Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Durch Beschluß des Hauses von gestern ist die heutige Tagesordnung um die gestern nicht erledigten Punkte 4 sowie 6 bis 21 erweitert. Weiter muß das Haus noch zu dem Beschluß des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes Stellung nehmen.
Eine amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat mit Schreiben vom 22. Juni 1956 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Bundestages in seiner 40. Sitzung über die beim Institut für Raumforschung vorgekommenen Unregelmäßigkeiten abschließend berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2596 vervielfältigt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen beantrage ich, die heutige Tagesordnung um die dritte Beratung des Wehrpflichtgesetzes zu erweitern. Ich bitte, diesen Punkt als Punkt 2 der heutigen Tagesordnung zu behandeln.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Kalbitzer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Sie dringend bitten, diesem Antrag der Regierungskoalition nicht zuzustimmen, und zwar aus folgenden Gründen. Sie wissen, daß wir nach der sogenannten zweiten Lesung des Wehrpflichtgesetzes nicht den Eindruck haben konnten, daß diese mehr als eine bloße Farce gewesen sei.
({0})
Die wirkliche Einzeldebatte wird noch bevorstehen. Da Sie festgestellt haben, daß eine Debatte a priori nicht zum Erfolg führen könne, war es de facto keine zweite Lesung. Sie wissen, daß wir es für politisch verfehlt halten, das Wehrgesetz in diesem Augenblick auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist schon gesagt worden und soll hier nicht im einzelnen ausgeführt werden.
Worauf ich und meine politischen Freunde besonders Wert legen, ist, daß die Tagesordnung von gestern heute und jetzt fortgeführt wird. Denn es ist zu befürchten, daß, wenn das Wehrpflichtgesetz als Punkt 2 auf die heutige Tagesordnung gesetzt wird, nach Abschluß der dritten Lesung des Wehrpflichtgesetzes das Haus auseinanderläuft und nicht mehr beschlußfähig ist. Auf der gestrigen Tagesordnung stehen aber verschiedene Punkte, die unbedingt vor Beginn der Parlamentsferien behandelt werden sollten. Ich möchte Ihr Augenmerk insbesondere auf Punkt 7 der gestrigen Tagesordnung, den Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Jugoslawien über wirtschaftliche Zusammenarbeit, lenken. Dieser deutsch-jugoslawische Vertrag darf nicht von der Tagesordnung abgesetzt werden. Es ist auch nicht angängig, ihn wegen Überfüllung der Tagesordnung nicht mehr zu behandeln, wenn man nicht politisches Porzellan zerschlagen will. Hiervor warne ich Sie sehr eindringlich.
Der deutsch-jugoslawische Vertrag ist nach jahrelangen Verhandlungen endlich zum Abschluß gekommen. Es hat bei diesen Verhandlungen auf beiden Seiten Mißstimmung gegeben. Alle Differenzpunkte sind gründlichst behandelt worden und danach zur Entscheidung gekommen. Beide damit befaßten Parlamentsausschüsse, sowohl der Auswärtige als auch der Außenhandelsausschuß, haben den Vertrag einmütig gebilligt. Wenn Sie jetzt dazu übergehen, diesen Vertrag entweder so in die Tagesordnung einzureihen, daß er nicht mehr zur Beratung kommen wird, oder ihn gar von der Tagesordnung ganz abzusetzen, was offenbar Ihre Absicht ist, dann müssen Sie sich vergegenwärtigen, daß die Absetzung oder Nichtbehandlung einen Affront in der Außenpolitik gegenüber Jugoslawien darstellt; es wird eine Verschlechterung der Beziehungen zum Ausland eintreten.
({1})
Meine Damen und Herren, ich darf doch um etwas Ruhe bitten.
Die Einwände gegen die Verabschiedung des Vertrages, die in den letzten Tagen bekanntgeworden sind, bedeuten eine Einmischung in die inneren Verhältnisse eines anderen Landes.
({0})
Das ist gerade das absolute Gegenteil der beabsichtigten und von den beiden Parlamentsausschüssen geforderten freundschaftlichen Zusammenarbeit mit diesem Land.
({1})
Die Einwendungen, die unter der Hand gegen dieses Vertragswerk erhoben werden und in der CDU-Fraktion in den letzten zwei Tagen offenbar die Oberhand gewonnen haben, sind in drei Punkte zusammenzufassen. Der eine Punkt ist, daß die Vertriebenen aus dem Osten und dem Südosten
({2})
- Jawohl, meine Damen und Herren, ich halte mich völlig im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte,
({3})
indem ich Ihnen klarzumachen versuche, daß Sie politisch außerordentlich gefährliche Wege einschlagen, wenn Sie jetzt die Tagesordnung, die gestern abend beschlossen worden ist, außer acht lassen. Sie manövrieren damit sich und uns alle in schwierige Situationen.
Die Einwände der Vertriebenen gegen den Abschluß dieses Vertrages beruhen auf einer völligen Verkennung der Tatsachen.
({4})
({5})
- Unsere Partei läßt sich von Ihnen in der Fürsorge für die Vertriebenen und in der Wahrnehmung ihrer Interessen in keiner Weise übertreffen; aber der vorliegende Vertrag schließt keineswegs die Möglichkeit aus, die Interessen und Forderungen der Vertriebenen in bezug auf Jugoslawien durch Verhandlungen zu klären. Es ist also unsinnig, wenn Sie wegen dieser Einwendungen versuchen, die Ratifizierung des Vertrags mit Jugoslawien hier zu torpedieren.
Herr Abgeordneter, ich darf bitten, sich an die Vorschrift der Geschäftsordnung zu halten, wonach Reden zur Geschäftsordnung auf fünf Minuten beschränkt sind.
Der zweite Punkt ist, daß man versucht hat, den Besuch Titos in Moskau und entsprechende Erklärungen politisch mißzuinterpretieren.
({0})
Ich freue mich, daß die heutigen Presseverlautbarungen das klarstellen.
({1})
- Wenn Sie mir zurufen, ich solle aufhören, dann seien Sie auch so freundlich, nicht von der Tagesordnung abzuweichen, sondern bekennen Sie sich zu dem, was Ihre eigenen Parlamentsausschüsse Ihnen empfohlen haben, und versuchen Sie nicht, jetzt in letzter Minute eine politische Linie einzuschlagen, die im In- und Ausland als ein Manöver betrachtet werden muß, das die Stimmung des Kalten Krieges hebt und gerade das Gegenteil des« sen bezweckt, was unsere außenpolitische Linie heute sein soll.
Ich möchte Sie zum Schluß bitten, den Herrn Außenminister hier über die Frage anzuhören, ob es politisch vertretbar sei, den Vertrag mit Jugoslawien jetzt nicht zu behandeln, und ob es nicht eine schwere politische Brüskierung des Auslandes wäre, diesen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen oder ihn so auf die Tagesordnung zu bringen, daß faktisch eine Behandlung nicht möglich sein wird.
({2})
Ich gebe das Wort zur Geschäftsordnung nunmehr dem Herrn Abgeordneten Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten wiederhole ich unseren Antrag, heute nicht das Wehrpflichtgesetz in dritter Lesung, sondern in erster Lesung unseren Gesetzentwurf für ein Wehrergänzungsgesetz - Drucksache 2604 - zu beraten. Außer den Gründen, die ich bereits in zweiter Lesung dafür angeführt habe, bewegen uns folgende Gründe:
Der Verlauf der zweiten Beratung des Wehrpflichtgesetzes hat Anlaß zu ernster Sorge gegeben. Die Gesetze der parlamentarischen Demokratie sind vorgestern in diesem Hause nicht beachtet worden.
({0})
Es hat sich gezeigt, daß die Parteien der Regierungskoalition nicht bereit sind, Lebensfragen unseres Volkes mit der gebotenen Sorgfalt und Verantwortung zu behandeln.
({1})
Es wurde wieder einmal mit Zeitdruck gearbeitet. Ausdrücklich wurde sogar erklärt, daß man alle Änderungsanträge ohne Rücksicht auf ihren sachlichen Gehalt von vornherein abzulehnen entschlossen sei.
Soweit die Anträge mit Sachausführungen bekämpft wurden, geschah dies zum Schein und zum Teil gegen bessere Überzeugung, wie die heutige dritte Lesung beweisen wird.
({2})
In diesem Verhalten sehen wir eine Entstellung der Aufgaben des Deutschen Bundestages. Außerdem verletzte die Abwesenheit des Herrn Bundeskanzlers bei der zweiten Beratung die Würde des Hauses.
({3})
Wir Freien Demokraten sind aus unserer Verantwortung gegenüber dem Volk und besonders gegenüber unserer Jugend nach wie vor bereit, loyal an den Wehrgesetzen, auch am Wehrpflichtgesetz, mitzuarbeiten,
({4})
ungeachtet unserer grundsätzlichen Bedenken gegen Form und Zeitpunkt dieser Verabschiedung. Die Koalitionsparteien haben die Möglichkeit, die Wehrpflicht so zu gestalten, daß sie von einer großen Mehrheit unseres Volkes bejaht wird, um einer nutzlosen Demonstration willen vertan.
({5})
Sie haben damit der deutschen Demokratie keinen Dienst erwiesen. Es liegt bei den Regierungsparteien, in der heutigen dritten Beratung ides Wehrpflichtgesetzes, wenn sie stattfinden sollte, die Gefahr zu bannen, daß durch ihr Verschulden eine Kluft zwischen dem deutschen Volk und seiner Bundeswehr von vornherein aufgerissen wird.
({6})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir vom Gesamtdeutschen Block/BHE widersprechen der heutigen dritten Beratung des Wehrpflichtgesetzes. Wir tun dies aus ernster Sorge wegen der mangelnden inneren Bereitschaft zur echten Diskussion der Probleme, die mit diesem Gesetz verbunden sind. Wenn uns eines davon überzeugt hat, daß das Wehrpflichtgesetz in dieser Form nicht beraten werden kann, dann die zweite Beratung!
({0})
Wir haben von Sprechern aus Ihren Reihen gehört,
daß Sie durchaus die echten sachlichen Argumente
({1})
der Opposition verstehen, daß Sie aber aus Zeitnot nicht bereit sind, auf sie einzugehen.
({2})
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie haben mit Ihrem Verhalten in der zweiten Beratung nicht nur der Demokratie, sondern auch dem Wehrpflichtgedanken einen denkbar schlechten Dienst erwiesen.
({3})
Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß, bevor dieses Gesetz verabschiedet wird, eine breite, echte Aussprache in diesem Parlament möglich sein wird. Wir bitten deshalb, meine Damen und Herren, bereit zu sein, in einer aufgeschlosseneren Atmosphäre die mit dem Gesetz verbundenen schwerwiegenden Entscheidungen zu beraten, sie aber heute nicht unter diesen Zeitdruck zu stellen, den Sie verschuldet haben.
({4})
Meine Damen und Herren! Sie haben die Anträge zur Tagesordnung gehört. Ich lasse zunächst über den Antrag des Herrn Abgeordneten Rasner abstimmen. das Wehrpflichtgesetz heute in dritter Lesung auf die Tagesordnung zu setzen.
({0})
Ich unterstelle, daß der Antragsteller damit einverstanden ist, daß es dann als Punkt 2 auf die Tagesordnung kommt. Punkt 1 muß auf jeden Fall der Bericht des Vermittlungsausschusses sein.
Wer dem Antrag des Herrn Abgeordneten Rasner, das Wehrpflichtgesetz heute als Punkt 2 auf die Tagesordnung zu nehmen, zustimmen will. den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Herr Abgeordneter Dr. Bucher, ich nehme an, daß damit Ihr Antrag erledigt ist. Ebenso, Herr Abgeordneter Kalbitzer, wäre Ihr Antrag insoweit erledigt, als ich das Einverständnis des Hauses unterstelle, meine Damen und Herren, daß folgendermaßen verfahren wird:
Punkt 1 wird der Antrag des Vermittlungsausschusses, Drucksache 2612. Punkt 2 wird die dritte Lesung des Wehrpflichtgesetzes. Punkt 3 usw. werden die Punkte 4, 6 bis 21 von der nichterledigten Tagesordnung von gestern. Dann würden wir fortfahren mit der Tagesordnung. die für heute vorgesehen ist und die Ihnen vorliegt.
({1})
- Zur Geschäftsordnung? - Herr Abgeordneter Bauknecht.
Meine Damen und Herren! Obwohl die Tagesordnung heute überlastet ist, möchte ich Ihnen auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung vorschlagen, die Beratung über das Internationale Pflanzenschutzabkommen heute auf die Tagesordnung zu setzen. Der Schriftliche Bericht ist verteilt. Die Sache steht nur deswegen nicht auf der Tagesordnung, weil im Ältestenrat der Schriftliche Bericht noch nicht vorlag. Meinungsverschiedenheiten besteh en nicht: die ganze Sache nimmt höchstens zwei Minuten in Anspruch.
Sie haben den Antrag gehört. Es handelt sich um die Drucksachen 2601 und 2346.
({0})
- Sie bekommen das Wort, Herr Abgeordneter Dr. Menzel. Ist das Haus mit dem Antrag des Herrn Abgeordneten Bauknecht einverstanden? - Gut, dann wird diesem Antrag entsprochen, und die Drucksachen 2601 und 2346 kommen noch auf die Tagesordnung.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten, nach der Erledigung des Vorschlages des Vermittlungsausschusses zunächst die jetzigen Tagesordnungspunkte 1 a und b, die beiden Gesetzentwürfe über den Wehrbeauftragten, zu beraten. Die Vertreter der Regierungsparteien haben im Ältestenrat erklärt, daß auch für den Fall, daß ihr Antrag, die dritte Lesung des Wehrpflichtgesetzes auf die Tagesordnung zu setzen, durchgeht, vorab die erste Lesung der Gesetzentwürfe über den Wehrbeauftragten stattfinden solle. Ich bitte die Vertreter der Regierungsparteien, bei diesem Wort zu bleiben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bestätige, daß diese Vereinbarung im Ältestenrat mit der Maßgabe getroffen worden ist, daß beide Gesetzentwürfe begründet werden, eine Aussprache aber nicht stattfindet und beide Entwürfe dann an den zuständigen Ausschuß überwiesen werden.
Das heißt, Sie wollen dem Antrag des Herrn Abgeordneten Menzel zustimmen?
({0})
Ich unterstelle, daß das Haus damit einverstanden ist, und rufe dann zunächst auf, indem ich in die Tagesordnung eintrete, den Punkt:
Mündlicher Bericht des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
({2}).
Nach § 10 der Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses wird dazu nicht mehr gesprochen, sondern es werden nur Erklärungen abgegeben. Ich frage die Fraktionen des Hauses, ob sie Erklärungen abzugeben wünschen. - Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? - Als Berichterstatter hat das Wort Herr Senator Dr. Klein.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens des Vermittlungsausschusses habe ich die Ehre, Ihnen über den Vorschlag zu berichten, den der Vermittlungsausschuß zu der Novelle des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in seiner gestrigen Sitzung beschlossen hat. Dieser Vorschlag liegt Ihnen in der Bundestagsdrucksache 2612 vor.
({0})
Wie Sie wissen, hat der Bundesrat am 29. Juni 1956 den Vermittlungsausschuß angerufen mit dem Ziel, den § 7 a zu streichen. In dieser Bestimmung ist folgendes vorgesehen: Für den Fall, daß innerhalb von zwei Monaten die Wahl eines Bundesverfassungsrichters mit qualifizierter Mehrheit nicht zustande kommt, soll ein Beirat eingeschaltet werden, der Vorschläge für die Richterwahl machen muß; auf Grund solcher Vorschläge des Beirats soll dann die Richterwahl mit einfacher Mehrheit möglich sein. Im Bundesrat wurden gegen diese Lösung schwerwiegende verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Bedenken geltend gemacht. Auf die Gründe des Bundesrates will ich im einzelnen hier nicht eingehen; sie sind in der Bundestagsdrucksache 2579 erschöpfend und in gedrängter Form dargestellt.
Die Einschaltung eines Beirats ist im Bundesrat auf verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen. Man sah in der Einschaltung des Beirats und in der damit verbundenen Änderung der Mehrheitsverhältnisse bei der Richterwahl die Beteiligung eines Organs, das in Art. 94 des Grundgesetzes nicht vorgesehen ist. Dem Bundesrat erschien es zudem verfassungspolitisch untragbar, im zweiten Wahlgang von der qualifizierten Mehrheit zugunsten einer Wahl mit nur einfacher Mehrheit unter Einschaltung des Beirats abzugehen.
Im Vermittlungsausschuß hat man sehr lange darum gerungen, eine Lösung zu finden, die dem Anliegen des Bundestages und der Bundesregierung Rechnung trägt, nämlich dem Bestreben, eine Richterwahl auf alle Fälle sicherzustellen, die auf der anderen Seite aber auch den Bedenken des Bundesrates Rechnung trägt. Der Vermittlungsvorschlag geht dahin, daß in Zukunft jede Richterwahl sowohl im Bundesrat als auch im Wahlmännerausschuß des Bundestages einer Zweidrittelmehrheit bedarf. Nach dem seitherigen Recht war im Wahlmännerausschuß des Bundestages eine Dreiviertelmehrheit, genau gesagt: es waren 9 von 12 Stimmen für eine Wahl erforderlich. In Zukunft sollen 8 Stimmen des Wahlmännerausschusses ausreichen. Dadurch wird erreicht, das künftig die qualifizierten Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat gleich sind, zum anderen aber auch auf der Seite des Bundestages die zu hoch erscheinende Mehrheit von drei Vierteln auf zwei Drittel reduziert wird.
Der Beirat erscheint im Vorschlag des Vermittlungsausschusses nicht mehr. Statt dessen ist nun vorgesehen, daß bei ergebnislosem erstem Wahlgang das Plenum des Bundesverfassungsgerichts aufgefordert wird, Vorschläge für die Richterwahl zu machen. Ein vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagener Kandidat soll dann aber auch nur mit der normalen qualifizierten Mehrheit gewählt werden können. Insoweit weicht also der Vorschlag des Vermittlungsausschusses wesentlich von der Beiratslösung ab. Im übrigen bleibt es auch hier den Wahlkörperschaften unbenommen, eine andere als die vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagene Person zu wählen. Die verfassungsrechtlichen Einwände, die gegen den Beirat bestehen, können gegen diese Lösung nicht geltend gemacht werden, da keine Bindung an die Vorschläge des Bundesverfassungsgerichts vorgesehen ist und vor allen Dingen die Wahl eines vom Bundesverfassungsgericht Vorgeschlagenen nicht mit einer anderen Mehrheit als der normalen qualifizierten erfolgen kann. Immerhin wird das Vorschlagsrecht des Bundesverfassungsgerichts - das
ist zu hoffen - die Wirkung haben, daß eine Wahl im zweiten Wahlgang praktisch erleichtert wird; mit anderen Worten: es kann erwartet werden, daß man sich in den Wahlkörperschaften auf einen vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagenen Kandidaten im zweiten Wahlgang leichter einigen wird.
Ich darf hervorheben, daß der Vermittlungsausschuß sich für diese Lösung ausgesprochen hat, obwohl sie unter dem Gesichtspunkt eines Kooptionsrechtes des Bundesverfassungsgerichts gewissen Bedenken begegnen könnte. Diese Bedenken sind aber zurückgestellt worden, weil es sich hier nicht um ein echtes Kooptionsrecht handelt. Vor allen Dingen kommt das Vorschlagsrecht des Bundesverfassungsgerichts erst in zweiter Linie zum Zuge, d. h. nur dann, wenn im ersten Wahlgang eine Wahl nicht zustande gekommen ist.
Im ganzen gesehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, scheint der Vorschlag des Vermittlungsausschusses ein Kompromiß darzustellen, das annehmbar ist. Namens des Vermittlungsausschusses habe ich die Ehre, Sie zu bitten, dem Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses zu folgen und das Gesetz entprechend zu ändern.
({1})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und frage, ob jemand Erklärungen zu der Vorlage abgeben will. - Ich sehe keine Wortmeldungen.
Damit kommen wir zur Abstimmung über die Drucksache 2612. Laut dieser Drucksache ist gemeinsame Abstimmung beantragt. Wer den Änderungen gemäß der Anlage zu Drucksache 2612 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen ist die Vorlage Drucksache 2612 des Vermittlungsausschusses angenommen.
Damit kommen wir zu Punkt 2; das ist der auf der für heute gedruckt vorliegenden Tagesordnung als Punkt 1 a und b aufgeführte Punkt. Ich rufe auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages gemäß Artikel 45 b des Grundgesetzes ({0});
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Jaeger, Kemmer ({1}), Dr. Kliesing und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages ({2}).
Zur Einbringung gebe ich das Wort zu einer kurzen Erklärung dem Herrn Abgeordneten Paul.
Paul ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In seiner 132. Sitzung vom 6. März dieses Jahres hat der Deutsche Bundestag einige bedeutsame Ergänzungen des Grundgesetzes beschlossen. Diese im Zusammenhang mit der VerVerteidigungsfrage beschlossenen Ergänzungen dienten fast ausschließlich dem Schutz der Bevölkerung und dem Schutz des demokratischen Staates.
Eine der wichtigsten Ergänzungen des Grundgesetzes, der Art. 45 b, bezieht sich auf die Bestellung eines Wehrbeauftragten des Bundestages. Ich darf Ihnen diesen Artikel in Erinnerung rufen.
({4})
Er lautet:
Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein Wehrbeauftragter des Bundestages berufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat großen Eifer in der Einbringung des Wehrpflichtgesetzes und seiner Durchsetzung an den Tag gelegt. Es wäre zu erwarten gewesen, daß die Bundesregierung zumindest gleichzeitig, wenn nicht vorher, den Entwurf eines Gesetzes über den Wehrbeauftragten vorgelegt hätte, zu welchem Schritt sie sich durch den Beschluß vom 6. März berechtigt erachten durfte.
Unabhängig von der allgemeinen Wehrpflicht ist der Wehrbeauftragte nach den Bestimmungen des Grundgesetzes für jede Form von Streitkräften als nötig zu betrachten. Die Bundesregierung hat zur Vorlage eines solchen Gesetzes keine Zeit gefunden, und das ist tief bedauerlich! Es darf daraus geschlossen werden, daß die Ergänzung des Grundgesetzes vom 6. März dieses Jahres manchen Kreisen der Bundesregierung sehr wenig Gefallen bereitet hat. Sie scheint in diesem Punkte nicht handlungsfähig oder nicht handlungswillig zu sein. Also mußten die Fraktionen dort eingreifen, wo die Bundesregierung versagte.
Die Fraktion der SPD legt dem Hohen Hause mit Drucksache 2441 einen Antrag vor, der den Entwurf eines Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundestages gemäß Art. 45 b des Grundgesetzes zum Inhalt hat. Ich halte es nicht für erforderlich, Einzelheiten dieses Antrages vorzutragen und zu begründen. Ich kann mich auf eine allgemeine Hervorhebung seiner wichtigsten Grundsätze beschränken.
Die Institution des Wehrbeauftragten des Parlaments hat sich im demokratischen Schweden ausgezeichnet bewährt. Wir haben uns die Erfahrungen dieses demokratischen Landes zunutze gemacht.
Diese Institution ist nunmehr erst recht auch bei uns zu einer dringenden Notwendigkeit geworden, weil die Mehrheit dieses Hauses gegen den Willen meiner Fraktion und gegen den Willen anderer oppositioneller Parteien entschlossen ist, die allgemeine Wehrpflicht, allen politischen Warnungen zum Trotz, einzuführen. Angesichts dieser Lage erachtet es die sozialdemokratische Opposition in diesem Hohen Hause als ihre vornehmste Pflicht, alles zu tun, um künftigen Soldaten, um der deutschen Jugend den Schutz ihrer Menschenrechte zu gewährleisten.
In jedem Militär besteht die Gefahr, daß die Kommandogewalt mißbraucht wird. Der Wehrbeauftragte des Parlaments wird dazu berufen sein, dies zu verhindern. Er hat die Pflicht, jede Beschwerde entgegenzunehmen, zu prüfen und im begründeten Fall für Sühne zu sorgen. Er hat dem Bundestag über seine Tätigkeit zu berichten. Diese Berichte werden so öffentlich sein müssen wie jede Bundestagsdrucksache. Der Wehrbeauftragte hat aber auch seinen Teil dazu beizutragen, die Demokratie zu schützen und zu verhindern, daß das Militär zu einem Staat im Staate werde.
Es ist beachtenswert, daß sich Herr Kollege Jaeger und eine Anzahl seiner Fraktionsfreunde veranlaßt gesehen haben, unserem Beispiel zu folgen und dem Bundestag ebenfalls einen Gesetzentwurf über den Wehrbeauftragten vorzulegen. Es scheinen sich also auch manche Abgeordnete, die dem Regierungslager angehören, des Versäumnisses der Bundesregierung bewußt und willens zu sein, sich unserer Initiative anzuschließen.
Unser Antrag ist meiner Auffassung nach in einigen Punkten weitergehend. Wir werden aber bereit sein, in der Ausschußberatung beide Anträge zu vergleichen und das beste herauszuarbeiten.
Meine Damen und Herren, es ist zu hoffen, daß unser Antrag, der ein ausgesprochenes Schutzgesetz für alle darstellt, die mit der Bundeswehr zu tun haben, und der mithelfen soll, die Maßnahmen zum Schutze der Demokratie zu vermehren, recht bald der Ausschußberatung im Verteidigungsausschuß und im Rechtsausschuß zugeführt wird und daß eine baldige Verabschiedung im Plenum folgt. Ich gestehe: in diesem Falle werden wir zu den Drängenden gehören. Darauf können Sie sich verlassen!
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jaeger.
Dr. Jaeger ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es doch als ein gutes Omen nehmen, daß am Beginn des Tages, da hier endgültig über die Wehrpflicht entschieden wird, zwei Gesetzentwürfe zur Beratung in erster Lesung stehen, die an das Gemeinsame erinnern, an das, was die Koalition und die Opposition in der Wehrpolitik bei der Ergänzung des Grundgesetzes verbunden hat und hoffentlich auch bei ähnlicher Gesetzgebung und in der Praxis in Zukunft verbinden wird.
({1})
Angesichts der Tatsache, daß man den Gedanken eines Wehrbeauftragten zum Schutz der Grundrechte der Soldaten als das gemeinsame Gut mehrerer Parteien des Hohen Hauses bezeichnen kann, möchte ich nicht in einen Autorenstreit mit dem Herrn Kollegen Paul, mit dem ich gerade in dieser Frage so oft freundschaftlich diskutiert habe, darüber eintreten, wer die Idee nun zuerst geboren hat. Ich könnte der von ihm erwähnten Tatsache, daß die Sozialdemokratie das Gesetz einige Tage vorher eingebracht hat, entgegenhalten, daß die Christlich-Soziale Union im Herbst in Kirchheim einige Tage vor der SPD über diese Frage beraten hat. Aber darüber wollen wir uns nicht streiten, sondern wir wollen das Erstgeburtsrecht den Schweden geben, von denen diese Idee zweifellos stammt.
Wir haben uns der Institution eines Wehrbeauftragten aus der Überlegung heraus zugewandt, daß das Grundgesetz aus guten Gründen von der Regelung der Weimarer Verfassung abgegangen ist, nach der die Grundrechte eine allgemeine Richtlinie der Gesetzgebung gewesen sind, also praktisch doch mehr oder weniger zur Deklamation geworden sind, während das Grundgesetz darauf hinweist, daß sie unmittelbar bindend sein sollen, nicht nur für die Gesetzgebung, sondern auch für Verwaltung und Rechtsprechung. Wir möchten, daß auch die Grundrechte des Staatsbürgers, der Soldat wird und der damit zweifellos in seiner Freiheit nicht unerheblichen Beschränkungen unterworfen sein wird, in ihrem Kern anerkannt und geschützt werden. Wir möchten auch, daß durch diese Insti({2})
tution die parlamentarische Kontrolle nicht eine abstrakte Angelegenheit bleibt, sondern sich im Notfall auch auf den Kasernenhof erstrecken kann. Der Art. 45 b des Grundgesetzes, den wir gemeinsam geschaffen haben, bietet dafür die Grundlage. Der gesetzgeberische Weg ist völlig neu, da es eine ähnliche Institution in Deutschland bisher nicht gegeben hat. Jetzt ist aber der richtige Zeitpunkt, über diesen Gesetzentwurf zu diskutieren, da es sein Sinn ist, den Wehrpflichtigen zu schützen. Wir wünschen - ich möchte das ausdrücklich festhalten -, daß dieser Gesetzentwurf spätestens dann in Kraft tritt, wenn die ersten Rekruten durch das Kasernentor ziehen. Da dies, wie ich vor zwei Tagen auszuführen die Ehre hatte, vermutlich nicht vor einer Frist von etwa neun Monaten der Fall sein kann - vielleicht dauert es auch länger; ich weiß es nicht -, haben wir ausreichend Zeit, diesen Gesetzentwurf gründlich zu beraten. Aber ich möchte mich der Meinung des Herrn Kollegen Paul anschließen: Wir werden ebenfalls die Treibenden bei diesem Gesetzentwurf sein. Wir können also einmal gemeinsam „treiben", wenn Sie es so nennen wollen.
Meine Damen und Herren, der Hauptgrund für die Vorlage dieses Gesetzentwurfs besteht nicht in dem angeblich zu großen Mißtrauen des Parlaments gegenüber dem Offizierskorps oder dem Unteroffizierskorps. Er besteht vielmehr darin, daß ein Mißtrauen der jungen wehrpflichtigen Generation gegen all das herrscht, was man meistens zu Unrecht unter dem Schlagwort Militarismus zusammenfaßt. Dieses Mißtrauen der jungen Generation, auch dort, wo sie die Wehrpflicht grundsätzlich bejaht, ist leider ein politisches Faktum, es zu beheben, eine staatspolitische Pflicht. An diesem Mißtrauen sind nicht zuletzt die Roman- und Filmfiguren eines Himmelstoß und eines Platzek schuld. Sie stehen aber nun einmal im Bewußtsein und im Unterbewußtsein dieser Generation, die wehrpflichtig ist, und es lebt in ihr auch die Erfahrung der Älteren, daß das Beschwerderecht der alten Wehrmacht zwar theoretisch ausgezeichnet, in der Praxis aber oft recht problematisch gewesen ist. Hier möchten wir in Anknüpfung daran, daß jeder Bürger ein Petitionsrecht an das Parlament hat, den Wehrbeauftragten zu einem Organ des Deutschen Bundestages machen - er soll also von der Regierung und ihrer Verwaltung unabhängig sein - und wollen mit dem Wehrbeauftragten sozusagen Auge und Ohr dieses Parlaments schaffen, um all dem das Augenmerk zuzuwenden, was mit den Freiheits- und Grundrechten des Staatsbürgers in der Armee zusammenhängt. Wir möchten, daß ein qualifizierter Jurist mit militärischer Erfahrung, möglichst als Vorgesetzer, in dieses Amt gewählt wird, und wir wehren uns energisch gegen Absichten, die vielleicht irgendwo auftauchen könnten - ich hoffe, sie tauchen nicht auf -, daß dieser Mann selbst in die Hierarchie von Befehl und Gehorsam in der Armee eingreifen soll. Das kann nicht sein, weil die Armee immer auf Befehl und Gehorsam beruhen muß, wenn sie Armee bleiben soll. Das gilt auch von der Bundeswehr. Aber dieser Wehrbeauftragte soll das Recht der persönlichen Inspektion an Ort und Stelle haben, soll das Recht haben, sich aller Beschwerden anzunehmen und sie den zuständigen Stellen - meistens wird es das Verteidigungsministerium sein, mitunter werden es die Staatsanwälte sein - zur Erledigung zu geben. Er soll dabei die notwendige Unterstützung des gesamten Behördenapparats des Bundes, der Länder und Gemeinden finden.
Wir glauben, daß dieser Wehrbeauftragte, zumal in der heutigen Situation, gar nicht so viel Arbeit finden wird, wie man es auf allen Seiten vielfach befürchtet. Wir meinen, daß schon seine Existenz heilsam sein wird. Er wird denen, die vielleicht bei einem schnellen Aufbau der Armee in Vorgesetztenstellen kommen, ohne schon alle charakterlichen Voraussetzungen zu besitzen, das Rückgrat stärken, wo es eventuell noch schwach sein sollte. Wir wehren uns entschieden gegen den Vorwurf, der Wehrbeauftragte werde die Schlagkraft der Bundeswehr lähmen. Wir sind der Meinung, daß eine moderne Truppenführung an den einzelnen Mann, nicht nur auf dem Gebiet des Propagandakrieges, sondern auch auf dem Gebiet der taktischen Führung, wesentlich höhere Anforderungen stellt, als sie in vergangenen Zeiten gestellt worden sind. Es muß ihm also auch ein höheres Maß an Verantwortung und Freiheit gegeben sein, und wir sind der Ansicht, daß ein verantwortlich mitarbeitender und in seinen Grundrechten geschützter Soldat mit viel größerer Überzeugung die Lebensordnung der Freiheit zu verteidigen in der Lage ist. Außerdem beweist das Beispiel Schwedens, daß die Schlagkraft der Armee eines Landes dadurch keinesfalls gemindert wird. Wir möchten außerdem der Auffassung Ausdruck geben, daß alles, was in diesem Augenblick das Mißtrauen der wehrpflichtigen Generation gegen Kommiß und Barras mindert, die Schlagkraft unserer Bundeswehr mehren wird.
In diesem Sinne bitte ich Sie, die beiden Gesetzentwürfe den Ausschüssen zu überweisen, damit wir aus ihnen das Beste herausarbeiten können und dadurch, wie ich hoffe, einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das Problem der Armee in der Demokratie diesmal befriedigend zu lösen.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. - Herr Abgeordneter Schneider ({0})?
({1})
- Verzichtet.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Beantragt ist für die beiden Vorlagen Überweisung an den Ausschuß für Verteidigung - federführend - und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - mitberatend -. Wer diesen Überweisungen zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Damit kommen wir zu der
Dritten Beratung des Entwurfs eines Wehrpflichtgesetzes ({2}).
Wir treten zunächst in die allgemeine Beratung ein. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berendsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor der endgültigen Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes in der heutigen dritten Lesung ist es angesichts der großen politischen Bedeutung dieses Gesetzes noch einmal unser ernstes Anliegen, die grundsätzliche Stellungnahme der Fraktion der CDU/CSU zu seinen wesentlichen Punkten hier darzulegen.
({0})
Unbestritten ist unsere Verpflichtung zur Erfüllung der Pariser Verträge, die unseren militärischen Beitrag zur Sicherung der freien Welt gegen einen möglichen Angriff vorsehen. Das Ausmaß der militärischen Anstrengungen der Mitgliedstaaten wird in dem jährlichen NATO-Fragebogen im einzelnen festgelegt. Jeder, der in Politik, Wirtschaft oder militärischen Dingen einmal organisatorische Aufgaben größeren Umfanges zu lösen hatte, weiß, daß Planungen dieses Ausmaßes immer eine bedachtsame Vorschau auf eine weitere Zukunft in sich schließen. So ist es auch hier. Wir können bei der Erfüllung der in dem jährlichen Fragebogen der NATO mit uns ausgehandelten militärischen Sicherungsmaßnahmen auf eine Planung auf längere Sicht nicht verzichten. Das ist sicherlich von allen Mitgliedern dieses Hohen Hauses unbestritten. Auseinander gehen die Meinungen darüber, ob diese von uns übernommenen militärischen Sicherungsaufgaben besser durch ein Berufsheer oder ein Wehrpflichtheer zu lösen sind, ob im Atomzeitalter herkömmliche Streitkräfte überhaupt noch von Wert sind, ob die Aufstellung eines Wehrpflichtheeres im gegenwärtigen Zeitpunkt die Chancen einer Wiedervereinigung nicht unnötig erschwert oder sogar zunichte macht, ob der Umfang des noch zu erläuternden Ausmaßes der militärischen Sicherung nicht unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten übersteigt und somit die Gefahr einer Bolschewisierung von innen heraufbeschwört, und schließlich, ob es nicht im Zeitalter der Abrüstungsvorschläge ein Anachronismus ist, überhaupt aufzurüsten.
Wenn ich jetzt im einzelnen auf die oben umrissenen Probleme eingehe, möchte ich mich zunächst mit der Frage auseinandersetzen: Gegen wen wollen wir Sicherheit? Hierzu ist meiner Meinung nach folgendes zu sagen. Ist der mutmaßliche militärische Gegner so stark, daß das von uns geforderte Kontingent in Höhe von 500 000 Mann zur Abwehr eines Angriffs nötig ist, oder ist nicht vielmehr damit zu rechnen, daß der Schwäche des mutmaßlichen Gegners wegen auch eine weit geringere militärische Anstrengung ausreichend wäre? In vielen Debatten, die in diesem Hause geführt worden sind, ist die Frage der bestehenden oder nichtbestehenden völkerrechtlichen Verpflichtung zur Aufstellung eines 500 000 - Mann - Heeres eingehend besprochen worden. Ich möchte die damals von uns vorgebrachten Argumente nicht wiederholen. Ich halte den Streit, ob diese Zahl von 500 000 Mann auf Grund der bestehenden Verträge als Höchstgrenze vorgeschrieben oder nur erlaubt ist, für zweitrangig. Maßgeblich für meine Fraktion muß zunächst einmal das deutsche Sicherheitsbedürfnis im Rahmen der bestehenden Verträge sein. Ich wiederhole: dieses Bedürfnis nach Sicherheit entspricht der Vorstellung von der Stärke und den Absichten eines möglichen Angreifers.
Sehr oft wird darauf hingewiesen, daß die von uns jetzt aufzustellenden Streitkräfte für die nähere Zukunft ausschließlich die Aufgabe hätten, der nationalen Volksarmee der sogenannten DDR die Stirn zu bieten. Um hier zu einem sachgemäßen Urteil zu kommen, ist es erforderlich, sich über die Stärke und den Kampfwert der nationalen Volksarmee jenseits des Eisernen Vorhangs klarzuwerden. Nach den uns vorliegenden Nachrichten hatte die kasernierte Volkspolizei im Herbst vorigen Jahres eine Stärke von rund 110 000 Mann.
({1})
Diese militärisch voll ausgebildeten Polizeiformationen werden nunmehr mit allen Führungsstäben und sonstigen Anhängseln geschlossen in die nationale Volksarmee übergeführt. Diese Überführung wird dazu benutzt, die ideologische Zuverlässigkeit der einzelnen Angehörigen der Polizei zu überprüfen. Diese sogenannte Zuverlässigkeitsprüfung hat bei den bisher in „nationale Volksarmee" umbenannten zwei Divisionen zu einem Ausscheiden von 5000 Mann geführt, und man rechnet in militärischen Führungskreisen der DDR noch mit' einem weiteren Ausscheiden von 15 000 bis 20 000 Mann bei dem noch zu überführenden Hauptteil der Volkspolizei.
Diese politische Siebung bei der Neuorganisation ihrer Streitkräfte mißbraucht die politische Führung in Pankow zur Vortäuschung einer Abrüstung, indem sie die Herabsetzung der Gesamtstärke auf 90 000 Mann ankündigt. Tatsächlich wird Pankow nach abgeschlossener Überprüfung und Umorganisation über schätzungsweise 95 000 Mann in der nationalen Volksarmee verfügen, so daß von einer Abrüstung wahrlich nicht die Rede sein kann.
Weiter ist in der Zone an militärischen Streitkräften eine Privatarmee des Staatssicherheitsministeriums in der Größenordnung von 55- bis 60 000 Mann - es sind das Grenzpolizei, Transportpolizei und Formationen zum Schutz der inneren Sicherheit - vorhanden. Hierzu kommen die paramilitärischen Kampfgruppen in den Betrieben, deren Stärke mit 60- bis 90 000 Mann angenommen wird.
Den Reigen schließt die Gesellschaft für Sport und Technik. Ihr obliegt die vor- und paramilitärische Ausbildung vor allem der Jugend beiderlei Geschlechts, die schon bei den sogenannten Jungpionieren im Kindesalter einsetzt. Im ganzen genommen besteht also in der sogenannten DDR eine bewaffnete Macht - ohne diese paramilitärischen Verbände, die ich eben nannte - von insgesamt 95 000 Mann Wehrmacht und rund 60 000 Polizeiangehörigen des Staatssicherheitsministeriums; das sind zusammen 155 000 Mann. Dies entspricht nicht ganz 1 % der Bevölkerung der Zone. Damit ist nach unserer Vorstellung die Wehrkraft dieses deutschen Landesteils in Friedenszeiten angesichts der wirtschaftlichen Situation Nachkriegsdeutschlands mit oder ohne Wehrpflicht bis an die Grenze des Möglichen ausgeschöpft.
Was könnte eine Regierung in Pankow mit diesen Streitkräften anfangen? Zwei denkbare Lösungen bieten sich an. Einmal wäre in Erwägung zu ziehen, daß Moskau nach einem etwaigen Abzug unserer Verbündeten aus der Bundesrepublik in Nachahmung des Überfalls nordkoreanischer Truppen auf Südkorea eine Wiedervereinigung in seinem Sinne mit militärischen Mitteln herbeiführen wollte. In diesem Falle wäre - immer nach koreanischem Muster - zweifellos damit zu rechnen, daß die Sowjetunion selbst sich völlig zurückhalten würde. Die jetzt in der Zone stehenden russischen Truppen wären in diesem angenommenen Falle wahrscheinlich, ebenso wie die alliierten Truppen in der Bundesrepublik nach Westen, über 'die Oder-Neiße-Linie nach Osten abgerückt. Bei Annahme dieser Lage muß aber damit gerechnet werden, daß in einem solchen Falle die Streitkräfte der sogenannten DDR durch tschechische und polnische Freiwilligentruppen verstärkt würden, wie dies in Korea durch rotchinesische Freiwillige er({2})
folgte. Keinesfalls hätte es also die Bundesrepublik bei einem solchen Überfall allein mit den Kräften der DDR zu tun. Der so oft gehörten Meinung, es genüge, zur Zeit ein kleines Berufsheer in Stärke von etwa 200 000 Mann aufzustellen und zu unterhalten, kann daher nicht beigetreten werden; denn dieses Heer allein würde ohne Anlehnung an NATO einem möglichen Angriff der DDR, unterstützt von freiwilligen Satellitenverbänden, nicht gewachsen sein.
({3})
Es wäre jedoch absurd anzunehmen, daß eine Bedrohung der Bundesrepublik aus dem Osten nur und ausschließlich von der DDR ausgehen könnte. Ein Angriff der Sowjetunion auf Westeuropa und damit die Entfesselung eines großen Krieges ist nicht ausgeschlossen. Sie finden das heute morgen wieder in den Zeitungen als eine Äußerung des Generals Schuyler aus Paris. Jedenfalls wären das NATO-Bündnis und die großen militärischen Anstrengungen unserer westlichen Verbündeten sinnlos, wenn sie nicht mit einem solchen Angriff rechneten. Die deutschen Interessen erfordern es nun - im Rahmen von NATO gesagt -, einen derartigen russischen Angriff an der Zonengrenze möglichst zum Stillstand zu bringen. Die militärischen Überlegungen der westlichen Generalstäbe und ,des NATO-Oberkommandos in Paris gipfeln darin, daß ein derartiger Angriff erst dann mit Aussicht auf Erfolg zu Lande und aus der Luft abgewehrt werden kann, wenn das deutsche Kontingent von 500 000 Mann aufgestellt ist. Ich möchte es mir ersparen, die einer solchen Forderung selbstverständlich vorausgehenden sehr sorgfältigen militärischen Überlegungen und Berechnungen hier aufzuzählen. Wir hatten Gelegenheit, im Verteidigungsausschuß hierüber alles Nötige zu hören. Ich komme auf den Bericht der Gutachterkommission und den ihm beizulegenden militärischen Wert gleich noch zurück.
Es ist immer die Frage aufgeworfen worden: Was haben im Atomzeitalter herkömmliche Waffen, die Aufstellung einer Streitmacht von 500 000 Mann überhaupt noch für einen Sinn? Ist es nicht antiquiertes Denken, ist es nicht der Versuch, mit den Mitteln des zweiten Weltkrieges im Atomzeitalter zu operieren, wenn man an einer Landstreitmacht von 12 Divisionen für die Bundesrepublik festhält? „Das Zeitalter der Massenheere ist vorbei", war eines der wesentlichsten Argumente in der Diskussion um die zu fordernde Stärke des neuen deutschen Heeres. Ich möchte zunächst ausdrücklich der These beitreten, daß das Zeitalter der Massenheere in der Tat vorbei ist. Was aber bedeutet der Begriff „Massenheer"?
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, daß die Mobilmachungsvorbereitungen des Deutschen Reiches vor 1914 und vor 1939 die Ausschöpfung der militärischen Wehrkraft zur Verwendung im Felde bis an die Grenzen des Möglichen vorsahen und im Verlaufe des Krieges auch durchführten. Der polnische Feldzug wurde auf unserer Seite mit rund 60 Divisionen, der französische Feldzug mit 100 und der russische zu Beginn mit 250 Divisionen durchgefochten. Das sind Massenheere, in der Masse zu Fuß marschierend oder durch die Kräfte lebendiger Pferde bewegt,
({4})
- oder nicht, Herr Kollege? An motorisierten Verbänden haben wir während des ganzen zurückliegenden Krieges trotz der enormen Kraftanstrengungen der uns zur Verfügung stehenden kontinentalen westeuropäischen Industrie nie mehr als 25 bis 30 Divisionen unterhalten können. Rußland hatte auf der Höhe seiner militärischen Kraftanstrengungen sicher etwa 500 Divisionen unter Waffen. Demgegenüber wird heute die Aufstellung von 12 deutschen Divisionen und einer Anzahl von Heeresgruppen in einer Gesamtstärke von 350 000 Mann beabsichtigt. Diese Verbände sollen alle voll motorisiert und in ihren kämpfenden Einheiten möglichst unter Panzerschutz sein. In viele kleine Einheiten aufgeteilt, wird ein kleines Heer seiner sehr komplizierten technischen Apparatur wegen und der mit seiner Aufstellung verbundenen nicht unerheblichen Kosten in Friedenszeiten wegen im Frieden genau so stark sein, wie es im Kriege später sein soll. Dies erfordert allein schon der Zwang zu einer ganz schnellen Mobilmachung, die nach unseren Vorstellungen nur wenige Stunden umfassen darf. Demgegenüber braucht ein Massenheer, wie viele von Ihnen sicherlich noch wissen, zur Herstellung seiner Feldverwendungsfähigkeit viele Tage, ja Wochen. Einem Angriff alten Stils ging ein Eisenbahnaufmarsch ebenfalls von vielen Wochen voraus. All das ist völlig un- modern geworden, seitdem der Motor die Bewegungen zu Lande und in der Luft erobert hat und es eine Atombombe 'gibt. Es ist also für alle Staaten der Welt allein infolge der mangelnden industriellen Kapazität eine unlösbare Aufgabe, Massenheere alter Größenordnung mit moderner Bewaffnung auf die Beine zu stellen.
Wenn wir also zur Abwehr eines denkbaren Satellitenangriffs aus eigener Kraft, also ohne Anlehnung an NATO in ,der Lage sein wollen wie auch die Abwehr eines denkbaren russischen Angriffs großen Stils im Rahmen von NATO ins Auge fassen müssen, - in jedem Falle brauchen wir eine Streitmacht in der von uns geforderten Stärke.
Hierbei ist die bodenständige Verteidigung nicht einbegriffen. Ihre vielfältigen Aufgaben im Kriege erfordern militärisch ausgebildete Stämme und vielleicht im Rahmen von Kurzausbildung verfügbar gemachte Reserven. Hierauf näher einzugehen, verbietet mir heute die Zeit. Ich wollte das Problem auch nur anschneiden und dartun, daß bei aller Hochachtung vor der sicher vorhandenen Einsatzbereitschaft des deutschen Volkes im Falle eines feindlichen Angriffs die Aufgaben der bodenständigen Verteidigung ohne allgemeine Wehrpflicht nicht gelöst werden können.
Nun aber die wichtige Frage: Was soll das alles im Atomzeitalter? Hat es überhaupt einen Sinn, mit Streitkräften herkömmlicher Art Landesgrenzen verteidigen zu wollen, wenn es dem Feinde möglich ist, durch Überfliegen dieses Abwehrwalls im Rücken des Heeres das Land zu verwüsten und die Bevölkerung auszulöschen? Meine Damen und Herren, zweifellos läßt sich diese theoretisch denkbare Wirkung atomarer Kriegführung nicht bestreiten. Die Praxis zeigt allerdings, daß bisher kein Land, das sowohl herkömmliche Streitkräfte wie Atombomben besitzt, an die Abschaffung dieser herkömmlichen Streitkräfte denkt. Worauf ist das zurückzuführen? Etwa auf die Tatsache, daß überall in der Welt noch Soldaten älterer Jahrgänge in den Führungsstellen sitzen, die wegen allzu langsamen Denkvermögens nicht rechtzeitig umschalten können? Gibt es wirklich Soldaten,
({5})
denen nicht klar sein sollte, daß man unter Umständen mit einer Atombombe in wenigen Minuten eine ganze Division auslöschen oder zumindest aktionsunfähig machen kann? Ich glaube vielmehr, daß das Festhalten an Landstreitkräften herkömmlicher Art darauf beruht, daß kein Land derartige Streitkräfte abschafft, solange Mächte, die als Gegner anzusehen sind, über derartige Streitkräfte in großem Umfang verfügen und vor aller Welt offen dargelegt haben, daß sie gar nicht daran denken, sie abzuschaffen. Ich führe eine Rede ides Marschalls Schukow auf dem XX. Parteikongreß der Sowjetunion im Februar dieses Jahres an, in der er wörtlich sagte - Herr Präsident, ich darf zitieren -:
Wir gingen beim Aufbau der sowjetischen Streitkräfte auch davon aus, daß die modernsten Waffen, darunter auch die Massenvernichtungswaffen, die entscheidende Bedeutung des Landheeres, der Flotte und der Luftstreitkräfte nicht mindern. Ohne starke Landstreitkräfte, eine strategisch weitreichende Frontluftwaffe und eine moderne Kriegsflotte, ohne deren gut organisiertes Zusammenwirken kann man einen modernen Krieg nicht führen.
({6})
Ganz gleich, meine Damen und Herren, ob Sie den Marschall Schukow für einen alten vertrottelten General oder für den militärisch verantwortlichen obersten Befehlshaber der sowjetischen Streitkräfte halten, Tatsache ist, daß er diesen Ausspruch getan hat, der auch gilt, wenn zur Zeit eine große Zahl sowjetischer Divisionen angeblich demobilisiert wird. Das militärische Kräftepotential der Sowjetunion zu Lande wird durch diese Demobilisierungsmaßnahmen im übrigen für eine ganze Reihe von Jahren nicht geschwächt, da die aufgelösten Divisionen sich im Kriegsfall unschwer schnell wieder aufstellen lassen.
Seitdem die Sowjetunion im Besitz der Atom-und Wasserstoffbombe ist und sicherlich angenommen werden kann, daß sie den heute noch bestehenden mengenmäßigen amerikanischen Vorsprung auf diesem Gebiet im Verlaufe einiger Jahre aufgeholt haben wird, würde ein unter Einsatz der Atomwaffen geführter Krieg der beiden Weltmächte aller Voraussicht nach den beiderseitigen Selbstmord bedeuten. Kann man wirklich annehmen, daß sie zu einem so wahnwitzigen Unterfangen bereit sein werden? Muß nicht vielmehr angenommen werden, daß jeder der beiden Gegner sich von vornherein darüber im klaren sein muß, daß er auch im Falle eines Sieges nur das negative Ziel der Verwüstung des feindlichen Landes und der Ausrottung seiner Bevölkerung erreichen, niemals aber einen positiven Gewinn erwarten kann? Kann es überhaupt eine sinnlosere Methode als eine solche Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln geben? Sollte es nicht wahrscheinlicher sein, daß die Weltmächte in einem Konfliktsfall auf die Anwendung dieser Mittel der Massenvernichtung verzichten, wie dies im zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten in bezug auf die Verwendung von Giftgasen der Fall gewesen ist?
Andererseits ist es nicht zu leugnen, daß nach mehrfachen Erklärungen hoher amerikanischer Dienststellen die USA zur Zeit wegen der noch vorhandenen Unterlegenheit auf dem Gebiet herkömmlicher Streitkräfte in Europa aus dieser Zwangslage heraus gewillt sind, im Falle eines
sowjetischen Angriffs atomare Waffen einzusetzen. Es ist also ohne Zweifel gerade die Schwäche der freien Welt an herkömmlichen Waffen, die zur Zeit die Gefahr eines Atomkrieges bedingt. Wenn die Sowjetunion heute ein Gleichgewicht auf dem Gebiet der atomaren Waffen anstrebt, so muß die freie Welt dies auf dem Gebiet der herkömmlichen Streitkräfte tun, wenn sie dem Zwang, von sich aus zu Atomwaffen zu greifen, entgehen will. Ein solches Gleichgewicht aber wird für die freie Welt ohne einen angemessenen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik auch bei einer allgemeinen Herabsetzung der Rüstungen nicht zu erreichen sein.
({7})
({8})
Von einer Herabsetzung der Rüstung wird in der Welt zur Zeit viel gesprochen. Wie schon erwähnt, haben die Sowjets 1,2 Millionen Mann oder 63 Divisionen zur Auflösung vorgesehen. Für den militärischen Laien bedeutet das in der Tat eine erhebliche Herabsetzung der Rüstung. Der Fachmann weiß, daß eine Herabsetzung der Rüstung bei den Sowjets für die westliche Welt nur dann von wirklicher Bedeutung ist, wenn gleichzeitig eine Zerstörung oder mindestens Unbrauchbarmachung der Waffen dieser Divisionen vorgesehen und einer Kontrolle durch eine internationale Kommission - vielleicht die UNO - unterworfen wird. Sonst bedeutet diese Maßnahme zwar eine Herabsetzung ihrer Friedensstärke, für die nächsten Jahre jedoch keineswegs eine Verminderung ihrer Kriegsstärke. Wie schon erwähnt, könnten die jetzt aufzulösenden sowjetrussischen Friedensdivisionen im Mobilmachungsfalle ohne weiteres wieder aufgestellt werden. Über den Abrüstungsschwindel in der sowjetisch besetzten Zone habe ich zu Beginn meiner Ausführungen schon gesprochen.
Dies soll uns aber nicht hindern, daran zu glauben, daß hoffentlich schon in naher Zukunft unter den Großmächten echte Übereinkommen über eine wirklich durchschlagende Abrüstung zustande kommen. In diesem Falle wird die Bundesrepublik sicherlich in dem Ausmaße der Verringerung ihrer Gefährdung durch einen östlichen Angriff die auf ihr lastende Rüstung herabsetzen.
({9})
Niemand in diesem Hohen Hause ist daran gelegen, auch nur einen einzigen Soldaten oder eine einzige Mark mehr für die Sicherheit vor einem Angriff aufzuwenden, als unbedingt erforderlich ist.
({10})
Wir alle wissen, welche große Belastung die Aufstellung deutscher Streitkräfte in dem von uns für notwendig gehaltenen Umfang für die deutsche Wirtschaft bedeutet. Wir sind uns darüber im klaren, daß eine Herabsetzung des Lebensstandards auf Kosten der Wiederbewaffung eine Radikalisierung nach sich ziehen würde. Nichts Widersinnigeres könnte also getan werden, als das Ausmaß der Rüstung über die wirtschaftlichen Möglichkeiten hinaus auszudehnen. In der vor wenigen Tagen in diesem Hohen Hause durchgeführten Konjunkturdebatte ist über die konjunkturelle Lage der Bundesrepublik so eingehend gesprochen worden, daß ich mir - auch aus Zeitgründen ({11})
eine Vertiefung dieses Themas hier und jetzt ersparen möchte.
Ein weiterer Punkt, der in der öffentlichen Diskussion in diesem Hohen Hause eine besondere Rolle spielt, ist die Frage, ob durch die allgemeine Wehrpflicht die Spaltung unseres Vaterlandes nicht noch vertieft wird. Wir haben die absolute Überzeugung, daß ein aus dem Bündnis mit dem Westen ausscheidendes neutralisiertes Deutschland über kurz oder lang dem Sog aus dem Osten verfallen würde. Aus dem Munde Chruschtschows war klar zu hören, daß zur Zeit nur ein zum sowjetischen Machtbereich tendierendes Deutschland mit einer russischen Zustimmung zur Wiedervereinigung rechnen könnte. Dies wird durch die Äußerungen der Pankower Machthaber bei jeder Gelegenheit unterstrichen. Die von dieser Seite gebrauchte Umschreibung des Begriffs Sowjetisierung durch „Aufrechterhaltung der demokratischen und sozialen Errungenschaften" machen das Angebot nicht schmackhafter. Wir können uns eine Wiedervereinigung nur in Freiheit denken. Ein Aufgehen der 50 Millionen Bewohner der Bundesrepublik im sowjetischen System wäre nicht nur das Ende Deutschlands, sondern wahrscheinlich auch das des ganzen freien Europas.
Meine Fraktion kann sich daher der Meinung, daß die Annahme des vorliegenden Gesetzes ein Hindernis für die Wiedervereinigung sei, nicht anschließen. Wir glauben sogar, durch eine unserer Volkszahl entsprechend starke Bundeswehr in allen heute und in Zukunft anstehenden Fragen wie Wiedervereinigung, Abrüstung und vor allem Sicherung des Friedens unser Wort mit mehr Gewicht in die Waagschale werfen zu können als bisher. Ebensowenig können wir im Wehrpflichtgesetz ) eine Ursache zur Vertiefung der Spaltung unseres Volkes erkennen. Die Opposition gibt selbst zu, daß die Schuld an der Spaltung nicht bei der Bundesrepublik oder den Westmächten liegt.
Die in der ersten Lesung dieses Gesetzes getroffene Feststellung, daß die Machthaber in der Zone in vielen Fällen auf Maßnahmen bei uns juristisch nachgezogen haben und daher das gleiche auch im Hinblick auf die Wehrpflicht zu befürchten sei, darf auf unsere Entscheidung keinen Einfluß haben. Die Einführung der Wehrpflicht in Mitteldeutschland würde die heute schon bestehenden zonalen Streitkräfte vielleicht zahlenmäßig noch etwas erhöhen. Es scheint aber sehr fraglich, ob man um dieses optischen, auf uns politisch wirken sollenden Effekts willen eine Verminderung der Kampfkraft dieser ideologisch gerade gesäuberten Truppen in Kauf nehmen würde. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß die geistige Gleichschaltung in der Zone durchaus nicht so weit gediehen ist, um den Pankower Machthabern das Risiko einer allgemeinen Wehrpflicht ungefährlich erscheinen zu lassen. Sollte dieser Schritt trotzdem gewagt werden, so dürfte er der Flucht aus der Sowjetzone allerdings weiteren Auftrieb geben.
Keineswegs aber teile ich die vielfach geäußerte Meinung, daß die deutsche Jugend in der Zone durch die Wehrpflicht der vollständigen Bolschewisierung ausgeliefert wäre. Besser als in Schule und Werkstatt, bei der FDJ und der „Gesellschaft für Sport und Technik" kann die ideologische Umerziehung bestimmt nicht durchgeführt werden. Wenn ein Neunzehnjähriger dieser Umerziehung bis jetzt nicht erlegen ist, wird er auch in der „Nationalen Volksarmee" seine innere Haltung zu bewahren wissen.
Ein kurzer Hinweis, meine Damen und Herren, auf die Belange einzelner Berufsgruppen und Berufszweige sei mir noch gestattet, wobei ich nicht alles aufzählen kann, was hier an uns herangetragen worden ist. Das Anliegen der Landwirtschaft, die in ihren Reihen tätigen Wehrpflichtigen möglichst so einzuziehen, daß, falls eine 18monatige Dienstzeit vorgesehen werden sollte, die Wehrpflichtigen zwei Winter und einen Sommer anstatt umgekehrt bei der Truppe verbringen, läßt sich sicher erfüllen. Darüber hinaus sind im Gesetz Möglichkeiten genug verankert, um den Erfordernissen der Aufrechterhaltung landwirtschaftlicher Betriebe in besonderen Härtefällen gerecht zu werden. Ebenso wird die Unabkömmlichstellung von Wehrpflichtigen, die im Bergbau unter Tage tätig sind, zu erwägen sein. Da unsere Volkswirtschaft schon jetzt unter einem fühlbaren Mangel an Kohle leidet - es werden mehrere Millionen Tonnen amerikanischer Kohle jährlich bei uns eingeführt -, wäre ein Einziehen der wehrpflichtigen Untertagebergleute gleichbedeutend mit dem Verlust an Förderung von weiteren vielen Millionen Tonnen Kohle.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nunmehr noch eingehen auf die im Gesetz zwischen uns noch strittigen und bisher nicht ausdiskutierten Einzelfragen im Zusammenhang mit den Problemen der Freistellung, der Zurückstellung, der Kriegsdienstverweigerer usw. Zunächst ein paar Worte über die von der Opposition so leidenschaftlich geforderte Freistellung von Wehrpflichtigen, die Verwandte ersten Grades in der Zone haben. Ich bin davon überzeugt, daß wir nachher in der Einzeldebatte unsere Standpunkte annähern können.
({12})
Ich darf aber grundsätzlich jetzt schon darauf hinweisen, daß wir durch dieses Wehrpflichtgesetz unter keinen Umständen Deutsche zweierlei Rechts schaffen dürfen. Wer sich aus dem Bereich der sowjetisch besetzten Zone in den Geltungsbereich des Grundgesetzes begibt, ist nach Prüfung seiner Personalien genauso Deutscher wie wir hier. Er übernimmt damit ausnahmlos alle Rechte und Pflichten jedes Deutschen.
({13})
- Wie wir hier in bezug auf die Rechte und Pflichten, die er hier bei uns übernimmt. - Das soll aber nicht heißen, daß nicht aus dem Zustand des geteilten Deutschlands und dem Vorhandensein einer Willkürherrschaft in der SBZ in besonderen Fällen auch besondere Schlußfolgerungen gezogen werden müssen. Ich möchte mich auf diese kurzen Hinweise beschränken; alles weitere wird nachher in der Einzeldiskussion zur Sprache kommen.
Auch das Problem des Wehrdienstes einziger Söhne lassen Sie mich kurz streifen. Hier gilt es zunächst, die Begriffe „Wehr dienst" und „Kriegs dienst" streng auseinanderzuhalten. Unbestritten ist innerhalb aller Fraktionen dieses Hohen Hauses, daß alle nur möglichen und denkbaren Maßnahmen ergriffen werden sollen, um das Leben einziger Söhne durch Kriegsdienst im Verteidigungsfall nicht mehr zu gefährden, als es unumgänglich nötig ist, oder besser positiv ausgedrückt: im Verteidigungsfalle einzigen und letzten Söhnen auf Antrag denjenigen Platz zuzuweisen, auf dem sie voraussichtlich der geringsten Gefahr ausgesetzt sind.
({14})
Wenn man, wie hier in diesem Hohen Hause geschehen, die Ableistung des Wehrdienstes durch Heranziehen von Verlustziffern der amerikanischen Luftwaffe in Friedenszeiten als besonders gefährlich hinstellen will, so darf ich doch bitten, nicht zu vergessen, daß in allen Luftwaffen der Welt das fliegende Personal ausschließlich aus Freiwilligen besteht. Man wird es allerdings auch einzigen Söhnen nicht verwehren können, sich freiwillig zum fliegenden Personal der Luftwaffe zu melden.
Es wird wohl nicht behauptet werden können, daß eine normale Grundausbildung in der Bundeswehr gefährlicher ist als die Lehrzeit in einer Fabrik oder der Untertagedienst eines Bergmanns. Ich möchte im Gegenteil glauben, daß der letztere weit gefährlicher ist. Wir können uns aus diesen und aus einer Reihe von anderen Gründen deshalb nicht entschließen, letzte Söhne von ihrer Wehrpflicht zu befreien.
({15})
Täten wir dies, müßten wir ihnen beispielsweise auch verbieten, den Führerschein zu erwerben.
({16})
Wir sind aber gerne bereit, mit Ihnen darüber zu
reden, welche Möglichkeiten es gibt, um im Gesetz
das zu verankern, was ich vorhin erwähnt habe,
({17})
nämlich diese jungen Männer im Verteidigungsfall
aus der Gefahrenzone weitmöglichst herauszuhalten.
({18})
In den Kampf der evangelischen Pastoren um die Wehrpflicht ordinierter Geistlicher möchte ich mich als hilfloser Laie nicht einschalten.
({19})
Ich persönlich bin der Ansicht, daß dieses Problem im Augenblick zwar eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat, daß es jedoch sehr bald an Schärfe verlieren wird, handelt es sich doch - um es noch einmal klar herauszustellen - darum, daß nur die ordinierten Geistlichen vom Wehrdienst befreit sind, nicht aber die Studenten der Theologie. Da den der Opposition angehörenden evangelischen Geistlichen des Hohen Hauses offensichtlich so viel daran liegt, die Befreiung ordinierter Geistlicher ihres Bekenntnisses vom Wehrdienst zu verhindern, nehme ich an, daß sie ihren jungen zukünftigen Amtsbrüdern den dringenden Rat gegen werden, von der ihnen im Gesetz eingeräumten Möglichkeit, auf Antrag vom Wehrdienst zurückgestellt zu werden, keinen Gebrauch zu machen.
