Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/4/1957

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich die Glückwünsche des Hauses aussprechen dem Herrn Kollegen Dr. Pferdmenges zum 77. Geburtstag, ({0}) dem Herrn Bundesminister Storch zum 65. Geburtstag ({1}) und der Frau Abgeordneten Dr. h. c. Schroeder zum 70. Geburtstag. ({2}) Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen: Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 29. März 1957 den folgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht gestellt: Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften, Gesetz über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst ({3}), Gesetz zu dem am 16. Juli 1956 in Bonn unterzeichneten Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Liquidation des früheren deutschschweizerischen Verrechnungsverkehrs, Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({4}), Gesetz über die Feststellung eines Vierten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1956 ({5}), Gesetz über die Geld- und Sachbezüge und die Heilfürsorge der Soldaten, die auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten ({6}), ({7}) Wehrstrafgesetz ({8}), Einführungsgesetz zum Wehrstrafgesetz, Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau. Zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau hat der Bundesrat außerdem eine Entschließung gefaßt, die in der Drucksache 3342 wiedergegeben ist. In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat zum Gesetz über allgemeine Höchstgeschwindigkeitsgrenzen für Kraftfahrzeuge und zum Gesetz über die Sicherung des Unterhalts für Angehörige der zum Wehrdienst einberufenen Wehrpflichtigen ({9}) verlangt, daß der Vermittlungsausschuß einberufen wird. Die Gründe hierfür sind in Drucksachen 3340 und 3341 niedergelegt. Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 29. März 1957 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 ({10}) den Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1956 und den im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen ergangenen Genehmigungserlaß des Bundesministers für Verkehr übermittelt. Nachtrag und Genehmigungserlaß liegen im Archiv zur Einsichtnahme aus. Der Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat unter dem 26. März 1957 gemäß §§ 6 und 9 des Branntweinmonopolgesetzes den Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein sowie die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr. 1955/56 vorgelegt. Der Bericht wird als Drucksache 3344 vervielfältigt. Die gleiche Vorlage hat für seinen Geschäftsbereich der Leiter der Monopolverwaltung für Branntwein beim Landesfinanzamt Berlin unter dem 21. März 1957 übersandt, die als Drucksache 3326 vervielfältigt wird. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 29. März 1957 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 173. Sitzung über die Sicherung des Bedarfs an Arbeitskräften in der Bundesrepublik berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3343 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 28. März 1957 auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages in seiner 190. Sitzung über die Neufassung der siedlungsrechtlichen Begriffsbestimmungen und Vereinfachung der Siedlungsfinanzierung berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3345 ,vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 26. März 1957 unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 13. Dezember 1956 ({11}) zur Kleinen Anfrage 305 der Fraktion der SPD betreffend Wegfall der Witwen- bzw. Witwerbeihilfe durch das Bundesversorgungsgesetz ({12}) eine weitere Antwort gegeben, die als Drucksache 3334 verteilt ist. Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 25. März 1957 die Kleine Anfrage 339 der Abgeordneten Dr. Mommer. Dr. Dr. h. c. Pünder, Dr. Leverkuehn, Dr. Reif und Genossen betreffend Europäische Postunion ({13}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 3333 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 23. März 1957 die Kleine Anfrage 340 der Abgeordneten Dr. Mommer, Dr. Dr. h. c. Pünder, Dr. Leverkuehn, Dr. Reif und Genossen betreffend Zusammenarbeit der europäischen Delegationen bei internationalen Organisationen ({14}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 3329 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 21. März 1957 die Kleine Anfrage 341 der Abgeordneten Frau Dr. h. c. Weber ({15}), Birkelbach, Dr. Dr. h. c. Pünder, Dr. Mommer, Dr. Leverkuehn, Dr. Reif und Genossen betreffend Ratifizierung von Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation ({16}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 3323 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 21. März 1957 die Kleine Anfrage 342 der Abgeordneten Metzger, Dr. Kopf, Dr. Wahl, Dr. Dr. h. c. Pünder, Dr. Mommer, Dr. Leverkuehn, Dr. Reif und Genossen betreffend Europäische Konvention über die Pflichtversicherung der Kraftfahrzeuge ({17}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 3320 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 22. März 1957 die Kleine Anfrage 343 der Abgeordneten Birkelbach, Frau Dr. h. c. Weber ({18}), Dr. Dr. h. c. Pünder, Dr. Mommer, Dr. Leverkuehn, Dr. Reif und Genossen betreffend Soziale Sicherheit in Europa ({19}) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 3321 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat unter dem 1. April 1957 die Kleine Anfrage 334 der Fraktion der FDP betreffend Auskünfte der Bundesregierung im Fall Dr. Strad( ({20}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3348 vervielfältigt. Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 22. März 1957 die Kleine Anfrage 336 der Fraktion der SPD betreffend Zahlung der „Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Bayern eV" an Bundesminister Strauß ({21}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 3350 vervielfältigt. Wir kommen zur Tagesordnung. Ich rufe den Punkt 1 auf: Fragestunde ({22}). Frage 1 - Herr Abgeordneter Rasch - betreffend Fahrpreisermäßigungen für Blinde: Warum wurde am 3. Juni 1956 die Fahrpreisermäßigung bei der Bundesbahn für Blinde zu Berufsreisen aufgehoben? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fahrpreisermäßigung für Blinde, die ohne Begleitung und in Ausübung ihres Berufs reisen, hat in der Nachkriegszeit ständig an Bedeutung verloren. Es ist ja bemerkenswert, daß ein Blinder ganz allein eine Eisenbahnfahrt zu unternehmen sich zutraut, und für ihn bestimmt nicht ungefährlich. Der dafür gültige Sondertarif wurde im Jahre 1955 nur noch von rund 800 Personen in Anspruch genommen. Dabei erfüllten jedoch diese 800 Personen nach den Feststellungen der Bundesbahn zum großen Teil nicht die Voraussetzungen des Sondertarifs, da verschiedene Länderbehörden dazu übergegangen waren, die erforderlichen Bescheinigungen außer an Blinde auch an sehschwache Personen auszugeben. Dies waren die Gründe für die Bundesbahn, die Ermäßigung mit dem Fahrplanwechsel im Juni 1956 aufzuheben. Die freie Beförderung des Begleiters von Blinden blieb dabei unberührt. Der Herr Bundesminister des Innern strebt im Einvernehmen mit den Ländern an, ab 1. Januar 1958 bundeseinheitliche Ausweise nach einheitlichen Richtlinien auszugeben. Das hat die Deutsche Bundesbahn veranlaßt, sich bereit zu erklären, über die Wiedereinführung der Ermäßigung für unbegleitete Blinde zu verhandeln. Sie will die berechtigte Sorge, daß sich im heutigen Eisenbahnverkehr wirklich blinde Personen kaum noch ohne Begleitung bewegen können, zurückstellen und ihre Hilfe dann nicht versagen, wenn der Kreis der Berechtigten wirklich zuverlässig begrenzt wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich bedanke mich. Eine Zusatzfrage? - Keine Zusatzfrage. Meine Damen und Herren, der Kollege Ritzel wird sogleich dienstlich in Anspruch genommen sein. Ich rufe deshalb nach der Frage 2 gleich die Frage 26 auf. Zunächst die Frage 2 - Herr Abgeordneter Rasch - betreffend Vergünstigung für nichtkriegsbeschädigte Körperbehinderte und Zivilbeschädigte bei der Bundesbahn: Warum wurde den nichtkriegsbeschädigten Körperbehinderten mit Erwerbsminderung um mindestens 80 % die Benutzung der I. Wagenklasse mit Fahrausweis II. Klasse entzogen, wenn die ständige Benutzung der I. Wagenklasse nach amtsärztlichem Gutachten notwendig ist, und warum wurde gleichzeitig den Zivilbeschädigten, die nicht unter § 1 des Schwerbeschädigtengesetzes vom 16. Juni 1953 fallen, das Recht der kostenlosen Begleitung genommen, wenn amtsärztlich bescheinigt wird, daß diese Begleitung dringend notwendig ist? ({0}) Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einleitend möchte ich der Antwort auf diese Frage vorausschicken, daß es außerhalb der Deutschen Bundesbahn und der deutschen Privatbahnen in Europa kein Schienenverkehrsunternehmen gibt, das auch nur annähernd Vergünstigungen in dieser Zahl und diesem Ausmaß gewährt, wie sie der deutsche Personentarif vorsieht. In der Bundesrepublik gibt es nicht weniger als 39 Fahrpreisermäßigungen durch Sondertarife. Es ist bekannt, daß diese Sondertarife und die übrigen Sozialtarife sehr wesentlich zu den beträchtlichen Verlusten beitragen, die die deutschen Eisenbahnen im Personenverkehr zu verzeichnen haben. Die Frage des Herrn Kollegen Rasch berührt aus diesem Bereich zwei Probleme, erstens das der freien Beförderung der notwendigen Begleitung für die geschädigten Menschen. Seit dem ersten Weltkrieg wird den Schwerkriegsbeschädigten und den Unfallgeschädigten, die nach amtsärztlichem Zeugnis der ständigen Begleitung bedürfen, das Recht zugestanden, bei Eisenbahnfahrten einen Begleiter kostenfrei mitzuführen. Diese Vergünstigung wurde nach Beendigung des letzten Krieges praktisch auf alle Schwerkörperbehinderten ausgedehnt. Jedoch erkennt die Bundesbahn seit Juni 1956 die für die Begleiterfreikarte vorzulegenden Ausweise der Länder nur dann an, wenn sie an Schwerbeschädigte im Sinne des § 1 des Schwerbeschädigtengesetzes ausgegeben sind. Dazu zählen neben den Schwerbeschädigten des Krieges die Schwerbeschädigten der Arbeit, die Blinden, die Opfer des Nationalsozialismus und die durch Besatzungsangehörige schwerbeschädigten Personen. Der Kreis bleibt also recht weit gezogen, und seine Abgrenzung beruht auf den Vorschriften des Schwerbeschädigtengesetzes. Häufig wird jedoch darüber hinaus gefordert, die Begünstigung auch solchen Personen einzuräumen, die wegen Krankheit, Alters, Geistesschwäche oder aus sonstigen Gründen so hilfsbedürftig sind, daß sie ständig begleitet werden müssen. In diesem Sinne sind unter anderem die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung des Krüppeltums und die Selbsthilfeverbände der Körperbehinderten vorstellig geworden. Die Eisenbahnen können aber diesen großen Kreis nicht in die Begünstigung einbeziehen, denn es sind ja gerade die Sozialtarife, auf denen die Verluste im Personenverkehr im wesentlichen beruhen. Diese Verluste lassen sich bekanntlich aus den Einnahmen aus dem Güterverkehr nicht decken. Nach dem Bundesbahngesetz ist die Deutsche Bundesbahn nach kaufmännischen Grundsätzen zu führen. Daher ist sie bei ihrer heutigen finanziellen Struktur leider gezwungen, ihre Sonderleistungen einzuschränken. Dazu gehört auch die Hilfe für solche Körperbehinderten, die nicht durch § 1 des Schwerbeschädigtengesetzes erfaßt sind. Die Eisenbahn muß es den anderen zuständigen Stellen überlassen, denen durch gesetzliche Vorschriften die Betreuung dieser Personengruppen übertragen ist, hier Hilfe zu leisten. Das ist nicht die Aufgabe der Eisenbahnverwaltung. Der zweite angeschnittene Problemkreis betrifft die Benutzung der 1. Klasse mit Fahrausweisen der 2. Klasse. Das Zugeständnis an die Schwerkriegsbeschädigten, mit Fahrausweisen der niedrigeren Wagenklassen ohne Zuschlag eine höhere Wagenklasse zu benutzen, stammt ebenfalls aus dem ersten Weltkrieg. Damals hatten wir noch vier Wagenklassen, und die dritte und die vierte Wagenklasse waren nicht gepolstert. Diese Maßnahme sollte nämlich den Reisenden, die nach der Natur ihrer Verletzung auf einen weichen Sitz angewiesen sind, einen gepolsterten Platz sichern. Die deutschen Eisenbahnen haben nach Beendigung der Feindseligkeiten im Jahre 1945 zeitweilig Zivilbeschädigte in diese Regelung einbezogen, damit den in den ersten Nachkriegsjahren diffamierten Kriegsbeschädigten die Vergünstigung erhalten bleiben konnte. Der Kreis der Zivilbeschädigten konnte eingeschränkt werden, nachdem immer mehr gepolsterte Plätze in der 2. Wagenklasse zur Verfügung stehen. Dagegen wurde der Kreis der begünstigten Schwerkriegsbeschädigten nicht unerheblich erweitert. Zur Begründung bittet die Eisenbahnverwaltung zu berücksichtigen, daß die Zahl der Schwerkriegsbeschädigten langsam abnimmt, aber die Zahl der sonstigen Beschädigten leider ständig wächst. Wie schon erwähnt, obliegt die Sorge für die Zivilbeschädigten den Stellen, denen durch gesetzliche Vorschriften diese Aufgaben übertragen wurden; sie obliegt nicht den Eisenbahnen. Sobald alle Wagen der 2. Klasse gepolstert sind, soll die Vergünstigung ganz fortfallen. Schon jetzt werden die Schwerbeschädigtenabteile grundsätzlich in Wagen der 2. Klasse mit Polsterung eingerichtet.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage? ({0}) Frage 26 - Herr Abgeordneter Ritzel - betreffend die badische Rheintalstrecke zwischen Offenburg und Basel: Ich frage den Herrn Bundesverkehrsminister, bis wann die badische Rheintaistrecke zwischen Offenburg und Basel mit elektrischen Triebfahrzeugen bedient werden kann? Kommen elektrische Lokomotiven nur zur Bedienung der Schnellzüge oder auch zur Beförderung anderer Züge in Betracht? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr!

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Die Deutsche Bundesbahn wird vom Beginn des Jahresfahrplans 1957/58, also vom 2. Juni an, auf der badischen Rheintalstrecke zwischen Basel und Offenburg den vollen elektrischen Betrieb einführen. Damit werden von diesem Zeitpunkt an nicht nur die Schnellzüge, sondern auch die Personen- und Güterzüge mit elektrischen Lokomotiven bespannt. Einzelne Schnellzüge werden allerdings weiter mit Dieselloks befördert, weil sie nicht in Offenburg halten und deshalb eine Umbespannung nicht möglich ist. Zur Zeit werden alle Personenzüge und ein Teil der Schnellzüge mit elektrischen Lokomotiven befördert.

Heinrich Georg Ritzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001860, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 3 - Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann - betreffend Auftrag zur Herstellung von Filmen durch Bundesdienststellen: Im Auftrag welcher Bundesministerien oder ihrer nachgeordneten Behörden werden gegenwärtig Filme hergestellt? Welcher Betrag ist hierfür insgesamt vorgesehen? Wie wird die Auftragserteilung gehandhabt, oder an welche Firmen sind bisher Aufträge vergeben worden? ({0}) Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Fragen wie folgt beantworten. Erstens. Im Auftrage folgender Bundesministerien oder ihrer nachgeordneten Behörden werden gegenwärtig Filme hergestellt: Bundesministerium des Innern einschließlich Bundeszentrale für Heimatdienst, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten einschließlich der Land- und hauswirtschaftlichen Auswertungs- und Informationsstelle, Bundesministerium für Verteidigung, Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen, Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte und Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Zweitens. Hierfür ist insgesamt ein Betrag von 2,5 Millionen DM vorgesehen. Drittens. Die Auftragserteilung erfolgt je nach Zweck und Inhalt des Films an die hierfür geeigneten Produktionsbetriebe. Je nach den besonderen Erfahrungen der Produktionsbetriebe auf bestimmten Gebieten, nach ihren technischen Einrichtungen und ihren Möglichkeiten zur Heranziehung vorhandenen Archivmaterials usw. erfolgt eine beschränkte oder unbeschränkte Ausschreibung. Regelmäßig werden mehrere Firmen zur Abgabe von Kostenvoranschlägen aufgefordert, ehe ein Auftrag erteilt wird. Insgesamt sind es bisher 35 Firmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Georg Kahn-Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001052, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, sind Sie in der Lage, mir anzugeben, wieviel Filme im letzten Jahr im Rahmen dieses 2,5-MillionenProgramms der Bundesregierung hergestellt wurden?

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Dar-fiber habe ich leider keine genaue Aufzeichnung, Herr Kollege. Aber das wird sich feststellen lassen; es werden umfangreichere Unterlagen sein.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Bundesminister. Frage 4 - Herr Abgeordneter Schmidt ({0}) - betreffend Broschüre eines Herrn Friedrich Nieland aus Hamburg-Wellingsbüttel: Ist dem Herrn Bundesinnenminister die Broschüre ..Wieviel Welt-({1})Kriege müssen die Völker noch verlieren?" eines Herrn Friedrich Nieland aus Hamburg-Wellingsbüttel bekannt, die - antisemitisches Geschwätz enthaltend - zur Zeit in erstaunlichem Umfang in der Bundesrepublik verbreitet wird? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Kollege Schmidt ({0}) ist nicht da.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die Frage kann trotzdem beantwortet werden, Herr Bundesminister. Ein Abgeordneter kann sich bei der Stellung einer Frage durch ein anderes Mitglied des Hauses vertreten lassen. ({0}) - Herr Kollege Schmidt ({1}) wird durch Herrn Kollegen Wittrock vertreten.

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Dann darf ich die Frage Herrn Kollegen Wittrock wie folgt beantworten. Das Machwerk von Friedrich Nieland in Hamburg-Wellingsbüttel mit dem Titel „Wieviel Welt({0})Kriege müssen die Völker noch verlieren?" ist im Bundesministerium des Innern bekannt. Die Kriminalpolizei Hamburg hat die Schrift wegen ihres antisemitischen Inhalts beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht in Hamburg hat inzwischen ein Ermittlungsverfahren gegen Nieland wegen Verstoßes gegen § 130 des Strafgesetzbuchs - Anreizung zum Klassenkampf -, gegen § 131 - Staatsverleumdung - und gegen § 187 a - Ehrenschutz von Politikern - eingeleitet. Ich habe den Herrn Bundesminister der Justiz gebeten, darauf hinzuwirken, daß im Rahmen des Ermittlungsverfahrens geprüft wird, oh nicht auch ein Verstoß gegen § 93 des Strafgesetzbuches vorliegt. Die Kriminalpolizei hat ferner festgestellt, daß die Schrift in einer Auflage von 2000 Stück von der Druckerei W. Heimberg in Stade hergestellt worden ist. Die Auflage ist zum größten Teil zur Versendung gekommen, u. a. an Bundesminister, Bundestagsabgeordnete und - hier müßte ich eigentlich eine längere Pause machen - persönliche Bekannte des Nieland. Ein Restbestand von 111 Stück konnte beschlagnahmt werden. Heimberg ist im übrigen auch der Drucker der im Widar-Verlag ({1}) erschienenen Hetzschriften. Gegen Roeder und Heimberg schwebt ein Strafverfahren wegen der Herstellung und Verbreitung verfassungsfeindlicher und antisemitischer Schriften beim Landgericht München I.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage.

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, wenn ich mich an den Inhalt der Schrift, die ich zufälligerweise auch durchgesehen habe, recht erinnere, ergibt sich aus diesem Inhalt, daß Ihnen, Herr Bundesminister, der wesentlichste Teil dieser Schrift schon im September oder Oktober 1956 von dem Verfasser in Formeines Briefes mitgeteilt worden ist. Ich darf fragen: Haben Sie, Herr Bundesminister, es bereits damals für richtig gehalten, unmittelbar und unverzüglich Schritte gegen den Verfasser des Briefes zu ergreifen?

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Ich kann darüber aus dem Gedächtnis nichts Näheres sagen. Soviel ich weiß, ist diese Schrift ein Teilstück des Komplexes, der in dem eben genannten Prozeß behandelt wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke dem Herrn Bundesminister. Frage 5 - des Herrn Abgeordneten Seuffert - betreffend Verlegung des Schießplatzes an der Heidemannstraße in München-Freimann. Ist die Bundesregierung bereit, die Verlegung des Schießplatzes, der zwischen den beiden Siedlungen an der Heidemannstraße in München-Freimann liegt und für die Siedlungsbewohner lebensgefährlich ist, durchzuführen, und welche Schritte hat sie unternommen oder gedenkt sie zu unternehmen? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesverteidigungsministeriums.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren: Der Schießstand in München-Freimann soll baldmöglichst verlegt werden. Entsprechende Erkundungen sind in Verbindung mit der bayerischen Staatskanzlei und den anderen zustandigen Stellen des Landes Bayern bereits eingeleitet worden. Angestrebt wird die Verlegung des Schießstandes in den Raum etwa 15 km nördlich von München. Die Gefahren für die Bewohner der beiden Siedlungen, zwischen denen der Schießstand MünchenFreimann liegt, wurden dadurch verursacht, daß die US-Streltkräfte sich bei ihren Schießübungen lediglich nach amerikanischen Sicherheitsbestimmungen richteten. Diese bieten in gewisser Hinsicht weniger Sicherheit als die entsprechenden deutschen Grundsatze. Der Sicherheitsbereich für die Schießstandanlage ist aber inzwischen nach deutschen Vorschritten neu festgelegt und die Benutzung des linken teils der Anlage verboten worden. Die Gefahren für die Einwohner sind unseres Erachtens damit beseitigt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für Gefahren für die Einwohner, wenn in den Gärten der Siedlung Querschläger handvollweise ausgelesen werden können, die gerade von dem Schleßplatz, der auf der rechten Seite der Anlage eingerichtet ist, herkommen?

Not found (Staatssekretär:in)

Wir glaubten, daß durch die Änderung der Sicherheitsvorschriften solche Gefahrenquellen in Zukunft verstopft sein würden. Sollten sich noch derartige Vorfälle - die mir nicht bekannt sind - ereignet haben, bin ich bereit, erneut vorstellig zu werden, um auch das abzustellen.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wann sind die Vorschriften geändert worden?

Not found (Staatssekretär:in)

Das kann ich so nicht sagen. Ich werde es Ihnen schriftlich mitteilen.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es sind noch in den letzten Wochen Querschläger festgestellt worden.

Not found (Staatssekretär:in)

Ich darf es Ihnen schriftlich mitteilen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 6 - des Herrn Abgeordneten Seuffert - betreffend Durchfahrt von Panzern durch das Siedlungsgelände an der Heidemannstraße in München-Freimann: Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß die Durchfahrt von Panzern durch das Siedlungsgelände an der Heidemannstraße entweder unterbunden oder so geregelt wird, daß eine vermeidbare Belästigung der Anwohner vermieden wird und die öffentlichen Wege benutzbar bleiben? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesverteidigungsministeriums.

Not found (Staatssekretär:in)

Zur Umgehung des Siedlungsgeländes an der Heidemann-Gruson-Straße in München-Freimann ist inzwischen durch die Streitkräfte der USA eine eigene panzerfeste Straße von der Kaserne zum Schießstand gebaut worden. Durch die Benutzung dieser Umgehungsstraße werden die Durchfahrt durch das genannte Siedlungsgelände, die Beeinträchtigung der öffentlichen Wege und die Störung der Anwohner vermieden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage?

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Panzer immer noch über die Straßen der Siedlung fahren? Die Fotos, die ich Ihnen überreichen werde, stellen die Wege in dem Zustand dar, in dem sie von den Panzern verlassen werden.

Not found (Staatssekretär:in)

Die Umgehungsstraße ist, soweit mir bekannt, seit vier bis fünf Wochen im Betrieb. Wenn trotzdem Durchfahrten an den alten Stellen stattfinden, ist das eine Verletzung der Vorschriften. Wir werden um die Ahndung dieser Verletzung besorgt sein.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich danke Ihnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 7 - in Vertretung von Herrn Abgeordneten Dr. Arndt Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann - betreffend das Pariser Gastspiel des Bochumer Schauspielhauses: Hat das Auswärtige Amt dem Bochumer Schauspielhaus für sein Pariser Gastspiel im „Haus der Nationen" 1957 keinen Zuschuß gewährt und aus welchen Gründen? Ist der in Höhe von 20 000 DM erbetene Zuschuß abgelehnt worden, weil die geplanten Aufführungen der „Dreigroschenoper" und des von Wedekind verfaßten Schauspiels Der Marquis von Keith" nach Meinung des Auswärtigen Amts „weder für die deutsche klassische noch für die deutsche Gegenwartskunst sinnfälligen Aussagewert" besitzen sollen? Zur Antwort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Auswärtige Amt hat dem Bochumer Schauspielhaus für seine geplante Teilnahme an den Internationalen Theaterwochen in Paris im April 1957 keinen Zuschuß gewährt. Die Mittel, die dem Auswärtigen Amt für solche Zwecke zur Verfügung stehen, sind außerordentlich gering. Daher muß die Unterstützung von Gastspielreisen im Ausland im allgemeinen auf solche beschränkt bleiben, die sich nicht nur durch die Qualität der Darstellung auszeichnen, sondern auch als besonders gültige Zeugnisse klassischer oder moderner deutscher Kunst angesehen werden können. Diese Qualifikation kann den genannten Stücken nicht zuerkannt werden. ({0}) Diese Gesichtspunkte sind seitens des Auswärtigen Amts schon in den Vorbesprechungen mit der Leitung des Bochumer Schauspielhauses zum Ausdruck gebracht worden. ({1}) Trotz des selbstverständlich anerkannten hohen Niveaus dieser Bühne ist das Auswärtige Amt deshalb nicht in der Lage gewesen, die von dem Bochumer Schauspielhaus beantragte Ausfallbürgschaft in Höhe von 25 000 DM zu übernehmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage!

Georg Kahn-Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001052, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß bei den Vorverhandlungen über das Gastspiel des Bochumer Schauspiels in Paris, die unser dort zuständiger deutscher Attaché mit der Festspielleitung geführt hat, dieses Programm bis ins einzelne festgelegt wurde und daß dieses Programm im wesentlichen den Wünschen der französischen Festspielleitung entsprach, da sie diese Stücke für das französische und insbesondere das Pariser Publikum für geeignet hielt, und daß eines dieser Stücke, nämlich das von Sartre, bereits im letzten Jahr mit großem Erfolg in einer vom Auswärtigen Amt subventionierten Vorstellung in Paris aufgeführt worden ist, so daß die erneute Aufführung dieses Stückes im Rahmen des ,diesjährigen Gastspiels des Bochumer Schauspiels von den Franzosen gewünscht wurde?

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, nur ein Teil dieses Tatbestandes ist mir bekannt. Aber auch solche Vorverhandlungen des Kulturattachés in Paris können nichts an der Tatsache ändern, daß unsere Mittel nicht ausreichen., alle Unternehmen zu fördern, die unter diesem oder jenem Gesichtspunkt förderungswürdig wären. Die Tatsache, daß schon einmal ein ähnliches Unternehmen gefördert worden ist, ist eher ein Grund dagegen, unsere - ich wiederhole es - viel zu geringen Mittel ein zweites IVIal für das gleiche Unternehmen einzusetzen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter?

Georg Kahn-Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001052, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine zweite Zusatzfrage!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine zweite Zusatzfrage!

Georg Kahn-Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001052, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Ihren Ausführungen habe ich entnommen, daß das Auswärtige Amt sowohl Wedekinds „Marquis von Keith" wie auch die „Dreigroschenoper" von Brecht nicht als gültige Aussagen - Sie haben formuliert: nicht als ein gültiges Zeugnis moderner deutscher Kunst - ansieht. Darf ich Sie erstens fragen, wer im Auswärtigen Amt zu dieser Auffassung gelangt ist und auf welche Weise, in welcher Form - durch irgendwelche Gutachten oder Beratungen - Sie dazu veranlaßt worden sind? Darf ich Sie zweitens fragen, ob nach Auffassung des Auswärtigen Amts Bert Brecht nicht zu den bedeutendsten modernen Dramatikern Deutschlands zählt und „Der Marquis von Keith" von Wedekind, der immerhin ein sehr bedeutender Dramatiker in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts gewesen ist, ebenfalls nicht zu den gültigen Aussagen moderner deutscher Kunst gehört? ({0})

Not found (Staatssekretär:in)

Zur ersten Frage: Die Entscheidung darüber, ob in einem solchen Fall Mittel gewährt werden oder nicht, fällt auf dem üblichen Wege, d. h. sie wird durch den Referenten vorbereitet und normalerweise vom Abteilungsleiter getroffen. In Fällen, die bedeutender sind oder von denen zu erwarten ist, daß sie die öffentliche Aufmerksamkeit wachrufen, wird damit die Leitung des Auswärtigen Amts befaßt, was im vorliegenden Fall geschehen ist. Zur zweite Frage: Ich habe nichts darüber gesagt und ich habe überhaupt kein Urteil darüber abgegeben, Herr Abgeordneter, wie Bert Brecht als Dramatiker zu bewerten ist. Ich habe das deshalb nicht getan, weil der Bundesregierung ein Urteil darüber nicht zukommt. Das einzige, was das Auswärtige Amt in diesem Fall getan hat, ist, gewissenhaft über Mittel zu verfügen, die vom Steuerzahler aufgebracht werden, und bei der Verfügung über diese Mittel sich zu bemühen, sachliche Kriterien anzuwenden. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann, ich kann formell noch eine dritte Frage zulassen. In Wirklichkeit haben Sie drei gehabt; denn Ihre letzte Frage war in zwei verschiedene Fragen a und b geteilt. Aber wenn es ganz dringlich ist, bitte, eine dritte Frage.

Georg Kahn-Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001052, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sagen, daß die Vorentscheidung der Referent fällt. Ist Ihnen bekannt, daß in diesem Fall jener Referent die Vorentscheidung gefällt hat, der - worauf ich Sie oder Ihren Herrn Minister schon das letzte Mal aufmerksam gemacht habe - den klassischen Brief geschrieben hat, in dem wortwörtlich stand, daß Mozart nicht als deutscher Komponist gelten könne? Ist Ihnen bekannt, daß nun auf dem Posten dieses Referenten ein Mann sitzt, der sein Amt mit der Bemerkung angetreten hat, daß er von der Leitung des Kunstreferats nicht allzuviel verstehe? ({0})

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, diese Frage ist im Zusammenhang mit der ersten Frage, die Sie gestellt haben, deshalb gegenstandslos, weil hier niemand anders die Entscheidung gefällt hat als der Herr Bundesminister des Auswärtigen. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt wird zurückgestellt. Frage 9 des Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg betreffend Aufklärungsschriften des Bundesministers für Arbeit und des Presse- und Informationsamts über die Rentenneuordnung: Warum hat die Bundesregierung zwei verschiedene Aufklärungsschriften über die Rentenneuordnung, und zwar durch den Bundesminister für Arbeit und durch das Presse- und Informationsamt, herausgeben lassen? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Herausgabe zweier verschiedener Aufklärungsschriften über die Neuordnung der Rentenversicherung durch Behörden der Bundesregierung erfolgt, weil die beiden Schriften unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Schrift des Presse- und Informationsamtes soll im Rahmen der Aufgabenstellung dieses Amtes ({0}) die Öffentlichkeit mit den Grundsätzen der Neuordnung der Rentenversicherung vertraut machen. Die Rentenfibel des Bundesministeriums für Arbeit hat, wie in dem Namen bereits angedeutet, die Aufgabe, dem einzelnen Rentner und dem einzelnen Versicherten die Rentenberechnung zu erleichtern. Die Schrift des Presse- und Informationsamtes verfolgt also ein allgemeineres, die des Bundesministeriums für Arbeit ein spezielles Aufklärungsziel.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage? - Bitte sehr!

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister für Arbeit, was haben die Fotos des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesarbeitsministers mit der Rentenberechnung und der Unterrichtung der Versicherten und Rentner zu tun? ({0})

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Herr Abgeordneter, ich möchte Ihnen folgendes sagen. Wenn man eine derartige Schrift herausgibt, ist es sehr wohl zu verantworten, daß die politisch für diesen Werdegang verantwortlichen und zuständigen Männer dem Volke auch sichtbar gemacht werden. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesarbeitsminister, welche Zwecke verfolgt, nachdem bereits zwei Schriften, die des Bundespresseamts sowie die Rentenfibel, herausgegeben worden sind, als dritte Schrift der angekündigte Rundbrief des Herrn Bundeskanzlers und des Bundesarbeitsministers, der von Amts wegen an alle Rentner verteilt werden soll? ({0})

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Rundbrief bedeutet gar nichts anderes, als daß der Bundeskanzler und auch ich uns einmal an die Rentner wenden, ({0}) die an den Zahlstellen ja seither schon sehr viele Aufklärungsschriften erhalten haben. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine dritte Zusatzfrage? - Keine weitere Zusatzfrage. Frage 10, Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg, betreffend Gesamtaufwendungen in der Rentenversicherung im Jahre 1956: Wie hoch waren die Gesamtaufwendungen in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten einschließlich Sonderzulagen im Jahre 1956? Zur Antwort der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Die Gesamtaufwendungen einschließlich der Sonderzulagen haben im Jahre 1956 in der Rentenversicherung der Arbeiter 5 697 000 000 DM und in der Rentenversicherung der Angestellten 2 526 000 000 DM betragen. Also beträgt die Gesamthöhe der Ausgaben 8 223 000 000 DM.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage!

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Frage. Herr Bundesarbeitsminister, wenn Sie jetzt die Gesamtaufwendungen mit 8 Milliarden und 223 Millionen DM angeben, weshalb wurden in der Rentenfibel die Gesamtaufwendungen für 1956 nur mit 7,4 Milliarden DM angegeben?

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Herr Professor, Sie wissen ganz genau, daß in der Rentenfibel die seitherige Rentenberechnung enthalten ist und daß darin natürlich nicht die Sonderzulagen, die das Haus beschlossen hat, enthalten sein konnten. Wir haben von unserem Hause aus über die Erweiterung der Leistungen nie andere Angaben gemacht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage!

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Weshalb stand dann in der Rentenfibel „Gesamtaufwendungen für die Rentenversicherung", wenn Sie nur einen Teil der Aufwendungen bekanntgaben?

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Nein, nein; Renten und Sonderzulagen sind gesetzlich gesehen zwei unterschiedliche Dinge. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine letzte Zusatzfrage!

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn die Gesamtaufwendungen im Jahre 1956 nicht 7,4 Milliarden, sondern, wie Sie eben erklärten, 8,2 Milliarden DM betragen haben, - sind dann die Mehraufwendungen auf Grund der Rentenneuregelungsgesetze nicht von vornherein schon um 800 Millionen DM zu hoch angegeben und wollen Sie für eine Berichtigung Sorge tragen?

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Auch das ist nicht der Fall, Herr Professor. Wenn Sie besondere Aufstellungen darüber haben wollen - ich habe heute die einzelnen Ziffern nicht zur Hand -, will ich sie Ihnen gern zur Verfügung stellen.

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Öffentlichkeit interessiert sich dafür! ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 11, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann, betreffend Asylgesuch des amerikanischen Studenten Stuart Kellogg: Welche Gründe haben die zuständigen Stellen der Bundesregierung veranlaßt, das Asylgesuch des amerikanischen Studenten Stuart Kellogg abzulehnen? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Herrn Kollegen Kahn-Ackermann wie folgt beantworten. ({0}) Nach der Asylverordnung vom 6. Januar 1953 entscheiden über Anträge auf Anerkennung als ausländische Flüchtlinge die Ausschüsse der Bundesdienststelle für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Nürnberg. Die Ausschüsse bestehen aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern und sind an Weisungen nicht gebunden. Sie treffen ihre Entscheidungen nach dem Genfer Flüchtlingsabkommen von 1951. Artikel 1 Ziffer 2 dieses Abkommens bestimmt folgendes: Flüchtlinge sind Personen, die infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, und aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, und die den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wollen. Der Anerkennungsausschuß hat den Antrag des amerikanischen Studenten Stuart Kellogg nach mündlicher Verhandlung durch Beschluß vom 12. Februar 1957 abgelehnt. In der Begründung wird u. a. ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, daß Kellogg wegen seiner politischen Überzeugung eine Verfolgung in den USA zu erwarten habe. Wenn Kellogg wegen Verletzung von Strafvorschriften, die für alle amerikanischen Staatsbürger verbindlich seien, möglicherweise in den USA zur Verantwortung gezogen werde, so sei darin keine Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung zu erblicken. Gegen den Beschluß des Anerkennungsausschusses hat Kellogg Beschwerde eingelegt. Der Beschwerdeausschuß hat die Beschwerde durch Beschluß vom 22. März dieses Jahres zurückgewiesen. In der Begründung wird u. a. ausgeführt, eine Strafverfolgung könne grundsätzlich nicht als eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsabkommens angesehen werden, sofern sie in einem Rechtsstaate unter Anwendung ordnungsmäßig zustande gekommener, sich gegen alle Staatsbürger richtender Gesetze durchgeführt werde und die Gewähr dafür biete, daß nach Art und Höhe nur das ordnungswidrige Verhalten und nicht etwa die in ihm zum Ausdruck gekommene politische Überzeugung bestraft werde. Diese Garantien einer Durchführung des Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Grundsätzen seien in den USA gegeben. Nach Mitteilung des Verwaltungsgerichts in Ansbach hat Kellogg am 1. April 1957 gegen den ablehnenden Beschluß des Beschwerdeausschusses Klage beim Verwaltungsgericht erhoben. Der Ausgang dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wird abgewartet werden müssen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Georg Kahn-Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001052, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, glauben Sie nicht, daß man diese Bestimmungen dahingehend erweitern sollte, daß Asylsuchende in der Bundesrepublik auch als politisches Asyl Suchende anerkannt werden können, wenn ihnen auf Grund der Strafvorschriften ihres Heimatlandes der Paß entzogen wird und sie auch nicht mehr damit rechnen können, einen Paß zu erhalten, und wenn dadurch die Freizügigkeit der Wahl ihres Aufenthaltsortes in einem anderen Land als ihrem eigenen eingeschränkt werden würde?

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Kollege Kahn-Ackermann, dies sind rechtspolitische Betrachtungen, zu denen ich im Rahmen der hier zur Verfügung stehenden Zeit schwerlich Stellung nehmen kann. Aber ich darf in Erinnerung bringen, daß die Rechtsvorschriften, von denen wir gerade gesprochen haben, auf internationalen Vereinbarungen - nämlich auf dem Genfer Flüchtlingsabkommen vom Jahre 1951 - beruhen. Die Anregung, die Sie gegeben haben, richtet sich also an eine große Anzahl von Nationen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Noch eine Zusatzfrage?

Georg Kahn-Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001052, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, haben vor der Entscheidung der Flüchtlingskommission in Nürnberg Verhandlungen oder Gespräche über diesen Fall zwischen amerikanischen und deutschen Dienststellen stattgefunden?

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Darüber weiß ich im einzelnen nichts. Ich möchte aber ohne nähere Kenntnis folgendes sagen: Gerade deshalb, weil diese Sache relativ harmlos ist, eignet sie sich vorzüglich zur gerichtlichen Untersuchung und Klärung der hier erwähnten Bestimmungen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weitere Zusatzfrage. Frage 12 - Herr Abgeordneter Faller - betreffend Anwerbung Minderjähriger zur Fremdenlegion: Ist der Bundesregierung bekannt, daß in letzter Zeit im Raume Haltingen-Weil ({0}) mehrere Jugendliche, darunter Minderjährige, zur Fremdenlegion geworben wurden? Was kann die Bundesregierung tun, um z. B. den Minderjährigen, der angeblich in Straßburg abgelehnt wurde, aber bis heute spurlos verschwunden blieb, seinen Eltern wieder zuzuführen? Wird die Bundesregierung die französische Regierung auf die Belastung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern durch die Anwerbung von Minderjährigen hinweisen? Zur Antwort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich antworte auf die Frage zu a : Der Bundesregierung ist bekannt, daß zwei Jugendliche im Alter von 18 und 19 Jahren aus dem Raum HaltingenWeil in Südbaden Ende des Jahres 1956 in die Fremdenlegion eingetreten sind. Eine Werbetätigkeit französischer Agenten konnte nicht nachgewiesen werden. Zu b : In diesem Falle werden die französischen Behörden unter Bekanntgabe des Signalements um Aufenthaltsermittlung ersucht und gebeten, den Minderjährigen dem nächstliegenden deutschen Konsulat zur Heimschaffung zu überstellen. Zu c : Die Bundesregierung hat die Anwerbung minderjähriger Deutschen zur Fremdenlegion wiederholt zum Anlaß genommen, die französische Regierung darauf hinzuweisen, daß ein solches Verfahren geeignet sei, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu belasten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Walter Faller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für angebracht, daß dem Vater des 17jährigen Jungen, um den es sich hier dreht, vom Auswärtigen Amt auf seinen Hilferuf am 23. Oktober letzten ({0}) Jahres mitgeteilt wurde, er möge selbst nach Straßburg oder nach Marseille fahren und versuchen, seinen Jungen dort freizubekommen? Dr. Halsstein, Staatssekretär des Auswärtigen Amts. Ich bin sicher, daß dieser Rat in guter Absicht erteilt worden ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage? - Frage 13 - Herr Abgordneter Wittrock - betreffend Erstattung der Wahlkosten für die Bundestagswahl an die Länder und Gemeinden: Ist die Bundesregierung bereit, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, eine Erstattung der Wahlkosten für die Bundestagswahl an die Länder und Gemeinden ({0}) unmittelbar nach dem Wahltag zu gewährleisten? Wird die Bundesregierung dafür Sorge tragen, daß der für die Berechnung des Erstattungsbetrages maßgebliche Festbetrag pro Wahlberechtigten schon vor dem Wahltag den Gemeinden mitgeteilt werden kann? Ist die Bundesregierung auch bereit, im Hinblick auf die Liquiditätsschwierigkeiten vieler Gemeinden vor dem Wahltag Vorschußzahlungen an die Gemeinden zu veranlassen? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf dem Kollegen Wittrock folgendes antworten. Ich habe bereits Maßnahmen mit dem Ziel eingeleitet, die Pauschbeträge gemäß § 51 des Bundeswahlgesetzes gemeinsam mit dem Bundesrat noch vor der Wahl festzusetzen. Der Bund zahlt die Erstattungsbeträge an die Länder. Diese regeln die Unterverteilung und zahlen den Gemeinden und Gemeindeverbänden ihren Anteil. Zu gegebener Zeit werde ich die Länder bitten, den Gemeinden und Gemeindeverbänden so bald wie möglich die auf sie entfallenden Beträge bekanntzugeben. Es ist beabsichtigt, schon vor der Wahl an die Länder Abschlagszahlungen auf die ihnen zustehenden Beträge zu leisten. Gleichzeitig werden die Länder gebeten, den Gemeinden und Gemeindeverbänden ebenfalls entsprechende Vorauszahlungen zukommen zu lassen.

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke sehr.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage? - Frage 14 - Herr Abgeordneter Putzig - betreffend Abkommandierung von Soldaten: Trifft es zu, daß - nach dem „Spiegel" vom 20. März 1957 - in den hessischen Staatswaldungen anläßlich einer Saujagd für hohe Offiziere des Bundesgrenzschutzes, der Bundeswehr und der amerikanischen Streitkräfte Grenadiere der in Wildflecken stationierten Bundeswehr als Treiber abkommandiert worden sind? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesverteidigungsministeriums.

Not found (Staatssekretär:in)

Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Putzig wie folgt beantworten. Mitte Dezember des vorigen Jahres sollte innerhalb des Truppenübungsplatzes des Standortes Wildflecken eine Treibjagd veranstaltet werden, zu der als Gäste amerikanische Offiziere und Offiziere der Bundeswehr eingeladen waren. Der zuständige Forstmeister hatte vorher bei dem Grenadier-Bataillon 34, Wildflecken, angefragt, ob sich Soldaten des Bataillons dabei als Treiber zur Verfügung stellen wollten. Da die Jagd außerhalb der Dienstzeit stattfand und die Beteiligung der Soldaten freiwillig sein sollte, hatte der Kommandeur keine Bedenken, seine Grenadiere dieserhalb zu fragen. Von der großen Zahl der sich meldenden Freiwilligen wurden zehn Soldatenausgesucht und von dem Forstmeister während der Jagd als Treiber eingesetzt. Aus diesem Sachverhalt geht hervor, daß es sich nicht, wie dargestellt wurde, um eine „Abkommandierung" der Soldaten zur Jagd gehandelt hat. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Paul Putzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es handelt sich also nicht um einen gegebenen Befehl?

Not found (Staatssekretär:in)

Es handelt sich nicht um einen Befehl. Es war ein Freitagnachmittag in der Vorweihnachtszeit. Um 12 Uhr war Dienstschluß. Da wurde von einem Forstmeister angefragt. Und wie sich eine Reihe von Bürgern des Ortes zu diesem Vortreiben meldete, so meldeten sich auch einige Soldaten, weil sie glaubten, darin eine amüsante Beschäftigung am freien Nachmittag erblicken zu sollen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Noch eine Zusatzfrage?

Paul Putzig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie diese Art von Freiwilligkeit für vereinbar mit der Würde der Angehörigen der Bundeswehr? ({0})

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Abgeordneter, es war kein Einsatz, sondern es war - wenn ich das Wort einmal gebrauchen darf - Freizeitgestaltung. ({0}) Ich darf bemerken, daß ich während meines Studiums bis in die höheren Semester hinein nichts lieber getan habe, als mich an Treibjagden in der Göttinger Gegend zu beteiligen, und zwar als Treiber, da ich damals noch keine Büchse führte.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weitere Zusatzfrage. Frage 15 - Abgeordnete Frau Keilhack - betreffend „Deutsche Markenbutter": Hat der Herr Bundesernährungsminister in der neuen Novelle zur Butterverordnung vorgesehen, daß die „Deutsche Markenbutter" als Spitzenklasse, abgesehen von allen anderen Vorschriften über Aufbewahrung, Lagerung und Wertmale, unmittelbar nach der Herstellung ausgeformt werden und spätestens innerhalb vier Wochen in die Hand des Verbrauchers gelangen muß? Wird die Novelle vorschreiben, daß der Ausformtag unverschlüsselt angegeben wird? Hat der Herr Bundesminister vorgesehen, daß Butter, die diesen Vorschriften nicht entspricht, die Bezeichnung „Deutsche Markenbutter" nicht führen darf? Zur Beantwortung der Herr Statssekretär des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Butterverordnung vom 2. Juni 1951 ist eine Novelle in Vorbereitung, die alsbald dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt werden soll. Der ({0}) Entwurf dieser Novelle sieht hinsichtlich der von der Abgeordneten Frau Keilhack gestellten Fragen folgendes vor. 1. Deutsche Markenbutter muß vielfach noch in größeren Gebinden über längere Entfernungen au; den Produktionsgebieten in die Verbrauchsgebiete transportiert werden, um erst dort nach Bedarf entweder ausgeformt oder in Fässern und Kisten an Großbezieher verkauft zu werden. Deshalb wird eine Bestimmung, die die Ausformung unmittelbar nach der Herstellung vorschreiben würde, den Bedürfnissen des Marktes nicht gerecht. Dagegen ist vorgesehen, daß als Deutsche Markenbutter nur solche Butter gekennzeichnet sein darf, die nicht älter als vier Wochen ist. 2. Es ist nicht vorgesehen, im Rahmen der sehr detaillierten Kennzeichnungspflicht für Butter die Bestimmung, wonach bei ausgeformter Butter eine offene oder verschlüsselte Angabe des Ausformtages angegeben werden muß, zu ändern. Im Falle der Verschlüsselung ist das Schlüsselwort „Milchprobe" vorgeschrieben. 3. Für Butter, die den Vorschriften für Deutsche Markenbutter nicht entspricht, also auch solche, die älter als vier Wochen ist, darf die Bezeichnung „Deutsche Markenbutter" nicht verwendet werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage? - Bitte!

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär Sonnemann, sind Sie nicht der Meinung, daß Butter, die nicht sofort nach der Herstellung ausgeformt werden kann, eben nicht die Bezeichnung „Deutsche Markenbutter" führen darf?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich habe, wie ich glaube, diese Frage unter Ziffer 1 beantwortet.

Irma Keilhack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001076, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Für mich nicht befriedigend. - Darf ich Sie noch etwas fragen: Haben Sie die Absicht, die aus den Kühlhäusern kommende überlagerte Butter anders als als Markenbutter und Molkereibutter zu bezeichnen und sie sichtbar als aus dem Kühlhaus kommend und überlagert zu kennzeichnen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich glaube, die Antwort ergibt sich aus dem, was ich zu Ziffer 3 vorgetragen habe. Ich darf es wiederholen: Für Butter, die den Vorschriften für Deutsche Markenbutter nicht entspricht, also auch solche, die älter als vier Wochen ist, darf die Bezeichnung „Deutsche Markenbutter" nicht verwendet werden. ({0})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 16 - Herr Abgeordneter Schmitt ({0}) - betreffend Freimachung von Liegenschaften bei Verlegung von Einheiten des Bundesgrenzschutzes: Welche Maßnahmen sind getroffen, um Härten und Schwierigkeiten bei der Freimachung von Liegenschaften im Zusammenhang mit der Verlegung von Einheiten des Bundesgrenzschutzes zu vermeiden? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern!

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf die Frage des Kollegen Schmitt ({0}) wie folgt beantworten. Die vom Bundesministerium des Innern beantragten Maßnahmen zur Freimachung von Liegenschaften zwecks Unterbringung von Bundesgrenzschutzverbänden werden im Auftrage des Bundesministeriums der Finanzen von den Oberfinanzdirektionen durchgeführt, wobei die berechtigten Interessen der Betroffenen berücksichtigt und Härten und Schwierigkeiten soweit wie möglich von vornherein vermieden werden. Die Ansprüche der Betroffenen sind bisher im Wege freier Vereinbarungen befriedigt worden. Neuerdings wird auch bei der Freimachung von Liegenschaften zugunsten des Bundesgrenzschutzes nach den vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenen Richtlinien für die Freimachung von Liegenschaften für Verteidigungszwecke verfahren. Nach diesen Grundsätzen werden die von den Betroffenen erhobenen Ansprüche von den Oberfinanzdirektionen geprüft und, soweit sie anerkannt werden können, aus besonderen Räumungsmitteln des Haushalts des Bundesministeriums des Innern erfüllt. Die Umzugskosten werden bei der Freimachung von Liegenschaften grundsätzlich in voller Höhe erstattet. Darüber hinaus können die werterhöhenden Investititonen ersetzt und Freimachungsdarlehen für Ersatzbetriebe oder den Ersatzwohnungsbau gewährt werden.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, sind die Schwierigkeiten in Schleswig-Holstein und in Niedersachsen, über die vereinzelt in der Presse berichtet wurde, inzwischen behoben?

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Kollege Schmitt ({0}), das kann ich so aus dem Gedächtnis nicht sagen. Ich nehme es an; sonst würde ich eine gegenteilige Aufzeichnung haben.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie bereit, Herr Minister, die Verbesserungen in den Richtlinien des Finanzministeriums für die Räumung von Wehrmachtsliegenschaften, die der zuständige Ausschuß im Augenblick anstrebt, dann auch in Ihrem Geschäftsbereich für die Räumung von Liegenschaften anzuwenden, die der Grenzschutz beansprucht?

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Ich habe gerade gesagt, daß neuerdings die für den Bereich des Bundesministeriums für Verteidigung geltenden Richtlinien auch hier angewandt werden. Jede Verbesserung, Herr Kollege Schmitt ({0}), kommt uns zugute.

Dr. Hermann Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002033, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 17 - für den Herrn Abgeordneten Dr. Arndt Herr Abgeordneter Dr. Menzel - betreffend rechtskräftige Titel von Reichsbahnangehörigen auf Gehaltszahlung: Warum wird das sogenannte Vorratsvermögen der Reichsbahn, soweit es in den Westsektoren der Bundeshauptstadt Berlin belegen ist, für die Zwangsvollstreckung aus den vor Westberliner Gerichten erwirkten rechtskräftigen Titeln von Reichsbahnangehörigen auf Gehaltszahlung nicht freigegeben? ({0}) Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem in Westberlin fortgeltenden Reichsbahngesetz von 1939 bedarf die Vollstreckung in das sogenannte Vorratsvermögen der ausdrücklichen Genehmigung des Senators für Verkehr und Betriebe des Landes Berlin. Eine Zuständigkeit oberster Bundesbehörden oder der Deutschen Bundesbahn ist dafür nicht gegeben. Das Vorratsvermögen ist nicht Vermögen der sowjetzonalen Reichsbahn, sondern ein Teil des früheren Reichsbahnsondervermögens des Deutschen Reiches. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - ich beziehe mich auf das Urteil vom 18. Februar 1955 - sind die rechtlichen Beziehungen zwischen der sowjetzonalen Reichsbahn und ihrem Vermögen und dem Vorratsvermögen des Reichsbahnsondervermögens des Deutschen Reiches in den Westsektoren Berlins durch Maßnahmen im Zuge der Währungsreform so locker geworden, daß sie für den Rechtsverkehr praktisch keine Bedeutung mehr besitzen. Die Versäumnisurteile, die die Westberliner Eisenbahner erhalten haben, lauten daher auch nicht auf dieses Vorratsvermögen, sondern auf das Vermögen der sowjetzonalen Reichsbahn. Das Vorratsvermögen ist daher zweifellos kein geeignetes Objekt der Zwangsvollstreckung für Forderungen gegenüber der sowjetzonalen Reichsbahn. Bei der Deutschen Bundesbahn läuft zur Zeit eine neue Aktion auf Einstellung von Westberliner Eisenbahnern, die von der sowjetzonalen Reichsbahn entlassen worden sind. Sie wird, wie ich hoffe, zu einer erheblichen praktischen Hilfe führen. Außerdem sind seit einiger Zeit Überlegungen der zuständigen Stellen des Landes Berlin und des Bundes im Gange, wie denjenigen aus dem Dienst der ostzonalen Reichsbahn rechtswidrig entlassenen Eisenbahnern geholfen werden kann, die für eine Einstellung bei der Deutschen Bundesbahn und damit eine Verlegung ihres Wohnsitzes nicht mehr in Frage kommen. Das wird jedoch ohne eine gesetzliche Grundlage - an der noch gearbeitet wird - kaum durchgreifend möglich sein.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine Zusatzfrage?

Dr. Walter Menzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001476, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 18 - Herr Abgeordneter Schneider ({0}) - betreffend deutsche Kriegsverurteilte in Breda und Landsberg: Hat der Herr Bundesaußenminister anläßlich des Besuchs des holländischen Außenministers Luns in Bonn und anläßlich seiner Amerikareise Gelegenheit genommen, auch das Problem der deutschen Kriegsverurteilten in Breda ({1}) bzw. in Landsberg zu erörtern, und zu welchen Ergebnissen haben diese Gespräche geführt? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage betrifft zunächst die Gefangenen in Breda. Bei dem Besuch des Herrn niederländischen Außenministers in Bonn ist die Frage dieser Gefangenen nicht angesprochen worden, da der Herr Bundesminister des Auswärtigen dies bereits vor einiger Zeit bei anderer Gelegenheit getan hat. Wir wissen, daß die niederländische Regierung augenblicklich die Frage weiterer Gnadenerweise für diese Gefangenen prüft. Es ist daher notwendig, diese Entwicklung zunächst abzuwarten. Was die Gefangenen in Landsberg betrifft, so ist bekanntlich auf Grund des Art. 6 des Überleitungsabkommens zum Deutschlandvertrag ein Gemischter Ausschuß eingesetzt worden, der den Gnadeninstanzen der Gewahrsamsmächte Empfehlungen zu unterbreiten hat. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat vor kurzem die Gewahrsamsmächte gebeten, bei Gnadenerweisen, denen Empfehlungen des Gemischten Ausschusses zugrunde gelegt werden müssen, großzügig zu verfahren.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage? Schneider ({0}) ({1}): Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß es mit der Beantwortung, man solle die weitere Entwicklung abwarten, zwölf Jahre nach dem Kriege nicht mehr sein Bewenden haben kann? Glauben Sie nicht auch, daß die Bundesregierung nachdrücklichere Schritte als bisher unternehmen sollte, um dieses leidige Problem endlich aus der Welt zu schaffen?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß die Bundesregierung alle Schritte unternommen hat, von denen ein Erfolg in dieser Sache zu erwarten war. Die Frage ist außerordentlich delikat. Insbesondere im holländischen Fall kann nicht übersehen werden, daß die Erinnerungen - schmerzliche Erinnerungen - an die deutsche Besatzungszeit dort noch überaus lebendig sind. Es muß infolgedessen in dieser Frage behutsam vorgegangen werden. Das heißt nicht, daß nichts geschieht, und es kann der Bundesregierung auch nicht vorgeworfen werden, sie habe nichts getan. Sie hat das getan, wovon sie nach Lage der Dinge und insbesondere nach der psychologischen Situation glaubte erwarten zu können, daß es einen Erfolg verspricht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine zweite Zusatzfrage? Schneider ({0}) ({1}): Herr Staatssekretär, darf ich eine weitere Zusatzfrage stellen. Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch einen Akt, den der amerikanische Präsident in eigener Verantwortung zu treffen imstande wäre, die Möglichkeit bestünde, wenigstens das Problem Landsberg zu bereinigen, und daß in Verfolg der Bereinigung dieses Problems gegebenenfalls auch die anderen alliierten Haftanstalten aufgelöst werden könnten? Ist die Regierung bereit, gegebenenfalls bei dem amerikanischen Präsidenten zu intervenieren?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich glaube, daß selbst bei vorsichtiger Beurteilung der Lage gesagt werden kann, daß eine Chance zu einer baldigen Abwicklung des gesamten Problems, insbesondere des Problems Landsberg und des Problems der Gefangenen in Haftanstalten auf deutschem Boden, besteht. Ob ein Appell an den Herrn Präsidenten der Vereinigten Staaten dazu das richtige Mittel ist, will ich gern prüfen. Schneider ({0}) ({1}): Danke sehr!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 19 - des Herrn Abgeordneten Schneider ({0}) - betreffend Film über den Aufbau der Bundeswehr: Ist die Bundesregierung bereit, mit dem Süddeutschen Rundfunk über den Ankauf des Films, der den Aufbau der Bundeswehr schildert, zu verhandeln und den Film ins Archiv zu nehmen, um zu verhindern, daß durch dieses Machwerk die öffentliche Meinung in bezug auf die Bundeswehr weiterhin vergiftet wird? Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung!

