Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich dem Hause bekannt, daß der Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes gebeten hat, den Entwurf eines Gesetzes Zur Förderung der Klein- und Mittelbetriebe der gewerblichen Wirtschaft bei der Vergabe von Verteidigungsaufträgen ({0}) an seiner Stelle dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik - federführend - zu überweisen und ihn an der Beratung nur zu beteiligen, da diese Vorlage in einem inneren Zusammenhang mit den Anträgen Drucksache 2089 und Umdruck 497 steht, die beide zur federführenden Behandlung dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen wurden.
Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 9. Mai 1957 gemäß § 19 Abs. 2 des Milch- und Fettgesetzes in der Fassung vom 10. Dezember 1952 ({1}) die Verordnung über die zeitweilige Aufhebung der Pflicht zur Beimischung von inländischem Rüböl im Jahre 1957 übersandt, die im Archiv zur Einsichtnahme ausliegt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 7. Mai 1957 die Kleine Anfrage 328 der Abgeordneten Schneider ({2}), Dr. Leverkuehn, Brookmann ({3}) und Genossen, Drucksache 3191, beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3508 verteilt.
Punkt 1 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Atomwaffen ({4}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn heute der Deutsche Bundestag angesichts der Erregung, die nicht nur in unserem Volk durch die Auseinandersetzung über die Ausstattung weiterer Staaten mit Atomwaffen entstanden ist, sondern angesichts der weltweiten Diskussion dieser Fragen Stellung nimmt zu im wesentlichen zwei Problemen: zu der Frage, was wir tun können, um dem irrsinnigen Wettlauf zum atomaren Selbstmord ein Ende zu setzen, und wie wir uns zu verhalten haben, wenn durch den Verlauf der weltpolitischen Entwicklung auch vor unser Volk die Frage ,der Ausstattung mit Atomwaffen tritt, dann ist es gut, wenn wir zunächst einmal miteinander erörtern, wie wir in dieses Problem überhaupt hineingeraten sind. Dazu einige Tatsachen!
Am 6. August 1945 (um 8 Uhr 15 explodierte die erste Atombombe. Sie zerstörte die Stadt Hiroschima. Etwa 100 000 Menschen wurden getötet, 90 % ,der Stadt wurden zerstört. Tiefes Entsetzen erfüllte nach dem Bekanntwerden dieser Tatsachen die ganze Menschheit, aber ein Entsetzen, gepaart mit der Hoffnung, daß nach dem Ende des zweiten Weltkrieges endlich die Vernunft siegen würde über die Unvernunft, endlich die Einsicht siegen würde, daß mit dem Auftreten der Atomwaffen die schauerliche Perspektive der völligen Ausrottung der Menschheit in einem neuen Weltkonflikt in greifbare Nähe gerückt war. Damals waren die Menschen zunächst mehr von der Hoffnung erfüllt als vom Entsetzen geplagt. Man wußte, der zweite Weltkrieg war nun zu Ende, Deutschland in Europa, Japan in Asien waren niedergerungen, und die Hoffnungen der Menschen selbst in den besiegten Ländern gründeten sich darauf, daß vielleicht jene siegreiche Weltkoalition nun doch den Weg beschreiten würde, um auch künftig den Frieden zu bewahren. Man hatte die Hoffnung, daß es gelingen würde, jene schreckliche Energiequelle nicht der Zerstörung der Menschheit, sondern dem Nutzen der Menschen zuzuführen.
Zunächst waren die Vereinigten Staaten von Amerika allein im Besitz dieser schrecklichen Waffen. Es stellte sich aber bald heraus, daß die Hoffnungen, die wir alle hatten, trogen. Die Spannungen unter den Siegern wuchsen. Dier Westen hatte zunächst einen erheblichen Teil seiner eigenen Streitkräfte abgerüstet. Die Sowjetunion tat kaum dergleichen. Ihre harte gepanzerte Faust verhinderte, daß diejenigen Völker Europas, die im Verlauf der Kriegsereignisse unter sowjetische Besetzung gelangt waren, wirklich in freier Selbstbestimmung ihr Schicksal gestalten konnten.
Der Bruch ,der Friedensverträge mit den osteuropäischen Staaten, die Absage an die darin verbrieften freien Wahlen, der kommunistische Staatsstreich in der Tschechoslowakei, die Blockade Berlins - ,das alles waren Zeichen einer Haltung, die die Hoffnungen auf die Bewahrung des Friedens allmählich wieder in ein Nichts zerrinnen ließen. Das, was die Menschen einst. schrecklich gefürchtet hatten, nämlich der Wiederbeginn eines neuen Wettrüstens, wurde harte Tatsache.
Zunächst gelang es, den Prozeß der Abwürgung unserer Stadt Berlin mit friedlichen Mitteln zu beenden. Die Luftbrücke war das großartigste Beispiel. Dann entstand der Atlantikpakt ,als Reaktion auf den kommunistischen Staatsstreich in der Tschechoslowakei, aber ohne die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland, deren besondere
Situation als Teil eines gespaltenen Ganzen damals allen Einsichtigen noch klar war. Inzwischen war etwas Weiteres eingetreten: inzwischen hatten die Vereinigten Staaten von Amerika das Monopol der Atombewaffnung verloren. Im August 1949 explodierte die erste sowjetische Atombombe.
Im Jahre 1950 trat infolge ides Koreakonflikts eine weitere Zuspitzung der weltpolitischen Gegensätze ein. Das Wettrüsten nahm seinen Fortgang. Auf der Lissaboner Tagung der Atlantikpaktmächte setzte man sich das Ziel, zunächst einmal etwa 100 Divisionen aufzustellen, weil man glaubte, ohne diese Zahl sei Europa gegenüber einem möglichen sowjetischen Angriff verloren.
Inzwischen aber nahm das Wettrüsten auch auf dem Gebiet seinen Fortgang, von dem wir heute hier sprechen. Die Briten ließen ihre erste Atombombe ,ausprobieren, und die Vereinigten Staaten brachten die bisher schrecklichste Waffe zur Explosion, und zwar im Jahre 1952 in Gestalt der Wasserstoffbombe.
Hatte man bis dahin geglaubt, daß der Vorsprung der Westmächte gegenüber der Sowjetunion in diesem makabren Wettlauf viele Jahre betrage, so wurde man jetzt eines Böseren belehrt. Im August 1953 führte auch die Sowjetunion die erste Explosion auf der Grundlage der Kernverschmelzung, auf der Grundlage der Wasserstoffwaffen aus.
Und nun wandte sich der Wettlauf einem neuen Gebiet zu: wie man mit immer unheimlicheren technischen Mitteln diese zerstörerischen Kräfte bis in das Herz anderer Kontinente und Länder tragen konnte. Wir erlebten den Wettlauf der Techniker in der Schaffung der Raketenwaffen, nicht nur für die Nähe, sondern auch und gerade für die Ferne, und heute schon, nicht erst in sehr ferner Zukunft, wie manche sagen, ist der Zustand erreicht, den der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Präsident Eisenhower, selber am klarsten umschrieben hat. Er hat gesagt: Die beiden militärischen Giganten dieser Welt, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion, gleichen zwei Skorpionen in einer Flasche. Sie können sich nur gegenseitig umbringen; aber keiner könnte dem Verhängnis entrinnen.
Das ist das Gleichgewicht des Schreckens, das gerade die Großmächte immer wieder an jenen Tisch treibt, an dem sie auch und gerade über diese Frage miteinander zu reden gezwungen sind. Sie tun das jetzt in London bei den Beratungen des Abrüstungsunterausschusses der Vereinten Nationen, und beide sind sich der Tatsache bewußt oder sollten sich mindestens der Tatsache bewußt sein, daß es letzten Endes ziemlich gleichgültig ist, wer bei diesem Stand der Vernichtungstechnik dem anderen in der Zahl der Sprengkörper atomarer Wirkung überlegen ist. Wenn beide sich gegenseitig umgebracht haben, ist es völlig gleichgültig, auf wessen Gebiet sich dann noch ein gewisser Vorrat an unverbrauchten Atomwaffen befindet,
({0})
wenn erst einmal die Wirkungen ausreichen, um schier die ganze Menschheit umzubringen. An dieser abschreckenden Wirkung der Atomwaffenvorräte in den Händen der Vereinigten Staaten - um einmal von diesen zu sprechen - ändert sich überhaupt nichts, ob die Vereinigten Staaten von Amerika diesen Vorrat an weitere Länder austeilen oder nicht.
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Meine Damen und Herren, durch den Appell, den der große Wissenschaftler, Musiker und Philanthrop Schweitzer an die ganze Menschheit gerichtet hat, ist aber sichtbar geworden, daß schon das weitere Experimentieren mit diesen Waffen zu Gefahren für die Menschheit führt, selbst wenn gar kein Krieg damit geführt wird. Bisher haben etwa 100 Versuchsexplosionen stattgefunden, davon ein Dutzend Explosionen von Wasserstoffbomben. Die Regierungen tun das, was sie in solchen Fällen immer zu tun pflegen, sie beruhigen die Menschheit und sagen: Die Gefahren sind gar nicht groß. Das sagen sie auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, hüben wie drüben, um ihre Völker zu beruhigen.
Als lange vor den Warnungen Professor Schweitzers etwa der deutsche Wissenschaftler Professor Bechert sich ziemlich eindeutig zu den drohenden Konsequenzen der Fortsetzung der Atomversuche äußerte, da erhob sich gegen ihn eine Kampagne, bei der man sagte: Du treibst damit ja nur die Geschäfte einer fremden Macht.
({2})
Meine Damen und Herren, wir sollten sehr ernst nehmen, was in einem Volk gesagt wird, das in Krieg und Frieden doppelt mit den Auswirkungen der Atomwaffen geschlagen worden ist, was im japanischen Volk gesagt worden ist. Es ist tief bedauerlich, daß alle Forderungen der Japaner an die beiden Seiten, zunächst einmal mit den Versuchsexplosionen aufzuhören, weil sie keinen Sinn haben - denn der Sprengstoff, der vorhanden ist, reicht heute schon aus, um uns alle umzubringen -, es ist tief bedauerlich, daß diese Vorstellungen der japanischen Regierung, dieses Aufbegehren des japanischen Volkes kein Echo bei den Verantwortlichen dieser Welt gefunden haben. Es ist schlimm, daß man von beiden Seiten hört: Der andere soll anfangen, daß immer jeder sich dahinter versteckt, daß der andere ja nicht mitzutun bereit sei. Gleichzeitig geht rund um diese Konferenz herum die schauerliche Begleitmusik weiter, werden auf beiden Seiten - bis vor wenigen Tagen noch auf der sowjetischen, in naher Zukunft wahrscheinlich auf der britischen - Versuche mit solchen Atomwaffen der verschiedensten Kaliber durchgeführt. Gerade unsere westlichen Freunde, die mit uns davon überzeugt sind, daß auch das Recht, daß auch die Moral Positionen im politischen Leben sein müssen und nicht nur die nackte Gewalt, gerade unsere westlichen Freunde sollten bereit sein, einen Schritt zu tun, der ihre eigene Sicherheit in nichts gefährdet, aber geeignet ist, ein Beispiel zu setzen.
({3})
Meine Damen und Herren, bisher sind alle Explosionen, die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs stattgefunden haben, auch beiden Seiten gegenseitig bekanntgeworden, weil die Explosion einer Atomwaffe mit den Folgen, von denen wir hier reden, nämlich die radioaktive Verseuchung der Luft, des Bodens und des Wassers - und nur um eine solche Explosion mit diesen Auswirkungen handelt es sich -, überhaupt nicht geheimgehalten werden kann. Man wüßte es also bereits wenige Stunden später, wenn jemand eine solche Erklärung - wenn sie einmal abgegeben ist - brechen sollte. Hier erübrigt sich also tatsächlich ein sehr minutiöses Ringen um die Fragen der Kontrolle. Ich weiß, daß wirkliche Abrüstung undenkbar ist
ohne eine sorgfältige Überwachung der Einhaltung der getroffenen Abmachungen. Eine Abmachung darüber, daß keine Atomwaffenexplosionen mehr vorgenommen werden, kontrolliert sich selbst, weil der Bruch am nächsten Tage weltweit bekannt ist.
({4})
Was nützt eigentlich ein Appell wie der des Professors Schweitzer, über den wir ja nachher noch sprechen werden, wenn er gerade bei den Verantwortlichen keinerlei Reaktionen auslöst? An wen richtet er sich? Er richtet sich doch an uns alle, auch an unser Parlament, weil wir ein Stück der Weltmeinung sind,
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weil wir nicht darauf verzichten dürfen, auch unsere Meinung als Beitrag in diese weltweite Diskussion hineinzugeben; denn sie hat ihre Auswirkungen.
Sie haben alle gelesen, was ein angesehener, vielfach ausgezeichneter amerikanischer Naturwissenschaftler und Träger des Nobelpeises nur zu dem Thema der Fortsetzung der Versuche und deren Gefahren ausgeführt hat. Er hat dargelegt, daß eine weitere Explosion einer Wasserstoffbombe angesichts der bisher bekannten Konsequenzen derartiger Explosionen zum voraussichtlichen Ergebnis habe, daß tausend Menschen in der Welt mehr an Leukämie sterben würden als ohne diesen Versuch. Er hat ausgeführt, daß bei weiteren Versuchen, die sicher folgen würden, wenn nicht irgendwann einmal diesem Wettlauf ein Ende gesetzt werde, die Substanz der Menschheit bedroht werde, weil es niemand mehr in der Hand habe, die Folgen zu erkennen und ihnen zu begegnen, wenn unser Erbgut durch Mutationen, ausgelöst durch radioaktive Strahlungen und deren Folgen, verändert werde. Er kam zu dem Ergebnis, man müsse damit rechnen, daß Zehntausende von Kindern künftig als Mißgeburten, als Schwachsinnige auf die Welt kämen. Und da halte ich es für einen mageren Trost, wenn sich Regierungen hinstellen und sagen: Die Gesamtheit der Röntgenzahl an Strahlenwirkung, die bei solchen Explosionen auf die Menschheit niedergeht, ist so gering, daß sie im Durchschnitt dem einzelnen Menschen gar nichts schadet. Sicher, im Durchschnitt ist die Zahl der Verkehrsunfälle, selbst in einem Land wie der Bundesrepublik, so gering, daß keineswegs gesagt ist, daß hier von uns unbedingt in diesem Jahr jemand umkommen muß. Entscheidend ist doch hier nicht der Durchschnitt, sondern entscheidend ist, wieviel die Betroffenen abbekommen.
({6})
Mich hat es auf das tiefste erschreckt, als ich sehen mußte, wie von eigenen Freunden wesentliche Begriffe des Zusammenlebens der Völker einfach in den Staub getreten werden. Wer gibt einem Staate das Recht, durch derartige Versuche nicht nur die Beteiligten, nicht nur Unschuldige aus dem eigenen Volk, sondern Menschen in fremden Ländern, die überhaupt nichts damit zu tun haben, an Leib und Leben zu schädigen?
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Da darf man sich auch nicht hinter die Position zurückziehen: Die andere Seite tut es auch. Es wird keine Untat dadurch besser, daß ein anderer auch eine begeht.
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Meine Damen und Herren, wir als der Deutsche Bundestag sollten einen Aufruf an alle, die es angeht, ohne Ausnahme richten: Macht Schluß mit den Versuchsexplosionen!
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Ich war betroffen darüber, bei den Diskussionen im Europarat und in der Westeuropäischen Union in Straßburg erleben zu müssen, wie auch durch Angehörige dieses Hauses ein Appell, den die europäische öffentliche Meinung an die Welt hätte richten können, nicht zustande kam.
({11})
Meine Damen und Herren, ich bedauere auch, daß, wie uns der Ratspräsident der Westeuropäischen Union in Straßburg gesagt hat, diese Frage der Versuchsexplosionen in Bonn bei der letzten Tagung des Atlantikrates - das wäre ein Ort für eine solche Erörterung gewesen - von niemandem aufgeworfen worden ist, auch nicht von der Bundesregierung.
({12})
Ich bin der Meinung, daß das Gewissen dort hätte Sprecher finden müssen.
Aber, meine Damen und Herren, es ist ja unabhängig von der Bemühung um die Einstellung der Versuchsexplosionen noch mehr zu tun; damit wird nur die weitere Aufhäufung von Explosivstoff in gewisse Grenzen gebracht, aber noch nicht der Wahnsinn der Produktion und damit das schauerliche Verhängnis, im atomaren Selbstmord unterzugehen, von uns abgewendet. Es ist mehr nötig als nur dieses. Es ist nötig - und ich weiß, daß das ein sehr komplexes Problem ist und nicht auf ein einziges Mal, in einem einzigen Anlauf gelöst werden kann -, daß die Atomwaffen wieder aus der Welt verschwinden. Aber die Atomwaffen bringen wir nur aus der Welt, wenn es gelingt, auch auf den anderen Gebieten dem Wettrüsten ein Ende zu setzen und die Beziehungen zwischen den Völkern zu entspannen und nicht erneut zu vergif ten.
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Es gibt aber Menschen, die uns sagen, selbst unter diesen Voraussetzungen gehe das nicht mehr; die Atomwaffen seien nun einmal da, und zwar in sehr großer Zahl, und man könne infolgedessen das Rad der Geschichte, wie das so schön heißt, nicht zurückdrehen. Meine Damen und Herren, wenn ein Wagen im Begriff ist, in den Abgrund zu rollen, dann muß man ihm in die Speichen greifen. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb muß man das tun. Ich weiß, daß der Westen nicht dazu gebracht werden kann und daß wir auch von ihm nicht verlangen können, einseitig die Atomwaffen aus der Hand zu legen und sich dann sowjetischen Atomwaffen und der sonstigen erdrückenden Überlegenheit der Sowjets auf militärischem Gebiet gegenüberzusehen. Ich weiß, daß es darum geht, ein umfassendes Abkommen zu erreichen, bei dem die Atomwaffen in einem Zusammenhang mit den anderen Rüstungen stehen und bei dem es auch auf eine ernsthafte Kontrolle der Einhaltung der Abmachungen ankommt. Deshalb ist es so wichtig, daß auf der Londoner Konferenz Vereinbarungen herauskommen, die alle wesentlichen Mächte umfassen, die sich auf alle Arten von Streitkräften und Waffen beziehen und damit den Weg zur Ächtung und Abschaffung insbesondere der Atomwaffen ebnen, und daß man ein wirksames Kontrollsystem entwickelt. Vermutlich kann man das große Ziel auch nur in Etappen und nicht in einem Wurf erreichen.
Aber wenn man das überhaupt will, meine Damen und Herren, muß man endlich in einer bestimmten Frage anfangen. Und diese Frage, die sich jetzt für uns als ein wirksamer Anfang geradezu anbietet, ist das Aufhören mit weiteren Versuchsexplosionen. Deswegen müssen wir dafür sorgen, daß die Londoner Verhandlungen durch Schaffung eines geeigneten Klimas unterstützt und nicht etwa torpediert werden.
Deshalb müssen wir auch die Londoner Verhandlungen mit der Deutschlandfrage verbinden, nicht etwa in dem Sinne eines Ultimatums: Die Abrüstung, an der alle Völker ein Interesse haben sollten und auch haben, wird verboten, solange nicht ganz Deutschland die Möglichkeit hat - nun, sagen wir es brutal -, im Atlantikpakt zu sein, oder so. Nein, in anderer Weise muß die Deutschlandfrage damit verbunden werden: indem wir den anderen klarmachen, daß der Weg zur Abrüstung leichter wird, auch nach den von uns dargelegten Vorschlägen leichter wird, wenn die Abrüstungsfrage mit der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands in vernünftiger Weise verbunden wird.
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Und dazu würde eine Erklärung einen außerordentlich großen Dienst leisten, die etwa sagte: Das wiedervereinigte Deutschland will nicht einen Mann und eine Waffe mehr haben, als in einem umfassenden Abkommen in einem vernünftigen Verhältnis zu den Streitkräften seiner Nachbarn festgelegt wird.
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Die Hoffnung auf ein Zustandekommen einer ernsthaften Abrüstungsvereinbarung besteht nur solange, als man nicht allgemein die Atomwaffen über den Erdball verteilt. Stellen Sie sich bitte einmal vor, was das heißt, wenn die drei Mächte, die sich jetzt im Besitz von Atomwaffen befinden, nun beginnen, ihre verschiedenartigen Bundesgenossen auf dem Erdball damit auszurüsten! Wenn die Bundesrepublik Atomwaffen bekommt - bitte, haben die Vereinigten Staaten nicht auch Bundesgenossen, die da heißen Syngman Rhee und andere? Und bei den heutigen Verhältnissen in der Welt - auch wenn der ägyptische Regierungschef Nasser nicht ein förmlicher Bundesgenosse der Sowjetunion ist, steht er ihr nicht außenpolitisch außerordentlich nahe? Haben wir nicht im Januar dieses Jahres in einer Zeitschrift der ägyptischen Armee den grausigen Spruch lesen können: Für Ägypten besteht die Lösung des Israelproblems in der Atombombe!? Wird uns damit nicht klar, was wir anrichten, wenn wir, vielleicht noch dazu durch eigenes Drängen, der allgemeinen Verteilung der Atomwaffen über die ganze Welt Vorschub leisten,
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statt den Versuch zu unternehmen, dieses Verhängnis abzuwenden? Es ist ein Verhängnis. Und Eile ist geboten. Wenn nicht bald eine Lösung unter den drei Großen, die auch unsere Zustimmung finden könnte und müßte, gefunden wird, kann man ohne weiteres davon ausgehen, daß nicht nur die, die verbündet sind, sondern ,auch andere sich mit Atom({17})
waffen ausstatten werden. Frankreich hat ihre Produktion ziemlich deutlich angekündigt; in Schweden wird darüber diskutiert.
Meine Damen und Herren, worauf sollen wir unsere Politik einstellen? Sollen wir sagen: Wir müssen unbedingt selbst auch welche bekommen, oder sollen wir unser Gewicht in die Waagschale werfen, um auf das Ende des atomaren Wettrüstens und damit auch die Beseitigung der Atomwaffen bei den anderen Einfluß zu nehmen? Das scheint mir der richtige Weg zu sein.
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Die Bundesregierung hat sich dazu sehr widerspruchsvoll geäußert. Ursprünglich hat sie diesen von mir soeben gekennzeichneten Weg für den richtigen gehalten. Der Herr Bundeskanzler hat am 5. Oktober 1954 zur Londoner Konferenz hier erklärt: „Alle Waffen, die die deutschen Truppen brauchen, dürfen auch in Deutschland hergestellt werden". Wenn Worte einen Sinn haben, hieß das also, daß die deutschen Truppen diejenigen Waffen gar nicht brauchen, auf deren Herstellung die Bundesrepublik Deutschland verzichtet hat, nämlich die Atomwaffen. Herr Minister Strauß hat am 16. Juli 1955 hier versichert, daß der Aufbau deutscher konventioneller Streitkräfte die Chancen für ein realistisches Abrüstungsgespräch auf dem Gebiet der Atomwaffen erhöhe. Er wollte also gar keine Atomwaffen haben. Doch schon im Dezember 1955 wurde diese Vorstellung vom Verteidigungsministerium über Bord geworfen. Damals hieß es in Pressemeldungen wörtlich:
Außerdem ist vorgesehen, die eigene Feuerkraft durch Atomartillerie zu erhöhen. Bis jetzt verfügen nur die amerikanischen Divisionen auf dem Kontinent über Atomkanonen.
Diese Haltung wurde dann konsequent weiterverfolgt, und sie war ein Bruch mit all dem, was der Bundeskanzler selber früher in diesem Hause erklärt hat. Im NATO-Rat hat man die Frage der Ausrüstung auch der Bundeswehr mit Atomwaffen angesprochen. Am 29. Januar 1957 hat Herr Bundesminister Strauß in einem Gespräch mit den Wissenschaftlern dargelegt, daß die Atomwaffen für alle europäischen NATO-Staaten und damit auch für die Bundesrepublik Deutschland unbedingt erforderlich seien. Es gab dann sehr zwiespältige Äußerungen über die Frage, ob man mit Frankreich in eine Gemeinschaftsproduktion von verschiedenartigen Waffen, darunter eventuell auch Atomwaffen, eintreten solle oder nicht. Es wäre vielleicht gut, wenn der Herr Minister zu diesem Punkte eindeutige Klarheit schaffte.
Ich stelle mir die Frage, meine Damen und Herren: Mußten gerade wir anfangen? Am 22. März hat der Herr Bundeskanzler in einer Pressekonferenz erklärt, daß in der durch den britischen Truppenabzug veranlaßten Umrüstungsdiskussion auch die gemeinsame europäische Atomwaffenproduktion unter deutscher Beteiligung zur Diskussion stehe. Der Außenminister hat versichert, daß die Bundesregierung nicht mehr an Atomwaffen verlange, als die politische und militärische Lage erfordere. Sie verlangen also immerhin Atomwaffen. Am 25. März hat die „Neue Presse" in Frankfurt gemeldet, daß sich Generalleutnant Heuringer, der Chef des Führungsstabes der Bundeswehr, in den Vereinigten Staaten um Atomwaffen für die Bundeswehr bemühe.
Gerade nach den Diskussionen, die wir in der letzten Zeit gehabt haben, wäre es wichtig, von der Bundesregierung zu erfahren, welche Haltung sie eigentlich auf der NATO-Konferenz in Bonn zu diesem Problem eingenommen hat. Es ist beschlossen worden, daß eine Studie im Oktober vorgelegt werden soll. Wenn aber - die Informationen darüber sind sehr unzureichend - meine Informationen richtig sind - und das Hohe Haus wird sich daran erinnern, daß sie gelegentlich richtig waren, selbst wenn der Herr Bundeskanzler das zunächst bestritt -, dann geht diese Studie zunächst einmal von der Vorstellung aus, daß alle europäischen NATO-Partner Atomwaffen bekommen, auch die Bundeswehr. Wiederum hat uns Herr Spaak in Straßburg versichert, daß niemand gegen diesen Grundgedanken hier in Bonn irgendeinen Einwand gemacht habe, auch die Bundesregierung nicht.
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Die Studie soll dann die Grundlage für ,die dann zu treffenden endgültigen Entscheidungen bilden, und die würden dann getroffen werden, - nach der Bundestagswahl!
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung möge sich unzweideutig erklären, ob sie bei ihren Bundesgenossen - bei unseren Bundesgenossen nach den Verträgen. jawohl! - darauf gedrungen hat. daß man angesichts der Lage, in der wir uns befinden. den Vorrang den politischen Bemühungen in Richtung auf eine Beseitigung der Atomgefahren und nicht auf das Hineinziehen weiterer Länder in das atomare Wettrüsten gibt.
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Außerdem muß sich die Bundesregierung nach ,all den verschiedenartigen Auskünften, die wir bekommen haben. wohl dazu äußern, ob es nun wirklich bei dem Verzicht - bei dem von ,dem Herrn Bundeskanzler schriftlich ,erklärten Verzicht! - auf die Produktion von Atomwaffen in der Bundesrepublik Deutschland bleibt oder ob man glaubt, daß diese Produktion, wenn sie keine national-deutsche mehr sei, sondern unter der Verantwortung mehrerer Partner gemeinsam betrieben werde, dann etwa 'auch in Deutschland - vielleicht nur planend, am Reißbrett oder in Teilen - mit ,aufgenommen wird.
Vielfach wird ein Gedanke in diese Diskussion geworfen, der, glaube ich, sehr wenig damit zu tun hat. Man sagt, die Gleichberechtigung erfordere doch geradezu. daß. wenn andere die Atomwaffen hätten, wir Deutsche sie auch haben müßten. So hat der Herr Bundeskanzler nach einem Bericht der Zeitung „Die Welt" am 14. April erklärt:
Wenn die Amerikaner die kleinen Atomwaffen haben,
- entschuldigen Sie: wenn ich diesen verniedlichenden Ausdruck höre, bin ich immer schon leicht betroffen ({21})
wenn sie die Italiener, die Franzosen, die Belgier, die Holländer haben und die deutschen Truppen sie nicht haben, das bedeutet mit anderen Worten eine Auflösung des westlichen Verteidigungsgürtels gegenüber Sowjetrußland.
Meine Damen und Herren, damit hat sich der Herr Bundeskanzler in einen schneidenden Gegensatz zu den Vorschlägen des Beauftragten des Präsiden({22})
ten Eisenhower bei der Londoner Konferenz, des amerikanischen Politikers Stossen, gesetzt.
({23})
Herr Stassen hat nämlich dort vorgeschlagen, sich darauf zu verständigen, daß die Atomwaffen nicht an andere Staaten weitergeliefert werden als ian die, die sie jetzt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Vertreter des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika fest entschlossen sei, den westlichen Verteidigungsgürtel gegenüber Sowjetrußland aufzulösen. Das kann ich mir offen gestanden einfach nicht vorstellen. Dieses Argument trifft also schon einmal nicht zu.
Aber ein Zweites, meine Damen und Herren! Mit diesem Zitat, das ich Ihnen vorgetragen habe, versucht doch der Herr Bundeskanzler den Eindruck zu erwecken, als sei eis schon so, daß die Italiener. die Franzosen, die Belgier, die Holländer diese Waffen hätten und wir Deutsche müßten uns da wohl oder übel anschließen. Davon ist doch keine Rede. Von den anderen hat sie keiner, und ich stelle mir die Frage, ob irgendeiner überhaupt danach gedrängt hätte, wenn nicht wir mit dem Drängen so entscheidend vorgeprescht wären.
({24})
Zum Thema der Gleichberechtigung nur eines! Es ist ein Unterschied, ob einem im fremden Interesse eine Diskriminierung auferlegt wird oder ob ein Volk sich im eigenen Interesse freiwillig Beschränkungen auferlegt.
({25})
Denn wenn iSie Ihren Gedanken idler Gleichberechtigung zu Ende führen, meine Damen und Herren,dann gehört logisch dazu nicht nur der Besitz von Atomwaffen, um sie notfalls einsetzen zu können, sondern auch einmal die Produktion von Atomwaffen und zweitens der Besitz der Wasserstoffbombe!
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Dann gibt es hier doch keine Grenze. Warum dann den Schnitt dort ziehen und nicht woanders?
({27})
Meine Damen und Herren, der ausscheidende Generalsekretär der Atlantikpakt-Organisation, Ismay, hat uns außerdem noch einmal eindeutig klargemacht, daß wir uns bei diesen Entscheidungen nicht hinter dem breiten Rücken anderer Staaten verkrümeln können. Die Verantwortung liegt bei uns. Jeder Staat entscheidet selber darüber, ob seine Armee mit Atomwaffen ausgerüstet wird oder nicht. Ja, jeder Staat entscheidet selber sogar darüber, ob auf seinem Gebiet Atomwaffen stationiert werden können oder nicht.
({28})
Natürlich hat Herr Ismay - das war sein gutes Recht - darüber hinaus darauf aufmerksam gemacht, daß er es für nicht erwünscht hielte, wenn sich die Deutschen anders entschieden als andere. Aber, meine Damen und Herren, er hat die Verantwortlichkeit herausgestellt, und darauf kommt es an. Sie müssen sagen, ob Sie Atomwaffen haben wollen oder nicht. Sie müssen sagen, ob sie hier stationiert werden sollen oder nicht. Niemand in der Welt nimmt uns die Verantwortung für diese Entscheidung ab, niemand!
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Nun noch einmal zu den sogenannten „kleinen" Atomwaffen. Der Herr Bundeskanzler hat einmal gesagt - es war am 5. April in einer Pressekonferenz -, das sei ja nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie.
({30})
Entschuldigen Sie, bei allem Respekt auch vor Leistungen einer starken Persönlichkeit, Herr Bundeskanzler: diese Außerung in dieser Frage deutet entweder sauf einen laienhaften Unverstand oder auf eine gewollte Fehlunterrichtung der Öffentlichkeit hin.
({31})
Beides ist gleich schlimm. Es steht einem Gegensatz zu dem Verhalten, das eine Macht an den Tag legt, die selber im Besitz dieser schrecklichen Waffen ist, aber sagt: Gerade deshalb muß man das Volk aufklären, was das bedeutet.
Der ehemalige Oberkommandierende der strategischen Luftstreitkräfte, der Vereinigten Staaten General Curtis Lemay hat am 5. Dezember 1955 folgendes gesagt:
Wir sollten allen Menschen auf der Erde einen Begriff von den Wirkungen der modernen Waffen geben, vor allem derjenigen, mit denen wir zur Zeit ausgerüstet sind, damit die Sinnlosigkeit eines Krieges klar wird.
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Das war die Sprache eines Soldaten, der genau weiß, wovon er spricht.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie noch einmal an unsere ständigen Darlegungen hier im Hause und anderwärts über die Wirkungen sogenannter taktischer Atomgeschosse erinnern. Es ist nie bestritten worden, wenn auch die Öffentlichkeit erst jetzt durch die Erklärungen der Wissenschaftler diesen Sachverhalt richtig aufgenommen und begriffen hat: jene Bombe, die Hiroshima auslöschte, ist heute ein taktisches Geschoß. Man kann die Träger einer Sprengkraft von dieser Wirkung mit Kanonen, mit Raketen abschießen, man kann, sie von Flugzeugen abwerfen. All das wird von den Militärs heute unter dem Sammelbegriff der taktischen Atomwaffen zusammengefaßt. Es gibt die eine oder andere Waffe - aber das hat sehr enge technische Grenzen -, die etwas weniger an Sprengkraft entfaltet, aber buchstäblich nur „etwas" weniger, die etwas weniger radioaktiv geworden ist, die aber immer noch radioaktiv ist. Immer noch steckt in jedem Schuß eine Sprengkraft von mehreren tausend Tonnen Trinitrotoluol. Das sind mehrere tausend Luftminen des zweiten Weltkrieges auf einmal,
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ohne daß man zwischen mehreren Luftangriffen wenigstens noch die Zeit hat, Schäden zu reparieren, Kranke zu behandeln usw. Das ist die Wirkung eines Schusses dieser taktischen Waffen. Mit einem Schuß wäre eine Stadt wie Bonn zerstört, verschwunden mit allem, was da ist. Die Totalzerstörung würde zwar nur einen Kreis von 1,6 km bedecken. Aber auch darüber hinaus wäre das Leben weitgehend erloschen. Schwere Schäden an Menschen und Gebäuden in einem Umkreis von vielen Kilometern wären die Folge.
Darf ich Sie daran erinnern, daß wir uns hier vor Jahren schon einmal über die Konsequenzen
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unterhalten haben, die es aus den Manövern „Carte blanche" zu ziehen gelte. Bei diesen Manövern ging man davon aus, daß im Kampf um die wechselseitige Luftherrschaft allein in Deutschland etwa 350 Atombomben abgeworfen würden. Was wäre in diesem Lande allein durch einen solchen „Vorkampf" um die Luftherrschaft schon alles an Zerstörungen angerichtet worden! - Wenn Sie, was ich doch wohl unterstellen darf, die Manöverannahmen gelesen haben, von denen die letzte Stabsübung „Lion noir", „Schwarzer Löwe", ausging, dann wird Ihnen klar: bei einer solchen Kriegführung bliebe von Deutschland überhaupt nichts übrig, auch wenn keine Wasserstoffbombe fällt.
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Die alte Erkenntnis kann nicht oft genug wiederholt werden: bei Konflikten mit diesen Waffen gibt es nicht Sieger und Besiegte, sondern nur Besiegte. Das deutsche Volk würde einen solchen Konflikt nicht überleben. Diejenigen, die an den Folgen der Waffenwirkungen nicht draufgingen, würden den Folgen, den Gesundheitskatastrophen und dem Hunger, erliegen. Jede Verteidigung verliert ihren Sinn, wenn das zu schützende Objekt dabei zerstört wird.
({36})
Unter einer solchen Manöverannahme, die die gegenwärtige Weltlage sehr realistisch einschätzt, ist nicht einmal eine Mobilmachung möglich. Wie wollen Sie unter diesen Umständen überhaupt noch den Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht aufrechterhalten?!
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Meine Damen und Herren, das, was heute den Frieden aufrechterhält, das Gleichgewicht des Schreckens, jawohl, das besteht, ob es in der Bundesrepublik Deutschland Atomwaffen gibt oder nicht!
({38})
Wir haben in Auflehnung gegen jene Politik, die zu diesen Konsequenzen geführt hat, seinerzeit bei den Debatten in diesem Hause die Bundesregierung immer darauf aufmerksam gemacht, daß sie die Augen nicht verschließen dürfe, von welchen Annahmen eigentlich die gesamte Planung der Atlantikorganisation ausgeht. Wir haben eine sorgfältige Beobachtung all dieser Dinge - all dessen, was sich Umrüstung nennt - in der Welt gefordert. Aber, um das hier einmal klar vom Tisch zu bringen: wir haben niemals und zu keiner Stunde die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen gefordert.
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Ihr Pressedienst hat fälschlicherweise das Gegenteil behauptet. Er hat mich absolut richtig zitiert: Es muß das Ziel sein, die Atomwaffen aus der Welt zu bringen, - und dann meine Vorschläge zur Abrüstung auf Gegenseitigkeit. Dann aber kommt eine Leserzuschrift aus Berlin, in der Atomwaffen für die Bundeswehr gefordert werden. - Meine Damen und Herren, ist das plötzlich der politische Stil, daß man Leserzuschriften an eine Zeitung als maßgebende Meinung einer politischen Partei deklariert?
Aber sicher ist es richtig, daß auch ohne Atomwaffen technische Umwälzungen in der Welt vor sich gegangen sind, an denen man nicht vorbeisehen kann. Die Entwicklung der Radartechnik, der Elektronik, der Flugabwehrgeräte, der Raketen auch ohne Atomsprengköpfe - z. B. auf dem Gebiet der Luftabwehr -, der Fahrzeuge mit allen Folgerungen für Gliederung, Panzerung, Ausstattung mit Flugzeugen oder nicht, - all das galt es zu beobachten, weil daraus klar wird, auch ohne das Problem der Atomwaffen in die Diskussion einzubeziehen, daß die Zeit der Massenheere von einst auf jeden Fall vorbei ist. Unter dem Druck unserer Kritik hatte die Bundesregierung ihren ursprünglichen Plan weitgehend über Bord gehen lassen.
({40})
Wo sind denn die ursprünglichen Planzahlen von 500 000 Mann geblieben? Wo ist denn die Ausschöpfung der allgemeinen Wehrpflicht? Heute spricht doch in Ihren Reihen so ziemlich jedermann von Modifizierung. Die allgemeine Verteidigungspflicht, von der der Herr Verteidigungsminister spricht, hat doch mit dem beschlossenen Wehrpflichtgesetz, der dort vorgesehenen Organisation und Länge der Dienstzeit nicht das geringste zu tun.
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Großbritannien hat, das hatten wir Ihnen angekündigt, die Wehrpflicht abgeschafft. Als ich das hier ankündigte, fand ich Unglauben auf allen Seiten. Herr Kollege Dr. Jaeger hat die Engländer in Königswinter geradezu beschworen, doch wieder zur Wehrpflicht zurückzukehren.
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Herr Montgomery hat in einem Vortrag vom 12. Oktober 1955 aber bereits alle diese Konsequenzen für sein Land gezogen. Ähnliches gilt für den Radford-Plan. Angeblich gibt es den gar nicht; aber durchgeführt wird er.
({43})
Als ich damals davon sprach, hat der Herr Bundeskanzler versichert, er wisse von solchen Überlegungen gar nichts. „Woher will der Herr Erler das wissen?". Dann mußte er wenige Wochen später aus dem Urlaub nach Bonn zurückkehren, um sich genau mit diesem Problem zu befassen, von dem er vorher gar nichts gewußt hat.
Meine Damen und Herren, Sie werden wahrscheinlich sagen : Wo willst du denn eigentlich hin? - Das kann ich Ihnen genau sagen. Nachdem uns die militärische Entwicklung auf dem ganzen Erdball in eine Sackgasse hineingeführt hat, müssen wir jetzt versuchen, mit politischen Mitteln Auswege zu finden, um die Menschheit vor dem Selbstmord zu bewahren.
({44})
Deshalb müssen alle Kräfte - und wir haben noch eine ganze Masse - nun ,auf dieses Ziel der Entspannung, der Ermöglichung einer umfassenden Abrüstung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung unseres Landes konzentriert werden, und zwar ehrlich und ernsthaft konzentriert werden. Das ist unvereinbar mit dem Drängen nach Atomwaffen und Teilnahme am atomaren Wettrüsten.
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({46})
Die Zeitbombe der deutschen Spaltung ist für alle, nicht nur für uns, gefährlich genug. Diese Bombe wird noch gefährlicher, wenn man sie mit atomarem Sprengstoff füllt.
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Als wir hier um das Freiwilligengesetz und die Wehrpflicht gestritten haben, haben Sie versucht, unserem Volke die Illusion vorzuführen, eine konventionelle Aufrüstung in dem damals vorgesehen Ausmaß würde uns den Atomkrieg ersparen. Das ist gar nicht wahr. Das sehen wir inzwischen. Diese Illusion ist zerstoben. Gewiß, jede Macht - jede! - verhindert einen Abfall von Gebieten aus ihren eigenen Machtbereichen mit Gewalt, mit so brutaler Gewalt wie die Sowjetunion in Ungarn und mit vielleicht nicht ganz so brutaler, aber immerhin noch erschreckender Gewalt genug wie Frankreich in Algerien. Aber eines ist sicher. Das Herausbrechen eines Landes aus einem Gebiet des anderen Machtbereichs mit Gewalt von außenher bedeutet vor allem in Europa den Ausbruch des Atomkrieges.
Der Herr Bundeskanzler hat uns hier einmal - auch ziemlich gemütvoll - versichert: „Solange wir nicht zur NATO gehören, sind wir im Falle eines heißen Krieges zwischen Sowjetrußland und den Vereinigten Staaten das europäische Schlachtfeld, und wenn wir in der Atlantikpaktorganisation sind, dann sind wir dieses Schlachtfeld nicht mehr."
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Daran darf man doch erinnern, um zu zeigen, daß das sicher nicht die richtige Begründung für den Eintritt der Bundesrepublik in den Atlantikpakt gewesen ist. Mein Freund Mellies hat im Herbst 1956 in aller Nüchternheit ,darauf aufmerksam gemacht: „In Europa bedeutet jeder Krieg zwischen einem Gebiet, das auf der westlichen, und einem Gebiet, das auf der östlichen Seite steht, den Atomkrieg." Das hat auch kein geringerer als General Gruenther am 17. Dezember 1956 im Fernsehen ausgeführt. Er hat nämlich hinzugefügt:
Europa kann ohne Anwendung von Atomwaffen nicht wirkungsvoll verteidigt werden, da der Westen nie in der Lage sein wird, mit den Massenarmeen des Ostens zu konkurrieren.
Ähnlich hat sich der britische Verteidigungsminister Duncan Sandys geäußert. Er hat gesagt:
Ich will nicht behaupten, daß im Fall eines Krieges in Deutschland irgendwelche Hoffnungen bestehen, die Ausweitung dieses Konflikts zu einem Weltkrieg zu verhindern. Es sind dort allzustarke militärische Kräfte konzentriert, und außerdem sind die Großmächte dort automatisch in jede Auseinandersetzung verwickelt.
Meine Damen und Herren, damit ist noch einmal klar gesagt, was wir lalle seit dem Dezember 1954, als der NATO-Rat Idas beschloß, wissen, nämlich: Die gesamte Verteidigungskonzeption der NATO - angesichts der Weltlage kann sie sich wahrscheinlich sogar gar nicht anders verhalten - beruht auf dem Einsatz von Atomwaffen. Aber dann müssen wir eben wissen, was das für unser Volk konkret bedeutet.
Lehren darüber kann man aus dem Unternehmen Sage Brush im September 1955 in den USA
ziehen. Diese Manöver fanden bei einer Beteiligung von 1200 Flugzeugen und 110 000 Mann statt. Die dort 'theoretisch verwendeten sogenannten Babyatombomben und -granaten rangierten in der Größenordnung von etwa einem Zehntel bis zur doppelten Stärke der über Hiroshima abgeworfenen Bombe. Das ist ungefähr die Skala, mit der man sich vertraut machen muß.
Die Lehren dieser Manöver sind vor allem für Westeuropa, ,das die Luftmanöver Carte blanche noch in Erinnerung hat, von überragender Bedeutung. Das Unternehmen Sage Brush zeigte vor allem zweierlei: erstens, daß selbst dann, wenn in einem künftigen Krieg nur taktische Atomwaffen angewendet werden, die Verwüstungen in den betreffenden Gebieten fürchterlich wären. Weite Landstriche wären radioaktiv verseucht, und eine organisierte Kriegführung mit größeren, schweren, auf Nachschub angewiesenen Einheiten wäre wahrscheinlich nicht möglich.
Zweitens demonstrierten die Manöver, daß es, wie der führende amerikanische Militärschriftsteller Hanson Baldwin schreibt, so etwas wie einen begrenzten oder nur mit taktischen Atomwaffen geführten Krieg mindestens in Westeuropa höchstwahrscheinlich nicht geben wird. Fast unvermeidlich würde der Krieg sich zu einem strategischen Konflikt ausdehnen, in den die rückwärtigen Basen und Städte mit verwickelt würden.
Meine Damen und Herren, das alles scheint einigen Abgeordneten Ihrer Seite offenbar völlig unbekannt gewesen zu sein, als sie am 6. Juli 1956 hier im Bundestag die NATO-Planung über den Einsatz von Atomwaffen auch bei Vorhandensein einer Bundeswehr von 500 000 Mann bestritten. Als ich das damals hier darlegte, wurde mir mehrfach, sogar auch in Unterbrechungen, vorgehalten, das sei nicht wahr. Leider ist das die Wahrheit und nichts anderes.
Damit ist klar erwiesen: Die Atomwaffen bringen wir durch die konventionelle Aufrüstung nicht aus der Welt, sondern nur durch die Begrenzung auch und gerade der konventionellen Streitkräfte und Waffen im Zusammenhang mit einer Beendigung des Atomwettrüstens.
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Weiter ist erwiesen, daß die eigenen Atomwaffen im Konfliktfalle ziemlich sicherlich die Bomben - und zwar die schwersten einschließlich auch der Wasserstoffbomben - der Großmächte geradezu auf sich ziehen würden. In diesem Zusammenhang müssen wir den Wert der Londoner Verhandlungen sehen und alles tun - ich wiederhole es -, um sie zu unterstützen, und dürfen nichts tun, was sie gefährden könnte.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland einen Aufstand des Gewissens zu diesem Problem erlebt. 18 Forscher haben sich geäußert; Sie wissen alle, in welcher Richtung. Der Herr Bundeskanzler hat am 12. April dazu gesagt:
Wenn die Wissenschaftler sagen, ein kleines Land wie die Bundesrepublik schütze sich am besten, wenn es freiwillig auf Atomwaffen verzichte, dann hat eine solche Erklärung mit physikalischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen nichts zu tun. Sie ist rein außenpolitischer Natur. Zu ihrer Beurteilung muß man Kenntnisse haben, die diese Herren nicht besitzen.
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({51})
Denn sie sind nicht zu mir gekommen.
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Dafür haben aber jene 18 Wissenschaftler offenbar wenigstens gewußt, was dem Herrn Bundeskanzler nicht bekannt war, welche Auswirkungen taktische Atomwaffen haben. Sonst hätte er nicht von der Fortentwicklung der Artillerie gesprochen.
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Meine Damen und Herren! Auch Demokratie bedarf der Führung. Aber in keinem demokratischen Staate ist es möglich, daß ein Regierungschef in dieser Weise gewissermaßen das Monopol der Diskussion für sich in Anspruch nimmt und anderen die Mitwirkung an der Meinungsbildung streitig zu machen sucht.
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Im alten Preußen war einmal vom beschränkten Untertanenverstand die Rede. Das ist genau das, was der Herr Bundeskanzler in höflicher Form auch den Wissenschaftlern vorgeworfen hat.
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Ich hatte nicht den Vorzug, sehr lange Soldat zu
sein; aber ich entsinne mich noch sehr gut, - ({56})
- Meine Damen und Herren, warum regt Sie das so auf? Wenn jemand im Verlaufe seiner Militärzeit noch aktiv im Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft gearbeitet hat und dann deswegen vor das Volksgericht unserer Henker kam, dann ist das kein Anlaß, ihm daraus einen Vorwurf zu machen.
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Aber zurück!
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Einen Augenblick, meine Herren! Ich habe nicht gehört, daß hier dem Herrn Abgeordneten Erler ein Vorwurf gemacht worden ist.
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Herr Abgeordneter Erler, haben Sie einen Vorwurf gehört?
({1})
Aus der Reaktion zu meiner Bemerkung
({0})
war das deutlich genug zu erkennen.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, ich habe einen bitterbösen Zwischenruf gehört. Ich bitte, solche Zwischenrufe unter allen Umständen zu unterlassen.
({0})
- Den habe ich nicht vergessen; aber ich lasse nicht zu, daß hier in Bausch und Bogen dem einen oder anderen zugerufen wird: „Nazigesellschaft". Den Abgeordneten, der den Zwischenruf gemacht hat, würde ich mit einer Ordnungsmaßnahme belangen, wenn ich wüßte, wer es gewesen ist.
({1})
Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren, gerade in Erinnerung an jene schreckliche Zeit, die doch viele von uns auf der gleichen Seite der Barrikade gesehen hat, sollten wir uns auch noch einmal daran erinnern, wie gelegentlich jemand von seinem Unteroffizier behandelt worden ist, wenn er als Rekrut einen Satz mit den Worten anfing: „Ich denke". Dann wurde ihm entgegengeschleudert: „Das Denken überlassen Sie gefälligst den Pferden, die haben einen größeren Kopf."
({0})
Entschuldigen Sie, wenn ich das hier sage; aber es ist die bittere Wahrheit: Das ist das Verhalten des Herrn Bundeskanzlers gegenüber den deutschen Wissenschaftlern in diesem Punkte gewesen.
({1})
Ich bin sehr froh darüber, daß ein Mann wie der Atomminister Balke sich sehr nachdrücklich von dieser Art der Behandlung distanziert hat.
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Aber um so trauriger bin ich darüber, welchen Chor von Äußerungen dieser Aufstand des Gewissens achtzehn sachkundiger Männer ausgelöst hat, z. B. in der Pressekorrespondenz der ChristlichSozialen Union - ich will das gar nicht im einzelnen hier zitieren -; oder in den Äußerungen des Herrn Verteidigungsministers, der diese und ähnliche Stimmen damit abzutun glaubte, daß er davon sprach, sämtliche Moralromantiker der Welt hätten sich plötzlich hier eingestellt, und er sei nicht bereit, phantasievollen Astrologen zu folgen; oder etwa in Äußerungen meines sonst von mir geschätzten Kollegen Dr. Jaeger, der das politische Weltbild dieser Physiker auf das Niveau des Jahres 1870 beschränken zu können glaubte.
Meine Damen und Herren, das alles liegt doch in einer Richtung. Man versucht nämlich, die Behauptung aufzustellen, diese Äußerungen der Wissenschaftler seien der Politik der Atlantischen Gemeinschaft abträglich. Meine Damen und Herren, wenn das so wäre, dann wäre es schlecht um die Atlantische Gemeinschaft bestellt; dann würde das nämlich darauf hinauslaufen, daß der Atlantikpakt so phantasielos zusammengesetzt ist, daß alle seine Teilnehmer sich keinen anderen Ausweg aus den gegenwärtigen Weltproblemen vorstellen können als den, nun auch noch den letzten Staat auf diesem Erdball mit Atomwaffen auszustatten.
Gegen dieses unfruchtbare Denken müssen wir uns wenden, und ich kann mir nicht vorstellen, daß es auf die Dauer das beherrschende Denken der atlantischen Organisation bleiben kann, wenn sie überhaupt von Bestand bleiben soll.
Meine Damen und Herren! Es hat nun nach einem sehr heftigen ersten Gegenstoß des Bundeskanzlers, von dem ich Ihnen soeben Kenntnis gab, dann eine fünfstündige Aussprache mit einer Dele({3})
gation dieser Wissenschaftler stattgefunden. In dieser fünfstündigen Aussprache hat der Herr Bundeskanzler das angetreten, was ich einen psychologischen Rückzug nennen möchte. Es kam nachher eine Erklärung, das Ziel sei die Abrüstung, nicht etwa die atomare Ausrüstung der Bundeswehr. In diesem Sinne hat sich der Bundeskanzler auch gegenüber dem sowjetischen Botschafter Smirnow geäußert. Über die Form dieser Außerung will ich mich hier nicht weiter äußern.
Wir müssen aber nun ganz offen die Frage stellen, ob dieser Wandel der Auffassungen auch von Dauer ist, ob es sich wirklich um einen Wandel in der Überzeugung handelt, der auch zu einem Wandel in der praktischen Politik führen wird, oder ob das Ganze nur unter dem Eindruck der öffentlichen Meinung in Deutschland so gelaufen ist.
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Da allerdings lassen sich sehr leicht einige Beweise antreten. Nämlich: Was hat die Regierung getan, welche Initiative hat sie bei den anderen Regierungen ergriffen, um in dieser Richtung - Aufhören der Versuchsexplosionen und Nichtweiterverbreitung der Atomwaffen als Ziel - wirklich praktisch tätig zu werden? Hier in Bonn, bei der NATO-Tagung, war Gelegenheit dazu. Ich bin betroffen, daß, soweit ich bisher weiß, dort nichts geschehen ist. Welche Mitteilungen sind an unsere Botschaft nach London gegangen?
Meine Damen und Herren, eines sollten wir ein für allemal hier uns selber klarmachen: man kann kein Ziel erreichen, an das man nicht auch glaubt. Das gilt für die Abrüstung wie für die Wiedervereinigung Deutschlands.
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Natürlich hat es keinen Zweck, sich zu beiden Zielen über das Ausmaß der zu überwindenden Schwierigkeiten hinwegtäuschen oder hinweglügen zu wollen; absolut zugegeben. Aber die Schwierigkeiten dürfen nicht zu einem Vorwand werden, praktisch vom Ziel nur zu reden, aber nie etwas für dieses Ziel zu tun.
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In unserem Lande ist es leider weithin Mode geworden, die Abrüstung zu belächeln als einen Traum von Narren. Meine Damen und Herren, hier geht es doch gar nicht mehr um Sieg oder Niederlage, um große oder kleinere Verluste in einem eventuell drohenden Konflikt; es geht um den Bestand unseres Volkes, wahrscheinlich sogar der ganzen Menschheit. Da ist es ein unlösbarer Widerspruch, ein umfassendes Abkommen über Abrüstung und gleichzeitig die Atombewaffnung der Bundesrepublik zu fordern. Wer glaubwürdig zur atomaren Abrüstung raten will, der muß überzeugend dartun, daß er selbst die Atomwaffen nicht will. Sonst wird er unglaubwürdig in seinem Verlangen.
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Bisher war es so, daß man immer den „einfacheren Weg" gewählt hat, wie Professor von Weizsäcker das nannte. Als man sich entschloß, die Atombombe zu bauen und als man sich entschloß, sie abzuwerfen, immer wieder hat man auch später den einfacheren Weg gewählt. Die weitere Entwicklung hat gezeigt, daß man einmal diesen einfacheren Weg verlassen muß, daß man das ganze politischmilitärische Konzept verlassen muß, innerhalb dessen dieser Weg der einfachere ist.
Deshalb haben wir unsere Anfrage gestellt, deshalb wollen wir wissen, was die Regierung praktisch getan hat, was sie weiter tun wird, um dem Wettrüsten ein Ende setzen zu helfen. Deswegen wollen wir wissen, ob sie die Nachbarn aufstachelt, mit uns gemeinsam im Verbande der NATO Atomwaffen zu verlangen, oder ob sie im Gegenteil versucht, auch unsere Nachbarn davon zu überzeugen, daß wir hier gemeinsam unser Gewicht in die Waagschale werfen sollten, damit nicht einer Weiterverteilung der Atomwaffen das Wort geredet wird.
Wir Deutsche können nur mit unseren unmittelbaren Nachbarn verglichen werden, nicht mit der Sowjetunion! Meine Damen und Herren, damit übernähmen wir uns hoffnungslos. Solange Wettrüsten, Spannung und Spaltung Deutschlands, abgesehen von sonstigen weltpolitischen Risiken, andauern, beruht unsere Sicherheit auch darin, daß die Sowjetunion sich der Gefahren eines Angriffs und der Gewißheit eines Gegenschlages durch die Vereinigten Staaten bewußt ist. Das hängt gar nicht davon ab, ob die Bundesrepublik taktische Atomwaffen besitzt. Im Gegenteil, die Illusion, daß wir uns vielleicht selbst schützen könnten, gefährdet unter Umständen sogar die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten zur Hilfe.
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Die strategischen Basen einer Vergeltung für den Fall, daß etwas geschieht, liegen sowieso anderswo und nicht vor der Haustür des Gegners; das wäre viel zu gefährlich. Die wären auch durch einen Schild von Divisionen nicht gegen einen feindlichen Atomschlag zu schützen.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Bei f. einem Konflikt mit taktischen Atomwaffen bleibt - auch ohne Wasserstoffbombe - vom deutschen Volk nichts übrig. Im übrigen ist eine Begrenzung auf den Einsatz von taktischen Atomwaffen, wie ich Ihnen vorhin dargelegt habe, gar nicht möglich. Wir sollten in diesem Punkt unsere Meinung ohne Rücksicht darauf bilden, was etwa in sowjetischen Noten steht oder nicht steht. Es ist keineswegs so, daß etwa deshalb weiß schwarz wird, weil in einer sowjetischen Note einmal drinsteht: Weiß ist weiß. Wir müssen objektiv unsere Argumente prüfen und dürfen sie nicht einfach in schematischer Art dadurch entwerten, daß wir sagen: Ein Argument wird falsch, weil es auch in einer Sowjetnote erwähnt wird. Meine Damen und Herren, die Russen kennen uns ja auch. Die haben dieser ganzen Diskussion in der Bundesrepublik hier keineswegs etwa einen Dienst geleistet. Bei der Mentalität unseres Volkes war ihnen sogar klar, daß Argumente an Gewicht verlieren, wenn sie auch in einer sowjetischen Note erscheinen.
Meine Damen und Herren, ich finde, wir sollten hier von uns aus, mit unserem Sachverstand prüfen und sagen: Wir wollen die Abrüstung, weil wir sie für notwendig halten, ohne Rücksicht darauf, ob auch die Sowjetunion in dieser Richtung die eine oder andere Erklärung oder sogar Drohung abgibt.
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Die russischen Drohnoten sind doch nur Wasser auf die Mühlen jener Toren im Westen, die aus Angst vor der Sowjetunion den atomaren Selbstmord vorbereiten, und nichts anderes!
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Und denen aus Pankow, die glauben, sich in diese Diskussion unter freien Männern einmischen zu können, denen wollen wir alle miteinander ganz nüchtern sagen: Ein jeder kehre vor seiner Tür!
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Die Herren in Pankow sollen zunächst ihrerseits einen Appell an die Macht richten, zu der sie sich hingezogen fühlen, einen Appell an die Sowjetunion, nun auch mit den Versuchen aufzuhören,
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einen Appell an die Sowjetunion, sich einer vernünftigen Kontrolle ohne Hintertüren zu öffnen, wobei wir leider jetzt sehen: wenn es mit der Kontrolle ernst wird, dann bekommen sogar im Westen mitunter manche Leute kalte Füße. Die Herren in Pankow könnten z. B. auch der Sowjetunion empfehlen, jenem sehr vernünftigen Vorschlag zuzustimmen, die gesamte Produktion an spaltbarem Material unter Kontrolle nur noch zu nichtmilitärischen Zwecken zu verwenden. Auch darüber sind wir uns einarg.
Nun kommt ein Argument - ich weiß nicht, ob es der Herr Verteidigungsminister bringen wird, aber die deutsche Presse behandelt es -: die Verhandlungsposition der Bundesrepublik im Kampf um die deutsche Einheit werde stärker, wenn wir uns jetzt entschlössen. bei dem Trend zur Atombewaffnung mitzumachen. Meine Damen und Herren, das haben wir sehr oft gehört, und immer ist das Gegenteil eingetreten.
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Das haben wir gehört bei der EVG, das haben wir gehört bei dem Eintritt in den Atlantikpakt, das haben wir gehört beim Abschluß einer Reihe anderer Verträge und auch bei der Aufstellung der Bundeswehr. Was muß eigentlich noch passieren, bis die Verhandlungsposition stark genug ist, um dann endlich mit Erfolg verhandeln zu können?
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Alle diese Schritte haben die sowjetische Position eher verhärtet, genauso wie das vorher angekündigt worden ist. Wir haben niemals eine Bereitschaft gezeigt - und darum würde es doch gehen, wenn es eine Verhandlungsposition sein sollte -, diese Dinge in Vershandlungen ernsthaft zur Diskussion zu stellen. sondern stets haben wir gesagt: Das wird jetzt erst aufgebaut. Hinterher verlangen wir, daß wir die Ware bekommen und das Geld auch behalten dürfen. Auf dieser Grundlage kann man kein Geschäft machen. Das ist ein hoffnungsloses Unternehmen. Außerdem kennen wir die Tendenz: Wenn man erst einmal militärische Stärke in einem gewissen Umfang erlangt hat, entwickeln sich eigene Gesetze.
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Dann tritt die Versuchung an einen heran, sie zu behalten und auszubauen. dann wird sie zum Selbstzweck. Der so harmlos klingende Satz des Verteidigungsministers „Dem Gegner ein Schrekken sein und dem Freund unentbehrlich" setzt doch in Wahrheit überhaupt keine obere Grenze mehr für die eigene militärische Stärke.
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Welche Mitwirkung hat sich die Bundesregierung ausbedungen, als sie. wie es den Anschein hat, der Lagerung von Atomwaffen im Bundesgebiet zugestimmt hat? Oder ist sie dabei vielleicht gar nicht gefragt worden? Auch darüber gibt es ja
interessante Kontroversen zwischen diem Herrn Außenminister und Herrn Ismay. Wer entscheidet über den Einsatz? Entscheidet darüber der Atlantikrat einstimmig, oder hat er schon im vorhinein eine Vollmacht gegeben? Oder ist es so, wie Marschall Montgomery am 11. Oktober 1956 gesagt hat, daß er es vorziehen würde, diese Waffen erst zu verwenden und dann später zu fragen? Haben wir es vielleicht auch mit dieser schauerlichen Perspektive zu tun? Wer entscheidet über den Ort der Lagerung? Ist die Bundesregierung da überhaupt befragt worden? Hat sie ein Mitwirkungsrecht? Befinden sich wirklich keine strategischen Waffen in der Bundesrepublik? Das wäre eine zusätzliche Gefahr, weil sie erst recht für den Fall eines Konflikts den Blitz auf sich zöge: denn wenn ein böser Gegner zum Angriff entschlossen ist, sucht er natürlich diese Rückschlagbasen zu zerstören. Wer Atomwaffen lagert, der hält einen Atomkrieg immerhin für möglich. Und er ist möglich! Was ist aber dann für den Schutz der Bevölkerung getan worden? Der Bundeskanzler wollte den Wissenschaftlern mitteilen, was Versuche in den Vereinigten Staaten zu diesem Thema ergeben hätten. Meine Damen und Herren, derartige Mitteilungen sind völlig uninteressant. wenn keine Konsequenzen daraus gezogen werden,
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wenn man dann nicht ,auch entsprechend mehr tut. Bisher verhält sich der Aufwand von Rüstung und Schutz der Bevölkerung wie 100 zu 1. Ich habe eben ja schon davon gesprochen, daß es dabei auch um die Frage der Überwindurng des Hungers geht. Wie sieht das für dein Fall der Fälle eigentlich aus mit Vorräten an Medikamenten, an Lebensmitteln, Reservebetten und ähnlichen Dingen?
Meine Damen und Herren, die Menschheit ist auf allen Seiten erneut der Versuchung der rein militärischen Macht erlegen.
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Heute ist die Atomwaffe das Abzeichen der Weltmacht, so wie das einst die Schlachtschiffe des Herrn Tirpitz waren. Beschleicht Sie nicht ein schauerliches Gefühl angesichts der Parallele zu den Jahren vor 1914? Damals war es so, daß das deutsche Volk sich durch die Politik Großbritanniens und seiner Freunde eingekreist fühlte und daß umgekehrt die anderen sich durch ein deutsches Expansionsstreben bedroht glaubten. Furcht beruht immer auf Gegenseitigkeit. Aus dieser Furcht wurde der erste Weltkrieg geboren. Heute ist es so, daß der amerikanische General Twining fast mit Stolz versichert: Wir haben die Sowjetunion eingekreist. Diese fühlt sich ,also nicht nur emgekreist, sondern nach den Erklärungen dies amerikanischen Generals ist sie eis sogar, und wir alle fühlen uns nicht nur durch die Sowjetunion bedroht, wir sind es. Meine Damen und Herren, ist es nicht eine schauerliche Wiederholung von 1914, nur in anderem Sinne, daß es diesmal von Anfang an kein europäisches, sondern ein Weltproblem ist?
Natürlich müssen alle unsere Sorgen darum kreisen, wie wir unsere Völker vor äußeren Gefahren schützen können. Aber das Atomwettrüsten schützt überhaupt nicht mehr, sondern vergrößert die Gefahr.
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Sicherheit für unser Volk wie auch für die anderen gibt es nur, wenn wir das Wettrüsten beenden,
wenn es zu einem umfassenden Abkommen über
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die Begrenzung und Kontrolle der Rüstungen auf der Grundlage der Wiedervereinigung Deutschlands kommt. Sicherheit und Einheit sind keine Gegensätze; es gibt überhaupt keine Sicherheit ohne die Wiedervereinigung Deutschlands.
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Der Kampf für die Wiedervereinigung Deutschlands ist gleichzeitig ein Kampf für die Sicherheit unseres Volkes und für den Frieden in Europa und der Welt.
Meine Damen und Herren. Ihre Parteien haben den Appell Schweitzers begrüßt. Bundespressechef von Eckart hat vor der Presse in Bonn gesagt, die Ausführungen Schweitzers sprächen für sich selbst sie seien so eindrucksvoll. daß ihnen nichts hinzuzufügen sei. Ich nehme an. daß in ähnlicher Weise der Aufruf des Papstes zu dem gleichen Problem auf den Bänken der Regierungsparteien wie auf unseren begrüßt wird. Papst Pius XII. hat die Verantwortlichen aller Nationen und Glaubensbekenntnisse aufgefordert, die Atomenergie in den Dienst der Menschheit zu stellen. anstatt ihre Bemühungen in einem erschreckenden und kostspieligen Wettlauf zum Tode zu vergeuden.
Aber, meine Damen und Herren, was nützen alle diese Deklamationen und Erklärungen der Größten, wenn die praktische Politik das Gegen- teil tut? Das geht nicht nur die Großmächte an. sondern das geht auch uns etwas an. Auch an uns liegt es, auf welchen Weg wir die Großen mit zu drängen versuchen. Wir sind ein Stück öffentlicher Meinung. Unsere Regierung verfügt über die Mittel des internationalen politischen Gesprächs. Wir können an jene Mächte appellieren. die den Schlüssel zum Frieden der Welt und zur Einheit Deutschlands in Händen halten. Wir können noch mehr tun: wir können versuchen, sie auf den Weg des Rechtes zurückzubringen. Indien hat eine interessante Initiative ergriffen. Es will prüfen lassen, wieweit die Atomrüstung mit dem Völkerrecht vereinbar ist. In der „Wehrwissenschaftlichen Rundschau" vom März dieses Jahres ist dazu eine interessante Studie veröffentlicht. Auch dabei könnte die Bundesregierung sich durch Vorschläge und Mitarbeit nützlich machen. Die Schäden ,der Versuche - darüber habe ich schon gesprochen - betreffen auch Außenstehende, Angehörige fremder Völker und scheinen mir schon von daher mit dem Völkerrecht nicht vereinbar zu sein.
