Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/11/1956

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Die Sitzung ist eröffnet. Meine Damen und Herren, wir sind gestern leider nicht mit der Tagesordnung fertig geworden; eine ganze Reihe von Punkten ist noch zu behandeln. Ich darf unterstellen, daß das Haus damit einverstanden ist, daß wir erst noch die gestrige Tagesordnung abwickeln. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 4: Erste Beratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Personen, die aus politischen Gründen in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland und Berlins ({0}) in Gewahrsam genommen wurden ({1}). Ich erteile das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs dem Herrn Bundesminister Oberländer.

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache 2637 ist dem Hohen Hause der Regierungsentwurf einer ersten Novelle zum Häftlingshilfegesetz überwiesen worden, das am 10. August 1955 in Kraft getreten ist. Es hat sich gezeigt, daß einige Formulierungen des Gesetzestextes der Klarstellung bedürfen, um vor allen Dingen bei Verwaltungsstreitverfahren Zuständigkeitsüberschneidungen zu vermeiden. Das Gesetz, das auf mehrere andere Sozialgesetze des Bundes Bezug nimmt, konnte erst nach den Erfahrungen der Verwaltungspraxis in dieser Hinsicht in allen Einzelheiten übersehen werden. Der vorgelegte Entwurf trägt den sich ergebenden Notwendigkeiten Rechnung. Abgesehen von diesen mehr redaktionellen Änderungen des Gesetzestextes enthält die Novelle zu zwei Punkten wesentliche materielle Ergänzungen. In § 9 a sind die Beihilfen für ehemalige politische Häftlinge verankert worden, die bisher nur im Einzelplan 40 des Bundeshaushaltsgesetzes genannt waren. Bei der Formulierung der Voraussetzungen für die Gewährung dieser Beihilfen hat die Bundesregierung von der bisher geforderten Hilfsbedürftigkeit abgesehen. Lediglich bei der Reihenfolge der Auszahlung der Beihilfen ist - etwa der Punkttabelle des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes entsprechend - die soziale Dringlichkeit zu berücksichtigen. Diese Formulierung entspricht in vollem Umfange dem Wunsch des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen des Hohen Hauses, der als Ergebnis der Beratung über die Drucksache 1837 eine fast gleichlautende Formulierung für einen § 9 a vorgeschlagen hatte. In Zukunft sollen alle ehemaligen politischen Häftlinge mit Beihilfen bedacht werden. In welchem Umfang und wie weit die Auszahlungen erfolgen können, wird allein dadurch bestimmt, wie viele Haushaltsmittel von dem Hohen Hause jeweils zur Verfügung gestellt werden. Für das Haushaltsjahr 1957 habe ich allein für diesen Zweck 9 Millionen DM und weitere 16 Millionen DM für neu hinzukommende Antragsteller, also wiederum zusammen 25 Millionen DM beantragt. Bis Ende August 1956 sind insgesamt rund 18 800 Anträge auf Beihilfen eingegangen. Hiervon waren Ende August bereits rund 13 200 erledigt; das sind rund 70 % aller Anträge. Die bis dahin ausgezahlte Summe betrug rund 23,4 Millionen DM. Den Ländern sind von den in den Haushaltsjahren 1955 und 1956 vorgesehenen Bundesmitteln in Höhe von 35 Millionen DM bisher bereits nahezu 29 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden. ({0})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Einen Moment, Herr Minister! Meine Damen und Herren, ich bitte doch, darauf zu achten, daß die Geräuschkulisse nicht zu stark wird. Die Übertragungsanlage schafft es sonst nicht. Bitte, Herr Minister!

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Die restlichen Mittel werden in den nächsten Monaten abberufen werden. Die Zahl der entlassenen politischen Häftlinge, die in West-Berlin und im Bundesgebiet eingetroffen sind, ist erfreulicherweise wieder gestiegen. Sie betrug im ersten Quartal dieses Jahres 900, ging im zweiten Quartal auf 636 zurück und stieg im dritten Quartal auf 1553. Darin drückt sich eine gewisse Entlassungsaktion aus, die nur mit großer Befriedigung festgestellt werden kann. Freilich bleibt der brennende Wunsch aller rechtlich und humanitär Denkenden nach einem großzügigen Öffnen der Gefängnistore leider noch offen. Die Höhe der Beihilfen entspricht den Leistungen, die ehemalige Wehrmachtangehörige und Zivilinternierte für die Zeit der Kriegsgefangenschaft erhalten. Damit hat die Bundesregierung der Sache nach die gleichen Leistungen für ehemalige politische Häftlinge beschlossen, wie sie von der Fraktion der SPD mit der Bundestagsdrucksache 1837, jedoch in der Form eines Rechtsanspruches, vorgeschlagen worden waren. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese Leistungen unter anderem deshalb nicht förmlich als Rechtsanspruch gewährt werden sollten, weil die Verantwortung für die Unrechtshandlungen das System hinter dem Eisernen Vorhang trifft; gegen dieses richten sich die eigentlichen Entschädigungsansprüche. Was wir hier tun können, sind in Wahrheit nur Beihilfen, ganz abgesehen davon, daß ungerechte Haftzeiten mit Geld überhaupt nicht entschädigt werden können. Außerdem sind die Auswirkungen auf andere Gesetze, z. B. das Lastenausgleichsgesetz, und auf andere Personenkreise, z. B. ehemalige politische Häftlinge in anderen als den im § 1 des Häftlingsgesetzes genannten Gebieten, zu bedenken. Ich wiederhole aber, was ich schon in der 152. Sitzung anläßlich der Haushaltsdebatte hier gesagt habe, daß der Bundesregierung die faktische Gleichstellung der ehemaligen politischen Häftlinge mit den ehemaligen Kriegsgefangenen ein echtes Anliegen ist. Die Vorlage trägt dem Rechnung. Als zweite wesentliche Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes bringt der Entwurf der Novelle die Einbeziehung der aus politischen Gründen Verschleppten in den Kreis der Berechtigten für die gesamte Dauer ihres Zwangsaufenthaltes im Auslande. Diese Zeit wurde bei ihnen auch bisher angerechnet, jedoch nur über den Härteausgleich ides § 12. Abschließend darf ich nur noch darauf hinweisen, daß sich nach meiner persönlichen Meinung aus der Verabschiedung der Zweiten Novelle zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz am 28. September 1956 durch den Bundestag für die Ausschußberatungen des Hohen Hauses einige zusätzliche Punkte bei der Behandlung des vorliegenden Entwurfs ergeben könnten, so insbesondere aus der dort gefundenen Definition des Festhaltens und aus dem Katalog der Ausschließungsgründe. ({0})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren! Sie haben die Begründung gehört. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Henn.

Dr. Hans Henn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000869, Fraktion: Freie Volkspartei (FVP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes habe ich für meine politischen Freunde folgendes zu bemerken. ({0}) Durch den neu eingefügten Absatz 2 zu § 1 wird zweifellos auch das Problem der sogenannten Spezialisten berührt. Diese Spezialisten sind freilich nur in den seltensten Fällen in Gewahrsam genommen worden, was § 1 Abs. 1 des Gesetzes als Voraussetzung vorschreibt. Es ist aber bekannt, daß die Spezialisten seinerzeit in der sowjetischen Besatzungszone häufig gegen ihren Willen zu Verpflichtungen gezwungen wurden. Auf jeden Fall ist eine Klarstellung in dem neu eingefügten Absatz 2 des § 1 zweckmäßig. Wir halten es für richtig, wenn die in der übergroßen Mehrzahl gegen ihren Willen in die Sowjetunion zwangsverpflichteten oder sogar ohne Verpflichtung verbrachten Spezialisten von den Betreuungsmöglichkeiten des Häftlingshilfegesetzes erfaßt werden. Ausnahmen wären freilich in den Fällen vorzusehen, wo ein besonders guter Verdienst in der Sowjetunion festzustellen ist. Auf jeden Fall sollten die Spezialisten bei der Ausschußberatung in die Erörterungen einbezogen werden. Zu § 9 schlagen wir vor, beide in diesen Bestimmungen genannten Fristen zu ändern. Wir hielten es für richtig, wenn auch diejenigen politischen Häftlinge in den Genuß des Entlassungs- und Begrüßungsgeldes von insgesamt 600 DM auf Grund des Heimkehrergesetzes kämen, die weniger als ein Jahr in Gewahrsam gehalten wurden. Man bedenke z. B., was es bedeutet, wenn ein Mensch mehrere Monate hindurch in der Untersuchungshaft des Staatssicherheitsdienstes verbringen mußte, selbst wenn im Anschluß an diese Haft ein gerichtliches Verfahren nicht durchgeführt worden ist. Man bedenke weiter, daß es gerade die Fälle der sogenannten „kleinen Hetze" sind, in denen die Angeklagten mit Freiheitsentzug bis zu einem Jahr davonkamen. Diese „kleine Hetze" besteht oft in nicht mehr als einem zugunsten des Westens ausfallenden Vergleich zwischen hier und der sogenannten DDR. Wir meinen, daß auch die Menschen, die wegen eines derartigen Sachverhaltes weniger als ein Jahr ihrer Freiheit beraubt waren, eine wirtschaftliche Unterstützung der Bundesrepublik nach ihrer Haftentlassung erhalten sollten, und zwar in Form eines gesetzlich festgelegten Anspruchs. Da nun irgendwo eine Grenze gezogen werden muß, möchten wir vorschlagen, diese Grenze bei einem Freiheitsentzug von über sechs Monaten zu ziehen. Darüber würde im Ausschuß noch zu sprechen sein. Ebenfalls änderungsbedürftig hinsichtlich der Fristen erscheint uns die Bestimmung, wonach der Entlassene seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik oder in West-Berlin innerhalb von sechs Monaten genommen haben muß. Darüber ist dieser Tage in der Öffentlichkeit schon eine Diskussion entstanden, und auch der Herr Minister ist soeben in seiner Begründung des Entwurfs darauf zu sprechen gekommen. Wir möchten daran erinnern, daß viele entlassene politische Gefangene sich zunächst einmal im Leben zurechtfinden müssen, daß sie Fragen lösen müssen, die während ihrer Haft aufgetreten sind, daß sie gesundheitliche Schäden auskurieren müssen. Ein Zeitraum von sechs Monaten für die Regelung all dieser Angelegenheiten scheint uns reichlich kurz bemessen zu sein. Wir wissen freilich, daß diese Frist überschritten werden darf, wenn der entlassene Gefangene durch ärztliches Attest nachweist, daß er wegen mangelnder Gesundheit zu einer Wohnsitzveränderung schlechterdings nicht in der Lage war. Diese Voraussetzungen liegen aber nicht immer vor; es sind oft auch andere, voll anzuerkennende Gründe, die es geraten und zweckmäßig erscheinen lassen, daß der Entlassene noch einige Monate in der Zone verbleibt. Dem sollte durch eine längere Frist schon in § 9 und dann selbstverständlich auch in § 9 a Rechnung getragen werden. Schon oft ist es vorgekommen, daß ehemalige politische Häftlinge, die sich sieben oder acht Monate nach ihrer Entlassung aus der Haft nach dem Westen begeben haben, Klage darüber geführt haben, daß sie das nach den Bestimmungen des Heimkehrergesetzes zu gewährende Entlassungsgeld und die anderen Vergünstigungen nicht bekommen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß sie in der Zone von dieser Frist nichts gewußt haben und auch nichts wissen konnten. Sie sind dann erbittert über die Verständnislosigkeit des Westens. Eine solche Verbitterung aber hat, wie wir alle wissen, dann wieder Rückwirkungen auf die gesamte Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone. Wir meinen allerdings, daß der entlassene Häftling, der länger als ein Jahr nach der Haftentlassung in der Zone verbleibt, ohne aus schwerwiegenden gesundheitlichen Gründen behindert zu sein, sich - zunächst wenigstens - offenbar endgültig entschlossen hatte, einen Neuaufbau seiner Existenz in der Zone zu versuchen. Wenn dieser Entschluß später aus irgendwelchen Gründen eine Änderung erfahren sollte, dann sollten nur noch die normalen Möglichkeiten nach dem Häftlingshilfegesetz, nicht aber die des § 9 oder § 9 a für ihn in Frage kommen. Die Frist von einem Jahr scheint uns aber doch besser als die bisherige Frist von sechs Monaten. Zum § 9 a und zur Frage des Rechtsanspruchs möchte ich grundsätzlich folgendes bemerken. Nach § 2 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes gelten als Kriegsgefangene nur solche Personen, die in ursächlichem Zusammenhang mit den Kriegsereignissen von einer ausländischen Macht festgehalten wurden oder werden. Für diese Personen besteht ein Rechtsanspruch auf Kriegsgefangenenentschädigung. So wird, um ein Beispiel zu nennen und einen Vergleich anzustellen, ein ehemaliger Sonderführer, der wegen seiner Tätigkeit in der Ukraine beim Einmarsch der Russen festgenommen wurde und fünf Jahre gefangengehalten wurde, nach seiner Rückkehr etwa 1440 DM Kriegsgefangenenentschädigung erhalten, ohne daß es dafür des Nachweises einer besonderen wirtschaftlichen Notlage bedarf und ohne daß die im Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel zu berücksichtigen sind. Ein Mann dagegen, der im Jahre 1950 dem in der sowjetisch besetzten Zone herrschenden Unrechtssystem Widerstand geleistet hat und wegen dieses doch auch für den Westen geleisteten Widerstandes eine Zuchthausstrafe von fünf Jahren verbüßen mußte, hat einen solchen Rechtsanspruch nicht, sondern kann nach dem jetzt geplanten § 9 a eine Beihilfe erhalten, sofern der Bundeshaushalt dies zuläßt. Wir halten diese unterschiedliche Rechtsstellung der politischen Gefangenen gegenüber den Kriegsgefangenen heute nicht mehr für vertretbar. Wir sind der Meinung, daß auch die politischen Gefangenen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung erhalten sollten, und zwar in dem Umfang, wie die Entschädigung den Kriegsgefangenen zugebilligt worden ist. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren! Wir haben auf die heutige Tagesordnung einige Punkte der Tagesordnung von gestern übertragen. Frau Maxsein hatte mir gestern schon gesagt, daß sie sich zu Punkt 4 zum Wort gemeldet habe. Die Wortmeldung lag aber heute morgen nicht vor. Ich erteile ihr jetzt das Wort. ({0})

Dr. Agnes Katharina Maxsein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die geschäftsordnungsmäßige Seite der Angelegenheit hätte man mit der jetzigen Beratung nicht in Verbindung zu bringen brauchen. Wir könnten, wenn es wesentlich genug wäre, darauf später zurückkommen. Die Novelle zum Häftlingshilfegesetz, die die Bundesregierung dem Hohen Hause unterbreitet, enthält wesentliche Verbesserungen. Sie weist allerdings auch noch einige Lücken auf. Ich habe nicht die Absicht, mich im Rahmen einer ersten Grundsatzdebatte über einzelne Paragraphen zu verbreiten, werde allerdings bei dem Hinweis auf grundsätzliche Änderungen nicht umhin können, auf einzelne Paragraphen zu verweisen. Einen wesentlichen Fortschritt bedeutet - darauf ist Herr Kollege Henn auch schon zu sprechen gekommen - die Einfügung des § 9 a. Er besagt, wie der Herr Bundesminister bereits ausgeführt hat, daß die Bewilligung der Beihilfen in Zukunft nicht vom Vorliegen einer sozialen Notlage abhängig gemacht, sondern daß sie nach Gesichtspunkten der sozialen Dringlichkeit erfolgen wird. Das bedeutet also, daß im Gesetz einzig und allein die Reihenfolge der Bewilligungen für die auszuzahlenden Beihilfen geregelt ist. Materiell ist durch diesen § 9 a der politisch Inhaftierte dem Kriegsgefangenen gleichgestellt. Außerdem ist eine unbillige Härte, die durch das ursprüngliche Gesetz begründet war, aus der Welt geschafft: nach dieser Regelung können auch diejenigen Antragsteller noch zum Zuge kommen, deren Antrag in der Vergangenheit abgelehnt worden ist, weil ihr Einkommen bzw. ihr Vermögen über die im Gesetz festgelegte Grenze hinausgegangen ist. Sie können also die Beihilfe noch nachträglich bekommen, sobald sie die soziale Dringlichkeitsstufe erreicht haben. Wesentlich ist, daß jetzt der Fonds, aus dem die Beihilfen geleistet werden, nicht nur im Haushaltsgesetz, sondern im Häftlingshilfegesetz selbst verankert ist. Damit ist eine letzte Sicherheit für die Hilfe geschaffen worden, und das ist entscheidend; denn es handelt sich um ein Hilfegesetz. Man könnte fragen: Wenn nun schon eine Analogie zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz gefunden ist, warum legt man dann nicht einen Rechtsanspruch fest? Auch darüber hat der Herr Bundesminister gesprochen, und der Kollege Henn ist ebenfalls darauf zu sprechen gekommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben diese Frage im Ausschuß, ich darf es sagen, beinahe leidenschaftlich diskutiert, und die Mehrheit hat sich auf den Standpunkt gestellt, daß man aus politischen Rücksichten auf die Festlegung des Rechtsanspruchs verzichten sollte. Uns ist es wesentlich erschienen, daß die Hilfe garantiert ist, und es ist nachweisbar, daß diese Regelung für die Antragsteller, d. h. für den Berechtigtenkreis, in gar keiner Weise nachteilig wird. Ich persönlich habe noch andere Erwägungen angestellt. Die Kriegsgefangenenentschädigung ist, soweit ich orientiert bin, völkerrechtlich geregelt. Die politische Inhaftierung richtet sich in einer ganz anderen Art als der Krieg gegen die Einzelpersönlichkeit und gegen die Freiheit schlechthin. Es wäre tragisch, wenn die politische Inhaftierung mehr wäre als ein erschütterndes Zeitereignis, mehr wäre als eine erschütternde Zeiterscheinung, wenn sie eine historische Gegebenheit würde, die Anlaß gäbe, eine feststehende rechtliche, eventuell völkerrechtliche Regelung zu treffen. Das Wesentliche ist, daß die Regelung, die im Gesetz vorgenommen ist, die Hilfe in größtmöglichem Umfange sichert. Eine andere wesentliche Änderung, die man als Fortschritt bezeichnen muß, ist die Einbeziehung der Verschleppten in den Berechtigtenkreis, d. h. der Personen - der Bundesrat bringt hier eine Einschränkung, die meines Erachtens glücklich ist -, die gegen ihren Willen in ausländisches Staatsgebiet verbracht worden sind und an ihrer Rückkehr gehindert werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff des Gewahrsams neu interpretiert, und zwar weiter gefaßt. Die neue Fassung nähert sich, möchte ich sagen, mehr dem Wesen des Gewahrsams, das in der Freiheitsentziehung besteht, und nimmt Abstand von dem engen Begriff der räumlichen Einengung - sozusagen mit vorgehaltenem Bajonett -, eine Vorstellung, die die ursprüngliche Fassung im Gesetz erweckte. Ich deutete zu Beginn meiner Ausführungen darauf hin, daß dieses Gesetz lückenhaft ist. Es hat sich eine Schwierigkeit bei solchen nach dem Häftlingshilfegesetz Berechtigten ergeben, die auch zum Personenkreis der nach dem Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes Berechtigten gehören. Die Bestimmung des § 14 des Häftlingshilfegesetzes erfaßt nur jene Angehörige des öffentlichen Dienstes, die am Stichtag des Gesetzes zu 131 bereits in Gewahrsam waren. Wer erst später in Gewahrsam geriet und wer erst nach Inkrafttreten des Häftlingshilfegesetzes ins Bundesgebiet oder nach West-Berlin kam, hat daher Schwierigkeiten, seine Rechte nach dem Gesetz zu Artikel 131 geltend zu machen. Freilich gehört es nicht in erster Linie zu den Aufgaben der Novelle oder des Häftlingshilfegesetzes, sondern in erster Linie zu den Aufgaben der Novelle zum 131er-Gesetz, diese Lücke zu schließen. Trotzdem sollten wir bei der Behandlung der Novelle zum Häftlingshilfegesetz an dieser Frage nicht vorbeigehen und eventuell eine Zwischenlösung herbeiführen. Wir werden uns im Ausschuß darüber ausgiebig zu unterhalten haben. Eine zweite Lücke. Das Häftlingshilfegesetz sieht keine Möglichkeiten für Existenzaufbaudarlehen und Wohnungsbaudarlehen vor. Tatsächlich besteht im Regelfall keine Notwendigkeit dazu, weil die nach dem Häftlingshilfegesetz Berechtigten meist SBZ-Flüchtlinge sind und daher die Möglichkeit haben, den Härtefonds im Lastenausgleich in Anspruch zu nehmen. Das waren die Gründe, warum wir in das Häftlingshilfegesetz keine Bestimmungen aufgenommen haben, die dem Teil 2 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes entsprechen. Inzwischen hat die Erfahrung gezeigt, daß doch, wenn auch nur in einem geringen Umfang, ein Bedürfnis bleibt, eine solche Darlehensmöglichkeit zu schaffen. Es gibt ehemalige politische Häftlinge, die nicht SBZ-Flüchtlinge sind, weil sie aus ({0}) dem Bundesgebiet oder aus West-Berlin stammen und nur in der SBZ in Haft geraten sind. Dabei handelt es sich nur um eine geringe Zahl von Personen, und wir dürften deshalb um so leichter in der Lage sein, auch diese Gesetzeslücke zu schließen. Wiederholte Klagen der Berechtigten richteten sich gegen die Sechsmonatsfrist, von der auch Herr Kollege Henn gesprochen hat. Es ist angeregt worden, diese Frist auf zwölf Monate zu erweitern oder sie gar zu streichen. Ob wir sie streichen, ob wir sie erweitern oder beibehalten, ist eine Frage, die politische Auswirkungen hat, insbesondere auch Auswirkungen auf andere Betreuungsgesetze, und sie verdient, daß wir im Ausschuß sehr gewissenhaft über sie beraten. Meine Damen und Herren! Wenn ich in der Lage war, einige Lücken aufzuweisen, so besagt das nicht, daß diese Novelle nicht einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der ursprünglichen Fassung darstellt. Es besagt nur, daß wir bei der Durchführung dieses Gesetzes ständig vor neue Tatsachen gestellt werden, daß wir Fragen zu lösen haben, die im Fluß sind und die sich aus den Zeitverhältnissen und aus der Entwicklung ergeben. Wir werden alle diese Anregungen, wie sie von den Abgeordneten gegeben werden, im Ausschuß beraten. Ich beantrage Überweisung - Herr Kollege Henn, ich weiß nicht, ob Sie das schon getan haben; wenn nicht, möchte ich es tun - an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen und bitte das Hohe Haus, der Überweisung zuzustimmen. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich dem Hause bekanntgeben, damit ich auch nicht im entferntesten in den Verdacht gerate, hier bei der Worterteilung nicht objektiv und gerecht zu verfahren, daß ich in Zukunft keine Wortmeldungen mehr zu Punkten entgegennehmen werde, die noch nicht aufgerufen sind. Ich werde also in Zukunft Wortmeldungen erst entgegennehmen, wenn der betreffende Punkt der Tagesordnung aufgerufen worden ist. ({0}) Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Korspeter.