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Film des Süddeutschen Rundfunks, Stuttgart, ist im Einverständnis mit der Deutschen Fernsehkonferenz für das deutsche Fernsehprogramm gedreht worden und in redaktioneller Verantwortung des Süddeutschen Rundfunks entstanden. Das Bundesverteidigungsministerium hat lediglich die Genehmigung erteilt, in den Standorten der Bundeswehr die gewünschten Aufnahmen zu machen. Bedenken gegen die Erteilung dieser Genehmigung an eine Anstalt des öffentlichen Rechts bestanden nicht, zumal der Film als Dokumentarbericht angekündigt worden war. Verhandlungen über den Ankauf des Films haben nicht stattgefunden und sind auch nicht geplant. Nach den geltenden Bestimmungen haben die Rundfunkanstalten als Anstalten des öffentlichen Rechts eine satzungsmäßig festgelegte Aufgabe, die es ihnen nicht gestattet, Produktionen an Dritte entgeltlich oder unentgeltlich zu veräußern. Außerdem wurde mit dem Süddeutschen Rundfunk nach der Fernsehsendung des Bundeswehrfilms eine Fernsehdiskussion vereinbart, in der der Verteidigungsminister mit Vertretern des Süddeutschen Rundfunks strittige Punkte weitgehend berichtigt hat. Im übrigen hat mir der Süddeutsche Rundfunk auf meine Anfrage mitgeteilt, daß eine Wiederholung der Sendung nicht beabsichtigt sei.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage? Schneider ({0}) ({1}): Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, wenigstens zu erklären, daß sie die Aufführung dieses Films im Interesse der Bundeswehr für nicht wünschenswert hält?

Not found (Staatssekretär:in)

Ich habe keine Bedenken, über das, was ich eben gesagt habe, auch eine Verlautbarung in unseren Informationsberichten zu geben. Schneider ({0}) ({1}): Danke sehr!

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 20 - Herr Abgeordneter Schneider ({0}) - betreffend Herausgabe von Sonderbriefmarken: Aus welchem Grunde hat es der Herr Bundespostminister unterlassen, anläßlich des 100jährigen Jubiläums des Norddeutschen Lloyd in Bremen eine Sondermarke herauszugeben? Ist wenigstens geplant, anläßlich des 100. Todestages des Bremer Bürgermeisters Smidt eine solche Gedenkmarke herauszugeben? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

Ernst Lemmer (Minister:in)

Politiker ID: 11001314

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. Juni dieses Jahres, dem Tag der deutschen Seeschiffahrt, erscheint ein Sonderpostwertzeichen mit der Darstellung eines modernen Frachtschiffes mit Passageeinrichtung. Mit diesem Sonderpostwertzeichen soll sowohl ,des 100jährigen Jubiläums des Norddeutschen Lloyd als auch des 110jährigen Gründungstages der Hapag und des 50jährigen Bestehens des Verbandes Deutscher Reeder gedacht werden. Die Herausgabe einer besonderen Gedenkmarke für ,den Norddeutschen Lloyd ist trotz aller Würdigung des Weltansehens dieses Unternehmens nicht möglich, da das als eine Firmenwerbung mißverstanden werden könnte. Am 15. August erscheint zum 100. Geburtstag von Albert Ballin eine Gedenkmarke. Ich freue mich, diese Mitteilung in diesem Zusammenhang machen zu können, da es sich um die Ehrung eines hochverdienten deutschen Schiffahrtspioniers jüdischer Abstammung handelt. Die Anregung, zum 100. Todestag des Bremer Bürgermeisters Smidt, der zweifellos große Verdienste um die Entwicklung der deutschen Seeschiffahrt hat, am 1. Mai dieses Jahres eine Gedenkmarke auszugeben, ist mir erst so spät zugegangen, daß die Verwirklichung aus technischen Gründen leider nicht mehr möglich war.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Eine Zusatzfrage. Schneider ({0}) ({1}): Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß andere Länder in sehr viel größerer Vielfalt Briefmarken überhaupt und auch Sonderbriefmarken herausgeben, als dies die Bundesrepublik tut, und sind Sie gegebenenfalls bereit, einmal zu prüfen, ob nicht auch wir uns auf diesem Gebiet etwas mehr betätigen könnten, da es ein Stück Ansehen eines Landes ist, wenn es gute Briefmarken herausgibt?

Ernst Lemmer (Minister:in)

Politiker ID: 11001314

Herr Kollege Schneider, ich habe mit Ihnen 'den Wunsch, daß wir sehr gute Briefmarken herausgeben. Aber was die Zahl der Sondermarken betrifft, so besteht eine internationale Übereinstimmung, die jedem Land eine quantitative - nicht qualitave - Beschränkung auferlegt.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Frage 21 - Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg-betreffend Rechtsverordnungen zur Durchführung der Rentenneuregelungsgesetze: Warum hat der Herr Bundesarbeitsminister nicht rechtzeitig den Erlaß der wichtigsten Rechtsverordnungen zur Durchführung der Rentenneuregelungsgesetze vorbereitet, so daß sich jetzt für zahlreiche Rentner Verzögerungen bei der Festsetzung der neuen Rente und der Nachzahlung ergeben? Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Arbeit.

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meinem Haus ist mit der Vorbereitung für den Erlaß der wichtigsten Rechtsverordnungen zur Durchführung der Rentenneuregelungsgesetze - das sind die Durchführungsverordnungen, die für die Umstellung der laufenden Renten und für die Festsetzung neuer Renten notwendig sind - jeweils dann begonnen worden, wenn die Notwendigkeit für den Erlaß einer solchen Verordnung offenkundig wurde. Bei der Vorbereitung der zu erlassenden Verordnungen waren umfangreiche und sehr schwierige ({0}) Berechnungen erforderlich, die nach der Verabschiedung der Gesetze auf Grund der in ihnen endgültig festgelegten Werte und Daten sofort in Angriff genommen wurden und nunmehr fertiggestellt sind. Da diese Verordnungen im wesentlichen das technische Verfahren Eder Versicherungsträger betreffen, mußte diesen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Diese Stellungnahme setzte voraus, daß die Versicherungsträger zeitlich und sachlich die Möglichkeit hatten, sich mit den neuen Gesetzesbestimmungen und ihren Auswirkungen vertraut zu machen. Die beiden wichtigsten Verordnungen sind den Versicherungsträgern im Entwurf zugestellt worden und werden in .der kommenden und der übernächsten Woche abschließend mit ihnen beraten. Sie werden alsdann dem Bundesrat zur erforderlichen Zustimmung zugeleitet.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Zusatzfrage?

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mit wieviel weiteren Durchführungsverordnungen außer den erwähnten beiden rechnen Sie, und wann wird die letzte erlassen sein?

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Herr Professor Schellenberg, Ihnen diese Frage zu beantworten, ist zur Zeit niemand in der Lage. Wir müssen, wenn wir ,auf diesem Gebiete eine reibungslose Durchführung erreichen wollen, dafür sorgen, daß nicht mehr Verordnungen herauskommen, als unbedingt notwendig sind, und daß vor jeder Verordnung mit denen gesprochen wird, die in der Verwaltung die Verordnungen nachher anwenden müssen. Ich kann Ihnen deshalb heute diese Frage weder mit einer Zahl noch einem Datum beantworten. Präsidetn D. Dr. Gerstenmaier: Zweite Zusatzfrage?

Dr. Ernst Schellenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001954, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß deswegen, weil Durchführungsverordnungen bisher nicht erlassen sind, sich etwa 800 000 Rentner mit Vorschüssen begnügen müssen?

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Jawohl, das ist mir sehr wohl bekannt, Herr Professor. Wir haben die Menschen auch gar nicht im unklaren darüber gelassen, daß es in verschiedenen Fällen nicht ohne eine längere Zeit des Übergangs geht.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, ich schließe die Fragestunde. Die nicht mündlich beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Die nächste Fragestunde findet am 8. Mai 1957 statt. Sperrfrist für eingehende Fragen ist Freitag, der 3. Mai, 12 Uhr. Außerhalb der Tagesordnung gebe ich das Wort zu einer Erklärung nach § 36 dem Herrn Abgeordneten Ollenhauer.

Erich Ollenhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001646, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion möchte ich gemäß § 36 der Geschäftsordnung folgende Erklärung abgeben. Die schwedische Zeitung „Dagens Nyheter" verdächtigte in ihrer Nr. 67 vom 9. März dieses Jahres den Abgeordneten Herbert Wehner, während des zweiten Weltkriegs dem russischen Spionagedienst angehört zu haben und aus diesem Grunde in Schweden zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden zu sein. Der CDU-Fraktionsgeschäftsführer, Kollege Rasner, gab in einer Pressekonferenz am 12. März die schwedische Meldung ohne Nachprüfung an die deutsche Presse weiter, die zum Teil die unbewiesene Behauptung zu einem persönlichen Kampf gegen Wehner und die Sozialdemokratische Partei benutzte. „Dagens Nyheter" hat ihre falsche Behauptung in ihrer Nr. 73 vom 15. März dieses Jahres zurückgenommen und in einem weiteren Artikel vom 1. April dieses Jahres eine Ehrenerklärung für Wehner abgegeben. Herbert Wehner hat nie geleugnet, bis zum Jahre 1942 Kommunist gewesen zu sein. Seine politischen Gegner haben sich seit Jahren bemüht, in seiner Vergangenheit Mängel zu finden, die Rückschlüsse auf seine heutige politische Glaubwürdigkeit zulassen sollten. Sie haben nicht mehr als die Tatsache feststellen können, ({0}) daß Wehner Kommunist gewesen ist. Jedes Mitglied dieses Hauses weiß seit langem, daß Wehner ein aufrechter Verfechter der Freiheit und ein furchtloser Kämpfer gegen den Kommunismus geworden ist. ({1}) Das deutsche Volk steht dem Kommunismus eindeutig ablehnend gegenüber. Es erblickt im Kommunismus die größte Bedrohung seiner friedlichen Existenz und der Freiheit und der Menschenwürde schlechthin. Wird also ein führender Sozialdemokrat - und in diesem Falle der Vorsitzende des Gesamtdeutschen Ausschusses des Bundestages - als früherer russischer Spion verdächtigt, so soll daraus gefolgert werden, Wehner sei politisch unzuverlässig und die Sozialdemokratische Partei mit ihm; Wehner sei ungeeignet, eine führende Position im Parlament einzunehmen, und die Sozialdemokratische Partei sei ungeeignet, politische Verantwortung in der Bundesrepublik zu tragen. Der Präsident des Deutschen Bundestags hielt die Anschuldigung gegen einen Abgeordneten dieses Hauses für so schwerwiegend, daß er zur Wahrung der Würde des Hauses bereit war, am 21. März vor dem Bundestag eine Erklärung abzugeben. Mit dieser Erklärung wollte er gleichzeitig an alle Abgeordneten, an die Presse und an die gesamte Öffentlichkeit appellieren, die politische Auseinandersetzung in einer sachlichen Atmosphäre zu führen und persönliche Verunglimpfungen des politischen Gegners im freien Teil Deutschlands in exemplarischer Weise als verächtlich zu brandmarken. Die CDU-Fraktion hat der vom Herrn Bundestagspräsidenten in Aussicht genommenen Erklärung nicht zugestimmt und sie damit verhindert. ({2}) Im Gegenteil, obwohl die unwahre Behauptung von „Dagens Nyheter" bereits am 15. März dementiert worden war, machte sich die CDU-Fraktion sie in ihrer Verlautbarung Nr. 333 vom 21. März wieder zu eigen, indem sie erneut - ich zitiere - über eine „Bestrafung des Abgeordneten Wehner durch ein schwedisches Gericht wegen geheimer Nachrichtentätigkeit in militärischer und politischer Absicht für eine fremde Macht" spricht. ({3}) Wir bedauern die Haltung der CDU-Fraktion zutiefst, und wir warnen vor der Fortsetzung des politischen Kampfes mit solchen Mitteln. ({4}) Ich erkläre als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, daß die Verdächtigungen gegen den Abgeordneten Wehner von mir geprüft und für haltlos befunden worden sind. Herbert Wehner genießt mein volles Vertrauen ({5}) und in gleicher Weise das Vertrauen der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Bundestagsfraktion. ({6}) Meine Damen und Herren! Herbert Wehner hat sich durch sein Wirken auch bei seinen politischen Gegnern den Anspruch auf die persönliche Achtung erworben. ({7})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({0}) ({1}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich ({2}) ({3}). ({4}) Ich frage, ob der Herr Berichterstatter das Wort wünscht. - Herr Abgeordneter Kunze als Berichterstatter! Kunze ({5}) ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich einen kurzen Bericht gebe, darf ich bitten, in der Drucksache 3322 Artikel I § 1 Nr. 53 Buchstabe b an Stelle von „Belohnung zur Rettung aus Gefahr" zu sagen „Belohnung für Rettung aus Gefahr". Das ist ein Druckfehler, der der Druckerei unterlaufen ist. Ich gebe die Berichtigung dem Herrn Präsidenten zu den Akten. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich im Ausschuß beauftragt wurde, die Berichterstattung zu übernehmen, war ich mir der Tatsache bewußt, daß bei einem so ungeheuer komplizierten Gesetz die Berichterstattung aus zwei Gründen ausführlich sein muß. Der erste Grund ist, daß man dann die Zusammenhänge und das geschichtliche Werden dieses Gesetzes besser verstehen kann. Der zweite Grund ist, daß Auslegungen in der Rechtsprechung der hinter uns liegenden fünf Jahre, die zu Beanstandungen geführt haben, zu überprüfen sind, um zu verhindern, daß der Wille des Gesetzgebers wegen mangelnder oder ungenügender Ausdrucksfähigkeit oder aus sonstigen Gründen vom Bundesverwaltungsgericht oder den zuständigen Finanzgerichten falsch interpretiert wird. Darum haben wir dem Schriftlichen Bericht eine besondere Sorgfalt zuteil werden lassen. Um Ihnen aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Arbeit zu erleichtern, habe ich mir erlaubt, im Schriftlichen Bericht zu Drucksache 3322*) am Schluß auf etwa fünf Seiten eine Zusammenfassung der wesentlichen Bestimmungen des Gesetzentwurfs zu geben. Wenn Sie diese fünf Seiten lesen, ist es für Sie verhältnismäßig leicht, die großen Linien, die der Ausschuß eingehalten und in der Vorlage, über die Sie heute zu beschließen haben, schriftlich niedergelegt hat, zu verfolgen, ohne daß Sie gezwungen sind, jeweils die Einzelbestimmungen des Gesetzes - also der achten Novelle, in die wir die neunte Novelle eingearbeitet haben - und die Details der schriftlichen Begründung nachzulesen. Ich habe geglaubt, Ihnen allen diesen Dienst tun zu sollen, weil ich weiß, daß Sie infolge der wirklich maßlosen Überlastung zum großen Teil gar nicht in der Lage sind, ein so umfangreiches und komplexes Werk bis ins letzte einzelne zu lesen. Begnügen Sie sich also, wenn Sie nicht Interesse an mehr verspüren, mit den letzten fünf Seiten des Schriftlichen Berichts. Diesen Schriftlichen Bericht, den ich ursprünglich, was den letzten Teil angeht, für meine Fraktion gedacht hatte, habe ich auf Wunsch aller Mitglieder des Ausschusses als Ausschußvorsitzender dem Bericht generell beigefügt. Wir haben im Ausschuß in sechsmonatiger Arbeit in ungefähr allen Bestimmungen weitestgehende Übereinstimmung erzielt, und es darf, glaube ich, gesagt werden, daß die äußerst schwierige Aufgabe gelungen ist, die großen Linien, die uns 1952 vorgezeichnet wurden, einzuhalten, nämlich auf der einen Seite den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit auch in der Zukunft festzuhalten und durchzuführen und zum anderen den Grundsatz, die Entschädigung nun so zu gestalten, daß sie die Bezeichnung „Entschädigung" verdient. Ich möchte mich damit begnügen, in wenigen Sätzen zu diesen Fragen zu sprechen und Ihnen dabei auseinanderzusetzen, welche Motive für den Ausschuß maßgebend waren. Zu einigen wenigen vorliegenden Änderungsanträgen werden wir im Laufe der Aussprache der zweiten und dritten Lesung im einzelnen für die Fraktionen Stellung nehmen können. Ich deutete an, daß die Frage der Hauptentschädigung wohl mit das Kernstück dieser achten Novelle ist. Wir standen, wie Sie sich erinnern, im Jahre 1952 vor einer Aufgabe, die keiner von uns auch nur einigermaßen absolut richtig lösen konnte. Das Soforthilfegesetz ais Vorgänger des Lastenausgleichsgesetzes hat nach so anderen Grundsätzen gearbeitet, daß es nicht möglich war, auf der zudem nur kurzen Erfahrung mit dem Soforthilfegesetz in bezug auf die Größenordnungen des Aufkommens und auf die Möglichkeiten der Verteilung einigermaßen sicher aufzubauen. Wir haben feststellen müssen, daß wir hier Neuland betreten haben. Darum haben wir 1952 - ich habe damals auch die Ehre gehabt, Vorsitzender dieses Ausschusses zu sein - im vollen Bewußtsein, daß es sich nur um eine einstweilige Lösung handeln kann, beschlossen, fünf Jahre lang zu warten und nach dem Gesetz zu arbeiten, um auf Grund der Erfahrungen während dieser fünf Jahre dann die Größenordnungen zu bestimmen, die wir glauben verantworten zu können für die Fragen der Lösung der Hauptentschädigung, der Hausratentschädigung und im Zusammenhang damit all der anderen Formen der Entschädigung; ich nenne nur die Entschädigungsrente, ich nenne die Unterhalts- *) Siehe Anlage 2 ({7}) hilfe, ich nenne sonstige Förderungsmaßnahmen, und ich nenne die Problematik Berlins und der sowjetisch besetzten Zone. Es ist von unendlich vielen Seiten an uns die Forderung herangetragen worden, man möge die Entschädigung als Hauptentschädigung so aufbauen, daß wenigstens die ersten 5000 DM herauskommen, analog den Entschädigungsgrößenordnungen, wie wir sie bei der Währungsreform gekannt haben, wo ja auch mit 6 1/2 v. H. umgestellt wurde. Nachdem wir alle diese Fragen an den Schluß unserer Beratungen gestellt haben, weil wir erst einmal einen Überblick über alles andere, was die Kosten angeht, gewinnen wollten, sind wir in wirklich sorgfältiger Prüfung einmütig zu folgender Entscheidung gekommen. Wir schlagen vor, Verluste bis zu 4600 RM vom Einheitswertvermögen mit 100 % zu entschädigen. Wir haben dabei daran gedacht, daß den Vertriebenen der 10%ige Vertreibungszuschlag zukommt, so daß wir damit im Ergebnis die 100%ige Entschädigung bis zu 5000 RM sichergestellt haben. Eine andere Frage, über die wahrscheinlich auf Grund eines vorliegenden Antrags noch gesprochen wird, klammere ich aus, nämlich die Frage der Größenordnungen, die über Millionenbeträge hinausgehen. Bei der Hausratentschädigung waren wir uns im Jahre 1952 völlig darüber klar, daß uns eine echte Hausratentschädigung rechnerisch überhaupt nicht möglich ist. Wer will sich anmaßen, den vollen Wert des verlorengegangenen Hausrats so festzustellen, daß man darauf eine Entschädigung aufbauen kann? Wir sind darum den Weg gegangen, daß wir von dem Normaleinkommen nach bestimmten Gruppen gestaffelt aus der Erfahrung heraus eine bestimmte Wertordnung des Hausrats errechnet und darauf die Hausrathilfe als den ersten Teil der Hausratentschädigung aufgebaut haben. Das ist Ihnen bekannt. In der Zwischenzeit ist diese Phase bis zu einem gewissen Grade abgeschlossen worden, d. h. in absehbarer Zeit sind die Hausrathilfen gezahlt, und nun kommt der zweite Teil, die Hausratentschädigung. Wir standen vor der Möglichkeit einer Differenzierung oder der Möglichkeit, in der großen Linie fortzufahren. Der Ausschuß hat sich mit überwiegender Mehrheit dazu bekannt, den bisherigen Weg fortzusetzen und in den Grenzen des Möglichen eine generelle Anhebung der Hausratentschädigung um 400 DM pro Fall vorzusehen. Also ein Ehepaar, das bis jetzt auf Grund seines Durchschnittseinkommens 800 DM bekommen hat, soll 1200 DM bekommen und so fort bis zu der Größenordnung von 1800 DM für ein Ehepaar, das bisher 1400 DM zu beanspruchen hat. ({8}) Dazu haben wir, dem sozialen Gedanken Rechnung tragend, die Kinderzuschläge von 100 auf 150 DM erhöht, um auch hier im Rahmen des Möglichen zu geben, was gegeben werden kann. Ich nenne Ihnen zwei Zahlen, die Sie interessieren dürften. Die Summe der Anträge auf Hausratentschädigung liegt über 7 Millionen; die Summe der Anträge auf Hauptentschädigung liegt über 4,2 Millionen. Sie sehen also, mit welchen Größen wir rechnen müssen. Beispielsweise macht bei der Hausratentschädigung jede Erhöhung von 100 Mark eine Ausgabe von 620 Millionen notwendig. Wenn also um 400 Mark erhöht wird, geben wir im ganzen viermal 620 Millionen für den Zweck aus. Da wir bei der Hauptentschädigung unter anderem auch von dem Grundgedanken ausgingen, die Hauptentschädigung so zu staffeln, daß das, was gezahlt wird, Grundlage des Aufbaus oder der Erhaltung einer Existenz sein soll, waren uns bei der Hausratentschädigung bestimmte Grenzen gesetzt. Es wird unsere Aufgabe sein, durch Vorfinanzierung dafür zu sorgen, daß der Grundsatz „Wer schnell gibt, gibt doppelt!" und der Grundgedanke ,,Nur nicht zu langsam, sie sterben sonst darüber!" nicht nur Gerede in diesem Hause bleiben, sondern im Leben draußen Wirklichkeit werden. ({9}) Die alten Leute werden uns nicht verstehen, wenn wir nicht im Rahmen des Möglichen nach Wegen suchen, die Entschädigungen noch rechtzeitig auszuzahlen. Wenige Sätze zur Frage der Unterhaltshilfe und der Entschädigungsrente. Wir haben die Unterhaltshilfe generell um 20 v. H. angehoben. Alle Organisationen der Heimatgeschädigten und der Kriegssachgeschädigten haben diese Forderung gestellt, die wir im Ausschuß durch einstimmigen Beschluß akzeptiert haben. Unser Beschluß liegt dem Hohen Hause heute zur Genehmigung vor. Bei der Entschädigungsrente haben wir nach neuen Wegen gesucht. Wir haben vorgesehen, die Bundesregierung zu ermächtigen, auf Grund von Rechtsverordnungen Schuldverschreibungen auszugeben. Wir haben mit den Lebensversicherungsgesellschaften, den Bausparkassen und mit sonstigen Kapitalgesellschaften und Institutionen verhandelt, um durch Verrentung zu ereichen, daß den Berechtigten ihre Hauptentschädigung schon zu Lebzeiten zuteil wird. Keiner von uns, auch kein I Mitglied des Ausschusses, ist in der Lage, etwa heute zu erklären, wieviel das bringen wird. Das ganze Gesetz ist derart eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung und mit dem Geld- und Kapitalmarkt verflochten, daß man immer nur vorsichtig erklären kann: Wir müssen das tun, was jeweils von uns als richtig erkannt wird. Dazu ist der Präsident des Bundesausgleichsamts beauftragt, und der von uns und den Länderparlamenten gewählte Kontrollausschuß ist das Organ, das eine ständige Überwachung ausübt. In den ersten Jahren hatten wir noch keine Feststellungsmöglichkeiten. Das ganze Thema war außerordentlich schwierig. Wir müssen Feststellungen treffen, die praktisch eine Reise durch die Welt bedeuten. Nicht überall haben wir klare, sau-here Verhältnisse wie etwa im Deutschen Reich, wo wir an Hand der Grundbücher Einheitswerte feststellen können. Wir haben weiteste Gebiete, in denen keine Einheitswerte existierten, wir haben weiteste Gebiete, in denen die Einheitswerte nach anderen Grundsätzen aufgestellt wurden. Im Wege der Durchführungsverordnung nähern wir uns unter Benutzung der - das darf man heute sagen - dankbar anerkannten Institution der Heimatauskunftsstellen Schritt um Schritt diesem Ziel. Wir haben immerhin mit dem heutigen Tage die ersten 25 v. H. aller Feststellungsanträge bearbeitet, und das Tempo der Bearbeitung wird von Monat zu Monat schneller. ({10}) Wir haben uns als Gesetzgeber allerdings darum sorgen müssen, jetzt nicht der Verwaltung neue ({11}) Zusatzarbeit zuzumuten. Denn das hätte die Folge gehabt, daß die Verwaltung nur entweder die Zusatzarbeit oder die Feststellungsarbeit vordringlich hätte erledigen können. Da erschien uns das Ziel, die Feststellung unter allen Umständen mit allen Mitteln zu beschleunigen, wichtiger, als der Verwaltung neue große Verwaltungsarbeit zuzumuten. ({12}) Die Damen und Herren des Ausschusses wissen, wie oft ich immer wieder darauf hingewiesen habe, daß es die Angestellten nach TO.A VI und VII ({13}) und die entsprechenden Beamten sind, die diese Dinge durchführen müssen, und daß wir darum keine gesetzlichen Vorschriften schaffen dürfen, für deren Durchführung praktisch ein Volljurist erforderlich wäre. Es wäre sehr „schön", den Perfektionismus - ein Unglück dieses Hauses - so weit zu treiben, daß man sagen könnte: Im Gesetz steht Paragraph für Paragraph alles drin. Es fehlen aber die Menschen draußen, die das Gesetz dann noch verstehen könnten. Zum Schluß möchte ich noch zwei Dinge erwähnen. Wenn dann Fragen kommen, bin ich gern bereit, in den Grenzen meiner Möglichkeiten Auskunft zu geben. Einmal haben wir jetzt mit der komplizierten Erbgeschichte Schluß gemacht. Wir haben gesagt: Wir sind jetzt so weit, daß wir uns in bezug auf die Erbfolge einfach nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts richten können. Das ist das eine. Und das zweite: Wir mußten damals Fristen setzen, damit wir die Anmeldungen möglichst schnell bekamen. Das war für uns die Voraussetzung, um schnell arbeiten zu können. Nachdem ungefähr 99 v. H. aller Anmeldungen gekommen sind, haben wir die Fristen gestrichen. Daher können nach Inkrafttreten dieser Novelle auch alle diejenigen, die aus irgendwelchen Gründen - meistens sind es Gründe des Alters oder der mangelnden Verbindung mit dem öffentlichen Leben - die für sie gesetzte Frist versäumt haben, dieses Versäumnis wiedergutmachen und ihre Anträge nachreichen. Lassen Sie mich mit einem Generalhinweis schließen. Dieser Hinweis betrifft den leider nicht anwesenden Bundesrat. Ich hoffe aber, daß der Bundesrat bereit ist, das, was heute hier geredet wird, auch zu lesen. Das Gesetz, das wir heute verabschieden, zeigt, wie kompliziert ein Gesetz ist, welches auf Stichtagen aufbaut. Wir hatten keine Möglichkeit und haben auch keine Möglichkeit gefunden, den Währungsstichtag durch etwas Besseres zu ersetzen. Das hat zur Konsequenz, daß man von einem Stichtagsvermögen Abgaben erhebt und daß die gesamte wirtschaftliche Entwicklung dann an der Millionenzahl von Geschädigten vorbeigeht. ({14}) Das wünschten wir nicht. ({15}) Darum haben wir einstimmig Beschlüsse gefaßt, auf Grund deren die Geschädigten - es sind ja, wenn ich ihre Familienangehörigen dazunehme, vorsichtig gerechnet immerhin 15 bis 20 Millionen Menschen - in den Grenzen des gesamtwirtschaftlich und volkswirtschaftlich Tragbaren die Möglichkeit bekommen, an dem wirtschaftlichen Aufstieg in ihrer Lebenssphäre so weit wie möglich teilzunehmen. Diese Beschlüsse sind im Ausschuß einstimmig gefaßt worden. Ich möchte wünschen, daß sich der Bundesrat diesen Notwendigkeiten nicht verschließt und daraus die Konsequenzen zieht. ({16})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, es ist üblich, daß der Präsident des Hauses dem Berichterstatter dankt. Ich möchte das auch in diesem Falle tun. Ich möchte hinzufügen, daß, wenn der vorliegende Entwurf vom Hause angenommen wird, dieser 2. Bundestag seinen Beitrag zu einem der schwierigsten und größten Gesetzgebungswerke unserer Zeit abgeschlossen haben wird. Ich möchte diesen Anlaß benützen, nicht nur dem Herrn Vorsitzenden und Berichterstatter, sondern auch den Mitgliedern des Ausschusses aus allen Fraktionen und dem Herrn Bundesminister für Vertriebene und seinen Mitarbeitern den Dank des Hauses auszusprechen. ({0}) Wir treten nun in die zweite Lesung ein. Zunächst hat der Herr Bundesminister für Vertriebene das Wort.

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den zur Beratung stehenden Gesetzentwurf sind die Aufmerksamkeit und das Interesse der Vertriebenen wie der Kriegssachgeschädigten in ganz besonderem Maße gerichtet. Es hängt viel davon ab, wie dieses Gesetz von immerhin etwa 20 Millionen Mitbürgern unserer Bundesrepublik aufgenommen und beurteilt wird. Im Lastenausgleichsgesetz, im Bundesvertriebenengesetz und im Bundesevakuiertengesetz konzentrieren sich die Maßnahmen, die der Wiedereingliederung, der Entschädigung und der sozialen Betreuung der Geschädigten dienen. Neben oder nach der Rentengesetzgebung dürfte die Lastenausgleichsgesetzgebung, wie soeben der Herr Präsident bemerkt hat, das wirtschaftlich und sozial wichtigste Gesetzgebungswerk der beiden ersten Legislaturperioden dieses Hohen Hauses sein. Wir haben von dem Herrn Berichterstatter die Grundzüge der Achten Novelle gehört. Es ist mir eine Genugtuung, feststellen zu können, daß die Verbesserungen, die die Novelle bringt, ohne Zweifel zunächst befriedigend sind. Das gilt in erster Linie für die Anhebung der Hauptentschädigung, die im Schnitt über 60 % liegt, und der Hausratentschädigung, die im Grundbetrag um 50 % erhöht worden ist. ({0}) - Sicher, bestreite ich Ihnen nicht. - Es gilt für die Erhöhung der Unterhaltshilfe und der Entschädigungsrente, aber auch für manche anderen Bestimmungen. Die Mehraufwendungen für die vorgesehenen Verbesserungen dürften 10 Milliarden Deutsche Mark übersteigen, ein Betrag, der auch dann als groß bezeichnet werden muß, wenn er nicht sofort, sondern erst während der Laufzeit des Lastenausgleichs zur Auszahlung gelangen wird. Das Echo der Öffentlichkeit - besonders auch I der Geschädigten - auf das, was in den letzten ({1}) Wochen draußen aus dem Inhalt der Novelle bekanntgeworden ist, ist erfreulich gut. Ich glaube, daß der für die Ausarbeitung der Novelle zuständige Lastenausgleichsausschuß gute Arbeit geleistet hat. Ich bin von dem bei meinem Ministerium gebildeten Beirat ermächtigt worden, den Mitgliedern des Ausschusses für ihre sachliche und gründliche Arbeit Dank und Anerkennung auszusprechen. ({2}) Die Achte Novelle wird mit Absicht und besonderer Bedeutung nicht als Lastenausgleichsschlußgesetz bezeichnet. So wichtig und wesentlich die Novelle ist, stellt sie doch nicht einen Schlußpunkt, sondern nur eine - wenn auch sehr wesentliche - Etappe des Lastenausgleichs dar. Ich bin überzeugt, daß sich der Gesetzgeber auch späterhin mit dieser so wichtigen Materie wird befassen müssen, wobei die Hoffnung besteht, daß weitere Verbesserungen des Lastenausgleichs zugunsten der Geschädigten erreicht werden können. Die Geschädigten, denen der Lastenausgleich zugute kommt, sind sich ebenso wie ich bewußt, daß die Ausschüttungen des Lastenausgleichs nur auf der Grundlage der Leistungen, die die Abgabepflichtigen zu erbringen haben, möglich waren und möglich sein werden; sie wissen, daß diese Abgabeleistungen eine Belastung der Wirtschaft und jedes einzelnen Abgabepflichtigen bedeuten, darüber hinaus aber auch den Bund und insbesondere auch die Länder belasten, die wesentliche Summen zum Lastenausgleich beizusteuern haben. Es ist mir ein Bedürfnis, allen an der Aufbringung des Lastenausgleichs Beteiligten für diese Opfer, die ihnen das Lastenausgleichsgesetz aufbürden mußte, auch im Namen der Geschädigten meinen Dank auszusprechen. Alle diejenigen, die zur Aufbringung des Lastenausgleichs beitragen, haben ein Recht darauf. zu erfahren, was mit den von ihnen aufgebrachten Geldern geschehen ist und geschehen wird. Ich glaube, daß sich die Bilanz der bisherigen Soforthilfe- und Lastenausgleichszeit sehen lassen kann. Besonders liegen mir die wirtschaftliche Eingliederung der durch die Kriegsfolgen wirtschaftlich Entwurzelten und die Schaffung von Eigentum bei den Geschädigten am Herzen. Mit Hilfe des Lastenausgleichs ist es bisher gelungen, in rund 125 000 Fällen Vertriebene, Kriegssachgeschädigte und Sowjetzonenflüchtlinge durch Aufbaudarlehen in der gewerblichen Wirtschaft selbständig zu machen. Die Aufbaudarlehen für die Landwirtschaft haben in über 85 000 Fällen dazu geholfen, die Bauern, hier besonders die vertriebenen Bauern, wieder mit der Scholle zu verwurzeln, sei es auf einer vollen Ackernahrung, sei es wie in der Masse der Fälle auch nur über Nebenerwerbsstellen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Bitte sehr.

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Wenn ich nicht irre, Herr Minister, haben Sie soeben gesagt, daß 85 000 vertriebene Bauern mit der Scholle wieder verwurzelt worden sind. Ich stelle die Frage: ist Ihnen nicht bekannt, daß es sich dabei zum größten Teil um Nebenerwerbsstellen handelt und an echten Bauernhöfen nur etwa 16 000 geschaffen worden sind?

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Das habe ich soeben gesagt, Herr Kollege Kather. Hätten Sie aufgepaßt, dann hätten Sie gehört, wie ich gesagt habe, daß dies in der Masse der Fälle - genau das, was Sie sagen - nur über Nebenerwerbsstellen geschehen ist. Wir sind uns also völlig einig.

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Das habe ich nicht gehört!

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Aber ich habe es ganz eindeutig gesagt. ({0})

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Aber die 16 000 bleiben!

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Das habe ich nie bestritten. Die Zahl kenne ich genauso gut wie Sie, Herr Kollege Kather. Mit Aufbaudarlehen für den Wohnungsbau sind rund 700 000 Wohnungen für Geschädigte gebaut worden. Hierzu kommen noch die statistisch nicht erfaßten Fälle, in denen die Länder über die Wohnraumhilfe-Mittel des Lastenausgleichs ohne Aufbaudarlehen den Bau von Wohnungen mit finanziert haben. Ich betrachte es als eine Pflicht, auch in der Zukunft den Eigentumsgedanken besonders zu fördern und den Geschädigten wieder zu Eigentum zu verhelfen. Selbstverständlich sind auch die anderen Aufgaben, die der Lastenausgleich erfüllt hat und erfüllt, von größter Bedeutung. Über 1,2 Millionen Menschen haben bisher Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente erhalten. Im Augenblick sind es annähernd 900 000, die diese Leistungen bekommen und denen damit wenigstens die Daseinsgrundlage für das Notwendigste gesichert wird. In über 420 000 Fällen hat der Lastenausgleich Ausbildungshilfe gewährt und damit geholfen, der nächsten Generation, der heranwachsenden Jugend, die Ausbildungsmöglichkeiten zu geben, die ihr ihre Eltern wegen der Kriegsfolgen, unter denen sie wirtschaftlich leiden, allein nicht geben können. Die Hausratentschädigung ist in etwa 7 Millionen Fällen beantragt worden. Über 4 Milliarden DM sind für diesen Zweck schon ausgezahlt worden. Lassen Sie mich nur noch kurz die Förderung von Altersheimen, Studentenheimen, Schwesternheimen und vielen anderen sozialen Einrichtungen durch den Lastenausgleich erwähnen. Die Eingliederungsmaßnahmen und die soziale Betreuung gehen weiter. Aber neu hinzu kommt jetzt die Zahlung der Hauptentschädigung des Lastenausgleichs. Ich trete dafür ein, daß für diesen Zweck so schnell und so viel wie nur irgend möglich Mittel bereitgestellt werden. Wenn in den vergangenen fünf Jahren des Lastenausgleichs die Hauptentschädigung wegen der vordringlichen sozialen und Eingliederungsmaßnahmen sowie aus technischen Gründen leider nicht gezahlt werden konnte, so muß jetzt um so kräftiger damit begonnen werden. Die Geschädigten erwarten das mit Recht. Ich halte es für wichtig, daß die Abwicklung der Hauptentschädigung sich nicht bis 1979 hinzieht, sondern wesentlich schneller erfolgt. Über die Maßnahmen, die hierzu zu ergreifen sind, wird gesondert zu sprechen sein. ({0}) Der Erfolg, den sich die Achte Novelle mit ihren großen Verbesserungen auf der Leistungsseite als Ziel setzt, läßt sich offenbar nur dann erreichen, wenn auch die in der Novelle auf der Seite der Abgaben vorgesehenen Beiträge gesichert werden. Ich denke hier besonders an die Beitragsleistung der Länder, wie sie § 6 der Novelle vorsieht. Nur wenn die Länder die ihnen zugedachten weiteren Beiträge auf sich nehmen - und ich weiß, daß dies für die Länder nicht leicht ist -, wird sich das Gleichgewicht mit der Leistungsseite des Lastenausgleichs aufrechterhalten lassen. Der Lastenausgleich käme in eine unhaltbare Lage, wenn man etwa zu den in der Novelle vorgesehenen erhöhten Ausschüttunja sagte, aber die zur Erfüllung dieser Leistungen notwendigen Beiträge ablehnte. Die Gesamtbilanz des Lastenausgleichs läßt sich nicht halten, wenn man etwa auf der Einnahmenseite die zirka 8 Milliarden DM, welche die Länder im Laufe der nächsten 22 Jahre aufbringen sollen, ganz oder zum erheblichen Teil ausfallen lassen wollte. Auswirkungen auf die durch die Achte Novelle begründeten Erwartungen der Geschädigten wären nicht zu vermeiden. Ich bin der 'Überzeugung, daß die Länder sich der Verantwortung, die hier liegt, nicht entziehen und wie zu der Achten Novelle überhaupt auch zu den in der Novelle vorgesehenen Beitragsleistungen ja sagen werden. Wenn die Novelle vom Bundestag und Bundesrat so angenommen wird, wie sie uns vorliegt, werden wir im Lastenausgleich und damit in der Hilfe für die durch Vertreibung und Krieg geschädigten Mitbürger einen großen Schritt weitergekommen sein. Die weitere Auflösung der Vermassung, die Wiederherstellung des sozialen Profils ist das Ziel dieser Novelle. Ihre Durchführung wird auch einen Schritt vorwärts in der europäischen Integration bedeuten. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich darf daraus schließen, daß das Haus nicht in eine allgemeine Aussprache einzutreten wünscht. Ich rufe auf Art. I § 1 Nrn. 1, - 2, - 3, - 4 --5 soweit liegen Änderungsanträge nicht vor. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich nach den Nummern - das ist das, was mit dem schwarzen Rhombus gekennzeichnet ist - abstimmen lasse. - Wird zu den aufgerufenen Nummern das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Nrn. 1 bis 5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Nr. 6! - Hierzu liegt ein interfraktioneller Antrag auf Umdruck 1000 vor. Wird zur Begründung das Wart gewünscht? - Nicht. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag Umdruck 1000*). Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen. Ich lasse abstimmen über Nr. 6 in der so geänderten Fassung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Ich rufe auf die Nrn. 7, - 8, - 9, - 10, - 11, -12, - 13, - 14, - 15. - Soweit liegen keine Änderungsanträge vor. Wird zu den aufgerufenen *) Siehe Anlage 3 Nrn. 7 bis 15 das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse abstimmen. Wer für die aufgerufenen Nummern ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Nr. 16! - Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Atzenroth und Genossen auf Umdruck 999*) unter Ziffer 1 vor. Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Auch diese Achte Novelle bringt auf der Abgabenseite für den Lastenausgleich noch nicht alle notwendigen Änderungen und Verbesserungen. ({0}) Ich wiederhole Ihnen, was ich immer wieder erklärt habe, daß der größte Teil der Aufbringungspflichtigen die Leistungen ohne Schwierigkeiten erbringen kann und daß er sie erbringen muß. Die Schwierigkeiten, von denen ich spreche, berühren den verhältnismäßig kleinen, aber um so empfindlicher getroffenen Toil, dem es wirtschaftlich außerordentlich schwer fällt und aus dem eine große Zahl von Verbesiserungswünschen vorgebracht worden ist. Diese Wünsche sind an mich herangetragen worden. Ich habe trotzdem Abstand genommen, sie in die Form von Anträgen hier im Plenum zu kleiden, eben sie mir dafür noch nicht reif erscheinen; die Erfahrungen reichen noch nicht so weit, daß man diese Anträge hier begründet verteidigen könnte. Ich habe mich auf ein Teilgebiet beschränkt, das uns allen von Anfang an Sorgen gemacht hat, nämlich die Frage, in welchem Umfang derjenige, der selber sehr schwer, zu 80 % und mehr, geschädigt worden ist, noch zu den Abgaben des Lastenausgleichs beitragen soll. Grundsätzlich haben wir damals im Jahre 1952 die Ansicht vertreten: auch wer nur 20 % oder gar nur 10 % seines Vermögens behalten hat, soll von der verbliebenen Menge noch die Hälfte abgeben wie andere Abgabepflichtige auch. Dieser Standpunkt ist schon bei den Beratungen des ersten Lastenausgleichsgesetzes erschüttert worden. Wir haben uns aber bei der Verabschiedung des Gesetzes nicht dazu entscheiden können, hier die notwendigen Hilfen und Erleichterungen zu gewähren. Erst in einer späteren Novelle hat der Druck der Verhältnisse dazu geführt, daß gewisse Erleichterungen eingeführt wurden. Aber auch diese Erleichterungen haben sich in der Praxis als unzureichend herausgestellt. Der Ausschuß hat diese Tatsache anerkannt und im wesentlichen die notwendigen Folgerungen gezogen. Das erkenne ich durchaus an, und ich habe auch, abgesehen von einigen Punkten keinerlei Einwendungen gegen die Beratungen des Ausschusses zu erheben. Aber man ist nicht ganz über seinen Schatten gesprungen; soweit hat man sich nicht durchringen können. Man hat zwar in dieses Gesetz die notwendigen Erleichterungen für die schwer geschädigte Wirtschaft eingebaut, will aber diese Erleichterungen erst vom 1. April 1957 an gewähren und will es für die abgelaufene Zeit dabei belassen, daß eventuell der § 131 der Reichsabgabenordnung herangezogen wird. *) Siehe Anlage 4 ({1}) Darin sehe ich einen Mangel. In den allermeisten Fällen, die hier betroffen werden, ist gar keine Zahlung geleistet worden, sondern es ist Stundung ausgesprochen worden. Die Betriebe werden nun in der Hoffnung, daß diese Stundungen nach der neuen Regelung einmal in echte Erlasse umgewandelt werden, bitter enttäuscht. Sie werden darauf verwiesen, daß die Finanzämter im einzelnen nach diesem bekannten, ich möchte beinahe sagen: ominösen § 131 der Reichsabgabenordnung entscheiden sollen. Das halte ich für unzureichend. Deshalb geht mein Antrag dahin, daß die Erleichterungen und Erlaßgrundsätze, die diese Novelle den betroffenen Kreisen ab 1. April 1957 bringen soll, auch rückwirkend für die Zeit gelten, in der bisher Stundung gewährt worden ist. Das ist ein billiges Verlangen, dem man zustimmen sollte, da, wenn man ihm folgt, sich damit an den Grundsätzen, die der Ausschuß selber erarbeitet hat, nichts geändert.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Kunze! Als Berichterstatter? - Nicht als Berichterstatter.

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr schade, daß Kollege Atzenroth infolge seiner sehr starken anderweitigen Belastung keine Möglichkeit hatte, an den Beratungen des Lastenausgleichsausschusses teilzunehmen. Sie müßten aber durch Ihre Kollegen erfahren haben, daß wir uns mit kaum einem Problem so viel Mühe gegeben haben wie mit dem Problem, das in § 13 Abs. 4 des Feststellungsgesetzes und § 47 des Lastenausgleichsgesetzes angesprochen ist. Die Lösung, die wir durch die Regelung in § 47 a gefunden haben, trägt dem Rechnung, was wir seinerzeit als Bundestag versprochen haben. Damals ahnten wir nicht, welche Größenordnung der durch die Berücksichtigung von Kriegssachschäden eingetretene Aufkommensrückgang annehmen werde. Auf Grund der Erfahrungen haben wir jetzt festgestellt, daß wir mit wesentlich weniger zu rechnen brauchen. Darum ,der Einbau von § 47a! In vielen Fällen, in ,denen § 47 zwar zur Anwendung kam, aber nicht mit Iden gewünschten Wirkungen - wir haben auch ,davon Kenntnis gehabt und haben uns das selbstverständlich berichten lassen; wir wollen nämlich kein Unternehmen durch den Lastenausgleich in den Konkurs treiben, das ist doch eines unserer großen wirtschaftspolitischen Ziele gewesen -, haben wir gesagt: wir haben doch die Stundungsmöglichkeit. Ich warne aber davor, jetzt als Gesetzgeber zu sagen: da, wo wir gestundet haben, soll ohne weitere Nachprüfung die Stundung jetzt in einen endgültigen Erlaß verwandelt werden. ({0}) Von der Verwaltung, mit der wir diese Dinge besprochen haben, ist uns erklärt worden, daß sie in den Durchführungsverordnungen und Rechtsverordnungen zu § 131 der Reichsabgabenordnung selbstverständlich den Grundsatz des Gesetzgehens halten will. Darum bitte ich sehr herzlich, ändern Sie nichts an diesen kombinierten Bestimmungen, die paralleler Art sind: § 13 Abs. 4 mit den Ergänzungen, die wir getroffen haben, sowie §§ 47 und 47a. Wir geraten sonst vor lauter Unbekannte, wo keiner von uns weiß, was zum Schluß dann herauskommt. Ich möchte uns davor bewahren, daß wir vielleicht in drei Monaten, wenn wir noch zusammen sein sollten, noch einmal eine Novelle machen müssen. Wir wollen doch jetzt einmal der Verwaltung die Chance geben, zu arbeiten; sie wird sonst unter dem Druck neuer Novellierungspläne nicht zur Arbeit kommen. Darum bitte ich, aus diesen rein sachlichen Gründen, dem Antrag des Kollegen Atzenroth nicht stattzugeben. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth!

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kunze, wenn ich auch an den Beratungen des Ausschusses nicht teilgenommen habe, kann ich doch sagen, daß ich die Materie voll und ganz kenne. Ich bin von Ihren Ausführungen nicht überzeugt. Was hier geschieht, ist ein Messen mit zweierlei Maß. Derselbe Tatbestand, der am 1. Januar 1957 - um dieses Beispiel zu bringen - vorlag, wird ab 1. April 1957 mit anderen Maßen gemessen, nämlich mit den Maßen dessen, was der Ausschuß erarbeitet hat. Aber für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. März 1957 sollen die Maßstäbe des § 131 der Reichsabgabenordnung, gelten. Wer den § 131 der Reichsabgabenordnung kennt, weiß, daß er nur in Frage kommt, wenn ganz besondere Umstände vorliegen, und die haben mit dem Lastenausgleichsgesetz eigentlich nichts zu tun. Ich kann also nicht einsehen, warum man hier plötzlich wieder einen der berühmten und leider berüchtigten Stichtage festgesetzt hat. Wir haben uns über Stichtage immer lange unterhalten; es ist sehr schwierig, Stichtage festzusetzen, das gebe ich zu. Aber hier braucht man keinen Stichtag. Für die ganze Zeitdauer gilt derselbe Tatbestand. Es müßte deshalb hier auch mit denselben Maßstäben gemessen werden. Es könnte sogar verfassungswidrig sein, wenn man zwei Abgabepflichtige, von denen der eine im ersten Vierteljahr und der andere im zweiten Vierteljahr betroffen wird, verschieden behandelte. Das geht doch nicht. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten, damit ich mich nachher nicht noch einmal zu Wort melden muß, gleich den zweiten Teil meines Antrags begründen, denn er betrifft dieselbe Materie. Ich spreche hier von den Abgabepflichtigen, die besonders stark geschädigt worden sind. Nur auf sie beziehen sich meine Anträge. Bei ihnen hat sich bei der Feststellung dieses Schadens eine zweite Schwierigkeit ergeben. Nach dem Feststellungsgesetz wird das Vermögen vom 1. Januar 1940 und das Vermögen am Währungsstichtag miteinander verglichen, und die Differenz stellt den Schaden dar. Es hat sich herausgestellt, daß dieser Vermögensvergleich mit den Maßstäben, die bisher von der Finanzverwaltung angelegt wurden, nicht anzustellen war. Es werden verschiedene Dinge miteinander verglichen. Die Einheitswerte vom 1. Januar 1940 sind nicht ohne weiteres mit den Einheitswerten vom Währungsstichtag gleichzusetzen, obgleich sie denselben Vermögensgegenstand betreffen. Daneben treten andere Schwierigkeiten auf. Auch hier hat der Ausschuß die Notwendigkeit einer Änderung eingesehen und gesagt, um diese Schwierigkeiten zu beheben, können dem Anfangsvermögen gewisse Werte hinzugefügt und vom Endvermögen gewisse Werte abgezogen werden. Das ist alles in Ordnung; das hat der Ausschuß sehr sorgfältig erarbeitet. Aber nun sagt der Aus({0}) Schuß weiter: Nur das, was ich hier genannt habe, kann hinzugefügt und abgesetzt werden. Darin sehe ich die zweite Schwierigkeit. Die Bewertungsfragen sind so vielgestaltig, daß es einfach nicht in dem Vermögen eines Ausschusses oder eines Parlamentes liegt, mit dem Anspruch auf Vollständigkeit aufzuzählen, was alles notwendig ist, um einen gerechten Ausgleich herzustellen. Während man bei den Fragen, auf die sich der erste Teil meines Antrages bezieht, der Finanzverwaltung sehr viel mehr Rechte geben will - sie soll selbst entscheiden können, wo sie nach § 131 handeln und Nachlässe gewähren kann -, will man hier ihr Ermessen völlig ausschalten. Hier soll der Finanzverwaltung nicht gestattet sein, ein plötzlich neu auftretendes Moment, das ursächlich auf denselben Tatbeständen beruht, in der Praxis auch anzuerkennen. Deswegen geht mein Antrag dahin, vor den vom Ausschuß erarbeiteten Möglichkeiten des Zuschlages oder Abschlages das Wort „insbesondere" einzufügen, so daß die aufgezählten einzelnen Vergünstigungen nicht Ausschließlichkeitscharakter haben, sondern für die Finanzverwaltung die Möglichkeit besteht, gewisse Erweiterungen vorzunehmen. Beide Anträge liegen im Interesse derjenigen Kreise, denen die Aufbringung besonders schwerfällt. Ich wiederhole gerade im Hinblick auf einige Ressentiments, die auf seiten des BHE gegen meine Anträge bestehen: ich habe nicht die Absicht, denjenigen, die die Vermögensabgabe tragen können, irgendeine zusätzliche Erleichterung zu verschaffen. Dahin geht keiner meiner Anträge. Sie betreffen nur die Kreise, die eigentlich voll und ganz auf die Verteilerseite gehörten, die sich die Hoffnung machen dürften, selber sehr viel mehr zu bekommen als das, was sie nach der vorliegenden Regelung erhalten sollen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Kunze!

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mit wenigen Sätzen auf folgendes hinweisen. Das „insbesondere" wäre eine höchst gefährliche Klausel. Wir haben im Ausschuß bei der Beratung des Katalogs zu § 13 Abs. 4 sehr sorgfältig alle Möglichkeiten und Notwendigkeiten geprüft. Wir verschieben mit der Einfügung des Wortes „insbesondere" die Aufgabe des Gesetzgebers auf die Exekutive, die dann auszulegen hat: Was ist „insbesondere"? Und es erschien uns entscheidend, jetzt zum Abschluß und zur Ruhe zu kommen. Herr Kollege Atzenroth, wenn wir nach Ihrer Linie gegangen wären, hätten 'wir nicht dreimal dasselbe in § 47 a machen dürfen, sondern nur zweieinhalbmal. Weil der Deutsche Bundestag im Jahre 1952 beschlossen hat, daß 100 Millionen DM für diesen Zweck zur Verfügung stehen, haben wir formuliert: vom 1. April 1957 an. Damit haben wir diesen Beschluß verwirklicht. Das hat einen ganz praktischen Grund, der ruhig offen ausgesprochen werden kann: Wir können uns den Luxus nicht leisten, daß der Lastenausgleichsfonds in diesem Jahr einfach 300 Millionen DM weniger einnimmt. Wir brauchen das Geld, und darum muten wir den Menschen zu, das so anzunehmen. Ich bin davon überzeugt, daß 90 bis 95 % aller Betroffenen damit zufrieden sein werden. Ich bitte, beide Anträge abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 999*) Ziffer 1. Über die Ziffer 2 des Änderungsantrags wird erst nach Aufruf von Art. I § 2 abgestimmt. Wer der Ziffer 1 des Umdrucks 999 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt. Nr. 16 in der Fassung des Ausschusses! Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Ich rufe Nr. 17 auf. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Nr. 18! Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 998**) der Abgeordneten Miller, Dr. Lindrath und Genossen vor. Zur Begründung Herr Abgeordneter Miller!

