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Die Sitzung ist eröffnet.
Punkt 1 der Tagesordnung: Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Vertretung des Herrn Bundesministers des Auswärtigen darf ich für die Bundesregierung folgendes erklären:
Die Verträge über den Gemeinsamen Markt und Euratom, die am 25. März in Rom unterzeichnet werden sollen, sind das Ergebnis einer langen, beharrlichen Arbeit der sechs Partnerstaaten der europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft. Man kann die Verträge als die direkte Folge des Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl bezeichnen. Schon bei der Schaffung der Montangemeinschaft im Jahre 1952 nämlich waren sich die Vertragschließenden darin einig, daß die Errichtung eines wirtschaftlich und ,politisch geeinten Europa fortgesetzt werden müss durch den Ausbau gemeinsamer Institutionen, die fortschreitende Verschmelzung der nationalen Volkswirtschaften, die Schaffung eines großen gemeinsamen Marktes für alle Güter und die allmähliche Hebung des Lebensstandards.
Ober die Notwendigkeit dieses Zusammenschlusses der europäischen Staaten in unserem Zeitalter, in dem sich politische und wirtschaftliche Macht in einem entscheidenden Maße auf wenige große Weltmächte konzentriert, braucht kaum mehr etwas gesagt zu werden - nach allem, was sich in den letzten Jahren und namentlich in der ängsten Vergangenheit in der Welt und in Europa im besonderen abgespielt hat. Wir wissen, daß einenge
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Vereinigung der alten europäischen Staaten heute für uns die einzige Chance ist, Europa im Konzert der Mächte seine alte Stellung zu wahren oder zurückzugewinnen, ja wahrscheinlich die letzte Chance des Überlebens, die letzte Möglichkeit der Sicherung unseres freiheitlichen Daseins, unseres wirtschaftlichen Gedeihens und unseres sozialen Fortschritts. Und um insbesondere die wirtschaftliche Bedeutung dieses Zusammenschlusses zu unterstreichen, brauche ich nur an zwei oft angeführte Beispiele zu erinnern: Weder eine leistungsfähige Flugzeugindustrie noch eine leistungsfähige Atomindustrie könnte heute in einem der sechs Partnerstaaten allein aufgebaut werden. Die Schaffung dieser für unser Zeitalter symptomatischen Unternehmen setzt größere Wirtschaftsräume voraus.
Ich will mich hier nicht bei der Vorgeschichte und der Geschichte der Vertragsverhandlungen aufhalten. Ihre Etappen sind wohlbekannt: Der belgisch-niederländisch-luxemburgische Vorschlag hinter dem schon die Initiative des belgischen Außenministers Paul Henri Spaak stand, vom Frühjahr 1955, dann die Konferenz der Außenminister der sechs Montangemeinschaftsstaaten in Messina im Sommer 1955, die eine europäische Sachverständigengruppe unter Führung von Spaak einsetzte, schließlich die Konferenz von Venedig Ende Mai 1956, wo durch die Annahme des Berichts der Sachverständigen die Pläne feste Gestalt gewannen, in dem die wesentlichen Schlußfolgerungen dieses Berichts akzeptiert wurden. Auf seiner Grundlage hat dann seit Juli 1956 eine Konferenz bevollmächtigter Regierungsvertreter die Verträge selbst ausgearbeitet.
Diese Brüsseler Regierungskonferenz hat ihre Arbeiten jetzt abgeschlossen und den sechs Regierungen die Vertragsentwürfe für eine Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und eine europäische Atomgemeinschaft vorgelegt.
Über den Gang der Verhandlungen sind die Auswärtigen Ausschüsse des Bundestages und des Bundesrats mehrfach, meist im Anschluß an die genannten Konferenzen, unterrichtet worden. Alle diese Berichte konnten natürlich nur Teilberichte über den jeweils erreichten Stand sein. Daß ein systematischer Gesamtbericht erst am Ende der Verhandlungen gegeben werden kann, liegt daran, daß wichtige, ja sehr wichtige Einzellösungen, die nahezu alle Teile des Vertragswerkes berühren, erst in den besonders schwierigen Schlußverhandlungen gefunden worden sind. Um so dankbarer ist die Bundesregierung dafür, daß das Hohe Haus ihr durch Einsetzung eines Unterausschusses die Möglichkeit gegeben hat, in den letzten Wochen die Grundfragen des Vertragswerkes eingehend und ausführlich zu erläutern und zu erörtern.
Lassen Sie mich Ihnen jetzt zunächst einen kurzen Überblick über den Inhalt des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft geben. Wie dieser Inhalt zu bewerten ist, darauf will ich später eingehen. An dieser Stelle möchte ich nur sagen, daß man für die Beurteilung des Ganzen nur dann den richtigen Standpunkt gewinnt, wenn man sich bewußt wird, daß für das Zustandekommen eines solchen gemeinsamen Werkes von allen Beteiligten Opfer gebracht werden müssen, in manchen Fällen sehr fühlbare materielle Opfer. So müsssen auch unsere eigenen deutschen Leistungen als ein Beitrag unseres guten Willens gewürdigt werden, der gemeinschaftlichen Sache zu dienen und zugleich als ein Ausdruck unserer Hoffnung, daß das künftige Wirken in der Gemeinschaft immer von dem Geiste echter Zusammenarbeit der beteiligten Staaten getragen sein wird; denn nur auf dieser Grundlage kann das große Werk Leben gewinnen. Natürlich kann ich nicht auf alle Einzelheiten des vielschichtigen Vertragswerkes eingehen, das etwa 240 Artikel umfaßt. Meine bescheidenere Absicht ist vielmehr der Versuch, das System des Vertrages und die Grundlinien der Lösungen darzustellen - selbstverständlich mit dem Vorbehalt von Ergänzungen in der Debatte.
Der Kern des Vertrages ist die Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als einer mit eigenständigen Befugnissen ausgestatteten Gemeinschaft von Staaten. Der Vertrag regelt nicht wie ein gewöhnliches Wirtschafts- und Handelsabkommen nur Rechte und Pflichten der beteiligten Staaten auf zwischenstaatlicher Grundlage. Eine derartige Regelung hätte weder den politischen noch den wirtschaftlichen Zielen genügt, die die sechs Staaten anstreben. Der Vertrag ruft vielmehr ein europäisches Gebilde mit besonderen organisatorischen Elementen ins Leben. Diese Feststellung weist zugleich auf den eminenten politischen Charakter des Vorgangs, auf die großen in ihm ruhenden politischen Möglichkeiten; sie zeigt die Größe des Entschlusses, den die sechs Staaten mit der Gründung der Gemeinschaft zu verwirklichen sich anschicken. Wichtige Befugnisse, die den Vertragsstaaten auf dem Gebiet der Wirtschaft vorbehalten waren, werden der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft übertragen.
Die tragenden Elemente dieser Gemeinschaft sind ein gemeinsamer Markt und gemeinsame Organe.
Hauptstück des Gemeinsamen Marktes ist die Zollunion, die schrittweise in drei Etappen von jeweils vier Jahren alle unter den sechs Mitgliedern vorhandenen Binnenzölle abbaut und im Endzeitpunkt, spätestens nach 15 Jahren, einen von allen Zollhindernissen freien, durchgehenden Wirtschaftsraum schafft. Dieses Stück allein ist von so umwälzender Tragweite, daß wohl keiner von uns bereits jetzt die volle Wirkung in allen Einzelheiten ermessen kann. Zum Abbau der Zölle tritt als Ergänzung die Beseitigung der mengenmäßigen Beschränkungen im Handel der Mitgliedstaaten untereinander. Außerdem wird ein gemeinsamer Außentarif geschaffen, und es werden Regeln für eine gemeinsame Handelspolitik aufgestellt.
Auch die Landwirtschaft unterliegt grundsätzlich den Regeln des Vertrages, jedoch sind für sie Sonderregelungen getroffen. Praktisch bedeutet das: die in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden verschiedenartigen Marktordnungen bleiben bis zur Schaffung einer gemeinschaftlichen Marktordnung erhalten.
Notwendig zum Funktionieren des Gemeinsamen Marktes ist ferner der freie Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, ,der bis zum Ende der Übergangszeit hergestellt werden soll. Auch eine Koordinierung der Verkehrsregeln in den Mitgliedstaaten 'erschien notwendig. Der Vertrag selbst enthält bereits ein besonderes Diskriminierungsverbot für ,den Verkehr und Vorschriften über Unterstützungstarife, Wettbewerbstarife und Grenzgebühren. Darüber hinaus schließt er die Aussicht in sich, in Zukunft zu weiteren Fortschritten in der Richtung auf notwendige gemeinsame Regeln zu kommen. Der Vertrag enthält ferner Wettbewerbsregeln, fiskalische Bestimmungen und Vorschriften
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über die Annäherung der Rechtsvorschriften. Im Bereich der Wirtschaftspolitik im besonderen sind Regeln für die Konjunktur- und Handelspolitik sowie für die Zahlungsbilanzpolitik .aufgestellt.
Wichtig ist schließlich, daß der Vertrag Grundsätze der Sozialpolitik formuliert und einen europäischen Sozialfonds vorsieht. Eine Verbesserung und Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer wird sowohl als eine natürliche Wirkung des Gemeinsamen Marktes wie auch als Folge der Angleichung der Rechtsvorschriften erwartet. Die Europäische Kommission hat die Aufgabe, eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auch in sozialen Fragen zu fördern. Sie berichtet daher der Versammlung jährlich besonders über die Entwicklung der sozialen Lage. Der Sozialfonds dient dazu, die Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu verbessern und auch damit zur Hebung der Lebenshaltung beizutragen. Er fördert die Arbeitsmöglichkeiten und die örtliche und berufliche Beweglichkeit der Arbeitskräfte. Das gilt besonders dann, wenn die Beschäftigung von Arbeitnehmern infolge von Umstellung von Betrieben auf andere Produktionsziele beeinträchtigt wird; dann kann nämlich der Fonds die Hälfte der Kosten decken, die für eine Umschulung oder Umsiedlung ,aufgewandt werden. Er kann auch, wenn Arbeitskräfte infolge von Umstellung vorübergehend unbeschäftigt sind, Beihilfen gewähren.
Ich schließe diese Übersicht, meine Damen und Herren, mit einer Skizze der Organisation der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Der Vertrag sieht, insoweit dem Vorbild der Kohle- und Stahlgemeinschaft folgend, vier gemeinsame Hauptorgane vor:
Der Ministerrat koordiniert die allgemeine Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten und trifft die wesentlichen Entscheidungen.
Die Europäische Kommission gewährleistet das ordnungsmäßige Arbeiten und die Entwicklung des Gemeinsamen Marktes. Sie sorgt für die Anwendung des Vertrages und der von den Organen erlassenen Bestimmungen. Die Kommission besteht aus neun Mitgliedern, deren Status im Vertrag im einzelnen geregelt ist. Die Amtszeit beträgt vier Jahre.
Die Versammlung ist das parlamentarische Organ der Gemeinschaft mit Beratungs- und Kontrollbefugnissen. Sie tritt zugleich an die Stelle der Gemeinsamen Versammlung der Montangemeinschaft.
Der Gerichtshof schließlich sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages und nimmt zugleich die Funktionen des Gerichtshofes der Montangemeinschaft wahr.
Zu diesen vier Hauptorganen kommt als Hilfsorgan ein Wirtschafts- und Sozialausschuß mit beratenden Funktionen, der in bestimmten Fällen von Rat und Kommission gehört wird.
Ich fasse zusammen: Es liegt in der Natur eines so umfassenden Vertragswerkes, daß es zunächst dem Betrachter wenig übersichtlich erscheint, daß vor allen Dingen auch eine Zahl von Ausnahmebestimmungen ,die Regeln durchkreuzen - ich denke insbesondere an die Schutzklauseln des Vertrages - und damit gewisse Zweifel in bezug auf das einwandfreie Funktionieren des Vertragsorganismus wachrufen. Aber wir haben zu bedenken, daß Perfektionismus - der Perfektionismus des „alles oder nichts"! - hier fehl am Platze wäre, daß nicht alles in einem Zuge und an einem Tag getan werden kann, daß auch ,die Staaten nur Schritt für Schritt aufeinander zugehen und dabei nicht die notwendigen eigenen Sicherungen außer acht lassen können. Bei einem solchen Vertrag, wie ihn diese Zollunion darstellt, ist eine Summe von berechtigten schutzbedürftigen Interessen gegeneinander und miteinander abzuwägen; zwischen ihnen muß notwendigerweise ein Kompromiß gefunden werden. Indessen können wir sicher auf eines vertrauen: auf die eigene Dynamik des geschaffenen Werkes, auf die ihm innewohnenden, nach Vervollkommnung strebenden Kräfte, auf die Zunahme des gegenseitigen Verständnisses der Vertragspartner füreinander, die sehr bald ein rechtes Verhältnis aller Teile zueinander herstellen und eine immer wirksamere Verschmelzung des Ganzen herbeiführen werden.
Soviel als Umriß des Vertrages.
Ich möchte nun, meine Damen und Herren, im folgenden auf sechs Punkte des Vertrages etwas näher eingehen, die gerade bei uns letzthin Gegenstand der allgemeinen Erörterungen gewesen sind. Das sind erstens die französischen Sonderwünsche. Diese Sonderwünsche, durch die besonderen Schwierigkeiten motiviert, denen sich die französische Wirtschaft bei einem unvermittelten Übergang zum Gemeinsamen Markt ausgesetzt sehen würde, bestanden vor allem in drei Forderungen:
die sozialen Lasten der Industrien der Gemeinschaft sollten harmonisiert werden,
der Übergang von der ersten zur zweiten Etappe sollte nur durch einstimmigen Beschluß des Ministerrates möglich sein,
das System der Einfuhrausgleichsabgaben und Ausfuhrbeihilfen sollte von Frankreich beibehalten werden dürfen.
Was den ersten Punkt, die soziale Harmonisierung, anlangt, so sind nach dem Vertrag eine Angleichung der Männer- und Frauenlöhne bei gleichwertiger Arbeitsleistung und eine Angleichung der bezahlten Feiertage vorgesehen. Keine Verpflichtung besteht dagegen zur Angleichung der Überstundenzuschläge.
Sodann: Der Übergang von der ersten Zollsenkungsetappe in die zweite unterliegt der folgenden Regelung. Die Feststellung, ob die Ziele der ersten Etappe erreicht sind, geschieht durch einstimmigen Ministerratsbeschluß; kommt ein solcher Beschluß nicht zustande, so wird der erste Zeitabschnitt zunächst verlängert. Spätestens nach Ablauf ,des sechsten Jahres entscheidet der Ministerrat, jedoch mit qualifizierter Mehrheit. Es besteht also für keinen Vertragspartner das Recht, den Übergang von der ersten in die zweite Etappe von seinem Ermessen abhängig zu machen und womöglich die Existenz des ganzen Vertrages in Frage zu stellen. Die Mitglieder sind an den Vertrag gebunden, sie haben kein Rücktrittsrecht, und sie müssen die Zollunion innerhalb bestimmter Frist herstellen.
Schließlich - das betrifft den dritten Punkt - wird Frankreich gestattet, bis zum Ausgleich seiner Zahlungsbilanz sein jetziges System der Ausfuhrbeihilfen und Einfuhrabgaben aufrechtzuerhalten. Wir haben, als diese Frage zur Regelung anstand, vor einer schwierigen Entscheidung gestanden. Tatsache ist, daß, wie Sie wissen, eine Disparität besteht zwischen dem französischen Franc und der
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Währung ,anderer Partnerstaaten. Diese Disparität wird durch das zur Zeit in Frankreich angewandte System von Einfuhrabgaben und Ausfuhrbeihilfenausgeglichen. Aber während Frankreich hinsichtlich der Ausgestaltung dieses Systems bisher freie Hand hatte, unterliegt es künftig einer Reihe wichtiger Beschränkungen. Das französische System wird nämlich jährlich durch die Kommission und den Rat überprüft werden, und die ,am 1. Januar 1957 geltenden Sätze von höchstens 15% dürfen nicht erhöhtwerden.
Ich spreche zweitens zum gemeinsamen Außenzoll: Zum Wesen einer Zollunion gehört ein gemeinsamer Außentarif. Sobald die Binnenzölle wegfallen, ist jede Einfuhr von außen in ein Mitgliedsland automatisch eine mögliche Einfuhr in alle anderen Mitgliedsländer. Der gemeinsame Tarif der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist in der Regel gleich dem arithmetischen Mittel der am 1. Januar 1957 von den Mitgliedstaaten tatsächlich angewandten Zölle; jedoch werden diese Sätze für eine große Zahl von Positionen herabgesetzt, wenn sie eine bestimmte Höchstgrenze überschreiten, z. B. für Rohstoffe auf 3 %. Es gibt auch noch andere Ausnahmen. Fast in allen Fällen kann zudem die Europäische Kommission eine vorübergehende Aussetzung ,dieser Zollsätze durch die Gewährung von Zollkontingenten erlauben. Ferner kann sie bei besonderen Schwierigkeiten einen Mitgliedstaat ermächtigen, die Herabsetzung oder Erhöhung der Sätze für bestimmte Positionen seines Zolltarifs aufzuschieben.
Für die Einführung dieses gemeinsamen Zolltarifs ist im Vertrag schrittweises Vorgehen vorgesehen. Die erste Angleichung der Zollsätze der Mitgliedstaaten gegenüber dritten Ländern muß am Ende des vierten Jahres nach Inkrafttreten des Vertrages erfolgen. Spätestens wird der gemeinsame Zolltarif bei Ablauf der Übergangszeit, also spätestens nach 15 Jahren, in vollem Umfang angewandt.
Nun ist unbestreitbar die Festsetzung eines neuen Zolltarifs im Leben ,der Staaten immer ein Vorgang von einschneidender Bedeutung, seine Wirkungen greifen in den Haushalt eines jeden einzelnen Bürgers ein. Es ist daher nicht verwunderlich, daß in der öffentlichen Meinung der beteiligten Länder, auch bei uns, dieser Punkt besonderes Interesse findet, ja daß er Sorgen hervorgerufen hat. Die Befürchtung indessen, der neue Außenzolltarif werde eine erhebliche Verteuerung der Lebenshaltung mit sich bringen und daher das innere Gefüge unserer Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen, ist nicht gerechtfertigt, und zwar aus folgenden Gründen:
Zunächst wird etwa ein Viertel des gesamten Außenhandels der Bundesrepublik in Zukunft Binnenhandel, nämlich Handel zwischen der Bundesrepublik und den übrigen fünf Partnerstaaten. Dieser Handel wird also von Zöllen überhaupt befreit sein.
Sodann sollte nicht übersehen werden, daß die Bundesrepublik mit ihrem Zollniveau etwa in der Mitte der beteiligten Staaten liegt und deshalb ihre Sätze am wenigsten zu verändern braucht, während beispielsweise Frankreich und Italien stark senken, ,die Beneluxländer dagegen anheben müssen.
Wir dürfen ferner darauf vertrauen, daß wir auf der Grundlage der jetzt vorgesehenen Zölle durch Verhandlungen mit anderen Staaten zu einer weiteren Liberalisierung des Welthandels kommen werden. Dies gilt vor allem für die Beziehungen zu Großbritannien und anderen Mitgliedern der in Aussicht genommenen Freihandelszone. Gerade die Teilnahme so freihändlerisch gesinnter Staaten wie der Bundesrepublik und der drei Beneluxländer begründet die Aussicht, daß die kommende Außenzollpolitik der neuen Gemeinschaft liberal geführt werden und die Tür zum Welthandel offengehalten wird. Dies bleibt wahr, auch wenn man zugibt, daß bei einer solchen Gemeinschaft von sechs Staaten mit sehr verschieden gearteten volkswirtschaftlichen Traditionen immer die Notwendigkeit für einen Kompromiß natürlich auch in der Frage des Außenzolltarifs gegeben sein wird.
Endlich möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik in die Berechnung des arithmetischen Mittels ihre teilweise bis zu 30 % gehenden konjunkturellen Zollsenkungen eingebracht und damit einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet hat, daß der Außenzolltarif niedriggehalten wird.
Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn wir den vorgesehenen Außenzolltarif zugrunde legen, so wird sich, wenn man von den gegenwärtigen Inlandspreisen ausgeht, eine wesentliche Verteuerung unserer eigenen Lebenshaltung nicht ergeben. Konsumartikel wie Textilien und Schuhe werden durch den Zolltarif in ihrer Preisgestaltung gar nicht beeinflußt werden. Die landwirtschaftlichen Produkte, ,die für den Volkskonsum ausschlaggebend sind und die Lebenshaltung am spürbarsten beeinflussen, bleiben überhaupt außerhalb jeder zollbedingten Preisbewegung, da, ich sagte es schon, die einzelnen landwirtschaftlichen Marktordnungen bis zur Schaffung einer gemeinsamen europäischen Marktordnung bestehen bleiben.
Darüber hinaus werden die wichtigen Rohstoffe für den Massenverbrauch wie Baumwolle, Jute, Kupfer und Zinn wahrscheinlich praktisch zum Zollsatz O eingeführt werden, so daß auch von dieser Seite eine Verteuerungsgefahr nicht besteht.
Ich komme zum dritten Punkt der Haupterörterung und der Kritik, der Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete. Diese Frage ist bekanntlich zuerst von dem französischen Außenminister auf der Konferenz in Venedig im Mai vorigen Jahres mit Billigung seines belgischen Kollegen aufgeworfen worden. Daß sie erst verhältnismäßig spät konkret und präzise zur Diskussion gestellt worden ist, mag an vielerlei Ursachen liegen, besonders wohl an der bekannten innerfranzösischen Auseinandersetzung hierüber. Denn es ist ja nicht so, daß in Frankreich dieser Schritt nur Beifall fände und jedermann dort darin ein gutes Geschäft sähe. Wir müssen uns vielmehr erinnern, daß in Frankreich seit Jahren eine starke Opposition gegen jede Art der engen Verbindung der überseeischen Länder mit anderen europäischen Staaten besteht.
In mühsamen Verhandlungen, die teilweise auf höchster Ebene geführt werden mußten, sind nunmehr die sechs Regierungen in folgendem übereingekommen:
Der Vertrag selbst enthält die Grundsätze für die handelspolitische Assoziierung und für Beiträge zu den Investitionen, die für die Entwicklung der überseeischen Länder und Gebiete von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft geleistet werden. Ferner
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wird ein erstes Durchführungsübereinkommen für fünf Jahre geschlossen werden, wonach die Gesamtbeteiligung der Mitgliedstaaten an den Investitionsleistungen während dieser fünf Jahre auf 581 Millionen Dollar festgesetzt wird. Davon entfallen auf Deutschland für diese fünf Jahre 200 Millionen Dollar.
Die Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen werden während der ersten fünf Jahre im Verkehr der Mitgliedstaaten mit den überseeischen Gebieten in der gleichen Weise abgebaut wie zwischen den Mitgliedstaaten selbst. Wo ein überseeisches Gebiet einen Schutzzoll auch gegenüber seinem eigenen Mutterland anwendet, bleibt er bestehen. Nach Ablauf von fünf Jahren hängt es von einem einstimmigen Ministerratsbeschluß ab, wie die Assoziierung fortgeführt werden soll.
Eine Sonderregelung gilt für die französischen Überseegebiete, die staatsrechtlich Teile des Mutterlandes sind.
Marokko und Tunis werden eingeladen, mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft besondere Assoziierungsverträge abzuschließen.
Lassen Sie mich Ihnen, meine Damen und Herren, nun die Gründe darlegen, die die Bundesregierung veranlaßt haben, der vorgesehenen Regelung zuzustimmen.
Wir müssen zunächst von der Tatsache ausgehen, daß die überseeischen Gebiete in mannigfach abgestuften Formen von Zoll-, Wirtschafts- und Währungsunionen mit ihren europäischen Metropolen eine wirtschaftliche Einheit bilden. Es war unseren Partnerstaaten im Gemeinsamen Markt nicht zuzumuten, aus dieser seit langem bestehenden wirtschaftlichen Einheit auszuscheiden und allein in die neue Europäische Wirtschaftsgemeinschaft einzutreten. Die handelspolitische Assoziierung der überseeischen Gebiete mit dem Gemeinsamen Markt war daher eine Forderung, deren Berechtigung sich keiner der Partnerstaaten verschließen konnte.
Dazu kommt ein weiterer und, wie ich glaube, entscheidender Gesichtspunkt: Es kann uns weder vom humanitären noch vom sozialen, vor allem aber nicht vom politischen Standpunkt gesehen gleichgültig sein, ob die Entwicklung dieser Gebiete fortschreitet oder nicht, ob die Lebensverhältnisse dort sich bessern und ob allmählich eine Hebung des allgemeinen Lebensstandards und eine kulturelle, soziale und wirtschaftliche Erschließung stattfinden. Wir wissen sehr wohl, daß, wenn diese Aufgaben, für die große Mittel aufgebracht werden müssen - Frankreich hat im Jahre 1956 allein für soziale, kulturelle und wirtschaftliche Zwecke in Übersee über 2 Milliarden DM aufgebracht -, nicht durch die europäische Staatengemeinschaft übernommen würden, andere versuchen würden, die Lücke zu füllen und die Entwicklung der afrikanischen Gebiete in ihrem Sinne, einem uns sehr schädlichen Sinne, zu beeinflussen. Einer solchen Perspektive können wir nicht gleichgültig gegenüberstehen.
Wenn wir aus diesen Gründen den Gedanken einer Assoziation der überseeischen Gebiete akzeptiert haben, so haben wir bei seiner Ausgestaltung eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, die alle ein bestimmtes Ziel verfolgen. Sie bilden eine Garantie dafür, daß die europäischen Leistungen zugunsten der überseeischen Gebiete dem wahren Interesse dieser Bevölkerungen dienen und daß sie als eine besondere und zusätzliche Leistung der
europäischen Staatengemeinschaft neben den laufenden Zuwendungen der Mutterländer in Erscheinung treten. Aus diesem Grunde wird in der Präambel des Vertrages und in dem Vertragsartikel über die Assoziierung auf die Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen Bezug genommen, nach denen die Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet sind, den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritt in den von ihnen abhängigen Gebieten sicherzustellen. Ferner wird bestimmt, daß in den überseeischen Gebieten nur solche Projekte durchgeführt werden sollen, die die Billigung der Vertreter der einheimischen Bevölkerung gefunden haben.
In diesem Zusammenhang ist es wesentlich zu wissen, daß das französische Parlament vor kurzem ein Gesetz verabschiedet hat, das in 13 überseeischen Gebieten Frankreichs die Einrichtung frei gewählter parlamentarischer Körperschaften und die Einsetzung von Exekutivbehörden vorsieht, die diesen Parlamenten verantwortlich sein werden. Dadurch ist gesichert, daß die Bevölkerung dieser Gebiete in der Lage sein wird, selbständig zu den von der europäischen Gemeinschaft geplanten Maßnahmen Stellung zu nehmen.
Schließlich ist klargestellt, daß sich die europäische Gemeinschaft nicht global an den Erschließungskosten der überseeischen Gebiete beteiligt, sondern daß Projekte, die von ihr einzeln ausgewählt werden, und zwar Projekte teils sozialer, teils wirtschaftlicher Natur, finanziert werden. Die Entscheidung über die Auswahl der Projekte treffen ausschließlich europäische Organe, die Europäische Kommission und der Ministerrat. Im Ministerrat hat die Bundesrepublik entsprechend der Höhe ihrer finanziellen Beiträge ein starkes Gewicht. Von insgesamt 100 Stimmen verfügt sie über 33.
Wir glauben somit, jede nur mögliche Garantie erlangt zu haben, daß die Anstrengungen der europäischen Staatengemeinschaft von den überseeischen Gebieten als ein echter und in ihrem eigenen Interesse liegender Beitrag zu ihrer Entwicklung angesehen werden und daß nicht der Schatten eines Verdachts bestehen bleiben kann, die Bundesregierung oder irgendein anderer Partnerstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft verfolgten in diesen Gebieten eigene Interessen unter Vernachlässigung der Interessen der Bevölkerung. Die von uns gefundene Konstruktion hat keine auch nur entfernte Ähnlichkeit mit den mit Recht heute allgemein abgelehnten kolonialen Methoden vergangener Zeiten. Sie folgt vielmehr dem Vorbild der Entwicklungshilfe, die wir den sogenannten Entwicklungsländern angedeihen lassen. Ebenso wie wir uns entschlossen haben, mit voller Billigung dieses Hohen Hauses in den Entwicklungsländern Schulen, Krankenhäuser, Mustergüter und ähnliche Einrichtungen zu schaffen, geben wir eine gleiche Hilfe auch den überseeischen Gebieten unserer Partner im Gemeinsamen Markt.
Ich gehe zum vierten Punkt über, der unsere deutsche öffentliche Meinung in den vergangenen Wochen und Tagen in starkem Maße beschäftigt hat: dem Verhältnis der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Wiedervereinigung Deutschlands, zu Berlin und zum Interzonenhandel.
Es ist eine tief beklagenswerte Tatsache, daß Deutschland in die neue europäische Gemeinschaft eingefügt wird, belastet mit der schweren politi({4})
schen Hypothek unserer erzwungenen Teilung. Aber ebenso wahr ist, daß keine deutsche Bundesregierung, welcher Zusammensetzung auch immer, je ihre Zustimmung zu einer Anerkennung oder zu einer Vertiefung der deutschen Teilung oder zu einer Beeinträchtigung der Stellung des freien Berlin und zu einer Unterbindung oder Erschwerung der Beziehungen geben wird, die uns heute mit unseren Landsleuten in dem anderen, in dem unfreien Teil Deutschlands verknüpfen.
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Die Bundesregierung hat daher bei Abfassung des Vertragswerks ihr ganzes Betreben darauf gerichtet, alle Möglichkeiten einer Wiedervereinigung Deutschlands offenzuhalten und die künstliche Spaltung nicht zu vertiefen. Sie hat in den Brüsseler Verhandlungen ausdrücklich die Erklärung abgeben lassen - ich zitiere wörtlich -:
Die Bundesregierung geht von der Möglichkeit aus, daß im Fall der Wiedervereinigung Deutschlands eine Überprüfung der Verträge über den Gemeinsamen Markt und Euratom stattfindet.
Die Formulierung „Überprüfung der Verträge" ist absichtlich gewählt, um alle Möglichkeiten zu dekken, die sich im Falle der Wiedervereinigung ergeben können. Außer den beiden extremen Möglichkeiten einer Beteiligung oder Nichtbeteiligung des wiedervereinigten Deutschland an den Verträgen kommt ja eine dritte Möglichkeit in Betracht - und das ist vielleicht die wahrscheinlichste -, nämlich die, daß das wiedervereinigte Deutschland sich an der Gemeinschaft zu beteiligen wünscht, aber eine Anpassung der Verträge an die neu entstandene Lage erbitten muß.
Die Bundesregierung hat damit ihre bekannte Auffassung zum Ausdruck gebracht, daß ein wiedervereinigtes Deutschland volle politische Handlungsfreiheit in bezug auf vorher für einen Teil Deutschlands abgeschlossene völkerrechtliche Verträge haben muß. Das Risiko für unsere politischen Freunde ist wahrhaftig nicht groß, daß ein wiedervereinigtes Deutschland eine mit dem Geist der europäischen Einigung im Widerspruch stehende Haltung einnehmen wird. Wir wollen und können aber dem wiedervereinigten Deutschland keine formellen Bindungen auferlegen.
Ich darf hinzufügen, daß, als der deutsche Delegationsleiter in Brüssel jene Erklärung abgab, dagegen nicht nur keinerlei Widerspruch laut wurde, sondern im Gegenteil von unseren Verhandlungspartnern zum Ausdruck gebracht wurde, daß die deutsche Erklärung etwas ausspreche, was an sich schon selbstverständlich sei.
Unsere Erklärung als ausdrückliche Bestimmung in den Vertrag aufzunehmen, bestand in dieser Lage keine Notwendigkeit. Es gibt sogar gute Gründe, die eine solche Vertragsbestimmung nicht als zweckmäßig erscheinen lassen. Wie Sie wissen, stehen nicht nur die Bundesregierung, sondern auch ihre Vertragspartner auf dem Standpunkt, daß ein wiedervereinigtes Deutschland auch in bezug auf andere große politische Verträge, die für die Bundesrepublik geschlossen sind, Handlungsfreiheit hat, und zwar obwohl in diesen Verträgen - außer dem Deutschlandvertrag, der eine Sonderstellung einnimmt - keine besonderen vertraglichen Bestimmungen dieser Art getroffen worden sind. Nehmen wir in den vorliegenden Vertrag, und nur in ihn, eine ausdrückliche Vertragsbestimmung auf, so riskieren wir, was der Jurist ein argumentum e contrario nennt: daß nämlich das Fehlen dieser Klausel in den anderen Verträgen zu Zweifeln darüber führt, ob auch für sie die Handlungsfreiheit gilt.
Nicht weniger sorgfältig haben wir uns schließlich bemüht, die Stellung Berlins und den Ablauf des deutschen Interzonenhandels zu schützen. Wir wissen alle, was wir der Stadt Berlin und ihren tapferen Bewohnern schuldig sind, und es liegt uns daran, das von uns entwickelte Instrument des Interzonenhandels nicht nur zu erhalten, sondern weiter auszubauen.
In den Vertrag über den Gemeinsamen Markt ist daher die ausdrückliche Bestimmung aufgenommen worden - ich zitiere -,
daß die Durchführung des Gemeinschaftsvertrags weder eine Änderung der gegenwärtigen Vorschriften für den innerdeutschen Handel noch eine Änderung der gegenwärtigen tatsächlichen Gestaltung dieses Handels mit sich bringt.
Damit ist klargestellt: die gegenwärtige Regelung, daß nämlich der Interzonenhandel eine innerdeutsche Angelegenheit ist, bleibt bestehen; die Zonengrenze wird ebensowenig wie bisher eine Zollgrenze sein, und die Bundesregierung behält ihre Freiheit in der Gestaltung des Interzonenhandels.
Aber im Interesse der deutschen und vor allem der Berliner Wirtschaft bedurfte es einer weiteren Regelung. Es mußte sichergestellt werden, daß der Interzonenhandel nicht durch Dreiecksgeschäfte über andere Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ausgehöhlt werden kann. Auch mußte die Möglichkeit geschaffen werden, einem etwaigen Warendumping der Sowjetzone oder des Ostblocks zu begegnen. Die sechs Regierungen sind daher übereingekommen, daß jeder Mitgliedstaat dafür Sorge trägt, daß sein Handel mit der Sowjetzone nicht den Grundsätzen des Gemeinsamen Marktes widerspricht und daß jede Schädigung der übrigen Volkswirtschaften vermieden wird. Schließlich kann jeder Mitgliedstaat geeignete Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, daß sich für ihn aus dem Handel eines anderen Mitgliedstaates mit der Sowjetzone Schwierigkeiten ergeben.
Zusammenfassend darf ich also sagen, daß mit dieser Regelung die Beibehaltung des bisherigen Charakters des Interzonenhandels sichergestellt ist. Unsere Verhandlungspartner haben uns in diesem Punkt volles Verständnis und Entgegenkommen gezeigt.
Diese Tatsache und die in jüngster Zeit abgegebenen mehrfachen Bekräftigungen des französischen, des italienischen und des belgischen Außenministers über die Notwendigkeit der deutschen Wiedervereinigung und über die Vereinbarkeit der Wiedervereinigung mit der Ordnung der Gemeinschaft berechtig en uns zu dem vollen Vertrauen, daß wir in unseren Partnern wie bisher verläßliche Bundesgenossen haben werden. Mir liegt daran, dies auch hier besonders zu unterstreichen; denn wir wissen alle, daß wir ohne die Unterstützung unserer westlichen Bundesgenossen unser fundamentales Anliegen, die Wiedervereinigung Deutschlands, nicht verwirklichen können.
Lassen Sie mich nun zu einem Blick auf die anderen europäischen Staaten übergehen und damit
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den fünften wichtigen Punkt der öffentlichen Diskussion einleiten: die Beziehungen der Gemeinschaft zu dritten Staaten, insbesondere den Mitgliedstaaten der OEEC und des GATT. In mannigfachen Erklärungen der Bundesregierung und der übrigen fünf Regierungen ist von jeher .der Gedanke ausgesprochen worden, der Zusammenschluß der sechs europäischen Mächte dürfe keinen Ausschließlichkeitscharakter haben. Unser wirtschaftliches und politisches Interesse muß dahin gehen, die Bindungen zu allen europäischen Staaten so eng wie möglich zu gestalten. Ob auch die jüngsten sowjetischen Verlautbarungen über eine gesamteuropäische wirtschaftliche Zusammenarbeit Möglichkeiten eröffnen und welche, werden wir zweckmäßigerweise prüfen, wenn unser eigenes Werk unter Dach und Fach ist.
Es hat uns mit großer Befriedigung erfüllt, daß die britische Regierung im Herbst vorigen Jahres den bedeutsamen Beschluß gefaßt hat, den Gemeinsamen Markt durch eine besondere Freihandelszone für andere Staaten des OEEC-Bereichs zu ergänzen. Die Verhandlungen hierüber haben bereits begonnen.
Ich darf dazu erneut sagen, daß die Bundesregierung in Anbetracht ihrer europäischen Verbundenheit und ihres weltweiten Handels, aber auch ihrer besonderen Stellung im Europahandel, die Teilnahme jedes europäischen Staates an der vorgesehenen Freihandelszone sehrbegrüßt. Von unserer Seite wird diesem Plan alle Förderung und Unterstützung zuteil werden, und die deutsche Regierungsdelegation ist mit Weisungen versehen, die, was uns anlangt, eine Zusammenführung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Freihandelszone nach Kräften erleichtern. Dabei werden manche Punkte, die die Brüsseler Vertragsmächte bereits gelöst haben, wie die Assoziierung der überseeischen Gebiete und die Fragen der Landwirtschaft die Regierungen der Freihandelszone vor besonders schwierige Entscheidungen stellen. Aber wir hoffen zuversichtlich, daß diese Schwierigkeiten überwunden werden können. Wesentlich ist, daß so wichtige Handelspartner wie Großbritannien oder etwa die skandinavischen Staaten, Osterreich oder die Schweiz oder auch die südeuropäischen Staaten in irgendeiner praktischen Form den Anschluß an unseren Gemeinsamen Markt finden. Jede Verbreiterung unserer wirtschaftlichen Gemeinschaftsbasis wird dem Ziel einer Befreiung des Handels von den ihn hemmenden Schranken und damit dem wirtschaftlichen und dem politischen Aufschwung Europas dienen. Ich glaube, daß ich die Stellung der Bundesregierung zu dem britischen Vorschlag über die Schaffung einer Freihandelszone nicht besser umreißen kann, als wenn ich dazu sage: Wir werden, was an uns liegt, tun, um an seiner Verwirklichung mitzuhelfen.
Ich möchte auch besonders darauf hinweisen, daß die Bundesregierung und, wie ich wohl sagen darf, auch unsere Partner in ;der Gemeinschaft der Erfüllung unserer multilateralen Handelsverpflichtungen, wie sie sich uns etwa in der besonderen Form des GATT darstellen, alle gebotene Aufmerksamkeit zuwenden. Der Gemeinschaftsvertrag bejaht ausdrücklich den Grundsatz des freien Welthandels und läßt für eine liberale Handelspolitik alle Türen offen. In seiner Gestaltung als Zollunion entspricht er den auf diesem Gebiet geltenden internationalen Regeln, und er läßt den Beitritt eines jeden daran interessierten Staates zu. Was hier geschaffen wird, ist kein kontinentales oder
koloniales Präferenzsystem, sondern ein neuer, zusammenhängender Wirtschaftsraum mit einer möglichst großen und offenen Tür zur Welt.
Ich darf endlich einige verfassungsrechtliche und organisatorische Bemerkungen machen.
Angesichts eines so groß angelegten Vorhabens wie dessen, vor dem wir jetzt stehen, ist die Frage berechtigt, ob es unserer eigenen Verfassung entspricht und wie sich die Zuständigkeit der neuen Gemeinschaft zu den Zuständigkeiten verhält, die durch unser Grundgesetz insbesondere unserer eigenen gesetzgebenden Körperschaft, dem Deutschen Bundestag, übertragen worden sind.
Die Schöpfer unseres Grundgesetzes haben in dem Artikel 24 vorgesehen, daß der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann. Damals, als das Grundgesetz entstand, war man sich bei uns bereits darüber im klaren, daß sich die bevorstehende politische Entwicklung wahrscheinlich in größeren Räumen und in neuartigen Zusammenschlüssen von Staaten abspielen werde. Diese Voraussicht ist, wie wir heute wissen, voll begründet gewesen. Sie ist einmal bereits in der Europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft verwirklicht worden; sie hätte, was uns anlangt, auch in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Gestalt gefunden. Sie kommt schließlich in der neuen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Verwirklichung. Zweifellos erhalten mit der Schaffung dieser Gemeinschaft der Ministerrat und die Europäische Kommission die Möglichkeit direkter Einwirkung auf unser eigenes innerstaatliches Leben. Aber das ist in dem neuen Gemeinschaftsbegriff politisch und rechtlich angelegt, so wie es auch von den Verfassern des Grundgesetzes vorausgesehen war.
Hoheitliche Aufgaben, die auf die Organe der neuen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft übergehen, werden unserer eigenen Ausübung zwar entzogen, aber sie gehen nicht unter, und wir gewinnen sie zur Mitausübung in den Gemeinschaftsorganen zurück. Es liegt im Wesen der neuen Gemeinschaft, daß sie zu ihrem ordnungsmäßigen Funktionieren und zu der weiteren Entwicklung von uns selber eine Anzahl von Rechten erhalten muß, die bisher bei den einzelnen Staaten lagen.
Damit im Zusammenhang steht die hier besonders interessierende Frage der parlamentarischen Funktionen innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Wir sind der Überzeugung, daß die Versammlung der Gemeinschaft sich erst im Anfang ihres Entwicklungsstadiums befindet. Ihre Ausgestaltung und die Erweiterung ihrer Befugnisse liegen ganz in unserem Sinne. Das Ziel für die europäische parlamentarische Versammlung muß die Herstellung einer echten parlamentarischen Kontrolle durch ein in direkten Wahlen frei gewähltes europäisches Parlament sein.
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Diese Entwicklung ist im Vertrag ausdrücklich vorgesehen. Die Bundesregierung wird alle Bestrebungen unterstützen, die darauf hinauslaufen, der neuen Gemeinschaft ein voll aktionsfähiges und mit den nötigen Befugnissen ausgestattetes Parlament zu verschaffen.
Ebenso werden wir unsere Aufmerksamkeit alsbald der Frage zuwenden müssen, wie die Vielfalt der bestehenden Organisationen vereinfacht und harmonisiert werden kann.
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Ich fasse zusammen: Der neue Vertrag greift, wie ich schon sagte, unmittelbar in die Lebensverhältnisse jedes einzelnen von uns ein. Wir hoffen zuversichtlich, daß diese Einwirkungen sich für uns als segensreich erweisen werden. Ich darf erinnern an die seinerzeit mit der Schaffung des Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl notwendigerweise verbundenen Erörterungen und die damals gestellten Prognosen. Wer von uns würde heute, selbst wenn er es könnte, den Gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl wieder beseitigen und zu dem Zustand von sechs getrennten Wirtschaftsräumen auf diesem wichtigen Teilgebiet unserer Wirtschaft zurückkehren wollen? Das gleiche werden wir schon in wenigen Jahren von dem allgemeinen Gemeinsamen Markt der Sechs sagen müssen. Wir glauben - und die Erfahrung berechtigt uns zu diesem Glauben -, daß die Entwicklung einen unaufhaltsamen Prozeß in Gang setzen wird und daß wir vielleicht nicht einmal die vorgesehenen Fristen und Etappen einzuhalten brauchen, um zum endgültigen Ziel des gemeinsamen Wirtschaftsraums zu gelangen. Ein solcher einheitlicher Wirtschaftsraum von mindestens 150 Millionen Menschen aber wird eine noch nicht voraussehbare wirtschaftliche und politische Anziehungskraft entwickeln.
