Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, FVP betreffend Umgestaltung des Bundesjugendplans ({0}). Es wird vorgeschlagen, ihn als Punkt 5 f der Tagesordnung einzusetzen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist die Tagesordnung mit diesem Zusatz hiermit festgestellt.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Fragestunde ({1}).
Die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Hübner betrifft die unterschiedlichen Fernsprechgebühren im Selbstwählverkehr und bei handvermittelten Gesprächen:
Ist der Herr Bundespostminister bereit, im Fernsprechverkehr die unterschiedliche Berechnung von Selbstwählverbindungen und handvermittelten Verbindungen durch Herabsetzung der Mindestgesprächsdauer von 3 auf 1 Minute für handvermittelte Verbindungen zu mildern, oder sind andere Maßnahmen beabsichtigt, um die gestörte Gebühreneinheit wiederherzustellen?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Abgeordneter, die Herstellung einer Gesprächsverbindung im handvermittelten Ferndienst erfordert einen Kostenaufwand, der weit höher ist als der Aufwand für die Herstellung einer Gesprächsverbindung im Selbstwählferndienst. Wegen dieses hohen Kostenaufwands kann auf die Mindestgesprächsdauer von drei Minuten und auf die Bemessung der überschießenden Gesprächszeit in vollen Gebührenminuten nicht verzichtet werden.
Ich bin bemüht, den Ausbau des Selbstwählferndienstes zu fördern, nicht zuletzt auch, um wieder zu einheitlichen Gesprächsgebühren zu kommen. Die Aufbringung der hierfür erforderlichen Mittel, wie überhaupt die Beschaffung der notwendigen Investitionsmittel, ist aber ein Problem, das den Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost und mich mit ernster Sorge erfüllt. Von der Lösung dieses Problems hängt auch die Dauer des Nebeneinanders der beiden Betriebsweisen im Fernsprechdienst und die sich daraus zwangsläufig ergebende Unterschiedlichkeit der Gebühren ab.
Ich bitte um eine Zusatzfrage!
Bitte schön.
Herr Bundesminister, glauben Sie, daß es sinnvoll ist, den Nachteil einer älteren Technik für den Postbenutzer auch noch mit einer höheren Gebühr zu verbinden, und sind Sie der Auffassung, daß hiermit den gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen der Bundespost Rechnung getragen wird? Und ein Letztes: Glauben Sie, daß Ihre Maßnahme in Übereinstimmung mit dem Postverwaltungsgesetz steht, in dem es u. a. heißt, daß der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen die Entwicklung der verschiedenen Nachrichtenzweige innerhalb der Deutschen Bundespost miteinander in Einklang zu bringen hat, worin wohl auch die Gebührenentwicklung enthalten ist?
Herr Abgeordneter, im Grundsatz stimme ich mit Ihnen selbstverständlich überein. Wie ich aber schon erwähnte, ist die Frage der Einheitlichkeit der Gebühren von der technischen Entwicklung der Einrichtungen abhängig, und diese ist wieder von den entsprechenden Investitionsmitteln abhängig. Sobald wir praktisch alle Gesprächsverbindungen im Selbstwählfernverkehr abwickeln können, ist die Gebühreneinheit wieder hergestellt.
Ich bitte um eine weitere Zusatzfrage!
Bitte sehr!
Herr Minister, beabsichtigen Sie, dieses Prinzip, die Gebühren nach der Kostendek-kung zu berechnen, einzuführen oder noch auszuweiten? Ich darf wohl darauf hinweisen, daß dieses Prinzip erstmalig in Erscheinung tritt.
Herr Abgeordneter, ich bin durch das Postverwaltungsgesetz gezwungen, die Ausgaben durch die Einnahmen zu decken. Davon hängen selbstverständlich meine Bemühungen ab, eine kostengerechte Gebührengestaltung durchzusetzen. Ich darf bei dieser Gelegenheit aber vielleicht eins erwähnen, Herr Abgeordneter: Ihre Anfrage hat uns veranlaßt, zu überlegen, ob man nicht für Berlin eine Ausnahmeregelung schaffen kann, damit
({0})
hier eine 1-Minuten-Mindestgebühr zugrunde gelegt werden kann. Im übrigen ist die 3-MinutenMindestgesprächsdauer international festgelegt und kann von uns nicht einseitig geändert werden.
Damit ist die Frage 1 erledigt.
Die Frage 2 - des Abgeordneten Hübner - betrifft den Entwurf eines neuen Postgesetzes:
Wie ist der Stand der Arbeiten an dem Entwurf eines neuen Postgesetzes, das anstelle des geltenden Gesetzes über das Postwesen vom 28. Oktober 1871 treten soll und dessen Einbringung bereits in der 68. Sitzung des Deutschen Bundestages am 23. Februar 1955 in Aussicht gestellt wurde?
Herr Abgeordneter! In der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 23. Februar 1955 habe ich bereits darauf hingewiesen, daß der Entwurf eines neuen Postgesetzes umfangreiche Vorarbeiten erfordert. Diese Vorarbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, daß es die aus betrieblichen, finanziellen und personalwirtschaftlichen Gründen erforderliche Rationalisierung des Postwesens erforderlich gemacht hat, im Rahmen der im Gang befindlichen Gesamtreform des Postwesens vorerst die Benutzungsordnungen neu zu fassen. Ich weise darauf hin, daß mit der Neuordnung des Postzeitungsdienstes ein Teil dieser Reform bereits abgeschlossen ist.
Über die Notwendigkeit der Vorlage eines Entwurfs eines neuen Postgesetzes bin ich mir im klaren, und ich werde den Fortgang der Vorarbeiten nach Kräften fördern und beschleunigen.
Eine Zusatzfrage!
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, nachdem nun in über anderthalb Jahren die Vorbereitungen durch Ihr Ministerium nicht erledigt werden konnten, darf ich die Frage an Sie richten: Wann ist mit der Fertigstellung eines kabinettsreifen Entwurfs zu rechnen angesichts der Tatsache, daß das Ministerium in der laufenden Legislaturperiode ja keinen Gesetzentwurf herauszubringen hatte? Wird es also noch lange dauern? Haben wir in dieser Legislaturperiode noch mit der Vorlage zu rechnen?
Herr Abgeordneter, ich kann leider keine Zusicherung geben, daß das Gesetz in dieser Legislaturperiode noch vorgelegt wird; denn diese Arbeiten gehen leider nicht so schnell voran wie technische Probleme.
Keine weitere Zusatzfrage.
Wir kommen zu Frage 3 - des Abgeordneten Rinke - betreffend Verkauf der Ufa-TheaterGesellschaft:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Ufi-Liquidationsausschuß durch Vertrag vom 21. April 1956 in Düsseldorf die Ufa-Theater-Gesellschaft mit 48 Filmtheatern in Düsseldorf und den Ateliers in Berlin ({0}) an eine Rankengruppe unter Führung der Deutschen Bank AG West und der Berliner Diskonto-Bank zu einem Preis von 12,5 Millionen DM verkauft hat, ohne daß dem Erfordernis des Gesetzes zur Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens vom 5. Juni 1953 ({1}), und zwar seines § 8 Abs. 3 über die angemessene Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Heimatvertriebenen und Flüchtlingo, Rechnung getragen wurde, obwohl auch der Herr Bundeskanzler die Notwendigkeit der Berücksichtigung der heimatvertriebenen Theaterunternehmer bei der Reprivatisierung der Ufa verlangt hat ({2})?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär Dr. Westrick.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist der Bundesregierung bekannt, daß die Liquidatoren der UfaFilm GmbH ({0}) die Aktien der Ufa-Theater-AG in Düsseldorf und der Universum-Film-AG in Berlin am 21. April 1956 zum Preis von 12,5 Millionen DM an zwei unter Führung der Deutschen Bank-West und der Berliner Diskontobank stehende Gruppen verkauft haben. Diesen beiden Gruppen gehören nicht nur Banken, sondern auch andere zum Teil sehr namhafte Unternehmen, besonders der Film- und chemischen Industrie, an. Ferner haben sich mit einer Gruppe von Theaterbesitzern auch zwei heimatvertriebene Theaterbesitzer am Ankauf der Aktien beteiligt.
Die Ufa-Film-GmbH in Düsseldorf ({1}) ist die in Liquidation befindliche Dachgesellschaft des ehemals reichseigenen Filmkonzerns, der auf Veranlassung des früheren Reichspropagandaministeriums im Jahre 1937 geschaffen worden war. Der Abwicklungsausschuß, der nach dem Gesetz zur Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens die dem Aufsichtsrat der Ufa-Film GmbH zustehenden Rechte ausübt, hat den Kaufverträgen zugestimmt.
Bei der in Ihrer Frage erwähnten Drucksache 2962 der ersten Wahlperiode handelt es sich nicht um eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers. Diese Drucksache enthält vielmehr nur den Entwurf des Gesetzes nebst Begründung, an der an der fraglichen Stelle auf den Text des jetzigen § 8 Abs. 3 des Gesetzes Bezug genommen ist. Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 ist durch die Verkäufe nicht verletzt worden. Nach dieser Vorschrift sollen bei freihändigem Verkauf die berechtigten Interessen der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge angemessen berücksichtigt werden. Danach sind die Liquidatoren gehalten, derartigen Interessenten besonders entgegenzukommen, z. B. durch Einräumung von günstigen Zahlungsbedingungen oder durch bevorzugte Behandlung bei im übrigen gleichwertigen Angeboten von Flüchtlingen und Nichtflüchtlingen.
Im Hinblick auf das mit dem Ankauf der Aktien verbundene wirtschaftliche Risiko ist es kaum verwunderlich, daß die Liquidatoren nur zwei ernsthafte Kaufangebote erhalten haben und daß sie erst nach sehr schwierigen und langwierigen Verhandlungen zu einer Einigung mit der oben beschriebenen besonders kapitalkräftigen Gruppe gelangen konnten.
Die Annahme mancher vertriebenen Filmtheaterbesitzer, daß ihnen durch den Erwerb von Theatern, die der Universum-Film-AG, der ehemaligen Ufa, gehörten, wieder zu einer selbständigen Existenz in ihrem Beruf hätte verholfen werden können, entspricht leider nicht den tatsächlich gegebenen Möglichkeiten. Von den zur Zeit der Veräußerung im April 1956 von der Ufa-Theater-AG betriebenen insgesamt 48 Filmtheatern gehörten nur 5 der Ufa selbst, während sie 34 nur gepachtet hatte und an 9 weiteren in verschiedener Höhe, meistens über besondere Tochtergesellschaften, nur beteiligt war. Die durch das Gesetz vorgeschriebene
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Überführung der Pacht- und Beteiligungsrechte der Ufa in private Hand ließ sich nur dadurch herbeiführen, daß sie in die Ufa-Theater-Aktiengesellschaft eingebracht und die Anteile dieser Aktiengesellschaft veräußert wurden.
Die Frage, ob die fünf eigenen Theater als Einzelobjekte verkauft oder mit in die Ufa-TheaterAktiengesellschaft eingebracht werden sollten, ist sehr eingehend geprüft worden. Ein wesentlicher Beitrag für die Wiedereingliederung heimatvertriebener Filmtheaterbesitzer wäre durch eine Einzelveräußerung der wenigen eigenen Theater nicht zu erreichen gewesen, zumal es sich bei ihnen zum Teil um große Uraufführungstheater handelt, für deren Erwerb und Betrieb sehr erhebliche Mittel erforderlich gewesen wären. Es ist deshalb keineswegs sicher oder auch nur wahrscheinlich, daß bei einer Veräußerung der wenigen eigenen Theater als Einzelobjekte heimatvertriebene Filmtheaterbesitzer Eigentümer geworden wären, insbesondere dann, wenn die eigenen Theater im Wege der Versteigerung an den Meistbietenden verwertet worden wären.
Sicher ist dagegen, daß eine solche Form der Verwertung zu einer Verschleuderung und nicht zu verantwortenden Minderung des Abwicklungserlöses geführt und dem in § 1 des Gesetzes festgelegten Zweck widersprochen hätte, eine gesunde, vom Staate unabhängige, auf demokratischen Grundsätzen beruhende Filmwirtschaft in der Bundesrepublik zu schaffen. Der Abwicklungsausschuß, dem übrigens auch ein Vertreter des Bundesministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte angehört, hat sich deshalb nach eingehenden Beratungen und im Einklang mit der Meinung aller Sachverständigen einstimmig dafür entschieden, auch die fünf eigenen Theater der Ufa in die Ufa-Theater-Aktiengesellschaft einzubringen und durch Veräußerung der Anteilsrechte an dieser Gesellschaft in private Hand zu überführen. Das Gesetz sieht die Überführung in private Hand durch Veräußerung von Anteilsrechten ausdrücklich vor.
Die zuständigen Bundesministerien haben sich seit Jahren mit der Frage beschäftigt, welche Maßnahmen möglich sind, um die Wiedereingliederung vertriebener Filmtheaterbesitzer in ihren früheren Beruf zu fördern. Mit dieser Wiedereingliederung sind besonders große Schwierigkeiten verbunden, weil einerseits für die Errichtung oder den Erwerb von Filmtheatern sehr erhebliche Geldmittel erforderlich sind, während andererseits durch den Einsatz dieser Mittel nur wenige Arbeitsplätze geschaffen werden können. In diesem Zusammenhang ist seit geraumer Zeit der Gedanke erörtert worden, über die nach den allgemeinen Vorschriften über den Lastenausgleich und aus ERP-Mitteln zur Verfügung stehenden Mittel hinaus einen Teil des Erlöses aus der Abwicklung des ehemals reichseigenen Filmvermögens zur Förderung der Wiedereingliederung zu verwenden. Dies könnte in der Form geschehen, daß unter Einschaltung der Lastenausgleichsbank kreditweise Mittel für Darlehen an heimatvertriebene Filmtheaterbesitzer aus dem Abwicklungserlös zur Verfügung gestellt würden. Das Gesetz sieht im § 15 vor, daß der Abwicklungserlös für die Förderung der Filmwirtschaft zu verwenden ist. Nach meiner Auffassung könnte die Förderung des Erwerbs von eigenen Theatern durch fachkundige heimatvertriebene Filmtheaterbesitzer in geeigneten Fällen diesen
Zweck des Gesetzes erfüllen. Leider ist es beim jetzigen Stand der Abwicklung den Liquidatoren noch nicht möglich, den bisher erzielten Erlös ganz oder teilweise auszuschütten, da noch eine erhebliche Zahl nicht geklärter Verbindlichkeiten vorhanden ist, die zum Teil Gegenstand von Prozessen sind. Zu diesen Prozessen gehört eine kürzlich von einem Heimatvertriebenen angestrengte Klage, mit der beantragt wird, den Verkauf der Aktien für nichtig zu erklären. Wenn diese Klage Erfolg hätte, würden die Liquidatoren genötigt sein, den von ihnen für die Aktien erzielten Erlös an die Käufer der Aktien zurückzuzahlen.
({3})
Herr Staatssekretär, wir haben eine Fragestunde, in der auf Fragen Antworten gegeben werden sollen. Ich glaube, Ihre Antwort geht weit über den Rahmen einer solchen Antwort hinaus und ist schon eine Rede.
({0})
Ich bitte, möglichst zum Schluß zu kommen.
Ich bin in einer Minute fertig.
Unter diesen Umständen wäre eine Lösung der von mir soeben angedeuteten Art nur möglich, wenn im Vorgriff auf den künftigen Abwicklungserlös aus Bundesmitteln ein Vorschuß zur Gewährung derartiger Darlehen zur Verfügung gestellt werden könnte. Daß sich bei einer solchen Maßnahme Bedenken grundsätzlicher Art ergeben werden, brauche ich nicht näher auszuführen. Die Bundesregierung wird sich in Kürze mit der Entscheidung darüber zu befassen haben, ob auf diesem Wege zusätzliche Möglichkeiten für die Wiedereingliederung ehemaliger heimatvertriebener Filmtheaterbesitzer geschaffen werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
({0}) Frage 4 ist zurückgestellt.
Wir kommen zur Frage 5 der Abgeordneten Frau Dr. Ilk betreffend Beachtung der im Entwurf des Luftschutzgesetzes geforderten baulichen Maßnahmen bei Bauten der öffentlichen Hand:
Werden bei den neuen Bauten des Bundes, bei Wohnungsbauten, Regierungsgebäuden und Bauten für die Bundeswehr bereits die im Entwurf des Luftschutzgesetzes geforderten baulichen Maßnahmen durchgeführt?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wohnungsbau und dem Bundesministerium für Verteidigung darf ich die Frage wie folgt beantworten, Frau Abgeordnete.
Ein Luftschutzgesetz besteht in der Bundesrepublik noch nicht. Infolgedessen ist auch keine Rechtsgrundlage vorhanden, um für bauliche Luftschutzmaßnahmen Mittel zur Verfügung zu stellen. Bei der Planung von Dienst- und Wohngebäuden des Bundes sowie von Bauten für die Bundeswehr wurden jedoch im Hinblick auf etwa zu erwartende Luftschutzmaßnahmen bereits regelmä({0})
ßig technische Überlegungen angestellt und solche baulichen Maßnahmen ausgewählt, die jederzeit einen späteren luftschutzmäßigen Ausbau gestatten.
({1})
Frage 5 ist erledigt. Ich rufe auf die Frage 6 des Abgeordneten Ladebeck betreffend ungesetzliche Obduktionen:
Ist dem Herrn Bundesinnenminister bekannt, daß es in zahlreichen Krankenhäusern üblich ist, Leichenöffnungen vorzunehmen ohne Zustimmung des Verstorbenen zu Lebzeiten und ohne Zustimmung seiner Angehörigen und ohne eine behördliche Anordnung irgendwelcher Art?
Sind derartige Obduktionen rechtlich zulässig?
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Ich darf dem Herrn Kollegen folgendes antworten.
Die Frage berührt das sehr schwierige Problem des Rechts am menschlichen Leichnam. Klare gesetzliche Bestimmungen über Obduktionen gibt es nur in der Strafprozeßordnung und in den Seuchengesetzen. Wieweit im übrigen Leichenöffnungen gesetzlich zulässig sind, läßt sich im Rahmen der Fragestunde nicht beantworten. Hier kommt es letzten Endes weitgehend auf die Verhältnisse des Einzelfalles an.
Ich erlaube mir im übrigen, darauf hinzuweisen, daß eine Zuständigkeit des Bundesministers des Innern auf diesem Gebiet nicht gegeben ist.
Eine Zusatzfrage!
Darf ich, Herr Minister, nachdem Sie von Unklarheiten grundsätzlicher Art gesprochen haben, fragen, ob eine gesetzliche Regelung wegen des Zusammenhangs mit den Krankenhäusern aus Ihrem Ministerium heraus - als Gesundheitsministerium - möglich ist.
Ich erlaubte mir zu sagen, Herr Kollege, daß ich der Auffassung bin, daß eine Zuständigkeit des Bundesministers des Innern überhaupt nicht gegeben ist. Ich will aber gerne bei den Bundesressorts einmal prüfen lassen, ob und welche gesetzlichen Möglichkeiten innerhalb der Zuständigkeit des Bundes überhaupt bestehen.
({0})
Es folgt Frage 7 des Herrn Abgeordneten Seuffert betreffend umsatzsteuerliche Behandlung des Münchener Importhandels:
Steht der Herr Bundesfinanzminister zu seinen wiederholten Zusicherungen, daß er die Wünsche der Stadt München bezüglich der umsatzsteuerlichen Behandlung des Münchener Importhandels, insbesondere durch Schaffung einer Freizone unterstützt? Ist ihm bekannt, daß im Gegensatz zu diesen Zusicherungen die derzeitige verschärfte Umsatzsteuerhandhabung in München den Platz München auf das schwerste schädigt? Welche Maßnahmen gedenkt der Herr Bundesfinanzminister zu ergreifen?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Der Bundesfinanzminister ist nach wie vor der Auffassung, daß die Entwicklung des Münchener Handels, insbesondere des Umschlagplatzes München Großmarkthalle, gefördert werden sollte, soweit dies im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung möglich ist und zu keiner Benachteiligung anderer deutscher Städte und Gewerbezweige
führt. Zu der Frage, ob die Errichtung einer Freizone in München - nach der Rechtslage kann wohl nur ein echter Zollausschluß gemeint sein - ein geeignetes Mittel zur Unterstützung der Wünsche des Münchener Handels ist, hat das Bundesfinanzministerium bereits in mehreren Schreiben an die Stadt und die Industrie- und Handelskammer München Stellung genommen. Dabei ist auf die erheblichen Bedenken hingewiesen worden, die gegen die Errichtung eines Zollausschlusses bestehen. Im Rahmen der Fragestunde darf ich es mir versagen, eine Aufzählung dieser Bedenken vorzunehmen.
Herr Abgeordneter, Sie haben dann eine zweite Frage angeschnitten, die mit den Wünschen der Landeshauptstadt München auf Errichtung eines Zollausschlusses nicht in unmittelbarem Zusammenhang steht. Es handelt sich dabei um Tatbestände, die in ähnlicher Form auch in anderen Einfuhrplätzen vorkommen. Insbesondere bei der Einfuhr von Obst und Gemüse versendet der ausländische Exporteur seine Ware häufig an einen inländischen Spediteur, da ihm der Name des Abnehmers bei Absendung der Ware noch nicht bekannt ist. Das hat zur Folge, daß der ausländische Exporteur im Inland liefert und daher mit seiner Lieferung umsatzsteuerpflichtig ist. Diese Sachverhalte sind der Verwaltung erst nach dem Krieg bekanntgeworden. Seit sie bekanntgeworden sind, mußten sie nach dem geltenden Recht zur Umsatzsteuer herangezogen werden.
Es ist nun andererseits richtig, daß diese Umsatzsteuerpflicht der ausländischen Exporteure durch Umkartieren auf der ausländischen Grenzstation vermieden werden kann. Das kann aber zu gewissen Nachteilen für die inländischen Importplätze führen. Es ist daher beabsichtigt, durch eine Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz eine Lösung zu finden.
Ich hatte mir erlaubt, Ihnen das bereits vor etwa zwei Wochen schriftlich mitzuteilen. Eine Besprechung mit dem Stadtrat der Landeshauptstadt München unter Beteiligung einiger Mitglieder des Hohen Hauses war seit mehreren Wochen in Aussicht genommen. Es haben aber beiderseits Terminschwierigkeiten bestanden. Die Besprechung ist jetzt für den 13. November vorgesehen.
Keine Zusatzfrage.
Dann kommen wir zur Frage 8 des Herrn Abgeordneten Arnholz betreffend Zustellung der Post in Hausbriefkästen:
a) Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß die Anbringung von .,Hausbriefkästen" dadurch zu unliebsamen Erscheinungen geführt hat, daß Sendungen mit klarer Bezeichnung des Empfängers in falsche Hausbriefkästen gesteckt und daß ferner Sendungen, für die die Kästen oder deren Schlitze zu klein sind, einfach nur mit einer Ecke hineingesteckt und in solche großen Briefe Postkarten und kleine Briefe hineingefaltet wurden, so daß Unberufene sich die großen wie die kleinen Stücke aneignen konnten?
Hält der Herr Bundespostminister eine derartige „Zustellung", die geradezu eine Herausforderung zur Verletzung des Briefgeheimnisses ({0}) darstellt. als mit den Pflichten der Bundespost vereinbar?
b) Ist der Herr Bundespostminister bereit, Vorsorge zu treffen, daß gegenüber den Benutzern der Bundespost durch die „Rationalisierung" nicht wesentliche Minderleistungen eintreten, und daß bei der im Zuge dieser „Rationalisierung" vorgenommenen und etwa noch beabsichtigten Erweiterung der Zustellbezirke nicht an die einzelnen Briefträger Anforderungen gestellt werden, die Anlaß zu Mängeln der in Rede stehenden Art geben?
c) Ist der Herr Bundespostminister ferner bereit, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß Angehörige der Bundespost nicht berechtigt sind. Verschlüsse von den Schlitzen der Hausbriefkästen eigenmächtig zu entfernen, und ist er bereit, klarzustellen, daß die Zustellung in der bisherigen Weise zu erfolgen hat, wenn dies mit sachlicher Begründung gefordert wird?
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Es handelt sich um eine dreiteilige Frage, die wohl auf einmal beantwortet werden kann. Das Wort hat der Herr Bundesminister für das Post-und Fernmeldewesen.
Herr Abgeordneter, zu Teil a) Ihrer dreiteiligen Frage darf ich antworten:
Unliebsame Erscheinungen der von Ihnen geschilderten Arten bei der Verwendung von Hausbriefkästen sind mir bisher nicht bekanntgeworden. Irrtümer bei der Aushändigung von Postsendungen treten gelegentlich auch bei der Zustellung über den Wohnungsbriefkasten und selbst bei der persönlichen Aushändigung ein. Sie sind in der Hauptsache auf menschliche Unzulänglichkeiten zurückzuführen.
Es ist mir bekannt. daß häufig zu kleine Hausbriefkästen benutzt werden. Aus diesem Grunde habe ich Mindestmaße für Kasten in zwei Größen festgelegt, die allen Anforderungen gerecht werden. Der Empfänger kann je nach Umfang seines Posteinganges einen kleineren oder großen Kasten wählen. Zusteller, die Sendungen, für die die Kasten oder deren Schlitze zu klein sind, einfach nur mit einer Ecke hineinstecken und in diese Sendungen obendrein Postkarten und kleine Briefe hineinfalten, verstoßen gegen die Dienstvorschriften. Derartige Unzuträglichkeiten, die zu einer Gefährdung der Wahrung des Briefgeheimnisses führen könnten, werden bei einer Meldung des Empfängers an das zuständige Postamt sofort abgestellt.
Zu b): Die allgemeine Einrichtung von Hausbriefkastenanlagen wird eine Umstellung des
Systems der Briefzustellung zur Folge haben. Für den Empfänger liegt dann der Nutzen der Hausbriefkastenanlage in einer allgemein schnelleren Zustellung der Post. für den Zusteller in einer Minderung der großen körperlichen Belastungen. Für die Zustellung werden Kleinkraftwagen, Mopeds oder andere Kraftfahrzeuge wie schon bisher in einigen Städten benutzt werden, durch die eine Vergrößerung des Zustellbezirks des einzelnen Zustellers überbrückt wird.
Zu c): Ich werde selbstverständlich dafür Sorge tragen, daß Verschlüsse von Schlitzen der Hausbriefkasten von den Zustellern nicht beseitigt werden. Bisher ist mir jedoch noch kein Fall dieser Art bekannt geworden.
An Empfänger, die die Zustellung über den Hausbriefkasten ablehnen, werden die Postsendungen in der bisherigen Weise zugestellt. da die Einrichtung von Hausbriefkasten völlig freiwillig ist.
Eine Zusatzfrage? Arnholz ({0}): Ja.
Bitte schön!
Ist es richtig, Herr Minister, daß Abholstellen in Geschäften eingerichtet werden sollen, d. h. also Stellen, von denen die Briefträger ihre Post abholen? Welche Sicherungen sind in solchen Fällen für die Wahrung des Postgeheimnisses getroffen, und ist Ihnen, Herr Minister, nicht zur Kenntnis gekommen, daß die Briefträger nach Einrichtung dieser Abholstellen weit mehr belastet sind, als es bisher der Fall gewesen ist, so daß bei der Bevölkerung wie auch bei den Gewerkschaften
zum Teil der Eindruck entstand, daß es sich bei dieser neuen Einrichtung weniger um - wie vorgegeben wird - Maßnahmen zur Entlastung der Briefträger als um Einsparungen der Verwaltung handelt?
Herr Abgeordneter, die Verwaltung wird gezwungen sein, gewisse Maßnahmen durchzuführen, um überhaupt die Zustellung in einem einigermaßen vertretbaren Umfang aufrechtzuerhalten. Auf die Gründe kann ich im Rahmen der Fragestunde im einzelnen nicht eingehen.
An Abholstellen ist bei uns nur theoretisch gedacht worden. Vorläufig bestehen die Abholstellen in den amtlichen Schließfächern in den Postämtern, wobei alle Sicherungen gegeben sind.
Eine Zusatzfrage? - Nein. Dann kommen wir zur Frage 9 - Fragesteller Herr Abgeordneter Arnholz -; sie betrifft den Stand derjenigen Verfahren, die in Zusammenhang mit einem Butterskandal eingeleitet worden sind:
Sind die im Zusammenhang mit dem Butterskandal, der im vergangenen Jahre großes Aufsehen erregte, eingeleiteten Verfahren inzwischen abgeschlossen, oder wie viele schweben gegebenenfalls noch?
Welche Geld- und Freiheitsstrafen und welche Nebenstrafen wurden rechtskräftig verhängt, und wegen welcher Straftatbestände? In welchen Fällen wurden Bewährungsfristen zugebilligt, und in welcher Länge?
Wie viele Verfahren wurden ohne richterliches Urteil abgeschlossen, und in welcher Weise?
Das Wort hat der Herr Staatsekretär des Bundesministeriums der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Vertretung des wegen der bevorstehenden Kommunalwahlen abwesenden Herrn Bundesministers der Justiz darf ich Ihre Frage, Herr Abgeordneter, wie folgt beantworten:
Wegen Verstoßes gegen die Kennzeichnungspflicht nach der Butterverordnung, wegen Anbietens ausländischer Butter als Deutscher Markenbutter und wegen Vermischung ausländischer Butter mit deutscher Butter sind in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein - nach Angaben dieser Länder - insgesamt 107 Verfahren eingeleitet worden. Im Oberlandesgerichtsbezirk Celle ist eine größere Zahl weiterer Verfahren anhängig geworden, die aber nach Ansicht des niedersächsischen Ministeriums der Justiz als Bagatellfälle anzusehen sind und mit der Anfrage des vergangenen Jahres über Butterfälschungen nicht gemeint sein dürften. Wegen der Kürze der Zeit konnten mir im übrigen nähere Angaben über diese Verfahren nicht rechtzeitig gemacht werden.
Bisher sind durch Urteil oder Strafbefehl 34 Verfahren rechtskräftig abgeschlossen worden. Davon sind in 30 Fällen Geldstrafen zwischen 35 und 2000 DM und in einem weiteren Falle neben Geldstrafen Gefängnisstrafen von zwei und sechs Wochen verhängt worden. Diese Freiheitsstrafen wurden auf die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Verurteilungen erfolgten regelmäßig auf Grund der Bestimmungen der §§ 19 und 22 der Butterverordnung, §§ 44 und 47 des Milchgesetzes, § 4 Ziffern 1 und 3 und § 11 des Lebensmittelgesetzes, in dem zuletzt genannten Falle zusätzlich wegen Vergehens nach § 4 des Ge({0})
setzes gegen den unlauteren Wettbewerb. In drei Fällen haben die Gerichte die Angeklagten freigesprochen.
32 Verfahren sind mangels Tatbestandes, mangels Beweises oder wegen Geringfügigkeit durch die Staatsanwaltschaft oder durch das Gericht eingestellt worden.
In den 41 noch anhängigen, meist umfangreichen Verfahren sind bereits in 15 Fällen Strafen verhängt worden, und zwar in einem Fall eine Geldstrafe von 500 DM und in 14 Fällen Gefängnisstrafen von einem Monat bis zu anderthalb Jahren, allein oder neben Geldstrafen. In diesen Verfahren ist einigen Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung unter Auferlegung von Geldbußen gewährt worden. Soweit höhere Freiheitsstrafen festgesetzt worden sind, sind die Angeklagten zugleich wegen Betruges verurteilt worden.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Eine Zusatzfrage!
Sind Sie bereit, Herr Staatssekretär, mir über die Fälle, über die Sie hier nicht Auskunft geben konnten, eine schriftliche Nachricht zugehen zu lassen?
Sehr gern, Herr Abgeordneter, sowie ich vom niedersächsischen Ministerium der Justiz die Unterlagen erhalten habe.
Danke sehr!
Dann ist der Punkt erledigt.
Frage 10 - Fragesteller Abgeordneter Dr. Menzel - betrifft die Abkürzung des Verfahrens bei Ausstellung von Einreisegenehmigungen an Bewohner der Ostblockstaaten:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, das Verfahren bei Ausstellung von Einreisegenehmigungen an Bewohner der Ostblockstaaten abzukürzen, wenn diese ihre in der Bundesrepublik lebenden Verwandten besuchen wollen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. das Außenministerium der Tschechoslowakei Ausreisegenehmigungen für tschechische Staatsangehörige auf einen bestimmten Zeitraum befristet und daß diese Personen vielfach deshalb in Schwierigkeiten mit ihren Reiseplänen kommen, weil das deutsche Visum nicht rechtzeitig eintrifft?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, daß die Antwort, die ich hier geben muß, etwas länger ist; das liegt aber an der Frage und nicht an meiner guten Absicht.
Seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion im Frühjahr 1956 haben die Ostblockstaaten ihre bisherige Politik der fast vollständigen Ausreisesperre grundlegend geändert. Die Folge war, daß nahezu schlagartig zahllose Personen Einreisesichtvermerke beantragt haben, denen es seit über zehn Jahren nicht möglich war, Sichtvermerke zur Einreise in das Bundesgebiet zu beantragen. Allein beim Bundesministerium des Innern sind zeitweilig weit über 1000 Anfragen oder Anträge an einem Tage eingegangen. Dieser ungewöhnliche Ansturm auf Erteilung von Sichtvermerken, der
gleichzeitig bei den Vertretungen der Schutzmächte in den Satellitenstaaten - Schutzmächte sind: Frankreich für die Tschechoslowakei, für Ungarn, Bulgarien und Rumänien, und die Vereinigten Staaten von Amerika für Polen - bei den Bundes-und den Länderbehörden einsetzte, hat natürlich zu vorübergehenden Verzögerungen bei der Erteilung der Sichtvermerke geführt.
Zur Beseitigung dieser Schwierigkeiten ist folgendes getan worden. Im Mai 1955 war zwischen dem Auswärtigen Amt und den drei Westmächten der übliche diplomatische Weg für die Weiterleitung der bei den Permit Offices in den Satellitenstaaten eingehenden Sichtvermerksanträge vereinbart worden. Als sich im Mai 1956 die Lockerung der Ausreisesperre durch eine erhebliche Zunahme der Sichtvermerksanträge bemerkbar machte, ist zur Beschleunigung des Sichtvermerksverfahrens für Verwandtenbesuche im Bundesgebiet mit den Schutzmächten unverzüglich vereinbart worden, in diesen Fällen auf den diplomatischen Weg zu verzichten, so daß jetzt auch die Angehörigen der Besucher die Sichtvermerksanträge im Bundesgebiet bei den unteren Verwaltungsbehörden der Länder stellen können.
Zur zweiten Frage darf ich folgende Antwort geben. Es ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. das Außenministerium der Tschechoslowakei Ausreisegenehmigungen für tschechische Staatsangehörige auf einen bestimmten Zeitraum befristet. Um die hierdurch für die Reisenden entstehenden Schwierigkeiten zu verringern, hat die Bundesregierung folgende weitere Maßnahmen ergriffen: Zur Beschleunigung werden im Verkehr der Schutzmächte mit den Permit Offices in allen Satellitenstaaten weitgehend Fernschreiber und Telefon benutzt. Ferner hat das Bundesministerium des Innern die Innenminister der Länder auf die Möglichkeit einer telegraphischen Benachrichtigung der Permit Offices hingewiesen, wenn die Angehörigen im Bundesgebiet, z. B. bei kurzfristig bemessenen Ausreisegenehmigungen, die Notwendigkeit einer besonders beschleunigten Genehmigung dartun. In diesen Fällen sind die Permit Offices in der Lage, die Sichtvermerke bereits nach wenigen Tagen zu erteilen. Schließlich sind die Vertretungen der Schutzmächte in den Satellitenstaaten ermächtigt worden, bei ernsten Erkrankungen, Todesfällen oder der Vorlage von deutschen Staatsangehörigkeitsurkunden die Sichtvermerke sofort zu erteilen.
Eine Zusatzfrage? Dr. Menzel ({0}): Danke schön!
Wir kommen zu Frage 11, der Frage des Abgeordneten Dr. Mommer über die Auswirkung der Zuschüsse des Bundes zum Bau von Wohnungen für SBZ-Flüchtlinge:
Wie wird sich angesichts der jetzt vorgesehenen Zuschüsse des Bundes zum Bau von Wohnungen für SBZ-Flüchtlinge und angesichts der Entwicklung des Flüchtlingsstromes die Zahl der Lagerinsassen verändern, und wie lange wird der durchschnittliche Aufenthalt in Lagern dauern?
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den bis jetzt auf die Länder verteilten Wohnungsbaumitteln des
({0})
Bundes aus diesem Haushaltsjahr können die bis zum 1. Juli 1956 im Notaufnahmeverfahren aus Rechts- und Ermessensgründen aufgenommenen und in die Lager eingewiesenen Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone innerhalb der Baufristen mit Wohnraum versorgt werden. Der größere Teil dieser Mittel - 157,5 Millionen DM - ist den Ländern am 5. März 1956 zur Verfügung gestellt worden. Ein weiterer Betrag für die Zugänge bis zum 31. März 1956 in Höhe von 33 754 500 DM ist am 4. Oktober auf die Länder verteilt worden. Für die Neuzugänge im laufenden Haushaltsjahr sind auf die Länder ebenfalls am 4. Oktober 87,5 Millionen DM verteilt worden.
Die genannten Summen basieren noch auf der Quote von 1500 DM je Person. Die Ausschüttung der von der Bundesregierung beschlossenen Aufstockung der Wohnungsbaumittel von 1500 DM auf 2000 DM steht unmittelbar bevor.
Mit der Fertigstellung von Wohnungen vor Ablauf eines Jahres seit Bereitstellung der Mittel kann normalerweise aus technischen Gründen nicht gerechnet werden. Von den im März dieses Jahres zur Verfügung gestellten 157,5 Millionen DM waren nach den Meldungen der Länder am 31. August fast 90% verplant. Von den insgesamt zu erstellenden Wohnungen war bis zu diesem Zeitpunkt jedoch nur ein knappes Fünftel in Angriff genommen.
Eine Beschleunigung der Bautätigkeit als solcher dürfte von der Aufstockung der Bundesmittel kaum zu erwarten sein. Die Möglichkeit einer Beschleunigung der Bautätigkeit hängt zumal in den Hauptaufnahmeländern auch von anderen Faktoren ab, z. B. von der Baukapazität. Jedoch ist damit zu rechnen, daß die Steigerung der Bundeshilfe von 6000 auf 8000 DM je Wohneinheit die Bauvorbereitung, nämlich die Bestimmung der Bauträger und die zusätzliche Finanzierung erleichtert. Insofern ist eine Abkürzung der Zeit von der Bereitstellung der Mittel bis zum Baubeginn zu erwarten.
In den Lagern befinden sich z. Z. etwa 156 000 Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone. In den Monaten Januar bis August dieses Jahres wurden insgesamt 159 924 Zuwanderer aus der sowjetischen Besatzungszone im Notaufnahmeverfahren aufgenommen. Die Lagerbelegung entspricht daher der Gesamtzahl des Zuganges von acht Monaten. Berufsart, Arbeitsfähigkeit und Stärke der Familie verursachen große Unterschiede in der Dauer des Lageraufenthaltes. Dieser bleibt Alleinstehenden und Flüchtlingen, die sich selbst eine Unterkunft zu beschaffen vermögen. ganz erspart, während andere bis zu zwei Jahre und länger in den Lagern verbleiben müssen. Für 23 den Ländern vom Bund zeitweise überlassene Objekte besteht ein Räumungsplan, der bis Ende 1957 rund 41 000 Personen mit Hilfe zusätzlicher Bundesmittel Wohnraum schafft.
Bei gleichbleibenden Fluchtzahlen und gleichbleibender Baukapazität dürfte die Zahl der Lagerinsassen durch Bundessondermaßnahmen um etwa 25 0/o sinken. Wie weit eine Schwerpunktverlagerung von Länderprogrammen und eine dem Beispiel des Bundes folgende Erhöhung der Länderzuschüsse diesen Prozentsatz erhöhen, wird wesentlich von den Entschließungen der Länder, aber auch von der Entwicklung des Kapitalmarktes abhängen.
Wird vom Vertreter des Herrn Kollegen Mommer eine Zusatzfrage gewünscht?
({0})
- Dann ist der Punkt erledigt.
Frage 12 des Abgeordneten Dr. Menzel über das Verhalten der Bundesregierung in einem von ihr veranlaßten Landesverratsverfahren:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung die Durchführung eines Strafverfahrens wegen Landesverrats vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe dadurch unmöglich gemacht hat, daß sie einigen Zeugen, die in ihren Diensten stehen die Genehmigung zur Aussage verweigert hat. obwohl der Vorwurf des Landesverrats von dem Bundeskanzler selbst in einer Kabinettssitzung im Oktober 1952 gegen den Beschuldigten erhoben worden ist?
Stimmt es. daß die Bundesregierung sich in diesem Landes-verratsverfahren durch das Verfassungsschutzamt der Hilfe eines ehemals führenden Mitglieds der vom Bundesverfassungsgericht verbotenen SRP bedient hat?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage Nr. 12 darf ich wie folgt beantworten:
Es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung die Durchführung des Strafverfahrens durch Verweigerung von Aussagegenehmigungen unmöglich gemacht habe. Die beteiligten Ressorts haben zwar die Aussagegenehmigung einem der Zeugen in vollem Umfang und einigen anderen Zeugen zum Teil verweigert. Sie haben dies, wie sie erklären. nach pflichtmäßigem Ermessen auf Grund des § 62 des Bundesbeamtengesetzes getan. weil durch eine Aussage oder doch unbeschränkte Aussage das Wohl des Staates hätte gefährdet werden können. Die Ursache, weshalb im vorliegenden Falle das Verfahren ergebnislos verlaufen ist, ist aber nicht etwa die Verweigerung oder Einschränkung der Aussagegenehmigung gewesen, sondern die Unmöglichkeit, einige hochgestellte ausländische Persönlichkeiten und einen im Ausland lebenden deutschen Kaufmann, die allein als Tatzeugen in Betracht kommen, überhaupt oder doch abschließend als Zeugen zu vernehmen. Dies ist aus dem Beschluß, mit dem der Bundesgerichtshof die Außerverfolgungsetzung des Beschuldigten verfügt hat, zur Genüge erkennbar und mir auch von dem Oberbundesanwalt bei dem Bundesgerichtshof bestätigt worden.
Den zweiten Teil der Anfrage beantworte ich auf Grund einer Mitteilung des Herrn Bundesministers des Innern wie folgt: Im Nachrichtendienst aller Länder besteht die ständige Praxis, keine Auskunft über nachrichtendienstliche Tätigkeiten zu erteilen. Da aber durch Presseveröffentlichungen der Verlauf der Ermittlungen im vorliegenden Falle bekanntgeworden ist, kann von dieser grundsätzlichen Praxis ausnahmsweise abgegangen werden. Das Bundesministerium des Innern hat es nicht für vertretbar gehalten, die ihm bekanntgewordene Aussicht auf Erlangung wichtiger Beweismittel durch ein ehemaliges Mitglied der verbotenen SRP unberücksichtigt zu lassen. Es ist der Auffassung, daß, soweit nicht Staatsinteressen entgegenstehen, zur Klärung des erhobenen schwerwiegenden Verdachts des Landesverrats alle verfügbaren Aufklärungsmittel erschöpft werden mußten.
Eine Zusatzfrage?
Ja, zum ersten Absatz der Frage. Wenn das, was Sie im letzten Satz ausgeführt haben, richtig ist, Herr Staatssekretär, daß alle nur möglichen und erreichbaren Beweise erhoben werden müssen, um in einem Landesverratsverfahren die Schuld oder Unschuld des Täters festzustellen, warum hat dann die Bundesregierung nicht hinsichtlich der im Ausland lebenden Zeugen von dem seit jeher üblichen Mittel der Rechtshilfe Gebrauch gemacht, um die Zeugen im Ausland vernehmen zu lassen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Darauf darf ich antworten, daß von allen Mitteln, die in einem solchen Falle überhaupt rechtlich zur Verfügung stehen, Gebrauch gemacht worden ist.
