alliierten geführt und die Betreuung der sogenannten Härtefälle übernommen hat, für ihre zähe und erfolgreiche Arbeit zu danken.
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Die beteiligten Herren arbeiten in ihrer schwach besetzten Abteilung bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Leider ließ sich die Anregung des 5. Ausschusses, die Planstellen zu vermehren, bei den Budgetberatungen nicht durchsetzen. Aber es ist zu hoffen, daß sich wenigstens innerhalb des Finanzministeriums gewisse Verschiebungen ermöglichen lassen, die eine Entlastung herbeiführen. In vielen Fällen richtet sich die Hauptbeschwerde der Betroffenen gegen die Langsamkeit der Regulierung, insbesondere bei beschlagnahmtem Bauland. Die Beschleunigung der Verwaltungsarbeit könnte somit eine fühlbare Erleichterung bringen.
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Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor; ich schließe die Aussprache zum Einzelplan 08.
Ich komme zur Abstimmung über die Drucksache 358. Ich bitte die Damen und Herren, die dieser Drucksache und damit dem Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Dieser Haushalt ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf
Einzelplan 11 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit ({0}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Arndgen.
Arndgen ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Einzelplan 11 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit - ist gegenüber dem Vorjahr nicht viel geändert worden. Ich kann mich daher verhältnismäßig kurz fassen.
Bei den Personalstellen wurden lediglich die Beamtenstellen von 238 um 6 auf 244 erhöht. Dabei ist zu bemerken, daß eine B 4-Stelle, die Stelle eines Ministerialdirektors, neu geschaffen wurde. Diese Neuschaffung ist notwendig, weil die bisherige Abteilung IV - Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung - aus organisatorischen Gründen in zwei Hauptabteilungen umgewandelt werden muß.
Bei den sachlichen Ausgaben ist lediglich auf die Tit. 221, 602 und auf einen neuen Tit. 603 zu verweisen. In Tit. 221 wurde der Ansatz von 80 000 auf 150 000 DM erhöht. Es handelt sich dabei um die Kosten für die Beiräte, die beim Bundesarbeitsministerium tätig sind. Diese Beiräte sind um einige vermehrt worden. Ich bitte dazu auf die Erläuterung dieses Titels verweisen zu dürfen.
In Tit. 602 ist der Ansatz von 150 000 auf 250 000 DM erhöht worden. Hier handelt es sich um die Kosten für Forschungsaufträge. Diese Forschungsaufträge müssen vermehrt werden.
Der neue Tit. 603 wurde mit 200 000 DM ausgestattet, und zwar für Zuschüsse an die Träger der Krankenversicherung zu den Kosten der Statistik über Krankheitsarten und Todesursachen. Diese Statistik wurde bisher ausschließlich von den Versicherungsträgern finanziert.
Zu dem Geschäftsbereich des Bundesarbeitsministers gehören die Bundesbehörde für Unfallversicherung in Wilhelmshaven, das Bundesinstitut für Arbeitsschutz in Soest, das Bundesarbeitsgericht in Kassel, ein noch zu schaffendes Bundesversicherungsamt und schließlich das Bundessozialgericht in Kassel.
Für die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung mußte die Anzahl der Stellen für Angestellte um 19 und für Arbeiter um 1 vermehrt werden. Verursacht wurden diese Mehranforderungen durch vermehrten Arbeitsanfall, der durch die Schaffung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes entstanden ist, das im vergangenen Jahr in diesem Hause verabschiedet wurde.
Im Bundesinstitut für Arbeitsschutz ist lediglich eine Angestellten- in eine Regierungsmedizinalratsstelle umgewandelt worden.
Das Bundesarbeitsgericht in Kassel hat vor kurzem seine Tätigkeit aufgenommen. Für das Bundesarbeitsgericht sind 27 Beamtenstellen einschließlich eines Präsidenten, eines Vizepräsidenten und acht Richter sowie 17 Angestellten- und sieben Arbeiterstellen vorgesehen.
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Das Bundesversicherungsamt wird wahrscheinlich noch in diesem Jahre durch ein Gesetz, über das dieses Haus noch zu befinden hat, errichtet werden. Der Haushaltsplan sieht für das Bundesversicherungsamt 49 Beamten-, 34 Angestellten- und 16 Arbeiterstellen vor. Da dieses Amt erst in einem späteren Zeitraum des Haushaltsjahres er({3})
richtet wird, hat der Haushaltsausschuß die Ansätze für das Bundesversicherungsamt um 25 % gekürzt.
Dabei darf ich auf einen Druckfehler in der Drucksache 361 aufmerksam machen. Es heißt auf Seite 4 bei Tit. 298: „Zuschuß zur Gemeinschaftsverpflegung 9500 DM". Es muß heißen: 7100 DM. Auf diese Berichtigung möchte ich ausdrücklich hinweisen.
Für das Bundessozialgericht, das zur Zeit in Kassel errichtet wird, sind 27 Beamtenstellen einschließlich der Richter, 31 Angestelltenstellen und 20 Arbeiterstellen vorgesehen.
Bei Kap. 1111, Arbeitslosenhilfe, sind zunächst die Einnahmen um 152 000 DM auf 2 152 000 DM im Anschlag erhöht worden. Auf der Ausgabenseite wurde bei Tit. 300 der Ansatz, der im Voranschlag mit 388 Millionen DM ausgewiesen war, um 250 Millionen DM auf 638 Millionen DM erhöht. Insgesamt ist für die Arbeitslosenhilfe im Kap. 1111 ein Zuschuß von 729 558 000 DM veranschlagt.
Bei Kap. 1112, Betriebliche Altersfürsorge, ist der Ansatz auf 10 Millionen DM verringert worden. Während im vergangenen Jahr 15 Millionen DM veranschlagt waren, sind jetzt nur 10 Millionen DM veranschlagt, weil der Ist-Betrag für dieses Kapitel die 10-Millionen-Grenze bisher nicht überschritten hat.
In Kap. 1113, Sozialversicherung, sind die Ausgaben für Zuschüsse an Rentenleistungen mit 2 575 370 000 DM gegenüber einem Ansatz von 1 958 Millionen DM im Jahre 1953 in Ansatz gebracht. Das Mehr von etwa 600 Millionen DM wird auf Grund der Gesetze, die in diesem Hause im vergangenen Jahr verabschiedet worden sind, die Mehrleistungen im Gefolge hatten, benötigt.
Im außerordentlichen Haushalt sind 262 Millionen DM ausgewiesen, die an die Versicherungsträger an Stelle von Barleistungen in Form von Schuldverschreibungen gewährt werden.
Ich habe den Auftrag, Sie im Namen des Haushaltsausschusses zu bitten, der Drucksache 361 Ihre Zustimmung zu geben.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Soziale Haushalt verdient zweifellos im Bundestag eine besondere Aufmerksamkeit; denn der Haushalt des Arbeitsministeriums umfaßt zusammen mit dem hierhin gehörigen und später zu behandelnden Haushalt Soziale Kriegsfolgelasten rund ein Drittel des gesamten Bundeshaushalts. An diesen Milliardensummen hängt das Wohl und das Wehe großer Bevölkerungsschichten. Bei dem Haushalt des Arbeitsministeriums sprechen wir praktisch von dem Los der Alten und Invaliden, der Witwen und Waisen, dem Los der Kriegsopfer, der Unfallgeschädigten, der Kranken, der Gebrechlichen. Es sind, wie wir alle wissen, zusammen rund 12 Millionen Menschen, Rentner und Unterstützte, die an diesem Haushalt hängen. Dazu kommen über 16 Millionen Arbeitnehmer, die durch den Haushalt des Bundesarbeitsministers
betroffen werden. Diese Millionenzahlen von Menschen und ihre Angehörigen müssen wir hinter diesen Zahlen sehen. Die Not und die Sorgen, die dahinterstehen, liegen auf den Schultern eines Bundesarbeitsministers. Das ist die große und besondere Verantwortung, die ein Bundesarbeitsminister zu tragen hat.
Ich darf in diesem Zusammenhang eine Bemerkung machen, von der ich hoffe, daß auch die Sozialpolitiker der anderen Parteien ihr dem Grundzug nach zustimmen. Bei einem so bedeutungsvollen Haushalt hätte es vielleicht nahegelegen, ihn etwas mehr in den Vordergrund zu rücken und ihn nicht am letzten Tage, der leider das Haus schon etwas ermüdet zeigt, zu behandeln. Wenn das Bundesarbeitsministerium und der Bundesarbeitsminister auch nicht so im Vordergrund und im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit stehen, wie das beim Bundeswirtschaftsminister oder beim Bundesfinanzminister der Fall ist, so wissen doch diese Arbeitnehmer, diese Alten und Gebrechlichen sehr genau, daß ihr Schicksal zum großen Teil von der Fähigkeit des Arbeitsministers, von seiner politischen Kraft abhängt. Dieses Wissen haben alle die Betroffenen aus der Weimarer Zeit - denn es handelt sich meistens um Altere - mit übernommen, aus einer Zeit, wo Persönlichkeiten wie Dr. Heinrich Brauns, Rudolf Wissell und Adam Stegerwald an der Spitze des Reichsarbeitsministeriums standen, große Männer, die damals die Sozialpolitik in wahrhaftem Sinne vorangetrieben haben.
Ich glaube, wir sind berechtigt und auch verpflichtet, an solchen Vorbildern den Mann zu messen, der seit fünf Jahren an der Spitze des sozialpolitischen Ressorts steht. Angesichts der Größe der Aufgabe und angesichts des Gewichts der sozialen Fragen, die an diesem Ministerium hängen, müssen wir gestehen: wir sind enttäuscht. Ich glaube, diese Enttäuschung ist nicht nur in den Reihen der SPD zu finden. Wer vielmehr die Literatur und die Zeitungspresse der letzten Wochen gelesen hat, weiß, daß diese Enttäuschung bis in die Reihen der Koalitionsparteien hineingeht. Wir sind nicht etwa enttäuscht, das möchte ich ausdrücklich sagen, von dem guten Willen des Ministers Storch; der ist ohne Zweifel vorhanden. Aber enttäuscht sind wir von einem Denken, das pragmatisch von einem Fall zum andern Fall geht, einem Denken, das nicht von großen leitenden Ideen getragen ist, die besonders notwendig gewesen wären angesichts der Aufgabe, in der Zeit nach der Kapitulation eine einheitliche und der besonderen Situation angepaßte Nachkriegssozialpolitik zu konzipieren. Ich darf dahin zusammenfassen: es ist die Konzeptionslosigkeit, die nicht nur wir, sondern auch die Öffentlichkeit hinter dieser Sozialpolitik spürt, die dieses Unbehagen hervorgerufen hat.
Schon im 1. Bundestag haben wir darüber gesprochen und es beklagt, daß die Sozialpolitik sich im Grunde nur aus Flickwerk zusammengesetzt hat. Herr Minister Storch hat damals - ich denke an die letzte Haushaltsdebatte vor rund einem Dreivierteljahr - mit einem gewissen Recht gesagt, er habe zunächst Aufbauarbeit zu leisten gehabt.
Jetzt stehen wir am Beginn des 2. Bundestages, und am Anfang dieses Bundestages steht das Wort des Bundeskanzlers von der umfassenden Sozialreform.
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Unterdessen ist nun ein halbes Jahr verstrichen, und ich muß wiederum sagen: es sind nicht nur die Sozialdemokraten, sondern weite Kreise innerhalb der deutschen sozialpolitischen Öffentlichkeit, die danach fragen, wo denn nun wenigstens die Vorarbeiten seien, die erkennen ließen, wohin diese umfassende Sozialreform ziele.
Ich möchte ausdrücklich bemerken, daß es mir heute nicht am Platze erscheint, hier eine Diskussion über die Sozialreform im einzelnen zu entfachen; jedenfalls haben wir nicht die Absicht. Sie wissen, daß wir eine Große Anfrage eingebracht haben, bei deren Besprechung die Gelegenheit sein wird, sich mit diesen Fragen im einzelnen auseinanderzusetzen. Ich nehme an, daß das nach Ostern der Fall sein wird, und ich hoffe nur, daß diese Aussprache nicht allzu lange hinausgezögert wird, etwa weil die Unterlagen im Ministerium noch nicht ganz zusammengestellt sein sollten.
Wenn ich von einer Konzeptionslosigkeit gesprochen habe, so haben diese nicht nur die Sozialdemokraten empfunden, sondern ich denke z. B. an den Artikel, der Anfang dieses Monats in der bekannten Zeitschrift „Der Arbeitgeber" erschienen ist, in dem dasselbe zum Ausdruck gebracht worden ist. Wir haben den Eindruck, daß die Führung der Sozialpolitik in einem gewissen, aber bedauerlichen Umfang vom Arbeitsministerium an das Finanzministerium übergegangen zu sein scheint. Ich hatte schon im vorigen Jahr Herrn Bundesfinanzminister Schäffer gefragt, ob er am Rechtsanspruch auf die Sozialleistungen festhalte. Herr Minister Schäffer hatte von dieser Stelle aus geantwortet: jawohl, für die Sozialversicherung halte er an dem Rechtsanspruch fest. Herr Bundesarbeitsminister Storch - das erkennen wir hoch an - hat auch noch andere Gelegenheiten benutzt, dieses zu bekräftigen.
Meine Damen und Herren, Sie haben aber ebenso wie wir im November vorigen Jahres in der „Welt" den Aufsatz eines führenden Referenten im Bundesfinanzministerium gelesen, der für die kommende Sozialpolitik die weitgehende Anwendung des Fürsorgegrundsatzes befürwortet; nicht etwa nur das allgemeine Ermessen, sondern den Fürsorgegrundsatz! Dieser Artikel ist nicht nur von der Sozialdemokratie als eine authentische Auslassung aus dem Bundesfinanzministerium angesehen worden, und von dorther ist eine gewisse Beunruhigung zu verstehen, die in soziapolitischen Kreisen über diese Auslassung entstanden ist. Auch hier möchte ich betonen, daß ich im Augenblick keine Debatte über Fürsorge- oder andere Prinzipien entfachen will. Ich gehe in diesem Zusammenhang nur auf diese Dinge ein, um daran deutlich zu machen, daß wir der Auffassung sind -und ich hoffe, Sie mit uns zusammen -, daß der sozialpolitische Kurs einer Bundesregierung vom Bundesarbeitsministerium zu vertreten ist und nicht vom Bundesfinanzministerium.
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Der Bundesarbeitsminister sollte es sich energisch verbitten, daß ein Referent - und wenn auch im Ministeralratsrang - aus einem anderen Ministerium eine so eigenwillige und eigenartige Politik eigener Prägung verfolgt. Wenn wir an historische Vorbilder denken, etwa an das Verhältnis Bismarcks zu seinem damaligen, wie wir heute sagen würden, Ministerialrat Theodor Lohmann, so wissen wir, daß Bismarck, als hier Differenzen
auftraten, Theodor Lohmann zwar nicht entlassen, aber zur Seite gestellt hat. Das war das Schicksal damals. Wir fragen: Wie liegen diese Dinge heute?
Zu diesen eigenartigen Auffassungen gehört nun auch die Darstellung, die aus dem Bundesfinanzministerium zum Bundessozialhaushalt kommt. Zweifellos ist für diese Dinge der Bundesfinanzminister zuständig. Aber dem Bundesarbeitsminister kann doch diese Darstellung nicht gleichgültig sein. Denn nach der Höhe, in der der Sozialaufwand berechnet wird, ergibt sich für den Arbeitsminister der Spielraum, innerhalb dessen er Bewegungsfreiheit besitzt.
Die Tendenz, die aus dem Bundesfinanzministerium zum Sozialhaushalt kommt, ist aber nun völlig eindeutig. Sie geht dahin, den Sozialhaushalt so hoch wie nur möglich anzusetzen. Es ist vom Finanzministerium bereits erreicht worden, daß in der Öffentlichkeit ganz allgemein von Sozialausgaben in der Höhe von insgesamt über 20 Milliarden DM gesprochen wird. Ich möchte auch an dieser Stelle die Gelegenheit benutzen, um mit Nachdruck festzustellen, daß diese Zahl außerordentlich irreführend ist. Sie entsteht nämlich nur dadurch, daß Leistungen zum Sozialhaushalt gerechnet werden, die schlechterdings gar nicht hineingehören, z. B. die Leistungen an die 131er, seien es die Beamten oder die ehemaligen Wehrmachtangehörigen. Die echten Sozialleistungen, die sogenannten klassischen Sozialleistungen aus Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung, betragen, gemessen an dem Gesamtsozialprodukt, für 1954 zusammen 12 Milliarden DM. Davon tragen die Versicherten, die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber, 9 Milliarden DM bei; der Bund steuert 3,2 Milliarden DM zu diesen echten Sozialleistungen bei. Dann kommen die Kriegsfolgeleistungen mit zusammen 3,8 Milliarden DM, die vom Steuerzahler, also vom Bund getragen werden. Das ergibt zusammen 15,8 Milliarden DM an Mitteln, die aus Steuern und Versichertenbeiträgen für echte soziale Leistungen und Kriegsfolgeleistungen gegeben werden. Meine Damen und Herren, das sind drei Viertel der Summe von 20 Milliarden DM, die das Bundesfinanzministerium immer und immer wieder in die Öffentlichkeit hinausgibt. Das möchte ich hier noch einmal gesagt haben.
Ein Gleiches beobachten wir, wenn vom Bundeshaushalt gesprochen wird. Der Bundesfinanzminister hat in seiner ersten Rede zum Haushalt einmal, das gebe ich zu, den Sozialhaushalt mit 8,75 Milliarden DM beziffert, nämlich nach Abzug der Leistungen aus dem Lastenausgleich. Aber im übrigen hat er stets von Leistungen von über 10 Milliarden DM gesprochen, und damit ist er über den sogenannten Verteidigungshaushalt hinausgekommen. Diese Summe von über 10 Milliarden DM ist nur dadurch zustande gekommen, daß vom Bundesfinanzministerium die Leistungen aus dem Lastenausgleich und an die sogenannten 131er mit einbezogen worden sind. Ich habe schon an anderer Stelle nachgewiesen, wie unrichtig und wie gefährlich eine solche Rechnung ist; denn die Leistungen an die 131er sind reine Arbeitgeberleistungen des Staatshaushalts. Wer diese Leistungen in die sogenannten Sozialleistungen einrechnet, muß doch erwarten und muß es sich gefallen lassen, daß die Rentner einen Vergleich ihrer Rente mit den Pensionen vornehmen; daß sie eine Invalidenrente, die, wie wir wissen, im Durchschnitt bei etwa 78 DM im Monat liegt, oder eine Angestelltenrente,
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die mit etwas über 120 DM im Monat auch nicht viel höher liegt, mit Pensionen vergleichen, die für die 131er-Beamten im Durchschnitt 575 DM im Monat und für die ehemaligen Wehrmachtangehörigen 461 DM betragen, von den Ruhegehältern der Beamten ganz zu schweigen. Wir möchten nachdrücklich davor warnen, einen solchen Weg zu gehen.
Ich habe vorhin einen Referenten des Bundesfinanzministeriums kritisiert. Aber derselbe Referent hat - und das begrüße ich - im Bulletin Nr. 9 von 1954 von sich aus ausdrücklich die Leistungen an die 131er mit der Bemerkung vom gesamten Sozialhaushalt abgesetzt, es handle sich weitgehend um beamtenrechtliche Ansprüche. Ich freue mich, hier die Übereinstimmung des Finanzministeriums mit den Auffassungen, die ich eben vorgetragen habe, feststellen zu können. Aber dann sollte man in gleicher Weise auch bei den Leistungen im Rahmen des Lastenausgleichs verfahren.
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- Jawohl, Herr Atzenroth, des Lastenausgleichs. In den Allgemeinen Vorbemerkungen auf Seite 169 sind die Leistungen des Lastenausgleichs nicht unter den sozialen Kriegsfolgeleistungen aufgeführt, und ich halte es für richtig, daß sie nicht dort erscheinen, sondern unter den durchlaufenden Mitteln. Dahin gehören sie, und die dort verwirklichte Einsicht sollte systematisch realisiert werden.
Meine Damen und Herren! Sie könnten sagen: Das sind theoretische Erwägungen, die ein Professor hier vorbringt, weil er eben einmal die Gelegenheit hat. Aber ich möchte Ihnen sagen, daß hinter diesen angeblich theoretischen Erwägungen außerordentlich einschneidende Folgen für die Volkswirtschaft und auch für die hohe Politik stehen; denn mit den klassischen Sozialleistungen aus dem Bundeshaushalt von, wie ich sagte, 3,2 Milliarden und den Kriegsfolgeleistungen von 3,8 Milliarden, zusammen also 7 Milliarden, kommt das Bundesfinanzministerium nicht wie mit seinen 10 Milliarden, die sonst immer angegeben werden, über den fälschlich Verteidigungshaushalt genannten Posten von 9,3 Milliarden hinaus. Ich sage: fälschlich Verteidigungshaushalt genannt, weil in diesem Posten zunächst noch Besatzungskosten enthalten sind. Wir sollten uns, meine Damen und Herren, aber endlich einmal darüber einig werden, daß der soziale und der sogenannte Verteidigungshaushalt zusammen gesehen werden müssen und daß der soziale Haushalt an politischem Gewicht immer schwerer wiegen muß als jeder sogenannte Verteidigungshaushalt; denn was etwa an sozialer Sicherung durch den sozialen Haushalt gewonnen wird, das ist mindestens im Kalten Kriege ebenso wirksam wie irgendein militärisches Kontingent.
In diesem Sinne vermissen wir in diesem sozialen Haushalt aber jeden Ansatzpunkt für eine Verbesserung der Sozialrenten oder der Kriegsopferrenten oder etwa zugunsten der Neurentner, die unter der Geldentwertung bzw. der Teuerung zweifellos auch leiden. Wir vermissen Ansätze für die älteren Witwen, die bekanntlich immer noch darauf warten, mit den sogenannten jüngeren Witwen gleichgestellt zu werden, und für den Ausgleich von vielen anderen Ungerechtigkeiten, die, wie wir alle wissen, noch in der gegenwärtigen Versicherung und Versorgung stecken.
Der Komplex der Sozialleistungen muß eben zusammen gesehen werden. Der Bundesfinanzminister
hat in seiner Eröffnungsrede im März ausgeführt, der Haushaltsplan 1954 solle den Ausgangspunkt für die erwartete Sozialreform abgeben. Äußerungen in der damaligen Debatte sowie Veröffentlichungen aus dem Bundesfinanzministerium lassen aber befürchten, daß unter einer solchen Sozialreform, auf die ich hier sonst nicht weiter eingehen will, lediglich eine Verlagerung von Sozialleistungen der einen Art auf einen Posten anderer Art verstanden wird. Wenn man aber von einem Haufen auf den andern verlagern will, dann muß ein Haufen kleiner werden. In diesem Sinne möchte ich auch fragen: Wo gedenkt denn die Bundesregierung etwa, wenn von Verlagerungen die Rede ist, soziale Leistungen zu kürzen, wenn sie für Mehrleistungen in ihrem Etat jetzt keinen einzigen Pfennig eingesetzt hat? Wir werden uns erlauben, zu diesen Dingen im Nachtrag zu der Großen Anfrage weitere Anträge zu stellen.
Aber gerade in diesem Zusammenhang muß ich nun endlich noch eingehen auf die Zwangsanleihe, die der Bundesfinanzminister in der bekannten Höhe von 512 Millionen DM der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung auferlegen will. Es hat den Anschein, als ob die Verhandlungen mit beiden Institutionen unterdessen so weit gediehen sind, daß die Arbeitslosenversicherung 262 und die Rentenversicherungsträger 250 Millionen DM in Bundesschuldverschreibungen erhalten sollen. Soweit diese Institutionen sich damit durch ihre Selbstverwaltungskörperschaften einverstanden erklärt haben, mögen sie das mit den Versicherten selber ausmachen. Ich weise nur darauf hin, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund in einer Verlautbarung, die gestern herausgekommen ist, sich hinsichtlich der Bundesanstalt mit Nachdruck gegen eine solche Entwicklung gewehrt und verwahrt hat.
Aber hier möchte ich einmal auf die rechtliche und politische Seite dieses Vorganges hinweisen. Wie steht es denn rechtlich? Rechtlich ist der Bundesfinanzminister nach § 13 Abs. 3 des Haushaltsgesetzes, wenn dieser Absatz angenommen ist - erst dann! -, in der Lage, Verhandlungen über diese Aktionen zu führen. Dieser Paragraph ist noch nicht angenommen. Politisch ist es aber nun ungemein interessant, daß der Bundesfinanzminister nicht nur bereits verhandelt hat, bevor er vom Parlament überhaupt erst ermächtigt worden wäre, sondern daß er diesen Abzug bereits diktieren wollte, ehe das Parlament gesprochen hat. Mir liegt hier ein Schreiben des Bundesfinanzministers vom 5. März vor - da war von dieser Haushaltsdebatte keine Rede -; dort hat das Bundesfinanzministerium von Forderungen der Bundesanstalt und der Rentenversicherungsträger an die Bundesregierung gesprochen. Das stimmt ja gar nicht! Es handelt sich bei weitem nicht um Forderungen, sondern es handelt sich um Verpflichtungen des Bundesfinanzministers für die Vorleistungen, die aus der Bundesanstalt für die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung gegeben worden sind, und es handelt sich um gesetzliche, nach dem Rentenzulagengesetz vom Bund zu tragende Leistungen, die dieses Parlament beschlossen hat. Der Bundesfinanzminister verfügte aber am 5. März, daß der Bundesanstalt monatlich 21 Millionen DM und den Rentenversicherungsträgern monatlich 22 Millionen DM nicht in bar, sondern in Schuldverschreibungen - Anfang März, bereits vor diesen Verhandlungen gegeben werden sollten,
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ohne daß irgendwie darüber verhandelt worden wäre. Das war selbst dem Bundesarbeitsministerium zu bunt,
({7}) und das Bundesarbeitsministerium hat am 6. März' dem Bundesfinanzminister geschrieben, daß für ein solches Verfahren jegliche Rechtsgrundlage fehle, ja daß sogar, so schreibt das Bundesarbeitsministerium, der Verband der Rentenversicherungsträger nicht einmal davon unterrichtet worden sei, was ihm hier angedroht wird.
Wir haben hier schon im Verlauf oder Zusammenhang mit der gestrigen Debatte von demokratischen Methoden sprechen müssen, - zu unserem Bedauern. Ich frage: Ist es eine demokratische Methode, wenn ein Bundesfinanzministerium in dieser Weise verfährt, ohne vom Parlament dazu berechtigt worden zu sein, so zu verfahren?
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Das Arbeitsministerium hat im übrigen in dem gleichen Schreiben darauf hingewiesen, daß damit - ich zitiere wörtlich -„die Sicherstellung der für die Rentenzahlungen unerläßlichen Betriebsmittelbereitstellungen ernsthaft in Frage gestellt" sei. Ich und mit mir die Sozialdemokratie kann das nur unterstreichen. Aber wir fragen, warum der Bundesarbeitsminister, der Herr Kollege Storch, nicht die gleichen Bedenken, die hier in seinem Ministerium geäußert worden sind, schon gegenüber jener Zwangsanleihe von 512 Millionen DM mit Erfolg im Kabinett durchgesetzt hat, warum er sich im Kabinett mit diesen Dingen einverstanden erklärt hat? Und warum der Arbeitsminister diese Gefahren nicht sieht, wenn er jetzt für die zweifellos erforderliche Altrentenerhöhung zwischen 700 und 800 Millionen DM aus eben jenen Betriebsmitteln entnehmen will, die eine Abteilung seines Hauses als nicht antastbar erklärt hat? Hier haben wir eben den Bundesarbeitsminister in jener Schwäche im Faktischen, die wir an ihm beklagen. Deshalb fühlen wir als Sozialdemokraten von uns aus die Verpflichtung, die Versicherung von eben jener Zwangsanleihe zu befreien. Das ist der Inhalt unseres Antrags, der als Umdruck 41 verteilt worden ist und in dem gefordert wird, daß in verschiedenen Positionen insgesamt diese 512 Millionen DM gestrichen werden.
Wir haben dies aber nicht nur aus den eben genannten grundsätzlichen Erwägungen beantragt, sondern auch deshalb, weil wir glauben, daß Gelder aus der Bundesanstalt besser verwendet würden, wenn sie für die Beschaffung dauernder Arbeitsplätze oder für eine Verbesserung der Arbeitslosenunterstützung ausgegeben würden. Wir werden solche Anträge stellen, und man darf uns dann nicht antworten, man habe kein Geld für diese Dinge. Denn wenn man zunächst 512 Millionen und jetzt 262 Millionen DM aus der Bundesanstalt herausziehen will, dann darf man nicht hinterher sagen, man habe kein Geld für die Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung. Ich erwähne das deshalb, weil zweifellos zur Arbeitslosenunterstützung dann die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung hinzukommt. Wir wollen ankündigen, daß wir zum geeigneten Zeitpunkt entsprechende Anträge stellen werden.
Angesichts dieser starken Bedenken, die wir gegen die Politik des Bundesarbeitsministers, besser noch: gegen seine Politik der vagen Versprechungen und mangelnden sozialpolitischen Konzeption haben, haben wir erneut geprüft, ob wir den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums nicht ablehnen sollten.
Wir sind zu dem Entschluß gekommen, uns wie im Vorjahre der Stimme zu enthalten, und zwar deshalb
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- nicht aha, Herr Arndgen! -, weil wir Rücksicht nehmen auf die Leistungen, die aus diesem Haushalt an die Rentner, an die Arbeitslosen und an zahlreiche sozialpolitische Institutionen gehen.
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Unsere Haltung entspringt dem Gefühl der Verbundenheit mit jenen Menschen, die in Not sind. Aber gleichzeitig - da gibt es nichts zu lachen, Herr Winkelheide ({11})
kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Sozialdemokratie die Politik des Bundesarbeitsministers Storch als solche ablehnt.
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Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf auf die Ausführungen des Herrn Vorredners nur folgendes feststellen: Erstens: Im Vorjahre wurde ausdrücklich beschlossen, daß im Haushaltsjahr 1954 möglichst nicht der Weg des Gesetzes, sondern der Weg der Vereinbarung mit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegangen werden soll, und allenfalls mit den Rentenversicherungsanstalten. Ich freue mich, dem Hohen Hause mitteilen zu können, daß dieser Weg der Vereinbarung entsprechend dem Beschluß des Bundestags im Vorjahr nun mit Erfolg eingeschlagen worden ist und daß ich bereits die Mitteilung in der Hand habe, daß die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung dem Vorschlag des Bundesfinanzministeriums auf Übernahme von 262 Millionen DM Schuldverschreibungen zugestimmt hat.
Zweitens darf ich mitteilen, daß es ein Irrtum ist, anzunehmen, daß 22 Millionen DM bei der Rentenversicherungsanstalt gestrichen werden. Die werden ausbezahlt.
Das Wort hat der Abgeordnete Traub.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde in diesem Hohen Hause heute bereits zum Ausdruck gebracht, daß von den im Etat des Bundesarbeitsministeriums enthaltenen Zahlen das Wohl und Wehe großer Volksschichten abhängt. Millionen von Rentnern, von Sozialversicherten, von Kriegsopfern usw. warten seit Monaten und Jahren auf die von der Bundesregierung und die von dem Herrn Bundesarbeitsminister immer wieder angekündigte große Sozialreform. Leider habe ich von den Etatberatungen im Haushaltsausschuß nicht den Eindruck mitgenommen, als ob Sie, Herr Bundesarbeitsminister, oder Ihr Ministerium überhaupt schon klar umrissene Vorstellungen von der Sozialreform hätten. Wäre dies der Fall, so hätten Sie uns sicher, Herr Minister, mit einigen interessanten Zahlen in Ihrem Haushalt überrascht..
Tief bedauerlich ist die Tatsache, daß die Sozialreform in erster Linie von fiskalischen Gesichts({0})
punkten aus betrachtet wird. Alle Erklärungen der Bundesregierung - man kann das nicht oft genug betonen -, daß sie dem Bundestag Maßnahmen vorschlagen wolle, die zu einer wirtschaftlichen Verbesserung der Lage der Rentner, der Invaliden, der Waisen, der Hinterbliebenen führen würden, sind allmählich so abgedroschen und bald so unglaubwürdig, daß sie draußen in der Öffentlichkeit niemand mehr ernst nimmt.
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Wenn es Ihnen, Herr Bundesarbeitsminister, nicht bald gelingt, dieses Problem wirklich einmal zu lösen, und wenn die Bundesregierung nicht endlich einmal statt des Geldes nun auch den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtungen über eine Sozialreform stellt, dann werden Sie erleben, daß Hunderttausende und Millionen von Menschen den Glauben an die Gerechtigkeit und an die gerechte Sache unseres neuen demokratischen Staates verlieren.
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- Vor dem 6. September haben Sie sehr viel versprochen, und nach dem 6. September haben Sie bis jetzt noch gar nichts gehalten.
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Meine Damen und Herren, ich sage nochmals: Herr Bundesarbeitsminister, wir sind von der Arbeit Ihres Ministeriums bitter enttäuscht, zumal wir bei den Haushaltsberatungen doch feststellen durften, daß der Aufbau Ihres Ministeriums personell und sachlich vollzogen ist, so daß dort eigentlich volle Arbeitsfähigkeit besteht. Der Haushaltsausschuß hat Ihnen die erforderlichen Mehrstellen sowohl in Ihrem Ministerium als auch in den übrigen Behörden und Verwaltungen anstandslos genehmigt. Er hat Ihnen sogar die Stellen für eine neue Abteilung V, d. h. für eine Abteilung „Kriegsopferversorgung", bewilligt. Nun fragen wir uns: Warum, Herr Minister, kommen Sie trotzdem mit Ihrer Sozialgesetzgebung und mit Ihrer Sozialreform zu keinem Ergebnis?
Ich glaube, wir kommen den Gründen dafür vielleicht etwas näher, wenn wir einmal das dem Haushaltsausschuß zur Verfügung gestellte Verzeichnis der Beiräte und Ausschüsse Ihres Ministeriums betrachten. Dort sind 42 Positionen aufgeführt. Leider handelt es sich zum großen Teil nur um die sogenannten Heimarbeiterausschüsse, die wohl auch wichtig sind, aber nicht mit der großen Reform der Sozialversicherung und der Sozialgesetzgebung in Zusammenhang stehen. Als eine der wenigen Positionen dieses Verzeichnisses wäre der im Auftrag des Bundestages gebildete beratende Beirat für die Neuordnung der sozialen Leistungen zu erwähnen. Was haben wir uns von diesem Beirat versprochen? Was haben wir bisher überhaupt von der Arbeit dieses Beirates gehört? Nun, Herr Minister, ich möchte Sie heute fragen: Was hat dieser Beirat bisher getan, um auf diesem Gebiet wirklich einen Schritt vorwärtszukommen?
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Es ist außerordentlich bedauerlich, daß das Bundesarbeitsministerium bis heute noch keinen wissenschaftlichen Beirat geschaffen hat, ähnlich wie wir ihn beim Finanz- und Wirtschaftsministerium haben. Dieser Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen, darüber sind wir uns doch im klaren, meine Damen und Herren, kann nur eine Teilaufgabe lösen, d. h. er kann sich wirklich mit der
Reform der Sozialgesetzgebung beschäftigen, während wir aber für die ständigen sozialen Umschichtungen in unserem Volke laufend neue Überlegungen auf dem Gebiet der Sozialversicherung und der Sozialgesetzgebung anstellen müßten.
Vielleicht, Herr Minister, können Sie bei dieser Gelegenheit uns auch einmal sagen, wer die unter den laufenden Nummern 36 bis 40 im Verzeichnis aufgeführten Beiräte und Arbeitsstäbe geschaffen hat, wo die Rechtsgrundlage dafür besteht, wer die Mitglieder berufen hat und nach welchen Gesichtspunkten sie berufen wurden. Bei dieser Liste habe ich festgestellt - Sie haben da beispielsweise einen Arbeitsstab für die Neuordnung der Krankenversicherung der Rentner, einen Arbeitsstab zur Neuordnung des Kassenarztrechts, des Verbänderechts usw. -, daß in all diesen Beiräten und Arbeitsstäben entweder Sie, Herr Minister, persönlich oder einer Ihrer leitenden Beamten den Vorsitz führen.
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Ich glaube, hier haben wir einmal einen Ansatzpunkt dafür, warum heute in Ihrem Ministerium noch nichts Positives an gesetzgeberischer Arbeit herausgekommen ist, nämlich deshalb, weil Sie sich in diesen Dingen zersplittern und sich nicht auf Ihre Hauptaufgabe konzentrieren. Ich darf sagen, daß die Beamten und Angestellten Ihres Ministeriums wohl sehr fleißige Leute sind, aber wir müssen doch feststellen, daß diese Beamten und Angestellten im Kleinkram, in der reinen Verwaltungstätigkeit ersticken.
Nun frage ich Sie, Herr Minister: Warum stoßen Sie nicht endlich einmal einen Teil dieser Kleinarbeit aus Ihrem Ministerium ab? Warum schalten Sie nicht endlich die Selbstverwaltungsorgane und ihre Verbände ein, und warum geben Sie den Selbstverwaltungsorganen und damit ihren Verbänden nicht echte Aufgaben und echte Verantwortung? Ich möchte überhaupt einmal wissen, welche Aufgaben der Herr Bundesarbeitsminister den Spitzenverbänden in der Selbstverwaltung übertragen will. - Herr Kollege Horn, Sie schütteln den Kopf, aber es ist doch tatsächlich so, daß heute noch nicht klar feststeht, welche Aufgaben diese Spitzenverbände überhaupt haben.
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Nun, Herr Minister, es hat sehr lange gedauert -({7})
- Ich kenne das Selbstverwaltungsgesetz sehr genau. Ich habe es mindestens so genau studiert, wie Sie es getan haben!
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Es hat sehr lange gedauert, Herr Minister, bis in Ihrem Ministerium die Voraussetzungen für das Wirksamwerden der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung geschaffen wurden.
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Ich meine, Sie werden wohl nicht bestreiten, daß eine sehr lange Zeit verstrich, bis man endlich im Bundesarbeitsministerium dazu kam, die Verordnungen und Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz zu erlassen. Die Selbstverwaltungsgesetze sehen nicht immer so aus, wie wir sie für richtig gehalten hätten.
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Die Selbstverwaltungsorgane haben - das dürfen wir heute zunächst einmal feststellen - ihren Aufbau im Jahre 1953 vollzogen, und zwar auf Kreis- und Länderebene. Die Selbstverwaltung ist dort Wirklichkeit geworden. Wenn ich recht informiert bin, gibt es 60 000 ehrenamtliche Mitarbeiter in der Sozialversicherung, die sich Mühe geben, die Selbstverwaltung draußen durchzuführen. Ich glaube, diesen Frauen und Männern gebührt heute von dieser Stelle auch einmal ein Wort des Dankes für ihre Arbeit.
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Wir sind vorhin bei der Behandlung der Spitzenverbände stehengeblieben. Ich weiß, daß die Spitzenverbände erst in letzter Zeit von den Selbstverwaltungsorganen übernommen wurden. Sie können deshalb nicht sagen, daß sie auch schon wirklich tätig gewesen wären. Ich bin der Auffassung, daß die Aufgaben der Spitzenverbände noch nicht abschließend geregelt sind. Es wäre wirklich an der Zeit, Herr Minister, daß Sie diese Aufgaben richtig verteilen und dafür sorgen, daß dort wirklich Verantwortung getragen wird.
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Ich sagte vorhin schon, daß beim Arbeitsministerium so viel Kleinkram gemacht wird, daß man sich dort mit Aus- und Durchführungsbestimmungen beschäftigt, was man doch zum großen Teil den Selbstverwaltungsorganen übertragen kann, damit das Ministerium entsprechend entlastet wird.
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Das Ministerium brütet monate- und jahrelang über den Durch- und Ausführungsbestimmungen zu den Gesetzen und kommt nicht weiter. Die Durchführungsbestimmungen gehen vom Ministerium zum Spitzenverband, von diesem zum Landesverband, von dort zu den Organisationen und auf dem gleichen Wege zurück, dann sind fünf Besprechungen im Arbeitsministerium unter dem Vorsitz des Herrn Ministers oder eines leitenden Beamten. Und was kommt dabei in der Regel heraus? Wenn es zu einer Einigung kommt, ist es nicht eine solche nach sachlichen und fachlichen Gesichtspunkten, sondern eine Einigung auf Grund der Autorität des Ministeriums, wobei dann draußen die Ausführung des Gesetzes immer wieder auf Schwierigkeiten stößt.
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- Ich werde Ihnen nachher einige Beispiele dafür sagen, Herr Kollege Horn; dann werden Sie zugeben, daß ich doch nicht ganz Unrecht habe.
Ich meine, die Fragen der Selbstverwaltung und der Übertragung der Aufgaben sind nicht so schwierig, wie man das ansieht. Wir haben heute andere Verhältnisse als vor fünfzig und sechzig Jahren. Im Selbstverwaltungsgesetz ist die Bestimmung verankert, daß in vielen Fällen die Durchführung der Selbstverwaltung bei den Verbänden und Organisationen liegt. Das ist doch etwas Neues. Ich will damit sagen, daß auf Kreis-, Länder- und Bundesebene immer dieselben Organisationen oder Verbände einander gegenüberstehen, nämlich die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände.
Bei dieser Gelegenheit, Herr Minister, möchte ich sagen, daß Sie sich auch einmal darüber Gedanken machen sollten, wie man den Dualismus beseitigen könnte, der heute erneut zwischen den Organen und der Verwaltung in den Selbstverwaltungskörpern besteht. In der kommunalen Selbstverwaltung gibt es zahlreiche Fälle, in denen die Geschäftsführer der Körperschaften des öffentlichen Rechts den Vorsitz in den Organen führen. Wenn schon in der Sozialversicherung die Geschäftsführer von den Organen gewählt werden, müßte dafür gesorgt werden, daß sie auch stärker in den Organen der Sozialversicherung verzahnt, daß sie in diesen Organen stärker verankert werden.
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- Damit Sie beruhigt sind, will ich Ihnen gleich einige konkrete Beispiele sagen, wo das Bundesarbeitsministerium nicht vorankommt. Ich denke an das Fremdrentengesetz, das rückwirkend mit dem 1. April 1952 in Kraft treten soll. Aber zu diesem wichtigen Gesetz hat das Bundesarbeitsministerium bis heute noch keine Durchführungsverordnung schaffen können.
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Ich denke weiter an das Mutterschutzgesetz. ({18})
Auch dazu fehlen Verwaltungsvorschriften und Durchführungsbestimmungen. Und der Herr Bundesarbeitsminister enthält den Ortskrankenkassen bis heute noch Millionenbeträge vor. Die Krankenkassen können für die verausgabten Beträge keinen Ersatz bekommen, weil das Ministerium in seiner Arbeit nicht weiter kommt.
Ein ganz trübes Kapitel ist auch die Frage der Rentnerkrankenversicherung. Man hat den Ortskrankenkassen Aufgaben zugewiesen, die sie durchführen müssen. Man sorgt von Ihrer Seite, Herr Bundesarbeitsminister, aber nicht dafür, daß die Kosten, die dadurch entstehen, den Kassen wieder ersetzt werden. Das hat dazu geführt, daß die Ortskrankenkassen im letzten Halbjahr zum großen Teil ihre Beiträge erhöhen mußten, weil der Herr Bundesarbeitsminister entweder nicht den Mut gehabt oder nicht das Verantwortungsgefühl besessen hat, hier einmal zu fragen: Wer ersetzt den Ortskrankenkassen ihre Ausgaben?
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Der Herr Bundesfinanzminister sitzt eben hier vorne. Ich muß sagen, es ist eine bedauerliche Tatsache, daß der Herr Bundesarbeitsminister es nicht fertiggebracht hat, dem Herrn Bundesfinanzminister zu sagen: Statt daß Sie nun im Wege der Anleihe den Rentenversicherungsträgern 250 Millionen wegnehmen, geben Sie mal erst den Ortskrankenkassen das, was die Rentenversicherungsträger den Ortskrankenkassen schuldig sind.
Ich will auf die Vertröstung der Rentner im Zuge der großen Sozialreform heute gar nicht besonders zu sprechen kommen. Das werden wir bei unserer Großen Anfrage nach Ostern tun. Was hier mit diesen armen und kleinen Leuten seit Monaten und Jahren geschieht, daß sie vertröstet werden, ist einfach nicht mehr zu verantworten.
Herr Bundesarbeitsminister, wir werden Ihnen in den nächsten Tagen auch noch Material vorlegen, aus dem hervorgeht, daß in der Arbeitslosenversicherung und in der Arbeitslosenfürsorge heute noch zum Teil Sätze bezahlt werden, die wesentlich unter den Fürsorgerichtsätzen liegen. Auch das ist keine Art. Auch hier hätte das Bundesarbeitsministerium längst dafür sorgen können, daß diese Dinge geändert werden.
Dann noch ein kritisches Wort, Herr Bundesarbeitsminister. Sie haben der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten Jahren eine Reihe
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von Auftragsangelegenheiten übertragen. Diese Auftragsangelegenheiten - das darf man wohl sagen - machen heute vielleicht 40 % der Gesamtaufgaben der Versicherungsträger aus. Diese Entwicklung ist nicht ungefährlich. Aber es ist tief bedauerlich, daß Sie, Herr Minister, bisher immer versucht haben, die Durchführung der Auftragsangelegenheiten den Sozialversicherungsträgern dadurch zu erschweren, daß Sie, statt das Pauschalierungssystem einzuführen, in steigendem Maße zu Einzelabrechnungen übergehen und Einzelverbuchungen von den Versicherungsträgern verlangen. Das gibt eine derartige Verwaltungsarbeit, daß langsam überhaupt kein Mensch mehr diese ganzen Dinge überblickt. Ich erinnere Sie nur daran, was Sie bei der Durchführung der Krankenversicherung der Arbeitslosen jetzt gemacht haben. Da verlangen Sie die Einzelabrechnungen und die Einzelbuchungen, ein Zustand, der unerträglich ist. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man dazu kommt, ein solches Gesetz vorzulegen und so etwas von den Sozialversicherungsträgern zu verlangen. Hier möchte ich Ihnen, Herr Minister, empfehlen, einmal den Entwurf des Finanzanpassungsgesetzes zu studieren, den uns der Herr Bundesfinanzminister vorgelegt hat. Dort wird z. B. in der Frage der Kriegsfolgelasten ein Loblied auf das Pauschalierungsverfahren gesungen, dort wird den Selbstverwaltungskörperschaften der Kommunen eine Anerkennung ausgesprochen, und dort sagt man, das Einzelabrechnungsverfahren sei viel zu kostspielig und viel zu umständlich. Aber Sie, Herr Minister, gehen gerade den entgegengesetzten Weg. Dort heißt es, daß man die Pauschalierungsbeträge im Vertrauen auf die Selbstverwaltungskörperschaften sogar noch höher angesetzt hat, als der tatsächliche Aufwand im letzten Jahr war. Wenn Sie, Herr Minister, den Selbstverwaltungsorganen in der Sozialversicherung nicht mindestens so viel Vertrauen entgegenbringen, wie es der Herr Bundesfinanzminister den Selbstverwaltungsorganen der Kommunen entgegenbringt, dann ist das ein außerordentlich bedauerlicher Zustand.
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Ich möchte auch noch ein Wort zu der Abteilung V sagen, die Sie in Ihrem Ministerium geschaffen haben. Ich habe bei der Etatberatung zum Ausdruck gebracht, wir begrüßten es, daß endlich einmal auch der Bedeutung der Kriegsopferversorgung in Ihrem Ministerium stärker Rechnung getragen werde. Wir haben den Wunsch und die Hoffnung, daß diese Abteilung auch wirklich zu einer Beschleunigung der Durchführung der Gesetze, Ausführungsbestimmungen usw. beiträgt. Wir haben aber auch gewisse Besorgnisse und Bedenken. Denn nachdem wir jetzt im Haushaltsausschuß erlebt haben, daß der Herr Bundesfinanzminister 255 Millionen von der Kriegsopferversorgung gestrichen hat
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und dazu übergegangen ist, bei der Kriegsopferversorgung Personal einzusparen, muß ich schon sagen, Herr Minister, sind wir auch - ({23})
- Wir werden nachher darauf zurückkommen. Das
stimmt schon, Sie werden noch überzeugt werden!
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- Es stimmt, Herr Minister! Wir werden nachher noch dazu Stellung nehmen.
Ich wollte damit sagen: nachdem der Herr Minister hier Gelder abgezogen hat, haben wir eben die Befürchtung, daß, wenn eine stärkere organisatorische Zusammenfassung kommt, auch hier gewisse fiskalische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Das möchten wir natürlich bei der Kriegsopferversorgung vermieden haben.
Ich darf noch eines zum Bundesinstitut für Arbeitsschutz in Soest sagen. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt alle Maßnahmen, die einer praktischen Unfallverhütung dienen.
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- Nein, das tun wir nicht, wir lehnen diesen Etat nicht ab.
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Ich wollte Ihnen dazu nur folgendes sagen. Wenn Sie schon einmal etwas mit dem Gewerbeaufsichtsamt zu tun hatten, werden Sie mir recht geben, wenn ich sage, daß man mit den in diesem Institut beschäftigten 5 Beamten, ich glaube, 18 Angestellten und 3 Arbeitern, also 26 Menschen, ein ordentliches Gewerbeaufsichtsamt in einem Land aufbauen kann, das wirklich einen praktischen Zweck hat. Wir haben gewisse Bedenken, ob das Institut in Soest noch wirklichkeitsnah ist, ob die Zeitung, die es beispielsweise herausgibt, noch betriebsnah ist. Wir werden jedenfalls diese Dinge mit Aufmerksamkeit verfolgen und darauf achten, daß sich hier kein Wasserkopf bildet und daß kein Nebeneinander entsteht, sondern daß hier wirklich positive Arbeit geleistet wird.
Nun noch ein Wort zum Bundesversicherungsamt. Der Haushaltsausschuß hat 75 % der angeforderten personellen und sächlichen Kosten genehmigt, obwohl das Gesetz zur Schaffung des Bundesversicherungsamtes bis heute noch nicht erlassen ist. Sie wissen, daß uns ein Gesetzentwurf vorliegt und daß sich erst noch die Ausschüsse mit ihm beschäftigen müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben bei den Sozialversicherungsträgern die Selbstverwaltung durchgeführt, wir haben in den letzten Monaten die Sozialgerichtsbarkeit in den Ländern durchgeführt, und wir haben vorhin gehört, daß nun auch das Bundessozialgericht seine Tätigkeit aufgenommen habe. Ich bin allerdings noch nicht davon überzeugt, denn ich habe heute gerade in der Presse gelesen, daß der Präsident seine Arbeit erst Ende dieses oder Anfang nächsten Monats aufnehmen wird. Wir wünschen jedenfalls nicht, daß man dieser Selbstverwaltung am Ende, an der obersten Spitze, eine Zwangsjacke anlegt.