Lisa Korspeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Novelle zum Häftlingshilfegesetz, die wir heute in erster Lesung zu behandeln haben, bringt, wie Herr Minister Oberländer bei der Begründung schon erklärt hat, einige gesetzestechnische Änderungen, ergänzt Verfahrensvorschriften und gibt einigen Formulierungen eine klarere Fassung. Darüber hinaus aber werden auch einige materielle Änderungen vorgenommen. Bei diesen materiellen Änderungen handelt es sich insbesondere um die Übernahme des bisher nur im Haushaltsgesetz verankerten Häftlingshilfefonds. Das Häftlingshilfegesetz ist vor gut einem Jahr verabschiedet worden. Es mußte damals in äußerster Beschleunigung im Ausschuß beraten werden, damit das für den betroffenen Personenkreis so wichtige Gesetz noch vor den Parlamentsferien des vergangenen Jahres in Kraft treten konnte. Ich glaube, ich darf noch einmal daran erinnern, daß sich die Bundesregierung damals mit der Fertigstellung des Entwurfs eines Häftlingshilfegesetzes sehr viel Zeit gelassen hat. Vom Tage des Ersuchens des Parlamentes an die Regierung, uns ein solches Gesetz vorzulegen, bis zur Einbringung des Gesetzentwurfes wurde ein Jahr benötigt, obwohl damals Herr Minister Oberländer erklärte, er brauche sehr kurze Zeit, um diesen Gesetzentwurf vorlegen zu können. Man hätte also erwarten können, ja erwarten müssen, daß zum mindesten alle gesetzestechnischen Fragen und Verfahrensvorschriften genügend durchdacht gewesen wären, damit nicht nach kurzer Zeit wieder Änderungen des Gesetzes nötig werden. Ich glaube, das ist schlecht und dient ganz sicher nicht dem Ansehen der Bundesregierung, auch nicht dem Ansehen des Parlaments. Wir sollten uns alle einig sein in dem Verlangen, daß die Ministerien sorgfältig durchdachte Gesetze vorlegen und sie auch frühzeitig genug vorlegen, damit weder der Ausschuß noch das Plenum überhastet arbeiten muß. Die Aufnahme einer Bestimmung über den Häftlingshilfefonds in diese Novelle und damit in das Häftlingshilfegesetz ist die wichtigste Änderung. Bislang hatten - das ist schon gesagt worden - die Beihilfen an ehemalige politische Häftlinge ihre Grundlage im Haushaltsgesetz. Voraussetzung für die Gewährung dieser Beihilfe war eine auf Grund besonderer Richtlinien vorgenommene Hilfsbedürftigkeitsprüfung. Es handelte sich also um Ermessensfragen. Es ist bekannt, daß diese bürokratische Regelung bei dem betroffenen Personenkreis und auch in der Öffentlichkeit immer wieder Anlaß zu heftiger Kritik gegeben hat, und auch meine Fraktion hat sich von Anfang an gegen diese Ermessensentscheidungen gewandt, weil wir sie für menschlich und politisch ungenügend halten. Wir haben von jeher die Festlegung eines Rechtsanspruchs gefordert, also eine wiedergutmachende Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft gefordert. Der Entwurf der Novelle, wie ihn die Bundesregierung dem Bundesrat vorgelegt hatte, sah vor, die Gewährung der Beihilfe nach wie vor an eine Prüfung der wirtschaftlichen Lage der Antragsteller zu binden. Diese Regelung hätte es zwar gestattet, von dem Begriff der Hilfsbedürftigkeit oder von dem Begriff der Bedürftigkeit im engeren Sinne Abstand zu nehmen und die Einkommensgrenze nach und nach zu erweitern. Aber, meine Herren und Damen, die wirtschaftliche Lage hätte doch immer weiter bestimmend bei der Beurteilung gewirkt. Die Gewährung wäre also, wenn es nach der Bundesregierung gegangen wäre, weiterhin von Ermessensentscheidungen abhängig geblieben. Deshalb halten wir den Vorschlag des Bundesrates, dem die Bundesregierung beigetreten ist, bei der Berechnung der Beihilfe die Dauer der Haft zugrunde zu legen und bei der Auszahlung nach der Dringlichkeitsstufe vorzugehen, für besser. Wir nehmen an, meine Herren und Damen, daß es ein Erfolg unseres immerwährenden Drängens gewesen ist, die Gewährung der Beihilfe von diesen Ermessensentscheidungen auszunehmen. Trotzdem befriedigt uns die Regelung in § 9 a nicht. Nach der Formulierung dieses Paragraphen können Beihilfen nur nach Maßgabe der im Haushalt vorgesehenen Mittel gewährt werden. Das Schwergewicht liegt also nach wie vor auf dem ({0}) Wort „können". Wir sind sicher, daß diese Formulierung, wie sie jetzt im Gesetzentwurf lautet, bei den Haushaltsberatungen einen fortwährenden Kampf um die einzusetzenden Mittel auslösen wird. Das aber, meine Herren und Damen, wollen wir nicht. Im Gegenteil, wir wollen erreichen, daß endlich auch die ehemaligen politischen Häftlinge, die bereits vom Dezember 1953 ab entlassen worden sind und zu uns gekommen sind und die nach den einengenden Richtlinien keine Beihilfe erhielten, endlich diese Beihilfe und damit ihr Recht bekommen. Wir werden deshalb im Ausschuß einen Änderungsantrag in dieser Richtung einbringen, und wir hoffen auf die Unterstützung des Hauses. Wir hoffen auch, daß der Herr Minister Oberländer von seinem Glauben - ich finde, dieser Glaube gehört eigentlich schon in die Komplexe des Aberglaubens - geheilt ist, daß die Machthaber der Zone bei Anerkennung eines Rechtsanspruchs zu einem Wechselspiel zwischen Massenverhaftungen und Massenentlassungen kommen und dadurch das soziale, wirtschaftliche und finanzielle Gefüge der Bundesrepublik erschüttern könnten. Ich möchte auch noch auf eine andere Frage eingehen, die hier schon besprochen worden ist und die wir auch schon bei der Beratung des Häftlingshilfegesetzes im Ausschuß aufgeworfen haben. Es handelt sich dabei um den Stichtag, der die Inanspruchnahme der Leistungen aus dem Gesetz ermöglicht. Nach dem Gesetz - es ist schon gesagt worden - können ehemalige politische Häftlinge Leistungen aus diesem Gesetz nur dann erhalten, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach der Entlassung aus dem Gewahrsam ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik genommen haben. Diese Regelung hat zu vielen unliebsamen Härten geführt. Nach meinen Erfahrungen sind die Bestimmungen des sogenannten Härteparagraphen in Einzelfällen leider nicht großzügig gehandhabt worden. Man hat nur sehr sparsam und sehr engherzig davon Gebrauch gemacht, obwohl der Gesamtdeutsche Ausschuß bei seinen Beratungen sich dafür ausgesprochen hat - es ist im Protokoll festgelegt -, von den Härteparagraphen in einer großzügigen Weise Gebrauch zu machen. Wir wissen alle, die Lage eines in der Zone entlassenen Häftlings ist sehr schwer. Es ist ihm oft aus vielen Gründen, die außerhalb seiner Person liegen, unmöglich, die Zone im Zeitraum von sechs Monaten zu verlassen. In manchen Fällen mag er auch hoffen, drüben mit seiner Lage fertig zu werden, und schließlich muß er feststellen, daß es doch nicht geht. Er kennt nicht - das können wir nicht verlangen - unsere Gesetze, er kennt nicht den Stichtag, der bei uns Rechtens ist. Dann kommt er oft nur wenige Tage nach dem Stichtag zu uns herüber und muß erleben, daß die Behörde ihm erklärt, er sei von den Leistungen dieses Gesetzes ausgeschlossen. Hinzu kommt auch noch, daß von allen Stellen im Westen immer wieder an die Bevölkerung der Zone der Appell gerichtet wird, zu versuchen, trotz aller Bedrängnisse drüben auszuhalten. Ich frage mich nun: Sollen die ehemaligen politischen Häftlinge, wenn sie den Versuch unternehmen, diesen Ratschlägen zu folgen, dann aber doch feststellen müssen, daß sie drüben nicht leben können, für ihr Ausharren bestraft werden? Ich glaube, das kann nicht unser Wille sein. Darüber müssen wir im Ausschuß beraten, und ich darf heute schon sagen, daß meine Fraktion den Antrag stellen wird, diesen Stichtag völlig zu beseitigen. Lassen Sie mich, meine Herren und Damen, zum Schluß noch folgendes sagen. Wir sollten uns bei den Beratungen über diese Novelle von kleinlichen Bedenken, von formalen Gesichtspunkten frei machen und sollten mit dem vollen Willen zur Gerechtigkeit auftreten, die jenen Menschen zukommt. Sie haben innere und äußere Not gelitten, sie 'haben soviel Unrecht erduldet, sie haben es erduldet für die menschliche Freiheit und damit für uns alle. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Bundesminister Oberländer.

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau K o r s p et er hat soeben gesagt, das Gesetz sei zu schnell, d. h. also nicht gut genug gemacht worden und man könne von einer Regierung, von einem Ministerium verlangen, daß ein Gesetz gründlich ausgearbeitet sei. Darf ich dazu anführen, daß Frau Kollegin Korspeter in der 95. Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. Juli 1955 gesagt hat: „Das Gesetz selbst ist - meine Fraktion ist gern bereit, diese Tatsache anzuerkennen - mit Sorgfalt vorbereitet worden," ({0}) „ganz besonders im Hinblick auf die Frage der Sowjetzonenhäftlinge. Ich glaube daher, daß wir in den Ausschußberatungen wahrscheinlich ohne größere, ohne nennenswerte Änderung zum Abschluß kommen können." ({1}) Das war 1955 beim ersten Gesetz. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen. Ich bin Ihnen für diese freundliche Kritik dankbar, Frau Kollegin. Im übrigen darf ich bemerken, daß das Ermessen doch bei der Bundesregierung liegt und nicht bei der unteren Verwaltungsbehörde. Man darf also diese Dinge nicht vermengen. Die untere Verwaltungsbehörde hat gar kein Ermessen. Über eine zu enge Auslegung des § 12 ist mir bisher nicht eine einzige Beschwerde bekanntgeworden. Ich bin in allen Ländern herumgefahren und habe mich überall danach erkundigt, ob nach der Richtung Schwierigkeiten bestehen. Es ist mir bisher nicht e i n Fall einer engen Auslegung bekanntgeworden. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir solche Fälle nennen würden. Es war auch bisher immer Gelegenheit dazu, und ich bin solchen Fällen dann sofort nachgegangen. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Petersen.

Helmut Petersen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001698, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung und Ergänzung des Häftlingshilfegesetzes, denn er sieht unter Berücksichtigung der bisher gemachten Erfahrungen ({0}) eine Reihe von Verbesserungen und damit eine Vervollkommnung der Obsorge für die ehemaligen Häftlinge in der sowjetischen Besatzungszone vor. Zwei Hauptprobleme sind in der Diskussion bisher behandelt worden, die uns im Ausschuß sehr stark werden beschäftigen müssen. Das eine Problem ist die Frage, ob wir es bei der Beihilfe bei der Kann-Leistung belassen oder ob wir sie in einen Rechtsanspruch umwandeln sollten. Das zweite Problem ist die Fristenfrage. Um die Lage recht beurteilen zu können, wird es notwendig sein, daß der Herr Bundesvertriebenenminister uns über die heute gegebenen Zahlen hinaus einen umfassenden Erfahrungsbericht erstattet, der Auskunft darüber gibt, ob die für den Beihilfefonds bereitgestellten Mittel bisher ausgereicht haben bzw. wie hoch ihre Inanspruchnahme war. Ferner müßte der Erfahrungsbericht eine klare Aussage darüber machen, ob sich Schwierigkeiten oder Härten bei der Bearbeitung von Entschädigungsanträgen wegen der im Gesetz vorgeschriebenen Sechsmonatsfrist ergeben haben. Insbesondere im zweiten Falle kann die politische Konsequenz aus einer engen Auslegung der Frist gar nicht übersehen werden. Denn, meine Damen und Herren, wie schon die Frau Kollegin Korspeter dargestellt hat, ist ja der aus der Haft entlassene Häftling gezwungen, innerhalb sechs Monaten nach dem Westen hinüberzuwechseln, wenn er sich einen materiellen Entschädigungsanspruch, einen Beihilfeanspruch sichern will. Tut er das in der Zeit nicht, tut er es insbesondere deswegen nicht, weil er drüben weiter ausharren will, wird er nachher materiell bestraft. Deshalb erscheint auch uns die Sechsmonatsfrist als eine viel zu enge Frist, und wir sollten überlegen, ob wir nicht überhaupt generell auf eine Frist verzichten, insbesondere dann, wenn nachgewiesen wird, daß der einzelne in seiner Person Gründe vortragen kann, die es geradezu ratsam erscheinen ließen, daß er weiter in der Zone blieb. Die Ausführungen des Herrn Bundesvertriebenenministers, die er eben hier gemacht hat, veranlassen mich aber, noch ein Wort zu sagen. Wenn auch im Vorjahre bei der Beratung und Verabschiedung des Gesetzes festgestellt wurde, daß das Gesetz eine gute Grundlage zur Lösung der Probleme darstellt, so ist damit natürlich gar nicht gesagt, daß sich in der Zwischenzeit aus den gemachten Erfahrungen nicht notwendigerweise Verbesserungen ergeben müßten. ({1}) Das gleiche haben wir ja auch beim Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz wahrnehmen und beklagen müssen. Es ist beispielsweise - das möchte ich feststellen - einmütig von allen Parteien über die mangelnde Zusammenarbeit mit dem federführenden Ministerium im Ausschuß geklagt worden, und wir vermissen, daß aus der Praxis heraus an die Mitglieder des Ausschusses und an den Bundestag jene Erfahrungsberichte gegeben werden, die es uns ermöglichen, auf diesem Gebiete die gesetzgeberische Initiative zu ergreifen, wenn es nicht von seiten des Ministeriums selbst geschieht. Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesvertriebenenminister hat an die Spitze seiner Ausführungen einen Satz gestellt, den wir nur unterstreichen können und müssen. Der neue Gesetzentwurf soll der Klarstellung und nicht der Einengung dienen. Wir haben ja bei dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz manche Sorge in dieser Hinsicht gehabt und wir hoffen, daß man diesmal so aufgeschlossen sein wird, wie wir es in der Schlußabstimmung beim Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz der Gesetzgebung von seiten des ganzen Bundestages als Verpflichtung mit auf den Weg gegeben haben. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.

Herbert Wehner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß mir doch noch einige Bemerkungen zu der Vorlage und dazu erlauben, wie es eigentlich um die Dinge bestellt ist, um die es in diesem Zusammenhang geht. Wenn wir uns so alle miteinander selbst hören, dann ist im Grunde genommen beinahe alles in Ordnung. Wenn wir dann noch einen Minister hören, so sagt er, er habe keine Beschwerdefälle zu diesem oder jenem Paragraphen, die seine Auslegung betreffen, bisher gehört. Das mag sein. Ich glaube nicht, daß wir in dieser Sache weiterkommen, wenn wir uns jetzt zu einer Art buchhalterischer Aufrechnung anschicken. Meine Damen und Herren, wir laufen, was die Betreuung der ehemaligen politischen Gefangenen aus der Zone betrifft, Gefahr, allzuviel von den Paragraphen zu erwarten, aber auch ihnen allzuviel zu überlassen. Diese Menschen, die wie eben alle Menschen sehr unterschiedlich sind und für die man nicht einheitliche Normen setzen kann, haben eines gemeinsam: sie erwarten von uns, wenn sie zu uns kommen, ein Höchstmaß menschlicher Wärme bei der Behandlung aller ihrer Sorgen, und die Sorgen sind ja sehr groß. Da sind die gesundheitlichen Sorgen, die in der Regel von einer Art sind, daß erst nach geraumer Zeit herauskommt, was alles an zum Teil bösartigen Leiden in diesen Menschen steckt. Da sind viele andere Dinge, abgesehen davon, daß sie vor der bitteren Notwendigkeit stehen, ganz von vorn anzufangen. Ich sage noch einmal: sie erwarten - und ich glaube auch, sie bedürfen - ein Höchstmaß menschlicher Wärme. Es ist die Frage, ob wir, wenn wir uns überlegen, was wir bisher getan haben und was wir nun mit dieser Novelle zum Gesetz verbessert tun zu können und tun zu wollen meinen, dann schon die Summe der möglichen Bemühungen erreicht haben, auf die es ankommt. Es kommt dabei auf eine anständige und warmherzige Auslegung von Verfahrensvorschriften an. Sicher, ich gebe zu, die Regierung kann nicht hinter jedem Einzelfall her sein. Aber sie sollte sich der Fragwürdigkeit bewußt sein, die gerade bei der Behandlung solcher Notfälle zutage tritt, und jeder Fall eines Menschen, der einmal gesessen hat, der Hilfe braucht und der irgendwo drinnen krank ist, ist ein Notfall. Dann sollte sie sich nicht darauf zurückziehen, daß bis zu ihren Ohren noch keine solchen oder andere Beschwerden gekommen seien. Herr Minister, wenn ich Ihnen das direkt sagen darf: es gibt heute noch viele Menschen - und ich bin überzeugt, auch Ihre Mitarbeiter wissen das, und Sie wissen wahrscheinlich auch einen Teil davon -, die in den Jahren seit 1950, vor allen Dingen 1954, von den Zonenbehörden amnestiert worden sind und die sich inzwischen in bitterer Not befinden. Es kommt nicht darauf an, hier Briefe zu ({0}) verlesen. Ich habe solche Briefe. Es geht dabei nicht nur um die Angehörigen oder Anhänger der einen oder anderen Partei. Das trifft Leute, die sich zur CDU zählen, so wie Leute, die sich zur Sozialdemokratischen Partei zählen. Ich habe hier zum Beispiel einen Notschrei von einem Menschen, der einfach nicht mehr zurechtkommen kann. Er ist hirnverletzt. Aber auf diesen Menschen passen unsere Paragraphen noch lange nicht, wenn nicht noch etwas mehr dazukommt. Und dazu muß noch etwas mehr kommen. Herr Minister, ich denke zurück an einen Versuch, den wir vor einem Jahr gemacht haben. Sie waren dabei, ich war dabei, einige andere waren dabei. Damals war uns plötzlich klargeworden, daß wir zwar Bestimmungen haben, durch die sich die Inempfangnahme derer regeln läßt - wenn man solch kalte Worte in diesem Zusammenhang anwenden darf -, die seit Oktober mit den Transporten aus Rußland, aus Sibirien usw. kommen, daß es aber doch schon in den Aufnahmelagern plötzlich eine Schwierigkeit gibt: Auf die einen trifft dies es Betreuungsgesetz zu, und auf die anderen trifft es nicht zu. Diese Menschen sind mit denselben Zügen aus der Gefangenschaft gekommen, wenn auch aus einer Gefangenschaft, die verschiedene Ursachen hatte. Beim einen war es die Folge des Krieges, daß er als Soldat in Kriegsgefangenschaft ging, beim anderen war es die Folge einer Verschleppung, beim dritten war es die Folge eines Konfliktes, den er in der Zone bekam und in dessen Verlauf er dann weiter einen schrecklichen harten Weg in die Wüste angetreten hat. Die Leute sollen das Gefühl haben, sie kommen in dieselbe Heimat. Wir wollen sie jetzt auch gleichmäßig behandeln, d. h. so, daß sie das bekommen, was sie brauchen, um Fuß zu fassen, um sich wieder entfalten zu können. Aber so ist es leider nicht gekommen. Sie haben damals einen Vorschlag, den ich selbst gemacht habe, begrüßt. Er ist dann einige Tage später mit ziemlichen Veränderungen auf dem amtlichen Wege wieder erschienen. Ich hatte damals gemeint, man könne durch eine Art Härtefonds, der in das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz eingebaut werden sollte - nur um einen Aufhänger zu haben -, erreichen, daß diese Menschen, auch wenn sie nach dem Gesetz keinen Rechtsanspruch hätten, in den Genuß der zunächst auszuzahlenden Gelder kommen, mit denen sie in der ersten Zeit einiges anfangen können, die sowieso eine harte Zeit ist, weil, wenn der Empfang vorbei ist, die ersten Enttäuschungen kommen, weil dann der Papierkrieg beginnt und alles das, was man ungefähr weiß. Damals hatte ich gesagt: So wollen wir es halten. - Die Regierung hatte noch Bedenken wegen der Rückwirkungen einer solchen Handhabe auf früher Amnestierte und sagte, dann würden auch diese entsprechende Ansprüche stellen. Nun, darüber ließe sich manches sagen. Ich bin - ohne das vertiefen zu wollen - der Meinung: Man soll nicht, weil man Menschen jetzt helfen kann und alle meinen, denen muß geholfen werden, diese Hilfe deswegen zurückhalten, weil sonst auch noch andere im Hintergrund Ansprüche geltend machen könnten. Das ist ein Dilemma. Herausgekommen ist eine Bestimmung, die sich an das Häftlingshilfegesetz anlehnt. Aber herausgekommen ist doch auch eine Praxis, von der ich nicht überzeugt bin, daß sie mit den Worten „Es ist alles in Ordnung" oder „Wir haben das Menschenmögliche getan" gekennzeichnet werden darf. Ich denke an die Debatte, die wir am 30. Mai dieses Jahres hatten, als es um die Frage der Freilassung von Gefangenen ging. Bei dieser Gelegenheit sind manche warme Worte gesagt worden. Ich habe damals von einer Familie gesprochen, von der allein drei Angehörige in den Zuchthäusern der Zone saßen: der Vater, der Sohn und die Schwiegertochter. Ich bin froh, sagen zu können, daß diese drei inzwischen freigelassen worden sind. Die Motive, aus denen sie freigelassen worden sind, sind Sache derer, die sie freigelassen haben. Aber ich bin dankbar dafür, daß diese Familientragödie mit dem politischen Hintergrund, daß es sich in diesem Fall um überzeugte Sozialdemokraten gehandelt hat, insoweit jedenfalls nicht mehr existiert. Aber der Vater, also einer der drei, hat sich nach einigen Monaten veranlaßt gesehen, in einem Brief an den Herrn Bundeskanzler, auch an Sie, Herr Minister, und an andere das zum Ausdruck zu bringen, was er nun über seine Behandlung hier empfindet. Und das ist nicht schön. Sie haben gesagt, Herr Minister, daß die Entschädigungsansprüche eigentlich an die Behörden jenseits der Zonengrenze zu richten wären. Darüber ist rechtlich überhaupt nicht zu streiten. Nur, Sie werden sich doch ebensowenig wie ich damit zufriedengeben wollen, daß man eines Tages und vielleicht heute schon Entschädigungsansprüche, Wiedergutmachungsansprüche an die Behörden jenseits der Zonengrenze richtet. Hier kommt es doch darauf an, diesen Menschen jetzt bei uns zu helfen. Das ist doch nicht etwas, womit wir ihnen ihre Entschädigungsansprüche gegenüber den Zonenbehörden abkaufen oder einschränken oder womit wir in irgendeiner Weise etwas dagegen tun. Aber warum kriegen z. B. die drei nicht das, was ihnen nach 71/2 Jahren Bautzen und Torgau und Brandenburg und Hoheneck, und wie diese Lager alle heißen, eigentlich gebührt? ({1}) Die Frau des älteren hat inzwischen kein leichtes Leben geführt. Sie mußte als politischer Flüchtling in West-Berlin leben; denn sonst wäre sie mit im Prozeß gewesen und wäre auch mit verurteilt worden, und dann wären es nicht drei, sondern vier gewesen. Die Frau ist eine anständige Frau. Sie hat sich um Arbeit bemüht, und sie hat Arbeit bekommen, nicht kochbezahlte Arbeit. Aber heute rechnet man den Lohn, den sie für ihre Arbeit bekommt, und die Arbeitslosenunterstützung des Mannes zusammen. Das ergibt eine Summe, die etwas über Ihren Richtlinien sein soll, Herr Minister. Ich finde, die 71/2 Jahre Bautzen und die 71/2 Jahre Torgau und die 71/2 Jahre Hoheneck ({2}) - schütteln Sie nicht den Kopf, Herr Minister - sind damit nicht abgegolten. ({3}) Das mag weh tun für uns, aber das müssen wir uns überlegen. Ich glaube, daß auch die jetzigen Bestimmungen noch nicht ausreichen. Ich bin der Meinung, Herr Minister, daß es notwendig ist, schnell, ich würde sogar sagen, mustergültig schnell - vielleicht können wir die neuen Bestimmungen schon in der nächsten Plenarsitzung verabschieden - an diesen Bestimmungen zu arbeiten. Der Ausschuß sollte sich zusammensetzen und in wenigen Tagen diese Vorlage trotz der Gegensätze durchberaten und das Ergebnis seiner Beratungen ({4}) vorlegen. Nur sollte man immer daran denken, daß wir keinen Grund haben, in diesen Fragen in eine Art. von Selbstzufriedenheit zu fallen. Diese Menschen haben es doch noch zu schwer, als daß wir glauben könnten, mit unseren Paragraphen hätten wir ihre Probleme gelöst. Sie sind nicht gelöst. ({5})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat Herr Minister Oberländer.

