Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 16. Sitzung des 2. Deutschen Bundestags und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach die Abgeordneten Winter für weitere sechs Wochen wegen Krankheit, Blachstein für vier Wochen wegen Krankheit, Kahn-Ackermann für drei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Dr. Miessner für zwei Wochen wegen Krankheit, Arnholz für zwei Wochen wegen Krankheit und Frau Kettig für zwei Wochen wegen Krankheit.
Ich nehme an, daß das Haus mit der Erteilung dieses Urlaubs einverstanden ist. - Das ist der Fall.
Der Präsident hat für zwei Tage Urlaub erteilt den Abgeordneten Dr. Baade, Metzger, Rademacher und Brockmann ({0}). Der Präsident hat für die heutige Sitzung Urlaub
erteilt den Abgeordneten Dr. Horlacher, Dr. Bürkel, Voß, Neuburger, Onnen und Dr. Wellhausen.
Ich danke sehr.
Meine Damen und Herren, für den verstorbenen Abgeordneten Görlinger ist Herr Abgeordneter Paul Putzig in den Bundestag eingetreten. Ich heiße ihn herzlich willkommen und wünsche ihm eine ersprießliche Arbeit.
An Glückwünschen habe ich auszusprechen den Glückwunsch zum 60. Geburtstag am 24. Februar Herrn Abgeordneten Arndgen
({0})
und zum 66. Geburtstag am heutigen Tage Herrn Abgeordneten Kemper ({1}).
({2})
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll übernommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 12. Februar 1954 die Kleine Anfrage 19 der Abgeordneten Dr. Mende und Genossen betreffend Betätigung von Bundesbeamten in Vorständen, Aufsichtsräten usw. - Drucksache 172 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 265 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 11. Februar 1954 die Kleine Anfrage 21 der Fraktion der DP betreffend Exportfinanzierung - Drucksache 175 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 264 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem
18. Februar 1954 die Kleine Anfrage 22 der Abgeordneten Frau Dr. Brökelschen, Dr. Lindenberg und Genossen betreffend Gewerbesteueraufkommen in Gemeinden des Zonengrenzgebiets - Drucksache 191 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 273 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 20. Februar 1954 die Kleine Anfrage 26 der Fraktion der SPD betreffend Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes über das Apothekenwesen - Drucksache 229 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 277 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem
19. Februar 1954 die Kleine Anfrage 27 der Fraktion der SPD betreffend Tarifvertrag für die bei den Besatzungsmächten beschäftigten deutschen Arbeitnehmer - Drucksache 230 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 276 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 24. Februar 1954 die Kleine Anfrage 28 der Fraktion der SPD betreffend Regelung der schuldrechtlichen Verhältnisse des Unternehmens der Reichsautobahn - Drucksache 231 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 281 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 18. Februar 1954 die Kleine Anfrage 29 der Fraktion der SPD betreffend Rechtsschutztätigkeit für politisch Verfolgte - Drucksache 232 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 274 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 12. Februar 1954 die Kleine Anfrage 30 der Fraktion der SPD betreffend Lebensmittelgesetzgebung - Drucksache 233 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 268 verteilt.
({3})
Meine Damen und Herren, ich komme zum Punkt 1 der Tagesordnung:
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Bei der großen Bedeutung der Berliner Konferenz für Deutschland erscheint eine ausführliche Darstellung des Verlaufs der Konferenz und eine Analyse der auf ihr gemachten Vorschläge notwendig.
Die Teilung Deutschlands beruht nicht auf einem innerdeutschen Zwist, sondern auf dem Konflikt der vier Großmächte. Infolgedessen hat Deutschland ein vitales Interesse daran, daß der Ost-West-Konflikt entspannt und so die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf Grund einer Übereinkunft der vier Großmächte ermöglicht wird.
Nach dem Tode Stalins deuteten vielleicht einige Anzeichen darauf hin, daß die Sowjetunion ihre starre außenpolitische Haltung, die zum Scheitern der bisherigen Versuche zur Lösung der deutschen Frage geführt hatte, aufgeben und an einer Entspannung ihrer Beziehungen mit der freien Welt interessiert sein könnte. Die Bundesregierung und mit ihr die drei westalliierten Mächte vertraten deshalb die Auffassung, daß der Zeitpunkt gekommen sei, eine neue Konferenz der vier Mächte einzuberufen und zu versuchen, die Spaltung Deutschlands neun Jahre nach Abschluß des Krieges endlich zu beseitigen. Die Sowjetunion hat sich dem Ansuchen der drei Mächte um eine Konferenz I nicht entzogen.
Dem Notenwechsel, der der Berliner Konferenz voranging, war allerdings deutlich zu entnehmen, daß der Sowjetunion weniger an einer Entspannung und Normalisierung der Verhältnisse in Europa als vielmehr an einer Veränderung der gegenwärtigen Situation in Ostasien gelegen war. Das Motiv dieser Einstellung lag wohl in der Erkenntnis, daß die Westmächte, Deutschland und Österreich sich darin einig waren, die Voraussetzung für jede Entspannung in Europa müsse der sowjetische Verzicht auf die Unterwerfung freier Völker sein. Die Sowjetunion sollte damit auf die Rolle einer normalen Besatzungsmacht zurückverwiesen werden, die sich der Wiederherstellung des natürlichen Rechts der Völker auf ihre innere und äußere Selbstbestimmung nicht widersetzt. Deshalb ist die Forderung nach freien Wahlen in ganz Deutschland schon der Mittelpunkt der alliierten Noten gewesen.
Der Sowjetunion war diese Forderung unbequem. Sie hoffte, bei der Behandlung asiatischer Themen einen leichteren Stand zu haben. Hier glaubte sie mit einer Aufspaltung der drei Westmächte rechnen zu können. Sie wußte, daß die westalliierten Auffassungen hinsichtlich der gegenüber der chinesischen Volksrepublik zu vertretenden Politik sich nicht immer deckten, und sie zählte gewiß auch darauf, daß die sozialen revolutionären Bestrebungen in den Völkern Ostasiens ihren eigenen Zielen dienstbar gemacht werden könnten.
Schließlich mußte ihr die Aufnahme Rotchinas in das Konzert der Großmächte dringend angelegen sein, einmal weil die rotchinesische Führung dringend verlangte, die wirtschaftliche und politische Isolierung, die das Ergebnis dieser Freundschaft mit der Sowjetunion ist, zu durchbrechen, zum andern weil der Eintritt Rotchinas in die Gruppe der anerkannten Großmächte auch die Sowjetunion selbst aus der weltpolitischen Vereinsamung herausführen und ihre krasse Minderheitsposition in den Vereinten Nationen durch den Aufbau eines Weltsystems der fünf Mächte ablösen sollte.
Zu Beginn der Berliner Konferenz war denn auch festzustellen, daß der sowjetische Außenminister versuchte, der Behandlung der deutschen und der österreichischen Frage so lange wie nur irgend möglich auszuweichen und dagegen die asiatischen Probleme in den Vordergrund zu stellen. Alle sowjetischen Vorschläge waren darauf gerichtet, erstens die UNO auszuhöhlen und zweitens an ihre Stelle ein mehr oder weniger ständiges Direktorium der Großmächte zu setzen, dem in jedem Fall die Chinesische Volksrepublik angehören sollte. Das gilt sowohl für Molotows Plan einer Fünfer-Konferenz als auch für seinen Vorschlag einer Weltabrüstungskonferenz sowie selbst für seine handelspolitischen Angebote.
Die Außenminister der drei Westmächte sind diesem sowjetischen Vorgehen mit einer sehr geschmeidigen Taktik begegnet. Sie haben von Anbeginn - bei der Wahl des Konferenzortes, der Frage des Vorsitzes, ja selbst bei der Festsetzung der Tagesordnung - eine Reihe von zum Teil keineswegs nebensächlichen Zugeständnissen gemacht, weil sie ihrem sowjetischen Verhandlungspartner keine Möglichkeit zur Verzögerung geben, sondern zur Sache, zu ihrer und zu unserer Sache kommen wollten.
Nachdem Molotow vergeblich versucht hatte, dem Sowjetzonen-Regime zu einer Art de-facto-Anerkennung durch die Großmächte zu verhelfen, indem seine Vertreter neben den Vertretern der Bundesrepublik auf der Konferenz gehört werden sollten, gelang es dem britischen Außenminister Eden, unverzüglich den Plan der drei Mächte für die Wiedervereinigung Deutschlands zur Sprache zu bringen.
Der Eden-Plan beruht im wesentlichen auf den mit deutschen Sachverständigen durchgeführten Vorarbeiten der Alliierten und lehnt sich eng an die Beschlüsse des Bundestags vom 10. Juni 1953 an. Er beruht auf dem Grundgedanken, daß freie Wahlen die Grundlage und den ersten Schritt zur Wiedervereinigung Deutschlands bilden müssen. Nur aus freien Wahlen kann eine Nationalversammlung hervorgehen, die legitimiert ist, eine Verfassung auszuarbeiten und auf der Grundlage dieser Verfassung eine gesamtdeutsche Regierung zu bilden, die dann in der Lage wäre, Friedensverhandlungen zu führen und mit verbindlicher Wirkung für ganz Deutschland abzuschließen.
Unter den Bedingungen, meine Damen und Herren, die heute in der Sowjetzone Deutschlands herrschen, kann die Freiheit der Wahlen jedoch nur dann als gesichert gelten, wenn ihre Durchführung von unparteiischen Organen überwacht wird, die dafür sorgen, daß bestimmte Freiheitsrechte vor, während und nach der Wahl garantiert sind. Der Eden-Plan schlug daher eine Überwachungskommission vor, die sich aus Vertretern der vier Mächte mit oder ohne Teilnahme Neutraler zusammensetzen sollte. Ein von den vier Mächten zu erlassendes Wahlgesetz sollte die Einzelheiten des Wahlverfahrens regeln und es der Bundesrepublik er({0})
sparen, Wahlrechtsfragen mit Vertretern des SED-Regimes verhandeln zu müssen. Eine von der Nationalversammlung bestellte vorläufige gesamtdeutsche Behörde sollte schon frühzeitig ins Leben treten, die Nationalversammlung bei der Ausarbeitung der Verfassung unterstützen und gegebenenfalls Vorbereitungen für Friedensverhandlungen treffen.
Der Nationalversammlung sollte es obliegen, zu bestimmen, wie die Befugnisse der Bundesregierung und der sowjetzonalen Behörden auf die gesamtdeutsche Regierung übertragen und die bisherigen Teilgewalten aufgelöst werden sollten. Die gesamtdeutsche Regierung sollte befugt sein, vertragliche Rechte und Pflichten der Bundesrepublik und der Sowjetzone zu übernehmen und neue Verträge zu schließen. In der Zeit bis zum Inkrafttreten des Friedensvertrags sollten die Kontrollbefugnisse der Besatzungsmächte auf diejenigen Vorbehaltsrechte beschränkt werden, die auch im Deutschland-Vertrag vorgesehen waren.
Der Aufbau des Eden-Planes zeigt, daß es das gemeinsame Bestreben der Westalliierten und der Bundesregierung gewesen ist, ihren Plan zur Wiedervereinigung Deutschlands von jeder für die Sowjetunion unzumutbaren Forderung freizuhalten. Er enthielt vor allem, was den Zeitabschnitt vom Tag der freien Wahlen bis zum Abschluß des Friedensvertrages angeht, nicht unbeträchtliche Risiken. Wir waren der Meinung, daß wir ein Wagnis eingehen mußten und auch durften, nicht zuletzt deshalb, weil wir uns auf die demokratische freiheitliche Gesinnung aller Deutschen in Ost und in West fest verlassen können.
Molotow hat den alliierten Vorschlag zunächst damit kritisiert, er sei nicht großzügig genug und lasse Deutschland nicht genug Freiheit. Er legte seinerseits im Laufe der zweiten Konferenzwoche den Entwurf eines Friedensvertrages und einen Plan für die Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung und die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen vor. Obgleich dieser letzte Plan Molotows von freien Wahlen sprach, will er nur solche Wahlen zulassen, die mit den bekannten Mitteln totalitärer Staaten zu dem gewünschten Erfolge, in diesem Fall zu einem kommunistischen Siege führen würden. Zu diesem Zwecke lehnte Molotow jede Form unparteiischer Überwachung der Wahlen ab, forderte volle Betätigungsfreiheit für alle sogenannten demokratischen Organisationen und auf der anderen Seite das Verbot solcher Organisationen, die von den Kommunisten als faschistisch, militaristisch, antidemokratisch oder friedensfeindlich bezeichnet werden. Ohne das Ergebnis der Wahlen abzuwarten, sollte schon vorher eine gesamtdeutsche Regierung durch den Bundestag und die Volkskammer gebildet werden; ein Versuch, den Herren Pieck, Grotewohl und Ulbricht eine Legitimation zu verschaffen, die sie sich aus eigener Kraft bisher nicht erringen konnten,
({1})
zugleich ein Versuch, ein trojanisches Pferd in den gesamtdeutschen Staat hineinzuführen.
({2})
Der Plan gipfelte in der unter dem Vorwand der Ausschaltung fremder Einmischung erhobenen Forderung, daß die Besatzungstruppen mit Ausnahme beschränkter Kontrollkontingente noch vor den Wahlen aus ganz Deutschland zurückgezogen werden. In diesem Punkte berührte sich der Plan mit
dem Kerngedanken des sowjetischen Friedensvertragsentwurfs, der sich auf den bereits im März des Jahres 1952 bekanntgegebenen sowjetischen Vorschlägen aufbaute, diese aber nicht unerheblich ergänzte und verschärfte. Den Kernpunkt dieses Entwurfs bildete nach wie vor die Bestimmung, daß Deutschland keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse eingehen dürfe, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat. Diese auf die Zwangsneutralisierung Deutschlands gerichtete Bestimmung wurde noch verstärkt. Neben dem Abzug der Besatzungstruppen wurde nach wie vor die Beseitigung aller ausländischen Militärstützpunkte auf deutschem Gebiet verlangt. Die eigenen nationalen Streitkräfte, die der Entwurf vom März 1952 Deutschland zubilligte, wurden nunmehr in der Weise beschränkt, daß sie nur noch inneren Ordnungsaufgaben, der lokalen Grenzverteidigung und dem Luftschutz dienen sollten.
({3})
Noch deutlicher als der Plan für die Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung und die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen erweist sich dieser Entwurf eines Friedensvertrages als ein wohlberechnetes Mittel zur Sowjetisierung ganz Deutschlands.
({4})
Zur Begründung hat der sowjetische Außenminister immer wieder auf die Gefahr des Wiederauflebens des deutschen Militarismus hingewiesen, die unter allen Umständen und mit allen Mitteln gebannt werden müsse. Aus dem sowjetischen Vorschlag muß man entnehmen, daß die Sowjetunion nur dann einer Wiedervereinigung zustimmen würde, wenn ihr der Prozeß der Wiedervereinigung die Möglichkeit gäbe, den sowjetischen Einfluß auf ganz Deutschland auszudehnen.
({5})
Selbst dann sollte das wiedervereinigte Deutschland isoliert bleiben und als Staat minderen Rechts
eine diskriminierende Sonderbehandlung erleiden.
Das wurde deutlich, als Molotow in der letzten Konferenzphase die sowjetischen Vorstellungen von einem System kollektiver Sicherheit entwickelte. Die Ziele dieses Planes sind, die Vereinigten Staaten und praktisch auch Großbritannien vom Kontinent zu entfernen,
({6})
die Bündnisse der freien Staaten zu sprengen, dagegen das Allianzsystem des Ostblocks zu erhalten und der Sowjetunion so die Vorherrschaft in Europa zu sichern.
({7})
Dieser sogenannte Sicherheitsplan Molotows, der sich aus zwei Dokumenten zusammensetzt, mit der Überschrift „Sicherheitsgarantien in Europa" und „Gesamteuropäischer Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa", bemüht sich nicht, zu verbergen, daß er von der fortdauernden Teilung Deutschlands ausgeht und die europäische Friedensordnung auf dieser Voraussetzung aufbauen will. Bis zu dem heute noch völlig ungewissen Zeitpunkt, an dem der Friedensvertrag einmal in Kraft treten wird, sollen die Besatzungsmächte das Recht behalten, ihre zunächst zurückgezogenen Besatzungstruppen wieder in die bisherige Besatzungs({8})
zone zurückzuführen. Der nur schlecht verhehlte Hintergedanke dieser Bestimmung zielt darauf ab, die britisch-amerikanischen Truppen zum Verlassen des Kontinents zu bewegen, in der sicheren Gewißheit, daß sie nicht so rasch zurückkehren könnten wie die an den östlichen Grenzen Deutschlands stationierten Sowjettruppen.
({9})
Die Partner des kollektiven Sicherheitsvertrages sollen sich verpflichten, sich an keinen Koalitionen oder Bündnissen zu beteiligen, deren Ziele im Widerspruch zu den Zielen dieses Vertrages stehen. Diese Bestimmung zielte offenbar auf den Nordatlantikpakt, wenngleich es der sowjetische Außenminister verstand, allen darauf gerichteten Fragen auszuweichen und eine klare Antwort zu vermeiden.
Eine andere Bestimmung des kollektiven Sicherheitsvertrages sah vor, daß alle diejenigen internationalen Verträge und Abkommen bestehenbleiben sollen, deren Grundsätze und Ziele den Grundsätzen und Zielen dieses Vertrags entsprechen. Damit suchte sich die Sowjetunion eine Grundlage für die Aufrechterhaltung ihres eigenen Bündnissystems mit den östlichen Satellitenstaaten zu sichern.
Im Endergebnis machte Molotow mit diesem Sicherheitsplan den etwas naiven Vorschlag, daß sich die freien Nationen Westeuropas dem Schutze derjenigen Macht anvertrauen sollen, von der sie sich bisher einzig und allein bedroht fühlen.
({10})
Die drei alliierten Außenminister haben in der sowjetischen Konzeption mit Recht den Ausdruck einer unverhüllten Machtpolitik gesehen. Sie haben diese Politik als überholt, reaktionär und friedensgefährlich gebrandmarkt. Sie haben dem Geist von Versailles, von Jalta und Potsdam eine Konzeption gegenübergestellt, die eine Frucht der bitteren Erfahrungen ist, die die Menschheit zweimal in der kurzen Spanne einer Generation machen mußte. Diese Konzeption ist entstanden aus dem Gedanken der Völkergemeinschaft, die zustande kommt, weil die einzelnen Völker in Souveränitätsbeschränkungen einwilligen, aber nicht unter Zwang, sondern aus freien Stücken. Diese Handlungsfreiheit kann allein die Grundlage von Vertragstreue sein. Sie macht auch diskriminierende Kontrollen überflüssig, die nur Keime zu neuen Konflikten sind.
Die Alliierten haben in zäher Verhandlung versucht, Molotow zu überzeugen, daß nur eine auf Recht und Vertrauen gegründete Ordnung den Frieden gewährleisten kann. Sie sind ihm entgegengekommen, indem sie jeden Zweifel über die völlige Handlungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung im Hinblick auf von der Bundesregierung geschlossene Abkommen beseitigten. Sie haben in der Frage der Wahlkontrolle und des Wahlgesetzes Zugeständnisse gemacht. Statt einer aus Vertretern der Vier Mächte mit oder ohne Neutrale zusammengesetzten Überwachungsorganisation erklärten sie sich bereit, einer Überwachung durch Kommissionen zuzustimmen, die sich aus je einem Vertreter der Bundesregierung und der Sowjetzone und einem Neutralen zusammensetzen. Ebenso erklärten sie sich bereit, auf der Grundlage des Weimarer Wahlgesetzes zu verhandeln, für das sich der sowjetische Außenminister ausgesprochen hatte. Sie haben schließlich ihre eigenen Vorstellungen von einem System kollektiver Sicherheit entwickelt und darüber hinaus die Gültigkeit der bestehenden alliierten Verträge mit der Sowjetunion bekräftigt sowie ihre Verlängerung angeboten. Es handelt sich, meine Damen und Herren, um die Verträge, die zwischen der Sowjetunion und Frankreich und zwischen der Sowjetunion und Großbritannien seinerzeit geschlossen worden sind.
Die Mitglieder der 'alliierten Delegationen haben immer wieder in persönlichen Gesprächen mit den sowjetischen Persönlichkeiten zu erkunden versucht, ob Ansatzpunkte für ein Kompromiß bestanden, die in einer Geheimsitzung zu behandeln sich gelohnt haben würde.
Die sowjetische Reaktion war immer die gleiche und zeigte absolute Unbeweglichkeit. Entgegen manchen Erwartungen waren die Sowjets nicht bereit, irgendeinen Preis für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit auch nur zu nennen, auch nicht die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.
({11})
Die Behandlung des österreichischen Staatsvertrages zeigte, daß diese negative sowjetische Haltung sich nicht nur auf Deutschland, sondern generell auf Europa bezog.
({12})
Obwohl die Westmächte und Österreich bereit waren, die bisher strittigen Artikel des Staatsvertrages in der sowjetischen Fassung anzunehmen, hat Molotow durch das Hinzufügen neuer Bedingungen, von denen er wußte, daß sie unannehmbar waren, den Abschluß des österreichischen Staatsvertrages verhindert.
({13})
Das Ziel dieses Manövers war, die sowjetischen Truppen auch fernerhin in Österreich halten zu können und sich damit zu gegebener Zeit den Zugriff auf dieses Land zu sichern. Auch die Bereitschaft Österreichs, sich aus freiem Entschluß aller militärischen Bindungen an die eine oder andere Mächtegruppe zu enthalten, hat Molotow nicht von seiner Forderung abgebracht, weiterhin die Rote Armee in Österreich zu belassen.
({14})
Das heißt, meine Damen und Herren, sogar ein neutrales Österreich würde nicht frei werden, sondern ein besetztes Österreich bleiben.
({15})
Dieser Zumutung hat sich die österreichische Regierung widersetzt.
Ich möchte, meine Damen und Herren, zusammenfassend feststellen, daß die sowjetische Politik in Europa von dem Gedanken beherrscht ist, den Status quo hinsichtlich der Besatzung, hinsichtlich der politischen Stellung aller unter ihrer Kontrolle befindlichen Gebiete aufrechtzuerhalten.
({16})
Ihre Pläne lassen aber befürchten, daß die Sowjetunion den Status quo zu gegebener Zeit zur Basis eines weiteren Vordringens in Westeuropa machen wird.
({17})
Das letzte Ziel ist die sowjetische Vorherrschaft in Europa.
({18})
({19})
Bei der Erörterung der asiatischen Frage hat sich die Sowjetunion dagegen verhandlungsbereit gezeigt. Diese Bereitschaft fand ihren Ausdruck in den Geheimsitzungen der Konferenz. Das Gespräch der vier Mächte über diese Fragen wird am 26. April in Genf fortgeführt werden. Wir müssen sein Ergebnis abwarten. Ich möchte aber schon jetzt sagen, daß die Bundesregierung hofft, die Genfer Konferenz möge das Ende des Krieges in Indochina bringen.
({20})
Ich möchte die Darstellung des Konferenzverlaufs nicht abschließen, ohne den drei westlichen Außenministern für die ausgezeichnete und sehr eindrucksvolle Art, in der sie die Sache der Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit auf der Berliner Konferenz vertreten haben, herzlich zu danken.
({21})
Die Bundesregierung zieht aus dem Verlauf der Berliner Konferenz die folgenden Schlüsse:
1. Um dem sowjetischen Streben nach einer Vorherrschaft in Europa entgegenzutreten, besteht mehr denn je die Notwendigkeit, Europa zu einen und seine Kräfte zusammenzufassen.
({22})
Dazu gehört auch, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft Wirklichkeit wird.
({23})
2. Die Bundesrepublik muß ihre auf Freiheit und Recht gegründete innere Struktur festigen und die geistige und materielle Kraft entwickeln, die notwendig ist, um jeden Versuch, ganz Deutschland zu sowjetisieren, vereiteln zu können.
({24})
3. Die Bundesregierung muß durch Worte und Taten klarmachen, daß die Deutschen sich niemals mit der Spaltung Deutschlands abfinden und niemals die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen werden.
({25})
4. Die Berliner Konferenz hat gezeigt, daß die Deutschlandfrage nicht für sich allein gelöst werden kann. Die Bundesregierung begrüßt es daher, wenn der Versuch gemacht wird, Konfliktstoffe in anderen Teilen der Welt zu beseitigen,
({26})
weil sich die dadurch erzielte Entspannung auch auf die deutsche Frage auswirkt.
({27})
Die Bundesregierung wird sich bemühen, auch von sich aus zu einer allgemeinen Entspannung beizutragen, die neue Verhandlungen über Deutschland möglich macht. Sie wird insbesondere für den Aufbau eines auf der freien Zustimmung und der Gleichberechtigung aller Mitglieder beruhenden Systems kollektiver Sicherheit eintreten, das die Sowjetunion veranlassen kann, die sowjetisch besetzte Zone aus ihrem Machtbereich zu entlassen.
({28})
5. Die Bundesregierung wird alle in ihrer Macht stehenden Maßnahmen ergreifen, um den Deutschen in Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone ihr schweres Los zu erleichtern.
({29})
Sie appelliert an das Hohe Haus und an die Bevölkerung der Bundesrepublik, sie dabei mit Rat und mit Tat zu unterstützen.
({30})
Meine Damen und Herren! Die Wiedervereinigung Deutschlands ist zunächst an der Haltung der Sowjetunion gescheitert. Das ist die bittere Wahrheit. Wir werden aber in unseren Bemühungen nicht nachlassen, neue Mittel und Wege für die Wiedervereinigung Deutschlands zu finden. Die Sowjetunion muß wissen, daß der Westen immer bereit ist zu konstruktiven Verhandlungen. Wir wollen hoffen, daß Fortschritte in anderen Fragen, die Ost und West trennen, die Sowjetunion auch zu einer Revision ihrer Politik in Europa bringen werden.
Die Bundesregierung sieht in der Tatsache, daß die Berliner Konferenz die Solidarität des Westens eindeutig bewiesen hat, ein positives Resultat der Konferenz.
({31})
Die Sowjetunion muß sich nach dem Verlauf dieser Konferenz im klaren sein, daß ihre Annahme, die westlichen Mächte würden sich untereinander entzweien - eine Annahme, auf der ihre ganze jetzige Politik beruht -, falsch ist.