Aber sind diese Dinge,. die wir so leichthin Atomwaffen nennen, überhaupt noch Waffen? Ich glaube, nein. Gewiß, bei jeder Waffe und bei jedem Krieg gibt es das Risiko, daß Nichtkämpfer, Unschuldige und Unbeteiligte getötet werden. Bei diesen Massenvernichtungsmitteln gibt es nicht das Risiko, sondern gibt es die Gewißheit, daß mehr Unbeteiligte umgebracht werden als überhaupt Kämpfer.
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Meine Damen und Herren, angesichts dieses Sachverhalts sollte der Bundestag ein Bekenntnis ablegen: Die Völker sind des irrsinnigen Wettrüstens müde; sie wollen durch die friedliche Nutzung der Atomkraft besser leben und nicht durch ihren kriegerischen Mißbrauch sterben.
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Setzt dem Wahnsinn- und das geht alle an, nicht
nur die, die uns nahestehen - ein Ende und bahnt damit den Weg für den Frieden der Welt und die Einheit eines freien deutschen Volkes!
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Mein Herr Vorredner hat in seiner Darstellung, die vieles Wahres, vieles nicht Richtiges enthielt, meine Person wiederholt angegriffen. Er hat das nicht getan - so nehme ich an -, weil er gerade mir persönlich damit etwas anhängen wollte, sondern er hat es getan, weil er geglaubt hat, dadurch mich als Leiter der Politik in den Augen der Öffentlichkeit, der deutschen Öffentlichkeit zu diskreditieren.
({0})
Das zwingt mich, einige Worte zu sagen, die Sie als einen Teil der Regierungserklärung auf diese Anfragen betrachten wollen. Diese Regierungserklärung wird gleich Herr Verteidigungsminister Strauß abgeben.
Mein Herr Vorredner hat gefragt, ob das Ziel der Politik der Bundesregierung dasselbe geblieben sei, wie ich es in einem von ihm angeführten Zitat ausgesprochen habe. Ich kann ihm darauf nur erwidern: Dieses Ziel der Politik der Bundesregierung ist völlig unverändert dasselbe, zu einer allgemeinen kontrollierten Abrüstung sowohl der atomaren wie der konventionellen Waffen zu gelangen.
({1})
Ich habe in diesem Hause am 27. Mai 1955 folgendes erklärt - ich darf wohl, Herr Präsident, diese Erklärung verlesen -:
Nach meiner Überzeugung kann der Friede in der Welt in Wahrheit nur dadurch wiederhergestellt werden, daß die mächtigsten Länder der Welt, die im Besitz der die Menschheit bedrohenden Waffen sind, Abrüstungen, kontrollierte Abrüstungen in einem solchen Grade vereinbaren und vornehmen, daß bei der heutigen territorialen Größe der einander entgegenstehenden Staaten keine Angriffe mehr Aussicht auf Erfolg bieten.
Und, meine Herren, ich habe in einem Brief an den Ministerpräsidenten Bulganin vom 20. Juli des Jahres 1955 geschrieben:
Auch ich bin der Meinung und mit mir das ganze deutsche Volk, daß eine Abrüstung ein Ziel ist, dem die verantwortlichen Politiker alle ihre Kraft widmen müssen. Sie werden übrigens mit mir übereinstimmen in der Überzeugung, daß man ganz allgemein von einer Abrüstung nur dann sprechen kann, wenn es sich um mehr handelt als um eine bloße Verschiebung des militärischen Potentials auf andere Arten der Bewaffnung. Nur eine internationale Abrüstungsvereinbarung bietet diese Gewähr.
({2})
Und, meine Herren in dem Kommuniqué, das
({3})
ich nach dieser Besprechung mit den fünf Atomwissenschaftlern zusammen mit den Herren herausgegeben habe, steht folgender Satz:
Der Bundeskanzler und die Wissenschaftler, die an dieser Besprechung teilnahmen, glauben, daß es notwendig ist, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Regierungen in Ost und West einzuwirken, um zu einem Abkommen über eine allgemeine, kontrollierte Abrüstung zu gelangen, die den Menschen auf der ganzen Welt die Furcht vor einem Atomkrieg nehmen könnte.
Das, meine Damen und Herren - und das möchte ich Herrn Erler antworten -, ist und bleibt der Standpunkt der Bundesregierung, solange ich an diesem Platze stehe.
({4})
Herr Kollege Erler hat insbesondere versucht, der deutschen Öffentlichkeit ein Bild von mir über die Verhandlungen mit den Atomphysikern zu geben, das hundertprozentig falsch ist.
({5})
Er hat in dem Zusammenhang davon gesprochen, daß ich mich - er hat das nicht wörtlich gesagt - benommen hätte wie ein Unteroffizier der vormaligen preußischen Armee.
({6})
- Na, nun warten Sie doch ab, ich komme ja daran.
({7})
- Also, meine Herren, wenn Sie soviel Geduld mit mir hätten, wie ich mit Ihnen habe, dann ginge es besser.
({8})
Ich vernahm von dieser Erklärung der 18 Atomwissenschaftler durch ein Telegramm, das ich unmittelbar, ehe ich zu einer Feierlichkeit abreiste, bekam. Auf dieser Feierlichkeit wurde ich von den anwesenden Pressevertretern um eine Stellungnahme ersucht. Ich habe hier das unkorrigierte Stenogramm dessen, was ich dort gesagt habe:
Zunächst bedauere ich, daß die Herren nicht mit mir gesprochen haben, ehe sie diese Erklärung veröffentlicht haben.
({9})
- Nun, dann will ich Ihnen auch das erklären, meine verehrten Herren.
({10})
- Nun warten Sie doch! Sehen Sie diese Voreiligkeit! Warten Sie doch ab, was ich jetzt sagen werde!
Mir war vor meiner Abreise an diesen Ort, wo ich das gesagt habe, gesagt worden, daß die Herren beim Verteidigungsminister gewesen seien, daß
der Verteidigungsminister ihnen gesagt habe: Gehen Sie doch mit Ihren Bedenken zum Bundeskanzler, und daß die Herren gesagt hätten: Nein, das wollen wir nicht, um der Sache keinen politischen Anstrich zu geben.
({11})
Darauf bezieht sich diese Erklärung: „Ich bedauere, daß die Herren nicht zu mir gekommen sind."
({12})
Also, wenn ich das nicht einmal mehr sagen darf, meine Damen und Herren - ({13})
Ich habe dann in dieser Mitteilung gegenüber den Herren von der Presse fortgefahren:
Sie wissen, daß nach der Verfassung der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik zeichnet, nach denen gearbeitet wird, daß er die Verantwortung trägt. Ich glaube, bei der Bedeutung der Angelegenheit wäre es gut gewesen, wenn die Herren, ehe sie mit dieser Erklärung an die Öffentlichkeit traten, mit dem verantwortlichen Leiter der Politik sich ausgesprochen hätten.
({14})
Dann habe ich in folgender Weise fortgefahren, meine Damen und Herren - damit Sie sehen, wie diese Ausführungen des Herrn Erler zu beurteilen sind, der in seiner bekannten Taktik eine Reihe von wirklich guten Sätzen mit Ausführungen vermischt hat, die ich wünsche nicht gehört zu haben in diesem Hause -;
({15})
nun hören Sie, was er einen „psychologischen Rückzug" nennt:
dpa
- so habe ich gesagt hat ein sehr ausführliches Telegramm geschickt. Aber trotzdem weiß ich ja nicht, ob dieses Telegramm die Erklärung vollständig wiedergibt. Darauf muß ich bei dem, was ich sage, Rücksicht nehmen. Wenn die Herren mit dieser Erklärung die Absicht haben, einzutreten für eine allgemeine atomare kontrollierte Abrüstung in der Welt, für alle Länder gleich, dann, meine Damen und Herren, würden sie durchaus den Intentionen und den Absichten der Bundesregierung mit einer solchen Erklärung entsprechen.
({16})
Ich habe dann so fortgefahren:
Ich hoffe, daß das ihre Absicht war, obgleich dieses Telegramm von dpa das nicht so deutlich zum Ausdruck bringt.
Ich möchte weiter folgendes dazu sagen. Es scheint mir, daß die Herren nicht im Besitz sind des Ergebnisses der Versuche, die in den Vereinigten Staaten gemacht worden sind zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Soldaten vor den Wirkungen dieser furchtbaren Waffe.
({17})
({18})
Ich glaube, daß wir ihnen gerne diese Ergebnisse mitgeteilt hätten. Wenn die Herren aber sagen, daß nach ihrer Auffassung ein kleines Land wie die Bundesrepublik heute noch am besten sich schützen und dem Weltfrieden dienen könnte, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet, dann muß ich sagen, meine verehrte Versammlung, daß eine solche Erklärung mit den physikalisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen nichts zu tun hat.
({19}) Es ist das
- so fahre ich fort eine Erklärung, die rein außenpolitischer und militärpolitischer Natur ist und zu deren Beurteilung man eben doch Kenntnisse haben muß, die auch diesen Herren nicht gegeben sind, da sie nicht zu mir gekommen sind.
({20})
Meine Herren, ich unterschreibe jedes Wort von dem, was ich dort gesagt habe.
({21})
Als die fünf Herren bei mir gewesen sind, da haben wir in dieser langen Aussprache ihnen durch die Generale Heusinger und Speidel eine Übersicht gegeben über die militärpolitische Lage in der Welt. Über die Auswirkungen der Atomwaffen, meine verehrten Damen und Herren, waren diese Herren und wir uns vollkommen einig.
({22})
Unser ganzes Gespräch hat sich darum gedreht, wie es möglich ist, durch eine solche Abrüstung die Anwendung dieser furchtbaren Waffen zu verhindern. Das war der Gegenstand unseres Gesprächs.
({23})
Nun, meine Damen und Herren, ist von Herrn Erler die Frage gestellt worden: Was hat die Bundesregierung getan, um die allgemeine kontrollierte Abrüstung sowohl bezüglich der atomaren wie der konventionellen Waffen zu fördern? Ich will Ihnen folgendes darauf antworten. Sie wissen, daß wir mit den Vereinigten Staaten in sehr guter und enger Verbindung stehen. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat seit dem Jahre 1953 - ich kann es Ihnen auf den Tag genau sagen - den Sowjets zwanzig Vorschläge zu kontrollierter Abrüstung gemacht,
({24})
und wir stehen dahinter.
({25})
Wo wir das irgendwie können, auch bei den Verhandlungen jetzt mit dem britischen Premierminister, sind wir für eine kontrollierte atomare Abrüstung und gleichzeitig eine Abrüstung bei den konventionellen Waffen eingetreten.
({26})
Ich möchte Ihnen weiter sagen, daß die Bundesregierung keine atomaren Waffen gefordert hat,
daß sie entschlossen ist, an der Erklärung festzuhalten, die sie seinerzeit auf der Londoner Konferenz im Oktober 1954 abgegeben hat.
Herr Erler hat - ich habe es aufgeschrieben, was er gesagt hat; es war wenig schmeichelhaft für mich, ich werde es noch einmal durchlesen - dem Sinne nach gesagt: Die Erklärung, die der Bundeskanzler über die Weiterentwicklung der Artillerie abgegeben hat, war entweder eine bewußte Irreführung der öffentlichen Meinung, oder aber sie war ein Zeugnis dafür, daß er von der ganzen Sache keinen blauen Dunst hat.
({27})
- Also, meine Herren, er hat das Wort „Dunst" nicht gebraucht. ({28})
Ich möchte hier aber zunächst betonen - und das nehme ich für mich allerdings in Anspruch -, daß ich genausogut wie Sie und genausogut wie Herr Erler die tiefe Gewissensnot fühle, in die diese Waffenentwicklung jeden gebracht hat, der irgendwie mit der Politik etwas zu tun hat.
({29})
Meine Damen und Herren, wie ich zu dieser Äußerung gekommen bin, will ich Ihnen auch erklären. Es ist sicher einem Teil von Ihnen bekannt, daß der erste Gedanke, die Atomkernspaltung zur Herstellung einer Waffe zu nutzen, von Einstein gekommen ist.
({30})
- lassen Sie mich doch aussprechen, meine Damen und Herren; ich sage ja nichts gegen Einstein - und daß Einstein damals einen Brief an den Präsidenten Roosevelt geschrieben hat, in dem er ausgeführt hat, man sei jetzt zur nuklearen Spaltung gekommen, es werde möglich sein, eine Kettenreaktion hervorzurufen. Daraus werde sich weiter die Möglichkeit der Konstruktion einer furchtbaren Waffe ergeben. Das war damals während des Krieges. Und dann - deswegen zitiere ich das - hat er ausgeführt: Allerdings werde diese Waffe, diese Bombe, so groß sein, daß sie von keinem Flugzeug mehr befördert werden könne, sondern daß sie nur durch ein Schiff befördert werden könne. Wenn aber dieses Schiff - wir waren damals ja im Krieg - in einen feindlichen Hafen einlaufe, dann werde durch die Explosion dieser Hafen zerstört werden. Das waren die Ansichten, die man damals über die Größen der Bomben hatte: daß sie überhaupt nur noch durch ein Schiff befördert werden könnten. Sie wissen, meine Damen und Herren - insbesondere weiß das auch Herr Erler -,
({31})
aus der Zeitung sicher, daß sich die Amerikaner, nachdem sich die Unbeweglichkeit der 28-cm-Geschütze ergeben hatte, zur Zeit damit beschäftigen, ein Geschütz von 20 cm zu konstruieren, mit dem sowohl atomare Bomben wie andere Bomben abgefeuert werden können. Warum sage ich Ihnen das? Das sage ich Ihnen, damit ich nicht von Herrn Erler vor der ganzen deutschen Öffentlichkeit entweder als ein Träumer und Phantast oder als ein
({32})
Mann dargestellt werde, der bewußt die Öffentlichkeit irreführe.
({33})
Nun möchte ich nochmals ausdrücklich wiederholen: Wir haben keine atomaren Waffen für uns gefordert. Es ist eine ganz andere Frage erörtert worden, nämlich die Frage, ob, wenn die übrigen NATO-Länder - die wir bei Gott nicht aufgestachelt haben, wie Herr Erler gesagt hat, sich atomare Waffen zu besorgen; das wäre ja das Furchtbarste, was wir überhaupt hätten tun können - kleinere Atomwaffen hätten und die Bundeswehr nicht, der Verband der NATO überhaupt noch aufrechtzuerhalten sei. Das ist eine militärtechnische Frage, über die Militärs ein besseres Urteil abgeben können, als ich dazu in der Lage bin
({34})
- und auch als Sie dazu in der Lage sind.
({35})
Ich denke, ich werde in Laufe der Verhandlungen noch mehr Gelegenheit haben, in der Debatte meine Meinung zu sagen. Ich möchte nicht zuviel Zeit wegnehmen, damit Herr Strauß seine Erklärung abgeben kann. Deswegen möchte ich mit folgendem Satz schließen: Ich bitte Sie, führen Sie die Debatte so, daß sie nicht den Standpunkt der Russen in London verhärtet,
({36})
sondern führen Sie die Verhandlungen bitte so,
({37})
daß sie auch auf die Russen in dem Sinne einwirkt, nachzugeben und endlich dem zwanzigsten Vorschlag auf atomare kontrollierte Abrüstung stattzugeben.
({38})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung beantworte ich die Große Anfrage der Fraktion der SPD vom 2. April 1957 - Drucksache 3347 - betreffend Atomwaffen wie folgt.
Nach dem zweiten Weltkrieg waren alle Völker der Welt von einer tiefen Friedenssehnsucht erfüllt, gleichgültig, ob sie dem Lager der Sieger oder dem Lager der Besiegten angehörten. Die beiden Menschheitstragödien, der erste und der zweite Weltkrieg, hatten die Erkenntnis geschaffen, für die ein hoher Preis bezahlt worden war, daß die Anwendung von Gewalt kein Mittel der Politik mehr ist und keine politischen Probleme lösen kann, sondern immer noch mehr und schwierigere Probleme erzeugt.
({0})
Diese tiefe Friedenssehnsucht drückte sich in dem
Wunsche nach einer Friedensordnung aus, die auf Gerechtigkeit und Weisheit aufgebaut sein sollte. Diese Friedenssehnsucht drückte sich auch in der Charta der damals gegründeten Vereinten Nationen aus, die Ausgangspunkt werden sollte, um eine international gültige Festlegung der Menschenrechte in einer für alle Völker verpflichtenden Formel zu schaffen. Diese Friedenssehnsucht war bestimmt von der Einsicht in die Notwendigkeit, daß die Großmächte durch ihre Entscheidungen nicht die Saat zu neuen Konflikten legen, sondern nach dem Siege auch den Frieden gewinnen sollten.
Es entsprach dieser Auffassung, daß die großen Militärmächte des Westens sofort nach dem Sieg über Deutschland und Japan energisch an die Abrüstung gingen, ihre Soldaten nach Hause schickten, ihre Flugzeuge verschrotteten oder außer Dienst stellten, ihre Kriegsschiffe abmusterten, Waffen und sonstiges Kriegsgerät einlagerten oder zerstörten, ihre Besetzungskräfte auf den Stand einer kleinen Polizeitruppe in den besiegten Ländern verminderten und insgesamt ihre Demobilmachung bis zur völligen militärischen Ohnmacht durchführten. Für sie, für die Westmächte, war der Sieg über die Kriegsgegner die erhoffte und erwünschte Möglichkeit, nunmehr ihren Friedensplänen für einen nationalen wirtschaftlichen Wohlstand und für eine internationale Völkerordnung nachzugehen, in der es keinen Platz für Krieg oder Kriegsangst mehr geben sollte.
Die Bundesregierung muß leider zum Ausdruck bringen und tut dies nur als Feststellung einer Tatsache, daß die Politik der Sowjetunion sowohl im Kriege wie nach der Kapitulation Deutschlands und Japans von ganz anderen Absichten 1 geleitet war. Die Rote Armee, Luftwaffe und Marine wurden nach dem Siege immer auf einem Gesamtstand gehalten, der weit über vier Millionen Mann betrug. In Verbindung mit der ständig fortgesetzten Waffenproduktion und der laufenden Modernisierung aller Streitkräfte war die gesamte militärische Macht der Sowjetunion den westlichen Siegermächten in kurzer Zeit weit überlegen. Die der Sowjetunion durch Verlauf und Ende des zweiten Weltkrieges in die Hand gefallenen Positionen wurden sofort dazu benutzt, Besetzung und Kontrolle mit einer Ausdehnung der kommunistischen Macht zu verbinden. Trotz der Beschlüsse von Jalta, trotz der dort erfolgten „Erklärung über das befreite Europa", in der die Grundsätze der geplanten UN-Charta bekräftigt wurden, trotz laufender beruhigender Zusicherungen trieb die Sowjetunion von vornherein eine rücksichtslose Machtpolitik, die Vertrauen und Entgegenkommen der Westmächte nur dazu benutzte, um die sowjetische Nachkriegsstellung zu stärken und die Voraussetzung für die Beherrschung möglichst vieler Völker und später ganz Europas zu schaffen.
Die in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Bulgarien, Albanien, Rumänien und in der deutschen Besetzungszone angewendeten Mittel sind zu bekannt, als daß sie hier im einzelnen beschrieben werden müßten. In wenigen Jahren nach dem Kriege hatte die Sowjetunion diese Völker zu Satelliten gemacht, sie unter dem Druck der ständig einsatzbereiten Roten Armee und mit Hilfe einer geschulten kommunistischen Minderheit einer elenden Sklaverei unterworfen und da({1})
mit alle früher eingegangenen Verpflichtungen oder gegebenen Versprechungen mit Füßen getreten.
Die Bundesregierung muß in diesem Zusammenhang noch an den Versuch der Sowjetunion erinnern, Griechenland durch einen Bürgerkrieg in ihre Hand zu bekommen, sich eine ständige Machtstellung im Norden Irans zu sichern und in den Mittelmeerraum einzudringen.
Es muß an die Zeit der Berliner Blockade erinnert werden, die die Bevölkerung Berlins durch brutale Aushungerung auf die Knie zwingen und damit die ganze ehemalige Reichshauptstadt unter sowjetische Herrschaft bringen sollte.
({2})
Man muß auch an den vom Zaun gebrochenen Krieg in Korea erinnern, an die Kämpfe in Indochina, an die Waffenlieferungen an Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, die nur dem Ziele dienen, neue Unruheherde zu schaffen. Die Bundesregierung muß an die blutige Niederschlagung des Arbeiteraufstandes in Ost-Berlin und in der Zone am 17. Juni 1953 und an die Tragödie der ungarischen Volkserhebung erinnern, die in Blut und Feuer erstickt wurde und deren Nachspiel jetzt in den Gerichtssälen der volksdemokratischen Justiz, in den Zuchthäusern und auf Hinrichtungsplätzen abläuft.
({3})
Es bedurfte dieser ständigen, über Jahre hindurch fortgesetzten Rechtsbrüche, Übergriffe und kriegerischen Abenteuer von seiten der Sowjetunion und ihrer Satelliten, bis die Siegermächte des Westens und die anderen Völker entgegen ihrer eigentlichen Neigung sich zu dem Entschluß durchgerungen hatten, erneute militärische Anstrengungen zu unternehmen und ein gemeinsames Verteidigungssystem aufzubauen, damit ein weiteres Vordringen der Sowjets verhindert wird. Sowohl die Mentalität der demokratischen Regierungen dieser Staaten wie der ausschließlich auf Erhaltung des Friedens und der Freiheit gerichtete Druck der öffentlichen Meinung dieser Länder waren eine Garantie und sind ein Beweis dafür, daß diese erneuten militärischen Anstrengungen ausschließlich der Verteidigung gegen einen Angriff und damit der Verhinderung eines Krieges dienten.
Man muß es der Objektivität und Wahrheit halber einmal sagen, daß es auch für die amerikanische, englische, französische Regierung und die Regierungen der übrigen Länder nicht leicht war, von ihren Völkern die persönlichen und materiellen Opfer für diese militärischen Anstrengungen zu verlangen. Wir Deutsche sollten auch nicht vergessen, daß wir selbst es diesen Anstrengungen zu verdanken haben, wenn heute 50 Millionen Deutscher in Freiheit leben und in einem souveränen Rechtsstaat die Interessen ganz Deutschlands vertreten können.
({4})
Man muß einmal laut und deutlich zum Ausdruck bringen, daß der Nordatlantikpakt erst gegründet worden ist, als die Sowjets durch die vorher geschilderte Politik den bedrohten Völkern Europas und Amerikas keine andere Wahl mehr ließen, als in Ausübung ihres primitivsten staatlichen Notwehrrechts für ihre Freiheit und Unabhängigkeit Vorsorge zu treffen.
({5})
Die Bundesregierung maß in diesem Zusammenhang auch auf die neue Einschüchterungsoffensive der Sowjets hinweisen, die in den letzten Wochen eine Reihe von Völkern mit Drohungen überhäuft haben, um Angst, Unruhe, Furcht und Panikstimmung zu erzeugen.
({6}) Zum Beweis dafür folgende Aufzählung:
5. 2. 1957: Botschaft Bulganins an
Erklärung des sowjetischen Außenministeriums zur Wirtschaftsunion und zu Euratom;
19. 3. 1957: Note an den norwegischen Ministerpräsidenten Gerhardsen;
28. 3. 1957: Note an den dänischen Ministerpräsidenten Hansen;
7. 4. 1957: Warnung an Griechenland durch Radio Moskau;
10. 4. 1957: Warnung an die Türkei, an Saudi-Arabien, Libanon, Israel, Libyen, Marokko und Tunesien durch Radio Moskau;
10. 4. 1957: Erneute Warnung an Griechenland durch Radio Moskau;
11. 4. 1957: Sendung des Moskauer Rundfunks an den Nahen Osten und Afrika;
12. 4. 1957: Warnung an Island in der Zeitung „Krasnaja Swesta";
14. 4. 1957: Warnung an Österreich in der Zeitung „Iswestija" ;
14. 4. 1957: Rundfunkwarnungen an die Niederlande und Spanien;
14. 4. 1957: Warnung an Dänemark durch Radio Moskau;
18. 4. 1957: Warnung an Spanien durch Radio Moskau;
20. 4. 1957: Botschaft Bulganins an den britischen Ministerpräsidenten Macmillan;
27. 4. 1957: Drohnote an die Bundesrepublik;
27. 4. 1957: Weitere Drohsendungen des Moskauer Rundfunks an die Bundesrepublik.
Die Sowjets haben sogar versucht, in die innenpolitische Meinungsbildung einzugreifen und gewisse politische und unpolitische Kreise in den Dienst ihrer psychologischen Kriegsführung zu stellen. Der von den Sowjets mit diesem Nervenkrieg verfolgte Zweck wird besonders deutlich, wenn man sich darüber im klaren ist, daß die Sowjets in ihren drohenden Aufrufen und Noten den europäischen Völkern klarzumachen versuchen, welche Schrecken ihnen bevorstehen, wenn sie zur Verteidigung bereit seien - weil niemand von einem Angriff spricht -,
({0})
d. h. wenn sie es wagen würden, sich gegen einen sowjetischen Angriff mit wirksamen Waffen zur Wehr zu setzen.
({1})
({2})
Der Rat der Außenminister des atlantischen Verteidigungsbündnisses kam bei seiner Sitzung in der letzten Woche, wie aus dem Schlußkommuniqué wörtlich hervorgeht, einmütig zu der Überzeugung, daß die führenden Männer der Sowjetunion eine Kampagne mit dem Ziel begonnen haben, einerseits die sowjetische Unterdrückung in Ungarn in Vergessenheit geraten zu lassen und andererseits die öffentliche Meinung in verschiedenen Bündnisstaaten dazu zu bringen, sich der Modernisierung ihrer Streitkräfte entgegenzustellen, um den Grundsatz der durch die NATO gewährleisteten kollektiven Sicherheit zu schwächen. So heißt es wörtlich in dem Kommuniqué des Rates der Außenminister, in dem sich auch die Außenminister Belgiens, Norwegens, Dänemarks, Hollands usw. befinden. Es geht den Sowjets offensichtlich um die Zerschlagung der NATO, damit der Weg nach Europa frei wird.
({3})
Es heißt weiterhin in diesem Kommuniqué, daß eines der Ziele dieser Kampagne war, den sowjetischen Streitkräften den Alleinbesitz der Atomrüstung auf dem europäischen Kontinent zu sichern, d. h. eine Lage zu schaffen, in der die Sowjets die alleinigen Herren Europas wären und mit den europäischen Völkern nach ihrer Willkür verfahren könnten.
({4})
Die Bundesregierung hat die sowjetische Politik in all diesen Jahren genau beobachtet und ihre Entwicklung vom Kriegsende bis heute sorgfältig verfolgt.
Sie ist in der Vergangenheit zu der Erkenntnis gekommen, daß gegenüber dieser aggressiven Politik der Sowjets nur ein Zusammenschluß der freien Völker Europas und ihre militärische Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika ein weiteres Vordringen der Sowjets in Europa verhindern kann. Aus ihrer Verpflichtung für die Freiheit und Einheit ganz Deutschlands und aus ihrer europäischen Verantwortung heraus haben Bundesregierung und Bundestag damals beschlossen, diesem europäisch-atlantischen Sicherheitsbündnis beizutreten und für die gemeinsame Verteidigung einen angemessenen Beitrag zu leisten. Dieser Entschluß ist aus der Erkenntnis geschehen, daß ohne die Mitarbeit der Bundesrepublik eine wirksame Verteidigung Europas und damit auch unseres Landes mit dem Ziele, einen Angriff zu verhindern und den Ausbruch eines Krieges unmöglich zu machen, nicht aufgebaut werden kann. Die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, daß diese Politik der europäischen Einigung und der europäisch-atlantischen Verteidigungsbereitschaft ein wirksamer Beitrag zur Erhaltung des Weltfriedens und zur Rettung der Freiheit, aber auch eine unerläßliche Voraussetzung für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist.
Die Bundesregierung hat bei jeder Gelegenheit feierlich erklärt, daß Gewaltanwendung kein geeignetes Mittel ist, um die staatliche Einheit Deutschlands wiederherzustellen oder Grenzprobleme gleich welcher Art zu regeln.
Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit und legt Wert darauf, über alle schwebenden Probleme mit der Sowjetunion zu verhandeln, insbesondere über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands. Sie ist davon überzeugt, daß diese Verhandlungen zu einem positiven Ergebnis kommen, wenn sie auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker erfolgen, d. h. nach den Prinzipien, die in der Gründungsurkunde der Vereinten Nationen niedergelegt und von den Sowjets feierlich beschworen worden sind. Die Bundesregierung weiß aber auch, daß sie solche Verhandlungen nur dann erfolgreich führen kann, wenn die Bundesrepublik durch loyale Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten sich auf die moralische und praktische Unterstützung ihrer Bundesgenossen verlassen kann.
({5})
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die großen Probleme der internationalen Sicherheit, der Entspannung, der Abrüstung und der Wiedervereinigung nur dann für alle beteiligten Völker zufriedenstellend gelöst werden können, wenn alle auf Gewaltanwendung, auf die Unterdrückung fremder Völker und auf eine imperialistische Politik verzichten, d. h. wenn die Spannungsgründe und Unruhequellen aus der Welt geschafft werden. Dann wird auch das Mißtrauen am leichtesten schwinden, das darauf zurückzuführen ist, daß die Machthaber der Sowjetunion, gestützt auf ihre Militärmacht, bis heute leider noch keine konkreten Beweise oder auch nur Ansatzpunkte dafür geliefert haben, daß sie bereit sind, auf die Welt-revolutions- und Welteroberungspläne der bolschewistischen Ideologie zu verzichten.
({6})
Die Bundesregierung prüft, unter dem Gesichtspunkt ihrer Verantwortung und in ehrlicher Bereitschaft zu solchen Verhandlungen, laufend die internationale Lage darauf, ob Anhaltspunkte oder Ansätze dafür vorliegen, daß die Sowjetunion gewillt ist, von dieser Politik der Gewaltanwendung abzugehen und sich zu den sittlichen Normen und Grundsätzen zu bekennen, deren Beachtung das Mißtrauen in dieser Welt und damit Spannung und Wettrüsten beseitigen würde.
({7})
Die Bundesregierung bekennt sich zu diesen sittlichen Normen und Grundsätzen der Politik, sowohl in der staatlichen Ordnung des eigenen Volkes wie auch im Verkehr mit den anderen Völkern, gleichgültig, welche Regierungsformen und staatlichen Systeme dort gegeben sind.
Zu den von der Fraktion der SPD gestellten Fragen gibt die Bundesregierung im einzelnen folgende Antworten:
Die Frage 1 lautet:
Was tut die Bundesregierung, um der Gefahr entgegenzuwirken, daß Deutschland in einen Atomkrieg einbezogen wird, und was gedenkt sie zu tun, um auch die Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone vor den Gefahren eines Atomkonfliktes zu schützen?
Ich gebe die Antwort: Die Bundesregierung betrachtet es als ihre vornehmste Pflicht, alles, was in ihren Kräften steht, zu tun, um den Ausbruch eines Krieges unmöglich zu machen. Sie befindet sich in diesem Bestreben, einen Krieg zu verhindern, in voller Übereinstimmung mit der erklärten Politik aller im atlantischen Verteidigungssystem verbündeten 15 Nationen. Diese grundsätzliche Haltung der Bundesregierung ist durch Verlauf und Ergebnis der NATO-Konferenz in der letzten Woche erneut bestätigt worden.
({8})
Die Bundesregierung ist überzeugt, daß man diesem Ziel, einen Krieg zu verhindern, durch zwei Maßnahmen iam besten dienen kann: a) durch die ständige und bei dieser Gelegenheit erneut betonte Bereitschaft, sich jedem - ich wiederhole: jedem - internationalen Abrüstungsabkommen anzuschließen,
({9})
b) durch Mitarbeit in einem Sicherheitsbündnis mit dem ausschließlichen Ziel, durch die Bereitschaft zur Verteidigung einen Angriff von vornherein auszuschließen.
({10})
Diese Haltung hat die Bundesregierung konsequent vertreten. Ich brauche die vom Herrn Bundeskanzler aus früheren Reden, Erklärungen und aus dem Kommuniqué der Atomphysiker wiedergegebenen Zitate hier nicht mehr zu wiederholen. Ich darf als Ergänzung nur erwähnen, was der Herr Bundesaußenminister am 28. Juni 1956 in einer Regierungserklärung zur außenpolitischen Lage ausgeführt hat. Er hat dort wörtlich erklärt:
Die Bundesregierung ist überzeugt, .daß der Schlüssel zu der Lösung in dem Problem der Abrüstung liegt. Eine wirksame, umfassende, kontrollierte Abrüstung, die alle Phasen und alle Bestände der Waffenproduktion einschließlich der atomaren Waffen umfassen sollte, wird die Völker der Welt von dem Gefühl der Angst befreien. Diese Angst ist ja die tiefste Wurzel des gegenseitigen Mißtrauens und damit im Sinne eines ,grauenvollen und widersinnigen Circulus vitiosus der Ansporn, die Aufrüstung voranzutreiben, um damit der
B) potentiellen Gefahr von morgen zu begegnen. Eine solche Abrüstung
- so erklärte der Bundesaußenminister könnte in letzter Konsequenz sogar jedes Sicherheitssystem überflüssig machen, denn der Ruf nach einem Sicherheitssystem ist im Letzten ja auch geboren aus dem Gefühl der Sorge und .der Angst vor der Bedrohung. Die Bundesregierung wird daher ihre Anstrengungen ganz besonders auf die Frage der Abrüstung konzentrieren, und ich glaube, sie darf sich darin der Zustimmung des ganzen deutschen Volkes sicherlich bewußt sein.
({11})
So weit das wörtliche Zitat aus der Regierungserklärung des Herrn Bundesaußenministers vom 28. Juni 1956.
Die gleiche Haltung ist auch immer wieder durch die Bundesregierung vor der in- und ausländischen Öffentlichkeit vertreten worden.
Die Bundesregierung verfolgt mit der größten Sorgfalt die laufenden Abrüstungsverhandlungen in London und wünscht, daß sie bald zu konkreten Ergebnissen führen. Bis zum Erfolg dieser Bemühungen ist der Aufbau der Bundeswehr im Rahmen des ,allein der Verteidigung dienenden Bündnissystems der NATO ein unerläßlicher Beitrag für die Erhaltung des Friedens.
({12})
Es ist eine Utopie zu glauben, daß die Bundesrepublik allein auf sich gestellt eine Politik treiben kann, die das Gebiet der Bundesrepublik und
das der sowjetischen Besatzungszone aus einem allgemeinen Atomkrieg heraushalten würde.
({13})
Nur eine gemeinsame Sicherheitspolitik der freien Völker kann bei der heutigen Weltlage für jeden Angreifer ein solches Risiko schaffen, daß ein Angriff praktisch ausgeschlossen ist und damit der Ausbruch eines Krieges unmöglich gemacht wird.
({14})
Diese ausgesprochene Friedenspolitik dient dem Schutz aller Deutschen - aller Deutschen! Bei der Untrennbarkeit der Probleme Entspannung, Abrüstung, Wiedervereinigung und Sicherheit ist diese ebenso friedliche wie entschlossene Politik der einzige Weg, um unserem Volk die Schrecken eines modernen Krieges zu ersparen. Ein solcher Krieg würde in jedem Falle, gleich mit welchen Waffen er auch geführt wird, furchtbare Verwüstungen hervorrufen und unermeßliches Leid schaffen. Diese Friedenspolitik ist aber auch der einzige Weg, um unser Volk vor der Unterwerfung unter den sowjetischen Machtwillen und damit vor dem tragischen Leidensweg des ungarischen Volkes zu bewahren.
({15})
Das Schicksal des ungarischen Volkes sollte jedem eine Warnung sein, der mit dem Gedanken der Auflösung unseres Sicherheitsbündnisses spielt.
({16})
Für uns besteht nach wie vor die harte Notwendigkeit, verteidigungsbereit und verteidigungsfähig zu sein, bis eine befriedigende Regelung über die Abrüstung getroffen ist. Diese Politik ist außerdem die zur Zeit einzig mögliche Voraussetzung, um die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands mit friedlichen Mitteln und in gesicherter Freiheit vorbereiten zu können. Sie allein gibt der Bundesregierung die Möglichkeit, erstens gleichberechtigt und zweitens unterstützt durch unsere Verbündeten mit der Sowjetunion über dieses Ziel zu verhandeln.
Die Frage 2:
Trifft es zu, daß bei der kürzlich durchgeführten Stabsübung der NATO ({17}) der beiderseitige Einsatz von nuklearen Waffen in beiden Teilen Deutschlands Bestandteil der Übung war?
Ich gebe idle Antwort.
Die Übung „Lion noir" war eine Stabsrahmenübung. Derartigen Übungen liegt immer in allen Ländern der Welt eine konkrete Lage zugrunde, bei der aus sachlicher Notwendigkeit die ungünstigsten Feindverhältnisse angenommen werden. So war auch in diesem Falle die Ausgangslage - die angenommene Ausgangslage! - ein erfolgter Angriff des angenommenen Gegners, bei dem Waffen aller Art eingesetzt worden waren. Andererseits war auf der eigenen Seite der deutsche Verteidigungsbeitrag in vollem Umfang noch nicht berücksichtigt.
Der technische Zweck dieser Übung bestand darin, die vertretenen Regierungsstellen und die beteiligten militärischen Stäbe mit allen sich aus einer solchen Lage ergebenden Problemen sowohl der militärischen wie der zivilen Verteidigung vertraut zu machen und diese Verteidigung mit entsprechenden Mitteln theoretisch zu üben.
({18}) Die Frage 3:
Was tut die Bundesregierung zur Unterstützung der gegen ,das Atomwettrüsten gerichteten Forderungen Japans, die aus den eigenen leidvollen Erfahrungen der ersten Atombombenabwürfe entstanden sind, auf Einstellung der Atomversuchsexplosionen durch alle Beteiligten?
Ich gebe die Antwort.
Die Frage der Einstellung von Atomwaffenversuchen steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Problem eines umfassenden Abrüstungsabkommens. Mit der Beseitigung des Mißtrauens zwischen den Großmächten durch ein solches Abkommen würde auch der Anlaß zu weiteren Atomversuchen entfallen, deren Durchführung schließlich in der Angst voreinander begründet liegt.
Der Präsident der Vereinigten Staaten hat am 23. Oktober 1956 erklärt, daß die Vereinigten Staaten mit der Erprobung von solchen Waffen fortfahren müssen, bis gesicherte und überwachte internationale Abkommen eine Einstellung der Versuche ohne Schaden für die Sicherheit des eigenen Landes und aller freien Nationen gestatten. Die Bundesregierung begrüßt die Vorschläge, die die britische Regierung am Montag dieser Woche der Londoner Abrüstungskonferenz für die Registrierung, Begrenzung und spätere Einstellung aller Atomversuche unterbreitet hat. Das gilt auch für den japanischen Vorschlag. Die Bundesregierung ist überzeugt, daß sich ein solches Abkommen erreichen läßt, wenn ,die Sowjetunion einer effektiven gegenseitigen Kontrolle zustimmt.
({19})
Die Fragen 4 und 6, die ich im Zusammenhang beantworten darf:
Ist die Bundesregierung bereit, dem japanischen Beispiel zu folgen ,und ihre Zustimmung zur Stationierung von Atomwaffenverbänden auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verweigern?
Ferner:
Wann, unter welchen Umständen und aus welchen Gründen hat die Bundesregierung der Stationierung von Atomwaffen und Atommunition in der Bundesrepublik Deutschland zugestimmt?
Die Frage ,der Stationierung von Waffen und Verbänden dieser Art auf ihrem Gebiet stellt alle europäischen Länder vor die gleiche Situation. Die Sowjetunion hätte jederzeit die Möglichkeit, die europäischen Länder mit der ultimativen Drohung des Einsatzes von Atomwaffen zu einer bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, wenn nicht auch in Europa selbst gleichwertige Mittel zur Abwehr zur Verfügung stünden.
({20})
Es ist, Herr Kollege Erler - und wir wissen, warum wir das sagen -, ebenso gefährlich wie irrig, wenn man sich zur Verhinderung eines Angriffs und damit zur Vermeidung eines Krieges ausschließlich auf ,die abschreckenden Wirkungen der großen strategischen Atomwaffen in den USA verläßt und damit die Konkurrenz des Schreckens bis zur letzten apokalyptischen Konsequenz steigert.
({21})
Es darf keinen Zweifel darüber geben, daß die Gefahr eines Angriffs durch die Sowjetunion nach wie vor besteht. Das hat auch der Rat der Außenminister der fünfzehn NATO-Staaten in der letzten Woche einstimmig als bedauerliche Konsequenz seiner Analyse der Weltlage festgestellt.
Es sind die Sicherheitsstreitkräfte der Vereinigten Staaten, die in erster Linie die Verantwortung für die Verteidigung der freien Welt tragen. Wenn von den Vereinigten Staaten eine volle Sicherheitsgarantie für die Bundesrepublik einschließlich Westberlins verlangt wird und wenn man sich auf die Zuverlässigkeit ,dieser Garantie verlassen will - ein Verlangen, das gerade von der Opposition dieses Hauses bei zahlreichen Gelegenheiten gestellt und betont worden ist -, dann muß man den USA auch die Möglichkeit geben, die für die Wirksamkeit und Glaubhaftigkeit dieser Garantie erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
({22})
Die Rote Armee besitzt eine erhebliche Überlegenheit an konventionellen Waffen, sie verfügt über Atomkampfmittel aller Art. Wird den Verteidigungsstreitkräften in Europa eine mindestens gleichwertige Ausrüstung und Bewaffnung verweigert, so bedeutet das geradezu einen Anreiz zur Aggression.
({23})
Aus diesem Grunde kann die Bundesregierung aus ihrer Verantwortung für das deutsche Volk keinen Einspruch dagegen einlegen, daß bis zum Abschluß eines umfassenden Abrüstungsabkommens die auf dem Gebiet der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte über moderne Waffen verfügen. Um einem häufigen technischen Mißverständnis entgegenzutreten, darf ich bemerken, daß mit allen diesen Waffen auch normale Sprengmunition verschossen werden kann, so daß die Atommunition nur für den äußersten Fall ,der Notwehr als Abschreckungsmittel zur Verfügung stünde.
Es wird keiner Bundesregierung gelingen, auch der nächsten nicht, von der amerikanischen Regierung die weitere Stationierung amerikanischer Verteidigungsstreitkräfte auf unserem Boden zu erwirken, wenn man ihnen gleichzeitig zumutet, mit einer gegenüber der Roten Armee hoffnungslos unterlegenen Bewaffnung ausgerüstet zu sein.
({24})
Wer sich um den Schlüssel zur deutsch-amerikanischen Freundschaft und zur Aufrechterhaltung der deutsch-amerikanischen Sicherheitsgarantie bemüht, der muß auch bei einer Reise in die USA diese Frage, wie leider nicht geschehen, ganz offen ansprechen.
({25})
Wie sehr diese sachliche Auffassung von rein sachlichen Gesichtspunkten bestimmt ist, also von der jeweiligen politischen Zusammensetzung der Regierungen der NATO-Staaten unabhängig ist, das beweist die Äußerung des sozialdemokratischen dänischen Verteidigungsministers Hansen. Dieser hat am 28. April - vor wenigen Tagen - unter anderem erklärt:
Man hat gesagt, daß die Raketenwaffen, deren Lieferung an Dänemark die Vereinigten Staaten vorgeschlagen haben, gefährlich sind.
({26})
Das stimmt - aber nur für jene, die versuchen sollten, unser Land anzugreifen.
({27})
Noch am Montag dieser Woche erklärte der sozialistische belgische Außenminister Spaak vor der Versammlung der Westeuropäischen Union - ich zitiere ihn wörtlich -:
Wer die Warnungen der Sowjets fürchtet, soll wenigstens den Mut haben, zu sagen, daß, wenn wir schon veraltete Waffen führen, wir die kostspielige Produktion von nutzlosen Kanonen einstellen und zu Pfeil und Bogen zurückkehren sollten.
({28})
Ich erinnere mich, ähnliche Ausführungen auch in diesem Hause und nicht von der Regierungsseite gehört zu haben.
({29})
Mit dem dänischen Verteidigungsminister und dem belgischen Außenminister sind maßgebliche Vertreter von Staaten zitiert, die angesichts der Reichweite und der Wirkung der modernen Waffen und angesichts der geographischen Lage und der dichten Besiedlung ihrer kleinen Gebiete mindestens der gleichen Gefahr und dem gleichen Risiko wie die Bundesrepublik unterliegen.
({30})
Bis zum Erfolg der Abrüstungsverhandlungen können die europäischen Staaten der Gefahr nur gemeinsam entgegentreten. Ein Ausscheiden einzelner Staaten in dem Versuch, sich jeder Verantwortung, jedem Risiko und jeder Gefahr zu entziehen, führt zum Zusammenbruch der Freiheit
und Sicherheit für alle Beteiligten.
({31})
Die europäischen Staaten können dieser Gefahr nur gemeinsam entgegentreten, indem sie mit Hilfe des großen Potentials der Vereinigten Staaten von Amerika die Möglichkeit eines Angriffs praktisch ausschließen. Nur die eigenen Bemühungen und Anstrengungen können außerdem verhindern, daß die USA eines Tages zu einer Revision ihrer Sicherheitspolitik gezwungen sind. Wie zum wiederholten Male von offizieller amerikanischer Seite erklärt worden ist, können dem amerikanischen Volke allein auf die Dauer nicht alle materiellen Opfer, alle Risiken und die gesamte Verantwortung für die Sicherung der Freiheit in der Welt aufgebürdet werden.
({32})
Wer für die Bundesrepublik Deutschland die amerikanische Sicherheitsgarantie aufrechterhalten will, muß soviel Einsicht und soviel Mut auch im Wahljahr vor der Öffentlichkeit besitzen, einzugestehen, daß eigene Anstrengungen notwendig sind und daß zur Verhinderung eines Angriffs an der unmittelbaren Grenze des sowjetischen Machtbereichs wirksame und gleichwertige Verteidigungsstreitkräfte gegenüber der Roten Armee zur Verfügung stehen müssen.
({33})
Der Ausstattung und Stärke der Roten Armee in den uns bedrohenden Grenzgebieten und Hinterländern ist in sämtlichen Noten der Sowjetunion keine einzige Erwähnung getan worden.
Im übrigen ist es unzutreffend, daß die japanische Regierung ihre Zustimmung zur Stationierung von Atomwaffen auf ihrem Gebiet verweigert hat.
({34})
Sie hat erklärt, daß die Stationierungsstreitkräfte der Zustimmung nicht bedürfen, daß sie aber eine Konsultation der Regierung erwartet.
Zu Frage 5:
Was tut die Bundesregierung, um dazu beizutragen, daß durch ein allgemeines Abkommen über die Begrenzung der Streitkräfte und ihrer Bewaffnung sowie über die Einführung eines wirksamen Kontrollsystems dem Atomwettrüsten ein Ende gemacht und die Sicherheit auch für unser Volk erhöht wird?
Ich darf antworten: Die Bundesregierung vertritt, wie bereits in der Antwort zu Frage 1 dargelegt, die Auffassung, daß ein Abrüstungsabkommen sowohl herkömmliche wie auch atomare Waffen umfassen muß. Sie ist der Meinung, daß die Begrenzung der herkömmlichen und die Abschaffung der atomaren Waffen auf zwei Voraussetzungen aufgebaut sein müssen: erstens einer technisch wirksamen Kontrolle, der sich alle Regierungen zu unterwerfen haben, zweitens einem angemessenen gegenseitigen Verhältnis der herkömmlichen Streitkräfte, so daß für keine Seite auf diesem Gebiet ein untragbares oder nicht zumutbares Risiko entsteht.
Die Bundesregierung ist - das sei hier neuerlich und nochmals betont - jederzeit bereit, allen internationalen Vereinbarungen zuzustimmen - ohne für sich besondere Forderungen zu stellen und damit die Verhandlungen zu erschweren -, auf die sich die Großmächte einigen.
({35})
Über diese Haltung der Bundesregierung sind auch die Sowjetunion und unsere Bündnispartner unterrichtet, die an den derzeitigen Abrüstungsverhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen teilnehmen.
Demgegenüber lassen auch die neuesten Vorschläge der Sowjetunion im Unterausschuß der Abrüstungskommission in London noch nicht erkennen, daß sie bereit ist, einer vollwirksamen gegenseitigen Kontrolle zuzustimmen. Angesichts der Wirkung und der Reichweite der atomaren Waffen ist eine technisch praktikable Kontrolle nur wirksam, wenn eine lückenlose Land-, See- und Luftüberwachung aufgebaut wird. Das bedeutet, daß sich alle Nationen einen einschneidenden Eingriff in ihre Hoheitsrechte gefallen lassen müssen und daß damit der klassische Begriff der uneingeschränkten Souveränität insoweit aufgehoben werden muß.
({36})
Bis in die jüngste Zeit hinein hat die Sowjetunion zwar versucht, in propagandistisch wirksamer Weise eine moralische Achtung und theoretische Abschaffung der Atomwaffen zu erreichen, hat aber die praktischen Konsequenzen abgelehnt,
({37})
die sich auch für die Sowjetunion hinsichtlich der Kontrolle über die Einhaltung eines solchen Abkommens ergeben werden. Die jüngsten Vorschläge der Sowjetunion, wenn sie auch erfreu({38})
licherweise einen gewissen Fortschritt darstellen, enthalten noch in keiner Weise eine befriedigende Lösung. Sich auf eine bloße Unterschrift ohne Kontrolle zu verlassen wäre gegenüber einer politischen Mentalität, bei der der Zweck die Mittel heiligt, gleichbedeutend mit einem selbstmörderischen Risiko.
({39})
Andererseits bedeuten der bedingungslose Verzicht - ich wiederhole: der bedingungslose Verzicht - auf die Ausstattung der eigenen Streitkräfte mit Atomwaffen - ich verstehe unter „bedingungslos": für alle Zeiten und ohne jede Einschränkung-, wie offensichtlich auch in dieser Interpellation verlangt wird, und die Verweigerung von Atomwaffen für die ausländischen NATO-Streitkräfte - das sind ja die zwei von der Sowjetunion ohne jedes eigene Entgegenkommen erhobenen Forderungen - eine Vorleistung gegenüber den Sowjets, die jede Aussicht auf ein umfassendes Abrüstungsabkommen erheblich vermindern und sein Zustandekommen wesentlich erschweren, wenn nicht überhaupt aussichtslos machen würde.
({40})
Denn gerade durch ,die Unterwerfung unter diese sowjetischen Forderungen muß die Hoffnung der Sowjets auf eine einseitige Abrüstung der freien Völker ohne sowjetische Gegenleistung, auf einen Abzug der USA-Truppen energischen Auftrieb rnalten. Der Gedanke der Abrüstung würde dadurch entscheidend getroffen werden.
({41})
Die Mitgliedstaaten der Westeuropäischen Union und demgemäß die Bundesrepublik haben sich einer solchen Begrenzung ihrer Rüstung bereits freiwillig unterworfen. Sie haben einer Begrenzung der Stärken ihrer Streitkräfte auf dem europäischen Kontinent zugestimmt und überprüfen durch ein eigenes Kontrollamt die zugestandene Bewaffnung.
Herr Kollege Erler hat von der Bundesregierung eine Erklärung verlangt, daß sie bereit sei, zu versichern: nicht einen Mann mehr und nicht eine Waffe mehr, als in einem solchen Abkommen zugestanden wäre. Wir gehören einem Abkommen, das Rüstungsstärken und Waffenumfang begrenzt, bereits an. Ich kann als der zuständige Ressortminister erklären: Nicht einen Mann mehr und nicht eine Waffe mehr!, - allerdings noch erheblich weniger, also dort vorgesehen.
Darüber hinaus hat ,die Bundesrepublik als einziger Staat der Welt auf die Produktion zahlreicher schwerer Waffen - weit über das Gebiet der ABC-Waffen hinaus - und vollkommen auf die Herstellung der atomaren, biologischen und chemischen Kampfmittel verzichtet.
({42})
- Es ist kein guter Ton, wenn man die Vertragstreue der eigenen Regierung, die feierlich vor dem Parlament versichert wird, vor dem Auslande in Zweifel stellt.
({43})
Es gäbe kaum ein demokratisches Land auf der
Welt und kaum einen Parlamentarier in ihm, der sich das erlauben würde.
({44})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Nur zu dem letzten Satz, Herr Minister! Ist Ihnen nicht bekannt, daß die Bestimmungen in der Westeuropäischen Union, auf die Sie sich eben bezogen haben, durch einstimmigen Beschluß des Rates auch ,geändert werden können? Also auch ohne Vertragsbruch wäre eine Änderung möglich. wenn alle Beteiligten zustimmen. Nach der Rede, die Sie gehalten haben, halte ich das für möglich.
({0})
Sie wissen ganz genau, Herr Kollege Erler - weil Sie meine Äußerungen, die vielleicht nicht so wichtig wie die des Herrn Bundeskanzlers sind, ebenso sorgfältig registrieren. wie wir guten Grund haben, es bei den Ihren zu tun -. daß wir erklärte Gegner einer Ausdehnung der Atomwaffen-Produktion auf immer mehr Völker. kleine und mittlere, sind: sie würden sich sonst zum Schluß in den Händen Nassers, des Staates Israel oder südamerikanischer Staaten oder irgendwelcher anderen Staaten auf der Welt befinden.
({0})
- Wir werden so lange bei dieser Einstellung bleiben, bis ein umfassendes Abrüstungsabkommen uns der weiteren Bearbeitung dieses Problems enthebt.
({1})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Dr. Schmid ({0})?
({1})
Bezieht sich dieses Nein außer auf die Produktion auch auf den Besitz und den Gebrauch von Atomwaffen?
Ich bin gefragt worden. Herr Kollege Schmid, ob der Verzicht der Bundesregierung ohne dolus eventualis gilt. Ich erkläre
({0})
- darf ich vielleicht ,die Antwort aussprechen! -, daß der Verzicht der Bundesregierung, wie er in den Pariser Verträgen zum Ausdruck gebracht wird, auf die Herstellung von atomaren Kampfmitteln, biologischen Kampfmitteln und chemischen Kampfmitteln auch heute noch gilt und daß von unserer Seite keinerlei Schritte beabsichtigt sind, diesen Verzicht zu widerrufen oder den von Herrn Erler genannten einstimmigen Beschluß - der sowieso eine Utopie wäre, dessen Herbeiführung ein politischer Irrealismus wäre - herbeizuführen.
({1})
({2})
Ich erlaubte mir zu kommentieren. - Herr Kollege Schmid, ich werde auf die Frage, die Sie stellen, in meinen Gesamtausführungen antworten.
Da habe ich vorher erklärt, daß ein bedingungsloser, auf alle Zeiten erklärter Verzicht erstens auf Ausstattung mit Atomwaffen aller Art, auch der leichtesten Atomwaffen - deren Wirkungen ich zu kennen glaube -, zweitens die Verweigerung der Ausstattung der USA-Streitkräfte mit Atomwaffen eine Vorleistung gegenüber den Sowjets bedeuten würden, die die konkreten Hoffnungen auf ein Abrüstungsabkommen erheblich vermindern würde.
({3})
Ich darf vielleicht den Gedanken, den ich gegenüber Ihnen, Herr Kollege Erler, zum Ausdruck bringen wollte, sagen: Wir sind erklärte Gegner einer Ausdehnung der Atomwaffenproduktion auf immer mehr mittlere und kleinere Völker. Wir sind erklärte Gegner einer nationalen Verfügungsgewalt über solche Atomwaffen,
({4})
weil wir wissen, daß Atomwaffen in den Händen von Staaten mit nationalistischer Politik und hochexplosiven politischen Zielen zu dauernder erheblicher Gefährdung führen. Wir haben uns feierlich und laut immer dagegen ausgesprochen.
({5})
Wenn man uns fragt: Welchen Beitrag leisten wir?, so darf ich im Namen der Bundesregierung allerdings erklären: In diesen Bestimmungen des Pariser Vertragswerkes erblickt die Bundesregierung einen wichtigen Ansatzpunkt für eine allgemeine Abrüstung.
Die Frage 7 lautet:
Trifft es zu, daß ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums in den Vereinigten Staaten die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen verlangt hat, und ist das die Auffassung der Bundesregierung?
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Nein! Frage 8:
Hält die Bundesregierung an der im Zusammenhang mit .der Unterzeichnung der Pariser Verträge schriftlich abgegebenen Erklärung fest, wonach die Bundesrepublik Deutschland keine Atomwaffen herstellen wird?
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Ja!
({6})
Frage 9:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland vor den möglichen Auswirkungen der Stationierung von Atomwaffen auf 'ihrem Gebiet zu schützen, und ist die Bundesregierung bereit, die Bevölkerung über diese Maßnahmen aufzuklären?
Ich darf die Frage beantworten. Diese Frage soll offenbar den Eindruck hervorrufen, als ob die Bevölkerung der Bundesrepublik durch die Stationierung von Atomwaffen besonders gefährdet würde, sei es wegen der Lagerung, sei es wegen der attraktiven Wirkung für feindliche Angriffe. Diese Auffassung ist irrig.
Eine reine Lagerung von Atommunition erfolgt nach den strengen Vorschriften der Vereinigten
Staaten, wie sie dort im eigenen Lande und auch
in Großbritannien im Interesse des Schutzes der
Zivilbevölkerung sehr streng gehandhabt werden.
Die Bundesregierung hat auch gegen die Auswirkungen der Atomwaffen im Verteidigungsfall Schutzmaßnahmen geplant, mit deren Durchführung bereits begonnen ist. Dazu gehören u. a. das vorläufige Luftschutzprogramm der Bundesregierung vom 11. Juli 1955, die Einbringung des Ersten Gesetzes zum Schutz der Zivilbevölkerung und die Inangriffnahme nachstehender praktischer Maßnahmen: die Schaffung des Bundesluftschutzverbandes als der wichtigsten Selbstschutz- und Aufklärungsorganisation mit zur Zeit 35 000 Helfern, die Vorbereitung des Luftschutzwarndienstes, von dem ein Musterwarnamt bereits arbeitet, die Entwicklung und Beschaffung des modernsten Geräts für den vorgesehenen Luftschutzhilfsdienst, die Bevorratung mit Arzneimitteln, insbesondere die Ausbildung von mehr als einer Million Helfern durch das Deutsche Rote Kreuz, den ArbeiterSamariter-Bund, ,den Johanniter- und den Malteser-Orden.
Alle Planungen und Maßnahmen der Bundesregierung beruhen auf sorgfältiger wissenschaftlicher und technischer Vorbereitung. Drei Unterzeichnete der sogenannten Göttinger Erklärung, nämlich die Professoren Haxel, Maier-Leibnitz und Riezler, haben inzwischen ausdrücklich folgendes bestätigt:
Wir halten die Pläne der Bundesregierung, die ,die Einrichtung eines schnellen und sicheren Warnsystems, den Bau von Schutzräumen, die Aufstellung eines Luftschutzhilfsdienstes, die Anlegung von Arzneimittelvorräten und im Faille der Gefahr gewisse Evakuierungsmaßnahmen vorsehen, für zweckmäßig.
Die Bundesregierung spricht die dringende Bitte aus, daß der Bundestag in den nächsten Wochen und noch vor seiner Auflösung das in den Ausschüssen durchberatene Erste Gesetz zum Schutz der Zivilbevölkerung, in dem sie ein Kernstück ihrer Maßnahmen erblickt, verabschiedet.
Die Bundesregierung weist auch in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der sicherste Schutz für ganz Deutschland in einer Politik besteht, die darauf ,abgestellt ist, einen Krieg zu verhindern. Die Bundesregierung ist mit den Regierungen der übrigen vierzehn NATO-Staaten auf Grund der Ergebnisse der bisherigen Politik ,der festen Überzeugung, daß bis zum Inkrafttreten eines umfassenden Abrüstungsabkommens allein dieser Weg der richtige ist und sein Verlassen unübersehbare Gefahren auf uns herabbeschwören würde.
Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß die moderne Waffenentwicklung frühere Raumvorstellungen bereits überholt hat und in immer größerem Maße überholen wird. So sind die Vereinigten Staaten von Amerika als Produzenten, als Träger der atomaren Rüstung und als strategischer Rückhalt für die Verteidigung der freien Welt durch einen sowjetischen Atomangriff am stärksten gefährdet, stärker jedenfalls, als die Bundesrepublik gefährdet ist. Im europäischen Bereich gilt dasselbe für Großbritannien, das aber gerade in seiner atomaren Aufrüstung den stärksten Schutz sieht und nach einem offiziellen Weißbuch die Absicht hat, sein Gebiet zur Basis einer hauptsächlich atomaren Verteidigung zu machen. - Ich erlaube mir diese Ausführungen, um der Auffassung entgegenzutreten, daß speziell die Bundes({7})
republik als einziges Land in Europa davon bedroht und allein für uns das Problem zu lösen sei.
Die jüngste Entwicklung veranlaßt ,die Bundesregierung, auf folgendes hinzuweisen. Die Bundesregierung teilt die tiefe Besorgnis unseres ganzen Volkes, die durch die fortschreitende Ausrüstung der Weltmächte mit Atomwaffen hervorgerufen ist. Diese Sorge unseres Volkes, das durch die Schrecken des zweiten Weltkrieges am härtesten getroffen ist und seine politischen Auswirkungen heute noch täglich zu spüren bekommt, ist verständlich und berechtigt. Die Bundesregierung weiß aber auch, daß sie den Willen des deutschen Volkes erfüllt und den deutschen Lebensinteressen am besten dient, wenn sie eine realistische Friedenspolitik betreibt. Im Bewußtsein ihrer Verantwortung muß die Bundesregierung davor warnen, angesichts der Haltung der Sowjetunion in dem Bestreben nach Sicherung der Freiheit nachzulassen.
Die Sowjetunion hat eine neue Phase des Nervenkrieges eingeleitet. Die freie Welt in ihrer Gesamtheit und einzelne Staaten und Völker werden auf allen Ebenen abwechselnd mit Drohungen und Lockungen überhäuft. Die Absicht, dadurch die Verteidigungskraft ,des Westens insgesamt zu untergraben und den Verteidigungswillen der Völker von innen heraus entscheidend zu treffen, ist unverkennbar. Mit dieser Einschüchterungsoffensive will ,die Sowjetunion die Möglichkeit wiedergewinnen - ich sage: wieder gewinnen -, ihre militärischen Machtmittel zur Durchsetzung ihrer unverändert gebliebenen politischen Ziele einzusetzen.
Die Bundesregierung fordert die deutsche Öffentlichkeit und insbesondere alle politischen Kräfte auf, den von der Sowjetunion unternommenen Versuch, Angst, Unruhe, Furcht und Panikstimmung zu erzeugen, rauch nicht unbewußt zu unterstützen,
({8})
sondern ihm entschieden und entschlossen entgegenzutreten, wie .es .auch die übrigen von dein sowjetischen Drohungen überfallenen Völker getan haben.
({9})
So verständlich die Sorgen sind, so schlechte Ratgeber sind Angst und Furcht.
({10})
Die Bundesregierung faßt ihre Auffassung zusammen:
Erstens. Nach wie vor ist die Bundesrepublik durch das militärische Potential und die unverändert gebliebene politische und ideologische Zielsetzung der Sowjetunion einer ernsten Bedrohung ausgesetzt.
Zweitens. Eine isolierte Sicherheitspolitik der Bundesrepublik ist heute nicht mehr möglich. Nur im Verein mit unseren Bundesgenossen können die einzig wirksamen Maßnahmen getroffen werden, die geeignet sind, den Ausbruch eines Krieges zu verhindern und damit ganz Deutschland vor ihm zu schützen.
Drittens. Diese Maßnahmen, die ausschließlich der Erhaltung des Friedens und der Sicherung unserer Freiheit dienen, können von der Sowjetunion nicht als Bedrohung aufgefaßt werden und werden von ihr in Wirklichkeit auch nicht als Bedrohung aufgefaßt.
({11})
Die Sowjetunion weiß ganz genau, daß die NATO einzig und allein als Verteidigungsbündnis funktionsfähig und nach der demokratischen Mentalität ihrer Regierungen und Völker für eine aggressive Politik ungeeignet ist.
({12})
Viertens. Die Bundesregierung versichert erneut ihre Bereitschaft, alles zu tun, was in ihren politischen Möglichkeiten liegt, um ein umfassendes Abrüstungsabkommen herbeiführen zu helfen. Die beste Voraussetzung für ein solches Abkommen ist allerdings die Beseitigung der Spannungsherde. Entspannung, Abrüstung, Sicherheit und Wiedervereinigung gehen Hand in Hand. Alle Bemühungen in dieser Hinsicht sind bis jetzt ausschließlich am Widerstand der Sowjetunion gescheitert.
({13})
Ihre Politik besteht in der Praxis nach wie vor darin, ganz Deutschland zu einem sowjetischen Satelliten zu machen.
Fünftens. Die Bundesregierung hat die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen bisher weder verlangt noch ist sie ihr angeboten oder aufgedrängt worden. Es ist ihr ausgesprochener Wunsch, daß durch den Abschluß eines Abrüstungsabkommens sich dieses Problem von selbst erledigt.
({14})
- Auf welche Weise? Hören Sie mich doch weiter. - Unser Land hat als einziger Staat der Welt auf die Herstellung von Massenvernichtungsmitteln verzichtet. Vivant sequentes! Innerhalb der Westeuropäischen Union hat sich die Bundesrepublik gemeinsam mit ihren Partnern einer Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle unterworfen. Das sind konkrete Beiträge der Bundesrepublik zu den Abrüstungsbestrebungen in der Welt.
Sechstens. Bis zum Erfolg der Abrüstungsbemühungen kann die Bundesregierung im Interesse der Sicherheit der Bundesrepublik den Streitkräften der Vereinigten Staaten, dem Rückhalt der gemeinsamen Verteidigung, die Bereitstellung solcher Waffen nicht verweigern, die denen der Roten Armee im entsprechenden Bereich mindestens gleichwertig sind.
({15})
Siebtens. Zum Schutz der Bevölkerung sind, unter Berücksichtigung des neuestens Standes der Technik, wirksame Maßnahmen geplant.
({16})
Ihre Durchführung hat bereits begonnen und wird nach Verabschiedung des Gesetzes über den Schutz der Zivilbevölkerung in verstärktem Maße fortgesetzt werden. Zugleich mit dem Aufbau der Bundeswehr dienen auch diese Schutzmaßnahmen der Sicherheit des einzelnen und der Abwehrbereitschaft des Staates. Auch sie sind ein Beitrag zur Verhinderung des Krieges.