Sie wissen, daß das Bundesversicherungsamt nicht mehr all die Aufgaben hat, die das frühere Reichsversicherungsamt gehabt hat. Das frühere Reichsversicherungsamt hatte bekanntlich die Rechtsprechung, die nun auf das Bundessozialgericht übergegangen ist. Die Verwaltungsaufgaben sind zum großen Teil auf die Länder übergegangen. Dem Bundesversicherungsamt wird in erster Linie nur noch die Aufsicht über die bundesunmittelbaren Versicherungsträger, also über die Berufsgenossenschaften übertragen. Auch hier haben wir - ich muß wieder auf die fiskalischen Gesichtspunkte zurückkommen - das Bedenken, Herr Bundesfinanzminister, ob man nachher nicht versuchen wird, nicht nur bei der Bundesanstalt und
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bei den Rentenversicherungsträgern, sondern auch bei den Berufsgenossenschaften die Zusammenfassung dazu zu benutzen, sich in die finanziellen Dinge, d. h. in die Rücklagen dieser Versicherungsträger, einzumischen.
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- Herr Bundesfinanzminister, ich darf Ihnen folgendes sagen. Es gibt wohl in jedem Ministerium schwarze Stellen. Aber ich glaube, wenn man später einmal diese schwarzen Stellen nachsieht, wird man erkennen, daß eine der schwärzesten Stellen bei Ihnen, Herr Bundesfinanzminister, beim Bundesarbeitsminister und beim Herrn Bundeskanzler der Tag war, an dem Sie die Gelder, die Rücklagen der Sozialversicherungsträger, dazu verwandt haben, Ihren Haushalt auszugleichen.
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Das Bundesarbeitsministerium ist das Ministerium, mit dessen Etat das Schicksal Millionen Berufstätiger, Rentner, Körperbeschädigter und Hinterbliebener aufs engste verbunden ist. Seien Sie, Herr Bundesarbeitsminister, sich immer bewußt, daß auch das Schicksal unseres demokratischen Staates zu einem großen Teil von der politischen Haltung und Einstellung dieses Personenkreises abhängig sein wird.
Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei ist ) der Auffassung, daß Sie, Herr Bundesarbeitsminister, die Ihnen zukommenden großen Aufgaben auf dem Gebiet der Sozialpolitik und der Sozialgesetzgebung in den letzten Jahren nicht erfüllt und nicht mit Ihrer ganzen Persönlichkeit gefördert haben. Sie haben Ihr Ministerium nach unserer Auffassung zum Anhängsel des Bundesfinanzministeriums gemacht
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und nicht zu einem Rufer für die sozial Schwachen,
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von denen der Herr Bundeskanzler auch in seiner Regierungserklärung gesagt hat, sie hätten an den Segnungen der sozialen Marktwirtschaft nicht teilgenommen. Die einzige Hoffnung dieser Menschen Ist nach einem arbeitsreichen Leben, bei Unfall, bei Arbeitslosigkeit und in der Not eine soziale Sicherheit, für die Sie, Herr Bundesarbeitsminister, als der zuständige Minister in erster Linie die Verantwortung zu tragen haben.
Wir haben bei der Etatberatung unsererseits dazu beigetragen, daß Ihr Ministerium arbeitsfähig wird. Wir haben Ihnen das Personal dazu genehmigt. Das ist unser positiver Beitrag zu Ihrem Ministerium. Sorgen nun Sie dafür, daß mit diesem Apparat eine positive und vorbildliche Sozialgesetzgebung geschaffen wird, damit wir bei der Etatberatung im kommenden Jahr eine positivere Haltung zu Ihrem Ministerium einnehmen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Herr Professor Preller, Sie haben mit Recht beklagt, die Öffentlichkeit - aber auch dieses Haus - interessiere sich eigentlich zu wenig für die großen Fragen, die in dem Komplex Sozialetat zusammenzufassen sind. Ich stimme Ihnen insofern absolut zu. Aber glauben Sie nicht auch, daß eine Rede, wie sie eben mein Vorredner gelesen hat, dazu beiträgt, das Interesse in diesem Haus außerordentlich zu verringern?
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Ich hoffe, diese Rede war nicht dazu bestimmt, die Lücke auszufüllen, die - zu unserer allgemeinen Befriedigung - in diesem Hause entstanden ist.
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Herr Professor, sie hatte eine starke Tendenz in der Richtung, wie wir sie hier in vier Jahren wiederholt, in vielleicht schärferer Form, vernommen haben.
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Herr Professor Preller, ich bin mit Ihnen ferner in dem Bedauern einig, daß zu dem Haushaltsplan, der nun vorgelegt worden ist, so wenig zu sagen ist. Denn das Wichtigste fehlt auch nach unserer Auffassung darin: für die große Sozialreform, die uns immer angekündigt worden ist und die wir alle erwartet haben, sind keine Anzeichen in diesem Haushaltsplan zu erblicken.
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Jetzt aber trennen sich unsere Auffassungen - wenn Sie noch ein bißchen gewartet hätten, wäre kein Grund zu dieser Unruhe vorhanden -: wir kommen mit positiven Vorschlägen. Ich darf an die Ausführungen erinnern, die mein Kollege Dr. Dehler von diesem Pult aus vor einiger Zeit gemacht hat und die in der Öffentlichkeit ein überraschend starkes Echo gefunden haben.
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In den Ausführungen von Herrn Professor Preller taucht aber immer nur der eine Gedanke auf: Warum gebt ihr in den Sozialetat nicht weitere zusätzliche Mittel hinein? Diese Mittel wären doch letzten Endes nur vom Steuerzahler aufzubringen. Wir müssen zu anderen Methoden kommen, wir müssen zu konstruktiven Methoden kommen!
Sie wissen ganz genau, Herr Professor Preller, daß ich mit Ihnen hinsichtlich der Unterstützung und der Aufrechterhaltung des Versicherungsprinzips völlig einig bin. Das wollen wir fördern, wo es nur zu fördern geht. Aber darüber hinaus werden Sie an Fürsorgeleistungen nicht vorbeikommen. Wir müssen eine grundsätzliche Änderung des gesamten Rentensystems vornehmen. Das ist der Sinn der Ausführungen, die Herr Dehler hier gemacht hat. Wir können es uns nicht erlauben, daß wir grundsätzlich die Rente als das erstrebenswerte Ziel in diesem Staate betrachten. Wir müssen in unserem Volke wieder das Gefühl für Selbstverantwortung wecken. Das Gefühl dafür muß größer werden, daß der einzelne Mensch für sich selber zu sorgen hat. Erst dann können wir den wirklich Bedürftigen in stärkerem Maße helfen.
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Das ist der Grundtenor dessen, was Herr Dr. Dehler hier ausgeführt hat. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn auf dieser Grundlage - es waren keine Einzelheiten, die da vorgetragen wurden - von dem Arbeitsministerium schon die ersten Vorschläge zu einer großen Sozialreform gemacht worden wären, es sei denn, daß von seiner Seite bessere Vorschläge gekommen wären.
Herr Professor Preller, ich bin mit Ihnen auch darin einig, daß es nicht der richtige Weg ist, Mittel der Sozialversicherung auf dem Wege über Vereinbarungen oder, wie im vergangenen Jahr, über Gesetze in den Haushalt hineinzubringen. Aber jetzt kommt wieder die Differenz zwischen uns: bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung fallen zu viele Mittel an. Warum ziehen wir nicht sofort die klare Konsequenz und senken nicht die Beiträge, nicht etwa, um irgend jemanden, den Arbeitgeber oder den Arbeitnehmer, zu erleichtern, sondern um diese Beiträge für einen Zweck zu verwenden, für den sie zur Zeit viel notwendiger sind? Es war, glaube ich, der Herr Bundesarbeitsminister, der von dieser Stelle aus auf die drohende Gefahr hingewiesen hat, die vor unserer Rentenversicherung in einigen Jahren steht. Er hat einen bestimmten Zeitpunkt genannt. Wenn ich mich recht erinnere, hat er gesagt, daß 10 Arbeitnehmer mit ihren Arbeitgebern die Beiträge für 17 Rentner aufzubringen hätten. Das ist eine erschreckende Tatsache, die vor uns steht. Wir sollten jetzt schon für Mittel sorgen, um gegen diese Gefahr gewappnet zu sein. Als eines dieser Mittel sehe ich es an, daß wir einen Teil der in der Arbeitslosenversicherung aufkommenden und dort nicht benötigten Mittel abzweigen und in die Rentenversicherung überführen, wo sie jetzt und vor allem in den nächsten Jahren so dringend gebraucht werden.
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- Der Herr Bundesfinanzminister beschlagnahmt sie nicht, denn diese Mittel stehen der Rentenversicherung als Rechtsanspruch zur Verfügung, wenn sie benötigt werden. Im Augenblick ist es bei der Rentenversicherung so, daß die Mittel nicht direkt in bar gebraucht werden; denn die aufkommenden Beiträge zur Rentenversicherung decken die derzeitigen Ausgaben. Aber das sich verändernde Verhältnis zwischen Beitragsaufkommen und Rentenzahlungen steht drohend vor uns. Dafür brauchen wir in einigen Jahren die Mittel und dafür sollten wir sie rechtzeitig aufstocken. Wir sollten uns z. B. davor hüten, allzu viele Mittel der Rentenversicherung so langfristig anzulegen, wie es von den Versicherungsträgern selbst geschieht.
Ich konnte hier nur einige Gedanken zum Ausdruck bringen. Alle diejenigen Menschen, die sich mit der Sozialpolitik ehrlich beschäftigen, müssen sich darüber Gedanken machen, wie wir schnell - möglichst noch in diesem Jahre - zu der großen Sozialreform kommen. Dafür hätten die ersten Ansätze in diesem Haushaltsplan erscheinen müssen.
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Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sowohl Herr Professor Preller als auch der zweite Redner der Opposition haben die Dinge so dargestellt, als wenn man im Bundesarbeitsministerium die wirklich notwendigen Arbeiten vernachlässigt hätte und der Bundesarbeitsminister so etwas wie ein Anhängsel des Herrn Bundesfinanzministers geworden wäre. Es gibt Sozialpolitiker - und vor allem Sie, Herr Professor Preller, haben doch sehr gute Beziehungen zu diesen Leuten -, die darüber ganz anderer Meinung sind als Sie.
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Wie ich weiß, waren gerade die verantwortlichen Leute in unseren Sozialversicherungsträgern, als wir nach dem Kriege in Frankfurt unsere Arbeit begannen, der Meinung, daß es vielleicht Jahrzehnte dauern werde, bis man der ganzen Sozialversicherung und damit der sozialen Sicherstellung der arbeitenden Menschen wieder einen festen Grund geben könne. Als wir hier in Bonn den ersten Etat des Bundes aufstellten, waren wir in der Lage, einen Betrag von 700 Millionen DM in den Etat einzusetzen und die sozialen Verpflichtungen aus der Rentenversicherung so zu untermauern, daß sie gesichert waren. Vor drei Jahren habe ich einmal auf dem Verbandstag der Ortskrankenkassenverbände vor 2000 Delegierten gesagt, eine wirkliche Sicherung der sozialen Rechtsstellung der arbeitenden Menschen werde nur möglich sein, wenn wir aus dem Bundeshaushalt einen Betrag von jährlich eineinhalb Milliarden DM bekommen, um so zumindest in etwa die Schwierigkeiten zu überwinden, die uns durch den Verlust der Deckungskapitalien bei den Rentenversicherungen entstanden seien. Damals hat mir ein Freund von Ihnen im persönlichen Gespräch gesagt: „Kollege Storch, das erlebst du nicht und das erlebe ich nicht, daß wir anderthalb Milliarden zusätzlich aus Steuermitteln für unsere Zwecke bekommen!" - Und was haben wir denn heute? In dem Ihnen vorliegenden Etat sind diese Beträge nicht um 1,5, sondern um 1,9 Milliarden DM erhöht!
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Es kommt doch praktisch nicht darauf an, daß man jeden Tag draußen im Volke große Reden hält über das, was man tut, sondern daß man in Wirklichkeit für diese Menschen etwas erreicht.
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Herr Professor Preller, ich kann Ihnen nur einen guten Rat geben: legen Sie das, was Sie heute gesagt haben, morgen Ihrem Parteifreund, dem jetzigen Vorsitzenden des Verbandes der Rentenversicherungsträger, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Christian Stock, vor, und er wird sagen: Meine Zustimmung bekommen Sie für derartige Ausführungen nicht!
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man aus einem völligen Zusammenbruch herauskommt und die Verpflichtung hat, gerade für die Ärmsten der Armen und für die Schwächsten in der Bevölkerung Sicherungen zu schaffen, dann muß man allerdings manchmal das, was man vielleicht gern tun würde, zurückstellen, bis man die wirtschaftlichen und die finanziellen Grundlagen geschaffen hat. Unsere ganze Arbeit, angefangen mit dem Wirtschaftsrat in Frankfurt und fortgesetzt in diesem Hause, in der Regierung der Bundesrepublik, war ein allmähliches Anpassen der sozialen Verpflichtungen an die wirtschaftlichen Möglichkeiten. Man kann doch keine Sozialpolitik in einem luftleeren Raum machen,
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wenn man nicht sofort in eine Inflation steuern will. Das wollen Sie nicht, und das wollen wir nicht; wir sind auf diesem Gebiet in Wirklichkeit einig.
Ich habe bestimmt nicht erwartet, daß ich hier heute bei den Etatberatungen ein besonderes Loblied bekommen würde. Das erwarte ich gar nicht; denn ich weiß selbst gut genug, daß wir in der Entwicklung stehen und daß diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Ich weiß ebenso gut wie die Damen und Herren von der Opposition, daß es vor allen Dingen bei unseren Rentenversicherungsträgern noch Menschen zu betreuen gibt, die in bitterer Not sind. Deshalb habe ich ja bereits öffentlich gesagt, welche Verbesserungen wir gerade für die Ärmsten der Armen, nämlich für die Altrentner, durchzuführen gedenken. Wenn da gesagt wird: Nun ja, das ist zwar alles versprochen worden, und die Wahlresultate vom 6. September waren nichts anderes, als daß das Volk Versprechungen geglaubt hat, so dürfen Sie mir eines glauben: ich habe es beim Wahlkampf zum Bundestag strikt vermieden, irgendwelche Versprechungen zu machen,
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aber, Herr Professor Preller, ich bin hingegangen und habe einen Rechenschaftsbericht vor den Wählern gegeben,
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und das haben die Leute verstanden. Nicht Versprechungen für die Zukunft, sondern das, was man bisher im Rahmen des Möglichen getan hat. Ich könnte Ihnen Unterlagen zeigen, daß die breiten Volksschichten, die hier betroffen werden, darauf auch so reagiert haben, wie ich es bei dem gesunden Menschenverstand unserer Menschen erwartet habe.
Nun haben Sie heute wieder einmal gefragt: Wo bleibt die große Sozialreform? Sie ist lange angesagt. Ich glaubte allerdings auch bei Ihnen, Herr Professor Preller, eine unterschiedliche Beurteilung einer Sozialreform, das heißt, einer Zusammenfassung all der Maßnahmen, die sich aus der Sozialversicherung, aus der Versorgungsverpflichtung des Staates, wie beispielsweise für Kriegsbeschädigte, Flüchtlinge und Vertriebene, und aus den Wohlfahrtsverpflichtungen der Länder ergeben, und einer Reform der Sozialversicherung voraussetzen zu dürfen. Das zusammenzufassen in eine einheitliche Schau, ist selbstverständlich eine Notwendigkeit. Ich gebe Ihnen, Herr Professor, recht, wenn Sie sagen, daß die Zahlen, die da von einem Beamten des Finanzministeriums in einem Artikel genannt worden sind, nicht als Gesamtsoziallasten angegeben werden können. Ich gehe auf diesem Gebiet völlig mit Ihnen einig, und ich habe das meinem Kollegen Schäffer auch gesagt.
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Aber auf der anderen Seite, Herr Professor Preller haben wir, die wir sozialpolitisch j a nicht erst von gestern und von heute sind,
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doch eine große Aufgabe. Es ist die Reform der Sozialversicherung. Das ist etwas ganz anderes als eine Sozialreform. Wir müssen doch die Versicherungsträger, die Rechtsansprüche vermitteln, so gestalten, daß sie miteinander und nebeneinander laufen, ohne sich gegenseitig zu stoßen. Hier stehen wir vor ungeheuren Aufgaben. Herr Kollege Atzenroth hat vorhin auf die Schwierigkeiten hingewiesen, welche die Sozialversicherung in gewissen Zeiten haben wird. Ja, wenn diese Dinge unabwendbar wären, Herr Kollege Atzenroth, dann könnte uns vor der Zukunft angst und bange werden. Aber tatsächlich ist es doch so, daß wir ungefähr 40 % unserer Renten aus der Invalidenversicherung an Leute bezahlen, die unter 65 Jahre alt sind. Wir müssen deshalb bei der ganzen Reform unserer Sozialversicherung vor allem die Frage prüfen, wie der Gesundheitsdienst sein muß, um gerade die vorzeitige Invalidität in Zukunft zu verhindern, damit wir, wenn wir einen größeren Kreis von alten Menschen haben, wenigstens nicht auch noch verpflichtet sind, an jüngere Menschen in größerem Umfang Renten zu zahlen.
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Nur über diese Konzeption kann man in Wirklichkeit zu einer Gesundung und dauernden Sicherheit kommen.
Nun sagt man, daß diese Dinge ja seit einem halben Jahre im Gange seien. Ich bin mit dem Herrn Kollegen Traub darüber einig, daß wir die Probleme, die wir bei der Besprechung der Großen Anfrage in Kürze zu erörtern haben werden, nicht heute vorweg behandeln; denn das wäre eine völlig überflüssige Arbeit. Entweder hätte man die Besprechung dieser Großen Anfrage mit der Etatberatung verbinden oder man hätte diese Fragen heute einmal ausschalten und auch nicht am Rande erörtern sollen, weil gewisse Behauptungen einer Antwort des zuständigen Ministers bedürfen. Aber ich möchte Ihnen eins sagen. Allein die Neuordnung unserer Sozialversicherung ist eine Aufgabe von eminenter Bedeutung. Früher hat man für derartige Arbeiten Jahre gebraucht; heute jedoch verlangen Sie, daß diese verworrene Situation in Monaten gelöst wird.
Herr Professor Preller, Sie kennen doch ganz bestimmt durch Ihre Verbindungen nach England und wahrscheinlich auch durch eine persönliche Bekanntschaft mit Lord Beveridge den Gang der Entwicklung in England. Als ich das letzte Mal mit Lord Beveridge zusammen war, hat er mir gesagt: „Der ganze Beveridge-Plan und damit die Grundlage der sozialen Sicherheit in England ist im Anfang durch einen Parlamentsausschuß behandelt worden. Nachdem dieser Ausschuß zwei Jahre gearbeitet hatte, hat der Ausschuß Lord Beveridge persönlich beauftragt, die Dinge fertigzustellen, und er hat für seine Arbeit noch einmal ein Jahr gebraucht." Daß wir derartige Zeitspannen nicht zur Verfügung haben, weiß ich am allerbesten. Ich kann dem Hohen Hause sagen, zur Vorbereitung der Gesetzesvorlage über die Erhöhung der Renten für die Alten ist in meinem Hause in der dafür zuständigen Abteilung Sperre für jede andere Arbeit gegeben. Ich nehme an, daß ich noch im Laufe dieses Monats von meiner versicherungsmathematischen Abteilung die Grundlagen dafür bekomme, daß dann der Referentenentwurf so schnell wie möglich fertiggestellt werden kann.
Wie schwer die Dinge sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen Sie aus einer Rede, die vor kurzem Lord Beveridge im englischen Oberhaus gehalten hat. Dort hat er, obwohl er für seinen Plan so viel Zeit hatte, festgestellt, daß doch vieles unvollkommen geblieben ist und daß man heute daran gehen muß, diese Dinge neu zu überprüfen. Ich garantiere Ihnen, daß die Engländer den verantwortlichen Leuten auch die Zeit lassen, um über die Dinge hinwegzukommen. Wenn ich im
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Kabinett und bei Besprechungen mit meinem Kollegen Schäffer gesagt habe, die dringendste Not müsse vorweg beseitigt werden, dann habe ich es getan, weil ich weiß, daß man wirkliche Reformen nicht durchführen kann, wenn ein Teil der Betroffenen in bitterster Not leben muß. Zuerst muß ich versuchen, die größten Notstände zu beseitigen. Erst dann kann ich an die grundsätzlichen Fragen herangehen und dafür sorgen, daß das Problem bei uns so durchgearbeitet wird, daß die dann neu gegebene Ordnung auch einmal für einige Jahrzehnte Bestand haben kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nach den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers auf einige wenige Bemerkungen beschränken. Es ist selbstverständlich das gute Recht jeder Fraktion dieses Hauses und im besonderen der Opposition, bei der Etatberatung auch dieses Ministeriums Kritik anzubringen. Aber ich weiß nicht, ob es nun auch unbedingt zum Charakter der Opposition und ihrer Aufgabe gehört, dabei die tatsächlichen Leistungen zu übersehen, die in diesen Jahren für die Armen, für die Rentner und für alle im sozialen Bereich Anspruchsberechtigten erbracht worden sind. Das sind in der Tat Leistungen, die auch die Opposition vor dem Hause und draußen vor dem Volk ruhig deutlich und klar anerkennen sollte.
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Wenn sie das tut, dann gewinnt ihre Kritik, die sie ansonsten zu üben hat, wahrscheinlich eine erheblich bessere Resonanz, als wenn sie sich nur in der Kritik ergeht. Insofern ist sich die Opposition auch in diesem Jahr bei der Beratung treu geblieben und hat die Linie eingehalten, die sie in den vergangenen Jahren hier bezogen hat. Ich halte das für eine, wenn Sie wollen, bedauerliche Tatsache.
Nun ist von Herrn Professor Preller von der „Konzeptionslosigkeit" des Bundesarbeitsministers gesprochen worden. Auch ich möchte mich nicht näher mit dem befassen, was Gegenstand der Debatte im Zusammenhang mit der Großen Anfrage der SPD sein wird. Aber ich möchte doch darauf hinweisen dürfen, daß die Konzeption, die bei der sogenannten Reform der Sozialversicherung zu befolgen ist, seinerzeit vom 1. Deutschen Bundestag dem Grunde nach schon festgelegt worden ist, als hier der Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Zusammenhang mit der Schaffung des sogenannten Beirats angenommen wurde. An der Spitze des Antrags stand das Bekenntnis, daß wir im Grundsatz an der gegliederten Sozialversicherung festhalten, um nicht das Adjektiv „klassischen" wieder einmal zu gebrauchen. Damit ist der Grund eigentlich festgelegt.
Wir haben damals auch gesagt, daß alle Prüfungen und Überlegungen über die Reform der Sozialversicherung auf eine klare Trennung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge Bedacht zu nehmen haben. Ich weiß sehr wohl, daß mit einer derartigen Festlegung der sehr schwierige, tiefgehende und umfassende Komplex dieses Problems nicht erschöpft ist. Die Probleme gehen darüber hinaus und liegen noch tiefer. Jedenfalls hat aber der 1. Bundestag in seiner Mehrheit diesen Antrag damals gebilligt, und damit ist das Fundament,
von dem aus die weiteren Arbeiten und Überlegungen zu entwickeln sind, gelegt. Dabei kann und muß natürlich über dieses und über jenes, ja über vieles noch gründlich gesprochen werden. Die Dinge müssen gründlich durchleuchtet werden. Aber ich möchte mich mit Bezug auf diesen damaligen Beschluß dagegen wehren, daß man in diesem Zusammenhang von absoluter Konzeptionslosigkeit spricht.
Verehrter Herr Professor P r e 11 er, von Ihnen stammt ein Zeitungsartikel, der vor einiger Zeit durch eine Reihe von Blättern gegangen ist und der die Überschrift trug „Der hilflose Storch". Ich weiß nicht, ob, wenn ein anderer, etwa Sie selber, verehrter Herr Professor, auf dem Stuhl des Herrn Bundesarbeitsministers säße, dieser, so wie die Dinge find die Zusammenhänge liegen, vielleicht auch Artikel zu gewärtigen hätte, die eine ähnliche Überschrift trügen.
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Man sollte mit diesen Dingen doch etwas vorsichtig umgehen!
Tatsache ist, daß für alle grundlegenden Erwägungen in dieser Frage echte versicherungsmathematische Bilanzzahlen erforderlich sind. Diese lassen sich nun einmal nicht von heute auf morgen mit der notwendigen Schlüssigkeit hinstellen. Sie wissen genau so gut wie wir, daß man eine Sozialenquete eingeleitet hat, wenn auch nur mit einem Buchstaben des Alphabets, daß aber diese Ergebnisse auch erst gründlich erarbeitet werden müssen, damit wir Schlußfolgerungen daraus ziehen können, die auch von Ihnen als unerläßliche Voraussetzung angesehen werden. Ich habe mir noch vor wenigen Tagen vom Bundesarbeitsministerium sagen lassen, daß die Ergebniszahlen dieser Enquete auch beim allerbesten Willen und bei aller Kraftanstrengung, die man darauf verwendet, immerhin noch einige Monate auf sich warten lassen werden. Ich weiß aus gelegentlichen Unterhaltungen mit Herrn Professor Preller, daß er auch selber der Meinung ist, daß so gründliche Durchforschungen - ich wiederhole damit nur etwas, was der Herr Minister eben schon gesagt hat - wirklich einer geraumen Zeit bedürfen und daß man das nicht einfach so im Handumdrehen hinstellen kann.
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Vollständig einig bin ich mit Herrn Professor Preller, wenn er in seinen Ausführungen bezüglich der hier behandelten Fragen auf die notwendige Selbständigkeit des Bundesarbeitsministers hingewiesen hat. Auch wir sind der Auffassung, daß hier keine irgendwie gearteten ressortmäßigen Verschiebungen Platz greifen dürfen. Der Bundesarbeitsminister ist für uns nun einmal der Verantwortliche für diese Dinge.
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Aber in dem Augenblick - und diese Tatsache liegt ja vor -, wo auch für die sozialen Leistungen so erhebliche Mittel des Bundeshaushalts beansprucht werden, wird doch niemand hier im Hause etwa bestreiten wollen, daß der Herr Bundesfinanzminister notwendigerweise sein Wort bei der Angelegenheit mitzureden hat.
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So wie es bei allen anderen Ressorts ist, wird es
auch beim Bundesarbeitsministerium in dieser und
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jener Beziehung notwendigerweise, möchte ich fast sagen, zu gewissen Meinungsunterschieden und Auseinandersetzungen zwischen dem Ressortminister und dem Bundesfinanzminister kommen und kommen müssen, wenn Sie so wollen. Ich möchte deshalb unsere Auffassung nachdrücklich unterstreichen, daß auch wir den Herrn Bundesarbeitsminister als den in erster Linie verantwortlichen Mann für diese Aufgaben und für dieses Ressort ansehen.
Nun ist hier wiederum - wie schon so oft - davon gesprochen worden, daß der Herr Bundesfinanzminister Mittel der Sozialversicherungsträger oder auch der Bundesarbeitsverwaltung in Anspruch nehme, diesen Trägern wegnehme, um damit seinen Bundeshaushalt auszugleichen. Ich glaube, ich habe es bei einer früheren Debatte schon einmal gesagt und möchte es heute sehr deutlich wiederholen: auch wenn man diese Formulierung noch so oft gebraucht, sie wird deshalb doch nicht richtig.
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- Meine sehr wohl; vielleicht kapieren Sie das nur nicht.
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Die Dinge sind so: Im vorigen Jahr, als wir die Sache erstmalig durch Gesetz für ein Jahr gemacht haben, haben wir auch von unserer Seite erklärt: Wir tun das nur für dieses eine Mal. Im nächsten Jahr sind die Selbstverwaltungsorgane in Funktion, und dann gehört das zu deren Zuständigkeit. - Wenn nun ein Selbstverwaltungsorgan - also die Bundesanstalt - schon zu einer Verständigung in diesem Sinne mit dem Herrn Bundesfinanzminister gekommen ist, ist dazu nur zu sagen, daß das dann einzig und allein in der Aufgabe und Verantwortung dieses Selbstverwaltungsorgans liegt.
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In diesem Organ sind ja die Sozialpartner und die Gebietskörperschaften vertreten. Ich halte es für eine etwas komische Angelegenheit - ich will das einmal sehr deutlich sagen -, wenn, nachdem nun ein solches Selbstverwaltungsorgan in einer solchen Angelegenheit gesprochen hat, nachher noch eine Organisation der an dieser Selbstverwaltung Beteiligten glaubt, durch ihren Einspruch diese Dinge etwa wieder revidieren zu können.
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Dieses Verfahren halte ich weder für zweckmäßig noch für richtig.
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Zu den Sozialversicherungsträgern! Wenn ich den Haushalt richtig gelesen habe, dann habe ich den Eindruck, daß sich Verhandlungen mit den Sozialversicherungsträgern über eine nochmalige Hergabe von Millionenbeträgen inzwischen erübrigt haben, daß sie gar nicht mehr zu führen sind, nachdem im außerordentlichen Haushalt 250 Millionen DM eingesetzt worden sind, die der Bund wahrscheinlich den Sozialversicherungsträgern in der Weise auszuzahlen gedenkt, daß er ihnen halt für diese 250 Millionen DM wieder Eintragungen in das Bundesschuldbuch gibt.
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So, glaube ich, ist das zu sehen. Das ist aber doch
- und das ist der Knalleffekt bei dieser Angelegenheit - kein Entzug und keine Entnahme von
Vermögensteilen, die dann im Bundeshaushalt irgendwie verarbeitet werden.
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- Nein, das ist nicht der Fall.
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Wir müssen auch hier wieder darauf verweisen, daß es sich eben, wenn so verfahren wird, um eine durchaus mögliche und nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung zugelassene Vermögensanlage dieser Versicherungsträger handelt und um sonst gar nichts. Hier wird verzinst und hier wird amortisiert. Die Art und Weise, wie sich das im einzelnen regelt, muß eben auch wiederum mit den Selbstverwaltungsorganen vereinbart werden.
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Die Dinge sind also, so gesehen, durchaus in Ordnung.
Zum Schluß möchte ich noch mein Bedauern ausdrücken, daß sich die Opposition trotz der tatsächlichen großen Leistungen, die hier erbracht worden sind, in der zweiten Lesung nicht entschließen kann, diesem Haushalt zuzustimmen. Wir möchten aber unsererseits an dieser Stelle dem Herrn Bundesarbeitsminister für seine Arbeit und seine Leistungen gerade im Interesse der bedürftigen Menschen in unserer Bundesrepublik unseren ausdrücklichen Dank aussprechen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige der Äußerungen, die im Anschluß an unsere Darlegungen erfolgt sind, bedürfen doch einer gewissen Erwiderung. Zunächst einmal darf ich Herrn Bundesfinanzminister Schaffer darauf aufmerksam machen, daß in dem Rundschreiben seines Ministeriums vom 5. März ausdrücklich gesagt worden ist:
Vorläufig wird in der Weise verfahren, daß wir die Zuweisung an die Bundesanstalt mit einem Zwölftel, d. h. monatlich 21 Millionen DM kürzen und bei den Betriebsmittelzuweisungen an die Rentenversicherungsträger ebenfalls 22 Millionen DM monatlich in Abzug bringen.
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Das war die Absicht am 5. März 1954, und das ist dann offensichtlich nicht geschehen, weil auch der Bundesarbeitsminister - wie er sagte - eine gesetzliche Grundlage für dieses Vorhaben des Finanzministers nicht zu sehen vermochte. Ich glaube also, daß unsere Darstellung durchaus richtig war.
Zweitens zu Herrn Atzenroth. Wenn Herr Atzenroth davon spricht, daß die Beitragssenkung für eine Rentenerhöhung verwendet werden sollte, so darf ich doch wohl darauf hinweisen, daß die Mittel der Bundesanstalt, wenn sie schon anderweit verwendet werden sollen, jedenfalls für Dinge verwendet werden müssen, die den Arbeitslosen zugute kommen, d. h. für die Beschaffung von Dauerarbeitsplätzen. Das scheint uns durchaus im Vordergrund zu stehen.
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Nun zu dem, was der Herr Bundesarbeitsminister S t o r c h gesagt hat. Mir scheint, er ist einer Verwechslung unterlegen. Er sprach davon, daß er sich vor etwa fünf Jahren, am Anfang seiner Tätigkeit,
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dahingehend geäußert habe, daß es notwendig sein würde, für die später altwerdenden Menschen anderthalb Milliarden jährlich zurückzulegen, um die Mittel, die durch die beiden Kriege und Inflationen verlorengegangen sind, wieder d. h. im Wege des Kapitaldeckungsverfahrens aufzustocken. Jetzt sagen Sie, Herr Minister, 1,9 Milliarden DM würden ja gegeben. Das sind aber keine Kapitaldeckungsmittel, Herr Minister, sondern Zuschüsse; diese Mittel sind erforderlich, wie schon in der Weimarer Zeit, als die Zuschüsse, die damals in Betracht kamen, zum Teil prozentual noch höher waren. Infolgedessen können Sie die 1,9 Milliarden DM, von denen Sie sprachen, nicht zur Kapitaldeckung rechnen, und deshalb können diese Mittel jetzt auch nicht für die alten Leute zur Verfügung stehen. Wir wehren uns gerade dagegen, daß die wenigen Betriebsmittel - etwa reichlich 1 Milliarde DM -, die überhaupt in der Rentenversicherung vorhanden sind und lediglich für zwei Monate ausreichen, angetastet werden. Wir möchten sagen: Hände weg von dieser Milliarde der Rentenversicherung, weil sie gebraucht wird!
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Wir sind uns darüber einig, daß wir jetzt nicht über die Frage der Sozialreform sprechen können, aber wenn Sie wiederum Beveridge zitiert haben wie schon einige Male zuvor, hier oder an anderer Stelle, dann darf ich Sie auf folgendes aufmerksam machen: daß dieser Bericht den Namen Beveridges trägt, entspricht einer Übung des englischen Parlaments. Zweifellos hat der Beveridge-Ausschuß zwei Jahre gearbeitet, und dann hat Beveridge noch ein weiteres Jahr darauf verwendet. Aber, Herr Minister, vor zwei Jahren hat Ihre Koalition unseren Antrag, einen solchen Ausschuß einzusetzen, zerschlagen.
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Sie hätten jetzt schon nach zwei Jahren das hinstellen können, was Beveridge mit seinem Ausschuß nach zwei Jahren hingestellt hat. Aber das haben Sie versäumt.
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Und genau so wie Sie damals, ein Jahr nach jenem Beschluß, den Herrn Horn angeführt hat - zufällig kurz bevor wir unsere SPD-Tagung in Hannover hatten -, den Ausschuß überhaupt erst einberufen haben, genau so haben Sie jetzt das halbe Jahr, das Sie seit der Ankündigung von Herrn Dr. Adenauer hatten, nicht benutzt. Gerade heute morgen schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung davon, daß man nun langsam wenigstens Ansätze zu einer Änderung des Systems sehen möchte. Sie werden ja nicht behaupten, daß das ein sozialdemokratisches Blatt ist. Aber auch der „Arbeitgeber" - und Sie werden nicht sagen, daß die Zeitschrift der Arbeitgeberverbände ein sozialdemokratisches Blatt ist - schreibt, daß das zuständige Bundesressort nicht ausreichend zu erkennen gebe, daß es mit den Vorbereitungen für eine solche Reform nachdrücklich beschäftigt sei. Nur das möchte ich heute zu diesen Dingen sagen, damit wir nicht schon bei der Etatberatung ein falsches Bild bekommen.
Herr Horn, Sie haben angeführt, man dürfe nicht nur Kritik üben, sondern müsse auch Leistungen vollbringen.
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- Anerkennen? Gern! Soweit etwas geschehen ist! Beim Versorgungsgesetz und ähnlichem gern!
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- Sicher, noch einiges mehr. Aber, darf ich Ihnen sagen, daß das, was im 1. Bundestag für die Rentner geleistet worden ist, überhaupt erst mit den Anträgen der Sozialdemokratie herausgelockt werden mußte.
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Das gilt für die Rentenzulagen, das gilt für die Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung,
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das gilt für die Erhöhung des Grundbetrags.
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- Sie haben dann natürlich mitgemacht.
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- Ach Gott, so liegen doch nun einmal die Dinge. Sehen Sie sich doch den Gang der Sache an! Es gilt für die Höherversicherung in der Sozialversicherung, für die Änderung der Ruhensvorschriften, und wir könnten diese Liste noch und noch verlängern.
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Sie haben gesagt, Herr Horn, die Sozialdemokratie übe nur Kritik, sie befinde sich nicht im Recht, wenn sie den Vorwurf der Konzeptionslosigkeit erhebe. Nun, Herr Horn, Sie haben auf den Beschluß der Bundestagsmehrheit vom Februar vor zwei Jahren hingewiesen. Sie halten es also für eine Konzeption, wenn damals scharfe Trennung von Versicherung, Versorgung und Fürsorge verlangt worden ist?
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Ich darf Ihnen sagen, Herr Horn, daß die sozialpolitische Wissenschaft unterdessen längst erkannt hat, daß das ein falscher Weg ist. Wir werden Ihnen das noch beweisen bei der Behandlung unserer Großen Anfrage.
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Schließlich ist davon gesprochen worden, daß das Bundesfinanzministerium mitreden müsse. Selbstverständlich hat der, der das Geld gibt, auch immer etwas mitzureden. Darüber habe ich nichts gesagt, sondern ich habe erklärt, daß, über die Hergabe der Geldmittel von seiten des Bundesfinanzministeriums hinaus, dieses Ministerium eigene sozialpolitische Vorstellungen entwickelt. Und da bin ich mit Ihnen der Auffassung: Das geht nicht an.
Es ist auch nicht, wie sie sagen, Herr Horn, eine komische Sache, daß sich, wenn auch die Selbstverwaltungskörperschaften hinsichtlich der 262 Millionen DM einen Beschluß gefaßt haben, der DGB trotzdem erlaubt, eine eigene Meinung zu haben.
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Einer so großen Organisation, wie sie der Deutsche Gewerkschaftsbund ist, müssen Sie immerhin zubilligen, daß er auch eine eigene Meinung hat.
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Selbst wenn er überstimmt worden ist, kann er hinterher wohl auch noch seine Meinung äußern. Das Recht dazu hat der Kollege Horn dem DGB bestritten. Das wiederum bestreite nun allerdings ich dem Kollegen Horn gegenüber.
Nun haben Sie noch gesagt, daß der Bundesfinanzminister bei den Rentenversicherungsträgern den Zugriff auf die 250 Millionen DM im ordentlichen Haushalt gestrichen, aber dafür im außerordentlichen Haushalt 250 Millionen DM Schuldbuchverschreibungen vorgesehen habe. Herr Horn,
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glauben Sie wirklich, daß das eine Vermögensanlage der Rentenversicherungsträger ist?
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- Formal ja! In der Sache handelt es sich aber nicht um Vermögen, das der Bundesfinanzminister mit Beschlag legt, sondern es handelt sich, wie auch der Bundesarbeitsminister ganz richtig gesagt hat, um laufende Betriebsmittel, und die darf man nicht in Vermögenswerten anlegen. Das sollten Sie doch eigentlich wissen.
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Ich darf mit dem Hinweis schließen, daß die Opposition zwar kritisiert hat, aber, Herr Horn, nur aus der Sorge heraus, daß bessere Leistungen notwendig sind.
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Vizepräsident Dr. Schneider Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesarbeitsminister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzten Ausführungen des Herrn Professor Preller zwingen mich noch einmal hier an das Pult. Er hat gesagt, die Leistungen, die wir jetzt aus dem Bundeshaushalt bekommen, seien zum größten Teil bereits in der Weimarer Republik gewährt worden. Jawohl, in der Weimarer Republik waren sie da, aber nicht im Jahre 1948, als wir nach einem verlorenen Krieg
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und nach einem restlosen Zusammenbruch etwas Neues auf die Beine stellen mußten. Erst durch das Sozialversicherungsanpassungsgesetz - das wird mir der Kollege Richter, Ihr Parteifreund, bestätigen - haben wir erstmals wieder festgelegt, daß die Länder - einen Bund gab es ja damals noch nicht - die Grundbeträge für die Invalidenrenten zu zahlen haben. Nichts haben wir gehabt, und heute steht doch etwas da, was auch von den wirklich Beteiligten anerkannt wird.
Dann wird gesagt: Ihr könntet ja viel weiter sein, wenn ihr diesen Wissenschaftlichen Beirat, den wir vorgeschlagen haben, berufen hättet. Ich glaube, Herr Professor Preller, wir wären deshalb keinen Schritt weiter vorangekommen, weil wir vor zwei Jahren gar nicht die wirtschaftlichen und die finanziellen Grundlagen dafür hatten, das zu tun, was wir heute tun können.
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Das müssen wir doch letzten Endes sehen. Und, Herr Professor, prüfen Sie einmal bei Ihrer Partei, und lassen Sie sich auch von den Gewerkschaften sagen, wann das Ersuchen an sie herangetragen worden ist,
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die Mitglieder des Beirats zu benennen, und sagen Sie mir dann, wann die Benennung erfolgt ist. Dann werden Sie finden: nach zwei oder drei Monaten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nur noch eines zu sagen. Der Herr Bundesarbeitsminister ist im Mai 1952 an uns
herangetreten, und wir mußten drei Monate auf eine Antwort warten, um überhaupt festzustellen, wie viele Mitglieder die Sozialdemokratische Partei in diesen Beirat berufen durfte.
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Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Beratung.
Ich komme zur Abstimmung. Zu diesem Antrag liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 41*) vor. Über Ziffer 1 dieses Umdrucks kann jetzt nicht abgestimmt werden; denn sie gehört zu der Beratung des Haushaltsgesetzes selbst. Ich stelle sie also zurück.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 2 des Umdrucks 41, des Antrages der sozialdemokratischen Fraktion, daß verschiedene Änderungen im Etat vorgenommen werden. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 11 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit -, Drucksache 361. Wer diesem Einzelplan zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Einer interfraktionellen Vereinbarung entsprechend ziehe ich vor und rufe auf:
Einzelplan 45 - Haushalt Finanzielle Hilfe für Berlin ({0}).
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, Abgeordneten Traub.
Traub ({1}),. Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 45 befaßt sich in Kap. 4502 Tit. 600 mit dem Zuschuß zum Landeshaushalt für Berlin. Nach § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes vom 4. Januar 1952 soll der Bundeszuschuß so bemessen sein, daß das Land Berlin die durch seine besondere Lage bedingten Aufgaben erfüllen kann. Mit anderen Worten: der Bundeszuschuß soll zur Deckung des Fehlbetrages des Haushalts des Landes Berlin dienen.
Bei Tit. 601 handelt es sich lediglich um eine Rücküberweisung des im Lande Berlin selbst erzielten Aufkommens aus dem Notopfer Berlin.
Wie Sie aus dem Ihnen zugegangenen Mündlichen Bericht auf Drucksache 376 ersehen wollen, wurde der in der ursprünglichen Regierungsvorlage, Drucksache 200, angesetzte Betrag bei Tit. 600 von bisher 650 Millionen auf 710 Millionen DM erhöht, so daß die Summe der Allgemeinen Ausgaben im Kap. 4502 insgesamt 750 Millionen DM gegenüber 685 Millionen DM im Jahre 1953 beträgt.
Bei den Verhandlungen im Ausschuß wurde darauf hingewiesen, daß das ursprüngliche Haushaltsdefizit des Landes Berlin für das Rechnungsjahr 1954 insgesamt 941 Millionen DM betragen habe. Durch verschiedene Streichungen, Umgruppierungen und Darlehensgewährungen wurde der endgültige Fehlbetrag im Einvernehmen zwischen dem
*) Siehe Anlage 1 Seite 1026.
({2})
Land Berlin und dem Bundesfinanzministerium auf 800 Millionen DM festgesetzt. Von diesen 800 Millionen DM sollen 710 Millionen DM in bar aufgebracht werden, wobei hinsichtlich der vierprozentigen Kürzung der Abs. 2 des § 4 des Haushaltsgesetzes Anwendung finden soll.
Die Finanzierung der restlichen 90 Millionen DM soll wie folgt vorgenommen werden: 75 Millionen DM sollen durch eine Anleihe des Landes Berlin aufgebracht werden. Für diese Anleihe wird eine Bundesbürgschaft geleistet, wobei der Bund sowohl hinsichtlich des Aufkommens als auch hinsichtlich des Zinsen- und Tilgungsdienstes die Garantie übernimmt. Mit diesen 75 Millionen DM soll das Land Berlin in die Lage versetzt werden, seine Bauvorhaben im außerordentlichen Haushalt zu finanzieren. Um hinsichtlich des Baubeginns keine Verzögerung eintreten zu lassen, hat der Herr Bundesfinanzminister zugesichert, bis zur Auflage der Anleihe aus Kassenmitteln des Bundes eine Vorfinanzierung vorzunehmen. Dabei wurde noch besonders darauf hingewiesen, daß es sich bei der Übernahme der Bundesbürgschaft um eine Sicherheitsleistung des Bundes handelt, für welche nach Art. 115 des Grundgesetzes ein Bundesgesetz erforderlich ist, das dem Hohen Hause raschestens vorgelegt werden soll.
Für weitere 15 Millionen DM sollen im Lande Berlin kriegszerstörte bundeseigene Gebäude im Haushaltsjahr 1954 wiederaufgebaut werden. Es ist daran gedacht, mit diesem Betrag in erster Linie ehemalige Verwaltungsgebäude wiederherzustellen, die alsdann vom Lande Berlin belegt werden können, was somit auch eine Entlastung des Berliner Haushalts bedeuten würde. Der Betrag von 15 Millionen DM war ursprünglich zum Wiederaufbau zerstörter Gebäude im ganzen Bundesgebiet vorgesehen.
Mit diesen 90 Millionen, mit weiteren 20 Millionen der Bundesanstalt und mit sogenannten amerikanischen GARIOA-Mitteln sollen alsdann sowohl das Notstandsprogramm des Landes Berlin mit 170 Millionen DM als auch das Wohnungsbauprogramm mit 231 Millionen DM finanziert werden können.
Der bei Tit. 600 eingesetzte Mehrbetrag von 60 Millionen DM wurde durch Streichungen von 50 Millionen DM bei Kap. 3205 Tit. 681 - der Herr Bundesfinanzminister hat gestern schon darauf hingewiesen - und von 10 Millionen DM bei Kap. 1002 Tit. 620 gedeckt.
Die Berliner Finanzverwaltung brachte während der Beratungen im Ausschuß Bedenken gegen die Art und Weise der Bedarfsdeckung hinsichtlich der '75 Millionen DM aus Anleihemitteln und 15 Millionen DM für zusätzliche Bauten vor und erklärte, es müsse sichergestellt sein, daß die zusätzlichen 20 Millionen DM von der Bundesanstalt auch tatsächlich eingingen. Bei den Verhandlungen sei weiter vereinbart worden, daß der Bund auf die Erfüllung der Schuldverpflichtungen Berlins aus der Verwaltungsvereinbarung von 1950 endgültig verzichte. Weiterhin sollten die bereits angelaufenen und noch entstehenden Kosten der gesamten Vorratshaltung in Berlin ohne Anrechnung auf den Bundeszuschuß übernommen werden. Das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin sei außerdem höher anzusetzen.
Hierzu ist zu sagen, daß in Einzelplan 60 Kap. 6001 Titeln 35 und 36 das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin mit einem Betrag von 925 Millionen DM aus dem Bundesgebiet und mit 40 Millionen aus dem Land Berlin angesetzt ist. Beide Posten sind jeweils in die Zeiträume vom 1. April bis 31. Dezember 1954 und vom 1. Januar bis 31. März 1955 aufgeteilt, da bekanntlich das zur Zeit geltende Gesetz über die Erhebung des Notopfers Berlin vom 28. April 1953 am 31. Dezember 1954 abläuft. Nachdem der Herr Bundesfinanzminister aber bei anderer Gelegenheit wiederholt erklärt hat, daß er auf das Notopfer Berlin auch über den 31. Dezember 1954 hinaus nicht verzichten könne, wurde auch das Aufkommen für das erste Quartal 1955 eingesetzt.
Während der Ausschußberatungen wurde die Auffassung vertreten, auch das in der Bundesrepublik erhobene Notopfer Berlin mit 925 Millionen DM dürfe nicht als allgemeines Deckungsmittel für den Haushalt herangezogen werden. Dieser Posten gehöre aus politischen und steuersystematischen Gründen als Einnahmeposten in den Einzelplan 45.
Das Bundesfinanzministerium legte dem Ausschuß noch eine Aufstellung über sämtliche Leistungen des Bundes an das Land Berlin vor. Nach dieser Aufstellung verursacht der gesamte Zuschuß des Bundes an das Land Berlin im Rechnungsjahr 1954 voraussichtlich einen Mehrbetrag von 254 Millionen DM gegenüber dem gesamten Aufkommen aus dem Notopfer Berlin. Diese Aufstellung wurde von der Berliner Finanzverwaltung nicht anerkannt. Im übrigen - so erklärte der Vertreter des Landes Berlin - erwarte das Land Berlin nach wie vor Steuererleichterungen und als ersten Schritt auf diesem Wege die Nichterhebung des Notopfers in Berlin.
Ich darf noch kurz erwähnen, daß bei der Beratung sowohl des Einzelplans 60 als auch des Einzelplans 45 bedauert wurde, daß zwischen dem Bundespostministerium und dem Bundesfinanzministerium keine Einigung über die Abschaffung oder Vereinfachung der 2-Pfennig-Briefmarke „Notopfer Berlin" erzielt wurde. Das Aufkommen aus dieser Briefmarkensteuer betrage jährlich zirka 30 Millionen DM.
({3})
- Dreißig, wurde uns bei den Beratungen gesagt!
Meine Damen und Herren, trotz der von der Berliner Finanzverwaltung im Ausschuß vorgebrachten Bedenken hat der Haushaltsausschuß festgestellt, daß zwischen dem Land Berlin und dem Bundesfinanzministerium eine Vereinbarung zustande gekommen ist, in der das Haushaltsdefizit des Landes Berlin für das Rechnungsjahr 1954 auf 800 Millionen DM festgesetzt worden ist.
Ich darf Sie daher bitten, dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache 376 und damit einer Erhöhung des Zuschusses bei Kap. 4502 Tit. 600 von 650 Millionen DM auf 710 Millionen DM Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, im Auftrage der sozialdemokratischen Fraktion einige Ausführungen zu Umdruck 42 und zu Umdruck 46 zu machen.