Anton Miller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir selber leid, daß ich bei dieser Gelegenheit wieder einmal das Problem der Sowjetzonenflüchtlinge anschneiden muß; aber letzten Endes ist es ja nur das Lastenausgleichsgesetz, das den Sowjetzonenflüchtlingen die Unterhaltshilfe, die Hausratshilfe usw. zur Eingliederung gibt. Sie werden sich erinnern, daß ich bei jeder Vertriebenen- und Flüchtlingsdebatte im Namen der Sowjetzonenflüchtlinge für etwas mehr Gerechtigkeit und Gleichberechtigung eingetreten bin. Ich habe zuletzt in der 129. Sitzung am 10. Februar 1956 an Hand von Zahlen aufgezeigt, was die Sowjetzonenflüchtlinge im Verhältnis zu den anderen Geschädigtengruppen aus dem Lastenausgleich bekommen. Ich möchte diese Zahlen heute nicht wiederholen, sondern nur die Bitte aussprechen, die Sowjetzonenflüchtlinge den anderen Geschädigtengruppen in etwa gleichzusetzen. Ich stelle fest, daß die Kriegssachgeschädigten und die Heimatvertriebenen, soweit sie einen Vermögensschaden erlitten, andererseits aber Vermögen haben, eine Ermäßigung der Vermögensabgabe gemäß § 47 erhalten. Es ist dort eine Aufteilung in Schadensgruppensätze vorgenommen, und zwar geht es so weit, daß bei mehr als 400 Schadenspunkten die Abgabe vollkommen wegfällt. Bisher hatten die Sowjetzonenflüchtlinge, selbst wenn sie neun Zehntel ihres Vermögens oder noch mehr verloren hatten, diese Vergünstigung nicht. Schon im ersten Lastenausgleichsgesetz ist diesen Personengruppen gegenüber eine Ungerechtigkeit geschehen, und an mich ist immer wieder die Frage herangetragen worden: Warum bekommen die anderen Ermäßigung und wir nicht? Man wird nun sagen, die Sowjetzonenflüchtlinge hätten die Hoffnung auf die Wiedererlangung ihres Vermögens bei der Wiedervereinigung und könnten daher keine Hauptentschädigung und auch keinen Nachlaß für die Vermögensabgabe erhalten; denn nur um die Vermögensabgabe handelt es sich in dem angesprochenen Paragraphen. Hierzu muß ich Ihnen sagen, daß der Sowjetzonenflüchtling bis jetzt mehr als acht Jahre gewartet hat. Er glaubt, er könne jetzt zumindest in Form einer Stundung das gleiche bekommen, was die anderen Geschädigtengruppen berechtigterweise erhalten. *) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 5 ({0}) Weil man eingesehen hat, daß es ein Unrecht wäre, die Sowjetzonenflüchtlinge überhaupt nicht zu berücksichtigen, hat man in der achten Novelle, die wir heute beraten, einen neuen § 55 a eingefügt, wonach eine 10%ige Ermäßigung eintreten soll, wenn dem Vermögen in größerem Ausmaß Schäden gegenüberstehen. Die Betroffenen erkennen in dieser Bestimmung den guten Willen an, aber sie sagen, daß ein ungerechter Maßstab angewandt werde. Während die anderen Geschädigtengruppen je nach der Höhe der Schadensgruppe vollkommen frei sind, soll der Sowjetzonenflüchtling nur 10 % Ermäßigung erhalten, und er fragt mit Recht, warum hier dieser Unterschied gemacht wird. Man wird ihm, wie schon erwähnt, dann wieder sagen, er bekomme ja sein Vermögen eventuell wieder zurück. Weil aber die Sowjetzonenflüchtlinge selber die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben, bei der Wiedervereinigung wieder in den Besitz ihres Vermögens zu kommen, legen sie Wert darauf, nicht eine 10%ige Ermäßigung, sondern eine Stundung in der gleichen Höhe wie die anderen Geschädigtengruppen zu bekommen, und sie glauben, daß eine solche Regelung ihrem Anliegen gerecht wird. Nun kann man die Frage stellen, wie lange das noch dauern soll. Wir werden über kurz oder lang einmal darüber sprechen müssen - aber das soll dem nächsten Bundestag und der nächsten Regelung vorbehalten bleiben -, wann der Zeitpunkt kommt, wo diese Dinge vielleicht anders gestaltet werden können und müssen. Aber bis dahin können nicht diese Menschen, die im Durchschnitt sechs Siebtel ihres Vermögens verloren haben, im Gegensatz zu den anderen Geschädigtengruppen von dem einen Siebtel die Vermögensabgabe, wie es bisher war, voll leisten. Die neue Regelung kann dann die Entscheidung darüber bringen, wie es künftig weitergehen soll. Man wird vielleicht einwenden, damit müsse automatisch eine Schadensfeststellung verbunden sein, und das sei gefährlich, weil man dann sagen könnte, wir anerkennten damit die drüben in der Zone erlittenen Schäden. Das trifft nicht zu. Schon im § 42 gilt für die Kriegssachgeschädigten, daß sie ihren Schadenglaubhaft zu machen haben. Deshalb sieht auch der Antrag meiner Freunde vor, daß der Antragsteller den Schaden glaubhaft machen muß, daß also keine amtliche Schadensfeststellung vorausgehen muß. Man wird vielleicht weiter einwenden, daß Stundungen sonst nicht üblich seien. Aber ich darf darauf hinweisen, ,daß in § 58 des LAG für andere Abgaben Stundung möglich ist. Also dürfte sie auch den Sowjetzonenflüchtlingen zuzubilligen sein. Man wird vielleicht die weitere Frage stellen: Was kostet denn das den Lastenausgleichsfonds? Meine Damen und Herren, hier möchte ich ein ernstes Wort vorausschicken. Wenn es um das Gerechtigkeitsprinzip, um die Aufrechterhaltung des Gleichheitsgrundsatzes geht, darf man nicht nach den Kosten fragen. ({1}) - Ja, der sollte allgemein gelten. Wo Gerechtigkeit geübt werden muß, da darf man nicht fragen, was es kostet. Die Gerechtigkeit ist ein allgemeiner Grundsatz, den wir alle durchhalten müssen. - Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich trotzdem zu der Frage, was unser Antrag kostet, folgendes sagen. Der Ausfall, der dem Lastenausgleichsfonds entsteht, wenn nach dem Antrag meiner Freunde den Sowjetzonenflüchtlingen anstatt einer 10%igen Ermäßigung der Vermögensabgabe eine Stundung entsprechend der Regelung für die anderen Geschädigtengruppen gewährt wird, ({2}) ist ganz minimal. Denn erstens bezieht sich die Bestimmung nur auf das Vermögen, das am 21. Juni 1948 vorhanden war. Zweitens sollen nach unserem Antrag Vermögen über 100 000 DM nicht zum Zuge kommen, weil wir auch von dem Standpunkt ausgehen, daß es sich hier um eine soziale Maßnahme handelt. Drittens kommen nur diejenigen Sowjetzonenflüchtlinge in Frage, die den Ausweis C haben. Bekanntlich haben diesen Ausweis aber nur durchschnittlich 8 bis 10 % der Sowjetzonenflüchtlinge, und von diesen wenigen haben noch viel weniger zuvor schon ein Vermögen in der Bundesrepublik oder in Westberlin gehabt. Es kann sich also nur um wenige Hunderte handeln. Aber es geht mir in dieser Angelegenheit hauptsächlich darum, den Mitteldeutschen, den Zonenbewohnern klar zu zeigen, daß die Sowjetzonenflüchtlinge hier nicht schlechter gestellt sind als andere Gruppen und daß sie sich daher nicht benachteiligt zu fühlen brauchen. Ich darf noch ein weiteres ausführen. Wir haben doch heute folgende Situation. Diese Sowjetzonenflüchtlinge kämpfen auf der einen Seite um Kredite, um ihre Existenz hier wiederaufbauen zu können. Auf der anderen Seite nimmt man ihnen durch die Vermögensabgabe, die sie leisten müssen, das gleiche Geld wieder ab. Derselbe Staat nimmt ihnen also das Geld ab, um das sie zuvor als Kredit nachgesucht haben. Was das bei den heutigen hohen Zinssätzen bedeutet, brauche ich gar nicht weiter auszuführen. Ich glaube, wir würden diesen Menschen helfen, wenn wir ihnen in den gleichen Schadenshöhegruppen wie den anderen, die den Nachlaß haben, zum mindesten eine Stundung gäben, so daß sie die Gewähr haben, in Ruhe ihren Existenzaufbau vorantreiben zu können. Man wird vielleicht einwenden, das könne eine Sogwirkung ausüben. Meine Damen und Herren, eine Sogwirkung könnte doch nur in ganz anderen Fällen eintreten, aber niemals hier. Denn hier ist ja nur der zu berücksichtigen, der an sich Vermögensabgabe zu leisten hat. Ein weiterer Einwand könnte sein, es hätte politische Wirkungen nach dem Osten. Auch das kann nicht zutreffen. Was soll es denn für eine politische Wirkung nach dem Osten haben, wenn ich jemandem eine Stundung einräume, die es ihm ermöglicht, hier im Westen seine Existenz aufzubauen? Wenn Sie nun sagen: „Eine 10%ige Ermäßigung ist doch auch kein Pappenstiel!", so lassen Sie mich an Hand einiger weniger Zahlen darlegen, daß diese Maßnahme tatsächlich nicht ausreichend sein kann. Wenn jemand - wie ich vorhin schon sagte - im Durchschnitt sechs Siebtel seines Vermögens drüben lassen mußte und hier aus 10 000 DM Vermögen die Vermögensabgabe zu leisten hat, erspart er bei einer 10%igen Ermäßigung 3,75 DM im Vierteljahr. Nun frage ich Sie, ob man mit 3,75 DM die Welt umreißen kann. ({3}) - Bitte, bei 20 000 RM Vermögen sind es 11,25 DM, bei 30 000 RM Vermögen sind es 15 DM, bei 50 000 RM Vermögen sind es 37,50 DM, bei ({4}) 100 000 RM Vermögen sind es 75 DM Abgabeermäßigung im Quartal. Wenn ich aber dem gleichen Mann so wie den anderen Geschädigtengruppen, nicht mehr und nicht weniger, eine Stundung seiner gesamten Abgabe - darauf will ich ja hinaus, Herr Schütz - zubillige, dann kann er damit etwas anfangen; dann sind es Beträge, die für ihn mehr bedeuten als die 10%ige Ermäßigung. Aber ich wiederhole: weil der Sowjetzonenflüchtling daran glaubt, daß er wieder einmal zu seinem Vermögen kommt, will er ja gar keinen Erlaß, wie ihn die anderen haben, sondern er will eine Stundung bis zu dem Tage, an dem die Dinge klarer zu übersehen sind. Dann darf ich noch eines sagen. Es wird vielleicht der Einwand gebracht werden: Dann entsteht ja eine Kluft zwischen den Sowjetzonenflüchtlingen, die hier Vermögen hatten, und denen, die gar keines hatten; denn die erhalten gar keine Stundung. Im Gegenteil! Die Kluft würde entstehen, wenn der eine eine Ermäßigung bekommen soll, während der andere keine kriegen kann, weil er nichts gehabt hat. Wenn aber nur eine Stundung in Betracht kommt, kann sich der andere nicht dagegen auflehnen; denn eine Stundung ist ja keine Ermäßigung. Im übrigen ist es doch so, daß aus den bekannten Gründen beide Gruppen praktisch keine Hauptentschädigung erhalten, weil man ganz mit Recht sagt, daß darüber zur Zeit noch nicht entschieden werden könne und auch die internationale Lage es nicht zulasse. Sie kriegen alle nur Hilfen. Aber man soll demjenigen, der abgeben muß, wenn er im Existenzaufbau ist, wenigstens die Möglichkeit geben, sich die Abgabe stunden zu lassen, und das ist der Zweck dieses Antrags. Wenn Sie den Antrag Umdruck 998*) durchsehen werden, dann werden Sie feststellen, daß die vorläufige Stundung aus sozialen Gründen nur bis zu einem Vermögen von 100 000 DM möglich sein soll. Wir sind der Ansicht, daß die anderen es vielleicht verkraften können, ihre Abgabe wie alle anderen auch zu zahlen. Aber den kleineren Existenzen, den kleineren Vermögen wollen wir helfen. Zum Schluß darf ich noch eines betonen. Wir wollen uns doch in der Rechtlichkeit des Denkens vom Osten unterscheiden. Das können wir nur, wenn wir auch einen Rechtsstaat darstellen und ihn praktisch zum Zuge kommen lassen, indem wir den Flüchtlingen, zum mindesten in der Form einer Stundung, dasselbe einräumen, was wir den anderen in Form eines Erlasses gewähren. Ich bitte Sie, dem Antrag zuzustimmen. ({5})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Kunze!

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere sehr, daß es mir nicht gelungen ist, dem Kollegen Miller in stundenlangen Besprechungen, sei es im Ausschuß, sei es in der Fraktion, klarzumachen, daß der Antrag falsch ist. ({0}) Ich will mich damit begnügen, zwei Momente in den Vordergrund zu stellen. *) Siehe Anlage 5 Bedenken Sie, Kollege Miller, bitte einmal die Konsequenz gegenüber den Vertriebenen. Den Vertriebenen, die hier am Währungsstichtag Vermögen gehabt haben, nehmen wir die Abgabe ab. Den SBZ-Flüchtlingen, die hier am Währungsstichtag Vermögen gehabt haben, wollen Sie die Abgabe stunden. Das ist doch keine gleiche und keine gerechte Behandlung. Zweitens sind wir bei der Erörterung der Fragen, die dann in den §§ 301 und 301 a ihren Niederschlag gefunden haben, von der politischen Entwicklung ausgegangen, die es uns nicht erlaubt, auch nur den Schein aufkommen zu lassen, daß wir in der Frage der Wiedervereinigung nicht einig seien. Hier sind wir doch nun wirklich einig. Wir müssen also den Schein vermeiden, der in einer andersgearteten Behandlung liegt, ({1}) als sie der Ausschuß vorschlägt. Das ist durchdacht worden. Wir gehen hin und sagen: Hauptentschädigung können wir nicht geben. Ich deute an: aus den gesamten auch von Herrn Kollegen Miller dargelegten politischen Gründen. Wir wollen aber - und darum haben wir doch eigens den § 301 a geschaffen - den Sowjetzonenflüchtlingen, dem Kreis, den Herr Kollege Miller anspricht, bis an die Grenze dessen, was politisch tragbar ist, die gleichen Chancen geben. Wir wollen ihm die Hausratentschädigung geben, und zwar - ({2}) - Wir wollen sie ihnen aber geben, ohne daß die Bedürftigkeit nachgewiesen werden muß. Das ist doch der Unterschied. Zum zweiten. Wir stehen vor einer ungeheuer schweren Frage. Eine Firma, die hier ihren Sitz hat, kann wahrscheinlich an Hand ihrer Bücher genaue Nachweise liefern. Die kleinen Leute, die herübergekommen sind und ihr Häuschen verloren haben, bekommen zum größten Teil die Bescheinigungen nicht, die sie brauchen, um ihren Schaden glaubhaft zu machen. Das ist doch die Wirklichkeit. Wir bringen doch die Menschen in Unruhe. Überlegen Sie nun einmal bitte, was die ganz kleinen Leute de facto zu bezahlen haben. Nehmen Sie einen von diesen Leuten, der hier 10 000 Mark Vermögen hatte und drüben alles liegen lassen mußte, weil er wegen drohender Gefahr für Leib und Leben verschwinden mußte. Er hat erstens die 5000-DM-Freigrenze für sich; er hat zweitens die Freigrenze von je 1000 DM für die Ehefrau und gegebenenfalls für die Kinder, und von dem dann verbleibenden Rest muß er zahlen. Ihm wird eine Stundung gewährt, wenn seine Einkommensverhältnisse nicht erlauben, daß er zahlt. Eine Ungerechtigkeit würde in dem Augenblick eintreten, wo wir anfingen, mit lauter Unbekannten zu rechnen, d. h. für nicht beweisbare Möglichkeiten Stundungen in Aussicht zu stellen, deren Größe keiner von uns kennen kann. Wir erwecken damit Hoffnungen, die in Wirklichkeit eine Unbekannte enthalten, so daß Sie vielleicht in einem Jahr bereits sagen würden: Hätte ich doch nicht! Darum muß ich leider bitten, den Antrag meines Fraktionsfreundes abzulehnen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Miller!

Anton Miller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Kunze noch ({0}) einiges sagen zu müssen. Ich möchte die Debatte nicht verlängern, aber es muß einmal gesagt werden: Wenn hier für die Sowjetzonenflüchtlinge eine Stundung ihrer Abgabe beantragt wird, soweit sie gleiche Schadensgrößen haben wie die anderen Geschädigtengruppen, so ist das kein unbilliges Verlangen. Man kann bei den paar Hundert, die hier überhaupt nur in Frage kommen, nicht sagen, daß eine Stundung nicht zu errechnen sei. Hier geht es mehr oder weniger um das Gerechtigkeitsprinzip, wie ich vorhin schon ausgeführt habe. Man kann nicht dem einen die Ermäßigung einräumen und dem anderen überhaupt nichts geben wollen. ({1}) - Bitte, der Vertriebene kann, wenn er Vermögensschaden nachweist, entsprechend den Schadenspunkten Vermögensabgabenachlaß gewährt bekommen. Das sagt der § 47 des Gesetzes. Noch etwas anderes, und hier darf ich dem Herrn Kollegen Kunze erwidern: ich bin nicht der einzige Antragsteller. Vielleicht haben Sie, Herr Kollege Kunze, die Liebenswürdigkeit und sehen sich die Überschrift des Änderungsantrags an. Dann werden Sie feststellen, daß mehrere Kollegen der gleichen Auffassung sind wie ich. Sie sagen, man könnte schwer feststellen, was er verloren hat. Darum habe ich ihm doch die Beweislast zugeschoben. Er muß glaubhaft machen, was er verloren hat, und er wird doch durch Freunde und durch Zeugen, die er hier hat, den Beweis antreten, wie hoch sein Schaden im Verhältnis zu seinem hiesigen Wert ist. Und wenn Sie sagen, man könne hier nicht errechnen, was dabei für den Lastenausgleichsfonds anfalle: Nun, Sie können ja heute auch noch nicht errechnen, was Sie überhaupt an Abgabe erhalten. Sie können doch nicht errechnen, was die Schadensfeststellungen insgesamt ergeben, Herr Kollege Kunze. Sie können doch nicht sagen: An diesem winzig kleinen Fall soll es scheitern. Was den § 301 a und den § 301 angeht, so bin ich dankbar, daß wir in gemeinsamer Arbeit hier eine Verbesserung der Leistungen für die Sowjetzonenflüchtlinge erreicht haben. Aber, Herr Kollege Kunze, es geht doch hier darum, auf der Abgabeseite das Gerechtigkeitsprinzip zum Durchbruch zu bringen; und nur um das geht es hier. Sie haben gesagt, auf der Leistungsseite werde den Sowjetzonenflüchtlingen das gleiche eingeräumt wie den anderen. Ich mußte Ihnen den Zuruf machen: „Das stimmt nicht!", denn bei der Hausrathilfe bekommen sie nur den untersten Sockel. Sie haben gesagt: „ohne Nachprüfung". Das ist ja nach der heute angenommenen Fassung des Gesetzes auch bei den anderen Geschädigtengruppen der Fall. Sie haben andere Dinge erwähnt. Ich will das nicht weiter ausführen. Aber glauben Sie mir: es geht mir hier darum, diesen Menschen aus der Zone das Gefühl zu geben, daß sie weder bei den Leistungen noch bei den Abgaben benachteiligt sind. Darum bitte ich, meinem und meiner Freunde Antrag zuzustimmen. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Keine weiteren Wortmeldungen. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 998*) Ziffer 1. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. *) Siehe Anlage 5 Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich glaube, meine Damen und Herren, die Abstimmung muß wiederholt werden. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die dem Änderungsantrag zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist eindeutig. Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer der Nr. 18 in der Fassung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Nr. 18 ist in der Ausschußfassung angenommen. Nrn. 19 und 20. Keine Änderungsanträge. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den Nrn. 19 und 20 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -Beide Nummern sind angenommen. Zu der Nr. 21 liegt ein noch nicht verteilter Änderungsantrag der Herren Abgeordneten Kunze, Ohlig, Seuffert und Genossen, Umdruck 1005*), vor. Wird er begründet? - Herr Abgeordneter Seuffert.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Abgeordneten Kunze, Ohlig, Dr. von Golitschek und andere beantragen mit einem Antrag, der nicht verteilt ist, der aber dem Herrn Präsidenten übergeben worden ist, zu der Nr. 21 - Neufassung des § 78 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes - in Ziffer 3 des § 78 Abs. 2 nach dem Wort „Rückerstattungsberechtigten" einzufügen: „oder auf Grund einer Übertragung im Sinne des § 27 a, wenn die Voraussetzungen des § 27 a Abs. 2 gegeben sind". Es handelt sich um eine bessere Präzisierung der hier gegebenen Ermächtigung, die auch nach Ansicht des Ministeriums, mit dem die Sache besprochen worden ist, notwendig und zweckdienlich ist. In § 27 a sind gewisse Verfahren nach der Kontrollratsdirektive 50, einem besonderen Rückerstattungsgesetz, in die Sonderregelung für Rückerstattungsfälle im Lastenausgleichsgesetz einbezogen worden. Die Ermächtigung in dieser Ziffer 3 ist eine Ermächtigung für gewisse Rückerstattungsregelungen, und auch diese Ermächtigung sollte auf die neu angeschlossenen Fälle ausgedehnt werden. Wir bitten deshalb im Einvernehmen mit dem Ministerium, dieser Verbesserung stattgeben zu wollen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Wortmeldungen? - Das ist nicht der Fall. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Wer der Nr. 21 in der so geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Angenommen. Nrn. 22, - 23, - 24, - 25, - 26, - 27, - 28, 29, - 30, - 31, - 32, - 33, - 34, - 35, - 36. - Zu diesen Nummern liegen keine Änderungsanträge vor. Wird das Wort zu einer dieser Nummern gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer den aufgerufenen Nummern zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Nun folgt Nr. 37. Hier liegt auf Umdruck 995**) Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE vor. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Kather. *) Siehe Anlage 6 **) Siehe Anlage 7

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst bitte ich den Herrn Kollegen Kunze um Verzeihung, daß ich es wage, hier das Wort zu ergreifen, obwohl ich dem Lastenausgleichsausschuß nicht angehöre. ({0}) Ich will aber ihm zum Troste sagen, daß ich die feste Absicht habe, nicht rückfällig zu werden, wenn ich nicht dazu gezwungen werde. Es soll sich also um 'einen einmaligen Vorgang handeln. Ich bedaure, daß wir auch heute wieder wie so oft bei diesen Beratungen sehen müssen, daß der zuständige Herr Minister, der Herr Bundesfinanzminister, offenbar durch andere wichtige Dienstgeschäfte verhindert ist. ({1}) Über diesen Mangel kann uns auch der Blitzbesuch des Herrn Bundesvertriebenenministers nicht hinwegtrösten; denn wenn er auch der zuständige Minister sein sollte, er ist es nicht. Er hat es auch trotz gemachter Zusage in vier Jahren nicht fertigbekommen, an diesem Tatbestand irgend etwas zu ändern. ({2}) Immerhin ist es, glaube ich, doch bemerkenswert, daß es ihm nicht möglich war, auch nur eine einzige all der Verbesserungen, die er so hervorgehoben hat, schon im Kabinett durchzusetzen. Eine Bemerkung des Herrn Präsidenten zwingt mich, festzustellen, daß der heutige Gesetzgebungsakt für unsere Fraktion keinen Schlußstrich unter den Lastenausgleich bedeutet, und zwar auch dann nicht, wenn unsere Änderungsanträge angenommen werden. Ich kann sagen, daß das auch die einstimmige Meinung aller Geschädigtenverbände ist. Ich möchte noch eine Anmerkung im Hinblick auf den Bericht des Herrn Kunze machen. Es ist sicher richtig, wenn gesagt wird: Wer schnell gibt, gibt doppelt. Aber wenn gesagt wird, Herr Kunze, daß schon 25 % aller Fälle festgestellt sind, dann muß ich dem entgegenhalten, daß in fünf Jahren erst 2,1 % der Hauptentschädigungsfälle entschieden sind. ({3}) - Diese Zahl ist uns aber meines Wissens von amtlicher Seite genannt worden. - In diesem Fall läßt sich also das Sprichwort umdrehen, und wenn so langsam festgestellt wird, führt es letzten Endes dazu, daß nur noch ein Bruchteil gegeben wird. Ich habe den Auftrag, den Änderungsantrag meiner Fraktion auf Umdruck 995*) zu begründen. Der Antrag liegt Ihnen vor. Sein Zweck und sein Inhalt ist es, die Mindestgrenze der Entschädigung auf 6,5 % heraufzusetzen. Es soll also erreicht werden, daß auch bei größeren Vermögen die Degression nicht unter die Grenze von 6,5 % geht. Der Ausschuß hat in seiner Fassung die bisherige Mindestgrenze von 2 % nur unwesentlich überschritten. Die Zahl, die wir vorschlagen, kommt natürlich nicht von ungefähr. Sie ist der Währungsreformgesetzgebung entnommen. Wir sind der Auffassung, daß, wenn jeder Geldbesitz mit 6,5 % aufgewertet worden ist, es dann nicht möglich ist, bei dem Sach- *) Siehe Anlage 7. Wertbesitz unter diese Grenze herunterzugehen. Man hat bei der Währungsgesetzgebung nicht nach der Lauterkeit, mach dem Zeitpunkt des Besitzes und vor allem auch nicht danach gefragt, wieviel Geld in einer Hand gewesen ist. Auch solchen, die Millionenbeträge gehabt haben, ist 'die streng quotale Entschädigung gewährt worden. Meine Damen und Herren, diese Zahl von 6,5 % ist ja falsch. Sie ist materiell unrichtig. Das Geld hatte keinen Wert von 100 %. Das Geld hatte diesen Wert bei vielen, wenn nicht bei den meisten, auch nicht in dem Augenblick, als es erworben wurde. Die Währungsreform hat einen Zustand aufgezeigt, der schon bestand und der durch die Inflation, die Geldentwertung, herbeigeführt warden war. Das Geld hatte nicht im entferntesten einen Wert von 100 %, und deshalb waren die 6,5 % eine sehr viel höhere Entschädigung. Ich kann sie Ihnen zahlenmäßig natürlich nicht ausrechnen. Wir bleiben also selbst mit unserem Verlangen auf 6,5 % immer noch weit unter dem, was in der Währungsgesetzgebung wirklich gegeben warden ist. Trotz aller guten Gründe ist dieser Antrag bisher vom Ausschuß nicht gebilligt worden. Ich glaube, man kann 'die Gründe für diese Haltung nur der geschichtlichen Entwicklung, dem Werdegang dieser gesetzlichen Bestimmungen entnehmen. Ausgangsposition war ,der ewig denkwürdige Entwurf des Herrn Bundesfinanzministers Fritz Schäffer zum Lastenausgleichsgesetz. Er sah, wie Sie ,wissen, eine Höchstentschädigung von 15 000 DM vor, also einem Vermägensverlust von 150 000 RM entsprechend. Alle weiteren Vermögensverluste sollten leinfach gestrichen werden. Wir haben damals schon mit Recht gesagt: das Est praktisch eine entschädigungslose Enteignung nicht nur der größeren Vermögen, sondern auch des ganzen aus dem deutschen Osten und Südosten gekommenen Mittelstandes. Damals gelang im Ausschuß zunächst eine Heraufsetzung dieser Höchstgrenze auf 35 000 DM. Dann gelang es in den Koalitionsgesprächen über 'diese Fragen, die viele Wochen lang geführt wurden, zu erreichen, daß sich die Koalition darauf einigte, die Höchstgrenze zu streichen und sich bei den größeren und größten Vermögen bis zu einer Mindestentschädigung von 2 % zu entschließen. Dieser Kompromiß ist dann auch Gesetz geworden. Ich stelle fest, daß die Gegner von damals heute meines Wissens immerhin schonbereit sind, etwas über die 2%-Grenze hinauszugehen, so wie es die Ausschußfassung vorsieht, und daß uns die Entwicklung also recht gegeben hat. Es wäre gerade für mich sehr reizvoll, aus dem Bundestagsprotokoll vom 8. Mai 1952 hier einiges vorzulesen. Ich versage mir das aber, weil es mir nicht auf die Polemik, sondern auf die Sache ankommt. Wir dürfen allerdings auch auf der anderen Seite erwarten, daß man nicht der Versuchung unterliegt, mit einer oberflächlichen, kurzsichtigen und billigen Optik gegen diesen Antrag anzugehen. Der Herr Kollege Miller hat eben den sicher sehr anerkennenswerten Grundsatz aufgestellt: Wo es ums Recht geht, fragen wir nicht nach den Kosten. Nun, meine Damen und Herren, hart im Raume stoßen sich auch hier die Dinge, und es ist vielleicht kaum jemals gestattet, nicht nach den Kosten zu fragen. Aber man muß dann nach anderen Lösungen und Ausgleichen suchen. ({4}) Deshalb möchte ich doch die Frage aufwerfen, um welche Größenordnung es hier geht. Nach unserer Überzeugung handelt es sich um 120 Millionen DM, nach der Ansicht des Bundesfinanzministers um 200 Millionen DM, verteilt auf 30 Jahre. Wir können nicht entscheiden, wo genau die Grenze liegt; aber der tatsächliche Bedarf bewegt sich jedenfalls in dieser Größenordnung. Was ich am 8. Mai 1952 von dieser Stelle aus gesagt habe: es handelt sich um 0,4% des Gesamtaufkommens, das hat in etwa auch heute Geltung. Das zeigt, daß es sich hier wirklich nicht um Summen handelt, die erheblich ins Gewicht fallen. Ich lege Wert darauf, zu betonen, daß unser Vorschlag nicht nur die einstimmige Zustimmung meiner Fraktion gefunden hat, sondern daß er auch von sämtlichen Geschädigtenverbänden getragen wird. Die Haltung dieser Verbände, deren Verdienst am Zustandekommen ;dieser Novelle, die ja wesentlich auf ihren Vorschlägen basiert, nicht unbeachtet bleiben darf, konnte auch keine andere sein, wenn sie von dem Bestreben ;getragen war, die im Grundgesetz verankerte Gleichheit aller vor dem Gesetz in etwa zu verwirklichen. Das zeigen Vergleiche mit anderen Entschädigungsgesetzen. Von der Währungsreform habe ich bereits das Erforderliche gesagt. Wir werden im nächsten Monat voraussichtlich das Kriegsfolgengesetz - das auch nicht -Schlußgesetz, sondern Kriegsfolgengesetz heißen wird - verabschieden, und es ist sicher, daß nach diesem Gesetz die verbrieften Forderungen gegen das Reich und andere Vermögensträger mit 10 % abgelöst oder vergütet werden, ({5}) ohne Rücksicht darauf, wie hoch der Betrag ist, der sich in einer Hand befindet, also nach streng quotalen Grundsätzen. ({6}) Man wird doch nicht sagen können, daß der Grundbesitz unserer Bauern, der städtische Grundbesitz oder der Besitz unserer Gewerbetreibenden aus dem Osten schlechter ist und geringer entschädigt werden darf als verbriefte Geldforderungen gegen das Reich. Die Bundesregierung hat uns vor kurzem einen Gesetzentwurf zur Liquidation der Reichsbank und der Golddiskontbank, Drucksache 2327, vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf sieht für die Anteilseigner eine Entschädigung von 60 % vor. Um voll ermessen zu können, was das bedeutet, muß man sich einen Satz in der Begründung der Bundesregierung ansehen; ich darf ihn mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren: Die zusammengefaßte Umstellungsrechnung der Reichsbank ergibt, wie hoch man auch die Positionen der Restmasse bewerten mag, einen Fehlbetrag von mehreren Milliarden DM. Es handelt sich ,also hier um die 60%ige Entschädigung eines völlig verlorengegangenen Kapitals. Man kann gespannt darauf sein, was der Bundestag zu diesem Gesetzentwurf zu sagen haben wird. ({7}) Dann möchte ich noch ein Gesetz heranziehen, das schon über ein Jahr in Kraft ist, das Gesetz vom 1. Dezember 1955 über die Abgeltung von Besatzungsschäden. Ich zitiere § 7 dieses Gesetzes; er lautet: Die Entschädigung für den Verlust oder die Zerstörung einer Sache bemißt sich nach dem gemeinen Wert, den die Sache im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses hatte. Es wird also konsequent eine hundertprozentige Entschädigung nach dem gemeinen Wert ohne jede Degression, ohne Rücksicht auf die Höhe des Schadens gewährt. Wir aber kämpfen um 6,5 % vom Einheitswert. Daraus zeigt sich schon, daß es gar keine 6,5 % sind, um die es geht, sondern bestenfalls 3%, schon hoch gegriffen. Wenn man sich weiter vergegenwärtigt, daß diese Beträge ganz fraglos - und damit sind wir ja auch einverstanden - zuletzt zur Auszahlung drankommen, dann wird einem klar, wie bescheiden, ja, wie unzulänglich selbst unser Antrag noch ist. Ich möchte diese Gelegenheit aber nicht vorübergehen lassen, ohne über den Rahmen dieser Spezialfrage hinaus grundsätzlich etwas zum Einheitswert zu sagen. Solange der Einheitswert auf der Entschädigungsseite maßgeblich ist, werden sämtliche Geschädigtengruppen niemals das Empfinden haben, gerecht behandelt zu werden. ({8}) Der Einheitswert ist ein fiktiver, ein falscher Wert und muß notwendig zu ungerechten Ergebnissen führen. Abschließend möchte ich noch eins mit besonderem Nachdruck hervorheben. Wir haben gehört, in welcher Größenordnung sich unser Anliegen bewegt. Da muß ich daran denken, wie wir hier im Bundestag den Fall Röchling behandelt haben. Damals bestand gar kein Zweifel, daß eine volle Entschädigung zu geben ist. Es ging bloß darum, ob es 130 Millionen oder 200 Millionen sind oder ob sich die Zahl dazwischen bewegt. Genauso ist die Größenordnung, um die es heute geht. Der Bundestag war damals fraglos bereit, der Familie Röchling diesen Betrag zu geben. Sollte er heute nicht bereit sein, für die gesamten größeren Vermögen aus dem deutschen Osten und Südosten - einschließlich der Geschädigten aus der Bundesrepublik - die gleiche Summe zu bewilligen, die er einer einzigen Familie an der Saar geben wollte? ({9}) Wenn man sich das einmal mit allen Konsequenzen überlegt, dann kann die Beantwortung dieser Frage wohl nicht zweifelhaft sein. Meine Damen und Herren, es geht - darin stimme ich mit dem Kollegen Miller überein, und deshalb habe ich auch für seinen Antrag gestimmt - hier um eine Frage des Rechts und um die Anerkennung des Rechtsdenkens im Prinzip. Ich glaube, ich habe Ihnen mit aller Deutlichkeit aufgezeigt, daß in vielen Fragen bisher mit zweierlei Maß gemessen wurde und gemessen wird. Unser Antrag bezweckt, ein handgreifliches Unrecht in bescheidensten Grenzen auszugleichen. Sie sollten einem solchen Antrag die Zustimmung und den Erfolg nicht versagen. Wohin die Entwicklung geht, haben wir gesehen; das habe ich aufgezeigt. Es ist nicht gut, hinter einer Entwicklung herzuhinken. Wenn Sie heute ja sagen, so werden Sie es mit einem großen Nutzeffekt tun. Dieser wird aber ausbleiben, wenn Sie erst unter dem Druck einer unhaltbar gewordenen Situation nachgeben. Sie ({10}) werden mit diesem Ja nicht nur den Betroffenen, nicht nur sich selbst, sondern auch dem Ansehen des Parlaments einen Dienst erweisen. ({11})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Kather, ehe ich frage, ob jemand dazu das Wort wünscht, möchte ich doch auf eine Bemerkung eingehen, die Sie zu Eingang Ihrer Ausführungen gemacht haben. Herr Abgeordneter Kather, ich hatte nicht die Absicht, irgendeine andere Feststellung als die zu treffen, daß nach meiner Information mit der Verabschiedung des vorliegenden Entwurfs dieser zweite Bundestag seinen Beitrag zu dem schwierigen Werk der Lastenausgleichsgesetzgebung abgeschlossen haben wird. ({0}) Was künftige Bundestage tun - nicht nur der dritte, sondern vielleicht auch noch spätere -, das, meine Damen und Herren, vorauszusagen, geht über die Kraft eines Präsidenten, solange er nicht mit prophetischen Gaben ausgestattet ist; ich bin es jedenfalls nicht. ({1}) Nun frage ich, ob zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht wird. - Herr Abgeordneter Schütz!

Hans Schütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002094, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gar nicht die Absicht, etwa gegen den Antrag des Kollegen Kather zu sprechen. ({0}) Ich habe nur die Absicht, dem Hause die Motive für den Beschluß des Ausschusses in dieser Sache auseinanderzusetzen. Als wir uns mit der Festsetzung der Höhe der Entschädigung für die einzelnen Gruppen auseinandersetzen mußten, waren wir alle ohne Unterschied der Fraktion darüber einig, als Ziel anzustreben, mit einer Entschädigung eins zu eins bei 5000 Mark zu beginnen, und wir verständigten uns auch sehr bald darüber, das andere Ziel anzusteuern, oben bei 6 1/2 % zu enden. Als wir dann die Rechnungen vorgelegt bekamen - Herr Kollege Kather hat eben gesagt: ganz ohne Blick auf die materielle Deckung kann man niemals entscheiden -, mußten wir uns zu unser aller Leidwesen entschließen - es hat keinen einzigen gegeben, der es nicht bedauert hat -, bei 4600 Mark als unterer Grenze zu beginnen, wo wir eine Entschädigung zu 100 % vorgesehen haben. Das war der erste Grundsatz. Der zweite! Man mag darüber denken, wie man will, aber der Ausschuß hatte das löbliche Bemühen, in den entscheidenden Fragen sich möglichst über alle sonstigen Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg zu verständigen. Bei diesem Bemühen erwies es sich, daß eine Voraussetzung für diese Verständigung die war, so, wie wir unten etwas nachlassen mußten, auch bei der oberen Grenze etwas nachzulassen. So ist der Beschluß - bei zwei Stimmenthaltungen und ohne Gegenstimmen; Herr Kollege Klötzer, so war es! - zustande gekommen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen aber einmal sagen, wie es sich in Wirklichkeit materiell auswirkt. Wenn wir bei 1 Million mit 6 1/2 % enden und dann so, wie es der Vorschlag vorsieht, aufstocken, beträgt die Entschädigung bei einem Schaden von 2 Millionen 5 1/2 % - und nicht, wie es hier steht, 2 1/2 -, bei 3 Millionen 4,17 %, bei 4 Millionen 3,75 % bei 5 Millionen 3,46 %, bei 10 Millionen 2,93 %, und erst bei 100 Millionen Schaden kommen die 2 1/2 % heraus. ({2}) - Der Einheitswert gilt aber nicht bloß bei den Millionenvermögen, Herr Kollege Klötzer, der Einheitswert gilt auch bei den kleinen Vermögen. ({3}) Darüber brauchen wir einander doch nicht zu belehren. Ich stimme dem Kollegen Kather auch zu, wenn er sagt: Eine Größenordnung, die materiell gesehen entscheidend wäre, ist es nicht. ({4}) - Natürlich, Herr Kollege Kather. Das Ganze ist eine psychologische Angelegenheit. Die Entschädigung nach dem Gesetz, das wir heute beschließen, erfolgt wie bei dem alten quotal und nach gewissen sozialen Grundsätzen. Von dieser Doppelgleisigkeit her ist der Ausschuß - ich wiederhole: ohne Gegenstimmen - zu diesem Vorschlag gekommen. Von meinen politischen Freunden werden nicht alle für den Ausschußvorschlag stimmen. Ein Teil meiner Freunde wird für den Änderungsantrag des Kollegen Kather und seiner politischen Freunde stimmen. Ich hielt es aber für richtig, eine Darstellung zu geben, von welchen Motiven sich der Ausschuß leiten ließ. Eine Bemerkung noch! Mit der Eigentumsfrage als solcher hat dieser Entschluß, gleichgültig, ob er so oder so ausfällt, nichts zu tun. Von der Entscheidung her, ob jemand für ein verlorenes Eigentum mit 6 1/2 oder 5 1/2 v. H. entschädigt wird, kann ich nicht ableiten, wie der, der entscheidet, zum Eigentum als solchem steht. Ich wiederhole: die Mehrheit meiner politischen Freunde wird für die Ausschußvorlage stimmen, ein Teil wird dem Antrag des Kollegen Kather zustimmen. ({5})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baron Manteuffel-Szoege.

Dr. Georg Manteuffel-Szoege (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001419, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schütz hat bereits darauf hingewiesen, daß ein Teil seiner Freunde die Dinge so und ein Teil die Dinge anders auffaßt. Herr Dr. Kather hat gesagt, daß es im Bundesgebiet ganze Kategorien gibt, die zu 100%, zu 60%, jedenfalls in einem sehr hohen Maße entschädigt werden und außerdem noch den Vorteil haben, daß sie rascher entschädigt werden, was im menschlichen Leben eine ungeheure Rolle spielt. Es gibt sogar eine Gruppe, von der man immer wieder sagt, sie sei zu über 100% entschädigt worden; das sollen Besatzungsgeschädigte sein. ({0}) Wir Vertriebene freuen uns über jeden, der gut entschädigt wird. ({1}) Denn anders zu denken, wäre Neid und häßlich. Ich habe auch volles Verständnis dafür, wenn man heute dem Eigentumsbegriff nicht so gegenübersteht wie im vergangenen Jahrhundert, in dem er vielleicht hypertrophiert war und in dem man durch die Art, wie man das Eigentum behandelt hat, manche Schuld auf sich geladen hat. Ich glaube aber doch, daß wir damit an etwas rühren, was erheblich über das hinausgeht, was in den Gesetzestexten steht. Darum spreche ich hier, und zwar nicht als Vertriebener, nicht als Besitzender oder Nichtbesitzender, sondern als Deutscher. Ich kann mich nach dem, was dargestellt worden ist, des Eindrucks nicht erwehren, daß die Entscheidung, ob man nun 6 1/2% gibt oder nicht, zahlenmäßig unendlich viel weniger zu Buche schlägt als eine Fülle anderer Ausgaben, denen wir zugestimmt haben. ({2}) Aber ich fürchte, daß bei vielen, vielen Menschen - vielleicht nicht ganz so, wie es mein Freund Schütz sagt - das Gefühl bleiben wird: Hier hat man den Eigentumsbegriff mit Füßen getreten. ({3}) Dieses Gefühl wird bei diesen Menschen bleiben, wenn es vielleicht auch nur wenige sind. Ein großes Unrecht an wenigen rächt sich manchmal stärker als ein kleines Unrecht an vielen. Auf mich macht hier eine Sache einen erheblichen Eindruck. Ich glaube, unter allen Vertriebenenvertretern, welcher Partei sie auch angehören, sind nur sehr wenige, die viel verloren haben. Wenn sich diejenigen, die vorher arm waren und jetzt arm geblieben sind, für den Grundsatz einer gerechten Verteilung einsetzen, sollte das meinem Empfinden nach erheblich zu denken geben. Wir sollten uns auch fragen, warum wir plötzlich einen Grundsatz preisgeben sollen, nur um einen kleinen Betrag zu sparen. Ich fürchte, daß diejenigen, die heute noch beati possidentes sind und denen wir es von Herzen gönnen, possidentes zu sein, einmal bedauern werden, hier die Axt an die Wurzel eines Baumes gelegt zu haben; denn es geht um erheblich mehr als nur darum, was man den Vertriebenen gibt oder nicht gibt. Aus diesem Grunde unterstütze ich von ganzem Herzen diesen Antrag. Es gibt bei aller Meinungsverschiedenheit unter den Parteien, glaube ich, keinen, der den Eigentumsbegriff restlos ablehnt, und auch keinen, der restlos die Eigentumsvorstellung vergangener Zeiten teilt. Man mag bei der Formulierung vielleicht an dem oder jenem Punkt noch weit auseinandergehen; aber ich fürchte, es könnte von denen, die noch etwas zu verlieren haben, einmal bereut werden, daß sie einem Grundsatz untreu geworden sind. Darum setze ich mich nicht nur als Vertriebener, sondern auch als Glied der Bundesrepublik mit allem Nachdruck für diesen Antrag ein. ({4})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Kraft.

Waldemar Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001191, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Ausführungen, die hier gemacht worden sind, nicht weitere anfügen, die im Grunde nur Wiederholungen wären, wie man sie auch formulieren mag, sondern mir lediglich erlauben, auf die Tatsache hinzuweisen, daß unter den Geschädigten ,des Krieges, insbesondere unter den Vertriebenen, das Gefühl sehr weit verbreitet ist, daß sie ungünstig behandelt sind. Dieses Gefühl würde in außerordentlichem Maße gestärkt werden, wenn unter den Satz von 6,5% heruntergegangen würde, der sicherlich irgendwie zufällig entstanden ist, der aber doch im Bewußtsein der Bevölkerung - nicht nur der Geschädigten - allgemein als Mindestsatz einer Aufwertung und einer Entschädigung gilt. in den letzten Tagen und Wochen habe ich mich sehr eingehend mit der Haltung der Vertriebenen befaßt. ({0}) Ich kann feststellen, das Solidaritätsgefühl ist unter den Vertriebenen so stark entwickelt, daß gerade sie entschieden eine Regelung verlangen, wie sie in dem Antrag vorgesehen ist. Über dieses Solidaritätsgefühl sollten wir uns nicht hinwegsetzen, zumal es auch aussagt, daß ein in Generationen ehrlich erworbenes größeres Vermögen nicht als sittenwidrig bezeichnet werden kann. ({1}) Das einzige Argument, mit dem man diesen Antrag, gegen den rechtlich nichts einzuwenden ist, hätte abwehren können, wäre gewesen, zu sagen, daß der Fonds, der nun einmal seine Rechnung hat, eine Belastung erführe, die die Gesamtrechnung umwerfen würde. Wir haben aber erfahren, daß dieses Argument nicht vorgebracht wird. Ich werde also mit einem Teil meiner Freunde für den Antrag stimmen und bitte die Mitglieder des Hohen Hauses, sich doch weitgehend unserer Auffassung anzuschließen. ({2})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hesberg.

Dr. Carl Hesberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000888, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stehe hier, um den Darlegungen der Kollegen Kraft, Kather und von Manteuffel entgegenzuhalten, was die Auffassung des Ausschusses gewesen ist. Wir sind von der Tatsache ausgegangen, daß dem Gesetz im Jahre 1952 eine sowohl quotale als auch sozial abgestufte Entschädigung zugrunde gelegen hat. Dieser Grundsatz konnte nicht verlassen werden. Entsprechend diesem Grundsatz und entsprechend der Tendenz der bisher vorliegenden Grundbeträge mußte das Mehr des Fonds verteilt werden. Die Konsequenz des Antrags des Kollegen Kather wäre beispielsweise, daß Sie bei einem Schadensbetrag von 3 Millionen DM ein Mehr von 85 % dessen gewähren, was die bisherige Hauptentschädigung vorgesehen hat. ({0}) Auf der anderen Seite finden Sie die mittleren Vermögenslagen mit einem Mehr von etwa 40 bis 50 % ab. ({1}) ({2}) Wenn wir jetzt Ihrem Antrag folgten, würde man uns mit Recht die Frage vorhalten können, warum wir nicht auch die Entschädigungen der mittelständischen und kleinen Vermögen entsprechend aufgewertet hätten. Der Ausschuß hat sich einhellig für die Regelung entschieden, die hier vorliegt, und ich darf Sie im Namen dieser Kollegen bitten, dieser Regelung zu folgen.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Kather.

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Ich muß also doch wortbrüchig werden und noch einmal kurz etwas sagen. Ich habe vorhin gesagt, daß die Geschädigtenverbände ausnahmslos auf dem von mir vertretenen Standpunkt ständen. Aber nach den Ausführungen von Herrn Kollegen Hesberg muß ich annehmen, daß der Grundbesitzerverein, der ja auch ein Geschädigtenverband ist, offenbar nicht dazu gehört. Die Ausführungen von Herrn Kollegen Schütz waren insofern wertvoll, als er zugegeben hat, daß die Größenordnung etwa so ist, wie ich sie angegeben habe, und daß das also nicht der Grund ist, weshalb man diese Regelung im Ausschuß nicht gebilligt hat. Herr Kollege Hesberg, Sie sagen, wir gäben bei einer bestimmten Vermögensgrenze 85 % mehr als nach der bisherigen Regelung. Dabei haben Sie offenbar übersehen, daß unser Antrag, der auf eine Erhöhung von den nach dem geltenden Gesetz gewährten 2 % auf 6,5 % abzielt, 200 % und darüber mehr verlangt. Wenn bisher nur eine Anerkennungsgebühr von 2 % gegeben worden ist, ist es leicht, auf hohe Prozentsätze zu kommen. Aber es ist ja ganz etwas anderes, ob ich auf 50 % 5 % draufschlage oder ob ich auf 2% 5 % draufschlage. - Also das ist eine Deduktion, die überhaupt nicht gemacht werden kann. Das Entscheidende aber, meine Damen und Herren, ist doch, daß Sie die Vergleiche mit anderen Entschädigungsarten und mit der Währungsreform, die ich gezogen habe, in keiner Weise entkräften konnten und deshalb überhaupt nicht darauf eingegangen sind. Die niedrigste Entschädigung, die wir, so weit wir auch blicken, sehen, ist die von 6,5 % bei der Währungsreform; ich habe aber schon aufgezeigt, daß es auch da in Wirklichkeit sehr viel mehr ist. Ist es nun wirklich irgend etwas Unrechtes, ist es nicht vielmehr sehr bescheiden, wenn wir bei diesem Verlust - der ja hier von anderen Herren schon richtig beleuchtet worden ist - die Erhöhung der Anerkennungsgebühr auf 6,5 % beantragen? Wir beseitigen damit noch keineswegs die Ungerechtigkeit z. B. gegenüber der bevorstehenden Regelung im Kriegsfolgenschlußgesetz. Ich bitte also: Überlegen Sie es sich sehr, meine Damen und Herren. Es gibt keine guten Argumente gegen unseren Antrag; aber alle sachlichen Gründe sprechen für ihn. ({0})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Kunze.

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint mir doch notwendig zu sein, einen Gesichtspunkt hervorzuhebn. Es sieht so aus, als ob hier zwei Grundsätze gegeneinander ausgespielt würden, als ob es um die Frage ginge: Anerkennung des Privateigentums oder nicht? Meine Damen und Herren, was wir hier zu entscheiden haben, hat mit der Frage der Anerkennung von Privateigentum wirklich nichts zu tun. ({0}) Wenn Sie hingehen und sagen: „Ich vertrete die Größenordnung 6,5 % als Anerkennungsgebühr", ist doch keine Logik da, wenn Sie in derselben Sekunde auf das Kriegsfolgenschlußgesetz hinweisen und sagen: „Da werden vielleicht 10 % kommen." Dann ist doch die logische Konsequenz, daß Sie sagen: „Den nächsten Großangriff bauen wir auf 10 % auf"; und so bleiben wir noch hundert Jahre, nämlich bis unsere Urenkel einmal Abgeordnete sein können, in diesem Streit. Wir stehen jetzt vor einer Frage, die im tiefsten Grunde ganz simpel ist. Der Ausschuß hat sich nach sorgfältiger Prüfung all der Gesichtspunkte, die hier vorgebracht worden sind, in seiner überwältigenden Mehrheit entschlossen, Ihnen die Vorlage zu machen. Sie beantragen namens Ihrer Fraktion 6 1/2%. Und nun kommen einzelne Kollegen meiner Fraktion und legen - das hat der Kollege Schütz getan - das innere Motiv dar, das uns zu unserem Vorschlag bewogen hat; und andere geben ihrer persönlichen Meinung Ausdruck, man müsse unter allen Umständen auf 6 1/2% gehen. Ich bitte sehr herzlich: lassen Sie es bei dem Beschluß, den der Ausschuß in seiner überwältigenden Mehrheit Ihnen vorschlägt.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Gille.

Dr. Alfred Gille (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000681, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, als ob die Mitglieder des Lastenausgleichsausschusses das Bedürfnis haben, sich irgendwie zu verteidigen, weil sie sich besonders persönlich angegriffen fühlen. Davon kann doch gar keine Rede sein. ({0}) Darum geht es doch nicht. Ich möchte nur noch einen einzigen Gesichtspunkt zur Debatte beitragen. Ich bitte um Verständnis dafür, daß eine große Schicht derjenigen, die auf Entschädigung warten - also hier die Lastenausgleichsberechtigten -, es auf die Dauer als unerträglich empfinden, daß immer wieder eine neue Gruppe von Geschädigten behandelt wird, in der Vergangenheit wie auch jetzt in der Gegenwart und wohl auch in der Zukunft, und daß man bei denen zu ganz anderen Mindestentschädigungen kommt als bei der Gruppe der Vertriebenen und Lastenausgleichsberechtigten. ({1}) Es geht doch letzten Endes darum, diese Folge, die nicht verständlich zu machen ist, zu beseitigen. Wir brauchen deshalb sicherlich nicht so weit zu loten, wie das hier in der Diskussion hin und wieder geschehen ist. Aber, meine Damen und Herren, auch soweit Sie im Lastenausgleichsausschuß zu einer anderen Auffassung gekommen sind, sollten Ihnen die Argumente, die heute vorgetragen werden, die Möglichkeit geben, Ihre Auffassung zu überprüfen, nachdem eine beachtliche Zahl von Abgeordneten zu einer anderen Auffassung gelangt ist, und sich ebenfalls in der Lage zu sehen, den Antrag Dr. Kather und Genossen anzunehmen.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte zu dem Antrag Umdruck 995 Ziffer 1 a. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Antrag. Wer für den Antrag Umdruck 995*) Ziffer 1 a ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zu dem Antrag Umdruck 995 Ziffer 1 b. Wird der Antrag begründet? ({0}) - Er ist durch den soeben gefaßten Beschluß hinfällig geworden. Dann kommen wir zur Abstimmung über Nr. 37 im ganzen. Wer für Nr. 37 in der vorliegenden Ausschußfassung ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ist angenommen. Ich rufe jetzt die folgenden Nummern bis 58 auf, zu denen keine Anträge vorliegen. Ich darf fragen, ob das Haus mit dieser Verhandlungsweise einverstanden ist, ({1}) wobei ich noch einschalten möchte, was der Herr Berichterstatter zu Beginn seines Berichtes gesagt hat, nämlich daß zu Nr. 53 unter b) eine Richtigstellung dahin vorzunehmen ist, daß es nicht „als Belohnung zur Rettung aus Gefahr" heißen muß, sondern: „als Belohnung für Rettung aus Gefahr". Ich rufe also auf die Nrn. 38, - 39, - 40, - 41, - 42, - 43, - 44, - 45, - 46, - 47, - 48, 49, - 50, - 51, - 52, - 53 mit der eben erwähnten Änderung, - 54, - 55, - 56, - 57 und 58. -Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Haus ist darüber einig, daß über diese Nummern gemeinsam befunden wird. Wer den aufgerufenen Nummern in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe auf Nr. 59. Hierzu liegen zwei Anträge vor: auf Umdruck 995*) Ziffer 2 der Antrag der Fraktion des GB/BHE und auf Umdruck 996**) der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, und DP ({2}). Wird zur Begründung des Antrags Umdruck 995 Ziffer 2 das Wort gewünscht? - Bitte, Herr Kollege.

Dr. Otto Klötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001135, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich die übrigen Fraktionen unserem Antrag Umdruck 995 Ziffer 2 angeschlossen haben und somit ein interfraktioneller Antrag vorliegt, braucht eine eingehende Begründung wohl nicht mehr gegeben zu werden.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Ich kann also die beiden Änderungsanträge Umdruck 995*) Ziffer 2 und Umdruck 996**) einheitlich zur Abstimmung stellen. Wer für diese beiden Anträge, die sich vollkommen decken, zu stimmen *) Siehe Anlage 7 **) Siehe Anlage 8 wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Anträge sind angenommen. Ich stelle dann die Nr. 59 in der durch die soeben beschlossene Änderung vorliegenden Fassung zur Gesamtabstimmung. Wer der Nr. 59 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Nr. 59 ist angenommen. Ich rufe dann die nächsten Nummern bis zu Nr. 75 einschließlich auf. Ich darf wohl feststellen, daß das Haus auch hier damit einverstanden ist, daß darüber einheitlich debattiert und abgestimmt wird. Ich rufe also auf die Nrn. 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74 und 75. Ich eröffne die Debatte über diese aufgerufenen Nummern. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den eben aufgerufenen Nummern in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Nummern sind angenommen. Wir kommen zu Nr. 76. Hierzu liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 995*) Ziffer 3 vor. Wird dieser Änderungsantrag begründet? - Bitte, Herr Kollege!

Dr. Otto Klötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001135, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Änderungsantrag zu 295 hat folgenden Zweck. Nach der augenblicklichen Fassung des Gesetzes werden die Zuschläge zur Hausratentschädigung nur den Familienangehörigen zugebilligt, die am 1. April 1952 - also einem vom Gesetzgeber gewählten und, ich muß sagen, ziemlich willkürlich gewählten Stichtag - zur Familiengemeinschaft des Antragsberechtigten gehörten und von ihm wirtschaftlich abhängig waren. Nun gibt es eine Gruppe von Kindern - es sind diejenigen, die im Zeitpunkt der Schädigung etwa 14 bis 20 Jahre alt waren -, die damals bei der Schädigung im elterlichen Haushalt wohnten, für die auch im elterlichen Haushalt Hausrat vorhanden war, die aber zur Zeit des Stichtags bereits aus der elterlichen Familie herausgewachsen waren, sei es durch Eheschließung oder sei es auch nur dadurch, daß sie zwar noch in der elterlichen Familie verblieben, aber nicht mehr wirtschaftlich abhängig waren, weil eben der Junge oder das Mädel inzwischen einen Beruf ausübte und ein kleines Lehrlingsgehalt oder ein Anfangsgehalt in irgendeinem Beruf nach Hause brachte. Das bedeutet, daß dieser gesamte Personenkreis ohne Zuschläge zur Hausratentschädigung bleibt, weil für ihn das Erfordernis der wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht mehr erfüllt war. Die Bestimmung wird von den Betroffenen allgemein als eine Härte empfunden, die noch dadurch besonders kraß wird, daß die derzeitige Fassung des Gesetzes auf der anderen Seite Familienzuschläge dort zubilligt, wo eine Schädigung überhaupt nicht vorliegt. Ich darf Ihnen einen ganz besonders krassen, aber häufig vorkommenden Fall darstellen. Ein hausratshilfeantragsberechtigter Geschädigter ist verstorben, so daß nunmehr seine Erben, die selbst nicht Geschädigte sind, den Anspruch im Wege der Erbfolge geltend machen. Für diesen Fall - ich will einmal den Normalfall annehmen - hat der verstorbene Geschädigte eine *) Siehe Anlage 7 ({0}) Hausratentschädigung von 800 DM zu fordern gehabt. Ich unterstelle einmal, ,daß er vier Kinder hinterlassen hat. Jedes von diesen vier Kindern hat nun als Erbe Anspruch auf ein Viertel von diesen 800 DM, also auf 200 DM. Nachdem aber diese Erben selber am Stichtag verheiratet waren und Kinder haben, erhalten sie zu dem eigentlich ihnen zustehenden Betrag von 200 DM gleichzeitig noch die Zuschläge für ihre Ehefrauen und Kinder, obwohl diese keinerlei Hausratsverlust erlitten hatten. Diese Regelung wird in den Versammlungen der Geschädigten und bei den Geschädigtenverbänden immer wieder als besonders hart und ungerecht empfunden. Unser Antrag geht dahin, sie zu beseitigen und den Kindern, für die im Zeitpunkt der Schädigung ein echter Hausratsverlust entstanden ist und die nur wegen der Stichtagsbestimmungen nicht zu ihren Zuschlägen kommen konnten, nunmehr diese Zuschläge in gleicher Höhe - also 150 DM - zu bewilligen. Ich darf Sie bitten, diesem Antrag Ihre Zustimmung nicht zu versagen. ({1})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Kunze.