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß mich zunächst gegen die Behauptung wehren, daß ich gesagt hätte, wir hätten das Menschenmögliche getan. Dias habe ich nie gesagt, auch heute nicht. Sie haben das Wort ,,abgelten" gebraucht. Ich möchte betonen, ich habe vorhin gesagt, daß wir diese Dinge eben nie abgelten können. ({0}) Deswegen habe ich den Unterschied zwischen Entschädigung und Beihilfe gemacht. Ich habe auch nicht gesagt, daß wir heute an die anderen Behörden Ansprüche richten können, nämlich an die drüben, sondern ich habe nur gesagt, daß wir sie eigentlich dorthin richten müßten und daß wir gar nicht in der Lage sind, für solche Dinge eine Entschädigung zu geben. Wir können nur eine Beihilfe gewähren. Das ist ein ganz großer Unterschied. Eines ist doch klar: kein Gesetz dieser Art kann heute endgültig sein. Die Dinge sind im Fluß. Ich habe damals im Bundestag erklärt, daß wir alles zur Verbesserung tun wollen, und das Gesetz ist verbessert worden, wie Sie anerkannt haben. Wenn der Ausschuß in den nächsten Tagen das Gesetz weiter verbessert, wie es heute beantragt worden ist, so wird sich niemand mehr freuen als ich. Das möchte ich Ihnen ganz klar sagen. Ich habe ja nicht gesagt, daß wir hier buchhalterisch aufrechnen wollen. Ich weiß, daß wir das gar nicht können. Ich habe doch übrigens in meiner Rede vorhin genau gesagt, wieviel Mittel da sind und wieviel Mittel verbraucht worden sind; Herr Petersen braucht nur im Protokoll nachzulesen. Ich habe diese Dinge ganz genau erklärt. Zu dem Fall, den Sie gebracht haben, Herr Kollege Wehner, möchte ich sagen: wir haben doch die Dringlichkeitsskala bewußt eingeführt. Auch die Personen, die Sie genannt haben, bekommen die Mittel. Sie bekommen sie nur später, weil wir in einer gewissen Reihenfolge auszahlen. Ich möchte nur wiederholen: ich bin für jede Verbesserung des Gesetzes. Aber ich bin der Ansicht, daß es hier keinen Perfektionismus gibt. Daß wir nie genug tun können, ist doch völlig klar. Das habe ich auch im Ausschuß gesagt. Aber sie können doch nicht sagen, ich sei dafür, daß wenig getan wird. Dagegen wehre ich mich, und dagegen wehre ich mich auch für ,die Bundesregierung. Ich möchte noch einmal klar darstellen, wie die Situation war. Die Kriegsgefangenen kamen im Oktober, und am 9. November wurden die Richtlinien aufgestellt. Sie sind leider erst am 20. November veröffentlicht worden, weil noch die Gegenzeichnung eines anderen Ministeriums nötig war. Es hat also allenfalls vier Wochen gedauert, bis die Richtlinien da waren. Man kann also doch nicht sagen, wir hätten langsam gearbeitet. Da sich die Tatbestände ändern, müssen wir das Gesetz wahrscheinlich dauernd an die neuen Tatbestände anpassen. Wir müssen das Gesetz dauernd verbessern, und je schneller wir das tun, um so besser ist es. Ich bin immer dabei, wenn das Gesetz verbessert werden kann. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reif.

Dr. Hans Reif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001804, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sind Sie mir nicht böse, wenn ich als Berliner sage, daß die Art, wie die Debatte hier geführt worden ist, mir nicht gefällt. ({0}) Aber die Sache hat zwei Seiten. Es ist gesagt worden, wir in der Bundesrepublik, vielleicht auch hier im Hause, hätten keinen Anlaß, selbstzufrieden zu sein. Ich glaube, die Kolleginnen und Kollegen, die im Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen mitarbeiten, wissen das am besten. In dieser Demokratie gibt es noch vieles, worüber wir keineswegs selbstzufrieden sein dürfen. Immer wieder werden im En- und Ausland Vergleiche über die Art und Weise, über die Geschwindigkeit und über die Großzügigkeit angestellt, mit denen man den einen oder anderen behandelt. Über die Unterschiede gibt es sehr viel Verwunderung, ({1}) vor allem bei den Menschen, denen die Demokratie am Herzen liegt. ({2}) Wir alle wissen, daß das, was nur mit dem Herzen aufrichtiger Demokraten und aus demokratischem Gewissen heraus geleistet werden kann, sich im Grunde genommen nicht in Gesetzesparagraphen ausdrücken läßt. ({3}) Ich darf aber hier vielleicht eine allgemeine Maxime für die Behandlung dieser Materie, wie sie auch meine Fraktion vorschlägt, aussprechen. Wo immer die Möglichkeit besteht, muß auch den Opfern der Demokratie, um die es sich hier handelt, ein Rechtsanspruch gegeben werden. ({4}) Wir leben in einem Rechtsstaat, und wir sind stolz darauf, in einem Rechtsstaat zu leben. Wir haben für die merkwürdigsten Fälle unserer Vergangenheit Wege des Rechtsstaates geschaffen, die benützt werden. Die gegebenen Ansprüche werden zum Teil in Prozessen erstritten, gegen die wir uns gar nicht wehren können; vielleicht waren wir zu großzügig, als wir die Gesetze machten. ({5}) Aber wenn jetzt Menschen, die jahrelang dieses tragische Schicksal ertragen haben, in die Gesellschaft freier Menschen kommen, als die wir uns mit Recht bezeichnen, und anfangen müssen um die Auslegung von Paragraphen zu kämpfen, wenn vor selbstverständlichen demokratischen Pflichten immer erst der elende Papierkrieg steht, ({6}) dann allerdings ist etwas nicht in Ordnung. ({7}) Ich möchte diese Debatte nicht unnötig verlängern. Ich schließe mich dem Wunsch des Kollegen Wehner an, dem Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen Gelegenheit zu geben, diese Dinge so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen. Der in diesem Ausschuß herrschende Geist - das darf ich für alle Kolleginnen und Kollegen sagen, gleich welcher Partei sie auch immer angehören - scheint mir dafür zu bürgen, daß das geschieht. ({8})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.

Franz Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001595, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Wehner und der Herr Kollege Reif haben einiges zum Grundsätzlichen gesagt, was eigentlich der Herr Bundesminister hier hätte erklären sollen. Herr Bundesminister, Sie haben hier triumphierend ein Zitat aus einer Rede der Kollegin Korspeter vorgebracht und glaubten damit das Ihre getan zu haben. Herr Oberländer, Sie wissen, wie oft wir in den Ausschüssen, auch die Kollegin Korspeter korrigierend, über das gesprochen haben, was Sie hier zitiert haben: das beste Gesetz kann durch einen schlechten Minister in das Gegenteil verkehrt werden. ({0}) - Ja, Herr Kollege Rinke, der Sie so verzweifelt sind, ich habe bedauert, daß der Herr Kollege Pelster hier gerufen hat: „Herr Kollege Wehner, schreien Sie doch nicht!" Wenn Sie die Zustände kennen, unter denen die zurückgekehrten Gefangenen leben müssen, dann müßte nicht nur einer schreien, sondern dann müßte der Deutsche Bundestag sich in einem gewaltigen Aufschrei vereinen, um das Unrecht zu beseitigen, das an den politischen Gefangenen heute noch verübt wird. ({1}) - Sie sagen: Das wollen wir alle. Nun, dann werden wir uns sehr schnell vereinen. Ich habe gerade deshalb das Wort genommen, Herr Minister, weil Sie gesagt haben: Bitte, nennen Sie mir doch einmal die Fälle! Heute ist jedem Bundestagsabgeordneten „Der Tagesspiegel" vom heutigen 11. Oktober zugänglich gemacht worden. Darin finden Sie auf Seite 5 den Artikel eines politischen Gefangenen, eines Journalisten, der ein Jahrzehnt hinter sowjetischen Gittern verbringen mußte. Er schreibt einen längeren Artikel über die Nöte und Sorgen der politischen Häftlinge. Herr Minister, Sie sollten diesen Artikel auch lesen, damit Sie nicht annehmen, daß nur die Sozialdemokraten hier irgend etwas reden, was nicht den Tatsachen entspricht. Ich verweise also auf diese Zeilen, Herr Minister, und ich lese nur den letzten Absatz dieses Artikels vor: Das, Herr Professor Oberländer, ist die grausame Resonanz auf Ihre Aussage vom vorigen Jahr, mit der Sie bekundeten, daß, wenn der Bundestag in der Frage der Entschädigung und der Gleichordnung der politischen Häftlinge mit den Kriegsgefangenen zustimmt, die Finanzkraft der Bundesrepublik empfindlich erschüttert werden könnte! Herr Minister, wir sollten uns mit dem ganzen Deutschen Bundestag vereinen, wir hätten eine Ehrenpflicht, an den Männern und Frauen, die für uns eingetreten sind, etwas gutzumachen. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Bundesminister Oberländer.

Prof. Dr. Dr. Theodor Oberländer (Minister:in)

Politiker ID: 11001631

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure diese Debatte, aber ich muß Ihnen antworten, daß der Artikel in der Zeitung doch wohl an den Berliner Senat gerichtet ist. Ich bitte doch eines nicht zu vergessen. Es ist doch so, daß die Durchführung dieses Gesetzes bei den Ländern liegt. ({0}) - Ja, auch beim Berliner Senat. Wenn Sie nun behaupten, daß ich das Gesetz schlecht gemacht habe und schlecht durchführe, dann will ich Ihnen nur eins darauf antworten: Ich bin im Laufe des letzten Jahres bei sämtlichen Ländern gewesen, ich habe mich bei sämtlichen Ländern erkundigt, ob Schwierigkeiten bestehen, wo Beschwerdefälle sind und was geändert werden soll. Bitte, ich darf Ihnen in Kürze auch sagen, was beim Berliner Senat auf dem Gebiet zu sagen ist. Ich habe mich vor einigen Tagen erkundigt, und als ich am Montag dazu die Herren gehört habe, habe ich genau erfahren, was fehlt und was nicht fehlt. Mehr konnte ich nicht tun. Wenn Sie nun hier dauernd meine Gesinnung anzweifeln, so bedaure ich, daß das hier in der Öffentlichkeit geschieht. Ich habe Ihnen erklärt, daß ich alles zur Verbesserung tun will. Wenn Sie das nicht glauben, ist das Ihre Sache. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat Frau Abgeordnete Maxsein.

Dr. Agnes Katharina Maxsein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001445, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich über die Eindringlichkeit, mit der Herr Kollege Wehner sich als Anwalt der Armsten der Armen empfiehlt. Wogegen ich mich aber wehre, und zwar grundsätzlich in diesem Zusammenhang, ist, daß Einzelpersönlichkeiten in dieser Form für sich in Anspruch nehmen, das Gewissen des Parlaments zu sein. ({0}) Die Besserung des Schicksals der Ärmsten der Armen liegt uns allen gleichermaßen und gleich schwer am Herzen. Aber es liegt in der Natur der Sache, daß wir uns, wenn wir uns nun einmal mit Gesetzen befassen, dann auch mit den Paragraphen beschäftigen müssen. Ob wir eine Rechtslösung oder eine Ermessenslösung befürworten, das läßt doch keinen Rückschluß auf einen Unterschied in der Wärme des Herzens zu. Ich glaube, wir haben es sogar sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es sich hier um ein Hilfsgesetz handelt und daß wir - im Rahmen der Paragraphen, die uns nun einmal gesetzt sind - alles tun müssen, diese Hilfe ({1}) so umfassend und durchgreifend wie möglich zu gestalten. ({2}) - Herr Kollege Wehner, ich schätze Ihre warmherzige Art und weiß, daß das echt ist. Aber in diesem Zusammenhang erwecken Sie doch den Eindruck, als ob es anderen nicht ebenso um die Sache zu tun ist. Ich habe den Eindruck, daß Ihre Vorwürfe sich noch auf den Regierungsentwurf beziehen, in dem noch gar keine Änderungen vorgesehen waren. Aber die neuen Änderungen kommen doch den Anliegen, die Sie so inständig vertreten haben, sehr entgegen. Ich bitte deswegen, diese Debatte jetzt abzuschließen; sie hat eine Schärfe angenommen, die auf Berliner Boden und in diesem Augenblick nicht zu begrüßen ist, wenngleich ich volles Verständnis dafür habe, daß sie gerade die Berliner auf den Plan ruft. Eben deswegen stehe auch ich hier; aber ich bin der Meinung, daß wir die Gefühle anderer Parlamentarier gerade in diesem Zusammenhang nicht verletzen sollten. ({3})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Beratung zu Punkt 4. Es ist die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen beantragt. - Ich höre keinen Widerspruch; die Überweisung ist beschlossen. Ich rufe auf Punkt 5 der gestrigen Tagesordnung: Erste Beratung des von den Abgeordneten Wieninger, Oetzel, Schmücker, Stücklen und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Klein- und Mittelbetriebe der gewerblichen Wirtschaft bei der Vergabe von Verteidigungsaufträgen ({0}). Bevor ich das Wort zur Begründung des Gesetzentwurfs erteile, darf ich das Hohe Haus ganz bescheiden darauf hinweisen, daß noch drei Punkte der gestrigen Tagesordnung zu erledigen sind, bei denen eine Debatte vorgesehen war. Es ist jetzt gleich elf Uhr. Wie wir da die ganze Verkehrsdebatte, die eigentlich Gegenstand der heutigen Sitzung sein sollte, bis um halb zwei Uhr noch abwickeln wollen, wenn wir so weitermachen, weiß ich noch nicht. Ich möchte das Hohe Haus nur von dieser Tatsache in Kenntnis setzen, damit Sie wissen, wie wir im Augenblick stehen. Ich erteile jetzt das Wort dem Abgeordneten Wieninger zur Begründung des Gesetzentwurfes. Wieninger ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag Drucksache 2615, den ich im Namen der Antragsteller begründen darf, sieht vor, daß von den geeigneten Aufträgen, die im Zusammenhang mit den Verteidigungspflichten anfallen, mindestens 40 °/o an die mittelständische Wirtschaft vergeben werden. Wir haben diesen Antrag gestellt, weil wir der Meinung sind, daß innerhalb unserer Gesamtwirtschaft genügend Raum auch für gesunde kleine und mittlere Betriebe vorhanden sein muß. Wir glauben, daß die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs nur dann gewährleistet ist, wenn auch die mittelständische Wirtschaft, die im Gegensatz zu den Großbetrieben noch nicht den vollen Anteil an der Konjunktur hat, ihrem Gewicht nach an den Verteidigungsaufträgen beteiligt wird. Dies kann nur erreicht werden, wenn wir auf die wesensgemäßen Eigenheiten der Kleinwirtschaft eingehen. Unter kleinen und mittleren Betrieben im Sinne dieses Gesetzentwurfs verstehen wir solche, die bis zu 50 Mitarbeiter beschäftigen. Wir haben diese Betriebsgröße fixiert, weil anzunehmen ist, daß größere Betriebe so durchrationalisiert sind, daß sie mit Unternehmungen der Großwirtschaft kalkulatorisch Schritt halten können. Die Eigenheit der Kleinbetriebe macht erforderlich, daß für sie eigene Ausschreibungen erfolgen. Durch eine Entscheidung des Bundesrechnungshofes ist die Behinderung, die sich aus dem § 26 der Reichshaushaltsordnung ergäbe, ausgeräumt, weil die Berücksichtigung der Kleinbetriebe als ein wichtiger Grund anzusehen ist. Auch mit den Bestimmungen der VOL, der Verdingungsordnung für Leistungen, ist das vorgesehene Verfahren deswegen vereinbar, weil jeweils eine echte Ausschreibung durchgeführt wird. Ein Wort zur Quotierung der Aufträge in Höhe von 40 %. Diese Quote ist deswegen gerecht, weil einmal der Beschäftigtenstand in Handwerk und Kleinindustrie diese Schlüsselung erforderlich macht und weil zum andern nur ein Teil der Ausgaben für die Verteidigung auf Aufträge entfällt, die für die mittelständische Wirtschaft in Frage kommen können. Alle Aufträge an Flugzeugen, an Kraftfahrzeugen, an Schiffen, an Waffen usw. f allen sowieso an die großen Fabriken, so daß für die kleineren Betriebe nur ein Rest bleibt. Auf Grund langer und dringlicher Bemühungen meiner Fraktion ist im Frühjahr dieses Jahres eine Ministerialentschließung ergangen, die in ähnlicher Weise, wie unser Antrag es vorsieht, eine Beteiligung der mittelständischen Wirtschaft garantieren soll. Wir sind dem Bundeswirtschaftsministerium für diese Entschließung dankbar, sehen in ihr aber nur ein Provisorium und können deshalb diesen Antrag deswegen nicht entbehren, weil Entschließungen Anlaß zu Auslegungszweifeln geben. In Ministerialverfügungen ist allzuviel Raum für eine Kann- oder Soll-Anwendung, und es ist keine Garantie gegeben, daß die Kleinwirtschaft zu dem kommt, was ihr zusteht. Wir zweifeln nicht an dem guten Willen der Exekutive; aber wir glauben, daß klare und Zweifel ausschließende Vorschriften ihr selbst das Arbeiten erleichtern. In unserem Antrag ist vorgesehen, daß die Geltungsdauer des Gesetzes bis 1961 befristet wird. Wir haben das deswegen getan, weil wir glauben, daß die bisher konjunkturell noch zurückgebliebene Kleinindustrie und vor allem das Handwerk bis zu diesem Zeitpunkt durch Rationalisierung und bisher noch nicht möglich gewesene Investitionen den Anschluß an das kalkulatorische Gefüge der Gesamtwirtschaft gefunden haben wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bestreben, den Mittelstand bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in besonderer Weise zu berücksichtigen, ist kein Novum. In Amerika wurde durch die Small Business Action in großzügiger Weise eine Garantie für die gerechte Beteiligung der Kleinwirtschaft an öffentlichen Aufträgen, insbe({2}) sondere an Verteidigungsaufträgen, geschaffen. Die in diesem Lande der Kleinwirtschaft gegenüber geübte Großzügigkeit in bezug auf Kreditgewährung, Beratung und technische Hilfe können wir uns freilich nicht leisten; aber ich meine, daß wir die in dem Antrag aufgeführten Mindestforderungen anerkennen sollten. Auch von der Schweiz wissen wir, daß dort die mittelständische Wirtschaft in betonter Weise in die Erledigung von Verteidigungsaufträgen eingeschaltet wurde. Wir haben aus unserem Nachbarlande Berichte darüber, daß diese Übung wirtschaftlicher Gerechtigkeit einen wesentlichen Beitrag für das Ansehen und die Popularisierung des schweizerischen Wehrwesens in der Bevölkerung darstellt. Wenn also auch wir diese selbstverständliche wirtschaftliche Gerechtigkeit üben, wenn auch wir eine gesetzliche Garantie der gleichmäßigen Behandlung aller Wirtschaftsschichten herbeiführen, dann beseitigen wir viel Mißtrauen und viel Unruhe, die draußen im Lande herrschen. Dann wird es auch eher möglich sein, eine regionale Streuung aller Verteidigungsaufträge durchzuführen, damit nicht nur alle Größengruppen der Wirtschaft, sondern auch alle Wirtschaftsgebiete der Bundesrepublik gleichmäßig zum Zuge kommen. Am 8. Dezember des vergangenen Jahres haben wir im Plenum im Rahmen der Beantwortung einer Großen Anfrage eine Debatte über die Vergabe von Verteidigungsaufträgen geführt. Alle Parteien unterstrichen damals ihren Willen, daß bei diesen Vergaben das größte Maß an Gerechtigkeit geübt werden solle. Wir sind überzeugt, daß das Hohe Haus unserem Antrag nach den Beratungen in den Ausschüssen seine Zustimmung geben wird. Noch eines. Bei der Abfassung unseres Antrages haben wir uns auch darüber Gedanken gemacht, ob wir unsere Forderung nicht auf alle öffentlichen Aufträge ausdehnen sollten. Wir haben es nicht getan, weil das die Einheitlichkeit der Vorlage gesprengt hätte und weil die Voraussetzungen bei der Vergabe anderer Aufträge komplizierter sind als bei Verteidigungsaufträgen. Wir werden bei den Ausschußberatungen darüber zu sprechen haben. Ich erlaube mir zu beantragen, den Antrag an den Ausschuß für Fragen des gewerblichen Mittelstandes - federführend - sowie an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen - mitberatend - zu überweisen. ({3})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Regling.