So wie der Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft heute vor uns liegt, ist er ein mühsam ausgehandelter, aber ein gesunder Kompromiß unter allen Beteiligten. Er ist die unerläßliche Voraussetzung für eine freizügige wirtschaftliche Entfaltung in Europa. Er ist darüber hinaus ein Unterpfand für unsere politische Freiheit, ja für die Existenz unseres Volkes. Nicht eindringlich genug kann auf diese vitale politische Bedeutung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hingewiesen werden. Sie bietet echte Chancen auch für die künftige politische Einheit Europas.
Das Vertragswerk hat sich unter wachsender Anteilnahme der Öffentlichkeit der beteiligten Länder entwickelt. Gegenüber den skeptischen und ablehnenden Stimmen, wie sie bei einem Vorgang von so eminenter Bedeutung nur natürlich sind, haben sich in allen sechs Ländern, ja noch weit darüber hinaus im ganzen doch Zustimmung und bereitwillige Unterstützung des großen Vorhabens geltend gemacht.
Ich möchte vor allem erinnern an die Entschließungen der Gemeinsamen Versammlung der Kohle- und Stahlgemeinschaft von 1956 und 1957. In ihnen haben die mit dem europäischen Gemeinschaftsgedanken und seiner praktischen Verwirklichung besonders befaßten Abgeordneten der sechs Staaten, darunter zahlreiche Mitglieder dieses Hohen Hauses aus allen Fraktionen, den Plan zur Bildung eines großen, gemeinsamen Wirtschaftsraums als bedeutsamen Fortschritt in Richtung auf die europäische Einigung begrüßt und ihrer Oberzeugung Ausdruck gegeben, daß ein umfassender Gemeinsamer Markt eine wirtschaftliche und politische Notwendigkeit ist.
Ich darf weiter hinweisen auf die Entschließungen der Beratenden Versammlung des Europarates. Obwohl es sich hier um einen größeren Kreis von Staaten handelt, der zudem häufig gern in einen gewissen Gegensatz zu dem engeren Kreis der Montangemeinschaftsstaaten gestellt wird, enthalten auch diese Stellungnahmen die Zustimmung zu den von den sechs Mächten verfolgten Zielen.
Die Bundesregierung hofft daher zuversichtlich, daß ihr das deutsche Volk und dieses Hohe Haus auf dem Wege dieses Vertragswerkes folgen werden.
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Sie haben die Erklärung der Bundesregierung gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Deist.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es wird bei wichtigen Erörterungen in diesem Bundestage leider immer wieder notwendig, einige Bemerkungen über den Stil unserer parlamentarischen Auseinandersetzungen zu machen.
Der Gegenstand, mit dem sich die heutige Regierungserklärung befaßt, ist nicht etwa irgendein internationaler Vertrag üblicher Art, wie wir ihn ja oft in diesem Hause zu behandeln haben. Mit der Errichtung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird eine Entwicklung eingeleitet, die die gesamte wirtschaftliche Struktur Europas wesentlich verändern wird, ja, die man gewissermaßen als ein Stück europäischer Verfassungsgeschichte bezeichnen kann. Mir scheint, daß es dann nicht angemessen ist, daß die Ausschüsse des Bundestages erst vier Wochen vor der Unterzeichnung eines solchen Vertragswerks die Möglichkeit haben, sich zu unterrichten;
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eine Unterrichtung, die im übrigen unzulänglich bleiben mußte, weil nicht einmal die endgültigen Vertragstexte vorlagen. Dann scheint es mir auch nicht angemessen zu sein, daß das Parlament selbst erst vier Tage vor der Unterzeichnung zu einem derart wichtigen und grundlegenden Problem Stellung nehmen kann.
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Ich darf eine zweite Bemerkung in ähnlicher Richtung machen. Die Regierungserklärung zu einem derartig wichtigen Gegenstand wurde uns heute weder vom Kanzler noch von einem Minister, sondern von dem Herrn Staatssekretär des Auswärtigen Amts vorgetragen. Dabei muß ich mit Bitterkeit daran denken, daß in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor kurzem eine Meldung zu lesen war, daß zur Unterzeichnung ides Vertragswerkes in Rom der Herr Bundeskanzler fahren müsse, und zwar handle es sich dabei um protokollarische Gründe:
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da zur Zeit der Herr Außenminister nicht verfügbar sei, müßte an seiner Stelle der Herr Staatssekretär unterzeichnen, und die Unterschrift eines Staatssekretärs wiege für ein so wichtiges Vertragswerk zu leicht. Für das Parlament ist offenbar nach Auffassung der Bundesregierung das Gewicht des Herrn Staatssekretärs in einer solch wichtigen Sache schwer genug!
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Mir scheint, ein solches Verfahren entwertet die Debatte über die wichtige Frage, die wir heute zu behandeln haben.
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Damit komme ich zur Sache. Es ist beinahe genau fünf Jahre her, daß sich der Bundestag der Bundesrepublik Deutschland mit dem ersten Versuch einer europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, nämlich mit dem Schumanplan befaßte. Wir haben daher eine Erfahrung von einem halben Jahrzehnt hinter uns, die uns wertvolle Kriterien für die Beurteilung des Vertragswerkes geben kann, das uns heute hier vorgelegt wird. Sie wissen, daß meine Fraktion damals den Schumanplan aus Gründen, die wir auch heute noch für berechtigt halten, abgelehnt hat. Wir haben ihn damals nicht abgelehnt, weil wir gegen eine europäische Zusammenarbeit waren, sondern weil wir die Konstruktion der Montanunion für unglücklich und gefährlich hielten. Als die Montanunion ein Faktum war, haben die sozialdemokratischen Vertreter in der Gemeinsamen Versammlung, wie jedes Mitglied dieser Versammlung bestätigen kann, mit aller Energie mitgearbeitet, um die Schwierigkeiten, die aus dieser Konstruktion entstehen mußten, zu überwinden. Denn wir wünschten nicht, daß die Konstruktionsfehler der Montanunion zu einer Diskreditierung des Gedankens der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit führen sollten.
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Als sich nach der Messina-Konferenz im Juni 1955 Möglichkeiten abzeichneten, die europäische Zusammenarbeit auf eine breitere und tragfähigere Grundlage zu stellen, da waren es Sozialdemokraten, die zu den ersten Mitgliedern des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten Europas gehörten, das von dem früheren Präsidenten der Hohen Behörde, Herrn Jean Monnet, ins Leben gerufen worden war.
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Die drei Hauptargumente, die unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten gegen die Konstruktion des Vertrags über die Montanunion gegeben waren, sind folgende. Im Vordergrund der Überlegungen stand die Tatsache, daß die Montanunion sich beschränkte auf einen kleinen, begrenzten, aber wichtigen Teil der beteiligten Volkswirtschaften, nämlich auf Kohle und Stahl. In diesem Hause ist damals von der gespaltenen Volkswirtschaft gesprochen worden. Wohl niemand kann bestreiten, daß die Teilintegration auch heute noch d a s Problem der Montanunion ist. Die Gemeinsame Versammlung hat daher bereits im Juni 1953 in einer einstimmig angenommenen Entschließung darauf hingewiesen, wie notwendig eine Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz-, Währungs- und Kreditpolitik der beteiligten Staaten mit der Politik der Montanunion sei.
Im Oktober 1953 hat der Ministerrat der Montanunion einen feierlichen Beschluß gefaßt, die Politik der Regierungen mit der Politik der Hohen Behörde abzustimmen. Leider ist aus dieser Zusammenarbeit auf breiterer Grundlage in den vergangenen Jahren nichts geworden, sondern die Versuche einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik der verschiedenen Länder sind zum erheblichen Teil an den Widerständen der Länderregierungen gescheitert. Daraus haben sich große Schwierigkeiten ergeben. Nach einer ernsthaften Überprüfung muß man sagen, daß die Montanunion im Grunde an dieser mangelnden Koordinierung und Zusammenfassung der Wirtschaftspolitik gescheitert ist; denn sie hat bis heute ihre zentrale Aufgabe, nämlich zu einer Ausweitung der Wirtschaft, zu einer Steigerung der Beschäftigung und zu einer Erhöhung des Lebensstandards beizutragen, nicht erfüllen können.
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- Ich werde Ihnen gleich den Beweis bringen.
Es war auf ,der letzten Tagung des Straßburger Ministerrates vom 15. Februar 1957, also in diesem Jahre, als wiederum ein einstimmiger Beschluß gefaßt wurde, in dem bedauert wird, daß es bisher ungeachtet der Entschließung des Ministerrats vom Oktober 1953 nicht möglich war, ausreichende Fortschritte in der Harmonisierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten zu erzielen, die zur Durchführung des Vertrags erforderlich sind. Das Ergebnis ist, daß in Ermangelung einer solchen Zusammenarbeit auf breiterer Grundlage die Montanunion ihre eigentliche Aufgabe bisher nicht erfüllen konnte und zur Stagnation verurteilt ist, wenn nicht ein größerer und weiterer Rahmen für diese wirtschaltliche Zusammenarbeit gefunden wird. Ich möchte sagen: die Vorlage der Verträge, die diese Erweiterung des Rahmens geben, ist letzten Endes eine verspätete Rechtfertigung der Haltung der Sozialdemokratie zur Montanunion.
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Wir werden bei unserer Stellungnahme zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu überprüfen haben, ob und in weichem Umfang dieser Mangel überwunden ist.
Der zweite Einwand war folgender. Durch die Beschränkung der Kohle- und Stahlgemeinschaft auf sechs Staaten bestand die große Gefahr einer Abschließung gegen die Umwelt, einer Blockbildung und der mangelnden Zusammenarbeit mit den übrigen europäischen Staaten und der sonstigen Welt. Wir sind innerhalb der Montanunion stets für eine Ausdehnung über diesen Rahmen der Sechs hinaus eingetreten und haben es begrüßt, als er zu einem Assoziierungsvertrag zwischen der Montanunion und Großbritannien kam. In dieser Beschränkung auf die sechs Staaten sahen wir eine große Gefahr für die Entwicklung dieser Sechs, eine Gefahr für eine gesunde Zusammenarbeit mit dem übrigen Europa. Vor allen Dingen aber sahen wir einen großen Mangel darin, daß wichtige Staaten des Nordens mit weltoffenen Auffassungen und fortschrittlicher politischer Gesinnung von der Teilnahme an der Montanunion ausgeschlossen waren. Die Europäische Sozialistenkonferenz, die sich am 25./26. Januar dieses Jahres in Luxemburg mit diesem Problem befaßt hat, hat in diesem Zusammenhang feststellen müssen, daß die Vorteile einer Wirtschaftsausweitung, die durch die Errichtung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl gefördert wurde, hauptsächlich den Unternehmen zugute kamen, ohne daß die Arbeitnehmer ausreichend an diesen Vorteilen teilhatten.
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Bei den neuen Projekten werden wir zu überprüfen haben, ob die Tendenz zur Autarkie und zur Abschließung überwunden ist und eine freiere und fortschrittlichere Entwicklung möglich gemacht wird.
Eine dritte Frage, meine Damen und Herren. Die Montanunion war zusammen mit der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und der Europäischen Politischen Gemeinschaft ein Dreiklang, der sich wie eine schützende Glocke über Europa
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legen sollte. Als diese Glocke mit schrillem Klang zersprang und EVG und EPG in der Versenkung verschwanden, zeigte sich die erste entscheidende große Krise der Montanunion. Weshalb? Mir scheint die Begründung sehr einfach zu sein. Solange die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Europas und die darauf gegründeten Organisationen nur als Schachfiguren in der machtpolitischen Auseinandersetzung und als Mittel der ideologischen und militärischen Blockbildung angesenen werden, sind sie kein brauchbares Instrument für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung Europas.
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Denn unter diesen Voraussetzungen wird die europaische wirtschaftliche Zusammenarbeit immer nur dann grobgeschrieben, wenn der kalte Krieg oder die machtpolitischen Auseinandersetzungen auf dem Hönepunkt sind. Das ist gerade die Zeit, die zu vernúnttigen wirtschaftlichen Entwicklungen denkbar ungeeignet ist. Und die europäische wirtschatliche Zusammenarbeit wird immer dann kleingeschrieben, wenn die Spannungen nachlassen, weil dann diese europäischen Organisationen als Mittel der Blockpolitik keine Bedeutung mehr haben. Das ist gerade die Zeit, die für konstruktive wirtschaftliche Aufbauarbeit denkbar gut geeignet ist.
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Nach dem Scheitern der EVG wurde eine grundlegende Entscheidung getroffen, indem man die Fragen der Militärpolitik in Europa loslöste von dem Problem der Montanunion und diese damit aus dem Bannkreis der reinen Machtpolitik befreite. Mir scheint, daß es nur dadurch möglich gewesen ist, die Krise zu überwinden, in der sich die Montanunion seinerzeit befand. Für die Zukunft der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird es darauf ankommen, ob sie unabhängig von der jeweiligen, zufälligen Machtkonstellation als ein wichtiges Instrument der europäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit oder nur als ein Anhängsel der ideologischen und militärischen Blockpolitik angesehen wird.
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Damit komme ich zu der Frage: Welche Aufgabe ist der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gestellt?
Wir werden nicht die einzigen gewesen sein, die vor einigen Tagen mit Verwunderung feststellten, daß die Bezeichnung „Gemeinsamer Europäischer Markt" plötzlich durch die Bezeichnung „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" ersetzt wurde. Das scheint mir auf die Erkenntnis hinzudeuten, daß die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes keine ausreichende Zielsetzung für eine wirklich europäische Politik ist, sondern daß man einer solchen neuen Organisation eine europäische wirtschaftliche Aufgabe stellen muß.
Warum ist wohl die Montanunion seinerzeit in weiten Kreisen des deutschen Volkes als ein brauchbarer Versuch zu einer Neuregelung angesehen worden? Deswegen, weil man von ihr einen wirtschaftlichen Aufschwung, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und einen größeren Anteil aller Menschen an den Gütern dieser Erde erhofft hat. Und warum haben wir heute eine gewisse Enttäuschung, ein Desinteressement an der Montanunion? Sicherlich ist das Gefühl weit verbreitet, daß in der labilen Lage, in der sich heute alle europäischen Staaten wirtschaftlich befinden, die Montanunion kein rocher de bronze sei, keinen besonderen Halt für die Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung biete. Wenn heute viele Menschen an die Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Hoffnungen knüpfen, dann, weil sie meinen, daß diese zu einer gesünderen Entwicklung der Wirtschaft, zum Schutz gegen Krisen beitrage, daß eine solche Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wirksame Maßnahmen gegen einen wirtschaftlichen Rückgang, gegen Arbeitslosigkeit und für wirtschaftliche Sicherheit treffen könne.
Meine Damen und Herren, das rührt an die Grundlagen des Vertrags. Hier geht es um die Frage: Welche Aufgaben sind der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gestellt? Wem soll diese Gemeinschaft letzten Endes dienen? Lassen Sie mich zu dieser Frage einige Ausführungen machen.
Solange der Wirtschaftsablauf in den einzelnen Staaten durch den Mechanismus der Goldwährung beeinflußt und gestaltet wurde, war für die innerwirtschaftliche Entwicklung der Zu- und Abfluß von Gold entscheidend. Der Ausgleich der Zahlungsbilanz führte häufig zu großen wirtschaftlichen Opfern, zu drastischen Konjunkturdrosselungen, zu Betriebsstillegungen und Arbeitslosigkeit. Es waren also außenwirtschaftliche Momente, die letzten Endes über die Zahlungsbilanz und über den Währungsmechanismus den innerwirtschaftlichen Ablauf bestimmten. Ich habe das Gefühl, daß mancher heute mit Trauer jener Zeit nachsieht, in der ihm der außenwirtschaftlich bestimmte Währungsmechanismus die Verpflichtung zu innerer wirtschaftspolitischer Aktivität nahm.
Diese Dinge haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wesentlich verändert. An die Stelle der Goldströme ist zwar das Auf und Ab der Zahlungsbilanzen getreten, aber sie sind für die innere wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr entscheidend. Seitdem etwa 30 % des Sozialprodukts über öffentliche Haushalte laufen, ist der Geldstrom der öffentlichen Kassen im Zusammenhang mit der Zentralisierung der Kassenhaltung bei der Notenbank ein mindest gleichwichtiges Element für die innerwirtschaftliche Entwicklung. Die Erörterungen über den Juliusturm in der Vergangenheit haben uns das ganz besonders stark zu Gemüte geführt. Große Straßen- und Eisenbahnbauten, große Wohnungsbauten, Sozialreform und Rüstungsausgaben sind viel entscheidender für den Wirtschaftsablauf als z. B. die Notenbankpolitik.
Das scheint mir der eine Gesichtspunkt zu sein, den wir 'beachten müssen, wenn wir von den Aufgaben der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sprechen.
Und noch ein zweiter. Ausgangspunkt aller Überlegungen über Konjunkturpolitik ist heute bei allen modernenn Staaten nicht mehr der Zahlungsbilanzausgleich, sondern im Zentrum der Überlegungen zur Konjunkturpolitik stehen die Frage einer hohen Beschäftigung, die Frage der Preisstabilität, die Frage der finanziellen Stabilität, letzten Endes die Frage eines wirtschaftlichen Gleichgewichts. Das heißt: für die Konjunkturpolitik sind binnenwirtschaftliche Gesichtspunkte von entscheidender Bedeutung. Die wirtschaftliche Entwicklung hängt von der Aktivität der inneren staatlichen Wirtschaftspolitik ab.
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Herr Dr. Hans Langelütke, der Leiter des IfoInstituts in München, hat das kurz und prägnant dahin ausgedrückt, daß jeder Regierung heute das Hemd der Vollbeschäftigung näher sitzt als ,der Rock der Weltmarktinterdependenz.
Das Ergebnis dieser kurzen Überlegung ist für mein Empfinden folgendes. Kernpunkt und zentrale Aufgabe jeder Konjunkturpolitik - es gibt heute kaum irgendwelche Wirtschaftspolitik, die keine Konjunkturpolitik ist - ist die Aufrechterhaltung des binnenwirtschaftlichen Gleichgewichts, die Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung, die Sicherung der Arbeitsplätze, die Sicherung .der Preise und die Sicherung des Lebensstandards. Das bedeutet zugleich, daß, wenn das die Zielsetzung der Wirtschaftspolitik ist, unter Umständen die innere Entwicklung gegen die Einflüsse über die Zahlungsbilanz abgeschirmt werden muß.
Meine Damen und Herren! Hier scheiden sich die Geister. Wer wirklich wirtschaftliche Stabilität und gesunde soziale Struktur der europäischen Völker wünscht, kann die Entwicklung nicht dem Währungs- und Zahlungsbilanzmechanismus überlassen, sondern diese Entwicklung kann nur durch wirtschaftspolitische Aktivität gestaltet werden. Die Frage ist, ob für eine solche wirtschaftspolitische Aktivität die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das geeignete Instrument ist.
Wenn man die Konstruktion der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einmal von allen Vorbehalten, Formeln und dergleichen mehr befreit, kann man, glaube ich, zwei entscheidende Zielsetzungen feststellen.
Das eine ist die Schaffung einer Zollunion, d. h. die Beseitigung aller Binnenzölle und aller sonstiger Beschränkungen für den innerwirtschaftlichen Verkehr. Das bedeutet eine einheitliche Handelspolitik nach außen. Die Zollhoheit innerhalb der Zollunion liegt nicht mehr bei den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern bei ,den Organen der Gemeinschaft, in diesem Fall beim Ministerrat. Das ist die eine Seite.
Die zweite Seite der Angelegenheit ist, daß in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Mitgliedstaaten in ihrer Währungs- und Wirtschaftspolitik trotzdem autonom sein werden.
Die Ansätze zu einer Koordinierung der Wirtschafts- und Währungspolitik innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind denkbar gering. Bei der Koordinierung der Währungspolitik ist z. B. davon die Rede, daß sie in dem für das Arbeiten des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang koordiniert werden soll. Im übrigen sind die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer sonstigen internationalen Verpflichtungen sogar zur selbständigen Feststellung der Wechselkurse befugt.
Meine Damen und Herren! Aus dieser Konstruktion - einheitliche Zollunion mit Herausnahme der Zollhoheit aus dem Bereich der Einzelstaaten und trotzdem Autonomie der Einzelstaaten für Währungs- und Wirtschaftspolitik - ergeben sich für das Vertragswerk ganz bestimmte Konsequenzen. Sie bestehen darin, daß Frankreich seine Ausfuhrbeihilfen und seine Einfuhrabgaben - die an sich ja ein Widerspruch zu einem Gemeinsamen Markt sind - beibehalten darf, und zwar praktisch ohne jede strenge zeitliche Begrenzung. Sie liegen auch darin, daß z. B. Italien besondere Sonderrechte in Anspruch nehmen darf. Und zwar muß bemerkenswerterweise die Europäische Kommission, wenn sie in einer Zahlungsbilanzkrise Italien bestimmte Auflagen machen will, dabei beachten, daß die Verwirklichung des Zehnjahresplans Italiens und die Hebung des Lebensstandards im Vordergrund zu stehen haben, während sie im übrigen bei der Vertragskonstruktion nicht im Vordergrund stehen.
Schließlich ergibt sich aus dieser Konstruktion, daß sämtlichen Staaten gewisse Ausweichmöglichkeiten zustehen, indem sie in einer Zahlungsbilanzkrise eine Beschränkung des freien Verkehrs über die Grenzen vornehmen dürfen.
Das sind alles autonome Maßnahmen der einzelnen Länder, die letzten Endes praktisch die Einheitlichkeit des Gemeinsamen Marktes aufheben.
Das ist der Widerspruch, der in diesem Vertrage liegt. Tatsächlich sind eine Zollunion und autonome Wirtschafts- und Währungspolitik der Mitgliedstaaten nicht miteinander vereinbar. Denn für die Wirtschafts- und Währungspolitik der Einzelstaaten fehlt eines der wichtigsten Instrumente, nämlich die Kontrolle des Außenhandels, so daß jeder Einzelstaat den Auswirkungen der autonomen Wirtschafts- und Währungspolitik der anderen Mitgliedstaaten ausgeliefert ist. Darum muß es Ausweicnklausem geben, die im Grunde genommen mit einem einheitlichen Wirtschaftsraum nicht vereinbar sind und die, je weiter die Entwicklung fortschreitet, an Wirksamkeit einbüßen müssen, wenn nämlich die Umstrukturierung der europäischen Wirtschaft diesen Maßnahmen ihre Wirksamkeit nimmt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier wird eine Konstruktion geschaffen, in der die einzelnen Mitgliedstaaten, denen die Autonomie der Wirtschaftspolitik verbleibt, praktisch keine wirksame Konjunkturpolitik mehr entfalten können, wahrend aie Zollunion, die die Zollhoheit besitzt, für die Konjunkturpolitik nicht zuständig ist. Damit sind insgesamt die Möglichkeiten in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu einer wirtschaitspolitischen Aktivität - sei es auf der Seite der Regierungen, sei es auf der Seite der Organe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft - denkbar gering.
Hinter dieser Konstruktion stehen bestimmte wirtschaftliche Grundauffassungen. Diese Konstruktion steht letzten Endes in Übereinstimmung mit der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung, die im Prinzip aktive Wirtschaftspolitik ablehnt und die Regulierung der Wirtschaft im wesentlichen dem Mechanismus der Zahlungsbilanzen bzw. der Notenbankpolitik überläßt.
Zwei Dinge scheinen mir sehr bezeichnend zu sein. In den Vertragsentwürfen war eine Bestimmung enthalten, dali die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine gemeinsame Wirtschaftspolitik entwickeln solle. Diese Bestimmung ist auf deutsches Drängen gestrichen worden.
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Ich habe den Eindruck, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister auf diesen Erfolg noch stolz ist. Außerdem enthielten die ursprünglichen Vertragsentwürfe eine Bestimmung, daß die Europäische Kommission und der Ministerrat eine gemeinsame Konjunkturpolitik entwickeln sollten. Auch diese Bestimmung ist auf Drängen der deutschen Bundesregierung gestrichen worden.
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Das ist jener Verzicht auf eine eigene Wirtschaftspolitik, der letzten Endes dazu geführt hat, daß in den vergangenen Jahren sowohl die wirtschaftliche Entwicklung wie auch die Preisentwicklung der Bundesregierung aus den Händen geglitten sind.
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- Meine Damen und Herren, Sie müssen mir schon gestatten, daß ich zur näheren Konkretisierung dessen, was ich bezüglich der europäischen Wirtschaftsunion sage, auf bereitliegende Beispiele aus der deutschen Innenpolitik, die für alle in Deutschland überzeugend sind, zurückgreife.
({19})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Ja.
Entschuldigen Sie, Herr Dr. Deist, aber ich muß Sie fragen: Meinen Sie wirklich ernsthaft, daß der Bundesregierung - Sie haben es gesagt - nicht nur die Preisentwicklung, sondern auch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, d. h. auch die Expansion, aus den Händen geglitten sei?
Ich hätte das nicht gesagt, wenn ich es nicht gemeint hätte.
({0})
Aber ich darf in meinen Ausführungen über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft fortfahren. Im Rahmen einer Zollunion liegt das ganze Instrumentarium der Handelspolitik bei den Organen der Gemeinschaft, d. h. eine Konjunkturpolitik mit dem Ziele der Ausweitung der Wirtschaft ist nur möglich, wenn die Zuständigkeit zur Konjunkturpolitik ebenfalls bei den Organen der Gemeinschaft liegt. Wer der Zollunion die Zuständigkeit zur Konjunkturpolitik vorenthält, verzichtet auf aktive Konjunkturpolitik und zerstört damit die Grundlagen für eine gleichmäßige Entwicklung der Wirtschaft, für eine Sicherung der Arbeitsplätze, zur Gewährleistung der Preisstabilität und zur Steigerung des Lebensstandards.
Meine Damen und Herren! Ich hätte diese Dinge nicht so stark in den Vordergrund gerückt, wenn mich nicht einige Ausführungen des Herrn Bundeswirtschaftsministers - ich kann nur sagen: hämische Bemerkungen - über das Projekt des Gemeinsamen Marktes zu der Auffassung brächten, daß die Vorstellungen, die ich soeben kennzeichnete, wirklich die Vorstellungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sind. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat am 28. Februar vor den Finanz- und Wirtschaftsministern in Bonn ausgeführt, der Primat der Politik habe sich bei den Verhandlungen über den Gemeinsamen Markt wieder einmal auf Kosten der wirtschaftlichen Überlegungen durchgesetzt. Am 10. März verglich er auf der Frühjahrsmesse in Frankfurt den Gemeinsamen Markt, wie ihn sich bestimmte Kreise vorstellten - Herr Bundeskanzler, ich habe den Eindruck, daß er damit nicht nur Sozialisten meinte -,
({1}) mit einem gepanzerten Automobil, das sich gegen alle Angriffe von außen schütze; im Innern erhalte jeder seinen Platz zugewiesen; das Auto verfüge über überdimensionale Bremsen und habe einen unterentwickelten Motor, der möglichst oft stehenbleibe.
({2})
Und am 15. März, also vor wenigen Tagen, erklärte der Herr Bundeswirtschaftsminister vor Pressevertretern in Bonn, er könne keine Begeisterung für den Vertrag heucheln; der Gemeinsame Markt sei ein volkswirtschaftlicher Unfug;
({3})
das Ergebnis sei europäische wirtschaftliche Inzucht.
Wir möchten gern wissen, ob das die Auffassung der Bundesregierung ist; denn wir sehen darin nicht nur eine Kritik an kritikbedürftigen Bestandteilen dieses Vertragswerks - diese Kritik üben auch wir, und das werde ich nachher noch tun -, sondern wir sehen darin eine Diffamierung jeder aktiven Wirtschaftspolitik und damit des sozialen Gehalts, der in diesem Vertrag enthalten sein könnte.
({4})
- Herr Professor Böhm, Sie schütteln mit dem Haupt; aber ich werde es Ihnen mit einigen Bemerkungen begründen.
In dem Vertragswerk ist ein Sozialfonds vorgesehen, aus dem für Arbeitnehmer im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten zur Überbrückung von Arbeitslosigkeit, zur Umschulung und dergleichen Beiträge geleistet werden sollen. Soweit ich weiß, war es ein Erfolg der Tätigkeit der Bundesregierung, daß die Zahlungen aus dem Sozialfonds auf ein Mindestmaß herabgedrückt wurden. In dem ursprünglichen Vertragsentwurf war ein Wirtschafts- und Sozialrat vorgesehen, ähnlich wie er sich bei der Montanunion in Gestalt des Beratenden Ausschusses bewährt hat. Dieser Beratende Ausschuß hat wichtige Beratungsfunktionen zu erfüllen und beruht auf dem Grundsatz, daß in ihm Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichberechtigt vertreten sind. Die sämtlichen übrigen fünf Länder wünschten nach unseren, ich glaube, sehr zuverlässigen Informationen eine gleiche Konstruktion für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Die Bundesregierung hat eine solche fortschrittliche Einrichtung abgelehnt.
({5})
Zur Zeit ist nur ein unbedeutender Sozialausschuß zugestanden worden, bei dem die Gleichberechtigung zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern nicht mehr anerkannt ist.
Dann eine dritte Bemerkung, die ich für sehr ernst halte. Soweit wir unterrichtet sind, hat der Herr Bundeswirtschaftsminister die Anpassung der sozialen Leistungen im Gemeinsamen Markt - ich konzediere ihm, daß das ein schwieriges Problem ist, aber es handelt sich nicht nur um diese Frage, sondern auch um die Begründung - mit der Begründung abgelehnt, das koste die deutsche Wirtschaft einige Prozent Lohnerhöhung, die sie nicht zu tragen vermöge,
({6})
({7})
und das in gleichem Augenblick, in dem die Montanunion in einer umfangreichen Untersuchung feststellte, daß im Rahmen der sechs Montanunionstaaten der Reallohn der deutschen Stahlarbeiter an vierter Stelle und der Reallohn der deutschen Bergarbeiter an fünfter Stelle stehe.
({8})
In Besprechungen auf internationaler Ebene berühren uns derartige Mitteilungen immer wieder bitter. Wir müssen ihnen entnehmen, daß die Bundesregierung bei so wichtigen internationalen Problemen und Plänen die Seite des sozialen Rückschritts vertritt.
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- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, ich habe einiges an Begründungen vorgebracht, weshalb wir zu dieser Auffassung kommen müssen.
({10})
Dann bleibt für uns die Frage offen: Welche höheren politischen Ziele stecken denn in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, wenn sie im Grunde genommen ein volkswirtschaftlicher Unfug ist und wenn die Bundesregierung in ihr kein Mittel zu starkem sozialem Fortschritt sieht? Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat uns dafür eine Andeutung gegeben. Er hat vor der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion eine Flucht in die Romantik angetreten und davon gesprochen, daß sich hier die ,,schicksalhafte Gemeinschaft Europas" dokumentiere, derselbe Bundeswirtschaftsminister, der gerade verkündete, er wolle nach den USA I fahren und den amerikanischen Romantikern einmal erzählen, welche Gefahren dieser Gemeinsame Markt in sich trage!
({11})
Nach Pressemeldungen hat der Herr Außenminister am 12. März 1957 in San Francisco davon gesprochen, daß diese Wirtschaftseinheit ein Gegengewicht gegen den Kommunismus darstelle, ja, daß sie die Niederlage des Kommunismus bedeute. Heute hat der Herr Staatssekretär Hallstein auch ähnliche Töne anklingen lassen, als er davon sprach, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sei die einzige Chance der alten europäischen Staaten, Europa im Konzert der Mächte seine alte Stellung zu wahren oder wiederzugewinnen. Mir scheint, das sind in diesem Zusammenhang unangemessene Worte, zumal ja nicht ganz unbekannt geblieben ist, daß sich die Weltgewichte im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte ein wenig verschoben haben.
({12})
Ich glaube, es sind auch falsche Töne, wenn davon gesprochen wird, es sei die letzte Chance des Überlebens und die letzte Möglichkeit der Sicherung unseres freiheitlichen Daseins. In diesen Worten, die auf eine selbstgenügsame Zusammenfassung der alten europäischen Staaten hinauslaufen, sehen wir das, was ich vorhin kennzeichnete; nämlich daß man sich in eine ideologische und in eine militärische Blockvorstellung verkrampft, die letzten Endes eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung unmöglich macht.
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Wir möchten gern wissen, ob die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wirklich nur eine Schachfigur im weltpolitischen Spiel der großen Machtblöcke ist oder ob sie ein wirksames Instrument zu fortschrittlicher wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sein soll. Wir wären bereit, einem solchen Vertrage zuzustimmen, wenn solche fortschrittlichen Chancen in ihm enthalten sind.
Damit komme ich zu einigen Einzelproblemen. Das Wesen der Zollunion besteht darin, daß sie einen gemeinsamen Außenzoll hat. Leider sind im Außenministerium und im Bundeswirtschaftsministerium bisher keine konkreten Berechnungen und infolgedessen auch keine konkreten Vorstellungen darüber vorhanden, welche Auswirkungen dieser gemeinsame Außenzoll haben könnte. Sicher ist jedenfalls, daß die Tendenz bei den Verhandlungen unter französischem Druck die war, auf ein hohes Außenhandelszollniveau hinzuwirken. Das ist mit verschiedenen Mitteln geschehen. Insbesondere war die Anwendung ,des arithmetischen Mittels für ,die Errechnung des Außenhandelszolls geeignet, den Zoll in die Höhe zu schrauben, weil ja beim arithmetischen Vergleich der geringe Umfang der französischen Einfuhr mit hohen Zöllen genauso schwer wiegt wie die hohe deutsche Einfuhr mit verhältnismäßig niedrigem Zollniveau. Schließlich sind sowohl im Falle Frankreich als auch im Falle Italien fiktive Außenhandelszölle bei Ermittlung des gemeinsamen Außenhandelszolls zugrunde gelegt worden, während tatsächlich niedrigere oder gar keine Zölle erhaben werden.
Das Ergebnis ist, daß wir teilweise beträchtliche Zollerhöhungen für mehr als 50 % der Zollpositionen erhalten werden.
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Meine Damen und Herren, das ist nicht unwichtig, wenn wir bedenken, daß Deutschland z. B. aus den Staaten des Gemeinsamen Marktes nur etwa 25 bis 30 % seiner Einfuhr bezieht, während 70 bis 75 % der Einfuhr aus ,den Staaten außerhalb des Gemeinsamen Marktes, also von dritten Staaten stammen. Unter diesen Umständen ist es sehr bedauerlich, daß die europäische Großraumwirtschaft ein protektionistisches Vorzeichen trägt.
In den Verhandlungen haben insbesondere die Niederländer gegen diese Tendenz der zu hohen Außenzölle heftigen Widerspruch erhoben. Herr Staatssekretär Hallstein hat diese Haltung der Niederländer in seinen Ausführungen auch anerkannt und hervorgehoben. Immerhin, die Teilnehmer an vielen Verhandlungen haben mit Bedauern festgestellt, daß die deutschen Unterhändler zwar in gelegentlichen privaten Gesprächen die Niederländer zur Aufrechterhaltung ihres Widerstandes aufgefordert haben, daß sie ihnen aber in den offiziellen Verhandlungen nicht mit dem gleichen Nachdruck beigetreten sind.
({15})
Das ist für ein Land, das auf freie Handelsbeziehungen mit dem Ausland Wert legt, außerordentlich bedauerlich.
Aus dieser unangemessenen Erhöhung des Außenhandelszollniveaus ergeben sich für Deutschland wesentliche Konsequenzen. Außerhalb des Bereichs des Gemeinsamen Marktes bleiben wichtige und große Fertigwarenkunden. Außerhalb des Breichs des Gemeinsamen Marktes bleiben außer Großbritannien insbesondere die drei nordischen Staaten, die Schweiz und Österreich, Staaten, die
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mehr als 25 % unserer Fertigwarenausfuhr beziehen, also mehr als die Staaten des Gemeinsamen Marktes insgesamt, und die ein niedrigeres Zollniveau haben. Es steht zu befürchten, daß diese Staaten sich die Diskriminierung nicht lange gefallen lassen werden, die darin liegt, daß wir die Einfuhr von ihnen mit hohen Zöllen belegen, während aus den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Ware ohne jede Zollbelastung hereinkommt. Ich hoffe sehr, daß dieser Druck in den weiteren Verhandlungen zu einer Senkung des überhöhten Außenhandelszollniveaus führt.
Darüber hinaus hat dieses hohe Zollniveau auch für die innerdeutsche Wirtschaft Auswirkungen. Ich glaube, ich sage nicht zuviel, wenn ich bemerke, daß sich daraus nicht unerhebliche Belastungen für Verbraucher in Deutschland ergeben werden. Ich habe den Eindruck, daß sich diese Formulierung nur im Akzent von der Formulierung des Herrn Staatssekretärs unterscheidet, der nämlich sagte, daß sich keine erhebliche Verteuerung der Lebenshaltung für Deutschland ergäbe. Es scheint festzustehen, daß dieses hohe Zollniveau jedenfalls zur Erhöhung der Ausgaben für die Lebenshaltung und damit zu einer Beeinträchtigung des Lebensstandards in Deutschland führen muß. Die Ursache solcher Folgewirkungen ist die Tatsache, ,daß sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf sechs Staaten beschränkt, in denen starke Tendenzen zu hohen Schutzzöllen vorhanden sind, die darüber hinaus die Gefahr der Blockbildung und der Abschließung gegenüber dem übrigen Weltmarkt mit sich bringen.
Wir haben es darum mit allen anderen begrüßt, daß Großbritannien den Vorschlag gemacht hat, diese Zollunion mit einer großen Freihandelszone möglichst aller Länder des Raumes der OEEC zu verbinden. Wir halten die Frage dieser Freihandelszone für ein entscheidendes Problem; denn nach Errichtung der Freihandelszone - wenn ihr alle Staaten der OEEC angehörten - würden etwa 70% unserer gesamten Einfuhr aus diesem inneren Raum kommen, so daß nur noch 30 % dem Verkehr mit dritten Staaten und damit dem Außenhandelszoll unterworfen wären.
Wir halten diese Frage für entscheidend. Wir begrüßen es, daß sich Herr Staatssekretär Hallstein auch an dieser Stelle positiv geäußert hat. Wir möchten sehr wünschen, daß die Bundesregierung bereit ist, auch gewisse Opfer zu bringen, gewisse Bestimmungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anzupassen und vielleicht doch auf die eine oderandere liebgewordene Vorstellung zu verzichten; denn die Verbindung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit einer größeren Freihandelszone ist mehr als eine Messe wert.
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Damit komme ich zu einem weiteren wichtigen Problem, dem Interzonenhandel. Ich glaube, man sollte sich nicht verhehlen, daß jede Zollunion - das ist ihr Sinn und ihr Zweck - zu einer engeren Zusammenarbeit, damit zu einer Veränderung der inneren Struktur und mit der Zeit zu einer gewissen Abschließung ,gegenüber den nicht zur Zollunion gehörenden Staaten führt. Die innere Geschlossenheit, die die Zollunion gewinnt, wird durch die Gefahr der Abschließung nach außen kompensiert.
Im Hinblick auf die Frage ,des innerdeutschen Verkehrs messen wir diesem Problem zur Zeit
keine entscheidende Bedeutung bei. Der langfristige Prozeß der Schaffung des Gemeinsamen Marktes, der sich über 12 bis 15 Jahre hinziehen wird, wird jedenfalls in den ersten Jahren keine entscheidenden Schwierigkeiten bereiten. Aber die Voraussetzung für eine Bejahung der Zollunion und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist, daß die Zonengrenze nicht zur Zollgrenze wird,
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daß der innerdeutsche Handel nicht den geringsten Beschränkungen unterworfen wird.
Ich bedaure, den Argumentationen des Herrn Staatssekretärs auf diesem Gebiet nicht folgen zu können. Ich bin der Auffassung, daß die bisher vorliegenden Formulierungen keineswegs als ausreichend angesehen werden können. Dort heißt es nämlich, daß es für die Inkraftsetzung des Vertrags weder einer Änderung der gegenwärtigen Vorschriften für den innerdeutschen Handel noch einer Änderung des gegenwärtigen Status dieses Handels bedarf. Meine Damen und Herren, für uns ist nicht entscheidend, ob es zur Inkraftsetzung des Vertrags irgendwelcher Veränderungen des gegenwärtigen Zustandes bedarf, sondern für uns ist entscheidend, daß nach Inkrafttreten des Vertrages keinerlei Beschränkungen für eine freie Entwicklung des Interzonenverkehrs in der Zukunft gegeben sein dürfen.
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Bedenken, Herr Staatssekretär, ergeben sich auch aus dem Absatz 2 des Protokolls über den Interzonenhandel. Dort sind nämlich der deutschen Bundesregierung bestimmte Verpflichtungen hinsichtlich der Gestaltung des Interzonenhandels auferlegt worden. Die Maßnahmen der Bundesregierung dürfen danach den Interessen des Gemeinsamen Marktes nicht widersprechen oder die Interessen anderer Teilnehmerstaaten wesentlich beeinflussen. Das heißt, diesen anderen Staaten steht ein Urteil über die Angemessenheit der deutschen Maßnahmen im innerdeutschen Handelsverkehr zu. Dadurch besteht die Gefahr, daß darüber unter Umständen der Gerichtshof zu entscheiden hat. Ganz gleich, wie die juristische Auslegung sein mag, die Tatsache, daß verschiedene Auslegungen möglich sind, zwingt uns zu der Forderung, hier eine unzweideutige vertragliche Klarstellung zu treffen, aus ,der sich ergibt, daß die Entwicklung des innerdeutschen Handelsverkehrs, sowohl was seine Formen als auch was seinen Umfang anlangt, in der Bundesrepublik völlig frei ist und keinerlei Beschränkungen durch die Partner an dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder von seiten der Organe der Gemeinschaft unterworfen sein darf. Die Entscheidung über diese Frage wird für uns von grundlegender Bedeutung für unsere Haltung zu dem Vertragswerk sein.
Lassen Sie mich nun noch einige Bemerkungen zu den überseeischen Gebieten machen. Ich möchte dazu zunächst zwei Feststellungen vorwegnehmen, über die meines Erachtens keine Diskussion stattzufinden braucht. Im Grunde genommen handelt es sich bei den überseeischen Gebieten um die französischen Einflußgebiete in Nord- und Mittelafrika. Wir wissen, daß Nordafrika durch seine Handelsbeziehungen, wegen seines Rohstoffreichtums und wegen seiner geographischen Lage für eine europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung ist. Auf lange Sicht würden wir wünschen, daß, wenn die Europäische
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Wirtschaftsgemeinschaft einmal Wirklichkeit geworden ist. Nordafrika ein wesentlicher Bestandteil dieser Gemeinschaft sei, wenn die betroffenen Völker dies wünschen. Wir sind nämlich generell der Auffassung, den Rahmen dieser Wirtschaftsgemeinschaft so weit wie nur denkbar zu spannen.
Wir sind weiter mit Ihnen der Auffassung, daß das Schicksal dieser überseeischen Staaten den Industriestaaten Europas, insbesondere auch Deutschland, nicht gleichgültig sein kann. Ich darf daran erinnern, daß es meine Fraktion war, die zum ersten Male im vergangenen Jahre in diesem Bundestag beantragt hat, einen Betrag von 50 Millionen DM als Hilfe für unterentwickelte Gebiete in den Haushalt einzusetzen. Ich entsinne mich noch, daß seinerzeit dieser Betrag auf gewisse Bedenken in den Reihen der Koalition gestoßen ist. Heute unterliegt ein Betrag von 800 Millionen DM für fünf Jahre - das ist im Durchschnitt für ein Jahr ein Betrag von 170 Millionen DM - für den begrenzten Bereich von Nordafrika offensichtlich keinen entsprechenden Bedenken.
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Wir sind unter drei Voraussetzungen auch bereit, schwere wirtschaftliche Opfer zu bringen, nämlich einmal unter der Voraussetzung, daß die betroffenen Völker eine solche Stützung als Wohltat und nicht als Mittel der Ausbeutung betrachten,
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weiter unter der Voraussetzung, daß eine solche Stützung ein echter und wirksamer Beitrag zur Entwicklung der Selbstbestimmung dieser Völker ist, und drittens unter der Voraussetzung, daß die wichtigen und großen Entwicklungsländer in anderen Bereichen der Welt, an denen die europäischen Staaten ebenfalls ein Interesse haben, durch diese Hilfe innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht unangemessen benachteiligt werden.