({32})
So kann die Berliner Konferenz zum Ausgangspunkt einer neuen Phase der russischen Politik werden, die durch eine richtigere Einschätzung der Realitäten gekennzeichnet wird. Die schmerzliche Enttäuschung über den Verlauf der Berliner Konferenz wird durch die Gewißheit gemildert, daß die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem Anliegen der gesamten freien Welt geworden ist.
({33})
Wir dürfen insbesondere der Hilfe und der Unterstützung der Westalliierten gewiß sein.
Noch ein Wort zur Handlungsfreiheit der gesamtdeutschen Regierung. Sie gehört nicht nur von jeher zum Programm des Westens für die Wiedervereinigung, sondern sie ist auch im Art. VII Abs. 3 des Deutschland-Vertrages statuiert. Was diese Bestimmung des Deutschland-Vertrages betrifft, so war sie notwendig angesichts der staats und völkerrechtlichen Probleme, die die Wiedervereinigung aufwirft, deren juristische Form heute noch niemand voraussagen kann. Man sollte aber über den akademischen Fragen die politischen Realitäten nicht vergessen.
({34})
Das deutsche Volk einschließlich der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung der Sowjetzone fühlt sich schon heute mit der Gemeinschaft des Westens verbunden.
({35})
Die Willenskundgebungen vom 17. Juni und vom
6. September des letzten Jahres haben den Beweis dafür geliefert, daß insbesondere die Politik der europäischen Integration, die die Bundesrepublik verfolgt, von der weit überwiegenden Mehrheit des Volkes gebilligt wird.
({36})
({37})
Ich glaube, ich kann hieraus die Berechtigung entnehmen, schon jetzt zu sagen: nicht nur wird jede Regierung der Bundesrepublik Deutschland alles tun, um ganz Deutschland in der im Bonner und Pariser Vertrag gegebenen Form in die Gemeinschaft der freien Völker zu führen, sondern wenn die Stunde der Wiedervereinigung gekommen ist, wird das ganze deutsche Volk diese Entscheidung zu der seinigen machen.
({38})
Inzwischen gilt es, meine Damen und Herren, die deutsche Einheit zu erhalten mit der Kraft des Geistes, des Opfers und der Liebe.
({39}) Es gibt nur ein einziges deutsches Vaterland.
({40})
Wir werden nicht ruhen und rasten, bis es seine Einheit wiedergefunden hat in Frieden und in Freiheit.
({41})
Meine Damen und Herren, Sie haben die Erklärung der Bundesregierung entgegengenommen.
Ich eröffne die
Aussprache über die Erklärung der
Bundesregierung.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner Sitzung vom 10. Dezember 1953 hat der Deutsche Bundestag in einer einstimmig angenommenen Entschließung das Anliegen des deutschen Volkes im Hinblick auf die damals bevorstehende Vier-Mächte-Konferenz zum Ausdruck gebracht. Die Tatsache dieser einmütigen Stellungnahme des Bundestages bietet nach unserer Auffassung eine gute Grundlage für die heutige Debatte über den Verlauf, die Resultate und die Auswirkungen der Berliner Vier-Mächte-Konferenz.
Die Konferenz ist zu keiner Verständigung über die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf der Basis von freien Wahlen gekommen. Dieser Ausgang der Konferenz hat zweifellos die große Mehrheit des deutschen Volkes, vor allem die Deutschen in der Sowjetzone, tief enttäuscht. Diese Empfindungen werden von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im vollen Umfang geteilt.
Wir sind jedoch der Auffassung, daß die Konferenz nicht nur negativ beurteilt werden kann. Es war die erste Vier-Mächte-Konferenz nach einer Pause von fünf Jahren mit all den Verhärtungen, die die Zuspitzung des kalten Krieges in der Vergangenheit mit sich gebracht hat. Man mußte daher damit rechnen, daß die Verhandlungspartner zunächst ihre Positionen definieren würden. Das ist geschehen und vor allem von der russischen Seite mit einer Deutlichkeit wie nie zuvor. Eine Überbrückung der Gegensätze ist nicht erfolgt; aber die Konferenz ist mit Resultaten und unter Bedingungen abgeschlossen worden, die weitere Verhandlungen und Konferenzen mit dem Ziel einer internationalen Entspannung möglich machen. Die Fortsetzung der Gespräche über eine internationale Atomenergieordnung und die Vereinbarung über eine neue Konferenz zur Besprechung der Koreafrage und des Kriegs in Indochina sowie die Vereinbarung über eine energischere Fortsetzung der Abrüstungsgespräche sind Beweise für diese Annahme.
Wir Sozialdemokraten halten diesen Ansatz in der Richtung einer weiteren Entspannung für ein Ereignis von grundsätzlicher und weittragender Bedeutung.
({0})
Die Hoffnungen aller Menschen richten sich in erster Linie auf die Erhaltung und die Festigung des Friedens in der Welt.
({1})
Vor allem das deutsche Volk muß schon den Versuch einer solchen Politik aus tiefstem Herzen begrüßen; denn seine Wiedervereinigung, die Hebung seines Wohlstandes und seine Eingliederung in die Gemeinschaft der Völker hängt davon ab, ob es den entscheidenden Mächten der Welt gelingt, die Periode der Spannungen zu überwinden und den Frieden zu erhalten.
({2})
Sogar die einfache, natürliche Existenz der deutschen Menschen ist von dem Erfolg einer solchen Politik abhängig.
Wir begrüßen es, daß auch der Herr Bundeskanzler in seiner heutigen Regierungserklärung den Vorrang einer Politik der Entspannung, vor allem auch im Hinblick auf die Lösung der Deutschlandfrage, so positiv unterstrichen hat.
({3})
Die Berliner Konferenz hat in diesem Zusammenhang auch den Beweis erbracht, daß die Lösung der Deutschlandfrage nur in Verbindung mit den weiteren, fortgesetzten Bemühungen zur Lösung der durch den Krieg aufgeworfenen Probleme auf internationaler Basis gefördert werden kann und daß angesichts der gegebenen Machtverhältnisse in der Welt und der Verflochtenheit der Probleme eine isolierte Lösung des Deutschland-Problems nicht erreicht werden kann.
Wir glauben, daß man dieser Tatsache ins Auge sehen muß, so schwer es auch für jeden in unserem Volke sein mag, einzusehen, daß das natürliche Recht eines Volkes auf seine staatliche und nationale Einheit und seine Selbstbestimmung an sich nicht den Anspruch auf unmittelbare Erfüllung hat. Das deutsche Volk darf nicht müde werden, diesen Anspruch auf seine natürlichen Rechte bei allen verantwortlichen Mächten mit Nachdruck zur Geltung zu bringen.
({4})
Sicher ist es für uns Deutsche nach alledem, was hinter uns liegt, und angesichts dessen, was uns bedrückt, schwer, eine solche Konferenz wie die Berliner gerecht und kritisch zu würdigen. Die Erfüllung unseres ureigensten Wunsches hängt aber entscheidend davon ab, ob wir uns in die Lage versetzen können, unsere eigenen Forderungen und Anliegen an den durch diese Konferenz eingeleiteten Prozeß internationaler Gespräche und Verhandlungen immer wieder von neuem heranzubringen, damit ihre Lösung gefördert wird.
({5})
Auf dieser Konferenz sind nicht nur 23 Tage hindurch Standpunkte gegeneinander gestellt und Auseinandersetzungen über die Gegensätze geführt worden. Einer der Teilnehmer der Konferenz, der amerikanische Außenminister Mr. Dulles, hat sich am letzten Tage zusammenfassend über die Konferenz geäußert. Er hat gesagt:
Außer dem, was wir hier erreicht haben, haben wir viel gelernt. Das ist ein Ergebnis, das man nicht ignorieren sollte.
({6})
- Ich zitiere Mr. Dulles. ({7})
Es macht es weniger wahrscheinlich, daß irgend jemand von uns aus Unachtsamkeit oder Fehlkalkulation etwas unternimmt, was das Risiko eines neuerlichen Krieges heraufbeschwören würde.
({8})
Ich glaube, eine solche Feststellung gibt keinen Anlaß zu Heiterkeit.
({9})
Dieses Urteil von Mr. Dulles ist auch ein Beweis dafür, daß die beiderseitigen Standpunkte nur auf dem Wege einer direkten Aussprache im Rahmen einer Vier-Mächte-Konferenz klargestellt werden konnten und daß auch in Zukunft ein Fortschritt nur erreicht werden kann, wenn die Berliner Konferenz als ein Glied in der Kette internationaler Besprechungen, als ein Anfang einer Serie von Konferenzen dieser oder ähnlicher Art betrachtet wird.
({10})
Das Schlußkommuniqué der vier Außenminister, nicht das Schlußkommuniqué der drei, läßt erkennen, daß jedenfalls in diesem Punkte eine Übereinstimmung bestand.
In diesem Fall war die Lage der Konferenz dadurch erschwert, daß sie sozusagen selbst die diplomatischen Vorbereitungen ersetzen mußte. Für die Zukunft wird es die Arbeit einer weiteren Konferenz sicher erleichtern, wenn sie durch eine intensive diplomatische Aktivität vorbereitet wird. Wie die Erfahrungen der letzten zwei Jahre zeigen, reicht ein einfacher Notenwechsel dafür nicht aus.
Was nun die Behandlung der deutschen Frage auf der Berliner Konferenz selbst angeht, so hat sich die Diskussion im wesentlichen um die beiden Hauptprobleme, die Prozedur der Wiedervereinigung Deutschlands auf der Basis von freien Wahlen und den internationalen Status eines wiedervereinigten Deutschlands im Zusammenhang mit dem Sicherheitsproblem gedreht. In der Frage der Prozedur des Aufbaus eines wiedervereinigten Deutschlands standen sich der Eden-Plan der Westmächte und die Molotow-Vorschläge für die Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung gegenüber. Der Vorschlag Edens deckt sich in seiner Forderung nach freien Wahlen als erstem Schritt zur Bildung eines gesamtdeutschen Parlaments mit unser aller Auffassung, mit den wiederholten Beschlüssen des Bundestags. Allerdings ist der Teil des Eden-Plans, der sich mit den Kompetenzen des gesamtdeutschen Parlaments und der gesamtdeutschen Regierung oder gesamtdeutschen Behörde beschäftigt, die bis zur Verabschiedung der
Verfassung bestehen soll, nicht in voller Übereinstimmung mit den vom Bundestag gefaßten Beschlüssen.
({11})
Ich möchte das einfach feststellen, damit die Positionen in dieser sehr wesentlichen Frage eindeutig und klar sind. Wir haben im Bundestag die Aufgaben einer gesamtdeutschen Regierung unmittelbar nach dem Zusammentritt des Parlaments in wesentlich weitergehender Weise, nämlich als die Konstituierung einer echten demokratischen gesamtdeutschen Regierung, festgelegt. Dieser Beschluß ist durch den Eden-Plan nicht gedeckt.
({12})
Ich glaube - ohne daß ich die Debatte über diese Frage in diesem Augenblick vertiefen möchte -, daß es für die weitere Diskussion über die Gestaltung der Dinge in bezug auf die Wiedervereinigung Deutschlands wichtig ist, diesen wesentlichen materiellen Unterschied hier einfach festzustellen.
Auf der andern Seite enthalten die Vorschläge Molotows über die Bildung einer provisorischen gesamtdeutschen Regierung und ihre Aufgaben bis zur Wahl des gesamtdeutschen Parlaments gegenüber dem Eden-Plan Vorstellungen, die einfach darauf hinauslaufen, schon vor den Wahlen Maßnahmen zu treffen, die in die Richtung eines volksdemokratischen Systems gehen und die deshalb von uns als Anhängern der parlamentarischen Demokratie nicht akzeptiert werden können.
({13})
Das Bemerkenswerte auf der Konferenz war aber, daß eine ernsthafte Diskussion über mögliche Berührungspunkte und Kompromißmöglichkeiten - insbesondere auch nachdem, wie der Herr Bundeskanzler mit Recht unterstrichen hat, die Westmächte gewisse Änderungsvorschläge unterbreitet hatten, nachdem sozusagen das Material für eine ernsthafte Diskussion dieser Frage auf der Konferenz vorlag - nicht stattgefunden hat.
Dieser Umstand der Nichtdiskutierung der Frage des besten Weges, um zu einer Wiedervereinigung Deutschlands zu kommen, erklärt auch die bemerkenswerte Tatsache, daß es auf der Berliner Konferenz auch zu keiner Diskussion über das Ausmaß der Selbstbestimmung des deutschen Volkes nach seiner Wiedervereinigung gekommen ist. Das ist ein sehr wichtiges Problem, auf das ich auch hier nur als einen Beitrag für unsere eigene weitere Diskussion hingewiesen haben möchte; denn auch der Eden-Plan, den wir als eine Unterlage, als eine Basis für eine sachliche Behandlung der Wiedervereinigung in Freiheit durchaus positiv bewerten, beschränkt die Selbstbestimmung einer gesamtdeutschen frei gewählten Regierung in weitgehendem Maße, indem sich auch die drei Westmächte als Besatzungsmächte ausdrücklich ihr Einspruchsrecht gegen Beschlüsse der Nationalversammlung einschließlich der von ihr auszuarbeitenden Verfassung vorbehalten.
({14})
Schließlich haben sich auch beide Seiten auf ihre Weise das Recht zur Verhängung des Notstands, das in unseren Diskussionen über den Deutschland-Vertrag eine so große Rolle gespielt hat, vorbehalten:
({15})
({16})
Molotow in seinem Vorschlag vom 10. Februar zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa unter Punkt 2 b und die Westmächte im Art. 5 des Generalvertrags von Bonn. Es ist gut, daß wir uns auch über diese Tatbestände klar sind und daß wir sie im Gedächtnis behalten, da die Diskussion über die Wiedervereinigung und ihre Formen weitergehen wird.
Folgender anderer Tatbestand ist außerdem sehr wesentlich. Die Berliner Konferenz hat gezeigt, daß man sich über freie Wahlen nicht verständigen konnte ohne die gleichzeitige Behandlung der Frage des Status eines wiedervereinigten Deutschlands in einem europäischen oder internationalen Sicherheitssystem. Ich glaube, auch diese Erkenntnis müssen wir aus der Berliner Konferenz gewinnen. Angesichts der Tatsache, daß die Sowjetunion weiß, daß die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Basis von freien Wahlen, wie wir sie wollen, das Ende der Pankower SED-Herrschaft, das Ende des kommunistischen Einflusses auch in der Sowjetzone bedeutet,
({17})
ist für die Sowjetunion die Zustimmung zu diesem Resultat freier Wahlen automatisch mit der Frage des Status eines so wiedervereinigten freien und demokratischen Deutschlands in einem internationalen Sicherheitssystem verbunden. Das ist völlig abseits von allen Wertungen einfach ein Faktor, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben. Es ist sehr bemerkenswert, daß der britische Außenminister, M r. Eden, noch in der ersten Hälfte der Konferenz auf diesen Zusammenhang ausdrücklich hingewiesen hat, indem er erklärte:.
Das Hauptproblem liegt darin, die Freiheit in Deutschland mit der Sicherheit in Europa zu verbinden.
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Und Mr. Eden war es, der in diesem Zusammenhang auch den Vorschlag machte, daß Deutschland ein Mitglied der Vereinten Nationen wird, das an die Bestimmungen der Charta gebunden ist. Nun, ohne auf diese Vorschläge Mr. Edens einzugehen, entwickelte Herr Molotow seine umfangreichen Vorschläge, die ein europäisches Sicherheitssystem unter Einschluß beider Teile Deutschlands und unter Beteiligung der Sowjetunion, aber unter Ausschluß Großbritanniens und der Vereinigten Staaten vorsahen. Meine Damen und Herren, eine solche Konzeption ist für das deutsche Volk unannehmbar.
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Ich möchte mich mit dieser Bemerkung und Feststellung begnügen.
Aber, meine Damen und Herren, wesentlich ist auch hier, daß es über die Frage einer europäischen Sicherheitsorganisation auf dieser Konferenz zu einer echten Debatte gekommen ist, in deren Verlauf z. B. der französische Außenminister, M. Bidault, eine Reihe von außerordentlich bemerkenswerten Vorschlägen gemacht hat. Ich darf etwas aus seiner Rede zitieren. M. Bidault sagte:
Was Deutschland angeht, so muß die Sicherheit seiner Nachbarn unter allen Umständen gewährleistet sein. Diese Sicherheit kann vor dem Friedensvertrag nicht bedroht werden auf Grund der Anwesenheit der Truppen der vier Mächte, die dort stationiert sind, um die Sicherheit zu garantieren. Nach dem Vertrag wird
Deutschland, und zwar das Deutschland in einer definitiven Verbindung, nicht über militärische Streitkräfte verfügen, die seinen eigenen Entschlüssen unterstehen. Die Sicherheit in bezug auf Deutschland wäre in folgender Weise garantiert:
a) Die Hilfsabkommen, die während des Krieges abgeschlossen worden sind, treten im Falle der Aggression in Funktion.
b) Deutschland kann auf militärischem Gebiet nicht aus eigenem Ermessen handeln. Das schließt jede Möglichkeit einer Aggression aus.
c) Deutschland, das die Verpflichtungen der Charta der Vereinten Nationen übernimmt, ist ohne Einschränkungen Partner am Weltsystem der Sicherheit.
d) Die Regierung des vereinigten Deutschlands müßte sich verpflichten, daß sie nicht die Bestimmungen zu modifizieren versucht, die seine Aktionsfreiheit auf militärischem Gebiet begrenzen.
Und M. Bidault fügte hinzu:
Alle diese Bestimmungen verfolgen das Ziel, Deutschland den Platz wiederzugeben, der ihm in der Gemeinschaft der friedliebenden Staaten zukommt, und gleichzeitig jegliche Bedrohung für die Sicherheit der europäischen Völker von dieser Stelle auszuschalten. Endlich ist es notwendig, unsere Bemühungen im Rahmen der Vereinten Nationen weiterzuverfolgen, die darauf abzielen, allmählich zu jener voll und ganz zufriedenstellenden Form der kollektiven Sicherheit zu gelangen, die die allgemeine, gleichzeitige und kontrollierte Abrüstung darstellen wird.
Meine Damen und Herren! Obwohl diese Diskussion zu unserem Bedauern schon nicht mehr unter der Annahme geführt wurde, daß es auf dieser Berliner Konferenz zur Wiedervereinigung Deutschlands kommen werde, haben vor allem die Bidaultschen Vorschläge das Problem der europäischen und der internationalen Sicherheit in ihrer vollen Perspektive zur Diskussion gestellt, so daß hier die Möglichkeit zu weiteren fruchtbaren Gesprächen gegeben ist.
Und es gibt ein anderes wesentliches Merkmal in dieser Debatte über die Sicherheit, nämlich die Tatsache, daß sowohl die Molotowschen Vorschläge, die ich vorhin abgelehnt habe, als auch die Bidaultschen und andere westliche Vorschläge die Frage einer europäischen Sicherheitsorganisation bewußt und positiv in die Tätigkeit und die Verpflichtungen der Vereinten Nationen hineinbauen. Wenn es überhaupt zu einer Lösung dieses für den Frieden in Europa und in der Welt entscheidenden Problems kommen soll, ist sie nur denkbar im Rahmen einer umfassenden internationalen Organisation, wie die Vereinten Nationen sie darstellen. Damit scheint auf dieser Konferenz der Beweis erbracht zu sein, daß ein Durchdenken des Sicherheitsproblems auch in deutscher Sicht unabweisbar in den Rahmen und die Arbeitsordnung der Vereinten Nationen hineinführt und damit die Vorstellung von der Möglichkeit begrenzter Lösungen erledigt.
({20})
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat bereits früher den Vorschlag für die Aufnahme
({21})
eines wiedervereinigten Deutschlands in die Vereinten Nationen gemacht. Dieser Vorschlag hat gerade durch den Verlauf der Berliner Konferenz offensichtlich ein neues Gewicht bekommen.
({22})
Wir halten diesen Weg auch noch heute für den einzig gangbaren und effektiven. Denn eine Verständigung über den internationalen Status eines wiedervereinigten Deutschlands ist nur zu erreichen, wenn dieses wiedervereinigte Deutschland in ein Sicherheitssystem eingeordnet wird, das von keiner der interessierten Mächte als eine gegen sie gerichtete Bedrohung empfunden werden kann.
({23})
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal ausdrücklich die Stellung der Sozialdemokratischen Partei hinsichtlich eines deutschen Beitrages in einem solchen internationalen Sicherheitssystem unterstreichen. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist bereit, für die Erfüllung aller Verpflichtungen einzutreten, die sich aus der Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschlands in einem solchen internationalen Sicherheitssystem ergeben.
({24})
Lassen Sie mich eine zusätzliche Bemerkung zu diesem Fragenkomplex machen. Wie immer man die Entwicklungschancen dieser Politik und dieser Möglichkeiten beurteilen möge, in jedem Fall sollte die deutsche Politik schon jetzt mindestens den Schluß aus dieser Diskussion ziehen, daß es nicht im Interesse des deutschen Volkes liegt, wenn im Zusammenhang mit dem Sicherheitsproblem von deutscher Seite die Vereinten Nationen in so herabsetzender Weise behandelt werden, wie es noch bei der Debatte über die Regierungserklärung im vorigen Jahre in diesem Hause geschehen ist.
({25})
Meine Damen und Herren, für die deutsche Politik ergibt sich nach unserer Auffassung aus dieser Lage die Konsequenz, daß für die Bundesrepublik auch weiterhin die Politik der Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen ihr vordringlichstes Ziel bleiben muß.
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Gerade die Atmosphäre und die Resultate der Konferenz bestätigen die Ansätze einer Politik der Entspannung zwischen den Großmächten, und sie verpflichten die deutsche Politik nach unserer Auffassung in noch höherem Maße als bisher, in der Bundesrepublik alles zu unterlassen, was durch deutsche Handlungen eine Verschärfung der Gegensätze oder eine Vertiefung der Spaltung Deutschlands zur Folge haben könnte.
({27})
Die Berliner Konferenz hat uns zweifellos noch einmal mit bedrückender Deutlichkeit vor Augen geführt, daß wir allein nicht in der Lage sind, das Unglück der staatlichen Spaltung unseres Volkes zu überwinden. Aber unser ständiger Beitrag in der Richtung einer Verstärkung der Befriedungstendenzen in der Welt sollte sein, uns so zu verhalten, daß wir diese Entwicklung positiv fördern und nicht hemmen.
({28})
Meine Damen und Herren, gerade unter diesem Gesichtspunkt bedauern wir es, daß der erste gesetzgeberische Akt des Parlaments nach der Berliner Konferenz in der Behandlung der Anträge zur Änderung des Grundgesetzes besteht, die morgen verabschiedet werden sollen.
({29})
Diese Änderung wird, wenn sich eine Mehrheit für diese Anträge in diesem Hause findet,
({30})
ohne praktische Bedeutung für die Realisierung des EVG-Abkommens sein. Aber in ihrem rein demonstrativen Charakter erblicken wir ihre Bedenklichkeit.
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Ich sage das nicht, weil wir der Auffassung sind, daß wir unsere Politik unter dem Gesichtspunkt der möglichen Reaktion auf der Seite der Sowjetunion abstimmen sollen; aber es ist ja keineswegs sicher, meine Damen und Herren, daß ein solcher Schritt nicht auch zu einer ernsten Beunruhigung in der westlichen Welt führen wird.
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- Meine Damen und Herren, ich gönne Ihnen Ihre Heiterkeit! Wenn Sie morgen diesen Beschluß fassen, können wir uns vielleicht in der nächsten Woche über die Reaktion in Frankreich auf Ihren Beschluß unterhalten.
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Ich glaube auch, daß dieser Akt dem Interesse unseres eigenen Volkes widerspricht.
Zu diesem Zeitpunkt, in dem die Verwirklichung der Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich erscheint, muß es eine unserer Hauptaufgaben in der Bundesrepublik sein, alle Bestrebungen und Möglichkeiten zu fördern, um die Lage der 18 Millionen Menschen in der Sowjetzone zu erleichtern, indem wir die Beziehungen zwischen ihr und der Bundesrepublik so weit als möglich normalisieren. In diesem Punkte sind wir einig mit der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler heute morgen hier abgegeben hat. Aber eine forcierte Integrationspolitik als unmittelbare Reaktion auf den Ausgang der Berliner Konferenz kann die Aussichten für die Menschen ,der Sowjetzone erheblich beeinträchtigen und verschlechtern.
({34})
Wir begrüßen es, daß die drei westlichen Hohen Kommissare ein erstes Programm für eine solche Normalisierung der Beziehungen dem sowjetischen Hohen Kommissar unterbreitet haben. Es sind Forderungen, die wir hier im Bundestag bereits früher eingehend besprochen haben und die dazu helfen können, eine wesentliche Erleichterung der Lage der Bevölkerung in der Sowjetzone herbeizuführen. Wir erwarten, daß die Bundesregierung, wie sie heute hier erklärt hat, diese Versuche durch eine eigene Initiative aktiv unterstützt. Wir behalten uns vor, dem Parlament von uns aus weitere konkrete Vorschläge in dieser Richtung zu unterbreiten. Die Tatsache, daß gestern die Grotewohl-Regierung die Vorschläge der drei westlichen Hohen Kommissare mit der Behauptung zu({35})
rückgewiesen hat, es handle sich hier um eine Angelegenheit, die zwischen den Deutschen zu regeln sei, sollte weder die Hohen Kommissare noch die Bundesregierung veranlassen, ihre Bemühungen einzustellen.
({36})
In ähnlicher Weise hat dieselbe Sowjetzonenregierung bereits früher den Versuch gemacht, die Aufhebung der Interzonenpässe zu hintertreiben. Die Beharrlichkeit der Hohen Kommissare des Westens hat aber schließlich doch eine teilweise befriedigende Lösung dieses Problems erzielt.