Achtens. Die Sowjetunion ist nach wie vor eine gewaltige Militärmacht, die über die stärksten konventionellen Streitkräfte und über Atomwaffen aller Art verfügt. Bisher liegt leider kein Beweis dafür vor, daß die Sowjets ihre aggressive politische Zielsetzung aufgegeben haben. Die Bundesregierung warnt davor, in der praktischen und psychologischen Verteidigungsbereitschaft nachzu({17})
lassen, bevor die Sowjetunion eine sichtbare Bereitschaft zeigt, einen Ansatz dieser Bereitschaft zeigt, die Spannungsherde zu beseitigen und nach jahrelangen Verhandlungen endlich einem Abrüstungsabkommen zuzustimmen. Die Bundesregierung ist bereit, sich einem solchen Abkommen jederzeit zu unterwerfen. Bis zu diesem Zeitpunkt, den niemand mehr als das deutsche Volk herbeisehnt, muß aber auch für uns der Leitspruch aller in der atlantischen Sicherheitsgemeinschaft vereinigten Nationen gelten: „Vigilia pretium libertatis." - Frei bleibt nur, wer auf der Hut ist.
({18})
Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache über die die Große Anfrage und die Antwort der Bundesregierung ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage betrifft nur einen Ausschnitt des umfassendsten Problems. das unsere Zeit uns stellt. Es heißt: Wie sind die Folgen der Ausrüstung der Streitkräfte einiger Staaten mit atomaren Waffen zu bewerten? Welches könnte insbesondere die Folge sein, wenn Deutschland in diese atomare Bewaffnung mit einbezogen wird? Man kann darum die Antwort der Bundesregierung nicht besprechen, ohne wenigstens auf einige Aspekte des Gesamtproblems einzugehen.
Dieses Problem ist nicht als Spezialfrage zu begreifen, auch, nicht als eine militärische Frage allein, also auch nicht nur als eine Frage militärischer Zweckmäßigkeiten,
({0})
sondern als eine Frage, deren Beantwortung Sein oder Nichtsein unseres Volkes und anderer Völker bestimmen kann.
({1})
Denn je nachdem, welche Antwort wir durch unsere praktische Politik geben, bestimmen wir die realen Grundordnungen, innerhalb deren unser Volk leben kann, so oder anders. Diese Grundordnungen werden ja nicht nur durch Verfassungstexte oder durch Vertragstexte bestimmt, sondern viel mehr noch durch die Elementarwelt, die diesen Texten vorgegeben ist oder die wir selber schaffen. In einem atomaren Klima, wenn ich so sagen darf, wird alles anders als in einem Klima. in dem nur die Naturgesetze Sir Isaac Newtons gelten.
Darum wirft diese Frage - wie jede Frage solcher Art - auch das Problem des Verhältnisses von Moral und Politik auf, und sie wirft dieses Problem in seiner ganzen tragischen Tiefe und tragischen Uferlosigkeit auf.
({2})
Das versperrt uns jede Ausflucht in opportunistische Lösungen;
({3})
das versperrt uns jede Zuflucht zu einem System von Aushilfen. Das verbietet uns die Maskierung des höchsten Ernstes hinter einem Schirm beeindruckender Zahlenbilder,
({4})
und das verbietet uns insbesondere den Ausweg der Ironie.
({5})
Das gilt für alle Völker. Es gilt aber am meisten für uns, und zwar deswegen, weil in unserer Vergangenheit einiges ist, dessen Spuren uns schrecken sollten.
({6})
Es gilt deswegen besonders für uns, weil wir das Land der Mitte in einer tragischen Doppelbedeutung sind: das Land der Mitte als mögliche Brücke und als mögliches Schlachtfeld.
({7})
Weil hier von der Sache selber her die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Politik aufgeworfen wird, haben höchste spirituelle Autoritäten zu diesen Dingen das Wort ergriffen: der Papst, Albert Schweitzer, die 18 deutschen Atomwissenschaftler und noch viele andere Autoritäten mehr. Diese Menschen sind nicht beliebige Privatleute, die auch mitreden wollen, es sind Autoritäten, die ein Recht haben, zu diesen Dingen zu sprechen.
({8})
Ich möchte darum sagen, daß ich mich freuen würde, wenn wir diese Diskussion nicht um der bloßen Polemik willen führen würden.
({9})
Wir müssen sie klar führen, wir müssen sie unter Umständen scharf führen;
({10})
aber wir sollten sie führen mit dem Willen zu überzeugen und mit dem Willen, dem Volke die ganze Wahrheit zu vermitteln,
({11})
mit dem Willen, dem Volk deutlich zu machen, welche Konsequenzen jede Entscheidung, die wir treffen mögen, mit sich bringt. Denn es ist das Schreckliche der Situation, in der wir uns befinden, daß sie ein notwendiges Dilemma aufwirft, daß sie uns alle unter den Zwang stellt, eine Wahl zu treffen, und daß wir, wenn wir eine Wahl treffen, bereit sein müssen, die Konsequenzen der gewählten Möglichkeit mit zu verantworten.
({12})
- Bis zuletzt, das ist das Entscheidende dabei! Und wir müssen uns dessen bewußt sein, daß wir, wie wir uns auch entscheiden mögen, die Entscheidung immer treffen müssen unter dem Risiko, uns geirrt zu haben, und darum ohne eine weitere Sicherheit als die des Gewissens und die der ernsten Bereitschaft, alle Winkel des Problems auszuleuchten, ehe wir uns entscheiden. Das sollte das Niveau unserer Aussprache bestimmen - ein Niveau, das der Sache gerecht wird und das den großen Persönlichkeiten gerecht wird, die sich zu dieser Sache geäußert haben.
({13})
Ich habe es bedauert, daß der Herr Bundeskanzler die Rede meines Freundes Fritz Erler so aufgefaßt hat, als habe dieser seine Ausführungen im
({14})
wesentlichen nur gemacht, um die Person des Herrn Bundeskanzlers - auch durch Unrichtigkeiten - zu diskreditieren.
({15})
Wer Fritz Erler kennt, der weiß, daß er zu so etwas nicht fähig ist.
({16})
Ich habe darauf gewartet, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Replik diese „Unrichtigkeiten" richtigstellt.
({17}) Er hat es nicht getan.
({18})
Er hat sich im wesentlichen darauf beschränkt, zu beklagen, daß Fritz Erler aus der Politik der Bundesregierung gewisse Konsequenzen gezogen hat. Ich muß sagen, ich habe nicht aus einem Wort der Rede Fritz Erlers heraushören können, daß er die Bundesregierung und den Herrn Bundeskanzler bezichtige, keine Abrüstung und nicht den Frieden zu wollen.
({19})
Er hat nur gesagt, daß die Politik, die die Bundesregierung führt, nicht geeignet ist, diese Ziele zu fördern.
({20})
Ich sprach von den großen spirituellen Autoritäten, die sich zu dem Problem geäußert haben. Sie haben recht, Herr Bundesverteidigungsminister, Furcht und Angst sind schlechte Ratgeber; aber die Sorge um das, was mit den Teufelswaffen geschehen kann, kann ein besserer Ratgeber sein als das Vorpreschen in diesen Dingen!
({21})
Alle diese Autoritäten haben sich im Grunde in der gleichen Weise geäußert, sie haben gesagt, daß endlich mit einer Politik Schluß gemacht werden sollte, deren tragende Säule die Atombomben sind.
({22})
- „Wer sagt das nicht?" Herr Kollege Kiesinger, dann muß man auch das Geeignete tun,
({23})
um eine andere Politik möglich zu machen!
({24})
Es ist hier von den 18 deutschen Atomwissenschaftlern gesprochen worden. Ich werde auf ihre Aktion eingehen und eingehen müssen und möchte an dieser Stelle sagen, daß wir Deutschen diesen Männern zu Dank verpflichtet sind
({25})
und daß wir Ursache haben, stolz auf diese Männer zu sein, die in der ganzen Welt geachtet sind, nicht nur wegen ihres Wissens, sondern auch wegen der erwiesenen Lauterkeit ihrer Gesinnung und ihrer erwiesenen Bereitschaft, das große Anliegen der
Menschheit über opportunistische Zielsetzungen des Augenblicks zu stellen.
({26})
Diese Achtzehn sind Männer, die schon auf Grund ihres Berufes gewohnt sind, sich zu prüfen, ehe sie sich äußern.
({27})
Es sind das keine Männer, die sich von der Stimmung her so äußern könnten, wie sie es getan haben.
Man hat davon gesprochen, die Verlautbarung der Achtzehn sei ein bloßes Manifest gewesen. Nein, meine Damen und Herren, das war kein bloßes Manifest; das war ein Tat!
({28})
Diese Männer haben nicht ihr Gewissen auf billige Weise erleichtern wollen. Das lag ihnen weiß Gott fern. Was sie wollten, war, einmal das deutsche Volk über Tatsachen zu unterrichten, die man ihm bisher vorenthalten hatte,
({29})
nämlich über die Tatsache, daß die sogenannten
kleinen Atomwaffen, die taktischen Atomwaffen,
die Sprengkraft der Bombe von Hiroshima haben.
Zweitens haben diese Achtzehn durch ihre Erklärung, sich nie und nimmer an der Herstellung von Atomwaffen beteiligen zu wollen, den Teufelskreis der scheinbaren Ausweglosigkeit der Entwicklung durchbrochen.
({30})
Damit ist nicht nur „manifestiert" worden, sondern ist gehandelt worden, um einem Unheil zu steuern, I das auf uns zukommt.
Gestatten Sie mir, in Klammer zu sagen - ohne unmittelbaren Bezug auf das, wovon wir heute reden -: Wie sähe die Welt aus, wenn sich in den Jahren vor 1933 die deutschen Universitäten so verhalten hätten, wie die Achtzehn sich jetzt verhalten haben!
({31})
Der Bundeskanzler sagt, die Achtzehn hätten vielleicht im Bereich persönlicher moralischer Entscheidungen recht, aber sie hätten nicht recht im Bereich des Politischen. - Nun, wenn Moral das Handeln nach der Stimme des Gewissens ist -etwa im Sinne der Konkretisierung des kategorischen Imperativs hier und jetzt, wenn Politik Umgang mit der Macht und den Mitteln der Macht nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten ist, wenn Atomkrieg Selbstmord ist - nun, dann haben die Achtzehn, die erklärten, sich an der Herstellung von Selbstmordinstrumenten nicht beteiligen zu wollen, ebenso moralisch wie politisch gehandelt!
({32})
Sie bedurften dazu keiner besonderen Lektion seitens der installierten Obrigkeit.
({33})
Wenn man Menschen wie den Achtzehn nicht zutraut, auch unter dem Druck ihres Gewissens politisch nichtig zu handeln - was sollten wir dann noch mit unserer Demokratie anfangen?
({34})
({35})
Dann soll man - nach den Worten meines Freundes Erler - der Obrigkeit das Meinungsmonopol überlassen. Ich meine aber, daß die Freiheit eines Christenmenschen, nämlich die Freiheit des Gewissens, auch in politischen Dingen sogar Atomwissenschaftlern zusteht!
({36})
Der Vorwurf, die Achtzehn hätten es sich leicht gemacht, sie hätten eben durch ihre Erklärung ihre Seele retten wollen,
({37})
ja, sie hätten vielleicht sogar östlichen Einflüsterungen gehorcht, wie es in der CSU-Korrespondenz vom 24. April steht. Nun, Herr Bundesverteidigungsminister, stehen Sie zu der Erklärung der Korrespondenz Ihrer Partei?, - Sie stehen nicht dazu? - Ich frage: Stehen Sie ,dazu? Ich frage nicht, ob Sie etwas damit zu tun hatten. Ich halte Sie nicht für den Verfasser. Ihr Deutsch ist besser als das in ,dieser Korrespondenz verwendete.
({38})
Ich frage Sie, ob Sie heute, hier und jetzt, in diesem Hause, dazu stehen.
({39})
- Ich kann sie Ihnen vorlesen.
({40})
- Den ganzen Text habe ich nicht.
({41})
- Meine Damen und Herren, „aha" ist ein Zweisilber, mit dem man es sich leichter macht, seine Seele zu retten und sein Gewissen zu beruhigen, als es die 18 Atomwissenschaftler mit ihrem Schritt getan haben.
Nun, man spricht in dieser Erklärung davon, daß die Atomforscher sehr fragwürdigen Kräften Vorschub geleistet hätten. Mit ihrer Hilfe sei eine propagandistische Offensive in der Zielrichtung auf das tückische neutralistische Dogma entfaltet worden, die von gefährlichen Kräften getragen werde. Man dürfe sich nicht wundern, daß dieses Manifest ausgerechnet in Göttingen aus der Taufe gehoben worden sei,
({42})
wörtlich: „dem Zentrum des Neutralismus . . . , wo an wissenschaftlichen und künstlerischen Individualitäten mit sehr verfänglicher politischer Zielrichtung kein Mangel herrscht". Wie immer bei solchen Gelegenheiten seien denn auch - wörtlich - „die ewigen Wanderer zwischen zwei Welten von Gräber über Heinemann bis Niemöller . . . in den schauerlichen Chor der abendländischen Selbstmörder aus Angst vor dem Tode" eingefallen.
({43})
Ich glaube, man sollte dieses Stück Papier recht niedrig hängen. Bösartiger kann man wohl nicht hetzen, und mehr kann man wohl nicht unter dem Niveau der Sache stehen!
({44})
Meine Damen und Herren, wenn wir nicht zugrunde gehen wollen, wenn wir hier im Westen
unseren Vorrang vor der totalitären Welt behalten wollen, müssen wir anerkennen, daß eine Gewissensentscheidung den Vorrang vor jeder Zweckmäßigkeitsentscheidung hat.
({45})
Freilich, ich will hier eine Einschränkung machen. Man muß dabei mit Vorsicht prüfen, ob eine wirkliche Gewissensentscheidung vorliegt und ob nicht einer lediglich seine Gemütsbedürfnisse stillen will.
({46})
- ,,Aha" ist offenbar Ihr ganzes Vokabular, verehrter Kollege!
({47})
Man unterscheidet in der Ethik mit Recht zwischen der Gesinnungsethik und der Verantwortungsethik, der Gesinnungsethik, die sich damit begnügt, ethisch richtig zu fühlen und zu denken ohne Rücksicht auf das, was darauf werden könnte, und der Verantwortungsethik, bei der einer sich entscheidet und sein Gewissen befragt, wenn er an die Folgen seiner Entscheidung denkt.
Wenn man die Erklärung ,der 18 liest, kann kein Zweifel beistehen, daß diese Männer, ehe sie gesprochen haben, ihr Gewissen geprüft haben, und daß sie entschlossen waren, Verantwortung für unser Volk und für den Weiterbestand unseres Volkes
({48})
auf sich zu nehmen und nicht nur ihre Seele zu retten. - Und diese Tat war eine patriotische Tat, Herr Kollege!
({49})
Selbst wenn wir eine Atompolitik treiben sollten, und selbst wenn Erklärungen wie die der 18, Herr Kollege, mit Recht als Störung dieser Politik empfunden werden sollten - angenommen -, brauchten wir moralische Kräfte wie idie der 18, wenn nicht alles in purer Mechanik, ,d. h. in Barbarei untergehen soli!
({50})
Ich glaube, Herr Bundesverteidigungsminister, daß Sie sich dies auch zu Herzen nehmen sollten.
Darf ich eine Frage stellen?
Verzeihung, Herr Minister, aber an diesem Platz sind Sie Kollege.
Ich bitte Sie, an den Lautsprecher zu treten.
Da Sie als amtierender Präsident einmal den Kollegen Schröder heftig gerügt haben, weil er von der Regierungsbank aus sprach, bin ich hier heruntergegangen.
Man sieht, daß die Belehrung nicht umsonst gewesen ist.
({0})
Ich habe aber von der Regierungsbank aus nur gesprochen, weil Sie mich angeredet haben.
Billigen Sie mir zu, daß ich zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels in der CSU-Korrespon({0})
denz aus persönlichen Gründen nicht anwesend war, also zu seiner Entstehung nichts beigetragen habe, und daß ich in wesentlichen Teilen mit ihm nicht einverstanden bin?
Herr Kollege Strauß - in diesem Fall Herr Kollege Strauß -, ich habe Ihnen gesagt, daß ich davon überzeugt bin, daß Sie nicht der Verfasser und auch nicht der Berater des Verfassers gewesen sind. Wären Sie es gewesen, dann wäre das Deutsch des Artikels besser gewesen.
({0})
Und wenn Sie mir eine Erklärung abgeben, die Ihre Person betrifft, dann glaube ich Ihnen aufs Wort.
Wissen Sie, Herr Kollege Schmid - es gibt ja Leute, die zu Übertreibungen neigen; ich meine damit nicht Sie und, hoffentlich, auch nicht mich -, daß der Verfasser dieses Artikels früher mit derselben Heftigkeit in einer sozialdemokratischen Wochenzeitung, genannt „Regensburger Woche", geschrieben hat?
({0})
Wenn das so sein sollte, Herr Kollege Strauß, nun, dann muß ich sagen: Überläufer gibt es überall!
({0})
Und zu diesem Zuwachs beglückwünsche ich Sie nicht!
({1})
Man hat gesagt, die Atomwissenschaftler hätten sich vorher bei der Regierung befragen sollen, ob sie ihr Manifest verkünden sollten oder nicht, sie hätten zum mindesten eine Voranzeige machen, also erklären sollen: Wir werden ein Manifest verkünden. Nun, ich weiß nicht, welche Gründe die Herren bewogen haben, dies nicht zu tun. Vielleicht war die Art, mit der Sie, Herr Verteidigungsminister, mit den 18 in diesem Frühjahr gesprochen haben, geeignet, ihnen die Lust zu nehmen, sich weiter von Ihnen belehren zu lassen. Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das der Fall. Oder vielleicht haben Erklärungen, die Sie abgegeben haben, den Herren nahegelegt, ihren Schritt zu beschleunigen. Das mag auch sein; ich weiß es nicht. - Bitte!
Ist Ihnen bekannt, Kollege Schmid, daß am 29. Januar mit 12 von den späteren 18 Unterzeichnern im Verteidigungsministerium eine lange Aussprache stattgefunden hat, - Dr. Schmid ({0}) ({1}): Ich weiß; man hat mir einiges aus dieser Aussprache erzählt!
Ist Ihnen bekannt, daß eine Aussprache stattgefunden hat, die sicherlich nicht zu einer Übereinstimmung der Meinungen geführt hat, aber zu einer abschließenden Feststellung, daß der durch mich vertretene Standpunkt sie zum Nachdenken, zu einer nochmaligen Prüfung ihrer Ansicht veranlaßt, die dann zu einem weiteren Gespräch mit uns führen wird?
Ich darf Sie auch weiterhin fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die von mir gehaltene Pressekonferenz vom 9. April, in der es ausdrücklich hieß: Keine Produktion - also ein Problem, das die deutschen Wissenschaftler und Techniker nicht berührt -, keine strategischen Waffen, die Frage der taktischen Waffen innerhalb von zwei Jahren überhaupt nicht aktuell, bei diesen Wissenschaftlern überhaupt nicht dazu beigetragen hat, dieses Manifest zu erstellen.
Herr Kollege Strauß, das, was Sie mir gesagt haben, ist mir zum Teil bekannt. Jedenfalls haben aber Ihre Beweisführungen die 18 nicht davon abhalten können, ihre Erklärung abzugeben. Ganz offensichtlich hielten sie Ihre Gründe nicht für durchschlagend. Was im übrigen die Zusicherung eines weiteren Gesprächs anbetrifft, so sind vielleicht einige Erklärungen, die Sie in der Öffentlichkeit abgegeben haben, die Ursache gewesen, daß die Herren glaubten, sich beeilen zu müssen.
({0})
Meine Damen und Herren, was die Folgen eines Atomkrieges wären, ist hier sehr beredt dargestellt worden. Ich glaube, daß hier unter uns keine Meinungsverschiedenheit besteht. Wir sind uns klar darüber, daß dieser Krieg mit der totalen Vernichtung des Siegers und des Besiegten enden müßte.
Ich glaube, daß vor allem Deutschland durch den Schlag und durch den Gegenschlag am meisten betroffen werden müßte - Deutschland zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Ich möchte dabei ins Gedächtnis zurückrufen - nicht den Damen und Herren dieses Hauses, sondern dem einen oder anderen unserer Zuhörer -, daß auch Dresden, daß auch Halle, daß auch Leipzig deutsche Städte sind!
({1})
Wir wissen jetzt aus berufenstem Munde, daß diese Vernichtung nicht nur die Menschen betreffen würde, die in die Kampfhandlungen unmittelbar einbezogen würden, sondern schlechthin die ganze Bevölkerung - daß dabei nicht nur „Verluste" entstehen würden, wie man noch im letzten Kriege sagen konnte, sondern daß die biologische Substanz unseres Volkes schlechthin vernichtet werden würde, nicht nur für heute; wegen der Vernichtung oder Beschädigung der Reproduktionsfähigkeit dieser biologischen Substanz würde auf Generationen hinaus eine Denaturierung des Menschengeschlechtes eintreten.
Das ist wohl der Grund gewesen, weswegen so erlauchte Persönlichkeiten wie der Papst und Albert Schweitzer ihre Stellung zu diesen Dingen bekanntgegeben haben; denn sie fühlen sich dafür verantwortlich, daß künftig Menschenmütter Menschen und nicht Monstren auf die Welt bringen.
({2})
Man hat da und dort versucht, die Wirkung der atomaren Versuchsexplosionen zu verniedlichen. Man hat Gutachten dafür beigebracht, sie sei ja gar nicht so schlimm. Das ist nicht nur in Deutschland geschehen, das ist auch in England und in den Vereinigten Staaten geschehen. Nun, erlauben Sie mir, Herr Präsident, daß ich aus der Ansprache Albert Schweitzers einige wenige Sätze zitiere:
Wenn uns immer wieder von amtlicher und nichtamtlicher Seite versichert wird, daß eine festgestellte erhöhte Radioaktivität der Luft noch nicht über das hinausgehe, was der menschliche Körper ohne Schaden vertragen könne, so ist dies ein Vorbeireden am Problem. Dieser verseuchte Fluß zeigte im Wasser nur eine unbedeutende Radioaktivität auf. Das Plankton des Flusses war jedoch bereits 2000({3})
fach, Wildenten bereits 40 000fach und das Eigelb von Wasservögeln bereits millionenfach über das Normale hinaus verseucht.
Und weiter:
Es ist ein anderes Ding, - sagt Albert Schweitzer Atomwaffen zu erproben als früher ein neukonstruiertes Geschützungeheuer. Die grundsätzliche Verschiedenheit besteht eben in der Nachwirkung durch die gefährliche Radioaktivität, deren Wirkung jahre- und jahrzehntelang anhält.
Man sollte hier Beschwichtigungsversuche unterlassen. Ich glaube, die Regierung würde sich um ihren Kredit bringen und bringen müssen, wenn sie versuchen sollte, sich Gutachten zu besorgen, um die Feststellungen Albert Schweitzers und der hundert amerikanischen Genetiker, die jüngst zu diesen Dingen ihr Gutachten abgegeben haben, zu „widerlegen".
Wozu ist - politisch und militärisch - eine „atomare" Politik notwendig? Ist sie nützlich, ist sie schädlich? Die Bundesregierung behauptet ihre Notwendigkeit und ihre Nützlichkeit, denn sie erhöhe - insbesondere erhöhe die Stationierung von Atomwaffenverbänden auf unserem Boden - die Sicherheit des deutschen Volkes. Weiter sagt sie, daß durch taktische Atomwaffen in Händen der Bundeswehr die Sicherheitschancen Deutschlands erhöht würden, und drittens behauptet sie, eine atomare Ausrüstung der Bundeswehr könne die Sowjetunion abschrecken und, zum mindesten in Fragen der Wiedervereinigung und in Fragen der
allgemeinen Abrüstung, verhandlungsgeneigter machen. Das sind Behauptungen, die auf den ersten Blick dem einen oder dem anderen schlüssig erscheinen mögen.
Der Bundeskanzler hat gestern über die Notwendigkeit des Einfach-reden-Könnens gesprochen, und er hat auch sich dazu beglückwünscht - so habe ich ihn verstanden -, daß ihm die Gabe gegeben worden sei, einfach zu reden.
({4})
- Sie beglückwünschen jeden? Sie waren sicher davon überzeugt, daß Sie dazugehören . . .
({5})
Ich glaube übrigens, Sie haben recht damit. Nun, zum Einfach-Reden kann auch einfaches Denken gehören.
({6})
Nur ist einfaches Denken nur dann erlaubt, wenn man die Gleichungen so anlegt, daß sie stimmen. Einfachdenken ist nicht gleichbedeutend damit, wesentliche Faktoren des Problems nicht in den Denkprozeß einzubeziehen,
({7})
denn auch wenn man einfach denken kann, denkt man nur dann richtig, wenn man sämtliche Faktoren des Problems in den Denkprozeß einbezieht. Wenn man das nicht tut, dann ist das Denken nicht einfach, sondern - ich muß leider ein Fremdwort gebrauchen - simplistisch.
({8})
Und da scheint mir eine große Gefahr gegeben zu sein, die Gefahr nämlich, daß man sich mit rein quantitativen Kalkulationen begnügt. Solches Denken - rein in der Kategorie der Quantität - stellt häufig einen Verzicht auf Politik überhaupt dar.
Politik ist ein Verhalten, das den „anderen" dazu zu bringen vermag, das von einem selbst für sich Gewollte als auch im Interesse des „anderen" liegend anzusehen. Das kann man auf verschiedene Weise versuchen. Man kann das auch durch Machtmittel versuchen; nur muß man dann die Machtmittel haben, und insbesondere muß man dann gegebenenfalls bereit sein, diese Machtmittel einzusetzen.
Nun nehme ich kaum an, daß die Bundesregierung selber glaubt, eine Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen sei ein Mittel, die Sowjetunion zur Aufgabe ihrer Politik zu zwingen. Ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Es wird dies die Haltung der Sowjetunion in allen großpolitischen Fragen verhärten.
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- Wenn man das nicht will, Herr Kollege Kunze, nun, dann muß man es mit anderen Mitteln versuchen. Das ist nicht leicht. Glauben Sie nicht, daß ich die Schwierigkeit verkenne. Diese Mittel werden vielleicht nicht zum Erfolg führen, aber man muß es mit ihnen zum mindesten versuchen! Das ist unsere Pflicht.
({10})
Es ist doch wohl sicher, daß das deutsche Gebiet rechts und links des Eisernen Vorhangs im Falle eines Krieges zum Schlachtfeld werden würde. Ja, ich behaupte, wir würden das Bombenziel Nr. 1 werden. Man spricht sehr häufig von dem Gegenschlag, der unser Land von dem Eindringling wieder freifegen werde. Nun, ich frage mich, ob ein möglicher Erfolg dieses Gegenschlags im Verhältnis zu der vernichtenden Wirkung von Schlag und Gegenschlag stehen kann.
({11})
Es ist gesagt worden, die Behauptung, daß es keinen Schutz der Zivilbevölkerung gebe, sei falsch. Ich bin überzeugt, daß man da und dort einige Menschen in Deutschland schützen kann, wenn man das Notwendige dafür tut. Ich bin davon überzeugt, und die Atomwissenschaftler haben nicht erklärt - wenn ich mich recht erinnere -, es sei unmöglich, die Bevölkerung überhaupt zu schützen; sie haben nur erklärt, es sei nicht möglich, sie vollständig zu schützen.
Wenn man dieser Meinung ist --- und die Bundesregierung ist wohl der Meinung, daß es möglich sei, wenigstens einen Teil zu schützen - meine Damen und Herren, warum haben Sie dann jüngst unsere Anträge niedergestimmt, die darauf ausgingen, die Mittel zu beschaffen,
({12})
mit denen man wenigstens einen relativen Schutz der Bevölkerung schaffen könnte?
Mein Freund Erler hat über die Lehren des Lion-noir-Planspiels gesprochen. Wir wissen, daß man dabei davon ausging, innerhalb der ersten 24 Stunden wäre Frankfurt zerstört, wären Hamburg und Bremen zum Teil zerstört und stünden
({13})
russische Panzerspitzen vor Frankfurt. Wenn ich mir vorstelle, wie dann der Gegenschlag aussehen könnte, was er für Wirkungen haben könnte, meine Damen und Herren, da geht es mir kalt den Rücken hinunter. Unsere Verantwortung als politische Frauen und Männer ist in erster Linie, für den Bestand unseres Volkes zu sorgen.
({14})
Man sollte nicht von einem NATO-Raum sprechen, der richtig ausgerüstet werden müsse. Dieser NATO-Raum muß mit anderen Waffen verteidigt werden können als durch Abschußrampen auf dem Gebiet des gefährdetsten der Mitglieder der NATO, wenn Verteidigung einen Sinn haben soll.
({15})
Es ist gesagt worden, einige hundert Kilometer herüber und hinüber seien bei der Reichweite der modernen Waffen nicht von Bedeutung. Wenn das wahr ist, dann kann man diese Teufelswerkzeuge von Atombomben auch einige hundert Kilometer weiter westlich aufstellen, als das heute offenbar die Absicht ist.
({16})
- Herr Kollege Stücklen, ich sagte Ihnen ja schon: Diese sind nicht so gefährdet wie wir; denn über sie werden der Schlag und der Gegenschlag, von dem die Rede war, nicht so hinweggehen wie über unser Volk und unser Land!
({17})
Professor von Weizsäcker, der „zwar nur" Physiker und Gelehrter ist, hat in seinem Bonner Vortrag, den anzuhören sich wirklich verlohnt hat - ich habe es bedauert, daß ihn so wenige Mitglieder des Hauses sich angehört haben -, gesagt: Nur wenn die Atombomben nicht fallen, erfüllen sie ihren Zweck;
({18})
beide Teile, Herr Außenminister, wüßten das, und darum würden die Atombomben nicht fallen. Darum seien auch Drohungen mit Atomwaffen zwecklos. Früher hat man uns hier gesagt, wenn zwölf deutsche Divisionen aufgestellt seien, hätten wir eine wesentlich stärkere Verhandlungsposition der UdSSR gegenüber und dann würde uns auch die Wiedervereinigung leichter zufallen. Gleichzeitig hat man gesagt: Aber von diesen zwölf Divisionen werden wir nie Gebrauch machen, um die Wiedervereinigung herbeizuführen. Ich habe mir damals erlaubt, auf das Wort des weiland Professors Lichtenberg - auch er aus Göttingen - hinzuweisen, auf das Wort vorn „Messer ohne Heft und Klinge". Ich habe den Eindruck, daß Atombomben, von denen man keinen Gebrauch zu machen entschlossen ist, auch als Drohmittel ein Messer ohne Heft und Klinge sind. Aber wie man auf schwäbisch sagt - der Herr Präsident wird mich verstehen -: Der Teufel ist ein Eichhörnchen! Man kann nicht wissen, ob nicht irgendwann trotz der Unwahrscheinlichkeit, daß man von diesen Bomben Gebrauch machen wird, doch einer kommt und es doch zu tun versuchen könnte. Deswegen sollte man wenigstens auf der einen Seite der Linie, die die Welt in zwei Hälften teilt, mit Atompolitik behutsamer umgehen, als es bisher geschehen ist.
Dann eine Frage, die mein Freund Erler gestellt hat und die nicht beantwortet worden ist. Ich möchte sie wiederholen: Wer entscheidet praktisch über den Einsatz - nicht der taktischen Atomwaffen, sondern der strategischen Atomwaffen, die auf deutschem Gebiet liegen mögen? Sicher nicht die deutsche Regierung. Der NATO-Rat? Auch er nicht? - Sie schütteln das Haupt, Herr Bundesverteidigungsminister. Wer dann? Vielleicht ein Oberbefehlshaber, dem der NATO-Rat die Ermächtigung gegeben haben könnte, so daß es vielleicht von der Bewertung eines auf dem Radarschirm sich bewegenden Punktes durch einen General abhängt, ob ein dritter Weltkrieg ausbricht mit allen apokalyptischen Schrecken, die wir kennen. Habe ich damit vielleicht ein militärisches Geheimnis zu nahe berührt, Herr Verteidigungsminister?
({19})
- Klugheit, Herr Kollege Krone, und Verantwortung beginnen zu Hause! Man muß zunächst versuchen, das Kluge und das Verantwortliche bei sich zu tun;
({20})
andere mögen dann folgen.
({21})
Ich habe auf meine Frage auch jetzt keine Antwort bekommen, Herr Verteidigungsminister; es bleibt uns also erlaubt, jede dieser Eventualitäten für möglich zu halten,
({22})
und ich muß bekennen, daß mich das erschreckt.
Es ist doch sicher, daß die Lagerung von Atombomben auf deutschem Gebiet notwendig die Atombomben des Gegners anziehen muß.
({23})
Wie hat denn der letzte Weltkrieg militärisch gesehen angefangen? Doch damit, daß man die Flugplätze des Gegners bombardiert hat, also die Lagerstätten der Waffen, deren Einsatz man glaubte am meisten fürchten zu müssen.
({24})
- Bitte!
Kollege Schmid, Sie sind auch Historiker - Dr. Schmid ({0}) ({1}): Nein, ich bin ein bescheidener Jurist!
({2})
Professor für politische Wissenschaften! - Sind Sie sich darüber im klaren, daß der 2. Weltkrieg in dem Augenblick begonnen hat, als ein Diktator die Hoffnung haben konnte, die zukünftigen Opfer seines Überfalls seien weder bereit noch fähig, sich zu wehren?
({0})
Ich glaube, daß Sie damit recht haben, Herr Verteidigungsminister,
({0})
nur ziehe ich daraus andere Schlüsse als Sie. Denn die Waffen, die man im 2. Weltkrieg eingesetzt hat, auch die schrecklichsten Waffen, auch die Stukas, waren nicht geeignet, ganze Völker zu vernichten,
({1})
gaben also immerhin noch eine Chance, zu überleben und einen sinnvollen Gegenschlag zu führen, indem man in sein Verhalten den Faktor Zeit mit einkalkulierte. Alle Argumentationen dieser Art sind ohne Schlüssigkeit, weil zwischen den Atomwaffen und ihrer Wirkung und den schrecklichsten Waffen des 2. Weltkrieges keine Vergleichsmöglichkeit besteht.
({2})
Es tut mir leid; aber ich werde jetzt die letzte Frage stellen.
Sie dürfen noch weiter fragen! Ich habe dann die Möglichkeit, das noch weiter aufzuklären.
Ich weiß, wie es für einen Redner ist; aber ich war mitten in einem Gedankengang, der mich selber quält. - Sind Sie der Meinung, daß dann, wenn die Sowjetunion erklärt, falls ein bestimmtes Ultimatum nicht angenommen werde, sehe sie sich
leider gezwungen, mit dem Einsatz aller Waffen alle europäischen Völker ihrem politischen Willen zu unterwerfen -wir wissen, daß Aggressoren sich immer provoziert fühlen, gefährdet fühlen und meinen, daß sie zur Rettung des Friedens dieses und jenes unternehmen müßten; das hat Hitler gegenüber der Tschechoslowakei, Polen, Dänemark usw. getan; ich glaube, ich brauche das nicht im einzelnen zu erörtern -, sind Sie dann der Meinung, daß in diesem Fall - aus den hochmoralischen, beachtlichen Gesichtspunkten heraus, die Sie erwähnt haben - die Staatsführungen der europäischen Nationen erklären sollten: In Gottes Namen, wir verzichten auf eine Gegenwehr, wir lassen das über uns ergehen!?
({0})
Nein, Herr Kollege Strauß, ich bin nicht dieser Meinung. Aber ich bin der Meinung, daß die wirklichen Vergeltungswaffen, die, auf die es ankommt, nicht bei uns in der Bundesrepublik, sondern anderswo stationiert sind, nämlich in Amerika selber oder in Thule oder in den anderen Randbezirken des strategischen Kräftefeldes der westlichen Welt.
({0})
- Sie schütteln den Kopf? Aber so ist es doch! Der Herr Bundesverteidigungsminister kann mir doch nicht anders antworten als: Ja, es ist so!
({1})
Nun die andere Behauptung der Bundesregierung: durch die taktischen Atomwaffen - ich spreche jetzt nicht mehr von den strategischen - werde die Sicherheitschance Deutschlands und die Chance der Wiedervereinigung erhöht. Es wurde davon gesprochen, wenn die Bundeswehr taktische Atomwaffen besitze, könnten uns die Apokalyptischen Reiter erspart werden. Nun, wir wissen es heute - ich weiß es durch die 18 Professoren -, daß eine einzige taktische Atomgranate die Sprengkraft der Bombe von Hiroshima hat. Man stelle sich vor, daß hüben und drüben nur je hundert Schuß aus den taktischen Atomkanonen abgegeben werden - was wird denn dann von Deutschland oder jedenfalls von den deutschen Städten noch viel übrig sein? Auch ein taktischer Atomkrieg, ein Krieg, bei dem man nicht auf die strategischen Atomwaffen zurückgreift, würde Deutschland auf jeden Fall zerstören!
({2})
Man hat auch heute wieder das Argument vorgebracht: Ja, wenn Ungarn nicht so waffenlos gewesen wäre, dann wäre dem ungarischen Volk nicht passiert, was ihm passiert ist. Es ist ihm Schreckliches passiert, und jeder von uns wird sich tief verneigen vor der Tapferkeit dieses großen Volkes im Kampf um seine Freiheit.
({3})
Aber ich frage mich: Was hätte es den Ungarn genützt, wenn sie in ihrer Honved taktische Atomwaffen gehabt hätten? Hätten sie damit ihre eigenen Städte zusammenschießen sollen oder was sonst? Das ist doch auch so ein Scheinargument, mit dem Sie vielleicht blenden können, mit dem Sie aber jemanden, der nachdenkt, nicht zu überzeugen vermögen.
Die Anwendung taktischer Atomwaffen bewirkt unweigerlich die Anwendung strategischer Atomwaffen auf dem Gebiet, auf dem die taktischen Atomwaffen eingesetzt werden. Sicher wird die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen die Sowjets veranlassen, ihre Satelliten entsprechend auszurüsten. Dann ist eine Kompensation erfolgt, die Ihre Anstrengungen ziemlich nutzlos macht.
Wir sollten auch dies nicht übersehen: atomare Ausrüstung der Bundeswehr macht diese in Anbetracht der geographischen Lage Deutschlands notwendig zum Kern des NATO-Aufmarsches. Und damit allein, Herrn Bundesverteidigungsminister, haben wir die Apokalyptischen Reiter schon zu uns hereingeholt.
Es wurde behaupet, die atomare Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Waffen könne die Sowjetunion abschrecken. Nun, ich glaube, sie wird das so wenig können als die 12 deutschen Divisionen, die man einmal wollte, das gekonnt hätten. Eine solche Politik wird lediglich die Haltung der Sowjetunion verhärten. Wie steht denn hier die Frage? Die Spaltung Deutschlands ist nicht bloß Funktion der Ideologie der russischen Kommunisten, sondern ist auch aus strategischen Gründen erfolgt. die Sowjets haben in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands strategische Positionen inne. Ist anzunehmen, daß sie diese strategischen Positionen eher räumen, wenn ihnen die von ihnen für lebensbedrohend gehaltenen Waffen näher auf den Leib rücken? Wenn sie das täten, würden sie, wie Herr
({4})
Bulganin uns in Moskau gesagt hat, von dem Volke weggejagt werden.
({5})
-- Manchmal kann das Volk das tun. ({6})
- Im jetzigen Augenblick sicher nicht. Aber, Herr Bundesaußenminister, Sie hoffen doch auch, daß in der Sowjetunion ein Wandel des Regimes eintritt?
({7})
- Und Sie nehmen doch sicher nicht an, daß die jetzt am Ruder Befindlichen von selbst abdanken werden?
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- Also wird doch nur eine Volksbewegung in der Sowjetunion in der Lage sein, einen Wandel des Regimes herbeizuführen?
({9})
- Dann sind wir uns wieder einig. ({10})
Ich sprach vorher von dem Vortrag, den Professor von Weizsäcker hier in Bonn gehalten hat. Nun, dieser Vortrag eines Physikers war auch ein vortreffliches politisches Kolleg, und ich habe es sehr bedauert, daß kein Mitglied der Bundesregierung diesen Vortrag mit angehört hat. Ich erlaube mir, einige Feststellungen hier anzuführen, die Professor von Weizsäcker geglaubt hat treffen zu müssen. Er sagte - und ich stimme ihm darin vollkommen bei -, es sei sinnlos, den Frieden mit der Atombombe und durch die Angst vor der Atombombe garantieren zu wollen; wenn man das aber wolle oder vielleicht müsse, dann solle man das atomare Gleichgewicht auf die atomaren Großmächte von heute beschränken und solle man auf jeden Fall die Bewaffnung kleinerer Staaten mit atomaren Waffen unterlassen; denn wenn man damit anfange, die Bundesrepublik mit atomaren Waffen auszurüsten - und seien es nur taktische atomare Waffen -, wie könne man dann auf die Dauer verhindern, daß andere, für den Weltfrieden sehr viel gefährlichere Völker mit solchen Waffen ausgerüstet werden?!
Auf eines möchte ich - in Klammern - hinweisen: Wenn in der nächsten Woche die Amerikaner neun Atom- und Wasserstoffbomben zur Explosion bringen werden und die Briten über der Weihnachtsinsel - welch schreckliches Symbol: eine Wasserstoffbombe über der „Weihnachts"insel! -, nun, dann bin ich überzeugt, daß die Sowjets auf ihrem Gebiet die doppelte Anzahl davon zur Explosion bringen werden, um damit der Welt vor Augen zu führen, daß man auch genug davon hat und daß man imstande ist, auch mit solchen Dingen umzugehen. Überlegen Sie sich doch, wie sich das auf die Angst in unserem Volk, in allen Völkern auswirken wird, auf die Angstneurose auswirken wird, die unsere Völker beherrscht und die eines Tages zu einem großen Unglück führen könnte!
Man muß endlich Schluß machen - auch hier zitiere ich ein Wort des Professors von Weizsäcker
- und muß sich zu einer Politik bekehren, die zur Erhaltung des Friedens nicht mehr die Drohung mit der Atombombe nötig hat. Deutschland kann hierzu einen realen Beitrag leisten, wenn es sich dem Zug in die scheinbare Ausweglosigkeit widersetzt.
({11})
Es wird hierzu manches in der Welt getan. In den nächsten Monaten versammeln sich in New Delhi die Verbände des Roten Kreuzes. Es ist eines der Hauptthemen auf dieser Konferenz, die Staaten zu veranlassen, eine neue Rot-Kreuz-Konvention abzuschließen, die die Massenvernichtungswaffen verbietet. Ob es dazu kommen wird, wissen wir nicht. Es ist schön und es wird sicher seinen Eindruck auf die Welt nicht verfehlen, wenn im Zeichen des Roten Kreuzes in New Delhi Beschlüsse dieser Art zustande kommen sollten. Aber das wird nicht genügen. Es wird über diese humanitären Verbände hinaus etwas getan werden müssen, etwas, das nur die Regierungen und die Parlamente tun können.
Es ist von seiten der Regierung und von seiten meines Freundes Erler davon gesprochen worden, daß das Fernziel, das uns allen am Herzen liegt - es liegt auch Ihnen am Herzen, das weiß ich -, die Abrüstung ist und ein Sicherheitssystem, das uns allen Sicherheit in Freiheit zu geben vermag. Wir sind uns auch alle einig darüber, daß wir dahin nur in Etappen kommen werden - leider! Aber wenn man zu einem System kollektiver Sicherheit kommen will, dann wird man die Sowjetunion dazu brauchen; denn ohne sie kann man bestenfalls eine Koalition aufbringen, die sich - in Abwehrposition - gegen die Sowjetunion richtet. Aber das ist ja noch kein System kollektiver Sicherheit; ein solches muß alle virtuellen Gegner einbegreifen. Man muß also, wenn man es will, auch der Sowjetunion die Vertrauenswürdigkeit einräumen. Wenn man von vornherein sagt: auf eine Unterschrift der Sowjetunion, die uns Sicherheit geben soll, gebe ich nichts, dann hat es doch keinen Sinn, eine Politik kollektiver Sicherheit betreiben zu wollen! Aber der Herr Bundesverteidigungsminister hat in der Sitzung des Bundestages vom 31. Januar seine Intervention mit dem Satz geschlossen - er ist sehr lang, es genügt, wenn ich die letzten Zeilen zitiere -:
. . . von dieser Regierung und von einem System mit diesem ideologischen Hintergrunde eine Unterschrift als Garantie für unsere Sicherheit hinzunehmen, wäre für uns nackter Irrsinn.
({12})
Wie wollen Sie, wenn Sie das glauben, Herr Bundesverteidigungsminister - auch wenn Sie recht haben sollten -, dann eine Politik kollektiver Sicherheit führen, die Sie doch nur führen können, wenn Sie die Sowjetunion an den Verhandlungstisch bringen, an dem eine Konvention unterschrieben wird? - Bitte, wenn Sie mich etwas fragen wollen.
Ist Ihnen bewußt, Herr Kollege Schmid, daß durch diese Art der Zitierung, ohne daß Sie es vielleicht wollen, zwangsläufig ein falscher Eindruck entstehen muß, nämlich der, daß man mit der Sowjetunion überhaupt nicht verhandeln und deshalb mit ihr kein Abkommen abschließen wolle, das sie zu
({0})
unterschreiben hätte? Ist Ihnen klar, daß damit gemeint ist, daß jedes Abkommen, das mit der Sowjetunion auf diesen Gebieten geschlossen wird, neben der Unterschrift dieser Regierung auch a) eine technisch wirksame Kontrolle und b) die Möglichkeit, die Überschreitung zu verhindern, beinhalten muß?
Aber Herr Kollege, Sie haben sich sehr viel allgemeiner ausgesprochen. Sie haben schlechthin die Unterschrift der Sowjetunion für unerheblich erklärt, für etwas, auf das man nichts geben kann. Dann gilt dies auch für die Unterschrift unter eine Konvention, die Kontrollen vorsieht.
({0})
Dann schränken Sie bitte Ihre Behauptung vom 31. Januar ein, aber schränken Sie sie so ein, daß kein Mißverständnis übrigbleiben kann.
Herr Kollege Schmid, ist Ihnen, der Sie leider aus einem Grunde, den wir ,alle bedauern, diesen Verhandlungen nicht folgen konnten, bewußt - ich bin überzeugt, der Herr Kollege Erler würde es bestätigen, wenn man in diesem Hause noch frei vom Wahlkampf reden kann, was sicherlich heute der Fall ist -, daß es damals darum ging, ob man allein einer Unterschrift der Sowjetunion glauben kann, d. h. ob man ohne weitere Garantien, ohne weitere Kontrollen allein auf Grund einer Unterschrift a) die eigene Abrüstung durchführen kann und b) die amerikanischen Streitkräfte aus Europa entlassen und somit ein kollektives Sicherheitssystem aller für alle herbeiführen kann?
({0})
- Das ist ja die Auslegung!
Es tut mir leid, lieber Herr Kollege Strauß, daß Sie sich bei Ihrer Rede am 31. Januar nicht mit diesen Einschränkungen ausgesprochen haben, sondern mit einer Allgemeinheit, die ich bedauere.
Kollektive Sicherheit und Abrüstung werden wir nicht erreichen, solange die gegenwärtige Weltspannung dauert. Die Frage ist, ob wir etwas dazu beitragen können, diese Weltspannung zu vermindern, oder ob wir nicht diese Weltspannung vielleicht noch vergrößern, wenn auch wir zu einer Atommacht werden wollen.
({0})
Da erhebt sich doch die Frage, ob man nicht Anregungen wie die im Eden-Plan enthaltenen ein wenig ernster nehmen sollte, als es bisher geschehen ist.
({1})
Da sollte man sich fragen, ob einem die Erklärung von Präsident Eisenhower aus den letzten Tagen über eine neutrale Zone in Europa nicht vielleicht Anlaß geben sollte, das politische Konzept, von dem wir ausgehen wollen, neu zu durchdenken.
({2})
Wir sollten es tun. Es könnte sich lohnen. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands steht ohne jede Frage in engstem Zusammenhang mit Abrüstung und kollektiver Sicherheit. Ich gehe vielleicht noch ein bißchen weiter als mein Freund Erler und sage
etwas, was mich nicht populär zu machen geeignet ist: daß ich der Meinung bin, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nur als Folge einer allgemeinen Einigung der Großmächte wird zustande kommen können,
({3})
ihrer Einigung über die Neuverteilung der Machtverhältnisse in der Welt. Das ist ein hartes, ein brutales Wort; aber ich glaube, es ist die Wahrheit. Eine solche Einigung wird nicht zustande kommen, ohne daß vorher - auch mit den Deutschen - eine Vereinbarung über den politischen und militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands erfolgt ist.
({4})
Darüber sollte man sich wohl einig sein. Das macht aber dann die Behauptung von der Entscheidungsfreiheit einer deutschen Regierung nach der Wiedervereinigung zu einer Illusion.
Wir dürfen die Verhandlungen in London über die Abrüstung nicht dadurch stören, daß wir nunmehr auch zu einer Atommacht - wenn auch nur zu einer Atommacht mit taktischen Atomwaffen - werden wollen. Es sind in London gewisse Anzeichen einer Bereitschaft zum allmählichen Abbau der Rüstungen zu bemerken. Zur atomaren Abrüstung kann nur raten, wer selbst durch sein Verhalten dartut, daß er keine atomaren Waffen will.
({5})
Wie gesagt, ich glaube nicht, daß wir morgen zur Abrüstung und zur kollektiven Sicherheit kommen werden. Ich bin überzeugt, daß wir nur über sehr langwierig zu durchschreitende Etappen werden dahinkommen können. Aber wir können heute vielleicht schon gewisse Teilziele angehen. Ein solches erreichbares Teilziel scheint mir der Verzicht der Atommächte auf Versuchsexplosionen zu sein,
({6})
einmal um der biologischen Folgen willen, die uns alle betreffen können und die wir auch dann unseren Entscheidungen zugrunde legen sollen, wenn wir glauben, daß diese biologischen Folgen nur Angehörige fremder Völker treffen.
({7})
Es gibt aber, glaube ich, noch einen anderen Grund dafür, es für nützlich zu halten, daß mit diesen Probeexplosionen Schluß gemacht wird. Wenn es gelingen sollte, eine Vereinbarung darüber herbeizuführen, dann wird der erste Einbruch in den Aberglauben der Zwangsläufigkeit der Atompolitik geschehen sein. Wenn dieser Einbruch einmal geschehen ist, dann haben wir den archimedischen Punkt, an dem wir den Hebel weiter ansetzen können. Selbst wenn er ein einarmiger Hebel bleiben sollte, werden wir damit die Dinge dieser Welt vielleicht ein wenig weiter zum Guten hin bewegen können als geistern und heute.
({8})
Ich gehe so weit, folgende Feststellung zu treffen. - Hier spreche ich ganz für meine Person, nicht für meine Fraktion und für niemanden als für mich. - Ich bin der Meinung, daß der Westen auch einseitig ,auf ,diese Versuchsexplosionen verzichten sollte.
({9})
({10})
Es gibt nämlich eine politische Wirkung der spontanen moralischen Aktion aus sich heraus auch auf das Volk der .Sowjetunion!
Es hat sich schon manchmal gezeigt, daß das chinesische Sprichwort wahr spricht, wenn es sagt: Es gibt Zeiten, in denen das Weiche stärker ist ails das Harte.
({11})
Ich meine, daß wir in einer solchen Zeit leben. Spontaneität ist schon manchmal mächtiger gewesen als das bloße Rechnen mit sich !immer steigernden Größenordnungen. Bei diesem System kann jeder den anderen treiben, ibis er .die Flucht nach vorne antritt, und was das heißt, das wissen wir.
({12})
Ich möchte hier mit Erlaubnis des Präsidenten aus einer weisen Rede des Herrn Bundeskanzlers zitieren. Ja, Herr Bundeskanzler, die Rede, die Sie am 7. Oktober 1954 gehalten haben, war eine weise Rede:
Frieden, meine Damen und Herren,
- hat der Herr Bundeskanzler gesagt muß erarbeitet werden, Frieden muß mit Konsequenz und mit Zähigkeit und mit ruhiger Überlegung herbeigeführt werden, und der Frieden muß auch verteidigt werden - nicht mit den Waffen des Krieges, sondern mit den Waffen der, Gesinnung und den Waffen ,des Beispiels.
Nun, ein solches Beispiel hat die Bundesrepublik in London gegeben,
- fährt er fort
als sie erklärt hat, daß sie auf den Gebrauch
dieser fürchterlichen Waffen der Massenvernichtung,
- den Gebrauch, nicht nur die Herstellung, den Gebrauch! die allein doch schließlich auch Sowjetrußland schrecken könnten, verzichte ,und sich einer besonders strengen Kontrolle, daß dieser Verzicht innegehalten wird, zu unterwerfen bereit sei. Sagen Sie nicht: „Das hast du leicht sagen! Ihr habt ja gar nicht die Möglichkeit, weder finanzieller noch physikalischer Art!" Um chemische Waffen herzustellen, braucht man keine solch besonderen Möglichkeiten, urn biologische Waffen herzustellen, braucht man sie ebenfalls nicht; und wie es einmal mit der Entwicklung der Atomwaffen werden wird, das wissen wir jetzt auch noch nicht. Aber, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik ist hier beispielhaft vorangegangen,
({13})
und ich glaube, das ist ein überzeugender Beweis für das, was wir wollen: Frieden in Europa und in der Welt.
({14})
Ich betone, daß ich diese Rede des Herrn Bundeskanzlers für eine weise Rede halte. Ich sage das ohne jeden Sarkasmus. Ich betone aber auch, daß der Herr Bundeskanzler in dieser Rede nicht nur die Herstellung, sondern auch den Gebrauch solcher Waffen absolut - und nicht nur relativierend - der Bundesrepublik versagt hat und darauf hingewiesen hat, welch gutes Beispiel das Vorangehen - also das einseitige
spontane Handeln vor den anderen - auf diese anderen haben könnte. Ich frage: Warum will er denn diese Weisheit nicht auf seine heutige Politik anwenden?
({15})
Die Bundesregierung sollte politisch und diplomatisch im Sinne dieser Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers aktiv werden. Es gibt hier Vorbilder, z. B. Japan. Auch der Papst hat sich in diesem Sinne geäußert, wenn auch natürlich nicht mit dem scharfen politischen Akzent, den ich hier anschlage. Das kann und darf er in seiner Stellung wohl nicht.
Man sagt, die Bundesrepublik sei nicht frei in den Entscheidungen. Lord Ismay, der es wissen muß, hat uns erklärt, daß kein Staat gezwungen sei, seine Truppen atomar auszurüsten, und auch kein Staat gezwungen sei, auf seinem Gebiet die Stationierung von Atomwaffeneinheiten dritter Staaten zu dulden. Wir können also, wenn wir wollen, handeln. Norwegen, Dänemark haben gehandelt. Vorhin wurde der 'dänische Ministerpräsident zitiert - ein schönes, ein mannhaftes Wort, eines Wikingers würdig.
({16})
- Es gibt auch sozialdemokratische Wikinger. Allerdings waren die nicht Mitglieder des WikingBundes. ({17})
Sie haben eins bei Ihrem Zitat vergessen, Herr Verteidigungsminister: daß Herr Gerhardsen nur von Raketen gesprochen hat und nicht von den atomaren Sprengköpfen. - Doch, ich habe die Äußerung auch gelesen. Norwegen und Dänemark haben der Lagerung atomarer Waffen auf ihrem Gebiet nicht zugestimmt.
Herr Kollege Schmid, ist Ihnen bekannt, daß die Äußerung des dänischen Verteidigungsministers - nicht Ministerpräsidenten - eine Antwort auf die an Dänemark ergangene Drohnote der Sowjetunion war, in der sich die Sowjetunion gegen die Überlassung taktischer Atomwaffen an Dänemark durch die USA ausgesprochen hat - nicht gegen die Überlassung normaler Raketenwaffen? Also muß diese Äußerung des dänischen Verteidigungsministers doch eine Antwort - laut Wortlaut - auf ,die sowjetische Drohung gewesen sein.
({0})
Sie geben da eine Auslegung, Herr Verteidigungsminister. Ist Ihnen bekannt, daß im dänischen Parlament schon vor mehreren Monaten eine Debatte über diese Dinge stattgefunden hat und daß sich .das dänische Parlament gegen die Stationierung
({0})
von Atomwaffeneinheiten in Dänemark ausgesprochen hat?
Ich sagte: Die Bundesregierung ist frei, zu handeln. Man sagt dazu gelegentlich, diese Freiheit sei nur eine juristische Freiheit, eine rechtliche Freiheit; es gebe aber keine politische Freiheit, dies zu tun. Nun, wenn man die rechtliche Freiheit hat, hat man die politische Freiheit, die man für sich in Anspruch nimmt. Diese rechtliche Freiheit der
({1})
Bundesregierung gibt ihr die Möglichkeit, politisch zu handeln; und es wäre politisch gehandelt, wenn man Deutschland von den auf unserem Gebiet - vielleicht - lagernden Atombomben befreien würde.
Es ist hier viel von russischen Noten gesprochen worden. Diese russischen Einschüchterungsnoten beurteile ich genauso wie Sie und verurteile ich genauso wie Sie.
({2})
D a s ist keine Methode der Koexistenz. ({3})
Unsere Entscheidungen haben wir hier von uns aus zu treffen, nach unseren Überlegungen. Wir haben dazu keine Ratschläge .dritter Regierungen notwendig.
Aber ich finde, daß die Reaktion der Bundesregierung auf diese Noten vielleicht auch nicht ganz .dem entsprochen hat, was hätte getan werden sollen. Ich hätte z. B. es für ganz gut gefunden, wenn der Herr Bundeskanzler sich nicht nur für die Gegenwart und die Vergangenheit ausgesprochen hätte, sondern auch für die Zukunft. Denn so ist in der Welt der Eindruck entstanden, als habe seine Verlautbarung eine Mentalreservation enthalten; und so etwas ist keine gute Grundlage für eine gute Politik. Sogar ein so regierungsfreundliches Organ wie die „Welt" -
({4})
- Ich habe immer gefunden, daß sie sehr regierungsfreundlich ist; so regierungsfreundlich, daß
sie der Regierung sehr häufig sehr vernünftige Ratschläge erteilt, wie sie eben nur ein Freund erteilen kann.
({5})
Politik gegenüber der Sowjetunion kann man nicht treiben, indem man auf die Ausfälle ihrer Regierung mit eigenen Ausfällen reagiert.
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Man kann dies nur so tun, daß man auf ihre Ausfälle mit konstruktiven Vorschlägen antwortet. Das ist die einzige Möglichkeit.
Wir sind der Meinung, daß der Bundestag in dieser Sache Beschlüsse fassen sollte, und wir haben Ihnen einen Entschließungsantrag vorgelegt, den ich dem Hohen Hause vorlesen will:
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Bundestag richtet angesichts der wachsenden Gefahren durch die atomaren Versuchsexplosionen und in dem Willen, die Verhandlungen über ein Abrüstungsabkommen zu erleichtern, einen feierlichen Appell an die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreiches von Großbritannien und Nordirland und der Union .der Sozialistischen Sowjetrepubliken, sofort Vorschläge für ein Abkommen zur Kontrolle, Begrenzung und schließlichen Einstellung der Versuchsexplosionen zu machen und inzwischen für eine begrenzte Zeitspanne auf alle Versuchsexplosionen zu verzichten, um den Widerhall auf die Vorschläge prüfen zu können.
II. Die Bundesregierung wird ersucht,
1. die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu unterlassen,
2. die Zustimmung zur Lagerung von Atombomben und zur Stationierung von Atomwaffen-Verbänden durch dritte Mächte auf dem Gebiet der Bundesrepublik zu verweigern und, falls eine solche Zustimmung ausgesprochen worden sein sollte, sie zurückzunehmen,
3. dem deutschen Volke bekanntzugeben, welche Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen wird, um die Bevölkerung der Bundesrepublik vor den möglichen Auswirkungen der Stationierung von Atomwaffen auf seinem Gebiet zu schützen.
Wenn Sie diesen Antrag annehmen, meine Damen und Herren, dann werden Sie mehr für die Sicherheit unseres Volkes getan haben als jene, die glauben, mit strategischen und taktischen Atomwaffen in den Händen der Bundeswehr Deutschland und den Westen schützen zu können.
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Meine Damen und Herren, gemäß interfraktioneller Absprache treten wir in die Mittagspause ein. Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr 45.
({0})
Vizepräsidenten Dr. Becker: Wir nehmen die unterbrochene Sitzung wieder auf und fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich vor diesem vorsichtig besetzten Hause nach 21/2 Jahren zum erstenmal wieder von diesem Platz aus spreche, so möchte ich das nicht tun, ohne unumwunden zu sagen, daß ich es nur gegen schwere Bedenken tue. Auch wenn unsere Geschäftsordnung es in keiner Weise vorschreibt oder vorsieht, so glaube ich doch, daß es richtig ist, wenn der Präsident des Bundestages an den politischen Auseinandersetzungen jedenfalls hier im Hause mit denkbar großer Zurückhaltung teilnimmt. Solange das Haus aber darüber nicht anderweit bindende Beschlüsse gefaßt hat, ist es unzweifelhaft das unbestrittene Recht auch des Präsidenten, als Abgeordneter hier zu sprechen. Heute tue ich es deshalb, weil jedermann fühlt, daß die Sache, von der die Rede ist, ohne alle Übertreibung eine Schicksalsfrage unseres Volkes, nein, eine Schicksalsfrage unserer Welt und Zeit ist. Ich stimme darin mit den Rednern des Vormittags, sowohl mit dem Kollegen Erler wie mit dem Kollegen Schmid, vollständig überein. Für das Dümmste würde ich es halten, in dieser Auseinandersetzung, die wir heute hier zu führen haben, mit dem Versuch von Beschwichtigungen zu arbeiten. Das ist der Sache, um die es geht, in keiner Weise angemessen. Ich nehme aber an, meine Damen und Herren, Sie stimmen mit mir auch darin überein - und ich glaube, auch Sie, meine Herren von der Opposition -, daß uns natürlich auch gar nichts daran liegen kann, in den anderen Fehler zu verfallen
({0})
und in irgendeiner Weise einer Panikstimmung nachzugeben oder sie gar mit heraufzuführen.
({1})
Es ist wahr, was Professor Schmid gesagt hat: daß es sich hier um eine Frage von Sein und Nichtsein handelt. Ich nehme deshalb auch seinen Appell auf, den er an dieses Haus gerichtet hat: daß wir uns dessen bewußt sein müssen, wenn wir hier diskutieren, und daß uns das hinsichtlich des Niveaus, auf dem diese Auseinandersetzung geführt werden muß, verpflichtet. „Wann jemals sollte sich der Bundestag zum Sprecher nationaler Sorgen machen, wenn nicht jetzt?" hat neulich eine führende Wochenzeitschrift geschrieben. Sie hat recht; denn die Gefahren des Atomproblems haben ja in der Tat einen solchen Umfang, eine solche Vordringlichkeit und Mächtigkeit erlangt, daß sogar andere uns auf den Nägeln brennende Fragen der Gestaltung unseres Staates dahinter zurücktreten. Nur die, die wirklich keinen Sinn und kein Augenmaß für geschichtliche und politische Proportionen besitzen, haben noch nicht erfaßt, daß die Frage, wie die Atombomben in der Welt entschärft werden können und entschärft bleiben, wichtiger ist als die Frage, wer am 15. September 1957 der erste oder der zweite Sieger im Bereich der Bundesrepublik ist.
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Natürlich wird diese Froge so eder so auch die
Wahlen und den Wahlkampf in Deutschland überschatten. Das ist nun nicht zu ändern, und wir haben nichts dagegen. Denn sie gehört nun einmal zu der Lebensfrage unseres Volkes, mit der wir uns befassen müssen, und wir haben nicht im Sinne, dem deutschen Volk in irgendeiner Weise die Wichtigkeit und die Bedeutung dieser Frage auszureden.
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Aber dennoch, meine Damen und Herren, ich würde es für einen Gewinn halten - vielleicht falle ich damit in präsidentielle Pflichten zurück und spreche gar nicht so sehr für meine Fraktion, sondern in diesem Punkt nur für meine Person -, wenn man einsähe, daß sich diese Frage trotz allem nicht dazu eignet, ein Hauptschlager des Wahlkampfes zu werden.
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Denn abgesehen von allem anderen, meine Damen und Herren, verhält es sich hier so ähnlich wie bei der Wiedervereinigung. Es kann nämlich kein Schatten eines Zweifels darüber bestehen, daß keine der in diesem Sommer erneut zum Kampf um die Macht für die nächsten vier Jahre antretenden Parteien im Bereich der Bundesrepublik einen neuen Krieg und auch gar noch einen Atomkrieg riskieren möchte. Ähnlich wie in der Wiedervereinigung ist nämlich auch hier das politische Ziel in diesem Hause, wie ich glaube, völlig klar. Es heißt für alle: Festigung des Friedens.
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Sollen wir es nun darauf ankommen lassen, uns gegenseitig zu übertrumpfen in Beteuerungen der heißen Sorge vor der Atomdrohung? Meine Damen und Herren, mir schiene das ebenso geschmacklos wie überflüssig.
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Ich glaube nicht, daß es darauf ankommt, daß wir uns in dem Grad der Sorge über die drohende Gefahr messen, sondern daß es darauf ankommt, daß wir in Wettbewerb treten, in einen echten, kollegialen, meinethalben auch kämpferischen Wettbewerb um die besseren Vorschläge, wie wir dieser Gefahr in der Situation, in der sich Deutschland befindet, zu begegnen vermögen. Wir stehen vor der ganz gewiß sehr schweren, aber ebenso gewiß nicht unlösbaren Aufgabe, unser Schifflein wie weiland Odysseus zwischen zwei Klippen hindurchzusteuern: der Szylla des Atomtodes - das ist keine Dramatisierung, meine Damen und Herren -, der Szylla des Atomtodes unseres Volkes, vielleicht der Menschheit auf der einen Seite, und der Charybdis der Versklavung durch den Bolschewismus auf der anderen Seite.
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Es gilt ganz unzweifelhaft, beide Klippen im Auge zu behalten, und ich meine, daß kein Rezept ernst zu nehmen ist, das die eine Klippe umschifft, um an der anderen zu zerschellen. Die ganze Schrecklichkeit beider Klippen ist uns in der letzten Zeit erneut voll zum Bewußtsein gekommen: das Entsetzliche der atomaren Waffen - Erler und Carlo Schmid haben damit ja vollkommen recht gehabt - spätestens mit dem Appell Albert Schweitzers, das Entsetzliche der bolschewistischen Sklaverei an dem die Welt erschütternden und nach wie vor unvergessenen Beispiel Budapest.
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Meine Damen und Herren, aus den Worten meines Vorredners von der Opposition haben Sie gehört, was die sozialdemokratische Fraktion vorschlägt. Sie verlangt den Verzicht - ich möchte es einmal genau sagen - auf eine etwaige atomare Bewaffnung der Bundeswehr.