Eine weitere Zusatzfrage?
Ja. Ich kann leider auf diese Erwiderung nicht eingehen, weil mir nach der Geschäftsordnung nur zwei Zusatzfragen zustehen.
Zur Erklärung der Bundesregierung zum Absatz 2 darf ich die folgende Zusatzfrage stellen, nachdem feststeht, daß Herr Doris als Zeuge hinzugezogen worden ist. Meine Frage lautet: Beabsichtigt die Bundesregierung, künftig bei ähnlichen Vorgängen auch andere aus der Bundesrepublik entflohene Vorstandsmitglieder einer in Deutsch' land verbotenen Partei zu Spitzeldiensten heranzuziehen?
Herr Staatssekretär!
Ich bin bereit, darauf zu antworten. Die Bundesregierung hat weder in der Vergangenheit derartige Personen zu Spitzeldiensten herangezogen noch wird sie es in der Zukunft tun. Ich habe in meiner Antwort klar zum Ausdruck gebracht, warum in diesem Falle - nicht zu Spitzeldiensten, sondern zur Erhebung eines Beweismittels - eine Vernehmung durchgeführt worden ist.
Es ist schwer, danke zu sagen.
Frage 12 ist damit abgeschlossen.
Wir kommen zur Frage 13. Fragesteller ist Herr Abgeordneter Pusch. Die Antwort wäre vom Herrn Bundesminister für Verteidigung zu erteilen. Er hat gebeten, die Beantwortung der Frage zurückzustellen, weil er zur Zeit noch verhindert ist. Ich stelle sie zurück bis kurz vor Ablauf der Stunde.
Wir kommen dann zu Frage 14 - Fragesteller ist Herr Abgeordneter Schmidt ({0}) - betreffend Zeitungsberichterstattung über Streitigkeiten zwischen den Osthannoverschen Eisenbahnen und einer Hamburger Speditionsfirma:
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß zwei im Landkreis Harburg erscheinende Zeitungen im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Streitigkeiten zwischen den Osthannoverschen Eisenbahnen und einer Hamburger Speditionsfirma von einem „Akt ungesetzlichen Drucks, wenn nicht sogar . . . . Erpressung" berichtet haben, an dem nach
diesen Zeitungsberichten sich ein namentlich genannter Ministerialdirektor des Bundesverkehrsministeriums beteiligt haben soll?
Das Wort hat der Staatssekretär des Bundesministeriums für Verkehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Bundesminister für Verkehr sind die von Herrn Abgeordneten Schmidt zitierten Presseberichte und die ihnen zugrunde liegenden Vorgänge bekannt.
Im Verlauf langwieriger Streitigkeiten zwischen den Osthannoverschen Eisenbahnen - das ist eine Aktiengesellschaft - und einer Hamburger Speditionsfirma ist im November 1955 ein Vergleich geschlossen worden. Dessen Rechtswirksamkeit wird jetzt von der Hamburger Firma angegriffen mit der Behauptung, daß ihre Vertreter damals unter unzulässigen Druck gesetzt worden seien und daß hierbei ein dem Aufsichtsrat der Osthannoverschen Eisenbahnen angehörender Ministerialdirektor des Bundesministeriums für Verkehr mitgewirkt habe, und zwar durch Hinweise auf frühere geschäftliche Aktionen der Firma.
Auf diesen Tatbestand beziehen sich die Berichte der beiden im Landkreis Harburg erscheinenden Zeitungen.
Die Zeitungen haben dabei die Kritik an dem angeblichen Verhalten des vorerwähnten Ministerialdirektors nicht als eigene Meinung formuliert, sondern nur als Standpunkt der Hamburger Firma wiedergegeben. Schon deshalb braucht sich der Bundesminister für Verkehr nicht angesprochen oder gar angegriffen zu fühlen.
Außerdem aber wird der Sachverhalt in Kürze gerichtlich geklärt werden. Die Hamburger Firma hat gegen die Osthannoverschen Eisenbahnen beim Landgericht in Lüneburg Klage erhoben. Sie hat sich übrigens in ihrer Klagebegründung genau derselben Sachdarstellung bedient, die schon vierzehn Tage vorher in der Presse erschienen war, woraus sich deren Informationsquelle ergibt. Gegenstand dieses Lüneburger Prozesses ist die Prüfung der Rechtswirksamkeit der vorhin erwähnten Vereinbarung vom November 1955. Hierbei wird das Gericht darüber entscheiden, ob auf die Klägerin ein ungesetzlicher Druck ausgeübt worden ist oder nicht.
Eine Zusatzfrage? - Bitte!
Herr Dr. Bergemann, sind Sie sich darüber klar, daß es sich bei dem von Ihnen eben genannten Prozeß um einen Zivilprozeß handelt, in dem der in der Presse beschuldigte Ministerialdirektor Ihres Ministeriums nicht prozeßbeteiligt ist, so daß es in diesem Prozeß nicht zu einer Klärung der persönlichen Vorwürfe kom-man kann, die eventuell eine disziplinare Ahndung erforderlich machen könnten?
Ich bin mir über dieses juristische Bild klar. welches Sie eben gezeichnet haken. Herr Abgeordneter. Aber es wird sich eben in dieser privatrechtlichen Auseinandersetzung herausstellen. ob die Vereinbarung vorn Novemher 1955 zwischen der Hamburger Firma und den Osthannoverschen Eisenbahnen rechtswirksam war oder nicht. Die Entscheidung über diese Frage
({0})
wird davon abhängen, ob die Hamburger Firma unter unzulässigen Druck gesetzt worden ist, und dabei wird auch die Rolle zur Sprache kommen, die der das Verkehrsministerium in dem Aufsichtsrat der Osthannoverschen Eisenbahnen vertretende Ministerialdirektor gespielt hat.
Eine weitere Zusatzfrage!
Warum läßt es unabhängig von der noch schwebenden Klärung dieses Vorwurfs der Herr Bundesverkehrsminister zu, daß Vorstand und Aufsichtsrat der Osthannoverschen Eisenbahnen, in dem das Verkehrsministerium vertreten ist, tatsächlich eine den Erklärungen des Bundesverkehrsministers vom 25. Februar dieses Jahres absolut entgegengesetzte Geschäftspolitik treiben, die dazu führen wird, daß die betroffene Hamburger Speditionsfirma tatsächlich ruiniert werden wird?
Der Bundesminister für Verkehr teilt Ihre Befürchtung nicht. Abgesehen davon muß ich darauf hinweisen, daß die Osthannoverschen Eisenbahnen eine Aktiengesellschaft sind, die nicht dem Bundesminister für Verkehr untersteht. Er ist nur im Aufsichtsrat durch einen Beamten vertreten. Im übrigen würden sich wahrscheinlich die Bemühungen, die der Bundesminister für Verkehr in seiner Eigenschaft als Abgeordneter um eine Bereinigung dieser Angelegenheit unternommen hat, und die Bemühungen von Ihnen, Herr Abgeordneter, und auch die des Herrn Abgeordneten Bock noch weiter in die Länge gezogen haben, wenn nicht inzwischen die Hamburger Firma Klage erhoben hätte. Nachdem sie im August dieses Jahres Klage erhoben hat, besteht die berechtigte Hoffnung, daß in Kürze eine gerichtliche Klärung der Angelegenheit stattfindet.
Frage 14 ist damit abgeschlossen.
Frage 15, Fragesteller Herr Abgeordneter Schmidt ({0}), über das Ergebnis der Überprüfung von Äußerungen aus dem Kreise der sogenannten Abendländischen Aktion bzw. Abendländischen Akademie:
Welches war das Ergebnis der vom Herrn Bundesinnenminister in der Fragestunde am 7. Dezember 1955 zugesagten „umfassenden Oberprüfung" verfassungsfeindlicher Äußerungen aus dem Kreise der sogenannten Abendländischen Aktion bzw. Abendländischen Akademie?
Das Wort zur Beantwortung hat der Bundesminister des Innern.
Herr Präsident, ich darf dem Herrn Kollegen folgendes antworten.
Die Ermittlungen haben ergeben, daß keine Veranlassung besteht, gegen die Abendländische Akademie oder die Abendländische Aktion einzuschreiten. Ein beim Herrn Oberbundesanwalt anhängiges Verfahren gegen die Abendländische Akademie und die Abendländische Aktion wurde am 20. September 1956 mangels ausreichenden Verdachts strafbarer Handlungen eingestellt. In dem Verfahren ist im übrigen festgestellt worden, daß beide Organisationen weder in personeller noch in finanzieller noch in organisatorischer Hinsicht identisch sind.
Eine Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Bundesinnenminister, sind Sie bereit, das Ergebnis dieser Untersuchung öffentlich bekanntzumachen?
Herr Bundesinnenminister!
Ich verstehe Sie nicht recht, Herr Kollege. Ich habe doch gerade mitgeteilt, daß der Oberbundesanwalt ein anhängiges Verfahren mit dieser eben genannten Begründung eingestellt hat.
Das habe ich wohl verstanden. Aber ich nehme an, daß auch Ihnen nicht entgangen ist, daß ein außergewöhnliches Interesse in der deutschen Öffentlichkeit sowohl für diese Abendländische Aktion wie für die Abendländische Akademie besteht. Meine Frage läuft darauf hinaus, ob Sie das materielle Ergebnis Ihrer Untersuchungen bzw. der Ihnen unterstellten Dienststelle - nicht nur mit dem einen Satz, mit dem Sie soeben geantwortet haben - bekanntzumachen bereit sind.
Herr Kollege, erlauben Sie mir, daß ich zunächst etwas Formales bemerke, daß nämlich die Bundesanwaltschaft nicht mir, sondern dem Bundesminister der Justiz unterstellt ist.
({0})
- Ich bin darüber im einzelnen nicht unterrichtet. Aber ich möchte jetzt eine nicht formale Antwort geben: Die Abendländische Akademie hat, was ich ebenso wie Sie aus den Zeitungen entnommen habe, gerade hier in Bonn eine umfassende Unterrichtung der Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit vorgenommen.
Damit ist Frage 15 erledigt.
(Abg. Schmidt ({0})
- Es sind zwei Zusatzfragen gestellt, Herr Kollege. Ich bedaure sehr.
Frage 16 - Fragesteller ist Abgeordneter Schmidt ({1}) - betreffend Strafverfolgung des Widar-Verlags Guido Roeder in Oberammergau wegen Veröffentlichung einer antisemitischen Druckschrift:
Welches war das Ergebnis der vom Herrn Bundesinnenminister mir unter dem 23. Juni 1956 zugesagten Vorbereitung einer Strafverfolgung des Widar-Verlags Guido Roeder in Oberammergau wegen dessen antisemitischen Hetz-Pamphlets „Die kommende rote Diktatur"?
Ich darf diese Frage wie folgt beantworten.
Im Einvernehmen mit dem Herrn bayerischen Ministerpräsidenten hatte ich das Bundeskriminalamt beauftragt. die mit der Verbreitung des antisemitischen Hetz-Pamphlets des Widar-Verlags Guido Roeder in Oberammergau begangenen strafbaren Handlungen zu verfolgen und die in Betracht kommenden Druckschriften sicherzustellen. Das Bundeskriminalamt hat das Ergebnis seiner Ermittlungen der zuständigen Anklagebehörde, der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I,
({0})
übergeben, die demnächst Anklage erheben wird. Das Pamphlet sowie die in ihm angebotene Broschüre Die Bankierverschwörung von Jekyll Island" - ich nehme an, das es so heißt - sind durch Beschluß des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen beschlagnahmt worden.
Eine Zusatzfrage? - Die Frage ist erledigt.
Wir kommen zu Frage 17 - Fragesteller ist Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg - betreffend Einholung eines Gutachtens eines Versicherungsmathematikers zum Rentenversicherungs-Gesetzentwurf.
Weshalb hat der Herr Bundesfinanzminister nach Einbringuns des Regierungsentwurfs eines Rentenversicherungsgesetzes ein Gutachten eines Versicherungsmathematikers zu diesem Regierungsentwurf eingeholt?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Herr Bundesminister der Finanzen das Gutachten eines privaten Versicherungsmathematikers eingeholt hat, so hat er damit im Rahmen der Verantwortung des Finanzministers gehandelt, nämlich die finanzielle Auswirkung von Gesetzentwürfen für den Bundeshaushalt wie für die gesamte Volkswirtschaft nachzuprüfen.
Die Frage, zu welchem Entwurf das Gutachten eingeholt worden ist, darf ich wie folgt beantworten: Der Versicherungsmathematiker Herr Dr. Heubeck hat zunächst einen Auftrag zur Berechnung des von der SPD-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurfs Bundestagsdrucksache 2314 erhalten. Dieser Gsetzentwurf ist bekanntlich vier Wochen vor der Regierungsvorlage im Bundestag eingebracht worden. Der Auftrag ist deshalb erteilt worden, weil dem Herrn Bundesfinanzminister die finanziellen Auswirkungen des SPD-Entwurfs als etwas zu optimistisch erschienen. Da sich der SPD-Entwurf weitgehend der gleichen, im Beirat des Bundesarbeitsministeriums erarbeiteten Grundlagen wie der Regierungsentwurf bediente, beantwortete der an Herrn Heubeck erteilte Auftrag zugleich die finanziellen Auswirkungen des Regierungsentwurfs. Der Auftrag an Herrn Heubeck, auch den Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums in seine Berechnungen mit einzuschließen, ist übrigens noch vor der Verabschiedung dieses Entwurfs durch das Kabinett erteilt worden. Daß die Ausführung des Gutachtens drei Monate Zeit gekostet hat, findet seine Ursache in der Durchführung umfangreicher, zeitraubender Testberechnungen sowie in der Gründlichkeit der Berechnungsmethode.
Damit sich das Hohe Haus selber ein objektives Urteil über die finanziellen Auswirkungen beider Gesetzentwürfe bilden kann, ist der Herr Bundesminister der Finanzen bereit, das Gutachten des Herrn Dr. Heubeck denjenigen Mitgliedern des Hohen Hauses zuzuleiten, die dies wünschen. Soviel ich weiß, wird zur Zeit im Sozialpolitischen Ausschuß des Bundestages auch über die Frage des Materials, das der Ausschuß zu erhalten wünscht, verhandelt.
Eine Zusatzfrage? -Bitte.
Hat der Bundesminister der Finanzen das Gutachten im Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsminister eingeholt? Wenn nein, weshalb nicht?
Herr Abgeordneter, ich glaube, in meinem Einleitungssatz deutlich genug gesagt zu haben, daß der Herr Bundesminister der Finanzen das Gutachten auf Grund der Verantwortung eines Finanz ministers eingeholt hat.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.
Entspricht es den Tatsachen, daß der Bundesminister der Finanzen auf Grund des Gutachtens den Aufwand des Gesetzentwurfs der Regierung zur Rentenreform für zu hoch hält und für eine Verminderung des nach dem Regierungsentwurf vorgesehenen Rentenaufwands eintritt?
Der Bundesminister der Finanzen bemüht sich pflichtgemäß, den Aufwand aus der Rentenreform mit den Möglichkeiten des Bundeshaushalts in Einklang zu bringen.
({0})
Wir kommen zur Frage 13 - des Abgeordneten Pusch - über den Bau einer Basis für Düsenflugzeuge und ferngelenkte Geschosse im Kreise Ludwigsburg:
Ist es richtig, daß die Bundeswehr bei Großsachsenheim im Kreise Ludwigsburg den Bau einer Basis
a) für Düsenflugzeuge und
b) für ferngelenkte Geschosse plant?
Billigt es die Bundesregierung, daß solche Objekte in dichtbesiedelte Gebiete gelegt werden?
Weiß die Bundesregierung, daß den von weiteren Enteignungen bedrohten Bauern Großsachsenheims ihr von der ehemaligen Wehrmacht enteignetes Land noch nicht ganz bezahlt wurde?
Ist es richtig, daß nach den Richtlinien der NATO die Quartiere des Personals von Militärflugplätzen aus Sicherheitsgründen wenigstens 7 km vom Flugplatz entfernt sein müssen?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß der ehemalige Flugplatz Großsachsenheim im Kreise Ludwigsburg für den Ausbau als Staffelflugplatz der Bundeswehr vorgesehen ist. Außerdem liegt eine Anforderung der amerikanischen Streitkräfte für die Errichtung einer Abschußbasis der Luftabwehr vor. Beide Planungen wurden der Landesregierung Baden-Württemberg zur Stellungnahme zugeleitet. Die Stellungnahme liegt bis jetzt noch nicht vor.
Die Errichtung einer bestimmten Zahl von Flugplätzen gehört zu den Verpflichtungen der Bundesrepublik, deren Erfüllung in ihrem eigenen Interesse liegt.
Bei der Auswahl der Standorte solcher Plätze müssen natürlich in erster Linie militärische Erwägungen den Ausschlag geben. Es gibt in der Bundesrepublik nur wenige Gebiete, die so gering besiedelt sind, daß niemand von den unvermeidbaren Auswirkungen eines Flugplatzes beeinträchtigt würde. Man darf jedoch davon ausgehen, daß nur innerhalb eines Umkreises von höchstens 5 km, innerhalb des sogenannten Nahverkehrsbereichs, gewisse nicht ganz vermeidbare Lärmeinwirkungen auftreten. Auch im Umkreis des Flugplatzes Großsachsenheim würden die dicht besiedelten Ge({0})
biete wie Ludwigsburg, Stuttgart und Pforzheim außerhalb, zum Teil sogar weit außerhalb des 5-km-Umkreises liegen.
Bei der Auswahl des Flugplatzes Großsachsenheim war die Tatsache wesentlich bestimmend, daß dort mehr bundeseigenes Gelände vorhanden ist, als es für einen modernen Flugplatz benötigt wird, die wirtschaftlichen Schäden daher verhältnismäßig gering sein werden. Für die notwendige Verlängerung der bereits vorhandenen Startbahn könnte den meisten Betroffenen bundeseigenes Ersatzland zur Verfügung gestellt werden.
Der Unterkunftsbereich eines solchen Flugplatzes soll nach den bestehenden NATO-Bestimmungen, möglichst angelehnt an eine größere Ortschaft, 3 bis höchstens 7 km von der Flugbasis entfernt sein. Es ist verständlich, daß man die Anhäufung von Unterkünften in unmittelbarer Nähe der Startbahnen vermeiden will. Nach den Weisungen meines Hauses sollen jedoch die Familienwohnungen für das militärische Personal der Flugplätze 'an die nächste Siedlung angeschlossen werden, auch wenn ein Teil der Wohnungen dann noch innerhalb des Radius von 3 km liegt.
Weder dem Herrn Bundesminister der Finanzen noch meinem Hause ist bis jetzt etwas darüber bekannt, daß der Kaufpreis für die durch die frühere Wehrmacht angekauften Flächen des Flugplatzes nicht oder nicht voll gezahlt worden sei. Lediglich hinsichtlich des Grunderwerbs und des Kaufpreises für eine dem öffentlichen Verkehr dienende Umgehungsstraße bestehen noch Unklarheiten zwischen der Gemeinde Großsachsenheim und den Grundstückseigentümern.
Wird eine Zusatzfrage gewünscht?
Danke, nein.
Damit ist Punkt i der Tagesordnung erledigt.
Die nächste Fragestunde ist am Mittwoch, dem 14. November 1956. Die Sperrfrist für eingehende Fragen endet am Freitag, dem 9. November 1956, mittags 12 Uhr.
Wir kommen dann zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1956 ({0}) ({1}); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik ({2}) ({3}).
({4})
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Klingelhöfer. Der Bericht liegt Ihnen in der Drucksache 2779 vor*). Ist der Berichterstatter gewillt, ihn noch zu ergänzen?
({5}) - Bitte schön.
Klingelhöfer ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Bericht schriftlich vorgelegt; sie kennen ihn. Ich habe nicht die Ab-
*) Siehe Anlage 2.
sieht, ihn mündlich zu ergänzen. Es liegt nur die Notwendigkeit vor, eine bei der Drucklegung entstandene Sinnentstellung schon jetzt zu klären, weil genau das Gegenteil von dem im Bericht steht, was darin stehen sollte. Ich darf Sie bitten, auf Seite 3 der Drucksache in der sechsten Zeile der ersten Spalte unter „Nichterfüllte Verlangen" statt der Worte „sich nicht entziehen" die Worte „nicht zustimmen" lesen zu wollen. Das ist das einzige, was ich mündlich ergänzen wollte.
Im übrigen darf ich das Haus bitten, entsprechend dem Antrag des Ausschusses dem Gesetz und dem dem Gesetz angefügten Wirtschaftsplan einschließlich der Änderungen seine Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich darf auf folgendes aufmerksam machen. In der Drucksache 2779 ist der Wirtschaftsplan beigefügt, und zwar in der Fassung, in der er im Ausschuß angenommen worden ist. Es ist eine Änderung des Plans, wie er in der Regierungsvorlage vorgesehen war. Ich darf also bitten, sich bei der Abstimmung darüber klarzuwerden. Der Antrag des Ausschusses lautet demgemäß, den Gesetzentwurf Drucksache 2513 unverändert nach der Vorlage, aber den Entwurf eines Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Rechnungsjahr 1956 in der aus der Anlage, d. h. in der aus der Anlage zum Ausschußbericht, ersichtlichen Fassung anzunehmen.
Ich rufe auf § 1. Wird das Wort gewünscht? - Herr Atzenroth!
Meine Damen und Herren! Wir wollen zu diesem Gesetzentwurf keine Änderungsanträge stellen. Aber es ist unsere Pflicht, diese Tatsache auch zu begründen.
Änderungsanträge hätten, wie sich aus den Ausschußberatungen ergeben hat, keinen praktischen Erfolg mehr. Denn die meisten Dinge, die in diesem Plan enthalten sind, sind schon durch den Bundeshaushalt gesetzlich festgelegt, und Änderungen würden rückwirkend nicht mehr zum Zuge kommen.
Meine Wortmeldung bezweckt, darauf hinzuweisen, daß das parlamentarische Verfahren, das wir hier üben, bedenklich ist. Wir behandeln eine Angelegenheit viel zu spät, so daß das eigentliche Recht, das dem Deutschen Bundestag zusteht, nicht mehr wahrgenommen werden kann und er sich auch einer Verpflichtung entzieht, einen solch großen Posten von Ausgaben - allerdings revolvierenden Ausgaben - eingehender Prüfung zu unterziehen. Ich darf darauf hinweisen, daß es sich um ein Vermögen handelt, das wahrscheinlich größer ist als das Erwerbsvermögen des Bundes, und zwar um einen Betrag von über 6 Milliarden DM, der uns dankenswerterweise durch die Vereinigten Staaten für Zwecke der Wirtschaftsförderung zur Verfügung gestellt worden ist. Aber gerade wegen dieser Größenordnung sollten wir alle Einzelheiten rechtzeitig und eingehend prüfen und damit die Rechte wahrnehmen, die uns als Volksvertretung zustehen.
In den meisten Fällen sind die Kredite tatsächlich für eine Förderung der Wirtschaft ausgegeben worden. Im Verlaufe der Jahre, in denen wir mit diesem Vermögen arbeiten, haben wir ja auch ganz beträchtliche Erfolge erzielen können. Aber
({0})
in jedem Jahr wurden gleichzeitig politische Zwecke mit diesem Vermögen verfolgt und durchgeführt. Ich erinnere an das, was sich im Zusammenhang mit den Reisen des Kanzlers nach dem Südosten begeben hat. Auch in diesem Jahr sind in diesem Haushalt einige Dinge enthalten, die sich nicht mit dem eigentlichen Zweck des ERP-Vermögens vereinbaren lassen. Aus dem ERP-Vermögen sollen Kredite zur Förderung der deutschen Wirtschaft gegeben werden. Es können auch Zuschüsse gegeben werden. Dann muß das klar und deutlich bezeichnet werden. Sie müssen sich in dem Rahmen halten, daß das Vermögen nicht verringert wird. Aber Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmungen gehören nach unserer Auffassung nicht zu den Aufgaben dieses Vermögens. Bei dem Beispiel Lufthansa ist wohl recht deutlich nachzuweisen, daß sich das Vermögen hier mit Risiken belädt, die es nicht eingehen dürfte. Andere Ausgaben gehören nicht in diesen Haushalt, sondern in den allgemeinen Haushalt, der vom Steuerzahler aufzubringen ist. Beispiele: die Beiträge zur Weltbank oder zur IFICO. Das haben wir bei den Ausschußberatungen zum Ausdruck gebracht. Das muß mindestens bei dem nächsten Haushalt geändert werden. Der Haushalt des ERP-Vermögens muß auf seine eigentlichen Zwecke beschränkt bleiben.
Noch ein Wort zu dem großen Problem der Förderung der Rationalisierung. Wir unterstützen selbstverständlich den Gedanken, die Rationalisierung zu fördern und dafür weitgehend auch diese Mittel zu verwenden. Aber ein Überblick über die tatsächlichen Erfolge, die wir mit den von uns finanzierten Rationalisierungsmaßnahmen erzielt haben, ist uns bisher nicht vorgelegt worden. Ich habe teilweise aus eigener persönlicher Praxis Fälle kennengelernt, in denen ich erklären muß, daß die Erfolge absolut negativ gewesen sind. Das soll keine Verallgemeinerung bedeuten. Aber wir wollen als Bundestag doch wenigstens die Möglichkeit haben, auf diese schwierigen Fälle hinzuweisen und damit vielleicht eine Änderung, eine Besserung zu veranlassen.
Ich wiederhole: unsere Forderung geht dahin, daß dieser Haushalt im nächsten Jahr so frühzeitig vorgelegt wird, daß er mit dem Haupthaushalt beraten werden kann und der Bundestag damit die Möglichkeit hat, seine Wünsche und Änderungsanträge frühzeitig und rechtzeitig vorzubringen. Die heutige Beschlußfassung ist leider ohne praktische Bedeutung.
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Das Wort hat der Herr Vizekanzler Dr. Blücher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem uns vorgelegten Schriftlichen Bericht sind unter dem Titel „Vielschichtige Zukunftsproblematik" eine Reihe von Ausführungen gemacht worden. Ich werde mir erlauben, den beiden beteiligten Ausschüssen, weil auch mir an einer sehr rechtzeitigen Abklärung vor der Beratung des nächsten Wirtschaftsplanes liegt, meine ausführliche Stellungnahme zu den verschiedenen Anregungen und Fragen mitzuteilen.
Was die Ausführungen des Herrn Kollegen Atzenroth betrifft, so darf ich darauf hinweisen, daß es mir selbst in den letzten Jahren immer sehr
unsympathisch gewesen ist, daß durch das Warten auf die neuen Haushaltsgesetze in den Vereinigten Staaten und in diesem Jahre auch durch gewisse Unsicherheiten im Zusammenhang mit den Zielsetzungen, die auf dem Kapitalmarkt von uns zu verfolgen waren, eine Verzögerung eingetreten ist, die für uns selbst das praktische Arbeiten außerordentlich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht hat. Ich darf fest zusagen, daß Sie sicher Anfang Januar 1957, also gottlob sechs Monate früher, als das bei dem hier vorliegenden Wirtschaftsplan der Fall ist, den Entwurf des Gesetzes über den Wirtschaftsplan für das Jahr 1957 werden vorliegen haben. Im übrigen ist es ganz selbstverständlich, daß ich mich eng an die gesetzlichen Vorschriften halten mußte und daß ich nur in besonderen, genehmigten Einzelfällen über die in diesem Wirtschaftsplan ausgeworfenen Ansätze bereits vor der Genehmigung des Wirtschaftsplanes durch dieses Hohe Haus verfügt habe.
Ich möchte aber - durchaus im Sinne der Vermeidung von Mißverständnissen - ein Weiteres betonen: Politische Zwecke sind mit dem Sondervermögen nicht verfolgt worden. Ich darf vielmehr sagen, daß das Griechenland-Darlehen, an das Sie, Herr Kollege Atzenroth, denken, in ganz besonderer Weise seiner Art nach in jene Bestrebungen hineinpaßt, die wir mit der deutschen Mitarbeit an der Hebung entwicklungsfähiger Gebiete verfolgen. Es ist ein rein wirtschaftlicher Vorgang, von dem wir hoffen, daß er sich so auswirkt, wie dies von der Süditalien- und der GriechenlandHilfe erwartet wird.
Sie haben dann die Beteiligung an der Lufthansa erwähnt. Obwohl nach dem Gesetz die Beteiligung möglich wäre, ist von uns keine Beteiligung an diesem Unternehmen vorgesehen, sondern es wird nur auf dem Kreditwege der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die selbst die Beteiligung erwirbt, der notwendige Betrag zur Verfügung gestellt, und ich hoffe, daß wir schnell diesen Betrag im Einvernehmen mit der Kreditanstalt für Wiederaufbau für unsere Kreditpolitik wieder werden fruchtbar machen können.
Was schließlich die Frage nach den Ergebnissen der Rationalisierung betrifft, so handelt es sich hier um ein sehr vielschichtiges Gebiet, bei dem meine Unzufriedenheit sicherlich nicht geringer ist als die Ihre. Ich darf aber erwarten, daß ich von seiten des Herrn Bundeswirtschaftsministers, der vor geraumer Zeit schon einen ersten Bericht erstattet hatte, einen weiteren Bericht bekommen werde. Ich darf damit schließen, daß ich noch einmal meine Bereitschaft äußere, schon vorher im Interesse der zukünftigen Verhandlungen auf Ihre Anregungen, Herr Berichterstatter, zu antworten.
Herr Kollege Schmidt ({0}) möchte eine Zwischenfrage stellen.
Wenn ich richtig verstanden habe, Herr Vizekanzler, gebrauchten Sie soeben eine Formulierung etwa des Inhalts: Politische Zwecke seien mit Mitteln des ERP-Sondervermögens nicht verfolgt worden. Können Sie diese Bemerkung dahin ergänzen, daß mit Mitteln des ERP-Sondervermögens auch keine Rüstungszwecke verfolgt werden?
Mit den von uns verwalteten und zu unserer freien Verfügung stehenden
({0})
Mitteln sind derartige Zwecke nie verfolgt worden. Es ist, wenn ich das sagen darf, immer mein Anliegen gewesen, darauf hinzuweisen, daß die allgemeine Stärkung - vor allen Dingen der Grund-und Rohstoffindustrien - eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Lebensfähigkeit des Landes überhaupt schafft, ohne die schließlich auch der Begriff der Rüstung nicht lebendig werden könnte.
Eine weitere Zusatzfrage!
Darf ich zur Klarstellung fragen, Herr Vizekanzler: Ich verstehe Ihre Antwort dann wohl so richtig, daß diejenigen Posten in diesem Wirtschaftsplan, die nicht der freien deutschen Disposition unterliegen, zum Teil durchaus Rüstungszwecken dienen sollen?
Ich bin bereit, darüber im Ausschuß zu berichten. Aber Sie werden über die geringen Zahlen hinsichtlich des schon seit drei Jahren nicht von mir, sondern von den Darlehensgebern verfolgten Zieles überrascht sein, weil die Dinge effektiv eben noch nicht so weit waren.
Das Wort hat der Abgeordnete Klingelhöfer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun ist richtig alles durcheinandergegangen. Eigentlich gehört zur zweiten Beratung die Einzelberatung, und das Gesetz hat ja auch ein paar Paragraphen. Ich hätte deshalb nicht erwartet, daß unser Kollege Atzenroth in der Einzelberatung bereits allgemein sprechen würde. Nun hat sich außerdem noch der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit gemeldet, und es geht nun einmal gar nicht anders - der Herr Präsident wird darüber nicht böse sein dürfen -, als daß ich jetzt in der zweiten Beratung das sage, was ich für meine Fraktion in der dritten Beratung grundsätzlich sagen wollte.
Zum Gesetz, zum Wirtschaftsplan, aber auch zum Bericht muß ich für meine Fraktion einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Es scheint mir und sicher auch allen in den Ausschüssen Beteiligten keineswegs verwunderlich, daß die Ausschüsse in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf und zum ERP-Wirtschaftsplan in diesem Jahr besonders nachdenklich und besonders kritisch waren. Nachdenklich, weil in der Welt viel in Bewegung gekommen ist, was auch für die künftige Verwertung des ERP-Vermögens von Bedeutung sein wird. Kritisch, weil die Koordinierung des ERP-Wirtschaftsplans mit den Staatshaushaltsplänen eine ernste Sorge geworden ist.
Das letztere läßt die Entschließung des Haushaltsausschusses schon sehr deutlich erkennen. Gewiß sollen die Verwertung und die Verwaltung des ERP-Vermögens von heute 61/2 Milliarden DM die Sonderaufgabe einer Sonderverwaltung sein und bleiben. Darüber waren die Ausschüsse einer Meinung. Aber beide Ausschüsse waren zugleich der Auffassung, daß dennoch die Zwecksetzung, Verwendungskontrolle und Erfolgsbeobachtung sich mit den großen Staatsaufgaben in Übereinstimmung befinden müßten, wie sie im Staatshaushalt, für den die Verwendungskontrolle und auch die Erfolgsbeobachtung garantiert sind, ihren Niederschlag finden. Die zeitliche Synchronisierung
der Einbringung, die Gleichzeitigkeit der Beratung, Übersichten über mögliche Doppel- und Mehrgleisigkeit von Dotierungen, Krediten und Zuschüssen, gleichviel welcher Art, sind aber dann eine unabdingbare Notwendigkeit. Meine Fraktion legt entscheidenden Wert darauf, daß diese Gesichtspunkte für den Bundeshaushaltsplan und für den ERP-Wirtschaftsplan in der Zukunft Beachtung finden.
Zweitens. Es ist gewiß ein unumstößliches Gesetz, daß das ERP-Vermögen in seiner Substanz erhalten werden muß. Aber das Bewußtsein muß lebendig sein, daß mit den sich ändernden Zeiten und Verhältnissen auch die Zwecke und Zwecksetzungen bei der Verwertung des Vermögens sich ändern können und ändern sollen. Dabei geht es nicht um die Methode. Immer wird es so sein, daß Kredite gewährt und verlorene Zuschüsse zur Verfügung gestellt werden müssen. Allein die Rückzahlung der Kredite kann das Vermögen erhalten. Auch muß Vorsorge getroffen sein, daß entstehende Verluste und Risiken aus den Erträgen gedeckt werden können. Aber, meine Damen und Herren und Herr Bundesminister, es ist kein Gesetz, daß das Vermögen durch Kumulierung der Zinsen wachsen muß. Heute wird ein Teil der Zinsen dem Vermögen zugeschlagen, und ein kleiner Teil wird als Zuschüsse verwendet.
Drittens. Man muß dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit dankbar sein, daß es in seinem Vorbericht zum diesjährigen ERP-Wirtschaftsplan ins einzelne gehende Übersichten über die seit 1950 gewährten Zuschüsse gegeben hat. Dieser Bericht ist verdienstlich, weil er ein großes Gebiet aus der Verwertung des ERP-Vermögens erstmalig für dieses Haus und auch für die Öffentlichkeit einigermaßen durchsichtig gemacht hat. Aber schon im Schriftlichen Bericht wurde gesagt, daß mindestens sechs Ministerien bei diesen Zuschüssen aus dem ERP-Vermögen mitbetroffen sind. Wenn beispielhaft 47 Zuschußzwecke aufgezählt werden und wenn nach dem Bericht die Zahl der geförderten Projekte in die Hunderte geht, mag es dafür zwar eine sorgfältige Planung und je nach der Arbeitskraft der Rechnungshöfe auch eine Verwendungskontrolle geben. Sicher aber gibt es dafür nur eine höchst lückenhafte Erfolgsbeobachtung, und das kann nicht befriedigen. Meine Fraktion will, daß die Transparenz auch auf andere Gebiete ausgedehnt und der Erfolgsbeobachtung noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als das bisher möglich sein konnte.
Mit Recht wurde in einem der Ausschüsse gesagt, daß, wer im Bundeshaushalt mit seinen Wünschen nicht durchkomme, sich über das ERP-Vermögen zu helfen versuche. Wohl sorgt auch der interministerielle Ausschuß, Herr Bundesminister, für die Koordinierung der Zwecke, soweit ihm dies möglich ist. Sicher aber kann er jene Beratungen in den Ausschüssen dieses Hauses nicht ersetzen, die beispielsweise für die Gestaltung des Bundeshaushaltsplanes entscheidend werden, solange nicht mindestens eine gleichzeitige Beratung beider Pläne erfolgt. Das ist es nämlich, was - wie ein Kollege vorhin sagte - die Verabschiedung im nachhinein fast zu einer Farce macht.
Man soll auch nicht übersehen: Es gibt - und das geht den Herrn Finanzminister an - auch Sünden am grünen Holz, was das ERP-Vermögen anlangt. Wenn der Bund beispielsweise vor einigen
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Jahren eine 250-Millionen-Anleihe aus dem ERP-Vermögen deckte - sei es auch nur vorübergehend - und wenn der Bund aus dem ERP-Vermögen zur Deckung eines Zuschusses für den Berliner Haushalt 125 Millionen DM in Anspruch nahm, so muß gesagt werden, daß das systemwidrige Dinge sind. Dem Kaiser soll man gewiß geben, was des Kaisers ist; aber der Kaiser soll auch nur in Anspruch nehmen, was er in Anspruch nehmen darf!
Auch in diesem Punkt will meine Fraktion, daß die Grenzen eingehalten werden, die für die Verwendung eines solchen Sondervermögens vorgeschrieben sind.
Hierher, Herr Kollege Dr. Atzenroth, gehört nun auch das Beispiel der Beteiligungen. Wir kennen eine Menge Beteiligungen - Lastenausgleichsbank, Berliner Industriebank und ähnliche Banken -, die durchaus systemgemäß sind. Da handelt es sich um Beteiligungen an Banken, die die Kredite unmittelbar weitergeben. Daß die Beteiligungen Deutschlands beispielsweise an der Weltbank und der International Finance Corporation aus dem ERP-Vermögen gezahlt werden, dies, meine Damen und Herren und auch Herr Kollege Atzenroth, mag durchaus noch hingehen. In beiden Fällen handelt es sich nämlich entweder um gemeinsame Entwicklungsaufgaben der Marshallplanländer oder um Aufgaben zur Sicherung des Ausgleichs von Zahlungsbilanzen. Das dient der Entwicklung der deutschen Wirtschaft und ihrer Sicherung. Aber daß die Auffüllung des Kapitals der Deutschen Lufthansa AG aus dem ERP-Vermögen im federführenden Ausschuß allgemein als peinlich empfunden wurde, dafür muß die Regierung und muß auch dieses Haus Verständnis haben.
Was soll man dazu sagen, daß der Vertreter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Meinung des Kabinetts dahin umreißen mußte - ich darf vielleicht sagen: umreißen muß t e ; denn geschmeckt hat ihm die Sache auch nicht, soviel ich weiß -, diese Beteiligung sei deshalb notwendig, weil man der Deutschen Lufthansa AG Kreditkosten noch nicht zumuten könne? Wenn das richtig wäre, dann hätten alle einmal kapitalschwachen und aufbauenden Unternehmungen - ganz egal, ob privat oder öffentlich - in der Bundesrepublik von der Kreditanstalt für Wiederaufbau keine Kredite erhalten dürfen, die verzinslich sind, sondern statt der Kredite zinslose Beteiligungen.
Weil die Beteiligung von 7,5 Millionen durch den verabschiedeten Bundeshaushalt 1956 bereits Gesetz war, ließ sich nun an dieser Beteiligung - die ja der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht aus eigener Initiative, sondern weil es im Ausschuß gefordert worden ist, in einen Kredit umgewandelt hat - nichts mehr ändern, und der Ausschuß mußte das hinnehmen. Aber es wird Ihnen allen in diesem Hause begreiflich sein, daß im Jahre 1957 die Frage weiterer Beteiligungen an der Deutschen Lufthansa und auch weiterer Kredite für diese Zwecke aus dem ERP-Vermögen erneut überprüft werden muß. Meine Fraktion verlangt, daß das geschieht.
An dem Verfahren, Kredite zu geben, um die Erhaltung des Vermögens sicherzustellen, wird festzuhalten sein. Aber die Zwecke können sich in der Zukunft ändern, sowohl für die Verwendung von Rückflüssen aus den Krediten als auch für die
Rückflüsse aus den Zinsen. Zu den letzten ein besonderes Wort!
Für die Verwendung der Rückflüsse aus den Zinsen und auch für die Gewährung von Zuschüssen aus diesen Rückflüssen werden sicher manche alten Zwecke wichtig bleiben und auch weiterhin nachdrücklich gefördert werden müssen. Jedoch schon bei der Förderung der Forschung wird man etwas umdenken müssen. Mit dem Wirtschaftswunder sind auch viele große Unternehmungen reicher und leistungsfähiger geworden. Wirtschaftsnahe Forschung war in früheren Jahrzehnten immer auch eine Aufgabe der beim Fortschritt der Technik führenden Unternehmungen selbst. Deshalb sollte die wirtschaftsnahe Forschung in der Zukunft auch von diesen Unternehmungen selbst weitgehend finanziert werden. Wer den Nutzen hat, soll für diesen Nutzen auch bezahlen. Mit Subventionen Entwicklungen zur Schaffung und Eroberung neuer Märkte innerhalb und außerhalb Deutschlands zu fördern, ist keineswegs immer gut für das Geschäft.
Auf der anderen Seite wird ein noch wachsender Teil der Grundlagenforschung nach wie vor und stärker als bisher aus öffentlichen Mitteln zu fördern sein, insbesondere da, wo sie in der Hand von Universitäten und wissenschaftlichen Sonderinstituten liegt. Wir haben noch sehr viel zu tun - das ganze Haus weiß das -, um in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren Versäumtes nachzuholen.
Weiter: Wo sich die Zwecke lohnen und wo die Länder allein solche Aufgaben nicht lösen können, sollten neben der Bundeshilfe auch größere Zuschüsse aus den Zinsen des ERP-Vermögens nachdrücklicher als bisher den Universitäten und Forschungsinstituten zu Hilfe kommen.
An dieser Stelle ist auch des Wunsches der Rektorenkonferenz der Bundesrepublik zu gedenken, finanziell für den Bedarf an Lehrstühlen und Instituten vorzusorgen, der mit der Wiedervereinigung Deutschlands in der heutigen sowjetisch besetzten Zone auf uns zukommen wird. Auch diese Frage ist im Haushaltsausschuß beispielsweise schon sehr nachdrücklich unter Bezugnahme auf diese Möglichkeit behandelt worden.
Es ist gut, sich auch eine zahlenmäßige Vorstellung davon zu machen, was aus Zinserträgen etwa in den fünf Jahren von 1957 bis 1961 einschließlich zur Verfügung stehen könnte, um für neue Schwerpunkte, besonders hinsichtlich der Forschung und des Nachwuchses finanziell Vorsorge zu treffen. Unsere Hauptstadt Berlin wird die in Berlin aufkommenden Zinsen zunächst noch zum eigenen Wiederaufbau benötigen. In der Bundesrepublik mögen jährlich 50 bis 60 Millionen DM für bisher schon bedachte Zwecke weiterhin erforderlich bleiben. Aber in diesen fünf Jahren von 1957 bis 1961 einschließlich wird aus Zinserträgen ein weiterer Betrag von rund 500 Millionen DM zur Verfügung stehen, die nicht zum Vermögen geschlagen zu werden brauchen und für die man neue Schwerpunkte finden darf und auch finden soll.