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Aber das Problem, um das es sich jedenfalls für uns handelt, ist ein ganz anderes. Praktisch ist doch die Situation so - wir sollten davor die Augen nicht verschließen -, daß die nordafrikanischen Staaten in einer großen Bewegung, zum Teil in Aufruhr gegen ihr Mutterland, nämlich Frankreich, stehen. Wir wissen, daß das eine außerordentlich schwierige Situation für Frankreich ist, die uns manchmal ausweglos erscheinen will. Wir sind weit davon entfernt, hämisch auf diese Entwicklung herabzublicken. Aber wir sollten doch auch nicht vergessen, daß die Entwicklung in Nordafrika Bestandteil einer weltumspannenden Bewegung ist, die den ganzen asiatischen, australischen und afrikanischen Kontinent erfaßt hat, einer Bewegung, die zur Lösung von jeder Art von Kolonialherrschaft und zur politischen Selbstbestimmung dieser Völker strebt.
Die entscheidende Frage ist doch wohl, ob die unterentwickelten Staaten, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, diesen Weg an der Seite der freien Völker des Westens oder an der Seite kommunistischer Regierungen gehen. Der Ausgang dieses Prozesses ist entscheidend davon abhängig, ob die Großstaaten mit Kolonialbesitz einen Weg finden, um die Entwicklung dieser Völker zur Freiheit in Freundschaft zu fördern -und nicht als Unterdrücker aufstrebender Völker in Erscheinung zu treten -, und ob es all den Völkern, die durch ein gütiges Schicksal davor bewahrt wurden, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in die Kolonialpolitik einbezogen zu werden, gelingt, sich in Zukunft von jeder Belastung und Identifizierung mit dieser Kolonialpolitik frei zu halten.
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Mir scheint, daß die Völker ohne Kolonialbeteiligung und ohne Kolonialbelastung hier eine große weltpolitische Aufgabe haben.
Wenn ich mir nun die Konstruktion der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ansehe, stelle ich folgendes fest. Ungeachtet von Einschränkungen und Vorbehalten, die in diesem Vertrag ja reichlich vorhanden sind, werden die überseeischen Gebiete tatsächlich zwangsweise in den Gemeinsamen Markt eingeschlossen. Sie werden Mitglieder der Zollunion, in ihnen besteht ein Niederlassungsrecht für die Bewohner der sechs Staaten, die Organe der Gemeinschaft sind für diese Gebiete zuständig, und die Infrastruktur dieser Länder wird aus dem Entwicklungsfonds gespeist, den die beteiligten europäischen Staaten aufbringen. Die Folge dieser Konstruktion kann doch nur sein, daß die Verhandlungen über den Zollabbau - die nicht einfach sein werden - bzw. die Anpassung des Zollniveaus der überseeischen Gebiete auch unter Beteiligung von Deutschen vor sich geht, die innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft tätig sein werden. Die Folge wird doch sein, daß sich deutsche Firmen in jenen Gebieten niederlassen und an der Erschließung beteiligen. Für manche dieser Länder wird das - in ihren Augen - gleichbedeutend sein mit Ausbeutung. Ferner ist doch nicht zu vermeiden, daß an den Voruntersuchungen, an den Verhandlungen und an den Entscheidungen über Investitionsmaßnahmen ebenfalls Deutsche beteiligt sind und daß die ganze soziale und wirtschaftliche Infrastruktur unter Beteiligung deutscher Sachverständiger entwickelt wird.
Ich halte es für eine sehr unglückliche Sache, daß z. B. bereits am 15. März eine vom Herrn Bundeswirtschaftsminister zusammengestellte Kommission von deutschen Industriellen auf Einladung der französischen Regierung in diese Kolonialgebiete gefahren ist, - als wenn wir nicht schnell genug beweisen könnten, daß wir Partner dieser französischen Kolonialpolitik sind!
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Ich halte das für eine gefährliche Entwicklung. Solange Frankreich keine Lösung des schwierigen nordafrikanischen Problems findet, wird alle Tätigkeit, die in diesen Gebieten entfaltet wird, als Beitrag zur Festigung der Kolonialherrschaft angesehen werden; ob das richtig ist oder nicht, ist dabei völlig gleichgültig.
Der Herr Staatssekretär Hallstein hat geglaubt, die Schwierigkeiten seien doch wohl zum Teil dadurch behoben - das steht im Bulletin vom 16. März -, daß der einheimischen Bevölkerung hei der Auswahl der Investitionsobjekte ein volles Mitbestimmungsrecht eingeräumt würde. Heute hat sich der Herr Staatssekretär zwar nicht ganz so prononciert, aber doch in ähnlicher Richtung geäußert. ich glaube, man soll die Dinge sehen, wie sie sind. Die Behauptung des Herrn Staatssekretärs ist in dieser Form zweifellos nicht zutreffend. Sie wird schon durch die Fassung der Konvention widerlegt, die nämlich in Artikel 2 besagt, daß die
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Investitionsentscheidung im Einvernehmen mit den örtlichen Behörden oder der Vertretung der Bevölkerung des betreffenden Landes gefällt werden soll. Das ist schon eine viel vorsichtigere Formulierung. Wir alle kennen die Beschlüsse des französischen Parlaments, durch die eine gewisse regionale oder lokale Selbstverwaltung in den nordafrikanischen Gebieten eingeführt wird. Das ist sicherlich ein entscheidender Fortschritt. Aber diese lokalen Einrichtungen sind doch nicht das, was wir als ein volles Mitbestimmungsrecht bezeichnen könnten.
Meine Damen und Herren, bei dieser Konstruktion, die uns mit diesem Vertragswerk vorgelegt wird, könnte folgende Situation eintreten. Wir wissen - und wir bedauern das -, daß sich Frankreich, obwohl Mitglied der Euratomgemeinschaft, das Recht vorbehalten hat, Atomwaffen herzustellen. Es könnte sein, daß sich die europäische Zusammenarbeit in Nordafrika dadurch dokumentiert, daß Frankreich in der Sahara Atombombenversuche unternimmt, während nicht unweit durch deutsche Firmen und mit deutschen finanziellen Zuschüssen die sogenannte Infrastruktur Nordafrikas aufgebaut wird. Diese Möglichkeit sollten wir sehen, wenn wir uns mit diesem Vertrage befassen. Diese Regelung, die in dem Vertragswerk bezüglich der überseeischen Gebiete vorgesehen ist, ist weder im deutschen noch im europäischen und auch nicht im Interesse einer gesunden Entwicklung der gesamten Welt tragbar. Dieses Problem muß anders gelöst werden. Die Partner der europäischen Gemeinschaft müssen alles vermeiden, was sie mit dem Odium einer überholten Kolonialpolitik belasten würde. Auch die endgültige Lösung dieses Problems wird für unsere Haltung von wesentlicher Bedeutung sein.
Ich darf unsere Stellungnahme wie folgt zusammenfassen. Wir begrüßen eine Ausdehnung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit über Kohle und Stahl hinaus. Wir befürworten die Entwicklung einer echten europäischen Wirtschaftseinheit, die mit möglichst vielen europäischen Staaten in freiem wirtschaftlichem Verkehr, möglichst im Rahmen einer Freihandelszone, steht. Wir sehen darin große Möglichkeiten für eine fortschrittliche wirtschaftliche Entwicklung. Wenn das vorliegende Vertragswerk über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft solche Möglichkeiten in entwicklungsfähigem Ausmaße gibt, dann werden wir einer solchen Vertragsregelung zustimmen. Es liegt aber an Ihnen, die Bedenken - und ich weiß, daß ein großer Teil der Bedenken auch in Ihren Kreisen geteilt wird -, die ich hier vorgetragen habe, aus dem Wege zu räumen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß mir diese Debatte die Möglichkeit gibt, vor der deutschen und vor der internationalen Öffentlichkeit folgendes mit aller Klarheit auszusprechen.
Es hat in Europa in den letzten neun Jahren wohl kaum einen Staatsmann gegeben, der auf dem wirtschaftlichen Felde so konsequent eine europäische Politik eingeleitet und fortgeführt hat, wie ich das für mich in Anspruch nehme.
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Deutschland war das erste Land, und zwar in einer fast ausweglosen Situation, das den Weg der Liberalisierung gegangen ist und das in allen europäischen Gremien, sei es bei der OEEC oder bei der Zahlungsunion, beim GATT oder beim Währungsfonds immer in der Richtung umfassenderer Freiheiten operiert hat. Deutschland war von Anbeginn an bemüht, den Protektionismus zwischen den einzelnen Ländern niederzulegen und den Geist des nationalistischen Egoismus zu überwinden. Wir haben im internationalen Waren-, Dienstleistungswie auch im Geld- und Kapitalverkehr immer größere Freiheiten gesetzt; wir sind in Europa vorangegangen. Aus diesem Grunde kann ich mich füglich mit reinem Gewissen und mit freier Stirne als einen Bekenner Europas ¡bezeichnen.
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Das schließt allerdings nicht aus, daß man an manchem Projekt und an manchen Plänen allenthalben .auch einmal die kritische Sonde anlegt. Es ist aber eine Sache noch nicht geheiligt, wenn sie das Adjektiv „europäisch" trägt.
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So war es meiner Ansicht nach für mich als Wirtschaftsminister eine Pflicht, ,auch dieses Vertragswerk vor allen Dingen auf seinen volkswirtschaftlichen Inhalt hin zu prüfen. Das habe sich getan, und ich babe auch freimütig vor der Öffentlichkeit meine Meinung dazu gesagt.
Das ist ganz sicher: Wenn ich den Vertrag zum Gemeinsamen Markt nur vom ökonomischen Standpunkt aus zu prüfen hätte, müßte ich vorher fragen, ob denn die bisherigen Anstrengungen zur Zusammenfügung der Länder Europas nicht schon so große Erfolge gezeitigt hätten, daß man vielleicht auf eine besondere Konstruktion hätte verzichten können. Es ist unbestreitbar, daß im Rahmen der OEEC und der EZU überraschend große Erfolge erzielt worden sind, nicht nur was die Steigerung des Handelsvolumens, sondern auch was die Methoden und die Qualität der Zusammenarbeit anlangt.
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haben innerhalb der OEEC die Diskriminierungen beseitigt, den Protektionismus überwunden, die Liberalisierung auf eine hohe Stufe gebracht, wir haben das multilaterale System der Verrechnungaufgebaut. Kurz und gut: Innerhalb der OEEC war die europäische Zusammenarbeit in gutem Fluß und in stetem Fortschreiten. Aber damit ist die Problematik des vorliegenden Vertrags nicht erschöpft. Es ist ja auch deutlich zum Ausdruck gekommen - sowohl in den Ausführungen von Herrn Staatssekretär Hallstein wie auch in den Ihren, Herr Dr. Deist -, daß ein Vertrag über eine Europäische Gemeinschaft auch politische Aspekte hat; ja, ich bin der Meinung, daß diese sogar obenan stehen, daß sie zumindest von den anderen nicht zu trennen sind. Das ist auch der Grund, warum ich in Abwägung aller Gesichtspunkte und in Würdigung aller positiven oder meinetwegen sogar negativen Elemente eindeutig zu dem Schluß gekommen bin, daß dieser Vertrag die Zustimmung dieses Hohen Hauses und die Anerkennung der europäischen Völker finden sollte.
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Zu dieser Überzeugung stehe ich auch heute, und ich werde das im einzelnen noch begründen.
Um mir aber nicht vorwerfen zu lassen, daß ich hier irgend etwas verschweigen wollte, was ich draußen in der Öffentlichkeit gesagt habe, möchte ich meine kritischen Anmerkungen wiederholen. Damit beleuchte ich noch einmal, daß das Eigentliche, was meine Aussetzungen ausmachen, nicht eine Kritik gegenüber der europäischen Idee, nichtetwa ein Zurückweichen vor einer europäischen Konstruktion bedeutet, sondern daß meine Bedenken umgekehrt von der Sorge getragen sind, ob die Bestimmungen des Vertrages geeignet sind, rasch und wirksam genug das gesteckte Ziel zu erreichen.
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Nicht als ein schlechter Europäer bin ich also an den Vertrag herangegangen, sondern, wie ich glaube, als ein besonders guter Europäer.
Wenn ich glaubte und noch immer glaube, daß man das Ziel rascher erreichen könnte, dann mag der Politiker vielleicht meinen, das sei illusionistisch. Aber man kann mir auf keinen Fall vorwerfen, daß ich meine Kritik aus mangelnder europäischer Gesinnung geübt habe.
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Der Gemeinsame Markt, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft scheint mir vor allem deshalb notwendig zu sein, um fernab von weiterreichenden Zielen - etwa. dem einer europäischen Konföderation - bei den europäischen Völkern zunächst einmal idas Bewußtsein einer unlöslichen Schick» salsgemeinschaft zu wecken, ihnen ihre gemeinsame Zukunft vor Augen zu führen und vor :allem in der europäischen Jugend eine Gläubigkei t zu erwecken, daß ein glücklicheres Europa im Werden ist. Und dazu sagte ich, ,daß ein Vertrag, der das alles - zuerst nur auf der ökonomischen Ebene - erst in 12 bis 15 Jahren erreicht, ,die Geister vielleicht nicht bewegen und entzünden könne. Ich hätte also gewünscht, daß der Prozeßschneller vor sich ginge, daß man die Etappen kürzer gesetzt hätte. Da ich in Deutschland in bezug auf wirtschaftlichen Aufbau immerhin einige Erfahrungen habe, wie man sich selbst aus der schlimmsten Situation relativ rasch befreien kann, war ich der Meinung, daß auch jene Länder, 'die heute aus subjektiv begreiflichen Gründen zögern, den Weg etwas schneller hätten durcheilen sollen, - wahrscheinlich zu ihrem eigenen Glück. Das war also einer der Punkte dies Viertrages, die ich kritisch beleuchtet habe.
Das andere Argument wurzelt eigentlich in der gleichen Haltung. Ich sagte und wiederhole es hier: In diesem Vertrag ist ebenso viel von der Angst vor dem Wettbewerb oder von der Furcht, in den Gemeinsamen Markt einzugehen, .erkennbar, als er Bestimmungen enthält, die diesen Gemeinsamen Markt erreichen oder 'erzwingen wollen. Er atmet auf der einen Seite ,die Sorge, was ida alles passieren kann, wenn der Gemeinsame Markt Wirklichkeit wird, und auf der anderen Seite setzt er selbstverständlich die Verpflichtung, allerdings recht. behutsam, in den Gemeinsamen Markt einzugehen. Nach dieser Richtung scheint er mir etwas perfektionistisch zu sein, weil man natürlich nicht alles voraussehen kann, was sich in 15 Jahren ereignen mag. Ja, man hat eigentlich nur voraussehen wollen, was sich nach der negativen Seite hin ereignen
könnte. Es ist nun in idem Vertrag zu wenig Dynamik und zu wenig Überzeugung zu spüren, daß sich die Dinge, wenn wir diesen Weg gehen, sehr viel positiver und fruchtbarer entfalten werden, als das aus dem zaghaften Geist, aus den Buchstaben dies Vertragswerkes ersichtlich wird. Aus diesem Grunde bedaure ich, daß so viele Ausweichklauseln bzw. Ausweichmöglichkeiten in diesem Vertrag enthalten sind und daß er nicht mehr europäische Gläubigkeit setzt.
Dann kommt natürlich hinzu, daß jede Zusammenfassung von einer Reihe von Ländern - hier also von jenen sechs Ländern, die schon in der Montanunion eine erste Verankerung gefunden haben - naturgemäß und ohne es zu wollen, einen gewissen Kontrast nach außen setzt und damit allzuleicht die Gefahr heraufbeschwört, daß sich andere europäische Länder, die auch zu dem freien Europa gehören, diskriminiert fühlen. Diese Sorge ist uns ja allenthalben begegnet. Aus diesem Grunde begrüße ich es besonders, daß hier ausdrücklich erklärt wurde, wie wichtig es ist, neben der Schaffung dieses Gemeinsamen Marktes gleichzeitig möglichst schnell auch zu der Konstruktion einer Freihandelszone hinzufinden, weil damit die Gefahr einer Diskriminierung, oder wäre es auch nur das Gefühl einer Diskriminierung, von den übrigen europäischen Ländern genommen wird. Im übrigen ist natürlich das eine mit dem anderen zwangsläufig verbunden. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: auch ich hätte keinen Vertrag machen können, der zwischen jenen sechs Ländern, wenn auch stufenweise, völlige Zollfreiheit setzt, ohne nach außen - das ist das innerste Wesen einer Zollunion - einen gemeinsamen Zolltarif aufzubauen. Es kommt eben nur darauf an, wie hoch dieser Zolltarif dann ist. Ich glaube, da bin ich mit Ihnen, Herr Dr. Deist, einig, aber wohl auch mit allen Persönlichkeiten, die den Vertrag im einzelnen gestaltet haben; d. h. der gemeinsame Zoll darf kein Hochschutzzoll sein.
Ich hätte es auch gerne gesehen, wenn der Vertrag eine Bestimmung enthalten hätte, die besagt, daß in dem gleichen Rhythmus, in dem die Zölle zwischen den sechs Mitgliedstaaten gesenkt werden, zugleich oder doch von der ersten Übergangsperiode an auch eine Senkung der Zölle nach außen, d. h. gegenüber dritten Ländern, Platz greifen müsse. Wir haben diesen Grundsatz aber immerhin in Art. 110 zum Postulat erhoben, in dem es heißt:
Durch die Schaffung einer Zollunion beabsichtigen die Mitgliedstaaten, im gemeinsamen Interesse zur harmonischen Entwicklung des Welthandels, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Warenverkehr und zum Abbau der Zollschranken beizutragen.
Dort ist also mindestens der Grundsatz verankert, wenn er auch nicht in Zahlen der Relationen Ausdruck gefunden hat.
Die Gefahr, daß eine Diskriminierung Platz greifen könnte, wird natürlich um so größer, je mehr die Zölle zwischen den sechs Ländern in der vorgesehenen Stufenfolge abgebaut werden.
Darum insbesondere sind wir alle für die Schaffung einer Freihandelszone eingetreten. Aus der Wirtschaftsgemeinschaft kann die Gefahr erwachsen - und dem habe ich Ausdruck gegeben -, daß sich zwischen den sechs Ländern ein besonderer,
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ein bedenklicher Geist entwickelt, der zwar nach innen Freiheit setzt und setzen muß, der aber bemüht ist, sich nach außen abzuschirmen. Das habe ich unter der Gefahr einer möglichen europäischen Inzucht verstanden. Sie wird indessen wesentlich gemindert und schließlich behoben, wenn es uns gelingt, das System der Freihandelszone zu errichten.
Was die Assoziierung der Überseegebiete anlangt, so möchte ich eine politische Betrachtung hier außer acht lassen. Selbstverständlich ist damit - wieder aus dem System heraus - die Schaffung einer Art von Präferenzsystem notwendig geworden, und es wird sehr darauf ankommen, in welchem Geist man diese Ordnung handhabt. Daß es nicht gerade ein Vorteil ist, wenn wir die freie Welt noch einmal in Großräume auf teilen und ein Präferenzsystem europäisch-afrikanischer Konvenienz schaffen, bedarf wohl keiner besonderen Unterstreichung. Die möglichen handelspolitischen Schäden sind unverkennbar. Aber auch diese Gefahr kann auf ein Minimum herabgedrückt werden, wenn auch innerhalb dieses umfassenderen Raums eine möglichst liberale Politik getrieben wird, die kein fühlbares Gefälle auftreten läßt.
Im ganzen ist noch folgendes zu sagen. Jedes Land, das einen solchen Vertrag unterzeichnet, muß selbstverständlich auch von einem ganz bestimmten Wollen erfüllt sein und ein ganz bestimmtes Verhalten in seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik an den Tag legen. Wir haben eine „Koordinierung" der Wirtschaftspolitik deshalb gewünscht - ich sage das, weil es Herr Dr. Deist beanstandete -, weil eine gemeinsame, d. h. einheitliche Wirtschaftspolitik meiner Ansicht nach überhaupt erst dann möglich wäre, wenn diese sechs Länder auch schon zu einer gemeinsamen politischen Form hingefunden hätten oder wenn, wie es Staatssekretär Hallstein vorgetragen hat, bereits eine echte parlamentarische Verantwortung für die Entscheidungen dieser europäischen Gemeinschaft gegeben wäre. So lange kann es sich tatsächlich nur um eine „Koordinierung" der Wirtschaftspolitik handeln. Das gilt vor allem auch deshalb, weil, wie wir alle wissen, die wirtschafts-, finanz- und währungspolitischen Prinzipien in den einzelnen Ländern zunächst durchaus nicht gleichartig sind, sondern sogar sehr erhebliche Unterschiede aufweisen.
Die mangelnde intervalutare Ordnung nicht nur zwischen den sechs Ländern, sondern leider auf weltweiter Grundlage kann man selbstverständlich auch nicht durch eine Vielzahl von Paragraphen ersetzen. Das ist ein Problem, das nicht insonderheit den Gemeinsamen Markt auszeichnet, sondern die ganze freie Welt und ihre Ordnung angeht. Dieses Problem ist also letzten Endes auch nicht innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu lösen, wenn durch ihn auch manches Übel geheilt werden könnte.
Aus diesem Grunde bin ich hier auch völlig anderer Meinung als Sie, Herr Dr. Deist. Sie meinten, eine ausgeglichene Zahlungsbilanz sei in unserer Zeit nicht mehr der rechte Ordnungsmaßstab, nicht mehr das rechte Ordnungsprinzip, sondern es müßten durch eine „aktive Wirtschaftspolitik" ein wirtschaftliches Gleichgewicht, Preisstabilität, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Sicherung des Lebensstandards erstrebt werden. Ja, diese Forderungen können unter Umständen sehr gegensätzlich in sich selbst werden, wenn Sie alles zugleich mittels einer aktiven Wirtschaftspolitik erreichen wollen, die nicht auf eine ausgeglichene Zahlungsbilanz, auf eine gleichgewichtige wirtschaftliche Ordnung hintendiert. Was dabei herauskommt, ist mit absoluter Sicherheit Dirigismus, so wie alle Länder dirigistische Maßnahmen ergreifen müssen, deren Währung nach außen nicht gesund und im Gleichgewicht ist.
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Eine meiner kritischen Anmerkungen zum Vertrag war weiter, daß hierin von „Zahlungsbilanzkrisen" gesprochen wird und daß Zahlungsbilanzkrisen automatisch die Möglichkeit eröffnen, Schutzklauseln zur Anwendung zu bringen. Meine Damen und Herren, Zahlungsbilanzkrisen fallen nicht vom Himmel, sondern sie erwachsen aus dem Verhalten der nationalen Volkswirtschaften. Deshalb müßte in einem solchen Vertrag nach meiner Ansicht mehr Bestimmtheit, mehr Kraft auf die Einhaltung gesunder Prinzipien gelegt werden als auf die Möglichkeit, diesen gesunden Prinzipien entweichen zu können und Schutzklauseln dafür in Anspruch nehmen zu dürfen.
Das ist eigentlich das Kernstück meiner Kritik. Aber ich füge gleich hinzu: Ein solcher Vertrag ist ein Kompromiß zwischen sechs Ländern. Ich hätte mir beileibe auch nicht eingebildet, daß ich es zuwege gebracht hätte, alles durchzusetzen, was ich aus der Vorstellung einer idealen Norm heraus an volkswirtschaftlichen Einsichten hätte verwirklicht sehen wollen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Im übrigen verwahre ich mich aber - und da spreche ich für die ganze Bundesregierung - gegen den Vorwurf, daß wir bei internationalen Verträgen sozusagen immer eine Politik des sozialen Rückschritts betrieben. Das ist einfach nicht wahr. Das ist eine Verleumdung; ich kann es nicht anders bezeichnen.
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Der Sozialrat ist in diesem Vertrag als ein beratendes Gremium enthalten, und mehr kann er auch nicht sein. Im übrigen würde meiner Ansicht nach ein Sozialrat seine Funktion - auch nur eine beratende Funktion - nur dann recht erfüllen können, wenn er nicht etwa nur paritätisch aus den Sozialpartnern zusammengesetzt wäre, sondern wenn er alle Volkskreise einschlösse. Denn es gibt in jeder Volkswirtschaft nicht nur Ange- hörige der beiden Sozialpartner, sondern auch noch sehr viele andere Volkskreise wie die freien Berufe, die Rentner; diese gehören dazu.
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Wenn Sie einem Sozialrat weitergehende Vollmachten geben wollten und das für richtig hielten, müßten Sie ein frei gewähltes Parlament setzen; das wäre dann echte Demokratie.
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Ich darf noch einen anderen Punkt erwähnen; aber ich glaube, Herr Deist, das war nur ein Irrtum Ihrerseits. Die Zölle nach außen sind keine gewogenen Zölle, die zu der Menge der Einfuhr in Beziehung stehen; die Zollsätze wurden einfach addiert und dividiert. Es ist also ein reines
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Ich glaube also, ganz deutlich gemacht zu haben, wo ich stehe und daß meine Kritik, wo immer ich sie geübt habe, nicht etwa als eine Flucht aus Europa, als eine Angst vor Europa gedeutet werden kann und nicht etwa von einem deutschen wirtschaftspolitischen Egoismus getragen war, sondern umgekehrt: von der Sehnsucht und dem Verlangen - so wie ich seit neun Jahren praktisch gehandelt habe -, dieses Europa schneller und wirksamer zu bauen und möglichst schnell auf eine gesunde freiheitliche Grundlage zu stellen.
Ich habe nicht von Romantikern gesprochen, sondern ich habe gesagt, es sei eine romantische Vorstellung, zu glauben, daß jeder Vertrag, gleichgültig wie er auch aussehe, dieses Ziel - und im Ziel sind wir uns ganz bestimmt einig - erreichen würde.
Es wird meiner Ansicht nach darauf ankommen - und diese Frage wird die Regierung und dieses Hohe Haus noch zu beschäftigen haben -, daß dieser Vertrag im rechten Geiste, aus der gemeinsamen Verantwortung heraus gehandhabt wird. Wenn Sie nur die Paragraphen nehmen, dann liegen das Gute und das Böse nahe beieinander. Man kann aus einem solchen Vertragswerk dieses oder jenes machen. Aber wenn wir ein freiheitliches Europa bauen wollen - und dieser Wille steht am Anfang -, wird es darauf ankommen, daß die richtigen Menschen mit der richtigen Haltung an dieses Vertragswerk herangehen.
Noch eine Schlußbemerkung, meine Damen und Herren. Wenn ich, der ich, wie gesagt, manche Kritik geübt habe - und ich habe hier nichts von meiner Kritik verschwiegen, ich habe die einzelnen Punkte dieser Kritik hier vor diesem Kreise lückenlos aufgezählt, um deutlich zu machen, was mich zu dieser Kritik bewogen hat -, trotzdem, weil ich zu der Idee des Gemeinsamen Marktes stehe und weil ich vor allen Dingen zutiefst davon überzeugt bin, daß es unser Schicksal ausmacht, auch politisch zusammenzufinden, - wenn ich also trotz mancher kritischen volkswirtschaftlichen Anmerkungen ja sage, dann gilt dieses Bekenntnis, dieses Ja mehr als die Zustimmung von irgendeinem, der sich nicht diese Sorge und so viele Gedanken um das Zustandekommen dieses Vertrages gemacht hat.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Furler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht die wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Herrn Dr. Deist ,und dem Herrn Bundeswirtschaftsminister fortsetzen; das wird für meine Fraktion nachher mein Freund Dr. Hellwig tun. Ich mußaber doch, bevor ich mich einigen politischen Grundproblemen zuwende, Bemerkungen zu einleitenden Ausführungen des Herrn Dr. D eis t machen, die miteiner Grundfrage in der Bewertung unserer europäischen Politik zusammenhängen.
Herr Dr. Deist meinte, die Montanunion habe ihre Aufgabe nicht erfüllt. Er meinte auch - wenn ich ihn recht verstanden habe -, die jetzt so verspätet vorgelegten Verträge, also die Verträge übereine Erweiterung der Gemeinschaft auf die gesamte Wirtschaft,stellten so eine gewisse Rechtfertigung der Politik der SPD gegenüber der Entstehung der Montanunion dar. Da muß ich doch erwidern, daß ich diese Rechtfertigung nicht begreife und sie auch nicht billigen kann. Sicher ist doch das eine. Die Montanunion wurde geschaffen. Wir kennen ihre Grenzen. Wir wissen genau, daß sie als Teilintegration natürlich nicht das durchsetzen konnte, was wir nunmehr von der großen Wirtschaftsgemeinschaft erwarten. Aber ich frage: Glauben Sie, daß wir ohne die Schaffung der Montanunion, ohne diesen damals möglichen Schritt heute so weit wären, zu dem großen Werkeiner allgemeinen Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Montanstaaten zu kommen? Ich glaube, daß die durch die Montanunion geschaffene Gemeinschaft nicht nur äußerlich, sondern Jauch innerlich dazu beigetragen hat, daß wir jetzt dieses Werk, so hoffen wir, zur Vollendung bringen können.
Über die Aufgaben der Montanunion und ihre Erfüllung haben wir, Herr Dr. Deist, uns doch im Montanparlament schon eingehend unterhalten, die Grenzen und die positiven Dinge gesehen. Ich glaube, der Bericht ,des Herrn Wigny, dem man ja allgemein eine große Verbreitung gewünscht hat, bildet ein großes Dokument dafür, daß es selbst innerhalb dieser schwierigen Teilintegration gelungen ist, bedeutende Aufgaben zu erfüllen.
Ich sage also: Man darf nicht immer deshalb nichts tun, weil es nicht möglich ist, sofort die Vollendung zu erreichen.
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Darauf geht die von mir kritisierte Argumentation hinaus. Wenn wir nämlich immer vor lauter Bedenken zunächst nein sagen, dann kommen wir überhaupt nicht in eine lebendige Entwicklung hinein.
Ich freue mich, daß Sie, Herr Dr. Deist, heute in der Konsequenz anderer Auffassung sind als damals. Ichhabe mit gewissen Bendenken etwa 50 Minuten lang gehört, wie scharfe Angriffe Sie vortrugen. Aber ich war doch beruhigt, als Sie am Ende in der Zusammenfassung sagten, daß Sie im Prinzip doch das. was hier die Sechs unternehmen, billigen, also billigen, daß wir jetzt wenigstens handeln. Das finde ich einen großen Fortschritt gegenüber der damaligen Situation, in der Sie schon die Entstehung der Montangemeinschaft 'abgelehnt haben.
Was ichaber noch sagen muß und was mich eigentlich sehr betrübt hat, ist das: Sie meinten, die Montanunion und auch wohl die neuen Gemeinschaften hingen irgendwie mit einer militärischen oder machtpolitischen Blockpolitik zusammen. Dem muß ich entschieden widersprechen. Ich glaube, niemand. der an dem Vertragswerk, das hier in der Entstehung ist, mitgearbeitet hat, verfolgte den Gedanken, dies aus militärischen oder machtpolitischen Gesichtspunkten zu tun, aus einer Blockbildung heraus, die Sie im Prinzip ablehnen. Das Montanparlament hat ja die ersten Gedanken hierzu entwickelt. Wir waren doch alle der Meinung, daß es ausschließlich im Interesse der Wirtschaft unserer Staaten, ausschließlich im Interesse der Hebung des Lebensstandards lieg t, ausschließlich auch dem Zweck dient, soziale Dinge verwirklichen zu können, wenn wir uns zu einer größeren Gemeinschaft zusammenfinden. Also ich glaube, so dürfen wir nicht argumentieren.
Nun aber wieder zur Frage: was tun? Wir sind doch in diesem Hause alle darüber einig, daß die
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weltpolitische und ,die wirtschaftspolitische Situation zwingend dafür sprechen, dieses Europa enger zusammenwachsen zu lassen. Wer eine politische Bilanz zieht, sieht, wie weit Europa in seiner Stellung in der Welt zurückgekommen ist. Ich glaube, jener tragische 6. November 1956 hat zur Evidenz bewiesen, wie schwach und verwundbar - auch wirtschaftlich - dieses Europa geworden ist, dem man plötzlich eine Kraftzufuhrabsperren konnte, auf die es auf das vitalste angewiesen ist. Wir sind auch der Meinung - und niemand widerspricht dem -, daß die Zeit, daß die moderne technische Entwicklung dazu zwingt, große Räume zu schaffen, daß wir einfach nicht mehr durchkommen, wenn wir in den kleinen getrennten Nationalwirtschaften weiterleben. Die Entwicklung der Atomkraft, die moderne Technisierung, die Automation, all ,die Dinge, die damit zusammenhängen, sind in kleinen Räumen nicht realisierbar. Man täusche sich durch die gegenwärtige gute Konjunktur in den europäischen Ländern nicht darüber hinweg, daß auf lange Sicht gesehen ohne die Schaffung eines größeren Wirtschaftsraumes Europa hinter den politisch-wirtschaftlichen Großräumen immer weiter zurückbleibt
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und daß es auf die Dauer einfach nicht in der Lage ist, seine Freiheit und seine kulturellen Güter zu bewahren.
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Da stehen wir wieder vor dem Problem: was tun? Die Erfahrung der letzten Jahre hat gelehrt, daß zwei Dinge nicht möglich sind. Einmal ist es offensichtlich nicht möglich, in diesem Europa eine politisch, auch institutionell, gegründete engere Verbindung zu schaffen. Dazu sind die europäischen Staaten noch nicht reif. Das wurde versucht - erfolglos. Aber es hat sich gezeigt, daß es auch noch nicht möglich ist, dieses Europa in einem Zuge wenigstens wirtschaftlich zusammenzuführen, und zwar - und das ist sehr entscheidend - in einer endgültigen und unwiderruflichen Form. Ich muß darauf besonders hinweisen. Das ist ja der entscheidende Unterschied zu dem, was in der OEEC und der EZU usw. geschieht. Diese sechs Staaten wollen ein Gebiet mit 150 bis 160 Millionen wirtschaftlich endgültig so zusammenfassen, daß sie nicht morgen wieder anders können, sondern daß sie gezwungen sind, auf diesem Wege zubleiben. daß es hiervon kein Zurück gibt. Das is t ein ganz entscheidender Punkt für die Beurteilung der Verträge, auch ein entscheidender Punkt. wenn man abwägt, ob ,die Verhandlungen mit Erfolg oder mangelhaft geführt worden Mind. Dieses Prinzip der Unwiderruflichkeit war außerordentlich umkämpft.
Ich gebe zu, es wäre schön, den Gemeinsamen Markt früher zur Vollendung zu bringen und nicht 12 oder 15 Jahre warten zu müssen. Ich muß aber dem Herrn Wirtschaftsminister sagen, daß alle, die sich eingehend mit diesem Problem befaßt haben, zu dem Ergebnis gekommen sind: Es ist einfach weder möglich noch allen Staaten zumutbar, Zollschranken und Handelsbeschränkungen, die eine Wirtschaftsstruktur in den einzelnen Ländern geschaffen haben, die auf Jahrzehnte, zum Teil auf Jahrhunderte zurückgeht, in fünf oder sechs Jahren endgültig zu beseitigen. Eine Übergangszeit ist also unvermeidlich, und niemand hat angenommen, daß wir in weniger als zwölf Jahren durchkommen.
Das Entscheidende aber ist, daß es keine endgültige Blockierung gibt, daß es kein Veto gibt, sondern daß das Vorhaben zwangsläufig bis zum Ende durchgeführt werden muß. Das ist nicht allein politisch wichtig, das ist auch wirtschaftlich entscheidend. Ich glaube, daß die notwendigen Umstellungen, Investitionen usw., nur dann sofort begonnen und durchgeführt werden, wenn jeder Beteiligte weiß: Wir sind auf einem endgültigen Weg, und ich kann nach vier oder acht Jahren nicht umkehren und mich bis dahin von dem Zwang zum Zusammenschluß ausnehmen - gewissermaßen drücken. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der für das Vertragswerk spricht, das vor uns liegt.
Ich will nun einige Probleme, die in den Verhandlungen eine große Rolle gespielt haben, ganz kurz behandeln, weil die Kritik immer wieder dahin geht, es sei vielleicht doch nicht so erfolgreich verhandelt worden und man habe in verschiedenen Punkten allzu große Konzessionen gemacht. Zunächst zur sozialen Harmonisierung. Sie wissen, daß Frankreich diese Forderung sehr stark erhoben hat und daß es sehr schwer war, zunächst die Franzosen von der Idee abzubringen, die soziale Harmonisierung aal s Vorausbedingung aufzustellen. Wir wären dann nie zum Abschluß eines Vertrags gekommen. In den weiteren Verhandlungen waren die Gegensätze oft sehr groß. und es hat des Eingreifens des Herrn französischen Ministernräsidenten und ,des Herrn Bundeskanzlers bedurft. um die Schwierigkeiten zu überwinden. Aber - das muß ich doch sagen, Herr Deist - nicht deshalb, weil sich die Bundesrepublik geweigert hätte, eine fortschrittliche Sozialpolitik zu treiben! Sie wissen, daß wir nicht nur hier. sondern auch im Montanparlament immer wieder betont haben: Wir denken nicht daran, uns wettbewerbliche Vorteile durch eine rückschrittliche Sozialpolitik oder eine schtechte Lohnpolitik oder die Erhaltung eines niedrigen Lebensstandards zu sichern. Das haben wir ständig abgelehnt. Es ging im Grunde nur um die Frage, ob es richtig ist, sich von einem Partner ein von vielen Seiten, auch von Ihnen, angegriffenes System der Lohnberechnung aufzwingen zu lassen. Wir waren immer bereit, in der Lohnentwicklung, in der sozialen Entwicklung vorwärtszuschreiten. Wir waren aber nicht bereit, veraltete, vielleicht falsche Systeme zu übernehmen.
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Ich finde, es ist ein großer Fortschritt, daß es gelungen ist, hier einen Kompromiß zu erzielen, der keinen zu etwas zwingt, was ihm formal und technisch nicht richtig erscheint, der aber alle, auch uns, dazu veranlaßt, in sozialer Richtung weiterzukommen. Wir wissen, daß der Montanvertrag in dieser Beziehung viel zuwenig bringt. Aber in den neuen Verträgen hat man sich doch dieser Dinge stärker angenommen. Wir glauben sogar, daß die Entwicklungen bei uns ganz von selbst viel schneller zu dem gemeinsamen Ziele führen werden, als wir heute noch annehmen. Betrachten Sie nur einmal, was in den letzten zwei, drei Jahren auf diesem Gebiet bei uns geschehen ist.
Ein zweites Problem, das auch einen großen Schrecken erregt hat: die Hereinnahme der Landwirtschaft - ein französischer Wunsch; ein verständlicher Wunsch. Wenn sie sehen, was sich daraus entwickelt hat, glaube ich, daß auch bei uns die Landwirte zufrieden sind mit dem, was geschehen soll. Die Landwirtschaft soll nämlich nicht plätzlich ungeschützt in den freien Markt hineingehen, sondern die nationalen Besonderheiten blei({5})
ben aufrechterhalten. Das Ziel ist eine gemeinsame Agrarpolitik moderner Art. Man will die nationalen Marktordnungen in europäische Marktordnungen umwandeln. Wenn ich mir die Ziele ansehe, die der Vertrag setzt, so muß ich sagen, daß eigentlich die Landwirtschaft jedes der sechs Länder mit dem, was beabsichtigt und was gewollt ist, einverstanden sein wird.
Es war immer ein sehr schwieriges Problem, die Institutionen, die Organe dieser Gemeinschaft zu gestalten. Wir geben zu, daß wir mit dem, was auf diesem Gebiet endgültig Vertragstext wurde, auch nicht voll zufrieden sind. Wir hätten es lieber gesehen, man hätte der Europäischen Kommission größere Vollmachten gegeben. Wir hätten es auch lieber gesehen, man hätte den Ministerrat stärker eingeschränkt. Aber die Widerstände waren außerordentlich stark, und Sie wissen auch, daß der Gedanke der Supranationalität, wie er - wenigstens stückweise - in der Montanunion entwickelt worden war, für die Franzosen einen Stein des stärksten Anstoßes gebildet hat.
Aber wir müssen an dem Ergebnis auch das Positive sehen. Zwar dominiert der Ministerrat. Aber immerhin verzichtet er während der tbergangszeit überwiegend auf das Prinzip der Einstimmigkeit. Die Kommission hat doch weite Befugnisse. Bei genauer Prüfung sieht man, daß ihre Stellung bedeutender, nach meiner Überzeugung zumindest entwicklungsfähiger ist, als man angenommen hatte.
Man muß hier zwei Dinge betrachten. Einmal wird das Gewicht der Kommission steigen, wenn die richtigen Persänlichkeiten in sie hineinberufen werden. Der Einfluß der Kommission wird auch dadurch stärker, daß sie alle europäischen Fragen detailliert und ständig behandelt und mit dem Gewicht ihrer Sachkenntnis, ihres Spezialistentums besser vorwärtskommen wird, als der Vertragstext annehmen läßt. I m übrigen möchte ich sagen: ein Ministerrat in einer Gemeinschaft, die an konkrete Ziele gebunden ist, die bestimmte Aufgaben hat, wird wohl leichter selbst zu einstimmigen europäischen Beschlüssen kommen ,als sechs Minister an sich völlig differierender Staaten, die auf einer Konferenz zusammenkommen, wo ausschließlich nationale Interessen im Vordergrund stehen.
Und vergessen Sie nicht, daß gerade die Kritiker der Vertragswerke, die Anhänger einer ausschließlichen OEEC-Politik, sich doch darauf berufen, daß man auch mit der OEEC-Organisation vorwärtsgekommen ist. Diese Organisation baut aber ausschließlich auf dem Prinzip der Einstimmigkeit auf.
Nun aber zu den parlamentarischen Institutionen. Sie wissen, daß sich die Minister während der Verhandlungen wegen gewisser Ressentiments gegen die Montangemeinschaft entschlossen hatten, ein neues Wirtschaftsparlament zu schaffen und es mindestens die erste Zeit und, wenn es einmal dagewesen wäre, wahrscheinlich lange Zeit neben die Gemeinsame Versammlung der Montanunion zu stellen. Ich habe mich sehr entschieden gegen eine solche Lösung ausgesprochen, und der Vertrag akzeptiert auch ,das, was ich vorgeschlagen habe, nämlich die sofortige Fusionierung des Montanparlaments in die neue Versammlung. Das Prinzip ist durchgeführt. Es wird ein einheitliches Parlament gegenüber allen drei Institutionen geben.
Diese Entscheidung ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil sie das Nebeneinanderbestehen zweier Parlamente verhindert. Diese Lösung garantiert - und das ist mir wichtig -, daß die drei Gemeinschaften unter einer einheitlichen parlamentarischen Kontrolle stehen, womit ein Zwang zur Koordinierung ausgeübt wird. Ich hoffe sogar, daß das einheitliche Parlament eine an sich notwendige, aber politisch im Augenblick noch nicht durchsetzbare Zusammenfassung der Verwaltungs- und Regierungsstellen der drei Gemeinschaften veranlassen wird. Es besteht kein Streit darüber, daß es notwendig ist, die Kraft der parlamentarischen Idee in diesen sehr wichtigen, für die Staaten lebenswichtigen wirtschaftlichen Gemeinschaften zum Einsatz zu bringen.
Ich bin daher der Meinung, daß man darauf sehen muß, die Kompetenzen des Parlaments laufend zu erweitern. Nach den Verträgen sind sie noch sehr begrenzte. Aber immerhin bestehen das Kontrollrecht, das Budgetrecht und auch das Recht des Mißtrauensantrags mit dem Zwang, daß die Mitglieder der Europäischen Kommission nach einem solchen Mißtrauensantrag zurücktreten müssen.
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Das Parlament ist sehr wichtig. Aus diesem Grunde halte ich es auch für notwendig, daß es selbständig bleibt und daß man von dem Gedanken abkommt, es in eine Abteilung der Beratenden Versammlung des Europarats umzuwandeln. Damit ginge nämlich die Eigenständigkeit und die sich daraus ergebende Kraft des parlamentarischen Geschehens verloren, eine Kraft, die gerade bei diesen wirtschaftlich für die sechs Staaten so entscheidenden Fragen noch auf Jahre hinaus sehr notwendig ist.