({0})
Bei dem Umdruck 42*) handelt es sich um einen
grundsätzlichen Beschluß für das kommende Jahr:
Das Aufkommen aus der Abgabe Notopfer
Berlin dient - gemäß § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes - in erster Linie der Deckung
des Fehlbedarfs des Berliner Landeshaushaltes.
Der nach Leistung des Bundeszuschusses verbleibende Ertrag des Notopfers sollte ausschließlich verwendet werden, um die wirtschaftliche und soziale Position Berlins zu
sichern.
Im zweiten Teil wünschen wir für das kommende Jahr den grundsätzlichen Beschluß:
Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Gestaltung des kommenden Bundeshaushaltes dafür zu sorgen, daß die Einnahme aus der Abgabe Notopfer Berlin in den Einzelplan 45 - Haushalt Finanzielle Hilfe für Berlin - aufgenommen wird.
Mit Umdruck 46**) soll die finanzielle Unterstützung für den Haushalt 1954 von Berlin gesichert werden. Unser Antrag soll den Haushalt für das notleidende Berlin sichern, für das Berlin, das unverschuldet, auf Grund der politischen Ereignisse in Not geraten ist. Es muß daran erinnert werden, daß Berlin jahrzehntelang Steuerüberschüsse hatte, daß erst die Veränderung der politischen Situation nach 1945 hier zu den Schwierigkeiten geführt hat, die nun seit Jahr und Tag beim Haushalt immer wieder sichtbar werden. Die Vermehrung der Schwierigkeiten durch die Blockade Berlins brauche ich nicht zu schildern, ich brauche auch Ihnen hier nichts von den erneuten Schwierigkeiten zu sagen, die durch die Spaltung unserer Stadt entstanden sind.
({1})
In dieser Situation, in der es um das Leben und das Sterben unserer Stadt ging, des am weitesten vorgeschobenen Postens der demokratischen Welt, haben wir dann die Hilfe vom Westen erhalten. Ich will für die Kolleginnen und Kollegen, die neu in unserem Hause sind, kurz etwas Geschichtliches sagen. Das Gesetz zur Erhebung einer Abgabe Notopfer Berlin ist schon am 8. November 1948 im Wirtschaftsrat beschlossen worden. Die Präambel dieses Gesetzes lautet:
Als sichtbares Zeichen der Verbundenheit mit Berlin wird im Vereinigten Wirtschaftsgebiet ein „Notopfer Berlin" nach Maßgabe der folgenden Bestimmung erhoben:.. .
Dann folgt das Gesetz. Diese Präambel hebt hervor, aus welchen Gründen diese Sondersteuer eingeführt werden mußte. Auch bei dem Gesetz zur Erhebung einer Abgabe Notopfer Berlin vom 29. Dezember 1949, das vom 1. Januar 1950 ab wirksam war, ist die gleiche Präambel als Richtschnur des Gesetzes zu bezeichnen. Es hieß in § 1:
Der Bund erhebt als „Notopfer Berlin" eine Abgabe.
Im April 1950 wurde dann die Verwaltungsvereinbarung getroffen, die man als ein Überleitungsgesetz bezeichnen muß. Es wurde erstmalig eine Angleichung der Verhältnisse zwischen Bund und Ländern festgelegt. In dem neuen Gesetzentwurf, der Ihnen allen ja zugegangen ist, ist die
*) Siehe Anlage 2 Seite 1027. **) Siehe Anlage 3 Seite 1028 A.
unseres Erachtens schlechte Entwicklung zu erkennen. Von der Präambel sieht man nichts mehr. Der § 1 des Gesetzentwurfs des Herrn Bundesfinanzministers lautet:
Zugunsten des Bundes wird eine Abgabe „Notopfer Berlin" erhoben.
Wir Sozialdemokraten hoffen, daß dieses Haus hier eine Änderung vornehmen wird und daß diese für uns unmöglich scheinende Formulierung durch eine bessere ersetzt wird.
({2})
Das Dritte Überleitungsgesetz schuf dann endgültig Klarheit. Es sagte in seinem § 16 Abs. 3: Solange die Abgabe „Notopfer Berlin" erhoben wird, dient ihr Aufkommen der Deckung des Bundeszuschusses. Übersteigt das Aufkommen den festgesetzten Bundeszuschuß, so verbleibt der Mehrbetrag dem Bund.
Das Überleitungsgesetz vom 4. Januar 1952 regelt die finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und Berlin mit Wirkung vom 1. April 1951.
Für Berlin gilt nun das gleiche Recht, das nach dem Grundgesetz und den Bundesgesetzen für die finanziellen Beziehungen des Bundes zu den übrigen Ländern gilt. Für Berlin ergeben sich damit alle Licht-, aber auch alle Schattenseiten, wie sie bei den übrigen Ländern des Bundes gegeben sind. Der Bund bekommt die ihm nach den Gesetzen zustehenden Einnahmen des Landes Berlin, und wir in Berlin erfüllen die gleichen Pflichten wie jedes andere Land. Das Land Berlin hat aber auch die gleichen Ansprüche wie jedes andere Land auf Ersatz der Kosten für Ausführung von Bundesgesetzen. Berlin will keine Extrawurst; Berlin will keine Extrabestimmungen. Berlin übernahm die gleichen Pflichten wie jedes andere Land. Berlin will aber auch die gleichen Rechte wie jedes andere Land haben. Zur Forderung auf gleiches Recht gehört auch die Forderung Berlins, als eines der unterschiedslos gleichberechtigten zehn Länder behandelt zu werden. Leistungen des Bundes - Besatzungskosten, Kriegsfolgenhilfe, Kriegsopferversorgung, Erfüllung der Aufgaben nach Art. 133 des Grundgesetzes usw. - bekommt Berlin nach gleichen Gesetzen und Grundsätzen wie jedes andere Land der Bundesrepublik Deutschland; es sollte sie bekommen, denn hier ist der Beginn der Differenzen bei Aufrechnung der Leistungen des Bundes.
Meine Damen und Herren! Das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin ist vom Herrn Bundesfinanzminister immer sehr vorsichtig geschätzt worden. Als Beispiel nenne ich die letzten drei Jahre. 1952 hatte das Notopfer ein Soll von 730 Millionen, ein Ist von 814 Millionen, und Berlin bekam in diesem Jahr als Zuschuß „Notopfer Berlin" 600 Millionen DM; im Jahre 1953 ein Soll von 800 Millionen, ein Ist von 965 Millionen, und Berlin bekam 650 Millionen DM.
({3})
In diesem Jahr ist das Soll mit 925 Millionen angesetzt worden, obwohl sämtliche Experten im Bund ohne weiteres zugeben, daß die Einnahme über 1000 Millionen btragen wird - man rechnet zwischen 1025 und 1035 Millionen -, während Berlin nur 710 Millionen DM erhalten soll.
Der Senat von Berlin hatte einen Haushaltsfehlbetrag von 941 Millionen DM ausgerechnet. Anerkannt von dem Herrn Bundesfinanzminister und - wir Sozialdemokraten machen dem Senat von
({4})
Berlin hier einen Vorwurf - leider auch vom Senat von Berlin wurde nur ein Fehlbetrag von 800 Millionen DM. Wir müssen bedauern, daß hier Streichungen vorgenommen worden sind, die ausschließlich auf Kosten der kleinsten Angestellten der Stadt Berlin erfolgen sollen. - Ich weiß nicht, warum Sie mit dem Kopf schütteln, Herr Abgeordneter Tillmanns.
({5})
- Die Schulmänner und die Polizisten, insbesondere die Polizisten, haben doch in Berlin einen so schweren Dienst, daß man hier weder bei den Eingruppierungen noch bei der Berechnung des Dienstalters vom Bund aus Vorbehalte machen sollte, sondern man sollte die Berliner Regelung anerkennen, die einmütig von allen Parteien getragen wird.
({6})
800 Millionen DM sind also anerkannt worden. Diese Summe soll wie folgt aufgegliedert werden: 710 Millionen DM direkter Bundeszuschuß, der in 12 Monatsraten an Berlin gegeben werden soll. Dann kommen wir in diesem Jahre erstmals zu einer ganz neuen Form der Bezuschussung, die ja eigentlich gar keine Bezuschussung ist: einer Anleihe von 75 Millionen DM mit der Bundesgarantie. Dann sollen wir noch 15 Millionen DM Bundesbaumittel erhalten, über die ich gleich noch einiges sagen will.
§ 16 des Überleitungsgesetzes sagt klar, daß das Aufkommen des Notopfers Berlin der Deckung des Bundeszuschusses dient und der Überschuß dem Bund verbleibt. Diese Formulierung verführt den Herrn Bundesfinanzminister unserer Anschauung nach dazu, den Zuschuß für Berlin zu drücken. Ich nannte vorhin schon das Beispiel aus dem Jahre 1952. Das Notopferaufkommen betrug 814 Millionen DM. Berlin erhielt 600 Millionen DM, verbrauchte aber 655 Millionen DM und schleppt diese Mehrausgaben neben anderen nun von Jahr zu Jahr immer in den neuen Haushalt mit.
In diesem Jahr nun 800 Millionen DM Anerkenntnis. Warum aber nur 710 Millionen DM in bar, warum 75 Millionen DM Anleihe? Hier ist unseres Erachtens ein Verstoß gegen § 16 des Überleitungsgesetzes festzustellen. Denn der notwendige Bedarf des Berliner Haushalts soll ja gedeckt werden. Die Deckung des notwendigen Bedarfs aus dem Notopferaufkommen ist vorgesehen und nicht eine Anleihe, die Berlin neue Sorgen und neue Lasten auferlegen müßte.
Die sozialdemokratische Fraktion ist gegen eine Anleihe, so lange das Aufkommen des Notopfers nicht ausgeschöpft ist. Die Forderung, die wir stellen, ist die einer echten Bezuschussung mit 75 Millionen DM.
Was sollen die 15 Millionen DM, die der Bund in Berlin auf eigenen Grundstücken verbauen will? Wir begrüßen die 15 Millionen DM als eine zusätzliche Maßnahme des Bundes. Diese 15 Millionen DM wirken arbeitsmarktentlastend, sie wirken wirtschaftsfördernd. Aber mit dem Haushalt Berlins haben sie doch nun weiß Gott nichts zu tun.
({7})
Der Herr Finanzminister hat gestern in einer Rede aus Anlaß eines anderen Einzelplans erklärt: Wir müssen die Pflicht zur Wahrhaftigkeit haben gegenüber der Öffentlichkeit. Meine Damen und
Herren, Herr Bundesfinanzminister, um diese Wahrhaftigkeit geht es. Der Steuerzahler zahlt Notopfer Berlin. Er zahlt es nicht immer gern; das Notopfer ist ja nun einmal, das bestreiten wir gar nicht, eine Belastung für den einzelnen Menschen. Aber die Menschen bringen dieses persönliche Opfer, weil sie wissen, daß sie damit die Not in Berlin lindern können. Eine Reihe von Pressestimmen der letzten Zeit, Herr Bundesfinanzminister, weisen auf dieses wichtige Faktum hin. Die „Frankfurter Allgemeine" hat zu diesem Thema am 2. April gesagt:
Im Ministerium
- im Bundesfinanzministerium wird also offenbar nicht verstanden, was nicht nur den Berlinern, sondern auch vielen Westdeutschen einen Anstoß bedeutet: daß man erst für einen ganz bestimmten Zweck, den jedermann versteht, eine Steuer erhebt, eben weil man sicher sein kann, daß gerade diese Steuer keinen psychologischen Widerstand findet, daß man dann aber die Erträgnisse dieser Steuer nur zu einem Teil ihrem ursprünglichen Zweck zuführt. Hier fühlt sich jeder Staatsbürger enttäuscht und eigentlich getäuscht.
({8})
An anderer Stelle heißt es:
Der Staatsbürger hat nur deshalb damals dem Notopfer zugestimmt, weil er sicher war, daß jeder Pfennig von ihm der bedrängten Stadt Berlin zugute komme.
Und am Schluß heißt es:
Wenn der Staatsbürger aber jetzt den Abzug in seiner Lohn- oder Gehaltstüte prüft, so wird er wissen, daß ein Fünftel bis ein Viertel der abgezogenen Summe nicht nach Berlin geht. Das ist kein gutes Gefühl, und mit ein wenig mehr Empfinden für Psychologie hätte das Finanzministerium diese Wirkung vermeiden können.
Berlin soll ein nicht gerade üppiges Leben ermöglicht werden, ein Leben, von dem der Herr Bundeskanzler bei seinem letzten Besuch am Funkturm sagte: „Das Herz krampft sich zusammen, wenn ich an unsere heutige Rundfahrt denke". Jawohl, trotz aller Opfer der Bewohner der Bundesrepublik leben wir in unserer Stadt immer noch in den schwierigsten Verhältnissen. So groß und so schwer das Opfer des einzelnen hier im Westen in den vergangenen Jahren aber auch war, das eine wollen wir von dieser Stelle aus auch wieder einmal sagen: Wenn die Berliner nicht ihre politische Pflicht getan hätten, wenn der Wall nicht gehalten hätte, - ein Tag „Uri! Uri!" in der Bundesrepublik wäre viel, viel teurer gewesen als die jahrelange Zahlung eines Notopfers.
({9})
Ohne die Hilfe aller hätte Berlin den Kampf um seine Existenz nicht bestehen können. Wenn der Senat von Berlin den Kampf um ausreichende Haushaltshilfe aufgibt, -- wir Sozialdemokraten fordern den Bundestag auf, seine nationale Pflicht zu tun!
({10})
Es geht nicht um Lippenbekenntnisse in Sonn- und Feiertagsreden. Eben haben wir das aus dem Munde des Herrn Bundesministers Storch gehört. In Berlin geht der Kampf um die Existenz alle Tage. Es gilt, unsere armen Menschen, die Opfer
({11})
der politischen Not sind, in diesem Existenzkampf zu unterstützen. Denken Sie immer daran, daß Berlin trotz aller Hilfe viermal mehr Arbeitslose hat als der Bund. Denken Sie an die große Überalterung in unserer Stadt. Herr Dr. Schreiber hat in diesen Tagen einmal ein Beispiel für den Unterschied der wirtschaftlichen Lage zwischen dem Bund und Berlin gebracht. Das Durchschnittssteueraufkommen im Jahre 1952 beträgt nach seinen Angaben in Hamburg 1426 DM, in Berlin aber nur 383 DM.
({12})
Der Stromverbrauch pro Kopf beträgt - ebenfalls nach Herrn Dr. Schreiber - nur knapp 45 % des Durchschnittsverbrauchs in der Bundesrepublik,
({13})
und er liegt noch unter dem Durchschnittsverbrauch in der Sowjetzone.
({14})
Überlegen Sie bitte, wie groß unsere Schwierigkeiten sind. Vielleicht können Sie dann verstehen, wenn wir Sozialdemokraten, die wir in Berlin in der Opposition sind, uns bemühen, daß der Regierung vom Bundestag die Mittel bewilligt werden, die notwendig sind, damit der Not gesteuert werden kann. Wir müssen aber gegenüber dem Bundesfinanzminister, der nicht alles Notopfer nach Berlin gibt, unser Bedauern aussprechen.
Eine Berliner Zeitung brachte in diesen Tagen eine hübsche Anekdote aus dem alten Frankfurt. Ein verarmter Jude schrieb einen Bittbrief an den lieben Gott, sich seiner Not zu erbarmen und ihm 100 Louisdor zu schicken. Der bekannte günstige Wind weht den Brief in Baron Rothschilds Garten, der dem Armen durch einen Diener 50 Louisdor überreichen läßt. Dankbar kniet der Beschenkte nieder, bittet aber den lieben Gott, ihm das nächste Mal doch das Geld direkt zu schicken, denn Schäffer, Verzeihung, Rothschild habe die Hälfte für sich behalten.
({15})
Das kann man wohl auch in diesem Beispiel einmal scherzhaft sagen.
Herr Bundesfinanzminister, unser Bedauern, daß wir nicht alles Notopfer bekommen, ist um so größer, weil wir wissen, daß Sie um den Ernst der Lage in Berlin genau unterrichtet sind. Unvergessen sind Ihre Worte vom 12. Juni 1952 im Berliner Abgeordnetenhaus:
Ich sage: eine deutsche Mark, die ich an Hilfe für Berlin verwende, kann für die Erhaltung des Friedens, für die Erhaltung der geistigen Widerstandskraft, für die Abwehr eines Angriffs - und jeder Angriff auf Berlin ist nach den bestehenden Verträgen ein Angriff auf die gesamte freie Welt -, jede deutsche Mark, die ich nach Berlin für soziale und kulturelle Zwecke gebe, kann den zehnfachen Wert haben von dem, was irgendwo für militärische Zwecke aufgewendet wird.
({16})
Daran wollen wir Sie erinnern und dann feststellen, daß es in § 16 Abs. 2 heißt:
Der Bundeszuschuß soll so bemessen sein, daß das Land Berlin die durch seine besondere Lage bedingten Aufgaben erfüllen kann.
Herr Bundesfinanzminister, nicht kalt mit dem Rechenstift soll man an diese Aufgaben für Berlin herangehen, sondern mit menschlich-warmen Argumenten. Wir können in der Frage Berlin kein
fiskalisches Denken brauchen, sondern wir brauchen echtes politisches Wollen. Es geht nicht um den mehr oder minder großen Wohlstand Berlins, es geht um das nationale Wollen der Bundesrepublik.
({17})
Eben hier sind unsere Sorgen sehr groß, daß die Mittel für Berlin nicht so zur Verfügung gestellt werden, wie es notwendig ist.
Eine der größten Wirtschaftszeitungen schrieb in diesen Tagen:
Wir wollen uns, was Berlin betrifft, von irgendeiner der Besatzungsmächte doch nicht beschämen lassen?
Dann wird weiter ausgeführt, draußen in der Welt sei Berlin eines der stärksten Aktiva Deutschlands. Es sei die Menge der kleinen Leute mit bescheidenem Lebenszuschnitt aus dem Mittelstand und der Arbeiterschaft, die in diesen Jahren den guten und anständigen Namen ihrer Stadt gemacht haben. - Und wieder wörtlich:
Von diesem Namen haben auch wir in Westdeutschland profitiert und tun es noch. Wir hätten einen schlechten Geschmack im Munde, wollten wir den Berlinern Dank für ihre Tapferkeit sagen und ansonsten mit Zuspruch nicht sparen. Sie dürfen anderes erwarten; sie dürfen verlangen, die Bundesrepublik möge die eigentliche Hauptstadt Deutschlands so ausstatten, daß ihre Lebenskraft sich nicht allmählich verschleißt, sondern sich trotz aller Atemnot stetig erneuern kann.
Meine Damen und Herren, das ist die Aufgabe, und wir glauben, es ist richtig, daß gerade nach der Viermächtekonferenz die gefährdete Bastion Berlin unter allen Umständen materiell so ausgestattet wird, daß sie auch die Hoffnung und das Vertrauen der 18 Millionen Landsleute in der Zone nicht enttäuscht. Noch sind die Hoffnungen da, noch hat man zu uns das Vertrauen. Aber wir sollen die Hoffnungen auch nicht zerstören. Berlin ist das Schaufenster nicht nur Deutschlands. Berlin ist das Schaufenster der freien Welt. Wie sollen wir den Glauben an das bessere Deutschland erhalten, wenn wir bei Berlin versagten?
Wir haben den Versuch gemacht, in echter fleißiger Arbeit einen Lebensstandard für die Berliner
zu schaffen, der dem der Bundesrepublik entspricht. Der Herr Bundeskanzler war in Berlin,
und noch klingen seine Worte in unseren Ohren: Ich bitte Sie, meine Freunde: Halten Sie aus! Ich weiß, wir verlangen viel von Ihnen. Wir wollen Ihnen helfen nach besten Kräften. Darum ist eine so große Zahl von Bundesministern mit mir nach Berlin gekommen, um zu überlegen, wie wir Berlin, dieser so hart getroffenen Stadt - das Herz krampft sich zusammen, wenn ich an unsere heutige Rundfahrt denke -, dieser vorgeschobenen Bastion der Freiheit, am besten helfen können. Wenn wir Berlin helfen, stärken wir damit auch die Widerstandskraft der Menschen in der Zone, denn die Zone schaut auf das Schicksal Berlins.
Und nun lassen Sie mich das Ergebnis der heutigen Beratungen vorlesen,
- sagte der Herr Bundeskanzler am 24. Februar weiter die dem Bundeskabinett voraussichtlich schon
morgen nachmittag vorgelegt werden. Es ist
Einigkeit dabei erzielt worden, daß der not({18})
wendige Bedarf des Berliner Haushalts gesichert werden muß. Die Sachverständigen Berlins und des Bundes werden sofort zusammentreten, um die nötigen Feststellungen zu treffen.
Von diesen nötigen Feststellungen hörten wir
dann am 22. März, also vier Wochen später, über
den RIAS. Wir hörten eine Rede des geschäftsführenden Vorsitzenden der CDU, in der es hieß: Zunächst: Der Haushalt Berlins weist für 1954 ein Defizit von 941 Millionen auf, das der Bund ausgleichen soll und will. Dies ist bei den ersten Besprechungen zwischen den Bundesministern Schäffer, Erhard, Kaiser, Dr. Tillmanns und dem Senat eindeutig festgelegt worden.
({19})
Meine Damen und Herren, diese Rede des Herrn geschäftsführenden Vorsitzenden der CDU Berlins steht Ihnen zur Verfügung. Sie kennen sie.
Nun, Herr Bundesfinanzminister, denken Sie an die letzten Worte des Herrn Bundeskanzlers in der großen Kundgebung am Funkturm, in der Sie anwesend waren. Sie waren genau so wie die anderen Herren Bundesminister äußerlich befriedigt von dieser Rede. Die letzten Worte dieser Rede lauten:
Und nun, meine Freunde, unseren Brüdern und Schwestern in der Ostzone können wir nicht in gleicher Weise helfen. Aber ich möchte ihnen doch folgendes zurufen: Wir werden sie niemals im Stiche lassen! Wir werden alles daransetzen, die Verbindungen persönlicher Natur leichter und besser zu gestalten, unser Kontakt kann nicht eng genug sein. Auch geistig wollen wir euch helfen, euch und euren Kindern. In diesem Kampfe wird der Geist siegen, der Geist der Freiheit, der Geist der Liebe zum Volke. Diesseits und jenseits des Eisernen Vorhanges soll dieser Geist wehen, ihn kann nichts aufhalten, er wird siegen und uns wieder zusammenfügen.
Herr Bundesfinanzminister, in diesem Geist sollten auch Sie an die Fragen Berlins herangehen. Lassen Sie uns nicht im Stich! Geben Sie uns das Notopfer, das die Menschen in der Bundesrepublik Ihnen ja treuhänderisch gegeben haben, nach Berlin, geben Sie es uns voll und ganz nach Berlin, damit wir in Berlin unsere großen Aufgaben für ganz Deutschland erfüllen können.
({20})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Vorredner hat eine Anekdote von dem alten Juden erzählt, der seine Hundert-Louisdor-Bitte an den lieben Gott richtet. Dieser Brief geht dem Baron Rothschild zu. Baron Rothschild schickt ihm 50 Louisdor, und die Reaktion des anderen ist, daß er dem lieben Gott sagt: Rothschild hat mir 50 Louisdor unterschlagen. Warum eigentlich der Herr Vorredner diese Anekdote bei der Besprechung des Verhältnisses Bonn-Berlin erzählt hat, ist mir offen gestanden nicht ganz verständlich.
({0})
Ich nehme doch an, er will nicht etwa damit sagen, daß die große Hilfe, die die deutsche Bevölkerung aus deutscher Überzeugung für eine in der Not befindliche deutsche Stadt leistet, etwa von dem Empfänger so verkleinert wird, wie der gute Wille, den ein Baron Rothschild als Mensch dem notleidenden Mitmenschen bewiesen hat, in dieser Anekdote verkleinert worden ist. Ich weiß also nicht recht, was eigentlich der Sinn und Zusammenhang dieser Anekdote mit dieser deutschen Frage gewesen ist.
({1})
Meine Damen und Herren, ich habe schon in manchen Fällen, auch mit dem Herrn Kollegen Neumann, in früheren Jahren über die Hilfsbereitschaft des deutschen Volkes gegenüber der Stadt Berlin gesprochen, und ich glaube, wir sind uns einig gewesen. Ich meine, mich aber auch erinnern zu können, daß ich damals auch davon gesprochen habe, daß diese Hilfsbereitschaft aus einem gemeinsamen deutschen Denken erfolgen muß und daß diese Hilfsbereitschaft gesteigert wird, wenn man sieht, daß auch der Empfänger seinen Teil dazu beiträgt, um die Hilfsbereitschaft des andern durch Anerkennung und stillen Dank und Pflichterfüllung weiter zu steigern.
({2})
Ich möchte infolgedessen jetzt nur auf Tatsachen eingehen. Was ich über Berlin denke, habe ich früher gesagt, und ich bleibe bei jedem Wort, das ich gesagt habe. Ich möchte aber eines feststellen: über die neue Fassung, über die Zweckbestimmung des Berliner Notopfergesetzes bräuchten wir uns nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Ich habe ja bereits bekanntgegeben, daß diese neue Fassung des § 1 des neuen Berliner Notopfergesetzes vor kurzem im Finanzausschuß des Bundesrates einstimmig - einschließlich Berlins, einschließlich des Bundesfinanzministeriums - festgelegt worden ist. Es heißt jetzt dort, daß dieses Berliner Notopfer eine Abgabe ist, die dem Bund zufließt, um die Bundesleistungen schlechthin an die Stadt Berlin geben zu können.
({3})
Ich will in diesem Sinne einmal sagen, welche Leistungen denn die Bevölkerung des Bundesgebiets für Berlin in den letzten Jahren vollbracht hat und welche Leistungen sie im kommenden Jahr vollbringen will. Im Jahre 1953 hat sie Ausgaben des Bundes für Berlin in Höhe von 1676 Millionen DM geleistet.
({4})
Der Bund erhält an Bundessteuern in Berlin 548 Millionen DM. Der Überschuß der Ausgaben betrug also im Jahre 1953 1127 Millionen DM. Im Jahre 1954 sind die Leistungen des Bundes in Berlin mit 1830 Millionen angesetzt, wenn ich den Bundeszuschuß von 710 Millionen anrechne, aber die 75 Millionen, für die der Bund Bürgschaft gibt, und die 15 Millionen, für die er auf Kosten des Bundeshaushalts Bauten in Berlin vornimmt, also diese zusammen 90 Millionen überhaupt nicht in Rechnung stelle. Dem würden die Bundessteuern in Berlin und der Anteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer mit 647 Millionen gegenüberstehen. Es bleibt also ein Überschuß der Ausgaben von 1182 Millionen. Das Berliner Notopfer - ich muß den Anteil, der in Berlin eingeht, ausscheiden, da dieser Anteil sofort wieder an die Stadt Berlin zurücküberwiesen wird, also nicht in der Bun({5})
deskasse bleibt - hat in diesem Rechnungsjahr in den ersten elf Monaten genau 837 Millionen betragen. Die Märzzahl ist mir noch nicht bekannt. Man wird sie mit ungefähr 50 Millionen, vielleicht 60 Millionen ansetzen können. Die Zahl wird damit ungefähr an 900 Millionen herangehen. Wenn wir hiervon ausgehen, so ergibt sich, daß letzten Endes die deutsche Bevölkerung im Bundesgebiet in den Jahren 1953 bis 1954 nicht nur den gesamten Betrag des Berliner Notopfers für Bundesleistungen an Berlin aufbringt, sondern darüber hinaus noch einige hundert Millionen mehr.
({6})
Ich möchte das feststellen, damit nicht etwa der Berliner Bevölkerung gesagt wird, der Bund habe - wie der Baron Rothschild - die Hälfte von dem Berliner Notopfer unterschlagen und nur die andere Hälfte nach Berlin gegeben.
({7})
- Wir wollen über den Geschmack der Weißwürste
nicht streiten, aber über die Geschmacklosigkeit im
politischen Disput brauche ich auch nichts zu sagen.
({8})
Fahren wir also fort! Ich möchte nur betonen: Das, worauf es mir ankommt, ist, daß die Wahrheit
({9})
und die sachliche Richtigkeit über die Leistungen der Bevölkerung des Bundesgebiets
({10})
für die Einwohner der Stadt Berlin auch bekannt wird. Die gesamten Bundesleistungen betragen mehr als das Aufkommen des Berliner Notopfers. Das ist eine Tatsache,
({11})
und ich sage es deshalb, weil ich Berlin liebe. Ich sage es deswegen, weil ich will, daß Berlin das Gefühl hat, daß die deutsche Bevölkerung für diese Stadt alles tut, was sie tun kann.
({12})
Ich bin der Meinung, daß wir mit den Hilfen, die die Bevölkerung Berlin gibt, dem Zusammenhalt zwischen Berlin und dem deutschen Bunde und dem deutschen Volke dienen. Ich möchte in dem Zusammenhang sagen: Das deutsche Volk kümmert sich darum, was wirklich nach Berlin fließt. Ob das in Form des Bundeszuschusses oder in Form von anderen Leistungen fließt, ob das speziell soziale Hilfe heißt oder für die Postbeamten oder was sonst geschieht, ist gleichgültig. Was die Bevölkerung will, ist, daß Berlin eine materielle Hilfe bekommt. Das andere mag Sache der Bürokratie und des Rechenstifts sein. Das Herz will, daß eine materielle Hilfe gegeben wird.
Schließlich darf ich doch auch darauf verweisen, daß die Jahre, seit denen diese Berlin-Hilfe besteht, nicht ungenutzt für Berlin gelassen worden sind. Wir haben in Berlin eine Steigerung des Bruttosozialprodukts im Jahre 1951 gegenüber 1950 um 18 %, im Jahre 1952 gegenüber 1951 um weitere 8 %, im Jahre 1953 gegenüber 1952 um 10 %.
Meine Damen und Herren, wir freuen uns, feststellen zu können, daß es durch den Gemeinschaftsgeist des deutschen Volkes gelungen ist, die Lage Berlins zu bessern und den großen Abstand in der Lebenshaltung, der im Jahre 1950 zwischen Berlin und dem Bund bestanden hat, zu verringern. In Frieden und in freundschaftlicher Zusammenarbeit, in Hilfsbereitschaft und im Dank für eine Hilfsbereitschaft wollen wir das, was begonnen ist, zu einem guten Ende führen.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucerius.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß mit einer, wie ich annehme, unbedachten und vom Urheber sicherlich schon bedauerten Äußerung eine gewisse Schärfe in diese für uns alle so nützliche Unterhaltung gekommen ist.
({0})
Ich habe mir aus diesem Anlaß die Akten des Berlin-Ausschusses zum Dritten Überleitungsgesetz vorgenommen. Darin finde ich einen Brief, den ein Berliner am 31. Oktober 1951 an den Herrn Bundesfinanzminister Schäffer geschrieben hat. Er lautet:
Ich habe Ihr Schreiben vom 26. Oktober erhalten und es den Mitgliedern des Senats, dem Herrn Präsidenten des Abgeordnetenhauses und den Vorsitzenden der Fraktionen zugänglich gemacht. Ich freue mich feststellen zu können, daß wir in den für die Gesundung Berlins wichtigen, grundsätzlichen Fragen nun nach langem beiderseitigem Bemühen, wie ich aus Ihrem Schreiben entnehmen kann, zu einer vollen Übereinstimmung gekommen sind, und ich hoffe, daß diese Übereinstimmung, für deren Zustandekommen ich Ihnen persönlich aufrichtig dankbar bin, sich bewähren wird und Ihnen und uns die Arbeit in der Zukunft erleichtern wird.
({1})
- Meine Damen und Herren, der Absender dieses Schreibens ist der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Reuter.
({2})
- Meine Damen und Herren, die Übereinstimmung, die seinerzeit erzielt worden ist, hat genau den Inhalt, den der Herr Bundesfinanzminister heute über die Bedeutung und Zweckbestimmung des Notopfers Berlin bekanntgegeben hat.
({3})
Sie weicht, Herr Neumann - das müssen wir, die wir die Entwicklungsgeschichte dieses Gesetzes kennen, objektiv feststellen -, von dem ab, was Sie hier vorgetragen haben.
({4})
Dadurch, daß es glücklicherweise möglich wurde, Berlin praktisch zum zwölften Land der Bundesrepublik zu machen, erwuchsen dem Bund eine Reihe zusätzlicher Ausgaben, weil bei einer Reihe bisher landeseigener Institutionen in Berlin erhebliche Defizite entstanden, die der Bund übernehmen mußte. Zur Deckung aller dieser Ausgaben, insbesondere der Defizite der landeseigenen und in Zukunft bundeseigenen Institutionen der Stadt Berlin u n d des Defizits des Landeshaushalts, sollte das Notopfer Berlin dienen. Es ist nicht richtig, zu sagen, das Notopfer Berlin habe die Zweckbestimmung, ausschließlich zur Deckung des Berliner
({5})
Landeshaushalts zu dienen. Eine solche Zweckbestimmung ist mit Recht im Gesetz nicht enthalten.
§ 16 des Dritten Überleitungsgesetzes bestimmt, daß der Überschuß über den zur Deckung des Landeshaushalts erforderlichen Betrag der Bundeskasse zufließt. Wir haben diese Bestimmung ja nicht willkürlich geschaffen. Wir haben ja nicht vorgehabt, mit Hilfe des Notopfers zugunsten des Bundes ein Geschäft zu machen. Wir wußten, als wir diese Bestimmung aufnahmen, daß der Betrag des Notopfers insgesamt niemals ausreichen werde, um das Defizit des Landeshaushalts und die große Zahl der anderen Ausgaben aus dem Notopfer zu bestreiten, so daß unter allen Umständen der Bundeshaushalt noch weitere Leistungen werde erbringen müssen.
({6})
Das muß an dieser Stelle einmal mit Deutlichkeit und Nachdruck gesagt werden.
Nachdem dem Haushaltsausschuß dieses Hauses vorgetragen worden war, daß zwischen den Vertretern des Landes Berlin und dem Herrn Bundesfinanzminister ein Einverständnis über die Feststellung des Defizits des Berliner Landeshaushalts erzielt worden sei, und die Höhe und Art des vom Bundeshaushalt zu gewährenden Zuschusses feststand, hat der Haushaltsausschuß erklärt, daß mit dieser Einigung die Sache für ihn erledigt sei. Herr Abgeordneter Neumann hat von dieser Stelle aus dem Berliner Senat Vorwürfe darüber gemacht, daß er sich voreilig und ohne zwingenden Grund zu Konzessionen an den Herrn Bundesfinanzminister bereitgefunden habe. Meine Damen und Herren, ich finde, es ist nicht die Aufgabe dieses Hauses, diesen Streit auszutragen. Der mag in Berlin ausgetragen werden.
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Der Herr Abgeordnete Neumann hat gefordert
- und das ist nun in der Tat eine Sache, die uns angeht -, daß der Betrag, den Berlin bekommen soll und der nach der gemeinsamen Feststellung Berlins und des Herrn Bundesfinanzministers 800 Millionen DM beträgt, nicht in der Form gegeben wird, wie sie der Haushaltsausschuß festgesetzt hat, nämlich 710 Millionen DM in bar, 15 Millionen DM als Aufwand für bundeseigene Bauten und 75 Millionen DM in Form einer - das ist bisher nicht genügend deutlich erwähnt worden
- von dem Bundesfinanzminister zu garantierenden Anleihe.
Zunächst die Frage der bundeseigenen Bauten. Die Frage war naheliegend, was eigentlich die bundeseigenen Bauten in Berlin mit dem Berliner Landeshaushalt zu tun haben. Der Sachverhalt wird sehr schnell verständlich, wenn man hört, daß im Berliner Landeshaushalt ursprünglich ein Betrag von 15 Millionen DM für die Wiederherstellung von Bauten und die Errichtung von Wohnungen eingesetzt war. Dieser Betrag konnte gestrichen werden, nachdem der Herr Bundesfinanzminister erklärt hat, daß er für denselben Betrag in Berlin Wohnungen erstellen und an bundeseigenen Gebäuden Bauten vornehmen lassen werde, so daß diese Summe in vollem Umfang dem Berliner Arbeitsmarkt zugute kommt. Da diese Position des Landeshaushalts arbeitsmarkt- und wohnungspolitische Gründe hatte, konnte sie gestrichen werden.
Es bleibt die 75-Millionen-DM-Anleihe. Der Herr Bundesfinanzminister, dessen nicht immer sehr einfaches Dasein in diesem Hause von allen Seiten anerkannt worden ist, hat in den vergangenen Jahren bei der Ausbalancierung des Bundeshaushalts manches nicht unerhebliches Risiko in Kauf nehmen müssen. Die sogenannte Kleine Steuerreform war nur möglich, weil der Herr Bundesfinanzminister nicht weniger als 1 Milliarde Defizit in Gestalt möglicherweise aufzunehmender Anleihen in Aussicht nahm. Die bevorstehende größere Steuerreform ist ebenfalls nur möglich, wenn sich der Herr Bundesfinanzminister in einem noch größeren Umfang Anleihen auf dem Geldmarkt beschafft.
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Meine Damen und Herren, es ist nach meiner festen Überzeugung unter diesen Umständen keine unbillige, sondern eine verständliche Zumutung, wenn der Herr Bundesfinanzminister auch dem Lande Berlin sagt, es müsse im Rahmen seiner bescheidenen Kräfte den Geldmarkt für die Dekkung seines Haushalts in Anspruch nehmen, so wie dies auch andere Länder der Bundesrepublik tun. Der Herr Kollege Neumann hat mit Recht gesagt, Berlin habe nach dem Dritten Überleitungsgesetz, dem Berlin-Gesetz, alle Vorteile, aber auch alle Lasten eines Landes. Ja, es gehört nun einmal zu den Aufgaben eines Landes, gewisse Teile seines Haushalts, nämlich alle Teile, die den außerordentlichen Haushalt angehen, über den Geldmarkt und durch Aufnahme von Anleihen zu decken. Wenn in diesem Falle der Herr Bundesfinanzminister ein übriges tut und seine Unterschrift für diese Anleihe zur Verfügung stellt, dann können wir, glaube ich, mit dieser Regelung sehr wohl zufrieden sein.
Ein klein wenig, meine Damen und Herren, müssen wir auch auf die psychologischen Beziehungen zwischen der Stadt Berlin und dem Bundesfinanzminister, der in diesem Fall den westdeutschen Steuerzahler vertritt, Rücksicht nehmen. Ich schäme mich gelegentlich ein ganz klein wenig, wenn das Konto unverhältnismäßig überzogen wird. Ich habe den Eindruck, daß dies manchmal aus diesem Anlaß der Fall ist.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage. Betrachten Sie etwa das, was Sie Berlin geben, als eine Wohltätigkeit, ein Almosen oder als Kriegslasten, die der Bund zu Berlins besonderer Frontstellung mit beizutragen hat?
Gnädige Frau, ich weiß nicht, welche Teile meiner Ausführungen zu dieser Zwischenfrage Anlaß gegeben haben. Selbstverständlich sind wir, so wie es der Herr Bundesfinanzminister gerade in diesem Hause ausgesprochen hat, der Meinung, daß Berlin eine große gemeinsame nationale Aufgabe ist. Aber ich bin auch der Meinung, daß der Finanzminister damit recht hat, wenn er sagt, daß Berlin zu seinem bescheidenen Teil zu dieser Aufgabe beizutragen hat.
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- Meine Damen und Herren, hier wurde eben in einem Zwischenruf das, was ich gesagt habe, als „unerhört" bezeichrret. Der Herr Zwischenrufer hat gesagt, man habe in Berlin bereits Notopfer gezahlt, als im Bundesgebiet noch keines gezahlt worden sei.
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Meine Damen und Herren, alles das, was ich hier sage, gilt nicht dem Berliner Bürger,, mit dem ich aus vielen Besuchen in Berlin - auch ich tue ja für meinen bescheidenen Teil manches für die Stadt Berlin - einen ausgezeichneten Kontakt habe und dessen Einstellung und Stimmung gegenüber dem Bund, dem Bundesfinanzminister und dem Bundeskanzler ich zu kennen glaube. Aber ich habe den Eindruck, daß in den letzten Wochen in Berlin Politiker der verschiedensten Couleur die Nerven verloren haben.
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Wenn wir also glauben, daß den berechtigten Anforderungen Berlins im Rahmen des Vernünftigen, Tragbaren und Sinnvollen durch die Regelung, die Berlin und der Bundesfinanzminister miteinander vereinbart haben, Rechnung getragen worden ist, dann kann dieses Kapitel damit abgeschlossen sein.
Der Herr Kollege Neumann hat für die sozialdemokratische Fraktion - abgesehen von der Erhöhung des Landeshaushalts, die wir aus diesem Grunde ablehnen - einen weiteren Antrag vorgetragen, der sich mit der äußeren Gestaltung des Gesetzes über das Notopfer Berlin befaßt. Ich kann im Augenblick nicht feststellen, ob diese Petita sich in die Technik der Haushaltsgesetzgebung einfügen lassen. Ich bin der Auffassung, daß alles das, was in seinem Antrag steht, sachlich richtig ist. Das Notopfer Berlin dient in erster Linie - so steht es bereits jetzt im Gesetz, und so wird es auch in Zukunft im Gesetz stehen - der Deckung des Fehlbetrags des Berliner Haushalts. Es dient in zweiter Linie zur Erbringung der übrigen sehr beträchtlichen Leistungen, welche der Bundeshaushalt mittelbar und unmittelbar für das Land Berlin aufzubringen hat. Wir werden deshalb bei der Abstimmung über diesen Antrag unsererseits den Antrag stellen, diesen Antrag dem Haushaltsausschuß und federführend dem Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen zu überweisen.
Bei dieser Gelegenheit mag über die Fassung dieses Antrages entschieden werden.
Meine Damen und Herren, ich habe dem Hause und der deutschen Öffentlichkeit mitzuteilen, daß die CDU/CSU- Fraktion und die FDP-Fraktion entschlossen sind, in Erfüllung des vom Kanzler in Berlin gegebenen Wortes demnächst weitere steuerliche Maßnahmen für Berlin zu beschließen. Ich kann sie in den Grundrissen bereits andeuten. Der von uns gestellte Antrag lautet:
Durch die bisherigen Maßnahmen zur Stärkung der Berliner Wirtschaft sind erhebliche Erfolge erzielt. Die gegenwärtige Lage Berlins verlangt trotzdem weitere wirksame Hilfen, vor allem auch auf steuerlichem Gebiet, zur Hebung der Beschäftigung und zur Angleichung der Berliner Wirtschaft an die der Bundesrepublik.
Die FDP-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion haben mit diesen Sätzen wörtlich das übernommen, was der Herr Bundeskanzler als einen der von ihm verkündeten Programmpunkte in Berlin ausgesprochen hat. In diesen Tagen haben bereits - wie vor allem den Berliner Herren, aber auch der westdeutschen Öffentlichkeit bekannt - hier Gespräche zwischen dem Herrn Regierenden Bürgermeister des Landes Berlin und dem Herrn Bundeskanzler stattgefunden. Das erste Ergebnis dieser Unterhaltungen ist, daß auf seiten des Bundeskanzlers die Bereitschaft besteht, das Berliner Notopfer in Berlin in Zukunft nicht mehr zu erheben. Sehen Sie, Herr Kollege, der Sie vorhin den Zwischenruf gemacht haben, man habe in der Vergangenheit in Berlin bereits Notopfer gezahlt, als es hier noch nicht gezahlt wurde, nun wird dieser in der Tat wenig angenehme Zustand geändert!
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Die Bürger der Bundesrepublik werden in Zukunft das Notopfer bezahlen, und ab 1. Juli dieses Jahres wird von den Bürgern der Bundesrepublik in Berlin - nach diesem Vorschlag - das Notopfer nicht mehr erhoben werden.
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- „Nicht wahr" sollten Sie nicht sagen! Ich sage doch nicht wissentlich die Unwahrheit!
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- Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen den Sachverhalt vorgetragen, daß auf Grund eines Einverständnisses zwischen dem Bundeskanzler und dem Herrn Regierenden Bürgermeister von Berlin das als eine Tatsache anzunehmen ist. Es ist in der Tat ein wenig angenehmer Zustand, daß die Berliner Bürger zu der Hilfe, die der Bund an Berlin zu leisten hat, beitragen sollen. Es ist im Grunde nur historisch zu erklären, daß das Notopfer Berlin in den vergangenen Jahren -früher waren es ja andere Leistungen - als Notopfer in Berlin erhoben worden ist. Auch ich bin der Meinung, daß dieses Notopfer in Zukunft in Berlin nicht mehr erhoben werden soll.
Das ist aber nur ein erster Schritt auf dem Wege, der nach unserer Überzeugung gegangen werden muß. Ich befinde mich dabei in Übereinstimmung mit der gesamten Berliner Öffentlichkeit. Ich habe einen Auszug aus dem „Telegraf" vom 3. April vor mir liegen, in dem der „Telegraf" ausdrücklich schreibt, der Wegfall des Notopfers reiche allein nicht aus, um die nötigen Präferenzen auf steuerlichem Gebiet, nämlich bei der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftsteuer, zu ersetzen. Beides, meint der „Telegraf", kann Berlin nicht haben. Deshalb verlangt der „Telegraf" eine generelle Steuersenkung für die Bürger in Berlin. Dieser Vorgang ist Gegenstand langwieriger Verhandlungen über einen Vorschlag gewesen, den der Berliner Senat der Bundesregierung unterbreitet hat.
Der Sinn des Antrags der FDP-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion ist, diesen Vorschlag der Stadt Berlin bei der Beratung der Steuerreform in dieser oder jener Weise zu berücksichtigen. Für die Bürger der Bundesrepublik ein kurzes Wort der Erläuterung. Der Herr Bundesfinanzminister hat mit Recht auf die, wie ich glaube, stolzen Zahlen hingewiesen, die die Entwicklung Berlins in den letzten Jahren kennzeichnen. Ein vom Berliner Standpunkt aus gewiß unverdächtiger Zeuge, die Berliner Zentralbank, hat in einem Schreiben vom 26. Februar 1954 einen umfangreichen Bericht, den sie über diese Dinge gemacht hat, in kurze Worte gekleidet, die ich Ihnen mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wiedergeben darf. Es heißt hier:
Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß die Westberliner Wirtschaft 1953 gute Fortschritte gemacht hat und daß die in den letzten Jah({6})
ren vom Bund und von den USA geleistete Hilfe Früchte zu tragen beginnt.
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Wenn es gelänge, das Auftragsvolumen Berlins weiter in dem Tempo wie 1953 zu steigern, also jährlich 1/2 Milliarde Mark Aufträge mehr hereinzubekommen, könnte der Passivsaldo im Waren- und Dienstleistungsverkehr Westberlins in drei bis vier Jahren beseitigt werden.
Als wir in der kleinen Dienststelle, die auf Beschluß dieses Hauses vor etwa fünf Vierteljahren errichtet wurde, einen ersten Überschlag machten, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß das Leistungsdefizit Berlins 2 Milliarden DM beträgt. Wir haben uns damals vorgenommen, mit unseren bescheidenen Kräften, die uns zur Verfügung stehen, dafür Sorge zu tragen, daß dieses Defizit jährlich um 500 Millionen DM vermindert wird. Der Bericht der Berliner Zentralbank bestätigt, daß es den vereinigten Anstrengungen aller, vor allem dem Fleiß der Berliner Bürger, gelungen ist, für das erste Jahr dieses nicht gering gesteckte Ziel voll zu erreichen.
Daß dieses Ziel erreicht werden konnte - der Bericht bestätigt dies ausdrücklich -, ist in entscheidendem Maße der im Bundesfinanzministerium erfundenen Methode zuzuschreiben, Berlin steuerlich zu begünstigen. Der Verzicht auf Umsatzsteuer für Lieferung von Waren von Berlin in das Bundesgebiet und die spätere Bereitschaft, für alle aus Berlin bezogenen Waren eine Umsatzsteuerrückvergütung von 4 % zu gewähren, ist ein Gedanke des Ministerialdirektors Dr. FischerMenzhausen, dem der Herr Bundesfinanzminister, der ja sein Vorgesetzter ist, bereitwilligst gefolgt ist. Ich möchte überhaupt an dieser Stelle betonen und habe allen Anlaß, immer wieder und jedermann zu bestätigen, daß der Herr Bundesfinanzminister, so hart er im Geben und Nehmen sonst sein kann, in der Frage Berlin den berechtigten Wünschen, die wir an ihn gerichtet haben, immer mit weitem Herzen entgegengekommen ist.
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Diese Methode der steuerlichen Bevorzugung Berlins soll nach der Meinung aller Berliner Bürger ohne Ausnahme und nach der Meinung der FDP-Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion, der sich gewiß viele Freunde in diesem Hause anschließen werden, fortgesetzt werden. Wir glauben, daß es zur Überwindung des immerhin noch erheblichen Restbestandes an Not, Elend, Sorge und Hunger in Berlin nötig ist, noch einen weiteren Schritt zu tun. Wie dieser Schritt im einzelnen aussehen soll, muß bei der Beratung der Steuerreform festgelegt werden. Daß etwas geschieht, ist sicher. Für die Steuerreform wird ein bestimmter Topf zur Verfügung stehen. Wenn wir Berlin zusätzlich begünstigen, bedeutet das, daß wir im übrigen für die Bundesrepublik etwas weniger tun können. Das muß und wird in Kauf genommen werden; denn es geht hier um eine Aufgabe, die dem einzelnen Bürger der Bundesrepublik wichtiger ist oder jedenfalls wichtiger sein sollte als das Ausmaß der Steuerrechnung, die ihm am Ende eines Jahres vorgelegt wird.
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Wie soll im übrigen die technische Abwicklung geschehen? Die Frage der Erhebung des Notopfers in Berlin wird Gegenstand der Beratung sein, welche aus Anlaß der Neufassung des Notopfergesetzes demnächst erfolgen wird. Wir werden uns in den zuständigen Ausschüssen vor dem 1. Juli mit dieser Frage befassen müssen, um rechtzeitig die Ausnahmebestimmungen für Berlin in Kraft treten zu lassen. Der Ausfall von 30 Millionen DM - jawohl, Herr Senator Haas, der Ausfall von 30 Millionen DM - kann selbstverständlich nicht vom Lande Berlin getragen werden. Denn, wie wir wissen, fließt das Notopfer, soweit es in Berlin erhoben wird, nicht in die Kassen des Bundes, sondern in die Kasse des Finanzsenators des Landes Berlin. Dieser Ausfall kann nicht von Berlin getragen werden, sondern muß, wenn das Haus dies beschlossen hat, unter nachträglicher Änderung des Haushaltsgesetzes vom Bund aufgebracht werden. Ich habe keinen Zweifel, daß dieses Haus zu dem Opfer in Höhe von etwa 30 Millionen DM - für die nächsten Jahre wird der Betrag höher sein, nämlich mindestens 40 Millionen DM betragen -, das dann erforderlich sein wird, bereit sein wird. Im übrigen werden die Steuerpräferenzen Gegenstand der eingehenden Beratungen aus Anlaß der Steuerreform sein.