({20})
- Ich hoffe doch, Herr Professor!
({21})
Nun komme ich zu dem Problem der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe. Zunächst sei noch einmal festgestellt, daß Wehrdienst im Frieden kein Kriegsdienst ist. Wenn im Gesetz vorgesehen wird, daß jemand, der den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten hat, so wird damit seine Wehrpflicht grundsätzlich bejaht. Im übrigen möchte ich
hier der Debatte über diesen Paragraphen nicht vorgreifen. Ich persönlich möchte bemerken, daß ich als evangelischer Christ und ehemaliger Berufssoldat im Laufe meines militärischen Lebens mit Luther der Überzeugung war und bin, daß auch ein Kriegsmann im seligen Stande sein kann.
Ein weiterer Punkt, zu dem etwas zu sagen wäre, ist die Tatsache, daß wir die Dauer des Grundwehrdienstes im Gesetz nicht geregelt haben. Von hoher strategischer Seite ist gegen uns der Vorwurf erhoben worden, daß das Gesetz dadurch ein Torso geworden sei,
({22})
der aus diesem Grunde abgelehnt werden müßte. Ich bin der Ansicht, daß - wie schon eben bemerkt - der Hauptzweck der Verabschiedung dieses Gesetzes jetzt vor den Ferien der ist, dem Verteidigungsminister ausreichend Zeit für den Aufbau der Wehrersatzorganisation und die Erfassung der Wehrpflichtigen zu geben.
({23})
- Ich komme gleich darauf, Herr Kollege. Wenn nun eine Fraktion des Hohen Hauses einen Gegenentwurf einreicht, in dem nur die Wehrersatz-organisation geregelt werden soll, so -.wird hierdurch ein wirklicher Torso geschaffen, da die Wehrersatzorganisation für sich allein völlig uninteressant ist. Ihre Tätigkeit zur Erfassung, Musterung und schließlichen Einberufung der Wehrpflichtigen ist das, was wir wollen. E bedarf keiner Erwägung, daß die zahllosen Paragraphen, die sich mit der Befreiung vom Wehrdienst, der Zurückstellung, dem Recht der Kriegsdienstverweigerung usw. befassen, notwendige Voraussetzungen für die Tätigkeit der Wehrersatzorganisation sind, Herr Kollege.
({24})
Das Problem der Wehrdienstdauer ist noch nicht ausdiskutiert. Aus diesem Grunde haben wir es ausgeklammert. Der Verteidigungsminister wird durch ein besonderes Gesetz, spätestens vor der endgültigen Einziehung der ersten Wehrpflichtigen, wissen müssen, woran er ist. Zuzugeben ist, daß es aus psychologischen Gründen, aber auch aus rein wirtschaftlichen Gründen dringend erwünscht ist, dieses Problem möglichst schnell zu lösen.
({25})
Ich darf daher namens meiner Fraktion die Hoffnung ausdrücken, daß für den Fall der Annahme des uns heute vorliegenden Gesetzes wir die Mithilfe aller Fraktionen, auch der Ihren ({26}) haben, um dieses Problem so schnell wie möglich auszudiskutieren und es nach den Ferien schnellstens zu verabschieden.
({27})
Ich darf zusammenfassen. Die Sicherheit der Bundesrepublik erfordert in jedem Fall die Aufstellung herkömmlicher Streitkräfte in einer Stärke von rund 500 000 Mann. Der Schwerpunkt muß beim Heere liegen. Die Aufstellung einer Wehrmacht dieses Umfanges ist auf freiwilliger Basis nicht möglich. Sie kann nur durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht durchgeführt werden.
({28})
Die Aufstellung herkömmlicher Streitkräfte ist im Zeitalter atomarer Waffen nicht überflüssig und antiquiert. Sie ist dringend erforderlich, solange der mutmaßliche Gegner an der Aufrechterhaltung eines ungewöhnlich starken Landheeres festhält.
Die Abrüstungsverhandlungen werden durch die Aufstellungsvorhaben in der Bundesrepublik nicht gestört. Unsere Bereitschaft, im Rahmen einer allgemeinen Abrüstung auch unseren Teil beizutragen, wird ausdrücklich betont. Wenn andere Staaten auf Null abrüsten sollten, werden auch wir dies tun. Die dann bis zu diesem Zeitpunkt aufgewendeten Millionen sind zwar - so könnte man argumentieren - unnütz ausgegeben, sie sind jedoch sicherlich gut angewendetes Geld, wenn die Abrüstungsgespräche durch die Tatsache unserer Wiederbewaffnung aus ihrem langsamen Fluß in einen schnellen Lauf kommen sollten. Hierfür liegen begründete Anzeichen vor.
({29})
Die Fraktion der CDU/CSU bekennt, daß ihr angesichts der geographischen Lage der Bundesrepublik unmittelbar am eisernen Vorhang an einer schnellen Errichtung eines Abwehrwalles an diesem Vorhang ganz besonders liegt. Andere Völker, wie England oder Italien, sind hier in einer glücklicheren Lage. Vergleiche zwischen der Wehrverfassung und den Wehranstrengungen dieser Länder und denen der Bundesrepublik sind daher nicht in jedem Falle zutreffend.
Abschließend darf ich im Namen der CDU/CSU den Beamten des Verteidigungsministeriums und allen sonstigen Beteiligten, die mit der Abfassung dieses Gesetzes befaßt waren, unseren Dank für die Unterstützung bei den Beratungen aussprechen. Vor allem aber gilt unser Dank den Gutachtern, die uns vornehmlich bei dem Problem der Kriegsdienstverweigerung, der Zurückstellungen und besonders bei der Findung eines eigenen Urteils über die militärische Zweckmäßigkeit eines Wehrpflichtheeres in unserer Zeit sehr geholfen haben.
Im Namen der CDU/CSU habe ich zu erklären, daß wir in der heutigen dritten Lesung dem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben werden.
({30})
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir heute in diesem Hause vorhaben, ist in Wahrheit erst die „zweite Lesung" des Wehrpflichtgesetzes; denn in der Sitzung in der formell durch Sie ({0}) die zweite Lesung des Wehrpflichtgesetzes auf die Tagesordnung gesetzt worden war, hat in Wirklichkeit keine zweite Lesung stattgefunden. Wir hoffen, daß nun wenigstens am heutigen Tage die Argumente, die in Rede und Gegenrede vorgebracht und geprüft werden, auch imstande sind, Einfluß auf die Gestaltung der Vorlage selbst zu nehmen, und nicht wieder an dem festen Willen der Mehrheit scheitern, diese Vorlage bis zum letzten I-Tüpfelchen unverändert zu lassen.
({1})
Ich begrüße es, daß wenigstens heute, nachdem wir nun in Wahrheit in die zweite und dritte Beratung gleichzeitig eingetreten sind, der Herr Bundeskanzler seinen Platz auf der Regierungsbank eingenommen hat. Denn in Wahrheit ist es schließlich die Politik des Herrn Bundeskanzlers, die zur Vorlage des Wehrpflichtgesetzes an den Bundestag geführt hat, und es ist seine Aufgabe, gerade auch bei diesem Kernstück seiner Politik die Politik der Regierung an dieser Stelle zu vertreten.
({2})
Meine Damen und Herren! Ich möchte in diesem Zusammenhang nachdrücklich davor warnen, daß das Hohe Haus bei irgendeiner späteren Gelegenheit wieder einmal den Versuch unternehmen sollte, die Gesetzgebungsarbeit dadurch ihres Sinnes zu berauben, daß die zweite Lesung nicht zu einer zweiten Lesung über die Probleme mit der entsprechenden Einwirkung auf den Inhalt des Gesetzes gemacht wird, sondern zu einer völlig inhaltlosen Diskussion erniedrigt wird - inhaltlos deshalb, weil keine Möglichkeit der Umgestaltung der Vorlage besteht.
({3})
- Sie wissen ja selbst, daß Sie diesen Schritt mit Ihrer eigenen Erklärung provoziert haben, indem Sie hier klargemacht haben: die zweite Lesung hat keinen Sinn, denn wir werden unter gar keinen Umständen eines Ihrer Argumente in der zweiten Lesung berücksichtigen.
({4})
Ich habe, bevor wir in die Debatte eintreten, noch einen schmerzlichen Vorfall diesem Hause zur Kenntnis zu bringen. Die Probleme, die mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, werden begreiflicherweise nicht nur in diesem Hause, sondern auch in unserem ganzen Volke diskutiert.
({5})
Es scheint so zu sein, daß die Erörterung dieser Probleme manchen Kräften, die es besonders eilig mit der Einführung der Wehrpflicht haben - verehrter Herr Kollege Bausch -, besonders unangenehm ist.
({6})
- Ich möchte mich sehr gern mit Ihnen über das unterhalten, Herr Kollege Bausch, was jetzt kommt, weil wir der Meinung sind, daß Sie in Ihrer Eigenschaft als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Presse, Rundfunk und Film u. a. auch der Hüter der Meinungsfreiheit in unserem Volke zu sein haben.
({7})
Und da beklage ich zutiefst, daß es Referenten des
Bundespresseamtes zu ihren Aufgaben zu zählen
({8})
scheinen, die Verbreitung von Büchern zu behindern, die der Regierung unbequem sind,
({9})
Bücher, von deren Verlagen jedermann weiß, daß sie fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.
({10})
Es gehört nicht zu den Aufgaben des Bundespresseamtes oder seiner Referenten, an mindestens - soweit mir bekannt ist - vier Redaktionen heranzutreten, um auch nur die Besprechung bestimmter unbequemer Werke zu verhindern.
({11})
Es scheint mir auch nicht zu den Aufgaben von Mitgliedern des Hohen Hauses zu gehören, in ähnlicher Weise tätig zu sein.
({12})
Gerade Ihr Zwischenruf, Herr Kollege Bausch, hat mich veranlaßt, zu diesem Tatbestand etwas zu sagen. Und damit das deutsche Volk weiß, um welches Buch es sich handelt, will ich es nennen, denn dann werden hoffentlich die Briefe der Referenten des Bundespresseamtes die entgegengesetzte Wirkung haben: es handelt sich um das Buch des Desch-Verlages „Denk ich an Deutschland".
({13})
Meine Damen und Herren, Sie können sich mit den Einzelheiten dieses Buches auseinandersetzen. Daß aus ihm die brennende Sorge um das Schicksal eines Volkes spricht, dem man die Existenz von zwei gegeneinandergestellten Armeen aufzuzwingen im Begriffe ist, das können Sie nicht bestreiten.
({14})
Noch eine Vorbemerkung, meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, was die Debatte noch bringen wird. Ich meine, wir würden gut daran tun, wenn wir dabei blieben, die Argumente auszutauschen, die sich aus der jetzigen Lage ergeben. Es ist völlig uninteressant, von hüben und drüben mit ganz tief aus vergangenen historischen Epochen herausgeholten Zitaten arbeiten zu wollen. Ich wäre gern bereit, falls es not tut, mich an diesem Wettstreit mit einigen Zitaten päpstlicher Enzykliken zu beteiligen; aber ich glaube, das führt uns hier nicht weiter.
({15})
Meine Damen und Herren, der Kernpunkt der heutigen Auseinandersetzung ist nicht, wie Sie vielleicht glauben, im wesentlichen eine rein militärpolitische Würdigung der Lage. Schon die Debatten im Verlaufe der verunglückten zweiten Lesung haben gezeigt, daß es, wie wir beim § 11 noch einmal sehr deutlich gesehen haben, in Wirklichkeit die Folgen für die Vertiefung der Spaltung unseres Vaterlandes sind, die hier bei diesem Gesetz die Meinungen so hart aufeinanderprallen lassen.
Unser Volk lebt in einer tiefen Tragik. Zwei Armeen werden in den beiden Teilen Deutschlands aufgestellt. Das ist schon schlimm genug. Noch schlimmer ist es, daß diese beiden Armeen eingeschmolzen werden in feindlich einander gegenüberstehende Militärblöcke, und noch schlimmer ist es, wenn durch unser Zutun dafür gesorgt wird, daß es sich bei diesen zwei Armeen dann auch noch um Wehrpflichtarmeen handelt!
({16})
Meine Damen und Herren, die Synode der Evangelischen Kirche - ich muß noch einmal auf diesen
Vorgang zurückkommen, und, Herr Kollege Bausch,
Sie hätten keinen Anlaß, dabei zu lächeln -, ({17})
die Synode der Evangelischen Kirche - Herr Kollege Schütz, mit Ihnen habe ich mich deshalb nicht darüber auseinandergesetzt, weil Sie nicht in ähnlich aktiver Weise wie der Herr Kollege Bausch mit mir durch die gemeinsame Arbeit an unserer Evangelischen Akademie in Baden-Württemberg verbunden sind - hat einen einmütigen Auftrag erteilt - einmütig, sage ich entgegen den entstellenden Darstellungen, zu denen das Bulletin der Bundesregierung sich hergegeben hat -,
({18}) Bedenken vorzutragen, und zwar in doppelter Richtung: Bedenken gegen die Einführung der Wehrpflicht in der Bundesrepublik wegen der Folgen, die für die Spaltung unseres Landes und für das Leben unserer Brüder in der sowjetischen Besatzungszone damit verbunden sind, und Bedenken, die dieselbe Synode - das ist selbstverständlich das andere Bild der Sache - bei den Machthabern in der sowjetischen Besatzungszone gegen den Druck vortragen läßt, der drüben ausgeübt wird, um junge Menschen in die kommunistische Armee hineinzupressen.
Herr Abgeordneter Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Jawohl!
Herr Abgeordneter Müller-Hermann!
Herr Kollege Erler, wissen Sie nicht auch, daß es sich bei den von Ihnen genannten Bedenken nicht um Bedenken „der Synode", sondern um Bedenken von Synodalen gehandelt hat? Ich glaube, daß es wichtig ist, diesen Unterschied hier auch vor der Öffentlichkeit darzustellen.
({0})
Ich möchte das ganz klarstellen. Die Synode hat einen einmütigen Auftrag erteilt, durch ihre Delegation diese Bedenken von Synodalen hier vorzutragen. Der Auftrag der Synode ist einmütig.
({0})
Und wenn Sie es genau wissen wollen, darf ich Ihnen hier eine Erklärung verlesen, die Sie vielleicht beruhigt:
({1})
Die Unterzeichneten schließen sich den Bedenken gegen die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht bzw. gegen Zwangsmethoden bei der Werbung für Wehrdienst an, die durch die von der Synode beauftragte Delegation in Bonn und Ost-Berlin vorgetragen werden.
Unter diesem Schriftstück befinden sich die Unterschriften von 62 der 120 Mitglieder der Synode
({2})
und außerdem 2 von den Ratsmitgliedern, die nicht gleichzeitig Angehörige der Synode sind.
Meine Damen und Herren, diejenigen, die diese Unterschriften in der Tasche hatten, als sie hierher kamen - nämlich die Beauftragten der Synode -, haben gut daran getan - und deshalb sollten wir auch nicht den Bischof Dibelius drängen, daß er nunmehr die Namen der Unterzeichner bekanntgibt -, die Namen nicht bekanntzugeben wegen der Folgen, die eine Bekanntgabe für die einzelnen Unterzeichner oder Nichtunterzeichner insbesondere in der sowjetischen Besatzungszone haben könnte.
({3})
Es scheint manchem in diesem Hause - ich muß noch einmal darauf zurückkommen - nicht bewußt zu sein, welch ein Unterschied selbst für unsere Brüder in der Sowjetzone zwischen dem gesetzwidrigen Druck der kommunistischen Organisationen auf Eintritt in die Armee der Zone und der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht durch eine für alle Bürger durch Gesetz verbindliche Bestimmung besteht. Das ist ein Unterschied, und zwar ein erheblicher.
Der Kollege Berendsen hat hier gesagt, wir sollten uns nicht davor fürchten, daß etwa die Jugend, wenn sie durch ein Wehrpflichtgesetz in größerem Umfang in die Zonenarmee hineingepreßt würde, dort der kommunistischen Beeinflussung erliegen könnte. Wer bis zu seinem 19. Lebensjahr standhaft geblieben sei, der bleibe es auch weiterhin. - Herr Kollege Berendsen, wir haben alle die bitteren Jahre der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hinter uns.
({4})
Wir wissen alle, mit welchen Mitteln des Meinungsmonopols, der Disziplinierung und zusätzlich noch durch die Form der Armee, die die Kommunisten drüben geschaffen haben, die junge Generation auf Wege gebracht werden kann, an denen sie nicht Schuld trägt, die ihr aber von dem Mechanismus der totalitären Gewaltherrschaft aufgezwungen werden.
Da sollten wir das nicht leicht nehmen, wenn uns in Sorge dargelegt worden ist, wieviel stärker der Zugriff der Kommunisten auf die Seele der jungen Menschen ist, wenn sie ihnen anderthalb oder vielleicht auch zwei Jahre ununterbrochen in der Atmosphäre ihrer disziplinierten Armee ausgeliefert sind.
({5})
Meine Damen und Herren, wir sollten auch daran denken, welche Konsequenzen es hätte, wenn die Einführung der Wehrpflicht zu einer weiteren Entleerung der Sowjetzone gerade von den Menschen führen würde, die innerlich das Regime so ablehnen, daß sie unter gar keinen Umständen bereit wären, auch auf Grund eines Gesetzes drüben Dienst zu leisten.
({6})
Das Problem ist dann gar nicht, ob die Betreffenden vielleicht bereit wären, dann in die Wehrpflichtarmee der Bundesrepublik einzutreten. Das Problem ist ein ganz anderes. Wieviel an innerem Widerstandswillen geht uns dadurch in der sowjetischen Besatzungszone verloren!
({7})
Wenn wir diese Fragen erörtern - nicht nur beim Prinzip der Wehrpflicht, sondern nachher auch bei den einzelnen Paragraphen Ihres Gesetzes -, wenn wir auf die Folgen aufmerksam machen und uns dann darum bemühen, wenigstens diese Folgen zu mildern, dann denken Sie bitte daran: Hier handelt es sich nicht um Konzessionen, die man einem Gewaltregime gegenüber macht, nicht um das Regime, sondern hier handelt es sich um die Berücksichtigung der Sorgen und Nöte unserer eigenen Landsleute drüben.
({8})
Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, welche Folgen die Wehrpflicht hüben wie drüben in bezug auf die Unterbindung des freien Personenverkehrs, zumindest der männlichen Bevölkerung, über die Zonengrenze hinweg hätte. Sie wissen alle, was es für unsere Landsleute drüben bedeutet, daß es uns immerhin gelungen ist, diesen Verkehr von Millionen von Menschen über die Zonengrenzen trotz aller Beschränkungen in dem großen Umfang aufrechtzuerhalten, wie er noch besteht. Nur so ist es doch überhaupt möglich, das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit und Solidarität lebendig zu erhalten und nicht völlig den Weg der Auseinanderentwicklung in zwei verschiedene Staaten zu gehen.
Die Einschmelzung der Wehrpflichtarmee hier in den Atlantikpakt und der Wehrpflichtarmee drüben
({9})
in den Warschauer Pakt, das sind Stücke der Zementierung der Spaltung Deutschlands, und mit jedem weiteren Schritt auf diesem Wege wird es immer schwieriger, die eingegangenen Bindungen einmal so umzugestalten, daß wir aus den verschiedenen Teilen Deutschland überhaupt einmal wieder einen einheitlichen Staat werden schaffen können. Aber ohne die Umgestaltung dieser Bindungen werden wir Deutschland nie zusammenbekommen.
({10})
Deutschland im Atlantikpakt als wiedervereinigtes Deutschland - diese Illusion haben auch Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie ehrlich sind, alle längst aufgegeben.
({11})
Infolgedessen ist es Aufgabe der deutschen Politik - wir denken dabei an die Debatte, die wir zur außenpolitischen Lage in diesem Hause gehabt haben -, selbst Vorschläge zu machen, wie das wiedervereinigte Deutschland militärisch beschaffen sein könnte als Teilnehmer eines europäischen Sicherheitspaktes, wie wir die Lösung der Deutschlandfrage einbauen in die weltweiten Probleme der Ost-West-Beziehungen, der Rüstungsbegrenzung,
({12})
der Sicherheit in Europa. Der Einbau eines wiedervereinigten Deutschlands in ein System der kollektiven Sicherheit, zu dem wir mit eigenen Leistungen beizutragen hätten, gibt uns und dem Westen in Wahrheit mehr Sicherheit, als sie überhaupt gewonnen werden kann, solange sowjetische Truppen im Herzen Deutschlands stehen.
({13})
Die große Gefahr ist doch, daß die Bundesrepublik, die es mit der Einführung der Wehrpflicht so eilig hat, auf dem anderen Gebiet einfach wartet. Chruschtschow, der ja so gern zitiert wird, hat einmal gesagt: „Uns bläst der Wind nicht ins Gesicht". Die Sowjetunion kann es aushalten. Ich glaube, bei uns müßte die Initiative liegen, und daher würde ich auf gar keinen Fall eine Position beziehen, wie sie der Herr Bundeskanzler etwa in Mailand bezogen hat. Er hat sich dort mit anderen Worten ausgedrückt, aber der politische Inhalt seiner Mailänder Darstellung war doch ungefähr der: Die Sowjetunion muß erst auf bestimmten Gebieten dem Bolschewismus überhaupt abschwören, bevor wir geruhen, mit ihr über die Wiedervereinigung auch nur zu reden.
({14})
Welch ein Unterschied in der Aktivität auf dem Gebiete der Einführung der Wehrpflicht hier und der Politik der Wiedervereinigung auf der anderen Seite!
({15})
Haben wir doch nicht so entsetzliche Angst, daß wir durch ein mutiges Anpacken dieser Probleme etwa die Freundschaft und Solidarität unserer
westlichen Partner verlieren könnten!
({16})
Es ist ein erheblicher Umschwung der öffentlichen Meinung auch in den Vereinigten Staaten eingetreten. Es handelt sich nicht nur um Kennan, immerhin den ehemaligen Leiter des Planungsstabes des State Departments, um die „Washington Post", um den „Christian Science Monitor", um Walter Lippmann mit seinen in über 200 Zeitungen verbreiteten Artikeln. Es handelt sich auch um die Stimme gewichtiger Senatoren, wobei ich mir durchaus bewußt bin, daß Mr. Flanders in manchen Fragen ein Einzelgänger ist; aber wenn ein Mann wie Mansfield sich ihm zugesellt, ist das keine Einzelerscheinung mehr. Wenn Mansfield sagt, daß Amerika den Widerstand gegen die Wiederbewaffnung in Deutschland anerkennen müsse und deshalb noch einmal im Zusammenhang mit den Abrüstungsbesprechungen prüfen solle, ob die jetzige Art der Wiederbewaffnung wirklich notwendig sei, dann ist das eine Stimme von nicht zu unterschätzendem Gewicht.
Meine Damen und Herren, wir stehen - ob Sie das wahrhaben wollen oder nicht - in der Gefahr, uns durch unsere Untätigkeit in der Förderung des internationalen Gesprächs über die Wiedervereinigung und unsere sehr aktive Tätigkeit auf dem Gebiete der Bewaffnung der Bundesrepublik zu isolieren, als Störenfried angesehen zu werden, über dessen Kopf hinweg man einmal eine Lösung suchen wird, die uns allen nur unangenehm sein kann.
({17})
Wir werden einmal ein unbequem gewordener
Bundesgenosse sein; das späte Echo einer eigenen
Politik, die man längst zu verlassen im Begriff ist.
({18})
Wir sollten zur Warnung daran denken, daß es im letzten Jahrzehnt schon mehr derartige Entwicklungen in der Welt gegeben hat von Tschiang Kai-schek über Bao Dai bis Syngman Rhee. Den Schaden, der aus einer solchen Entwicklung für uns entstehen würde, trägt nicht der Herr Bundeskanzler allein, sondern das ganze deutsche Volk.
({19})
Besonders deutlich wird die Überalterung unserer Vorstellungen an der Frage, die wir heute diskutieren. Die Pläne, eine Halbmillionen-Armee mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht aufzustellen, datieren aus dem Jahre 1950. Damals sind ja auch die Pläne konzipiert worden, die davon ausgehen, daß die moderne Strategie - 1950 war sie noch gar nicht ganz geboren - zwar dafür sorgen würde, daß die anderen Armeen mit den nun einmal leider entscheidenden Waffen ausgestattet werden, daß die Bundesrepublik Deutschland aber demgegenüber etwas zurückstehen müsse. Wir würden also nicht einmal der letzte Soldat, sondern nur der letzte standhafte Zinnsoldat des Kalten Krieges werden. Die Argumente des Kalten Krieges gelten heute nicht mehr; der Kreuzzug findet nicht statt.
({20})
Wir versuchen hier künstlich, alte Parolen wiederzubeleben. Die Aggression, die man im Zuge der Korea-Ereignisse Grund hatte zu befürchten, ist angesichts der letzten weltpolitischen Entwicklung für absehbare Zeit in den Bereich des nahezu Ausgeschlossenen abgedrängt worden.
({21})
- Ich schließe mich hier dem an, was Sie als Prophezeiungen in den Darlegungen des amerikanischen Verteidigungsministers Wilson vor dem Senat der Vereinigten Staaten lesen können. Ich finde, das ist immerhin eine Autorität, der wir doch einiges Gewicht beimessen sollten. Nebenbei darf ich Ihnen sogar versichern, daß von dieser Zuversicht, es stehe in absehbarer Zeit kein sowjetischer Angriff hier im Herzen Europas bevor, auch der Oberbefehlshaber der atlantischen Truppen, General Gruenther, ausgeht, erfreulicherweise!
({22})
Meine Damen und Herren, welche geistigen und politischen Parolen wollen Sie eigentlich den Wehrpflichtigen bieten, um ihnen die Notwendigkeit dieses Dienstes klarzumachen, in einer Situation, in der die Armee viel stärker als äußerliches Symbol der Teilung unseres Landes empfunden würde denn als irgend etwas anderes? Nein, in dieser Lage würde dem Provisorium .,Bundesrepublik" vollauf Genüge getan mit der Erfüllung der nun einmal von Ihnen beschlossenen und gegen uns durchgesetzten Verträge durch ein Heer, das ausschließlich aus Freiwilligen besteht.
({23})
Die moralische Grundlage für die Wehrpflicht könnte, wenn überhaupt, nur die Nation im ganzen sein.
({24})
({25})
Meine Damen und Herren, die Verträge verpflichten zu einem Beitrag. Ich bin erfreut darüber, daß Herr Kollege Berendsen ganz klargemacht hat, es werde nicht mehr an der Lehre festgehalten, aus diesen Verträgen müsse man zwangsläufig Form und Größe des Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik ableiten. Bei uns liegt es also, sorgfältig Form und Größe dieses durch die Verträge leider nun einmal beschlossenen Beitrages abzuwägen. Die Planung, von der Sie sprachen, Kollege Berendsen, ist keine Verpflichtung. Wie überaltert sie ist, das empfinden manche in ihrem Innern, wenn sie es nach außen hin auch nicht allzu laut sagen.
Meine Damen und Herren, vorhin ist von der Abrüstungsdiskussion in der Welt etwa in dem Ton gesprochen worden: Wir erwarten in absehbarer Zeit gar keine Ergebnisse. Sollten aber durch ein Wunder doch Ergebnisse erzielt werden, können wir uns natürlich darüber freuen und würden bereit sein, später die daraus erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. - Nun, sicher, niemand soll ein Abrüstungsabkommen bereits für abgeschlossen halten, bevor es zustande gekommen ist; das ist absolut richtig. Aber jeder sollte sich bemühen, das Seine zu tun, damit die Wege zu einem solchen Abkommen geebnet und nicht etwa noch erschwert werden.
({26})
Das ist die Frage, die wir zu diskutieren haben.
Am Dienstag sind die Verhandlungen zu diesem Problem im Gebäude der Vereinten Nationen in New York wieder aufgenommen worden. Wir alle kennen die Schwierigkeiten und Probleme. Aber wir alle wissen auch - Herr Kollege Berendsen, Sie selbst haben es gesagt -: Die Weltmächte haben begriffen, daß ein Konflikt mit den modernen Massenzerstörungsmitteln praktisch keine von ihnen überleben ließe; beide würden mit ihrer Existenz spielen, wenn eine von ihnen einen bewaffneten Konflikt mit der anderen entstehen ließe. Das ist der Zwang, unter dem die beiden stehen: Man kann in Zukunft nie sicher sein - und man ist sich auch nicht sicher -, ob das Monopol der Atom- und Wasserstoffbombe bei denen bleibt, die es heute haben. Es kann ja auch einmal Irrsinnige in der Welt geben, die imstande wären, solche Waffen zu produzieren. Das haben wir auch schon in der Geschichte erlebt.
({27})
Gerade deshalb sind die Großen in der Welt unter dem inneren Zwang, um das Schicksal ihrer Völker und damit der ganzen Menschheit willen das Abrüstungsgespräch nicht abreißen zu lassen, sondern nach wirksamen Lösungen zu suchen.
Vor welchen Problemen die Weltmächte da stehen, hat der amerikanische Generalleutnant Gavin vor einem Senatsausschuß ausgeführt. Er hat dargestellt, daß bei einem Angriff mit Wasserstoffbomben auf bewohnte Gebiete je nach der Windrichtung mehrere hundert Millionen Menschen betroffen sein können. Sehen Sie, das ist der innere Zwang, der die Weltmächte dazu treibt, sich nach Wegen umzusehen, die zu einer Beendigung des Wettrüstens auf dem Gebiet der Atomwaffen führen können. Das ist übrigens ein Problem, das auch unserer Regierung Veranlassung geben sollte, auf die Gefahren für die Gesundheit aller Völker aufmerksam zu machen, die schon heute durch die ständigen Atomexplosionen zu Versuchszwecken heraufbeschworen worden sind.
({28})
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß ein Abrüstungsabkommen oder ein Abkommen über Begrenzung und wirksame Kontrolle der Rüstungen auf gar keinen Fall nur eine einzige Waffengattung umfassen kann. Hier setzt der logische Kurzschluß ein, den ich in den Ausführungen des Kollegen Berendsen beklage. Die Alternative zu der fürchterlichen Auseinandersetzung mit den Atomwaffen ist in Wahrheit nicht ein Krieg mit konventionellen Waffen, sondern ein Versuch mit aller Leidenschaft und allen politischen Mitteln, an die Stelle der möglichen bewaffneten Auseinandersetzung die Erhaltung des Friedens zu setzen.
({29})
- Ich unterstelle niemandem, am allerwenigsten dem Kollegen Berendsen und auch Ihnen, Herr Kollege Stücklen, nicht, der Sie das, was ich eben gesagt habe, als unglaublich bezeichneten, ich unterstelle selbstverständlich niemandem von Ihnen, daß er deswegen etwa eine bewaffnete Auseinandersetzung mit konventionellen Mitteln plant. Wir alle haben ein Interesse an der Bewahrung des Friedens, aber die Frage ist: Wie wird der Friede bewahrt?
({30})
Da sind wir eben der Meinung, daß die einzig wirksame und dauerhafte Möglichkeit außer dem Abkommen, das Atomwaffen von der Verwendung ausschließt, die Begrenzung der konventionellen Waffen ist. Das gehört beides zusammen.
({31})
In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, beklage ich, daß wir einem Erfolg auf diesem Gebiet durch unsere Politik bereits ein ernsthaftes Hindernis bereitet haben.
({32})
- Nein, hören Sie die Zahlen! Die Westmächte selbst waren es, die seinerzeit den Vorschlag im Abrüstungsunterausschuß der Vereinten Nationen machten, die Personalstärken der Armeen auf bestimmte Zahlen zu begrenzen. Der Vorschlag sah vor: je anderthalb Millionen Mann für die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion und China, je 650 000 Mann für Großbritannien und Frankreich, und infolgedessen dann je etwa 200 000 Mann für die übrigen Staaten. Das hätte eine Aufrüstung der Bundesrepublik in dem vorgesehenen Umfang natürlich erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Damals lagen leider die Erklärungen noch nicht vor, daß Sie selbst bereit seien, falls eine solche Einigung zustande komme, sich mit 200 000 Mann zu begnügen, sondern damals ist der amerikanische Bundesgenosse davon ausgegangen, daß man, um die Proportion mit den 500 000 Deutschen zu wahren, sich eben nicht mit anderthalb Millionen Mann bei den ganz Großen begnügen könne, sondern 2 1/2 Millionen Mann haben müsse.
({33})
So wurde, nachdem die Sowjetunion in diesem
Punkte wenigstens einmal den ursprünglichen
({34})
westlichen Vorschlag aufgegriffen hatte, vom Westen gesagt: Das reicht uns nicht mehr aus; wir verlangen 21/2 Millionen für die Sowjetunion, China und die Vereinigten Staaten, 750 000 für Großbritannien und Frankreich und dann Entsprechendes für die anderen. Meine Damen und Herren, zur Konsequenz hatte dieser Vorgang also, bei Lichte betrachtet, daß man anscheinend bereit war, um eines Mehr an 300 000 deutschen Soldaten willen die Armeen in den kommunistischen Staaten um 2 Millionen Köpfe stärker zu lassen, als die ursprüngliche Chance gewesen wäre. In unserer eigenen Starrsinnigkeit, in dem Beharren auf der Armee von einer halben Million Mann für die Bundesrepublik sehe ich den ersten Vorgang, durch den wir das Abrüstungsgespräch international ungünstig beeinflußt haben.
({35})
Da können wir uns doch nicht darüber hinwegtrösten, indem wir sagen: man muß natürlich erst einmal aufgerüstet haben, damit man auch etwas abzurüsten habe. Wir waren ja noch gar nicht an den voraussichtlichen Plafond herangekommen. Es hätte durchaus noch Zeit genug gegeben, erst einmal bis zu diesem Plafond zu gehen, wenn Sie unbedingt gewollt hätten, um die Lage dann zu prüfen. Aber dieses Beharren auf den im Jahre 1950 konzipierten Plänen ohne Rücksicht auf die .Verhandlungen erweckt den Eindruck, daß wir uns um die Abrüstungsverhandlungen überhaupt nicht scheren, weil wir sowieso gar nicht daran glauben. Das weckt schmerzliche Erinnerungen bei anderen Völkern, die sich entsinnen, daß schon einmal in einem entscheidenden Stadium es leider eine - andere - deutsche Regierung gewesen ist, die sich in wenig erfreulicher Weise den Abrüstungsbemühungen in den Weg gestellt hatte, allerdings, das gebe ich zu, nachdem die anderen auch nichts zuwege gebracht hatten.
({36})
- Ja, aber wir haben dann die Abrüstungskonferenz verlassen und haben auf diese Weise auch jede Chance verbaut, überhaupt noch zu einer Verständigung zu kommen.
({37})
Nun zu den militärischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Wehrpflichtvorlage ergeben. Ich wiederhole: die Strategie des Atlantikpaktes läßt gar keinen Zweifel daran, daß ein bewaffneter Konflikt in Europa keine Aussicht hat - auch mit 500 000 deutschen Soldaten nicht -, ein Konflikt mit konventionellen Waffen zu bleiben, sondern die Planungen der atlantischen Organisation gehen von dem sofortigen und direkten Einsatz von Atomwaffen im Konfliktsfall in Europa aus. Herr Kollege Kiesinger, Sie schütteln das Haupt.
({38})
Sie müßten selber nachlesen, was offiziell und nicht nur geheim dazu gesagt worden ist.
Herr Abgeordneter Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja!
Herr Abgeordneter Erler, weil Sie mich eben apostrophiert haben: kennen
Sie nicht die Äußerungen, die ständig von den verantwortlichen Politikern und Militärs des Westens zu dieser Frage gemacht werden? Heute steht in der „Welt" eine Äußerung des Generals Schuyler zu dieser Frage. Wie können Sie hier sagen, daß übereinstimmend in der westlichen Welt die Auffassung bestehe, die Beschränkung eines Krieges auf konventionelle Waffen sei nicht möglich? Sie können dann einfach diese Stimmen nicht zur Kenntnis genommen haben.
Herr Kollege Kiesinger, ich spreche hier gar nicht von Meinungen, sondern ich spreche von Erklärungen derer, die die Planung verantwortlich in der Hand haben und gar keinen Zweifel daran gelassen haben - auch in der Presse -, daß die Planung ,der Atlantikorganisation - im Dezember 1954 wurde das ganz offiziell beschlossen - auf dem sofortigen Einsatz von Atomwaffen im Falle eines Konflikts in Europa beruht.
({0})
- Nein, sie beruht darauf, auch wenn es 500 000 deutsche Soldaten gibt.
({1})
Daran besteht kein Zweifel.
({2})
Herr Abgeordneter Erler, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Gern.
Herr Abgeordneter Kiesinger!
Herr Kollege Erler, haben Sie nicht in den Gesprächen mit den Verantwortlichen der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft gerade zu diesem Punkt gehört, daß die Gefahr des Ausarten eines möglichen Konflikts zu einem Atomkrieg dadurch vermindert wird, daß hier im europäischen Kontinent die konventionellen Landstreitkräfte vermehrt werden,
({0})
daß also, je mehr wir das tun, wir desto mehr zugunsten des Friedens und für die Vermeidung eines schrecklichen Atomkonflikts wirken?
({1})
Mir gegenüber, wenn Sie das nun ausdrücklich hören wollen, hat kein Verantwortlicher des Atlantikpaktes je die Meinung geäußert, daß nach Aufstellung von 500 000 deutschen Soldaten die Atlantikpaktmächte in Europa auf den Einsatz ihrer taktischen Atomwaffen verzichten würden, im Gegenteil!
({0})
- Der strategische Einsatz von Atomwaffen im Hinterland ist ein völlig anderes Problem, und ich teile die Illusion der Militärs nicht, daß man da überhaupt trennen kann.
({1})
- Sicher, das ist eine Illusion, daß man das trennen könnte; aber die taktische Atomwaffe wird
({2})
eingesetzt. Wer hier etwas anderes sagt, der gibt nicht die Planung der Atlantikstrategie wieder, wie sie besteht.
({3})
Man hat zwar gesagt - ich lege auf diesen Punkt ganz besonders großen Wert, und Sie werden gleich hören, warum -, solange es die 500 000 deutschen Soldaten nicht gebe, gebe es nicht einmal die Hoffnung, die Bundesrepublik so weit ostwärts wie möglich zu verteidigen; diese Hoffnung gebe es erst, wenn es diese 500 000 deutschen Soldaten gebe. Dazu werde ich auch noch etwas darlegen. Aber auf jeden Fall gilt es hier die Illusion zu zerstören, als ob wir für den Fall eines Konflikts angesichts der Ausstattung der modernen Armeen mit Atomwaffen hoffen dürften, durch den Einsatz der 500 000 deutschen Soldaten uns den Einsatz der taktischen Atomwaffen in der Bundesrepublik zu ersparen; das ist leider nicht wahr.
({4})
- Jawohl, da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Deshalb ist die wirkliche Aufgabe, alles zu tun, daß der Konflikt unterbleibt. Da gebe ich dem Kollegen Euler durchaus recht.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Seffrin?
Jawohl.
Herr Abgeordneter Seffrin!
Herr Kollege Erler, wie ich mich erinnere, waren Sie selbst dabei, als General Gruenther hier in Bonn den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses seine Pläne darlegte. Erinnern Sie sich nicht mehr, daß er damals ganz klar und sehr überzeugend ausführte, daß der Beitrag der Bundesrepublik mit 500 000 Mann notwendig sei, um die Planung zu erfüllen?
({0})
Jawohl, ich will Ihnen gern in Erinnerung rufen, was uns General Gruenther gesagt hat. Ich kann es deshalb mit gutem Gewissen tun, weil seine damaligen Erklärungen vor dem Verteidigungsausschuß ja auch in einer publizierten Rede wiederholt wurden, man sich also dabei keineswegs irgendeiner Preisgabe von Geheimnissen schuldig macht. General Gruenther hat - das trifft zu - erstens gesagt: Um die Pläne zu erfüllen - wie Sie gesagt haben - braucht man die 500 000 deutschen Soldaten. Zum zweiten hat er noch gesagt, man brauche diese 500 000 deutschen Soldaten, um, falls eine sowjetische Aggression bevorstehe, die Sowietunion zu einer derartigen Konzentration ihrer Kräfte zu zwingen, daß der Einsatz von Atomwaffen überhaupt möglich werde.
({0})
Und nun soll mir noch jemand sagen, daß die atlantische Planung mit 500 000 deutschen Soldaten von dem Einsatz von Atomwaffen absieht!
({1})
Gestatten Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Erler? - Herr Abgeordneter Dr. Seffrin!
Herr Kollege Erler, sind Sie nicht auch der Meinung, daß das, was Sie eben gesagt haben, völlig im Widerspruch zu dem steht, was Sie vorhin geäußert haben?
({0})
Nein. Ich hatte lediglich auf einen Sachverhalt aufmerksam gemacht, der in unserem Volk in der Diskussion leider allzu oft verdunkelt worden ist, nämlich darauf, daß angesichts der bedauerlichen Entwicklung der Waffen in der Welt für den Fall eines Konflikts auch 500 000 deutsche Soldaten nicht imstande sind, dem deutschen Volk den Einsatz von Atomwaffen zu ersparen.
({0})
- Bitte, wenn es sein muß, Kollege Euler, gern.
Eine Zwischenfrage!
Herr Erler, dabei war doch eben von Ihnen festgestellt worden, daß diese Erklärungen hinsichtlich der strategischen Atomwaffe bestehen, daß Sie aber diesen Erklärungen keine Bedeutung beimessen, weil Sie an die Unterscheidungsmöglichkeit zwischen dem Einsatz taktischer und strategischer Atomwaffen nicht glauben. Das heißt, Sie sind persönlich davon überzeugt, daß der Einsatz von taktischen Atomwaffen den Einsatz von strategischen Atomwaffen nach sich ziehen wird.
Herr Abgeordneter Euler, ich muß Sie darauf hinweisen, daß hier nur Fragen an den Redner gestellt, aber keine Erklärungen abgegeben werden können.
Außerdem müssen wir erst darüber diskutieren, was der Einsatz von strategischen und von taktischen Waffen in diesem Zusammenhang bedeutet. Die Atlantikplanung betrachtet - wenn ich Ihnen das zur Aufklärung sagen darf, es kann ja auch ganz nützlich sein, Herr Kollege Euler - den Abwurf von oder den Beschuß mit taktischen Atomwaffen auf feindliche Truppenbereitstellungen als den Einsatz zu taktischen und nicht zu strategischen Zwecken. Damit ist auch diese Frage beantwortet.
Nun lassen Sie mich bitte einen kurzen Überblick über die Konsequenzen geben, die in anderen Ländern aus der Entwicklung der Atomstrategie gezogen worden sind. Beginnen wir mit Großbritannien. Vor kurzem ist der britische laufende Haushalt zum erstenmal wieder seit einiger Zeit um 100 Millionen Pfund gekürzt worden. Davon entfällt der größte Teil auf den Verteidigungshaushalt. Es ist dabei ganz klargemacht worden, daß es sich hier noch nicht um alles handelt, was man für die Zukunft vorhat. Der englische Premierminister Eden hält die Zeit für gekommen, in der die gesamte militärische Planung die veränderten Um({0})
stände in Rechnung stellen sollte, die durch das atomare Abschreckungsmittel ausgelöst würden.
({1})
„Die Streitkräfte mit Kanonen und Panzern haben nicht mehr die gleiche Bedeutung wie früher." So der englische Premierminister Eden, der schon mehrfach erklärt hat, es sei sein Endziel, die zweijährige Dienstpflicht ganz abzuschaffen und sich für Großbritannien ausschließlich auf eine Freiwilligenarmee zu stützen.
({2})
Vor wenigen Tagen - am 2. Juli - haben Sie die Meldung gelesen, daß Regierung und Generalstab von Großbritannien gegenwärtig die Frage einer allgemeinen Revision der britischen Verteidigungspolitik einschließlich der NATO-Verpflichtungen überprüfen.
Im Juniheft einer britischen Zeitschrift hat ein Mann, der sich sehr ernsthaft mit den Problemen befaßt hat und der, wenn Sie so wollen, mit zu den Vätern der Politik gehört, die in ihrer Konsequenz zur Bewaffnung der Bundesrepublik geführt hat, nämlich der frühere britische Premierminister Attlee, folgendes dargelegt:
Die Konzeption von Armeen aus Millionen Männern, die Erdkämpfe austragen, ist überholt. Deshalb ist die Grundlage für die Wehrpflicht, nämlich die Bereitstellung großer Reserven ausgebildeter Männer für den Bodenkrieg, verschwunden. Ich bin sicher, daß es immer noch Massen jetzt veralteter Waffen gibt, die man in Gebrauch hält oder sogar noch produziert. Es wird unvermeidlich einen großen Widerstand gegen jene Art drastischer Reorganisation geben, die nötig ist. Das wird eine Regierung erfordern mit einem kräftigen Willen, an diese Aufgabe heranzugehen. Denn
- Herr Kollege Berendsen! unvermeidlich werden die meisten Sachverständigen in den Bahnen des letzten Krieges denken.
({3})
Es war mir ein Trost, daß sie das also nicht nur in Deutschland tun, sondern offenbar auch in Großbritannien. Immerhin ist es auch ein Trost, daß die verantwortlichen Stellen der Regierung wie der Opposition in Großbritannien das Problem in seiner ganzen Tragweite erfaßt haben und entschlossen sind, die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen.
In diesem Zusammenhang ist auch in England das Problem diskutiert worden, wie man denn Reserven beschaffe. Angesichts der von Ihnen selbst dargelegten Tatsache, daß auch Sie nicht an die Massenheere des ersten oder zweiten Weltkrieges denken, fällt natürlich auch die Notwendigkeit der Ausbildung von Reserven alten Stils für diese Massenheere weg. Daß sie in bestimmtem Umfang auch für eine Freiwilligenarmee notwendig sind, steht auf einem anderen Blatt. In England will man das durch eine variable Gestaltung der Dienstzeit für die Freiwilligen regeln.
Wenden wir die Blicke nach Belgien. Auf Vorschlag der dortigen Christlich-Sozialen Partei hat die Regierung eine Kommission aus Parlamentariern, zivilen Sachverständigen und Militärs eingesetzt. Diese Kommission soll alle Probleme studieren, die durch die nationale Verteidigung im Rahmen der NATO entstehen. Es soll alles überprüft werden, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Erfahrungen, die die belgischen Offiziere in den Atlantikpaktstäben gesammelt haben. Sie sind der Meinung, daß mit der Atombombe und den Raketen die Rolle einer vor allem auf großen Infanteriekörpern aufgebauten Armee ausgespielt sei. In das Studium dieser Fragen wird man auch in Belgien die allgemeine Wehrpflicht einbeziehen.
Sehen wir nach den Vereinigten Staaten. Am 3. Juli hat Senator Anderson vor einer kompetenten Körperschaft angekündigt, daß die Truppenstärke der Armee der Vereinigten Staaten in Kürze auf Grund der Einführung von Atomwaffen und Fernraketen um 300 000 Mann verringert wird.
Nun die Sowjetunion. Sachverständige, die gefragt worden sind: „Was bedeutet die Herabsetzung der sowjetischen Armee um weitere 1,2 Millionen Mann nach der allem Anschein nach vorgenommenen Demobilisierung von 640 000 als voriger Rate?", haben gesagt, daß darunter die Schlagkraft der sowjetischen Armee sicher nicht leide - da haben sie vollkommen recht -, daß aber die Sowjetunion eben die Konsequenzen aus der atomaren Revolution in der Strategie gezogen habe. Das ist der wesentliche Hintergrund.
Meine Damen und Herren, in dieser Lage müssen wir uns über eins im klaren sein - das ist schmerzlich, aber wir müssen es, glaube ich, mit Mut aussprechen : Bei einem Überfall durch die Sowjetunion selbst wäre die Bundeswehr in jeder Form durch Atomschläge festgenagelt und bewegungsunfähig. Eine Mobilmachung alten Stils mit der Einberufung von Reserven ist bei einem solchen Überfall überhaupt nicht möglich. Ein solcher Überfall mit den dann einsetzenden auch nur taktischen Atomwaffen auf beiden Seiten ließe von unserer Bevölkerung nicht allzu viel übrig. Ein militärischer Angriff der Sowjets mit dem Ziel der Eroberung Resteuropas wäre der Beginn des dritten Weltkrieges; und das ist der entscheidende Grund, daß er aus politischen und militärischen Gründen bis auf weiteres überhaupt nicht denkbar ist. Meine Damen und Herren, wenn je dieser Fall eintreten sollte, - gegen einen ernsthaften sowjetischen Großangriff ist die Bundesrepublik nun einmal wirksam nicht zu verteidigen.
({4})
Dann würde sie auf jeden Fall von beiden Seiten zerstört. Der Angriff durch die Sowjetunion selbst ist doch an der Zonengrenze nicht zum Stillstand zu bringen, auch nicht mit 500 000 Mann. Solche Möglichkeiten zu vermeiden, ist Sache der Politik. Das wirkliche Risiko der Sowjetunion bei der Entfesselung eines dritten Weltkrieges - falls sie das angesichts ihrer inneren Lage überhaupt eingehen könnte oder auch nur wollte - liegt nicht in den deutschen Divisionen, sondern im Wissen um die amerikanischen Abschreckungsmöglichkeiten. Der militärische Fachmann sollte daher diese Möglichkeit aus seinen Erwägungen ausschließen, weil er sonst das Unmögliche plant und Illusionen über eine Sicherheit weckt, die in Wahrheit auf diese Weise gar nicht geschaffen werden kann.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Ja.
Herr Abgeordneter Berendsen!
Herr Kollege, haben Sie gelesen, was heute morgen in der Zeitung steht über eine Äußerung von SHAPE, von Stabschef Schuyler, der genau das Gegenteil von dem sagt, was Sie hier vorgebracht haben?
Ja. Ich möchte nur sagen: es ist bedauerlich, daß um des Bestandes großer Armeen willen allzuviele militärische Fachleute sich in den Bahnen des konventionellen militärischen Denkens bewegen.
({0})
Sehen wir einmal ganz nüchtern das andere Problem an, ob ein lokaler Konflikt mit konventionellen Waffen hier in der Bundesrepublik in absehbarer Zeit - sage ich - denkbar ist. Solange die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion beide mit ihren Truppen auf deutschem Boden stehen, ist hier ein lokaler Konflikt gar nicht möglich, weil er automatisch in den dritten Weltbrand mündet. Daher gibt es ein Interesse daran, nur sehr vorsichtig an Lösungen heranzugehen, die im Zuge der Wiedervereinigung nun einmal in absehbarer Zeit auch durch ,das eigene Interesse der Weltmächte verändert werden müßten. Was nach der Entflechtung der Weltmächte aus ihren gegenwärtigen Positionen einmal geschieht, das ist keine so dringende Frage, daß wir deshalb heute und hier die allgemeine Wehrpflicht einführen müßten.
({1})
In diesem Zusammenhang stellt sich erst das Problem des Gegengewichts gegenüber der sowjetischen Besatzungszone.
Ein Argument, das in der öffentlichen Diskussion gern angeführt worden ist, habe ich bisher in diesem Saale noch nicht gehört. Aber ich will mich trotzdem gleich in aller Kürze damit befassen. Das ist das Verhältnis der Armee zum demokratischen Staat. Da ist sehr häufig, bedauerlicherweise sogar von der Regierung, gesagt worden, wir müßten allein deshalb schon die Wehrpflicht einführen, weil eine Freiwilligenarmee in viel größerer Gefahr stehe, zum Staat im Staate zu werden. Wenn ich mich entsinne, welche überragende Rolle die Armee im kaiserlichen Deutschland und auch im Preußen der Jahre vor 1918 gespielt hat, dann kann ich dabei nicht ganz vergessen, daß es sich in beiden Fällen um eine Armee auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht gehandelt hat. Das Wesentliche bei diesen Armeen, im Unterschied etwa zur Schweizer Milizverfassung - aber die wollen Sie ja auch nicht -, war eben das Bestehen eines großen Körpers von Berufsoffizieren und Berufssoldaten. Ihn haben Sie doch in beiden Fällen, bei der Armee, die Sie jetzt aufstellen wollen, und bei der Freiwilligenarmee. Die Gefahr des Entartens der Armee im Sinne von Vorstellungen, sie würde versuchen, den Staat zu beherrschen, statt ihm zu dienen - ich will diese Gefahr gar nicht verkleinern -, ist also in beiden Fällen die gleiche.
({2})
Sie selbst planen ja, die Marine zu 95 %, die Luftwaffe zu 80% und auch das Heer zu 37 % aus Längerdienenden und Berufssoldaten aufzubauen. Der Geist und die Haltung der Armee gegenüber der Demokratie wird nicht von den eingezogenen Rekruten, die nichts zu sagen haben, sondern von der Zusammensetzung des Führer- und Unterführerkorps bestimmt.
({3})
Da sollten, meine ich, erst gar keine Minderwertigkeitskomplexe aufkommen, das ist doch eine Aufgabe, über die sich das Haus in erfreulicher Einmütigkeit klar ist, ganz gleich, wie die Armee beschaffen ist. Die Grundgesetzänderungen sollten das notwendige Instrumentarium liefern, damit ein selbstbewußtes Parlament auf jeden Fall jeder denkbaren Armee den richtigen Standort in der Demokratie anweist und sie zum Diener der Demokratie und nicht zum Herrn des Staates macht.
({4})
Wenn wir den Faktor Demokratie einbeziehen, müssen wir natürlich auch an die Menschen denken, die in einer solchen Armee Dienst tun und auch für den Geist der Truppe von entscheidender Bedeutung sind. Deshalb bitte ich Sie, etwas auf den Zeitfaktor zu achten. Je schneller die Armee aufgebaut wird, desto größer sind die politischen Gefahren in dieser Hinsicht;
({5})
denn um so unbesehener müssen Sie ihre Kräfte aus dem vorhandenen Reservoir derjenigen entnehmen, die in den alten Armeen gedient haben und dort weitgehend - und das ist gar nicht ihre Schuld - auch geistig geformt worden sind. Die Auslese ist infolgedessen um so besser, je sorgfältiger Sie diese Dinge überlegen und gestalten und je weniger Sie nur auf Tempo und Eile achten. Jetzt besteht leider, nur weil es möglichst schnell gehen soll, die Gefahr, daß die staatsbürgerliche Unterweisung, daß bestimmte Formen des inneren Lebens in der Truppe, die auch einen neuen Geist in der praktischen Gestaltung des Miteinanderlebens zum Ausdruck bringen sollten, mit der Begründung verkürzt werden: Jetzt kommt es vor allem einmal auf Eile an! Dann haben Sie nachher lediglich technische Leistungsfähigkeit, dann schaffen Sie eine militärische Maschine; aber dann gerät alles in Gefahr, was mit Rücksicht auf die Notwendigkeit erarbeitet worden ist, die Armee bewußt zum lebendigen Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft werden zu lassen, wenn es sie schon einmal gibt. Wir haben in der Haushaltsdebatte bereits darüber gesprochen, und die damaligen Bemerkungen des Herrn Verteidigungsministers haben, glaube ich, nicht nur auf unseren Bänken großes Unbehagen in dieser Frage auslösen müssen.
({6})
Der Herr Kollege Berendsen sprach davon, daß man den letzten Sohn in einer Familie, die durch Kriegsereignisse und nationalsozialistische Verfolgung nicht mehr über einen männlichen Erben, einen männlichen Träger der Familie verfügt, doch nicht etwa einfach vom Wehrdienst freistellen könne, sondern daß man ihn mindestens ausbilden müsse. - Es liegt ein Antrag vor, wonach er später in rückwärtigen Diensten verwendet werden soll. - Wenn wir ihn vor den militärischen Gefahren schützen wollen, dürfen wir ihm auch nicht
({7})
den Führerschein erteilen. Meine Damen und Herren, wir wissen alle, wie groß die Gefahren des Straßenverkehrs sind. Aber só ist es nun doch nicht, daß wir unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der Substanz von Familien die Gefährdung durch den Einsatz bei der bewaffneten Macht mit der durch den Verkehr auf den Straßen der Bundesrepublik vergleichen können.
({8})
- Wozu wollen Sie ihn denn ausbilden, wenn Sie ihn nachher nicht einsetzen? Dann wollen wir den Männern gleich sagen: Eure Familie wird auf alle Fälle im letzten Überlebenden so gut gesichert, wie wir das nur können.
({9})
Daß Sie ihn auch nicht gegen eine Fliegerbombe sichern können, wissen wir auch. Das Unmögliche kann niemand verlangen, aber das Mögliche sollten wir tun.
Auch die Bemerkungen über diejenigen Wehrpflichtigen, deren Eltern oder Kinder in der Sowjetzone leben, oder auch über das Problem der Kriegsdienstverweigerung waren nicht so beschaffen, daß sie uns nur annäherungsweise hätten befriedigen können. Aber darauf werden wir in den Einzelberatungen der betreffenden Paragraphen zurückkommen.
Ich bin gebeten worden, zum Thema der Befreiung der evangelischen Geistlichen dem Bundestage ein Telegramm zur Kenntnis zu bringen, das von den Betroffenen stammt. Da es auch zwei andere Probleme des Wehrpflichtgesetzes beinhaltet, möchte ich es hier mit Erlaubnis des Herrn . Präsidenten dem Hohen Hause bekanntgeben.
Bitte! Eder ({0}) :
Die Studentenschaft der Kirchlichen Hochschule Wuppertal wendet sich auf Grund eines Konventbeschlusses an den Deutschen Bundestag:
1. Wir erheben Einspruch gegen eine grundsätzliche Freistellung der evangelischen Pfarrer vom Wehrdienst, weil sie den Pfarrer einer notwendigen Gewissensentscheidung enthebt und ihn dadurch von seiner Gemeinde trennt.
({1})
2. Wir bedauern, daß alle Zusatz- und Abänderungsanträge der Opposition in einer des Parlaments unwürdigen Weise übergangen worden sind.
3. Im Blick auf die gegenwärtige politische Lage im gespaltenen Deutschland halten wir die übereilte Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes für äußerst bedenklich.
Wir bitten um Verlesung im Bundestag. Ein gleichlautendes Telegramm geht an Herrn Bundesinnenminister Dr. Schröder.
Ich bin der Bitte nachgekommen und habe dem
Bundestag, weil sich die Ausschüsse damit nicht
mehr befassen können, diese Petition unmittelbar zur Kenntnis gebracht.
Ich finde es merkwürdig, wie gerade diejenigen unter Ihnen, die doch sonst so leidenschaftlich darum kämpfen, daß man den einzelnen Menschen so wenig wie möglich vom Staate aufzehren läßt, durch die Einführung der Wehrpflicht den Menschen in nicht unerheblichem Umfang zu verstaatlichen im Begriffe sind.
({2})
Eine Frage noch; vielleicht kann der Herr Bundeskanzler sie uns beantworten. Wir haben sie von der ersten Lesung an 'unentwegt gestellt und sind nie über die Absichten der Bundesregierung aufgeklärt worden. Lediglich die militärischen Sachverständigen im Ausschuß haben ihre persönliche Meinung dazu gesagt; aber das war ja nicht die Meinung der Regierung. Ich möchte gern von der Bundesregierung wissen, damit wir uns über die Konsequenzen des Gesetzes voll im klaren sind: Was hat die Regierung eigentlich außer der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht noch vor?
({3})
Was bedeutet der Satz in jener Denkschrift, daß von den 500 000 Mann 50 000 für Kader und Stämme für Zwecke der bodenständigen Verteidigung bestimmt seien? Wenn man Kader und Stämme hat, wenn man gewissermaßen die Knochen hat, muß ja dazu auch der übrige Körper geschaffen werden. Wie soll dieser Körper aussehen? Das steht mit diesem Gesetz in einem so untrennbaren Zusammenhang, daß ich hier um klare Auskunft bitte. Ich habe die Frage an den Herrn Bundeskanzler gerichtet, da es sich um eine Denkschrift der Bundesregierung und nicht um eine Denkschrift des Herrn Verteidigungsministers gehandelt hat.
Daß das Gesetz, das Sie hier verabschieden, ohne Bestimmung der Dienstzeit, ohne Vorlage des Organisationsgesetzes, des Versorgungsgesetzes, des Besoldungsgesetzes, der Beschwerdeordnung, der Disziplinarordnung - was Sie alles für die Soldaten brauchen, die Sie schon haben und um die Sie sich offenbar weniger kümmern als darum, Rekruten zu bekommen -,
({4})
ohnehin ein Torso ist, das ist schon in der ersten Lesung gesagt worden. Aber die Wehrpflicht ist nicht einmal durchführbar, wenn Sie nicht die Ausbilder für die Wehrpflichtigen gewinnen. Schon dafür brauchen Sie eigentlich die anderen Gesetze. Sie scheitern selbst bei der Durchführung Ihrer Pläne an Ihren eigenen Unterlassungssünden!
Warum eilt das Wehrpflichtgesetz so? Es werden im wesentlichen eben doch die politischen Gründe sein; denn sonst könnte man erst einmal die Ausbilder auslesen, ausbilden, Erfahrungen sammeln und im Lichte dieser Erfahrungen die Lage prüfen und Stellung nehmen und brauchte nicht jetzt von Anfang an gleich das Prinzip der Wehrpflicht einzuführen. Wer weiß, wie die internationale Situation dann im Lichte jener Erfahrungen aussieht! Ich halte es wirklich für fahrlässig, erst einen kostspieligen Apparat zu schaffen, um ihn dann wieder aufzulösen. Wir haben es vollkommen in der Hand, die Entwicklung zu prüfen. Der Aufbau der Bundeswehr nach Ihren Vorstellungen macht auch ohne das Wehrpflichtgesetz seine Fortschritte.
({5})
Die Pläne, die Sie vorhaben, haben sich auch aus anderen Gründen als schier undurchführbar erwiesen. Die Beschaffung von Waffen und Ausrüstung macht schon für die vorhandenen Freiwilligen in ihrer relativ begrenzten Zahl größte Schwierigkeiten. Schauen Sie sich einmal im Lande um, wie die Unterkünfte der jetzigen Freiwilligen aussehen! Ich erinnere mich an ein Erlebnis, das ich mit dem Herrn Vizepräsidenten Dr. Jaeger in Andernach gehabt habe, wo man Spaten von anderen Formationen, nämlich vom Bundesgrenzschutz, ausleihen mußte, weil die Bundeswehr noch gar keine hatte. Das zeigt doch schon, an welchen Schwierigkeiten Sie bei ganz kleinen Dingen leiden.
({6})
- Ja, aber Kollege Bausch, das ist doch nur ein Symbol für viel ernstere Dinge, die auch nicht vorhanden sind!
({7})
In dieser Situation der Anspannung unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach allen Seiten - die Situation im Baugewerbe und in der Stahlindustrie ist Ihnen allen bekannt - werden Sie mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht neue Schwierigkeiten schaffen, die Sie selber zu meistern kaum imstande sind. Diese Schwierigkeiten, die weltpolitische Lage und ihre Fortentwicklung sowie die Entscheidungen des deutschen Volkes im Jahre 1957 werden über dieses Gesetz hinweggehen, selbst wenn es jetzt beschlossen würde. Die Art der Behandlung, die dieses Gesetz hier vor allem in der zweiten Lesung erfahren hat, ist die sicherste Gewähr dafür, daß es nicht von Bestand sein wird. Selbst seine Durchführung würde nicht mehr Sicherheit schaffen, sondern nur neue Gefahren. Deshalb muß ein neues Parlament andere Wege gehen zu dem Ziel, Sicherheit, Frieden, Freiheit und Einheit für das deutsche Volk in einer Gemeinschaft von Freien und von Gleichen zu schaffen.
({8})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich möchte zunächst ein Bekenntnis ablegen: Ich glaube, keiner im Hause erwünscht sehnlicher als ich eine kontrollierte allgemeine Abrüstung zur Bewahrung des Friedens in der Welt.
({0})
Ich glaube für mich beanspruchen zu können, daß ich so wie nur irgendeiner hier im Hause ein Gegner des Krieges bin.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, man muß doch die Welt realistisch sehen!
({2})
- Ja, die Welt von heute muß man realistisch sehen.
({3})
- Meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, verfolgen Sie denn nicht die Vorgänge im mittleren Osten?
({4})
- Wie Sie darüber lachen können, über eine Gefahr für Gesamteuropa, ist mir unverständlich.
({5})
Sowjetrußland, das dort eine Politik des freundlichen Lächelns treibt, hat sich in den letzten Monaten im mittleren Osten immer näher an Europa, und zwar an das Mittelmeer, herangearbeitet.