Karl Regling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001794, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von dem vorliegenden Antrag, dessen Begründung wir soeben gehört haben, können wir den ersten Teil, also soweit er sich, wie aus der Überschrift erkenntlich, auf die „Förderung der Klein- und Mittelbetriebe der gewerblichen Wirtschaft" bezieht, voll und ganz unterschreiben. Seit Jahren liegen Anträge aller Fraktionen vor, auch von meiner Fraktion, mit denen wir von der Regierung etwas Grundsätzliches zur Förderung der Klein- und Mittelbetriebe der gewerblichen Wirtschaft fordern. Wir sind aber der Meinung, daß der zweite Teil des Antrags, in dem das Ersuchen sich auf die Vergabe von Verteidigungsaufträgen beschränkt, eigentlich sehr bescheiden ist. Denken Sie daran, meine Damen und Herren, wieviel Anträge dieser Art bereits in den Ausschüssen liegen, die dort noch nicht behandelt worden sind. Es geht dabei zum Teil um Aufträge an die Bundesregierung, denen sie bisher nicht nachgekommen ist, obgleich die einzelnen Minister draußen immer wieder betonen, daß sie nun endlich etwas für diesen Teil der Wirtschaft tun wollen. Es wäre wirklich an der Zeit, etwas Grundsätzliches zu tun. Man sollte nicht wieder zu diesem einzelnen Problem, zu dem ich gleich noch Stellung nehmen werde, zu diesem ganz kleinen Sektor allein wieder eine Gesetzesvorlage fordern oder ein Gesetz durchzubringen versuchen. Wir werden draußen so häufig beschuldigt, wir machten zuviel Gesetze, und hier gehen wir wieder nach der gleichen Richtung. Wenn überhaupt zum Vergabewesen etwas gesagt werden soll, dann müßte, wie schon Herr Kollege Wieninger andeutete, grundsätzlich zum Vergabewesen im Hinblick auf alle öffentlichen Aufträge gesprochen werden. Da kann man nicht nur sagen: jetzt müssen 40 % der Rüstungsaufträge an die Klein- und Mittelbetriebe gegeben werden. Die Schwierigkeiten, die bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen auftreten, basieren doch auf den bestehenden, sagen wir ruhig, mangelhaften Gesetzen, auch der VOL, die zwar kein Gesetz ist, aber doch als maßgebliche Richtlinie gilt. Diese Schwierigkeiten treten bei allen Vergaben auf, und zwar bis hinunter in die Beschaffungstellen der Gemeinden. Es wäre, glaube ich, viel sinnvoller gewesen - vielleicht läßt sich das in den Ausschüssen noch erreichen -, grundsätzlich an die Dinge heranzugehen. Auch uns ist natürlich bekannt, welche Mißstände gerade jetzt bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen aufgetreten sind. Man kann fast sagen, die Vergabestelle tut alles, um Maßnahmen zur Abschreckung der Klein- und Mittelbetriebe zu ersinnen, damit diese sich nicht weiter um Aufträge bewerben. Wenn man von den Maßnahmen hört, die immer wieder den Arger draußen verursachen, dann muß man zugeben, es ist wirklich haarsträubend. Die Aufträge werden im wesentlichen nach der VOL vergeben. Immer wieder werden so kurze Lieferfristen gestellt, daß sich gerade die Klein- und Mittelbetriebe einfach nicht in der Lage sehen, die Fristen einzuhalten. Hinterher hört man dann aber, daß derjenige, der den Auftrag bekommen hat, erklärt, er könne es in dieser Frist nicht machen, und dann bekommt er ohne weiteres eine Verlängerung um ein halbes Jahr. ({0}) Das ist natürlich nicht sauber, und dieses Verfahren wird draußen als ein Mittel angesehen, das die Klein- und Mittelbetriebe von vornherein abschrecken soll. Aber derjenige, der mit Bravour herangeht und vielleicht schon weiß - vielleicht hat man es ihm irgendwie gesteckt -, daß es gar nicht so genau genommen wird mit diesen Lieferfristen, sagt zunächst ja und läßt sich dann hinterher die Nachbewilligung geben. Ein anderes Beispiel: es kommt vor, daß fünf Bewerber gerade aus dem Kleingewerbe nach Koblenz bestellt werden. Eine Anfrage meines Kollegen Mommer in der letzten Fragestunde ({1}) wurde dahin beantwortet, es kämen zu viele Bewerber nach Koblenz, und das sei gar nicht erwünscht. Gut, aber die Anfrage bezog sich auf Bewerber, die ein preisgünstiges Angebot abgegeben hatten und nun nach Koblenz bestellt wurden. Man ließ sie eine sehr weite Reise machen und bestellte sie ausgerechnet an einem Sonnabend, so daß sie auch noch gezwungen waren, den Sonntag über in Koblenz zubleiben, um am Montag weiterzuverhandeln, in der Hoffnung, einen Auftrag zu bekommen. Zwei Tage, nachdem sie wieder zurückgekehrt waren, bekamen sie den schriftlichen Bescheid, leider habe der Auftrag anderweitig vergeben werden müssen. Meine Damen und Herren! Einem solchen Mann, der Inhaber eines kleinen Betriebes ist, hat man rund 150 DM Unkosten für die Reise verursacht; und dann noch der negative Bescheid! Ich habe daraufhin nachgefragt. Es wurde mir gesagt, daß man gleichzeitig fünf solcher Bewerber hat nach Koblenz kommen lassen. Allen fünf hat man natürlich gewisse Hoffnungen gemacht. Wenn schon solche Nachfragen kamen, dann mußten die Bewerber unbedingt der Meinung sein, daß sie wirklich mit einem Auftrag rechnen können und daß es schließlich nur noch bei ihnen liegt, ob sie zu irgendwelchen abgeänderten Bedingungen den Auftrag annehmen können. Dem ist nicht so. Man ist sehr großzügig 'auf Kosten der Bewerber und macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, wie die Kosten, die ja für den einzelnen sehr beträchtlich sind, getragen werden können. Selbstverständlich wäre eine solche Reise für den, der den Auftrag bekommt, überhaupt kein Problem. Aber wenn man den Klein- und Mittelbetrieben helfen will und 'an Ort und Stelle mit ihnen sprechen möchte, sollte man doch überlegen, wie man ihnen diese Kosten erstatten kann. So könnte man ihnen zum mindesten den Anreiz geben, bei ähnlichen Ausschreibungen auch wieder auf idem Plan zu sein. Die ständige Übung, Preise „bis zum Gebrauchsort" zu fordern, bedingt, daß alle entfernt gelegenen Bewerber von vornherein ausgeschlossen sind. Zwar ist verschiedentlich versprochen worden, das in der Praxis nicht mehr durchzuführen, sondern nur die Preise „frei Werkstatt" anzufordern. Dias wäre logisch und richtig, und die Bewerber hätten zum mindesten die gleichen Startbedingungen. Aber wenn man in den Preisen gleichzeitig auch die Frachtkosten haben will, dann müssen sie unterschiedlich sein, und es sind insbesondere die entfernt gelegenen Gebiete, Zonenrandgebiete usw., von vornherein benachteiligt. Weiter: wenn man eine Ausschreibung im Bundesanzeiger veröffentlicht, worin es heißt, die Angebotsunterlagen zum Preise von soundso viel sind in der Zeit von 10 bis 11 Uhr - oder zu irgendeiner kurz bemessenen Zeit aber an einem bestimmten Tage - in Koblenz abzuholen, dann darf man sich nicht wundern, daß so viele Bewerber dort aufkreuzen und damit den Betrieb stören. Auch ida werden den Bewerbern von vornherein Unkosten 'zugemutet, die zum mindesten den Inhabern von Klein- und Mittelbetrieben den Anreiz nehmen, sich zu beteiligen und die Reise aufs Geratewohl zu unternehmen. Ein Wort noch zur Abgabe der Unterlagen zu den sogenannten Selbstkosten, wie es in der VOL heißt. Ja, was heißt dort „Selbstkosten"? Auf welcher Basis hat man die Selbstkosten errechnet? Für die Entwicklungsarbeiten, die nun einmal in der Beschaffungsstelle anfallen? Und mit wieviel Bewerbern rechnet man? Man hat doch bestimmt nicht damit gerechnet, daß gelegentlich mal zehntausend solche Unterlagen abgefordert werden. Man überlege einmal, welche Summen herauskommen, wenn zehntausend Unterlagen für je 5 oder 10 DM ausgegeben werden, und ob da nicht mit dem Wort Selbstkosten erheblich Schindluder getrieben wird. Als Selbstkosten können meiner Meinung nach - so ist, glaube ich, auch die Auslegung in der VOL - nur die einfachen Vervielfältigungskosten, nicht aber auch die Entwicklungskosten angesetzt werden. Wir sind also der Meinung, daß man grundsätzlich an die Dinge herangehen sollte. Die VOL ist über zwanzig Jahre alt, stammt also nicht aus unserer Zeit, dient aber immer noch als Grundlage für die Vergaben von öffentlichen Aufträgen. Sie hat erhebliche Mängel, z. B. den, daß die Vergabe ausschließlich in die Verantwortung der Beschaffungsstelle gelegt wird, 'die die Aufträge dann an fachkundige Bewerber geben soll. Das setzt aber doch voraus, daß die Beschaffungsstellen auch wirklich hundertprozentig mit fachkundigen Angestellten oder Beamten besetzt werden. Den Eindruck, daß das der Fall ist, hat man allerdings nicht, wenn man die Ausschreibungsunterlagen studiert. Bei solchen Unterlagen kommt es dazu, daß Preisunterschiede von oft 200 und 300 %, vom billigsten Angebot gerechnet, zutage treten. Es heißt 'dann: „Ja, die Leute können nicht rechnen!" Dieses Verfahren trifft insbesondere die Klein- und Mittelbetriebe. Wenn man eine Ausschreibungsunterlage so und so beurteilen kann, dann ist leider, wie ich vorhin schon sagte, gerade der kleine Handwerksmeister bemüht, sie so korrekt wie möglich auszulegen; und der andere, der die Geschichte etwas großzügiger 'handhabt, vielleicht schon, weil er weiß, daß man es so genau ja doch nicht nimmt, liegt dann immer vornean im Rennen. Man sollte also, wie gesagt, grundsätzlich an diese Dinge herangehen. Wir würden damit, wenn also die VOL und vielleicht auch die Reichshaushaltsordnung in einigen Punkten entsprechend geändert würden, eine Basis schaffen, die nicht nur für die Vergabe von Rüstungsaufträgen, sondern für alle öffentlichen Aufträge, auch die der Länder und Gemeinden, gelten würde. Nun, dem eigentlichen Anliegen, dem Titel, den die Drucksache 2615 trägt - Förderung der Klein- und Mittelbetriebe -, gerecht zu werden, ist, ich wiederhole es, Sache der Bundesregierung. Nichts gegen die Gesetzesinitiative aus unseren Reihen. Aber ein Initiativgesetz muß immer Flickwerk bleiben, wenn uns nicht von der Verwaltung und von der Regierung die Unterlagen für eine 'grundsätzliche Arbeit gegeben werden. Es ist soeben schon von Herrn Kollegen Wieninger angedeutet worden, daß diese Maßnahmen - ich will sie nicht „Hilfsmaßnahmen" nennen, sondern Maßnahmen, die dazu dienen, das Klein- und Mittelgewerbe beim Wirtschaftsablauf und insbesondere auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gebührend einzuschalten - in anderen Ländern selbstverständlich sind. Herr Kollege Wieninger hat die verschiedenen Länder genannt, von denen uns das bekannt ist. Es wird dort seit Jah({2}) ren, in Amerika z. B. seit 20 Jahren, praktiziert; aber auf Grund von umfassenden Kenntnissen wird das dort als selbstverständlich angesehen. Hier in Deutschland entfallen auf die Klein- und Mittelbetriebe immerhin 36 % aller in der gewerblichen Wirtschaft Beschäftigten. Wir haben es also nicht nur mit ,der Großindustrie zu tun. Aber leider denkt man bei allen wirtschaftspolitischen Maßnahmen durchweg immer nur an die Großbetriebe. Wenn aber 36 % der Beschäftigten des gewerblichen Sektors in den Klein- und Mittelbetrieben ihre Beschäftigung finden, dann sollte das wirklich für das Parlament und noch viel mehr und in erster Linie für die Bundesregierung Anlaß sein, sich einmal Unterlagen darüber zu verschaffen, wie hier wirklich geholfen werden kann. Dabei genügt es nicht, auf Grund der vielen vorliegenden Statistiken zu wissen - das wissen wir beinahe alle auswendig -, soundso viele Betriebe haben wir und soundso viele Beschäftigte; man muß auch etwas über die Ertragslage und über die Kapazität dieser Betriebe wissen. Dann kann man vielleicht dazu kommen, und nicht nur auf diesem Gebiet, sondern volkswirtschaftlich gesehen für diesen großen Teil der Wirtschaft etwas Grundsätzliches zu tun. Dann hätten wir Unterlagen nicht nur für die Vergabe öffentlicher Aufträge, sondern auch Unterlagen für die Steuer- und Kreditpolitik. Die Regierung ist vom Parlament immer wieder aufgefordert worden - und sie hat sich selbst immer wieder dazu bereit erklärt -, nun endlich etwas für die Klein- und Mittelbetriebe zu tun. Auf die Verwirklichung warten wir leider seit Jahren, die Öffentlichkeit draußen aber auch. Vielleicht werden wir - ich sage nur: vielleicht! - auf Grund dieses Antrages - ein ähnlicher Antrag liegt bereits seit einigen Monaten in den Ausschüssen vor - einen Schritt weiterkommen, indem wir die Bundesregierung verpflichten, nun endlich die nötigen Unterlagen zu unterbreiten. Wir sind zur Mitarbeit bereit; denn das Anliegen als solches, Klein- und Mittelbetriebe mehr als bisher entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistung zu berücksichtigen, ist auch unser Anliegen. ({3})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat Herr Abgeordneter Josten.

Johann Peter Josten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001034, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag, welcher der Förderung der Klein- und Mittelbetriebe der gewerblichen Wirtschaft dienen soll, schneidet eine Fülle von Problemen an, die der Kollege Regling hier zur Sprache gebracht hat. Im Hinblick auf den Zeitmangel, von dem der Herr Präsident gesprochen hat, will ich nur einige Punkte berühren, die in den Ausschüssen beraten werden müssen. Dabei möchte ich gleich beantragen, den vorliegenden Antrag, der nach den Ausführungen des Kollegen Wieninger federführend an ,den Ausschuß für Fragen des Mittelstandes gehen soll, auch dem Ausschuß für Verteidigung zur Mitberatung zuzuleiten. Wir haben im Ausschuß für Verteidigung die Fragen der Beschaffung immer wieder mit dem Herrn Minister und seinem Vertreter behandelt. Stets waren alle Kollegen dieses Ausschusses der Meinung, daß das Handwerk und die mittelständischen Betriebe bei der Beschaffung berücksichtigt werden sollen. Darüber hinaus war der Unterausschuß für Beschaffung immer der Meinung, bei Vergabe von Aufträgen für Verteidigungszwecke auch die Berliner Wirtschaft gebührend zu berücksichtigen. Die gleiche Forderung wurde für die Zonenrandgebiete bzw. die Grenzlandzonen erhoben. Bei der Behandlung dieser Gesetzesvorlage in den Ausschüssen wird natürlich das Problem der zentralen oder regionalen Beschaffung besprochen werden müssen. Hier müssen Voraussetzungen geschaffen werden, welche es den Klein- und Mittelbetrieben ermöglichen, sich an einer Ausschreibung zu beteiligen. Der Zentralverband des deutschen Handwerks hat auf diesem Gebiet dem Beschaffungsamt in Koblenz schon Vorschläge unterbreitet, und es ist lobend zu erwähnen, daß Arbeitsgemeinschaften des Handwerks berücksichtigt wurden. Nun muß überlegt werden, welche Wege es gibt, um in noch größerem Rahmen die Klein- und Mittelbetriebe bei Vergabe von Aufträgen zu berücksichtigen. Bei gewissen Gegenständen wird eine Lagerhaltung in ,den einzelnen sechs Wehrbereichen notwendig sein. Hierdurch würde z. B. der Kritik, die Kollege Regling vorhin vorgebracht hat, abgeholfen, insofern er z. B. die Lieferzeit mit Recht beanstandete. In dem Augenblick, in dem in den einzelnen Wehrbereichen eine Lagerhaltung vorgenommen wird, ist den mittelständischen Betrieben die Möglichkeit gegeben, größere Lieferfristen zu erhalten. Bei der Behandlung dieses Gesetzes wird es wichtig sein, daß ein angemessener prozentualer Anteil der Aufträge nicht nur im Gesetzestext dem Handwerk und den Mittelbetrieben zugesichert wird, sondern in Verhandlungen mit den Ministerien muß dazu auch die Voraussetzung geschaffen werden. So hat z. B. der Kollege Wieninger das Problem angerührt, das Herr Staatssekretär Rust am 15. Dezember vergangenen Jahres im Plenum bereits angesprochen hat, daß nämlich der Bekleidungsbedarf der Bundeswehr im Wege der öffentlichen Ausschreibung als Vollauftrag gedeckt werden soll. Hier war schon die Überlegung am Platze, ob nicht durch die Einführung eines Kleidergeldes den Wünschen des Handwerks und auch - das muß betont werden - den Wünschen vieler Offiziere und Unteroffiziere entsprochen werden kann. Allein durch eine solche Maßnahme würde eine Berücksichtigung zahlreicher Klein- und Mittelbetriebe möglich sein, und hierbei würde sich automatisch auch eine Streuung auf alle Bundesländer ergeben. Die bisherigen Ergebnisse bei den öffentlichen Ausschreibungen des Beschaffungsamtes in Koblenz zeigen ein sehr interessantes Bild, und aus den bisherigen Erfahrungen kann man schon lernen. Zwar ist mir nicht bekannt, daß, wie vorhin der Kollege Regling ausgeführt hat, hier Differenzen bis zu 300 % bestehen. Ich weiß allerdings, daß sich bei den Ausschreibungen eine Durchschnittsdifferenz von 40 % ergeben hat, was aber natürlich nicht ausschließt, daß einzelne Ausschreibungen auch über 100 % Differenz zeigen. Um Kleinbetriebe berücksichtigen zu können, muß gegebenenfalls die Ausschreibung nach Menge und Art in Losen erfolgen. Hier ist die Möglichkeit gegeben, auf die bereits einmal der Kollege Schmücker und der Kollege Oetzel in meiner Fraktion im Dezember vergangenen Jahres hingewiesen haben. ({0}) Bei der Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs muß auch mit dem Herrn Bundesminister der Finanzen verhandelt werden. Klein- und Mittelbetriebe benötigen bei Auftragserteilung eine Anzahlung, und nach erledigtem Auftrag ist eine schnelle Abrechnung unbedingt notwendig. Nun, Kollege Regling, Sie meinten vorhin, es werden zu viele Gesetze gemacht. In diesem Punkt will ich Ihre Meinung teilen, aber nicht in diesem Falle. Wir sind als Berufskollegen sicherlich der Meinung, daß, wen wir die VOL-Regelung hier klären wollen, der Weg viel zu lang ist, weil viel zu viele Instanzen auf diesem Gebiet gehört werden müssen, während eine gesetzliche Regelung in diesem Falle den mittelständischen Betrieben doch schneller helfen kann. Ihre Kritik bezüglich des Lieferorts ist richtig. Aber Sie haben ja hier schon selbst einen positiven Vorschlag unterbreitet. Denn wenn bei der Ausschreibung die Lieferung ab Werkstatt vorgesehen ist, dann dürfte damit das bisher bestehende Problem, das darin lag, daß es praktisch hieß „Lieferung frei Ort und Stelle" und der Ort nicht bekannt war, gelöst sein. Es ist richtig, daß schließlich auch eine Arbeitsgemeinschaft im Ruhrgebiet, oder wo immer sie sei, hiervon ausgehen muß, und es ist schon von Bedeutung, ob eine Lieferung nach Bayern oder nach Schleswig-Holstein erfolgen soll. Meine Damen und Herren! Der Kollege Regling erwähnte, daß 36 % der Beschäftigten zum gewerblichen Mittelstand gehören. Darum wird ja von den Kollegen meiner Fraktion angestrebt, für das Problem eine gesetzliche Regelung dahin zu finden, daß wenigstens 40 % ,der Aufträge, die von den mittelständischen Betrieben erfüllt werden können, künftig von diesen auch ausgeführt werden sollen. Ich glaube aber, wir sind uns alle darin einig, daß die Stärkung der Existenz unserer Klein- und Mittelbetriebe ein Anliegen ist, dem im Interesse unseres ganzen Volkes entsprochen werden muß. Darum sollten wir dieses echte Anliegen, das in dem vorliegenden Antrag zum Ausdruck kommt, aufgreifen. Ich möchte das Hohe Haus im Namen vieler Freunde meiner Fraktion jedoch bitten, diesen Antrag, wie schon erwähnt, auch dem Ausschuß für Verteidigung zur Mitberatung zu überweisen. ({1})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Wir gehen in diesem Hohen Hause häufig merkwürdige Wege. Es ist unverständlich, daß Abgeordnete der größten Fraktion dieses Hauses diesen Antrag jetzt als einen Gesetzentwurf einbringen, nachdem der erste Sprecher selbst daran erinnert hat, daß wir im Dezember vergangenen Jahres anläßlich der Beratung der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion einen Antrag behandelt haben, den meine Fraktion als Quintessenz der Aussprache eingebracht hat und der die Zustimmung aller Fraktionen gefunden hat. Dieser Antrag lautete: Die Bundesregierung wird beauftragt, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Vergabewesen grundsätzlich regelt. Das war im Dezember vergangenen Jahres. Warum bringen wir jetzt noch einmal einen solchen Gesetzentwurf ein? Meine Herren von der CDU, in Ihrer Macht hätte es gelegen, diesen Antrag im Ausschuß im Januar anzunehmen. ({0}) Dann hätte die Regierung im Januar den Auftrag bekommen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem unter anderem auch diese Frage geregelt worden wäre. Aber der Antrag ruht in den Ausschüssen, er ist nicht weiterbehandelt worden. Auf unsere Anregung ist er kürzlich doch noch einmal auf die Tagesordnung des Ausschusses gesetzt worden. Meine Herren, warum der Umweg? Wir hätten uns diese Debatte heute ersparen können. Dann hätte der Gesetzentwurf von der Regierung wahrscheinlich schon vorgelegen.