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe schon als Berichterstatter angedeutet, daß dieses Problem 1951/52 im Ausschuß endlos diskutiert wurde und daß wir dann zum Schluß gemeinsam die Linie betraten: Wir wollen bei der Hausratentschädigung unter Berücksichtigung der Kinder nach vorn und nicht rückwärts schauen; ({0}) wir sind auch nicht in der Lage, irgendwelche Werte festzustellen. Sie alle, die Sie an den Beratungen teilgenommen haben, wissen, vor welchen Schwierigkeiten wir damals standen. Nachdem wir den Beschluß gefaßt hatten: Wir schauen nach vorn und fragen nach dem Familienstand vom 1. April 1952, haben wir nun von da aus gesehen fünf Jahre lang die Praxis so laufen lassen. Ich vermag nicht einzusehen, wie man, da wir ja dieses Recht jetzt nicht mit rückwirkender Kraft ändern oder gar für die Zukunft aufheben können, das andere - durchaus beachtliche - System dazusetzen kann, daß wir nämlich sagen: Wer am Tage der Vertreibung noch zur Familie gehörte, aber zwischen dem Termin der Vertreibung und dem Termin des Hierankommens durch Eheschließung oder durch Berufsübernahme im materiell-steuerrechtlichen Sinne aus der Familie herausgewachsen ist, dem wollen wir jetzt plötzlich noch nachträglich nach Jahren die 150 DM auch bewilligen. Erstens können wir sie nach der Systematik des Gesetzes nur dem Geschädigten - das ist nämlich der Hausratbesitzer, also normalerweise der Vater bzw. die Mutter - geben. Wir können doch durch das Gesetz keinen Zwang ausüben und sagen: Ihr müßt die 150 DM aber an die Kinder weiter abliefern. ({1}) - Ich glaube an Gott, aber ich glaube nicht an die Zuverlässigkeit der Menschheit. ({2}) Aber es gibt noch ein weiteres Argument, das meines Erachtens durchschlägt. Ich habe bei meiner Berichterstattung darauf hingewiesen, daß uns über 7 Millionen Anträge auf Hausratentschädigung vorliegen. In der Praxis würde also eine solche Bestimmung, ob uns das paßt oder nicht, bewirken, daß Millionen von Anträgen wieder aus den Aktenschränken herausgenommen werden müßten, weil immerhin technisch geprüft werden muß: Ist da solch ein Fall drunter? Wir machen ja die Verwaltung kaputt! Auf der einen Seite schimpfen wir - ich nehme mich in dem Falle allerdings mit gutem Grunde aus -, daß das Feststellungsverfahren, daß die Durchführung des Gesetzes so langsam geht, und auf der anderen Seite fragen wir nicht danach, was für eine Riesenverwaltungsarbeit zusätzlich eintritt, wenn wir so mit genialer Hand noch eben einen Personenkreis, dessen Größe uns unbekannt ist, mit hereinnehmen. Diese rein sachlichen Gesichtspunkte haben uns im Ausschuß dazu geführt, zu sagen: Geben wir dann lieber allen, die etwas zu bekommen haben, durchschnittlich 400 Mark in toto. Das ist eine gesündere, vernünftigere, verwaltungsmäßig vereinfachte Lösung. Darum bitte ich Sie, den Antrag abzulehnen und es bei der Ausschußvorlage zu belassen.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Klötzer.

Dr. Otto Klötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001135, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß doch auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Kunze noch kurz erwidern. Herr Kollege Kunze, niemand erwartet - auch die Antragsteller nicht -, daß etwa die Verwaltung nun die sieben Millionen Anträge und Akten wegen Hausratentschädigung durchblättert und nach solchen Fällen sucht. Das Problem derart aufzubauschen, wie Sie es mit der infolge dieses Antrags drohenden Lahmlegung der Verwaltung getan haben, halte ich für völlig übertrieben. Auch nach unserem Antrag würde es genügen, wenn die Verwaltung nur in wenigen Fällen - wo solche Kinder bisher ohne Zuschläge geblieben sind - und nur ,auf besondere Antragstellung tätig wird. Niemand erwartet, daß die Verwaltung von selbst den Wust von Akten daraufhin sichtet. Aber ich darf noch auf etwas anderes eingehen, Herr Kollege Kunze. Sie sagten, wir wollen nach vorne sehen. Auch wir wollen das mit unserem Antrag, und dieses Nachvornesehen bedeutet, daß wir mit dem Antrag gerade die Jahrgänge erfassen, die nach unserer Meinung auch aus staatspolitischen und sozialpolitischen Gründen in erster Linie Anspruch auf diese Hausratzuschläge haben müßten. weil es die Jahrgänge sind, die sich nunmehr anschicken, selbst eine Familie zu gründen. Man könnte diesen Jahrgängen diese Starthilfe doch zweifellos gönnen, besonders in einem Staat, der ein besonderes Familienministerium für die Förderung der Belange der Familien für notwendig erachtet hat. ({0})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte zu diesem Antrag. Ich stelle ihn zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 995*) Ziffer 3 zu- *) Siehe Anlage 7 ({0}) zustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Nr. 76 in der Ausschußfassung. Wer für diese Nummer zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen angenommen. Wir kommen nunmehr wieder zu einer Reihe von Positionen, zu denen keine Änderungsanträge vorliegen. Es sind die Nrn. 77 bis einschließlich 93. Ich darf wohl das Einverständnis des Hauses dahin feststellen, daß auch hier wie vorhin verfahren wird: einheitliche Beratung und Abstimmung. Ich rufe die Nrn. 77, - 78, - 79, - 80, -81,-82,-83,-84,-85,-86,-87,-88,89, - 90, - 91, - 92 und 93 auf. Ich eröffne die Debatte hierüber. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wer für die soeben aufgerufenen Nummern in der Ausschußfassung zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Nummern sind in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe Nr. 94 auf. Hierzu liegt ein Antrag auf Umdruck 998**) Ziffer 2 vor. Ist der Antrag etwa schon vorhin vom Herrn Kollegen Miller mitbegründet worden? - Nein? - Dann gebe ich ihm das Wort zur Begründung.

Anton Miller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag bezweckt, für die Menschen, die Anträge stellen, das Verfahren zu erleichtern, d. h. die Menschen nicht im Irrgarten der Abweisungen herumirren zu lassen. Die bisherige Fassung des Satzes 2 des § 345 Abs. 1 lautet: Der Bescheid kann auch dahin lauten, daß dem Antrag zur Zeit mangels verfügbarer Mittel nicht entsprochen werden kann, der Antrag jedoch erneut geprüft werde, sobald hinreichende Mittel zur Verfügung stehen. Was bedeutet das in der Praxis? Das bedeutet: wenn dem Ausgleichsamtsleiter Mittel nicht zur Verfügung stehen oder ihm die Nase des Antragstellers nicht so richtig paßt, dann kann er ihn abwimmeln mit der Begründung: Ich habe zur Zeit keine Mittel zur Verfügung. Wie soll der arme Antragsteller feststellen, daß das den Tatsachen nicht entspricht? Er wird also weggeschickt. Inzwischen ist das Objekt, weswegen er den Antrag gestellt hat, weggelaufen. Er wird, sooft er kommt, immer wieder erleben, daß er nicht zum Zuge kommt, weil map ihn mit der Begründung abweisen kann: es sind keine Mittel vorhanden. Wenn nun aber die Bestimmung so gefaßt wird. wie unser Antrag lautet, nämlich dahingehend: „Der Bescheid kann auch dahin lauten, daß dem Antrag zur Zeit mangels verfügbarer Mittel nicht entsprochen werden kann; in diesem Falle ist dem Antragsteller ein grundsätzlicher Bewilligungsbescheid zur Verfügung zu stellen", dann hat er die Möglichkeit, diesen Bescheid vorfinanzieren oder zwischenfinanzieren zu lassen. Das heißt, er hat wenigstens etwas in der Hand, worauf er sich bei einem nächsten Objekt berufen kann, und kann sagen: Bitte schön, hier habe ich einen Bescheid; ich habe zwar das Geld momentan nicht, werde mir aber einen Geldgeber **) Siehe Anlage 5 suchen und auch finden, der mir die Möglichkeit gibt, bis zum Eintreffen des Geldes beim Lastenausgleichsamt vorzufinanzieren. Und damit hat er sich das Objekt gesichert, das ihm sonst wieder aus den Händen laufen würde. Aus diesen kurz dargelegten Gründen, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, diesem Antrag zuzustimmen.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Herr Kollege, ein Wort noch zur Begründung. Ich darf Sie folgendes fragen. Ihr Antrag lautet, „daß § 345 Abs. 1 Satz 2 folgende neue Fassung" erhalten soll. Der § 345 Abs. 1 hat im Text der Ausschußfassung nur einen einzigen Satz. Soll also der Satz 2 des Antrages an den Schluß dieses Satzes 1 angefügt werden, also hinter die Worte „vor der Entscheidung zu hören."? ({0}) - Danke schön. Ich eröffne die Debatte. - Bitte schön, Herr Kollege.

Edmund Leukert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001334, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, die Herr Kollege Miller eben vorgetragen hat, haben wir bei den Beratungen im Lastenausgleichsausschuß zur Genüge durchgesprochen. Diese Frage war ,aber auch schon vorher Gegenstand eingehender Besprechungen bei den Organen des Bundesausgleichsamts, im ständigen Beirat und auch im Kontrollausschuß. Sie ist eine der grundlegenden Fragen gewesen, die wir seinerzeit daraufhin geprüft haben, ob man vor allen Dingen Aufbaudarlehen, Eingliederungsdarlehen usw. bei der Sicherung oder Gründung von Existenzen auch dann geben kann, wenn im Augenblick keine Mittel zur Verfügung stehen. Sehr eingehende Beratungen haben uns dann allerdings überzeugt, daß dieser Weg nicht gangbar ist. Er wird in Zukunft noch schwieriger zu gehen sein. weil, wie bekannt, in der jetzt zu behandelnden Achten Novelle die Eingliederungs- und Aufbaudarlehen nach oben begrenzt sind und insgesamt nur 650 Millionen DM betragen. Man muß den bisherigen Weg, wie es auch die Weisungen des Bundesausgleichsamts besagen, beschreiten. Zum ersten müssen diese Vorhaben sozial und förderungswürdig sein. Dann ist der Weg für die Aufbau- und Eingliederungsdarlehen gegeben. Zweitens gibt es schon einen Weg nach den Weisungen des Bundesausgleichsamts. Der Antragsberechtigte kann sich vom zuständigen Ausgleichsamt bestätigen lassen, daß er antragsberechtigt ist. Damit sind die formellen und persönlichen Voraussetzungen geprüft. Wir glauben, daß das Ziel, wenn ein Vorhaben greifbar ist, viel rascher über das Aufbaudarlehen oder später über die Hauptentschädigung zu erreichen sein wird als bisher. Aus den Gründen bitten wir, dem Antrag nicht stattzugeben.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Ich habe eine Zwischenfrage an Eden Herrn Berichterstatter. In dem Text, der dem Hause vorliegt, ist von § 345 Abs. 1 nur der Satz 1 abgedruckt. Durch den Antrag, der eben begründet worden ist, soll ein „neuer" Satz 2 eingefügt werden. Es wäre festzustellen, ob es auch einen alten Satz 2 in § 345 Abs. 1 gibt und ob, wenn dieser Antrag angenommen wird, der andere Satz 2 damit gestrichen wird. Vielleicht ist der Antragsteller so liebenswürdig, darauf einzugehen. Ich bitte aber auch den Herrn Berichterstatter, darauf zu achten.

Anton Miller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich darf darauf aufmerksam machen, daß der alte Satz 2 - den ich vorhin bei meiner Begründung vorgelesen habe - in der alten Fassung des Lastenausgleichsgesetzes laut Vierter Novelle enthalten ist, so daß also mein Antrag und der meiner Freunde nur eine Ergänzung der alten Fassung nach der Vierten Novelle bedeutet. Er hat also einen zusätzlichen Satz zu dem, was in der neuen Fassung vorhanden ist, zum Inhalt. Ich darf nur einige Worte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Leukert sagen. Es mag zutreffen, daß für die Kriegssachgeschädigten und die Heimatvertriebenen die Aufbaudarlehen auslaufen. Es trifft aber nicht zu für die Sowjetzonenflüchtlinge. Denn diese bekommen aus dem Härtefonds nur Aufbaudarlehen, und es hat nicht den Anschein, daß der Härtefonds anders gestaltet wird, daß also auch diese Darlehen auslaufen. Deswegen ist es der Wunsch dieser Gruppe von Geschädigten, daß ihnen die Möglichkeit gegeben wird, durch einen Bewilligungsbescheid sich Objekte zu sichern, die ihnen sonst, wie ich vorhin ausführte, immer wieder entgehen, weil sie nichts in den Händen haben, mit dem sie Zwischenfinanzierung erlangen könnten. Aus diesem Grunde bitte ich dem Antrag zuzustimmen.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte hierzu. Wer dem Antrag Umdruck 998*) Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich stelle Art. I § 1 Nr. 94 in der Ausschußfassung zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Nr. 94 ist angenommen. Wir kommen jetzt weder zu einer Reihe von Nummern, zu denen keine Anträge vorliegen. Ich rufe auf die Nm. 95, - 96, - 97, - 98, - 99, -100, - 101, - 102, d. h. bis zum Schluß von Art. I § 1. - Ich eröffne die Debatte hierzu. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer den eben aufgerufenen Nummern bis einschließlich 102 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Nummern sind in der Ausschußfassung angenommen. Ich rufe auf Art. I § 2 Nrn. 1, - 2, - 3, - 4, -5, - 6, - 7, - 8, - 9, - 10. - Hierzu hegen Änderungsanträge nicht vor. Ich nehme an, daß das Haus mit gemeinsamer Beratung und Beschlußfassung einverstanden ist. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer den eben aufgerufenen Nrn. 1 bis 10 in Art. I § 2 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Nummern sind angenommen. Ich rufe auf in Art. I § 2 die Nr. 11. Hierzu ]legt auf Umdruck 999**) unter Ziffer 2 ein Antrag des Abgeordneten Dr. Atzenroth und Genossen vor, der anscheinend schon begründet ist. ({0}) *) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 999 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltunngen? - Abgelehnt. Ich rufe auf Nr. 11 in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe auf unter § 2 die weiteren Nummern 12, -13,-14,-15,-16,-17,-18,-19,-20 und 21. - Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer den eben aufgerufenen Nummern in ,der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe auf § 3, Änderung des Währungsausgleichsgesetzes, Nrn. 1, - 2, - 3, - 4, - 5, - 6, 7. - Zu dem ganzen Paragraphen liegen Änderungsanträge nicht vor. Ich eröffne die Debatte. -Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer dem eben aufgerufenen § 3 mit den Nrn. 1 bis 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen. Ich rufe auf den § 4. Änderung des Altsparergesetzes, und zwar die Nm. 1, - 2, - 3, - 4, - 5, -6,-7,-8,-9,-10,-11,- also den gesamten § 4. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung. Wer *dem § 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - § 4 ist angenommen. Ich rufe jetzt auf den Artikel II. Ich darf -annehmen, daß das Haus auch da mit der gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung über die nicht als änderungsdedürftig befundenen Paragraphen einverstanden ist. Ich rufe auf die §§ 5, - 6, - 7, - 8, - 9, - 10 des Art. II, also den gesamten Art. II. - Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wer dem aufgerufenen Art. II insgesamt in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. II ist angenommen. Ich rufe Art. III auf, nämlich die §§ 11, - 12, -13, - 14, - 15, - 16, - 17. - Ich darf annehmen, daß das Haus auch hier mit gemeinsamer Beratung und Abstimmung einverstanden ist. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Debatte. - Da Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Debatte. Ich stelle Art. III in seinem ganzen Umfang in der Ausschußfassung zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ist angenommen. Ich rufe Einleitung und Überschrift auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich darf annehmen, daß das Haus der Einleitung und der Überschrift zustimmt; ich bitte, dies durch Handzeichen zu bekräftigen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen. Damit ist die zweite Lesung beendet. ({1}) Ich habe an das Hohe Haus die Frage zu richten, ob zur dritten Lesung noch ein Kampf der Wagen und Gesänge geplant ist, ob Änderungsanträge vorliegen oder nicht. ({2}) - Soeben wird mir mitgeteilt, daß zwei Änderungsanträge vorliegen. Es ist 5 Minuten vor 13 Uhr. Ich darf vorschlagen, jetzt in die Mittagspause einzutreten. Wir finden uns um 14.30 Uhr wieder ein. ({3}) Die Sitzung wird um 14 Uhr 32 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Die Sitzung wird fortgesetzt. Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren hat das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung der Abgeordnete Dr. Krone.

Dr. Heinrich Krone (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001225, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zu der Erklärung des Herrn Kollegen Ollenhauer von heute morgen meinerseits die folgende kurze Erklärung abzugeben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bisher weder zu den Berichten der Zeitung „Dagens Nyheter" vom 12. und 15. März sowie vom 1. April 1957 Stellung genommen noch zu dem ebenfalls in „Dagens Nyheter" vom 15. März veröffentlichten Stockholmer Gerichtsbeschluß vom 29. April 1949, dessen Existenz nicht dementiert worden ist und - im Gegensatz zu den heutigen Ausführungen des Kollegen Ollenhauer - auch nicht bestritten werden kann. Die von der SPD-Fraktion in der heutigen Erklärung erhobenen Vorwürfe gegen unsere Fraktion sowie deren Geschäftsführer Rasner werden infolgedessen als erweislich falsch zurückgewiesen. ({0})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, wir kommen zur dritten Beratung des Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Klötzer.

Dr. Otto Klötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001135, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die dem Hohen Hause heute zur Verabschiedung vorliegende Achte Novelle zum LAG bedeutet zweifellos einen Fortschritt in der gesetzlichen Gestaltung dieser nicht einfachen Materie, mit deren Behandlung sich der Gesetzgeber im Jahre 1952 auf völliges Neuland begeben hat. Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE gibt ihrer Genugtuung darüber Ausdruck, daß die recht langwierigen und zum Teil sehr schwierigen Ausschußberatungen das Ergebnis zeitigten - es liegt in der Drucksache 3322 vor -, daß zahlreiche in dem Initativgesetzentwurf meiner Fraktion enthaltene Anliegen berücksichtigt wurden. Mit Freude stellen wir fest, daß dieses Ergebnis ein Mehrfaches dessen darstellt, was die Bundesregierung in ihrem von allen Seiten, insbesondere von allen betroffenen Geschädigten als unzureichend bezeichneten Regierungsentwurf als Äußerstes an Leistungsverbesserungen für möglich gehalten hat. Ich darf wohl, ohne auf Widerspruch zu stoßen, feststellen, daß die im Regierungsentwurf vorgesehenen bescheidenen Leistungsverbesserungen - ich darf kurz erwähnen: im wesentlichen eine 20prozentige Aufstockung der Hauptentschädigung und eine Aufstockung der Hausratentschädigung um 200 DM - von allen Fraktionen dieses Hauses, insbesondere aber von den Betroffenen als unzureichend, enttäuschend und in krassem Mißverhältnis zu dem gestiegenen Leistungsvermögen stehend angesehen wurden. Um so mehr begrüßen wir, daß auch die Vertreter anderer Fraktionen im zuständigen Ausschuß einem großen Teil der in unserem Initiativgesetzentwurf enthaltenen Leistungsverbesserungen ihre Zustimmung nicht versagt haben. Lassen Sie mich hier aber eine kleine Zwischenbemerkung machen. Es wurde heute morgen eingangs der zweiten Lesung von dem Herrn Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier und in gleicher Weise auch von dem Vorsitzenden des zuständigen Fachausschusses, Herrn Kollegen Kunze, festgestellt, welche Bedeutung dieser Gesetzgebungsmaterie und auch der heute zur Verabschiedung stehenden Achten Novelle für einen Personenkreis von etwa 15 bis 20 Millionen Menschen unseres Staates zukommt. Der Augenschein muß uns leider davon überzeugen, daß diese Meinung nicht von der Bundesregierung geteilt wird; denn sonst wäre es nicht möglich, daß weder bei der zweiten noch jetzt bei der dritten Beratung der zuständige Ressortminister anwesend ist. ({0}) Der Herr Minister Oberländer, der, wie wir ja alle wissen, bedauerlicherweise nicht der zuständige Ressortminister ist, hat in der zweiten Beratung das Wort ergriffen und auf eine Anzahl von Verbesserungen hingewiesen, womit der Eindruck erweckt wurde, als ob das Gesetz diesen Umfang und Inhalt auf Initiative der Bundesregierung angenommen habe. Das ist nicht richtig; denn, wie ich schon sagte, ist der Entwurf der Bundesregierung von allen Seiten als völlig unzulänglich und enttäuschend empfunden und bezeichnet worden. ({1}) Meine Damen und Herren, die eingangs getroffene Feststellung, daß dieses Achte Änderungsgesetz einen großen Schritt vorwärts bedeutet, soll jedoch keineswegs besagen, daß wir damit eine restlose, in allen Punkten befriedigende oder gar abschließende Regelung des Problems „Lastenausgleich" als erreicht ansehen. In der Präambel des LAG hat der Gesetzgeber von 1952 den Anspruch der Geschädigten auf einen gerechten Ausgleich der Lasten anerkannt. Er hat in dieser Präambel als Grundsätze, nach denen dieser Ausgleich der Lasten vorzunehmen ist, expressis verbis einmal die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten und zum zweiten die soziale Gerechtigkeit herausgestellt. Wenn wir heute, selbst nach Verabschiedung dieser Achten Novelle mit ihren unzweifelhaften, auch von uns gewürdigten und anerkannten Leistungsverbesserungen, eine eingehende und objektive Prüfung vornehmen, müssen wir, wenn wir unvoreingenommen und gerecht bleiben wollen, zu dem Ergebnis gelangen, daß ({2}) erstens weder die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden, d. h. daß tatsächlich bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit gegangen wurde, noch zweitens alle Bestimmungen dieses Gesetzes mit den Grundsätzen der sozialen Gerechtigkeit in Einklang zu bringen sind. Man hat zwar Möglichkeiten, die im Fonds liegen, ausgeschöpft, aber nur in seiner augenblicklichen Gestaltung. Das bedeutet noch lange nicht eine Ausschöpfung der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten. Es ist eine völlige Verschiebung des Problems, zu glauben, die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten seien erschöpft, wenn der im Jahre 1952 nach dem damaligen Leistungsvermögen dotierte Fonds weitere Mittel nicht mehr besitzt. Man muß meines Erachtens nicht nur das LAG in Betracht ziehen, sondern es mit allen anderen gleichartigen oder vergleichbaren Gesetzesmaterien nebeneinanderstellen und den Grundsatz der Ausschöpfung der volkswirtschaftlichen Möglichkeiten so sehen, wie man ihn bei den anderen Gesetzen gesehen hat, nämlich im Blick auf die Leistungsfähigkeit des Bundes und des Bundesetats insgesamt, nicht aber bloß des Fonds, den man nach unserer Meinung eben nach der Leistungsfähigkeit von 1952 bemessen hat, ohne der gestiegenen Wirtschaftskraft seither eine entsprechende Ergänzung des Fonds folgen zu lassen. Ich kann Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Feststellung, daß diese beiden vom Gesetzgeber seinerzeit in der Präambel verankerten Grundsätze nicht in vollem Umfang verwirklicht wurden - eine Feststellung, die vielleicht von manchem Mitglied dieses Hauses als gewagt angesehen wird -, gleich einige unwiderlegbare Beispiele geben. Dieses Haus hat neben dem LAG eine Reihe anderer Gesetze beschlossen, in denen gleiche und verwandte Materien geregelt wurden. Ich denke hierbei an das Gesetz zur Abgeltung von Besatzungsschäden oder an das Gesetz, welches die Entschädigung bei Inanspruchnahmen und Enteignungen regelt. Schließlich darf ich auch das Bundesentschädigungsgesetz nennen oder, um ein weiteres Beispiel anzuführen, die verschiedenen anderen Gesetze, durch welche einmalige Schadenstatbestände - Hochwasserschäden, Ernteschäden usw. - geregelt wurden. In keinem der hier genannten Gesetze hat man bei der Bemessung der Entschädigung den Einheitswert zugrunde gelegt, wie dies beim Lastenausgleich der Fall ist. Überall wird dort die Entschädigung nach dem tatsächlich entstandenen Schaden, d. h. nach dem Verkehrswert, bemessen. Zu welchen Härten gerade die Zugrundelegung des Einheitswertes beim LAG führt, hat mein Kollege Kather heute schon kurz angedeutet. Ich brauche das im einzelnen nicht mehr auszuführen. Ein zweiter Unterschied zwischen dem LAG und allen anderen vorhin genannten vergleichbaren Gesetzen liegt in der zugebilligten Entschädigungsquote. Sie haben heute in der zweiten Lesung den von meinem Kollegen Dr. Kather begründeten Änderungsantrag meiner Fraktion abgelehnt, hinter den sich zahlreiche Mitglieder auch der anderen. Fraktionen gestellt hatten und der zum Inhalt hatte, die Entschädigungsquote in der Mindesthöhe auf 6,5 % festzulegen. Alle, die gegen diesen Antrag gesprochen haben, sind dabei nicht auf die eigentlichen unwiderlegbaren Argumente eingegangen, sondern haben versucht, mit irgendwelchen sogenannten Grundsätzen, die man 1952 verankert habe, das Problem abzutun. Meine Damen und Herren, wenn der Gesetzgeber sich auf Grundsätze beruft, dann darf er das nicht nur bei einem Gesetz und für eine Materie tun, sondern dann gelten diese Grundsätze für alle Gesetzgebungsarbeiten dieses gleichen Gesetzgebers, ({3}) zumindest für alle vergleichbaren Materien, wo die Schadenstatbestände ähnlich oder gar dieselben sind. Ich möchte einmal fragen, ob denn wirklich ein grundsätzlicher Wesensunterschied zwischen einem Besatzungsschaden und einem Kriegssachschaden oder Vertreibungsschaden besteht. Die Ablehnung dieses Antrags bedeutet, daß auch künftig wie bisher bei sehr hohen Verlusten eine Entschädigung von nur knapp über 2 % des eingetretenen Schadens gewährt wird. Eine derart niedrige Quote gibt es in keinem einzigen der vorhin von mir erwähnten anderen Gesetze. Bei der Währungsumstellung - auch das wurde schon gesagt - hat man sogar für teilweise höchst unlauter erworbenes Bargeld - ich denke hierbei vor allem an Gewinne aus Schwarzmarktgeschäften - eine Aufwertung mit 6,5 % vorgenommen. Dem Geschädigten des Lastenausgleichs, dessen Verluste Sachwerte umfassen und dem Sie durch Zugrundelegung des Einheitswerts bei der Schadensfeststellung ohnedies bereits 50 und mehr Prozent seines Verkehrswertes ohne jegliche Entschädigung lassen, muten Sie für die im Einheitswert erfaßten Teile seines Vermögens eine Entschädigungsquote von so minimaler und einmaliger Höhe zu. Dies bedeutet zweifellos einen groben Verstoß gegen den Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit bedeutet, daß, falls die volkswirtschaftlichen Möglichkeiten einen schlechthin gerechten Ausgleich der Lasten nicht zulassen, größere Vermögensverluste geringer entschädigt werden als kleinere. Sie kann jedoch nicht bedeuten, daß die Träger größerer Vermögensverluste in einem Ausnahmegesetz geringer entschädigt werden als in allen anderen vergleichbaren Gesetzen. Mit dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit, ja mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit überhaupt sind auch verschiedene andere Bestimmungen des LAG, deren Beseitigung oder Änderung wir in unserem Initiativgesetzentwurf angestrebt hatten, für den sich leider eine Mehrheit nicht fand, unvereinbar. Ich darf hier vor allem auf den sogenannten Anwesenheitsstichtag im § 230 des Gesetzes hinweisen. § 230 LAG besagt, daß nur derjenige Geschädigte Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz erheben kann. der am 31. Dezember 1952 seinen Wohnsitz im Bundesgebiet oder in Berlin ({4}) hatte. Abgesehen von wenigen Ausnahmetatbeständen - Spätheimkehrer, Spätaussiedler oder Fälle der Familienzusammenführung - wird also dem Geschädigten, der erst nach diesem Stichtag ins Bundesgebiet kam, jede Leistung aus dem Lastenausgleichsgesetz versagt. Dies bedeutet, daß Heimatvertriebenen, die das Unglück hatten, nach ihrer Vertreibung oder Flucht nicht gleich ins Bundesgebiet zu gelangen, sondern die erst lange Jahre unter diesem Hause bekannten härtesten Lebensbedingungen noch in der sogenannten DDR oder in Österreich leben mußten, jeglicher Lastenaus({5}) gleichanspruch aberkannt wird. Besonders unverständlich wird diese Bestimmung, wenn man berücksichtigt, daß der Gesetzgeber in der vierten Novelle den nur kurzfristig hier in der Bundesrepublik lebenden oder wohnenden Geschädigten, die dann ins Ausland abgewandert sind, diese Ansprüche zuerkennt. Noch unbegreiflicher ist es, daß der gleiche Gesetzgeber diesem Personenkreis im Rahmen des BVFG den Vertriebenenausweis und damit doch auch die darin enthaltenen Rechte zuerkennt, auf der andern Seite aber im Rahmen des LAG sogleich die wichtigsten dieser Rechte, nämlich die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Lastenausgleich, wieder abschneidet. Die Folgen der Vertreibung, der totale Verlust aller materiellen Güter, der Heimstätten, der Arbeitsplätze und der Heimat sind für alle die gleichen gewesen. Meist haben die erst im Jahre 1953 und später in die Bundesrepublik gekommenen Vertriebenen noch ein jahrelanges zusätzliches Martyrium ertragen müssen. Wir glauben daher, daß die Bundesrepublik diesem Personenkreis gegenüber erst recht eine besondere Verpflichtung zur Hilfeleistung hat. Da unser Antrag auf Streichung dieser Stichtagsbestimmung im Ausschuß abgelehnt worden ist und da wir auch keine Hoffnung haben konnten, dieses Anliegen in der heutigen Plenarsitzung durchsetzen zu können, haben wir uns darauf beschränkt, zur Milderung wenigstens der größten Härten dem Hohen Hause eine Entschließung vorzulegen, um deren Annahme ich Sie schon jetzt namens meiner Fraktion und vor allem im Interesse der Betroffenen bitten darf und deren Ziel es ist, die Bundesregierung zu veranlassen, wenigstens im Rahmen einer Rechtsverordnung die dargelegten Härten abzustellen. Wie weit wir in der Materie des Lastenausgleichs noch vom Grundsatz der Gerechtigkeit entfernt sind, lassen Sie mich Ihnen an zwei praktischen Fällen darlegen. Ein kriegssachgeschädigter oder vertriebener Unternehmer, der z. B. einen Textilbetrieb mit hundert Webstühlen besaß und ihn durch Kriegssachschaden oder Vertreibung verloren hat, erhält nach dem LAG unter Zugrundelegung der geltenden Einheitswerte eine Hauptentschädigung von rund 53 000 DM, für die er sich heute einen einzigen modernen Webstuhl oder vielleicht zwei veraltete wiederbeschaffen kann, ohne dann aber bereits die zugehörigen Betriebsgebäude und die sonstigen Betriebseinrichtungen und das Betriebskapital zu besitzen. Ein heimatvertriebener Landwirt, der sein landwirtschaftliches Anwesen im Ausmaße von 16 Hektar mit einem Einheitswert von rund 7200 DM - auch hier habe ich Durchschnittseinheitswerte zugrunde gelegt - durch die Vertreibung verlor, kann sich für die ihm bei Zugrundelegung dieses Einheitswertes zustehende Hauptentschädigung von rund 6000 DM bei den heutigen Bodenpreisen etwa 1 bis 2 Hektar Land wiedererwerben; auch er hat dann aber noch lange nicht die notwendigen Betriebsgebäude, den notwendigen Viehbestand, das notwendige landwirtschaftliche Inventar und Gerät. In beiden Fällen muß außerdem noch berücksichtigt werden, daß die zuerkannte Hauptentschädigung ja erst an einem noch ungewissen Tage X innerhalb der dreißigjährigen Laufzeit zur Auszahlung gelangt. Demgegenüber werden nach einem anderen, auch von diesem Hohen Hause beschlossenen Gesetz, dem Gesetz zur Abgeltung von Besatzungsschäden, an einen Besatzungsgeschädigten, der ein landwirtschaftliches Anwesen im gleichen Ausmaß und mit gleichem Einheitswert oder einen Textilbetrieb mit 100 Webstühlen und dem gleichen Wert verloren hat, Entschädigungen in Höhe des Wiederbeschaffungswertes gezahlt. Daß man hier noch von Gerechtigkeit sprechen kann, wird wohl niemand behaupten wollen. In diesem Falle ist der Ausgleich des Verlustes durch Wiederbeschaffung der vollen verlorengegangenen Werte möglich. Ich darf schließlich noch ein weiteres Beispiel anführen, nämlich die Verzinsung. Wir hatten in unserem Initiativgesetzentwurf beantragt, wenigstens ab 1. April dieses Jahres die Zinsen für die zuerkannte Hauptentschädigung an die Geschädigten auszuzahlen, wenn man schon die Hauptentschädigung selbst aus den uns bekannten Gründen - Mittel des Fonds usw. - den Geschädigten erst in einem langen Zeitraum nach und nach zukommen lassen kann. Dieser Antrag ist abgelehnt worden. In wenigen Wochen wird dieses Haus über ein anderes Gesetz, das Kriegsfolgenschlußgesetz, beschließen, und es kann heute schon mit Sicherheit gesagt werden, daß die darin von der Ausschußmehrheit beschlossene Verzinsung der zuerkannten Entschädigungen nicht etwa vom Tage des Inkrafttretens an, sondern - man höre und staune - sogar rückwirkend vom 1. April 1955 an gezahlt werden soll. ({6}) Auch das scheint sich mit dem Grundsatz der Gerechtigkeit sehr schlecht zu vertragen. Ebenso erscheinen uns trotz mancher Verbesserungen durch diese Novelle auch jene Fälle nicht zufriedenstellend geregelt, in denen der Geschädigte aus eigener Initiative und Tatkraft - sicherlich auch im Interesse des Staates und der Allgemeinheit - alsbald nach dem Kriege begonnen hat, sich wieder eine Existenz aufzubauen, und sich bis zum Währungsstichtag wieder ein bescheidenes Vermögen geschaffen hatte. Ich denke hier an all die unzähligen Fälle, in denen Kriegssachgeschädigte oft unter fast unvorstellbaren Entbehrungen und Arbeitsleistungen darangingen, ihren zerstörten Haus- und Grundbesitz wieder aufzubauen, ohne auf die Hilfe des Staates zu warten. Ich denke weiterhin an die zahlreichen Fälle, in denen heimatvertriebene Handwerker, Gewerbetreibende und Unternehmer sofort nach dem Eintreffen in der Bundesrepublik darangingen, ihre Existenzen wieder aufzubauen. Alle diese Geschädigten werden mit ihrem selbstgeschaffenen, am Währungsstichtag bereits wieder vorhandenen Vermögen zur Lastenausgleichsabgabe herangezogen. Sie müssen also für diese am Stichtag vorhandenen Vermögenswerte ihre Abgabe in den vorgeschriebenen Vierteljahrsbeträgen sofort zahlen. Auf der andern Seite erhalten sie die Hauptentschädigung für die an ihrem früheren Vermögen eingetretenen Totalverluste erst an einem unbestimmten, sicherlich noch mehrere Jahre entfernten Termin. Die von diesem Personenkreis zu leistenden Vermögensabgaben machen meist einen recht beträchtlichen Teil der später, am Tage X ihnen zukommenden Hauptentschädigung aus. In besonders krassen Fällen erreichen sie die Höhe dieser Hauptentschädigung oder übersteigen sie sogar. Auch das scheint uns noch nicht zufriedenstellend geregelt zu sein. ({7}) Ich könnte Ihnen noch eine ganze Anzahl weiterer nach unserer Meinung nicht vertretbarer, unverständlicher Härten aufzählen. Dies ist jedoch nicht Sinn und Aufgabe einer Generaldebatte in der dritten Lesung. Wir werden aber durch eine stete aufgeschlossene Prüfung und Arbeit bemüht bleiben müssen, das Lastenausgleichsgesetz schließlich doch noch zu dem zu gestalten, was es nach dem Willen des Gesetzgebers - ich darf wohl sagen: nach unser aller Willen - sein soll: ein Gesetz zur gerechten und befriedigenden Abgeltung aller durch den Krieg und seine Folgen entstandenen Schäden, kurz ein gerechter Lastenausgleich. Ich darf hier an einen Ausspruch Abraham Lincolns erinnern, der sagte: „Keine Sache ist geregelt, es sei denn, sie ist gerecht geregelt." Wir sollten dieses Wort bei unserer Arbeit am Lastenausgleich auch künftig stets vor Augen haben. Ich darf abschließend namens meiner Fraktion noch drei Bitten, und zwar sehr eindringliche Bitten vortragen. Die erste Bitte oder, wenn Sie wollen, auch Mahnung richtet sich an die Bundesregierung und an die Ausgleichsverwaltung. Wir halten es für unerläßlich, daß von dieser Seite alles getan wird, um die für die Durchführung des Lastenausgleichs und damit auch für das Wirksamwerden der in der heutigen Achten Novelle beschlossenen Leistungsverbesserungen erforderliche Schadensfeststellung nunmehr mit aller gebotenen Eile voranzutreiben. Hierzu ist insbesondere erforderlich, daß seitens des Bundesfinanzministeriums und des Bundesausgleichsamtes die noch immer nicht vollständig erarbeiteten Bewertungsvorschriften nun endlich fertiggestellt und erlassen werden. Unsere zweite Bitte - und hier glaube ich auch im Namen aller übrigen Fraktionen sprechen zu dürfen - ist an die Regierungen der Bundesländer und zugleich an das andere Gesetzgebungsorgan unseres Staates, den Bundesrat, gerichtet. Die nach eingehenden, verantwortungsbewußten Beratungen fast durchweg einstimmig im zuständigen Ausschuß beschlossenen Leistungsverbesserungen, denen - ich darf wohl dieser Hoffnung Ausdruck geben - auch das Hohe Haus heute seine Zustimmung nicht versagen wird, sind nur durchführbar, wenn sich Bund und Länder ihrer Verpflichtung, hierfür die erforderlichen Mittel bereitzustellen, nicht entziehen und sich hierbei immer bewußt sind, daß ein beträchtlicher Teil aller nach diesem Gesetz an die Geschädigten fließenden Leistungen auch den Ländern zugute kommt und dort einerseits zu einer Entlastung der Fürsorgehaushalte und andererseits zu einer Stärkung der Wirtschaftskraft und zum erfolgreichen Aufbau in diesen Ländern beiträgt. Die dritte und letzte Bitte richtet sich nochmals an die Bundesregierung. Das schwierigste Problem, vor dem wir bei diesem Gesetz stehen, besteht darin, daß wir Gefahr laufen, mit den hier verankerten Leistungen, insbesondere mit der Zahlung der Hauptentschädigung, zu spät zu kommen. Hunderttausende der Geschädigten stehen in einem sehr hohen Lebensalter. Wenn es uns nicht gelingt, wenigstens an diese durch eine rasche und ausreichende Vorfinanzierung die Leistungen bald zu erbringen, so erleben sie die Erfüllung ihrer Ansprüche nicht mehr. Das Wort „Rasche Hilfe ist doppelte Hilfe!", das heute schon einmal in dieser Debatte gefallen ist, sollte uns auch hier besonders leiten. Es gilt weiterhin, durch raschestmögliche Erfüllung der Ansprüche aber auch die wertvolle Substanz der durch Vertreibung, Kriegssachschaden usw. aus Existenzen und Berufen gerissenen Angehörigen unseres Volkes zu erhalten und zu pflegen sowie zu verhindern, daß der leider bereits eingetretene Substanzverlust und das zweifellos feststellbare Absinken der soziologischen Struktur dieser Volksteile noch größere Ausmaße annehmen. Dies wird nur zu erreichen sein, wenn die Bundesregierung alle Möglichkeiten einer raschen und ausreichenden Vorfinanzierung ausschöpft und es in dieser Richtung nicht an Energie, Nachdruck und ständigem Bemühen fehlen läßt. ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Herr Abgeordneter Kunze!

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte an sich nicht die Absicht, in der Generaldebatte noch einmal das Wort zu ergreifen; aber nachdem ich nun den Kollegen Klötzer angehört habe, habe ich den Eindruck, als ob er an den Beratungen des Ausschusses eigentlich gar nicht verantwortlich beteiligt gewesen wäre. ({0}) Er hat zwar zwischendurch in einem Satz erklärt, daß alle Verbesserungen nahezu ausnahmslos einstimmig beschlossen worden seien. Das heißt aber doch zu deutsch: Wir haben uns miteinander bemüht, zu verbessern, was wir nach bestem Wissen und Gewissen größenmäßig und substanzmäßig verbessern zu können glaubten. Ein Lastenausgleich in dem Sinne, wie Sie ihn der Öffentlichkeit jetzt darstellen, ist - das wissen Sie genauso gut wie ich - einfach eine Unmöglichkeit. ({1}) Sie können einem Landwirt, der 100 ha Land in Ostpreußen verloren hat, nicht die Möglichkeit geben, hier wieder in die gleiche Situation zu kommen, ({2}) als ob nichts passiert wäre. Wenn Sie, Herr Kollege Klötzer, sagen, daß in der Präambel des Gesetzes, für deren Formulierung ich maßgeblich mitverantwortlich zeichne, ({3}) volkswirtschaftliche Gesichtspunkte und Grundsätze sozialer Gerechtigkeit gewissermaßen als die Fundamente dargestellt werden, dann möchte ich Ihnen dazu zweierlei sagen. Einmal zu den volkswirtschaftlichen Grundsätzen. Ich lese merkwürdigerweise einmal in Ihrer Presse gedruckt, daß Sie sagen: Wir wenden uns nicht gegen die Einheitswerte als Bemessungsgrundlage - die Einheitswerte sind, das wissen Sie, die einzige Grundlage, auf der wir uns überhaupt an die Größe X herantasten können -, und dann halten Sie uns heute wieder die Einheitswerte als etwas Unmögliches vor. Noch keiner ist in der Lage gewesen, uns eine bessere Grundlage vorzulegen. Sie wissen genauso gut wie ich, und alle Damen und Herren, die 1952 das Gesetz mitbeschlossen haben - darunter ist auch der Vertreter Ihrer Fraktion gewesen -, haben damals festgestellt, daß es keine Verkehrswerte gab, auf denen man aufbauen konnte. Und der Grundsatz sozialer Gerechtigkeit? Ich bin der Meinung, wir haben uns miteinander - auch ({4}) Sie - redlich bemüht, in den Grenzen des finanziell Tragbaren den Grundsatz sozialer Gerechtigkeit durchzuführen. Bitte rufen Sie sich doch nur einmal zwei Zahlen ins Gedächtnis zurück. Als die Soforthilfe kam, fingen wir mit 70 DM Soforthilfe und 15 DM Ehefrauenzuschlag an. Jetzt sind wir auf 180 DM angelangt. Selbst wenn ich die Teuerungsfaktoren und all diese Dinge einkalkuliere, wage ich doch zu behaupten, daß wir durch diese Entwicklung nach oben auch dem Grundsatz „Teilnahme am gewachsenen Sozialprodukt" Rechnung zu tragen versucht haben. ({5}) - Wenn Sie etwas fragen wollen, Kollege Kather, wird es mir ein besonderes Vergnügen sein, Ihnen zu antworten. ({6}) Ich darf Ihnen weiter folgendes sagen. Sie haben in Ihren Ausführungen vollkommen vergessen, zu erwähnen, daß wir doch das Stichtagsvermögen als Grundlage für das Aufkommen nicht akzeptiert haben und daß ich als Berichterstatter des Ausschusses urbi et orbi auch von diesem Platz aus einen Appell an den Bundesrat gerichtet habe, wir könnten uns nicht mit der Fixierung dieser Größe begnügen, wir müßten fordern, daß der Weg gefunden würde, der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung auch für diesen Personenkreis Rechnung zu tragen. Dann - lassen Sie mich damit schließen - die leidige Problematik des Stichtags! Nichts hat uns mehr Sorge und Kummer gemacht als die Frage des ,Stichtags. Diese Frage kann man aber doch nicht dadurch lösen, daß man einfach alle Stichtage aus der Welt schafft. Wo wir sie aus der Welt schaffen konnten, haben wir es getan, und zwar mit Ihnen gemeinsam. Wo wir sie nicht aus der Welt schaffen konnten, haben wir Übergangserleichterungen geschaffen. Ich erinnere an die Möglichkeiten des Hereinwachsens weiterer Jahrgänge in Unterhaltshilfe, in Entschädigungsrente. Aber irgendwo sind die Grenzen, und diese Grenzen innezuhalten, ist nach meiner Überzeugung die Pflicht des Gesetzgebers. Ein Schlußwort! Es ist meine Überzeugung - das habe ich auch durchklingen lassen -, daß heute mit diesem Gesetz kein Lastenausgleichsschlußgesetz verabschiedet wird. ({7}) Sie wissen genau, daß ich persönlich die Bundesregierung gleich bei Beginn der Beratungen gebeten habe, auf das Wort „Schlußgesetz" zu verzichten, und Sie wissen, daß ich mich dabei habe durchsetzen können. Wir sind ja schon im Blick auf das Saargebiet - ich deutete es heute morgen an - und die Frage der Wiedervereinigung gezwungen, weiterzuarbeiten. Lassen Sie uns bitte unsere Arbeit im Vertauen auf die Ehrlichkeit und den guten Willen aller Fraktionen in Zukunft fortsetzen! ({8})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Zühlke.

Ernst Zühlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002607, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt, in der allgemeinen Aussprache der dritten Lesung, ist es nicht meine Aufgabe, noch einmal die gesamte Problematik des Lastenausgleichsgesetzes anzusprechen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat im Jahre 1952 das Lastenausgleichsgesetz abgelehnt, weil es in seinen Grundsatzentscheidungen den sozialdemokratischen Vorstellungen von einem sozialen Lastenausgleich nicht entsprach. Ich darf nur eine einzige Äußerung in die Erinnerung zurückrufen, um zu zeigen, von welchem Geist bei der Regierungskoalition damals die Beratungen getragen waren. Der Abgeordnete Dr. Nöll von der Nahmer hat in der 207. Sitzung des Deutschen Bundestages am 6. Mai 1952 erklärt: Die Regierungsparteien werden daher alle Anträge, auch die von Mitgliedern der Regierungsparteien, im gegenwärtigen Stadium der Beratungen ablehnen. Die vorhandenen Mängel sollten, wie dieser Redner ausführte, durch spätere Gesetzesnovellen beseitigt werden. Damals bestand also ein äußerster Koalitionszwang, um die Annahme des mangelhaften Gesetzes zu sichern. Inzwischen liegt uns nun heute die Achte Novelle vor. Wir als sozialdemokratische Mitglieder des Lastenausgleichsausschusses haben im Ausschuß unser Augenmerk im besonderen darauf gerichtet, den sozialen Sockel zu erhalten. Wir begrüßen es, daß es mit Unterstützung aller Ausschußmitglieder gelungen ist, nicht nur den Besitzstand zu wahren, sondern auch den sozialen Sockel auszubauen. Auch in der Debatte der zweiten Lesung ist die Problematik angesprochen worden, die mit den aus der mitteldeutschen, der sowjetisch besetzten Zone geflüchteten und jetzt in der Bundesrepublik lebenden ehemaligen Bewohnern dieser Zone verbunden ist. Von anderen ist auf die politische Seite verwiesen worden. Wir wollen von uns aus hier nur feststellen, daß auf eine Anregung der sozialdemokratischen Fraktion hin der Härteparagraph 301 und der Ergänzungsparagraph 301 a damals durch gemeinsamen Beschluß des Bundestages in das Gesetz aufgenommen wurden. Damit sind die Härtefälle geregelt, die die ehemaligen Bewohner der sowjetisch besetzten Zone betreffen. Ich glaube nicht, daß ich zu weit gehe, wenn ich jetzt die Bitte ausspreche, daß die Bundesregierung und auch der Deutsche Bundestag prüfen, welche Probleme im Interesse der ehemaligen Bewohner der Sowjetzone, die jetzt in der Bundesrepublik leben, noch zu lösen sind. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß es nicht Aufgabe des Lastenausgleichsgesetzes sein kann, alle Folgen des Krieges und der Nachkriegszeit zu regeln. Wir haben nun die Achte Novelle in zweiter Lesung hier verabschiedet. Wir stehen praktisch vor der Schlußabstimmung. Wir konnten die Grundsatzentscheidungen von 1952 nicht mehr verändern. Die jetzt vorliegende Novelle enthält aber in der Ausschußvorlage in fast allen Punkten wesentliche Verbesserungen gegenüber der Regierungsvorlage. Wir bedauern, daß sich in diesem Lastenausgleichsgesetz nicht alle Forderungen der Geschädigtenverbände berücksichtigen ließen. Trotzdem hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die von den Geschädigtenverbänden aufgestellten Forderungen ernsthaft geprüft. Sie begrüßt vor allen Dingen, daß die Anerkennung und Fortführung der sozialen Leistungen, die Erhöhung der Unterhaltshilfe und der Entschädigungsrente, die Verbesserungen bei der Hausratentschädigung und die Erhöhung der Grundbeträge bei den kleineren und mittleren Vermögensverlusten erfolgt sind. Ebenso begrüßt sie die Beibehaltung der Gewährung von Aufbaudarlehen für die nächsten ({0}) Jahre, die geeignet sind, die wirtschaftliche Eingliederung aller Geschädigten zu erleichtern. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion richtet aber an die Bundesregierung, an den Herrn Präsidenten des Bundesausgleichsamtes und an den Kontrollausschuß die dringende Bitte, die Auszahlung der Hauptentschädigung nach sozialen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Notwendigkeiten zu gestalten. Die sozialdemokratische Fraktion wird der Ausschußvorlage, weil sie die in ihr erreichten Verbesserungen begrüßt, auch in der dritten Lesung zustimmen. ({1})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen meines verehrten alten Freundes Kunze machen. ({0}) - Eine Freundlichkeit ist der anderen wert. Sie haben sich ja vorhin erboten, sämtliche Fragen zu beantworten. ({1}) - Ich habe aber keine Fragen mehr zu stellen. Herr Kunze, in einem sehr wichtigen Punkt - und ich freue mich, das feststellen zu können - stimmen wir überein, daß wir nämlich heute kein Lastenausgleichs schlußgesetz verabschieden, weder dem Buchstaben noch dem Sinn nach; und das ist eine sehr wertvolle Feststellung. Aber im übrigen - da muß ich schon mit der Kritik einsetzen - haben Sie sich die Sache doch etwas zu leicht gemacht. Sie haben es als unverständlich bezeichnet, daß wir den Einheitswert angreifen - im übrigen: nur auf der Entschädigungsseite -, und haben gesagt: Es gibt ja keinen anderen Wert. Nun, Herr Kunze, unser Angriff richtet sich nicht dagegen, daß wir technisch den Einheitswert benutzen. Aber wenn wir ihn schon benutzen, dann soll man auch der Tatsache Rechnung tragen, daß der Einheitswert kein richtiger, sondern nur ein fiktiver Wert ist. Bei anderen Gelegenheiten ist das schon geschehen. Ich habe heute vormittag schon darauf hingewiesen, daß bei den Besatzungsschäden nicht vom Einheitswert, sondern vom gemeinen Wert ausgegangen wird. Dia haben wir also den gemeinen Wert. Wenn da irgendwelche technischen Schwierigkeiten bestehen, dann könnte man den doppelten Einheitswert als fiktiven gemeinen Wert ansetzen und darauf die Prozentzahlen anwenden. Dann würden wir ein klareres Bild bekommen. Wir wollen die Abgabeseite nach meinen Vorstellungen nicht mehr angreifen. Aber man kann doch sagen, daß der Einheitswert gerade auf der Abgabeseite die Dinge völlig entstellt. Jahrelang ist von einer 50%igen Vermögensabgabe gesprochen worden, ohne daß davon in Wahrheit überhaupt die Rede sein kann. Herr Kunze, Sie haben gesagt: Niemand kann einem Landwirt, der in Ostpreußen 100 ha verloren hat, hier wieder 100 ha geben. Das hat bisher auch niemand verlangt, und es wäre ein törichtes Verlangen. Aber es ist doch in Wahrheit so, daß, wer 100 ha verloren hat, sich - wenn man die Sache nur vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet - nach den bisherigen Entschädigungssätzen nicht 100 ha, sondern bestenfalls 1 ha kaufen kann. Nun mag das durch diese Novelle etwas besser werden, unbefriedigend bleibt es auch jetzt. ({2}) Mir hat ein Fraktionskollege erzählt, daß in seinem Kreis, wo der Landrat und der stellvertretende Landrat es eingeführt haben, die Entschädigungsbescheide selber zu unterschreiben, der Landrat, der einer Ihrer Koalitionsparteien angehört, als er den Entschädigungsbescheid für einen Bauern unterschreiben sollte, gesagt hat: Ich kann doch so etwas nicht unterschreiben, so etwas können wir dem Mann doch gar nicht anbieten! - Herr Kunze, ich muß mich deshalb dagegen verwahren, daß Sie so tun, ,als ob wir für jemanden, der 100 ha verloren hat, wieder 100 ha verlangen wollten. Wir sind allerdings der Meinung, daß die bisherigen Sätze unzureichend sind und daß die Sätze auch nach der Novelle - bei aller Anerkennung der Verbesserungen - immer noch unzureichend bleiben. Ein Wort zur Erhöhung der Unterhaltshilfe! Gewiß, wir haben seinerzeit mit 70 DM angefangen; wir haben bisher zwei Erhöhungen gehabt und machen heute die dritte. Die Rente z. B. für die Einzelperson ist von 70 auf 85 und von 85 auf 100 DM erhöht worden und soll jetzt von 100 auf 120 DM erhöht werden. Aber ich darf Sie auch daran erinnern, Herr Kunze, daß alle diese Erhöhungen von der Vertriebenenseite - wir waren damals ja noch Fraktionsgenossen, ({3}) Fraktionsfreunde - initiiert warden sind und daß wir alle diese Erhöhungen gegen Ihren hartnäckigen Widerstand durchsetzen mußten ({4}) und gegen den Willen von Herrn Schäffer. Es ist eine Tatsache, daß die Erhöhung von 70 auf 85 DM um ein Jahr verzögert worden ist, weil der Herr Bundesfinanzminister nur 10 und nicht 15 DM geben wollte. Also um 5 DM haben wir uns -damals auch mit Unterstützung ides Bundesvertriebenenministers - ein Jahr mit dem Herrn Bundesfinanzminister streiten müssen. Sie wissen ja, wie das deutsche Wirtschaftswunder inzwischen gelaufen ist; Sie wissen, wie die Preise quasi weggelaufen sind. Wir sind froh darüber, daß wir auf 120 DM kommen. Aber, Herr Kollege Kunze - ich habe es vorgestern in der Fraktion gesagt, und das war bestimmt nicht nach draußen gerichtet -, wir müssen uns darüber klar sein, daß inzwischen durch die Entwicklung praktisch auch dieser Satz schon wieder überholt ist. ({5}) Ich verstehe nicht, daß Sie sich auch gegen eine sachliche Kritik wenden. Wir sind die letzten, die sagen werden, es sei nichts erreicht worden. Im Gegenteil, wir haben durchaus die Absicht, das Erreichte anzuerkennen, und durchaus nicht die Absicht, unser Licht dabei unter den Scheffel zu stellen. Das haben Sie inzwischen ja wohl auch gemerkt, Herr Kunze. Ich habe eben einen Zeitungsartikel zu Gesicht bekommen, wo Sie sich dagegen wenden, daß unser Herr Dr. Neuhoff auf die Mitwirkung der Geschädigtenverbände, insbesondere des BVD und auch meiner Fraktion, hingewiesen ({6}) hat. Es ist ein Gemeinschaftswerk; es hätte nie zustandekommen kommen können ohne die Zustimmung der Mehrheit und auch der Opposition dieses Hauses. Aber wir wollen die Dinge so sehen, wie sie sind: wir haben die Anregung gegeben, und Sie haben die Zustimmung gegeben. Das wollen wir einmal mit aller Deutlichkeit klarstellen. ({7})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Czermak.