({6})
- Meine Damen und Herren, ich bin frei von jeder Polemik; aber ich bitte Sie: sehen Sie doch die Verhältnisse, wie sie wirklich sind, wie sich tatsächlich die Bedrohung durch Sowjetrußland, die Einkreisung Europas jetzt auf den mittleren Osten und auf den Mittelmeerraum verlagert hat, während uns gegenüber Schalmeien des Friedens geblasen werden und Einladungen erfolgen usw.! Sie kennen doch die Sowjetpolitik. Sie wissen, daß sie das Feld ihrer Tätigkeit immer wechselt, um dadurch Verwirrung und dort oder hier eine Beruhigung zu schaffen, die tatsächlich nicht am Platze ist.
({7})
Alle diese Vorgänge hängen zusammen, und das Ganze ist ein wohlüberlegter strategischer Plan der Sowjetunion.
({8})
Ich möchte Herrn Kollegen Erler sagen, daß ich genauso wie er alles tue, daß meine ganze Arbeit, mein ganzes Trachten und Denken nur dem einen Ziele gilt, unser Volk in Frieden und Freiheit wieder zu vereinen.
({9})
Aber, meine Damen und Herren, ich höre in diesem und im vorigen Jahre in diesem Saale immer mehr nur von Wiedervereinigung reden, während früher gerade auch von der linken Seite dieses Hauses stets hinzugefügt wurde: in Frieden und Freiheit.
({10})
Herr Abgeordneter Neubauer, für den Zwischenruf „Schmutzig wie immer" rufe ich Sie zur Ordnung.
({0})
Meine Damen und Herren, - ({0})
- Herr Kollege Mellies, wie können Sie mir den Vorwurf machen, daß ich Sie verdächtige?!
({1})
- Ich hatte ja nicht gedacht, daß Ihre Freude über mein Erscheinen so groß sein würde,
({2})
aber ich möchte doch an Ihr parlamentarisch-demokratisches Gefühl appellieren
({3})
und Sie bitten, eine Erklärung des Bundeskanzlers in einer solch entscheidenden Sache doch in Ruhe anzuhören.
({4})
Ich bin, meine Damen und Herren, genauso wie Herr Erler das soeben ausgeführt hat, unbedingt ein Freund des Systems der kollektiven Sicherheit in Europa und im Zusammenhang damit anderswo. Die Dinge in der Welt kann man nicht mehr auf einen kleinen Raum beschränken, sie hängen alle miteinander zusammen - ({5})
- Ich habe es Herrn Erler gesagt, Herr Schmid.
({6})
- Nun gut, glauben Sie denn, Herr Kollege Schmid, daß ich das nicht immer von Grund auf meiner ganzen inneren politischen Konzeption zufolge gewesen bin? Soweit müßten Sie mich doch in den Jahren seit 1948 kennengelernt haben, daß Sie das wissen!
({7})
Welches ist denn das Ziel unserer Arbeit hier, der Mehrheit des Hauses? Wir wollen den dritten Weltkrieg, von dem Herr Erler soeben einiges ausgemalt hat, verhüten.
({8})
Es denkt doch niemand von uns daran, mit zwölf
Divisionen gegen Sowjetrußland zu marschieren.
({9})
Ich meine, das sind Ideen und Gedanken, über die Sie selbst später erstaunt sein werden, erstaunt auch darüber, daß hier im Bundestag so etwas ausgeführt worden ist.
({10})
Woher Herr Kollege Erler seine Nachrichten über einen Umschwung der Politik der Vereinigten Staaten bezogen hat, ist mir völlig schleierhaft.
({11})
Ich war noch vor kurzer Zeit in den Vereinigten
Staaten, und ich kann Ihnen versichern, daß die
gegenwärtige Regierung der Vereinigten Staaten
({12})
und die öffentliche Meinung dort, die ich dort
auch kennengelernt habe, genauso denken wie ich.
({13})
Meine Damen und Herren, wie kann Herr Kollege Erler sagen: Die Argumente des Kalten Krieges gelten nicht mehr; der Kalte Krieg findet nicht statt? Fühlt er denn nicht, daß wir in einer der erregendsten Phasen des Kalten Krieges mittendrin sind?!
({14})
Fühlt denn niemand auf der Seite der Opposition, daß wir dem Kalten Kriege eine Wendung gegen uns geben würden, die geradezu verhängnisvoll wäre, wenn die Bundesrepublik sich in diesem Augenblick einfach mit den Händen in den Schoß hinsetzte?!
({15})
Ich habe nicht recht verstanden, was ich in Mailand gesagt haben soll. Ich habe in der Zwischenzeit von Herrn von Eckhardt gehört, daß im „Corriere della Sera" eine Zusammenstellung von Ausführungen gestanden hat, die ich in den Vereinigten Staaten gemacht habe. Ich will Ihnen sagen, was ich in den Vereinigten Staaten gesagt habe. Ich habe gesagt - und ich wiederhole das -: Nach ,all den Erfahrungen, die die Welt gemacht hat, muß man von seiten Sowjetrußlands Taten sehen und nicht nur Worte hören.
({16})
Wenn eins dieser Auffassung Recht gegeben hat, dann sind es die Vorgänge in Posen.
({17})
Haben Sie nicht gelesen, was die „Neue Zürcher Zeitung" dazu geschrieben hat, wie die Vorgänge dort auf die Machthaber in der Sowjetzone gewirkt haben, wie sie sagen: „Also wir hatten recht, man darf keine Freiheit geben!"? Es hat sich nichts verändert. Im Gegenteil, Sie werden sehen, welche Urteile in Posen herauskommen. Jetzt spielt sich auch in Posen das ab, was sich in der Sowjetzone abgespielt hat.
({18})
Sie sehen daraus aber auch, daß die Front, die gegen uns steht, doch eines Tages aufgelockert werden wird. Das ist dann der Augenblick, wo wir hoffen können, zu allgemeinen Verhandlungen über eine kontrollierte Abrüstung zu kommen. Verlassen Sie sich darauf, Herr Erler, dann wird die Bundesrepublik Deutschland mit ganzer Kraft sich dafür einsetzen, daß diese Verhandlungen zu einem guten Erfolge führen.
({19})
({20})
Sie haben gesagt: Welche Parolen wollen Sie den jungen Leuten bieten, die jetzt eingezogen werden? - Nun, ich will Ihnen diese Parolen sagen: Schutz unserer Freiheit, Schutz unserer Heimat und Schutz Europas vor dem vordrängenden Sowjetrußland, das ganz Europa sich unterwerfen will.
({21})
Wir wollen keinen Kreuzzug gegen Sowjetrußland führen. Aber was wir wollen, ist: für unser Land die Freiheit bewahren.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Ruhe für den Redner.
({1})
- Ich bitte noch einmal um Ruhe. Herr Dr. Mende, bitte, beginnen Sie mit Ihren Ausführungen.!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Ihnen für die Fraktion der Freien Demokraten vor der Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes unsere allgemeine Einstellung darlegen. Bevor ich in die wehrpolitischen Probleme einsteige, lassen Sie sich mich an das anknüpfen, was der Herr Bundeskanzler soeben zum Schluß erklärt hat.
Die Wiedervereinigung für unser Land, die Wiedervereinigung in Freiheit und Frieden sollte doch so verstanden werden, Herr Bundeskanzler, daß sie als Selbstverständlichkeit in diesem Hause einer Diskussion unter den Zusätzen „Frieden und Freiheit" gar nicht mehr bedarf.
({0})
Für jeden im Hause - und das hat der 1. Bundestag in seinen Grundsatzdebatten bewiesen - ist ein geteiltes Deutschland, in dem wenigstens 50 Millionen im Besitz der Grundfreiheiten sind, immer noch angenehmer als ein wiedervereintes Deutschland unter Sowjetstern, Hammer und Sichel in Unfreiheit.
({1})
Aber die Frage ist, ob wir uns damit begnügen können, Frieden und Freiheit nur im Gebiet der Bundesrepublik sicherzustellen.
({2})
Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß die große Aufgabe, die die Nachkriegsgeschichte Deutschland gestellt hat, die Erweiterung dieser Grundfreiheiten von 50 Millionen Bundesrepublikanern auf insgesamt 70 Millionen reichsdeutsche Männer und Frauen ist.
({3})
Das vorliegende Gesetz greift wie kein anderes in die individuelle Sphäre unserer Bürger ein. Es ist daher das militärpolitisch wichtigste Gesetz des Deutschen Bundestags. Vielleicht ist es zweckmäßig, eine kleine gedankliche Rückschau vorzunehmen,
wie häufig sich unter den veränderten Situationen auch die Einstellung zu militärpolitischen Fragen in diesem Haus geändert hat.
Im Dezember 1949 hat der 1. Deutsche Bundestag in einer ersten Debatte über die sogenannte Remilitarisierung einstimmig, mit der Stimme des Herrn Bundeskanzlers, mit der Stimme des Oppositionsführers Dr. Kurt Schumacher und mit den Stimmen aller Kollegen, die damals schon Mitglieder dieses Hauses waren, eine Wiederbewaffnung der Bundesrepublik abgelehnt. Im Jahre 1950 haben Kolleginnen dieses Hauses die Initiative ergriffen, ein Gesetz zur Verhinderung der Herstellung von Kriegsspielzeug zu verabschieden, das die Herstellung und den Vertrieb von Kriegsspielzeug unter Gefängnisstrafe stellen sollte. Ich erinnere mich noch meiner Ausführungen zum Bundesjugendplan. Als ich von dieser Stelle aus für die Freigabe des Segelflugs plädierte, erfolgten sehr erregte Zwischenrufe: damit sei möglicherweise die Vorausbildung für spätere Düsenpiloten beabsichtigt. Im Jahre 1951 stand dieses Haus angesichts der Korea-Ereignisse und der Entwicklung in der Sowjetzone vor der Frage, ob es untätig zusehen wollte, wie in Mitteldeutschland eine Wiederbewaffnung vonstatten ging. Und es kam zu den Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Bei diesen Verhandlungen ist insbesondere auch vom Herrn Bundeskanzler eine deutsche Nationalarmee als nicht mehr zeitgemäß und innenpolitisch höchst bedenklich entschieden abgelehnt worden.
({4})
Im Jahre 1954 ist bekanntlich in der Assemblée Nationale die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu Grabe getragen worden, und im Jahre 1955 stand dieses Haus vor der Ratifikation der Pariser Verträge, die zu einem wesentlichen Inhalt die Schaffung einer deutschen Nationalarmee hatten, wenn auch mit der Einschränkung supranationaler Kommandobehörden und einer Verflechtung in das atlantische Verteidigungssystem durch Einbeziehung der Bundesrepublik in die Nordatlantikpaktorganisation.
Wir Freien Demokraten haben den Pariser Verträgen unsere Zustimmung gegeben und wir stehen uneingeschränkt zu den Verpflichtungen, die wir in diesem Haus durch die Ratifikation der Pariser Verträge auch mit unseren Stimmen übernommen haben. Aber, meine Damen und Herren, für uns sind die Pariser Verträge nicht der Weisheit letzter Schluß, für uns sind sie nicht der Schlußakt einer Entwicklung, sondern wir stellen sie hinein in die allgemeine weltpolitische Lage, die mehr denn je jetzt unter dem heraklitischen Wort steht „panta rhei, es ist alles im Fluß, es ist alles in Bewegung". Gerade durch unser Eingreifen ist seinerzeit in die Pariser Verträge jene Revisionsklausel des Art. 10 gekommen, und es ist auf die Bindungsklausel verzichtet worden. Wir überbetonen die Revisionsklausel keineswegs, aber wir stellen fest, daß wir im Einvernehmen mit unseren Partnern ständig prüfen müssen, welche neuen Konstruktionen sich zwangsläufig aus den neuen weltpolitischen Situationen auch für diese Verträge ergeben können. Es steht doch hier in der weltpolitischen Entwicklung ein Faktum, das niemand von uns leugnen kann: Bis zum Jahre 1954 haben die Vereinigten Staaten die atomare Überlegenheit besessen. Im Jahre 1954 ist das atomare Gleichgewicht dadurch hergestellt worden, daß es den
({5})
Sowjets gelungen ist, sich ebenfalls in den Besitz des Wissens um die Möglichkeiten zur Herstellung nuklearer und thermonuklearer Waffen zu setzen.
Diese Entwicklung hat dazu geführt, daß man bei der ersten Genfer Konferenz im Jahre 1955 ganz anders miteinander sprach als noch im Jahre 1953, daß bei der ersten Genfer Konferenz jene revolutionären Vorschläge gemacht wurden, die im Grunde genommen bereits eine Veränderung der Pariser Verträge darstellten. Ich denke an den Vorschlag des britischen Premierministers Eden, eine entspannte Zone beiderseits der Elbe-WerraZonengrenze zu schaffen, die Radarstationen sich überlappend austauschen zu lassen, so daß das Radarsystem der Sowjets, beispielsweise am Rhein stehend, bis tief nach England hätte hineinschauen können und das Radarsystem der Westmächte, an der Oder-Neiße-Linie stehend, weit in den Osten kontrollierend hätte hineinsehen können. Ein revolutionärer Vorschlag, der noch im Jahre 1954 völlig undenkbar gewesen wäre, der aber eine entscheidende Strukturveränderung der Pariser Verträge beinhaltet hätte. Oder ich denke an den Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Eisenhower zur allgemeinen Luftkontrolle.
Wir Freien Demokraten haben die Sorge, daß wir in unserer Politik nicht wendig genug sind, diesen neuen Entwicklungen zu begegnen, daß wir in der Gefahr sind, uns in eine selbst verschuldete Isolation dadurch zu begeben, daß wir einfach nicht wahrhaben wollen, was sich seit 1954 in der Weltpolitik verändert hat. Im Jahre 1949, im Jahre 1950 und in den folgenden Jahren bestand für die Bundesrepublik die tödliche Gefahr, daß sie das gleiche Schicksal erleiden könnte, wie es Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Tschechoslowakei, ja wie es sogar Mitteldeutschland bereitet wurde. Es war damals ein Gebot der Notwehr, sich unter den Schutz des großen atlantischen Bruders, der USA, zu stellen, d. h. sich unter den Schutz jenes großen atlantischen Sicherheitssystems zu begeben, dem die Grundfreiheiten - rights und liberties - das Entscheidende sind.
So haben wir Freien Demokraten den Verträgen zugestimmt. Wir haben in Konsequenz dieser Zustimmung auch das Freiwilligengesetz in diesem Hause angenommen, wir haben das Soldatengesetz angenommen, dieses Haus hat - in diesem Falle sogar zusammen mit der Sozialdemokratischen Partei - fast einhellig die Ergänzungen des Grundgesetzes vorgenommen. Die Freien Demokraten haben der beschleunigten Überführung des Bundesgrenzschutzes in die Bundeswehr gegen die sozialdemokratische Fraktion und auch gegen einen Teil der Fraktion der CSU zugestimmt, und die Freien Demokraten haben in diesen Tagen durch Zustimmung zu den Vorwegbewilligungen bewiesen, daß es ihnen keineswegs darum geht, sich nun von dem zu lösen, was sie hier an Verpflichtungen eingegangen sind.
Der grundlegende Unterschied zu der Opposition der sozialdemokratischen Fraktion ist folgender: Die sozialdemokratische Fraktion hat die Pariser Verträge abgelehnt, und sie lehnt in Konsequenz dieser Haltung auch das Wehrpflichtgesetz ab. Sie hat in Konsequenz dieser Haltung auch das Freiwilligengesetz, das Soldatengesetz und das Gesetz über die Überführung des Bundesgrenzschutzes sowie die Haushaltsbewilligungen abgelehnt. Wir halten den Aufbau einer Notwehr auf militärpolitischem Gebiet und die militärpolitische Zusammenarbeit mit den Partnern der NATO als Weiterführung unserer bisherigen Linie für selbstverständlich.
Diesem Wehrpflichtgesetz können wir aber aus Gründen, die ich schon in der zweiten Lesung dargelegt habe, in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt nicht unsere Zustimmung geben, weil für seine Verabschiedung weder die sachlichen noch die psychologischen Voraussetzungen gegeben sind, ja, weil nicht einmal die technischen Voraussetzungen gegeben sind, um mit diesem Gesetz überhaupt etwas anfangen zu können. Weil nach unserer Auffassung diese Verabschiedung in aller Eile vor den Parlamentsferien lediglich eine politische Demonstration darstellt, die nicht in das neue welt- politische Gefüge hineinpaßt.
({6})
Eine Beschleunigung des Aufbaus der ersten Divisionsverbände, wie wir das immer wieder gefordert haben und auch heute noch fordern, tritt durch dieses Wehrpflichtgesetz nicht ein. Im Gegenteil, dieses Wehrpflichtgesetz reißt einen Graben auf, den wir im Interesse der staatspolitischen Gemeinsamkeit dieses Hauses in Notwehrfragen durch die Grundgesetzänderungen glaubten zumindest verringert zu haben.
Wir Freien Demokraten haben niemals das Prinzip der allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht preisgegeben, wie es in falschen, oft bewußt diffamierenden Darstellungen hier und da zu lesen ist. Wir bekennen uns nach wie vor zu dem Grundsatz, daß, wer die Grundrechte eines Volkes für sich in Anspruch nimmt, auch bereit sein muß, ein gewisses Maß von Grundpflichten auf sich zu nehmen. Eine dieser Pflichten ist zur allgemeinen nationalen Verteidigung des Volkes beizutragen, auch durch die Übernahme soldatischen oder soldatenähnlichen Dienstes oder eines allgemeinen Verteidigungsdienstes im Sinne der Sicherung unserer Grundfreiheiten. Über eine allgemeine Verteidigungsdienstpflicht brauchen wir also nicht zu diskutieren; wir bekennen uns zu ihr.
Wir glauben aber, daß gewisse Prinzipien in den früheren Jahren Vorstellungen von der allgemeinen Wehrpflicht zwangsläufig überholt sind. Ich sagte schon in der ersten Lesung: wir werden gar nicht in der Lage sein, beispielsweise jemanden aus dem Bergbau, aus der Eisen schaffenden Industrie oder aus der Bauindustrie einzuziehen. Gerade im Hinblick auf unsere gegenwärtige Vollbeschäftigung, auf unseren Wiederaufbau werden wir große Berufszweige aus der Wehrpflicht ausklammern müssen. Es ist also dann nicht mehr die allgemeine Wehrpflicht früherer Vorstellungen. Uns ist der Mann, der unter Tage vor Ort für uns alle die Kohle fördert, oder der Mann, der die Wohnungen für die deutsche Bevölkerung baut - vielleicht gerade zur Erhaltung des sozialen Gefüges -, in dieser Tätigkeit wichtiger, als wenn er sich in Andernach mit einer Waffe vertraut machen würde. Für uns leistet der Bergmann in dieser Situation im Rahmen des allgemeinen Verteidigungsdienstes bereits die Pflichten ab, die das Volk gerechterweise von ihm verlangen kann. Wir wollen ihn nicht zu ,den Waffen einziehen, weil er uns unter Tage wesentlich wichtiger ist, als er uns bei der Waffenausbildung über Tage wäre.
Es sind daher - und Kollege Erler hat es schon dargestellt - in der ganzen Welt Überlegungen darüber im Gange, welches angesichts der verschie({7})
denen technischen Neuerungen die modernste Form des allgemeinen Verteidigungsdienstes ist. England ist dabei, sich unter Prüfung aller Seiten einmal eine Übersicht darüber zu verschaffen, was im Zeitalter der Elektronik und der thermonuklearen Waffen wohl die zweckmäßigste Sicherung der englischen Nation darstellt. Es gibt verschiedene Berichte, die besagen, daß England glaube, das bisherige System der Wehrpflicht werde nicht mehr den neuen Anforderungen gerecht, die an eine Armee gestellt werden müßten, und daß man beabsichtige, in England die Wehrpflicht abzuschaffen und das bewegliche Verteidigen hochausgebildeten gepanzerten schnellen Verbänden von Berufssoldaten und länger dienenden Freiwilligen zu überlassen. Auch die Vereinigten Staaten sind in eine Prüfung dieser Frage eingetreten. Sie lesen ja, daß zwischen den einzelnen Wehrmachtteilen - Heer, Marine und Luftwaffe - sehr starke Differenzen wegen der Schwerpunktverlagerung von der bisherigen klassischen Strategie auf die elektronische und nukleare Strategie entstanden sind. Es ist doch nicht wahr, daß der General Gruenther, der Oberbefehlshaber der NATO, von Fontainebleau nur deswegen scheide, weil er inzwischen 57 Jahre alt geworden sei. Nein, mit dem Ausscheiden des Generals Gruenther und der Besetzung dieses Postens durch den 48jährigen Luftwaffengeneral Norstad ist der Vertreter der klassischen Strategie gewichen und der Vertreter der nuklearen Strategie auf diesen entscheidenden Posten gekommen. Und wie ist es denn mit dem Wechsel des Postens des Admirals Fechtler und verschiedenen anderen sich gegenwärtig andeutenden Veränderungen?
({8})
Man kann nicht übersehen, daß auch die Sowjetunion zu gewissen Veränderungen geschritten ist. Ich halte die Verminderung der Truppenstärke um 1,2 Millionen Mann keineswegs für eine Abrüstung, sondern lediglich für eine Umrüstung.
({9})
Man kann durch Umrüstung seiner Verbände auf die nukleare Strategie, durch Ausstattung mit taktischen Atomwaffen viele Menschen einsparen, ohne dabei die Feuerkraft seiner Verbände einzuschränken. Im Gegenteil, wie bei der Automatisierung der Wirtschaft eine Maschine, die nur noch von einem Menschen bedient wird, möglicherweise ein Vielfaches der Produktion, die vorher zwanzig erarbeiten mußten, zuwege bringt, so ist es möglich, mit einer wesentlich geringeren Zahl von Menschen, aber bei einer entsprechenden modernen Ausstattung, vor allem auch mit atomarer Rüstung, ein Vielfaches an Feuerkraft der neuen Verbände zu erreichen. Es ist ein geschickter Schachzug der Sowjets, jene 1,2 Millionen frei werdende Menschen in den Produktionsprozeß zurückkehren zu lassen und sie damit für die Wirtschaftsoffensive freizubekommen,
({10})
deren Folgen im Mittleren und Nahen Osten der
Herr Bundeskanzler mit Recht hier dargelegt hat.
Es ist ,daher auch bei uns von Fachleuten die Frage gestellt worden - von Fachleuten, die in der öffentlichen Meinung diese Diskussion begonnen haben, denn leider hat diese Diskussion nicht hier bei uns angefangen -, ob es angesichts dieser Entwicklung zweckmäßig ist, sich noch unbedingt auf jene Zahlen und Abmachungen zu versteifen,
die am Beginn der EVG-Beratungen im Jahre 1951 standen,
({11})
oder ob nicht auch wir durch einen geringeren Bedarf an Menschen trotzdem ein größeres Ausmaß an Verteidigungsbereitschaft erreichen können. Sie wissen, daß das Gutachten „Schwert und Schild", das hier bei der ersten Lesung eine Rolle gespielt hat und das vom Kollegen Schneider von der DP und von mir auch heute noch nachdrücklich als gut und richtig anerkannt wird, dem Rechnung tragen will.
Im übrigen sollte man von keiner Seite aus etwa ein Monopol auf die allein richtige Auffassung beanspruchen wollen. Genauso wie wir der sozialdemokratischen Fraktion das Recht absprechen, sich als alleiniger Sachwalter sozialer Belange zu fühlen, genauso wie wir der CDU/CSU-Fraktion das Recht absprechen, sich als die alleinigen Sachwalter betont christlicher Grundsätze etwa empfinden zu wollen, genauso wie wir nicht das Recht für uns in Anspruch nehmen, die alleinigen Sachwalter liberaler Haltung zu sein, so darf kein Gutachter und kein Gutachtergremium für sich in Anspruch nehmen, ein Monopol auf die allein richtige fachliche Darstellung der Dinge zu haben,
({12})
sondern leider entscheidet dann erst die Geschichte über das, was richtig und was falsch war.
Ich darf Ihnen zum Beweis dessen ein eigentlich tragisches Versagen von Fachleuten hier darlegen. Ein „Jungstratege" - Herr Kollege Berendsen! -, der damals noch recht junge Stabsoffizier de Gaulle, verfaßte bekanntlich die Schrift über den modernen Panzerkrieg und empfahl nicht die Verzettelung der Panzerverbände, sondern ihren zusammengefaßten Einsatz in Form von Panzerdivisionen, Panzerkorps in Panzerstoßkeilen. Er wurde von den Altstrategen gewissermaßen als ein junger unbequemer Mahner abgetan. Die französischen Militärs nahmen in ihrer Planung keinen Bezug auf den Stabsoffizier de Gaulle. Aber in Deutschland las ein Stabsoffizier namens Guderian die Schrift de Gaulles. Er studierte sie sehr genau, und er setzte es gegen viele, viele Widerstände durch, daß der deutsche militärische Aufbau sich bezüglich der Panzerwaffe nach den Prinzipien des französischen Stabsoffiziers de Gaulle richtete. So ist im Jahre 1940 die französische Wehrmacht mit jenen Prinzipien des französischen Stabsoffiziers de Gaulle geschlagen worden, die der deutsche Panzergeneral Guderian an Frankreich erprobt hatte. Ich wollte an diesem Beispiel dartun, daß es nicht zweckmäßig ist, mit Gutachten Monopolansprüche verbinden zu wollen.
Nun zu den Auseinandersetzungen um die verschiedenen Möglichkeiten eines Zusammenstoßes. Ich will in die Einzelheiten der Beratungen des Verteidigungsausschusses nicht mehr einsteigen, als das andere Kollegen schon getan haben. Wir haben die geladenen Gutachter, die uns aus ihrer militärpolitischen Verantwortung sehr sachlich berichteten, gehört. Aber bei diesen Gutachten - das werden Sie bestätigen, Herr Kollege Kliesing - sind drei Fragen nicht beantwortet worden. Eine Frage war: „Haben Sie auch geprüft, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen mit der 24monatigen Dienstzeit verbunden sind, die Sie uns empfehlen? Haben Sie diese Frage der Erhaltung unseres Produktionsprozesses geprüft?" Daraufhin
({13})
erklärten die betreffenden Herren mit Recht: „Das ist eine Frage, die nicht uns unmittelbar angeht. Das ist eine Frage, die nicht zu unserem Zuständigkeitsbereich gehört hatte."
Herr Abgeordneter Dr. Mende, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, bitte schön!
Herr Abgeordneter Dr. Kliesing.
Herr Kolllege Dr. Mende, halten Sie ehemalige Generale für geeignet, die Frage nach der volkswirtschaftlichen Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht zu beantworten?
Ich hatte angenommen, daß bei der zur Verfügung stehenden Zeit von vier Wochen und bei der Zurverfügungstellung aller Materialien auch eine Überprüfung der diesbezüglichen bisherigen Arbeitsergebnisse des Verteidigungsministeriums erfolgt wäre. Das haben sie uns leider nicht beantworten können. Daß Strategen auch diese Dinge zu überprüfen haben - wenn auch nicht als Experten -, versteht sich von selbst. Herr Kollege Kliesing, für mich ist die Strategie nicht nur eine rein militärtechnische Angelegenheit;
({0})
für mich ist die Strategie die Summe politischer, wirtschaftlicher, sozialer, propagandistischer und militärtechnischer Maßnahmen.
({1})
Wir hoffen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister oder der Herr Bundesarbeitsminister uns Gelegenheit geben werden, auch einmal die Auswirkungen des Gesetzes daraufhin zu prüfen. Wir sind der Meinung, daß, wennschon die Wehrpflicht eingeführt wird, eine Wehrdienstzeit gefunden werden muß, die so bemessen ist, daß man den Menschen in der Ausbildung das unerläßliche Minimum an Abwehrbereitschaft vermitteln kann, die aber über die dafür erforderliche Zeit nicht hinausgeht. Denn man muß auch berücksichtigen, welches Minimum an Ansprüchen unsere Volkswirtschaft zu stellen hat. Zwischen dem Optimum militärpolitischer Art und dem Minimum wirtschaftspolitischen Erfordernisses gilt es eine Synthese zu finden. Die Empfehlung der Gutachter für eine Dienstzeit von 24 Monaten deutet doch darauf hin, daß den volkswirtschaftlichen Erwägungen bei diesem Gutachten leider kein Raum gegeben wurde. Da lobe ich mir schon die Stellungnahme der Bundesregierung, die immerhin bei 18 Monaten anscheinend einen Kompromiß gefunden hat.
Ich persönlich glaube, daß man als Optimum nach beiden Seiten, nach der volkswirtschaftlichen wie nach der militärtechnischen Seite, die 12monatige Dienstzeit einführen könnte. Aber die Frage ist nicht im letzten geprüft worden.
Wir haben den Gutachtern auch die Frage nach der Militärtechnik gestellt. Auch da wurde geantwortet, daß man sich mit den Auswirkungen der Elektronik und der Kernspaltung auf die mögliche neue strategische Entwicklung nicht in dem nötigen Ausmaß habe befassen können.
Was bezüglich des Schutzes des Bundesgebietes in einem atomaren Krieg Herr Erler sagte - und er zitierte ja das, was der Feldmarschall von Manstein uns erklärt hat -, das darf ich wiederholen. Wenn wir uns einmal das Unglück vorstellen, daß ein atomarer Weltkrieg zwischen den beiden Giganten dieser Erde, Moskau und Washington, ausbrechen könnte, müssen wir feststellen: es gäbe in diesem atomaren Weltkrieg weder für die Bundesrepublik noch für einen der Staaten um die Bundesrepublik herum irgendeinen Schutz, der uns berechtigte zu sagen: die Schrecken des atomaren Krieges werden von unserem Gebiet ferngehalten. Ein dritter Weltkrieg muß zwangsläufig nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa, wenn nicht gar noch mehr, zum Atombombenversuchsfeld der beiden Giganten machen.
Insofern sollte niemand sich hinstellen und sagen: „Wenn wir bei der NATO sind, dann werden wir nicht Schlachtfeld im dritten Weltkrieg.
({2})
Wenn wir dagegen nicht in der NATO sind, werden wir Schlachtfeld im dritten Weltkrieg." Meine Damen und Herren, ich unterschätze die Einflußmöglichkeit des 16. NATO-Partners Deutschland auf die NATO-Strategie nicht; ich überschätze sie aber ebensowenig. Zu glauben, daß die globale Strategie eines atomaren Krieges Rücksicht auf uns nimmt, meine Damen und Herren, das ist doch eine Illusion, die wir nicht weiter pflegen sollten.
({3})
Wir sollten daher nur hoffen, daß der Welt und daß allen Menschen auf diesem Globus das Unglück eines atomaren Krieges erspart bleibt. Gottlob scheint die Gleichheit der atomaren Rüstung, wie sie seit 1954 vorhanden ist, einen solchen globalen und atomaren Weltkrieg nunmehr nach menschlichem Ermessen auszuschließen; denn nichts anderes hat Churchill im Unterhaus gemeint, als er erklärte, Furcht und Angst seien heute die Töchter des Friedens geworden.
Wenn aber diese Ausführungen noch nicht genügen, um auch den Unterschied darzulegen, wie er sich in der Ausweitung eines atomaren Krieges seit 1954 entwickelt hat, will ich Ihnen zwei Beispiele dafür nennen: Die Atombombe, die auf Hiroshima geworfen wurde, hatte die Sprengkraft von 20 000 t Trinitrotoluol, abgekürzt TNT, d. h. die Bombenlast von etwa 20 000 viermotorigen Bombern des zweiten Weltkrieges. Ergebnis: immerhin 160 000 Tote. Diese Wirkung hat heute die Atomgranate eines Atomgeschützes, also einer taktischen Atomwaffe, jenes Atomgeschützes, das sowohl die Amerikaner hier auf dem Gebiet der Bundesrepublik stationiert haben, wie die SkodaWerke auf der anderen Seite produziert haben. Die Wasserstoffbombe, die seit 1954 beiden Giganten der Strategie, Moskau und Washington, zur Verfügung steht, hat die Sprengkraft von 20 Millionen t TNT, d. h. die Bombenlast von 20 Millionen viermotorigen Bombern des zweiten Weltkrieges. Und dabei ist die Sprengwirkung des TNT gar nicht einmal das Entscheidende; viel schwerer ist die Wirkung der radioaktiven Gammastrahlen.
Fachleute haben ausgerechnet: Wenn heute auf dem Gebiet der Bundesrepublik etwa in Düsseldorf eine Wasserstoffbombe fiele, sei es aus einem Flugzeug abgeworfen, sei es durch eine Transkontinentalrakete geschossen, dann würde ein 165 km
({4})
langer und 35 km breiter Vernichtungsraum entstehen; die Verluste dieses Raumes von Düsseldorf 165 km nach Osten würden 8 bis 10 Millionen Tote im Ruhrgebiet betragen. Würde die gleiche Bombe in Freiburg explodieren und würde sich auf Grund der bei uns herrschenden West-Ost-Trift - wir haben neun Monate von zwölf Monaten im Jahr West-Ost-Wind - der Vernichtungsraum von Freiburg etwa 165 km nach Osten über das weniger dicht besiedelte Gebiet Baden-Württembergs erstrecken, so wäre die Verlustzahl immer noch eine Million Tote. Da das gar zu schrecklich klingt und die Strategen die Dinge gern etwas verniedlichen möchten, spricht man unter Fachleuten nicht von einer Million Toten, sondern von „1 Mega" Toten. Ein Mega ist eine Million.
Diese wenigen Darlegungen beweisen doch, daß das Schicksal Deutschlands und Europas in einem atomaren Krieg gar nicht mit irgendwelchen Maßstäben der Vergangenheit zu messen ist. Wir wollen daher diese Phase aus den Betrachtungen hier verbannen; denn wir wären dieser Phase hilflos ausgeliefert.
Herr Abgeordneter Dr. Mende, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Kollege Mende, haben Sie diese Ausführungen gemacht, um die These des Kollegen Berendsen zu unterstützen, der sagte, wir hätten alles zu tun, um einen Atomkrieg zu vermeiden, und ein Weg dazu sei eben eine gewisse klassische deutsche Rüstung?
Ich komme in meinen folgenden Ausführungen genau auf diese Frage!
Oder, Herr Kollege, waren Ihre Ausführungen vielleicht zu einem Teil auch dadurch bedingt, daß der Rundfunk eingeschaltet ist?
({0})
Herr Kollege Haasler, auf eine solche persönliche Frage würde ich genauso geschmackvoll mit einer Gegenfrage antworten: Haben Sie sich den Spitzbart stehen lassen, weil es neuerdings Fernsehen gibt?
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Mende, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein, ich will jetzt zuerst meinen Gedankengang zu Ende führen!
({0})
Ich darf dazu sagen, Herr Präsident: ich gestatte jede Frage, die sachlich und in parlamentarischer Noblesse vorgetragen wird.
({1})
Ich gestatte keine Frage, die lediglich den Zweck
hat, der in Bonn manchmal schon Tendenz ist,
einen politischen Gegner persönlich abzuwerten.
({2})
Meine Damen und Herren, ich darf meinen Gedankengang fortführen. Die andere Möglichkeit, wie sie auch die Gutachter darstellten, wäre ein Zusammenstoß auf dem europäischen Gebiet ohne atomare Waffen, d. h. also ein Zusammenstoß in der bisherigen klassischen Strategie. Ich habe schon in der ersten Lesung und auch bei der Debatte um die Wehrpolitik im allgemeinen im Sommer vorigen Jahres ausgeführt, daß die atomare Entwicklung die klassische Bewaffnung nicht überflüssig macht, daß sie lediglich zu einer Umkonstruktion der klassischen Bewaffnung führt. Aber - ich wiederhole es hier - jene atomare Entwicklung macht die klassische Bewaffnung nicht schlechthin überflüssig, sie zwingt nur zur Veränderung ihrer Struktur.
({3})
Damit komme ich zu der zweiten Frage, den Möglichkeiten eines begrenzten Zusammenstoßes in Europa. Solche Zusammenstöße wären in der ersten Phase nur mit klassischen Waffen zu erwarten. Sie können sich sehr schnell aus einem Ereignis Posener Art entwickeln. Für diese Möglichkeit der Zusammenstöße mit klassischen Waffen muß selbstverständlich die Bundesrepublik gerüstet sein. Deshalb haben wir doch dem Freiwilligengesetz, dem Soldatengesetz und allen übrigen einschlägigen Gesetzen zugestimmt, auch der beschleunigten Überführung des Bundesgrenzschutzes. Wir sind ja keine Gegner der allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht, sondern wir bejahen dieses Prinzip. Es geht um die Frage der modernsten Form dieses Prinzips unter den heute gegebenen Umständen.
Die dritte Möglichkeit wäre dann - man möge mir das harte Wort verzeihen - der deutsche Bürgerkrieg. Der deutsche Bürgerkrieg ist gar nicht so ausgeschlossen, wie es mancher allzu spießbürgerlich denkende Bundesrepublikaner vielleicht meint. Auch die Gutachter haben anflesichts der Lage Deutschlands einen Zusammenstoß mit Volkspolizeidivisionen, mit Arbeitermilizen, mit Freiwilligenverbänden für möglich gehalten. Auch das ist ein Grund für eine schnelle Aufstellung einsatzbereiter Kaderverbände, um eine innerdeutsche Aktion derer zu verhindern, die uns heute leider immer noch überlegen sind dadurch, daß sie bereits vor Jahren sieben Volkspolizeidivisionen aufgestellt haben - unter Führung der ehemaligen Wehrmachtgenerale Vinzenz Müller, von Lenski, Lattmann, Dr. Korfes -, daß sie eine Luftwaffe und eine Marine aufgestellt haben und an vormilitärischer Ausbildung weit über das hinausgegangen sind, was selbst im Dritten Reich unter Hitler in Deutschland möglich war. Sie alle kennen jene Bilder des Vorbeimarsches mit Gewehren ausgerüsteter junger Männer und sogar junger Mädchen. Sie alle kennen die Verleihung von Schießabzeichen, die Verleihung von Gewehren, die Jugendweihen, das Küssen einer Fahne und was sonst an militaristischen Kulten in der
({4})
Sowjetzone an der deutschen Jugend verbrochen wird.
({5})
- Darauf komme ich!
Die Folgerungen sind ein möglichst schneller Aufbau jener deutschen Kaderverbände, die wir auch in unserem Memorandum gefordert haben, das wir am 31. Januar 1956 dem Herrn Bundeskanzler zugeleitet haben. In diesem Memorandum steht:
Nunmehr droht zum Ablauf der im Freiwilligengesetz vorgesehenen Frist 31. 3. 1956 eine erneute Verzögerung in der Aufstellung der deutschen Wehrmachtsverbände dadurch einzutreten, daß die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen noch nicht vorhanden sind. Weder sind die seitens der Koalition durch die im Bundestag ausdrücklich abgegebene Erklärung dies seinerzeitigen Berichterstatters, Bundesminister Dr. von Merkatz, vereinbarten Verfassungsergänzungen bisher verabschiedet, noch die wichtigsten anderen gesetzlichen Grundlagen. Zwar bestehen Aussichten, Verfassungsergänzungen, Soldatengesetz, Bundesleistungsgesetz und Besoldungsordnung noch vor dem 31. 3. 1956 zu verabschieden, dagegen ist es sehr fraglich, ob die Gesetze über die Soldatenversorgung und Soldatenfürsorge, Disziplinarordnung, Beschwerdeordnung, Organisationsgesetz, Gesetz über den Schutz von Uniformen, Orden und Ehrenzeichen und andere noch termingerecht erledigt werden können, wenn Bundestag und Bundesrat nicht erneut in Zeitnot kommen sollen mit allen sich daraus ergebenden unerfreulichen Spannungen.
Neben dem innerpolitischen Schaden, der durch einen erneuten Streit um die wehrgesetzlichen Grundlagen zwangsläufig entstehen muß, sieht die Bundestagsfraktion mit besonderer Sorge auch zu befürchtende Mißverständnisse auf außenpolitischem Gebiet.
Und dann ist ausdrücklich, Herr Kollege Haasler, auf Seite 3 dieses Memorandums, das ich mir im ganzen Wortlaut zu Protokoll des Bundestages zu übergeben erlaube, ausgeführt:
Die Sowjetzone ist durch die Aufstellung von 7 Volkspolizeidivisionen, einer Volksmarine und einer Volksluftwaffe der Bundesrepublik auf dem Gebiet der praktischen Wehrpolitik weit voraus. Auch wenn man den Kampfwert der Sowjetzonenstreitkräfte nicht hoch veranschlagt und mit Recht auf den Mangel an zuverlässigen und qualifizierten Offizieren und Unteroffizieren hinweist, bleibt die Bewaffnung der Sowjetzone eine große staatspolitische Gefahr für die Bundesrepublik.
Und es heißt dann weiter:
Aus diesem Grunde hat die Fraktion in der Kabinettssitzung
- als wir noch in der Koalition waren vom 20. 11. 1955 der dringenden Übernahme des Bundesgrenzschutzes zugestimmt, um in wenigen Monaten
- Herr Kollege Haasler! durch die Ausrüstung des Bundesgrenzschutzes mit den ersten schweren Waffen und durch die Auffüllung dieser Kader durch Freiwillige noch in diesem Jahr 3 einsatzbereite Divisionen aufzustellen.
Hier geht es uns nicht schnell genug in der Sicherung der Notwehr der Bundesrepublik. Aber das Wehrpflichtgesetz, ,das ja frühestens in einem Jahr überhaupt erst praktiziert werden kann, bringt keine Beschleunigung jener Notwehr, sondern zerreißt dieses Haus und zerreißt in dieser Situation auch unser Volk!
({6})
Ich hätte gewünscht-und ich werde zum Schluß darauf kommen -, daß wir auch in dieser Frage bei ruhiger Beratung vielleicht im Herbst, vielleicht bis zum kommenden Frühjahr jene Lösung gefunden hätten, die das Verteidigungsproblem weitestgehend aus dem parteipolitischen Streit verbannt hätte, wie das im Frühjahr bei der Grundgesetzergänzung glücklicherweise der Fall gewesen ist.
Lassen Sie mich nun noch zu den weiteren sachlichen Voraussetzungen kommen, die wir bei diesem Wehrpflichtgesetz als nicht gegeben erachten. Aber vorher noch eine Bemerkung. Da ich soeben das Memorandum an den Herrn Bundeskanzler vom 31. Januar 1956 zu Protokoll des Bundestages gegeben habe, lassen Sie mich auch mitteilen, was der Herr Bundeskanzler der Fraktion der Freien Demokraten unter dem 2. Februar 1956 mitgeteilt hat. Der Herr Bundeskanzler schreibt:
Ich bestätige den Empfang Ihres Schreibens
vom 31. Januar. Die von Ihnen angeführten
Mängel bedürfen einer eingehenden Nachprüfung. Ich komme baldigst darauf zurück.
Bis zum heutigen Zeitpunkt ist über diese Antwort hinaus keine weitere Stellungnahme zu unserem Memorandum erfolgt.
({7})
Die Fraktion der Freien Demokraten erklärt bei prinzipieller Bejahung einer allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht, daß die Voraussetzungen sachlicher Art für dieses Gesetz in diesem Zeitpunkt nicht gegeben sind. Es fehlt nämlich zunächst das Besoldungsgesetz. Wenn Sie mich fragen, warum wir jetzt leider nicht 15 000 Bundesgrenzschutzleute in die Bundeswehr übernehmen können, wie wir gehofft haben,
({8})
sondern leider nur etwas über die Hälfte, und wenn Sie mich fragen, warum der Drang junger Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften des Bundesgrenzschutzes zur Bundeswehr nicht den Erwartungen entspricht, so muß ich Ihnen sagen, daß dies an den vielen leider noch ungeklärten Rechtsverhältnissen des deutschen Wehrwesens liegt.
({9})
Das gilt nicht allein für das Besoldungswesen. Aber selbst bei der Bundeswehr hat uns das fehlende Besoldungsgesetz schon Kummer bereitet. Sie wissen, daß auf einem Flugplatz Süddeutschlands eine Mißstimmung ausgebrochen ist und daß die dort stationierten Soldaten der neuen Luftwaffe eine Petition an den Verteidigungsausschuß
({10})
des Bundestages geleitet haben, in der sie gebeten haben, einige noch ungeklärte Fragen der Besoldung, der Gefahrenzulage usw. zu klären.
({11})
- Und auch der Unterbringung. Der Ausschuß für Verteidigung hat zwei Abgeordnete beauftragt, die Angelegenheit an Ort und Stelle zu klären. Sie ist in ,der Presse gewissermaßen als der erste Bundeswehrstreik bezeichnet worden, eine Bezeichnung, die meines Erachtens über den Tatbestand hinausgeht. Auch der Herr Verteidigungsminister hat sich sich veranlaßt gesehen, einen Oberst der Luftwaffe zu diesen Fliegern zu schicken, um diese Mißstimmung zu beseitigen.
Das gleiche gilt für das noch fehlende Versorgungsgesetz. Meine Damen und Herren, wenn jetzt in der Ausbildung - und die Ausbildungsverluste sind in modernen Armeen leider sehr wahrscheinlich - jemand getötet oder verletzt wird - wie der unlängst tödlich verunglückte Oberfeldwebel -, so weiß seine Witwe, so wissen seine Waisen nicht, was sie an Versorgungsansprüchen geltend machen können.
({12})
Es fehlt gegenwärtig eine Regelung, die über die Rechtsansprüche der Hinterbliebenen oder der Geschädigten eine klare gesetzliche Auskunft gibt.
({13})
Das gleiche gilt von dem Organisationsgesetz. Das Organisationsgesetz hätte wahrlich verabschiedet sein müssen; denn dies Gesetz soll doch eine allgemeine Darstellung des Aufbaus des Wehrwesens geben. Ich erinnere nur daran, wie bedrückt die Standesorganisation der Ärzteschaft darüber war, daß das Sanitätswesen beim Aufbau des Wehrwesens so stiefmütterlich behandelt werden würde. Das gleiche gilt für das Problem Technik und Forschung und vieles andere. Auf welchen Säulen ruht das Organisationswesen der neuen Wehrmacht? Das Organisationsgesetz ist nicht verabschiedet.
Die Beschwerdeordnung ist ebenfalls nicht verabschiedet. Man braucht sie nicht erst für das Wehrpflichtheer, man braucht sie schon heute für die rund 30 000, die man in wenigen Tagen haben wird.
({14})
Die Wehrdisziplinarordnung ist gleichfalls noch nicht verabschiedet. Ja, bei der Wehrdisziplinarordnung fand sich und findet sich als Vorschlag der Bundesregierung noch jener Passus, daß wie weiland beim Alten Fritzen und wie später - als wenn nichts Neues auch auf dem Gebiete der Menschenbildung und Menschenführung entstanden wäre - der geschärfte Arrest wieder eingeführt werden soll, das heißt, nach der Vorlage der Bundesregierung sollen Bundesbürger bis zum 60. Lebensjahr - denn so weit geht ja die Wehrpflicht für Offiziere und Unteroffiziere, für Mannschaften geht sie bis zum 45. - in geschärften Arrest kommen können; bei Wasser und Brot und auf hartem Lager soll man ihnen also die Freizeit entziehen können.
({15})
Sicher, es ist abgeschwächt dadurch, daß zwar nicht wie früher der Kompaniechef, sondern der Bataillonskommandeur die Strafe des geschärften Arrests ausspricht und daß sie auch richterlich nachgeprüft wird; aber feststeht: mit dem Art. 1 unseres Grundgesetzes - „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" - hat der geschärfte Arrest in der Disziplinarvorlage der Bundesregierung wahrlich nichts gemein.
({16})
Wer mir erklärt, man müsse den geschärften Arrest wegen der Halbstarken und .anderer wilder Leute, die es gebe, haben, wer glaubt, diese Maßnahme des geschärften Arrests - bei Wasser und Brot, auf hartem Lager - nötig zu haben, weil er sich sonst disziplinar nicht durchsetzen kann, der beweist, daß er für die Aufgabe der Menschenführung in einer rechtsstaatlichen demokratischen Armee ungeeignet ist.
({17})
Wir kennen den Freiheitsentzug nur nach einem richterlichen Verfahren mit allen Mäglichkeiten der Anklage, Verteidigung, mit allen jenen Sicherungen. Wollen wir zu dem zurückkehren, was schon in einer anderen Frage durch das Eingreifen des Verteidigungsausschusses gottlob als nicht mehr zeitgemäß beseitigt werden konnte? Nämlich die Grundstellung dadurch herbeizuführen, daß man außerdem die Mittelfinger an die linke oder rechte Hosennaht zu legen habe?
({18})
Ich frage mich, wie das dann ausgefallen wäre, wenn bei den neuen Kampfanzügen die Hosennaht hinten gewesen wäre.
({19})
Ich will Ihnen bei aller Bejahung einer allgemeinen Verteidigungsdienstpflicht mit diesen wenigen Bemerkungen darlegen, daß die sachlichen Voraussetzungen für dieses Wehrpflichtgesetz nicht gegeben sind.
({20})
Nun zu der Frage der psychologischen Voraussetzung. Dieses Haus hat oft Debatten über die ideelle und materielle Wiedergutmachung am deutschen Soldatentum erlebt. Wir wissen, daß sich 1945 leider böse Erscheinungen ergeben haben, als man vom Heldenkult der Vergangenheit in die Kriegsverbrecherpsychose verfiel, in den Militaristenstreit, und vom Unteroffizier aufwärts der Militarist und geradezu der Kriegsverbrecher begann. Sie wissen auch, wie schlecht die ehemaligen Berufssoldaten materiell behandelt wurden, obgleich sie sich zum Teil unter Kaiser Wilhelm II. und später unter dem Reichspräsidenten Ebert und dem Reichswehrminister Noske und unter Hindenburg, leider auch unter Hitler, an die Ausübung ihres Berufs gehalten hatten. In Kenntnis der vertraglichen, zweiseitigen Verpflichtung, die vom Staat eingegangen worden war, ist es nachher zu jener ungesetzlichen Behandlung der ehemaligen Berufssoldaten gekommen. Wir glauben, daß es schon aus psychologischen Gründen zweckmäßig wäre, die zweite Novelle zum Gesetz nach Art. 131 GG baldigst zu verabschieden. Auch das hätte bei kluger politisch-psychologischer Handhabung ebenso vor der Verabschiedung dieses Gesetzes stehen müssen wie die restlose Bereinigung der Kriegsverurteiltenfrage.
({21})
({22})
Ich habe an den Herrn Bundeskanzler schon in der zweiten Lesung eine Frage gerichtet, die ich bitte vielleicht heute zu beantworten. Sicher, es waren im Jahr 1950 noch 5000; es sind heute nur wenige, die noch hinter den Kerkertüren unserer Partnermächte, die im elften Jahr in Haft sind. Es scheiden aus unseren Überlegungen alle die aus, die als Verbrecher im wahrsten Sinne des Wortes schuldig geworden sind und den deutschen Namen mit Schande bedeckt haben, weil sie sich ohne die Not des Krieges als Sadisten an wehrlosen Menschen vergangen haben. Für sie sprechen wir nicht, obgleich auch sie schon elf Jahre in Haft sind. Sie mußten und müssen die gerechte Strafe erleiden. Wir sprechen, wenn wir von Kriegsverurteilten reden, für die, die durch die besonderen Ereignisse des Krieges in Handlungen verstrickt warden sind, bei denen sie dann nicht mehr die strengen völkerrechtlichen Maßstäbe ,angelegt haben. Das Völkerrecht ist leider im zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten gebrochen worden, und wir haben allesamt Grund, uns dessen zu schämen, was aus dem Völkerrecht des Hugo Grotius und was aus den Prinzipien Immanuel Kants im zweiten Weltkrieg auf allen Seiten leider gemacht wurde.
({23})
Aber, meine Damen und Herren, das Vaterunser gebietet, doch einmal einen Schlußstrich zu ziehen nach der Forderung: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern". Wir glauben, es ist, bevor man der Mutter zumutet, ihren Sohn wieder auf Befehl handeln zu lassen, an der Zeit, daß der letzte noch inhaftierte Soldat frei ist, der auch nur deswegen hinter Kerkermauern sitzt, weil er in falsch verstandenem Gehorsam, in einem Befehlsnotstand gehandelt hat. Der Verband der Heimkehrer, einer der großen Verbände der ehemaligen Kriegsgefangenen und Vermißtenangehärigen Deutschlands, schreibt daher an alle Abgeordneten den schwerwiegenden Satz:
Die wiederholten öffentlichen Erklärungen des Bundesverteidigungsministers, die Kriegsverurteiltenfrage werde gelöst, bevor der erste Deutsche wieder Uniform anziehen würde, konnten nicht eingelöst werden. Eine große Anzahl ,der Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr befindet sich in einem echten Gewissenskonflikt. Ohne Lösung dieses Konflikts ,die wehrfähige deutsche Jugend, darunter auch Söhne von Kriegsverurteilten, und die ehemaligen Soldaten unter Wehrpflicht zu stellen, muß zu einem sittlichen Notstand führen, unter dem keine krisenfeste Moral ,der Bundeswehr gedeihen kann.
Ich habe vor der Reise des Herrn Bundeskanzlers 1955 dem Herrn Bundeskanzler ein Telegramm geschickt, in dem ich bat, doch auf die wichtige psychologische Verbindung zwischen der Lösung der Kriegsverurteiltenfrage und der Wehrfrage in Deutschland hinweisen zu wollen. Ich wäre dankbar, wenn der Herr Bundeskanzler hier erklären könnte, welche Zusagen er bezüglich der noch Inhaftierten bei seiner Amerikareise im vorigen Monat erreichen konnte und wann wir erwarten können, daß hier endlich ein Schlußstrich unter diese leidige Frage des 2. Weltkriegs gezogen wird.
({24})
Lassen Sie mich auf ein anderes heißes Eisen hinweisen, auf eine Frage, die wir bereits auf unserem Parteitag in Würzburg erörtert haben. Man mag es gern hören oder nicht, es hat nun einmal im 2. Weltkrieg neben den Verbänden des Heeres, der Marine und der Luftwaffe auch rund 36 Divisionen der Waffen-SS gegeben, die gewissermaßen als ein Teil der Wehrmacht unter dem Oberbefehl von Kommandierenden Generalen des Heeres kämpften. In den Dienst der Verbände der Waffen-SS sind nicht etwa nur notorische Nationalsozialisten gekommen, sondern es sind auch die jungen 17-, 18-, 19-jährigen, zum Teil gegen ihren Willen, zu dieser Truppe gekommen, die besser ausgerüstet war und gewisse Vergünstigungen hatte. So stellen wir heute fest, daß 700 000 Angehörige der ehemaligen Waffen-SS im Bundesgebiet leben, darunter 200 000, die ,den Dienstgrad vergleichsweise vom Unteroffizier aufwärts haben. Sie werden nach den bisherigen Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums nicht für würdig erachtet - aus welchen Gründen auch immer -, freiwillig in die Bundeswehr einzutreten. Sie werden aber nach Verabschiedung dieses Wehrpflichtgesetzes würdig sein, in der gleichen Bundeswehr Wehrpflichtigendienst zu machen. Eine solche unterschiedliche Behandlung ist einer rechsstaatlichen Demokratie unwürdig.
({25})
Man muß daher auch in dieser heiklen Frage eine entschiedene Position beziehen: entweder man nimmt sie nicht aus und gibt ihnen keine Sonderbehandlung, dann aber auch in jeder Frage; oder man nimmt sie aus, dann aber insgesamt. Die Gefahr, daß etwa notorische Nationalsozialisten in höheren Rängen sich dann auch melden und eingestellt werden könnten, ist nicht gegeben, weil wir erstens verschiedene parlamentarische Sicherungen eingebaut haben, zweitens einen Gutachterausschuß besitzen. Drittens hat sich noch kein einziger ehemaliger höherer SS-Offizier überhaupt gemeldet, was an sich als eine Taktfrage selbstverständlich ist.
Lassen Sie mich nun noch auf einige politische Bedenken eingehen. Unsere Fraktion lehnt dieses Wehrpflichtgesetz trotz Bejahung der Prinzipien einer allgemeinen nationalen Verteidigungsdienstpflicht ab, zum größten Teil wegen der noch nicht erfüllten sachlichen und psychologischen Voraussetzungen. Es gibt einige andere Kollegen bei uns, denen weniger diese sachlichen als vielmehr die politischen Bedenken die schwerwiegenden sind. Wir befinden uns nun einmal in der tragischen Situation der Zweiteilung. Keiner der anderen 15 NATO-Partner steht in dieser tragischen Lage. Nur unser Volk erlebt die Aufstellung zweier Armeen, und an Elbe und Werra stehen sich auf Nahkampfentfernung die Militärblöcke des Ostens und des Westens gegenüber. Die Bundesrepublik ist Mitglied der NATO, die Sowjetzone Mitglied des Warschauer Paktes. Viele meiner Kollegen fragen sich, wie angesichts dieser Situation, wenn alles so bleiben soll, wenn sich nichts Neues ergibt im Einvernehmen mit den Westmächten, wenn man nicht neue Situationen weltpolitischer Art auch zu neuen Konstruktionen ausnutzt, die Wiedervereinigung überhaupt einmal kommen soll. Es genügt nicht, seit sieben Jahren hier nur das Bekenntnis zur Wiedervereinigung in Recht und Freiheit und in Frieden zu verkünden,
({26})
({27})
sondern man muß nunmehr auch einmal konkrete Lösungsmöglichkeiten in die weltpolitische Diskussion bringen.
({28})
- Ich werde Ihnen das gleich sagen. - Bei dem deutsch-englischen Gespräch beklagten sich drei britische Unterhaus-Abgeordnete: Elliot, Rubens und Richard Crossmann; Robens war immerhin Minister und ist der mögliche spätere neue Minister, der jetzige Shadow-Außenminister der Labour Party. Sie sagten: „Ihr habt uns bei der ersten Genfer Konferenz daran gehindert, den Edenschen Vorschlag weiterzuverfolgen." Es ist wörtlich gesagt worden:
„Es war die Bundesregierung, die Premierminister Eden bat, seinen Vorschlag der entspannten militärischen Zone nicht weiterzuverfolgen.
({29})
Hinter , die Bundesregierung haben sich dann die Vereinigten Staaten gestellt. Nun haben wir uns nach euren Wünschen gerichtet. Aber wenn ihr uns Engländer schon hindert, unsere Vorstellung von der Wiedervereinigung zu entwickeln, wo bleiben dann die konkreten Vorstellungen der deutschen Bundesregierung?'
({30})
Wir alle, die wir da saßen, aus allen Parteien - es sind Zeugen im Hause -, waren irgendwie verlegen. - Sie fragen: Wo bleibt Ihr Vorschlag? Entschuldigen Sie, ich habe als bescheidenen Beitrag in Fortführung der Edensehen Gedankengänge gewisse Möglichkeiten dargelegt. Ich wünschte, ich hätte das nicht nötig, weil sich andere und Berufenere dieser Schicksalsfrage annehmen.
({31})
Einige Herren Kollegen waren auch tief beeindruckt von ,dem, was aus der Synode der Evangelischen Kirche dargelegt wurde. Auch das hat sie bestimmt, zu diesem Zeitpunkt in dieser Situation nein zu sagen.
Wir haben daher einige Anträge eingebracht, um wenigstens ein Minimum an Verbindungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands auch nach der Einführung der Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Wir wollen da erreichen: daß diejenigen jungen Menschen - insgesamt etwa 200 000 - vom Wehrdienst befreit werden, die Verwandte ersten Grades in Mitteldeutschland haben. Nachdem dieser Antrag leider in der zweiten Lesung abgelehnt wurde, hoffe ich, daß unser Antrag wenigstens in der dritten Lesung Annahme finden wird. Damit würde wenigstens teilweise den Bedenken nicht nur der Synode der Evangelischen Kirche, sondern vieler anderer entsprochen.
Das gleiche haben wir bezüglich der letzten Söhne beantragt. Auch das ist abgelehnt worden. Frau Kollegin Lüders wird Gelegenheit nehmen, auch diesen Antrag noch einmal vorzutragen, wie Frau Kollegin Ilk Ihnen den Antrag bezüglich der Verwandten ersten Grades vortragen wird. Bei den letzten Söhnen, Herr Kollege Berendsen, habe ich speziell an die erhöhte Unfallgefahr einer modernen Armee gedacht. Wenn ein atomarer Krieg kommt - das sagte Kollege Erler schon -, dann gibt es
leider, leider keine Ausnahmen; dann kann es sogar sein, daß die Zivilbevölkerung in den Städten wesentlich mehr Front erlebt als manche Soldaten im vorderen Graben.
({32})
Nicht anders war es ja zum Teil schon im zweiten Weltkrieg. Da gab es für Frauen und Kinder in den deutschen Städten oft mehr Fronteinsatz als für manche Angehörige der rückwärtigen Dienste, höherer Stäbe oder mancher Truppen an den Fleischtöpfen Dänemarks, Norwegens oder auf der Insel Kreta.
({33})
Aber wollen wir die letzten Überlebenden der Gefahr aussetzen, bei den Schießübungen, bei den Fahrübungen, bei den Nachtübungen - bei der erhöhten Unfallgefahr in jeder technisierten Armee - auch noch zu Tode zu kommen? Sie haben, Herr Kollege Berendsen, bei der Debatte der zweiten Lesung auf das Schilaufen hingewiesen, haben gesagt, das sei ja auch gefährlich. Bei der dritten Lesung haben Sie sich immerhin schon auf die deutschen Straßen und auf den Bergbau berufen. Das aber ist kein logischer Grund, unseren Antrag abzulehnen. Wer sich auf die deutschen Straßen begibt, der begibt sich allerdings in Lebensgefahr, und nicht einmal freiwillig, sondern leider aus der allgemeinen Notwendigkeit des Daseinskampfes. Wer im Bergbau arbeitet, steht unter erhöhter Lebensgefahr. Im gedachten Falle aber zwingen Sie junge Menschen in besonderer Art in erhöhte Lebensgefahr, und das wollen wir nicht haben.
Wir wollen auch noch einmal unseren Antrag vorbringen, das Ende des Wehrpflichtalters für Unteroffiziere und Offiziere von 60 auf 55 Jahre herunterzusetzen. Herr Kollege von Manteuffel hat das letztemal gesagt, man müsse die Erfahrung der Älteren den Jungen vermitteln. Dem steht nichts entgegen. Jeder, der es will, soll sich freiwillig melden, - volenti non fit injuria. Wir möchten aber einen 56-, 57-, 59jährigen Mann davor bewahren, dadurch gesundheitliche Schäden zu erleiden, daß er sich noch irgendwelchen physischen Anstrengungen unterwerfen muß, denen er nach der Kenntnis unserer ärztlichen Wissenschaft einfach nicht mehr gewachsen sein kann.
({34})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß zu der Problematik der ganzen Wehrpflichtdebatte folgendes sagen. Wir Freien Demokraten haben uns als grundsätzlich soldatenfreundliche und der Freiheit und dem Notwehrrecht verschworene Politiker immer bemüht, ein möglichst gutes Klima in den Fragen zu erreichen, die gemeinsame Anliegen des ganzen Volkes sein müssen. Das ist weit vor vielen anderen Dingen der Neuaufbau einer Armee. Eine Wehrmacht darf nicht auf den schmalen Schultern einer Koalition oder gar einer großen Partei aufgebaut werden. Eine Wehrmacht muß auf den breiten Schultern aller staatstragenden demokratischen Kräfte unserer Nation aufgebaut werden.
({35})
In diesem Hause sind viele Bemühungen angestellt worden. Ich denke an die Bemühungen des Vizepräsidenten Dr. Jaeger in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, ich
({36})
denke an die Funktion des wehrpolitischen Sprechers der Sozialdemokraten, Fritz Erler, als stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Wie viele Möglichkeiten zu gemeinsamem Gespräch um die gemeinsame staatspolitische Not in diesen Fragen haben wir gefunden! Bei einer klugen Behandlung dieser Frage, nicht bei einer hektischen Verabschiedung - parallel zu den Plenarsitzungen die Ausschußsitzungen -, nicht bei solchen Abstimmungen, wie wir sie in der zweiten Lesung leider erleben mußten, hätte sich nach unserer Auffassung ein Weg gefunden, der glücklicher gewesen wäre als der, der erneut den Streit in das deutsche Volk trägt.
({37})
Es war doch geradezu deprimierend, wenn man von 23 bis 24 Uhr vorgestern am Westdeutschen und Norddeutschen Rundfunk hörte: bis § 12 Rede, Gegenrede, Abstimmung
({38})
- nun, wir wollen darüber nicht mehr sprechen -, ab §§ 13, 14, 15, 16 bis § 45 ging es in 30 Minuten wie folgt:
({39})
Ich rufe auf § 14. Liegen Wortmeldungen vor? - Wortmeldungen liegen nicht vor. Dieser Paragraph ist angenommen. § 15! Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Paragraph ist angenommen.
({40})
§ 16! Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Paragraph ist angenommen.
({41})
Herr Abgeordneter Dr. Mende, es steht Ihnen nicht zu, den Präsidenten des Deutschen Bundestages in dieser Weise nachzuahmen.
({0})
Meine Worte sind keine Kritik an dem Präsidenten, sondern sie sollen das ungute Gefühl wiedergeben, das jeder am Apparat hatte, wenn er das hörte.