Es wäre ein Wunder, wenn ein Problem wie das Berlins ohne Sorge und ohne Diskussion glatt erledigt werden könnte. Über die finanziellen Sorgen hinaus, welche den Berliner Landeshaushalt, den Berliner Finanzsenator und jeden einzelnen Bürger Berlins bedrücken, geht es um die großen politischen Befürchtungen, die man in Berlin hat und verständlicherweise haben muß. Immer noch wiegen sich viele Bürger der Bundesrepublik in dem Wahn, daß der Aufenthalt westlich der Zonengrenze etwas besser sei als der Aufenthalt in Berlin. Der Berliner weiß, daß Berlin nichts anderes ist als ein Seismograph für das, was sich in den fernsten Winkeln der westlichen Welt abspielt. Meine Damen und Herren, es ist kein angenehmes Dasein, Zeiger eines Seismographen zu sein. Das zu erleichtern und dem Berliner so das Leben leicht zu machen, daß er weiterhin diese wichtige Funktion in der ganzen westlichen Welt für uns alle erfüllen kann - dieser Aufgabe dienen die Gesetze und dieser Antrag, den wir zu diesem Teil des Haushalts dem Hause heute vorgelegt haben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Will.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Aussprache über das außerordentlich wichtige Problem des Haushalts Berlin hat gezeigt, daß die Motive auf allen Seiten des Hauses im wesentlichen die gleichen sind: die Sorge, der kämpfenden und immer noch leidenden Stadt Berlin zu helfen. Ich möchte dazu ausdrücklich mit Genugtuung feststellen, daß es in diesem Punkt wesentliche Unterschiede in den Auffassungen nicht gibt. Vieles von dem, was Herr Kollege Neumann hier vorgebracht hat, wird von uns durchaus zu billigen sein. Ich will aber zugeben, daß es natürlich Unterschiede in der Methode gibt, die da und dort zur Anwendung kommen soll.
Ich möchte eines vorausschicken. Wir haben es hier mit zwei Problemen zu tun, die sich voneinander unterscheiden. Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute mit dem Bundeshaushalt. Etwas anderes ist es, wenn in naher Zukunft - wie ich hoffe, in wenigen Wochen - hier die Steuervorlagen zu besprechen sein werden, bei denen dann viel von dem nachgeholt werden muß,
({0})
was heute besser noch nicht gesagt wird, da es nur dazu beitragen dürfte, die Dinge zu verwirren.
Der Berliner Haushalt ist durch Vereinbarung zwischen dem Senat von Berlin und dem Herrn Bundesfinanzminister in etwa ausgeglichen.
({1})
Die Form, in der das geschehen ist, mag Anlaß zu Diskussionen sein. Als meine persönliche Auffassung bekenne ich, daß ich nicht absolut glücklich bin über die Lösung, die dabei gefunden ist, über die Lösung nämlich, die den Zuschuß, den der Bund der Stadt Berlin zu geben hat, nun in Form einer Anleihe gewährt, die ihrerseits ja nicht vom Bunde, sondern von der Privatwirtschaft bzw. von den Kapitalgebern aufzubringen ist. Wenn wir das aber zunächst einmal außer acht lassen - es ist eine Frage, die mehr in Berlin zu behandeln sein wird als hier -, bleibt übrig, daß zwischen der Regierung im Bunde und dem Senat in Berlin ein Einvernehmen besteht, das auch durch den Haushaltsausschuß des Bundestages einmütig bestätigt worden ist.
Wenn wir, wenn auch mit Bedauern, hier von einer vollendeten Tatsache auszugehen haben, so heißt das in gar keiner Weise, daß wir etwa über diesen Ausgang beglückt wären. Ich bin in der Tat der Meinung, daß hier mehr hätte geschehen können, als im Augenblick durch den Bund gegeben worden ist. Ich bin aber weit davon entfernt, zu glauben, daß es der Sache Berlins irgendwie nützen könnte, wenn wir nun zu einer Schärfe in der Diskussion kämen und es darauf anlegten, etwa nun, wie das anscheinend in Berlin von manchen Kreisen gewünscht wird, hier mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, und versuchten, mit Gewalt etwas zu erreichen, was doch nur auf dem Wege der Verhandlung und des guten Willens zu erreichen ist.
Tatsache ist, daß Berlin nicht einmal die Hälfte seines Bedarfs aus eigenen Kräften zu decken vermag und daß es daher immer wieder der Bund sein wird, an den wir uns jetzt und noch auf Jahre hinaus zu wenden haben werden, nicht nur um unseren Haushalt auszugleichen, sondern auch um das Leben unserer Mitbürger und vor allem die Existenz unserer Wirtschaft in Berlin zu sichern.
Wenn wir davon ausgehen, daß diese freundschaftliche Haltung, dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit unter keinen Umständen verlorengehen darf, dann allerdings bin ich der Meinung, daß wir in Zukunft auch zu einer Regelung kommen können, die noch günstiger ist, als sie bisher im ersten Anlauf erreicht werden konnte. Denn es ist doch nicht etwa so, als ob mit dieser Vereinbarung weitere Unterhaltungen zwischen dem Land Berlin und dem Bundesfinanzministerium überflüssig wären. Wir werden uns also in Zukunft noch öfters über diese Dinge zu unterhalten haben.
Die andere Frage, die ich hier anschneiden möchte, bezieht sich auf das, was mein Vorredner, Herr Dr. Bucerius, schon gesagt hat, nämlich die absolute Notwendigkeit, über den Berliner Haushalt hinaus zu einer Erleichterung der wirtschaftlichen Lage Berlins, das heißt zu gewissen Vorrechten zu kommen, die die Stadt Berlin in ihrer isolierten Situation und in der Lage, in die sie durch den Kriegsausgang gebracht ist, unbedingt braucht.
Ich möchte nicht Tatsachen wiederholen, die Ihnen doch allen bekannt sind. Jeder von Ihnen weiß, daß die Demontage und die Zerstörungen in Berlin ungefähr 85 % der Substanz verbraucht haben, während der Prozentsatz im Bundesgebiet nur 10 oder 15 beträgt. Jeder von uns weiß, daß die Arbeitslosensituation in Berlin immer noch unendlich viel trostloser ist, als sie im Bundesgebiet jemals war. Jeder von uns weiß, daß die schlechte Transportlage die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft außerordentlich beeinträchtigt.
Diese Dinge außerhalb des Etats einigermaßen auszugleichen, wird Aufgabe des Bundestages in den nächsten Wochen und Monaten sein, bei der Beratung des Gesetzes über das Notopfer Berlin, dann aber auch bei den übrigen zur Beratung vorliegenden Steuergesetzen, insbesondere der Einkommen- und Lohnsteuer und der Körperschaftsteuer.
Es ist insbesondere von Herrn Neumann mit Recht darauf hingewiesen worden, daß der oft zitierte § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes zu Meinungsverschiedenheiten Veranlassung gegeben hat. Diese sind allerdings niemals so deutlich geworden wie jetzt. Man wird ohne weiteres zugeben müssen, daß in der Tat die Fassung des § 1 dieses Gesetzes außerordentlich unglücklich gewählt ist, insofern als sie nämlich in der breiten Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, daß in der Tat den Berlinern etwas vorenthalten wird, was ihnen eigentlich zusteht.
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Man wird es den Berlinern nicht klarmachen können, daß das Aufkommen einer Abgabe, die „Notopfer Berlin" heißt, nicht Berlin, sondern dem Bund zufließt. Diese bedauerliche Situation hat mit Recht zu den Meinungsverschiedenheiten geführt, und wir werden unsere Aufgabe darin sehen müssen, dies Mißverständnis auszuräumen.
Es ist darauf hingewiesen worden, daß die Leistungen des Bundes an Berlin keineswegs nur in diesem Zuschuß bestehen, sondern auch in anderen Zuwendungen; wir wissen aber auch, daß diese Leistungen allen Ländern und nicht nur Berlin durch den Bund gegeben werden müssen.
Bei dieser Situation möchte ich glauben, daß wir an den Herrn Bundesfinanzminister - der zwar augenblicklich nicht mehr da ist - in dem Sinne zu appellieren haben, daß auch bei den weiteren Verhandlungen, die jetzt anstehen, erreicht wird, daß unser Land, unsere Stadt besser gestellt wird, als es im ersten Anlauf möglich gewesen ist, vor allem aber, daß es uns ermöglicht wird, unsere Berliner Wirtschaft, die durch den bisherigen Gang der Verhandlungen aufs äußerste beunruhigt ist, die Sicherheit zu geben, daß ihre Interessen, auch im deutschen Bunde nachdrücklich gewahrt werden. Ich habe bei dieser Situation zu erklären, daß wir entsprechend dem Antrag, den wir gleichzeitig mit der CDU/CSU gestellt haben, erwarten, daß in naher Zukunft diese Förderung der Berliner Wirtschaft vor sich gehen wird. Im übrigen bin ich der Meinung, daß wir den Antrag der SPD, wie das bereits von meinem Herrn Vorredner vorgeschlagen worden ist, dem Haushaltsausschuß überweisen sollten.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin von meiner Fraktion beauf({0})
tragt, den Änderungsantrag Umdruck 58*) namens des Gesamtdeutschen Blocks/BHE zu begründen. Ich darf dazu bemerken, daß die Überlegungen, auf denen dieser Änderungsantrag basiert, von uns im Gesamtdeutschen Ausschuß vorgetragen wurden und ihnen von keiner Seite widersprochen wurde, daß diese Überlegungen vielmehr in einer Empfehlung des genannten Ausschusses an den Haushaltsausschuß Verwendung fanden.
Nach den geltenden gesetzlichen Regelungen, über die hier zur Genüge gesprochen worden ist, hat das Land Berlin einen gesetzlich festgelegten Anspruch auf einen Bundeszuschuß. Die Höhe dieses Zuschusses soll den durch die besondere Lage Berlins bedingten Aufgaben gerecht werden, und der Bundeszuschuß soll zur Deckung des verbleibenden Fehlbedarfs des Landeshaushalts ausreichend sein. Der Maßstab für die Höhe des Bundeszuschusses ist mithin der im Landeshaushalt Berlin ausgewiesene Fehlbedarf, soweit er unter Berücksichtigung der besonderen Lage und der besonderen Aufgaben Berlins als notwendig anerkannt wird. Hier liegt eine Ermessensfrage vor, über deren Beantwortung man sich wohl niemals auf Heller und Pfennig wird einigen können.
Der Berliner Senat hat in seinem Haushaltsentwurf ursprünglich einen Fehlbetrag von 94'1 Millionen DM ausgewiesen. In diesem Fehlbetrag war - darauf möchte ich besonders hinweisen - ein rechnerischer Unterschuß für das Haushaltsjahr 1952 in Höhe von 55 Millionen DM enthalten. In den Verhandlungen zwischen dem Senat und dem Bundesfinanzminister einigte man sich auf einen Fehlbetrag von 800 Millionen DM, wobei der rechnerische Fehlbetrag aus dem Jahre 1952 zwar im Haushalt ausgewiesen, aber ungedeckt bleiben sollte. Von dem Betrag von 800 Millionen DM wurden zwei weitere Beträge in Abzug gebracht, nämlich, wie bereits erwähnt, die 75 Millionen DM, die als echter Investitionsbedarf für werbende Anlagen in den außerordentlichen Hauhaltsplan überstellt werden sollen, und ein Betrag von 15 Millionen DM, an dessen Stelle der Bund sich verpflichtete, Bundesbauten in Berlin durchzuführen. Herr Kollege Bucerius hat hier erwähnt, daß diese 15 Millionen DM, für die der Bund in Berlin Bundesbauten errichten will, sozusagen zur Deckung des Haushaltsdefizits herangezogen werden können, weil im Haushalt der Stadt Berlin ursprünglich 15 Millionen für Bauten des Senats von Berlin eingesetzt waren. Ich glaube aber, daß es doch so gewesen ist, daß diese 15 Millionen zwar im ursprünglichen Haushaltsplan der Stadt Berlin gesteckt haben, als es sich noch um 941 Millionen handelte, jedoch nicht mehr, als es um die 800 Millionen ging.
Die Auffassung meiner Fraktion geht dahin, daß gerade in der gegenwärtigen politischen Situation, nach dem Scheitern der Berliner Konferenz, dem Land Berlin mindestens das gegeben werden muß, was ihm bereits in der Vergangenheit gesetzlich zustand. Bei dieser politischen Betrachtungsweise ist die vom Herrn Bundesfinanzminister beabsichtigte Regelung für uns nicht befriedigend. Dabei kann es keine Rolle spielen, ob sich der Berliner Senat aus Gründen, die uns nicht erkennbar sind und die er vor der Bevölkerung Berlins vertreten muß,
({1})
damit einverstanden erklärt.
({2})
') Siehe Anlage 4 Seite 1028 B.
Es handelt sich hierbei nach unserem Dafürhalten um eine gesamtdeutsche Frage, für die sich neben dem Berliner Senat auch der Bundestag für zuständig halten sollte.
Im einzelnen haben wir kurz folgendes zu sagen. Die Überführung der 75 Millionen DM in den außerordentlichen Haushalt läßt sich dann haushaltsrechtlich vertreten, wenn es sich um echten Investitionsbedarf für werbende Anlagen handelt. Das ist aber Sache des Berliner Senats und nicht unsere, weswegen wir dagegen nichts einwenden. Die mangelnde Deckung des Fehlbedarfs für 1952 widerspricht dagegen der zwingenden gesetzlichen Vorschrift des § 75 der Reichshaushaltsordnung. Dieser Fehlbetrag gehört zweifellos zum notwendigen Bedarf des Haushaltsjahres 1954. Er muß deshalb in den Fehlbetrag hineingerechnet werden, der durch Bundeszuschuß zu decken ist. Die Bundesbauten in Höhe von 15 Millionen DM stellen nach dem, was hier vom Kollegen Dr. Bucerius erwähnt wurde, unserer Meinung nach keine Entlastung des Berliner Haushalts dar. So begrüßenswert die Tatsache der Bundesbauten ist - auch darüber wurde gesprochen -, so meinen wir doch, daß die fehlenden 15 Millionen DM im Bundeszuschuß direkt enthalten sein müssen.
Es ergibt sich somit die Rechnung, daß zu den 710 Millionen DM, die veranschlagt sind, jene 55 Millionen DM Fehlbetrag des Jahres 1952 und die 15 Millionen, die für Bundesbauten veranschlagt sind, hinzukommen müssen, so daß entsprechend unserem Änderungsantrag in Kap. 4502 Tit. 600 der Betrag von 710 Millionen DM auf 780 Millionen DM zu erhöhen wäre. Wir bitten das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier zunächst zwei Mißverständnisse ausräumen. Einmal: es gibt in diesem Hause wohl niemanden - jedenfalls gibt es ihn nicht in den Reihen der Opposition und nicht in den Reihen der Vertreter, die aus Berlin kommen -, der nicht wüßte, was die Leistung des Bundes, der westdeutschen Steuerzahler für Berlin bedeutet hat und bedeutet.
({0})
Wir bekennen uns stolz zu diesem Beitrag, diesem Friedensbeitrag, wenn ich so sagen darf, einer der großen Leistungen unseres Volkes nach dem Zusammenbruch.
Ein anderes: wir zollen der Arbeit des Herrn Bundesfinanzministers den schuldigen Respekt.
({1})
Wir verstehen seine Sorgen um den Ausgleich des Bundeshaushalts. Es liegt mir daran, zu sagen - ich hätte es ihm gerne selber gesagt -, daß ich etwas Rührendes darin sehe und vielleicht auch bei aller gelegentlicher Gegensätzlichkeit etwas Zukunftversprechendes, wie nahe sie doch trotz allem im Laufe dieser Jahre einander gekommen sind, der rauh-freundliche bayrische Schatzmeister des Bundes und die schnoddrig-freundlichen Menschen im ehemals preußischen Berlin, in der deutschen Hauptstadt Berlin.
({2})
Der Herr Bundesfinanzminister ist, daß hat er vorhin deutlich genug zu erkennen gegeben, un({3})
zufrieden mit den Antragstellern, für die noch einmal zu sprechen ich die Ehre habe. Es ist sein gutes Recht, mit uns unzufrieden zu sein. Aber er möge dabei nicht vergessen, daß nicht wir es waren, sondern Zeitungsorgane aus der Gefolgschaft des Herrn Bundeskanzlers, die kürzlich im Zusammenhang mit dem Herrn Bundesfinanzminister von einem Tiefschlag gegen Berlin gesprochen haben.
({4})
- Nicht hier, sondern dort, Herr Bucerius, ist dem Herrn Bundesfinanzminister die Mißachtung eines Kanzlerwortes vorgeworfen worden, an dessen Formulierung er selbst mitgearbeitet hatte.
Ich will auch nicht mehr, jedenfalls nicht länger, auf die törichte Propaganda gewisser Kreise eingehen, die den Berlinern einreden wollten, die Vertreter einer Kleinen Koalition würden in Bonn nur die offene Hand aufzuhalten brauchen, eine Propaganda, deren Rückzug neuerdings mit dem Vorwurf gedeckt werden soll, der verstorbene Ernst Reuter trage die Verantwortung dafür, daß sein Nachfolger in Bonn nicht mehr erreicht habe.
({5})
Was Ihre Bemerkung angeht, Herr Kollege Bucerius, so stimme ich ihr völlig zu. Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß der verstorbene damalige Regierende Bürgermeister seiner eigenen und unserer gemeinsamen Überzeugung Ausdruck gegeben hat, als er bei Abschluß dieser schwierigen Verhandlungen um das Dritte Überleitungsgesetz den Herrn Bundesfinanzminister und allen daran Beteiligten ausdrücklich seinen und unseren Dank ausgesprochen hat. Dieses Dritte Überleitungsgesetz war ein gewaltiger Fortschritt. Aber, Herr Kollege Bucerius, wir schreiben jetzt das Jahr 1954. Wir schrieben damals 1951. Nichts in dieser Welt steht still, und die Zahlen verändern sich. Sehen Sie, verehrter Herr Bucerius, damals, als wir gemeinsam über das Dritte Überleitungsgesetz berieten, hatten wir es beim Notopfer mit einem Einnahme-Soll von 395 Millionen und einem Einnahme-Ist von 389 Millionen im Jahr zu tun. Berlin erhielt damals 1950 494 Millionen DM, also mehr als das Aufkommen aus dem Notopfer.
({6})
1951, als ab 1. April das Dritte Überleitungsgesetz in Kraft getreten war, hatten wir es beim Notopfer mit einem Einnahme-Soll von 625 Millionen, mit einem Einnahme-Ist von 644 Millionen und mit einem Bundeszuschuß von 550 Millionen zu tun. Also auch hier bestand zum Einnahme-Soll nur eine Differenz von 75 Millionen, aber nicht eine Differenz in der Höhe, wie sie sich seitdem ergeben hat. .
Aber ich möchte zunächst noch eine politische Bemerkung machen. Es geht mir und es geht uns hier wirklich nicht um Koalition oder Opposition. Es geht uns um Berlin und um ein gemeinsames deutsches Anliegen.
({7})
- Um so besser, verehrte Frau Kollegin Weber!
Als wir vorgestern die gemeinsame Erklärung angenommen hatten, in der wir sagten, daß wir uns niemals mit dem Zustand der willkürlichen Spaltung unseres Landes abfinden wollten, haben sich manche von uns - nicht nur auf unserer, sondern genau so gut auf Ihrer Seite - gefragt:
Aber was können wir und was sollen wir tun? Uns mag angesichts solcher Fragen manchmal ein Gefühl nicht nur der Sorge, sondern auch der Ohnmacht überkommen, wenn wir an einen vielleicht längeren Weg zur Wiedervereinigung dessen denken, was zusammengehört. Aber hier haben wir es doch nun heute mit einer Aufgabe zu tun, die zu lösen uns in jedem Falle aufgegeben ist. Berlin muß gesichert bleiben, es muß krisenfest gemacht werden, koste es, was es wolle!
({8})
Den Kampf des Herrn Bundesfinanzministers um die Stabilität der Währung in allen Ehren, - dem Kampf um die Stabilität des Staates und um seine freiheitlichen Grundlagen gebührt mindestens die gleiche Aufmerksamkeit und Entschlossenheit.
({9})
Der Berliner Haushalt ist nicht weniger wichtig als ein Haushalt der Verteidigung.
({10})
Der Herr Bundesfinanzminister ist in seiner Etatfreiheit gegenüber Berlin nicht mehr beschränkt als bei den wichtigsten internationalen Verhandlungen. Gerade weil uns in so vieler Hinsicht die Hände gebunden sind, müssen wir am Berliner Beispiel und in dieser Situation im April 1954 zeigen, wie wir auf die durch die Maßnahmen der östlichen Machthaber heraufbeschworene verschärfte Spaltung Deutschlands zu reagieren gedenken.
({11})
Hier ist uns die Möglichkeit des zeitentsprechenden Handelns gegeben, und hier müssen wir beweisen, daß wir die Zeichen der Zeit verstanden haben.
Nun zum Einzelplan 45 selbst. Ich habe drei Feststellungen dazu zu treffen. Erstens: Nach dem Dritten Überleitungsgesetz soll der Bundeszuschuß so bemessen sein, daß Berlin die durch seine besondere Lage bedingten Aufgaben erfüllen kann.
Zweitens: Der Herr Finanzminister und der Berliner Senat haben den Fehlbetrag, den Fehlbetrag des Berliner Haushalts auf 800 Millionen DM heruntergerechnet. Von diesem Betrag haben wir auszugehen, so bedenklich es erscheinen mag - und da stimme ich mit dem Herrn Vorredner des BHE überein -, das Defizit aus dem Jahre 1952 noch einmal vor sich herzuschieben.
Drittens: Der Herr Bundesfinanzminister sagt, Berlin kommt auch mit 710 Millionen DM als Barzuschuß zu Rande, den 15 Millionen DM für Bauvorhaben, die aber, wie schon betont wurde, den Haushalt nicht unmittelbar entlasten, und außerdem der vom Bund garantierten Anleihe in Höhe von 75 Millionen DM. Gerade dieser Anleiheweg ist aber, wie wir glauben, im Berliner Fall ein unsicherer und gefahrvoller Weg.
({12})
Verehrter Herr Kollege Bucerius, hier lasse ich den Vergleich mit anderen Bundesländern nicht gelten.
({13})
Nach dem, was in der letzten Zeit, in den letzten paar Wochen passiert ist, fürchte ich, daß wir die Kräfte der Freiheit in Berlin neu zu mobilisieren haben, und, Herr Kollege Bucerius, auf Anleihekrücken werden wir nicht vor das Brandenburger Tor treten dürfen!
({14})
({15})
Nun zu dem Einwand, dieser Haushalt vertrage nicht die Belastung mit weiteren 90 Millionen DM, wie sie sich aus der Annahme unseres Antrags ergeben würde. Lassen Sie mich dazu zweierlei feststellen: Die Einnahmen aus dem Notopfer sind auch diesmal vom Bundesfinanzministerium recht . niedrig angesetzt. Im vorigen Jahr hat der Bund nach meinen Zahlen 165 Millionen DM, nach den Zahlen, die Herr Schäffer vorhin genannt hat, 100 Millionen DM mehr, und im Jahr zuvor 85 Millionen DM mehr eingenommen, als es dem Soll im Haushaltsplan entsprach. In diesem Jahr wird der Bund nicht nur 925 Millionen DM, sondern wahrscheinlich 100 Millionen DM darüber hinaus einnehmen. Darum erscheint es uns unbedenklich, 90 Millionen DM bei den Einnahmen aus der Abgabe Notopfer Berlin mehr einzusetzen, falls der Herr Bundesfinanzminister diese Deckung für erforderlich hält.
Zum anderen: Das Bundesfinanzministerium, die Mitarbeiter des Herrn Bundesfinanzministers haben die Tendenz, nicht nur die Einnahmen aus dem Notopfer zu unterschätzen, sondern auch die Ausgaben des Bundes in Berlin zu überschätzen.
Wenn ich eine solche Behauptung aufstelle, muß ich auch versuchen, sie zu beweisen.
({16})
In der Übersicht mit Datum vom 29. März, die der Herr Bundesfinanzminister den Mitgliedern des Haushaltsausschusses am 31. März übergeben hat, hat das Ministerium bei der Kriegsopferversorgung in Berlin für 1953 ein Soll von 161,9 Millionen, für 1954 ein solches Soll von 180,2 Millionen eingesetzt. Das Ist für 1953 betrug aber nicht 161,9 Millionen, sondern 133 Millionen.
({17})
Das Bundesfinanzministerium hatte für das vergangene Jahr fast 30 Millionen und es hat für das neue Haushaltsjahr wahrscheinlich 40 Millionen zuviel eingesetzt.
({18})
Bei der Arbeitslosenhilfe in Berlin registrierte die Übersicht des Bundesfinanzministeriums vom 29. März für 1953 ein Ausgabesoll von 174,2 Millionen, für 1954 ein solches von 170,0 Millionen. Das Ist für 1953 betrug jedoch nicht 174,2 Millionen, sondern 155 Millionen. Das Finanzministerium hatte demnach im vorigen Jahr 20 Millionen und es hat im neuen Jahr wahrscheinlich 30 Millionen zuviel eingesetzt. 40 plus 30 macht 70 plus 100 macht 170. Aber ich will nicht mehr beweisen, als für die Begründung unseres Antrages zu beweisen erforderlich ist.
Nur noch eins. Bei aller Wertschätzung der Arbeit des Herrn Bundesfinanzministers und seines gewachsenen echten Interesses für die Auseinandersetzung in und um Berlin: Die Aufstellungen seines Ministeriums über die Leistungen für Berlin fordern unseren Widerspruch heraus. Er hat auch heute wieder gesagt: Wenn ich alles zusammenrechne, dann gebe ich - oder der westdeutsche Steuerzahler oder der Bund, vertreten durch den Bundesfinanzminister - einige hundert Millionen im Jahre mehr aus, als ich durch das Notopfer hereinbekomme. Schade, daß der Herr Bundesfinanzminister nicht mehr da ist, sonst hätte ich ihm gesagt: Manche Ihrer Herren, die Ihnen diese Aufrechnungen machen, bedienen sich auch heute noch der Methode, Appel und Beern zu addieren. Könnten wir uns nicht im Interesse künftiger Auseinandersetzungen zu diesem Thema auf eine säuberliche Trennung zweier unterschiedlicher Probleme verständigen?
({19})
Auf der einen Seite stehen die finanziellen Leistungen des Bundes in Berlin, wie sie sich aus der Gleichstellung des Landes Berlin mit den anderen Bundesländern ergeben.
({20})
Diesen Leistungen stehen die Einnahmen des Bundes in Berlin gegenüber. Solche Aufrechnungen pflegt man übrigens für andere Länder nicht zu machen, auch für den Freistaat Bayern nicht. Wenn man aber eine solche Aufrechnung macht und vom Soll ausgeht, ergibt sich für 1953 eine Mehrleistung des Bundes von 401,5 Millionen. Das wahrscheinliche Ist für 1953 beträgt 328,8 Millionen. Für 1954 würde die entsprechende Summe 312 Millionen betragen, wenn meine Bemerkung über die zu hoch angesetzten 70 Millionen zutrifft. Auf der anderen Seite haben wir den Bundeszuschuß zum Landeshaushalt in Höhe von 710 Millionen oder, wie wir möchten, 800 Millionen. Hinzu käme nun noch die Umsatzsteuer-Rückvergütung in Höhe von 75 Millionen im laufenden Rechnungsjahr. Dem stehen die Einnahmen aus dem Notopfer in Höhe von 925 Millionen DM oder, wie ich glaube, von 1025 Millionen DM gegenüber. Bei dieser Gegenüberstellung, die wir in Zukunft aus politischen und haushaltssystematischen Gründen auch im Einzelplan 45 zum Ausdruck gebracht sehen möchten, ergibt sich ein Überschuß von 240 Millionen DM oder, wenn Sie unseren Antrag annehmen, von 150 Millionen DM.
Noch ein Wort zum Notopfer. Wir haben früher betont - auch in der Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Ende Februar ist das geschehen -, daß der Mehrertrag des Notopfers Berlin über den Bundeszuschuß hinaus in Zukunft allein dazu verwendet werden sollte, die wirtschaftliche und soziale Position Berlins zu stärken. Diesen Grundsatz wollten wir mit unserer Entschließung unterstreichen, um dann bei kommenden Beratungen Folgerungen daraus zu ziehen.
Wir haben - das ist wahr - mit Hilfe der westdeutschen Steuerzahler und mit Hilfe der Vereinigten Staaten von Amerika beträchtliche Erfolge in Berlin erzielt.
({21})
Wir können uns aber mit dem Erreichten nicht zufrieden geben. Berlin ist noch heute ein Paria, verglichen mit dem deutschen Westen. Wir brauchen nicht kleine steuerliche Trostpflästerchen,
({22})
wir brauchen keine Maßnahmen, die mit der Gefahr verbunden sind, daß die Mittel zerrinnen, anstatt auf das Wesentliche konzentriert zu werden. Wir brauchen eine Konzentration zusätzlicher Mittel auf das A und O dessen, worauf es in Berlin ankommt, nämlich: neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({23})
Das ist allein der Weg, um das ganze Wirtschaftsleben zu fördern. Keine kleinen, verzettelten Maßnahmen sollten uns von dieser einen großen Pflicht ablenken.
Meine Damen und Herren, ich bedaure außerordentlich, daß ich mit diesen Ausführungen in
({24})
der Aussprache Ihre Geduld auf eine so harte Probe stellen mußte. Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, daß es uns um etwas ganz anderes geht als um ein Sonderanliegen der Opposition. Keiner der Vertreter aus Berlin, aus welcher Fraktion er auch kommen mag, kann sich hierher stellen und behaupten, ich hätte in der Sache nicht ein gemeinsames Anliegen vorgetragen. Lassen Sie uns den Antrag gemeinsam in der Erwartung annehmen, daß sich auch der Herr Bundesfinanzminister mal vergewaltigen läßt!
({25})
- Einmal muß das anfangen, gnädige Frau.
({26})
Sorgen wir gemeinsam dafür, daß das Wort von Berlin als der freiheitlichen Klammer des gespaltenen Deutschland immer wieder bekräftigt wird! Geben wir diesem Wort seine Bestätigung hier und heute!
Ich beantrage namens der sozialdemokratischen Fraktion namentliche Abstimmung über unseren Antrag.
({27})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucerius.
Herr Kollege Brandt, Sie machen uns den Vorwurf, daß wir Äpfel und Birnen zusammenzählen. In der Berliner Sprache sagten Sie: „Äppel und Birnen", was ja wohl dasselbe ist. Herr Brandt, wir verfahren und der Herr Bundesfinanzminister verfährt bei seiner Aufstellung nach dem Dritten Überleitungsgesetz. Dieses zwingt uns, bei den Ausgaben, die wir aus dem Notopfer zu bestreiten haben, zwei ganz verschiedene Dinge zusammenzuzählen: einmal alles das, was dem Bundeshaushalt an zusätzlichen Ausgaben dadurch erwächst, daß Berlin nunmehr im Gegensatz zu dem vorherigen Zustand finanzpolitisch als Teil des Bundesgebietes anzusehen ist, und zweitens das Defizit des Berliner Haushalts. Wenn es Ihnen gefällt, das mit „Äppel und Birnen" zu bezeichnen, dann haben Sie freilich recht. Wir sind der Meinung, daß hier Dinge vom Gesetz gleichgeordnet sind und gleicherweise behandelt werden müssen.
Herr Kollege Brandt, im Grunde ist doch nur noch eine einzige Streitfrage übriggeblieben: Sollen wir es Berlin zumuten, einen Teil des Defizits durch eine Anleihe, die es sich am Markt aufzunehmen bemüht, zu decken? Wenn wir bei der Gelegenheit Berlin auf sich selbst zurückwürfen, wären wir mit Ihnen einer Auffassung. Aber da der Herr Bundesfinanzminister seinen Namen hierfür hergeben muß, also praktisch doch die Aufnahme der Anleihe zunächst einmal auf sein Konto geht und er dafür geradestehen muß, wenn der Betrag eines Tages nicht gezahlt wird, finde ich, Herr Brandt, es ist beinahe nicht mehr lohnend, hierüber zu streiten. Wenn wir eines Tages - wir hoffen mit Ihnen, daß dieser Tag sehr nahe sein wird - vor das Brandenburger Tor treten, um die Einheit Deutschlands wiederherzustellen, dann fragt niemand danach, ob der Bundesfinanzminister sich selbst diese Anleihe beschafft hat oder ob sie mit seiner Bürgschaft von Berlin beschafft worden ist.
({0})
Die Bürger der Bundesrepublik und die der Zone, dann befreit, werden in beiden Fällen gleich dankbar sein.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung.
Es liegen vor die Anträge Umdrucke 46 und 58 und die Entschließungsanträge Umdrucke 19 ({0}) und 42. Wenn ich recht unterrichtet bin, ist beantragt worden, den Entschließungsantrag Umdruck 42 dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Trifft das zu?
({1})
Vielleicht darf ich diese Abstimmung vorwegnehmen. Ich bitte die Damen und Herren, die der Überweisung des Antrags Umdruck 42 an den Haushaltsausschuß zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; die Überweisung ist erfolgt.
({2})
- Also zusätzlich Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen?
({3})
- Die Fraktionen sind einverstanden. Die Überweisung erfolgt.
Zum Umdruck 46 ist von der Fraktion der SPD namentliche Abstimmung beantragt worden. Die namentliche Abstimmung findet statt. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln. Damit es keinen Irrtum gibt, weise ich darauf hin, daß alle Abgeordneten, die dem Antrag Umdruck 46 zuzustimmen wünschen, eine JaKarte abgeben müssen, die ihn ablehnen wollen, eine Nein-Karte, und die sich enthalten wollen, eine weiße Karte.
({4})
Meine Damen und Herren, die Einsammlung der Stimmkarten ist im wesentlichen beendet. Die Abstimmung über den Antrag Umdruck 58 hängt ja von dem Ergebnis der Abstimmung über den Antrag Umdruck 46 ab. Ich schlage Ihnen vor, daß wir zunächst die Beratung dieses Einzelplans einen Augenblick suspendieren und im Interesse der Beschleunigung zum nächsten Einzelplan, Einzelplan 19, übergehen.
Ich weise darauf hin, daß der Ältestenrat sich darüber verständigt hat, es solle versucht werden, die zweite Beratung heute zu Ende zu bringen. Ich appelliere also noch einmal an die Abgeordneten, nach Möglichkeit durch die Kürze und Schlagkraft ihrer Reden dazu beizutragen. Die dritte Beratung soll dann am 30. April stattfinden.
Um einer historischen Pflicht gerecht zu werden, weise ich darauf hin, daß vor 80 Jahren zum erstenmal im Deutschen Reichstag ein Hammelsprung stattfand. Das ist vielleicht ein Hinweis auf eine fortwirkende Tradition.
Ich rufe auf
Einzelplan 19 - Haushalt des Bundesverfassungsgerichts ({5}).
Berichterstatterin ist Frau Abgeordnete Dr. Hubert. Bitte schön!
Frau Dr. Hubert ({6}), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Haushalt des Bundesverfassungsgerichts weist gegenüber dem Jahr 1953 nur geringfügige Änderungen auf. Die Personaltitel haben nur eine geringe Erhöhung erfahren infolge der Erhöhung der Gehälter und Löhne, und in den Sachausgaben findet sich eine geringfügige Herabsetzung. Im Tit. 101 sind 2 Stellenhebungen vorgenommen worden, ein Oberinspektor zum Amtmann, ein Regierungsrat zum Oberregierungsrat. Im Tit. 103 ({7}) sind an Stelle von 11 A 2 c-Stellen nur 7 vorgesehen, dafür vier A 2 b-Stellen neu geschaffen, um hier als juristische Hilfskräfte Richter einstellen zu können, die von den Ländern abgeordnet werden können. Der Ausschuß stimmte diesen Änderungen zu.
Strittig war im Ausschuß die Frage der Dienstaufwandsentschädigung für die Richter, die sogenannte verfassungsgerichtliche Zulage, die der Ministerialzulage entspricht. Diese Zulage erhalten nicht nur alle Beamten und Angestellten der Ministerien, sondern auch alle Angehörigen der obersten Verfassungsorgane wie des Bundespräsidialamtes, des Bundestages und des Bundesrates.
Eine der Ministerialzulage entsprechende sogenannte oberstgerichtliche Zulage erhalten auch die Beamten und Angestellten der oberen Bundesgerichte bis einschließlich Gehaltsgruppe A 1 a, nicht aber die Richter dieser Gerichte. Die Bundesregierung stand auf dem Standpunkt, daß die Richter des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Aufwandsentschädigung den Richtern der anderen obersten Gerichte gleichzustellen seien und daß eine Sonderstellung der Richter des Bundesverfassungsgerichts Rückwirkungen auf die Senatspräsidenten und Richter an den anderen oberen Gerichten haben könnte. Infolgedessen enthält Tit. 101 des Einzelplans 19 unter „Dienstaufwandsentschädigung" in Höhe von 32 940 DM nur die durch das Gesetz über die Besoldung der Richter des Bundesverfassungsgerichts festgelegte Aufwandsentschädigung für den Präsidenten und die verfassungsgerichtlichen Zulagen für die Beamten und Angestellten bis einschließlich Gehaltsgruppe A 1 a.
Im Haushaltsausschuß wurde der Antrag gestellt, diese Position um etwa 42 000 DM für die Dienstaufwandsentschädigung der Richter des Bundesverfassungsgerichts zu erhöhen. Die Antragsteller begründeten ihren Antrag damit, das Bundesverfassungsgericht sei ein Verfassungsorgan und könne mit den anderen oberen Gerichten nicht verglichen werden, weshalb die Gewährung der Dienstaufwandsentschädigung für die Richter des Bundesverfassungsgerichts auch keine Rückwirkungen auf die Senatspräsidenten und Richter der oberen Bundesgerichte haben könne. Die Besoldungsgruppen B 3 und B 4 seien bewußt gewählt worden, um die Richter dieses hohen Gerichts herauszuheben und den Ministerialdirektoren gleichzustellen. Auch lege § 1 Abs. 4 des Gesetzes über das Amtsgehalt der Richter fest, daß im übrigen die allgemeinen besoldungsrechtlichen Vorschriften gelten sollten. Dieser Antrag wurde im Haushaltsausschuß abgelehnt.
Auch der Rechtsausschuß hat sich mit dieser Frage beschäftigt und dem Haushaltsausschuß seine Stellungnahme übermittelt. Diese ging einmütig dahin, es sei die Absicht des Gesetzgebers des Bundesgesetzes gewesen, die Richter des Bundesverfassungsgerichts in jeder Hinsicht den Ministerialdirektoren und den Präsidenten dem Staatssekretär
gleichzustellen, und zwar einschließlich aller diesen gewährten Zulagen. Diese Stellungnahme des Rechtsausschusses ging dem Haushaltsausschuß aus terminbedingten Gründen aber erst zu, nachdem der Haushaltsausschuß den Einzelplan 19 verabschiedet hatte. Sie konnte daher auf die Entscheidung des Haushaltsausschusses keinen Einfluß mehr haben.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Ihnen liegt der Änderungsantrag von Abgeordneten aller Fraktionen Umdruck 21*) vor. Soll er begründet werden? - Herr Abgeordneter Hoogen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der Ausführungen der Frau Berichterstatterin zu der Frage der Gewährung einer Dienstaufwandsentschädigung an die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts kann ich mich sehr kurz fassen. Aus dem Umdruck 21 ersehen Sie unser Anliegen. Die Antragsteller sind Mitglieder des Rechtsauschusses aus allen Fraktionen. Sie haben sich, natürlich nicht als Rechtsausschuß, sondern als Mitglieder dieses Rechtsausschusses, nochmals mit der Frage befaßt, - „nochmals" deshalb, weil diese Frage seinerzeit, als das Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts beraten wurde, erörtert worden ist. Diese Beratungen haben die Einhelligkeit der Auffassungen der Antragsteller ergeben, daß bereits die jetzt geltenden Vorschriften, nämlich das Gesetz über das Amtsgehalt der Richter des Bundesverfassungsgerichts in Verbindung mit den allgemeinen Vorschriften des Besoldungsrechts, dahin auszulegen sind, daß auch den Bundesverfassungsrichtern die ihrem Rang entsprechende Aufwandsentschädigung zusteht und daß es lediglich der Bewilligung der nötigen Mittel bedarf, um dieses Vorhaben zu verwirklichen. Darum haben wir unseren Antrag gestellt.
Ich darf aber noch hinzufügen, daß eine solche Auslegung und Ausführung der Gesetzesbestimmungen auch dem tatsächlichen Willen des Gesetzgebers entspricht, wie es Frau Kollegin Dr. Hubert soeben bereits dargelegt hat. Das läßt sich aus den Protokollen der Beratungen dieses Hohen Hauses ohne weiteres nachweisen. Damals bestand der eindeutige Wille, die Richter unseres höchsten Gerichtes, weil es auch gleichzeitig Verfassungsorgan ist, so zu stellen, daß sie mit einer ihrer Stellung entsprechenden Besoldung ausgestattet sind.
Ich habe infolgedessen die Ehre, Sie auch namens der anderen Antragsteller zu bitten, dem Antrag Umdruck 21 Ihre Zustimmung zu geben.
Ich darf zunächst fragen, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die ihre Stimme zur namentlichen Abstimmung abzugeben wünschen. Da es vor allem Volk geschehen ist, wird gegen die Abgabe der Stimme des Herrn Abgeordneten Raestrup durch Boten nichts einzuwenden sein. Ich nehme an, daß es nur ein verlängerter Arm war, der sich dorthin bewegt hat.
({0})
Es sind keine Abgeordneten mehr vorhanden, die ihre Stimme abzugeben wünschen; dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Ich fahre in der Beratung des Einzelplans 19 fort. Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
*) Siehe Anlage 5 Seite 1029.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem soeben begründeten Antrag habe ich namens meiner Fraktion folgendes zu sagen. Das Gesetz über das Amtsgehalt der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts vom 14. April 1951 sieht lediglich für den Präsidenten neben dem Amtsgehalt nach B 2 eine Dienstaufwandsentschädigung vor. Diese Entschädigung ist höher als die der Staatssekretäre. Im übrigen hat das Gesetz den Vizepräsidenten in B 3 a und die Bundesverfassungsrichter in B 4 ohne eine nicht ruhe gehaltsfähige Zulage eingestuft. Das entspricht der °bung, wie sie bei den obersten Gerichten des ehemaligen Deutschen Reiches bestand. Mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Richter sollte diesen keine Zulage gewährt werden, die nicht auf einer gesetzlichen Grundlage beruht. Das trifft aber auf die Ministerialzulage zu. Die Gehaltsregelung des Gesetzes vom 14. April 1951 ist abschließend und erschöpfend. Die Gleichstellung mit den Ministerialdirektoren ist weder vom Gesetz beabsichtigt noch geschehen. Damit ist ein Vergleich der Verfassungsrichter mit diesen nicht möglich.
Die Verweisung auf besoldungsrechtliche Vorschriften in § 1 Abs. 4 des Gesetzes vom 14. April 1951 hat nur den Sinn, daß die sonst für Richter und Beamte allgemein gültigen Bestimmungen des Besoldungsrechts und der Besoldungsvorschriften Anwendung finden, z. B. die über die 40 %ige Grundgehaltserhöhung, den Wohnungsgeldzuschuß, die Kinderzulagen usw., jedoch nicht besondere Erlasse wie z. B. der über die Ministerialzulage.
Bei den Richtern besteht überdies kein laufender besonderer Aufwand. Der Präsident des Gerichts hat neben seiner persönlichen Dienstaufwandsentschädigung noch einen Verfügungsfonds von 2500 DM, aus dem den Mitgliedern des Gerichts u. a. auch der entstehende besondere Dienstaufwand gegen Beleg erstattet werden kann. Darüber hinaus kann der Herr Bundesminister der Finanzen aus im Einzelplan 60 bereitgestellten Mitteln für Bestreitung des Aufwandes deutscher Delegationen oder Dienststellen im Verkehr mit dem Ausland auf Anforderung im Einzelfall aushelfen. Es bedarf nur der Beantragung und Zuweisung der Mittel und danach der Rechnungslegung.
Die Einstufung in B 4 sollte Anreiz genug für das hohe Richteramt bieten. Man soll und kann die Berufung in ein solches Amt nicht nur unter materiellen Gesichtspunkten sehen. Eine solche Stellung setzt ein hohes Berufsethos voraus.
({0})
Wir behalten uns vor, auf das Thema der Ministerialzulage in Kürze grundsätzlich zurückzukommen.
Der Antrag wird von unserer Fraktion abgelehnt.
Darf ich die Beratung dieses Einzelplans einen Augenblick unterbrechen und zum Einzelplan 45 -- Finanzielle Hilfe für Berlin - zurückkehren. Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmung*) über den Umdruck 46 bekannt. Von stimmberechtigten Abgeordneten sind 355 Stimmen, von Berliner Abgeordneten 16 Stimmen abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 151, mit Nein 202, bei 2 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben 15 mit Ja, 1 mit Nein gestimmt. Der Antrag Umdruck 46 ist abgelehnt.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 1041. Ich komme zu Umdruck 58. Herr Abgeordneter Dr. Keller hat mir mitgeteilt, daß der GB/BHE auch für diesen Antrag namentliche Abstimmung beantragt. Dieser Antrag ist bisher nicht hinreichend unterstützt. - Er wird unterstützt.
({0})
- Es ist der Antrag auf Umdruck 58. Er unterscheidet sich, wenn ich recht sehe, von dem Antrag auf Umdruck 46 um 20 Millionen DM. Dieses Mal wird beantragt, die Summe des Tit. 600 in Kap. 4502 auf 780 Millionen DM zu erhöhen.
({1})
- Ich nehme an, es wird von der Fraktion unterstützt, Herr Abgeordneter. - Das ist der Fall; ich hatte es richtig verstanden, Herr Abgeordneter Kunze.
Ich bitte die Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln. ({2})
Meine Damen und Herren! Das Einsammeln der Stimmkarten ist im wesentlichen beendet, ich darf Sie bitten, Platz zu nehmen.
Wir kehren zunächst zurück zum Haushalt des Bundesverfassungsgerichts. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Greve.
({3})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie dringende Gespräche haben, bitte ich, doch - zum Teil wenigstens - die Wandelhalle zu benutzen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Worte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Krammig sagen, der im Gegensatz zu seinem Fraktionskollegen, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, dessen Name als erster unter dem Änderungsantrag Hoogen und Genossen - Umdruck 21 - steht, die Ansicht vertreten hat, daß den Bundesverfassungsrichtern eine Dienstaufwandsentschädigung deswegen nicht zugesprochen werden sollte, weil darunter ihre richterliche Unabhängigkeit litte.
Meine Damen und Herren, eine derartige Begründung kommt meines Erachtens einer Beleidigung der Richter am Bundesverfassungsgericht nahe.
({0})
Das bedeutet nämlich nichts anderes, als daß die Richter am Bundesverfassungsgericht ihr Amt nur aus materiellen Gründen angetreten hätten und daß sie, nachdem sie Richter am Bundesverfassungsgericht geworden seien, nicht mehr in der Lage sind, unabhängig Recht zu sprechen, weil ihnen eine Dienstaufwandsentschädigung vorenthalten wird, und daß sie nur dann noch in der Lage sein werden, unabhängig Recht zu sprechen, wenn ihnen der Bundestag diese Dienstaufwandsentschädigung bewilligt. Ich glaube, die Überlegungen, die Herrn Kollegen Krammig veranlaßt haben, derartige Ausführungen zu machen, wie es hier geschehen ist, wären besser in anderer Richtung gegangen, nämlich in der Richtung, daß man den Richtern am Bundesverfassungsgericht diese Dienstaufwandsentschädigung deswegen geben muß, weil sie nicht anders gestellt werden können als die Angehörigen der übrigen Verfassungsorgane der Bundesrepublik. Ich lehne es jedenfalls für
({1})
meine Person ab - und ich darf erklären, daß ich in diesem Zusammenhang zugleich die Auffassung meines Kollegen Hoogen, des Vorsitzenden des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht, wiedergebe -, einer derartigen Argumentation zu folgen. Ich bitte denjenigen Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause bei der Abstimmung zu folgen, die ihren Namen unter den Änderungsantrag gesetzt haben. Diese Kolleginnen und Kollegen stammen aus allen Fraktionen dieses Hauses, und sie sind gewillt, jenseits solcher Erwägungen, wie Herr Kollege Krammig sie hier vorgetragen hat, die Richter am Bundesverfassungsgericht so zu sehen, wie sie sind: Richter, die unabhängig Recht sprechen, sich an das Gesetz halten und sich nicht von materiellen Erwägungen in ihrer Tätigkeit leiten lassen.
({2})
Herr Abgeordneter Hoogen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von einem Fraktionsfreunde, einem Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, ist eben erklärt worden, daß er namens der CDU/CSU-Fraktion bitte, dem Antrag auf Umdruck 21 nicht stattzugeben. Meine Damen und Herren, ich bin selbst Mitglied der CDU/CSU-Fraktion. Mir ist von einem solchen Beschluß und, was mir noch wichtiger zu sein scheint, von einem Beschluß mit einer solch unzutreffenden Begründung nichts bekannt.
({0})
Meine Damen und Herren, ich will die Gründe nicht noch einmal wiederholen, die hier eben vorgetragen worden sind. Diese drei Gründe treffen in keinem Punkte zu. Ich bitte infolgedessen, ohne meine Ausführungen noch einmal zu wiederholen, darum, dem Antrag auf Umdruck 21 zuzustimmen.
({1})
Herr Abgeordneter Krammig!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Herrn Kollegen Dr. Greve darf ich wiederholen, was ich mit Bezug auf die Dienstaufwandsentschädigung gesagt habe. Mit Rücksicht auf die Unabhängigkeit der Richter sollte diesen keine Zulage gewährt werden, die nicht auf einer gesetzlichen Grundlage beruht. Wenn Sie darin eine Beleidigung der Richter sehen, dann überlasse ich das Ihnen; ich sehe darin keine.
Auf das, was Herr Kollege Hoogen gesagt hat, muß ich folgendes erwidern. Es besteht ein Fraktionsbeschluß, dem Beschluß des Haushaltsausschusses beizutreten.
({0})
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Hoogen, Dr. Greve, Dr. Schneider und Genossen auf Umdruck 21. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich wäre dankbar, wenn alle Damen und Herren, die zustimmen, ihre Hand hochheben wollten; das erleichtert uns die Übersicht. Das ist aber kein
Appell, die Hand zu heben; ich bitte, es nicht mißzuverstehen!