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte!

Alois Niederalt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001607, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, ist Ihnen aus den damaligen Beratungen Ihres Antrages im Haushaltsausschuß bekannt, daß ich bei der Behandlung dieses FDP-Antrages genau die gleichen Grundfragen behandelt und genau die gleichen Probleme angesprochen habe und daß ich darauf hingewiesen habe, daß ein Entwurf in dieser Richtung kommen müßte? ({0})

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist mir zwar nicht bekannt, weil ich nicht dem Haushaltsausschuß angehöre. Aber warum haben Sie es dann nicht erzwungen? ({0}) Die CDU hat doch die absolute Mehrheit. Ihre Partei konnte doch ihre eigenen Anliegen auch zur Geltung bringen. Ich kann Ihnen doch nicht helfen. Ich möchte es gerne, aber S i e müssen doch beschließen! ({1}) Alle Parteien haben unseren Antrag angenommen, die Regierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wenn wir diesen Antrag im Ausschuß angenommen hätten, dann läge die Verpflichtung für die Regierung seit Januar dieses Jahres vor. In dieser Zeit hätte die Regierung diesen Gesetzentwurf auch tatsächlich vorlegen können. Ich wiederhole: das Verfahren beanstande ich; in der Sache sind wir absolut einig. Auch wir treten dafür ein - einer unserer Hauptgründe für die Stellung unseres Antrages war es, für Hilfe für den Mittelstand zu sorgen -, dem Mittelstand bei der Berücksichtigung in der Auftragsvergabe Hilfe zu leisten. ({2}) - Jawohl, eine unserer Forderungen war auch die öffentliche Ausschreibung. Wir haben aber dabei hizugefügt, daß ein Teil der Aufträge für die Vergabe an kleinere Betriebe abgezweigt werden soll. Über den Begriff „kleinere Betriebe" müssen wir uns noch etwas unterhalten; er ist in Ihrem Antrag ({3}) nicht sehr korrekt umschrieben. Für diesen Kreis sollten Sonderausschreibungen durchgeführt werden. Das ist auch zum Teil geschehen. Die Stelle in Koblenz hat zum Teil so gehandelt. Herr Kollege Regling, die Vorwürfe, die Sie vorgetragen haben, waren doch sehr allgemeiner Art. Nach meiner Kenntnis der Auftragsvergabe in Koblenz ist ein Teil Ihrer Wünsche schon befriedigt worden. Aber unser aller Anliegen ist in der Hauptsache, daß wir eine gesetzliche Unterlage haben, daß die Vergabestellen durch gesetzliche Bindung gehalten sind. Das ist unser gemeinsames Anliegen. Herr Stücklen, wir sind der Meinung, daß ein Teil der geeigneten Aufträge einem besonderen Kreis vorbehalten bleiben, allerdings innerhalb dieses Kreises wieder im Rahmen einer Ausschreibung vergeben werden soll. Das ist zwar eine beschränkte Ausschreibung, aber sie ist nicht territorial, sondern aur auf den Kreis der Lieferanten beschränkt. Wenn wir in die Einzelheiten eintreten, werden wir uns darüber unterhalten müssen, welcher Kreis von Waren hier einbezogen werden soll. Wir müssen den Kreis der zu berücksichtigenden Betriebe genau festlegen. Darüber hinaus gibt es noch einige andere Schwierigkeiten, die dabei zu überwinden sind. Wir wenden uns dagegen, daß der Abnehmerkreis allzu eng begrenzt war. Auch beim Prüfungsverfahren muß die Öffentlichkeit hergestellt werden. Auch dort dürfen nicht einzelne Betriebe ausgeschlossen werden, wenn sie in den Gesamtrahmen der zu berücksichtigenden Gruppe gehören. Nun noch ein Vorwurf an die Bundesregierung selbst! Die Bundesregierung hat schon seit Dezember vergangenen Jahres Kenntnis davon, daß alle Parteien den Wunsch nach einer gesetzlichen Regelung dieser Frage geäußert haben. Ein Beschluß liegt zwar nicht vor. Das habe ich Ihnen ja vorgeworfen, daß Sie als größte Partei mit der dazu erforderlichen Macht das nicht erzwungen haben. Aber die Bundesregierung hätte von sich aus dem klar erkennbaren Wunsch aller Parteien entgegenkommen und ihrerseits einen umfassenden Entwurf vorlegen müssen. ({4}) - Herr Stücklen, glauben Sie, daß das ein Gesetzentwurf ist, der diese Fragen restlos regelt und klärt? Herr Stücklen, ich bin einfacher Bundestagsabgeordneter, mir steht nicht ein Apparat zur Verfügung wie einem Bundesministerium! Es ist grundsätzlich doch Angelegenheit der Bundesregierung, Gesetzentwürfe vorzulegen! ({5}) - In Ausnahmefällen, Herr Bausch, wenn es uns technisch möglich ist! Hier haben aber die Redner Ihrer Partei und Herr Regling eindeutig klargelegt, daß es sich um eine sehr umfangreiche Materie handelt, die von uns ohne technische Hilfsmittel nicht geregelt werden kann. Die Bundesregierung hätte fast ein Jahr Zeit gehabt, uns diesen Entwurf vorzulegen. ({6}) Der Wirtschaftspolitische Ausschuß, dem unser Antrag damals überwiesen worden ist, hat auf unsere Anregung hin schließlich nun doch gehandelt, allerdings erst in der vergangenen Woche, und hat eine kleine Kommission damit beauftragt, in Koblenz Untersuchungen über das Verfahren bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen anzustellen. Dieser Ausschuß wird in der nächsten Woche seine Tätigkeit aufnehmen und wird mindestens Unterlagen für die Ausgestaltung des Gesetzentwurfs liefern, den alle Fraktionen gleichermaßen wünschen. ({7})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gemein.

Heinz Gemein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000658, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß wir diese Debatte in Abwesenheit des Herrn Bundesverteidigungsministers führen, der sicherlich dringend verhindert ist. Die Notlage des Mittelstandes steht seit Monaten im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Bundesregierung und Parteien haben immer wieder weitestgehende Förderungsmaßnahmen versprochen. Der Gesamtdeutsche Block/BHE erblickt im Mittelstand die schöpferische Plattform für ein aufstrebendes und gesundes Wirtschaftsleben. Dies zu betonen besteht besonderer Anlaß in einer Epoche, die in steigendem Maße der Automation des Wirtschaftslebens zustrebt. Die Gefahr, daß dadurch der Nachwuchs in seiner Ausbildung und Zielsetzung ebenfalls automatisiert und überspezialisiert wird, kann gar nicht früh genug erkannt werden. Deshalb müssen ehestens Wege gefunden und umfassende Maßnahmen beschlossen werden, die nicht nur diese Gefahr überwinden, sondern praktisch auch eine wirkliche Hilfe für den um seine Existenz kämpfenden Mittelstand werden. Es würde zu weit führen, im Rahmen dieser Debatte das Problem in seinen Einzelheiten und Folgerungen zu diskutieren. Das wird zu anderen Zeiten geschehen. Für heute steht die Sonderfrage der Förderung der Klein- und Mittelbetriebe der gewerblichen Wirtschaft bei der Vergabe von Verteidigungsaufträgen - Drucksache 2615 - an. Meine Fraktion begrüßt die Förderung der kleinen und mittleren Betriebe. Ihre Beteiligung bei Verteidigungsaufträgen ist ein gesamtwirtschaftliches Gebot. Eine Zusammenballung dieser Aufträge auf einige große Unternehmen wäre nicht zu verantworten. Die Auftragsstreuung muß vielmehr der Gesamtwirtschaft dienlich sein. Dazu ist aber Voraussetzung, daß die Verteidigungsaufträge nicht nach rein fiskalischen Gesichtspunkten, sondern in einer wirtschaftlich und staatspolitisch vernünftigen Form zur Vergabe kommen. Die Verwaltungsregelung, die zu diesem Zweck bereits zwischen dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und den Bundesministerien für Wirtschaft, für Verteidigung und für Finanzen sowie dem Bundesrechnungshof getroffen wurde, hätte hierfür genügen müssen. Trotzdem werden aus den kleinen Betrieben immer wieder Klagen vorgetragen. Besonders kritisiert werden Form und Inhalt der Ausschreibungen, insbesondere in Hinsicht auf ihre Klarheit und Einfachheit, und die Festsetzung übergroßer Lose, die auf Großunternehmungen zugeschnitten sind. Im Interesse einer wirksamen Hilfe für die Kleinbetriebe muß daher gefordert werden: Klarheit und Ausführlichkeit der Ausschreibungen, angemessene Lieferfristen, für Kleinbetriebe geeignete Losgrößen und angemessene Gütebedingungen, die nicht einseitig auf Großbetriebe abgestellt sind. Wir teilen die Bedenken, die gegen eine gesetzliche Regelung überhaupt und die Fixierung einer ({0}) festen Quote bestehen. Eine Verwaltungsvereinbarung müßte ausreichen. Aber anscheinend vermag sich die Bundesregierung nicht daran zu halten, so daß eine gesetzliche Regelung erforderlich erscheint. Bei der Vergabe von Verteidigungsaufträgen werden besonders die Zonengrenzgebiete zu berücksichtigen sein, ({1}) deren wirtschaftliche strukturelle Schwäche allgemein anerkannt ist. Zur Klärung dieser und anderer Fragen bedarf es einer eingehenden Beratung im Ausschuß. ({2})

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002046

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; ich schließe die Beratung zu Punkt 5. Im Ältestenrat war Überweisung dieser Gesetzesvorlage an den Ausschuß für Sonderfragen des Mittelstandes als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung vereinbart. Ich nehme an, daß das Haus dagegen keine Einwendungen hat. - Dann ist so beschlossen. Es ist der weitere Antrag gestellt, auch den Ausschuß für Verteidigung als mitberatenden Ausschuß einzuschalten. Wer diesem Antrag stattgeben will, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag, den Ausschuß für Verteidigung als mitberatenden Ausschuß einzuschalten, ist abgelehnt. Ich rufe auf Punkt 6: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes ({0}); b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes ({1}). Es ist vereinbart worden, in der ersten Beratung auf Begründung und Debatte zu verzichten. Ich schlage dem Hause Überweisung der beiden Gesetzentwürfe an den Ausschuß für Wiedergutmachung als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Beamtenrecht als mitberatenden Ausschuß vor. - Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen. Punkt 7: Beratung des Antrags der Abgeordneten Schmidt ({2}), Rademacher, Seiboth und Genossen betr. Berlin-Verkehr der Deutschen Lufthansa AG ({3}). Ich nehme an, daß der Herr Abgeordnete Schmidt ({4}) begründen will. Ich erteile ihm das Wort.

Helmut Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002007, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Drucksache 2617 von Abgeordneten der Sozialdemokratie, der FDP und des BHE ist nicht das erste Dokument, aus dem hervorgeht, daß der Bundestag eine Lufthansa-Verbindung zwischen Berlin und der Bundesrepublik wünscht. Allerdings hat der heutige Antrag einen besonderen Anlaß. Von einer bestimmten russischen Seite war im Juni eine Andeutung gemacht worden, aus der man schließen konnte, daß die sowjetische Seite bereit sein würde, einen entsprechenden Antrag freundlich zu erwägen. Man konnte aber aus dieser Andeutung nicht entnehmen, welche etwaigen Gegenleistungen sich die sowjetische Seite vorstellte. Diese zweite Tatsache konnte - so schien es im Juli, als unser Antrag gestellt wurde, den Antragstellern - die Bundesregierung eventuell davon abhalten, auf jene sowjetische Bemerkung näher einzugehen. Der Antrag wurde am 4. oder 5. Juli veröffentlicht. Wir müssen hervorheben, daß sich die Ressorts, die Bundesregierung und der Senat von Berlin unverzüglich und seither fortlaufend mit dieser Frage beschäftigt haben. Die anschließende Beratung im Gesamtdeutschen Ausschuß und im Verkehrsausschuß - ich nehme an, daß der Antrag dorthin überwiesen wird - wird weiterhin Gelegenheit geben, die Möglichkeiten im einzelnen durchzuberaten. Die sozialdemokratische Fraktion legt aber Wert darauf, auch schon in der Öffentlichkeit des Plenums einige Grundsätze zu dieser Frage offen darzulegen. Zunächst muß man wissen, daß bei dem Viermächtestatus nur Luftfahrtgesellschaften der vier Mächte das Recht haben, Berlin anzufliegen, woraus folgt, daß andere Gesellschaften dieses Recht nur dann erwerben können, wenn die vier Mächte damit einverstanden sind. Das ist die zunächst sehr einfache Rechtslage, von der hier auszugehen ist. Sie könnte sich allerdings dann komplizieren, wenn von sowjetischer Seite behauptet würde, bei einem Verkehr nach Berlin würde der Luftraum des vorgeblich souveränen Staates der sogenannten DDR überflogen, und dazu sei die Genehmigung der Regierung dieses vorgeblich souveränen Staates notwendig. Hierzu möchte ich feststellen, daß wir mit unserem Antrag keineswegs nahelegen oder in Kauf nehmen möchten, daß ein Weg beschritten wird, der am Ende etwa auf ein Regierungsabkommen mit Pankow und eine Art rechtlicher Anerkennung Pankows durch die Bundesregierung hinauslaufen könnte. Deshalb haben wir formuliert, der Vorstand der Lufthansa - nicht etwa die Bundesregierung - solle die Zulassung zum Berlin-Verkehr „bei den zuständigen Stellen" erwirken. Wir möchten aber andererseits nicht, daß dieser Versuch etwa von vornherein an außenpolitischen Bedenken scheitert. Deshalb möchten wir heute hervorheben, daß dieses Anliegen, das schon für sich genommen uns durchaus sehr gewichtig erscheint, im Rahmen unseres Programms gesehen werden soll, das sich auf technische Erleichterungen des Verkehrs und der Beziehungen in Gesamtdeutschland bezieht. Genauso, wie man in deutschen Eisenbahnzügen, in deutschen Kraftfahrzeugen von Berlin in die Bundesrepublik und umgekehrt fahren kann, genauso, wie man auf deutschen Binnenschiffen Güter von Berlin in die Bundesrepublik und umgekehrt transportieren kann, genauso muß es auch möglich sein, in deutschen Flugzeugen zwischen Berlin und der Bundesrepublik hin- und herzufliegen. Das Flugzeug ist insbesondere im Berlin-Verkehr längst ein Beförderungsmittel für sehr breite Schichten der Bevölkerung geworden. Genauso, wie es für den Interzonenhandel ein Abkommen (Schmidt ({0}) zwischen den beiden Teilen gibt, genauso, wie der Binnenschiffahrtsverkehr zwischen der sogenannten DDR und uns, genauso, wie der Interzonenkraftwagenverkehr und der Interzoneneisenbahnverkehr auf Grund technischer Abreden offensichtlich und zu unserer Freude funktionieren, genauso muß sich auch der Interzonenluftverkehr durch ein solches technisches Abkommen regeln lassen, ohne daß deshalb große Probleme des Völkerrechts akut werden müssen. Ich darf an dieser Stelle vielleicht darauf hinweisen, daß schon früher der Regierende Bürgermeister von Berlin ein Interzonenverkehrsabkommen gefordert hat, quasi als Pendant zu der bestehenden Übung von Interzonenhandelsabkommen. Nun setzen freilich Interzonenabkommen immer den guten Willen auf beiden Seiten voraus. Es muß auf beiden Seiten Interesse gegeben sein. Das ist beim Interzonenhandel der Fall, und das sollte auch hier beim Luftverkehr der Fall sein. Wir haben deshalb auch keinerlei Bedenken, wenn etwa auf dem Wege eines solchen Interzonenluftverkehrsabkommens auch gegenseitige Luftverkehrsrechte ausgehandelt würden. Sicher ist es sehr unerfreulich, daß die sogenannte DDR ihrer eigenen Staatsluftfahrt ebenfalls den Namen „Lufthansa" beigelegt hat. Das ist ein ausgesprochen unfreundlicher und zweifellos auch rechtlich nicht zu vertretender Akt. Aber ich glaube, wir müssen auch darüber hinwegkommen. Schließlich hat es auch beiderseitige Interzonenreisezüge auf der Schiene gegeben, als noch auf beiden Seiten die Eisenbahnverwaltung den Titel Deutsche Reichsbahn geführt hat. Also ich glaube, über diese Namens- und Titelfrage sollte man hinwegkommen können. Im Ergebnis sollte nicht nur die Zulassung der deutschen Flagge zum Berlin-Verkehr angestrebt werden, sondern darüber hinaus endlich auch ein Luftverkehr zwischen den Zentren der Zone und den Zentren der Bundesrepublik, genauso, wie es heute möglich ist, auf der Schiene von Köln nach Leipzig zu fahren, ohne über Berlin fahren zu müssen. Ich treffe auch in Köln D-Zugwagen aus der Zone an. Ich fahre womöglich sogar mit einem zonalen D-Zug von Köln nach Leipzig. Ich kann auch in einem bundesrepublikanischen D-Zugwagen fahren. Das geht wechselweise, da gibt es technische Abmachungen, die durchaus funktionieren. Wenn das auf der Schiene geht, warum sollte es nicht ebenso im Luftverkehr angestrebt werden? Ich darf hinzufügen: ebenso sollte vielleicht auch der Wunsch der Russen, mit ihrer russischen Staatsluftfahrtgesellschaft das Gebiet der Bundesrepublik zu überfliegen - dieser Wunsch ist uns ja bekannt -, grundsätzlich positiv betrachtet werden. Freilich muß die bilaterale Aushandlung von Luftverkehrsrechten ständig auf gleichzeitige bilaterale Verhandlungen mit dritten Partnern Rücksicht nehmen. Das haben wir gerade jüngst erlebt - und die Öffentlichkeit hat ein sehr großes Interesse genommen - bei den Verhandlungen, die die Bundesregierung einerseits mit den skandinavischen Staaten und andererseits mit Frankreich führen mußte. Ich benutze gern die Gelegenheit, zu sagen, daß das Ergebnis dieser Verhandlungen, die in Kopenhagen gepflogen worden sind, uns als ein sehr annehmbares und vernünftiges Kompromiß erscheint. ({1}) Wir hoffen, auch Frankreich wird verstehen, daß die Aufrechterhaltung unserer Freundschaft zu den skandinavischen Staaten ein solches Kompromiß erforderte. In ähnlicher Weise, wie es mit Kopenhagen und Paris der Fall ist, könnten vielleicht auf östlicher Seite die Luftverkehrsinteressen der russischen „Aeroflot" an ihrem beabsichtigten Westeuropaverkehr mit denen unserer Lufthansa für den Berlin-Verkehr als verflochten angesehen werden. Wir möchten hervorheben, daß wir das keineswegs für einen Fehler im Grundsatz halten würden. In diesem Zusammenhang liegt uns allerdings daran, ganz klar zu betonen, daß wir keineswegs wünschen, daß die Stellung Tempelhofs als Berliner Zentralflughafen irgendwie angetastet werde. Wir wünschen ebenso klar zu betonen, daß die Air France, die British European Airways und die Pan American World Airways mit ihren Flugzeugen Tempelhof wie bisher so auch in Zukunft in ihren Flugplänen behalten möchten. Wir sind diesen Gesellschaften zu großem Dank verpflichtet sowohl wegen ihrer wirtschaftlichen als auch wegen ihrer politischen Leistungen. ({2}) Wir wollen diese Leistungen keineswegs en bloc etwa unserer Lufthansa übertragen. Im Gegenteil, ich möchte deutlich machen, daß wir dabei durchaus mit zusätzlichen Leistungen durch die Deutsche Lufthansa rechnen. Wir sind durchaus gewillt, dabei in Kauf zu nehmen, wenn etwa die Leistungen bei diesem Verkehr nicht ganz rentabel wären, wenn er sich wirtschaftlich nicht sollte selbst tragen können. Wir haben uns sonst bei allen Gelegenheiten gewehrt, wenn aus irgendwelchen Prestigeerwägungen Versuche gemacht wurden, der Lufthansa Linienverkehre aufzuzwingen, die in Wirklichkeit nicht rentabel waren; wenn also von dieser oder jener Seite versucht wurde, der Lufthansa Prestigelinien aufzuzwingen. Solche Versuche sind z. B. auch von einzelnen Städten gemacht worden, die gern wollten, daß ihre Flughäfen im Flugplan der Lufthansa erscheinen. Was aber den Berlin-Verkehr anlangt, so sind wir der Meinung, daß jedes wirtschaftliche Opfer gerechtfertigt wäre, ihn in Gang zu bringen; z. B. das Opfer, daß man notfalls Flugzeuge, die heute nach Hamburg oder nach München fliegen, aus diesen Verkehren herausnähme, um sie im BerlinVerkehr einzusetzen, falls man so schnell zusätzliche Flugzeuge nicht sollte beschaffen können. Wir sind nämlich der Auffassung, daß die Frage eines deutschen Flugverkehrs nach Berlin in jedem Falle eine legitime Prestigefrage ist, nicht des Prestiges der Lufthansa, sondern eine Frage des gesamtdeutschen Prestiges. Ich darf vorschlagen, indem ich mich zugleich für Ihre Aufmerksamkeit bedanke, daß Sie den Antrag an den Verkehrsausschuß als federführenden Ausschuß überweisen und an den Auschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen zur Mitberatung. Ich möchte vermuten, daß wir uns in der Ausschußberatung in der Tendenz einigen können, wie ich sie Ihnen soeben für die Antragsteller vorgetragen habe, ({3}) ({4}) wenn auch dieser Antrag einstweilen von der größten Fraktion dieses Hauses nicht mit unterzeichnet ist. ({5})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.