Über die Vorschläge hinaus, die die Hohen Kommissare unterbreitet haben, gibt es noch eine Reihe von anderen Fragen, die das Leben von Millionen Menschen in der Bundesrepublik und in der Sowjetzone auf das tiefste berühren. So wäre z. B. eine dringende und menschliche Aufgabe, Vereinbarungen dahingehend herbeizuführen, daß die Unterlagen über vermißte Kriegsgefangene und verschollene Zivilpersonen, die jetzt in beiden Teilen Deutschlands getrennt verwaltet werden, verglichen und in eine gemeinsame geordnete Verwaltung gebracht werden. Ebenso sollten Schritte überlegt werden, um zu erreichen, daß in der Sowjetzone auch Menschen in Freiheit gesetzt werden, die durch die sowjetzonalen Behörden gefangengehalten oder verurteilt sind, nachdem eine große Zahl der durch russische Militärtribunale Verurteilten in Freiheit gesetzt wurden.
({37})
An dem Verhalten der andern Seite gerade gegenüber diesen menschlichen Problemen wird sich erweisen, wieweit hier der ernste Wille zu einer menschlicheren Haltung gegeben ist.
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Zweifellos wären die Aussichten für eine befriedigende Regelung dieser Fragen größer, wenn sich die Außenminister auf der Berliner Konferenz hätten entschließen können, durch einen gemeinsamen Beschluß ihren Organen in Deutschland eine entsprechende Anweisung in der Richtung einer solchen Aktivität zu geben. Wir sind der Meinung, daß selbstverständlich alle die auf diesem Wege erreichbaren Erleichterungen der Lage der Bevölkerung in der Sowjetzone in keiner Weise einen Ersatz für ihre Grundforderung nach freien Wahlen und für die Erfüllung ihres natürlichen Rechts, wieder in einem gemeinsamen Staat vereinigt zu sein, bringen kann.
({39})
Aber die politische Wirkung dieser Maßnahmen, vor allem auch im Bewußtsein der Menschen in der Sowjetzone, wird von so großer Bedeutung in der Richtung der Sicherung des Gemeinschaftsgefühls aller Teile des deutschen Volkes sein, daß die Bundesregierung hier eine unablässig drängende und aktive Politik treiben sollte. Unter diesem Gesichtspunkt erledigt sich auch das törichte Gerede von der sogenannten kleinen Lösung.
Wir können, meine Damen und Herren, bei der Behandlung der Frage unseres Verhältnisses zu der Bevölkerung in der Sowjetzone selbstverständlich nicht an den besonderen Problemen vorbeigehen, vor die die Stadt Berlin gestellt ist. Die sozialdemokratische Fraktion begrüßt es, daß der Herr Bundeskanzler in Berlin ein erweitertes Hilfsprogramm für Berlin in Aussicht gestellt hat.
Wir hätten es allerdings für wertvoll gehalten,
wenn der Herr Bundeskanzler bereits in seiner
Berliner Rede konkretere Vorschläge an die Stelle
allgemein gehaltener Ankündigungen gesetzt hätte.
({40})
Die sozialdemokratische Fraktion hat im ersten Bundestag an der Erarbeitung von Stützungsmaßnahmen für Berlin maßgeblichen Anteil gehabt. Sie wird in dieser Richtung weiter mitarbeiten, und die Mehrheit dieses Hauses darf damit rechnen, daß die weitestgehenden, aus ihren Reihen kommenden Vorschläge zugunsten Berlins grundsätzlich die Unterstützung der Opposition finden werden.
({41})
Im einzelnen scheint es uns gegenwärtig auf folgende Punkte anzukommen.
1. Der im Vorschlag zum Bundeshaushalt vorgesehene Zuschuß zur Deckung des Fehlbedarfs des Berliner Landeshaushalts reicht aus Gründen, die nicht den Berlinern zur Last gelegt werden können, bei weitem nicht aus. Bei aller Anerkennung des Drängens auf eine sparsame Verwaltung des Landes Berlin muß daran erinnert werden, daß der Bund sich auch durch das Dritte Überleitungsgesetz verpflichtet hat, den Fehlbedarf des Berliner Haushalts zu decken. Bei einer Prüfung dieses Fehlbedarfs dürfen die Besonderheiten der Berliner Lage nicht unberücksichtigt bleiben. Wir halten es in diesem Zusammenhang für überaus bedenklich, wenn ausgerechnet in der gegenwärtigen Lage in Berlin eine 30%ige Erhöhung des Brotpreises in Aussicht steht.
({42})
2. Das Aufkommen aus der Abgabe „Notopfer Berlin" sollte dem Lande Berlin unverkürzt zugute kommen.
({43})
Der Betrag, um den das Aufkommen aus dem Berliner Notopfer den Zuschuß zum Berliner Haushalt überschreitet, sollte der isolierten Hauptstadt in ihrer unverschuldeten Notlage als zusätzliche Wirtschaftshilfe zufließen. Wir erinnern bei dieser Gelegenheit an das Wort des Herrn Bundesfinanzministers, jede in Berlin angelegte Mark diene der Sicherung der freien Welt.
3. Es muß sichergestellt werden, daß diejenigen deutschen Mittel aufgebracht werden, die erforderlich sind, damit das Berliner Notstandsprogramm auf der Basis von gut 20 000 Beschäftigten fortgeführt und womöglich noch erweitert werden kann.
In dem Zusammenhang verweisen wir darauf, daß der von Herrn Reuter geführte Senat von Berlin eine Erweiterung des Notstandsprogramms auf 35 000 Mann geplant hat.
4. Bei der Verstärkung von Steuererleichterungen für die Berliner Wirtschaft sollte es sich nicht um private Subventionen handeln, sondern um neue Möglichkeiten zur Intensivierung des Berliner Aufbaus.
({44})
Bei dem unter dem Bundesdurchschnitt liegenden Lohnniveau in Berlin müssen etwaige Steuersenkungen auch den Arbeitnehmern zugute kommen.
({45})
({46})
5. Für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, den Kernpunkt jeder Berlinhilfe, sollten insbesondere auch Mittel aus den ERP-Rückflüssen bereitgestellt werden.
6. Über die bloße Ankündigung einer verstärkten Auftragslenkung nach Berlin hinaus sollten die positiven Ansätze, die wir in der Arbeit des Berlin-Bevollmächtigten beim Bundeswirtschaftsminister erblicken, energisch weiterentwickelt werden. Insbesondere kommt es darauf an, daß die Auftragserteilung der öffentlichen Hand verstärkt und daß der Berliner Wirtschaft bei der Auftragsfinanzierung noch wirksamer als bisher geholfen wird.
Meine Damen und Herren, ich komme zu einigen abschließenden Bemerkungen.
Es ist nicht unsere Absicht, im Zusammenhang mit dieser außenpolitischen Debatte eine neue Diskussion über die europäische Verteidigung herbeizuführen. Die Entwicklung der internationalen Sicherheitsdiskussion auf der Berliner Konferenz hat deutlich gemacht, daß auf dem Wege einer regional so beschränkten Verteidigungsorganisation, wie die EVG sie darstellt, eine effektive Sicherheit für ein einzelnes Volk oder für eine Gruppe von Völkern unter den heute gegebenen Bedingungen nicht erreichbar ist.
Die Sozialdemokratie ist außerdem durch den Verlauf der Debatte auf der Berliner Konferenz noch mehr in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft be-. stärkt worden.
({47})
Die Art und Weise, wie von den westlichen Außenministern der EVG-Vertrag als ein Sicherheitsinstrument zur Kontrolle über Deutschland den Sowjets präsentiert wurde, hat in drastischer Weise unsere Argumentation bekräftigt, daß es sich bei diesem Vertrag nicht um einen Vertrag auf der Ebene der Partnerschaft und der Gleichberechtigung handelt.
({48})
Ich will in diesem Zusammenhang nicht über die Frage streiten, inwieweit die Vorbereitung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft Sowjetrußland gehindert hat, freien Wahlen zuzustimmen.
({49})
Aber in Berlin ist für uns ein anderes wichtiges Problem aufgetaucht, nämlich, ob die von den westlichen Außenministern vorgeschlagene Interpretation, daß eine gesamtdeutsche Regierung frei sei, internationale Verträge wie den Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft anzunehmen oder abzulehnen, tatsächlich mit den Bestimmungen des Vertrages, der ja von der Bundesregierung unterzeichnet worden ist, zu vereinbaren ist, jedenfalls im Verhältnis gegenüber den Vertragspartnern, die nicht auch gleichzeitig Vertragspartner des Generalvertrages sind. Der frühere französische Außenminister M. Robert Schuman hat die Berliner Zusage als unvereinbar mit dem Vertrag angegriffen.
({50})
Auf jeden Fall stellt sich doch für uns die Frage,
welche der beiden Auffassungen richtig ist. Bindet
der Vertrag tatsächlich auch eine zukünftige gesamtdeutsche Regierung, wie M. Schuman behauptet, so
kann doch nicht bestritten werden, daß er die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erschwert.
({51})
Wenn so die Sozialdemokratische Partei ihren ablehnenden Standpunkt gegenüber der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in vollem Umfange aufrechterhalten muß, so möchte ich noch einmal und, wie ich hoffe, damit zur endgültigen Ausmerzung des Unfugs des Geredes über die angebliche Ohne-mich-Politik oder Neutralisationspolitik der Sozialdemokratie feststellen, daß die Ablehnung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft nicht die Ablehnung einer Politik der militärischen Sicherheit für unser Volk bedeutet.
({52})
Die Sozialdemokratische Partei hat sich auf ihrem Dortmunder Parteitag im Jahre 1952 in ihrem Aktionsprogramm ausdrücklich zu einem System der kollektiven Sicherheit mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten bekannt.
({53})
Wir haben diesen in unserem Aktionsprogramm aufgestellten Grundsatz vor vielen Monaten in unserem Handbuch sozialdemokratischer Politik im einzelnen dargestellt, und wir haben darüber hinaus für die Zeit der Existenz der Bundesrepublik Deutschland folgendes über unseren Standpunkt in der Frage der Sicherheit der Bundesrepublik ausgeführt. Da heißt es:
Solange die staatliche Einheit Deutschlands nicht wiederhergestellt ist, kann die Bundesrepublik an gemeinsamen Anstrengungen der freien Welt zur Sicherung des Friedens nur teilnehmen, sofern gewährleistet sind
a) die Gleichberechtigung der Bundesrepublik gegenüber allen anderen Teilnehmerstaaten;
b) die Gleichwertigkeit der Bedingungen für die Sicherheit und die Lebensinteressen jedes Teilnehmerstaates;
c) die ausdrückliche Übereinstimmung aller Teilnehmerstaaten, Deutschlands Anspruch auf Wiederherstellung einer staatlichen Einheit anzuerkennen und die Bundesrepublik in ihrem Streben nach friedlicher Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zu unterstützen;
d) keine Bindung der frei . gewählten gesamtdeutschen Regierung durch vertragliche Verpflichtungen, die die Bundesrepublik eingeht, sondern Kündbarkeitsklausel für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands in jedem Vertrag. Die Bundesrepublik muß angesichts der durch die Spaltung Deutschlands geschaffenen besonderen Lage darauf bestehen, die Kräfte der USA und Großbritanniens durch festes Engagement mit den eigenen militärischen Anstrengungen der Bundesrepublik zu verbinden.
Damit die Bundesrepublik den ihr zukommenden Anteil an solchen gemeinsamen Anstrengungen zur Sicherung des Friedens übernehmen und erfüllen kann, ist nach der Aufhebung des Besatzungsstatuts ihr rechtlicher Status so zu bestimmen, daß sie - ungeachtet
({54})
des Art. 107 der Satzungen der UN - die vom Statut der UN für die Mitgliedschaft geforderten Voraussetzungen erfüllt.
Meine Damen und Herren, ich möchte diese sehr klaren und präzisen Feststellungen hier noch einmal herausgestellt haben und gerade jetzt mit allem Nachdruck noch einmal auf die Voraussetzungen verweisen, in denen davon gesprochen wird, daß jede deutsche Sicherheitsverpflichtung, die die Bundesrepublik eingeht, nicht im Gegensatz zu unserer Politik der Wiedervereinigung stehen darf und daß Verträge dieser Art mit einer ausdrücklichen Kündigungsklausel für den Fall der Wiedervereinigung verbunden sein müssen.
({55})
Die deutsche Politik steht nach dem Ausgang dieser ersten Berliner Vier-Mächte-Konferenz vor zwei entscheidenden Aufgaben, die zueinander gehören: Erstens muß sie alles tun, was in den Kräften der Bundesrepublik steht, die Frage der deutschen Wiedervereinigung in Freiheit in alle Fühlungnahmen und Gespräche mit den Regierungen der Besatzungsmächte hineinzubringen. Sie muß zu ihrem Teil dazu beitragen, daß die Verhandlungssituation, die sich in Berlin gezeigt hat, offenbleibt und immer wieder ausgenutzt wird. Für die deutsche Politik darf die Berliner Konferenz weder ein Zwischenspiel noch ein Abschluß sein.
({56})
Zweitens muß die Bundesregierung versuchen, durch ständige intensive Bemühungen das Leben der Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone erträglicher zu machen und die Beziehungen zwischen den Deutschen aller Zonen und Berlins soweit wie möglich zu normalisieren. Auf diese Weise sollte angestrebt werden, daß der allgemeine Zug zu einer Entspannung seinen Niederschlag auch in den innerdeutschen Verhältnissen findet. Beide großen Aufgaben gehören zusammen und stehen unter der zentralen Forderung, das Klima für erneute und erfolgreichere Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit günstiger zu gestalten.
({57})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl der Herr Bundeskanzler wie auch mein Vorredner, Herr Kollege Ollenhauer, haben ihre Analyse der Berliner Konferenz damit begonnen, daß sie zum Ausdruck brachten, die Berliner Konferenz habe zwar keinen Erfolg gezeitigt, sei aber auch nicht gescheitert; aus diesem Verlauf der Konferenz könnten wir die Hoffnung mitnehmen, daß die Gespräche über die Frage der deutschen Wiedervereinigung nicht abreißen werden. Ich glaube, daß man das nachdrücklich unterstreichen soll. Aber auch wenn wir diese Hoffnung behalten und wenn wir wissen, daß der Verlauf der Berliner Konferenz uns die Sicherheit gibt, daß die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr von der Tagesordnung internationaler Konferenzen verschwindet, müssen wir uns doch über die tiefe Enttäuschung Rechenschaft geben, die jeden Menschen in Deutschland, gleichgültig, ob er im Gebiet der Bundesrepublik oder in der sowjetisch besetzten Zone lebt, erfüllt hat, als er von dem Ausgang dieser Konferenz erfuhr.
({0})
Wir müssen es aussprechen, gerade hier, weil drüben 18 Millionen Menschen leben, die das nicht einmal aussprechen dürfen.
({1})
Wir müssen es auch aussprechen, weil man manchmal doch den Eindruck haben könnte, daß nicht alle Menschen sich des Wertes der Freiheit, die sie hier genießen, so bewußt sind, um das nötige Verständnis für die ungeheure Not dieser 18 Millionen drüben aufzubringen.
({2})
Wir können hier über die Enttäuschung sprechen. Aber wir wissen, daß, auch wenn die deutsche Frage offenbleibt, doch wohl unser Leben, unsere politische, unsere materielle Existenz nicht in Unruhe geraten. Die Menschen drüben in der sowjetisch besetzten Zone haben sicherlich das Ende der Konferenz noch ganz anders empfunden und miterlebt. Es geht nicht darum, daß wir etwa ihre wirtschaftliche Notlage beklagen - ich glaube, daß das die wenigsten drüben hören wollen -, sondern es geht darum, daß wir uns darüber klarwerden, was es bedeutet, nunmehr seit neun Jahren unter diesem unerträglichen geistigen und seelischen Druck zu leben, in dieser Unfreiheit, die den Menschen daran hindert zu denken, weil ihm das Differenzierungsvermögen fehlt, zu diskutieren, weil ihm der Partner fehlt, und zu kritisieren, weil ihm der Mut dazu genommen wird. Diese Menschen haben jetzt erleben müssen, daß am vergangenen Donnerstag die Berliner Konferenz mit einem Kommuniqué zu Ende ging, das auf ihre Frage keine Antwort gab.
Sowohl der Herr Bundeskanzler wie auch der Herr Kollege Ollenhauer als Sprecher der Sozialdemokratischen Partei haben das Ergebnis dieser Konferenz analysiert, die genau vor einem Monat, am 25. Januar, in Berlin zusammengetreten ist. Ich glaubte zu Eingang der Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer, daß zumindest in der Analyse doch eine weitgehende Übereinstimmung festzustellen sei. Aber ich habe mich dann - ich darf sagen: leider - davon überzeugen müssen, daß schon in der Ausgangsstellung eine sehr wesentliche Meinungsverschiedenheit besteht, die ich hier offen ansprechen möchte.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat davon gesprochen, daß man in Berlin gleichmäßig die Frage der freien Wahlen und der Sicherheit behandelt habe. Er sprach dann davon, daß die Prozedur der freien Wahlen und der völkerrechtliche Status eines wiedervereinigten Deutschlands behandelt worden seien. Hier scheint mir allerdings ein entscheidender Gegensatz zwischen meiner Auffassung und der des Kollegen Ollenhauer zu bestehen. Aber hier scheint mir auch Herr Kollege Ollenhauer die Entwicklung falsch zu deuten. Denn auf der Berliner Konferenz hat man sich ja eben nicht über die Prozedur der Wiedervereinigung unterhalten können.
({3})
Die Diskussion über die freien Wahlen ist gar nicht in Gang gekommen.
({4})
({5})
Die Frage der freien Wahlen, die wir bewußt auch in allen Entschließungen des Bundestages an die Spitze gestellt haben - nicht nur ihrer politischen Bedeutung wegen haben wir ihr die Priorität eingeräumt, sondern wir sind auch davon ausgegangen, daß der Prozeß der Wiedervereinigung schlechthin nur mit freien Wahlen beginnen kann-, ist in Berlin nicht diskutiert worden. Herr Molotow als Sprecher der sowjetischen Regierung hat vom ersten bis zum letzten Tag keinen Zweifel daran gelassen, daß er freie Wahlen zumindest zur Zeit noch nicht zu akzeptieren bereit ist, gleichgültig, welchen Preis man zu zahlen gewillt wäre.
({6})
Daraus scheint sich dann auch die Verschiedenheit der Auffassungen zu erklären, nicht nur in bezug auf das Resultat der Berliner Konferenz, sondern auch bei einem Gespräch darüber, welche Folgen für uns daraus entstehen und welche Folgerungen wir zu ziehen haben.
Ich glaube, man sollte auch hier noch einmal an folgendes erinnern. Ich tue es, wenn ich auch annehme, daß ich Widerspruch hören werde. Diese Berliner Konferenz, diese erste Begegnung der vier Siegermächte, die die Potsdamer Beschlüsse gefaßt haben und die - das wissen wir alle - allein in der Lage sind, die unselige Teilung unseres Vaterlandes wiederaufzuheben, ist zustande gekommen, nicht weil der Westen und nicht weil wir abwarteten, nicht weil wir unentschlossen waren und zögerten; sie ist einzig und allein nur deswegen zustande gekommen, weil der Osten, weil Sowjetrußland erkannte, daß die Bundesrepublik zusammen mit der freien Welt eine Politik der gegenseitigen Befriedung, der gegenseitigen Freundschaft und des Vertrauens, aber gleichzeitig eine Politik der Entschlossenheit, den Frieden zu erhalten und zu verteidigen, eingeleitet hat.
({7})
Niemals wäre diese Konferenz zustande gekommen - ich glaube, das sagen zu können -, wenn wir das getan hätten, was wir in den letzten Jahren manchmal als Ratschlag hören mußten: wenn wir nämlich gar nichts getan hätten.
({8})
Darum möchte ich auch jetzt sagen: Wir werden diesen Ratschlag auch für die Zukunft nicht annehmen.
({9})
Ich bin nicht der Meinung, daß auch nur der geringste Anlaß dazu besteht, dieses politische Junktim herzustellen, das heute wieder von der Opposition, wenn auch etwas zurückhaltender, vertreten worden ist. Es wird nämlich behauptet, daß die Politik der Bundesregierung, die Politik der europäischen Verständigung und Einigung, geeignet sei, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erschweren oder gar zu verhindern. Ich darf vielleicht daran erinnern, was in diesem Haus am 27. September 1951 ausgesprochen worden ist:
Und so wäre mit der Wiedervereinigung Deutschlands ein entscheidender Schritt getan, um die heute so komplizierten Fragen der Zusammenarbeit der Völker, der Zusammenarbeit Europas, einfacher lösen zu können, als es heute möglich erscheint. Es ist ja nicht so, wie es neuerdings nicht nur in einem SED-offiziösen Artikel, sondern mitunter auch hier im sogenannten Westen dargestellt wird: entweder deutsche Einigung oder europäische Zusammenarbeit, sondern es ist doch so: europäische Zusammenarbeit in der Erkenntnis der Notwendigkeit und mit dem Ziel der deutschen Einigung. Und es ist auch so: deutsche Einigung mit dem Ziel der europäischen Zusammenarbeit.
Der Redner zitierte dann als „verheißungsvolles Anzeichen" eine Entschließung der Europäischen Konferenz in Hamburg, in der es hieß:
Die Einfügung eines freien Deutschland in ein freies Europa kann die Einheit Deutschlands weder in Frage stellen noch verhindern. Sie erscheint vielmehr als der angemessenste Weg zu ihr.
Meine Damen und Herren, ich darf vielleicht fragen, ob diese sehr grundsätzliche Erklärung, die am 27. September 1951 vom Herrn Kollegen Wehner abgegeben worden ist,
({10})
auch heute noch von der Sozialdemokratie als richtig anerkannt wird.
({11})
- Wenn das so ist, dann ist, glaube ich, die Argumentation nicht mehr ganz überzeugend und glaubwürdig, daß diese Politik der europäischen Verständigung, diese Politik der europäischen Einigung die Wiedervereinigung zu hindern oder auch nur zu erschweren vermöge.
({12})
Der Herr Kollege Ollenhauer - ich möchte darauf noch eingehen - hat sich, als er sich gegen die Fortführung einer solchen Politik gewandt und zum Ausdruck gebracht hat, daß seiner Überzeugung nach die Gespräche zwischen den vier Mächten durch die Fortsetzung dieser Politik gefährdet werden könnte, sehr leidenschaftlich gegen den Vorwurf gewehrt, daß seine Partei oder seine Fraktion etwa mit dem Gedanken einer Neutralisierung liebäugle.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat uns dann einiges aus einem Handbuch vorgelesen. Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zu sagen: Es wäre ganz gut, wenn wir nicht nur auf die Benutzung sozialistischer Handbücher verwiesen würden, sondern wenn man diese Erklärungen auch in der Vergangenheit mit der wünschenswerten Offenheit vor dem deutschen Volk abgegeben hätte.
({13})
- Herr Kollege, ich glaube, wir sind hier, um zu diskutieren. Sonst könnten wir uns ja darauf beschränken, Herr Kollege Mellies, hier heraufzugehen und zu sagen: Lesen Sie bitte das Buch . . . Seite soundsoviel!
({14})
Wenn Sie das wünschen, kann ich Ihnen eine ganze Menge ausgezeichneter Lektüre empfehlen. Beispielsweise würde ich empfehlen, aus der letzten Zeit die „Neue Zürcher Zeitung", die „Basler Nachrichten", die „Basler National-Zeitung", das „Journal de Genève" und den „Economist" nachzulesen, um dort einmal festzustellen, daß Ihnen für Ihre Partei eines gelungen ist, was wir für Deutsch({15})
land verhindern wollen, - daß es Ihnen gelungen ist, sich hoffnungslos zu isolieren.
({16})
Ich stelle noch einmal fest, daß Herr Kollege Ollenhauer sich sehr leidenschaftlich und ernst gegen eine Politik der Neutralisierung ausgesprochen hat, und ich begrüße es, daß das heute wieder mit dieser Klarheit gesagt worden ist. Ich begrüße es, daß wieder gesagt worden ist, daß selbstverständlich auch die Sozialdemokratie nicht die Notwendigkeit einer Einbettung Deutschlands in ein System der Sicherheit und seiner Teilnahme an einem solchen System bestreite.
Eines ist mir dabei nicht ganz klargeworden, und diese Frage bitte ich stellen zu dürfen: Wann soll eigentlich dieser Moment eintreten? Ich fürchte, wenn wir Ihren Weg gehen, Herr Kollege Ollenhauer, dann wird diese Sicherheit überhaupt erst dann wirksam, wenn wir sie nicht mehr brauchen.
({17})
- Nein,
({18})
das war kein Kurzschluß. Aber vielleicht war es zu rasch, um verstanden zu werden!
({19})
Lassen Sie mich auf diese Frage noch einmal eingehen. Zu welchen Konsequenzen würde - und ich sage das nun wirklich ohne jede Polemik, ich möchte, daß wir darüber reden - die Politik führen, die uns hier von der Opposition empfohlen wird? Wie früher bleibt sie uns doch die Erklärung darüber schuldig, was denn unter einem solchen System der kollektiven Sicherheit verstanden werden soll, wie es entstehen und wie es wirksam werden soll. Wir haben heute auch die Anspielung gehört: Deutschland in die Vereinten Nationen einbauen. Meine Damen und Herren, darüber gibt es wahrscheinlich keine Meinungsverschiedenheiten zwischen uns, daß wir sehr glücklich wären, wenn wir schon den Vereinten Nationen angehörten.
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Es ist ja nicht unsere Schuld, wenn das bisher nicht geschehen ist. Wenn wir uns auch der problematischen Möglichkeiten, die die Vereinten Nationen besitzen, durchaus bewußt sind, so, glaube ich, gehört Deutschland auf jeden Fall in den Kreis der Vereinten Nationen, um an ihren Bestrebungen und immerhin auch an den Garantien teilnehmen zu können, die eine solche Mitgliedschaft mit sich bringt. Aber Sie werden mir, glaube ich, doch alle darin zustimmen müssen: Weder die Frage der deutschen Wiedervereinigung noch die Frage der deutschen Sicherheit ist gelöst, wenn wir die schriftliche Mitteilung des Generalsekretärs der UNO bekommen, daß wir als Mitglied aufgenommen sind.
Ein Verzicht auf die Integrationspolitik, wie er von uns gefordert wird, würde uns - ich wiederhole es - nach den Erfahrungen der Berliner Konferenz der Wiedervereinigung nicht näherbringen; denn bis zur Stunde ist die Wiedervereinigung nicht an dem starren Festhalten der westlichen Welt oder gar Deutschlands an einer schädlichen Politik gescheitert, sondern an dem Nein auf die Forderung nach freien Wahlen.