Dr. Fritz Czermak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000346, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde kann ich erklären, daß wir in der dritten Lesung der vorliegenden Achten Novelle zum Lastenausgleichsgesetz zustimmen werden. In den Grundfragen - ich betone: in den Grundfragen -, Hauptentschädigung, Hausratentschädigung, Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente, Aufbaudarlehen und Härtefonds, und auch bezüglich des schwierigsten Paragraphen, des § 6, sind wir erfreulicherweise im ganzen Hause grundsätzlich einig. Ich bedaure nur sehr, daß in der zweiten Lesung einige Änderungsanträge abgelehnt worden sind, und zwar hauptsächlich bezüglich der 6 1/2 % bei der Schlußgruppe und auch bezüglich der selbständigen Kinder. Aber trotz aller Kritik in Einzelfragen muß doch objektiv anerkannt werden, daß diese Achte Novelle wesentliche Verbesserungen bringt, Härten beseitigt, in bisherigen Streitfragen Klarheit schafft und damit einen ganz bedeutenden Fortschritt im ganzen Lastenausgleich darstellt. Allerdings, ein Abschluß ist damit noch lange nicht geschaffen. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil für das Saargebiet nur eine Übergangsregelung getroffen werden konnte, weil für den Fall der Wiedervereinigung, die wir alle recht bald herbeisehnen, ein gesamtdeutscher Lastenausgleich geschaffen werden muß und weil wir heute einfach noch nicht die wirtschaftliche Entwicklung bis zum Jahre 1979 voraussehen können. Wir müssen uns also mit einer Teillösung begnügen, die den derzeit gegebenen Tatsachen und Möglichkeiten entspricht. Dabei möchte ich feststellen, daß dieser Lastenausgleich nicht nur ein finanzielles, politisches, soziales und rechtliches Problem ist, sondern vor allem ein Gebot der Menschlichkeit, womit Menschen geholfen werden soll, welche die Folgen dieses Krieges am schwersten zu tragen haben. Ich hoffe nur und bin auch davon überzeugt, daß bei den kommenden Beratungen des Bundesrats und eventuell des Vermittlungsausschusses diese Einsicht von wesentlicher Bedeutung sein wird, damit das Gesetzeswerk möglichst bald in Rechtskraft erwachsen kann. Bei der Hauptentschädigung ist vor allem zu begrüßen, daß den sozial Schwachen eine volle Entschädigung des festgestellten Schadens bis zu 4600 Mark, mit Vertriebenenzuschlag 5000 Mark zuerkannt worden ist. Auch bezüglich Zeit und Art der Auszahlung wurden die dringendsten Fälle - Alter, sozialer Notstand, Ausbildung - und vor allem die Eigentumsbildung bevorzugt. Darauf legen wir besonderen Wert, weil nur durch eine entsprechende Eigentumsbildung eine echte Eingliederung in Existenz, Beruf und Wohnung ermöglicht wird. Es freut uns auch, daß bei der Bewertung der Einheitswerte des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens eine allgemeine Erhöhung um ein Drittel, auch im Sudetenland, festgelegt wurde. Damit ist eine sicherlich berechtigte Forderung gerade der am schwersten betroffenen heimatvertriebenen Landwirte erfüllt worden. Auch die allgemeine Erhöhung der Hausratentschädigung in allen drei Gruppen um 400 Mark erscheint uns als eine gerechte Lösung, weil gerade die Hausratentschädigung für die allermeisten Geschädigten den einzigen Aktivposten im Lastenausgleich darstellt. Eine soziale Verbesserung bedeutet auch die Erhöhung der Unterhaltshilfe, weil sie vor allen anderen die alten Menschen, die Arbeitsunfähigen betrifft, diejenigen, die sich beim besten Willen nicht mehr selbst helfen können. Wir begrüßen auch das Hineinwachsen von weiteren drei Jahrgängen. Dasselbe gilt für die Entschädigungsrente, wo weitere fünf Jahrgänge hineinwachsen sollen. Bezüglich der Aufbaudarlehen muß zunächst festgestellt werden, daß trotz aller bisherigen Leistungen von Bund und Ländern, die wir durchaus anerkennen, die Eingliederung der Heimatvertriebenen und Geschädigten noch lange nicht abgeschlossen ist, besonders nicht in den Notstandsgebieten und in den Dörfern, draußen auf dem Lande. Die notwendigen Mittel für die Existenzgründung und den Wohnungsbau müssen daher auch weiterhin zur Verfügung gestellt werden. Dabei entsteht die Frage, ob auch genügend Mittel vorhanden sind. Hier ist an die Entschließung zu erinnern, die der 1. Bundestag bei der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes zur Vorfinanzierung gefaßt hat. Die Bundesregierung muß daher nochmals sehr dringend ersucht werden, in der Bereitstellung dieser Mittel für den Lastenausgleichsfonds so großzügig wie möglich zu verfahren. Ohne eine genügende Vorfinanzierung bleiben alle produktiven Leistungen in einem zu engen Rahmen. Dies gilt sowohl für die Aufbaudarlehen als auch für die Realisierung der Hauptentschädigung. Mit Recht wurde von dem Kollegen Klötzer gesagt, daß besonders die alten Menschen doch noch die Realisierung ihres Anspruchs erleben wollen. Nicht nur den Heimatvertriebenen und Kriegssachgeschädigten, auch den Sowjetzonenflüchtlingen muß weiterhin tatkräftig geholfen werden. Das ist in § 301 a vorgesehen. Gerade wir Heimatvertriebenen haben aus unserem eigenen Erleben volles Verständnis für das Schicksal der Sowjetzonenflüchtlinge und auch für das schwere Schicksal aller Aussiedler, aller politischen Flüchtlinge, aller Heimkehrer, die noch - jetzt oder später - zu uns kommen und denen wir unbedingt helfen müssen. Ein sehr kritisches und bisher sehr wenig befriedigendes Kapitel ist jedoch die Schadensfeststellung. Es liegen über 3 Millionen Anträge auf Feststellung der Hauptentschädigung vor, über 7 Millionen auf Hausratentschädigung, und nur ein ganz geringer Bruchteil wurde bisher erledigt. Hier muß Tempo gemacht werden. Die Schadensfeststellung muß sowohl bezüglich der Hauptentschädigung als auch bezüglich der Hausratentschädigung beschleunigt werden. Den Ausgleichsämtern müßten sowohl die notwendigen Geldmittel als auch das notwendige und sachkundige Personal zur Verfügung gestellt werden, was leider nicht überall geschieht. ({0}) ({1}) - Auch die Bewertungsvorschriften und die anderen Rechtsverordnungen müßten endlich erlassen werden, worauf schon jahrelang gewartet wird. Dasselbe gilt für den Währungsausgleich. Hier liegt die schwerste Sorge der meisten Betroffenen darin, daß sie die Beweise nicht vorbringen können, keine Unterlagen dafür haben. Es müßten also besonders bezüglich der Beweismittel wesentliche Erleichterungen durch Verordnungen - und zwar möglichst bald - geschaffen werden. Ich will nicht wiederholen. Es wurde schon von Kollegen zu ,den verschiedenen Fragen ausführlich gesprochen. Zusammenfassend möchte ich zum Schluß sagen, daß die vorliegende Achte Novelle sicherlich sehr viel Positives enthält, daß dabei herausgeholt worden ist, was derzeit unter den gegebenen Verhältnissen herauszuholen war, und daß wir sie im Interesse aller Geschädigten bejahen. Allerdings, der Weisheit letzter Schluß ist das noch nicht; es gibt noch sehr viele offene Fragen. Daher besteht für uns alle die ernste Verpflichtung zur Vollendung dieses Gesetzeswerkes auch in den kommenden Jahren. ({2})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Meine Damen und Herren, jetzt liegen wirklich keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe Art. I § 1 des Gesetzentwurfs auf, dazu die Änderungsanträge Umdruck 1003 zu Nr. 16, Umdruck 1004 zu Nr. 37 und Umdruck 1006 zu Nr. 76. Wird zur Begründung der Anträge das Wort gewünscht? -Herr Abgeordneter Dr. Kather!

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Antrag auf Umdruck 1004*) handelt es sich um denselben Antrag, den ich heute morgen hier begründet habe, nämlich auf Festsetzung der Mindestentschädigung auf 6,5 %. Ich verzichte auf eine Begründung dieses Antrags, weil heute vormittag in einer eingehenden Diskussion das Wesentliche gesagt worden ist. Ich beantrage aber namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung und bitte die Damen und Herren, die heute vormittag unserem Antrag zugestimmt haben, diesen Antrag auf namentliche Abstimmung zu unterstützen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Der Antrag auf namentliche Abstimmung gilt zu Umdruck 1004. Zur Begründung des Antrags auf Umdruck 1003 hat der Abgeordnete Dr. Graf das Wort. Dr. Graf ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei dem Umdruck 1003**) um das Problem des Wiederaufbaus bis zur Währungsreform bei Einheitswertvermögen. Wer bis zum Währungsstichtag wieder aufgebaut hat, bekommt nach der heutigen Regelung trotz seines erheblichen Schadens in der Vergangenheit nicht nur keinen Pfennig Entschädigung, sondern muß auch noch in vollem Umfange Vermögensabgabe leisten. Er wird behandelt wie jeder Nichtgeschädigte auch. Das Ziel unseres Antrages ist es, die Regierung instand zu setzen, in *) Siehe Anlage 9 **) Siehe Anlage 10 diesen Fällen wenigstens eine spürbare Minderung der Vermögensabgabe vorzunehmen. Ich bitte Sie deshalb, diesem Antrag zuzustimmen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Die Anträge auf Umdruck 1003 und 1004 sind begründet. Wird zu dem Antrag auf Umdruck 1006 noch eine Begründung gegeben? - Das geschieht nicht. Dann kommen wir zur Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kunze.

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kather hat auf eine Begründung des Antrags der Fraktion des GB/BHE verzichtet und sich auf das bezogen, was er heute morgen gesagt hat. Ich tue genau dasselbe und plädiere dafür, die Anträge abzulehnen. Ich muß allerdings, Herr Kollege Dr. Graf, zu Ihrem Änderungsantrag Umdruck 1003 *) etwas sagen. Was Sie vorschlagen, ist Gegenstand eingehender Überlegungen im Zentralverband der Fliegergeschädigten gewesen, dessen Vorstand ich angehöre. Ich habe diesen Leuten auseinandergesetzt, warum dieser primitive Weg einfach nicht ging. Wir würden nämlich in eine vollkommene Rechtsunsicherheit geraten. Nehmen Sie ein Beispiel. Demjenigen, der durch seine wirtschaftliche Existenz - sei es, daß er Rohmaterial besaß, sei es, daß er Kompensationsmaterial besaß - in der Lage war, in den Jahren von 1945 bis 1948 wieder aufzubauen, würden wir jetzt durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung eine Position einräumen, die wir der breiten Masse der Geschädigten nicht einräumen können. Ich fürchte, daß die Annahme dieses Antrags grundsätzliche verfassungsrechtliche Schwierigkeiten nach sich ziehen müßte. Der Antrag stößt aber auch in der Durchführung auf Schwierigkeiten, weil das, was in ihm gefordert wird, in der Praxis nicht geht. Ich bitte jetzt freundlichst die Mitglieder der Grünen Front, mich nicht mißzuverstehen. Wenn ein Bauer in der Lage war, seine berechtigte Sehnsucht, wiederaufzubauen, zu erfüllen, indem er Schweine schwarz verkaufte, dann kann ich doch heute nicht kommen und sagen - ({0}) - Also dann lassen Sie mich ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis nehmen. Wennn jemand Leiter einer großen Ziegelei und in der Lage war, Ziegelsteine und sonstiges Baumaterial zu liefern - Sie sollten sich als Landwirt nicht angegriffen fühlen -, dann kann ich dem doch keine Extrawurst braten. Ich muß vielmehr sagen: Du hast in der RM-Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum Währungsstichtag keine Hypothek aufzunehmen brauchen. Da wird die Hypothekengewinnabgabe mit einem Satz gestrichen. Vorteile darüber hinaus können wir nicht geben, well jeder Vorteil, den wir einem geben, für zehn andere ein Nachteil wäre. Darum bitte ich sehr herzlich: Verzichten Sie auf diesen in der Durchführung unmöglichen Antrag! Wenn Sie das nicht können, muß ich das Hohe Haus bitten, den Antrag abzulehnen.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf. Dr. Graf ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf darauf auf- *) Siehe Anlage 10 ({2}) merksam machen, daß es sich bei der von uns beantragten Bestimmung um eine Kann-Vorschrift handelt, so daß die Regierung keineswegs gehalten ist, solche Fälle, wie Sie sie, Herr Kollege Kunze, hier angezogen haben, einzubeziehen. Ich bin mir durchaus darüber im klaren, daß dieses Problem im Ausschuß erörtert worden ist, bin aber andererseits der Meinung, daß das eines der Probleme ist, die wir noch nicht gelöst haben. Ich bin nicht der Meinung, daß man es deswegen, weil es in der Legislative noch nicht gelöst worden ist, auf sich beruhen lassen sollte. Dieser Antrag zielt gerade darauf hin, der Regierung die Möglichkeit zu geben, die Gedanken, die sie sich über diese Fälle zweifellos bereits gemacht hat, in konkrete Bestimmungen einer Verordnung umzusetzen. Es ist mir und auch Ihnen, Herr Kollege Kunze, bekannt, daß es sich um ein außerordentlich weites Problem handelt. Man kann es keineswegs auf die billige Formel bringen: Wer vor der Währungsreform gebaut hat, war gegenüber dem anderen, der nicht bauen konnte, im Vorteil. Vielmehr hat der, der vor der Währungsreform wiederaufgebaut hat, oft sehr große Opfer gebracht. Es ist auch durchaus nicht so, daß vor der Währungsreform nur illegale Reichsmarkbeträge verbaut worden sind. Ich bitte daher, diesem Antrag stattzugeben.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Wird zu den drei Änderungsanträgen noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache hierzu. Ich komme zur Abstimmung, zuerst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Graf ({0}), Dr. Preiß und Genossen Umdruck 1003*), der Nr. 16 eine andere Fassung zu geben. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist Idle Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 1004**). Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Wer unterstützt den Antrag auf namentliche Abstimmung? - Das sind keine 50 Mitglieder ides Hohen Hauses. Ich komme damit zur einfachen Abstimmung über Umdruck 1004, Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE, die Nr. 37 zu ändern. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich komme nunmehr zum Umdruck 1006***), Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE, der Nr. 76 einen neuen Buchstaben e anzufügen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit, meine Damen und Herren, komme ich zur Schlußabstimmung über das Gesetz. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen; einstimmig angenommen. Wir kommen nunmehr zu den Entschließungsanträgen auf den Umdrucken 994 und 997. Wird *) Siehe Anlage 10 **) Siehe Anlage 9 ***) Siehe Anlage 11 hierzu noch das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse abstimmen über Umdruck 994*), Entschließungsantrag der Farktion des GB/BHE. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich muß die Abstimmung wiederholen lassen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich komme nunmehr zum Entschließungsantrag Umdruck 997**) der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP({1}), GB/BHE. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ohne Enthaltungen einstimmig angenommen. Ich darf noch feststellen, daß ,damit die Petitionen für erledigt erklärt werden. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Bevor ich in der Tagesordnung fortfahre, darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf folgenden Tatbestand lenken. Das Hohe Haus hat das Soldatenversorgungsgesetz - Drucksache 2504 - dem Bundestagsausschuß für Verteidigung überwiesen, der seine Beratungen abgeschlossen hat. Der Haushaltsausschuß bittet nun, da die Beschlüsse des Verteidigungsausschusses nach seiner Auffassung erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, ihm das Gesetz zur Beratung nach § 96 ({2}) der Geschäftsordnung zu überweisen. Ich nehme an, daß das Hohe Haus diesem Antrag entspricht. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen. Gemäß interfraktioneller Vereinbarung rufe ich nunmehr auf Punkt 10 der Tagesordnung: Zweite Beratung des von der Fraktion der FDP Leingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit ({3}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({4}) ({5}). ({6}) Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Platner. Platner ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestag beschloß in seiner 169. Sitzung am 8. November 1956 die Überweisung des von der FDP-Fraktion eingebrachten und mit der Drucksache 2793 vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Der Rechtsausschuß befaßte sich in seinen Sitzungen vom 28. November 1956, 19. Januar und 30. Januar 1957 mit den grundsätzlichen Fragen des Für und Wider dieser Amnestie. Von den Befürwortern der Amnestie wurde zunächst geltend gemacht, daß in der Öffentlichkeit allseits eine derartige politische Amnestie für notwendig gehalten werde. Mit der Verneinung einer derartigen Amnestie würde eine Reihe von Länderregierungen wie die FDP-Fraktion desavouiert werden. Als Moment für eine Amnestie sei auch die Möglichkeit, die Lage der politischen Häftlinge *) Siehe Anlage 12 **) Siehe Anlage 13 ({8}) in der Sowjetzone zu verbessern, ja die Möglichkeit, durch eine derartige Amnestie die Entlassung von politischen Gefangenen in der Sowjetzone zu erreichen, zu berücksichtigen. Deshalb habe auch die Vereinigung der Opfer des Stalinismus sich für eine derartige Amnestie ausgesprochen. Eine Amnestie sei am Platze, wenn in einer Entwicklung ein Schnitt eingetreten sei. Dieser Schnitt sei das Verbot der KPD durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956. Weil der Kommunismus zur Zeit in der Bundesrepublik keine Gefahr mehr bedeute, sei die Amnestie als Schlußstrich unter eine vergangene Epoche geboten. Hinsichtlich der rechtlichen Gründe, die für eine politische Amnestie sprechen könnten, nahm zunächst einen breiten Raum die Argumentation zu § 90 a des Strafgesetzbuchs ein. Die Auffassung, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur deklaratorische Bedeutung habe und deshalb die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei nur Verfahrensvoraussetzung sei, sei mit Art. 21 des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen; denn nach Artikel 21 des Grundgesetzes könne auch die verfassungswidrige Partei an der politischen Willensbildung mitwirken, bis ihre Verfassungswidrigkeit vom Bundesverfassungsgericht auch nur deklaratorisch festgestellt sei. § 90 a des Strafgesetzbuchs sei daher mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, und schon aus diesem rechtlichen Grund müsse man eine derartige Amnestie für notwendig erachten. Ferner bestehe aber auch die Gefahr, daß durch Verneinung des Unrechtsbewußtseins auf kaltem Wege praktisch eine Amnestie herbeigeführt werde. Die Bewertung des § 90 a Abs. 3 des Strafgesetzbuchs als bloßes Verfahrenshindernis mache rückwirkend auch die Zugehörigkeit zu einer Partei strafbar. Durch das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts komme eine große Zahl von Strafverfahren auf die Gerichte zu. In der Denkschrift einer Organisation, die an dem Schicksal der politischen Gefangenen interessiert sei, sei die Zahl von etwa 3500 derartiger Verfahren vorgetragen worden. Bei der Bewältigung dieser großen Zahl von Strafverfahren drohe die Gefahr einer „kalten Amnestie" auch in der Gestalt der Strapazierung des § 153 der Strafprozeßordnung. Trotz Anwendung dieser Bestimmungen bleibe aber eine erhebliche Zahl von Verfahren übrig, die überhaupt nur durch eine Amnestie zu einer schnellen Erledigung gebracht werden könnten. Bei der geringen Zahl politischer Häftlinge werde durch deren Entlassung die Staatssicherheit auch nicht beeinträchtigt. Von den Gegnern einer politischen Amnestie wurde geltend gemacht, eine derartige politische Amnestie müsse zur gegenwärtigen Zeit den Anschein erwecken, daß dem Druck der kommunistischen Propaganda nachgegeben werde. Die Gewalthaber der Sowjetzone hätten vor einiger Zeit triumphierend zum Ausdruck gebracht, sie würden die zuständigen Stellen in der Bundesrepublik schon zu einer Amnestie bringen. Das Verbotsurteil könne aus Staats- und sicherheitspolitischen Erwägungen kein äußerer Anlaß .für eine politische Amnestie sein. Es müsse bedenkliche Folgen für die Staatssicherheit haben, wenn nach dem Verbot der KPD durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nunmehr der Gesetzgeber im Wege einer Amnestie erkläre, daß jetzt alles verziehen sei. Mit einer solchen Amnestie werde man bei der seit den Vorgängen in Polen und Ungarn verhärteten politischen Haltung der Sowjetzonenregierung kaum eine Erleichterung der Lage der politischen Gefangenen in der Sowjetzone, geschweige denn eine Entlassung politischer Häftlinge erreichen können. Eine politische Amnestie sei aber auch nicht etwa deshalb notwendig, weil § 90 a mit dem Artikel 21 des Grundgesetzes vereinbar sei. Der Artikel 21 des Grundgesetzes sei eine Schutzbestimmung für die politischen Parteien. Daraus könne nicht gefolgert werden, daß die im § 90 a umrissene Tat durch ein Verbotsurteil eine andere rechtliche Qualifikation erhalte. Das Verbotsurteil sei nur eine Voraussetzung der Verfolgung. Man könne nicht sagen, daß praktisch das Verbot der Partei eine Strafbarkeit mit rückwirkender Kraft begründe. Die Tat als solche, auch wenn sie früher begangen worden sei, sei eine strafbare Handlung; sie werde jedoch erst verfolgbar, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, daß es sich bei der Organisation um eine verfassungswidrige Organisation handle. Im übrigen könne nach § 90 a Abs. 5 StGB bei geringer Schuld ja von Strafe abgesehen werden. Von der Feststellung, daß der subjektive Tatbestand des § 90 a StGB nicht gegeben sei, sei in der Praxis kein zu weitgehender Gebrauch gemacht worden. Ebensowenig sei der 153 StPO in einem zu großen Umfange angewandt worden. Man habe allerdings von ihm gegenüber den Kleinen weitgehend Gebrauch gemacht. Im übrigen erkläre sich die geringe Zahl politischer Häftlinge aus der verständnisvollen und humanen Anwendung der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 23 StGB und der bedingten Entlassung gemäß § 26 StGB. Das Argument für eine Amnestie - infolge des KPD-Verbotsurteils sei eine Lawine von Strafverfahren auf die Gerichte zugekommen - werde durch die im Ausschuß vorgelegten Zahlen widerlegt. Nach dem Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 15. Januar 1957 seien am 1. August 1956 nur 36 politische Häftlinge in der Bundesrepublik vorhanden gewesen und im Januar 1957 nur noch 27. Wegen Staatsgefährdung seien am 1. Oktober 1956 173 Verfahren anhängig gewesen, im Januar 1957 nur noch 143. Nach dem KPD-Verbotsurteil seien insgesamt 1107 neue Verfahren eingeleitet worden. Davon seien 641 eingestellt und im Januar 1957 insgesamt noch 465 Verfahren anhängig gewesen. Von den kleineren Sachen seien etwa vier Fünftel auf den Wegen der §§ 23 und 26 StGB erledigt worden. Deshalb bestehe insoweit keine Notwendigkeit einer Amnestie; denn es sei de facto keine Störung des Rechtsfriedens eingetreten. Durch eine Amnestie würden aber auch die generalpräventiven Wirkungen der Straftatbestände der Staatsgefährdung beeinträchtigt, was im Interesse der Staatssicherheit insbesondere angesichts der gesteigerten Aktivität der Sowjetzonenregierung gegenüber der Bundesrepublik untunlich sei. Aus allen diesen Gründen hat dann in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 30. Januar 1957 eine Mehrheit von 13 Mitgliedern des Rechtsausschusses gegen 12 Stimmen den Beschluß gefaßt, den Entwurf, der auf Drucksache 2793 vorgelegt ist, abzulehnen. Demgemäß stellt der Rechtsausschuß den Ihnen bereits mit Drucksache 3157 unterbreiteten Antrag, den auf Drucksache 2793 Ihnen vorgelegten Entwurf eines Straffreiheitsgesetzes abzulehnen. ({9})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart, daß in diesem Fall die zweite Lesung mit einer allgemeinen Aussprache beginnt. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile dem Herrn Bundesminister der Justiz das Wort.

Dr. Hans Joachim Merkatz (Minister:in)

Politiker ID: 11001477

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Bundesminister der Justiz will ich zum Problem eines Straffreiheitsgesetzes auf dem Gebiet des strafrechtlichen Staatsschutzes unter drei Gesichtspunkten Stellung nehmen. Zunächst werde ich Ihnen die Zahlen bekanntgeben, die für die Beurteilung des Problems von Bedeutung sind, und versuchen, diese auszuwerten. Anschließend will ich einige rechtliche Gesichtspunkte behandeln und schließlich zum Amnestieproblem vom rechtspolitischen Standpunkt aus Stellung nehmen. Jeder Unbefangene geht davon aus, daß eine Amnestie den Zweck habe, für Hunderte oder Tausende von Personen die Gefängnistore zu öffnen. Denn wenn das nicht der Fall ist, besteht für einen so außerordentlichen Eingriff in den Gang der Strafrechtspflege kein berechtigter Anlaß. Ich habe die Landesjustizverwaltungen und den Oberbundesanwalt gebeten, mir für den Stichtag vom 1. Januar 1957 die einschlägigen Zahlen mitzuteilen. Ich danke dem Herrn Berichterstatter, daß er versucht hat, auch das Zahlenwerk darzustellen halte mich aber für verpflichtet, dem Hause noch die authentischen Zahlen bekanntzugeben. Die Ausgangszahlen, die ich hier nennen werde, haben die Meldungen der Länder und des Oberbundesanwalts zur Grundlage. Sie betreffen die typischen Staatsschutzdelikte, nämlich Hochverrat, Staatsgefährdung und die politischen Organisationsvergehen. Im einzelnen beziehen sie sich auf folgende Tatbestände des Strafgesetzbuchs. Erste Gruppe: Hochverräterische Handlungen nach den §§ 80 bis 84, insbesondere die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens nach § 81 und die Verbreitung hochverräterischer Schriften nach § 84. Zweite Gruppe: Die Staatsgefährdungsdelikte nach den §§ 89 bis 97, insbesondere die Betätigung der Gründer, Rädelsführer oder Hintermänner einer verfassungsfeindlichen Vereinigung nach § 90 a, ferner die Herausgabe und Verbreitung staatsgefährdender Schriften nach i§ 93. schließlich die staatsgefährdende Verunglimpfung der Parlamente, der Regierungen oder der Verfassungsgerichte nach § 97 und die Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole nach § 96. Die dritte Gruppe sind die politischen Organisationsdelikte, nämlich Geheimbündelei nach § 128. die Tätigkeit in Vereinigungen, die strafbare Zwecke verfolgen, nach § 129 und die Fortsetzung der durch ein oberstes Verwaltungsgericht für verboten erklärten Vereinigungen nach § 129 a. Diese drei Deliktsgruppen sind es wohl, die den Gegenstand eines Straffreiheitsgesetzes aus Anlaß des Verbots der KPD bilden würden. Die Fälle des Landesverrats dürfen und müssen meines Erachtens außer Betracht bleiben. weil es sich hierbei durchweg um bezahlte Agenten, also um einen ganz anderen Täterkreis handelt. In der Öffentlichkeit sind Zahlen verbreitet worden, die weithin den unzutreffenden Eindruck erweckt haben, als würde mit dem Erlaß einer Amnestie eine große Zahl von Gefangenen aus den Gefängnissen entlassen werden können. Wie aber sieht es in Wirklichkeit aus? Am 1. Januar 1957 befanden sich wegen der drei genannten Gruppen von Straftaten nur 27 Personen in Strafhaft. Ich habe ferner errechnen lassen, wie viele Personen am 1. Januar 1957 wegen der genannten Delikte rechtskräftig verurteilt waren, ohne daß ihre Strafe schon restlos verbüßt oder endgültig erlassen ist. Die Zahl dieser rechtskräftig Verurteilten beträgt 585. Die meisten dieser Verurteilten brauchen aber ihre Strafe ohnehin nicht zu verbüßen. Über 400 Personen von den 585 Verurteilten ist nämlich für ihre ganze Strafe schon durch die Gerichte bei Erlaß der Urteile Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt worden. Ein weiterer Teil von ihnen hat die Strafe teilweise verbüßt und für den Strafrest - bis zu einem Drittel der verhängten Strafe - die Vergünstigung der bedingten Entlassung erhalten. Von Interesse dürften ferner folgende Einzelheiten sein. Von den nicht erledigten rechtskräftig erkannten Strafen betrugen nur etwa 200 mehr als sechs Monate. Der Anteil der Jugendlichen und Heranwachsenden ist sehr gering. Tinter den 585 Verurteilten befinden sich nur 8 Jugendliche und nur 28 Heranwachsende. In der Zahl von 27 Personen, die ihre Strafe zur Zeit verbüßen - ich möchte übrigens sagen, daß von diesen 27, nachdem diese Statistik aufgenommen war, bereits weitere entlassen worden sind -, sind nur 3 enthalten, die zur Zeit der Tat noch nicht 20 Jahre alt waren. Ein Straffreiheitsgesetz würde sich jedoch nicht darauf beschränken, die rechtskräftig erkannten Strafen bis zu einer gewissen Höhe zu erlassen. Es würde vielmehr auch die Einstellung schwebender und noch anhängig werdender Verfahren vorsehen, wenn die zu erwartende Strafe eine bestimmte Höhe nicht übersteigt und die Tat vor dem ins Auge gefaßten Stichtag einer Amnestie, nämlich dem 17. August 1956, dem Tag des KPD-VerbotsUrteils, begangen worden ist. Die voraussichtliche Wirkung dieses Teils einer Amnestie kann ungefähr ermessen werden, wenn man sich folgende Zahlen vor Augen hält: Am 1. Januar 1957 waren bei den Gerichten 322 Verfahren mit 566 Angeschuldigten anhängig; bei den Staatsanwaltschaften waren im Ermittlungsstadium 2358 Verfahren mit 3506 Beschuldigten anhängig. Da hier und dort die Meinung bestehen könnte, es befinde sich eine große Zahl dieser Personen in Untersuchungshaft, darf ich hier einschalten, daß sich von diesen Beschuldigten und Angeschuldigten am 1. Januar 1957 nur 17 in Untersuchungshaft befunden haben. ({0}) Meine Damen und Herren, zu diesen Zahlen ist einiges zu bemerken. Sie müssen ausgewertet werden. Man kann sie nur richtig werten, wenn man sich vergegenwärtigt, welchen Ablauf diese Verfahren nach den aus der Justizstatistik gewonnenen Erfahrungen nehmen werden, wenn von dem Erlaß einer Amnestie abgesehen würde. Von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren werden erfahrungsgemäß im Durchschnitt 75 bis 80% eingestellt. Geht man von einer Einstellungsquote von 75 % aus, so ergibt sich folgendes Bild. Von den 2358 Ermittlungsverfahren, die am 1. Januar 1957 wegen der hier behandelten Staats({1}) schutzdelikte bei der Staatsanwaltschaft anhängig waren, wird nur ungefähr ein Viertel bei Gericht anhängig werden. Das bedeutet. daß unter Einschluß der erwähnten bereits gerichtlich anhängigen Verfahren noch rund 900 Verfahren mit etwa 1400 Beschuldigten durchzuführen sind. Von diesen Beschuldigten wird jedoch ein nicht unbeträchtlicher Teil freigesprochen werden. Im Bundesgebiet wurde im Jahre 1954 bei mehr als 13% aller Angeklagten auf Freispruch oder Einstellung des Verfahrens erkannt. In diesem Prozentsatz sind auch diejenigen Fälle enthalten, in denen die Gerichte das Verfahren wegen Geringfügigkeit oder wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt haben. Jedoch sind die Fälle der Einstellung nach dem Straffreiheitsgesetz 1954 als Sonderfälle nicht miteinbezogen. Bei den hier interessierenden Staatsschutzdelikten betrug im Jahre 1954 die Zahl der Freisprüche und Verfahrenseinstellungen sogar über 46 %. Für das Jahr 1955 stehen mir die entsprechenden Zahlen leider noch nicht zur Verfügung. Es mag sein, daß die hohe Zahl der Freisprüche auf dem Gebiet des strafrechtlichen Staatsschutzes im Jahre 1954 zum Teil dadurch bedingt ist, daß es damals noch an einer festen Rechtsprechung auf diesem Gebiet gefehlt hat, die den Staatsanwaltschaften als Richtschnur bei der Anklageerhebung hätte dienen und somit manche Freisprüche durch vorherige Einstellung der Verfahren hätte verhindern können. Man wird aber kaum fehlgehen, wenn man in der Prognose für den Ablauf der noch durchzuführenden Verfahren davon ausgeht, daß mindestens 20 % der rund 1400 Personen, gegen die noch gerichtliche Verfahren durchzuführen sind, freigesprochen werden, d. h. also etwa 280 Personen. Einem großen Teil der noch verbleibenden etwa 1120 Personen wird Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt werden. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Gerichte - ({2}) - Nach dem Hollerith-Verfahren pflegt man ein so empfindliches und so verantwortungsvolles Gebiet, wie es die Strafrechtspflege ist, nicht zu behandeln. ({3}) Ich muß Ihnen leider sagen, Herr Kollege: Sie haben ein Anrecht darauf und ich habe die Verpflichtung, daß eine solche Statistik dargelegt wird. Es ist meine Verpflichtung, diese Statistik nicht als ein totes Zahlenwerk vor Ihre Augen zu stellen, sondern die Erfahrungen, die die Kriminalstatistik hat, hier wertend anzuwenden, um Ihnen ein Bild zu geben - und zwar ein geistiges Bild, nicht ein mechanistisches Bild -, das Ihren Entschluß unterbauen soll. ({4}) Aber ich wäre Ihnen im Interesse einer sachlichen Darlegung dankbar, wenn ich fortfahren dürfte. Einem großen Teil der noch verbleibenden etwa 1120 Personen wird also Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt werden. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß die Gerichte seit Erlaß des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953 Strafen bis zu 9 Monaten Gefängnis zur Bewährung aussetzen können. Nach den bisher vorliegenden statistischen Manuskripttabellen wurde in den Jahren 1954 und 1955 in etwa 30 bzw. 35 % aller Verurteilungen zu Gefängnisstrafen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Auf dem Gebiete der Staatsschutzdelikte wurden die Strafen im Jahre 1954 sogar in etwa 41 %, im Jahre 1955 in etwa 46 % der Verurteilungen zur Bewährung ausgesetzt. Es bestehen keine Bedenken, der Prognose für das mutmaßliche Ergebnis der noch durchzuführenden Verfahren den Prozentsatz des Jahres 1955 - also 46 % - zugrunde zu legen, da die Neigung der Gerichte, Strafaussetzung zur Bewährung für die vor dem KPD-Verbot begangenen Staatsschutzdelikte zu bewilligen, besonders stark sein wird. Man kann also davon ausgehen, daß mindestens 45 % der Beschuldigten in den Genuß dieser Vergünstigung kommen werden. Es bleiben dann noch etwa 600 Personen übrig, die ihre Strafe verbüßen müßten. Ein Teil dieser 600 Personen würde aber von der Amnestie gar nicht betroffen werden, weil entweder ihre Straftaten nach dem 17. August 1956 begangen worden sind oder weil auf Strafen erkannt werden muß, die über der Amnestiegrenze liegen. Meine Damen und Herren, mit dieser auf statistischen Erfahrungssätzen beruhenden Prognose wollte ich Ihnen zeigen. wie sich die anhängigen Verfahren voraussichtlich entwickeln werden. Damit habe ich zugleich dargetan, daß von den Zahlen kein anzuerkennendes Bedürfnis für eine Amnestie auf dem Gebiete des strafrechtlichen Staatsschutzes abgeleitet werden könnte. ({5}) - Von den Zahlen aus gesehen! Einen Hauptgrund für die Notwendigkeit einer Amnestie sehen deren Verfechter in der rechtlichen Situation, in der sich die ehemaligen führenden Funktionäre der Kommunistischen Partei befinden. Ich spreche von den Funktionären deshalb, weil die Mitglieder der KPD, die sich ohne führende Stellung in dieser Partei betätigt haben, ohnehin nicht in die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung wegen ihrer vor dem Verbot ausgeübten Tätigkeit kommen können. Dazu darf ich folgendes bemerken: Nach Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes sind insbesondere solche Vereinigungen verboten, deren Zwecke oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Die Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot hat der Gesetzgeber in § 90 a des Strafgesetzbuches unter Strafe gestellt. Jedoch hat er sich darauf beschränkt, die Gründer, Rädelsführer und Hintermänner einer solchen verfassungsfeindlichen Vereinigung mit Strafe zu bedrohen. Die Tätigkeit der einfachen Mitglieder einer derartigen Vereinigung wird daher von § 90 a des Strafgesetzbuches nicht erfaßt. Aber auch die von der Strafvorschrift des § 90 a betroffenen führenden Funktionäre der Kommunistischen Partei konnten bis zum Verbot dieser Partei strafrechtlich nicht verfolgt werden. Das ergibt sich aus folgendem. Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt, daß nur das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungswidrigkeit einer Partei zu entscheiden hat. Aus diesem verfassungsrechtlichen Parteiprivileg hat § 90 a Abs. 3 des Strafgesetzbuches die notwendige strafprozessuale Folgerung gezogen und ein zeitlich befristetes Verfahrenshindernis vorgesehen. Gründer, Rädelsführer und Hin({6}) termänner einer verfassungsfeindlichen Partei dürfen nämlich strafrechtlich erst dann verfolgt werden, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der Partei festgestellt hat. Durch das KPD-Verbot vom 17. August vorigen Jahres ist mithin das erwähnte Verfahrenshindernis weggefallen. Seit diesem Zeitpunkt waren die Strafverfolgungsbehörden also berechtigt und verpflichtet, gegen die ehemaligen führenden Funktionäre der KPD Verfahren einzuleiten, wenn der Verdacht eines Vergehens nach § 90 a des Strafgesetzbuches bestand. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Art Rückwirkung des Strafgesetzes, wie zuweilen behauptet worden ist. Das Grundgesetz sagt nicht, daß verfassungswidrige Betätigung von Parteifunktionären bis zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts erlaubt sei oder auch nur straflos bleiben solle. Das ergibt sich ganz eindeutig aus der Entstehungsgeschichte des § 90 a des Strafgesetzbuches. Als der Gesetzgeber im Jahre 1951 an die Formulierung der Strafbestimmung ging, die das in Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes enthaltene Verbot der gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Vereinigungen unter Strafschutz stellen sollte, hatte er zwei Möglichkeiten. Erstens hätte er das Wirken an führender Stelle in verfassungswidrigen Vereinigungen mit Strafe bedrohen, aber für politische Parteien eine Ausnahme vorsehen können. Zweitens konnte man von einer solchen strafrechtlichen Sonderstellung der politischen Parteien absehen und die führende Mitwirkung in verfassungswidrigen Vereinigungen aller Art unter Strafe stellen. Dann aber mußte dem Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes in der Form eines zeitlich begrenzten Verfahrenshindernisses Rechnung getragen werden, durch das die Strafverfolgung der Parteifunktionäre bis zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts aufgeschoben wurde. Der Gesetzgeber hat sich für den zweiten Weg entschieden, da gegen den ersten Weg folgende Bedenken bestanden. Eine derartige unterschiedliche Behandlung von Parteien und anderen politischen Vereinigungen hätte eine Aufhebung des verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes bedeutet, zu der sich der Verfassungsgesetzgeber nicht entschlossen hat und nicht entschließen konnte. Desgleichen hätte die Herausnahme der Parteien aus den politischen Vereinigungen dazu geführt, daß den Parteifunktionären aller Art eine materielle Immunität, d. h. ein Strafausschließungsgrund, zugebilligt worden wäre, wie ihn das Grundgesetz mit gutem Recht nur den Abgeordneten gewährt hat. Während nämlich ein Abgeordneter nach Art. 46 Abs. 1 des Grundgesetzes zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung strafrechtlich verfolgt werden darf, die er im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, fehlt eine gleichartige Bestimmung in Art. 21 des Grundgesetzes für die Parteifunktionäre, die sich außerhalb des Bundestages politisch betätigen. Daß das Grundgesetz den Funktionären einer verfassungswidrigen Partei ein solches Privileg nicht gewähren wollte, ergibt sich auch aus folgendem. Früher enthielt das Grundgesetz selbst in Art. 143 eine Strafbestimmung gegen Hochverrat. Auch in dieser - inzwischen durch das Erste Strafrechtsänderungsgesetz gegenstandslos gewordenen - Strafbestimmung war eine Ausnahmevorschrift für die Funktionäre von Parteien nicht vorgesehen. Dadurch wird klar, daß das Parteienprivileg keine Straflosigkeit für verfassungswidrige Parteitätigkeit gewährt, sondern daß es lediglich ein strafrechtliches Vorgehen zeitlich so lange hindert, bis das Bundesverfassungsgericht gesprochen hat. ({7}) Die Bundesregierung verkennt nicht die Schwierigkeit, die dadurch entstanden ist, daß das Verbot der KPD erst im Jahre 1956 ausgesprochen worden ist. Dabei handelt es sich aber um ein Problem, das sich auch ohne Amnestie gerecht lösen läßt. Dazu darf ich folgendes bemerken. In der Zeit vom KPD-Verbot vom 17. August 1956 bis zum 31. Dezember 1956 sind von den Staatsanwaltschaften gegen frühere Funktionäre der KPD wegen ihrer vor dem Verbot liegenden verfassungswidrigen Betätigung 1107 Verfahren eingeleitet worden. Davon sind bis zum 31. Dezember 1956 schon fast 60 % eingestellt worden. Aus dieser Tatsache läßt sich ein sehr wesentlicher Schluß ziehen: Diese Verfahrenseinstellungen können schwerlich mit dem mangelnden Nachweis der Funktionärtätigkeit begründet sein; den die Funktionärseigenschaft ist in aller Regel ohne Schwierigkeit nachzuweisen. Die Einstellungen dürften daher, wie mir zum Teil auch positiv bekanntgeworden ist, ganz überwiegend mit dem unverschuldeten Mangel des Unrechtsbewußtseins begründet sein. Nach heutiger Rechtsprechung ist nämlich eine strafgerichtliche Verurteilung nur möglich, wenn der Täter das Unerlaubte seiner Tat gekannt oder fahrlässig nicht erkannt hat. Hierin liegt der entscheidende Gesichtspunkt, der die Befürchtung zerstreut, daß eine große Zahl früherer verhältnismäßig unwichtiger KP-Funktionäre bestraft würde. Gerade weil die Entscheidung über den Antrag der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht so lange auf sich warten ließ, ist dem Durchschnittsfunktionär oftmals nicht zu beweisen, daß er sich des Unrechts seiner Tätigkeit bewußt war. Aus der Tatsache, daß gegen diese verfassungsfeindliche Betätigung bis zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts - also jahrelang - nicht eingeschritten werden konnte, mag mancher untergeordnete Funktionär den zwar unrichtigen. aber entschuldbaren Schluß gezogen haben, daß sein Wirken nicht verboten sei. Den wirklich führenden Funktionären allerdings wird das Unrechtsbewußtsein kaum je gefehlt haben. Man hat auch versucht, für die Amnestie ein Argument aus angeblichen Mängeln der Staatsschutzgesetzgebung und der Rechtsprechung abzuleiten. Gewiß wird auf allen Gebieten der Gesetzgebung und auch in der Rechtsprechung niemals ein Stillstand eintreten. Es werden immer Fortbildungen und Verbesserungen möglich und wünschenswert sein. Man muß gerechterweise aber auch zugeben, daß sowohl das Gesetz als auch die Rechtsprechung auf dem Gebiet des strafrechtlichen Staatsschutzes im großen und ganzen ihre Funktionen voll erfüllt haben. Selbst wenn hier und dort Anlaß zur Kritik besteht, so sollte doch nicht verkannt werden, daß das Staatsschutzrecht dieses Schicksal mit allen anderen Rechtsmaterien teilt und dies keinen Grund für eine Amnestie abgibt. Wenn einmal aus Gerechtigkeitsgründen in dem einen oder anderen Fall eine Korrektur notwendig sein sollte, gibt der Gnadenweg die Möglichkeit dazu. ({8}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß einige rechtspolitische Gedanken anfügen. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß eine Amnestie ein außerordentlicher Eingriff in die Strafrechtspflege ist, der nur aus unabweisbar notwendigem Anlaß gerechtfertigt sein kann. Das gilt ganz besonders für das Gebiet des strafrechtlichen Staatsschutzes. Dieser Auffassung hat auch das Hohe Haus bei dem Erlaß der Amnestie von 1954 dadurch Rechnung getragen, daß es damals die Staatsschutzdelikte von der Amnestie ausgenommen hat. Und zwar mit gutem Grund, da sich nämlich die Staatsschutzdelikte gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Die Vorrangstellung dieser Rechtsgüter gegenüber anderen, weniger wichtigen Rechtsgütern muß auch künftig gewahrt bleiben. Jede Amnestie führt aber auch zu Ungerechtigkeiten, weil sie, was gar nicht zu vermeiden ist, schematisiert. Unser Strafgesetz dagegen gibt den Strafverfolgungsbehörden so viele Möglichkeiten, den Besonderheiten des einzelnen Falles, der einzelnen Tat und der Person des Täters Rechnung zu tragen, daß ganz allgemein kaum mehr ein Bedürfnis für eine Amnestie entstehen kann. Ich darf dabei bloß an folgende Möglichkeiten erinnern. Sind beim Vergehen die Folgen der Tat unbedeutend und die Schuld des Täters gering, so kann der Staatsanwalt mit Zustimmung des Gerichts oder, falls das Verfahren bereits gerichtlich anhängig ist, das Gericht mit Zustimmung des Staatsanwalts das Verfahren einstellen. Denjenigen Angeklagten, die zu Strafen bis zu neun Monaten verurteilt werden, kann das Gericht im Urteil Strafaussetzung zur Bewährung bewilligen, damit sie durch gute Führung während einer Bewährungszeit endgültigen Straferlaß erlangen können. Ich habe schon an Hand der Zahlen dargetan, welche große Rolle diese Institution in der gerichtlichen Praxis spielt. Selbst den Verurteilten, deren Strafen höher sind, kann die Vergünstigung der bedingten Entlassung für das letzte Drittel der Strafe gewährt werden. Darüber hinaus haben die Gnadeninstanzen das Recht, eine Strafe ganz oder teilweise, bedingt oder unbedingt zu erlassen. Freilich ist eine Niederschlagung von Verfahren, wie sie durch eine Amnestie ermöglicht würde, nach den geltenden Bestimmungen nicht möglich. Aber ich halte es für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß schon allein die Durchführung der anhängigen Verfahren eine erhebliche präventive Wirkung hat. Es bedeutet vom Standpunkt der Staatssicherheit aus, die auf dem Gebiete des Staatsschutzes auch ein rechtspolitisches Argument darstellt, einen großen Unterschied, ob 600 Akteure, deren Ziel die Beseitigung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist, durch eine Amnestie von jeglicher Verantwortung befreit oder ob sie durch eine Strafaussetzung zur Bewährung für mehrere Jahre zur Respektierung eben dieser verfassungsmäßigen Ordnung gezwungen werden, Nimmt man hinzu, daß eine Amnestie auch die bisher zur Bewährung ausgesetzten Strafen bedingungslos erlassen würde, so wären es ungefähr 1000 solcher Akteure, denen eine Amnestie die Fortsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Betätigung wesentlich erleichtern würde. ({9}) Woher wissen Sie es nicht? ({10}) - Ich versuche ja wirklich angestrengt, Ihnen den Beweis zu bringen. Es wäre doch eine Weltfremdheit, entschuldigen Sie, ({11}) wenn man diese Zusammenhänge nicht sehen wollte. ({12}) Die Verfechter des Amnestiegedankens versprechen sich endlich von einer Amnestie, daß die Machthaber der sowjetisch besetzten Zone zu einem ähnlichen Schritt veranlaßt werden könnten. Das wäre natürlich ein wünschenswertes Ziel, denn uns allen liegt sehr daran, sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, die zur Befreiung der Tausende von politischen Häftlingen in der sowjetisch besetzten Zone führen könnten. Wir können und dürfen jedoch nicht außer acht lassen, daß zur Zeit keine Anzeichen dafür vorliegen, daß die Machthaber der sowjetisch besetzten Zone zur Entlassung ihrer politischen Gefangenen bewogen werden könnten. Der gegenwärtig dort gesteuerte Kurs läßt nämlich für einen solchen Optimismus leider keinerlei Raum. Die Rechtsprechung der Zone ist gerade in der letzten Zeit wieder eindeutig durch Härte gekennzeichnet. Selbst wenn das Hohe Haus eine Amnestie beschließen sollte, würde diese, wie ich schon ausgeführt habe, nur zur Freilassung einiger weniger in der Bundesrepublik in Strafhaft befindlicher Verurteilter führen. Sie würde in der sowjetisch besetzten Zone die Wirkung eines verpflichtenden Beispiels nicht haben können. Im Gegenteil, sie würde von den Machthabern der Zone nur bagatellisiert werden. Denn die von dort aus betriebene Propaganda für eine Amnestie zeigt deutlich, daß es der sowjetisch besetzten Zone nicht so sehr auf die Befreiung einiger Strafgefangener und auf die Niederschlagung schwebender Verfahren ankommt; was man dort will, ist die Beseitigung unserer Staatsschutzbestimmungen und die Inhibierung ihrer Anwendung. Wenn die Machthaber der Zone guten Willens wären, könnte und müßte die milde, sehr milde Strafpraxis unserer Gerichte in Staatsschutzsachen wie auch die ungemein weitherzige Bewilligung von Strafaussetzungen zur Bewährung ebenso im Sinne einer Entspannung wirken wie eben eine Amnestie. ({13})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern. ({0})

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein verehrter Kollege, der Herr Bundesminister der Justiz, der in dieser Frage federführend ist, hat soeben das Zahlenwerk, die rechtlichen und die rechtspolitischen Gesichtspunkte ausgebreitet. Erlauben Sie mir, nun noch einige Anmerkungen zur Geschichte und zu den Hintergründen der Amnestiekampagne zu machen. Seit Herbst 1955, also beinahe einem Jahr vor dem Verbot der Kommunistischen Partei, sind SED und KP mit allen Kräften bemüht, eine Amnestie für kommunistische Funktionäre in der Bundes({0}) republik zu erreichen. Diesen Bemühungen gab man im Dezember 1955 eine breitere Basis: in Frankfurt wurde unter Mitwirkung der kommunistischen Hilfsorganisation „Zentralrat zum Schutz demokratischer Rechte" ein Initiativausschuß für eine Amnestie von Kommunisten gegründet. Diesem Ausschuß, der noch tätig ist, gehören unter anderem mehrere Rechtsanwälte an, die nach außen hin als von der KP unabhängig erscheinen. Ich verzichte darauf, die Namen der sechs Anwälte zu nennen, und werde sie nur nach sonstigen Positionen bezeichnen. Der eine ist ein Präsidiumsmitglied der GVP, der zweite der Zweite Vorsitzende der kommunistischen „Liga der Wehrdienstgegner", der dritte ein Teilnehmer am „Weltfriedenstreffen" in Helsinki von 1955, der vierte ein Teilnehmer an der kommunistischen Volksbefragungsaktion 1951, der fünfte ein Mitglied des Landesvorstandes der GVP Hessen und Teilnehmer am „Weltfriedenstreffen" in Helsinki 1955, ein sechster und schließlich ein siebenter Teilnehmer: dieser siebente Teilnehmer ist Leiter des Heidelberger Kreises des „Demokratischen Kulturbundes", Präsidiumsmitglied der von dem ,Demokratischen Kulturbund" gesteuerten „Deutschen Begegnung". Dieser Ausschuß versandte Anfang 1956 in mehreren tausend Exemplaren einen Appell, mit dem Juristen und Politiker der Bundesrepublik aufgefordert wurden, seine Bemühungen um eine umfassende Amnestie aller politisch Verurteilten zu unterstützen. Im März 1956 versandte der Zentralrat eine Denkschrift über Probleme der Justiz in politischen Strafsachen, die von zwei Rechtsanwälten, von denen ich vorhin schon einen genannt habe, ausgearbeitet worden war. Ende 1956 hat der Zentralrat eine Zusammenstellung über das Ausmaß der politischen Verfahren in der Bundesrepublik herausgegeben. Diese Schrift ist von den genannten Rechtsanwälten im Namen des Amnestieausschusses den Fraktionen des Bundestages übergeben worden. Auch diese Tatsache zeigt die weitgehende Identität der kommunistischen Hilfsorganisation „Zentralrat zum Schutze demokratischer Rechte" mit dem Amnestieausschuß. Welches Ziel wird von den Kräften. die ich gerade genannt habe, verfolgt? Nach mir vorliegenden Berichten gehen leitende SED- und KP-Funktionäre von folgenden Erwägungen aus. Die öffentliche Diskussion dieser Fragen sei insofern sehr zu begrüßen, weil dadurch in der Bundesrepublik und im Ausland weithin bekannt werde, daß es auch im Bundesgebiet politische Gefangene gebe. Dadurch werde die Bundesrepublik in gewissem Umfang in Mißkredit geraten. Die Diskussion werfe auch die Frage auf, ob die Bundesrepublik wirklich ein Rechtsstaat sei. Dadurch werde der moralische Vorsprung der Bundesrepublik gegenüber der Sowjetzone gemindert. Die Erörterung dieser Fragen biete im Rahmen der seit Oktober 1955 betriebenen und nach dem XX. Parteitag der KPdSU nachdrücklich verfolgten Politik Ansatzpunkte, mit den in Opposition zur Bundesregierung stehenden Kräften zu gemeinsamem Handeln zu gelangen. Nach diesen Ansichten, die ich gerade zitiere, würde sich auch ein Mißerfolg der kommunistischen Agitation zugunsten der SED auswirken, weil durch das Scheitern derartiger Versuche der Schein erweckt würde, daß die Bundesrepublik nicht bereit sei, den Inhaftierten der Sowjetzone wirklich zu helfen. ({1}) SED und KP gingen auch idavon aus, daß die Frage der Amnestie, ganz gleich, welche Lösung sie finden werde, im Hinblick auf die Bundestagswahlen 1957 den Zwecken ihrer Politik ,dienstbar gemacht werden könne. Über diese Erwägungen hinaus versprechen sich die Kommunisten von einer Amnestie folgende Vorteile. Das Verbot der Kommunistischen Partei hat bei ihren Anhängern einen nachhaltigen Schock ausgelöst, der noch heute den Aufbau eines illegalen Apparates entscheidend hemmt. Eine Amnestie würde diese Wirkung zunichte machen und die Furcht vor dem Risiko 'illegaler Betätigung mindern. Die bisher Verurteilten sind, wie die Durchsicht ihrer Akten zeigt, durchweg die fanatischsten Kommunisten. Sie würden ihre wiedergewonnene Freiheit erneut zum Kampf gegen die Bundesrepublik mißbrauchen, den illegalen Apparat in der Bundesrepublik oder die Reihen der Unterdrücker in der Sowjetzone wesentlich verstärken. Das gilt insbesondere auch für die namhaftesten Kommunisten, die wegen der gegen sie bestehenden Haftbefehle Idas Gebiet der Bundesrepublik nicht betreten. Die von der SED gesteuerte Flucht zahlreicher Funktionäre in die Sowjetzone hatte weniger den Zweck, die Betreffenden selbst vor Untersuchungsoder Strafhaft zu bewahren, sondern mehr noch, zu verhindern, daß bestimmte Strafverfahren überhaupt durchgeführt werden können, weil die Auswirkungen dieser Strafverfahren auf die KP und ihre Hilfsorganisationen befürchtet wurden. Denn jedes Strafverfahren gegen einen Funktionär der KP ist zugleich ein Stück politischen ,,Offenbarungseides" der Kommunisten, das für die Öffentlichkeit außerordentlich instruktiv ist. Eine Amnestie würde gerade diesen von der KP besonders gefürchteten „Offenbarungseid" verhindern. Eine Amnestie würde das dringend notwendige Vorgehen gegen kommunistische Tarnorganisationen weiter erschweren. Lassen Sie mich nun noch einige Worte über die Nachteile hinzufügen, die sich aus einer Amnestie für den Staatsschutz ergäben. Die bisher durchgeführten Verfahren gegen die gefährlichsten Kommunisten sind das Ergebnis einer sehr mühevollen, jahrelangen Kleinarbeit. Das erklärt sich sehr leicht daraus, daß bei uns die rechtsstaatlichen Anforderungen an der. Nachweis einer Straftat äußerst hoch gespannt sind, daß also das Beweismaterial umfassend und lückenlos sein muß. Die Arbeitswilligkeit aller Organe des Staatsschutzes auf diesem schwierigen und gefährlichen Gebiet würde aufs schwerste beeinträchtigt, wenn ihre Arbeit von hoher Hand bagatellisiert würde. Ein falsches Verhalten an den obersten Führungsstelen hat leicht eine verheerende Wirkung auf die Pflichttreue des kleinen Mannes „an der Front". Was für die untersten Organe der Staatssicherheit gilt, kann entsprechend auch von den Staatsanwälten und Gerichten gesagt werden. Der Ernst des strafrechtlichen Staatsschutzes darf nicht relativiert werden. Wenn erst einmal der Weg von Amnestien für den Staatsfeind beschritten ist, läßt sich nicht mehr die Überzeugung wecken. daß dies nun die letzte Amnestie sei und daß von jetzt an Ernst gemacht werde. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch wenige Worte zu der Einstellung auf der anderen Seite sagen. Aus dem Munde maßgeblicher Funk({3}) tionäre von drüben wissen wir, daß dort an eine Amnestie, d. h. an eine generelle Maßnahme zugunsten der politischen Gefangenen, unter gar keinen Umständen gedacht wird. Ich habe bereits des öfteren erklärt, daß wir unter Zurückstellung aller Bedenken jederzeit bereit sein würden, einer Amnestie zuzustimmen, wenn dadurch der von uns allen ersehnte Erfolg der Befreiung der Tausende von Häftlingen drüben erreicht würde. ({4}) Wir wissen, daß die totalitären Kommunisten dieses Problem unter völlig anderen Gesichtspunkten beurteilen. Sie sehen in den wenigen Häftlingen, die es in der Bundesrepublik gibt, eingekerkerte Patrioten. Die politischen Gefangenen drüben dagegen halten sie für den Abschaum der Menschheit. Wir verfahren aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und der Humanität auch in der Staatsschutzpraxis überaus nachsichtig. Für diejenigen, die vielleicht einen Zweifel an dem hätten, was ich über die Einstellung drüben gesagt habe, empfiehlt sich ein Blick in die heutigen Stellungnahmen von drüben zur Begnadigung des Kommunisten Angenfort. Ich darf hier etwas daraus vorlesen. Die Gnadenentscheidung, heißt es dort, des Bundespräsidenten für Angenfort sei nicht etwa erfolgt, weil die Bonner Justiz plötzlich ein Einsehen bekommen habe, sondern weil die zahlreichen Proteste aus aller Welt auch hier nicht ohne Wirkung geblieben seien. Es werden Kundgebungen verbreitet, deren Tenor ist: Das ist das Ergebnis der weltweiten Protestbewegungen gegen die widerrechtliche Inhaftierung westdeutscher Patrioten. Meine Damen und Herren, es liegt nicht an uns, daß es drüben eine Terrorjustiz gibt, die unbeirrt ihren eigenen unmenschlichen Gesetzen gehorcht. Unter diesen Umständen erweist sich der von der Bundesregierung vorgeschlagene Weg als der einzig mögliche: eine rechtsstaatliche Staatsschutzpraxis, die Würdigung des einzelnen Täters und die Anwendung aller Strafmilderungs- und Begnadigungsmaßnahmen, soweit sie vertretbar sind. Wir werden uns nicht von der Hoffnung abbringen lassen, daß diese Einstellung letztlich nicht ohne Echo auf der anderen Seite bleiben kann. ({5})

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001006

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.