({0})
Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltung?
- Bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Einzelplan 19 gemäß Drucksache 364 unter Berücksichtigung dieser Änderung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Dieser Haushalt ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren! Ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die in der zweiten namentlichen Abstimmung zum Einzelplan 45 ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall; dann schließe ich diese namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Zur Vorbereitung der Beratung des Einzelplans 20 - Haushalt des Bundesrechnungshofes - weise ich darauf hin, daß Ihnen ein Schriftlicher Bericht des Berichterstatters, Herrn Abgeordneten Dr. Conring, auf dem Umdruck zu Drucksache 365 vorliegt. Sie nehmen diesen Bericht zur Kenntnis; er wird ins Protokoll eingefügt*).
Wird zu dem Haushalt Einzelplan 20 das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann gestatten Sie mir, daß ich über diesen Einzelplan abstimmen lasse. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Einzelplan 20 gemäß Drucksache 365 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Einzelplan ist einstimmig angenommen worden.
Ich kehre zurück zum Einzelplan 45. Das vorläufige Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 58 ist folgendes: Abgegebene Stimmen: 356 und 13 Berliner Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 150, mit Nein 205 bei einer Enthaltung; von den Berliner Abgeordneten mit Ja 12, mit Nein einer. Damit ist der Antrag Umdruck 58 abgelehnt worden.
Über den Umdruck 19 ({1}) und den dem Haushaltsausschuß überwiesenen Umdruck 42 wird in der dritten Beratung abzustimmen sein.
Ich komme zur Abstimmung über den Einzelplan 45 gemäß Drucksache 376. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Haushaltsausschusses Drucksache 376 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle fest, daß der Einzelplan 45 vom Bundestag einstimmig angenommen worden ist.
Ich rufe auf
Einzelplan 25 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungsbau - ({2}).
Berichterstatter ist in Vertretung für Herrn Abgeordneten Hilbert Herr Abgeordnete Lindrath. Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Vertretung des Herrn Abgeordneten Hilbert habe ich Ihnen über den Einzelplan 25, Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Woh-
*) Siehe Anlage 13 Seite 1034.
**) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 1041.
({0})
nungsbau, gemäß Anlage zu Drucksache 200 bzw. gemäß Drucksache 367 zu berichten.
({1})
Der ordentliche Haushalt schließt in Einnahme mit 42 462 100 DM und in Ausgabe mit 282 904 100 DM. Im außerordentlichen Haushalt sind Ausgaben in Höhe von 581 Millionen DM festgestellt. Die zahlenmäßigen Verschiebungen gegenüber dem ordentlichen Haushalt des Jahres 1953 sind auf die Ausbringung von 500 Millionen DM Darlehensmittel für den sozialen Wohnungsbau, die 1954 im außerordentlichen Haushalt erscheinen, zurückzuführen. Bei den grundsätzlichen Beratungen des Haushaltsausschusses wurde mit Befriedigung von der bestimmten Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers in seiner Haushaltsrede Kenntnis genommen, daß die Aufbringung dieser Mittel auf dem Kapitalmarkt als gesichert angesehen werden könne.
Bei der Beratung im einzelnen wurde von einem Mitglied des Haushaltsausschusses die Frage aufgeworfen, ob nicht die im Tit. 101 ausgebrachten Beamtenstellen mit einem kw-Vermerk versehen werden könnten. Der Abgeordnete begründete seine Anregung mit der Erklärung des Herrn Bundesministers für Wohnungsbau, wonach sein Ministerium in spätestens vier Jahren überflüssig sein soll. Diese seinerzeit in der Presse verbreitete Meldung wurde nunmehr vom Herrn Staatssekretär authentisch dahingehend interpretiert, daß die Aufgaben des Wohnungsbauministeriums in absehbarer Zeit nicht geringer würden; es könne sein, daß das Ministerium als solches zwar nicht mehr selbständig benötigt werde, doch werde die Verwaltung des Wohnungsbaus auf lange Sicht bestehenbleiben müssen. Nach längerer Debatte beschloß der Ausschuß, sich nach Verabschiedung des Haushaltsplans nochmals eingehend mit dieser Frage zu beschäftigen.
Die Tit. 1 bis 510 wurden unverändert genehmigt. Tit. 532, Darlehen an Länder zur Unterbringung von Flüchtlingen aus der Sowjetzone in Höhe von 70 Millionen DM: Diese Mittel sollten nach einem Haushaltsvermerk nur in dem Umfang bereitgestellt werden, als Einnahmen aus einem höheren Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer - über 40% - aufkommen. Dieser Haushaltsvermerk wurde beanstandet und dem Titel nur unter dem Vorbehalt zugestimmt, daß der Vermerk in Wegfall kommt, wenn die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern abgeschlossen sind.
Tit. 534, Darlehen zur Förderung von Versuchs- und Vergleichsbauten und zur Entwicklung neuer Bauarten, Bauverfahren und Baugeräte für den Wohnungsbau und für den baulichen Luftschutz, wurde um 550 000 DM auf 10 550 000 DM erhöht. Gleichzeitig wurden die Erläuterungen entsprechend geändert. Tit. 602, Zuschüsse, Beihilfen und andere Zuweisungen zur Förderung der Bauausführung von Versuchs- und Vergleichsbauten für den Wohnungsbau und für den baulichen Luftschutz sowie für die Entwicklung neuer Baustoffe, Baugeräte, Bauarten und Bauverfahren einschließlich der an Versuchs- und Vergleichsbauten durchzuführenden Untersuchungen, erfährt durch einen Beschluß des Ausschusses eine Herabsetzung von 2 400 000 DM auf 1 850 000 DM.
Eine längere Debatte wurde durch Tit. 895, Erwerb von Beteiligungen des Bundes an wohnungswirtschaftlichen Unternehmen des privaten Rechts, ausgelöst. Nachdem die Regierung eine Aufstellung über die Beteiligung des Bundes an derartigen Unternehmungen vorgelegt hatte, wurde dieser Titel um 1 Million DM, nämlich von 10 Millionen DM auf 9 Millionen DM, gekürzt und sodann genehmigt.
Ebenso wurde nachträglich der Tit. 600, Grundsteuerbeihilfen gemäß § 29 des Grundsteuergesetzes, von 20 Millionen auf 18,9 Millionen ermäßigt.
Ein Tit. 831 wurde durch Beschluß des Haushaltsausschusses zur Bereitstellung von Darlehen zur Schaffung von Wohnraum für Abgeordnete des Deutschen Bundestages und für Angehörige der inländischen Presse neu aufgenommen und mit einem Betrag in Höhe von 2,1 Millionen DM ausgewiesen.
Entsprechend einem Antrag des Bundesfinanzministeriums ist im außerordentlichen Haushalt der Tit. 830 um 5 Millionen DM, nämlich von 59 Millionen DM auf 64 Millionen DM, erhöht worden. Diese Erhöhung wurde notwendig, um die wohnliche Unterbringung der zweiten Welle des Bundesgrenzschutzes zu gewährleisten.
Zusammenfassend darf ich das Hohe Haus namens des Haushaltsausschusses bitten, den Ausschußantrag, wie Sie ihn auf der Drucksache 367 formuliert vorfinden, mit den dort aufgeführten Anträgen anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stierle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ohne Zweifel liegt im Wohnungsbau eine sehr beachtliche Leistung vor. Im Jahre 1953 sind rund 475 000 Wohnungen erstellt worden. Von 1949 bis Ende 1953 sind damit 1,7 Millionen Wohnungen für zirka 61/2 bis 7 Millionen Menschen erstellt worden. Es fehlen aber noch Millionen Wohnungen. Man rechnet damit, daß diese Zahl etwa 4 Millionen beträgt.
Die Erfolge, die wir feststellen, wären nicht erreichbar gewesen, wenn nicht vorher oder während dieser Zeit eine umfangreiche Gesetzgebungsarbeit geleistet worden wäre. Ich darf an das Erste Wohnungsbaugesetz erinnern, an das Wohnungseigentumgesetz, an das Bergarbeiterwohnungsbaugesetz, das Wohnungsprämiengesetz, das Baulandbeschaffungsgesetz und die Novelle zum Ersten Wohnungsbaugesetz. So beachtlich die Leistung ist, die vorliegt, sie kann weiter gesteigert werden. Unser Bundeswohnungsbauminister Preusker hat sich selbst als Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren in jedem Jahr 550 000 Wohnungen zu erstellen. Uns geht es dabei aber darum, daß der soziale Wohnungsbau nicht absinkt. Unserer Meinung nach müssen mindestens 350- bis 400 000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau errichtet werden. Wir glauben zu dieser Forderung nicht nur im Hinblick auf die echt vorhandene große Notlage berechtigt zu sein, sondern wir berufen uns dabei auch auf die Regierungserklärung vom 20. Oktober 1953, in der es wiederum hieß, daß die Wohnungsbauförderung als Aufgabe von besonderer Bedeutung und Dringlichkeit anzusehen sei.
So erfolgreich die Arbeit auch war, das Loch, welches der Krieg gerissen hat, ist noch groß. Darum soll auch mehr Privatkapital als bisher in den Wohnungsbau fließen. Um einen Anreiz dafür zu schaffen, erstrebt man die schrittweise Wieder({0})
herstellung der Wirtschaftlichkeit im Wohnungsbau. Wir werden daran mitarbeiten, die Wege zu ebnen, daß mehr Wohnungen gebaut werden, daß bessere Wohnungen gebaut werden, daß insbesondere die Finanzierung dieser Wohnungen sichergestellt ist und daß die Bevölkerungskreise nicht vergessen werden, die Hilfe brauchen.
Wie groß dieser Kreis ist, läßt sich schwer sagen. Der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen hat anläßlich der Etatberatungen des dortigen Landtags für das Jahr 1954 gesagt, daß seiner Meinung nach etwa 10 Jahre vergehen würden, bis in Nordrhein-Westfalen etwa normale Verhältnisse geschaffen seien. Für die anderen Länder schätzt er diese Zeit auf 3 bis 5 Jahre. Der Bevölkerungsteil also, der wirklich echte Hilfe braucht, muß noch sehr groß sein. Die Deutsche Pfandbriefanstalt in Wiesbaden hat sich zu diesem Punkte dahin vernehmen lassen, daß trotz der überraschend günstigen Ergebnisse der letzten Jahre bei einem jährlichen Neuzugang von 400 000 bis 450 000 Wohnungen noch etwa 10 Jahre vergehen würden, bis die noch vorhandene Lücke ausgefüllt sei. Unter „normalen Verhältnissen" stellt man sich doch vor, daß Zeiten kommen, in denen man wieder eine Wohnung bekommen kann, ohne daß man wesentliche Finanzierungsbeiträge oder Baukostenzuschüsse in irgendeiner Form erbringen muß:
Wenn die Wohnungen künftig größer und besser ausgestattet sein und mehr oder weniger ohne Finanzierungsbeitrag abgegeben werden sollen, ist Voraussetzung, daß entsprechend höhere öffentliche Förderungsmittel pro Wohneinheit gegeben werden oder daß ein sehr leistungsfähiger Kapitalmarkt mit tragbaren Hypothekenbedingungen vorhanden ist.
Voraussetzung dafür, daß höhere Mieten verlangt werden können, ist für uns, daß ein Ausgleich bei den geringeren Einkommen und bei den Rentenbeziehern geschaffen wird.
Die gesetzgeberische Arbeit läuft weiter. Der Entwurf der CDU/CSU über das Familienheimgesetz liegt vor. Im Bundesministerium für den Wohnungsbau befaßt man sich mit dem Plan, ein neues Bundesbaugesetz zu schaffen, in dem Bau-, Boden- und Planungsrecht einheitlich zusammengefaßt werden sollen. Wir sind der Auffassung, daß man auch die guten Gedanken, die über die verstärkte Schaffung von Eigentum geäußert worden sind, in ein solches Gesetz hineinbringen soll, um nicht eine Vielzahl von Gesetzen zu bekommen. Auch würde die Bearbeitung der Materie dann zu schwierig werden.
Der Kampf um die Finanzierung geht weiter. Seit Jahren streiten wir uns mit dem Finanzminister darüber, daß er mehr Mittel für den sozialen Wohnungsbau geben soll. Etwa 75 % aller vergebenen Wohnungen erhielten Bewerber, die auf irgendeine Art zur Finanzierung beitragen konnten. Sie konnten entweder auf eigene Ersparnisse zurückgreifen, sie konnten Arbeitgeberdarlehen beschaffen, oder es stand ihnen Wohnraumhilfe zur Verfügung, oder sie konnten aus 7 c-Mitteln oder anderen Quellen etwas flüssig machen. Es ist eine durchaus üble Sache, wenn man den Wohnungsbewerber bei Beginn eines Gesprächs zunächst fragen muß: Haben Sie Geld, oder können Sie welches beschaffen, oder gehören Sie einer bevorzugten Personengruppe an? Sind Sie Flüchtling, Kriegssachgeschädigter, Besatzungsverdrängter,
Einsturzgefährdeter oder Bunker- oder Lagerbewohner, oder was es da sonst noch alles gibt und Vorzug genießt? Wer kein Geld hat oder wer es nicht beschaffen kann, wer nicht zu den Bevorzugten gehört, etwa die Normalverbraucher oder die Jungvermählten oder diejenigen, die es werden wollen, vor allem aber die armen Leute, die Rentner und die wenig verdienenden Gruppen wohnungsuchender Menschen, müssen mit wachsender Erbitterung zusehen und warten. Nun kann man vielleicht sagen, der Normalverbraucher oder die Jungvermählten oder diejenigen, die es demnächst werden wollen, können ansparen. Das mag sein. Man kann aber diesen Gruppen auch nicht zumuten, auf Jahre hinaus in einer unbestimmten Erwartung leben zu müssen. Insbesondere kann man den Armen, den Rentnern und den wenigverdienenden Gruppen in dieser Weise nicht mehr gegenüberstehen. Sie müssen in viel stärkerer Weise als bisher echte Hilfe erfahren.
Das Geld für den Wohnungsbau wurde also aus allen möglichen Ecken und Töpfen zusammengekratzt und zusammengescharrt. Aber wer das Geld gibt, versucht natürlich auch, seine Wünsche durchzusetzen. Die Folge dieser Wirtschaft war, daß wir zu einer Töpfchenwirtschaft kamen, die alle allgemein beklagen. Warum? Weil jeder, der Geld gab, auch versuchte, durch Auflagen an denjenigen, der das Geld bekam, seine Wünsche durchzusetzen. Weiterhin bestand eben bei diesem Verfahren die Härte gegenüber den Benachteiligten, also denjenigen, die nicht das Geld aufbringen können bzw. nicht zu einer bevorzugten Gruppe gehören.
Darum ist unser Antrag, den nachher meine Kollegin Strobel begründen wird, durchaus berechtigt, der verlangt, daß man ernsthaft daran geht, zumindest eine Gruppe dieser Wohnungsuchenden stärker als bisher zu berücksichtigen, nämlich die Evakuierten, die endlich wieder in ihre alte Heimat zurückwollen.
Wir freuten uns über den „großen Fortschritt" - großer Fortschritt hier in Gänsefüßchen! -, daß wir es erreicht haben, daß endlich 500 Millionen DM für den Wohnungsbau in den Haushalt kamen. Jetzt sind sie in den außerordentlichen Haushalt abgerutscht. Bundeswohnungsbauminister Preusker hat versichert, daß der soziale Wohnungsbau bei den neuen Plänen nicht zu kurz kommen soll. Wir sind mißtrauisch, wir wollen ihm aber dabei helfen. Wir wollen hoffen und dafür arbeiten, daß mehr als 500 Millionen DM für diese vordringliche Aufgabe zur Verfügung stehen. Wir wollen mit dafür wirken, daß diese Gelder in allererster Linie für diejenigen Kreise verwandt werden, die Hilfe brauchen und sich die Mittel nicht selbst besorgen können. Wir sind der Meinung, daß diese Mittel in den ordentlichen Haushalt gehören und nicht in den außerordentlichen,
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weil - ich habe das vorhin schon einmal gesagt - auch in der Regierungserklärung schon zum Ausdruck kam, daß der Wohnungsbau eine Sache von besonderer Bedeutung und besonderer Dringlichkeit ist.
In einem Aufsatz des Informationsdienstes des Volksheimstättenwerkes wird das Thema „Die
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Wohnungswirtschaft in der Steuerreform" behandelt. Dabei wird festgestellt:
Kein Zweifel, der Bundesfinanzminister hat sich im Kabinett in allen wesentlichen Punkten durchgesetzt.
In der Ausgabe des „Baublattes" Anfang März stand:
Es ist das Anliegen des Bundesministers für Wohnungsbau, daß durch die Große Steuerreform der vielzitierte § 7 c des Einkommensteuergesetzes, der nach der jetzigen Rechtslage am 31. Dezember 1954 abläuft, in eingeschränkter Form beibehalten bzw. wieder eingeführt wird.
In dem zitierten Aufsatz heißt es dann weiter:
Auch mit dieser begrenzten Forderung ist jedoch der Minister und mit ihm die gesamte Wohnungswirtschaft, die in diesem Fall geschlossen hinter ihm stand, unterlegen.
Die Konzessionen, die man dem Herrn Bundeswohnungsbauminister gemacht hat als Ausgleich für den Verlust, den er hier erleidet, sind unserer Meinung nach unzureichend. Daß man die Steuerfreiheit des Sozialpfandbriefes noch für längere Zeit beibehalten will, nehmen wir befriedigt zur Kenntnis. Aber nach dem Urteil aller Sachverständigen ist das bei weitem kein Ausgleich für den großen Verlust, der durch den Wegfall der 7 c-Mittel entsteht.
Zweitens wird das Wohnungsprämiengesetz in der Weise ergänzt, daß die Leistungen des Bundeshaushalts um etwa 60 Millionen DM erhöht werden. Die steuerlichen Vergünstigungen für Beiträge an Bausparkassen bleiben in voller Höhe erhalten. Die Vergünstigungen des § 7 b des Einkommensteuergesetzes erfahren auch keine Einschränkung. Die Bausparkassen haben sich bereit erklärt, statt wie bisher 50 % künftig 60 % ihrer langfristigen Mittel im sozialen Wohnungsbau anzulegen.
Der Bundesfinanzminister glaubt, die Bundesregierung habe damit die Voraussetzungen geschaffen, trotz Wegfalls des § 7 c den Wohnungsbau in dem notwendigen und geplanten Umfang fortführen zu können. Diesen Optimismus dürfte die Wohnungswirtschaft allerdings kaum teilen; denn 1952 flossen über § 7 c mehr als eine Milliarde D-Mark in den Wohnungsbau. Im Jahre 1953 waren es unter den einschränkenden Bestimmungen der Novelle zum Einkommensteuergesetz immerhin noch 600 bis 800 Millionen DM. Der erwähnte Artikel schließt mit der Feststellung:
An diesen betrüblichen Dingen kann auch die Erhöhung der Haushaltsanteile am Prämiengesetz auf 60 Millionen DM nichts Wesentliches ändern.
Ich glaube, mit vielen von uns ist der Bundeswohnungsbauminister der Auffassung, daß es sehr viel wünschenswerter gewesen wäre, wir hätten die 7 c-Regelung beibehalten. Er hat in einem Aufsatz, der jetzt im „Generalanzeiger" in Bonn erschienen ist, zu diesem Thema gesagt:
Das Volumen des sozialen Wohnungsbaus wird nach der Regierungserklärung des Finanzministers keineswegs schrumpfen. Allerdings: den Sozial-Pfandbrief oder den § 7 c muß ich behalten, damit ab 1955 die Mieten des sozialen Wohnungsbaus nicht steigen.
Andere Befragte - der Abgeordnete Eckhardt und ein Architekt Denninger - haben sich im gleichen Sinne geäußert: Es wäre sehr viel einfacher und wirkungsvoller, wenn die 7 c-Regelung beibehalten worden wäre. An anderer Stelle sagt Herr Minister Preusker, daß bisher etwa 20 % des sozialen Wohnungsbaus mit 7 c-Mitteln finanziert worden sind, und drückt auch dabei sein Bedauern darüber aus, daß diese Regelung wegfällt.
Es geht bei der bevorstehenden Regelung noch um mehr. Bei uns steht im Vordergrund das Mietenproblem. „Das A und O aller Maßnahmen mit dem Ziel, den Wohnungsbau mehr und mehr von öffentlichen Subventionen unabhängig zu machen und die Zwangsbewirtschaftung des Wohnungsbestandes mit den Stoppmieten aufzulockern und später ganz zu beseitigen, bildet die Entzerrung des Mietpreisgefüges", heißt es in einem Aufsatz. Die Art und Weise, wie man jetzt dieses Problem angegangen ist, hat unsere große Sorge und Unruhe hervorgerufen. Wir sind gegen die allgemeine 10 %ige Erhöhung, wenn nicht gleichzeitig der entsprechende Ausgleich bei den Renten und bei den kleinen Einkommensbeziehern erfolgt.
Wir vertreten die Auffassung, daß bei einer Mieterhöhung - auch bei einer 10 %igen bereits - mit in Rechnung gestellt werden muß, wie die Wohnung aussieht, welchen Wert sie hat, die den höheren Mietpreis erbringen soll.
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Wie es damit aussieht, geht auch aus einer Verlautbarung des Volksheimstättenwerks hervor. Darin wird festgestellt, daß man allenfalls beim elektrischen Licht davon sprechen kann, daß es sich in fast allen Wohnungen durchgesetzt hat. Von etwa 11,3 Millionen Wohnungen gibt es in 11,2 Millionen elektrisches Licht. Das sind über 99 %. Aber wie sieht es z. B. mit den Bädern aus? Da ist es so, daß von den 11,3 Millionen Wohnungen nur 2,2 Millionen Badeeinrichtungen haben, daß also die Bewohner dieser Wohnungen nicht darauf angewiesen sind, öffentliche Badeeinrichtungen zu benutzen. Wir sind der Auffassung: wenn schon die Miete erhöht werden soll, vielleicht sogar erhöht werden muß, muß auch der Wohnwert der betreffenden Wohnung mit in Rechnung gestellt werden.
Wir halten es überhaupt für falsch, diese 10 %ige Mieterhöhung als eine Sonderregelung anzustreben. Wir hielten es für besser, wenn das in einer Gesamtregelung vorgenommen würde. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß keine Regelung dieses Problemes Sache der Verwaltung sein kann, ohne daß das Parlament damit befaßt wird. Die Frage ist für uns von solcher Wichtigkeit, daß wir verlangen, daß das Parlament dazu gehört wird.
Besonders beschäftigt uns die Frage, in welcher Form denn künftig die Minderbemittelten zu dem Zuschuß kommen sollen, der nun einmal notwendig ist, damit sie durch diese Schwierigkeiten überhaupt hindurchkommen. Der Deutsche Mieterbund hat ermittelt, daß rund 4 Millionen Rentner der Invaliden- und Angestelltenversicherung von Renten leben, die unter dem Existenzminimum liegen, und daß eine Mark Mieterhöhung im Monat gleichbedeutend mit der Aufbringung von 50 Millionen DM Zuschußmitteln des Bundes oder anderer Stellen ist.
Bei den Plänen, dieses Gebiet neu zu ordnen, geht es u. a. auch darum, das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz zu reformieren. Nach unserer
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Auffassung gehört in dieses Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht eine Bestimmung hinein, daß überall da, wo öffentliche Mittel verwandt werden, auch die entsprechenden sozialen Bindungen Platz greifen müssen. Das gilt insbesondere beim Eigentumswechsel, das gilt bei den Mieten, bei den Nutzungsgebühren und bei den Pachten. Wir wollen nicht, daß öffentliche Mittel dazu verwandt werden, irgendwelche Wertobjekte zu schaffen, die nachher Gegenstand von Spekulation oder von Geschäften sind, die nicht unsere Zustimmung finden können. Nach unserer Meinung gehört in dieses Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht weiter die Anbietungspflicht bei Eigentumswechsel hinein. Wo öffentliche Mittel verwandt werden, soll ein solches Recht Platz greifen, und zwar nicht nur, wie gelegentlich geäußert worden ist, für die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, sondern gleichmäßig für alle.
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Ob das Wohnungsunternehmen gemeinnütziger oder privater Art sind oder ob es sich um eine Einzelperson handelt, spielt überhaupt keine Rolle. Wer öffentliche Mittel in Anspruch nimmt, muß auch bereit sein, sich solchen Bindungen zu unterwerfen.
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Wir werden uns aber sehr energisch gegen die Versuche wehren, in das Wohnungsgemeinnützigkeitsrecht auflagenähnliche Bindungen zugunsten einer bevorzugten Richtung einzubauen, z. B. gegen die Absicht, nur noch die Wohnungsunternehmen als gemeinnützig anzuerkennen, die Eigentum schaffen wollen. Auf diesem Wege wird nichts von all dem Guten und Erstrebenswerten, was es auf diesem Gebiete geben mag, erreicht werden. Aus diesem Grunde muß ich - ich glaube, auch für alle meine Freunde - erklären, daß wir einer Entschließung, die Sie auf Umdruck 23 finden, unsere Zustimmung nicht geben können. In ihr heißt es:
Die Bundesregierung wird ersucht,
in Kap. 2501 die Erläuterungen zu Tit. 895 dahin zu ergänzen, daß sich der Bund nur an solchen wohnungswirtschaftlichen Unternehmen, Heimstätten und Betreuungsgesellschaften beteiligt, bei denen die Gewähr gegeben ist, daß sie ausschließlich Bauvorhaben durchführen bzw. betreuen, durch welche die Eigentumsbildung im Wohnungsbau gefördert wird.
Es muß bei den Unternehmen, an denen sich der Bund beteiligt, ebenfalls gewährleistet sein, daß sich die Tochtergesellschaften dieser Unternehmen im gleichen Sinne betätigen.
Ich halte diesen Standpunkt für zu eng und zu einseitig. Wir sollten uns bemühen, auf diesem Gebiet nicht Barrikaden zu errichten, Vorschriften zu erlassen oder Verbotstafeln aufzustellen. Wir sollten uns gemeinsam darum bemühen, daß dort, wo gebaut wird, jeweils das errichtet wird, was sich aus der Situation ergibt. Das kann Eigentum sein, das soll sogar nach Möglichkeit, in der Hauptsache, Eigentum sein. Aber die Situation kann auch so sein, daß es Mietwohnungen sein müssen. Man darf eine an sich gute Sache nicht mit solcher Ausschließlichkeit verfolgen, weil man ihr dann nicht nutzt, sondern nur schadet.
Die Eigentumsförderung, um die es ja auch hier geht, schreitet nach dem Urteil der Sachverständigen gut voran. Im Jahre 1953 sind nach der Statistik der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft rund 221 000 Eigentumswohnungen errichtet worden. Diese Zahl wird sogar noch steigen; denn die Leistung in 1953 hängt zum Teil davon ab, daß die Planung und der Beginn dieser Bauvorhaben bereits im Jahre 1952 lagen. Lassen Sie nicht solche Gedanken bei sich Raum gewinnen! Kein Zwang, sondern der echte Bedarf soll entscheiden. Lassen Sie uns insbesondere gemeinsam unsere Anstrengungen darauf richten, daß diejenigen Wohnungsunternehmungen entsprechende finanzielle Hilfe bekommen, die bereit sind, käuflich zu erwerbende Eigenheime sozusagen auf Vorrat hinzustellen und den Bewerbern unter tragbaren Bedingungen als Eigentum zu überlassen.
Bei allen diesen Plänen ist für uns Sozialdemokraten der soziale Wohnungsbau für die Leistungsschwachen das Hauptanliegen. Wenn es so ist - und ich glaube, daß diese Zahlen stimmen -, daß drei Viertel aller vergebenen Wohnungen an Bewerber mit Geld vergeben worden sind, dann zeigt das, wie notwendig hier eine Umstellung ist und eine Bereitstellung von Hilfe für diejenigen, die sich die Hilfe nicht selbst irgendwie beschaffen können. Da hilft auch kein Hinweis auf Paragraphen oder Verordnungen. In einem Gesetz heißt es: Von den erstellten Wohnungen muß ein entsprechender Teil für diejenigen bereitgehalten werden, die nicht in der Lage sind, zur Finanzierung beizutragen. Das steht auf dem Papier und bleibt leider auch auf dem Papier stehen. Denn die Wohnungsunternehmen sind durchweg nicht in der Lage, in die eigene Tasche oder in den eigenen Kassenschrank zu greifen und das zu ersetzen, was der betreffende Wohnungsbewerber nicht aufbringt. Hier kommt dann also nichts anderes in Frage als ein erhöhtes öffentliches Darlehen.
Wir wollen uns auch gemeinsam dafür einsetzen, daß das Genehmigungsverfahren sehr viel einfacher gestaltet, abgekürzt und rascher wirksam wird. Heute ist es doch so, daß ein privater Bauherr ohne die entsprechende Rechtshilfe überhaupt nicht mehr durchkommt, daß er irgendeinen Architekten oder ein Wohnungsunternehmen braucht, die ihm durch diesen Wirrwarr hindurchhelfen.
Noch etwas anderes möchte ich Ihnen ans Herz legen. Es darf nicht sein, daß aus den Mitteln, die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden, besondere Mittel abgezweigt werden, die die Gemeinden in die Lage versetzen sollen, das erforderliche Bauland zu erschließen. Wenn die Gemeinden solche Mittel brauchen, um das Bauland überhaupt erst erschließen zu können, muß dieses Geld aus anderen Töpfen kommen, nicht aber aus den so knappen Geldern, die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen. Wir wollen hoffen, daß Herr Minister Preusker sich mit seiner Absicht durchsetzt, das Gefüge der sozialen Mieten in den nächsten Jahren nicht verändern zu lassen. Bei den Angriffen, die wir in der letzten Zeit erlebt haben, sind wir jedoch skeptisch.
Wir stehen der Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung und den von ihr angestrebten Formen der Wohnungswirtschaft mit großen Vorbehalten, teilweise mit Mißtrauen gegenüber. Wir sind in Sorge, daß die Rentenempfänger der Invaliden- und Angestelltenversicherung mit ihren knappen Bezügen, daß die Arbeiter, die Angestellten, die kleinen Beamten mit ihren geringen Einkommen bei den Absichten der Regierung, den Wohnungsbau und die Wohnungswirtschaft in marktwirt({7})
schaftliche Verhältnisse zu überführen, nicht so berücksichtigt werden, wie es ihrer geminderten Leistungsfähigkeit entsprechend notwendig ist. Wir fürchten um den Fortbestand und den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Darum können wir dem Einzelplan 25 nicht zustimmen; wir werden uns der Stimme enthalten.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Strobel.
Meine Damen und Herren! In den letzten Tagen ging durch die Presse die Mitteilung, daß von der Hypothekengewinnabgabe des Lastenausgleichsgesetzes 110 Millionen DM für die Heimführung der Evakuierten zur Verfügung gestellt werden sollen. Ich bin überzeugt, diese Mitteilung weckt in den Kreisen der Evakuierten neue Hoffnung, daß das im vorigen Jahr verabschiedete Evakuiertengesetz nicht mehr nur auf dem Papier steht, sondern sie tatsächlich in ihre Heimatstädte zurückbringt. Leider ist aber - anscheinend sogar bei den Stellen, denen diese Aufgabe eigentlich zufällt - zu wenig bekannt, daß von diesen Mitteln jene Evakuierten nichts bekommen, die nicht kriegssachgeschädigt sind, also nicht unter das Lastenausgleichsgesetz fallen. Dabei handelt es sich um eine Personengruppe, die im sozialen Gefüge zu den besonders Schwachen gehört. Es handelt sich in erster Linie um alte Leute, die schon zu Kriegsbeginn ihre Heimatstädte verlassen haben. Ihre Wohnungen wurden anderweitig belegt. Sie sitzen nun draußen in den Dörfern und können sich nicht selber helfen, um in ihre Heimat zurückzukehren.
Wir sind der Auffassung, daß man, wenn schon die Wohnungsbaumittel und die Lastenausgleichsmittel in diesem hohen Maße auf verschiedene Gruppen verteilt werden müssen, diese schwächste Gruppe unter den Kriegsfolgegeschädigten nicht vergessen sollte. Wir bitten Sie, unserem Antrag Umdruck 40 zuzustimmen, der 20 Millionen DM für den Wohnungsbau für diese Menschen vorsieht. Dieser Betrag kann natürlich nur einen Anfang darstellen, aber er gibt die Möglichkeit, auch diesen Menschen nicht nur einen Anspruch, sondern in der Praxis die Heimat wiederzugeben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lücke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollen uns kurz fassen, um heute noch mit der zweiten Lesung fertig zu werden. Ich will diesem Wunsch entsprechen und unsere Wünsche an den Wohnungsbau in Stichworten bekanntgeben. Wir wünschen, daß die einmalige Gelegenheit mehr als bisher genutzt wird, eigentumslosen Menschen über den Wohnungsbau zu einem persönlichen Eigentum zu verhelfen. Wir kritisieren, daß das bisher nicht in dem möglichen Umfange geschehen ist. Der Anteil der Eigentumsmaßnahmen ist zu gering. Die Beratungen des Gesetzes zur Schaffung von Familienheimen im Ausschuß sind im Gange. In dem Gesetzentwurf sind unsere Grundforderungen festgelegt. Wir hoffen, daß dieser Gesetzentwurf bis zum Herbst fertiggestellt werden kann, mit den entsprechenden Maßnahmen, die das Bundeswohnungsbauministerium und die Regierung hierzu ergänzend vorgeschlagen werden.
Zweitens fordern wir, daß die Kapazität im Wohnungsbau gesteigert wird. Es muß mehr gebaut werden. Wir begrüßen es sehr, daß höhere Zahlen genannt wurden, und werden alles tun, um dieses Mehr im Wohnungsbau durchzusetzen.
Das dritte wesentliche Anliegen ist, daß so gebaut wird, daß die Familien in den Wohnungen Platz haben, daß Schluß gemacht wird mit der Überfülle an Klein- und Kleinstwohnungen, in denen unsere Familien keinen Platz haben. Wir wünschen, daß Wohnungen für kinderreiche Familien und auch für junge Familien gebaut werden. Diese Anliegen sind so brennend, daß sie endlich erfüllt werden sollten.
Weiter fordern wir, daß die Qualität im Wohnungsbau wo irgend möglich verbessert wird. Ich brauche die Formularschlange hier nicht zu entfalten. Ich rufe sie, Herr Kollege Stierle, auch meinerseits in die Erinnerung zurück und richte den dringenden Appell an das Wohnungsbauministerium, endlich durchgreifende Vorschläge vorzulegen, um die Formularschlange der Genehmigungsverfahren zu vereinfachen.
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Herr Kollege Stierle hat im Zusammenhang mit der Großen Steuerreform die Frage des § 7 c angeschnitten. Die Beratung dieses Gesetzentwurfs in den Ausschüssen und Fraktionen findet in den nächsten Wochen und Monaten statt. Auch meinen Freunden ist bisher keine befriedigende Ersatzlösung bekanntgegeben worden; wir hoffen aber, daß sie bis zum Schluß der Beratungen gefunden wird. Wir können dem Wegfall des § 7 c nicht zustimmen, auch dann nicht, wenn ein teilweiser Ersatz geboten wird.
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Ich darf dann die Meinung meiner Freunde zu dem Mietenproblem bekanntgeben. Die schrittweise Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit im Hausbesitz ist eine Forderung, der sich in Deutschland erfreulicherweise kein vernünftiger Mensch mehr verschließt. Aber wir werden einer Korrektur, einer Entzerrung - oder wie Sie es nennen wollen - der Mieten nur zustimmen, wenn gleichzeitig in wirkungsvoller Form ein Verfahren eingebaut wird, ein System der Lasten- und Mietsubventionen - ähnlich wie es das Land Nordrhein-Westfalen für kinderreiche Familien durchgeführt hat -, das sozial schwachen Kreisen unseres Volkes, vor allem kinderreichen Familien
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- und vor allem den Invaliden den Unterhalt solcher Wohnungen ermöglicht. Wir wünschen nicht, daß in der öffentlichen Diskussion künftighin die notwendige Anhebung der Renten immer in Zusammenhang mit der Entzerrung des Mietgefüges genannt wird. Wir glauben nicht, daß eine Anhebung der Renten für die untersten Einkommensschichten zur Deckung der Mieterhöhung verwendet werden soll. Hier muß ein sinnvolles System gefunden werden. Daran werden wir mitarbeiten.
Der Herr Kollege Stierle hat die Änderung des Gemeinnützigkeitsgesetzes angedeutet. Wir halten diese für dringend erforderlich. Ich freue mich, daß Sie und Ihre Freunde, Herr Kollege Stierle, mit unserer alten Forderung einverstanden sind, die wir seit Jahren durch Deutschland tragen und die lautet, daß derjenige, der öffentliche Mittel für Wohnungen verbaut, veranlaßt werden sollte,
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solche Wohnungen und Heime an eigentumswillige Bevölkerungskreise aufzulassen, wenn eigentumswillige Bevölkerungskreise, die anspruchsberechtigt sind, dies wünschen. Also die Anbietungspflicht in bezug auf alle mit öffentlichen Geldern geförderten Wohnungen, gleichgültig, ob es gemeinnützige oder freie Wohnungsunternehmen sind, ist nach wie vor unsere Meinung. Wir sind der Meinung, daß die gemeinnützige Wohnungswirtschaft neben der großen Leistung, die sie vollbracht hat, in besonderem Maße dem staatspolitischen Anliegen entsprechen sollte, Eigentum im Wohnungsbau zu schaffen. Wir hoffen, daß über eine Anbietungspflicht die Erreichung dieses Ziels erleichtert wird.
Sie haben den Anteil der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft am Eigentum erwähnt. Wir freuen uns darüber. Ich kenne im Bundesgebiet gemeinnützige Wohnungsunternehmen und Wohnungsgesellschaften, insbesondere die Siedlungsdienste der Kirchen und Heimstätten, die über 80 oder 90 % ihrer im sozialen Wohnungsbau errichteten Wohnungen als Eigenheime oder als Wohnungseigentum erstellt haben. Es war also bisher schon möglich. Wir wünschen, daß das künftighin in größerem Umfange geschieht. Wir haben in Umdruck 23 *) entsprechende Gedanken geäußert - insofern stehe ich etwas in Widerspruch zu Ihnen, Herr Kollege Stierle -, die ich hier vertreten darf. Meine Freunde sind der Meinung, wenn der Bund aus Haushaltsmitteln sich an Wohnungsgesellschaften usw. beteiligt, soll er auch fordern, daß diese Wohnungsunternehmen so bauen, wie es notwendig ist. Diese Beteiligung ist bisher vorwiegend bei den Heimstätten erfolgt und soll weiterhin dort erfolgen. Es war die ursprüngliche Aufgabe der Heimstätten, den Anwärter auf ein Eigenheim zu betreuen. Diese Betreuungsfunktion wird auch heute noch wahrgenommen. Wir haben diesen Antrag unterschrieben, weil aus der mir vorliegenden Statistik zu ersehen ist, daß die Naussauische Heimstätte GmbH. Frankfurt am Main neben 3919 Mietwohnungen lediglich 451 Eigenheime gebaut hat. Das sind rund 10 N. Dagegen hat z. B. die Niedersächsische Heimstätte GmbH. Hannover neben 3246 Mietwohnungen zur gleichen Zeit 5511 Eigentumsmaßnahmen durchgeführt. Wir meinen, wenn der Bund Beteiligungen vornimmt, sollen sie mit der besonderen Auflage verknüpft sein, daß solche Gesellschaften sich der schwierigen Aufgabe der Eigenheimförderung, der Betreuung der Siedler usw. widmen.
Dem Etat stimmen wir zu. Ich bitte Sie, dieser Entschließung ebenfalls Ihre Zustimmung zu geben. Ich hoffe, daß wir nach den negativen Erfahrungen, die wir leider auch machen mußten, endlich im Herbst die Maßnahmen vorlegen können, die den Wohnungsbau so gestalten, wie wir es uns vorstellen.
Zum Schluß bleibt mir die Aufgabe, namens meiner Freunde allen denen in Deutschland zu danken, die an diesem großen Werk mitgewirkt haben, denen, die draußen sparen und arbeiten, und allen Stellen, die geholfen haben, dieser Volksnot Herr zu werden. Ich hoffe, daß auch im kommenden Jahr dieses Haus weiter in großer Einmütigkeit die vornehmste Aufgabe darin sieht, endlich mit der Wohnungsnot fertig zu werden.
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*) Siehe Anlage 6 Seite 1030 A
Das Wort hat der 1 Abgeordnete Hauffe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Kollegen Lücke zwingen mich, zu der vorgelegten Entschließung einige Worte zu sagen. Ich gehe voll und ganz mit Herrn Abgeordneten Lücke einig, wenn er sagt, es sei unser Ziel, eigentumslosen Menschen zu Eigentum zu verhelfen. Aber die Entschließung, die z. B. den Bund veranlassen will, sich nur an solchen Gesellschaften zu beteiligen, die ausschließlich Eigentum schaffen, verlangt doch eine Differenzierung, weil nämlich diese Gesellschaften und besonders die Heimstätten in der Vergangenheit gezwungen waren, auch Mietwohnungen und größere Wohneinheiten zu erstellen, die, wenn sie ins Eigentum übergeführt werden sollen, nicht immer nur den eigentumslosen Menschen zum Eigentum verhelfen. Ich finde also, daß diese Entschließung in ihrer Auswirkung nicht genügend durchdacht ist.
Nehmen Sie es mir bitte nicht übel: Da hier als erster Antragsteller Herr Kollege Dr. Schild steht, scheint mir diese Sache charakterlich sehr verwandt zu sein mit einem der ersten Anträge, die Herr Kollege Schild hier einmal gestellt hat.
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Deshalb möchte ich davor warnen, diese wenig durchdachte Entschließung in der hier vorliegenden Form anzunehmen. Ich marschiere immer mit Ihnen in einer Front - gestatten Sie diesen militaristischen Ausdruck! -,
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wenn es darum geht, das Ein- und Zweifamilienhaus, das Eigentum für den mittellosen Menschen zu fördern. Aber ich gehe nicht mit, wenn irgendwie Gefahr besteht, daß das Mietshaus in privatem Eigentum mit öffentlichen Mitteln gefördert werden soll. Ich habe immer den Verdacht, daß, wenn der Name des Kollegen Dr. Schild auftritt, hier an einen versteckten Kampf gegen den gemeinnützigen Wohnungsbau schlechthin gedacht ist; ich habe seinen ersten Antrag hier sehr genau in Erinnerung.
Wenn heute viele Menschen bereit sind, sich um die Verbesserung der Wohnung schlechthin, um den gemeinnützigen Wohnungsbau und die Förderung des Wohnungsbaus zu kümmern, dann doch nur deshalb, weil seit mehr als einem halben Jahrhundert diejenigen, die in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft tätig sind, der Bevölkerung unseres Landes beigebracht haben, daß jeder in unserem Vaterlande das Recht hat, Anspruch auf eine gute Wohnung zu erheben. Das ist das große geschichtliche Werk des gemeinnützigen Wohnungsbaus und wird es auch für die Zukunft bleiben, gleichgültig, in welche Richtung die Entwicklung geht. Deshalb bitte ich, von der Entschließung in der vorliegenden Form Abstand zu nehmen, und sehe mich auf keinen Fall in der Lage, ihr in dieser Form zuzustimmen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau, Dr. Preusker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Aufgabe Nr. 1 der Bundesregierung, der Wohnungsbau, nun leider in der Tagesordnung des Bundestages an einen viel späteren Punkt gerückt
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ist und die Zeit sehr vorgeschritten ist, möchte ich mich auf ein paar kurze Bemerkungen beschränken. Ich werde später noch Gelegenheit haben, zu den grundsätzlichen Fragen mehr zu sagen.
Herr Kollege Stierle, Sie sprachen davon, daß Sie der Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung in der zweiten Legislaturperiode mit dem gleichen Mißtrauen gegenüberständen wie in der ersten. Das ist Ihr gutes Recht. Wir hoffen, Sie ebenso wie in der ersten Legislaturperiode auch in der zweiten durch die Taten und durch die Erfolge überzeugen zu können.
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Ich darf damit anfangen, Ihnen schon bezüglich der Ergebnisse des Jahres 1953 eine Korrektur Ihrer bisherigen Zahlen bekanntzugeben. Wir haben im Jahre 1953 nicht 475 000, sondern, wie jetzt die endgültigen Feststellungen des Statistischen Bundesamts beweisen, 515 000 Wohnungen bauen und fertigstellen können.
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Ich will zunächst keine Prophezeiungen für dieses Jahr machen, mindestens heute nicht. Aber lassen Sie mich das eine sagen: ich begrüße es außerordentlich, daß Sie daran mitarbeiten wollen, daß mehr und bessere Wohnungen gebaut werden, daß die Finanzierung gesichert werden soll und daß insbesondere auch mehr Wohnungen für die ärmeren Bevölkerungskreise zur Verfügung gestellt werden.
Hierzu muß ich einmal eines mit aller Deutlichkeit aussprechen. Es war eine der ersten Handlungen nach Übernahme meines Amtes, daß ich die
Länder, die ja für die Durchführung des Wohnungsbaugesetzes zuständig sind, gebeten habe, zu
prüfen, ob sie nicht den Anteil der Wohnungen,
die sie den ärmeren Bevölkerungskreisen zur Verfügung stellen, ohne daß diese Finanzierungsbeiträge in irgendeiner Form zu leisten vermögen,
stärker heraufsetzen könnten. Ich habe leider in
dieser Hinsicht keine positive Antwort in der Art
bekommen, daß ich hier sagen könnte, das würde
nun als selbstverständlich erwartet werden können.
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In die Novelle zum Bundeswohnungsbaugesetz, die wir unmittelbar nach Ostern im Bundestag einzubringen hoffen und die, zusammen mit der Vorlage der CDU, dann den endgültigen Rahmen für die Wohnungsbaupolitik abgeben soll, haben wir deshalb eine Bestimmung hineingebracht und Änderungen im System vorgesehen, wonach in den kommenden Jahren sichergestellt werden kann, daß gerade der Wohnungsbau für die ärmere Bevölkerung, die keine eigenen Finanzierungsbeiträge zu leisten vermag, von sich aus wesentlich verstärkt wird, auch ohne daß die Länder dann in irgendeiner Weise besonders angesprochen werden müssen. Obendrein soll dies zu Bedingungen geschehen, bei denen sich die Mieten hoffentlich noch unter die derzeitigen Richtsätze herunterbringen lassen werden.
Das steht neben der starken Förderung der Eigentumsbildung, der Eigenheime und des Wiederaufbaues in unseren zerstörten Stadtkernen. Dabei kann ich nur wieder das eine sagen: es denkt niemand daran, jemanden zum Eigentum zu zwingen, sondern wir werden alle diejenigen, die bereit sind, Eigentum zu erwerben, dabei zusätzlich fördern und unterstützen.
Es ist hier ein Antrag eingebracht worden, 20 Millionen DM zusätzlich als Darlehen an die
Länder für den Bau von Wohnungen für rückkehrwillige Evakuierte, die unter das Evakuiertengesetz fallen, in den Einzelplan 25 einzustellen. Herr Kollege Stierle sagte, er wünschte eigentlich, die 500 Millionen für den sozialen Wohnungsbau stünden im ordentlichen statt im außerordentlichen Haushalt. Herr Kollege Stierle, ich glaube, das ist nicht das Entscheidende; das Entscheidende ist, daß die 500 Millionen tatsächlich da sind,
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daß sie dem Wohnungsbau tatsächlich zur Verfügung gestellt werden können. Die Bundesregierung kann doch darauf hinweisen, daß sie die Mittel für das Baujahr 1954 so früh wie bisher in keinem andern Jahr, nämlich bereits Mitte Oktober 1953, verteilt hat, so daß sie in den Ländern verplant werden konnten und die Bautätigkeit zu Beginn dieses Jahres, in vollem Umfange gesichert, beginnen konnte.
Wir haben ferner im Rahmen der Steuervorlagen, die den Bundestag in Kürze beschäftigen werden, dafür gesorgt, daß bis zu 60 Millionen DM, die bisher aus den 500 Millionen DM entnommen werden mußten, um die Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz zahlen zu können, aus besonderen Mitteln des Bundeshaushalts entnommen werden, so daß hier zusätzlich 60 Millionen für den sozialen Wohnungsbau unmittelbar zur Verfügung stehen werden. Ich glaube, daß damit auch der Wunsch, der in dem Änderungsantrag Umdruck .40 zum Ausdruck kommt, etwas stärker berücksichtigt werden kann.
Ich darf ferner darauf hinweisen, daß es durch eine Absprache mit dem Herrn Bundesfinanzminister gelungen ist, noch aus dem Jahre 1953 stammende Mittel in der Größenordnung, die dieser Antrag Umdruck 40 vorsieht, zusätzlich für die Förderung des Wiederaufbaus in den zerstörten Städten verfügbar zu machen. Das sind ja gerade diejenigen Städte, in die die Evakuierten zurückkehren möchten. Auch dadurch wird Ihrem Anliegen entsprochen.
Zum dritten ist es uns gelungen, aus zusätzlichen Mitteln, die der Lastenausgleichsfonds zur Verfügung stellen konnte, in Übereinstimmung mit den Gremien, die für die Zuteilung dieser Mittel zuständig sind, 20 Millionen speziell für den Wohnungsbau für Evakuierte im Jahre 1954 bereitzustellen und in diesen Tagen weitere 90 Millionen zur Durchführung von Umsiedlungsmaßnahmen innerhalb der einzelnen Länder, d. h. wiederum zum erheblichen Teil Rückführungsmaßnahmen für Evakuierte, zu verteilen. Ich glaube daher, daß ich es im Augenblick nicht verantworten kann, diesen Antrag zu befürworten, weil es einfach nicht mehr möglich ist, weitere Quellen auszuschöpfen oder noch mehr Geld aus dem Haushalt „zusammenzukratzen".
Im übrigen darf ich Ihnen sagen, daß auch weiterhin ein „Zusammenkratzen" des Geldes für den Wohnungsbau an allen Ecken und Enden nötig ist; denn wir wollen ja nicht nur die Leistung von zuletzt 515 000 Wohnungen halten, sondern diese Leistung noch erheblich steigern. Das ist zum Teil auch nur möglich, wenn derjenige, der sein Geld im Wohnungsbau anlegen soll, weiß, daß dieses Geld dort genau so wertbeständig und sicher angelegt sein wird, wie wenn er es für irgendeine andere wirtschaftliche Betätigung gibt. Das bedeutet zwangsläufig, daß die Selbsterhaltungsfähigkeit, die Eigenwirtschaftlichkeit des Hausbesitzes
({5})
Schritt um Schritt wiederhergesellt werden muß.