Wer die Geschichte der Verhandlungen über Euratom und Gemeinsamen Markt kennt, weiß, daß zunächst und auf lange Zeit Euratom im Vordergrund stand. Noch zu Anfang des letzten Jahres sah es so aus, als bestehe nur Interesse daran, die Euratom-Gemeinschaft zu bekommen. Es sah so aus, als ob der Gemeinsame Markt in ferner, nebelhafter Zukunft liege.
Ich glaube, es ist ein großer Erfolg der Verhandlungen und der Entwicklung, daß es gelungen ist, die anderen davon zu überzeugen, daß der Gemeinsame Markt für die europäische Entwicklung eigentlich das Entscheidende ist. Heute ist das Problem des Junktims überwunden. Wir haben beide Verträge nebeneinander, und sie werden - so nimmt man an miteinander realisiert werden können. Ich darf daran erinnern, daß damit auch ein Wunsch dieses Hohen Hauses verwirklicht worden ist, das im Zusammenhang mit der Monnet-Resolution am 22. März des vergangenen Jahres eine Entschließung faßte, in der ausdrücklich gewünscht wird, neben Euratom auch die Grundlagen für den Gemeinsamen Markt zu schaffen. Das wurde zu einem Zeitpunkt beschlossen, wo die Dinge noch nicht so klar lagen, wie es heute der Fall ist.
Ich will nun nicht mehr lange auf die überseeischen Gebiete eingehen. Hier hat die Regierungserklärung sehr detailliert dargelegt, was beabsichtigt ist und wie man verhindern will, in irgendwelche problematischen Situationen kolonialpolitischer Art zu kommen. Ich will aber auch da sagen: Man muß verstehen, daß es fast nicht möglich ist, eine so enge Wirtschaftsverbindung unter den sechs Staaten zu schaffen, wenn man ihre überseeischen Gebiete dabei unberücksichtigt läßt. Es ist deutlich, wie zwischen Tunis und Marokko, die
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selbständige Staaten geworden sind, Algerien, das sich in einer besonders schwierigen Situation befindet, und den eigentlich überseeischen Gebieten, nämlich jenen Zentral- und Westafrikas, differenziert wird.
Ich möchte aber doch - und ich glaube, das ist einmal notwendig - zwei Dinge klarstellen. Meiner Meinung nach ist es ebenso falsch wie bedauerlich, mit dem Schlagwort „Kolonialismus" jede Tätigkeit europäischer Staaten in Gebieten außerhalb unseres Kontinents zu diskriminieren. Die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte zeigt, welche Großtaten Europa gerade in einer Zeit, in der die Kolonien eine so große Rolle spielten, in anderen Kontinenten vollbracht hat. Nicht die Verwaltung, Aufschließung und Entwicklung ferner Gebiete, denen die Kraft zur Selbstregierung noch fehlt, stellen ein Unrecht oder eine zu kritisierende Haltung dar; abzulehnen aber sind Ausbeutung und Mißbrauch der Macht. Ich muß sagen: mich berührt es immer sehr, daß die freien Völker des Westens wegen dieses sogenannten „Kolonialismus" gerade von Sowjetrußland sehr scharf kritisiert werden, einem Staat, der ja viel Schlimmeres tut, als der schlimmste Kolonialismus vermag. Sowjetrußland verweigert nämlich großen alten europäischen Völkern und 17 Millionen Deutschen mit Gewalt die Rückkehr in das freie Europa.
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Es hindert diese Menschen mit militärischen Mitteln, sich uns im freien Westen anzuschließen und so zu leben, wie es ihrer Tradition, ihrer Vergangenheit und ihrem Willen und Wunsch entspricht. Ich will hier nicht weiter untersuchen, ob diese - ich möchte fast sagen - Minderwertigkeitskomplexe, die heute sofort entstehen, wenn von Kolonien die Rede ist, berechtigt sind und worin ihre Ursachen liegen. Ich weiß, daß die sehr komplizierte und schmerzliche Algerienfrage viel dazu beigetragen hat, die Beziehungen Europas zu Afrika und den nordafrikanischen Ländern zu belasten. Aber wenn wir hören und wenn wir überzeugt sind, das Zeitalter des Kolonialismus in diesem Sinne gehe zu Ende, neue Entwicklungen hätten sich schon durchgesetzt und bahnten sich weiter an, dann, glaube ich, ist es eine wichtige Aufgabe, neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit überseeischen Gebieten zu entwickeln, die noch nicht die Selbständigkeit haben und vor allem noch nicht die Voraussetzungen besitzen, um der Familie der freien Völker anzugehören.
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Es wird mit Recht gesagt, es sei die Aufgabe unseres Jahrhunderts, den industriell zurückgebliebenen Völkern die Hilfe der hochentwickelten Länder zukommen zu lassen. Das ist zu billigen. Wer aber diesen Vertrag betrachtet, wer sieht, was hier vereinbart ist, wird zu dem Ergebnis kommen, daß hier gerade solche Formen der Entwicklung gesucht und gefunden werden. Man will - und das ist ausdrücklich gesagt - im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen jenen überseeischen Gebieten helfen. Die Wirtschaftsgemeinschaft wird also gerade das Gegenteil von dem tun, was Kolonialpolitik in der kritisierten Weise bedeutet. Sie wird sich bewußt mit ihren Mitteln damit befassen, in gewissen afrikanischen Gebieten die Voraussetzungen zu schaffen, die notwendig sind, damit die Bevölkerung dort zu einer Selbstverwaltung und schließlich zur politischen Selbständigkeit kommt. Ich glaube, wir können uns diesen Problemen, ganz unabhängig davon, daß sie uns jetzt durch diese Wirtschaftsgemeinschaft nahegebracht werden, schon deshalb nicht verschließen, weil es doch ziemlich deutlich ist, daß die große Auseinandersetzung in der Welt, und zwar diejenige zwischen der freien und der nichtfreien Welt, gerade im Kampf um solche Gebiete besteht. Wenn wir in Europa nicht so viel Solidarität und so viel Gemeinschaftsgeist aufbringen, von uns aus und mit unseren Mitteln jenen Völkern eine bessere und selbständige Zukunft zu ermöglichen, dann besteht die große Gefahr, daß die Lage von wo anders her, durch ein Ausspielen von uns Europäern, gestaltet wird. Es gibt da die verschiedensten Möglichkeiten: Denken Sie an die immer stärker werdende sowjetrussische Infiltration im Vorderen Orient und auch in Nordafrika, denken Sie auch an die anderen Gefahren, die in jenen Gebieten bestehen.
Ich glaube, nach den Vereinbarungen, die getroffen worden sind, besteht nicht die Gefahr, daß man der Europäischen Gemeinschaft und damit uns eine unzulässige Ausbeutung oder einen Mißbrauch der Macht in jenen Gebieten vorwerfen kann. Nein, es werden Mittel zur Verfügung gestellt, um diese Gebiete zu entwickeln, um ihnen die Möglichkeit zur Freiheit zu geben.
Und hier wieder einen Frage an Sie, Herr Dr. Deist. Sie haben sehr viele Bedenken. Man muß die Probleme natürlich genau prüfen. Aber auch da gilt wieder: ist Nichtstun und Warten, bis die Gebiete vielleicht von allein frei geworden sind, besser, als in einem gegebenen Moment zu versuchen, zu einer Lösung zu kommen? Es ist eben in vielen Gebieten noch nicht so weit - ich denke an Französisch-Äquatorial- und Westafrika -, daß schon eine Staatenbildung wie z. B. in Ghana möglich wäre. Aber das wird auch einmal kommen. Dürfen wir bis dahin warten? Ist nicht das Gebot der Stunde, das zu tun, und zwar lauteren Herzens zu tun, was möglich ist, um dadurch nicht nur für diese Gebiete, sondern auch für Europa etwas Entscheidendes zu leisten?
Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, wie ungeheuer wichtig es für unsere Freiheit, für unsere Wirtschaft und für die Lebensinteressen unseres alten Kontinents ist, daß jene Territorien nicht verlorengehen, nicht in einen anderen Einflußbereich hineinkommen.
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- Sie wissen, Herr Kollege Kreyssig, daß Tunesien und Marokko - ich will zuerst diese beiden nennen - inzwischen auch von uns anerkannte souveräne Staaten geworden sind. Diese Staaten werden in keiner Weise durch das Vertragswerk berührt. Man nimmt ,an - und man hat Anhaltspunkte dafür -, daß sie, noch zum Frankengebiet gehörend, an dem Gemeinsamen Markt interessiert sind. Wenn sie von sich aus wünschen, sich mit der Wirtschaftsgemeinschaft zu assoziieren, werden später selbständig auszuhandelnde Verträge geschlossen werden.
Das schwierige Problem Algerien! Sicher, es ist geradezu eine tragische Situation. Aber der Sinn dessen, was hier geschieht, ist nicht, die Algerienpolitik Frankreichs zu unterstützen. Sie wissen, daß Algerien einen Sonderstatus bekommt. Es kommt nicht völlig in den Vertrag hinein. Große Teile der Verträge finden auf Algerien keine Anwendung.
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Es wird geprüft, was hier später geschehen soll. Wir werden und können Frankreich die Verantwortung für seine Algerienpolitik nicht abnehmen. Wir können aber auch nicht deshalb, weil Frankreich noch in einer schwierigen Situation ist, sagen: Wir lehnen eine Gemeinschaftsbildung ab. Denn wir sind überzeugt, daß das Algerienproblem durch Frankreich und im Rahmen der Vereinten Nationen eine Lösung finden wird, die den Frieden und die Ruhe auch im nordafrikanischen Gebiet wiederherstellt.
Nun noch einige Bemerkungen zu dem Verhältnis der Wirtschaftsgemeinschaft zu dritten Staaten, zunächst zum übrigen Europa! Es ist das Falscheste, was behauptet werden kann, die sechs Staaten wollten sich abschließen. Sie wollen ein Gebiet wirtschaftlicher Ordnung schaffen in der Überzeugung, daß sich die Einigung in diesem Raum auch auf das übrige Europa fördernd auswirken wird. Diese Überzeugung ist keine reine Theorie. Das konnte man uns vor zwei Jahren vorhalten und sagen: Ihr schließt euch ab, kein Mensch wird sich danach richten! Großbritannien hat im vergangenen Sommer gezeigt, daß Fakten berücksichtigt werden, daß Tatsachen Rechnung getragen wird. Ich glaube, die Idee, eine Freihandelszone zu schaffen, wäre nie aufgekommen, wenn man nicht gesehen hätte, daß die Wirtschaftsgemeinschaft der Sechs im Begriffe ist, sich zu bilden. Wenn sie schon im Begriffe, sich zu bilden, solche Auswirkungen hat, dann werden diese Auswirkungen noch deutlicher und noch realisierbarer werden, wenn sie geschaffen ist. Denn davon bin ich überzeugt: ohne die Wirtschaftsgemeinschaft der Sechs werden die anderen und werden wir alle in dem bisherigen Zustand weiterleben. Die OEEC-Verhandlungen haben ziemlich deutlich ergeben, daß es im gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich ist, das gesamte Europa ohne den Grundstock der Sechs zu einer Gemeinschaft einer Freihandelszone endgültiger Art zusammenzuführen. Die Gegensätze sind sehr, sehr groß. Aber wir sehen, wie die Dinge über den Gemeinsamen Markt in Fluß kommen.
Wir sind darin einig, alles zu tun, um nicht zur Abschließung zu kommen, sondern zur Förderung, nämlich zur Bildung solcher Freihandelszonen. Wir wollen auch Opfer bringen auf diesem Gebiet. Wir wollen vor allem auch anerkennen, daß es manchen Staaten nicht leicht ist, diesen Entschluß zu fassen. Ich glaube, die Gemeinschaft wird dem Rechnung tragen. Sie wird zur endgültigen wirtschaftlichen, sagen wir individuellen Einigung Europas beitragen. Das ist besser, als wenn wir wieder sagten: Da wir nicht alles erreichen können, tun wir gar nichts. Im übrigen möchte ich, weil es auch für die politische Beurteilung wichtig ist, sagen, daß die neueste Haltung der sowjetischen Regierung uns doch sehr zu denken geben muß. Sie wissen, daß das sowjetische Außenamt am 16. März eine Note verschickt hat, in der es einen sehr scharfen Angriff gegen diese werdende Wirtschaftsgemeinschaft richtet. An dieser Note ist interessant, daß zunächst Ausführungen gemacht werden, die die besten Argumente für eine europäische Wirtschaftszusammenfassung geben. Die sowjetische Regierung sagt, man müsse Europa zusammenführen, nur so könne man die wirtschaftlichen Schwierigkeiten überwinden, nur so die technischen Probleme meistern. Aber dann kommt plötzlich - ich sage das ganz bewußt - die Wendung, nämlich unser Werk sei verfehlt und abzulehnen, weil diese Wirtschaftsgemeinschaft kein anderes Ziel habe, als die westliche militärische Aggression zu fördern, da die Staaten der Gemeinschaft auch Mitglieder der NATO, der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft, seien. Ich frage nun: Wie steht es mit dieser Argumentation, wenn sich Schweden oder ein Staat wie die Schweiz anschließen, die mit der NATO nichts zu tun haben? An die europäische Integration hat man gedacht und an ihr gearbeitet, als wir von einer atlantischen Verteidigungsgemeinschaft noch nicht wußten, zumindest als noch niemand damit rechnete, daß die Bundesrepublik der NATO einst angehören werde.
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Aber es ist hoch interessant: In dieser sowjetischen Note wird wieder versucht, die europäischen Völker auseinanderzumanövrieren So wird gesagt, die Erklärungen der europäischen Staatsmänner stellten lediglich Irreführungen dar; diese Politiker wollten nur bemänteln, was sie in Wirklichkeit beabsichtigen. Den Franzosen wird ausdrücklich vor Augen geführt, daß die neuen europäischen Verträge zur wirtschaftlichen Hegemonie der deutschen Monopolherren führten und daß eine unmittelbare Gefahr für das französische Volk heraufbeschworen werde. Die übrigen Länder, so wird behauptet, würden gegenüber den Militaristen und Revanchisten Westdeutschlands entmachtet. Uns Deutschen wird gesagt, daß die amerikanischen Monopole und Korporationen den Gemeinsamen Markt zu ihrem eigenen Vorteil und zum Schaden der Interessen der nationalen Industrie der europäischen Länder benutzen werden. In einer gewissen Verbeugung vor den „einflußreichen Kreisen" Englands erklärt die Note, daß diese Kreise keinerlei Illusionen hinsichtlich jener Folgen hegten, welche ihre Beteiligung am Gemeinsamen Markt nach sich ziehen würde. Schließlich wird den Italienern erklärt, daß sie im Zuge des Gemeinsamen Marktes - und das ist sehr interessant - in den übrigen europäischen Ländern für die schwersten, gefährlichsten und am schlechtesten bezahlten Arbeiten eingesetzt und völlig von der Willkür der deutschen und anderen ausländischen Monopolkapitalisten abhängig gemacht würden.
Sie erkennen die Absicht. Im Grunde geht es darum, noch im letzten Augenblick etwas zu versuchen, was wir kennen: uns Europäer auseinanderzuspielen. Denn man will verhindern - und das ist das alleinige Ziel, das man im Augen hat -, daß sich dieses Europa wenigstens wirtschaftlich konsolidiert, daß es in sich zusammenwächst und damit die Grundlage für eine weitere politische Entwicklung schafft.
Auch zum deutsch-französischen Problem, das in diese Wirtschaftsgemeinschaft eingebettet liegt, möchte ich noch ein Wort sagen. Sicher sind die klassischen, aus der nationalstaatlichen Politik entstandenen Differenzen zwischen diesen beiden Völkern beseitigt. Das Saarabkommen hat hier eine letzte Lösung gebracht. Frankreich erkennt auch das deutsche Anliegen auf Wiedervereinigung an und unterstützt es. Es geht aber nicht, bei dieser Lage stehenzubleiben. Es erscheint mir notwendig, zu einer Gemeinschaft mit Frankreich zu kommen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das vorliegende Vertragswerk von Bedeutung. Erinnern Sie sich, daß schon 1946 Churchill sagte: „Der erste Schritt zur Wiederaufrichtung Europas ist
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die Partnerschaft zwischen Deutschland und Frankreich". Wir müssen über die Bereinigung der Differenzen hinauskommen, müssen kommen zu einem gemeinschaftlichen Denken, einer Bereitschaft zur Hilfe, wenn ein Partner sie nötig hat. Der Vertrag zeigt hier auf dem wirtschaftlichen Gebiet Ansatzpunkte für eine solche Entwicklung, von der ausgehend ein ganz neues politisches Denken entstehen kann, in dem Europa wieder Vorbild für andere Gebiete der Welt sein könnte.
Ich habe soeben die Wiedervereinigung erwähnt. Ich muß sagen, daß mich die Argumentationen der Regierungserklärung völlig überzeugt haben. Es besteht kein Zweifel an der völkerrechtlichen Situation. Die Handlungsfreiheit des wiedervereinigten Deutschland ist auch gegenüber diesen Verträgen gegeben. Ich halte es nicht für notwendig, dies ausdrücklich in den Verträgen zum Ausdruck zu bringen; ich denke dabei an den Entschließungsantrag, den die SPD vorgelegt hat. Ich glaube, es ist mit Rücksicht auf die gesamtpolitische Haltung der Bundesrepublik richtiger, mit den eindeutigen Erklärungen aller Partner zufrieden zu sein. Auch das, was über den Interzonenverkehr gesagt ist, sollte genügen. Man muß schon ein sehr kompliziertes Denken anwenden, Herr Dr. Deist, wenn man herauslesen will: nur bei Inkrafttreten des Vertrags sollen die Bestimmungen unberührt bleiben. Der Sinn ist der: die anderen haben anerkannt, daß es innerhalb Deutschlands keine Zollgrenzen gibt und daß der Interzonenverkehr eine innerdeutsche Angelegenheit ist. Wir müssen die hier zum Ausdruck kommende Einstellung unserer Partner anerkennen. Denn rein ökonomisch betrachtet ist es natürlich nicht ganz leicht, eine Zollgemeinschaft zu gründen, in der ein Partner eine so besondere Situation hat, daß der Außenzolltarif nicht lückenlos anwendbar ist. Man muß die Dinge auch einmal von dieser Seite sehen.
Bei der Betrachtung der Verträge, des Werkes der wirtschaftlichen Gemeinschaft gilt es nicht nur ein Urteil abzugeben, sondern auch eine Haltung einzunehmen. Wir verkennen nicht, daß diesen Verträgen auch Mängel anhaften. Wir wissen, daß Kompromisse notwendig waren, daß ohne sie die Verträge gar nicht entstanden wären. Wir sehen auch die Opfer, die gerade von uns verlangt werden.
Wichtiger als alle diese Feststellungen scheint mir aber der Geist, den wir diesem Werk für seine weitere Entwicklung eingeben, ist das Leben, das wir aus ihm entwickeln und das aus ihm entstehen wird, wenn wir uns anstrengen, seine großen Ziele zu realisieren. Ohne einen gewissen Optimismus, ohne konstruktive Phantasie und ohne den Glauben an und den Willen zur Vorwärtsentwicklung wird auch das beste Gemeinschaftswerk zum Stillstand gebracht. Wo aber eine positive Einstellung besteht, ergibt sich die Möglichkeit, das sich ständig entwickelnde Leben zu gestalten. Mit Kleinmut und Kritik kommen wir nicht weiter. Selbstverständlich wollen wir Vorzüge und Mängel der Verträge realistisch betrachten. Darüber dürfen wir aber den Mut zu einer positiven Haltung nicht verlieren. Bedeutende Ausgangspositionen sind gegeben. Es heißt mitarbeiten und denen helfen, die in dieser Gemeinschaft der Hilfe bedürfen. Nur so werden sich die Opfer rechtfertigen, die auch wir bringen müssen. Die Verträge geben eine große europäische Möglichkeit. Ich bin
sogar überzeugt, sie geben im Augenblick und auf lange Zeit hinaus die einzige Möglichkeit, zu einem neuen Europa vorwärtszuschreiten, zu einem Europa, dem der Geist des gemeinschaftlichen Denkens und Handelns innewohnt, einem Europa, das Solidarität und die Kraft besitzt, die sich aus dem Zusammenwirken benachbarter und befreundeter Völker notwendigerweise entwickeln wird.
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Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich meiner besonderen Freude Ausdruck geben, daß ich soeben Herrn Kollegen Gockeln wieder in unserer Mitte sehe,
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der lange Wochen durch die Folgen eines schweren
Unfalls von unseren Beratungen ferngehalten war.
Mein Grußwort gilt ebenso Herrn Kollegen Cillien, der heute nach mehrmonatiger schwerer Krankheit erstmals wieder in diesem Saale ist, aber leider noch nicht in der Lage ist, den ganzen Tag unseren Beratungen zu folgen. Wir wünschen den beiden Kollegen von Herzen weitere gute Genesung.
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Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten möchte ich ihrer Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß sich die Bundesregierung in der heutigen Regierungserklärung mit den Bedenken auseinandergesetzt hat, die wir in der Öffentlichkeit zum Plan einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erhoben haben. Dieser Versuch ist nicht ganz vergeblich gewesen; mindestens in einem Punkte konnte eine Annäherung der gegensätzlichen Standpunkte erreicht werden. Freilich, alle Sorgen hat uns die Regierungserklärung nicht nehmen können, und leider konnten das natürlich auch nicht die Ausführungen meines sehr geehrten Herrn Vorredners, die ganz getragen waren von der gläubigen Hoffnung, die in der milden Bonner Luft so gut gedeiht: es wird schon alles gut gehen. Ich weiß aus 30jähriger Berufspraxis, daß in der harten, aber klaren Luft der internationalen Verträge handfeste Abmachungen doch eine sicherere Basis sind.
In einem Punkte, Herr Professor Furler, darf ich Ihnen aber zustimmen. Soweit Sie die europäischen Ziele, den Willen zu einer europäischen Gemeinschaft, den Willen zu einem größeren europäischen Markt bekundet haben, sind wir mit Ihnen und damit auch mit der Bundesregierung völlig einer Meinung. Nur sind wir von der Sorge erfüllt, daß dieses Ziel auf diesem Wege nicht erreicht werden kann.
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- Ja, das kann man natürlich haben. Aber ich sagte schon: wir stützen uns lieber auf feste Abmachungen. Nach Lage der Dinge müssen wir voraussetzen, daß, wenn dieser Vertrag überhaupt das Ziel erreicht, das man sich mit ihm gesteckt hat, ein kleineuropäischer Wirtschaftsraum zusammenwächst, der sich durch Zollmauern nach außen abschirmt, daß es also in Zukunft zwei Sorten Europäer geben wird: die einen, die in der Zollunion sind, und die anderen, die draußen sind. Diese
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Spaltung des derzeitigen europäischen Marktes sehen wir als die größte Gefahr an; das ist unsere Hauptsorge. Wenn wir Herrn Professor Erhard hören, werden unsere Sorgen nicht weniger. Was Herr Professor Erhard täglich zu diesem Thema von sich gibt, ließe eigentlich erwarten, daß er sich - mit „brutaler Gewalt" meinetwegen ({2})
im Bundeskabinett oder in seiner Fraktion einmal durchsetzt. Ich bewundere aufrichtig die Elastizität, mit der er sich immer wieder vom Rednerpult auf den Sessel des durch Kabinettsbeschluß gebundenen Ministers begibt.
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Hier handelt es sich doch urn ein wirtschaftliches Projekt. Das kann entweder richtig oder falsch sein; es ist keine Frage der Weltanschauung, der Konfession oder der Parteizugehörigkeit. Wenn Herr Professor Erhard aber sagt, es handle sich um einen volkswirtschaftlichen Unsinn - und ich bin bereit, mich seinem sachkundigen Urteil zu beugen -,
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dann ist es eben falsch, und dann ist er uns doch die Erklärung schuldig, warum er uns empfiehlt, etwas Falsches zu tun. Denn das kann man nicht allein mit dem Glauben rechtfertigen.
Ich darf in diesem Zusammenhang Herrn Professor Röpke zitieren, der gesagt hat: „Es ist für einen Nationalökonomen schwer, ein guter Europäer zu sein und gleichzeitig den Ruf eines solchen zu haben." Meine Freunde und ich glauben aber, sich den Ruf, gute Europäer zu sein, verdient zu haben. Wir haben uns seinerzeit für den Europarat entschieden und seine Bemühungen hier im Hause jederzeit unterstützt. Wir haben für die Montanunion und für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gestimmt, welch letztere leider nicht zustande kam, weil die guten Europäer in Europa leider nicht gleichmäßig verteilt sind.
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Bei diesen Institutionen handelt es sich freilich nicht um vergleichbare Tatbestände, jedenfalls nicht um Tatbestände, die mit einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vergleichbar sind. Jeder Bereich hat eine gewisse Eigengesetzlichkeit. Man kann das eine auf einem dafür vielleicht besonders geeigneten Raum durchaus erfolgreich praktizieren, ohne daß der gleiche Raum für ein anderes Unternehmen geeignet sein muß. Oder präziser ausgedrückt: die Interessen, die in einer Montanunion der sechs Länder vereinigt sind, können durchaus erfolgreich verfolgt werden - ich kann über dieses Gebiet nicht sprechen -, aber das braucht noch lange nicht für eine wirtschaftliche Integration auf allen anderen Gebieten so zu sein. Man kann das jedenfalls nicht einfach im Analogieschluß unterstellen.
Solche Vergleiche, auch solche mit dem Zollverein, der uns einmal zu einer kleindeutschen Lösung geführt hat, sind immer gefährlich. Ich darf mich da auf das Wort eines großen Historikers beziehen, der gesagt hat: „Historische Analogien sind ein anmutiges Spiel, welches aber durchaus darauf beruht, daß ,die Bedingungen der einen oder beider Tatsachen nicht mit völliger Deutlichkeit erkannt werden."
Die Tatsachen, um die es sich hier handelt, können überhaupt noch nicht mit völliger Deutlichkeit erkannt worden sein, weil wir die Vertragstexte erst seit wenigen Tagen kennen. So wird die Entscheidung über die Verträge von uns ja auch erst mit der Vorlage des Ratifikationsgesetzes verlangt. Heute handelt es sich nur darum, zu den Absichten Stellung zu nehmen, die uns die Regierung mit ihrer Erklärung vorlegt. Das aber hätte sie schon viel früher tun sollen; denn dann hätten wir beizeiten Gelegenheit gehabt, hier zu den Absichten Stellung zu nehmen und zu sagen, wieweit wir bereit sind, den Vorschlägen zu folgen, wo wir Verbesserungen wünschen und wo wir aus unserer Verantwortung heraus glauben eine Grenze ziehen zu müssen.
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Hoffen wir, daß es dazu heute noch nicht zu spät ist.
Es verträgt sich nicht mit unserer Vorstellung von der Würde dieses Hauses, wenn man sich die Vertragstexte von französischen Kollegen besorgen lassen muß.
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Es ist auch nicht gut, wenn Spitzenorganisationen der Wirtschaft ihre Zustimmung schon geben müssen, bevor sie die Vereinbarungen überhaupt kennen.
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Es wäre vielleicht für den Herrn Staatssekretär - wenn er einmal zuhören wollte ({9})
der Überlegung wert, ob man nicht wenigstens
jetzt die Verträge schnellstens drucken und allen
Abgeordneten dieses Hauses zustellen sollte, damit
Debatten über diesen Punkt auf Grund fundierter
Kenntnis der Vertragstexte geführt werden können.
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Doch, seit Freitag, soviel ich weiß.
Soweit die Regierung sich bemüht, einen größeren europäischen Markt zu schaffen, wollen wir ihr uneingeschränkt folgen. Wir sind immer Anhänger der OEEC gewesen. Zu dem, was hier vorhin Herr Professor Erhard ausgeführt hat, könnte ich eigentlich nur sagen, daß ich mich den Ausführungen dieses geehrten Herrn Vorredners anschließe. Wir haben immer die Bemühungen um die fortschreitende Liberalisierung gutgeheißen. Wir sind bereit, die angeglichene europäische Zollnomenklatur zu ratifizieren. Wir hätten sehr gern die Bestrebungen mitgetragen, durch allmählichen Abbau der Zölle zu einer europäischen Freihandelszone zu kommen.
Nachdem das französische Parlament bereits vor acht Wochen die Absichten der Regierung sechs Tage lang diskutierte, haben nun wir Gelegenheit, uns etwa ebenso viele Stunden mit der Angelegenheit zu befassen, reiner Angelegenheit, deren Tragweite sich auch jetzt noch gar nicht voll übersehen läßt und zu der wir uns deshalb die endgültige Entscheidung bis nach gründlichem Studium vorbehalten müssen. Wir werden aber die Sorge nicht los - ich muß das noch einmal sagen -, daß dieser Weg nicht richtig ist, daß es nicht der Weg ist, der uns nach Europa führt. Wenn der Vertrag wirklich das Ziel erreicht, das im Vertragstext gesetzt ist, bildet sich eine kleineuropäische Gemeinschaft; es wird also genau das erreicht, was auch die Bundes({11})
regierung ablehnt, und es wird die Gefahr heraufbeschworen, daß wir zu einer kleineuropäischen Autarkie kommen.
Die Mäglichkeit, davon loszukommen, ist zweifellos in der vorgesehenen Schaffung von Freihandelszonen gegeben. Auch wir würden es für richtig halten, wenn man sehr bald mit den übrigen OEEC-Staaten zum Freihandel käme und sich mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft etwas mehr Zeit ließe, damit die Verträge gleichzeitig in Kraft treten können. Nach meiner Überzeugung könnten die Schwächen und Fehler dieses Vertragswerkes weitgehend gemildert werden durch das gleichzeitige Inkrafttreten von Verträgen über Freihandelszonen innerhalb der europäischen Staaten, die heute zum OEEC-Bereich gehören.
Wir müssen uns einmal .die gegenwärtige Situation vor Augen führen. Herr Professor Erhard hat vorhin schon die Entwicklung dargelegt. Wir haben etwa 25 % unseres Außenhandels mit den fünf Staaten, mit denen wir eine Europäsche Wirtschaftsgemeinschaft bilden wollen, etwa 30 % mit den übrigen OEEC-Staaten, und der Rest entfällt auf den Überseehandel. Der Überschuß im Außenhandel, der es uns ermöglicht, unser Defizit im Überseehandel zu bezahlen, fällt im Handel mit den übrigen OEEC-Staaten an. Hier sehen Sie die ganze Gefahr, in die wir uns hineinbegeben, wenn es nicht gelingt, gleichzeitig mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Freihandelszonen zu bekommen. Das ist einer der wichtigsten Punkte, und seine Regelung wird für uns für die Beurteilung des Vertrages von ausschlaggebender Bedeutung sein.
Ein großer Teil der Sorge, die sich an die Frage der Wiedervereinigung knüpft, ist für meine Begriffe behoben. Im Gegensatz zu Herrn Dr. Deist bin ich der Meinung, daß der Text des Protokolls nach der Richtung befriedigend ist. Man wird zwar dias ungute Gefühl nicht los, daß sich durch den Beitritt des einen Teils Deutschlands zu einer westeuropäischen Gemeinschaft die beiden Teile Deutschlands auseinanderentwickeln werden. Aber man wird auch nicht verkennen dürfen, daß der andere Teil Deutschlands bereits seit langem zu einer Ostwirtschaftsvereinigung, zu einem Ostwirtschaftsblock gehört. Wir würden es begrüßen, wenn es der Bundesregierung gelänge, die Feststellung noch zu präzisieren, daß der Waren- und Zahlungsverkehr zwischen den beiden Teilen Deutschlands eine rein innerdeutsche Angelegenheit bleibt, die vom Vertrag nicht berührt wird. Aber ich möchte doch anerkennen, daß das, was im Protokoll von der Bundesregierung zu diesem Punkte erreicht worden ist, unsere Bedenken weitgehend beseitigt hat.
Nun, meine Damen und Herren, zu der schon viel besprochenen Frage der überseeischen Gebiete. Auch hier muß man anerkennen, daß der zuständige Minister hartnäckig gegen das Projekt gekämpft hat, und es ist also - wie wir das gehört haben - erst in letzter Stunde von übergeordneter Stelle entschieden worden. Wir hätten gewünscht, daß der zuständige Minister die Sache hätte zu Ende führen können.
Leider ist es auch hier so, daß die besten Absichten in der Welt gar zu oft verkannt werden. Ich darf hier den gewiß unverdächtigen Präsidenten der Europa-Union, Herrn Friedländer, zitieren, der im „Hamburger Abendblatt" vom 23. Februar schrieb:
Es liegt nahe, daß in dieser Idee der beiden Kolonialmächte die Hoffnung enthalten ist, die eigenen afrikanischen Positionen zu stärken, nicht allein wirtschaftlich, sondern auch politisch. In Wahrheit ist eine klare Grenze zwischen sozialen, wirtschaftlichen, politischen Investitionen in Afrika überhaupt nicht zu ziehen. Politisch aber haben die anderen vier Vertragspartner dort nichts zu sagen. Wird die Hilfe gewährt, um damit Ruhe zu erkaufen, Ruhe für die Kolonialherrschaft, so ist alles vergeblich, weil dies doch nur ein mäßiger Versuch wäre, gegen den historischen Strom zu schwimmen.
Soweit Herr Friedländer.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie daran erinnern, daß die Motive zum Abschluß des IsraelAbkommens weiß Gott nirgendwo verkannt werden konnten, daß uns gleichwohl im arabischen Raum allerhand Schwierigkeiten daraus erwachsen sind, weil es uns eben nicht gelungen ist, diese Motive auch jedem deutlich zu machen. Ich fürchte sehr, daß auch die guten Motive, die wir hinsichtlich der Entwicklung der überseeischen Gebiete anführen könnten, draußen eben nicht ankommen, sondern daß man nur das Faktum sieht, daß wir die französische Kolonialpolitik unterstützen, mit der Konsequenz, daß man uns die Folgen der französischen Kolonialpolitik zur Last legt.
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Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, diesen Anschein zu vermeiden, indem man die souveränen nordafrikanischen Staaten zu einer gleichberechtigten Mitarbeit heranzieht und damit den Verdacht ausräumt, daß man sich in Kolonialgedanken bewege. Ich habe aber leider in den Artikeln über die Institutionen nichts darüber gefunden, wie die Mitarbeit der souveränen nordafrikanischen Staaten sich vollziehen soll. Im Ministerrat ist jedenfalls kein Platz gelassen, in der Kommission auch nicht; im Parlament wird es vielleicht die geringsten Schwierigkeiten machen. - Aber immerhin würde mir dies ,als eine Möglichkeit erscheinen, den Verdacht abzuwehren, daß auch wir uns etwa kolonialen Gedankengängen bewegten.
Nun ist auch hier schon sehr viel davon gesprochen worden, wie die Institutionen arbeiten, und es war da immer von einer parlamentarischen Kontrolle die Rede. Meine Damen und Herren, das ist ein sehr ernster Punkt. Ich habe das Gefühl, bei Festlegung der Bestimmungen über die Institutionen dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist geflissentlich dafür gesorgt worden, daß überhaupt keine parlamentarische Kontrolle vorhanden sein wird.
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Das Recht der Versammlung ist derart eingeengt! Wenn Sie die Klauseln lesen, dann finden Sie, daß die Versammlung einmal im Jahre zusammentreten darf, um einen Bericht entgegenzunehmen, daß sie diesen Bericht kritisieren darf, aber eigentlich keinen Beschluß darüber fassen kann, es sei denn den mit qualifizierter Mehrheit zu fassenden Beschluß, der einer Revolution gleichkäme, die Kommission ablösen zu lassen. Ein solcher Ministersturz wäre annähernd mit einer Revolution zu vergleichen und müßte derart tiefführende Beweggründe haben, daß er jedenfalls nicht als Regel angesehen werden kann, also auch nicht als eine Möglichkeit der Einflußnahme.
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Herr Furler hat vorhin von einem Budgetrecht gesprochen. Das gibt es leider auch nicht. Die Versammlung hat die Mäglichk den Haushalt der Europäischen Wirtschaftsgen einshaft zu prüfen und dem Ministerrat Vorschläge für eine Änderung zu unterbreiten, und der Ministerrat befindet dann darüber. Die Versammlung hat also für meine Begriffe gar nichts zu sagen.
Es wäre die Frage, inwieweit die nationalen Parlamente in dieser Sache ein Kontrollrecht ausüben können. Ein wenn auch beschränktes Kontrollrecht haben wir ja bei der Montanunion. Alle Zollvorlagen - allerdings sind sie dann schon in Kraft - werden hier im Parlament noch einmal verabschiedet. Es ist bis heute noch nicht vorgekommen, daß eine solche Zollvorlage abgelehnt worden ist. Wir können also nicht wissen, was in einem solchen Falle geschehen wird. In allen Fällen sind die Zölle, wenn wir hier darüber beschließen, schon lange Zeit in Kraft. Die einzige Kontrolle, die ich mir vorstellen kann, ist dann wieder die, daß wir den Beitrag zur Montanunion bei den Haushaltsberatungen zwar bewilligen, ihn aber einer Kritik unterziehen, oder ihn ablehnen.
Dann wurde uns gesagt - nicht heute, nicht hier im Hause, aber es wurde gesagt-,daß die Minister, die dem Ministerrat angehören, dem nationalen Parlament verantwortlich sind. Mit diesem Einwand wurde unser Bedenken beschwichtigt, zumal die französische Nationalversammlung, die eifersüchtig über ihre Rechte wacht, in diesem Punkte keine Einwendungen erhoben hat.
Aber, meine Damen und Herren, wir wissen doch, daß es bei uns eine Ministerverantwortlichkeit überhaupt nicht gibt. Wir können mit Hilfe ') des konstruktiven Mißtrauensvotums doch nur die ganze Regierung ablösen, ein Fall, der noch nicht vorgekommen ist, und auf den einzelnen Minister, der uns in dieser Versammlung vertritt, haben wir gar keinen Einfluß. Die Tatsache, daß der Bundesrat hier aus der Legislative ausgeschaltet worden ist, muß er selbst werten, und er wird das zu vertreten haben. Ihm brauchen wir, glaube ich, in dieser Hinsicht keine Ratschläge zu geben. Ich würde aber sehr gern von der Bundesregierung hören, wie sie diesem Mangel abzuhelfen gedenkt, zumal sie nach den Erklärungen nicht die Absicht hat, die parlamentarische Kontrolle 'auszuschalten. Ich bezweifle - ich habe vorhin schon darauf hingewiesen -, daß dieser Vertrag überhaupt zum Tragen kommt, daß das Ziel überhaupt erreicht werden wird. Herr Professor Erhard hat ja dieses Unternehmen als einen schwer gepanzerten Wagen mit zu kleinem Motor und überdimensionierten Bremsen bezeichnet,
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womit er doch sagen wollte, daß es kaum möglich ist, mit der gefundenen Konstruktion, mit der Vielzahl von Ausweichklauseln und mit all dem, was darin verankert ist, das gewünschte Ziel überhaupt zu erreichen. Die schönste Formulierung, die ich dazu gehört habe, ist die, daß sich der Vertrag selbst im Wege stehe.
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Das scheint mir weitgehend der Fall zu sein. Auch hier würde es nötig sein, in neuen Verhandlungen den Versuch zu machen, die schlimmsten Tücken auszuräumen, wenn überhaupt der Wille besteht, zu einer Gemeinsamkeit der Wirtschaft dieser sechs
Staaten zu kommen. Wenn Sie davon ausgehen, daß das Vertragsziel nur im Wege eines Anpassungsprozesses erreicht werden kann, indem sich die Produktion nach dem kostengünstigsten Standort hin verlagert, dann muß ich sagen: all die Klauseln des Vertrages, die für den Fall, daß der eine oder andere von diesem Verlagerungsprozeß betroffen wird, eine Hilfe vorsehen, sind doch ein Hindernis gegenüber diesem Anpassungsprozeß. Ich fürchte sehr, daß die Bremsen stärker sind als der Motor; denn wir haben so viel Schutzklauseln, Anpassungshilfen und Ausgleichskassen, die dem Anpassungsprozeß entgegenstehen, daß dadurch zum mindesten der Anpassungsprozeß entscheidend verlangsamt wird.
Die zweite Frage zu diesem Thema ist die Harmonisierung der Soziallasten. Auch hier muß ich anerkennen, daß es der Bundesregierung gelungen ist, die ursprüngliche Forderung entscheidend zu reduzieren. In den Vertrag selbst sind nur noch zwei Punkte aufgenommen, die wir glauben verkraften zu können. Aber in dem Vertragswerk steht doch auch der allgemeine Grundsatz, daß die Harmonisierung der Soziallasten im Laufe der Übergangszeit durchgeführt werden muß, und wir kennen doch die ursprüngliche Forderung. Das, was seinerzeit der Conseil Economique in Frankreich als Voraussetzung für das Zustandekommen des Vertrages gefordert hat, geht ja weit, weit über das hinaus, was jetzt im Augenblick zur Diskussion steht. Wir wissen auch, und zwar aus der französischen Parlamentsdebatte, daß die französische Regierung die Forderung jeweils bei jeder Etappe wieder anmelden wird und daß sie - und das ist ausgesprochen worden - die Zustimmung zum Weiterschreiten von der ersten zur zweiten Etappe und sicher auch von der zweiten zur dritten Etappe von unserem Willen abhängig machen wird, die viel weitergehenden sozialen Lasten, dieses ganze Gestrüpp von Sozialversicherungen, Beihilfen, Fürsorgen und dergleichen, das es heute in Frankreich gibt, zu übernehmen. Im Augenblick steht davon noch nichts im Vertrag, aber wir werden diesem Problem spätestens in vier Jahren nach dem Inkrafttreten der Verträge wieder begegnen. Und da ist dann doch die ernste Sorge berechtigt, ob hier nicht einfach durch die Addition der sehr viel höheren Soziallasten zu unseren sehr viel höheren Löhnen ein Kostenvorsprung für die französische Industrie geschaffen werden soll, der nun wiederum den gewünschten und als Ziel angesehenen Anpassungsprozeß verhindert.
Der dritte Punkt zu diesem Thema ist die Frage der Währungsrelationen. Auch das ist hier schon ausgiebig besprochen worden. Trotzdem muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß ja die verzerrten Währungsrelationen das Hindernis sind, weshalb die OEEC mit ihren Bestrebungen nicht mehr weitergekommen ist.
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Und dieses entscheidende Hindernis baut man jetzt in das neue Unternehmen ein. Man zementiert es dort nach dem Vertragstext. In der Debatte der französischen Nationalversammlung ist nämlich die beruhigende Erklärung abgegeben worden, daß man zwar alle Jahre mal darüber sprechen werde, wie man diese Dinge handhaben könne, daß aber doch im ganzen gesehen während der ganzen Dauer der Übergangszeit keine Möglichkeit bestehe, die Ausgleichsmaßnahmen, also die Einfuhrsteuern und
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die Exportsubventionen, anzugreifen und sie ohne die Zustimmung der französischen Regierung abzubauen.
Meine Damen und Herren, ich würde über diese Sache gar nicht sprechen - sie wäre vielleicht gar nicht so furchtbar wichtig -, wenn sie nicht ein entscheidendes Hindernis für den Erfolg des Vertrages darstellte. Was hat es denn für einen Sinn, eine solche Sache in Gang zu setzen, wenn man von vornherein mit der großen Gefahr rechnen muß, daß die Opfer, die wir an sich für einen größeren europäischen Markt zu bringen bereit sind, womöglich vertan sind, daß sie gar nicht zur Geltung kommen können?
Ich habe bisher noch nicht darüber gesprochen, wie sich die ganze Sache auf die deutsche Wirtschaft auswirken wird. Wenn hier gesagt worden ist: die höheren Außenzölle werden keine Preissteigerung zur Folge haben, - also, meine Damen und Herren, das ist ein vergleichsweise einfaches Rechenexempel! Der Herr Staatssekretär hat dagegengehalten, daß im internen Verkehr der sechs Mächte durch den Zollabbau Preisermäßigungen eintreten können. Ich fürchte, das ist ein Irrtum; denn der Warenverkehr zwischen den sechs Staaten bezieht sich ganz überwiegend auf Agrarprodukte, die ja von einer Zollsenkung nicht betroffen werden, und auf Waren, die Verbrauchsteuern bzw. zur Zeit Finanzzöllen unterliegen, also ebenfalls von der Zollsenkung nicht betroffen werden.