Ein Deutschland aber, das die Integrationspolitik ablehnen würde, würde sich doch - und darüber müssen wir uns klar sein - bewußt und eindeutig in die Isolierung begeben. Die vielleicht entscheidende Voraussetzung für das neugeschaffene Vertrauens- und Freundschaftsverhältnis mit der freien Welt ist doch das Bekenntnis, daß Deutschland zur freien Welt gehört und als integraler Bestandteil dieser freien Welt angehören und mit ihr zusammenarbeiten will.
Die Frucht dieser Politik hat sich, wie ich glaube auch hier sagen zu können, in Berlin gezeigt. Man kann doch - und ich unterstreiche, was der Herr Bundeskanzler in bezug darauf gesagt hat - die Tatsache nicht hoch genug werten, daß zwar auf der Berliner Konferenz kein Stuhl für einen deutschen Vertreter frei war, weil Deutschland ja noch keinen Sprecher hat, der dieses gemeinsame deutsche Anliegen dort hätte vertreten können, daß aber die drei westlichen Außenminister dieses so bedeutungsvolle deutsche Anliegen auf der Konferenz in einer Weise vertreten haben, von der ich nur sagen kann: Wir haben Grund, den Dank, den auch der Herr Bundeskanzler hier ausgesprochen hat, aus innerer Überzeugung und aus aufrichtiger Gesinnung zu wiederholen.
({21})
Ein Deutschland aber, das sich in die frei gewählte Isolierung begeben und damit ausdrücken würde, daß es unabhängig - ein gefährliches Wort! - und ohne enge Bindung zwischen dem Osten und dem Westen bestehen wolle, würde wohl - darüber müssen wir uns klar sein - auf einer kommenden Konferenz eine andere Lage vorfinden.
({22})
Die Haltung Sowjetrußlands würde sich ändern, und zwar zum Nachteil Deutschlands; denn die Unentschlossenheit, die Unsicherheit und die Unklarheit werden Rußland logischerweise erst recht bestimmen, seine Ansprüche zu erhöhen. Und der Westen? Die freie Welt würde zwangsläufig ebenfalls - und sei es auch nur aus einem berechtigten Selbsterhaltungstrieb - die Konsequenzen ziehen. Wir selbst würden, wie ich fürchte, das Potsdamer Abkommen durch eine solche Politik in seinem ganzen Umfang wieder in Kraft setzen und isoliert als besiegtes und unfreies Volk ein Objekt der Verhandlungen der vier Sieger werden, deren Interessen sich dann auf Kosten Deutschlands wahrscheinlich leichter zusammenführen ließen.
({23})
Es scheint mir aber auch ein recht müßiges und manchmal sogar gefährliches Wortspiel zu sein, sich gegen die Neutralisierung Deutschlands zu wehren, wenn man sie in der praktischen Konsequenz doch fordert.
({24})
Wie soll ein Sicherheitssystem beschaffen sein, das Deutschland, dem gesamten deutschen Volk, die Freiheit garantieren würde, ohne daß Deutschland selbst an der Erhaltung der Freiheit und ihrer Sicherung beteiligt wird?
({25})
Was soll ein Hinweis auf die Vereinten Nationen, wenn wir doch alle wissen, wie sich diese mit so viel ehrlichem Willen und so viel guter Zukunftshoffnung geschaffene Institution entwickelt hat?
({26})
Wir wissen, zumindest auch jetzt seit .der Berliner Konferenz, wie sich Sowjetrußland ein solches Sicherheitssystem vorstellt. Mit dankenswerter Offenheit hat es ja der russische Außenminister zu erkennen gegeben, warum er Deutschland von der freien Welt trennen möchte. Um es nämlich unerbittlich und konsequent in den Machtbereich des bolschewistischen Herrschaftssystems und seiner Satellitenstaaten einzubeziehen. Wer den Entwurf des Friedensvertrages gelesen hat - der Herr Bundeskanzler hat ihn erwähnt und hat auch die Tatsache erwähnt, daß dieser Friedensvertrag, der bereits der Note vom 10. März 1952 beilag, in recht entscheidenden Punkten zum Nachteil Deutschlands abgeändert war, als er in Berlin wieder auf den Tisch der Konferenz gelegt wurde -, konnte feststellen, wie dieses Deutschland beschaffen sein soll. Eine gesamtdeutsche Regierung soll gebildet werden, in der die Vertreter Pankows neben den Vertretern der Bundesrepublik sitzen. Auf den Inhalt des Friedensvertrages soll ein freies Deutschland keinen Einfluß haben, und freie Wahlen sollen vorbereitet werden, um die Demokratie so zu verwirklichen, wie Sowjetrußland sich eine demokratische Ordnung vorstellt. Von dem Recht, auch nur eine echte Neutralität zu sichern, hat Herr Molotow weder in seinem Fünf-Punkte-Programm noch in seinem Friedensvertragsentwurf noch in seinem Sicherheitspaktvorschlag auch nur ein Wort erwähnt.
({27})
Dieses Deutschland wäre nicht nur isoliert, also von seinen Freunden getrennt, es wäre nicht nur neutralisiert und vollkommen wehrlos, ein Objekt des politischen Geschehens zwischen den großen Mächtegruppen, deren Interesse an Deutschland dann ein anderes wäre als heute, es wäre auch - darüber müssen wir uns ebenfalls klar sein - auf die Dauer kontrolliert. Die Kontrolle würde sich auf die Einhaltung der Neutralitätsvorschrift, der Waffenlosigkeit, auf die Durchführung des Friedensvertrages erstrecken und vielleicht auch darauf, daß Deutschland, wie man in Berlin zu sagen beliebte, von „friedliebenden und demokratischen Kräften" regiert würde. Ich habe die Sorge, wenn diese Kontrolle wirksam würde, hätte keiner von uns in diesem Hohen Hause mehr das Recht, einem deutschen Parlament anzugehören.
({28})
Herr Molotow hat es übrigens ausgesprochen, daß seine Vorstellungen von denen der anderen abweichen, als er sagte:
Wir verschließen nicht die Augen davor, daß in dem, was unter freien Wahlen in Deutschland zu verstehen ist, der Standpunkt der Sowjetunion in mancher Hinsicht mit dem der drei westlichen Staaten nicht zusammenfällt.
Es ist mir wirklich schwer verständlich, daß sich irgend jemand über die Konsequenzen nicht klar sein sollte, die zwangsläufig ausgelöst würden, wenn die Bundesrepublik Deutschland nun die Richtlinien ihrer Politik ändern und die Politik aufgeben wollte, die uns bis hierher geführt hat.
({29})
Weiß denn derjenige, der diese Politik kritisiert, nicht, welche Auswirkungen es haben müßte, sowohl auf das politische freundschaftliche Verhältnis zu der freien Welt wie auch auf die gesamte wirtschaftliche Entwicklung unserer Bundesrepublik, wenn wir heute von uns aus diese Freundschaf t, die zu erringen so viel Mühe und so viel Verständnis auf der anderen Seite gekostet hat, aufkündigten?
({30})
Hier möchte ich den Economist zitieren, den der Kollege Brandt vor einem Jahr einmal zitiert hat, als er den Bundeskanzler kritisierte. Deswegen wird es mir vielleicht erlaubt sein, ihn auch hier zu zitieren, wenn er ausnahmsweise uns einmal recht gibt.
({31})
- Ja, ja, ausnahmsweise, weil der Economist durchaus nicht meiner Partei angehört, wenn Sie das nicht wissen sollten.
({32})
Der Economist schreibt unter der Überschrift „Erfolg eines Mißerfolgs":
Die Russen machen niemals den Fehler, den Preis zu nennen, den sie zu zahlen bereit sind, bevor der Handel beginnt. Sie werden auch von den westlichen Staaten gar keine Garantien ihrer Sicherheit verlangen oder annehmen, solange amerikanische Streitkräfte und Stützpunkte auf dem Kontinent vorhanden sind. Sie lehnen es ab, ihre vorgeschobenen Stellungen in Ostdeutschland und Österreich aufzugeben. Sie bestehen auf einer Art der Einigung Deutschlands, die auf der Ausschreibung von Wahlen durch eine provisorische Regierung beruhen würde, nachdem ein Friedensvertrag auferlegt wäre und nachdem Wahlen durchgeführt wären zugunsten des Kommunismus in Deutschland.
Und dann fährt der „Economist" fort - die Nummer ist vorgestern, glaube ich, erschienen -:
Auf jeden Deutschen, der bisher die Bundespolitik des Kanzlers vertreten hat, die darin bestand, die Integration der westlichen Welt voranzutreiben, gab es einen anderen Deutschen, der der Meinung war, daß man eine andere Reihenfolge wählen, nämlich die Wiedervereinigung vorwegnehmen müsse. Herr Molotow hat den wertvollen Dienst geleistet, daß er nun das Argument der Sozialdemokraten entkräftet hat, daß Dr. Adenauers Bekenntnis zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft das entscheidende Hindernis einer deutschen Wiedervereinigung sei.
({33})
Denn die Russen haben nicht etwa die Verteidigungsgemeinschaft abgelehnt, sie haben freie Wahlen abgelehnt.
({34})
Wenn Sie, meine Damen und Herren, heute morgen die ersten Berichte von der Unterhausdebatte in London verfolgen, werden Sie auch darin feststellen, daß diese Interpretation mit der Auslegung, die Herr Eden dem Unterhaus vorgetragen und Herr Morrison als Sprecher der Opposition bekräftigt hat, voll und ganz übereinstimmt,
({35})
ebenso auch mit der Darstellung, die der französische Außenminister, Herr Bidault, gestern vor
({36})
dem Außenpolitischen Ausschuß seiner Kammer gegeben hat.
({37})
Ich habe nicht die Absicht, noch auf das Letzte zu antworten, was Herr Kollege Ollenhauer ausgeführt hat. Ich beabsichtige nicht, nun noch einmal über den Verteidigungsvertrag zu sprechen, der ja von diesem Hohen Hause bereits ratifiziert ist.
({38})
Ich habe auch nicht die Absicht, die einzelnen Argumente zu widerlegen, wobei ich Herrn Kollegen Ollenhauer allerdings sagen darf: vielleicht sollte er doch ein wenig Verständnis dafür haben, daß es klug von den westlichen Außenministern war - und ich glaube, Sie haben das ja selbst begrüßt -, in einer vernünftigen und geschmeidigen Form in Berlin zu verhandeln und den Sowjetrussen ihre angebliche Furcht vor diesem Vertrag zu nehmen.
Ich sehe auch gar keinen Widerspruch, Herr Kollege Ollenhauer, in dem, was Herr Bidault in Berlin über den Wert und die Auslegung des Art. 7 Abs. 3 des Deutschland-Vertrages gesagt hat, und schließe mich vollkommen dem an, was der Herr Bundeskanzler dazu ausgeführt hat. Ich glaube, Herr Bidault hat es gestern - ich fand es gerade in der Zeitung - noch einmal sehr richtig erläutert. Damit dürfte vielleicht ein sehr wesentliches Bedenken Ihrer Seite gegen diesen Vertrag wegfallen.
({39})
Auf die Frage eines Ausschußmitgliedes, ob ein wiedervereinigtes Deutschland die Möglichkeit haben werde, aus der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft auszuscheiden, erwiderte der Minister:
Juristisch ist das sehr wohl möglich. Es besteht aber kein Zweifel daran, daß politisch einem wiedervereinigten Deutschland sehr wichtige Bindungen auferlegt wären.
Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Darlegung ist vollkommen richtig. Wir können - und das bringt Art. 7 Abs. 3 zum Ausdruck - zunächst nur die Bundesrepublik binden. Aber wir werden ja den politischen Willen dieser Bundesrepublik in ein wiedervereinigtes Deutschland einbringen,
({40})
und ich bin vermessen genug, zu glauben, Herr Kollege Ollenhauer, daß an dem Tag, an dem wir dann die gesamtdeutschen Wahlen durchführen würden, die Mehrheit in diesem Hause noch viel weiter hinüberginge.
({41})
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Auch ich
bitte die Bundesregierung - ohne daß ich es als
Aufgabe dieser Diskussion ansehe, Einzelheiten
auszuführen -, alles zu tun, was in ihrer Macht
steht, um mitzuhelfen, daß diese tiefe Enttäuschung drüben in der sowjetisch besetzten Zone
Deutschlands und in der Stadt Berlin doch einen
Ausgleich findet in der nicht nur mit Worten betonten, sondern mit Taten bewiesenen Hilfsbereitschaft des ganzen deutschen Volkes. Wir werden
uns anstrengen müssen, auch das Unmögliche
möglich zu machen, um den Menschen drüben nicht
nur ein Lippenbekenntnis der inneren Verbundenheit und Treue abzugeben, sondern ihnen auch zu
zeigen, daß das Volk in der Bundesrepublik, wenn nötig, selbst bereit ist, schwere Opfer zu bringen, um den Menschen drüben ihr Leben auch nur um ein Weniges zu erleichtern.
({42})
Die Bundesregierung wird uns immer bereit finden, ihr auf diesem Wege zu folgen, und die Bundesregierung wird sicherlich damit einverstanden sein, daß wir, ebenso wie es Herr Kollege Ollenhauer angekündigt hat, unsere eigenen Vorschläge und Pläne zur Diskussion stellen.
Abgesehen von dem, was wir zu tun haben, um diese Enttäuschung aus der Welt zu schaffen, und abgesehen von dem, was wir zu tun haben, um - darin stimme ich mit Herrn Kollegen Ollenhauer vollkommen überein - die Welt und insbesondere die drei westlichen Alliierten, die sich in Berlin zum Sprecher des deutschen Anliegens gemacht haben, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die deutsche Frage von der Tagesordnung nicht verschwinden darf, weil Deutschland und Europa nicht in Frieden leben, solange diese Trennung durch Deutschland geht, bin ich der Überzeugung, daß wir keine andere Aufgabe haben, als konsequent und unbeirrt die Politik fortzusetzen, die uns bis hierhin gebracht und die dazu geführt hat, daß unser Anliegen nach Jahren erstmals wieder überhaupt im internationalen Gespräch erschien.
Ich glaube, auch die Opposition sollte nicht überrascht sein, wenn wir diese Konsequenz ziehen. Ich halte es nicht für gut, wenn uns der Vorwurf gemacht wird, die Behandlung der Verfassungsergänzung, die für morgen angesetzt ist, könne doch irgendwie provozieren. Ich glaube, daß diese Kritik der Opposition nicht zusteht. Man sollte doch zum mindesten die Kritik einmal aussetzen, bis andere, die mehr Recht haben, sich provoziert fühlen.
({43})
Es ist auch nicht nötig, uns heute schon vorzuhalten: „Wartet nur ab, was Frankreich übermorgen sagen wird!"
({44})
Meine Damen und Herren ({45}), Sie haben viel Verständnis für die Verständnisbereitschaft Molotows während der Berliner Konferenz bewiesen. Ich bin überrascht, daß Sie Ihr Verständnis nun offenbar auch auf die europafeindlichen Tendenzen in Frankreich ausdehnen wollen.
({46})
Selbstverständlich weiß ich, daß wir mit einer Kritik dort drüben zu rechnen haben, denn auch in Frankreich gibt es solche, die noch nichts hinzugelernt haben.
({47})
Aber diese Kritik fürchte ich nicht, weil ich der Überzeugung bin, daß auch in Frankreich die Mehrheit des Parlaments und des Volkes diesen Weg versteht und für richtig hält und ihn mit uns zu gehen bereit ist.
({48})
Im übrigen glaube ich, wenn es noch einer Rechtfertigung für die Entschlossenheit, diesen Weg weiterzugehen, bedürfte, hätten wir diese Rechtfertigung doch am 6. September vorigen Jahres für uns errungen. Das ist nicht nur eine Rechtferti({49})
gung, diesen Weg weiterzugehen, sondern - wenn
man die Demokratie so versteht, wie ich sie verstehe - ein echter Auftrag des deutschen Volkes,
({50})
das zu tun, was damals gebilligt und von uns weiterzuführen verlangt worden ist.
({51})
Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Entwicklung zu einem engen europäischen Zusammenschluß, den wir anstreben, rasch vorangetrieben würde. Denn wenn auf einer Konferenz, auf der das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands erörtert wird, nicht nur die Vereinigten Staaten von Nordamerika, das Vereinigte Königreich und Frankreich vertreten wären, sondern auch ein Sprecher Europas säße. hätten wir eine zusätzliche Unterstützung, die vielleicht nicht nur dazu beitragen könnte, das Gewicht unseres Anliegens zu erhöhen, sondern vielleicht entscheidend dazu beitragen könnte, das angebliche Sicherheitsbedürfnis Rußlands zu befriedigen.
Deswegen ist es mein Wunsch, daß die Integrationspolitik unbeirrt, konsequent und ohne Zeitverlust durchgeführt wird, im Vertrauen darauf, daß die anderen, die uns dabei zum Teil schon vorangegangen sind, wie Holland und Belgien, mit uns diesen Weg gehen, und in der Hoffnung, daß dann die deutsche Frage nicht nur von den ehemaligen Siegern aufgenommen wird, sondern ein Bestandteil der Aufgaben sein wird, die einem vereinigten Europa gestellt sind, daß wir diese Aufgabe in einem großen Europa gemeinsam lösen, um die sowjetisch besetzte Zone als einen Teil des wiedervereinigten Deutschlands und des wiedervereinigten Europas in Freiheit und Frieden bei uns zu sehen.
({52})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über der Berliner Konferenz steht das bittere Fazit: Geblieben ist der Status quo! Ich habe nach dem, was der Herr Kollege Ollenhauer heute dargelegt hat, das schmerzliche Gefühl, auch über diesem Bundestag wird das Wort stehen: Es bleibt der Status quo! Wenn ich die letzten Jahre, den Versuch des ersten Bundestages überblicke, das in Freiheit lebende deutsche Volk aus dem schweren Sturz und dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Abenteuers herauszuführen, dann ist es für mich eine beklemmende Tatsache, daß es uns nicht gelungen ist, nach außen eine einheitliche Politik zu machen. Mir will es als ein schweres Versagen erscheinen, daß ein Volk in der Lage des deutschen, zerrissen, bedroht von einer ungeheuerlichen Macht im Osten, es nicht fertiggebracht hat, sich außenpolitisch auf eine Linie zu bringen, daß der erste Bundestag die Pflicht zur nationalen Solidarität nicht erfüllt hat. Das ist das Schmerzliche an dem, was Herr Ollenhauer uns heute gesagt hat, daß die SPD, die Opposition gewillt ist, diesen Weg weiterzugehen, daß sie sich nicht entschließt, Hemmungen zurückzustellen, Irrtümer einzusehen, sondern daß sie sich auf ihren Irrweg fixiert.
({0})
Wir wollen einmal einen kleinen Rückblick in die Bemühungen des ersten Bundeskabinetts tun, dem deutschen Volke zu helfen, und uns die Haltung der Opposition zu diesen Bemühungen vergegenwärtigen. Der erste Schritt war das Petersberger Abkommen, noch mit den Hohen Kommissaren geschlossen, ein erster Versuch, den Weg ins Freie zu schaffen, die schlimmsten Bedrückungen von uns zu nehmen, die Demontagen zu Ende zu bringen, wieder die Möglichkeit des Schiffbaues, der Schiffahrt zu haben, den Weg in die Welt zu finden. Die Sozialdemokratie hat dieses Abkommen leidenschaftlich bekämpft. Sie hat nein gesagt, hat wegen der Verfassungsmäßigkeit dieses Abkommens, das dem deutschen Volke nur geholfen hat, das Tausenden, Abertausenden von Menschen die Arbeitsplätze erhalten und deutschen Arbeitern neue Arbeitsplätze geschaffen hat, beim Bundesverfassungsgericht Prozesse geführt.
({1})
Sie ist diesen Weg weitergegangen. Die SPD hat nein gesagt zum Europarat. Wir wissen doch heute, was die Tätigkeit, die Wirksamkeit im Europarat und im Ministerrat des Europarats für uns bedeutet haben, diese Möglichkeit deutscher Politiker und deutscher Abgeordneter, wieder im Gespräch zu sein, gleich auf gleich, mit den Abgeordneten der anderen europäischen Staaten, und wie sehr das gedient hat, wieder so etwas wie eine demokratische internationale politische Atmosphäre zu schaffen.
Die Sozialdemokratie hat nein gesagt zum Schumanplan ({2})
für mich immerhin das Modell eines geordneten Europa, das Vorbild eines wirtschaftlichen Großraums als Voraussetzung gesteigerten wirtschaftlichen und sozialen Wirkens.
Die Sozialdemokratie hat nein gesagt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Sie hat nein gesagt auch zur Europäischen politischen Gemeinschaft. Und wieder stehen uns Prozesse am Bundesverfassungsgericht bevor. Soll ich die Leidensgeschichte der Verträge, des Deutschland-Vertrages und des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, schildern? Oft habe ich das Empfinden, das deutsche Volk weiß zuwenig davon, was hier gefehlt worden ist in der Erfüllung nationaler Verpflichtungen!
({3})
Die SPD ist doch dabei, Ballast - ideologischen Ballast - abzuwerfen.
({4})
Will sie da nicht dieses Gepäck, das doch schon muffig geworden ist, das Gepäck einer falschen außenpolitischen Auffassung dazu legen?
({5})
- Nein, ich meine es ernst, Herr Ollenhauer!
({6})
Ich meine es ernst, Herr Mellies, tief ernst!
({7})
Ich habe aus den Erklärungen des Herrn Ollenhauer, aus den Stellungnahmen zur Regierungserklärung einen anderen Willen angenommen, und
ich glaube, ich habe auch alles Gute, was in Ihrer
Erklärung lag, Herr Ollenhauer, aufgenommen. Ich
habe ein höheres Maß an Verpflichtung gegenüber
({8})
dem Schicksal unseres Volkes unterstellt, einen ehrlichen Willen zu einem Gespräch. Herr Ollenhauer, das ist kein echtes Gespräch, das Sie heute geführt haben, sondern das ist ein Sich-Zurückziehen auf Positionen, die doch längst keine Wirklichkeit mehr sind, die auch niemals Wirklichkeit waren, sondern Ausflüchte.
({9})
Wenn man sich die Ausführungen des Herrn Ollenhauer, wie ich es getan habe, ohne jedes Vorurteil angehört hat, dann meint man, er lebt in der Vorstellung einer fast idyllischen Welt,
({10})
in der Vorstellung, es gebe da einen Zusammenschluß vereinter Nationen, einen Zusammenschluß von lammfrommen Staaten.
({11})
- Ja, von den Raubtieren hat der Herr Ollenhauer nichts gemerkt; er hat auf jeden Fall uns nichts merken lassen. Die schauerliche Tatsache, die doch in Berlin ihre Bestätigung gefunden hat, daß diese Welt auseinandergebrochen ist, daß sie aus zwei Fronten besteht und daß es das, was Sie annehmen, gar nicht gibt: die funktionierenden Vereinten Nationen, diese Tatsache ist aus ihren Worten nicht deutlich geworden. Es ist doch das Erschütternde der Berliner Konferenz gewesen, daß dieser Zwiespalt der Welt deutlicher denn je hervorgetreten ist und daß für jeden von uns die Sorge um Europa größer geworden ist denn je. Man hat das Empfinden von zwei Welten, die nicht miteinander sprechen können, die sich am Ende gar nicht verstehen wollen, von zwei Welten, die einander in einer ) dauernd gesteigerten Spannung gegenüberstehen, und dann wird einem bange um dieses Europa. Man hat das Gefühl, daß unsere Situation die des verfallenden, des chaotischen römischen Reiches ist. Überdenken Sie die Entwicklung dieses Europas in den letzten 50, 80 Jahren, diesen Abstieg vom Gipfel der politischen und der wirtschaftlichen Macht in der Welt zu einem zerrissenen, wirtschaftlich ungeordneten, politisch desorganisierten Erdteil, dem dann auch noch vor allem eines fehlt: die große gestaltende Idee, vielleicht auch die großen gestaltenden Persönlichkeiten.
Auch das, glaube ich, ist in Berlin wieder deutlich geworden - ich habe mir die Dinge auch einmal aus der Nähe angesehen und mit den Akteuren gesprochen -: die fremde Welt, die fremde Atmosphäre, die Molotow mitbrachte, fremd doch in allem: in der Regierungsform, in dieser merkwürdigen Welt des Kreml, wo der Blutgeruch - wir wissen die endlose Zahl der Menschen, die ihr Leben geopfert haben, bis zu Berija - aufstieg;
({12})
fremde Welt in der Wirtschaftsorganisation, im Lebensstil, in der Lebensordnung. Sie ist für uns schon eine terra incognita geworden.
Und wer hat sie von uns geschieden? Der Ausgangspunkt der Spaltung ist den Menschen gar nicht mehr deutlich bewußt. Haben w i r gespalten? Ist das nicht der böse Wille der anderen gewesen? Man muß hier und da an der Zonengrenze stehen, muß die tote Strecke an der Grenze sehen, die die anderen geschaffen haben. Die anderen haben gespalten, haben auseinandergerissen. Und haben Sie in Berlin auch nur ein Wort des Willens gehört, diese Spaltung zu überbrücken?
Ich meine, eine realpolitische Betrachtung der Dinge muß von diesem Sachverhalt ausgehen, von dieser Riesenmacht, die sich drüben zusammengeballt und die fast ein Drittel der Menschheit in ihre Einflußsphäre gezogen hat. Mich überfällt immer der schwere Rhythmus eines Goethe-Verses aus dem zweiten Teil des „Faust", wo er die „Gewaltigen" sagen läßt:
Vom Osten kommen wir heran,
und um den Westen ist's getan.
Ein lang und breites Volksgewicht der Erste wußt' vom Letzten nicht.
Man muß, meine ich, diese Gefahr sehen, muß erkennen, daß eines wieder in Berlin deutlich geworden ist: daß Rußland die Hegemonie über Europa in Anspruch nimmt - über das, muß ich schon sagen, was von Europa geblieben ist.
Diesen Herrschaftsanspruch abzuwehren - das ist unsere politische Aufgabe!
({13})
Die Aufgabe ist, alles Erforderliche zu tun, um uns zu behaupten.