({0})
Der Präsident konnte gar nicht anders handeln, nachdem leider das eingetreten war, was das Ergebnis der Behandlung der Opposition in diesem Hause war.
({1})
Wir geben die Hoffnung nicht auf, daß es noch Wege gibt, die Spannungen, die in diesen Tagen um dieses Gesetz entstanden sind, zu mildern. Aber ich weise erneut auf die Gefahr hin: die Bundeswehr ist aus vielen Gründen heute innerlich, in den Herzen der deutschen Bevölkerung leider noch nicht heimisch geworden. Wir wollen auf die Einzelheiten nicht eingehen. Es besteht aber die Gefahr, daß sie nur als die Bundeswehr einer großen Partei anerkannt wird, wenn folgendes eintritt, was uns leider berichtet wurde.
Ein Mitglied der Freien Demokratischen Partei, anerkannter politischer Flüchtling aus der Sowjetzone, dort zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, zuletzt Oberleutnant und Bordfunker, zur Zeit Angestellter beim Landeskulturamt in Coesfeld den Namen werde ich dem Herrn Bundesverteidigungsminister anschließend in vollem Wortlaut mit Adresse geben - meldet sich und wird in die Diensträume der Annahmestelle in Münster geladen. Die erste Frage eines dort tätigen Hauptmannes lautete: „Herr X, eine Frage mal ganz privat: warum haben Sie Ihren Dehler noch nicht zum Teufel gejagt?"
({2})
Ich möchte hier wirklich die Frage stellen: ist eine solche Frage eines prüfenden Hauptmannes Ausfluß der inneren Gesinnung dieses Hauptmannes, soll also bereits durch die Diffamierung eines gewählten Vorsitzenden der drittgrößten deutschen Partei auf dem Umweg über die Prüfstellen Innenpolitik getrieben werden? Ich hoffe nicht - nun darf ich etwas sarkastisch werden -, daß das etwa die 41. Prüfungsfrage sein wird.
({3})
Ich wäre dankbar, wenn man uns in dieser Beziehung in Zukunft vor ähnlichen Überraschungen bewahrte. Aber das kann entstehen, wenn man leider hier und da den Eindruck erweckt, daß die neue Bundeswehr
({4})
das Monopol einer einseitigen politischen Betrachtung beanspruchen könnte.
({5})
Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten werden daher trotz grundsätzlicher Bejahung der Prinzipien einer allgemeinen nationalen Verteidigungsdienstpflicht, trotz Annahme aller bisherigen soldatischen Gesetze - vom Freiwilligengesetz über das Soldatengesetz bis zu den gestrigen Vorwegbewilligungen - diesem Wehrpflichtgesetz ihre Zustimmung versagen, weil es weder aus sachlichen noch aus psychologischen Gründen in diesem Augenblick verabschiedet werden muß, weil es nach unserer Auffassung unserem Wehrwesen nicht nützt, sondern in der Form und in dem Zeitpunkt, in dem es verabschiedet wird, Deutschland schadet.
({6})
Meine Damen und Herren, wir stehen an ,dem Zeitpunkt, am dem nach interfraktioneller Vereinbarung die Mittagspause eintritt.
Ich habe folgendes bekanntzugeben. Um 14 Uhr tritt die Fraktion der CDU/CSU zusammen, um 14 Uhr 15 der Unterausschuß Familienrechtsgesetz im Sitzungssaal 214 Süd. Um 14 Uhr 30 tritt das Hohe Haus wieder zusammen.
Die Sitzung wird unterbrochen. ({0})
Die Sitzung wird um 14 Uhr 36 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Ich nehme an, daß sich der Saal allmählich mehr füllen wird. Offenbar hält eine große Fraktion noch eine Sitzung ab.
Um das Haus nicht darüber im unklaren zu lassen, was ihm bevorsteht, möchte ich mitteilen, daß zur allgemeinen Aussprache noch acht Redner gemeldet sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.
({0})
- Herr Abgeordneter, ich habe, das allgemein übliche Zeichen gegeben, daß die Sitzung des Plenums fortgesetzt wird.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Reichstein, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß sich im Laufe der Ausführungen das Haus noch füllt. Denn es ist ja eine vergebliche Mühe, zu Leuten zu sprechen, die gar nicht da sind.
({0})
Meinen Ausführungen, mit denen ich die Auffassung des Gesamtdeutschen Blocks/BHE zum Problem der allgemeinen Wehrpflicht und zu dem hier zur Beratung stehenden Gesetz zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht darzulegen habe, möchte ich eine Bemerkung an den Herrn Bundeskanzler vorausschicken und, da er nicht da ist, seinen hier anwesenden Vertreter bitten, dem Herrn Bundeskanzler zu übermitteln, was hier gesagt worden ist, oder ihn zu bitten, das Protokoll aufmerksam durchzulesen.
Der Herr Bundeskanzler hat bei seinen Darlegungen, die er vor einigen Stunden hier in diesem Hause gemacht hat, seiner Besorgnis Ausdruck verliehen, daß - wie er meinte - in diesem Hause seit einiger Zeit nur noch von der Wiedervereinigung, aber nicht mehr von der Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit gesprochen werde. Er hat dann, zu Herrn Kollegen Mellies gewandt, gesagt: „Ich meine Sie doch nicht!" Nun, dieser Hinweis ist vieldeutig,
({1})
und ich möchte dem Herrn Bundeskanzler doch sagen, daß ich hoffe, daß er mit seiner Besorgnis nicht unsere Fraktion meinte. Gerade deshalb wollte ich ihn bitten, diesen kommenden Ausführungen mit Sorgfalt zuzuhören, zumal ja möglicherweise Mitglieder seines Kabinetts unsere Anschauungen bereits interpretiert haben.
({2})
Die Pflicht der Bundesrepublik zur Aufstellung von Verteidigungsstreitkräften ergibt sich aus den auch mit unserer Zustimmung eingegangenen Verträgen. Diese Verträge dienen dem Schutze der freien Welt. Sie sollten und sollen die Partner vor einer weiteren rücksichtslosen Ausdehnung der sowjetischen Macht schützen. Heute ist es freilich von besonderer Bedeutung, darauf hinzuweisen, daß diese Verträge eine direkte Folge der Politik Stalins waren.
Wir haben nach reiflicher Überlegung und nach sehr kritischer Beurteilung der Lage diesen Verträgen zugestimmt. Wir taten es, nachdem wir die Überzeugung gewonnen hatten, daß es sich um ein reines Verteidigungsbündnis zu Schutz und Stärkung der freien Welt handelt. Unsere Zustimmung war weiterhin abhängig von der in diesen Vereinbarungen enthaltenen Sicherheit, daß dieses Vertragswerk die Wiedervereinigung Deutschlands unter Bewahrung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der parlamentarischen Demokratie und des sicheren Schutzes der persönlichen Freiheit - Grundsätze, unter denen wir zu leben wünschen - nicht verhindern wird.
Die Erklärung des Sprechers der CDU, des Herrn Abgeordneten Kiesinger, bei der letzten außenpolitischen Debatte am 29. Juni in diesem Hause, daß die NATO kein Dogma sei und daß mit einer grundsätzlichen Änderung der Weltlage sich auch das Bedürfnis nach Sicherheit ändere, begrüßen wir. Sie entspricht auch unserer Auffassung. Zu unseren politischen Grundsätzen gehört auch der Grundsatz der Vertragstreue. Wir fühlen uns daher an die Vertragsverpflichtungen gebunden, solange nicht, bedingt durch eine grundlegende Änderung der Verhältnisse, der politischen Lage, im Einvernehmen mit den Vertragspartnern eine Änderung der Verträge erfolgt.
Von diesen klaren, eindeutigen Feststellungen her müssen Sie die Kritik beurteilen, die wir an der von der Mehrheit in diesem Hause geübten Methode der Durchführung unserer Vertragsverpflichtungen in diesem konkreten Punkte geübt haben und üben.
Ich muß in diesem Zusammenhang etwas aufgreifen, was vorgestern bei der zweiten Beratung und auch heute bei der dritten schon einmal durch einen Zwischenruf erkennbar geworden ist. Aus den Reihen der Koalitionsparteien kam, auf uns gerichtet, der Zwischenruf: „Jetzt kommt das Anhängsel!" Meine Damen und Herren, ich will und muß Ihnen mit aller Offenheit folgendes sagen: Wir waren, als wir in der Koalition waren, kein Anhängsel der CDU und sind in der Opposition kein Anhängsel der SPD.
({3})
Sie müssen sich aber, meine Damen und Herren, mit dem Gedanken vertraut machen, daß die Zahl der freiheitsliebenden Menschen in der Bundesrepublik, die sehr klare Vorstellungen von ihren sozialen und nationalen Verpflichtungen haben, größer wird und nicht sozialistisch und auch nicht eine Partei wählen will, bei der man manchmal den Eindruck hat, als würden dort Gedankengänge gepflegt, die solchen von säkularisierten Großinquisitoren entsprechen.
({4})
({5})
Wir haben die allgemeine Wehrpflicht bejaht, weil wir glauben, daß dieses System das einer demokratischen Staatsordnung zukommende ist. Wir glauben auch, daß der Grundsatz der Gleichheit von Rechten und Pflichten aller Staatsbürger zu diesem Wehrsystem führt. Wir sind der Meinung, daß alle Bürger des Staates zur Verteidigung bereit sein müssen und daß sie diese Bereitschaft nicht auf Berufssoldaten abwälzen können. Wir glauben auch, daß auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht die Bundeswehr ein ernst zu nehmender Faktor werden könnte. Bei der besonderen Lage Deutschlands aber empfinden auch wir diese Entscheidung als eine schwere Gewissensbelastung. Sie ist unvergleichbar. Es ist unsere Hoffnung und Erwartung, daß einer sich etwa anbahnenden allgemeinen Entspannung und Abrüstung die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht deshalb nicht hinderlich sein wird, weil bis zu ihrer vollen Wirksamkeit noch Jahre vergehen werden. Die Sowjets haben jetzt nicht nur das Wort, es liegt auch in ihrer Macht, durch Taten Verhältnisse herbeizuführen, die es uns im Einvernehmen mit unseren Bündnispartnern möglich machen, auf jede Aufrüstung oder auf eine Aufrüstung in dieser Form und Art zu verzichten. Wir sind allerdings der Meinung, daß die Bundesregierung auch in dieser Beziehung eigene Vorschläge im Benehmen mit den Bündnispartnern nicht zu zaghaft machen sollte.
Die Auffassungen der Regierungskoalition über die Durchführung der Beratung des Wehrpflichtgesetzes und über den Zeitpunkt seines Inkrafttretens widersprechen jedoch unseren Vorstellungen von einer parlamentarischen Arbeit und Verantwortung vollkommen. Die Dauer der Beratungen wurde nicht durch die Bedeutung des Gesetzes und die Fülle der in ihm enthaltenen Probleme bestimmt. Wie nach einem Mob-Kalender mußte alles abrollen, und den Termin dieser Beratungen bestimmte auch nicht das Maß der Beratungen, sondern der Beginn der Parlamentsferien.
({6})
Es war unter diesen Umständen nicht möglich, alle Fragen mit der Sorgfalt zu beraten, die ein Gesetz, das wie kaum ein anderes die gesamte Bevölkerung betrifft, verdient. Es sind eben - die zweite Beratung hat es deutlich gezeigt - Probleme, die besonders vom Menschlichen her gesehen sehr wichtig sind, nicht entsprechend beraten worden: das Problem der letzten Söhne, das Problem der Sowjetzonenflüchtlinge, die Verwandte ersten Grades in dem anderen Teile Deutschlands haben.
Auch scheint es doch wohl nicht unwesentlich, daß keine Zeit war, die ernsten Besorgnisse, die die Vertreter der Synode übermittelt haben, zu beraten. Ich will es offen lassen, ob das an der Anschauung etwas geändert hätte, auch ob das an unserer Anschauung etwas geändert hätte. Aber keine Zeit dafür zu haben, darüber ernsthaft zu beraten, das, meine ich, ist doch wohl nicht richtig.
({7})
Es scheint mir bedeutsam zu sein, daß ein sehr prominentes Mitglied der Christlich-Demokratischen Union gesagt hat, es sei nicht Sache der Kirche, in einem politischen Meinungsstreit Stellung zu nehmen.
({8})
Nun, ich glaube, Wahlen sind auch so etwas wie politische Meinungsstreite,
({9})
und es wäre doch sehr gut, wenn diese Auffassung auch für Wahlen gelten würde.
({10})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß in dieser Pressemeldung nicht exakt zitiert ist, daß ich nicht das Wort vom politischen Meinungsstreit benützt habe, sondern daß ich vom „politischen Methodenstreit" gesprochen habe?
({0})
Das ist, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier, sicher sehr wesentlich, und ich bedaure, daß ich dann einer Falschmeldung zum Opfer gefallen bin. Aber ich will - das nicht auf Ihre Person abgestellt, Herr Kollege Dr. Gerstenmaier - doch erwidern: die Meldung hätte auch so lauten können.
({0})
Aus den gleichen Gründen ,des diktatorisch angewandten Terminkalenders - das ist schon gesagt worden, ich will es auch nicht mehr in extenso ausführen - unterblieb auch die Beratung anderer Gesetze, die vor diesem Wehrpflichtgesetz aus Gründen der Systematik und aus anderen Gründen hätten verabschiedet werden müssen. Die Gesetze sind genannt worden: das Organisationsgesetz, das Versorgungsgesetz und manche andere, dazu solche, die auch schon notwendig waren, nachdem wir das Soldatengesetz angenommen hatten. Herr Kollege Dr. Jaeger hat in der zweiten Lesung gesagt, dieser Mangel werde dadurch geheilt, daß bis zum Inkrafttreten des Wehrpflichtgesetzes diese anderen Gesetze längst in Kraft seien. Meine Damen und Herren, man kann einen Hausbau auch mit dem Dach beginnen, nur kommt es für den Beteiligten oft sehr teuer zu stehen, wenn er das Dach immer anheben und die Mauern darunter setzen muß.
({1})
Der Zwang zur Erfüllung dieses Planes - ich will es einmal so ausdrücken; nehmen Sie das bitte nicht auf die leichte Schulter und weisen Sie es nicht wie so manches andere mit leichter Hand ab - machte es unmöglich, der psychologischen Vorbereitung auf die allgemeine Wehrpflicht jene Sorgfalt zu widmen, die im Interesse der Sache notwendig gewesen wäre. Es ist vom Menschlichen her gesehen ein Ding der Unmöglichkeit, daß man den Sohn anders behandelt als den Vater, wenn und weil dieser Soldat bei der SS war. Es ist eine Unmöglichkeit, daß man den Sohn einziehen will, wenn in einem der wenigen Fälle der Vater noch in alliierter Haft sitzt. Ich will mich dem anschließen, was Herr Kollege Dr. Mende von der FDP hier gesagt hat, man müsse doch wohl aus Anlaß der Beschlußfassung über dieses Gesetz mit aller Energie darauf dringen, daß jene Menschen aus
({2})
dem alliierten Gewahrsam entlassen werden. Meine Damen und Herren, es mag manche geben, für die man ein Wort kaum einlegen kann. Aber ein Grund, sie nicht der deutschen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, dürfte wohl nicht mehr vorliegen.
({3})
Wenn Sie an die letzten EMNID-Untersuchungen denken, muß Ihnen mit Erschrecken klarwerden, daß die Verhältnisse in der deutschen Jugend nicht so sind, wie sie bei der Einführung eines Gesetzes zur allgemeinen Wehrpflicht sein sollten. Und glauben Sie nicht, daß die von Ihrem Gesichtspunkt, von dem Gesichtspunkt des Verteidigungsministers her gesehen, mangelhafte Neigung der Grenzschutzbeamten, zur Bundeswehr zu gehen, etwa nur aus Gründen, die in der Tätigkeit des Grenzschutzes liegen, zu verstehen sei! Nein, auch da hat sich zweifellos die mangelnde psychologische Vorbereitung bereits ausgewirkt.
Die Regierungskoalition hat alle unsere warnenden Hinweise in der ersten Lesung, gestützt auf ihre Stärke - nicht auf ihre stärkeren Argumente! -, in den Wind geschlagen. Die Dauer der Wehrpflicht, über die bis zur Stunde in der Koalition selbst noch keine einheitliche Meinung herrscht, wurde aus diesem Grunde in diesem Gesetz überhaupt nicht geregelt. Da auf einmal war etwas, was man herausnahm, weil es nicht genügend beraten war, weil die Mehrheit der Meinung war: es ist nicht genügend beraten. Das Gesetz trägt somit, da es sich „Wehrpflichtgesetz" nennt, die Wehrpflichtdauer aber gar nicht enthält, auch noch einen unehrlichen Namen.
({4})
Der Versuch, durch eine Dienstzeitregelung in einem eigenen Gesetz den Bundesrat zu umgehen, scheint uns eine in hohem Maße bedenkliche Einstellung zur bundesstaatlichen Ordnung zu beweisen.
({5})
Er bleibt auch dann bedenklich, wenn dieser Vorschlag von ausgesprochenen Föderalisten kommt.
({6})
Hier soll - darüber kann kein Zweifel sein - ein Gesetzbeschlossen werden, welches gar nicht anwendbar ist.
Noch andere schwerwiegende Bedenken, die sich aus der Arbeit dieses Hauses ergeben, müssen einmal in aller Öffentlichkeit geäußert werden. Ein großer Teil der Ausschußsitzungen hat zur selben Zeit wie die Plenarsitzungen stattgefunden. Die Mehrheit hat die Minderheit damit vor die Wahl gestellt, entweder auf die Teilnahme an den Plenarsitzungen oder auf die Teilnahme an den Ausschußsitzungen zu verzichten, und das, meine Damen und Herren, als zu gleicher Zeit in den Plenarsitzungen nicht über Zollsatzänderungen gesprochen wurde, sondern als der Haushalt angenommen wurde, ein Gebiet, das seit Entstehung des Parlaments überhaupt zu den wichtigsten Rechten und Pflichten der Abgeordneten gehört.
({7})
Sie fördern mit Ihrem Verhalten eine bedenkliche
Entwicklung, die, treiben wir sie weiter, nur dazu
führen kann, daß auch in diesem Hause die Politik
nur noch eine Summe von Einzelproblemen bleibt
({8}) und daß der zur Beurteilung dringend notwendige Zusammenhang völlig verlorengeht. Dazu, meine Damen und Herren, sollte eine Mehrheit eine Minderheit niemals zwingen.
({9})
Auch gegenüber der Öffentlichkeit wurde dem Hause mit dieser Art des Prozedierens ein schlechter Dienst erwiesen. Die frei gewählten parlamentarischen Institutionen müssen im Bewußtsein der Bevölkerung den ihrer Bedeutung entsprechenden Raum einnehmen. Wir wissen alle, in welchem Maße das bisher gelungen ist und in welchem Maße das bisher leider nicht gelungen ist. Das uns von der Mehrheit in diesem Hause aufgezwungene Verfahren bei der Beratung dieses Gesetzes wird das Ansehen des Parlaments nicht fördern. Der Verzicht auf die Ausübung wichtigster parlamentarischer Funktionen, den Sie mit Ihrer Mehrheit erreicht haben, kann doch von keinem, auch nicht von den Abgeordneten, die sich dem Zwang haben unterwerfen müssen, gegenüber der Öffentlichkeit verantwortet werden!
({10})
Meine Damen und Herrren, nun etwas, wo es etwas zu erläutern gibt. Aus Gründen der Geschäftsordnung haben Sie in der zweiten Lesung alle Anträge, waren sie auch noch so berechtigt und noch so begründet, niedergestimmt, als wäre in diesem Hause schon die Automation eingeführt.
({11})
Sie haben das auch ganz offen gesagt.
({12})
- Sehr geehrter Herr Kollege, wenn Sie die Art der Beratungen nicht einer kritischen Beurteilung unterwerfen wollen, dann können wir ja auf Beratungen bald verzichten.
({13})
Meine Damen und Herren, ich nehme es Ihnen, der Mehrheit, gar nicht übel, daß Sie von Ihrer Mehrheit Gebrauch machen und die Minderheit niederstimmen. Es ist eine andere Frage, ob das politisch-taktisch sehr klug ist. Aber dieses Recht gibt Ihnen die Geschäftsordnung. Darüber gibt es nichts zu sagen. Das wäre auch für uns kein Grund gewesen, der zweiten Beratung fernzubleiben. Sie haben etwas anderes getan. meine Damen und Herren. Sie haben in der zweiten Beratung mit Scheinargumenten versucht, Gegenargumente zu schaffen.
({14})
({15})
Das, meine Damen und Herren, ist etwas, was auch im politischen Leben nach unserer Auffassung nicht anständig ist. Das war der Inhalt meiner Begründung: Dieses Verhalten, nämlich mit Scheinargumenten gegen die eigene Überzeugung,
({16})
- gegen die eigene Überzeugung zu argumentieren, ist nach unserer Auffassung mit dem parlamentarischen Brauch nicht vereinbar. Oder wollen Sie glauben machen, daß Sie von vorgestern bis heute Ihre Überzeugung zum Problem der einzigen Söhne und der Sowjetzonenflüchtlinge geändert haben?
({17})
- Herr Kollege Stücklen und meine Damen und Herren, Sie haben den Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner - deren Art sich wohl keiner entziehen konnte; sie waren beeindruckend und kamen, wie niemand bestreiten wird, aus einer großen Sorge um die menschliche Tragik, die eintreten kann - durch den Herrn Verteidigungsminister und einen Sprecher ihrer Fraktion z. B. die Tatsache entgegengehalten, daß man auf soundso viel Tausend Soldaten nicht verzichten könne. Meine Damen und Herren, das ist ein Gesichtspunkt, den Sie heute nicht mehr geltend machen werden. Er mußte in der zweiten Lesung dazu herhalten, um gegen etwas, was wahrscheinlich klares menschliches Bedürfnis von uns allen ist, als Begründung zu dienen.
({18})
Sie sollen nicht meinen - ich wiederhole es; das müssen Sie wissen -, daß wir ausgezogen seien, weil sie von Ihrer Mehrheit Gebrauch machten. Das ist nun einmal so in einer parlamentarischen Demokratie. Aber wir sind ausgezogen, weil Sie Ihre Auffassung vom Wert auch der Minderheit mit Scheinargumenten zu deutlich gemacht haben.
({19})
- Verzeihen Sie, wir sind hier letzten Endes alle gleich, und wenn Sie mich belehren, darf ich Ihnen vielleicht zumindest meine Auffassung sagen.
Ich möchte hier - das wird Ihnen vielleicht die Zwischenrufe etwas erschweren - den Vizepräsidenten des Bundestages, Herrn Professor Schmid, einmal zitieren, der in einer seiner letzten Rundfunkansprachen folgendes gesagt hat:
Jede Koalition sollte die Opposition so behandeln, wie sie selbst als Opposition behandelt zu werden wünschte.
({20})
- Herr Kollege Stücklen, ich unterbreche mich, um Ihnen folgendes zu sagen: Wenn im Bayerischen Landtag auch mit Scheinargumenten gegen die dort in Opposition befindliche CSU argumentiert würde, so hielte ich das auch dann für schlecht, wenn meine eigene Partei dabei sein sollte.
({21})
Wenn wir nicht zu dem richtigen Verhältnis
zwischen Regierungskoalition und Opposition
kommen, dann wird unser Staat nur dem Anschein nach, nicht aber der Wirklichkeit nach eine parlamentarische Republik.
({22})
Meine Damen und Herren, Sie haben mit diesem Wehrpflichtgesetz durch eine in diesem Hause gottlob bisher nur selten exerzierte Art dieses so wichtige Gesetz in eine völlige Abhängigkeit von den Mehrheitsbeschlüssen dieses Hauses gebracht. Die Geburtsstunde dieses Gesetzes steht nicht unter einem guten Stern, sie steht höchstens unter einem sinkenden Stern.
({23})
Sie glaubten, das alles tun zu müssen, um durch Einhaltung eines selbst gesetzten Termins dem Vertragspartner einen weiteren Beweis von Vertragstreue zu liefern. Meine Damen und Herren, empfinden Sie denn nicht selber, daß Sie dadurch Gefahr laufen, uns als Vertragspartner zu entwerten? Eine Mehrheit von zwei Dritteln dieses Hauses hat den Verträgen und damit auch den Konsequenzen der Verträge zugestimmt. Das ganze Haus ist zweifellos einig darüber, daß Verpflichtungen aus rechtsgültig gewordenen Verträgen erfüllt werden müssen. Bei einer so klaren Lage halten Sie es für notwendig, unter Ausnützung der derzeitigen Mehrheitsverhältnisse des Hauses und unter Methoden, die wir - dieses Recht nehmen wir uns - für bedenklich halten, die Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes zu einer dem Grunde nach völlig unnötigen politischen Demonstration zu machen! Sie haben durch dieses Verhalten das Zustandekommen einer breiten Mehrheit für ein solches Gesetz verhindert, das wie kaum ein anderes in die persönliche Freiheit und die Lebensverhältnisse nahezu aller seiner Bürger eingreift und das uns die ganze Tragik des deutschen Schicksals noch einmal vor Augen führt. Sie haben mit leichter Hand, indem Sie Argumente beiseite geschoben haben, auch Menschen beiseite geschoben, die bei einer so wichtigen Frage hätten Partner sein können. Wir können diesem Gesetz nicht zustimmen.
({24})
Das Wort hat der Abgeordnete von Manteuffel.
von Manteuffel ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde haben mich gebeten, Ihnen in bezug auf den vorliegenden Entwurf des Wehrpflichtgesetzes folgendes zu unterbreiten. Ich darf mich dabei weitgehend an die eingehenden Ausführungen halten, die ich in der ersten Lesung dieses Gesetzes gemacht habe. Ich glaube, sie waren eingehend, manchen vielleicht sogar zu lang. Dort haben wir ja zu diesem Entwurf Stellung genommen im Hinblick auf die Wiedervereinigung, auf die Abrüstungsprobleme und auch auf die Staatsbürgerverpflichtung.
({2})
- Ich habe ihn noch nicht gesehen, Herr Wehner, er ist ja noch nicht hier; ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen.
({3})
({4})
oder: nicht gesprochen, will ich lieber sagen; sonst nehmen Sie an, ich hätte vorhin geschlafen. - Wir glauben, daß die Staatsbürgerverpflichtung auch und gerade in der demokratischen Staatsordnung von jedem Bürger erfüllt werden muß, der Rechte von der Gemeinschaft - ,das ist ja unser Staat - beansprucht. Das ist in der ersten Lesung eingehend behandelt worden, und die Damen und Herren haben es möglicherweise noch in Erinnerung. Erlauben Sie mir aber drei kurze persönliche Vorbemerkungen vor dem, was ich für meine politischen Freunde sagen möchte.
Es wird so oft - der Herr Kollege Dr. Reichstein hat es eben auch wieder gesagt - von dem „Durchpeitschen" dieses Gesetzes gesprochen. Aber eines ist in der zweiten Lesung nicht gesagt worden, weil ,ein großer Teil des Hauses nicht anwesend war. Es muß aber jetzt ausgesprochen werden. Die Damen und Herren des Verteidigungsausschusses sind noch am 28. Juni abends für den 29. Juni - das war ein Freitag - vom Vorsitzenden zu einer Sitzung eingeladen worden. Ein Teil der Kollegen war ja da, fast sogar alle. Im Verteidigungsausschuß habe ich jedenfalls nicht gehört, daß gegen die Abstimmung protestiert wurde.
({5})
Es war also noch mindestens an diesem Freitag Zeit, einzelne Probleme zu diskutieren.
({6})
- Warum? Wir hätten die Abstimmung am Freitag machen können! Wir sind am Freitag noch zu der Sitzung geladen worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
von Manteuffel ({0}) ({1}): Das hätte vielleicht in dem Terminkalender, von dem Kollege Dr. Reichstein gesprochen hat, keine entscheidende Rolle gespielt; aber diese eine ganztägige Sitzung ist nicht wahrgenommen worden. - Bitte schön, Herr Kollege!
Sollte Ihnen entgangen sein, daß ich für die sozialdemokratischen Mitglieder des Ausschusses gegen die Schlußabstimmung protestiert habe, die stattfinden mußte, ohne daß die Texte vorlagen?
von Manteuffel ({0}) ({1}): Gegen die Texte, die Formulierung des Berichterstatters!
Nein, ohne daß die Texte vorlagen, mußte die Schlußabstimmung durchgeführt werden. Sollte Ihnen entgangen sein, daß die Vertreter der FDP, unterstützt von uns, schon vorher gegen die Vornahme der Schlußabstimmung zu diesem Zeitpunkt protestiert hatten? Nur das wollte ich Sie fragen.
von Manteuffel ({0}) ({1}): Proteste sind mir nicht bekanntgeworden; sie waren für mich nicht vernehmbar. Von der FDP ist eine schriftliche Erklärung abgegeben worden, die weder verlesen noch von Herrn Dr. Mende erläutert worden ist. Sie ist mir damals nicht bekanntgeworden, sondern erst einige Tage später. Aber vielleicht ist das nicht entscheidend.
({2})
- Ich nehme es jetzt zur Kenntnis; aber neulich ist der Protest nicht in dieser Weise wahrnehmbar geworden.
Weiterhin möchte ich für meine politischen Freunde und mich ausdrücklich sagen, daß uns von „Verabredungen", von denen Herr Dr. Mende sagte, sie hätten innerhalb der Koalition vor der zweiten Lesung stattgefunden, nicht ein Wort bekanntgeworden ist. Solche Behauptungen, für die zur Zeit jeder Beweis fehlt, werden ja auch nicht wahrer, wenn man sie öfter wiederholt.
({3})
Ich möchte für meine Person eine Bemerkung, die der Kollege Berendsen in bezug auf die Rückstellung der letzten Söhne getan hat und die ich hier nicht wiederholen will, nicht unwidersprochen lassen. Die Opfer, die gebracht sind, erlauben nach meiner Auffassung keinerlei Vergleich und keinerlei andere Deutung. Denn diese Opfer bemessen sich allein aus der Gesinnung heraus, aus der sie gebracht wurden, ohne Rücksicht auf einen Erfolg oder Mißerfolg. Weil sie so schwer wiegen und wir sie auch so einschätzen, hatte ich versucht, in der zweiten Lesung - ich muß das heute sagen, weil ein Teil der Damen und Herren nicht da war - auf den auch mir sehr zu Herzen gehenden Einspruch des Herrn Kollegen Wehner hin festzustellen, ob ihm nicht eine Formulierung in § 12 Ziffer 4 genüge. Nachdem inzwischen von mehreren Fraktionen, denen diese in zweiter Lesung angenommene Formulierung des Entwurfs nicht genügt, ein Antrag dazu eingegangen ist, stelle ich heute fest, daß wir uns selbstverständlich für diesen Antrag einsetzen werden. Dabei möchte ich für meine politischen Freunde ausdrücklich feststellen, daß die Begründung, man bekomme sonst die Zahl der Einzuziehenden nicht zusammen, gar keine Rolle spielt. Das habe ich auch damals gesagt.
Im übrigen möchte ich mich wegen meiner Ausführungen in der ersten Lesung kurz fassen, denn ich glaube, der richtige Ort für die Darlegung der strategischen Auffassungen und deren Auswirkungen, die mein Vorredner Dr. Mende von sich gegeben hat, ist der Verteidigungsausschuß, wo zu gegebener Zeit Ihre und auch unsere Anliegen erörtert werden. Dort können wir sie zur Sprache bringen. Genauso verhält es sich bezüglich der Gesetze, von denen wir ja durch den Bundesverteidigungsminister erfahren haben, nach welchem Fahrplan sie als Ergänzung des Wehrpflichtgesetzes, das lediglich die Organisation der Wehrersatzdienststellen beinhaltet, eingebracht werden sollen.
Ich wende mich nun dem eigentlichen Thema und den Ausführungen zu, die ich Ihnen im Auftrage meiner politischen Freunde vorzutragen habe. Ich möchte an das anknüpfen, womit Herr Dr. Mende vorhin geschlossen hat. Ich meine, die Abgeordneten haben auch die Verpflichtung, unsere Jugend über die Begriffsverwirrung und Begriffsverirrung aufzuklären und ihr klarzumachen, das diese staatsbürgerliche Verpflichtung und die damit verbundenen selbstverständlich unbestreitbaren Opfer notwendig sind, und zwar der Freiheit wegen.
({4})
Der Aufhellung der Begriffe ist aber nach meiner
Auffassung nicht gedient, wenn man sich so ver({5})
hält wie z. B. der Herr Vorredner Dr. Mende, der jahrelang für die Wehrpflicht eingetreten ist, noch Ende März in der „Welt am Sonntag" einen Artikel unter der Überschrift „Wehrpflicht unumgänglich notwendig" geschrieben hat
({6})
und das auch in der Parteikorrespondenz in langen lichtvollen Ausführungen nochmals ausdrücklich unterstrichen hat, Ausführungen, die an dem darauffolgenden Samstag sogar in der Tagespresse wiedergegeben werden sollten, bis sie der Verfasser selber drei Tage vorher widerrief, weil er sich inzwischen eines andern besonnen hatte.
({7})
Meine Damen und Herren, ich sage das nur, weil uns die schwerwiegenden Gründe, die Herr Dr. Mende zweifellos gehabt haben muß, weder in der zweiten noch in der dritten Lesung deutlicher gemacht worden sind.
({8})
Ich sage das, weil wir diese staatsbürgerliche Verpflichtung bejahen, auch zu dieser Zeit oder gerade zu dieser Zeit, in der immer noch Söhne englischer und amerikanischer Mütter hier im fremden Lande ihren Dienst tun müssen. Diese Mütter bringen ein nicht geringeres Opfer, als es nun unseren deutschen Müttern abverlangt wird, leider, leider! Das sage ich im Auftrag meiner politischen Freunde, denen das ein Herzensanliegen ist. Aber daran sind doch nicht wir, nicht die Bundesregierung, nicht die NATO oder etwa der Westen schuld. Es heißt doch die Fronten, es heißt Ursache und Wirkung verwechseln,
({9})
wenn man so argumentiert, wie es hier teilweise geschehen ist.
({10})
Wer die Unfreiheit kennt - und diese hat ja ein nicht unbeträchtlicher Teil der Damen und Herren dieses Hauses leider kennengelernt -, der weiß den Wert der Freiheit zu schätzen.
({11})
- Jetzt kommen Sie auf die Wertung. Darüber können Sie mich gelegentlich befragen. Ich glaube nicht, daß diese Angelegenheit mit dem Wehrpflichtgesetz etwas zu tun hat.
({12})
Ich spreche hier zu dieser Zeit, zu diesem Gesetz, von der Freiheit, unser täglich Brot unter freiem Himmel und in freier Luft verzehren zu können, und von der freien Entfaltung dessen, was wir unsern Kindern und Kindeskindern angedeihen lassen wollen, ohne Zwang, ohne Druck.
({13})
- Herr Kollege Eschmann, es ist mir unbekannt, daß aktive Generale im Reichstag gesprochen haben. - Diese Freiheit ist uns aus demselben Grunde verteidigungswert, aus dem auch die amerikanischen und englischen Mütter ihre Söhne hier haben.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die militärpolitische Lage - um auch da die Begriffe „taktisch", „strategisch" usw. nicht zu verwechseln - stabiler geworden ist. Aber es kann doch noch nicht die Rede davon sein, daß die Konflikte und Spannungen ausgeräumt oder die Ursachen der Spannung beseitigt sind. Daher glauben wir, daß militärische Wachsamkeit notwendig ist. In dem Zusammenhang darf nach unserer Auffassung jedenfalls nicht verschwiegen werden: Wenn heute in Europa noch scharfe Spannungen bestehen, dann ist das eben auf die von Moskau erzwungene Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands zurückzuführen.
({15})
Wenn unsere Wehrpolitik einen Sinn haben soll, dann doch nur den, die militärischen Risiken - und nur die sind heute zu behandeln - im Augenblick so klein wie irgend möglich zu halten, so daß die freie Welt keine militärischen Interventionen aus dem Osten zu fürchten braucht und aus diesem Grunde die Bundesregierung eine elastischere und geschmeidigere Politik treiben kann. Aber die Urheber der Pläne, die auch hier mehrfach vorgetragen worden sind, die nun die Bundesregierung aus der NATO ausklammern wollen, legen ja gerade die Verteidigung in die eigenen Hände. Das würde doch nur den Sinn haben - damit sie wirksam ist und Respekt gebietet -, daß sie noch stärker sein müßte, als wir sie jetzt in der Gemeinschaft der anderen Völker planen. Das ist doch der Grund. Für uns geht es doch einfach darum, daß wir diese nicht nur für unsere Verbündeten, sondern gerade für uns Deutsche lebensgefährliche, wenn nicht gar tödliche Verteidigungslücke im Westen schließen müssen. Die kollektive Sicherheit, von der gesprochen wird, kann für Westeuropa nur dann wirkliche Bedeutung erlangen, wenn eben diese Bedrohung, als deren Gegengewicht die NATO seinerzeit geschaffen wurde - das ist Ursache und Wirkung -; aufhört zu bestehen.
Diese Bedrohung entspringt im besonderen dem Verhältnis, in dem die Sowjets zu den osteuropäischen Ländern stehen. Solange der Kreml nicht sein Verhältnis zu diesen osteuropäischen Staaten zur Diskussion stellt, so lange können doch von diesem Standort, von der Bundesrepublik her, Männer, die darüber sprechen wollen, wie stark das militärische Potential ist, nicht nur die DDR sehen und argumentieren, daß die Verteidigungsorganisation, die wir aufbauen, nur so stark zu sein bräuchte, wie etwa die DDR mit ihrer ostzonalen Volkspolizei usw. ist. Die Sowjets haben - das ist doch erwiesen - in den letzten Abrüstungsgesprächen in London das Schwergewicht ihrer Verhandlungen mit voller Absicht von der Begrenzung oder Abschaffung und Abrüstung der atomaren Waffen zur Begrenzung der konventionellen Waffen verlagert. Dieser Plan läuft nach meiner Meinung darauf hinaus, dem Ostblock seine zahlenmäßige Überlegenheit zu sichern und „den Aufbau größerer Kontingente von Erdtruppen" - wie er selber wörtlich schreibt - in den westlichen Ländern zu verhindern.
({16})
Wenn etwas zitiert werden darf - und es ist heute sehr oft geschehen-, dann darf ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten etwas zitieren, was ein bedeutendes englisches Institut, das die Damen und Herren zum Teil vielleicht kennen, das Royal Institute for International Affairs in England, ein einflußreiches königliches Institut für außenpolitische Angelegenheiten, geschrieben hat. Es hat wenige Tage später den Westen davor gewarnt, in die Falle des sowjetischen New Look hineinzulaufen: Die Sowjetunion habe sich nunmehr von der unzeitgemäßen Taktik des kalten Krieges etwas abgewandt. Der Bruch mit der Vergangenheit sei aber keineswegs sauber genug, um zu überzeugen. Man müsse mißtrauisch bleiben. Sowohl das Institut als auch die außenpolitischen Berater Edens seien zu der Überzeugung gelangt, daß der Westen nun vor einer gefährlichen Periode vielversprechend aussehender sowjetischer Angebote stehe, denen man nur sehr schwer widerstehen könne, deren Aufrichtigkeit jedoch bezweifelt werden müsse. - Es ist immerhin ein Institut von hohem Rang und weltweitem Ansehen und auch entsprechendem Gewicht.
In diesem Sinne, meine ich, können die Verträge und Pakte kein Selbstzweck sein. Da gehen wir auch mit den Vorrednern vollständig einig. Sie sind eben ein Mittel der Politik und sind als solche im Zusammenhang zu betrachten. Alles ergänzt sich zueinander, so auch das, was wir mit diesem Gesetz vorhaben, das ebenfalls in den Gesamtorganismus der Verteidigungsanstrengungen einbezogen werden muß, wobei wir auch wieder nicht die Teilaufgabe und Teilbeiträge sehen dürfen.
Wir suchen auch nach Lösungen für die
Abrüstung. Wir haben ja den Außenminister hier; ich könnte ihn auch danach fragen. Meine politischen Freunde und ich sind aber gegen einseitige Bindungen und unter allen Umständen gegen Vorleistungen.
({17})
- Wir sind gegen die Vorleistung, wie sie jetzt von uns verlangt wird, einseitig abzurüsten; ich komme nachher darauf. Wir haben ja mit den 6200 Mann, die Herr Blank hat, noch gar nicht einmal aufgerüstet. Da kann man doch nicht von Abrüstung sprechen! Aber ich komme gleich darauf.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Einbeziehung der Bundesrepublik in das atlantische Verteidigungssystem den allgemeinen Sicherheitskoeffizienten erhöht hat. Man kann also nicht sagen, die 12 Divisionen bedeuteten gar nichts im Rahmen des Gesamtorganismus. Aber ich glaube, wir sollten uns über derartige strategische Auffassungen und über den strategischen Wert unserer Verteidigungsanstrengungen im Verteidigungsausschuß und vielleicht im Außenpolitischen Ausschuß unterhalten. Ich komme nur darauf, weil der Wert der Pläne, wie sie von der Bundesregierung nun dem Bundestag vorgelegt werden, für die Verwirklichung unseres deutschen Beitrages immer wieder angezweifelt wird. Aus der Kenntnis der Dinge darf ich denjenigen Damen und Herren, die mitarbeiten, versichern, daß neue Erkenntnisse fortlaufend überprüft werden, nicht allein hier, sondern auch in der Gesamtorganisation, d. h. in der
NATO. Wir sollten auch zu unseren Verbündeten das Vertrauen haben, daß sie die deutschen Belange voll berücksichtigen; denn wir sind dort als gleichberechtigte Partner vertreten. Wenn, wie wir erfreulicherweise gehört haben, Herr Kollege Erler den General Gruenther gesprochen hat, so wird er gehört haben, daß unsere Experten nicht nur zu Wort gekommen sind, sondern daß sie sehr nachhaltig den deutschen Standpunkt vertreten haben und daß man auf diese Männer und das, was sie zu sagen haben, genau hört.
({18})
- Das hängt natürlich auch damit zusammen, selbstverständlich, Herr Eschmann.
Erlauben Sie einen ganz kleinen Ausflug, aber haben Sie keine Sorge. Herr Kollege Eschmann, Sie wollten ja vor vielen Jahren einmal den „General" sprechen hören. Ich möchte nur auf ganz wenige Argumente eingehen. Der von mir sehr geschätzte Kollege Erler sagte neulich in der zweiten Lesung, die kaiserliche Armee habe nur 600 000 Mann gehabt. Ich darf darauf nur mit einigen Stichworten antworten. Dieses Argument sticht doch gar nicht. Die Zahl kann man hier gar nicht vergleichen, weil wir eine größere Tiefe infolge der größeren Waffenwirkung haben. Wir haben viel mehr Mehrmannwaffen und Mehrmanngeräte als damals. Wir hatten damals keine Luftwaffe oder, wenn Sie so wollen, nicht den Krieg in der dreidimensionalen Aufteilung. Außerdem ist bei der außerordentlichen Technisierung und Motorisierung der Armee die technische Versorgung viel schwieriger geworden. Ich möchte das nur angedeutet haben.
Nun darf ich zu etwas anderem kommen. Es ist hier über die atlantische Strategie gesprochen worden. Sie ist auch wieder nicht für sich allein zu betrachten, und zwar deshalb, weil sie ein Mittel der Politik ist. Wir tun manchmal so - ich habe das heute so herausgehört -, als ob der Krieg mit Atom- und Wasserstoffwaffen von der NATO nicht nur unter allen Umständen beschlossen sei, sondern stattfinde. Das trifft ja nicht zu in dem Maße.
({19})
- Herr Kollege Eschmann droht. Ich weiß, was er mir droht: „Sie kennen den Beschluß nicht." Ich kenne den Beschluß. Deswegen sage ich, verehrter Herr Kollege Eschmann: gerade, wenn wir nicht wollen, daß der Raum zwischen Elbe und Rhein zum Vorfeld und Atomschlachtfeld wird, müssen wir alles tun, um jede Art auch von Kleinkrieg - das ist nun leider einmal ein Ausdruck geworden - auszuschalten.
({20})
Dieser Beschluß ist ein Mittel der Politik, wenn die Politiker sonst nicht weiterkommen sollten. Die Soldaten in der NATO bekommen ja ihre Anweisungen von den Politikern; das wollen wir nun einmal festhalten. Es kann allerdings auf der anderen Seite gar kein Zweifel bestehen - das sollten diejenigen wissen, die eine solche Lust verspüren; aber ich glaube, das weiß man auch weithin -, daß die Streitkräfte der NATO zu einem katastrophalen und tödlichen Gegenschlag mit diesen neuartigen Waffen antreten könnten.
({21})
Nun die Verringerung der russischen Armee um 1,2 Millionen Mann. Herr Dr. Mende sagte selbst, daß das Rüstungspotential damit nicht verändert wird. Es handelt sich ja nur um eine Veränderung des Menschenpotentials und der Reserven in der Sowjetunion. Es handelt sich also nur um einen Umbau der gesamten Rüstung. Die Rüstung an sich ist damit überhaupt nicht verändert worden.
Es ist auch nicht richtig, wenn gesagt wird, die 500 000 deutschen Soldaten würden einem Massenheer eingegliedert werden. Das wäre vielleicht in der napoleonischen Zeit oder in der Zeit des Krieges von 1870 so gewesen. Man darf doch „Stärke" nicht mit „Masse" gleichsetzen. Wir haben uns darüber im Verteidigungsausschuß unterhalten. Alle Damen und Herren dieses Ausschusses sind darüber informiert und können darüber berichten, daß diese neuen Formationen neu gegliedert werden. Das hat mit der als notwendig erkannten Zahl nichts zu tun.
Nun noch einiges zu dieser Zahl! Alle, die wir mitgearbeitet haben, ersehen aus dem bisherigen Aufbau der Mannschaft, der wirklich nicht mit sehr großer Eile vor sich gegangen ist, daß nicht morgen 500 000 Mann eingezogen werden. Wir alle im Hause haben der Änderung des Grundgesetzes gern zugestimmt, wonach jährlich mit dem Haushalt die Stärke der Streitkräfte und ihre Organisation bekanntgegeben werden muß. Wir haben es also durch die Haushaltsfestsetzung in der Hand, das Tempo des Aufbaus zu bestimmen und uns - hier im Bundestag - nach Beratung im Haushaltsausschuß und im Verteidigungsausschuß, falls er beteiligt ist, ausführliche Pläne vorlegen zu lassen, und zwar zahlenmäßig aufgegliederte und die Art der Zusammensetzung erkennbar machende. Da kann also von einer Überrumpelung oder so etwas gar keine Rede sein.
({22})
- Nun, ich meine, Sie machen doch alle Anstrengungen, einen neuen Bundestag so zu wählen, daß Sie darin etwas mehr Einfluß haben. Dann würden Sie zu dem kommen, was Sie wünschen.
Es ist gesagt worden, in England bestünden neue Pläne, eventuell sogar die allgemeine Wehrpflicht abzuschaffen. Auch in Amerika gäbe es solche Pläne, wurde bemerkt. Meine Damen und Herren, das sind nur Überlegungen. Wenn in deutschen Zeitungen der Streit zwischen den Wehrmachtteilen groß aufgemacht wird, so behaupte ich: solch ein Streit unter den Wehrmachtteilen besteht schon, solange es Soldaten gegeben hat, weil eben jeder Wehrmachtteil glaubt, er habe noch nicht genug. Das ist in der deutschen Armee, jedenfalls solange ich drin war, genau so gewesen, daß sich das Heer mit der Luftwaffe und der Marine gezankt hat und daß die Infanterie sich gegen die Panzerwaffe wandte, weil sie besser ausgestattet wäre, usw. Ich brauche mich darüber hier nicht weiter zu verbreiten. Die Auswirkungen dieser „Überlegungen" sind noch nicht erkennbar, und wir wollen heute nicht in ein strategisches Planspiel eintreten. Für mich bleibt das Ergebnis jedenfalls, daß die herkömmlichen Waffen nach wie vor bedeutungsvoll, wenn vielleicht auch nicht mehr allein entscheidend sind.
Nun ein Wort zum Kollegen Mende - ich weiß nicht, ob er hier ist - zu dem, was er heute über den General Guderian sagte. Lassen Sie es jemanden sagen, der als einer der ersten Mitarbeiter am Aufbau der Panzerwaffe vom Jahre 1933 an bei Guderian war: es war Guderians eigene, schöpferische Leistung, es waren seine Ideen. Ich sehe noch die Photographie von Liddell Hart bei ihm, die die Widmung trägt: „Meinem Lehrer!". Ich will damit gar nicht das Verdienst des Generals de Gaulle um den Aufbau der französischen motorisierten Armee schmälern; aber ich glaube, daß Guderian ihn mehr befruchtet hat in seinen Vorstellungen als umgekehrt. Das ist Guderians eigenes Werk. Das kann von keinem Soldaten bestritten werden. Das ändert nichts an der Auffassung, daß diese Ideen von den beweglichen Panzerkernen auch heute noch durchaus modern sind und wahrscheinlich noch für eine ganze Zeit modern bleiben werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
von Manteuffel ({0}) ({1}): Bitte sehr.
Herr Kollege von Manteuffel, gestatten Sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache, daß General Guderian noch zu Lebzeiten
({0})
mir persönlich erklärt hat, daß er die Anregung aus der Schrift des damaligen Majors de Gaulle gehabt hat.
von Manteuffel ({1}) ({2}): Ich habe zwölf Jahre mit ihm in engster Verbindung gestanden. Ich habe es nie von ihm gehört, aber ich zweifle nicht, daß Sie es so aufgefaßt haben.
Ich kann nach alledem nur sagen, daß wir unsere Anstrengungen danach auszurichten haben, welchen Wert wir den Soldaten des möglichen Gegners beimessen, und dafür gibt es nach meiner Auffassung gar keinen besseren Maßstab als den, den ich aufgezeigt habe.
({3})
Ich darf noch kurz die Frage beleuchten, ob man mit wesentlich weniger Menschen die gleiche oder sogar eine höhere militärische Wirksamkeit entfalten kann. Dieses Problem sollten wir, glaube ich, im Ausschuß für Verteidigung behandeln, genau so die Frage der Dienstzeit und die Probleme des Organisationsgesetzes. Ich möchte daher heute darauf verzichten, mich mit den vorgetragenen Argumenten auseinanderzusetzen. Ich habe das Empfinden, daß die Wurzel der gegenwärtigen Nervosität woanders zu suchen ist.
({4})
- Trotz Ihrer guten Nerven, verehrter Kollege Eschmann; es ist nämlich anders gegangen.
({5})
- Also gut, dann stehen wir etwa eins zu eins. Trotzdem habe ich den Eindruck, daß bei manchem die Wurzel der gegenwärtigen Nervosität in militärpolitischen Fragen gar nicht strategischer oder militärpolitischer, sondern eben politischer Art ist.
({6})
Da glauben nun manche Beobachter in der Welt zwölf Jahre nach dem letzten Krieg, der Umschwung zum Frieden sei jetzt eingetreten. Wir
({7})
würden dem so gerne aus vollstem Herzen zustimmen. Weil man wegen der atomaren Waffen nicht mehr glaube, daß es zu einem großen Konflikt kommen könne - so wird argumentiert -, müsse man die Entspannung suchen, indem man kleinere Konflikte ausräume, also beispielsweise einen Konflikt in Europa. Im Kern entspricht das durchaus einem Verlangen nach wirklicher Sicherheit. Aber die Gefahr ist dabei: wenn jeder Unbeteiligte glaubt, daß entweder die Atomwaffen oder die militärische Dienstleistung der anderen einen Wall errichten, so ist das psychologisch nach meiner Auffassung kaum geeignet, überhaupt Sicherheit zu bieten. Konkret gesprochen würde das politisch eine Wiedervereinigung mehr und mehr unmöglich machen; denn mit einer politischen Haltung dieser Art verschenkt man sowohl in der Abrüstungsfrage als auch in der Frage eines allgemeinen Sicherheitsabkommens einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands das vorweg, was man als Ziel politischer Verhandlungen erreichen will, nämlich die Sicherheit, die Abrüstung und die Wiedervereinigung.
Wir sind aus diesem Grunde auch für die allgemeine Wehrpflicht, damit wir diesen deutschen Verteidigungsbeitrag leisten können. Wir leben in der Auffassung, daß die Last und auch die Opfer, die damit verbunden sind, auf möglichst viele Schultern verteilt werden sollten; es ist eine Verpflichtung für alle, denen der Schutz der Freiheit und Sicherheit erst ihre eigene Freiheit und soziale Sicherheit ermöglicht.
({8})
)
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Erörterungen über das vorliegende Gesetz haben zwei Punkte gebracht, die ich vorweg ansprechen möchte. Einmal ist das, was ich bereits anläßlich der zweiten Lesung moniert habe, heute wieder zutage getreten: daß man sich allzusehr mit militärischen, strategischen, ja kriegsdienstlichen Dingen befaßt hat, statt hier bei der Vorlage zu bleiben, mit der wir die Wehrpflicht einführen wollen, was ja nicht gleichbedeutend damit ist, daß wir den Krieg vorbereiten wollen. Das muß hier noch einmal mit aller Eindeutigkeit festgestellt werden.
({0})
Zum zweiten muß es um die Argumente aller Parteien der Opposition schlecht bestellt sein, wenn sie heute den Schwerpunkt ihrer Abwehr gegen dieses Gesetz darauf verlegt haben, sich über mehr oder minder geschäftsordnungsmäßige Umstände zu beschweren.
({1})
Meine Fraktion bekennt sich nach wie vor zur Verteidigungspflicht aller Staatsbürger. Ich bekenne auch, daß sich die Regierung vielleicht leichter getan hätte, wenn sie, statt die allgemeine Wehrpflicht vorab einzuführen, erst einmal die allgemeine Verteidigungspflicht für den Staatsbürger in der Bundesrepublik festgestellt hätte.
Es ist auf der anderen Seite kein Wunder, daß wir heute in so harter Auseinandersetzung liegen; denn wir dürfen erstens nicht vergessen, daß unser Vaterland gespalten ist, und zweitens, daß es in den letzten Jahrzehnten wiederholt umerzogen worden ist, zuletzt durch die Alliierten. Dabei möchte ich auch sagen, daß es natürlich sehr bequem gewesen ist, wenn auch manchmal nicht schön, sich von den Alliierten Auflagen machen lassen zu müssen, daß wir aber andererseits, seit wir die Souveränität wiedererlangt haben, verpflichtet sind und den Mut dazu haben müssen, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.
({2})
Leider ist es auch unterblieben, die Öffentlichkeit in psychologischer Hinsicht besser auf das vorzubereiten, was wir hier tun wollen.
({3})
- Ich verbitte es mir, daß Sie mich mit Herrn Goebbels auf eine Stufe stellen! - So hat Herr Kollege Jaeger hier mit Recht gesagt, daß das Mißtrauen der jungen Generation im Wachsen begriffen sei und daß wir alle Schritte unternehmen müßten, um dieses unberechtigte Mißtrauen wieder zu zerstreuen.
Hier ist von seiten der Parteien der Opposition davon die Rede gewesen, daß wir viele gravierende Argumente mit einer Handbewegung hinweggewischt hätten. Ich pflege sonst nicht darauf hinzuweisen, ich erlaube es mir aber in diesem Fall ausnahmsweise: vom Kriege selbst gezeichnet und Vater von zwei Söhnen, kann ich Ihnen allen nur versichern, daß ich so wie alle übrigen Abgeordneten hier im Hause in den letzten Wochen und Monaten mit mir und meinem Gewissen schwer gerungen habe, ob wir das tun sollen, was wir hier heute tun müssen.
({4})
Ich möchte den sehen in diesem Hause, der zuerst den Stein aufhebt und ihn auf einen Kollegen wirft und ihm etwa vorhalten will, daß er sein Gewissen in dieser Frage nicht geprüft habe.
({5})
Weiter ist von der Opposition der Vorwurf erhoben worden, daß wir die Spaltung Deutschlands nicht genügend beachteten bzw. daß wir über sie hinweggingen. Auch diesen Vorwurf muß ich zurückweisen, zumal da er durch nichts erwiesen und erhärtet ist.
({6})
Was der Herr Kollege Erler heute vormittag hier mit großer Verve vorgetragen hat, sind letzten Endes auch Hypothesen, die nicht bewiesen sind.
({7})
Und noch eines. Es muß auch zu dieser Stunde noch einmal mit aller Deutlichkeit festgestellt werden, daß auch die sozialdemokratische Fraktion, getragen von einer großen Verantwortung, den Änderungen des Grundgesetzes zugestimmt hat,
({8})
so daß wir heute in den Stand versetzt sind, dieses Gesetz hier zu beschließen,
({9})
und niemand, meine Damen und Herren, darf in den Wahlkampf von 1957 entlassen werden, ohne die Verantwortung für das mitzutragen, was hier geschieht.
({10})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege Schneider, ist es Ihnen nicht bekannt, daß d i e Grundgesetzänderung, die dem Bund die Möglichkeit der Einführung der Wehrpflicht gibt, die also die Voraussetzung für den Erlaß dieses Gesetzes hier ist, im März 1954 von einer Mehrheit dieses Hauses gegen die sozialdemokratischen Stimmen beschlossen worden ist?
Herr Kollege Erler, es ist mir bekannt, daß Sie maßgeblich an den Grundgesetzänderungen mitgewirkt haben.
({0})
- Meine Herren, ich bitte, mich doch nicht zu unterbrechen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zusatzfrage?
Bitte, Herr Kollege Erler.
Herr Kollege Schneider, ist Ihnen nicht bekannt, daß es einen Unterschied gibt zwischen der Grundgesetzänderung über die Einführung der Wehrpflicht im Jahre 1954 und der Grundgesetzänderung dieses Jahres, die sich lediglich mit dem Standort jeder bewaffneten Macht in der Demokratie beschäftigt? Ist Ihnen dieser Unterschied bekannt oder nicht?
Dieser Unterschied ist mir bekannt.
Danke.
Aber ich stelle trotzdem fest, Herr Kollege Erler, daß Sie durch Ihre Mitarbeit an den Grundgesetzänderungen - aus Verantwortungsbewußtsein, das bescheinige ich Ihnen ausdrücklich - an diesen Dingen mitgewirkt haben.
({0})
Es ist ein sehr schlechter Stil, daß Sie den Redner nicht aussprechen lassen.
In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 16. April 1956 steht folgendes geschrieben - Herr Präsident, ich bitte um Erlaubnis -:
Erich Ollenhauer hat zwar mit Ernst erklärt, niemals dürfe die Wehrpflicht aus der Wahlkampfperspektive beraten werden. Immerhin hat aber schon ein sehr einflußreicher Bundestagsabgeordneter seiner Partei seine Hörer am Rundfunk erinnert, daß eine andere Koalition unter einem anderen Kanzler im neuen Bundestag die Wehrpflicht, wenn sie jetzt beschlossen werde, wieder abschaffen könne und es bei den Wählern liege, mit der Bildung einer solchen neuen Mehrheit die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
({1})
Der Appell an den Wähler ist erfolgt, und er wird beim Wähler und bei der Wählerin in der sehr vereinfachten Form ankommen, daß der Sohn nicht Soldat zu werden brauche, wenn es nach der Wahl einen sozialdemokratischen Bundeskanzler gebe.
({2})
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, einen weiteren kurzen Abschnitt aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 4. Juli verlesen zu dürfen, in dem es heißt:
Die Sozialdemokratische Partei hat niemals erklärt, daß eine andere Bundesregierung unter einem sozialdemokratischen Kanzler die Verträge mit dem Westen nicht anerkennen werde, die doch von der Partei so leidenschaftlich bekämpft werden. Sie hat stets erklärt, die Entscheidung des Parlaments anzuerkennen. Bei der Wehrpflicht jedoch hat sie die Revision einer Entscheidung des Parlaments angekündigt, wenn sie an die Macht komme, und man sollte diese Ankündigung ernst nehmen. Sie bedeutet, daß die letzte Entscheidung, ob es eine Wehrpflicht geben wird, nicht in dieser Woche, sondern im Wahlkampf von 1957 fallen wird.
({3})
- Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, was es bei dieser Feststellung zu klatschen gibt,
({4})
noch dazu, da Herr Kollege Erler heute vormittag selbst es gewesen ist, der hier erklärt hat, daß dieses Gesetz aller Voraussicht nach nicht Wirklichkeit werde, sondern daß die Wähler eine entsprechende Entscheidung im nächsten Jahre fällen würden.
({5})
- Gut, meine Damen und Herren, ich nehme zur Kenntnis, daß Sie dieses ernsteste Anliegen des Volkes mit in den Wahlkampf hineinziehen wollen.
({6})
Im übrigen muß ich denen widersprechen, die hier wiederholt erklärt haben, daß man sich nicht eingehend genug über diese Dinge habe unterhalten können. Ich erinnere Sie daran, daß wir seit Jahren und aber Jahren - damals nannte sich diese Konstruktion noch EVG - über die Wieder({7})
einführung der Bewaffnung verhandelt haben. Wenn damals das Parlament nicht den kardinalen Fehler gemacht hätte, eine politische Entscheidung einem Gericht zuzuschieben, dann ständen wir heute nicht hier, sondern hätten längst das, was wir schon lange brauchen.
({8})
Es ist selbstverständlich - ich möchte es für die Fraktion der Deutschen Partei auch noch einmal unterschreiben -, daß wir die Bündnisverträge einzuhalten gezwungen sind - mehr denn je; denn Deutschland ist in der Vergangenheit oftmals seinen Bündnisverpflichtungen nicht nachgekommen, und wir haben alle Veranlassung, den Kredit, den wir uns in den letzten Jahren mühselig im Ausland wieder erworben haben, unter allen Umständen zu bewahren.
({9})
- Herr Kollege Eschmann, Sie sind Ritterkreuzträger des letzten Krieges, ich bin schwerkriegsbeschädigt. Es ist schade, daß sich nicht einmal zwei Soldaten des letzten Krieges mehr verstehen.
({10})
Die Bündnisverträge sind auch nicht nur eine starre Formsache. Sie müssen sich stets, ich möchte sagen, täglich von neuem bestätigen. Täglich muß sich der Staat in sich selbst und muß er sich in den Verpflichtungen anderen Staaten gegenüber bestätigen.
Wenn der Kollege Erler weiter gesagt hat, daß für die sowjetisch besetzte Zone schwerwiegende Umstände eintreten könnten, so bin ich weit davon entfernt, eine solche Behauptung etwa mit leichter Hand von mir zu weisen. Auf der anderen Seite aber kann ich nur wiederholen, daß es nicht bewiesen ist und daß es vielleicht auch gar nicht gut ist, immer wieder auf diese Dinge hinzuweisen und damit den andern in die Hand zu spielen.
({11})
Was aber für die Zone todsicher eintritt, wenn dieses Gesetz Wirklichkeit wird, ist ein höheres Sicherheitsgefühl für die Menschen jenseits des Eisernen Vorhanges. Herr Kollege Erler, haben Sie denn vergessen, daß wir drüben seit Jahren eine bis an die Zähne bewaffnete Volkspolizei stehen haben? Haben Sie denn vergessen - oder warum erwähnen Sie es nicht -, daß wir drüben Zehntausende sogenannte Betriebskampfgruppen, die bis an die Zähne bewaffnet sind, stehen haben? Und haben Sie, meine Damen und Herren aller Fraktionen der Opposition, vergessen - und auch das muß einmal ausgesprochen werden -, daß dieser unser freiheitlich demokratischer Staat ja praktisch schon einer Unterwanderung anheimgefallen ist, die es allerhöchste Zeit werden läßt, daß wir etwas tun, um ihn zu sichern?
({12})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Darf ich die Ausführungen des Kollegen Schneider so auffassen, daß die allgemeine Wehrpflicht das geeignete Instrument ist, um der kommunistischen Unterwanderung im Innern entgegenzuwirken?
Herr Kollege Erler, das wird sich zeigen.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn der Kollege Erler außerdem gesagt hat, man solle nicht glauben, daß man die Sowjets etwa mit unseren Soldaten gegebenenfalls aufhalten könne, so ist auch das eine unbewiesene Behauptung. Ich glaube aber, daß wir, je mehr Soldaten und klassische Waffen wir gegebenenfalls zur Verfügung haben, um so mehr in der Lage sein werden, ein etwaiges Atomduell zwischen Ost und West auf unserem Rücken auszuschalten. Eins aber kann mit Bestimmtheit gesagt werden: Kein Deutscher kann verlangen, daß wir mit den Händen in den Hosentaschen dabeistehen, wenn wir etwa angegriffen werden sollten.
({1})
Der Herr Kollege Ollenhauer hat nach einer mir vorliegenden Meldung gegenüber einem Vertreter des New Yorker Magazins „Colliers" - Ausgabe vom 17. März 1951 - erklärt: „Die einzige Lösung des deutschen Verteidigungsproblems bietet eine auf Grund allgemeiner Wehrpflicht aufgestellte Armee, da Deutschland nicht mehr als drei Divisionen Freiwillige aufzubringen vermag".