Würde man um solche Schwerpunkte verlegen sein? Ich glaube es nicht. Von der Forschung haben wir schon gesprochen. Soll ich von der Notwendigkeit der Nachwuchsförderung im Innern der Bundesrepublik sprechen? Soll es dabei bleiben, daß in Deutschland etwa 15 % der Studenten Stipendien erhalten gegenüber 70% in England, obwohl die
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Struktur der beiden nationalen Wirtschaften kaum voneinander abweicht? Soll ich von der Nachwuchsförderung nach außen sprechen, von der Förderung des Nachwuchses in den entwicklungsfähigen Ländern etwa? Soll ich gar von dem erschreckenden Fehlbedarf sprechen, der in der Bundesrepublik bei dem Ingenieurnachwuchs vorhanden ist? Ich glaube, ich kann mir das ersparen. Meine Fraktion will, daß bei der Lösung solcher Aufgaben die Zinserträge aus dem ERP-Vermögen stärker herangezogen werden und auf diesem Wege der Aufwand des Bundeshaushalts und der Länderhaushalte unterstützt wird.
Ich habe wohl schon bisher dem Herrn Bundesminister einiges Neues sagen können, worüber er uns noch einige Auskünfte wird geben können. Ich hoffe jetzt noch mehr dazu beitragen zu können, und ich denke, daß er uns auch darüber Auskünfte wird geben wollen.
Auch bei den zu gewährenden Krediten muß man an ein Umdenken gehen. Die Welt ist heute voller Bewegung und sie ist voller Gründe, die auch bei der Gewährung von Krediten der schöpferischen Phantasie dieses Ministeriums einen großen Spielraum lassen. Gewiß wird man bei der Gewährung von Krediten noch auf Jahre hinaus unterscheiden müssen. was für den Aufbau unserer Hauptstadt Berlin notwendig ist und was in der Bundesrepublik neu unternommen werden kann.
In der Bundesrepublik kann heute, was den Aufbau von Industrien mit Hilfe öffentlicher Mittel angeht, von einer Sättigung gesprochen werden. Eigenfinanzierung und Finanzierung über den Kapitalmarkt reichen für diese Zwecke in den meisten Industrien aus. Im Vordergrund können in der Zukunft Schwerpunkte der allgemeinen wirtschaftlichen Rationalisierung stehen, wie sie uns besonders in der Wasserwirtschaft, in der Verkehrswirtschaft und auch in der Flurbereinigung begegnen. Es kann und soll auch - und ich bitte diesen Fall einmal sorgfältig mitzuüberiegen - an sinnvolle Investitionen für die Freizeitgestaltung gedacht werden. - In Berlin dagegen ist diese Sättigung noch nicht gegeben. In Berlin werden auch aus dem ERP-Vermögen noch auf Jahre hinaus Mittel für den industriellen Aufbau und auch für den Aufbau als Haupt- und Weltstadt nötig sein. Berlin wird auch als Forschungszentrum und als Verkehrskreuz für ein neues Europa noch große Aufgaben stellen, Aufgaben, die öffentlicher finanzieller Förderung bedürfen.
Aber ich sagte schon, daß die Welt und besonders die europäische Welt in voller Bewegung ist. Es wird so kommen, daß der Marshall-Plan von 1947, der das westliche Europa gerettet hat, wiederaufleben wird angesichts dieser Bewegung der Welt und in Europa. 1947 und 1948 wurden die Gelder des Marshall-Plans allen Völkern Europas angeboten, auch den Völkern und Nationen der östlichen Welt. Es war die Tragik der Geschichte, daß der Tschechoslowakei ausdrücklich verboten wurde, Marshall-Plan-Gelder in Anspruch zu nehmen. Von dort aus erfolgte im Februar 1948 die Gleichschaltung in Prag. Ihr folgte die Blockade Berlins, und beiden folgte in der ganzen Welt die Zeit des kalten Krieges. Der „andere" Weg oder der „eigene" Weg, auf dem wir die Satellitenstaaten heute aufbrechen sehen, wird nicht nur für die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch für die freien westlichen Staaten Europas neue „Marshallplan"Aufgaben stellen, und Deutschland wird unter e diesen Staaten sein.
Auch hier mag bedacht werden, meine Damen und Herren, welche Summen in den kommenden fünf Jahren von 1957 bis 1961 einschließlich der Bundesrepublik, wenn sie sich auf neue Aufgaben der Kreditgewährung aus den Rückflüssen des ERP-Vermögens besinnt, zur Verfügung stehen mögen. Insgesamt mögen ohne Berlin in diesen fünf Jahren aus Tilgungen etwa eineinhalb Milliarden bis zwei Milliarden DM aufkommen, für die an neue Schwerpunkte bei der Kreditgewährung gedacht werden kann. Diese neuen Schwerpunkte sollten auch in der Wirtschaftshilfe gefunden werden, die in den kommenden Jahren die jetzt aufbrechenden Völker der Satellitenstaaten und die entwicklungsfähigen Länder in Asien von Deutschland erwarten dürfen.
Man kann ins Auge fassen, daß es eine erweiterte OEEC der Marshallplan-Länder geben wird und daß auch die Weltbank und die International Finance Corporation im Rahmen dieser erweiterten OEEC neue Aufgaben finden werden, die im Interesse der Freiheit und des Friedens aller Völker und Kontinente gelöst werden müssen. Hier können auch deutsche Kredite Wunder tun, wenn sie zur Unterstützung jener neuen Diplomatie angesetzt werden, die den wirtschaftlichen und politischen Wettbewerb zwischen Ost und West friedlich zu gewinnen sucht und die Waffe nur für den äußersten Fall der Not in Bereitschaft hält.
Ein Letztes. Freilich müssen wir, meine Damen und Herren, den Blick auch für jenen Tag offenhalten, an dem die Wiedervereinigung mit unseren Brüdern in der heutigen sowjetisch besetzten Zone uns auch dort vor neue wirtschaftliche und finanzielle Probleme stellt. Das ERP-Vermögen muß erhalten werden. Es kann erhalten werden, auch wenn bei der Gewährung von Krediten großen neuen politischen Aufgaben gedient wird. Es muß auch erhalten werden für die Aufgaben, die der Bundesrepublik am Tage der Wiedervereinigung gestellt sein werden.
Das sind ernste Überlegungen und ernste Vorbehalte, die meine Fraktion und gewiß auch große Teile dieses Hauses bei der Verabschiedung dieses Gesetzes und des ERP-Wirtschaftsplans 1956 machen müssen. Diese ernsten Vorbehalte entsprechen ebenso wichtigen wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten und Notwendigkeiten. Wenn meine Fraktion auch im Bundeshaushaltsgesetz dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Mittel verweigert hat, so stimmt sie diesem Gesetz und dem ihm angefügten Wirtschaftsplan, die beide nur die Verwaltung und die Verwertung des ERP-Vermögens betreffen, unter den für meine Fraktion ausgesprochenen Vorbehalten und Erwartungen zu.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir standen in der Debatte zu § 1. § 1 ist praktisch das ganze Gesetz, so daß Spezialdebatte und Generaldebatte praktisch ineinanderflossen.
Wer dem § 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Ich bitte, dabei zu beachten, daß unter dem Wort „Anlage" in den Worten des § 1 nicht die Anlage der Regierungsvorlage, sondern
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die Anlage des Ausschußberichts zu verstehen ist. Ich bitte nun um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen.
§ 2. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wer für
§ 2 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
§ 3. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte. Wer für
§ 3 zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen.
Einleitung und Überschrift. Wer dafür stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
Ich rufe auf § 1, - § 2, - § 3, - Einleitung und Überschrift. Ich eröffne die Debatte. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung in der dritten Lesung. Ich wiederhole noch einmal, daß unter „Anlage" die Anlage des Ausschußberichts zu verstehen ist, der also bei der Publikation im Bundesgesetzblatt diesem Gesetzestext, der hier angenommen ist, beizufügen wäre. Wer dem Gesetz in der dritten Lesung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Ich danke Ihnen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 3 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({1}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({2}) ({3})
({4});
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({5});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({6}) ({7})
({8});
c) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({9}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Umsatzsteuerbefreiung für Milch ({10}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Eckhardt. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der unter Punkt 3 b) der Tagesordnung aufgeführte SPD-Entwurf sich praktisch dadurch erledigt, daß er in der Drucksache 2749 ({11}) miterledigt wird. Er würde also durch die Abstimmung über den Punkt 3 a) miterledigt sein.
Ich darf den Herrn Berichterstatter bitten, das Wort zu nehmen.
Dr. Eckhardt ({12}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hatte bereits am 23. Februar 1956 eine
Reihe von Förderungsmaßnahmen für die LandWirtschaft in Aussicht gestellt. Darunter befand sich auch eine Befreiung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, soweit sie durch den Erzeuger geliefert werden, von der Umsatzsteuer. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, der dem Bundestag am 9. Mai 1956 zugeleitet worden ist, soll diesen Zustand legalisieren. Bereits ab 1. April 1956 war die Umsatzsteuer für Landwirte allgemein gestundet worden. Die Umsatzsteuerbefreiung der Landwirtschaft, d. h. der Lieferung und des Eigenverbrauchs von Gegenständen, die innerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebes im Inland erzeugt werden, wenn der Erzeuger diese Gegenstände selbst liefert, ist vom Finanzausschuß und vorher vom Ernährungsausschuß einstimmig gebilligt worden.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß umsatzsteuerlich als Landwirtschaft der Ackerbau, der Garten-, Gemüse-, Obst- und Weinbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich der Wanderschäferei, die Fischzucht einschließlich der Teichwirtschaft und der Binnenfischerei gelten. Als landwirtschaftliche Betriebe gelten auch die Tierzuchtbetriebe, Viehmästereien, Abmelkställe, Geflügelfarmen und ähnliche Betriebe, wenn zur Tierzucht oder Tierhaltung überwiegend Erzeugnisse verwendet werden, die im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb gewonnen sind. Außerdem gehören zur Landwirtschaft auch die Nebenbetriebe, die dem landwirtschaftlichen Hauptbetrieb zu dienen bestimmt sind, z. B. Brennereien.
Die Bundesregierung weist in ihrer Begründung zu dem Gesetzentwurf ausdrücklich darauf hin, daß als landwirtschaftliche Erzeugnisse auch die Erzeugnisse aus Sonderkulturen zu gelten haben, z. B. Hopfen und Tabak, ferner die in einem landwirtschaftlichen Betrieb gezüchteten oder genutzten Tiere.
Seit mehreren Jahren
- so heißt es in der Begründung der Bundesregierung ist die Landwirtschaft in einigen Gegenden zur Totverwertung der von ihr gezüchteten Tiere übergegangen. Als landwirtschaftliche Erzeugnisse werden jedoch nur ganze, halbe oder gevierteilte Tierkörper, also Schafe oder Kälber, Schweinehälften und Rinderviertel, anerkannt werden können.
Ich darf schon in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Frage der Totverwertung Gegenstand einer eingehenden Diskussion im Finanzausschuß und vorher im Ernährungsausschuß gewesen ist und daß insoweit Bedenken erhoben worden sind.
Der Finanzausschuß hat sich in seiner Sitzung vom 3. Oktober mit der Frage der landwirtschaftlichen Umsatzsteuerbefreiung befaßt. Im Rahmen dieser Beratungen hat Abgeordneter Struve über die Beratungen im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten berichtet. Er hat insbesondere die Einbeziehung des Pensionsviehs, die Totverwertung von Vieh durch die Landwirte, darüber hinaus die Freistellung der Berliner Abmelkställe von der Umsatzsteuer und die Begünstigung von Zuschüssen, die der Vatertierhaltung, der Milchkontrolle usw. dienen, befürwortet. Im übrigen hat der Ernährungsausschuß die Auffassung vertreten, sämtliche Begünstigungen sollten rückwirkend ab 1. April 1956 in Kraft treten.
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In der Diskussion des Finanzausschusses sind insbesondere sechs Punkte behandelt worden. Unbestritten war die grundsätzliche Befreiung der landwirtschaftlichen Lieferungen und des Eigenverbrauchs von der Umsatzsteuer. Nach Auffassung des Finanzausschusses soll auch das Halten von Pensionsvieh in die Regelung einbezogen werden. Insoweit wurden Einwendungen nicht erhoben. Infolgedessen ist in der Neufassung des Gesetzentwurfs, die Ihnen in Drucksache 2749 ({14}) vorliegt, in Art. 1 die Ziffer 19 dahin ergänzt worden, daß nicht nur Lieferungen und Eigenverbrauch von landwirtschaftlichen Erzeugnissen steuerfrei sein sollen, sondern auch „solche Leistungen, die in der Aufzucht und in dem Halten von Vieh innerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebs im Inland bestehen".
Sodann ist eingehend die Umsatzsteuerbefreiung der Totverwertung erörtert worden. Der Ernährungsausschuß hat die Begünstigung der Totverwertung innerhalb der Landwirtschaft befürwortet, weil sie in verkehrsungünstigen Gebieten eine fortschrittliche Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsmethoden im Rahmen der gerade von der Landwirtschaft geforderten Rationalisierung ermöglicht. Es sei insbesondere einfacher, hygienischer und billiger, geschlachtetes Vieh von der Alm abzutransportieren als lebendes Vieh.
Im Ausschuß sind aber auch eine Reihe von Bedenken und Wünsche in dem Zusammenhang geltend gemacht worden. Es ist das Bedenken erhoben worden, die Begünstigung der Totverwertung führe zu einer Unterbeschäftigung städtischer Schlachthöfe und zu einer Schädigung des Schlachtgewerbes, insbesondere aber auch der Großschlächter. Es ist anerkannt worden, daß diese Frage gründlich behandelt werden muß und daß auch andere Fragen, z. B. die Situation des Kartoffelkleinhandels und des Obst- und Gemüsehandels, in diesem Zusammenhang geprüft werden müssen. Der Finanzausschuß hat im Hinblick auf die Bedeutung der Frage der Totverwertung ausdrücklich beschlossen, diesen Fragenkomplex dem Unterausschuß „Umsatzsteuer" zur besonderen Beratung zuzuweisen.
Es ist die Rede davon gewesen, daß hier auch Sachverständige gehört werden sollen. Ich darf ergänzend hinzufügen, daß die Frage im Rechtsmittelverfahren geprüft worden ist. Das Rechtsmittel liegt beim Bundesfinanzhof in München und ist noch nicht entschieden.
Drittens ist im Finanzausschuß die Begünstigung von Zusammenschlüssen zur Förderung der Tierzucht usw. besprochen worden. Der Finanzausschuß schlägt Ihnen vor, § 4 des Umsatzsteuergesetzes, also die Vorschrift über Steuerbefreiung, um folgende Ziffer 21 zu ergänzen. Umsatzsteuerfrei sollen auch sein
die Umsätze von Vereinigungen, deren satzungsgemäßer Zweck die Vatertierhaltung, die Förderung der Tierzucht, die künstliche Tierbesamung, die Milchkontrolle oder die Trocknung von Feldfrüchten ist, soweit die Umsätze unmittelbar den Zwecken der genannten Vereinigungen dienen.
Viertens ist im Ausschuß die Umsatzsteuerbefreiung der Berliner Abmelkbetriebe diskutiert worden. Es ist eine umsatzsteuerliche Voraussetzung, daß Abmelkställe nur dann an der Umsatzsteuerbegünstigung der Landwirtschaft teilnehmen können, wenn sie überwiegend Erzeugnisse aus dem eigenen landwirtschaftlichen Betrieb zur Tierhaltung verwenden. Das ist bei den meisten Berliner Abmelkställen aus der besonderen örtlichen Situation heraus nicht möglich. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß die Berliner Abmelkställe an dieser Vergünstigung teilnehmen sollten, und schlägt infolgedessen vor, der Bundestag wolle die Bundesregierung ersuchen, die Umsatzsteuerdurchführungsbestimmungen durch folgenden Satz zu ergänzen:
Abmelkställe in Berlin gelten auch als landwirtschaftlicher Betrieb, wenn nicht überwiegend im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb gewonnene Erzeugnisse zur Tierzucht oder Tierhaltung verwendet werden. .
Schließlich ist ein weiterer Vorschlag der Bundesregierung im Entwurf des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes behandelt worden. Die Bundesregierung wünschte eine besondere Vorschrift in das Gesetz einzufügen, wonach für die Lieferungen und den Eigenverbrauch von bearbeitetem oder verarbeitetem Holz in der Forstwirtschaft, ausgenommen Rundholz, Scheitholz, unbesäumte Bohlen, unbesäumte Bretter und Abfälle, die Steuer vier vom Hundert des Entgelts betragen solle. Der Finanzausschuß war der Auffassung, daß eine solche Erweiterung noch nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen werden sollte, da sie Fragen der Be- und Verarbeitung betrifft, die grundsätzlich geklärt werden müßten und nicht für einen bestimmten, noch dazu zahlenmäßig sehr kleinen Wirtschaftszweig vorweg geregelt werden sollten.
Schließlich hat das Bundesfinanzministerium selbst einen Wunsch der Exporteure landwirtschaftlicher Erzeugnisse befürwortet, wonach Art. 2 des Gesetzentwurfs so erweitert werden soll, daß diese Exporteure die Ausfuhrhändlervergütung zwischen dem 1. April 1956 und dein Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes, die sie auf Grund ihrer Anträge erhalten haben, nicht zurückzuzahlen brauchen. Ein Anspruch auf Ausfuhrhändlervergütung besteht nach dem Umsatzsteuerrecht nur dann, wenn der Vorlieferer umsatzsteuerpflichtig war. Die Umsatzsteuerpflicht - landwirtschaftlicher Produzenten wird nunmehr rückwirkend zum 1. April 1956 aufgehoben, so daß auch dieser Vergütungsanspruch für die Exporteure rückwirkend hätte aufgehoben werden . müssen. Der Ausschuß war in Übereinstimmung mit der Bundesregierung der Auffassung, daß der Art. 2 zugunsten der landwirtschaftlichen Exporteure erweitert werden müsse.
Der Finanzausschuß schlägt Ihnen zusätzlich folgende Änderungen vor, nämlich die Überschrift des Gesetzentwurfs zu ändern von „Entwurf eines Siebenten Gesetzes . . ." in „Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes" und die Präambel dahin zu erweitern: „und des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom . . Oktober 1956 ({15})"
Die einzelnen Beschlüsse des Finanzausschusses habe ich Ihnen bereits in meinem Bericht vorgetragen. Der Ernährungsausschuß hielt es für richtig, die Vergünstigungen insgesamt mit Rückwirkung zum 1. April 1956 in Kraft zu setzen. Tatsächlich kommen die Vergünstigungen seit dem 1. April 1956 der Landwirtschaft zugute. Der Fi({16})
nanzausschuß glaubt aber, sagen zu müssen, daß Rückwirkungen weder in positivem noch in negativem Sinne in Steuergesetzen ausgesprochen werden sollten.
In der Drucksache 2749 ({17}) schlägt Ihnen der Finanzausschuß vor, der Bundestag wolle beschließen, 1. den Gesetzentwurf in der von mir in meinem Bericht behandelten Fassung anzunehmen, 2. den von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache 858 - als durch die Beschlußfassung zu Nr. 1 erledigt abzulehnen, 3. den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache 1688 - als durch die Beschlußfassung zu Nr. i erledigt abzulehnen - es handelt sich hier um einen Antrag auf Befreiung nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der Forstwirtschaft von der Umsatzsteuer -, 4. den Antrag der Abgeordneten Struve und Genossen betreffend Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache 1628 -, nämlich den Antrag- auf Umsatzsteuerbefreiung der Landwirtschaft, für erledigt zu erklären, 5. die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären und 6. die Entschließung zu fassen, daß auch die Berliner Abmelkställe als landwirtschaftliche Betriebe gelten. Der Bundestag möge in diesem Zusammenhang die Erwartung aussprechen, daß der Senat von Berlin die hiernach als landwirtschaftlicher Betrieb anerkannten Abmelkställe von der Gewerbesteuer freistellen möge.
Ich bitte Sie, diesem Antrag des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen zu entsprechen.
Ist auch Ihr Bericht zu Punkt 3 c der Tagesordnung schon als erstattet anzusehen?
Dr. Eckhardt ({0}), Berichterstatter: Nein, noch nicht. Ich kann den Bericht sofort erstatten; ich nehme aber an, daß zur Frage der landwirtschaftlichen Umsatzsteuerbefreiung Anträge gestellt sind.
Bis jetzt noch nicht. Ich würde vorschlagen, daß Sie vielleicht auch schon Ihren Bericht zu Punkt 3 c der Tagesordnung erstatten, so daß wir dann die beiden Punkte gemeinsam beraten und über sie beschließen können.
Dr. Eckhardt ({0}), Berichterstatter: Es handelt sich um den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Umsatzsteuerbefreiung für Milch vom 16. September 1955, Drucksache 1677. Die Fraktion der SPD hat beantragt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundestag ersucht die Bundesregierung, unverzüglich eine Novelle zum Umsatzsteuergesetz vorzulegen, durch die die Frischmilch auf allen Stufen von der Umsatzsteuer befreit wird.
Im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen ist klargestellt worden, daß bereits alle der Einzelhandelsstufe vorangehenden Stufen des Milchhandels und der Milcherzeugung von der Umsatzsteuer freigestellt sind und daß ferner ein ermäßigter Steuersatz für Milch' von 11/2 % mit Wirkung ab 1. Februar 1956 eingeführt worden ist. In Übereinstimmung mit einem Beschluß des Ernährungsausschusses glaubt er Ihnen daher vorschlagen zu sollen, den Antrag Drucksache 1677 abzulehnen.
Ich danke Ihnen, Herr Berichterstatter.
Ich stelle dann Punkt 3 a und c der Tagesordnung gemeinsam zur Beratung und mache nochmals darauf aufmerksam, daß sich Punkt 3 b dadurch erledigt, daß er im Bericht und in dem Antrag des Ausschusses schon unter 3 a enthalten ist.
Ich komme nunmehr zu dem Antrag des Ausschusses unter Ziffer 1 der Drucksache 2749 [neu], der dahin geht, „den Gesetzentwurf Drucksache 2379 in der aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlichen Fassung anzunehmen". Ich bitte, die Drucksache zur Hand zu nehmen.
Ich rufe auf Art. 1 in der Fassung des Ausschusses. Wird dazu das Wort gewünscht? - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer für den Art. 1 in der Fassung des Ausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen.
Ich stelle zur Debatte Art. 2 des Ausschußantrags. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer den Art. 2 anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 2 ist angenommen.
Art. 3 in der Fassung der Regierungsvorlage. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Ich bitte diejenigen, die für den Art. 3 zu stimmen wünschen, um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Art. 3 ist angenommen.
Art. 4. Ich eröffne die Debatte. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer dafür zu stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die* Gegenprobe. - Enthaltungen? - Angenommen.
Einleitung und Überschrift. - Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Debatte. Wer Einleitung und Überschrift anzunehmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe bitte! - Enthaltungen? - Einleitung und Überschrift sind angenommen.
Damit ist das Gesetz in der zweiten Beratung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein. Ich rufe auf Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Art. 4, - Einleitung und Überschrift. - Herr Kollege Mensing, bitte schön!
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Wenn ich mich zur Umsatzsteuerbefreiung der Landwirtschaft in der dritten Lesung äußere, so tue ich das, um auf bestimmte Unebenheiten hinzuweisen, die nicht geeignet sind, dazu beizutragen, daß das Gesetz der steuerlichen Gleichheit und Gerechtigkeit entspricht. Meine Freunde und ich billigen die in der Drucksache 2379 vorgesehene Änderung des Umsatzsteuergesetzes wie auch die Empfehlung im Mündlichen Bericht des Ausschusses für Finanz-und Steuerfragen in Drucksache 2749 zu diesem Änderungsgesetz. Bedenken werden jedoch erhoben gegen einen Teil der Begründung der Bundesregierung in Drucksache 2379, wonach ge({0})
schlachtete Tierkörper in Zukunft als landwirtschaftliche Erzeugnisse gelten sollen. Es heißt dort:
Seit mehreren Jahren ist die Landwirtschaft in einige a Gegenden zur Totverwertung der von ihr gezüchteten Tiere übergegangen. Als landwirschaftliche Erzeugnisse werden jedoch nur ganze, halbe oder gevierteilte Tierkörper, also Schafe oder Kälber, Schweinehälften und Rinderviertel, anerkannt werden können. Verkauft ein Landwirt dagegen das Fleisch geschlachteter Tiere in kleineren Teilen, so muß er diese Lieferungen nach dem allgemeinen Steuersatz versteuern.
Hierzu dürfte aber auch hinsichtlich der vom Bundestag und von der Bundesregierung gewollten Verbesserung der landwirtschaftlichen Ertragslage keine Veranlassung vorliegen. Nach der Umsatzsteuerstatistik für 1950 haben von 2 011 000 land-und forstwirtschaftlichen Betrieben 1 089 000 Betriebe keine Umsatzsteuer gezahlt. Durch den Erlaß des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Freistellung von der Umsatzsteuer bei einem Jahresumsatz von nicht mehr als 80 000 DM für die ersten 8000 DM - ist eine weitere fühlbare Erleichterung für die landwirtschaftlichen Betriebe eingetreten. Darüber hinaus gibt das Kurzprotokoll über die 108. Sitzung des Ernährungsausschusses Aufschluß. Von 822 000 umsatzsteuerpflichtigen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben kommen 808 500 in den Genuß der am 1. Oktober wirksam gewordenen Umsatzsteuermaßnahme. Es verbleiben daher nur noch 13 500 Betriebe, die voll umsatzsteuerpflichtig sind. Eigentlich müßte der Bundestag wegen der Geringfügigkeit das nunmehr anstehende 8. Änderungsgesetz ablehnen. Wenn nun die Landwirtschaft für den Eigenverbrauch und die Lieferungen ihrer Erzeugnisse, die nach der Verkehrsauffassung wirklich als landwirtschaftliche Erzeugnisse anzusprechen sind, von der Umsatzteuer freigestellt wird, dann werden doch effektiv nur die Lieferungen von ausgeschl achteten Tierkörpern umsatzsteuerpflichtig bleiben. Diese würden aber im Regelfalle keinen Jahresumsatz von 8000 DM ausmachen, denn das sind immerhin 30 Schweine im Jahr, die umgesetzt werden müßten, und zwar geschlachtet und nicht lebend. Diese Zahl mag für jeden einzelnen überaus interessant sein. Es lohnt wirklich nicht, daß auf einer solchen Regelung bestanden wird. - Ja, meine Herren, Sie brauchen nicht darüber zu lächeln ; dies ist eine ernste Frage. Denn als Bundestagsabgeordneter, der die Allgemeinheit zu vertreten hat, kann man unmöglich seine Zustimmung dazu geben, daß einzelnen Berufsgruppen ein steuerliches Ubergewicht hinsichtlich des Wettbewerbs gegeben wird und eine andere große Berufsgruppe nicht mehr wettbewerbsfähig bleibt.
Nach meiner Auffassung ist etwas anderes beabsichtigt, und zware die umsatzsteuerliche Freistellung der landwirtschaftlichen Genossenschaften, die im Namen und für Rechnung der Landwirte das produktionsnahe Schlachten zum Zwecke des Totversandes durchführen wollen. Dieser Gruppe wird dadurch der Weg für eine marktbeherrschende Position geebnet. Zum mindesten werden aber die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Marktanteil der landwirtschaftlichen Genossenschaften sich erheblich ausweiten kann. Der Lebendviehanteil auf den Schlachthöfen wird mit Bestimmtheit ständig zurückgehen, dagegen der Totversand in einigen Jahren das marktbeherrschende Bild darstellen. Der Versandschlachter
wird zwar zunächst gewisse Vorteile erhalten, sich aber bald der verstärkten Genossenschaftskonkurrenz ausgesetzt sehen. Das wird auch auf den selbständigen Viehhandel zutreffen, der zwangsläufig auf die Versandschlachterei ausweichen muß.
Es ist außerordentlich bedauerlich, daß dem gemeinsamen Antrag aller Wirtschaftsgruppen einschließlich der Verbraucher auf Senkung der Umsatzsteuer für Vieh und Fleisch von 4 auf 11/2 % bisher noch nicht stattgegeben worden ist. Wenn für Fleisch der ermäßigte Steuersatz wie für die anderen Grundnahrungsmittel bestünde, gäbe es überhaupt keine Diskussion über dieses Problem. Es rächt sich eben heute, daß man bei der Beratung des Vieh- und Fleischgesetzes damals meinen Antrag abgelehnt hat. Es wird begrüßt. daß die Landwirtschaft im Bundesmarktverband Vieh und Fleisch die generelle Forderung „Fleisch gleich Grundnahrungsmittel" im Sinne des Umsatzsteuerrechts gestellt hat und einen Antrag auf Herabsetzung der Umsatzsteuer von 4 auf 11/2 % über das Bundesernährungsministerium beim Bundesfinanzministerium eingebracht hat.
ich möchte hei dieser Gelegenheit auf die Auswirkungen hinweisen. die durch eine Umsatzsteuerbefrejung in diesem Fall eintreten. Meine Freunde und ich bejahen die Maßnahmen der Regierung der Landwirtschaft für ihre Urprodukte Umsatzsteuerfreiheit zu gewähren. Wenn aber die Absicht durchgeführt würde. die Umsatzsteuerfreiheit nicht nur für die Urnrodukte der Landwirtschaft auszusprechen sondern auch auf den Varkauf von Hälften. Vierteln und ganzen geschlachteten Tieren auszudehnen. dann hat dies Maßmvirre Folgerungen für die gewerbliche Fleischwirschaft den Viehhandel und das Vieh- und Schlachthofwesen, die weder vom Staat gewollt sind noch unsererseits unbeantwortet bleiben können.
Es sind Folgerungen, die zu einer Existenzgefährdung einzelner Berufszweige führen und die städtischen Viehmarkt- und Schlachthofanlagen, in denen erhebliche allgemeine Steuergelder investiert sind, zum Erliegen bringen. Das kann weder von der Landwirtschaft beabsichtigt sein noch von der Allgemeinheit gutgeheißen werden. Im einzelnen darf ich auf die Eingabe vom 19. Oktober, die allen Abgeordneten vorliegen dürfte, hinweisen.
Meine Freunde und ich können daher erwarten, daß diesem Standpunkt Verständnis entgegengebracht wird. Auch die Allgemeinheit kann erwarten, daß das Gesetz so gestaltet wird, wie es ursprünglich gedacht war: Beschränkung der Umsatzsteuerfreiheit auf die Urproduktion und den landwirtschaftlichen Eigenverbrauch. Eine andere Entscheidung des Bundestages hinsichtlich einer Ausweitung der Umsatzsteuerfreiheit muß als eine Maßnahme, die mit dem Grundgesetz und der Gleichheit in der Besteuerung nicht in Einklang zu bringen ist, abgelehnt werden. Sollte die Vorlage, wie vorgesehen, angenommen werden, ist damit zu rechnen, daß Verfassungsklage eingereicht wird.
({1})
- Auf diesem Gebiet, Herr Kollege Kriedemann,
sind ja Ihre Parteifreunde besonders bewandert.
({2})
Ich werde dann zu Ihnen kommen, damit Sie mich beraten, damit wir das auch richtig machen und Erfolg erzielen.
({3})
({4})
Die Bundesregierung hat ihre Auffassung, wie ich bereits eingangs erwähnt habe, wie folgt festgelegt:
Seit mehreren Jahren ist die Landwirtschaft in einigen Gegenden zur Totverwertung der von ihr geschlachteten Tiere übergegangen. Als landwirtschaftliche Erzeugnisse werden jedoch nur ganze, halbe oder gevierteilte Tierkörper, also Schafe oder Kälber, Schweinehälften und Rinderviertel, anerkannt werden können. Verkauft dagegen ein Landwirt das Fleisch geschlachteter Tiere in kleineren Teilen, so muß er diese Lieferungen nach dem allgemeinen Steuergesetz versteuern.
Zu dieser Problematik sei festgestellt, daß es sich hier nicht um eine organische Entwicklung handelt, sondern um eine Entwicklung, die im Jahre 1945 ausgelöst worden ist, und zwar durch die unglückselige Abtrennung der Ostgebiete und durch die Einteilung der Reichshauptstadt Berlin in vier Sektoren. Der Vieh- und Schlachthof der Stadt Berlin Llegt bekanntlich im sowjetischen Sektor. Der Westsektor der Reichshauptstadt Berlin hat also keine Einrichtungen, und man war in Berlin, um sich zu versorgen, darauf angewiesen, das Fleisch nach Berlin zu bringen. Die früheren Liefergebiete wie Mecklenburg, Pommern, Ostpreußen und Brandenburg waren weggefallen. Hinsichtlich der Schweinefleischversorgung mußte man sich auf Schleswig-Holstein und vor allem auf Niedersachsen konzentrieren. Weil nun in Berlin überhaupt keine Möglichkeit bestand zu schlachten, hat diese Entwicklung dazu geführt, daß das Lebendvieh in Niedersachsen und Schleswig-Holstein geschlachtet und dadurch der Fleischversand nach Berlin in großem Maße aufkam. Ich bin der Auffassung, daß bei einer solchen, durch den Zwang der außenpolitischen Verhältnisse entstandenen Entwicklung nicht davon gesprochen werden kann, daß es sich hier um eine organische Entwicklung handelt.
Es darf auch nicht Aufgabe des Gesetzgebers und der Bundesregierung sein, Entscheidungen darüber zu treffen, was unter dem Begriff Verkehrsauffassung zu verstehen ist. Die Verkehrsauffassung muß sich frei und unabhängig entwickeln können, und diese Entwicklung darf nicht durch einen Gesetzgebungsakt behindert werden. Es ist Sache der Rechtsprechung, festzustellen, ob ein Wandel in der Begriffsauffassung von der Vieh- und Fleischwirtschaft über die Beurteilung geschlachteter Tiere eingetreten ist oder nicht. Nach meiner Meinung sind Schweinehälften, Rinderviertel und ausgeschlachtete Tierkörper gewerbliche Erzeugnisse. Damit dürfte die Auffassung der Bundesregierung in der von mir bereits erwähnten Begründung in Drucksache 2379 hinfällig sein.
Würde der vorliegende Gesetzentwurf mit der Begründung in Drucksache 2379 angenommen werden, daß geschlachtete Tiere in Form von ganzen, halben oder gevierteilten Tierkörpern als Produkte der Landwirtschaft angesehen werden, dann wäre damit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit landwirtschaftliche Genossenschaften nicht nur die Schlachtung vornehmen, sondern auch zur Verarbeitung übergehen, wie dies z. B. in Württemberg in einem Falle bereits geschieht.
Ich selbst bedaure, daß ich durch einen Autounfall am Abend vorher daran gehindert war, in der Sitzung des Ernährungsausschusses, in der
diese Frage behandelt wurde, ähnliche Ausführungen zu machen. Vielleicht wäre dann der Beschluß anders ausgefallen.
({5})
- Sicher nicht, Herr Kollege Kriedemann? - Na!
Nun hatte ich die Absicht, namens meiner Freunde - ({6})
- Die Namen stehen unter dem Antrag. Wenn Sie eine solche ironisierende Zwischenbemerkung machen, dann muß ich sagen: ich bedaure diese und weise sie als ungeziemend zurück.
({7})
Ich hatte die Absicht, einen Änderungsantrag zu stellen. Nachdem mich eine Anzahl maßgebender Experten überzeugt haben, daß mein Änderungsantrag nicht richtig sei, habe ich den Antrag umgeändert in einen Initiativantrag und bitte, diesen Antrag dem Finanz- und Steuerausschuß zur Beratung zu überweisen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Sie haben die Überschrift des Antrags von „Änderungsantrag" in „Initiativantrag" geändert. Initiativanträge kennen wir an sich nicht. Wir kennen nur selbständige Anträge und Änderungsanträge. Wenn ich recht verstehe, ist das ein Änderungsantrag zu § 4 in der dritten Lesung, in der wir uns befinden.
Der Antrag soll an den Steuer- und Finanzausschuß überwiesen werden! Darf ich ihn vorlesen?
Bitte, lesen Sie ihn vor. Er ist ja noch nicht verteilt.
der Antrag, der im Ausschuß diskutiert werden soll, lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
§ 4 Ziffer 19 wird folgender Satz hinzugefügt: Die Lieferungen von geschlachtetem Vieh, ausgenommen von Geflügel und notgeschlachtetem Vieh, sind steuerpflichtig.
Herr Abgeordneter, ich muß leider auf folgendes aufmerksam machen: Wenn Sie hier einen selbständigen Antrag stellen wollen, dann muß er, bevor er überwiesen werden kann, erst auf die Tagesordnung gesetzt werden. Ich bedaure deshalb, diesen Änderungsantrag nur als Änderungsantrag zur dritten Lesung betrachten zu können.
({0})
Das ist er doch: ein Änderungsantrag zur dritten Lesung.
({1})
- Gut! Der Begriff „Initiativantrag" wird also gestrichen; es handelt sich um einen Änderungsantrag zu § 4 Ziffer 19.
Bevor ich darüber abstimmen lasse, hat Herr Abgeordneter Kriedemann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, diesem Änderungsantrag nicht stattzugeben, sondern ihn schlicht und einfach abzulehnen. Natürlich haben
({0})
wir uns sowohl im Ernährungsausschuß wie, das glaube ich unterstellen zu können - ({1})
Einen Augenblick! Herr Abgeordneter Mensing, Sie ziehen den Antrag zurück?
({0})
- Herr Kollege Mensing, in den Ausschuß kommt der Antrag nicht. Aber vielleicht kann im Ausschuß ohne Antrag über die Sache gesprochen werden. Wenn Sie das befriedigt, ist die Angelegenheit erledigt.
Es kommt nicht oft vor, daß man mit dem Vorschlag, einen Antrag abzulehnen, gleich einen so durchschlagenden Erfolg hat, daß der betreffende Antragsteller sich davon überzeugen läßt und seinen Antrag sozusagen postwendend zurückzieht.
Aber obwohl Herr Mensing den Antrag jetzt zurückgezogen hat, stehen, wie man leider zu sagen pflegt, einige Ausführungen von ihm hier im Raum, die ich nicht unwidersprochen lassen möchte. Es dreht sich gar nicht darum, den Metzgern das Handwerk zu legen. Es dreht sich auch nicht darum, irgendwelche schlechten Sitten bei der Landwirtschaft einzuführen. Es kann aber der Landwirtschaft das Recht nicht bestritten werden, von Fall zu Fall - das muß in der freien Entscheidung derjenigen liegen, denen die Tiere gehören
- auch zur Totverwertung überzugehen. Schließlich ist es ein schweres Handikap für den Landwirt, daß er - aus sehr begreiflichen Gründen ist es so im Gesetz verfügt - das Vieh, das er auf den Markt aufgetrieben hat, auf dem Markt lassen muß, auch wenn ihm die Preisbildung auf dem Markt nicht gefällt. Er kann es nicht wieder mit nach Hause nehmen. Wenn wir von den Landwirten soundso oft verlangen, sie möchten doch das ihre zu dem Marktausgleich beitragen, müssen wir ihnen auch eine Gelegenheit dazu geben, und die Totverwertung ist eine moderne Form dazu. Daß die- Bäume dadurch nicht in den Himmel wachsen und daß wir durchaus auch das Bedürfnis haben, Wirkung und Gegenwirkung zum Zuge kommen zu lassen, wird der Herr Kollege Unertl nachher hier begründen, wenn er einen Entschließungsantrag vorlegt, der aus den Beratungen im Ernährungsausschuß stammt, nachdem dieser Antrag im Ernährungsausschuß leider nicht zur Abstimmung gekommen ist. Es dreht sich auch nicht darum, daß hier sozusagen ein Genossenschaftsmonopol heraufbeschworen werden soll.
Ich möchte darum mit allem Nachdruck betonen
- und damit schließen -, daß der Landwirtschaft das Recht auf Totverwertung nicht bestritten werden darf. Niemand hat die Möglichkeit, darin etwa eine Benachteiligung oder gar eine Diskriminierung zu sehen. Nachdem der Antrag Mensing ja nun zurückgezogen ist, hoffe ich, daß auch die Irrtümer, die durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Mensing möglicherweise irgendwo entstanden sind, ausgeräumt sind.
Meine Damen und Herren, der Antragsteller, Herr Abgeordneter Mensing, hat mir mitgeteilt, daß er diesen Antrag
als Änderungsantrag zurückzieht. Er behält sich
vor, den Antrag als selbständigen Antrag dem
Hause vorzulegen. Damit ist diese Sache erledigt.
Das Wort hat der Kollege Unertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen die Debatte bestimmt nicht länger ausdehnen als nötig - wir wissen, daß heute noch Fragen im Hause anstehen, die uns alle beschäftigen, Fragen der Jugendgesetzgebung -; ich möchte aber ganz kurz zum Abschluß folgendes vortragen. Meine Freunde - die Abgeordneten Dr. Dollinger, Dr. Dresbach, Höcherl und Kriedemann und die weiteren Unterzeichner - haben eine Entschließung*) eingebracht. Mit ihr soll erreicht werden, daß die ganze Angelegenheit noch einmal im Finanz- und Steuerausschuß zur Behandlung kommt. In der Entschließung heißt es:
Die Bundesregierung wird ersucht,
bei der Verkündung des vorstehenden Gesetzes folgende Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz im Verordnungswege in Kraft zu setzen:
Dann heißt es im Wortlaut weiter:
Dem § 57 Abs. 2 UStDB in der Fassung der 6. Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 14. August 1954 wird folgende Ziffer 4 hinzugefügt:
Rinder, Kälber, Schweine, Schafe und
Pferde, geschlachtet und die Tierkörper im
ganzen, in Hälften oder gevierteilt geliefert.
Damit fallen sie unter die Befreiung oder unter die Änderung in der Umsatzsteuer.
Die Frage selbst wurde im Ernährungsausschuß eingehend behandelt, und die Tatsache, daß die Materie als solche wichtig ist, hat auch dazu geführt. daß heute Herr Kollege Mensing hier seine Ausführungen machte. Ich möchte mir weitere Ausführungen ersparen, weil ja der ganze Komplex von Fachleuten - von Leuten, die mit der Materie besser vertraut sind - noch einmal im Unterausschuß „Umsatzsteuerfragen" behandelt wird. So lautete auch das einstimmige Votum, das vom Ernährungsausschuß kam.
Ich darf hier der Wahrheit gemäß erklären, daß gerade Herr Kollege Kriedemann sich wärmstens für die Hereinnahme der Gruppen, die sich heute benachteiligt fühlen, ausgesprochen hat. Ich kann die Empörung in weiten Kreisen, sagen wir, der Metzger, verstehen; aber es ist eben die Aufgabe eines Parlaments und der Abgeordneten, zu verhindern, daß gewisse Gruppen benachteiligt werden. Deswegen bitte ich um Annahme dieser Entschießung, weil damit die Gewähr gegeben wird, daß der ganze Fragenkomplex noch einmal im zuständigen Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen einer gerechten Behandlung unterzogen wird. Ich hoffe in Anbetracht der Sachlichkeit und Objektivität, mit der bisher alle Fragen dort behandelt wurden, bestimmt, daß wir dort zu einer Einigung kommen. Besser wäre es gewesen, wenn sich die beteiligten Gruppen vorher geeinigt hätten.
Ich bitte Sie daher, der Entschließung zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Dr. Eckhardt!
*) Siehe Anlage 3.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, in meinem Bericht hervorzuheben, daß die Frage der Totverwertung und die Fragen, die im Zusammenhang damit das Schlachtereigewerbe, insbesondere die Großschlächter, interessieren, im Finanzausschuß eingehend behandelt worden sind. Der Finanzausschuß hat beschlossen, diese Fragen, die ja nicht ganz leicht zu behandeln sind und mannigfache Probleme bergen, seinem Unterausschuß für Umsatzsteuer zur Behandlung zuzuweisen, und zwar im Rahmen des Auftrags, den der Bundestag dem Finanzausschuß erteilt hat, nämlich das gesamte Umsatzsteuerrecht daraufhin zu prüfen, wieweit es den Anforderungen entspricht, die heute finanzpolitisch und wirtschaftspolitisch an die Umsatzsteuer gestellt werden müssen. Im Rahmen dieser Erörterungen werden das Anliegen des Herrn Kollegen Mensing und selbstverständlich das Anliegen des Herrn Kollegen Unertl eingehend geprüft und erörtert werden.