Dr. Wolfgang Stammberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002215, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Rechtsausschuß seinerzeit mit nur einer Stimme Mehrheit unseren Entwurf zu einem Amnestiegesetz ablehnte, hat das eine westdeutsche Zeitung, die zweifellos nicht im Verdacht steht, kommunistenfreundlich oder gar kommunistisch zu sein, nämlich die „Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung", unter der Überschrift kommentiert „Mißachtung des Rechts". Mir scheint, diese Kritik geht etwas zu weit. Eine Amnestie setzt nicht Recht; eine Amnestie läßt vielmehr gerade Gnade vor Recht ergehen. Diese Feststellung scheint mir notwendig zu sein, notwendig vor allem gegenüber den Machthabern in der Sowjetzone und der dort geübten Justiz. Unsere Gesetze sind auf rechtsstaatlicher Grundlage erlassen, und unsere Gerichte entscheiden unabhängig. Die Urteile, die von diesen Gerichten nach diesen Gesetzen verkündet werden, sind keine Mißachtung des Rechts. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, diese Kritik war der Ausdruck eines Gefühls, daß jetzt etwas geschehen muß, geschehen nicht allein aus rechtlichen, sondern auch aus politischen Erwägungen. Diese Erwägungen werden nicht nur von denjenigen Parteien geteilt, die im Bundestag geschlossen den Amnestiegesetzentwurf eingebracht haben oder die ihn unterstützen, sondern sie sind auch von Bundesministern und von Bundestagsabgeordneten der Koalitionsparteien angestellt worden, ({0}) ferner von Länderregierungen, auch solchen Länderregierungen, an denen die Parteien maßgeblich vertreten sind, die hier im Bundestag das Gesetz ablehnen, ({1}) weiter von Institutionen aller Art, auch kirchlicher Art, insbesondere vom Kuratorium Unteilbares Deutschland. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang nachdrücklich distanzieren von allen kommunistischen Organisationen oder irgendwelchen Tarnorganisationen, die zwar dasselbe Ziel haben, aber aus ganz anderen Gründen. Meine Damen und Herren, ich bedauere es außerordentlich, und ich möchte mich namens meiner Fraktion, der Freien Demokraten, nachdrücklich dagegen verwahren, daß der Herr Bundesinnenminister die sachliche Diskussion verlassen hat ({2}) und alles das in den großen Rahmen einer „Amnestiekampagne" und gewisser Hintergründe mit der Absicht, den Staat zu zersetzen, hineingestellt hat. Das ist keine sachliche Diskussion. ({3}) Ich glaube, den Parteien, die in diesem Hause das Anliegen einer Amnestie vertreten, geht es um andere Gründe. Der Herr Bundesinnenminister hat bereits einmal im Bulletin die Befürworter der Amnestie zu klassifizieren versucht. Er hat dies in einer Art und Weise getan, die die bereits zitierte Zeitung zu der Feststellung veranlaßte, er habe den Befürwortern der Amnestie eigentlich nur die Wahl gelassen, ob sie sich als böswillig oder dumm betrachten wollten. Meine Damen und Herren, leider hat der Herr Bundesinnenminister - den ich ansonsten, das weiß er. sehr hoch schätze - es auch heute nicht über sich gebracht, davon Abstand zu nehmen. Aber für uns liegen die Dinge doch etwas tiefer. Da ist zunächst einmal der § 90 a Abs. 3 des Strafgesetzbuches, wonach eine Verfolgung der Tat erst zulässig ist, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß diese Partei verfassungswidrig ist. Wir haben uns im Rechtsausschuß über das Problem, über die Bedeutung und insbesondere über die Auswirkungen dieser Vorschrift sehr eingehend unterhalten. Die Dinge waren ({4}) durchaus nicht so einfach, wie sie vorhin der Herr Bundesjustizminister dargestellt hat. ({5}) Er selbst hat mit Recht davon gesprochen, daß jedem Juristen ein ungelöster Rest in der Brust verbleibt und auch verbleiben muß. - Wir haben uns, wie gesagt, über die Problematik dieser Vorschrift sehr eingehend unterhalten. Zweifellos hat der 1. Bundestag, als er sie erließ, nicht vorgehabt, gegen den fundamentalen Grundsatz einer jeden demokratischen Verfassung und auch der Verfassung der Bundesrepublik zu verstoßen: „Nulla poena sine lege", d. h. rückwirkend etwas für strafbar zu erklären, was im Zeitpunkt der Begehung nicht strafbar war. Zweifellos hat man, wie es der Herr Bundesjustizminister vorhin gesagt hat, eine Art Verfahrensvoraussetzung gedacht, die durch das Bundesverfassungsgericht geschaffen werden solle. Aber in der Praxis, meine Damen und Herren, sehen nunmehr - das merken wir ja jetzt - die Dinge leider etwas anders aus. Es handelt sich nicht um Landesverräter oder um Kriminelle wie etwa Menschenräuber, sondern es handelt sich um jene politischen Straftaten, es handelt sich um die Tätigkeit für eine zugelassene Partei, deren politische Ziele sich von der Zulassung bis zum Verbot um nichts geändert haben. Es handelt sich um eine politische Partei, die, sagen wir es doch einmal ganz offen, eine Zeitlang bei der Besatzungsmacht - nicht nur bei der sowjetischen - eine Art Persona grata war, ({6}) die kostbare Lizenzzeitungen erhielt, ({7}) die mit Mandaten vom Bundestag über die Landtage hinweg bis in die Gemeindeparlamente vertreten war, ja die sogar Minister in verschiedenen Länderkabinetten in der ersten Nachkriegszeit gestellt hat. Nun wird man sagen können, die geltenden Gesetze sind zu Recht beschlossen, die Anklagen sind zu Recht erhoben, die Urteile sind zu Recht gefällt worden. Wer für eine solche Vereinigung arbeitet, geht eben das Risiko ein, sich strafbar zu machen, und wer den gewaltsamen Sturz des demokratischen Staates propagiert, riskiert eben, daß er von den Organen dieses Staates eingesperrt wird. Jeder mußte mit diesen Folgen rechnen. Aber, meine Damen und Herren, man kommt nicht darum herum, daß zur Feststellung der Gründe, die jedem Staatsbürger, der sich in dieser Art und Weise politisch betätigt hat, nach der Meinung des Urteils von vornherein geläufig sein sollten, die weisen Richter - ich sage das nicht ironisierend, ich meine das ernst - des Bundesverfassungsgerichts immerhin fünf Jahre gebraucht haben und daß dann ein Urteil ergangen ist, das zwar rechtlich einwandfrei ist und für die Zukunft, vom Zeitpunkt seines Ergehens an, klare Verhältnisse schafft, über dessen politische Zweckmäßigkeit man aber durchaus verschiedener Auffassung sein kann. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß es nicht sinnvoll ist, an Stelle einer Partei, deren politische Bedeutungslosigkeit infolge der Ablehnung jeglichen Radikalismus durch das deutsche Volk von Wahl zu Wahl mehr dokumentiert wurde, die für die ostzonale Propaganda so dringend notwendigen Märtyrer zu schaffen. ({8}) Kein Geringerer als der Herr Bundesminister Lemmer hat erklärt, die nationale kommunistische Gefahr in Westdeutschland reiche nicht einmal zum Kinderschreck aus. Wie dem auch sei, meine Damen und Herren, klare Verhältnisse sind seit dem KPD-Verbot für jeden ersichtlich geschaffen worden, und nachdem das Bundesverfassungsgericht gesprochen hat, darf es hier keine Nachgiebigkeit geben. Aber für das, was vorher war, sollte man Gnade vor Recht ergehen lassen, schon um denjenigen den Weg zur Umkehr nicht zu verbauen, die gewillt sind, diesen Weg zu gehen. Ich weiß, daß Herr Bundesinnenminister Schröder - und er ist es leider nicht allein - auf dem Standpunkt steht, diese Leute seien unverbesserlich, und gerade Ungarn habe ja gezeigt, daß man ihnen gegenüber hart und unnachgiebig sein müsse. Meine Damen und Herren, ich bin eher der Meinung, daß das Gegenteil der Fall ist. Der Herr Bundesinnenminister hat von einem Schock gesprochen, der bei den meisten Kommunisten durch das Verbot der KPD entstanden sei. Ich glaube, daß die Vorgänge in Ungarn und insbesondere die Vorgänge während und nach dem 20. Parteitag der KPdSU eine viel stärkere Erschütterung in den Reihen der Kommunistischen Partei hervorgerufen haben. ({9}) Sie haben doch gehört, in welch starkem Maße sich selbst führende Funktionäre der Kommunistischen Partei in allen Ländern Westeuropas distanziert haben, als der Kurs der Sowjetunion gegenüber Ungarn für jeden, der auch nur einigermaßen gutwillig ist, so offensichtlich zutage trat. Wie sich die Dinge bei uns ausgewirkt hätten, wissen wir nicht, weil die KPD zum damaligen Zeitpunkt bei uns bereits verboten war. Aber, meine Damen und Herren, zweifellos gibt es auch bei uns Leute, die umkehrwillig sind, und wir sollten sie nicht unnötigerweise in die Isolierung zurücktreiben. indem wir sie nach wie vor mit der KPD identifizieren. Wir sollten vor allem nicht die Gefahr heraufbeschwören, diese Leute wieder in die Arme der KPD zurückzutreiben, schon auf Grund der Schützenhilfe auf propagandistischem und sonstigem Gebiet, die ihnen ja gerade in diesen Prozessen ununterbrochen von dieser Seite geleistet wird. Dann, meine Damen und Herren, geht es uns zum wenigsten um die Sünder hier, sondern es geht uns vor allen Dingen - das sagen wir ganz offen - um Leben und Freiheit derer, die für ihr Eintreten gerade für diese Freiheit hinter den Zuchthausmauern der Sowjetzone sitzen. Wie die Auswirkungen einer derartigen Amnestie auf die Ostzone sein werden, wissen wir nicht: wir können nur Hoffnungen haben. Sie wissen, daß wir, die Freien Demokraten, die Absicht hatten, eine gleichzeitige Aktion drüben in der Ostzone zu erzielen. Sie wissen, daß wir gescheitert sind. Man hat das seitens der Bundesregierung kommentiert, indem man gesagt hat, wir seien schmählich abgeblitzt. und man habe eben Recht mit seiner Ansicht, daß dort drüben nichts zu erreichen sei. Meine Damen und Herren, etwas weniger Selbstgefälligkeit wäre besser gewesen; ({10}) ({11}) denn die Gründe, die zu dieser Selbstgefälligkeit führten, die führten ja letzten Endes auch dazu, daß Tausende immer noch drüben hinter den Zuchthausmauern sitzen. ({12}) - Wollen Sie es bestreiten, daß noch Tausende dahinter sitzen? Wollen Sie etwa sagen, daß sie alle schon entlassen worden seien? ({13}) - Das habe ich nicht behauptet. ({14}) - Wenn Sie mich dahingehend verstanden haben sollten, ich hätte gesagt, daß die Reaktion der Bundesregierung dazu geführt habe, dann haben Sie mich restlos mißverstanden. Ich glaube, daß die anderen mich verstanden haben. ({15}) - Was ich gesagt habe, können Sie im Protokoll nachlesen. Nun, meine Damen und Herren, ist es uns andererseits bekannt, daß auch Tausende drüben entlassen worden sind. Wir haben uns mit diesen Vorgängen sehr genau beschäftigt; denn wir sind in einer großen Zahl dieser Fälle helfend tätig gewesen. Wir wissen, daß die Praxis des Umfangs und der Begründung der Entlassungen ständig schwankt. Aber wir halten es für unsere Aufgabe, alles zu tun. um hier einzuwirken und diese Entwicklung zu fördern, und sei es nur, um der anderen Seite den Grund für die unsinnige Behauptung zu nehmen, wir würden hier mit den Gegnern unserer Staatsordnung genau so verfahren, wie man es drüben tut. Meine Damen und Herren, Sie mögen das Menschenhandel nennen. Sie mögen das, wie es der Herr Bundesinnenminister getan hat, eine unsinnige Vorleistung nennen, Sie mögen es, wie auch er es getan hat, einen Wettbewerb in Menschlichkeit nennen, den wir nicht nötig hätten. Sie mögen darauf hinweisen, daß unser Staat ein Rechtsstaat und drüben ein Unrechtsstaat ist. Meine Damen und Herren, das ist alles schön und gut, aber aus dem Gesichtsfeld derer, die drüben im Zuchthaus sitzen. sehen die Dinge etwas anders aus. ({16}) Unterhalten Sie sich einmal mit den Leuten, die von drüben herüberkommen, nachdem sie aus dem Zuchthaus entlassen worden sind! Wir haben es reichlich getan. Sie vertreten alle unsern Standpunkt. Nun zu einem sehr gewichtigen und durchaus nicht beiseite zu schiebenden Argument. das der Herr Bundesinnenminister gebracht hat, die Frage der Staatssicherheit. Ich möchte zunächst einmal sagen. daß ein gewisser Zwiespalt zwischen den Ausführungen der beiden Minister liegt, die vorhin zu uns gesprochen haben. ({17}) Denn während der Herr Bundesinnenminister immer noch von einer dadurch auftretenden Gefährdung der Staatssicherheit spricht, sagt der Herr Bundesjustizminister, daß das Problem so geringfügig sei, daß es sich eigentlich gar nicht lohne, hier eine Amnestie zu erlassen. ({18}) Es war sehr bedauerlich, daß sich der Herr Berichterstatter - kein Vorwurf gegen den Herrn Kollegen Platner; denn dafür kann er nichts - abermals in der Höhe der Zahlen berichtigen lassen mußte. Der Herr Kollege Platner hat die Zahlen genannt, die uns in der Sitzung des Rechtsausschusses als authentisch angegeben worden sind. Heute hörten wir schon wieder andere. ({19}) Aber ich glaube, daß die Zahl als solche keine Rolle spielt. Der Herr Bundesinnenminister hat einmal im Bulletin drei Fundamente für die Staatssicherheit herausgestellt: die wirtschaftliche Lage, die sozialen Verhältnisse und die staatliche Autorität mit ihren Machtmitteln. Ich bin der Meinung, daß der Herr Bundesminister das Wichtigste vergessen hat, nämlich das Bindeglied, welches verhindert, daß trotz allem die östliche Ideologie im Wege der Infiltration bei uns eindringt, und das ist der Geist. Meine Damen und Herren, Sie können eine Partei verbieten, Sie können ihre Anhänger einsperren, Sie können ihre Propaganda unterbinden, aber die Ideologie, die dahintersteht, die können Sie nur ausrotten, wenn Sie an ihre Stelle etwas Besseres setzen und wenn von diesem Besseren ein jeder Staatsbürger voll und ganz überzeugt ist. ({20}) - Wenn vom Geist die Rede ist, Herr Kollege, sollten Sie die Geste nicht machen, die Sie soeben gemacht haben! ({21}) Diesen Kampf und diese Auseinandersetzung können Sie nur in der politischen Arena führen und nicht vor dem Prozeßgericht, wenn sich auch natürlich politische Prozesse nie ganz vermeiden lassen werden. ({22}) - Wäre das nicht so, Herr Kollege Majonica, dann würde Ihnen auch die staatliche Autorität allein nichts nützen; denn auch diese staatliche Autorität stützt sich auf Menschen, die der Anfechtung unterliegen. Wir haben das ja erlebt vom Präsidenten des Verfassungsschutzamtes bis hinüber zur militärischen Abwehr. ({23}) Sicherheit bietet nicht die staatliche Autorität allein, Sicherheit bietet nur das in sich gefestigte Volk. Das ist das Wesentliche. ({24}) Ein Rechtsstaat, der innerlich stark und innerlich fest ist, kann es sich leisten, großzügig zu sein, und Amnestie setzt eine Großzügigkeit voraus. Daher möchte ich einmal der harten und unnachgiebigen Autoritätsidee des Herrn Bundesinnenministers ({25}) die Meinung eines Mannes entgegenhalten, der ebenfalls von Amts wegen wie kaum ein anderer dazu berufen ist, für die Sicherheit unserer Bundesrepublik zu sorgen. Das ist der Herr Oberbundesanwalt Güde, der unter Bezugnahme auf ein Urteil des Supreme Court für ein solches Gesetz gegen politische Straftaten und auch für seine Anwendung im Einzelfall clear and present danger - klare und gegenwärtige Gefahr - voraussetzt und angenommen wissen will. Er hat das einmal in einer Rede kommentiert, die er im Jahre 1955 gehalten hat. Ich möchte diese Stelle mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten, um die ich hiermit bitte, verlesen. Er hat dort gesagt: Auch wenn wir die liberale Konzeption angelsächsischer Prägung nicht unbesehen auf unsere Verhältnisse übertragen wollten, bliebe der Begriff der klaren und unzweideutigen Gefahr auch für uns ein tragender Begriff allen politischen Strafrechts, tragend, weil in einer grundsätzlich freien Ordnung allein die Gefahr für die Freiheit und die Notwendigkeit der Abwendung dieser Gefahr die Rechtfertigung für eine Beschränkung der Freiheit geben können, tragend aber auch als Rechtsgedanke der Schranke und des Maßes. Nicht weiter und nicht mehr als zur Abwehr der Gefahr erforderlich, ist die Beschränkung der Freiheit und damit auch die Anwendung politischen Strafrechts gerechtfertigt. So der Herr Oberbundesanwalt. Wir glauben, daß unser Rechtsstaat innerlich stark und fest genug ist, um großzügig sein zu können, und wir glauben auch, daß in unserem Volk der Gedanke der Freiheit, wie wir sie verstehen, so fest verwurzelt ist, daß Gründe der Staatssicherheit einer Amnestie nicht entgegenstehen sollten. Lassen Sie mich noch einiges zu dem Lösungsvorschlag sagen, den die Koalitionsparteien verfolgen, wie er sich aus dem vorgelegten Entschließungsantrag ergibt. Wir haben heute früh gelesen, daß der Herr Bundespräsident Jupp Angenfort begnadigt hat. Wenn der begnadigt wird, der meines Wissens die höchste Strafe erhalten hat, dann müßten, wenn man an eine Rechtsgleichheit denkt und zu einer Rechtsgleichheit kommen will - und nirgendwo ist sie mehr vonnöten als gerade hier -, alle anderen auch entlassen werden. Meine Damen und Herren, wo besteht denn da nun die Gefahr für die Staatssicherheit, wenn selbst die Partei des Herrn Innenministers diesen Standpunkt vertritt? Aber wir haben zwei Bedenken gegen den uns vorgelegten Entschließungsantrag. Der politische Effekt, den wir wünschen und den wir uns erhoffen, bleibt weg. „Die Welt", auch eine Zeitung, die nicht kommunistisch und nicht kommunistenfreundlich ist und die wahrscheinlich auch keine „Amnestiekampagne" treiben will, hat heute noch geschrieben, was man hier tun wolle, das sei, das politische Pfand umzuwechseln in kleine Münze, die als solche bedeutungslos bleiben muß. Zweitens befürchten wir eine gewisse Rechtsunsicherheit. Denn an die Stelle klarer Verhältnisse, wie sie für die gesamte Bundesrepublik und für die Anwendung auf alle Fälle durch ein Gesetz geschaffen würden, das in diesem Hause zustande gekommen ist, treten nunmehr insgesamt elf verschiedene Gnadenbehörden: einmal der Herr Bundespräsident und dann die zehn Länderregierungen bzw. ihre Justizminister. Allen gegenüber sind wir weder weisungsberechtigt noch können wir sie zu irgendeinem Verhalten veranlassen. Wir können sie nur darum bitten. Aus diesem Grunde haben wir erhebliche Bedenken gegen den Entschließungsentwurf, der uns hier vorgelegt worden ist. Wir stehen nach wie vor zu unserem Entwurf und bitten um Ihre Zustimmung. Namens meiner Fraktion beantrage ich zu § 1 des Gesetzes außerdem die namentliche Abstimmung und bitte Sie auch für diesen Antrag um Ihre Unterstützung. ({26})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weber.

Dr. Karl Weber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002437, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist ein Thema eigener Art und von eigenem Gewicht, das wir heute hier behandeln. Ich bin der Meinung, das sollte mit der Vorsicht und der Zurückhaltung geschehen, die die Art des Themas uns aufgibt. Wir wollen dieses Thema, das seinen Grund zu einem erheblichen Teil in der Teilung Deutschlands hat, mit warmem Herzen, aber auch mit wägendem, kühlem Verstand behandeln. Man sollte deshalb die Worte hier erst sehr wägen, ehe man sie herausläßt. Der 1. Deutsche Bundestag hat es im Jahre 1951 angesichts der Situation des geteilten Deutschland für notwendig befunden, Gesetze zu beschließen, die durch diese Situation bedingt waren. Die Delikte der Staatsgefährdung kannte man früher nicht. Damals gab es nur einen Hochverrat und einen Landesverrat. Wir mußten uns der neuen Situation anpassen, wenn wir unserem Staat den notwendigen Schutz geben wollten. Es muß betont werden und ist zu begrüßen, daß damals alle staatsbejahenden Parteien - das waren alle Parteien in diesem Hause, die heute hier vertreten sind - mit Ausnahme der Kommunisten, die damals ganz auf der Linken saßen, dem Ersten Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 zugestimmt haben, auch diesen Paragraphen. ({0}) - Ja, daß man noch etwas dazulernen kann, Herr Kollege Wittrock, werde ich Ihnen gleich sagen. Die Frage ist, ob wir etwas dazulernen müssen. Herr Kollege Greve hat sich einmal bei einer Amnestiedebatte - wir haben in den vergangenen Jahren deren mehrere geführt - über das Wesen der Amnestie geäußert. Er hat sich dabei billigend auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, also unseres höchsten Gerichts, vom 22. April 1953 bezogen und damals dem Bundesjustizminister vorgehalten, er hätte sich diese Entscheidung doch besser ansehen sollen. In diesem Beschluß - so hat er wörtlich gesagt kommt zum Ausdruck, daß die Anschauungen über das Wesen der Amnestie Wandlungen unterworfen gewesen sind und daß heute im Volksbewußtsein die Gewährung von Amnestie nicht mehr als Ausfluß einer dem Recht vorhergehenden Gnade, sondern als Korrektur des Rechts selbst angesehen wird. ({1}) Ist nun Anlaß gegeben, eine solche Korrektur des Rechts vorzunehmen? Haben sich inzwischen, frage ich Sie, die Verhältnisse so entscheidend geändert, daß wir, sei es durch die Änderung dieser Gesetze selbst, sei es durch eine Amnestie, nun die Korrektur vornehmen müssen? ({2}) - Ich habe, Kollege Schröter, zitiert, was das Bundesverfassungsgericht über das Wesen der Amnestie ausgeführt hat und was der Herr Kollege Greve damals billigend zu dieser Entscheidung hier von diesem Platz aus gesagt hat. Die Erörterung einer Amnestie kann unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen. Dabei werden rechtliche, rechtspolitische und insbesondere bei politischen Delikten wie der Staatsgefährdung auch echte politische Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein. Ich will mich nur mit den beiden ersten Gesichtspunkten - mit dem rechtlichen und dem rechtspolitischen - befassen, mein Kollege Majonica wird später noch zu der politischen Bedeutung der Frage sprechen. ({3}) Mehrfache Amnestiedebatten haben stattgefunden, sagte ich, und zwar anläßlich des Ersten Straffreiheitsgesetzes, bei der sehr umstrittenen PlatowAmnestie, bei dem Zweiten Straffreiheitsgesetz. Wir haben damals die Grundsätze, unter denen uns eine Amnestie zulässig erschien, besonders herausgearbeitet. Sie wissen - und da mache ich gar kein Hehl daraus -, daß die Frage der Amnestie auch in unseren Reihen sehr umstritten, will ich ruhig sagen, gewesen ist. Ich selbst hatte bis Anfang dieses Jahres keinen dezidierten Standpunkt zu dieser Frage, sondern es schien mir notwendig zu sein, die erforderlichen Unterlagen für die Beurteilung der Frage herbeizuschaffen. Deswegen habe nicht nur ich, sondern in der Sitzung vom 7. November hat auch der Herr Kollege Arndt den Justizminister aufgefordert, diese Unterlagen, dieses Zahlenmaterial herbeizuschaffen. - Sie sprachen heute, Herr Kollege, von einem sozusagen Hollerith-Verfahren, weil das Zahlenmaterial Ihnen offenbar Unterlagen gebracht hat, die nicht Ihren Vorstellungen entsprachen. - Jedenfalls ist gerade von Ihrer Seite aus dieses Material gefordert worden, und ich selbst habe es am 28. November auch noch einmal gefordert, und zu der entscheidenden Sitzung ist uns dieses einwandfreie und, Herr Kollege Stammberger, nie widerrufene und nie geänderte Zahlenmaterial vorgelegt worden. Der Herr Bundesjustizminister hat heute keine anderen Zahlen genannt, als damals in der Sitzung des Rechtsausschusses angegeben wurden, wo uns diese Übersicht vorgelegt worden ist. ({4}) Für eine Amnestie - meine Damen und Herren, das ist übereinstimmende Auffassung in diesem Hause gewesen - sollte immer ein besonderer Anlaß bestehen. Herr Kollege Greve - ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren - hat in der 17. Sitzung, als das Zweite Straffreiheitsgesetz hier zur Behandlung stand, folgendes ausgeführt: Bei der Amnestie darf es sich, und das berührt sowohl den Zeitpunkt als auch den Anlaß, nur um eine ganz seltene Angelegenheit aus einem besonderen Anlaß im Leben eines Staates und eines Volkes handeln. Er bezieht sich dann auf die Ausführungen, die der Herr Staatssekretär des Bundesjustizministeriums zu dieser Frage im Bundesrat am 18. September 1953 vorgetragen hat. Ist ein solcher besonderer Anlaß gegeben? Im Rechtsausschuß ist einmal von einer Seite gesagt worden, jawohl, es sei ein Schnitt in der Entwicklung eingetreten durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August 1956. Man hat in früheren Debatten betont, daß solche Veranlassungen gegeben sein könnten, wenn es gelte, einen Schlußstrich unter politisch oder wirtschaftlich verworrene Zeiten zu ziehen. Im Zusammenhang mit dieser Frage ist auch betont worden, der Anlaß sei dadurch gegeben, daß auf der anderen Seite in der Sowjetzone eine Teilamnestie erlassen worden sei, und diese Behauptung findet sich noch in einer der letzten Veröffentlichungen des SPD-Pressedienstes. Ich bin darüber erstaunt; mir ist von einer Teilamnestie, die drüben erlassen worden sein soll, nichts bekannt, sondern mir ist nur bekannt, daß Einzelbegnadigungsaktionen auf Grund des § 346 der Strafprozeßordnung der Sowjetzone durchgeführt worden sind. Da war allerdings angesichts der Menge der in Frage kommenden Verurteilten ein solches Ausmaß geboten, daß schon bei dieser Aktion Tausende entlassen werden konnten und entlassen werden mußten, was wir gerne dankbar anerkennen. Hoffentlich wird unsere Einstellung in diesen Dingen dazu führen, daß diese Aktionen, die drüben ins Stocken geraten sind, nun wieder fortgesetzt werden. Man hat weiter gesagt, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. August sei nunmehr eine Flutwelle von Verfahren zu erwarten, deren die Staatsanwaltschaften und die Gerichte nicht mehr Herr werden könnten. Das war ein Argument, das sich zunächst hören ließ. Was hat sich aber ergeben? Wir haben die Zahlen soeben gehört, und wir werden, wenn wir die Dinge nüchtern und sachlich betrachten wollen, nicht daran vorbeikommen, daß nach dem 17. August auf Grund des § 90 a des 'Strafgesetzbuches insgesamt 1107 Verfahren eingeleitet worden sind, wovon 641, also rund drei Fünftel, bereits am 1. Januar eingestellt waren. Jetzt sind drei Monate vergangen. Wenn sich die Dinge so weiter entwickelt haben, dann werden jetzt nur noch wenige Verfahren dieser Art anhängig sein. Es wurde ins Feld geführt, daß sehr viele Jugendliche und Heranwachsende betroffen seien, die politisch irregeleitet gewesen seien. Nun, auch das wird durch die Zahlen ganz eindeutig widerlegt. Das war - das gebe ich Ihnen offen zu - für mich der entscheidende Gesichtspunkt, daß ich schließlich eine ablehnende Haltung zu dem Erlaß einer allgemeinen Amnestie einnahm. Wenn sich nämlich herausstellt, daß in den gesamten Verfahren, die abgewickelt worden sind, bisher nur acht Jugendliche beteiligt waren, daß sich am 1. Januar 1957 nur zwei Jugendliche in Haft befanden, meine Damen und Herren, dann wird man wirklich nicht sagen können, daß uns diese Zahlen Veranlassung geben müßten - und insofern ist das Zahlenmaterial außerordentlich wichtig -, diese Dinge ({5}) nun durch eine Amnestie zu bereinigen, sondern dann kann das 'durchaus im Wege von Einzelaktionen, von :Gnadenakten durch die Gerichte und die Gnadenbehörden geschehen. Und das eist in einem solchen Umfang geschehen, daß meines Erachtens eine Amnestie nicht mehr notwendig ist. Ich muß die Zahlen, die genannt worden sind, noch einmal wiederholen und ihre Bedeutung unterstreichen. Es sind 585 rechtskräftig Verurteilte, die ihre Strafe noch nicht verbüßt haben. Davon sind 464 Fälle erledigt, indem in 418 Fällen die Strafen entsprechend § 23 StGB von vornherein zur Bewährung ausgesetzt wurden und in 46 Fällen von der Befugnis des § 26 des Strafgesetzbuches Gebrauch gemacht wurde, d. h. die Betreffenden wurden nach Verbüßung eines Teiles der Strafe bedingt entlassen. Das sind nach meiner Rechnung vier Fünftel der rechtskräftig Verurteilten. Es 'ist auch nicht uninteressant - was die Statistik auch noch ausweist -, in welchem Rahmen sich die Verurteilungen bei uns bewegen. Zu Gefängnis bis zu sechs Monaten sind verurteilt worden insgesamt 376, von sechs Monaten bis zu einem Jahr 152, von einem Jahr bis zu zwei Jahren 41, von zwei 'bis drei Jahren 6, darüber 6; in einem einzigen Fall ist Zuchthaus verhängt worden, und der Betreffende ist durch die Entschließung des Herrn Bundespräsidenten nunmehr begnadigt worden. Meine Dramen und Herren, wenn man von Vorleistungen spricht, dann sollte man sehen, daß die Vorleistung durch uns erbracht worden ist; bei uns befindet sich niemand mehr wegen politischer Vergehen im Zuchthaus! ({6}) Wenn ob dieser Vorleistung sich drüben die Zuchthäuser öffneten, dann würden dort Tausende herausmarschieren müssen. ({7}) Von einem „Fanal" kann also keine Rede sein. Der „politische Effekt", Herr Kollege Stammberger, kann also gar nichterreicht werden, weil die Zahl der Strafverfolgten bei uns gar nicht ausreicht, um ihn zu erzielen. Es würde also lediglich mehr oder weniger eine Deklamation abgegeben werden, wenn wir ,ein solches Amnestiegesetz beschlössen. Die Zahlen, die Ihnen vorgelegt worden sind, beweisen, daß die Zahl der Verurteilten sowohl wie auch der laufenden Strafverfolgungen nicht derart ist, daß sich ,durch eine Amnestie dieser politische Effekt erzielen ließe. Um welche Täter handelt es sich? Ich kann Ihnen da keine bessere Antwort geben, als es vor wenigen Tagen bei einer gleichgearteten Debatte jemand getan hat, der Ihnen jedenfalls nähersteht als uns. Der Justizminister Dr. Koch hat sich bei der Etatdebatte im Bayerischen Landtag zur Frage der Amnestie geäußert - mit Erlaubnis ,des Herrn Präsidenten darf ich einige Sätze aus seinen Äußerungen zitieren -: Der weitaus größte Teil der Menschen, die in politische Strafverfahren verwickelt sind, besteht aus uneinsichtigen und unwilligen Fanatikern. Sie sind nach ihrer ganzen Einstellung nicht in der Lage, eine Amnestie als Grundlage für die Befriedung des politischen Lebens anzuerkennen und ihr künftiges Verhalten danach einzurichten. Das hat ein Fachmann gesagt, der sieh mit diesen Dingen kraft Amtes befaßt hat, Herr Kollege Stammberger, und er hat einanderes Urteil über den hier in Frage kommenden Tätertyp abgegeben, als Sie es getan haben. Nach meiner Meinung wird der beabsichtigte Effekt auch durch jene Einzelmaßnahmen erzielt werden können, deren Umfang sich daraus ergibt, daß rund vier Fünftel der rechtskräftig erkannten Strafen ausgesetzt worden sind. Ich habe gesagt, daß die Probleme auch in meiner eigenen Fraktion umstritten waren, und von diesem Platz aus hat mein sehr geschätzter Kollege, der heutige Herr Bundespostminister Lemmer in der denkwürdigen Debatte vom 30. Mai sich ebenfalls für eine Amnestie eingesetzt. ({8}) - Ich habe im Rechtsausschuß in Unkenntnis der Zahlen, Herr Kollege Metzger, ({9}) und nicht zuletzt im Hinblick auf einen Einzelfall gesprochen. Sie werden sich entsinnen, daß ich den Fall eines jungen Menschenzitiert habe, der in den damaligen verworrenen Zeiten, als es um die Frage der Wiederaufrüstung ging, in derartige Kreise hineingekommen war und sich nicht rechtzeitig davon lösen konnte. Ich habe Ihnen später erklärt, dieser Fall sei zufriedenstellend gelöst worden und die Zahlen ergäben jetzt, daß meine damalige Annahme, es seien Hunderte oder gar Tausende solcher jungen Menschen in derartige Verfahren verstrickt, gar nicht zutreffend ist. Die richtige Zahl - ich habe sie Ihnen eben genannt - von Verurteilten ist insgesamt acht. Die Voraussetzungen, von denen ich damals ausging, treffen also nicht zu. Wir sind infolgedessen der Meinung, daß derartige Einzelmaßnahmen das richtige sind. Es wird da keine Willkür Platz greifen, keine Rechtsunsicherheit, wie Sie gemeint haben, Herr Kollege Stammberger, sondern es prüfen ja nach § 23 und § 26 des Strafgesetzbuchs die unabhängigen Gerichte nach rechtsstaatlichen Grundsätzen die Voraussetzungen der Aussetzung und der bedingten Entlassung. ({10}) Im übrigen wird sich die Praxis der Justizminister nach meiner Meinung aufeinander abstimmen lassen, insbesondere wenn der Deutsche Bundestag von sich aus und ihm folgend die Bundesregierung einen Appell an sie richten. Ich befinde mich auch mit dieser Einstellung in guter Gesellschaft. Der Herr Kollege Greve hat in der 17. Sitzung zu dem damaligen Zweiten Straffreiheitsgesetz eine Äußerung getan und aus der breiten Erfahrung der Praxis berichtet. Ich darf auch diesen Satz mit Genehmigung ides Herrn Präsidenten vorlesen; er lautet: Wenn Sie sich bei ,den Praktikern der Strafrechtspflege in der Bundesrepublik umhören, dann werden Sie, glaube ich, feststellen, daß die Meinung derjenigen überwiegt, die sagen, daß man es, wenn man einzelne Straftaten berücksichtigen will, im Wege der Gnade und nicht im Wege der Amnestie machen sollte. Das Protokoll verzeichnet in Klammern darunter: „Zuruf von der FDP: Richtig!". ({11}) Wir haben uns also nunmehr Ihre damalige Meinung zu eigen gemacht. Wir glaubten allerdings ({12}) damals, den Schlußstrich unter die verworrenen Kriegszeiten ziehen zu sollen und ziehen zu müssen, und diesen Anlaß sehen wir hier, insbesondere angesichts des vorliegenden Tatsachenmaterials, nicht als gegeben an. ({13}) - Es ging darum, Herr Kollege, die verworrenen Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse zu bereinigen. Von drüben ist - das wird Herr Majonica noch näher ausführen - kein Echo auf die Angebote und die Einstellung, die hier bekundet worden ist, erfolgt. Man geht dort auch bei geringfügigen Vergehen mit schärfsten Strafen vor. Der Prozeß, der jetzt gegen Harich eingeleitet und abgeschlossen worden ist, sollte uns in der Hinsicht zu denken geben; es hat dort wiederum Zuchthausstrafen nur so gehagelt. Wir kämen, wenn wir uns da auf einen Menschenhandel einlassen sollten, in ähnliche Verlegenheit, wie es Israel gewesen ist beim Austausch der Kriegsgefangenen mit Ägypten, als es seine fünf Kriegsgefangenen gegen 5000 andere austauschen mußte. Aber das sollte uns nicht hindern, diesen Weg zu gehen, wenn wir von drüben eine Einstellung erkennen könnten, die uns Hoffnung gäbe, daß wir auf diesem Weg einen Erfolg für diejenigen von unseren Landsleuten drüben, die eingekerkert sind, erreichen würden. Aber man braucht nur einen Blick in die maßgebende Rechtszeitschrift drüben, in die „Neue Justiz" zu tun. Da wird ganz eindeutig erklärt: Schluß mit der Milde, Schluß mit der Nachsicht, noch härtere Strafen als 'bisher, um unser System zu sichern! Die Probleme, die heute zu behandeln sind, entstehen nicht nur aus der Problematik des zweigeteilten Deutschlands. Der Weltkommunismus hat seine Ziele noch in keiner Weise zurückgesteckt. Ich habe es begrüßt, daß heute morgen Herr Kollege Ollenhauer von diesem Platz aus gesagt hat, daß auch seine Parteifreunde im Kommunismus die größte Bedrohung des deutschen Volkes und der Freiheit schlechthin erblicken. ({14}) - Nein, das habe ich ja gar nicht behauptet; ich habe nur gesagt: ich habe das begrüßt, ich erkenne das an und ziehe daraus die gebotenen Schlußfolgerungen. Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß das Leid und die Not der politischen Gefangenen in der sowjetischen Zone und ihrer Angehörigen erst dann ein Ende finden werden, wenn in der sowjetisch besetzten Zone in vollem Umfang die Rechtsstaatlichkeit hergestellt und dementsprechend die Strafjustiz nach rechtsstaatlichen und humanitären Gesichtspunkten gehandhabt wird. ({15})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man vorhin den Herrn Bundesminister des Innern gehört hat, muß man zu dem Ergebnis kommen, daß er der Auffassung ist: all diejenigen, die sich für ein Amnestiegesetz eingesetzt haben, haben objektiv den Tatbestand der Staatsgefährdung erfüllt. Als wir bei dieser Stelle - als der Herr Bundesminister des Innern diese Ausführungen machte - Zwischenrufe machten, hat aus Ihren Reihen irgend jemand zu uns herüber gerufen: „Sie haben es ja nicht so gemeint!" Es scheint also so zu sein - wenn man dieser Auffassung folgt -: wir haben zwar objektiv den Tatbestand der Staatsgefährdung erfüllt, aber wir sind eben harmlose Trottel oder irgend etwas Ähnliches, und aus dem Grunde kriegen wir so eine Art mildernde Umstände. ({0}) Meine Damen und Herren, wir müssen uns von dieser Steile aus in jeder Weise und in aller Form gegen eine derartige diffamierende Art der Argumentation verwahren. ({1}) Diese Art der Argumentation des Herrn Bundesministers des Innern ist vielleicht symptomatisch für eine ganz bestimmte Methode des Denkens und eine ganz bestimmte Auffassung über das Wesen eines Parlaments. Der Herr Bundesminister des Innern scheint der Auffassung zu sein, dieses Parlament sei nichts anderes als das Organ einer Regierungspolitik. ({2}) Wir, meine Damen und Herren, sind der Auffassung, daß dieses Parlament nicht ein Instrument irgendeiner Regierungspolitik ist, sondern es ist ein freies Parlament, und die Fraktionen und die Mitglieder dieses Hauses haben ihre Vorschläge und ihre Gesetzesanträge so einzubringen, wie sie und wir es nach bestem Wissen und Gewissen für politisch richtig und zweckmäßig und notwendig halten. ({3}) - Sie sagen: „Das ist nie bestritten worden!" Lesen Sie einmal die unglaublichen Ausführungen des Bundesministers des Innern, mit denen ich mich hier auseinandersetze, im Protokoll nach! Dann werden Sie erkennen, aus welchem Geist, aus welcher Einstellung zum Parlament diese Ausführungen gemacht worden sind. ({4}) Meine Damen und Herren, egal was irgendwo in Pankow oder Moskau oder sonst irgendwo in der Welt irgend jemand sagt, - wir haben hier Politik nach den Grundsätzen zu machen, die wir für richtig halten, und nichts anderes! ({5}) - Aber der Herr Bundesminister des Innern hat eine andere Auffassung! - Wir haben uns das Gesetz des Handelns nicht danach bestimmen zu lassen, wie so etwas irgendwo in der Welt ankommt oder welch eine ganz bestimmte Auffassung irgend jemand in der Welt außerhalb dieses Hauses zu irgendeinem Problem hat. ({6}) Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bedauert, daß erst heute hier die Entscheidung über die Frage einer Amnestie fällt; sie hatte bereits ({7}) am 30. Mai 1956 einen entsprechenden Antrag gestellt, und er hat in der Mitte der Parteien der Koalition eine grundsätzlich anerkennende Aufnahme gefunden. Dieser Antrag hatte damals den Sinn, die Diskussion über die Frage der Amnestie in Fluß zu bringen. Unser Fraktionskollege Dr. Arndt hat dann am 8. Oktober 1956 den übrigen Fraktionen des Hauses einen Entwurf als Grundlage für interfraktionelle Besprechungen übermittelt. Es kam dann am 23. Oktober der Gesetzesantrag der FDP, hinter den wir uns grundsätzlich gestellt haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat bewußt und, ich möchte sagen, demonstrativ darauf verzichtet, einen eigenen Antrag zu stellen, weil wir der Auffassung waren, diese Frage der Amnestie ist nicht eine Frage des politischen Prestiges für irgendeine Fraktion, sondern bei der Amnestie handelt es sich um ein allgemeinpolitisches Problem, das losgelöst von den Fronten der Parteien und Fraktionen hier in diesem Hause auf einer - einmal von den Fraktionen her gesehen - möglichst neutralen Basis diskutiert und einer Lösung zugeführt werden sollte. Aus diesen Erwägungen und weil wir uns stets darum bemüht haben, hier eine gemeinsame Plattform zu finden, haben wir auch manchen Zeitverlust hingenommen, der einzutreten schien, weil sich gemeinschaftliche Lösungsversuche abgezeichnet haben. Wir von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gehen in diese Debatte, trotz der Kritik durch den Herrn Bundesminister des Innern, trotz seiner Angriffe, gegen die wir uns wehren müssen, nicht aus einer Kampfposition hinein, sondern in der Erwartung und in der Hoffnung, daß es möglich ist, gerade angesichts der Tatsache, daß auch eine ganze Reihe Angehöriger Ihrer Fraktion - ich meine die größte Fraktion des Hauses - dem Gedanken einer Amnestie aufgeschlossen gegenübersteht, hier noch eine breite Basis für den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP herzustellen. Wir haben den Willen, zu überzeugen, und nichts anderes. Ich habe vorhin den Ablauf der Amnestiedebatte hier geschildert. Sie erinnern sich, daß dann ein, sagen wir: Störungsfeuer geschossen wurde, - um dem Zuge der Zeit entsprechend einen militärischen Ausdruck zu gebrauchen. Es war insbesondere der Herr Bundesminister des Innern, der wiederholt in einer sehr massiven Weise ({8}) und mit einem ähnlichen Tenor wie heute gegen den Gedanken der Amnestie vorgegangen ist. Ich möchte grundsätzlich sagen, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bedauert, daß der Wortführer der Bundesregierung zur Frage der Amnestie nicht der an sich ressortmäßig zuständige Herr Bundesminister der Justiz gewesen ist, sondern ausgerechnet der Herr Bundesminister des Innern. ({9}) Aber dort, wo es zu konkreten Auseinandersetzungen gekommen ist, nämlich in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages, insbesondere im Bundestagsausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, hat an den Auseinandersetzungen nicht etwa der Wortführer der Bundesregierung nach außen hin teilgenommen, sondern dort ist der Herr Bundesminister der Justiz erschienen; der Herr Bundesminister des Innern hielt es niemals für notwendig, sich der Auseinandersetzung im Rechtsausschuß zu stellen. Wir bedauern diese Tatsache außerordentlich. ({10}) Durch das Einschalten des Herrn Innenministers ist die Debatte um die Frage der Amnestie von Anfang an mit dem Gedanken der Staatssicherheit und der Staatsautoritat verquickt worden. Wenn ich manche Ausfuhrungen des Herrn Bundesministers des Innern über Staatssicherheit und Staatsautorität, etwa in der Verlautbarung im Bulletin der Bundesregierung vom 15. Januar 1957, nachlese, muß ich daran denken, daß von dieser Stelle aus - ich glaube, vom Kollegen Dr. Arndt - einmal gesagt worden ist: Es gibt Mitglieder der Bundesregierung, die sich, wenn sie das Wort „Staatsautorität" aussprechen, am liebsten vor sich selbst vom Stuhle erhöben. Ich glaube, daß auch der Herr Bundesminister des Innern zu den Mitgliedern des Kabinetts gehört, die beim Aussprechen des Wortes „Staatsautorität" am liebsten vor sich selbst strammstünden. ({11}) Der Herr Bundesminister des Innern hat in dieser Verlautbarung Äußerungen getan, die derart merkwürdig, aber auch derart interessant sind, daß ich glaube, sie diesem Hohen Hause nicht vorenthalten zu sollen. Er hat im Bulletin vom 15. Januar 1957 folgendes ausgeführt; ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren: „Wir müssen uns jedenfalls darüber klar sein, daß unsere innere Sicherheit auf drei Faktoren beruht: der wirtschaftlichen Lage, den sozialen Verhältnissen und der staatlichen Autorität ({12}). Verschlechtert sich die Wirtschaftslage, verschlechtern sich die sozialen Verhältnisse, dann wäre die Belastung des dritten Faktors vervielfacht. Staatliche Autorität kann aber nicht erst in der Krise selbst aufgebaut werden, sondern sie muß dann eben vorhanden sein, um die Krise meistern zu können." ({13}) Meine Damen und Herren, ich darf dazu bemerken - es gehört an sich nicht zum Thema - daß dieser Äußerung des Herrn Bundesministers des Innern doch ein beachtlicher und ein interessanter Pessimismus hinsichtlich der Beurteilung unserer wirtschaftlichen Situation und wirtschaftlichen Entwicklung zu entnehmen ist. ({14}) - Haben Sie es noch nicht verstanden, Herr Kollege Lücke? Muß ich es noch einmal wiederholen? Der Herr Minister sagt: Es gibt drei Säulen, drei Faktoren, nämlich wirtschaftliche Lage usw., und dann kommt die „Staatsautorität mit ihren Machtmitteln", und wenn es bei dem einen, bei der wirtschaftlichen Lage hapert, dann müssen die Machtmittel ausgebaut werden, d. h. doch letzten ({15}) Endes die Polizei und auch die Zuchthäuser und dergleichen. ({16}) - Wollen Sie eine Frage stellen? Bitte schön!

Ernst Majonica (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigen Sie, Herr Kollege, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie mit der Kapitulation des demokratischen Staates 1932/33 einverstanden? ({0})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das war keine Frage, sondern ein Zwischenruf.

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bin bereit, ein Fragezeichen hinter dem Zwischenruf zu konzedieren. Gerade Sie, verehrter Herr Kollege, als Abgeordneter der Christlich-Demokratischen Union müßten davon überzeugt sein, daß die tragenden Faktoren unseres Staatswesens nicht allein die wirtschaftliche Lage, die sozialen Verhältnisse und die staatliche Autorität mit Machtmitteln sind. Was der Herr Bundesminister des Innern dort ausgeführt hat, ist die Staatsdoktrin eines materialistischen Gewaltstaates, von der gerade Sie sich, verehrter Herr Kollege, als christlich-demokratischer Abgeordneter in jeder Weise distanzieren sollten. Sie sollten sich von dieser merkwürdigen Staatsphilosophie des Herrn Bundesministers des Innern distanzieren. ({0}) Die Staatsautorität des freiheitlichen Staates kann nicht entsprechend Ihrer Auffassung mit Polizeiknüppeln und mit Mitteln der Justiz erzwungen werden, sondern die Staatsautorität des freiheitlichen Staates, des demokratischen Staates beruht ausschließlich - Herr Kollege Stammberger hat es in anderem Zusammenhang schon angedeutet - auf der freiwilligen Anerkennung durch die Rechtsgemeinschaft. ({1}) Die Macht des freiheitlichen Staates, Herr Innenminister, ist nur denkbar bei einer freien und freiwilligen Anerkennung gerade dieser Autorität durch die Staatsbürger. ({2}) - Sonst haben Sie es nicht mit Macht zu tun, sondern ausschließlich mit der brutalen Gewalt, und ein derartiges Staatssystem unterscheidet sich in nichts von den Staatssystemen totalitärer Regimes. ({3}) Meine Damen und Herren, Sie haben hier von der Staatssicherheit gesprochen. Da erhebt sich die Frage, ob tatsächlich, wie auch Herr Kollege Stammberger bereits ausgeführt hat, die Staatssicherheit dadurch gefährdet wird, daß der Bundestag ein Amnestiegesetz beschließt. Hier besteht eine Diskrepanz in der Argumentation einerseits des Innenministers und andererseits des Justizministers. Der Herr Bundesminister der Justiz hält ja sehr viel von Staatsautorität, obgleich er in Berlin Versammlungen mit schwarzweißroten Plakaten und ähnlichen Dingen durchgeführt hat. ({4}) - Verehrter Herr Kollege, wenn Sie es als mit der Staatsautorität der demokratischen Bundesrepublik für vereinbar halten, daß ein Bundesminister unter schwarzweißroten Signen auftritt, dann ist der Geist der Negation gegenüber dieser demokratisch-parlamentarisch-republikanischen Verfassung ja schon sehr weit in die Reihen auch dieses Hauses gedrungen. ({5}) Der Herr Bundesminister der Justiz hat uns hier Zahlen vorgeführt. Ich habe dazu einen Zwischenruf gemacht, der von Ihnen, Herr Kollege Dr. Weber, gerügt worden ist. Mich hat dabei eines gestört. Man kann es sich doch nicht so einfach machen, daß man hier sozusagen die Grundsätze der Wahrscheinlichkeitsrechnung anwendet, um festzulegen, daß es im Jahre 1956 soundsoviel Verfahren geben wird und daß soundsoviel als Restbestand übrigbleiben wird. Das ist doch ganz unmöglich. Ich will Ihnen auch sagen, warum es einfach nicht möglich ist, in dieser Weise zu verfahren. Der Herr Bundesminister der Justiz oder seine Vertreter haben uns ja schon ides öfteren Zahlen genannt, und ich möchte nun einmal aus diesem Zahlenbestand schöpfen. Ich glaube, es war Ende Oktober, als uns im Rechtsausschuß einige Zahlen mitgeteilt wurden. Damais wurde gesagt, daß es am 1. August 1956 3314 Ermittlungsverfahren und 303 gerichtliche Verfahren gegeben habe. ({6}) - Aber, verehrter Herr Kollege, warum haben Sie diesen Zwischenruf nicht vorhin gemacht, als der Herr Bundesminister der Justiz sprach! Zum 1. Oktober 1956 haben sich diese beiden Zahlen wie folgt verändert: die Zahl der Ermittlungsverfahren betrug 1715 - vorher 3314 -, die Zahl der gerichtlichen Verfahren 210 - vorher 303 -. Also nach den Zahlenangaben des Herrn Bundesministers der Justiz - ich will mich auf diese beiden Zahlen beschränken - eine rückläufige Tendenz. Der Herr Bundesjustizminister hat dann gewissermaßen als Interpretation, oder um dem Gesamtbild eine gewisse Kolorierung zu geben, noch gesagt: „Neue Verfahren gibt es nur in einem ganz geringen Maße; anhängige Verfahren werden in großer Zahl erledigt." Er wollte damit offensichtlich zum Ausdruck bringen, daß diese Zahlen sich noch weiter ermäßigen würden. ({7}) Sie liegen, Herr Kollege Dr. Weber, ({8}) - Per 1. Januar hat sich die Zahl der Ermittlungsverfahren keineswegs ermäßigt; sie hat sich von 1700 auf 2358 erhöht. ({9}) ({10}) Also die von dem Herrn Justizminister prophezeite rückläufige Tendenz ist gar nicht eingetreten; im Gegenteil, es ist wieder eine aufsteigende Tendenz zu verzeichnen. Das gleiche gilt von den gerichtlichen Verfahren. Damals betrug die Zahl 322, war also von 210 wieder gestiegen, und zwar gestiegen entgegen der Prophezeiung des Herrn Bundesministers der Justiz. Ich will diese Zahlenspielerei hier gar nicht vertiefen; ich möchte Ihnen damit nur sagen, meine verehrten Damen und Herren, wie müßig und wie nutzlos und auch wie wenig vereinbar mit dem tatsächlichen Geschehen es ist, auf Grund irgendwelcher irgendwann einmal zusammengetragenen Erfahrungstatbestände uns hier eine Rechnung aufzumachen und uns als Ergebnis dieser Rechnung sozusagen zu demonstrieren: „Es sind aber nur soundsoviel." So einfach kann man es sich nicht machen. ({11}) Aber lassen wir einmal die Zahlenpolemik einen Moment beiseite. Die Frage einer Amnestie ist ausschließlich eine politische Frage, sie ist nicht eine Frage der staatsanwaltschaftlichen Statistik oder der Gefängnisstatistik. ({12}) Sie selbst, Ihre Fraktion - vielleicht wissen Sie es nicht mehr - haben sich im Jahre 1954 sehr stark ,gemacht für ein Amnestiegesetz. Da gab es eine allgemeine Amnestie. - Sie brauchen nicht mit dem Kopf zu schütteln; ich sauge mir nichts aus den Fingern! - Da gab es eine allgemeine Amnestie. Dann wurden aus der allgemeinen Amnestie gewissermaßen einige Sondergruppen herausgehoben. Es gab also für bestimmte Gruppen eine Art Sonderamnestie. Es gab eine besondere Amnestie für die Personen, die im Zusammenhang mit Interzonengeschäften strafbare Handlungen begangen hatten. Das war ein Streitpunkt im Ausschuß. Ich will diese ganze Problematik hier gar nicht vor Ihnen demonstrieren. Wir haben damals gefragt: „Wieviel sind es denn, die unter diese Sonderamnestie fallen?" Da wurde uns geantwortet: „Es sind insgesamt 170 Personen", Punkt, Schluß; und zwar insgesamt 170 Personen im Bundesgebiet ,und in Berlin. ({13}) Damals haben Sie die Geringfügigkeit der Zahl keineswegs ,als einen Hinderungsgrund angesehen, ({14}) sich für eine Amnestie einzusetzen, sondern damals haben Sie sich trotz alledem in langen und langwierigen Erörterungen dafür sehr stark gemacht. Es gab noch eine zweite Sonderamnestie im Rahmen des 1954er Gesetzes, und das war die Amnestie zugunsten von Personen, die im Zusammenhang mit dem staatlichen Zusammenbruch strafbare Handlungen begangen haben. Damals wurde es bewußt in Kauf genommen, strafbare Handlungen bis zu Tötungsdelikten zu amnestieren. Wenn wir uns hier über dieses Straffreiheitsgesetz unterhalten, dann sollten Sie, meine Damen und Herren, auch daran denken, daß gerade Sie damals bereit gewesen sind, auch Tötungsdelikte zu amnestieren. ({15}) - Sie sagen: „nur". ({16}) - Und Sie sagen: „Das ist sehr wichtig". Wie sieht es denn in der Praxis aus? ({17}) In Schleswig-Holstein ist vor einiger Zeit jemand entdeckt worden, der noch Wochen nach dem Tage der Kapitulation Soldaten umgebracht hat, - also eindeutige Tötungsdelikte. Es kam zu einem Strafverfahren. Schließlich fand das Gericht den „salomonischen" Ausweg, zu erklären, daß drei Jahre Gefängnis genug seien. So fiel der Betreffende unter die Amnestie. So sieht es doch in der Praxis aus und hat es ausgesehen. Sie sollten, gerade wenn Sie sich jetzt mit diesem Amnestiegesetz auseinandersetzen, daran denken, daß hier kein einziger amnestiert wird, der irgendein Tötungsdelikt begangen hat. Hier wird auch kein einziger amnestiert, der irgendeine Körperverletzung begangen hat. ({18}) Damals aber haben Sie die Amnestierung derartiger Delikte ohne weiteres akzeptiert. Sie halten den Staat ja für furchtbar schwach, verehrter Herr Kollege Weber. ({19}) Sie wissen, daß bei allen Wahlen und Abstimmungen, die es im Bereich der Bundesrepublik gegeben hat, die politischen Parteien, welche die parlamentarisch-demokratische Grundordnung bejahen, und zwar unbeschadet der Kritik an einzelnen Erscheinungsformen, die sich beim Funktionieren dieser parlamentarisch-demokratischen Grundordnung zeigen, eine ganz überwältigende Mehrheit der Stimmen des Volkes auf sich haben vereinen können, 90, 95 % aller Stimmen. ({20}) Sollten Sie sich nicht auch einmal diesen Tatbestand vor Augen halten? Sollten Sie sich nicht davon frei halten, diesen massiven Block des deutschen Volkes - leider eben nur in der Bundesrepublik -, der in der Lage gewesen ist, bei freien Wahlen ein Bekenntnis zur Demokratie abzulegen, in bezug auf seine Verfassungs- und Staatstreue zu diskreditieren, ({21}) indem Sie sagen, eine kleine Zahl von subversiven Elementen werde in der Lage sein, alles das sozusagen aus den Angeln zu heben und die Staatssicherheit zu gefährden? ({22}) So leicht, meine Damen und Herren, sollten Sie es sich bei der Auseinandersetzung mit dieser Problematik nicht machen. ({23}) Ich möchte hier noch auf einen Gedanken zurückkommen. Ich habe von der Sonderamnestie für ({24}) Taten im Zusammenhang mit dem staatlichen Zusammenbruch gesprochen. Damals waren es in Bayern, also nur in einem Teil der Bundesrepublik, 80 Personen, die von dieser Amnestie betroffen wurden. Die Zahlen für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik sind uns nicht bekanntgegeben worden. Aber wenn Sie die bayerischen Zahlen auf den Gesamtbereich projizieren, ergibt sich im höchsten Falle eine dreistellige Zahl unterhalb der Zahl 500. Damals - und das ist doch entscheidend - haben Sie nicht daran Anstoß genommen, daß es nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Personen gewesen ist, welche unter ein derartiges Amnestiegesetz gefallen sind. Ihre ganze Argumentation mit Zahlen und dergleichen steht also im Widerspruch zu Ihrem früheren Verhalten, und Sie sollten deshalb diese Argumentation aus der Debatte ausklammern. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und alle diejenigen, die für eine Amnestie eingetreten sind, haben sich von zwei entscheidenden Gesichtspunkten leiten lassen, einmal von der Verantwortung, die auch wir für die politischen Gefangenen im Bereich jenseits der Zonengrenze tragen, und zum zweiten von der Sorge um die eigene Rechtsstaatlichkeit. Der Herr Kollege Stammberger hat hierzu auch Ausführungen gemacht. Es geht nicht darum, ob nun bei der hier in Betracht kommenden Bestimmung des Strafgesetzbuches eine Rückwirkung der Verfolgbarkeit der Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei im technischen Sinne bei einer sorgfältigen juristischen Analyse eintritt. Entscheidend ist doch, daß in faktischer Hinsicht für die Betroffenen ein Effekt eintritt, der einer Rückwirkung gleichzusetzen ist. Ich brauche mich nur auf den Herrn Bundesminister der Justiz und auch auf einen Vertreter des Bundesinnenministeriums zu beziehen. Sie, Herr Bundesjustizminister, haben im Rechtsausschuß gesagt, dieser § 90 a erfülle Sie mit Unbehagen, und Sie - oder es war ein Vertreter des Bundesinnenministeriums - haben gesagt: Die Reform des § 90 a gehört zu den gesetzgeberischen Aufgaben Nr. 1. - Jawohl, Sie können es im Protokoll des Rechtsausschusses nachlesen. Es ist nicht nur die Pflicht eines Rechtsstaates, daß er seine Rechtsstaatlichkeit vor offenkundigen Verletzungen bewahrt, sondern ein Rechtsstaat hat auch die Aufgabe und die Verpflichtung, jeden Zweifel an dieser Rechtsstaatlichkeit zu vermeiden. ({25}) Dieser Überlegung sollten Sie folgen, und schon diese Überlegung reicht für sich allein aus, den Gedanken an eine Amnestie zu bejahen.