({2})
Meine Damen und Herren, ich stimme mit dem Herrn Kollegen Erler darin überein, daß die Politiker den Krieg verhindern müssen und sollen. Ich glaube, wir sind uns so einig darüber, daß es banal wäre, hierüber noch ein Wort zu verlieren. Aber dazu, Herr Kollege Erler, ist es notwendig, daß auch das militärische Gleichgewicht vorhanden ist, da es sich mit ungleichen Partnern nur zum eigenen Nachteil verhandeln läßt.
({3})
Der Kollege Erler hat außerdem gesagt, es sei schlimm, daß sich in einem Volk zwei Armeen gegenüberstünden; es sei noch schlimmer, daß sie in zwei feindlichen Blöcken eingegliedert seien; es sei am schlimmsten, daß die Wehrpflichtarmee kommen müsse. - Ich sage dagegen: es ist schlimm, daß ein Teil des deutschen Volkes zur Bedrohung des anderen mißbraucht wird und daß der andere sich davor schützen muß; es ist noch schlimmer, daß dieser Teil in den Ostblock eingegliedert ist und im Dienste des Ostblocks zur Bedrohung des anderen Teiles gegen seinen eigenen ausdrücklichen Willen mißbraucht wird;
({4})
und es ist am allerschlimmsten, daß die Zone Zwangsmittel in der Hand hat, die weit über die Wehrpflicht hinausgehen.
({5})
Daraus kann es nur eine Konsequenz geben, nämlich die, daß wir dem ein adäquates Mittel gegenüberstellen müssen, um uns, unsere Frauen und
({6})
Kinder und unsere Freiheit gegebenenfalls zu sichern.
({7})
Außerdem mögen sich die Machthaber der Sowjetzone darüber im klaren sein - und wir sollten dazu entschlossen sein -, daß jede weitere Einschränkung der Freiheit unserer Schwestern und Brüder drüben automatisch nach sich ziehen muß, daß auch wir hier härter und gestählter werden und nicht locker lassen.
({8})
Das ist der Punkt, an dem sich die Geister scheiden.
({9})
- Das müssen Sie Henn Hitler erzählen, aber nicht mir, verehrter Herr Kollege!
({10})
Ich weiß nicht, ob es in der zweiten Lesung oder in einer der letzten Beratungen des Soldatengesetzes war, da hat Herr Kollege Erler auch einmal die Staatsmänner Syngman Rhee, Tschiang Kai-schek und Bao Dai erwähnt; ich glaube, Sie sind es gewesen. Hier haben Sie das eklatante Beispiel dafür, wohin die Länder geraten, wenn ihre Regierungen nicht eine klare und konsequente Politik führen und wenn die Bundesgenossen keine Lust mehr haben, mitzumachen.
({11})
Wir wollen jedenfalls durch die Konsequenz unserer Politik verhindern - auch das sage ich ganz offen -, daß etwa eines Tages eine Einigung auf den Status quo auf dem Rücken Deutschlands erfolgt. Das ist die größte Gefahr, in der wir zur Zeit stehen. Unseren Bundesgenossen wollen wir nicht durch eine schwankende Haltung eine Enttäuschung über uns selbst und damit die letzte und entscheidende Enttäuschung über Europa überhaupt bereiten.
({12})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege Erler!
Es tut mir leid. daß ich auf einen Punkt zurückgreifen muß. Sind Sie bereit, Herr Kollege Schneider, uns die Ausführungen, die Sie vom Kollegen Ollenhauer zitiert haben, zur Verfügung zu stellen?
Selbstverständlich!
Ich frage, weil Herr Kollege Ollenhauer mir soeben mitgeteilt hat - er hat Ihre Rede gehört -, daß er zu keiner Stunde so etwas Ähnliches erklärt habe.
Es steht Ihnen zur Verfügung. Hier, bitte!
Meine Freunde von der Deutschen Partei und ich I meinen, daß es notwendig ist, noch weiterhin viel Zeit und Geduld und auch Disziplin aufzubringen.
({0})
Je mehr wir davon aufbringen, desto größer wird der Erfolg für uns sein, und es kann nur zwei Konzessionen für uns geben, meine Damen und Herren,
({1})
nämlich eine freiheitliche Lösung der deutschen Frage und eine kontrollierte Abrüstung. Erst dann ist eine Entspannung in einem Sicherheitssystem möglich. Dies ist auch die kontinuierliche Politik, die meine Partei bisher verfolgt hat.
Es ist an vielen Beispielen der Weltgeschichte erst der letzten Jahrzehnte, ich könnte fast sagen der letzten zehn Jahre bewiesen, wohin es unter Umständen führt, wenn man schwach ist. Man verleitet seinen Nachbarn, sich etwas zu nehmen. Ich versage es mir nur aus Taktgründen, hier auf nähere Einzelheiten einzugehen. Wir reden genau wie alle anderen Fraktionen dieses Hauses einer Abrüstung das Wort. Aber wir sind uns im klaren darüber, daß eine solche Abrüstung erst stattfinden kann, wenn wir für solche Verhandlungen ein gleichberechtigter Partner sind. Und was es mit dem Koexistenzrummel auf sich hat, meine Damen und Herren, das haben die Ereignisse in Posen bewiesen, so wie sie es einstmals in Berlin bewiesen haben. Der Kollege Erler hat hier vorhin gesagt, Herr Chruschtschow habe einmal bemerkt: Uns bläst der Wind nicht ins Gesicht. Darauf kann ich nur sagen: Uns bläst er aber ins Gesicht, und daraus ziehen wir die Konsequenzen!
({2})
- Das wird die Zukunft beweisen, wer die richtigen Konsequenzen zieht.
({3})
- Herr Kollege, nun kommen Sie doch bitte mal herauf und halten Sie mal eine zusammenhängende Rede! Es ist ja furchtbar, was Sie dauernd für Zwischenrufe machen!
({4})
Meine Freunde bedauern es, daß hier der Eindruck erweckt worden ist, als ob sich die evangelische Synode einmütig gegen die Wehrpflicht ausgesprochen habe. Ich will damit gar nicht sagen, daß das Vorbringen von Bedenken der Synode wie überhaupt jeder Organisation, jeder Vereinigung und jedes einzelnen Staatsbürgers etwa nicht erlaubt sei. Aber es muß um der Wahrheit willen festgestellt werden - und die Zwischenfrage eines Kollegen aus der CDU/CSU an den Redner der SPD heute morgen hat es bewiesen -, daß zwar aus Gründen der Kollegialität den Herrn der Synode die Vorsprache beim Herrn Bundestagspräsidenten quasi gestattet wurde, daß sie aber nicht einen einmütigen Beschluß der Synode zu der hier zu behandelnden Frage mitgebracht haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Eschmann!
Herr Schneider, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es, wenn man in einer solchen Rede die Tatsache der Spaltung Deutschlands und die Verhältnisse, wie wir sie jetzt haben, aufzeigt und kritisiert, für ehemalige Soldaten - ich sage das, weil Sie uns beide als solche bezeichnet haben - gut wäre, auch einmal von der Schuld auf der eigenen Seite zu sprechen, wenn man den Hitlerschen verbrecherischen Krieg, vielleicht auch ohne besseres Wissen, mitgemacht hat?
({0})
Meine Damen und Herren, ich stelle hier ausdrücklich fest, daß ich den letzten Krieg als Angehöriger dieses Staates, im Eide befindlich, mitgemacht habe, genau wie Sie, und ich stelle fest, Herr Kollege Eschmann - es tut mir leid, daß ich das auf Grund Ihrer Frage feststellen muß -, daß Sie ja auch von diesem verruchten Staat das Offizierspatent entgegengenommen haben.
({0})
- Herr Kollege Eschmann, das ist von mir niemals bestritten worden, und Sie brauchen mir hier nicht solche Gewissensfragen zu stellen. Ich habe wie Sie draußen an der Front gestanden und meine Pflicht getan.
({1})
- Ich bitte, mich jetzt nicht mehr zu unterbrechen.
Meine Fraktion steht jedenfalls, was das vorhin bezüglich der Synode Gesagte angeht, auf dem Standpunkt, daß geistliche Stellungnahmen gerade in einer so schwerwiegenden Frage nicht für politische Zwecke mißbraucht werden dürfen.
({2})
Heute vormittag schon ist von einem Sprecher sehr ausführlich über das Problem der Kriegsverurteilten, der Waffen-SS, der 131er usw. gesprochen worden. Ich versage es mir bewußt, all diese Dinge hier noch einmal aufzuzählen, womit ich Ihnen und der ganzen Öffentlichkeit trotzdem gesagt haben möchte, daß ich von diesem Pult keine Rede in Angelegenheiten der Verteidigung halten werde, ohne immer wieder auf diese Probleme hinzuweisen und Sie alle herzlich zu bitten, an der Lösung dieser Probleme mitzuwirken.
Es ist nicht berechtigt, daß man - wie es schon bei der Beratung des Soldatengesetzes zum Vorschein gekommen ist - dem Soldaten nur mit Kontrollen, die geeignet und auch notwendig sein mögen, eventuell mit einem gewissen Mißtrauen gegenübertritt. Wir haben hier heute früh in der ersten Lesung das Gesetz über den Wehrbeauftragten dem Verteidigungsausschuß überwiesen. Meine Freunde sind der Auffassung, daß es nun, nachdem jeder Soldat das unmittelbare Beschwerderecht beim Petitionsausschuß dieses Parlaments, bei jedem einzelnen Abgeordneten, beim Verteidigungsausschuß des Parlaments und in Zukunft auch beim Wehrbeauftragten und bei seinem Vorgesetzen hat, mit diesen Dingen sein Bewenden haben sollte.
Es ist hier von den Rednern verschiedener Parteien moniert worden, daß die Dienstzeit in dem vorliegenden Gesetz ausgeklammert worden sei.
Die betreffenden Sprecher - nämlich der sozialdemokratischen Fraktion und der Freien Demokratischen Partei - haben sich selbst mit der Erwähnung dieser Dinge keinen guten Dienst erwiesen. Ich bin nämlich der Überzeugung, daß durch die Ausklammerung der Dienstzeit nicht nur eine vernünftige sachliche und ausgiebige Diskussion möglich sein wird, wie es sich gehört, sondern daß darüber hinaus für das Verteidigungsministerium die Möglichkeit gegeben ist, eine möglichst moderne Konstruktion der künftigen Streitkräfte zu finden.
Ich versage es mir dabei ganz bewußt - weil es meiner Ansicht nach nicht zu diesem Thema unmittelbar gehört -, hier näher auf strategische oder taktische Dinge einzugehen. Immerhin habe ich mit Interesse vermerkt, daß Herr Kollege Jaeger vorgestern hier gesagt hat, daß man gegebenenfalls im Rahmen der Abrüstung auch bereit sei, eine Armee von nur 200- oder vielleicht 300 000 Mann zu akzeptieren. Ich kann das für meine Freunde nur unterstreichen, wobei ich aber ausdrücklich betonen möchte, daß wir grundsätzlich an dem, was jetzt erst einmal zu tun ist, nicht rütteln wollen.
Mögen aber die internationalen Erörterungen über die Abrüstung, mögen die Erörterungen über die Konstruktion unserer künftigen Streitkräfte in unserem eigenen Land dazu beitragen, daß auch im Amt Blank Tauwetter kommt und daß man dort manchen Dingen gegenüber etwas aufgeschlossener wird. Ich bitte mir das nicht zu verübeln, Herr Minister. Ich stelle im Gegenteil mit Freude fest, daß manche der Gedanken, die in den letzten Monaten ursprünglich als ketzerisch verschrieen waren, nun nach und nach doch schon Anklang zu finden beginnen.
Ich bin am Schluß. Ich betone noch einmal, daß die Fraktion der Deutschen Partei und auch ich uns eingehendst politisch und gewissensmäßig geprüft haben. Wir sind zu dem Schlusse gekommen, uns im Rahmen der Beschlüsse des Direktoriums und der Fraktion für die Verteidigungspflicht aller deutschen Staatsbürger auszusprechen. Wir werden diesem Gesetz unser Placet geben.
Ich möchte mit folgendem schließen: Der Herr Bundeskanzler hat heute vormittag von diesem Platz auf die Äußerung des Kollegen Erler, glaube ich, daß der Kalte Krieg im Abflauen bzw. gar nicht mehr vorhanden sei, erwidert, daß wir uns im Gegenteil in der erregendsten Phase des Kalten Krieges befänden. Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, hier die „Baseler Nachrichten" vom 26. Mai zu zitieren.
({3})
- Warten Sie ab, Herr Wehner, das wird auch für Sie sehr interessant sein.
({4})
In einer Betrachtung zur Reise der französischen Minister nach Moskau . . . zitiert der Botschafter André François-Poncet Worte, die Dimitri Manuilsky, einstiger intimer Mitarbeiter Lenins, langjähriger Chef der „Komintern" und späterer Ministerpräsident der ukraininischen Sowjetrepublik, im Jahre 1931 an der Moskauer Schule für politische Kriegsführung zum besten gab.
Wir möchten dieses Zitat unseren Lesern nicht
vorenthalten. Denn die heutige Situation paßt
({5})
ausgezeichnet in den Gedankengang Manuilskys. Dieser führte damals aus:
- Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre wirklich gespannte Aufmerksamkeit „Der Krieg bis zum äußersten zwischen Kommunismus und Kapitalismus ist unvermeidlich. Heute sind wir natürlich nicht stark genug, um anzugreifen. Unsere Stunde aber wird in 20 oder 30 Jahren kommen. Um zu siegen, bedürfen wir eines Elementes der Überraschung. Die Bourgeoisie muß eingeschläfert werden. Wir werden deshalb damit beginnen, die spektakulärste Friedensbewegung auszulösen, die je existiert hat.
({6})
Es wird erregende Vorschläge und ungewöhnliche Zugeständnisse geben.
({7})
Die kapitalistischen Länder werden, einfältig und dekadent, mit Freuden an ihrer eigenen Zerstörung mitarbeiten. Sie werden sich auf die neue Gelegenheit zur Freundschaft stürzen. Sobald ihre Wachsamkeit nachläßt, werden wir sie mit geballter Faust zerschmettern."
Das aber wird nie sein; darum ja zur allgemeinen Wehrpflicht!
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Cillien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht, mich in die Reihe der Wehrexperten einzufügen. Ich habe aber auch nicht die Absicht, parlamentarische Belehrungen zu erteilen, obwohl ich seit dem ersten Tage meiner parlamentarischen Arbeit nicht davon überzeugt bin, daß alle parlamentarischen Formen geeignet und zweckmäßig sind, sondern manches Unzweckmäßige und Unbefriedigende einfach mitgeschleppt wird. Die vorgestrige Diskussion hat mich darin nur bestärkt. Ich habe es vom ersten Tage an nicht verstanden, daß unmittelbar nach den Ausführungen der zweiten Lesung Abstimmungen vorgenommen werden. Denn die zweite Lesung ist doch die Gelegenheit, wo man zum ersten Male über die oft monatelangen Beratungen der Ausschüsse authentisch unterrichtet wird. Ich erkläre für meine Person, daß ich dabei durchaus bereit bin, auch von der Opposition gewichtige Gründe entgegenzunehmen, sie noch einmal zu durchdenken und mit meinen Freunden zu besprechen. Es wäre mir sehr viel lieber, wenn dann die Abstimmung an einem nächsten Tage stattfinden würde.
Ich habe die Absicht, nur zu drei Punkten zu sprechen, die unter das Gesamtthema „Kirche und Parlament" gestellt werden können. Ganz gegen meinen Wunsch ist in diesen Tagen mehrfach die Stellungnahme von Gremien der evangelischen Kirche zitiert worden, und zwar durchaus nicht immer in zutreffender Weise. Ich habe nicht die Absicht, meine persönliche Meinung dazu zu sagen,
({0})
sondern ich habe mir soeben schon von dem Herrn Präsidenten die Genehmigung geben lassen, authentisch aus Schriftstücken zu zitieren.
Es handelt sich zunächst um den Besuch der Synodalen am vergangenen Montag. Wie falsch da Berichterstattungen sein können, mögen Sie aus folgendem ersehen. In einer Zeitung aus einer Großstadt der Bundesrepublik wurde gemeldet, daß bei dem Besuch der Synodalen beim Herrn Bundestagspräsidenten auch Sie, Herr Vizepräsident, und mein Kollege Professor Böhm beteiligt gewesen seien. Kein Wort davon ist wahr. Herr Präsident Gerstenmaier hat die Herren empfangen. Er hat darüber eine Aufzeichnung gemacht, die er dem Verteidigungsausschuß und dem Petitionsausschuß zugeleitet hat, ebenso den Fraktionen. Ich begehe also keine Indiskretion, wenn ich vorlese, wie er den Verlauf dieser Unterredung mit Zustimmung aller fünf Herren schilderte:
Bischof D. Krummacher verlas
- ich bitte zu beachten: er verlas, so genau kam es ihm auf die Formulierung an! als Sprecher der Delegation einen Beschluß der außerordentlichen Tagung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 29. Juni 1956. Nach diesem Beschluß hat die Synode mit Zustimmung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland die Delegation unter anderem beauftragt, die Bundesregierung und den Bundestag der Bundesrepublik Deutschland von den Gesichtspunkten und Besorgnissen in Kenntnis zu setzen, die von Synodalen
- kein Wort, wie groß die Zahl dieser Synodalen gewesen ist über die Auswirkungen einer Wehrpflicht geäußert worden sind. Der Sprecher erläuterte diesen Beschluß unter besonderer Hervorhebung des Auftrags der Kirche gegenüber den ihr anvertrauten Menschen. Er führte dabei aus, daß sich die Delegation bei diesem Schritt durchaus der Grenzen bewußt sei, die der Kirche im Blick auf die dem Staat und den politisch tätigen Christen obliegende Verantwortung gezogen seien.
Bei der Besprechung mit den Vertretern der einzelnen Fraktionen, die dann stattfand und bei der alle Fraktionen mit Ausnahme der FDP vertreten waren, haben wir kaum mehr gehört als das, was in dieser Niederschrift festgelegt worden ist.
({1})
Alle Bemühungen des Herrn Kollegen Wehner, die Delegation dazu zu veranlassen, in den Fraktionen zu sprechen, sind einmütig abgelehnt worden,
({2})
weil die Delegation nur beauftragt war, eine Botschaft auszurichten, nicht aber sich in eine Diskussion einzulassen.
Auch bei der zweiten Besprechung, bei der im übrigen die Opposition gefehlt hat, hat sich nichts Weiteres zugetragen, was etwa von besonderer Bedeutung gewesen wäre. Wohl aber ist mit aller Deutlichkeit gesagt worden, daß die Synodalen nur den Auftrag hatten, dieses mitzuteilen,
({3})
und daß sie in keiner Weise in die Entscheidung eingreifen wollten,
({4})
({5})
daß sie auch nicht dazu da seien, auch nur einen Rat zu erteilen,
({6})
geschweige denn, uns die Verantwortung abzunehmen.
({7})
Soviel über das, was sich da zugetragen hat. - Ich glaube, Herr Kollege Wehner, die Bemerkung, die Sie eben gemacht haben, war nicht passend. Wenn ich hier einen sachlichen Bericht gebe, dann ist dazu nichts weiter zu bemerken, da ich mich durchaus an die Urrterlagen gehalten habe.
Ich komme zu dem zweiten Fall, der heute morgen auch wieder angesprochen wurde. Es wurde behauptet, daß auch eine Nachricht im Bulletin von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei und in ihr falsche Zahlen angegeben worden seien. Im Pressedienst der Sozialdemokratischen Partei vom 2. Juli 1956 wird behauptet, es stimme - nun zitiere ich wörtlich -:
daß eine klare Mehrheit dieses höchsten evangelischen Kirchenparlaments sich denn auch gegen die Wehrpflicht ausgesprochen habe.
Der Evangelische Pressedienst hat daraufhin, ermächtigt durch den Präses der Synode, folgende Erklärung veröffentlicht:
Zu der Meldung des SPD-Pressedienstes, daß sich eine klare Mehrheit der Synode gegen die Wehrpflicht ausgesprochen habe, teilt der Präses der Synode mit, die Synode der EKD habe auf ihrer Berliner Tagung zur Wehrpflicht lediglich den alsbald der Presse mitgeteilten Beschluß gefaßt, eine Kommission zu beauftragen, Bundesregierung und Bundestag von den Gesichtspunkten und Besorgnissen in Kenntnis zu setzen, die von Synodalen über die Auswirkung einer Wehrpflicht geäußert worden sind.
Dem Präsidium der Synode ist nichts davon bekannt, daß „eine klare Mehrheit" der Synodalen sich gegen die Wehrpflicht ausgesprochen habe.
({8})
Der Präses der Synode hat erst nach dem Schluß der Tagung von einem Pressevertreter gehört, daß Unterschriften von Synodalen zu einer Erklärung über die Wehrpflicht gesammelt worden wären. Er kennt weder den Inhalt dieser Erklärung noch die Zahl oder die Namen der Synodalen, die sie unterschrieben haben.
({9})
Die Zahlen, die im Bulletin veröffentlicht wurden, sind im Moment die zuverlässigsten gewesen. Die Kirchenkanzlei in Hannover als oberste Behörde hat bis heute morgen über die Zahl der Unterschriften keine anderen Informationen gehabt als die im Bulletin vom 5. Juli veröffentlichten.
({10})
Seit heute mittag sind andere Zahlen bekanntgeworden, was gar kein Wunder ist nach dem, was ich gesagt habe. Es ist eine private Unterschriftensammlung gewesen,
({11})
über die keine protokollarischen Feststellungen gemacht worden sind. Im übrigen aber - das ist bedeutsam und gefällt mir besonders - haben führende Männer, die diese Unterschriften geleistet haben, erklärt, sie wären auf keinen Fall damit einverstanden, daß davon ein außersynodaler Gebrauch gemacht würde.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich bitte, mich bis zum Ende vortragen zu lassen.
({0})
Nun ein dritter Fall von heute morgen, der sicher das allgemeine Interesse erregt hat. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" stand: „Auch Bischof Dibelius gegen Wehrpflicht". Auch hierzu keine persönliche Stellungnahme, sondern folgende Veröffentlichung des Evangelischen Pressedienstes, eine offiziell verbreitete Meldung:
Bischof Dibelius, der Ratsvorsitzende der EKD, hat den Bevöllmächtigten in Bonn, Prälat D. Kunst, ermächtigt, zu den Pressemeldungen, wonach auch Bischof Dibelius gegen die Wehrpflicht sei, folgende Erklärung abzugeben:
Der Ratsvorsitzende hat
- mit dem, was im übrigen in einer ostzonalen Zeitung veröffentlicht worden ist nichts anderes gemeint, als eine Unterstützung des Antrags auf Entsendung einer Delegation nach Bonn und Pankow. Er hat sich mit Entschiedenheit gegen jedes Eingreifen kirchlicher Instanzen in die Verantwortung der Parlamente ausgesprochen.
({1})
- Das ist nun wirklich mal ein Punkt, in dem ich mit Ihnen vollkommen übereinstimme. Die Pressenachrichten, daß er sich grundsätzlich gegen die allgemeine Wehrpflicht erklärt habe, sind objektiv unrichtig.
({2})
Meine Damen und Herren, nur ein kurzes Schlußwort. Ich habe neulich bei der Erörterung über das Konkordat ganz klar gesagt, wie die Stellungnahme der CDU ist, daß wir keine Kirchenpartei sind, keine Weisungen von den Kirchen entgegennehmen, in den Kirchen aber gern unsere geistige Heimat sehen, daß wir immer bereit sind, uns von ihnen beraten zu lassen und dann eine gewissensmäßige Entscheidung zu treffen. Bei diesem Standpunkt bleibe ich. Ich glaube, es ist in jeder Weise ungut, wenn es üblich wird, Äußerungen kirchlicher Instanzen oder kirchlicher Autoritäten in politische Entscheidungen hineinzuziehen.
({3})
({4})
Ich hätte nicht damit begonnen, von diesen Dingen zu sprechen,
({5})
wenn sie nicht zum vierten Male von dieser Stelle aus angesprochen worden wären.
Deshalb nur diese klare Feststellung, die gültig ist.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Dinge beim Empfang der Delegation selbst miterlebt hat, kann nur mit einiger Erschütterung und tiefer innerer Erregung das hören, was Sie, Herr Cillien, hier vorgetragen haben.
({0})
- Lassen Sie mich doch ausreden! Ich werde es Ihnen ganz genau sagen. Zunächst glaube ich, Herr Cillien, Mitteilungen in der Presse damit abzutun, daß das eine oder das andere in der Meldung nicht gestimmt habe, ist doch wohl so billig, daß man das eigentlich in einer so ernsten- Sache nicht tun sollte.
({1})
Sie wissen genau, Herr Cillien und auch die anderen Teilnehmer an der Besprechung, daß wir hier nicht sagen können, was in der Besprechung gesagt worden ist. Aber wenn Sie gesagt haben, daß die Teilnehmer an dem Essen mittags bei dem Präsidenten dieses Hauses kaum mehr gehört hätten, als in diesem Schreiben festgelegt worden sei, dann, muß ich doch sagen, sind Sie entweder nicht genau unterrichtet worden, oder aber Sie legen Wert darauf, daß hier nun nicht mehr gesagt wird. Ich bedauere das außerordentlich. Meine Damen und Herren, verlassen Sie sich doch bitte nicht so darauf, daß uns hier in einem gewissen Maße der Mund gebunden ist, daß wir das nicht sagen können! Aber dann sagen Sie es doch bitte nicht in dieser Weise von dieser Stelle!
({2})
Herr Cillien, Sie haben weiter gesagt, der Herr Abgeordnete Wehner habe sich in außerordentlich starkem Maße bemüht - ({3})
- Verzeihung, ich hatte Wehner verstanden. Nun, wenn Sie es so sagen, hätten Sie auch meinen Namen nennen müssen; denn auch ich habe mich bemüht. Aber wenn Sie sagen, daß man das einmütig abgelehnt habe, dann sind Sie auch wieder nicht genau unterrichtet.
({4})
- Nun, lassen Sie mich ausreden; ich sage Ihnen das genau. Diese Delegation ist hierhergekommen mit der Absicht, in der Fraktion der CDU/CSU und in der Fraktion der SPD zu sprechen.
({5})
Darauf haben die anderen Fraktionen gesagt, dann
müsse diese Delegation natürlich der Parität wegen und des besonderen Interesses wegen auch vor
den anderen Fraktionen ihren Auftrag darlegen.
({6})
- Ich spreche ja gar nicht dagegen, Frau Kalinke. - Darauf ist uns gesagt worden: Das ist einfach zeitlich nicht zu machen; unsere Zeit ist gebunden. - Ja, Herr Rasner, Sie können mit dem Kopf schütteln! Sie wissen doch nicht, wie die Dinge gewesen sind. Aber ich weiß es, weil ich dabeigewesen bin.
({7})
Meine Damen und Herren, Herr Cillien hat sich weiter auf die Formel zurückgezogen: die amtliche Verlautbarung der Synode oder des Rates der Evangelischen Kirche. Ich möchte ihn darauf hin-hinweisen, daß nach einer Mitteilung in der heutigen Nummer der „Frankfurter Allgemeinen" der Berliner Synodale Professor Vogel und andere Teilnehmer am Donnerstag mitgeteilt haben, daß 62 Synodalen, 10 oder 12 Mitglieder der Kirchenkonferenz und zwei Angehörige des Rates unterschrieben hätten. Dabei hätten von 120 Mitgliedern der Synode nur 105 befragt werden können. Herr Cillien, gegenüber einem solchen Zeugnis eines Synodalen können Sie sich doch nicht darauf zurückziehen, daß hier eine amtliche Verlautbarung der Synode oder des Rates der Evangelischen Kirche nicht vorliegt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dem Zusammenhang nur noch ein letztes Wort sagen. Auch hier - und das wissen wir ja alle in diesem Hause - kann nicht das gesagt werden, was eigentlich gesagt werden müßte. Aber ich möchte an das anknüpfen, was ich einem Mitgliede dieses Hauses vor einigen Abenden gesagt habe. Ich habe darauf hingewiesen, daß gerade die evangelischen Abgeordneten dieses Hauses in dieser Frage eine besondere Verantwortung haben; denn sie wissen doch genau, was es bedeutet, wenn die Teilung Deutschlands vertieft wird und wenn die Zonengrenze zur Staatsgrenze wird. Ich möchte diesen eindringlichen Appell von dieser Stelle aus noch einmal an Sie richten. Sie wissen genau, daß wir im Augenblick nicht sagen können, was dazu gesagt werden müßte. Aber ich fürchte, wir werden demnächst gezwungen sein, noch einmal an die Warnungen zu erinnern, die wir hier ausgesprochen haben, wenn nämlich die Dinge eintreten, die zu einem großen Verhängnis für die Evangelische Kirche in der Zone drüben werden können.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Cillien.
Meine Damen und Herren! Ich habe lediglich Ausführungen gemacht, die ich dokumentarisch belegen konnte. Ich habe mich mit Absicht völlig frei gehalten von eigenen Beurteilungen. Ich habe keine Veranlassung, an dem, was ich gesagt habe, irgend etwas zu ändern oder zu korrigieren. Zu den Stimmenzahlen habe ich ausdrücklich erklärt, daß sich auch andere Zahlen ergeben können, da es eine private Unterschriftensammlung gewesen ist. Deswegen kann Herr Lizentiat Vogel auch durchaus eine andere Meinung vertreten. Ich habe mich lediglich an offizielle Äußerungen des Präses, des Bischofs Dibelius und des Evangelischen Pressedienstes gehalten. Es war gerade mein Anliegen, endlich dafür zu sorgen, daß
({0})
Diskussionen über die Synode und Äußerungen von Synodalen hier aufhören. Ich selbst möchte keinen weiteren Beitrag dazu leisten.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Cillien hat im Zusammenhang mit einer Abordnung, über die hier soviel gesprochen worden ist, meinen Namen genannt.
({0})
Ich darf wohl feststellen, was ich dazu, als ich das hörte, feststellen zu müssen glaubte: ich habe damit nichts zu tun.
In diesem Zusammenhang ist von der Stellung des Herrn Bischofs Dibelius die Rede gewesen. Ich muß Ihnen sagen, daß ich am Dienstag morgen, dem letzten Tag einer sich über einige Tage erstreckenden Sitzung des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen in Berlin, auf Wunsch des Herrn Bischofs eine Unterredung mit ihm hatte, in der er mir - damit ich es den Ausschußmitgliedern mitteile - sagen wollte, welche Beweggründe zur Entsendung einer Abordnung geführt haben. Er hat mir bei dieser Gelegenheit auch seinen persönlichen Standpunkt, und zwar im Zusammenhang mit dem Briefwechsel und Wortwechsel mit amtlichen Stellen, dargelegt. Ich will und kann darüber im einzelnen nichts sagen.
({1})
- Sagen Sie das nicht so, meine Herren. Sie haben diese Sachen hier aufgebracht.
({2})
- Ich habe völlig loyal
({3})
- ja, da werden Sie plötzlich nervös - ({4})
den Mitgliedern des Ausschusses in Berlin davon Kenntnis gegeben. Ich muß Ihnen eines hier sagen. Sie kommen in eine völlig falsche Sphäre und auf eine völlig falsche Bahn, wenn Sie über Zahlen und Mehrheiten und Prozente zu reden anfangen. Das Gewissen läßt sich nicht nach Prozenten und Mehrheiten abwiegen.
({5})
In diesem Zusammenhang ist nur eines zu sagen, ein Wort, das ich lange nicht vergessen werde - Sie mögen dazu lächeln, Herr Bausch, weil Sie anderer Auffassung darüber sind -,
({6})
nämlich das Wort, das ich nur wiedergebe und von dem ich nicht loskomme, weil auch dafür uns niemand die Verantwortung abnimmt: daß nämlich in der Zone - so wurde gesagt - fast alle gegen die Einführung der Wehrpflicht hier sind.
({7})
- Diesen „Unsinn" hat mir der Herr Bischof
gesagt, nur, um mir zu erklären, wie die Lage ist.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mellies, wir alle stehen in den Fragen, die wir heute beraten, vor einer der schwersten Entscheidungen, die wir je in diesem Hause zu treffen hatten, und zwar in jeder Frage, in der Frage der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die mit unserer gesamten Politik, vor allen Dingen mit dem, was wir außenpolitisch zu tun haben, unlöslich verschlungen und verbunden ist, als auch in der Frage der Wiedervereinigung, ganz gleich, ob wir evangelische oder katholische Abgeordnete oder Abgeordnete anderer Gesinnung in diesem Hause sind.
({0})
Wenn die Entscheidung schwer ist, haben wir die Pflicht, sie uns auch schwer zu machen. Aber nicht nur dies! War haben dann auch die Pflicht, uns die Beweisführung nicht allzu leicht zu machen.
Es gibt für beide Standpunkte, die in diesem Hause vertreten werden, Gründe, die man hoffentlich gegenseitig respektiert. Aber einiges, was heute hier gesagt worden ist, zwingt mich, dazu Stellung zu nehmen, weil es nicht echte Argumente, sondern Scheinargumente gewesen sind. Ich glaube, wir haben bei einer so wichtigen Entscheidung wie dieser die Pflicht, auf beiden Seiten so zu sprechen, daß wir uns ganz ernst nehmen können.
Mein Kollege Berendsen hat in einer sorgfältig ausgearbeiteten Rede darzulegen versucht, warum wir der Meinung sind, daß wir die allgemeine Wehrpflicht einführen müssen. Ich habe bedauert, daß die Opposition in ihrer Kritik auf die entscheidenden Argumente meines Kollegen Berendsen nicht eingegangen ist.
({1})
- Ich habe sehr genau zugehört und verstehe zuzuhören. Ich habe insbesondere genau zugehört,
was der Kollege Erler zu diesen Dingen gesagt hat.
Meine Damen und Herren, auch wir von der Christlich-Demokratischen Union könnten es uns leicht machen. Es ist nach allem, was geschah, keine angenehme Sache, sich für die allgemeine Wehrpflicht einzusetzen. Es ist noch weniger angenehm, dies zu einer Zeit zu tun, in der die Wahlen des Jahres 1957 bereits ihre Schatten vorauswerfen. Ich sagte, wir könnten es uns leicht machen: wir könnten die Entscheidung verschieben, bloß in dem Gedanken daran, daß wir damit die Stimmen aller jener einfangen könnten, denen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in diesem Lande unangenehm ist. Wir werden dies nicht tun, sondern wir werden die Entscheidung treffen, die wir im Interesse unseres Volkes, seiner Freiheit und seiner Unabhängigkeit für notwendig halten.
Der Herr Kollege Er 1 e r hat uns den Vorwurf gemacht, daß wir eine Politik betrieben, die noch auf den Grundlagen des Jahres 1950 beruhe, inzwischen habe sich die Welt geändert, und wir
({2})
gingen blind an diesen Veränderungen vorüber. Ich muß auf diesen Vorwurf, den wir ja schon oft in diesem Hause gehört haben, noch einmal ganz kurz eingehen.
Hat sich denn wirklich in dieser Welt seit dem Jahre 1950 so viel gewandelt, daß wir von unserer politischen Konzeption abgehen müßten? Ich habe schon in der außenpolitischen Debatte dazu das Nötige gesagt und darf daran erinnern, daß die verspätete Reaktion der westlichen Welt auf die Expansionspolitik Stalins es nicht mehr verhindern konnte, daß eine ganze Zahl unserer Nachbarländer unter kommunistische Sklaverei gerieten. Soll ich daran erinnern, daß wir die Freiheit Berlins, die uns so teuer ist, dem Eingriff der westlichen Welt verdanken?
({3})
Herr Kollege Heiland und andere haben uns in dieser Diskussion durch Zwischenrufe daran erinnert, daß nicht die Russen, sondern Hitler 1939 den Krieg begonnen hat. Das ist wahr, und wir vergessen es nicht. Das bedeutet aber nicht, meine verehrten Damen und Herren von der Opposition, daß wir bei unserer heutigen Entscheidung die Realitäten übersehen, die nun einmal seit dem Jahre 1940 und insbesondere seit 1945 vor allem durch Stalin in Europa geschaffen worden sind.
({4})
So sehr wir Hitlers Überfall verurteilen, so wenig würde es uns nützen, nunmehr die Augen davor zu verschließen, daß seit 1945 Rußland die zweitgrößte Macht der Welt geworden ist, die, zudem mit einer aggressiven politischen Ideologie ausgestattet, bewiesen hat, daß sie 1945 nicht dem Glauben des Westens verfiel, es sei nunmehr eine ewige Epoche des Friedens angebrochen. Erst als die westliche Gegenreaktion erfolgte, kam die sowjetrussische Expansion zum Stillstand.
Nun wird gesagt: Die neue sowjetrussische Politik, die von Stalins Methoden abrücke, sollte uns veranlassen, unsere eigene Konzeption zu überprüfen und zu korrigieren. Meine Damen und Herren, ich habe es in der außenpolitischen Debatte gesagt und wiederhole es: ich denke nicht daran, die Augen vor hoffnungsvollen Vorgängen in Sowjetrußland zu verschließen. Es ware töricht, ganz und gar auf dem Standpunkt zu verharren, in der Sowjetunion könnte sich nichts ereignen, was uns hoffen ließe, daß es eines Tages in dieser Welt zu einer wirklichen Entspannung kommen wird.
Die Frage aber ist, ob der Augenblick schon gekommen ist, wo wir aus der Verantwortung für das Schicksal unseres Volkes sagen dürften: wir dürfen in unserer Wachsamkeit nachlassen und dürfen das mühselige Werk der Verteidigung, das der Westen in den vergangenen Jahren aufzubauen versucht hat und das noch lange nicht zu Ende geführt worden ist, aufgeben.
Ich habe in der außenpolitischen Debatte darauf hingewiesen, daß - jawohl, Herr Kollege Mende - vieles im Fluß ist. Aber wohin geht die Fahrt? Wer von uns vermag das zu sagen? Vermag nur einer zu sagen, daß die neue sowjetrussische Politik etwa weniger gefährlich sei als die unter Stalin? Niemand kann das sagen, und wenn das wahr ist, dann müssen wir uns darauf einrichten, daß es möglicherweise auch schlimme Überraschungen gibt.
Herr Kollege Schneider von der Deutschen Partei hat heute ein auch mir bekanntes Wort verlesen, das Anfang der dreißiger Jahre von einem führenden Sowjetpolitiker gesagt wurde. Es sollte uns mindestens nachdenklich machen. Dieses Wort steht ja auch nicht allein. Ich will zwar nicht verschweigen, daß Herr Mikojan auf dem XX. Parteitag das Gegenteil versichert hat. Er sagte: Unsere Gegner verleumden uns, wenn sie behaupten, wir machten die neue Politik nur, um uns zu stärken und dann eines Tages, wenn wir stark genug geworden seien und die Gegner eingelullt hätten, über die übrige Welt herzufallen.
Warum zitiere ich das? Um zu zeigen, meine Damen und Herren, daß ich beide Äußerungen zur Kenntnis genommen habe: jene aus dem Jahre 1931, diese aus dem XX. Parteikongreß. Aber wiederum berechtigt mich nichts, anzunehmen, daß die künftige sowjetrussische Politik lediglich nach dem Rezept des Herrn Mikojan verfahren werde, zumal da wir auf demselben Parteikongreß die Äußerung von Herrn Chruschtschow gehört haben, daß es keine ideologische Koexistenz gebe und daß die Tendenz zur Weltrevolution von Sowjetrußland weiterhin aufrechterhalten werde.
({5})
Außerdem: wer vermag uns denn zu sagen, daß in einem, in zwei, in fünf Jahren noch immer dieselben Männer - unterstellt, daß sie wirklich ernsthaft den Frieden wollen - in Sowjetrußland die Macht in Händen halten?
({6})
Weil dies alles so ist, müssen wir nach wie vor dafür sorgen, daß keine Kräfte in Sowjetrußland ermutigt werden, wieder zu einer expansiven Politik, die eines Tages auf unsere Kosten gehen könnte, zurückzukehren.
Die notwendige Reaktion auf die neue sowjetrussische Politik, sagen uns Herr Mende und andere, sei eine größere Elastizität. Nun, meine Damen und Herren: eine richtige Politik ist die notwendige Reaktion. Was heißt denn schon „eine größere Elastizität"? Diese Rufe nach größerer Elastizität kommen mir vor, wie wenn ein Boxer, der sich vor den andrängenden Schlägen des Gegners zurückzieht, dies mit der Behauptung tut, es sei „elastisch" begründet, bis er plötzlich über die Seile hinausfliegt.
({7})
Natürlich müssen wir uns neuen Lagen anpassen. Wie sieht denn nun diese neue Lage außenpolitisch aus? Sehen wir einmal von den hochinteressanten innerpolitischen Vorgängen in Sowjetrußland ab. Ich wiederhole es: die neue politische Taktik, die neue politische Methode der sowjetrussischen Führer ist gefährlicher, als es die Stalinsche Methode war.
({8})
Die sowjetrussischen Führer haben die Isolierung, die auf die Stalinsche Politik gefolgt war, durchbrochen, - auf sehr kluge und geschickte Weise. Sie sind nach Belgrad gegangen, um Tito wieder in das gemeinsame kommunistische Lager zurückzuholen. Sie haben ihre großen Chancen in der kolonialen Welt entdeckt. Sie fühlen sich heute als Mittelpunkt eines großen Weltsystems, in dem es gewisse Stufen und Nuancen gibt, von der Zugehörigkeit zum kommunistischen Block bis zum
({9})
äußersten Ring der Neutralen und Neutralisten. Stalin hat die Einigung der westlichen Welt erzwungen, dieser müden, ach so friedlichen westlichen Welt, die zunächst glauben wollte, der ewige Frieden sei angebrochen. Das Ziel einer klügeren Politik als der Stalins war es, die westliche Welt davon zu überzeugen, die Einigung sei nicht so dringlich, man brauche vielleicht unangenehme Opfer nicht zu bringen und man könne es noch einmal mit dem lieben alten Schlendrian versuchen.
Haben wir nicht sofort die Erfolge dieser Politik gesehen? Überall in der Welt sagen Leute: „Wir haben die Dinge doch falsch gesehen. Die Sowjetunion ist nach allem doch nicht so schlimm. Die Gefahr ist übertrieben worden. Wozu wollen wir an der Politik der Verteidigung festhalten? Glauben wir doch den Friedensbeteuerungen und vermeiden wir die Opfer, die das gewaltige Verteidigungswerk von uns fordert." Ist das nicht ein deutlicher Erfolg der neuen sowjetrussischen Politik, und hilft nicht jeder, der sich in dieselbe Reihe stellt, dieser Politik weiter zum Erfolg?
({10})
Man konnte sich doch an den Fingern einer Hand ausrechnen, was die neuen klugen Machthaber drüben vorhatten. Es war doch ganz selbstverständlich, daß sie versuchen mußten, diesen Einigungsprozeß der westlichen Welt aufzuhalten. Wollen wir ihnen diesen billigen Erfolg gönnen in einem Augenblick, wo Westeuropa, unser eigenes Vaterland und die potentielle Freiheit der 18 Millionen Menschen drüben noch in keiner Weise gesichert sind?
({11})
Herr Erler hat uns heute wieder einmal den schwächsten Beweisgrund seiner oft recht klugen Argumentation vorgetragen. Er wiederholt immer wieder, daß der nächste Krieg nicht stattfinde. Er beruft sich dabei auf Autoritäten wie den General Gruenther und andere. Ich kann dazu nur mit allem Ernste sagen: der General Gruenther sowohl wie die verantwortlichen Politiker und Militärs der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft stehen bis zu dieser Stunde übereinstimmend auf dem Standpunkt - mein Kollege Berendsen hat es schon gesagt, und ich wiederhole es -, daß eine Verteidigung Westeuropas in den kommenden Jahren nur möglich sein werde, wenn in Westeuropa ein Landheer von beträchtlicher Größe stehe, zu dessen Bestand der Beitrag der Bundesrepublik völlig unerläßlich sei.
({12})
Erst heute haben Sie in den Zeitungen lesen können, daß der Stabschef der SHAPE, General Schuyler, 'erklärt hat, daß man auf konventionelle Landheere nicht verzichten könne, wenn man Europa und seine Freiheit verteidigen wolle.
Herr Mende ging sogar so weit, zu sagen, eine Änderung der militärischen Konzeption im Westen sei schon daran zu erkennen, daß der Vertreter der klassischen Strategie, General Gruenther, abgelöst worden sei. Herr Kollege Mende, das war kein solides Argument.
({13})
Nach meinen Erkundigungen - sie kommen aus
sehr seriösen Quellen - hat die Ablösung nicht
das geringste damit zu tun, daß der neue Mann
etwa im Gegensatz zu den strategischen Auffassungen des Generals Gruenther stünde.
({14})
Man sollte bei einer so schicksalswichtigen Frage wie dieser nicht feuilletonistische Rätselraterei betreiben.
({15})
Wir alle hier wären heilfroh, wenn wir daran glauben könnten, daß sich die militärische Lage so geändert habe, daß die Bundesrepublik aus der furchtbar schweren Aufgabe entlassen werden könnte, ein Heer von einer halben Million Mann zu stellen. Wir wüßten Besseres mit unseren jungen Leuten anzufangen, als sie wieder in Uniformen zu stecken.
({16})
Aber wenn Sie uns gefragt haben, Herr Erler, welches die moralische Begründung sei, die den jungen Leuten, die wir einziehen wollen, einleuchte, dann kann ich Ihnen nur sagen: Die Wehrpflicht ist notwendig, weil wir noch weit entfernt sind von jenem Zustand der Sicherheit und Unabhängigkeit, ohne den kein Volk leben kann, ohne auf die Dauer in den Schatten einer stärkeren Macht gezogen zu werden.
({17})
Sie selbst, meine Damen und Herren von der Opposition, haben im Verteidigungsausschuß wissen wollen, ob zu dieser Verteidigung die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht notwendig sei oder ob nicht andere Maßnahmen genügten. Sie haben die Gutachten der Generale zur Kenntnis genommen und haben erfahren, daß die allgemeine Wehrpflicht leider eine bittere Notwendigkeit ist.
Der Kollege Berendsen hat heute früh mit Recht auf eine Ausführung des Marschalls Schukow, des sowjetrussischen Verteidigungsministers, auf dem XX. Parteikongreß hingewiesen. Dort sagte Schukow ausdrücklich, man könne nicht auf die konventionellen Truppen verzichten, in einem modernen Krieg spielten sie eine große Rolle, und deswegen erhalte sie Sowjetrußland aufrecht. Sollten wir Deutsche uns diesen Erkenntnissen entziehen? Allen Respekt, Herr Kollege Dr. Mende, vor Ihren strategischen Erwägungen,
({18})
aber ich ziehe es wirklich vor, den strategischen Erwägungen der verantwortlichen Militärs zu folgen, die doch seit Jahr und Tag nichts anderes tun, als an dieser verdammt verwickelten und schwierigen Frage der Verteidigung Europas und der freien Welt zu arbeiten,
({19})
und die nicht nur gelegentliche Expektorationen anstellen.
({20})
Es ist gesagt worden, wir merkten nicht, daß in der öffentlichen Meinung der Welt ein allgemeiner Umschwung eingetreten sei, und es sind wieder die uns ach so bekannten Namen und Zeitungen zitiert worden. Wir kennen doch diese Männer seit langem. Wir respektieren auch ihre Auffassung, genau so wie wir die Auffassungen respektieren, die Sie mit echten Argumenten vorbringen. Jede Entscheidung, die wir hier in der Wehrfrage zu treffen haben, trägt ein gewaltiges Risiko in sich, die unsere und die Ihre. Wir müssen die
({21})
Gründe gegeneinander abwägen. Wir haben das getan, und wir haben gefunden, daß unsere Gründe die stärkeren sind, und treffen danach unsere Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen.
Aber ich möchte noch eines zu diesem angeblichen Umschwung in der öffentlichen Meinung der Welt sagen. Manche Leute in den Vereinigten Staaten sagen sich heute: Ich weiß nicht recht, ob es richtig ist, die Politik, die wir Europa und Deutschland gegenüber getrieben haben, fortzusetzen. - Lesen Sie bitte aber auch die Begründung, die dazu gegeben wird!
({22})
Die Begründung lautet nicht etwa so - jedenfalls bei sehr vielen nicht; ich nehme Herrn Conant etwa aus -: Es lassen sich auch andere Wege für die Sicherung Europas vorstellen. Die Begründung lautet so: „Können wir uns denn darauf verlassen, daß die Deutschen wirklich bei der Stange bleiben?
({23})
Wird nicht das Problem der Wiedervereinigung auf die Art und Weise, wie es im Lande propagiert wird, dazu führen, daß die Deutschen unzuverlässige Bundesgenossen werden? Und ist es dann nicht besser, von vornherein - so schmerzlich und so gefährlich das auch sein mag - auf die deutsche Mitwirkung zu verzichten?"
({24})
Wir haben manches in diesem Lande der seit 1945 entstandenen internationalen Spannung, ich müßte beinahe sagen: zu verdanken. Es hätte eine Entwicklung in der Welt einsetzen können, die unser Vaterland in eine ganz üble Lage gebracht hätte. Das bedeutet nicht, daß wir an der Aufrechterhaltung dieser Spannung interessiert sind. Aber eines muß gesagt werden: glauben Sie nicht, daß es auch die Gefahr gibt - sie wurde heute in diesem Saale schon angesprochen -, daß man eines Tages, der deutschen Zänkereien müde, an eine Lösung der Probleme der internationalen Spannung über unseren Kopf und über unsere Interessen hinweg gehen könnte?
({25})
Das vermeiden wir ganz gewiß, wenn wir loyale Bündnisparter bleiben.
({26})
- Die Bündnisse werden gebrochen bzw. in ihrem Wert geschwächt, Herr Kollege, wenn in diesem Augenblick verlangt wird, daß wir den Kernbestandteil des Bündnisses, den militärischen Beitrag der Bundesrepublik zur Sicherung der westlichen Welt, herauszubrechen versuchen.
({27})
- Ihre These ist doch die, daß wir den Verteidigungsbeitrag im Rahmen eines westlichen Bündnissystems nicht leisten sollten, daß wir versuchen sollten, unsere Bundesgenossen jetzt schon dazu zu veranlassen, uns aus unseren Verpflichtungen zu entlassen. Ein solches Beginnen müßte unseren Bundesgenossen klarmachen, daß sie sich nicht mehr auf uns verlassen könnten und daß sie daher nach anderen Lösungen, die vielleicht unsere Interessen unberücksichtigt ließen, suchen müßten.
Das Argument von der angeblichen Vertiefung der Spaltung, das immer wieder vorgetragen wird! Meine Damen und Herren, ich habe es in der letzten Woche gesagt und ich wiederhole es, für uns ist der entscheidende Gesichtspunkt der: Können wir die potentielle Freiheit der 18 Millionen drüben vorläufig auch dadurch sichern, daß die Bundesrepublik sich aus dem Verteidigungsverband der westlichen Welt heraushält?
({28})
- Um die Wehrpflicht! Ich antworte auf das, was Herr Erler hier gesagt hat.
({29})
- Es geht um Wehrpflicht, Herr Wehner. Bei der Wehrpflicht geht es um die Frage, ob es notwendig ist, durch einen Beitrag - ({30})
- Herr Wehner, lassen Sie mich ausreden, wie ich es bei Ihnen auch zu tun pflege. Darf ich Ihnen noch einmal den sehr einfachen Gedankengang vortragen: Es geht um die Wehrpflicht. Bei der Wehrpflicht handelt es sich um die Frage, ob ein militärischer Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik zur Sicherung unseres Vaterlandes, Westeuropas und auch zur Sicherung der Zukunft der 18 Millionen drüben notwendig ist.
({31})
Die weitere dann zu beantwortende Frage ist, ob dieser militärische Beitrag der Bundesrepublik anders als durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht geleistet werden kann.
({32})
Diese Frage ist Ihnen eindeutig durch das Gutachten der Generäle, das auch von Ihnen angefordert wurde, beantwortet worden.
({33})
Danach ist die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht notwendig, wenn wir uns militärisch sichern wollen.
({34})
- Die Generäle, die Sie selbst auch im Verteidigungsausschuß als Sachverständige und Experten hören wollten!
({35})
Was die angebliche Vertiefung der Spaltung angeht: wir können nur zwischen den -Mein wählen. Es mag sein, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zur Verhärtung und zur Erschwerung mancher Dinge drüben im Osten führen kann. Ich leugne das nicht. Das ist ja schon durch die ganze Entwicklung, schon dadurch, daß wir hier die Bundesrepublik gründen mußten, geschehen. Wir können nicht anders, wir müssen die Wehrpflicht beschließen, und wir müssen den Menschen im Osten im selben Augenblick sagen: Wir tun dies nicht nur für unsere eigene Sicherheit, egoistisch und ohne Rücksicht auf euch, sondern wir tun es mit Rücksicht auf unser ganzes Volk und unser ganzes Vaterland, also auch für euch.
({36})
({37})
Wir und die Sowjetunion! Wir oft sollen wir es wiederholen, daß es gar nicht im Gegensatz zueinander steht, wenn wir uns in vollem Ernste - der Bundeskanzler hat es gerade heute wieder getan - zum Gedanken der allgemeinen Abrüstung bekennen und im selben Augenblick unsere Verpflichtung aus den Pariser Verträgen zu einem militärischen Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik erfüllen wollen. Das ist kein Widerspruch! Es wird noch eine gute Weile dauern, bis die Abrüstung sich durchsetzt; das können Sie jeden Tag aus berufenstem Munde hören. Man darf deshalb die Geduld nicht verlieren; man muß weiter auf das große Ziel hinarbeiten. Aber nichts berechtigt uns doch, in der Zwischenzeit unser Volk und Land völlig wehrlos zu halten!
Und nun, Herr Erler, eine weitere Überlegung: der berühmte Krieg, der nicht stattfindet. Ich hoffe mit Ihnen, daß es zu einem Krieg mit Atomwaffen nicht kommen wird, daß die Abschreckung, die von den schrecklichen Wirkungen dieser Atomwaffen ausgeht, die Mächtigen dieser Welt davon abhalten wird, einen Atomkrieg zu beginnen. Aber wer garantiert Ihnen dafür, daß nicht eine Seite mit dieser Furcht vor einem Krieg mit Atomwaffen spekuliert, daß im Falle eines Angriffs mit konventionellen Waffen - mit Landheeren, Panzern und Flugzeugen, wie wir sie kennen - gerade die Angst vor den Atomwaffen die westliche Welt davon abhalten könnte, mit Atomwaffen zu reagieren? Und was wäre die Folge? Es gäbe nur zwei Alternativen für die westliche Welt. Die eine Alternative wäre die Kapitulation: Man kann und will die Atomwaffen nicht einsetzen, aber man hat auf der anderen Seite keine konventionellen Armeen, die stark genug wären, den Angriff abzuwehren. Die andere Alternative allerdings ist die, daß man nicht kapitulieren will und daß dann gar nichts anderes übrig bleibt, als einen allgemeinen Atomkrieg zu entfesseln, der für die Menschheit zum Verhängnis werden würde. Ist es da nicht richtig, wenn wir sagen, daß wir durch die Unterstützung der Idee der allgemeinen Landheere in Europa und durch unseren deutschen Beitrag dazu der Sache des Friedens dienen, im schlimmsten Fall wenigstens dazu beitragen, daß es nicht zum Einsatz der schrecklichsten Vernichtungsmittel aller Zeiten kommt?
({38})
- Meine Herren, wenn Sie diese Gedankengänge nicht für überzeugend halten, - ich bin gerne bereit, überzeugende Argumente dagegen zu hören. Aber ich habe sie in dieser Aussprache heute zu meinem Bedauern nicht gehört.
({39})
Es ist leider unvermeidlich, daß im Zusammenhang mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht der mögliche Ernstfall ins Auge gefaßt wird. Man führt ja eine Wehrpflicht nicht zu Spielereien ein, auch nicht, Herr Kollege, der Sie heute den Zwischenruf gemacht haben, zur Gründung einer „Kanzlerarmee".
({40})
Dieser Zwischenruf hat mich wieder einmal nachdenklich gemacht, nachdenklich darüber, aus welchen Gründen wohl manche von Ihnen der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht so feindlich gegenüberstehen.
({41})
Niemand in unserem Lager denkt wirklich daran, das neue Heer zu parteipolitischen Zwecken zu mißbrauchen. Unsere Haltung in den militärischen Fragen im letzten Jahr müßte Ihnen doch bewiesen haben, daß uns alles daran liegt, diese Aufgabe mit Ihnen zusammen durchzuführen. Haben wir Ihnen nicht viele Zugeständnisse gemacht? Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, mein Kollege Dr. Jaeger, hat ganz und gar in diesem Sinne gewirkt. Er hat doch versucht, ein gemeinsames Vorgehen dieses Hauses in dieser wichtigen Frage zu erreichen.
Aus allen Zwischenrufen des heutigen Tages sind mir noch andere Ressentiments in Ihren Reihen deutlich geworden. Ich kenne ja die Schwierigkeiten in Ihrem eigenen Lager in der Wehrfrage.
({42})
Auch Sie sind sich doch über diese Fragen nicht einig. Es ist für die Sozialdemokratie immer eine Zeit schwierigster Entscheidungen gewesen, wenn über Wehrfragen zu beschließen war. Das ist vor dem ersten Weltkrieg, im ersten Weltkrieg, nach dem ersten Weltkrieg so gewesen. Wir haben durchaus Respekt vor diesen Schwierigkeiten, und wir versuchen wahrhaftig nicht, sie zu vergrößern und zu vertiefen. Im Gegenteil, wir haben die ganze letzte Zeit versucht,
({43})
- ja, so können Sie sagen: Ihnen dadurch zu helfen, daß wir jede vernünftige Forderung - denken wir an den Wehrbeauftragten und an andere Dinge -, die Sie gestellt haben, erfüllt haben. ({44})
- Lassen wir doch einmal diese zweite Lesung!
({45})
- Meine Damen und Herren, ich weiß, sie gibt Ihnen ein brauchbares Argument für Ihren kommenden Parteitag.
({46})
Das pflegt so zu sein, und wir nehmen Ihnen das auch gar nicht übel.
({47})
Aber in Wahrheit ging es doch die ganze Zeit darum - und wie lange ringen wir denn schon um die Verwirklichung unserer Verpflichtung aus den Verträgen! -, daß wir unsere Verpflichtung verwirklichen wollten und daß Sie versuchten, sie so lange wie möglich zu verzögern.
({48})
Das entspricht der Grundhaltung Ihrer Politik, gut; aber dann schimpfen Sie doch nicht nur über die unglückselige zweite Lesung!
({49}) Der Konflikt liegt doch ganz woanders.
({50})
- Ach, wissen Sie, Herr Metzger, manchmal gibt es Entscheidungen in diesem Lande, wo auch der Parteipolitiker - ein häßliches Wort, nicht wahr?
- sich überlegt, was besser wäre: ein glanzvoller Sieg seiner eigenen Partei oder ein im Interesse unseres Vaterlandes geschlossenes Zusammengehen der Gruppen dieses Hauses.
({51})
Herr Metzger, ich würde sogar gern ein paar Tausend Stimmen bei der nächsten Bundestagswahl zu Ihren Gunsten opfern, wenn es gelänge, Sie in dieser Frage auf unseren Standpunkt zu bringen.
({52})
- Meine Damen und Herren, es reden so viele durcheinander, daß ich beim besten Willen die einzelnen Einwürfe nicht mehr verstehe und daher leider auch nicht beantworten kann.
({53})
Ich sagte vorhin, es sei leider unvermeidlich, bei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht den Ernstfall ins Auge zu fassen. Viele harmlose Gemüter, die die Kompliziertheit der Zusammenhänge nicht durchschauen können, erhalten dadurch leicht den Eindruck, nun stehe wahrhaftig der nächste kriegerische Konflikt vor der Tür. Wenn dann wohldosierte Zwischenrufe aus Ihren Reihen aufklingen, wie „Rußlandfeldzug", „Hitler", „Goebbels" usw., dann wird natürlich dieser Eindruck - besonders über den Rundfunk - urbi et orbi verstärkt.
({54})
- So sollten wir in dieser Frage nicht miteinander sprechen.
({55})
Der Herr Bundeskanzler hat gesagt - und ich glaube, man darf ihm nach seiner ganzen Vergangenheit glauben - ({56})
- O ja! Lachen Sie nicht so höhnisch, Herr Kollege drüben! Der Bundeskanzler ist kein Mann, der in irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens irgendeiner Gewaltpolitik das Wort geredet hat.
({57})
Und was ein Mann in einem 80jährigen Leben klar und deutlich bewiesen hat, das dürfte man ihm wahrhaftig auch in dieser Zeit, da er eine schwere Entscheidung zu treffen hat, glauben und abnehmen.
({58})
Meine Damen und Herren, treffen wir also unsere Entscheidung, wir die unsere, Sie die Ihre! Es ist wahr: erst die Geschichte wird beweisen, wer von uns recht gehabt hat.
({59})
- „Wie schon einmal", „es ist immer dasselbe", hören Sie es? Als ob, Herr Heiland, es nicht ein Unterschied ist, ob ein Adolf Hitler an die Aufrüstung geht oder ein Mann wie der deutsche Bundeskanzler, der bewiesen hat, wo er steht.
({60})
Ihnen, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, geht es - ich weiß es - genau so wie uns um die Erhaltung des Friedens und der Freiheit. In diesem Ziele sind wir uns einig, und ich war glücklich, das bei meiner außenpolitischen Rede feststellen zu können. Lassen Sie uns dann doch die Unterschiede, die uns im Methodischen, im Weg zum gemeinsamen Ziel trennen, nicht verfälschen und vernebeln! Sagen wir klipp und klar, was wir wollen und warum wir es wollen. Wir glauben, daß wir richtig entschieden haben für die höchsten Güter, die wir schützen müssen, für Frieden und Freiheit unseres Volkes.
({61})
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin mit Herrn Kiesinger darin einig, daß man in bezug auf die Frage, die uns hier beschäftigt, Gründe und Gegengründe vorbringen kann.
({0})
- Das tun Sie jetzt einmal; ich will mal sehen, wie weit Sie es fertigbringen! - Wenn man das will, dann muß man zunächst einmal Zeit geben. Wir haben gesehen, daß in diesen Tagen weitere Gründe in die Debatte eingeführt worden sind. Die Art, wie darauf reagiert worden ist, beweist mir, daß man diese Gründe im Grunde genommen eigentlich gar nicht wollte. Denn man hat sich sehr darüber aufgeregt, daß da irgendwelche - wie man tat - „unzuständige Instanzen" Dinge gebracht haben, die man eigentlich gar nicht mehr hören wollte.
Unser Kollege Gerstenmaier hat sich nach Meldung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" z. B. darüber beschwert, daß die Vertreter der Synode erst kurz vor der zweiten Lesung hierhergekommen seien. Dazu kann ich nur eins sagen: Es gibt gewisse Leute, denen wäre es am liebsten gewesen, wenn diese Vertreter der Synode erst nach Schluß der dritten Lesung hätten hierherkommen können.
({1})
Die wollten nämlich gar nicht, daß diese Synode jetzt stattfindet, sondern wollten, daß sie später stattfindet, nachdem man vollendete Tatsachen geschaffen hat. Man wollte bei manchen die Gründe überhaupt nicht hören. Das ist doch der Tatbestand.
Nun, es sind mancherlei gesagt worden, sehr starke Worte sind gefallen. Herr Kollege Schneider hat von dem Mißbrauch geistlicher Stellungnahme für politische Zwecke gesprochen. Andere haben sich etwas weniger scharf ausgedrückt. Sie haben aber im Grunde genommen alle dasselbe gemeint. Dieselben Leute, die gelegentlich sehr gerne kirchliche Äußerungen für ganz andere Zwecke benutzen, werden in dem Augenblick ner({2})
vös, wo Vertreter der Kirche einmal Tatsachen bringen, die nicht in ihr Konzept passen.
Einer unserer bedeutendsten Synodalen, der Professor der Theologie Vogel aus Berlin, hat auf der vorletzten Synode, als wir über ähnliche Fragen sprachen, folgendes Bild gebraucht: Wenn ein Pfarrer in seiner geistlichen Tracht des Weges daherkommt und sieht, daß sich Kinder auf einem zugefrorenen Teich tummeln, und wenn er weiß, daß das Eis brüchig ist, dann kann er nicht deswegen, weil er Pfarrer ist, sagen: Das geht mich nichts an, ich habe mich da nicht hineinzumischen, ich habe nur das Wort Gottes zu verkünden!, sondern dann hat er Hilfe zu rufen.