Etwas anderes ist die Frage, ob sich nicht durch das Ausräumen der Zölle andere Warenströme ergeben, die wir im Augenblick noch nicht übersehen können. Aber davon kann man sich jedenfalls für den Moment auf Grund der vorliegenden Unterlagen eben noch keine Senkung der Preise versprechen, wohl aber umgekehrt von den Außenzöllen eine recht massive Erhöhung der Preise; denn wir müssen für etwa 70 % unseres derzeitigen Warenverkehrs etwa 60 % der Zölle, im Schnitt also 40 % unserer Zölle erheblich anheben.
Gewiß hat die Bundesregierung um diese Sache gekämpft, und sie hat nicht ohne Erfolg gekämpft; auch das müssen wir zugestehen. Aber das ändert doch auch nichts daran, daß bei uns der Trend, die Zölle zu senken und allmählich abzuschaffen, abgestoppt wird, daß wir mit dem Zollniveau nach draußen hinauf müssen - von den Konsequenzen gegenüber unseren Handelspartnern will ich jetzt noch gar nicht sprechen -, daß wir aber hier zu Preiserhöhungen kommen müssen, die sich vielleicht - jedenfalls nach vier Jahren - durch die höheren Soziallasten verstärken werden.
Wir müssen ja auch die französischen Kolonialprodukte zu einem sehr viel höheren Preis einführen, als sie am Weltmarkt gekauft werden können. Das läßt sich aus dem Vertrag im Moment noch gar nicht herauslesen, weil ja zunächst nur Generalklauseln über den Verkehr der Agrarprodukte beschlossen worden sind, die der Ministerrat erst mit Leben zu erfüllen hätte. Aber der Wille der französischen Regierung, unter allen Umständen das in ihren überseeischen Gebieten weit über den Weltmarktpreisen liegende Preisniveau für die Einfuhren nach Deutschland zugrunde zu legen, steht nun allerdings fest, und wir werden dem nach den Vertragsklauseln kaum ausweichen können.
Ich darf Sie auf die Auswirkung einer Klausel aufmerksam machen, die sich ganz harmlos liest.
Da steht, daß die Einfuhrländer künftig ihre im Inland geltenden Preise für die Einfuhren zugrunde legen werden. - Wir kaufen im Jahre 500 000 t Weizen von Frankreich, für die wir bisher den Weltmarktpreis bezahlt haben und für die wir künftig unseren hochgeschleusten Preis bezahlen müssen. Das macht eine Differenz von 80 Millionen Mark aus, die Herr Schäffer weniger an Abschöpfungsbeträgen in der Kasse haben wird. Mit dieser Summe werden wir also den französischen Weizenanbau subventionieren.
Gut, es ist kein ausschlaggebender Betrag; aber es ist e i n Artikel. Für die anderen kann ich es leider nicht ausrechnen. Von dem weiß ich's. So wird es noch eine ganze Menge Dinge geben, bei denen Preissteigerungen auf uns zukommen. Wir haben, glaube ich, die künftige Produktivitätssteigerung in Deutschland schon bis an die äußerste Grenze belastet. Dazu kommen nun die hier in dem Vertrag liegenden Lasten. Ob wir sie weiter mit Produktivitätssteigerungen auffangen können, wage ich zu bezweifeln. Ich würde gerne von der Bundesregierung hören, wie sie dieses Bedenken ausräumt. Aber einfach zu negieren und festzustellen: Aus Zollerhöhungen werden sich keine Preiserhöhungen ergeben, - so leicht kann man sich die Sache nicht machen!
Ich komme zu einem zweiten bedenklichen Punkt. Den Erfolg unserer Wirtschaft verdanken wir doch in erster Linie der wirtschaftlichen Auffassung - die der Herr Bundeswirtschaftsminister immer vertreten hat - der freien Marktwirtschaft, die ja das Ziel der Freien Demokraten ist. Der Erfolg liegt auf der Hand und wird kaum mehr bestritten. Nun nähern wir uns leider dem Ende der Marktwirtschaft; denn gerade das, was uns die Bundesregierung bei den Zöllen als Ausweichmöglichkeit preist - die Zollkontingente -, führt ja sofort zum Dirigismus. Da eine begrenzte Menge gegeben ist, stürzt sich alles auf diese Menge, und sofort haben Sie wieder Quoten und den ganzen Zirkus, den wir ja aus der Vergangenheit kennen. Es gibt im Vertrag so viele solche Vorschriften, daß ich nicht glauben kann, daß sich die freiheitliche Auffassung gegenüber der dirigistischen durchsetzen kann.
Die letzte Frage, die im Zusammenhang mit den Folgen dieses Unternehmens zu behandeln ist, ist die Frage der Abkehr vom Weltmarkt. Ich sagte vorhin schon, daß wir etwa 45 % unseres Außenhandels mit überseeischen Gebieten betreiben und daß wir in diesem Bereich leider mit etwa 3 Milliarden DM defizitär sind, daß wir also doch versuchen müßten, unser Gewicht etwas mehr in diesen Bereich - auch zur Entlastung des europäischen Marktes - hineinzuverlegen. Aber nach den nun getroffenen Abmachungen wird es mit dem Welthandel und mit der auch hier im Hause vorhin noch so gepriesenen Unterstützung der Entwicklungsländer ja dann wohl sein Ende haben; denn wenn wir den Großteil der Kolonialprodukte in den überseeischen Gebieten Frankreichs und Belgiens kaufen müssen und kaufen werden - denn das ist ja der Sinn dieser Zusammenarbeit -, dann wird für den Rest nicht mehr viel übrigbleiben.
Ich habe hier eine Reihe von Bedenken aufgezählt, und ich glaube, es sollte das Anliegen der Bundesregierung sein, diese Bedenken auszuräumen. Aber man kann das nicht einfach tun, indem
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man von der Dynamik der Entwicklung spricht. Soviel Glauben an die Dynamik der Entwicklung habe ich nicht mehr, und ich will Ihnen auch sagen warum. Wir haben bei uns zu Hause - Herr Professor Furler kennt das genau - aus vier Ländern durch eine Volksabstimmung mit einer ausreichenden Mehrheit, aber gegen den Willen eines Teiles dieses Bereiches, ein einziges Gebilde geschaffen. Man hätte doch annehmen sollen, daß in den Jahren, die seitdem vergangen sind, ein Zusammenwachsen stattgefunden hätte, daß also die Dynamik der Entwicklung die Widerstände überwunden hätte. Aber ich sehe da leider nichts von Ergebnissen der Dynamik der Entwicklung. Es ist weder gelungen, zu einer vernünftigen Bezirkseinteilung zu kommen, noch ist es gelungen, die Landkreise etwas rationeller zu gestalten. Also hier kann von einer Dynamik der Entwicklung überhaupt keine Rede sein.
Denn das ist doch die Frage, wie weit die einzelnen Teilnehmer sich an der Dynamik der Entwicklung beteiligen wollen. Wir wissen doch, daß Frankreich ein sehr reiches Land ist; es ist nicht nur ein schönes, sondern auch ein außergewöhnlich reiches Land mit einer sehr geschickten und fleißigen Bevölkerung. Es sind also alle Voraussetzungen für eine gesunde und ertragreiche Wirtschaft gegeben. Schon allein die Sprache des französischen Volkes! In keiner Sprache können Sie die unangenehmsten Dinge so charmant sagen, daß sie nicht verletzen. Mit welcher Geschicklichkeit gibt man eine verheerende Wirtschaftspolitik als sozialen Fortschritt aus.
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Wie schön klingt ein Preisen irgendeiner Idee in der französischen Sprache. Also nur im Französischen ist so etwas möglich. Und dieses Volk sollte nicht können, wenn es wollte? Ich wage das zu bezweifeln.
Die in den letzten Tagen verhängten Importrestriktionen und Erhöhungen der Einfuhrabgaben sind eigentlich kein guter Auftakt, kein Beweis des guten Willens zur Zusammenarbeit, wie Herr Hallstein es hier ausgedrückt hat.
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Er sagte, daß das künftige Wirken in der Gemeinschaft immer von dem Geist echter Zusammenarbeit der beteiligten Staaten getragen sein werde. Wenn aber diese beteiligten Staaten derartige Extratouren unternehmen, solange sie gerade eben noch die Möglichkeit dazu haben, was wollen wir dann von diesem Geiste echter Zusammenarbeit halten?
Ich bitte also, nicht alles, was an Schwächen und Mängeln in diesem Vertrag enthalten ist, mit dem Glauben an die Zukunft und mit der Dynamik der Entwicklung zu entschuldigen. Wir möchten gern genaue Fakten haben, die man kritisch prüfen kann, zu denen man dann ja oder nein sagen kann, je nach dem, ob sie zu einer befriedigenden Regelung führen oder nicht.
Es ist auch noch eines zu bedenken. Es würde der internationalen Höflichkeit entsprechen, dieses Vertragswerk vor der Ratifizierung in dem von uns anerkannten GATT - dem General Agreement on Tariffs and Trade - prüfen zu lassen, sich mit den anderen GATT-Teilnehmern darüber zu unterhalten, ob sie Bedenken haben oder nicht, und wenn ja, diese Bedenken auszuräumen. Ich fürchte sehr, wenn man das nach der Ratifizierung macht, wird es sehr teuer kommen. Es ist eine alte Erfahrung, daß, wenn die Dinge einmal beschlossen sind und man die Zustimmung eines Dritten haben muß, das nicht billig wird. Aber es würde auch dem Ansehen der Bundesrepublik in den internationalen Gremien durchaus dienen, wenn das GATT vor Ratifizierung der Verträge befragt würde.
Ich sehe überhaupt keinen Grund zu dieser schrecklichen Eile. Warum muß jetzt die Ratifizierung hier in den letzten Wochen dieses Parlaments, das kaum noch legitimiert ist, so etwas zu machen, durchgepeitscht werden?
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- Sicherlich, staatsrechtlich bin ich völlig Ihrer Meinung, aber es gibt ja doch noch politischen Anstand!
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- Jawohl, Herr Dr. Hellwig, das habe ich Ihnen zugestanden: staatsrechtlich sind Sie im Recht; aber ob es geschickt und klug ist, dieses Vertragswerk mit Methoden durchzupeitschen, Herr Dr. Hellwig, die mich sehr daran erinnern, wie seinerzeit Bonn Bundeshauptstadt geworden ist, und dabei die Gesetze internationaler Höflichkeit zu verletzen, das halte ich doch für fraglich.
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Außerdem würde ich es für richtig ansehen, wenn die Bundesregierung die hier vorgetragenen Bedenken in Verhandlungen mit den übrigen Mitgliedstaaten noch einmal prüfte und versuchte, sie auszuräumen. Meine Fraktion würde es begrüßen, wenn es der Regierung gelänge, unsere Bedenken bis zu der Entscheidung zu zerstreuen. Ich darf nochmals darauf hinweisen, daß der gleichzeitige Abschluß von Vereinbarungen über Freihandelszonen mit den übrigen Ländern des OEEC-Raums manche der hier vorgetragenen Bedenken für uns etwas weniger deutlich hervortreten ließe, daß also, rundheraus gesagt, wenn die Vereinbarungen über die Freihandelszonen gleichzeitig abgeschlossen werden könnten, wir die hier vorgetragenen Bedenken weniger wichtig nähmen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Dr. Elbrächter ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, dem Hause die Auffassung meiner politischen Freunde von der Fraktion der DP ({1}) mitzuteilen. Ich darf vorweg bemerken, daß meine Freunde dem Vertrag zustimmen werden. Trotz aller Bedenken, die gerade vom letzten Redner sehr stark in den Vordergrund gestellt worden sind und die auch in der Öffentlichkeit lebhaft erörtert worden sind und
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die wir auch teilen, bin ich der Meinung, daß die positiven Elemente überwiegen.
Ich darf mit dem beginnen, was der Herr Kollege Margulies zu Anfang seiner Darlegungen gesagt hat. Er meinte, daß dies eine rein wirtschaftliche Frage sei. Nichts ist verkehrter als eine solche Auffassung. Auch ich komme aus der Wirtschaft und habe erlebt, wie stark die Wirtschaft von der Politik abhängig ist, daß eine gesunde Wirtschaft nur da gedeihen kann, wo ein guter politischer Unter- oder, wenn Sie wollen, Oberbau vorhanden ist. Wir müssen also sowohl die politschen als auch die wirtschaftspolitischen Aspekte und ökonomischen Betrachtungen gleichwerten. Namentlich das bewegt mich, diesem Vertrag sowohl aus politischenals auch aus wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten zuzustimmen.
Die Alternative, die man in der Presse, auch in der ausländischen Presse findet, ist falsch. Dort wird es so dargestellt, das man aus politischen Gründen zustimmen müsse, aber ökonomisch sei es nicht zu verantworten. Auf die knappste Formel hat es der Geheimrat W e b e r aus München gebracht: Juristisch ein Meisterwerk - er meinte die Institutionen - und volkswirtschaftlich Stümperei! Ich konzediere den Wirtschaftstheoretikern, daß sie es sehr viel leichter haben als die Politiker. Der Wirtschaftstheoretiker hat lediglich die Aufgabe, die Tatbeistände und die Konsequenzen logisch scharf herauszuarbeiten. Als Politiker stehen wir vor der sehr viel unangenehmeren Tatsache, Kompromisse schließen zu müssen. Ich glaube daher, daß nicht der Wirtschaftstheoretiker allein berufen ist, die Dinge zu betrachten und zu entscheiden, sondern daß hier in erster Linie der Politiker entscheiden muß. Das möchte ich mit aller Deutlichkeit zu Anfang herausstellen.
Wir erleben hier einen einmaligen Vorgang; oder ich hoffe, daß wir an der Schwelle dazu stehen. Zum erstenmal, glaube ich, beschließen sechs Nationen und bekunden in einem Vertragswerk feierlich die Absicht, ein gemeinschaftliches Territorium zunächst zumindest für die Wirtschaftspolitik zu schaffen, mit der weiteren Absicht, daraus eine gemeinsame politische Institution werden zu lassen. Das ist eines der ermutigendsten Zeichen, die wir in unserer Welt, die so sehr pessimistisch beurteilt wird, erleben dürfen. Ich glaube, daß der Optimismus der letzten Jahre, der gerade in Deutschland von den Kritikern immer so stark beanstandet worden ist, uns auch hier recht geben wird.
Es ist zweckmäßig, an einige nüchterne Zahlen zu erinnern. Hier werden sich 162 Millionen Menschen zusammenschließen auf einem Raum, der dicht besiedelt ist und einausgezeichnetes Verkehrsnetz hat, wo alle Rohstoffquellen, wenn auch nicht allzu ergiebig, so doch vorhanden sein werden. Ein blühender Exporthandel schon der jetzigen einzelnen Partner erschließt uns die Welt, aus der wir die Rohstoffe, die wir nicht selber haben und erzeugen können, importieren.
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Insofern geht, glaube ich, Herr Kollege Deist , Ihre Kritik an der Sache vorbei. Sie haben theoretisch recht, wenn Sie sagen, daß die binnenwirtschaftliche Marktsteuerung wegen des enormen Volumens des Haushalts in ihrer Bedeutung immer mehr steigen wird. Sie 'übersehen doch aber, daß keine binnenwirtschaftliche Steuerung der Volkswirtschaft uns in die Lage versetzt, die von unserer Volkswirtschaft so dringend benötigten Rohstoffe einzuführen. Wir stehen nun einmal in Deutschland und praktisch in ganz Europa, zumindest in dem Gebiet, um das es sich hier handelt, vor der Notwendigkeit, zahlreiche Rohstoffe einzuführen, um sie verarbeitet wieder ausführen zu können. Von diesem Zwang befreit uns keine planmäßige binnenwirtschaftliche Steuerung. Damit erledigt sich eigentlich Ihre 'scharfe Kritik; sie ist dem, was von den schärfsten Kritikern in der Presse berichtet wird, diametral entgegengesetzt. Ich denke an die Kritik von Herrn Professor Röpke, ich denke auch an die Kritik des Amerikaners Hazlitt, der in einem sehr gut fundierten Aufsatz igeschrieben hat, daß allem Anschein nach der einfachste Weg zu einfach sei und daß man daher eine sehr komplizierte Apparatur schaffe, um den einfachen Weg zu vermeiden.
Natürlich bin ich mit dem Herrn Hazlitt völlig einer Meinung darin, daß die Konvertibilität und die Rückkehr zum Goldstandard und damit zum Freihandel der sympathischste Weg wäre. Aber wir dürfen doch nicht vergessen, warum uns dieser Weg verschlossen ist. Gerade unserem Herrn Bundeswirtschaftsminister kann man doch nicht vorwerfen, daß er nicht alles versucht habe, diesen Weg zu beschreiten; er hat es heute noch einmal betont. Daß wir 'keine konvertierbare Währung haben, ist doch nicht nur ein monetäres Problem und ein Problem dies Haushalts. Das ist doch darauf zurückzuführen, daß leider seit 1914 die internationalen Prinzipien eben des Freihandels und des Goldstandards zerstört worden sind, daß sich infolge dieser verkehrten politischen Auffassung - wir wissen das doch sehr genau - die nationalen Wirtschaften entwickelt haben, daß sich unter dem Deckwort „Autarkie" ein nationalistischer Egoismus in der Wirtschaft 'breitgemacht hat und daß es daher zu völligen Verzerrungen in den einzelnen Nationalwirtschaften gekommen ist. Nicht mehr die Standortbedingungen in bezug auf Rohstoffe, nicht mehr die Arbeitskraftkapazität oder das technische Ingenium - ich denke z. B. .an die Schweiz - waren maßgebend, sondern es herrschte einfach der rohe politische Wille vor, nationale Wirtschaften aufzubauen, koste es, was es wolle. Die Bürger dieser Staaten haben den Preis dafür über Steuern und über Preise bezahlt.
Dieses Prinzip wollen wir zerstören. Wir kommen nach meiner Auffasssung aber nicht zu diesem Ziel, wenn wir jetzt einfach durch einen Gewaltakt Konvertibilität und Rückkehr zum Goldstandarddekretieren wollen, aus dem einfachen Grunde, weil dann schlagartig sehr viele aufgebaute Wirtschaftsunternehmen zerstört würden. Deshalb halte ich den langsamen Anpassungsweg fiar den richtigen. Ich bin mit Herrn Staatssekretär Hallstein der Meinung, daß dieser Weg der Anpassung wahrscheinlich schneller gegangen werden wird, als es vertraglich festgelegt ist. Wir werden laber eine solche Periode der Anpassung, der langsamen und graduellen Anpassung brauchen, wenn wir das gemeinsame wirtschaftspolitische und damit politische Ziel erreichen wollen. Würden wir die Sache übereilen, das Problem mit einem Aufgalopp lösen wollen, so würden wir - die Erfahrung der letzten Jahre hat es gelehrt - nicht zum Ziele kommen, sondern würden alles zerstören und alle Möglichkeiten vernichten, die uns jetzt erfreulicherweise gegeben sind.
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Es wird so oft ein Vergleich mit dem Zollverein gezogen, der vor mehr als 120 Jahren auf dem Boden unseres Vaterlandes gegründet worden ist. Die Bedingungen sind wohl etwas anders. Damals war ein ganz starker politischer Wille zur Einigkeit vorhanden; er war durch die Befreiungskriege geweckt worden. Aber selbst dieser politische Impuls hat damals nicht ausgereicht, die wirtschaftspolitische und politische Einheit unseres Vaterlandes herbeizuführen, sondern es bedurfte eines sehr langen, zähen Ringen von 1818 bis 1851; denn erst 1851 ist das Königreich Hannover und das Großherzogtum Luxemburg der preußisch-süddeutschen Zollunion beigetreten. Ein so langer Zeitraum war damals nötig, um die Zollunion auf deutschem Boden zu vollziehen.
Dabei muß man noch folgenden Unterschied gegenüber heute berücksichtigen. Damals handelte es sich vorwiegend um agrarstrukturierte Länder - der Ausdruck „Staat" ist vielleicht etwas vermessen; es handelte sich ja um Ländchen -; der gewerbliche Anteil war sehr viel geringer. Heute ist der Bereich, der von einer Zollunion betroffen wird, sehr viel größer. Der Anteil der Agrarprodukte am Sozialprodukt beträgt in Deutschland 10 %, während der der Erzeugnisse der gewerblichen Wirtschaft 80 % ausmacht. Sie sehen also den Unterschied gegenüber der Zeit vor 100 Jahren.
Trotzdem ist die Gründung der Zollunion auch damals als eine Befreiungstat empfunden worden. Ich möchte Ihnen ein Gedichtchen vorlesen, das Hoffmann von Fallersleben 1840 auf die Zollunion geschrieben hat. Ich lese es vor, damit Sie sehen, wie sich auf der einen Seite ganz konkrete materielle Dinge politisch auswirken werden und daß man gerade bei den kleinsten Dingen nicht unterschätzen darf, welche weittragenden politischen Folgen sie haben können. Das Gedicht aus den „Unpolitischen Liedern" - das ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen darf - lautet:
Schwefelhölzer, Fenchel, Bricken, Kühe, Käse, Krepp, Papier,
Schinken, Scheren, Stiefel, Wicken, Wolle, Seife, Garn und Bier;
Pfefferkuchen, Lumpen, Trichter, Nüsse, Tabak, Gläser, Flachs,
Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter, Rettich, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs, und ihr andern deutschen Sachen,
Tausend Dank sei euch gebracht! Was kein Geist je konnte machen, ei, das habet ihr gemacht:
denn ihr habt ein Band gewunden um das deutsche Vaterland.
und die Herzen hat verbunden mehr als unser Bund dies Band.
Wir wollen ruhig eine gehörige Portion Ironie und Satire abziehen, es steckt doch ein echter Kern darin.
Die wirtschaftliche Notwendigkeit hat sich als so stark erwiesen, daß tatsächlich diese Zollunion zumindest zur Vorbedingung der Einigung Deutschlands wurde. Ich darf darauf hinweisen, daß die letzte Einigung allerdings durch einen sehr kriegerischen Akt oder, sagen wir besser: unter dem Eindruck eines kriegerischen Aktes. so wie Bismarck es ausdrückt: durch Blut und Eisen, vollzogen wurde. Genau das wollen wir nicht, Es ist der große fundamentale Unterschied, daß wir
heute die Einigung des europäischen Territoriums in einer echt demokratischen Weise vollziehen wollen. Wir können diesen Punkt gar nicht stark genug unterstreichen. Ich glaube also, daß Herr Kollege Margulies nicht recht hat, wenn er meint, daß man Parallelen aus der Geschichte nicht ohne weiteres anwenden darf. Ich glaube, daß die Geschichte immer noch ein sehr guter Lehrmeister ist.
Nun lassen Sie mich noch ganz allgemein einiges zu den wirtschaftlichen Argumenten sagen. Nicht nur die in der Regierungserklärung als Symbole herausgestellten Produktionszweige, Flugzeugindustrie, Atomtechnik usw., veranlassen uns, zu einer größeren Wirtschaftseinheit zu kommen. Eigentlich ist es das Prinzip unserer industriellen Produktion, nämlich das Prinzip der Massenfertigung, das uns einfach dazu zwingt, zu größeren, einheitlichen Absatzgebieten zu kommen. Die Kapitalkosten innerhalb der Produktionsmittelkosten - Herr Kollege Hellwig wird in seinen Darlegungen darüber wahrscheinlich noch länger sprechen, ich will es kurz machen - werden immer höher. Wenn wir zu niedrigen Preisen, zu geringen Kosten je Einheit kommen wollen, ist es notwendig, einen möglichst hohen Ausstoß zu haben.
Das Prinzip der Massenfertigung verlangt den Massenmarkt, und genau dieser soll geschaffen werden. Wir sollten uns doch daran erinnern, daß Amerika mit rund 170 Millionen Einwohnern ein Bruttosozialprodukt von, wenn ich nicht irre, etwa 360 Milliarden Dollar hat. Für unsere sechs Nationen werden wir, wenn man die Einzelzahlen addiert, auf ein Sozialprodukt kommen, das nur den dritten Teil ausmacht. Die Kopfquote liegt in diesen sechs Ländern zur Zeit bei etwa 2800 DM, während in Amerika die Kopfquote über 2200 Dol- lar, also bei rund 9000 DM - das ist das Dreieinhalbfache - liegt. Dieses amerikanische Beispiel ist immer noch imponierend. Infolgedessen sprechen alle wirtschaftspolitischen Erwägungen dafür, daß man auch mit diesem vielleicht schlechten Instrument den Versuch wagen sollte, zu einer großen politischen und ökonomischen Einheit in Europa zu kommen. Es sind ganz einfache 'Überlegungen, die uns als Wirtschaftspolitiker dazu zwingen.
Auch ich möchte auf einige Einwände kommen. Die prinzipielle Frage ist doch: warum soll die Summierung von sechs wirtschaftspolitisch getrennten Einheiten in den einzelnen Ländern mehr ergeben als die Integration aller sechs Staaten? Ich habe soeben schon eine Antwort gegeben, indem ich auf das Prinzip unserer Produktion hingewiesen habe, auf das Prinzip der Massenfertigung - als Korrelat - des Massenmarktes. In diesem Prinzip steckt eine ungewöhnliche Dynamik. Ich glaube nicht, daß man das als Romantik oder sonst irgendwie als Glaube abtun kann, lieber Herr Kollege Margulies. Es ist doch vielmehr eine nüchterne ökonomische Erfahrung, daß aus solchen Märkten neue Incentiva, Anreize und Stöße hervorgehen. Ich glaube also, daß hier eine echte Dynamik einsetzen wird.
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Ich habe keinerlei Bedenken, daß wir auf diesem Wege wirklich zu ganz anderen, den amerikanischen vergleichbaren Größenordnungen unseres Sozialprodukts kommen werden.
Damit ist auch schon die Frage 'beantwortet, die, glaube ich, Sie, Herr Kollege Margulies, zum Schluß gestellt haben, wieso wir es denn fertig({6})
bringen sollen, fremde Gebiete zu unterstützen und auch den Aufbau Mitteldeutschlands, wenn der Tag X ,gekommen ist, zu vollziehen. Gerade dadurch, daß wir eine größere wirtschaftliche Einheit bilden, werden wir instand gesetzt werden, diese Aufgaben dieses Jahrhunderts, wie Herr Kollege Furler zu Recht gesagt hat, zu lösen.
Zur Frage der Konvertibilität habe ich schon einige Bemerkungen gemacht. Ich will mich hier kurz fassen, nachdem darüber schon soviel gesagt worden ist. Ich möchte nochmals betonen, daß die Konvertibilität mir zwar als die beste Lösung erscheint, aber wegen der Desorganisation, der Desintegration, die seit 1914 stattgefunden hat, zur Zeit nicht erreichbar ist. Wir haben die Zeche von zwei Kriegen bezahlt. Was in den Ländern 1914 an wirklichem Reichtum aufgebaut war und an Potential geschaffen war, ist leider zerstört worden. Eine falsche Nachkriegspolitik nach 1918 hat uns keinerlei Chancen gegeben. Nicht nur in Deutschland ist eine falsche Nachkriegspolitik getrieben worden, sondern da sind sämtliche Staaten, gerade auch die Siegermächte einzubeziehen. Wir in Deutschland können stolz sein - Herr Erhard hat es betont -, daß wir hier zum erstenmal trotz der wirtschaftlichen Misere den Weg nach vorn gesucht haben. Ich glaube, daß dieser Weg nach vorn auch der Weg ist, der uns in Europa weiterbringen wird.
Der in der Presse vielleicht am meisten erwähnte Einwand betrifft die soziale Harmonisierung. Ich bin dem Herrn Kollegen Margulies dankbar, daß er die Sache in etwa richtiggestellt hat. Das Kind sollte beim Namen genannt werden. Es ist sehr erheiternd, wenn heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von einem französischen Kolonialbeamten berichtet wird, der infolge Vielweiberei, die dort herrscht, 42 Kinder hat und statt des ihm zustehenden Einkommens infolge des in Frankreich bezahlten Kindergeldes 2000 oder 3000 DM Monatseinkommen hat. Solche Mitteilungen in der Presse sind zwar neckische Spielereien, aber das ist doch völlig irrelevant. Tatsache ist, daß alle französischen Ansprüche in dieser Richtung nicht nur von Deutschland, sondern auch von den anderen Partnerstaaten abgewiesen worden sind. Diesen Eindruck habe ich jedenfalls aus den Protokollen gewonnen.
Übriggeblieben sind ganze zwei Forderungen, die hier genannt werden müssen, weil sie von uns ohne weiteres erfüllt worden sind oder erfüllbar gemacht werden können. Die erste Forderung betrifft die Lohngleichheit zwischen Mann und Frau. Wir gehören bekanntlich dem Internationalen Arbeitsamt an und haben uns sowieso zur Erfüllung dieser Forderung verpflichtet. Das ist eine Frage des Lohnsystems. Im Prinzip haben wir diese Forderung zugestanden. Das belastet uns also überhaupt nicht. Die zweite Forderung betrifft die bezahlten Urlaubstage. Rechnet man die in Deutschland bezahlten Feiertage hinzu, kommen wir ohne jede Schwierigkeit praktisch zur gleichen Zahl wie in Frankreich.
Die weitere Forderung nach Überstundenzuschlägen ab 40 Stunden ist rigoros abgelehnt worden, und ich glaube nicht, daß sie je eine Chance hat angenommen zu werden. Wir sind uns in diesem Hause wahrscheinlich darüber einig, daß wir am Ende dieser Periode von 15 Jahren eine 40-Stunden-Woche haben werden.
Ich hoffe, mit möglichst vielen Kollegen in Übereinstimmung zu sein, wenn ich sage: je mehr Leistungen wir nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern in der ganzen Welt vollbringen, desto mehr sollten wir uns hüten, hier auf Kosten der anderen Völker, die auf uns warten und auf uns rechnen, Vorteile in Anspruch zu nehmen, die auszunutzen unsere wirtschaftspolitischen Erfolge uns vielleicht in kürzerer Zeit schon gestatten wer- den. Diese Überlegung sollte doch ernsthaft berücksichtigt werden.
Nun zu der Forderung der Franzosen, daß möglichst die Totalbelastung des Sozialetats in allen sechs Staaten gleich sein soll. Ich glaube, das haben wir gar nicht so sehr zu fürchten. Wenn man die Soziallasten und auch die freiwilligen Sozialleistungen der deutschen Wirtschaft richtig berücksichtigt, ergibt sich, daß wir gar nicht so sehr viel niedriger als die Franzosen liegen. Darüber gibt es eine sehr interessante Studie. Dieses Kapitel wiegt sehr schwer. Aber im großen und ganzen bin ich hier gar nicht so ängstlich. Außerdem darf ich dieses Hohe Haus daran erinnern, daß wir eifrig dabei -sind, unsere deutschen Soziallasten auch ohne Gemeinsamen Markt zu erhöhen. Diese Tendenz in der deutschen Sozialpolitik kann hier nicht unberücksichtigt bleiben. Ich habe also wegen dieser Forderung absolut keine großen Bedenken, weder sozialpolitisch noch wirtschaftspolitisch. aus dem sehr einfachen Grunde, weil bei den meisten Industrien die Lohnanteile - ich habe das vorhin schon gesagt - gegenüber den Kapitalkosten immer geringer werden. Infolgedessen werden uns die Belastungen auf dem sozialen Sektor nicht so schwer drucken, wie uns das jetzt vielleicht erscheinen wird.
Ich habe überhaupt den Eindruck, daß Frankreich ein an und für sich reiches Land ist: Herr Kollege Margulies hat des schon richtig gesagt. Das Sozialprodukt war im Jahr 1954, umgerechnet in D-Mark. 178 Milliarden DM, was einer Kopfquote von 4100 DM entspricht. In der Bundesrepublik betrug das Sozialnrodukt zur gleichen Zeit nur 145 Milliarden DM mit einer Kopfquote von ungefähr 2900 DM. Wenn in der Presse Frankreich häufig als der arme Mann oder der kranke Mann von Europa hingestellt wird, so liegt ein typisches Understatement vor oder eine sehr geschickte Verhandlungstechnik. Ich will die Frage nicht entscheiden, welches die eigentlichen Absichten sind. Ich möchte annehmen, daß es mehr ein Understatement ist. Dem widersprechen die Ergebnisse wirtschaftlicher Beobachtung. Die Franzosen haben eine ganz ausgezeichnete industrielle Produktion. und sie konkurrieren auf dem Weltmarkt lebhaft mit uns. Sie können mit uns deswegen so gut konkurrieren, weil ihre Kapitalmöglichkeiten ganz andere sind als unsere. Während unsere Hauptsorge in der Wirtschaft die Kapitalfrage ist, stellt sich dieses Problem in Frankreich sehr viel leichter.
Nun zu der Frage der Zölle. Herr Kollege Margulies hat sehr lange Ausführungen dazu gemacht. Ich kann mich seinen Ausführungen generell anschließen. Selbstverständlich ist es ein Widersinn, daß man eine Zollunion macht mit der Absicht. möglichst viel Außenzölle zu erhöhen. Die französische Auffassung entsprach in der Tat der Vorstellung daß eine Zollunion bedeutet: Wegfall der Binnenzölle, Errichtung möglichst hoher Außenzölle. Ich bin der Auffassung, daß auch hier die Entwicklung den gleichen Weg gehen wird, der vor
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100 Jahren in Deutschland erkämpft worden ist. Auch damals gab es eine lebhafte Diskussion über Schutzzölle und Freihandelspolitik. Gesiegt hat praktisch seit 1865 die Freihandelspolitik.
Ich bin überzeugt, daß unsere Vertreter in den entsprechenden Institutionen in dieser Beziehung stark sein werden und auch von den anderen Ländern viel Unterstützung haben werden. Ich denke dabei an ,die Beneluxländer, die ein sehr vitales Interesse an möglichst niedrigen Zöllen haben.
Wir sind uns darüber einig, daß es ein Unfug ist, wenn wir - um bei dem klassischen, berühmt gewordenen Beispiel der Bananen zu bleiben - für die 3 % zollfreie Einfuhr aus dem französischen Überseegebiet die übrigen 97 % verteuern müssen. In der Tat ist der Bananenzoll leider ein sehr ungünstiges Beispiel. Wir haben hier bisher keinerlei Zölle gehabt. Die Italiener hatten einen Prohibitivzoll von 40 %. Daraus errechnet sich ein Mischzoll von 20 %. Gerade bei ,der psychologischen und ernährungsphysiologischen Bedeutung der Banane in Deutschland wäre es sehr mißlich, wenn wir hier zu einer Verteuerung kämen. Aus dem hinsichtlich der Zollposition „Bananen" uns gestern zugestellten Papier geht immerhin hervor, daß wir im Laufe der langen Anlaufzeit erhebliche zollfreie Kontingente haben werden. Ich gebe Herrn Margulies prinzipiell recht: Kontingentwirtschaft ist immer mißlich. Aber so ganz unbekannt ist sie ja auch jetzt nicht. Denn wenn wir auch liberalisiert haben, so haben wir doch immer noch gewisse Kontingente.
Eine weitere Verteuerung - ich darf konkrete Beispiele nennen - ist noch zu erwarten bei Zitronen, wo der Zollsatz von O auf 8 %, und bei Apfelsinen, wo er von 10 auf 15 % gehen soll. Dafür sinkt er bei Kakao von 10 auf 9 % und - jetzt kommt das Attraktive - bei Rohkaffee von 34 auf 16 %. Ich möchte hier die Erwartung aussprechen, daß wir Herrn Schäffer nicht zustimmen werden, wenn er diese Differenz dann in eine Verbrauchsteuer umwandeln will.
Sie sehen: wenn man das richtig koordiniert, kann dabei durchaus herauskommen, daß die Belastungen des einzelnen nicht größer sein werden als bisher, weil eben viele Dinge auch weiter hereinkommen.
Ich will nicht auf die Problematik der Zölle bei gewerblichen Waren eingehen; ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nicht zu lange in Anspruch nehmen.
Ich bin also der Auffassung, daß die Zollfrage nicht gar so ungünstig gelöst ist. Insbesondere bin ich unserer Verhandlungskommission sehr dankbar, daß sie rigoros jeden Anspruch der Franzosen auf Abnahmeverpflichtungen in bezug auf Erzeugnisse aus den Überseegebieten abgelehnt hat. Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Verhandlungserfolg. Das sollte hier doch auch einmal als Positivum - nach all dem Negativen, das von dieser Stelle aus gesagt worden ist - bewertet werden.
Nun zu dem nächst den Zöllen vielleicht schwierigsten Problem, das hier schon eingehend erörtert worden ist, den Überseegebieten. Auch ich habe hier ein sehr ungutes Gefühl. Aber nach sehr eingehendem Studium der betreffenden Vertragstexte glaube ich, daß in 'dieser Beziehung alle Giftzähne herausgebrochen worden sind. Wir wollen doch nicht verkennen, daß die Investitionen, die
dort in französischen Gebieten gemacht 'werden, echt begründet sind. Zunächst muß überhaupt noch einmal klar zum Ausdruck gebracht werden, daß es einfach gar nicht geht, die französischen Überseegebiete herauszunehmen. Denn es ist eine Tatsache, daß die Überseegebiete Zollunion mit dem Mutterland haben. Wenn wir also auf unserem Wunsch - ich kann nicht sagen: Forderung - beharrt hätten, dann hätte das bedeutet, daß wir an Frankreich das Ansinnen ,gestellt hätten, unseretwegen die ganze französische Kolonialpolitik sofort zu liquidieren. Jeder, der etwas von Politik und von Völkerpsychologie versteht, weiß, daß das ein unmögliches Begehren gewesen wäre. Wir haben also keine logischen Argumente für eine Ausklammerung dieser Gebiete. Infolgedessen müssen wir uns damit abfinden, sie einzubeziehen.
Nun sind aber nach meiner Überzeugung die Schutzmaßnahmen ausreichend. Erstens ist, glaube ich, sichergestellt, daß mit unseren Mitteln, die dorthin fließen - die, auch das wollen wir einmal deutlich sagen, nicht ungewöhnlich hoch sind, denn wenn wir jährlich 170 bis 180 Millionen DM in jene Gebiete fließen lassen, tut uns das bei Gott nicht weh -, nicht etwa der französische Kolonialetat erleichtert wird, reduziert werden kann; es muß sich vielmehr um zusätzliche Investitionen handeln. Sichergestellt ist auch, daß es sich urn Projekte handelt, die, sagen wir, gemeinwirtschaftlichen Charakter haben: Straßenbau- und Verkehrsobjekte, Häfen usw. Gerade durch solche Bauten wird das Land schneller aufgeschlossen, und ich bin überzeugt - da pflichte ich Herrn Professor Furler in seiner Argumentation bei -, daß diese wirtschaftliche Unterstützung zu einem schnelleren Abbau des Kolonialsystems dort führen wird. Je schneller man die Menschen in den Stand setzt, sich wirtschaftlich unabhängig zu machen, sich kulturell zu betätigen - darauf kommt es dort wesentlich an -, sich zu bilden, desto schneller wird eine Selbstregierung möglich sein.
Wenn es vielleicht auch nur eine Deklamation ist, so möchte ich doch der Tatsache einen gewissen Wert beimessen, daß diese Gebiete so verwaltet werden sollen, wie die UNO-Charta es verlangt. Die einzigen Bedenken, die ich gegen diese Regelung habe, sind in der Tat politische Bedenken. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß eine Reaktion in der arabischen Welt die Beziehungen Deutschlands zu diesen Ländern außerordentlich belasten könnte. Aber ich weiß, daß nicht nur die arabische Welt die deutsche Beteiligung an einem gemeinsamen Europa mit großem Argwohn betrachtet, sondern auch die indische Welt - es ist mir auf der Reise der Bundestagsdelegation nach Bangogk klargeworden - mit äußerstem Argwohn ein gemeinsames Europa betrachtet. Von indischen Politikern und Diplomaten ist uns direkt die Frage vorgelegt worden: Würde das. nicht zu einer Zementierung, zu einer Aufrechterhaltung der Kolonien führen? Ich bin gegenteiliger Meinung. Ich glaube, daß z. B. auch ein Sues-Abenteuer nicht möglich gewesen wäre, wenn wir schon eine so enge wirtschaftliche und politische Gemeinschaft gehabt hätten, wie sie sich jetzt abzeichnet. Also das Gegenteil wird eintreten.
Nun könnten wir, glaube ich, uns diesen Völkern gegenüber nicht auf freundliche Deklamationen zurückziehen, 'daß 'wir das nicht beabsichtigt haben. Das allerdings würde man uns nicht glauben, viel({8})
mehr müßten wir schon ein übriges tun. Wir sollten nicht nur die Gebiete entwickeln, die hier in Frage stehen, sondern wir haben - das glaube ich jedenfalls - die echte finanzielle und wirtschaftliche Möglichkeit, ein übriges zu tun, den Ländern, namentlich Indien, Pakistan, Indonesien usw., zu helfen. Es wäre natürlich ein schlechtes Verhältnis. In Afrika leben in den in Betracht kommenden Gebieten - ich weiß es nicht genau - etwa 20 bis höchstens 30 Millionen Menschen, während es sich hier um Gebiete handelt, die immerhin von 600 Millionen Menschen bevölkert sind, 600 Millionen Menschen, die, wie ich bei anderer Gelegenheit schon einmal ausführen durfte, einmal das politische Gesicht dieser Weltbestimmen werden. Wir haben also allen Grund - wirtschaftlich und politisch -, unsere finanziellen Hilfsmittel den Menschen, den Völkern dort zur Verfügung zu stellen.
Ich frage mich: wie? Ich denke daran, daß wir unsere dauernden Ausfuhrüberschüsse - im letzten Jahr rund 3 Milliarden DM - zum Teil so verwerten, daß wir sie für mittel- und langfristige industrielle Investitionen zur Verfügung stellen. Es ist ja ein Kuriosum, daß Deutschland, das den Krieg verloren hat, sich auf einmal hinsichtlich des Exports in eine Gläubigerrolle versetzt sieht. Ich glaube, daß ein solches Gläubigerland die Pflicht zu solchen Maßnahmen hat. Ich erinnere daran, daß nach 1918 von allen Finanzwissenschaftlern an Amerika schärfste Kritik geübt wurde, weil Amerika auf der einen Seite versuchte, einen möglichst umfangreichen Export zu erreichen, und sich auf 'der andern Seite weigerte, Import hereinzunehmen, aber auch in entsprechendem Umfange Gelder für Investitionen zur Verfügung zu stellen, um anderen Völkern zu helfen. Ich glaube, daß wir aus dieser geschichtlichen Parallele lernen sollten. Wir sollten uns nicht in diese Rolle drängen lassen. Wenn wir diese Kautelen beachten, wird, glaube ich, die politische Reaktion in diesem Teil der Welt nicht ungünstig sein.
Ich möchte mich zu den Bereichen der Landwirtschaft und des Verkehrs nicht weiter äußern. Auch dort befindet sich noch alles in der Entwicklung. Für mich gibt es nur zwei Kriterien. Das eine ist ein rein ökonomisches: führt diese Lösung zu einem Dirigismus oder nicht? Ich persönlich bin auch da aus einer sehr einfachen Überlegung optimistisch. Je größer das Gebiet ist, das man planwirtschaftlich steuern soll, desto schwieriger ist es, desto schneller kommt die Planwirtschaft an ihre Grenzen. Ich verstehe daher die Bedenken, die der Kollege Deist von seiner Sicht aus hat. Aber er wird uns konzedieren müssen, daß wir aktive Politik nicht sofort mit Planwirtschaft gleichsetzen; wir haben eben andere wirtschaftspolitische Instrumente, mit denen wir den Markt und die Wirtschaftspolitik steuern. Deutschland hat gezeigt, daß das geht. Ich glaube, unsere Exporterfolge stellen sicher, daß wir diese Aufgabe werden lösen können.