Wir werden uns über die Einzelheiten dieser Maßnahmen hier unterhalten; denn ich darf ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, eine Mieterhöhung im Verwaltungswege durchzuführen, sondern daß sie dazu den Entwurf eines ersten Bundesmietengesetzes vorbereitet hat.
Ich darf auch ausdrücklich darauf hinweisen, daß niemand daran gedacht hat, den Wohnwert überhaupt nicht zu berücksichtigen. Vielmehr ist in dem Gesetzentwurf von vornherein vorgesehen, daß diejenigen Wohnungen, die in ihrem Wohnwert wirklich berechtigten Anforderungen nicht entsprechen, außerhalb der Mieterhöhung bleiben müssen. Ferner ist eine absolute Grenze nach oben insoweit gezogen, als die sozialen Richtsatzmieten mit den jeweiligen Zuschlägen nicht überschritten werden dürfen.
Innerhalb dieses Rahmens ist ohnehin daran gedacht, das alles in eine Gesamtkonzeption zu stellen, wie Sie vorhin sagten, Herr Stierle, nämlich mit der Steuerreform und mit den Maßnahmen zu verknüpfen, die auf dem sozialen Gebiet sonst vorgesehen sind - Familienausgleichskassen - und hier noch beraten werden. Wir haben schließlich auch eine Vorlage - sie wird zur Zeit in den Ressorts besprochen - über die Erstattung von Mietbeihilfen vorbereitet. Dabei hoffen wir allerdings darauf, daß es uns durch möglichst viele generelle soziale Maßnahmen möglich sein wird, den Kreis derjenigen, die hierauf zurückgreifen müssen, auf ein Minimum zu beschränken.
Ich glaube, man wird insgesamt sagen müssen, daß es eine schlechte Politik wäre, wollte die Bundesregierung auf der einen Seite mit jährlich 2,5 Milliarden DM an öffentlichen Förderungsmitteln Neubauten fördern, und gleichzeitig die gleichen Werte infolge der mangelnden Fähigkeit, den Altbestand zu erhalten, verlorengehen lassen. Wir kämen dann niemals zur Abdeckung des Fehlstands. Wir würden für ewige Zeiten unsere Bevölkerung mit der Aufbringung der zusätzlichen öffentlichen Mittel belasten müssen. Hier muß also etwas geschehen. Aber die Bundesregierung hat von Anbeginn an bei ihren Plänen einer Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit des Altbesitzes und für die weitere Durchführung des sozialen Wohnungsbaus erklärt, daß sie die Spekulation im sozialen Wohnungsbau ebensowenig zulassen wird wie die Spekulation mit dem täglichen Brot.
Jetzt noch kurz ein paar Bemerkungen zu dem Antrag Umdruck 23, der von Herrn Kollegen Lücke begründet worden ist. Ich darf eines grundsätzlich bemerken. Die Bundesregierung im ganzen und ich im besonderen sind der Meinung, daß es nicht Aufgabe des Bundes ist, sich an erwerbswirtschaftlichen Unternehmen zu beteiligen oder Vermögen anzuhäufen, wenn dies nicht aus irgendwelchen Gründen im Gesamtinteresse unabdingbar geboten ist. Diese Auffassung ist ja in einem Antrag Ihrer Fraktion, Herr Stierle, in der letzten Legislaturperiode des Bundestages ebenfalls zum Ausdruck gekommen und hinsichtlich des Bundesvermögens wiederholt vertreten worden.
Es ist aber etwas völlig anderes, wenn der Bund eine Beteiligung an Unternehmen erwirbt, die weder Vermögen anhäufen sollen noch eine erwerbswirtschaftliche Aufgabe haben, sondern der Wahrnehmung von reinen Betreuungsaufgaben dienen, wie sie die Heimstättengesellschaften nun einmal nach dem Gesetz auf dem Gebiet des Wohnungsbau zu erfüllen haben. Diesem Ziel sollen ja auch die Mittel aus der inzwischen auf 9 Millionen DM herabgesetzten Haushaltsposition dienen.
Nun ist allerdings eines zu bemerken. Die Heimstätten haben im Augenblick ebenso wie wohnungswirtschaftliche Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist, noch eine Reihe von Sonderaufgaben durchzuführen. Dazu gehört einmal der Bau von Wohnungen für Bundesbedienstete und die Verwaltung dieser Wohnungen, soweit diese nicht aus ganz bestimmten Gründen an zivile Träger gegeben werden konnten - denken Sie etwa an Bundesgrenzschutz und ähnliches -, oder aber es sind im Rahmen des Sowjetzonenflüchtlingsprogrammes auf Grund gesetzlicher oder sonstiger sonstiger Verpflichtungen bestimmte Sonderprogramme mit größter Beschleunigung durchzuführen. Ich möchte deshalb anregen - und ich würde mich freuen, wenn die Antragsteller damit übereinstimmten -, daß die Entschließung auf Umdruck 23 in folgender Fassung angenommen wird:
Die Bundesregierung wird ersucht,
in Kap. 2501 die Erläuterungen zu Tit. 895 dahin zu ergänzen, daß sich der Bund nur an solchen wohnungswirtschaftlichen Unternehmen, Heimstätten und Betreuungsgesellschaften beteiligt, bei denen die Gewähr gegeben ist, daß sie mit Ausnahme der Betreuung von Sonderprogrammen des Bundes oder der Wohnungsfürsorge für Bundesbedienstete zukünftig ausschließlich Bauvorhaben durchführen bzw. betreuen, durch welche die Eigentumsbildung im Wohnungsbau gefördert wird.
Im zweiten Absatz würden dann auch hinter „dieser
Unternehmen" die Worte „zukünftig ebenfalls"
eingesetzt, so daß es in diesem Absatz heißt:
..., daß sich die Tochtergesellschaften dieser Unternehmen zukünftig ebenfalls im gleichen Sinne betätigen.
Wenn es so gemacht wird, würde ich von mir aus keine Bedenken haben. Ihr Anliegen wird dadurch in keiner Weise berührt. Die öffentlichen Darlehen zur Förderung des Wohnungsbaus werden den Trägern nach wie vor zur Verfügung stehen, auch ohne daß andere Auflagen gemacht werden als solche, die nach der Prüfung des effektiven Bedarfs oder im Hinblick auf den tatsächlichen Willen zum Eigentum, vom Leistungswillen her, gerechtfertigt sind.
({6})
- Des Bundes, jawohl.
Ich glaube, daß ich damit zu den Anträgen das Notwendige gesagt habe. Das Weitere hinsichtlich der grundsätzlichen wohnungspolitischen Fragen, das hier noch zu sagen ist, hoffe ich unmittelbar nach Ostern bei der Einbringung der Regierungsvorlage des Wohnungsbaugesetzes sagen zu können.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Stierle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur noch ein paar Worte. Der Herr Minister ist jetzt noch einmal auf den Antrag Umdruck 23 eingegangen. Herr Lücke hat vorhin zu seiner Begründung etwa gesagt: Der Bund soll sich an Wohnungsunternehmen beteiligen, die dann das
({0})
bauen sollen, was notwendig ist. Dem habe ich voll zugestimmt.
({1})
- Aha, das fügen Sie jetzt hinzu.
({2})
- Wenn Sie jetzt sagen, es soll dort gebaut werden, wo es notwendig ist, stimme ich Ihnen zu. Man darf sich aber nicht auf den engen Standpunkt stellen, es dürfe nur Eigentum gebaut werden. Lassen Sie doch das Unternehmen so beweglich, daß es sich nach allen Seiten hin betätigen kann!
Was der Herr Minister zu dem Antrag meiner Kollegin Strobel gesagt hat, 20 Millionen für rückkehrwillige Evakuierte bereitzustellen, hat, glaube ich, den Kern der Sache nicht getroffen. Er sagt, es würden im Prämiengesetz zusätzlich 60 Millionen DM gegeben oder es würden Mittel gegeben, um die Stadtkerne bevorzugt wiederaufzubauen. Das betrifft doch nicht den Personenkreis, den wir dabei im Auge haben, nämlich die rückkehrwilligen Evakuierten.
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Die werden nur dann berücksichtigt, wenn sie irgendeiner bevorzugten Personengruppe angehören, die bereits in irgendeinem Programm genannt ist. Wir sind der Auffassung, daß man auch den Mut aufbringen soll, ein besonderes Programm für diese Evakuierten aufzustellen.
Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß der Antrag Umdruck 23 zu eng ist, zuwenig Bewegungsmöglichkeit gibt, so daß Sie ihn nicht annehmen sollten.
Herr Abgeordneter Lücke hat das Wort. Hoffentlich auch nur kurz, Herr Lücke.
Dieser Mahnung, die Sie an mich gerichtet haben, Herr Präsident, werde ich folgen. Ich hoffe, daß es auch die anderen Herren tun werden.
Wir sind einverstanden, daß die von dem Herrn Minister gewünschten Ergänzungen eingefügt werden. Sie sind ja im Text des Protokolls festgehalten: Sonderprogramm des Bundes und die Fürsorge für die Bundes bediensteten, und dann soll die ganze Entschließung auf die zukünftigen Maßnahmen bezogen werden. Damit sind wir einverstanden.
Kollege Stierle, nur zur Richtigstellung: Die Heimstätten haben schon nach dem Gesetz, durch das sie geschaffen wurden, nur die Möglichkeit der Betreuung, und zwar im Hinblick auf Maßnahmen zur Förderung des Eigentums. Die Beteiligung bei solchen Heimstätten soll nur dann erfolgen, wenn die betreffende Heimstätte das auch macht. Ich glaube also, daß das damit geklärt ist. Nach dem Gesetz betreuen die Heimstätten Maßnahmen zur Förderung des Eigentums. Das ist ihr ursprünglicher Zweck, und den wollen wir mit dieser Entschließung wieder fördern.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu Einzelplan 25.
Ich komme zur Abstimmung, zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 40: „In Kap. 2501 werden ,20 000 000 DM eingesetzt" usw. Der Antrag liegt Ihnen vor. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen, bitte!-Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Über den Antrag Umdruck 23 - auch in der neuen Fassung - brauche ich jetzt nicht abstimmen zu lassen; das gehört in die dritte Lesung.
Ich komme damit zur Abstimmung über den Einzelplan 25 in der Fassung des Berichts, der auf Drucksache 367 vorliegt. Wer von den Damen und Herren zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? ({0})
Bei vielen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe Einzelplan 26 auf:
Einzelplan 26 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte - ({1}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Keller. Ich erteile ihm das Wort.
Dr. Keller ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Etats einiger Ressorts sind im Laufe der Debatte Grundsatzausführungen gemacht worden. Ich glaube nicht, daß die Zeit ausreicht, dies auch bei dem vorliegenden Einzelplan zu tun, obwohl die Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers in der Regierungserklärung und die Eingliederungspläne des Herrn Ministers Oberländer hier sehr positive Anhaltspunkte geben würden.
Der Einzelplan bringt in diesem Jahr in den eigentlichen Verwaltungsausgaben keine wesentlichen Änderungen. Allgemein wird ein Bestreben sichtbar, wenn möglich - im Rahmen der gestellten Aufgaben - einzusparen.
Bei den Personalstellen erscheint zusätzlich bei Kap. 2601 die Stelle eines Oberregierungsrats, für welche gleichzeitig eine Stelle nach TO.A I entfällt. Überdies ist auf Wunsch des Finanzministeriums im Zusammenhang mit der Abrundung der Kompetenzen eine Oberregierungsratsstelle hier neu eingefügt worden. In der Besoldungsgruppe A 4 c 2 ist zusätzlich eine Stelle für die Vorprüfung geschaffen worden.
Die in Tit. 103 vorgesehenen Dienstbezüge für beamtete Hilfskräfte sind entfallen, nachdem die Aufgaben, für die sie vorgesehen waren, nunmehr durch die zuständigen Finanzämter wahrgenommen werden sollen.
Bei den Angestelltenstellen nach TO.A erscheinen in diesem Haushaltsjahr zusätzlich zwei IV-Stellen durch eine Neuorganisation der Registratur, eine V-Stelle für Planung und Statistik im Zusammenhang mit der Umsiedlung und der Lagerauflösung, eine VI b-Stelle im Referat für Arbeits- und Sozialrecht und eine VIII-Stelle für den Drucker und Photokopisten.
Bei den Arbeitern ist ein Abgang von 18 Stellen dadurch zu verzeichnen, daß das Vertriebenen- und Kriegsgeschädigtenministerium als eines der ersten Ressorts die Aufgaben der Hausreinigung einem Unternehmen übertragen hat. Dadurch sind - abgesehen von Erleichterungen in der Handhabung - sehr erhebliche Einsparungen in Höhe von rund 30 000 DM erzielt worden, und die Maßnahme hat sich durchaus bewährt.
({3})
Weiter wäre zu sagen, daß bei den „Allgemeinen Ausgaben" eine Empfehlung des Vertriebenenausschusses dieses Hohen Hauses zur Debatte stand, nämlich den sogenannten Organisationszuschuß für Organisationen, die mit der Betreuung und Eingliederung von Vertriebenen befaßt sind, um 100 000 DM zu erhöhen. Begründet hat der Vertriebenenausschuß diese Empfehlung damit, daß im Bereich der sowjetzonalen Flüchtlinge nunmehr doch die Organisation ein Stadium erreicht habe, das so etwas wünschenswert erscheinen lasse. Ein aus dem Ausschuß heraus gestellter Antrag hat diesen Gedanken mit einem Betrag von 60 000 DM aufgenommen. Der Haushaltsausschuß hat sich jedoch nicht in der Lage gesehen, diesem Antrag zu folgen.
Im übrigen hat in diesem Zusammenhang der Herr Vertreter des Ministeriums, Herr Staatssekretär Dr. Nahm, eine Erklärung abgegeben, wonach die Verteilung der Zuschüsse, die nach wie vor in einem Gesamtbetrag von 250 000 DM je Jahr erscheinen, nicht mehr wie früher mehr oder weniger schematisch, sondern im Zusammenhang mit Arbeitsplänen erfolgen solle, die die betreffenden Organisationen, welche Zuschüsse erbitten, vorzulegen hätten.
Bei der Beratung des Tit. 301 b hat der Ausschuß die Auffassung vertreten, daß die dort gestellten Aufgaben, nämlich die Erhaltung und Auswertung des kulturellen Heimaterbes der Heimatvertriebenen und die Förderung ihrer kulturellen Bestrebungen volle Unterstützung verdienten. Er hat in ziemlicher Einmütigkeit ins Auge gefaßt, bei seinen Sommerberatungen nochmals zu überprüfen, inwieweit hier nicht auf weite Sicht sogar noch weitergehende Maßnahmen zu veranlassen wären.
Der Tit. 305 des Kap. 2601 soll die Erfüllung der Suchdienstaufgaben und die dokumentarische Erfassung der deutschen Kriegsgefangenen, der Wehrmachtvermißten, der Zivilverschleppten, der Zivilgefangenen und der vermißten Heimatvertriebenen durch entsprechende Zuschüsse ermöglichen. Diese Arbeiten werden von den amtlich beauftragten Suchdienststellen des Deutschen Roten Kreuzes, des kirchlichen Suchdienstes und des Bundes der Verfolgten des NS-Regimes durchgeführt. Nach den Darlegungen dieser Organisationen, vor allem des Deutschen Roten Kreuzes, sind deswegen erhebliche Rückstände und Bearbeitungsverzögerungen eingetreten, weil es an den erforderlichen Zuschußmitteln gefehlt hat. Der Haushaltsausschuß war sich in der Beurteilung der Bedeutung dieser Frage einig. Er hat einstimmig den bereits vom Finanzministerium vom ursprünglichen Ansatz von 3 555 500 DM auf 3 950 000 DM berichtigten Ansatz entsprechend einem Antrag der Abgeordneten Merten, Dr. Vogel und Dr. Blank auf insgesamt 4 505 500 DM erhöht. Hiervon sind allerdings nach dem Vorschlag des Ausschusses 500 000 DM mit einem Sperrvermerk zu versehen, um dem erwarteten Bericht des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit, der hier Überprüfungen durchzuführen beabsichtigt, nicht vorzugreifen. Es muß noch vorgetragen werden, daß aus dem Ausschuß hierbei die Erwartung ausgesprochen worden ist, daß auch der Suchdienst der kirchlichen Stellen einerseits eine entsprechende Bezuschussung erfährt, andererseits - soweit Bundesmittel hierbei Verwendung finden - ebenfalls der Überprüfung durch den Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit unterliegen soll.
Das zweite Kapitel des Haushaltsplanes, Kap. 2603, verzeichnet die Ausgaben, die für das Notaufnahmeverfahren, das im wesentlichen in den Lagern Berlin, Uelzen und Gießen durchgeführt wird, notwendig sind. Die Ansätze bewegen sich im allgemeinen über denen des Haushaltsjahres 1953, weil der Flüchtlingszustrom aus der Sowjetzone in der Zwischenzeit, wie wir alle wissen, durch die Entwicklung zeitweise stark angewachsen ist. Im Hinblick darauf aber, daß die künftige Entwicklung nicht sicher vorausgesehen werden kann, sind Mittel im Haushaltsplan 1954 nur für einen Teil der Bedürfnisse und nur für einen Teil des Jahres veranschlagt worden. So gibt eigentlich der Vergleich zwischen den Spalten des Jahres 1953 und 1954 kein echtes Bild, denn im abgelaufenen Haushaltsjahr hat die erwähnte Zunahme des Flüchtlingszustromes dazu geführt, daß 350 Aushilfsangestellte überplanmäßig beschäftigt werden mußten, um den Aufgaben gerecht werden zu können. Auch heute noch liegt der effektive Personalbestand der Notaufnahmestellen, obwohl bereits erste Kündigungen eingetreten sind, erheblich über den Zahlen dieses Haushaltsvoranschlages. Sollte die Entwicklung ungünstig verlaufen, d. h. der Flüchtlingsstrom weiter stark bleiben oder zunehmen, dann wären eventuelle Mehrausgaben überplanmäßig zu leisten.
Ein außerordentlicher Haushalt für den Einzelplan 26 besteht in diesem Jahre nicht. Ich darf im übrigen auf die Drucksache 368, also auf die Beschlüsse des Haushaltsausschusses und die danach veranlaßten Berichtigungen der Gesamtzahlen verweisen und Sie bitten, entsprechend dem Vorschlag des Haushaltsausschusses diesem Einzelplan Ihre Zustimmung zu erteilen.
({4})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion des Deutschen Bundestages wird zu dem Einzelplan 26 selbst keine Anträge stellen. Aber wir glauben, daß es in diesem Zusammenhang notwendig ist, einige allgemeine grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Es könnte auch nützlich sein, den Aufgabenkreis des Hauses und seine innere Organisation zu besprechen.
Das Problem der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten ist nämlich immer noch sehr ernst.
({0})
Es ist sozial und wirtschaftlich sehr schwierig; es ist auch politisch heikel und psychologisch diffizil. Die Sorgen sind etwas geringer geworden, aber noch lange nicht ausgeräumt. Langsam ist das deutsche Schiff ja voll. Man braucht nur daran zu denken, daß wir täglich den Zustrom neuer Flüchtlinge haben. Die Spannungen werden damit nicht geringer. Ohne daß wir es wollen, entsteht eine Kluft oder ein Wettbewerb zwischen sogenannten Altvertriebenen und neuen Flüchtlingen.
Eben weil das Problem noch sehr schwierig ist und meine Freunde ernstlich bereit sind, für eine Linderung -Lind Milderung einzutreten, soweit wir es können, meinen wir, daß man alle zusätzlichen Schwierigkeiten, die entstehen oder gemacht wer({1})
den, beseitigen sollte. Ja, man sollte sie gar nicht aufkommen lassen.
In diesem Hause und in den Kreisen der Vertriebenen ist in den letzten Tagen Unruhe entstanden - und soweit ich unterrichtet bin, ist auch in den Reihen der Koalitionsparteien das Unbehagen nicht gering - über einige Erscheinungen. Diese sollten heute klargestellt werden. Ich kann es so sagen: Da ist ein Stein ins Wasser geplumst und schlägt Wellen. Ich bin weit davon entfernt, beispielsweise dem Herrn Sefton Delmer zu folgen, dessen Selbstgerechtigkeit, nicht wahr, schon während des Krieges unerträglich war.
({2})
Ich will mich hier auch nicht auf eine unnütze Skalpjägerei begeben. Ich glaube aber, daß, was so hinter den Kulissen gesprochen wurde, wegen der Bedeutung des ganzen Problems auch einmal in aller Offenheit vor dem Hohen Hause geklärt werden müßte.
({3})
Aus diesem einzigen Grunde, aus dieser Sorge, daß wir uns auf diesem Sektor nicht zusätzliche Schwierigkeiten bereiten, sondern sie rechtzeitig bereinigen, möchte ich einiges sagen. Es liegt mir fern, den Herrn Bundesvertriebenenminister unter die Lupe der Seelenforschung zu nehmen. Wenn jetzt in den Reihen der CDU/CSU einige Kollegen darüber erstaunt sind, daß der Platz des Bundesvertriebenenministers von einem Angehörigen des BHE eingenommen wird, so möchte ich dazu erklären: für uns waren weder der BHE noch der Herr Minister Oberländer ein ganz unbeschriebenes Blatt. Warum wundert man sich heute? Ich weiß, daß heute viele nicht glücklich sind, ja, nicht einmal die Kollegen, die noch vor Jahr und Tag jeden Sonntag auf Kundgebungen nicht laut genug die Abberufung seines Vorgängers Dr. Lukaschek forderten. Auch sie sind heute nicht glücklich. Der starke Mann ist da, nach dem man gerufen hat. Jetzt entsteht ein Unbehagen. Warum denn? Wissen wir denn nicht alle, warum der BHE, warum die Herren Minister Oberländer und Kraft in die Regierung berufen wurden? Der Herr Professor Oberländer ist doch nicht allein aus dem Wunsch oder der Sorge berufen worden, den „milden Bettelmann" Dr. Lukaschek durch einen starken Vertreter der Interessen der Vertriebenen zu ersetzen, sondern da haben, wie wir, glaube ich, alle wissen, andere Maßstäbe eine Rolle gespielt.
Der Herr Professor Oberländer ist berufen worden, weil der Herr Bundeskanzler den BHE für seine außenpolitische Konzeption gebraucht hatte.
({4})
Das war die einfache Erklärung. Diese Berufung
der beiden Minister aus den Reihen des BHE hat
gar nichts mit den Sorgen der Vertriebenen zu tun.
({5})
Jetzt tut man, als wäre es eine große Überraschung, daß die Herren da sind. Nein, für mich ist das keine Überraschung.
({6})
- Es ist nun einmal so, daß man auch von dieser Sache sprechen muß. Daß der Herr Minister Oberländer eine gute Presse hat, daß seine Publizität wächst und daß seine rhetorische Leistung sehr
bedeutend ist, bezweifle ich nicht. Nun, das liegt im Zuge der Zeit. Jeder macht sich bemerkbar, wie er kann. Warum denn nicht?
({7})
Aber das wäre nicht das Schlimmste. Er spricht selbst sehr viel, und dem, was ich gelesen habe und was mir vorgelegt wurde, würde ich in der Sache sogar zustimmen.
({8})
- Ich komme schon noch auf die Lücke. Mit Programmen und theoretischen Anerkennungen sind wir ja sowieso in den letzten Jahren versorgt gewesen. Ich möchte das Gebiet, das mich sehr interessiert, heute mit Rücksicht auf die Zeitnot, in der wir stehen, nicht ausweiten. Aber, Herr Minister Oberländer, wir wollen uns über die sachlichen Nöte der Vertriebenen, der Sowjetzonenflüchtlinge und der Kriegsgeschädigten, über das Thema der Eingliederung und alle die Sorgen, die sich heute noch darum auftürmen, doch nach Ostern einmal klar hier aussprechen. Meine Freunde und ich sind dann auch neugierig, inwieweit sich das Vier-Punkte-Programm des Herrn Ministers vom Oktober vorigen Jahres - dieses Vier-PunkteProgramm unterschreibe ich vom ersten bis zum letzten Punkt ({9})
im Zuge der Realisierung befindet. Das heißt kurz und gut, Herr Minister, ich möchte auch hier einmal gerne die Duplizität der Seelen aufdecken und sehen, wieweit der BHE-Vorsitzende von Bayern mit dem Bundesvertriebenenminister identisch ist. Darüber müssen wir also in aller Offenheit nach Ostern reden, weil wir jetzt in dieser Sache gedrängt werden: schnell, schnell! hurry up! Wir wissen ja, wenn man von Vertriebenen spricht, dann geht es oft im Lande so wie mit der „Stimme Amerikas", dann wird abgeschaltet. Das möchte ich nicht.
({10})
- Es ist aber vielfach so. Ich kann das auch verstehen. Es liegt an einer gewissen optischen Erscheinung. Weil die Vertriebenen oft fordern, oft demonstrieren und oft reden, werden sie als die ewig Unzufriedenen hingestellt.
Nun zu dieser besonders heiklen Sache. Ich glaube, der Herr Minister wird mir sogar dankbar dafür sein, daß ich das aus den Kulissengesprächen der Koalitionsparteien herausnehme und es auf den Tisch des Hauses lege, damit er Gelegenheit hat, sich dazu zu äußern.
Ich möchte nicht alle Zeitungen, die ich in den letzten Tagen gelesen habe, alle Zuschriften, die mir zugeschickt worden sind, und alle Zettelchen, die man mir in die Tasche gesteckt hat, zitieren. Kurz und gut, es läuft auf das hinaus, was im „Münchner Merkur" vom 2. April unter der Überschrift „Unbehagen über Personalpolitik Oberländers" steht. Sie gestatten, Herr Präsident, daß ich einige Zeilen lese:
In Bonner politischen Kreisen macht sich ein immer stärkeres Unbehagen gegenüber der Personalpolitik des Bundesvertriebenenministers bemerkbar. Oberländer wird vorgeworfen, er stelle systematisch eine Reihe von bewährten Beamten seines Ministeriums durch Beurlaubungen kalt, um an ihre Stelle bzw. auf neuen von ihm geforderten Planstellen
({11})
Leute mit eindeutig nationalsozialistischer Vergangenheit unterzubringen.
({12})
Weiter wird behauptet, Oberländer betreibe die Verbeamtung einiger Persönlichkeiten, die erst vor kurzem eingebürgert werden konnten, nachdem früheren Einbürgerungsanträgen wegen der zwielichtigen Vergangenheit der Antragsteller nicht stattgegeben wurde. Die Erbitterung über die Personalpolitik Oberländers soll dem Vernehmen nach in seinem Ministerium durch Zirkularschreiben und anonyme Briefe zum Ausdruck kommen. Die CDU/CSU-Fraktion befaßte sich vor kurzem ebenfalls mit diesen Vorgängen.
- Das ist richtig, nicht wahr?
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In einer außerordentlich erregten Sitzung
- wieweit die Erregung Wellen schlug, weiß ich nicht; aber das ist auch eine Sache des Gefühls, ob man das so oder so beurteilt wurde der Beschluß gefaßt, den Kanzler um Abhilfe zu bitten.
Nun, meine Damen und Herren, wie dem auch sei, wenn es richtig ist, - ({14})
- Bitte, der Herr Minister hat die Möglichkeit, darauf zu antworten. Warum nicht?
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Ich frage in aller Offenheit, und ich sage noch mehr: Wenn es richtig ist, daß der Herr Bundesvertriebenenminister ehemaligen führenden Nationalsozialisten, wie ich also höre, ein einflußreiches Tätigkeitsgebiet zuweist, dann glauben ich und meine Freunde, daß der Herr Bundeskanzler und Außenminister mit Rücksicht auf die Wirkungen im Ausland einmal nach dem Rechten schauen sollte. Das ist unsere ernste Auffassung, wenn dem so ist.
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Es tut mir leid, daß der Herr Außenminister nicht hier ist. Aber ich würde ihm das sagen, und er wird es ja wahrscheinlich auch lesen.
Nun, treiben wir jetzt keine weitere Seelenforschung! Sprechen wir zur Sache selber, wie es die Absicht meiner Freunde ist! Ich meine die Sache der Vertriebenen, wirtschaftlich, sozial, politisch und auch kulturell gesehen, soweit man davon reden kann. Herr Minister Oberländer, im Oktober des Jahres 1953 hat „Welt" einen Artikel über Ihr Vierpunkteprogramm, das in zwei Jahren verwirklicht werden soll, veröffentlicht. Das ist über alle Wellen des Äthers gegangen. Ich habe dann der „Welt" einen Brief geschrieben - der nur teilweise veröffentlicht wurde - und darin meine Zweifel ausgedrückt, daß es möglich sei, dieses Vierpunkteprogramm allein schon mit Rücksicht auf die vom Herrn Bundeswirtschaftsminister ausgehende verstärkte Tendenz einer Liberalisierung der Wirtschaft zu verwirklichen. Natürlich, Herr Minister Oberländer: Lagerauflösung! Ja, aber was heißt denn das? Lagerauflösung heißt Neubau von Wohnungen und Schaffung von Arbeitsplätzen.
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- Ich bezweifle das gar nicht, ich habe mir sehr genau angehört, was die Vorredner und was Herr Minister Preusker gesagt haben: es wurde gebaut
und es wird gebaut. Aber ich kenne auch den Mietzins der Wohnungen, und ich kenne die Einkommensverhältnisse der einkommenschwachen Vertriebenen, die, zumindest in den meisten Fällen, gar nicht in der Lage sind, sich eine so schöne Wohnung zu erstellen. Ich will damit nur sagen: das ist es, worüber wir uns mit dem Herrn Minister und mit der Regierung unterhalten wollen und werden. Wie groß ist die Kluft zwischen diesem Vierpunkteprogramm und seiner Verwirklichung in zwei Jahren?! Ich möchte gern 40 000 Bauern in zwei Jahren angesiedelt sehen, aber ich halte das für unmöglich. Nicht einmal der liebe Herrgott würde das können, wenn er zu uns herunterkäme.
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Das ist einfach nicht möglich! Aber bitte, man soll es vorwärtstreiben. Aus diesem Grunde habe ich gestern auch dem Antrag des Kollegen Seiboth zugestimmt und heute dafür gestimmt, daß man sich einmal überlegt, ob es nicht zweckmäßig ist, 100 Millionen DM in vier Jahren für die Ansiedlung von 3000 Bauernfamilien zu verwenden. Mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit möchte ich dieses sehr wichtige Thema jetzt aber nicht vertiefen.
Natürlich, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten, die Eingliederung ohne Aufschub und alle Maßnahmen, die hier angedeutet wurden, sind unerhört wichtig und notwendig. Aber im Zusammenhang mit dem Einzelplan 26 möchte ich in diesem Hause ausnahmsweise nicht das übliche Vertriebenenproblem diskutieren, wie es meist im Blickfeld der Deutschen liegt. Das Vertriebenenproblem wird etwas vereinfacht, man sieht nur das Organisatorische. Ohne Zweifel gehört die Eingliederung, die wirtschaftliche Befriedigung, die Frage der Arbeitsstätten und der Wohnungen usw. zum Problem Nummer eins. Aber man sollte auch der kulturellen Frage Beachtung schenken. Daher begrüße ich es, daß der Einzelplan 26 in zwei Titeln die Förderung der kulturellen Bedürfnisse der Vertriebenen mit einer Summe von 750 000 DM vorsieht. Diese Summe erscheint sehr groß, ist aber, gemessen an der großen Aufgabe, gering. Wir sollten uns auch einmal ein bißchen mit der Frage beschäftigen, ob es nicht möglich ist, die schwachen Kulturfundamente der Vertriebenen zu stärken. Man wird mir sagen: Es gibt keine ostdeutsche Kulturbewegung, keine ostdeutschen Kulturwerte; wir sehen es im ganzen deutschen oder abendländischen Rahmen, - alles richtig! Ich weiß auch, über das Wort Kultur werden wir uns heute gar nicht unterhalten, weil wir uns darüber gar nicht einigen könnten; es ist ein schillerndes Wort und führt zu immer neuen Mißverständnissen.
Aber gerade zu den Heimatvertriebenen und auch zur Kenntnis unserer übrigen Landsleute möchte ich sagen: Kultur ist eben nicht allein eine Sammlung von, was weiß ich, künstlerischen Werken oder sachlichen Stoffen; meiner Auffassung nach und gerade auch von den Vertriebenen sollte Kultur aufgefaßt werden als geistige und schöpferische Kraft, und Kulturbestrebungen der Vertriebenen sollten mit den großen anerkannten moralischen, sittlichen und ethischen Werten in Einklang stehen.
Unlängst hat in Aachen eine Kopernikus-Feier stattgefunden. Sie war sehr interessant und, ich glaube, auch sehr würdevoll. Auf dieser Koper({19})
nikus-Feier hat ein Mitglied der Regierung, der Herr Staatssekretär Thedieck, gesprochen. Er hat dort einen Gedanken entwickelt, den man zum Allgemeingut aller Vertriebenen machen sollte. Der Herr Staatssekretär hat nämlich die Warnung vor der Möglichkeit der Selbstüberschätzung ausgesprochen - wörtlich hat er gesagt: „vor der Mentalität der kulturellen Überlegenheit den slawischen Völkern gegenüber" -, weil das wieder als ein neuer geistiger und dann natürlich auch sachlicher Imperialismus aufgefaßt werden könnte. Das, was der Herr Staatssekretär dort gesagt hat, ist vollkommen richtig. Seine Rede sollte man jedem Vertriebenen zu lesen geben. Denn gerade für uns Vertriebene aus dem Osten bedeutet Nachbarschaft zu den slawischen Völkern eine Verpflichtung. Diese Verpflichtung, Rache und Vergeltung abzuschwören und zu einer positiven Einstellung zu kommen, ist schon 1950 in Cannstatt in der Charta der Vertriebenen ausgesprochen worden.
Ich glaube daher, man kann aus dem Schicksal und aus der Zertrümmerung und Zerstörung doch positive Werte herausschälen. Ich möchte nur zwei Beispiele nennen, die zeigen sollen, wie Heimattreue und Heimatbewußtsein mit der Arbeitskollegialität und, sagen wir, mit dem schöpferischen Willen, Kulturwerte zu schaffen, in einer einheitlichen Synthese zusammenfällt. Ich meine die Bamberger Symphoniker.
({20})
Die Bamberger Symphoniker sind vertriebene Deutsche aus dem Sudetenland und bildeten früher das Prager Symphonie-Orchester. Sie haben unter den erbärmlichsten Lebensbedingungen angefangen, diesen wundervollen Klangkörper wiederaufzubauen.
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Sie arbeiten heute noch unter schwierigeren Verhältnissen als ein normaler Klangkörper in Deutschland. Ich kenne genau die Einkommensstufen des Oboisten in Bamberg und des in München. Aber sie sind beisammengeblieben.
Ich will damit sagen: manchmal macht man sich über die Heimatpflege und über das Heimatbewußtsein lustig, und wenn man Trachten aus dem Osten sieht, dann lächelt man. Das sind keine Faschingsscherze von uns. Wir sind der Überzeugung, daß aus der Tiefe der Heimat echte Kräfte, wenn Sie so wollen, abendländische Kräfte gewachsen sind. Die geistigen Quellen der Heimatvertriebenen sind nicht allein aus dem Ökonomischen abzuleiten, sondern aus der Erlebnisgemeinschaft und aus der Tatsache der Vertreibung und des Verlustes der Heimat.
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Es kommt darauf an, daß wir diese Kräfte in positive Kanäle leiten. Wenn ich meinen Landsmann Josef Mühlberger nehme und seinen „Galgen im Weinberg" lese, dann sehe ich, daß trotz dieser furchtbaren Geschehnisse ein Geist der Toleranz und der wahren Humanität erwächst. Ich glaube, das ist förderungswürdig. Daher sind die 750 000 DM berechtigt.
Gleichzeitig möchte ich sagen: Die Vertriebenen dürfen nicht nur fordern, noch eine Million mehr und noch eine Million mehr. Die Vertriebenenverbände selber und insbesondere die Landsmannschaften, denen eine große Aufgabe zufällt, müssen selber fördern, nicht nur fordern.
({23})
Das ist eine Aufgabe, die auch im Zusammenhang mit der Heimat zu sehen ist. Für mich liegt die Heimat nicht nur zurück, für mich liegt die Heimat mehr in der Zukunft. Daher begrüße ich es, daß man den seelischen, psychologischen, kulturellen Problemen Aufmerksamkeit zuwendet.
Die Kulturarbeit sollte erstens Lehre und Forschung, zweitens Kunst und drittens Heimat- und Volkstumspflege umfassen. Wir sollten bei den Dingen, die aus dem gleichen Raum, aus dem gleichen Boden und aus dem gleichen früheren Klima kommen, ordnen und werten. Wir sollten auch, Herr Minister, die Arbeit der vielen Verbände ordnen und werten, nicht nach Zahl und Geschäftigkeit usw., sondern nach den Aufgaben und dem sachlichen Inhalt. Daher wundere ich mich manchmal - ich kenne mich da vielleicht nicht genau aus -, daß es einen Ostdeutschen Kulturrat und ein Kulturwerk vertriebener Deutscher gibt. Warum kann man das nicht koordinieren, warum kann man das nicht vereinfachen? Ich bin gegen jede Regelung und Reglementierung. Kultur kann man nicht anordnen. Ich wäre sehr dagegen, wenn der Herr Minister oder das Ministerium sich jetzt unterfangen wollten, Kultur anzuordnen. Das wäre natürlich Wahnsinn. Aber man kann schon ein bißchen mit ordnender Hand seine Meinung sagen. Ich glaube, auf diesem Gebiet ist manches zu machen. Es gibt manchmal, verehrte Kollegen aus dem Kreis der Heimatvertriebenen, eine Geschäftigkeit unter uns, die gar nicht gut tut. Eine Musikkapelle, die vor Heimatvertriebenen vorbeimarschiert, muß noch keine kulturelle Arbeit leisten. Das muß man doch auch sehen. Aber alles in allem glaube ich, daß man diese Dinge weiter fördern muß.
Der Unterstützung der Verbände stehen meine Freunde positiv gegenüber, soweit die Verbände eine überparteiliche Haltung einnehmen, sich ihren echten Aufgaben zuwenden und sich nicht Aufgaben zulegen, die ihnen gar nicht zustehen.
Ich möchte schließen. Ich weiß, mancher ist schon ungeduldig, und andere wollen auch noch reden. Mein lieber Freund Bucerius, ich habe noch ein paar Seiten. Seien Sie froh, daß die Zeit so weit fortgeschritten ist. Man soll hier den Menschen sehen, auch den vertriebenen Menschen als Menschen und nicht als Ostdeutschen, Sudetenländer oder Batschka-Deutschen, als Menschen, der das Maß der Dinge ist. Wir sollten diesen Menschen beistehen, wo immer wir können, auch in den Bereichen der Kulturpflege und der Anteilnahme an den Kulturwerken. Denn wenn wir diesen Menschen kulturell so beistehen, wie wir es uns vorstellen, dann machen wir ihn lebenstüchtiger, und wenn er lebenstüchtiger wird, dann kann er seine Aufgabe erfüllen, der ganzen deutschen und abendländischen Gemeinschaft und auch seiner sozialen Gemeinschaft zu dienen. Ich glaube, das ist eine Aufgabe, die wert ist, daß man sie anpackt.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wenn ich im Auftrage meiner Fraktion im Rahmen der Haushaltsdebatte zu dem Problem der Sowjetzonenflüchtlinge einige Ausführungen mache, so bin ich mir durchaus bewußt,
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wie schwierig und wie kompliziert dieser Fragenkomplex ist. Es muß aber anerkannt werden, daß das Problem zwar nicht der Größenordnung nach, aber wohl in seiner Bedeutung dem Vertriebenenproblem gleichzustellen ist und daß es neben der menschlichen und sozialen Seite größte politische Wichtigkeit hat.
Die besonderen Schwierigkeiten gegenüber dem Problem der Heimatvertriebenen liegen darin, daß die Flucht aus der Sowjetzone sich ohne zeitlich erkennbares Ende vollzieht, während die Vertreibung und die Flucht der Heimatvertriebenen eine zeitlich begrenzte Aktion war. Das erschwert selbstverständlich alle Überlegungen und alle Maßnahmen, die zur Einfügung der Sowjetzonenflüchtlinge in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in der Bundesrepublik getroffen werden. Wir haben uns aber zu fragen, ob wirklich alles getan wurde, der Lage der Sowjetzonenflüchtlinge immer gerecht zu werden.
Zur Klarstellung unserer Haltung zu diesem Problem möchte ich vorweg sagen, daß auch wir eine Entvölkerung der Zone nicht wünschen und auch nicht gutheißen würden, daß auch wir fragen, ob das Verlassen der Zone und damit des Heimat- und Wohnortes auf jeden Fall eine zwingende Notwendigkeit war. Bei der Beurteilung der Fluchtgründe darf aber von uns niemals vergessen werden, daß bereits jeder, der mit dem Ziel des Systems drüben nicht einverstanden ist, allein schon durch diese Tatsache in eine bedenkliche Lage gerät und daß es bei den Flüchtlingen um die Folgen und Opfer außerhalb unseres Einflusses liegender politischer Entwicklungen geht.
Hinzu kommt auch noch, daß es, von uns aus gesehen, und zwar vom sicheren Hafen des Rechtsstaates her, sehr schwer ist, den Unterschied zwischen berechtigter und unberechtigter Flucht eindeutig zu klären.
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Alle diejenigen, die sich mit diesen Fragen beschäftigt haben, wissen, welches Maß an Verbitterung sich bei vielen Flüchtlingen angesammelt hat, weil sie bei der Beurteilung der Fluchtgründe im Notaufnahmeverfahren das erwartete Verständnis für ihre Lage in vielen Fällen nicht spüren konnten.
Wir müssen zugeben, daß die Merkmale, nach denen der Tatbestand einer Flucht überprüft wird, im Einzelfall immer problematisch sein werden, weil das Schwergewicht auf der Ermessensbeurteilung liegt. Gewiß, es geht über menschliches Vermögen, der großen Zahl der Flüchtlinge in allen Punkten gerecht zu werden. Wir dürfen aber niemals vergessen, daß sie als Opfer des Regimes Anspruch auf unsere Hilfe haben,
({2})
daß sie Flüchtlinge sind im eigenen Lande und daß wir alle zum gleichen Deutschland gehören.
({3})
Das Bundesvertriebenengesetz, auf das die Sowjetzonenflüchtlinge so große Hoffnungen setzten, hat in vielen Teilen enttäuscht, wenn auch anerkannt werden muß - darum haben wir uns in diesem Hause ja alle bemüht -, daß im Hinblick auf die besondere Zwangslage nunmehr auch der Begriff „Sowjetzonenflüchtling" ausgeweitet wurde.
({4})
Das Anwachsen der Flüchtlingszahlen im vergangenen Jahr und die dadurch zunehmende Schwere der ganzen Frage hat zu den größten Schwierigkeiten bei der Unterbringung der Flüchtlinge geführt. Schon seit längerer Zeit konnte nur noch mit größter Sorge beobachtet werden, daß die Sowjetzonenflüchtlinge in den als Durchgangs- und Verteilungsstationen vorgesehenen Lagern oft monatelang, in manchen Fällen sogar ein Jahr lang haben zubringen und auf ihre Verteilung in die Länder und in die Gemeinden warten müssen, insbesondere deshalb, meine Herren und Damen, weil die Bundesregierung die versprochenen finanziellen Voraussetzungen der wohnraummäßigen Versorgung nicht geschaffen hat. Erschwerend kommt hinzu, daß diese Durchgangslager, weil sie eben nur dazu vorgesehen waren, die Flüchtlinge kurze Zeit aufzunehmen, in sehr vielen Fällen als völlig unzureichend sowohl in baulicher als auch in hygienischer Beziehung bezeichnet werden müssen und daß leider - das haben wir des öfteren feststellen müssen - sehr oft die Lagerleitung es an dem notwendigen Verständnis für die Sowjetzonenflüchtlinge hat fehlen lassen.
Sie werden mir zugeben müssen, meine Damen und Herren, daß es kaum möglich ist, Menschen von der Demokratie zu überzeugen, wenn man sie monatelang in einem früheren Konzentrationslager, weitab von jeder Verkehrsmöglichkeit, wo sich auf den Mauern noch die Stacheldrähte und die Isolatoren aus der früheren Zweckbestimmung des Lagers her befinden,
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unterbringt und auf ihre Eingliederung monatelang warten läßt.
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Da ist es nur zu natürlich, daß sich aus der Unsicherheit ihrer Existenz und aus dem monatelangen Wartenmüssen Spannungen ergeben, die manchem Flüchtling die Wertung des Menschen auch bei uns hier im Westen als sehr fraglich erscheinen läßt.
Ich finde es auch beschämend, dem Hohen Hause sagen zu müssen, daß in solchen Lagern der westdeutschen Bundesrepublik Kämpfer des 17. Juni monatelang auf ihre Eingliederung warten müssen,
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und ich gestatte mir die Frage, Herr Minister Oberländer: Was haben Sie getan, welche Anregung haben Sie an die Länder gegeben, um den Menschen, die für die Freiheit ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, hier bei uns im Westen eine Heimat in Freiheit zu schaffen und zu sichern?
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Im Vordergrund aller Überlegungen muß der Wille stehen, den Lageraufenhalt so weit wie möglich und für so viele wie möglich zu verkürzen. Diese Überlegungen müssen aus der besonderen Aufgabe heraus - selbstverständlich ohne die Prioritätsrechte der Vertriebenen und Evakuierten zu verletzen - dahin gehen, daß das weitere Anwachsen der Flüchtlingslager samt ihren seelischen, moralischen und wirtschaftlichen Folgen möglichst verhindert wird.
Es würde sich unserer Meinung nach auch von seiten des Bundeshaushalts lohnen, hierbei vorausschauender zu handeln. Man denke an die ständig wachsenden Kosten für die Verwaltung der Lager, für die Errichtung neuer Lager, für die Verpflegung und Betreuung der Lagerinsassen und für die Zahlung von Arbeitslosenunterstützung.
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({10})
Es ist außerdem tief bedauerlich, daß sich erneut die größten Schwierigkeiten für die Unterbringung der Flüchtlinge ergeben haben, weil der Bund seinen Versprechungen im Hinblick auf die weitere Zurverfügungstellung von Wohnungsbaumitteln nicht nachgekommen ist,
({11})
und daß sich daraus sogar für das Land NordrheinWestfalen, das nach dem Verteilungsschlüssel auf Grund seiner wirtschaftlichen Kapazität die größte Zahl der Flüchtlinge aufnehmen muß, die Handhabe zur Ablehnung weiterer Flüchtlinge ergeben hat.
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Wir haben in dieser Situation, Herr Minister Oberländer, Ihre Aktivität vermißt.
({13})
Wir meinen, Sie hätten Ihr Verständnis für die Sowjetzonenflüchtlinge unter Beweis stellen können, wenn Sie sich mit der größten Energie für die Weiterzahlung der Wohnungsbaumittel eingesetzt hätten.
({14}) Wir haben - ich muß es sagen - in der Öffentlichkeit nichts davon gehört. Aber vielleicht können wir von Ihnen, Herr Minister Oberländer, erfahren, welche Anstrengungen Sie im Kabinett in dieser Frage unternommen haben. Jedenfalls scheint es uns unerläßlich zu sein, daß den Ländern diese Mittel sofort wieder zur Verfügung gestellt werden, damit sich auch für Berlin nicht noch einmal dieselben Schwierigkeiten ergeben, wie wir sie im vergangenen Jahr erlebt haben.
Wir beobachten auch mit größter Sorge die augenblicklichen Überlegungen, die im Hinblick auf die Betreuung der Sowjetzonenflüchtlinge von den Bundesministerien und den Ländern angestellt werden. Selbstverständlich sind auch wir der Meinung, daß solchen Flüchtlingen, die einer politischen Gefährdung ausgesetzt waren, ein erhöhtes Maß an Fürsorge und sozialer Betreuung zugesichert werden muß. Aber wir können aus dieser Bejahung einer verstärkten Fürsorge für einen Teil der Flüchtlinge nicht schlußfolgern, daß man dem andern Teil nur eine unzulängliche oder überhaupt gar keine Fürsorge zuteil werden läßt, ja daß man unter Umständen die soziale Belastung auf die Gemeinden abzuschieben versucht. Wir haben noch in schlechter Erinnerung, daß Herr Bundesfinanzminister Schäffer im ersten Bundestag schon einmal den Versuch unternehmen wollte, die Beteiligung des Bundes an dieser Kriegsfolgelast von 85 % auf 50 % zu beschränken.
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Eine weitere Beunruhigung in den Kreisen der Sowjetzonenflüchtlinge liegt an der verzögerten Ausstellung des Flüchtlingsausweises C, der für die Inanspruchnahme des Härtefonds unerläßlich und damit für eine Existenzeingliederung notwendigste Voraussetzung ist.
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Wir wissen zwar, daß die Länder in erster Linie für die Ausstellung der Ausweise zuständig sind. Wir wissen auch, daß es sehr schwer ist, Einfluß auf die Praxis der Länder zu nehmen. Trotzdem aber sind wir der Meinung, daß Sie, Herr Minister Oberländer, sich im Interesse der Sowjetzonenflüchtlinge früher und stärker für ein beschleunigtes Verfahren hätten einsetzen sollen.
Noch eine andere Frage bedarf unserer Ansicht nach einer neuen Regelung. Die mit dem Flüchtlingsausweis C ausgestatteten, also politisch anerkannten Flüchtlinge bedürfen bei der Inanspruchnahme des Härtefonds aus dem Lastenausgleich der Prüfung der Hilfsbedürftigkeit. Auch hier handelt es sich erneut um Ermessensfragen. Wir sind der Meinung, daß Ermessensfragen so weit wie möglich eingeschränkt werden sollen, um das Schicksal eines einzelnen nicht vom bürokratischen Ermessen, das - wir wissen es alle - oft engherzig gehandhabt wird, abhängig zu machen. Viele Flüchtlinge haben die Erfahrung gemacht, daß die Behörden sehr gern bereit sind, die Bestimmungen bei Ermessensfragen zuungunsten der Flüchtlinge auszulegen, um fiskalischen Interessen den Vorrang zu geben. Das ist eine sehr schlechte Praxis, wenn es sich um anerkannte politische Flüchtlinge handelt. Das zuständige Ministerium sollte sich daher einmal überlegen, welche Möglichkeiten für eine bessere Lösung dieses Problems vorgeschlagen werden könnten, um den Belangen der Flüchtlinge gerecht zu werden.