Ich danke vielmals. - Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht.
Meine Damen und Herren! Ich bitte die Antragsteller, die wünschen, daß der Entschließungsantrag heute gleich nach der Verabschiedung des Gesetzes angenommen wird, zu bedenken, daß dieser Antrag nicht schriftlich vorliegt und daß einzelne die Materie nicht so genau kennen. Ich möchte vorschlagen, es doch bei der Erklärung des Abgeordneten Dr. Eckhardt sein Bewenden haben zu lassen, der beantragt hat, daß der Gesamtkomplex der Materie - so hatte der Ernährungsausschuß auch schon beschlossen - dem Unterausschuß für Umsatzsteuerfragen des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen überwiesen wird. Damit wird ja Ihr Anliegen weiter behandelt.
Herr Abgeordneter Unertl!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bauknecht, wir wollen mit dem Entschließungsantrag das gleiche, was Sie wollen. Damit aber - das ist ja der Wille der Antragsteller - die Sache schriftlich vorliegt und die Gewähr gegeben ist, daß der Antrag behandelt wird, haben wir den Entschließungsantrag, den ich im Wortlaut vorgelesen habe - der kein Geheimnis ist -, eingebracht. Ich bitte das Hohe Haus noch einmal, dem Entschließungsantrag zuzustimmen und desgleichen dem zu folgen, was der Kollege Eckhardt will: den Entschließungsantrag als Material für die Bundesregierung und an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - Unterausschuß Umsatzsteuer - zu überweisen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da heißt es, ich solle aufhören. Das ist ja vollkommen geschäftsordnungswidrig, was hier unternommen wird. Dazu kann ich doch nicht schweigen; da müßte ich ja meine ganze Vergangenheit verleugnen!
({0})
Das geht ja alles durcheinander! Sie können den
Entschließungsantrag, der hier vorliegt und der
uns vorgelesen worden ist, dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführendem Ausschuß und dem Ernährungsausschuß zur Mitberatung überweisen; damit ist die Geschichte erledigt.
({1})
- Das ist aber nicht gesagt worden!
Meine Damen und Herren, man kann immer noch etwas hinzulernen. So schwierig ist die geschäftsordnungsmäßige Lage nicht. Ich habe die Worte des Herrn Abgeordneten Unertl so verstanden, daß er auch mit einer Überweisung einverstanden wäre. Ich hätte deshalb als erstes den Antrag auf Überweisung zur Abstimmung gestellt und werde das nachher auch tun. - Zunächst Herr Abgeordneter Kriedemann!
kriedemann ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als einer der Mitunterzeichner dieses Antrags und als ein Mann, der von der Dringlichkeit dieser Angelegenheit zur Wiederherstellung der Wettbewerbsgleichheit überzeugt ist, würde ich es außerordentlich bedauern, wenn Herr Kollege Unertl bei seiner Zusage bliebe, sich mit einer Überweisung an den Ausschuß zu begnügen. Wir haben hier durchaus die Möglichkeit - soweit ich die Geschäftsordnung kenne -, über den Entschließungsantrag abstimmen zu lassen. Das ist dann mehr als eine Überweisung an den Ausschuß. Das ist ein Votum des Bundestags, ein Ersuchen an die Regierung, eine klare Willenskundgebung des Bundestags in einer Angelegenheit, von der ich glaube sagen zu dürfen, daß sie nicht so kompliziert ist, daß sie einer eingehenden Ausschußberatung bedarf. Wir haben inzwischen ja wohl alle Gelegenheit gehabt, mit den Problemen Bekanntschaft zumachen, nicht nur weil, wie üblich, die Interessenten von der einen und der anderen Seite uns ihren Standpunkt dargetan haben - das ist ihr sehr gutes Recht -, sondern weil wir uns auch schon mit einer normalen Portion gesunden Menschenverstandes an Hand der Darlegungen unser eigenes Urteil bilden konnten. Ich möchte für meine Freunde, die diesen Antrag mit unterzeichnet haben, sagen, daß wir eine Abstimmung über diesen Entschließungsantrag hier und heute wollen.
Herr Abgeordneter Kriedemann, wenn ein Antrag auf Überweisung gestellt ist, geht er vor; darüber sind wir uns im klaren?
({0})
- Wenn der Überweisungsantrag abgelehnt wird, folge ich Ihrem Antrag und stelle den Entschließungsantrag hier zur Abstimmung.
({1})
- Ganz genau. Damit können wir die Sache wohl zum Abschluß bringen.
Weitere Wortmeldungen in der dritten Lesung liegen nicht vor. Ich schließe daher die allgemeine Aussprache in der dritten Lesung.
Ich komme zur Abstimmung. Abgestimmt wird zunächst über den Gesetzentwurf und nicht über den Entschließungsantrag; über den werden wir nachher gleich reden. Wer dem Gesetzentwurf in
({2})
der Fassung des Ausschusses unverändert, wie in der zweiten Lesung angenommen, in der dritten Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Offenbar bei einigen wenigen Enthaltungen ist dieses Gesetz mit großer Mehrheit angenommen.
({3})
- Verzeihen Sie, Herr Kollege Mensing! Ich will Ihnen nicht zumuten, daß Sie sich dann vom Platz erheben.
({4})
Ich habe es als Enthaltung angesehen. Es sind also einige Nein-Stimmen zu verzeichnen. - Das Gesetz ist angenommen.
Nun kommen wir zu den Entschließungen. Es liegen zwei Entschließungsanträge vor. Zunächst ist über den der Abgeordneten Unertl, Dr. Dollinger, Dr. Dresbach, Höcherl, Kriedemann und Genossen zu beschließen; das ist der Entschließungsantrag, über den eben diskutiert worden ist. Von dem Herrn Abgeordneten Unertl bzw. von Herrn Kollegen Dr. Horlacher ist Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - federführend -- und an den Ernährungsausschuß zur Mitberatung beantragt. Wer diesem Antrag auf Überweisung an die beiden Ausschüsse zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -- Das erste ist die Mehrheit; die Überweisung ist in der vorgeschlagenen Form beschlossen: Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen federführend. Ernährungsausschuß mitberatend.
Damit komme ich zur Abstimmung über den Entschließungsantrag des Ausschusses auf Drucksache 2749 unter Ziffer 6. Wer diesem Entschließungsantrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -Enthaltungen? - Dieser Entschließungsantrag ist einstimmig angenommen.
Meine Denen und Herren, ich kann keineswegs die von den Fraktionen der DP und der SPD eingebrachten Gesetzentwürfe, Drucksachen 858 und 1688, einfach für erledigt erklären lassen. Es sind Gesetzentwürfe, und sie müssen infolgedessen in der zweiten Lesung hier behandelt werden.
Ich rufe deshalb auf: Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, Drucksache 858. Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden, daß ich die Art. 1, 2, 3 und Einleitung und Überschrift gleichzeitig aufrufe. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Artikeln. Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit ist er erledigt.
Ich rufe auf den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, Drucksache 1688. Ich nehme an, daß das Haus einverstanden ist, wenn ich verbinde Art 1, 2. 3, Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Die Beratung ist geschlossen. Wer den aufgerufenen Artikeln, Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Gesetzentwurf ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Mündlichen Bericht des Aus- e schusses für Finanz- und Steuerfragen über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Umsatzsteuerbefreiung für Milch, Drucksache 2751. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Der Antrag des Ausschusses lautet: „Der Bundestag wolle beschließen, den Antrag - Drucksache 1677 - abzulehnen." Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Damit komme ich zu Ziffer 4 des Ausschußantrags auf Drucksache 2749 ({5}). Der Ausschuß schlägt vor, den Antrag der Abgeordneten Struve usw., Drucksache 1628, für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Punkt 5 des Ausschußantrags: „Der Bundestag wolle beschließen, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären". Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Damit sind, wenn ich recht sehe, sämtliche Punkte dieser Vorlageerledigt.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Jugendfragen ({6}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Errichtung eines Instituts für Jugendfragen ({7}).
Bevor ich dem Herrn Berichterstatter das Wort gebe, erteile ich das Wort dem Herrn Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor Beginn der Debatte über Fragen der Jugendpolitik möchte ich namens der Bundesregierung einige grundsätzliche Bemerkungen machen und einige Tatsachen mitteilen.
Ich kann aber die Bemerkung nicht unterdrükken, daß ich es begrüßt hätte, wenn wir für die Debatte über die Jugendfragen eine etwas frühere Zeit heute zur Verfügung gehabt hätten
({0})
- ich darf das doch als meinen Wunsch aussprechen, Herr Kollege Menzel -,
({1})
angesichts der Tatsache, daß es zahlreiche junge Menschen sind, die dieser Debatte sehr gerne beiwohnen wollen.
Meine Damen und Herren, das Kernstück der Jugendpolitik des Bundes bildet der Bundesjugendplan. Ich habe in diesen Tagen den Mitgliedern des Jugendausschusses des Hohen Hauses einen Generalbericht über die Durchführung und die Ergebnisse von sieben Jahren Bundesjugendplan zugeleitet. Ich möchte nunmehr auch für die größere Öffentlichkeit einiges aus diesem Erfahrungsbericht bekanntgeben.
({2})
Aus den Mitteln des Bundesjugendplans sind bisher insgesamt 220 Millionen DM für Zwecke der sozialen Jugendhilfe und der Jugendbildung ausgegeben worden. Mit dieser finanziellen Förderung des Bundes wurden unter anderem folgende Ergebnisse erzielt.
Es konnten 800 Lehrlings- und Jugendwohnheime errichtet werden. In diesen Heimen und in ohne Bundeshilfe errichteten weiteren 600 Heimen fanden 641 000 Lehrlinge und Jungarbeiter Aufnahme. Es sind 4600 berufsfördernde Einrichtungen wie Grundausbildungslehrgänge, Lehrwerkstätten usw. errichtet worden. In ihnen wurden 152 000 Jugendliche betreut. Diese Maßnahmen stellen einen entscheidenden Beitrag zur Beseitigung der Jugendberufsnot dar.
Aus dem Gebiet der Bildung und Erziehung möchte ich folgendes hervorheben. An Kursen und Seminaren für politische Bildung haben über 400 000 ältere Jugendliche und Jugendleiter teilgenommen.
Für mehr als 300 000 Jugendliche wurden internationale Begegnungstreffen, Fahrten und Aufbaulager durchgeführt.
Es wurde der Bau von 140 Jugendherbergen, zentralen Jugendhäusern und Bildungsstätten gefördert. Im Rahmen der Grenzlandprogramme haben mehr als 2000 örtliche Jugendheime eine Hilfe erhalten.
Es sind 480 Jugendbibliotheken, Jugendabteilungen in allgemeinen Volksbibliotheken und Büchereien in Heimen und Bildungsstätten unterstützt worden.
o Es sind 200 000 zusätzliche Plätze für die Erholung von Kindern und Jugendlichen geschaffen worden.
89 Studentenwohnheime sind errichtet worden. An den Bundesjugendspielen beteiligen sich jetzt jährlich über 4 Millionen Jugendliche.
Über 100 000 Jugendliche aus Berlin kamen zu Fahrten in die Bundesrepublik. Mindestens die gleiche Zahl von jugendlichen Wanderern und Teilnehmern an Begegnungstreffen aus der sowjetischen Besatzungszone haben eine Förderung erhalten.
Jeder vierte jugendliche Flüchtling aus der sowjetischen Besatzungszone nimmt an den mit Hilfe des Bundesjugendplans geschaffenen Eingliederungsmaßnahmen teil. Dazu gehören offene Jugendgemeinschaftswerke, Freizeiten und Umschulungskurse. Dazu kommen die vielfältigen Betreuungsmaßnahmen durch die Lagerdienste der freien Organisationen, die weitgehend aus dem Bundesjugendplan finanziert werden.
Lassen Sie mich nunmehr ein Wort zu den Methoden des Bundesjugendplans sagen. Der Bundesjugendplan wurde von Anfang an als Initiativplan ausgeführt. Durch ihn sollten die Träger der vielfältigen Hilfs- und Förderungsmaßnahmen, die Verbände der Jugendpflege und Jugendfürsorge, die Länder, die Gemeinden und die freie Wirtschaft angeregt werden, auch ihrerseits größere Beiträge für die Jugendarbeit zu geben. Ich darf feststellen, daß hierdurch die Mittel des Bundes mindestens vervierfacht worden sind.
Der Bundesjugendplan ist nach Anlage und Durchführung eine Gemeinschaftsleistung der staatlichen Stellen und der freien Organisationen.
Durch diese Zusammenarbeit, die in dem Kuratorium für Jugendfragen ihre äußere Form gefunden hat, ist eine Koordinierung vieler Kräfte über weltanschauliche, parteipolitische und föderative Grenzen hinaus erreicht worden.
Ein Wort zu den Plänen für die Zukunft. Die Maßnahmen des Bundesjugendplans haben großen Anteil daran, daß die Massennotstände in der deutschen Nachkriegsjugend heute zu einem erheblichen Teil als beseitigt gelten können. Aus diesen Tatsachen ist aber., nicht etwa der Schluß zu ziehen, daß der Staat nunmehr seine helfende Hand von der Jugend zurückziehen könne. Neue Probleme harren der Lösung. Die Bundesregierung ist deshalb gewillt, das Förderungsprogramm des Bundesjugendplanes weiterzuführen, in mancher Beziehung sogar auszubauen. Hierzu möchte ich Ihnen einige Überlegungen vortragen.
Die Entwicklung unserer Wirtschaft wird über kurz oder lang zu einer Verkürzung der Arbeitszeit auch für die jungen Menschen führen. Damit stellt sich das Problem, was der junge Mensch mit der neu gewonnenen Freizeit anfangen wird. Wir wissen, meine Damen und Herren, daß aus den verschiedensten Gründen die heutige Familie noch nicht überall wieder ausreichenden Raum und ausreichende Anregung für eine sinnvolle Verwendung der Freizeit bietet. Aber auch dort, wo Wohnung und Familie in Ordnung sind, ist es ganz natürlich, daß sich der heranwachsende Mensch allmählich von dem Zuhause löst und seine Betätigung im Kreise von Altersgenossen sucht. Wenn die Allgemeinheit nicht die Verantwortung dafür übernimmt, für diese jungen Menschen Möglichkeiten zum Zusammenkommen, zur Bildung und zur Selbstbildung zu schaffen, werden sie in Zukunft noch in viel größerem Maße gewissen Zweigen der sogenannten Vergnügungsindustrie preisgegeben sein, als das heute schon der Fall ist. Auf einen einfachen Nenner gebracht möchte ich sagen: Die heute vorhandenen Freizeiteinrichtungen müssen verdoppelt werden.
Mit der Vermehrung der Freizeit wird sich aber auch der Inhalt der Freizeitbetätigung verschieben. Während heute die Freizeitgestaltung noch vielfach einen einfachen Zeitvertreib darstellt, wird sie künftig mehr und mehr zu einer echten Bildungsmöglichkeit werden müssen. Die Qualität der Einrichtungen, die der Jugend hierfür zur Verfügung gestellt werden, muß deshalb wesentlich gesteigert werden.
Aus diesen Feststellungen ergibt sich, daß von allen, die es angeht, in dreifacher Hinsicht Vorsorge getroffen werden muß:
1. Es müssen Einrichtungen geschaffen werden, wie Spiel- und Sportplätze, Jugendheime, Klubheime, Jugendbibliotheken usw.
2. Es müssen Bücher, Filme und Bildungsschriften bereitgestellt werden.
3. Es müssen - und dies gehört mit zu dem Wichtigsten - Jugenderzieher in dem erforderlichen sehr großen Umfang gewonnen und herangebildet werden.
Diesen letzten Punkt, meine Damen und Herren, möchte ich noch etwas näher begründen. Heute führen die Jugendleiter und die Jugendpfleger in den Jugendgruppen, in den Jugendheimen und auch in den Jugendämtern vielfach ein Schattendasein. Ich meine. daß die großen vorhin angeführ({3})
ten Erfolge des Bundesjugendplans ihnen in erster Linie zu danken sind, und bedaure es daher sehr, daß in der Diskussion um Jugendfragen immer noch das herabsetzende Schlagwort vom „Jugendfunktionär" gebraucht wird.
({4})
Es ist notwendig, ihrer hohen Verantwortlichkeit für die gesamte Jugenderziehung viel mehr gerecht zu werden, ihre Ausbildung zu verstärken und, soweit sie hauptamtlich tätig sind, ihre Vergütung zu verbessern. Man verlangt von ihnen, daß sie die Jugend auf den vielfältigsten Gebieten anregen und anleiten, daß sie nicht nur Wissen und Fähigkeiten vermitteln, sondern Persönlichkeiten heranziehen und daß sie selbst in jeder Hinsicht der Jugend ein Vorbild geben. Wenn wir dem sogenannten freien Erziehungsraum außerhalb der Schule, des Elternhauses und des Betriebes Bedeutung beimessen, so dürfen wir nichts unversucht lassen, die Ausbildung der Erzieher dafür zu fördern und ihr Ansehen zu heben.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, einige Worte zu einem verstärkten Jugendschutz sagen. Die Bundesregierung stimmt den Grundgedanken des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit zu. Sie hält diesen Initiativentwurf für geeignet, die Lücken zu schließen und Mängel auszuräumen, die sich bei der Durchführung des Gesetzes vom 4. Dezember 1951 gezeigt haben. Einzelne sachliche und technische Änderungsvorschläge wird sie in den Ausschußverhandlungen vorbringen.
Ich möchte aber entgegen falschen Darstellungen hervorheben, daß die Freigabe der Filme für Kinder und Jugendliche nach wie vor den obersten Landesjugendbehörden zustehen soll. Es kann also keine Rede davon sein, daß durch den neuen Entwurf der Bundesregierung etwa ein Recht zur Filmzensur eingeräumt würde. Es bleibt wie bisher den Ländern überlassen, wie sie das Prüfungsverfahren bei Filmen durchführen.
Lassen Sie mich nun in diesem Zusammenhang ein offenes Wort zur Pressesituation hinzufügen.
Die meisten von uns, meine Damen und Herren, sind nicht nur nach unserer verfassungsgesetzlichen Ordnung, sondern aus Überzeugung Anhänger einer möglichst freien Presse. Wir sind uns darüber klar, daß eine Demokratie wie die unsere durch eine freie Presse eher vor den Gefahren aller Staatlichkeit bewahrt werden kann. Die freie Presse ist notwendig, um die Urteilsfähigkeit und das Verantwortungsbewußtsein der Öffentlichkeit zu schärfen. Gerade weil wir diese Grundeinstellung haben, können wir aber die Augen nicht davor verschließen, daß uns heute da und dort in der Presse eine Richtungs- und Bindungslosigkeit begegnet;
({5})
ein unbewußter, zwar geleugneter, doch gleichwohl tatsächlich praktizierter Nihilismus, der sich zu einer Gefahr für die Pressefreiheit selbst, für die Toleranz im öffentlichen Leben, insbesondere aber für die Jugend auszuwachsen droht.
({6})
Hervorstechende Merkmale sind die Sucht nach der Sensation gleich welcher Art, die Sucht nach der Enthüllung um jeden Preis. Von zahlreichen Seiten wird staatlicher Zwang hiergegen gefordert. Wahrscheinlich wäre staatlicher Zwang eher geeignet, das Übel um ein weiteres zu vermehren. Aber für alle, denen es ein echtes Anliegen ist, die Freiheit des Wortes auch in der Presse zu wahren, scheint es mir eine der dringendsten Aufgaben unserer Verantwortung zu sein, darauf hinzuwirken, daß diejenigen, die die Presse machen, sich an Werte gebunden fühlen, die den Nihilismus überwinden: an Glauben, Wahrheitsliebe, Sachlichkeit und an die Würde des einzelnen.
({7})
Hier, meine Damen und Herren, liegt ein weites Feld der Erziehung und die Notwendigkeit dauernder Wachsamkeit der Leser. Im Wettlauf mit der gewaltigen Kaufkraft des niedrigsten Massengeschmacks drohen seelische Werte zerstört zu werden. Es ist kein Ruhmesblatt, meine Damen und Herren, für diese Art von Publizistik, wenn der Vorsitzende des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof D. Dibelius, kürzlich gewissen sowjetzonalen Stellen das Kompliment machen zu können glaubte, daß dort die Jugend vor mancherlei übler Publikation besser bewahrt sei als bei uns in der Bundesrepublik.
({8})
Wir sehen wohl alle, daß sich hier Unsitten und ein Zynismus breitgemacht haben, die nur schwer zu überwinden sein werden. Glücklicherweise ist das auch die Sorge zahlreicher Journalisten selbst. Wir werden, so meine ich, in der geistigen Auseinandersetzung mit dem Osten und bei der Kräftigung unseres demokratischen Rechtsstaats nicht bestehen, wenn wir den Kampf um eine wirklich freie, nicht von der Sensationslust getriebene Presse, wenn wir den Kampf um eine verantwortliche Presse nicht endlich aufnehmen.
({9})
In diesen Zusammenhang gehören auch die, wie mir scheint, unberechtigten Angriffe auf das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften.
({10})
Wir praktizieren dieses Gesetz jetzt drei Jahre, wirklich, wie ich sagen möchte, nur mit größter Zurückhaltung. Ich darf daran erinnern, daß der Bundestag nur Bestimmungen von 1926 erneuert hat, die seinerzeit von Hitler außer Kraft gesetzt worden waren. Von diesen Bestimmungen haben wir maßvoll Gebrauch gemacht, um nicht unberechtigte Gegnerschaften hervorzurufen. Ich möchte dabei auf einen Aufsatz verweisen, den das „Sonntagsblatt" in seiner letzten Nummer unter der Überschrift „Ist Sauberkeit verfassungswidrig?" veröffentlicht. Dieser Aufsatz belegt, daß jetzt der Versuch gemacht wird, selbst diese bescheidene Schutzwaffe gegen das Überhandnehmen von Schmutz- und Schundpublikationen stumpf zu machen und auszuschalten. Der Ruf zur Verantwortlichkeit, der in diesem Aufsatz an Eltern, Erzieher, Schriftsteller und Verleger gerichtet wird, scheint mir ebenso nötig wie gerechtfertigt. Wir haben, meine Damen und Herren, eine, wie ich glaube sagen zu können, einigermaßen funktionierende freiwillige Selbstkontrolle auf dem Gebiet des Films. Mindestens so nötig wäre uns eine freiwillige und funktionierende Selbstkontrolle auf dem Gebiet des Schrifttums.
({11})
({12})
Wir sollten, meine Damen und Herren, diesen Appell zu einer freiwilligen Selbstbeschränkung an alle, die es angeht, unermüdlich wiederholen. Diese Frage gehört zu den wirklich lebenswichtigen. Hier geht ein schleichender Vergiftungsprozeß vor sich, dem nachdrücklicher als bisher entgegengewirkt werden muß.
({13})
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, einige Worte zu der Problematik einer Jugend in einem geteilten Vaterland. Ich betrachte es als eine unserer wichtigsten künftigen Aufgaben, immer noch mehr für die Flüchtlingsjugend aus der sowjetischen Besatzungszone zu tun, die jugendlichen Einzelbesucher, die in jedem Sommer von drüben kommen, zu fördern und Jugendlichen aus der Bundesrepublik Reisen in die Zone zu ermöglichen, damit auch auf diese Weise ein enger menschlicher Kontakt zu den von uns getrennten Deutschen gepflegt wird.
({14})
Darüber hinaus ist es wichtig, die vielfältigen Möglichkeiten, die für die politische Bildung unserer Jugend geschaffen wurden, für die geistige Auseinandersetzung mit dem Kommunismus fruchtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur darum, die Welt des Gegners kennenzulernen, sondern es geht noch mehr um die Einprägung der rechtsstaatlichen und gesellschaftlichen Wertordnung, in der wir selbst leben.
({15})
Hierbei, meine Damen und Herren, sollte in den Vordergrund gestellt werden, daß es in der Bundesrepublik wie in der ganzen westlichen Welt über alle weltanschaulichen und parteipolitischen Schranken hinaus viele gemeinsame Werte gibt, denen wir uns alle verpflichtet fühlen könner und sollen.
Ich habe versucht, meine Damen und Herren, Ihnen in kurzen Zügen neue Aufgaben unserer künftigen Jugendpolitik darzulegen. Dabei bin ich von der Überzeugung durchdrungen, daß die deutsche Jugend von heute in ihrer Gesamtheit durchaus intakt ist.
({16})
Diese Jugend steht mit ihrem guten Kern. mit ihrem Wollen und Streben früheren Generationen nicht nach.
({17})
Darauf können wir aufbauen. wenn wir die neuen Aufgaben in einer neuen Welt lösen wollen. die sieh stärker und stärker industrialisiert, bürokratisiert und mechanisiert. Die künftige Technik, deren gewaltige Entwicklung wir heute nur ahnen, muß nicht zwangsläufig zur Zerstörung des inneren Menschen führen. sondern sie kann und sollte genutzt werden, auch neue Wege in der Jugenderziehung zu beschreiten. Bei allen Aufgaben, die sich hier stellen, die nur irgend mögliche Hilfe zu geben wird die Bundesregierung immer bereit sein.
({18})
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Dr. Graf ({0}).
Dr. Graf ({1}) ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Antrag der Fraktion der SPD betreffend Errichtung eines Instituts für Jugendfragen, Drucksache 883, wurde vom Ausschuß für Jugendfragen in sechs Sitzungen beraten.
Bei Beginn der Aussprache wurde von der Seite der Antragsteller darauf hingewiesen, daß die Hauptaufgabe des Instituts zunächst in der Sammlung und Zusammenfassung des bereits vorliegenden wissenschaftlichen Materials und in der Koordinierung der Arbeiten aller Stellen bestehen solle, die auf dem Gebiet der Jugendfragen Untersuchungen anstellen. Im Anschluß daran könne es sich auch als notwendig erweisen, daß das Institut auch eigene Forschungsaufgaben aufgreife oder Forschungsaufträge erteile. Es wurde weiterhin festgestellt, daß das im Antrag geforderte zentrale Jugendarchiv, das dem Institut angeschlossen werden sollte, in Gestalt des 1947 gegründeten Deutschen Jugendarchivs in München bereits vorhanden ist.
Im weiteren Verlauf seiner Beratungen war der Ausschuß im die Klärung folgender Fragen bemüht: 1. verwaltungsmäßige Grundlagen, 2. Dekkungsvorschläge für die Kosten, 3. mögliche finanzielle Beteiligung der Länder, 4. Bestandsaufnahmen über die bereits vorhandenen Forschungsmöglichkeiten.
In einer Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern wurden für die Organisationsform des Instituts drei Möglichkeiten aufgezeigt: a) Angliederung an eine Universität, b) Trägerschaft einer juristischen Person des privaten Rechts, c) Einrichtung einer Bundesstelle. An Forschungseinrichtungen, die sich mit Jugendfragen beschäftigen, wurden vom Bundesministerium des Innern 56 Institute und 26 Arbeitsgemeinschaften und Fachverbände aufgeführt. Außerdem wurde auf folgende Lücken in der derzeitigen Jugendforschung hingewiesen: geistige Situation der Jugend, staatspolitische Erziehung, Sexualpädagogik, Fragen der ländlichen und der weiblichen Jugend, Stellung der Jugend zu religiösen Problemen, Fragen der Jugendpflege allgemein, Jugendstatistik, Jugendfragen der sowjetisch besetzten Zone, Jugendfragen des Auslands.
Bei den Beratungen über die Aufgaben des Instituts wurde von den Antragstellern gefordert, daß das Institut staatlich autorisiert sein müsse, um seine Aufgaben in Angriff nehmen und seinen Wünschen Beachtung verschaffen zu können. Zugleich dürfe es aber nach dem Grundsatz der Freiheit der Forschung keinen Sonderinteressen, auch nicht den staatlichen, unterworfen sein. Demgegenüber wurde von anderen Ausschußmitgliedern die Meinung vertreten, die beiden Forderungen staatliche Autorisierung des Instituts und Freiheit der Forschung - könnten sich in der Praxis als miteinander unvereinbar erweisen. Es wurde davor gewarnt, das Institut über seine wissenschaftlichen Sammlungs- und Auswertungsarbeiten hinaus zu einer staatlich autorisierten Führungs- und Ausbildungsstelle werden zu lassen.
({3})
Übereinstimmung dagegen ergab sich über die Organisationsform, nämlich die eines Eingetragenen Vereins. In diesem Zusammenhang wurde bereits vom Bundesministerium des Innern auf die Möglichkeit der Angliederung des Instituts an eine bereits vorhandene Einrichtung hingewiesen, z. B. an das Deutsche Jugendarchiv München oder
({4})
an die Arbeitsgemeinschaft Jugendpflege und Jugendfürsorge.
Der auf Grund der Beratungen in den ersten drei Sitzungen erarbeitete Entwurf eines Berichts zum Antrag Drucksache 883 lautet:
Die Bundesregierung wird ersucht,
auf die Errichtung eines Instituts für Jugendfragen im Rahmen folgender Grundsätze hinzuwirken:
1. Das Institut soll die an den deutschen Unviversitäten und anderweitig durchgeführte wissenschaftliche Forschung koordinieren, deren Ergebnisse zusammenfassen und für die Praxis verwertbar darbieten, Anregungen für Forschungen geben und selbst Forschungsarbeiten durchführen, soweit bereits vorhandene Einrichtungen dazu nicht in der Lage sind.
2. Das Institut soll dadurch in gleicher Weise der Förderung der praktischen Jugendarbeit wie auch der wissenschaftlichen Grundlegung der außerschulischen Jugenderziehung dienen.
3. Die Arbeit des Instituts soll vom Vertrauen aller in der Jugendarbeit wirkenden Kräfte getragen sein, der freien Jugendorganisation, der Wissenschaft und der staatlichen Stellen.
4. Die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung muß gesichert sein.
5. Rechtsträger des Instituts soll eine "Vereinigung Institut für Jugendfragen" sein. Der Herr Bundespräsident soll gebeten werden, etwa 20 bis 30 geeignete Persönlichkeiten zur Gründungsversammlung der Trägervereinigung einzuladen.
6. Der Herr Bundesminister des Innern soll ein Gremium von vier allseits anerkannten führenden Persönlichkeiten der Jugendarbeit und der Wissenschaft berufen, das dem Herrn Bundespräsidenten Vorschläge für die zur Gründungsversammlung einzuladenden Persönlichkeiten unterbreitet. Es sind Persönlichkeiten vorzuschlagen, die große praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Jugendarbeit bzw. der wissenschaftlichen Forschung haben. Sie sollen nicht als Vertreter irgendeiner Organisation oder Stelle, sondern im Interesse der gesamten Jugend tätig werden.
7. Das vom Herrn Bundesminister des Innern zu berufende Vorbereitungsgremium soll ferner für die Gründungsversammlung den Entwurf eines Statuts für die Vereinigung ausarbeiten. Dieser Entwurf soll u. a. folgende Bestimmungen vorsehen:
a) Neben dem für die Organisation des Instituts verantwortlichen Vorstand soll als beratendes Gremium ein wissenschaftlicher Beirat stehen, der die Leiter des Instituts bei der Planung und Durchführung der Institutsaufgaben zu beraten hätte. Der Beirat soll aus etwa sechs Persönlichkeiten bestehen, von denen je die Hälfte Wissenschaftler mit Erfahrung auf dem Gebiet der Jugendarbeit und Praktiker der Jugendarbeit mit wissenschaftlicher Vorbildung sein sollen.
b) Es soll gesichert werden, daß bei einer Veränderung des Mitgliederstandes der Trägervereinigung das Vertrauen aller beteiligten Gruppen erhalten bleibt.
8. Die Kosten des Instituts sollen durch einen langfristigen - zunächst mindestens fünf Jahre gültigen - Vertrag zwischen dem Bund und der Trägervereinigung gesichert werden. Die Grundsätze dieses Beschlusses des Deutschen Bundestages sollen Inhalt des Vertrages werden.
9. Die von dem Herrn Bundesminister des Innern vorgesehenen Vorbereitungsarbeiten sollen im Benehmen mit dem Ausschuß für Jugendfragen des Deutschen Bundestages durchgeführt werden.
So weit, meine Damen und Herren, dieser Berichtsentwurf, der nach den ersten drei Sitzungen des 15. Ausschusses ausgearbeitet wurde.
Am 1. März 1956 teilte der Herr Bundesminister des Innern dem Ausschuß folgendes mit:
Vereinbarungsgemäß wurden mit dem Deutschen Jugendarchiv e. V. München von November 1955 bis einschließlich Januar 1956 Verhandlungen geführt, die zum Ziel hatten, im Rahmen des Deutschen Jugendarchivs ein Studienbüro für Jugendfragen mit dem Sitz in Bonn einzurichten. Die Mitgliederversammlung des Deutschen Jugendarchivs hat mir in ihrer Sitzung am 20. Januar 1956 die . . . beigefügte Vereinbarung vorgeschlagen.
Der Entwurf dieser Vereinbarung zwischen dem Bundesminister des Innern und dem Jugendarchiv München lautet:
Im Rahmen des Deutschen Jugendarchivs wird mit Wirkung vom 1. März 1956 ein Studienbüro für Jugendfragen eingerichtet.
II.
Das Studienbüro hat folgende Aufgaben:
1. Zusammenfassung und Auswertung der in Einzeluntersuchungen dargebotenen Studien und Forschungen auf dem Gebiete der Jugendarbeit.
2. Erarbeitung von Gesamtberichten über die deutsche Jugendarbeit, in denen die Grundzüge der Entwicklung der Jugend und der Jugendhilfe dargelegt und das vorhandene statistische Material zusammengefaßt werden.
3. Beratung von wissenschaftlichen Instituten bei Studien und Forschungen auf dem Gebiet der Jugendarbeit.
4. Beratung von Bundes- und Länderministerien und anderen Stellen bei Gewährung von Beihilfen für Studien und Forschungen auf dem Gebiete der Jugendarbeit.
III.
Das Studienbüro wird im Haus der Jugendarbeit in Bonn eingerichtet. Die bisherige Zweigstelle des Deutschen Jugendarchivs in Bonn geht in dem Studienbüro auf.
({5})
IV.
Die Vereinigung „Deutsches Jugendarchiv München e. V." ist Trägerin des Archivs in München und des Studienbüros in Bonn. Ihr Sitz bleibt München.
V.
Der Vorstand des Deutschen Jugendarchivs München e. V. beruft gemäß § 8 der Satzung und im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern einen Beirat zur fachlichen Beratung des Deutschen Jugendarchivs München e. V. und des Studienbüros. Der Beirat soll sich zu zwei Dritteln aus Vertretern der Wissenschaft und zu einem Drittel aus Vertretern der Jugendarbeit zusammensetzen.
VI.
Der Vorstand des Deutschen Jugendarchivs München e. V. beruft für die Gesamtleitung des Deutschen Jugendarchivs und des Studienbüros einen Direktor, dessen Sitz in München ist.
VII.
Die Kosten des Studienbüros und des Beirats werden dem Verein vom Bundesminister des Innern im Rahmen der verfügbaren Mittel aus dem Bundesjugendplan gemäß den Richtlinien zu § 64 a RHO zur Verfügung gestellt, soweit nicht andere Mittel zur Verfügung stehen.
In der abschließenden Sitzung des Ausschusses am 12. September 1956 wurde daraufhin der ursprüngliche Berichtsentwurf, also der nach den
ersten drei Sitzungen entstandene, mit Mehrheit abgelehnt. Begründet wurde die Ablehnung besonders damit, daß nach dem gegenwärtigen Stand der Forschungsarbeit kaum ein Forschungsauftrag denkbar sei, der nicht an den bereits vorhandenen Instituten ausgeführt werden könne.
Der mit Mehrheit angenommene Antrag des Ausschusses, Drucksache 2684, lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
1. den Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 883 - durch die Erklärung der Bundesregierung, im Rahmen des Jugendarchivs ein Studienbüro für Jugendfragen zu errichten, für erledigt zu erklären,
2. der Bundesregierung zu empfehlen, mit dem Studienbüro für Jugendfragen folgende Aufgaben zu vereinbaren:
a) Zusammenfassung und Auswertung der in Einzeluntersuchungen dargebotenen Studien und Forschungen auf dem Gebiete der Jugendarbeit,
b) Erarbeitung von Gesamtberichten über die deutsche Jugendarbeit, in denen die Grundzüge der Entwicklung der Jugend und der Jugendhilfe dargelegt und das vorhandene statistische Material zusammengefaßt werden,
c) Erteilung von Auskünften für Studien und Forschungen auf dem Gebiet der Jugendarbeit,
d) Beratung von Bundes- und Länderministerien und anderen Stellen bei Gewährung von Beihilfen für Studien und Forschungen auf dem Gebiete der Jugendarbeit.
Der mitbeteiligte Haushaltsausschuß hat in seiner Sitzung am 27. September 1956 von diesem Mündlichen Bericht des Ausschusses für Jugendfragen - Drucksache 2684 - Kenntnis genommen. Er ist dabei einmütig zu der Auffassung gelangt, daß für ihn auf Grund dieses Berichts keine Veranlassung besteht, im Hinblick auf § 96 ({6}) der Geschäftsordnung Stellung zu nehmen.
Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen.
({7})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister des Innern hat seine Erklärung heute begonnen, indem er seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht hat, daß der Bundestag die Probleme der Jugend erst an dieser Stelle der Tagesordnung behandle. Hierzu ist folgendes festzustellen.
Der Ältestenrat hatte beschlossen, die heutige Sitzung des Bundestages mit den Tagesordnungspunkten Arbeitsschutz für Jugendliche und den übrigen Jugendfragen beginnen zu lassen. Auf Vorschlag der Bundesregierung im Ältestenrat und auf den ausdrücklichen Wunsch des Herrn Vizekanzlers sind Punkt 2, der ERP-Wirtschaftsplan, und die Punkte 3 a bis c über die Umsatzsteuerfragen vorweggenommen worden.
({0})
Außerdem war im Ältestenrat vereinbart worden, daß die Tagesordnungspunkte 3 a bis c ohne Aussprache erledigt werden sollten. An diese Absprache hat sich die Bundestagsfraktion, zu der der Herr Bundesinnenminister gehört, nicht gehalten.
({1})
Ihr Appell, Herr Bundesinnenminister, hätte daher eher an Ihre Regierung und an Ihre eigene Fraktion gerichtet werden müssen.
({2})
Deshalb wäre es sehr gut, wenn der Herr Bundesinnenminister, ehe er dem Parlament in aller Öffentlichkeit praktisch ein Desinteressement an den Jugendfragen vorwirft - ein sehr schwerer Vorwurf -, sich nach den wahren Sachumständen erkundigen würde und wenn die Bundesregierung künftig im Ältestenrat nur Erklärungen abgeben ließe, von denen sie sich nachher in der Öffentlichkeit nicht zu distanzieren braucht.
({3})
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn Kollegen Menzel für diese ausführliche Darlegung der Vorgeschichte aufrichtig dankbar.
({0})
({1})
Seien Sie versichert: die Bundesregierung würde sich mit meiner Kenntnis im Ältestenrat nicht so ausgesprochen haben, wie sie es dort offenbar ohne meine Kenntnis getan hat.
({2})
- Solche Dinge kommen schon einmal vor, Herr Kollege Mellies.
({3})
- Ich würde Ihnen den Vorschlag machen, im Protokoll nachzulesen, was ich gesagt habe. Sie werden dort nichts von dem finden, was Herr Kollege Menzel gesagt hat, der behauptete, ich hätte meinem Unmut Ausdruck gegeben.
({4})
Ich würde es für einen Mangel an guter Erziehung halten, hier einem „Unmut" Ausdruck zu geben. Ich habe nur einem Wunsch Ausdruck gegeben, nämlich dem Wunsch, daß diese Debatte früher begonnen hätte. Und, meine Damen und Herren, nach dem, was Herr Kollege Menzel gesagt hat, habe ich die Hoffnung, mit dem ganzen Hause in diesem Wunsche einig zu sein.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Meine Damen und Herren! Sie haben den Bericht des Abgeordneten Dr. Graf zu dem Jugendforschungsinstitut, dessen Errichtung wir beantragt hatten, gehört. Dieser Bericht ist das Ergebnis einer Arbeit im Ausschuß von über zwei Jahren seit der ersten Lesung des SPD-Antrags. Der Antrag hat im Ausschuß zu einer langwierigen Debatte geführt, die Herr Dr. Graf chronologisch wiedergegeben hat. Ich will keine Einzelheiten aus dieser Debatte wiederholen. Das vorliegende sehr dürftige Ergebnis in Form einer Empfehlung, ein Studienbüro zu errichten, ist nicht so, wie wir uns es vorgestellt haben.
In dem Mündlichen Bericht wird ein Studienbüro befürwortet, das seinem Umfang nach nicht das zu leisten vermag, was an Anforderungen an eine wissenschaftlich leistungsfähige Einrichtung zu stellen ist. Das Studienbüro tut nicht viel anderes als das, was das bisherige Jugendarchiv in München in Form von gewissen Veröffentlichungen, die dort schon sporadisch erschienen sind, und gewissen archivalischen Zusammenstellungen von Arbeiten auf dem Jugendgebiet auch bisher geleistet hat. Ich will hier keine neuen Argumente aufzählen und auch nicht die Gründe wiederholen, die uns zur Stellung unseres Antrags bewogen haben. Sie hat mein Kollege Wienand bei der ersten Lesung eingehend dargestellt.
Ich muß hier aber konstatieren, daß in letzter Zeit durch weitgehende Diskussionen und Feststellungen allen Kreisen und Schichten unseres Volkes klargeworden ist, in welcher Lage Wissenschaft und Forschung sich in der Bundesrepublik befinden. Das gilt nicht nur für die Naturwissenschaft und für die technische Forschung, sondern ebenso auch für den Raum der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Für den Bereich, den wir
hier zu besprechen haben, gilt das in einem erhöhten Maße, weil die praktischen Aufgaben, die hier an uns herantreten, es dringend erfordern, unsere Kenntnisse und Erkenntnisse über die Probleme unserer halbwüchsigen Jugend, ihre Lebensumstände, ihre Verhaltensweisen und ihre Erwartungen in der heutigen Zeit, an die heutige Gesellschaft, zu vergrößern.
Man hätte unter diesen Umständen erwarten können, daß die Regierung und die Regierungsparteien bei der Auseinandersetzung um diesen Antrag demonstriert hätten, daß es ihnen ernst um die Verbesserung der wissenschaftlichen Arbeit in der Bundesrepublik ist. Denn heute, glaube ich, sehen auch diejenigen die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Aufhellung der Jugendprobleme ein, die nicht unmittelbar in der Jugendarbeit stehen oder sich mit jugendpolitischen Aufgaben auseinandersetzen müssen. Die Fragen, die z. B. aus der Reaktion der Jugend auf die Wehrpflicht entstanden sind, sind an alle herangekommen. Die Probleme werden sichtbar aber auch in den Äußerungsformen von Teilen unserer Halbwüchsigen, durch die scheinbar größere Kriminalität und die Gewaltverbrechen, über die in den Zeitungen zu lesen war, und an vielen anderen Dingen, nach deren Hintergründen und Ursachen wir uns zu fragen haben.
Ich glaube, daß die ernsthaften Leute in unserem Volk sich nicht mit einer Beantwortung zufriedengeben werden, wie sie durch zweifellos in vielfacher Hinsicht interessante Feststellungen von Meinungsforschungsinstituten und ähnlichen Einrichtungen erfolgte. Wir alle erwarten ein wirklich gutes, wissenschaftlich und objektiv erarbeitetes Bild von Erkenntnissen, die uns sachliche und objektive Hinweise geben, wirklich durchgreifende Hilfen einzuleiten.