Bei der Stärke, die die deutsche Vertretung in den Institutionen hat und bei der Unterstützung, die Deutschland zweifellos bei den anderen Ländern finden wird - ich denke wiederum an die Beneluxländer -, werden wir sicherlich eine wettbewerbswirtschaftliche Lösung im gemeinsamen europäischen Markt finden. Selbstverständlich gehört dazu, das möchte ich betonen, daß wir alles tun, um nach Abschluß der Verträge zur Freihandelszone zu kommen. Dafür sprechen einmal politische Gründe. Ich denke insbesondere daran, daß wir weder Österreich noch die Schweiz noch die skandinavischen Länder dann in ihrer exponierten Rolle sitzen lassen können. Aber auch aus wirtschaftspolitischen Gründen ergibt sich für unsere Volkswirtschaft zwingend, daß wir so schnell wie möglich zur Freihandelszone kommen müssen. Damit sind doch, glaube ich, die meisten Einwände hinfällig, die jetzt gegen das Vertragswerk vorgebracht werden.
Herr Margulies sagte zum Schluß, daß er nicht an die Dynamik glaube, und zitierte dann Beispiele aus Baden-Württemberg. Das ist wohl ein sehr schlechtes Beispiel. Erstens handelt es sich, wenn auch um ein Musterländchen, so immerhin doch nur um ein Ländchen. Der Raum ist viel zu klein, gemessen an dem großen Gebiet, das wir hier zu betrachten haben. Zweitens hat sich doch herausgestellt, daß wir in Baden-Württemberg festeingefahrene Grenzen haben. Das von Herrn Margulies gegebene Beispiel ist deswegen irrelevant, weil auch in den anderen Ländern, wo kein Zusammenschluß erfolgt ist, das Problem einer vernünftigen. Kreis- und Bezirkseinteilung nicht gelöst worden ist. Das schleppen wir mit uns fort, Gott sei es geklagt; auch da hoffe ich, daß wir in 50, vielleicht in 100 Jahren in Deutschland vernünftiger sind.
Aber der Zeitraum ist doch zu kurz. Ich habe nicht ohne Grund an die lange Entwicklung der Zollunion in Deutschland von 1833 erinnert. Wenn wir von Dynamik sprechen, müssen wir schon die Geduld haben, einen Zeitraum von mindestens ein bis zwei Jahrzehnten abzuwarten. An eine kürzere Spanne zu denken ist, glaube ich, nicht möglich.
Das zweite Kriterium dieses Vertragswerks ist politischer Natur: Nützt es der Lösung der deutschen Frage oder verhindert es sie? Da bin ich nun allerdings ganz zuversichtlich. Je schneller wir zu einem politisch und wirtschaftspolitisch stabilen Europa kommen, desto eher werden die Russen diese Realität anerkennen. Jetzt ist es doch so, daß Deutschland, ein Staat von 50 Millionen Menschen mit einer begrenzten politischen und ökonomischen Kraft, kein echter Verhandlungspartner für dieses große Reich Rußland ist. Wenn möglichst rasch ein Europa entsteht, das politisch stabil und wirtschaftspolitisch unabhängig ist, dann wird, glaube ich, Rußland zu der Einsicht gelangen, daß es besser ist, einen Kranz von zumindest Vertragspartnern um sich zu haben als einen Kranz von potentiellen Gegnern. Wir tun dem Russen Unrecht, wenn wir ihn als nicht guten, als nicht klugen Politiker betrachten. Der Russe hat Realitäten in seiner Geschichte immer anerkannt. Er wird auch diese Realität anerkennen.
Ich darf deshalb nochmals unsere Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß das Vertragswerk ein Meilenstein sein wird auf dem Wege sowohl zu einem einigen Europa als auch zu einem einigen Deutschland.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt bei der etwas schwachen Besetzung des Hauses schwer, an das so starke Informationsbedürfnis zu glauben, von dem bei dieser Debatte die Rede war.
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Ich will mich bemühen, diesem Thema noch einige interessante Punkte abzugewinnen. Es gelingt sicher nicht dadurch, daß man erstens für die Notwendigkeit des Gemeinsamen Marktes, der Zollunion, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft plädiert und zweitens hier nur die Mängel dieses Vertragsentwurfs aufzählt. Auf beiden Gebieten wäre sehr viel zu sagen, und das meiste und Wichtigste ist auch schon gesagt worden.
Ich möchte hier aber einige Dinge wegen ihrer Problematik herausstellen. Diese Problematik ist vor allem auch vorhin in der wirtschaftspolitischen Kontroverse zwischen dem Herrn Bundeswirtschaftsminister und dem Kollegen Dr. Deist deutlich geworden.
Herr Kollege Dr. Deist hat dem Wirtschaftsminister und der Bundesregierung gewissermaßen vorgeworfen, daß sie bestimmte Ansätze für eine sogenannte aktive Wirtschaftspolitik in den in der Entwicklung stehenden Organen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wieder ausgemerzt, zurückgedrängt hätten, daß also für die sogenannte aktive Wirtschaftspolitik auf dieser europäischen Ebene in der jetzigen Konstruktion nicht genügend vorgesehen sei.
Der Bundeswirtschaftsminister seinerseits hat gerade alle jene Eingriffsmöglichkeiten, die in dem Vertragswerk drinstecken, als mit seiner grundsätzlichen, freiheitlichen, marktwirtschaftlichen Konzeption in Widerspruch stehend bezeichnet. Hier ist sicher die Unterschiedlichkeit der wirtschaftspolitischen Grundauffassungen deutlich geworden.
Wir haben aber bei dem Kollegen Dr. Deist vergebens auf eine Antwort auf das Dilemma gewartet, das in seinen eigenen Ausführungen zum Ausdruck kam. Er hat einerseits eine über die jetzigen sechs Länder der Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehende liberale Freihandelsgemeinschaft, möglichst für das ganze freie Europa, und andererseits eine sogenannte aktive Wirtschaftspolitik für diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft verlangt. Das ist ein Widerspruch; denn je aktiver, d. h. doch je stärker in das wirtschaftliche Geschehen eingreifend diese Wirtschaftsgemeinschaft ist, um so stärker sind doch die Widerstände der einzelnen Länder gegen eine Beteiligung hieran. Das Minimum der reinen Freihandelszone, des reinen Freihandelsvertrages aller europäischen Länder ist bisher immer daran gescheitert, daß gerade diejenigen Länder, die am stärksten sogenannte aktive Wirtschaftspolitik betreiben - ich werde darauf nachher noch im einzelnen zurückkommen -, auch der europäischen Liberalisierung den stärksten Widerstand entgegengestzt haben.
Die Ausführungen des Kollegen Dr. Deist enthielten einen weiteren Widerspruch. Er sagte, es müsse bedauert werden, daß die Bundesrepublik in dem jetzigen Vertragswerk nicht mehr so stark auf bestimmte soziale Fortschritte festgelegt und verpflichtet sei, wie es in bestimmten Phasen des Entwurfs der Fall gewesen sei. Auch hier wird
doch sofort ein starker Widerspruch sichtbar. Gerade diejenigen Länder, die die starke Festlegung der Bundesrepublik wollten, standen doch, weil ihre Wettbewerbsfähigkeit durch ihre Sonderentwicklung gestört war, der großen Lösung mit den stärksten Vorbehalten gegenüber. Sie wissen, daß ich damit Frankreich meine.
Ich darf bei dieser Gelegenheit eine Kleinigkeit einschieben. Es handelt sich um die Frage der sozialen Fortschrittlichkeit oder sozialen Rückschrittlichkeit der europäischen Zusammenarbeit in der Form, wie sie die Bundesrepublik nun seit Jahren positiv mitgestaltet hat. Herr Kollege Deist hat für die Montanunion auf die jüngste Untersuchung der Hohen Behörde hinsichtlich der Realeinkommen der Arbeiter der Gemeinschaft hingewiesen. Er hat gesagt, daß gerade hier eine fortschrittlichere Haltung der Bundesrepublik notwendig sei; denn diese Untersuchung habe ergeben, daß der deutsche Bergarbeiter im Realeinkommen an vorletzter Stelle unter den beteiligten Ländern stehe. Herr Kollege Deist, ich hätte es begrüßt, wenn Sie sich nicht auf die Zahl für das Jahr 1954 beschränkt hätten, sondern wenn Sie auch die anderen Ausführungen dieser Broschüre erwähnt hätten, worin es nämlich heißt, daß sich die Unterschiede in der Höhe des Realeinkommens in den Mitgliedsländern von 1953 bis 1956 weitgehend ausgeglichen haben und daß die Bundesrepublik in ihrer Position bezüglich des Reallohns im Bergbau und in der Eisenhüttenindustrie nach vorne gerückt ist, daß sie also in bemerkenswerter Weise aufgeholt und in der Zwischenzeit auch Frankreich überholt hat. Diese Feststellung hätte das Bild hinsichtlich der sozialen Wirkungen der deutschen Zugehörigkeit zur Montanunion sicher vervollständigt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Sicher, bitte schön, Herr Kollege Deist.
Herr Kollege Hellwig, wollen Sie bestreiten, daß die Zahlen, die ich angegeben habe, auf das Jahr 1956 abgestellt hatten und nicht auf das Jahr 1953?
Verzeihen Sie, Herr Dr. Deist, dann sind diese Zahlen nicht richtig; denn in dieser Veröffentlichung der Hohen Behörde steht etwa folgendes: In den Realverdiensten bei der Stahlindustrie sowie im Steinkohlenbergbau hat die Bundesrepublik in den letzten Jahren aufgeholt, und sie steht in den Realverdiensten im Steinkohlenbergbau jetzt an vierter Stelle. - Nicht an fünfter Stelle!
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- Verzeihen Sie, Sie brauchen nicht zu lachen; denn es sind die kleineren Gebiete - Belgien, Niederlande und die Saar -, die noch vor der Bundesrepublik stehen.
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- Bitte, dann kommt Deutschland, und Frankreich ist inzwischen überholt worden. Das gleiche gilt für die eisenschaffende Industrie, wo lediglich Belgien und Luxemburg vor Deutschland stehen. Die Schaubilder und das Zahlenmaterial sind in dieser Broschüre der Hohen Behörde enthalten.
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Aber immerhin, Sie werden nicht bestreiten können, Herr Dr. Deist, daß nicht mehr behauptet werden kann, die deutsche Arbeitnehmerschaft sei von den ,günstigen Wirkungen der Zugehörigkeit der Bundesrepublik zur Montanunion ausgeschlossen gewesen. Ich bin fest überzeugt, daß die günstige Entwicklung der Einkommen, die gerade in der Montanwirtschaft bei uns die letzten Jahre kennzeichnet, nur auf die Stabilisierung der Entwicklung der deutschen Montanwirtschaft im Gemeinsamen Markt der Montanunion zurückzuführen ist.
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Nun zum Herrn Kollegen Margulies! Er hat von der Montanunion und von den Sechs, die jetzt auch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begründen wollen, als von einem Klein-Europa gesprochen. Wiederum hat er der Befürchtung Ausdruck gegeben, daß dieser Zusammenschluß auf Kosten der anderen, die draußen bleiben - draußen bleiben müssen oder wollen -, geschehen werde.
Ich glaube, es ist nicht ganz richtig, wenn bei diesen Sechs nur von einem „Klein-Europa" gesprochen wird. Immerhin handelt es sich dabei auch in seiner wirtschaftlichen Bedeutung um den Kern des kontinentalen Europas. Im wesentlichen stehen folgende Gruppen draußen: Einmal Großbritannien zufolge seiner Empire-Orientierung, dann die skandinavischen Länder, die einen ganz bestimmten abgeschlossenen Lebens- und Wirtschaftsraum für sich darstellen, weiter Südeuropa mit den Ländern Griechenland und Türkei und schließlich Portugal und Spanien. Das Sonderproblem Österreich ist in dem Fall sicher zu beachten; aber gerade Österreich hat sich in den letzten Monaten auch wiederholt sehr positiv für die Zollunion, für den Gemeinsamen Markt ausgesprochen, und es wird, wenn nicht alle Zeichen trügen, doch zu einem Zusammenschluß mit dem Gemeinsamen Markt kommen.
Aber etwas zu der materiellen Frage, ob sich der Gemeinsame Markt dieser Sechs - und wir können vorläufig nur von der Montanunion ausgehen - wirklich zum Nachteil der dritten Länder Europas entwickelt habe. Der Gemeinsame Markt für Kohle und Stahl hat hinsichtlich des Austauschs der Mitgliedsländer und der anderen europäischen Länder mit dem Gemeinsamen Markt folgende bemerkenswerte Entwicklung gezeigt: Der innere Austausch in der Montanunion ist bei Eisen- und Stahlerzeugnissen um nicht weniger als 170 % gestiegen, bei Steinkohle rund Steinkohlenbriketts um nicht weniger als 42 %. Der innere Austausch ist also weit stärker angestiegen als die Produktion selbst, ein Zeichen dafür, daß die natürlichen Standortvorteile nach dem Abbau von Zoll- und Frachtdiskriminierungen und Wettbewerbsverfälschungen wieder zum Zug kommen.
Aber ist das etwa auf Kosten der draußen stehenden sogenannten dritten Länder geschehen? Dem muß folgendes entgegengehalten werden: Die Eisen- und Stahleinfuhr von dritten Ländern in dem Gemeinsamen Markt der Montanunion hat in dem gleichen Zeitraum um 91 % zugenommen und die Steinkohlenausfuhr der Montanunion nach dritten Ländern um 127 %. Zumindest ist die Wirtschaftsverflechtung der Montanunion mit den außenstehenden Ländern auf dem Gebiet des Austauschs von Kohle und Stahl weit intensiver geworden als innerhalb der Montanunion selbst, obgleich sieauch dort wesentlich stärker als die Produktion zugenommen hat.
Nun darf ich einige Bemerkungen zu den in der Diskussion aufgetauchten und noch offengebliebenen Fragen machen. Die erste Frage: Freihandelssystem oder Zollunion? Freihandelssystem im Sinne der Liberalisierung, Rückkehr auf den Stand von vor 1914 oder Zollunion mit allen Konsequenzen für eine zu entwickelnde gemeinsame Außenhandels-, Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Währungspolitik? Ich glaube, wir sollten uns doch endlich von der Illusion freimachen - das möchte ich dem Herrn Kollegen Margulies sagen, der hier nochmals Herrn Professor Röpke zitiert hat -, daß wir die Probleme der europäischen Integration mit der Rückkehr zum goldenen Zeitalter von vor 1914 lösen könnten. Die Liberalisierung allein und die Rückkehr zum Goldstandard werden die Probleme nicht mehr lösen, die dadurch entstanden sind, daß der Staat von 1956/57 - wir mögen eswollen oder nicht - ganz entscheidend in die Verteilung des nationalen Arbeitsergebnisses, ,des Sozialprodukts, eingreift und daß dieser Anspruch, die Verteilung der Einkommen zu bestimmen, auch nicht mehr ohne weiteres herabgemindert werden kann. Aber weil der Einfluß des Staates diese Entwicklung genommen hat, sind doch auch die Beziehungen und der Austausch im Außenhandel und die Währungsbeziehungen in den Sog, in den Strudel staatlicher Manipulationen gezogen worden. Herr Kollege Deist hat sehr richtig gesagt, daß mit einfachen Handels- und Zahlungsbilanztechniken das Problem nicht mehr gelöst werden kann. Insofern folge ich ihm.
Aber daraus ergibt sich die Schlußfolgerung, daß, wenn wir zu einer politischen Gemeinschaft in Europa kommen wollen - und das heißt, daß der Staat dann bestimmte Souveränitätsrechte an diese Gemeinschaft abgibt -, zuvor eine Koordinierung, eine Anpassung gerade derjenigen Arbeitsweisen, Instrumente und Institutionen der Staaten stattfinden muß, die der Staat zur Ausübung der Verteilungsfunktion, die er in der modernen Volkswirtschaft hat, in der Wirtschaftspolitik, in der Finanzpolitik und auch in der Währunigs- und Außenhandelspolitik einsetzt. Daher fällt dieBeantwortung der Frage, ob allein eine Freihandelszone genügt oder ob eine Zollunion mit darumgelagerten Freihandelsverträgen im Sinne der politischen Gemeinschaft geschaffen werden soll, eigentlich eindeutig aus.
Ich darf hier aber auch erwähnen, daß gerade der Abschluß der Zollunion die entscheidende Voraussetzung dafür sein wird, daß weitere Länder bereit sein werden, sich mit einem Freihandelssystem dem Gemeinsamen Markt anzuschließen. Ohne daß der Kristallisationskern der Zollunion, eben jene Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, entsteht, wird es nicht zu einem europäischen Freihandelssystem irgendwelcher Art kommen. Daher glaube ich, daß das, was anzustreben ist, nicht die Gleichzeitigkeit der Bildung der Zollunion und der Abschluß von Freihandelsverträgen mit außenstehenden Ländern ist. Wir bekommen die anderen mit Freihandelsverträgen nur dann an den Kristallisationspunkt, wenn zuvor der Kristallisationskern als Zollunion klare Formen angenommen hat.
Nun einiges zu der Frage, inwieweit dieses Haus in den noch vor uns liegenden weiteren Phasen der Entstehung dieses Vertragswerks seine Meinung anbringen kann. Ich bin der festen Überzeugung,
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daß dies in zwei Richtungen geschehen kann. Ich erinnere daran, daß der Vertrag selber zunächst nur ein großes Rahmenwerk ist und daß eine ganze Serie von weiteren, ihn ausgestaltenden Entscheidungen nachher kommen wird, und zwar sowohl in den dafür vorgesehenen Organen ,als auch bei den nationalen Mitgliedstaatenselbst. Auf beiden Wegen wird sich der deutsche Gesetzgeber auf diese Entwicklung einzustellen haben. Ich meine einmal, daß dieses Haus auf die Entwicklung, auf die Ausgestaltung, die nach der Ratifizierung des Vertrags in den vielen Einzelentscheidungen der Organe zu erwarten sein wird, mit bestimmten Richtlinien, mit einer bestimmten Meinungsbildung Einfluß nehmen kann, ganz abgesehen davon, daß dieses Haus auch in der parlamentarischen Körperschaft gebührend vertreten sein wird. Ich folge hier völlig den Wünschen, die von den Sprechern anderer Fraktionen vorgetragen worden sind, dahingehend, daß eine möglichst starke parlamentarische Autorität zur Entwicklung einer, ich möchte sagen, europäischen Gesetzgebung in der Gemeinschaft angestrebt werden sollte.
Es wird aber auch notwendig sein, die Konsequenzen des Gemeinsamen Marktes und dieses Vertragswerks für die eigenstaatliche Gesetzgebung der Bundesrepublik rechtzeitig zu prüfen und Anpassungen und Korrekturen so rechtzeitig, wie es irgend möglich ist, vorzunehmen. Ich erwähne etwa das Steuerrecht, ich erwähne den berühmten Steuerstreit hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung der deutschen Erzeugung und der Erzeugung der anderen Länder, insbesondere Frankreichs. Durch eine rechtzeitige Reform des deutschen Umisatzsteuersystems sollte auch der Eingliederung des deutschen Steuersystems in diese europäische Gemeinschaft Rechnung getragen werden. Das gleiche gilt für das Problem der Finanzzölle; es ist in den Reden vorhin schon gelegentlichangesprochen worden.
Einiges zu den Grundsätzen des Vertragswerks und damit des Gemeinsamen Marktes. Ich unterscheide mich hier von dem Kollegen Dr. Deist. Ich bejahe eigentlich, daß die Bundesregierung so stark wie möglich, wenn auch noch nicht überall, dem Grundsatz zur Geltung hat verhelfen können, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auf die Prinzipien des freien Wettbewerbs und ,der freien wirtschaftlichen Initiative - unter weitgehender Beschränkung staatlicher Eingriffe - zu gründen.
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- Darin unterscheiden wir uns nicht? Das freut mich. Ich hatte den Eindruck, daß Sie mit Ihrer „aktiven Wirtschaftspolitik" etwas anderes meinten, zumal Sie gesagt haben - deshalb habe ich Sie gefragt, Herr Kollege Deist -, daß bei einer „aktiven Wirtschaftspolitik", wie Sie sie haben wollen, der Bundesregierung die Wirtschaftsentwicklung nicht au s den Händen geglitten wäre. Sie sind dann offenbar der Meinung, daß die wirtschaftliche Entwicklung in die Hände der Bundesregierung gehört. Darin unterscheiden wir uns ganz grundsätzlich. Die Wirtschaftsentwicklung gehört nicht in die Hände der Regierung, denn das ist eine gelenkte, eine geplante Wirtschaftsentwicklung, sondern sie gehört zunächst in die freie Initiative der Wirtschaftenden. - Sie wollen eine Frage stellen, Herr Dr. Deist?
Eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter!
Ist es nicht so, Herr Dr. Hellwig, daß die wirtschaftliche Tätigkeit prinzipiell nicht in den Händen der Regierung liegt - von bestimmten Ausnahmen abgesehen -, daß aber die wirtschaftspolitische Beeinflussung des Wirtschaftsablaufs über die Finanzpolitik, die Steuerpolitik, die Sozialpolitik, alle diese politischen Beeinflussungen der wirtschaftlichen Entwicklung in jedem modernen Staat eine Aufgabe des Staates ist?
Herr Dr. Deist, Sie haben völlig recht; das brauche ich Ihnen gar nicht zu bestreiten. Wenn Sie sich die Mühe machen, zu analysieren, in welchem Ausmaß in den letzten Jahren finanz-, wirtschafts-, außenhandels- und sozialpolitische Entscheidungen die wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich beeinflußt haben, dann werden Sie nicht sagen können, daß es an der aktiven Wirtschaftspolitik gefehlt hätte. Ich möchte auch nicht - wenn Sie meinen, daß die wirtschaftliche Entwicklung in die Hände der Regierung gehört - annehmen, daß das etwa die wirtschaftliche Betätigung schlechthin ist. Aber ich glaube doch, Sie wollen dann mit Sicherheit etwas, was wir als Lenkung der Wirtschaft, als Planung ansehen. Das steckt doch vermutlich hinter dieser „aktiven Wirtschaftspolitik". - Bitte schön, Herr Dr. Deist!
Herr Kollege Hellwig, würde es nicht einer sachlichen Auseinandersetzung mehr nützen, wenn Sie sich an das hielten, was ich sage, und nicht an das, was Sie hinter meinen Außerungen vermuten, was aber nicht dahintersteckt?
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Herr Dr. Deist, die Art und Weise, wie bei dieser Diskussion durch Vorwürfe wegen mangelnder aktiver Wirtschaftspolitik auch auf die innenpolitische Ebene übergegangen worden ist, haben Sie zu verantworten, nicht ich.
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Ich bin nur auf das eingegangen, was von Ihnen angesprochen worden ist. Ich erinnere Sie daran, daß ich Ihnen sofort dazwischenrief: Aha, das ist wohl der Absprung für eine innenpolitische Diskussion!
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- Bitte schön.
Ich habe nicht die Absicht, Sie, Herr Hellwig, dauernd zu unterbrechen. Ich möchte nur noch die Frage stellen: Meinen Sie nicht, daß z. B. eine rasantere Zollpolitik der Bundesregierung eine aktive Wirtschaftspolitik wäre, die heute durchaus am Platze wäre?
Herr Dr. Deist, es ist das gute Recht der Opposition, auch in diesem Hause, immer mehr und alles immer schneller getan halben zu wollen, als die, die Verantwortung tragen - die Regierung - es verantworten können.
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Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch einige kritische Punkte berühren, von dienen vorhin schon gesprochen worden ist. Da ist das Problem der künftigen Zollbelastung einerseits
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für die Kostenstruktur und für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, andererseits aber auch für die Lebenshaltungskosten. Ich möchte vorschlagen, daß wir uns nicht auf solche globalen Angaben beschränken wie 25 % der Einfuhr aus dem Gemeinsamen Markt, weitere 30 oder wieviel Prozent aus Ländern der Freihandelszone oder ähnliche Zahlen für die Ausfuhr.
Hier müssen wir ganz genau unterscheiden, welcher Art die Einfuhr aus diesen Ländern und welcher Art die Ausfuhr in diese Länder ist. Es scheint mir sehr bemerkenswert zu sein, daß aus dem Gemeinsamen Markt vor allem ein hoher Anteil der Nahrungsmittel tierischen Ursprungs kommt und aus den übrigen Ländern der OEEC ebenfalls ein wesentlicher Anteil, so daß unsere Einfuhr von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs mit Sicherheit im wesentlichen aus diesem Sektor bedient wird.
Bei den Rohstoffen der gewerblichen Wirtschaft muß beachtet werden, daß hier der Gemeinsame Markt, d. h. die übrigen fünf Mitgliedsländer der Wirtschaftsgemeinschaft, nur mit einem relativ geringen Anteil, nämlich nur mit 12 % vertreten ist. Aber der Rohstofftarif des Gemeinsamen Marktes, d. h. der spätere gemeinsame Außentarif, darf 3 % nicht überschreiten.
Eine ähnliche Begrenzung besteht gerade auch im Interesse der Bundesrepublik bei dem kommenden Außentarif für Halbwaren. Die Bundesrepublik als industrieller Verarbeiter muß Halbwaren in großem Umfang einführen; die Halbwareneinfuhr kommt zu 26 % aus dem Gemeinsamen Markt.
Für Fertigwaren des gewerblichen Sektors ist keine allgemeine Beschränkung des Zollsatzes vor-gesehen. Aber das Schwergewicht der Einfuhr von Fertigwaren in der deutschen Bundesrepublik liegt gerade bei den Ländern des Gemeinsamen Marktes. Etwa 45 % der Einfuhr von gewerblichen Fertigwaren kommen schon jetzt aus dem Gemeinsamen Markt, wir werden also bei ihnen später in den Genuß des Abbaues der Innenzölle des Gemeinsamen Marktes kommen. Ich würde es begrüßen, wenn uns zur Beurteilung der Entwicklungstendenzen des kommenden Außentarifs einmal eine Analyse der deutschen Einfuhr- und Ausfuhrbeziehungen gerade im Hinblick auf Zollbelastung und Herkunftsländer nach der jetzigen Struktur gegeben werden könnte; es würde weitere Beratungen wesentlich erleichtern.
Nun stellt sich natürlich die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere wenn für bestimmte Rohstoffe ein - wenn auch noch so niedriger - Zoll erhoben werden sollte, Rohstoffe, die bisher vielleicht zollfrei eingeführt werden können. Das gleiche Problem der Wettbewerbsfähigkeit taucht auch im Zusammenhang mit der sogenannten Harmonisierung von Löhnen und Soziallasten auf. Ich bin überzeugt, daß sich eine Reihe von Wirtschaftszweigen hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Gemeinsamen Markt werden umtun müssen, daß sie nicht ohne weiteres von sich sagen können, sie seien im Gemeinsamen Markt unschlagbar. Andererseits glaube ich, daß die Möglichkeiten, die der große Markt für die Wirtschaftlichkeit der Fertigung durch die volle Ausnutzung der Standortvorteile unter Abbau von Zoll- und Frachtdiskriminierungen bringt, genügend Ausgleich geben, von einigen ganz besonderen Ausnahmen wie etwa dem deutschen Mineralölbergbau abgesehen, so ,daß etwaige Erschwerungen, die auf der Kostenseite hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit auftreten, durch andere Vorteile im Gemeinsamen Markt kompensiert werden.
Ein Wort zu der Frage, inwieweit die Harmonisierung von Lähnen und Soziallasten etwa künftige Kostenerhöhungen gerade für die deutsche Wirtschaft mit sich bringen wird. Ich darf hier auf neu vorliegendes Material über einen Vergleich mit der Saar verweisen. Das Lohnniveau und die Struktur der Soziallasten in der Saar stimmen ja mit den entsprechenden Größen in Frankreich im wesentlichen überein; zum Teil hat die Saar sogar höhere Löhne als Frankreich.
Das Ergebnis dieses Vergleichs, der vom Statistischen Amt des Saarlandes durchgeführt wurde, ist folgendes: Wenn der Bruttostundenlohn - zuzüglich der weiteren Lohnzulagen und der Familienzulagen - im Saarland in Vergleich gesetzt wird mit dem Bruttostundenlohn in der Bundesrepublik - ohne das gesetzliche Kindergeld -, so ergibt sich, daß der Durchschnittslohn von Facharbeitern, angelernten Arbeitern und Hilfsarbeitern, also von allen männlichen Arbeitern an der Saar, höher nur in der Baustofferzeugung, in der Sägeindustrie und in der Holzverarbeitung ist. In allen anderen Industrien, für die mir Vergleichsmaterial vorliegt: eisenschaffende Industrie, Gießereiindustrie, eisenverarbeitende Industrie, chemische Industrie, Baugewerbe sowie bei den weiblichen Arbeitern in der Textil- und Bekleidungsindustrie, liegt das Lohnniveau der Bundesrepublik bereits über dem der Saar. - Man muß allerdings - und damit komme ich zu einem anderen schwerwiegenden Punkt - diesen Vergleich entsprechend der Kaufkraft der Lähne durchführen. Man darf die Löhne drüben nicht nach dem künstlich hochgehaltenen amtlichen Wechselkurs für den französischen Franken bewerten, wie er zur Zeit noch besteht.
Ich habe davon gesprochen, daß sich die deutsche Wirtschaft über ihre Wettbewerbsfähigkeit durchaus nicht in Sorglosigkeit wiegen darf. Man hat so oft das Bild von dem Geleitzug gebraucht: daß die deutsche Wirtschaft, die in den letzten Jahren eine nicht zu bestreitende schnellere Entwicklung als andere Länder genommen hat, etwa zu vergleichen sei einem schnellen Schiff das sich in einen Geleitzug begebe, dessen Tempo von dem langsamsten Schiff bestimmt werde. Ich kann vor dieser Art der Darstellung nur warnen. Denn es ist nicht überall so, daß die deutsche Wirtschaft das schnellste Schiff hätte. Auch andere Länder haben in diesem Geleitzug - auf den einzelnen Märkten - Schiffe von ganz erheblicher Schnelligkeit. Ich erwähne etwa den international anerkannten Standard der französischen Elektronenindustrie, des französischen Maschinenbaus, des franzöischen Elektrolokomotivenbaus: ich erwähne das starke Investitionsvolumen, welches die französische Montanindustrie seit dem Krieg hat verzeichnen können, und es gibt da viele andere Dinge mehr. Aber ich bin der Meinung, daß man diese Dinge, wenn sie auch zur Achtsamkeit mahnen, nicht übertreiben und daß man aus einer solchen ängstlichen Schau nicht etwa sagen sollte: Nein, kommt für uns nicht in Frage.
Zu dem Problem der Lebenshaltungskosten und der Wirkung der landwirtschaftlichen Einfuhren möchte ich nicht mehr viel sagen. Kollege Margu({2})
lies hat auf die Einfuhr von Getreide aus Mitgliedsländern gegenüber überseeischen Einfuhren zu Weltmarktpreisen hingewiesen. Man wird es sicher sehen müssen, daß hier unter Umständen zu Lasten der Abschöpfungsbeträge, die bisher in den Bundeshaushalt geflossen sind, Verschiebungen stattfinden werden. Aber solange es sich in diesem Rahmen hält, wird keinesfalls gesagt werden können, daß dies auf Kosten des Verbrauchers geschehen werde. Ich glaube, diesen Unterschied sollte man dann doch machen.
Die Einschränkung der autonomen Zollpolitik - wir verstehen, daß der Bundeswirtschaftsminister hier besonders unangenehme Empfindungen hat - bedeutet natürlich, daß das konjunkturpolitische Instrument autonomer Zollsenkungen nach der bestimmten Übergangszeit an Wirkungsmöglichkeit verlieren wird. Aber - da folge ich durchaus dem Kollegen Dr. Deist - wir wünschen ja, daß sich auch eine Koordinierung der Konjunkturpolitik in dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entwickelt. Denn es hat keinen Zweck, dieses Europa etwa noch verteidigen zu wollen, wenn Sonderkonjunkturen und Sonderkrisen an den nationalen Grenzen haltmachen und nicht aus einer gemeinsamen europäischen Konjunkturpolitik auch die Solidarität in der Bekämpfung der Krisen entwickelt wird. Das muß hier einmal ganz deutlich gesagt werden. Wir sind überzeugt, daß wir uns trotz unserer grundsätzlichen unterschiedlichen Auffassung in bestimmten wirtschaftspolitischen Fragen durchaus zu einer gemeinsamen europäischen Konjunkturpolitik finden werden, womit allerdinigs die Festlegung auf dias Programm einer ganz bestimmten Theorie der Vollbeschäftigungspolitik
nicht ausgesprochen sein soll.
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- Herr Kollege Deist, gegen diesen Vorwurf sind wir einstweilen doch erheblich gefeit.
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Der zentrale Mangel ist - das muß hier nochmals gesagt werden, auch nachdem es von anderen Sprechern schon betont worden ist -, daß noch keine verbindliche Grundlage für die Entwicklung einer gemeinsamen Währungspolitik in dem Vertragswerk enthalten ist. Der Ansatz für eine Koordinierung der Währungspolitik ist zwar vorhanden, aber von einer bestimmten Verbindlichkeit, so wie es sie auf anderen Gebieten gibt, haben wir leider noch nichts finden können. Nun, wir hoffen, daß die Erkenntnisse, die auf dem Wege zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes von Jahr zu Jahr wachsen werden, die Bedeutung der einheitlichen Währungspolitik in den Vordergrund bringen werden und insbesondere die Widerstände bestimmter Länder gegen eine währungspolitisch grundlegende Reform entscheidend ausräumen werden. Ich habe das Gefühl, daß diese Entwicklung, die vor allem unserem französischen Nachbarn auf den Nägeln brennt, aus dem Zwang der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes heraus mit Sicherheit eher erwartet werden darf, als wenn es bei dem Dahintreiben wie im Augenblick bleibt. Daher soll man zwar sehr nachdrücklich von unserer Seite aus Kritik an dieser Hilfskonstruktion der Einfuhrabgaben und der Ausfuhrsubventionen üben, weil sie in das Wesen des Gemeinsamen
Marktes, der gemeinsamen Außenhandelspolitik und der Zollunion nicht hineinpaßt, aber man soll auch objektiv genug sein und sagen: hier wird j a wirtschaftlich vorweggenommen, was effektiv eine Abwertung des französischen Franc, die Korrektur des Wechselkurses darstellt. Denn die Korrektur des französischen Wechselkurses würde wirtschaftlich eine Verteurung der Einfuhr und eine Verbilliligung der Ausfuhr bedeuten. Und wenn diese Dejure-Maßnahme nun de facto durch die Verteurung der Einfuhr mit zusätzlichen Abgaben und die Verbilligung der Ausfuhr mit Subventionen vorweggenommen wird, so ist damit wirtschaftlich eigentlich die Brücke zu der notwendigen währungspolitischen Maßnahme schon sichtbar. Wir haben die Hoffnung, daß man auch auf der französischen Seite erkennt, ein wie zentrales Anliegen gerade dieses Problem für uns ist, die wir wirklich bereit sind, aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Konsequenzen für die Entwicklung einer europäischen Wirtschafts-, Sozial-, Währungs- und Finanzpolitik zu ziehen.
Zu dem Thema Überseegebiete möchte ich wegen der vorgeschrittenen Zeit nicht mehr Stellung nehmen. Mein Kollege Furler hat diese Dinge schon behandelt.
Aber noch ein Wort hinsichtlich unserer handelspolitischen Stellung zu sogenannten dritten Ländern. Es sollte, glaube ich, nicht bagatellisiert werden, daß dritte Länder, insbesondere wenn sie ,außerhalb der Freihandelszone bleiben, sich einem höheren Einfuhrzoll für ihren Absatz in der Bundesrepublik gegenübersehen werden und daß sich daraus natürlich auch die Gefahr für die Bundesrepublik ergibt, sich bei dem Absatz an solche dritte Länder etwaigen Erhöhungen der dortigen Einfuhrzölle gegenüberzusehen. Wir haben die Hoffnung, daß uns eine gewisse eigenstaatliche Dispositionsmöglichkeit im Abschluß von Abkommen mit solchen auch definitiv außerhalb der Freihandelszone stehenden Ländern verbleibt und wir so noch die Möglichkeit zur Anpassung und zu bestimmten Entwicklungen haben. Man sollte verhüten, daß hier allzu früh infolge allzu starrer Haltung die Möglichkeiten unmittelbarer Außenhandelsgestaltung aufgegeben werden.
Im ganzen, glaube ich, dürfte die wirtschaftliche Konzentration des Austausches innerhalb des Gemeinsamen Marktes einen nicht unerheblichen Ausgleich für etwaige Erschwerungen in der Position auf dem Weltmarkt mit sich bringen, ganz abgesehen davon, daß auch der Gemeinsame Markt - der große Binnenmarkt - noch immer die beste heimische Voraussetzung für jede Exportbemühung auf dem Weltmarkt ist. Bisher ist die Stärke der großen Exporteure auf idem Weltmarkt wesentlich mit davon bestimmt worden, daß sie einen großen aufnahmefähigen Binnenmarkt - und der soll ja nun mit 160 Millionen Verbrauchern entstehen - hinter sich wußten.
Bei der Abwägung des Für und Wider für die Bundesrepublik muß schließlich noch einer Besonderheit gedacht werden. Das ist nicht so sehr die Besonderheit der Zonengrenze - über unsere Besorgnisse wegen des Warenverkehrs mit der sowjetischen Besatzungszone ist schon genügend gesagt worden -, sondern es betrifft dias Zonengrenzgebiet. Es ist für uns ein besonderes Notstandsgebiet und nicht mit den Maßstäben zu messen, die für alle übrigen Teile dieses neuen Gemeinsamen. Marktes gelten. Es wird hier ähnlich
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sein wie mit Süditalien, und man wird für ganz bestimmte Bezirke aus bestimmten Notlagen unter allen Umständen Sonderregelungen anstreben müssen. Beispielsweise wird für Frachtvergünstigungen, für bestimmte soziale Regelungen in bezug auf das Zonenrandgebiet ein anderer Maßstab angewendet werden müssen, als er für den Abbau von wettbewerbsverschiebenden Maßnahmen in der Gemeinschaft im allgemeinen gelten soll.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß noch einem Gedanken Ausdruck geben. Ich glaube, man sollte nicht nur die politische Bedeutung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in den Vordergrund stellen und nicht nur sagen: es hat wirtschaftlich sehr viele Mängel, aber weil es politisch notwendig ist, wollen wir es tun. Ich bin der Meinung, daß bei einer objektiven Abwägung von Schwierigkeiten und Vorteilen, von Chancen und Risiken auch aus der wirtschaftlichen Prüfung ein Ja zu diesem Weg gesagt werden wird.
Es war von dem Geleitzug die Rede; ich habe soeben schon einmal darauf aufmerksam gemacht. Sicher, wir haben in den letzten Jahren in der Bundesrepublik eine wirtschaftliche Entwicklung zu verzeichnen gehabt, die uns mit Stolz erfüllt. Sie sollte uns aber nicht übermütig machen; man sollte anerkennen, daß es nicht immer so zu sein braucht, daß wir ein besonderes schnelles Schiff sind und daß wir etwas aufgeben, wenn wir in einen Geleitzug hineingehen, bei dem das Tempo der Fahrt vom langsamsten Schiff bestimmt wird. Es ist immer noch besser, in dem Schutz eines langsameren Geleitzuges über den Ozean der Weltpolitik mit ihrer Gefährdung gerade für die Bundesrepublik zu kommen, als als ein stolz und schnell fahrendes Einzelgängerschiff ein Opfer der weltpolitischen Spannungen zu werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Stegner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin insofern in einiger Verlegenheit, als mir der Herr Bundeswirtschaftsminister einige wesentliche Teile meiner Rede vorweggenommen hat. Wir dürfen, nachdem wir heute abend so viel von Hoffnungen, Wünschen, Erwartungen gehört haben, Herrn Bundeswirtschaftsminister Professor Erhard nur sehr dankbar sein für den Realismus, mit dem er seine Ausführungen hier gemacht hat.
Er hat das zwar nicht gesagt oder auch nicht annähernd gesagt, aber man konnte doch etwa den Eindruck haben, daß heutzutage das Wort „Politik" manchmal als Synonym für wirtschaftspolitische Anomalien benutzt wird. Ich glaube nicht, daß Herr Professor Erhard dabei etwa an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gedacht hat, in der hochentwickelte Industriegebiete mit dem afrikanischen Wüstensand zu einer Gemeinschaft gemacht werden. Aber ich könnte mir vorstellen, daß Herr Professor Erhard - er hat auch das hier nicht gesagt, er kann als Bundesminister nicht alles sagen, deswegen ergänze ich ihn ja jetzt - z. B. an die Frage der sozialen Harmonisierung gedacht hat. Wir haben darüber schon viel gehört, aber man muß diese Dinge vielleicht doch etwas konzentriert sehen.
Frankreich will, daß die übrigen Länder ihre Löhne und Soziallasten zwecks Schaffung einheitlicher Arbeitskosten im wesentlichen auf die Höhe der französischen bringen. Darum geht es letzten Endes bei dieser sogenannten Harmonisierung der Arbeitskosten.
Diese französische Forderung widerspricht wesentlichen Erkenntnissen der Volkswirtschaftslehre. Die Forderung nach Harmonisierung der Arbeitskosten ist volkswirtschaftlich so nicht zu begründen, denn ein freier Handel setzt keineswegs gleiche Arbeitskosten voraus. Es ist umgekehrt: Die bestehende Ungleichheit in den freien Arbeitskosten wird durch eine einheitliche Handelspolitik wesentlich vermindert. Man kann nicht etwas vorziehen, was nachher als Folge einer erwarteten Politik eintreten soll. Das sind solche volkswirtschaftliche Anomalien, vor denen der Bundeswirtschaftsminister mit Recht warnt. Ich habe das nur etwas ausgeführt, um, wie gesagt, hier Herrn Professor Erhard dafür zu danken, daß er die Dinge real sieht. Es ist schon sehr wesentlich, wenn der Herr Bundeswirtschaftsminister die Problematik klar erkennt.
An der Spitze der Ausführungen, die ich für den Gesamtdeutschen Block/BHE mache, steht das Verfahren. Hier ist, auch von prominenter Seite der Koalition, mehrfach ausgeführt worden, daß das wesentliche Korrelat des Gemeinsamen Marktes oder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Freihandelszone ist. Es ist doch überhaupt nicht zu begreifen, warum die Bundesregierung ein derartiges Tempo der Behandlung vorlegt, um die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft schnell unter Dach und Fach zu bringen. Es hätte nahegelegen, zunächst einmal die Verhandlungen über die Freihandelszone zu einem solchen Abschluß zu bringen, daß der Gemeinsame Markt und die Freihandelszone zum gleichen Zeitpunkt wirksam werden würden.
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Die Regierungserklärung spricht nur davon, daß die Verhandlungen über die Freihandelszone zunächst angelaufen sind.
Es ist heute, nachdem Herr Kollege Furler sich zu einer Art Mythos, einem europäischen Mythos bekannt hat, hier aber doch auch von dem Begriff „Kleineuropa" gesprochen worden; und ich muß sagen, Herr Kollege Hellwig, Sie haben mich durch Ihre Ausführungen in keiner Weise überzeugt, daß der Ausdruck nicht richtig ist. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß sich aus der Gruppe der 17 OEEC-Länder hier ein Präferenzkreis von sechs Ländern herausschält. Nun, alle OEEC-Länder sind ja Mitglieder der GATT; und wir wollen doch nicht vergessen, daß der Gemeinsame Markt durch die GATT zunächst einmal genehmigt werden muß. Es ist gar nicht einzusehen, warum wir uns - solche Anzeichen machen sich schon bemerkbar - durch die Vorziehung des Gemeinsamen Marktes zunächst einmal in Gegensatz zu den übrigen Ländern des freien Europa setzen sollen. Das ist für solche GATT-Verhandlungen keineswegs günstig. Es ist aber auch für das Anlaufen des Gemeinsamen Marktes ohne Freihandelszone nicht günstig.
Wir verstehen also überhaupt nicht, warum hier ein derartiges Tempo vorgelegt worden ist, warum wir, nachdem wir erst wenige Tage die Unterlagen und erst seit heute früh den Text der Regierungserklärung haben, eine derart umfassende Schicksalsfrage des deutschen Volkes so kurzfristig be({1})
handeln müssen. Wir bedauern das sehr trotz der Mitteilung in der Regierungserklärung, daß die einschlägigen Ausschüsse schon seit einigen Wochen unterrichtet worden sind. Das ist ja ungefähr das, was hier heute den ganzen Abend der Versammlung des Gemeinsamen Marktes vorgehalten worden ist: daß sie eben nur unterrichtet wird und dann mit dem Kopf nicken darf. Das waren doch die Monita, die hier gemacht wurden.