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- Ja, überhaupt, natürlich, aber da darüber noch nicht Beschluß gefaßt ist, sage ich also ganz genau, um Sie ja nicht zu mißdeuten, vorsorglich: Sie verlangen schon jetzt eine Verzichterklärung, daß auch für den Fall eines Falles eine solche atomare Bewaffnung der Bundeswehr unter allen Umständen unterbleibe. Habe ich Sie damit recht verstanden? - Ja! Aber Sie verlangen weiter eine Aufforderung an unsere Bundesgenossen, auf dem Boden der Bundesrepublik keine Atommunition zu lagern, und ich darf dann doch wohl hinzufügen: auch keine irgendwie mit Atomwaffen ausgestatteten Verbände fremder Nationen im Bereich der NATO hier zu stationieren; denn das gehört doch sicher dazu.
Es hat heute morgen ausgezeichnete Argumente für diese Forderungen gegeben. Ich möchte einmal ausdrücklich sagen - und ich hoffe, damit dem Hause einen gewissen Dienst zu tun -: Ich persönlich bin nicht überzeugt davon, daß die SPD diese ihre Argumente und diese ihre Forderungen nur aus der Stimmung bezieht. Es ist ganz klar, und wir machen uns ja gar kein Hehl daraus, daß ein tiefer Schock durch Deutschland und - ich nehme an - ein tiefer Schock durch die anderen europäischen Völker in dieser Sache geht. Ich sage ausdrücklich, daß wir der SPD nicht unterstellen, daß sie ihre Argumente, daß sie ihre Forderungen allein darauf einstellt. Ich glaube nicht, daß sie
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ihre Argumente und ihre Forderungen allein aus der Stimmung bezogen hat; aber nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich hinzufüge: Ich bin auch nicht der Meinung, daß sie ihre Argumente nur aus einer im übrigen von mir völlig unbezweifelten moralischen Grundüberzeugung bezogen hat. Zu beiden - Herr Kollege Schmid, ich glaube, Sie lassen das gelten - kommt nämlich hinzu, daß diese Forderungen, nämlich auf den Verzicht der atomaren Bewaffnung der Bundeswehr und auf den Verzicht der Stationierung von Atomwaffen durch Verbündete im Bereich der Bundesrepublik, eben auch und vor allem die heute aktuellen Einzelheiten des von der Opposition in diesem Hause seit Jahr und Tag vertretenen anderen politischmilitärischen Konzepts sind. Ich meine deshalb, daß es gerecht und billig ist, diese Forderungen nicht nur aus der Augenblicksstimmung und auch nicht nur aus der Tiefe politisch-moralischer Überlegungen her zu beurteilen. Man wird sie vielmehr im Bereich dieses politisch-militärischen Konzepts würdigen müssen.
Der Kollege Erler hat recht gehabt, als er sagte, daß die Abrüstung leichter wäre in Verbindung mit der Lösung der Deutschlandfrage. Sicher ist aber dieser Satz richtig, wenn er so heißt: daß die Abrüstung unendlich viel leichter wäre, wenn die Deutschlandfrage schon positiv gelöst wäre. Indessen, meine Damen und Herren, damit können wir im Augenblick leider nicht rechnen, und zwar völlig ohne unsere Schuld. Wir haben uns weiß Gott seit Jahr und Tag angestrengt, um in dieser Kombination die Weltspannungen zu erleichtern. Wir haben uns in diesem Hause unablässig angestrengt, darüber nachzudenken, welches der beste Weg ist, um zur Lösung der Deuschlandfrage im internationalen Rahmen zu kommen, und wir haben uns unablässig angestrengt, zur Abrüstung überhaupt zu kommen.
Nun, das politisch-militärische Konzept der Opposition in diesem Hause, das europäische Sicherheitssystem, das die SPD seit geraumer Zeit dem NATO-Bündnis der Bundesrepublik, das von uns vertreten wurde, als leitende Idee entgegenstellt, scheint mir doch der Rahmen zu sein, aus dem heraus diese konkreten Einzelheiten zur Situation gedacht und vorgetragen werden. Dieses Sicherheitssystem setzt voraus, daß sich die beiden Weltmächte, im Westen wie im Osten, zu einer Sicherheitsgarantie für ein wiederhergestelltes, neutrales und vermutlich auch bescheiden bewaffnetes Gesamtdeutschland bereit finden. Ich will heute nicht davon sprechen, meine Damen und Herren, worüber wir uns hier auch oft gestritten haben. Kollege Kiesinger ist im Augenblick nicht im Saal; ich möchte hier auch nicht in seine Rolle eintreten. Wir haben uns hier oft genug darüber gestritten, ob die Unterwerfung Deutschlands schon vor seiner Wiedervereinigung unter ein zwischen den Weltmächten ausgehandeltes, vorgegebenes Statut mit dem Recht zur Selbstbestimmung des deutschen Volkes vereinbar ist.
Da das, was ich jetzt sage, für mich persönlich und für uns alle von Wichtigkeit ist, habe ich es mir genau aufgeschrieben und werde es Ihnen auch genauso vortragen. Ich werde dann gleich noch einen Satz dazu sagen. Ich sage: Um des Friedens und um der Einheit willen müßte man sich damit als einer vorweggenommenen, unabwendbaren Auflage des Friedensvertrages nach meiner persönlichen Meinung unter Umständen abfinden.
Als ich diesen Satz formulierte, war ich mir gar nicht sicher, wie er in diesem Hause aufgenommen würde. Ich habe mich gestern noch mit dem Kollegen Schmid darüber unterhalten. Ich freue mich, daß er heute morgen dasselbe gesagt hat und daß er dabei zwar keinen stürmischen Applaus aus dem ganzen Hause bezogen hat, ich aber auch keine Widerrede - von keiner Seite - gehört habe. Das halte ich für einen sachlichen Fortschritt unserer Diskussion.
Aber leider wäre es mit einer solchen Bereitschaftserklärung des Deutschen Bundestages und der deutschen Bundesregierung noch nicht erreicht, selbst wenn eine solche Bereitschaftserklärung verbis expressis vorläge, formuliert und vertreten würde, was in der augenblicklichen internationalen Situation vielleicht nicht ganz problemlos wäre.
Aber entscheidend wäre und bliebe ja nicht eine solche deutsche Bereitschaft, sondern entscheidend wäre auch dann noch allein das verläßliche Einvernehmen der beiden führenden Weltmächte in Ost und West über die Gewährung einer automatisch wirksamen Sicherheitsgarantie an dieses so wiederhergestellte Deutschland. Daß eine solche Garantie eine weitgehende Einigung mindestens zwischen Amerika und Rußland auch in anderen Streitfragen zur Voraussetzung hätte, das, ,glaube ich, wird füglich auch die Opposition in diesem Hause nicht in Abrede stellen.
Ich glaube deshalb auch, daß es ganz konsequent ist, wenn die SPD von der Notwendigkeit einer allgemeinen Entspannung spricht, und daß es ganz konsequent ist, wenn sie immer wieder eine generelle Abrüstung auf beiden Seiten, in Ost und West, für unerläßlich erklärt. Aber, meine Damen und Herren, was hat sie denn damit nun spezifisch Oppositionelles gesagt? Nach meiner Überzeugung nichts, denn sie hat damit nichts anderes gesagt als das, was die Bundesregierung, als das, was die Koalitionsfraktionen, als das, was dieses Haus im ganzen seit Jahr und Tag mit Nachdruck und Leidenschaft vertreten.
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Ich glaube auch nicht, daß wir es weiter so treiben sollten, daß wir unterstellen, daß die Regierung oder die sie tragende Mehrheit in diesem Hause offen oder insgeheim die Ermöglichung eines solchen europäischen Sicherheitssystems und die darin beschlossene Wiedervereinigung Deutschlands dadurch zu verhindern trachteten, daß sie nichts anderes im Sinne hätten, als eben auch ein vereinigtes Deutschland zum Nachteil Rußlands in die NATO einzubringen.
Meine Damen und Herren, ich habe in den letzten zweieinhalb Jahren, wenn ich von diesem Stuhl aus aufmerksam zuzuhören die Ehre hatte, manchmal darunter gelitten, daß ich meine Ansicht nicht selber in der Diskussion präzisieren durfte. Heute möchte ich das tun, indem ich sage: wir verletzen in keiner Weise eine Loyalitätspflicht gegenüber unseren heutigen Verbündeten, wenn wir uns korrekt auf den Standpunkt stellen, der in den Pariser Verträgen festgelegt ist, daß im Fall der Wiedervereinigung Deutschlands unsere weitere Zugehörigkeit zur NATO keineswegs selbstverständlich ist, sondern neu zur Diskussion steht. Damit gar kein Mißverständnis darüber besteht, füge ich hinzu, daß damit natürlich nicht mehr und nicht weniger gesagt ist als dies, daß im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands auch ein grund({12})
sätzlich anderer Status unseres Verhältnisses zum Westen denkbar ist als der, der heute besteht. Aber ich glaube - ich nehme an, daß ich da nicht für meine Fraktion, sondern jedenfalls für die Mehrheit des Hauses im ganzen sprechen darf -, daß wir an dem Status, der heute besteht, mindestens so lange mit großer Entschiedenheit festzuhalten beabsichtigen, als ein für ganz Deutschland vertretbarer anderer Status von mindestens der gleichen Qualität hinsichtlich unseres Schutzes und unserer Freiheit nicht zu erlangen ist.
({13})
Ich lasse hier die Fragen auf der Seite, die sich beim Nachdenken über den Vorschlag der Opposition nahelegen müssen, z. B. die Frage, warum es eigentlich ein europäisches Sicherheitssystem sein muß. Herr Kollege Erler, das ist ein Punkt in der Kontroverse, über den wir noch sprechen können.
({14})
- Die Bundesregierung ist auch dafür. Aber ich frage Sie, die Sie die Sache hier zum ersten Mal in die Diskussion eingeführt haben, warum es denn eigentlich ein europäisches Sicherheitssystem sein muß, nachdem nämlich, wie mir scheint, die fundamentale Voraussetzung für das Zustandekommen dieses europäischen Sicherheitssystems eben nicht nur die Lösung der Deutschland-Frage ist, sondern auch die Beseitigung einer Reihe anderer teils mit der Deutschland-Frage zusammenhängender, teils aber auch davon ganz unabhängiger Konfliktherde in der Weltpolitik. Was nützt uns z. B. ein europäisches Sicherheitssystem, wenn die Welt an einer anderen Stelle - sagen wir mal: Naher Osten oder Ferner Osten - in Brandgesetzt wird und die beiden Garanten unserer Sicherheit sich gegeneinander in Marsch setzen. Glaubt jemand, daß wir uns dann auf der geschützten Insel „Europa" in Sicherheit wiegen könnten? Ich verstehe den Wunsch der SPD, Herr Kollege Erler, das Problemfeld in unserem nationalen Interesse möglichst einzugrenzen.
({15}) - Bitte sehr.
Würde sich an dem von Ihnen geschilderten Sachverhalt das geringste dadurch ändern, daß alles bleibt, wie es ist, und die Bundesrepublik dem Atlantikpakt angehört? Werden wir dann, wenn die beiden Giganten marschieren, nicht auch in ihren Konflikt hineingezogen?
Herr Kollege Erler, ich bedanke mich für Ihre Frage; es ist genau das, was ich hier sagen will, und ich freue mich dieser Übereinstimmung und daß wir in dieser Weise diskutieren. Ich will meinerseits nur sagen: so wie die Dinge heute liegen - und auch darin werden wir uns nicht unterscheiden -, halte ich es jedenfalls für unrealistisch, daß den Bemühungen um eine weltpolitische Entspannung etwa in Verbindung mit einer neuen Einigung über die Kompetenzen und Funktionen der Vereinten Nationen und ihres Weltsicherheitsrats weniger Chancen gegeben werden als über die Errichtung eines europäischen Sicherheitssystems. Die Chancen für die Revision, für die Heilung der Vereinten Nationen und ihrer Weltfriedensordnung scheinen mir im Augenblick, solange eine durchgreifende internationale Entspannung mit kontrollierter Abrüstung nicht stattgefunden hat, so schlecht zu sein wie die Chancen für die Errichtung eines davon unabhängigen europäischen Sicherheitssystems.
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Ich möchte nun nicht noch einmal riskieren, daß mir bei dieser kritischen Betrachtung der Vereinten Nationen irgendwie unterstellt wird, daß ich eine unehrerbietige Kritik an ihnen üben möchte. Meine Damen und Herren, das liegt mir vollkommen fern. Ich meine nur, daß es einstweilen mit den Chancen eines europäischen Sicherheitssystems und damit mit der Konzeption, aus der heraus die heute zur Debatte stehenden konkreten Forderungen der SPD begründet und von der sie getragen sind, mindestens so schlecht bestellt ist wie mit den Chancen der Verbesserung der Situation der Vereinten Nationen und der durchgreifenden Revision ihres Weltsicherheitsrats.
({1})
Graf Coudenhove-Kalergi - Hut ab vor dem Veteran der europäischen Einigung! - hat kürzlich in Gelsenkirchen eine Rede gehalten, die mich eigentlich erschüttert hat, weil dieser Mann, der doch ernsthaft die Fragen erörtert hat, ob nicht nur eine europäische Einigung, sondern am Ende nicht auch eine Weltregierung möglich ist, ja, angestrebt werden müsse, dort gesagt hat: „Tribüne des Völkerhasses und Schauplatz des Kalten Krieges". Meine Damen und Herren, es ist nichts damit getan, wenn wir das für eine unehrerbietige Kritik halten. Das ist nämlich keine unehrerbietige Kritik, sondern das ist ein vollendeter Ausdruck der Verzweiflung darüber, daß die große Hoffnung der Menschheit nach dem zweiten Weltkrieg, die sich gerade auf diese Weltfriedensordnung der Vereinten Nationen gegründet hat, gescheitert - oder dürfen wir sagen: einstweilen gescheitert? - ist.
Ich lasse dahingestellt, ob und wie sich die Opposition den Fortgang der europäischen Integration, zu der sie sich, wenn auch mit Zurückhaltung, bekannt hat, vorstellt, wenn der Status in Kraft treten sollte, den sie in ihrem europäischen Sicherheitssystem für das wiedervereinigte Deutschland vorgesehen hatte. Ich lasse schließlich sogar die Frage beiseite, ob die angestrebten Garantien der beiden Weltmächte als gleichwertig und gleichgewichtig angesehen werden können.
Ich habe verstanden, daß heute morgen in der Diskussion zwischen dem Herrn Bundesverteidigungsminister in seiner Eigenschaft als Abgeordneter der CSU und dem Herrn Kollegen Schmid gerade diese Frage angesprochen worden ist. Mir liegt überhaupt nichts daran, Öl in das Feuer zu gießen, jedenfalls gar nicht bei dieser innenpolitisch und außenpolitisch wichtigen Frage. Ich habe seit Jahr und Tag einer aktiven deutschen Rußlandpolitik mit dem Ziele des Ausgleichs und der Versöhnung das Wort geredet, und ich möchte es auch heute tun, obwohl die Weltlage alles andere als ermutigend dafür ist. Aber schließlich und endlich hat es ja keinen Zweck, nur unsere Wünsche und unsere Grund- und Herzensgesinnung der Welt vorzutragen, sondern wir müssen uns vergegenwärtigen, was wirklich ist. Schließlich haben uns
({2})
die russischen Panzer in Budapest an die rauhe Wirklichkeit erinnert.
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- Eine Sekunde, meine Damen und Herren! Ich sage das nicht deshalb, weil das noch in aller Erinnerung ist, und auch nicht deshalb, weil ich damit irgend etwas verschärfen möchte, sondern ich glaube, daß das wichtig ist für die Beurteilung der Frage, ob sich in der inneren Entwicklung Rußlands, etwa in der Auffassung der regierenden Kräfte Moskaus, zwischen 1947 und 1957 irgend etwas geändert hat. Man hätte sich ja vorstellen können, daß etwa die Männer, die jetzt das Schicksal Rußlands und eines großen Teils der Welt bestimmen, die Stalin-Entgötterung nicht nur unter allgemeinen ideologischen Gesichtspunkten der inneren Politik Rußlands betrieben haben, sondern daß sie auch gegen Stalins Außenpolitik und die von ihm gewählten Mittel anzugehen beabsichtigen.
Nun, ich glaube, daß die Ereignisse in Ungarn, das Ereignis Budapest nicht nur deshalb tief bedauerlich sind, weil sie unendlich vielen Menschen wieder das Leben, die Freiheit und die Heimat gekostet haben, sondern daß sie deshalb weltpolitisch so bedeutsam und tief bedauerlich sind, weil darin wieder die alten Methoden bestätigt wurden, exakt die Methoden Stalins. Unter Stalins Herrschaft hat Rußland zwar die Charta der Vereinten Nationen zu San Francisco im Sommer 1945 unterzeichnet, aber es hat keineswegs irgendeine Konsequenz für sein eigenes Verhalten daraus gezogen.
({4})
Beide, die Russen wie die Amerikaner, haben
die ebenso klare wie schöne Charta der Vereinten Nationen zu San Francisco unterschrieben. Sie schließt jede Aggression aus. Aber vor welcher Situation hat sich denn zwei Jahre später der ehemalige Bundesgenosse Moskaus, Harry Truman, gesehen? Hat er sich nicht zwei Jahre später, 1947, als ein ganz grausam Getäuschter vor der Notwendigkeit gesehen, dem ehemaligen russischen Bundesgenossen die Atombombe anzudrohen für den Fall, daß er seine Unterwerfung der ost- und südosteuropäischen Nationen auch nach Griechenland hinein fortsetze? Wie war es denn mit der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien? Der Bundesverteidigungsminister hat heute davon geredet. Ich füge nur hinzu: Diese Länder sind ja nicht aus freien Stücken unter die Herrschaft Moskaus getreten, sondern sie sind mit kalter Entschlossenheit und mit brutaler Hand dem sowjetischen Herrschaftsbereich eingegliedert worden, und das exakt in der Zeit, in der der Westen harmlos und sehr einseitig nur Abrüstung machte. Mir ist ein Erlebnis unvergeßlich: Es war wohl im Winter 1947/48, als ich zum ersten Mal durch Amerika reiste. Ich fuhr mit dem Zug von New York oder Washington nach St. Louis. Unterwegs kam ich an einem riesigen, ich weiß nicht wie langen Lager von abgestellten Flugzeugen vorbei. Ich fragte einen der amerikanischen Mitreisenden, was das denn sei. Er sagte: „Das ist Schrott, wir wollen abrüsten, denn jetzt haben wir ja die Vereinten Nationen!" Ich sage das nicht deshalb, weil ich der Meinung bin, daß heute irgend jemand darüber lachen dürfe. Im Gegenteil, das ist ein Erlebnis zum Weinen.
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Daß es mit Jugoslawien anders ging, das hat die Welt in der Tat Herrn Tito zu verdanken, und daß es mit Griechenland, mit dem südlichen Korea und mit West-Berlin anders ging, das haben wir Amerika zu verdanken. Warum sollte das nicht gesagt werden? Das muß gesagt werden.
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Noch ehe die Organisation der NATO stand, hat Amerika sich aus eigenem Entschluß dem weiteren Einbruch Rußlands in die freie Welt entgegengestellt und hat ihn durch diesen Widerstand - wie ich meine: allein durch diesen Widerstand - zum Stehen gebracht. Geschichtliche Erfahrungen von dieser Eindringlichkeit können nach meiner Überzeugung am allerwenigsten von uns Deutschen ignoriert werden.
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Man kann die Frage stellen, ob die pragmatische Geschichtsschreibung einen Sinn habe. Das ist ein Gegenstand für Philosophen und andere Gelehrte. Aber wir können uns auf keinen Fall leisten, in irgendeiner Weise diese Ereignisse, die sich doch uns so nahe abgespielt haben, zu ignorieren.
Ich glaube also, daß die Verwirklichung des sozialdemokratischen Vorschlags eines europäischen Sicherheitssystems und damit des Rahmens, in dem die heute vertretenen Forderungen stehen und gesehen werden müssen, eben nicht nur davon abhängt, ob sich die Russen - was, das sage ich klipp und klar, ein klarer Fortschrit wäre - bereitfinden, auf einen solchen Gedanken einzugehen. Ich bin vielmehr der Meinung, daß die Verwirklichung dieses Gedankens entscheidend daran hängt, ob ein neutrales Gesamtdeutschland des seitherigen Schutzes und Beistandes der Vereinigten Staaten von Amerika unter allen Umständen gewiß sein dürfte. Diese Frage ist offen. Wenn sie offenbliebe - geschweige, wenn sie verneint werden würde -, könnte über die außenpolitische Leitidee der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nach meiner Überzeugung im Ernste überhaupt nicht mehr geredet werden. Meine Herren, seien Sie mir nicht böse, daß ich das so sage. Aber es muß um der Klarheit willen gesagt werden. Ich glaube, Sie könnten sich sogar damit einverstanden erklären. Wenn diese Frage auch nur offenbliebe, könnte über den Leitgedanken Ihres europäischen Sicherheitssystems nicht mehr geredet werden. Die einzige Chance, die in diesem Gedanken nach meiner Überzeugung liegt, ist die, daß immerhin kein Nein dazu erfolgt ist, daß die Frage noch offen ist. Aber wir wissen nur, daß auf der anderen Seite Sowjetrußland bis zu dieser Stunde sich nicht bereit gefunden hat, auf den Gedanken eines europäischen Sicherheitssystems, wie ihn die SPD dem deutschen Volke vorgetragen hat, einzugehen.
Ich glaube, man muß das sagen, trotz des so absichtsvoll beiläufigen Silberklangs „Rapallo" in einigen Äußerungen der hiesigen sowjetischen Botschaft. Nicht einmal von der freien inneren Selbstbestimmung Gesamtdeutschlands - von der äußeren ganz zu schweigen - ist bislang die Rede gewesen, sondern nur von der Notwendigkeit - wenn wir die fabelhaften Dolmetscher von Pankow wenigstens einen Augenblick dafür als Dolmetscher ernst nehmen dürfen -, die sozialistischen Errungenschaften in Mitteldeutschland zu garantieren und sie auf Gesamtdeutschland zu überwälzen.
({8})
({9})
Das heißt, die Leute in Pankow denken immer noch: Wir müßten alle erst einmal rot, und zwar so blutrot werden, wie die Herren in Pankow das für richtig halten; dann könnte über die Wiedervereinigung geredet werden. Die Sowjetrussen haben bis jetzt nicht die mindesten Anhaltspunkte dafür geliefert, daß sie etwa anderer Meinung wären als diese ihre Dolmetscher von Pankow. Sie haben nicht den mindesten Anhaltspunkt dafür geliefert, daß ein neutrales Deutschland vor ihren politischen Interventionen sicher sein könnte. Von den militärischen rede ich keuscherweise in diesem Augenblick überhaupt nicht.
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Auch die größten Kritiker unserer Politik werden auf der anderen Seite nicht in Zweifel ziehen können, daß eine Gefährdung der freien inneren Selbstbestimmung des deutschen Volkes im Sinne der Charta der Vereinten Nationen durch Amerika ganz gewiß nicht befürchtet zu werden braucht. Wir haben eben summa summarum mit den Vereinigten Staaten von Amerika die genau entgegengesetzte Erfahrung wie mit der Sowjetunion gemacht. Die Russen - ich bedaure, das sagen zu müssen - haben dem deutschen Volk den vergifteten Pfahl von Pankow tief in das Fleisch gestoßen, und immer noch wird daran gedreht. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben hingegen mit den anderen NATO-Mächten dem größeren Teile Deutschlands einen so wirkungsvollen Schutz gewährt, daß unter diesem Schirm der wirtschaftliche und der soziale Aufbau Deutschlands ermöglicht wurde und damit die einzig reale Voraussetzung für die Wiederherstellung ganz Deutschlands - in Freiheit jedenfalls - gerettet wurde.
Ich glaube, daß die weltpolitische Situation kurz so zusammengefaßt werden kann: Rußland hat die Vereinten Nationen an den Rand des Ruins gebracht. Ich finde nicht, daß wir uns leisten sollten, über das Weltfriedenskonzept der Vereinten Nationen in irgendeiner Weise geringschätzig zu denken. Es hat auch gar keinen Zweck, wenn wir heute daherkommen und die billige Kritik zulassen, daß die Vereinten Nationen genauso eine illusionäre Fehlkonstruktion wie einstens der Völkerbund seien. Ich billige eine solche Kritik in gar keiner Weise. Der ganze Trend der Weltgeschichte, der weltpolitischen Entwicklung geht auf eine weltumspannende, durchgreifende, exekutiv ausgestattete Weltfriedenssicherung.
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Aber noch einmal: Kann man bei den Entscheidungen, mit denen wir es zu tun haben, auch nur einen einzigen Augenblick ignorieren, daß doch nun wirklich niemand anders als Sowjetrußland diese Weltfriedensordnung der Vereinten Nationen an den Rand des Ruins gebracht hat und daß Sowjetrußland dadurch eigentlich auch der wahre Urheber der Ersatzkonstruktion - zugegeben: nur einer sehr partiellen Ersatzkonstruktion - NATO mit gewesen ist? Denn was blieb eigentlich der westlichen, der zur Freiheit entschlossenen Welt übrig? Was blieb ihr denn übrig, nachdem die Weltfriedensordnung der Vereinten Nationen nichts mehr hergab, als in Gottes Namen nach einer Ersatzkonstruktion zu suchen? Diese Ersatzkonstruktion steht in dem Nordatlantikpakt vor uns. Und jetzt - jetzt versuchen die Russen natürlich in dem Maß, in dem sich dieser
Pakt festigt, ganz genau das gleiche mit der NATO zu machen, was sie einstens mit den Vereinten Nationen gemacht haben.
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Der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO liegt einfach in der Konsequenz dieser Ereignisse. Ich ziehe daraus nicht den Schluß, daß die Sozialdemokraten, die diesen Beitritt nicht mitgemacht haben
- meine Herren, bitte kein Mißverständnis, auch nicht für den Wahlkampf! -, es mit ihrer erklärten Solidarität mit der freien Wet nicht ernst meinen. Einen solchen Schluß hielte ich für töricht; denn man kann in der Tat über die Methode anderer Meinung sein.
Aber vielleicht könnte man doch zu dem Schluß bommen, daß bei einer so weitgehenden Übereinstimmung - jedenfalls im Ja zur freien Welt - die außenpolitische Linie der SPD und ihre Haltung in einzelnen außenpolitischen und auch in einzelnen Wehrfragen doch auch eine Funktion ihres seitherigen Schicksals sind, Opposition zu sein. Wie dem aber auch sei, meine Damen und Herren, ich bestreite nicht - ({13})
- Bitte, meine Herren, keine Aufregung und keine Heiterkeit! Denn ich bin nach wie vor der Meinung, die ich im September 1949 an dieser Stelle zum ersten Mal ausgesprochen habe, daß es natürlich ein Segen und ein Glück für uns alle gewesen wäre, wenn wir in der einen oder anderen Weise zu einer gemeinsamen Außenpolitik hätten kommen können. Das ist ganz außer allem Zweifel, und bei dem fundamentalen Bekenntnis des ganzen Hauses zu der Solidarität mit der freien 'Welt bin ich nicht der Meinung, daß von allem Anfang an dafür überhaupt keine Chance vorhanden war. Ich will aber nicht alte traurige Kapitel aufblättern. Ich will nur sagen: Ich bestreite nicht, daß der von der SPD geforderte grundsätzliche Verzicht auf die atomare Bewaffnung der Bundeswehr völlig in der Konsequenz ihrer Ablehnung eines deutschen Verteidigungsbeitrages in der NATO liegt. Denn es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die Annahme der heute von diesem Hause verlangten sozialdemokratischen Verzichtsforderung nicht nur den Wert des deutschen Beitrags in der NATO mindern würde, sondern auch die politisch-militärische Desintegration der NATO in ihrer heutigen Struktur mit größter Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte.
({14})
Nun, eine solche Zerrüttung der NATO könnte geheilt werden; aber ich glaube, sie könnte nur geheit werden mit einer neuen Festigung der NATO ohne deutsche Beteiligung und außerhalb Deutschlands. Damit wäre die SPD ganz und gar nicht am Ziel ihrer Wünsche. Wohl aber hätten die Sowjets damit ohne alle Gegenleistung einen gewaltigen Erfolg erzielt.
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Ich fürchte, nicht zu übertreiben, wenn ich sage,
daß die geminderte militärische Verteidigungskraft
der NATO - also NATO minus Bundesrepublik
- mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Folge hätte, daß erstens Deutschland aufhören würde, gleichberechtigter Partner im Schutzsystem der NATO zu sein. Ich glaube, daß mindestens die Qualität der Sicherheitsgarantie des
({16})
Westens dadurch für uns empfindlich gemindert würde, wenn sie nicht überhaupt verschwinden würde.
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Zweitens glaube ich, daß die politische und militärische Behandlung Deutschlands durch den Westen dann zwangsläufig nicht mehr unter bundesgenössischen Gesichtspunkten und den heute geltenden Vertragsbestimmungen zum Schutze unserer Sicherheit erfolgen würde. Denn entsprechend der so reduzierten Verteidigungskraft der NATO wäre die Behandlung Deutschlands im Ernstfalle militärischen und strategischen Erwägungen unterworfen, auf die wir doch mit größter Wahrscheinlichkeit keinen, jedenfalls keinen nennenswerten Einfluß mehr hätten.
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Ich glaube, man muß das sehen, und man muß sich dann hier auch entscheiden. Wenn die Opposition in diesem Hause - und das gilt nicht nur für die SPD, die ja den NATO-Beitritt von Anfang an und grundsätzlich im Rahmen ihres anderen Systems abgelehnt hat, sondern das gilt leider auch für die FDP -, wenn die SPD und die FDP das riskieren wollen, dann sollen sie es tun. Wir jedenfalls können das nicht und wollen das nicht.
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Deshalb wären wir auch gar nicht bereit, zuzulassen, daß die Bundesrepublik heute schon - ich sage: heute schon - einen grundsätzlichen Verzicht auf die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ausspricht. Wenn der Herr Bundeskanzler gegen
seine Gewohnheit an diesem Punkte schwanken würde, dann würde ihm seine Fraktion dringend empfehlen, hier unter allen Umständen so standfest zu sein, wie er es in den letzten Jahren immer gewesen ist.
({20})
Denn was wäre - frage ich - mit einem solchen Verzicht für uns und was wäre für den Frieden der Welt gewonnen?
Ein bedeutender Atomphysiker hat den Appell der Achtzehn damit begründet, daß er sagte, die nukleare Bewaffnung - also zu deutsch die Bewaffnung mit Atomwaffen - der Bundeswehr erhöhe die politische Labilität in der Welt. Ich glaube, das genaue Gegenteil ist richtig. Die Zerrüttung der NATO würde die politische Labilität in Deutschland, in Europa, in der Welt erhöhen.
({21})
Sie würde, davon bin ich fest überzeugt, Deutschland schlagartig von einer Krise in die andere stürzen,
({22})
weil sie uns in einer unerhörten Weise anfällig machen würde zumindest für die politischen Interventionen der Sowjets.
Ich glaube, daß die Linie der SPD bedauerlich ist, weil gerade darin ihre Gefahren beruhen. Wer den deutschen Beitrag zur NATO entweder zurücknehmen oder seinen maximalen Wert drücken will, der schwächt, so wie die Dinge jedenfalls heute stehen, nicht nur die heute wichtigste Weltorganisation für die Erhaltung des Friedens, sondern der riskiert Deutschland, solange ein anderes,
mindestens gleich verläßliches Schutzsystem für uns nicht besteht.
({23})
Noch einmal, meine Damen und Herren - damit gewiß kein Mißverständnis ,aufkommt -: ich verstehe wirklich die Motive und die beabsichtigte Struktur des europäischen Sicherheitssystems, das die deutschen Sozialdemokraten gern hätten. Aber ich verstehe nicht, worauf sie den Glauben gründen, daß ein solches System errichtet werden könnte, ohne daß mindestens ein Gleichgewicht der Kräfte in der Welt vorhanden ist. Und ist die Frage nun nicht erlaubt - mindestens die Frage!
ob dieses Gleichgewicht nicht zugunsten des Ostens ohne jeden Nutzen für Deutschland verschoben würde, wenn sich die derzeitige Außen-und Wehrpolitik der SPD durchsetzte? Wenn schon europäisches Sicherheitssystem nach sozialdemokratischer Vorstellung, dann müßte die SPD doch vor allem auch dafür sorgen, daß ein solches System für die Russen attraktiv wind. Glauben Sie, daß das ,der Fall ist, solange die Sowjets ohne eine solche Bindung, wie sie Ihr Sicherheitssystem vorsieht, abwechselnd mit Offensiven des Lächelns oder mit Offensiven des ,Drohen das deutsche Volk, ja die freie Welt hin- und 'herjagen können, wie sie es für richtig halten?
Es tut mir leid, aber in )den heutigen Forderungen der SPD können wir deshalb nicht mehr sehen als die allerdings konsequenten aktuellen Einzelheiten einer politischen Fehlentscheidung.
({24})
Oder sind sie nicht doch mehr? Ich muß gestehen, daß der Versuch, den der Herr Kollege Schmid heute morgen gemacht hat, die Frage in den Bereich der sittlichen Erwägungen zu stellen, mich tief berührt hat. Ich möchte deshalb auf die Frage, ob sie nicht doch mehr sind, nicht einfach mit einem Nein antworten. Ich halte durchaus dafür, daß sie aus noch größerer Tiefe stammen können als aus dem Bereich eines konsequenten politischmilitärischen Kalküls. Es mag wohl sein, daß sich beides in ihnen verbindet: politisch-taktisches Kalkül und }die Urangst unserer Zeit. Wir sind gesonnen - was an uns ist -, 'beides ernst zu nehmen. Deshalb werde ich mir erlauben, nachher darauf noch einmal zurückzukommen.
Zunächst muß ich aber doch noch ein Wort zu der inhaltlich gleichen Forderung der FDP sagen. Denn was bei der SPD eben schon eine Konsequenz ihrer Ablehnung unserer NATO-Mitgliedschaft ist, das steht bei der FDP nun wirklich ganz unkonsequent im politischen Raum.
({25})
Die FDP nämlich hat sich damals - und sie hat das in der Zwischenzeit nicht widerrufen - für den Eintritt der Bundesrepublik in die NATO und für die Erbringung eines deutschen Verteidigungsbeitrages in ihrem Rahmenausgesprochen.
({26})
- Ausgezeichnet! Ich 'bedanke mich sehr, Herr Kollege Mende. Vielleicht ,explizieren Sie das nachher. Vielleicht sind Sie dann auch so freundlich - Sie sind ja ein viel größerer Militärsachverständiger als ich -,
({27})
auf einen Gedanken einzugehen, der mir sehr zu
schaffen gemacht hat, als ich nämlich kürzlich den
({28})
ausgezeichneten Artikel unseres Kollegen Dr. Bucher in den „Stuttgarter Nachrichten" gelesen habe. Ich schätze das besonnene Urteil unseres Kollegen Bucher sehr. Er hat kürzlich Ihre Forderungen, die ja inhaltlich mit denen der SPD völlig übereinstimmen, damit begründet, daß es genüge, daß eine andere Weltmacht die Atomwaffen und damit die Möglichkeit des Zurückwerfens, will sagen des atomaren Gegenschlags habe. Das müsse uns genügen. Nun, verehrter Herr Kollege Bucher, man kann sich natürlich auf diesen Standpunkt stellen. Aber ich glaube, man ignoriert dabei den einzigen Fall, auf den es überhaupt ankommt,
({29})
nämlich den Ernstfall des Angriffs auf eine Mitgliedsmacht der NATO.
({30})
Sehen Sie, Herr Kollege Mende, das ist nun der Punkt, in dem ich mich an Sie als Militär wende: Solange d ie NATO nach dem Grundsatz einer integrierten Armee - nicht nur einer Koalitionsarmee, wie wir sie im 19. Jahrhundert und vielleicht auch noch im ersten Weltkrieg gehabt haben - durchgebaut und geführt wird, muß, wer ihre maximale Funktionsfähigkeit will, auch die Gleichartigkeit der Bewaffnung, der Ausbildung und des Einsatzes ihrer nationalen Kontingente wollen oder zumindest gelten lassen.
({31})
Wenn er das nicht will, dann hat er vielleicht Gründe dafür wie den, für die nächsten zwei Jahre einmal zu sehen: Wie wird die Sache im Verlauf der Weltpolitik sich gestalten? Er mag technische Gründe, er mag allgemeinpolitische Gründe dafür haben, aber ich glaube nicht, daß man in einer integrierten Armee, wie es die NATO-Armee sein soll, eine gewisse Gleichartigkeit der Bewaffnung ablehnen kann.
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Bitte sehr.
Steht das, was Sie, Herr Kollege Gerstenmaier, eben sagen, nicht in einem Widerspruch zu der arbeitsteiligen Verteidigung der NATO, wie sie sogar im Vertragsabschluß dadurch zum Ausdruck kommt, daß uns gewisse Waffen - teils auf eigenen Verzicht hin, teils auf Grund strategischer Planung - nicht gestattet sind? Beispielsweise hat der Einsatz der strategischen Bomberkommandos immer schon zum Vorbehalt der USA allein gehört.
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Herr Kollege Dr. Mende, ich möchte zweierlei sagen. Es kommt mir überhaupt nicht darauf an, daß die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgestattet wird, ({0})
um das klipp und klar und genau zu sagen.
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- Meine Damen und Herren, bitte, machen wir uns doch die Diskussion nicht noch unnötig schwer. Es geht ja heute nicht etwa um einen Beschluß,
daß die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgestattet werden soll.
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- Nein, nein, meine Damen und Herren, auch wenn es schwierig ist, so feine Unterschiede zu machen, sie müssen im Interesse der Sachgerechtigkeit gemacht werden! Es geht heute nicht um den Beschluß: Die Bundeswehr muß mit Atomwaffen bewaffnet werden! Keine Spur!
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Ich stimme übrigens darin dem Kollegen Bucher zu, daß es töricht wäre, eine solche Forderung unter dem Gesichtspunkt zu erheben: Die Deutschen können nicht schlechter bewaffnet sein als die anderen. Keine Spur von all dem! Nein, Herr Kollege Dr. Mende, ich gründe meine Weisheit auf das, was zu diesem Punkt sehr viel sachverständigere als ich gesagt haben, nämlich die Generale Heusinger und Speidel. Auf diese Fachweisheit stütze ich mich. Die Herren erklären doch: Es ist einfach nicht möglich, in einer integrierten Armee auf die Dauer eine prinzipielle Verschiedenartigkeit zu installieren, wie sie sich dann ergeben würde, wenn der Deutsche Bundestag beschlösse, unter allen Umständen einen Verzicht auf die atomare Bewaffnung der Bundeswehr zu leisten.
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- Meine Damen und Herren, das ist doch kein Ausweichen! Ich verstehe ja, daß es mühsam ist, immerfort in diesen Differenzierungen zu reden, aber wir kommen in der ganzen Geschichte nicht weiter, wenn wir uns nicht die Mühe machen, differenziert vorzugehen.
Ich kann mich jedenfalls nicht zu der Ansicht bekennen, daß in einem Ernstfall Deutschland nur deshalb vor Atomgeschossen sicher wäre, weil seine - Herr Kollege Mende, das werden Sie nicht bestreiten - auch in diesem Ernstfall ja als NATO-Kontingent operierende Bundeswehr keine atomare Bewaffnung besäße oder in Deutschland im übrigen keine Atomwaffen stationiert wären. Ich bin noch nicht 'dahintergekommen, worin eigentlich die Chancen liegen sollen, daß wir dann vor dem Atomschlag sicher wären und ausgespart würden.
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Ich kann nur sagen, wir müssen davon ausgehen, daß wir seit den Äußerungen der militärischen NATO-Führer wissen - Herr Kollege Mende, wenn Sie das widerlegen könnten, so wäre das sicher interessant, nicht nur für das Haus, sondern für das deutsche Volk -, daß eine dauernde verschiedenartige Bewaffnung, eine prinzipiell verschiedenartige Ausbildung der nationalen Kontingente zwangsläufig die militärische Zerrüttung, die teilweise Lähmung der NATO in ihrem seitherigen Rahmen zur Folge haben würde.
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- Bitte sehr!
Ich frage: Darf man die Konsequenzen, die sich aus einer solchen Schwächung unseres jetzigen Schutzsystems ergeben, ignorieren? Wir halten das für ganz unvertretbar, und zwar nicht nur im
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j Blick auf die ernste Minderung der westlichen Machtposition für den Angriffsfall, sondern unabhängig vom Angriffsfall, also von der militärischen Operation, schon jetzt für den von uns gesuchten und mit allen Kräften angestrebten Verhandlungsfall.
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Denn auf ihn kommt es doch heute an. Wir stimmen deshalb mit dem belgischen Sozialisten Spaak überein, der sich nicht weniger entschieden als der Bundeskanzler der Zumutung der Sowjetunion widersetzt hat, daß irgendeine NATO-Macht ohne eine angemessene russische Gegenleistung auf die Dauer auf gleichwertige Bewaffnung verzichtet.
Aber wie steht es nun mit dem politischen Verhandlungswert der Atomwaffen? Auch ich komme hier zurück auf die noble Rede, die Professor von Weizsäcker kürzlich vor den Bonner Studenten gehalten hat. Herr von Weizsäcker hat zwei lapidare Sätze aufgestellt. Den einen davon hat der Kollege Schmid heute morgen schon zitiert. Ich möchte es noch einmal tun. Herr von Weizsäcker hat gesagt:
Die großen Bomben erfüllen ihren Zweck, den Frieden und die Freiheit zu schützen, nur, wenn sie nie fallen. Sie erfüllen ihren Zweck aber nicht, wenn jedermann weiß, daß sie nie fallen werden.
Nun, diese Sätze haben ganz gewiß etwas Bestechendes. Aber, meine Damen und Herren, denken wir darüber nach. Sie sind nur zur Hälfte richtig; denn Herr von Weizsäcker hat zwar damit recht, daß die großen Bomben der Abschreckung dienen und ihren positiven Zweck in der Tat nur dann erfüllen, wenn sie nie fallen; aber, meine Damen und Herren, so schrecklich ist die Welt, daß niemand wissen kann, daß sie nie fallen!
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Wer an Angriff denkt, muß im Gegenteil damit rechnen, daß sie sicher fallen. So unerhört stehen die Dinge jedenfalls heute ohne internationale Entspannung und ohne kontrollierte Abrüstung.
Ich glaube, es ist von großer Wichtigkeit, ganz gleichgültig, welche Schlüsse wir im einzelnen daraus ziehen wollen, daß wir das jedenfalls ernst nehmen. Niemand kann den zweiten Satz von Herrn von Weizäcker beweisen, daß jedermann wissen kann, daß sie nie fallen. Nein, selbst wenn wir Deutsche nicht damit einverstanden wären, daßauch im Angriffsfall Atombomben fallen, würde das an der bestehenden Situation nichts ändern. Wir würden nur isoliert, ohne jede Mitsprache-und Einflußmöglichkeit auf die Strategie und den Waffeneinsatz der kriegführenden Mächte sein. Wir wären prädestiniert zum Schlachtfeld der konventionellen oder der Atomwaffen der anderen, ohne im mindesten auch nur eine Einsprachemöglichkeit zu haben. Mindestens aber liefen wir Gefahr, daß ,der Osten wie der Westen bemüht wären, Deutschlands Industriepotential dem gegnerischen Zugriff entweder durch Vernichtung oder durch Besetzung zu entziehen.
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Damit wäre Deutschland nicht zwischen, sondern in zwei Feuern. Oder glaubt jemand, daß eine selbst fünfmal teurere und größere deutsche Nationalarmee in der Lage wäre, so etwas zu verhindern? Nein, meine Damen und Herren, die Neutralisierung ist eben, auch in ihrem nur-militärischen
Kostüm, von allen moralischen und politischen Zusammenhängen abgesehen, kein Ausweg für uns.
NATO und atomare Rüstung der NATO besagen heute nicht mehr und nicht 'weniger als dies: Wenn wir oder einer von uns schuldlos mit der Waffe angegriffen werden, dann reagieren wir unverzüglich ,entsprechend.
Es ist wahr, daß, so wie die Dinge heute stehen, in diesem „entsprechend" eine große Schwierigkeit liegt. Es ist das Problem des großen und des kleinen Krieges, das ,die Frage enthält, ob und wann Atomwaffen eingesetzt werden. Wir kennen die amerikanische Erklärung, daß ein Angriff mit Atomwaffen zurückgewiesen werde. Als sicher muß man annehmen, daß ein sowjetischer ,atomarer Angriff den sofortigen atomaren Gegenschlag zur Folge hätte. Dank der Automatik der integrierten NATO würde dann der - zugegeben - seltene Fall eintreten, daß, selbst wenn ein solcher Überfall tödlich wäre, der Angreifer noch immer alles verlieren und seinen Angriff mit der eigenen Vernichtung bezahlen 'würde. In der Situation sind wir nun, ob wir es beklagen oder begrüßen. Hier gilt: Angriff heißt Selbstvernichtung! Dafür zu sorgen, daß dieser Satz wahr bleibt, das und nicht weniger ist die Aufgabe der NATO.
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Es tut mir leid, daß wir das Problem, das uns quält, bis in diese Konsequenzen hinein ansprechen müssen. Aber das ist notwendig, um die tatsächliche Lage, ihren Ernst und ihre Konsequenzen klar ins Auge zu fassen. Aber es ist auch notwendig, um dem deutschen Volk einen Eindruck davon zu geben, daß wir, die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union, uns nicht mit Ausflucht oder Schönfärberei abzufinden bereit sind.
Ich verstehe, daß angesichts dieser Konsequenzen eines atomaren Gegenschlages ein gequältes menschliches Herz sich sagt:. Dann geschehe, was mag - dies ohne mich! Das, meine Damen und Herren, mag in der Tat heute die Grundstimmung - nicht weniger - im deutschen Volke sein. Um die Welt und das Leben zu retten, das sie lieben, nicht nur das menschliche, sondern das naturhaftkreatürliche, meinen sie, daß im Angriffsfall ganz grundsätzlich rauf den atomaren Gegenschlag verzichtet werden müsse. Ich meine, daß eine solche Haltung nicht nur nicht die Abweisung verdient: illusionär, sondern daß sie Respekt verdient. Aber die Denkenden, die dieser Überzeugung folgen, können doch auch nicht in Abrede stellen, daß mit einem solchen erklärten Verzicht die Gefahr des Angriffs, auch des Atomangriffs, nicht kleiner, sondern größer wird.
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Und weil sie das gelten lassen müssen, stürzen sich gerade die guten Köpfe, die nämlich so weit denken in unserer Zeit, mit einem Salto mortale der Verzweiflung in die vollständige Resignation und sagen, daß uns nur noch die Wahl bliebe zwischen dem Atomtod und der Sklaverei.
Nun, wir sagen, daß diese Alternative, dieses Entweder-Oder, unwahr ist. Dieses Entweder-Oder kennzeichnet nicht die tatsächliche Lage, in der sich das deutsche Volk heute befindet. Dieses Entweder-Oder ist eine Vision der Verzweiflung, aber nicht der Wirklichkeit, die vor uns liegt.
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Wäre jene Vision wahr, dann wäre es allerdings am besten, die Hände in den Schoß zu legen, aufzuhören, Bundestagsabgeordneter zu sein, und die Natur zu genießen, solang' sie uns noch blüht. Aber, meine Damen und Herren, diese Vision ist nicht wahr, und sie wird auch nicht wahr werden, solange wir uns in der freien Weh nicht blind und unbesonnen und tatenlos machen lassen von den Manövern Moskaus.
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Zu den Gefahren, mit denen wir uns heute selber gefährden, nicht Sie, die Opposition, uns, sondern das deutsche Volk sich selber, gehört die Infragestellung des Rechts zum Widerstand. Ich weiß, daß diese Frage in der Epoche der Atombombe über ihre seitherigen Bereiche weit hinausgeht. Bei Carlo Schmid ist es heute morgen angeklungen: Wer kann sich dem entziehen! Es ist wahr; in der Epoche der Atombombe, wo, wie die Atomphysiker mit Recht sagen, auch der atomare Gegenschlag das Ende nicht nur für den Gegner, sondern für uns selbst wäre, geht die Frage mach dem Recht dies Widerstandes weit hinaus über die Bereiche, in denen wir sie zu diskutieren oder zu praktizieren gewöhnt waren.
Ich verzichte dabei von vornherein auf die Auseinandersetzung mit denen, die das Recht zum Widerstand überhaupt und grundsätzlich bestreiten. Aber wir können nicht an jenen vorübergehen, die im Blick auf die Weltgefährdung dies Atomkrieges die Inanspruchnahme des Widerstandsrechts in Zweifel ziehen. Ich verstehe diese Zweifel nicht nur, ich achte sie. Das ist keine Frage, über die man mit Mehrheit befinden kann, sondern ich weiß, daß das schließlich eine Frage des Gewissens des einzelnen ist. Aber ich glaube nicht, daß die weltgeschichtliche Situation, in der wir uns heute befinden, das Widerstandsrecht sinnlos macht und seiner realen Wirkung beraubt. Ich glaube vielmehr, daß uns dieses Recht heute in einer neuen, gewaltigen Dimension als eine unabweisbare Pflicht gegeben ist. Im Anblick sehr eindeutiger Situationen haben wir Deutsche leider höchst zu- rückhaltend von idem Widerstandsrecht Gebrauch gemacht. Damals ging es um die Herrschaft des Rechtes oder des Unrechtes im eigenen Vaterland, und dann ging es um Sein oder Nichtsein unserer Nation. Ich gebe zu, heute geht es möglicherweise um die Existenz der Welt, mindestens um die Existenz der freien Welt. Das verändert die Lage. Aber das verändert nicht die kategorische Geltung des sittlichen Rechtes und der darin beschlossenen Pflicht zum Widerstand.
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Was heißt human sein? Human sein heißt doch, seine menschliche Berufung zu erfassen. Nun, mit der Berufung das Menschen zur Freiheit ist es auf unabsehbare Zeit vorbei, wenn wir, die Völker der freien Welt, die uns heute .gegebenen Chancen ausschlagen.
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Worin, frage ich, bestehen diese Chancen? Erstens in der Einigkeit und in der Einigung der freien Welt, zweitens in ihrem ebenso zähen wie geduldigen Bemühen um Ausgleich und Frieden und drittens - ich muß es sagen - in ihrer Entschlossenheit zum Widerstand gegen jeden Angriff und notfalls mit allen Mitteln. Ist das nun eine Drohung? Das ist keine Drohung, meine Damen und
Herren, jedenfalls keine Drohung im aggressiven Sinn des Wortes, sondern das isst eine höchst wirksame und, Gott sei es geklagt, einstweilen leider unentbehrliche Abschreckung.
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- Ja, mit allen Mitteln; sehen Sie, so schrecklich ist die Welt
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- Ja, wissen Sie: das heißt auch, man sell keinen Mord geschehen lassen.
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Heute heißt das Gebot: Du sollst nicht töten; alle Kräfte her zu denen, die gewillt sind, dem Mörder in den Arm zu fallen, damit er den Stoß nicht führen kann.
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Der Mann, der als erster das Atom gespalten hat
- es ist ein Deutscher -, fragte neulich im „Münchner Merkur" : Warum entwickelt man die Wasserstoffbombe? Er antwortete darauf selbst:
Ich könnte mir zwei kurze Antworten denken, die eigentlich das gleiche bedeuten: Angst respektive Friedensliebe. Angst vor einem Gegner, der ebenfalls in der Lage ist, Wasserstoffbomben herzustellen, Friedensliebe, um den Gegner zu hindern, einen Atomkrieg zu entfesseln, weil der Gegenschlag dann einsetzen würde.
Professor Hahn fährt fort:
Wir erinnern uns an die Warnung von Churchill aus dem Jahre 1942 an Hitler vor der AnWendung von Giftgas im Kriege und der Androhung von Vergeltungsmaßnahmen mit den gleichen Waffen. Vermutlich war es diese Warnung, daß Giftgase während des zweiten Weltkrieges nicht verwendet worden sind; vorhanden waren sie auf beiden Seiten.
So Professor Otto Hahn am 27. April 1957.
Heute früh war hier schon die Frage angesprochen worden: Was hat eigentlich den Ausbruch des zweiten Weltkrieges gefördert, oder was hätte ihn verhindern können? Es ist immer mißlich, über eine abgeschlossene geschichtliche Situation hinterher zu reden. Man ist hinterher immer viel klüger. Aber ich glaube, man kann gegen den Einwand nicht viel vorbringen, daß damals der Angriff Hitlers auf Polen mit dadurch zustande gekommen ist, jedenfalls eher gefördert als gehindert wurde, weil Hitler in Kenntnis der denkbar schlechten Rüstungssituation seiner potentiellen Gegner, also der Amerikaner, der Engländer und der Franzosen, war.
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Nun machte ich noch etwas sagen, und es tut mir leid, daß ich es in Kontroverse zu meinem Freund Carlo Schmid sagen muß. Heute morgen ist mit großem Nachdruck die These aufgestellt worden, daß doch eine Differenzierung stattfinden müsse, die sich aus der besonderen Situation Deutschlands - aus unserer Lage vorn in der ersten Reihe - im Vergleich zu den sehr viel tiefer dahinterliegenden Atommächten Großbritannien und Amerika ergebe. Auf der anderen Seite aber hat der Kollege Erler durchaus einleuchtend klargemacht - und wir sind doch davon alle
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überzeugt -: wenn ein Atomkrieg losginge, würde er offensichtlich nicht nur ganze Völker, sondern voraussichtlich die ganze Welt - ich nehme mindestens an: die europäisch-atlantische Welt -, auf das tiefste in Mitleidenschaft ziehen.
Ich komme aus der Inkonsequenz nicht heraus, die nach meinem Eindruck darin besteht, daß auf der einen Seite die Weltgefahr des Atomkrieges richtig erkannt und richtig angesprochen wird und daß sich niemand erlaubt hat, sie zu beschwichtigen oder zu bagatellisieren, daß man aber auf der anderen Seite doch noch meint im Ernstfall mit der taktischen, prinzipiellen, politischen Differenzierung oder Distanzierung der Bundesrepublik etwas ausrichten zu können.
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- Vielleicht halbe ich Sie mißverstanden! - Sie sprachen von den taktischen Atomwaffen, Herr Kollege Schmid; ich bin der Meinung, was die taktischen Atomwaffen betrifft, daß es sinnlos ist, in .der internationalen Debatte einen Unterschied, jedenfalls einen qualitativen Unterschied, zwischen taktischen und strategischen Atomwaffen zu machen.
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Herr Kollege Schmid, ich bin ja nicht die Bundesregierung. Ich spreche das aus, und das Vertrauen meiner Fraktion hat mich hierher gestellt, um eine Rede zu halten, die noch nicht einmal mit ihr abgestimmt ist. - Bitte schön!
Eine Frage, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier! Sind Sie nicht doch der Überzeugung, daß aus der besonderen deutschen Lage hieraus leichter noch als anderwärts Konflikte entstehen können, die zum Weltbrand führen können, und daß es aus diesem Grunde unsere Aufgabe ist, die deutsche Situation nicht mit der Aufladung mit Atomsprengstoffen auf die Spitze zu treiben?
Herr Kollege Erler, ich finde es dankenswert, daß Sie diese Frage gestellt haben, denn sie gibt mir die Gelegenheit, darauf zu antworten. Ich würde es für sehr viel konsequenter halten, Herr Kollege Erler, unsere Meinungsverschiedenheit nicht am Problem der Atomwaffe zu führen, sondern sie dann zu führen am Problem des grundsätzlichen politischmilitärischen Status der Bundesrepublik bzw. Deutschlands.
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Ich habe mir große Mühe gegeben, Ihre Vorschläge im Rahmen Ihrer politisch militärischen Gesamtkonzeption zu sehen. Ich gebe zu: Sie können in der Richtung argumentieren; aber nach meiner Überzeugung nur dann, wenn Sie bereit sind, die Konsequenz teinter neutralen Bundesrepublik zwischen Ost und West mitzumachen.
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Aber auf der anderen Seite sollte doch klar sein: Wenn man sich schon darum bemüht, den Atomkrieg so zu erfassen, wie er wahrscheinlich abrollt, nämlich als eine Gefährdung der ganzen Welt, dann ist es doch ein Trugschluß, mit taktischen, militärisch-politischen Erwägungen zu
kommen, die eine Differenzierung für Deutschland bedeuten würden. Ich komme zu der entgegengesetzten Konsequenz. Ich sage nein. Das gesamte Willens- und Wehrpotential der freien Welt muß zusammengespannt werden, um einen solchen militärischen Konflikt - es ist übrigens gleichgültig, Herr Erler, ob er mit konventionellen oder mit Atomwaffen entbrennt - von vornherein unmöglich zu machen.
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- Nein, das möchten wir nicht.
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- Mir liegt gar nichts am Wettrüsten. - Ich fürchte, daß die Hörer am Radio Ihren Einwurf nicht verstanden haben. Deshalb will ich ihn hier wiederholen. Es wird mir hier zugerufen, daß das zum Wettrüsten führen würde. Meine Damen und Herren, das l st das Problem nicht, sondern hier geht es vielmehr um das Gleichgewicht der Kräfte, von dem her allein die Abrüstungsverhandlungen eine Chance haben.
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Glauben Sie denn, daß die freie Welt in London noch eine Chance hat, wenn die Russen von vornherein wissen, daß sie auf jeden Fall und in allen vorkommenden Möglichkeiten 'die Stärkeren sind? Das glaube ich nicht!
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Es ist kein Zweifel - lassen Sie mich damit dieses Kapitel jedenfalls für meine Person zum Abschluß bringen -, daß die militärische Anwendung der Atomkraft der Menschheit in der Tat - da ist kein Wort zuviel gesagt -den 'direkten Weg in die Hölle eröffnet. Die friedliche Anwendung der Atomenergie wird die Ende zwar nicht zu einem Himmel machen - das glaube ich auch nicht -, aber sie kann menschenwürdiges Leben für die rapid wachsende Bevölkerung der Erde tatsächlich ermöglichen.
Wenn die Atombomben überhaupt einen Sinn haben, dann kann er doch nur darin liegen, den Krieg, jedenfalls den großen Krieg nicht nur zu ächten. Nach dem ersten Weltkrieg haben die Leute gemeint, man könne allein mit einem moralischen Postulat die Dämonien in der Menschheit zum Schweigen bringen. Ein großer Irrtum! Vielleicht haben wir nach dem zweiten Weltkrieg eine Chance mehr, weil dem moralischen Postulat die fürchterliche Drohung der Atomwaffe an die Seite tritt und es damit vielleicht möglich wird, den Krieg nicht nur zu ächten, sondern real zu verhindern und damit im übrigen nicht nur die Atomwaffenrüstung, sondern auch den weiteren irrsinnigen Ausbau der konventionellen Rüstung einzudämmen. Natürlich liegt uns gar nicht daran, etwa nur die Atomwaffenrüstung abzubauen. Meine Damen und Herren, da muß übrigens noch ein Wort zu den B- und C- Waffen gesagt werden. Sie sind mindestens ebenso scheußlich, grausig und indiskutabel wie die Atomwaffen. Worauf kommt es uns denn an? Uns kommt es doch darauf an, die ganze Geschichte in einer solchen Verbindung zu sehen, daß wir möglichst auch die Stalinorgeln und die anderen entsprechenden fabelhaften Neuigkeiten,
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die es vielleicht auf der westlichen Seite der Well gibt und die unter dem harmlosen Namen der konventionellen Waffen laufen, niederhalten. Kurz und gut, uns geht es dabei einfach darum, die große Kriegsmaschinerie zu neutralisieren, sie zu sterilisieren und sie nutz- und sinnlos zu machen. Dies kann ich sage: kann - der große weltgeschichtliche Sinn der Atomenergie und ihrer Anwendung im militärischen Bereich sein.
Eine letzte Frage in diesem Zusammenhang. Sie ist heute nicht angeschnitten worden, aber ich möchte nicht, daß sie einfach unter den Tisch fällt. Muß man nicht auch dem großen Apparat der NATO mißtrauen, mindestens insofern, als seine organisatorische Selbstmächtigkeit dem Friedenswillen seiner Träger entlaufen könnte? Nun, jedermann weiß oder kann wissen, daß die NATO nicht nur ihren Grundsätzen, sondern auch ihrer Organisation nach keine Kreuzzugsorganisation, sondern ein reines Verteidigungsschutzsystem ist. Ich meine, kein Gerechtdenkender sollte sich der Macht der Tatsache entziehen, daß die NATO samt und sonders von parlamentarisch kontrollierten Rechtsstaaten getragen wird. Der Hinweis zu diesem Punkt in der Erklärung des Bundesverteidigungsministers ist ganz zweifellos von Bedeutung. Denn diese Kontrolle hat zur Folge, daß im Unterschied zu der unerhörten Machtkonzentration der totalitären Diktatur des Ostens im Bereich des Nordatlantikpaktes eine vielfältige Verteilung und durchgreifende Kontrolle der Macht stattfindet. Wenn man sich jedenfalls schon mit der Frage befaßt, von welcher Seite überhaupt der Angriff denkbar wäre, dann darf man an einer solchen Vergegenwärtigung nicht vorbeigehen. Ich habe mit Genugtuung gesehen, daß diese Überlegung von zwei evangelischen Theologen, den Herren Thielicke und Zahrnt, in die öffentliche Diskussion eingeführt wurde. Ich freue mich, daß damit in einer qualifizierten Weise der in manchen Kreisen beliebt gewordenen böswilligen oder gedankenlosen Gleichsetzung von Ost und West widersprochen worden ist.
Ich fasse zusammen. Eine schon heute beschlossene grundsätzliche Ablehnung der atomaren Waffen für die Bundeswehr und ein formell mögliches - damit haben Sie Recht, Lord Ismay hat es bestätigt - etwaiges Verbot der Stationierung atomarer Waffen in der Bundesrepublik hieße Ablehnung der NATO durch Deutschland. Die Amerikaner haben sich verpflichtet, im Falle eines Angriffs gegen Westberlin oder die Bundesrepublik ihr eigenes Blut einzusetzen. Da die Männer im Kreml dies wissen, haben sie es bisher nicht gewagt, unseren Frieden zu stören, jedenfalls nicht von außen und mit Gewalt. Können wir, frage ich, nun von den Amerikanern erwarten, daß sie unsere Sicherheit garantieren, wenn wir ihnen gleichzeitig zumuten, diese ihre Söhne nicht mit den wirksamsten vorhandenen Waffen unter ihrer eigenen Verantwortung auszurüsten? Wir verlangen es ausdrücklich doch gar nicht, es fällt uns gar nicht ein; wir würden damit vielleicht unsere Kompetenzen überschreiten. Aber können wir ihnen das, wenn sie es unter ihrer eigenen Verantwortung zur Durchführung der von ihnen gewährten Sicherheitsgarantie an die Bundesrepublik zu tun für richtig und notwendig halten, denn verbieten? Ich glaube nicht, daß wir das tun können, jedenfalls so lange nicht, wie die
Amerikaner die Hauptlast der Verteidigung der Bundesrepublik tragen, und das tun sie zumindest im gegenwärtigen Augenblick noch immer. Vielleicht ändert sich im Laufe der Zeit einiges daran, wenn die versprochenen 12 Divisionen der Bundeswehr stehen, neue waffentechnische Entwicklungen die Bedeutung des Vorfeldes der Verteidigung verringern, vor allem aber - und damit kommen wir immer wieder auf den Kernpunkt zurück -, wenn die Abrüstung wirksam zu werden beginnt. Wir können nur hoffen, daß dieser Tag kommt und daß weder die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet zu werden braucht, noch unsere Bundesgenossen Atommunition oder Atomverbände auf unserem Boden zu stationieren brauchen.
Ich möchte es sachverständigeren Sprechern des Hauses überlassen, welche Konsequenzen sich daraus für die Ausstattung der Bundeswehr mit konventionellen Waffen ergeben. Sicher scheint mir, daß die kontrollierte Abrüstung aller Atomwaffen verbunden werden muß mit der kontrollierten Abrüstung auch der konventionellen Waffen und der Begrenzung der Truppenstärke, eine Aufgabe - ich sage das noch einmal -, an der sich die Vereinten Nationen wieder aufzurichten vermögen.
Aber statt in Bereiche zu schweifen, in denen wir Deutsche wie in den Vereinten Nationen keine Stimmen haben, möchte ich lieber bei uns selber bleiben und einige Vorschläge machen, die mir mit meinem Laienverstand realisierbar erscheinen.
Erstens möchte ich vorschlagen, daß die Bundesregierung einen Beirat für Fragen der Atomwaffen beruft. Ich hoffe, daß meine Fraktion sich bereit findet, das aufzunehmen. Dieser Beirat für Fragen der Atomwaffen sollte etwa aus 12 Personen bestehen, Wissenschaftlern, Politikern, Militärs, Männern des öffentlichen Lebens. Ich denke, daß es Aufgabe dieses Beirats sein sollte, nicht nur hinter verschlossenen Türen zu tagen und dort Geheimnisse in tiefer Brust zu vergraben, sondern ohne Zeitverlust das einschlägige Material, darunter auch das der bisherigen Abrüstungsverhandlungen im Bereich der Vereinten Nationen, zu studieren, zu sichten und die Ergebnisse dieser Untersuchungen laufend bekanntzugeben. Es ist wichtig, daß das deutsche Volk mehr als seither weiß, was sich eigentlich im internationalen Bereich in dieser Sache tut.
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Wir drucken so viele Sachen. Warum sollen wir nicht auch einmal etwas drucken, was wirklich für alle von Wichtigkeit und Bedeutung ist? Wir sollten mit einer Sammlung der wichtigsten Texte und Dokumente jedermann die Möglichkeit zur eigenen Information in die Hand geben.
Der zweite Vorschlag, den ich hier machen wollte, ist durch eine Erklärung, die mir der Herr Atomminister gestern zugehen ließ, offenbar erledigt. Ich war der Meinung, daß wir unsere Wissenschaftler, unsere Atomphysiker - auch diejenigen, die erklärt haben: Nein, für militärische Sachen sind wir nicht zu haben - bitten sollten, ihre Kunst und Wissenschaft dafür zur Verfügung zu stellen, daß weitere feinste Detektoren entwickelt werden können, d. h. also Instrumente, mit denen Atomexplosionen im ge({8})
samten Bereich der Welt zuverlässig kontrolliert werden können. Der Herr Atomminister hat mir gestern sagen lassen, daß diese Detektoren bereits entwickelt seien, daß man über sie verfüge. Ich glaube, der Herr Kollege Erler hat es heute morgen bestätigt, indem er gesagt hat, daß man unweigerlich Atomexplosionen feststellen könne; mir war nicht ganz klar, ob das nur für die großen Waffen oder ob das auch für die taktischen Atomwaffen gilt. - Herr Kollege Erler, bitte sagen Sie etwas, wenn es der Herr Präsident erlaubt.
Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, das galt für alle Waffen, die radioaktive Auswirkungen haben, und das sind gerade die, deren Versuche für die Menschheit so schädlich sind.
Ich bedanke mich.
Es besteht ja kein Zweifel darüber, daß es für die Frage, ob man überhaupt zu einer durchgreifenden Atomkontrolle kommen kann, von großer Bedeutung ist, ob es Möglichkeiten der Kontrolle im Erdmaßstab, im Weltumfang gibt. Wenn das also schon da ist, um so besser.