Das von uns laut Antrag Drucksache 883 vorgeschlagene Institut sollte eben diese Aufgabe übernehmen. Es sollte nach unseren Vorstellungen von Wissenschaftlern geleitet werden, die z. B. als Soziologen oder auch als Pädagogen bereits einen Ruf haben, vielleicht zunächst eine kleine Zahl - darauf kam es uns nicht so sehr an - erstklassiger Mitarbeiter mitbringen und mit Hilfe dieser Mitarbeiter und auf Grund ihrer eigenen Leistungsfähgkeit in der Lage sind, die Tür zur Zusammenarbeit z. B. mit Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zu öffnen, um die Auswertung bereits geleisteter Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet zu ermöglichen, neue Forschungen anzuregen und selbst Forschungen einzuleiten, wenn es notwendig wird. Diese letzte Einschränkung ist ganz klar, weil wir alle nicht wollen, daß unnötige Doppelarbeit geleistet wird.
Ich möchte Sie auf unseren Antrag hinweisen, weil er sehr detaillierte Vorstellungen von den Aufgaben eines solchen Instituts enthält. Hierin haben wir auch formuliert, wie wir uns die darüber hinausgehende Wirksamkeit des Instituts vorstellen.
Unter diesem Aspekt, meine Damen und Herren, frage ich Sie, ob Sie annehmen können, daß diese Aufgaben des Instituts erfüllt werden können, wenn nicht wirklich wissenschaftlich frei und völlig unabhängig gearbeitet werden kann. Aber nur durch eine wirkliche Qualifikation wird auch eine Autorität bei anderen Wissenschaftlern, bei den Praktikern der Jugendarbeit und natürlich auch
({0})
bei den Politikern erreicht, die sich der Ergebnisse dieser Einrichtung j a bedienen sollen und es auch wollen.
Nachdem wir bei den langen Debatten im Ausschuß während des ersten halben Jahres - wie Herr Abgeordneter Dr. Graf auch berichtet hat - diese Vorstellung mit dem gesamten Ausschuß und auch mit dem Ministerium teilten, trat - das muß ich ausdrücklich sagen -- plötzlich ein Wandel ein,
({1})
ein Wandel der Auffassung des Ministeriums, der ganz offenbar von bestimmten Kreisen außerhalb des Parlaments verursacht worden war. Noch am 21. Januar 1955 stimmte das Ministerium in einem Brief an den Ausschußvorsitzenden voll der Vorstellung zu, wie wir sie von diesem Institut hatten, und wir hatten sogar schon die Formen und die Dotierung eines solchen Instituts sehr präzise niedergelegt.
Nachdem aber die Regierung diesen Wechsel in ihrer Auffassung deutlich machte, nahm natürlich auch die CDU/CSU-Fraktion prompt einen Wechsel in ihrer bisherigen Haltung vor.
({2})
Die Folgen waren dann die langwierigen, zögernden Debatten im Ausschuß, die nicht von der Stelle kamen, weil man sich in der CDU-Fraktion noch lange nicht klar war und weil man natürlich auf Grund der völlig anderen Aspekte auch noch versuchte, bei uns Verständnis nach der einen oder anderen Richtung zu erwecken.
An dem Verlauf der Diskussionen ist jedenfalls entscheidend, daß man alles unternahm, um dieses Institut fürderhin so klein und so aktionsunfähig zu halten, wie es nach Lage der Dinge dann überhaupt noch möglich war. Das Institut soll aus unergründlichen Erwägungen z. B. keine eigenen Forschungsarbeiten mehr leisten und hinsichtlich der Qualität, der wissenschaftlichen Befähigung der Mitarbeiter so eingeengt werden, daß vorauszusehen ist, daß die Leistungsfähigkeit des Instituts gering sein und kaum Beachtung finden wird, vor allem in Anbetracht der vielen anderen bestehenden Institute, die sich bereits mit Teil- und Spezialaufgaben auf diesem Gebiet befaßt haben, ohne daß die großen Erkenntnislücken, die bestehen, geschlossen werden konnten, die Lücken, unter denen wir alle leiden, auch wir, die wir hier sitzen, die mit der Jugend und für die Jugend arbeiten und letzten Endes die Verantwortung für ihr Hineinwachsen in Gesellschaft und Staat tragen.
Die Begründung z. B., daß eigene Forschungsaufgaben durch eine solche wissenschaftliche unabhängige Einrichtung nicht wahrgenommen zu werden brauchten, weil es so viele Stellen gebe, die solche Arbeiten durchführten oder schon durchgeführt hätten, steht in einem ganz krassen Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Bundesministers, die er uns noch in dem Brief vom 21. Januar schwarz auf weiß niedergelegt hat. Er hat folgende Lücken in den Forschungsaufgaben angeführt und betont, daß diese nur durch eigene Forschung eines neu zu gründenden Instituts geschlossen werden könnten,
({3}) z. B. die „Geistige Situation der Jugend", die „Staatspolitische Erziehung" usw. Herr Dr. Graf hat es bereits wiedergegeben. Ich will Sie nicht unnötig mit der Aufzählung aufhalten. Wir würden noch hinzufügen können: Fragen der Berufsausbildung, die völlig ungeklärt sind, Fragen der Jugend in der Sozialreform, Fragen der Jugendkriminalität, die uns alle sehr angehen, das Wehrproblem und viele andere Dinge.
Nun frage ich Sie: wie sollen diese großen Probleme wirklich geklärt, sachgemäß geklärt werden, wenn man die Ziffern 2 a bis c des Mündlichen Berichts akzeptiert, die als Richtlinie und Maß für das Jugendinstitut gelten sollen? Selbst die Zusammenfassung, selbst die Koordinierung nach übergeordneten Gesichtspunkten gesammelten wissenschaftlichen Materials ist doch mehr als nur eine archivähnliche Arbeit, sondern erfordert wissenschaftliche Qualifikation. Meine Freunde und ich sind der Meinung: dadurch, daß man im Verlauf der Auseinandersetzung dieses Institut von einer echten wissenschaftlichen Aufgabe her zu einer archivähnlichen Einrichtung umgestaltet hat, wird Wissenschaftlern von Qualität überhaupt kein Anreiz zur Übernahme einer solchen Position mehr gegeben. Oder glauben Sie etwa, daß ein Professor aus Göttingen, aus Hamburg oder auch aus Frankfurt eine solche Aufgabe übernehmen würde?
Auch der Beirat des jetzigen Münchner Jugendarchivs, das die Grundlage für diese Neueinrichtung sein soll, ist für das Archiv geschaffen und nicht für ein wissenschaftliches Forschungsinstitut. Er hatte eine begrenzte Aufgabe, und auch durch eine gewisse zahlenmäßige Ergänzung wird dieser Beirat wahrscheinlich weder seine wissenschaftliche Aufgabe bewältigen können, noch garantiert er für die überparteiliche und überkonfessionelle Arbeit eines solchen Instituts. Diese Forderung, die allseits erhoben wurde, ist aber überhaupt die Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Arbeitsergebnisse einer solchen Einrichtung.
Nach unserem Antrag - das will ich hier einmal ganz klar gegenüberstellen - sollte das bestehende Jugendarchiv dem Forschungsinstitut angegliedert werden, und zwar als Hilfsorgan. Nach dem Ausschußbeschluß, wie er Ihnen im Mündlichen Bericht vorliegt, soll dagegen die wissenschaftliche Einrichtung an das bestehende kleine Archiv in München angehängt werden. Für eine solche Verzerrung unserer Vorstellungen wollen wir, die sozialdemokratische Fraktion, die Verantwortung nicht tragen.
Ich habe in den letzten Tagen sehr viele Zeitschriften lesen müssen und habe in nur zwei Referaten aus einer Tagung des Hauptausschusses, der Ihnen allen bekannt ist und dessen Beachtung hier eindeutig ist, mindestens achtmal gelesen, wie notwendig wirkliche Forschungsarbeit, nachhaltige Forschungsarbeit ist. Die Redner, Universitätsprofessoren und Sachverständige der Vereinigungen, haben sich abgelöst in den Feststellungen, daß hier nur „mangelhafte Forschungsergebnisse vorliegen", dort „Felduntersuchungen" gebraucht werden, daß es da an der „notwendigen Kooperation" fehlt usw., „die Bundesregierung muß unbedingt mehr Geld für solche Dinge geben". Der Deutsche Städtetag, dessen Rundschreiben Sie vor sich liegen haben, wiederholt das und bittet Sie alle, sich noch einmal zu überlegen, ob dieses kleine Institut, wie es der Ausschuß beschlossen hat, leistungsfähig ist und den Ansprüchen genügt. Auch der deutsche Bundes({4})
jugendring ist immer wieder im Ausschuß und bei den Gremien, in denen er Gesprächspartner ist, vorstellig geworden mit dem Wunsch, zur Erleichterung der Jugendarbeit einen wirklich großzügigen Beschluß zu fassen. Wenn ich sage „großzügig", werden Sie vielleicht meinen, daß es eine Million oder noch mehr kostet. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Jetzt rechnet man nach dem Ausschußbeschluß mit einer Kostenhöhe von etwa 80 000 DM für ein solches Institut. Vorher hatte man 250 000, höchstens 300 000 DM angesetzt. Keiner von Ihnen wird sagen, daß man den Aufbau eines qualitativ leistungsfähigen Instituts an der Kostenfrage scheitern lassen sollte, da diese doch so gering sind.
Unerfindliche Überlegungen der Regierungsparteien walten bei diesem ganzen Problem. Gestern haben wir eine gemeinsame Sitzung des Jugendausschusses mit leitenden Männern und Frauen der Jugendarbeit gehabt, auf der eindeutig und mit allem Nachdruck die wissenschaftliche Forschung für die Lösung der kommenden Aufgaben der außerschulischen Jugendarbeit gefordert wurde. Sie sei das A und O der richtigen Bewältigung der Probleme, die anstehen und die noch auf uns zukommen; Herr Bundesminister Schröder hat sie ja schon in etwa skizziert.
Wir wissen also gar nicht, was die Ursache sein kann, daß Sie auf diese sogenannte kleine - qualitativ kleine - Lösung zusteuern wollen. Wir fragen uns und fragen Sie als Regierung und Regierungsparteien, ob Sie etwa die Absicht haben - so schien es uns in den letzten Tagen fast -, statt einer wirksamen Dotierung dieses Institutes namhafte Beträge für Forschungsarbeit innerhalb weltanschaulich gebundener oder gar politischer Organisationen aufzuwenden? Ich komme auch deshalb darauf, weil der Kollege Dr. Graf abwertend gesagt hat, daß die Antragsteller ein „staatlich autorisiertes" Institut haben möchten. Um keine Mißverständnisse auftreten zu lassen, möchte ich sagen, daß wir unter einem „staatlich autorisierten" kein „staatlich gelenktes" Institut verstehen, sondern ein Institut, das durch Staatsmittel materiell unabhängig gemacht wird und dieselbe Autonomie hat, wie sie etwa Hochschulen haben. Man hat bereits gesagt, man könne auch weltanschaulich gebundene Einrichtungen mit Forschungsmitteln unterstützen oder müsse das sogar tun, weil die Wissenschaft sowieso nie völlig unabhängig, sondern immer irgendwie gebunden sei. Das ist eine sehr fadenscheinige Begründung, und ich finde, daß dieser Weg - das aufzuzeigen fühlen wir uns verpflichtet - sehr gefährlich ist. Würde diese Begriffsbestimmung der ungebundenen oder der gebundenen Wissenschaft einmal einreißen und damit eine völlige Verbiegung von Begriffen wie „frei" und „unabhängig" eintreten, dann wüßten wir nicht, wohin der Weg einmal führen könnte.
({5})
Wir würden uns jedenfalls - das erklären wir Ihnen hier - mit allen Mitteln dagegen wehren, solche Absichten mit öffentlichen Mitteln auszustatten.
Wir wissen, daß wir für unsere heranwachsende Jugend eine große politische Verantwortung und Verpflichtung tragen, die besonders drückend im außerschulischen Jugend- und Bildungsbereich in der Bundesrepublik ist. Hier liegt es noch viel
ärger als bei der allgemeinen Schul- und Kulturpolitik, die auf der Bundesebene durch einen Erziehungsbeirat wirksam werden kann und Anregungen empfängt und die auch in Fragen der Praxis durch die Kultusministerkonferenz Kontakte und Erfahrungen austauscht. Dieser Bereich der allgemeinen Schul- und Kulturpolitik ist durch die Länderregierungen, also auch in der Exekutive, vertreten.
Die Jugendarbeit im freien Raum dagegen, meine Herren und Damen, hat keinen entsprechenden Gesprächspartner in der Bundespolitik. Und die öffentliche Jugendarbeit wird zum großen Teil - das wissen Sie sicher alle so gut wie ich - von schlecht ausgerüsteten Jugendämtern getragen, die in Stadt- und Landkreisen sehr auf sich selbst gestellt sind und in den Länderregierungen meistens nicht direkt durch Minister und deshalb nur in zweiter Hand vertreten werden, bis auf die Stadtstaaten, die eine vorbildliche Arbeit auf diesem Gebiet leisten. Auf der Bundesebene haben die Organe dieser Jugendarbeit nur einen ganz losen Erfahrungsaustausch in praktischen Fragen. Sie verfügen aber über kein wirklich weit beachtetes Organ, das ihre Sorgen hört und ihren Mitarbeitern bei der Lösung der geistigen und praktischen Probleme für die Bewältigung ihrer Aufgaben an der heranwachsenden Jugend hilft. Wir meinen -das ist eine Nebenabsicht bei diesem Institut -, daß das Institut, so wie wir es gefordert haben, auch das mit hätte übernehmen können, wenn es mit dem richtigen Ansehen ausgestattet worden wäre. Das ist nun alles durch den Ausschußbeschluß erledigt. Wir werden den Mündlichen Bericht, so wie er Ihnen vorliegt, natürlich ablehnen müssen, weil der Sinn unseres Antrags, wie Sie aus meinen Ausführungen ersehen haben, in keiner Weise erreicht worden ist.
Man kann zum Schluß nur, vielleicht etwas resignierend, bemerken, daß uns, der sozialdemokratischen Fraktion, nichts anderes übrigbleibt, als der Jugend draußen das Urteil darüber zu überlassen und etwas Besseres für sie zu tun, wenn wir dazu in der Lage sind. Wir hoffen, daß das recht bald geschehen kann.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seffrin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vollkommenes Verständnis dafür, daß unsere verehrte Kollegin Frau Keilhack hier ihre Gedanken vorgetragen hat, die auch die Gedanken ihrer Parteifreunde sind. Aber wenn man den Erklärungen folgte, so hätte man doch stellenweise wenigstens den Eindruck bekommen können, als ob wir für die Situation der Jugend überhaupt kein Verständnis hätten.
({0})
Ich darf aber bei der Gelegenheit noch einmal an die beiden Zahlen erinnern, die der Herr Berichterstatter schon genannt hat. Wir haben in der Bundesrepublik allein 56 Institute, die sich mit Jugendfragen beschäftigen. Dazu kommen noch 26 Arbeitsgemeinschaften, so daß wir also insgesamt 82 uns bekannte Institutionen haben, die sich mit diesen Fragen beschäftigen.
Wenn wir weiter den in dem ursprünglichen Antrag der sozialdemokratischen Fraktion enthalte({1})
nen Punkten unser Augenmerk zuwenden und diesen Antrag mit dem vergleichen, was nunmehr als Vorschlag des Ausschusses, als Ergebnis der Beratungen vor uns liegt, dann müssen wir doch sagen, daß der Wunsch und die Anliegen der Sozialdemokratischen Partei weitgehend erfüllt worden sind, zwar nicht in der Form, daß ein Institut für Jugendfragen errichtet wird, sondern in einer anderen Form. Wir sind der Meinung, daß es nicht auf den Namen einer Einrichtung ankommt, sondern darauf, was sie leistet. Wir glauben ganz bestimmt, daß wir durch die Verbindung des Studienbüros mit dem Archiv für Jugendfragen den besseren Weg gewählt haben, und zwar einfach deshalb, weil wir nicht ein völlig neues Institut, das in der ganzen Angelegenheit, im Aufbau usw. ohne jede Erfahrung gewesen wäre, sondern ein bereits mit Erfahrung und vor allen Dingen mit Material sehr gut ausgestattetes Archiv mit den Aufgaben eines Studienbüros betraut haben.
({2})
- Warten Sie doch ab, ob das an den Tatsachen vorbeigeht. Die Tatsachen müssen sich ja erst später einstellen. So etwas können Sie jetzt noch nicht behaupten, da die Tatsachen noch nicht da sind!
Ich behaupte also, daß mit dem Ergebnis, das wir hier vor uns haben, das sachliche Anliegen der sozialdemokratischen Fraktion weitgehend erfüllt ist. Uns kann wahrhaftig niemand den Vorwurf machen, daß wir es mit der Erforschung der Jugendfragen nicht ernst meinten. Es wurde hier auf die Frage Jugend und Wehrpflicht, auf die größere Kriminalität usw. hingewiesen. Ja, meine Verehrten, wenn man solchen Dingen begegnen will, dann hilft kein neues Institut; dann hilft nur ein neuer Geist. Mit einem neuen Institut können Sie die hier auftauchenden Probleme nicht beseitigen. Ich glaube, es ist ein großer Irrtum und eine völlige Verkennung der Dinge, wenn man hofft, mit der Schaffung eines Instituts, das im wesentlichen die Aufgabe der Registrierung haben und Anregungen geben soll, die Mißstände energisch bekämpfen zu können. Da ist es wirklich viel besser, wir setzen uns alle zusammen dafür ein und sind dafür tätig, daß unsere Presse, wenigstens in einem gewissen Teil, besser wird, daß unsere Jugend bessere Filme bekommt, daß unsere Familien ihre Aufgaben wieder besser erfüllen können und daß auch unsere auf der Freiwilligkeit der Tätigkeit aufbauenden Jugendverbände entsprechend arbeiten können. Man kann hier nicht sagen: Mit einem Institut werden die Dinge besser. Dann verwechselt man nämlich Ursache und Wirkung.
({3})
- Nun, das kam doch im wesentlichen in dem zum Ausdruck, was Frau Keilhack gesagt hat.
({4})
- Aber wir wollen uns doch nicht aufregen! Das schadet doch unserer Gesundheit.
({5})
- Vielleicht können wir uns nachher privat darüber unterhalten. Ich glaube nicht, daß das Hohe
Haus an einer solchen speziellen Unterhaltung besonders interessiert ist.
({6})
Nun noch zu einem anderen Punkt. Es wird von einer angeblichen plötzlichen Wandlung der Auffassung gesprochen, die im Ausschuß eingetreten sei.
({7})
Das ist nicht der Fall. Vielmehr habe ich, als der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion seinerzeit zur ersten Lesung vorlag, bereits selbst meine Bedenken - auch im Namen und im Auftrag meiner Freunde - vorgebracht. Ich habe gesagt, daß die Schaffung eines solchen Institutes sehr genau überlegt werden müsse. Die Tatsache, daß es nunmehr zwei Jahre gedauert hat, bis dieses Ergebnis herausgekommen ist, ist an sich der beste Beweis dafür, wie heikel und wie schwer diese Materie gewesen ist.
Es stimmt also nicht, daß hier plötzlich eine Wandlung eingetreten ist. Wenn Sie das sagen, dann müssen Sie auch zugeben, daß es in den Ausschußbesprechungen, wie das schon aus dem Referat des Herrn Berichterstatters hervorging, ständig Veränderungen gegeben hat. Dabei ist sogar die Person des Herrn Bundespräsidenten in die Erörterung hineingezogen worden. Ich glaube, wenn eine Materie geeignet ist, zu beweisen, daß keine Wandlung, kein Bruch da ist, dann ist es gerade diese. Es gab eben eine Reihe von technischen, organisatorischen, finanziellen und sonstigen Bedenken, die man vorher gar nicht gesehen hatte, die sich nachher erst deutlich herausstellten.
Wenn Sie nun meinen, daß das jetzt vom Ausschuß vorgeschlagene Studienbüro den Aufgaben, die es erfüllen soll, nicht gerecht würde, dann haben Sie, glaube ich, ein bißchen früh geurteilt. Wir haben hier eine Institution, der wir die Startmöglichkeiten und die Entwicklungsmöglichkeiten geben müssen. Ich bin überzeugt - ich wiederhole das -, daß die Erfahrungen und die Materialien, die das Archiv schon hat, dem einzurichtenden Studienbüro einen wirklich sehr guten Anfang geben werden. Deshalb, meine ich, sollten wir im Interesse der Jugend alle zusammen die Schaffung des Studienbüros ermöglichen und dem Ausschußantrag zustimmen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte für meine Freunde in der Fraktionsgemeinschaft der Freien Volkspartei und der Deutschen Partei erklären, daß wir die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Erforschung der Jugendprobleme durchaus anerkennen. Dieses Hohe Haus hatte sich in der Vergangenheit mehrfach mit Jugendproblemen zu befassen, die in den Bereich der Jugendgefährdung gehören. Der Herr Bundesinnenminister hat heute zum Ausdruck gebracht, daß diese Jugendgefährdungsprobleme keineswegs die Jugendhaltung im allgemeinen widerspiegeln. Dennoch sehen wir in diesen, ich möchte mal sagen: Randwirbeln der Jugendhaltung im({0})
merhin eine große Saugkraft, die außerordentlich verführerisch wirken kann. Deshalb halten wir die Überprüfung der Jugendprobleme für sehr wichtig. Wir haben in der Vergangenheit mehrfach vor der Notwendigkeit gestanden, in eine solche Prüfung einzutreten. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, daß sich hinter den offen zutage tretenden und unübersehbaren Ursachen doch noch tiefer liegende Gründe verbergen, die nicht immer erkennbar waren.
Die Aufhellung dieser letzten Ausgangspunkte einer schädlichen Entwicklung in den einzelnen Kreisen der Jugend erscheint uns sehr wichtig. Hierzu ist natürlich die Mitarbeit von wissenschaftlichen Instituten notwendig. Nun ist es nach unserer Meinung aber sehr die Frage, ob wir das bessere Ergebnis durch Schaffung eines neuen Instituts erreichen.
Hier möchte ich auf einige Ausführungen der Frau Keilhack eingehen. Ich bin der Meinung, daß man noch nicht von dürftigen Ergebnissen sprechen kann. Ob es sich hier um dürftige oder fette Ergebnisse handelt, werden erst die kommenden Arbeitsergebnisse des Studienbüros zeigen. Meine Freunde und ich sind gar nicht der Meinung, daß eine Vermehrung von Instituten unbedingt auch eine Anreicherung der Ergebnisse mit sich bringen muß.
({1})
- Nein, das habe ich nicht; ich werde Ihnen das auch gleich darlegen können.
Bitte, meine Damen und Herren, keine Zwiegespräche! Es gibt nur Zwischenrufe oder Fragen.
Daß Frau Keilhack die Unabhängigkeit der Institute angezweifelt hat, verstehe ich schon gar nicht. Denn es handelt sich hier im wesentlichen doch um Institute, die Universitäten angeschlossen sind, und diese Institute haben doch auch die Freiheit der Forschung der Universitäten. Es erhebt sich also tatsächlich nur die Frage, ob diese Aufgabe von vorhandenen Instituten übernommen werden kann oder ob ein neues Institut geschaffen werden soll. Meine Freunde sind der Meinung, daß man erst einmal den Versuch mit den vorhandenen Instituten machen sollte, bevor man an die doch zweifellos wesentlich aufwendigere Schaffung eines neuen Instituts herangeht.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist im Augenblick etwas schwierig, die Debatte wieder dahin zu führen, wo sie zu Beginn war. Ich meine, wir müßten erst noch ein Wort zur Regierungserklärung sagen. Ich habe nicht die Absicht, mich dabei lange aufzuhalten, weil ich, was die Zahlen und Leistungen anlangt, im großen und ganzen durchaus sagen kann: es ist in den letzten Jahren allerhand getan worden.
Unsere Kritik setzt irgendwoanders an. Sie setzt einmal bei den Verrechnungsmöglichkeiten an, bei den Schwierigkeiten, damit im Rahmen des Bundesjugendplans weiterzukommen.
({0})
- Der Innenminister hat den Bundesjugendplan angesprochen. Ich halte mich nicht lange dabei auf, keine Sorge!
Es geht nur darum, damit wir es gleich mal festhalten: Die Verrechnung hat zur Folge gehabt, daß häufig die Gefahr der Entwicklung des „Funktionärtums" entstand. Es mußten hauptamtliche Kräfte dasein, um mit der Verrechnung fertigzuwerden. Ich bin sehr froh darüber, daß sich der Herr Minister gegen den Funktionärbegriff gewandt hat, denn auch wir sind der Auffassung, daß, wenn da und dort hauptamtliche Kräfte herangezogen werden mußten, es nur an dem System der Verrechnung lag, daß daneben der Bundesjugendplan nur eine Anregung geben konnte und die finanziellen Mittel zu einem erheblichen Teil von den jungen Menschen selbst oder von den zuständigen Stellen aufgebracht werden mußten. Aus dieser Feststellung dürfen wir schließen, daß der Funktionärtyp, der von Boshaften geprägt wurde, gar nicht existieren konnte.
Hinsichtlich der Planungen für den kommenden Bundesjugendplan haben wir eine Reihe von Wünschen, die im Kreise des Aktionsausschusses auch besprochen wurden und deren Verwirklichung dem Bundesjugendplan, so hoffen wir, eine Wendung geben wird. Wir denken vor allen Dingen an den Ausbau der Möglichkeiten, die Jugendpfleger- und Jugendleiterausbildung zu betreiben. Wiederholt sind im Kuratorium die Probleme der Sicherstellung der Beurlaubung für Lehrgänge und des Ersatzes für Lohnausfall sowie alle Maßnahmen, die mit der Berufsfindung zu tun haben, besprochen worden. Es ist erschreckend, wenn man die Zahl hört. Heute noch sind rund 25% aller Schulentlassenen nicht berufsreif, müssen also noch auf den Beruf vorbereitet werden; man muß ihnen also die Berufsfindung erleichtern. Es ist weiterhin sehr erschreckend, daß nach amtlichen Zahlen für die Menschen, die in Jugendwohnheimen wohnen, pro Kopf und Tag 2 Pf für die kulturelle Arbeit ausgegeben werden.
({1})
- Also wir haben die Feststellung machen müssen. Diese Zahl ist amtlich. Wir haben da, wie es wohl jedem gehen wird, der mit der Jugendarbeit zu tun hat, doch einen erheblichen Schrecken bekommen. Wenn wir also auf diesem Gebiet so wenig ansetzen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn da und dort Entgleisungen vorkommen, die wir alle außerordentlich bedauern.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie höflichst darauf aufmerksam machen, daß 'Gegenstand der jetzigen Beratung die Errichtung eines Instituts für Jugendfragen ist.
({0})
Herr Präsident, ich bin gern bereit, diesen Punkt abzubrechen. Ich bin auch schon nahezu da, wo ich hin wollte. Mir ging
({0})
es ja nur darum, die Regierungserklärung ein klein wenig zu beleuchten, und ich habe sie doch sicherlich sehr geschont.
({1})
- Das ist eine Frage der Einstellung. -Ich möchte damit das Thema Bundesjugendplan einstweilen verlassen.
Nun zu dem Institut für Jugendfragen. Wir gehören zu den Fraktionsmitgliedern, die für das Institut für Jugendfragen gestimmt haben, als darüber beraten wurde. Wir haben unsere Haltung bis heute nicht zu ändern brauchen. Wir sind auch heute noch der Auffassung, daß es notwendig ist, ein besonderes Forschungsinstitut zu haben, das sich speziell mit Fragen der jungen Generation beschäftigt.
Einige Kostproben. Die Frage der Berufspendler z. B., also jener jungen Menschen, die von ihrem Wohnort bis zur Arbeitsstätte eine lange Anreise-zeit zurückzulegen haben, sich dabei auf den Bahnhöfen aufhalten und die Gaststätten benützen müssen, die sich im Laufe der langen An- und Abreise irgendwie die Zeit vertreiben müssen und zu leicht gefährdet werden, ist überhaupt noch nicht erforscht. Da ist man also noch kein Stück weitergekommen.
Da ist weiter eine Frage, die hier schon angeklungen ist, nämlich die der Jugendkriminalität. Man liest immer wieder sehr große Zahlen. Aber es ist nicht möglich gewesen, dem Problem der Jugendkriminalität auf den Grund zu kommen, weil man einfach auch hier keine Forschungsergebnisse hat. Es ist vielleicht auch wichtig, einmal zu vergleichen - um bei dem Punkt Jugendkriminalität zwei Sekunden zu bleiben -, was heute in der Jugendkriminalität auftaucht und was früher aufgetaucht wäre. Gestatten Sie mir ein Beispiel. Wenn sich vor Jahren ein Jugendlicher irgendeine Lausbuberei leistete - sagen wir einmal, er löschte sämtliche Gaslaternen eines Straßenzugs aus -,
({2})
dann wurde das doch immer in der Familie geklärt: immer!
({3})
Da war also der Vater der oberste Kriegsherr und hat die Frage geklärt.
({4})
Nachdem die Probleme bereinigt wurden, im wahrsten Sinne des Wortes, wurde wieder der neue Weg begonnen. Wenn heute ähnliche Fälle passieren, müssen wir doch schon damit rechnen, daß die Angelegenheit aktenkundig festgelegt wird. Es ist also schon ein Vorgang, und mit solchen Fällen - ich will die schweren Fälle nicht verniedlichen, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU - kommen Zahlen zusammen, die eine erschreckende Höhe annehmen. Die schweren Kriminalfälle werden von uns am allerletzten verniedlicht. Aber wir vermissen die Verantwortlichkeit des jungen Menschen gegenüber seiner Familie, seinen Erziehungsberechtigten, und wir bedauern das zu rasche Eingreifen der staatlichen Elemente.
Wir haben noch eine Frage, die immer behandelt werden muß, wenn es um die Jugendprobleme geht: Die Berufsfindung und die Berufsausbildung
der Mädchen. Auch hier müssen wir uns einmal rein forschungsmäßig betätigen. Denn im Zeitalter der Industrialisierung, im Zeitalter der Automatik müssen wir einen Weg finden, der wieder zur Familie führt, und unsere jungen Mädchen müssen die Möglichkeit haben, sich trotz des ganzen technischen Apparats um sie herum wieder auf sich zu besinnen und sich auf den Beruf als Hausfrau vorzubereiten. Diese Ergebnisse schenkt uns keiner. Damit wird man sich beschäftigen müssen, und das sind echte Forschungsaufgaben.
Auch der freie Erziehungsraum ist heute schon angesprochen worden. Der freie Erziehungsraum ist groß und wird wahrscheinlich noch größer werden. Auch dieses Gebiet - die Frage, inwieweit der junge Mensch im freien Erziehungsraum beeinflußt werden kann und welchen ungünstigen Beeinflussungen er ausgesetzt wird und werden kann - ist also wert, erforscht zu werden. Während wir in der Schule und im Betrieb eine Forschungsarbeit haben, fehlt sie auf diesem Sektor völlig.
müssen uns auch einmal - und das liegt uns verständlicherweise besonders am Herzen - mit der Frage der Eingliederung der Jugendlichen, die aus der sowjetisch besetzten Zone zu uns kommen, noch eingehender beschäftigen. Auch das ist ein Gebiet, wo eine besondere Forschungsarbeit notwendig ist. Denn wir wissen - oder wir wissen auch nicht, wir nehmen also an -, daß etwa 50 % aller Jugendlichen, die aus der Zone kommen, in der Nachbetreuung nicht mehr erfaßt werden können. Wir wissen also nachher nicht mehr, wie sie sich im Leben weiter zurecht finden können und ob unsere Maßnahmen sich zu ihren Gunsten und zum Segen ausgewirkt haben.
Das alles zusammenfassend stehen wir also auf I dem Standpunkt, daß man dem Vorschlag der Mehrheit des Ausschusses nicht folgen kann. Wir sehen uns nicht in der Lage, den Antrag des Ausschusses zu unterstützen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist, soweit bisher gesprochen worden ist, von allen Fraktionen darauf hingewiesen worden, daß eine wissenschaftliche Arbeit in Jugendfragen erforderlich sei. Dabei ist allerdings von dem Sprecher der CDU/CSU-Fraktion gesagt worden - und so ist ja auch das Anliegen dieser Fraktion und der Regierungsparteien -, es genüge vollauf, wenn nach dem Antrag des Ausschusses - ich lese vor - „im Rahmen des Jugendarchivs in München ein Studienbüro für Jugendfragen errichtet wird". Im Rahmen eines Jugendarchivs - dessen Bedeutung wir alle kennen -, im Rahmen eines Archivs soll ein Studienbüro errichtet werden. Meine Damen und Herren, sind Sie sich eigentlich darüber im klaren, was das bedeutet? Das bedeutet, wissenschaftliche Arbeit unter archivalische Gesichtspunkte stellen.
({0})
Denn es heißt ja eben in dem Antrag nicht, wie es zunächst einmal hieß
({1})
- Herr Pelster, ich habe Sie heute morgen im Ausschuß schon vor Zwischenrufen gewarnt -, daß
etwa neben oder im Zusammenhang mit dem Ju({2})
gendarchiv dieses Studienbüro errichtet werden sollte, sondern „im Rahmen", und wir wissen ja -soweit war ich bei den Ausschußarbeiten mit beteiligt -,
({3})
daß es darauf hinausläuft, daß dieses Institut sich im Rahmen, wie gesagt, dieses Archivalischen bewegen soll.
Damit, meine Damen und Herren, machen Sie eine echte wissenschaftliche Arbeit praktisch nicht möglich.
({4})
Ich frage Sie, ob Sie glauben, daß irgendein Mann mit Namen, irgendein Professor mit Namen die Leitung eines Büros übernehmen würde, das im Rahmen eines Archivs und praktisch, wie die Konstruktion ja lautet, unter einem Archiv steht. Schon damit ist die Arbeit des Instituts weitgehend lahmgelegt und von vornherein nicht ermöglicht, daß für die Jugend wirkliche und echte Forschungsarbeit getrieben werden kann.
Erlauben Sie mir, im Zusammenhang mit dem Institut und den Äußerungen des Herrn Bundesinnenministers, die ja hier ebenfalls zur Debatte stehen, ein wenig darauf einzugehen, welche Arbeiten hier eigentlich erforderlich werden.
Wenn wir heute die Literatur lesen, so finden wir immer und immer wieder den Hinweis, daß diese Jugend nicht nur „halbstark" sei - ich glaube, das können wir in diesem Rahmen hier beiseite lassen -, sondern daß ihr ein gewisser Makel anhafte; sie habe ein mangelndes geistiges Interesse ein geringes Einfühlungsvermögen in die Verhältnisse der Gegenwart. Aber, meine Damen und Herren, müssen wir nicht zunächst einmal fragen, ob die Verhältnisse der Gegenwart insoweit überhaupt ein entscheidendes Kriterium für die Beurteilung der Jugend sein können? Haben wir nicht alle, die wir hier sitzen oder stehen, Anteil an der Entwicklung zu dieser Gegenwart?
({5})
Sind nicht die Fehler, die wir, die Erwachsenen, gemacht haben, ein Teil dieser unserer Gegenwart?
({6})
Können wir infolgedessen diese Gegenwart als normal bezeichnen? Wissen wir denn nicht, daß wir in der großen Umwandlung begriffen sind, auch wenn wir das nicht täglich spüren? Und kann deshalb diese Gegenwart allein das Kriterium etwa für eine Behauptung abgeben, die Jugend habe ein zu geringes Einfühlungsvermögen in eben diese Gegenwart? Muß die Arbeit an der Jugend nicht darauf abgestellt sein, daß dem, der heute jugendlich ist, als Erwachsenem ein Leben, eine Zukunft der Klarheit ermöglicht wird? Sie braucht nicht glatt und geordnet zu sein; aber sie soll wieder Regeln und Ordnungen aufweisen. Das ist doch das Entscheidende, und mir scheint, daß deshalb bei der gesamten Jugendarbeit nicht das Jahr 1956, in dem man sich zufällig befindet, sondern die Zukunft entscheidend sein muß, also etwa das Jahr 1986, wenn Sie wollen.
({7})
Der Herr Minister und einzelne Debatteredner haben hier von Familienbindungen gesprochen. Das ist zweifellos notwendig und richtig. Aber
auch hier müssen wir fragen: Welche Familie ist es denn eigentlich, für die wir dieser Jugend die festen Grundlagen und Stützen für die Zukunft geben sollen? Soll es, um mit Alexander Rüstow , dem Heidelberger Soziologen, zu sprechen, die „Plüschsofa-Familie" vom Jahre 1900 sein, oder soll es die Familie eben des Jahres 1986 oder meinetwegen 2000 sein?
({8})
Das ist die Familie, auf die hin wir doch wohl diese Jugend kräftigen und stählen müssen. Das heißt, wir müssen ein Bild haben, zu dem hin wir dieser Jugend unsere Hilfe geben sollen.
({9})
Wir wissen doch alle - der Herr Minister hat mit Hecht darauf hingewiesen -, daß die Zeit, in die wir hineingehen, u. a. auch Arbeitszeitkürzungen und längere Freizeiten bringen wird. Wir wissen doch alle miteinander, daß dadurch insbesondere der junge Mensch, der vielleicht zwei oder gar drei Tage Freizeit in der Woche haben wird, viel stärker mit sich selbst konfrontiert wird, als wir das bisher erlebt haben. Der Jugendliche, der heute vielleicht den Sonnabend und Sonntag irgendwie auszufüllen versteht, steht in einer ganz anderen Situation, wenn er in Zukunft zwei oder drei Tage Freizeit hat.
Alles das ist es, worauf es ankommt und was wir der Jugend heute bieten müssen. Die Jugend braucht daher eine für die Gemeinschaft offene Haltung. Herr Kollege Seffrin, Sie haben davon gesprochen, daß man durch Institutionen keinen neuen Geist erzielen könne, und ich möchte ergänzen: schon gar nicht durch ein Archiv kann man einen neuen Geist erzeugen.
({10})
Aber, sehr verehrter Herr Kollege Seffrin, worauf es ankommt, ist, daß wir diesem Geist die erforderlichen Grundlagen geben und daß wir für die Arbeit an diesem Geiste zunächst einmal die Unterlagen zur Verfügung stellen, von denen man dann bei der Arbeit ausgehen kann.
({11})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Professor Preller, ich glaube, Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe nicht gesagt: Institutionen, sondern ich habe mich speziell auf das Institut bezogen. Der Begriff Institution ist dafür zu weitgehend. Ich glaube, da stimmen Sie mit mir überein.
Ich habe vom Institut gesprochen
({0})
und davon, daß gerade die Unterstellung unter ein Archiv dem nicht Rechnung trägt, was Sie mit Recht gefordert haben.
Es ist hier auch darauf hingewiesen worden, daß es auf das Verhältnis zur Sowjetzonenjugend ankomme. Nun, Sie wissen doch alle, wie die Dinge verlaufen. Sie haben anläßlich der Berliner Tagung wahrscheinlich wie wir alle die Möglichkeit ge({1})
habt, sich mit den Jugendlichen aus Ostberlin bzw. aus der Sowjetzone zu unterhalten. Haben Sie dabei nicht gemerkt, daß es dieser Jugend, die die materiellen Dinge, die der Jugend im Westen zugute kommen, viel weniger zur Verfügung hat, auf die geistige Auseinandersetzung in ideellem Sinne ankommt und daß wir unserer Jugend das Rüstzeug geben müssen, um diese geistige Auseinandersetzung zu führen? Denn diese Jugend von heute muß doch - so hoffen wir alle - einmal mit der Jugend aus der sogenannten DDR zusammen das Gesamtdeutschland bilden. Das wird ein anderes Deutschland sein.
({2})
Auf dieses andere Deutschland ist die Jugend hinzuführen. Ich möchte in diesem Zusammenhang Bertrand Russell zitieren, der darauf hingewiesen hat, daß im 19. Jahrhundert ein Optimismus geherrscht habe, der auf dem Rausch der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der damaligen Zeit beruhte. Aber der Optimismus, auf den wir heute zusteuern sollten, der Optimismus nicht dieses, sondern des nächsten Jahrhunderts, muß realistisch und gläubig zugleich sein. Daraus müssen die praktischen Folgerungen gezogen werden, und das sind die Hintergründe, die uns dazu geführt haben, nicht nur irgendein Institut zu verlangen, sondern ein Institut, das in der Lage ist, die brennenden Gegenwartsfragen der Jugend wirklich und so ernsthaft zu behandeln, daß sich dieses Institut auch der großen und mühevollen Aufgabe unterziehen kann, etwa das Menschenbild herauszuarbeiten,
({3})
von dem, wenn ich mich recht entsinne, der Herr
Minister gesprochen hat, das Menschenbild, das - damit Sie, Herr Kollege Graf, diesen Einwand sofort entgegnet bekommen - sehr verschiedenartig sein kann. Aber ein Menschenbild brauchen wir um der Erziehung willen. Wie soll Erziehung denn möglich sein, wenn sie nicht von einem bestimmten Bilde des Menschen ausgeht? Alle diese Fragen müssen bei dieser Gelegenheit mit geklärt werden. Deshalb forderten wir, daß diesem Institut nicht nur eine kompilatorische Aufgabe, nicht nur eine Aufgabe der Koordination zukommt. Es ist, wie ich höre, im Ausschuß selbst und, soviel ich weiß, sogar vom Ministerium darauf hingewiesen worden, daß die erforderlichen Aufgaben von den heute bestehenden Instituten und Organisationen - den 82, von denen Sie gesprochen haben - tatsächlich gar nicht erfüllt werden können. Vom Ministerium selbst ist auf die bestehenden Lücken hingewiesen Worden. Wo Lücken bestehen, kann doch nicht koordiniert werden, sondern da muß angeregt werden, und diese Anregung muß von einem Institut ausgehen, das auch die Möglichkeit hat, durch eigene wissenschaftliche und durch eigene Forschungsarbeiten diesen Anregungen Gewicht zu geben, ein solches Gewicht, daß sich die Universitäten und Institute auch wirklich mit diesen Aufgaben abgeben.
({4})
Das ist das Anliegen, von dem wir heute und hier sprechen. Deshalb bedauern wir es so außerordentlich, daß der gute Ansatz, von dem ich aus dem Ausschuß weiß und der vor etwa einem Jahr da war, ein echtes wissenschaftlich arbeitendes Institut zu schaffen, aus Gründen, die ich zum Teil nicht kenne und auf die einzugehen wahrscheinlich
auch nicht zweckmäßig wäre, die aber offenbar in' Ihrer Fraktion gelegen haben, beseitigt worden ist und daß heute ein Torso an die Stelle einer echten wissenschaftlichen Aufgabe treten soll.
Das sind die Gründe, die es uns nicht möglich machen, auf Ihre Ausschußanregung einzugehen. Ich möchte noch einmal betonen: Wir, die Älteren, haben ein Leben in Katastrophen hinter uns. Aus diesem Leben heraus müssen wir die Jugend in eine andere Zukunft hineinführen. Das ist nicht möglich mit dem Lebensbild, das aus diesen Katastrophen stammt, das ist nur möglich mit einem Bild, das anderweitig erarbeitet worden ist. Ich möchte hier ein Wort aussprechen, das im Parlament vielleicht nicht ohne weiteres üblich ist. Aber trotzdem möchte ich sagen: Behandeln Sie diese Frage nicht von Institutionen, Organisationen und deren Willen aus; betrachten Sie sie bitte auch nicht vom Standpunkt des Geldes aus, sondern - ich wage das Wort - betrachten Sie sie vom Standpunkt der Liebe aus.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Kemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle, die so warm für die Forschungsarbeit geredet haben, rennen hier offene Türen ein.
({0})
-Offene Türen rennen sie damit ein! Es gibt in diesem Hause, insbesondere unter denjenigen, die sich mit Jugendfragen beschäftigen, niemanden, der nicht davon überzeugt wäre - das ist gestern in der gemeinsamen Sitzung von allen Seiten ausdrücklich bestätigt worden -, daß gerade auf dem Gebiet der Jugendarbeit Forschung not tut. Aber außer Herrn Westphal, der Ihrer ({1}) Partei angehört, hat kein einziger Redner gesagt, daß diese Forschungsarbeit nur im Rahmen eines Bundesinstituts möglich wäre.