Ich habe mit Interesse die Verhandlungen verfolgt und habe gesehen, wie die französische Regierung im Januar durch Einschaltung des Parlaments, von dem sie sich Richtlinien für die Verhandlungen hat geben lassen, sehr geschickt sich und ihren Verhandlungspartnern zur Durchsetzung ihrer Ziele den Rücken gestärkt hat. Ich wünschte, daß ein derartiges Verfahren in künftigen Fällen - na ja, vielleicht ist keine Gelegenheit mehr -, von der Bundesregierung beachtet und angewandt würde.
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- Dafür kann ich nicht. Ich erwähne das hier ja nur.
Meine Damen und Herren, so viel zum Verfahren.
Ich darf, da die Frage „Kleineuropa oder das größere Europa?" besprochen worden ist - von Gesamteuropa können wir ja leider nicht reden -, kurz noch auf eines hinweisen. Herr Dr. Hellwig, es wird immer gesagt: „Wir haben im Gemeinsamen Markt einen Anteil von etwa 25 % des Außenhandels der Bundesrepublik." Meine Damen und Herren, wenn schon gesagt wird, der Gemeinsame Markt umfaßt die Länder, die ein Kernstück der Europawirtschaft darstellen, dann sollte man doch auch nicht verheimlichen, daß 1956 die Ausfuhr in die Länder des Gemeinsamen Marktes 27,8 % des deutschen Außenhandels und die Ausfuhr in die Länder der übrigen Staaten des freien Europas immerhin 33,6 % beträgt. So unwesentlich also scheinen mir die übrigen Länder des freien Europa für die Gesamtkonzeption gar nicht zu sein. Bei der Einfuhr entfallen 21,2 % auf die Länder des Gemeinsamen Marktes und immerhin 24,5 % auf die übrigen Länder des europäischen OEEC-Gebietes.
Also, meine Damen und Herren, wenn sich diese Gemeinschaft „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" nennt, so liegt doch immerhin eine kleine Hochstapelei in der Benennung.
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Es ist nicht die europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Ich sage das deswegen, meine Damen und Herren, weil meine Fraktion infolge der Kürze der Zeit und weil sie gewohnt ist, sich die Dinge sehr gründlich zu überlegen, noch keine Möglichkeit hat, eine endgültige - ({4})
- Ja, wenn Sie das wundert, dafür kann ich nicht. Das ist bei Kleinen eher möglich als bei Großen, Herr Kollege.
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- Ich verstehe nicht, Herr Kollege Rinke; aber vielleicht können wir uns persönlich darüber unterhalten.
Meine Fraktion hatte noch keine Gelegenheit, einen festen Standpunkt zu den Dingen einzunehmen, weil wir eine Reihe Fragen durch die Regierung geklärt haben wollen, und zwar Fragen, die für uns entscheidend dafür sind, ob wir dem Vertragswerk zustimmen oder nicht. Dazu gehört für uns die Frage der europäischen Konzentration. Meine Damen und Herren, erschrecken Sie nicht, wenn ich auf die politische Seite der Angelegenheit viel stärker eingehe als auf die wirtschaftspolitische Seite, die hier im übrigen schon weitgehend behandelt ist. Man darf nicht vergessen, daß das Ziel der Beschlüsse von Messina von vornherein klar war. Diese Beschlüsse hatten eine politische Zielsetzung. Die europäische politische Integration mit wirtschaftlichen Mitteln sollte angestrebt werden. Das ist die Grundlage des Vertrages, und deswegen steht das Politikum immer im Vordergrund.
Meine Damen und Herren, Sie werden uns nicht verübeln, wenn wir deswegen die Frage der deutschen Wiedervereinigung in den Vordergrund stellen. Die Erklärung der Bundesregierung spricht auch von der Wiedervereinigung; sie spricht aber hauptsächlich von der Zeit nach der Wiedervereinigung und berührt die Frage: „Hat ein freies wiedervereinigtes Deutschland die Freiheit der Entscheidung?", und befaßt sich lediglich damit, ob diese Feststellung in den Vertrag aufgenommen werden soll. Wir stehen wie alle anderen hier im Saal auf dem Standpunkt, daß ein freies Gesamtdeutschland auch die Freiheit seiner politischen Entscheidungen hat. Hier taucht nun erstmals bei den europäischen Verträgen eine besondere Fragestellung auf. Wir haben uns schon mit dem EVG-Vertrag, dem Montanunionsvertrag sowie dem der WEU befassen müssen. Meine Damen und Herren, diese Verträge sind aber - da stehe ich im Gegensatz zur Regierungserklärung auf einem anderen Standpunkt - reversibel; man kann sie kündigen, man kann sie ändern. Da kann das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands natürlich noch zum Zuge kommen. Hier, meine Damen und Herren - das wollen wir nicht vergessen; das ging aus allen Ausführungen hervor-, findet eine Integration der nationalen Volkswirtschaften zu einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft statt. Wir brauchen über die Frage der Kündigung oder der Auflösung einer solchen Gemeinschaft hier gar nicht zu reden, weil die sukzessiv vorgenommene Durchführung des Vertrages - immer vorausgesetzt, der Vertrag über den Gemeinsamen Markt funktioniert; das unterstelle ich hier - eine Verschmelzung der nationalen Volkswirtschaften zu einer europäischen bedeutet, die sich nicht zurückdrehen läßt, also irreversibel ist.
Meine Damen und Herren! Diese Tatsache ist für uns ein gleiches Politikum wie für die Briten die politische Bedeutung des Commonwealth und für die Franzosen die politische Bedeutung der Outre-mer-Länder. Das Problem der Sowjetzone im Verhältnis zur Bundesrepublik ist für uns eine Frage, die genauso der Überprüfung daraufhin bedarf, ob die nationalen Belange Deutschlands gewahrt sind, wie wir dies den Briten zubilligen. Hier taucht die politische Frage auf, ob die europäische Wirtschaftsunion die Verhältnisse hinsichtlich der Wiedervereinigung versteinert. Ich wage die Frage nicht zu entscheiden. Es ist möglich, daß die Bundesregierung recht hat und die
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Tatsache, daß nun ein starkes Klein-Europa entsteht, Rußland zu einer anderen Haltung gegenüber der Wiedervereinigung veranlaßt. Das ist möglich; ich weiß es aber nicht. Es ist auch das Gegenteil möglich, daß durch diesen Vertrag eine solche Versteinerung eintritt, daß an eine Wiedervereinigung überhaupt nicht mehr gedacht werden kann. Darüber muß uns die Bundesregierung schlüssige Aufklärung geben, sonst sind meine politischen Freunde nicht in der Lage, diesem Vertragswerk zuzustimmen. Wir wollen wissen, ob nicht die Wiedervereinigung durch die Verträge verhindert wird, und nicht erst, welchen Standpunkt ein wiedervereinigtes Deutschland zu den Verträgen einzunehmen hat. Das ist für uns einer der entscheidendsten Faktoren, und ich möchte Sie, Herr Staatssekretär, bitten - wir werden ja bei der ersten, zweiten und dritten Lesung des Vertragswerks noch reichlich Gelegenheit haben, uns über die Einzelheiten zu unterhalten -, diese Frage ganz besonders für uns zur Beantwortung vorzubereiten. Das ist eine Grundsatzfrage.
Es besteht noch eine Schwierigkeit, auf die hier seltsamerweise noch niemand hingewiesen hat. Ich habe dem Vertragswerk mit großem Vergnügen entnommen, daß man in den einzelnen Fällen sehr ziselierte Abstimmungsverhältnisse mit sehr klug ausgedachten Zahlen vorgesehen hat. Uns interessiert für den Fall, daß die Möglichkeit besteht, die Zone heranzuziehen, die Frage: Wie sieht es denn dann mit den Abstimmungszahlen aus? Man muß j a auch die Sowjetzone wichten. Wird sie etwa wie Belgien plus Niederlande gewichtet? Dann würde unter Umständen Deutschland ein erhebliches Übergewicht bekommen. Es ist in den Verhandlungen auch zu klären, wie sich die übrigen Signatarmächte zu dieser Frage stellen. Ich erlaube mir, diese Frage nur deswegen anzuschneiden, um zu zeigen, wo wir Klarheit haben wollen, ehe wir zu einer Entscheidung kommen können. Soviel zur politischen Seite der Angelegenheit.
Herr Kollege Professor Furler sprach vorhin davon, daß wir sogar dankbar sein müßten für das Entgegenkommen, das unsere Verhandlungspartner gezeigt haben, und für das Verständnis, das sie für unsere Belange an der Zonengrenze, d. h. für die Wahrung des binnendeutschen Handels, aufgebracht hätten. Herr Kollege Furler, auch ich stehe auf dem Standpunkt, daß wir durch weiträumige Wirtschaftskonzeptionen das alte Europa funktionsfähig erhalten müssen. Wenn wir heute schon ein Gesamtdeutschland hätten, würden meine politischen Freunde und ich hier nur die positiven Seiten des Vertragswerks herausstellen und die negativen lediglich zur Kenntnis nehmen. Aber so liegen doch die Dinge noch nicht. Herr Professor Furler, wir dürfen doch nicht vergessen, daß eine der Hauptsignatarmächte außer der Bundesrepublik schließlich an der Zonengrenze durch ihre Kontrollrats-politik nicht unerheblich beteiligt ist. Diese Tatsache muß man doch einmal aussprechen.
Noch ein Weiteres. Wenn auch feststeht, daß die alte GATT-Klausel, die ja die Zonengrenze nicht zur Zollgrenze macht, die Grundlage für den künftigen binnendeutschen Verkehr sein wird, so darf man doch nicht vergessen, daß es für die Güter aus der Sowjetzone mit jedem Tage schwieriger sein dürfte, sich gegen die begünstigten Güter des Gemeinsamen Marktes im Innenverhältnis durchzusetzen. Hier muß man doch auch an Maßnahmen zur Erhaltung des innerdeutschen Handels denken,
der ohnehin schwach genug ist. Dieser innerdeutsche Handel ist j a noch der Faden, an dem zur Zeit der Verkehr zwischen der Sowjetzone und der Bundesrepublik überhaupt hängt. Hier darf nicht etwa eine Schrumpfung aus Gründen des Gemeinsamen Marktes eintreten. Ich möchte bitten, diese Entwicklung auf das stärkste zu beachten.
Die Zeit ist viel zu weit vorgeschritten, als daß ich jetzt noch auf wirtschaftspolitische Einzelheiten eingehen könnte. Ich darf mich im wesentlichen auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Margulies beziehen. Wir haben großenteils dieselben Bedenken. Ich darf auch von uns aus die Bundesregierung bitten, seine Ausführungen sehr sorgfältig zu prüfen und möglichst erschöpfende Antworten zu erteilen.
Einiges liegt noch speziell unserer Fraktion am Herzen. Da ist einmal die Preisfrage. Die Ausführungen des Herrn Kollegen Hellwig haben mich in gar keiner Weise überzeugen können. Es liegt einfach noch nicht genügend Material für den Beweis vor, daß eine Preiserhöhung in den nächsten fünf Jahren in der bundesdeutschen Wirtschaft nicht möglich ist. Vor allen Dingen ist mir bis heute völlig unklar und ist mir auch durch keine Ausführungen klargeworden, welche konjunkturpolitischen Möglichkeiten denn die Bundesregierung wenigstens noch im Übergang hat.
Wenn gesagt wurde, es solle ja nun eine gemeinsame europäische Konjunkturpolitik betrieben werden, - ja, meine Damen und Herren, die kann doch als Konsequenz des Vertrages praktisch erst in 10 bis 15 Jahren betrieben werden. Was bleibt denn aber in der Zwischenzeit an deutscher Konjunkturpolitik, an deutscher Außenhandelspolitik zur Abbremsung einer unerwünschten Preispolitik überhaupt möglich? Darüber habe ich nichts gehört, darüber müssen wir Auskunft erlangen.
Ein Weiteres. Ich lese sehr viel von Zustimmungen der Industrie zu dem Vertragswerk. Es wird einem immer wieder vorgehalten, die Industrie wünsche dieses Vertragswerk. Ich habe mir in den letzten Tagen einmal die Mühe gemacht, nicht nur bei der Großindustrie, sondern auch bei der Klein-und Mittelindustrie zu fragen, und ich muß Ihnen sagen: das Bild sieht doch anders aus, als es heute in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Ich bin voll überzeugt, daß es große Firmen gibt, die diese Entwicklung mit großem Vergnügen kommen sehen und die auch bereit sind, in Kauf zu nehmen, daß durch die Umschichtungen erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten in Deutschland entstehen, weil sie durch die Möglichkeiten der Niederlassungsfreiheit in anderen Mitgliedsländern zu späteren Zeiten diese, ich möchte einmal sagen, Durststrecke wieder wettmachen können. Das gilt aber bestenfalls für große Werke, die eine Niederlassung in den künftigen Mitgliedsländern des Gemeinsamen Marktes vorsehen können.
Daß man sich selbst während der Verhandlungen darüber klargeworden ist, daß in wirtschaftlicher Hinsicht erhebliche Umschichtungen stattfinden werden, beweist doch die Installierung des sogenannten Sozialfonds, wo man für die Arbeitnehmer Umschulung und Umsetzungen vorsieht. Nun geht meine ergänzende Frage wiederum an die Regierung: Was geschieht denn nun mit den kleinen und mittleren Unternehmen, die dieser Umsetzung möglicherweise zum Opfer fallen und nicht die Gelegenheit haben, etwa durch erweiterte Nieder({7})
lassungsmöglichkeit den Vorteil des Gemeinsamen Marktes auszunutzen.
Wenn man sich rechtzeitig um diese Frage kümmert, wird man eine Entlastung des Sozialfonds erreichen, weil wahrscheinlich bei rechtzeitiger Vorsorge viele Arbeiter nicht brotlos werden. All diese Dinge sind mir auf Grund des Vertragswerks vollkommen unklar. Sie sind mir durch die Regierungserklärung nicht klarer geworden, und ich darf die Regierung herzlich bitten, die Maßnahmen der Vorsorge zur Erhaltung der Mittel- und Kleinbetriebe hier bei der ersten Lesung klar zu beantworten.
Nun habe ich noch eine letzte Frage an die Regierung. Sowohl Herr Staatssekretär Hallstein wie auch Herr Professor Furler haben gesagt: Jawohl, wir wollen bei den Organen des Gemeinsamen Marktes das Parlamentarische stärker hervorgehoben haben. Meine Damen und Herren, das ist ein Anliegen des ganzen Hauses, wie ich gesehen habe. Das Vertragswerk über den Gemeinsamen Markt in der jetzt vorliegenden Formulierung ist doch eine Art Grundgesetz des Gemeinsamen Marktes. Wie will man denn, wenn man dieses Vertragswerk so annimmt, unterzeichnet, ratifiziert und in Kraft setzt, überhaupt dem Parlament noch eine andere Basis geben als diejenige, die im Vertragswerk enthalten ist? Das ist mir nicht klargeworden. Hier können wir doch nicht „wir hoffen", „wir erwarten", „wir wünschen" sagen.
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Hier darf man doch nicht bloß den Mund spitzen, hier muß gepfiffen werden. Legen Sie doch die Aufgaben der Institutionen in dem Vertrag fest!
Es ist gesagt worden, die Versammlung habe Kontrollmöglichkeiten und sonstige parlamentarische Rechte. Ja, meine Damen und Herren, ich muß Ihnen ehrlich sagen: sie hat nur die Möglichkeit, den Tätigkeitsbericht entgegenzunehmen und die gesamte Kommission abzuberufen, wenn ihr der Tätigkeitsbericht nicht paßt. Das verstehe ich nicht unter parlamentarischen Befugnissen. Sämtliche Entscheidungsmöglichkeiten hat der europäische Befehlskopf, der sich schlicht und einfach „Europäische Kommission" nennt, im Benehmen mit dem Ministerrat. Vorhin wurde hier von irgendeiner Seite mit Recht gesagt: Wenn starke Leute in diesem Befehlskopf drinsitzen, werden sie schon genügend autoritative Politik treiben. Davon bin ich überzeugt, meine Damen und Herren! Und wo bleibt das Parlament? Für dieses Parlament, das ja ein erweitertes Arbeitsgebiet insofern bekommt, als die Montanunion und möglicherweise auch Europaratsinstitute dazukommen, sind in den jetzt vorliegenden Bestimmungen keinerlei legislative Befugnisse vorgesehen. Die Entscheidungsbefugnisse und die Durchführungsbefugnisse sind Sache der Kommission in Verbindung mit dem Ministerrat. Hier muß noch etwas geschehen, damit das Parlament größere Wirkungsmöglichkeiten bekommt, und das muß geschehen, bevor die Unterzeichnung stattfindet. Aber das ist ja wohl nicht mehr möglich, da meines Wissens die Unterzeichnung am 25. März stattfindet. Hier entsteht nun mal ein echter Zeitdruck, aber vom Parlament aus. Nur können wir ihn nicht in irgendeiner Form überbrücken.
Ich muß sagen, die Teilung der Befugnisse der Organe ist absolut ungenügend. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: als ich die Artikel über die Organe in dem Vertrag las, kam es mir so vor, als ob ich das alles schon einmal gelesen hätte. Und in der Tat, da fiel mir auch ein, wo: beim EVG-Vertrag. Ich befürchte, daß ganze Passagen einfach daraus übernommen worden sind. Damit will ich natürlich nichts gegen die Personengleichheit der Verhandler bei den heutigen Verhandlungen und bei der damaligen EVG sagen. Aber manchmal ist es nicht gut, wenn die Herren Delegationsführer ein zu gutes Gedächtnis haben. Dann kommt eben nicht das Richtige heraus.
Ich weiß nicht, wie die Fragen der Institutionen und des Parlaments noch gelöst werden sollen, aber ich darf heute schon darauf aufmerksam machen, daß es für meine Freunde und mich eine entscheidende Frage sein wird, wie die Teilung der Befugnisse der Institutionen, ich möchte sagen, in einem echten demokratischen Sinne in diesem Vertragswerk umgestaltet werden kann.
Wir sehen ohnehin schon mit Schrecken, daß sich - Kollege Deist, der darauf hingewiesen hat, ist leider nicht hier - ein stark dirigistisch ausgebildeter Befehlskopf bilden wird. Wir alle wissen nicht, wie dieser Sprung ins kalte Wasser, den wir machen werden, auslaufen wird. Dann wollen wir aber in dem Grundgesetz dieser kleineuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft wenigstens die Sicherheit haben, daß parlamentarische und demokratische Gebräuche angewendet werden. Ich glaube, das wäre zum Segen der ganzen Einrichtung notwendig.
Meine Damen und Herren, seien Sie nicht zu sicher, daß die Einrichtungen des Gemeinsamen Marktes, die Sie im Vertrag stipuliert haben, nun auch funktionieren werden. Es ist zu viel vom guten Willen gesprochen worden. Nun, ich denke zurück an die Verhandlungen im Oktober des vorigen Jahres, die nicht gerade immer ein Beweis des guten Willens waren. Entschuldigen Sie, man muß aber auch die Realitäten bei so schwerwiegenden Entscheidungen berücksichtigen.
Ich darf also die Regierung, die jetzt wenigstens durch zwei Herren Staatssekretäre - die ich besonders schätze - vertreten ist, herzlich bitten, uns alle diese Auskünfte zu geben.
Ich darf noch um eine weitere Auskunft bitten; das hätte ich beinahe vergessen. Ich will nicht etwa die Frage der überseeischen Gebiete noch einmal von vorne aufgreifen. Dazu sind von Herrn Dr. Deist Feststellungen getroffen worden, denen ich mich vollinhaltlich anschließe. Nun werden wir ja ein sehr gutes Kriterium haben, wie der Teil des Vertragswerks wenigstens vom Standpunkt unserer Bundesregierung her auszulegen ist. Von der Sozialdemokratie ist hier klar gefordert worden, daß durch die Gabe der 800 Millionen DM, die in den Outre-mer-Gebieten investiert werden, die übrigen Investitionen bei den unterentwickelten Ländern nicht leiden dürfen.
Meines Wissens ist seit dem 1. März - oder vielleicht erst ab 1. April, das weiß ich nicht so genau, aber das wird der Herr Staatssekretär für Wirtschaft wissen - eine deutsche Handelsdeleation unter Herrn Gesandten von Bargen unterwegs, die nach Pakistan, nach Indien, nach Birma, nach Malaya und sonstwohin in die unterentwickelten Gebiete fährt, um dort die Möglichkeiten des deutschen Außenhandels mit den unterentwickelten Gebieten festzustellen. Gegebenenfalls hat sie entsprechende deutsche Hilfsmaßnahmen Ergänzung vorzuschlagen. Irgendwann wird ja der Herr Gesandte von Bargen mit seiner Kommission zurückkommen, und wir werden sehen, ob es inzwischen der Bundesregierung geglückt ist, gegenüber diesen unterentwickelten Gebieten eine klare handelspoli({9})
tische Haltung und eine klare Haltung in bezug auf Investitionen einzunehmen. Wenn uns diese Haltung befriedigen wird, sind wir überzeugt, daß die Angelegenheit auch bei den französischen Outre-mer-Gebieten Aussicht auf Erfolg haben wird.
Sie werden wahrscheinlich von meinen Ausführungen enttäuscht sein, weil ich zu wenig „hoffe, wünsche und erwarte". Meine Damen und Herren, wir „hoffen, erwarten und wünschen" in Deutschland schon lange Zeit viel zuviel. Das hat uns etwas hart gegen diese Begriffe gemacht. Wir werden nochmals alle harten Wirklichkeiten bis aufs letzte prüfen, damit wir mit gutem Herzen für eine europäische fortschrittliche Weiterentwicklung, aber unter Wahrung der nationalen deutschen Belange, das Urteil fällen können, das uns vor der Geschichte rechtfertigt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hätte in wirtschaftspolitischer, sozialpolitischer und namentlich auch in finanzieller Hinsicht noch einiges zu dem Vertragswerk hier vorzubringen. Aber mit Rücksicht auf die sehr vorgeschrittene Zeit haben als Sprecher meiner Fraktionmeine Fraktionsfreunde Birkelbach und Ritzel ihre Wortmeldung zurückgezogen, ebenso wie das inzwischen ,auch von einigen Angehörigen anderer Fraktionen geschehen ist. Ich selber will mich nur noch kurz zu drei hochpolitischen Problemen äußern: Berlin, demokratisches Prinzip und Wiedervereinigung.
Erstens Berlin. Das Vertragswerk enthält vielerlei Sonderrechte, und es sind bei dem Vertrag und in dem Vertrag mancherlei Gebiete innerhalb und außerhalb Europas erwähnt worden, denen gewiß auch Bedeutung zukommt; aber der Name Berlin wird allenfalls in eine Protokollnotiz verwiesen. Das ist nach unserer Überzeugung unmöglich. Notwendig ist eine feierliche und verpflichtende Grundsatzerklärung, daß es zu den vornehmsten Aufgaben der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehören muß, auch die wirtschaftliche und soziale Lage der deutschen Bundeshauptstadt Berlin zu erleichtern, ihren Aufbau zu fördern und ihre wirtschaftliche Stabilität zu sichern.
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Der Herr Bundeskanzler wird und kann in Rom Gelegenheit haben, eine solche feierliche und verpflichtende Grundsatzerklärung aller Signatarmächte herbeizuführen. Dafür darf es noch nicht zu spät sein.
Zweitens das demokratisch-freiheitliche Prinzip. Es ist hier schon vieles Kritische - und mit Recht Kritisches - über die innere Struktur dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gesagt worden. Der Herr Kollege Elbrächter hat in einem anderen Zusammenhang Herrn Professor Weber aus München zitiert und im Anschluß an Professor Weber gemeint, es liege hier juristisch ein Meisterwerk, aber wirtschaftlich eine Stümperei vor. Ich will mich über das Wirtschaftliche in diesem Augenblick nicht äußern. Aber zu dem Juristischen gehört doch nicht bloß das Formale, sondern auch der Geist des Rechts. Da muß ich sagen, es mag paragraphenmäßig vielleicht als Klempnerei ein Meisterwerk sein, aber demokratisch ist das, was hier gemacht worden ist, eine Stümperei. Als der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts in der Regierungserklärung auf die Organisation zu sprechen kam, hat er in bemerkenswerter Weise angefangen mit dem Ministerrat als dem ersten Organ und nicht, wie man das in einer Demokratie machen sollte, mit der Versammlung. Das hat allerdings auch einen inneren Grund; denn Herr Staatssekretär Hallstein hat hinzugefügt, die Versammlung stehe erst am Anfang ihres Entwicklungsstadiums. Herr Staatssekretär, warum? Warum haben Sie nicht Zeit genug gehabt, bei den Verhandlungen etwas mehr zu „entwickeln", als es hier geschehen ist? Uns befriedigt auch nicht, daß Sie in der Regierungserklärung gesagt haben, die Bundesregierung werde alle Bestrebungen unterstützen, der neuen Gemeinschaft ein voll aktionsfähiges und mit den nötigen Befugnissen . ausgestattetes Parlament zu beschaffen. Warum ist das in den Verhandlungen nicht geschehen?
Ich muß Ihnen aber eines entgegenhalten. Dieser Vertrag ist unbefristet. Wo also sollen derartige Bestrebungen ansetzen? Denn es gibt in diesem Vertrage, wie er bisher ausgehandelt ist, noch weniger Anhaltspunkte als im Montanunionsvertrag, der wenigstens die große und die kleine Revisionsklausel hat. Ich bin der Überzeugung, es sollte bei der Unterzeichnung in Rom auch noch möglich sein, entweder diesem Vertragswerk eine Entwicklungsklausel - will ich einmal sagen - anzufügen, die den Ansatzpunkt dafür bietet, daß alle Beteiligten bestrebt sein werden, dieses so unglückliche Instrument im Laufe der Zeit zu einer wirklich demokratisch-freiheitlichen Gemeinschaft zu machen. Aber zumindest sollte es möglich sein, daß das auch in feierlicher und verbindlicher Form erklärt wird. Denn man sollte sich doch vorstellen, daß es keinen der beteiligten Staaten gibt, ,der sich den demokratischen Grundsätzen widersetzen würde.
Diese mangelhafte Struktur des Vertrages und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist um so bedauerlicher, als mein damaliger Fraktionsfreund Hermann Veit, der heute als Vertreter des Bundesrats hier anwesend ist, schon in der 183. Sitzung des Bundestages am 11. Januar 1952 alle diese Bedenken - damals gegen 'die Struktur des SchumanPlans - mit Recht vorgetragen hat. Aber die Bundesregierung hat es nicht berücksichtigt. Alles, was damals von Herrn Veit hierzu gesagt worden ist, gilt auch heute noch. Insbesondere unterstreiche ich, daß der Art. 24 des Grundgesetzes, der auf sozialdemokratisches Betreiben in das Grundgesetz hineingekommen ist und den wir durchaus bejahen, eine Homogenität der Struktur solcher übernationalen oder supranationalen Gebilde voraussetzt. Man kann nicht die Demokratie und die Freiheit verleugnen, wenn man sich auf die überstaatliche Ebene begibt.
Auch Herr Kollege Furler hat gesagt, er sei damit nicht zufrieden. Er hat den Ausspruch getan, es sei erforderlich, „die Kraft der parlamentarischen Idee zum Ansatz zu bringen". Herr Kollege Furler, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dieses so volltönende Wort erläutern könnten. Wo wollen Sie das zum Ansatz bringen, wenn Sie sich den Vertrag anschauen? Sie haben auch gesagt, die Kompetenzen der Versammlung müßten „laufend erweitert" werden. Wo ist der Ansatzpunkt dazu? Denn Sie als Präsident der Versammlung der Montanunion sollten am ehesten wissen, wieviel Schwierigkeiten
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es bereits in jener Versammlung bisher gemacht hat, zu Kompetenzerweiterungen zu kommen. Ich kann also auch insoweit nur das unterstreichen, was - insbesondere von dem Herrn Kollegen Margulies - hier ausgeführt worden ist.
Ich möchte es noch um einen Punkt ergänzen. Herr Kollege Furler hat von dem Kontrollrecht der Versammlung gesprochen. Sie haben leider nicht hinzugefügt, daß dieses Kontrollrecht nur mit einer Zweidrittelmehrheit effektuiert werden kann.
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- Ja, aber das Kontrollrecht muß doch irgendwie auch bewaffnet sein, in der Form, daß Konsequenzen gezogen werden, wenn man mit dem Bericht und der Tätigkeit der Kommission nicht zufrieden ist; und da kann es letzten Endes nur mit einer Zweidrittelmehrheit ausgeübt werden, was Sie nicht gesagt haben. Vor allem ist wichtig, darauf hinzuweisen: dieses Kontrollrecht kann gar nicht ausgeübt werden gegenüber den gesetzgeberischen Befugnissen des Ministerrats. Darauf aber kommt es entscheidend an. Denn was die kommende Europäische Wirtschaftsgemeinschaft von der Montanunion unterscheidet, ist, daß bei ihr das Gewicht der Versammlung noch geringer ist als bei der Montanunion, und zwar ,deshalb, weil hier der Ministerrat eine ungleich größere Bedeutung hat als die der Hohen Behörde der Montanunion entsprechende Europäische Kommission.
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Die Versammlung ist kaum mehr als eine Berichtsannahmestelle, oder sie befindet sich in der Rolle des antiken Chores, der den Gang der Handlung nur mit hilflosen Gesängen begleitet hat. In dieser Hinsicht wird die kommende Gemeinschaft noch gar nicht europäisch sein. Ich greife hier ein Wort auf, das der Herr Bundesminister für Wirtschaft zu unser aller Freude endlich heute einmal gesagt hat - wir sagen es seit vielen Jahren -: Dadurch, daß man etwas europäisch nennt, ist es noch lange nicht europäisch!
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Zum Begriff des Europäischen gehört das Freiheitliche, und das fehlt in diesem Entwurf.
Das ist tief bedenklich im Blick auf den Osten. Denn wenn wir etwas positiv dem Osten gegenüberstellen, so ist es doch die Freiheitlichkeit und die parlamentarische Selbstbestimmung unserer Völker, die wir gerade hier durch dieses bürokratisch entworfene Vertragswerk verkümmern lassen. Man sollte sich in den Kreisen der Bundesregierung nicht im unklaren sein, welche Schwächung das für die demokratische europäische Idee bedeutet. Auch hier dürfte es nach meiner Meinung noch nicht zu spät sein. Ich gebe mich nicht der Illusion hin, daß eine Bundesregierung, die so wenig Rücksicht auf das Parlament nimmt, um nicht zu sagen: die so wenig Achtung vor dem Bundestage hat, nun noch hier im letzten Augenblick das Ganze umstülpen kann. Wohl aber ist es, wie ich sagte, möglich, eine Entwicklungsklausel einzuführen, und wohl sollte es bei der Unterzeichnung des Vertragswerks in Rom nicht daran fehlen, daß man zum Ausdruck bringt, wie unzufrieden - ich hoffe: der ganze Deutsche Bundestag - mit dieser demokratisch-freiheitlich unzureichenden Struktur der Gemeinschaft man ist und daß von deutscher Seite darauf Gewicht gelegt wird, nun tatsächlich alsbald Hand anzulegen, um hier den demokratisch-freiheitlichen Erfordernissen Genüge zu tun.
Drittens die Frage der Wiedervereinigung. Herr Staatssekretär Hallstein hat gemeint, es sei keine Notwendigkeit, in dem Vertrage etwas über die Wiedervereinigung zu sagen oder die Handlungsfreiheit ganz Deutschlands vorzubehalten; es sei das nicht einmal ratsam, weil man sonst daraus falsche Rückschlüsse oder gar Zweifel ziehen könnte. Nun, meine Damen und Herren, frühere Versäumnisse sind keine Rechtfertigung dafür, dieselben Versäumnisse bis ins Unendliche zu wiederholen.
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Es genügt uns auch nicht die Freundschaftslyrik, die Herr Staatssekretär Hallstein in diesem Zusammenhange angestimmt hat, daß man sich doch auf den guten Willen und die Kameradschaft der anderen Vertragspartner verlassen könne und verlassen müsse. Denn in der Politik geht es um Interessen und zählen nur die harten Tatsachen. Da reicht es nicht aus, daß der Botschafter Herr Ophüls in Brüssel hinter verschlossenen Türen die Erklärung abgegeben hat, die Bundesregierung gehe von der Erwägung aus, daß im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands eine Überprüfung des Vertrages stattfinden müsse. Denn jene Erklärung ist in keiner Weise Bestandteil des Vertrages. Sie ist wohl nicht einmal protokolliert, und auch die Zustimmung der anderen Beteiligten ist nicht Gegenstand des Vertragswerkes geworden.
Wohl aber steht in den Akten das, was in der Assemblée Nationale in Paris der Staatssekretär Herr Faure am 16. Januar 195'7 zur Frage der Wiedervereinigung ausgeführt hat, und das, meine Damen und Herren, klingt anders und klingt so ernst, daß ich es doch für meine Pflicht halte, dem Hause im Wortlaut zu sagen, was Herr Staatssekretär Faure zur Frage der Wiedervereinigung in der Assemblée Nationale ausgeführt hat. Herr Faure hat angeknüpft an Fragen des Abgeordneten Pierre Andre über die Wiedervereinigung und dann gesagt:
Ich möchte diese Frage ganz offen behandeln. Dies ist ein klassisches Problem, und es stellt sich in der gleichen Form für alle mit der Bundesrepublik abgeschlossenen Abkommen, besonders für die Montanunion, für den Atlantikpakt und für die Pariser Verträge. Indessen gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den Hypothesen, die ich
- Herr Faure aufzeigen möchte. Wenn ein wiedervereinigtes Deutschland das Recht hätte zur freien Entscheidung über seinen Verbleib oder Austritt aus den verschiedenen Organisationen, so behielte doch beim Austritt Deutschlands aus dem Atlantikpakt, dem es nachträglich beitrat, der Pakt für die restlichen Mitglieder seine Gültigkeit.
Herr Faure macht also einen Unterschied zwischen Verträgen, die bei einem Ausscheiden Deutschlands noch ihre Gültigkeit für die übrigen Vertragspartner behielten, und Verträgen, bei denen das nicht der Fall ist. Denn er fährt fort:
Daher würde der Austritt Deutschlands aus
der Montanunion, der Westeuropäischen Union,
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dem Gemeinsamen Markt oder Euratom diese Verträge hinfällig machen. M. Pierre André, die fünf anderen Vertragspartner wären keineswegs an die Verträge gebunden, da es sich um einen Gemeinsamen Markt der sechs und nicht der fünf handelt, den wir unterzeichnen werden.
Faure sagt hier also: Für .die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist die Zugehörigkeit Deutschlands konstitutiv; ohne sie fällt der ganze Vertrag. Und dann kommt er zu folgenden merkwürdigen Sätzen:
Indessen hat die Bundesrepublik immer wieder feierlich versichert, daß sie das gesamte deutsche Volk gültig verpflichte. Die Regierung
- die französische Regierung, meint er -
versteht die legitimen Gründe dieser These. Sie
- die französische Regierung -
hat dessen ungeachtet zugegeben, daß auf der Berliner Konferenz von 1954, um Gespräche mit der Sowjetunion über das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands nicht unmöglich zu machen, die Regierung eines wiedervereinigten Deutschland unter der Bedingung, daß sie aus freien Wahlen hervorgegangen ist, die Freiheit der Entscheidung haben könnte.
Nun kommt die Gegenüberstellung, indem Herr Faure sagt:
Diese beiden Auffassungen
- Verpflichtung ganz Deutschlands und Freiheit einer gesamtdeutschen Regierung -
stellen keinen Widerspruch dar, sondern bedeuten lediglich für den östlichen Teil Deutschlands die Zuerkennung der elementarsten demokratischen Rechte auf Teilnahme an der Bestimmung der Politik ihres Landes im Rahmen des allgemeinen Wahlrechts. Wir sind hier übrigens an den Punkt gelangt, wo Recht und Tatsachen sich begegnen.
Herr Staatssekretär Faure schloß diesen Exkurs in die Frage der deutschen Wiedervereinigung mit der rhetorischen Frage:
Ist es nötig, ins Gedächtnis zu rufen, daß wir uns die Freiheit erhalten, einen Vertrag über die Wiedervereinigung Deutschlands zu unterzeichnen oder nicht zu unterzeichnen, und daß es Sache der dann 'amtierenden französischen Regierung sein wird, die allgemeinen Bedingungen zu erörtern, unter denen sie ihre Zustimmung geben oder verweigern würde?!
Was hier von immerhin maßgeblicher Seite in der Assemblée Nationale am 16. Januar 1957 gesagt worden ist, ist sehr unbefriedigend. Es erinnert an die dunklen und mehrdeutigen Aussprüche des Herrn Bidault auf der Berliner Konferenz.
Demgegenüber genügt es nicht, daß die Bundesregierung hier sagt, sie könne die Frage der Wiedervereinigung nicht im Vertrag behandeln, weil sonst die Möglichkeit von Umkehrschlüssen, Rückschlüssen und des Entstehens von Zweifeln gegeben sei. Ich will mit aller Klarheit drei Sätze dazu sagen.
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft darf einer aktiven freiheitlichen Wiedervereinigungspolitik nicht entgegenstehen, und auch die Partner sind auf Grund der Generalklausel in den Pariser Verträgen dazu verpflichtet, sich an dieser aktiven Wiedervereinigungspolitik zu beteiligen; die Ausführungen, die Herr Staatssekretär Faure dazu gemacht hat, entsprechen nach meiner Überzeugung einer solchen Verpflichtung leider nicht.
Dann: Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ist kein Ersatz für die Wiedervereinigung Deutschlands. Wir halten es aus diesem Grunde für erforderlich, daß im Sinne unserer Resolution sowohl in den Vertrag ausdrücklich diese Klausel - daß ganz Deutschland nach seiner Wiedervereinigung frei entscheidet - aufgenommen. wird, als auch, daß bei der Unterzeichnung in Rom unser vitales Interesse an dem Fortbestand oder an der Entwicklung, muß man wohl sagen, einer künftigen aktiven Wiedervereinigungspolitik zum Ausdruck gebracht wird.
Meine Damen und Herren, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat dem Hause einen Entschließungsantrag*) vorgelegt. Sie kennen ihn aus der Drucksache 3311. Wir bitten darum, daß über diese Entschließung abgestimmt wird. Wir sind nicht damit einverstanden, daß sie in einen Ausschuß überwiesen wird; denn Sie wissen ganz genau, daß der Auswärtige Ausschuß und andere beteiligte Ausschüsse gar nicht in der Lage wären, vor der Romreise des Bundeskanzlers und vor der Unterzeichnung des Vertrages diese Resolution wieder hier an das Parlament zurückzubringen. Es handelt sich bei der Resolution doch um etwas, was dem Herrn Bundeskanzler mit auf den Weg nach Rom gegeben werden soll, aber nicht um etwas, was er erst nachher vorfinden soll, wenn er von der Unterzeichnung zurückkehrt. Darum beantragen wir, daß heute über unsere Resolution in diesem Hause abgestimmt wird.
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Die Rednerliste ist erschöpft; die allgemeine Aussprache ist geschlossen.
Herr Abgeordneter Dr. Arndt, dieser Entschließungsantrag bezieht sich auch auf die Fragen von Euratom. Ich hoffe, ich bin mit Ihnen darin einig, daß wir dann darüber abstimmen, wenn der Euratomkomplex erledigt ist. Sind Sie damit einverstanden, oder wollen Sie, daß jetzt abgestimmt wird?
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- Es steht aber darüber: „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom". - Ich habe nichts dagegen.
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- Dr. Lenz!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, daß wir nicht gut über einen Entschließungsantrag zu einem Tagesordnungspunkt, der überhaupt noch nicht diskutiert worden ist, abstimmen können. Da schon eine gemeinsame Behandlung gefordert wird, möchte ich namens der Fraktion der CDU/CSU beantragen, diesen Antrag
*) Siehe Anlage 2
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wie auch den späteren Antrag der FDP dem Außenpolitischen Ausschuß und dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen. Es sind sehr viele Formulierungen darin, denen wir zustimmen könnten. Aber wir können hier kein Formulierungskomitee machen. Es handelt sich um außenpolitische Dinge von gewisser Tragweite. Ohne eine Ausschußberatung kann man eine Sache von solcher Bedeutung heute im Plenum nicht verabschieden.
Auf jeden Fall wird über den Antrag der Fraktion der FDP Umdruck 989 erst beim nächsten Tagesordnungspunkt abgestimmt. - Herr Kollege Bucher, sind wir uns einig? - Zur Geschäftsordnung, bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit sich der vorliegende Entschließungsantrag auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bezieht, wären wir gern bereit, ihm zuzustimmen und nicht erst eine Ausschußüberweisung vorzunehmen. Da er sich aber gleichzeitig auch mit Euratom befaßt und hier in einzelnen Punkten unseren Ansichten widerspricht, können wir, besonders wenn jetzt sofort abgestimmt werden soll, nur einer Ausschußüberweisung zustimmen. Dabei bitten wir, den Antrag auch dem Außenhandelsausschuß zu überweisen.
Es ist Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß und den Wirtschaftgpolitischen Ausschuß, außerdem an den Außenhandelsausschuß beantragt worden. Hoffentlich kommen nicht noch mehrere andere Ausschüsse dazu. - Herr Abgeordneter Schoettle, auch zur Geschäftsordnung? - Bitte sehr. Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß sagen, ich verstehe den Standpunkt, den Herr Lenz hier im Namen der CDU/CSU-Fraktion vorgetragen hat, nicht. Wollen Sie denn das Gespenstische der heutigen Diskussion - die sowieso unter der Voraussetzung stattfindet, daß an den Verträgen, die in vier Tagen unterzeichnet werden, nichts mehr geändert werden kann - auch noch dadurch steigern, daß Sie eine Resolution, die einige ganz klare Dinge sagt, an einen Ausschuß überweisen, der bestimmt nichts mehr ändern wird?!
Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen zur Geschäftsordnung? - Wenn der Antrag auf Ausschußüberweisung aufrechterhalten Wird, Herr Abgeordneter Lenz,
({0})
dann muß ich zunächst darüber abstimmen lassen, weil Anträge auf Ausschußüberweisung immer vorgehen. Wer dem Antrag auf Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik sowie an den Ausschuß für Außenhandelsfragen - mitberatend - zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist dementsprechend überwiesen.
Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat dem Hause die Ehre angetan, einen Berichterstatter zu dem Tagesordnungspunkt 3 zu bestellen, der nach einer Vereinbarung des Ältestenrats eigentlich der Punkt 1 hätte sein sollen, nämlich zum Bericht des Vermittlungsausschusses über Kapitalanlagegesellschaften. Ich schlage dem Hause vor, daß wir den Bericht von Herrn Staatsminister Dr. Veit hören, dann darüber beschließen und danach Punkt 2 der Tagesordnung aufrufen, ferner daß wir den Punkt 2 der Tagesordnung betreffend Euratom heute unter allen Umständen abwickeln und daß die Reden demgemäß kurz gehalten werden; denn morgen, meine Damen und Herren, kann kein Plenum sein, morgen müssen die Ausschüsse arbeiten. - Das Haus ist damit einverstanden.
Zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften ({2})
hat Herr Minister Veit als Berichterstatter das Wort.
Dr. Veit, Stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich dafür bedanken, daß Sie mir durch die Vorziehung dieses Tagesordnungspunktes entgegengekommen sind.
Zu dem von dem Hohen Hause in seiner 189. Sitzung am 1. Februar 1957 verabschiedeten Initiativgesetz über Kapitalanlagegesellschaften hat der Bundesrat in seiner 172. Sitzung am 22. Februar 1957 beschlossen, zu verlangen, daß der Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes einberufen wird.
Meine Damen und Herren, wenn wir einen Sprecher hier haben, der nicht Mitglied des Hauses ist, muß das Haus unter allen Umständen besonders atemlos zuhören; dann muß die Geräuschkulisse wegfallen, an die wir sonst gewöhnt sind, wenn Mitglieder des Hauses sprechen.
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Also, bei einem Sprecher des Bundesrats muß das ganz anders sein.