Es gibt ja keine Wahl - hierin werde ich auch mit Herrn Ollenhauer einig sein - zwischen der Welt, die ich eben geschildert habe, und der westlichen Welt. Oder wollen wir darüber streiten, daß wir zur westlichen Welt gehören und daß wir mit jener Welt nichts zu tun haben, daß es keine Bindung zwischen uns und denen geben kann, daß dort etwas entstanden ist, was in allem - in allem! - anders ist als wir und unvereinbar ist mit unserem Wesen. Ich meine, unsere Entscheidung für den Westen ist doch unbestreitbar, ist doch gefallen. Dort ist die Gemeinschaft, in die wir gehören, dort sind unsere Ideale, ist unsere Lebensform lebendig, dort weht die Luft der Freiheit, dort besteht der Wille des Friedens.
Deswegen gibt es für uns nur einen Weg, und es scheint mir müßig, von der Möglichkeit anderer Wege zu sprechen.
Hier noch einmal ein Wort zu der Verpflichtung, die die Opposition auch gegenüber der Regierung hat. Am Ende gibt es in der Außenpolitik nur den Weg der Regierung und der die Regierung bildenden Mehrheit des Parlaments. Daneben gibt es keinen anderen Weg in der Außenpolitik.
({14})
Das ist das Wesen der Demokratie. Eine Regierung ist vor allem berufen, ein Volk nach außen zu vertreten. Sie ist die Sprecherin eines Volkes nach außen, und sie entscheidet, wie sich ein Volk nach außen verhält. Eine Opposition kann ihre Meinung geltend machen, aber wenn die Regierung und die Mehrheit des Parlaments entschieden haben, dann hat die Opposition die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sich diszipliniert einzuordnen.
({15})
Ich hatte den Eindruck, meine Damen und Herren, daß sich mit dieser Pflicht das Verhalten der Führer der Opposition während der Berliner Konferenz nicht in Übereinstimmung befand.
({16})
({17})
Es erschien mir unmöglich, daß die Opposition in Berlin und während der Berliner Konferenz von Bonn her ihre Außenpolitik, ihre von der Haltung der verantwortlich handelnden Regierung abweichende Außenpolitik vertrat und in die Waagschale der Verhandlungen zu werfen versuchte.
({18})
Ich sage: Rußland betrachtet Europa als sein Interessengebiet. Deswegen war eine Möglichkeit der Verständigung in Berlin gar nicht gegeben. Das ist meine Überzeugung. Keine Konzession hätte die Russen bewogen, entgegenzukommen. Ich brauche nur auf Österreich zu verweisen. Dort bestanden nicht die Hemmungen, die in der Deutschland-Frage bestehen. Trotzdem kein Entgegenkommen. Wir wissen doch, wie die Entwicklung, die 1946 in Deutschland begann, verlaufen ist. Der Konflikt im Kontrollrat, der Ausgangspunkt der Spaltung Deutschlands, setzte ein, als der damalige amerikanische Außenminister Byrnes allen früheren Gegnern Deutschlands Sicherheit anbot und erklärte, daß Amerika zu diesem Zwecke die Truppen 40 Jahre lang in Europa belassen würde. Das war der Ausgangspunkt der Spannungen, die bis heute andauern: die ablehnende Haltung Amerikas gegen den hegemonialen Anspruch Rußlands in Europa. Zum Bruch im Kontrollrat kam es, als England und Frankreich trotz der ausdrücklichen Warnung Molotows die Marshallhilfe akzeptierten. Alles andere waren dann nur die Steigerungen dieser Spannungen.
Als Ergebnis Berlins müssen wir nüchtern, wenn auch schmerzlich feststellen: der militärische Druck Rußlands auf Mitteleuropa ist in nichts gemindert, und Rußland denkt nicht daran, diesen Druck auch nur zu lockern. Daraus gibt es nur die eine notwendige Konseqenz: alles zu tun, was nur möglich ist, um diesem Druck entgegenzuwirken. Wir wissen, wie sich der Westen verhalten hat. Fehlt es an dem Friedenswillen des Westens? Die ganze westliche Welt hat nach 1945 abgerüstet. Die Vereinigten Staaten haben ihre Luftwaffe verschrottet, haben ihre Schlachtschiffe eingemottet. Nur ein Staat hat gerüstet, hat weiter gerüstet, hat militärische Macht geschaffen, und das war Rußland.
Ich meine immer noch, die Deutschen sollten sich vor Augen halten, welche Gefahr über Europa lag, als Korea geschah, Korea, das beinahe zum Modellfall Europas hätte werden können. Mr. Dulles hat ja in Berlin auch davon gesprochen, wie damals die Dinge liefen: Behandlung der Frage Koreas ungefähr nach den Vorstellungen der Sozialdemokratie für Deutschland. Auch dort die Scheidung eines einheitlichen Staates in zwei Interessensphären - 38. Breitengrad! -, auch dort Vorschlag der Neutralisierung, der Zurückziehung der Truppen. Das geschah 1949, und 1950 hatte der Krieg begonnen. Damals, als „Korea" einsetzte - vielleicht darf man das jetzt, nachdem es Geschichte geworden ist, auch einmal feststellen -, stand in Europa eine einzige amerikanische Division. Danken Sie Gott, daß es dem Stalin in den Sinn kam, in Korea anzugreifen und nicht in Europa!
({19})
- Nun, ich glaube nicht, daß ich damit etwas Un- christliches gesagt habe.
({20})
Ich habe bei jeder Gelegenheit betont, welche Verpflichtung das deutsche Volk gegenüber dem amerikanischen hat. Ich habe immer betont, welche geschichtliche Leistung Präsident Truman damals vollbracht hat, als er dem ersten Versuch Rußlands, zum Angriff vorzugehen, entgegentrat, und daß wir Deutsche den Müttern und den Frauen zu danken haben, die ihre Söhne in Korea auch für uns geopfert haben.
({21})
Wenn man sich auch nur die Behandlung des technischen Ablaufs der Berliner Konferenz vergegenwärtigt, dann weiß man, daß Molotow nicht den Willen hatte, zu einem sachlichen Gespräch über die Deutschlandfrage zu kommen. Man schob das China-Problem vor, die Frage der FünfMächte-Konferenz mit China. Offensichtlich war der Versuch, China ins politische Spiel zu bringen oder zumindest zu erreichen, daß die westliche Welt die Belieferung Chinas mit den Waren, die Rußland selber nicht liefern kann, übernähme, das vordringliche Anliegen Molotows, nicht die europäische, nicht die deutsche Frage. Dann das Geplänkel, das Vorschieben der Weltrüstungskonferenz! Seien Sie mir nicht böse, Herr Ollenhauer, wenn ich ein klein bißchen - ({22})
- Eben, Herr Heiland; wir kennen uns ja schon so lange und so gut, daß wir uns auch in unseren Untiefen nicht mehr wehtun können.
({23})
Als Sie heute wieder ungefähr mit der Stimmung kamen, diese europäischen, diese deutschen Probleme könnten gelöst werden in der Haltung „Seid umschlungen, Millionen!",
({24})
in der Haltung, die Vereinten Nationen und das Sicherheitssystem würden alles lösen, da wurde ich ein klein bißchen erinnert an den Versuch Molotows, die Weltrüstungskonferenz als Problem aufzuwerfen, als es darum ging - „Hic Rhodus, hic salta!" -, über Deutschland und Europa zu sprechen.
({25})
In der Deutschlandfrage ist Molotow ausgewichen. Es ist sehr interessant, was er vorgeschoben hat: diese uns als abgestanden erscheinenden Vorwürfe gegen das deutsche Volk, gegen die deutsche Demokratie, der Vorwurf des Faschismus, der drohenden Aggression, des drohenden Militarismus. Die Absicht war deutlich; man wollte auf Frankreich wirken, man wollte eine Stimmung des Unbehagens in Frankreich vergrößern. Man wollte Frankreich wieder in eine Haltung bringen, daß es glaubt, der Nachbar seines Nachbarn sei sein Freund. Man wollte den Glauben erzeugen, Frankreich müsse wieder Anlehnung an den östlichen Nachbarn Deutschlands finden und auf diese Weise wieder Situationen herbeiführen, die mindestens mit ursächlich waren für die Katastrophen von 1914 und 1939.
({26})
Es ist klar: Rußland hat nicht den Willen, die deutsche Frage zu ordnen. Wir sehen jetzt die Dinge klarer und hoffentlich illusionsloser. Ich vermisse bei den Darlegungen der Opposition, daß diese kühle, ich möchte sagen, eisige Luft Berlins bei ihr die Vorurteile, die Hemmungen und Illusionen nicht weggeblasen hat. Wir sehen keine andere Möglichkeit, in Europa Politik zu treiben, ohne Anlehnung an den Sieger des zweiten Weltkriegs, an die Vereinten Nationen. Amerika hat nach dem ersten Weltkrieg, nicht erkannt, was es bedeutet, zu siegen, daß Sieg viel mehr Pflicht und geschichtliche Verantwortung ist als Recht. Wilson wurde desavouiert. Amerika hat sich nach 1918 isoliert, hat Europa sich überlassen. Auch damit wurde eine der Ursachen gesetzt, die zu der politischen Fehlentwicklung in Deutschland und in Europa zur zweiten Katastrophe führten. Das ist das Große an den amerikanischen Staatsmännern unserer Zeit gewesen, daß sie ,die Verantwortung, die ihnen anheimgefallen ist, aufgenommen haben. Es gibt eine packende Erzählung von einem Zusammentreffen Roosevelts und Churchills auf einem Schlachtschiff - ich glaube, es war 1941 -, als die Zuhörer plötzlich das Gefühl hatten, der Mantel der Herrschaft gleite von den Schultern Churchills auf die Schultern Roosevelts. Das war der große Augenblick, in dem Roosevelt seine geschichtliche Mission erfaßte und durchsetzte. Seine Nachfolger haben sie aufgenommen. Dort ist die Kraft, der wir uns anzuschließen, das ist das Kraftfeld, in das wir uns einzuordnen haben.
Es war erhebend auf der Berliner Konferenz, als Mr. Dulles die Fehler von Jalta und im Anschluß daran die Fehler von Versailles verurteilte und darlegte, wie diese Fehler verdorben und geschadet haben. Ich habe einmal vor Jahren etwas Ähnliches in einer Rede - es sind vier Jahre her - in Hamburg zu sagen versucht und bin seit der Zeit als Sonntagsredner in die Geschichte eingegangen.
({27})
So verschieden ist das Glück von Rednern.
({28})
Ich bejahe unbedingt die Pflicht Europas, das Seine zu tun, und die Pflicht der Bundesrepublik, in diesem Rahmen das ihre zu tun. Ich bin der Überzeugung: ein geordnetes Europa ist bei seiner Wirtschaftskraft, bei seiner technischen Intelligenz in der Lage, auch ganz Entscheidendes für die Verteidigung der freien Welt zu tun. Ich nehme durchaus auf, was der Herr Bundeskanzler als Sinn der Empörung des 17. Juni 1953 dargelegt hat: das war das Bekenntnis zur westlichen, zur freien Welt und damit zu der Politik, die die Bundesregierung verfolgt.
({29})
Herr Ollenhauer erwartet sich viel von weiteren Verhandlungen. Niemand von uns wird sich sperren. Aber wer hat jetzt noch Illusionen? Wer glaubt noch, dieser fixierte Standpunkt der Russen werde sich durch Worte wie durch ein Wunder plötzlich lösen? Bestimmt: die Verhandlungen über die Atomkontrolle können Grundlagen sein für weitere Verständigungen auch über andere Probleme. Wir wollen hoffen, daß sich im Rahmen der Genfer Konferenz über Indochina auch andere Fragen, vielleicht auch die Deutschlandfrage, Lokkern lassen. Aber wer wird meinen, daß das, was
Molotow in Berlin dargelegt hat, sich in Kürze ändern werde?
Herr Ollenhauer meint, mit einem Male geschähen keine Wunder; sieben Jahre lang habe man nicht verhandelt, und der Kalte Krieg habe verhärtet. Die Russen können auch anders. Der Herr Stalin hat sich im August 1939 in wenigen Tagen mit Hitler geeinigt.
({30})
Der Herr Molotow hat mit Herrn Ribbentrop paktiert und die Engländer vor der Tür stehen und warten lassen. Herr Molotow hat damals - das darf man wohl auch einmal sagen - mit dem Abkommen vom 23. August dem Herrn Hitler für sein schauriges Abenteuer des zweiten Weltkrieges doch erst das Sprungbrett geboten und den Rükken gedeckt.
({31})
Rußland könnte, wenn es wollte; Rußland hat nicht gewollt.
Meine Fraktion bejaht ebenso wie die übrigen Fraktionen der Koalition die Politik der europäischen Gemeinschaft, auch die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Kein Argument, das Herr Ollenhauer vorgebracht hat, kann an dieser Haltung etwas ändern. Eines möchte ich aber doch vor allem zurückweisen. Herr Ollenhauer hat so nebenbei bemerkt, daß vielleicht die Tatsache der Verträge auf die Berliner Konferenz nachteilig, ungünstig gewirkt habe. Nun, man kann das mit den eigenen Worten Molotows widerlegen, der, als er über EVG befragt worden ist, beinahe höhnisch - wenigstens ich habe es ironisch empfunden - etwa erklärt hat: Na, die Verträge sind 1952 geschlossen worden; bis jetzt ist nichts geschehen, und wenn sie 1954 nicht ratifiziert werden, dann werden sie Material für die Archive bilden.
Wenn man von dieser Haltung ausgeht, möchte man meinen, daß die Verzögerungen, die auch in diesem Hause am Werke waren, mit schuld daran sind, daß die Verträge nicht längst unter Dach und Fach sind; sie haben verhindert, daß Tatsachen geschaffen wurden, denen sich Molotow gebeugt hätte.
({32})
Mit der NATO hat er sich abgefunden. Mit der EVG hätte er sich genau so abgefunden, wenn wir nur gehandelt hätten und wenn wir nicht in sehr wenig verantwortungsvoller Weise geredet und Prozesse geführt hätten.
({33})
Herr Ollenhauer sagt: man kann sich über die Frage der freien Wahlen nicht verständigen - und man konnte sich nicht verständigen - ohne Einigung über den Status eines vereinten Deutschlands in einem Sicherheitssystem. Ich habe aus den ganzen Verhandlungen niemals eine solche Ursachenkette festgestellt, habe niemals gesehen, daß das entscheidend gewesen wäre. Niemals hat Herr Molotow auch nur eine Andeutung dahin gemacht, daß er ernstlich gewillt wäre, die deutsche Frage zu regeln. Niemals hat er ein Bedingungsverhältnis zwischen einem funktionierenden Sicherheitssystem und der Bereitwilligkeit, seine Truppen aus Deutschland und Österreich herauszuziehen, hergestellt.
({34})
Ich bin aber auch der Meinung, daß Herr Ollenhauer das zutreffend wiedergibt, was in diesem Zusammenhang von Eden und Bidault gesagt worden ist. Wenn Mister Eden erklärt hat, man müsse die Freiheit in Europa mit der Sicherheit verbinden, so hat er das als Argument für und nicht gegen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft gesagt, wie es Herr Ollenhauer versucht hat.
({35})
Monsieur Bidault hat sich auch in ganz anderem Sinne geäußert:
Es kommt darauf an, Deutschland im Herzen des Kontinents nicht isoliert zu lassen und zugleich die Wiedergeburt jedes aggressiven Militarismus zu verhindern. Es kommen also nur zwei Möglichkeiten in Betracht: die der zwangsweisen Kontrolle und die der Assoziation.
Er hat daraus klar den Schluß gezogen, daß selbstverständlich nur die Assoziation in Frage kommt. Und jetzt, als er nach Hause zurückgekehrt ist, hat er doch das schöne, von uns zu unterstreichende Wort geprägt, daß es jetzt nicht mehr gilt, „über" Deutschland, sondern „mit" Deutschland zu verhandeln.
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Zur Vorstellung des Herrn Kollegen Ollenhauer über das Sicherheitssystem der Vereinten Nationen! Ich habe schon ein Wort dazu gesagt, und Herr Kollege von Brentano hat sich ebenfalls überzeugend dazu geäußert. Da ist doch nichts Effektives. Wo wollen Sie für Deutschland eine Sicherheit in einem System schaffen, das von den Vereinten Nationen begründet wird, zu dem der bedrohende Staat, die bedrohende Macht Rußland gehört? Ist das nicht ein Operieren mit Fiktionen, die sich ja nicht erfüllen lassen? Hier gilt der Satz, daß man das Mögliche und das Naheliegende tut. Und das, was uns die freie Welt anbietet, ist die Gemeinschaft der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation mit einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. Warum wollen Sie dieser Konsequenz ausweichen? Ich verstehe das nicht.
Herr Ollenhauer hat erklärt, daß er durch den Ablauf der Berliner Konferenz geradezu bestärkt worden sei in seinen Bedenken gegen die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, besonders auch deswegen - auch dazu hat Herr von Brentano Zutreffendes schon gesagt -, weil in Äußerungen von Bidault und Eden zum Ausdruck gekommen sei, in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft liege auch ein Sicherheitselement. Warum soll das mit einem Male den Wert der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mindern oder gar den Schluß zulassen, wie ihn Herr Ollenhauer ziehen will, daß wir nicht gleichberechtigt, daß wir nicht echte Vertragspartner seien?
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Jede Gemeinschaft legt doch Bindungen auf. Das ist doch der Ausgangspunkt, auch der geschichtliche Ausgangspunkt des Gedankens gewesen - Sie werden ihn doch nicht vergessen haben -: nach 1950, nach Korea, die Überzeugung in der ganzen freien Welt, daß Europa nicht ohne Deutschland zu verteidigen ist. Es ist für uns auch eine Selbstverständlichkeit, daß dieses schicksalhafte Land hier im Herzen Europas für das Schicksal der Welt entscheidend ist, so wie es von den Hunnen bis zu den Türken der Fall war. Hier hat sich immer und immer wieder entschieden, ob die Drohung aus
dem Osten abprallte und zurückgewiesen wurde oder nicht. Das Schicksal Europas und damit vielleicht das Schicksal der Welt wird sich nicht in Korea, nicht in Indochina und nicht im vorderen Orient entscheiden, sondern hier, wenn sich Europa mit Deutschland behauptet. Wenn wir in eine Gemeinschaft eintreten, dann legen wir uns freiwillige Bindungen auf, die dieser Gemeinschaft selbstverständlich jede Drohung gegen den Osten nehmen. Die Möglichkeit, daß diese Gemeinschaft jemals gegen den Osten aggressiv wird, lebt doch nur in den Vorstellungen bolschewistischer Agitatoren. Ich kann das Reden von dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Russen wahrlich nicht sehr ernst nehmen, wenn Sie sich dieses in Waffen starrende Land vorstellen und sich vergegenwärtigen, daß in Europa, glaube ich, immer noch die Schweiz die stärkste Militärmacht ist.
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Ein gefährliches Wort ist das, was Herr Ollenhauer heute als vordringlich - sonst hat er es oft als erstrangig hingestellt - bezeichnet hat, wenn er nämlich behauptet, die Wiedervereinigung sei das vordringliche, das erstrangige politische Ziel. In unserem Willen, in unserem Bewußtsein selbstverständlich, meine Damen und Herren! Welcher Deutsche ersehnt nicht mit der ganzen Intensität seines Gefühls die Wiedervereinigung!? Herr Kollege von Brentano hat mit Schmerz darauf hingewiesen, daß manche Deutsche leider zu sehr an die Dinge des Tages und zu wenig an das große nationale Schicksal denken, das unsere Zeit zu tragen hat. Immerhin ist aber bei den bewußten Menschen, bei den Menschen, die Verantwortung tragen, die Wiedervereinigung vordringliches Ziel. Aber die Politik verläuft doch nicht wie nach dem Drehbuch eines Films, daß ich sagen kann: erster Akt: auf jeden Fall Wiedervereinigung, und sonst geschieht nichts. Politik ist die Gestaltung der Dinge, jeden Augenblick, jede Stunde und jeden Tag,
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und die Möglichkeit, das zu tun, was notwendig ist, auf jeder Ebene das zu tun, was notwendig ist. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist ein wesentlicher politischer Faktor für die Gesundung Europas und für die Abwehr des Angriffs und der Drohung des Ostens und, wie Herr von Brentano es überzeugend dargelegt hat, eine echte Chance, zur Wiedervereinigung zu kommen, wenn bei den Russen die Hoffnung schwindet, aus der Schwäche Europas politische Vorteile ziehen zu können.
Daß wir daneben alle Möglichkeiten und - in Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Olenhauer, - auch weiterhin alle Chancen einer Verhandlung nutzen, die uns weiterführen können, - selbstverständlich! Das kann uns als Menschen, die politische Verantwortung tragen, nicht davon entbinden, das Notwendige zu tun.
Herr Ollenhauer hat es für richtig gehalten, auf die morgige Debatte über die Ergänzung des Grundgesetzes hinzuweisen. Ich hatte das gleiche schlechte Gefühl gehabt wie der Herr von Brentano, Herr Ollenhauer, als Sie auf die möglichen ungünstigen Wirkungen im Westen, in den europäischen Staaten, bei unseren Vertragspartnern des EVG-Vertrags und des Deutschland-Vertrags hinwiesen. Ich halte das für kein gutes Operieren. Die Ausdeutung des Art. 7 Abs. 3, an dessen endgültiger Fassung meine Partei ja besonders mitgewirkt hat, - ich glaube, das ist kein Argument, das man in diesem Raume
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ins Feld führen kann. Die Alliierten haben unserm Wunsch entsprechend eine vertragliche Verpflichtung des wiedervereinigten Deutschlands aus dem Art. 7 Abs. 3 herausgenommen. Mehr kann man nicht wollen. Daran können auch die Erklärungen des früheren Außenministers Schuman nichts ändern.
Politik wird am Ende nur sehr bedingt und beschränkt durch Verträge gemacht. Durch Verträge entstehen Gefälle, auf denen dann die Ereignisse verlaufen, und so führt der EVG-Vertrag mit der Bundesrepublik zwingend dazu, daß das vereinigte Deutschland in Europa integriert bleibt.
Noch ein bedauerndes Wort, Herr Ollenhauer. Ich habe mir vorhin gedacht: Warum gibt es eigentlich in der SPD-Fraktion keinen Morrison
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- ein kluger Mann, ein überlegter Mann, wir kennen ihn doch; er war ja hier -, der als Sozialist zu so verständigen Ergebnissen kommt? Aber Sie haben viel von ihm, Herr Ollenhauer, mehr als Ihr Freund Mellies.
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- Den Morrison habe ich immer gelobt, auch sonst immer. Es gibt ein herrliches Bild von ihm. Das habe ich nie vergessen. Da sitzt er auf der untersten Stufe einer riesigen Treppe, dieser kleine zierliche Mann mit dem Gesicht eines geistig Arbeitenden. Ein ausgezeichneter Typus eines Arbeiterführers! Ich finde ihn nur nicht bei unserer deutschen Sozialdemokratie.
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Vielleicht darf ich mit einem Worte Morrisons schließen. - Denn ich will nicht wiederholen: daß ich mit den Schlußfolgerungen des Herrn Bundeskanzlers einverstanden bin - auch für meine Fraktion -, brauche ich nicht zu sagen; zur Berlin-Frage haben wir durch den Fraktionsvorstand ganz konkrete Vorschläge gemacht. Wir brauchen hier nicht mit Worten zu beteuern, wie wir für die deutschen Menschen im Osten fühlen, wie wir mit ihnen leiden und mit ihnen hoffen. - Ein Wort also vom klugen Morrison: „Nichts ermutigt eine Diktatur stärker als eine Demokratie, die sich nicht entschließen kann".
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Wir haben doch geschichtliche Lehren, meine Damen und Herren! Es gab j a einmal eine andere Vierer-Konferenz, in München, da hat man sich nicht entschließen können. Und in Berlin konnte man sich infolge des Widerstands eines böswilligen Rußlands nicht entschließen. W i r müssen uns entschließen.
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Wir können allein durch Tatkraft, durch klaren Willen der Gefahr begegnen, die die Einsichtigen von uns alle kennen, die aber Berlin in erschreckender Weise für das ganze deutsche Volk noch deutlicher gemacht hat.
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Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht den Außenministern der Westmächte für das unbeirrbare Bemühen gedankt, eine Tür zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden aufzustoßen. Es mag aber, ohne das Verdienst der Westmächte um die Erhaltung der freien Welt schmälern zu wollen, in diesem Hohen Hause doch einmal recht deutlich gesagt werden, daß auch das deutsche Volk einen entscheidenden Beitrag zu der Festigkeit des Westens geleistet hat, ja, daß die Haltung des deutschen Volkes es überhaupt erst ermöglicht hat, Europa zu einer gemeinsamen Anstrengung für die Erhaltung unseres alten Kontinents und seiner demokratischen Lebensform aufzurufen. Die Geschichte wird, und das leider zu Recht, für die vor 1945 liegende Zeit manches harte Urteil über Handlungen deutscher Machthaber - hoffentlich nicht des deutschen Volkes - bereithalten. Aber nach 1945 - das müssen wir uns als ein heute noch nicht abschätzbares historisches Verdienst anrechnen - hat das deutsche Volk die ganze freie westliche Welt dadurch verpflichtet, daß es sich mit aller Deutlichkeit für die Freiheit entschieden hat, einer Deutlichkeit überdies, die manche vom Schicksal bevorzugte Nationen des Okzidents bisher noch nicht erreichen konnten. Wie würde es heute um die Welt stehen, wenn sich unser schwergeprüftes Volk, das nach den Theorien des Osten im Hinblick auf seine materielle Lage doch ganz besonders für diktatorische oder gewaltsame Lösungen anfällig sein müßte, nicht als ein so starkes Bollwerk gegen die Ideen der Unfreiheit erwiesen hätte! Wir würden heute über den Begriff eines freien Europas kaum mehr ernstlich zu diskutieren haben.