({2})
Das ist doch wirklich nicht wahr. Es ist ganz im Gegenteil von Rednern, die die Forschungsaufgaben sehr betont haben, gesagt worden, daß es auch andere Wege gibt.
Es ist auch sehr fraglich, ob ein Institut, das vom Bunde durch einen Beschluß des Bundestages gegründet wird und das dann dauernd mit der Bundesregierung in Verbindung steht, viel unabhängiger ist als etwa ein selbständiges Institut; denn hier muß in jedem Jahre in den Haushaltsdebatten bei den wechselnden Mehrheiten in einem Hause neu darum gerungen werden, ob und wieviel Geld dieses Institut bekommt. Eine Universität und ein selbständiges Institut und auch der eingetragene Verein, der das Jugendarchiv trägt, sind viel unabhängiger als ein Institut, das wir hier eigens zu diesem Zweck gründen.
({3})
- Sie sagen, das reicht nicht aus. Wir wollen erst einmal feststellen, ob das nicht ausreicht. Es gibt jedenfalls - das hat der Herr Berichterstatter vorhin schon gesagt - heute keinen Forschungsauftrag, der nicht an einer Universität oder an einem der vielen Institute oder bei einem Team von Pro({4})
fessoren mehrerer Universitäten unterzubringen wäre. Wenn nun wirklich der eine oder andere Forschungsauftrag so wäre, daß er nirgends unterzubringen wäre, dann glaube ich nicht, daß ausgerechnet ein solches Bundesinstitut über die Kapazitäten, die alle anderen Universitäten und Institute nicht haben, verfügt, um gerade diesen Forschungsauftrag, der nirgends unterzubringen ist, selbständig durchführen zu können.
({5})
Wir haben gerade auf dem diesjährigen Jugendgerichtstag in Marburg erlebt, daß eine Arbeitsgemeinschaft wie der Deutsche Jugendgerichtstag durchaus in der Lage ist, durch lange Vorarbeiten in einer kurzen Tagung Ergebnisse zu erzielen, die durchaus wissenschaftlichen Charakter haben und mit denen wir etwas anfangen können. Ich darf Sie dabei nur auf das wissenschaftliche Gutachten von Herrn Professor Bondi hinweisen, das er in einem Tag mit den führenden Polizeireferenten der Städte, wo diese Halbwüchsigenkrawalle stattgefunden haben, mit Psychologen, Jugendrichtern, Staatsanwälten, Soziologen und Pädagogen erarbeitet hat. Ich darf Sie nur auf dieses ausgezeichnete Gutachten hinweisen. Sie sehen daraus, daß durchaus auch außerhalb eines Bundesinstituts bei einem so neuen Problem wie diesem geforscht und saubere Arbeit geleistet werden kann.
Es ist auch nicht wahr, daß etwa ein Institut, das irgendwie an eine Organisation oder auch an eine weltanschaulich orientierte Gruppe angeschlossen ist, nicht frei in seiner Forschung sei und r ficht freie Forschungsarbeit leisten könne.
({6})
Nun ist so sehr gerügt worden, daß in dem Beschluß des Ausschusses die Formulierung „im Rahmen des Jugendarchivs" verwendet wurde. Damit ist wirklich nicht gemeint, daß etwa dieses Studienbüro zwischen die Bücher des Jugendarchivs hineingezwängt wird und nun hier in der stickigen Luft der Bücher seine Forschungs- oder Auswertungsarbeit leisten müsse. Hiermit ist vielmehr das Jugendarchiv als Träger gemeint, dieser E. V., in dem, glaube ich, kein einziger oder höchstens einer sitzt, der aus dem Archivwesen kommt. In diesem E. V., in der Trägergruppe und in dem Beirat, der gebildet ist und der ergänzt werden soll, sitzen Leute aus der praktischen Jugendarbeit und Wissenschaftler, die nachher den wissenschaftlichen Beirat für dieses Institut bilden.
Dann ist sehr viel in die angebliche oder auch tatsächliche - das gestehe ich Ihnen sogar zu - Meinungsänderung in der CDU/CSU über dieses Problem hineinorakelt worden. Dahinter soll man nicht mehr sehen, als tatsächlich dahintersteckt. Wir sind gar nicht so stur, daß wir eine Meinung, die wir einmal gehabt haben und die wir im Lauf der Debatte als irrig erkennen, nicht zu ändern bereit sind.
({7})
Man muß nicht an einer Sache, die man einmal für richtig gehalten hat, stur festhalten, wenn sich herausstellt, daß sie nicht richtig ist. Man sollte nicht deshalb mit dem Kopf durch die Wand gehen, nur damit das Bundesinstitut kommt.
({8})
- Natürlich glaube ich das selber, sonst würde ich es Ihnen doch nicht sagen.
({9})
Wir sind also gar nicht so schlecht, meine Damen
und Herren, wie Sie uns in dieser Frage machen.
({10})
Ich darf auch noch etwas zu dem Ministerbrief sagen. Was hat die Regierung denn in dieser ganzen Frage getan? Der Ausschuß hat sie beauftragt, uns Material über die Frage zur Verfügung zu stellen. Die Regierung hat nun das getan, wofür wir ihr dankbar sein müssen: Sie hat sehr emsig und sehr schnell das ganze Material herbeigeschafft, vervielfältigt und uns zur Verfügung gestellt. Es gibt nicht einen einzigen Punkt, in dem sich die Regierung etwa in einem Brief oder durch eine Erklärung festgelegt hätte, daß sie unter allen Umständen für ein Institut für Jugendfragen ist. Wir sind durchaus der Meinung, daß das Studienbüro als ein Anfang genügt.
Ich verstehe Herrn Professor P r e 11 e r nicht ganz. Ich möchte doch meinen, daß er bei seinem wissenschaftlichen Rang und an der Hochschule oder Universität, wo er ist, in der Lage sein müßte - wenn er das Geld und die Leute dazu bekommt -, Forschungsaufträge in Jugendfragen auf seinem Gebiet ohne Bundesinstitut durchzuführen, vorausgesetzt, daß er das will. Ich glaube, daß das möglich ist, und ich meine, daß das Studienbüro, dessen Träger das Jugendarchiv ist, in der Lage ist, fürs erste einen guten Anfang zu machen. Wenn sich dabei herausstellt, daß es erweitert und vergrößert werden muß, - nun, durch diesen Beschluß ist nicht für alle Zeiten alles verbaut, und wir werden dann auch bereit sein, uns der neuen Situation anzupassen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man sollte es uns nicht verübeln, wenn wir im Lauf eines Jahres klüger geworden sind.
({0})
Das gehört doch wohl zum Wesen der Politik und gehört auch zum Wesen der Bildung. Man sollte uns das wahrhaftig nicht verübeln.
({1})
Nur ein paar Bemerkungen zu den Ausführungen des Herrn Professor Preller. Er hat eine Aufgabe des Jugendarchivs skizziert, die ein bedeutendes Gewicht für unsere gesamte Gesellschaft, für unser ganzes Leben haben müßte, ein Gewicht, das man einem solchen Institut unseres Erachtens nicht ohne weiteres zubilligen kann. Sie haben nichts anderes gefordert, Herr Professor Preller, als daß dieses Institut ein anthropologisches Leitbild der Jugend für die Zukunft auf soziologischer Grundlage entwickeln solle, auf der Grundlage der Erkenntnisse über den gesellschaftlichen Prozeß. Hier, meine Damen und Herren, scheiden sich unsere Geister.
({2})
({3})
Wir können Ihnen nicht zugestehen, daß man die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung in einer Weise vorausberechnen kann, daß man daraus ein anthropologisches Leitbild für die nächsten 30, 40 Jahre ableiten kann.
({4})
Sie hätten recht, wenn Gesellschaft und Wirtschaft in einem rein mechanischen Prozeß stünden und wenn es keine Freiheit des Menschen gäbe.
({5})
Solange es eine Freiheit der menschlichen Willensentscheidung gibt, können wir niemals der Auffassung zustimmen, daß Sie die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung auf 30 Jahre vorausberechnen können und daß Sie daraus anthropologische Schlußfolgerungen ziehen können. Das mußte klargestellt werden.
({6})
Wir können uns ein Leitbild für die Zukunft sehr wohl vorstellen, aber nicht auf Grund von wissenschaftlichen Deduktionen, abgeleitet aus den Gesellschaftswissenschaften, sondern wir können es uns vorstellen aus unserem Bewußtsein der ewigen Werte, von denen das Menschengeschlecht getragen wird.
({7})
Gerade aus diesem Grunde sind wir äußerst skeptisch gegenüber einer Überbetonung der wertfreien Forschung, und aus diesem Grunde werden Sie es verstehen, daß wir Ihrem Antrag, dessen Berechtigung wir in weiten Bereichen voll anerkennen, wo wir mit Ihrer Meinung vollständig einiggehen, nur unter einer gewissen Voraussetzung nähertreten konnten, unter der Voraussetzung nämlich, daß alles wissenschaftliche Streben auf diesem Gebiet notwendigerweise - das ist unser aller Schicksal hier - Stückwerk bleiben muß.
({8})
Von dieser Erkenntnis des Stückwerkcharakters haben wir also auszugehen.
({9})
Herr Professor Preller hat in betonter Weise davon gesprochen, daß die Vereinbarung der Regierung vorsehe, es solle im Rahmen des Jugendarchivs wissenschaftlich gearbeitet werden. Er hat daran die Bemerkung geknüpft, daraus sei zu folgern, daß diese wissenschaftliche Arbeit unter archivarischen Gesichtspunkten geleistet werden müsse. Ich will Ihnen sagen, Herr Professor Preller, nach meiner Überzeugung wird jede wissenschaftliche Arbeit - mit ganz wenigen Ausnahmen - zu Anfang unter archivarischen Gesichtspunkten geleistet.
({10})
Es gibt keine Wissenschaft, die auf Beachtung archivarischer Gesichtspunkte und auf archivarische Grundlegung verzichten könnte; nicht einmal die Medizin kann das und am allerwenigsten die Gesellschaftswissenschaft.
Wenn Sie dieser Wortlaut aber stört, würde ich vorschlagen, statt „im Rahmen des Jugendarchivs" zu sagen „in Anlehnung an das Jugendarchiv".
({11})
Ich sehe aber keinen Grund, warum man deswegen diesem Studienbüro von vornherein das Lebenslicht ausblasen sollte. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie an den Anfang Ihrer Bemühungen einen gewissen Hang zum Perfektionismus stellen. Ich habe den Eindruck, daß Sie der alten deutschen Illusion erliegen: Wenn hier eine Aufgabe ist und man schafft dafür eine Institution, dann ist diese Aufgabe gelöst!
({12})
Es kommt aber nicht auf die Institution an, es kommt auf die geistige Arbeit, es kommt auf die Funktion derjenigen an, die Sie in ein solches Institut hineinstellen können. Am Anfang steht nicht die Institution, steht nicht das Institut, sondern am Anfang stehen die wissenschaftlichen Persönlichkeiten, die wir in Freiheit arbeiten lassen wollen.
({13})
Wenn Sie unter diesen Gesichtspunkten unsere Einstellung betrachten, dann kommen Sie vielleicht zu dem Ergebnis, daß wir in der Sache gar nicht allzuweit voneinander entfernt sind. Wir sehen vielleicht manches nur mit anderen Schwerpunkten. Wir wollen hoffen, daß ein Studienbüro, wie vorgeschlagen, einmal von selber zu einem Institut wird, dann nämlich, wenn Sie die geeigneten Persönlichkeiten dafür finden.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Preller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Graf, Ihnen ist ein kleiner, aber sehr bedeutsamer Irrtum unterlaufen. Ich habe nicht von einem anthropologischen Leitbild gesprochen, sondern ich habe vom Bild des Menschen gesprochen.
({0})
- Nein, entschuldigen Sie! Sie haben nämlich sofort an das Wort „anthropologisch", das Sie eingeführt haben, die Beweispunkte angeknüpft, an denen es Ihnen offenbar lag,
({1}) nämlich daß es sich um meßbare Dinge handle. Sie unterliegen - ich muß das einmal in aller Offenheit sagen - damit einem Irrtum, dem viele Ihrer Leute unterliegen, nämlich daß diejenigen, die die marxistischen Methoden anwenden, lediglich von meßbaren und nicht von irrationalen Dingen ausgingen. Das ist ein grandioser Irrtum. Aber ich möchte darauf jetzt nicht weiter eingehen. Ich möchte Sie nur in aller Freundschaft darauf hinweisen, denn sonst werden Sie in der Diskussion niemals zu Rande kommen.
Ich habe von Gesinnungen gesprochen, verehrter Genosse.
({2})
- Kollege! - So weit ist es noch nicht.
({3})
- Natürlich. Aber lassen Sie mich das folgende in Ruhe ausführen.
({4})
Ich habe von Gesinnungen gesprochen und damit darauf abgestellt, daß ein Bild des Menschen der Erziehung zugrunde liegen muß; denn jede Erziehung braucht natürlich ein Bild des Menschen, ein Ziel, zu dem der Mensch geführt werden sollte. Ich habe dabei ausdrücklich - wenn Sie sich besinnen - am Ende von der Liebe gesprochen. Gerade an diesem Punkte setzen die Dinge an, die nach meinem Empfinden keiner Auseinandersetzung weltanschaulicher oder religiöser Art bedürfen. Erziehung kann jederzeit auch durch Institutionen erfolgen, wie sie hier vorliegen, Institutionen, die sich mit der Jugendarbeit befassen, seien es staatliche, seien es gemeindliche, seien es freie Institutionen. In jedem Fall muß man in etwa erkennen können, wohin der Weg führt. Und ich habe nichts anderes ausgeführt - hier liegt leider Ihr Mißverständnis -, als daß die Verhältnisse der Gegenwart, des Jahres 1956, weil sie die gesamten Fehler der vergangenen und unserer eigenen Generation in sich begreifen, nicht geeignet sind, dieses Leitbild abzugeben. Man muß forschen, man muß sehen, das Leitbild für die Jugend ausfindig zu machen, das diese Jugend in die Zukunft führt.
Sie haben gesagt, jede wissenschaftliche Arbeit beruhe Ihrer Auffassung nach von Anfang an auf archivarischen Grundsätzen. Verehrter Kollege Graf, natürlich muß jede Arbeit zunächst einmal die Unterlagen sichten. Aber wenn eine solche Arbeit nur von der Sichtung der Unterlagen ausgeht, dann wird sie nicht genügen. Echte wissenschaftliche Arbeit wird vom Geist bewegt und nicht vom Archiv.
({5})
Deshalb wollen wir diese Arbeit nicht im Rahmen eines Archivs und auch nicht in irgendeiner Verbindung mit einem Archiv sehen. Daher glauben wir, daß diese Arbeit eine eigene Institution braucht.
Eins möchte ich Ihnen zum Abschluß noch sagen, gerade aus dem Grund, den Sie vorhin angeführt haben: Es geht hier darum, wirklichen Persönlichkeiten von Gewicht die Möglichkeit zu geben, diese Arbeit zu leisten. Das können Sie im Rahmen oder im Einvernehmen mit einem Archiv nicht erwarten. Gerade weil wir in diesem Punkte hinsichtlich der Begründung dieser Arbeit durch echte Persönlichkeiten mit Ihnen einig sind, können wir Ihrem Standpunkt nicht folgen.
Ich möchte Sie bitten, die Ausführungen, die wir machen, mit dem Ernst entgegenzunehmen, mit dem sie gemeint sind; denn wir ringen hier gemeinsam um Fragen, die uns alle angehen, nämlich um die Generation, die in 15, 20 oder 25 Jahren an diesen Plätzen sitzen und dann ihre Arbeit leisten soll. Dafür müssen wir sie doch erziehen, und das ist das Anliegen, das diese gesamte Jugenddebatte veranlaßt hat.
({6})
Meine Damen und Herren, da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, schließe ich die Debatte zu Punkt 4.
({0})
- Wird gewünscht, daß es statt „im Rahmen des Jugendarchivs" lauten soll „in Anlehnung an das Jugendarchiv"?
({1})
- Dann gilt der Antrag im Einverständnis des Hauses als so abgeändert.
Wer dem so abgeänderten Antrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Meine Damen und Herren, als ich um 17 Uhr hier heraufkam und die Beratung dieses Punktes schon im Gange war, bei dem es sich doch eigentlich nur um einen Antrag drehte, hatte ich die leise Hoffnung, daß er vielleicht in einer halben Stunde erledigt sei, weil ich nämlich jetzt noch den Punkt 5 a bis f vor mir und vor Ihnen sehe. Ich rufe ihn auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({2}) ({3});
b) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit ({4});
c) Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung ({5}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Ausbildungsbeihilfen für jugendliche Evakuierte ({6})
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Renger;
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Graf ({7}), Frau Pitz, Wolf ({8}), Dr. Seffrin, Dr. Czaja betreffend Berufliche und gesellschaftliche Eingliederung spätausgesiedelter und ehemals zwangsverschleppter deutscher Kinder und Jugendlicher ({9});
e) Beratung des Schriftlichen Berichts*) des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen ({10}) über den Antrag der Fraktion der FDP zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, DA betreffend Entwicklung in der Sowjetzone und Möglichkeiten engerer Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands ({11})
Berichterstatter: Abgeordneter Seidel ({12});
f) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP, FVP betreffend Umgestaltung des Bundesjugendplanes ({13}).
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, hier vorab alle Begründungen bzw. Berichterstattungen anzuhören und alsdann in die gemeinsame Aussprache einzutreten. Ich unterstelle, daß das Haus mit dieser Vereinbarung einverstanden ist. - Das ist der Fall.
Dann lese ich hier eine Bemerkung eines der Herren Präsidenten, die vor mir hier präsidiert haben, die ich nicht ganz entziffern kann. Aber soviel habe ich verstanden, daß anscheinend der Punkt 5 c - betreffend Ausbildungsbeihilfen für jugendliche Evakuierte - an die Ausschüsse zurückverwiesen werden soll. Ist das richtig?
({14})
*) Siehe Anlage 4.
({15})
- Gut, dann darf ich das herausnehmen, damit das schon erledigt wird. - Das Haus ist also damit einverstanden, daß die Drucksachen 2777 und 2411, die die Grundlage bildet, wieder an die Ausschüsse zurückverwiesen werden. Nun müssen wir feststellen - das kann ich hieraus nicht ersehen -, wo diese Angelegenheit bearbeitet worden ist. Wenn ich richtig lesen kann, ist es der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung. Kommt noch ein mitberatender Ausschuß in Frage?
({16})
- Nein, gut, dann geben wir sie also zurück an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung. Damit ist der Punkt 5 c erledigt.
Nunmehr gebe ich dem Abgeordneten Lange das Wort zur Begründung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend, Drucksache 2429.
Lange ({17}) ({18}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion legt mit der Drucksache 2429 den Entwurf eines Gesetzes zum Schutze der arbeitenden Jugend ({19}) vor. Die Bundesregierung hat vor Behandlung des Punktes 4 der Tagesordnung eine Erklärung zu allgemeinen jugendpolitischen Problemen abgegeben und sich durch ihren Sprecher, den Innenminister, gleichzeitig auf den unter Punkt 5 b aufgeführten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit bezogen. Wenn die Bundesregierung schon zu solchen jugendpolitischen Fragen eine Erklärung abgibt, dann wäre es auch wünschenswert gewesen, wenn zum Problem des Jugendarbeitsschutzes etwas gesagt worden wäre.
({20})
- Das kommt noch? Das kann aber keiner der hier im Hause anwesenden Abgeordneten - als was haben Sie jetzt den Zwischenruf gemacht, als Minister oder als Abgeordneter? - feststellen, ob das noch kommt. Die ausdrückliche Bezugnahme auf Punkt 5 b mußte erwarten lassen, daß das nicht mehr kam, sondern es bei dieser Erklärung bleiben sollte.
({21})
- Ja, ich habe den Herrn Staatssekretär wohl schon gesehen. Aber wenn namens der Regierung eine Erklärung zu jugendpolitischen Fragen abgegeben wird und wenn eine Tagesordnung da ist, nach der in diesem Zusammenhang gleichzeitig Fragen des Jugendarbeitsschutzes behandelt werden, konnte man von der Regierung eine Darlegung ihrer Stellungnahme insgesamt zu Anfang oder nach dem Einbringen dieses Antrags erwarten.
({22})
- Verzeihung, der Bundesinnenminister hat die Erklärung abgegeben und sich dabei auf Punkt 4 und Punkt 5 bezogen.
({23})
- Dann werden wir also noch in eine nette Diskussion über die Probleme eintreten und werden dann hören, was der Herr Bundesarbeitsminister oder die Bundesregierung zu sagen hat. So weit, so gut!
({24})
Eine zweite Bemerkung, die ich mir nicht ersparen kann, ist folgende: Bei Herrn Schröder
({25})
bin ich mir nie klar, ob er als Minister oder als Abgeordneter spricht. Wenn er nämlich als Abgeordneter Wünsche äußert, haben wir sie unter Umständen in Übereinstimmung mit ihm.
Herr Abgeordneter, das ist sehr einfach zu erkennen. Wenn er nämlich das Wort als Minister bekommt, spricht er als Minister, und wenn er unten sitzt und das Wort als Abgeordneter bekommt, ist er Abgeordneter.
({0})
Lange ({1}) ({2}), Antragsteller: So einfach geben wir uns ja nicht geschlagen, und so einfach
- entschuldigen Sie, Herr Präsident, wenn Sie eine solche Erklärung abgeben, dann gestatten Sie mir auch eine Bemerkung dazu - ist nämlich die Geschichte wirklich nicht. Wenn ich nämlich zur Geschäftsordnung des Parlaments etwas sage, dann habe ich als Minister dazu sowieso keine Berechtigung; vielmehr habe ich diese Berechtigung nur als Abgeordneter. In dieser Richtung enthielt nämlich die Erklärung des Ministers am Anfang eine Bemerkung.
({3})
- Eben, ich sage ja, wenn er das als Abgeordneter vorgetragen hätte, hätten wir vielleicht gesagt, daß es auch unser Wunsch ist.
({4})
- Keine Sorge! Sie müssen mir schon einmal gestatten, auch etwas zu sagen, was ich allgemein für erforderlich halte. Zum Thema komme ich schon.
Ich habe erklärt, daß wir als Drucksache 2429 einen Entwurf zu einem Gesetz zum Schutz der arbeitenden Jugend ({5}) eingebracht haben. Wir haben dies einfach deshalb getan, weil ganz allgemein aus der Diskussion in der Öffentlichkeit um diese Probleme erkennbar geworden ist, daß eine auf den gegenwärtigen Stand der wirtschaftlichen, der technischen und der gesellschaftlichen Entwicklung zu bringende Jugendarbeitsschutzgesetzgebung erforderlich ist. Die ganzen Diskussionen um den Jugendarbeitsschutz haben immer wieder darum gekreist, das fast zwei Jahrzehnte alte Jugendarbeitsschutzgesetz vom Jahre 1938 in einzelnen Teilen zu verändern, um es hinsichtlich des Schutzes der Jugend, vor allem im Hinblick auf die Arbeitszeiten der Jugendlichen wirksamer zu gestalten. Ein so weit zurückliegendes Gesetz verträgt auch, weil der Arbeitsschutz von einem anderen Geist und im Zuge der Jugendarbeit von anderen Voraussetzungen getragen war, nicht eine einfache Veränderung und damit Übertragung in die heutige Situation.
Auf der anderen Seite durfte man erwarten, daß die Bundesregierung in dieser Frage vielleicht einmal so aktiv wie in einigen anderen Fragen ge({6})
worden wäre. Die Bundesregierung ist bis zur Stunde über den Referentenentwurf, wenn ich mich nicht irre, den dritten - ({7})
- Haben wir schon den vierten? Es ist also der dritte veränderte Entwurf.
({8})
Er ist über die Referentenebene aber nicht hinausgekommen. Das Problem ist jedoch dringend.
Wir wissen aus den Auseinandersetzungen in den einzelnen Jugendorganisationen - Bundesjugendring, auch Ring Politischer Jugend -, den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden um die Bedeutung dieses Problems. Man muß sich darüber klar sein, daß man mit der Arbeitskraft der Jugendlichen - das sind die Erwachsenen von morgen - haushälterisch umgehen muß, weil sonst Erscheinungen wie Frühinvalidität, Berufsunfähigkeit usw. auftreten, die im Zeichen der Auseinandersetzung um die Sozialreform unerwünscht sind. Wir kennen alle die Kosten, die aus der Frühinvalidität erwachsen. Es kommt also bei dieser Frage darauf an, daß die Arbeitskraft der Jugend in einem anderen Maße, als das heute der Fall ist, geschützt wird.
({9})
Das bedeutet erstens, daß hinsichtlich des Geltungsbereichs eines Jugendarbeitsschutzgesetzes die Ausnahmen, die das alte Gesetz noch kennt, beseitigt werden, daß also im Grunde alle Jugendlichen, gleichgültig in welchem Wirtschaftszweig oder Gewerbezweig sie tätig sind, bzw. diejenigen, die die Jugendlichen beschäftigen oder beschäftigen müssen, den Bestimmungen eines solchen Jugendarbeitsschutzgesetzes unterliegen.
Zweitens ist es notwendig, daß auch alle Kinder, gleichgültig aus welchen Gesellschaftsschichten sie kommen und in welchen möglichen Wirtschaftszweigen sie angesetzt werden, unter das Gesetz fallen.
Damit ist einer der entscheidenden Mängel und entscheidenden kritischen Punkte des noch gültigen Jugendarbeitsschutzgesetzes auszuräumen. Es ist nur erforderlich, in diesem Zusammenhang auf gewisse Besonderheiten bestimmter Gewerbe- und Wirtschaftszweige Rücksicht zu nehmen, den obersten Grundsatz des Schutzes der Arbeitskraft des jungen Menschen und damit auch seine Entwicklungsfähigkeit jedoch zu gewährleisten. Insoweit ist die Ausdehnung eines Jugendarbeitsschutzgesetzes auf die Beschäftigungsverhältnisse aller Jugendlichen einschließlich der Kinder notwendig.
Weiter ist erforderlich, nicht nur festzustellen, daß es sich um Arbeitsverhältnisse derjenigen, die nicht in einem Berufsausbildungsverhältnis stehen, handelt, sondern es ist gleichzeitig eindeutig festzustellen, daß das Berufsausbildungsverhältnis dem Arbeitsverhältnis gleichzusetzen ist, so daß also auch hier der entsprechende Jugendarbeitsschutz wirksam wird.
Weiterhin ist festzustellen, daß all die Beschäftigungsverhältnisse, die weder ordentliche Arbeitsnoch ordentliche Ausbildungsverhältnisse sind, erfaßt werden. Das sind solche Verhältnisse, die sich dadurch ergeben, daß aus dem Arbeitsverhältnis oder der Erwerbstätigkeit Erwachsener Aufgaben auf Kinder oder Jugendliche übertragen werden. Auch diese sind zu erfassen.
({10})
- Bleiben wir ruhig dabei; sie sollen in der Tat erfaßt werden, sollen den Schutz des Gesetzes genießen, also nicht irgendwelchen willkürlichen Maßnahmen ausgesetzt werden. - Soviel also hinsichtlich des Geltungsbereichs.
Ich brauche mich hier nicht im einzelnen mit dem Entwicklungsstand unserer Kinder und Jugendlichen und mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß die körperliche Reife stärker vorgeschritten ist als die geistige. Das sind Tatbestände, die, glaube ich, im ganzen Hause und auch draußen - das haben die Diskussionen in der Öffentlichkeit gezeigt - in der Bevölkerung unbestritten sind. Und es sind noch andere Merkmale hinsichtlich der Reife da, deren Zusammenhänge die Wissenschaft heute noch nicht ganz eindeutig geklärt hat. Es spielen da hinsichtlich der Erziehung einige Fragen hinein, die vor dem Eintritt in das Arbeitsverhältnis liegen. Hinein spielen Fragen der Schule, der schulischen Ausbildung, hinein spielen Fragen der Erziehung im Elternhaus. All diese Dinge sind uns bewußt.
Wir haben es hier im Grunde mit einer verhältnismäßig engen Materie zu tun, nicht mit dem Gesamtarbeitsschutzproblem, sondern nur mit dem Jugendarbeitsschutz. Wenn man die Dinge einmal als reformbedürftig im Sinne der Förderung der Reife der Jugend voraussetzt, muß man die Absichten eines umfassenden Jugendarbeitsschutzgesetzes, so wie wir es vorgelegt haben, verstehen.
Weiter lag uns daran, daß, was von den beteilig- ten oder interessierten Organisationen und Personenkreisen auch immer wieder ausgesprochen worden ist, die Verantwortlichkeit der Erziehungsberechtigten - sprich: der Eltern - im Zusammenhang mit dem Berufsausbildungsverhältnis verstärkt aufrechterhalten wird. Es ist auch noch in der Gegenwart vielfach so, daß die Eltern der Auffassung sind, wenn sie ihren Jungen oder ihr Mädel in ein Lehrverhältnis gegeben hätten, sei ihre Erziehungsaufgabe für den Zeitraum, für den der Lehrvertrag gilt, zu Ende oder ihre Verantwortlichkeit sei ausgeschaltet. Dem ist nicht so, und das ist in unserem Entwurf verstärkt zum Ausdruck gebracht.
Die Erfüllung einer anderen Forderung erschien uns notwendig. Es muß - und zwar vor Eintritt in das Berufs- oder Arbeitsleben - in einem bestimmten Umfange gewährleistet sein, daß der Junge oder das Mädel für den gedachten Beruf, für das gedachte Arbeitsverhältnis körperlich und geistig geeignet ist, denn unter Umständen können durch falsche Berufswahl Schäden in der Wachstumszeit entstehen, die früher oder später zu Berufs- oder Arbeitsunfähigkeit führen. Bitte, hier liegt uns nicht - und das bringt ja der § 3 unseres Entwurfes sehr deutlich zum Ausdruck - an einem Zwang, an einer Verpflichtung, sondern hier ist von etwas Wünschenswertem gesprochen, hier ist keine Einengung der persönlichen Freiheit, die nach dem Grundgesetz gewährleistet ist, vorgenommen. Es soll also insoweit mit allem Vorbehalt, mit aller Vorsicht mit der ärztlichen Untersuchung das getan werden, was für die künftige Sicherung der Kräfte der jungen Menschen erforderlich ist.
({11})
Nun wissen wir eines, und insoweit kann man an die Erklärung der Bundesregierung anknüpfen: wir werden zweifellos morgen und übermorgen in einer Wirtschaft leben, die noch weiter rationalisiert, weiter technisiert ist, die in einem bestimmten Umfang auch an die jungen Menschen größere Anforderungen - wieweit dann die Schulen die Voraussetzungen dafür schaffen können, ist wiederum eine andere Frage - in körperlicher und geistiger Hinsicht stellen wird, was auch nach unserer Überzeugung einen weitgehend verstärkten Schutz dieser jungen Menschen erforderlich machen wird.
Deshalb ist in unserem Entwurf die Arbeitszeit eindeutig auf 40 Stunden in der Woche und 8 Stunden am Tage einschließlich ,der Berufsschulzeit beschränkt worden. An diesem Punkt rührt man vielleicht ein für manche sehr heikles Thema an - das haben verschiedene Gespräche am runden Tisch, in verschiedenen Gremien oder im Rahmen von Jugendwochen usw. ergeben -, nämlich die Frage: Wie sieht es, wenn die Arbeitszeit für die Jugendlichen verkürzt wird, mit dem Erfolg einer Berufsausbildung aus? Es gibt viele, die heute schon darüber klagen, daß sie in der gegenwärtigen Lehrzeit nicht mit der Ausbildung fertig werden, daß die Lehrzeit an sich zu kurz sei. Dafür fehlt aber his zur Stunde der abschließende Beweis. Vielmehr sollte die Ausbildung konzentriert werden. Man muß sich darüber klar werden, daß in der Ausbildung der jungen Menschen ausbildungsfremde Tätigkeiten einfach keinen Platz mehr haben. Wenn man unter diesen Voraussetzungen die 20 bis 25 % der jetzigen betrieblichen Ausbildungsstunden, die fehlen, durch Konzentration der Ausbildung ersetzt und wenn dann festgestellt wird: es geht in dem einen oder anderen Beruf beim besten Willen nicht, nun, dann müssen sich diejenigen, die für die Aufstellung der Berufsbilder und Berufsausbildungspläne verantwortlich sind - das ist nicht der Gesetzgeber -, darüber unterhalten, wie man die Berufsausbildung in dem gegenwärtig geltenden Rahmen - beispielsweise Handwerksordnung - von drei bis vier Jahren entsprechend gestalten kann. Nach den bisherigen Erfahrungen, die wir in den verschiedensten Wirtschafts- und Handwerkszweigen gemacht haben, besteht noch kein begründeter Anlaß, sich gegen diese Arbeitszeitverkürzung zu wenden, die uns im Interesse der Erhaltung der Arbeitskraft der jungen Menschen erforderlich erscheint.
Ich will jetzt nicht auf das Freizeitproblem eingehen. Das ist ein allgemein jugend-politisches Problem, ein 'allgemeines Erziehungsproblem. Es betrifft aber nicht nur den Jugendlichen, sondern in gewissem Umfang auch den Erwachsenen; denn auch viele Erwachsene wissen nicht, was sie mit ihrer Freizeit anfangen sollen.
Wir sind, um die Sache deutlich zu machen, in unserem Entwurf im Grundsatz zu einem generellen Verbot der Kinderarbeit gekommen. Bitte beachten Sie, daß wir alle Wirtschafts- und Gewerbezweige erfaßt haben. Wir sind nur im Rahmen der tatsächlichen kulturellen Bedürfnisse, aber nicht der Pseudokulturbedürfnisse bereit, die Beschäftigung von Kindern zuzulassen.
Die Berufsschulzeit gehört, wie ich schon zwischendurch bemerkte, in die Arbeitszeit hinein. Wir sind auch nicht mehr bereit, dem Jugendlichen entgoltene Überstunden zuzumuten, mit Ausnahme der allgemeinen Notfälle, die auch hier im besonderen geregelt sind; wenn Überstunden im Zusammenhang mit Notfällen überhaupt nicht mehr ausgewichen werden kann, dann Abgeltung durch Freizeit. Wir haben in einem gewissen Umfange Sondervorschriften für bestimmte Wirtschaftszweige und Gewerbezweige - Landwirtschaft, Hauswirtschaft, Bergbau, Binnenschiffahrt und Seeschiffahrt - vorgesehen, weil da hinsichtlich der Freizeit - wir haben als wünschenswerte ununterbrochene Freizeit 14 Stunden festgelegt - eine andere Regelung getroffen werden muß. Diese Dinge verstehen sich im Grunde bei der Schiffahrt, Binnenschiffahrt wie Seeschiffahrt, von selbst, insoweit ist diesen Erfordernissen Rechnung getragen, gleichzeitig aber der entsprechende Ausgleich dafür geschaffen. Ich will nicht in Einzelheiten gehende Beispiele bringen; das wird, wenn erforderlich, noch mein Freund Herold tun. Mir kommt es nur darauf an, eine allgemeine Begründung für ein Jugendarbeitsschutzgesetz, so wie es die sozialdemokratische Fraktion diesem Hohen Hause vorgelegt hat, zu geben.
Wir sind der Auffassung, daß einheitlich ein Erholungsurlaub von 24 Tagen für die Jugendlichen gewährleistet sein sollte, von dem - diese Forderung beruht auf medizinischen Erkenntnissen - 18 Urlaubstage zusammenhängend genommen werden sollten.
Man wird sich über die Einzelheiten dieses Entwurfs in den Ausschüssen oder im Ausschuß zu unterhalten haben.
Nun ist aber noch auf einen Punkt hinzuweisen. Wir haben, was die Überwachung der Durchführung dieser Dinge betrifft, nur das Instrument der Gewerbeaufsicht. Wir wissen, wie unzulänglich die Gewerbeaufsicht im Grunde genommen heute besetzt ist. Sie fällt aber leider nicht in die Kompetenz des Bundes, sondern gehört zur Kompetenz der Länder. Man wird sich, wenn man sich der Bedeutung dieses Problems bewußt ist, von den Ländern her unter Umständen auch um eine entsprechende Verstärkung der Gewerbeaufsicht bemühen müssen.
Wir haben in dem Entwurf in bestimmten Fragen, beispielsweise der der Beschäftigung von Kindern bei tatsächlichen Kulturbedürfnissen, d. h. kulturellen Veranstaltungen im eigentlichen Sinne des Wortes, die Verantwortlichkeit der Gewerbeaufsicht verstärkt, so daß also in jedem Einzelfalle die Gewerbeaufsicht zu entscheiden hat.
Wir haben aber ein weiteres getan, und darauf kam es uns an. Wir haben in unserem Entwurf die Verantwortlichkeit der Beschäftiger wie der Erziehungsberechtigten dadurch verstärkt, daß wir - ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf den § 43 unseres Entwurfs - in diesem Zusammenhang eine Änderung des Strafgesetzbuches vorschlagen. Wir wollen hier kein Nebenstrafrecht schaffen; denn ein Nebenstrafrecht wird im allgemeinen nach unseren Erfahrungen von den Juristen nicht sonderlich gewertet. Wir halten es für erforderlich, das Strafgesetzbuch zu ändern, und sagen da: „Wer eine Person unter 18 Jahren vorsätzlich oder fahrlässig unter Verletzung von Vorschriften der Jugendarbeitsschutzbestimmungen an der Gesundheit schädigt oder schädigen läßt" - und in diesem „schädigen läßt" liegt die Verantwortlichkeit der Erziehungsberechtigten - „oder der Gefahr einer solchen Schädigung aussetzt, wird mit . . . bestraft." Auch diesen Punkt hebe ich hier beson({12})
1 ders hervor, weil er verhältnismäßig schwerwiegend ist. Wir wollen die Verantwortlichkeit derjenigen, die Jugendliche beschäftigen oder die als Erziehungsverpflichtete - Berechtigte sind auch verpflichtet! - für die Gesundheit und für das Wohlergehen der Jugendlichen besorgt sein müssen, eindeutig festlegen, und wir wollen gleichzeitig - darum auch eine Verstärkung der Gewerbeaufsicht - den Zustand ausräumen, der heute vielfach im Hinblick auf die Übertretung oder Verletzung von Jugendarbeitsschutzbestimmungen eintreten kann, den Zustand nämlich, daß man sich einfach nicht traut, Mißstände, die man feststellt, anzuzeigen, weil man befürchten muß, einen wirtschaftlichen oder sonstwie gearteten Nachteil zu erleiden. Insoweit also auch hier eine stärkere Objektivierung, so daß auch die Aufsichtsbehörde von sich aus in entsprechender Weise eingreifen kann und dadurch die subjektiven Auffassungen der unmittelbar Beteiligten zurückgedrängt werden.
Uns kommt es also darauf an - hier kann ich mich an die Dinge halten, die in einem andern Zusammenhang Professor Preller vorgetragen hat -, der Jugend den unserer Überzeugung nach für ihre weitere Entwicklung und Existenzsicherung morgen und übermorgen notwendigen Schutz zu geben. Denn die Jugend von heute ist der verantwortliche Staatsbürger von morgen, der eine Familie gründen und unterhalten will und der gleichzeitig auch gegenüber der dann wieder nachwachsenden Generation eine Verantwortung zu tragen hat. Wir wollen uns nach den bitteren Erfahrungen und Erlebnissen, die wir alle miteinander gemacht bzw. gehabt haben, nicht wiederum dem Vorwurf aussetzen, gegenüber der morgen verantwortlichen Generation heute das Erforderliche versäumt zu haben. Deshalb haben wir Ihnen diesen Entwurf vorgelegt.
({13})
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Pitz zur Begründung des Antrags Drucksache 2672.
Frau Pitz ({0}), Antragstellerin: Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion erlaubt sich, Ihnen mit der Drucksache 2672 einen Reformvorschlag für das Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit vorzulegen. Wir sind uns darüber klar, daß der beste Jugendschutz die gesunde Familie und das saubere Klima in der Öffentlichkeit sind. Als 1951 das jetzt geltende Jugendschutzgesetz verabschiedet wurde, bedeutete das einen ersten Schritt in ein bis dahin ungesichertes Gebiet hinein. Der Gesetzgeber von 1951 hat das unbestreitbare Verdienst, den Jugendschutz im allgemeinen im Rahmen der allgemeinen Neuordnung überhaupt gesetzlich gesichert zu haben. Bis dahin beruhte der Jugendschutz auf einer Polizeiverordnung von 1943, die der vollkommene Ausdruck eines längst überholten polizeistaatlichen Denkens war. Das Jugendschutzgesetz trägt demgegenüber ausdrücklich Erziehungscharakter. Das war das Große und das Neue daran.
Die Novelle, die wir Ihnen jetzt vorlegen, verläßt diese Linie nicht. Der Jugendliche bleibt Objekt des Schutzes; aber der Schutz ist gegenüber dem Gesetz von 1951 erweitert, weil sich im Laufe der Zeit und nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, herausgestellt hat, daß Lücken und Unzulänglichkeiten in diesem Gesetz bestehen, die
ausgeglichen werden müssen. Die kritischen Stimmen sind seit der Verabschiedung des Gesetzes auch nicht verstummt. Schon der Kommentator Potrykus rügte kurz nach der Verabschiedung das Gesetz. Trotzdem handelte der Gesetzgeber damals nach bestem Wissen. Er hegte die Hoffnung, daß die Kräfte der Abwehr gegen die schädigenden Einflüsse von selbst wachsen würden. Man hoffte auch auf eine gute Entwicklung des deutschen Films, der sich damals erst in den ersten Ansätzen zeigte, und vor allen Dingen vertraute man darauf, daß Vernunft und Verantwortungsbewußtsein die Vergnügungsindustrie, die heute schon einmal zitiert worden Ist, in vertretbaren Grenzen halten würden.
Diese Hoffnungen haben sich aber nicht erfüllt. Das Klima in der Öffentlichkeit ist zum Teil rücksichtslos, und es bietet im Hinblick auf die jungen Menschen vielerlei Gefährdungen, gegen die wir sie schützen müssen. Die Erziehungskraft der Familie ist oft geschwächt. Das liegt an einer soziologischen Wandlung. Die Jugendlichen entwachsen schneller dem bergenden Raum. Das liegt teilweise an einem veränderten Rhythmus der biologischen Entwicklung der Jugend, die hier auch schon angesprochen worden ist; aber sie entwächst diesem bergenden Raum keineswegs als fertiger Mensch; sie entwächst ihm in einem absolut schutzbedürftigen Zustand. Den Bereich, den die Familie zu schützen nicht mehr in der Lage ist, muß der Gesetzgeber schützen.
Nach dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz hat jedes Kind das Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit. Dieses Recht muß gewährleistet sein, und dazu gehört der Schutz gegen die schädigenden Einflüsse aus dem öffentlichen Raum. Diese Schädigungen brauchen nicht erst wissenschaftlich belegt zu sein; das Kind braucht nicht erst in den Brunnen gefallen zu sein; schon die Wahrscheinlichkeit der Schäden zwingt den Gesetzgeber, Maßnahmen zu ergreifen, zumindest in diesem Fall die Maßnahmen, die bereits getroffen sind, zu verbessern. Vor allen Dingen konzentriert sich das nun auf einen bestimmten Bereich der Schädigungen, das sind Film, Glücksspiel, Automaten, und es konzentriert sich nach der andern Seite dieser Reform auf die Begriffsdefinition Jugendlicher und Erziehungsberechtigter.