Dr. Gerd Bucerius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sind Sie nicht der Meinung, Herr Kollege, daß die obersten Bundesgerichte diese Rechtsstaatlichkeit von sich aus wahren? Und wenn Sie dieser Meinung sind, warum brauchen wir dann eine Amnestie? ({0})

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, ich darf auf Ihre Frage folgendes antworten. Es ist ein einfaches und bequemes Verhalten, die Verantwortung für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit den Gerichten zuzuschieben und sich im Parlament vor der Verantwortung um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zu drücken. ({0})

Dr. Gerd Bucerius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist die Verweisung auf die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ein Drücken vor der Verantwortung Herr Kollege? ({0})

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege, hier geht es nicht um ein x-beliebiges Rechtsproblem, das man getrost der Rechtsprechung überlassen kann. Hier geht es um ein ausgesprochenes Politikum. ({0}) Gerade Sie haben sich immer wieder auf den Standpunkt gestellt, daß Entscheidungen, wenn sie nicht frei von politischer Problematik sind, einen politischen Wesenskern und vor allen Dingen politische Auswirkungen haben, in jeder Weise und soweit dies möglich ist, in die Verantwortlichkeit des Parlaments mit hineingehören. ({1}) Gerade aus diesem Grunde kann sich das Parlament in einer solchen Frage eben nicht durch die Verweisung auf die ordentlichen Gerichte der Stellungnahme entziehen. In welche Schwierigkeiten kommen die ordentlichen Gerichte! Darüber, in welche Schwierigkeiten sie kommen, werde ich noch einige Ausführungen machen. ({2}) - Ach, verehrte Frau Kollegin Dr. Weber, ({3}) man muß sich das doch einmal vorstellen. ({4}) Eine Tätigkeit, die verfassungsrechtlich bis zum 17. August 1956 als erlaubt g a 1 t ({5}) - ich sage ausdrücklich - ({6}) - Nein! Lesen Sie den Art. 21 des Grundgesetzes! Eine Tätigkeit, die bis zum 17. August 1956 als verfassungsgemäß galt , ({7}) wird nun rückwirkend für die Jahre nach 1951 als strafrechtlich verboten festgestellt. ({8}) Das ist doch ein unmögliches Resultat! ({9}) Man pflegt bei Ihnen zu sagen, die Auswirkungen seien ja nicht so schlimm. und es könne ja manche Unebenheit korrigiert werden etwa durch den § 153 der Strafprozeßordnung, durch die Einstellungsmöglichkeit. Der Herr Bundesminister der Justiz hat hier ausgeführt, in zahlreichen Fällen würden sich die Gerichte doch sicherlich auf den Standpunkt stellen, es fehle dem Täter an dem erforderlichen Unrechtsbewußtsein, und schon aus diesem Grunde erfolge dann die Einstellung. Nun, Herr Justizminister, es wird auch Sie interessieren, wie das in der Praxis aussieht. Da gibt es ein Urteil des Landgerichts in Dortmund. In diesem Urteil hat man sich, und zwar jetzt vor kurzer Zeit, mit der Frage dieses Unrechtsbewußtseins auseinandergesetzt. In diesem Urteil, Herr Bundesminister, ist folgendes ausgeführt worden: Weil er - der Angeklagte - das Grundgesetz als ehemaliger Student genau gekannt habe, seien dem Angeklagten auch die verfassungsfeindlichen Bestrebungen bekannt gewesen; als ein geistig überdurchschnittlich begabter Mann sei er verpflichtet gewesen, sich Klarheit über das verfassungsmäßige Unrecht zu verschaffen, als er in die KPD eingetreten sei, obgleich ein Verbotsantrag vorgelegen habe. ({10}) - Sie sagen „Sehr richtig!"; Sie muten also einem Studenten oder einem ehemaligen Studenten zu, daß er eine Frage für sich persönlich entscheidet, zu deren Entscheidung das Bundesverfassungsgericht fünf Jahre Zeit gebraucht hat! ({11}) Meine Damen und Herren, wenn diese Rechtsprechung Schule macht, führt das doch dazu, daß jeder, der einige intellektuelle Fähigkeiten besitzt, von vornherein die Vermutung gegen sich gelten lassen muß, er habe das Unrechtsbewußtsein gehabt, und deshalb über den Abs. 3 des § 90 a zu bestrafen ist. Ein unmögliches Ergebnis, und Sie sollten doch Ihrerseits hier den Weg dazu öffnen, daß ein derartig unmögliches Ergebnis vermieden wird. ({12}) - Sie sagen „nur Hintermänner und Rädelsführer". ({13}) Ich will Ihnen ein Zweites sagen, Herr Kollege Weber, gerade weil Sie hier immer wieder auf die Hintermänner und Rädelsführer hinweisen. Dabei denken Sie offenbar an die ganz Großen, die da so hoch in den oberen Regionen schweben und die Fäden ziehen. Gestern, Herr Kollege Dr. Weber, hat der Bundesgerichtshof in einer Revisionssache gegen Clemens ein Urteil gefällt. Dieser Clemens war ein einfaches Mitglied der KPD. Er hatte keine besondere Funktion. ({14}) - Warum sagen Sie denn „Na, na, na"? Warten Sie erst einmal ab! ({15}) Dieser Clemens war ein einfaches Mitglied der KPD. Er war mit besonderen Funktionen nicht in der KPD, sondern in einer anders gearteten Organisation, ({16}) die mit der Kommunistischen Partei allerdings in Geistesverwandtschaft steht, tätig. Dieser Mann ist aber über die §§ 128 und 129 des Strafgesetzbuchs nicht nur wegen der Zugehörigkeit zu einer verbotenen Vereinigung bestraft worden, sondern er ist au c h auf dem Umweg über Absatz 3 des § 90 a wegen seiner Mitgliedschaft zur KPD, wegen des Organisationsvergehens bestraft worden. Man hat von der Tätigkeit in dieser Organisation, die nicht mit der Kommunistischen Partei identisch ist, auf die Mitgliedschaft zur Kommunistischen Partei projiziert und hat den gedanklichen Sprung gemacht, zu sagen: Auch damit ist der Tatbestand der Rädelsführerschaft innerhalb der Kommunistischen Partei erfüllt. In diesem Zusammenhang ist noch interessant - ich führe das an, damit Sie sehen, wie problematisch die Geschichte ist; darauf kommt es doch hier an -, daß der Bundesgerichtshof diese Rechtsauffassung entgegen dem Antrag der Bundesanwaltschaft vertreten hat. Hier klaffen also Bundesanwaltschaft und Bundesgerichtshof in der Auslegung dieser Vorschrift auseinander. Gerade diese Tatsache sollte zeigen, um welch sumpfiges juristisches Gebiet es sich hierbei handelt. Auch diese Überlegung sollte bei sachlicher und nüchterner Überlegung dazu beitragen, zu sagen: Auch um der Wahrung und Garantierung eben der Rechtsstaatlichkeit willen entschließen wir uns für eine Amnestie. Ich will hier keine Ausführungen mehr darüber machen, daß eine Amnestie sicherlich auch die segensreiche Wirkung hätte, allen mit den Staatsschutzbestimmungen befaßten Gerichten Gelegenheit zu geben, die Problematik unseres Staatsschutzes im Sinne der einschlägigen Vorschrift des Strafgesetzbuchs erneut zu überdenken. Sie wissen ebensogut wie ich, welchen Anlaß zu Kritik die Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofs wie auch mancher Instanzgerichte gegeben hat. Ich will jetzt diese Kritik nicht vor Ihnen abrollen lassen. Ich möchte aber in Ihre Erinnerung zurückrufen, was der damalige Bundesminister der Justiz, der Herr Kollege Neumayer, in einer Rede anläßlich der Amtseinführung des jetzigen Oberbundesanwalts am 26. April 1956 gesagt hat. Er hat folgendes ausgeführt, was ich gemäß dem Bulletin vom 3. Mai 1956 zitieren darf: Freilich ist die Abwehr rein ideologischer Angriffe auf die in unserer Verfassung verkörperten Grundsätze der freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie nicht Aufgabe der Justiz. Auch auf dem Gebiete des Staatsschutzes gibt es kein Gesinnungsstrafrecht. Meine Damen und Herren, das ist die Auffassung des damaligen Bundesministers der Justiz, ({17}) des Herrn Neumayer. Ich möchte hier keine Ausführungen über die Praxis der Anwendung gewisser Bestimmungen des Strafgesetzbuchs machen. Entscheidend ist, daß sie Anlaß zu Kritik und vor allen Dingen Anlaß zu manchen Befürchtungen hinsichtlich des Durchsickerns eines Gesinnungsstrafrechts gegeben haben. Diese Tatsache hat Persönlichkeiten, die der Praxis unserer politischen Justiz näherstehen als jedes Mitglied dieses Hau({18}) ses, Anlaß gegeben, sorgenvoll darauf hinzuweisen, wie notwendig es ist, die Problematik der politischen Justiz erneut zu durchdenken. Auch aus dieser Überlegung ist man zur Befürwortung eines Amnestiegesetzes gekommen. Meine Damen und Herren, ich habe hier schon darauf hingewiesen, daß wir auch eine Verantwortung gegenüber den politischen Gefangenen jenseits der Zonengrenze haben. Das war ja der Ausgangspunkt bei der Amnestie-Debatte, insbesondere damals am 30. Mai 1956. Man hat hier gesagt: Keine Vorleistungen! Man hat weiterhin gesagt - ich. zitiere den Bundesinnenminister, der von der verbrieften Garantie gesprochen hat -: Wenn ich eine verbriefte Garantie hätte, daß dort drüben Freilassungen erfolgen, ließe sich über manches reden. Ich kann es hier zitieren nach dem Bulletin der Bundesregierung. Man hat gesagt: Gebt die Gefangenen in euren Zuchthäusern da drüben frei, dann entlassen auch wir! Diese Äußerungen werden der Problematik, um die es hierbei geht, nicht gerecht. Es kann um des Ansehens des demokratischen Rechtsstaates willen nicht darum gehen, ein Zug-um-Zug-Geschäft zu machen. Es kann nicht darum gehen, so etwas Ähnliches wie einen Menschenhandel hier zu treiben: Gib du mir einen oder gib du mir viele, dann gebe ich dir einen! Das wird der Würde und dem Ansehen des 'demokratischen Rechtsstaates nicht gerecht. Uns geht es ja nur um eines: Es kommt darauf an - und gerade wir haben die Verpflichtung -, in ,einem niemals ermüdenden und erblahmenden Streben uns darum zu bemühen, Bereich der Bundesrepublik ein Fanal der politischen und der menschlichen Großherzigkeit aufzurichten. Wir haben die Möglichkeit, durch dieses Fanal hoffnungserfüllend auf Tausende von Menschen zu wirken, die sich jenseits der Zonengrenze im Zustand der Unterdrückung befinden. ({19}) Wir haben ,die Möglichkeit dazu nicht durch eine versickernde Aktion von Gnadenmaßnahmen hie und dort, sondern durch einen Akt des Gesetzgebers. Dadurch können wir die Gerechtigkeit auch hinüber in jenen anderen Bereich ausstrahlen lassen. Die Sicherheit der Bundesrepublik steht nicht zur Debatte, zur Debatte steht in diesem Zusammenhang ausschließlich, jene Ausstrahlung der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit zu ermöglichen, und nichts anderes. ({20}) Meine Damen und Herren, nicht nur wir haben diesen Standpunkt vertreten. Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus, also eine Organisation, die diesen Dingen viel näher steht als jedes Mitglied dieses Hauses, hat in einem Schreiben, das sicherlich vielen Abgeordneten hier zugegangen ist, ausdrücklich auf diese Aufgabe und Verpflichtung der Bundesrepublik hingewiesen. Der Vorsitzende des Kuratoriums Unteilbares Deutschland hat aus den gleichen Überlegungen immer wieder seine mahnende und, ich möchte sagen, aufrüttelnde Stimme erhoben. In der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik sind ebenfalls immer wieder Stimmen laut geworden, welche menschliche Aufgabe für die Bundesrepublik nicht gegenüber denen hier, sondern vor allen Dingen gegenüber jenen drüben bestehe. Auch Mitglieder dieses Hauses, der Herr Bundesminister Lemmer, der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg, der Präsident 'dieses Hauses, Herr Dr. Gerstenmaier, alle haben oft ihre Stimme erhoben. Es wird behauptet, daß sogar der Herr Bundeskanzler selbst sich in dieser Richtung Erwägungen zugänglich gezeigt hat. Meine Damen und Herren, wenn Sie 'dem Appell derer außerhalb Ihrer Fraktion nicht folgen, sondern sich ihm verschließen wollen, dann hören Sie wenigstens auf diejenigen innerhalb Ihrer Fraktion. Ich möchte wünschen, daß der eine oder andere aus Ihren Reihen, sei es ein Bundesminister, sei es ein anderer Abgeordneter, seine Stimme an Sie richtet. Hören Sie wenigstens auf diese Stimmen, wenn Sie sich unseren Appellen und anderen Appellen außerhalb Ihrer Reihen verschließen wollen! ({21}) - Wenn Sie sagen „Wie ist es mit dem Appell aus Bayern?", so möchte ich Ihnen erwidern: Die politische Haltung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und der Sozialdemokratischen Partei wird nicht durch einen bayerischen Landesminister bestimmt. ({22}) Ich darf abschließend die Hoffnung aussprechen, daß Sie diese Frage der Amnestie nach wie vor nicht als ein parteipolitisches Problem ansehen, nicht als ein Problem, das irgend jemanden hier im Hause etwa aus dem heraus interessiert, was man manchmal als Wahlkampfpsychose bezeichnet hat. Es geht um ein Anliegen der Rechtsstaatlichkeit, und es geht darum, die Fahne der Großherzigkeit hier in der Bundesrepublik aufzustecken, um auf diese Weise die Möglichkeit und nichts anderes können wir sagen - zu haben, auch in die Gebiete jenseits der Zonengrenze hinüberzuwirken. ({23})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Dr. Hans Joachim Merkatz (Minister:in)

Politiker ID: 11001477

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur einige ganz kurze Bemerkungen. Aus den Darlegungen des Herrn Kollegen Wittrock könnte der Eindruck entstehen, als habe das Bundesministerium der Justiz zu den verschiedenen Zeitpunkten dem Ausschuß irrige Zahlen vorgelegt. Das ist nicht der Fall. Ich habe allerdings dem Hause bekanntzugeben, daß bei der auf den 1. August 1956 berechneten Zahl insofern ein Irrtum unterlaufen ist, als die Länderjustizverwaltungen auch die objektiven Verfahren eingerechnet haben. Dadurch ergab sich ein anderes Bild. Das haben wir aufgeklärt, und so haben die Zahlenangaben nach dem Stand des 1. Oktober ein anderes Gesicht bekommen. Schließlich muß ich darauf hinweisen, daß ich mich in meiner Schätzung im Hinblick auf den Dezember 1956 und später getäuscht habe; wegen der Amnestiedebatte sind zahlreiche Verfahren, die man normalerweise erledigt hätte, nicht abgeschlossen worden, weil die Justizbehörden, Staats({0}) anwaltschaften und Gerichte, abgewartet haben, was dabei herauskommt. Dadurch hat sich eine anomale Erhöhung der Zahl der Verfahren, nämlich alter und neuer, ergeben. Ich möchte also diese Punkte richtigstellen, wobei ich nochmals betone: alle Statistik und alle Prognosen sind Schätzungen; die Wirklichkeit kann sie widerlegen. Dennoch sind die Erfahrungssätze, die bei der Kriminalstatistik und in meinen heutigen Darlegungen verwertet worden sind, ernst zu nehmen und von Bedeutung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kam mir darauf an, mit diesem Zahlenmaterial die Frage des Bedürfnisses oder des Nichtbedürfnisses darzulegen, nicht in einem nur quantitativen Sinne, sondern im qualitativen Sinne, nämlich den Nachweis zu führen, daß die vorhandenen gesetzlichen Möglichkeiten allen Gegebenheiten Rechnung tragen können, wenn maßvoll, menschlich, milde und vernünftig Gebrauch davon gemacht wird, wenn sie also dem Zwecke dienen, den Sie mit der Amnestie erreichen wollen. Gibt das, was wir in der Gesetzgebung an der Hand haben, die Möglichkeit, menschlicher Gerechtigkeit Genüge zu tun, auch milde und großzügig zu sein, oder nicht? Hier möchte ich noch etwas zur Sache, außerhalb des juristischen Denkens, ausführen. Herr Kollege Wittrock ist bei der Frage der Amnestie von den beiden Forderungen nach Großherzigkeit und Rechtsstaatlichkeit ausgegangen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie dem Bundesminister der Justiz eine kleine, ernste Nebenbemerkung. Der Amnestiegedanke als solcher ist seinem Wesen nach stets eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen Grundsatzes. ({1}) Er enthält immer Elemente der Willkür, des Schematisierens und der Ungerechtigkeit. Es gibt gelegentlich Umstände, die dazu zwingen, diesen Weg zu gehen, weil unser Leben nicht ein mathematisch vollendetes, harmonisches Gebilde ist, sondern ein Gebilde voller Widersprüche, voller Schuld, voller Reue und voller Einsichten und oft, sehr oft voller Uneinsichtigkeit. Man muß manchmal korrigieren, muß gewissermaßen aus der gültigen Norm heraustreten, um die Dinge in Ordnung zu bringen. ({2}) - Lassen Sie mich den Satz noch vollenden. - Aber dann kommt der Punkt, wo man sich darüber klar sein muß, wann die Stunde der Großherzigkeit kommt. Großherzig ist man aus Stärke. Großherzigkeit ist dann einzusetzen, wenn Einsicht und Reue in der Welt an Boden gewonnen haben, ({3}) d. h. nach unruhigen Zeiten, die schwer verwirrt waren, wo Taten begangen worden sind aus dem Zwang der Verhältnisse, aus der Verwirrung der Zeit, aus der Anarchie, die Täter getrieben waren von den Dämonen der Zeit. Wenn dann hinterher die Welt ruhiger wird, wenn Einsicht kommt in das ganze Volk, in die Gesellschaft, daß das, was getan worden ist, wirkliches Unrecht war, kann die Großherzigkeit einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ziehen, aber nicht, niemals, gegenüber Tätern, die - Sie sagen es selbst - Gesinnungstäter sind, die mit aller Zähigkeit an ihrem Ziel festhalten und keinen Akt der Gnade, keinen Akt des Auslöschens als einen Schlußstrich betrachten, sondern denen er ein Zeichen der Schwäche, ein Zeichen zum neuen Angriff ist. ({4}) - Woher ich das weiß? ({5}) - Ich darf nachher darauf eingehen.

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesminister, erinnern Sie sich, daß Sie am 30. Januar 1957 entgegen der jetzt hier von Ihnen geäußerten Meinung über das Wesen der Amnestie ausdrücklich erklärt haben, daß selbstverständlich die Amnestie ein rechtsstaatliches Mittel sei?

Dr. Hans Joachim Merkatz (Minister:in)

Politiker ID: 11001477

Herr Kollege, ich kann mich an die Worte nicht mehr genau erinnern. ({0}) - Entschuldigen Sie, das ist kein Widerspruch. In einem Rechtsstaat wird die Amnestie auch als ein rechtsstaatliches Mittel gebraucht. Aber wenn Sie tiefer darüber nachdenken, welche Beweggründe dazu führen, Amnestien zu erlassen, so werden Sie zu dem Ergebnis kommen, daß es Durchbrechungen des normalen rechtsstaatlichen Denkens sind, und diesem Gedanken habe ich hier Ausdruck gegeben. ({1}) Ich muß auf den Zwischenruf von Herrn Kollegen Metzger, der nicht in der Form einer Frage gemacht worden ist, der Sache nach eingehen. Er fragt, woher ich das weiß, daß keine Einsicht vorhanden ist. Herr Kollege Metzer, wenn Sie recht hätten, wenn hier nur der geringste Zweifel darin gesetzt werden könnte, daß Einsicht nicht vorhanden ist, wäre die Spannung, in der unser Volk lebt, nicht so tiefernst und so bedrohlich, wie sie es tatsächlich ist. Verkennen wir doch nicht die Lage, in die wir als Volk geraten sind! Verkennen wir doch nicht die eigentlichen Beweggründe! Ist es nicht Notwehr, ist es nicht ein notvoller Zwang, unter dem wir in der Mitte dieses Jahrhunderts stehen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt sehr viele Möglichkeiten, die Dinge mit Großzügigkeit und Distanz aufzufassen, sich nicht zu ereifern, nicht in den vielen kleinen Fällen, die aus dieser Situation entstanden sind, eine zu harte Gerechtigkeit geltend zu machen. Wir haben den § 153 der Strafprozeßordnung. Wir haben uns im Rechtsausschuß alle gegen den Gedanken gewandt, eine solche Bestimmung zu sehr zu strapazieren. Aber ohne sie zu strapazieren, lassen sich mit Rücksicht auf die Tatsache, daß der KP-Prozeß so lange gedauert hat, über den § 153 weit mehr Fälle menschlich, vernünftig, gemäßigt regulieren, als man vielleicht von vornherein annehmen konnte. Der unverschuldete Mangel des Unrechtsbewußtseins, der ja zur Straflosigkeit und dann zur Einstellung führen muß, wird und muß bei der Judizierung der Tat eine sehr erhebliche Rolle spielen. Natürlich spielt hierbei auch, wenn man einen un({2}) verschuldeten Mangel des Unrechtsbewußtseins annimmt, der Rechtsschein des Erlaubten eine gewisse Rolle und findet Berücksichtigung. Ich darf wiederholen: an sich ist der Angriff auf die Grundordnung der Gesellschaft, der Angriff mit dem Ziel des Umsturzes aller Dinge ein einfacher Tatbestand, in den Einsicht zu gewinnen jedermann durchaus möglich ist. Dennoch wird mit Rücksicht auf die Zeit die Rechtsprechung gerade von dem unverschuldeten Mangel des Unrechtsbewußtseins sehr weitgehenden Gebrauch machen. Die Rechtsprechung wird hier unter das Gewissen gestellt, menschlich zu handeln. Ich darf abschließend sagen: wenn man der Ansicht wäre - das könnte auch aus der Debatte gefolgert werden -, das, was drüben in der sowjetisch besetzten Zone geschieht, und das, was hier geschieht, seien auf irgendeiner Ebene des Denkens, des Fühlens und des Gewissens vergleichbar, so muß ich als Bundesminister der Justiz hiergegen wirklich scharfen Widerspruch erheben. Unser Rechtsdenken, das vom Rechtsstaatlichen her geprägt ist, und das Rechtsdenken drüben, das überhaupt kein Rechtsdenken ist, sondern lediglich ein mechanistisches Führungsmittel, das sind zwei Welten, so sehr verschieden wie nur möglich. Wenn wir schon in dieser Debatte stehen, wollen wir diesen letzten Gedanken, die uns quälen, auch nicht ausweichen. Tun wir nicht so, als ginge es um Harmloses! Tun wir nicht so, als könnte eine oberflächliche Großherzigkeit einen Tatbestand bessern, der erschreckend ist und in die Tiefe unseres Volkslebens reicht! ({3})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Meine Damen und Herren, ich glaube, wie sind alle davon überzeugt, daß eine außerordentlich hochstehende Debatte im Gange ist; wir sind alle davon überzeugt, daß die Themen, die angesprochen werden, von außerordentlich großer Bedeutung sind. Aber ich möchte, ohne daß ich damit kritisch zu irgendeiner Rede Stellung nehme, im Hinblick darauf, daß noch fünf Redner auf der Rednerliste stehen, bitten, die Debatte in der gleichen hochstehenden Weise fortzuführen, aber vielleicht mit etwas mehr Präzision. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Platner. Platner ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage dieser politischen Amnestie ist nach unserer Auffassung von so ernster und so weittragender Bedeutung, daß ihrer zutreffenden Beantwortung nicht mit einer persönlich affektiven Polemik, sondern nur durch die Betrachtung unter den wirklich zentralen und maßgeblichen Gesichtspunkten gedient werden kann. ({1}) Die Frage dieser Amnestie ist in unseren Augen primär eine eminent politische Frage. Die Frage ihrer politischen Zweckmäßigkeit muß nach unserem Dafürhalten beantwortet werden im Blick auf die geistig-politische Einstellung des Kommunismus und seine Methodik und Taktik des ideologischen Krieges gegenüber der freien Welt. Nach § 1 ihres Entwurfs fordert die Fraktion der FDP diese Amnestie als Beitrag zu einer Bereinigung der durch die Aufteilung Deutschlands entstandenen Spannungen. Dazu muß grundsätzlich und von vornherein gesagt werden: die Aufteilung Deutschlands ist allein durch den Kommunismus und seine Helfershelfer in Deutschland geschaffen worden. Die durch die Aufteilung Deutschlands entstandenen Spannungen sind dann aber ständig erneuert und aktiviert worden durch die Maßnahmen des psychologischen Krieges, den der Kommunismus im Rahmen seiner permanenten politischen Initiative insbesondere gegen die freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland geführt hat. Zur Abwehr dieser ständigen politischen Aggression gegen den Bestand unserer freiheitlichen staatlichen Ordnung wurde die Bundesrepublik schon in den ersten Jahren ihrer staatlichen Existenz zur Schaffung neuer Straftatbestände der Staatsgefährdung gezwungen. Die Möglichkeit der Anwendung dieser strafrechtlichen Bestimmungen ist allerdings durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Kommunistischen Partei durch das Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts erweitert worden. Jetzt soll nach dem uns vorgelegten Gesetzentwurf für alle Straftaten des Hochverrats und der Staatsgefährdung in dem Zeitraum vom Mai 1949 bis August 1956 eine Straffreiheit gewährt werden. Dadurch würden aber nach unserem Dafürhalten die generalpräventiven abschreckenden Wirkungen dieser Strafbestimmungen, deren Schaffung der frühere Bundesjustizminister Herr Kollege Dr. Dehler damals für unerläßlich hielt, erheblich herabgesetzt werden. Die Kommunisten würden eine derartige Amnestie als Freibrief für eine Fortsetzung ihrer Unterwühlung unserer freiheitlich demokratischen Ordnung bewerten. ({2}) Es würden also durch eine solche Amnestie die innerdeutschen Spannungen nach unserer Auffassung nicht vermindert, sondern die politische Aggression der Kommunisten gegen die Bundesrepublik im Rahmen des gnadenlosen ideologischen Krieges würde erhöht und damit der Grad der innerdeutschen Spannungen gesteigert werden. Die Verfechter der Amnestie betrachten diese in gewissem Sinne als eine moralische Geste gegenüber Pankow, durch die die kommunistischen Machthaber der Sowjetzone gewissermaßen moralisch zu einer Gegenleistung in Gestalt der Freilassung politischer Gefangener gezwungen werden sollen. Aber eine solche Sicht erfolgt doch völlig aus westlicher Mentalität. Wir müssen bei der Frage, welche Reaktionen wir mit einer solchen politischen Amnestie dort drüben im Osten wirklich auslösen können, einen Blick auf die völlig andere Mentalität und geistig-politische Einstellung dort drüben werfen. Die Auffassung der FDP und der sonstigen Verfechter dieser Amnestie wäre berechtigt, wenn es zwischen uns und den Kommunisten drüben eine gemeinsame, einheitliche B as is der tragenden Werte der Moral und des Rechtes gäbe. Das ist aber nicht der Fall. Die ganze Tragik unserer heutigen Situation liegt doch gerade darin, daß die Grundauffassungen von Moral und Recht im freien Westen und im kommunistischen Osten einander diametral gegenüberstehen. Unsere metaphysisch begründeten sittlichen Normen sind für uns und in unserer Sicht absolut verbindlich, und nach unserem abendländischen ({3}) Naturrechtsdenken liegt in ihnen auch die Wurzel unseres Rechts. Weil die Einzelpersönlichkeit der Träger dieser sittlichen Prinzipien ist, sieht der Westen die Einzelpersönlichkeit als den Träger der höchsten Werthaftigkeit und als Mittelpunkt aller irdischen Werte. Deshalb gewährt der freie Westen dieser sittlich gebundenen Einzelpersönlichkeit im Rechtsstaat eine in den Grundrechten der Verfassung genau und fest umrissene Sphäre der Freiheit. Die Wurzel politischer Auffassung von Moral und Recht drüben im kommunistischen Osten ist dagegen die These des historischen Materialismus. Nach dieser werden Moral und Recht durch die materielle Basis der Produktionsverhältnisse bestimmt. In seiner Revision dieser Basis, in seiner ,,Überbaulehre" betonte Stalin dann neben dem Einfluß der Produktionsverhältnisse die beherrschende Rolle des Staates. Vom Boden dieser Lehre her in Verbindung mit der Diktatur des Proletariats besagt die bolschewistische Morallehre, daß moralisch alles ist, was der Macht der Kommunistischen Partei und des von ihr getragenen Staates dient. Zwecksubjekt des kommunistischen Rechts ist nicht wie bei uns die Einzelpersönlichkeit, sondern der kommunistische Staat. Und nach Lenin ist das Strafrecht die schärfste Waffe des Klassenkampfes. Das bolschewistische Strafrecht ist also aus der Sicht des Kommunismus das primäre und wichtigste politische Herrschaftsmittel. Von den 147 Artikeln des Besonderen Teils ides russischen Strafgesetzbuches behandeln 89 ,die politischen Vergehen gegen dein Staat im weiteren Sinne. Ganz ähnlich ist die Situation in der Sowjetzone, wo das „Gesetz zum Schutze des Friedens" und das „Gesetz zum Schutze des Volkseigentums" entsprechende politische Straftatbestände geschaffen haben. Bei dieser absoluten Gegensätzlichkeit der Grundauffassung von Moral und Recht kann eine moralische Geste von unserer Seite in Gestalt einer politischen Amnestie niemals einen moralischen Druck auf den kommunistischen Osten bedeuten; denn eine solche Amnestie wäre eine Geste in einen von Werten leeren Raum, in das Nichts, die ohne jede Resonanz bleiben müßte. Eine solche politische Amnestie hat in der gegenwärtigen Situation eine besonders weitreichende Bedeutung; denn wirr wissen ja, welche Ereignisse in den letzten Monaten in den osteuropäischen Ländern eingetreten sind. Der Gesetzentwurf der FDP stammt aus der Zeit der sogenannten Toleranzepoche des Kommunismus, während deren die politische Optimisten ,des Westens an eine grundsätzliche innere Wandlung des Kommunismus gegenüber dem freien Westen glaubten. Daß es sich aber nur um eine Änderung der politischen Taktik handelte, ergab ja schon damals die grundsätzliche, mehrfach wiederholte Bemerkung Chruschtschows: die Annahme der Möglichkeit einer ideologischen Koexistenz mit dem Westen sei ein gefährlicher Irrtum. Die Ereignisse in Ungarn und idle brutale Unterdrückung jeder 'freiheitlichen Regung durch Kadar sowie der wachsende Druck Moskaus gegenüber den freiheitlichen Tendenzen in Polen zeigen uns die völlige Unnachgiebigkeit des Kommunismus gegenüber jedem Versuch zur Schaffung freiheitlicher Verhältnisse. Angesichts dieser unübersehbaren Tatsachen würden die Völker Osteuropas wie des freien Westens nach unserem Dafürhalten kein Verständnis dafür haben, wenn wir die rechtliche Verteidigung unserer freiheitlichen Ordnung durch eine Amnestie schwächten. In unserem Verhältnis zu Pankow gilt das Gesagte aber in verstärktem Maße. Das ist in den letzten Monaten immer deutlicher geworden, da alle Maßnahmen des ideologischen Krieges gegen die Bundesrepublik seitens der Machthaber in Pankow verschärft worden sind. Eine Amnestie würde die Spannung gegenüber Ostdeutschland nicht verringern, sondern vergrößern, weil die Machthaber in Pankow die deutsche Wiedervereinigung ganz offen auf komunistischem Wege anstreben. Mit einer Amnestie würden wir in der DDR auch die Entlassung politischer Gefangener als Gegenleistung nicht erreichen. Es besteht -das möchte ich insbesondere Herrn Kollegen Stammberger sagen - weder die Möglichkeit eines qualitativen Vergleichs des Begriffs des politischen Gefangenen bei uns und drüben noch eine quantitative Vergleichbarkeit des politischen Gefangenen hier und dort. Bei uns sind die politischen Gefangenen die wahren Feinde der Freiheit, dort drüben sind es die Freunde der Freiheit. Bei uns sind es, wie diese Debatte deutlich genug ergeben hat, nur einige wenige, dort drüben aber sind es Tausende. Bei dieser Situation und gegenüber der Tendenz einer Wiedervereinigung auf kommunistischem Wege müssen wir unseren Willen zur rechtlichen Verteidigung unserer 'freiheitlichen Ordnung durch Ablehnung dieser Amnestie klar dokumentieren. Ich darf, obwohl in der Debatte in dieser Hinsicht schongenügend gesagt worden ist, zu den rechtlichen Gründen, die gegen eine Amnestie sprechen, noch kurzeinige Bemerkungen machen. Zwingende rechtliche Gründe für eine Amnestie vermögen wir nicht anzuerkennen. Mit Recht hat der frühere Bundesjustizminister, Herr Kollege Dr. Dehler, am 2. Dezember 1949 im Bundestag jede Amnestie als einen tiefen Eingriff in die Rechtspflege bezeichnet, der ,die Gefahr einer Erschütterung nicht nur des Rechtsbewußtseins, sondern auch der Verbindlichkeit des Rechts mit sich bringe. Eine in der Ebene ides Rechts mithin so ungewöhnliche Maßnahme wie eine Amnestie kann nur aus schwerwiegenden, ja zwingenden rechtlichen Gründen erfolgen. In der öffentlichen Debatte, die sich um diese Amnestie in einer ungeheuren Breite bei uns entsponnen hat, ist die grundsätzliche Frage der Vereinbarkeit von Rechtsstaat und politischer Justiz erörtert worden. Sie ist auch im Rechtsausschuß aufgeklungen und in dieser Debatte bereits gestreift worden. Nun, es gibt eine mit dem Rechtsstaat unvereinbare politische Justiz, die in dem Mißbrauch normaler strafrechtlicher Tatbestände aus politischen Motiven besteht. Aber bei den Strafbestimmungen über Hochverrat und Staatsgefährdung handelt es sich um berechtigtes politisches Strafrecht und seine Anwendung; denn die Tatbestände des Hochverrats und der Staatsgefährdung stellen die Verteidigung des Rechtsstaats und seiner freiheitlichen Ordnung gegen seinen grundsätzlichen Gegner dar. Man hat ferner kritisiert, daß die Straftatbestände der Staatsgefährdung erst im Jahre 1951 geschaffen worden seien. Aber die Schaffung dieser Tatbestände war notwendig, weil der Kommunismus in unserem Jahrhundert erstmalig die Tatsache des ideologischen Krieges mit allen seinen ({4}) zahlreichen Methoden der Unterwühlung und Aushöhlung der Verfassungsordnung freiheitlicher Staaten geschaffen hat. Da die Strafbestimmungen über den Hochverrat nur den mit Gewalt geführten Anschlag gegen die Staatsgrundlagen erfassen, mußte mit den Tatbeständen der Staatsgefährdung, die ein Minus gegenüber dem Hochverrat darstellen, gegenüber dem ständigen, mit gewaltlosen Mitteln geführten Angriff gegen die Staatsgrundlagen eine strafrechtliche Abwehr geschaffen werden. Ich will jetzt nicht im einzelnen noch weiter in die Problematik des § 90a des Strafgesetzbuches hineingehen, da hierzu von meinen Herren Vorrednern schon das Notwendige in der gehörigen Breite gesagt worden ist. Aber ich möchte doch eines sagen. Die Debatte um den § 90 a des Strafgesetzbuches ist selbst in unserer Presse mit einer dialektischen Überspitzung geführt worden, die sicherlich dem Ansehen unseres Rechtsstaates nicht dienlich gewesen ist ({5}) und in dieser Schärfe nicht hätte geführt zu werden brauchen. ({6}) In der öffentlichen Diskussion wie auch hier in dieser Debatte ist nochmals die Frage der Verletzung des Grundsatzes des Artikels 103 Abs. 2 des Grundgesetzes gestreift worden, daß eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit zur Zeit der Tat gesetzlich bestimmt war. Nun, dazu darf nur noch einmal kurz gesagt werden, daß der Straftatbestand des § 90 a seit Inkrafttreten dieser Bestimmung im Herbst 1951 existent war. Das, was nicht voraussehbar war, war der Umstand, daß ein Verfahren über die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei Jahre in Anspruch nehmen würde. Diese jahrelange Dauer des Prozesses, in dem die Verfassungswidrigkeit der KPD festgestellt wurde, ist allerdings in meinen Augen ein Zeichen der Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit deutscher Richter. ({7}) Das muß bei dieser Gelegenheit auch einmal gesagt werden. Wenn nun jetzt ein Zeitraum von mehreren Jahren verstrichen ist, ehe die Prozeßvoraussetzung, nämlich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei durch das zuständige Gericht, in die Welt kam, dann ist das ein einmaliger und besonderer Vorgang, der meines Erachtens nicht zu einem generellen Angriff gegen den § 90 a aus der Ebene des Artikels 103 Abs. 2 des Grundgesetzes führen kann. Daß bei der Bewältigung der politischen Strafverfahren aus Anlaß des KPD-Verbotsurteils der § 153 der Strafprozeßordnung nicht strapaziert worden ist, ist von einigen meiner Herren Vorredner bereits treffend dargetan. Es kann mithin auch keine Rede davon sein, daß mit Hilfe einer Strapaziereng dieser Bestimmung 'der Strafprozeßordnung gewissermaßen auf kaltem Wege eine Amnestie geschaffen worden sei. Schließlich hat sich ergeben - auch das möchte ich doch noch einmal hervorheben -, daß von den Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 23 des Strafgesetzbuches und der bedingten Entlassung gemäß § 26 des Strafgesetzbuchs von unseren Strafbehörden ein wirklich weitgehender und humaner Gebrauch gemacht worden 'ist. ({8}) Daraus erklärt sich auch die geringe Zahl der jetzt noch in der Bundesrepublik vorhandenen politischen Häftlinge. Es ist schon gesagt worden, daß neben diesen beiden Wegen immer noch das Gnadenrecht als individuelle Maßnahme bleibt. Nach alledem sehen wir auch keine zwingenden rechtlichen Gründe für eine generelle Amnestie; denn eine Amnestie ist ein generalisierender Akt, der dem Erfordernis der Gerechtigkeit nicht entspricht. Der Gerechtigkeit dient das Individualisieren; deshalb sind wir der Ansicht, daß dem Erfordernis der Gerechtigkeit mehr durch jene bereits genannten individuellen Maßnahmen entsprochen wird. Schließlich hat Herr Kollege Stammberger gesagt, ein gefestigter Staat wie der unsrige könne sich eine solche Amnestie leisten. Demgegenüber darf ich hervorheben, daß selbst Herr Kollege Dr. Arndt im November 1956 in der Debatte des Rechtsausschusses anläßlich der Eingliederung des Saargebietes die Bemerkung gemacht hat, daß wir uns hier in der Bundesrepublik noch in durchaus labilen Zuständen befänden. Mir wurde heute die letzte SPD-Korrespondenz vorgelegt, in der ausgeführt wurde, daß die Gegnerschaft gegen diese politische Amnestie aus einer gewissen Engherzigkeit heraus komme. Lassen Sie mich dazu in aller Sachlichkeit noch eine Bemerkung machen. Es geht nicht, wie es dort ausgeführt wurde, um die geringe Zahl der augenblicklich noch in Haft befindlichen politischen Verurteilten, sondern es geht um viel mehr. Es geht um die ungeheure psychologische Auswirkung einer solchen Amnestie nicht nur für den Augenblick, sondern für die weitere Zukunft. ({9}) Lassen Sie mich dazu zum Schluß noch eines sagen. Wenn wir die Auswirkung einer solchen Amnestie für die Zukunft ins Auge fassen, dann, bitte, verschaffen wir uns über folgendes grundsätzliche Klarheit: In der geistigen Struktur des Bolschewismus haben sich zwei Grundelemente zusammengefunden, nämlich einmal das rationale und relativ statische Element der marxistischen Doktrin, aber daneben das irrationale und dynamische Element des russischen - ursprünglich religiösen - Sendungsglaubens, der dahin geht, daß das russische Volk bzw. der russische Kommunismus in der nächsten Epoche zur Führung der gesamten Menschheit berufen sei. Aus diesem Imperativ weltweiter politischer Initiative wird der ideologische Krieg gegen uns und den freien Westen gnadenlos fortgesetzt werden. ({10}) Würden wir in der Abwehr dieser ständigen, auch weiterhin zu befürchtenden politischen Aggression schwach werden, dann wäre unser Schicksal und das Schicksal des freien Westens überhaupt in Kürze entschieden. ({11}) Weil wir unsere Freiheit, die freiheitliche Ordnung der Bundesrepublik und ihrer 50 Millionen deutscher Menschen vor ihrer Zerstörung bewahren wollen, deshalb lehnen wir diese Amnestie ab im Namen der Freiheit. ({12})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gille.

Dr. Alfred Gille (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000681, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich betrachte es lediglich als meine Aufgabe, die Auffassung meiner Fraktion sehr nüchtern und wirklichkeitsnahe zu begründen. Ich werde nicht der Versuchung anheimfallen, mich in rechtsphilosophischen und staatsphilosophischen nebelhaften Fernen zu verkriechen. Meine Damen und Herren, was wir eben gehört haben, hat doch kaum noch etwas mit der Frage zu tun, die dem Parlament heute zur Entscheidung vorliegt. ({0}) Es ist ja auch merkwürdig! Wer in den letzten Monaten an den Beratungen im Rechtsausschuß teilgenommen hat, hat häufig den Eindruck gehabt, daß alle Fraktionen nur noch ganz wenig auseinander gewesen sind. Nicht nur einmal, sondern mehrfach haben wir die Hoffnung gehabt, daß ein gemeinsamer Beschluß auf Erlaß einer politischen Amnestie zustande kommen würde. ({1}) Die heutige Debatte aber hat Klüfte zwischen den verschiedenen welt anschaulichen Auffassungen aufgezeigt, die bisher gar nicht vorhanden waren. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, den Versuch machen, Ihnen zu sagen, wie meine politischen Freunde glauben, diese Dinge sehen zu sollen. Die Geschichte der politischen Auseinandersetzung der westdeutschen Bevölkerung mit dem Kommunismus ist jetzt zwölf Jahre alt. Wir sollten uns die Mühe machen, uns einmal ganz kurz anzusehen, was in diesen zwölf Jahren alles vor sich gegangen ist. Die Vertreter der kommunistischen politischen Auffassung haben nach dem Zusammenbruch - das kann niemand bestreiten - als Lieblingskinder der Besatzungsmacht jahrelang ein sehr unheilvolles Wirken hier im Westen ausüben können. ({2}) Wir sollten es hier ruhig einmal aussprechen: Was sich damals an verantwortungslosem Treiben von Dienststellen der Besatzungsmacht gegen die politische Gesundung der westdeutschen Bevölkerung abgespielt hat, ist kaum aufzuzeichnen. ({3}) Trotz dieser bevorzugten Stellung der politischen Drahtzieher ist das deutsche Volk mit dem Problem viel schneller fertig geworden, als man das vielleicht zu hoffen wagte. Ich möchte meinen, daß es etwa um die Wende des Jahres 1950 schon so weit war. Damals saßen zwar noch eine Reihe von Kommunisten in diesem oder jenem Ausschuß, in dieser oder jener Körperschaft, auch im Parlament, vielleicht war auch irgendwo noch ein Landrat oder ein Oberbürgermeister da, aber im großen und ganzen konnte doch die politische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und seiner Irrlehre hier im Westen als im positiven Sinne entschieden betrachtet werden. Dann kam im Jahre 1951/52 der Entschluß der Bundesregierung - ich will im Augenblick gar nicht einmal werten, ob er richtig oder falsch war -, durch das Bundesverfassungsgericht das Verbot der KPD, mit der wir praktisch schon politisch fertig geworden waren, aussprechen zu lassen. Es ist heute von vielen Rednern erwähnt worden, daß wir auf das Urteil fünf Jahre haben warten müssen. Es mag sein, daß das ein Beweis besonderer Gründlichkeit der Verfassungsrichter ist. Ich möchte mich diesem Urteil nicht unbedingt anschließen. Aber eines kann man vielleicht sagen: Die Frage, ob das Wirken der Kommunistischen Partei ausreichende Gründe bot, die Verfassungswidrigkeit dieser Partei festzustellen, ist für das oberste Gericht nicht ganz einfach zu beantworten gewesen; denn wenn die Verfassungswidrigkeit klar zutage getreten wäre, dann hätte doch das Bundesverfassungsgericht zweifellos nicht fünf Jahre für diese Feststellung gebraucht. Und nun bitte ich, diese beiden Dinge einmal zusammenzusehen: die fünf Jahre hindurch in der öffentlichen Erörterung hin- und hergezerrte Problematik und dazu der unselige verantwortungslose Einfluß unserer Besatzungsdienststellen, nun nicht auf eingefleischte unverbesserliche kommunistische Funktionäre, sondern auf die, sagen wir, 14- bis 22jährigen, also jene Jahrgänge, die heute bereits nicht mehr als Jugendliche im Sinne des Strafrechts zählen. Wer bei der Betrachtung dieser Dinge die Hoffnung aufgibt, daß unter denen, die sich straffällig gemacht haben, noch genug Menschen vorhanden sind - nicht Jugendliche im Sinne des Strafrechts, sondern junge Menschen, die diesen Einflüssen ausgesetzt gewesen sind -, die wir wieder von dem Irrweg wegbringen können, von dem weiß ich nicht, wie er eigentlich die großen Aufgaben der Auseinandersetzung einmal anpacken will, die vor uns stehen, wenn wir, hoffentlich recht bald, die sowjetische Besatzungszone in unsere staatliche Gemeinschaft hineinnehmen werden. ({4}) Um diesen schlichten Sachverhalt geht es doch! Ein Schlußstrich unter diese ganze Entwicklung der politischen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus war zweifellos das Urteil am 17. August 1956. Das ist ein echter Einschnitt in einer über zwölfjährigen Entwicklung. Die Befürworter der politischen Amnestie, zu der meine Freunde ausnahmslos gehören, meinen, daß dieser Schnitt, dargestellt durch das Urteil, uns ausreichenden Anlaß gibt, das zu beschließen, was man eine politische Amnestie nennt. Meine Damen und Herren, wir sind ja auf dem Gebiet der Amnestien nicht mehr jungfräulich unschuldig, und was auch dieser Bundestag in dieser Beziehung gemacht hat und welche Gedanken und Erwägungen im Jahre 1954 eine Rolle gespielt haben, das ist uns ja allen noch gegenwärtig. Da nun zu sagen: es handelt sich nur um eine kleine Zahl von vielleicht 300 oder 600 oder 900, - das trifft doch das Problem nicht! Diese Zahl umfaßt nach meiner Auffassung eine ganze Reihe von Menschen, die durch die zwölf Jahre und durch alles, was auf uns gekommen ist, abgerutscht sind, auf Irrwege geraten sind und die wir durchaus noch für uns wiedergewinnen können. ({5}) Die Hoffnung sollten wir jedenfalls nicht aufgeben. Ich unterlasse es absichtlich, in die Auseinandersetzung über § 90 a Abs. 3 und seine Strafbarkeits({6}) voraussetzungen, Verfolgungsvoraussetzung, seine Rückwirkung - praktisch - und seine Nichtrückwirkung - theoretisch - einzutreten. Das hat doch nichts damit zu tun. Und ein Zweites, meine Damen und Herren, ist für uns wesentlich. Wir können bei der geistigen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus doch nicht die tragische Situation der Spaltung übersehen, in der wir leben. Auch durch die Bande, die hin- und herlaufen, und die Verbindungen können natürlich Einflüsse auf junge Menschen hier eingedrungen sein, denen sie niemals ausgesetzt gewesen wären, wenn man uns nicht jahrelang in dieser Spaltungssituation belassen hätte. Wir sind also der Meinung, daß die Dinge gar nicht dramatisiert zu werden brauchen, daß die Staatssicherheit ernstlich nicht gefährdet ist. Nach den überzeugenden Ausführungen des Herrn Bundesjustizministers gegen seinen Bundeskabinettskollegen braucht man da kein Wort hinzuzufügen. ({7}) Der Herr Bundesjustizminister hat es wirklich in sehr eingehenden Ausführungen in einer Weise dargestellt, daß keiner von uns auf den Gedanken kommen konnte, hier sei eine ernste Gefahr für den Staat vorhanden. ({8}) Wir übersehen nicht die Notwendigkeit eines Staatsschutzrechts. Wir übersehen nicht die Notwendigkeit der verschiedensten staatlichen Einrichtungen, für eine wirkungsvolle Abwehr gegen kommunistische Infiltrationsversuche zu sorgen. Wir werden alle Maßnahmen, die in dieser Beziehung notwendig sind, unterstützen. Aber bitte, sehen Sie ein, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen Schlußstrich nach einer Entwicklung von etwa zwölf Jahren gezogen hat. Herr Kollege Dr. Weber ist im Augenblick nicht da. Ich möchte ihn daran erinnern, daß das Beispiel, das er aus seinem persönlichen Erleben im Rechtsausschuß gegeben hat, auf mich den tiefsten Eindruck gemacht hat. ({9}) Er hat uns doch damals in wirklich bewegenden Worten erzählt, daß ein junger Mensch aus einer Familie, der man irgendwelche kommunistische Infiltrationsgefährdung nie zutrauen konnte, tatsächlich durch die Labilität unserer Verhältnisse, durch die Erlebnisse nach dem Kriege in solche Situation geraten ist. Auch ich persönlich kenne zwar nicht Dutzende, aber zwei, drei solcher Menschen. Um diese geht es doch. Ob Sie einige Funktionäre mit sechs Monaten Gefängnis verurteilen und sie dann nach drei Monaten mit Bewährungsfrist herauslassen, - das sind doch alles keine Dinge, die unseren Staatsschutz, die die Arbeiten unserer pflichttreuen Beamten auf diesem Gebiet irgendwie erschweren oder diese Beamten gar mutlos und amtsmüde machen werden. Die Dinge sind dramatisiert. Die Dinge sind uns auf rechtlichem und auch auf staatsrechtlichem Gebiet weit in philosophische Nebelfernen entglitten. Die Frage ist viel einfacher und viel schlichter. Es geschieht unserer Bundesrepublik nichts. Aber wir vermeiden, daß im Rahmen dieses großen Reinemachens nach dem Urteil vom 17. August eine gewisse Anzahl von Menschen auf die andere Seite gedrängt werden. Und wenn es nur 50 oder 100 Menschen sind, die für uns gewonnen oder zurückgewonnen werden können, die Sie aber vielleicht restlos und hoffnungslos in die andere Front stoßen, wenn Sie ihnen eine Strafe aufdiktieren, die ja nicht dadurch getilgt ist, daß Sie die Absitzung der Strafe aussetzen! Wir bedauern, daß der Ausschuß keine Möglichkeit hatte, die Dinge im einzelnen zu erörtern. Vielleicht wäre es dann in gemeinsamen Bemühungen möglich gewesen, dieses oder jenes noch etwas differenzierter auszudrücken und dieses oder jenes Bedenken noch auszuräumen. Das war leider nicht möglich. Es bleibt uns also nur übrig, den Vorschlag der FDP in der Form, wie er jetzt vorliegt, in toto anzunehmen. Meine politischen Freunde werden dieser Amnestie zustimmen. ({10})

Dr. Max Becker (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000130

Das Wort hat der Abgeordnete Majonica.