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Es wurde dem deutschen Volke nicht leicht gemacht, und das Bekenntnis zur Freiheit war und ist durchaus nicht immer und überall für das deutsche Volk ungefährlich, - weniger gefährlich natürlich hier in der Bundesrepublik. Aber wir sollten es an dieser Stelle, in dem einzigen frei gewählten deutschen Parlament, doch einmal sehr laut und deutlich feststellen: Der gefährdetste Teil unseres Volkes hat bewiesen und beweist täglich, daß er bereit ist, für die Zugehörigkeit zu einer freien Welt jedes Opfer zu bringen.
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Ich habe keinen Zweifel daran, daß nicht nur unsere Brüder in der sowjetisch besetzten Zone, die das heute beweisen, sondern daß auch wir in der Bundesrepublik die Freiheit in unserem Vaterlande und für unser Vaterland über jede Gefährdung stellen werden, wenn solche Prüfungen eines Tages an uns herankommen sollten.
Diese Tatsache gibt uns aber die Berechtigung, die Haltung der Außenminister des Westens nicht als einseitiges Geschenk zu empfinden. Für unser Volk und für den Westen scheint es richtiger, die Berliner Konferenz als den Beginn einer echten Partnerschaft zu betrachten, einer Partnerschaft, die der Überzeugung entspringt, daß die freie Welt nur in all ihren Völkern bestehen wird oder eines Tages in der Flut uns wesensfremder Ideen versinken muß.
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Der Weg zur inneren und äußeren Freiheit des ganzen Deutschlands wird noch sehr schwer sein. Er ist nicht immer übersichtlich und auch keineswegs bequem. Man mag der Meinung sein, daß er in diesem oder jenem Abschnitt etwas anders in Art und Richtung gewählt werden müßte. Meine Damen und Herren, wer getraut sich denn, in jeder Situation die genaue Richtung und ihre Ergebnisse unfehlbar vorherzusehen? Von diesem Gesichtspunkt aus klingt manches ansprechend, was uns der Sprecher der Opposition heute als seine Wegrichtung vorgetragen hat. In der Theorie ließen sich darüber hinaus vielleicht noch viel schönere Lösungen finden. Aber es geht j a nicht um die Theorie, es geht um eine Wirklichkeit, und die ist viel härter und erfordert exaktere Entscheidungen.
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Die Alternative zu Freiheit ist nicht etwa Neutralität, das hat auch der Führer der Opposition anerkannt. Sie ist aber auch nicht Zögern und nicht Streiten um den Weg und nicht Beharren auf Illusionen oder etwa auf Eigensinn. Die Alternative zu Freiheit ist Unfreiheit. Um sie von uns und unseren Brüdern im Osten abzuwenden, haben wir Wege zu gehen, die praktisch gangbar sind. Eine Möglichkeit für einen solchen Weg scheint uns nach den bisherigen Ergebnissen die europäische Integration zu sein. Diese Integration wird in Europa unter den freien Völkern ein Gemeinschaftsgefühl bilden oder vorhandene Ansätze stärken. Dieser Weg scheint uns auch deshalb besonders gut und gangbar, weil er wohl derjenige ist, der die größte Garantie für eine friedliche Endlösung einschließt.
Meine Freunde haben zu Kanzler und Kabinett das Vertrauen, daß der einmal eingeschlagene Weg, der bisher schon Erfolge, wenn vielleicht auch nicht in dem erwarteten Maße, gezeitigt hat, der aber die Möglichkeit von entscheidenden Erfolgen in greifbare Nähe rückt, weiter eingehalten wird. Man darf jedoch auf dem langen Weg, der vor uns liegt, keine Möglichkeit außer acht lassen, unseren Brüdern ostwärts der Elbe auch praktisch zu helfen und nicht nur gute Worte zu sagen.
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Seien wir uns darüber klar, daß die ganze Welt nicht nur auf die Bundesrepublik, sondern auch auf das Gebiet sieht, das heute unter sowjetischer Verwaltung steht. Wir müssen alles tun, um den Freiheitswillen dort drüben zu stärken, und alles fördern, was unseren Brüdern die Überzeugung gibt, daß sie in ihrem Kampf um die Freiheit nicht allein stehen.
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Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, die heutige Regierungserklärung bedeutet in ihrer besonderen Klarheit politisch den ersten Schritt, der nach der Konferenz deutscherseits zu erfolgen hatte. Diese Klarheit, die in der Darstellung der Entwicklung und der Analyse der Vorgänge auf der Konferenz in Berlin geschaffen worden ist, wird die Überzeugungen nicht nur im deutschen Volk, in dem sie schon weithin geprägt sind, sondern in der ganzen Welt in dem Sinne beeinflussen, den wir wünschen, d. h. sie wird ein Beitrag dazu sein, auf welchem praktischen Wege die Wiederherstellung der Einheit
unseres Vaterlandes vollzogen werden kann. Deshalb begrüße ich diese Erklärung der Regierung. Ich habe ihrem Inhalt seitens meiner politischen Freunde nichts weiter hinzuzufügen. Es sind die Überzeugungen, die uns seit Jahren getragen haben.
Zu den Vorgängen auf der Konferenz der vier Mächte möchte ich aber doch einige Bemerkungen machen. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist auf der Konferenz gescheitert. Die Konferenz blieb aber nicht ohne Ergebnisse, und das sollte der Ausgangspunkt für unsere weiteren Überlegungen sein. Es ist mit dieser Konferenz eine Phase zu Ende gegangen, es sind Klarstellungen erfolgt, und ich glaube, es steht uns nicht an, diesen Ausgang der Konferenz und seine Folgen zu dramatisieren. Der Westfälische Friede von Münster und Osnabrück hat acht Jahre Vorbereitungen in einer Zeit gebraucht, in der bei weitem nicht so schwierige Probleme zu lösen waren wie in dieser durch zwei Weltkriege zerstörten Welt. Wir müssen erkennen - und ich begrüße es sehr lebhaft, daß auch die Außenminister der Westmächte diese Erkenntnis zur Grundlage ihrer Darstellungen gemacht haben -, daß der Versailler Vertrag und die Pariser Vorortverträge die Grundlage für die Zerstörung der europäischen Ordnung abgegeben haben und daß man bei der Wiederherstellung der Friedensordnung nach diesem Krieg jenen verhängnisvollen Weg nicht wieder zu gehen beabsichtigt. Demgegenüber bleibt die Sowjetunion - das geht aus jedem Wort von Herrn Molotow hervor - auf einer nationalistisch-imperialistischen Machtpolitik der Rache und der Eroberung und der Unterdrückung des Besiegten bestehen, - ein Geist, der haargenau jenem Geist der Rache und der Unterdrückung entspricht, der mit dem sogenannten Versailler Vertrag und den Vorortverträgen zum Unglück Europas geführt hat.
Was nach den vielen Zerstörungen wieder in Ordnung zu bringen ist, ist allerdings so schwierig und so bedeutungsvoll, daß wir gut beraten wären, wenn wir den Faktor Geduld in Rechnung stellten. Die Worte reichen nicht aus, um zu erklären, was unseren Menschen in der sowjetisch besetzten Zone auferlegt ist. Es stockt mir fast das Wort im Mund, wenn ich zu unseren Brüdern und Schwestern hinüberrufe: Euer Beitrag für die Freiheit, Sicherheit und den Frieden Deutschlands, für das Wiederzusammenkommen wird es sein, daß ihr jetzt durchhaltet, daß ihr euch nicht durch die Enttäuschung in eurer seelischen und eurer willensmäßigen Widerstandskraft beeinträchtigen laßt! Wenn wir das hinüberrufen und die herzliche Bitte aussprechen. daß auch drüben die Dinge im rechten Licht gesehen werden und daß die seelische Widerstandskraft und der Wille, durchzuhalten, bestehen bleibt, dann legt das allerdings uns, die wir im Bereich einer Sicherheit leben, die größten Pflichten auf. Deshalb begrüße ich es, daß in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen ist, daß in der Politik der Bundesrepublik hinsichtlich ihrer inneren Struktur und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit für die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes eine Straffung und Opferbereitschaft auch gegenüber den Menschen drüben einzutreten hat. Denn nur so erhalten wir die Grundlage, um den geduldigen Prozeß des Werdens einer schließlich stabilen Friedensordnung in Europa durchzuhalten, die uns auch die Einheit unseres Landes in Freiheit und Frieden bringen wird.
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Wenn man die sowjetrussischen Ziele, die der Außenminister der Sowjetunion in Berlin vorgetragen hat, zusammenfaßt, lassen sich ganz klar drei Punkte herausschälen: Ein neutralisiertes, dem Zugriff der Sowjetunion offenliegendes, durch die Vorbehalte weitgehender Interventionsrechte bedrohtes und innerlich in seiner Geselischafts und Wirtschaftsordnung sowjetisiertes Deutschland soll in einem neutralisierten, unter der Hegemonie der Sowjetunion stehenden Europa existieren, dessen gesamte Bündnissysteme, soweit sie eine effektive Verteidigung sicherstellen, vorher zerschlagen werden sollen, einem neutralisierten Europa, in dem der Ostblock, der ja intakt bleiben soll, allein zu befehlen hat. Drittens soll dieses neutralisierte Europa in einer Welt existieren, die statt vom Sicherheitsrat der UNO von der Pentarchie der großen Fünf unter Einschluß der Chinesischen Volksrepublik beherrscht werden soll. Diese Pentarchie bedeutet auch die Voraussetzung für eine Hegemonie der Sowjetunion und des Ostblocks über die Welt. Denn nicht zuletzt sind die Bemühungen der Sowjetunion gegenüber Frankreich auch dahingehend zu verstehen, daß in dieser Pentarchie der Ostblock über zwei Stimmen und möglicherweise noch über einen Verbündeten aus dem Westen verfügen sollte, womit dann die Vorherrschaft über die gesamte Welt, gelenkt von Moskau aus, sichergestellt wäre.
Diese drei Grundziele bedeuten in ihrer negativen Gestalt, daß keine europäische Verteidigung und kein politischer Zusammenschluß zustande kommen soll, daß der einzige wirksame Schutz, den Europa augenblicklich durch die Kraft der Vereinigten Staaten hat, ausgeschaltet werden soll, indem die Amerikaner aus Europa und ihren Stützpunkten in der ganzen Welt hinauskomplimentiert werden sollen, bis dieser arme, geschlagene, in sich zerrissene Kontinent vor Moskau liegt und dann mit dem Spiel der inneren Kräfte solche Umgestaltungen vor sich gehen, daß dieser Kontinent nicht nur unter die Hegemonie der Sowjetunion fällt, sondern tatsächlich ein Bestandteil des sowjetischen Blocks wird, womit die Vorherrschaft des Bolschewismus in der ganzen Welt erlangt wäre.
Die Wiederherstellung der Einheit unseres Landes ist nicht am starren Festhalten etwa an einer Integrationspolitik, an einer europäischen Einigungspolitik, sondern daran gescheitert, daß die Sowjetunion in der härtesten Weise den Willen gezeigt hat, an ihren Eroberungen festzuhalten. So ist die Lage. Wenn man hier ein Urteil fällen will - da reichen wiederum die Worte nicht aus -, so ist das, was hinsichtlich eines Friedensvertrages für Deutschland als Methode und Weg für die deutsche Wiedervereinigung angeboten worden ist, eine Verhöhnung des deutschen Volkes und seines Lebensrechts.
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Man muß dieses scharfe Wort gebrauchen. Es bedeutet eine Verhöhnung eines Volkes, daß man ihm - neun Jahre nach Eintritt der Waffenruhe - seine natürlichsten Lebensrechte, nämlich die Einheit seines Staates vorenthält. Wenn überhaupt irgendeine Ordnung des Friedens und das Klima friedliebender Nationen Wirklichkeit werden kann, dann sollte dieses primitivste Grundrecht eines Volkes, nämlich in der Einheit seines Staates, in innerer und äußerer Freiheit leben zu können, an den Anfang aller Überiegungen gestellt werden
und hieraus die Mäßstäbe für das Verhalten der
einen oder der anderen Seite entnommen werden.
In den Vorschlägen des sowjetischen Außenministers ist die Vorstellung enthalten, daß der Abhaltung der sogenannten freien Wahlen nach einer demokratischen Qualifikation - was Herr Molotow unter demokratisch versteht! - gewisse gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Umgestaltungen vorauszugehen hätten. Ich möchte hier feststellen, daß der Grundgedanke des Potsdamer Abkommens, der diese Eingriffe in die innere Substanz eines Volkes als Recht des Siegers stipulierte, einen der schwersten Verstöße gegen die Grundrechte eines Volkes bedeutet. Kein anderes Volk, keine andere Nation hat ein Recht, im Innern eines Landes zu sagen: Du sollst in deiner Gesellschaft so oder so aufgebaut sein, du sollst in deinem Glauben so oder so dich verhalten, du sollst so oder so dein Brot verdienen. Es hat in der Welt noch keinen Friedensvertrag gegeben, in dem die Rechte aus der Eroberung bis zu diesem Mord am inneren Leben eines Volkes ausgedehnt worden sind. Die Ungeheuerlichkeit des Gedankens einer solchen Interventionspolitik und der Zumutung, daß man hier vor irgendwelchen Wahlen durch eine von außen auferlegte Revolution eine demokratische Qualifikation erreichen wollte, muß unterstrichen und daran einmal sichtbar gemacht werden, wie unmöglich im Sinne einer echten freiheitlichen völkerrechtlichen Ordnung des Friedens die sogenannten Grundlagen des Potsdamer Abkommens gewesen sind. Das, was hier neun Jahre nach Waffenruhe noch als Erfüllung von Potsdam gefordert wird, die Zwangsrevolutionierung des deutschen Volkes, ist nichts anderes als die geistige Verirrung von Jalta, in der man sogar so weit ging, ganze Bevölkerungsteile aus dem angestammten Staatsgebiet eines Volkes auszutreiben.
Die Konferenz hat im Grundsätzlichen noch nichts zur Entspannung beigetragen, und ich erinnere an das, was ich vor einiger Zeit einmal von dieser Stelle aus gesagt habe, an die Gefahr, die dann entsteht, wenn eine solche Konferenz im Grundsätzlichen Verschärfungen bringt. Bei aller realpolitischen Notwendigkeit einer Entspannung sollten wir uns heute tatsächlich bemühen, in voller Klarheit die Dinge so zu betrachten, wie sie sind, und Recht und Unrecht, Böse und Gut wieder klar und deutlich zu unterscheiden und unbeeinträchtigt von jeder taktischen Selbstüberredung so zu werten, wie sie es verdienen.
Was bedeutet denn die Bedingung, die man uns im Friedensvertrag auferlegen will? Ein Koalitionsverbot, ein Verbot, uns mit den Mächten, die uns nach Kultur, Geschichte und nach dem inneren politischen Wesen verwandt sind, zu verbinden? Das bedeutet auch hier nichts anderes als die Verletzung eines der Grundrechte eines Volkes. Auch das bedeutet eine künstliche machtpolitische Gestaltung, die man uns aufzwingen will und die von uns abgelehnt werden muß. Wir müssen uns völlig darüber klar sein, es gibt nur eine Möglichkeit des Friedens, der Freiheit und der Sicherheit: wenn an die Stelle der untergegangenen nationalstaatlichen Ordnung des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts ein neues Staatensystem gesetzt wird, das nicht nur auf den Prinzipien der Souveränität, der nationalen Egoismen und der Rivalitäten aufgebaut ist, sondern das eine Ordnung enthält, in der die Berührungspunkte und die Gemeinsamkeiten der Völker in gemeinschaftlicher Aktion zur Förderung ihres wirtschaftlichen
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Daseins, ihrer Sicherheit und auch der geistigen Grundlagen, die letztlich eine menschliche Gemeinschaft tragen, gepflegt werden.
Ich möchte bereits an dieser Stelle auf das Problem eingehen, das so oft zweifelnd und auch zweideutig im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 3 des Deutschland-Vertrages diskutiert worden ist. Dabei möchte ich von der Grundvorstellung ausgehen, daß nur eine Ordnung Europas auf der Grundlage einer dauerhaften Organisation der Zusammenarbeit und nicht auf der Grundlage von vergänglichen Bündnissen das Gleichgewicht und den Frieden in der Welt herzustellen vermag. Das ist eine objektive Erkenntnis. Wenn die Sowjetunion sagt „Nein, das wollen wir nicht", so kann der Wille der Sowjetunion nicht der Maßstab für unsere eigene Erkenntnis sein.
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Hier dürfte doch eigentlich, wenn man dieses politische System als Voraussetzung nimmt, die Tragweite dieses so oft umstrittenen Artikels, zu dem ich seinerzeit auch im Europarat in Straßburg Stellung nehmen mußte - Herr von Brentano, wir haben das damals zusammen getan -, völlig klar sein. Mit juristisch-theoretischen Spekulationen hat man noch niemals eine völkerrechtlich-politische Ordnung gestalten können; die Wirksamkeit eines juristischen Instruments ergibt sich vielmehr aus der konkreten Gestaltung, aus dem Substrat der Ordnung, die in einer Rechtsnorm Ausdruck gefunden hat. Daraus folgt sehr einfach und klar: wenn zwischen Ost und West eines Tages der Ausgleich gelingt - das ist die Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden -, dann ergibt sich mit der Wiederherstellung der Einheit unseres Landes aus dem Kompromiß und Ausgleich irgendwie eine neue Ordnung,
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und damit ergeben sich bestimmte Abwandlungen, die vollzogen werden müssen, die aber nur dann vollzogen werden können, wenn man das in den Verträgen von Bonn und Paris vorausgesetzte Staatensystem der Zusammenarbeit, auf dessen Grundlage dann die Einheit des Landes hergestellt wird, annimmt. Daß die Verträge dann so, wie sie sind, nicht mehr auf den Zustand eines größeren Europas passen, daß es notwendig ist, Abwandlungen vorzunehmen, und daß zu diesen Abwandlungen und ihrer Form die betreffende Regierung, die diese Abwandlungen verpflichtend eingeht, ja oder nein sagen kann und muß, das dürfte eigentlich aus der Natur der Sache hervorgehen.
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Insofern müssen tatsächlich, wenn an die Stelle des gegenwärtigen Zustandes das Staatensystem eines wahrhaft befriedeten, geeinten Europas gesetzt wird, dessen Kernpunkt die Einheit unseres Landes ist, selbstverständlich erhebliche Abwandlungen vorgenommen werden, um dieses System neu zu gestalten. Eine gesamtdeutsche Regierung hat dann zu diesen Abwandlungen ihr Ja oder Nein zu sagen. Das ist die reale juristische Tragweite der Handlungsfreiheit. Aber wenn ich hier zugleich und in erster Linie politisch spreche, so kann ich für meine politischen Freunde - und ich glaube, für alle - sagen: die Grundlage unseres politischen Wollens ist die europäische Zusammenarbeit, ist das, was mit diesen Verträgen überhaupt erst begonnen worden ist.
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Wer hier die Zweideutigkeit hereinträgt, das Ja oder Nein einer gesamtdeutschen Regierung könne sich nicht nur auf Modalitäten beziehen, sondern könne in der Grundlage ein neutralisiertes Deutschland, ein zerstückeltes Europa schaffen, der irrt sich im Ausgangspunkt. Ich wüßte nicht, wie man jemals politische Verträge auszulegen imstande war, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Prinzipien des Systems, die den Verträgen zugrunde liegen.
Ich habe mir heute vorgenommen, dieses heikle Problem anzusprechen, und zwar nicht als Advokat, der irgendeinen Prozeß vor einem imaginären Schiedsgericht zu führen hat, sondern als Politiker, der die Voraussetzungen und die Tragweite eines Vertrages und des Staatensystems, das ihm zugrunde liegt, als die grundsätzliche Auslegungsregel in Anspruch nimmt. Alle, die an dem deutschen Willen zu dieser Politik des vereinigten Europas zweifeln, die an der deutschen Zuverlässigkeit zweifeln, in diesem Punkt einer Grundkonzeption treu zu bleiben, besonders auch dann, wenn diese Grundkonzeption zur Einheit unseres Vaterlandes führt - und nur sie kann überhaupt zu Einheit und Freiheit und Frieden unseres Vaterlandes führen -, wer an diesem getreulichen Festhalten an einer Politik der europäischen Einheit zweifelt, der versündigt sich nicht nur an unserem Land, sondern letztlich am Schicksal ganz Europas. Jetzt kommt es darauf an, die Konsequenzen aus der Viererkonferenz zu ziehen.
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Das vielleicht Überraschende für uns war, daß die bolschewistischen Forderungen, die wir ja aus der Note vom 10. März 1952 kannten - und die wiederholt, zum Schluß noch einmal im Herbst 1953 vorgetragen worden sind -, ganz erheblich verschärft worden sind.
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Das ist eine Tatsache, an der wir Deutschen nicht vorbeigehen können. Worin liegt die Verschärfung? Vor allen Dingen darin, daß das neutralisierte Deutschland geteilt bleiben soll, bis es sowjetisiert ist, und zweitens darin, daß auch noch danach der Vorbehalt von Interventionsrechten, vor allen Dingen des Rechtes auf jederzeitigen Einmarsch stipuliert werden soll. Was bedeutet denn ein solches Einmarschrecht? Das heißt, daß auf dieser Grundlage der dritte Weltkrieg auf unserem Boden begonnen werden kann und daß die Truppen der Vereinigten Staaten Tausende von Kilometern fortgedrängt sind, so daß nachher nur noch der Leichnam Europas befreit werden müßte. Wer also glaubt, zu entspannen, indem er auf diese listigen Wünsche eingeht, oder rauch nur mit dem Gedanken spielt, daß ein neutralisiertes oder sonstwie unter den Machteinfluß der Sowjetunion geratenes Deutschland entstehen könnte, der dient damit nicht dem Gedanken des Friedens, sondern er schafft die Voraussetzung für die dritte Katastrophe, die wir mit allen Kräften verhindern müssen, die wir aber nur verhindern können auf der Grundlage der Realität einer europäischen Gemeinschaft.
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Ein zweiter Punkt. Ich habe gesagt, die Konferenz ist hinsichtlich der Wiedervereinigung unseres Landes gescheitert. Sie ist aber nicht ohne Ergebnis geblieben. Die ostasiatische Frage - die Bundesregierung hat diese Frage mehrfach angesprochen - ist von großer Wichtigkeit und, ich glaube,
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sogar eine Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung. Sie läßt erkennen, daß sich auf diesem Gebiet doch gewisse Kompromisse andeuten. Man darf vor allem die Hoffnung haben, die wir besonders mit dem französischen Volk teilen, daß nach dem Korea-Krieg auch der Indochina-Krieg sein Ende findet.
Immerhin liegt hierin ein Faktor, der weitere Überlegungen möglich macht, so daß wir uns wahrhaft fragen müssen, was nun in einer deutschen Politik zu geschehen hat. Ich möchte hier nicht im eigentlichen Sinne polemisieren, aber ich bin erschreckt von dem, was der Herr Kollege Ollenhauer als Fazit dieser Vier-Mächte-Konferenz zu sagen hatte. Ich habe nie behauptet, daß etwa die SPD eine Neutralisierung Deutschlands wünsche. Das hat sie klar abgelehnt, und ihr Wort gilt, und das wird hingenommen.
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Aber ich möchte doch sagen, daß sich die deutsche Opposition in die Reihen derer begeben hat, die in ganz Europa und in der Welt, und zwar gegen Deutschland gerichtet, eine Verzögerungspolitik hinsichtlich der konstruktiven Grundlagen eines werdenden Sicherheitssystems betreiben. Daß die Opposition durch ihre Prozesse in Karlsruhe, durch ihre wechselnden und zweideutigen Stellungnahmen, die sehr oft die Klarheit vermissen ließen, wesentlich diesen Verzögerungsprozeß gefördert hat, trifft uns nicht unerheblich. Ich möchte hier nicht sagen, daß die Opposition ihre Meinung im Sinne eines absoluten Konformismus ändern solle. Das kann man nicht von ihr verlangen; sie hat ihr Recht auf ihre Meinung. Es wäre aber im Interesse Deutschlands gut. wir könnten uns näherkommen. Das eine ist wohl sicher, auch wenn ich die Rolle der Opposition bei einem solchen außenpolitischen Vorgang anerkenne: die Verzögerung hinsichtlich der Basis unserer nationalen Existenz und das Unmöglichmachen, daß wir über die Grundlagen unserer nationalen Existenz ein einheitliches Bild und eine einheitliche Überzeugung entwickeln, sind doch eine schwere Hypothek auf dem deutschen Nachkriegsschicksal. Mit allen taktischen und sonstigen Mitteln ist von der Opposition planmäßig eine Verzögerungspolitik unterstützt worden, die uns jetzt auf dieser Konferenz mit leeren Händen hat dastehen lassen.
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Man wird mir daraufhin sagen, daß es, wenn man schon früher, im Jahre 1952, ratifiziert hätte, wie es meine politischen Freunde eindeutig gewollt haben, gar nicht zu einer Konferenz hätte kommen können.
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Wer die Entwicklung, wie es zu dieser VierMächte-Konferenz gekommen ist, verfolgt hat, der kann genau feststellen, daß in dem Augenblick, in dem eine Aktivität und Solidarität des Westens gezeigt worden ist, die Sowjetunion sofort die Absicht verfolgt hat, diese Aktivität wieder zu zersplittern und zu verzögern und eine Verhandlungsbereitschaft vorzutäuschen, um dann, wenn sich darauf eine Schwäche im Westen zeigte, mit harten Forderungen aufzutreten. Vielleicht ist das ein überraschendes Ergebnis der Vier-Mächte-Konferenz, daß der ungewöhnlichen Härte der sowjetrussischen Forderungen die Voraussetzung zugrunde gelegen hat, der Westen sei bereits durch die Verzögerungstaktik der Sowjetunion hinreichend zermürbt. Die Überraschung und für uns die Bestätigung, daß wir von unserer Verantwortung einen richtigen Gebrauch gemacht haben, ist, daß der Westen solidarisch gestanden und damit eines der wichtigsten Fakten für einen künftigen Ausgleich, für einen künftigen Frieden, für eine künftige Entspannung gesetzt hat.
Wenn die Opposition ein Klima der Entspannung fordert und verlangt, daß alles unterlassen wird, was irgendwie eine Einigung und diese Entspannung gefährden könnte, dann kann ich nur sagen: dieses Klima der Entspannung wird dadurch gefördert, daß wir nicht eine Politik betreiben, die sich willenlos dem Eroberungs- und Machtwillen des Ostblocks fügt.