Aber schließlich stehe ich hier auf meinen eigenen Füßen, und sage nun drittens folgendes. Ich möchte auch von mir aus noch einmal wiederholen, was ich schon vor vierzehn Tagen in der „Stuttgarter Zeitung" gesagt habe. Ich möchte auch von hier aus noch einmal den Vorschlag machen, darauf hinzuwirken, daß die Atommächte innerhalb der NATO von weiteren experimentellen Atomexplosionen absehen, jedenfalls solange die andere Seite keine Atomexplosionen vornimmt. - Noch eine Frage hierzu? Bitte sehr.
Da diese Forderung übereinstimmt mit dem Abschnitt I des sozialdemokratischen Antrags, darf ich doch diesen Appell dahin auslegen, daß Sie damit Ihrer Fraktion die Annahme von Abschnitt I des SPD-Antrags *) empfehlen.
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Herr Abgeordneter Erler, Sie lassen keine Chance aus. Aber da wir es heute schon mit Weltstrategie und mit existentiellen Fragen der Menschheit zu tun haben, sollen Sie auf Ihre Frage auch eine offene Antwort haben. Ich sehe nicht, warum man dem nicht zustimmen soll. Wenn meine Fraktion anderer Meinung ist, dann werde ich das hinzunehmen wissen; aber hier vertrete ich jedenfalls das, was ich in dieser Sache für richtig halte.
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Ich kann mir vorstellen, daß es andere begründete Auffassungen gibt. Ich denke z. B., daß sich der Herr Außenminister darüber nicht ganz so ungehindert und ungeschützt äußern möchte, wie ich das tue. Aber ich mache hier von meinem Recht als Abgeordneter Gebrauch. Sehen Sie, Herr Kollege Erler, das ist - das zu sagen möchte ich mir doch nicht verkneifen - wirklich der Vorteil der repräsentativen Demokratie - Grundgesetz Artikel 38 -; von dem wollen wir doch auch einen Genuß haben. Ich wende ihn an und sage: so wollen wir das machen!
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*) Siehe Anlage 3
Mit Freuden habe ich auch gehört, daß der Herr Vizepräsident des Roten Kreuzes heute hier dem Haus gesagt hat, daß das Rote Kreuz - ich nehme an: das Internationale Rote Kreuz - in New Delhi ein Verbot der Atomwaffen in seine Konvention aufzunehmen beabsichtigt. Ich würde auch das begrüßen, wie wir überhaupt denkbar frei und offen alles tun sollten, was immer irgendwo in der Welt dazu angetan ist, um dieser fürchterlichen Bedrohung der Menschheit sei es die Kanten zu nehmen, sei es sie wirklich zurückzudrängen. Sicher wird das mit dem Verbot der Atomwaffen in der Rotkreuzkonvention nicht getan sein. Sicher bleibt bei uns, bei den Politikern, und den Staatsmännern der internationalen Politik doch die weitaus größere und schwerere Verpflichtung und Verantwortung. Aber man soll auch das Kleine nicht versäumen, wenn man das Große will. Ich glaube jedenfalls, daß in diesen Vorschlägen vernünftige Ideen stecken und daß der Herr Bundeskanzler sie aufnehmen könnte und an ihre Verwirklichung herantreten könnte kraft des Vertrauens, das er in der freien Welt genießt.
Aber da wir schon beim Herrn Bundeskanzler sind, erlauben Sie mir doch noch eine Bemerkung zu der Diskussion von heute früh. Bei dieser Diskussion ist mir eine Bemerkung eingefallen, die auch Herr von Weizsäcker neulich hier vor den Bonner Studenten getan hat. Herr von Weizsäcker hat nämlich kürzlich gesagt, daß gegen die Richtigkeit des politischen Kalküls des Herrn Bundeskanzlers gar nichts einzuwenden sei.
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Aber der Herr Professor hat geltend gemacht, der Einwand der Achtzehn sei aus dem Glauben hervorgegangen, daß die Welt mit dem politischen Kalkül allein vor der atomaren Selbstvernichtung nicht zu retten sei und daß es Dinge gebe, die nicht zum Gegenstand eines politischen Kalküls gemacht werden dürften.
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- Meine Herren, ich würde doch hier Beifall empfehlen, jetzt nicht für den Sprecher, sondern für den Herrn von Weizsäcker.
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Denn wer könnte Herrn von Weizsäcker darin nicht zustimmen? Ich möchte es jedenfalls tun.
Aber ich möchte mir erlauben hinzuzufügen: Es darf auch nicht vergessen werden, daß genau dasselbe, was die Achtzehn für sich, ihr Gewissen, die Sorgsamkeit ihrer Überlegung in Anspruch nehmen, auch wir nicht minder für uns und unsere Überlegung in Anspruch nehmen können.
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Heute früh hat der Herr Kollege Schmid gesagt, man könne doch zu den Achtzehn das Zutrauen haben, daß sie politisch richtig handelten. Gewiß, Herr Kollege Schmid, warum nicht? Warum sollen die Achtzehn nicht zu dieser politischen Konsequenz kommen?
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- Man hat es ihnen abgesprochen? Ich habe es ihnen nie abgesprochen!
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- Ich bin also jetzt in diesem Augenblick wirklich kein Bundestagspräsident, aber ich fühle mich in der gleichen Situation, hier den Unterschied betonen zu müssen, obwohl mir nicht deutlich geworden ist - ({9})
- Hören Sie, ich bin Ohrenzeuge der Erklärung gewesen, die der Herr Bundeskanzler in Eichholz abgegeben hat. Ich muß wirklich sagen, ich habe es nicht für eine gute Sache gehalten, daß irgend jemand in der Presse behauptet hat, der Herr Bundeskanzler hätte die Achtzehn abgekanzelt. Das ist nicht der Fall gewesen. Er hat sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Leute nicht von der Empfehlung des Bundesverteidigungsministers Gebrauch gemacht haben und zu ihm gekommen sind. Ich sehe nicht, warum er das nicht tun sollte. Ich fand in dieser - ({10})
- Nein, meine Damen und Herren, ich fand in dieser Haltung - das muß ich dann doch sagen - nun wirklich nichts Unehrerbietiges von seiten des Mannes, der die Richtlinien der Politik bestimmt, gegenüber den Vertretern der deutschen Kunst, des deutschen Geistes und der Wissenschaft.
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Aber damit Frieden und Klarheit ist: Ich sage ausdrücklich, ich stimme mit dem Herrn Professor Carlo Schmid darin überein, daß ich auch nicht einsehe, warum man zu den Achtzehn nicht das Zutrauen haben sollte, daß sie politisch richtig handelten.
Aber, Herr Kollege Schmid, indem wir das so aussprechen, sagen wir noch lange nicht, daß jede andere politische Konsequenz nicht ebenso sittlich verantwortet, nicht ebenso gründlich überdacht sei.
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Man kann zu den Achtzehn durchaus dieses Vertrauen haben und dennoch zu total anderen politischen Ergebnissen kommen;
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denn andere Leute haben ihr eigenes Gewissen, und das braucht nicht schlechter zu sein, und sie haben ihr eigenes politisches Denken, das auch nicht schlechter zu sein braucht. Kurz und gut, so kommen Menschen zu verschiedenartigen Konsequenzen.
Ich glaube also nicht, daß wir uns an diesem Punkt noch länger das Leben schwermachen sollten. Wir beabsichtigen in keiner Weise, in irgendeiner Hinsicht irgendeinem deutschen Staatsbürger
- selbst wenn er noch nicht einmal den hohen Rang eines Atomphysikers oder eines Nobelpreisträgers hat - das Recht auf ein politisches Urteil abzusprechen. Wir werden auch dem ärmsten deutschen Knecht nicht absprechen, daß er seine Meinung sagt, selbst wenn er sie nicht so artikuliert und so formvollendet vortragen kann, wie es die Achtzehn getan haben. Nur keine Diskreditierung! Das einzige, was wir möchten: wir möchten damit nicht selber diskreditiert werden, Herr Kollege Schmid.
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- Nein, Sie haben es nicht getan, das habe ich ausdrücklich gesagt; aber ich möchte nun, daß wir
uns über diesen Punkt verständigen und uns dabei keine Schwierigkeiten bereiten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nur sagen, daß das, was der Atomphysiker von Weizsäcker unser „politisches Kalkül" nennt, natürlich nicht nur der Ausdruck einer taktisch-rationalen Überlegung ist, einer Überlegung, die beliebig gewechselt werden könnte. Nein, dieses „politische Kalkül" ist der auch von uns unablässig geprüfte Ausdruck - es fällt mir etwas schwer, das hier zu sagen -, es ist der geprüfte Ausdruck des Gewissensernstes, mit dem wir es uns nicht leicht machen, unsere Politik zu treiben.
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Und es ist auch der Ausdruck - ich glaube, meine Herren, das sollten Sie akzeptieren, selbst wenn unsere Konsequenzen falsch wären - eines Friedenswillens und es ist der Ausdruck eines Rechtsbewußtseins, in dem wir mit Ihnen einig sind. Es ist der Ausdruck eines Friedenswillens und eines Gewissensernstes, von dem ich glaube, daß er dem unserer Kritiker nicht nachsteht.
Wir achten jeden Ausdruck des Gewissensernstes und sind bereit, jeden Vorschlag für einen besseren Weg zum Frieden der Welt, zur Freiheit und Einheit Deutschlands zu prüfen. Aber, meine Damen und Herren, wir reichen unsere Hand zu nichts, was nach unserer Überzeugung dazu angetan ist, den Zusammenhalt der freien Welt zu gefährden, Deutschland zu isolieren und es der Gefahr der Versklavung zu unterwerfen,
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und das möglicherweise auch noch, ohne die Welt in Tat und Wahrheit von der Angst vor dem Atomtod damit befreien zu können.
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Darum sind wir den Verlockungen zu einfacheren, zu leichteren, zu populäreren Wegen in dieser Frage der Freiheit und des Lebens jedenfalls mit dem Maß an gewissenhafter Vorsicht und Verantwortung gegenübergetreten, das uns hier noch mehr als sonst geboten scheint. Wir haben daran auch - und wir werden das auch in Zukunft tun - die Macht gewagt, die uns das Vertrauen des deutschen Volkes im Jahre 1949 und im Jahre 1953 gegeben hat.
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Das gebieten Pflicht und Gewissen in einer parlamentarischen Demokratie auf jeden Fall. Denn welchen Sinn hätte sie, wenn die Nation nicht davon überzeugt sein könnte, daß ihre Regierung und 'die Kräfte, die sie tragen, nicht nur das scheinbar Populäre und Leichte tun, sondern das, was dem Volk auf die Dauer nach unserer Überzeugung allein zum Segen gereicht?
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Die apokalyptische Vision des Atomtodes dieser Erde könnte dazu führen, daß die Menschheit in der Tat verzagt und resigniert, daß sie sich mit der Unabwendbarkeit einer solchen Entwicklung abfindet und ihr den Lauf läßt. Nun, es steht nirgends geschrieben, daß diese unsere Erde ewig grünen werde. Die meisten großen Religionen und großen Denksysteme der Menschheit treffen sich im Gegenteil in der Annahme der Endlichkeit unserer Welt. Doch dies liegt bei Gott. Sein ist Plan und Zeit. Wir können nur sagen: Solange wir
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auf dieser Erde wandeln, sind wir entschlossen, in treuer Liebe zu allem, was heranwächst, zu unseren Kindern, zu unseren Freunden, zu Tier und Pflanze, alles daranzusetzen, um die Gefahr zu bannen, die menschlicher Geist und Wille heraufbeschworen haben.
Meine Damen und Herren! Heute geht es in diesem Hause nicht darum, den Beschluß zu fassen, die Bundeswehr mit Atomwaffen auszustatten. Heute geht es darum, der Angst zu widerstehen, die nach uns greift und die uns den Blick verdunkeln will für die Möglichkeiten - die realen Möglichkeiten -, die Deutschland in der Gemeinschaft der freien Welt heute gegeben sind. Freiheit, Frieden, Abrüstung, Einheit für uns und die friedenswilligen Völker der Welt - das alles sind doch keine Traum- und Truggespinste! Nein, das sind reale Möglichkeiten für uns und für unsere Kinder. Aber sie müssen - darin stimmen wir völlig überein - verwirklicht werden. Sie werden - das ist unsere Überzeugung, und darin trennen sich, glaube ich, heute unsere Wege - nicht verwirklicht
wenn wir Beschlüsse fassen, mit denen wir heute nichts, gar nichts gewinnen können, sondern mit denen wir uns einstweilen nur selber im Wege stünden.
Und die Einheit Deutschlands - nun, wir haben oft vielleicht etwas zu formelhaft gesagt: in Frieden und Freiheit. Ja, in Frieden, nicht anders denn in Frieden! Auch darum Abrüstung, Abrüstung auf der ganzen Linie und mit möglichst radikalen Konsequenzen! Aber auch in Freiheit, darum keine einseitige Abrüstung, kein Verzicht ohne klare greifbare Gegenleistung der anderen Seite!
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Meine Damen und Herren, zu Beginn des Sommersemesters 1867, also vor genau 90 Jahren, hat
der Professor Jacob Burckhardt an der Universität
Basel in dem Vorlesungsverzeichnis seiner Universität eine der großen Vorlesungen angekündigt,
die nachmals seinen geschichtlichen Ruhm begründet haben. Jacob Burckhardt sagte damals:
Hier kommt es darauf an, wie unsere Generation Probe halten wird. Es können Zeiten des Schreckens und tiefsten Ernstes kommen. Wir möchten gern die Welle kennen, auf welcher wir im Ozean treiben. Allein wir sind diese Welle selbst. Aber zum Untergang ist die Menschheit noch nicht bestimmt, und die Natur schafft so gütig wie jemals. Wenn aber beim Elend noch ein Glück sein soll, so kann es nur ein geistiges sein: rückwärts gewandt zur Rettung der Bildung früherer Zeit, vorwärts gewandt zur heiteren und unverdrossenen Vertretung des Geistes in einer Zeit, die sonst gänzlich dem Stoff anheimfallen könnte.
Das war vor 90 Jahren. Nun, wenn die Christlich-Demokratische und die Christlich-Soziale Union heute im Anblick noch größerer Gefahren gefragt wird nach dem tragenden Grund ihrer Politik und nach ihrem Gewissen in dieser Frage, dann kann sie diesem Wort Jacob Burckhardts nur hinzufügen, daß sie des Glaubens ist, daß Gott es den Aufrichtigen gelingen läßt, die die gerechte Sache ihres Volkes vertreten möchten. So jedenfalls gedenkt die CDU/CSU Probe zu halten.
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Meine Damen und und Herren! Die Aufmerksamkeit des deutschen Volkes an Rundfunk und Fernsehen scheint so groß zu sein, daß als Niederschlag dieses Interesses bereits ein Telegramm hier eingegangen ist mit der Bitte, an einen Redner, der schon gesprochen hat, noch eine bestimmte Frage zu stellen. Ich werde dieses Telegramm nicht im einzelnen bekanntgeben, ich werde selbstverständlich auch die Frage nicht stellen: denn zu debattieren hat nur dieses Haus. Aber ich darf vielleicht darauf hinweisen, daß es nützlich ist, wenn der Ernst und die Würde, mit der die Diskussion bisher geführt worden ist, auch weiterhin bleiben, damit das deutsche Volk, das so großes Interesse nimmt, nicht enttäuscht ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen Herren! Ich erlaube mir, die Auffassung der Fraktion der Freien Demokratischen Partei zur vorliegenden Großen Anfrage und zur Regierungserklärung darzulegen. Lassen Sie mich zunächst mit einigen Bemerkungen zur formellen Seite der heutigen Debatte beginnen und dann in die materielle Wertung eintreten.
Als der Bundestagspräsident Dr. Gerstenmaler sich in seiner Eigenschaft als Mitglied dieses Hauses zum Rednerpult begab, habe ich immer noch gewisse Bedenken gehegt, ob es gut ist, daß der zweite Mann dieses Staates, der Parlamentspräsident, sich in den politischen Meinungsstreit begibt. Ich ;gehöre zu denen, die trotz mancher Enttäuschung in .den acht Jahren parlamentarischer Tätigkeit hier im Bundestag immer noch an eine geistesgeschichtliche Grundlage des heutigen Parlamentarismus glauben. Bei manchen Entwertungen der modernen Parlamente ist immer noch das Parlament der höchste Träger der Souveränität in der parlamentarischen Demokratie und soll es bleiben, und sein Präsident als der zweite Mann soll tunlichst über allem Streit stehen.
Der Präsident hat auch in Verfolg dieser Tendenz zweieinhalb Jahre nicht das Wort ergriffen. Ich muß nunmehr nach der Rede des Abgeordneten Dr. Gerstenmater sagen: ich bin ihm dankbar, daß er nach zweieinhalb Jahren diesem Parlament ein Beispiel dafür gegeben hat, wie man in diesem Hause argumentieren soll.
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Seit Stunden - und das hat der amtierende Präsident soeben bestätigt - empfindet nicht nur dieses Haus, empfindet auch das Volk, das durch die Mittel der Technik daran teilnehmen kann, daß die geistige Grundlage des Parlamentarismus jener diskursive Vorgang von Rede und Gegenrede, von Argument und Gegenargument ist mit dem Ziel, die relativ beste und richtigste Lösung zu finden. Absolute Lösungen gibt es nur im Bereich der exakten Wissenschaft. Was in der Politik jeweils die richtige Lösung ist ,das bestimmt erst viele Jahre oder Jahrzehnte später ,das Urteil der Geschichte. Was wir tun können, ist nur, um die relativ beste Lösung zu ringen tin der Hoffnung, daß sie dann auch die absolut richtige im Urteil der Geschichte sein wird.
Der Vorsitzende der Freien Demokratischen Partei hat vor Wochen in einer Rede in SchwäbischHall, im Wahlkreis des Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier, darauf hingewiesen, daß diese
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Schicksalsfrage Ides deutschen Volkes nicht Gegenstand des Wahlkampfes sein darf. Denn es geht hier urn mehr als um die Frage, welche Kombinationen und Koalitionen nach dem 15. September möglich sind. Es geht hier wahrlich um die Frage des Überlebens unseres Volkes und der Menschheit in dieser apokalyptischen Schau, die die Technik vor uns aufrichtet. Ich teile völlig die Auffassung meines verehrten Herrn Vorredners und sehe sie als eine Bestätigung des Bundesvorsitzenden Dr. Reinhold Maier, ebenfalls eines Schwaben, der im gleichen Schwäbisch-Hall dazu die gleiche Auffassung vertrat.
Hat der Bundestag immer in der gleichen Form debattiert, wie wir es heute tun? Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige kritische Bemerkungen an uns alle richten. Wie oft hat man an die Stelle sachlicher Argumentationen politischpersönliche Diffamierungen gesetzt, und wie oft hat man leider versucht, Argumente zu entwerten durch Abwertung der Personen, die sie vorgetragen haben. Und dann gab es jeweils das hysterische Geschrei auf dieser oder auf jener Seite. Der Verlierer im Ansehen der öffentlichen Meinung war jedesmal der ganze Deutsche Bundestag.
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Es ist erfreulich, daß wir heute, jedenfalls bisher, nicht rückfällig geworden sind.
Hat der Bundestag auch rechtzeitig mit dem genügenden Ernst die Frage, die heute zur Debatte steht, behandelt? Wie leidenschaftliche Debatten haben wir um das Ladenschlußgesetz geführt, um jenes blamable Gesetz des 2. Deutschen Bundestages! Wie hat das Haus die Frage erregt, ob im Rahmen eines Preistreibereiparagraphen im Wirtschaftsstrafrecht der Staatsanwalt die Brötchenpreise als angemessene oder unangemessene Preise nachkalkulieren darf! Die Schicksalsfrage, die heute zur Debatte steht, mußte leider erst von außen an dieses Haus herangetragen werden.
Im Grunde genommen verdanken wir die Mobilisierung der öffentlichen Meinung, verdanken wir diese Auseinandersetzung, die längst überfällig ist, jener Aktion der deutschen Wissenschaftler, jenem Göttinger Manifest; wir verdanken sie jenen aufrüttelnden Worten Albert Schweitzers, wir verdanken sie dem Appell Seiner Heiligkeit des Papstes Pius XII.
Welche Reaktion hat es gegeben, als sich die Wissenschaftler an die Öffentlichkeit wandten? Der Herr Bundeskanzler hat heute vormittag einige Erläuterungen gegeben, die uns nicht befriedigt haben. Bei aller Verehrung, die jedermann schon aus Gründen des Respekts vor der physischen Leistung des Herrn Bundeskanzlers empfindet, aber, Herr Bundeskanzler, so durften auch Sie nicht im ersten Arger - die Presse verzeichnete, daß Sie diese Aktion sehr ärgerlich zur Kenntnis nahmen - 18 hochverdiente deutsche Wissenschaftler werten! Hoffentlich war es nur ein Mißverständnis, aber die gesamte Darstellung, wie sie die Presse brachte, war leider ¡die einer abwertenden Reaktion, die man bei Ihnen nun einmal festgestellt zu haben glaubte. Wäre es vielleicht nicht besser gewesen, daß der in diesem Augenblick neben Ihnen stehende Berater - ich weiß nicht, wer das war; mancher erfreut sich hoher, mancher weniger hoher Gunst - Ihnen jenes Wort Voltaires auf einem Zettelchen zugesteckt hätte: „Ich mißbillige schärfsten das, was Sie sagen, aber ich will das Recht, daß Sie es sagen dürfen, mit meinem Leben verteidigen." Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß nach den Erklärungen des Kanzlers niemand mehr den Verdacht hat, daß durch derartige sofortige Reaktionen etwa die Meinungsfreiheit bei uns relativiert werden sollte.
Noch etwas schärfer war die Reaktion bei dem mir persönlich sehr sympathischen und schätzenswerten, ich möchte einahe sagen, Jahrgangskollegen, dem Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß. Bei aller Nachsicht, die wir lin den Vierzigern verdienen - man hat natürlich nicht die Zügelung des Temperaments eines Achtzigjährigen oder der verehrten Frau Kollegin Lüders -, mir schien die Reaktion des Verteidigungsministers falsch zu sein, als er die Erklärung der Atomwissenschaftler als - sei es auch fahrlässige, unbewußte - Schützenhilfe für die kommunistische Propaganda werten zu können glaubte. Man muß sich daran gewöhnen, daß auch 'eine andere und eine dritte und eine vierte Auffassung in Deutschland vertreten werden kann, ohne daß eine Seite allein für sich das Monopol beansprucht, antikommunistisch zu handeln. Es wäre gefährlich, wenn bei uns die Tendenz überhand nähme, CDU gleich Staatspartei gleich Demokratie gleich Staat und Kritik an der CDU -gleich Kritik an diesem Staat zu setzen, und wenn man diese Kritik in die Nähe verfassungsfeindlicher oder kommunistischer Umtriebe rücken wollte. Das gilt ebenso, wenn eine andere Partei in der gleichen Mehrheit ein ähnliches Monopol für sich beanspruchen wollte.
Wir freuen uns, daß die öffentliche Meinung doch ein Faktor ist. Wenn jemals ein Beweis dafür angetreten werden konnte, so ist er angetreten. Die öffentliche Meinung wirkt regulierend und korrigierend. Es stimmt, was der ebenfalls in Göttingen tätig gewesene Professor Leonard Nelson einmal gesagt hat: Der beste Anwalt des Kleinen, des Unterdrückten, des Schwachen ist die öffentliche Meinung. Die öffentliche Meinung hat es zuwege gebracht, daß die ersten harten Reaktionen des Herrn Bundeskanzlers, des Herrn Verteidigungsministers und der CSU-Korrespondenz, die heute hier schon zitiert wurde, erheblich verändert wurden und man auf eine wesentlich ruhigere Beurteilung des Schrittes der 18 Professoren und der anderen zurückwich.
Uns Freie Demokraten interessiert in diesem Zusammenhang auch eine Frage zum Formellen. Wir haben einen ehrenwerten Mann, der für das Ressort der Atomenergie die Verantwortung trägt. Ich weiß im Augenblick nicht, ob er Mitglied des Hauses ist. Aber er ist Bundesminister und Mitglied dieser Regierung. Ich weiß, daß dieser Herr Bundesminister sehr mannhaft in seiner Fraktion seinen Standpunkt vertreten hat. Dafür gebührt ihm unsere Hochachtung.
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Wie wäre es, wenn auch das Haus die abweichende Meinung seines Ressortministers zu dieser Fachfrage erfahren könnte?
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Der Bundeskanzler bestimmt die Richlinien der Politik. Aber innerhalb dieser Richtlinien bestimmt jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbst verantwortlich. Der ehrenwerte Herr Bundesatomminister Professor Dr. Balke ist im Sinne des Grundgesetzes und des Eides, den er geleistet hat, auch diesem Haus verantwortlich, und wir sollten hören, was er uns in dieser Schicksalsfrage zu sagen hat.
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Nun zu der materiellen Frage! Bei dieser Gelegenheit werde ich auch ,die von dem Herrn Vorredner, dem Abgeordneten Dr. Gerstenmaier, an die Freien Demokraten gestellten Fragen beantworten. Wir Freien Demokraten haben, anders als die Sozialdemokraten, die Verträge in diesem Haus mit angenommen. Wir stehen zu ihnen und würden, wenn wir noch einmal in der gleichen Situation wären, nicht anders handeln. Wir haben seit 1949 den Beitritt zum Straßburger Europarat, zur Montanunion, zur EVG, die an der Assemblée Nationale scheiterte, zur Westeuropäischen Union und zur NATO mitverantwortet und wir bleiben bei dieser Verantwortung. Wir haben in Verfolg dieser Verpflichtung auch sämtliche Wehrgesetze - mit einer Ausnahme - in diesem Haus mit angenommen und wir haben sämtliche Haushalte, die zum Aufbau der Bundeswehr Milliarden beitrugen, mit unseren Stimmen ebenso verantwortet, wie wir auch den in den nächsten Tagen zur Debatte stehenden Haushalt des Bundesverteidigungsministers, Einzelplan 14, annehmen werden.
Sie sehen also: unsere Opposition ist anders als die der Sozialdemokraten. Die Sozialdemokratische Partei hat seit 1949 all diese Verträge abgelehnt. Es gibt also hier keine Opposition als bundesrepublikanischen Oppositionseintopf, sondern wir legen darauf Wert - und die Sozialdemokraten wie der BHE legen mit Recht darauf Wert -, daß sich unsere Opposition von ihrer unterscheidet. Insofern ist die Frage, die Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier stellte, ebenso unrichtig gewesen wie die Gleichsetzung unserer Entschließung mit der Entschließung der Sozialdemokratischen Partei. Wäre sie gleich, dann hätten wir uns deren Entschließung angeschlossen. Im ersten Absatz allerdings stimmen wir ihr ebenso zu, wie der Herr Bundestagspräsident selber es getan hat. Da gibt es hoffentlich in diesem Hause überhaupt keinen Streit.
Wir haben auch bei den Debatten um das Wehrpflichtgesetz, um die Fragen der ganzen Gestaltung unserer Bundeswehr und der Grundgesetzergänzungen immer betont - und das gilt auch heute noch -, daß wir für unsere neue Bundeswehr in Gliederung, Ausrüstung und Bewaffnung das Modernste haben wollen, das wir bekommen können. Darum haben wir im Verteidigungsausschuß den Panzerkauf verhindert, der die deutschen Divisionen für Jahre hinaus zum Schrottabladeplatz all des alten Geräts gemacht hätte, das man anderswohin nicht verkaufen kann.
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Deswegen gehen wir jetzt auch in der Flugzeugbeschaffung andere Wege.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gern.
Verzeihen Sie, Herr Kollege Dr. Mende, habe ich Sie mißverstanden, daß Ihre Forderung materiell doch gleich ist mit der der SPD? Habe ich Sie darin mißverstanden? Zweitens: würden Sie so freundlich sein, noch ein Wort zum Integrationsproblem der NATO als Sachverständiger zu sagen?
Herr Kollege, das ist ein weites Feld, auf das ich ausführlich zu sprechen kommen werde. Ich bin erst, genauso wie Sie in Ihrer ersten Viertelstunde, beim ersten Teil.
Wir haben in den Debatten auch erklärt - und es ist in den Protokollen nachzulesen -, daß niemand sich dem technischen Entwicklungsprozeß entziehen kann, daß also die Zeit der Flakartillerie des zweiten Weltkrieges vorbei ist und daß die Zeit der Raketenabwehr, der Nike und der anderen, begonnen hat, daß die Zeit des gezogenen Rohres, also der klassischen Artillerie, zu Ende geht, daß die Zeit der Raketen beginnt, der elektronengesteuerten Raketen, daß die Zeit des bemannten Flugkörpers, d. h. also des Flugzeugs, in der Strategie zu Ende geht, weil der Mensch in seiner Physis den technischen Belastungen der hohen Geschwindigkeiten gar nicht mehr gewachsen ist, daß also der Zeitpunkt kommen wird, wo der unbemannte Flugkörper, die Rakete, die Aufgabe der früheren bemannten Luftwaffen übernehmen wird.
Ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren und nur sagen, daß es im zweiten Weltkrieg schon den Nebelwerfer auf unserer Seite und die Katjuscha, die Stalinorgel - böse Erinnerung - auf der anderen Seite gegeben hat, daß es Do-Geräte gab, die aus der vordersten ,Linie aus einfachen Gestellen mittels eines Treibsatzes verschossen werden konnten, also Raketen.
Aber niemals ist in diesem Hause und niemals ist im Verteidigungsausschuß von einem Mitglied dieses Hauses die Atomrakete für die Bundeswehr als der Weisheit letzter Schluß gefordert worden. Das ist der Unterschied. Wir glauben, daß außerdem für das zweigeteilte Deutschland andere Maßstäbe gelten als für die 14 anderen NATO-Partner. Hier antworte ich dem verehrten Herrn Vorredner; zum Teil habe ich das schon durch eine Zwischenfrage getan. Herr Abgeordneter Dr. Gerstenmaier stellte das so dar, als sei die NATO ein homogener Körper, als kenne sie keine Arbeitsteilung bei ihren Verteidigungsaufgaben und als brächten Modifizierungen eines Partners das ganze Gebäude zum Zusammenbruch. Dem ist gottlob nicht so. Denn wäre dem so, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, wäre allerdings Ihre Auffassung richtig: Zieht man einen Partner aus der allgemeinen Planung heraus, ist die Konzeption zu Ende. Zum Beweis dessen, daß das nicht so ist, folgende Feststellungen.
Erstens. Die Verträge selbst haben für das zweigeteilte Deutschland eine andere Fixierung, einen anderen Inhalt als für die 14 NATO-Partner, schon auf Grund freiwiligen Verzichts. Die Bundesregierung hat auf die Produktion atomarer, biologischer und chemischer Waffen verzichtet. Sie hat ferner verzichtet auf die Raketenentwicklung und die Geschoßproduktion über ein gewisses Maß hinaus. Es steht auf den Millimeter genau fest, welche Raketen zur Luftabwehr wir selbst produzieren dürfen, und es steht auf eine Tonne genau fest, welche Kreuzer wir haben dürfen, nämlich bis zu 3000 t und nicht höher, und wie wir unsere U-Boot-Waffe aufbauen dürfen, nämlich bis zu einer gewissen Tonnage und nicht höher. Der deutsche Beitrag zur NATO ist also bereits ein differenzierter Beitrag, der sich aus der besonderen Lage dieses Partners ergibt.
Zum zweiten hat aber die NATO selbst eine Arbeitsteilung. Uns ist immer wieder hier im
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Hause, aber auch in den Ausschüssen bekanntgemacht worden, daß sich die Vereinigten Staaten das NATO-Schwert, das nukleare Schwert, vorbehalten hätten. Das heißt, sie allein haben den strategischen Bomber, also die B 52, die sowohl in Amerika unter Führung des Generals Mc. Lemay wie auch in England und auf anderen Stützpunkten stationiert sind. Alle anderen Partner, Herr Kollege Gerstenmaier, haben diese B 52-Großbomber nicht. Dieses NATO-Schwert der nuklearen Vergeltung, der Abschreckung haben nur die Vereinigten Staaten.
Es hat auch eine gewisse Arbeitsteilung zwischen England und uns gegeben. Es ist bekannt, daß die Jagdwaffe, also die Abwehr der Luftangriffe mittlerer Ebene, im Schwerpunkt bei den Engländern und bei uns liegt. Die Engländer haben 1940 bewiesen, was für eine ausgezeichnete Jagdabwehr sie hatten.
Wir haben - ich rufe den Herrn Bundesverteidigungsminister als Zeugen an - in dieser Arbeitsteilung die Hauptaufgabe in der Bildung des Schildes gehabt. Das heißt, wir sollten durch - erst hieß es: 500 000 Mann, nachher wurde man bescheidener; die neueste Planung bis 1961 liegt weit unter 500 000 - 350 000 Soldaten jenen Schild bilden, der einen Angreifer zur Konzentration zwingen und den Vereinigten Staaten wiederum die Chance geben würde, durch Abwurf auf lohnende Ziele den Angriff schon in seiner Bereitstellung zu treffen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich nehme an, daß der Herr Abgeordnete Strauß spricht.
Sehr gern; er sitzt ja auch unten.
Herr Kollege Mende, ist Ihnen bewußt, daß Ihre vorhergehenden Ausführungen insofern einen irreführenden Eindruck hervorrufen müssen, als Sie bezüglich der Abgrenzung der deutschen Waffen im Zusammenhang mit der Arbeitsteilung und der NATO zwei Dinge verwechseln, die Produktion und den eventuellen, wenn auch eingeschränkten Besitz? Wenn die Produktion eingeschränkt worden ist, dann nicht wegen der Arbeitsteilung der Streitkräfte, sondern wegen der Arbeitsteilung in der Rüstungsproduktion und um gewisse gegen die Bundesrepublik nun einmal aus der Vergangenheit bestehende politische Bedenken wegen einer Rüstungsautarkie von vornherein auszuräumen.
Es kommt im Ergebnis doch auf die Verschiedenartigkeit heraus, ob freiwillig durch Verzicht in der Produktion oder durch Arbeitsteilung.
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Sind Sie sich darüber im klaren, daß die Aufgabe der Schildstreitkräfte - Ihnen ist ja sehr genau der Unterschied zwischen Schwert und Schild bekannt - in einem einheitlichen, integrierten, auf Defensive beruhenden Verteidigungssystem dann nicht mehr erfüllbar ist, d. h. entscheidend durchlöchert wird, wenn die Streitkräfte eines Staates anders, und zwar grundsätzlich anders ausgestattet sind, als es
in dem System beispielsweise die Streitkräfte Norwegens, Dänemarks, Belgiens, Hollands, Frankreichs und Italiens sein würden?
Auf diese Frage komme ich jetzt sofort zu sprechen. Im Jahre 1955 hatten wir genau die gleiche Frage in einer Koalitionsbesprechung an den Herrn Bundeskanzler gerichtet, und wir sind anschließend zu einer Besprechung mit den Generalen Heusinger und Speidel zusammengekommen - hier sitzen einige Zeugen des Gesprächs -; da war unsere Sorge genau die gleiche.
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- 1955! Da hatten wir genau die gleiche Sorge: wird nicht der deutsche Verteidigungsbeitrag dadurch rangmäßig abgewertet, d. h. sind wir nicht mehr oder minder nur das Fußvolk, weil wir erstens durch Produktionseinschränkungen, aber auch zweitens durch die Arbeitsteilung weder Großbomber noch Atomraketen noch Atomwaffen bekommen? Da haben die beiden Fachleute uns erklärt: Nein, das ist ja gerade der Sinn der Organisation des deutschen Verteidigungsbeitrages, daß sein Schwerpunkt auf jener Schildfunktion liegt. Und es hieß erstens: Bedenken Sie, daß ein Krieg nicht unbedingt gleich mit atomaren Waffen geführt werden muß; für den sogenannten klassischen Krieg - mit klassischer Bewaffnung - brauchen wir ohnehin Divisionen, zumal da ja nicht die Sowjetunion, sondern einer der Staaten Polen, Ungarn, Tschechoslowakei uns angreifen könnte oder ein Bürgerkrieg zwischen beiden Teilen Deutschlands möglich wäre. Wir haben dieses Argument des Generals Dr. Speidel abgenommen.
Zweitens sagte er: Es ist schon rein finanziell nicht möglich, eine qualitativ gleiche Rüstung wie in den Vereinigten Staaten aufzubauen, es ist auch strategisch nicht richtig; denken Sie an die Pulverlinie: schließlich müssen diese hochempfindlichen Großbomber soweit wie möglich rückwärts liegen, damit sie nicht beim ersten Vorpreschen sowjetischer Divisionen schon erreicht und zerstört werden können. Es ist ja das Wesen einer modernen Verteidigung, daß sie sich nach der Reichweite und der Schwere und der Empfindlichkeit der Waffen staffelt. Aber beide Generale versicherten uns: In der Ausrüstung unserer neuen Bundeswehr, in der Gliederung unserer Divisionen werden wir natürlich die neuesten Ergebnisse der Atommanöver der Amerikaner in Nevada verwerten; wir werden keine Riesentrosse, keine Riesendivisionen mehr haben, wir werden auf kleine und kleinste, schnell bewegliche und leicht durch Funk zu führende Verbände ausweichen. - Hier ist ein Zeuge des Gesprächs; ich bitte Sie, Herr Dehler, zu sagen: ist das so gewesen?
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Strauß?
Ich bin sehr gern bereit; allerdings geht das auf Kosten der Zeit der mir nachfolgenden Redner.
Ich hoffe, es ist die letzte. - Ist Ihnen denn auch diesmal nicht bewußt, Herr Kollege Mende, daß Sie auch hier, wenn Sie von Großbombern und stategischen Bewaffnungen sprechen, wieder zwei Dinge völlig durch({0})
einanderwerfen, da niemand von strategischer Bewaffnung der europäischen Streitkräfte der NATO spricht? Wohl aber ist für alle Streitkräfte der europäischen Nationen der NATO das Problem einer einheitlichen Ausstattung für die Erfüllung ein und derselben Aufgabe - gerade auch für Sie als Militärexperten - ein ernsthaftes Problem.
Zunächst zur Frage bezüglich des Militärexperten; der Herr Kollege Dr. Gerstenmaier sprach schon davon. Ich muß das zurückweisen. Sachverständige mit wirklich allgemeingültigen Schlüssen gibt es nur in den exakten Wissenschaften. In politischen und auch in militärischen Fragen entscheidet das Urteil der Geschichte, wessen Sachverstand wirklich Sachverstand war. Das einzige, was ich für mich in Anspruch nehme, Herr Kollege Strauß, ist, daß ich vielleicht mehr als mancher andere dieses Hauses die Fehler unserer Sachverständigen im zweiten Weltkrieg am eigenen Leibe zu spüren bekam und mit Gut und Blut Fehler bezahlen mußte, die zum Teil von den gleichen Leuten auch früher schon einmal begangen wurden, nämlich die falsche Einschätzung einer Lage, die sich dann wesentlich anders entwickelte, als unsere besten Sachverständigen es vorausgesagt hatten.
Nun zu dem Vorwurf, ich vertauschte die Begriffe. Ich darf auf dieses Argument in den folgenden Ausführungen zu sprechen kommen. Ich habe erklärt, wie verschiedenartig die Produktion, aber auch wie verschiedenartig die Aufgaben, die man verteilt hat, sind. Es läßt sich nämlich letzten Endes auch die Geographie nicht beseitigen, es lassen sich auch landsmannschaftliche und technische Verschiedenheiten nicht beseitigen. Denken Sie beispielsweise nur daran, Kollege Strauß, wie verschieden die Ausrüstung schon im Kraftfahrpark, selbst bei uns, ist. Wir sind der einzige NATO-Partner, der ein Fahrzeug mit Gemischkraftstoff und nicht ein Benzinfahrzeug mit Luftkühlung als Jeep gewählt hat. Es gibt also keinen NATO-Eintopf. Die NATO ist kein homogenes Gebilde, weder in der Produktion noch in der Planung, sondern sie ist ein Gebilde, in dem die Vielfalt geographischer, wirtschaftlicher, landsmannschaftlicher und politischer Probleme gesehen werden muß und gesehen wird. Es wäre schlimm, wenn die NATO ein Eintopf wäre. Es wäre schlimm, wenn man von Island das gleiche wie von der Türkei und von der Türkei in der Nachbarschaft zur Czakmack-Linie und an der Grenze der Sowjetunion einen gleichartigen Einsatz wie von uns verlangte.
Die Frage, ob bei einem Bewegungskrieg das Konzept völlig durcheinandergeht, wenn die Bewaffnung der Kampfeinheiten verschiedenartig ist, muß ich verneinen. Auch im zweiten Weltkrieg ist es durchaus so gewesen, daß Kampfkräfte mit verschiedenartigster Bewaffnung in einer gemeinsamen Front gemeinsame Aufgaben gelöst haben. Wie verschieden war z. B. die Bewaffnung einer rumänischen Division und die Bewaffnung einer deutschen Division!
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- Umgekehrt! - Die Bewaffnung der besonders gut ausgestatteten Spezialdivisionen unterschied sich von der mancher Reservedivision so, daß es manchmal ein Verbrechen war. Trotzdem sind gemeinsame Aufgaben durchaus lösbar gewesen.
Nun komme ich auf das zweite Argument dafür, daß die NATO kein militärpolitischer Eintopf ist, sondern daß es auch politische Verschiedenheiten gibt. Es wurde damals bei der Wehrpflichtdebatte erklärt: Gerade weil Deutschland die europäische, die kontinentale Mitte hält und damit mitverantwortlich für die nordische und für die südliche Flanke ist, müssen bei uns die Landstreitkräfte so stark sein. Der Schwerpunkt lag in der ersten Planung einwandfrei bei den Divisionen. Er hat sich jetzt etwas verlagert. Immer noch haben Divisionen eine große Bedeutung, daher 200 000 Mann Heer, jedoch nicht mehr 75 000 Mann, sondern 100 000 Mann Luftwaffe. Ich nenne runde Zahlen; ich möchte hier keine Einzelheiten bekanntgeben.
Dazu kommt, daß auch die politische Zweiteilung Deutschlands Probleme aufwirft, die nicht ohne Reflexwirkung auf die militär-strategische Planung bleiben können. Der NATO-Chef weiß durchaus, daß die seelischen Konflikte eines Soldaten, der in einem zweigeteilten Volk in die Gefahr kommen kann, auf seinen eigenen Bruder schießen zu müssen, wesentlich größer sein müssen als die Konflikte eines Volkes, das gottlob die staatliche Einheit behalten hat. Warum ist denn die Wiederbewaffnung Österreichs nach dem Leid, das Österreich in gleicher Weise wie wir erfahren hat, ohne großen Streit vonstatten gegangen? Sowohl die Österreichische Volkspartei wie die österreichischen Sozialisten sind hier völlig einig, und der Aufbau der österreichischen Bundeswehr ist ein Musterbeispiel dafür, wie man eine Armee außerhalb des parteipolitischen Streites aufbauen sollte. Dort ist es eben einfacher, weil Österreich seine staatliche, seine volkliche Einheit erhalten hat, während wir mit der grausigen Hypothek der Zweiteilung unseres Volkes belastet sind, jener Hypothek, die auf uns allen doch tief innerlich lastet.
Ich glaube also, daß das Argument, wenn wir im Rahmen der Planung anders handelten als die anderen, breche das Ganze zusammen, nicht sticht und sowohl aus der Produktion wie auch aus der Aufgabenstellung wie auch aus der anders gearteten politischen Situation widerlegt werden kann. Das ist es doch, was uns von den 14 anderen NATO-Partnern unterscheidet.
Nun hat Herr Kollege Dr. Gerstenmaier gefragt, wie wir uns denn überhaupt zu der Frage der Verteidigung der Freiheit einstellten. Ich wiederhole das, was ich in früheren Debatten erklärt und auch jetzt eingangs gesagt habe: Wir sind von Anfang an für den Aufbau einer Notwehr eingetreten. Wenn wir auch in der Frage der Form, in der Frage der Ausführung des Verteidigungsbeitrags verschiedener Meinung waren, im Prinzip waren wir völlig einig mit dem, was die anderen Redner hier bezüglich der Notwehr des deutschen Volkes und der schätzenswerten Freiheit dargelegt haben. Ja, ich kann sogar, ohne Schärfe in die Debatte bringen zu wollen, sagen: wir haben uns im 1. Bundestag um Fragen der politischen und auch psychologischen Behandlung der deutschen Soldaten - Heimkehrer und Kriegsverurteilte - schon zu einer Zeit bemüht, als es noch nicht Allgemeingut aller politischen Parteien der Bundesrepublik war.
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Wir haben gerade diesen Problemen unsere Aufmerksamkeit gewidmet zu einer Zeit, da es noch keineswegs populär war. Ich erinnere den Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder daran, daß es
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doch unser Verdienst war, daß sein Bundesgrenzschutz erst auf 10 000 und dann auf 20 000 Mann erhöht werden konnte, - gegen den Widerstand, Herr Kollege Strauß, eines Teils der CSU. Also hier gibt es keinen Zweifel: wir sind für die Verteidigungsbereitschaft unseres Volkes und wollen alles tun, was dieser Verteidigungsbereitschaft dient. Doch das große Aber kommt dahinter: für den deutschen Verteidigungsbeitrag ergibt sich aus der anders gearteten Lage unseres Volkes auch eine anders geartete Behandlung und Funktion unserer Verbände.
Uns verbindet mit der freien Welt, Herr Dr. Gerstenmaier. genau die gleiche Schlagader, die Sie und die alle Parteien dieses Hauses verbindet. Wer es wagen würde. die Verbindung der Bundesrepublik zur freien Welt zu durchschneiden, würde die Schlagader durchschneiden und die Bundesrepublik zum sogenannten „volksdemokratischen" Staat ausbluten lassen. Uns Freien Demokraten ist ein zweigeteiltes Deutschland, in dem wenigstens wir 51 Millionen Bundesrepublikaner frei sind und frei reden können und woraus 17 Millionen in Mitteldeutschland eine Hoffnung schöpfen, immer noch angenehmer als ein einiges Deutschland von 70 Millionen unter dem Sowjetstern, Hammer und Sichel als Volksdemokratie.
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Wenn es überhaupt einen Gegensatz zum Kommunismus, zu den Kräften des Kollektivismus, des Bolschewismus gibt, so doch den Unterschied derer, die die Freiheit zum Prinzip ihrer politischen Richtung gemacht haben, gegenüber den Kräften der Unfreiheit; diese beiden Seiten kennen wie Wasser und Feuer keinen Kompromiß, sondern müssen einander bei ihrer Berührung vernichten, auslöschen. So gibt es keinen Kompromiß zwischen den Prinzipien der Freiheit, den rights und liberties, den Grund- und Freiheitsrechten, die unser Leben überhaupt erst lebenswert machen, und den Kräften der Unfreiheit, des Kollektivismus, in dem der Mensch nur noch eine Nummer ist.
Wir sehen - ich bitte, diesen Satz jetzt sehr ernst zu nehmen - aber nicht nur, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, die Frage des Schutzes der Freiheit für die 51 Millionen Bundesrepublikaner. Wir glauben, daß es auch unsere Pflicht ist, die Freiheit der 70 Millionen Reichsdeutschen zu sehen. Daher jetzt die entscheidende Frage: Glauben Sie, daß eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr der Wiedervereinigung Deutschlands dienlich ist, oder glauben Sie, daß die Anhäufung atomaren Sprengstoffes beiderseits der Elbe und Werra am Ende nicht die Wiedervereinigung noch mehr erschwert, als das ohnehin schon der Fall ist?
Wir glauben, daß das erste Ziel der deutschen Nachkriegspolitik nicht das ist, für 51 Millionen Bundesrepublikaner ein besseres Leben zu schaffen. Dem sogenannten bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder ist ja nicht unbedingt ein geistiges gefolgt, von dem Wunder der nationalen Wiedervereinigung ganz zu schweigen, auf das wir zwölf Jahre warten. Wir sind doch - das ist eine traurige Bilanz achtjähriger Tätigkeit des Deutschen Bundestages im Provisorium Bonn - der
deutschen Wiedervereinigung in diesen acht Jahren nicht um einen Schritt näher gekommen. ({4})
In den Reihen der Freien Demokraten gibt es gelegentlich, da wir ein kantiges Etwas sind und kein rundes Nichts sind, Meinungsverschiedenheiten. Aber in dieser Frage gab es in Berlin Einhelligkeit, als wir Ende Januar dieses Jahres erklärten: Die friedliche Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland und den ostdeutschen Gebieten in einem deutschen Reich mit freiheitlicher Ordnung ist unser oberstes Ziel.
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Alle innen- und außenpolitischen Anstrengungen müssen in erster Linie der Erreichung dieses Zieles dienen!
Wir sind nun einmal der Auffassung, daß wir der Wiedervereinigung nicht durch Ansammlung von atomaren Bewaffnungen auf deutschem Boden dienen; wir dienen ihr nicht dadurch, daß auf die Atomraketenbataillone der Bundeswehr die Atomraketenbataillone der sogenannten Volksarmee drüben kommen. Wir glauben vielmehr, daß der Wiedervereinigung nur gedient werden kann, wenn auf deutschem Boden eine entspannte Zone - sei es im Sinne der Gedanken von Pfleiderer, des jetzigen Botschafters in Belgrad, sei es im Sinne des Eden-Plans der ersten Genfer Konferenz vom Juli 1955 - geschaffen wird.
Zu unserer großen Genugtuung hat erstmalig der Präsident der Vereinigten Staaten vor zwei Tagen auf einer Pressekonferenz genau dieses Konzept als eine mögliche Lösung der deutschen Frage dargelegt. Das sind die beiden Faktoren, die wir sehen müssen: auf der einen Seite die Frage des Schutzes unserer Freiheit, auf der anderen Seite aber mit gleicher Leidenschaft die Verpflichtung der deutschen Politik, die staatliche Einheit wiederherzustellen.
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Das ist der historische Auftrag, den die Geschichte Nachkriegsdeutschland erteilt hat: das zunächst gevierteilte und dann zweigeteilte Deutschland wieder zusammenzufügen. Die Geschichte wird uns nicht danach beurteilen, welchen Lebenshaltungsindex wir für das halbe Deutschland erreicht haben! Die Geschichte wird uns danach beurteilen, ob uns die Lösung dieser historischen Aufgabe gelingt oder ob die Zweiteilung Deutschlands sich immer weiter so sehr festigt, daß ein Arrangement der Großmächte auf dem Status quo am Ende nur die letzte Konsequenz wird. Geteilt in alle Ewigkeit, Deutschland ade! Auch diese Gefahr muß man sehen. Man muß versuchen, zwischen diesen beiden Prinzipien einen Weg zu gehen, der das eine sichert, aber das andere nicht noch mehr ausschließt, als es leider in acht Jahren ohnehin geschehen ist.
Herr Kollege Gerstenmaier wollte eine Frage stellen.
Bitte schön!
Herr Kollege Dr. Mende, sind Sie der Meinung, daß es jetzt, in einem Augenblick, in dem die Abrüstungsfrage im Weltmaßstab, nämlich in dem Unteraussehuß der Vereinten Nationen in London, prinzipiell zur Debatte steht, richtig ist. gewissermaßen auf die Waagschale der freien Welt durch einen negativen Verzicht - von dem ich nicht sehe, daß er in diesem Augenblick erbracht werden muß - einzu({0})
wirken? Glauben Sie, daß es in diesem Augenblick richtig ist, das Gewicht der freien Welt durch einen solchen negativen Verzicht von deutscher Seite zu mindern? Ich darf vielleicht hinzufügen, daß ich im übrigen Ihren Ausführungen hinsichtlich der Wiedervereinigung weithin folge.
Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, Sie nehmen mir bereits die Interpretation unserer Entschließung vorweg. In Ziffer 1 unserer Entschließung wird die Bundesregierung ersucht, „einen Beitrag zur allgemeinen Abrüstung durch den Verzicht auf die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu leisten." Das sagt eindeutig, daß wir diesen Verzicht nicht absolut sehen, sondern relativiert durch die allgemeine Abrüstung, die in der ersten Zeile genannt ist. Ich werde noch Gelegenheit haben, dies im einzelnen bei der Behandlung der Frage der möglichen Verhandlungen und Hingaben - do ut des - näher zu erläutern.
Als wir vor Jahresfrist schon diese Gedanken - entspannte Zonen - darlegten, ist es uns nicht gut ergangen. Die deutsche Öffentlichkeit weiß, daß sich unser Kollege Pfleiderer härteste Vorwürfe machen lassen mußte, als er erkennen ließ, daß sein Glaube an die EVG nicht groß war. Nun, er hat zwar nicht gewettet wie der Herr Bundeskanzler mit dem Kollegen Erler; aber er hätte die Wette auch gewonnen. Die EVG ist gescheitert.
Dann haben wir später die Edensehen Gedankengänge , die ja im wesentlichen auf den entspannten Zonen, die Pfleiderer vorschlug, aufbauten, immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Es ist uns nicht gut gegangen dabei. Sie wissen, ich mußte mich vor Jahresfrist im Bundestag dagegen verwahren, daß die Antwort des amtierenden Außenministers auf einen modifizierten Eden-Plan war: Der Mann soll doch lieber mit dem Sandkasten spielen. Ich weiß nicht, ab 'der gleiche Vorwurf jetzt dem Präsidenten Eisenhower gemacht werden wird, der genau die gleichen Gedankengänge aufnimmt, allerdings als ehemaliger General mit dem Sandkasten ebenfalls etwas zu tun hatte, aber etwas länger als ich. Ich habe mich nur 10 Jahre damit befaßt, in 51/2 davon wurde zum Sandkasten scharf geschossen.
Sie sehen, Herr von Brentano, wie gefährlich es ist - und es steht in den amtlichen Protokollen -, Sachargumente mit persönlichen Abwertungen zu beantworten. Wir erleben gerade angesichts dessen, was der Präsident der Vereinigten Staaten vor zwei Tagen gesagt hat, daß alles in Fluß gekommen ist und daß wir in ,diesem Augenblick - solange noch die geringsten Chancen für die Wiedervereinigung Deutschlands und für gewisse konkrete Ergebnisse der Londoner Abrüstungskonferenz sichtbar sind - nichts tun dürfen diese Chancen zu mindern. Der Präsident Eisenhower hat zu der Londoner Abrüstungskonferenz erklärt, niemals je zuvor habe eine Abrüstungskonferenz so große Hoffnungen erweckt wie diese.
Was war denn - und hier bitte ich den Herrn Kollegen Dr. Gerstenmaier, einen Augenblick zuzuhören - unser aller Konzept, auch meines. von 1950 bis 1954? Wir waren ja mitgegangen, mitgefangen! Ich will das gar nicht leugnen. Wir glaubten nicht nur, daß dem weiteren Vordringen des Stalinismus durch die atlantische Verteidigungsgemeinschaft ein Stopp geboten werden würde,
sondern daß im Gegenteil die Hoffnung bestand, es werde durch die riesige große Klammer im Norden, in der Mitte und im Süden Europas um den Sowjetblock - verlängert um die SEATO-Klammer in Asien - gelingen, die Sowjets auf die innere Linie zurückzubringen. Man sitzt nicht gern auf der Vorderseite einer großen Einschließung, sondern versucht, möglichst auf die innere Linie zurückzugehen, und so sagten wir uns: Politik der Stärke! Die geballte Kraft der freien Welt wird es zuwege bringen, die Sowjets zu überzeugen, daß es besser ist, aus Mitteldeutschland, aus Polen, aus der Tschechoslowakei, aus Ungarn auf die innere Linie zurückzugehen, als sich in diese große Umklammerung zu begeben.
Mit dieser Politik der Starke, mit diesem Versuch, einen Druck im Sinne einer Freigabe Mitteleuropas und Osteuropas durch die Sowjets auszuüben, war es in dem Augenblick zu Ende, als es den Sowjets im August 1954 gelang, die Wasserstoffbombe explodieren zu lassen. Das atomare Gleichgewicht hat alle ,diese Pläne - wir müssen es bekennen - zunichte gemacht. In der ersten Genfer Konferenz 1955 hat man daher ganz anders miteinander gesprochen. Man steht heute nun einmal in der gegenseitigen gleichen Bedrohung der beiden Weltmächte, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion.
Nunmehr kommen wir zu einem neuen Konzept und sagen: Unsere Position wird jetzt noch einmal stark, wenn wir die Stützpunkte von Norwegen über Dänemark und die Bundesrepublik bis herunter nach Afrika, Griechenland und der Türkei mit atomaren Abschußbasen ausrüsten; unter diesem geballten Druck werden wohl die Sowjets dann wenigstens auf die innere Linie zurückgehen. Ich bin aus der Erfahrung der vergangenen sechs Jahre des Bestehens dieser These der Überzeugung, daß auch sie wiederum falsch ist. Auf Druck pflegt Gegendruck zu kommen, und die Sowjetunion ist nun einmal in einer großen atomaren Klammer, auch jetzt schon, ohne die deutschen Bundeswehrsoldaten mit Atomwaffen. Ich fürchte, ihre Reaktion wird nicht in der Richtung des Nachgebens, sondern eher in der Richtung einer Verhärtung des Zustandes liegen, möglicherweise mit der Gefahr einer Kurzschlußhandlung. Ich habe einmal gelernt, daß man sich möglichst auch in die Geisteshaltung der anderen Seite hineindenken soll, um zu prüfen, welche Reflexwirkung eigene Maßnahmen. zum Teil ungewollt, bei der anderen Seite auslösen oder auslösen können.
Wir glauben, daß der Frieden am besten gesichert ist. wenn der einen großen atomaren Macht der Vereinigten Staaten möglichst nur eine große atomare Macht gegenübersteht. Der Frieden ist dann am ehesten gewährleistet wenn die Dynamik der gegeneinanderliegenden Kräfte sich aufhebt, also eine Statik eintritt. Das ist doch das Geheimnis, warum es seit Jahren keinen großen Krieg gab. Das ist ja auch das Geheimnis, warum es beim Suez-Konflikt keinen atomaren Krieg gab, - nicht etwa, weil die Vereinigten Staaten ihn nicht wollten oder die Sowjetunion ihn nicht wollte, sondern weil beide gemeinsam ihn nicht wollten, sich darüber einig waren und in den Vereinten Nationen entsprechend handelten, mußten sich Engländer und Franzosen genauso wie die Israeli, so peinlich es für alle war, zurückziehen. und so ist uns der dritte, atomare Weltkrieg erspart geblieben.
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Nun ist die berühmte sowjetische Abrüstungsnote gekommen. Hier teile ich allerdings die Auffassung des Herrn Kollegen Dr. Gerstenmaier. Justament in dem Augenblick, da die Sowjetunion uns - im vorigen Herbst - eine Abrüstungsnote übermittelte, war der Paukenschlag einer Wasserstoffexplosion in Sibirien hörbar, und wir haben damals mit Recht erklärt: ihr werdet so lange mit euren Abrüstungsvorschlägen unglaubwürdig sein, wie ihr mit der einen Hand das fortsetzt, was ihr mit der anderen Hand bei anderen einzustellen versucht. Es kann hier nur eine Zug-um-Zug-Leistung geben. Ich zitiere hier das, was mein verehrter Kollege Dr. Becker in Straßburg beim Europarat erklärt hat und was sich zum Teil mit dem deckt, was Kollege Erler bezüglich der Kontrolle atomarer Explosionen gesagt hat. Es gibt eine Chance einer gewissen Vorleistung auf Zeit - sonst nur Zug um Zug! Herr Kollege Becker sagte:
Die erste Forderung, die im Namen der Menschlichkeit und im Interesse der Menschheit zu erheben wäre, ist die Forderung nach einer Einstellung der Explosionsversuche. Die Möglichkeit der Kontrolle solcher Versuche ist gegeben. Es steht also einer Vereinbarung, diese Versuche zu unterlassen, nichts im Wege. Es wäre vorzuschlagen, daß eine Atommacht auf diesem Wege mit dem Angebot vorangeht, innerhalb des nächsten Jahres keine Versuche vorzunehmen, verbunden mit der Ankündigung, diese Versuche wiederaufzunehmen, wenn die andere Macht diesem Beispiel nicht folge. Ein solcher Schritt würde den Beifall der Menschheit finden. Würde die andere Macht nicht folgen, so fiele sie dem Verdikt der Öffentlichkeit anheim, sicher auch bei ihrem eigenen Volk.
Das deckt sich in etwa mit dem, was der Kollege Erler vormittags sagte. Eine atomare Explosion ist registrierbar mit minutiöser Genauigkeit, und keiner kann sich mehr verbergen. Dazu ist die Erde gottlob zu klein und das Firmament gottlob durch Reflexwirkung atomarer Explosionen auf den Mond und dessen Rückstrahlung durchaus einzusehen.
Wir haben ebenfalls zurückzuweisen den Versuch der Einmischung der Sowjets in diesen Streit. Ich zitiere hier das, was Professor Weizsäcker vor den Bonner Studenten gesagt hat, und mache es mir völlig zu eigen; genau so könnte ich hier sprechen. Weizsäcker bedauerte die letzte sowjetische Atomnote an die Bundesregierung. Wenn den Sowjets wirklich - so sagte Weizsäcker - an einer atomaren Abrüstung liege, so schadeten sie diesem Vorhaben mit Noten dieser Art. Wenn auch in der Note stehe, sie sei nicht als Drohung gemeint; so müsse der Sowjetregierung doch klar sein, daß sie als Drohung verstanden werde. Es sei zweierlei, ob man in der Bundesrepublik und überhaupt im Westen sich zur atomaren Abrüstung bereitfinde, weil man sie wünsche, oder ob man sich dazu bereitfinde, weil man einer Drohung nachgebe. Professor Weizsäcker fuhr wörtlich fort:
Wir dürfen den Russen glauben, daß sie die Atomwaffen entwickelt haben, weil sie sich bedroht fühlten. Wir dürfen ihnen das schon deshalb glauben, weil gerade sie andere Mittel haben, ihre politischen Ziele zu erreichen, als einen Weltkrieg. Sie müssen aber auch einsehen, daß es gerade die Furcht vor ihnen ist,
die im Westen die Atomrüstung immer weiter vorantreibt. Deshalb sind russische Drohnoten Wasser auf die Mühlen jener Toren im Westen, die aus Angst vor den Russen den atomaren Selbstmord vorbereiten.
Meine Damen und Herren, dieser Auffassung von Weizsäcker ist nichts hinzufügen. Wir glauben, daß die Sicherheit dieser Welt am ehesten gewährleistet ist, wenn der Einsatz atomarer Waffen noch überschauba. ist. Er ist noch überschaubar, wenn lediglich zwei Mächte diese furchtbaren Waffen haben. Wenn es aber so wird, wie die Physiker behaupten, daß man in wenigen Jahren nicht mehr Uranium und Plutonium nötig haben wird, sondern daß Meerwasser genügen wird, um die schwersten Kernspaltungen mit ihren gewaltigen Explosionswirkungen auszulösen, um wieviel mehr müssen wir darauf achten, daß nicht eine Vielzahl von mittleren und kleinen Mächten in den Besitz dieser Waffen kommt!
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Die Kontrolle wird in dem Maße schwieriger werden, in dem auch kleine und kleinste Länder sich in den Besitz der Herstellungsverfahren und der Waffen setzen werden. Mit Recht ist heute vormittag die Frage gestellt worden: was wäre geschehen, wenn Ägypten, wenn Syrien, wenn Israel, wenn die in erheblicher Gegnerschaft zueinander lebenden Völker des Nahen Ostens allesamt atomare Raketen hätten! Wie wäre es dann noch möglich, einen Konflikt zu lokalisieren? Ja, wäre es möglich, in Deutschland einen Konflikt wie den am 17. Juni 1953 zu lokalisieren, wenn dieser Konflikt nicht mehr nur mit Panzern und Geschützen, sondern mit Atomraketen geführt werden kann! Bei dem deutsch-englischen Gespräch in Königswinter hat man uns immer wieder gefragt: Was würde geschehen, wenn in Magdeburg sich Budapest wiederholen würde, mit allen in Rundfunk und Presse wiedergegebenen Stimmungen, die uns damals bei der ungarischen Tragödie bewegt haben? - Es gibt keine Garantie, so haben wir den englischen Freunden gesagt, daß dann nicht auch wir aus einer allgemeinen Volksbewegung heraus uns aus dem Gefühl der Schicksalsverbundenheit mit den Magdeburgern solidarisch erklären und eingreifen würden. Wer wagt es, hier die Garantieerklärung abzugeben, daß das niemals möglich ist?
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Die Atomgroßmächte müssen also selbst ein Interesse daran haben, die atomaren Waffen unter Kontrolle zu halten.
Ich sehe die Situation, in der sich diese Welt befindet - ich nehme da ein etwas vulgäres Beispiel - etwa so: Es stehen sich zwei Träger von Maschinenpistolen auf einer Entfernung von 10 oder 20 Metern gegenüber. Jeder von ihnen richtet die Maschinenpistole auf die Brust des Gegners. Der eine Gegner hat einen Stern in rot auf seinem Barett, der andere einen Stern in weiß. Man könnte auch sagen: der eine raucht Machorka und der andere Lucky Strike, der eine speit Sonnenblumenkerne aus, der andere Kaugummi.
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Diese beiden, die sich in Schach halten, wissen: der, der abzieht, schießt mit einer Garbe von 15 Schuß den anderen um, aber der, gegen den geschossen wird, zieht beim Aufblitzen des Mündungsflämm({4})
chens seinerseits ab. Er schafft nicht 15 Schuß; aber der andere fällt mit 8 Schuß in der Brust auch um. Es ist nur relativ, ob ich mit 15 oder mit 8 Schuß getötet werde. Es ist nur relativ, ob der Atomschlag des Angreifers 300 Bomben ins Ziel bringt, weil er einen Vorsprung von 30 Minuten hat, und der Angegriffene nur 150 Atombomben ins Ziel bringt, weil von seinen Basen 150 bereits durch den ersten Schlag zerstört wurden.
Das ist die Situation der Welt im Zeichen der Fernraketen, die über Tausende von Kilometern geschossen werden, und zwar nicht mehr mit dem atomaren Kopf. Ach, die Atomrakete ist wahrlich nicht mehr vergleichbar mit der Wasserstoffrakete; denn 20 000 t Sprengstoff und 20 bis 40 Millionen t Sprengstoff, das ist ein Unterschied nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität! Ich denke da an die Auswirkung der radioaktiven Gammastrahlen.
Deswegen ist das Wort des Präsidenten Eisenhower richtig: Nie zuvor gab es mehr Chancen für die Abrüstung als jetzt, da das atomare Gleichgewicht geschaffen ist und gewisse Differenzierungen nur relativen Charakter haben.
Sie werden fragen: Ja, wie ist denn unsere Situation? Wir hocken mit allen westeuropäischen Völkern zu Füßen des Mannes mit dem weißen Stern, des großen atlantischen Bruders, der uns mit seiner Maschinenpistole beschützt, und das halbe Deutschland und das andere halbe Europa hocken zu Füßen des Mannes mit dem roten Stern, von dem wenigstens die Führer oben glauben, daß dieser rote Bruder sie beschützt, nicht die Völker, wie wir wissen. Wenn wir uns zwischen den beiden auch noch gegeneinander stellen - wir werden durch die eine wie durch die andere Garbe in jedem Fall durchlöchert. Das heißt übertragen auf die nukleare Situation: ein Krieg zwischen den beiden Giganten macht Deutschland beiderseits von Elbe und Werra, macht vielleicht Europa zum Atombombenversuchsfeld beider Parteien.