Wir haben bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes schon einmal eine Entschließung eingebracht, die vom Hohen Hause einstimmig angenommen wurde und die an die Bundesregierung die Forderung richtete, einen Gesetzentwurf vorzulegen, nach dem den politischen Flüchtlingen aus der Sowjetzone Leistungen zu gewähren sind, die unter Berücksichtigung der besonderen Lage dieser Flüchtlinge den Leistungen des Lastenausgleichsgesetzes entsprechen sollen. Diesem Ersuchen ist die Bundesregierung niemals nachgekommen. Aus diesem Grunde erwarten wir nun von Ihnen, Herr Minister Oberländer, Vorschläge, die dem Verlangen nach einer besseren Regelung Rechnung tragen. Dabei möchte ich noch einmal betonen, daß wir selbstverständlich alles vermeiden müssen, um etwa Fronten hie Sowjetzonenflüchtlinge, hie Vertriebene, hie Einheimische aufzureißen. Das würde der Sache nicht dienen. Aber wir sollten nicht vergessen, daß wir alle zusammen Deutsche sind, die gegenseitiger Hilfe und Solidarität bedürfen. Auch wir, meine Herren und Damen, sind der Meinung, daß wir nur schwer in der Lage sind, dieses Problem allein zu lösen, und daß wir auch die Hilfe des Auslands erwarten könnten, da es sich nicht nur um ein deutsches Problem, sondern um ein allgemein politisches, weit über die Grenzen Deutschlands hinausgehendes Problem handelt. Aber ehe wir an die Hilfe des Auslands appellieren, muß von uns alles, was wir aus eigener Kraft tun können, getan sein.
Zum Schluß lassen Sie mich noch folgendes sagen. Wir sollen und dürfen in der Beurteilung dieses Problems uns niemals davon leiten lassen, daß die Menschen, die zu uns herüberkommen, als ein sozialer Ballast betrachtet werden. Wir müssen immer daran denken, daß sie Deutsche sind, die nach 1945, als wir uns hier schon wieder einrichten konnten, noch einer zusätzlichen starken politischen Belastung ausgesetzt waren, und daß sie deshalb unserer Hilfe und unserer Solidarität bedürfen. Deshalb müssen alle Maßnahmen, die zur Lösung dieses Problems ergriffen werden, von diesem Gesichtspunkt her getroffen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen meiner beiden Vorredner will ich nicht grundsätzlich Stellung nehmen, denn ich glaube, der Herr Minister, der hier angesprochen wurde, wird zu den einzelnen Punkten selber etwas zu sagen haben. Nur eine Antwort möchte ich dem Kollegen Reitzner geben: Selbstverständlich wurde in der CDU-Fraktion über Personalangelegenheiten im Vertriebenenministerium gesprochen, die uns Sorge bereiten. Aber ich glaube, das wird auch in den anderen Fraktionen so sein. Das ist ja nur eine Handhabung nach demokratischen Spielregeln.
Nun einige Worte zum Einzelplan 26! Der Herr Berichterstatter hat in seinen Ausführungen das zahlenmäßige Bild des Haushaltsplans 26 eingehend erörtert. Aber in der Zeit zwischen der Aufstellung des Haushaltsplans für das Rechnungsjahr 1954, der ersten Beratung, den abschließenden Ausschußberatungen und nun den Beratungen in zweiter und dritter Lesung hat sich durch die Ausweitung des Bundesvertriebenenministeriums eine wesentliche Änderung ergeben, die bedauerlicherweise haushaltsmäßig im vorliegenden Einzelplan 26 nicht zum Ausdruck kommt.
Im wesentlichen gliedert sich der Haushaltsplan 26 in zwei Aufgabengebiete: 1. in die Betreuung der Vertriebenen mit den entstehenden Personal- und Sachkosten und den Sonderaufgaben und 2. in die Aufgaben, die sich aus dem Aufnahmeverfahren für unsere Schicksalgenossen aus der Sowjetzone, die dem dortigen politischen Druck weichen müssen, ergeben. Beim Vergleich der einzelnen Ansätze im Haushaltsplan finden wir eine Reihe von Etatposten, die in diesem Jahr wesentliche und beachtliche Erhöhungen ausweisen, was wir gern anerkennen.
Wir können aber nicht umhin, zu einigen Positionen doch unsere Anliegen und unsere Sorgen vorzutragen. Wir begrüßen es z. B., daß die Ansätze in Kap. 2601 Tit. 301 erstens zur Betreuung von Organisationen und Verbänden, die der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge dienen, sowie zweitens zur Erhaltung und Auswertung des kulturellen Heimaterbes der Heimatvertriebenen und zur Förderung der kulturellen Bestrebungen der Flüchtlinge erhöht wurden. Diese Erhöhung kommt erst richtig zum Ausdruck, wenn man sich einmal die Zahlengrößen für diese beiden Zwecke aus den vergangenen Jahren ansieht. Im Jahre 1951 betrugen die Leistungen im Rahmen dieser beiden Titel 600 000 DM. 1952 sind diese Leistungen auf 750 000 DM gestiegen, im Haushaltsplan 1953 waren 900 000 DM vorgesehen, und für das Jahr 1954 weist der Haushaltsplan 1 Million DM an Mitteln aus. Von dieser 1 Million DM sind 250 000 DM für die Betreuung von Organisationen und Verbänden und 750 000 DM für die Erhaltung des kulturellen Heimatgutes vorgesehen. Die Steigerung innerhalb dieser vier Jahre für diese beiden Positionen ist beachtlich. Aber ich glaube, wir können in Anbetracht der Wichtigkeit der Erhaltung des kulturellen Heimatgutes doch noch nicht sagen, daß die bereitgestellten Beträge ausreichend sind.
Sie haben aus den Ausführungen des Kollegen Reitzner unsere kulturellen Anliegen, die für die Heimatvertriebenen in der Gesamtheit die gleichen sind, gehört und sicher auch zur Kenntnis genommen. Ich will zu diesem Punkt keine allzu langen Ausführungen machen; denn wir stehen ja unter Zeitdruck. Nur auf eines möchte
ich hinweisen: wie groß eigentlich das aus dem Osten herübergekommene Kulturgut ist. Ich weise auf die Bamberger Symphoniker, die Sudetendeutschen Symphoniker hin, die vorige Woche aus den USA zurückgekommen sind und die unerhörte Erfolge in Mexiko, in New York, in Washington, auf Kuba usw. erzielt haben. Die Förderung dieser Menschen, die hier in den bescheidensten Verhältnissen leben, ist eine Kulturaufgabe, die wir dem deutschen Osten schuldig sind.
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Unser echtes Ansuchen an den Herrn Bundesminister ist, daß aus diesen beiden Positionen, also aus den zur Förderung den Organisationen und Verbänden, die der Eingliederung dienen, bereitgestellten Mitteln sowie aus den Mitteln, die der Erhaltung des kulturellen Heimatgutes dienen sollen, auch alle Vertriebenenorganisationen bedacht werden, die sich ernsthaft mit diesen Aufgaben beschäftigen. Denn alle diese Organisationen haben auch Verbandsverpflichtungen zu erfüllen. Sie haben daher nach meiner Auffassung auch aus der ersten Position einen bestimmten Betrag zu erhalten.
Erfreulich ist weiter die Bereitstellung von 3 555 000 DM im Einzelplan 26 und, einem Nachtragsbeschluß entsprechend, von weiteren 950 000 DM in Tit. 305 für die Erfüllung von Suchdienstaufgaben und für die dokumentarische Erfassung der deutschen Kriegsgefangenen, der Wehrmachtvermißten, der Zivilverschleppten, der Zivilgefangenen und der vermißten Heimatvertriebenen. Bei Gelegenheit der Besprechung dieser Position ersuchen wir den Herrn Bundesminister, er möge den immer mehr und immer wieder auftauchenden Bestrebungen, die eine Verlagerung der Aufgaben dieser karitativen Suchdienste anstreben, widerstehen. Es gibt nämlich - um es ganz klar auszusprechen - eine ganze Reihe von Verbänden, die heute, nachdem dieser Suchdienst von diesen Stellen in jahrelanger, mühseliger Arbeit aufgebaut worden ist, das gesamte Material, die gesamte Suchkartei für sich beanspruchen, um selbst die Arbeit weiterzuführen. Ein Nachgeben auf diesem Gebiet wäre ein unverzeihliches Unrecht; denn diese Suchdienste nahmen ihre mühselige Arbeit auf, als noch keine staatlichen Stellen vorhanden waren, als noch keine Verbände sich um diese mühevolle Arbeit bemühten, als auch noch nichts aus öffentlichen Mitteln gegeben wurde und keine Zuschüsse zur Durchführung dieser mühsamen und schwierigen Arbeit zu erhalten waren. Die Menschen, die sich bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1945 aus reinem Idealismus und aus wahrer Nächstenliebe für diesen Dienst zur Verfügung gestellt haben, wurden zu echten Vermittlern und sind es bis heute geblieben, da sie Hunderttausende von Familien zusammenführten und Hunderttausenden ihre Hand reichten, um ihnen zu helfen, ihre Bekannten und Verwandten zu finden. Leider Gottes sind die Aufgaben, die diese Suchdienststellen zu erfüllen haben, noch lange nicht restlos gelöst.
Nun ein ernstes Wort zu dem zweiten Aufgabengebiet, das im Einzelplan 26 angesprochen wird. Ich meine die Notaufnahmelager, das Aufnahmeverfahren und die Arbeitsbedingungen des Personals in den Notaufnahmelagern und im Notaufnahmeverfahren. Laut Einzelplan 26 des Haushaltsplans sind 515 Angestellte und 7 Arbeiter in diesen Aufnahmelägern im Aufnahmeverfahren beschäftigt. Infolge des verstärkten Zustroms von
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Flüchtlingen mußten die Stellen wesentlich vermehrt werden.
Bedauerlicherweise ist im Haushaltsplan keine Aufschlüsselung des Personalstandes auf die einzelnen Läger enthalten. Diese Aufschlüsselung wäre auch für uns sehr wünschenswert, die wir ja Woche für Woche mit einzelnen dieser Läger, ihren Aufgaben und ihren Anliegen in Berührung kommen.
Alle im Aufnahmeverfahren Beschäftigten stehen im Angestelltenverhältnis. Ein großer Teil dieser Angestellten ist nur auf Zeit ohne besondere Kündigungsfrist oder mit nur ganz kurzer Laufzeit eingestellt. Jedem Kenner der Verhältnisse ist ohne weiteres klar, daß der Arbeitsanfall im Aufnahmeverfahren Schwankungen unterworfen ist, die im engsten Zusammenhang mit dem jeweiligen politischen Kurs in der Sowjetzone stehen. Der Ausgang der Berliner Konferenz wird aber bedauerlicherweise den Fortbestand des Aufnahmeverfahrens und das Weiterbestehen dieser Dienststellen auf unabsehbare Zeit notwendig machen.
Wir erachten es daher als dringendst geboten, daß diesen auf Zeitarbeitsvertrag Angestellten auch Kündigungsfristen zugestanden werden, damit die bestehende Unsicherheit behoben wird, die auch auf die Arbeitsmoral nicht ohne Einfluß bleibt. Beim heutigen Zustand ist es bedauerlicherweise vielfach so, daß die Betroffenen am 28. oder 29. eines ablaufenden Monats nicht wissen, ob sie am 1. des kommenden Monats weiterbeschäftigt werden. Es ist auf die Dauer gesehen ein untragbarer Zustand, daß Dienststellen der öffentlichen Hand eine solche unsoziale Haltung einnehmen.
Und noch ein letztes Anliegen. Herr Bundesminister, Sie haben in den letzten Wochen sehr oft, sehr eindringlich und sehr klar in der Öffentlichkeit Ihre Pläne entwickelt, und Sie haben gewiß bei sehr vielen Schicksalsgenossen starke Hoffnungen erweckt. Wir werden Sie bei Ihren Bemühungen um die Eingliederung und um die soziale Befriedung bestimmt unterstützen. Wir nehmen mit Genugtuung zur Kenntnis, daß diese Pläne, die Sie entwickelt haben, aufgestellt werden können. Daß die Aufstellung dieser Pläne möglich ist, beweist, daß in der ersten Legislaturperiode dieses Bundestages die gesetzlichen Maßnahmen geschaffen wurden, die die Grundlage und die Voraussetzung für diese Planungen sind.
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Die gesetzgeberische Arbeit, die auf diesem Gebiet geleistet wurde, war doch nicht so schlecht, wie man sie oft in der Öffentlichkeit hingestellt hat.
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Wäre bei dieser Arbeit und bei diesen gesetzgeberischen Maßnahmen nur Unkraut gesät worden, dann wäre heute kein Mensch in der Lage, aus dieser Saat irgendwelche Früchte zu ernten. Wir kommen vorwärts auf dem Gebiet der gewerblichen, der industriellen und der landwirtschaftlichen Eingliederung, auf dem der Arbeitsplatz- und Wohnraumbeschaffung. Die Mittel aus dem Lastenausgleich fließen in verstärktem Maße. Die Außenpolitik, soweit sie auch unsere alte Heimat betrifft, wollen wir aber vertrauensvoll unserem Außenminister und Bundeskanzler überlassen.
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Es ist sicher im Rahmen des gesamten Vertriebenenproblems, des Problems unserer Sowjetzonenflüchtlinge und auch der Kriegssachgeschädigten noch sehr vieles zu ordnen, noch sehr vieles in der Gesetzgebung zu verbessern. Auch da wollen wir unsere Mitarbeit nicht versagen. Doch eines bedrückt uns, wenn wir die Entwicklung in der letzten Zeit verfolgen. Wir befürchten, Herr Minister, daß zu große Änderungen in der Referatsverteilung Ihres Hauses der gemeinsamen, von uns angestrebten Sache nicht dienen.
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Es erfüllt uns mit Besorgnis, wenn hierbei Beamte, die sich bisher auf einzelnen Sachgebieten bewährt haben, die wir bei der Erarbeitung und Beratung der einzelnen grundlegenden Gesetze auf dem Vertriebenensektor in der ersten Legislaturperiode als Fachleute schätzen gelernt haben, heute von ihren Fachreferaten abgelöst werden.
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Der Herr Bundeskanzler hat vorgestern hier gesagt, man solle während des Rennens nicht die Pferde wechseln. Ich glaube, daß man auch bei der Durchführung der Eingliederung der Heimatvertriebenen und bei der nunmehr intensiver anlaufenden Arbeit bewährte Fachkräfte nicht beiseite stellen sollte,
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sondern, daß man die Arbeit dieser Fachkräfte weiter ausnützen müßte.
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Zum Schluß der Wunsch meiner Freunde, der auch der meine ist
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und der der Fraktion ist: Herr Minister, wir wünschen sehnlichst, daß der menschliche Kontakt und das gute persönliche Verhältnis, die zwischen Ihrem Vorgänger im Vertriebenenministerium, den Vertriebenenabgeordneten und der Gefolgschaft Ihres Hauses
({10}) bestariden haben, erhalten bleiben. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.
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Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß nach 9 Stunden die Aufnahmefähigkeit gelegentlich zu leiden beginnt Wenn ein Abgeordneter den Wunsch haben sollte, seine Rede, um sie der Geschichte zu erhalten, nicht zu halten, sondern zu Protokoll zu geben, bin ich bereit, sie anzunehmen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs. - Das wird natürlich ohne jede Nötigung für die nachfolgenden Redner gesagt.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kommt mir nicht darauf an, daß meine Worte der Geschichte erhalten werden, sondern daß sie heute an dieses Haus gelangen.
Der Einzelplan 26 ist nicht nur wegen seiner Größenordnung im Hinblick auf die Haushaltspläne der eigentlichen Fachressorts bemerkenswert. In dieser Hinsicht könnte sich, wer Zitate liebt, an das Gedicht Goethes über seinen Großherzog erinnert fühlen - man braucht ja die Assoziation nicht gleich auf den Herrn Vertriebenenminister persön({0})
lich auszudehnen -: „Klein ist unter den Fürsten Germaniens freilich der meine".
Das entscheidende Charakteristikum dieses Einzelplans ist die Diskrepanz zwischen den Vorstellungen der Bevölkerung, der betroffenen Personengruppen von dem hinter diesem Plan stehenden Ministerium und seiner sachlichen und materiellen Reichweite.
Seit dem 1. April darf sich das Ministerium laut Kabinettsbeschluß ,,Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte" nennen. Damit ist der Eindruck geschaffen, als ob eine Kompetenzerweiterung eingetreten sei. Die Presse und die Korrespondenzen haben diesen Ausdruck verwandt. Erweiterung welcher Kompetenzen? Der Kompetenz wozu?
An der mit geringen Ausnahmen auf inspirative Aufgaben beschränkten Natur dieses Ministeriums hat sich nach dem bisher Ersichtlichen nichts geändert. Aus dem vorliegenden Haushaltsplan ist jedenfalls nicht zu ersehen, daß über diese Struktur hinaus die mit soviel Aufwand betriebene und publizierte Kompetenzerweiterung eine echte, effektive Zuständigkeitserweiterung bedeutet, wenn man darunter auch die Möglichkeit zur Durchführung der damit verbundenen sachlichen Aufgaben versteht, d. h. die tatsächliche Verfügungsberechtigung über die zur Durchführung erforderlichen Ausgaben. Bis auf die Tit. 304 und 305 - Unterstützung der Kriegsgefangenen- und Suchdienstaufgaben - enthält nämlich der Einzelplan 26 nach wie vor keine Mittel zur materiellen Behandlung der nach der anspruchsvollen Überschrift dieses Ministeriums nun erweitert aufgerufenen Probleme.
Das gilt sowohl für die Problemgruppe der Vertriebenen als auch der Flüchtlinge und der Kriegsgeschädigten. Das gilt für die von meinem Fraktionsfreund Reitzner bereits gestreifte Frage der ländlichen Siedlung wie die von Frau Kollegin Korspeter bereits eingehend behandelte Frage des Wohnungsbaues für die Sowjetzonenflüchtlinge. Das gilt ebenso für die Frage der Umsiedlung und der Lagerräumung wie für die Rückführung der Evakuierten. Es gilt insbesondere für die Frage der Voraussetzungen zur Lösung dieser den deutschen Westen sachlich auf das schwerste bedrükkenden, aber auch moralisch belastenden Komplexe. Fast in allen diesen Fragen werden ebenso wie früher die Mittel in anderen Ministerien verwaltet.
Meine Damen und Herren, der persönlich ehrenwerte frühere Bundesvertriebenenminister ist durch diesen Tatbestand, der seinen guten Willen zum Gefangenen fremder Entscheidungen machte - ein symptomatischer Ausdruck der Regierungspolitik -, zu einer tragischen Figur geworden. Dieser Vorgang ist aber auch das Symbol für die Tragik, die sich bei diesen deutschen Schicksals- und Nachkriegsproblemen aus der Diskrepanz zwischen Vorstellung und Realität ergeben hat, der Vorstellungen nämlich, die durch die Hoffnungen erweckende Einrichtung und den Namen dieses Ministeriums bei den betroffenen Menschen hervorgerufen worden sind, und der Realität der Zuständigkeiten für die Mittel und ihre Verwendung. Das offizielle Schweigen, das sich hierüber bereitet, ändert an diesem Tatbestand nichts.
Wir wollen daher nicht, daß sich das traurige Spiel von Hoffnung und Enttäuschung wiederholt. Wir wollen nicht, daß die praktisch substanzlose
Änderung der Überschrift des Ministeriums und dieses Einzelplans geflissentlich dazu benutzt wird, den Eindruck zu erzeugen, als ob das schon eine Änderung der Regierungspolitik bedeutete. Wir wollen uns auch nicht mitschuldig machen an den erneuten falschen Vorstellungen, Herr Minister Oberländer, die aus der eifrigen Verkündung aller möglichen Zwei- oder Mehrjahrespläne entstehen müssen, wenn Sie nicht gleichzeitig verbindlich, namens und im Auftrage der für die Mittel zuständigen Ressortminister, beim Wohnungsbau des Herrn Wohnungsbauministers, bei der Arbeitsplatzbeschaffung des Herrn Arbeitsministers und insonderheit des Herrn Finanzministers, erklären können, daß und wie die finanzielle Durchführung effektiv garantiert ist.
Die schwer getroffenen Menschen, . die hinter allen diesen Problemen stehen, verdienen es nicht, daß durch das Publikationsfeuer bloßer Pläne, Verlautbarungen und Reden erneut Hoffnungen entzündet werden, die von Ihnen, Herr Minister, mit Ihrem eigenen Haushalt nicht erfüllt werden können und die eitel Papier sind, solange die finanziellen Mittel von den tatsächlich dafür Zuständigen nicht bewilligt sind und nicht bereitstehen.
Es geht hierbei um den Wahrheitsgehalt politischer Erklärungen. Auf ihm beruht die Demokratie. Gewisse Methoden der Spekulation auf die Vergeßlichkeit sind schon in Wahlzeiten schlecht. Ministerworte oder -reden sollten sich nicht dem Verdacht preisgeben, mehr scheinen zu wollen oder geben zu können, als der Realität entspricht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die Situation in wenigen Sätzen nur an zwei Dingen deutlich machen. Nach den Ankündigungen des Herrn Bundesvertriebenenministers soll noch in diesem Jahre der sogenannte zweite Abschnitt des dritten Umsiedlungsprogramms und damit die Umsiedlung weiterer 150 000 Vertriebener und Flüchtlinge und die Rückführung von 15 000 Evakuierten aus den Ländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern in die übrigen Bundesländer durchgeführt werden. Die Durchführung dieses Programmteiles erfordert aber nicht nur die Bereitstellung von 350 Millionen DM durch den Bund, sondern zugleich die Fertigstellung der mit diesen Mitteln zu bauenden und für die Unterbringung der Umsiedler benötigten rund 43 000 Wohnungen. Vom Zeitpunkt der Mittelbewilligung an gerechnet, werden mindestens sechs bis neun Monate für die Verplanung der Mittel, die Erteilung der Baubewilligungen und die Komplementierung der Mittel und mindestens weitere sechs bis neun Monate für die reine Bauzeit gebraucht werden. Das bedeutet, daß die besagten 350 Millionen DM spätestens im Herbst 1953 zur Verplanung durch die Länder hätten verfügbar sein müssen, wenn die Ankündigung des Herrn Bundesvertriebenenministers eine reale Grundlage hätte haben sollen.
Nichts von alledem! Nicht nur, daß die aus Wohnraumhilfemitteln 1954 und aus Bundeshaushaltsmitteln 1954 und 1955 für dieses Programm verfügbaren bzw. in Aussicht genommenen 150 Millionen DM den Aufnahmeländern bis heute noch nicht zugeteilt sind, ist über die Bereitstellung der restlichen 200 Millionen DM bis heute überhaupt noch nicht entschieden. Zumindest ist weder über die Auflegung der mit Beschluß des Bundestages schon vom 16. Mai 1952 in dieser Höhe verlangten Umsiedlungsanleihe noch über eine anderweitige Bereitstellung dieser Mittel etwas bekanntgeworden.
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Mit dieser Tatsache mag auch in Zusammenhang stehen, daß die für den zweiten Abschnitt des dritten Umsiedlungsprogramms erforderliche Verordnung bis heute noch nicht erlassen ist. Dabei scheint es weder die Bundesregierung noch den Herrn Bundesvertriebenenminister zu stören, daß § 31 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes die Bundesregierung zum Erlaß einer entsprechenden Umsiedlungsverordnung bis zum 30. September 1953 verpflichtete. Aber selbst dann, wenn die für die Durchführung dieses Programms erforderlichen rund 350 Millionen DM heute für die Länder verfügbar sein würden, würde bei dem angegebenen Zeitbedarf mit der vom Herrn Bundesvertriebenenminister laut Bulletin vom 6. März 1954 - wörtlich - „für dieses Jahr vorgesehenen Umsiedlung" der insgesamt 165 000 im Laufe dieses Jahres noch nicht einmal begonnen werden können.
Wie bei einer solchen Sachlage der Wahrheitsgehalt der im Zweijahresplan des Herrn Bundesvertriebenenministers enthaltenen Ankündigung einer Umsiedlung von weiteren 300 000 Vertriebenen und Flüchtlingen gesehen werden soll, ist bei den dazu insgesamt erforderlichen Mitteln in Höhe von rund 650 Millionen DM allein an nachrangigen Wohnungsbaumitteln schlechterdings unerfindlich.
Ähnliche Betrachtungen wären anzustellen für das Problem der Rückführung der Evakuierten und hier insbesondere der Rückführung innerhalb der Länder. Frau Kollegin Strobel hat bereits auf den Kern dieses Problems hingewiesen. Sie hat darauf aufmerksam gemacht, daß es sich hierbei, insbesondere soweit die Evakuierten nicht kriegssachgeschädigt sind, um Menschen handelt, die meistens alt, einsam und hilflos in den Dörfern sitzen. Diese hatten ihre Hoffnungen auf das Evakuiertengesetz gestützt, das ihnen theoretisch den Anspruch auf Rückführung gibt. Auch hier wird dadurch, daß das Bundesvertriebenenministerium anders firmiert, der Eindruck erweckt, als sei damit schon eine intensivere Verwirklichung des Gesetzes gewährleistet.
Wir haben heute von dem Herrn Wohnungsbauminister selber hören müssen, daß für eine zusätzliche Förderung des Wohnungsbaus für die Evakuierten nur 20 Millionen DM aus dem Lastenausgleich genommen werden können. Auch in diesem Fall wird also Hilfe in einem vertretbaren Zeitraum nur wirksam werden, wenn der Bann durch die anderen Minister gebrochen wird und wenn die Voraussetzungen bei den Ministerien geschaffen werden, die für die Mittel zuständig sind.
Herr Bundesvertriebenenminister, Sie werden uns immer bereit finden, jede vernünftige Initiative und jede tragbare Maßnahme zu unterstützen, die geeignet ist, das Los der hinter all diesen Problemen stehenden Menschen zu erleichtern und zu verbessern. Denn wir haben immer das Schicksal und das Anliegen dieser Menschen als unser eigenes angesehen. Aber Popularisierung oder, wie die Amerikaner sagen, public relation eines Ministers, bedeutet noch nicht eine Lösung des sachlichen Problems. Wenden Sie Ihre Kraft nach innen, Herr Minister! Popularisieren Sie die Probleme beim Herrn Finanzminister und im Kabinett! Lassen Sie Ihre Ergebnisse und Leistungen sprechen, nicht Worte!
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Das Wort hat der Abgeordnete Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eingangs der Debatte sind zu dem Thema, über das jetzt gesprochen wird, einige Zahlen genannt worden, oder wenn nicht, dann hat man die Entwicklung so dargestellt, als nähme der Flüchtlingsstrom aus der sowjetischen Zone dauernd zu. Das ist nun Gott sei Dank nicht der Fall. Dieses Tröstliche zu sagen, wollte ich Gelegenheit genommen haben. Es ist nur eine Verlagerung des Notaufnahmeverfahrens von den Ländern auf den Bund zu verzeichnen. Wenn Sie die Zahlen von 1949 bis heute vergleichen - ich will Sie mit diesen Zahlen nicht langweilen -, werden Sie finden, daß eine gewisse Konstante eingetreten ist, mit der Einschränkung, daß im vergangenen Jahr ein Auf zu verzeichnen war. Nach dem bisherigen Verlauf dieses Jahres kann man aber sagen, daß zu einer Katastrophenstimmung durchaus kein Anlaß vorliegt.
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- Ja, das sind die Zahlen, die sprechen; wir wissen natürlich alle nicht, was in späterer Zukunft noch geschehen wird!
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Ich möchte aber den Bestrebungen, die zu beobachten sind, entgegentreten, das Notaufnahmeverfahren vom Bund wieder weg und jetzt sogar hundertprozentig auf die Länder zu verlagern und dieses Verfahren mit dem Verfahren über die Ausstellung der C-Ausweise zu verbinden. Das würde der Einheitlichkeit beim Verfahren über die Bundesnotaufnahme nicht zuträglich sein.
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Es ist schon viel richtiger, wenn die Bundesnotaufnahme heute nur an drei Stellen, in Berlin, Uelzen und Gießen, durchgeführt wird. Wir sehen es ja auch an den Prozentzahlen über die Aufnahme der Flüchtlinge, daß sich das Verfahren inzwischen ziemlich einheitlich eingespielt hat.
Ich sagte, es ist eine Konstante in der Aufnahme der Flüchtlinge festzustellen. Deswegen ist das, was mein Kollege Kuntscher vorhin wegen der Angestellten gesagt hat, zu unterstreichen. Ich verstehe auch nicht, warum man einen Teil der Angestellten nur befristet - auf vier Wochen oder sechs Monate - einstellt und dann ganz stereotyp von Monat zu Monat die Beschäftigungsverhältnisse immer wieder verlängert. Das ist erstens ungesetzlich, darf also nicht geschehen. Ich möchte es nicht haben, daß das Ministerium etwa durch Gerichtsurteile belehrt werden muß, daß es etwas tut, was gegen die Gesetze verstößt. Zweitens ist es auch unsozial. Aber ich will auf die Dinge nicht näher eingehen. Ich nehme auch an, daß der Herr Minister über das Verfahren nicht unterrichtet gewesen ist und daß er für Abhilfe sorgen wird.
Neuerdings wird auch aus manchen Ländern Klage darüber geführt, beim Bundesnotaufnahmeverfahren würden zu viele Flüchtlinge positiv durchgeschleust. Nun, die Zahl, soweit ich sie im Kopf habe, liegt bei 80%; und die Zahl derjenigen, die dann einen C-Ausweis erhalten, beträgt etwa 25 %. Ich glaube, diese Zahlen entsprechen der Wirklichkeit und brauchen keinen Anlaß zu Besorgnis zu geben. Es ist allerdings zu beobachten, daß die Länder, die ich im Auge habe, Bedenken hinsichtlich des Prozentsatzes der aufgenommenen Flüchtlinge erst tragen, seitdem allgemein über den Gesetzentwurf betreffend das KriegsfolgelastenSchlußgesetz gesprochen wird. Man scheint eine starke Belastung für die Zukunft zu befürchten,
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wenn allzu viele Flüchtlinge aufgenommen werden. Meiner Meinung nach darf das kein Gesichtspunkt sein.
Ich möchte noch auf eine bedenkliche Erscheinung hinweisen, auf die ich aufmerksam gemacht worden bin. Man versucht, Flüchtlinge, die seinerzeit durch das Notaufnahmeverfahren der Länder nach der Bundesrepublik eingeschleust worden sind, nachträglich durch die Bundesnotaufnahmelager zu schleusen. Ich hoffe, daß das nicht etwa mit den Bestrebungen zusammenhängt, möglichst viel Kopfbeträge, 1500 DM je Kopf vom Bund für den Wohnungsbau zu erhalten. Ich möchte meinen, daß es sich um ein illegales Verfahren handeln würde, einem Personenkreis, der schon den Status eines Flüchtlings erhalten hat, nachträglich nochmals den „Segen" des Bundesnotaufnahmeverfahren zuteil werden zu lassen.
Zum Schluß - es sollte keine Rede sein, es sollten nur einige Anmerkungen sein - möchte ich eine Bitte an Sie richten. Fallen Sie nicht auf die gelegentlich oder auch öfters erscheinenden Mitteilungen oder Redensarten hinein, daß der Prozentsatz der kriminellen und asozialen Elemente, überhaupt der charakterschwachen Elemente bei den Sowjetzonenflüchtlingen ein übergroßes Ausmaß habe. Die Schichtung der Menschen, die aus der Sowjetzone kommen, ist gewiß nicht besser als die Schichtung der Menschen in der Bundesrepublik. Es mag aber sein, daß diese Personengruppe der Kritik mehr unterworfen ist als irgendwelche Gruppen in der Bundesrepublik. Bisher ist noch nicht der Beweis geführt worden, daß der Prozentsatz der weniger erwünschten Elemente unter den Sowjetzonenflüchtlingen größer ist als bei anderen Personengruppen. Deswegen haben wir keinen Anlaß, einen Sowjetzonenflüchtling von vornherein sozusagen mit einem Brandmal zu versehen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Keller. - Er verzichtet. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Das Wort hat der Herr Bundesminister.
({0})
- Ich habe soeben dem Herrn Bundesminister das Wort gegeben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So sehr die Zeit drängt, fühle ich mich doch gezwungen, auf die verschiedene Kritik, die hier vorgebracht worden ist, zu antworten.
Zunächst freue ich mich, daß alle Redner die Bereitschaft ausgesprochen haben, bei der Lösung dieser schwierigen Aufgabe mitzuarbeiten. Wenn der Kollege Reitzner sagt, daß die Sorgen etwas geringer geworden seien, so möchte ich das bezweifeln. Heute ist vielleicht das bedauerlichste, daß war im allgemeinen der großen Täuschung unterliegen, es löse sich alles von selbst. Gewiß, es kann sich von selbst lösen. Die Frage ist nur, w i e es sich löst. Es löst sich nämlich nicht in unserem Sinne, nicht im Sinne der Regierungserklärung, wenn wir uns nicht erheblich bemühen, dieses Problem von uns aus zu lösen. Wenn man eine Gefahr nicht sieht, kann man sie nicht bekämpfen. Wir wissen genau, daß der Osten durch die Vertreibung das soziale Gefüge der Bundesrepublik zerstören wollte. Es wird nicht leicht sein, diese Zerstörung heute hintanzuhalten. Man kann in sechs Jahren eine Wirtschaft aufbauen, aber nicht in sechs Jahren ein soziales Gefüge gesunden lassen. Dazu wird man vielmehr wahrscheinlich 30 bis 40 Jahre brauchen. Wenn ich heute behauptet habe, daß erst ein Drittel der Aufgaben gelöst ist, so begründe ich das damit, daß die Faktoren, die uns bisher die Eingliederung erleichtert haben, künftig wegfallen. Wir können heute die Kriegsverluste nicht noch einmal ersetzen. Wir können nicht noch einmal eine Kapazitätsausweitung um 20 % vornehmen, weil die Bevölkerung um 20 % gestiegen ist. Die aktivsten Kräfte haben sich selbst geholfen, und was heute übriggeblieben ist, das sind Menschen, mit denen es sehr viel schwerer sein wird, eine echte Eingliederung durchzuführen, d. h. die Aufwendungen werden sehr viel größer sein müssen, damit wir gleiche Erfolge wie bisher bekommen. Im übrigen hatten wir sechs Jahre Konjunktur, und wir wollen hoffen, daß diese Konjunkturjahre bleiben.
Sie wissen genau, daß heute die soziale Unruhe dadurch wächst, daß das Problem der Reihenfolge nicht zu lösen ist. Es ist doch klar, daß wir heute im allgemeinen den Sowjetzonenflüchtlingen in sechs bis acht Monaten Arbeit, Brot und Wohnung besorgen, während die Masse der Alt-Heimatvertriebenen, die in den Lagern sitzt, und die Masse der Evakuierten heute sagt: „Wir haben acht Jahre gewartet! Warum müssen wir nochmal Jahre warten? Warum kommen wir nicht auch nach sechs bis acht Monaten dran?" Das führt heute zu der großen Verbitterung, die wir alle erleben. Wir sind in einem Wettlauf mit der Zeit, und wir werden uns bemühen müssen, diesen Wettlauf zu gewinnen; denn der Wille zur Selbsthilfe nimmt natürlich ab.
Nun wirft mir Kollege Reitzner vor, ich hätte gesagt, in zwei Jahren müßten 40 000 Bauern angesiedelt werden.
({0})
-- Sie haben gesagt, es habe in der Zeitung gestanden. Nun gut, ich habe es ja auch gesagt! Ich bestreite gar nicht, daß ich das gesagt habe. Und warum? Es ist doch kein Zweifel, daß es heute unter den Vertriebenen den Bauern am schlechtesten geht, daß sie am wenigsten eingegliedert sind und daß noch 162 000 dasind, die eingegliedert werden wollen. Wenn wir ihnen überhaupt helfen wollen, so habe ich mir gesagt, müssen wir ein Viertel von ihnen nehmen. Alle, die sich ein bißchen mit der Landwirtschaft beschäftigen, wissen doch, daß es heute immerhin 289 000 Betriebe gibt, die in weiblicher Hand sind, wobei von diesen 289 000 Eigentümerinnen 51 500 über 65 Jahre alt sind. Also kann man trotz der Schwierigkeit, die Agrarstruktur zu verbessern, was die erste Aufgabe des Bundeswirtschaftsministers ist, in der ich ihn in jeder Weise unterstützen will, heimatvertriebene Bauern eingliedern. Die Überalterung unserer Bauernschaft ist also leider so groß, daß ich ein gewisses Recht habe, zu sagen, daß wir, wenn wir uns bemühen und wenn wir die auslaufenden Höfe nicht zerschlagen, trotz einer Verbesserung der Agrarstruktur diesen unglücklichen Menschen, die nicht wieder zu Boden gekommen sind, den Boden besorgen können.
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Ich habe mir das nicht aus den Fingern gesogen, sondern ich habe mir ausgerechnet, wieviel gebur({2})
tenstarke Jahrgänge wir von 1885 bis 1914 gehabt haben und wieviel Jahr für Jahr, wenn sie jetzt - 1885 geboren - 69 Jahre alt sind, allmählich aus dem Produktionsprozeß heraustreten. Da bin ich zu ganz klaren Zahlen gekommen, die mir erlauben, heute zu sagen, daß es geht. Übrigens haben doch die Länder 18 000 für das Jahr 1954 zugestanden. Nun nehmen Sie einmal den gar nicht so absurden Fall, die Länder würden für das nächste Jahr 22 000 zugestehen, dann haben wir 40 000!
Ich habe mich ganz genau an das gehalten, was der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung gesagt hat, und ich werde alles versuchen, um die Linie durchzuhalten, auch gegen gewisse Widerstände, die ich nur zu gut kenne.
({3})
- Die Widerstände liegen meistens draußen in der Landwirtschaft, die lieber die Höfe zerschlägt und in einzelne Parzellen zerteilt, um damit große Gelder zu verdienen, statt ein organisch Gewachsenes zu erhalten. Das ist die Situation, vor der ich mich heute befinde.
Ich habe vor den Landwirtschaftsministern der Länder gesprochen und habe mit aller Deutlichkeit gesagt, worum es geht und daß eben diese Minister eines Tages mit dafür verantwortlich sind, wenn im Ernstfall Menschen bei uns verhungern müssen, weil heute unsere Landwirtschaft extensiviert wird, weil die alten Bauern sie überhaupt nicht mehr intensiv betreiben können und auch keine Arbeitskräfte bekommen. Es liegt also ein ganz klarer Tatbestand zugrunde, warum ich das Problem der Ernährungssicherheit angeschnitten habe. Heute ist tatsächlich die Überalterung bei der Eingliederung unser Verbündeter. Bei der Industrie ist es genau so. Wenn wir das Eigenkapital nicht verstärken und einmal eine Krise kommt, dann wissen wir alle, wie es aussieht. Deshalb muß eben von uns heute der Wettlauf mit der Zeit begonnen werden.
Nun zur Lagerauflösung. Wenn heute der Bund pro Person 1000 DM gibt - wir müssen doch auch an die Menschen in den Lagern denken -, dann ist das ein Anfang. Wir wissen, wie schwer es ist, nach acht oder neun Jahren Menschen aus den Lagern herauszuholen. Ich versuche heute alles, um die Lager aufzulösen. Natürlich ist der Wohnungsbau dabei das Hauptproblem. Glauben Sie, daß es heute überhaupt irgendein Gebiet gibt, auf dem ich mich durchsetzen könnte - weil das Ministerium, wie Herr Kollege Rehs gesagt hat, in einem umgekehrten Verhältnis zur Größe seiner Aufgaben steht -, wenn ich nicht mit meinen Kollegen engstens zusammenarbeite und sage: „Bitte, helfen Sie mir auf diesem oder jenem Gebiet!"? Anders ist doch das Problem überhaupt nicht zu lösen.
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- Gut, ich will es Ihnen auch gerne freundlich sagen. Ich bin überzeugt, daß die Probleme gelöst werden müssen; das ist der Grund. Ich bin ja heute auch kritisch behandelt worden, und ich werde Ihnen meine Antwort nachher noch geben.
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- Ach, davon bin ich weit entfernt!
Zur Frage der Sowjetzonenflüchtlinge muß ich zunächst einmal sagen, daß diese doch für die Eingliederung eine sehr starke Bremse sind. Es ist von dem letzten Redner richtig gesagt worden, daß die
Zahl im Jahresdurchschnitt nicht wächst. Es sind 300 000 im Jahr, und wir haben sieben Jahre lang jährlich 300 000 aufgenommen. Es ist immerhin so, daß der letzte Monat im Laufe dieses Jahres wieder die höchsten Zahlen aufzuweisen hatte. Daß das auf die Umsiedlung wirkt, daß das auf die Familienzusammenführung wirkt, daß diese Aufgaben gerade wegen der Sowjetzonenflüchtlinge unendlich schwierig sind, das wissen Sie selbst.
Man sollte an dieser Stelle vielleicht auch einmal aussprechen, daß man doch heute von Deutschland kaum erwarten kann, daß es dieses Problem auf die Dauer allein und aus eigener Kraft löst. Man müßte einmal die Frage aufwerfen: Welches Volk schafft es, jedes Jahr 300 000 Menschen zusätzlich zu seinem Geburtenjahrgang aufzunehmen und einzugliedern!
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Die Eingliederung von 300 000 Menschen kostet doch, wenn Sie sie echt durchführen, fast das Aufkommen des Lastenausgleichs. Das können Sie sich ganz einfach ausrechnen. Ich bin jederzeit bereit, Ihnen diese Berechnungen vorzulegen.
Ich behaupte, daß wir im Jahre 1953 einen gewissen Stillstand erlebt haben. Wir haben 300 000 Menschen eingegliedert, aber wir haben 300 000 Menschen wieder dazubekommen. Wir treten auf der Stelle, wir gewinnen nicht den Wettlauf mit der Zeit. Das ist das Problem, das wir hier einmal ganz offen aussprechen müssen. Daraus entstehen die großen Schwierigkeiten, die wir heute erleben.
Die Aufgabe ist eine politische und keine karitative Aufgabe. Sie kann nur gelöst werden, wenn wir allmählich die Gelder bekommen, die hier mit Recht erwähnt wurden. Woher sie kommen, ist gleichgültig. Sicher ist, daß, eben weil der Zeitfaktor so wichtig ist, ein gewisser Vorgriff notwendig ist. Um diesen Vorgriff habe ich auch dauernd gekämpft. Anders sind auch die Sorgen der Kollegin Korspeter nicht zu beheben. Denn das Problem der Sowjetzonenflüchtlinge ist ein Problem des Wohnungsbaues und der Arbeitsbeschaffung.
Mit der Arbeitsbeschaffung für die Sowjetzonenflüchtlinge haben wir bisher noch einigermaßen Glück gehabt. Mit dem Wohnungsbau ist es so, daß allerdings diese ganze Frage im wesentlichen auch zur Verantwortung der Länder gehört und nicht nur zu der des Bundes.
Wenn Sie sagen, ich hätte nicht genug getan und sei nicht aktiv genug gewesen, so können Sie die Länder fragen. Die werden Ihnen sagen, daß ich vielleicht etwas zu aktiv war. Bestimmt! Nur war das nicht ganz von der Wirkung, die ich gern gehabt hätte. Ich habe immer die These vertreten, daß Föderalismus Selbstlosigkeit und Verantwortung dem Ganzen gegenüber ist. Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich mit den Ländern keine leichte Arbeit gehabt, das Sowjetzonenflüchtlings-Problem auf Länderbasis im Sinne einer echten Eingliederung zu lösen. Sie wissen, daß die Geldprobleme heute allerdings eine entscheidende Rolle spielen. Deswegen habe ich mich immer dafür eingesetzt, daß diese Dinge heute vorweggenommen werden.
Ich habe den Kulturverband der vertriebenen Deutschen nicht begründet, sondern bin immer für eine Organisation gewesen.
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- Ich habe auch gar nicht behauptet, daß Sie es
gesagt hätten. Sie haben sich für die Einheit der
Verbände eingesetzt; für die gleiche Einheit habe
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ich mich fünfeinhalb Monate auch eingesetzt. Ich habe immer gepredigt, daß alle Verbände zusammenhalten müssen. Es ist kein gutes Bild, daß gerade die Geschädigtenverbände, gerade die Verbände mit den Menschen, die alles verloren haben, nicht einig waren, sondern sich dauernd gegenseitig bekämpft haben.
Man soll sich ruhig darüber aufregen, daß ich draußen in Versammlungen geredet habe. Aber was habe ich in den Versammlungen gesagt? In den Versammlungen von Geschädigten habe ich keine falschen Hoffnungen erweckt, sondern ich habe vor den Geschädigten immer wieder die Frage auf gestellt: Wie groß muß ein Unglück sein, damit das deutsche Volk einig wird?
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Ich habe die Sorge, daß das Unglück vom 8. Mai 1945 nicht ausgereicht hat, uns einig zu machen. Diese Dinge habe ich den Verbänden allerdings dauernd vorgehalten. Ich war ein Kritiker der Verbände. Ich bin häufig nicht gern gehört worden. Aber ich habe auf eine Frage, die mir wohl auch der Bundestagsausschuß einmal vorgelegt hat, auch erklärt, daß man ohne die Mitarbeit der Verbände die Sache nicht schaffen kann. Es muß von unten mitgearbeitet werden. Der Staat kann doch nicht alles tun. Es muß gemeinsam gemacht werden.
Ich darf also zu der Frage der Sowjetzonenflüchtlinge nur sagen: Ich war vor kurzem in Wentorf und in Blankensee. Ich habe Lager besucht. Sie wissen doch, daß aus den Lagern alle Menschen, die einen Beruf haben, der gut geht, sofort herausgeholt werden. In Wentorf habe ich hauptsächlich Bauern getroffen, die dort schon lange, seit sechs oder acht Monaten im Lager waren, während man die Dreher und Schlosser kurzfristig weggezogen hatte. Das sind Dinge, die auch eine große Rolle spielen.
Im übrigen, Frau Kollegin Korspeter, muß man nicht alles in der Öffentlichkeit behandeln. Es gibt gerade auf diesem Gebiet sehr viele Dinge, die ich nicht gern in der Öffentlichkeit behandle. Wenn Sie daraus schließen, daß ich passiv bin, so ist das Ihr gutes Recht; aber es ist mein gutes Recht, zu sagen, daß ich glaube, in dieser Sache nicht passiv gewesen zu sein. Ich bestreite nicht, daß hier allerdings wichtige Dinge wohl beim Herrn Bundesfinanzminister liegen. Vielleicht will er sich selbst noch zu diesen Dingen äußern; ich weiß es nicht. Ich habe von mir aus dauernd gekämpft, weil ich nur zu gut weiß, daß man in Berlin nicht die Lager vollaufen lassen kann. Ich habe dafür gesorgt, daß die Menschen verteilt werden, und ich will auch alles tun, daß sie so kurze Zeit wie möglich in den Lagern sind. Allerdings, die Menschen, die seit acht Jahren in den Lagern leben und heute nur mit Mühe herauszuholen sind, haben eine gewisse Priorität. Ich glaube, hierin dürften wir absolut einig sein.
Was die Bamberger Symphoniker angeht, so möchte ich sagen, daß ich etwas erstaunt bin, wenn man hier nur gesagt hat, daß sie Unerhörtes geleistet haben. Ich hätte viel lieber einen Antrag gesehen, ihnen 100 000 DM zu bewilligen. Ich glaube, dann hätte man ihnen weit mehr gegeben als die schönen Worte der Anerkennung, die man auf allen Seiten gefunden hat. Sie brauchen nach allem, was mir bekannt ist, noch eine ganz reale Hilfe.
({10})
- Es fehlt aber noch etwas; ich habe es heute vor einer Stunde erfahren. Herr Kollege Schütz, vielleicht können wir diese Lücke auch noch stopfen. Es wäre doch recht erfreulich, wenn das gelänge.
({11})
- Gut.
Eine andere Frage. Ich bin von Herrn Kollegen Reitzner auf das Ministerium angesprochen worden, und ich sehe mich verpflichtet, einige Worte dazu zu sagen.
({12})
Es ist klar, daß ich mich vor das Ministerium stelle.
Ich habe das Ministerium übernommen, wie es war,
und ich habe 7 Angestellte - Angestellte, nicht
Beamte, ohne eine neue Stelle! - angestellt. Das
sind 0,9 % der Angestellten, die mit Notaufnahmeverfahren im Ministerium arbeiten. 7 Angestellte!
Ich habe ferner zwei Referatsteilungen vorgenommen. Ich habe einmal das Referat Wohnung und Siedlung geteilt; denn wenn ich schon 40 000 Bauern ansiedeln will, ist die Siedlung so wichtig, daß sie ein eigenes Referat verdient und von der Wohnung getrennt werden muß. Ich glaube, dieses Recht muß ein Minister haben. Zweitens habe ich das Referat Frauen und Jugend geteilt. Da fast 50 % der im Augenblick aus der Sowjetzone Kommenden unter 25 Jahre alt sind, hielt ich diese Maßnahme für notwendig.
Im übrigen wird mir vorgeworfen, daß ich Menschen eingestellt hätte, die früher irgendwie führend in der NSDAP gewesen seien. Das steht in dem Artikel, und da Sie den Artikel erwähnt haben, fühle ich mich verpflichtet, darauf zu antworten. Von diesen 7 Angestellten sind 6 früher einmal in der Partei gewesen, einer nicht.
({13}) Führend waren sie nicht. Ich darf nur drei Beispiele nehmen. Von einem wurde gesagt, daß er NS-Führungsoffizier gewesen sei. Er ist als Wachtmeister mit einem Arm entlassen worden. Von einem wurde gesagt, er sei mit 30 Jahren Ministerialrat beim Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums gewesen oder geworden. Er war elf Jahre im Reichsinnenministerium und ist mit 41 Jahren nach elfjähriger Dienstzeit Ministerialrat geworden. Von dem dritten wurde gesagt, er sei stellvertretender Landesleiter der NSDAP gewesen. Er ist nie Mitglied dieser Partei gewesen. Ich muß diese drei Fälle nennen. Ich bin jederzeit bereit, dafür einzustehen. Ich glaube, es ist notwendig, daß wir in diesen Dingen absolut sauber und klar sind. Ich habe junge und tüchtige, auch fachlich tüchtige Kräfte ins Ministerium gezogen. Das war mein Recht, und ich stelle mich vor jeden einzelnen. Dazu bin ich verpflichtet, genau so, wie ich mich vor jeden im Ministerium stelle, auch wenn er irgendwo war. Es waren soundso viele da und dort. Danach frage ich heute nicht mehr. Vor die stelle ich mich ganz genau so, weil es meine Pflicht ist. Ich habe im übrigen keine Kritik an den Dingen geübt, die früher waren, sondern ich habe versucht, aus den Dingen das Beste zu machen. Sie werden angesichts der Schwere der Aufgabe, die ich habe, mir wohl auch das Recht geben müssen, daß ich ein Haus zusammenstelle, das voll arbeitsfähig ist und alles tut, um die Regierungserklärung in die Tat umzusetzen.