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Die Verzögerungspolitiker tragen so eine Art von geistigem Neutralismus in sich. Ich meine damit nicht die Neutralisierungspolitik, aber es gibt auch so eine Art von geistigem Neutralismus bei Leuten, die eine Sache allzu verstandesmäßig abwägen und dann zum Schluß gar keinen rechten Weg mehr sehen und die auch eine Illusion unter keinen Umständen fahren lassen, die ein politisches Gebäude irgendwie als Luftschloß aufbauen. Manchmal hat man das Gefühl, daß dieser Neutralismus aus Intellektualität und aus Entschlußlosigkeit an der Schwelle jener Verzögerungspolitik gestanden hat. Ich glaube, wenn wir ein Fazit aus dieser Konferenz ziehen wollen, dann muß ein Ende gemacht werden mit dieser geistigen Haltung des Sowohlals-auch, des Suchens nach Alternativen. Strenge Analyse ist notwendig. Sie darf aber nicht zur Entschlußlosigkeit und zu einem demütigenden Brükkenbau zu einem unerbittlichen Gegner hinüberführen.
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Das verstehe ich unter anderem auch darunter, was unter Punkt 2 der Regierungserklärung gesagt worden ist: daß die Politik der Bundesrepublik gestrafft werden muß.
Da gibt es für uns, für meine politischen Freunde gar kein Schwanken. Es muß jetzt, wenn Europa und unser Land überleben sollen, die Politik der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu einem Erfolg gebracht werden. Ich weiß, daß diese Politik Schwierigkeiten macht, ich weiß, welch einen weiten Weg voller menschlicher und psychologischer Schwierigkeiten die Verwirklichung des neuen Gedankens bedeutet, daß die Nationen über ihren nationalen Egoismus hinauswachsen und erkennen, daß sie etwas Gemeinsames haben, was sie auch gemeinsam erledigen müssen. Die Vergangenheit muß begraben werden, und ich möchte an dieser Stelle wieder betonen, weich großes Anliegen uns gerade von der konservativen Seite dieses Hauses her die Verständigung mit Frankreich ist. Wir wissen, das französische Volk ist ein gesundes Volk, eine Ergänzung des europäischen Geistes, ein Begriff europäischer Freiheit und europäischen Maßes, auf das einfach nicht verzichtet werden kann. Durch Jahrhunderte hindurch ist der Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich als sogenannte Erbfeindschaft betrachtet worden. Meine Damen und Herren, der Gegensatz zwischen Frankreich und England hat noch viel mehr Jahrhunderte gedauert. Er bestand seit dem Hundertjährigen Kriege, und dennoch ist es dem französischen Staatsmann Talleyrand gelungen, endgültig die französisch-englische Erbfeindschaft aus der Welt zu schaffen. In dieser dauerhaften englisch-franzö({16})
sischen Zusammenarbeit ist eine unverzichtbare politische Grundlage für Europa zustande gekommen. Dasselbe ist zwischen Deutschland und Frankreich nötig, oder wir werden unter den Ruinen unserer alten Städte begraben werden.
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Europa müßte zu einem Totenland werden, wenn diese Verständigung nicht gelingt. Es muß deshalb daran gearbeitet werden, und hier glaube ich, daß wir in Europa nicht auf die Rolle Englands verzichten können. In dieser ernsten Stunde, da einem die Bedingungen unseres europäischen Daseins und die schwere Lage unseres Volkes in geteiltem Zustand so ganz bewußt werden, geht der Blick und der Gedanke hinüber nach England. Es ist nun einmal so, daß dieses Europa nur leben kann, wenn alle Energien, alle Elemente und Fakten dieses Kontinents mobilisiert werden. Ich darf nur darauf hinweisen, von Magdeburg und von der sowjetisch besetzten Zone aus kann man auf die englische Insel mit Ferngeschossen schießen und die ganze Insel in Schutt und Asche legen. Unsere Sicherheit und die Sicherheit Englands dürften ein völlig identisches Interesse sein. Deshalb glaube ich, daß, wenn vielleicht nicht in allen Punkten der Weg direkt nach Paris gehen kann, der Weg nach Paris über London unter allen Umständen ein guter Weg sein müßte. Es ist nun einmal notwendig, daß sich kein Faktor, kein Element Europas der großen gemeinsamen Aufgabe entzieht, die Freiheit, die Sicherheit und den Frieden zu verwirklichen und damit die Fakten zu setzen, die den Ostblock nötigen, von seinem unerbittlich starren Standpunkt abzugehen und einzulenken, um für sich selbst und die Welt die Katastrophe zu vermeiden.
Es ist ganz gewiß notwendig, ein Sicherheitssystem aufzubauen. Alles, was in der nach Europa gerichteten Politik geschieht, ist eine Grundlage, um ein Weltsicherheitssystem aufzubauen, das es in wirksamer Weise vorerst in der UNO noch nicht gibt. Natürlich soll dieses europäische Sicherheitssystem, dieses System kollektiver Sicherheit in den größeren Rahmen der Vereinten Nationen eingebaut werden, ich möchte sagen: Dieses System soll die Vereinten Nationen in ihrer weltweiten Bedeutung zur Entspannung überhaupt erst wirksam machen. Wenn heute die Sowjetunion sagt: wir fühlen uns von eurem Block bedroht, wir wünschen keine Welt, die in zwei Blöcke aufgespalten wird, dann muß ich allerdings feststellen: Alle diese Probleme würden sich gar nicht gestellt haben, wenn die Sowjetunion bereit wäre, auf ihren Block zu verzichten, d. h. die Satellitenstaaten Osteuropas, die sie in Unfreiheit gesetzt hat, aus ihrem Herrschaftsverhältnis zu entlassen. Dann allerdings könnte man möglicherweise an ein anderes System kollektiver Sicherheit denken und ein solches System aufbauen. Aber nach den Fakten, die die Sowjetunion selbst gesetzt hat und die sie um keinen Preis ändern will - kein Verzicht auf den Ostblock -, ist keine andere Möglichkeit gegeben, als mit adäquaten Mitteln und auf dieser Grundlage im Rahmen der UNO dann die Entspannung herbeizuführen.
Natürlich kann ein kollektives Sicherheitssystem nie so aufgebaut werden, daß es gewissermaßen die Spitze nach der einen oder nach der anderen Seite richtet. Aber es ist eben auch eine Leistung seitens des Ostblocks zu erbringen, damit nicht dieser Ostblock als gegen die freie Welt gerichtet betrachtet werden muß. Ich für meine Person und meine politischen Freunde betrachten den Ostblock - und besonders nach den verschärften Forderungen der Sowjetunion - als einen Block, der gegen alle freien Völker, nicht nur gegen das deutsche Volk gerichtet ist. Wir können über ein Sicherheitssystem erst dann zu sprechen anfangen, wenn auf dem Gebiet der Atomrüstung und der Abrüstung ein wirklich ehrlicher Beitrag zur Entspannung gegeben wird und nicht, wie das auf der Konferenz geschehen ist, eine Verschärfung der Spannung, die aus dem nackten Darlegen des Erobererstandpunktes gefolgert werden könnte, daß man nicht auf ein Quentchen Macht, nicht auf ein Quentchen Besitz, der einem in die Hände gefallen ist, verzichten will.
Damit kommt man zu den Aufgaben, die unmittelbar uns gegeben werden. Wir begrüßen es, daß die Labour Party in England den grundsätzlichen Gesichtspunkt der Sicherheit anerkannt hat. Ich hoffe, wenn solche Gedanken, wie sie z. B. Senator Schiller ausgesprochen hat, in den Reihen der Opposition etwas mehr bewegt werden, daß wir dann in diesen lebenswichtigen Fragen doch noch zu einer Verständigung untereinander kommen, wobei in den Methoden stets Unterschiede zwischen Opposition und Regierung bestehen werden. Wir geben in dieser vitalen Frage die Hoffnung niemals auf. Wenn Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, wirklich einmal in der Stille überdenken, was viele Männer aus Ihren Mitgliederreihen innerlich bewegt, so werden Sie erkennen, daß die Politik des absoluten Neins gegenüber der EVG, die, worüber Sie sich klar sein müssen, eine Politik des absoluten Neins gegenüber einer europäischen Zusammenarbeit ist, auf die Dauer von Ihnen nicht vertreten werden kann. Vielen Ansichten, die wir zur Grundlage unserer Politik gemacht haben, werden Sie sich im Grunde genommen einfach nicht verschließen können. Und dann soll man nicht trotzig sein; denn Trotz ist kindisch, vor allem in der Politik.
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Eine aktive Politik der Freiheit setzt voraus, daß wir im Innern unseres Staates die Möglichkeit finden, die ungeheure Belastung unserer Brüder drüben in der sowjetisch besetzten Zone so weit als nur irgend möglich zu mildern. Hier sind echte Berührungspunkte zwischen dem gegeben, was die Regierung erklärt hat und was wir unterstützt haben, und dem, was die Opposition will.
Aber eines sei hier hinsichtlich der Würdigung unseres eigenen Staatswesens gesagt. Die Bundesrepublik ist Deutschland. Wir sollten die Zweideutigkeiten lassen, diese Sowohl-als-auch-Haltung, die immer darauf aus ist, die östliche Seite irgendwie in einer intellektuellen Skala mit dem gleichzubewerten, was hier ist, und die in dem provisorischen Charakter unserer staatlichen Ordnung immer so eine Art von Unverbindlichkeit sieht. Mit dieser Bewußtseinsspaltung unseres politischen Wollens müssen wir aufhören. Es gibt nur einen deutschen Staat, und der trägt die Verantwortung für alle. Wir werden dann, wenn unsere Politik richtig gewesen ist - und der Himmel gebe, daß sie richtig ist -, Rechenschaft vor einem ganzen deutschen Volk ablegen, das dann aber frei ist.
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Meine Damen und Herren, es liegt eine interfraktionelle Vereinbarung
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vor, daß nunmehr eine Pause eintreten soll, in der man versuchen will, eine Resolution zwischen den Fraktionen dieses Hauses zu vereinbaren. Ich schlage Ihnen vor, daß wir nunmehr unterbrechen und um 14 Uhr wieder zusammenkommen.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß der Ausschuß für den Lastenausgleich eine Stunde nach Schluß der Plenarsitzung zusammentritt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
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Die Sitzung wird um 14 Uhr 32 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort. Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht meine Absicht, in dieser Debatte, in der die Ansichten der großen Gruppen dieses Hauses einander gegenübergestellt worden sind, noch einmal den Versuch zu machen, eine Gesamtbewertung zu geben. Aber es ist die Ansicht meiner Fraktion, daß einige der Fragen, die in dieser Debatte zum Teil mit der direkten Adresse an uns gerichtet worden sind, einer Beantwortung unsererseits bedürfen.
Lassen Sie mich mit einem ganz offenen Wort beginnen. So wie die Dinge heute liegen, kann weder die Opposition dieses Hauses noch die Regierungsmehrheit dieses Hauses sagen, daß sie sich in einer einfachen Lage befinde.
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- Ich habe erwartet, daß es in diesem Hause Mitglieder gibt, die darauf mit höhnischem Gelächter antworten. Ich habe das ja auch nur registriert. Dabei will ich mich nicht aufhalten. Nehmen Sie eine solche Feststellung so, wie sie gemeint ist, nämlich von der objektiven Lage unseres Volkes aus gesehen.
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Ich sage, daß beide Seiten - mit Ausnahme einiger, die immer Grund haben, sich zu freuen, die sich auch jetzt noch freuen - keinen Grund haben, die Dinge einfach zu sehen. Ich möchte aber mich und Sie fragen, ob nicht am schwierigsten die Lage der Deutschen ist, die sich in der sowjetisch besetzten Zone befinden. Ich bin überzeugt, daß es darauf auf allen Seiten dieses Hauses nur eine bejahende Antwort geben kann.
Vielleicht ist hier der Punkt, an dem wir uns ungeachtet unserer auch heute wieder, ich möchte sagen, sauber einander gegenübergestellten Meinungsverschiedenheiten treffen können, ja sogar müssen. Ich möchte damit nichts verwischt haben. Aber ich glaube, es muß noch einmal gesagt werden, daß wir in dem Ringen um die Herstellung des Gewichtes, das unser gespaltenes Land in der Auseinandersetzung der großen Mächte haben soll, hier den ruhenden Punkt und den Ort haben, dem wir gemeinsam verpflichtet sind: die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone und in Berlin.
Die Konferenz, über die hier heute gesprochen worden ist und über die noch viel gesprochen werden wird, die mit einer solchen Debatte - das liegt wohl in den Auffassungen aller - nicht zu den deutschen Akten gelegt werden kann und soll, stellt uns Aufgaben. Vielleicht, ich möchte sagen wahrscheinlich, eröffnet sie uns auch Möglichkeiten, die jede für sich und in ihrer Summe auch neue Schwierigkeiten für die deutsche Politik ergeben.
Der Herr Bundeskanzler hat heute in seiner Rede gesagt, wenn ich ihn richtig verstanden habe: Deutschland hat ein vitales Interesse an der Entspannung des Ost-West-Konflikts, und ich möchte sagen, das ist ein Satz, hinter den ich mich voll und ganz stellen kann.
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- Nun, man darf das wohl sagen. - Vor einigen Tagen hat er in einer andern Erklärung gesagt: Überall dort, wo etwas zur Entspannung des Weltkonflikts geschieht, da geschieht auch etwas für Deutschland. Ich nehme an: vorausgesetzt, daß wirklich etwas zur Entspannung des Weltkonflikts geschieht, und das ist ja eine gemeinsame Sorge. Deswegen haben wir heute unsere Aufgabe darin erblickt, als Quintessenz unserer Auffassung nach dem Ausgang dieser Konferenz herauszuarbeiten und Ihnen vorzutragen, daß wir meinen, es werde die Aufgabe der Bundesrepublik sein, in der deutschen Frage, die auf dieser Konferenz nicht gelöst worden ist, noch nicht gelöst werden konnte, die Verhandlungssituation offenzuhalten, soweit wir es können, diese deutsche Frage immer wieder ins Gespräch, ins Spiel zu bringen und - das war das zweite - den Versuch zu machen, Tendenzen zur Entspannung, die sich international andeuten, für innerdeutsche Verhältnisse nutzbar zu machen, wenn es möglich ist. Dafür sollten wir uns alle ernsthaft und unverdrossen anstrengen.
Es ist, glaube ich, des Nachdenkens wert, ob wir, wenn es tatsächlich Tendenzen zur Entspannung des Ost-West-Konflikts gibt, unsere politischen Überlegungen hinsichtlich dessen, was nun geschehen wird und muß und was wir tun müssen, auf einer Vorstellung von einer unmittelbar uns drohenden Gefahr aufbauen können. Das ist nicht so einfach zu beantworten, aber das ist jedenfalls des Nachdenkens wert. Immerhin ist heute in dieser Debatte auch ein offensichtlich ernst gemeinter Satz gefallen, der etwa so lautete: Diese Konferenz habe nicht zur Entpannung der Gegensätze beigetragen. - Vielleicht kann uns erst eine größere Erfahrung lehren, was für einen Platz die Konferenz nun in der Kette der Ereignisse hat; aber wenn es in ihr eine Chance gibt, die zur Entspannung führt, dann, meine ich, sollten diese Überlegungen nicht ungenutzt bleiben, - das alles, ohne daß wir sorglos werden dürfen oder wollen.
Hier ist in beredten Worten über die Gefahren des sowjetischen Totalitarismus gesprochen worden. Herr von Merkatz hat sich besonders stark dagegen verwahrt, daß in den Friedensvertragsvorschlägen Bedingungen enthalten sind, von denen er sagte, sie seien ein Mord an unserem inneren Leben. So ungefähr hat er sinngemäß gesagt. Nun, glauben Sie, die Sozialdemokratie und die Freie Sozialistische Arbeiterbewegung wüßte nicht, was für sie auf dem Spiele steht, daß ihre Existenz und ihre Entwicklungsmöglichkeit unverbrüchlich mit der Entwicklung der Demokratie verbunden und in sie eingebaut ist.
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Was an den Plänen, die zusammen die Ausgangsposition der Sowjetmacht für die vor uns liegende Periode darstellen mögen, heute angeleuchtet wor({4})
den ist, das ist, so möchte ich sagen, der sowjetische Versuch der Sicherung und zugleich der Expansion, was bei den Russen immer sehr ineinander fließt. Aber vergessen wir doch auch nicht, daß dies eine Hypothek ist, die uns von einem anderen Totalitarismus, von einem anderen totalitären System hinterlassen worden ist,
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und daß wir die furchtbare Aufgabe haben, diese Hypothek, soweit Menschen das können, mit unseren Kräften abzuwälzen und mit ihr fertig zu werden. Wir wissen - falls Sie erlauben, daß man noch in Ruhe dazu spricht, beantworte ich hiermit eine Frage, die heute hier ebenfalls gestellt worden ist -,
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daß wir das nicht isoliert können, weder wir als Deutsche noch die Sozialdemokratie und die Menschen, die zu ihr stehen. Aber gerade deshalb haben wir ja versucht, unsere Auffassung von der Notwendigkeit der Verbindung unseres Strebens nach Erfüllung der vordringlichsten politischen Forderungen des ganzen deutschen Volkes mit dem nach Gemeinsamkeit mit den freien Nationen gegen die Verhärtung in eine Theorie vom stufenweisen Ablauf dieser Entwicklung zu verteidigen. Deswegen haben wir doch immer gesagt: Wir wollen nicht eine Reihenfolgetheorie. Herr von Brentano hat mich hier freundlicherweise aus dem September 1951 zitiert. Ich stehe nach wie vor zu dem, was ich im Jahre 1951 im Namen meiner Fraktion sagen durfte. Ich habe keinen Grund, davon ein Wort abzuhandeln. Wir könnten darüber reden - es ist heute hier versucht worden -, wann und wo man begonnen hat, sozusagen säuberlich eingeteilte Stufentheorien aufzustellen, daß erst die Integration und dann das andere kommen müsse; aber das führt wahrscheinlich zu nichts.
Noch ein Wort zu der Frage, wie es denn mit unserer Stellung gegenüber Entspannungstendenzen sei. Hier ist eine sehr böse Äußerung gefallen, so als wollten wir uns an den sowjetischen Machtblock anpassen. Wer ernsthaft dieser Meinung sein sollte, nun, der müßte es erst einmal unter Beweis stellen. Er müßte zum andern offen sagen, daß es dann keine Gemeinsamkeit, auch nicht in dieser einen zentralen Frage der deutschen Politik mehr geben kann. Dann soll er es aber offen sagen.
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Es ging aber noch weiter. Wir haben heute hören müssen, daß sich seinerzeit in Korea die Dinge in einer Weise entwickelt hätten, wie wir sie uns für hier wünschten.
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- Ungefähr gesagt, sehr hart gesagt. Ich wäre froh, wenn wir es im Protokoll nicht in dieser Schärfe fänden.
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Dort, wurde gesagt, seien die Verhältnisse vorher auch säuberlich geteilt worden. Was wir zu Korea zu sagen haben, haben wir während dieser ganzen Tragödie hier gesagt. Das hat auch unsere Stellung zur deutschen Politik wesentlich mitbestimmt und bestimmt sie nach wie vor. Es ist nicht so, daß man ein Drängen der Sozialdemokraten auf maximale Ausnutzung jeder sich eventuell bietenden Möglichkeit zur Entspannung im Ost-West-Konflikt in
I der Richtung einer positiven Lösung der deutschen Frage abtun kann, indem man sich in die Zitate flüchtet. etwa in der Form von „Seid umschlungen, Millionen!". Auf dem Hintergrund nur so zu verstehender Äußerungen über die Enttäuschung, die unser Volk und besonders der Teil in der sowjetischen Zone über den Ausgang der Konferenz in der deutschen Frage empfindet, ist es einfach falsch, anzunehmen, der Versuch, zu dem wir raten, nämlich die deutsche Frage immer wieder ins Spiel, immer wieder ins Gespräch zu bringen, könne in irgendeiner Weise mit einer solchen, sozusagen lyrischen Haltung verniedlicht werden.
Herr von Brentano hat hier gefragt: Warum sollten wir - er meinte die Regierungsparteien - die Politik aufgeben, die uns bis hierher geführt hat? Sie haben die Mehrheit und Sie haben selbst zu entscheiden, was Sie mit dieser Politik weiter machen wollen. Aber es ist das legitime Recht der Opposition, ihre Meinung zu den schwachen Seiten dieser Politik so, wie sie sie versteht, zu sagen, und selbst wenn Sie diese Meinung der Opposition verwerfen - Sie können es ja, weil Sie die Mehrheit haben -, werden Sie, glaube ich, bei genauerem Nachdenken über die Lage manches finden, was, auch wenn Sie jetzt bei dem Versuch eines großen Aufwaschens nicht wünschen, daß es sichtbar wird, Ihnen des weiteren Nachdenkens wert erscheint.
Denn das Fortsetzen dieser Politik, meine Damen und Herren - und dabei kommt es ja hauptsächlich auf die Verträge an, um die hier so lange für und wider gestritten worden ist -, hängt doch zum allerwenigsten von Ihnen ab, so groß auch Ihre Mehrheit in diesem Hause ist. Das hängt doch von neuen Leistungen und von uns alle bedrückenden und Sorge bereitenden weiteren Vorleistungen ab, die man in anderen Ländern verlangt. Wir empfinden darüber keine Schadenfreude, daß nun auch noch über die Saar geredet werden soll; aber wir machen eben darauf aufmerksam. Von den Zusatzprotokollen ganz zu schweigen!
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Aber nun muß ich noch ein Wort sagen zu der Schuldfrage, die heute hier angeklungen ist, soweit es sich um den Ausgang der Konferenz in der deutschen Frage handelt. Es ist ja ziemlich deutlich gesagt worden, in diesem Hause säßen diejenigen, die Schuld an diesem Ausgang hätten wegen der Verzögerung im Zustandekommen der Verträge. Darüber werden einmal andere urteilen müssen, darüber, was daran wahr ist und was daran verständliche Übertreibung und Entstellung im Eifer ist. Aber wenn man dann fortfährt und sagt, wir hätten ja viel Verständnis für Molotow gehabt und hätten wohl nun auch solches für die europafeindlichen Kräfte in Frankreich, so gehört das - entschuldigen Sie, Herr von Brentano - nicht mehr in die Kategorie von Meinungen, über die man wirklich sachlich und ernsthaft diskutieren muß.
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- Das mag sein, daß Sie, Herr Kunze, das als Tatsachen empfinden. Wenn Sie sich über die Tatsachen informieren möchten, falls Sie dafür Zeit und Interesse haben, ich bin gern bereit, Ihnen unsere Verlautbarungen zu geben, die zu den Vorschlägen Molotows Punkt für Punkt ablehnend gewesen sind,
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die sich aber nicht damit begnügt haben, sondern die den Versuch gemacht haben, aus einer Verhandlungs- und Konferenzsituation heraus, wenn in dieser Konferenz in der deutschen Frage etwas Positives geschehen konnte, mit darauf einzuwirken, nichts anderes. Da können Sie heute noch jedes Wort so nehmen, wie es damals geschrieben worden ist.
Herr Dr. Dehler hat hier gesagt, in der Außenpolitik gebe es am Ende nur einen Weg, und die Opposition habe, wenn sie ihren Standpunkt dargelegt habe, die verdammte Pflicht, sich einzuordnen.
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In solchen Äußerungen liegt - ich will mich darüber gar nicht lustig machen - ein Symptom für eine Entwicklung in unserem gespaltenen Nachkriegsdeutschland, die niemanden ganz glücklich werden läßt, hoffentlich auch manchen in diesem Hause nicht.
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- Was das soll, das will ich Ihnen ganz offen sagen. In einem Land, das in einer Lage wie der unseren ist und das sich aus Trümmern und Schutt und Dreck herausarbeiten muß, hätte von Anfang an ernster und immer wieder versucht werden müssen, in den großen, den zentralen Fragen der großen Politik, soweit es geht, Gemeinsamkeiten zu erzielen.
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Ich weiß, daß ich diesen Beifall sehr entgegengesetzten Motiven zu verdanken habe.
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Aber ich möchte Ihnen - über den Lärm der Sekunde hinaus - sagen: hier ist ein Reflex einer
tragischen Entwicklung in unserer Nachkriegszeit.
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Es ist in Frage gestellt worden, ob meine Freunde und ich, die vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei beauftragt waren, während der Konferenz in Berlin zu sein, dazu legitimiert waren. Wir waren in Berlin, um - soweit das Deutschen möglich war - in Erfahrung zu bringen, was auf der Konferenz geschah, wie die Konferenz verlief, und um, wenn jemand unsere Meinung hören wollte, mit unserer Meinung zur Verfügung zu stehen. Die Sozialdemokratische Partei mußte
- auch wenn Herr Dr. Dehler das nachträglich sozusagen verboten haben möchte - schon deshalb ganz einfach dort sein, weil sie sich mit den Opfern der Spaltung Deutschlands verbunden fühlt,
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mit denen wir in diesen Tagen, nachdem sie aus Bautzen und aus Brandenburg gekommen sind, in Berlin gesprochen haben.
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- Ich hoffe, Herr Dr. Bucerius, daß Sie nicht auch noch dieses Interesse in Frage stellen wollen, das Interesse an denen, denen es in unserem Volke am schlimmsten geht und die dort zum Tode und zu 25jährigen Freiheitsstrafen verurteilt sitzen. Es ist Ihnen unangenehm, Herr Dr. Bucerius, daß man
darüber spricht; das gehört aber zu den Realitäten und zur Legitimation auch unseres Auftretens bei dieser Gelegenheit.
({21})
Wir haben in Berlin den Pressevertretern, die Interesse für unseren Standpunkt hatten, z. B. eine solche Schrift wie „Unser Weg zur Einheit Deutschlands" - sie steht jedem zur Einsicht offen - gegeben, in der die völlige Übereinstimmung der Sozialdemokratischen Partei und ihres Kampfes mit dem, was der Bundestag, seitdem er besteht, in diesen Fragen beschlossen hat, nachgewiesen ist. Zweitens haben wir etwas gemacht, von dem ich gewünscht hätte, andere hätten es mit den ihnen in viel stärkerem Maße zur Verfügung stehenden Mitteln ebenfalls gemacht. Wir haben „Die Sowjetzone im Zahlenspiegel" Hunderten und aber Hunderten ausländischer Journalisten gegeben, um einmal das wirtschaftliche und soziale Elend der Menschen, die 'am meisten unter der Teilung zu leiden haben, zu kennzeichnen und zugleich auch die wirtschaftlichen Aspekte bei dem Prozeß der Wiedervereinigung und Verschmelzung aufzuzeigen.