Man sollte wohl unterscheiden zwischen Abschreckung und Ernstfall. Hier sind die Begriffe sowohl beim Herrn Bundesverteidigungsminister in der Regierungserklärung wie auch bei dem verehrten Kollegen Dr. Gerstenmaier leider durcheinandergeraten. Abschreckung heißt, durch die Gleichgewichtigkeit der atomaren Rüstung beide Seiten davon zu überzeugen, daß es keinen Sinn hat, auf den Knopf zu drücken! Ernstfall? - Da ist es schon geschehen! In der Abschreckung liegt unsere Hoffnung, und, meine Damen und Herren, liegt der Frieden. Im Ernstfall liegt so oder so die Vernichtung des deutschen Volkes, ob mit oder ohne Atomraketen bei der Bundeswehr.
Hier darf ich nur auf einige Zahlen verweisen, die auch heute vormittag hier schon erwähnt wurden, einige Zahlen aus der Erklärung der Professoren bezüglich der Wirkung der kleinsten Atomwaffe. Der Kanzler hat seinen Irrtum historisch erklärt, mit dem berühmten Schiff, das im Hafen ankommen sollte. Wir haben es quantitativ verstanden, nicht historisch, als er sagte: Die taktischen Atomwaffen sind nur eine Fortentwicklung der Artillerie. Die Raketen sind eine Fortentwicklung der Artillerie, nicht die Atomraketen, von denen die kleinste bereits die Wirkung von 10 000 Luftminen des zweiten Weltkrieges hat oder von 10 Großangriffen mit je 1000 Flugzeugen, wie wir sie auf Hamburg oder Dresden erlebt haben, nur
mit dem Unterschied, daß sich die konzentrierte Wirkung in wenigen Sekunden ergibt. Wie kann man angesichts dieser Wirkungen den Versuch machen, die taktischen Atomwaffen zu verniedlichen?
Über das Manöver „Schwarzer Löwe" ist gesprochen worden. Ich überschätze Manöver nicht. Manöver pflegen von Lagen auszugehen, aber die Lageannahmen pflegen die Dinge realistisch zu sehen, und die Lage des Manövers „Schwarzer Löwe" ist nun einmal die: Wir sind im Ernstfall so oder so als Volk ausgelöscht; die letzte uns noch verbliebene Substanz ist dahin. Darum sollten wir mehr an die Abschreckung denken, für den Ernstfall allerdings jenen relativen Schutz anstreben, den es gibt; es gibt keinen absoluten, sondern nur einen relativen. Es erhebt sich die Frage: Haben wir diesen relativen Schutz bereits angestrebt; haben wir bereits etwas geschaffen? Lassen Sie mich das an einer Kritik unserer atomaren Luftschutzmaßnahmen hier darlegen.
Aber zuvor noch ein anderes Problem, das wir Freie Demokraten schon aufgegriffen haben. Wir sind immer etwas früher. Das ist manchmal sehr ärgerlich, das bringt einem Kritik ein. Nachher wird alles als selbstverständlich empfunden. Schopenhauer hat nun einmal recht: Jeder große Gedanke muß drei Stadien durchlaufen. Im ersten wird er von allen verlacht, im zweiten von vielen entschieden bekämpft und im dritten von allen als selbstverständlich empfunden. Wir haben also schon - vor Ihnen, Herr Kollege - in der Drucksache 2576 unter dem 28. Juni 1956 einen Antrag gestellt, der folgenden Wortlaut hat:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird beauftragt,
bei den Vereinten Nationen oder unmittelbar bei den Mächten, die Atom- und Wasserstoffbomben herstellen, dahingehend vorstellig zu werden, daß
1. Versuche mit Atom- und Wasserstoffbomben bis auf weiteres eingestellt werden,
2. solche Versuche erst dann wiederaufgenommen werden, wenn wissenschaftlich objektiv festgestellt ist, daß die dadurch hervorgerufene Radioaktivität der Atmosphäre keine Schädigung für die Menschheit verursacht.
Dieser Antrag trägt die Unterschrift unseres atomaren Fachmannes, des Diplomingenieurs Dr. Drechsel. Auch er stammt aus Göttingen. Ich hoffe, daß man diesen Antrag nicht in die Nähe neutralistischer Tendenzen rücken wird. Was ist mit diesem Antrag geschehen? Erst acht Monate später, am 22. Februar 1957, war er im Plenum, wurde diskutiert und an den Ausschuß verwiesen, und aus dem Ausschuß liegt nunmehr ein Bericht vom 2. Mai 1957 vor.
Lassen Sie mich auch noch auf die Frage des Schutzes der Bevölkerung eingehen. Hier glaube ich, daß das, was die Bundesregierung heute vormittag erklären ließ, zumindest sehr optimistisch in den Zahlenwertungen ist. Wir haben in einem Vergleich der Luftschutzaufwendungen der Vereinigten Staaten, Englands, Frankreichs, der Schweiz und Schwedens mit unseren Aufwendungen in den letzten Jahren feststellen müssen, daß unsere Aufwendungen wesentlich unter denen die({5})
ser wesentlich weniger bedrohten Mächte liegen. Zu unserem Bedauern ist unlängst ein Antrag auf Erhöhung der Etatposten für den Luftschutz abgelehnt worden.
Wo ist, so frage ich, die Anhäufung von Medikamentendepots auf dem Gebiet der Bundesrepublik?
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Ich habe die Mittagspause dazu benutzt, die dazu gegebene Erklärung nachzuprüfen, und mir hat ein Vorstandsmitglied des Fachverbandes der pharmazeutischen Industrie aus Nordrhein-Westfalen, das es wissen müßte, erklärt: Solche Depots gibt es nicht, uns ist nicht einmal von Rundschreiben etwas bekannt, nach denen solche Depots eingerichtet werden sollten. Ich habe mich ferner bemüht, noch einmal die Gutachten herauszusuchen, die Professor Dr. Neuffer, der Präsident des Deutschen Ärztetages, der Vizepräsident der Bayerischen Ärztekammer, Dr. Sondermann, und der medinische Berater des Heimkehrerverbandes, Dr. Gursky im Verteidigungsausschuß zu der sanitären und atomaren Versorgung der deutschen Bevölkerung abgegeben haben. Ihre Darlegungen sind erschütternd; sie gipfeln in folgender Feststellung:
In einem atomaren Konflikt ist die Zahl der Verwundeten, vor allem der mit schwersten Verbrennungen, so unermeßlich groß, daß für ihren Abtransport binnen 24 Stunden allein, wenn man 50 000 Verwundete annimmt, 2000 Ärzte gebraucht werden, einige Tausend freiwillige in der ersten Hilfe ausgebildete Helferinnen und Helfer, 100 bis 300 Lastwagen zum Abtransport und 80 bis 100 Güterwagen zum An- und Abfahren des Materials.
Meine Damen und Herren, wir alle sind doch in unseren Wahlkreisen Zeugen. Was ist denn bisher im Hinblick auf die Sicherstellung dieser sanitären Versorgung durch Anlage von Depots, durch Ausbildung unserer Bevölkerung in der Ersten Hilfe geschehen? Die Zahl von einer Million ausgebildeten Helfern wage ich auf Grund der Kenntnis dieses Problems zu bestreiten.
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Man hat wahrscheinlich alle im Roten Kreuz tätigen, alle im Luftschutz Tätigen summiert und ist am Ende zu einer Million gekommen. Fragen Sie doch einmal Rot-Kreuz-Helferinnen und Rot-KreuzMitglieder; sie sitzen doch hier auf der Tribüne. Ich habe es in der Mittagszeit getan. Sie erklärten: Keine Spur, wir sind bisher in keiner Weise über die Folgen atomarer Verletzungen geschult worden.
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Sind denn weiter die Blutgruppen bestimmt worden? Hat jeder von uns jene Blutgruppen bestimmung bei sich, die es gestattet, ihm nach wenigen Minuten das Blutplasma zu transfundieren? Hier ist die Erkennungsmarke des Bundeserkennungsdienstes der Bundesrepublik Deutschland. Vor fünf Jahren wurde dieses Muster fabriziert. Auf diesem Muster stehen der Name des Trägers, Vorname, Geburtsdatum, die Blutgruppe, der Fingerabdruck in Miniatur. Es stehen die Adressen der nächsten Angehörigen darauf. Es ist jener schreckliche Dosimeter mit einer roten Nadel dabei, und es steht hier in Miniatur auch die Bedienungsanweisung für den Dosimeter. Da heißt es:
Bedienungsanweisung
1. Nur auf Anordnung mit Nadel alle Löcher der E-Marke durchstechen. Dadurch erfolgt die Übertragung der Lochschriftregistriernusnmer auf den Meßfilm in der Kassette.
2. Hohlniet lösen und Kassette von der E-Marke abtrennen.
3. Kassette zur Meßfilmauswertung an Sammelstelle abliefern.
4. Vor Hitze und Nässe schützen.
Warum sind diese Erkennungsmarken noch nicht wenigstens an die Kinder und Frauen im Bundesgebiet ausgegeben, damit wir nicht noch einmal diesen schrecklichen Kindersuchdienst erleben? Tausende von Kindern suchen heute noch ihre Eltern trotz Rundfunk und Kindersuchdienst des Deutschen Fernsehens, und Tausende Eltern suchen heute noch ihre Kinder. Nicht einmal das Primitivste ist geschehen, noch nicht einmal diese Erkennungsmarken der Bundesrepublik Deutschland sind ausgegeben worden, aus Angst, daß man der Bevölkerung die volle Wahrheit sagen müßte.
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Meine Damen und Herren, man kann daher nicht so tun, als wenn wir uns in der Frage des Schutzes unserer Zivilbevölkerung wirklich so bemüht hätten, wie wir es hätten tun sollen. Ich spreche den Vorwurf hier gegen uns alle aus. Wir haben vor lauter Diskussionen um die Aufstellung mobiler Verbände, vor lauter neuen Milliarden für die aktive Verteidigung auch nicht das Primitivste für den Schutz der deutschen Zivilbevölkerung getan. Das ist der Vorwurf gegen alle hier,
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niemand darf sich ausnehmen! Er mag hier und da modifiziert werden. Die Regierung trägt mehr Verantwortung, die Opposition weniger, sie hat gelegentlich darauf hingewiesen.
Main sollte also in Iden kommenden Beratungen des Haushalts. noch bei der dritten Lesung, versuchen, eine Relation zwischen den Ausgaben für die aktive Verteidigung und den notwendigen Ausgaben für die passive Verteidigung, für den Schutz der Zivilbevölkerung, zu finden. Man sollte die Bevölkerung über Atomschäden aufklären; man sollte sie über die Erste Hilfe bei Atomverbrennungen ,aufklären. Man sollte ihr sagen, was Selbstschutz ist und was der einzelne dafür tun kann. Man sollte versuchen, die Nachbarschaftshilfe dafür zu mobilisieren. Es ist besser, seinem Volk alle bittere Wahrheit zu sagen, wie Churchill es 1940 tat, als er England nur Blut und Tränen versprach, als es in einer Euphorie eines bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders zu halten und der Realität nicht ins Auge zu sehen.
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Lassen Sie mich weiter zu der Frage des Schutzes der Zivilbevölkerung sprechen. Als wir unlängst bei der NATO waren - ich will keine militärischen Geheimnisse preisgeben; das zu tun können Sie nicht von mir erwarten -, haben wir auch über ,die Frage der Evakuierung gesprochen. Man hat uns erklärt, daß durch die Entwicklung der Kontinental- und Transkontinentalraketen das frühere Evakuierungsprogramm der NATO überholt sei; denn man habe gar keine Zeit mehr, große Mengen der Bevölkerung zu bewegen. Aber selbst
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wenn man sie irgendwohin bewegte, kann niemand eine Garantie dafür geben, ob nicht der evakuierte Teil durch radioaktive Verseuchung infolge der Unbilden ,der Witterung, die sich ja nicht vorausberechnen lassen, wesentlich mehr bedroht ist als der Teil, aus dem sie gerade evakuiert sind.
Die Warnzeit für Deutschland und für Westeuropa, sagte ein hoher verantwortlicher Fachmann, beträgt drei bis fünf Minuten. Wie wollen Sie dann, so sagt der Fachmann, noch in Großbunker kommen? Aber selbst wenn Sie dahin kommen, wie wollen Sie sicherstellen, daß Sie da bei der kolossalen radioaktiven Verseuchung auch überleben? Die Konsequenz war - und 'auch die forderte dieser hohe verantwortliche Mann -: Das beste ist der relative Schutz, der Selbstschutz in dem unmittelbar erreichbaren Raum, wiederum etwas vulgär ausgedrückt, das Panzerdeckungsloch oder der kleine Behelfsbunker im eigenen Garten mit der 10-Liter-Wasserkanne zwischen dien Beinen, dem Esbit-Kocher in der Tasche und dem Vaterunser auf den Lippen.
Aber das müssen wir doch dier Bevölkerung klar sagen, was sie überhaupt noch für Chancen hat. Und nun lese ich - ich bejahe dieses Gutachten -, daß ein relativer Schutz möglich ist, kein absoluter. Jawohl! Schlimm würde es mit uns stehen, wenn wir uns selbst aufgäben. Aber die Angabe in diesem Gutachten, daß auch noch 30 % der Bevölkerung evakuiert werden könnten, ist überholt. Niemand von uns wird annehmen können, daß man von den 15 Millionen Einwohnern Nordrhein-Westfalens in hochgespannten Zeiten 5 Millionen ordnungsgemäß irgendwohin evakuieren, ordnungsgemäß unterbringen, verpflegen und versorgen könnte. Wir sollten uns vielmehr einstellen auf den Selbstschutz, auf die Auflockerung unserer Wohnweise, d. h. mehr denn je gilt der Satz: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Die Zeit des Massenschutzes ist bei der Reichweite und Schnelligkeit der interkontinentalen Raketen leider vorbei.
Aber auch die normalen Versuche haben Folgen :gezeitigt; wir können sie im Bericht dier amerikanischen Wissenschaftler dier Nationalen Akademie für Wissenschaften in Washington nachlesen. Ich gebe sie Ihnen hier bekannt, weil sie auch zu einigen optimistischen Darstellungen der atomaren Gefahr in Widerspruch stehen, wie wir sie von Regierungsseite gehört haben. Es heißt hier - und ich bitte Sie, genau zuzuhören - in der Übersetzung des Gutachtens, das mehr als hundert Wissenschaftler aller Fachrichtungen in Amerika erarbeitet haben:
Es gibt keine ungefährliche Dosis. Aus diesen Feststellungen ziehen wir eine wichtige Schlußfolgerung. Man hat teilweise angenommen, daß es eine bestimmte Dosisleistung gäbe, die der Mensch ohne direkte Schädigung seiner eigenen Person ertragen könne. Eine solche Toleranz-Dosis-Leistung gibt es jedoch für die genetische Schädigung nicht.
Was hier zählt, ist nur die Gesamtdosis vom Beginn des Lebens bis zum Zeitpunkt der Zeugung der Kinder.
Das Problem, genetische Schäden zu definieren und zu bestimmen, ist außerordentlich schwierig. Wir müssen hier mindestens drei verschiedene Gesichtspunkte berücksichtigen. Der erste Gesichtspunkt legt Gewicht auf die unmittelbare und spätere Nachkommenschaft der Personen, die aus gewerblichen oder anderen
Gründen eine beträchtlich höhere Strahlendosis als im Mittel die Gesamtbevölkerung erhalten hat.
Der zweite Gesichtspunkt befaßt sich mit der Wirkung einer mittleren Dosis auf die Bevölkerung als Ganzes.
Der dritte Standpunkt betrachtet schließlich die Möglichkeit, daß durch eine größere, dauernde Strahlenbelastung die Todesrate ansteigen und die Geburtenzahl der Gesamtbevölkerung vermindert wird. So kann es zu einer Abnahme und eventuell zum Aussterben der Bevölkerung kommen. Wir sind zur Zeit noch völlig im ungewissen, wie groß die Dosis dieser gefährlichen Grenze für die menschliche Bevölkerung ist. Um so mehr müssen wir mit einer weiteren Strahlenbelastung der Gesamtbevölkerung vorsichtig sein.
Das ergänzt das, was heute vormittag schon bezüglich der Äußerungen Seiner Heiligkeit des Papstes Pius XII., Albert Schweitzers und des bekannten amerikanischen Atomphysikers erklärt wurde.
Es gibt in der Bundesrepublik seit wenigen Wochen oder Monaten eine sensationelle Entdekkung. Auch das erfahren wir nicht aus den Informationen des Verteidigungsministeriums oder des Atomministeriums oder aus .dem Ausschuß für Innere Verwaltung, dier sich mit Luftschutzfragen beschäftigt. Professor Rajewski, der im Auftrag der Bundesregierung die Verseuchung von Atmosphäre und Wasser untersucht, hat festgestellt, daß geringere Dosen als 25 Mikroröntgen, die ursprünglich als Toleranzdosis angesehen wurden, Funktionsstörungen beim Menschen auslösen können. Das Problem der radioaktiven Einwirkung auf dein lebenden Organismus scheint nach allen internationalen Äußerungen nicht eindeutig und erschöpfend geklärt zu sein. Immerhin muß es uns alle äußerst beunruhigen, wenn Professor Schweitzer feststellt, daß die inzwischen durch die Versuchsexplosionen erfolgte radioaktive Aufladung der Atmosphäre, selbst wenn weitere Experimente nicht mehr stattfinden, die Atmosphäre radioaktiv verseucht hat und diese Verseuchung noch auf Jahrzehnte hin anhalten wird.
Nun hat ein westdeutscher Arzt, dessen Namen ich dem Bundesinnenminister gern bekanntgebe, festgestellt, daß es ein Instrument gibt - er ließ es bei den physikalisch-technischen Werkstätten in Wiesbaden-Dotzheim fabrizieren -, das genaue Aufklärung über das Energiegeschehen im menschlichen Körper ermöglicht, und zwar mit Hilfe einer Ultrarotstrahlenmessung. Mit diesem Gerät gelingt ein Nachweis der Störung menschlicher Energieverhältnisse schon bei niedrigen Strahlendosen. „Es mag sein. daß mancher", so schreibt dieser Wissenschaftler, „von diesen Feststellungen über Frühschäden durch Radioaktivität nichts wissen will". Entscheidend ist aber, daß nach dem Forschungsergebnis des erwähnten Arztes solche frühen Störungen durch Eingriffe in den Energieablauf biologisch behoben werden können. Nun das Interessante: bei diesem Arzt, der nicht weit von hier in der Gegend rides Lahntals wohnt. sind wohl Vertreter der amerikanischen Behörden aus Los Angeles, ein Mitglied der südamerikanischen Atomenergiekommission und leider auch Vertreter des Pankower Gesundheitsministeriums aufgetreten. Aber keine der dafür verantwortlichen
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offiziellen Banner Regierungsstellen, auch nicht die Gesundheitsabteilung des Bundesinnenministeriums, hat sich bisher bemüht, mit diesem Arzt in Verbindung zu treten, um zu erfahren, ob es nicht doch schon ein Minimum gewisser therapeutischer Maßnahmen gibt.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Herr Kollege Becker hat mir, von Straßburg zurückkommend, noch ein weiteres Argument mitbringen können bezüglich des Unterschiedes, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, zwischen atomarer Bewaffnung und thermonuklearer Ausrüstung, d. h. der Ausrüstung mit Wasserstoffbomben und der Ausrüstung mit den sogenannten taktischen atomaren Waffen. In dem Dokument Nr. 38 der Versammlung der Westeuropäischen Union, im Bericht dies Berichterstatters Fens, heißt es auf Seite 38 in Artikel 17 - es ist ein sehr wichtiger Artikel, ich übersetze ihn -:
Die Frage, wer die Ermächtigung zur Anwendung der Atomwaffen gibt, hat offenlichtlich die hohen Offiziere sehr beschäftigt. Es ist klar, daß die Anwendung der Wasserstoffbombe auf höchster Ebene im politischen Bereich beschlossen werden muß.
Das heißt, 'daß die politisch verantwortlichen Instanzen sich die letzte Entscheidung vorbehalten. Aber es heißt weiter:
Aber ,die taktischen Atomwaffen, die sicher ein wesentlicher Bestandteil der Standard-Ausrüstung moderner Armeen sein werden, werfen eine andere Frage auf. Der Zukunftskrieg wird ohne Zweifel ein plötzlicher sein, ein Blitzkrieg sein. Die taktischen Planungen werden nicht warten können, bis eine Entscheidung aus Washington oder anderswo eintrifft.
Das heißt, während bei der Wasserstoffbombe wenigstens die verantwortlichen Politiker die letzte Entscheidung, auch rein technisch, noch haben können, ist beider Ausstattung mit atomaren Waffen eine solche Einschaltung politischer Instanzen, die die oberste Verantwortung tragen, technisch nicht mehr- möglich. Das heißt, der jeweils die Kommandogewalt innehabende Befehlshaber wird dann, ganz gleich was wir hier denken, die Auslösung befehlen.
Damit komme ich wieder zu der Forderung - das ist ein weiteres Argument -, bei aller Bejahung moderner Gliederung, Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr die Ausrüstung mit taktischen Atomwaffen nicht durchzuführen. Solange auch nur noch die geringste Chance für die Wiedervereinigung Deutschlands besteht, sollten wir nicht noch mehr Sprengstoff mitten in unserem Land anhäufen, sondern wir sollten versuchen, durch die Weiterverfolgung der Edenschen Gedankengänge zur Entspannung beizutragen und damit zur Wiedervereinigung und damit letzten Endes auch zur Schaffung eines größeren Europa, das 'durch Deutschlands Wiedervereinigung überhaupt erst möglich wird.
Wir Deutschen sollten mit gutem Grund die Initiative ergreifen. Schließlich ist es der Zusammenfügung der Einsteinschen Relativitätstheorie mit der Planckschen Quantentheorie und der Strassmanschen und Hahnschen Kernenergiespaltung insgesamt zu verdanken, daß der Natur das Geheimnis entlockt wurde. Genauso wie nach der
antiken Sage Prometheus, ,als er den Göttern das Feuer nahm und es den Menschen brachte, ein neues Zeitalter der Menschheitsgeschichte eingeleitet hat, so hat die Kernspaltung durch jene Kombination Einsteinscher, Planckscher und HahnStrassmannscher Gedankengänge ein neues Zeitalter für unsere Menschheitsgeschichte eingeleitet. Es stimmt, was Einstein noch vor seinem Tode erklärte: „Die Menschheit steht vor der Wahl, ob sie diese Erkenntnisse ihres Geistes zu ihrer Selbstvernichtung oder zu friedlicher Entwicklung mißbrauchen oder gebrauchen wird." Ich stimme völlig dem zu, was in moralisch-ethischer Hinsicht unser Kollege Dr. Schmid und unser Kollege Dr. Gerstenmaier hier gesagt haben; sie bezogen sich zum Teil auf die Äußerungen des Theologen Professor Thielicke, zum Teil auf andere Männer des deutschen Geisteslebens, zum Teil auf Männer aus Kirchen und Kultur. Aber gerade daß auf deutschem Boden die erste Kernspaltung erfolgte, ist, wenn man schon in der Politik die moralisch-ethische Verpflichtung sieht, für uns eine Verpflichtung, eben hier vom deutschen Boden aus zur Bannung des Verhängnisses aufzurufen.
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Schließlich haben wir außerdem die größte Hypothek des zweiten Weltkrieges zu tragen. Wir haben 7 Millionen Tote und Vermißte. Das sind 10 % unserer Substanz und ist damit die 'höchste Verlustzahl aller kriegführenden Nationen des zweiten Weltkrieges. Was wir anderen durch eine kurzsichtige Gewaltpolitik zugefügt haben, das haben wir um ein Vielfaches ,gebüßt. 'Sehen wir die Entwicklung der Geschichte so, 'daß sich aus der besonderen Lage Deutschlands die Verpflichtung ergibt, uns auch mit besonderen sittlichen Beiträgen an der Lösung des schwerwiegenden Problems zu beteiligen! Was nützen uns alle Siege, alle Erfolge, wenn dieser Substanzverlust von 7 Millionen Menschen in einem möglichen dritten Weltkrieg um ein Vielfaches übertroffen würde!
Der Krieg ist nicht mehr die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Diese neuen Waffen haben den Krieg nicht quantitativ, sondern qualitativ verändert. Der Mensch ist von der Materie übermannt, und es muß gelingen, daß sein Geist wieder Herr über die Materie wird. Ideen bewegen die Welt. Lassen wir uns doch nicht durch kurzsichtige Planungen irgendwelcher Art von dem Fernziel ablenken, das sowohl in der Freiheit für das ganze deutsche Volk wie in der Sicherheit für die ganze Welt und den Frieden liegen muß.
Wir Freien Demokraten haben Ihnen auf Umdruck 1096*) eine Entschließung vorgelegt. Wir haben den ersten Absatz der Entschließung der sozialdemakratischen Opposition**) nicht aufgenommen, weil wir es für selbstverständlich halten, daß man von den in diesem ersten Absatz niedergelegten Erwägungen ausgeht. Warum soll man wiederholen, was in einem Antrag steht? Aber in den anderen Absätzen legen wir Wert auf gewisse Differenzierung, und ich bitte, in Absatz 1 das Junktim zu sehen - ich ,habe Ihre Frage nicht vergessen, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier -, das nicht nur formell, sondern 'auch materiell zwischen der Frage der Rüstung dieser Erde einerseits und der Chance der Londoner Gespräche und der Abrüstung andererseits besteht. Sollten alle Ergeb-
*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 3
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nisse fehlschlagen, sollte die letzte Hoffnung der Menschheit auf den Frieden fehlgehen, - dann ist es aus, dann ist das apokalyptische Verhängnis da; dann ist aber auch alles, was wir hier an schönen Reden ,gehalten haben, nichts mehr als nur noch Makulatur für die Papierzerreißmaschine. Der Absatz 1 heißt:
Die Bundesregierung wird ersucht,
einen Beitrag zur allgemeinen Abrüstung
durch den Verzicht auf die Ausrüstung der
Bundeswehr mit atomaren Waffen zu leisten.
In temporärer Hinsicht sind wir für die Vorleistung. Die Bundesrepublik soll eine Vorleistung erbringen. In materieller Hinsicht sind wir für eine Relation dieses Problems mit den Fragen der Abrüstung der gesamten Erde.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte sehr.
Verzeihen Sie, Herr Kollege Mende, ich glaube, daß es sehr wichtig ist, daß wir uns hier recht verstehen. Deshalb meine Frage: Denken Sie bei diesem Junktim an einen bedingten Verzicht der Bundesrepublik, oder möchten Sie doch einen unbedingten Verzicht zum Ausdruck bringen, ganz egal, wie die Abrüstungsverhandlungen Laufen?
Der Hinweis auf die allgemeine Abrüstung beweist, daß es sich um einen bedingten Verzicht in Relation zu der allgemeinen Abrüstung dieser Welt handelt, der wir jetzt eine Chance geben.
Verzeihen Sie, Herr Kollege Mende, es ist sehr wichtig. Deshalb insistiere ich und frage noch einmal: Sie möchten also jetzt mit Ihrem Satz 1 bis auf weiteres einen bedingten Verzicht aussprechen? Dann darf ich darin einen Unterschied zu der sonst formell gleichen Forderung der SPD erblicken.
Es ist in der Tat ein Unterschied. Wir glauben, daß man in der Politik niemals „niemals" und niemals „ewig" sagen sollte und daß da ein französisches Sprichwort gilt: „On ne dit jamais ,jamais' et on ne dit jamais ,toujours'". Ob sich aus einer neuen Situation auch eine neue Konstruktion ergibt, kann niemand sagen. Wir möchten aber, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt und auch in absehbarer Zeit die Bundeswehr so lange nicht mit atomaren Waffen ausgerüstet wird, als erstens noch die geringste Chance für die Wiedervereinigung sichtbar ist und zweitens die Londoner Abrüstungskonferenz gewisse Aussichten auf Erfolg eröffnet.
Dann habe ich Sie nicht mißverstanden, Herr Kollege Mendie? Es besteht hier also ein qualitativer Unterschied zwischen Ihrer Forderung und der der SPD?
Es ist ein qualitativer Unterschied dokumentiert durch den Hinweis auf die allgemeine Abrüstung. Aber es ist eine temporäre Vorleistung. Wie lange wir sie aufrechterhalten, ergibt sich aus dem, was ich eben bezüglich des Abrüstungsproblems schlechthin und der Chance für die Wiedervereinigung sagte, die wir glauben härter sehen zu müssen als andere.
Wir beantragen weiter, die Bundesregierung zu ersuch en,
unter Berücksichtigung der Spaltung unseres Vaterlandes und der Bemühungen zur Wiedervereinigung mit Hilfe geeigneter Kontrollmaßnahmen zu erreichen, daß sowohl in der Bundesrepublik als auch im anderen Teil Deutschlands Atomwaffen weder stationiert noch gelagert werden.
Sie sehen, daß auch dies eine Frage des Zug-umZug, des Junktims, des Do-ut-des der Londoner Verhandlungsmöglichkeiten darstellt.
Wir beantragen drittens, die Bundesregierung zu ersuchen,
sich in allen Fragen der gemeinsamen Verteidigung bei den Mächten der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft um Berücksichtigung der besonderen Lage des geteilten Deutschland zu bemühen.
Das heißt, wir dürfen nicht gleichgeschaltet werden. Es gibt keinen NATO-Eintopf, sondern differenzierte Probleme, unid das geteilte Deutschland stellt ein differenziertes Problem dar.
Schließlich beantragen wir viertens, die Bundesregierung zu ersuchen,
in engem Zusammenwirken und dauernder Beratung mit der deutschen Atomwissenschaft dafür Sorge zu tragen, daß geeignete Maßnahmen für den Atomschutz der Bevölkerung getroffen werden und daß die Nutzung der Atomenergie ausschließlich friedlichen Zwecken dient.
Wir Freien Demokraten haben in Berlin, nicht zuletzt gerade in Berlin, die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands als das oberste Ziel der deutschen Politik deklariert. Das ist für unsere Partei eine Verpflichtung. Lassen Sie mich daher hier in diesem Haus mit dem gleichen Bekenntnis schließen: Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland, danach laßt uns alle streben, brüderlich mit Herz und Hand. Denn nicht die Bundesrepublik allein, idas ganze Deutschland soll es sein. Erst Deutschlands Wiedervereinigung, dann ein größeres Europa, das durch Deutschlands Wiedervereinigung erst möglich wird, und der Frieden und die Freiheit über alles, über alles in der Welt!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Mannteuffel.
von Manteuffel ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Auseinandersetzung über die Große Anfrage der SPD kann nach der Auffassung meiner politischen Freunde, der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei, die mich beauftragt haben, zusammen mit diem Kollegen Schneider unsere Auffassung hier darzulegen, zu einem fruchtbaren Ergebnis nur dann kommen, wenn man auch die Wirklichkeit „auf der anderen Seite", id. h. die grausame Realität nicht ausschaltet, und das scheint mir in den Reden der Opposition, die die Erprobung, die
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Einführung, den Einsatz und die Verwendung dieser neuartigen Waffen zum Gegenstand hatten, welche eben sehr viele im Inland und im Ausland aus ihrem gequälten Gewissen heraus zu Warnungen und zu Protesten veranlaßt haben, zu kurz gekommen zu sein.
Wir begrüßen die Debatte. Denn wir sind weiterhin der Meinung, daß, wenn die öffentliche Meinung über das Atomproblem allein von den Parteien gebildet und gelenkt wird - wir haben dies in den letzten Wochen erlebt -, die Wahrheit der Gefahr größter und heftigster Verzerrung ausgesetzt werden kann. Ich sage „kann"; es braucht nicht so zu sein. Aber auch dies haben wir erlebt, und das scheint uns sehr bedenklich: daß die Auswertung dieser Warnungen und Proteste zum Teil in die Ebene der Parteipolitik heruntergezogen wird. Wir halten das für bedenklich, weil damit die Atomrüstung zum Agitationsmittel benutzt wird, und dies wiederum kann den ehrlichen Bemühungen der verantwortlichen Staatsmänner und Parlamentarier keineswegs dienlich sein. Dieses Problem scheint uns zu ernst zu sein, als daß man es zu einem billigen Wahlschlager machen kann. Allerdings sage ich dazu: auch wir sollten uns vor jeder Übersteigerung des zur Zeit militärisch Notwendigen hüten. Alle diese von mir angeführten Mißstände sind nicht geeignet, das anstehende Problem zu verdeutlichen.
Ich darf dem voranstellen, daß auch wir der Auffassung sind, daß die aus aufrichtiger Überzeugung entspringenden Warnrufe und Proteste sich ganz zweifelsfrei auf die Befürchtungen der Antragsteller für die menschliche Gesundheit gründen. Ich meine, man sollte von jeder Seite irgendwelche
weiteren Unterstellungen und Verdächtigungen gegenüber diesen Männern unterlassen, die man betrüblicherweise schon in der Tagespresse gelesen und leider auch in Äußerungen von Parlamentariern gehört hat.
Wir sind der Auffassung, daß unsere Verteidigungspolitik keinen Stimmungsschwankungen unterworfen sein darf; denn die Wehrbereitschaft ist eine dauernde Verpflichtung und Aufgabe, die sich auf alle Gebiete der totalen Verteidigung unserer Heimat erstrecken muß. Deswegen kann das richtige Abwägen des „Ob-überhaupt", des „Wie", des „Wieviel" und des „Wann" nach unserer Auffassung nur im Rahmen der Gesamtkonzeption unserer Verteidigung und nur im Zusammenhang mit denjenigen erfolgen, mit denen wir die gemeinsame Verteidigungsverpflichtung Europas eingegangen sind, und zwar unter sehr sorgfältiger, d. h. der Wirklichkeit entsprechender Einschätzung dessen, was die andere Seite angeboten hat, zu geben vermag und als Beitrag zur Lösung dieser Frage zu leisten imstande, willens ist und überzeugend dartun kann.
({3})
Dies muß allerdings auch unter besonderer Berücksichtigung dessen geschehen, was wir für notwendig halten, nämlich des notwendigen Mindestmaßes an gemeinsamer Verteidigung Europas auf allen Gebieten, nicht nur auf dem militärischen. Davon hängt die Hoffnung ab, daß sich schließlich eine günstigere politische Gesamtkonzeption ergibt, die wirklich echte Sicherheit in Freiheit für alle Deutschen bietet.
Wie sieht nun die Wirklichkeit aus? Meine Damen und Herren, befürchten Sie bitte nicht, daß
ich Sie mit langatmigen Wiederholungen strapazieren werde. Die Aufzählung gewisser Tatbestände ist aber notwendig, weil sie die Grundlagen für unsere Beurteilung sind. Ich will mir Mühe geben, mich kurz zu fassen, und nur soviel darlegen, daß Sie die Folgerungen, die wir daraus ziehen, und das Ergebnis verstehen können.
Zunächst dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechselt werden. Herr Kollege Dr. Gerstenmaier hat das hier sehr eingehend dargestellt. Ursache der weltweiten Spannungen ist das Vorgehen einer Großmacht, die sich nicht der UNO bedient, um die Störungen im Gleichgewicht des politischen Zusamenlebens zu beseitigen. Was die Bundesrepublik betrifft, so hat die UdSSR bis auf den heutigen Tag versucht, ,die Politik der Bundesregierung mit Drohungen und mit anderen Mitteln zu behindern; sie setzt ihre aggressive Politik nach wie vor fort. Die Wirkung war und ist die Atlantische Gemeinschaft, quasi als Schicksals- und Bündnisgemeinschaft, ,als Reaktion auf diese fortgesetzten Drohungen der UdSSR. Tatsache ist - wir haben es in den letzten Wochen erlebt -, daß die Sowjetregierung, während die kommunistische Propaganda den Westen angreift, gleichzeitig ihre lange Serie nuklearer Versuchsexplosionen - ich möchte beinahe sagen: im Eiltempo - fortsetzt und drohende Mitteilungen an eine Anzahl von Ländern sendet. Wir haben das heute vom Bundesverteidigungsminister gehört. Man gibt sehr drastische Schilderungen der vernichtenden Macht der sowjetischen nuklearen Waffen und der Fähigkeit der Sowjetunion, sie angeblich gegen Ziele in allen Teilen der Welt einsetzen zu können. Dazu paßt auch, daß der sowjetische Verteidigungsminister am 16. März vor dem sowjetischen Spezialoffizierkorps für die technische und politische Ausbildung der Sowjetstreitkräfte keinen Zweifel daran gelassen hat, daß die Ausbildung für atomare Waffen und Kampftechnik auf sowjetischer Seite mit allen Mitteln auf breiter Grundlage betrieben werden soll.
So hören wir dann auch von den Atomexplosionen in Sibirien, im ganzen von 22, allein in den letzten drei Wochen von 5. Ich meine, die öffentliche Meinung im Westen kann auch diese Explosionen keinesfalls überhören. Vielleicht denken die Sowjets einmal darüber nach und finden dann glaubwürdigere Worte als bisher. Ich meine, der Zeitpunkt, um in London darüber zu sprechen, scheint mir nicht ungeeignet zu sein.
Aber etwas Weiteres: Die Sowjets haben - jedenfalls nach Pressemeldungen - nach japanischen Untersuchungen eine neuartige Atombombe entwickelt, die gefährliche Spaltungsprodukte von langer Lebensdauer erzeugt, die also eine besonders langwierige radioaktive Verseuchung verursacht. Deswegen muß man sich wirklich immer wieder fragen, warum so viele, die über die sowjetischen Versuche kaum ein Wort verlieren,
({4})
sich über die Versuche diesseits des Eisernen Vorhangs in dieser Form entrüsten.
({5})
Was die Sowjets wollen, ist jedenfalls meinen politischen Freunden und mir klar. Die Sowjetregierung will den nuklearen Ring in Zentraleuropa sprengen, ohne dafür einen politischen Preis zu zahlen. Sie will die Isolierung West({6})
europas von den USA. Sie will die USA zur Anerkennung einer politischen Teilung nach den Maßstäben Moskaus zwingen, und sie möchte deshalb die Atomstützpunkte des Westens möglichst weit von den Grenzen des kommunistischen Machtbereichs fernhalten. Sie versucht auch, den Wahlkampf durch diese Einschüchterungsversuche zu beeinflussen und dadurch auf die Bundesregierung einen ausgesprochenen Druck auszuüben.
Angesichts der sowjetischen Drohung gegen die USA-Stützpunkte in Westeuropa scheint es mir richtig und notwendig zu sein, darauf hinzuweisen, daß man sich nicht von den wirklichen militärischen Gegebenheiten in Europa ablenken lassen darf: Sie reden nämlich eine völlig andere Sprache. Wir kennen den „Stützpunkt sowjetisch besetzte Zone Deutschlands", wir kennen den „Stützpunkt Tschechoslowakei", wir kennen den „Stützpunkt" - wenn er auch schwächer geworden ist - „Polen", wir kennen den „Stützpunkt Ungarn" usw. Dem steht die freiwillige Verpflichtung der Bundesrepublik - ich brauche das nicht anzuführen, das ist ja allen Damen und Herren geläufig - zu gewissen Rüstungsbeschränkungen und -kontrollen entgegen.
Ich glaube deswegen, daß es der Sowjetunion nicht zusteht, jetzt die von ihr immer wieder behauptete Bedrohung durch den Westen einseitig zu konstruieren. Aus diesem Grunde erscheint uns auch ein einseitiger Verzicht als irreal; denn eine einseitige Konzession der atlantischen Verbündeten würde das militärische Gleichgewicht stören und damit die Garantie für den, wie es nun einmal leider ist, bewaffneten Frieden schwächen.
Aber auch folgendes ist zu bedenken. Ich habe heute nichts davon gehört, aber ich habe es in einer englischen Zeitung gelesen, und möglicherweise ist es auch einem Teil der Damen und Herren zur Kenntnis gekommen. Der britische Verteidigungsminister Sandys hat nämlich in der Debatte im Unterhaus gesagt, britische Wissenschaftler glaubten, daß man mit Sicherheit erfolgreich versuchen könne, eine Versuchsexplosion so durchzuführen, daß sie nicht entdeckt werden könne. - Das ist wohl im Englischen so zu lesen wie auch in einer deutschen Übersetzung; ich glaube mich da nicht zu irren.
Der einseitige Verzicht steht aber auch in krassem Gegensatz zu der auch von den oppositionellen Parteien immer wieder erhobenen Forderung, unsere Verteidigungsorganisation so aufzubauen, daß sie nicht militärisch veraltet, sondern wirksam ist, d. h. daß ihr die wirksamsten Waffen und die zweckmäßigste Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden. Mit vollem Recht haben es die oppositionellen Redner draußen im Lande geradezu als eine Degradierung für die deutschen Soldaten bezeichnet, wenn Sie nicht die gleiche moderne Bewaffnung und Ausrüstung wie die Soldaten der anderen NATO-Mitgliedstaaten hätten. Einer dieser Redner hat sogar davon gesprochen, daß dann die Bundesrepublik nicht gleichberechtigt, sondern geradezu ein Protektorat der Amerikaner wäre. Nun, wir müssen uns doch immer wieder vor Augen halten, daß wir in einem möglichen Konfliktfall zwischen anderen, vor allen Dingen also den Großmächten, nicht nur beeinträchtigt werden und Störungen aller Art zu erleiden haben, sondern die kriegerische Auseinandersetzung wird mit der ganzen Schwere und der ganzen Wucht eines modernen
Krieges über uns alle, die wir in der Mitte dieses Spannungsfeldes liegen, herfallen. Deshalb gilt nur das, was am erst en Tage eines Konfliktsfalles verfügbar ist. Nur das kann für uns in die Waagschale fallen. Wir können eben nicht, wie die USA und die Sowjets im vergangenen und hoffentlich letzten Kriege, in diesem Kriege die Verwendung der einzelnen Waffen quasi erst anlaufen lassen. Deshalb trifft das Argument, das Herr Dr. Mende angeführt hat, nicht ganz zu, das Argument mit dem Strategischen Bomberkommando in der Arbeitsteilung, die wir in der NATO eingegangen sind. Wenn ich auch die Berichte des amerikanischen Oberbefehlshabers gelesen habe, daß es gelungen ist, bei einem Probealarm dieses Strategische Bomberkommando in einem großen Umfang in 30 Minuten mit voller Bewaffnung und Ausrüstung in der Luft zu haben, so meine ich, daß das gerade nach der Warnung, die Herr Dr. Mende mit Recht hier ausgesprochen hat, bei einer Zeit von nur 5 bis 20 Minuten, die für uns zur Verfügung steht, eben nicht ausreichend ist.
Wir sehen aber ebenso auch in der Schaffung der sogenannten militärisch verdünnten Zone - allerdings in etwas abgewandelter Form, denn wie Präsident Eisenhower gesagt hat, würde man dieses Problem sehr sorgfältig prüfen, und dafür dürfen wir ihm dankbar sein -, jedenfalls in der Form, wie sie bisher von der Sowjetunion angeboten ist, nicht das geeignete Mittel, diese weltweiten Spannungen oder auch die Störungen des Zusammenlebens zwischen Ost und West in Europa zu mildern, weil eben die Schaffung einer solchen militärisch verdünnten Zone nach unserer Auffassung von einer Bürgschaft oder einer Garantie der Großmächte abhängig ist, wenn man dafür nicht die UNO einschaltet.
Aber, meine Damen und Herren, wie kann man denn den Leuten Vertrauen schenken, die imstande sind, den Opfergang des ungarischen Volkes als das Ergebnis einer faschistischen Verschwörung darzustellen?
({7})
Ich meine, die gesamte Weltgeschichte lehrt eindeutig und mit besonderer Eindringlichkeit - und gerade unsere Generation hat dies ja auch in den letzten 30 bis 40 Jahren leider erfahren müssen -, daß man an Bündnistreue und Erfüllung militärischer Bündnisse erst glauben kann, wenn man sie sieht.
Gegen diesen einseitigen Verzicht spricht nach Auffassung der Deutschen Partei und der Freien Volkspartei auch, daß wir bisher der Ansicht waren und es noch sind, daß die UdSSR gewisse als gerechtfertigt anzusehende Sicherheitswünsche haben kann und haben wird; aber, meine Damen und Herren, der deutsche Wunsch in bezug auf Sicherheit in Freiheit für alle beinhaltet eben auch die Verantwortung und die Verpflichtung der Bundesregierung, für diese Sicherheit zu sorgen. Es ist nun einmal nach den Ergebnissen der letzten 12 Jahre nicht von der Hand zu weisen, daß totalitäre Staaten im Konfliktsfalle sehr leicht geneigt sind, Hemmungen im Einsatz der neuzeitlichen Kampfmittel abzustreifen, wenn sie glauben, dadurch einen kriegsentscheidenden Vorteil zu haben.
({8})
Andererseits kann ich mir jedenfalls auf westlicher
Seite keine irgendwie geartete Möglichkeit der
({9})
militärpolitischen Lage denken, die ein derartiges Geschehen auch nur annähernd als sinnvoll erscheinen ließe, weder aus der derzeitigen Konstellation noch aus einer vielleicht später ganz andersgearteten Mächtegruppierung heraus. So sieht der von Sorin in London vorgelegte neue Plan in der Tat kein Verbot der Atomwaffenproduktion vor, wohingegen der von dem amerikanischen Abrüstungsbeauftragten Stassen vorgelegte Plan bekanntlich empfiehlt, diese Produktion am 1. März 1958 zu beenden. Er sieht außerdem ein Lieferverbot an vierte Länder vor. Wir begrüßen diesen Plan, wie wohl auch alle Sprecher vor mir, ausdrücklich. Aber die Behauptung, daß eine Ausdehnung der atomaren Bewaffnung auf andere Länder außer den USA und der UdSSR die Gefahr eines Atomkrieges erhöhe, ist ja heute jedenfalls noch eine Hypothese, die nicht einmal eine Gewähr dafür zu bieten vermag, daß der Verzicht auf eine solche Ausdehnung die Atomkriegsgefahr wirklich verringert oder ausschließt.
({10})
Nun wird gesagt, daß es für ein kleines Land besser wäre, nicht über Kernwaffen zu verfügen. Meine Damen und Herren, in Europa wird kein Land sich mehr erlauben können, militärisch neutral zu bleiben. Es wird eben, ob es will oder nicht, mit den Folgen eines solchen Atomkrieges leider, leider konfrontiert. Alle Argumente gegen den Besitz, die Stationierung oder die Ausrüstung mit diesen neuartigen Vernichtungsmitteln können nun einmal nicht die Frage beantworten, ob bei einem deutschen Verzicht unsere Heimat im Konfliktsfalle vom Atomeinsatz verschont bleibt.
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Ich frage Sie: Ermuntert die Hilflosigkeit des Nachbarn den Überlegenen wirklich zur Schonung, oder ermuntert sie ihn nicht vielleicht im Gegenteil dazu, über den Schwachen herzufallen? Wirkliche echte Sicherheit wird es erst geben, wenn keine Atombomben mehr da sind
({12})
und die konventionellen Waffen auf bescheidenen Umfang - so sagte der Herr Vorredner Dr. Gerstenmaier, und das ist auch unsere Auffassung - begrenzt sind.
Die bequeme Mutmaßung aber, daß ein Abkommen zwischen allen Mächten über die Einstellung der Versuche genügen würde, das Problem zu lösen, ist nicht ganz stichhaltig. Meine Damen und Herren, ich erinnere auch an das, was der britische Verteidigungsminister - oder war es der Außenminister? - in der Unterhausdebatte gesagt hat. Aber Sie können auch lesen - im „Daily Mirror" -, was der Labour-Abgeordnete Richard Cr o s s m an gesagt hat. Er hat erklärt:
Wir britischen Sozialisten können nicht weiter abseits stehen und zu behaupten versuchen, daß es Sinn habe, die H-Bombe zu besitzen, ohne sie auszuprobieren.
Dies beantwortet nach meiner und meiner politischen Freunde von der Deutschen Partei/Freien Volkspartei Auffassung die Meinungsverschiedenheit darüber, ob die Bombe auch ausprobiert werden soll, dahin, daß eine Waffe, die niemals ausprobiert worden ist, eben keine sehr wirkungsvolle Abschreckung sein kann.
Wenn von der Opposition und ihren Anhängern im Lande gesagt wird, daß für den Fall, daß die
UdSSR eine Ausrüstung mit atomaren Waffen als eine echte Bedrohung empfände, der Verzicht auf eine derartige Ausrüstung auch ein echter Preis wäre, den wir zu zahlen hätten, so ist dem entgegenzuhalten, daß dieser Verzicht nach unserer Auffassung eine Vorleistung darstellen würde, der wir nicht zustimmen können,
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da die UdSSR bis zum heutigen Tage und bis zu dieser Stunde glaubhaft nichts angeboten hat und - ich pflichte dem Bundeskanzler bei - anscheinend auch nichts zu honorieren beabsichtigt. Oder man müßte sich mit rein wörtlichen Zusicherungen der Sowjetregierung begnügen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach allen Erfahrungen in den vergangenen Jahren und gerade auch Monaten muß man sich fragen, welche Regierung, gleichgültig wie sie heißt, bereit wäre, die Sicherheit der freien Welt derart aufs Spiel zu setzen. Solange der Eiserne Vorhang die notwendige internationale Kontrolle und Inspektion ausschließt, ist ein begrenztes Abkommen technisch leider unmöglich; und diese Tatsache beinhaltet in der Tat ein Risiko, das keine Regierung tragen kann.
Es liegt außerdem auch nicht das geringste Anzeichen vor, daß Moskau in absehbarer Zeit in eine Änderung dieses Status quo einwilligen würde. Deshalb scheinen uns die immer wieder vorgebrachten Äußerungen und vagen Ideen von einem neutralen Gürtel den einzigen Fehler zu haben - der wiegt allerdings schwer genug -, daß diesen Angeboten alle Voraussetzungen zu ihrer Verwirklichung fehlen. Ich darf mich da auf Äußerungen eines Mannes wie Charles E. Bohlen berufen, der zehn Jahre - davon meines Wissens etwa vier Jahre als Botschafter der USA - in der sowjetischen Hauptstadt verbracht hat. Er zieht aus der Situation den Schluß - vor wenigen Wochen erst ausgesprochen! -, daß die Sowjetregierung, um einem nuklearen Wettrüsten zu entgehen, nur in Fragen von geringerer Bedeutung kompromißbereit sei, während eine Einigung über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Sicherheit und über die Rolle der osteuropäischen Satellitenstaaten nach wie vor als ausgeschlossen angesehen werden müsse.
Meine Damen und Herren, ich brauche Sie nur daran zu erinnern, daß die Sowjetunion in der Vergangenheit nicht einmal einen ernstlichen Versuch unternommen hat, die Frage der Wiedervereinigung aller Deutschen in Freiheit und Sicherheit fur alle auf einer Grundlage zu lösen, die für ein freiheitliebendes Volk annehmbar ist.
Daraus folgt für meine Freunde und mich: die Verteidigungspolitik der Bundesregierung von heute kann nur auf das Bestehende gegründet werden. Denn in der Politik - das wissen Sie, meine Damen und Herren - gelten bekanntlich nur reale Tatsachen und nicht Träume und Wunschgebilde und etwa daraus abgeleitete Hoffnungen. Die Tatsache und Wirklichkeit ist die: die Abschreckung vor einem Angriff und die Verhinderung eines Krieges sind der einzige Zweck, der im Besitz dieser Bomben liegt.
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Sicherlich sind Bomben und Abschußbasen - sie sollten es nicht sein, dürfen es nicht sein - kein Selbstzweck. Aber einseitige Verzichte sind es auch nicht.
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Wir müssen auch in Rechnung stellen, daß unsere Bundesrepublik doch nur im Schatten der Großmächte steht. Kein Verantwortlicher in der Bundesrepublik behauptet, daß heute Atomwaffen etwa ein Merkmal der Souveränität sind, sondern leider, leider, wie die grausame Wirklichkeit heute aussieht, der Ausdruck jener Balance zwischen Schrecken und Abschrecken, auf der zur Zeit nun einmal der Weltfrieden ruht.
Deswegen hat auch die Bundesregierung nicht zu entscheiden, wann die Stunde X eintritt, sondern jene anderen Mächte - und da wende ich mich in gleicher Weise an die UdSSR -, die die Atomwaffen zum Kern ihrer Rüstung machten und noch machen und - so wie die UdSSR - damit sogar drohen. Alles, was erforderlich ist, ist eine Zustimmung der Führer im Kreml zu einem erforderlichen Mindestmaß der notwendigen wirksamen internationalen Kontrolle. Deshalb liegt die wirkliche Verantwortung für Krieg und Frieden - das haben alle Sprecher hier heute zum Ausdruck gebracht - im Atomzeitalter eben bei der Sowjetregierung.
Ich frage mich: Wird der Kreml daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen? Aber es scheint nach ihren letzten Noten an andere Staaten und auch nach dem Brief an uns der Sowjetregierung nicht mehr bewußt zu sein, daß die Menschen der freien Welt die blutige Liquidierung eines Volkswillens so wie in Ungarn gänzlich anders beurteilen müssen und daß sie daraus gewisse Schlüsse zu ziehen verpflichtet sind.
Es ist schon von Herrn Dr. Gerstenmaier angeführt worden: ein Element, und zwar in erster Linie, ist dabei die freie Selbstbestimmung der Völker. Bitte, schauen Sie nur nach Ungarn! In dieser Beziehung müssen meine Freunde und ich eindeutig, mit aller Klarheit feststellen, daß eine halbe Wahrheit eben keine Wahrheit, sondern eine volle Lüge ist.
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Gerade ein Abkommen wie dieses über die nukleare Abrüstung erfordert aber Zuverlässigkeit, Wahrhaftigkeit, Ernsthaftigkeit und Vertrauen unter den Partnern, die ein derartiges Übereinkommen treffen.
Danach sieht also das Problem so aus: Keine von den Atommächten will doch jemals dem Gegner, der Atomwaffen anwenden könnte, unbewaffnet gegenüberstehen. Solange man die Drohung sieht, wird es die Angst vor der Atombombe geben, und sie wird leider, leider vielleicht zunächst nicht aufhören. Dagegen helfen nur - da stimmen wir mit allen denen überein, die das hier im Auftrage ihrer Fraktion ausgesprochen haben - die echte Abrüstung auf dem Gebiet der Atomwaffen und der konventionellen Waffen und ihre echte wirkungsvolle internationale Kontrolle. Somit läuft die Lösung des angeschnittenen Problems auf die Frage hinaus: Wie kann man das Zusammenleben der Völker endlich vertrauensvoll und friedlich gestalten, damit sie alle in Freiheit und in Sicherheit leben können?
Ich halte nach wie vor - und ich durfte das hier sehr früh ausführen - ein ausschließliches Verlassen auf die Atomwaffen für politisch gefährlich. Aber unter den bisher von den Sowjets angebotenen Bedingungen ist leider eine Übereinkunft zur Beschränkung oder Abschaffung der Atomwaffen nicht möglich - ich sage: unter den von den Sowjets angebotenen Bedingungen -, weil eben der Westen so lange nicht wirksam verteidigt werden kann, wie die Sowjetunion über diese Massenvernichtungswaffen verfügt. Das heißt: entweder kommen die beiden Großmächte, Atommächte, später die drei, zu einem freiwilligen Übereinkommen, oder sie müssen sich alle mit allen erdenklichen Kampfmitteln bewaffnen. Und das ist ja das Problem, vor dem wir heute stehen.
Ich meine, es sind nicht nur zwei Wege, die auch den militärischen Befehlshabern in der NATO offenstehen, jedenfalls bei ihrer heutigen Einstellung zur Verteidigungsfrage, d. h. entweder sie verwenden die Atomwaffen zur Abwehr und lösen damit den Atomkrieg aus, der erst Europa in eine Atomwüste verwandelt und dann zur allgemeinen Katastrophe überleitet, oder - das ist der zweite Weg; ich glaube, daß es noch einen dritten gibt - sie schrecken davor zurück und überliefern uns Deutsche damit als erste der überwältigenden Dampfwalze der konventionellen Waffen Moskaus. Meine Damen und Herren, beides sind Aussichten, die ungefähr gleich entsetzlich sind. Wir glauben allerdings, daß es noch einen dritten Weg gibt, und das ist die Folgerung, die wir aus der Bewertung der militärischen Kampfmittel aller Art ziehen, etwa so, wie es auch von Herrn Dr. Gerstenmaier angedeutet worden ist: die technische Entwicklung dieser Waffen - alle insgesamt, Massenvernichtungswaffen und solche, die etwa nach erfunden werden sollten - muß den Weg frei machen für die Politik. Die Politik muß alle Möglichkeiten ihrer arteigenen Konzeption ausarbeiten, zur Geltung bringen und konzentrieren; zwar nicht unabhängig von den militärischen Gegebenenheiten - das geht nicht -, aber ich meine, es sollte kein Denken mehr in militärischen Stützpunkten und in Divisionen allein sein, kein Denken, das auf militärische Kräftegruppierungen abzielt.
Es kommt natürlich noch etwas anderes hinzu. Die Gefahr und die Warnung vor der Gefahr einer Selbstvernichtung durch den Einsatz der Massenvernichtungswaffen haben jetzt eigentlich jedem in Deutschland erneut klargemacht und vor Augen geführt, daß die politischen Entscheidungen den Vorrang haben müssen vor den strategischen Überlegungen. Die politische Sicherheit und Sicherung, die Absicherung der Bundesrepublik, werden das militärische Element vielleicht zurücktreten lassen können. Aber sicher sollte die Politik nicht allein mehr im Schatten der Atomstrategie behandelt werden, und darin darf die Politik auch nicht leben. Die Konsequenz ist naturgemäß, daß neue politische Pläne für die Sicherheit, für den Frieden und für die deutsche Wiedervereinigung entwickelt werden, die allerdings auch den Notwendigkeiten der deutschen Politik Rechnung tragen, um dann mit dem Gegner politisch handeln und verhandeln zu können und nicht mehr unter dem, ich will einmal sagen, Konzept machtpolitischer Gruppierungen. Wir glauben, daß die jeweils neue Lage, wenn die Sowjetregierung etwas anzubieten hat, mit Sorgfalt überprüft werden muß. Diese Forderung schließt ein Risiko ein, d. h., daß auch wir jenen Preis zahlen, der erst die auf Abschreckung beruhende atomare Defensivkanzeption des westlichen Verteidigungsbündnisses in Europa - ich sage immer wieder: so wie die grausame Wirklichkeit heute noch leider aussieht - ermöglicht. Nun sollte man nicht bei der Beurteilung dessen, was
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für unsere militärische Sicherheit notwendig ist, allein davon ausgehen, daß die atomare Bewaffnung und Revolution der Strategie und der Taktik so weit fortgeschritten ist, daß in Europa andere Konfliktformen als der Atomkrieg nicht mehr denkbar sind. Deshalb muß man konventionelle Streitkräfte im Westen schaffen, die stark genug sind, um auch ohne Atomwaffen die sowjetische Dampfwalze aufzuhalten - wenn ich bei dem Beispiel verbleiben darf - und womöglich die Sowjets zu veranlassen, gar nicht erst mit dem Gedanken einer solchen Dampfwalze zu spielen.
Ich sage dies hier nicht, weil ich die militärische Konzeption begründen und untermauern will, sondern weil die Bundesregierung nach der Auffassung meiner Freunde von der Deutschen Partei und Freien Volkspartei ebenso die Verpflichtung und Verantwortung hat, für unsere militärische Sicherheit zu sorgen - eine Auffassung, die mir bei den Ausführungen einiger Redner der Opposition wesentlich zu kurz gekommen zu sein scheint -, und zwar eine Sicherheit in Freiheit für alle Deutschen. Das ist heute noch die rauhe Wirklichkeit.
Selbstredend müssen die Bemühungen um die Herbeiführung einer allgemeinen Abrüstung weitergehen. Sie müssen sogar mit Energie betrieben werden. Wir begrüßen daher den Sta senschen Vorschlag in London, der nach unserer Auffassung sehr bedeutende Ansätze zu einer wirklich praktischen Lösung des Abrüstungsproblems beinhaltet. Damit haben die Politiker der großen Mächte eine Frist, um Lösungen zu schaffen, die den Druck der Angst von der gesamten Menschheit nehmen könnten. Deshalb ist auch Eile geboten, wie es heute
morgen hier von meinem Kollegen Erler gesagt worden ist. Aber nicht in Bonn werden diese Entscheidungen getroffen und auch nicht in der NATO. Die Folgerungen aus der Furchtbarkeit der atomaren Waffen müssen in London bei der Abrüstungskonferenz oder im Sicherheitsrat der UNO gezogen werden. Wir stimmen dem Außenminister zu, der von der Notwendigkeit einer allgemeinen Abrüstung, zu der jeder Staat - nicht nur einzelne - beitragen muß, gesprochen hat, einer Notwendigkeit, der Rechnung getragen werden muß, wenn der Schrecken des Atomkrieges gebannt werden soll. Hier liegt, auf die Dauer gesehen, der Kern des Problems. Aber es ist durch die Ereignisse der letzten Jahre, vor allem des Jahres 1956, deutlich geworden, wie sehr sämtliche großen Fragen der Außenpolitik heute zu einem einzigen Knäuel zusammengeballt sind. Deshalb ist es eben nur in einem weltweiten Abkommen über eine kontrollierte Abrüstung möglich, die Atomprobleme zu lösen. Die Lösung dieser Frage ist schwierig, aber sie muß in Angriff genommen werden. Darin stimmen wir Dr. Gerstenmaier und den anderen Vorrednern zu.
In diesem Sinne, meine ich, hat die Sowjetunion zweifellos eine besondere Verantwortung. Sie hat es in der Hand, durch Zustimmung zu wirksamen Kontrollen einen Stopp der atomaren Rüstung zu erreichen, das bisher wirksame Monopol der atomaren Bewaffnung der Großmächte zu erhalten und damit einen wirksamen und bedeutenden ersten Schritt zur Entspannung zu ermöglichen, der dann weitere Schritte auf dem Wege der allgemeinen Abrüstung unter Einschluß der konventionellen Waffen erleichtern würde. Die Sowjetregierung braucht nur eine allgemeine Abrüstungsvereinbarung mit wirksamen internationalen Kontroll-und Inspektionsmaßnahmen im Rahmen der von den Westmächten mehrmals unterbreiteten Vorschläge - wir hörten heute von 20 - anzunehmen.
Wir von der Deutschen Partei ({19}) vertrauen der Bundesregierung, daß sie, wie sie früher und auch beute wieder erklärt hat, bereit ist, jeweils jede neue politische Lage zu überprüfen, wenn sich in der Beurteilung derselben durch neue, ernsthafte, ehrliche und glaubhafte sowjetische Angebote hierzu eine Handhabe bietet. Es liegt also auch hier die Verantwortung in erster und entscheidender Linie wiederum bei der Sowjetunion.
Wir wünschen aber auch zu betonen - auch mein Koalitionsfreund Herr Dr. Gerstenmaier hat das getan -, das Nordatlantische Bündnis ist für uns, solange die Lage noch so ist, wie ich sie hier kurz und in Bruchteilen darzustellen versucht habe, so unentbehrlich wie je.
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Die Bundesrepublik - das müssen wir uns ins Gedächtnis zurückrufen -, wenn auch nur ein kleiner, ein bisher verschwindend kleiner Teil der NATO - das darf nicht ausgeschaltet und nicht vergessen werden -, ist doch der ganz en Kraft der NATO-Macht teilhaftig. In diesem Sinne haben auch wir den Auftrag, an einer Politik des starken Friedens mitzuwirken; denn darin liegt ja der politische Wert der NATO und unseres unentbehrlichen Beitrages zur NATO: sie zur vollen Funktion und damit auch zur Glaubwürdigkeit zu bringen. Militärische Macht im begrenzten Sinne des Wortes hat das Ziel, die politische Entscheidungsfreiheit zu behalten. Wir wollen nicht Subjekt und Träger der Politik sein, aber schon gar nicht Kompensationsgegenstand. Deshalb treten wir für eine Fortsetzung der westlichen, Bündnis- und Integrationspolitik ein. Sie ermöglicht in der Tat die besten Aussichten auf eine Wiedervereinigung aller Deutschen in Freiheit und Sicherheit dadurch, daß sie den Weg zu einer Generalbereinigung der weltpolitischen Fragen frei macht, sobald die Sowjets es aufgeben, auf einen Zerfall des Westens oder vielleicht sogar auf leichte Beute zu hoffen. Das heißt, wir müssen durch Festigung der freien Welt den Sowjetführern schließlich einen Weltfriedensschluß nahelegen.
Wir pflichten denjenigen bei, die da sagen, daß eine Ablehnung von Bündnisverpflichtungen für die Bundesrepublik Isolierung bedeutet, oder die sagen, wir verlören durch eine solche Isolierung das Vertrauen des Westens, ohne den Osten zu gewinnen.
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Aus einer solchen Isolierung folgen ja weitere erhebliche außenpolitische Komplikationen im Hinblick auf die Wiedervereinigung, die in diesem Zusammenhang von den Kritikern heute mit Recht als Hauptforderung herausgestellt wurde. Diese Wiedervereinigung wird bei der Isolierung überhaupt Fragegestellt, weil sich dann eben beide Weltblöcke von den deutschen Fragen abwenden werden. Damit würden wir 'erst recht Handelsobjekt bei künftigen Ost-West-Verhandlungen.
Die Verwirklichung der Umrüstung wird sich allgemein zwangsläufig auf einen sehr langen Zeit({22}))
raum erstrecken, was die Amerikaner betrifft. Man muß jetzt ja auch die politische Entscheidung abwarten und welches Urteil die militärischen Fachleute abgeben werden. Wir wissen, daß diese Fachleute vom Ministerrat aufgefordert sind, im Herbst ihr Urteil abzugeben. Wir müssen daher, abgesehen davon, daß die Politik ihre Möglichkeiten und Mittel und Wege konzentrieren muß, diese Frist noch ausnutzen. Auch in der deutschen Außenpolitik müssen wir diese Atempause nutzen, um die Bundeswehr aufzubauen, so daß sie zusammen mit ihren atlantischen Verbündeten in der Lage ist, die Dampfwalze - darf ich wieder sagen - der Sowjets am Rollen zu hindern, ohne daß der Westen zu selbstmörderischen Waffen seine Zuflucht nehmen muß. Es muß allerdings nach wie vor vor den Illusionen gewarnt werden, die dahin zielen, daß es genüge, wenn die Bundeswehr das Gleichgewicht zur kasernierten Volkspolizei halte. Wir haben darüber schon früher eingehend gesprochen. Einzelheiten heute zu wiederholen, ist daher unnötig.