Bitte, Herr Minister, fahren Sie fort.
Dr. Veit, Stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg, Berichterstatter: Die Gründe, die zu diesem Beschluß des Bundesrates geführt haben, sind in der Drucksache 3235 im einzelnen genannt.
Die mit dem Gesetz verfolgten wirtschafts- und rechtspolitischen Zwecke haben den uneingeschränkten Beifall des Bundesrats gefunden, desgleichen mit gewissen Vorbehalten der Weg, auf dem diese Zwecke erreicht werden sollen. Der Bundesrat ist jedoch der Auffassung gewesen, daß die in § 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzesbeschlusses dieses Hohen Hauses getroffene Regelung der Zuständigkeit für die Aufsicht über Kapitalanlagegesellschaften nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Er hat nicht anzuerkennen vermocht, daß die Schaffung einer selbständigen Bundesoberbehörde für die Beauf({1})
sichtigung von Kapitalanlagegesellschaften unbedingt erforderlich sei und daß bei den für eine Übergangszeit vorgesehenen Befugnissen des Bundesministers für Wirtschaft die notwendigen Voraussetzungen des überregionalen Verwaltungsaktes gegeben seien.
Ferner hat der Bundesrat geglaubt, daß die auch nach seiner Ansicht richtige Tendenz zu verstärktem Schutz des Investmentsparers durch erhöhte Befugnisse der Aufsichtsbehörde nicht dazu zu führen brauche, von den bewährten Aufsichtsprinzipien des Kreditwesengesetzes so abzuweichen, wie es in dem Gesetz vorgesehen ist. Nach der Auffassung des Bundesrates sollen die Kapitalanlagegesellschaften ebenso wie die übrigen Kreditinstitute ihre geschäftlichen Entscheidungen grundsätzlich in eigener Verantwortung treffen, also keiner speziellen Genehmigung oder Bestätigung der Bankaufsichtsbehörde dafür bedürfen. Sie sollen aber verpflichtet sein, der Aufsichtsbehörde bestimmte Ereignisse von besonderem Gewicht und außerdem in regelmäßigen Intervallen den Bestand des Sondervermögens sowie ihre eigenen Vermögensanlagen anzuzeigen.
Schließlich hat es der Bundesrat im allgemeinwirtschaftlichen Interesse für notwendig erachtet, den Kapitalanlagegesellschaften zur Pflicht zu machen, daß sie die mit dem Sondervermögen verbundenen Stimm- und Gläubigerrechte grundsätzlich selbst ausüben und sich nicht auf das allgemeine Depotstimmrecht zurückziehen, und ihnen hinsichtlich ihres Eigenkapitals das Halten einer bestimmten Liquiditätsreserve aufzuerlegen.
Der Vermittlungsausschuß ist am 13. März 1957 zusammengetreten und hat sich mit den vom Bundesrat ausgesprochenen Änderungswünschen eingehend befaßt. Das Ergebnis seiner Beratungen ersehen Sie aus der Drucksache 3282 und der Anlage dazu.
Mit den verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 hat sich der Vermittlungsausschuß nicht auseinandergesetzt. Er hat geglaubt, darauf verzichten zu können, weil die Bundesregierung inzwischen mit der Drucksache 3264 den Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vorgelegt hat. Der Vermittlungsausschuß hält es angesichts dieser Tatsache weder für notwendig noch für zweckmäßig, innerhalb des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften eine auch nur interimistische Sonderregelung für die Aufsichtskompetenz zu treffen. Er ist vielmehr der Meinung, daß auch in dieser Beziehung die Kapitalanlagegesellschaften nicht anders zu behandeln sind als die übrigen Kreditinstitute. Deshalb beantragt er, § 2 Abs. 1 Satz 2 zu streichen.
Die vom Bundesrat zum Zwecke der Klarstellung vorgeschlagene Neufassung des § 2 Abs. 2 hat der Vermittlungsausschuß übernommen. Ferner hat er anerkannt, daß die in § 4 Abs. 1 bisher enthaltene Bestimmung über die besondere Qualifikation von mindestens der Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder höchstwahrscheinlich nicht praktikabel ist und daß die dort weiterhin normierte Bestätigung des Aufsichtsrats durch die Bankaufsichtsbehörde unsystematisch und rechtspolitisch bedenklich ist. Er beantragt deshalb, dem § 4 Abs. 1 die aus Ziffer 3 der Anlage zu Drucksache 3282 ersichtliche Fassung zu geben.
Der § 4 Abs. 3 soll aus rechtssystematischen Gründen gestrichen und im übrigen unverändert als § 4 a in das Gesetz eingefügt werden. Den weitergehenden Vorschlag des Bundesrats, der Bankaufsichtsbehörde die Möglichkeit zu geben, Geschäftsleiter und Aufsichtsratsmitglieder einer Kapitalanlagegesellschaft aus wichtigem Grunde abzuberufen, hat der Vermittlungsausschuß nicht übernommen. Ebenso hat er sich dem Wunsche des Bundesrats versagt, in § 6 Abs. 3 Satz 2 die dort vorgesehene besondere Genehmigung der Bankaufsichtsbehörde zum Überschreiten der 5 %-Grenze zu streichen.
In § 6 Abs. 6 soll das Wort „dürfen" durch das Wort „können" ersetzt werden. Dadurch wird klargestellt, daß Rechtsgeschäfte, die gegen diese Vorschrift verstoßen, schlechthin nichtig sind.
Was die vorhin schon erwähnte Ausübung der mit dem Sondervermögen verbundenen Stimmund Gläubigerrechte betrifft, so hat der Vermittlungsausschuß den vom Bundesrat gemachten Anderungsvorschlag zu § 8 Abs. 1 grundsätzlich gebilligt. In der Fassung, die in Ziffer 6 der Anlage zur Drucksache 3282 vom Vermittlungsausschuß beantragt wird, kommt noch klarer als in der vom Bundesrat beschlossenen Formulierung zum Ausdruck, daß die Kapitalanlagegesellschaft regelmäßig verpflichtet ist, die mit dem Sondervermögen verbundenen Stimmrechte unter voller Wahrung der Interessen der Anteilinhaber selbst auszuüben. Wir können hoffen, daß diese Regelung ein erster Schritt zur praktischen Verbesserung der Stellung des Kleinaktionärs ist.
Auch die zu § 10 Abs. 1 Satz 2 vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung hat der Vermittlungsausschuß übernommen. Er hat darüber hinaus beschlossen, dem § 10 Abs. 1 einen dritten Satz anzufügen, der klarstellt, welche Konsequenzen die Bankaufsichtsbehörde innerhalb einer bestimmten Frist aus einer ihr zugehenden Anzeige über die Auswahl und den Wechsel der Depotbank ziehen kann. Außerdem schlägt der Vermittlungsausschuß die Einfügung eines neuen Absatzes 2 in § 10 vor, der bestimmt, daß die Bankaufsichtsbehörde der Kapitalanlagegesellschaft einen Wechsel der Depotbank auferlegen kann. Diese Anträge des Vermittlungsausschusses finden Sie unter Ziffer 7 der Anlage zur Drucksache 3282.
Hinter § 14 soll als § 14 a die Bestimmung eingefügt werden, daß die Kapitalanlagegesellschaft mindestens 20 % ihres Eigenkapitals in Bankguthaben oder in lombardfähigen Wertpapieren zu unterhalten hat. Der Vermittlungsausschuß hat der Auffassung des Bundesrats zugestimmt, daß es im Interesse einer möglichst stabilen Marktlage mindestens zweckmäßig erscheint, der Kapitalanlagegesellschaft eine gewisse Liquiditätsreserve vorzuschreiben, damit sie gegebenenfalls imstande ist, hiermit eine gelegentliche gehäufte Rückgabe von Anteilscheinen abzufangen, und nicht jeden derartigen Druck sofort an die Börse weitergeben muß.
Schließlich hat der Vermittlungsausschuß auch die Berechtigung des Wunsches des Bundesrats anerkannt, daß der Kapitalanlagegesellschaft zur Pflicht zu machen ist, den Bestand des Sondervermögens in regelmäßigen Zeitabständen der Bankaufsichtsbehörde zu melden. Diese Anzeigepflicht entspricht dem bewährten Kontrollsystem des Kreditwesengesetzes. Sie belastet die Kapitalanlagegesellschaft auch nicht über Gebühr, da diese, um
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den Bestimmungen des Gestzes zu genügen, sowieso den Bestand des Sondervermögens in täglicher Evidenz halten muß. Der Vermittlungsausschuß hat allerdings geglaubt, daß es ausreichen werde, wenn die Kapitalanlagegesellschaft diese Bestandsanzeige zweimal jährlich, nämlich am 10. Februar und am 10. August, erstattet, daß also die vom Bundesrat gewünschten zweimonatlichen Meldungen nicht erforderlich seien.
Dies, meine Damen und Herren, sind die vom Vermittlungsausschuß beschlossenen sachlichen Änderungsanträge. Außerdem bedarf wegen der vorgeschlagenen Änderung des § 2 Abs. 2 der § 22 Abs. 3 Buchstabe b einer redaktionellen Berichtigung, indem dort die Worte „Buchstabe a und b" gestrichen werden.
Ich bitte das Hohe Haus, diesen Anträgen des Vermittlungsausschusses entsprechend zu beschließen. Eine gemeinsame Abstimmung über die Änderungen ist nach dem gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung vom Vermittlungsausschuß gefaßten Beschluß nicht erforderlich.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter des Vermittlungsausschusses und schlage dem Hause vor, daß, obwohl der Vermittlungsausschuß eine gemeinsame Abstimmung für nicht erforderlich hält, das Haus gemeinsam abstimmt. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wir stimmen ab. Wer den Änderungsvorschlägen des Vermittlungsausschusses in der vorliegenden Drucksache 3282 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung angenommen.
Dann, meine Damen und Herren, kehren wir zurück zu Punkt 2 der Tagesordnung. Ich rufe auf die
Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Euratom ({0}).
Zur Begründung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Drechsel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, die Große Anfrage der Freien Demokratischen Partei Drucksache 3101 betreffend Euratom zu begründen. Ich bedaure außerordentlich, daß wir mit dieser Begründung so spät in die Tagesordnung hineingekommen sind, und habe eigentlich den Eindruck, daß das Hohe Haus und der Großteil der Bevölkerung bei uns in Deutschland noch gar nicht so recht verstehen, welche Bedeutung diesem Euratom-Vertrag und der ganzen Entwicklung auf dem Gebiete der Kernenergie zukommt.
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- Sehr verehrter Herr Kollege Sabel, ich habe nicht etwa Sie allein angesprochen, sondern ich habe das Hohe Haus angesprochen. Dazu gehört auch die FDP. Ich habe gar nicht irgendwelche Unterschiede gemacht. Ganz allgemein wollte ich nur sagen, daß ich mir sehr im Zweifel bin, ob nicht die Auswirkungen von Euratom eher stärker sein könnten als die des Gemeinsamen Marktes.
Der Sinn unserer Großen Anfrage vom 17. Januar war der, daß dem Parlament rechtzeitig die Möglichkeit gegeben werden sollte, zu einigen
Fragen Stellung zu beziehen, die nach unserer Auffassung unbedingt berücksichtigt werden müssen, um eine auch von uns gewünschte internationale und europäische Zusammenarbeit sicherzustellen. Dabei haben wir allerdings den Wunsch, daß die deutschen Belange und Notwendigkeiten nicht eingeschränkt oder vernachlässigt werden.
Es ist nicht zu bestreiten - es ist heute auch schon bei der Diskussion über den Gemeinsamen Markt zum Ausdruck gekommen -, daß die Bundesregierung das Recht hat, solche Vereinbarungen internationaler Art einzuleiten, auszuarbeiten und zur Abschlußreife zu bringen. Hier handelt es sich aber um einen ganz besonderen Vertrag, der sehr stark in die technischen Dinge hineingeht und der die Entwicklung sowie die Struktur der gesamten Atomwirtschaft für lange Zukunft festlegen wird. Wir meinen, daß ein solches Problem nicht nur in der Sphäre der Außenpolitik liegen kann, sondern daß eine rechtzeitige Einschaltung der Fachmeinung auch auf der ministeriellen Ebene und auch aus der Praxis selbst unerläßlich gewesen wäre. Gerade auf diesem Gebiet wäre es sinnvoller und zweckmäßiger gewesen, das rechtzeitig zu tun.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 19. März haben wir lesen können, daß das Auswärtige Amt die Fachministerien etwa acht Tage vor der Unterzeichnung aufgefordert hat, eine Stellungnahme vorzulegen, wobei allerdings gleich gesagt worden ist, daß sie sachliche Änderungsvorschläge nicht mehr enthalten dürfe. Soweit man erfahren konnte, waren andere Delegationen hinsichtlich der Einschaltung der Fachmeinung besser zusammengesetzt. Bei uns scheint das nicht in genügendem Umfang geschehen zu sein. Seit Wochen und Monaten liegen die unterschiedlichsten Äußerungen aus den Partnerländern vor. In der Bundesrepublik dagegen konnte eine Diskussion eigentlich gar nicht stattfinden, weil die offizielle und grundsätzliche Stellungnahme der Bundesregierung unbekannt war.
Meine Damen und Herren, ich möchte hier wiederholen, was schon in der Debatte über den Gemeinsamen Markt gesagt worden ist, daß es sich unserer Meinung nach für unsere Verhandlungsführung nur günstig ausgewirkt hätte, wenn man sich auf deutscher Seite rechtzeitig auf die Ansichten der deutschen Technik, der Wissenschaft und Wirtschaft und auch die grundsätzliche Auffassung der Volksvertretung hätte stützen können. Bei aller Bescheidenheit, die uns Technikern eigen ist - die Techniker sind in diesem Hause sowieso sehr spärlich vertreten; ich gehöre dazu -, sind wir sogar der Meinung, daß es sehr nützlich gewesen wäre, die technischen Auffassungen in dieses Vertragswerk mehr einzubauen, und wir bilden uns sogar ein, möchte ich sagen, daß damit das Vertragswerk stabiler und zukunftsträchtiger geworden wäre, als wenn man es immer auf die labile politische Liebe der einzelnen Partner, die wir kennen und die sehr wandelbar ist, abstützen muß. Schließlich wissen wir, mit wieviel Geschick und Erfolg sich die französische Regierung auf die Meinung der Volksvertretung gestützt hat.
Wenn die Bundesregierung auch nicht verpflichtet ist, dem Parlament einen Vertragsentwurf zur Aussprache vorzulegen, so ist sie jedenfalls nicht daran gehindert, dies zu tun. Das möchte ich doch ausdrücklich feststellen.
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Es war der Zweck unserer Anfrage von Mitte Januar, rechtzeitig, d. h. noch vor Abschluß der Verhandlungen und erst recht vor der Unterzeichnung des Euratom-Vertrages, eine Aussprache im Bundestag herbeizuführen. Vielleicht können wir ein klein wenig für uns in Anspruch nehmen, daß die heutige Regierungserklärung, die sich allerdings leider nicht auch auf Euratom bezogen hat, doch etwas mit durch uns veranlaßt wurde, und wir hoffen - hier kann ich nur sagen: wir hoffen, obwohl Sie, Herr Kollege Stegner, dieses Wort nicht lieben -, daß die Bedenken, die ich jetzt noch vortragen werde und die vielleicht auch von anderer Seite vorgetragen werden, im Laufe der noch möglichen Verhandlungen vor der endgültigen Gestaltung des Euratom-Vertrages eine gewisse Berücksichtigung finden.
Ich komme nun zu den einzelnen Punkten unserer Anfrage. Die Organisationsform von Euratom ist inzwischen bekanntgeworden, ebenso, welche europäischen und außereuropäischen Staaten und Gebiete einbezogen werden sollen. Grundsätzlich begrüßen wir gerade auf dem Gebiet der Atomwirtschaft eine internationale Zusammenarbeit. Wir halten das bei der Größe der Aufgaben auf dem Gebiete der Forschung und der Investitionen für unerläßlich. Es ist unmöglich, daß ein Staat allein diese Aufgaben meistern und damit die Voraussetzung schaffen kann, mit der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung Schritt zu halten. Noch mehr gilt das für einen Staat wie die Bundesrepublik, die seit Jahren beiseite gestanden hat. Wir brauchen einen Erfahrungsaustausch, wir brauchen Sicherheitsvorschriften, deren Geltung über die Grenzen der einzelnen Staaten hinausgehen muß.
Es ist nur die Frage zu stellen, ob wir das, was notwendig ist, mit den Partnern, die sich nunmehr in Euratom zusammenschließen, erreichen und auch für die Zukunft sicherstellen. Bei aller Anerkennung nötiger Vorleistungen und Entsagungen als Voraussetzung jeder Partnerschaft entstehen hier Zweifel. In europäischer Sicht gesehen haben wir sehr zu beklagen, daß ein Land, das außerordentliche Erfolge auf dem Gebiete der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu verzeichnen hat, nämlich England, nicht mit einbezogen ist. Wir wissen aber ebenso, daß andere europäische Staaten, die nicht zu Euratom gehören, heftig an der Arbeit sind. Es ist ein grundsätzlicher Mangel, daß der Rahmen einer Zusammenarbeit von vornherein nicht weiter gezogen worden ist. Ansätze hierfür sind über OEEC schon seit Monaten vorhanden. Ich meine, daß wir uns in dieser Richtung hätten mehr anstrengen und einsetzen sollen. Bei der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Atomwirtschaft sind doch wohl auch nicht solche Hemmungen vorhanden wie bei der Bildung eines größeren europäischen Wirtschaftsgebietes, beim Gemeinsamen Markt. Die Bundesregierung hätte bei ihren diesbezüglichen Bemühungen mehr Erfolge erzielen können, als es vielleicht jetzt beim Gemeinsamen Markt in Verbindung mit der Freihandelszone möglich gewesen ist. In ihren Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit anderen Staaten, z. B. den führenden Mächten. USA und England, ist die Bundesregierung bereits zu guten zweiseitigen Vereinbarungen gekommen. Jetzt lassen wir uns eigentlich wieder in kleineuropäische Grenzpfähle zurückverweisen. Das scheint mir kein Fortschritt zu sein, vielmehr ein großer Schritt
rückwärts. Gerade in Fragen, die mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie zusammenhängen, ist eine weltweite und weltoffene Betrachtung der Zusammenhänge vonnöten, wenn man Fehlinvestitionen, böse Erfahrungen und Mißtrauen vermeiden will.
In dem nunmehr gegebenen Fall von Euratom halten wir es für das wichtigste, daß sich diese Organisation nicht auf die sechs Staaten beschränkt, sondern daß alles getan wird, damit wir über die eigene oder eine andere Organisation zu einem umfassenderen, besser ausgewogenen Gebilde kommen.
Unter Punkt 3 fragen wir nach den Bindungen und den finanziellen Belastungen, die die Bundesrepublik zu übernehmen gewillt ist. Wir wissen, daß auch bei Euratom eine Organisationsform vorgesehen ist, die einmal zu einem Perfektionismus und zu einer furchterregenden Bürokratie führt, die schon allein durch ihre Existenz unser Mißtrauen hervorrufen muß. Zum anderen aber ergibt sich aus den bisher vorliegenden Texten, daß die Bundesrepublik durch ein einfaches Gesetz wesentliche Hoheitsrechte an zwischenstaatliche Einrichtungen abgeben muß und daß man eigentlich schon Zweifel haben kann, ob diese Aushöhlung der Verfassung überhaupt noch zulässig ist. Hier liegen die Dinge wesentlich anders als bei den Übertragungen gewisser Rechte auf den Gemeinsamen Markt. Hier sind sie meiner Auffassung nach wesentlich schwerwiegender.
Es besteht auch gar kein Zweifel, daß hier demokratische Rechte der Volksvertretung weitgehend ausgeschaltet werden, und zwar noch weitgehender als beim Gemeinsamen Markt. Wohl hat man ein Parlament vorgesehen, aber dieses tritt nur für kurze Zeit einmal im Jahr zusammen, und seine Einwirkungsmöglichkeit ist gleich null. Beispielsweise kann die Versammlung Änderungen der Haushaltspläne vorschlagen; der Rat kann sich aber dann, wenn auch mit qualifizierter Mehrheit, darüber hinwegsetzen. Die Mitglieder des Rates werden von den Regierungen entsandt, die ihrerseits auch das eigentliche Exekutivorgan, die Kommission, bestellen. Die Abstimmungen in diesem Gremium erfolgen dann selbstverständlich unter Berücksichtigung der Gewichtigkeit der Partnerländer, vertreten durch ihre Exekutive. Schon damit sind recht erhebliche Bindungen der Bundesrepublik an eine supranationale Organisation gegeben. Das kann gut gehen, aber es kann auch zum Nachteil eines Partners auslaufen. Gewiß gibt es dann die Anrufung des Gerichtshofes. Aber letzten Endes werden immer der Vertragstext und die dort vorgesehene und durch Unterschrift gebilligte Verfahrensweise ausschlaggebend bleiben.
Über die finanziellen Belastungen, nach denen wir in diesem Punkt 3 auch gefragt haben, haben wir bisher noch sehr wenig Konkretes gehört. Es steht zu befürchten, daß die Bundesrepublik mit zum Hauptzahler, aber dafür wohl zum schwächsten Nutznießer werden wird. Ich vermag hier auf diesen Punkt nicht näher einzugehen. Das wird zu dem Zeitpunkt geschehen, zu dem die Verträge endgültig vorliegen. Heute sei nur darauf hingewiesen, daß offensichtlich für zentrale Forschungen und Investitionen im Rahmen von Fünfjahresplänen Mittel bereitgestellt werden müssen, an denen die Bundesrepublik mit einem Anteil von 30 O/o beteiligt ist. Dadurch werden unserem Haus({2})
halt beträchtliche Bindungen auferlegt. Es soll sich hierbei um 200 Millionen Dollar handeln. Damit kommen für uns Beträge heraus, die an den derzeitigen Etat des Atomministeriums heranreichen. Es ist sehr interessant, daß über solche internationalen Verträge solche langfristigen Bindungen an den deutschen Bundeshaushalt herangetragen und auch akzeptiert werden, während wir, wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, wissen, uns gerade auf dem Gebiete der Forschung, aber auch auf anderen Gebieten immer den Kopf darüber zerbrechen, wie wir wohl zu längerfristigen Finanzierungsplänen für unsere deutschen Belange kommen können, ohne mit dem Haushaltsrecht in Konflikt zu geraten. Über internationale Regelungen scheint das also ein recht praktikabler Weg zu sein. Wir sollten uns überlegen, ob wir nicht auch für unsere eigenen Forschungseinrichtungen auf diesem Wege längerfristige Zuschüsse bekommen können.
Angesichts der im raschen Fluß befindlichen Entwicklung auf dem Gebiete der Kernenergieforschung und der Praxis der verschiedenen neuen Verfahren, die den bisherigen, vielleicht auch einmal wirtschaftlich überlegen sind, muß man bei den Projekten, die, wie man hört, die Euratomgemeinschaft vorhat, besonders vorsichtig sein. Das gilt beispielsweise auch für die vorgesehene gemeinsame Isotopentrennanlage, bei der meines Wissens Kostenschätzungen genannt werden, die sich in Größenordnungen bis zu einer Milliarde DM bewegen.
Ich komme dann zum Punkt 4 unserer Anfrage. Es ist wohl nunmehr unbestritten, daß Euratom
das Eigentum und die Nutzungsrechte an den besonderen Kernbrennstoffen oder besonderen spaltbaren Stoffen haben soll. Darüber hinaus soll es ein Optionsrecht auf allen Stufen der Aufbereitung und Verarbeitung vom Erz bis zum Kernbrennstoff selbst haben.
Immer wieder wird die Vorlage eines Programms nach Art. 41 für alle Investitionsvorhaben verlangt. Selbst die Verwendung von Kernbrennstoffen für Forschungszwecke ist nicht ohne Investitionen möglich. Also fällt auch das unter die Vorlagepflicht. In dem gleichen Art. 41 befindet sich der Satz, daß der Rat dann auf Vorschlag der Kommission zu beschließen hat. Daraus muß doch wohl der Schluß gezogen werden, daß neben der Vorlage auch jederzeit eine Genehmigung erforderlich ist. Dieses Optionsrecht, nach dem Art. 57 ausgedehnt auf alle Zwischenstufen vom Erz, den unbearbeiteten Stoffen oder den besonderen spaltbaren Stoffen vor ihrer Verwendung, Übertragung oder Lagerung, bringt eine erhebliche Unsicherheit in die ineinandergreifenden technischen und wirtschaftlichen Prozesse und Planungen. Sie läßt für die Unternehmen, gleichgültig ob staatlicher oder privater Art, keine sichere Programmgestaltung zu. Eine doch recht notwendige Unternehmerinitiative wird sich so nicht entfalten können. Das alles ist zweifellos eine Folge der grundsätzlichen Einstellung von Euratom zur ganzen Eigentumsfrage. Es scheint uns das aber ein so wichtiger Gesichtspunkt zu sein, daß wir ihn in den Entschließungsantrag, der Ihnen vorliegt, mit aufgenommen haben.
Sie wissen, daß wir hinsichtlich der Eigentumsfrage eine andere Vorstellung haben, als sie von Euratom übernommen worden ist. Wir haben dabei nicht zuletzt die Befürchtung, daß die jetzt gezeigte Haltung zu Weiterungen und zu einer Aufweichung des Eigentumsbegriffs überhaupt führen wird. Es wäre sofort zu fragen, mit welcher Berechtigung man einen Energieträger - und gerade den modernsten - in dieser Frage absondern will. Im Laufe der Entwicklung und des Zusammenspiels auf dem ganzen Gebiet der Energieversorgung muß das zu Unzuträglichkeiten führen. Wir sind der Auffassung daß die Bundesregierung hier eine Verpflichtung eingehen will, die ihrer wenigstens bisher gezeigten grundsätzlichen Einstellung zum Eigentum widerspricht und die von ihr nicht eingegangen werden dürfte. Kann man denn bei diesen Planungen, bei diesen Genehmigungsverfahren, bei diesem Dirigismus bei Euratom überhaupt noch von einer Marktwirtschaft sprechen?
Man hält dagegen, daß wegen der gerade bei Kernbrennstoffen erforderlichen Beschränkungen der Nutzung, deren Notwendigkeit auch wir nicht bestreiten, ein Eigentum im eigentlichen Sinn gar nicht mehr vorhanden sein kann. Das scheint mir als Nichtjuristen eine etwas sehr jesuitische Auslegung zu sein. Meiner Ansicht nach gibt es noch erhebliche Unterschiede. Die Diskussion hierüber will ich aber dann lieber den Juristen überlassen.
Eine Notwendigkeit für den Eigentumsentzug scheint mir nicht gegeben zu sein. Ich habe hierüber bereits in der Bundestagsdebatte am 22. Februar einige Ausführungen gemacht. Ich verweise auch darauf, daß z. B. bei dem Verkehr mit Sprengstoffen recht einengende Vorschriften bestehen. Davon wird aber die Eigentumsfrage selbst nicht berührt.
Das wesentliche Charakteristikum von Euratom ist die so weitgehende Eingriffsmöglichkeit, beschlossen, gebilligt und durchgeführt von - nun, sagen wir - nicht immer unbedingt objektiven Organen im überstaatlichen Bereich. Wir hätten das dringende Anliegen, daß bei diesen Punkten die ganze Problematik von der Bundesregierung nochmals eingehend überprüft wird, bevor sie derartige folgenschwere Entscheidungen trifft. Herr Bundesminister Balke hat in seiner Rede vom 22. Februar vor diesem Hohen Hause die Eigentumsfrage besonders hervorgehoben. Wir stimmten damals diesen Ausführungen voll zu. Sollte man jetzt annehmen müssen, daß ihm etwa vier Wochen vor der Bekanntgabe der Verträge noch nicht einmal der wesentliche Grundsatz von Euratom bekannt war, daß die Bundesregierung ihre Fachministerien also so schlecht unterrichtet hat?
Leider scheint dieses Auseinanderlaufen der Ansichten des Auswärtigen Amtes und des Fachministeriums auch heute noch nicht beseitigt zu sein; denn wir wissen, daß das Auswärtige Amt nach dem Abschluß des Euratom-Vertrags oder nach den Gedanken, die man damit hat, der Auffassung ist, daß nunmehr sämtliche Kernbrennstoffe von Euratom bezogen werden können und sollen, so daß eine inländische Förderung und Aufbereitung der Erze überhaupt unterbleiben könnte, obwohl das Bundesministerium für Atomfragen mit Zustimmung des Haushaltsausschusses schon erhebliche Mittel für die Entwicklung solcher Erzförderungen und die Ausgestaltung der Aufbereitung dieser Erze verausgabt.
An dieser Stelle möchte ich noch auf einige besonders bedenkliche Formulierungen des Vertrages hinweisen. Nach dem Art. 84 erstreckt sich die
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Kontrolle von Euratom nicht auf die Stoffe, die der Landesverteidigung dienen. Eine Zuteilung von Kernbrennstoffen nach Art. 52 darf andererseits nur dann verweigert werden, wenn die Verwendung unzulässig ist. Bei der Nutzung der Kernbrennstoffe entstehen laufend sogenannte besondere Kernbrennstoffe, die dann für militärische Zwecke sehr interessant werden. Diese Stoffe werden von Euratom auch für solche militärischen Zwecke zugeteilt und fallen dann aus der Kontrolle von Euratom heraus. Die Folge dieses Verfahrens könnte sein, daß zum Beispiel in Deutschland entstehendes Plutonium in Frankreich zur Herstellung von Atomwaffen verwendet wird. Eine Beantragung von solchen Stoffen für die .militärischen Zwecke ist nur für die Bundesrepublik und wohl auch für Italien unzulässig.
Die ganze Verflechtung oder auch der Zusammenstoß der friedlichen Nutzung mit der militärischen ist überhaupt sehr bedenklich. Zur Zeit besteht bei einem Vertragspartner ja schon die Möglichkeit der militärischen Nutzung. Das bedeutet meiner Auffassung nach eine ungeheuere Belastung für das ganze Vertragswerk. Es wird zweifellos schon den erwünschten Erfahrungsaustausch stark einschränken, wenn ein Partner militärische Gründe vorschieben kann, um dieser Verpflichtung zu entgehen. Wir meinen, daß auch diese Fragen noch einer besonderen Klarstellung bedürfen. Wir haben gar keine rechte Freude an einer Notiz der Londoner „Times", in der es heißt, daß es klar scheine, daß eine gemeinsame französisch-deutsche Atomwaffenerzeugung durch Euratom in Sicht gekommen sei.
Daneben soll nicht ungenannt bleiben, daß gerade diese besonderen spaltbaren Kernbrennstoffe, die, wie gesagt, auch bei uns anfallen werden, das Ausgangsprodukt für hochwertige chemische Verfahren sind - die sogenannte heiße Chemie -, an der wir auch für unsere Industrie interessiert sein müssen. Diese Stoffe werden dann also für die friedliche Nutzung von uns dringend benötigt, um auf diesem Entwicklungsgebiet und in diesem Nutzungsgebiet nicht in den Hintergrund gedrängt zu werden.
Es ist mir bisher nicht klar, was im Sinne des Vertrages alles unter militärischen Zwecken verstanden wird. Ich nehme Ian, daß hier noch eine Klarstellung vorgenommen wird. Beispielsweise ist international jede Entwicklung eines Antriebes, bei der Kernenergie eingesetzt werden soll - etwa Antriebe für Schiffe oder für Luftschiffe -, eine militärische Angelegenheit. Auch hier bedarf es der Klarstellung; denn solche Antriebe wollen wir doch auch entwickeln, und wir sind schon an diesen Entwicklungsarbeiten. Wir brauchen dabei nicht immer gleich an Kriegsschiffe oder Kriegsflugzeuge zu denken. Entweder kann dann aber in solchen Fällen Euratom diese besonderen Kernstoffe für militärische Zwecke herausziehen oder es kann Anforderungen mit der Begründung ablehnen, daß es sich um militärische Zwecke handeln könne. Das würde aber dann wieder nur bei einigen Partnern Geltung haben. Wir haben in unserem Entschließungsantrag, den ich noch kurz erläutern werde, auch diese Frage, die uns außerordentlich bedenklich erscheint, aufgenommen.
In dem fünften Punkt unserer Anfrage wird nach der Zusammenarbeit von Euratom mit anderen internationalen Organisationen gefragt. Wir kennen neben Euratom
erstens die Europäische Organisation für kernphysikalische Forschungen, abgekürzt CERN - hier trägt die Bundesrepublik 13 Millionen DM im Jahre 1957 bei,
zweitens die Europäische Atomenergiegesellschaft, die insbesondere den Austausch und die Verbreitung von Informationen und Ähnliches bezweckt und der die Bundesrepublik im Februar 1956 beigetreten ist.
Drittens erwähne ich die Vorbereitung einer Zusammenarbeit der 17 OEEC-Staaten, die offensichtlich intensiv weiterbetrieben wird und bei der wir uns doch auch nicht ausschließen wollen.
Viertens ist die von 81 Staaten gegründete Internationale Atomenergiebehörde zu nennen, bei der sich die Bundesrepublik ebenfalls beteiligen will und die dem Euratom sehr ähnliche Aufgaben übernehmen soll.
Deshalb muß nach unserer Auffassung von vornherein vermieden werden, daß organisatorische Überschneidungen mit den dadurch unvermeidlichen Reibungen und Mißhelligkeiten bei der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Atomwirtschaft eintreten. Darüber hinaus frage ich mich immer wieder, wie eigentlich die Bundesregierung zur Wahrnehmung aller dieser Verpflichtungen die nötigen Fachleute und Fachbeamten auf die Beine stellen will, abgesehen von den finanziellen Belastungen.
Wir benötigen also - ich wiederhole diesen unseren Wunsch - vordringlich eine Koordination aller dieser Arten und Formen internationaler Zusammenarbeit, und wir empfehlen hierzu einen größeren Rahmen als Euratom. Von der Organisation Euratom muß demnach alles getan werden, um sicherzustellen, daß sich dieses Atomkartell nicht so etabliert und so versteinert, daß es nicht mehr in der Lage ist, in eine weiter gefaßte Organisationeinzugehen. Wir haben mit der Bürokratie und der Administration leider schlechte Erfahrungen gemacht; ich fürchte, das gilt für die nach französischem Vorbild installierte nicht weniger.
Schließlich komme ich zum letzten Punkt unserer Anfrage. Nach Ansicht der Bundesregierung und des Herrn Atomministers ist diese Frage - nämlich inwieweit Euratom den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur friedlichen Nutzung der Kernenergie berührt - im wesentlichen zu verneinen. Ich wage das zu bezweifeln. Die beginnenden Ausschußberatungen über den Regierungsentwurf haben schon gezeigt, daß fast jeder Paragraph des Gesetzes im Hinblick auf den Euratomvertrag überprüft und angepaßt werden muß. Ich will damit nicht sagen, daß eine deutsche Gesetzgebung überflüssig geworden sei. Aber natürlich muß sie auf die Bestimmungen des Euratomvertrages Rücksicht nehmen und auf diesen Bestimmungen aufbauen. Gewissermaßen würde also mehr ein Durchführungsgesetz zu schaffen sein; Euratom übernimmt ja, wie bereits erwähnt, derart erhebliche Hoheitsrechte, daß das eine selbstverständliche Folge ist.
Weitere Einzelheiten zu diesem Punkt würden heute abend zu weit führen. Lassen Sie mich als Beispiel nur auf Art. 29 des Euratomvertrages hinweisen, in dem festgelegt wird, daß Abkommen oder Verträge über den Austausch von wissenschaftlichen oder gewerblichen Kenntnissen auf dem Gebiete der Kernernergie, soweit sie die Un({4})
terzeichnung durch einen Staat erfordern, von der Kommission geschlossen werden müssen. Bekanntlich haben einige Partnerstaaten besondere Organisationen oder Kommissionen geschaffen, die solche Verträge - ohne Unterzeichnung durch den Staat selber - abschließen. Nach der Gesetzesvorlage der Bundesregierung ist das bei uns nicht möglich. Wir würden also nur Staatsabkommen haben, die dem genannten Art. 29 unterliegen. Das bedeutet doch wohl einen erheblichen Nachteil für die Bundesrepublik. Es gibt noch andere Dinge, die angeführt werden könnten, mit denen sich aber dann der Ausschuß eingehend zu befassen hat.
Obwohl nicht in dieser Großen Anfrage meiner Fraktion ausdrücklich aufgeführt, möchte ich doch noch eine Frage anschließen, nämlich die, inwieweit das so häufig genannte Junktim zwischen Gemeinsamem Markt und Euratom aufrechterhalten bleibt bzw. für die Bundesregierung verpflichtend ist.
Abschließend möchte ich die Begründung unserer Großen Anfrage mit der Feststellung, daß meiner Ansicht nach der Euratomvertrag keineswegs die nötige Synthese zwischen den politischen und den wirtschaftlichen Interessen gebracht hat und in dieser Hinsicht nach unserer bisherigen Kenntnis nicht als ein guter Vertrag bezeichnet werden kann. Ich wiederhole: Bei aller vorgebrachten Kritik an Euratom und der Sorge um die Auswirkung auf die beginnende Atomwirtschaft bei uns selbst sind meine Freunde und ich der Überzeugung, daß gerade auf dem Gebiete der friedlichen Nutzung der Kernenergie eine internationale Zusammenarbeit unerläßlich ist, die sich bei entsprechender Ausgestaltung auch nur nützlich für alle Beteiligten und so auch für die Bundesrepublik auswirken würde.
Ich glaube, daß es zweckmäßig ist, diese Große Anfrage dem Atomausschuß zu überweisen, und möchte hiermit den Antrag stellen.
Gleichzeitig liegt Ihnen nunmehr der Entschließungsantrag - es ist „Antrag" geschrieben, es soll aber ein Entschließungsantrag sein - auf Umdruck 989 vor. Ich bitte, diesem Entschließungsantrag Ihre Zustimmung zu geben. Er hat ausschließlich einige der Bedenken zum Inhalt, die mir besonders erwähnenswert erscheinen und besonders schwerwiegend sind und die ich vorhin erläutert habe. Es handelt sich also dabei um Fragen, die unserer Auffassung. nach unter allen Umständen geklärt werden müssen. Wir fordern einmal, daß die in der Bundesrepublik anfallenden besonderen Kernbrennstoffe nicht über Euratom für militärische Zwecke in den Partnerstaaten entzogen werden können, zweitens, daß die Programmgestaltung bei uns nicht immer gestört werden kann durch die an sich vorgesehenen Optionsrechte von Euratom, wenigstens nicht dann, wenn eine grundsätzliche Genehmigung für irgendeinen Verarbeitungsprozeß vom Erz bis zum Kernbrennstoff und bis zur Energiegewinnung von Euratom gegeben worden ist, und zum dritten, daß der Informationsaustausch zwischen den Partnern von Euratom, der sehr wesentlich ist, nicht durch einen Partner mit der Begründung eingeschränkt werden kann, daß er aus militärischen Gründen hierzu nicht bereit sein könne.
Ich glaube annehmen zu dürfen, daß diese drei Punkte von allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses mit unterschrieben werden können. Wir bitten
daher, diesen Entschließungsantrag sofort zur Abstimmung zu bringen.
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Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie die Begründung ,der Großen Anfrage ergeben hat, sind die zu gebenden Antworten der antragstellenden Fraktion inzwischen bekannt. Ich weiß nicht, ob es nicht mit Rücksicht darauf und mit Rücksicht auf die ,fortgeschrittene Zeit vielleicht genügt, wenn ich dem Hohen Hause meine Antworten zu Protokoll*) übergebe.
({0})
Meine Damen und Herren, Sie haben den Vorschlag des Herrn Staatssekretärs gehört. Herr Abgeordneter Mellies, wollten 'Sie dazu sprechen? - Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Vorschlag des Herrn Staatssekretärs kann aber nicht bedeuten, daß auf die Debatte verzichtet wird. Wir sind zwar auch der Auffassung, daß nach der Vereinbarung im Altestenrat jetzt mit dieser Sitzung Schlußgemacht werden sollte. Wir müssen dann aber übernächste Woche Gelegenheit haben, über diese Dinge zu debattieren.
Den Vorschlag des Herrn Staatssekretärs, den ich im Interesse des Hauses sehr begrüße, kann 'ich aber nur idurchgehen lassen, wenn das Haus damit einverstanden ist; § 127! - Das Haus ist damit einverstanden; die Beantwortung*) der Großen Anfrage wird zu Protokoll genommen.
In eine Beratung soll, wenn ich Sie recht verstanden habe, Herr Abgeordneter Mellies, jetzt nicht eingetreten werden. Ich habe jetzt nach § 106 der Geschäftsordnung zu fragen, ob die Beratung gewünscht wird. Herr Abgeordneter Mellies hat gesagt, sie solle jetzt nicht stattfinden.
({0})
- Jetzt nicht. Nun, meine Damen und Herren, ich mache aber vorsichtigerweise darauf aufmerksam, daß sich bei den Vorplanungen des Ältestenrats gezeigt hat, daß die übernächste Woche außerordentlich in Anspruch genommen ist. Ich mache lediglich darauf aufmerksam; ,das Haus ist selbstverständlich vollkommen frei, zu beschließen, was es für richtig hält. Aber für die übernächste Woche ist das Pensum sehr groß.
({1})
- Es ist allgemein vereinbart, aber es ist nicht unbedingt vereinbart, Herr Abgeordneter Mellies, und wir sind übereingekommen, daß wir diesen Tagesordnungspunkt zu Ende bringen wollen. Man könnte sich das vorstellen, wenn sich die Redner kurz faßten. Ich habe bis jetzt zwei Wortmeldungen. Aber wenn lange gesprochen wird, finde auch ich, daß das Haus damit überfordert würde.
*) Siehe Anlage 3
1 Siehe Anlage 3
({2})
Ich lasse jetzt darüber abstimmen, ob in die Beratung eingetreten werden soll. Aber ich mache darauf aufmerksam, meine Damen und Herren von der FDP, daß nach § 107 der Geschäftsordnung der Antrag der FDP, den Sie eben vorgetragen haben, erst i n der Beratung eingebracht werden kann. Er ist also jetzt offiziell sozusagen noch gar nicht auf dem Tisch. - Ich lasse nun darüber obstimmen, ob jetzt in die Beratungeingetreten werden soll. Wer dafür ist, daß jetzt in die Beratung eingetreten wird, den bitte ich um ein Handzeichen. - Niemand! Das ist eine vällig klare Entscheidung. Dann wird sich der Ältestenrat mit der Sache weiter befassen, und wir werden versuchen, einen Termin festzusetzen.
Damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung.
Außerhalb der Tagesordnung gebe ich das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundestagsabgeordnete der Christlich-Demokratischen Union Dr. August Dresbach hat in einem offenen Brief an die Redaktion des Oberbergischen Anzeigers, veröffentlicht in der Nummer 44 vom 21. Februar 1957, zur eventuellen Einrichtung einer Garnison der Bundeswehr in Waldbröhl u. a. folgendes ausgeführt:
Moralische Veränderungen. Nun habe ich den
Eindruck, daß sich die Befürworter einer Garnison in Waldbröhl nicht darüber im klaren sind, welche moralischen Veränderungen so etwas mit sich bringt. So etwas wird auch nicht gern ausgesprochen. Aber es muß gesagt werden: Zu den Soldaten gehört nun seit alters her eine gewisse Sorte von Mädchen. Wer nach Waldbröhl eine Garnison bringen will, muß auch den Mut haben, in Waldbröhl ein Freudenhaus oder dergleichen zuzulassen. Bitte, meine Herrschaften, davor nicht ausweichen! So etwas mag zur Tradition des heutigen Kölns gehören, aber für Waldbröhl?
Diese Ausführungen können nur dazu beitragen, Voreingenommenheit gegen die Bundeswehr und ihre Angehörigen zu erwecken. Sie widersprechen dem in den Beratungen dieses Hohen Hauses zum Ausdruck gekommenen Willen, unseren Soldaten auf jeden Fall persönliches Vertrauen entgegenzubringen und in der Öffentlichkeit für dieses Vertrauen zu wirken. Wir halten es für angebracht und notwendig, daß von diesem Platz aus derartige Äußerungen schärfstens zurückgewiesen werden.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Donnerstag, den 4. April 1957, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.