({3})
- Das ist gar kein schiefer Vergleich. Das ist genau dieselbe Geschichte wie folgende: Wenn ein Christ, wenn ein Pfarrer, auch wenn kirchliche Instanzen im Leben eines Volkes Gefahrenmomente sehen, würden sie ihr christliches Gewissen vergewaltigen, wenn sie nicht Hilfe riefen, wenn sie nicht deutlich machten, daß da Gefahren sind. Es kann durchaus sein
({4})
- lassen Sie mich erst den Gedanken zu Ende führen -, daß sich der Vorübergehende irrt und daß das Eis hält. Aber wenn er der Überzeugung ist, daß das Eis nicht hält, dann hat er die Verpflichtung, Hilfe zu rufen. Und wenn Vertreter der Kirche der Überzeugung sind, daß in unserem Volke Dinge geschehen, die gefährlich sind, dann haben sie gerade auch als Kirche die Verpflichtung, ihr Wort zu sagen. - Herr Kliesing!
({5})
Worum ging es nun auf dieser Synode? Herr Kollege Cillien war auf dieser Synode nicht zugegen, er ist leider auch jetzt nicht hier. Ich bin auf der Synode zugegen gewesen. Auch in den nichtöffentlichen Sitzungen - ich bedaure, daß so viele Damen und Herren von der CDU/CSU nicht anwesend sind; es wäre wichtig, daß sie das hörten ({6})
haben die Vertreter der Synode in bewegenden Worten dargestellt, was im Augenblick bereits vorliegt und was zu erwarten ist, wenn die allgemeine Wehrpflicht in der Bundesrepublik eingeführt wird.
Meine Damen und Herren und sehr verehrter Herr Kollege Cillien, der Sie nicht anwesend sind, diese Aussagen auf der Synode haben sämtliche Mitglieder der Synode derart beeindruckt, daß sie erklärt haben: Diese Tatsachen müssen den zuständigen Instanzen der Bundesrepublik und der Regierung der Ostzone bekanntgemacht werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen Sie das verharmlosen? Wollen Sie so tun, als wenn das gar nichts wäre? Hier sind von den kirchlichen Vertretern der Ostzone Tatsachen vorgetragen worden. Diese Tatsachen haben eine ganze Synode beeindruckt. Die Synode beschließt daraufhin, daß Vertreter der Synode diese Tatsachen bekanntmachen sollen. Und dann wollen Sie so tun, als ob das im Grunde genommen eigentlich nichts wäre? Das heißt doch einfach die Dinge von sich abschieben. Wir hätten alle Veranlassung gehabt, diese Dinge sehr deutlich zu hören, sie nicht innerhalb von ein paar Minuten abzutun, am nächsten Tag die zweite Lesung zu halten und zwei Tage danach mit der dritten Lesung zu beginnen, um diese Fragen zu erledigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Schlimme ist eben, daß diese Dinge nicht gehört worden sind. Einer der bedeutendsten kirchlichen Vertreter der Ostzone hat in seinen Darlegungen - auch das will ich Ihnen sagen; es klingt zwar kraß und kommt vielleicht sogar schon aus einer Verbitterung, aber es trifft die Sache - erklärt: Wenn die Dinge so weitergehen, dann werden wir in kurzer Zeit bei uns in der Ostzone nur noch einen Altweiberverein haben. - Was bedeutet das? Das bedeutet, daß die jungen Menschen alle aus der Zone herausgehen müssen, daß wir sie vielleicht hier sehr gern aufnehmen, daß aber die lebendigen, die kräftigen Elemente nicht mehr in der Ostzone sind und drüben eine Gesellschaft - ich meine das jetzt im soziologischen Sinne - ist, die viel zu schwach ist, um sich zu verteidigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren und lieber Herr Kollege Kiesinger, ich glaube, darüber haben Sie zuwenig nachgedacht. Wenn Sie dauernd von der Gefahr des Bolschewismus sprechen, wenn Sie jetzt wieder die Gefahr an die Wand gemalt haben, wenn Sie von Sicherheit gesprochen haben, merken Sie denn nicht, daß Sie die Sicherheit begraben, indem Sie die Ostzone in die Situation bringen, in der Sie den Menschen da drüben überhaupt die Möglichkeit nehmen, noch zu existieren und sich als Deutsche aufrechtzuerhalten?
({7})
Haben Sie denn nicht bemerkt, daß hier zum allermindesten Probleme liegen und daß es an der Zeit ist, daß man über diese Probleme einmal ernsthaft nachdenkt?
({8})
Aus unserem Hause sind nicht allzu viele in der Ostzone gewesen und haben sich die Verhältnisse aus der Nähe angesehen.
({9})
Deswegen haben wir Veranlassung, auf die zu hören, die drüben leben oder öfter einmal hinübergehen und die Ihnen aus Sachkenntnis mehr davon sagen können, als Sie davon wissen.
({10})
Deswegen halte ich es für eine Unmöglichkeit, ich möchte sagen: für eine Ungeheuerlichkeit, daß man hier in diesem Hause so tut, als ob im Grunde genommen das alles unzuständige Instanzen wären, als wenn es sich hier um Einmischungen handelte, um die wir uns nicht zu kümmern brauchten.
Ich bin sehr enttäuscht gewesen über das, was Herr Kollege Friedensburg vorgestern gesagt hat. Er hat erklärt, wir müßten nach unserem eigenen Gewissen entscheiden. Jawohl, Herr Kollege Friedensburg, wir müssen nach unserem eigenen Gewissen entscheiden. Aber wir können nur dann eine gewissenhafte Entscheidung fällen, wenn wir gewissenhaft geprüft haben.
({11})
({12})
- Frau Kollegin Weber, das heißt, daß wir alles das, was uns zugebracht wird, mit aufnehmen, daß wir das erwägen, daß wir die neuen Tatbestände
- und Sie haben neue Tatbestände gehört - mit in unser Meinungsbild aufnehmen, weil diese neuen Tatbestände mit in unsere Gewissensbildung hineingehören. Das ist wichtig, darauf kommt es an.
Es ist gesagt worden, kirchliche Autoritäten seien in die Politik hineingezogen worden. Nein, meine Damen und Herren, hier haben Männer und Frauen, die etwas wissen, die aus ihrer Erfahrung die Dinge kennen, die schwer bedrückt sind, einiges gesagt, und wir tun so, als ob kirchliche Autoritäten in die Politik hineingezogen werden sollten. Ist es im Grunde genommen nicht eigentlich ein trauriges Zeichen, daß das, was von kirchlicher Seite gesagt wird - ich denke auch an das Gutachten des Rates -, in diesem Hause von der Opposition produziert werden muß und daß die Koalition einschließlich der Christlich-Demokratischen Union an diesen Dingen vorbeigeht?
({13})
Wie wollen Sie sich denn ein Urteil bilden, wie wollen Sie denn Ihr Gewissen schärfen, wenn Sie all die gewissenschärfenden Dinge überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen?
({14})
- Herr Kollege, ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung hier in diesem Bundestag, daß all diese Dinge in den Ausschüssen von uns behandelt, von uns zur Diskussion gestellt worden sind.
({15})
Niemand wird von Ihnen verlangen, daß Sie das, was da gesagt wird, ungeprüft annehmen, sowenig wie wir es ungeprüft annehmen. Aber daß Sie prüfen und Ihr Gewissen schärfen, können wir verlangen.
({16})
- Frau Kollegin Schwarzhaupt, Sie wissen aus dem Rechtsausschuß ganz genau, daß wir es gewesen sind, die die Fragen, die in dem Gutachten des Rates behandelt worden sind, angeschnitten haben, und daß es nicht von Ihrer Seite gekommen ist.
({17})
- Ich habe Sie nicht verstanden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sehr gerne!
Herr Kollege Metzger, darf ich Sie fragen, woher Sie wissen, was jeder einzelne von uns und was wir als Gemeinschaft geprüft haben und was wir nicht geprüft haben?
({0})
Herr Kollege Kliesing, wir sind hier eine öffentliche Körperschaft. Was Sie in
Ihrem geheimen Kämmerlein lesen und prüfen, das kommt zu keines Menschen Kenntnis.
({0})
Was wir als Opposition und Koalition gemeinsam hier erörtern, was wir von dem Material, das uns vorgelegt wird und aus dem wir unsere Meinung bilden, behandeln, das ist tragfähig und nicht das, was Sie für sich allein lesen und was Sie beiseite schieben.
Eine weitere Frage? Metzger ({0}): Gern!
Herr Kollege Metzger, ich bin mit Ihnen einig, daß es hier um eine Gewissensentscheidung geht. Sind Sie aber nicht mit mir der gleichen Meinung, daß das Gewissen keine kollektive, sondern eine höchst persönliche und nur persönliche Angelegenheit ist?
({0})
Herr Kollege Kliesing, das sagen Sie ausgerechnet mir, der ich darum kämpfe, daß der einzelne sich wirklich nach seinem Gewissen entscheiden kann, und der Sie durch Ihre Abstimmung zum Teil diese Gewissensentscheidung des einzelnen gar nicht möglich machen wollen.
({0})
Natürlich ist die Gewissensentscheidung eine Entscheidung des einzelnen. Das schließt aber nicht aus, daß man im Gemeinschaftsgespräch sich eine Meinung bildet, genauso wie z. B. in einem Gerichtsgremium eine Meinung erst dadurch gut gebildet werden kann, daß mehrere Richter beisammensitzen und miteinander die Frage erörtern und dadurch erst zu einer gemeinschaftlichen Entscheidung und damit zu einer wirklich klaren Entscheidung kommen. Es ist kein Zufall, daß wir Kollegialentscheidungen haben. Das heißt nicht, daß der einzelne nicht nach seinem Gewissen entscheidet, das heißt aber, daß jeder bei seiner Gewissensentscheidung Hilfe bekommt. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren - bitte, nehmen Sie mir das nicht übel -, Sie wollen gar nicht, daß Ihnen bei dieser Gewissensentscheidung geholfen wird;
({1})
Sie schieben gewisse Dinge einfach beiseite. Es ist ja kein Zufall, daß ausgerechnet Herr Cillien sich hierher stellt und in dieser Art über alle diese Dinge spricht, die in der Synode vor sich gegangen sind.
({2})
- Das bedeutet, Herr Kollege Cillien, daß Sie Verständnis haben müßten
({3})
für das, was auf der Synode vorgegangen ist,
({4})
({5})
und daß Sie das nicht verkleinern dürften, Herr Kollege Cillien.
({6})
Ihre ganze Absicht war deutlich: nämlich das, was uns hier noch einmal ins Gewissen geschoben worden ist, zu verharmlosen, und dagegen wende ich mich mit aller Deutlichkeit.
Im übrigen, Herr Kollege Cillien, haben wir im Bulletin Meldungen gelesen, die eindeutig falsch sind. Es ist Tatsache - ich weiß das auch wieder aus eigener Kenntnis -, daß 62 Synodale über das hinaus, was die gesamte Synode festgestellt hat, nämlich, daß das, was an Bedenken geltend gemacht worden ist, der Bundestag und die Bundesregierung wissen müssen, erklärt haben, daß sie sich diese Bedenken zu eigen machen. Das sind die beiden Unterschiede, und das sollte eigentlich leicht zu erkennen sein, wenn man es erkennen will. Allerdings, wenn Sie wollen, war das ein „privates" Unternehmen. Im letzten Augenblick noch haben einige Synodale das durch Unterschriftsleistung festgestellt. Es haben, obwohl längst nicht alle Synodalen gefragt werden konnten, 62 Synodale - d. h. über die Hälfte der Synodalen - erklärt, sie nähmen diese Bedenken nicht nur so ernst, daß sie nach ihrer Auffassung dem Bundestag und der Bundesregierung vorgetragen werden müßten, sondern sie machten diese Bedenken auch zu ihren eigenen.
Herr Bundeskanzler, Sie sitzen hier und lächeln. Ich weiß nicht, warum es da etwas zu lächeln gibt. Das sind, glaube ich, doch sehr ernste Dinge.
({7})
- Sie rufen „Schulmeister"! Hier sind schon so manche Schulmeistereien begangen worden. Bei Ihren eigenen Leuten merken Sie das nicht.
({8})
- Wir haben von Ihnen schon so viel gelernt, Herr Kiesinger, daß wir uns allmählich schon daran gewöhnt haben.
Es ist gesagt worden, daß die kirchlichen Autoritäten nicht in die Politik hineingezogen werden sollten. Wenn jemand kirchliche Autoritäten in die Politik hineingezogen hat, dann ist es der Herr Verteidigungsminister gewesen. Er hat es nicht für nötig gehalten, das Gutachten des Rates, das auf Wunsch der Synode erstattet worden ist, den Bundestagsabgeordneten bekanntzugeben. Er hat aber die Gegenäußerung eines Außenseiters, des Professors Küneth, drucken lassen - auf wessen Kasten weiß ich nicht - und den Abgeordneten zur Kenntnis gegeben. Und das, meine Damen und Herren, heißt nicht kirchliche Autoritäten in die Politik hineinzuziehen? Wenn es einem in den Kram paßt, dann benutzt man ihre Äußerungen ganz gern, aber dann benutzt man sie nur einseitig und sagt nicht, was in Wirklichkeit im ganzen gewesen ist.
({9})
Der Herr Kollege Kiesinger hat vorhin etwas gesagt, was für mich auch sehr aufschlußreich war. Der Herr Kollege Kiesinger hört ja auf jedes Wort und untersucht es psychologisch. Ich habe auch ein Wort von ihm gehört, das für mich psychologisch ganz interessant ist. Er hat vorhin erklärt, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für manche Leute „unangenehm" sei. Das ist die Einstellung derer, die glauben, die anderen verurteilen zu können, die gegen die allgemeine Wehrpflicht sind. Herr Kollege Kiesinger, das ist keine Frage der Annehmlichkeit oder der Unannehmlichkeit.
({10})
- Bitte schön.
Herr Abgeordneter Kiesinger hat zu einer Frage das Wort.
Herr Kollege Metzger, ich will nicht behaupten, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für manche Leute nicht eine Gewissensfrage ist. Aber nun eine Gewissensfrage an Sie: Glauben Sie nicht, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für manche wirklich nur unangenehm ist?
({0})
Nun bitte ich, daß ich dem Herrn Kollegen Kiesinger auf seine Frage Antwort geben darf. Er hat mir ja eine Frage gestellt. Ich bin mit Ihnen der Meinung, Herr Kollege Kiesinger, daß es heute Leute gibt, denen es in der Tat unangenehm ist, Wehrdienst zu tun, weil sie nicht die notwendige sittliche Haltung dazu haben. Es gibt auch Leute, denen der Wehrdienst angenehm ist, weil sie einen guten Job dabei „geschoben" haben. Wir wollen jedoch zugunsten unseres Volkes und seiner Jugend annehmen, daß diese Leute auf beiden Seiten in der Minderzahl sind. Aber, Herr Kollege Kiesinger - ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage, Herr Kollege Kiesinger -, es gibt auch Menschen, die die Wehrpflicht nicht deswegen ablehnen, weil sie für sie oder ganz allgemein unangenehm ist.
({0})
- Ja, aber ich glaube, ich muß das doch klarmachen: es gibt Menschen, die die Wehrpflicht deshalb ablehnen, weil sie der Überzeugung sind, daß da wirklich etwas Entscheidendes für unser Volk geschieht.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit das eine sagen. Tun wir doch nicht immer so, als wenn die Menschen, die nicht nur gegen die allgemeine Wehrpflicht, sondern womöglich sogar Kriegsdienstverweigerer sind, deswegen im Grunde genommen gar keine Menschen seien, die es mit ihrer sittlichen Pflicht ganz ernst nehmen! Wir bemühen uns immer wieder, dem Ausland klarzumachen, daß sich unser Volk gewandelt habe. Wir sind oft genug unglücklich darüber - ich hoffe, bei Ihnen sind das auch viele -, daß das Umdenken unseres Volkes seit der nationalsozialistischen Zeit nicht genügend deutlich wird. Das ist eine Sache, die uns Sorge macht und Sorge machen muß. Aber, meine Damen und Herren, haben Sie sich - auch Sie, Herr Bundeskanzler - nicht ein. mal Gedanken darüber gemacht, daß die Tatsache daß so viele junge Menschen gegen die allgemeine Wehrpflicht sind, gleichzeitig ein Zeicher
({1})
dafür ist, daß in weiten Kreisen unseres Volkes wirklich ein Umdenken stattgefunden hat?
({2})
Wir hören immer wieder, wir dürften bei dem Westen nicht unglaubwürdig werden. Meine Damen und Herren, haben wir nicht in einer geradezu sträflichen Weise eine Möglichkeit, glaubwürdig zu werden, vernachlässigt? Wir tun draußen so, als wenn diejenigen, die gegen die Wehrpflicht sind, im Grunde genommen nicht so ganz ihre Pflicht sähen. Hätten wir nicht die Möglichkeit, diesem selben Ausland, das einmal mit ganz anderen Absichten hierhergekommen ist,
({3})
klarzumachen, daß diese Verneinung der Wehrpflicht bei vielen unserer Menschen einer sittlichen Haltung entspringt, ja ein Akt des Umdenkens ist, zu dem das Ausland eigentlich Vertrauen haben müßte, das ihm Veranlassung sein müßte, diese Tatsache durchaus unter positiven Gesichtspunkten zu sehen?
({4})
- Ich glaube, daß uns das außenpolitisch sehr viel hilft. Sie sagen selber mit Recht, daß es notwendig ist, daß wir im Ausland wieder Vertrauen gewinnen. Nach dem Verbrechen der Nationalsozialisten haben wir wirklich alle Veranlassung, uns dieses Vertrauen wieder zu erwerben. Wenn wir das wollen, sollten wir alle Möglichkeiten benutzen. Die Tatsache, daß unsere Jugend heute friedensfreundlich eingestellt ist, daß sie von der Wehrpflicht nichts wissen will, ist ja keineswegs, wie Sie meinen, nur eine negative Tatsache; sie ist eine sehr positive Tatsache, die wir in ganz anderer Weise auswerten können.
({5})
Ich muß Ihnen auch folgendes sagen: einerlei ob ich persönlich Kriegsdienstverweigerer bin oder nicht - das spielt dabei gar keine Rolle -, ich würde es als ein Zeichen einer sehr schlechten Situation ansehen, wenn es in diesem Volk nach all diesen Erlebnissen keine Kriegsdienstverweigerer gäbe.
({6})
Herr Kollege Jaeger, Sie schütteln den Kopf!
({7})
Das wäre mir ein Beweis dafür, daß in unserem Volk die Dinge völlig verhärtet sind. Die Tatsache, daß wir in dieser furchtbaren Zeit, auch in diesem Kriege, diese fruchtbaren Dinge erlebt haben, kann doch an einem jungen Menschen nicht einfach spurlos vorübergehen. Tun Sie doch nicht so, als ob Sie mit irgendwelchen politischen Erziehungsgrundsätzen all diese schweren Erlebnisse aus den Seelen der jungen Menschen herausreißen könnten. Ich glaube, dazu haben wir auch keine Veranlassung.
Wir haben von Herrn Kollegen Kiesinger auch gesagt bekommen, daß wir die Wehrpflicht einführen müßten um der Sicherheit unseres Volkes willen. Wir haben oft genug dargelegt, daß das, was Sie betreiben, das Gegenteil von dem ist, was Sicherheit für uns bedeutet. Ich will das hier jetzt nicht wiederholen.
Sie haben sich auf die Gutachten der Generäle bezogen. Herr Kollege Kiesinger, ich habe eine Zeit erlebt, da haben unsere deutschen Generäle bis zum bitteren Ende so getan, als ob wir in Sicherheit lebten und den Krieg noch gewinnen würden.
({8})
Herr Kollege Kiesinger, ich muß Ihnen offen gestehen, ich bin solchen Leuten gegenüber zum allermindesten mißtrauisch.
({9})
- Ich habe sie nicht angefordert. ({10})
- Daß man in einem solchen Verfahren genauso wie in einem Prozeß jedes Beweismittel benutzt, ist klar. Ob dieses Beweismittel sich als tauglich erweist, ist eine ganz andere Frage.
Ich sage Ihnen von mir aus - und das sollten Sie sich auch einmal klarmachen -, wir haben schon deutsche Generäle erlebt, die bis zum bitteren Ende mindestens so getan haben, als ob wir uns in Sicherheit befänden. Wenn nun von diesen selben Leuten über dieses Gebiet etwas gesagt wird, dann bin ich zum allermindesten vorsichtig.
({11})
Ich bin eben nicht davon überzeugt, Herr Kollege Kiesinger, daß wir dadurch, daß wir 500 000 Mann aufstellen, nun auf einmal Sicherheit haben, sondern ich bin von dem Gegenteil überzeugt. Aber darüber haben wir längst gesprochen, und ich will das nicht ausführen. Dadurch, daß Sie das Argument bezüglich der Sicherheit stets wiederholen, wird es nicht richtiger.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Miessner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, namens der Fraktion der Freien Demokraten meinen Kollegen Dr. Mende zu seinen Ausführungen von heute vormittag noch in einem Punkte zu ergänzen, nämlich soweit er auf die heutige Situation der früheren Berufssoldaten zu sprechen kam.
Die FDP ist der Auffassung, daß vor der Verabschiedung der neuen Wehrgesetze die noch immer bestehenden schweren Rechtsverletzungen gegenüber den alten Berufssoldaten zu beseitigen sind. Diese auf einem ganzen Berufsstand lastende psychologische Belastung ist vorher zu bereinigen. Solange das nicht geschehen ist, kann man es verstehen, daß die Söhne der ehemaligen Berufssoldaten, die jahrelang die Diffamierung und wirtschaftliche Not ihrer Väter aus nächster Nähe miterleben mußten, keine sonderliche Begeisterung zeigen, in die neue Bundeswehr einzutreten.
Weiß denn die Öffentlichkeit überhaupt, daß auch heute, elf Jahre nach dem Kriege, z. B. die Witwen und Waisen vieler gefallener Berufssoldaten noch immer von jeglicher Versorgung nach dem 131 er-Gesetz ausgeschlossen sind
({0})
und lediglich Wohlfahrtsbezüge erhalten? Mit platonischen Erklärungen, wie sie von dieser Stelle von dem Regierungschef vor Jahren schon einmal abgegeben wurden, ist es allein nicht getan. Die
({1})
ehemaligen Berufssoldaten, denen nun schon so lange ihr Recht vorenthalten ist, sind seelisch verhärtet und wollen endlich ihr Recht. Schon vier Monate liegt eine zweite Novelle zum 131erGesetz dem zuständigen Ausschuß vor. Es wäre wahrlich eine notwendige staatspolitische Tat gewesen, diese Novelle ebenso dringlich heute zu dieser Stunde hier mit zu verabschieden. Daß das nicht geschehen ist, ist zweifellos keine gute Sache. Es bedeutet die Beibehaltung eines Unrechts gegenüber den alten Soldaten zu einem Zeitpunkt, wo bereits die neuen Soldaten eingezogen werden sollen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Nellen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, Herr Präsident, um die Erlaubnis, aus demselben Dokument vorzulesen, aus dem uns eben unser verehrter Kollege Cillien so wichtige Mitteilungen gemacht hat.
Bitte sehr!
Ich erlaube mir, genau dort fortzufahren, wo er geschlossen hat, weil ich nämlich einige Sätze, die dann folgen, auch für außerordentlich wissenswert für dieses Haus halte. Es folgen die weiteren Sätze:
Im einzelnen gab der Sprecher der Befürchtung Ausdruck, daß eine endgültige Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik einen entsprechenden Schritt in der Deutschen Demokratischen Republik nach sich ziehen werde, der für die in der DDR lebenden Deutschen erneute Belastungen und Gewissensnöte mit sich brächte. Er bat, diese Sorgen bei den bevorstehenden politischen Entscheidungen gebührend zu berücksichtigen.
Die übrigen Mitglieder der Delegation ergänzten diese Ausführungen durch eine Analyse der in diesem Zusammenhang stehenden Probleme. Dabei betonten sie, daß es ein entscheidendes Anliegen der gesamten Synode sei, eine Vertiefung der Kluft zwischen den Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu vermeiden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden mich fragen, warum ich diese Verlesung fortgesetzt habe. Nicht etwa, um die Auswahl des Textes, den uns der verehrte Kollege Cillien geboten hat, zu kritisieren, noch weniger, um ihn zu schulmeistern, sondern weil ich ab morgen abend in meinem Wahlkreis, nachdem die Presse sich so ausführlich mit diesen Dingen beschäftigt hat, gefragt werde: „Habt ihr diese Männer aus der Zone gehört? Habt ihr mit ihnen gesprochen? Seid ihr ihnen begegnet, und was haben sie euch gesagt? Ich halte es ganz mit meinem verehrten Kollegen Kiesinger, der uns gesagt hat: ,,Eben, wir sollen uns schwere Probleme bei Gott schwermachen." Und das möchte ich tun. Wenn meine Fraktion die Entschlüsse heute durchführt, von denen Sie ja wissen, daß wir bereit sind, sie durchzuführen, lege ich Wert darauf, vor aller öffentlichkeit zu bekunden, daß wir das in voller Kenntnis des gesamten Fragenkomplexes, der gesamten Schwierigkeiten getan haben, unverkürzt um auch nur einen einzigen Satz. Dafür ist mir dieser Besuch von Männern, die in der Ostzone eine der- I artig exponierte Stellung haben, einfach zu wichtig.
Ich muß allerdings an diese Ausführungen eine Frage anknüpfen. Ich weiß nicht recht, wie nun der ganze Deutsche Bundestag mit Ausnahme dieser Zufallsverlautbarung, die zur Kenntnis gekommen ist, weil ein Dokument verlesen wurde, das dem Petitions- und Verteidigungsausschuß zugänglich gemacht wurde, die Gesamtheit dieser Dinge erfährt.
Ich darf weiter etwas zitieren. Diese Niederschrift, die der Herr Bundestagspräsident hat fertigen lassen, ist mit einem Begeitschreiben versehen:
An den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Verteidigung.
An die Frau Vorsitzende des Ausschusses für Petitionen.
Beiliegend übersende ich eine Aufzeichnung über den Empfang einer Delegation der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ich darf bitten, unverzüglich das Weitere zu veranlassen.
Ich muß ehrlich sagen: Wenn mich meine Wähler fragen, was das bedeuten soll, bin ich außerstande, irgendeine Auskunft zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem dem Besuch der Delegierten der evangelischen Synode mit Recht heute eine so große Bedeutung beigemessen wird und nachdem vorhin der Herr Kollege Cillien die richtige Tatsache bekanntgegeben hat, daß bei diesem Besuch als einzige Fraktion die FDP nicht vertreten war, sehe ich mich veranlaßt, hierzu eine kurze Erklärung abzugeben. Es soll nicht der Eindruck entstehen, daß wir aus Gleichgültigkeit dort nicht vertreten gewesen seien. Es beruhte vielmehr auf einem bedauerlichen Mißverständnis. Als einziger von unserer Fraktion hatte der Vorsitzende Dr. Dehler eine Einladung erhalten, die als Einladung des Herrn Präsidenten zu einem Imbiß bezeichnet war. Auf dieser Einladung war weder ein Besprechungspunkt vermerkt noch die Tatsache, daß es sich um eine Aussprache mit den Herren von der Synode handele. Da Herr Dehler aus zeitlichen Gründen der Einladung nicht Folge leisten konnte und er sie auf Grund ihrer Aufmachung als eine rein gesellschaftliche Angelegenheit ansehen mußte, hat er keinen der anderen Herren von der Fraktion davon verständigt. Dies ist also der Grund für die bedauerliche Tatsache, daß wir an diesem sehr wichtigen Gespräch nicht teilnehmen konnten.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Kiesinger hat mit großer Beredsamkeit, wie wir es ja schon öfter von ihm vernommen haben, wieder einmal einen Appell an die gemeinsamen Überzeugungen dieses Hauses gerichtet. Ich bedaure auf({0})
richtig, daß dieser Appell an die Gemeinsamkeit immer dann erklingt, daß die Gemeinsamkeit immer dann beschworen wird, wenn etwas gegen eine Minderheit, und zwar gegen eine inzwischen erheblich gewachsene Minderheit durchgesetzt werden soll.
({1})
Das war der Fall bei den großen außenpolitischen Entscheidungen, die die Bundesregierung jeweils gefällt hat, ohne vorher bei der Erarbeitung der außenpolitischen Linien, die erst zu den Entscheidungen geführt haben, den Versuch zur Herstellung gemeinsamer Auffassungen mit der Opposition zu machen. Das ist der Fall gewesen, wenn kurz vor Beginn der Parlamentsferien dieses Haus jeweils noch rasch unter großem Zeitdruck Gesetze beschließen mußte, die mit der Bewaffnung der Bundesrepublik im Zusammenhang stehen.
({2})
Und das ist der Fall, wenn in den Ausschüssen in sehr großer Eile bis in die sinkende Nacht hinein, nachdem hier tagsüber das ganze Haus zusammengewesen ist, Milliardenbeträge bewilligt werden müssen, damit das, was Sie sich vorgenommen haben, möglichst schnell durchgeführt werden kann. Immer wenn es um solche Probleme geht, wird die Gemeinsamkeit beschworen, aber sie wird nicht in der Vorbereitung dieser Entscheidungen zur rechten Zeit gesucht.
Der Herr Kollege Kiesinger hat mir vorhin unterstellt, ich hätte gesagt, der nächste Krieg finde überhaupt nicht statt. So vermessen bin ich nicht. Ich kann nur hoffen, daß er nicht stattfindet, genau wie Sie, und wir können alle nur das Unsere dazu tun, daß er nicht stattfindet.
({3})
Nur sind, das soll man offen aussprechen, die Meinungen über den Weg zu diesem Ziel auf den beiden Seiten des Hauses verschieden.
Aber - das habe ich vorhin schon gesagt - kein verantwortlicher Politiker und Militär bei den Bundesgenossen im Atlantikpakt ist davon überzeugt, daß für absehbare Zeit in Europa eine bewaffnete Aggression durch die Sowjetunion zu erwarten ist, weil das praktisch den Ausbruch des dritten Weltkrieges bedeuten würde; der ist allerdingst zunächst einmal für absehbare Zeit erfreulicherweise nicht zu erwarten. So weit bin ich gegangen und nicht weiter. Einen Scheck auf eine weitere Zukunft, Herr Kollege Kiesinger, kann leider niemand ausstellen, Sie nicht und ich nicht.
In diesem Zusammenhang habe ich auf eines aufmerksam gemacht - und davon beißt nun einmal keine Maus einen Faden ab -: wenn dennoch hier in Europa ein bewaffneter Konflikt ausbrechen sollte, dann wird nach allen Planungen, nach dem Stande der Militärtechnik bei den Armeen des Ostens und des Westens, nach der Art ihrer Ausrüstung und Gliederung in einem solchen Fall - auch wenn es 500 000 deutsche Soldaten gibt - gegen den Aggressor die taktische Atomwaffe eingesetzt, - mit den Konsequenzen, die das nun einmal hat. Nur diesen Sachverhalt habe ich bekanntgegeben, weil es gar keinen Sinn hat, sich in dieser Frage in Illusionen zu wiegen. Auch die zwölf deutschen Divisionen würden für den Fall eines Konfliktes unserem Volke den Einsatz der Atomwaffen nicht ersparen.
({4})
Nun ein anderes Problem, auf das der Kollege Kiesinger eingegangen ist, das der Unveränderlichkeit oder der bisherigen unveränderten Linie der sowjetischen Politik. Meine Damen und Herren, es ist sicher richtig, daß man von den Herren im Kreml nicht erwarten darf, daß sie ihrer Überzeugung abschwören, daß in einer von ihnen als sicher erwarteten Zukunft auf dem ganzen Erdball eine Gesellschaftsordnung nach ihren Vorstellungen vorhanden ist. Das ist ihre Überzeugung; die geben sie nicht preis. Dazu stellen sich mehrere Fragen: ob wir denn so tun müssen, als ob das unveränderlich wäre,
({5})
ob die die Wahrheit sprechen, ob nicht bisher immer noch in jedem Regime, wie es auch beschaffen. gewesen sein mag, wenn es nicht in äußeren Konflikten zusammenbrach, innere Triebkräfte der Veränderung wirkten. - In der Sowjetunion führt das nicht gerade unbedingt in Richtung auf die parlamentarische Demokratie hin, aber weg vom Stalinismus. Auch das muß man sehen.
({6})
Das ist etwas anderes als starre Unveränderlichkeit.
({7})
Nun haben Sie gesagt, daß das, was die Sowjets jetzt betreiben, viel gefährlicher für die freie Welt und viel erfolgreicher für die Sowjetunion ist. Das ist leider richtig. Warum nämlich? Weil wir uns in dieser Auseinandersetzung nicht auf die neuen Methoden der Sowjetunion einstellen und ihnen mit den richtigen eigenen Mitteln begegnen,
({8})
weil in der Zeit, in der wir noch gebannt auf die Formeln aus der Zeit der bewaffneten Auseinandersetzung des Koreakrieges starren, weil in der Zeit, in der wir noch glauben, daß die Rote Armee das Instrument für die Ausweitung der kommunistischen Herrschaft in der Welt sei, die Russen inzwischen zielbewußt den Feldzug auf politischem, auf sozialem, auf wirtschaftlichem Gebiet aufgenommen haben, den Feldzug z. B. um die Sympathien in jenen Ländern, die der Herr Bundesaußenminister mit einem außerordentlich glücklichen Ausdruck als die „Entwicklungsländer" bezeichnet hat. In dieser Auseinandersetzung fallen wahrscheinlich wichtigere Würfel um das Schicksal der Menschheit als in der Frage, ob wir hier die allgemeine Wehrpflicht einführen oder den in den Verträgen geforderten Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland auf eine andere und bescheidenere Weise leisten.
({9})
Der Kollege Kiesinger beschwor zur Begründung seiner Thesen u. a. die Blockade Berlins herauf. Niemand in diesem Saale ist nicht mit ihm der Überzeugung, daß uns ein Gefühl der unauslöschlichen Dankbarkeit mit unseren westlichen Freunden verbinden muß, die damals in schwerster Zeit dafür gesorgt haben, daß Berlin, diesem Teile Deutschlands, die Freiheit erhalten geblieben ist.
({10})
Aber niemand sollte auch daran vorbeisehen, daß
diese großartige Unterstützung doch nur möglich
gewesen ist, weil die tapfere Berliner Bevölkerung
({11})
({12})
auch ohne allgemeine Wehrpflicht wie ein Mann in der Abwehr der Bedrohung zusammenstand.
({13})
Meine Damen und Herren, welch ein innerer Zusammenhang besteht zwischen der Blockade damals und der Wehrpflicht jetzt? Die Blockade Berlins fand zu einer Zeit statt, als der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer vor diesem Hause und anderwärts Erklärungen abgab, daß er sich verpflichte, die Demilitarisierung Deutschlands auf alle Zeiten aufrechtzuerhalten. Das war die gleiche Zeit!
({14})
Das ist doch beides - ich will ihn deswegen gar nicht tadeln - ein Beweis dafür, wieviel sich in der Welt zu ändern vermag.
Auf die Blockade Berlins - zur selben Zeit, als hier die Alliierten noch auf der Demilitarisierung bestanden - folgte der Korea-Konflikt, und dann warf man im Westen das Steuer herum und verlangte von den Deutschen genau das, was man ihnen vorher verboten hatte.
Auf den Korea-Krieg ist inzwischen auch wieder eine erheblich veränderte Situation in der Welt gefolgt. Diese neuen Entwicklungen sollten wir lieber sorgfältiger im Auge behalten, statt bis zum letzten Mann und bis zum letzten Komma auf den Protokollen oder Vereinbarungen oder Gedanken zu beharren, die in der damaligen Zeit konzipiert worden sind.
({15})
In der Welt hat sich eine ganze Menge geändert, aber in der Bundesrepublik Deutschland offenbar noch nicht genug; denn hier hat sich nicht einmal der Bundeskanzler geändert.
({16})
Das ist doch wohl das Minimum, Herr Bundeskanzler, was Sie der Opposition erlauben, nicht wahr?
({17})
Der Herr Kollege Kiesinger hat vorhin in einer Zwischenfrage davon gesprochen, daß es Menschen gibt, denen der Wehrdienst unbequem ist. Sicher gibt es die. Es gibt Menschen, denen sind noch ganz andere Sachen unbequem. Aber das ist nicht die richtige Vokabel, um sich mit den Gewissensbedenken derer auseinanderzusetzen, denen der Wehrdienst wirklich an das innere Mark ihres Gewissens geht.
({18}) Es kann niemand bestreiten, daß es die gibt. ({19})
- Nein, aber allein dadurch, daß Sie die Vokabel vom unbequemen Wehrdienst in diese Debatte hineingetragen haben, wird doch gleichzeitig in dieser Frage eine Abwertung erreicht.
({20})
Ich habe in den Zuchthäusern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine ganze Menge von Angehörigen der Gruppe der Ernsten Bibelforscher kennengelernt. Ich zähle nicht zu ihnen; aber die haben sich lieber totschießen lassen, als daß sie sich zum Heeresdienst einziehen ließen.
({21})
Meine Damen und Herren, auch wer sich nicht zu ihren Überzeugungen bekennt, sollte sich vom Standpunkte der Demokratie her dazu bekennen, daß es unser Staat ist, der in ganz besonderer Weise den Respekt vor der Gewissensentscheidung des einzelnen Bürgers zur Maxime seines Handelns erhebt.
({22})
Gestatten Sie eine Frage?
Bitte!
Eine Frage, Herr Kollege Erler! Herr Kollege Erler, glauben Sie, daß in meiner Fraktion die Entscheidung des Grundgesetzes über die Respektierung des Gewissens in der Frage der allgemeinen Wehrpflicht in den vergangenen Jahren und auch bei der Haltung in der Beratung zu diesem Gesetz nicht respektiert worden ist?
Aus der Frage darf ich also erkennen, daß sie respektiert werden soll.
({0})
Das werden wir erst bei den Entscheidungen zu § 25 sehen.
({1})
Gut. Diese Entscheidungen werden gewiß so ausfallen, daß das Gewissen respektiert wird.
Zweite Frage, und nun wirklich im bitteren Ernst, Herr Kollege Erler.
({0}) - Im bitteren Ernst!
({1})
Glauben Sie nicht, daß in einer Zeit wie der unseren, deren Gefahren Sie nicht leugnen können -wenn wir auch beide hoffen, daß diese Gefahren nicht zur Katastrophe führen werden -, die Bereitschaft, sich im Letzten einzusetzen, notwendig ist und daß davon das Leben Westeuropas abhängt? Wieviele Menschen sind das zu tun bereit? Glauben Sie nicht, daß, wenn man die Menschen in dieser Frage mit falschen Argumenten anspricht, viele Unverantwortliche sich hinter einer angeblichen Gewissenspflicht verstecken könnten?
({2})
Herr Kollege Kiesinger, darauf will ich Ihnen eines ganz offen sagen. Diese innere Bereitschaft zur Sicherung der demokratischen Freiheiten unseres Volkes gegen jede Verletzung der Freiheit, von wo sie auch kommen mag, zu wecken, ist Aufgabe der Selbstdarstellung dieses Staates und der Mitarbeit aller seiner Bürger, im vollen Bewußtsein, und zwar mit ihrem eigenen Willen. Wer glaubt, daß er dazu gesetzlichen Zwanges bedarf, hat das Problem nicht erkannt.
({0})
Nun noch einige wenige Schlußbemerkungen! Uns ist vorhin aus einem Mitteilungsblatt der „Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise" - also der Propagandakompanie der Bundesregierung sozusagen ({1})
({2})
vom Herrn Kollegen Schneider ein angebliches Zitat aus Ausführungen des Kollegen Ollenhauer aus dem Jahre 1951 vorgetragen worden. Ich darf Ihnen hier im Auftrage des Kollegen Ollenhauer, der sogar versucht hat, die darin zitierte angebliche Quelle, nämlich eine Meldung einer amerikanischen Nachrichtenagentur, ausfindig zu machen, erklären, daß Herr Ollenhauer niemals der Zeitschrift „Colliers" gegenüber eine derartige Äußerung abgegeben hat.
({3})
Wenn sie ihm je früher vor Augen gekommen wäre, hätte er diese Erklärung sofort nach dem Bekannntwerden abgegeben. Ich glaube, damit ist dieser Fall klargestellt.
({4})
- Ja selbst wenn es in „Colliers" steht, - Herr Ollenhauer hat es nicht gesehen und hat „Colliers" kein Interview gegeben. Darauf kommt es an. Was mitunter mit Meldungen in Magazinen im Ausland alles geschieht, davon kann sogar der Herr Bundeskanzler ein Lied singen.
({5})
Auch der Herr Bundeskanzler hat Erfahrungen gemacht mit nicht immer einwandfreier Wiedergabe seiner Gedanken in amerikanischen Magazinen.
({6})
Eine weitere Frage geht unmittelbar an den Herrn Bundeskanzler; er sitzt unter uns. Ich habe in der ersten Lesung, in der zweiten Lesung und heute in der dritten Lesung die Bundesregierung befragt, was sie außer der allgemeinen Wehrpflicht für Absichten habe und was für volle Formationen man aus den 50 000 Mann an Kadern und Stämmen für die Aufgaben der bodenständigen Heimatverteidigung aufstellen wolle. Wir haben bis zum heutigen Tage auf diese Frage keine Antwort bekommen. Ich wäre dankbar, wenn uns der Regierungschef, der doch immerhin die Richtlinien der Politik bestimmt - und es handelte sich bei dem Satz, den ich zitiert habe, um eine Denkschrift der Bundesregierung -, hier Aufklärung über seine Absichten gäbe, damit wir wissen, was dieser Satz der Denkschrift bedeutet.
({7})
Zum Schluß, damit mich der Herr Bundeskanzler nicht etwa wieder rügt, ich hätte die Freiheit vergessen, will ich vorsichtshalber noch einmal die Sätze sprechen, die ich gesprochen habe unmittelbar, bevor er das Wort ergriff. Deshalb haben mich Ihre ersten Sätze persönlich sehr verletzt, Herr Bundeskanzler. Meine letzten Sätze lauteten - und Sie werden merken, daß die Freiheit darin nicht vergessen war -:
Ein neues Parlament wird andere Wege gehen zu dem Ziel, Sicherheit, Frieden, Freiheit und Einheit zu schaffen für das deutsche Volk in einer Gemeinschaft von Freien und Gleichen.
({8})
Das Wort hat der Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich schon heute mittag zum Wort gemeldet, um
Ihre Frage, Herr Kollege Erler , zu beantworten. Leider konnte mir der Herr Präsident das Wort nicht mehr erteilen, weil inzwischen die Zeit gekommen war, die vereinbarte Pause innezuhalten.
Das Problem, worauf Ihre Frage zielt, ist auch bisher nicht unbesprochen geblieben. Wir haben es im Verteidigungsausschuß schon mehrfach berührt. Ich will aber Ihre Frage für die Regierung auch hier im Plenum noch einmal beantworten. Die in den Planungen der Bundesregierung vorgesehenen 50 000 Mann für Heimatverteidigung bestehen aus Kadern und Stämmen für Truppenteile, die im Verteidigungsfall durch regionale Rekrutierung zu Vollverbänden aufgefüllt werden sollen. In Friedenszeiten ist eine Vermehrung der Zahl von 50 000 nicht vorgesehen.
Lassen Sie mich auch noch etwas über die Aufgabe dieser Verbände sagen. Die Aufgabe der Verbände der Heimatverteidigung ist der Schutz der Kraftquellen der Bundesrepublik gegen militärische Angriffe von außen rückwärts der kämpfenden Feldverbände. Der Schwerpunkt liegt daher in der Luftverteidigung und in der Aufrechterhaltung der Nachrichten- und Versorgungswege. Ich darf, ohne auf das im Verteidigungsausschuß erstattete Gutachten im einzelnen einzugehen, noch kurz darauf hinweisen, daß dieser Punkt in dem Gutachten eine bedeutsame Rolle spielte und daß, wenn irgendwo eine Kritik an den Verteidigungsplanungen der Bundesregierung aus dem Gutachten hätte entnommen werden können, es dann vielleicht der Punkt war, daß das Gutachten die Notwendigkeit der Heimatverteidigung besonders hervorhob. Sie wissen, daß über diese Frage, insonderheit über die Stärke der hierfür vorgesehenen Verbände, noch im Rahmen der Brüsseler-PaktOrganisation zu verhandeln wäre.
({0})
Im Rahmen des vorgesehenen Kontingents von 500 000 Mann, das die Bundesregierung nicht auszuweiten gedenkt - ich nehme an, das ist ein Nebensinn Ihrer Frage, Herr Kollege Erler -, wird also die Bundesregierung der NATO 450 000 Mann zur Verfügung stellen und die 50 000 Mann wie eben angegeben verwenden. Sie wird dazu auch die Möglichkeit haben, da ihr ja aus der verkürzten Ausbildung der sogenannten weißen Jahrgänge auch recht bald die Mannschaften zuwüchsen, die dann im Verteidigungsfalle diese Stämme und Kader zu Volltruppen auffüllen könnten. - So weit die Antwort auf Ihre Frage.
Meine Damen und Herren, ich muß um Nachsicht bitten; der Präsident muß sich erst in den Fahrplan hineinstudieren. Wo stehen wir? Bei dem Umdruck - ({0})
- Noch immer kein Umdruck in der Beratung? Sind wir noch immer in der allgemeinen Aussprache?
({1})
- Aber meine Damen und Herren, ich verstehe ja, daß es heute heiß hergehen muß; aber in Anbetracht dessen, daß auch die Ferien vor der Tür stehen und ein großer Parteitag außerdem, würde ich doch empfehlen, nachgerade zum Ende der allgemeinen Aussprache zu kommen. Es liegen näm({2})
lieh noch viele Änderungsanträge vor, und ich schätze, daß viele von diesen Änderungsanträgen noch begründet werden müssen. Aber weitere Wortmeldungen in der allgemeinen Aussprache liegen auch nicht vor. Nun, dann schließen wir jetzt die allgemeine Beratung, und ich rufe auf den Antrag Umdruck - ({3})
- Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen das Wort zu einer Erklärung nach § 36 erst geben, wenn ich diese Erklärung gelesen habe. Dazu habe ich bis jetzt keine Zeit gehabt. Aber ich gebe zu bedenken, ob Sie nicht eine Erklärung nach § 35 abgeben wollen.
({4})
- Bei § 36 handelt es sich um Abgabe von Erklärungen, bei § 35 um persönliche Bemerkungen. Sind Sie damit einverstanden, Herr Abgeordneter, daß Sie Ihre Erklärung gemäß § 35 abgeben? - Aber dann muß ich Sie mit der Geschäftsordnung insoweit vertraut machen, als es hier heißt:
Zur persönlichen Bemerkung wird das Wort erst nach Schluß oder Vertagung der Beratung erteilt.
({5})
- Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch diese geschäftsordnungsmäßige Sache zu Ende bringen!
({6})
- Herr Abgeordneter, wenn der amtierende Präsident Ihnen das zugesagt hat, dann wird der jetzt amtierende Präsident dieses Wort seines Vorgängers einlösen. Sie haben das Wort!
Meine Damen und Herren! Heute mittag hat es Herr Kollege Dr. Mende mit einer für mich verletzenden Begründung
({0})
abgelehnt, eine weitere Frage von mir entgegenzunehmen.
({1})
- Ich hätte es, meine Herren von der SPD, gerne vermieden, in diesem Zusammenhang auch Sie anzureden. Aber ich bin gerne auch dazu bereit. Seine Begründung enthielt den Vorwurf, daß meine Fragen weder in sachlicher noch in parlamentarischer Noblesse - wie sich Herr Dr. Mende ausdrückte - vorgetragen seien
({2})
und daß er keine Frage gestatten könne - ich zitiere wörtlich -, „die lediglich den Zweck hat, der in Bonn manchmal schon Tendenz ist, einen politischen Gegner persönlich abzuwerten".
({3})
Ich hatte die Absicht, Herrn Dr. Mende weiter' zu fragen,
({4})
ob er sich noch entsinne, daß er es selber war, der vor etwa einem Jahr den in Rede stehenden Verdacht, nämlich Mißbrauch der Redezeit im Deutschen Bundestag im Hinblick auf eine laufende Rundfunkübertragung, ausgesprochen hat.
({5})
Er hat diese Ausführungen, wie das Protokoll unserer Sitzung vom 26. Februar 1955 ergibt, sogar gegenüber zwei amtierenden Bundesministern gemacht. Mit freundlicher Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitiere ich nur zwei Stellen aus der damaligen Rede des Herrn Dr. Mende, bin aber auch bereit, die halbe Spalte des damaligen Sitzungsprotokolls vollständig zu verlesen, falls etwa ein Herausreißen aus dem Zusammenhang behauptet werden sollte.
({6})
Herr Dr. Mende sagte - und das ist jetzt wörtlich -:
Man kann also in Abwandlung eines Sprichwortes nur sagen: Am Rundfunk hängt, zum Rundfunk drängt doch alles, insbesondere abends.
({7})
- Wenn er mich damit gemeint hätte, wäre das heute nur eine direkte Antwort gewesen.
({8})
- Sie können sich darauf verlassen, daß ich das, was ich in diesem Zusammenhang zu sagen habe, auch erzähle, ob es Ihnen angenehm ist oder nicht.
({9})
- Dann seien Sie doch bitte so liebenswürdig und lassen Sie mich sprechen.
Herr Mende sagte weiter:
Wir glauben, daß böse Beispiele doch anscheinend gute Sitten verderben, nämlich die gute Sitte des § 39 unserer Geschäftsordnung, in dem es heißt, daß die Redner nicht länger als eine Stunde sprechen sollten.
({10})
Es war also Herr Dr. Mende, dem es vorbehalten blieb, Mitglieder dieses Hauses zu verdächtigen. Er kann sich daher nicht darüber beschweren - was er mit etwas diskriminierenden Ausdrücken mir gegenüber heute getan hat -, wenn ihm seine eigenen Gedankengänge bei passender Gelegenheit vorgehalten werden.
({11})
Seine heutige Entrüstung - und ich wiederhole nur einige seiner Worte:
({12})
„sachliche und parlamentarische Noblesse, persönliche Abwertung eines politischen Gegners" ({13})
möge auf ihn selbst zurückfallen. Ich für meine
Person bedaure, sie ihm nicht abnehmen zu können.
Nun, meine Damen und Herren von der SPD, ein paar Worte an Sie,
({14})
die Sie sich heute so für Herrn Mende eingesetzt haben und über meine Antwort so entrüstet zu sein scheinen. Sie haben damals die Ausführungen des Herrn Mende mit Beifall beantwortet; so steht es jedenfalls im Protokoll. Sie hätten also konsequenterweise mir heute Beifall und nicht Ihr Mißfallen zuwenden dürfen.
({15})
Weitere Erklärungen nach § 36 oder Bemerkungen nach § 35 der Geschäftsordnung finden nunmehr bis zum Schluß dieser Beratung und bis zum Ende der Abstimmung nicht mehr statt.
Nun rufe ich auf den Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 746 *) Ziffer 1 zu § 2 der Vorlage. Wird dieser Änderungsantrag begründet?
- Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Unterbrechung des Ablaufs der D batte, die wir soeben hier erleben durften, habe ich die Ehre, Ziffer 1 des Antrags auf Umdruck 746 zu begründen. Sie erinnnern sich noch, es handelt sich hierbei um den Antrag, der sich mit der Rechtsstellung der Staatenlosen befaßt. Ich hatte bereits in der zweiten Lesung Gelegenheit, hierzu Ausführungen zu machen, und möchte noch folgendes darlegen. In einem früheren Stadium der Beratungen im Ausschuß war beabsichtigt, die Staatenlosen von der allgemeinen Wehrpflicht auszunehmen. Der Verteidigungsausschuß, oder ich muß genauer sagen: die Mehrheit des Verteidigungsausschusses, hat es für richtig gehalten, die Staatenlosen in die Wehrpflicht einzubeziehen, und zwar nach Maßgabe einer von der Bundesregierung zu erlassenden Rechtsverordnung. Bei dieser Ausdehnung der Wehrpflicht auf die Staatenlosen handelt es sich um ein von Ihnen ({0}) vertretenes Anliegen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß Sie, Wenn Sie den Kreis der Wehrpflichtigen durch die Einbeziehung der Staatenlosen erweitern, diesen Personen konsequenterweise auch die Möglichkeit zum unmittelbaren Erwerb der staatsbürgerlichen Rechte geben müssen.
Der Problemkreis, um den es hier geht, hat eine grundsätzliche Seite. Das ist eine Art - ich möchte einmal sagen - Testfall, wie Sie es mit dem Begriff „Staatsbürger in Uniform" halten. Nach der Regierungsvorlage kann in Zukunft nicht bloß von Staatsbürgern in Uniform, sondern auch von „Staatenlosen in Uniform" die Rede sein. Ich glaube,
- und damit spreche ich gerade die Mehrheit dieses Hauses an -, das wäre ein untragbarer Zustand. Aus dieser Erwägung bitten wir Sie um die Zustimmung zu dem von uns vorgelegten Änderungsantrag.
Ich darf nun vielleicht mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein Wort zu dem vorgelegten Ent*) Siehe Anlage 4.
schließungsantrag sagen. Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits in der zweiten Beratung durch ihren Sprecher zum Ausdruck gebracht, hier solle eine Regelung durch das später zu erlassende Staatsangehörigkeitsgesetz erfolgen. Wir halten das für eine unmögliche Lösung. Wenn Sie heute und jetzt die Möglichkeit zur Einbeziehung der Staatenlosen in die Wehrpflicht eröffnen, muß den unter das Wehrpflichtgesetz fallenden Staatenlosen im Falle der Einberufung auch heute und jetzt das Recht zum Erwerb der Staatsangehörigkeit gegeben werden.
Sie wollen die Regelung einem Staatsangehörigkeitsgesetz überlassen. Meine Damen und Herren von der Mehrheit, erinnern Sie sich bitte an den Leidensweg von Staatsangehörigkeitsgesetzentwürfen in der Vergangenheit! Wenn Sie nicht heute und jetzt bei der Beratung dieses Gesetzes eine Regelung treffen, dann wissen wir nicht, zu welchem Zeitpunkt - vielleicht am Sankt-Nimmerleinstag - irgendeine befriedigende gesetzliche Regelung erfolgt. Der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion - er wird hier noch begründet werden; aber ich darf vielleicht schon jetzt ein Wort dazu sagen, weil er in einem sachlichen Zusammenhang mit dem hier zu begründenden Antrag steht - besagt:
Die Bundesregierung wird gebeten,
- Wir haben keine volle Sicherheit dafür, in welchem Maße und zu welchem Zeitpunkt eine solche Bitte erfüllt wird. Wir betrachten das als eine unzureichende Lösung. Es heißt dann weiter:
spätestens mit Erlaß der Rechtsverordnung
- die also hier vorgesehen wird, Herr Kollege Dr. Weber den Entwurf eines entsprechenden Gesetzes
- also eines Staatsangehörigkeitsgesetzes - vorzulegen.
Herr Kollege Weber, das bedeutet praktisch: die Rechtsverordnung wird erlassen, damit werden die Staatenlosen der Wehrpflicht unterworfen, und dann erst wird der Entwurf hier im Parlament vorgelegt. Das bedeutet doch, daß Monate über Monate ins Land gehen, ehe es zu einer befriedigenden gesetzlichen Regelung kommt. Das bedeutet doch, daß eine ganz erhebliche Zeit vergeht, in der ein Staatenloser nicht ein Staatsbürger in Uniform, sondern ein Mensch ist, der die von Ihnen hier gewollten staatsbürgerlichen Lasten zu tragen hat, der aber nicht die Möglichkeit hat, die vollen Rechte und die volle Würde des Staatsbürgers zu erwerben.
Aus diesen Erwägungen bitten wir Sie, heute und jetzt eine Entscheidung zu treffen. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu dem Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf gleichzeitig mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten den Umdruck 761, der von Herrn Kollegen Wittrock bereits angesprochen wurde, kurz begründen. Wir vertreten in diesem Entschließungsantrag die Auffassung, daß Staatenlose, die zum Wehrdienst einberufen wer({0})
den und dieser Einberufung nachkommen, einen Anspruch auf Einbürgerung erwerben sollen. Das Anliegen, das Sie vertreten haben, Herr Kollege Wittrock, ist auch unser Anliegen. Es besteht allerdings ein Unterschied. Wir sind der Auffassung, daß ein Wehrpflichtgesetz nicht der geeignete Ort ist, Fragen der Staatsangehörigkeit zu regeln, insbesondere dann nicht, wenn wir schon ein Staatsangehörigkeitsgesetz haben. Wir wollen also dasselbe wie Sie. Der einzige Unterschied besteht darin, daß wir die Sache an einer anderen Stelle geregelt wissen wollen. Deswegen darf ich unter Verweisung auf unseren Entschließungsantrag auf Umdruck 761 bitten, den Antrag hier abzulehnen.
Wird weiter dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Gille!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf noch einmal, wie das schon kurz geschehen ist, auf die Schwierigkeiten hinweisen, vor denen wir standen, als die Staatsangehörigkeitsverhältnisse in Ordnung gebracht werden mußten. Da gab es doch geradezu unmögliche Tatbestände. In der deutschen Wehrmacht hatten Tausende und Zehntausende gedient, deren Staatsangehörigkeitsverhältnisse völlig unklar waren. Nach dem Zusammenbruch waren die ganzen Verhältnisse in bezug auf die Versorgung in Unordnung geraten. Wir haben damals sehr viel Mühe gehabt, nicht eine Ideallösung, sondern eine leidliche Lösung zu finden.
Der vorliegende Antrag ist voll berechtigt. Wenn wir dazu übergehen, Staatenlose zur Wehrpflicht heranzuziehen, dann haben wir doch die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihre Staatsangehörigkeitsverhältnisse in Ordnung zu bringen. Hier sind gar keine weiteren Probleme vorhanden. Es ist nicht notwendig, die Dinge so kompliziert, in Form einer Entschließung zu machen. Hier sind wirklich keine Bedenken vorhanden. Ich appelliere an die Mitglieder des Ausschusses für innere Verwaltung, die damals diese ganze mühselige Arbeit gemacht haben. Ich bitte deshalb, diesem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 746 *) Ziffer 1 zu § 2 der Vorlage zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, der § 89 der Geschäftsordnung schreibt vor, daß über Entschließungsanträge in der Regel nach dem Schluß der dritten Beratung abgestimmt wird. Bis jetzt liegt nur e i n Entschließungsantrag vor, der sich unmittelbar auf diese Sache bezieht. Ich mache dem Haus den Vorschlag, daß wir nunmehr über den Entschließungsantrag au f Umdruck 761**) abstimmen. Einverstanden? ({0}) - Nicht einverstanden?
Das Wort zum Entschließungsantrag hat der Herr Abgeordnete Wittrock.
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 10.
Herr Präsident! Meine Damen 1 und Herren! Ich habe bereits zum Ausdruck gebracht, daß uns dieser Entschließungsantrag als keine ausreichende Sicherung erscheint, daß nicht jemand als Staatenloser die Wehrpflicht erfüllt, ohne das Recht zu besitzen, die Staatsangehörigkeit zu erwerben. In dem Entwurf Ihrer Entschließung heißt es, daß erst mit Erlaß der Rechtsverordnung der Entwurf des Gesetzes vorgelegt wird. Dadurch entsteht eine Zeitspanne, während deren die Möglichkeit besteht, daß ein Staatenloser die Wehrpflicht erfüllt, ohne die Staatsangehörigkeit erwerben zu können. Das betrachten wir als untragbar. Deshalb schlage ich folgende Änderung Ihrer Entschließung vor:
Die Bundesregierung wird ersucht, die in § 2 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes vorgesehene Rechtsverordnung erst zu erlassen, wenn das entsprechende Gesetz
- von dem nämlich in Abs. 1 die Rede ist - in Kraft getreten ist.
Eine derartige Formulierung würde die Gewähr bieten, daß der Staatenlose, weil nämlich das Gesetz dann schon in Kraft ist, nicht als Staatenloser in Uniform und damit in Entwürdigung des Begriffs des Staatsbürgers in Uniform herumläuft, sondern auf Grund eines Rechtsanspruches die Staatsangehörigkeit unverzüglich erwerben kann.
Ich bitte Sie, aus dieser Erwägung dem Änderungsantrag zu dem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man sollte dem vom Herrn Kollegen Wittrock vorgetragenen Anliegen stattgeben; denn es liegt niemand im Hause daran, einen Staatenlosen einzuberufen, bevor sein Recht, insbesondere sein Antragsrecht auf Verleihung der Staatsangehörigkeit, umrissen ist.
Zu einer Formulierung werden wir unschwer kommen. Die vom Herrn Kollegen Wittrock gefundenen Worte mögen angehen, aber die Sache mag vielleicht einfacher durch eine geringe, andere Veränderung des Abs. 2 zu bewältigen sein, dem man folgenden Text geben könnte:
Die Bundesregierung wird gebeten, ein entsprechendes Gesetz so rechtzeitig vorzulegen, daß seine Verabschiedung vor Inkrafttreten der in § 2 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes vorgesehenen Rechtsverordnung erfolgen kann.
({0})
Das ist jedenfalls nicht dasselbe, was Sie gemeint haben?
({0})
Falls unser Vorschlag einen anderen Sinn hat, glaube ich, daß er trotzdem geeignet sein könnte, Ihre Bedenken auszuräumen.
Lassen Sie mich nur noch eines zu dem sagen, was der Herr Dr. Gille vorgetragen hat. Die bisherigen Verhandlungen in Staatsangehörigkeitssachen haben erwiesen, wie schwierig diese Dinge sind. Es ist angesichts dieser Schwierigkeiten nicht so, Herr
({0})
Dr. Gille, daß das Anliegen heute ohne weiteres mit einem Federstrich erledigt werden könnte. Dazu sind viel zu viele Umstände zu berücksichtigen, die zwangsläufig bei einer gesetzlichen Regelung in Betracht gezogen werden müssen. Dazu sollte das Parlament und sollten seine Ausschüsse genügend Zeit haben.
Meine Damen und Herren, nun haben wir also zwei verschiedene Änderungsanträge. - Herr Abgeordneter Erler, wollten Sie dazu noch das Wort? - Bitte!
Die Unterschiede in der Formulierung sind folgende - der Herr Präsident kann vielleicht noch einmal den Text des Antrags des Kollegen Wittrock verlesen -: Wir wünschen, daß erst das Staatsangehörigkeitsgesetz geändert wird und dann die Regierung, wenn sie will, von der Vollmacht des § 2 Abs. 2 Gebrauch machen kann. Jeder umgekehrte Weg führt dazu, daß Sie unter Umständen Staatenlose einziehen, die dann staatenlos bleiben und nicht das Recht auf Einbürgerung haben. Warum sperren Sie sich eigentlich so dagegen?
({0})
Wird weiter dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Wittrock zu dem Entschließungsantrag auf Umdruck 761*). Ich lese den Änderungsantrag noch einmal vor, und zwar den letzten Satz des ersten Absatzes:
Eine entsprechende Regelung ist im Rahmen des Staatsangehörigkeitsgesetzes vorzunehmen.
Die Bundesregierung wird ersucht, die in § 2 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes vorgesehene Rechtsverordnung erst zu erlassen, wenn das entsprechende Gesetz in Kraft getreten ist.
Ist der Text völlig klar?
({0})
Sind Sie einverstanden, Herr Abgeordneter Haasler?
({1})
- Der Herr Abgeordnete Haasler zieht seinen Antrag zurück. Ich begrüße das.
Damit kommen wir zur Abstimmung über den Änderungsantrag zum Entschließungsantrag. Wer dem Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Wittrock zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Gegen einzelne Nein-Stimmen bei einer Enthaltung ist der Änderungsantrag angenommen.
Nunmehr ist der Entschließungsantrag entsprechend geändert. Ich darf das Einverständnis des Hauses zu diesem Entschließungsantrag annehmen; es ist ja in der Sache dasselbe. - Damit, meine Damen und Herren, ist der Entschließungsantrag mit dieser Änderung angenommen.
*) Siehe Anlage 10.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den § 2. - Entschuldigen Sie, diese Abstimmung ist unnötig, denn der Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 1 ist abgelehnt, und der Text des § 2 wird durch den angenommenen Entschließungsantrag nicht berührt.
Ich rufe nunmehr den § 3 auf, zu dem verschiedene Änderungsanträge vorliegen, zunächst der Antrag Umdruck 746 Ziffer 2*). Ich frage, ob zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 746 Ziffer 2 das Wort gewünscht wird. - Herr Abgeordneter Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht wiederholen, was ich in der zweiten Lesung als Begründung zu diesem Antrage ausgeführt habe. Aber ich habe noch einige Ergänzungen zu machen.
Der Begriff des Ersatzdienstes ist gleichsam das gewesen, was man einen Arbeitstitel nennt. Aber „Ersatzdienst" kann keine Bezeichnung für den Zivildienst sein, der hier in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz für die Kriegsdienstverweigerer vorgeschrieben wird. Ersatz kann man nur für etwas leisten, was man eigentlich schuldig bleibt. Aber der Kriegsdienstverweigerer bleibt nichts schuldig. Der Kriegsdienstverweigerer ist nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes zu respektieren. Daher würde die Besorgnis begründet sein, daß man mit der Zeit schon in der Bezeichnung „Ersatzdienst" eine Abwertung, eine Herabminderung des Dienstes sehen könnte, den der Kriegsdienstverweigerer leistet.