Solange die Sowjets nicht bereit sind, ihr Verhältnis zu den Satelliten anläßlich dieser Verhandlungen, bis wir zu Vereinbarungen kommen, zur Diskussion und auf eine neue Grundlage zu stellen, sind alle irgendwie gearteten Angebote völlig irreal; denn die Bundesrepublik liegt nicht fernab vom Weltgeschehen irgendwo auf dem Globus, sondern leider in der Mitte Europas, und mit dieser Gegebenheit müssen wir fertig werden. Konkret gesprochen, läuft dies darauf hinaus, daß die Truppen der NATO einschließlich der Verbände der Bundesrepublik, wenn sie eingefügt werden,gemeinsam das Gegengewicht gegen die Divisionen des Warschauer Paktes jenseits der Zonengrenze bilden müssen. Die Zahl spielt unter Berücksichtigung des beiderseitigen Kampfwertes dabei keine Rolle; sie kann wirklich geringer sein, denn nicht die Anzahl, sondern der Kampfwert ist entscheidend, und da muß ein Gleichgewicht bestehen.
Ich sage dies, weil wir - zum mindesten von der Koalition - einmal sehr froh darüber waren, daß unser Land aufhörte, Experimentierfeld zwischen Ost und West zu sein. Wir sollten heute mit besonderem Bedacht darauf achten, daß wir nicht unversehens oder womöglich durch eigene Schuld - das wäre eine solche Isolierung nämlich - wieder in diese oder ähnliche Situationen hineinschliddern.
Daher müssen wir uns - ich betone das immer wieder - an die grausame Wirklichkeit halten. Es muß das Ziel bleiben, die Kernwaffen völlig zu verbannen. Solange aber hierfür die Voraussetzungen nicht gegeben sind, wäre es nach der Auffassung meiner politischen Freunde unverständlich und geradezu leichtfertig, die Streitkräfte, die man zur eigenen Sicherheit in Freiheit braucht - und das sind die Kräfte der NATO - nicht mit den wirksamsten Mitteln auszustatten. Solange der mutmaßliche Gegner über solche Kernwaffen verfügt, kann hiervon ,auch bei den Mächten, die sie heute besitzen, nicht abgewichen werden. Und darüber kann keinerlei Zweifel sein: Die Sicherheit der Bundesrepublik - Herr Dr. Gerstenmaier hat das ja ausgeführt - beruht im wesentlichen auf der Garantieerklärung der USA. Wir halten es für unmoralisch, ihr die neuzeitlichen Waffen, d. h. auch die wirksamsten Waffen, geradezu zu verweigern, wenn wir wollen, daß sie mit ihren Menschen unseren Lebensraum schützt. Das vorbildliche Eintreten der amerikanischen Staatsführung und der heldenmütige Einsatz der amerikanischen Flieger in und für Berlin scheinen bei einigen deutschen Kritikern leider, leider schon stark verblaßt zu sein.
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Ich komme zum Schluß. All denjenigen, die diese Frage sehr zum Leidwesen aller Parteien im Bundestag - ich darf das wohl sagen; ich bin von Ihnen nicht beauftragt, aber ich habe das Gefühl -ausschließlich. manche sogar vordringlich, vom innenpolitischen Standpunkt aus beurteilen, meist sogar losgelöst von allen Realitäten, wie ich sie zu schildern versucht habe, sei mit Eindringlichkeit zumindest von meinen politischen Freunden und mir gesagt,
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daß das Junktim zwischen staatlicher Freiheit und Verteidigungsbereitschaft völlig unlösbar ist.
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Dazu gehört eine nüchterne Beurteilung der Wirklichkeit, wie sie heute ist, und die Verpflichtung für jeden von uns, im besonderen allerdings für die Regierung, eine neue Lage jeweils mit Sorgfalt und Bedachtsamkeit zu prüfen und darauf zu antworten. Wir sollten uns vor einer Lage hüten, in der wir alle zusammen im atlantischen Bündnis nichts mehr einzusetzen haben als die allerletzte Waffe.
Ein Abkommen über die Anwendung dieser Vernichtungswaffe muß daher parallel gehen mit der Einschränkung und letztlich der Einstellung der Produktion und, damit zusammenhängend, weiterer Versuche mit diesen schrecklichen Waffen innerhalb einer allgemeinen Abrüstungsvereinbarung. Nur so kann dieser Wettlauf des Wahnsinns aufgehalten werden. Ich darf mich der Worte bedienen, die der britische Außenminister Selwyn Lloyd im Unterhaus gesprochen hat. Er sagte - und ich pflichte ihm mit meinen Freunden voll bei -:
Der menschliche Erfindungsgeist hat entdeckt, wie man die Menschheit auslöschen kann. Die Zivilisation hat gelernt, wie sie sich selbst zerstören kann. Wann und wie wird sie das nächste Stadium echten Fortschritts erreichen: eine vernünftige Abrüstung, durch die sie sich rettet?
Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Hoffentlich haben die Kreml-Führer und die anwesenden sowjetischen Politiker in London dies gelesen und sind bereit, auch ihrerseits die notwendigen Konsequenzen hieraus zu ziehen, um dem durch sie veranlaßten Wettlauf dieses Wahnsinns, wie ich es immer bezeichne, in der Form des Atomwettrüstens Einhalt zu gebieten.
Unsere Forderung ist daher, daß alle politischen Mittel und Möglichkeiten konzentriert werden, um den deutschen Willen zu einem allgemeinen Abrüstungsabkommen bei den nuklearen wie auch bei den konventionellen Waffen und Streitkräften durchzusetzen. Parallel damit sollte eine Begrenzung der Versuche mit Kernwaffen 'aller Art laufen ebenso wie eine vorherige Anmeldung, Beobachtung und Registrierung, wie es nach Mitteilung des Bundesverteidigungsministers am Montag in London erwogen worden ist. Aber ich weiß, entsprechend der heutigen deutschen Wirklichkeit gibt es für uns keinen einseitigen Verzicht und
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keine Vorleistung. In beidem sollten wir eigene deutsche Vorschläge erarbeiten und mit ihnen hervortreten, um den deutschen Standpunkt klar und deutlich zu machen. Wir halten allerdings auch die Pflicht zu einer besonders engen und ständigen Konsultation zwischen den Verbündeten der atlantischen Gemeinschaft für notwendig, um ein einseitiges Vorgehen eines Partners auszuschließen, wenn und sobald Rückwirkungen auf die Gemeinschaft eintreten können.
Auch die Wissenschaftler, die uns ihre Warnung ausgesprochen haben - die wir sehr ernst nehmen -, sollten wir bitten, uns Vorschläge zu machen, wie man insbesondere ein Kontrollverfahren entwickeln kann, das als Grundlage eines entsprechenden internationalen Abkommens über die Begrenzung und schließlich Einstellung der Produktion und über die Überwachung weiterer Versuche geeignet erscheint.
Meine Damen und Herren, ich bin am Ende. Der Friede, nicht so sehr als Zustand, sondern vielmehr als Aufgabe steht für uns ,alle auf dem Spiel. Meine Freunde und ich werden daher alle Menschen, die diesem Ziel mit Wahrhaftigkeit und Ernsthaftigkeit im Denken und im Handeln dienen, unterstützen, ohne unkontrollierbare Bindungen einzugehen, ohne Rücksicht auf parteipolitische Bindungen, sondern als Verpflichtung allen Menschen gegenüber.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.
Dr. Reichstein ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Frage der Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen, die heute noch nicht zur Entscheidung steht, wird das Gesamtproblem „Atom in unserer Zeit" angesprochen. Ich möchte für die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks unsere Auffassung zu diesen Dingen darlegen.
Die Menschheit weiß, daß sie diese neue Energiequelle nie mehr loswerden wird, und sie weiß auch, daß es an ihr liegt, ob die neue Energiequelle Fluch oder Segen bedeuten wird. Eine der Aufgaben, die den Menschen in unserer Zeit gestellt ist, ist also, die richtige Einstellung zu dieser Tatsache zu finden. Diese richtige Einstellung wird zweifellos nicht die sein, daß man auf der pax atomica, in der wir heute leben, für dauernd den Frieden und das Wohl der Menschheit ruhen lassen kann. Es ist die Hoffnung der Menschheit, mit Hilfe der Atomenergie besser leben zu können. Zugleich besteht aber auch die Furcht, durch Atome sterben zu können. In Erkenntnis der Möglichkeit der eigenen Entscheidung lebt die ganze Menschheit heute in Angst vor dem Atom.
Die Angst war der Begleiter des Menschen seit seiner Entstehung; die Angst vor Dämonen, vor Göttern, vor Teufeln, vor Krieg, Sklaverei, Hungersnot, Krankheiten hat das menschliche Geschlecht nie verlassen. Daran ändert auch - das ist eine Tragik - die fortschreitende Zivilisation nichts. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, durch welche viele Quellen früherer Angst verstopft werden, verhindern nicht, daß neue sich öffnen. So ist eines der typischen Zeichen unserer Zeit die Angst vor zuwenig Sicherheit und die Angst vor einer Politik, die oft kriminelle Züge aufweist, die vom Streben nach Macht so gelenkt wird, daß der einzelne Mensch und ganze Völker in Furcht vor ihr leben wie einst ihre Vorfahren vor Dämonen.
Jaspers hat sicher recht, wenn er sagt: „Eine vielleicht noch nie dagewesene Lebensangst ist der unheimliche Begleiter des modernen Menschen", der Begleiter des Menschen, der, wie Ortega y Gasset sagt, „in einer Zeit lebt, in welcher in der starken Beanspruchung durch die Unruhen und die Verwirrung der Umwelt und durch die gleichzeitige Vereinsamung selbst der Gebildete zum Barbaren wird". Wir leben in dieser Zeit. An deren Entstehung haben wir selber mitgewirkt. Es ist nun unsere Pflicht und Aufgabe, uns in dieser Zeit zu bewähren.
Thomas Mann hat in seiner letzten Schiller-Gedenkrede unser Zeitalter mit folgenden Worten, wie ich glaube, umfassend und richtig geschildert:
Das letzte Halbjahrhundert - sagt er sah eine Regression des Menschlichen, einen Kulturschwund der unheimlichsten Art, einen Verlust an Bildung, Anstand, Rechtsgefühl, Treu und Glauben, jeder einfachen Zuverlässigkeit, die beängstigen. Zwei Weltkriege haben, Raffgier und Roheit züchtend, das intellektuelle und moralische Niveau tief gesenkt und eine Zerrüttung gefördert, die schlechte Gewähr bietet gegen den Sturz in einen dritten, der alles beenden würde. Wut und Angst, abergläubischer Haß, panischer Schrecken und wilde Verfolgungssucht beherrschen eine Menschheit, welcher der kosmische Raum gerade recht ist, strategische Basen darin anzulegen, und die die Sonnenkraft äfft, um Vernichtungswaffen frevlerisch daraus herzustellen.
In dieser Welt leben die Menschen geängstigt. Aus dem Gefühl der Angst heraus erklären sich viele Handlungen der Menschen, die zwar verständlich, aber nicht vernünftig sind. Um den in solchen Handlungen liegenden Gefahren zu entgehen, muß man die Ursachen und das Besondere der Angst unserer Zeit kennen und nach allen Richtungen durchdenken, um zu verhüten, daß schwerwiegende Entscheidungen aus Gefühlen und Stimmungen heraus fallen.
Die Menschen in allen Ländern der Welt müssen die volle Wahrheit über die Gefahren, die ihnen allen aus der Anwendung der Kernenergie erwachsen können, erfahren. Gelingt es nämlich nicht, das Zusammenleben der Völker nach allgemein anerkannten Grundsätzen ethischer Verantwortung zu regeln, dann liegt in der vollen Kenntnis der alle gleichermaßen bedrohenden Gefahren der Atomenergie vielleicht die letzte Chance für die Menschheit überhaupt. Die Menschen werden dann wohl alles daransetzen, sich selbst und ihre Regierungen vor dem Mißbrauch dieser ungeheuren Energien zu bewahren.
Statt der reinen Wahrheit lesen und hören aber die Menschen in der ganzen Welt nur immer wieder sich erheblich widersprechende Mitteilungen über diese Dinge. Politiker in allen Ländern der Welt haben die Neigung, nur so viel an dosierten Mitteilungen darüber herauszugeben, wie ihren politischen Zielen förderlich scheint.
Ein besonderes Stückchen der Verwirrung der öffentlichen Meinung ist gestern im englischen Oberhaus geschehen, in welchem Lord Cherewell
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gesagt hat, er könne das ganze Gerede über die Angst vor den Folgen der Atomexplosionen nicht verstehen. Es stürben doch Menschen bei Verkehrsunfällen, ja sogar Menschen, die in die Badewanne steigen, und niemandem komme es in den Sinn, deshalb das Baden zu verbieten.
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Meine Damen und Herren, das ist so albern, daß man darüber gar nicht weiter nachzudenken brauchte, wenn es nicht in einem Parlament gesagt worden wäre und wenn nicht, ich möchte schon sagen: pikanterweise gerade dieser Mann früher der wissenschaftliche Berater von Herrn Churchill gewesen wäre.
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Man mag sich jetzt selbst überlegen, welchem seiner Ratschläge Herr Churchill ab und an gefolgt sein mag.
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Bedrückender aber als dieses Verhalten mancher Politiker ist, daß sich auch Wissenschaftler von Rang und Namen über die gleiche Sache häufig gegensätzlich äußern. Das mag bis zu einem gewissen Grade verständlich sein, wenn sich z. B. ein Physiker oder ein Chemiker oder ein Arzt etwa über das Problem der Gefährdung des Menschen äußert. Andererseits weichen einige Feststellungen so weit voneinander ab, daß der bittere Verdacht auftaucht, manche Wissenschaftler in der Welt sähen ihre Pflicht nicht in der Verkündung der wissenschaftlichen Wahrheit, sondern in der Unterstützung politischer Vorstellungen.
Wir haben die Anrufung auch unserer Gewissen durch die deutschen Professoren dankbar begrüßt, wenngleich wir auch erkennen, wie schwer es ist, wissenschaftliche Erkenntnisse in den rauheren Räumen der Politik zur Geltung zu bringen. Die Menschheit lebt jedenfalls trotz solcher Äußerungen weiter zwischen Zweifel und Glauben. Es stellt sich die angsterfüllte Frage: Was ist die Wahrheit?
Ein Wissenschaftler, den solche Zweifel nicht erreichen, ist Albert Schweitzer. Kein Wissenschaftler in der Welt kann behaupten, daß er - Schweitzer - in seinem Anruf der Gewissen der Menschen in der Welt etwas Falsches gesagt habe, und niemand in der Welt kann behaupten, daß er aus seiner dem politischen Tageskampf so weit entrückten Arbeitsstätte aus anderen Motiven als denen rein menschlicher Sorge zu uns allen gesprochen habe.
Was aber ist die Wahrheit? Die Wahrheit ist, daß die Amerikaner - wie sie damals sogar glaubten, im Einvernehmen mit dem Willen Gottes - über Hiroshima eine normale Atombombe abgeworfen haben, idle bis zum heutigen Tag insgesamt 269 061 Menschen das Leben gekostet hat. Noch heute, 12 Jahre nach dem Ereignis, siechen Menschen in hoffnungslosem Zustand in den Krankenhäusern von Hiroshima und an anderen japanischen Orten dahin. Wahrheit ist, daß nach den allgemeinen Überlegungen auf Grund der Kenntnis der Wirkung von Wasserstoffbomben gesagt werden kann, daß beim Abwurf einer solchen Bombe ,auf eine europäische Großstadt von etwa 1 Million Einwohnern rund 430 000 sofort getötet werden, rund 260 000 durch Verletzungen und Strahlenschäden einem ungewissen Schicksal entgegengehen, sofern eine solche Bombe eine solche Stadt unvorbereitet trifft. Bei vorheriger Möglichkeit der Evakuierung und des Aufsuchens von Schutzräumen werden von den vermutlich 700 000 Zurückgebliebenen etwa 20 000 sofort getötet und 70 000 verletzt werden. Dabei gehen diese Überlegungen - wie alle derartigen Überlegungen - davon aus, daß nur ein Ereignis die gleiche Stelle trifft. Die Überlebenden - die Toten können es nicht mehr - werden sich dann ihre Gedanken machen über das Problem des Schutzes und über die Illusion eines Schutzes gegen solche Waffen. Wir haben heute früh gehört, daß demnächst das Internationale Rote Kreuz zu diesen neuen Möglichkeiten Stellung nehmen will und vielleicht zu einer Neufassung der Genfer Konventionen kommen wird. Aber wir müssen uns darüber klar sein, daß allen humanitären Gesichtspunkten, wie man sie in den Genfer Konventionen zusammenfassen könnte, Grenzen gesetzt sind; denn der Wind, der die radioaktiven Wolken über die Länder fegt, kann nicht lesen.
Ich will hier nicht auf das kaum lösbare Problem der Bereitstellung einer genügenden Zahl von Ärzten, Schwestern und Material für solche Fälle eingehen. Ich werde zu diesem Problem zu späterer Zeit, wenn wir zu dem Luftschutzgesetz Stellung nehmen, etwas sagen.
Wahrheit ist weiterhin, daß bisher folgende Atom- und Wasserstoffbombenversuche durchgeführt wurden: von den Vereinigten Staaten insgesamt 75, von der UdSSR 21, davon die letzten am 2., 6., 10. und 14. April, von Großbritannien 9. Wahrheit ist, daß durch diese Explosionen sehr große Mengen radioaktiver Substanzen entstanden sind. Bei solchen Explosionen werden riesige Mengen kleinster Teilchen in die Luft geschleudert, die dort, wo sie niederfallen, radioaktive Strahlen entsenden können. Sie können bald auf die Erde herniederfallen, sie können jahrelang in der Luft bleiben; wir haben es nicht in der Hand. Wahrheit ist, daß die bisher durchgeführten !Bombenabwürfe in den verschiedensten Gegenden der Welt noch jahrelang, jahrzehntelang radioaktive Niederschläge bedingen werden. Fallen diese Teilchen auf die Erde nieder, so kann ein großer Teil von ihnen uns noch direkt schädigen, indem wir sie einatmen, und auch dadurch, daß ,wir sie mit Nahrung und Wasser zu uns nehmen. Diese Teilchen - und das ist das Gefährliche - senden in unserem Körper dann weiter ihre Strahlen aus. Sie haben heute morgen gehört - ich will es in dem Zusammenhang nur noch einmal erwähnen -, daß sie sich millionenfach in einzelnen Lebens- und Nahrungsmitteln massieren können. Auf diese Gefahr hat Herr Dr. Schweitzer sehr eindringlich hingewiesen.
Gefährdet sind alle unsere Organe, die Lungen, die Augen, ,die Schilddrüse, das Nervensystem. Einem besonderen Maß der Gefährdung unterliegt das Knochensystem, in dem sich das Strontium abzulagern pflegt. Auch hier wieder eine Äußerung eines Wissenschaftlers, allerdings eines Physikers, aus letzter Zeit, der nicht deutlich genug widersprochen werden kann. Pascual Jordan hat gesagt, das sei deshalb nicht so gefährlich, weil, bis solche Dinge sich wirklich schädlich auswirkten, die medizinische Wissenschaft dagegen sicher schon Hilfsmittel gefunden haben werde. Ich glaube, die Väter haben kein Recht, auf die Klugheit ihrer Kinder hin heute zu sündigen.
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Dabei muß man wissen - hier will ich Ihnen ein sehr aktuelles Wort sagen -, daß insbesondere die
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Kinder auch durch das, was bisher an radioaktiver Verseuchung der Luft durch die Bombenabwürfe eingetreten ist, in ihrem Knochensystem geschädigt sind, weil der kindliche Knochenstoffwechsel sehr schnell verläuft. In der amerikanischen Zeitschrift „Science" standen in der letzten Zeit sehr interessante Ergebnisse von Untersuchungen von Menschenknochen aus verschiedenen Altersstufen, übrigens aus dem Raum Bonn! Diese Untersuchungen haben ergeben, daß bei den Kindern der Gehalt an Strontium in den Knochen schon im Bereich der sogenannten maximalen Konzentration lag, d. h. auf deutsch, daß in den kindlichen Knochen aus dem Raum Bonn schon zuviel an Strontium war, als daß es ungefährlich wäre. Denn das, was man bisher als maximale Konzentration, als Toleranzhöhe bezeichnete, ist nach heutiger Auffassung wahrscheinlich schon viel zu hoch gegriffen. Am 8. Mai dieses Jahres hat ein leitender Beamter des staatlichen Gesundheitsdienstes in Amerika auf einem Kongreß der Lebensmittelspezialisten erklärt, daß seit den Atombombenversuchen in der Milch Spuren von radioaktivem Strontium gefunden werden.
Außer dieser Art von Erkrankungen durch radioaktive Strahlen bestehen als besonders große Gefahren die Schädigungen der Erbanlagen, die sich auch erst in vielen Jahren auswirken können. Bis dahin können die Träger solcher geschädigter Erbanlagen äußerlich völlig gesund sein. Durch diese Schädigungen können aber alle uns bekannten körperlichen und geistigen Mißbildungen bei der Nachkommenschaft eintreten. Die Wahrheit ist, daß es für diese Keimzellen überhaupt keine unschädlichen Strahlenmengen gibt, und die Frage, ob nicht durch die Folgen der Atombombenexplosionen die Lebenserwartungen künftiger Geschlechter bereits verringert worden ist, kann leider nicht mit Sicherheit verneint werden.
Die Verantwortung der Menschheit in allen Ländern der Welt für sich und für ihre Nachkommenschaft sollte daher von selbst alle Mächte zur sofortigen Einstellung weiterer Atombombenversuche zwingen.
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Kein Staat und keine Staatengruppe hat das Recht, zur Erprobung dier Maßnahmen, die sie sich für ihre eigene Sicherheit denken, eine ungezählte Schar anderer Menschen zu gefährden.
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Ich muß auch hier einem Wort widersprechen, das von dem Vertreter der Regierung gesagt wurde, der sich dem englischen Vorschlag anschloß, Atombombenexplosionen nur nach vorheriger Anmeldung durchzuführen. Das ist keine Lösung. Auch eine angemeldete Schädigung ist eine Schädigung.
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Von diesen Erkenntnissen sollten die Menschen in aller Welt - wir haben die Hoffnung, daß wir nicht nur zu einem Teil der Welt sprechen -- bei ihrer Einstellung zu den Fragen der Anwendung von Atomwaffen ausgehen. Dabei möchte ich von mir aus eine Feststellung, die heute morgen ausführlich behandelt worden ist, nur kurz wiederholen. Die Atomwaffen entziehen sich wegen ihrer Wirkung auf völlig Unbeteiligte, wegen ihrer Wirkung auf noch gar nicht Geborene noch weit mehr als andere Waffen völlig einer moralischen Bewertung; sie sind im wahrsten Sinne des Wortes amoralisch. Ihre politische und militärische Bedeutung liegt darin, daß sie wegen der Größe des Risikos nicht angewendet werden und damit zu dem Zustand führen, in welchem wir heute leben, der pax atomica.
Zur Zeit besteht noch eine Überlegenheit des Westens, insbesondere der Vereinigten Staaten, an Atomwaffen. Man nimmt an, daß die USA etwa 30 000, die UdSSR etwa 10 000 Atombomben besitzen. Aber mit 'dieser Überlegenheit ist nicht sehr viel anzufangen; denn bereits ein Bruchteil dieser Mengen kann alles zerstören. Ich kann meine Sicherheit nicht darauf gegründet sehen, daß mein Freund mehr davon hat als mein Feind, wenn ich weiß, daß ich es nicht überleben werde, wenn auch nur ein kleiner Teil dieser Waffen angewendet wird. Es hat sich also wirklich eine am Anfang mögliche Politik der Stärke über eine Politik des vorübergehenden Vorteils zu einer Politik des sehr relativen Vorteils entwickelt. Die Waffen haben - das ist heute mehrmals gesagt worden; es entspricht auch unserer Auffassung - also ihre positive Wirkung wirklich nur dadurch, daß sie nicht angewendet werden. Diese Wirkung können sie freilich nur haben, wenn beide Teile sie besitzen.
Die taktischen Atomwaffen - auch das soll noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden, weil Voraussetzung aller Überlegungen die volle Wahrheit ist - können in ihrer Wirkung der Bombe von Hiroshima tatsächlich gleichen, da es gelungen ist, die Atomladung so eng zusammenzupressen, daß sie eben auch aus Geschützen abgefeuert werden kann.
Wir haben kein Verlangen nach diesen Waffen. Unser Wunsch ist vielmehr, nicht umzurüsten, sondern umzudenken, dies jedoch in allen Teilen unserer geteilten Welt.
Wir sehen die Gefahren, die aus der Bewaffnung der kleineren Nationen mit Atomwaffen entstehen können. Sie würde die Kontrolle über diese Waffen zweifellos sehr erschweren. Und welches sind die Grenzen bei den kleinen Nationen, wie weit 'hinunter will man sie verteilen? Wir sehen auch die Gefahren, die insbesondere für uns in unserem gespaltenen Vaterland bestehen.
Sollte die UdSSR sich ebenfalls zur Ausrüstung der Warschauer Paktstaaten mit Atomwaffen entschließen, so würde das nicht nur eine Kompensation gegenüber einer Bewaffnung in dem anderen Teil der Welt bedeuten, sondern die zwangsläufige Folge wäre eine erneute Verstärkung des militärisch-politischen Einflusses der Sowjetunion in den Völkern des osteuropäischen Raumes-weil anders sie es nicht wagen könnte -, eine Folge, die wir nicht begrüßen können. Der russische Verteidigungsminister Schukow hat erst kürzlich darauf hingewiesen, daß nach seiner Meinung die Sowjetunion diesen Schritt tue, falls er im Westen erfolge.
Nun sind wir der Meinung - und ich knüpfe das an diese Bedingung -: solange überhaupt noch die Chance für eine kontrollierte Abrüstung der Atomwaffen besteht, würden wir es für besser halten, wenn diese Waffen nur in der Hand zweier Mächte blieben. Wir sehen darin keine Änderung der von uns erkannten und anerkannten Notwendigkeit, das Schutzbündnis der NATO militärisch trotzdem so schlagkräftig zu gestalten, daß die Sowjetunion weder durch militärischen noch durch
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politischen Druck Entscheidungen erzwingen könnte, die unseren gemeinsamen Wünschen widersprechen.
Wir sind - auch das sei deutlich gesagt - für einen Verzicht nur dann, wenn ein vergleichbarer Verzicht auf der anderen Seite erreicht wird. Heute morgen wurde ein chinesisches Sprichwort erwähnt und gesagt, man könne durch eine Handlung auch moralisch auf die Sowjetunion einwirken. Auch das Schwächere könne gegenüber dem Stärkeren einmal stärker sein. So ähnlich hieß es. Ich glaube, daß dieser Vergleich und dieser Hinweis im Falle der Sowjetunion fehlgeht; denn die Sowjetunion ist nicht nur eine starke Macht, sie ist auch bis zur Stunde ein absolut imperialistischer Staat, der die Freiheitsrechte anderer Menschen zur Ausweitung seiner Macht rücksichtslos beseitigt.
Wir wollen aber gerade diesen Hinweis benutzen, um auch der Sowjetunion gegenüber sehr eindeutig zu erklären: Wir wünschen mit ihr eine Auseinandersetzung nur im Geistigen, nicht eine solche mit den Waffen. Und wir sind uns darüber klar - um auch hier gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen -, daß eine pax sowjetica, ein Sowjetfriede, sicher nicht besser wäre als die pax atomica, der Atomfriede.
Mit den Lebensinteressen, welche wir unter allen Umständen zu schützen für notwendig halten, ist es aber in der heutigen politischen Situation nach unserer Auffassung kaum vereinbar, eine Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen abzulehnen u n d gleichzeitig die allgemeine Wehrpflicht abzulehnen. Denn das könnte nach unserer Auffassung eine solche Schwächung des Schutzbündnisses der NATO bewirken, daß die Sowjetunion darin auch die Möglichkeit einer Bereitschaft zur Unterwerfung sehen könnte. Sie würde dann aber sicher nicht mehr bereit sein, auch das Ihre zu tun, damit an die Stelle der NATO ein besseres, umfassenderes, die Sicherheitsbedürfnisse aller Teile befriedigendes Vertragssystem treten kann.
Noch stehen wir nicht vor der Entscheidung, ob die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgerüstet werden soll. Wir wünschen - wir wünschen nachdrücklichst -, daß in den nächsten anderthalb bis zwei Jahren mit allen der Diplomatie, auch der deutschen Diplomatie, zur Verfügung stehenden Mitteln auch die Bundesregierung zur Auflösung des Widerspruchs beiträgt, der in dem seit vielen Jahrhunderten gebrauchten und heute von uns auch praktizierten Wort liegt: si vis pacem, para bellum, wenn du den Frieden willst, rüste zum Kriege.
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Wir haben unsere Gedanken zu diesen Fragen in einer Entschließung niedergelegt, die Ihnen als Umdruck 1097*) vorliegt. Ich darf nur kurz folgendes dazu sagen: Unser Antrag ersucht die Bundesregierung, „auf die mit uns verbündeten Staaten der freien Welt und die Sowjetunion einzuwirken, . . .". Hier wird von vornherein die Befürchtung ausgeschlossen, die der Herr Kollege Dr, Gerstenmaier in seinen Ausführungen angesprochen hat: ein Sichabsondern aus einem Schutzbündnis, welches wir für uns heute noch für absolut notwendig erachten. Wir ersuchen die Bundesregierung, auf die mit uns verbündeten Staaten der freien Welt und die Sowjetunion einzuwirken,
') Siehe Anlage 5
daß
1. durch internationale Vereinbarungen die unverzügliche Einstellung weiterer Atombombenversuche erreicht wird,
- eine Maßnahme, die wegen ihrer relativ leichten Kontrolle auch durchfürbar ist
2. im Hinblick auf die Spaltung unseres Vaterlandes und die Bemühungen zur Wiedervereinigung mit Hilfe geeigneter Kontrollmaßnahmen erreicht wird, daß sowohl in der Bundesrepublik als auch im anderen Teile Deutschlands und in den an Deutschland angrenzenden Staaten des Warschauer Paktes weder taktische noch strategische Atomwaffen stationiert oder gelagert oder Streitkräfte dieser Länder und in diesen Ländern damit ausgerüstet werden.
Wir sehen in einem so ausgesprochenen Verzicht, wenn er im Einvernehmen möglich ist, nämlich in dem Verzicht der Bundesrepublik auf der einen Seite und des anderen Teiles Deutschlands und der angrenzenden Staaten auf der anderen Seite, das, was der Herr Bundesverteidigungsminister heute früh als einen vergleichbaren Verzicht bezeichnet hat.
Wir ersuchen die Bundesregierung drittens, dahin zu wirken, daß
eine allgemeine Abrüstung und ein damit verbundenes generelles Verbot für Atomwaffen durchgeführt werden.
Ich darf um die Annahme dieser unserer Entschließung bitten.
Wir wünschen sehr, daß die Abrüstungsverhandlungen in London Erfolg haben und daß als erste und, wie uns scheint, ohne große Schwierigkeiten durchführbare Maßnahme die Mächte sich über die sofortige Einstellung der Atombombenversuche einigen. Ich habe Ihnen gesagt, welche Wirkung bis zur Stunde schon und auf Jahre und Jahrzehnte hinaus der Welt durch die bisherigen Versuche beschert worden ist. Grund genug, sie zu beenden!
Diese und noch weiter gehende Vereinbarungen sollten nicht zuletzt dadurch möglich sein, daß man erkennt, daß die Menschheit den Gefahren einer so auf die Spitze getriebenen modernen Kriegstechnik in einer kollektiven Schutzlosigkeit gegenübersteht und daß die Menschheit dann statt zum kollektiven Selbstmord lieber zur kollektiven Abrüstung drängen sollte.
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Es ist nicht mehr dazu notwendig - allerdings, das ist viel -, als daß die „Menschheit endlich wieder zurückfindet zur rettenden Ehrfurcht vor sich selbst".
Meine Fraktion ist der Meinung, daß auch der Bundestag diese Debatte als eine erneute Verpflichtung für uns alle und die Mitwelt empfinden sollte, gemeinsam miteinander zu arbeiten an dem Aufbau einer Welt, in welcher die Menschen endlich wieder leben können ohne Angst vor der Politik und unter den Segnungen des Rechts und der Freiheit.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
Schneider ({1}) ({2}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte in diesem Hause zeigt wieder mit erschreckender Deutlichkeit, in welcher Situation wir uns als Deutsche befinden und in welcher Situation sich die ganze Welt befindet. Sie zeigt eine Welt, die nach dem fürchterlichen zweiten Weltkriege den Frieden noch nicht wiedergefunden hat, eine Welt, die durch Kriege, Unruhen und Mißtrauen nach wie vor gespalten ist. Ein Versagen der Politiker vielleicht, die nicht die Kraft und auch nicht den Mut gefunden haben, das zu tun, worauf alle Welt nach dem letzten fürchterlichen Erleben gewartet hat.
Es ist kein Wunder, daß sich bei dieser Sachlage auch heute wieder eine gewisse Kluft zwischen den Auffassungen der Regierungsparteien und der Opposition aufgetan hat. Allerdings geht es diesmal nicht allein um parteipolitische Gegensätze; es spiegelt sich in dieser Kluft auch das Dilemma, in dem sich zur Zeit die Welt befindet. Ich glaube, es ist keiner hier im Hause, der nicht davon angerührt gewesen wäre, als die achtzehn Wissenschaftler, als Professor Albert Schweitzer und andere ihre warnende Stimme erhoben. Wir sind allesamt in einen fürchterlichen Konflikt gestürzt worden. Wir müssen eine Entscheidung treffen von einer Schwere, wie wir sie vielleicht bisher nie treffen mußten; und das Volk ist - ich glaube, ich übertreibe nicht - ebenfalls in einen Abgrund geschleudert worden und lebt heute in der Angst vor dem, was unter Umständen kommen könnte.
Ich glaube, in dieser Situation erweist sich auch zum erstenmal, daß das Gewissen des Menschen selbst nicht mehr stark genug ist, diese Entscheidung allein übernehmen zu können. Ich glaube, wir sind allesamt unverdächtig, etwa Streit, Hader oder Krieg wieder herbeizusehnen; ich glaube, wir sind allesamt einer Auffassung, wenn es um die Frage des Krieges, der Bewaffnung und andere Dinge geht, gleichviel, wo wir politisch stehen. Ich glaube auch, daß gerade wir Deutschen nach dem Erleben des letzten Krieges und auch schrecklicher Jahre der Nachkriegszeit am glaubwürdigsten sind, wenn wir immer wieder nach Frieden verlangen.
Allerdings darf dieses Thema nicht mit Zynismus behandelt werden. Ich habe es sehr bedauert, daß der Pressedienst einer Fraktion in diesem Hause der Bundesregierung unterstellte, daß es ein gefährlicher Ehrgeiz sei, wohlbestallter Atombombenbesitzer zu sein. Ich glaube, daß dies dem Problem nicht gerecht wird,
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daß wir vielmehr allesamt die Pflicht haben - wir alle! -, unserem armen gequälten Volke draußen, das zur Zeit nicht recht weiß, woran es ist und was es tun soll, wieder den klaren Weg zu zeigen und ihm aus diesem Labyrinth der Furcht und der Angst herauszuhelfen.
Ich sagte schon, die Entscheidung, die wir zu treffen haben werden, kann nicht allein vom Gewissen getroffen werden, weil die sachlichen, politisch-militärischen Notwendigkeiten mitgewogen werden müssen, wenn es uns wirklich ehrlich um die Sicherheit und die Freiheit unseres Vaterlandes und unserer Nation zu tun ist. Ich glaube, daß diejenigen es sich leicht machen, die unter bloßer Berufung auf einen Gewissensentscheid mit Entschließungen oder Forderungen arbeiten wollen. Weder nur das eine noch nur das andere kann uns aus der jetzigen Situation heraushelfen.
Wenn ich vorhin schon anklingen ließ, daß wir erschüttert vor dem stehen, was die Atomwissenschaftler uns gesagt haben, dann sei es mir hier bei allem Respekt auch verstattet, eine Stimme aus dem Kreise derselben Physiker zu zitieren, die hier heute noch nicht zitiert worden ist und die eine andere Auffassung äußert. Es handelt sich um keinen geringeren als um den Professor Pascual Jordan. Herr Präsident, ich bitte um Genehmigung, einen Textteil verlesen zu dürfen. Professor Pascual Jordan - und ich glaube, diese Dinge sind so wichtig, daß die gesamte deutsche Öffentlichkeit sie wissen und hören sollte - sagt:
Leider muß die so dringlich gewordene Diskussion aber nicht nur offenherzig, sondern auch öffentlich geführt werden, nachdem eine Gruppe prominenter Physiker der Bundesrepublik eine bestimmte, extrem einseitige Beurteilung des Problems in sensationeller Form an die Öffentlichkeit gebracht hat, statt sie zunächst zum Gegenstand einer Meinungsforschung unter den Physikern selber zu machen.
Daß das sogenannte Göttinger Manifest während des anlaufenden Wahlkampfes erscheinen mußte, ist bereits einer der Punkte, die einer kritischen Prüfung zum Anlaß ernster Bedenken werden müssen, jedoch ist dies noch das geringste unter den Bedenken, die sich bei einer ruhigen Abwägung der Dinge ergeben müssen. Der Kernsatz des Manifests ist ja derjenige, in welchem ein Verzicht der Bundeswehr auf jede Art von Atomwaffen als angeblich bester Weg zur Milderung der drohenden Gefahren bezeichnet wird. Dieser Satz besitzt aber keinerlei zwingenden logischen Zusammenhang mit dem übrigen Inhalt des Manifests. Seine logische Rechtfertigung ist nur dann möglich, wenn man zusätzlich eine bestimmte hypothetische Voraussetzung annimmt, die man etwa so formulieren könnte: „Die Sowjetunion wartet nur darauf, daß der Westen Verminderungen oder Begrenzungen seiner militärischen Kräfte einführt. Sofort wird dann auch die Sowjetmacht entsprechende Verminderungen ihrer Kampfkraft vornehmen."
Wenn diese Voraussetzung zutreffend ist, dann ist allerdings auch der im Manifest ausgesprochene Ratschlag ein guter und positiver Vorschlag. Dann ist es sogar empfehlenswert, daß sich die Bundesrepublik vom Westen trennt und eine Politik der Neutralisierung einleitet. Die Sowjets werden dann aus lauter Dankbarkeit Mitteldeutschland, Polen und Ungarn ebenfalls neutralisieren und schließlich freigeben.
Aber die Frage
- fährt Professor Pascual Jordan fort ist die, ob diese Voraussetzung richtig ist, und das ist nicht eine Frage theoretischer Betrachtung, sondern für uns Deutsche eine Frage auf Leben und Tod. Leider wird diese für den Inhalt des Manifests entscheidende Voraussetzung und das Hypothetische, Problematische dieser Voraussetzung in dem Manifest mit keinem Wort erwähnt. Sie wird einfach stillschweigend als scheinbar selbstverständliche Unterlage der Argumentation benutzt.
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Es gibt aber auch eine gegenteilige Meinung, und diese gegenteilige Meinung wird nicht nur etwa von Schwachköpfen vertreten, sondern sie ist die im Wesen einheitliche Überzeugung zahlreicher kluger, zum Teil überragend kluger, sehr ehrenwerter und hervorragend informierter Menschen in vielen verschiedenen Nationen. Diese gegenteilige Meinung lautet: Die Gefahr eines alsbaldigen heißen Atomkrieges mit der ganzen Wucht seiner entsetzlichen Furchtbarkeit rückt um so näher, je größer die militärische Kampfkraft der Sowjetunion im Vergleich zu der westlichen Mächtegruppe ist.
Professor Pascual Jordan fährt fort:
Wenn diese Voraussetzung richtig ist, dann allerdings bedeutet der Ratschlag, eine Ausrüstung der Bundeswehr mit modernen Waffen zu vermeiden und sie nur mit älteren Waffen auszustatten, nicht mehr einen Hinweis auf den Weg der Rettung, sondern vielmehr eine an die Bevölkerung der Bundesrepublik gerichtete Aufforderung zum kollektiven Selbstmord. Man kann das wirklich nicht mit schwächeren Worten sagen. Man würde sonst ein understatement machen.
Es heißt dann weiter:
Welche der beiden Voraussetzungen kommt aber der Wahrheit näher, und wer ist imstande, uns darüber Auskunft zu geben? Wer kann die Verantwortung übernehmen, dazu eine Entscheidung zu treffen? Es handelt sich offensichtlich um eine Entscheidung, die mit Atomphysik nicht das geringste zu tun hat. Poli- tische Information ist erforderlich, gründlichste, umfassendste Kenntnis der heutigen Weltlage sowohl in ihren großen Zusammenhängen als auch in der Fülle ihrer bedeutungsvollen Einzelheiten. Nur solche Menschen, die über die Tendenzen, die Biographien und die persönliche Psychologie der verschiedenen führenden Sowjetpolitiker ebenso gründlich im Bilde sind wie ein Physiker über die Atome im Bilde ist, sind imstande, zu einer solchen Frage etwas Fundiertes zu sagen.
Meine Damen und Herren, ich lasse nun einen Passus aus und schließe mit dem, was Professor Pascual Jordan zum Schluß sagt:
An der entstandenen Verwirrung werden wir noch schwer zu tragen haben. Es gibt aber trotz der tiefgehenden Verschiedenheit der Folgerungen, die sich aus den gegensätzlichen Voraussetzungen bzw. hypothetischen Annahmen ergeben, bestimmte Notwendigkeiten dieser Stunde, die wohl von uns allen übereinstimmend anerkannt werden sollten, unabhängig von den Differenzierungen unserer sonstigen politischen Auffassungen. Diese Notwendigkeiten sind zweierlei:
Erstens. Nachdrückliche Fortsetzung der Bemühungen, eine kontrollierte beiderseitige Abrüstung der zwei großen Machtblöcke zustande zu bringen. Die westliche Welt hat es bislang versäumt, ihre Öffentlichkeit klar genug über die Tatsache zu unterrichten, daß es die Sowjetunion ist, die bislang alle Vorschläge zur kontrollierten beiderseitigen Abrüstung abgelehnt hat. Es muß durch eine Klarstellung dieser schweren Verantwortung versucht werden, die Sowjetunion endlich zur Einwilligung in
eine wechselseitig kontrollierte Abrüstung zu' veranlassen.
Zweitens. Solange aber die Sowjetunion in ihrer Ablehnung verharrt, muß die Verteidigung der freien Welt, vor allem auch durch umfassende städtebauliche Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, gesichert werden. Es darf der Öffentlichkeit nicht länger verschwiegen werden, daß durch Schutzanlagen modernster großzügiger Art, die im Ernstfall zu befürchtenden Verluste auf einen sehr kleinen Bruchteil des andernfalls Unvermeidlichen herabgesetzt werden können.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß man diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen braucht. Nun hat der sehr verehrte Kollege Schmid heute vormittag gesagt, daß man bei der Behandlung dieses Problems die volle Wahrheit sagen müsse. Ich glaube, ich übertreibe wieder nicht, wenn ich feststelle, daß wir schon den ganzen Tag auf der Suche nach der vollen Wahrheit sind; und wir sollten weiter suchen und forschen, auf daß wir sie auch finden. Lassen Sie mich auf der Suche nach der vollen Wahrheit - heute vormittag ist sehr stark nur das Gewissensmäßige angesprochen worden - mit aller Deutlichkeit auch zum Politischen etwas sagen. Die volle Wahrheit ist, daß dieses Deutschland, dieses geteilte Deutschland von 1957 nicht das Deutsche Reich von 1937 ist, daß dieses Deutschland nach all dem, was gewesen ist, obgleich es seine Souveränität hat, nicht diejenige Handlungsfreiheit besitzt, die es einstmals als Großmacht in der Welt besessen hat, daß dieses Deutschland darüber hinaus a 11 e in in dieser Welt verloren wäre und daß dieses Deutschland, in dem wir hier leben, auch nur dadurch weiterbestehen kann - das ist eine vielleicht für diesen oder jenen bittere Tatsache, aber es ist eine Tatsache -, daß wir von einer der größten Nationen dieser Erde, den Amerikanern, eine Sicherheitsgarantie für unser Land einschließlich der Stadt Berlin haben. Wer könnte es wagen, sich freiwillig dieser Sicherheitsgarantie zu begeben, was unter Umständen nach sich ziehen würde, daß auch wir eines Tages als ein roter Klecks auf der Landkarte erscheinen.
Lassen Sie mich ein Weiteres feststellen. Über Krieg und Frieden entscheidet nicht die Bundesrepublik und entscheiden auch nicht die anderen kleineren Nationen, sondern darüber entscheiden bei der heutigen weltpolitischen Konstellation allein die Großmächte, Rußland oder Amerika. Die Tatsache, daß die Großmächte es bei den lokalen Konflikten, die sich in den letzten Monaten da und dort abgespielt haben, vermieden haben, einzugreifen, ist der klarste Beweis dafür, daß es von ihnen abhängt, ob es zu einem weltweiten Konflikt kommt oder nicht. Wenn aber Deutschland allein verloren ist, dann war es nur selbstverständlich, daß wir uns in einen Pakt hineinretteten, bei dem wir, verbündet mit anderen, darauf rechnen konnten, zu bestehen. Dieser Pakt ist die oftmals so zu Unrecht geschmähte NATO.
Diese NATO, seit Jahren sicherlich mit vielen organisatorischen und sonstigen Mängeln behaftet, oftmals nicht im guten Sinne kommentiert, hat eine Stärke, nämlich die, daß ihre Partner, wenn es darauf ankommt, wissen, daß sie zusammengehören, so daß uns und auch den anderen nichts passieren kann. Diesen Glauben muß man allerdings haben, und ich glaube, daß die Rolle, die wir
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bisher innerhalb der NATO gespielt haben, uns dazu berechtigt, das auszusprechen. Denken wir doch noch einmal daran, wie es nach 1945 war, als man uns den Morgenthau-Plan beschert hatte. und denken wir daran, was heute in Deutschland ist! Diese Organisation der NATO, die insgesamt 450 Millionen Menschen umfaßt, die über zwei Drittel der Erdölproduktion hervorbringt, die über zwei Drittel der Weltstahlproduktion und über zwei Drittel der Weltkohlen- und Energieproduktion hervorbringt, ist ein wahrhaftiges Arsenal von Kräften für Freundschaft und Frieden, - wenn die Russen es wollen.
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Es muß hier nochmals mit allem Nachdruck festgestellt werden, daß diese Organisation lediglich zu unserem Schutz gegen etwaige Übergriffe geschaffen wurde, und wenn sie einen Zweck bisher erfüllt hat, wenn auch über den Umweg der Westeuropäischen Union, dann den, daß zumindest unter den Verbündeten der NATO ein Krieg praktisch und faktisch unmöglich ist. Es wäre nichts logischer, als aus der bisherigen Zusammenarbeit die Konsequenz zu ziehen, daß dieses System, das einen Krieg unter den Vertragspartnern unmöglich macht, auf alle weiteren Nationen dieser Erde erstreckt werden könnte.
Herr Kollege Gerstenmaier hat heute mittag geäußert, daß ein wiedervereinigtes Deutschland innerhalb der NATO eine andere Stellung einnehmen könnte als heute; ich habe ihn sicherlich nicht falsch verstanden. Aber ich möchte es von mir aus noch dahin ergänzend kommentieren, daß meine politischen Freunde und ich keine Zweifel darüber haben, wie eine solche Entscheidung auch nach einer Wiedervereinigung ausfallen würde. Es ist deswegen bedenklich, wenn der Kollege Ollenhauer - und ich sage das ohne jedes Ressentiment gegenüber dem Kollegen Ollenhauer - kürzlich auf einer Pressekonferenz geäußert hat, es sei sehr fraglich, ob auf die Dauer die NATO die Sicherheit des Westens garantieren könne. Dies ist nur eine Außerung, die man gewiß nicht überbewerten und dramatisieren soll, aber sie steht, Herr Kollege Öllenhauer, im Widerspruch zu dem - und das muß ich feststellen -, was Sie anläßlich Ihrer Reise nach Nordamerika in den Staaten geäußert haben. Ich meine, wir sollten gerade in der derzeitigen Situation alles vermeiden, was etwa von unserer Seite aus den Eindruck erwecken könnte, als ob wir heute schon darauf brennten, endlich mal wieder etwas anderes zu haben. Es ist ja diese ewige Unruhe im Deutschen, ständig etwas anderes zu wollen und der Ansicht zu sein, daß die Dinge in eine andere Richtung gelenkt werden müßten. Ich glaube also, nicht zu übertreiben, wenn ich sage: Wir können uns bei den augenblicklichen Verhältnissen durchaus sicher und geborgen im Schoße dieser NATO fühlen und wir können großzügig über manche Dinge hinwegsehen, die uns dann und wann nicht passen. Es isst nun einmal auch unter Freunden nicht nur eitel Liebe und Freude.
Herr Kollege Schmid+ ({7}) hat in der gestrigen Debatte um den Verteidigungshaushalt geäußert, die Regierungsparteien bzw. die Bundesregierung hätten es bisher aus bestimmten Gründen unterlassen. die westdeutsche Bevölkerung über den wirklichen Stand ihrer Sicherheit aufzuklären. Ich habe schon Gelegenheit genommen, von dieser Stelle aus dieser Auffassung zu widersprechen. Aber um auch hier die volle Wahrheit zu sagen, ist es notwendig, festzustellen: diese Sicherheit der westdeutschen Bevölkerung sieht so aus, daß jenseits der Elbe bis an die Zähne bewaffnete Einheiten stehen, die über schwere Waffen und Flugzeuge in einem Umfang und einer Stärke verfügen, daß, glaube ich, manchem deutschen Bundesbürger das Grauen kommen würde, wenn er sich die Mühe machte, sich mit diesen Dingen wirklich zu beschäftigen. Unsere Sicherheit ist auch in dem begründet, was sich in den vergangenen Monaten in Ungarn abgespielt hat, was ich hier nicht neu zitieren möchte.
Eins möchte ich noch sagen: es steht denjenigen, die uns von der anderen Seite aus gezeigt haben, wie es um unsere Sicherheit bestellt ist, schlecht an, wenn sie, die gleichzeitig eine Serie eigener Atombombenversuche anstellen, Drohnoten an andere Staaten und darunter an uns senden.
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Das muß auch ausgesprochen werden. Es wird hier immer so viel von Vorleistungen gegenüber dem Osten gesprochen. Ich stelle die konkrete Frage an die Verfechter dieser Auffassung: welche Vorleistung oder welche Gegengabe im Falle einer Forderung von der anderen Seite ist der westdeutschen Bevölkerung oder Regierung bisher vom Osten schon gegeben worden? Mir ist keine einzige bekannt. Die Forderungen sind immer nur von der anderen Seite gekommen; die leeren Versprechungen sind von der anderen Seite gekommen. In keinem einzigen Falle ist bisher gesagt worden: Wenn ihr das und das tut und erfüllt, werden wir euch das und das dafür geben.
Insbesondere vermissen wir ja allesamt schmerzlich vom Osten ein Wort über die Wiedervereinigung. Wir beschränken uns im allgemeinen darauf, uns gegenseitig - manchmal auf Grund parteipolitisch verschiedener Ansichten - Vorwürfe darüber zu machen, daß es mit der Wiedervereinigung nicht vorangeht. Ich frage Sie: wo sind die Vorschläge aus dem Osten zur Wiedervereinigung? Es sei denn das Angebot, die soziale Gesellschaftsordnung von drüben zu übernehmen oder überhaupt diesen Staat zuerst anzuerkennen und ihn dann in seiner Gesamtheit mit allem als den unseren zu betrachten. Das ist aber für uns kein Angebot. Das weiß der Osten, er muß es wissen, und deswegen meine ich, daß wir alle Veranlassung hätten, derartige Drohnoten, noch dazu, wenn sie unter solchen Umständen bei uns abgeliefert werden, an die Absender zurückzureichen. Beim Osten liegt es, jetzt einmal seinerseits guten Willen zu zeigen. Ich bedaure - ich sage auch das ohne jedes Ressentiment und stelle es nur fest -, daß der Kollege Mellies im Zusammenhang mit der Russennote geäußert hat, die Dinge, die darin enthalten seien, müßten unterstrichen werden und seien im übrigen eine Bestätigung für die Konzeption der Sozialdemokratischen Partei.
In diesem Zusammenhang kann es nicht ausbleiben, daß auch ein Wort über die Sicherheitspolitik schlechthin gesagt wird, die von der Opposition in der Vergangenheit geführt worden ist. Wir haben uns - ich möchte das auf derselben Basis tun, wie es bisher der Fall gewesen ist - den ganzen Tag mit allen möglichen Argumenten auseinanderzusetzen gehabt. Aber ich muß hier feststellen, daß der Kollege Schmid, der sehr fundiert und auch sehr zu Herzen gehend gesprochen hat und sich zum Zeugnis auf sein Gewissen berufen hat, uns
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die Antwort auf die Frage, welches nun wirklich die Sicherheitspolitik der sozialdemokratischen Fraktion ist, schuldig geblieben ist.
Ich glaube überhaupt, daß die sozialdemokratische Opposition in der Verteidigungsfrage in der Vergangenheit oftmals sehr verschlungene Wege gegangen ist. Ich erinnere daran, daß sich die Bundesregierung jahrelang größte Mühe gegeben hat, die europäische Integration und die Souveränität für unseren eigenen Staat zu erreichen. Damals hat die Sozialdemokratische Partei der Bundesregierung und den Regierungsfraktionen ständig Vorwürfe gemacht und hat gesagt, das seien Vorleistungen, die durch nichts gerechtfertigt seien. Damals galt es aber, sich mit Freunden zu arrangieren und zu verbünden. Heute stellt die Sozialdemokratische Partei die Forderung nach Vorleistungen an diese Regierung. Sosehr wir alle selbstverständlich die Heimkehr unserer Kriegsgefangenen begrüßen, es kann nicht geleugnet werden, daß der Kreml uns damals praktisch erpressen konnte. Eine weitere Vorleistung wäre die, daß wir die Handelsbeziehungen ohne jede Gegenleistung einfach aufnehmen, nur um gut Freund zu sein. Noch eine weitere Vorleistung wäre die, daß wir in Sachen Verteidigungspolitik auch nur in etwa Konzessionen machen, die zu dem führen müßten, was Professor Pascual Jordan ausgeführt hat, nämlich zum Selbstmord unseres eigenen Landes.
Ich kann nur feststellen, daß trotz aller Vorleistungen, die die Bundesrepublik auf den verschiedensten Gebieten bereits erbracht hat, nichts erreicht worden ist, was uns dazu berechtigt, anzunehmen, daß etwa durch weitere und größere Vorleistungen etwas erreicht werden könnte. Wir sollten aber das, was wir im eigenen Land haben, nicht durch einen solchen Zickzackkurs gefährden. Meine Freunde und ich glauben, daß der bedingungslose und einseitige Verzicht der schlechteste Weg ist, da er weder zur Sicherung unseres Staates noch zur Wiedervereinigung unseres Vaterlandes führen kann.
Meine Freunde und ich glauben darüber hinaus, daß es eher - das ist unsere Auffassung von der Opposition; sie kann anders handeln, das steht ihr selbstverständlich frei - Aufgabe der Opposition wäre, die Regierung dessen zu zeihen, daß sie bereit ist, Vorleistungen zu geben, ohne zugleich handfeste Gegenleistungen erwarten zu können.
({10})
- Bitte, Herr Kollege, lassen Sie mich doch aussprechen!
({11})
- Herr Kollege Schmidt, ich bitte Sie, mich aussprechen zu lassen. Ich möchte nicht die Atmosphäre stören, die heute hier gewesen ist, und bitte auch Sie, das nicht zu tun.
({12})
Ich möchte zur Frage der Wiederbewaffnung zurückkehren und noch feststellen, daß sich die Opposition, mit der ich mich als Vertreter der Rechten auseinanderzusetzen habe, damals nur zögernd bereit erklärte, überhaupt einer Wiederbewaffnung zuzustimmen, aber in einer Form, die auf ein kleineres, modern ausgerüstetes Berufsheer abgestellt war. Dabei erkenne ich ausdrücklich an, daß diese Entscheidung aus staatspolitischem Bewußtsein gefaßt wurde, und ich erkenne auch ausdrücklich an, daß die Herren Vertreter der Opposition, die mit diesen Dingen maßgeblich zu tun haben, ein gutes Stück Arbeit geleistet haben. Sie haben damals - sicherlich mit Recht - die modernste Ausrüstung für eine solche kleine Armee gefordert. Sie haben aber niemals - nehmen Sie auch das bitte lediglich als Feststellung einer Tatsache, und ich sage es ohne jedes Ressentiment -gefordert, daß diese modern ausgerüstete kleine Armee nicht mit atomaren Waffen ausgestattet werden dürfe. Vielmehr haben ihre Sprecher und haben ihre offiziellen Organe wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß nur so eine Bewaffnung überhaupt einen Sinn und einen Zweck haben könne. Ich darf vielleicht, Herr Präsident, ein kurzes Zitat bringen -
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Schneider ({0}) ({1}): Bitte schön!
Darf ich den Herrn Kollegen Schneider fragen, ab er in der Lage ist, zu belegen, wo sich jemals ein Sozialdemokrat für eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr ausgesprochen hat!
Schneider ({0}) ({1}): Ich bin ja gerade dabei, Herr Kollege Schmidt; warten Sie einen Augenblick!
Herr Kollege Erler hat im Radio Frankfurt am 12. September 1956 geäußert:
Eis hilft hier gar nichts, nun etwa mit 500 000 deutschen Soldaten eine Lücke schließen zu wollen und zu glauben, daß man dann der Sowjetunion gewachsen wäre. Mit 500 000 deutschen Soldaten sind wir das ohne die Zuhilfenahme der taktischen Atomwaffen der anderen auch nicht.
({2}) Weiter - ich habe noch mehr -:
Es war schon bisher kein Zweifel daran, und die sozialdemokratischen Redner haben darauf im Parlament immer wiederhingewiesen, daß die strategischen Pläne bei der NATO auf dem sofortigen Einsatz von Atomwaffen basieren. Trotzdem hat man die Pläne für die Aufrüstung in der Bundesrepublik so entworfen, als wäre diese Tatsache nicht existent oder als wenn man an dieser grausamen Wirklichkeit noch vorbeikommen könnte. Will irgendein militärischer Fachmann angesichts dieser Tatsache noch behaupten, daß der Westen den Sowjets genügend Truppen mit konventionellen Waffen gegenüberstellen könnte?
So sprach Herr Mellies in der Zeitung „Die Freiheit" am 24. August 1956.
({3})
Ich stehe Ihnen aber auch gern noch mit weiteren Zitaten zur Verfügung, Herr Kollege Schmidt!
({4})
({5})
- Ich bin auch gern bereit, Ihnen dies abschriftlich zu geben, wenn Sie es wünschen.
({6})
Fest steht doch, daß ich beispielsweise die taktischen Atomwaffen der Amerikaner seit geraumer Zeit in der Bundesrepublik befinden und ,daß damals von seiten der Oppostion, jedenfalls soweit mir bekantgeworden ist, keine Einsprüche erhoben worden sind, jedenfalls keine solchen Einsprüche,
({7})
wie sie sich jetzt in der Entschließung niederschlagen, die Sie dem Hause vorgelegt haben. Meine Freunde und ich sind aber nicht bereit, die Bevölkerung oder die Soldaten in irgendeiner Form aufs Spiel zu setzen.
Daß darüber hinaus meine Behauptung richtig ist, daß die Sozialdemokratische Partei in der Wehrpolitik sehr verschlungene Wege gegangen sei, geht auch daraus hervor, daß man heute in verschiedenen deutschen Städten an den Litfaßsäulen ein Plakat sehen kann, auf dem steht: „Keine Wehrpflicht - darum SPD!" Man könnte fast glauben, im Augenblick sei die Wehrpflicht nicht mehr aktuell. Sie haben sie damals schon abgelehnt. Sie lehnen aber gleichzeitig jetzt auch das modernst ausgerüstete kleinere Berufsheer ab. Ich muß daraus schließen, daß Sie sich entweder nicht ganz schlüssig sind, was Sie letzten Endes wollen, oder 'daß Sie inzwischen sogar zu der Überzeugung gelangt sind, daß wir es bei den Sowjets nur noch mit Pazifisten zu tun haben.
({8})
Wir sind jedenfalls (der Meinung, daß wir das Risiko der Schutzlosigkeit unserer Bevölkerung unter keinen Umständen eingehen können. Meinen Freunden und mir erscheint es unverantwortlich, die westdeutschen Bürger etwa um einer Wahltaktik willen in Sicherheit zu wiegen, während man sich ringsherum auf alle möglichen Gefahren eines Atomkrieges einrichtet. Ich glaube, daß es für uns gerade in diesem Augenblick dringender denn je ist, Festigkeit zu zeigen, und daß jede schwankende Politik gerade in der Frage der Verteidigung jetzt eine besondere Gefährdung für die Bundesrepublik Deutschland bedeutet.
Ich will noch auf Ihre Zwischenrufe eingehen. Ich befinde mich dabei in der ausgezeichneten Gesellschaft internationaler Sozialistenführer, die vielfach als Regierungschefs Länder führen. Welche es sind, wissen Sie ja selbst. Jedenfalls wäre in diesem Augenblick ein „Ohne mich!" oder gar ein Ausweichen vor der Verantwortung so ziemlich das Dümmste, ich möchte fast sagen: das Verbrecherischste, was wir tun können. Denn wir gießen sicherlich Wasser auf die sowjetische Mühle, wenn wir die taktischen Schachzüge, die die Herren belieben, noch unterstützen und bestärken.
Die gesamten Störmanöver der letzten Woche sind doch lediglich Teile einer politischen Kriegführung, wie wir sie bisher noch gar nicht erlebt haben. Meine Freunde sind überzeugt davon, daß wir auf diesem Gebiet noch allerhand zu gewärtigen haben. Das wird uns nicht schwach machen und darf uns nicht schwach machen,
({9})
sondern wir müssen zusammenstehen und konsequent unseren eingeschlagenen Weg gehen. Wir sind jedenfalls dazu bereit.
({10})
Ich glaube darüber hinaus, daß die Bundesrepublik Deutschland durch den Verzicht auf die sogenannten A-, B- und C-Waffen und durch das Anerkenntnis einer Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung in dien abgeschlossenen Verträgen schon einmal vorab einen sehr wesentlichen Beitrag zur Abrüstung selbst und auch zur Entspannung geleistet hat.
({11})
Meine politischen Freunde sind der Auffassung, daß in allererster Linie - das ist hier dankenswerterweise schon von einigen anderen Rednern gesagt worden - eine kontrollierte - ich betone: eine kontrollierte - Abrüstung in der Welt Platz greifen muß. Wir werden. dem Hohen Hause nachher eine Entschließung vorlegen, die dies ganz deutlich zum Ausdruck bringt.
({12})
Jedenfalls kann erst, nachdem eine solche kontrollierte Abrüstung wenigstens in etwa stattgefunden hat, an eine Wiedervereinigung der gespaltenen Welt und auch unseres eigenen Vaterlandes gedacht werden, was ,dann eine Entspannung in der gesamten Welt und letzten Endes auch mehr Sicherheit für die jetzt bedrohten Nationen zur Folge haben würde.
Die Fraktion der DP ({13}) schließt sich im übrigen natürlich der Auffassung der Bundesregierung an,
({14})
in der sie bekanntlich durch drei Minister und den Vizekanzler vertreten ist,
({15})
daß die Aufrüstung weiterer Mächte mit Atomwaffen nicht richtig ist, weil dies unter Umständen eine kontrollierte atomare Abrüstung erschweren könnte. Wir haben - das sei offen zugegeben - in unserer besonderen Lage sicherlich keine Veranlassung, uns in dieser Frage vorzudrängen. Auch wir wollen nicht, daß der Frieden etwa nur mit Geigerzählern gemessen wird.
Aber wir wollen auch nicht der Entscheidung ausweichen. Wir wollen - das erkläre ich für meine Fraktion - die taktischen und auch die sonstigen Atomwaffen nicht, wenn sie uns nicht durch die russische Politik in die Hand gedrückt werden. Denn noch immer gilt der Satz, daß das oberste Gebot jedes Staates ist, für die Sicherheit seiner Bürger Sorge zu tragen, auch wenn das manchmal unbequem ist.
Dort, wo es sich um die Sicherheitsfrage der Nation handelt, sollten die Parteipolitik und der Hader aufhören.
({16})
Ich möchte mit einem Wort von Herder schließen, das ich von dieser Stelle schon einmal sagte und das gerade in dieser Debatte so angebracht ist wie noch nie: „Wenn du mußt, so diene dem Staate, und wenn du kannst, so diene der Menschheit!"
({17})
Meine Damen und Herren, in der Situation, in der wir uns heute befinden, sollten wir uns befleißigen, beides zu tun.
({18})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Gerstenmaier sagte in seinen Ausführungen - wenn ich mich recht entsinne -: Wir stehen in Treue zu allen Lebenden. - Das ist eine Selbstverständlichkeit für uns alle, besonders für uns Frauen. Erlauben Sie mir, daß ich ein paar Worte hierzu sage. Ich möchte diese Worte nicht in meinem Interesse sagen, auch nicht im Interesse meiner Generation, sondern ich möchte sie sagen um der Kinder und der Enkelkinder willen. Ich möchte sie sagen für die Menschen schlechthin, für alle Völker: Lassen Sie mich bitten! Ich möchte heute abend mit wenigen Worten nichts anderes tun, als zu bitten. Ich bitte als alter Mensch, der sich darüber klar ist, daß jeder Tag, der ihm geschenkt wird, eine Gnade ist und daß er mit jedem Tag der Rechenschaftsablegung näherkommt. Ich bitte als alter Mensch nach den Erfahrungen von zwei Weltkriegen mit über 7 Millionen Toten und Vermißten. Verehrte Kollegen, nach den Vermißten suchen wir noch heute voller Angst und Sorge, und wir werden weiter fieberhaft nach ihnen suchen müssen. Ich bitte aus dem Entsetzen heraus über die für mein Gefühl in der Welt ständig zunehmende Parole: „ Der Krieg ist tot, es lebe der Krieg!"
({0})
„Es lebe der Krieg!", - ist das das Echo auf die frühere Parole „nie wieder Krieg!"? Ist das das Echo auf die tausendfachen Schwüre: „Wir wollen büßen, wir wollen alle büßen; wir wollen nicht mehr hassen, wir wollen Frieden, wir wollen nichts als Frieden!"? Das haben wir gehört und immer wieder gehört. Und nun? Man kann nur mit Schrecken und Angst sagen: „Wir Völker Europas verderben, wir sterben"; der eine ist Mörder, der andere ist Selbstmörder.
Ich bitte Sie für alle Lebenden und für alle Kommenden, die Erinnerung an all die Schrecken und Leiden, die Erinnerung an all die Unmenschlichkeiten, die in diesem oder jenem Namen geschehen sind, nicht aus Ihrem Gedächtnis zu verwischen. Ich bitte Sie, alle seelischen und physischen Kräfte zum Widerstand dagegen einzuspannen, daß irgend etwas geschieht, was uns dem Krieg wieder näherbringen könnte. Ich bitte vor allen Dingen die Frauen; verleugnen wir unsere Natur nicht, steuern wir dem Wahnsinn des irregehenden menschlichen Geistes, steuern wir Frauen dem gotteslästerlichen Mißbrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse. Darf ich Ihnen dazu die Worte einer Frau vorlesen, Worte zu einer Situation, in der wir uns nie wieder befinden dürfen:
Wir Völker Europas haben unsere Knaben
[erschlagen,
wir Völker Europas haben unsere Männer
[erschlagen.