Die Auseinandersetzung darüber, was unserem Volk not tut und was ihm gut tut, wird mit dieser Debatte ja nicht zu Ende sein. Ich möchte aber noch einmal auf das zurückkommen, was ich mir eingangs meiner Bemerkungen zu sagen erlaubte, daß die Lage für keinen Teil einfach ist und daß keiner hingehen und behaupten kann, er habe dort sozusagen einen Triumph davongetragen.
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Es gibt auch solche, und ich freue mich, daß Sie sich von solchen jetzt distanzieren. Ich hoffe, daß wir in dem Bestreben
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- das kann man ja schriftlich sehen, wenn es Sie interessiert; das brauche ich Ihnen jetzt wohl nicht noch vorzulegen - um die zwei zentralen Punkte, die wir für die nächste deutsche Politik sehen, die Verhandlungssituation offenzuhalten und, soweit es in unseren Kräften steht, natürlich auch mit Hilfe der Besatzungsmächte, innerdeutsche Erleichterungen der Auswirkung der Spaltung zu erwirken, zu größerer Übereinstimmung und Gemeinsamkeit gelangen, als es bisher scheinen mag.
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Das Wort hat der Abgeordnete Lemmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß niemand in diesem Hause ist, der nicht mit der Bemerkung des Herrn Kollegen Wehner übereinstimmt, daß sich unser Volk insbesondere nach dem Ausgang der Berliner Konferenz in einer sehr ernsten Lage befindet. Auch in anderer Hinsicht gibt es, glaube ich, keine unterschiedliche Auffassung, daß nämlich - Herr Kollege Wehner hat es angedeutet - jetzt unsere deutschen Mitbürger in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg allein noch Träger der tragischen Konsequenzen sind, die sich aus der großen deutschen Katastrophe unter Hitler ergeben haben.
({0})
Wir leben in relativer Sicherheit und absoluter
Freiheit. Wenn die Bewohner der sowjetischen
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Zone den Verlauf dieser Debatte vernehmen, werden sie uns um die Freiheit ,des Gewissens und der Überzeugung beneiden, die auch in den Auseinandersetzungen dieses Tages spürbar geworden sind.
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Ich habe eine Hemmung, mich nun etwa gefühlsbetont, pathetisch, mit billigen Worten von diesem Pult aus an die Menschen im sowjetischen Besatzungsbereich zu wenden. Gerade weil wir in ihnen allerdings - nicht nur in den noch bedauernswerteren Menschen in Waldheim und Bautzen - die Opfer der Spaltung unseres Landes sehen, sind wir es ihnen schuldig, ihnen nicht mit Worten, sondern mit Handlungen zu begegnen. Wir in der Bundesrepublik müssen uns darüber im klaren sein: der Genuß unserer Freiheit und Sicherheit bedingt Opfer; das tragische Gefälle im Lebensstandard zwischen der Bundesrepublik und Mitteldeutschland ist eine Verpflichtung für uns, noch größere Opfer für Berlin und die Sowjetzone zu bringen.
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Die Opfer, die wir den Bewohnern der Sowjetzone unmittelbar zu bringen vermögen, sind minimal. Aber mittelbar können wir ihnen noch mehr Opfer bringen, indem wir die Bastion unserer Gesinnung, die Bastion unserer Überzeugung, die immer noch krisenhafte Stadt Berlin, die das Symbol für die Menschen der Sowjetzone und die Hoffnung auf eine Wende ihrer Trostlosigkeit von heute ist, so unterstützen, daß die Berliner ihren Kampf fortzusetzen in der Lage sind.
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Und das andere Opfer. Das andere Opfer: daß wir uns bei aller Kontroverse, die wir uns im Zeichen einer freien Demokratie über Lebensfragen unseres Volkes in diesem Hause leisten dürfen, dessen bewußt sein müssen, meine Freunde, daß die Hörer in Dresden, Leipzig und Schwerin heute abend für eines kein Verständnis haben werden, bewußt oder unbewußt dargeboten: für irgendeine parteipolitische Rechthaberei.
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Sie erwarten von uns ein hohes Niveau nationaler Moral, gerade unter der erschütternden Wirkung der Ergebnislosigkeit der Berliner Konferenz.
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Diese Ergebnislosigkeit zu beschönigen, lehne ich ab. Die Konferenz hat sich eigentlich mehr deklamatorisch als ernsthaft und konkret mit der Lösung der deutschen Frage beschäftigt. Ich wünschte, man hätte die deutsche Frage mit derselben Bereitwilligkeit, zu Ergebnissen zu kommen, behandelt wie etwa das Korea-Problem oder die Fragen der Atomkontrolle und der Abrüstung. Soweit es geheime Gespräche auf der Berliner Konferenz gab, bezogen sie sich nicht auf die deutsche Frage. Und wenn in einigen Monaten die Mächte ihre Gespräche in Genf fortsetzen, dann müssen wir mit Bedauern vermerken, daß die deutsche Frage vorläufig nicht auf die Tagesordnung der internaionalen Gespräche gesetzt ist.
Wenn man nun aus dem, was aus dem Lager des Regierungsblocks, zu dessen Politik ich mich bekenne, und dem, was von den Sprechern der Opposition gesagt worden ist, das Fazit zieht, dann erlaube ich mir die Feststellung, ohne hier beschwichtigen zu wollen, daß, abgesehen von zwei Fragen und abgesehen von gewissen rhetorischen Temperamenten, zwischen beiden Seiten dieses Hauses eine sehr weitgehende Übereinstimmung vernehmbar geworden ist. Lassen Sie mich einige wenige Punkte herausgreifen; ich habe begonnen, Statistik zu führen, aber die Zahl wuchs an, und ich hörte wieder auf.
Der Herr Bundeskanzler und der Führer der Opposition zeigten sich trotz der Konstatierung der Ergebnislosigkeit der Berliner Konferenz in bemerkenswerter Übereinstimmung als Optimisten. Beide versicherten, sie seien Optimisten. Ich war es nicht ganz bis heute vormittag. Nachdem aber der Optimismus des Bundeskanzlers durch den Führer der Opposition kontrolliert und bestätigt worden ist, bin ich nun auch Optimist geworden, meine Damen und Herren!
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Schließlich gebe ich zu: wenn man nicht trotz aller Bedrückung einen Rest von Optimismus hat, dann würde einem wohl der Mut genommen werden und die seelische Spannkraft, angesichts der unerhörten Komplikation unserer nationalen Lage überhaupt noch schöpferisch handeln zu können.
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Und ein anderes. Der Sprecher der Regierung, der Herr Bundeskanzler, und der Sprecher der Opposition, Herr Abgeordneter Ollenhauer, haben beide ihrem Wunsch nach Entspannung in dem großen weltpolitischen Gegensatz, den wir kennen, Ausdruck gegeben, und von ihnen beiden ist darauf hingewiesen worden, daß eine Lösung der deutschen Frage nicht isoliert zu erwarten sei, sondern daß sie schließlich nur im Zuge einer internationalen Entspannung - womit nicht die Neutralisierung gemeint sei, auch das wurde von beiden Seiten übereinstimmend gesagt - möglich wäre.
Meine Damen und Herren, ich halte diese Übereinstimmung für entscheidend. Denn sie bestätigt die realistische Auffassung, daß es mit einer gefühlsbetonten Politik nach menschlichem Ermessen nicht gelingen kann, die Sowjetunion zum endlichen Verlassen des deutschen Okkupationsgebietes zu bringen. Dieser Hinweis auf die Entspannung und der Hinweis darauf, daß die deutsche Frage nicht isoliert zu lösen sei, enthält zweifellos die Meinung, daß die Sowjetunion für das deutsche Schicksal leider, leider eine furchtbare Realität geworden ist. Sie steht als Besatzungsmacht tief im deutschen Land. Es ist vielleicht auch angebracht, allgemein einmal zu sagen, daß im Ergebnis des zweiten Weltkriegs, in dem die Sowjetunion der einzige Gewinner gewesen ist, die Macht der Sowjetunion vom Oberlauf des Dnjepr, der früheren russisch-polnischen Grenze, bis in das Gebiet der Werra - das sind über tausend Kilometer - nach Westen hin ausgedehnt worden ist.
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Wenn der Herr Bundeskanzler und der Sprecher der Opposition, also hier im Grunde unser Volk, ermahnen, die Gegebenheiten realistisch und ohne Illusionen zu sehen, dann, glaube ich, auch noch aus einem anderen Grunde. Es ist wohl angebracht, die Nebenbemerkung zu machen, daß die deutsche Bundesrepublik, in der wir heute den alleinigen
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deutschen Staat in Freiheit und Würde und Unabhängigkeit zu erblicken vermögen, mit einem Gebietsumfang von 260 000 Quadratkilometern nicht einmal die Hälfte vom Flächenraum des ehemaligen Deutschen Reiches des Jahres 1914 mit 540 000 Quadratkilometern ausmacht. Die ganze Tragödie der deutschen Geschichte dieser Jahrzehnte kommt meines Erachtens nicht zuletzt in diesen Zahlen erschütternd zum Ausdruck.
Und nun ein Wort über die beiden Punkte - die einzigen, die ich sehe -, in denen zwischen uns im Regierungslager und der Opposition keine Übereinstimmung besteht. Das eine entnahm ich der Bemerkung des Herrn Kollegen Ollenhauer zur Erklärung des französischen Außenministers Bidault auf der Berliner Konferenz, der, um Herrn Molotow mit seinen fadenscheinigen Gründen zu beschwichtigen, darauf hinwies, daß ja doch die Sowjetunion vor einem militärisch aufgerüsteten Deutschland keine Angst zu haben brauche, weil dieses Deutschland militärisch und schließlich auch politisch durch die EVG gebunden sei. Herr Kollege Ollenhauer meinte, das wäre für ihn ein Grund mehr, seine Ablehnung des EVG-Vertrags zu bekunden. Meine Damen und Herren, ich bin anderer Meinung.
({11})
Ich bin der Meinung, daß die Bindung der Bundesrepublik über den EVG-Vertrag erstens keine Diskriminierung bedeutet, weil dieser gleichen Bindung jeder andere Vertragspartner ausgesetzt ist.
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Das andere, das ich zu dieser Gegensätzlichkeit
zum Ausdruck bringen möchte, ist, daß ich gerade
in dieser, wie der zeitgemäße Ausdruck lautet,
supranationalen Bindung einen großen Gewinn
und einen gewaltigen politischen Fortschritt gegenüber dem durch Nationalismen zerrissenen und vernichteten Europa der Vergangenheit sehe.
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Der zweite Punkt, in dem wir nicht übereinstimmen: Wir sind uns nicht einig in der Auffassung, daß der Verzicht auf die EVG als Voraussetzung für eine deutsche Wiedervereinigung notwendig sei. Ich habe nach dem sorgfältigen Studium dieser teilweise aus nächster Nähe erlebten Berliner Konferenz den Eindruck, daß diese Voraussetzung sozialdemokratischer Politik dank dem Verhalten des sowjetischen Außenministers Molotow nunmehr irreal geworden ist,
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weil - das wurde schon von anderen Rednern, auch dem Sprecher der SPD, gesagt - ja doch Herr Molotow auf dieser Konferenz wahrscheinlich zum Erstaunen vieler Leute die erwartete Alternative: EVG oder echte Wiedervereinigung, schuldig geblieben ist.
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Herr Molotow hat durch seinen Verzicht auf diese Alternative nicht nur der Haltung der sozialdemokratischen Opposition zu diesen Verträgen, sondern auch manchen anderen, die ernste Überlegungen über den Ausweg aus dem Dilemma: EVG und Wiedervereinigung, anstellten - ich meine nicht Herrn Joseph Wirth -,
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einen schweren Stoß versetzt.
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Man möchte beinahe - so habe ich es einem Freunde gesagt - etwas ironisch meinen, daß Herr Molotow den erbitterten Kampf des alten Kommunisten gegen den demokratischen Sozialismus auch bei dieser Gelegenheit fortgesetzt hat, als ob es sein Wunsch war, die sozialdemokratische Opposition zu schwächen, weil sie angesichts dieser Haltung des sowjetischen Außenministers - es ist wirklich meine Meinung - politisch unhaltbar geworden ist.
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Dafür aber hat Herr Molotow uns vor die große Wahlentscheidung gestellt. Er hat uns die Volksabstimmung verheißen, die in seinem sowjetischen Bereich zweifellos in den nächsten Wochen durchgeführt werden dürfte, nämlich wir sollen uns entscheiden, ob EVG oder Friedensvertrag. Diese Entscheidung mutet mich an wie die Aufforderung, zu wählen zwischen Hose und Jacke,
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wobei die Sicherheit die Hose und der Friedensvertrag die Jacke wäre.
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Mit anderen Worten gesagt, ich kann zur Not ohne Jacke, aber nicht ohne Hose herumlaufen.
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Ich würde Herrn Molotow und Herrn Ulbricht eine ganz andere Entscheidung vorschlagen, und ich bin überzeugt, daß dieses Haus in absoluter Einmütigkeit diese Fragestellung akzeptieren würde: Wenn schon jetzt keine gesamtdeutschen Wahlen möglich sind und die ostzonale Regierung unbedingt eine Volksabstimmung in allen Teilen Deutschlands veranstalten möchte, dann soll man in geheimer Wahl die deutschen Menschen zwischen Oder und Neiße und den westlichen Grenzen der Bundesrepublik fragen, ob sie sich zu den Prinzipien und der Lebensauffassung der Deutschen Demokratischen Republik oder der Bundesrepublik bekennen.
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Diese Abstimmung freilich hieße beinahe Eulen nach Athen tragen. Es bedurfte nicht des 17. Juni, um volle Klarheit darüber zu schaffen, daß sich zwar viele Demarkationslinien tief in das deutsche Leben eingegraben haben, daß aber der geistige, der seelische und der politische Zusammenhalt aller Deutschen - und das ist ein großes Aktivum - gewahrt werden konnte.
Allerdings brennt die Lösung der deutschen Frage nicht in erster Linie uns, aber den Menschen in sowjetisch-politischem Gewahrsam auf den Nägeln. Darum bin ich fest davon überzeugt, daß der Herr Bundeskanzler und seine Regierung beharrlich wie bisher nicht nur ihre Forderung nach nationaler und demokratischer Selbstbestimmung des deutschen Volkes aufrechterhalten, sondern daß sie auch keinen Zweifel darüber lassen, daß unser Volk unter dem Eindruck des Ausgangs der Berliner Konferenz von einer heiligen Unruhe beseelt ist, und daß auch unsere Freunde in der Welt sich nicht darüber täuschen dürfen, daß wir immer fanatischer und entschiedener unsere Forderung nach Wiedervereinigung und Freiheit stellen werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer, wenn bei eigens dafür einberufenen Konferenzen oder allgemeinen internationalen Konferenzen über die Frage der deutschen Wiedervereinigung auch künftig verhandelt werden wird, wird der Sowjetrusse Gesprächspartner sein. Es ist deshalb wichtig, daß wir aus dem Ablauf der Berliner Konferenz klar und deutlich erkennen, worum es den Sowjets in Wahrheit zu tun ist. Die deutsche Frage - das hat der Herr Bundeskanzler heute schon betont - war für die Sowjets nicht das Hauptanliegen bei der Berliner Konferenz. Ihnen ging es um andere, um weltweite Probleme. Diese Probleme bemühen sie sich auf ihre bolschewistische Art zu lösen. Offen und vor aller Welt sichtbar hat Herr Molotow in der deutschen und in der österreichischen Frage bekundet, daß die Sowjets zu keinen Zugeständnissen bereit sind, wenn ihnen nicht durch ein internationales Arrangement die Möglichkeit zur Ausweitung ihrer Herrschaft gegeben erscheint. Die beiden wesentlichen Pläne, die Molotow der Konferenz unterbreitete - die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen zur Lösung der deutschen Frage und seine Vorschläge für einen sogenannten gesamteuropäischen Vertrag über die kollektive Sicherheit in Europa -, lassen diese Tendenz deutlich erkennen.
Es hat uns verwundert, daß in einem Rundfunkgespräch am vergangenen Sonntag der an diesem Gespräch beteiligte Vertreter der Opposition im Gegensatz zu der Auffassung, die der Herr Kollege Ollenhauer hier äußerte, darauf hinwies, daß Herr Molotow doch ebenfalls freie Wahlen vorgeschlagen habe. Ganz abgesehen davon, daß der Osten unter „frei" und auch unter „Wahlen" ganz etwas anderes versteht als wir und der Westen, darf doch nicht übersehen werden, daß Herr Molotow mit der seinem Regime eigenen Sturheit immer wieder darauf bestand, daß vor freien Wahlen ein sogenanntes gesamtdeutsches Gremium, zusammengesetzt aus Vertretern der Bundesrepublik und der Zonenmachthaber, gebildet werden soll. Dieses Gremium sollte nach den Wünschen Molotows und seiner Pankower Trabanten einen Friedensvertrag vorbereiten oder an der Vorbereitung beteiligt sein.
Man stelle sich nun einmal vor, wie ein solches Gremium in der Praxis einen Friedensvertrag zustande bringen sollte. Es käme dann entweder ein den Sowjets genehmer oder überhaupt kein Friedensvertrag zustande. Wie aber ein den Russen genehmer Friedensvertrag aussehen würde, das wissen wir aus den diesbezüglichen Vorschlägen des Herrn Molotow. Ein solcher Friedensvertrag hätte keine andere Bezeichnung verdient als „Diktatfrieden". Darum - wenn überhaupt um den Frieden - ging es den Sowjets. Der Plan hingegen, der von Außenminister Eden vorgetragen wurde, sollte dadurch, daß er freie Wahlen und die Bildung einer aus diesen Wahlen hervorgegangenen gesamtdeutschen Regierung forderte, die später einen Friedensvertrag aushandeln sollte, genau das, nämlich den Diktatfrieden, verhindern.
Anders können wir auch die Worte nicht verstehen, die der amerikanische Außenminister Dulles bei seiner Kritik am Versailler Vertrag gebrauchte. Diese Erklärung Dulles ist - bei allem sonstigen Bedauern über das mangelhafte Ergebnis der Konferenz in der deutschen Frage-für alle jene deutschen Menschen eine große Hoffnung, die schon einmal nach den Bestimmungen der Verträge von Versailles und Saint-Germain unter Bruch des Versprechens auf Selbstbestimmung ihr Vaterland oder 1945 nach dem Abkommen von Potsdam ihre Heimat verloren haben. Diese Menschen erwarten nun, daß einmal, wenn eine wahrhaft freie gesamtdeutsche Regierung als Verhandlungspartner an einem Friedensvertrag mitarbeiten darf, diese von dem im Eden-Plan zugesicherten Recht der Handlungsfreiheit im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Vereinten Nationen wird Gebrauch machen dürfen. In diesen Grundsätzen der Vereinten Nationen findet auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker seine rechtliche Fundierung.
Die Vorschläge Molotows für einen gesamteuropäischen Vertrag über die kollektive Sicherheit Europas unter Ausschluß Amerikas, aber unter Einbeziehung der Sowjets sind hier schon entsprechend kritisiert und zurückgewiesen worden. Ich meine aber: Wenn wir schon anerkannt haben, daß die Sowjets damit nichts anderes als die Ausdehnung ihrer Macht bis an den Atlantik bezweckten, sollten wir daraus die Konsequenzen ziehen. Die Sowjets haben in ihrem Satellitenreich ihre Ost-EVG längst fertig. Allerdings muß man dabei den Buchstaben „V", der „Verteidigung" bedeuten soll, durch „B" ersetzen, nämlich „Bedrohung"; denn tatsächlich bedrohen die Sowjets mit ihren Zwangsverbündeten hinter dem Eisernen Vorhang seit Jahren uns und die Freiheit der ganzen westlichen Welt. Im freien oder frei gebliebenen Teil Europas sind wir aber bisher nicht imstande gewesen, die unselige Nationalstaaterei zu überwinden und endlich die Einheit des freien Kontinents herzustellen, die allein imstande ist, unsere Zukunft in Freiheit zu sichern. Ist es nicht ein schändlicher Zustand, daß 300 Millionen Europäer aus Furcht und Angst vor 210 Millionen Sowjetrussen von 150 Millionen Amerikanern ausgehalten und geschützt werden müssen?
Die Haltung der Sowjets in Berlin hat uns deutlich gemacht, daß es nicht nur einen deutschen, sondern auch einen europäischen Notstand gibt. Wir können ihn nur beseitigen, wenn wir über Montan-Union, Verteidigungsgemeinschaft, vielleicht auch über andere geeignete funktionalistische Maßnahmen den Weg zur echten politischen europäischen Vereinigung finden. Wir wissen nicht, wann die Großmächte wieder einmal in einer Konferenz über die Deutschlandfrage beraten werden; aber wir wissen eines oder sollten es jedenfalls wissen, nämlich daß, wenn es wieder dazu kommt, unser Anliegen besser gewahrt ist, wenn wir ein Teil des politisch geschlossenen Europas geworden sind und auf diese Weise zumindest indirekt selber unsere Belange durch dieses Europa mit vertreten können.
Aus dieser Erkenntnis heraus wird der Gesamtdeutsche Block/BHE alle Maßnahmen billigen und unterstützen, die zu jener politischen Einheit Europas hinführen.
Was unsere Verpflichtung anlangt, alles zu tun, was unseren Brüdern und Schwestern in der sowjetisch besetzten Zone ihre furchtbare Lage erleichtern und sie zum Aushalten veranlassen kann, so meinen wir, daß der Bundestag noch in den nächsten Tagen Maßnahmen beschließen sollte, die, auch wenn sie für uns im Westen materielle Opfer bedeuten, drüben, hinter dem Eisernen Vor({0})
hang als Zeichen dafür gewertet werden, daß wir noch die nationale Solidarität kennen, die sich besonders in Zeiten höchster politischer Not beweisen muß.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zur Aussprache liegen nicht vor.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Gerstenmaier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen namens der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, des GB/BHE und der DP folgenden Entschließungsantrag vorzutragen, der Ihnen inzwischen vorliegt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag bedauert auf das tiefste, daß die Berliner Konferenz keine Lösung der Deutschlandfrage gebracht hat. Aus den Stellungnahmen des sowjetischen Außenministers geht eindeutig hervor, daß die Sowjetunion heute nicht willens ist, die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit zuzulassen.
Der Deutsche Bundestag dankt den Außenministern der Westmächte, daß sie sich mit großer Entschiedenheit für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit eingesetzt haben.
Der Deutsche Bundestag verpflichtet sich von neuem, als die einzige in. Freiheit gewählte Vertretung des deutschen Volkes alles, was in seiner Macht ist, zu tun, um den in Unfreiheit lebenden Deutschen beizustehen und die Wiedervereinigung mit ihnen in Frieden und Freiheit herbeizuführen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt es, daß die Berliner Konferenz die Voraussetzungen für weitere Verhandlungen geschaffen hat. Er hofft, daß diese Verhandlungen zu einer allgemeinen Entspannung führen und damit neue Möglichkeiten zur Wiedervereinigung Deutschlands eröffnen.
Der Deutsche Bundestag ist willens, dieses Ziel in der Gemeinschaft der freien Welt und in unverbrüchlicher Solidarität mit den anderen freien Völkern Europas zu verfolgen.
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Meine Damen und Herren, Sie haben den Entschließungsantrag aller Fraktionen des Hauses - Drucksache 286 - gehört. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Entschließungsantrage zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Ich stelle fest, daß dieser Entschließungsantrag vom Deutschen Bundestag einstimmig angenommen worden ist.
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Meine Damen und Herren, ich darf in diesem uns alle bewegenden Augenblick zwei Dinge sagen. Einmal: daß der Deutsche Bundestag als der Repräsentant des deutschen Volkes von allen Gliedern des deutschen Volkes, insbesondere in der Bundesrepublik, erwartet, daß sie das, was in dieser Entschließung steht, wirklich in die Tat umsetzen, daß sie alles, was in ihrer Macht steht, tun, um den in Unfreiheit lebenden Deutschen beizustehen. Es geht dabei nicht um die Deklamation, sondern um die schlichte Tat der brüderlichen Hilfe. Dazu aufzurufen, scheint mir in diesem Augenblick Aufgabe des deutschen Parlaments zu sein.
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Und das zweite: Ich bin während dieser Sitzung vom Ausland her gefragt worden, ob die Deutschen das Anliegen der Wiedervereinigung wirklich so ernst nähmen, wie es so oft ausgesprochen werde.
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Ich verstehe die Einmütigkeit des Hauses in diesem Augenblick so, daß wir gegenüber jeder Versuchung, auf irgendeinem Wege oder durch eine Hintertür in uns den Gedanken wach werden zu lassen, wir brauchten die Wiedervereinigung nicht, das unterstreichen, was der Herr Bundeskanzler heute unter dem allgemeinen Beifall des Hauses festgestellt hat, daß wir nämlich durch Worte und Taten klarzumachen haben, daß die Deutschen sich niemals mit der Spaltung Deutschlands abfinden
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und niemals die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen werden.
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Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich habe bekanntzugeben, daß die Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, die für heute auf 15 Uhr angesetzt war, ausfällt. Die Sitzung des Ausschusses für Jugendfragen fällt ebenfalls aus, ebenso die Sitzung des Beirats für handelspolitische Vereinbarungen. Der Ausschuß für den Lastenausgleich tagt eine Stunde nach Schluß der Plenarsitzung. Der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung tagt wie vorgesehen um 16.30 Uhr. Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik beginnt mit seiner Sitzung eine Viertelstunde nach Schluß des Plenums im Sitzungssaal 210 Süd. Der Haushaltsausschuß tagt eine halbe Stunde nach Schluß des Plenums im üblichen Saal, der Ausschuß für Besatzungsfolgen eine Viertelstunde nach Schluß des Plenums. Weitere Bekanntmachungen sind nicht mitzuteilen!
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung des Deutschen Bundestages.