({14})
Das ist nicht immer ganz einfach.
({15})
Wenn ich einen höheren Beamten gebeten habe, seinen Urlaub anzutreten, so muß ich sagen: es ist nun einmal in der Demokratie so, daß Minister wechseln und diese Minister auch manchmal verschiedenen Parteien angehören; das kommt vor. Ich glaube, bei mir ist es in der ganzen Koalition der einzige Fall, daß es geschehen ist, soweit ich weiß. Da muß ich erwarten, daß jeder Beamte loyal ist; das ist eine Voraussetzung. Auch ein Minister hat das Recht, einen Beamten zu bitten, seinen Jahresurlaub anzutreten, bis eine Frage geklärt ist. Denn ich habe Interesse, in einem Hause zu arbeiten, in dem Vertrauen herrscht. Ich kann vor allen Dingen eines nicht vertragen, das ist Illoyalität. Aus diesem Grunde habe ich das getan, und dazu stehe ich.
({16})
- Waren Sie NS-Führungsoffizier? Ich weiß es nicht.
({17})
Ich war nicht NS-Führungsoffizier; wenn Sie es waren, haben Sie es vielleicht noch im Blut, kann sein.
({18})
Meine Damen und Herren, vielleicht hören wir den Herrn Minister weiter. Das Kommando war ja auch gekonnt.
({0})
Ich darf zur Frage der Umsiedlung noch kurz antworten, daß die Dinge doch nicht so weit zurückliegen, wie hier gesagt wurde. Es stehen 150 Millionen DM zur Verfügung, und es ist auch die Zusage des Finanzministers da, daß 200 Millionen DM verteilt werden können, so daß sie, wenn sie benötigt werden, den Ländern zur Verfügung gestellt werden können. Die Sicherheit wird also gegeben.
({0})
- Bitte, ich bin ja mit den Ländern dauernd in Verbindung. Was glauben Sie, wie oft wir mit den Länderflüchtlingsverwaltungen zusammensitzen! Ich muß Ihnen sagen, daß auch der Wohnungsbau nicht immer so schnell vorangekommen ist, wie wir es gern gehabt hätten. Und das bitte ich auch einmal sagen zu dürfen: die ganze Frage der Umsiedlung liegt doch so, daß wir heute dauernd auf die Länder drücken und daß es im ganzen gesehen nicht immer schnell genug geht. Aber da ist die Frage der Finanzierung. Auch die Möglichkeit, diese Anleihe aufzunehmen, ist mit dem Finanzminister besprochen worden. Es ist klar, wenn die Länder es heute anfordern, stellen wir Ihnen die Mittel zur Verfügung. Da besteht gar kein Zweifel.
({1})
- Darf ich Sie fragen: Haben die Länder die 200 Millionen DM angefordert? Benötigen sie das Geld im Augenblick? Das ist die Grundfrage, und diese Frage ist mir von den Ländern dahin beantwortet, daß sie es sofort nicht benötigen.
({2})
- Sie haben die 150 Millionen DM noch gar nicht verplant, die im Haushalt sind.
({3})
- Ich habe es oft genug erlebt - ich habe drei Jahre mit der Umsiedlung zu tun gehabt -, daß die Länder mit ihrer ganzen Verplanung weit hinter den Mitteln, die der Bund hatte, zurückgeblieben waren. Wenn Sie heute von mir erwarten, daß ich Ihnen jetzt schon ein vollständiges Programm für die Rückführung der Evakuierten vorlege, dann ist das doch nach sieben Tagen - denn vor sieben Tagen habe ich dieses Gebiet übernommen - ein bißchen zu früh. Ich freue mich, daß Sie mir Wunder zutrauen, aber ich bin nicht in der Lage, ohne weiteres Wunder zu vollbringen. Also das geht ein bißchen zu weit.
({4})
- Bitte, ich erlaube mir, darauf zu antworten und Ihnen zu sagen, daß ich das noch nicht kann. Sie wissen genau, daß ich mich sehr ernsthaft bemühe, das Evakuiertenproblem auch mit anderen Dingen zu koppeln. Wir haben 22 500 Evakuierte in die Umsiedlung hineingenommen. Wir haben mit den Abgabeländern bereits die Quoten ermittelt, die zu verteilen waren. Sie wissen, Schlüsseldebatten geben immer etwas Anlaß zu Schwierigkeiten. Aber die Sache ist zwischen den drei Ländern in Ordnung. Sie können mir nicht sagen, daß ich auf dem Gebiet nicht alles versucht hätte, um die Sache weiterzubringen.
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Zu den Gesetzen darf ich eines sagen. Ich habe nie bestritten, daß diese Gesetze im alten Bundestag gemacht worden sind. Ich habe gesagt, daß ich aus ihnen das Beste machen werde. Ich glaube, wir sind einig, daß auch diese Gesetze, je länger sie bestehen, mancher Verbesserungen bedürfen. Ich bin überall bereit, das zu tun, weil ich das eine sehe
- und das möchte ich zum Abschluß sagen -: ich weiß, wie die Zeit drängt, daß der Zeitfaktor entscheidend ist. Um weiterzukommen und um entsprechende Erfolge zu haben, ist entscheidend, daß die Mittel zur Verfügung stehen und daß alle mitarbeiten. Ich habe von mir aus alles versucht, um gemeinsam mit allen die Dinge zu lösen - denn ich weiß, daß ich sie allein gar nicht lösen kann - und um auch alle Reibungen auszuschalten, die ich für absolut unnötig halte. Wir können uns heute nicht Dinge vorwerfen, die nicht stimmen. Von diesem Gesichtspunkt aus kann ich nur sagen: ich tue absolut, was ich kann. Aber wenn man mir heute Vorwürfe wegen 0,9% Angestellten macht, so darf ich sagen: wir sind doch nun alle einig darüber, - ({6})
- Sie wissen ja noch gar nicht, was ich sagen will, meine Herren; ich will doch eben etwas sagen, worin Sie wahrscheinlich mit mir einig sind. Ich nehme an, daß wir in folgendem einig sind. Wenn jemand durch die Entnazifizierung wieder in den Besitz seiner vollen Rechte eingetreten ist und sonst nichts gegen das Gesetz der Menschlichkeit getan hat, so bin ich absolut dafür, daß er heute nicht schlechter gestellt werden darf, sondern daß ihm dann die gleichen Rechte zustehen. Da sind wir doch einig?
({7})
- Dann beweisen Sie mir den Fall! Ich habe Sie öfters darum gebeten. Bisher sind die Unterlagen,
({8})
die mir gegeben worden sind, jedenfalls nicht entsprechend.
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- Die Angaben, die ich bisher habe, entsprechen in wesentlichen Dingen nicht der Wahrheit. Da habe ich das Recht, mich zu wehren. Im übrigen freue ich mich, daß wir im Grundsatz in den Dingen einig sind.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe die Besprechung zum Einzelplan 26.
Abänderungsanträge sind nicht gestellt. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Haushaltsausschusses auf Drucksache 368 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Haushaltsplan angenommen.
({0})
- Herr Abgeordneter Schoettle, bitte, zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob das Haus mir zustimmt, wenn ich sage, daß wohl die große Mehrheit der noch Anwesenden unter dem Eindruck steht, daß wir die zweite Lesung heute nicht restlos zu Ende führen können.
({0})
Ich glaube auch nicht, daß es im Interesse des Hauses der Beratungen liegt, die wir hier führen, wenn wir etwas erzwingen wollten, was rein zeitlich gar nicht erzwungen werden muß. Heute morgen ist uns im Ältestenrat gesagt worden, daß der Bundesrat erst am 7. Mai mit der Beratung im zweiten Durchgang beginnen will. Es scheint mir also möglich zu sein, daß wir heute etwas nach der Ratio verfahren, die sich schließlich aus der Tatsache ergibt, daß die meisten Mitglieder dieses Hauses jetzt durch die Haushaltsberatungen reichlich erschöpft sind.
Ich würde folgenden Vorschlag machen: Wir beraten die Einzelpläne 27, 28, 29, 30, 32 und schließlich 49 und 50. Da wird es kaum irgendwelche Schwierigkeiten geben. Wir werden Anträge stellen, die Sie bestimmt ablehnen werden;
({1})
das kann vorher schon gesagt werden. Wir brauchen uns also nicht durch eine lange Debatte aufhalten zu lassen. Ich sage das, damit nicht nachher einer von Ihnen aufs hohe Seil geht und noch eine lange Rede zur Widerlegung unserer Argumente bringt; das ist nicht notwendig. Wir lassen uns ja doch nicht überzeugen und Sie sich auch nicht.
({2})
- Darf ich weiterreden? - Wir verschieben dann die Beratung der etwas schwierigeren Einzelpläne
- 35: Verteidigungslasten, 40: soziale Kriegsfolgeleistungen und 60: Allgemeine Finanzverwaltung - zusammen mit dem Haushaltsgesetz auf den 30. April. Da haben wir, wenn wir von morgens 9 Uhr bis nachmittags 15 Uhr tagen, nach Adam Riese sechs Stunden zur Verfügung. Für die dritte Lesung brauchen wir bestimmt nicht mehr als drei Stunden, so daß wir für die Erledigung der aus der
zweiten Lesung übriggebliebenen Einzelpläne auch noch drei Stunden haben, und das, meine ich, müßte genügen.
({3})
Herr Abgeordneter Schoettle, die dritte Beratung mit drei Stunden, - Ihr Wort in Gottes Ohr! Aber ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir ohne Debatte über diese Frage praktisch zum gleichen Ergebnis kommen. Es wäre gewiß falsch, heute abend Debatten über die Einzelpläne 35 und 40 zu beginnen, bei denen zweifellos längere Aussprachen erforderlich wären. Aber da wir uns verständigt haben, daß wir bis 19 Uhr 30 tagen, glaube ich, sollten wir das tun, und ich hoffe auch, daß wir, selbst wenn zu einzelnen Positionen Streichungsanträge vorliegen - ich beurteile sie im Ergebnis genau so wie Herr Kollege Schoettle -,
({0})
sehr schnell weiterkommen. Im übrigen ist das Haus erstaunlich gut besetzt, was ich ausdrücklich feststellen möchte. Ich glaube, wir können das, was gesagt worden ist, geschäftsordnungsmäßig zur Kenntnis nehmen.
Ich rufe nun den Einzelplan 27 auf:
Einzelplan 27 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen - ({1}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Heiland. Bitte!
Heiland ({2}), Berichterstatter: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß ich mithelfen kann, das Tempo der Verhandlungen zu beschleunigen. Im Haushaltseinzelplan 27 - Drucksache 369 - hat sich in diesem Jahr relativ wenig verändert. Wir haben lediglich bei den Personalausgaben 464 000 DM Mehrausgaben, hauptsächlich verursacht durch die 20%ige Gehaltserhöhung. Es ist eine Vermehrung der Beamten- und Angestelltenstellen um je 5, der Arbeiterstellen um 11 zu verzeichnen.
Die Sachausgaben sind um 70 000 DM vermindert worden, die allgemeinen Ausgaben um 380 000 DM. Am Schluß der Rechnung zeichnet sich eine Differenz zum vergangenen Jahr in Höhe von nur einigen tausend DM ab.
Die wichtigste Position des Haushalts ist der Tit. 300, der mit 20 Millionen DM auch die größte Summe des Gesamthaushalts von 28 Millionen DM darstellt. Die Verausgabung der Mittel aus diesem Titel ist im vergangenen Bundestag durch einen kleinen Ausschuß kontrolliert worden. In der letzten Zeit hat diese Sache nicht mehr funktioniert. Der Haushaltsausschuß war einstimmig der Auffassung, daß ein kleiner Fünfer-Ausschuß zur Kontrolle der Verausgabung der Mittel aus diesem Titel durch interfraktionelle Besprechung wieder eingesetzt werden kann. Die Mehrheit des Ausschusses schlägt Ihnen die Annahme des Haushaltseinzelplans 27 vor.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für den kurzen Bericht.
Der Änderungsantrag Umdruck 57*) der Fraktion der SPD - es handelt sich um das Thema, das Herr Abgeordneter Heiland bereits erörtert
*) Siehe Anlage 8 Seite 1031 B
({0})
hat, die Hinzuziehung eines Vermerks zur Zweckbestimmung - und ein Antrag der Fraktion des GB/BHE Umdruck 53, der sich mit den kulturellen Hilfsmaßnahmen im Zonengrenzgebiet befaßt, liegen Ihnen vor. Sollen die Anträge begründet werden? - Offenbar nicht. Wird das Wort zu dem Einzelplan gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Herr Minister wünscht ebenfalls nicht das Wort? - Nein. Dann schließe ich die Besprechung zum Einzelplan 27.
Ich komme zunächst zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 57 der Fraktion der SPD. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Meine Damen und Herren, es spricht sich langsam herum, wie abgestimmt wird. Ich warte noch etwas.
({1})
Ich bitte um die Gegenprobe. - Die überwiegende
Mehrheit ist für den Antrag. Er ist angenommen.
Umdruck 53 *), Antrag der Fraktion des GB/BHE. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das zweite ist die Mehrheit; dieser Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Haushaltsausschusses Drucksache 369 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 28 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrates - ({2}). Dazu liegt auf Umdruck 63 **) ein Streichungsantrag der Fraktion der SPD vor. Auf Begründung wird wahrscheinlich verzichtet?
({3})
- Fünf Sätze! Nun, die kennen wir doch schon seit fünf Jahren, Herr Kollege Schoettle. Aber bitte schön!
({4})
- Ich bitte um Entschuldigung; es geht bei mir offenbar etwas zu schnell. - Bitte, Herr Berichterstatter!
Frühwald ({5}), Berichterstatter: In der 18. Sitzung des Haushaltsausschusses am 8. März dieses Jahres wurde der Einzelplan 28 beraten. Im Mittelpunkt der Beratungen stand die Frage, ob das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrates überhaupt notwendig sei. Die Debatte wurde durch Herrn Abgeordneten Ritzel mit dieser Fragestellung ausgelöst. Im Verlauf der Diskussion beantragte er, den gesamten Einzelplan abzulehnen. In der Abstimmung wurde dieser Antrag mit 12 gegen 7 Stimmen bei einer Stimmenthaltung abgelehnt. Abgeordneter Dr. Vogel erklärte im Namen seiner Fraktion, daß in Anbetracht der Schaffung von vier neuen Sonderministerien auch die Position des Staatssekretärs - Besoldungsgruppe B 2 - unter einem anderen Gesichtspunkt gesehen werden muß. Er stellte auch die Frage, in welcher Form die Aufgaben der neugeschaffenen Ministerien mit der Tätigkeit des Ministeriums für Angelegenheiten des Bundesrats abzustimmen seien. Abgeordneter Dr. Schild stellte den Antrag,
*) Siehe Anlage 9 Seite 1032 A **) Siehe Anlage 10 Seite 1032 B
die Stelle B 2 - Staatssekretär - auszuklammern. Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. In einer der letzten Sitzungen stellte Dr. Vogel den Antrag, die Stelle mit einem kw-Vermerk zu versehen und sie zu genehmigen. Der Beschluß erfolgte einstimmig.
Zum Stellenplan wünschte Herr Staatssekretär Dr. Ripken, bei Streichung einer A 2 c 2- Stelle eine Stelle nach A 1 b zu heben. Bei den wenigen Beamtenstellen des Ministeriums sei eine Vorrückung sehr schwierig. Abgeordneter Arndgen stellte den Antrag, eine Stelle der Besoldungsgruppe A 2 c 2 zu streichen. Dieser Antrag wurde mit 16 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen angenommen. Im übrigen wurde der Einzelplan 28 nach der Regierungsvorlage angenommen. Die Einnahmen in diesem Haushalt sind durch eine einmalige Einnahme von 3000 DM um 3000 DM höher als im Vorjahr. Diese Mehreinnahme entsteht durch den Verkauf von zwei alten Autos. Die gesamten Einnahmen haben sich damit gegenüber dem Vorjahr vervierfacht. Die Ausgabenmehrung beträgt rund 100 000 DM. Davon entfallen auf die Neubeschaffung von zwei Kraftwagen 26 000 DM; für erhöhten Sachbedarf wurden 4 700 DM notwendig. Der Rest von 73 500 DM ist auf Lohn- und Gehaltserhöhungen für Beamte und das sonstige Personal zurückzuführen.
Im Auftrag des Haushaltsausschusses bitte ich das Hohe Haus, seinem Antrag auf Drucksache 370 zuzustimmen.
({6})
Herr Abgeordneter Frühwald, das Haus hat Ihnen bereits den Dank für den instruktiven Bericht ausgesprochen.
({0})
Herr Abgeordneter Schoettle, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen schon vorhin, sozusagen geschäftsordnungsmäßig, angekündigt, daß wir einige Streichungsanträge vorzutragen haben. Wenn der Herr Präsident nicht widerspricht, möchte ich nicht nur den Streichungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion zum Einzelplan 28, sondern gleichzeitig den zum Einzelplan 30 begründen, so daß ich nicht ein zweites Mal hier herauf muß.
Bitte sehr. - Zu Einzelplan 29 nicht?
Nein, das möchte ich meiner Kollegin Frau Hubert überlassen, die dafür zuständigkeitshalber von der Fraktion benannt ist.
Meine Damen und Herren! Wir beantragen die Streichung des ganzen Einzelplans 28 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Angelegenheiten des Bundesrates -. Wir begründen diesen Streichungsantrag wie folgt. Die Tätigkeit dieses Ministeriums in den vier Jahren, während deren es besteht, hat uns nicht zu überzeugen vermocht, daß es eine nützliche Aufgabe erfüllt. In den vier Jahren ist die Notwendigkeit, ein solches Ministerium zu haben, vom Standpunkt der Koalitionsarithmetik sicher immer gegeben gewesen, und man kann sagen, daß die Gründe für das Fortbestehen des Ministeriums in der zweiten Bundesregierung dieselben sind wie die für seine Schaffung zu Beginn des 1. Deutschen Bundestages.
Im Ausschuß hat man sich über die Tätigkeit des Ministeriums unterhalten, und der Herr Staatssekretär hat sich große Mühe gegeben, dem Haushaltsausschuß nachzuweisen, wie unentbehrlich das
({0})
Ministerium für das Funktionieren der Verbindungen zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat ist. Nun, unser Hohes Nachbarhaus hat selber eine ganze Menge qualifizierter Kräfte. Die Länder haben zum Teil Verbindungsminister zum Bundesrat. Ich glaube, daß es bei den Möglichkeiten, die sich für den Verkehr zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen dem Bundesrat und der Bundesregierung ergeben, nicht erst eines Ministeriums bedarf, das den Kontakt herstellt, das sich sozusagen zum Briefträger macht. Es geht auch ohne dieses Ministerium und ohne den damit verbundenen Aufwand.
Wie skeptisch man auch in den Reihen der Koalition diesen Dingen gegenüber ist, zeigt die Haltung einer großen Koalitionspartei hinsichtlich des im Vorjahr gegen die Stimmen der Opposition geschaffenen Postens eines Staatssekretärs während der Haushaltsberatungen in diesem Jahr. Plötzlich hatte diese Koalitionspartei alle möglichen Bedenken und verlangte die Ausklammerung dieses Postens, obwohl inzwischen der Inhaber gefunden war und - ich muß es offen gestehen - fachlich und sachlich gar keinen schlechten Eindruck macht. Man kann ja auch einen sachlich qualifizierten Mann auf einen überflüssigen Posten setzen. Der Wunsch nach Ausklammerung dieser Position spricht nicht gerade dafür, daß man die Entwicklung dieses Ministeriums von allen Seiten innerhalb der Koalition mit absoluter Genugtuung betrachtet. Wir sind der Meinung, daß dieses Ministerium beseitigt . werden könnte und die Mittel, die dafür verwendet werden, besseren Zwecken zugeführt werden sollten. Solche besseren Zwecke, für die nicht genügend Mittel angesetzt werden können, gibt es im Tätigkeitsbereich der Bundesregierung in großer Zahl.
Wir bitten deshalb, unserem Streichungsantrag zuzustimmen. Ich weiß, daß meine Bitte in diesem Punkte auf taube Ohren stoßen wird. Aber wir wollen uns das ja vorher freundschaftlich versichern.
Was nun den Einzelplan 30, den Haushalt der Bundesminister für besondere Aufgab en betrifft, so möchte ich folgendes erklären. Kürzlich hat ein böser Mann diese Minister als Bundesminister ohne Arbeitsbereich bezeichnet. Das ist sicher eine Verleumdung; denn im Laufe der letzten Monate haben wir ja überall die Versuche gespürt, den Herren Bundesministern für besondere Aufgaben einen Arbeitsbereich zu schaffen. Das fing mit der Überlegung an, ob man alle Wasserfragen einem bestimmten Bundesminister übertragen sollte,
({1})
woraus dann also das „Wasserkraftministerium" entstanden ist.
({2})
Das schönste Beispiel dafür, wie sehr man sich bemühen muß, einen Arbeitsbereich für sie zu schaffen, haben wir bei der ersten Lesung des Bundeshaushalts erlebt, als von dieser Stelle aus die Schaffung des Ministeriums, das mein verehrter Kollege Tillmanns innehat, damit begründet wurde, daß dieses Ministerium angesichts der Zustände in der Zone und in Ost-Berlin notwendig sei, denn es solle die sich daraus ergebenden Aufgaben übernehmen. Ich erinnere mich noch, wie Herr Bundesminister Kaiser hier unten saß und zu dieser Mitteilung nicht gerade freundlich in die Welt schaute.
({3})
Bitt, unsereiner hat ja auch Augen im Kopf und Ohren, um zu merken und zu hören, was los ist.
Ich finde also, die vier Minister, so sehr ich die Herren im einzelnen schätze, sind im ganzen in ihrer Funktion überflüssig. Niemand wird uns klarmachen können, daß darin mehr als Koalitionsarithmetik liegt. Jeder von Ihnen, der die Dinge nüchtern betrachtet und die Methoden - das ist ein falscher Ausdruck -, die Vorgänge um die Regierungsbildung einmal objektiv und nicht vom Standpunkt des äußeren Effekts ansieht, wird mir zustimmen. Da ist die Notwendigkeit aber bös vergewaltigt worden!
Da ich überzeugt davon bin, daß ich gerade in diesem Punkt viele Freunde in der Regierungskoalition habe, bitte ich wenigstens die, die den Mut dazu haben, diesem Streichungsantrag zuzustimmen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir bleiben also zunächst bei dem Haushalt Einzelplan 28. - Das Wort hat der Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob ich unseren verehrten Herrn Kollegen Schoettle richtig verstanden habe. Er hat, glaube ich, ausgeführt, daß meinem Ministerium seit einem Jahr ein Staatssekretär bewilligt wurde. Hier liegt ein Irrtum vor. Die Stelle des Staatssekretärs war seit Bildung der ersten Bundesregierung im Jahre 1949 ohne kw-Vermerk unbestrittener Besitz meines Hauses.
Meine Damen und Herren, ich habe meine politischen Freunde - Herr Schoettle, vielleicht darf ich das zu Ihrer Beruhigung sagen - nicht gebeten, einen Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage zu stellen, weil dadurch an den tatsächlichen Verhältnissen in meinem Ministerium im gegenwärtigen Zeitpunkt nichts geändert würde. Der Antrag auf Streichung einer Regierungsratsstelle ist von mir gestellt worden. Allerdings hat der Haushaltsausschuß mir das dafür erbetene Äquivalent, nämlich Hebung einer anderen Stelle, leider versagt.
Der Antrag der SPD auf Streichung meines Haushaltes hat in jedem Jahre seit Bestehen der Bundesregierung vorgelegen.
({0})
Ich weiß, daß dieser Antrag von der SPD auf Grund ihrer zentralistischen Einstellung
({1})
immer wieder gestellt werden wird. Ich habe ihn selbstverständlich auch für dieses Jahr wieder von Ihnen erwartet.
({2})
Wer aber die Verhandlungen des Parlamentarischen Rates verfolgt hat und wer wie der größte Teil unter uns Gelegenheit gehabt hat, in den vergangenen Jahren den Beratungen hier beizuwohnen, der weiß, wie sehr das Grundgesetz in entscheidenden Artikeln ein Kompromiß zwischen entgegengesetzten Auffassungen ist. Schon bei der ersten Regierungsbildung 1949 war sich der Herr Bundeskanzler - er hat es ja damals ausgeführt - mit mir darin einig, daß es darauf ankommen müsse,
({3})
aus dem Grundgesetz eine Verfassungswirklichkeit zu schaffen, die auch dem bundesstaatlichen Charakter des Grundgesetzes in der praktischen Handhabung verstärkt Geltung verschaffen würde.
({4})
Der Herr Bundeskanzler hielt diese Aufgabe für so wichtig, daß er damals ein Ressort dafür geschaffen hat, um eine wirkungsvolle Koordinierung zwischen Bundesregierung und Bundesrat, zwischen Bund und Ländern überhaupt zu erreichen. Wenn in den vergangenen viereinhalb Jahren Bundestag und Bundesrat in allen entscheidenden Fragen zu einer echten Übereinstimmung gekommen sind, ist - das wird mir, glaube ich, auch die Opposition doch wohl zugestehen müssen - auch die Arbeit meines Hauses hierbei nicht ganz ohne Erfolg beteiligt gewesen. Das kann ich doch wohl für mich in Anspruch nehmen.
({5})
Die mir gestellte Aufgabe, Herr Greve, trägt es allerdings in sich, daß ich nicht mit eigenen Gesetzesvorlagen vor das Haus treten kann. ich habe, wie Sie ja aus dem Haushalt wissen, millionenschwere Haushalttitel nicht zu verwalten. Meine Aufgabe hat sich, wenn sie erfolgreich sein soll, im stillen zu vollziehen, in der Arbeit der Bundesregierung mit den Ländern, in Besprechungen von Minister zu Minister. Ich sehe meine Aufgabe darin, Meinungsverschiedenheiten zwischen Bund und Ländern so frühzeitig im beiderseitigen Interesse zu klären, daß unser öffentliches Leben dadurch möglichst nicht belastet wird.
Ich bediene mich dabei eines, das darf ich wohl sagen, wirklich sehr kleinen Arbeitsstabes. Es sind gegenwärtig sechs Beamte des höheren Dienstes, die wohl das Mindestmaß dessen sind, was man braucht, um für meinen Aufgabenbereich politisch Wesentliches aus der gesamten Gesetzgebungsarbeit herauszuarbeiten. Ich kann mit aller Bescheidenheit sagen, daß ich in den vergangenen Jahren innerhalb der Bundesregierung als Sprecher der Länder und im Bundesrat als Sprecher der Bundesregierung eine Aufgabe habe erfüllen können, die auch dem Gesamtwohl des Volkes durchaus gedient hat.
({6})
Sie hat dazu geführt, meine Herren von der Opposition, daß der Bundesrat, jenes Organ, dem zu dienen ich in erster Linie berufen bin, meinen Haushalt seit 1949 regelmäßig einstimmig bewilligt hat. Ich bitte auch dieses Haus, ihm seine Zustimmung nicht zu verweigern.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walter.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrates ist geschaffen worden, um dem Art. 53 des Grundgesetzes die richtige Auslegung zu geben. Die Tätigkeit dieses Bundesministeriums hat sich auch in diesen Bahnen bewegt. Vom Bundesrat selbst ist niemals eine Beanstandung erfolgt. Die Beanstandung ist immer nur von seiten der Opposition gekommen. In jedem Jahr hat sich ein anderer Vertreter der Opposition bemüht, dem Parlament klarzumachen, daß das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrates überflüssig sei. Herr Abgeordneter Reitzner hat vorhin erklärt, das Ansehen unserer Bundesrepublik im Ausland sei verschiedentlich geschädigt
worden. Das ist nur zu wahr. Aber diese Schädigung ist sehr häufig von einer Seite gekommen,
({0})
von der auch Herr Reitzner gesprochen hat. Gerade der Minister für Angelegenheiten des Bundesrates hat in dieser Richtung schon sehr viel Gutes tun können,
({1})
nämlich das Ansehen unserer Bundesrepublik im Ausland, das von einer gewissen Seite sehr häufig geschädigt worden ist, wiederherzustellen.
({2})
Die Opposition gegen dieses Ministerium sieht fast so aus, als ob wir Walter Scott zitieren könnten, der da sagt: „Revenge is the sweetest meal to the mouth that ever was cooked in hell". So ähnlich sieht es bei Ihnen aus.
({3})
Sie werden sich daran gewöhnen müssen, meine Herren, daß das Ministerium für Angelegenheiten des Bundesrates weiterbestehen und weiter arbeiten wird,
({4})
um zwischen dem Kabinett und den Vertretern der Länder im Bundesrat die Harmonie herzustellen, die im Interesse unserer gesamten Arbeit, unseres Volkes und unserer Wirtschaft notwendig ist.
({5})
Meine Damen und Herren, die Aussprache ist beendet. Sie haben den Streichungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck 63, gehört. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag auf Streichung des Einzelplans 28 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? ({0})
Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Darf ich fragen, meine Damen und Herren, ob die Ablehnung des Streichungsantrages zugleich als Billigung des Einzelplans 28 verstanden werden kann?
({1})
- Also, Herr Kollege Ritzel als Sachverständiger für die Geschäftsordnung sagt nein. Dann bitte, meine Damen und Herren, noch einmal abstimmen! Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Drucksache 370, d. h. dem Einzelplan 28, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist das umgekehrte Verhältnis; dieser Antrag ist angenommen!
({2})
Ich rufe nun zunächst auf:
Einzelplan 30 - Haushalt der Bundesminister für besondere Aufgaben ({3})*).
*) Schriftlicher Bericht: Anlage 15 Seite 1036
({4})
Sie haben den Streichungsantrag Umdruck 65 *), den Herr Kollege Schoettle begründet hat, gehört. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da der Haushaltsausschuß den Haushaltstitel für die Erforschung der Geschichte des Parlamentarismus um einige 10 000 DM erhöht hat, glaube ich einen nützlichen Beitrag dazu zu leisten, wenn ich bei der Behandlung des anstehenden Haushalts ein wenig in die parlamentarische Geschichte der Jahre 1919 und 1928 zurückgehe. Ich möchte einen Kabinettserlaß vom 21. März 1919 zitieren, in dem es wörtlich heißt:
Die Geschäfte des Reiches werden durch das
Reichsministerium geführt. Das Reichsministerium besteht aus Reichsministern, die ein Ressort leiten, und Reichsministern ohne Portefeuille.
Der Stellvertreter des Reichskanzlers Bauer - eines Mannes aus Ihren Reihen ({0}) -, der Reichsjustizminister Schiffer, hat 1919 im Reichstag folgendes ausgeführt - ich glaube, Sie dürfen es, wenn ich es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten jetzt hier zitiere, durchaus als ein aktuelles Zitat auffassen -:
Rein objektiv liegt die Sache so, daß die Schaffung dieser neuen Stellen durchaus zu verantworten ist ... Das Ministerium ohne Ressort, das für gewöhnliche Zeiten allerdings nach Möglichkeit zu vermeiden wäre, ist in dieser Zeit unumgänglich notwendig, weil in jedem Augenblick so viele neue ... Aufgaben eintreten, daß sie im Rahmen der gewöhnlichen Ressorts nicht zu lösen sind.
Der erste Minister ohne Portefeuille in Deutschland war der Sozialdemokrat Dr. David, aus Ihren Reihen ({1}). - Pech!
({2})
Noch im Jahre 1928 haben wir in der amtlichen Begründung der Reichstagsdrucksache Nr. 1466 der IV. Wahlperiode aus dem Jahre 1928 zu einem Gesetzentwurf, der damals eingebracht worden ist, folgenden Satz:
Satz 2 des § 6 soll die Möglichkeit geben, besonderen politischen oder parlamentarischen Verhältnissen durch die Ernennung von Ministern ohne Portefeuille Rechnung zu tragen.
({3})
Meine Herren, Sie sehen, die Geschichte wiederholt sich ständig, wie schon Ben Akiba gesagt hat. Ich stelle Ihnen anheim, gegen den Herrn Bundeskanzler ein Strafverfahren wegen Plagiats einzuleiten; das ist die einzige Möglichkeit, die Sie haben.
({4})
Aber weiter wird dazu das Wort nicht gewünscht?! - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Streichungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 65 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. -Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt.
*) Siehe Anlage 12 Seite 1033 B
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Haushaltsausschusses Drucksache 372 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; Einzelplan 30 ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 29 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Familienfragen ({0}) *).
Hierzu liegt ein Streichungsantrag vor, den nach der Ankündigung des Herrn Kollegen Schoettle Frau Dr. Hubert begründen wird.
({1})
- Nicht das Ministerium verantworten, nein!
({2})
Aber ich bitte um Entschuldigung: zunächst muß überhaupt der Bericht erstattet werden. Ich hatte unterstellt, daß man vielleicht darauf verzichten könnte. Ist das etwa Ihre Meinung?
({3})
- Herr Abgeordneter Dr. Gleissner hat natürlich als Berichterstatter die Möglichkeit - und ich bitte darum -, den Bericht schriftlich zu Protokoll zu geben **).
Bitte, Frau Abgeordnete Hubert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung im Oktober vorigen Jahres von der Überalterung des deutschen Volkes gesprochen und darauf hingewiesen, daß der Anteil der im produktiven Lebensalter Stehenden 67% und der Anteil der Alten und Jugendlichen 9 % bzw. 24 % ausmache. Er hat ferner erklärt, daß sich diese Zusammensetzung ständig zuungunsten der im produktiven Lebensalter Stehenden ändere, weil die Langlebigkeit zunehme und die Geburten abnähmen, und daß hier nur durch eine zielbewußte Familienpolitik und durch die Stärkung des Willens zum Kinde Abhilfe geschaffen werden könne. Dieser Vorstellung des Herrn Bundeskanzlers verdankt wohl das Ministerium für Familienangelegenheiten seine Entstehung.
({0})
Liegen denn die Dinge wirklich so einfach? Der Herr Bundeskanzler hat anscheinend übersehen, daß der Anteil der im produktiven Lebensalter Stehenden im Jahre 1910 61,2% war, daß er also heute weit höher ist. Und was bedeutet die hohe Geburtenanzahl des Jahres 1900, wenn wir dabei in Betracht ziehen, daß von 10 Neugeborenen 3 nicht das erste Lebensjahr erreicht haben und daß jedes vierte vor dem 15. Lebensjahr gestorben ist, also niemals das produktive Lebensalter erreicht hat? Die breite Basis des Lebensbaumes ist keineswegs immer ein Zeichen eines gesunden Volksaufbaus.
Auch der Herr Bundesfamilienminister hat uns in der ersten Lesung des Haushalts mit einigen Zahlen aufgewartet. Er hat die Geburtenziffer des Jahres 1900 von 36,5 pro tausend der heutigen Geburtenziffer von 15,7 pro tausend gegenübergestellt. Er hat weiter den Geburtenüberschuß des Jahres 1900 von 13,6 pro tausend dem heutigen von 5,2 pro tausend gegenübergestellt. Der Herr Bun-
*) Siehe Anlage 11 Seite 1034 A **) Siehe Anlage 14 Seite 1035
({1})
desminister für Familienangelegenheiten ist etwas eilig über die Jahrzehnte hinweggesprungen. Ich bitte, mir zu gestatten, seine Zahlen ein wenig zu ergänzen. Die Zahl der Geburten im Jahre 1917 war bereits 13,9, 1930 17,6, 1932 15,1. Der Geburtenüberschuß war 1929 5,4, 1933 3,5, 1942 2,9. Er hat also heute mit 5,2 bereits wieder aufgeholt. Ein Blick auf das Ausland zeigt, daß England mit 3,3 noch unter uns liegt, Frankreich mit 6,1 zwar über uns, die Schweiz mit 4,5 wieder unter uns.
Verzeihen Sie, daß ich Ihnen hier soviel Zahlen nenne. Aber ich glaube, sie illustrieren und vervollständigen das Bild. Man kann, glaube ich, wirklich nicht davon sprechen, daß „ein unser ganzes Volk in wenigen Generationen vernichtender Prozeß" vorliegt. Wir sind kein sterbendes Volk. Es dürfte eine Übertreibung sein, wenn das gesagt wird. Selbstverständlich haben wir eine Zunahme der Langlebigkeit, weil die Lebenserwartung höher ist. Sie war 1900 42 Jahre und liegt jetzt zwischen 60 und 65 Jahren. Hier liegen Erfolge der Medizin vor, die wir doch hoffentlich nicht bedauern wollen. Wir werden dieser Tatsache bei unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik Rechnung tragen müssen. Aber ich glaube, man löst dieses Problem nicht durch die Errichtung eines Familienministeriums.
Der Herr Familienminister hat sein besonderes Augenmerk auf die Ehescheidungen gerichtet. Aber die von ihm selber gegebenen Zahlen zeigen, daß die im Jahre 1948 ohne Zweifel sehr hohe Zahl der Ehescheidungen von 187 heute bereits wieder bei 105 angelangt ist und sich so der Zahl von 1939 mit 85 nähert.
Liegt denn wirklich überhaupt eine Gefährdung der Familie vor? Wir müssen doch sagen, daß gerade die Familie die Probe der Kriegs- und Nachkriegszeit gut überstanden hat. Diese Erfahrung haben wir nicht nur alle selber gemacht. Vielmehr hat Schelsky in seinen Untersuchungen festgestellt, daß gerade die Belastungen, denen die Familie durch Kriegs- und Nachkriegszeit ausgesetzt war, zu einer erhöhten Stabilität und zu einem wiedergewonnenen Zusammengehörigkeitsgefühl geführt haben. Hier liegen also, gerade wenn wir die von mir vorhin erwähnten Zahlen heranziehen, genau die gleichen Vorgänge und Verhältnisse vor, wie wir sie etwa in der Weimarer Republik erlebt haben und wie sie eben nach Kriegen natürlich sind.
Der Herr Bundesminister für Familienangelegenheiten weist nun mit besonderem Stolz darauf hin, daß er auf die sogenannte Steuerreform des Herrn Finanzministers eingewirkt hat, und wir müssen sagen, daß für die kinderreichen Familien ohne Zweifel erfreuliche Erleichterungen vorgenommen worden sind.
({2})
Aber, Herr Bundesminister für Familienfragen, die
Familie fängt ja nicht erst beim dritten Kind an!
({3}) Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade bei den jungen Familien, die das erste Kind erwarten, sehr viele wirtschaftliche Schwierigkeiten vorliegen, weil der Mann noch sehr wenig verdient. Ich halte es nicht für einen gesunden Zustand, daß die jungen Frauen vielfach gezwungen sind - keine tut das gern und aus besonderer Freude -, noch zu arbeiten, um den Lebensunterhalt zu sichern.
({4})
Völlig vermisse ich, daß der Herr Bundesminister für Familienangelegenheiten jemals etwa der Halbfamilie gedacht hat, wo der Vater fehlt und wo die Frau - dazu gehört auch die uneheliche Mutter mit ihrem Kind, die ebenfalls eine kleine Familie darstellt - allein Vater und Mutter zugleich sein muß und hier besonderen Verantwortungen und Belastungen ausgesetzt ist. Denken Sie an die vielen Kriegerwitwen, an die vielen Kriegswaisen, denen der Staat den Vater genommen hat! Hier ist eine besondere Fürsorge und Aufmerksamkeit des Staates notwendig.
({5})
Wenn der Herr Familienminister die Zuschriften, die er bekommt, für eine Zustimmung der Bevölkerung zu seinem Ministerium hält, so ist dazu zu sagen: er selbst teilt mit, diese Zuschriften gingen meistens dahin, daß eine kinderreiche Familie ihn um eine Wohnung bittet oder eine Ehefrau ihn auffordert, den ungetreuen Ehegatten zur Ordnung zu rufen. So ist doch diese vermeintliche Zustimmung auf einer völlig falschen Voraussetzung begründet, und sie geht von einer völligen Verkennung der Möglichkeiten Ihres Ministeriums aus. Das kann man doch nicht als eine Zustimmung auffassen!
({6})
Nun möchte ich mich noch kurz Ihrem Ministerium und seinem Aufbau zuwenden. Sie sagen, Sie hätten das Ministerium sehr klein gehalten. Sie haben es in vier Abteilungen eingeteilt; darunter finden wir eine Grundsatzabteilung, eine Abteilung für Sozialpolitik, für Wirtschafts- und für Steuerpolitik, sowie für das Familienrecht. Ich überlege mir, in welcher dieser Abteilungen Ihre Herren sich so langweilen, daß sie durch die Städte ziehen und dort die Schaufensterdekorationen zu Ostern kontrollieren.
({7})
Wie mir berichtet worden ist, ist in einer rheinischen Stadt ein Herr aufgetaucht und hat die Hasenköpfchen auf den Puppen in einem Fenster beanstandet. Ich weiß nicht, ob das ein Aprilscherz sein sollte oder was man davon halten soll.
({8})
- Das ist eine Tatsache.
({9})
- Ich möchte wissen, warum man solche Dinge von einem Ministerium durchführen läßt; das wirkt ja doch sehr eigenartig!
Es wäre uns sehr viel lieber gewesen, wenn sich die Bundesregierung, statt ein solches Ministerium zu gründen, da etwas freigebiger gezeigt hätte, wo Anträge auf wirkliche materielle, finanzielle Hilfe für die Familie gestellt worden sind. Da haben wir es sehr oft erlebt, daß unsere Anträge abgelehnt wurden. Es erstaunt etwas, daß man in einem Zeitpunkt, in dem man ein 'Familienministerium gründet, ein wirklich für die Familie so wichtiges Werk wie das Müttergenesungswerk, das nun tatsächlich für die Gesundheit der Mütter etwas tun will, mit ganzen 30 000 DM abspeist. Diese Abteilungen in
({10})
Ihrem Ministerium, die nun auf allen Gebieten der Gesetzgebung mitarbeiten sollen, halte ich schon deshalb für überflüssig, weil ich glaube, daß schließlich in jedem Ministerium bei der Gesetzgebung Rücksicht auf die Belange der Familie genommen werden muß. Das ist ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Im Wohnungsbauministerium haben wir sogar ein besonderes Referat für die Frauen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß, wenn der Wohnungsbau etwa mit den Augen der Frau betrachtet werden soll, man das dann anders als eben vom Gesichtspunkt der Familie aus tun kann.
Schließlich ist ja auch der Bundestag noch da. Ich glaube, hier auf diesen Bänken, überall in diesen Reihen sitzen Familienmütter und Familienväter, die in diesen Angelegenheiten keines Mentors bedürfen.
({11})
Meine Damen und Herren! Die Begründung, die der Herr Bundeskanzler für die Notwendigkeit der Schaffung dieses Ministeriums gegeben hat, ist nicht stichhaltig. Die Aufgaben, die sich der Herr Bundesminister für Familienangelegenheiten gestellt hat, können anderswo besser und richtiger durchgeführt werden.
Wir halten deshalb die Einrichtung dieses Ministeriums für eine Verschwendung von Steuermitteln und beantragen seine Streichung.
({12})
Wird das Wort noch gewünscht? - Frau Abgeordnete Dr. Rehling!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Abgeordnete Hubert, ich möchte wohl sagen, daß Sie den Herrn Bundeskanzler doch wohl mißverstanden haben, wenn Sie meinen, daß er die Gründung des Familienministeriums in erster Linie vorgenommen habe, weil wir eine Bevölkerungspolitik treiben wollten etwa, wie sie im Dritten Reich betrieben worden ist.
({0})
Mit Statistiken kann man j a allerlei beweisen. Ich glaube, Sie haben bei der Ihren vollkommen vergessen, daß einige Jahrgänge durch den Krieg völlig ausgefallen sind.
({1})
Es ist immerhin - wenn man die Familie als die Keimzelle eines gesunden Volks- und Staatslebens ansieht, und ich glaube, darin sind wir uns einig - besorgniserregend, daß wir heute nur einen Geburtenüberschuß aufzuweisen haben, wie er in der Prozentzahl so niedrig noch gar nicht gelegen hat.
({2})
- Ja, ich sagte Ihnen schon: mit Statistiken kann man keine schlüssigen Beweise führen.
({3})
Wir sind mit Ihnen auch darin einig, daß die deutsche Familie ihre Bewährungsprobe in den chaotischen Kriegs- und Nachkriegsjahren glänzend bestanden hat.
({4})
Man kann wohl sagen, daß sie eine ganz besondere
Lebenszähigkeit bewiesen hat. Aber auf der anderen Seite ist doch nicht abzuleugnen, daß heute
Politiker und Männer der Kirche, Sozialwissenschaftler und Sozialarbeiter und Psychologen in Arbeitsgemeinschaften und auf Tagungen, in Zeitschriften und Zeitungen sich immer wieder damit beschäftigen, wie es um die Familie bestellt ist, und ihre vordringlichste Aufgabe darin sehen, den Problemen, die hier aufgeworfen werden, zu Leibe zu gehen.
({5})
Und wenn Sie nun etwa sagen, Frau Hubert, es liege keine Gefährdung der Familie vor, dann will ich gar nicht mit meinen Gegenargumenten kommen, sondern Ihnen nur anführen, was Ihr Fraktionskollege, Herr Kühn, am Freitag vergangener Woche gesagt hat. Er führte aus: „Die Gefährdung der Familie ist eine soziale Realität."
({6})
Sie scheinen sich da doch in einem wesentlichen Gegensatz zu befinden.
Es wird uns auch immer wieder zum Vorwurf gemacht - heute ist das nicht geschehen -, wir beabsichtigten, die Familie zu bürokratisieren und in sie hineinzuregieren. Sehen Sie, da haben wir die Verhältnisse in der nationalsozialistischen Zeit noch in sehr frischer Erinnerung und sehen nun heute in der sowjetisch besetzten Zone unseres Landes, wie das ist, wenn der Staat in die Familie hineinregiert. Wir haben, meine ich, in unserer Politik bisher unter Beweis gestellt, daß auf allen politischen Sachgebieten für uns die Devise gilt: Je weniger staatliche Einmischung, um so besser, und dafür um so mehr persönliche Verantwortungsfreudigkeit.
({7})
Ich möchte wünschen, daß Sie für diese unsere Auffassung Verständnis aufbringen, sowohl hier im Hause wie auch in den Auseinandersetzungen mit Ihren Parteifreunden in den Länderparlamenten.
Nun wissen wir ja, daß man vom Staat aus weder kulturschöpferisch noch gemeinschaftsbildend wirken kann. Wir haben aber die Auffassung, daß es bei der unleugbaren Gefährdung der Familie notwendig ist, ihr eine Hilfestellung zu gewähren, damit sie ihre wichtigen Funktionen ungehindert und in vollem Umfange erfüllen kann. Der auch in Ihren Reihen ({8}) sehr geschätzte Sozialwissenschaftler Professor Mackenrodt - jedenfalls hat ihn, wie ich dem Protokoll des Haushaltsausschusses entnommen habe, Herr Professor Gülich Herrn Minister Wuermeling als Sachverständigen warm empfohlen - hat in aller Deutlichkeit gesagt, daß an Stelle der Arbeiterklasse heute die Familie Objekt der Sozialpolitik werden müsse,
({9})
und zwar quer durch alle Klassen und Schichten, und daß es hier überhaupt keine Unterschiede mehr gebe.
Es erscheint uns immerhin alarmierend, wenn wir von erfahrenen Kriminalisten hören, daß zwar die kriminelle Veranlagung der Jugend nicht zugenommen habe, daß aber 90 % aller kriminellen Jugendlichen aus zerstörten Familien kommen. Sie haben vorhin selbst auf den Notstand hingewiesen, daß heute so viele Frauen, die gern in der Familie bleiben möchten, berufstätig sind. Da scheint es mir allerdings dringend notwendig zu sein, Abhilfe zu schaffen.
({10})
({11})
- Jawohl, materiell! Und nun sagen Sie, man könne ja alle diese Angelegenheiten in den zuständigen Ministerien erledigen. Ich meine aber, es ist im verflossenen Jahr deutlich geworden, daß wir da eben nicht genug getan haben;
({12})
denn die Fachministerien sind mit Arbeit außerordentlich belastet, und es passiert schon sehr leicht, daß man die Belange einer Gruppe nicht so berücksichtigt, wie das wünschenswert wäre. Wenn wir heute so viel von dem Kampf gegen die Vermassung reden, dann sollten wir doch ernstlich danach trachten, daß wir gerade die Familie, die hier ein starkes Bollwerk bilden kann, vor dem Absinken ins Kollektiv und vor der sozialen Deklassierung bewahren. Ich meine, wenn wir es wirklich ernst nehmen mit dem Art. 6 unseres Grundgesetzes, der dem Staat die besondere Verpflichtung zum Schutz der Familie auferlegt, und wenn wir der Überzeugung sind, daß sie gefährdet ist, dann ist die Gründung eines Familienministeriums eine Konsequenz aus diesem Artikel des Grundgesetzes. Sie haben vorhin j a selbst schon darauf hingewiesen, daß dieses Ministerium bei der wesentlichen Heraufsetzung der Freigrenze für die kinderreichen Familien im Rahmen der Steuerreform einen ersten Erfolg aufzuweisen hat.
({13})
- Immerhin ist das doch wohl schon als ein Erfolg dieses Ministeriums zu buchen.
Im übrigen möchte ich Ihnen auch in Erinnerung rufen, daß wir mit dieser Gründung des Familienministeriums wirklich nicht allein dastehen. Ein solches ist in Luxemburg bereits 1950, in Belgien 1951 gegründet worden. Diese Ministerien haben sich durchaus bewährt.
({14})
Ich habe gehört, daß in Belgien selbst bei einem Wechsel der Regierungspartei dieses Ministerium beibehalten wurde.
Was nun den Beamtenapparat anlangt, so meine ich doch, daß er klein gehalten ist. Ich möchte hoffen und wünschen, es möge von diesem Ministerium einmal heißen, daß hier von wenigen für viele viel geschaffen worden ist.
({15})
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister für Familienfragen hat mir erklärt, daß er selbstverständlich bereit sei, zu den aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Ich habe ihm versichert, daß das Haus es mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit sicher begrüßen würde, wenn er darauf heute abend verzichtete. Ist das die Meinung des Hauses?
({0})
- Danke. Wird das Wort sonst noch gewünscht? Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Besprechung.
Es liegt der Streichungsantrag der Fraktion der SPD, Umdruck 64, vor. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit Mehrheit bei einigen Enthaltungen abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Einzelplan 29 gemäß Drucksache 371 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, die von uns für die heutige Beratung vorgesehene Zeit ist überschritten. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Fortsetzung der zweiten Beratung sowie die dritte Beratung am 30. April vornehmen.
Es bleibt mir, bevor ich die Sitzung schließe, die Pflicht, Ihnen ein gutes und gesegnetes Osterfest zu wünschen.
Ich berufe die nächste Sitzung auf den 29. April,
9 Uhr, und schließe die 25. Sitzung des Bundestages.