Dr. - Ing. Dr. - Ing. e. h. Dr. h. c. Hans Christoph Seebohm (Minister:in)

Politiker ID: 11002137

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von der für die Berliner Tagung des Deutschen Bundestages vorgesehenen eingehenden Behandlung der drängenden deutschen Verkehrsprobleme scheint leider nur dieser Antrag zur eingehenden Behandlung kommen zu können, der ein in sich geschlossenes, für Berlin sehr wichtiges Problem, aber im ganzen gesehen doch nur eines der vielen Teilprobleme des Verkehrs behandelt. Das bedaure ich sehr, obwohl es gerade am Vorabend der Europäischen Verkehrsministerkonferenz, die nächste Woche alle Verkehrsminister Europas westlich des Eisernen Vorhangs mit Ausnahme von Finnland, Irland und Island zu uns führt, ein zweischneidiges Schwert sein kann, eine solche Verkehrsdebatte zu führen. Dieses größte europäische Ministertreffen nach dem Kriege auf deutschem Boden ist noch dadurch ausgezeichnet, daß die Bundesrepublik Deutschland für das nächste Jahr den Vorsitz in diesem großen europäischen Gremium übertragen erhält. Heute dagegen sollte hier der Kritik, aber auch dem Willen zur aufbauenden Entwicklung des Verkehrs in Deutschland Raum gegeben werden. Mich hätte es besonders gefreut, dazu Stellung zu nehmen hier auf dem Boden meiner alten alma mater, der Technischen Hochschule zu BerlinCharlottenburg, der ich meine Ausbildung zum Bergingenieur und zum Dr.-Ing. verdanke. Es ist für den früheren Studenten nicht ohne Reiz, gerade hier zu den Fragen der technischen Entwicklung des Verkehrs Stellung zu nehmen. Nun zu dem soeben begründeten Antrag, der leider an den gegebenen und bekannten Tatsachen und Möglichkeiten vorbeigeht; denn die Deutsche Lufthansa vermag in diesen Fragen zu ihrem Bedauern eine aktive Rolle nicht zu spielen. Der Luftverkehr ist ein Rechtssubjekt eigener Art. Man kann ihn nicht, wie es der Herr Kollege Schmidt soeben getan hat, mit dem Interzonenhandelsverkehr oder mit dem Interzonenhandel als solchem vergleichen. Das Interzonenhandelsabkommen ist ja nicht zwischen der Sowjetzone und der Bundesrepublik, sondern zwischen den beiden D-MarkGebieten Ost und West abgeschlossen worden, und unser Bemühen, auf gleicher Ebene ein Interzonenverkehrsabkommen zu erhalten, wie es auch der Senat von Berlin gewünscht hat, hat leider nicht zum Erfolg geführt. Ich darf auf die Erklärung verweisen, die ein Vertreter der sowjetisch besetzten Zone, Herr Loch, kürzlich abgegeben hat, als er sich auf einem Flug von Pankow nach Moskau befand. Er hat damals ausdrücklich ausgeführt, daß er sehr bereit sein würde, in Verhandlungen über den Luftverkehr zwischen der Bundesrepublik und dem sowjetisch besetzten Gebiet einzutreten, aber nur auf der Ebene der Minister. Bei allen Planungen für den Wiederaufbau eines deutschen Luftverkehrs, insbesondere seitdem die neue Deutsche Lufthansa ihren Flugbetrieb aufnehmen konnte, hat die Bundesregierung, die diese Aufgabe allein angeht, die Möglichkeit einer Einschaltung dieses deutschen Luftlinienunternehmens in den Luftverkehr mit Berlin verfolgt. Denn von vornherein wurde es als ein natürliches Recht der Bundesrepublik betrachtet, unter eigener Flagge an den Flugliniendiensten zwischen dem Bundesgebiet und seiner künftigen Hauptstadt teilzunehmen. Die besondere politische Lage Berlins stand jedoch dem Wunsch entgegen, schon in den ersten Flugplan der Lufthansa Strecken nach Berlin einzufügen. Ich muß hier ebenso wie Herr Kollege Schmidt daran erinnern, daß der Berlin-Verkehr auf Viermächteabmachungen vom Jahre 1945 und vom Jahre 1949 beruht und daß das Pariser Vertragswerk dem Rechnung getragen hat durch Bestimmungen im Zwölften Teil des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen, wo es in Art. 5 heißt: Bei der Ausübung ihrer Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin werden die Drei Mächte weiterhin jeden Luftverkehr nach und von den Berliner Luftschneisen regeln, die von der alliierten Kontrollbehörde festgelegt wurden. Die Bundesrepublik verpflichtet sich, diesen Verkehr in jeder Weise auf einer Grundlage zu erleichtern und zu unterstützen, die nicht ungünstiger ist als die beim Inkrafttreten dieses Vertrages bestehende Grundlage. Als praktische Folge ergab sich zunächst, daß der Luftverkehr zwischen dem Bundesgebiet und Tempelhof weiterhin durch die Gesellschaften der drei Westmächte durchgeführt wird. Im planmäßigen Fluglinienverkehr sind die Air France, die British European Airways und die Pan American World Airways tätig. Auf der sogenannten kleinen Luftbrücke nach Hamburg und Hannover und im Touristenverkehr nach bestimmten Zielen, z. B. nach Mallorca, fliegen außerdem britische Charterunternehmen. Ich freue mich über die hier für diese Gesellschaften gezollte Anerkennung, der ich mich voll anschließe. Daß der Fluglinienverkehr mit Berlin nicht ausreicht und vor allem während der Hauptreisezeit manches zu wünschen übrigläßt, ist unstreitig. Gerade den Bewohnern der deutschen Hauptstadt sollte jede Möglichkeit geboten werden, zu geschäftlichen Zwecken wie zu Erholungsreisen und zu menschlichen Kontakten die Vorteile der schnellen Beförderung auf dem Luftwege zu genießen. Es ist also nicht etwa nur eine Prestigeangelegenheit, wenn die Einschaltung der Lufthansa in den Berlin-Verkehr gefordert wird, sondern im Vordergrund steht für uns vielmehr das Bestreben, die Flugverbindungen mit Berlin zu verdichten und zu verbessern. Diesem Ziel dienen die Bemühungen der Bundesregierung. Die Organe der Lufthansa, Aufsichtsrat und Vorstand, können nach Lage der Dinge nur die notwendigen Vorbereitungen treffen, um für den Tag gerüstet zu sein, an dem nach Klärung der politischen Voraussetzungen hier der Weg nach Berlin geöffnet wird. Eine dauernde Ausschließung deutscher Luftfahrzeuge vom Berlin-Verkehr ist sicherlich nicht gerechtfertigt. Ein Verkehr deutscher Luftfahrzeuge nach und von Berlin, insbesondere ein Fluglinienverkehr der Lufthansa, könnte vielmehr durch die Drei Mächte im Einvernehmen mit den für Berlin zuständigen Stellen der Sowjetunion zugelassen werden. Infolgedessen hat die Bundesregierung die Frage in wiederholten Verhandlungen mit den Drei Mächten erörtert. Daß diese im Schat({0}) ten der politischen Beziehungen zwischen West und Ost stehen mußten, liegt auf der Hand. Die Bundesregierung hat die notwendigen Schritte eingeleitet, um die grundsätzliche Erlaubnis für einen Anflug von Berlin-Tempelhof durch deutsche Luftfahrzeuge zu erwirken. Voraussichtlich werden diese Verhandlungen noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich darf aber versichern, daß wir sie mit allem Nachdruck betreiben werden. Sachlich hat der Bundesminister für Verkehr bereits weitgehende Vorbereitungen für den Fall der Einschaltung der Lufthansa in den BerlinVerkehr vorgenommen. Leitgedanke ist, daß die Lufthansa erstens einen Verkehr anbieten soll, der die Fluggäste in jeder Hinsicht befriedigt, und daß sie zweitens daneben einen möglichst preiswerten Dienst zur Verfügung stellen sollte. In diesem Zusammenhang darf ich erwähnen, daß es uns nach langwierigen Bemühungen gelungen ist, u. a. den Preis für Hin- und Rückflug im sogenannten Nachtflugdienst zwischen Berlin und Hannover auf 65 DM zu senken. Um einen befriedigenden Verkehr durchführen zu können, wird die Lufthansa ihren Flugzeugpark entsprechend zu erweitern haben. Ich darf wohl sicher sein, daß das Hohe Haus der Bereitstellung der dazu notwendigen finanziellen Mittel zustimmen und auch einverstanden sein wird, wenn zugunsten des Berlin-Verkehrs etwa vorübergehend der eigene Flugverkehr im Bundesgebiet eingeschränkt werden müßte, bis der Flugzeugpark entsprechend erweitert ist. Auch darf sicher der Lufthansa kein Vorwurf erwachsen, wenn sie etwa, um den Berlinern zu dienen, an diesen Verkehr nicht jene wirtschaftlichen Maßstäbe anlegt, die wir sonst von ihr fordern müssen. Vorgesehen sind Fluglinien zwischen dem Bundesgebiet und Berlin, die der Tatsache Rechnung tragen, daß die unermüdliche Berliner Schaffenskraft zu einer kontinuierlichen Erstarkung der Westberliner Wirtschaft geführt hat und weiter führen wird. Bei den Berechnungen ist davon ausgegangen worden, daß die Luftverkehrsgesellschaften der Drei Mächte ihre Dienste nach und von Berlin im wesentlichen aufrechterhalten. Eine verständnisvolle Zusammenarbeit und eine Abstimmung der beiderseitigen Fluglinien und Flugzeiten, wie sie bereits in anderen Lufträumen stattfinden, werden dem BerlinVerkehr zugute kommen. Berlin wurde in früherer Zeit mit Recht das „Luftkreuz Europas" genannt. Seitdem hat der Luftverkehr ein den ganzen Erdball umspannendes Netz von Fluglinien entwickelt. Wir werden uns deshalb herzlich freuen, wenn uns befreundete Luftverkehrsunternehmen Fluglinien nach BerlinTempelhof einrichten, um so mehr, als wir sie bitten müssen, wenn sie uns befreundet bleiben wollen, auf Landungen in Berlin-Schönefeld zu verzichten. ({1}) Daß Berlin so bald als irgend möglich wieder zu einem Mittelpunkt des europäischen Luftverkehrs wird und daß deutsche Flugzeuge hier ihre Farben zeigen können, daß wir uns von Berlin aus wieder direkt an transozeanische und transkontinentale Verbindungen anschließen können -, diesem Ziel wird die unablässige Arbeit der Bundesregierung für unsere Hauptstadt Berlin dienen. ({2})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren! Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages schreibt vor, daß Besucher auf der Tribüne sich Beifallskundgebungen zu enthalten haben. Das gilt auch für Berlin. Das Wort hat der Abgeordnete Rademacher.

Willy Max Rademacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe meine Unterschrift unter diesen Antrag mit einigen Bedenken gesetzt, weil ich mir klar darüber bin, wie groß die politischen und auch die praktischen Schwierigkeiten sind, diesen Antrag durchzusetzen. Aber ich glaube trotzdem, es ist gut, daß unser selbstverständliches Anliegen einer direkten Verbindung der Lufthansa zu Berlin einmal über die natürlichen und auch über die unnatürlichen Grenzen unseres Landes hinaus gehört werde. Wir sind sicherlich sehr erfreut darüber, daß die Lufthansa, unabhängig von dem notwendigen Ausbau ihres Apparats, vorsorgend die notwendigen Vorbereitungen getroffen hat, und zweifelsohne wird es ja zunächst einmal notwendig sein, alle vier Kontrollratsmächte zu einer Zustimmung für das direkte Anfliegen der Lufthansa zu gewinnen. Allerdings glaube ich, daß dann gleichzeitig auch die Anträge derjenigen Gesellschaften kommen werden, die bisher ebenfalls von diesem Flug noch ausgeschlossen sind, - das sind ja in erster Linie die KLM, Sabena, Swiss Air und auch die in letzter Zeit so viel genannte SAS. Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang taucht aber noch ein weiteres Problem auf, wenn wir uns in den beteiligten Ausschüssen mit diesem Antrag befassen. Zweifelsohne wird ja auch eines Tages - wahrscheinlich schon sehr schnell - notwendig die Frage untersucht werden müssen: Ist es möglich, in irgendeiner Form auch eine direkte Verbindung der Lufthansa zu den sogenannten Ostblockstaaten herzustellen? Ich glaube richtig unterrichtet zu sein, daß beispielsweise die Tschechoslowakei sehr viel Wert darauf legen würde, mit ,der Deutschen Bundesrepublik in Verhandlungen über ein Anfliegen von Prag zu treten. Die Frage an den Herrn Bundesverkehrsminister ist, ob es denkbar ist, beispielsweise in unseren Nahost-Verkehr eine solche Planung einzubeziehen. Meine Damen und Herren! Sicherlich wird dieser Bundestag, wenn es gelingen sollte, die Lufthansa für den Verkehr nach West-Berlin einzuspannen, die notwendigen Mittel hierfür zur Verfügung stellen, weil es eben mehr als eine materielle und eine wirtschaftliche Frage ist, weil es eine, ich möchte sagen, nationale Frage ist, daß unsere eigene Flagge nun auch West-Berlin-Tempelhof anfliegen darf. Aber ich glaube, Herr Bundesminister, man kann es nicht ausschließlich darauf abstellen, daß nur Verhandlungen zu einem Ziele führen, die direkt mit der DDR geführt werden müßten. Diese stehen ja außerhalb jeder Diskussion aus den bekannten politischen Gründen. Aber ich glaube, wenn wir die Zustimmung der Kontrollratsmächte haben, daß es dann durchaus möglich ist, über die Lufthansa die weiteren Verhandlungen zu führen. Denn es wird wahrscheinlich - ich darf das hier einmal offen aussprechen, man muß die Schwierigkeiten von vornherein deutlich übersehen - die UdSSR als eine der Mächte, von denen die Genehmigung abhängig ist, die Bedingung stellen, daß eine Vereinbarung mit der öst({0}) lichen Lufthansa über ein bilaterales Abkommen zustande kommt, unsere eigene Lufthansa zu veranlassen, daß sie gleichzeitig Schönefeld anfliegt, während umgekehrt etwa eine gleiche Forderung gestellt werden würde. Meine Damen und Herren! Ich möchte nur im Namen meiner Freunde die Schwierigkeiten aufzeigen, die hier entstehen können und sicherlich entstehen werden. Aber ich glaube, wo ein Wille ist, da ist ein Weg, und wir sollten dafür dankbar sein, daß die Lufthansa, wie es hier schon zum Ausdruck gebracht wurde, sich die nötigen Gedanken gemacht hat über eine hoffentlich nicht allzu ferne Zukunft, in der auch unsere deutsche Flagge den Flughafen Tempelhof anfliegt. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bucerius.

Dr. Gerd Bucerius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000287, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesverkehrsminister, Sie haben sich sehr eingehend mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Schmidt auseinandergesetzt. Ich glaube, Sie haben dabei eine sehr wichtige Tatsache übersehen. Der Herr Kollege Schmidt hat Ihnen sehr ausdrücklich ein Kompliment gemacht. Und da wir beide Komplimente von seiten des Herrn Kollegen Schmidt nicht gewohnt sind, ({0}) so sollten wir diese Tatsache hier mit besonderer Genugtuung bemerken. ({1}) Herr Kollege Schmidt: wenn Sie allerdings bemängeln, daß der Antrag, der in erster Linie Ihren Namen trägt, nicht auch die Unterschrift 'der - es ist gut, daß Sie daran denken - größten Fraktion dieses Hauses trägt, so muß ich Ihnen in diesem Falle sagen: wir haben den Antrag deshalb nicht unterschrieben, weil der Wunsch, den Sie darin äußern, längst erfüllt ist und wir der Sozialdemokratie wie so häufig schon um viele, viele Monate voraus sind! ({2}) In der Sache selbst - das habe ich schon gesagt - stimmen wir jedem Worte zu, das der Herr Kollege Schmidt gesagt hat. Das hier angeschnittene Thema enthält ein ganz großes Ärgernis. Wir können von dem westlichen Teil der Bundesrepublik mit amerikanischen, mit englischen und französischen Flugzeugen nach Berlin fliegen, nicht mit deutschen. Wir haben uns in jahrelangen Kämpfen, unterstützt durch die westlichen Alliierten, schließlich die Freiheit der Straße und die Freiheit der Schiene erkämpft. In der Luft stoßen wir immer noch auf Überreste der russischen Blockade. Nicht als ob wir Einwendungen gegen die Beteiligung amerikanischer, englischer oder französischer Flugzeuge am Luftverkehr nach Berlin hätten. Im Gegenteil! Im Flughafen Tempelhof steht ein Denkmal, das die Berliner Bevölkerung den Westmächten gesetzt hat, ein Denkmal der Erinnerung an die Zeit der Blockade, in der Berlin durch die Flugzeuge unserer westlichen Alliierten gerettet worden ist. ({3}) Daß der harmlos-gutmütige Spott der Berliner dieses Denkmal mit dem Wort „Hungerharke" bezeichnet, gibt in Wirklichkeit dem besonderen Respekt Ausdruck, den Berlin vor dieser gewaltigen Leistung der westlichen Alliierten zugunsten ihrer Stadt und zugunsten unser aller, der Bundesrepublik hat. ({4}) An dieser unvergessenen Kameradschaft wollen wir festhalten. Ja, wir möchten darüber hinaus, daß andere uns befreundete westliche Nationen ihre Flaggen in Tempelhof zeigen. Wir möchten gern, daß Berlin in der Tat wieder das wird, was es gewesen ist und in absehbarer Zeit sein wird: das echte Luftkreuz des Westens. Wir möchten englische, amerikanische, schwedische, holländische und norwegische Flugzeuge in Berlin sehen. Vor allem aber möchten wir deutsche Flugzeuge in Berlin sehen. Wir möchten, daß die deutsche Flagge in Tempelhof wieder gezeigt werden kann. ({5}) Meine Damen und Herren, die Lufthansa fliegt heute wieder in vielen Teilen der Welt. Sie berührt London, Lissabon, Madrid. Sie fliegt nach Südamerika. Ist es ein erträglicher Zustand, daß wir von Hamburg nach Buenos Aires, aber nicht nach Berlin fliegen können? Dieser Zustand ist nicht mehr erträglich. Uns wird ein natürliches Recht des ungehinderten Zugangs nach Berlin streitig gemacht. Wir müssen uns darüber klar sein: die Russen wollen uns trotz aller Zeichen der Aufweichung und des Völkerfrühlings, der nach Meinung vieler auszubrechen scheint, trotz aller Anzeichen des Nachgebens deutlich machen, daß sie noch hier sind und ein entscheidendes Wort bei der Gestaltung unseres Landes mitzusprechen haben. Wir sollten das nicht vergessen, daß zwar vielleicht der Kalte Krieg aufgehört hat, aber allenfalls ein Kalter Friede an seine Stelle getreten ist. Die Verhandlungen, die unsererseits in dieser Frage geführt worden sind, haben geradezu den Charakter einer Farce angenommen. Bonn hat das getan, was sich in diesem Falle sozusagen gehört. Es hat sich an ,die kürzlich eingerichtete russische Botschaft in Bonn gewandt. Ein sehr höfliches Entgegenkommen war die Antwort, indes die Mitteilung nach einiger Prüfung, daß für diese Frage nicht die Bonner Botschaft, sondern die bei der sogenannten DDR akkreditierte Botschaft Unter den Linden, also der Herr Puschkin, zuständig sei. Und warum? Ja, Vorgänge hinter dem Eisernen Vorhang könnten nicht in Bonn, sondern nur von Ost-Berlin aus erledigt werden. Nun, das Problem ließ sich relativ leicht lösen. Wir haben ja eine Botschaft in Moskau. Dort ist nur eine russische Regierung. Dort ebenfalls eine kühle Antwort - nach längerer Überlegung -. Nein, nicht wir, sondern die sogenannte DDR ist zuständig. - Damit war zunächst einmal die Sache erledigt. Daß unter der Hand Versuche weitergehen über den in dieser Sache eingeschalteten und um die Sache wohlverdienten Berliner Senat, mag am Rande ibemerkt werden. Wir hoffen, daß diese Bemühungen in absehbarer Zeit zu einem Erfolge führen werden. Sicherlich sind wir bereit, im Wege des technischen Austausches auch mit der Zone und selbst({6}) verständlich mit der Sowjetunion zu gegenseitigen erträglichen Übereinkommen - ich will nicht sagen „Abkommen" - zu gelangen. Es liegt uns daran, die Freiheit wiederzugewinnen, ganz gleichgültig, auf welchem Wege. Jeder vernünftige Weg, der nicht zu einer Anerkennung der für uns nicht zuständigen Regierung von Pankow führt, soll uns dabei angemessen sein. Aber ich möchte die Aufmerksamkeit des Hauses nun auf einen Vorgang lenken, der sich in den letzten Tagen zugetragen hat und von dem noch große Wirkungen ausgehen können. Der ostzonale Flughafen Berlins liegt in Schönefeld. Schönefeld war bisher nicht ein Bestandteil der Stadt Berlin, nicht ein Bestandteil des Ostsektors Berlins, sondern der Zone. Das hat dazu geführt, daß Schönefeld von Berlin praktisch abgeschnitten war. Der Zugang von West-Berlin zum Flughafen Schönefeld erforderte eine besondere Genehmigung des ostzonalen Innenministeriums. Praktisch war damit der ostzonale Flughafen Berlin-Schönefeld vom internationalen Verkehr ausgeschlossen. Eine kleine Korrektur der politischen Geographie hat in den letzten Tagen diesen Zustand radikal geändert. Berlin-Schönefeld ist in die Stadt BerlinOst eingemeindet worden. Nunmehr ist der Zugang zu Berlin-Schönefeld vom Westen ohne die bisherigen Erschwerungen möglich. Ich mache das Verkehrsministerium, das diese Vorgänge sicherlich mit Aufmerksamkeit beobachtet hat, darauf aufmerksam, daß wir hier am Beginn einer intensiven ostzonalen Offensive auf dem Gebiet des Flugverkehrs stehen. Von hier aus werden energische Versuche der sogenannten ostzonalen Lufthansa ausgehen, sich wesentliche Bestandteile des Flugverkehrs mit dem Westen zu erobern. Herr Kollege Schmidt hat bereits einige treffende Worte über die Methode gefunden, der ostzonalen Fluggesellschaft den Namen Lufthansa zu geben. Man würde das im bürgerlich-rechtlichen Verkehr mit dem Wort unlauterer Wettbewerb bezeichnen. Aber solche untergeordneten Zwischenfälle nehmen wir im internationalen Verkehr mit den Ostblockstaaten heute schon gar nicht mehr übel; wir sind Schlimmeres gewohnt. Bemerkenswert ist aber, und das sollte hier noch einmal festgehalten werden, .daß der ostzonale Flugverkehr der sogenannten Lufthansa zwar unter deutscher Flagge ausgeführt wird, die Sache aber damit auch endet. Weder sind die Maschinen deutsch noch sind die Besatzungen deutsch. Es sind Maschinen russischer Herkunft, und die Besatzung wird ausschließlich von russischen Staatsangehörigen gestellt. Die Flagge ist alles, was die deutsche Lufthansa Ost zu zeigen hat, im übrigen ist alles rein russischer Herkunft. Bei dem, was sich in Zukunft ereignen wird, werden wir diese Tatsache besonders zu beachten haben. Wir haben ,die Hoffnung, daß mit der wachsenden Stärkung der Hauptstadt Berlin auch diese Frage bald einer natürlichen, angemessenen und für die Bundesrepublik und Berlin erträglichen Lösung zugeführt wird. Wir hoffen, daß die Lufthansa bald ihre Flagge in Berlin wird zeigen können. ({7})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kutschera.