Ernst Majonica (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister der Justiz hat darauf hingewiesen, daß jede Amnestie einen Eingriff in die rechtsstaatliche Ordnung, einen Eingriff in das Rechtspflegesystem darstellt und daß sie damit immer auf rechtspolitische Bedenken stoßen wird. Nun, diese Amnestie stößt zudem auch noch auf politische Bedenken, die vor allen Dingen der Herr Bundesinnenminister als verantwortlicher Ressortminister für die Staatssicherheit dargestellt hat. Ich muß sagen, Herr Kollege Wittrock, Sie haben sich die Polemik gegen den Herrn Bundesminister des Innern etwas sehr einfach gemacht. ({0}) In dem Artikel, den er im Bulletin geschrieben hat, wollte er ja nicht eine allgemeine Staatsphilosophie darstellen, sondern er wollte gewisse Voraussetzungen, die ein Staat erfüllen muß, wenn er sich gegenüber seinen Feinden durchsetzen will, kennzeichnen. Sie wollen doch nicht bezweifeln, daß gesunde soziale und wirtschaftliche Verhältnisse eine gesunde Grundlage für den Staat darstellen und daß ein Staat auch über Staatsautorität verfügen muß? Sie haben gesagt, ein Staat ruht im wesentlichen in der Zustimmung seiner freien Staatsbürger. - Selbstverständlich tut er das. Wer wollte das bestreiten? Aber was machen Sie, wenn eben diese freie Zustimmung der Staatsbürger bei einigen nicht vorhanden ist? Dann müssen Sie doch auch gegenüber diesen Menschen Mittel der Staatsautorität haben, um sich durchsetzen zu können! Wir haben es doch 1932/33 erlebt, daß eben ein großer Teil der Menschen nicht bereit war, den freiheitlichen Staat weiterhin zu tragen, und wir haben es erlebt, daß der Staat dann schließlich vor diesen Menschen kapitulierte, weil er nicht mehr die notwendige Autorität besaß, um sich diesen Menschen gegenüber durchzusetzen. ({1}) Es ist auch selbstverständlich, daß gerade die Amnestie, die hier vorgeschlagen wird, eine ganze Reihe von Problemen der Staatssicherheit aufwirft, ({2}) sei es das Problem, daß man sie praktisch als eine Korrektur des KPD-Urteils ansehen könnte, ({3}) sei es das Problem, das darin liegt, daß eben die Staatsfeinde eine derartige Amnestie als Schwäche dieses Staates ansehen könnten, sei es, daß die in die sowjetisch besetzte Zone geflüchteten Funktionäre in unseren Staat zurückkehren könnten, sei es, daß die Bekämpfung der Tarnorganisation erschwert würde, sei es vor allen Dingen - darauf möchte ich noch mit besonderen Nachdruck hinweisen -, daß der Wille der Gerichte gelähmt wird, die zukünftige Strafverfolgung derartiger Fälle durchzuführen. Ich möchte aber ganz deutlich und mit großem Nachdruck sagen, daß wir uns über alle diese sehr schwerwiegenden Bedenken hinwegsetzen würden, wenn wir die Hoffnung hätten, daß die Zone nachziehen würde, wenn wir erreichen könnten, daß die Tausende und aber Tausende - nach den Angaben des bayerischen Ministers der Justiz befinden sich noch über 13 000 in den Kerkern der Zone - entlassen würden, wenn wir einen derartigen Akt vornähmen. Glauben Sie denn nicht, daß auch wir mit den Menschen in der Zone, die in Kerkern sitzen, fühlen? ({4}) Sie wissen doch, daß es auch unsere Freunde sind, die dort sitzen. Sie wissen doch, daß wir Listen von unseren engeren politischen Freunden, die dort eingekerkert sind, haben. Wir fühlen mit ihren Freunden, wir fühlen doch mit ihren Angehörigen. Wir haben sie doch noch selbst in den Konferenzen der Jahre 1946, 1947 und 1948 persönlich erlebt, wo wir auf Tagungen mit ihnen zusammen gewesen sind, und heute sitzen sie in den Kerkern. Glauben Sie nicht, daß wir alles, aber auch alles tun würden, damit sie aus diesen Kerkern wieder entlassen werden? Aber glauben Sie denn wirklich, daß der hier vorgeschlagene Weg dazu führen wird, daß diese Entlassungen erfolgen werden - ich meine, das ist der wirklich springende Punkt bei dieser Auseinandersetzung -, ich persönlich glaube es nicht! Es ist ein sehr schwerwiegendes Urteil, das sicherlich sehr, sehr sorgfältig untersucht werden sollte. Ich darf darauf hinweisen, daß wir mit den Vorleistungen gegenüber der Zone nicht immer die besten Erfahrungen gemacht haben. Man hat uns einmal prophezeit: Wenn ihr die Zonengrenze öffnen werdet, wenn ihr die freie Einreise gestatten werdet, dann werden drüben die Zonenmachthaber nachfolgen und auch ihrerseits die Zonengrenze öffnen. Wir haben es getan, sie nicht. Man sagt mir: Das liegt auf einer ganz anderen Ebene, das ist hiermit gar nicht zu vergleichen. Aber gerade der vorliegende Gesetzentwurf, mit dem wir uns im Augenblick auseinanderzusetzen haben, gibt ein Beispiel für einen gescheiterten Versuch, Maßnahmen in der Bundesrepublik mit Maßnahmen in der Zone zu koppeln. Damals haben die Freien Demokraten bei der Einbringung des Gesetzentwurfs ausdrücklich erklärt, daß sie eine gleichlautende und gleichlaufende Aktion der Fraktion der sogenannten LDP in der Volkskammer anregen würden. Sie haben diesen Entwurf an die Fraktion dort drüben mit der Bitte geschickt, auch von sich aus diesen Antrag in der Volkskammer einzubringen. Aber sie haben sich eine ganz kalte Abfuhr geholt. Nach der Meinung der Machthaber dort drüben in der Zone und damit auch bei der LDP-Fraktion, die an dieser Macht teilhat, ist es so, daß hier in der Bundesrepublik heldenhafte, tapfere Patrioten eingekerkert seien, denen ein großes Unrecht geschehen sei, während drüben in der Zone Verbrecher eingesperrt worden seien, die ihre wohlverdiente Strafe absäßen. Diesen Standpunkt nehmen die Machthaber der Zone doch offiziell ein. Sie haben damit die Tradition der Nazis übernommen, indem sie derartige Dinge kriminalisieren und in jedem, der gegen ihre Parteidiktatur aufsteht, ein minderwertiges Subjekt sehen, das einfach vernichtet werden muß. Auf Grund dieser Anschauungen, dieser Staatsdoktrine in der Zone müssen wir feststellen, daß das uns heute zur Beratung vorliegende Gesetz schon in der Anlage ein Torso ist, schon in der Anlage als gescheitert angesehen werden muß, weil dadurch, daß sich die LDP selbstredend versagte und in ihrem Antwortschreiben nur eine Amnestie in der Bundesrepublik gefordert hat, die Aktion dort drüben ausgeblieben ist und damit jede Hoffnung auf eine Amnestie in der Zone und somit auch auf eine Amnestie hier zerstört worden ist. Wir haben mit großer Freude festgestellt, daß in den vergangenen Jahren viele Häftlinge in der Zone entlassen worden sind. Es waren manche Freunde darunter, mit denen wir früher politisch zusammengearbeitet haben. Aber es war keine Amnestie, die dort drüben eingesetzt hat, es waren Teilerlassungen von sehr, sehr hohen Strafen, die dort ausgesprochen wurden. Es waren bedingte Straferlassungen, Strafaussetzungen zur Bewährung. Und mögen diese Entlassungen der vergangenen Jahre auch ein ganz schwaches Anzeichen einer Entstalinisierung in der Zone gewesen sein, viel hat sich auf diesem Gebiete in der Zone doch wirklich nicht getan; so haben die Ereignisse in den Satellitenstaaten diese zarten Pflänzchen sehr bald wieder zerstört. Es sind heute auch - das darf hier einmal gesagt werden - selbst Frauen, die von sowjetischen Militärtribunalen verurteilt worden sind, noch drüben in den Kerkern. Sie sind nicht entlassen worden. Man hat eben aus Ungarn und Polen die falschen Konsequenzen gezogen: daß hart, sehr hart regiert werden muß, daß es keine Milde mit den Parteifeinden geben darf. Nach den Informationen, die uns zugegangen sind, rechnet man dort drüben gar nicht mit einer Amnestie. Man denkt dort gar nicht an eine Amnestie. Im Gegenteil, man will eine Verschärfung, man will eine Verhärtung. ({5}) - Entschuldigen Sie, warten Sie, bis ich fertig bin. Ich will bestimmt keine Verhärtung auf diesem Gebiet. Ich habe es gesagt und werde es noch deutlich sagen. Wir haben doch gesehen, daß die rächende Hand Ulbrichts nun auch die eigenen Genossen erfaßt, wie wir es beim Prozeß Harich erleben mußten, daß die Urteile schürfer und die Strafen höher werden, daß sich in der Zone Tat und Sühne immer weiter entfernen, so daß die vom Staat diktierte Sühne nachher zum eigentlichen Verbrechen wird. Aber ich glaube, das ist das Entscheidende: Wenn der Versuch der FDP, zu einer gleichlautenden Aktion zu kommen, schon im Sommer 1956 gescheitert ist, wie sehr muß dann der augenblickliche Versuch scheitern, der in eine völlig veränderte politische ({6}) Situation hineintrifft, wo eben die Machthaber der Zone jene Konsequenzen, von denen ich gesprochen habe, aus ,den Ereignissen in Polen und Ungarn gezogen haben! Sicherlich, wir werden die Hoffnung nicht aufgeben, wir schlagen die Tür trotz alledem nicht zu, wir wollen die Tür aufstehen lassen, die Tür der Milde, indem wir solche Einzelmaßnahmen treffen, von denen hier gesprochen worden ist, indem wir ein weises Maßhalten im allgemeinen walten lassen. Ein Maßhalten im allgemeinen, das ja in den Zahlen sehr deutlich zum Ausdruck kommt. Hier ist doch deutlich geworden, wie großzügig bisher in der Bundesrepublik verfahren worden ist, und wir begrüßen ;diese Großzügigkeit und das Maßhalten im einzelnen. Wir wollen vor allen Dingen - und das möchte ich zu der Kritik meines Vorredners sagen - nicht die Kleinen fangen. Wir begrüßen es, daß von der Strafaussetzung mit Bewährung sehr großzügig Gebrauch gemacht wird und daß, wo es angängig ist, Gnadenerweise erfolgen, daß Einstellungen von Verfahren wegen Geringfügigkeit verfügt werden. Wir wollen gar nicht die Spannung auf diesem Gebiet, wir wollen eben mit Milde und Großzügigkeit diese Dinge regeln. ({7}) Wir 'hoffen, daß jeder einzelne Gnadenerweis ein Appell an die Machthaber in der Zone ist, nun auch ihrerseits Milde und Gnade walten zu lassen, daß auch die Zone eines guten Tages vielleicht dazu bereit ist, wozu wir grundsätzlich bereit sein würden, wenn nicht die veränderten Verhältnisse hinzugekommen wären: einen Strich zu einem bestimmten Datum zu ziehen, um eben alle diese Dinge auszuräumen. Wenn aber jenes Ziel, Freiheit für die Gefangenen der Zone, durch eine Amnestie nicht erreicht werden kann - und es scheint mir nach dem Ausgeführten einfach unmöglich, daß wir im Augenblick durch eine Amnestie diese Freilassung der Gefangenen in der Zone erreichen können -, dann bleiben eben die großen Bedenken bestehen, die ich eingangs erwähnt habe. Jetzt stehen wir, wo jene Möglichkeit der Massenfreilassung in der Zone durch eine Maßnahme der Amnestie nicht gegeben ist, einfach vor der Verantwortung, an die Sicherheit unseres Staates zu denken. ({8}) - Ich möchte doch einmal an Ihre eigenen Erfahrungen appellieren. Wir haben es erlebt, welches Schicksal ein Staat nahm, der den Radikalen in seinen Grenzen einfach freien Lauf ließ. Er wurde zum Opfer dieser Radikalen. Ich darf Ihnen sagen, für mich ist das größte Erlebnis der Unrechtsstaat des Dritten Reichs gewesen, und wenn mich etwas zur Politik gebracht hat, dann eben das Gefühl und die Einsicht, Derartiges darf in unserem Volke nie wieder geschehen. Deshalb meine ich, daß wir alle aufgerufen sind, hier den Anfängen zu wehren. Wenn man sagt, bei der geringen Zahl derer, die heute in der Bundesrepublik inhaftiert seien, werde sehr deutlich, daß es eine echte Staatsgefährdung nicht gebe, so ist das kein echtes Gegenargument. Denn diese geringe Zahl zeigt, mit welcher Großzügigkeit verfahren worden ist. Sie zeigt aber auch, daß eben wirklich nur die bedeutsamsten Fälle übriggeblieben sind, und diese wirklich bedeutsamsten Fälle darf man, wenn unsere Staatssicherheit nicht Schaden erleiden soll, nicht bagatellisieren. Das muß mit Nachdruck festgestellt werden. Wenn wir auch diese Fälle bagatellisieren, dann heben wir den Staatsschutz, den wir selbst geschaffen haben, wieder auf. Ich meine, das wäre nicht richtig, das darf ein Parlament nicht tun. Wenn uns hier gesagt wird: Dieser Staat ist doch so gesund, sozial und wirtschaftlich gefestigt, daß ihm keine Gefahr droht, so meine ich, daß wir die Dinge auch hier nicht so leichtfertig sehen dürfen. Sicherlich werden wir von der CDU/CSU das Kompliment, das in dieser Feststellung für die Regierungspolitik der vergangenen sieben Jahre liegt, sehr dankbar entgegennehmen. Aber ich meine, wir sollten schon heute darauf achten, daß den Anfängen gewehrt wird. Sicherlich können einmal soziale und wirtschaftliche Krisen diesen Staat erschüttern. Wenn wir heute ,die Staatsautorität schon schwächen, dann werden wir jenen Feinden der freiheitlichen Ordnung zu wissen geben - ({9}) - Bitte sehr!

Karl Wittrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Eine Zwischenfrage, um eine Wahlkampfklitterei zu vermeiden: Herr Kollege, erinnern Sie sich, daß ich keineswegs von einer sozialen und wirtschaftlichen Stabilität gesprochen habe, sondern ausschließlich von der politischen Stabilität, die sich aus dem Votum der Bevölkerung zugunsten der demokratischen Parteien ergibt? Erinnern Sie sich daran, daß ich von nichts anderem gesprochen habe?

Ernst Majonica (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001416, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Glauben Sie, Herr Kollege Wittrock, daß ein Staat, der wirtschaftlich und sozial ungesund ist, ein derartiges Votum erreicht haben würde? ({0}) Ich glaube, das dürfte unmöglich sein. Wenn wir jetzt die Staatsautorität schwächen, dann werden wir in jenen Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Krisen - kein Mensch weiß, ob nicht diese Krisen einmal unseren Staat heimsuchen werden - mit jenen Feinden unserer freiheitlichen Ordnung nicht fertig werden. Sie müssen heute schon wissen, daß dieser Staat nicht mit sich spaßen läßt, daß dieser Staat bereit ist, sich zu wehren. Ich darf auch auf etwas anderes hinweisen. Eine Amnestie würde sicherlich von den Zonenmachthabern als eine Schwäche ausgelegt werden. Sie wäre damit kein Mittel, die Wiedervereinigung zu fördern. Die Machthaber drüben würden sich ja in ihrer Politik bestätigt finden. Sie brauchen doch nur an die Reaktion zu denken, die schon die Entlassung Angenforts in der Zone ausgelöst hat. Man hat gesagt: Das ist auf Grund der Proteste in der Welt geschehen; damit zeigt man, daß man kein Rechtsstaat ist, damit zeigt man, daß man ein schlechtes Gewissen hat. Ich glaube, das würde gerade hier noch stärker eintreffen, wenn wir eine allgemeine Amnestie erließen. Dann ist hier die Frage der inneren Befriedung aufgeworfen worden. Nun, ich möchte nicht das zitieren, was der sozialdemokratische bayerische Justizminister gesagt hat. Ich hätte es wahrscheinlich nicht so scharf formuliert. Aber ich glaube doch, der Grundgedanke ist richtig. Man kann ohne eine Prüfung des Einzelfalles einfach nicht davon ausgehen, daß sich dieser Mensch wieder in unsere rechtsstaatliche, freiheitliche Ordnung einfügen wird. Man kann vielmehr gerade hier mit Einzelmaßnahmen am besten helfen. Man hat gerade hier, wenn man den Einzelfall prüft, am besten ({1}) die Gewähr dafür, daß dieser Mensch den Absprung von den kommunistischen Idealen auch wirklich gewagt hat und nunmehr als freier Staatsbürger in einer freiheitlichen Ordnung mit uns arbeiten wird. So meine ich, wir werden die Erfolge, die sich die Initiatoren dieser Amnestie auf politischen Gebiete versprechen, viel eher errreichen, wenn wir den einzelnen Fall betrachten und Einzelmaßnahmen Platz greifen lassen, als wenn wir mit einer generellen Amnestie irgendeinen Schritt täten, der alle jene Gefährdungen nach sich ziehen würde, von denen ich hier gesprochen habe. So werden wir unserem Ziele näherkommen, Entspannung zu erreichen, Milde walten zu lassen, ohne zu einer allgemeinen Gefährdung unseres Staates zu kommen. Meine politischen Freunde und ich werden daher der Vorlage nicht zustimmen können. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucher.

Dr. Ewald Bucher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000288, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir sind uns der Problematik voll bewußt, die in jedem Amnestiegesetz steckt. Der Herr Bundesjustizminister hat sie heute ja ausführlich dargestellt. Er hat von einer Durchbrechung des rechtsstaatlichen Prinzips gesprochen. Ich stimme ihm darin zu, daß jede Amnestie eine solche Durchbrechung darstellt. Aber er hat dann daraus die weitere Folgerung gezogen, eine Amnestie dürfe nur erlassen werden, wenn sie unabweisbar notwendig sei. Das scheint mir doch erheblich zu weit zu gehen. Vor solch strengen Maßstäben dürfte kein Amnestieentwurf bestehen, auch der unsere nicht. Um es am Gegenteil zu beleuchten: diese Amnestie ist keine, auf die Staatssekretäre und Botschafter ihr hoffendes Herze werfen könen, wenn sie mit Strafverfahren inkriminiert sind. ({0}) Gerade der skandalöse Vorfall, den ich damit andeute, zeigt die Problematik einer jeden Amnestie und zeigt die Problematik der letzten allgemeinen Amnestie, die wir hier beschlossen haben. Es ist vielleicht kein Zufall, daß gerade Herr Kollege Stammberger und ich seitens unserer Fraktion für diese Amnestie sprechen, nachdem wir beide damals die Amnestie des Jahres 1954 - die, obwohl sich ja größtenteils die Opposition auch daran beteiligt hat, als „Wahldankgesetz" bezeichnet wurde - nicht mitgemacht haben. Jede Amnestie wirft die Frage auf, was nun - richtig verstanden - die Staatsautorität ist, die durch die Amnestie eventuell beeinträchtigt wird. Der Herr Bundesinnenminister hat in seinen Auslassungen im Bulletin, die hier schon oft zitiert wurden, eine Art Drei-Säulen-Theorie aufgestellt. Er sagte, die Staatssicherheit beruhe auf dem Funktionieren der Wirtschaft, auf der sozialen Zufriedenheit - oder so ähnlich - und auf der Staatsautorität. Nun, je nachdem, was man unter Staatsautorität versteht, ist das doch eine ziemlich materialistische Auffassung. Heute können wir noch beruhigt sein; die wirtschaftliche Sicherheit wird ja vorläufig noch durch ganzseitige Zeitungsannoncen garantiert. ({1}) Aber ich gebe dem Herrn Bundesinnenminister darin recht: es kann natürlich ein Zeitpunkt kommen, wo die beiden ersten Säulen ins Wanken geraten, und dann soll die Staatsautorität eingreifen. Aber worin besteht sie? Etwa allein in Strafandrohungen in Gesetzen? Ich kann hier der Debatte vielleicht einen ganz guten Dienst erweisen, wenn ich zitiere, was unser heutiger Herr Bundesjustizminister in seiner Dissertationsschrift, die im Jahre 1935 in Quakenbrück erschienen ist, ({2}) auf Seite 42 sagt - wenn der Herr Präsident das Zitat gestattet -; es heißt hier: Die Staatsführung ist autoritäre Führung. Das setzt solche Führer voraus, die Träger der natürlichen, aus der Kraft ihres Wesens ausstrahlenden Autorität sind. Sie schaffen eine geheiligte Obrigkeit ({3}) und aus ihrer persönlichen Autorität, die Vertrauen im Volke begründet, die auf dem Volksgeist ruhende und in diesem sich weiterbildende Staatsautorität. ({4}) Die Autorität des Führers bietet die Grundlage der Herrschaft. Sie bestimmt und ermöglicht die Herrschaft als Führung. Nun, meine Damen und Herren, wenn man die etwas jugend- und auch sonst bewegte Sprache dieser Stelle ins Demokratische übersetzt, ({5}) so findet sich darin ein richtiger Kern, nämlich der, daß die Staatsautorität letzten Endes auf den Persönlichkeiten beruht, die den Staat führen und die ihn auch in einer Demokratie führen müssen. ({6}) Aber sie beruht nicht auf Gesetzen und Paragraphen und Strafdrohungen. Diese Staatsautorität, wenn man sie so versteht, wird aber durch unseren Amnestieentwurf überhaupt nicht angetastet. Darüber ist man sich hier im Hause einig - das ist das Seltsame -, daß man Maßnahmen ergreifen will, die praktisch zu dem von uns erstrebten Erfolg führen werden. Denn die Amnestie hat doch in diesem Fall zwei Zwecke: einmal den, eine Korrektur des gewiß unglücklichen § 90 a Abs. 3 des Strafgesetzbuches vorzunehmen. Dieser Paragraph schafft eine doch wirklich singuläre Situation, die darin besteht, daß sich - ganz abgesehen davon, um welche Partei es sich handelt - Angehörige einer Partei, die von 1918 bis 1933 und dann wieder nach 1945 staatlich zugelassen war und die sich als zugelassen fühlen durfte, nun praktisch rückwirkend sich als Staatsfeinde betrachten müssen. Das ist eine einmalige Situation. Dieser hier nun praktisch gerecht zu werden, ist das Anliegen unseres Entwurfs. Diesem Anliegen will auch die Mehrheit dieses Hauses, die Koalition, mit ihrem Entschließungsantrag Rechnung tragen. Denn es heißt hier: Man nimmt mit Befriedigung davon Kenntnis, daß jene ({7}) Bestimmungen in maßvoller Weise gehandhabt wurden, daß von der Möglichkeit der Strafaussetzung zur Bewährung Gebrauch gemacht wurde, und man fordert die Bundesregierung auf, bei den zuständigen Bundes- und Landesinstanzen darauf hinzuwirken, daß das Begnadigungsrecht weitgehend angewendet wird. Das ist also praktisch dasselbe, was wir wollen. Bedenken wegen Antastung der Staatsautorität fallen deshalb von vornherein weg. Ich glaube, diese Diskussion hätten wir uns eigentlich sparen können. Der zweite Zweck unseres Entwurfs - darüber besteht nun ein wirklicher Streit hier im Hause - geht dahin, in die Zone zu wirken. Zwar sind wir gar nicht so vermessen, wie Kollege Majonica sagt, daß wir glauben, dadurch die Wiedervereinigung fördern zu können. Aber wir glauben doch, eine psychologische Wirkung auch auf die Bevölkerung in der sowjetisch besetzten Zone und dadurch einen moralischen Druck auf das dortige Regime auszuüben. Wir glauben das nicht nur im Hinblick auf die Entlassung von Gefangenen, die dort stattfinden könnte, sondern z. B. auch - ich meine, mich nicht zu täuschen, daß sogar der Herr Bundeskanzler diesen Zusammenhang hergestellt hat - im Hinblick auf den kommenden Kirchentag, dem in der Zone Schwierigkeiten bereitet werden. An alle diese Dinge haben wir gedacht. Sie sind heute hier gründlich zerredet worden, und das Kind ist, kann man sagen, bereits in den Brunnen gefallen. Denn wenn schon einmal in einer solchen Situation Zahlen genannt werden, so ist klar, daß nicht mehr viel herauskommen kann. Die Gegenseite hat sehr hohe Zahlen von Inhaftierten bei uns genannt. Gut, hätten wir es doch dabei gelassen, hätten wir diese Zahlen in der Welt stehenlassen. Hätten wir unsere allgemeine Amnestie dann gemacht, unter der sich der eine drüben Tausende vorstellt und wir eben die Zahlen, die uns der Herr Bundesjustizminister genannt hat. Aber man hätte doch die Hoffnung haben können, daß der Zweck erreicht wird. Es wird uns nun gesagt, es habe keinen Sinn, überhaupt darauf zu hoffen, daß dort etwas geschieht. Wir haben immerhin - gestatten Sie mir einen so materialistischen Vergleich - beim Interzonenhandel gesehen, daß die Herrschaften auf der anderen Seite auch nicht unbelehrbar waren und daß dieser Handel nach anfänglich sehr großen Schwierigkeiten nun doch einigermaßen läuft. Man kann jedenfalls nicht von vornherein sagen: jede Hoffnung ist vergebens. Man spricht hier von Vorleistungen. Was haben wir nicht schon für Vorleistungen erbracht! Ich habe grundsätzlich gar nichts gegen Vorleistungen zugunsten eines einigen Europas usw. Aber warum sollten wir nicht auch hier eine Vorleistung erbringen, ({8}) zumal in einem Falle, wo, wie ich vorhin ausgeführt habe, doch die Staatsautorität nicht mehr auf dem Spiele steht? Es ist ja außer Streit, daß wir in diesen Fällen eingreifen wollen, die einen durch Amnestie, die andern mit Einzelmaßnahmen. Daß die dann drüben von „Zeichen der Schwäche" reden, sollte uns nicht aufregen. Das sind doch alles keine Argumente. Ich frage mich wirklich immer wieder: Warum will man denn das durch Einzelmaßnahmen, sozusagen heimlich, machen, was wir in aller Öffentlichkeit durch eine generelle Amnestie tun wollen? Warum will man diese öffentliche Dokumentation nicht? Das frage ich mich besonders in Erinnerung daran, welches Echo zunächst unser Gesetzentwurf in der Öffentlichkeit und in diesem Hause gefunden hatte. Es war zunächst fast ausschließlich ein positives. Ich habe an den Beratungen im Rechtsausschuß nicht teilgenommen, glaube aber, daß es richtig ist, wenn ich sage, daß sich im Rechtsausschuß zunächst kaum eine Stimme des Widerspruchs erhob. Der einzige, der sich dagegen aussprach und in diesem Punkt wie auch sonst manchmal eine beachtenswerte Konsequenz zeigte, war der Herr Bundesinnenminister. Aber gerade beim Herrn Justizminister hatte man den Eindruck, daß er sich keineswegs in, um nochmals seine Dissertation zu zitieren, „rückhaltloser Unselbständigkeit", die einem Minister nicht geziemt, dem angeschlossen hat; man hatte den Eindruck, daß er zunächst sehr aufgeschlossen war. Es ist hier bereits erwähnt worden, welche Verbände und welche Persönlichkeiten sich positiv zur Amnestie ausgesprochen haben. Es wäre höchstens noch zu ergänzen: es ist kein Geheimnis, daß die Bundesanwaltschaft trotz der angeblich geringen Zahl bevorstehender Verfahren mit sehr großem Mißvergnügen daran denkt, alle diese Verfahren noch durchführen zu müssen. Auch muß gesagt werden, daß bis zum heutigen Tag, soweit ich es feststellen konnte, in der Presse noch keine einzige Stimme gegen die Amnestie laut geworden ist. Deshalb ist es um so bemerkenswerter, wie aus dieser zunächst sehr erfreulichen Tendenz jetzt diese starre Ablehnung seitens der Koalitionsparteien geworden ist. Ich kann nur wieder mit der Frage schließen: Worin liegt der Grund dafür, daß man zwar einzelne Begnadigungen vornehmen will, die nach außen, nach der sowjetischen Zone hin keine Wirkungen haben, daß man aber die von uns vorgeschlagene Amnestie nicht beschließen will, obwohl man doch hoffen kann, daß sie in der sowjetischen Zone und für die davon betroffenen Menschen eine erfreuliche Auswirkung haben wird? ({9})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Herr Abgeordneter Wehner, Sie haben sich noch zu Wort gemeldet. Bitte.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich am Abend dieser Debatte an die Diskussion denke, die am 30. Mai des vergangenen Jahres stattfand, dann kann ich nur sagen: Welch ein Unterschied! Denn in jener Debatte wurde in den Morgenstunden des 30. Mai vergangenen Jahres der Gedanke einer Amnestie als eines Mittels zur Entspannung der innerdeutschen Gegensätze und des Versuchs einer Hilfe für die in der Gefangenschaft der Zone (leidenden Menschen ausgesprochen. Ich sage das besonders deshalb, weil in der heutigen Debatte eine Legende rüber das Zustandekommen ,der Forderung nach einer Amnestie, nach einem Straffreiheitsgesetz aufgetischt worden ist. Dagegen wende ich mich mit der Feststellung, daß hier am 30. Mai vergangenen Jahres der Gedanke der Amnestie ausgesprochen worden ist von Angehörigen verschiedener Fraktionen, die ich hier ({0}) noch zitieren werde, damit die Legende des Herrn Bundesministers des Innern nicht im Raume stehenbleibt. ({1}) Aber ich sage noch einmal: welch ein Unterschied sowohl hinsichtlich der Bereitschaft, in dieser Frage einen Versuch zu unternehmen, als auch hinsichtlich der Akteure! Wo sind die, die damals, am 30. Mai, hier ihr Wort für diese Amnestie eingelegt haben? Ich möchte nicht annehmen, daß sie nur deshalb heute in der Reihe derer, die sich hier aussprechen, gefehlt haben, weil sie inzwischen die Sitze gewechselt haben. Ich hoffe, das Anliegen, das sie damals hier vorbrachten, ist auch heute noch ihr Anliegen. Es war meine Fraktion, die damals mit ihrem Antrag - leider ist er bis heute dem Plenum nicht wieder vorgelegt worden, und wir können bald das Jahresjubiläum der Einreichung feiern, ein betrübliches Jubiläum - das Thema gestellt hat, daß durch diese Amnestie ein Beitrag zur Entspannung der Beziehungen der beiden Teile Deutschlands zueinander geleistet werden könnte. Damals - ich habe das Protokoll hier - war das ein Gedanke, der keineswegs mit dem Eifer, mit dem man jetzt gegen ihn zu Felde zieht, diskutiert und bekämpft worden isst. Mein Kollege Dr. Mommer begründete damals diesen Antrag und führte dazu aus: Wir wissen sehr wohl, wie schwierig dieses Problem ist. Wir werden nicht in den Fehler verfallen, die Verurteilung von einigen Dutzend Kommunisten hier in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu Strafen, deren höchste, soviel ich sehen konnte, fünf Jahre beträgt, gleichzusetzen mit der Willkürjustiz auf der anderen Seite, die zur Verurteilung von vielen Tausenden zu Todesstrafe, lebenslänglichem Zuchthaus und anderen Strafen geführt hat. Aber immerhin, wir haben in der Bundesrepublik auch einige Gefangene, die wegen politischer Straftaten Gefangene sind, und nach unserer Meinung kann kein Zweifel 'daran bestehen, daß die Erwägung einer Amnestie der Auflockerung, der Entkrampfung und der Entspannung des Verhältnisses der beiden Teile Deutschlands zueinander dienen würde. Ich habe noch gestern die Worte des Herrn Kollegen Brookmann nachgelesen, der als Sprecher der Christlich Demokratischen Union hier sagte, daß seine Fraktion fest entschlossen sei, alle Maßnahmen zu unterstützen, die den Zusammenhalt des deutschen Volkes festigen, die Lage der Deutschen in der sogenannten DDR erleichtern und den Weg zu einer Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit bahnen helfen. ({2}) - Ich freue mich, wie sehr Sie heute noch dazu stehen, wahrscheinlich im allgemeinen! ({3}) Dann sprach der zur Christlich Demokratischen Union gehörende Kollege Lemmer, der damals sagte: Wenn wir also der Meinung sind, daß hier ein Akt politischer Klugheit und zugleich ein Akt der Menschlichkeit geboten wäre, lassen Sie mich, mit der feinen Unterscheidung - ich wiederhole es - zwischen Gesinnungstätern und Kriminellen, meinen Dank anfügen an die deutsche Presse und an den deutschen Rundfunk, die mein Anliegen nicht der Person, sondern der Sache wegen in den letzten Wochen so gut unterstützt haben. - Er sagte weiter: Was uns vorschwebt, ist, daß Gesten, zwingende Gesten guten Willens gemacht werden, und ich bin sicher, daß nach der Beantwortung der diesbezüglichen Frage auch die Bundesregierung bereit sein wird, einzelne Fälle zu prüfen. ({4}) - Dazu werden Sie noch einiges hören! ({5}) - Sie werden, nachdem Sie sich so lange angehört haben, was andere dazu zu sagen haben, vielleicht die Geduld aufbringen, anzuhören, was ich dazu zu sagen habe. Ich werde jedenfalls nicht darauf verzichten, und wenn Sie glauben, das könnten Sie in einem solchen Chorus untergehen lassen, irren Sie sich! ({6}) Meine Damen und Herren! Herr Dr. Will von der Freien Demokratischen Partei hat damals in den Vordergrund die Forderung: „Gebt endlich die politischen Gefangenen frei!" gestellt, und er hat für seine Fraktion erklärt: Diese Forderung und all das, was dazu gesagt worden ist, machen wir uns in vollem Umfange zu eigen. Wir werden wie die übrigen Fraktionen dieses Hauses niemals aufhören, diese Forderung als erste immer wieder vorzutragen und zur Durchsetzung zu bringen. ... Wenn es aber dahin führen sollte, - daß durch die Freilassung von politischen Gefangenen, die im Bundesgebiet noch vorhanden sind, etwas erreicht werden kann dann sollte kein Weg umbegangen bleiben, der zu einem solchen Ziele führen könnte. Ich denke auch an die Worte des Kollegen Seiboth, der für den BHE sprach und sagte, wir sollten in dieser Beziehung recht großzügig sein. Ja, sogar in den Worten der Sprecherin der Deutschen Partei habe ich eine, wenn auch nicht direkte Unterstützung unserer Forderung gefunden, so doch eine gewisse Bereitschaft, ihr wohlwollend gegenüberzustehen, denn sie sagte, das Menschliche sollte das oberste Gesetz unseres Handelns sein. Das, meine Damen und Herren, war der Ausgangspunkt jener Forderung, der Ausgangspunkt für den Versuch, ein Straffreiheitsgesetz, ein Amnestiegesetz zustande zu bringen, und es war - ich sage es noch einmal - nicht so, wie es in der uns heute hier vorgetragenen Legende scheinen soll, bei der das „Komitee" irgendwo im Hintergrund alle Fäden zieht. Man könnte beinahe an die Konstruktionen des Anklägers Wyschinski denken, vom Format abgesehen, wenn man das hier sieht. ({7}) - Wir haben uns anhören müssen, wie der Herr Bundesminister des Innern, ohne auch nur mit einem Satz zu diesem Gesetzentwurf und zu dem Vorhaben vom 30. Mai zu sprechen, seine Lesart vom Zustandekommen der Amnestieforderung hier dem Hause vorgetragen hat, ({8}) und jetzt sage ich Ihnen dazu meine Meinung. ({9})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Herr Abgeordneter Wehner, darf ich eine Frage an Sie stellen. ({0}) Ich habe Sie nicht ganz verstanden; ich habe nur das Wort „Wyschinski" gehört. Haben Sie irgend jemanden in diesem Hause in seiner Haltung oder in seinen Ausführungen mit jenem berüchtigten Wyschinski - den wir ja alle kennen - gleichsetzen wollen? Wie gesagt, ich habe Ihre Formulierung selbst nicht hören können.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte Sie, Herr Präsident, im Protokoll nachzusehen. Sie werden finden, daß ich dort von einer Konstruktion gesprochen habe, bei der ,das „Komitee" im Hintergrund alle Drähte zieht, und daß dies eine Konstruktion würdig derer sei, die man damals vorgenommen hat. ({0}) Meine Damen und Herren! Die Frage ist, ob die Notwendigkeit, die am 30. Mai so viele Sprecher so vieler Fraktionen dieses Hauses zu diesen Vorschlägen und Gedanken gebracht hat, noch besteht oder ob sich inzwischen etwas geändert hat. Ich bin der Überzeugung, wir müssen nach wie vor hoffen, daß es gelingt, den politischen Gefangenen in der sowjetisch besetzten Zone zu helfen, wenn wir uns dazu entschließen können, Opfer des Kalten Krieges zu begnadigen. Man sollte dabei nicht davon sprechen, daß wir hier eine Vorleistung zu erbringen hätten, die uns nicht zukomme. Über die Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme ist hier viel gesagt worden. Im Grunde genommen ist aber dem nichts Neues hinzugefügt worden, was alle, die sich damals am 30. Mai für die Amnestie eingesetzt haben, seinerzeit schon dazu gesagt haben. Ich bin der Überzeugung, daß wir hier in der Bundesrepublik die moralische Pflicht haben, das Äußerste zu tun, oder sagen wir: zu versuchen, damit den leidenden Menschen drüben in der Gefangenschaft geholfen und eine Entspannung in dieser Hinsicht herbeigeführt wird. ({1}) Hier wurde gefragt, ob denn überhaupt drüben Leute entlassen worden seien, und es wurde weiter gefragt, wie denn die Entwicklung in dieser Beziehung gelaufen sei. Wir haben eine Drucksache dieses Hauses - sie hat die Nr. 3030 -, die den ersten Bericht des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen über die Entwicklung in der sowjetisch besetzten Zone und die Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands enthält. Der Ausschuß hat diesen Bericht auf Grund des Beschlusses des Bundestages vom 30. Mai ,dem Hause vorgelegt. Darin wird erwähnt, daß der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen am 30. Mai 1956 vor dem Bundestag die Zahl der seit Januar 1954 entlassenen politischen Häftlinge mit 13 428 angegeben hat. Weiter wird gesagt, daß mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit vom Juni bis Ende November 1956 weitere 5759 Häftlinge entlassen worden seien, so daß, vom Ausgangspunkt der Entlassungsaktion im Juni 1954 an gerechnet, bis Ende November 1956 19 187 politische Häftlinge entlassen worden seien. Das ist der Bericht, der sich auf die Angaben der zuständigen Ministerien stützt. Zu der Frage, wie groß die Zahl der aus politiGründen in der Zone noch immer Verurteilten oder Verhafteten ist, wird in dem Bericht gesagt: Da seit Juni 1956 5759 politische Häftlinge entlassen worden sind und damals 18 900 Fälle politischer Verurteilungen bekannt waren, ist davon auszugehen, daß sich Ende November 1956 noch 13 141 politische Häftlinge von ursprünglich 18 900 in sowjetzonaler Haft befunden haben. Hinzu kommt jedoch die Zahl derer, die seit Anfang Juni 1956 verurteilt worden sind. Wenn man heute hört, daß wir uns damals, ausgehend von jener Debatte des 30. Mai, jedenfalls in einigen Ausschüssen intensiver mit der Frage befaßt haben, ob durch eine Amnestie und Straffreiheitshandlung hier weitere Hilfe für die politischen Gefangenen dort gebracht werden kann, so muß man sich auch in dem Zusammenhang daran erinnern, daß sich ein Ausschuß dieses Hauses, der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, am 11. Oktober des Jahres 1956 einstimmig für die Vorlage eines Straffreiheitsgesetzes entschieden hat. In diesem Ausschuß sitzen Angehörige derselben Fraktionen, nach demselben Kräfteverhältnis verteilt wie die Fraktionen hier im Plenum. Wie konnte es sein, daß dieser Ausschuß unter dem Eindruck der intensiven Beschäftigung mit den Fragen, um die es in Wirklichkeit bei dem Amnestiegesetz geht und die eben andere sind als die, die man inzwischen in den Vordergrund schieben möchte, einstimmig zu einer solchen Stellungnahme kam, die ich Ihnen hier vortrage? ({2}) Er hat sich, nachdem ein Unterausschuß am Tage vorher dasselbe einstimmig formuliert hat, darauf geeinigt. Seit dem Monat Juni hat der Unterausschuß die Probleme geprüft, die mit der Freilassung der Verurteilten für Straftaten aus politischen Motiven und der Erledigung schwebender Verfahren in der Bundesrepublik zusammenhängen. Vor den Parlamentsferien hatte dieser Unterausschuß die Bundesregierung gebeten, alle Mög({3}) lichkeiten zu prüfen, die ohne ein Straffreiheitsgesetz zu dem gewünschten Ziele führen könnten. Inzwischen hat sich aber im Unterausschuß die Überzeugung herausgebildet, daß nur ein Straffreiheitsgesetz den Erfordernissen der durch das KP-Verbot veränderten Situation gerecht werden würde. Der Unterausschuß empfiehlt daher, die Bundesregierung zu ersuchen, dem Bundestag baldigst einen Gesetzentwurf über Straffreiheit für Straftaten aus politischen Motiven vorzulegen, soweit diese Straftaten vor dem Verbot der KP durch das Bundesverfassungsgericht liegen. Das war eine klare Sprache, und der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen hat sich diese Empfehlung einstimmig zu eigen gemacht. Der Minister für gesamtdeutsche Fragen hat sich mit dieser Empfehlung damals zum Kabinett begeben mit der Erklärung, er wolle dafür sorgen, daß noch am selben Tage in der damals stattfindenden Kabinettssitzung des 11. Oktober die Angelegenheit wegen ihrer Dringlichkeit zur Sprache und zur Entscheidung komme. ({4}) Leider ist der Herr Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen in dieser Debatte, die wir vor allem unter gesamtdeutschen Gesichtspunkten sehen und gesehen wissen wollen, nicht anwesend, und leider hat er, der sich ja wohl persönlich für eine solche Regelung ausgesprochen hat, die Gelegenheit nicht benutzt, in dieser Richtung das, was uns die Regierung inzwischen dargeboten hat, verändern zu helfen. Meine Damen und Herren, ist es denn so, daß man etwa seit den schrecklichen Ereignissen in Ungarn oder seit den Entwicklungen in Polen, die hin- und hergehen, zu dieser Amnestiehandlung in Deutschland andere Stellung nehmen müsse? Was uns die Bundesregierung bei den Arbeiten des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen in dieser Frage dargeboten hat, das war zu allen Zeiten, lange vor Ungarn und auch nach Ungarn, immer ablehnend, und wenn neuerdings die Ereignisse in Ungarn oder irgendwelche anderen Ereignisse, die für sich ihre besondere Bedeutung haben, hier mit hineingezogen werden, so muß ich sagen, daß das nicht zur Sache gehört. Man hat uns heute Zahlen genannt. Über diese Zahlen haben einige meiner Vorredner gesprochen. Mit den Zahlen ist es eine eigentümliche Sache. Einmal heißt es, sie seien aufschlußreich, die Zahl derer, die unter die Amnestie fallen würden, sei so unerheblich, daß man sagen könne, das falle gar nicht ins Gewicht. Andererseits hören wir - wir haben es heute wieder gehört -, es komme nicht auf die Zahlen an, es komme auf das an, was man mit solcher Amnestie, mit solchem Straffreiheitsgesetz an Unsicherheitsfaktoren schaffe. Ich muß einiges über die Diskussionen sagen, die in bezug auf Zahlen geführt worden sind. Das Justizministerium hatte in derselben Gliederung, in der uns heute diese Zahlen vorgetragen worden sind, erklärt, daß wegen der Hochverratsparagraphen 80 bis 84 des Strafgesetzbuchs 86 Ermittlungsverfahren eingeleitet, 84 Verfahren bei den Gerichten anhängig und 4 Fälle dem Strafvollzug überstellt seien, wegen der §§ 89 bis 97 - Staatsgefährdung - 2689 Ermittlungsverfahren anhängig gemacht worden seien - von denen Sie damals sagten, der größte Teil dürfte wohl eingestellt werden -, 135 Fälle vor Gerichten anhängig und 20 Fälle zur Strafverbüßung überstellt seien. Wegen politischer Organisationsvergehen - § 129 a - liefen - so wurde uns gesagt - 539 Ermittlungsv erfahren bei den Staatsanwaltschaften, während 84 Verfahren vor den Gerichten eingeleitet seien und 9 Fälle zur Strafverbüßung überstellt worden seien. Gnadenerweise - ist uns gesagt worden - kämen nur für die schon Verurteilten in Frage. Bei dieser Aufstellung waren außer acht gelassen alle wegen Landesverrats oder wegen des besonderen Berliner Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit Inhaftierten bzw. vor Gericht Gestellten. Es wurde uns erklärt, es sei damit zu rechnen, daß noch etwa 1400 Verfahren vor den Gerichten durchzuführen sein würden. Dabei handele es sich aber um solche Verfahren, die bisher eingeleitet worden seien. Gewisse Verfahren - so ist uns damals vom Bundesjustizministerium erklärt worden-konnten überhaupt noch nicht eingeleitet werden, weil der Spruch des Bundesverfassungsgerichts noch nicht vorlag. Es handelt sich dabei um die Straftaten nach § 90 a, die ja bei all den anderen bisher aufgezählten überhaupt nicht mit erfaßt sind. Diese Verfahren - so wurde uns damals gesagt - könnten aus dem Jahre 1951 stammen; sie würden jetzt erst anlaufen. Ähnliches, so sagte man uns, gilt für die Verfahren gemäß § 93, Herstellung und Verbreitung von staatsfeindlichen Schriften. Solange die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vorlag, sind die verschiedenen Gerichte, und zwar - so ist uns gesagt worden - höchste Gerichte, Oberlandesgerichte, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, nicht bereit gewesen diese Verfahren überhaupt durchzuführen. Infolgedessen gäbe es noch einen ziemlichen Ballast an Strafverfahren vor den Gerichten und auch vor den Staatsanwaltschaften, und deswegen müsse mit einer größeren Zahl von Verfahren gerechnet werden, die noch zu den bisher behandelten und bekanntgegebenen Zahlen hinzukommen würde. Auf die Frage, was denn infolge des KP-Verbots nun zu den genannten Zahlen hinzukommen könne, ist uns gesagt worden, daß konkrete Angaben über die Zahl der auf Grund dieser Bestimmungen eingeleiteten Verfahren bisher, d. h. bis dahin, nur vom Lande Hamburg vorliegen, in dem es sich allein um rund 400 nach dem Urteil im KP-Prozeß neu einzuleitende Verfahren handelte. Vielleicht hat das Justizministerium inzwischen so viel geklärt und ist eine so veränderte Sachlage eingetreten, daß das, was das Justizministerium während der Ausschußarbeiten zur Klärung beigetragen hat und was hier wiederholt worden ist, überholt ist. Aber hier wurde ja gefragt, wieso wir daran zweifelten, daß die zuständigen Gerichte ausreichten. Nun, dazu ist im Laufe dieser Ausschußarbeiten sehr vieles gesagt worden, und zwar nicht von uns, sondern von denen, die es wissen müssen, z. B. auch vom Herrn Oberbundesanwalt. Es ist dort z. B. gesagt worden, daß in den damals 36 Fällen solcher Leute, die einsitzen und Strafe verbüßen, kein Anlaß bestehe, eine Korrektur zu empfehlen. Gut, das war also ein Standpunkt, der sich etwa mit dem Grund rechtfertigen ließ, daß die Inhaftierten nicht unter Gesichtspunkten abgeurteilt worden seien, die heutzutage nicht mehr gültig seien. - Aber - und da kam ({5}) der entscheidende Punkt - dagegen entstünden unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung erhebliche Probleme in einem Großteil der Fälle, in denen noch kein Urteil gefällt wurde. Der § 90 a - von dem ja hier die Rede war - stellt sogenannte Rädelsführer, Hintermänner und Gründer, d. h. aber auch Förderer verfassungsfeindlicher Organisationen unter Strafe und, soweit es die Parteien betrifft, eben in der Weise, die wir gehört haben. In der Praxis - so wurde uns gesagt - hätten ja bisher führende Funktionäre der früheren KP nicht unter dem Gesichtspunkt des § 90 a unter Strafe gestellt werden können, jetzt aber sei dies möglich, und zwar rückwirkend bis zum September 1951, dem Monat des Inkrafttretens des Strafrechtsänderungsgesetzes. Dazu ist gesagt worden, nach dem Legalitätsprinzip sei gleichzeitig die bloße Möglichkeit zur Anwendung dieser Strafbestimmungen für die Staatsanwaltschaften verbindlich. Praktisch werde jeder gehobene Funktionär der KP-Vorstände auf Bundes-, Landes- und Kreisebene betroffen werden. Der Präsident des Bundesgerichtshofs habe sich - so hieß es damals - mit sehr scharfen Worten gegen den Versuch ausgesprochen, die bestehenden Schwierigkeiten durch einzelne Gnadenerweise oder durch die Anwendung des § 153 der Strafprozeßordnung zu lösen, weil darin ein Eingriff in die Rechtsprechung zu sehen sei. - Das war ein Standpunkt, der gegen die Praxis spricht, die Sie uns heute von der Regierung her empfehlen und als die eigentlich wahre und gute Praxis darstellen. Es ist uns dabei auch gesagt worden: Verlassen Sie sich bitte nicht darauf, daß bezüglich der Vorschrift des § 153 der Strafprozeßordnung eine auch nur einigermaßen gleichmäßige Handhabung zu erzielen sein wird. Und so wurde resümiert: Es könne dann nur negativ gesagt werden, einzelne Gnadenerweise, die auch nur den Anschein der Korrektur in der Anwendung des § 153 in sich enthielten, müßten von der Rechtsprechung aus gefürchtet werden, womit wohl gesagt worden ist, sie führen jedenfalls nicht zu dem Ergebnis, das mit der Amnestie angestrebt wird und auf das wir mit den Erklärungen und Forderungen der Debatte vom 30. Mai hinauswollten. Ich glaube nicht, daß die Zahlen, die der Herr Bundesjustizminister hier vorgetragen hat und die ich noch ein wenig mit Hilfe von Angaben, die uns im Lauf der Ausschußberatungen gemacht worden sind, erläutert habe, etwas gegen die Notwendigkeit eines Amnestiegesetzes aussagen; denn diese Zahlen allein geben gar nicht das Bild, das man sich machen muß, um im Bilde zu sein. Einmal - ich sage es noch einmal - will man mit der Geringfügigkeit der Zahl die Amnestie als nicht erforderlich und als nicht wirksam hinstellen. Ein anderes Mal aber sagt man, die kleine Zahl sei es nicht, um die es dabei gehe. Mein Herr Vorredner hat gesagt, ihm erscheine das, worauf es eigentlich bei diesem ganzen Unterfangen eines Straffreiheitsgesetzes ankomme, schon durch die Art gefährdet. wie man dazu Stellung genommen habe. Ich fürchte, daß der Wille zu dem Versuch, der damals am 30. Mai in allen Franktionen jedenfalls von namhaften Kolleginnen und Kollegen für notwendig gehalten worden ist, heute so nicht mehr vorhanden ist. Man hat eine ganze Menge von anderen Argumenten, die wie Ausflüchte wirken. Man spricht davon, daß jede Amnestie ein Eingriff sei, ausgerechnet bei dieser Amnestie! Ich kann nur mit Bedauern feststellen, daß das Anliegen, worum es am 30. Mai ursprünglich gegangen ist, wovon der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion in dieser Frage ausgegangen ist und was uns dann bei den Beratungen sowohl dieses Antrages als auch des heute zur Debatte stehenden Straffreiheitsgesetzentwurfs, der nun nach qualvollen Diskussionen zu einer Entscheidung steht, bewegt hat, heute noch dasselbe ist, wie es damals war, daß aber ein erheblicher Teil der Mehrheit dieses Hauses leider nicht mehr dieselbe Auffassung von den Notwendigkeiten und den Möglichkeiten zur Lösung dieser Frage hat, wie sie damals vorhanden zu sein schien. ({6})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister. ({0})

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde die Aufmerksamkeit des Hohen Hauses zu dieser vorgerückten Stunde angesichts der Mahnung des Herrn Präsidenten, sich kurz zu fassen, nicht in Anspruch genommen haben, um auf den größten Teil der Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner einzugehen. Ich halte den größten Teil dieser Ausführungen für durch die Debatte widerlegt. Was mich veranlaßt, das Wort zu nehmen, sind ganz wenige Bemerkungen des Herrn Kollegen Wehner. Ich bin nicht so mimosenhaft empfindlich wie er. Aber das, was er gesagt hat, geht doch erheblich über das hinaus, was ich hier unangesprochen lassen kann. ({0}) Meine Damen und Herren, ich habe das Stenogramm der kurzen Rede, die ich heute nachmittag hier gehalten habe, vor mir. Ich habe, wie es sich versteht, an diesem Stenogramm nicht ein einziges Wort geändert, es sei denn, einen Hörfehler der Herren Stenographen berichtigt. Der Herr Kollege Wehner wird - ich weiß nicht, ob er meine Rede gehört hat - Gelegenheit haben, diese Rede nachzulesen. Ich werde dafür sorgen, daß sie in der nächsten Ausgabe des Bulletin veröffentlicht wird. Er hat gesagt, es sei hier eine Legende aufgetischt worden, meine Damen und Herren. ({1}) Ich möchte ihm zunächst einmal vorschlagen, meine Rede Wort für Wort nachzulesen, und dann fordere ich ihn auf, die dort genannten Tatsachen zu entkräften ({2}) und nicht Tatsachen hier mit der Bezeichnung „Legende" zu belegen. ({3}) Das ist das eine, weswegen ich das Wort ergriffen habe. ({4}) Meine Damen und Herren, das zweite ist dies. ({5}) - Meine Damen und Herren, die Zackigkeit überlasse ich Ihnen. ({6}) ({7}) Das andere ist dies. Ich will dem Herrn Kollegen Wehner in diesen Tagen auch persönlicher Erlebnisse für ihn allerhand zugute halten. Und trotzdem glaube ich nicht, daß er selbst in einer so geradezu gespenstischen Weise die Schatten seiner Vergangenheit beschwören sollte. ({8})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? ({0}) - Der Herr Bundesminister gestattet keine Frage. ({1}) - Meine Damen rund Herren, ich möchte doch bitten, daß hier kein Zustand entsteht, der mich zwingt, den Präsidentenstuhl zu verlassen. ({2})

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Herr Präsident, vielleicht ist es doch möglich, Ruhe auf der linken Seite des Hauses - ({0})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Ich kann es nicht erzwingen. - Meine Damen und Herren, lassen Sie doch den Herrn Minister weiterreden! ({0})

Dr. Gerhard Schröder (Minister:in)

Politiker ID: 11002077

Vielleicht versuchen Sie es noch einmal, Herr Präsident! ({0}) Meine Damen und Herren, ich werde jetzt aus dem Stenogramm der Rede des Herrn Kollegen Wehner den Satz zitieren, den ich meine: Man könnte beinahe an die Konstruktionen des Anklägers Wyschinski denken, vom Format abgesehen, wenn man das hier sieht. ({1}) Ich neide dem Herrn Kollegen Wehner diese hohe Einschätzung des Anklägers Wyschinski nicht. Seine Kenntnis von ihm ist größer als meine. Ich verwahre mich aber dagegen, daß dieser Mann im Zusammenhang mit mir genannt wird. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Ich erteile das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Stücklen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002281, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen der CDU/CSU-Fraktion beantrage ich Unterbrechung der Sitzung für eine Stunde.

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren, wenn ein solcher Antrag von einer großen Fraktion dieses Hauses gestellt wurde, war es üblich, ihm zu entsprechen. Ich verfahre auch heute so. ({0}) - Morgen Fortsetzung? Meine Damen und Herren. es ist hier beantragt Unterbrechung der Sitzung auf eine Stunde. ({1}) - Lassen Sie mich doch bitte erst aussprechen! - Es war im Altestenrat vereinbart, die heutige Sitzung spätestens um 21 Uhr zu beenden. Wenn ich die Sitzung jetzt auf eine Stunde unterbräche, würde das bedeuten, daß wir damit schon 20 Minuten über die vereinbarte Zeit kämen, ohne daß ich dann absehen könnte, wann überhaupt Schluß wäre. Ich frage die Antragsteller. ob sie damit einverstanden sind, daß ich den Antrag auf Vertagung auf eine Stunde so auffasse, daß wir heute überhaupt Schluß machen. Ist das der Fall? ({2}) Ist das Haus damit einverstanden? - Gut. Dann berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 5. April 1957, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.