Wir haben Frauen und Kinder geschunden, Hunger und Seuchen losgebunden.
Wir Völker Europas, wir haben Städte
[geschleift,
Ernten verschwendet, ehe sie gereift.
Wir armen Völker Europas, wem sollen wir es
[klagen:
Wir haben alles zerschlagen - zerschlagen [zerschlagen.
Diese Völker Europas haben sich bemüht - und insbesondere unser deutsches Volk -, wiederaufzubauen, was zerschlagen worden ist. Soll das alles noch einmal geschehen,
({1})
soll es noch einen dritten Weltkrieg geben? Ich weiß, daß wir ihn nicht wollen. Aber ich weiß auch, daß vieles von dem, was vorhin gesagt worden ist, genauso vor 1914 und genauso vor 1933 gesagt worden ist.
({2})
Es soll nicht wieder sein, was schon einmal, was schon zweimal war!
({3})
Deshalb sage ich - nehmen Sie es mir nicht übel - ein ganz scharfes unmißverständliches Nein zu allem, was eine solche Situation wieder herbeizuführen geeignet sein könnte, auch zu allen Explosionsversuchen.
({4})
Ich stehe auf dem Standpunkt -, ganz im Gegensatz zu dem alten lateinischen Satz -: Si vis pacem, para pacem!
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß die Debatte, die wir heute über die Große Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion gehabt haben, eine gewisse Klärung der Standpunkte der Regierung, der Regierungsparteien und der Opposition gebracht hat. Was die Haltung der Regierung angeht, so begrüßen wir diese Klärung, nachdem aus den verschiedenen Erklärungen des Bundeskanzlers, des Bundesaußenministers und des Bundesverteidigungsministers in den letzten Wochen nicht mehr zu ersehen war, welchen Standpunkt die Bundesregierung in der Frage der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr einnimmt. Der Bundeskanzler hat heute morgen in seiner Erklärung nach der Begründung unserer Großen Anfrage erneut erklärt, daß die Bundesregierung keine Atomwaffen in der Bundeswehr besitze und daß sie auch keine anfordert. Aber aus der Stellungnahme, die der Herr Bundesverteidigungsminister Strauß hier im Auftrag der Bundesregierung bekanntgegeben hat, geht eindeutig hervor, daß die Bundesregierung entschlossen ist, die Aufrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen vorzunehmen,
({0})
daß sie auch entschlossen ist, gegen die Stationierung von atomaren Streitkräften oder von Atomwaffen oder Bomben auf dem Gebiet der Bundesrepublik Einspruch zu erheben.
Herr Kollege D r. Gerstenmaier hat diese Haltung der Regierung im Namen der CDU/CSU in noch breiterem Umfang sozusagen theoretisch
({1})
begründet; denn es war der eigentliche Kern seiner Rede, nachzuweisen, daß es in der Logik der Situation und in der Logik der Politik der Bundesregierung liegt, eine atomare Aufrüstung der Bundeswehr nicht abzulehnen und sich auch nicht gegen die Stationierung von atomaren Streitkräften auf dem Boden der Bundesrepublik zur Wehr zu setzen.
Ich will in dieser späten Stunde nicht auf die allgemeinen Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Gerstenmaier eingehen, sondern nur eines feststellen. Herr Dr. Gerstenmaier hat die politische Linie seiner Fraktion und der Regierung im Grunde auf der These aufgebaut: Es bleibt uns in der Bundesrepublik und im Westen unter den gegenwärtigen Umständen gar nichts anderes übrig, als den Weg der Aurüstung der Bundesrepublik im Rahmen der NATO bis zur letzten Konsequenz weiterzugehen, er hat gesagt, mit allen Mitteln. Er hat das damit begründet, daß sich in der internationalen Situation, vor allem in dem Verhalten der Sowjetunion oder in dem Verhältnis zwischen der Sowjetunion und dem Westen, vor allem auch den Vereinigten Staaten, keine Änderung ergeben habe. Im Gegenteil, gewisse Ereignisse im letzten Herbst, z. B. in Ungarn, seien eher als eine Verschärfung der Lage anzusehen.
Nun, meine Damen und Herren, ich akzeptiere, daß Herr Kollege Dr. Gerstenmaier den Versuch gemacht hat, sowohl der Position der Opposition gerecht zu werden als auch den eigenen Standpunkt sachlich zu begründen. Ich möchte aus diesem Grunde hier nur zwei Bemerkungen machen, weil es unmöglich ist, das Thema im Rahmen dieser Debatte weiter zu vertiefen.
Die Behauptung, es habe sich in der internationalen Situation nichts geändert, wir wären heute in derselben Lage wie vor etwa zwei Jahren, als wir im Prinzip über die Aufrüstung der Bundesrepublik beschlossen haben, ist mit der tatsächlichen gegenwärtigen internationalen Situation nicht in Übereinstimmung zu bringen. Warum, meine Damen und Herren - Sie haben davon gesprochen, man soll alle Tatsachen sehen -, wird in einem solchen Bild, wie es hier gezeichnet wurde, nicht auch die Tatsache in Rechnung gestellt, daß mindestens im Augenblick zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die ernstesten Bemühungen im Gange sind, um gerade in der lebenswichtigen Frage der internationalen Abrüstung ein Stück voranzukommen?
({2})
Sie kennen die Erklärung der Sowjetregierung und Sie können Zweifel darüber haben, aber Sie kennen auf der anderen Seite die jüngste Erklärung des amerikanischen Präsidenten, der auf Grund der internsten Kenntnis der Dinge feststellt, daß man in London endlich eine aufgeschlossenere Atmosphäre gefunden habe. Nun, wenn wir schon über die internationale Lage sprechen, in der wir ein solches Lebensproblem behandeln, dann ist es auch notwendig, diese Anzeichen mit in das Bild hineinzubringen.
Wir haben in der vorigen Woche hier in Bonn die Tagung der Außenminister der NATO-Länder gehabt. Ich glaube, neben anderen Gründen, die dazu geführt haben, daß diese Konferenz sehr wenige konkrete Ergebnisse gezeigt hat, war ein Grund doch der, daß alle - ich hoffe, auch der Außenminister der Bundesrepublik - bestrebt waren, in dieser Lage keine Beschlüsse zu fassen, die einen möglichen positiven Ausgang der Londoner Verhandlungen über die Abrüstung erschweren.
Man kann das Bild noch ergänzen. Wollen Sie auf der anderen Seite im Ernst bestreiten, daß trotz der Ereignisse in Ungarn - in der Verurteilung der dort von der Sowjetregierung durchgeführten Gewaltmaßnahmen gibt es keine Meinungsverschiedenheit -, daß trotz dieser Ereignisse in Ungarn die Lage in Osteuropa auch vom Standpunkt der Sowjetunion nicht mehr dieselbe ist, wie sie noch vor einem Jahr gewesen ist?
Ich sage nicht, daß damit alle Probleme gelöst sind oder eine Verständigungsmöglichkeit in eine greifbare Nähe gerückt ist; aber ich sage: Wenn man hier als die Grundthese der politischen Entscheidung der CDU/CSU-Fraktion die Behauptung aufstellt, daß man zu dieser konsequenten Fortsetzung der Aufrüstung auch mit atomaren Waffen kommen müsse, weil die internationale Lage so verhärtet sei und weil es keine andere Aussicht gebe, dann ist das nicht in Übereinstimmung mit der tatsächlichen Situation.
({3})
Das nur als Feststellung, einfach deshalb, weil es unmöglich ist, hier Beschlüsse oder Behauptungen und Motivierungen zu akzeptieren, die auf solchen falschen Voraussetzungen basiert sind.
Herr Kollege Dr. Gerstenmaier hat davon gesprochen, es sei nicht möglich gewesen, mit der Sowjetunion erfolgreich über ein anderes Sicherheitssystem in Europa zu verhandeln; es sei die große Schwäche der sozialdemokratischen Konzeption auf diesem Gebiet, daß die darin enthaltenen Vorschläge nie eine wirkliche Resonanz auf der Seite der Sowjetregierung gefunden hätten. Meine Damen und Herren, Tatsache ist, daß weder die Bundesregierung noch die Westmächte einen Vorschlag in der Richtung unserer Vorstellungen jemals ernsthaft zum Gegenstand von Verhandlungen mit der Sowjetregierung gemacht haben.
({4})
Man kann sich hier nicht auf den Standpunkt stellen, es geht nicht, wenn man überhaupt nicht den Versuch unternommen hat.
Nun zu dem eigentlichen Problem - und darauf möchte ich mich hier beschränken -, das uns heute beschäftigt! Meine Damen und Herren, über die Frage, ob wir die Bundeswehr atomar ausrüsten sollen oder ob wir Atomwaffen und Atomausrüstungen auf deutschem Boden akzeptieren sollen, ist doch deshalb eine so tiefgehende Erregung und eine so leidenschaftliche Bewegung im Volke entstanden, weil es sich um mehr handelt als um eine neue technische Entwicklung in der Aufrüstung einer modernen Armee.
Es handelt sich zunächst einmal um das allgemein menschliche Problem, daß die dauernden Versuchsexplosionen mit Atom- und Wasserstoffbomben und die Ausdehnung dieser Rüstung nach der Meinung ernsthafter Wissenschaftler in der ganzen Welt eine Lage geschaffen haben, die die ernsteste Gefährdung für die Existenz und die Gesundheit der Menschen von heute und morgen bedeutet; und die Frage ist einfach - ganz unabhängig von unserem speziellen Problem -: Hat nicht jede Regierung, jede freie Regierung, und hat nicht
({5})
jedes frei gewählte Parlament die Pflicht, jetzt mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln darauf hinzuwirken, daß diese unheilvolle Entwicklung zum Stillstand kommt,
({6})
und zwar aus diesen allgemein menschlichen Gründen?
Das Zweite, meine Damen und Herren, ist ein anderes, auch nicht (unmittelbar deutsches Sicherheitsproblem, wenn Sie so wollen. Es ist nämlich die Frage, ob jetzt eine Entwicklung gefördert werden soll - und die Einbeziehung der Bundesrepublik in die atomare Aufrüstung wäre ein entscheidender Schritt auf diesem Wege -, in der die atomaren Waffen, vor allem die Atom- und Wasserstoffbomben, nicht nur im Besitz der beiden Großen oder der drei Großmächte sind, sondern morgen oder übermorgen auch im Besitz von anderen Mächten kleinerer oder mittlerer Bedeutung und unter weniger kontrollierten Einflüssen, als es heute der Fall ist, so daß, wenn wir diesen Weg gehen, auch von dieser Seite her eine Erhöhung der Gefahren und der Risiken für die ganze Menschheit unvermeidlich ist.
Die Fragen, vor denen wir deshalb hier stehen - sie zur Debatte zu stellen war ja der Sinn unserer Großen Anfrage -, sind: Erstens: Was können wir tun, um das zentrale Ziel der allgemeinen international kontrollierten Abrüstung zu fördern? Zweitens: Was können wir tun, damit wir - wenigstens als zu einem ersten Schritt - zu einer Einstellung der Versuchsexplosionen kommen? Drittens: Wie stehen wir zur atomaren Aufrüstung der Bundesrepublik und - viertens - zur Stationierung solcher Streitkräfte auf dem Boden der Bundesrepublik? - Das sind die konkreten Fragen, auf die nach unserer Meinung konkrete Antworten gegeben werden müssen.
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Und wie ist die Lage nach den Erklärungen der Bundesregierung und vor allem auch nach der Rede unseres Kollegen Dr. Gerstenmaier?
Regierung und CDU/CSU-Fraktion wie auch andere Fraktionen haben erklärt, daß sie mit aller Entschiedenheit für eine solche international kontrollierte Abrüstung sind. - Das ist wichtig, daß wir in diesem Punkte keine Meinungsverschiedenheit haben.
Aber, meine Damen und Herren, ich finde, wir haben uns auch zu überlegen, was wir tun können, um eine solche international kontrollierte Abrüstung durch eigenes Verhalten zu fördern. Und da sind wir der Meinung: es wäre eine Erleichterung der Verhandlungsposition in London, wenn wir in der Bundesrepublik erklärten, daß wir zur Förderung einer solchen internationalen Vereinbarung über die Abrüstung auf die atomare Aufrüstung in der Bundesrepublik verzichten.
({8})
Meine Damen und Herren, das wäre keine Vorleistung an die Sowjetunion, das wäre eine Vorleistung an den Weltfrieden und die Abrüstung!
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Herr Kollege Ollenhauer, würden Sie denn vielleicht in Erwägung ziehen, diesen Verzicht als einen beding t en Verzicht ,auszusprechen, also etwa in dem Sinne, wie es heute der Kollege Dr. Mende für seine Fraktion hier getan hat?
Lieber Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, hier kommt es darauf an, angesichts der Bedeutung der Sache eine klare Position zu beziehen. Wir haben in unserer Entschließung gesagt: Wir wünschen, daß die atomare Aufrüstung der Bundeswehr unterbleibt, und ich möchte, daß es bei dieser Formulierung bleibt, damit daran nicht herumgedreht wird.
({0})
Zweitens. Der nächste Punkt betrifft die Einstellung der Versuchsexplosionen. Ich habe heute morgen in der Regierungserklärung gehört, die Lage sei die, daß alle Vorschläge dieser Art, auch die Vorschläge der japanischen Regierung, zur Zeit in dem Unterausschuß für Abrüstungsfragen in London verhandelt würden und daß man also damit abwarten könne, was sich da ergebe.
Wir wünschen mehr. Wir wünschen, ,daß unsere Bundesregierung offiziell in derselben Richtung vorstellig wird, wie es die japanische Regierung getan hat, und wir wären sehr glücklich darüber, wenn sich in diesem Falle die CDU/CSU-Fraktion der Meinung ihres Sprechers von heute anschließen und diesen Punkt unserer Entschließung akzeptieren könnte. Wir wissen, daß ein .solcher Versuch, hier zu einem ersten Schritt zu kommen, natürlich nicht .die Lösung des Problem bedeutet. Aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was riskieren wir - wenn ich Ihren Standpunkt annehme - auch vom Standpunkt der Sicherheit der Bundesrepublik, wean wir zunächst einmal diese Versuchsexplosionen durch eine internationale Abmachung bindend für alle Großmächte - selbstverständlich - zu einem Ende bringen? Wir würden damit nicht nur in unserem Volke eine große Beunruhigung beseitigen, wir würden eine stetig wachsende Sorge und Last von allen verantwortlichen Menschen in der Welt herunternehmen, und ich finde, das wäre eine dankenswerte Aufgabe.
Und nun zum Dritten: Die Frage der Aufrüstung in der Bundesrepublik. Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen - und auch in der Regierungserklärung war davon die Rede -, daß ja die Bundesrepublik im Jahre 1954 durch eine feierliche Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in London auf die Produktion der sogenannten ABC-Waffen verzichtet hat, und es ist hier verbindlich erklärt worden, daß die Regierung zu diesem Verzicht stehe. Ich möchte aber auf eins aufmerksam machen. In der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in London, die heute morgen auch mein Freund Carlo Schmid zitiert hat, war nicht nur die Rede von der Produktion, von der Herstellung, sondern auch von dem G e b r auch der Atomwaffen. Ich bedauere, daß wir in der heutigen Erklärung über diesen zweiten Punkt nichts mehr gehört haben.
({1})
Im Gegenteil, wir müssen aus den Erklärungen der Regierung und aus dem Inhalt der Rede unseres Kollegen Dr. Gerstenmaier schließen, daß die Regierungsmehrheit, vor allem jedenfalls die CDU/ CSU-Fraktion, der Auffassung ist, die gegenwärtige Lage verpflichte sie, auf dem Wege der weiteren militärischen Zusammenarbeit in NATO auch die atomare Aufrüstung der Bundesrepublik in
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Kauf zu nehmen und auch die Stationierung atomarer Streitkräfte auf dem Boden der Bundesrepublik zu akzeptieren.
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Meine Damen und Herren, es war klar, daß wir in dieser Frage nicht zu einer Übereinstimmung kommen. Ich halte es deshalb für wesentlich, daß Klarheit über unsere Positionen geschaffen worden ist, daß jeder weiß, wo er steht und wo die einzelnen Fraktionen in diesem Hause stehen. Ich will sagen, daß wir diese Ihre Entscheidung auf das tiefste bedauern.
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Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, Sie haben sich in dem vergangenen Jahr mit innerer Anteilnahme und mit großer Wärme für das Anliegen der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands eingesetzt, vor allem auch für die Position der Hauptstadt Berlin, und wir haben in dieser Frage mit Ihnen an einem Strang gezogen. Ich habe es bedauert, daß heute in Ihrer Rede die Frage der Auswirkungen der atomaren Aufrüstung in der Bundesrepublik auf die Aussichten für die Wiedervereinigung nur so am Rande behandelt worden ist.
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Ich bedaure das deshalb, weil wir alle eine gemeinsame Erfahrung haben, von der wir eigentlich annehmen sollten, daß sie uns gerade bei dieser Debatte noch vor Augen isst. Wir haben bei der Entscheidung über die Einbeziehung der Bundesrepublik in NATO hier die Frage der Rückwirkungen einer solchen Einbeziehung in die westliche Militärallianz für die Wiedervereinigung leidenschaftlich diskutiert. Wir haben damals die Meinung vertreten, man solle Warnungen der Sowjetunion in dieser Frage nicht auf die leichte Schulter nehmen, man solle hier nichts tun, um die Lage so zu verhärten, daß spätere Verhandlungen noch mehr erschwert würden. Sie haben anders entschieden, und Sie müssen doch zugeben, daß uns dieser Schritt der militärischen Aufrüstung der Bundesrepublik in NATO der Wiedervereinigung entgegen Ihrer Vorstellung nicht nähergebracht, sondern eher weiter von der Wiedervereinigung entfernt hat.
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Sie sind bereit, in diesem Augenblick im Zusammenhang mit der atomaren Aufrüstung dieselbe, ich möchte sagen, nach meiner Überzeugung bedauerliche Fehlentscheidung zu fällen.
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Ein letztes Wort zu zwei Punkten in bezug auf die Entscheidungen, die Sie offensichtlich getroffen haben. Sie sagen: Die Aufrüstung ist notwendig für die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik. Gestatten Sie, daß ich gegenüber einer solchen Formulierung nach dem, was wir im Zusammenhang mit Ihrer bisherigen Aufrüstungspolitik erlebt haben, mehr als skeptisch bin. Sehen Sie, 'damals bei der ersten Entscheidung über EVG und später über die Pariser Verträge war Ihr Argument: Die Aufrüstung der Bundesrepublik wird die Chancen für die Wiedervereinigung vergrößern und die Sicherheit unseres Volkes in der Bundesrepublik erhöhen. Das war damals. Dann haben wir Argumente von Ihrer Seite gehört: Die Sicherheit der Bundesrepublik ist nur denkbar, wenn die Bundesrepublik auch exakt die zwölf
Divisionen aufstellt, die ursprünglich vorgesehen waren. Nächstes Argument: Es müssen mindestens 500 000 Mann sein. Nächstes Argument: Es geht nur mit einer Dienstzeit von 18 Monaten. Am nächsten Tag ging es mit 12 Monaten. Heute ist eine ganz andere militärorganisatorische und technische Lage. Alle Ihre Argumente, die Sie jeweils zur Verteidigung Ihres jeweiligen Standpunktes in solchen Fragen vorgebracht haben, haben sich als nicht stichhaltig erwiesen;
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denn es ist tatsächlich so, daß ein größeres Maß von Sicherheit durch diese Aufrüstung nicht erreicht worden ist. Deswegen unsere Skepsis; noch in 'größerem Maße deshalb, weil wir uns nicht vorstellen können, daß dieser Weg, wenn ihn die Bundesrepublik, dieser Teil Deutschlands im Herzen Europas, ohne Rücksicht auf die Rückwirkungen auf den anderen Teil Deutschlands geht, zur Sicherheit und zum Frieden führen kann.
Unsere Sorge ist, daß wir mit der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr und allen sich daraus ergebenden Konsequenzen einen Weg gehen, auf dem wir Gefahr laufen, nicht nur die Freiheit, von der immer die Rede war, sondern auch die nackte Existenz unseres Volkes zu verlieren und alle Aussichten für eine Wiedervereinigung unseres Vaterlandes ebenfalls in Schutt und Asche untergehen zu lassen.
({9})
Was wir wollen, ist keine Phantasie und keine Utopie, nicht mehr als das, daß wir uns darauf besinnen, daß wir in dieser Lage als Teil des deutschen Volkes mit dem anderen Teil in der Lage, in der er sich befindet, es als unsere Aufgabe ansehen sollten, nicht zuerst zu prüfen: welchen Beitrag können wir zur Politik der Stärke, sondern: welchen Beitrag können wir zur Politik der Entspannung und der Abrüstung leisten?
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Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Ollenhauer hat seine Ausführungen damit geschlossen, daß er gesagt hat, alle unsere Argumente, die wir bisher im Laufe der langen Jahre hier vorgetragen hätten, um unsere Sicherheit zu erhöhen, hätten sich als nicht stichhaltig erwiesen. Meine Damen und Herren, es ist zu spät, die Stunde ist zu weit vorgeschritten, als daß ich die ganze, ganze Liste der Fehlentscheidungen der Sozialdemokratischen Partei auf außenpolitischem Gebiete hier aufführen könnte.
({0})
Aber ich möchte noch etwas anderes ausführen. Ich fürchte, daß Herr Kollege Ollenhauer die ganze Situation unter einem nicht zutreffenden Aspekt sieht. Es handelt sich bei der gegenwärtigen Spannung in der Welt, Herr Kollege Ollenhauer, doch nicht um eine Spannung zwischen der Sowjetunion und uns.
({1})
Es handelt sich auch nicht um eine Spannung zwischen der Sowjetunion und Frankreich oder Italien
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oder Benelux; denn wir alle zusammen, Herr Kollege Ollenhauer, sind gegenüber der Macht der Sowjetunion klein. Deswegen ist es auch gar nicht richtig, zu sagen, daß wir oder daß ich vom Standpunkt der Stärke aus sprächen. Nein, ich spreche nicht und habe niernals vom Standpunkt der Stärke aus gesprochen.
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- Nun, dann lassen Sie es mich so ausdrücken: vom Standpunkt der Stärke der Bundesrepublik Deutschland aus gesprochen.
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Das habe ich niemals getan; denn das wäre ja doch ein kompletter Irrsinn.
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Meine Damen und Herren, die Dinge haben sich doch auf der Welt so zugespitzt, seitdem unter den ehemaligen Verbündeten und Siegermächten, insbesondere zwischen den beiden größten Mächten, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, diese Differenzen aufgetreten sind. Das ist doch der Kern des ganzen Unglücks. Und daß wir, Herr Ollenhauer, alles tun werden, was irgendwie möglich ist, um diese Spannung auszugleichen, das ist doch nichts anderes als einfach unsere Menschenpflicht, und dafür treten wir doch jederzeit mit ganzer Kraft ein. Aber sehen Sie, wie die Situation augenblicklich ist, Herr Kollege Ollenhauer: In London finden Verhandlungen über eine allgemeine kontrollierte Abrüstung statt. Ob diese Verhandlungen zum Erfolge führen werden, zunächst vielleicht zu einem kleineren Erfolg - denn es
wird, das ist mehrfach und nach meiner Meinung mit Recht gesagt worden, alles nur schrittweise gehen -, das kann zur Zeit keiner von uns beurteilen; wir können nur hoffen.
Aber davon bin ich fest überzeugt, Herr Kollege Ollenhauer, wenn jetzt die Bundesrepublik und andere Länder Westeuropas ihren bisherigen Standpunkt irgendwie wechselten, dann täten wir dem Frieden in der Welt den denkbar schlechtesten Dienst.
({6})
Sie werden das bezweifeln; es ist Ihr gutes Recht, das zu bezweifeln. Aber ebenso ist es ja auch unser Recht und mein Recht, den Versuch zu machen, Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit klarzumachen, warum wir diese Politik treiben.
Sehen Sie, Herr Kollege Ollenhauer, kein Mensch, auch hier im Saale niemand, wird bezweifeln können, daß die Vereinigten Staaten zu einem Abkommen b e reit sind. Ich habe heute morgen schon gesagt, daß seit 1953 - ich habe es zählen und aufschreiben lassen - die Vereinigten Staaten Sowjetrußland 20 Abrüstungsvorschläge gemacht haben. Aber ebenso, glaube ich, werden wir doch bei völlig ruhiger Überlegung zu dem Ergebnis kommen, daß Sowjetrußland - ich will mich jetzt ganz vorsichtig ausdrücken - bei weitem nicht in dem Maße geneigt ist, einer kontrollierten allgemeinen Abrüstung zuzustimmen, wie das die Vereinigten Staaten sind.
({7})
Das ist die Situation, in der wir stehen. Und sollen wir denn nun in dieser Situation, meine Damen und Herren, dazu beitragen, daß die Sowjetunion in ihrer Hoffnung, schließlich im Wege der Ausdauer doch zu ihrem Ziele zu kommen, noch gestärkt wird?
({8})
Ich meine, das können wir vor niemandem in der
Welt verantworten. Und deswegen - im Gegensatz
zu Ihnen, ich habe es ja von Ihnen eben gehört
- bin ich der Auffassung, daß unsere Politik dem Frieden der Welt und der kontrollierten Abrüstung mehr dient, als wenn wir jetzt voreilige Beschlüsse fassen.
({9})
Wir haben heute - ich meine: namens der Bundesregierung - ausdrücklich erklärt, daß wir bereit sind, uns jedem dort geschlossenen Abrüstungsabkommen anzuschließen.
({10})
- Ja, jetzt sagen Sie: Das ist selbstverständlich.
({11})
Ja, meine Damen und Herren, ich sage ja, wir können aber doch nicht jetzt das andere sagen. Das können wir eben noch nicht tun, weil wir dann doch diejenige Weltmacht, die weniger geneigt ist als die andere Weltmacht, die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion in ihrem Zögern - ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken -, in ihrem Zögern, zuzustimmen, bestärken.
({12})
Noch ein Wort zu der Frage der atomaren Aufrüstung der Bundeswehr. Wenn man das hört, sollte man glauben, morgen oder übermorgen werde unsere ganze Bundeswehr mit Atomwaffen bis dort hinaus bewaffnet. Keine Silbe ist von einer solchen Vorstellung richtig. Die Frage ist überhaupt noch nicht spruchreif; sie hat sich noch gar nicht gestellt.
({13})
- Nein, meine Damen und Herren, und, verzeihen Sie, daß muß ich doch schließlich wissen.
({14})
- Meine Herren, nun lassen Sie uns doch mal in Ruhe miteinander sprechen. Es handelt sich doch wirklich um ein Problem, das so wichtig und so bedeutungsvoll für das gesamte deutsche Volk und für Europa ist, daß wir uns gegenseitig schulden, die Argumente in Ruhe anzuhören.
({15})
Ich wiederhole und sage das auch der deutschen Öffentlichkeit: Die Frage, ob wir Atomwaffen bekommen werden oder ob wir sie nicht bekommen werden, ist noch gar nicht spruchreif. Und sollen wir in diesem Augenblick, wo diese Frage gar nicht spruchreif ist, die erst in zwei, drei Jahren spruchreif sein wird, sollen wir da, während in London die Balance so ist, dieses Gewicht in die Waagschale der Sowjets legen?
({16})
So stellt sich die Frage. Ich bin allerdings, meine Damen und Herren, der Auffassung: Das dürfen wir nicht tun.
({17})
({18})
Das dürfen wir nicht tun, weil wir den Frieden retten wollen.
({19})
Denn Frieden in der Welt bekommen wir nur dann, wenn dort ein Abkommen geschlossen wird. Ich fürchte, es wird nicht geschlossen werden, wenn wir durch diese oder ähnliche Beschlüsse einfach den Sowjets zeigen, daß wir nicht mehr wie bisher bereit sind, uns im Falle des Angriffs zu verteidigen.
({20}) Ich weiß, daß ich Sie nicht überzeugt habe. ({21})
- Ich wußte das von vornherein. Aber ich bitte Sie doch, meine Damen und Herren, die Worte, die ich gesagt habe, so entgegenzunehmen, wie ich sie zu Ihnen spreche: als die ehrliche Überzeugung eines Mannes, der es mit dem deutschen Volk und mit dem Frieden in der Welt genauso gut meint wie Sie.
({22})
Ich erteile das Wort zur Begründung des Antrags Umdruck 1099*) dem Abgeordneten Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union den Entschließungsantrag zu begründen, den wir gemeinsam mit unseren Koalitionspartnern von der Deutschen Partei ({0}) dem Hohen Hause vorgelegt haben.
Herr Abgeordneter, darf ich einen Moment unterbrechen. Ich muß mich einer formellen Pflicht entledigen. Es war im Altestenrat verabredet, heute um 21 Uhr zu schließen. Ich unterstelle das Einverständnis des Hauses, daß wir diesen Punkt zu Ende bringen. - Das Haus ist damit einverstanden.
Meine Damen und Herren, unsere verehrte Alterspräsidentin, die schon in mancher kritischen Situation eindrucksvolle Worte zu uns gesprochen hat, hat dies auch am heutigen Abend getan. Sie hat uns allen das Wort zugerufen: Si vis pacem, para pacem; wenn du den Frieden willst, dann rüste zum Frieden. Ich glaube, über alle parteipolitischen Meinungsverschiedenheiten, die uns ansonsten trennen mögen, darf ich für mich und meine Fraktionsfreunde sagen, daß wir darin mit der Frau Alterspräsidentin einig sind, daß die beste Rüstung zum Frieden die internationale und kontrollierte Abrüstung ist.
Deshalb ist diese internationale allgemeine und kontrollierte Abrüstung der erste und wichtigste Punkt in der Resolution, die die Fraktion der Christlich-Demokratischen und Christlich-Sozialen Union im Verein mit der Deutschen Partei Ihnen vorlegt. Diese Abrüstung ist der Herzenswunsch aller Völker. Wir Deutsche können nicht viel mehr als unsere moralische Kraft hineinlegen; aber zu
*) Siehe Anlage 2
dieser moralischen Kraft gehört auch die Entschlossenheit, bis die Abrüstung kommt, den auf uns entfallenden Teil zum Zusammenschluß der freien Welt weiterhin beizutragen.
Die Ernsthaftigkeit unserer Gesinnung zur Abrüstung stellen wir auch dadurch unter Beweis und bekräftigen sie dadurch - das wird Herrn Kollegen Erler besonders interessieren, nachdem er Herrn Kollegen Gerstenmaier bei seiner Rede deswegen eigens interpelliert hat -, daß auch wir den Antrag stellen, die Großmächte sollen die Atombombenversuche zunächst für eine begrenzte Zeit einstellen, bis die Verhandlungen über die internationale Abrüstung zu einem Erfolg gekommen sind. Dies ist der zweite Punkt unseres Antrages, zu dem wir stehen.
Wir sind uns darüber klar, daß die internationale Abrüstung vom Willen aller Partner, nicht nur der kleineren Länder, sondern vor allem der Großmächte, und nicht nur der Vereinigten Staaten, die zwanzig solcher Anträge eingebracht haben, sondern auch der Sowjetunion, abhängt, deren Stellung nicht in unserer Macht ist und die, da wir es hier mit einer diktatorialen Regierung zu tun haben, auch nicht unter den Druck der öffentlichen Meinung gestellt werden kann wie die Regierungen anderer Mächte. Sollange es der Fall ist, daß die internationale Abrüstung am Willen der Sowjets scheitert, ist die Freiheit der Welt, ist die Freiheit der Bundesrepublik, ist die Existenz unseres Volkes und edes einzelnen nur durch unsere Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika und den übrigen dreizehn NATO-Mächten geschützt. Dies ist die Grundlage unserer Politik. Gerade in diesem Augenblick, da der Aufbau 'unserer Bundeswehr noch im ersten Stadium steckt, sind wir völlig auf den Schutz unserer Verbündeten angewiesen. Es wäre nicht zu verantworten, wenn wir unseren Verbündeten vorschrieben, welche Form des Schutzes sie wählen. Wennschon die Amerikaner heute, nachdem die Franzosen durch den Abzug nach Algerien, die Briten durch andere Ereignisse ihre Truppen vermindert haben, die Hauptlast der Verteidigung hier tragen, können wir ihnen nicht verwehren, wenn sie jene Waffen, auch taktische Atomwaffen, bereit halten,ohne die sie diese Verteidigung nicht sicherstellen können.
Wir haben deshalb in einem weiteren Punkt festgestellt, daß wir keinen Anlaß haben, von den Verbündeten Einschränkungen der Ausrüstung der Truppen zu verlangen, die ja zu unserer Verteidigung da sind, - zumal da es in einem modernen Kriege so schnell geht, daß jene Atomkanonen, die eventuell eingesetzt werden müssen, ihre Munition bei sich haben müssen. Die ganze Verteidigung wäre sinnlos, wenn man erst Tage und Wochen brauchte, um sie von woanders her hierherzubringen.
Wir tun dies um so mehr im Hinblick auf die strengen Sicherheitsvorschriften der Vereinigten Staaten, eines Landes, von dem man weiß, daß es Vorschriften peinlich einhält und daß es die Parole „Safety first", „Sicherheit zuerst", größer schreibt, als es in jedem anderen Land, auch bei uns, geschieht.
Wir stellen uns dann auf den Standpunkt, daß die Frage der Bewaffnung der Bundeswehr mit atomaren taktischen Waffen überhaupt nicht aktuell ist. Sie ist technisch für diejenigen, die sie
({0})
liefern können, und für unsere Armee, die im Aufbau ist, erst in etwa zwei Jahren aktuell. Wir hoffen zuversichtlich und lassen uns in dieser Hoffnung von niemand übertreffen, daß bis zu diesem noch reichlich fernen Zeitpunkt die Abrüstung endlich durchgeführt ist.
({1})
Wenn wir die Erwartung des Deutschen Bundestages, die wir in unserer Resolution formuliert haben, daß diese Verhandlungen erfolgreich sein werden, nicht alle miteinander einmütig bekräftigen, werden sie bestimmt keinen Erfolg haben. Einmütigkeit ist hier also notwendig. Ich darf zur Vermeidung eines Mißverständnisses betonen, daß auch Herr Kollege Dr. Gerstenmaier in seiner Rede ausdrücklich festgestellt hat, daß er oder die Bundesregierung solche Waffen nicht fordert - wir sind froh, wenn sie uns erspart bleiben -, sondern daß sie nur heute keinen einseitigen Verzicht aussprechen wollen, weil dieser bei den internationalen Verhandlungen in die Waagschale der Sowjetunion fallen würde. Das kann kein Deutscher, gleich wo er steht, verantworten.
({2})
Wir haben schließlich die Frage der Wiedervereinigung, die in unseren Reden durchaus nicht am Rande behandelt wurde, Herr Kollege Ollenhauer, sondern die ein zentrales und ausführliches Stück der Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Gerstenmaier dargestellt hat, in einem weiteren Punkt herausgestellt und den Satz, zu dem sich sicherlich auch Sie alle bekennen, formuliert, daß ein dauerhafter Friede ohne die Wiedervereinigung Deutschlands nicht gesichert ist.
Wir ersuchen die Bundesregierung, jene Maßnahmen bekanntzugeben, auf die die Bevölkerung wartet, um einen wirksamen Strahlenschutz vor Atommaterial für zivile Zwecke, die auch schon Gefahren in sich bergen, und erst recht für militärische Zwecke zu gewährleisten.
Wir fordern den Beirat für Atomwaffen aus Atomwissenschaftlern, Politikern und militärischen Sachverständigen, der die Aufgabe haben soll, unverzüglich das einschlägige Material, auch das der UNO-Abrüstungsverhandlungen, zu prüfen und die Ergebnisse seiner Untersuchungen der Öffentlichkeit vorzulegen.
Meine Damen und Herren, wir tun dies in dem vollen Ernst, den der erste Redner des heutigen Tages, Herr Kollege Erler, hier mit Recht beschworen hat und dem auch die übrigen Redner treu geblieben sind. Wir tun es aber, ohne in Panik zu verfallen; denn Angst, Schrecken und Panik wären wahrhaftig das, was sich die Sowjetunion am meisten wünschen könnte.
({3})
Was sie sich immer wünscht, ist, daß dieses westliche Europa und damit auch die Bundesrepublik sowie die ganze westliche Welt aus Angst, wie es in der griechischen Sage geschildert ist, vom Blick des Hauptes der Meduse gebannt und versteinert, die Hände in den Schoß legt und damit vom Gegner überwältigt werden kann. Das Haupt der Meduse ist in unseren Tagen das Bild der Atombombe, ein furchtbares Bild, das uns das Blut in den Adern wirklich erstarren machen könnte. Aber es darf nicht so sein. Wir haben uns in der größten Not unseres Volkes - 1948 im Wirtschaftsrat, 1949 in diesem Hause - nicht versteinern lassen,
wir haben Hand angelegt an den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau unseres Volkes. Wir haben diesem Volk die Sicherheit für alle gegeben. Sie ist das Ergebnis der Politik der Regierungskoalition.
({4})
Wir wollen uns von niemand, am allerwenigsten von der Sowjetunion, in dieser Aufbauarbeit erschüttern lassen. Wir wollen die Sicherheit, die auf der Freundschaft mit den anderen NATO-Mächten, vor allem den Vereinigten Staaten, beruht, durch nichts gefährden. Deshalb gehen wir entschlossen den Weg weiter, den unsere Redner, zuletzt der Herr Bundeskanzler, gewiesen haben. Und deshalb legen wir dem Hohen Haus die Resolution*) vor, die ich begründet habe.
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Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende dieses Sitzungstages gilt es, in Form einer Willenskundgebung des Bundestages Konsequenzen zu ziehen aus dem, was diese Debatte zutage gebracht hat. Ich muß Ihnen offen gestehen, daß mir die Konsequenzen, welche die Fraktion der CDU/CSU zusammen mit der DP zu ziehen bereit ist, nicht auszureichen scheinen. Wir haben heute nicht darüber diskutiert, ob wir uns in dem Fernziel einig sind, daß irgendwann einmal auf dem Erdball die Waffen weggelegt werden, die großen wie die kleinen, die schrecklichen wie die weniger schrecklichen, und die Menschen sich des Friedens erfreuen können - in diesem Fernziel sind wir uns alle einig -, sondern wir haben heute eine Reihe von ganz konkreten Fragen zu prüfen gehabt. Ich finde, zu diesen sehr konkreten Fragen müssen wir uns klar und unmißverständlich äußern.
Die erste Frage, die in diesem Hause erfreulicherweise ein höheres Maß an Übereinstimmung gefunden hat, als das etwa in den europäischen Versammlungen in Straßburg der Fall gewesen ist, ist die nach der Beendigung der Versuchsexplosionen. Da bin ich der Überzeugung, daß wir, wenn wir wirklich Nägel mit Köpfen machen wollen, nach reiflicher Abwägung der Texte diesen Appell an alle richten müssen und darüber hinaus - nach den bitteren Erfahrungen, die es bisher gerade auf diesem Gebiet gegeben hat - dafür sorgen sollten, daß irgendeiner mal damit anfängt, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, und sagt: jetzt höre ich erst einmal auf und sehe, ob der andere trotzdem mit den Versuchen fortfährt.
({0})
Ich bin der Meinung, daß es den Westen ehren würde, wenn er anfängt. Außerdem gefährdet es nicht im geringsten seine Sicherheit. Denn es ist klar: wird nach einer solchen Erklärung mit Versuchen anderwärts fortgefahren, dann ist ein solches Unternehmen zunächst einmal leider gescheitert und eine neue Lage gegeben. Aber versuchen muß man das, zumal entsprechende Erklärungen auch von der sowjetischen Regierung gekommen sind. Man sollte die sowjetische Regierung hier endlich einmal beim Wort nehmen, statt ihr immer wieder Propagandamöglichkeiten und Ausflüchte zu lassen. Man sollte sie beim Wort nehmen und
*) Siehe Anlage 2
({1})
sagen: wir hören mit den Versuchsexplosionen auf, und nach euren eigenen Erklärungen bedeutet das, daß ihr die Versuchsexplosionen ebenfalls einstellt. - Das war der Inhalt des Punktes I unseres Antrags.
Zu den anderen Punkten, die es hier zu entscheiden gilt, ist folgendes zu bemerken. Es ist uns gesagt worden, daß die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen gar nicht aktuell sei. Immerhin ist aber doch die andere Frage sehr aktuell, die praktisch schon längst entschieden ist, nämlich daß sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den Händen unserer Verbündeten Atomwaffen befinden. Diese beiden Fragen kann man gar nicht voneinander lösen. Wir sollten ganz offen sagen, daß wir eine erhebliche Erleichterung der Situation für unser eigenes Volk, aber auch im weltpolitischen Gespräch darin erblicken würden, wenn es gelänge, aus einem solchen Krisenherd wie dem deutschen die Atomwaffen fernzuhalten. Wir sollten nicht die Hand dazu geben, daß noch mehr von diesem Sprengstoff in die beiden Teile Deutschlands hineingepreßt wird.
({2})
Das ist der Sinn unseres Antrags auf Umdruck 1093*) unter Punkt II Ziffern 1 und 2. Auch hier darf ich daran erinnern, daß die Sowjetregierung erklärt hat - Sie haben hier z. B. anläßlich der Debatte über das Stimmrecht der Berliner Abgeordneten den Erklärungen von drüben so großes Gewicht beigemessen, warum nicht auch in einer solchen Frage? -,
({3})
sie hielte es für nützlich, wenn mit den Westmächten ein Abkommen darüber getroffen werden könnte, daß der deutsche Boden hüben wie drüben von Atomwaffen frei bleibt. Das schließt ein, daß man das auch überwachen kann, denn ein solches Abkommen beinhaltet eine solche Überwachung.
Sollten wir nicht wenigstem versuchen, diese Chance zu ergreifen, damit wir nicht eines Tages in derselben Lage stehen wie bei dem Abzug der englischen Truppen? Jahre hindurch ist von der Sowjetunion gesagt worden, man könnte über die Zahl von Truppen auf deutschem Boden miteinander ins Gespräch kommen. Um unserer vermeintlichen Sicherheit willen haben die Westmächte gesagt: Das kommt nicht in Frage. Eines Tages haben sich die Briten entschlossen, den teilweisen Abzug ihrer Truppen umsonst und ohne Gegenleistung vorzunehmen, statt wenigstens den Versuch zu unternehmen, das rechtzeitig zum Gegenstand von Verhandlungen zu machen und damit auch eine Erleichterung des Loses unserer Landsleute in der Sowjetzone zu erzielen. So ähnlich geht es uns eines Tages auch hier - davon bin ich fest überzeugt -, wenn wir nicht wenigstens den Versuch unternehmen, die Ansätze, die sich hier bieten, auszunutzen.
Es ist heute hier gesagt worden, manche in diesem Hause beschwörten die Angst vor den Atomwaffen herauf, und die Panik, die dadurch entstünde, sei immer ein schlechter Ratgeber. Lange ehe von dieser Atomgefahr die Rede war, ist hier Angst und Panik heraufbeschworen worden. Immer dann, wenn unser deutsches Volk aufgefordert worden ist, einmal die Blicke nach Osten zu richten,
({4})
*) Siehe Anlage 3
wurde plötzlich ganz zielbewußt Angst gesät, um
dadurch bestimmte Schrecksituationen auszulösen.
({5})
Ich teile die Meinung, daß Angst immer ein schlechter Ratgeber ist.
({6})
Ich teile die Meinung, daß wir uns ,auch nicht in eine blinde Atomangst hineinbegeben dürfen. Aber ich bin der Überzeugung, daß man bei allem gebotenen Maß an Nüchternheit eines nicht tun darf, nämlich .die Augen vor )dem grundsätzlich Neuen dieser Gefahren zu verschließen.
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Denn wer eine Gefahr überhaupt nicht sieht, wer sie leugnet, der wird mit ihr auch nicht fertig.
({8})
- Jawohl, sehen Sie, ich leugne auch die sowjetische Gefahr gar nicht. Die Frage ist nämlich, auf welche Weise man diesen Kampf der Selbstbehauptung der Freiheit gegenüber einer Ordnung der Unfreiheit am erfolgreichsten besteht.
({9})
Ich bin nicht der Meinung, daß ,die Menschheit diesen Kampf mit den Atomwaffen am erfolgreichsten durchstehen wird.
({10})
Hier ist ein großer Satz gelassen ausgesprochen worden: Sie hätten unserem Volk Sicherheit gegeben. Meine Damen und Herren, wenn Sie unserem Volk Sicherheit gegeben hätten, dann hätte es doch dieser Debatte um die Atombewaffnung nicht bedurft.
({11})
Für unser Volk gibt es so lange überhaupt keine
Sicherheit, solange die Zeitbombe der Spaltung
Deutschlands hier im Herzen des Kontinents tickt.
({12})
Solange besteht jederzeit die Gefahr, daß aus dieser deutschen Spaltung heraus eine Explosion entsteht, die uns alle und unsere Nachbarn mit verschlingt.
({13})
Deshalb gibt es nur einen wirklichen Weg für die Sicherheit Deutschlands, und alles andere ist auf Illusionen aufgebaut. Dieser Weg besteht darin, mit Vorrang die Politik der Wiedervereinigung anzusteuern, weil lanes andere nur Ersatzlösungen bringt, und schlechte dazu.
({14})
Durch das Wettrüsten werden Sie die Wiedervereinigung unter gar keinen Umständen erreichen, sondern nur noch erschweren.
({15})
({16})
Nun ist soeben gesagt worden - und damit sind wir wieder bei dem Kern unserer heutigen Debatte -, die Bundesregierung habe sich ja gar nicht um Atomwaffen bemüht. Daß wir also diese Debatte heute auf Grund einer Anfrage der Sozialdemokraten führen, sei fast noch die Schuld derjenigen, die überhaupt wagen, von diesen Fragen der atomaren Bewaffnung hier in der Bundesrepublik zu sprechen.
Das ist nicht ganz richtig. Ich habe Ihnen vorgelesen, daß die Ausstattung auch der Bundeswehr mit Atomwaffen bereits seit dem Jahre 1955 im Verteidigungsministerium ins Auge gefaßt worden ist. Ich darf daran erinnern, daß der Bundesverteidigungsminister schon im November den Gedanken unterstützt hat, auch die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten. Aus einer Reihe von Reden, die heute gehalten wurden - ob Sie nun sagen, das sei aktuell oder nicht -, ergibt sich doch nur ein Schluß: daß Sie sich bemüht haben, unserem Volke klarzumachen, um unserer Gleichberechtigung und um der Effektivität des NATO-Bündnisses willen gebe es gar keinen anderen Weg als den, daß auch die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgestattet wird.
({17})
Der Herr Bundeskanzler hat in einer Auseinandersetzung mit meinem Freund Ollenhauer geglaubt, in Bausch und Bogen auf alle Fehlentscheidungen der SPD auf außenpolitisichem Gebiet aufmerksam machen zu müssen.
({18})
Meine Damen und Herren, darf ich Sie daran erinnern, wieviel Millimeter Sie eigentlich die Hauptfrage der deutschen Außenpolitik, nämlich die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, in den sieben Jahren vorangebracht haben?
({19})
An diesen Resultaten gilt es doch ebenfalls Ihre praktische Politik zu messen! Die Spaltung unseres Landes ist in dieser Zeit nicht gemildert, die Aussichten für ihre Überwindung sind nicht verbessert, sondern die Spaltung unseres Landes ist verhärtet worden.
({20})
Der Bundeskanzler hat gesagt - und dia hat er recht, natürlich -, daß es sich bei den Spannungen in der Welt doch letzten Endes nicht um Spannungen zwischen der Sowjetunion und uns handelt - obwohl manchmal Äußerungen des Herrn Verteidigungsministers so klingen könnten -, sondern daß es sich um Spannungen zwischen der Sowjetunion und im wesentlichen den Vereinigten Staaten von Amerika und allen denen handle - zu denen auch wir zählen -, die sich um die Vereinigten Staaten von Amerika in einem bestimmten System von Verträgen geschart haben.
({21})
- Ich höre das Wort „freie Welt", und da lassen Sie mich eines sagen: Sie dürfen doch dieses Wort nicht dadurch noch in Unehre bringen, daß Sie die Mitgliedschaft eines Landes in einem Pakt gutgeheißen haben, in idem es heute genausowenig
freie Wahlen wie in anderen Diktaturländern gibt.
({22})
- Ich rede von Spanien, wenn Sie es genau wissen wollen.
({23})
Wer mit dem Begriff der freien Welt noch irgend etwas an Idealen verbinden will, der sollte wenigstens dafür sorgen, daß sich nur derjenige mit Stolz zur freien Welt zählt, dem es ernst ist um die freie Wahl zur Volksvertretung und um die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk.
({24})
Zurück zu dem Problem der Spannungen. Der Herr Bundeskanzler hat völlig recht mit der Aufzählung der Beteiligten. Also kommt es darauf an, um der Wiedervereinigung unseres Landes willen die Spannungen unter den Großmächten auszugleichen und nicht zu verschärfen. Der sicherste Weg zur Zuspitzung der Spannungen scheint mir die weitere Zuspitzung des atomaren Wettrüstens zu sein.
Sie alle wollen zwar im Prinzip ihren guten Willen für die Abrüstung in einem Beschluß zum Ausdruck bringen. Aber in wieviel Untertönen wurde heute hörbar, mit welchem Übermaß an Skepsis ein großer Teil in Ihren Reihen, meine Damen und Herren, den sehr ernsten Londoner Abrüstungsverhandlungen gegenübersteht! Da darf ich Ihnen aus einem Dokument, das der „Nachrichtenspiegel" des Bundespresse- und Informationsamtes verteilt hat, wenigstens vorlesen, auf welche Hauptprobleme man sich konzentriert hat, damit Sie sehen, daß es keine leeren sozialdemokratischen Deklamationen sind, wenn wir sagen: dort wird jetzt ernsthaft um die Probleme gerungen.
Es handelt sich um die folgenden Fragen:
1. Herabsetzung der herkömmlichen Streitkräfte auf zunächst 21/2 Millionen, dann 11/2 Millionen für die USA, die Sowjetunion und China, auf 750 000 und dann in der zweiten Phase auf 650 000 für Großbritannien und Frankreich. Zumindest über den ersten Abschnitt dieses sowjetischen Planes besteht Übereinstimmung. Die 11/2-Millionen-Ziffer des zweiten Abschnittes ist bisher von den USA jedoch nicht angenommen worden.
Das bezieht sich auf eine uralte Diskussion, wir haben sie schon öfter hier im Hause gehabt. Es ist ein früherer westlicher Vorschlag, der dann plötzlich, als die Pläne für die 500 000 bundesrepublikanischen Soldaten aktuell wurden, von der westlichen Seite in die Versenkung befördert wurde.
2. Der amerikanische Plan, auf die Herstellung weiterer Atomwaffen nach dem 1. März 1958 zu verzichten und am 1. September 1957 einen Sachverständigenausschuß mit der Ausarbeitung eines geeigneten Kontrollsystems beginnen zu lassen.
3. Die amerikanischen und die sowjetischen Pläne für Zonen der Luftüberwachung, die sich in Europa in der Ausdehnung wenig, in Sibirien und ,auf dem amerikanischen Kontinent wesentlich unterscheiden.
({25})
4. Ein sowjetischer Kontrollplan mit Überwachungsposten an Eisenbahnknotenpunkten, in Häfen und auf Fernstraßen, der auch die westlichen Grenzbezirke der Sowjetunion und den östlichen Teil der USA erfaßt.
5. Ein amerikanischer Plan für ein Kontrollsystem im Rahmen der UNO, das aus einem ... Kontrollrat ... mit Vetorecht für die fünf ständigen Mitglieder ... , einer Versammlung aller angeschlossenen Staaten und aus den ausführenden Organen bestehen soll.
6. Die sowjetischen Vorschläge, Atomexperimente einzustellen rund eine Verpflichtung einzugehen, Atomwaffen nicht anzuwenden.
Meine Damen und Herren, dieses Dokument faßt die Vorschläge beider Selten. zusammen, und zwar ernste Vorschläge. Sollen wir in dieser Situation durch eine mißverständliche Erklärung dieses Hauses in der ganzen Welt den Eindruck schaffen: die Bundesrepublik sagt zwar vor der Wahl, die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen sei nicht aktuell, aber in Wahrheit hält sie sie für später für unvermeidlich!
({26})
Unsere Standpunkte, meine Damen und Herren, sind hinlänglich bekannt, so daß uns hier gar nichts weiter übrigbleibt, als die Position sehr klar zu bekenne. Ich möchte dem Herrn Bundeskanzler sagen - er bestritt hier, früher von der Politik der Stärke gesprochen zu haben -: Herr Bundeskanzler, ich erkläre mich bereit, Ihnen aus dem Wahlkampf des Jahres 1953 in ausreichender Fülle Zitate aus Ihren eigenen Reden dazu zur Verfügung zu stellen.
Meine Damen und Herren! Worauf es ankommt, ist nicht, daß wir jetzt hier Erklärungen abgeben, daß wir die Politik der militärischen Stärke als verfehlt betrachten, sondern worauf es ankommt, ist, daß der Bundestag durch seinen Appell an die Weltmächte wenigstens 'den Versuch unternimmt, dem Verhängnis in die Speichen zu greifen und dem Wettlauf zum atomaren Selbstmord ein Ende zu setzen.
({27})
Das Wort hat der Herr Bundesverteidigungsminister.
Herr Präsident! Meine Damen rund Herren! Es ist jetzt nicht mehr die Zeit und nicht mehr der Anlaß, über die Gesamtheit ,der Problematik. die heute angeschnitten worden ist, noch im einzelnen zu sprechen. Es gäbe vieles dazu zu sagen, und es sind von uns sehr viele Argumente, die für die Opposition wenig erfreulich wären, bewußt nicht gebraucht worden.
({0})
Ich sage: es ist nicht mehr die Zeit und der Anlaß, die Gesamtproblematik - Sicherheit, Wiedervereinigung, Abrüstung, Entspannung, Sicherheitsbündnis, europäisches Sicherheitssystem -hier zu behandeln. Aber es gilt, eiirren Eindruck, der weniger durch die Ausführungen des Kollegen
Ollenhauer als durch die Ausführungen des Kollegen Erler hier entstanden ist, in aller Klarheit und in aller Eindeutigkeit zu widerlegen, nämlich den Eindruck, als ob die Regierungskoalition hier und heute die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen beschließen würde und die Sozialdemokratie dieser Ausstattung widerspricht. Diese Darstellung ist eindeutig unwahr.
({1})
Wenn heute hier sowohl von seiten der Regierung wie von seiten der Sprecher ,der Regierungsfraktionen mehrfach erklärt worden ist, daß Bundesregierung und Mehrheit dieses Hauses - ich glaube, daß das auch für die Opposition als Selbstverständlichkeit gilt - bereit sind, sich jedem in London zustande kommenden Abrüstungsabkommen ,anzuschließen,
({2})
dann ist .das doch das Maximum dessen, was überhaupt nur an Blankoschecks für .die Abrüstung von uns gegeben werden kann.
({3})
Denn mehr, als zu sagen: „Gleichgültig, was die Großmächte in London beschließen - wir werden mit jedem Ergebnis. ,auf das sich die Großmächte einigen, ohne daß wir es heute im einzelnen schon kennen, von vornherein im Interesse des Friedens und im Interesse der Sicherheit einverstanden sein", - mehr kann man nicht tun.
(Abg. Könen ({4})
- Machen Sie doch keine dummen Bemerkungen.
(Zurufe von der SPD. - Unruhe. Glocke des Präsidenten. - Abg. Schmidt
({5})
- Sie sollten nicht - ({6})
- Ich glaube, Herr Kollege Schmidt, es ist sehr gefährlich. sich auf einseitige und sehr unrichtige und falsche Indiskretionen zu verlassen.
({7})
Ich darf sagen: Es gilt hier in aller Deutlichkeit herauszustellen, daß die Frage der Ausstattung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen - wobei sowieso nur ,amerikanische Produktion in Betracht käme - überhaupt nicht zur Debatte steht. Deshalb ist der Eindruck, .den Kollege Erler hier durch seine Ausführungen hervorrufen mußte, insoweit irreführend. Wir haben heute des öfteren erklärt, daß die Bundesregierung und daß die Regierungsmehrheit sich jedem Abrüstungsabkommen, das in London zwischen den Großmächten zustande kommt, von vornherein anschließen. Wir haben heute expressis verbis erklärt, daß 'der Verzicht der Bundesregierung auf die Produktion von Atomwaffen im Gebiet der Bundesrepublik Deutsch({8})
land nach wie vor unverändert gilt, daß keine Maßnahmen eingeleitet und keine Schritte beabsichtigt sind, um diesen Verzicht aufzuheben oder eine Änderung der Vertragsbestimmungen herbeizuführen. Wir haben ferner erklärt, daß eine Versicherung von unserer Seite, daß wir auf eine Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen in jedem Fall verzichten, gleichgültig, was in London herauskommt, und wenn auch dank dem Veto der Sowjetunion niemals ein Abrüstungsabkommen zustande kommen sollte, bedingungslos und für ewige Zeiten von keiner Regierung und von keinem Parlament, wenn es seine Aufgabe, für Sicherheit und Frieden zu sorgen, ernst nimmt, abgegeben werden kann.
({9})
Diesen Eindruck, Kollege Erler, galt es richtigzustellen. Denn darüber ist weder in Ihrer Anfrage etwas gesagt noch steht diese Entscheidung im Augenblick zur Debatte. Wir hoffen, daß die Entscheidung über diese Frage durch das Ergebnis der Londoner Abrüstungsverhandlungen, das wir a priori anzunehmen bereit sind, von Regierung und Parlament überhaupt genommen werden wird. Aber so leicht, sie heute so oder so vorwegzunehmen, können wir uns diese Entscheidung selbst nicht machen.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu Punkt 1 der Tagesordnung liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Beratung.
Wir kommen zu den Umdrucken. Es handelt sich um Anträge nach § 107 der Geschäftsordnung, also Anträge, die in der Beratung einer Großen Anfrage gestellt worden sind. Diese Anträge haben insofern einen besonderen Charakter, als sie der Unterstützung durch 30 anwesende Mitglieder des Hauses bedürfen. Die Anträge auf den Umdrucken 1099*) und 1093**) sind in dieser Form unterstützt. Der Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 1096***) scheint mir, soweit ich das sehe, von 30 anwesenden Mitgliedern nicht mehr unterstützt zu sein; denn so viele sind nicht mehr da. Ich muß daher das Haus fragen: Wird der Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 1096 auch von anderen Mitgliedern dieses Hauses unterstützt?
({0})
-Das nutzt nichts, Herr Kollege Becker, entschuldigen Sie. Lesen Sie bitte den § 107: „Wird bei der Beratung ein Antrag gestellt, so muß er von 30 anwesenden Mitgliedern unterstützt werden."
({1})
- Meine Damen und Herren, ich tue es doch nicht gern, daß ich die Formalie erledige. Aber es ist doch meine Pflicht.
({2}) - Herr Abgeordneter Erler!
Meine Damen und Herren, ich habe mich zur Abstimmung nicht nur gemeldet, um Ihre Heiterkeit etwas zu dämpfen. Wir wollten, wenn
*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3 ***) Siehe Anlage 4
Sie unseren Antrag schon nicht annehmen, dem Hause wenigstens Gelegenheit geben, sich in der Sache auch zum Antrag der FDP zu äußern. Das ist einfach parlamentarischer Anstand.
({0})
Meine Damen und Herren, ich frage, ob der Antrag des GB/BHE auf Umdruck 1097*) auch von anderen Mitgliedern des Hauses unterstützt wird. - Das ist der Fall. - Ich bitte, mir doch etwas zu folgen; denn die Situation ist gar nicht mehr so einfach, wie es scheint.
({0})
Ich unterstelle nach § 107 der Geschäftsordnung, daß das Haus der Meinung ist, daß diese Anträge nicht an einen Ausschuß verwiesen werden, sondern daß über sie heute abgestimmt werden soll.
({1}) - Das ist der Fall.
Dann die Frage: Wie 'behandeln wir diese Anträge? Für den Präsidenten ist es immer schwierig, zu entscheiden, welches der weitestgehende ist. Diese Anträge haben teilweise gleichen, teilweise unterschiedlichen Inhalt und teilweise überschneiden sie sich. Ich stelle sie gleichmäßig nebeneinander, so daß die Frage der Entscheidung darüber, welches der weitergehende ist, entfällt. So habe ich nur noch darüber zu entscheiden, in welcher Reihenfolge abgestimmt wird. Ich lasse über dien Antrag Umdruck 1099**) zuerst abstimmen, weil mir seine Ziffer 1 den weitestgehenden Inhalt zu haben scheint.
Ich komme also zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 1099. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen Gegenstimmen und bei Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Antrag der SPD auf Umdruck 1093***).
({2})
- Sie haben ,den Antrag gehört. Bei einem Antrag dieser Art kann der Antragsteller nach § 53 der Geschäftsordnung selbst bestimmen, wie abgestimmt wird. Es ist beantragt, über die Abschnitte I und II getrennt abuzstimmen.
({3})
- Zu beiden namentliche Abstimmung. Das ist nach der Geschäftsordnung möglich. Die namentliche Abstimmung ist auch hinreichend unterstützt, da mehr als 50 Abgeordnete der SPD im Saal sind. Darf ich noch fragen, ob auch die namentliche Abstimmung über die beiden Anträge getrennt erfolgen soll.
({4})
- Getrennt namentliche Abstimmung!
Ich komme zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 1093 Abschnitt I.
*) Siehe Anlage 5 **) Siehe Anlage 2 ***) Siehe Anlage 3
({5})
Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
Sind noch Damen und Herren da, die in der namentlichen Abstimmung noch nicht abgestimmt haben? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Bis das wir das Ergebnis der ersten namentlichen Abstimmung haben, möchte ich die Zeit ausnutzen.
Wir treten in die zweite namentliche Abstimmung ein. Namentliche Abstimmung über den Antrag Umdruck 1093 Abschnitt II! Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.
Ich frage das Haus: Sind noch Damen und Herren da, die in der zweiten namentlichen Abstimmung ihre Abstimmungskarte noch nicht abgegeben haben? - Dann bitte ich, das gleich zu tun.
Zum letztenmal: Sind noch Damen und Herren im Haus, die in der zweiten namentlichen Abstimmung ihre Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann schließe ich die zweite namentliche Abstimmung.
Ich gebe das Ergebnis*) der ersten namentlichen Abstimmung, zu dem Antrag Umdruck 1093**) I, bekannt. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben abgestimmt 357, von den Berliner Abgeordneten 6. Mit Ja haben gestimmt 134, mit Nein 223 stimmberechtigte Abgeordnete. Von den Berliner Abgeordneten haben gestimmt mit Ja 4, mit Nein 2. Damit ist der Antrag Umdruck 1093 I abgelehnt.
Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist, daß ich, bis das Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung vorliegt, in der Abstimmung über die Anträge fortfahre. - Das Haus ist damit einverstanden.
Dann komme ich zur Abstimmung über den Antrag der FDP. Wer diesem Antrag, Umdruck 1096***), zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen und vielen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme nunmehr zu dem Antrag Umdruck 1097****). Die Antragsteller hatten gebeten, den Antrag in drei Abstimmungsabschnitte zu zerlegen. Der erste soll lauten:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung,
und so weiter inklusive des Satzes, der unter 1. eingeschlossen ist:
Er ersucht daher die Bundesregierung, auf die mit uns verbündeten 'Staaten der freien Welt und die Sowjetunion einzuwirken, daß
1. durch internationale Vereinbarungen die unverzügliche Einstellung weiterer Atombombenversuche erreicht wird,
Wer diesem Teil des Antrags Umdruck 1097 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen einstimmig angenommen.
*) Vgl. S. 12145 **) Siehe Anlage 3 ***) Siehe Anlage 4 ****) Siehe Anlage 5
Ich komme zu Ziffer 2. Wer dem Antrag Umdruck 1097 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei sehr vielen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zu Ziffer 3 mit dem Schlußsatz. Wer diesem Teil des Antrags Umdruck 1097 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen.
Damit ist auch der Antrag Umdruck 1097 erledigt.
Ich gebe noch das Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck 1093**) Ziffer II bekannt. Abgestimmt haben 357 stimmberechtigte Abgeordnete und 6 'Berliner Abgeordnete. Von den stimmberechtigten haben gestimmt: mit Ja 113, mit Nein 228, enthalten haben sich 16. Von den Berliner Abgeordneten haben gestimmt: mit Ja 3, mit Nein 2, enthalten hat sich einer. Damit ist der Antrag Umdruck 1093 Ziffer II abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Schluß des Punktes 1 der heutigen Tagesordnung.
Außerhalb der Tagesordnung gebe ich das Wort dem Abgeordneten Dr. Menzel zur Abgabe einer persönlichen Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesminister Herr Dr. Wuermeling hat am Schlusse der Plenarsitzung des Bundestages vom 9. Mai 1957 in einer Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung meinen Äußerungen während der Vormittagssitzung widersprochen und sich zum Beweis für die Richtigkeit seiner Entgegnung u. a. darauf bezogen - ich zitiere -, „im Februar dieses Jahres weder im Saalbau noch in einem ,anderen Saale der Stadt Essen oder überhaupt im Ruhrgebiet gesprochen" zu haben.
Ich darf folgendes erklären.
1. Die Versammlung in Essen, auf die ich mich beziehen wollte, hat in der Tat nicht im Februar, sondern nach einer DPA-Meldung am Donnerstag, dem 10. Januar 1957, stattgefunden.
2. Der Herr Bundesfamilienminister Dr. Wuermeling hat in seinen Versammlungen und in der Presse im übrigen nicht nur einmal, sondern wiedierholt u. a. die Behauptung aufgestellt, der Kreml wünsche den Wahlsieg der SPD. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat daraufhin Dr. Wuermeling durch einen Brief vom 9. März 1957 wegen dieser Äußerung zur Rede gestellt. Hierauf hat Herr Dr. Wuermeling mit einem Brief vom 12. März 'geantwortet und zur Begründung seiner Behauptung, der Kreml wünsche den Sieg der Sozialdemokratie, auf seinen in der Bonner Rundschau vom 26. Januar 1957 veröffentlichten Aufsatz verwiesen. Der Aufsatz trägt die Überschrift: „Unsere Freiheit steht auf dem Spiel". In diesem Aufsatz stellt Herr Dr. Wuermeling zum Schluß die Frage: „Hat Moskau nun recht oder unrecht, wenn es seine Hoffnungen auf die SPD setzt?" Die Berechtigung zu dieser Fragestellung glaubt Herr Dr. Wuermeling in diesem Aufsatz u. a. mit folgender Behauptung rechtfertigen zu können:
*) Vgl. S. 12145
**) Siehe Anlage 3
({0})
Eine Koexistenz mit den Mördern der Freiheit gibt es nur, solange der Westen die Macht hat, jeden Mordversuch an der Freiheit klar abzuwehren. Weil die SPD das anscheinend nicht begreift, wünscht der Kreml den Wahlsieg der SPD bei den kommenden Bundestagswahlen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß das Haus den zweiten
Punkt der heutigen Tagesordnung, die Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Feststellung des Bundeshaushaltsplans, jetzt nicht mehr fortführen will. - Das ist ,der Fall. Dann sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste, die 210. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 22. Mai 1957, 14.00 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.