Zu den Organisationen und Gruppen, die im öffentlichen Raum die Diskussion über dieses Thema aufgegriffen haben, gehörten in erster Linie die Arbeitsgemeinschaft Jugendpflege und Jugendfürsorge, die sich in vielen Tagungen damit befaßt hat, aber auch die Tagung des Bundeskriminalamts in Wiesbaden. Professor Villinger sagte da aus, daß das werdende Weltbild unserer Kinder mehr vom Film als von Elternhaus und Schule her bestimmt werde.
Die Tagung der Jugendpsychologen der Länder 1954 forderte die Reform der Altersstufen für den Film im Sinne einer phasengerechten Begrenzung, die Heraufsetzung der allgemeinen Altersgrenze und den Ausschluß von Kindern unter sechs Jahren. Die Referate und Beschlüsse dieser Tagung sind in der Schriftenreihe des Wissenschaftlichen Instituts für Jugendfilmfragen in München, Verlag Ehrenwirt, erschienen.
Der Deutsche Jugendgerichtstag in Marburg 1956 stellte fest, daß vor allen Dingen im Zustand der
({1})
Verwahrlosung ein stark vermehrter Filmkonsum Jugendlicher zu beobachten sei. Aus der Sicht der Jugendrichter wurde bei dieser Tagung und auch bei der Tagung der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte des Landes Baden-Württemberg folgende Forderung aufgestellt: erstens Heraufsetzung des Schutzalters von 16 auf 18 Jahre, zweitens sachkundigere und gewissenhaftere Handhabung der Filmselbstkontrolle.
Schließlich nenne ich Ihnen noch die Arbeitstagung Jugendschutz in Karlsruhe 1956, die Frankfurter Gespräche über Kinder- und Jugendfilme, die Bundesdelegiertentagung der Jugendfilmklubs im Verband der Deutschen Filmklubs e. V., die vor allem die Bezeichnung „jugendfördernd und jugendgeeignet" von Filmen für Kinder und Jugendliche kritisierte.
Ganz allgemein darf man sagen, daß in Erzieherkreisen, in Kreisen von Elternvertretungen immer wieder Maßnahmen vom Gesetzgeber gefordert werden, die eine gewisse notwendige Schonzeit zwischen Geschlechtsreife und Lebensreife, ein ruhiges Klima, in dem sich die geistig-sittliche Entwicklung vollziehen kann, für die Jugend garantieren.
Die Erforschung der Filmwirkungen auf Kinder und Jugendliche hat auch zu einer beachtlichen Reihe von Veröffentlichungen geführt. Die erste These zur Filmerziehung, mit der Professor Stückrath seine „Psychologie des Filmerlebens in Kindheit und Jugend" beschließt, lautet:
Die Tatsache, daß der filmische Einfluß die Totalität der Person erfaßt und vom frühen Kindesalter bis in die Reifezeit hinein eine deutliche Steigerung erfährt, macht die Filmfrage zu einem ernsten und dringlichen Anliegen der Instanzen, denen der Schutz und die Förderung der Jugend anvertraut sind.
Dieses Wort wiegt besonders, weil es aus dem Munde eines Mannes gesprochen ist, der auf dem Gebiete der Filmforschung große Bedeutung erlangt hat.
Ärzte warnen vor dem Treibhausklima der Verfrühung und der Überforderung, Kriminalpsychologen zeigen einen inneren Zusammenhang zwischen Filmklima und Gefährdung, und die Soziologen warnen im Interesse späterer Lebenstüchtigkeit vor falschen Lebensperspektiven. Aber auch aus dem Gebiete der Praxis darf ich Ihnen sagen, daß die obersten Landesjugendbehörden grundsätzlich den Jugendschutz für nicht ausreichend halten und eine Reform des Jugendschutzgesetzes verlangen.
Auch auf politischer Ebene sind diese Bestrebungen schon sichtbar geworden. Ich darf Sie daran erinnern, daß Anfang dieses Jahres der BHE im Bayerischen Landtag die Anfrage an die Regierung richtete, was sie gegen jugendverderbliche Filme zu tun gedenke, und daß die Regierung durch den Innenminister Geislhöringer geantwortet hat, daß sie selbst dafür Sorge tragen wolle, daß das Jugendalter heraufgesetzt werde. In diesem Zusammenhang wurde auch gesagt, daß der Ministerpräsident Hoegner schon 1954 für eine entsprechende Reform des Jugendschutzgesetzes eingetreten sei.
Für den Bundesgesetzgeber bieten sich aus der jetzigen Situation des Jugendschutzes folgende Gesichtspunkte:
Erstens. Als zusammenfassendes Ergebnis gewissenhafter Forschungen muß festgestellt werden, daß der Film eine Erziehungsmacht von unübersehbarer Bedeutung geworden ist, deren prägende Kraft um so tiefer wirkt, je geringer die geistige Selbständigkeit des Filmbesuchers ist, und das trifft auf die Jugendlichen zu. Das ehrliche Bemühen um einen guten Film soll nicht verkannt werden.
Es ist aber zweitens nicht zu bestreiten, daß der Durchschnittsfilm absolut lebensfremd ist. Er zeichnet ein unechtes und manchmal verlogenes Lebensbild, eine völlig falsche soziale Situation, Wohlstand, Lebenskomfort als Selbstverständlichkeit ohne Mühe und ohne echte Anstrengung. Die klare Linie zwischen Recht und Unrecht wird in diesen jungen, noch völlig ungesicherten Menschen verwischt.
Drittens. Demgegenüber steht nun der Jugendliche von 16 Jahren, und das Gesetz erklärt ihn in bezug auf den Film als erwachsen. Er steht noch mitten in der Reifung. Es fehlt ihm das innere sichere Ordnungsbild. Er sucht gute und große Leitbilder, an denen er sich orientieren möchte. Aber der Film stellt ihm falsche vor. Er sucht Antwort auf seine Probleme und findet fortgesetzt eine Scheinwelt auf der Leinwand.
Viertens. Das Klima der Traumwelt bringt ihm die rauhe Wirklichkeit seiner eigenen Existenz als harten Gegensatz zum Bewußtsein. Er wird unzufrieden und letztlich lebensuntüchtig, denn er stellt sich seinen Schwierigkeiten nicht mehr, um sie zu überwinden, er weicht ihnen mit immer häufigerem Filmbesuch aus.
Fünftens. Der Filmkonsum ist um so intensiver, je weniger gesichert die Lebenssituation des Jugendlichen ist. Statistiken weisen eine erschreckende Häufigkeit des Filmbesuches auf. 1954 betrug die Zahl der Filmbesucher - das ist eine beachtliche Zahl - 733 Millionen; das sind 60 Millionen mehr als im Jahre 1953. Es kommt also zur Nachhaltigkeit des Filmeindrucks auch noch die Wirkung der ständigen Wiederholung irrealer Bilder, die nicht nur das Zustandekommen eines echten Lebensbildes verhindern, sondern darüber hinaus auch in der Lage sind, das, was die Erziehung bis dahin erreicht hat, wieder aufzuweichen und aufzulösen.
Sechstens. Das Phänomen der Akzeleration überdeckt für den flüchtigen Betrachter die wahre Situation, und hier liegt vielleicht auch ein Irrtum des Gesetzgebers von 1951. Die geistig-sittliche Entwicklung unserer Jugend hält mit der beschleunigten körperlichen Reifung nicht Schritt. Sie haben das eben auch von unserem Kollegen Lange gehört, der es im Zusammenhang mit dem Jugendarbeitsschutz betonte. Diesem Umstand der geistigsittlichen Spätreife hat der Gesetzgeber wohl Rechnung getragen bei der Reform des Jugendstrafrechtes. Unter ausdrücklicher Berufung auf diese geistig-sittliche Spätreife findet das Jugendstrafrecht auch Anwendung auf die Heranwachsenden im Alter von 18 bis 21 Jahren. Der eben beendete Jugendgerichtstag in Marburg bestätigte diese Tendenz. Aber die Tendenz auf dem Gebiet des Jugendschutzes lief bisher in absolut entgegengesetzter Richtung. Es muß auch hier dieselbe Begründung gelten. Also deshalb darf keine Einschränkung des Gebiets des Jugendschutzes vorgenommen werden, sondern eher eine Ausdehnung. Mindestens aber muß der alte Zustand, nämlich die Festlegung der
({2})
Altersgrenze bei 18 Jahren, wiederhergestellt wer- den. Gerade die Disharmonie zwischen der inneren und äußeren Entwicklung bedeutet eine erhöhte Labilität. Die an sich schon gefährlichen Spannungen in der Reifezeit werden in unverantwortlicher Weise erhöht, wenn man zuläßt, daß diese starken Erregungen krimineller und sexueller Art, wie sie auch sein mögen, auf den Jugendlichen eindringen, mit denen er dann fertig werden muß.
Welche Unsicherheit sich aus der gegenwärtigen Situation mit der Altersgrenze bei 16 Jahren ergibt, wurde durch ein Freigabeverfahren deutlich. Ein Film, der im Arbeitsausschuß der freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft freigegeben worden war, kam auf Antrag einer überstimmten Minderheit in die Berufungsinstanz, die die Freigabe widerrief mit der Begründung, daß der Film eine abträgliche Wirkung für Jugendliche habe. Gegen die Nichtfreigabe wurde wiederum ein Einspruch erhoben, der folgendermaßen begründet wurde, und diese Begründung ist typisch für die Situation:
Wenn sich der Gesetzgeber auf den Standpunkt stellt, daß ein besonderer Schutz nur für Personen unter 16 Jahren notwendig ist ({3}), so müssen alle Personen über dieser Altersstufe im Hinblick auf die Filmfreigabe gleichbehandelt werden. Damit scheiden alle Betrachtungen, welche der Hauptausschuß in diesem Zusammenhang über die Gefährdung jüngerer Menschen durch den Film angestellt hat, von vornherein aus. Wenn der Gesetzgeber einen Menschen über 16 Jahre als Erwachsenen behandelt wissen will, dann kann die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft nicht mehr bei den über Sechzehnjährigen besondere Altersstufen im Hinblick auf die Filmbeurteilung einführen.
Das ist ganz klar und deutlich, und ich wüßte nicht, wie man den Gesetzgeber klarer auf seine Verantwortung ansprechen und ihn anrufen könnte, diese Lücke zu schließen.
Es kommt noch etwas anderes hinzu. Alle geltenden Schutzgesetze auf anderen Gebieten begrenzen bei 18 Jahren: die Bestimmungen der Gewerbeordnung, das Gesetz gegen jugendgefährdendes Schrifttum, die Jugendarbeitsschutzbestimmungen des geltenden Rechtes, das Arbeits- und Betriebsvertretungsrecht und das schon erwähnte Jugendstrafrecht. In allen Fällen ist der Jugendliche der Vierzehn- bis Achtzehnjährige. Nur der § 6 des Jugendschutzgesetzes macht die Ausnahme und erklärt den Zehn- bis Sechzehnjährigen als Jugendlichen und den Sechzehnjährigen als Erwachsenen.
Ansehen und Durchführbarkeit eines Gesetzes hängen aber weitgehend von klaren Begriffen ab. Der systematischen Einordnung des Jugendschutzgesetzes in den Bereich der gesamten Schutzgesetzgebung auf diesem Gebiet dient die Änderung des § 1, die Sie in der Ihnen vorgelegten Drucksache finden. Das ist die Begriffsbestimmung des Jugendlichen: „Kind im Sinne dieses Gesetzes ist, wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Jugendlicher ist, wer das 14. überschritten, aber das 18. noch nicht vollendet hat."
Meine Damen und Herren, die Persönlichkeit des jungen Menschen ist ein Ganzes. Wenn wir die jugendliche Arbeitskraft im Interesse einer späteren vollentwickelten Leistungsfähigkeit vor Überforderung schützen wollen, dann dürfen wir gegenüber den geistig-seelischen Kräften und ihrer Entwicklung nicht fahrlässig sein, dann dürfen wir diese Kräfte nicht geringer achten. Ihnen stehen dieselbe aufmerksame Pflege und derselbe wirksame Schutz vor Schädigungen und Entwicklungsstörungen zu. Der Arbeitsschutz auch nach geltendem Recht schützt den Jugendlichen bis zu einem Alter von 18 Jahren. Der sittliche Jugendschutz reicht auf den so umstrittenen Gebieten des Films, des Glücksspiels und des Automatenwesens nur bis 16 Jahre. Schäden, die die jugendliche Arbeitskraft durch mangelnden Schutz erleidet, werden schnell sichtbar, vor allen Dingen in der verminderten Leistung. Aber seelische Schäden und Verletzungen werden nicht so leicht offenkundig ünd deswegen vielleicht auch nie überwunden. Vielleicht entdeckt einmal der Richter die Spuren bei einem straffällig gewordenen Jugendlichen; aber sie werden nie entdeckt bei all den vielen Lebensversagern, die deshalb nicht zu voller Lebensleistung kommen konnten, weil das Treibhausklima der wahllos genutzten Vergnügungsangebote eine Frühreife und eine Notreife in ihnen entwickelt hat, die den Kern ihres Wesens unentwickelt ließ. Im Bereich ihres sittlichen Unterscheidungsvermögens, ihres Gewissens, werden diese Menschen immer nur halbentwickelt bleiben. Im Interesse einer harmonischen Entwicklung der körperlichen, geistigen und sittlichen Kräfte unserer Jugend, wie sie das RJWG als Recht für jedes Kind garantiert, ist die Heraufsetzung der Schutzaltersgrenze auf 18 Jahre notwendig.
Das ändert grundlegend den § 6 - um den wichtigsten Paragraphen gleich vorwegzunehmen Nach geltendem Recht sind Kinder bis zu 10 Jahren, Jugendliche von 10 bis 16 Jahren zum Filmbesuch zugelassen. Nach dem Änderungsvorschlag werden Kinder bis zu 6 Jahren nicht mehr zugelassen werden. Damit ist auch das alte Recht, das vor dem „Dritten Reich" gegolten hat, wiederhergestellt. Es ist auch so, daß Kinder unter 6 Jahren überhaupt nichts vom Film haben. Sie sind noch gar nicht in der Lage, eine zusammenhängende Filmhandlung zu erfassen. Aber die Gefahren, daß die optischen und akustischen Reize zu stark auf das kleine Kind wirken, führen vielfach dazu, daß später im Schulkindalter neurotische Störungen auftreten, die man dann sehr bedauert. Mangelhafte Schulleistungen werden von Professor de Rudder, Frankfurt, und Professor Kreutz, Münster, auf diese Störungen im frühkindlichen Entwicklungsalter zurückgeführt.
({4})
Kinder von 6 bis 14 Jahren sollen nach unserem Vorschlag zugelassen werden, wenn der Film für dieses Alter freigegeben ist. Damit entfallen die beiden Bezeichnungen „jugendfördernd" und „jugendgeeignet". Es ist ja auch wirklich fraglich, ob jeder Film, der unter dem Prädikat „jugendfördernd" und „jugendgeeignet" zugelassen worden ist, in Wirklichkeit jugendfördernd und jugendgeeignet war.
({5})
Schon die Altersunterschiede - da ist zu fragen: wofür interessiert sich der 10jährige, und womit interessiert man den 14-, 15-, 16jährigen? -machen es unmöglich, diese Gruppen in einer zusammenzufassen. Die Begriffe „jugendfördernd"
({6})
und „jugendgeeignet" setzen pädagogische Maßstäbe voraus. Diese sind aber nicht vom Bund zu vertreten, sondern von den Ländern. Der Bundesgesetzgeber muß die wertenden Bezeichnungen im Gesetz durch eine wertfreie Altersskala ersetzen. Der Bund hat sich nach Art. 5 Abs. 2 des Grundgesetzes darauf zu beschränken, den Raum abzuschirmen, in dem der junge Mensch seine Kräfte in Ruhe entfalten kann; und wenn Sie den Art. 2 des Grundgesetzes auslegen, kommen Sie auch zu dem Ergebnis, daß hier ein Raum geschaffen und garantiert werden muß, in dem sich die Entfaltung zur Persönlichkeit vollziehen kann. Der Gesetzgeber muß diese Freiheit, die dem Kinde zusteht, gegen Auswüchse auf dem Gebiet der freien Meinungsäußerung -die ja auch durch das Grundgesetz zugebilligt ist - und auch gegen die Freiheit zum skrupellosen Geschäft verteidigen.
Die Abschirmung dieser schädigenden Einflüsse muß nach Maßstäben geschehen, die auch wieder der Bundesgesetzgeber setzen muß. Bisher waren diese Maßstäbe in den Prüfrichtlinien und Grundsätzen der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft enthalten. Das ist aber eine freie Einrichtung der Filmwirtschaft, die die Prüfaufgabe auf Grund eines jeweils für drei Jahre geregelten Abkommens mit den Ländern übernimmt. Da aber der Bund den Jugendschutz zu vertreten hat, muß er als Gesetzgeber die Maßstäbe geben, nach denen dann die Prüfung durch die FSK und die Freigabe durch die Länder erfolgen. Die Maßstäbe können im Gesetz natürlich nur generell genannt werden, damit sie gegenüber der Entwicklung elastisch genug sind. Sie finden sie in § 6 Abs. 3. Das Recht der Freigabe liegt nach wie vor bei den Ländern. Auch der Herr Minister hat eben in seiner Erklärung diesen Zusammenhang aufzuklären versucht. Es ist nämlich mißverständlich - mindestens hat es in der Öffentlichkeit zu Mißverständnissen geführt -, wenn in gewissen Zeitungsveröffentlichungen erklärt wurde, die von uns vorgeschlagene neue Formulierung führe zu einem Bundesprüfverfahren. Es ist nicht so. Den Ländern steht das Recht der Freigabe zu; es wird nach wie vor auf dem Wege der Inanspruchnahme durch die FSK praktiziert.
Außer den Filmen unterliegen aber auch Werbung, Vorspann und Beiprogramm diesen Prüfrichtlinien. In einer für Kinder oder Jugendliche freigegebenen Filmvorführung dürfen nur solche Werbe-, Vorspann- und Beiprogramme gezeigt werden, die nach denselben Maßstäben wie der Film geprüft worden sind. Der Entwurf schreibt in § 9 vor, daß bei Ankündigung und Werbung der Freigabevermerk nur mit der jeweiligen Altersbezeichnung erfolgen darf. Es darf also nicht mehr, wie es jetzt oft der Fall ist, mit der Bezeichnung „Jugendverbot" eine zusätzliche Propaganda für den Film getrieben werden. Das ist Mißbrauch, und das ist genau der Absicht des Gesetzgebers entgegen.
Aber der beste Schutz gegen die Übertretung des Gesetzes ist der gute Film selbst. Durch die Neueinteilung der Altersgruppen ergibt sich eine bessere Chance für die Filmgestaitung. Ich gebe zu, daß man für das Alter von 10 bis 16 Jahren wenig Möglichkeiten einer guten Filmgestaltung hat. Aber das Alter von 14 bis 18 Jahren könnte sehr viel mehr Möglichkeiten bieten, aus der Fülle des Stoffes für diese Jugendlichen Filme zu gestalten; das ist eine neue Aufgabe, die der Filmwirtschaft zufällt.
Der Jugendliche ist sehr kritisch. Er stellt an Stoff und Gestaltung, auch an den Wahrheitsgehalt des Filmes sehr hohe Ansprüche. Von da her könnte auch eine Wende für den Film insgesamt eintreten, da man dann, ausgehend von diesen hohen Ansprüchen, die die Jugend an den Film stellt, auch den allgemeinen Film gestalten könnte.
Wir wollen also die Heraufsetzung des Jugendschutzalters weniger als eine Einschränkung betrachten denn als eine Anregung zu besserer Filmgestaltung. Ich wüßte nicht, daß die Filmwirtschaft auf diese Weise Einbuße erleiden müßte, denn der Besucherkreis der 16- bis 18jährigen ist ein erheblicher Teil der Filmbesucher, und es lohnt sich schon, für diesen großen Teil des Filmpublikums neue Wege zu finden.
Die zeitliche Begrenzung des Filmbesuchs ist für die Gruppe von 14 bis 18 Jahren von 22 auf 23 Uhr heraufgesetzt; das ist zu vertreten.
§ 5 behandelt die Revue-, Varieté- und Kabarettveranstaltungen. Hier ist eine einfache Umkehrung eingetreten. Von der Erhöhung des allgemeinen Schutzalters auf 18 kommen wir nun zu einer Regellösung von 18 Jahren und zu Ausnahmelösungen von 16 Jahren. Das bedeutet eine Vereinfachung auch insofern, als es heute bei angelaufenen Programmen nötig ist, durch das Jugendamt eine Beschränkung vorzunehmen, wenn die Vorstellung nicht jugendgeeignet ist, während in Zukunft der Unternehmer von vornherein den Antrag stellen kann, dieses Programm auch für 16jährige zu genehmigen, und die Sache dann reibungsloser verläuft.
In Abs. 3 des § 5 finden Sie eine neue Kategorie von Veranstaltungen. Er behandelt das Verbot des Zutritts zu Veranstaltungen mit verrohendem Einfluß. Es sind hier sogenannte Catcher-Veranstaltungen gemeint - eine ganz neue Form -, auch Freistilringkämpfe und derartige Dinge. Es lohnt sich aber nicht, dafür den § 5 mit einem neuen Katalog zu versehen. Man kann diese Dinge durch eine Rechtsverordnung des Innenministeriums ordnen, in der jeweils die Arten von Veranstaltungen, die unter diese Kategorie fallen, bezeichnet werden können.
Nun zum § 7! Die Gewerbeordnung bzw. die Durchführungsverordnung zu § 33 d der Gewerbeordnung verbietet die Benutzung von Glücksspielgeräten für Jugendliche bis zu 18 Jahren. Das Jugendschutzgesetz geht mit dem Verbot nur bis 16 Jahre. Außerdem besteht im Gesetz selber ein Widerspruch zwischen den §§ 1 und 7. § 1 verbietet den Aufenthalt an jugendgefährdenden Orten. Spielhallen, solche Hallen, in denen Glücksspielautomaten aufgestellt sind und die sehr viel von Jugendlichen, zum Teil von ziemlich verwahrlosten Jugendlichen, aufgesucht werden, müßten als jugendgefährdenden Orte nach § 1 bezeichnet werden. Das ist aber nach § 7 nicht möglich, weil die Benutzung der dort aufgestellten Spielgeräte ausdrücklich schon vom 16. Lebensjahr an gestattet ist. Die Erhöhung der Altersgrenze für die Zulassung zu Spielautomaten ist gerechtfertigt durch den hohen Grad der Gefährdung, der vom Automatenwesen ausgeht. Je jünger der Mensch ist, um so weniger Widerstandskraft vermag er der Verlockung entgegenzusetzen. Die glänzenden Spielangebote wir({7})
ken auf den Jugendlichen demoralisierend. - Ausdrücklich sind Veranstaltungen ausgenommen, die für kurze Zeit und unter freiem Himmel stattfinden, Jahrmärkte usw., und ausgesprochene Geschicklichkeitsspiele.
Eine kleine Änderung bei dem Alkohol-Paragraphen, eine kleine, redaktionelle Änderung auch in § 1: es heißt heute „durch die dafür zuständigen Behörden". Diese Worte sind im Entwurf ersetzt durch den Passus „durch die durch Landesrecht bestimmten Behörden".
Dann folgt eine sehr grundsätzliche Änderung. Sie betrifft den Erziehungsberechtigten. Bisher war es so, daß bei Übertretung des Gesetzes durch Jugendliche eine Meldung an das Jugendamt erfolgte und erst dann auf dem Wege über das Jugendamt, nachdem ein Fall, eine Akte entstanden war, die Erziehungsberechtigten in Kenntnis gesetzt wurden. Das soll nun gleichzeitig geschehen. Wir wollen damit die Vorrangigkeit der elterlichen Verantwortung betonen. Dasselbe wollen wir betonen in § 14, wo es heißt, daß Personen, die Jugendliche gefährden, bestraft werden. Man kann aber nicht die Eltern mit allen anderen Personen gleichsetzen, die Kinder gefährden. Vielmehr müssen wir hier sagen „Erziehungsberechtigte und andere Personen", um auch hier darzutun, daß die Eltern in bezug auf die Verantwortung vorrangig behandelt werden müssen. Der Begriff des Erziehungsberechtigten ist neu gefaßt, und zwar ist jetzt das Schwergewicht auf die charakteristische Funktion des Erziehungsberechtigten abgestellt, auf das Inobhutnehmen. Es genügt also nicht die einfache Begleitung des Jugendlichen durch einen Erwachsenen, sondern der Erwachsene muß die Funktion des Inobhutnehmens haben. Das Inobhutnehmen trifft nicht allein Eltern, Vormünder, Pfleger und Personen, die ihnen gleichstehen, sondern auch den Lehrherrn.
Es wird auch wieder der Gedanke zum Ausdruck gebracht, daß die junge Persönlichkeit im ganzen gesehen werden muß. Es gibt keine Erziehung auf einem Teilgebiet, auch keine isolierte Erziehung zur Berufstauglichkeit. Diese Erziehung muß gleichzeitig mit einer Erfassung des ganzen Menschen, mit einer Sorge für den ganzen Menschen verbunden sein. Das Inobhutnehmen bedeutet also auch hier die Übernahme der Verantwortung auch für die sittliche Entwicklung des Jugendlichen, der dem Lehrherrn anvertraut ist. Heimleiter eines Wohnheimes gelten ebenfalls als Erziehungsberechtigte im Sinne dieses Gesetzes.
Das Gesetz soll drei Monate nach seiner Verkündung in Kraft treten. Dadurch soll gewissen Entwicklungen Spielraum gelassen werden.
Meine Damen und Herren, wir bitten Sie um Zustimmung zu diesem Entwurf. Der Wunsch, ihn zu verabschieden, kommt aus allen Teilen des Volkes, quer durch alle Parteien hindurch. Wir sind uns klar, daß der Jugendschutz nur ein kleiner Teil des gesamten Bereiches der Jugendpflege und des gesamten Bereiches einer Jugendpolitik bleibt. Immer bedarf der Jugendschutz einer wirkungsvollen Ergänzung durch erzieherische und jugendpflegerische Maßnahmen, durch Schaffung wertvoller Freizeitmöglichkeiten. Aber auch diese positiven Maßnahmen lassen den Jugendschutz nicht entbehrlich erscheinen.
Fünf Jahre haben wir nun zugewartet, und es ist auf dem Gebiet der Filmerziehung viel getan worden. Trotzdem hat alle Filmerziehung nicht hindern können, daß Film über Film freigegeben worden ist, der Gift für unsere 16jährigen ist. Ich stelle am Ende noch einmal die Frage: Kann man es verantworten, den Jugendlichen mit 16 Jahren für diese Bereiche als erwachsen zu erklären?
Unsere Jugend muß dem Leben gewachsen sein. Dazu gehört Selbstdisziplin. Die Jugend muß lernen, sich einzuordnen, und muß sich höheren Notwendigkeiten fügen. So müssen wir auch erwarten, daß sie die Maßnahmen des Jugendschutzes nicht als gegen sich gerichtet betrachtet, sondern als Grenzen, die auch sie von sich aus freiwillig respektieren soll.
Wir bitten darum, diesen Antrag an den Ausschuß für Jugendfragen als federführenden Ausschuß und in bezug auf den § 6 an den Ausschuß für Presse, Funk und Film als mitberatenden Ausschuß zu überweisen.
({8})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung der Tagesordnungspunkte 5 a und b gehört. Der Punkt 5 c ist zurückverwiesen. Auf die Begründung des Antrags unter Punkt 5 d wird verzichtet. Die mündliche Berichterstattung zu 5e wird nicht gewünscht. Ich frage, ob zu 5 f das Wort zur Begründung gewünscht wird.
({0})
- Begründung wird nicht gewünscht.
Meine Damen und Herren, dann eröffne ich die Aussprache über den ganzen Tagesordnungspunkt 5.
Das Wort hat zunächst der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Arbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche zu Punkt 5 a. Die Bundesregierung hat den Jugendarbeitsschutz immer als ein besonders wichtiges Anliegen betrachtet. Sie ist seit langem bemüht, eine Reform des Jugendarbeitsschutzes durchzuführen, einmal, weil das derzeitige Gesetz aus dem Jahre 1938 stammt und in einer Reihe von Punkten nicht mehr befriedigt, dann aber auch, weil es nicht weit genug geht und gewisse Zweige ungeschützt läßt. Es handelt sich dabei im wesentlichen um Landwirtschaft, Binnenschiffahrt und Haushalt.
Die Bundesregierung ist seit langem damit beschäftigt, hier eine Änderung zu schaffen und einen neuen Entwurf aufzustellen, der diesem Hohen Hause die Mäglichkeit geben soll, einen wirksamen und guten Jugendarbeitsschutz zu schaffen. Sie wissen - es ist von einem der Herren Vorredner, dem Herrn Abgeordneten Lange, bereits darauf hingewiesen worden -, daß im Bundesarbeitsministerium vor einiger Zeit ,der dritte Referentenentwurf erstellt worden ist. Man kann vielleicht fragen: Warum hat man nicht bereits früher einen von diesen Referentenentwürfen in die Gesetzgebung gegeben? Nun, wir haben geglaubt, daß wir der Sache, aber auch der parlamentarischen Beratung und der Güte des zustande kommenden Gesetzes dienen, wenn wir eine möglichst gute Aufklärung und eine möglichst gute Behandlung
({0})
der ganzen Probleme gemeinsam mit den Sozialpartnern und Jugendverbänden durchführen.
({1})
- Verzeihen Sie, man kann zu allem irgend etwas sagen. Aber Sie können, wenn man ein Problem mit denen, die es angeht, durchdiskutiert, wirklich nicht sagen, daß das eine Verzögerung sei. Denn dafür hat nachher das Parlament die Unterlagen, die dazu ausreichen.
({2})
Wir haben nunmehr den Erfolg, daß in den meisten Fragen eine gemeinsame Auffassung zwischen den Sozialpartnern und den Jugendverbänden hergestellt ist. Damit haben wir, glaube ich, der endgültigen gesetzlichen Behandlung dieses Entwurfs einen guten Dienst erwiesen.
Ich darf allerdings - nachdem Herr Abgeordneter Lange auch diese Frage angeschnitten hat - noch sagen, daß das Handwerk in einem sehr wichtigen Punkt, nämlich in der Frage der Arbeitszeitverkürzung, noch eine andere Stellung einnimmt. Das Handwerk ist nämlich der Meinung, eine Verkürzung der Arbeitszeit auf eine Stundenzahl, wie sie genannt worden ist, könne dazu führen, daß eine genügende Berufsausbildung nicht mehr gewährleistet sei. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, meine Damen und Herren, der einer sehr eingehenden Erörterung bedarf und der nachher im Parlament ausgiebig auf sein Für und Wider zu prüfen ist.
Abschließend darf ich erklären, daß der Entwurf
fertiggestellt ist. Er wird - dabei hebe ich die Tatsache hervor, daß heute der 25. Oktober ist - noch im Laufe dieses Monats dem Kabinett zur Entscheidung vorgelegt werden.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Herold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß schon sagen, die optimistischen Klänge in den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs verwundern uns genauso wie vor einigen Jahren. Als damals in den ersten Jahren des Bundestags die Schaffung eines Jugendarbeitsschutzgesetzes zur Debatte stand, legte der Herr Bundesarbeitsminister namens der Bundesregierung auch ziemlich umfangreiche Unterlagen vor und machte Versprechungen - ich komme darauf noch kurz zu sprechen -, die heute noch nicht eingelöst sind. Es ist bedauerlich, daß die Bundesregierung in diesen Fragen eine so schlechte Initiative entfaltet. Die Vorlage des Gesetzes, das die Jugend so brennend interessiert, war uns schon ein paarmal versprochen worden.
Ich darf daran erinnern, daß dieses Parlament mit großer Mehrheit in der 139. Sitzung des 1. Deutschen Bundestags, nämlich am 26. April 1951, dem Beschluß des Ausschusses für Jugendfürsorge zugestimmt hat, der die Regierung aufforderte, den Entwurf eines Jugendarbeitsschutzgesetzes vorzulegen. Sechs Jahre, Herr Staatssekretär, sechs Jahre sind seitdem ins Land gegangen! Ich bedaure nur, daß der Herr Arbeitsminister hier ein so kurzes Gastspiel gegeben hat
und wieder verschwunden ist, weil Sie ihm vermutlich gesagt haben, daß das Jugendarbeitsschutzgesetz noch nicht zur Debatte stehe. Auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion von 1952 antwortete der Minister mit einem Schnellbrief, in dem es - ich darf mit Genehmigung des Präsidenten ganz kurz den letzten Satz zitieren - heißt:
Die Vorarbeiten werden beschleunigt fortgesetzt. Die Bundesregierung beabsichtigt, den Entwurf eines neuen Jugendarbeitsschutzgesetzes im Bundestag etwa im Oktober dieses Jahres vorzulegen.
Das ist geschrieben im Jahre 1952. Und heute schreiben wir 1956!
({0})
- Aber Oktober, das eine hat er für sich. Jawohl, Herr Kemmer, da stimme ich Ihnen zu. - Ich darf also sagen - nehmen Sie uns das nicht übel -, daß die Glaubwürdigkeit des Arbeitsministers und seines Hauses von uns hier sehr in Zweifel gezogen wird.
({1})
- Ja, wer glaubt an den Storch!
Wir wissen, daß die Politik der Regierung vom Herrn Kanzler bestimmt wird, der ja andere Interessen verfolgt und der Jugend andere Dinge aufzuzwingen versucht.
({2})
- Ja natürlich, die alte Platte! Ich kann genauso argumentieren und sagen: es fällt schwer, immer , wieder so etwas zu hören. Und wenn die Trommelfelle langsam taub sind, Sie werden es immer wieder hören.
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- Gott sei Dank, Herr Kemmer. Wir werden Ihnen auch noch einiges sagen, wenn es angenehm ist.
Wir müssen heute eine ganz klare Frage stellen: Ist die Bundesregierung wirklich bereit - wir werden in vier Wochen ja das Ergebnis haben -, den Schutz der arbeitenden Jugend zu garantieren, oder stehen so starke Interessenverbände hinter dieser Regierung, die das verhindern? Darauf möchten wir einmal eine Antwort haben, und zwar bei nächster Gelegenheit.
Sie wissen genau, wie aus allen Teilen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens von Forschern, von Pädagogen und Soziologen die Vorlage eines Gesetzes verlangt wird. Sie stören sich nicht daran. Ihrem Hause liegen schon seit Jahren Ergebnisse vor, die das ganz klar aussprechen.
Ich glaube niemand wird mir übelnehmen, wenn ich hier ein paar Beispiele anführe, die untermauern sollen, daß es unbedingt notwendig ist, dieses Gesetz endlich zu bringen. Durch die Deutsche Angestellten-Krankenkasse ist z. B. eine Reihenuntersuchung mit dem Ergebnis durchgeführt worden, daß jeder dritte Jugendliche, der untersucht worden ist, erholungs- und kurbedürftig ist. In dieser Untersuchung wurden 23 000 Jugendliche untersucht, und fast 20 % wurde eine Heilkur verordnet.
Herr Professor Hagen aus Bonn hat festgestellt, daß die Jugend im Augenblick infolge der Ratio({4})
nalisierungsmaßnahmen in viel stärkerem Maße den Erkrankungen und der Anfälligkeit ausgesetzt ist. Ein großer Teil der Jugendlichen wird durch die ungeheure Inanspruchnahme bei der Akkord-und Fließbandarbeit in einem Maße angestrengt, wie wir es einfach nicht verantworten können. Ein hoher Prozentsatz der Jugendlichen hat bereits Herz- und Kreislaufstörungen und nervöse Erkrankungen. Nur 38% der untersuchten jungen Menschen haben ein en normalen Gesundheitszustand. Ist denn das kein Beweis, daß es für das Arbeitsministerium höchste Zeit wird, Abhilfe zu schaffen!
Ihrem Hause liegt auch eine Ausarbeitung vor, in der noch viel mehr Dinge angesprochen werden: etwa wie sich nach laufenden Feststellungen der Ärzte übermäßige Arbeitszeit, Fehlen von Arbeitspausen, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz auf die Jugendlichen von 14, 15 und 16 Jahren in Rückgratverkrümmungen, Magenbeschwerden, Herzbeschwerden usw. auswirken.
Ich möchte dazu keine weiteren Beispiele bringen. Ich sage nur eines: wenn Sie das Vertrauen dieser Jugend haben wollen, dann müssen Sie für sie endlich das tun, was sie erwartet. Unsere Kritiker sagen: Das alte Gesetz genügt. Ich sage Ihnen: dieses alte Gesetz von 1938 genügt nicht!
Wenn Sie der Jugend klarmachen wollen, daß es ausreichend sei, wird sie Ihnen ganz einfach und primitiv die Frage stellen: In diesem Gesetz ist von einer achtstündigen Arbeitszeit die Rede, aber wie viele arbeiten zwölf, ja sogar sechzehn Stunden? Der Urlaubsanspruch ist gesetzlich festgelegt, jedoch ist in einem Land der Bundesrepublik festgestellt - und man kann das ohne weiteres auf die andern Länder übertragen -, daß über 50 % der jugendlichen Beschäftigten nicht in den Genuß des gesetzlich festgelegten Urlaubs kommen.
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Bedenken Sie auch, meine Damen und Herren, daß über 80% der Jugendlichen, die Überstunden leisten, kein Entgelt dafür bekommen. Da frage ich Sie: Wie soll diese Jugend an den Staat glauben? An diesen Beispielen können Sie erkennen, welchen schweren Belastungen das Rechtsempfinden dieser Jugendlichen ausgesetzt ist. Ich darf Ihnen deswegen sagen: wenn wir diesen Gesetzentwurf eingebracht haben, so nicht in der Absicht, einen Schutzpark für die Jugend zu schaffen, sondern wir wollen für sie Gerechtigkeit und Schutz vor gewissenlosen Ausbildern. Das möchte ich hier in aller Klarheit sagen.
Ich will keine Schuldigen suchen, in keinem Zweig der Wirtschaft; wahrscheinlich finden wir sie überall. Ich nehme mir aber das Recht heraus, die in der Wirtschaft Verantwortlichen darauf aufmerksam zu machen, daß es besser wäre, wenn sie in ihren eigenen Kreisen mehr Selbstkritik üben würden als andere Leute zu beschimpfen und zu diffamieren.
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Ich hoffe auf Verständnis und Einsicht bei den Ausschußberatungen, damit diese von Erfolg gekrönt werden. Ich erwarte, daß wir den Gesetzentwurf in aller Sachlichkeit beraten können und zu einem guten Ergebnis gelangen! Sie, meine Damen und Herren der Koalition, haben bewiesen, daß Sie Gesetze, die Ihnen wichtig scheinen, sehr schnell verabschieden können; ob sie der Jugend
dienen, wage ich als Angehöriger der Opposition zu bezweifeln; Ich möchte Sie also bitten, bei diesem Gesetzentwurf denselben Elan zu entwickeln wie bei anderen Gesetzen, die Sie in den letzten Monaten beschlossen haben.
Ich darf Ihnen zum Schluß noch eine Bitte vortragen: daß nicht jemand von den Koalitionsparteien auf die Idee kommt, bei diesem Gesetzentwurf denselben Ausspruch zu gebrauchen, der gestern fiel, als man einen Vorschlag der Opposition mit „Wahlplakat" abgetan hat. Wir hoffen, daß eine sachliche Beratung stattfinden wird. Von den Menschen, die wir mit dem Gesetzentwurf ansprechen wollen, haben wir ja in den nächsten Wahlen nichts zu erwarten - sie sind noch nicht wahlberechtigt -, sondern wir fühlen uns ihnen verpflichtet; deswegen unsere Vorlage.
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Das Wort hat der Abgeordnete Prinz zu Löwenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen der Fraktion der Freien Demokraten zu den Punkten 5 a und 5 b der Tagesordnung Stellung nehmen. Es handelt sich um zwei verschiedene Aspekte des gleichen Problems, nämlich um die Stellung der Jugend in sozialer und in staatspolitischer Hinsicht.
Der vorgeschrittenen Zeit wegen will ich, was ich zu sagen habe, sehr konzentrieren und ohne Polemik vortragen. Das scheint mir bei diesem Thema doch von konstruktivem Wert zu sein. Es wird zu diesem so lebenswichtigen Thema einiges von all- gemeiner Bedeutung zu sagen sein.
Der Antrag der SPD Drucksache 2429 stand vor den Parlamentsferien schon einmal auf der Tagesordnung. Er ist damals abgesetzt worden. Ihm kommt unserer Meinung nach eine besondere Bedeutung zu, da auch noch der Referentenentwurf vorliegt. Ich kannte bis jetzt nur den dritten Entwurf, höre aber, daß es nunmehr einen vierten gibt. Zu urteilen nach dem dritten, sind doch Dinge in dem Entwurf enthalten gewesen - ich möchte hoffen, daß sie im vierten nicht mehr enthalten sind -, die zu großen Bedenken Anlaß geben. Deswegen halte ich es für besonders wesentlich, daß nunmehr auch dieser Antrag vorliegt.
Im Referentenentwurf war ein fast vollkommener Gesundheitskontrollapparat vorgesehen, der unserer Meinung nach die Gefahren einer totalen staatlichen Lenkung der Arbeitskraft der Jugendlichen mit sich bringen würde. Es war darin eine Art von Prädestination der Jugend in ihrer Berufswahl durch staatlich bestallte Ärzte - eine Vision von Aldous Huxley's „Brave New World" -, keine freie Arztwahl, Aufhebung oder Durchlöcherung der ärztlichen Schweigepflicht und noch einiges mehr. Für den Fall, daß dieser Entwurf bei den Ausschußberatungen herangezogen werden sollte, muß jetzt schon auf diese großen Gefahren hingewiesen werden.
Der Entwurf der SPD stellt unserer Meinung nach eine entschiedene Verbesserung dar, da die Punkte, die ich eben erwähnte, in ihm nicht enthalten sind. Wieweit er in allen Stücken wirklichkeitsnah ist, wird noch genauer zu untersuchen sein. Da ist als erstes die Frage, ob die generelle
({0})
Regelung des § 13 Abs. 2, nach der Jugendliche zwischen 20 Uhr und 6 Uhr nicht beschäftigt werden dürften, den praktischen Erfordernissen vor allem der kleineren Gewerbe- und Handwerksbetriebe wirklich entspricht. Auch die sehr weitgehenden Bestimmungen über Urlaub, Ruhe und Freizeit müßten wohl noch genauer betrachtet werden.
Ich möchte gleich hinzufügen, daß den Jugendlichen zur Erhaltung ihrer Arbeitskraft selbstverständlich jede Erholung gewährt werden muß, jede Möglichkeit, sich in der Freizeit, im Urlaub, in der Ruhe wieder aufzufrischen, um neu ans Werk gehen zu können. Aber wenn Sie diese ganzen Bestimmungen zusammenfassen, könnte es doch fast so erscheinen, als ob das letzten Endes auf eine Verlängerung der Lehrzeit hinauslaufen müßte und die wirkliche Zeit der Ausbildung außerordentlich eingeschränkt würde.
Auch der § 21 wirft einige Probleme auf; es ist das Benachteiligungsverbot. Im Prinzip sind wir natürlich durchaus damit einverstanden. Aber gekoppelt mit den Urlaubs- und sonstigen Freizeitbestimmungen entsteht hier wieder eine sehr gewichtige Frage, nämlich ob das nicht zu einem Zurückdrängen der Jugendlichen führen wird, zu einer bevorzugten Einstellung von solchen jungen Menschen, die über das Alter von 18 Jahren hinaus sind, was wieder eine Gefährdung der Ausbildung der Jugendlichen bedeuten würde.
Ich möchte zu diesem Thema zusammenfassend sagen, daß ich es für dringend notwendig halte - meine Freunde sind derselben Meinung -, daß auch der Ausschuß für Gesundheitswesen zur Mitberatung herangezogen wird. Dieses Gesetz greift so tief in Fragen der Gesundheit der breitesten Massen unseres Volkes ein, daß die Heranziehung dieses Ausschusses durchaus als wünschenswert erscheinen würde.