Walter Kutschera (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001264, Fraktion: Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (GB/BHE)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Laufe der Debatte ist sehr viel ausgesprochen worden, was alle Fraktionen bewegt. Ich werde mich deshalb darauf beschränken, noch das eine oder andere herauszustellen oder zu unterstreichen. Bei dem Gedanken, daß man nunmehr alle Wege beschreiten soll, um der Deutschen Lufthansa den Anflug nach Berlin zu ermöglichen, haben wir uns von dem Grundgedanken leiten lassen - das wurde mir vdr wenigen Minuten vorweggenommen -, daß der Zustand, die Deutsche Lufthansa Berlin nicht anfliegen zu lassen, ihr aber alle Möglichkeiten in der ganzen Welt einzuräumen, unerträglich ist. Es geht uns also bei der Lösung des Problems wohl um technische Schwierigkeiten, im Grundsatz aber um die politische Forderung, endlich wieder ein sichtbares Zeichen dafür zu geben, daß es mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit ernst gemeint ist. Die Probleme, die hier aufgezeigt wurden, werden von uns keineswegs verkannt. Wenn ich mich jetzt nicht noch ausführlich damit beschäftige, dann vor allen Dingen aus Rücksicht auf Sie. Meine Fraktion und ich sind nun der Auffassung, daß wir in dieser Debatte nicht so sehr die großen Schwierigkeiten herausstellen sollten. Ich habe auch bei den Ausführungen des Herrn Verkehrsministers festgestellt, daß es sehr, sehr viel Schwierigkeiten gibt und daß die lichten Momente außerordentlich gering sind. Es ist für uns selbstverständlich, daß die Verhandlungen auf der bevorstehenden Konferenz dadurch beeindruckt werden, daß wir mit dieser Forderung heute hier kommen. Aber man kann dieser Forderung nicht ausweichen, und ich glaube sagen zu dürfen, daß auch der Herr Verkehrsminister - das ist ein wenig angeklungen - dieser Forderung nicht ausweichen will. Wenn dem so ist, dann sollten wir uns darüber im klaren sein, daß es besser ist, diese Frage so bald wie möglich zu behandeln, als sie mit dem Hinweis, daß es Schwierigkeiten geben könnte, immer wieder zurückzustellen. Die Einschränkung des Flugverkehrs der Deutschen Lufthansa, wie sie bei dem Anflug Berlins besonders kraß zum Ausdruck kommt, muß im Zuge der kommenden Verhandlungen erörtert werden. Es ist davon gesprochen worden, daß hierfür schon eine oder zwei Begegnungen und Besprechungen aufgezeigt werden können. Das ist eigentlich auch die Grundforderung des ganzen Antrags. Man geht so weit, daß man sich nicht festlegt und nicht den einen oder anderen auffordert. Man hat weder den Verkehrsminister noch die Bundesregierung aufgefordert, weil man das sachlich einfach nicht kann, sondern man hat nur dringendst empfohlen, daß die zuständigen Stellen alle Schritte einleiten, um den Flugverkehr aufnehmen zu können. Es ist auch davon gesprochen worden, daß man sich überlegen möchte, ob nicht die übrigen Flughäfen Deutschlands mit einbezogen werden können. Ich möchte nicht versäumen, hier festzustellen, daß sich unsere Fraktion restlos gerade hinter diese Forderung stellt. Wir müssen im Laufe der Zeit die Möglichkeit erhalten, die Flughäfen ganz Deutschlands anzufliegen, weil auch das eine unausweichliche Notwendigkeit ist und wieder eine Klammer darstellt, die der Wiedervereinigung Deutschlands förderlich ist. Die Rentabilität ist - und es ist erfreulich, daß das auch hier durch die Fraktionen hindurchging - als zweitrangig zu bezeichnen. Wir haben ({0}) viele Dinge, die wir zusätzlich finanzieren müssen, wo wir da und dort durch Belebungsspritzen nachhelfen müssen. Wenn wir hier der Deutschen Lufthansa helfend zur Seite stehen und ihr die Möglichkeit geben, Berlin anzufliegen, dann tun wir ein sehr gutes Werk. Wir werden damit durch ein äußeres Zeichen, wie ich eingangs sagte, der Notwendigkeit der Wiederherstellung der deutschen Einheit sichtbaren Ausdruck geben. Ich darf mit dem Wunsche schließen, daß die Bemühungen, die zur Lösung dieses Problems heute eingeleitet werden oder, wie wir hörten, zum Teil schon eingeleitet sind, zu einem guten Ende geführt werden mögen, damit der Anflug nach Berlin und im weiteren Verlauf der Anflug nach allen deutschen Lufthäfen bald wieder ermöglicht wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung über den Antrag. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen - federführend. Außerdem hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius, wenn ich mich recht erinnere, noch Überweisung an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen beantragt. Wird dieser Überweisung zugestimmt? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Wertpapierbereinigungsgesetzes ({0}); Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Geld und Kredit ({1}) ({2}). ({3}) Wird mündliche Berichterstattung gewünscht? - Mündliche Berichterstattung wird nicht gewünscht. Wir treten in die Beratung der zweiten Lesung ein. Ich rufe auf sämtliche Paragraphen des Abschnitts I. Wird dazu das Wort gewünscht? - Ich rufe auf sämtliche Paragraphen des Abschnitts II, - Abschnitt III, - Einleitung und Überschrift. - Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung der zweiten Lesung. Wir treten ein in die Beratung der dritten Lesung. Wird das Wort zur allgemeinen Aussprache gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Fassung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu Punkt 9 der Tagesordnung: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, DP, FVP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes ({4}). Meine Damen und Herren, ich bitte um Nachsicht, daß es in diesem Titel von Gesetzen nur so klingt. Aber es ist nicht zu ändern. *) Siehe Anlage 2. Wird zu dieser Vorlage das Wort gewünscht zur Einbringung? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Vorgesehen ist die Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen. Ich nehme an, daß das Haus mit dieser Überweisung einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der Beschränkung des Niederlassungsbereichs von Kreditinstituten ({5}). Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Beratung in der ersten Lesung. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Vorgesehen ist Überweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit. Ist das Haus mit dieser Überweisung einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 11 ist abgesetzt. Punkt 12 ist gestern durch interfraktionelle Vereinbarung auf die Tagesordnung gesetzt worden: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Bergmannsprämien ({6}). Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung gewünscht wird. - Herr Abgeordneter Pelster als Berichterstatter! Pelster ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorlage trägt das Datum des 3. Mai 1956. Sie ist in erster Lesung dem Finanzausschuß wie auch dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß überwiesen worden. Diese beiden Ausschüsse haben sich am vorigen Donnerstag, dem 4., und am Freitag, dem 5. Oktober, mit der ganzen Vorlage befaßt und haben eingehend darüber beraten. Es sind kleine Änderungen vorgenommen worden, vor allen Dingen wurde in § 7 der Abs. 2 gestrichen, nach dem das Gesetz eine bestimmte Laufdauer haben sollte. Diese Bestimmung hielt der Finanzausschuß nicht für notwendig, im Rahmen des Ganzen auch nicht gerade für glücklich. Der Bundestag hat ja das Recht, jederzeit ein Gesetz aufzuheben, und die Regierung hat das Recht, jederzeit eine Vorlage einzubringen, das Gesetz zu ändern oder aufzuheben. In § 6 sind die Absätze 5 und 6 betreffend die Außenprüfung durch das Finanzamt über die Auszahlung der Bergmannsprämie und über die Behandlung der Bergmannsprämie im Lohnkonto, in der Lohnsteuerbescheinigung und im Lohnzettel gestrichen worden. Auch diese Bestimmungen wurden vom Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen nicht für richtig gehalten. Im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen ist dann noch darüber gesprochen worden, ob der Begriff „Arbeitnehmer" in § 1 umschrieben werden soll oder nicht. Langsam hat sich eingebürgert, was eigentlich ein Arbeitnehmer ist. Einige Mitglieder des Finanzausschusses haben es deshalb für richtig gehalten, die Formel, die dafür gefunden ({8}) ist und die feststeht, als Abs. 2 des § 1 einzufügen. Dafür konnte sich der Finanzausschuß in seiner Mehrheit aber nicht begeistern, wenn auch eine sehr starke Minderheit für diese Einfügung war. Der Wirtschaftspolitische Ausschuß hat es jedoch für richtig gehalten, an den § 1 einen Abs. 2 anzuhängen, der sich mit den Bestimmungen deckt, die im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt sind. Im Wirtschaftspolitischen Ausschuß - das muß gesagt werden - waren zwei Kollegen dagegen, daß das aufgenommen wird. Sie waren mehr oder minder der Meinung, daß die obersten Beamten des Bergbaus, die das Recht haben, Einstellungen und Entlassungen vorzunehmen, die wir also nicht als Arbeitnehmer ansprechen können, die auch keine Schichten verfahren, sondern ihr festes Gehalt bekommen, die unter keinen Tarif fallen, die auch mit diesem Gesetz gar nicht gemeint sind, ausgenommen werden müßten. Für die Tagung in Berlin ist nun Ende voriger Woche die Drucksache ausgedruckt worden. Der Beschluß aber, den der Wirtschaftspolitische Ausschuß einstimmig gefaßt hat, wonach diese Formulierung dem § 1 als Abs. 2 angehängt werden soll, ist nicht mitgedruckt worden. Er liegt Ihnen aber in dem interfraktionellen Änderungsantrag, Umdruck 780, vor, so daß wir die Möglichkeit haben, diese Formulierung in das Gesetz einzufügen. Das bisher geltende Gesetz hat bereits seine Vorteile. Wir haben es aber für notwendig gehalten, seine Vorschriften aus bestimmten Gründen auszudehnen auf alle Bergleute unter Tage, sowohl bei der Braunkohle wie auch beim Salz, bei Kali und bei Erdöl. Allen Bergleuten unter Tage soll diese Prämie gezahlt werden. Ich habe die Ehre, das Hohe Haus zu bitten, der Vorlage in zweiter und dritter Lesung zuzustimmen, da hier Eile geboten ist mit Rücksicht auf die Beschlüsse, die von der Montanunion unter Umständen gefaßt werden müssen. ({9})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten ein in die Beratung der zweiten Lesung. Ich rufe auf § 1. Zu diesem Paragraphen liegt ein interfraktioneller Änderungsantrag*) vor. Wird zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse über diesen Änderungsantrag abstimmen. Wir ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen. Ich rufe auf die §§ 2, - 3, - 4, - 5, - 6, - 7, - 8, - 9, - Einleitung und Überschrift. Wer den aufgerufenen Paragraphen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Die aufgerufenen Paragraphen sind einstimmig angenommen. Ich schließe damit die Beratung der zweiten Lesung. Wir treten ein in die dritte Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung und lasse abstimmen über das Gesetz im ganzen nach der Vorlage so, wie sie durch die Annahme des Änderungsantrages auf Umdruck 780 verändert ist. Wer der so geänderten Vorlage zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltun- *) Siehe Anlage 3. gen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Tagesordnung von gestern. Ich komme zu der Tagesordnung von heute. Wir sind in einer interfraktionellen Vereinbarung übereingekommen, die Behandlung der Punkte 1 und 4 miteinander zu verbinden. Ich rufe deshalb jetzt beide Punkte zusammen auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller-Hermann, Raestrup und Genossen betreffend Eindämmung des unechten Werkverkehrs ({0}) und Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes ({1}) ({2}). Wird zur Begründung des Antrags oder zur Einbringung ides Gesetzentwurfes das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. ({3}) - Zur Geschäftsordnung? - Bitte sehr!

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Zur Geschäftsordnung möchte ich auf die befremdliche Tatsache hinweisen, daß wir in der ersten Lesung im Plenum einen Gesetzentwurf behandeln, der im Ausschuß bereits beraten worden ist, ({0}) in dem gleichen Ausschuß, der andere Gesetzentwürfe, die von uns eingebracht worden sind und die wegen des Termins sehr eilbedürftig sind, nicht auf die Tagesordnung seiner Sitzungen setzt. Das ist eine Methode, die in der Demokratie nicht üblich sein sollte und auch von uns nicht befolgt werden darf. Es handelt sich dabei um einen Gesetzentwurf, der den Satz für den Werkfernverkehr ermäßigen soll. Dieser Antrag ist dem Ausschuß für Verkehrswesen zur Mitberatung überwiesen worden. Obwohl der Gesetzentwurf am 1. Oktober in Kraft treten soll, hat der Verkehrsausschuß die Beratung aufgeschoben mit der Begründung, das Verkehrsministerium habe sich noch nicht dazu geäußert. Der gleiche Ausschuß hat den Gesetzentwurf unter Punkt 4 der heutigen Tagesordnung schon behandelt, bevor er überhaupt auf der Tagesordnung des Plenums stand. Das darf nicht sein.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Rümmele! Zur Geschäftsordnung? ({0})

Oskar Rümmele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001898, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muß namens des Verkehrsausschusses diese Anwürfe mit aller Entschiedenheit zurückweisen. ({0}) Der Ausschuß für Verkehrswesen hat den Entwurf, der heute überwiesen wird, in anderen Zusammenhängen behandelt, weil alte Anträge aus diesem Hause, die monatelang zurückgestellt wurden, dem Ausschuß vorlagen. Er hat einen Beschluß gefaßt, der etwa dem entspricht, was der Bundesrat beschlossen hat. Wir werden im Verkehrsausschuß nach der offiziellen Überweisung, die jetzt kommen wird, noch einmal zu den Fragen Stellung nehmen. Das ist eine rein sachliche Beratung, eine rein sachliche Arbeit, die keinen Tadel verdient. Ich weise deshalb noch einmal den Tadel zurück. ({1}) Auch als Abgeordneter, nicht nur als Ausschußvorsitzender, lehne ich eine derartige Methode mit Entschiedenheit ab, daß man einen Antrag einbringt und den Ausschuß zwingen will, ihn ohne die Möglichkeit einer sachlichen Beratung auf die Tagesordnung zu nehmen, weil eine Interessentengruppe eine Anzahl Abgeordneter gefunden hat, die diesen Antrag einbringen. ({2}) Wenn wir vor unseren eigenen Gesetzen, die wir vor anderthalb Jahren beschlossen haben, nicht mehr Achtung haben und wenn Gruppen glauben, daß, wenn irgendeine Interessentengruppe kommt, schnell ein Gesetz geändert werden muß, was soundso viele Millionen bedeuten und unsere verkehrspolitische Zielsetzung gefährden würde, muß ich sagen, daß ich das für einen Gewissensdruck auf Abgeordnete und auf Ausschüsse halte. ({3}) Ich lege den allergrößten Wert darauf - wie es wahrscheinlich auch die anderen Ausschußvorsitzenden tun werden -, daß der von mir geführte Ausschuß die Möglichkeit einer sachlichen Beratung hat und alle Dinge im ordentlichen Geschäftsgang berücksichtigen kann und nicht unter einen derart unqualifizierten, ungeheuren Druck gesetzt wird, wie das versucht worden ist. ({4})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Herr Abgeordneter Atzenroth, das Haus ist frei in den Entschlüssen über seine Geschäftsgebarung, soweit sie sich im Rahmen der Geschäftsordnung vollzieht. Zweifellos stehen die Vorschläge, die zu dieser Vorlage interfraktionell vereinbart worden sind, im Rahmen der Geschäftsordnung. Ich nehme nicht zu der Kontroverse Stellung, die hier ausgetragen worden ist. Aber ich erkläre, daß ich auf Grund des § 34 der Geschäftsordnung das Wort zur Geschäftsordnung nicht weiter erteile. Damit, meine Damen und Herren, treten wir in die Beratung der Anträge ein. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Senator Klein für den Bundesrat, bitte sehr.