Deshalb muß dieser Dienst „Zivildienst" heißen. Es muß anerkannt werden, daß es ein selbständiger, eigenberechtigter Dienst ist und kein Dienst zur Erfüllung einer Wehrpflicht. Sie wissen, daß es insbesondere eine Anzahl religiöser Glaubensgemeinschaften gibt, die aus Gewissensgründen jede. Wehrpflicht ablehnen, aber deshalb bereit sind, einen Zivildienst zu leisten. Diesen Menschen sollte man nicht gegen ihr Gewissen die Ableistung des Zivildienstes erschweren.
Sie haben hier die erste Gelegenheit, zu zeigen, ob Sie das Gewissen dieser Menschen achten.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich kann mich sehr kurz fassen. Ich kann auf das verweisen, was in der zweiten Lesung dazu bereits gesagt worden ist. Nur lassen Sie mich, Herr Kollege Arndt, noch eines erwähnen. Wir sollten doch nicht ohne Not von der Terminologie des Grundgesetzes abgehen, besonders in einem solchen Falle nicht, in dem man auch bei Anlegung strenger Maßstäbe nicht das geringste Diskriminierende oder Herabsetzende in der Verwendung des eben im Grundgesetz stehenden Wortes finden kann.
Die vorgeschlagene Regelung hat weiter den Vorteil, daß sie bezüglich der Rechte im Prinzip die Wehrpflichtigen bei den Waffen mit denjenigen, die Ersatzdienst machen, absolut gleichsetzt. Ich halte das gerade für einen Vorteil im Interesse der anerkannten Kriegsdienstverweigerer.
*) Siehe Anlage 4.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 2. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Nun rufe ich auf den Eventualantrag Umdruck 746 Ziffer 3. Herr Abgeordneter Dr. Arndt, wollen Sie dazu das Wort zu Begründung nehmen?
({0})
- Wird zu dem Eventualantrag das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wir stimmen ab über den Eventualantrag Umdruck 746 Ziffer 3`). Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Eventualantrag ist auch abgelehnt.
Ich komme zu dem Antrag Umdruck 744 ({1})**) Ziffer 1, Änderungsantrag der Fraktion der FDP. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wiederholen noch einmal den Änderungsantrag aus der zweiten Lesung, das Wehrpflichthöchstalter für Unteroffiziere und Offiziere von 60 auf 55 Jahre herabzusetzen. Ich berufe mich auf das, was ich zum Teil heute vormittag in der Grundsatzdebatte und zum Teil in der zweiten Lesung erklärt habe. Es erscheint uns nicht zumutbar, bei den physischen Anforderungen, die der Dienst in einer modernen Armee stellt, Unteroffiziere und auch niedere Offiziersdienstgrade über das 55. Lebensjahr hinaus wehrpflichtig werden und sie somit an Wehrübungen teilnehmen zu lassen. Der Auswertung der Erfahrungen Älterer steht dieser Antrag nicht entgegen; denn sie können sich ja freiwillig melden.
Es gibt auch keine wesentliche Veränderung der Zahl der zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen. Nach den Aufstellungen des Statistischen Bundesamtes stehen allein aus Jahrgängen, die bereits Kriegserfahrung haben, 3,5 Millionen Männer zur Verfügung aus den Jahrgängen 1913 - also heute 43 Jahre alt - bis 1926 - also heute 30 Jahre alt -. Es ist anzunehmen, daß ein großer Teil dieser 3,5 Millionen den Dienstgrad eines Unteroffiziers oder Offiziers erreicht hat. Selbst wenn man die Hälfte von ihnen als nicht mehr wehrtauglich annimmt, beträgt die Zahl der zur Verfügung Stehenden immer noch 1 3/4 Millionen. Aus den elf „weißen Jahrgängen", d. h. den Jahrgängen, die noch keine militärische Ausbildung haben
- 1927 bis 1937 -, stehen 4,2 Millionen Männer zur Verfügung, bei Annahme 50 %iger Tauglichkeit also 2,1 Millionen. Auch sie dürften bald als jüngere Unteroffiziere und Offiziere, auch für die bodenständige Verteidigung, auch für die Reserveeinheiten, zur Verfügung stehen. Es ist also nicht notwendig, als Wehrpflichtgrenze für Unteroffiziere und Offiziere das 60. Lebensjahr festzusetzen; es genügt und ist unserer Auffassung nach richtiger, die Grenze beim 55. Lebensjahr zu setzen.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht weiter gewünscht.
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 2.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 744 ({0}) Ziffer 1. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ehe ich in der Abstimmung fortfahre, muß ich einer betrüblichen Pflicht des Präsidenten genügen. Mir wird das Protokoll der Nachmittagssitzung vorgelegt. Darin sind einige nichtparlamentarische Ausdrücke verzeichnet. Ich will sie nicht wiedergeben. Ich bedaure, aber ich muß die Herren Abgeordneten Welke und Heiland hiermit zur Ordnung rufen.
({1})
- Darüber wollen wir jetzt nicht rechten. Ich muß Sie jedenfalls wegen Benutzung nichtparlamentarischer Ausdrücke zur Ordnung rufen.
Wir fahren nun in der Abstimmung fort. Es kommt der Änderungsantrag auf Umdruck 744 ({2}) Ziffer 2. Wird zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 744 Ziffer 2 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag auf Umdruck 749') Ziffer 1, zu § 11, Änderungsantrag der Abgeordneten Merten und Genossen. Wird zu diesem Änderungsantrag das Wort gewünscht? - Bitte sehr, Herr Abgeordneter Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verweise zu diesem Änderungsantrag auf die Begründung, die in der zweiten Lesung von dieser Stelle aus gegeben worden ist. Ich möchte nur noch in Erinnerung zurückrufen, worum es sich handelt. Es handelt sich darum, daß die Befreiung der evangelischen Geistlichen vom Wehrdienst gestrichen werden soll, weil gerade in Erwägungen aus Kreisen der evangelischen Geistlichen zum Ausdruck gekommen ist, daß diese Befreiung der evangelischen Geistlichen vom Wehrdienst sie selbst in sehr schwere Gewissenskonflikte stürzt und von den Gemeinden, die sie zu betreuen haben, nicht verstanden wird. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß die seelsorgerliche Betreuung der Gemeinden im Verteidigungsfalle über den § 13 des Gesetzes in der vorliegenden Form sehr leicht geregelt werden kann, so daß es einer Gesamtbefreiung an dieser Stelle nicht bedarf.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck 749 Ziffer 1. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag auf Umdruck 748**) Ziffer 1, Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Reichstein!
*) Siehe Anlage 7.
**) Siehe Anlage 6.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 11 Abs. 4 Nr. 4 des Gesetzes sieht die Befreiung der Schwerbeschädigten vom Wehrdienst vor. Wir bitten, eine Nr. 4 a einzufügen mit dem Wortlaut: „sonstige rentenberechtigte Kriegsbeschädigte auf ihren Antrag". Kurz zur Begründung: Zu diesem Personenkreis gehören Menschen, die z. B. nur noch ein Auge besitzen, die alle Finger einer Hand verloren haben oder die nur noch einen Fuß haben. Wir sind der Meinung, daß auch dieser Personenkreis vom Wehrdienst befreit werden soll. Die in der zweiten Lesung gegebene Begründung zur Ablehnung unseres Antrages, dieser Personenkreis sei durch die Fassung des § 9 hinreichend gedeckt, ist nach unserer Auffassung nicht richtig.
In § 9 wird die völlige Dienstuntauglichkeit als Grund für eine Wehrdienstbefreiung aufgeführt. Es wäre dann nicht sinnvoll gewesen, die Schwerbeschädigten unter die Bestimmung des § 11 zu nehmen. Es ist durchaus richtig, daß sie in § 9 nicht aufgenommen sind. Wir sind der Meinung, daß die Regelung für die Schwerbeschädigten und die unter 50 % Beschädigten nicht in § 9 erfolgen sollte, der z. B. die Wehrdienstbefreiung der Entmündigten zum Gegenstand hat. Wir bitten Sie sehr, diesem Änderungsantrag auf Einfügung einer Nr. 4 a zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die mit dem Antrag gewünschte Gesetzesbestimmung ist überflüssig, denn Beschädigte, die eines ihrer Gliedmaßen oder ein Auge verloren oder die sonst schwere Schäden davongetragen haben, werden nach § 9 auch dann nicht zum Wehrdienst herangezogen, wenn sie nicht zu den Schwerbeschädigten im rechtlichen Sinne rechnen.
({0})
- Doch, ich habe zugehört, sehr gut; der Antrag ist ja nicht neu.
Im Musterungsverfahren oder im Verfahren bei ihrer Heranziehung wird ihnen eine ärztliche Untersuchung erspart werden. Nach der Verordnung gemäß § 22 des Gesetzentwurfs werden Wehrpflichtige vor den Ersatzbehörden nicht zu erscheinen brauchen, wenn sich aus dem Zeugnis des Amtsarztes, einem mit dem Sichtvermerk des Amtsarztes versehenen Zeugnis des leitenden Arztes einer Heil- und Pflegeanstalt, einem Bescheid der Versorgungsbehörde oder der Unfallversicherung ergibt, daß sie dauernd untauglich sind.
({1})
Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Bazille!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vermag nicht einzusehen, weshalb dieses nicht ganz unkomplizierte Verfahren, das hier vom Herrn Bundesminister für Verteidigung angedeutet worden ist, Platz greifen soll; das ist doch nur nötig, weil eine derartige Bestimmung nicht im Gesetz steht. Schreiben wir in das Gesetz hinein, daß dieser Personenkreis grundsätzlich
vom Wehrdienst befreit ist, so bedarf es dieses Verfahrens nicht. Meine Fraktion wird daher dem Antrag der BHE-Fraktion zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 748') Ziffer 1 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag Umdruck 746**) - Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Ziffer 4 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Bazille!
Meine Damen und Herren! Das Thema Freistellung des letzten oder einzigen Sohnes vom Wehrdienst hat durch die Darstellung des Herr Kollegen Berendsen leider einen falschen Akzent erhalten. Es geht uns hier nicht darum, den unter diese Bestimmung fallenden Menschen für den Kriegsfall eine gewisse Überlebenschance einzuräumen. Wenn es uns allen nicht gelingt, einen bewaffneten Konflikt zu verhindern, dann haben wir keine Möglichkeit, einem Bürger dieses Landes eine irgendwie geartete Überlebenschance zu garantieren, auf gesetzlichem Wege schon gar nicht.
Das Anliegen liegt also auf einer anderen Ebene. Es handelt sich hier um das menschliche Problem der Anerkennung der Opfer, die eine Familie gebracht hat, die außer dem einen alle Geschwister, alle Brüder oder alle Söhne dem Vaterland hat hingeben müssen. Meine Fraktion ist der Meinung, daß wir als Vertretung des deutschen Volkes es den Gefallenen schuldig sind, in Achtung der gebrachten Opfer auszusprechen, daß letztverbliebene Familienmitglieder vom Wehrdienst befreit sind. Es geht hierbei nicht um die Frage der Abschätzung des Risikos, das nun einmal mit der Ableistung des Wehrdienstes verbunden ist - hier kann man verschiedener Auffassung sein -, sondern hier geht es darum, daß das Volk durch Gesetz diesen Opfern eine letzte Achtung und Ehrerbietung erweist, ohne kleinlich zu prüfen, welche Wehrdienstrisiken bei den einzelnen Waffen vorliegen.
Die Mehrheit dieses Hauses hat diese Frage völlig verkannt. Es sind nicht hochpolitische oder militärpolitische Überlegungen, die die Antragsteller bewogen haben, diesen Antrag einzubringen. Hier handelt es sich um ein vorwiegend im menschlichen Bereich liegendes Problem. Wir haben sehr bedauert, daß der Mehrheit bei der Beschreitung ihres Weges offenbar das Gefühl für die Fülle von menschlichen Problemen verlorengegangen ist, die in diesem Gesetz enthalten sind, das wir heute in dritter Lesung beraten.
Der ganze Ablauf der Verhandlungen der letzten Wochen hat deutlich gemacht, in welchem Maße
*) Siehe Anlage 6. **) Siehe Anlage 4.
({0})
das Gefühl für Zwischenmenschliches in diesem Hause verlorengegangen ist.
({1})
- Sie sagen „Na, na, na". Ich möchte Ihnen, meine Herren Zwischenrufer, von dieser Stelle aus sagen, daß es eine ungeheuerliche Zumutung gegenüber den schwerbeschädigten Mitgliedern dieses Hauses war, in den letzten Wochen in pausenlosen Verhandlungen Ihre politischen Absichten durchzudrücken!
({2})
Genügt Ihnen die Liste der Toten nicht, die dieses Hohe Haus als Opfer des Arbeitsrhythmus der vergangenen Jahre zu beklagen hatte?
({3})
Allein am gestrigen Tage haben sich 14 Kolleginnen und Kollegen und Angestellte des Bundestages wegen akuter Kreislaufstörungen und Herzschwächen in ärztliche Behandlung begeben müssen.
({4})
Wir haben Familienangehörige zu Hause, und unsere Wähler haben einen Anspruch darauf, daß der Abgeordnete ihres Vertrauens nicht in einer grob fahrlässigen Weise in seiner Gesundheit gefährdet wird.
({5})
Wenn Sie argumentieren, die Opposition ziehe wegen einer politischen Demonstration mit Rücksicht auf ihren Parteitag aus dem Bundestag aus, dann beweisen Sie damit eben, daß Ihnen das Gefühl dafür verlorengegangen ist,
({6})
welche Zumutung es gegenüber Ihren Kollegen ist, sich 'hier an einer zweiten Lesung zu beteiligen, bei der mindestens auf Ihrer Seite feststeht, daß Sie entschlossen sind, nicht einem einzigen Antrage zuzustimmen.
({7})
Uns ist unsere Kraft und unsere Gesundheit zu schade,
({8})
als daß wir uns von Ihnen zu einer Beratung zwingen ließen, die keine echte Beratung ist und bei der bei Ihnen die Bereitschaft fehlt, hinter dem politischen Weg auch menschliche Probleme zu sehen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berendsen.
Herr Präsident, ich bitte, unseren Antrag auf Umdruck 745*) Ziffer 2 zu § 37 c - Wehrdienst einziger Söhne - mit begründen zu dürfen.
Ich habe gesehen, daß das Problem von Ihnen Herr Kollege Bazille, sehr viel weiter aufgefaßt wird, als ich bisher aus den Diskussionen - auch im Ausschuß - entnehmen konnte. Es handelt sich also nicht ausschließlich darum, diese einzigen Söhne im Kriegsfalle so einzusetzen, daß ihnen möglichst wenig Gefahr droht. Vielmehr wollen Sie das Problem von der menschlichen Seite jetzt und gleich behandelt wissen und Sie glauben, daß Ihrem Antrag am besten Rechnung getragen wird,
*) Siehe Anlage 3.
wenn diese einzigen Söhne überhaupt von der Wehrpflicht befreit werden.
Ich möchte meinen, daß wir doch einmal versuchen sollten, festzustellen, ob in diesen Fällen nicht der § 12 Abs. 4, der Härteparagraph, ausreicht. Ich glaube, daß das, was Sie wollen, durch diesen Paragraphen absolut gedeckt ist und daß es dem Minister ein Leichtes ist, in den Ausführungsbestimmungen die Wehrersatzbehörden und Musterungsbehörden zu veranlassen, diese einzigen Söhne in den Fällen, die Sie sicherlich im Auge haben, so zu behandeln, wie Sie es wünschen. Ihr Wunsch ist auch unser Wunsch.
Ich möchte aber generell meinen, daß wir hinsichtlich des anderen Anliegens, das wir verfolgten - nämlich die einzigen Söhne im Kriegsfalle möglichst aus der Gefahrenzone herauszunehmen
-, am besten verfahren, wenn wir eine gesetzliche Bestimmung schaffen, nach der sie auf ihren Antrag in die rückwärtigen Dienste oder als Ausbilder in die Heimatkriegsgebiete gesandt werden müssen. Ich glaube, daß das die Regelung war, die schon einmal festgelegt worden war, und ich möchte meinen, daß wir damit wahrscheinlich dem Anliegen Nummer 1, das wir hatten, Rechnung tragen. Ich schlage vor, das Anliegen Nummer 2, dessen ganzer Umfang mir eben jetzt bei Ihrer Rede erst klar geworden ist, noch einmal nach den Ferien zu diskutieren.
Ich möchte also bitten, § 37 c in unserer Fassung
- Umdruck 745 Ziffer 2 - nachher anzunehmen und dann das Problem zunächst ruhen zu lassen.
Herr Abgeordneter Erler!
Da auch hier die Meinungen auseinandergehen - auf der einen Seite das Bedürfnis, gleich durch den Gesetzgeber eine menschlich befriedigende Regelung durchzusetzen, auf der anderen Seite mehr vom Militärtechnischen her das Bestreben, durch eine bloße Härtebestimmung zu helfen, was nach unserer Auffassung nicht ausreicht -, möchte ich doch klarmachen, wo das Haus in dieser Frage steht, und beantrage zu unserem Antrag namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, es ist namentliche Abstimmung zu dem Antrag auf Umdruck 746 Ziffer 4 beantragt.
({0})
- Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. -Meine Damen und Herren, bevor wir zur Abstimmung kommen, schlage ich Ihnen vor, daß ich den § 12 und die Änderungsanträge, die dazu vorliegen, aufrufe. Die Sache läuft ineinander über. Wir hatten dieselbe Situation bei der zweiten Lesung.
({1})
- Gut, das eine ist Freistellung, das andere ist Zurückstellung. Aber beide Dinge laufen ineinander über. Außerdem muß in diesem Zusammenhang noch der Antrag auf Umdruck 744 Ziffer 3 begründet und diskutiert werden können. Ich bin der Meinung, daß der Antrag auf Umdruck 744 Ziffer 3 weitergehender ist als der Antrag, den der Herr Abgeordnete Bazille begründet hat. Die namentliche Abstimmung ist beantragt; wir kommen nachher darauf zurück.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Gille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Berendsen machte die Bemerkung, daß § 12 Abs. 4 bereits sehr viel von dem decke, was der Antrag der SPD beinhalte. Ich bin nicht dieser Auffassung. Aber ich möchte Sie auf eine echte Lücke hinweisen. Wenn Sie wenigstens die bescheidenen Möglichkeiten des § 12 Abs. 4 voll ausschöpfen wollen, dann müssen Sie den Abs. 6 dieses Paragraphen ändern. In § 12 Abs. 4 sind drei Gründe aufgezählt, persönliche, häusliche und wirtschaftliche, und die persönlichen Gründe, um die es sich hier handelt, sind im Abs. 6 weggelassen, mit dem die Möglichkeit geschaffen wird, auch auf den kurzfristigen Wehrdienst umzuschalten. Ich wollte mir nur erlauben, diese Bemerkung zu machen. Denn wenn Sie Ihren Gedankengang konsequent zu Ende führen, müssen Sie wenigstens auch in Abs. 6 die persönlichen Gründe mit aufführen.
({0})
Meine Damen und Herren, ehe wir darüber abstimmen, komme ich zu dem Umdruck 744*) und gebe das Wort jetzt zur Begründung des Antrags Umdruck 744 Ziffer 3.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Lüders.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Lassen Sie mich einige Vorbemerkungen machen. Wir hören aus der ganzen Welt ungezählte Reden in allen Sprachen, wir hören Versicherungen, immer abwechselnd Freundschaftsbezeugungen hier und Gewaltandrohungen dort, immer mit den gleichen Worten, aber stets mit entgegengesetztem Sinn. Man hat den Eindruck: „rechter Hand, linker Hand, alles vertauscht". Will man so die Einheit der Welt, will man so die Freiheit und den Frieden verteidigen und ihnen dienen?
Meine Herren und Damen, dieselben Methoden, die hier in der Weltpolitik und in der Politik der einzelnen Staaten angewendet werden, auf das tägliche menschliche Leben übertragen, würden jede menschliche Gemeinschaft hoffnungslos zerstören, und die verschiedenen Seiten würden das Gefühl haben, von der anderen Seite betrogen worden zu sein. Die heute in der Debatte und auch am Mittwoch wieder aufgezeigten Angstbilder zeigen ganz überzeugend: der Wahnsinn regiert die Welt! Wir sind längst über die Etappe, über die Periode hinaus, daß überhaupt noch in Ruhe und mit dem vollen und tiefen Gefühl und Ernst der Verantwortung in der ganzen Welt, in allen Staaten, in allen Parteien über die Grundlagen der Existenz des Menschen und über seine sittliche Verpflichtung nachgedacht, gehandelt und entschieden wird.
Zu welchem Mittel greift man? Man versucht, dieses Wahnsinns Herr zu werden, indem man den Teufel mit dem Beelzebub austreiben will. Und wer bestimmt die Methoden dabei? Ich habe das Gefühl, es sind politische Selbstmörder am Werk, die hier handeln.
({0})
Das ist keinerlei Vorwurf gegen den einzelnen.
Heute steht die Welt unter einer so unerhört ge*) Siehe Anlage 2.
fährlichen Massenpsychose mit einer so unvorstellbaren Wirkung für die Welt im ganzen und für jeden einzelnen, daß ich glaube, man kann nicht ernst und nachdrücklich genug auf diese Situation einer allgemeinen, milde gesagt, politischen und geistigen Schizophrenie in der Welt hinweisen.
({1})
Ich darf mich nun den Ausführungen meines Kollegen von Manteuffel zuwenden. Herr Kollege von Manteuffel, Sie wissen aus unseren früheren gemeinsamen Beratungen in der Fraktion, Sie wissen auch aus den jetzt immer wieder rückhaltlos gegebenen Versicherungen meiner Fraktion, daß wir unter allen Umständen die Pflicht zur Verteidigung bejahen. Das ist aber etwas ganz anderes, als hier in der Vorlage enthalten ist.
Meine Herren und Damen, vorgestern ist der Antrag meiner Fraktion, der sich auf den Schutz des letzten Sohnes bezieht, abgelehnt worden. Viele Kollegen in diesem Hause haben - und das ist ihr gutes Recht - mit Nein gestimmt. Ich frage mich: warum ist über einen so rein menschlichen, so rein ethischen Antrag überhaupt eine derartige stundenlange Diskussion entstanden?
({2})
Als ob es nicht ganz selbstverständlich wäre, daß in diesem Hause Deutsche für Deutsche in der von uns vorgetragenen Frage eintreten! Aber es ist nicht geschehen.
Ich habe mir neulich erlaubt, in diesem Zusammenhang auf einige Worte Kants hinzuweisen. Die verehrte Kollegin Brökelschen hat dazu gemeint, daß das, was ich zitiert hätte, ja nur ethische Postulate seien. Ja, haben denn heute ethische Postulate überhaupt kein Gewicht mehr?!
({3})
So verworren und verwirrt, wie wir alle sind, - sollten wir uns da nicht gerade auf sittliche Postulate, auf ethische Forderungen zurückbesinnen und wenigstens versuchen, danach zu handeln?!
({4})
Ist ihre Erfüllung nicht unsere Aufgabe, ist der Versuch, sie zu erfüllen, nicht eine Aufgabe, die auf unserem, auf jedes einzelnen Gewissen liegt? Sie liegt in der Hand jedes einzelnen; das können wir gar nicht abweisen. Sie liegt auf dem Gewissen jedes einzelnen; auch das können wir nicht abstreiten.
Diesem ethischen, ganz einfachen menschlichen Postulat will unser Antrag gerecht werden. Man kann nämlich zu ethischen Postulaten nicht heute ja und morgen nein sagen,
({5})
je nachdem, wie die immer zitierte „tasächliche Lage" es uns zu gebieten scheint.
({6})
Unser Antrag hat deshalb auch gar nichts mit dem Verhalten der Jugend von 1813 und 1815 zu tun. Ebensowenig hat er zu tun mit den ungeheuren Massen der bei Langemarck in den Tod getriebenen Jugend. Wer von uns - ich glaube, kaum einer - hat nicht bei Langemarck nächste Angehörige, seien
({7})
es Brüder oder Enkel, seien es Kinder oder Neffen, verloren! Wohin man aber mit dem Blick nur auf das „Tatsächliche" kommt, ohne das ethische Postulat zur Grundlage des Handelns zu machen, das haben wir doch mit Entsetzen erfahren in dem verbrecherischen Leichtsinn, mit dem man die opferbereite Jugend 1944 auf Fahrrädern in den Kaukasus jagte.
({8})
Soll so etwas wieder möglich sein? Das will niemand von uns. Die Stellungnahme zu den sittlichen Postulaten einmal mit Ja, einmal mit Nein, verehrte Männer und Frauen, führt zu einem sehr gefährlichen Leben; sie führt nämlich zu dem Leben mit sittlich doppeltem Boden.
({9})
- Ich verstehe Sie leider nicht.
({10})
- Es ist mir leider nicht möglich, zu verstehen, weil ich durch Krankheit auf einem Ohr für einige Zeit taub bin. - Sie führt zu einem Leben mit sittlich doppeltem Boden, und ein solches Leben führt auch zu einer Politik mit doppeltem Boden.
({11})
Das scheint eine höchst gefährliche Konsequenz für ein Volk und für die ganze Welt zu sein. Was im persänlichen Leben gilt, das gilt auch im öffentlichen Leben.
({12})
Aber wir sind auf dem besten Wege, in allen Bezirken des Lebens das zu vergessen und danach zu handeln.
Noch ein Wort zu den beiden Ausführungen des verehrten Kollegen Berendsen zu unserem Antrag für den Schutz des letzten Sohnes. Zwei Kollegen des Hauses, Dr. Mende und Dr. Menzel, haben dazu schon Stellung genommen. Verehrter Kollege Berendsen, der Vergleich der Gefahr im militärischen Einsatz - mit der Bereitschaft, auch sein Leben zu verlieren - mit der Gefahr bei vergnüglichem Schilauf klingt in meinen Ohren etwas frivol.
({13})
Noch frivoler, um nicht zu sagen zynisch - das ist vielleicht nicht erlaubt -, ist für mein Gefühl der Hinweis auf den Entzug des Führerscheins für den letzten Sohn.
({14})
Vielleicht wäre es nicht ganz unangebracht, einmal darüber nachzudenken, ob für solche Debatten nicht der Entzug des „Rednerscheins" ermöglicht werden sollte,
({15})
und zwar durch die Fraktionen, zu denen ein Kollege, der so etwas sagt, gehört. Wir hoffen nun - und ich bin überzeugt, wir täuschen uns nicht -, daß heute die meisten derjenigen, die vor 48 Stunden zu unserem Antrag nein gesagt haben, heute ja sagen werden. Warum hat man eigentlich über diesen Antrag so lange debattiert? Weil er ein ethisches, ein menschliches Anliegen enthielt? Das wäre traurig! Wahrscheinlich wissen aber viele von denen, die dagegen debattiert haben, gar nicht, warum sie das getan haben.
Noch ein Hinweis ,auf Art. 4 Abs. 2 und Art. 19, den mein Kollege Reif bei anderer Gelegenheit in Verbindung mit der Frage der Kriegsdienstverweigerung gegeben hat. Ich bin der Meinung, die heute vorgesehene Regelung entspricht nicht den im Art. 4 Abs. 2 allgemein gegebenen Zusagen. Sie unterscheidet nämlich zwischen der grundsätzlichen Haltung und der konkreten Situation für die Gewissensentscheidung. Damit wird nur der begrenzte Kreis der „prinzipiellen" Wehrpflichtgegner durch Art. 4 Abs. 2 geschützt. Ungeschützt würden alle evangelischen Christen bleiben, deren Gewissen sich in einer konkreten Situation auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung berufen könnte. Dieses Grundrecht - so hat es früher schon mein Kollege Reif rausgeführt - ist ein wesentliches Fundament der staatlichen Ordnung, und zwar ohne Ausnahme und ohne Vorbehalt! Der jetzige Text macht aber Ausnahmen und Vorbehalte.
Zum Schluß, meine Herren und Damen, ein Wort über eine tiefe Sorge, die mich im Gedanken an den in vergangenen Jahrzehnten üblichen Unterschied zwischen rechts und links mit der Abstempelung in Nationale und Nichtnationale bewegt. Für die letzteren galt das sehr häßliche Wort von den „vaterlandslosen Gesellen". Es galt bis zum August 1914. Diese Unterscheidung zeigte sich mit besonderer Deutlichkeit bei Debatten, wie wir sie jetzt zu führen haben, über das Wehrgesetz und insonderheit über die Bewilligungen der Wehrforderungen der Regierung.
Nun, meine Herren und Damen, wer so alt ist wie wir drei ({16}), der weiß wohl, daß die sogenannte getreue nationale Rechte gelegentlich einmal ausrutschte, so z. B. beim Marineetat unter der Ihnen allen bekannten Parole „Ohne Kanitz keine Kähne", d. h. Seiner Majestät sollte die Marineforderung nicht bewilligt werden, wenn andere Kreise nicht die Getreidezölle bekämen. 1914 hieß es plötzlich: „Ich kenne keine Parteien mehr", ein spätes, aber sehr gutes Wort als Beweis, wie sehr man verstanden hatte, daß das gesamte Volk zur Verteidigung bereit war.
Meine Herren und Damen, unser aller Lage ist so schwer, unser Gewissen ist so sehr bedrückt, wir sind jeder in so tiefer Gewissensnot, wie wir Alten sie nur einmal schon erlebt haben. Das war bei der Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Versailler Vertrages mit der Abtrennung deutscher Gebiete und deutscher Menschen. Und was folgte damals aus dem Zwiespalt? Das Bemühen vieler, einen Ausweg aus dieser Not zu finden, hatte keinen Erfolg. Es wurde ein tiefer Keil in das deutsche Volk getrieben. National hießen wieder die einen und nicht national hießen wieder die anderen, je nach der Abstimmung.
Vereinen wir uns doch lieber alle in dem Bemühen, daß diese Zweiteilung nicht wieder als Parole im deutschen Volke gelten soll! Vereinen wir uns doch dahin, daß wir dem sogenannten Mainauer Manifest folgen, das sagt:
Alle Nationen müssen zu der Entscheidung
kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes
({17})
Mittel der Politik zu verzichten. Sind sie dazu nicht bereit, so werden sie aufhören zu existieren.
Schieben wir das nicht als ethisches Postulat vom Tisch! Es muß meines Erachtens der Wegweiser sein und bleiben auf unserem gesamten politischen Weg.
({18})
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Jaeger!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts des Ernstes der Frage und der Bedeutung der vorgebrachten Argumente, aber auch der Tatsache, daß drei verschiedene Anträge vorliegen, die noch im einzelnen gewürdigt werden müssen, beantrage ich namens der Fraktion der CDU/CSU Unterbrechung der Sitzung für eine halbe Stunde.
Es ist Unterbrechung der Sitzung für eine halbe Stunde beantragt.
Ich unterbreche die Sitzung bis 19 Uhr 45.
({0})
Die Sitzung wird um 20 Uhr 17 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Gerstenmaier wieder eröffnet.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Regierungskoalition bitte ich, die Debatte über die §§ 11 und 12 im Augenblick zurückzustellen. Die Fraktionen der Regierungskoalition wünschen dazu einen Antrag zu stellen, der dem Hause vorliegen soll und jetzt gleich verteilt wird. Um der Zeitökonomie willen darf ich bitten, in der Beratung mit § 13 fortzufahren und, wenn dieser Antrag vorliegt, auf die §§11 und 12 zurückzukommen.
Sie haben den Antrag gehört. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch.
Dann fahren wir in der Beratung mit dem Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE auf Umdruck 748*) Ziffer 2 zu § 17 fort. Ich frage, ob dazu das Wort gewünscht wird? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten, dem § 17 Abs. 5 Satz 2 folgenden neuen Wortlaut zu geben:
Das Ergebnis der Untersuchung ist unter Angabe des Tauglichkeitsgrades schriftlich dem Musterungsausschuß vorzulegen;
- so lautet der Satz bisher; er soll durch folgenden Halbsatz ergänzt werden -:
*) Siehe Anlage 6. dem Wehrpflichtigen ist eine Abschrift auszuhändigen.
Wir sind der Meinung, daß der Wehrpflichtige nicht nur ein Recht darauf hat, zu wissen, in welchem gesundheitlichen Zustand er sich im Augenblick der Musterung und damit auch vermutlich in dem der Einziehung befand, sondern auch das Recht, sich diesen Tatbestand schriftlich bestätigen zu lassen. Es ist uns allen bekannt, welche Schwierigkeiten in späteren Zeiten eintreten können, wenn die Frage des Gesundheitszustandes bei Eintritt in die Bundeswehr etwa strittig ist, wenn sie für eine gerechte Beurteilung der später eingetretenen Dienstbeschädigung von Bedeutung sein kann. Wir meinen, daß das ein berechtigtes Anliegen ist, das im übrigen die Musterung weder erschwert noch aufhält.
Wir bitten Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Dazu hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Moerchel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der zweiten Lesung gegen diesen Antrag gesprochen. Ich habe mir diese Frage eingehend überlegt, und ich bin der Auffassung, daß die Argumente des Kollegen Reichstein durchaus zutreffen. Ich empfehle die Annahme dieses Antrages.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Bazille.
Auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält das Anliegen für begründet. Sie wird dem Antrage zustimmen.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Änderungsantrag liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 748 Ziffer 2 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann darf ich auch einmal eine einstimmige Annahme feststellen.
Ich komme zu § 17 im ganzen mit der soeben angenommenen Änderung. Wer ihm mit dieser Änderung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der § 17 ist angenommen.
Ich komme zu § 18 und rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 746') Ziffer 7. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Pöhler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, den Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion zu § 18 zu begründen, der dem Hohen Hause auf Umdruck 746 Ziffer 7 vorliegt.
Die sozialdemokratische Fraktion beantragt unter dieser Ziffer, dem § 18 Abs. 2 letzter Halbsatz folgende Fassung zu geben:
sowie drei weiteren ehrenamtlichen Beisitzern besetzt.
Unser Antrag betrifft die Zusammensetzung der Musterungsausschüsse, denen nach § 19 sehr weitgehende Entscheidungsbefugnisse gegeben werden sollen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion
*) Siehe Anlage 4.
({0})
wünscht, daß die Zahl der im Ausschußentwurf vorgesehenen ehrenamtlichen Beisitzer von einem auf drei erhöht wird. Wir wollen damit dem ehrenamtlichen Element dieser Ausschüsse im Interesse der Wehrpflichtigen ein Übergewicht geben.
Der Abs. 2 des § 18 sieht vor, daß der Vorsitzende dieser Ausschüsse der Leiter des Wehrersatzamtes oder sein Vertreter ist und ein Beisitzer von der Landesregierung vorgeschlagen wird. Diese beiden werden - ob zu recht oder zu unrecht, sei dahingestellt - nach der landläufigen Meinung als Behördenvertreter gewertet. Wir sind aber der Meinung, man sollte den jungen Wehrpflichtigen das Gefühl geben, daß sie bei diesen Musterungsausschüssen gut aufgehoben sind und daß dort in der Mehrzahl Menschen sitzen, zu denen sie Vertrauen haben können. Das sind nach unserer Meinung die Männer, die von den kommunalen Parlamenten zu wählen sind.
In den Ausschußberatungen wunde der Einwand erhoben, man werde so viele Beisitzer nicht finden können, da sie einer Belastung unterworfen sind, weil man ihnen andererseits möglicherweise die Entscheidungen des Ausschusses zum Vorwurf macht. Wenn das richtig ist, meine Damen und Herren - es könnte sein, daß die ehrenamtlichen Beisitzer solchen Vorwürfen ausgesetzt sind -, sollte man dieser Belastung nicht ein einzelnes ehrenamtliches Ausschußsmitglied allein aussetzen.
({1})
In den Beratungen ist weiter zum Ausdruck gekommen, auch in der alten Armee von 1914 sei im Wehrersatzwesen nur ein ehrenamtlicher Beisitzer vorgesehen gewesen. Wir glauben nicht, daß das hohenzollernsche Wehrersatzwesen ein Vorbild für unsere neue Bundeswehr sein könnte.
({2})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, dem sozialdemokratischen Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
({3})
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 7. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf den Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 8 zu § 23. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Bazille.
Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um die Zweijahresfrist. Die Ausschußfassung sieht vor, daß die Wehrpflichtigen nur dann, wenn seit der Ableistung des Grundwehrdienstes oder der letzten Übung eine Frist von zwei Jahren verstrichen ist, vor der Wiedereinberufung zu hören und zu untersuchen sind. Wir sind der Auffassung, daß diese Frist von zwei Jahren nicht zu vertreten ist. Hier gilt es, die Bedürfnisse der Bundeswehr und die Bedürfnisse des Staatsbürgers gegeneinander abzuwägen.
Wir müssen davon ausgehen, daß es sehr wohl möglich ist - das ist auch durch Erfahrung erhärtet -, daß ein Mann, der gestern noch im Vollbesitz seiner Gesundheit den Anforderungen des Grundwehrdienstes genügte, wenige Tage später
den Keim einer tödlichen Krankheit in sich trägt, z. B. Tuberkulose. Es ist aber weder ihm noch seinen Kameraden zuzumuten, daß sie ihre Gesundheit gefährden dadurch, daß er vor erneuter Ableistung des Wehrdienstes nicht noch einmal ärztlich untersucht wird.
Auch die Anhörung des Wehrdienstpflichtigen erscheint uns notwendig. Hier handelt es sich nicht um Sachen, die bewegt werden, sondern um lebendige Menschen. Der Bürger hat ein Recht darauf, gehört zu werden, ehe man ihn zu einer Übung heranholt.
({0})
- Nein! Da haben Sie die Bestimmungen leider nicht richtig gelesen.
({1})
- Es steht im Gesetz, daß er nur dann zu hören und zu untersuchen ist, wenn zwischen der Beendigung seines Grundwehrdienstes oder seiner letzten Übung und der neuen Heranziehung eine Frist von zwei Jahren verstrichen ist. Wir wehren uns gegen die Festlegung dieser Frist von zwei Jahren, weil wir meinen, daß er auf jeden Fall untersucht und gehört werden sollte. Unter Umständen kann er sich auf eine Prüfung vorbereiten, es können in seinem Berufe besondere Verhältnisse vorliegen, die es ihm im Augenblick unmöglich machen, dieser Pflicht ohne schwerwiegende Einbußen zu genügen.
Wir halten es für durchaus vertretbar, wenn die Wehrersatzbehörde ihm die Absicht, ihn heranzuziehen, rechtzeitig vorher mitteilt und ihm das Recht einräumt, Einwendungen dagegen geltend zu machen. Wir sind der Meinung, daß begründeten Einwendungen stattgegeben werden sollte. Entsprechend den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates müssen die Bedürfnisse des Bürgers und die des Staates miteinander in Einklang gebracht werden.
Ich bitte Sie, diesem Antrage zuzustimmen.
({2})
Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Moerchel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bazille hat uns aufgefordert, den Mittelweg zwischen den Belangen der Bundeswehr und den Bedürfnissen des Bürgers zu suchen. Er erwähnte, daß man den Kameraden nicht zumuten könne, mit einem tuberkuloseinfizierten Soldaten zusammenzuleben. Ich muß darauf erwidern, daß diese Möglichkeit natürlich genauso bei einer Infektion mit einer anstekkenden Krankheit, beispielsweise dem Typhus, besteht. Hier, lieber Kollege Bazille, haben wir allerdings nicht die Möglichkeit, der Gefahr zu begegnen, auch nicht mit einer ärztlichen Untersuchung vor der Wiedereinstellung.
({0})
- Sehr richtig, Herr Kollege Erler, man soll untersuchen. Ich bin da genau Ihrer Auffassung, allerdings mit dem Unterschied, daß ich meine, diese Untersuchung soll als Einstellungsuntersuchung erfolgen. Ich nehme den Hinweis des Kollegen Bazille auf, der von dem Mittelweg des Abwägens der beiden Bedürfnisse spricht. Ich glaube, daß man mit der Einstellungsuntersuchung diesen durchaus berechtigten Interessen gerecht wird. Ich
({1})
bin deshalb nicht in der Lage, die Annahme Ihres Antrages zu empfehlen.
({2})
Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Erler!
In dem Antrag steht nirgendwo geschrieben, daß die Einstellungsuntersuchung nicht dazu benutzt werden darf. Es könnte also durchaus so gemacht werden, auch wenn Sie unseren Antrag annehmen. Der Unterschied ist dann immer noch der: Sie wollen auf diese Weise den Mann nicht einmal hören. Das steht nämlich auch in unserem Antrag, und darum geht es in Wahrheit.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir stimmen ab über den Antrag ,auf Umdruck 746*) Ziffer 8. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 24 mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 9. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Schmidt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Nr. 4 des Abs. 2 des § 24 will dem Wehrpflichtigen vorschreiben, während der Dauer der Wehrüberwachung, d. h. rund 25 Jahre lang bzw. bei Dienstgraden sogar rund 40 Jahre lang, jedes Jahr wieder einmal an sogenannten Wehrversammlungen teilzunehmen. Der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion will diese Verpflichtung zur alljährlichen Teilnahme an Wehrversammlungen beseitigen.
Es wird sicherlich in diesem Hause noch eine Reihe von Kollegen geben, die sich an die früheren Wehrversammlungen erinnern können. Sie haben während der Jahre 1936 bis 1938 im wesentlichen der Infiltration nationalsozialistischer Ideologie gedient.
({0})
Davor hatten wir sie zuletzt im Jahre 1913 oder im Jahre 1914 in Deutschland erlebt. Damals liefen diese Wehrversammlungen etwa folgendermaßen ab: Rund vier Stunden lang wurden die Wehrstammrollen und die Wehrpässe der Wehrpflichtigen miteinander verglichen. Das dauerte zwar pro Mann höchstens fünf Minuten. Da man aber vorsorglich einige Hundert in den Saal bestellt hatte, dauerte die ganze Prozedur insgesamt einige Stunden. Der Hauptzweck dieser Wehrversammlungen war aber etwas ganz anderes, nämlich erstens dem Kommandeur des Wehrbezirkskommandos oder dem ihn vertretenden Offizier die Gelegenheit zu einer vaterländischen Rede zu geben. Hauptinhalt dieser Wehrversammlungen waren zweitens die gemeinsamen Gesänge vom „Feldquartier auf hartem Stein".
({1})
Der Hauptinhalt dieser Wehrversammlungen war drittens - ({2})
*) Siehe Anlage 4.
- Ich habe mir das von meinem Vater erzählen lassen.
({3})
Herr Abgeordneter, die letzte Version, die Ihnen hier empfohlen wird, aber doch wohl nicht; die haben Sie sich doch noch nicht von Ihrem Vater empfehlen lassen?!
Nein, aber die letzte Version, die hier durch Zuruf empfohlen wurde, „auf ,blankem' Stein" zu singen, würde ich durchaus akzeptieren.
Schließlich war der Hauptinhalt der Wehrversammlung ein allgemeines militärisches Besäufnis mit Papierblumen und bunten Hüten.
({0})
Es gibt genug ältere Kollegen in diesem Hause, die, wenn sie ehrlich sind, das bestätigen müssen.
({1})
Nun habe ich allerdings aus Ihren Zurufen den Eindruck gewonnen, daß Sie mit dieser Bestimmung keineswegs etwa eine geistige Anleihe bei jenen herrlichen Zeiten aufnehmen wollten. Dann jedoch ergibt sich die Frage, warum der Herr Minister Blank und die Christlich-Deutschnationale Union an dieser Bestimmung festhalten.
({2})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter, das geht nun doch über die Gepflogenheiten dieses Hauses hinaus, und deshalb muß ich Sie dafür zur Ordnung rufen.
({0})
Herr Präsident, ich nehme selbstverständlich den Ordnungsruf hin. Bitte, gestatten Sie mir zu sagen, daß die Politik der Regierungsparteien in den letzten Monaten mir durchaus den Eindruck hervorgerufen hat, sie wolle deutsch-nationale Traditionen fortsetzen.
({0})
Herr Abgeordneter, gegen Ihre Bemerkung in dieser Form ist von seiten des Präsidenten nichts einzuwenden.
({0})
Ich bedanke mich bei dem Herrn Präsidenten und stelle die Frage an die CDU-Fraktion, weswegen sie an dieser komischen Bestimmung festhalten will.
({0})
Wir haben im Verteidigungsausschuß mit durchaus ernsthaften Hinweisen auf die Entartungserscheinungen bei den Wehrversammlungen darum gebeten, diese Bestimmung zu streichen, weil wir
({1})
keinen sachlichen Grund für sie erkennen können. Darauf hat Herr Minister Blank geantwortet, das sei nun einmal notwendig, um die Wehrunterlagen, die bei der Behörde geführt würden, mit den Wehrpässen zu vergleichen, die sich in den Händen der Wehrpflichtigen befänden. Daraufhin haben wir das Argument vorgebracht: Nach Ihrem Gesetzentwurf, nämlich nach den vorhergehenden Nummern, die wir gar nicht zu streichen beantragen, muß der Wehrpflichtige ohnehin binnen sieben Tagen jede Veränderung in seinen Personalverhältnissen anzeigen. Zum andern haben wir darauf hingewiesen, ,daß die Möglichkeit besteht, von jeder Ummeldung beim Einwohnermeldeamt einen Durchschlag an die Wehrersatzbehörde gehen zu lassen. Wir haben weiter darauf hingewiesen, daß nach Ihrem eigenen Gesetzentwurf, nach Nr. 3 des gleichen Paragraphen, die Wehrersatzbehörde, wenn sie etwas vergleichen will, jederzeit oder z. B. einmal im Laufe des Kalenderjahres die Möglichkeit hat, den Mann für ganze zehn Minuten auf die Wehrersatzbehörde zu bestellen, um den Vergleich vorzunehmen. Wir haben schließlich darauf hingewiesen, daß die Behörde die Möglichkeit hat, dem Wehrpflichtigen eine vorgedruckte Postkarte mit Anhängepostkarte zu schicken, mit der er etwa eingetretene Personalveränderungen mitteilen könnte. Alles das hat aber weder den Herrn Verteidigungsminister noch die Koalitionskollegen davon überzeugt, daß diese Bestimmung der Streichung würdig ist.
({2})
Anscheinend hängen Sie doch an diesem Bierglas und an der vaterländischen Rede, die dort gehalten werden soll.
({3})
Meine Damen und Herren, ich will einstweilen nicht annehmen, daß Sie mit der Aufrechterhaltung dieser Wehrversammlung wirklich nur dem Offizier der Wehrersatzbehörde die Gelegenheit zu jener Rede geben wollen. Ich will einstweilen nicht annehmen, daß Sie wirklich nur diese Biergelage herbeiführen wollen. Wenn Sie das nicht wollen, bitte, dann gehen Sie doch hier herauf und erklären Sie, daß Sie der Streichung dieser obsoleten, aus kaiserlicher Zeit stammenden Bestimmung zustimmen.
({4})
Der Herr Abgeordnete Dr. Kliesing hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beabsichtige nicht, die tiefschürfende Analyse, die der Herr Kollege Schmidt hier dem Wesen soldatischer Geselligkeit im allgemeinen und der Wehrversammlung im besonderen hat angedeihen lassen, fortzusetzen. Wir sind der Auffassung, daß die berechtigten Interessen des Verteidigungsministeriums durch Abs. 2 Ziffer 3 dieses Paragraphen hinreichend gedeckt sind. Selbst wenn es also auf Kosten der soldatischen Geselligkeit gehen sollte, stimmen wir dem Antrag zu.
({0})
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 9 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Änderungsantrag ist angenommen.
Damit komme ich zur Abstimmung über den so geänderten § 24. Wer ihm in der geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste ist die Mehrheit; § 24 ist angenommen.
Ich rufe auf § 25, zu dem der Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 10 vorliegt. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Arndt hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 25 enthält die Kernvorschrift über die Kriegsdienstverweigerung. Er soll nach der Ausschußvorlage und den Beschlüssen der zweiten Lesung lauten:
Wer sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten... .
Der § 25 in dieser Fassung der Ausschußvorlage verbessert und erweitert die Fassung des Regierungsentwurfs. Als Änderung der Regierungsvorlage hat er deshalb im Verteidigungsausschuß die Zustimmung einiger meiner Freunde gefunden, aber nur die bedingte Zustimmung zum etwas Besseren, nicht die Anerkennung als gut oder befriedigend, bedingt durch den namentlich im Rechtsausschuß wieder und wieder betonten Vorbehalt, daß eine gesetzgeberische Interpretation oder Legaldefinition des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes gar nicht zulässig ist und daß jedenfalls in der Sache dieses Grundrecht nicht so eingeengt werden kann und darf. Es trifft daher nicht zu, was Herr Kollege Dr. Kliesing in der zweiten Beratung vorgestern gesagt hat, dieser Formulierung liege ein Antrag meines Fraktionsfreundes Bauer zugrunde.
({0}) - Ja, zugrunde!
({1})
- Ja, das ist jedenfalls sehr lückenhaft ausgedrückt, Herr Kollege Kliesing. Denn Herr Kollege Bauer hat ja im Rechtsausschuß mit allem Nachdruck den Standpunkt vertreten, Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes enthalte ein in sich abgeschlossenes Grundrecht, das gesetzgeberisch nicht ausgelegt oder eingeengt werden könne. Und erst als dieser Standpunkt des Kollegen Bauer, den auch meine Freunde und ich geteilt haben, abgelehnt worden war, hat Herr Kollege Bauer im Rechtsausschuß unter Aufrechterhaltung seiner Vorbehalte hilfsweise darum gebeten, wenigstens die Fassung anzunehmen, die für die Evangelische Kirche Militärbischof Kunst im Verteidigungsausschuß vorgeschlagen hatte. Diese Fassung deckt sich ja auch für Herrn Bischof Kunst keineswegs mit dem, was der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland empfohlen hat, sondern war nur eine letzte Rückzugslinie für ihn. Die vom Rat empfohlene Fassung lautete anders, nämlich so:
Wer aus religiöser oder sittlicher Gewissensüberzeugung sich der Beteiligung an der Waffenanwendung zwischen den Staaten wider({2})
setzt, kann den Kriegsdienst mit der Waffe
verweigern.
Darin ist sehr eindeutig enthalten, daß es sich um eine konkrete, bestimmte, aktuelle Anwendung der Waffen handelt, so daß es nicht richtig ist, was Herr Bausch vorgestern in der zweiten Lesung hier erklärt hat, daß damit den Anregungen und Empfehlungen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland weitgehend Rechnung getragen sei.
Bevor ich nun auf die Rechtsfrage und vor allem die Frage nach Inhalt und Tragweite dieses Grundrechts eingehe, darf ich Sie urn Gehör für eine allgemeine Bemerkung bitten. Meine Damen und Herren, uns entzweit die politische Frage, ob es sinnvoll ist, die allgemeine Wehrpflicht anzuordnen. Es ist aber nicht einzusehen, daß dieser Kampf um die Wehrpflicht notwendig auch einen Streit um die Verfassungsfrage der Kriegsdienstverweigerung bedeuten müßte. Eine Unvermeidlichkeit ist für einen solchen Zwist in keiner Weise einzusehen. Im Gegenteil, ich glaube, daß man Befürworter oder Gegner der allgemeinen Wehrpflicht sein kann - wie tief der Gegensatz sein mag oder wie hoch die Wogen der Leidenschaft auch gehen mögen -, nichts zwingt dazu, uns auch in der Frage der Kriegsdienstverweigerung uneins zu werden. Denn diese Frage ist in der Verfassung vorentschieden, in unserem Bonner Grundgesetz, das doch für Mehrheit und Minderheit den gemeinsamen Boden bildet, auf dem wir alle miteinander stehen.
Keine demokratische Partei kann daher ein Interesse daran haben, vom Grundgesetz abzuweichen oder es auszuhöhlen. Alle demokratischen und rechtsstaatlichen Kräfte sollten sich auch in dem Bemühen treffen können, daß wir keinen Massenverschleiß an Gewissen wollen, daß wir nicht mit dem Grundwert Schindluder treiben lassen, den das Gewissen des Menschen für unsere freiheitliche Ordnung und ihre sittliche Kraft bedeutet. Warum also sollte es nicht möglich werden, hier ein gemeinsames Anliegen zu sehen, jenseits aller Verschiedenheiten in der Wehrpflichtfrage das gemeinsame Anliegen der verfassungsgerechten Erfüllung des Grundgesetzes?
Nicht wir haben aus Anlaß dieser Gesetzesvorlage zu entscheiden, ob eine Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen anerkannt werden soll, sondern das Grundgesetz hat diese Regelung durch seinen ersten und vierten Artikel schon getroffen:
Niemand darf gegen sein Gewissen zum
Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden,
bekennt Art. 4. Wenn es dort weiter heißt: „Das Nähere regelt ein Bundesgesetz", so kann darin keine Ermächtigung liegen, zu bestimmen, was das Gewissen ist oder welches Gewissen zu Recht oder zu Unrecht schlägt; denn alle Grundrechte, auch das der Kriegsdienstverweigerung, binden nach Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes Recht. Also kann es sich bei den noch näher zu treffenden Regelungen nur um all das handeln, was nicht bereits Wortlaut und Sinngehalt des Grundrechts ist: die Frage des Zivildienstes, die Art, wie und wann das Grundrecht geltend zu machen und in welchem Verfahren darüber zu entscheiden ist, ob einer sich ernstlich auf sein Gewissen beruft. Das sind noch Fragen genug.
Aber man hat allerlei Einschränkungen versucht. Erstens hat man gesagt, das Grundrecht gelte
nur im Kriege, wobei man sich an den Wortlaut geklammert hat; als ob Worte wie „der Kriegsmann" - die auch in dieser Debatte schon bei der Frage, ob der Kriegsmann im seligen Stande sein kann, gefallen sind -, Worte wie „der Kriegsminister" Tätigkeiten beschrieben, die allein im Kriege auszuüben wären! Der Kriegsdienst ist doch nicht nur ein Dienst im Kriege, sondern der Waffendienst in Vorbereitung für die Verteidigung in einem Kriege. Klar hat als autorisierter Sprecher der katholischen Kirche Professor Hirschmann vor dem Verteidigungsausschuß hierzu gesagt -ich darf es wörtlich zitieren -:
Das Recht der Verweigerung bezieht sich im umschriebenen Sinne nicht nur auf den unmittelbaren Dienst mit der Waffe, sondern auf jede Handlung, die im Zusammenhang mit der Ablehnung der Kriegsdienstpflicht dem Kriegsdienstverweigerer sittlich untragbar erscheint.
Zweitens hat man gemeint, dieses Grundrecht und allein dieses Grundrecht sei ein Ausnahmerecht, weshalb sich im besonderen eine außerordentliche Ermächtigung erkläre, es noch der gesetzgeberischen Bestimmung zu unterwerfen. Aber dieser Interpretationsversuch übersieht, daß der dritte Absatz in Art. 4 des Grundgesetzes schon eine Präzisierung des ganzen, einheitlichen Grundrechts aus Art. 4 ist, der im ersten Absatz lautet: „Die Freiheit des Gewissens ist unverletzlich". Insoweit darf kein Gesetz das Nähere regeln, was ein Gewissen ist. Hierzu hat wiederum als autorisierter Sprecher der katholischen Kirche Herr Professor Hirschmann vor dem Verteidigungsausschuß erklärt - ich darf es wörtlich anführen -:
Niemals darf der Staat einen Menschen zwingen, etwas zu tun, was dieser, wenn auch unverschuldet, irrigen Gewissens wegen als Sünde ansieht. Das ist der Kern von Art. 4 Abs. 3 GG, der auch gilt, wenn es keinen Art. 4 Abs. 3 gäbe. Das ist einfachhin die Menschenwürde, von der die ganze Verfassung ausgeht. Die Verletzung dieses Grundtatbestandes wäre das, was Herr D. Kunst die Zerstörung der menschlichen Person genannt hat.
So weit Professor Hirschmann.
Außerdem verkennt diese Ansicht, daß es sich hier - angeblich - um ein Ausnahmerecht handele, überhaupt das Wesen der Grundrechte. Im sozialen Rechtsstaat der freiheitlichen Demokratie sind Grundrechte nicht mehr Gegenrechte gegen den Staat, sondern sowohl die staatliche Gemeinschaft mitgestaltende Rechte des einzelnen zum Staate hin als auch vor allem Selbstzeugnis der durch die Verfassung geschaffenen Rechtsgemeinschaft, die durch diese ihre individuelle Lebensordnung als ihr eigenes Gesetz über sich aussagt: Ich, die Bundesrepublik Deutschland, bin ein Staat, der die Gewissen nicht verletzt, weil ich das Gewissen um der Menschenwürde willen als einen absoluten Wert achte, einen Wert, der auch die Rechtswürde des Staates mitbegründet. Der Art. 4 Abs. 3 fügt hinzu, wenn ich es einmal mit diesen Worten ausdrücken darf: Ich, die Bundesrepublik Deutschland, bin ein Staat, der insbesondere in der Wehr- und Kriegsfrage kein Gewissensopfer fordert, weil über die Gewissen nicht durch Abstimmung entschieden werden kann. Darum will dieser Staat kraft des vierten Artikels seiner Verfassung ein Staat sein, der sich aus der freien Gewissensentscheidung der Menschen bildet. Dieses Grund({3})
recht ist somit ein Fundamentalsatz der Staatsstruktur, aber keine absonderliche Ausnahmebefugnis, sondern eine elementare Norm der Verfassung, die keiner weiteren Bestimmung des an sie gebundenen Gesetzgebers unterliegt. Aus diesen zwingenden Gründen ist jedes Unternehmen, in einem Wehrpflichtgesetz Legaldefinitionen zu bringen, weder statthaft noch fruchtbar. Allein die Rechtsprechung wird berufen sein, den Sinngehalt dieses Grundrechts zu erkennen und zu entwickeln. Das Gesetz darf deshalb nicht selbständig bestimmen, welchen Inhalt das Grundrecht hat, sondern es kann für seine Regelung der Folgen, die sich aus diesem Grundrecht ergeben, lediglich das in seinem Wortlaut und Sinn bereits vorgegebene Grundrecht voraussetzen. Schon aus diesem Grunde rechtfertigt sich unser Antrag.
Aber auch in der Sache bestehen Bedenken, ob dieser § 25 selbst in der etwas verbesserten Ausschußfassung dem Grundrecht gerecht wird. Denn § 25 erkennt seinem Wortlaut nach allein solche Gewissensgründe an, die jeder Waffenanwendung zwischen Staaten entgegenstehen. Diese Formulierung läßt es immerhin zweifelhaft erscheinen, ob sie wirklich den in Betracht kommenden Gewissensgründen angemessen ist. Sie klingt jedenfalls immer noch nach einer Intellektualisierung des Gewissens, wie ja seinerzeit auch die Regierungsvorlage die Gewissensentscheidung durch eine Doktrin zu ersetzen suchte, der man allgemein huldigen müsse. In Übereinstimmung mit dem Ratschlag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich Bischof Kunst vor dem Verteidigungsausschuß dagegen gewandt, die Gewissensentscheidung mit unveränderlichen Grundsätzen gleichzusetzen, und hat erklärt - ich darf es wörtlich zitieren -:
Nach evangelischer Lehre wird die Stimme des Gewissens in der Stellung zu einer bestimmten konkreten Handlung oder Entscheidung hörbar.
Von diesem evangelischen Verständnis des Gewissens aus können nicht nur die Gewissensbedenken eines dogmatischen Pazifisten oder eines Anhängers allgemeiner Gewaltlosigkeit anerkannt werden, sondern auch die Ablehnung eines besonderen Krieges deshalb, weil er nicht gerechtfertigt oder ungerecht erscheint oder weil er mit Massenvernichtungsmitteln geführt wird, deren Unheil unabsehbar ist. Ferner hat Bischof Kunst vorgetragen, daß es innerhalb der evangelischen Lehre eine Glaubenslehre gibt, für die auch jene Seelenangst als unüberwindliche Stimme des Gewissens Gehör verdient, die aus der gegenwärtigen Lage Deutschlands, aus der deutschen Spaltung und der Gefahr des Bruderkrieges erwächst.
Auf jeden Fall sind sich beide christlichen Kirchen darin einig, daß es keinen staatlichen Richter über das Gewissen gibt, wobei offensichtlich der Begriff des Richtens hier auch die gesetzgeberische Entscheidung mit umfaßt. Es wäre deshalb ein verhängnisvoller und mit dem Grundgesetz unvereinbarer Irrweg, von Gesetzes wegen feststellen zu wollen, welche theologische Lehre oder sittliche Grundauffassung richtig sei, welches Gewissen die rechte Stimme hört und welches sich irrt. Wir kämen dann in die Versuchung, den Glauben des anderen nicht zu glauben, weil es nicht unser Glaube ist, das Gewissen des anderen, weil es nicht unser Gewissen ist, auch nicht als sein Gewissen
hinzunehmen. In Gewissensfragen kann es sich niemals um Rechtsfragen in dem Sinne handeln, daß man das Gewissen als einen Rechtsbegriff von Staats wegen normieren dürfte, sondern wir haben es einzig und allein mit der Beweisfrage, mit der Tatfrage zu tun, ob es das Dasein solcher Gewissen und solcher unüberwindlichen Gewissensnöte gibt, auch dann, wenn wir sie selber nicht verstehen.
In dem schriftlichen Ausschußbericht des Herrn Kollegen Dr. Kliesing findet sich aber die Berner-kung, „daß es außerordentlich schwierig ist, die Gründe festzulegen, die eine im Sinne dieses Gesetzes relevante Gewissensentscheidung ergeben können". Aus dieser Bemerkung ergibt sich, daß sich der Ausschuß in seiner Mehrheit leider eine irrige Frage gestellt hat; denn es ist weder erheblich, noch gesetzlich bestimmbar, noch gerichtlich bewertbar, aus welchem Anstoß heraus, aus welcher Motivation eine Gewissensnot entsteht, sondern maßgeblich kann allein das Dasein der Gewissensbedrängnis sein. Dem Urteil einer staatlichen Instanz können somit nur die Ernstlichkeit, die Tiefe und die zwingende Kraft jener inneren Qual eines anderen Menschen unterliegen. Unmöglich ist dagegen ein Gericht darüber, ob das Gewissen dieses anderen Menschen irrt, ob also die letzte Norm, an die das Gewissen eines bestimmten Menschen hier und heute sich unüberwindbar gebunden weiß, von Staats wegen für gerechtfertigt gehalten wird oder nicht. Jeder Versuch, das Gewissen gesetzlich zu normieren, mit anderen Worten, das Gewissen des einen, der sich allgemein zur Gewaltlosigkeit bekennt, als ein beachtliches Gewissen zu erklären, dagegen das Gewissen eines anderen, der es nicht auf sich nehmen kann, mit Atomwaffen zu kämpfen oder auf Soldaten aus seinem eigenen Volke zu schießen, als ein unbeachtliches Gewissen abzuwerten, jeder solche Versuch ist eine Überforderung des Gesetzes, kann vor dem Grundgesetz nicht bestehen und endet in Unmenschlichkeit.
({4})
Hierüber darf es keine Unklarheit geben, weil sich in die Beratungen und in die Diskussionsbeiträge immer und immer wieder die falsche Frage nach dem richtigen Gewissen, insbesondere nach der richtigen Gewissensentscheidung eines evangelischen Christen, eingedrängt hat.
Soeben erst wieder hat sich das Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung - Nr. 122 vom 5. Juli - „von evangelischer Seite", wie es dort heißt, schreiben lassen, für das evangelisch verstandene Gewissen sei der Erlanger Theologe Walter Künneth die Autorität, nach dessen jüngster Lehre die Kriegsdienstverweigerung Ungehorsam gegen Gottes Willen ist.
({5})
Dem nichtgenannten Verfasser dieses Eingesandt ist offenbar unbekannt, daß die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche eine besondere Kirche innerhalb der Evangelischen Kirche ist und daß sich die Lutheraner, zu denen Professor Künneth gehört, so sehr als besondere Konfession ansehen, daß sie die Abendmahlgemeinschaft mit anderen Evangelischen - mit den Unierten oder Reformierten - ablehnen.
Immerhin dürfte bemerkenswert sein, daß Professor Künneth nicht immer so sicher war, wel({6})
ches die rechte Gewissensentscheidung sogar für einen Lutheraner ist; denn noch in seiner erst im vergangenen Jahr erschienenen und vom Jahre 1954 datierten Schrift, seinem Werk über „Die christliche Ethik des Politischen", heißt es - ich darf das wörtlich zitieren -:
Aus diesen psychologischen Erwägungen ergibt sich, daß nicht jede an sich berechtigte politische Maßnahme zu jeder Zeit und in jedem Fall gutgeheißen werden kann, wenn sie zu einer Verwirrung der Gewissen und damit zu einer Infragestellung der ethischen Grundsätze führt. So ist die vor eingen Jahren plötzlich aufgetauchte Forderung der Wiederbewaffnung des deutschen Volkes eine seelische Überforderung gewesen,
({7})
die zu einer Gewissensprüfung aller verantwortlichen Politiker Anlaß geben muß.