Daß Jugendschutz ein verpflichtendes Anliegen der Gesellschaft ist, darüber kann kein Zweifel bestehen. Aber meine politischen Freunde und ich fragen uns doch, ob durch den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache 2672, wirklich mehr erreicht werden kann als durch das bisherige Gesetz vom 4. Dezember 1951. Dabei möchte ich voranstellen, daß man nach Möglichkeit eigentlich überhaupt keine Gesetze machen sollte, die praktisch kaum durchführbar sind. Man untergräbt sonst die Staatsautorität. Meine liebe und verehrte Kollegin Frau Friese-Korn wird einiges, und zwar Wesentliches, über diesen Zentralpunkt des Gesetzentwurfs zu sagen haben, nämlich die Erhöhung des Jugendschutzalters bei Filmveranstaltungen. Ich kann dies also ausklammern und ihrer bewährten Darstellung überlassen.
Es sind aber noch einige andere Punkte in diesem Gesetz, die ich zum mindesten kurz erwähnen möchte. Manches scheint mir eigentlich überhaupt überflüssig zu sein. Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen aus Bayern mögen mir die folgende Bemerkung nicht übelnehmen, die ich machen darf, da ich selber Bayer bin. Da gibt es den § 2 Abs. 3, wonach Alkohol an Kinder auch dann nicht verabreicht werden darf, wenn sie in Begleitung eines Erziehungsberechtigten sind.
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Wo geschieht das eigentlich, außer auf der Wies'n beim Oktoberfest? Ich würde so etwas nicht in ein Bundesgesetz hineinschreiben.
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- Das ist richtig; es ist die Milch der frommen Denkungsart.
Was den § 7 anbelangt, Glücksspiele, Automaten
- - verehrte Frau Kollegin Pitz, wenn Sie mit mir zusammen einen Gesetzentwurf einreichen würden,
({3})
ein Verbot aller Glücksspiele - ich bin sofort bereit, ihn zu unterschreiben. Ich habe schon vor zwei Jahren mit vielen Kollegen und Kolleginnen aus den verschiedensten Fraktionen darüber gesprochen. Aber Sie wissen, welche Widerstände
dann auftauchen. Ich wäre, wie gesagt, völlig bereit, einen solchen Antrag zu unterstützen. Ein Gesetz, das Hitler eingeführt hat, um die Augen der Weltöffentlichkeit von den Konzentrationslagern auf die Spielsäle abzulenken - wenn wir da etwas Radikales tun, werde ich mit Freuden dabeisein. Aber wie es heute steht, scheint mir dieser § 7 doch nicht ganz realistisch zu sein. Wie wollen wir denn verhindern, daß Jugendliche unter 18 Jahren in Lokale, in Gasthäuser hineinlaufen, wo solche Groschenautomaten stehen? Das ist praktisch nicht durchzuführen. Sie müßten die ganze Godesburg sperren!
({4})
Da sind fünf oder sechs solcher Automaten; das ganze Burggelände ist also damit verseucht. Ich fürchte, wir kommen mit einer solchen Bestimmung nicht recht weiter.
Dann haben Sie in dem Entwurf eine Bestimmung, wonach der Zutritt zu Veranstaltungen, die geeignet sind, einen verrohenden Einfluß auszuüben, Kindern und Jugendlichen nicht gestattet ist. Ich finde, daß auch Erwachsene da gar nicht hin sollten,
({5})
weil es eigentlich überhaupt keine solchen Veranstaltungen geben sollte. Ich denke immer ein wenig an die Weltöffentlichkeit, daran, daß man im Ausland liest, daß wir ein Gesetz annehmen, aus dem man schließen könnte, daß wir verrohende Veranstaltungen eigentlich als eine Selbstverständlichkeit betrachten und nur wollen, daß man erst von 18 Jahren an verroht wird.
Um noch einmal auf die Automaten zurückzukommen: da könnte vom Steuerlichen her einiges geschehen. Wollen wir doch dafür sorgen, daß so hohe Steuern kommen, daß es den Leuten gar keinen Spaß und kein Vergnügen mehr einbringt, solche Dinger hinzustellen!
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu all diesen Problemen sehr kurz zusammenfassend einiges Allgemeine sagen. Ich glaube, ich sage damit nicht etwas Parteigebundenes, sondern etwas, was die Meinung aller Fraktionen dieses Hohen Hauses ausdrückt. Der Jugendschutz muß unserer Meinung nach - erlauben Sie mir das Wort - in einer geistigen und sittlichen Haltung bestehen, ich möchte sagen, in einer lebensphilosophischen Hal({7})
tung gegenüber der Jugend. Es ist selbstverständlich die Pflicht des Gesetzgebers, sich damit zu befassen, was aus der Jugend werden soll, beruflich und menschlich. Aber es kommt nicht nur auf das Werden an. Es ist beste deutsche Tradition, daß Jugend nicht nur etwas Werdendes ist, nicht nur eine Vorstufe zum Erwachsenen, sondern ein Wert, ein Sinn in sich selber. Ein Mann wie Friedrich Gundolf hat dieses klassische Wort geprägt: „Sinn in sich selber." Das ist die gültige Erkenntnis, von der die Jugendbewegung ausging. Ich meine, wir sollten in diesem Hohen Hause in diesem Zusammenhang einiges darüber sagen. Keine Nachäffung der Erwachsenenwelt sollte geschaffen werden, sondern als ein geistiger Stand, erfüllt mit geschichtlichen Kräften, wollte diese deutsche Jugend, ohne die wir uns doch die wahre deutsche Kultur des 20. Jahrhunderts gar nicht denken könnten, am Leben des Volkes teilnehmen.
Heute ist sicherlich sehr viel getan worden. Wir erkennen dankbar die Verdienste des Bundesjugendplans an. Wir erkennen dankbar alles an, was die einzelnen Menschen aus allen politischen Parteien, aus allen Ständen geschaffen haben, unserer deutschen Jugend nach dem Zusammenbruch des Nazismus überhaupt wieder eine Lebensgrundlage zu schaffen. Dennoch, meine Damen und Herren - ich spreche vielleicht etwas aus, was Sie auch als Sorge in Ihrem Herzen haben -, fürchte ich oft, daß wir unsere Jugend immer mehr zu einer Staatsinstitution machen.
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Wenn ich das Wort Freizeitgestaltung höre! Wer aus der Jugendbewegung stammt, kann mit diesem Wort gar nichts anfangen. Freizeitgestaltung! Die Freizeit haben wir uns gestaltet.
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Die Jugend gestaltet sich ihre Freizeit. Nun kommen wir Erwachsenen, gestalten und organisieren die Freizeit von außen. Diese Vorstellung ist doch grauenvoll!
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- Ja, durchaus.
Wir haben schon einmal darüber gesprochen. Es ist ein schwieriges Thema; aber ich möchte es doch noch einmal ansprechen. Sollten wir nicht in unserer Gesetzgebung Mittel und Wege finden, durch die eine private Förderung der Jugend erleichtert wird, und wäre nicht auch hier der Weg vielleicht über die Steuergesetze möglich? Sehen Sie sich bitte die Verhältnisse in den angelsächsischen Ländern an, wo man doch wirklich tiefes Verständnis für die Jugend hat. Es würde doch einer amerikanischen Jugendgruppe niemals einfallen, Bundesmittel in Anspruch zu nehmen. Sie hätte viel zu sehr Angst davor, dann unter einen Regierungseinfluß zu kommen.
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Öffnen wir doch der privaten Initiative die Möglichkeit, unserer Jugend in viel größerem Maße auch finanziell zu helfen!
Es wird viel zuviel organisiert. Einer der Redner hat heute von einem deutschen Fehler gesprochen. Die deutsche Organisation ist etwas Großartiges; aber sie kann auch zu einem Laster werden. Ich finde es z. B. nicht richtig, daß nur staatlich und behördlich anerkannte Jugendgruppen in den Genuß der fünfzigprozentigen Fahrpreisermäßigung kommen. Können wir da nicht etwas tun? Wir werden uns im Ausschuß darüber unterhalten. Es ist so - wir kennen solche Fälle -, daß Jugendgruppen kein Heim bauen dürfen, wenn sie nicht behördlich dafür approbiert sind. Sind wir nicht auf dem besten Wege, wirkliche jugendliche Initiative zu lähmen?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr. Ich danke Ihnen, Herrn Präsident, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Ich bitte das Hohe Haus um Vergebung, daß ich meinen Entschluß, mich zu konzentrieren, vergessen habe.
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Nein, nein, Herr Abgeordneter; einer der Kollegen möchte eine Zwischenfrage stellen.
Ich dachte, Herr Präsident, Sie machten mich darauf aufmerksam, daß die Zeit fortschreitet.
Es ist besonders liebenswürdig, Herr Abgeordneter, daß Sie mich darauf aufmerksam machen.
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Dem Präsidenten steht es ja nicht zu, den § 39 der Geschäftsordnung anzuwenden, also über die Redezeit zu gebieten. Das würde ich auch Ihnen gegenüber unter keinen Umständen tun. Aber in diesem Augenblick wollte ich lediglich einem der Kollegen, der eine Zwischenfrage zu stellen wünscht, das Wort verschaffen.
Ich bitte sehr darum.
Prinz zu Löwenstein, glauben Sie nicht, daß die private Unterstützung im Endeffekt nicht 'dieselbe Wirkung hat Wie die staatliche Unterstützung; daß die private Unterstützung im Gegenteil einen viel einseitigeren und parteiischeren Charakter haben Wird als die staatliche Unterstützung?
Nein, Herr Kollege, das glaube 'ich nicht. Die Erfahrungen gerade aus der angelsächsischen Welt zeigen eigentlich etwas sehr Positives. Sie dürfen nicht immer nur daran denken, daß Vielleicht irgendein großes Unternehmen x-tausend Mark gibt, um eine Jugendgruppe politisch oder wirtschaftspolitisch freundlicher zu stimmen. Ich glaube, wir müssen uns - gestatten Sie mir diese Bemerkung - gerade' auf diesem Gebiet von Vorstellungen des Klassenkampfes frei machen. Das ist - ich glaube, ich habe sie wohl richtig analysiert - eine Sorge, die Sie haben. Ich meine aber, daß das gerade für die Jugend nicht zutrifft. Wir würden weite Kreise unseres Volkes, nicht nur Kreise, die wirklich wohlhabend sind und über große Mittel verfügen, sondern auch sehr viele einzelne heranziehen, um dieser Jugend unmittelbar helfen zu können. Ich könnte mir davon etwas Positives versprechen.
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Während wir auf der einen Seite vieles und sicher auch viel Lobenswertes 'tun, zeigt sich auf der anderen Seite eine höchst eigenartige Einstellung gegenüber der Jugend. Ich meine da die Fälle: Kindesmißhandlungen, von denen man täglich in der Zeitung liest, oder die sühnelos gebliebene Ermordung des 16jährigen Küchenjungen Richard Jokisch, worüber eine Wochenzeitung neulich berichtete, oder der Fall Blöcker. Das sind eigentlich recht beunruhigende Anzeichen, vielleicht für etwas, das typisch sein könnte. Wenig förderlich ist sicher auch, wie unlängst die „Frankfurter Allgemeine" mit Recht herausstellte, daß ein westdeutscher Polizeipräsident, der sich sehr schlau dünkte, seine Mannen angewiesen hat, einen Auflauf sogenannter Halbwüchsiger mit gezielten Hieben zu zerstreuen. ,,Armseligere Psychologie hat es nie gegeben", schrieb das Blatt.
Da sei ein Wort gestattet zu dem, was man heute das „Halbstarken-Problem" nennt. Ein abscheuliches Wort, und ich meine, ich spreche im Namen des ganzen Hauses, wenn ich es von. dieser Tribüne aus verurteile und eine Bitte an die Presse richte, mit diesem Worte so sparsam wie möglich umzugehen, es, wenn möglich, überhaupt nicht mehr zu. verwenden.
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Der Herr Bundesinnenminister sprach über die Pressefreiheit und über die 'Berichterstattung
in der Presse. Meine Freunde und ich verteidigen weiß Gott die Pressefreiheit, aber es darf hier, was die Presse anlangt, etwas hinzugefügt werden. Es ist nicht nötig, jeden Zusammenstoß als eine Sensationsmeldung aufzubauschen, als ob unsere deutschen Städte unter dem Terror organisierter 1 jugendlicher Gangster ständen.
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Diese Diffamierung reizt zum Widerstand und reizt gerade aus der Jugendpsychologie heraus auch zum Nachahmen. Ich sehe eine große Gefahr. „Was du von einem Menschen denkst, entzündest du in ihm", sagte Nietzsche. Kein Wort der Verniedlichung zum jugendlichen Verbrechertum! Dinge, die sich nicht wiedergeben lassen, haben sich abgespielt. Ich meine aber, wir sollten von dieser Tribüne aus einen Appell an die deutsche Jugend richten, nicht eine Ermahnung, nicht einen väterlichen Zuspruch, sondern einen Appell zur Selbstkontrolle, daß die deutsche Jugend ihre Reihen reinigen möge, damit nicht wenige üble Ausnahmen ihren guten Ruf beeinträchtigen. Es ist eine Tatsache, daß man sich heute ein völlig übertriebenes Bild macht. An den Verkehrsdelikten sind die Jugendlichen mit 4,5 %, an der allgemeinen Kriminalität mit 6,5 % beteiligt. Natürlich eine erschreckende Ziffer, aber doch bei weitem geringer, als es manchmal scheint. Die Jugend hat auch Anspruch auf eine faire Berichterstattung. Sie will nicht, daß sie der Sündenbock wird für die - ich möchte Wilhelm Busch paraphrasieren - „ach so tugendlich gewordenen Erwachsenen, die alles hinter sich haben".
Es gibt eine Emnid-Befragung, die Sie sicher gelesen haben. Bei dieser Befragung von Jugendlichen hat sich ergeben, daß vier von fünf unter ihnen keinen Alkohol trinken, daß die Minderheit raucht, daß sie sehr viel lesen, vor allem Dichter, daß nur ganze 7 % Wildwest- und Kriminalromane lesen und daß ein großes politisches Interesse vorliegt, daß z. B. 80% der Jugend von
West-Berlin die deutsche Wiedervereintigung für das entscheidende Problem schlechthin halten.
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Unser verstorbener Freund Walter Kolb hat gern das Gedicht von Herbert Eulenberg zitiert - Sie kennen es alle -: „Ich große die Jugend, die nicht mehr säuft, die Deutschland durchdenkt und Deutschland durchläuft." Er stammte selbst aus der Jugendbewegung, er war am Hohen Meißner dabeigewesen. Da ist doch ein Bild einer solchen Jugend, die nicht mehr säuft, die Deutschland durchdenkt und Deutschland durchläuft.
Wie aber ist die Presseberichterstattung? Ich zittere nur aus einem Blatt, aber die Emnid-Umfrage ist in Dutzenden von deutschen Zeitungen kommentiert worden. Dieses Blatt gab dem Bericht über die Emnid-Rundfrage die Überschrift: „Jugend von heute - eher spießbürgerlich als halbstark". Ich finde eine solche Diffamierung der Jugend ungeheuerlich. Man soll Positives tun, man soll in weit höherem Maße die Jugendliteratur fördern.
Aber wer weiß eigentlich uni diag materielle Los der Jugendschriftsteller? Wenn ein Schriftsteller ein Jugendmanuskript einreicht, wird er von vornherein von 10 oder 12% auf 5% Tantieme abgewertet. Er verdient - und das sind große Jugendschriftsteller, die das berichten - 7 Pf pro Band. Dann versucht man mit sogenannten guten Schund-heften die Jugend zu gewinnen. Ich halte das für sehr problematisch.
Lassen Sie mich Senfassen. Keine Ideale habe diese Jugend, wird von den Tugendlichen. gesagt, diesen Tugendlichen, die so viele Ideale haben, und vor allem den Mercedes 300. In Wahlzeiten ist es anders. Da sind die Jungwähler die Zukunft der Nation. Jede Partei sagt das dann. Aber sonst sind sie die Halbstarken, ohne Ideale. Ich meine, daß die Erwachsenenwelt -- und des sind wir - dieser Jugend vielleicht einige Ideale wieder einmal vorleben müßte, damit die Jugend sich damn bilden kann. Es ist doch eine erschreckende Tatsache, die das Bundesvertriebenenministerium unlängst veröffentlichte, daß jeder fünfte Jugendliche, der aus der sowjetisch besetzten Zone zu uns kommt, wieder zurückwandert. Warum? Weil das Materielle allein nicht genügt, und weil wir mit dem Materiellen allein, nur mit unserem Wirtschaftswunder - welch abscheulicher Ausdruck, welche Hybris doch in diesem Worte liegt
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den Bolschewismus bestimmt nicht zurückschlagen können- Über diesem Wirtschaftswunder treiben wir schon wieder, was Hölderlin den Deutschen vorwarf: Blöde die eigene Seele zu verleugnen.
Ich schließe mit dem Appell an die Jugend, eingedenk zu sein der Tradition des Hoben Meißner vom 12. und 13. Oktober 1913. Eine zeitlose Prägung liegt in diesen Worten:
Die freideutsche Jugend
- hießesda
will ihr Leben nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung in innerer Wahrhaftigkeit gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen ein.
Zeitlose Prägung! Meine Damen und Herren, der Staat Inn mir die äußere Freiheit gewährleisten.
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Doch die erhält erst ihren Sinn durch die innere
Freiheit, von der Jugend selber kommen muß.
Ich meine, wir können genügend Vertrauen zu dieser Jugend haben, die doch im großen und ganzen sauber und klar durch diese schmutzigen Jahre hindurchgegangen ist, daß sie mit Hilfe der äußeren Freiheit, die wir zu gewährleisten haben, ihre innere Freiheit und ihre innere Wahrhaftigkeit verteidigen wird.
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Das Wort hat die
Abgeordnete Frau Friese-Korn.
({0})
Meine Herren und Damen, nicht nur wegen der vorgerückten Zeit und weil ich Ihnen ermöglichen möchte, sich noch die letzte Spätvorstellung eines Films anzusehen, will ich mich jetzt kurz fassen, sondern weil ich einfach der Meinung bin, daß das Problem, über das ich jetzt noch sprechen will, in der Tat am besten in den Ausschüssen behandelt wird.
({0})
Aber immerhin muß ich als Mitglied des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films und als Mitglied mancher Vereinigung, die sich seit Jahren mit Filmfragen, mit Film und Jugend, mit der Verbesserung der Filmsituation beschäftigt, doch etwas zu diesem Problem sagen.
Gerade diese Organisationen wissen seit langem, daß unser Jugendschutzgesetz in bezug auf den
Film in einigen Punkten gewisser Verbesserungen bedarf. Aber diese Verbesserungen, die von allen Eingeweihten vorgeschlagen werden, beziehen sich nicht auf die Jugendschutzgrenze von 16 Jahren. Sie beziehen sich vielmehr auf die etwas seltsame und unorganische Gruppeneinteilung der Altersjahrgänge, die von Frau Kollegin Pitz hier schon erwähnt wurde. Man hatte die Gruppierung von 1 bis 10 und von 10 bis 16 Jahren. Dabei nannte man also Kinder nur die Ein- bis Zehnjährigen, und schon vom 10. Lebensjahr an nannte man die Kinder in dieser Altersstufe „Jugendliche". Nun, Filmpsychologen, das Institut für Filmwissenschaft, das Institut für Filmkunde, alle schlagen vor, da eine Änderung vorzunehmen und eine neue Gruppierung zu wählen. Aber mir scheint das, was dieser Gesetzentwurf vorschlägt, eine erneute Fehlkonstruktion zu sein. Wir werden uns darüber gründlich unterhalten müssen.
Lassen Sie mich Ihnen ein kleines Beispiel darstellen. Wenn man sagt, daß Jugendliche vom 6. bis zum 14. Lebensjahr Kinder sind und vom 14. bis zum 18. Jugendliche, dann würde man jetzt einen Film, der das Interesse der 6-, 7- und 8jährigen findet, auch den 14jährigen bieten. Der 14jährige wird sich langweilen; das Kind bis zu 12 Jahren wird mitgehen. Ich halte es also für ganz unmöglich. daß wir bei dieser Einteilung bleiben.
Ich kann aber zunächst doch eine positive Feststellung treffen, und darüber freue ich mich. Ich freue mich, daß endlich diese Begriffsbestimmungen „jugendfördernd" und „jugendgeeignet" verschwinden. Jeder, der sich mit der Materie beschäftigt hat, ist dieser Meinung. Es war ein unmögliches Verfahren, Filmen die Bezeichnung „jugendfördernd" zu geben, statt sie einfach für ein bestimmtes Alter freizugeben. „Jugendfördernd" war durchaus nicht jeder Film - auch Frau Pitz sagte es schon -, den man den Jugendlichen vorsetzte und in die man sogar Kinder unter 6 Jahren hineingehen ließ. In dieser Beziehung mußte eine Änderung getroffen werden, und ich halte die sehr nüchterne Feststellung, daß man diese Filme jetzt einfach für bestimmte Altersklassen freigeben will, für ausgezeichnet.
Aber noch ein drittes Anliegen, das jetzt nicht vorgesehen ist, ein Anliegen aller: Wenn schon Gesetz, dann muß man darin auch Maßnahmen vorsehen, die die Einhaltung dieses Gesetzes garantieren. Das hat es bisher nicht gegeben. Ich werde noch einmal kurz darauf zurückkommen. Wenn man aber in diesem Gesetzentwurf die Jugendschutzgrenze auf 18 Jahre verlegen will, dann frage ich mich: Wo blieben hier die Ratschläge der Jugendpsychologen? Warum soll unsere deutsche Jugend weniger reif, weniger urteilsfähig sein als die Jugend aller übrigen europäischen Länder mit Ausnahme von Holland und einiger Schweizer Kantone? Warum sollen alle Argumente, die bei der Beratung des Gesetzes 1950/51 angeführt worden sind, heute keine Gültigkeit mehr haben? Etwa wegen der von Prinz zu Löwenstein zum Schluß seiner Rede angesprochenen ewigen Behauptungen über unsere verrohte Jugend? Ich bin der Meinung, wir sollten in der Beziehung nicht von der in Europa gültigen Regel abgehen.
Zu allen Argumenten ist nämlich - das bitte ich sehr zu beachten - noch eines hinzugekommen. Wir haben inzwischen sehr viel mehr Fernsehapparate. Wir haben sie nicht nur in den Familien, wir haben sie auch in den Gasthäusern. An den Fernsehapparaten konnten unsere Jugendlichen 1955 beispielsweise unter den 42 dort gezeigten Spielfilmen 15 Filme sehen, die das Prädikat „Jugendverbot" trugen. Wer hindert denn nun also diese Jugendlichen daran, sich diese Filme im Fernsehen anzusehen? Der Gastwirt?
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- Die Eltern? Nun, nicht alle Eltern sind sich der Gefahren bewußt. Wenn die Eltern nämlich so gewissenhaft wären, müßten bei der Durchführung des bisherigen Jugendschutzgesetzes nicht so häufig die Filmtheaterbesitzer schuldig gesprochen werden, weil Jugendliche das Besuchsverbot nicht befolgt haben.
Damit komme ich zu dem eigentlichen Hauptanliegen, das ich immer wieder vorbringen muß. Es geht nicht, daß wir ein Gesetz erlassen und es nur einer Gruppe überlassen, die Durchführung dieses Gesetzes zu garantieren. Es ist bisher so gewesen, daß nicht der Jugendliche allein, sondern auch der Jugendliche mit den Eltern immer wieder versucht hat, das Gesetz zu umgehen, zu betrügen, und daß dann allein der Kinotheaterbesitzer zur Rechenschaft gezogen wurde. Sicher sollte auch er bestraft werden; das hat aber gar keinen Zweck, wenn sich nicht auch für den Jugendlichen und für das Elternhaus daraus irgendwelche Konsequenzen ergeben. Hier wären also Möglichkeiten, Verbesserungen anzubringen.
Ich darf zum Schluß noch einmal ganz kurz zusammenfassen. Wir begrüßen es, daß der Gesetzentwurf die von mir aufgezeigten echten Mängel beseitigen will, bedauern es aber, daß er durch die Hinausschiebung des Jugendschutzalters auf 18
({2})
Jahre eine Absicht deutlich macht, die eine Entwicklung ankündigt, gegen die die FDP große Bedenken hat. Gesetze, die einer natürlichen Entwicklung widersprechen, ich möchte sagen, ihr entgegenstehen, und deren Durchführbarkeit von vornherein nicht gesichert ist, sind eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit. Die Verleitung zum Betrug wäre darüber hinaus eine Gefahr für unsere Jugend. Ich bitte Sie darum, bei der Behandlung des Gesetzentwurfs vor allen Dingen den Rechtsausschuß zuzuziehen, damit wir uns über Maßnahmen schlüssig werden können, die uns gerade in der Beziehung eine bessere Garantie für die Einhaltung des Gesetzes geben können.
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Frau Abgeordnete, soll ich das so verstehen, daß Sie mit Ihren Schlußworten beantragt haben, den Gesetzentwurf Drucksache 2429 auch an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen?
({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich den Auftrag erfülle, die Meinung der CDU/CSU-Fraktion zu dem Jugendarbeitsschutzgesetz vorzutragen, so möchte ich mich - gewiß in Übereinstimmung mit Ihrer aller Wunsch - der Kürze befleißigen.
Wir stehen allen Bestrebungen, das Jugendarbeitsschutzrecht auf eine neue Grundlage zu stellen, positiv gegenüber. Einmal, weil es erforderlich ist, auf diesem Gebiet ein einheitliches Recht zu schaffen, und zum andern, weil in dem Jugendarbeitsschutzgesetz aus dem Jahre 1938 einige Wirtschaftszweige ausgelassen sind, die auch in das Jugendarbeitsschutzgesetz einbezogen werden sollten. Schon aus den Beschäftigtenzahlen der in dem Gesetz von 1938 ausgelassenen Wirtschaftszweige, also Landwirtschaft, Forst- und Jagdwirtschaft sowie Hauswirtschaft, geht hervor, daß ein wirksamer Arbeitsschutz auch auf diesen Gebieten erforderlich ist, weil gerade hier oft überlange Arbeitszeiten zu verzeichnen sind. Außerdem sind dort die Ruhe- und Erholungszeiten oftmals bei weitem zu gering. Sowohl in diesen wie auch in denjenigen Wirtschaftszweigen, die schon unter das derzeitige Recht fallen, stellt die gesteigerte Arbeitsintensität erheblich höhere Anforderungen an die Konzentration und an das Arbeitstempo, als das seither der Fall gewesen ist.
Der jugendliche Mensch ist einer dreifachen Belastung ausgesetzt. Er muß aus eigener Kraft das körperliche und das geistig-seelische Wachstum, die Pubertät, wie auch die Anforderungen des Berufs in sich verkraften. Stehen nun die Beanspruchung und die Erholung nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander, so können sich hieraus Schäden ergeben, die sich auch auf sein künftiges Leben als Erwachsener ungünstig auswirken können. Wir stehen deshalb der Schaffung eines neuen, aber allen Anforderungen gerecht werdenden Jugendarbeitsschutzgesetzes positiv gegenüber.
Ich darf mir nun erlauben, einige grundsätzliche Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf Drucksache 2429 zu machen. Zunächst zum Geltungsbereich! Hier haben wir vor allem gegenüber dem persönlichen Geltungsbereich einige Wünsche und Bedenken. Ich darf das an einem Beispiel erläutern.
Wenn z. B. in dem Geltungsbereich davon die Rede ist, daß die Arbeitsleistung in einer dem Arbeitsverhältnis ähnlichen Beschäftigung unter das Gesetz fällt, und wenn man bedenkt, daß der Geltungsbereich in diesem Gesetzentwurf umfassend ist und keine Ausnahmen für verwandte Kinder des Beschäftigers enthält, dann kann z. B. eine Mutter ihre Tochter zur Hausarbeit dann nicht heranziehen, wenn die Tochter ihre Arbeitszeit in einem Lehr- oder Arbeitsverhältnis bereits erfüllt hat. Diese Bestimmung über den Geltungsbereich geht nach unserer Meinung zu weit.
Es ist aber nicht nur im Hinblick auf die Familie, sondern auch bezüglich der Arbeit verwandter Kinder und Jugendlicher im Betriebe des Beschäftigers erforderlich, daß einige Ausnahmen zugelassen werden. So sollte nach unserer Meinung vor allem auch der Wunsch der Landwirtschaft berücksichtigt werden, einige Ausnahmebestimmungen vorzusehen, die den besonderen Verhältnissen der Landwirtschaft besser Rechnung tragen, als das in den verschiedenen Bestimmungen des Entwurfs zum Ausdruck kommt. Im Ausschuß werden wir dazu auch Einzelheiten zu besprechen haben. Im übrigen würden auch solche Bestimmungen bezüglich des Geltungsbereichs nach dem Entwurf und ihre Auswirkungen in einem Widerspruch zu der Verpflichtung zur Dienstleistung der Kinder gegenüber den Eltern stehen, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegt ist.
Im vorliegenden Entwurf liegt aber auch eine der wichtigsten Grundsatzfragen überhaupt beschlossen. Es ist die Darstellung des Berufsausbildungsverhältnisses als Arbeitsverhältnis. Das Lehrverhältnis ist aber sowohl Lehr- und Erziehungsverhältnis als auch Arbeitsverhältnis und hat somit Merkmale von beiden. Hier muß eine klare Bestimmung getroffen werden, über deren Einzelheiten wir noch im Ausschuß zu beraten haben werden.
Aber warum ist uns dies grundsätzlich so wichtig? Ich darf dazu einige Bemerkungen machen. Eine Charakterisierung des Lehrverhältnisses als Arbeitsverhältnis steht unseres Erachtens im Widerspruch zu wesentlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung und der Handwerksordnung, welche ganz klar den Erziehungscharakter des Lehrverhältnisses hervorheben.
({0})
Zweitens. Ist beispielsweise ein Jugendlicher genötigt, fernab dem Elternhaus in der Familie des Meisters zu leben, so muß es erst recht möglich sein, daß dieser Jugendliche von den Eltern in die väterliche Obhut des Meisters übergeben wird. Wer anders soll den Jugendlichen denn sonst erziehen, wenigstens mit erziehen, wenn nicht der Lehrmeister?
Eine Festlegung des Lehrverhältnisses als Arbeitsverhältnis stattet aber auch den Jugendlichen, den Lehrling, mit Rechten aus, die mit dem Anliegen des Lernens und der Erziehung nicht im Einklang stehen.
Und ein Viertes: Eine einseitige Darstellung des Lehrverhältnisses als Arbeitsverhältnis oder aber, was in der Auswirkung dasselbe ist, ein ausschließlich auf die Vermittlung von Fachkenntnissen abgestelltes Lehrverhältnis geht in der Richtung der Trennung des jugendlichen Menschen in einen beruflichen und in einen privaten Menschen. Das ist aber nicht zu verantworten, besonders im Hinblick auf jene Jugendlichen, die uns in den letzten Mo({1})
naten besonders Sorgen bereitet haben. Ziel der Arbeit in einem Lehr- und Erziehungsverhältnis muß daher der g an z e Mensch sein, wenn wir dem Wohl unserer jungen Menschen wirklich dienen wollen.
Schon eingangs habe ich über die starke Beanspruchung der Jugendlichen geredet. Wegen dieser Beanspruchung ist es durchaus zu begrüßen, daß alle an der Jugend interessierten Stellen ihre Bereitschaft erkennen lassen, der gesundheitlichen Betreuung der Jugendlichen jede Unterstützung zu gewähren. Aus den Berichten von Gewerbeärzten und Krankenkassen ist ersichtlich, daß auch schon bei jugendlichen Menschen eine Zunahme der Herz- und Kreislaufstörungen festzustellen ist. Diese Erscheinungen mögen nach der Lage der einzelnen Berufe verschieden sein. Der vorliegende Entwurf Drucksache 2429 sieht nun eine ärztliche Einstellungs- und Wiederholungsuntersuchung vor, zu der wir grundsätzlich ja sagen. Wir wünschen, daß sie möglichst bald nach Verabschiedung der entsprechenden Vorlagen in Kraft treten kann.
Allerdings haftet diesen Bestimmungen ein Mangel an. An Stelle klarer Regelungen z. B. über die Frage der Kostenträger, über die Durchführung sowie über die Wirkung der Untersuchungen wird nämlich nur auf das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von 1938 verwiesen. Wir sind der Meinung, man sollte bei einem so wichtigen Gesetz klare Bestimmungen schaffen und sich nicht darauf beschränken, auf fragwürdig gewordene Gesetze zu verweisen.
An diesen Bestimmungen wird aber auch deutlich, daß die an sich bestechende Kürze des Entwurfs nicht unbedeutende Lücken bedingt. Dies bringt teilweise eine Verlagerung der Verantwortung auf die ausführenden Behörden mit sich, so daß diese überfordert werden. Die von mir eben genannten Anliegen bedürfen einer klaren Regelung im Gesetz selbst.
Die dritte grundsätzlich bedeutende Frage ist die Verkürzung der Arbeitszeit. Mit ihr sind eine Reihe von Überlegungen verbunden, ,die sowohl für den Ablauf des betrieblichen Arbeitsvorganges als auch für die gesundheitliche Entwicklung und die Erfordernisse der Berufsausbildung von größter Bedeutung sind. Ohne Zweifel ist es richtig, daß die allgemeine Tendenz in der Richtung auf eine Verkürzung der Arbeitszeit geht, die auch den Sektor der Berufsausbildung erfaßt. Das ist eine Entwicklung, ,die wir einfach zu sehen haben. Wohl hat die weitgehende Technisierung die menschliche Arbeit sehr erleichtert. Aber dieser Erleichterung stehen, wie ich bereits eingangs erwähnt habe, Belastungen des Jugendlichen anderer Art gegenüber.
Auch die Berichte von Gewerbeärzten lassen erkennen, daß eine Neuordnung des betrieblichen Arbeitsablaufs für unsere Jugendlichen erforderlich ist. In einer Anzahl von Berufen sind die Jugendlichen besonderen gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitszeit stehen. Die Fraktion der CDU/CSU ist bereit, dem Rechnung zu tragen. Aber diese grundsätzliche Bereitschaft schließt nicht aus, daß wir die hinsichtlich der Arbeitszeitverkürzung geäußerten Bedenken ernst nehmen.
Eine zu weitgehende Verkürzung der Arbeitszeit kann z. B. dazu führen, daß die Erreichung des Ausbildungszieles in Frage gestellt wird.
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Angesichts der Verknappung der Arbeitskräfte, insbesondere der Facharbeiter, würde eine solche Folge einen nicht wiedergutzumachenden Substanzverlust bedeuten, der nicht zu rechtfertigen wäre.
Ferner wäre es bedauerlich, wenn die Verkürzung der Arbeitszeit zu einer weiteren Spezialisierung der einzelnen Berufe führen würde. Von einer umfassenden Berufsausbildung könnte dann nicht mehr gesprochen werden.
Auch werden Bedenken wegen einer möglichen Störung des betrieblichen Arbeitsablaufs geäußert, und zwar besonders im Handwerk. Aber auch in der Landwirtschaft wird die Regelung des Entwurfs als zu weitgehend empfunden. Für die doch sehr stark von der Witterung abhängigen Betriebe der Landwirtschaft wird eine gewisse Elastizität der gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeitszeit gewünscht.
Auch hierüber müssen wir im Ausschuß im einzelnen beraten.
Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Arbeitszeit darf ich noch auf zwei Gesichtspunkte hinweisen Aus einer langjährigen Erfahrung in der Berufsausbildung weiß ich, daß die jungen Menschen infolge der Überfüllung der Schulklassen in vielen Fällen erhebliche Bildungslücken aufweisen. Ich kenne Betriebe, die deshalb den ihren Jugendlichen erteilten Werkunterricht in berufskundliche und allgemeinbildende Fächer aufteilen, um so die durch mangelhafte Schulbildung entstandenen Lükken zu schließen. Unter solchen Voraussetzungen treten manche junge Menschen in das Berufsleben ein. Deshalb ist die Frage einer Weitgehenden Kürzung der Arbeitszeit auch im Hinblick auf diese Tatsache zu prüfen.
Wer in der Arbeit unter den Jugendlichen steht, sei es im Betrieb, sei es in der Jugendbewegung, kann manchesmal erschrecken, wenn er z. B. die von den Lehrlingen in den Betrieben vorzulegenden Wochenberichte liest, die klar und deutlich auf die Lücken in der Schulbildung schließen lassen. Da die Länder die Schulfragen zu erledigen haben, ist es ihre Sache, sich damit zu befassen. Es sollten dort die entsprechenden Folgerungen aus dieser Tatsache gezogen werden.
Im Zusammenhang mit der Neuregelung der Arbeitszeit muß aber auch die Frage nach einer sinnvollen und im Interesse der Jugendlichen liegenden Nutzung der Freizeit aufgeworfen werden. Man kann diese Frage nicht einfach offenlassen, wenn man sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, einer Fehlentwicklung der Jugendlichen Vorschub zu leisten. Manche Freizeitbetätigungen unserer Jugendlichen sind zuweilen eine stärkere Belastung für die Gesundheit des Körpers. des Geistes und der Seele. als wenn sie in jenen fragwürdig zugebrachten Stunden an irgendeiner Arbeit gestanden hätten.
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Freizeit bedeutet nicht immer Erholung und Sammlung neuer Kräfte, wie das sein soll. Mit Bewußtsein nenne ich deshalb die gesetzlichen Handhaben eben eine Hilfe.
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- Jawohl, das meine ich ja damit, wenn ich von der Freizeitnutzung spreche!
Die Entscheidung über die Gelegenheiten des Lebens ist eine rein persönliche, auch beim Jugendlichen. Sie hat ihre Wurzel in der geistig-seelischen Haltung des Menschen, die von der Erziehung innerhalb der Familie stärkstens beeinflußt wird und die sich aus dem Wissen, dem Vorbild und der Einsicht formt. Aus diesem Grunde wollen wir im Interesse der Jugend die erzieherische Funktion des Ausbilders und der Berufsschule erhalten wissen.
Ich darf diesen kurzen Hinweis mit der Bemerkung abschließen, daß den Kirchen und den Jugendverbänden aus dem Jugendarbeitsschutzgesetz große, verpflichtende Aufgaben erwachsen, gerade wenn man an die Freizeitnutzung denkt. Einzelheiten müssen natürlich in einem anderen Zusammenhang erörtert und beschlossen werden. In diese Besprechung sind auch die Fragen der Nutzung des Urlaubs mit einzubeziehen.
Wir sagen also ja zu einer allen Anforderungen gerecht werdenden Neufestsetzung der Arbeitszeit und der Urlaubszeit.
Ich möchte zum Schluß nur noch andeuten, daß wir gegenüber dem Begriff der Berufsschulzeit als Arbeitszeit einige Bedenken haben, weil damit die Berufsschule unter das Gesetz fiele. Ebenso bestehen Bedenken gegenüber der Prozeßstandschaft der Länder und der Gewerkschaften, die wir im einzelnen im Ausschuß besprechen werden.
Ein letztes Anliegen darf ich noch nennen. Wir wünschen, daß die teilweise bestehenden Ausschüsse für den Jugendarbeitsschutz in ein solches
Gesetz mit eingebaut werden; man hat mit ihnen, soweit ich es aus meinem Bereich überblicken kann, gute Erfahrungen gemacht. Die Durchführung des Gesetzes könnte damit den zuständigen Behörden wesentlich erleichtert werden. Solche Maßnahmen fehlen in dem Gesetzentwurf Drucksache 2429.
Es ist unser Anliegen, im Jugendarbeitsschutzgesetz eine Regelung zu schaffen, die jenen Anforderungen Rechnung trägt, die sich sowohl von den Gesichtspunkten der Betriebe als auch von den Notwendigkeiten der Heranbildung unserer arbeitenden Jugend zu tüchtigen Fachkräften und Persönlichkeiten her ergeben. Daß dabei eine gesunde Entwicklung unserer Jugend ein Anliegen von größter Bedeutung ist und bleiben muß, darin sind wir wohl in diesem Hause alle einig.
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Das Wort hat der Abgeordnete Brand.
Herr Präsident, ich verzichte mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit.
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Herr Abgeordneter Brand, es gibt kein Wort, das vom ganzen Haus mehr begrüßt wird als das. In wenigen Minuten müßte ich vereinbarungsgemäß die Sitzung schließen. Ich frage das Haus, ob diese Debatte zu Ende gebracht werden soll.
({0})
- Die Debatte soll zu Ende gebracht werden? ({1})
- Meine Damen und Herren, vorgesehen ist, daß um 21 Uhr geschlossen wird. Sie haben den Wunsch, daß die Debatte zu Ende gebracht wird?
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- Wollen Sie widersprechen, Herr Kollege Mellies?
Wir sind dafür, daß um 21 Uhr, wie vereinbart, Schluß gemacht und die Debatte später fortgesetzt wird.
({0})
Austausch von Manuskripten? Nun, Herr Kollege Schröter, in Anbetracht dessen, daß es um die deutsche Jugend geht, würde ich diese Methode nicht empfehlen. Ich frage mich aber, ob wir die Debatte nicht morgen vormittag fortsetzen können.
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- Sie schütteln den Kopf, dann muß ich also abstimmen lassen, meine Damen und Herren. Wenn nicht vereinbart worden wäre, daß um 21 Uhr Schluß gemacht wird, hätten wir uns so verständigen können. In Anbetracht dessen, daß um 21 Uhr Schluß gemacht werden soll, jetzt aber ein gegenteiliger Wunsch kommt, lasse ich darüber abstimmen. Wer dafür ist, daß die Debatte über 21 Uhr hinaus, ganz gleichgültig, wie lange es dauert, bis zum Schluß der Tagesordnung fortgesetzt wird, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe!
({1})
- Meine Damen und Herren, ich kann nicht entscheiden, was die Mehrheit ist. Also Hammelsprung!
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Meine Damen und Herren, ich bitte, den Saal zu räumen. Wir müssen abstimmen.
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- Aber, meine Damen und Herren, ich bitte doch, sich ein wenig zu beeilen. Es ist unsere Zeit.
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- Durch die Ja-Tür, geht, wer für die Fortsetzung der Debatte ist, durch die Nein-Tür geht, wer gegen die Fortsetzung der Debatte ist.
Einen Augenblick, meine Damen und Herren! Ein Berliner Abgeordneter stimmt noch mit. Es handelt sich ja um eine innere Sache des Hauses.
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Ich bitte, die Türen zu öffnen. Die Auszählung beginnt.
({5})
Ich bitte, die Abstimmung zu beenden. Ich bitte, die Türen zu schließen. - Die Auszählung ist beendet.
Ich bitte, einen Augenblick Platz zu nehmen, obwohl Sie sich sofort wieder erheben können. - Abgestimmt haben 124 Mitglieder des Hauses mil Ja, 12 Mitglieder des Hauses mit Nein; enthalten hat sich niemand.
2 Deutsch Bundestag188.- Sitzuneg. Bonn. Donnerstag, den 25. Oktober 1956 9207
({6})
Damit ist die Beschlußunfähigkeit des Hauses festgestellt. Ich habe die Sitzung zu vertagen. Ich vertage auf morgen vormittag 9 Uhr und schlage dem Hause vor, in der Tagesordnung von heute und in der Rednerliste fortzufahren.
({7}) - Ich kann Ihnen leider das Wort nicht geben. ({8})
- Wenn Sie dagegen Einspruch erheben wollen,
dann tun Sie es bitte morgen vor Eintritt in die Tagesordnung.
({9})
Einen Augenblick noch, meine Damen und Herren! Verzeihen Sie, das ist eine kollegiale Bemerkung: Ich bitte Sie, morgen die Drucksachen wieder mitzubringen.
Die Sitzung ist geschlossen.