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Bundesrates möchte ich den eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes vom Jahre 1952 begründen. Durch das Gesetz sollen die §§ 1, 2, 9, 48 und 99 geändert werden. Die Änderungswünsche des Bundesrates haben die Billigung der Bundesregierung gefunden. Der Bundesrat hält es für geboten, die noch nicht erledigten Vorschläge zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes durch den vorliegenden Gesetzentwurf wieder aufzunehmen. Im einzelnen möchte ich folgendes bemerken. Der § 1 des Güterkraftverkehrsgesetzes in der zur Zeit geltenden Fassung lautet: Die Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen unterliegt ausschließlich den Bestimmungen dieses Gesetzes. Diese Formulierung schließt die Möglichkeit von Umgehungen nicht wirksam genug aus. Das gilt insbesondere hinsichtlich der Mietfahrzeuge, für deren Einsatz vorzugsweise im Werknahverkehr sich bereits eine Art grauer Markt herausgebildet hat. Die vorgeschlagene Änderung stellt nun klar, daß die Beförderung von Gütern mit Kraftfahrzeugen ausschließlich in den Formen zulässig ist, die das Gesetz bestimmt, nämlich in der Form des Güternahverkehrs, des Güterfernverkehrs und des Werkverkehrs. Daneben nennt der Gesetzentwurf als besonders zugelassene Beförderungsform auch die Beförderung im Rahmen hoheitlicher Befugnisse des Bundes, der Länder, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der Körperschaften des öffentlichen Rechts und der Anstalten des öffentlichen Rechts. Diese Form liegt z. B. vor bei Transporten der Bundeswehr, des Bundesgrenzschutzes und der Polizeibehörden; aber auch der Dienstgutverkehr der Bundespost und der Bundesbahn gehört hierher. Befördert aber eine Behörde oder eine öffentlich-rechtliche Körperschaft Güter außerhalb des Rahmens hoheitlicher Aufgaben oder für andere, dann fällt eine solche Beförderung ohne weiteres unter eine der genannten Verkehrsarten, nämlich Güternahverkehr, Güterfernverkehr oder Werkverkehr. Die Angriffe einzelner Wirtschaftsverbände gegen diese Bestimmung wegen einer angeblichen Bevorzugung der Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand übersehen die Einschränkung, die ich eben geschildert habe. Zu § 2 Abs. 4 des Güterkraftverkehrsgesetzes: Diese Bestimmung enthielt bisher lediglich die Ermächtigung an den Bundesminister für Verkehr, durch Rechtsverordnung Ausnahmen von der Vorschrift des § 2 Abs. 2, der den Begriff „Nahzone" festlegt, zuzulassen. Durch die vorgeschlagene neue Fassung des § 2 Abs. 4 werden die obersten Landesverkehrsbehörden ermächtigt, zugunsten der Unternehmungen des Güternahverkehrs, die in der Nähe der Zonenrandgebiete und in den Zonenrandgebieten liegen, fiktive Standorte zu bestimmen, die jedoch nicht über 40 km vom Zonenrand und vom tatsächlichen Standpunkt entfernt sein dürfen. Dieser Vorschlag bringt eine steuerliche Erleichterung für diejenigen Unternehmen des Güternahverkehrs, deren tatsächlicher Standort so nahe an der Zonengrenze liegt, daß diese einen Teil des Kreises mit 50 km Radius um den Standort, welcher die Nahzone bildet, wegschneidet. Durch die fiktive Fortrückung des Standortes von der Zonengrenze soll dieser Nachteil ausgeglichen und den in Frage kommenden Unternehmungen eine gleiche Fläche zur Bedienung im steuerbegünstigten Nahverkehr geboten werden, wie sie anderen Unternehmungen des Güternahverkehrs zur Verfügung steht, die nicht durch die Zonengrenze beengt sind. Die vorgesehene Begrenzung dieser Erleichterungen auf diejenigen Unternehmungen, die bereits vor dem 1. April 1954 ihren Sitz in den Zonenrandgebieten hatten, soll verhindern, daß nachträglich Unternehmungen in diese Gebiete umsiedeln, um sich dadurch die Erleichterungen zu verschaffen, die hier vorgesehen sind. Wie bekannt, hat der Bundesminister für Verkehr durch Rechtsverordnung vom 17. Juli 1952 Höchstzahlen für die Anzahl der Kraftfahrzeuge festgesetzt, die für den Güterfernverkehr und den Möbelfernverkehr in den einzelnen Ländern zugelassen werden können. Soweit der gegenwärtige ({0}) Stand der zugelassenen Kraftfahrzeuge in den einzelnen Ländern die Höchstzahlen übersteigt, dürfen in diesen Ländern neue Konzessionen erst wieder erteilt werden, wenn die Höchstzahlen unterschritten sind. Diese Bestimmung gilt jedoch nicht, wenn ein Unternehmen im ganzen auf einen Dritten übertragen wird und die Dauer der Genehmigung nicht über die Dauer der ursprünglich erteilten Genehmigung hinausgeht. Diese Ausnahmevorschrift hat die Rückführung der Zahl der genehmigten Kraftfahrzeuge auf die Höchstzahl sehr erschwert und eine fühlbare Entlastung des Straßenverkehrs verhindert. Sie müßte deshalb vom Standpunkt der Verkehrssicherheit her und auch vom Standpunkt der Verkehrspolitik aus eigentlich ersatzlos aufgehoben werden. Eine solche Aufhebung würde jedoch in den Fällen besondere Härten hervorrufen, in denen ein älterer oder gebrechlicher Genehmigungsinhaber zur Übertragung seines Unternehmens an seine späteren Erben oder andere genötigt ist. Es wird deshalb vorgeschlagen, die Bestimmung über die Übertragung auf einen Dritten insoweit einzuengen, als die Genehmigung nur dann mitgeht, wenn der Unternehmer das Alter von 60 Jahren erreicht hat oder infolge der Gebrechlichkeit zur Fortführung des Unternehmens auf die Dauer nachweislich nicht imstande ist. Schließlich ist in § 48 des Güterkraftverkehrsgesetzes eine Bestimmung enthalten, die besagt, daß unter Werkverkehr auch die gemeinschaftliche Verwendung der Kraftfahrzeuge mehrerer Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen zu verstehen ist. Diese Bestimmung soll nun gestrichen werden. Es handelt sich hier um den sogenannten Konzernverkehr, der insofern zu Schwierigkeiten geführt hat, als er die mit der Überwachung betrauten Behörden vor kaum zu bewältigende Aufgaben gestellt hat. Hinzu kommt, daß im Konzernverkehr nicht Güter für das eigene Unternehmen, sondern für Zwecke anderer Firmen, die zu dem Konzern gehören, befördert werden. Es handelt sich hier um einen Transport für andere. Der finanzielle Zusammenhang zwischen beiden Unternehmen kann keine Veranlassung dazu bieten, sie hinsichtlich des Werkfernverkehrs besser als andere finanziell nicht zusammenhängende Unternehmen zu stellen. Es ist deshalb vorgesehen, die Bestimmung über den Konzernverkehr ersatzlos zu streichen. Der Bundesrat glaubt, daß die in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen zu dringend sind, als daß sie bis zu einer allgemeinen Neufass sung des Güterkraftverkehrsgesetzes zurückgestellt werden könnten. Er bittet deshalb den Bundestag, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Die Bundesregierung hat, wie gesagt, diesem Entwurf in ihrer Stellungnahme zugestimmt. Soweit der Bericht. Gestatten Sie mir bitte, daß ich Sie zum Schluß noch auf einen Punkt besonders aufmerksam mache. Bei der Beratung des Entwurfs im Bundesrat wurde ein Antrag, in diesem Gesetz die Nahverkehrsunternehmen an der Westküste Schleswig-Holsteins mit denen des Zonenrandgürtels gleichzustellen, mit knapper Mehrheit abgelehnt. Angesichts dieser Mehrheitsverhältnisse halte ich mich aus Gründen der Loyalität für verpflichtet, Sie von diesen Wünschen Schleswig-Holsteins zu unterrichten.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich danke dem Herrn Berichterstatter des Bundesrates und frage, ob zu dem Bericht das Wort gewünscht wird. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe damit die Beratung. Wir kommen zu der Abstimmung über die beantragten Überweisungen. Es ist beantragt, den Antrag des Abgeordneten Müller-Hermann auf Drucksache 2573 an den Ausschuß für Verkehrswesen - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung zu überweisen. Für den Gesetzentwurf des Bundesrates ist Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen beantragt. Wer dieser Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! Es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren! Der Punkt 2, a b cd ist vereinbarungsgemäß abgesetzt. Ich rufe auf den Punkt 3 der Tagesordnung: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete des Verkehrsrechts und Verkehrshaftpflichtrechts ({0}); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({1}) ({2}). ({3}) Ich frage, ob das Wort zur Berichterstattung gewünscht wird. - Das Wort hat als Berichterstatter der Herr Abgeordnete Hoogen. Hoogen ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zum Zwecke der Abkürzung unseres Verfahrens und damit auch unserer heutigen Sitzung auf den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht Bezug nehmen und nur eine Anmerkung machen. Sie alle wissen, daß die Bundesregierung mit ihrer Vorlage die Einführung einer Kartei verlangt, die in der Öffentlichkeit gemeinhin unter dem Namen Verkehrssünderkartei bekannt ist. Der mitberatende Ausschuß für Verkehrswesen hat sich dem Vorschlag der Bundesregierung angeschlossen. Der Rechtsausschuß als federführender Ausschuß hat ihn abgelehnt. Es liegt Ihnen ein Änderungsantrag auf Urn-druck 781*) vor. Namens aller Fraktionen und auch namens der Antragsteller darf ich Ihnen aber erklären, daß dieser Punkt in der Sitzung von heute nicht behandelt werden, sondern in den Ausschüssen anhängig bleiben soll, damit dort diese Frage noch einmal beraten werden kann. Im übrigen also soll der Gesetzentwurf heute verabschiedet werden. Daß der Standpunkt der Bundesregierung, wie er uns aus der Regierungsvorlage und ihrer Begründung bekannt ist. aufrechterhalten bleibt, ist für die Damen und Herren des Hohen Hauses wohl selbstverständlich. Lassen Sie mich noch einen Punkt anfügen. Es handelt sich, wenn Sie so wollen, um ein Versehen des Ausschusses bei der Berlin-Klausel. Im Gesetzentwurf sind Strafvorschriften enthalten. Nach dem Regierungsentwurf und auch nach den Beschlüssen des federführenden Ausschusses soll das Gesetz am Tage nach seiner Verkündung in Kraft treten. Das führt für die Übernahme des Gesetzes durch das Land Berlin zu Schwierigkeiten, soweit es sich um die im Gesetzentwurf - Nr. 6 und 8 - enthaltenen Strafvorschriften handelt. Bekanntlich werden Bundesgesetze bei ihrer Übernahme durch das Land Berlin dort rückwirkend mit dem Tage des Inkrafttretens im Bundesgebiet in Kraft gesetzt. *) Siehe Anlage 4. ({5}) Da jedoch Strafvorschriften aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mit rückwirkender Kraft in Kraft gesetzt werden können, muß die Berlin-Klausel die Änderung erfahren, wie sie Ihnen in dem Antrag Umdruck 779*) - das ist mein eigener Antrag - vorgeschlagen wird. Ich habe die Ehre, Sie namens des federführenden Ausschusses zu bitten, dem Gesetzentwurf mit dieser Maßgabe Ihre Zustimmung zu geben.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Lesung ein. Eine allgemeine Aussprache ist in der zweiten Lesung nicht vorgesehen. Wenn Sie das Wort nehmen wollen, Herr Verkehrsminister, so ist es besser, das bei der allgemeinen Aussprache in der dritten Lesung zu tun. Ich rufe in der zweiten Lesung auf zunächst den Art. 1. Hier liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Schwarzhaupt, Rümmele und Genossen auf Umdruck 781**) vor. Das Wort zur Begründung dieses Antrags hat Frau Abgeordnete Dr. Schwarzhaupt.

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoogen hat in seinem Schriftlichen Bericht in sehr fairer Weise - und dafür bin ich ihm dankbar - die Gründe für und gegen die Führung einer Kartei über Verkehrsübertretungen und -vergehen angeführt. Er stellt sich in seinem Bericht auf den Standpunkt, daß die Gründe gegen eine solche Kartei überwiegen. Auch wir sehen ein, daß Gründe dafür und dagegen anzuführen sind, glauben allerdings, daß die sehr viel gewichtigeren Gründe für die Führung dieser Kartei sprechen, so wie das Verkehrsministerium und der Verkehrsausschuß sie im Einvernehmen mit dem Bundesrat vorgeschlagen haben. Der Nutzen, den man sich von dieser Kartei verspricht, wird in drei Richtungen gesehen. Zunächst gibt eine solche Kartei dem Richter eine Handhabe für die Beurteilung von Verkehrsdelikten. Gerade bei Verkehrsdelikten, die Fahrlässigkeitsdelikte sind, kann sich der Richter ein Bild von der Persönlichkeit des Täters, das für die Beurteilung wesentlich ist, aus der Tat selbst zunächst nicht machen. Wer vorsätzlich stiehlt, hat bewiesen, daß er bereit ist, das Recht zu brechen. Wer aber fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, kann der gewissenhafteste Mensch sein, der nach 20 Jahren zuverlässigen Fahrens zum erstenmal einen Fehler begeht; für den es ein tragisches Ereignis ist, daß er Täter eines Verkehrsunfalls wird. Er kann aber auch der Typ des brutalen Fahrers sein, der bisher zehnmal Glück gehabt hat. Das Zweite ist, daß die Verwaltung eine Handhabe braucht, unzuverlässige Fahrer und Verkehrsteilnehmer auszuschalten, ehe sie einen schweren Verkehrsunfall, der Leben oder Gesundheit von Menschen kostet, verursachen. Der Nutzen, den man sich von der Kartei verspricht, ist drittens, daß sie Aufschlüsse für die künftige Handhabung von Verkehrsbestimmungen, für die Gesetzgebung, für die Erforschung von Unfallursachen, für die Feststellung der besonders gefährdeten Berufsgruppen und für die Wirkung von bereits eingeleiteten Maßnahmen geben kann. Zum *) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4. Beispiel würde eine solche Kartei deutlich machen, welche der vielen Verbotsgesetze, von denen wir viel zuviele haben, wirklich wirksam sind und welche nicht wirksam sind. Von § 315 a des Gesetzes zur Sicherung des Verkehrs hat man sich eine erhebliche Wirkung versprochen, und es hat sich ergeben, daß er so gut wie gar nicht gehandhabt werden kann. Ähnliches wird sich in bezug auf andere Verkehrsverbotsgesetze ergeben, wenn man einen Überblick darüber gewinnen kann, welche Übertretungen und Vergehen festgestellt werden, welche Bestimmungen wirklich gehandhabt werden können und welche nicht. Nun die Einwendungen, die vor allem im Rechtsausschuß erhoben worden sind. Zunächst wird geltend gemacht - das ist der erste Einwand, der im Schriftlichen Bericht genannt ist -, daß das Bild der Persönlichkeit des Täters, das die Kartei liefert, unvollkommen ist. Z. B., wer viel fährt, wird leichter gegen Bestimmungen verstoßen, und er wird häufiger in eine Kartei eingetragen werden als der, der wenig fährt. Es wird auch gesagt, daß die Polizei nicht überall gleichmäßig durchgreife und daß die Mehrzahl der tatsächlich vorkommenden Verstöße nicht festgestellt werde. Aber man kann ja wohl sagen, daß der, der sehr oft erwischt wird, auch sehr viele Fehler begangen haben wird. Wir gehen davon aus, daß die Kartei nur bei einer größeren Zahl schwererer Verstöße eine Bedeutung hat. Kein Richter wird es schwer werten, wenn ein Kraftfahrer ein paarmal falsch geparkt hat. Aus der Kartei soll ersichtlich sein, wie der Verstoß aussieht und um welchen Verstoß es sich handelt. Wir müssen dem Richter und dem Verwaltungsbeamten schon zutrauen - und wir können es ihm zutrauen -, daß er nicht die Zahl der Eintragungen wie eine Additionsmaschine addiert, sondern daß er sie mit Verstand wertet. ({0}) Die dritte Einwendung geht dahin, daß es eine Mehrbelastung der Gerichte durch Einlegung von Rechtsmitteln geben wird. Es ist sicher möglich, daß eine ganze Reihe von Übertretungen jetzt in die Rechtsmittelinstanz gehen werden, bei denen das vorher nicht der Fall gewesen ist. Aber wir haben auch die Hoffnung, daß durch eine derartige Registrierung der Übertretungen eine warnende Wirkung ausgeübt wird, so daß die Zahl der Übertretungen und der Unfälle sinkt. Dazu kommt, daß der Spielraum der Polizei bei der Erteilung von gebührenpflichtigen Verwarnungen, die nicht in die Kartei kommen, vergrößert worden ist und daß dadurch wiederum eine Entlastung der Rechtsmittelinstanzen eintritt. Schließlich der vierte Einwand. Es ist gesagt worden, bei den richterlichen Strafverfahren dürften nur gewichtige Vorstrafen berücksichtigt werden. Gerade bei dem Verkehrsdelikt, das meistens ein Fahrlässigkeitsdelikt ist, ist es für den Richter maßgebend, auf welcher charakterlichen Grundlage ein derartiges Fahrlässigkeitsdelikt zustande gekommen ist. Deshalb ist es für den Richter wichtig, eine Grundlage für die charakterliche Beurteilung von Verkehrsteilnehmern, die Fehler begangen haben, zu haben. Die letzten Bedenken sind verwaltungsmäßiger und rechtspolitischer Art. Die Gefahr, daß weitere Karteien für andere Fragen errichtet werden, daß ({1}) das Schule macht, daß man derartige Karteien einrichtet, in denen der Staatsbürger überwacht, registriert und beobachtet wird, scheint mir hier wirklich nicht gegeben zu sein. Es handelt sich hier um Fälle und um Tatbestände, die ganz außerhalb des Rahmens der übrigen Tatbestände liegen. Hier geht es um Leben und Gesundheit von Menschen. ({2}) Man wird nicht Konsequenzen etwa für Steuersünder oder für irgendwelche anderen Verstöße ({3}) ziehen können aus Maßnahmen, bei denen es sich darum handelt, das grauenhafte Anwachsen der Todesfälle und Verletzungen auf den Straßen zu verhindern. ({4}) Im Jahre 1955 sind durch Verkehrsunfälle über 12 000 Menschen getötet worden, über 350 000 Menschen sind verletzt worden, und diese Zahlen sind in grauenhafter Weise im Steigen. ({5}) Wir wissen, daß auch noch anderes geschehen muß: die Straßen müssen verbessert werden, die Polizei kann vielleicht anders handeln. Aber wir wissen auch, daß eines der Momente, gegen die wir angehen müssen, dies ist, daß schlecht und fahrlässig gefahren wird. Und wenn wir etwas tun können, um hier zu warnen und um diese Komponente der Unfälle auszuschalten, dann, glaube ich, können wir es nicht verantworten, dies zu unterlassen. Demgegenüber sollte man nicht einwenden, daß dies ein Eingriff in die Freiheit, ein Eingriff in das Leben der Staatsbürger sei. Bei dem Impfzwang greifen wir in viel, viel intimere persönliche Sphären ein. Alle Gesetze etwa wie die Gesundheitsüberwachung, die Tuberkulosefürsorge oder das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten greifen ja wahrhaftig viel tiefer ein, während es sich hier nur darum handelt, daß tatsächliche Übertretungen von Gesetzen registriert werden. Wenn man etwa hoffen kann, daß diese Registrierung eine warnende, eindämmende, zurückhaltende Wirkung haben kann, dann, glaube ich, kann man es angesichts der Zahl der Verkehrsunfälle und der Toten nicht verantworten, etwas zu unterlassen. Die Sachverständigen im Verkehrsausschuß und im Verkehrsministerium versprechen sich von dieser Maßnahme etwas. Es ist eine Maßnahme, die nach dem, was uns gesagt wird, hundert Personen erfordert, hundert Personen, die im wesentlichen die Bedienung von Buchungsmaschinen zur Aufgabe haben werden. Ich glaube, dieser Aufwand ist nicht so enorm gegenüber der Hoffnung, auch nur einige Tote und einige Verkehrsunfälle verhindern zu können. Es ist eine Maßnahme, die rückgängig gemacht werden kann, wenn sich nach drei oder vier Jahren erweist, daß sie nichts hilft. Sie kann rückgängig gemacht werden. Aber die Verkehrsunfälle sind nicht rückgängig zu machen. Ich glaube, deshalb sollten wir nicht die Verantwortung auf uns nehmen, etwas zu unterlassen, was auch nur einige Hoffnung in sich trägt, daß hier eine Besserung gefunden werden kann. ({6})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort an den Herrn Bundesverkehrsminister weitergebe, möchte ich auf folgendes aufmerksam machen. Der Herr Berichterstatter hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Materie im Ausschuß weiterberaten wird. Ich möchte deshalb den Antragstellern nahelegen, diesen Änderungsantrag zurückzuziehen und ihn, ({0}) wenn sie das für notwendig halten, in einen unmittelbaren, direkten Antrag, der dann an den Ausschuß überwiesen werden kann, zu verwandeln. Das ist möglich. So, wie der Antrag jetzt vorliegt, muß ich, wenn er nicht zurückgezogen wird, über ihn abstimmen lassen. Darüber besteht also Klarheit. Ich frage also die Frau Abgeordnete Schwarzhaupt, ob sie jetzt nicht zurückziehen will, um dann den Ausschuß weiter damit zu befassen. Frau Abgeordnete Schwarzhaupt? ({1}) - Sie sind einverstanden. Meine Damen und Herren, das erleichtert das Verfahren. Der Änderungsantrag mit Ziffer 1 und sinngemäß mit Ziffer 2 ist also für heute zurückgezogen. Herr Bundesverkehrsminister, wünschen Sie dazu zu sprechen? ({2}) Dr.-Ing. Seebohm Bundesminister für Verkehr: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der verehrten Frau Kollegin sehr dankbar für ihre Darlegungen. Ich könnte sie natürlich ergänzen, möchte das aber nicht tun, da ich dem Vorschlag, den Herr Kollege Hoogen als Berichterstatter gemacht hat, namens der Bundesregierung zustimme. Die Bundesregierung hält an ihrem Vorschlag auf Einführung der Verkehrssünderkartei mit Nachdruck fest und hofft, daß die weitere Behandlung in den Ausschüssen zu einem günstigen Ergebnis in dieser Sache führen wird.

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Meine Damen und Herren, der Änderungsantrag auf Umdruck 781 ist zurückgezogen. Ich setze deshalb das Einverständnis des Hauses dazu voraus, daß ich aufrufe die Artikel 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 7 a, 8. Wer diesen Artikeln zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Die Artikel sind angenommen. Ich rufe auf den Art. 9. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Hoogen, Umdruck 779*), vor. Begründet ist der Antrag bereits. Wird dazu noch das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Änderungsantrag zu dem Art. 9, Umdruck 779, ist angenommen. Ich lasse abstimmen über den Art. 9 in der geänderten Fassung, Einleitung und Überschrift. Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen. Wir kommen zur dritten Beratung. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache *) Siehe Anlage 5. ({0}) in der dritten Lesung. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetz mit der durch die Annahme des Änderungsantrags Umdruck 779 geänderten Fassung des Art. 9, im übrigen nach der Vorlage des Ausschusses, zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zu Punkt 5 der Tagesordnung. ({1}) - Nein, gnädige Frau! Ein Änderungsantrag kann nicht überwiesen werden. Sie müssen sich deshalb noch einmal die Mühe machen, das Wort „Änderung" zu streichen und den Antrag als Antrag an das Haus einzubringen. Dann wollen wir ihn ohne Aussprache und sicherlich ohne allen Widerspruch an den Verkehrsausschuß überweisen. Tut mir leid; aber ich muß nach der Geschäftsordnung verfahren. Also, meine Damen und Herren, Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes ({2}). Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. - Ich eröffne die Beratung in der ersten Lesung. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die erste Lesung. Dean tragt ist Überweisung an den Ausschuß für Finanzen und Steuern - federführend - und an den Ausschuß für Verkehrswesen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Punkt 6 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung ({3}). Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Verkehrswesen. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen. Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der Tagesordnung. Ich gebe das Wort zu einer persönlichen Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth.

Dr. Karl Atzenroth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000057, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Darf ich folgende persönliche Erklärung abgeben. Ich verwahre mich dagegen, daß meiner Beanstandung von Geschäftsordnungsmaßnahmen durch einen Abgeordneten dieses Hauses Interessenmotive unterstellt worden sind. Ich habe beanstandet, daß entgegen der Geschäftsordnung Vorlagen in einem Ausschuß vor der Beratung im Plenum behandelt worden sind, während die Behandlung anderer, termingebundener Anträge dadurch verzögert worden ist. ({0}) Zum materiellen Inhalt der Vorlagen habe ich nicht Stellung genommen. ({1})

Dr. Eugen Gerstenmaier (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000669

Damit, meine Damen und Herren, stehen wir am Ende dieser Berliner Tagungswoche. Ich möchte schließen mit dem Dank an alle unsere Mitarbeiter, unsere Beamten, Angestellten und Arbeiter, die von Bonn mitgekommen sind und hier ihr Bestes getan haben. ({0}) Ich danke ebenso noch einmal dem Herrn Regierenden Bürgermeister, dem Senat, den Beamten, Angestellten und Arbeitern der Stadt Berlin. ({1}) Ich möchte ein Wort des besonderen Dankes auch der Berliner Polizei sagen. ({2}) Ich danke schließlich dem Rektor der Technischen Universität und seinem verständnisvollen Entgegenkommen. Er hat nicht wenig dazu beigetragen, daß dieses Provisorium geglückt ist. ({3}) Meine Damen und Herren! Arbeitswoche - keine Festreden! Ich glaube, wir sollten das auch weiterhin so halten hier in Berlin. Je selbstverständlicher es ist, daß wir hierherkommen, daß wir hier arbeiten wie in Bonn auch, desto besser. Ich hoffe, daß es kein allzu großes Risiko ist, wenn es der Bundestagspräsident auf sich nimmt, zu sagen, daß er persönlich der Überzeugung ist, daß wir gern - wohlverstanden: gern, meine Damen und Herren! - wiederkommen. ({4}) Ich berufe die nächste, die 165. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Mittwoch, den 24. Oktober 1956, 14 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.