({8})
An sich ist unbestreitbar, daß das Wehrrecht auch der deutschen Nation nicht abgesprochen werden kann, ebensowenig wie die Pflicht einer Verteidigung.
Und nun, meine Damen und Herren, kommt der entscheidende Satz:
Wenn aber diese Forderung in radikaler Umschaltung der bisher dem Volke eingeimpften Gesichtspunkte erfolgt, und ohne daß das Volk sein waffenloses Schicksal bisher zu deuten gelernt hat, so bedeutet ein solcher Umbruch der politischen und moralischen Argumentation eine psychologische Unmöglichkeit.
So Künneth im vorvergangenen Jahr.
Ich erwähne dieses Beispiel, um zu zeigen, wie unfruchtbar es ist, sich von Staats wegen in Glaubensfragen einmischen und darüber entscheiden zu wollen, an welche letzten Normen ein Gewissen von Rechts wegen gebunden sein kann. Es ist aber nicht nur ein auf Unkenntnis beruhendes Bemühen, einem evangelischen Christen, der kein Lutheraner ist, die Theologie der Erhaltungsordnungen des Lutheraners Walter Künneth als angeblich autoritativ im Bulletin der Bundesregierung vorhalten zu wollen, sondern die Staatsgewalt handelt verfassungswidrig und intolerant, sobald sie einzelne bestimmte Glaubenslehren von Amts wegen verbreitet und als maßgeblich hinstellt.
({9})
Unser Staat, wie ihm das Bonner Grundgesetz die Verfassung gegeben hat, ruht auf der Glaubens- und Gewissensfreiheit eines jeden seiner Bürger, d. h. der Staat erkennt diese Freiheit als einen seiner Grundwerte an. Aber der Staat selber hat keinen Glauben. Der Staat hat es deshalb hinzunehmen und zu bejahen, daß die Menschen seines Volkes verschiedene Glaubensbekenntnisse haben, insbesondere da es innerhalb der evangelischen Kirche sehr unterschiedliche Glaubenslehren gibt. Da ist die den Herrn Kollegen Bausch beunruhigende Lehre aus Kreisen der Bekennenden Kirche, daß der Befehl zum Wehrdienst ein Befehl zur Sünde sei, und da ist die Theologie des Lutheraners Künneth, daß die Wehrdienstverweigerung Sünde sei. Beide Überzeugungen und noch andere mehr sind vom Staate unbedingt hinzunehmen, zu achten und zu ehren. Geprüft werden kann einzig und allein, ob der eine oder andere Mensch ernstlich einem dieser vielfältigen Bekenntnisse so anhängt, daß er, ohne sich selber untreu zu werden oder zerbrochen zu werden, nicht gegen das handeln kann, was ihm als theonomes oder ethisches Gebot letzte Richtschnur ist.
Deshalb ist es ein böser Verstoß gegen die schlichtesten Erfordernisse der Toleranz, ja ein Angriff auf unverzichtbare Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung, wenn in jener Zuschrift an das Bulletin jene anderen evangelischen Glaubenslehren, die zu Künneths Theologie im Widerspruch stehen, als „Propaganda", noch möglichst als Propaganda, die von außen kommt, verleumdet werden, eine Propaganda, die den loyalen Staatsbürger verwirre.
({10})
Aus diesen Gründen verrät es weiterhin eine falsch gestellte, ja, eine von Verfassungs wegen unzulässige Frage, wenn im schriftlichen Ausschußbericht ferner gesagt wird, es sei im Ausschuß erörtert worden, wie es heißt, ob nur die grundsätzliche Verneinung der Gewaltanwendung im zwischenstaatlichen Bereich eine Kriegsdienstverweigerung begründen könne oder auch eine situationsgebundene Gewissensentscheidung, gleich welcher Motivierung. Der Ausschußbericht hüllt sich in tiefstes Stillschweigen darüber, was es bedeuten soll, daß der § 25 jetzt lautet:
Wer sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert . . .
Würde damit gemeint sein - man weiß es nicht -, daß ausschließlich eine solche Gewissensnot als Not des Gewissens geachtet werden soll, die überhaupt schlechthin jedweden Krieg zwischen Staaten ablehnt, dann wäre diese Einengung unerträglich und mit dem Grundgesetz unvereinbar.
({11})
Würde dies beabsichtigt sein - was ungewiß bleibt -, so wäre das eine Anmaßung, zwischen wertvollen und wertlosen Gewissen zu unterscheiden. Es hieße dies, alle anderen Gewissen in den Mülleimer werfen, die in unüberwindliche Not geraten, weil sich der eine oder andere Mensch in seiner letzten, tiefsten, äußersten Entscheidung nicht dazu verstehen kann, am Krieg mit Atomwaffen oder am Bruderkrieg innerhalb des gespaltenen Vaterlandes teilzunehmen. In diesem Falle entspräche das Gesetz unter keinen Umständen dem bekannten Ratschlag des Rates der Evangelischen Kirche. Bereits über den Regierungsentwurf hatte als ein Sprecher des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland Bischof Kunst am 1. Juni vor dem Verteidigungsausschuß geklagt - ich will wörtlich zitieren -:
Er
- der Regierungsentwurf trägt an keiner Stelle den von den Synoden der Evangelischen Kirche und sonst vorgetragenen Bitten Rechnung.
Das ist sein Urteil darüber. Es gilt darum, im Gesetz durch einen einfachen und jedermann verständlichen Wortlaut klarzustellen, daß der Staat nicht Herr über die Gewissen ist und daß es keine Stellvertretung im Gewissen gibt, auch nicht in politischen Fragen.
({12})
Es geht nicht darum, ob wir für die eigene Person eine Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen gutheißen oder nicht; das ist vom Grundgesetz entschieden. Es geht auch nicht darum, ob einer von uns selber ein Kriegsdienstverweigerer ist, sondern nach dem Gesamtinhalt des Art. 4 als einem Ganzen haben Gesetzgeber und Richter ausschließlich zu prüfen und zu achten, ob die Ernstlichkeit und die Tiefe feststellbar sind, mit der das Gewissen eines anderen Menschen ihn unüberwindlich zu einer Entscheidung zwingt. In diesem Sinne hat als der autorisierte Sprecher der Katholischen Kirche Professor Hirschmann erklärt:
Das Gewissen ist also immer individuell und
situationsbezogen. Es ist zugleich normbezogen.
Professor Hirschmann hat autoritativ als Lehrmeinung der Katholischen Kirche festgestellt - ein letztes wörtliches Zitat -:
Jedes Handeln der menschlichen Person gegen das eigene unüberwindlich irrige Gewissen ist immer und ausnahmslos in sich sittlich verwerflich. Jeder Zwang zu solchem Handeln ist ebenso wesensnotwendig sittlich verwerflich.
Und Professor Hirschmann fährt fort:
Selbst um seiner Existenz willen - um es schroff zu formulieren - darf der Staat nicht diese Existenz auf der Zerstörung der sittlichen Persönlichkeit des Menschen aufbauen. Der unmittelbare Zwang zum Handeln gegen das Gewissen wäre eine solche Zerstörung.
Ob ein jeder von uns diesen Glauben teilt oder nicht und ob uns dieser Glaube politische Schwierigkeiten bereitet oder nicht, darauf kann es und darf es nach dem Grundgesetz und nach den Grundsätzen unserer Gesittung nicht ankommen. Wir müssen es deshalb hinnehmen, daß Professor Hirschmann ausgesagt hat, die Katholische Kirche erkenne die Kriegsdienstverweigerung wegen der objektiven Ungerechtigkeit eines Krieges an. Der totale Krieg sei sicherlich unerlaubt, und man dürfe Waffen, deren Wirkung überhaupt nicht mehr überschaubar ist, selbst dann nicht einsetzen, wenn der andere Staat es tut.
({13})
Es ist leider nicht klar genug ersichtlich, ob der Verteidigungsausschuß alle diese rechtlich zu beachtenden Fälle von unüberwindlicher Gewissensnot in seine mehrdeutige Formulierung des § 25 miteinbeziehen wollte. Sicher ist allerdings, daß bedauerlicherweise der Rechtsausschuß - von dem man das am wenigsten erwarten dürfte -, dessen Mehrheit an der Regierungsvorlage festhielt, sich darüber klar war, daß die Regierungsvorlage weder den Glaubenslehren der Katholischen noch der Evangelischen Kirche gerecht wurde, sondern einen eigenen juristischen Begriff des Gewissens neu erfinden und schaffen wollte.
({14})
- Jawohl, darüber war sich der Rechtsausschuß völlig klar.
Meine Damen und Herren, hier könnte mich die Versuchung bedrängen, das ganze Pathos dieser Frage laut werden zu lassen; aber ich will die Leidenschaft bezwingen und gerade darum nur sehr leise meine Erwägungen zu bedenken geben. Es war ein bedrückendes Erlebnis, wie im Rechtsausschuß der eine und der andere aus der Minderheit das Wort suchte, das rechte Wort, aber leider immer nur die eine Seite, die Seite der Minderheit um Verständnis rang und doch nicht Gehör fand, als ob wir keine gemeinsame Sprache mehr redeten. Ist es denn wirklich so weit gekommen, daß wir nicht mehr aufeinander hören können? Stehen wir an dem Punkt, wo für uns aus dem andern bloß noch die parteipolitische Taktik spricht oder zu sprechen scheint?
Ich bitte Sie, sich zu fragen, was für eine Bundeswehr gewonnen sein soll, falls diese Grundfrage der Kriegsdienstverweigerung nicht gerecht geregelt würde. Ob wir nun Anhänger oder Gegner der Wiederbewaffnung sind, als Demokraten tragen wir die gemeinsame Verantwortung dafür, daß diese Bundeswehr, sobald eine uns verpflichtende Mehrheitsentscheidung sie, wie es geschah, als gesetzliche Einrichtung entstehen ließ, von uns ohne Unterschied der Partei als demokratische Institution zu gestalten und zu pflegen ist. Wie aber soll eine gute und freundliche Haltung zur Bundeswehr und ihrem inneren Gefüge noch möglich bleiben, falls das Entsetzliche einträte, daß sie nicht nur Bürger umfaßte, denen es ihr Gewissen erlaubt oder gebietet, Soldat zu sein, sondern zwangsweise auch Bürger mit schlechtem Gewissen, mit verletztem Gewissen, mit zerbrochenem Gewissen? Könnte eine Organisation, in der Menschen, auch wenn es nur eine Minderheit ist und wenn es eine kleine Minderheit ist, durch Gewissensqual zerstört werden, noch so vom ganzen Volke getragen werden, wie es in einer Demokratie für eine demokratische Armee unerläßlich ist?
({15})
Und glauben Sie, meine Damen und Herren, der Bundeswehr selber den freiheitlichen Geist und die wehrwillige Gesinnung ermöglichen zu können, falls Bürger gegen ihr Gewissen hineingepreßt werden? Und was soll uns den Doktrinen des Ostens gegenüber stark machen, wenn auch wir Gewissensnot wie Staub vom Tisch wischen, weil da und dort Gewissen sich nicht „verplanen" lassen?
({16})
In welche Gegensätzlichkeiten sollen Staat und Kirche geraten, falls § 25 dieses Gesetzes so zu lesen wäre, daß unter den möglichen Gewissensgründen der Staat vielleicht nur den einen oder den anderen anerkennt, aber die evangelische Kirche sowohl als auch wahrscheinlich die katholische sich um des Glaubens willen gehalten sehen, den vom Staats wegen nicht anerkannten Kriegsdienstverweigerern trotzdem beizustehen?
Schließlich ist, worauf Professor Hirschmann als autorisierter Sprecher hinwies, die Frage der Kriegsdienstverweigerung notwendigerweise im Zusammenhang mit den Sanktionen, mit den Folgen einer Nichtanerkennung der Verweigerung zu sehen. Meine Damen und Herren, mit der Freiheitsstrafe, selbst wenn wir die neue Form der bloßen Einschließung wiedereinführen sollten, ist es doch nicht getan! Die existenzvernichtenden Auswirkungen einer Strafe setzen vielmehr erst ein, wenn ein junger Mensch, der nicht anders konnte als seinem Gewissen zu gehorchen, dann aus der Gesellschaft ausgestoßen, vielleicht entehrt sein wird, ein Gebrandmarkter, dem viele Berufe verschlossen sind: der öffentliche Dienst, die von ihm ersehnte Ausbildung. Was glauben Sie wohl: mit welchem Empfinden wird ein Vater, wird eine
({17})
Mutter es mit ansehen, daß ihr Kind so zugrunde gerichtet ist!
Aus diesen Fragen - der Bundeskanzler scheint das lächerlich zu finden, mir ist es nicht lächerlich - erkennen Sie, daß es um mehr geht als bloß um ein Organisationsproblem der Bundeswehr, das gewiß nicht ohne Schwierigkeit sein mag, oder um die Tagesentscheidung über einen vereinzelten Gesetzesparagraphen. Diese Entscheidung - darüber mag sich niemand im unklaren sein - kann die Gesamtheit unseres Staatsgefüges in seiner ganzen Tiefe erbeben lassen.
Ich glaube, es ist kein unbilliger Wunsch, daß wir beantragen, die Voraussetzungen der Kriegsdienstverweigerung genau ebenso zu normieren, wie das Grundgesetz es bereits getan hat. Darum soll der § 25 nach unserem Antrage lauten:
Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, ist zum Wehrdienst nicht heranzuziehen. Er leistet einen Zivildienst oder auf seinen Antrag einen waffenlosen Dienst in der Bundeswehr. Das Nähere regelt ein Gesetz.
Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich, daß hierüber namentlich abgestimmt wird.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Nellen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich bitte Sie, ebenso wie der Kollege Arndt fortlaufend aus den Gutachten zitieren zu dürfen.
Bitte sehr!
Ich glaube, es besteht in diesem Hause kein Zweifel, daß der Respekt vor dem Grundrechtsartikel 4 sowohl in seiner generellen Form im Abs. 1 als auch in der speziellen Anwendung der Bestimmung von Abs. 1 in Abs. 3 auf die Frage der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ungebrochen ist und daß wir den Respekt vor der Souveränität und vor der Majestät des Gewissens geradezu als einen integralen Bestandteil unseres letzten Anliegens, der Verteidigung der Freiheit und Menschenwürde, ansehen. Ich glaube, es ist keine pathetische Übertreibung, wenn man sagt, daß hier geradezu ein Prüfstein und ein Testfall dafür vorliegt, ob wir mit allen Konsequenzen unsere Welt, die vor allem eine Welt sittlicher Ordnung ist, abzusetzen verstehen gegenüber einer anderen Welt, gegenüber der wir erhebliche Vorbehalte und sehr scharfe Kritik anzumelden haben.
Es mag geschichtlich geradezu tragisch sein, daß die Verteidigung der Majestät des Gewissens ausgerechnet an diesem Punkt, bei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die ja überhaupt erst die Voraussetzung für die Pflichtenkollisionen ist, die hier entstehen können, einsetzt. Daß dieser Fall so besonders tragisch, weil besonders schwierig ist, enthebt uns aber nicht der Verpflichtung dieses für uns absolut geltenden Respektes vor dem, was in Art. 4 Abs. 1 festgelegt ist und von dem der Kollege Arndt soeben mit Recht ausführte, daß dadurch Gesetzgebung und Rechtsprechung unmittelbar, und ich darf sagen: absolut gebunden sind.
Ich glaube, es waren sehr lichtvolle und zutreffende Ausführungen, die der katholische Theologe, der Jesuitenprofessor Hirschmann als Sprecher seiner Kirche machte, als er sagte, daß gerade das Diffizile und der absolute Anspruch von Art. 4 Abs. 3 seine ganze Würde bekommt, weil er ein Anwendungsfall des absolut formulierten Anspruchs in Art. 4 Abs. 1 ist, und daß hier wirklich Grenzen dessen vorliegen, was der Staat von seinen Bürgern verlangen kann. Ich darf ganz kurz - und ich glaube, Sie werden nachher den Zusammenhang erkennen, in den ich das stellen möchte - auf die historia calamitatum, auf die etwas schmerzliche Geschichte der Diskussion dieses Fragenkomplexes eingehen. Ich berufe mich da vor allem einmal auf die evangelischen Stimmen. Ich glaube, niemand in diesem Hause wird, nachdem der Verteidigungsausschuß und der Rechtsausschuß die Kirchenvertreter als Sachverständige gehört haben, darin eine unerlaubte Konzession etwa an die Moraltheologie der beiden großen Kirchen sehen. Ich glaube, wir wissen sehr genau, was wir diesen Einrichtungen und ihren Vertretern zu verdanken haben.
In diesem Zusammenhang eine Nebenbemerkung. Ich habe schon einmal gehört, daß etwa die Berufung auf den Theologen Hirschmann oder den evangelischen Bischof der Streitkräfte auch so quittiert wurde, daß man sagte: „Nun, das ist ein einzelner Theologe! Was kümmert mich der Pater Hirschmann!" Man hat natürlich vollkommen recht: es wäre ein moralischer Laxismus, wenn man sich auf die Individualmeinung eines einzelnen Moraltheologen verlassen wollte. Aber ich darf - fast zum Überdruß möchte ich es sagen - darauf hinweisen, daß ja nun weder der evangelische Bischof der Streitkräfte noch der Moraltheologe der Jesuitenakademie Frankfurt St. Georgen etwa als einzelne Theologen aufgetreten sind, daß sie vielmehr als Vertreter ihrer Kirchen aufgetreten ,ind.
({0})
Das gilt ganz besonders für den katholischen Sprecher, der ja - ich möchte sagen, es erinnert fast an das Konzil von Trient - als Theologus consiliarius den höheren Prälaten begleitete und das ausgesprochen hat, was von dem Bevollmächtigten des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz zu dieser Sache zu sagen ist. Ich sage das ausdrücklich, weil ich nicht leichtsinnig mich auf einen einzelnen Theologen berufen möchte.
Sie kennen zum Teil die Geschichte; ich will sie deshalb abkürzen.
Es ist Ihnen bekannt, daß die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland schon 1950 zu diesen Fragen Stellung genommen hat im Zusammenhang mit der größeren Frage: „Was kann die Kirche für den Frieden tun?" Und Sie wissen wahrscheinlich auch, daß es damals zu einer interessanten Formulierung gekommen ist, die da lautet:
Wir begrüßen es dankbar und voller Hoffnung, daß Regierungen durch ihre Verfassung denjenigen schützen, der um seines Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert. Wir bitten alle Regierungen der Welt, diesen Schutz zu gewähren. Wer um des Gewissens willen den Kriegsdienst verweigert, soll der Fürsprache der Kirchen gewiß sein.
({1})
Und Sie wissen weiter wahrscheinlich, daß die Synode von Elbingerode, an der, wenn ich nicht irre, noch unser hochverehrter verewigter Bundestagspräsident Ehlers als Synodale teilgenommen hat, sagte:
Den vielen aber unter euch, die sich in einer Lage sehen, in der sie nur mit verletztem Gewissen zur Waffe greifen können, sagen wir noch einmal, daß wir gewillt sind, nicht nur in der Fürbitte vor Gott, sondern auch vor den politischen Instanzen für sie einzutreten.
Der bemerkenswerteste Schritt von seiten der evangelischen Kirche aber wurde getan auf der bekannten Synode von Espelkamp 1955. Sie wissen, die Synode hat diese Frage - und sie wußte genau, warum sie es tat: weil wir hier Kern und Stern der sittlichen Ordnung auch im christlichen Sinne zu vertreten haben - sehr genau geprüft und hat einen eigenen Ausschuß von Synodalen und Fachexperten eingesetzt, um den bekannten „Ratschlag der EKD" zu erarbeiten. Wie ernst die evangelische Kirche diesen Ratschlag nimmt, ersehen Sie daraus, daß sie diesen Ratschlag der Bundesregierung und der Regierung der DDR übergeben hat mit der Bitte, ihn zu beachten.
Ich will Ihre Geduld, meine sehr verehrten Damen und Herren, - mit einem Blick auf die Uhr - nicht übermäßig in Anspruch nehmen; aber ich darf unterstellen, daß wir uns schon quälen müssen, wenn wir über eine so ernste Frage in einem konkreten Falle zu entscheiden haben, nämlich die des Gewissens.
({2})
ich will nicht weiter darauf eingehen, daß gerade die Evangelische Kirche Deutschlands es für durchaus legitim gehalten hat, gerade bei Diskussionen der Gewissensschwierigkeiten auch einen Blick auf die Zone zu werfen. Ich will da nur eine Kleinigkeit zitieren. Die evangelische Kirche erklärt - und der Experte, der Bischof der Streitkräfte, Dr. Kunst, hat es ausdrücklich gesagt -:
Es muß unseren Einsatz
- das heißt also: den Einsatz der evangelischen Kirche für den Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen in der Zone lähmen, wenn wir in der Bundesrepublik nur ein schwaches und unlustiges Gehör finden.
Ich glaube, dieses Wort ist sehr ernst zu beachten, und es ist ein höchst aktuelles Wort insofern, als es auf eine konkrete Situation antwortet. Sie kennen ja die zynischen Antworten des Präsidenten der Volkskammer der DDR auf die Briefe von Bischof Dibelius, die sich gerade mit dieser Frage befaßt haben. Ich halte es deswegen für unbedingt notwendig, festzustellen, daß wir überhaupt nicht delikat genug, nicht penibel genug in dieser Frage hier, wo wir die Freiheit verteidigen und für die anderen mitverteidigen wollen, sein können, wenn wir den hier in Frage stehenden Komplex gesetzlich zu regeln haben.
({3})
Ich glaube, die Diskussion wird sich auf einen einzigen Punkt konzentrieren müssen, und die Ausschußberatungen haben Ähnliches gezeigt: ob wir ein Gewissensrecht zur Verweigerung des Dienstes mit der Waffe im Kriege nur bei denen anerkennen, die grundsätzlich etwa, wie es der
Kollege Arndt formulierte, als „dogmatische Pazifisten" den Kriegsdienst verweigern, ob wir also die im Grundrecht verankerte Möglichkeit nur für diesen ganz exklusiven und engsten Fall gelten lassen oder ob wir ihn auch in all den Gewissenssprüchen als möglich erklären, die verständlicherweise nicht nur einer Norm, einem Prinzip folgen, sondern auch, wie das ganz klar ist, die andere Quelle des moralischen Handelns, nämlich das konkrete Gewissensurteil über die jeweilige Situation und in der jeweiligen Situation, für ihre Entscheidung als notwendig und erheblich ansehen.
({4})
Es ist nicht zufällig, meine Damen und Herren, daß im Ausschuß über zwei Buchstaben heftig gestritten worden ist: ob es heißen soll „wer jeder Waffenanwendung widerspricht" oder etwa „wer der Waffenanwendung widerspricht".
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?
Herr Kollege Nellen, ist Ihnen bekannt, daß man über die zwei Buchstaben gar nicht gestritten hat., sondern daß dieser Artikel einstimmig angenommen worden ist, auch mit den Stimmen der sozialdemokratischen Opposition?
Verehrter Herr Kollege Jaeger, mir ist durchaus bekannt, daß über diese beiden Buchstaben im Rechtsausschuß recht lange diskutiert worden ist.
({0})
Mir ist auch bekannt, daß das Wort „jeder" angenommen worden ist. Ich habe nicht zu verteidigen, warum etwa die geschätzten Kollegen der Opposition sich mit dem Wort „jeder" einverstanden erklärt haben. Ich nehme an, sie werden noch Gelegenheit nehmen, diese Taktik im Ausschuß hier zu vertreten und Ihnen dann von ihrer Seite eine Antwort zu geben.
({1})
Wir können nur feststellen: die Formulierung „jeder" - und das werden Sie nicht bestreiten können, Herr Kollege Jaeger - ist absolut exklusiv, und ich wiederhole, um es Ihnen drastischer und deutlicher zu demonstrieren: sie deckt faktisch nur den grundsätzlichen Kriegsdienstverweigerer, oder um es noch deutlicher zu sagen: sie deckt denjenigen - ich bitte, mir das Wort nicht übelzunehmen -, den Dr. Luther als einen „Schwarmgeist" bezeichnet hat. Sie deckt den Quäker, sie deckt den Ernsten Bibelforscher. - Sie schütteln mit dem Kopf, Herr Kollege Kunze.
({2})
Ich bin sehr gespannt, was Sie mir darauf vielleicht nachher in einem Privatissimum zu sagen haben.
({3})
Ich darf nur feststellen: diese Formulierung „jeder" deckt den Ernsten Bibelforscher, sie deckt den Mennoniten, sie deckt den Quäker; sie deckt aber nicht denjenigen, der, ohne Mitglied in einer solchen speziellen Denomination zu sein, sich etwa aus ganz ernsten Situationsgründen in der Lage sieht, aus seinem Gewissen heraus den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern zu müssen.
({4})
({5})
Nach den übereinstimmenden Gutachten der beiden Experten müssen wir eine solche Situationsentscheidung faktisch anerkennen.
Ich will Sie nicht damit belästigen, daß ich noch lange Passagen etwa aus dem Kunstschen oder aus dem Hirschmannschen Gutachten vorlese. Man könnte das machen; es ist von. mir sehr genau vorbereitet worden. Aber die Zeit ist zu weit fortgeschritten. Es gehört zur klassischen Lehre der Moraltheologie, daß eben nicht nur formal nach den sittlichen Normen im Gewissensentscheid gearbeitet wird, so daß die konkrete Situation eine echte Quelle der sittlichen Entscheidung ist. Das schließen wir aber hier aus. Ich halte deswegen diese Formulierung nicht nur für höchst bedenklich, sondern ich halte sie auch für mit dem Grundgesetz unvereinbar und melde meine starken Bedenken an. Ich hoffe, daß sich noch im Laufe des Abends ein Kompromiß finden läßt, der diese Schwierigkeiten löst.
Darf ich noch für den katholischen Christen etwas sagen! Für ihn ist die Situation noch etwas schwieriger. Sie werden sich vielleicht noch erinnern - die Arbeiten sind schon zitiert worden -, daß der bekannte Würzburger Moraltheologe Fleckensteiner auf einer Theologentagung gesagt haben soll - und zwar stand das in einer Nummer der „Allgemeinen Christlichen Sonntagszeitung" -, der Katholik sei überhaupt nur in der Lage, auf dem Wege des unbesiegbaren Irrtums zur Kriegsdienstverweigerung zu kommen.
({6})
Dieser Moraltheologe hat - nicken Sie nicht zu früh, verehrter Herr Kollege Jaeger! - Gott sei Dank diese Reportage in einem Originalnamensartikel restlos revoziert und richtiggestellt: er denkt gar nicht daran, diese lächerliche These zu vertreten, daß der Katholik - um es fachlichtheologisch zu sagen - nur via errois invincibilis, nur auf dem Wege des Irrtums und per Zufall zu der Kriegsdienstverweigerung komme. Fleckensteiner hat in zwei folgenden Aufsätzen die katholische Lehre zu diesem Punkt ganz klar dargestellt. Sie ist durch diesen Paragraphen schlechterdings nicht gedeckt.
({7}) - Bitte, Herr Kollege!
Herr Kollege Nellen, ist Ihnen beim Studium der Ausführungen des von Ihnen fast zum Kirchenvater erhobenen Paters Hirschmann Nellen ({0}): Nein, in keiner Weise zum Kirchenvater erhoben!
- nicht aufgestoßen, daß gerade dieser Pater Hirschmann dargelegt hat, daß es für den katholischen Christen gar kein Recht zur Kriegsdienstverweigerung gibt, wohl aber zur Anerkennung eines irrenden Gewissens in bestimmten Fällen?
Hochverehrter Herr Kollege Jaeger, ich bewundere Ihren Mut, der dazu gehört, kontradiktorisch gerade das Gegenteil von dem, was Hirschmann ausgeführt hat, hier zu behaupten.
({0})
- Sie zwingen mich, jetzt die Debatte über Gebühr zu verlängern. Jetzt werden wir ja „Butter an die Fische" tun müssen. Das Haus mag sich dann bei Ihnen für die Verlängerung bedanken.
({1})
- Nein, verzeihen Sie - ({2})
- Wir haben selbstverständlich das Grundgesetz auszulegen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, folgendes zu sagen. Wir sind bei einem Gegenstand angelangt, der die besondere Aufmerksamkeit des Hauses erfordert
({0})
und der nur verstanden wird, wenn auf die Nuancen gehört wird.
({1})
Diese Sache muß in der Nuance mitgehört werden, und deshalb appelliere ich an das Haus, auch die gegensätzlichen Auffassungen in aller Ruhe anzuhören. Meine Damen und Herren, jeder bekommt das Wort.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Präsident!
Frau Abgeordordnete Weber, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.
Herr Nellen, wissen Sie nicht, daß die Auffassung eines Moraltheologen für die Katholiken nicht einfach maßgebend ist? Maßgebend für uns ist
({0})
die Lehre der Kirche. - Ich möchte mir einen solchen Zwischenruf verbitten.
Entschuldigen Sie, einen Augenblick, gnädige Frau! Das war ein taktloser Zwischenruf.
({0})
Wir erkennen das Gewissen des einzelnen an. Sie haben aber auch x-mal von höchster kirchlicher Stelle gehört, daß der katholische Christ verpflichtet ist, sein Volk und sein Land zu verteidigen. Das möchte ich einmal laut sagen, damit hier im Bundestag keine falschen Meinungen darüber entstehen, was für uns Katholiken Verpflichtung ist.
({0})
Hochverehrte Frau Kollegin Dr. Weber, Sie können gewiß sein, ich verehre Sie mindestens so wie die große Theologin und Philosophin, die Heilige Katharina von Alexandrien, und wenn Sie mir so etwas sagen, nehme ich das außerordentlich ernst. Ich bitte Sie aber sehr herzlich, mir nicht den geradezu primitiven Irrtum zu unterstellen, gegen den ich mich ja schon am Anfang verwahrt habe, daß ich die
({0})
Stimme eines einzelnen Theologen etwa als die Stimme der katholischen Kirche nähme!
(Abg. Frau Dr. h. c. Weber [Aachen] :
({1})
- Meine hochverehrte Frau Kollegin, ich bin gerne bereit, Ihnen, wenn Sie auch noch sagen „Einzelne Theologen!", die ganzen Dinge von einer ganz anderen Autorität, etwa aus dem Werk der „Institutiones" vom Kardinal Ottaviani nachzuweisen. Wenn ich Ihnen mit dem Kardinal Ottaviani komme, der zu diesen Dingen sehr deutliche Sachen gesagt hat und der der Sekretär der obersten Glaubensbehörde ist, werden Sie mir, glaube ich, diesen Einwand nicht mehr machen. Jeder, der etwas von diesen Dingen kennt, kann beim besten Willen nicht mit einer solchen Replik kommen.
Im übrigen, Frau Kollegin Weber, ich glaube, wir dürfen unterstellen - ich habe das zu Anfang gesagt; Sie haben es vielleicht überhört -, wenn der Bevolimächtigte des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz - vielleicht geben Sie mir die Ehre, der Replik zuzuhören, Frau Weber -, wenn der Bevollmächtigte des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz hier gefragt wird und auftritt, dann werden wir doch wohl nicht unterstellen wollen, daß er dann doch wohl nicht seine individuelle theologische Privatmeinung zum besten gibt.
({2})
Und was der Jesuit Hirschmann als der Theologe, der uns offiziell angeboten wurde, gesagt hat,
({3})
das haben Sie genauso gut gehört, wie ich es gehört habe. Der Jesuit Hirschmann wird keine individuellen Theorien vertreten, sondern er wird sehr wohl darauf achten, daß er sich in consensu theologorum, daß er sich in Übereinstimmung mit der kommunen Lehre der Moraltheologie befindet. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Es ist für mich vollkommen unerfindlich, wie gerade einem Jesuiten eine solche Fahrlässigkeit unterstellt werden kann, daß er Individualmeinungen in einem solchen Gremium vertreten könne.
({4})
- Nicht nur in Begleitung, sondern als der theologische Sprecher des Prälaten Böhler.
Die Herren Sachverständigen haben sich sehr deutlich und klar zu der Gehorsamspflicht des Christen und des Bürgers gegenüber der legalen Autorität geäußert. Herr Dr. Jaeger, darüber brauchen wir nicht weiter zu streiten. Ich habe in meiner letzten Rede zu dem Punkte auch ausgeführt, daß das Gebot der legalen Autorität an den Bürger, die Waffen zu ergreifen, im Gewissen bindet. Aber es bindet nicht absolut. Das Gewissen ist eine letzte und höchste Instanz. Dieses Wort ist mir von dem einen oder anderen vielleicht übelgenommen worden. Ich darf deswegen noch einmal Hirschmann zitieren, der im Ausschuß gesagt hat:
Das subjektive Gewissensurteil ist nach Anschauung der katholischen Kirche für den einzelnen Menschen die letzte unmittelbare Norm seines praktischen Verhaltens, die schlechterdings letzte und entscheidende.
Ich nehme meine Formulierung auf, die dem Buch
des Jesuiten P. Lorson entnommen ist: Das Gewissen ist befähigt und berechtigt, den Passierschein für alles zu verlangen, was von ihm gefordert wird.
Ich darf aber auf den Punkt zurückkommen, den ich für wesentlich halte. In der Formulierung - und ich glaube, das ist anerkannt - geht es faktisch darum, ob wir neben den rein normativen Gesichtspunkten auch dann von einer echten Gewissensentscheidung sprechen wollen und können - die wir nach dem Grundgesetz anzuerkennen haben -, wenn sich dieses Urteil wesentlich - wie Hirschmann ausführte - als ein Tatsachenurteil herausstellt. Übereinstimmend haben beide Gutachter diese Möglichkeit als absolut korrekt bejaht. Deswegen glaube ich sagen zu dürfen, daß diese Formulierung „Jeder ..." schlechterdings dem Anspruch des Gewissens nicht genügt.
Ich muß aber auf das zurückkommen, was ich sagte, als der hochverehrte Herr Kollege Jaeger mir eine Frage stellte. Ich darf noch einmal sagen: Wollen Sie, daß der Katholik, der mit seiner Kirche in regulären und ordentlichen Verhältnissen lebt, der sich nicht irgendeinem exzessiven Pazifismus ergibt, schlechterdings keinerlei Möglichkeiten hat, in Ansehung des heutigen Weltzustandes und gewisser Dinge, die er nicht mit vertreten zu können glaubt, von dem Schutz des Artikels Gebrauch machen kann?
({5}) Das können Sie nicht wollen.
Ich will nur ein einziges Beispiel einmal sagen. Es hat keinen Zweck - ich folge da der Anregung des hochverehrten Herrn Kollegen Weber - und ich denke nicht daran, hier theologische Vorlesungen zu halten; aber prüfen wir doch einmal in einem einzigen Falle, was es bedeutet, heute mit seinem Gewissen und seiner Erkenntnis die Situation zu prüfen.
Die beiden Gutachter haben immer wieder gesagt: Wir können heute nicht so vom Kriege sprechen, wie unsere Väter 1910 davon gesprochen haben. Wir müssen leider Gottes heute so vom Kriege sprechen, wie es allein möglich ist, seitdem die Bomben auf Hiroshima gefallen sind.
({6})
Wir wissen ja auch von weiteren Bomben, die „sinnvollerweise" am heiligen ersten Pfingsttag dieses Jahres abgeworfen wurden. Es gehört schon beinahe die dramatische Kunst eines Super-Calderon oder eines Super-Claudel dazu, um die Symbolkraft des letzten Atombombenabwurfs ausgerechnet am Pfingsttag in Wort und Gestalt zu kleiden.
({7})
Ich glaube, das sind sehr, sehr ernste Dinge.
Ich darf einmal an eine kleine Begebenheit erinnern, die ich in der amerikanischen Kriegsgefangenschaft erlebt habe. Ich wurde erschütterter Zeuge jener Rede, die der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Mister Truman - er hat uns neulich besucht -, damals hielt, wo er der Nation den Abwurf dieser Bomben mitteilte. Das, was der damalige Präsident Truman gesagt hat, schien mir so bemerkenswert, daß ich es mir bis aufs Wort gemerkt habe.
({8})
({9})
- Das war nicht nur schön, sondern sogar zweckmäßig, Frau Dr. Weber. Ich halte das für eine sehr wichtige Sache, die im Gedächtnis zu behalten sich für mich lohnt. Ich glaube nicht, daß Sie das einfach mit der Vokabel „schön" abtun können. Die Sache ist mir dazu zu ernst, und ich bitte Sie, meinen Ernst zu respektieren.
Der
Wir haben die Atomkraft entdeckt, entwickelt und in dieser Bombe angewandt „in Übereinstimmung mit dem Willen und mit den Plänen Gottes". Das ist ein Wort, das uns alle doch wohl außerordentlich nachdenklich machen könnte. Und glauben Sie nicht, daß auch der Christ, auch der „ganz kommune Katholik", der keinerlei besonderen sektiererischen Ideen anhängt, sich, wenn ein solches Wort ausgesprochen wird, fragt: Wie ist das mit der konkreten Situation? Erlaubt sie mir, hier und heute den Dienst zu fordern und zu leisten, den an und für sich und allgemein der Staat durchaus fordern kann?
Sie wissen ganz genau, daß etwa die Frage der Angemessenheit der Mittel, die im Kriege angewendet werden, wesentlich die Moralität und die Erlaubtheit des Krieges bestimmt. Darüber haben die Experten keinerlei Zweifel gelassen. Ich kann an das erinnern, was Hirschmann gesagt hat: daß sehr vieles dafür spricht, daß etwa die Anwendung solcher Waffen schlechterdings den Krieg unerlaubt macht. Muß ich hier die beiden Weihnachtsansprachen des Papstes vom 3. Januar 1955 und vom 24. Dezember 1955 zitieren, die die amerikanische Regierung dazu veranlaßt haben, eigens eine Kabinettsberatung abzuhalten unter dem Gesichtspunkt, ob es nach dieser Ansprache noch erlaubt sei, die Atombombenversuche weiterzuführen? Wenn in einem Lande, das vollkommen laizistisch ist, wo die Trennung von Kirche und Staat durchgeführt ist, die Papstansprachen zur Atomfrage einen solchen Effekt machen, dann möchte ich doch wirklich einmal fragen, ob wir nicht der Situation nur dann Genüge tun können, wenn wir diese Dinge in allem Ernst hier besprechen und wenn wir uns wirklich fragen, wie wir den möglicherweise bedrückten Gewissen gerecht werden können.
({0})
Ich will schließen. Ich kann noch einmal sagen: ich habe verzichtet, die Wolke von Zeugnissen, die Wolke von Zitaten, die uns von den prominenten Gutachtern gegeben ist, auszunutzen.
({1})
Ich glaube, das, was wir bis jetzt darüber betrachten konnten, dürfte uns genügen. Ich möchte herzlich wünschen, daß wir heute abend noch einmal die Frage prüfen, ob wir die engstmögliche Fassung - die die evangelische Kirche auf das Äußerste beklagt hat; ich verzichte auf die Zitate - Gesetz werden lassen. Diese Frage stellen heißt sich entschließen, sie noch einmal zu prüfen.
Man wird auch nicht sagen können, wie es gestern der von mir besonders hochverehrte Kollege Bausch gesagt hat, daß die jetzige Formulierung weitestgehend den Wünschen der evangelischen Kirche Rechnung trägt. Ich habe mir heute morgen wie ein ganz schlichter Schüler, der etwa im Unterseminar einen philologischen Text zu interpretieren hat, die Mühe gemacht, einmal jedes Wort, das den beiden Texten gemeinsam ist, zu unterstreichen, also eine Synopse herzustellen. Herr Kollege Bausch, Sie haben vollkommen recht; die
Neuformulierung, wie sie jetzt vorliegt, die unvergleichlich besser ist als die alte Regierungsvorlage, kommt den evangelischen Anregungen weit entgegen.
({2})
Aber das Maßgebende ist anders. Ich will es am Text nachweisen, denn diese Sache scheint mir einfach zu wichtig zu sein.
({3})
Die uns von der evangelischen Kirche vorgeschlagene Fassung lautet:
Wer aus religiöser oder sittlicher Gewissensüberzeugung sich der Beteiligung an der Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt, kann den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern.
„An der Waffenanwendung"; bei uns steht jetzt „an jeder Waffenanwendung", und das ist der springende Punkt. „Jeder" ist die von der evangelischen Kirche beklagte engstmögliche Fassung, „der" ist die Fassung, die sowohl dem Gewissensausspruch primär aus normativen Gründen, aus Grundsatz, als auch dem Gewissensausspruch aus der mitzuberücksichtigenden Situation gerecht wird. Beschränken Sie das, dann werden Sie sehr viele Gewissen in Schwierigkeiten bringen.
Ich darf schließen mit dem, was ich am Anfang gesagt habe: Wenn eine Verteidigungsbereitschaft, die ich rücksichtslos bejahe, ernst zu nehmen ist, dann zieht sie ihre Argumente nicht primär aus dem äußeren Wohlstand, sie zieht ihre Argumente nicht primär aus dem hohen Lebensstandard, den wir glücklicherweise erreicht haben,
({4})
sie zieht ihre Argumente nicht primär aus der Sozialen Marktwirtschaft - das alles tut sie auch -; das Letzte und Entscheidende ist hier die unverbrüchliche Ordnung der Freiheit, und die Freiheit ist die Freiheit des konkreten, christlich gesprochen: gottverbundenen Menschenwesens in konkreter Situation. Wenn dort die geringste Fragwürdigkeit auftaucht, haben wir unsere innere Legitimation und, wie ich dann befürchten müßte, auch unsere letzten Endes entscheidende Kraft verspielt.
Ich glaube, niemand wird mir bei ganz ruhiger Betrachtung in dem Zusammenhang den Vorwurf einer theologischen oder idealistischen Traumtänzerei machen. Ich glaube, lange genug in diesem Hause zu sein, um mir über die Möglichkeiten dessen, was hier an Gespräch, an Hören und auch Aufeinandereingehen möglich ist, klar zu sein; ich habe also die naivitas prima verloren. Trotzdem möchte ich dem Hause einen Vorschlag machen, der möglicherweise sofort geschäftsordnungsmäßig mit einem Finger vom Tisch gefegt werden kann: die Abstimmung über diesen Paragraphen auszusetzen, und ich möchte die Vorsitzenden der Fraktionen dieses Hauses - ich erlaube mir das, Frau Dr. Weber, wegen der Wichtigkeit der Frage - ansprechen, sich vielleicht zwischendurch noch einmal zusammenzusetzen und zu prüfen, ob eine Möglichkeit in der Richtung besteht, was ich - und da befinde ich mich weitgehend in Übereinstimmung mit dem Kollegen Arndt - als vom Grundgesetz und von einer echten Beachtung des Gewissens her als notwendig und gefordert ansehe.
({5})
Meine Damen und Herren, ich komme nachher noch auf den Wunsch des Herrn Abgeordneten Nellen zurück und werde das Haus fragen, ob dieser Wunsch nach Aussetzung der Abstimmung über diesen Paragraphen unterstützt wird. Aber zunächst fahren wir in der Beratung fort. Ich gebe das Wort dem Herrn Abgeordneten Gontrum.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind jetzt in der Tat an dem ernstesten Problem, das uns in diesen Tagen beschäftigt. Aus den Worten des Herrn Kollegen Dr. Arndt sowie aus den Worten des Herrn Kollegen Nellen ist uns deutlich geworden, wie ungeheuer schwer es ist, in dieser Frage die richtige Lösung zu finden. Aber wir dürfen uns dabei eingestehen, daß diese Schwierigkeit nicht nur bei uns vorliegt, sondern daß sie - ich möchte beinahe sagen - seit Jahrzehnten ventiliert wird und bis heute noch niemand in der Lage war, das, was wir mit dem Gewissen meinen, theologisch oder juristisch vom Staate her in einem Gesetz so zu formulieren, daß es allen Ansprüchen genügt.
({0})
Ich glaube auch nicht, daß es uns heute abend möglich sein wird, die richtige Formulierung 2u finden. Die Frage nach den Erfordernissen für den Bestand der Gemeinschaft und die Frage des Bestehens eines einzelnen vor seinem Gewissen sind die schwierigsten Probleme, die überhaupt angesprochen werden können. Ich würdige alle hier jetzt schon angedeuteten Schwierigkeiten, Aussagen und Sachverhalte. Nur das eine möchte ich noch sagen: Herr Kollege Dr. Arndt, was Sie von einem unserer bedeutendsten evangelischen Theologen gesagt haben, scheint mir doch nicht das Anliegen dieses Theologen getroffen zu haben; denn von dem, was er von einer echt lutherischen Theologie her meint, ist in den Worten, die Sie gesprochen haben, nichts aufgeleuchtet. Man kann unter keinen Umständen hier und in solcher Kürze die Gesamtproblematik evangelischer theologischer Systeme und Richtungen erledigen.
Ich darf die Worte dieses Theologen zu dem Fragenkomplex zur Kenntnis geben. Er sagt - aus letzten Gedanken reformatorischen Verständnisses vom Evangelium - von Kirche und Staat als den beiden Regimenten in der konkreten Situation, um die es Herrn Kollegen Nellen geht - und nur darum kann es bei der Entscheidung des einzelnen Gewissens wie auch unseres Gewissens als Obrigkeit gehen -, zu diesem Problem:
Das von der Obrigkeit, das heißt demokratisch geredet, von der Bundesregierung vorgelegte und vom Bundestag zu beschließende Wehrgesetz ist nicht Gegenstand christlicher Gewissensprüfung, sondern Ausprägung einer dem Staate zustehenden Ordnungssetzung, der gegenüber jeder Christ sich zum Gehorsam verpflichtet weiß. Auch die darin enthaltene Möglichkeit des Kriegsdienstes
- und nun hören Sie bitte genau, was dieser ernste Theologe dazu zu sagen hat bedarf nicht erst einer Gewissensdiskussion von seiten der Christen oder der Kirche, sondern gehört zur verantwortlichen Zuständigkeit der Staatsführung und der Staatsvertretung. Die in dem Bekenntnis der Reformation betonte Begrenzung der Kriegführung durch
das Jure ist eine selbstverständliche Entfaltung der biblischen Erkenntnis, daß es sich bei dem Staate um eine gute Ordnung Gottes zur Erhaltung und zum Schutze der Menschen handelt; denn ein frivoler Angriffskrieg würde ja dem Erhaltungswillen Gottes nicht entsprechen. Diese ethische Einschränkung ist jedoch niemals ein Freibrief für die Bestätigung und Einschaltung der subjektiven Gewissensentscheidung der einzelnen Christen, welche sich aus Gewissensgründen anmaßen könnten, die Rechtmäßigkeit eines Kriegsfalles nachzuprüfen.
Die Gewissensfrage, vor die wir gestellt sind, lautet - wir sind uns doch einig darin; ich sage es jetzt einmal ganz deutlich -, daß jeder Friedensbruch irgendeiner Obrigkeit ein Verbrechen erster Ordnung ist, daß der Krieg ein absolut verwerfliches Mittel der Politik ist. Die Frage geht nur darum - und das ist die Gewissensfrage seit Jahrtausenden, möchte ich sagen -: Wie kann die Menschheit einem Kriegsverbrecher wirksam begegnen? Bei diesem Paragraphen könnte es scheinen, als habe nur derjenige ein gutes Gewissen in diesem Sinne, der mit Ernst dabei ist, durch sein Handeln den Krieg für alle Zeiten zu verhindern, indem er jeden Kriegsdienst verweigert. Aber es ist doch so, daß diejenigen, die aus Gewissensgründen den Kriegsdienst meinen leisten zu müssen, die Gewissensentscheidung getroffen haben, daß einem Kriegsverbrecher nur so aus echtem christlichem und sittlichem Gewissen begegnet werden kann, daß man der Gewalt die Gewalt entgegensetzt. Das ist das Problem; und über diese Frage können wir als Obrigkeit nur entscheiden, indem wir uns in der Frage bewegen, ob wir uns - und ich denke, da sind wir uns mit der Opposition ebenfalls einig - in das Prinzip einer kollektiven Sicherheit für den Frieden begeben sollen oder nicht. Diese kollektive Sicherheit, die wir alle erstreben, läßt uns nicht mehr die Möglichkeit, aus anderen Gründen, als sie in dem Vorschlag der Regierung aufgezeigt sind, dem Gewissen in der Verweigerung des Kriegsdienstes Genüge zu tun.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in Anbetracht der vorgerückten Stunde schon kein Manuskript mitgebracht. Ich will versuchen, das Versprechen einiger meiner Vorredner, sich kurz zu fassen, wenigstens für mich zu halten.
({0})
- Ich weiß nicht, ob Sie dankbar wären, wenn wir bei Ihren Rednern regelmäßig solche Berner-kungen anbrächten.
({1})
- Nicht ganz ohne Ihre Schuld!
Mir liegt nur daran, hier zu einer These Stellung zu nehmen, von der ich meine, sie sollte nicht unwidersprochen bleiben, nämlich der These des Herrn Kollegen Dr. Arndt, der Gesetzgeber habe gar keine Möglichkeit gehabt, die Grundgesetzbestimmung durch ein einfaches Gesetz zu interpretieren oder zu ergänzen. Die Mehrheit im Rechtsausschuß hat diese Ansicht nicht geteilt.
({2})
Es hat viele Gründe dafür gegeben, und ich möchte mich in der Wiedergabe auf die wesentlichsten beschränken.
Wir, die Mehrheit im Rechtsausschuß, sind davon ausgegangen, daß schon aus der Entstehungsgeschichte dieser Grundgesetzbestimmung zu entnehmen ist, daß der Gesetzgeber damit kein perfektes Gesetz schaffen wollte, das einer näheren Bestimmung und Ergänzung nicht bedürfe. Er hat im Satz 2 des Art. 4 Abs. 3 ausdrücklich niedergelegt, daß das Nähere durch ein Bundesgesetz zu regeln sei.
({3})
Sie mögen uns sagen, das beziehe sich nur auf Verfahrensfragen. Sie können für diesen Standpunkt keinen Beweis erbringen. Im Gegenteil, aus den Diskussionen, die sich im Parlamentarischen Rat um dieses Problem entwickelten, ist weit eher das Gegenteil zu entnehmen. Die Diskussionen waren, soweit aus den Unterlagen ersichtlich, über diesen Gegenstand außerordentlich knapp. Ein Grundgesetzgeber, der dieses Problem hätte abschließend regeln wollen, hätte sich -und die deutsche Gründlichkeit war auch dem Parlamentarischen Rat nicht fremd - mit ganz anderer Intensität über dieses Problem hergemacht. Kennzeichnend unter den wenigen Reden, die hierzu gehalten wurden, waren - das muß ich gerade der Opposition entgegenhalten - die abschließenden Worte Ihres damaligen Kollegen Bergsträßer, der sagte: Wir wollen mit dieser Bestimmung jene Leute schützen, die ähnlich wie die Quäker oder die Mennoniten - vielleicht hat er noch einige Religionsgesellschaften mehr genannt - aus ihrer religiösen Grundeinstellung den Kriegsdienst ablehnen.
Wir sind nicht der Meinung, daß der Grundgesetzgeber das so eng fassen wollte, daß nur die Gewissen der Mennoniten oder anderer religiöser Sektierer damit geschützt würden. Wir sind vielmehr der Meinung, daß er für das deutsche Volk an die Grenze dessen gehen wollte, was auch sonst in der westlichen zivilisierten Welt auf diesem Gebiet üblich war. Hier ergibt ein Vergleich, daß wir mit der Regelung, die wir jetzt vorhaben, allen anderen westlichen Ländern - im Osten gibt es solche Regelungen gar nicht - in einem für den Kriegsdienstverweigerer günstigen Umfang unbedingt voraus sind. Ich schränke diese Behauptung nur etwas ein in bezug auf England. Aber unser Rechtszustand, der vom allgemeingültigen abstrakten Gesetz ausgeht, ist nicht ohne weiteres mit der englischen kasuistischen Auffassung vom Recht vergleichbar, die mehr auf einzelne Präzedenzfälle bezogen ist und bei der sich dann in der Handhabung das überkommene Recht mit den besonderen Gesichtspunkten vermischt, die für die gerade vor dem Richter stehende Person zu berücksichtigen sind. Also, mit dieser Einschränkung, daß die englische Rechtshandhabung nicht vergleichbar ist, kann ich sagen, daß wir mit unserer Regelung zugunsten des Kriegsdienstverweigerers allen anderen Regelungen in der westlichen Welt weit voraus sind.
({4})
- Diesem Willen, Herr Kollege Schmid, tragen
wir auch Rechnung, und es ist nicht so, wie Herr
Kollege Nellen meinte, daß man nur Sektierer
schützen wolle. Die von uns gewählte Fassung deckt jede echte Gewissensüberzeugung und soll sie decken. Und ich könnte sagen, Herr Kollege Schmid, daß es der übereinstimmende Wille der Koalitionsparteien ist, daß jede echte Überzeugung geachtet wird, jedes echte Gewissen, das nicht situationsbedingt ist, das nicht aus temporären Opportunitätsgesichtspunkten heraus
({5})
zu einer Ungebundenheit des Willens führt. Das können auch Sie, Herr Kollege, gerade als Vertreter der echten Kriegsdienstverweigerer gar nicht wünschen, daß hier eine Vermischung zwischen dem echten Gewissen und dem augenblicklichen Wollen stattfindet.
({6})
- Sagen Sie nicht „Unerhört" ; das ist nicht diskriminierend.
({7})
- Das machen wir nicht, sondern wir verlangen' nur ein Gewissen von Tiefe. Das verlangt mit Recht auch Ihr Kollege Arndt; er sprach ja auch von der Erforschung der Tiefe des Gewissens.
({8})
Wir können nicht all das hinnehmen, was als Gewissen ausgegeben wird.
({9})
Ich wiederhole, meine Damen und Herren: die Diskussionen in den Ausschüssen haben manche Annäherung, aber keine Übereinstimmung gebracht. Ich habe nicht die Hoffnung, daß wir nun plötzlich heute abend zu einer völligen Einigung gelangen. Aber lassen Sie mich abschließend nochmals das eine sagen: Es ist einfach nicht richtig, zu behaupten, daß seitens der Koalitionsparteien Einschränkungen gemacht würden und versucht werde, echte Gewissensentscheidungen, Entscheidungen, die aus der Persönlichkeit im ganzen, aus einer religiösen oder moralisch-ethischen Lebensauffassung kommen, zu negieren. Im Gegenteil, das wollen wir werten. Aber wir wünschen nicht, daß jede Art von Konjunkturpolitik, die in der bloßen Behauptung einer Gewissensüberzeugung ihren Niederschlag findet, berücksichtigt wird.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand hier im Hause und, ich bin überzeugt, auch niemand in der deutschen Öffentlichkeit draußen, der seine Verantwortung ernst nimmt, wird beabsichtigen, etwas zu schützen, was als Gewissen nur „ausgegeben" wird. Denn etwas, was als Gewissen nur ausgegeben wird, ist eben kein Gewissen und erfüllt sicher nicht die Voraussetzungen des Grundgesetzes in seinem Art. 4, der das Gewissen schützt.
({0})
Aber im übrigen waren die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Haasler doch nichts anderes als eine Selbstentlarvung, eine Selbstentlarvung insofern, als er entscheiden will, welches Gewissen „echt" ist und welches nicht,
({1})
und gerade das ist es, was das Grundgesetz nicht zuläßt; das wäre, wie Herr Kollege Nellen mit Recht gesagt hat, die Entwürdigung unseres Staates und das Aufgeben seiner Freiheitlichkeit.
({2})
Kein Gesetzgeber kann entscheiden, welches Gewissen echt oder unecht ist, sondern er muß es hinnehmen, daß es Christen gibt, Evangelische mit solchem Gewissen, Lutheraner mit solchem Gewissen, Katholiken mit anderem Gewissen, Quäker, Mennoniten und Anhänger einer humanistischen Sittlichkeit. Da gibt es keine gesetzliche oder staatliche Richterschaft darüber, ob das „echt" ist.
Was Sie ausscheiden wollten, Herr Abgeordneter Haasler, das war das, was Sie das Situationsgebundene nennen, obgleich sowohl Professor Hirschmann wie Bischof Kunst gesagt haben: Von katholischer wie von evangelischer Sicht gibt es andere Gewissensentscheidungen als situationsgebundene Entscheidungen überhaupt nicht. Dann haben Sie also eine neue Theologie erfunden, die besser ist als die von diesen beiden sachkundigen Geistlichen und Theologen hier vertretene.
({3})
Es genügt mir. Mehr will ich dazu nicht sagen. Ich glaube, das reicht.
Nun tut es mir herzlich leid, verehrter Herr Kollege Gontrum, daß ich sagen muß: ich bedauere, daß Sie die Frage, um die es geht, verfehlt haben. Denn ob Herr Professor Künneth theologisch recht hat, das können wir parlamentarisch nicht entscheiden. Wir haben seine Auffassung, die ihre Anhängerschaft hat, hinzunehmen und zu bejahen. Aber wenn Walter Künneth diese Lehre vertritt, so widerlegt das nicht, daß ein anderer Theologe jene hat, etwa der Kreis der Bekennenden Kirche, der der Auffassung ist, daß heutzutage der Befehl zum Wehrdienst ein Befehl zur Sünde ist. Das ist nicht parlamentarisch entscheidbar, das ist nicht staatlich oder richterlich entscheidbar, und da nicken auch Sie mir zu.
Man kann also nicht sagen, daß ein Gewissen, das nach meiner Meinung irrt oder nach der Meinung irgendeiner großen theologischen Autorität irrt, deshalb kein Gewissen sei. Das sagt keine der christlichen Kirchen, weder die katholische noch die evangelische. Es gibt also Menschen, denen ihr Gewissen gebietet, dem Wehrdienstgebot Folge zu leisten, die das gerade als Erfüllung ihres Gewissens empfinden, die gar nicht anders können. Es gibt Menschen, die umgekehrt gar nicht anders können, als dieses Gebot zu verweigern, und . zwar aus den verschiedensten Gründen, die immer, wenn sie Gewissensgründe sind, situationsgebundene Gründe sind.
Die Frage, vor der wir stehen, ist also einzig die Frage, ob nach Art. 4 des Grundgesetzes jede wirklich vorhandene Gewissensnot, wobei ich unter Gewissensnot die unüberwindliche Gewissensnot verstehe, berücksichtigt werden muß oder ob wir von uns aus eine gesetzliche Auslese unter verschiedenen Gewissensnöten machen können. Das können wir nicht. Das ergibt sich nicht bloß aus Art. 4 Abs. 3; das ergibt sich bereits aus dem ersten Satz des Art. 4, und das ergibt sich aus dem Art. 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unverletzbar ist.
Nun, meine Damen und Herren, bitte ich, mir noch ein letztes Wort zu erlauben. In all den Jahren, in denen mir die Ehre zuteil geworden ist, dem 1. und dem 2. Bundestage anzugehören, ist es in diesem Hause sehr selten gewesen - das bedauere ich um unser aller willen -, daß man einmal aufeinander gehört hat. Jedenfalls habe ich stets den Eindruck gehabt, daß die Fähigkeit, auf einen anderen zu hören, mit der jeweiligen Macht abnimmt. Aber die Ausführungen, fast, erlauben Sie mir zu sagen: die Bekenntnisse, die der Herr Kollege Peter Nellen hier abgelegt hat und die mich geradezu bereuen lassen, daß ich vor ihm sprach, sollten uns doch wirklich allen zu denken geben.
Ich behaupte nochmals, was ich an den Anfang meiner Ausführungen stellte: daß diese Frage völlig unabhängig davon ist, ob einer von uns Anhänger oder Gegner der Wiederbewaffnung, der allgemeinen Wehrpflicht ist oder nicht. Völlig unabhängig davon! Es liegt genauso im Sinne auch der Anhänger einer allgemeinen Wehrpflicht, hier nichts zu tun, was die sittlichen und freiheitlichen Grundlagen unseres Staates stört oder zerstört und was auch in eine Bundeswehr einen Keim des Zerfalls hineintragen könnte. Das gilt infolgedessen für die Anhänger der Wehrpflicht genauso wie für die Gegner. Wir sollten uns hier einmal auf das Gemeinsame besinnen, und dazu sollte uns ein solches Ereignis wie die Rede des Herrn Kollegen Nellen doch veranlassen. Denn es sprach doch hier einmal nicht nur ein Politiker zu uns, sondern ein Mensch, den sein Gewissen dazu trieb.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich, so kurz wie das möglich ist, und mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten unter Verwendung einiger Zitate, zu dieser Frage nun auch noch Stellung nehme. Ich möchte hier, der ich nicht den Vorzug habe, acht Semester Theologie studiert zu haben, sondern ein schlichter Jurist bin, jedenfalls einmal eine Meinung meines verehrten Kollegen Nellen richtigstellen. Die Formulierung, die der Verteidigungsausschuß einmütig gefunden hat, ist durchaus mit dem Grundgesetz vereinbar,
({0})
und zwar ist sie mit dem Grundgesetz allein deshalb schon vereinbar, weil das Grundgesetz ein Privileg nur für die Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe gibt, den Friedensdienst mit der Waffe also überhaupt nicht ausschließt.
({1})
Meine Damen und Herren, wir sind in unserem Gesetz weiter gegangen - mit guten Gründen -, und ich vertrete das auch. Es wäre praktisch unsinnig, einen Mann, von dem man weiß, daß er im Ernstfall nicht zur Waffe greifen wird, nachdem das Grundgesetz ihm diese Möglichkeitgibt, an der
({2})
Waffe auszubilden. Aber das ist der klare und eindeutige Text der Verfassung, so daß wir in allem, was den Friedensdienst mit der Waffe betrifft, allein auf unseren Verstand und unsere Entscheidung gestellt und durchaus nicht durch die Verfassung gebunden sind.
Wir stehen auf ,dem Boden dieser Verfassung - das möchte ich klar und eindeutig aussprechen -, und wir wollen, daß dieser Artikel des Grundgesetzes durchgeführt wird, selbst wenn unter uns einige sind, die gemeinsam mit Herrn Bundespräsident Heuss in dem verfassunggebenden Parlamentarischen Rat eine andere Meinung geäußert haben sollten. Aber, meine Damen und Herren, wir gehen sogar noch über diese Bestimmung hinaus. Man kann nun der Bestimmung, die im Verteidigungsausschuß beschlossen worden ist, nicht nachsagen, sie sei grundgesetzwidrig.
Was die Bedeutung der einzelnen theologischen Fachlehrer und Moraltheologen betrifft, die hier zitiert worden sind, so besteht ja immer die Gefahr, daß sie ein wenig danach beurteilt werden, wie sehr sie für die eine oder andere Meinung sprechen. Ich habe durchaus den Eindruck, daß Herr Professor K ü n n e t h in seiner Bedeutung etwas unterschätzt worden ist; denn ich weiß jedenfalls - obwohl ich katholischer Christ bin -, daß sein berühmtes Buch „Antwort auf den ,Mythos" in den dreißiger Jahren in weitesten Kreisen unseres Volkes gelesen worden ist. Ich habe es selber in einer Zeit, wo ich noch Zeit hatte, andere Literatur zu lesen als die, die für meinen Beruf unbedingt notwendig ist, gelesen und darin eine wesentliche Stärkung der grundsätzlichen Haltung, die wir als Christen gemeinsam hatten und haben, gefunden.
({3})
- Jedenfalls habe ich es gelesen, sehr verehrter Kollege Metzger.
({4})
Meine Damen und Herren, Herr Pater Hirschmann ist zweifellos ein besonders angesehener Moraltheologe. Aber schon der Kleine Katechismus sagt es jedem katholischen Christen: da er weder Papst noch Bischof ist, hat er zwar die Möglichkeit, jeden zum Nachdenken anzuregen, aber keineswegs die Möglichkeit, den einzelnen in seinem Gewissen zu binden. Das steht hier einmal fest.
({5})
Sodann muß ich meinen verehrten Freund und Kollegen Nellen bitten, wenn er die Dinge darstellt, sie so, wie sie vorgetragen worden sind, darzustellen. Wie ich schon in meiner Zwischenfrage bemerkt habe, hat Pater Hirschmann ausdrücklich erklärt, daß es nach der Lehre der Katholischen Kirche kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt, wohl aber eine Pflicht ,des Staates, unter bestimmten Umständen ein irriges Gewissen zu schützen. Sie müssen mir erlauben, nachdem Kollege Nellen das unter Ihrem Beifall bestritten hat, die Stelle auf Seite 37 des vervielfältigten Gutachtens vorzulesen. Pater Hirschmann sagt:
Wir lehnen ja katholischerseits die Gewissensentscheidung derer, die aus einer grundsätzlichen Ablehnung der Kriegsdienstpflicht den Kriegsdienst verweigern, als objektiv irrig ab. In dieser Beziehung liegt hier seitens der katholischen Kirche so etwas vor wie eine dogmatische Diskriminierung einer bestimmten Gruppe von Kriegsdienstverweigerern. Die katholische Kirche erkennt nur e in e Gruppe von Kriegsdienstverweigerern als in ihrem Rahmen stehend an, nämlich diejenigen, die in einem objektiv ungerechten Krieg
- ich wiederhole: in einem objektiv ungerechten Krieg den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern. ({6})
- Ich stelle jetzt einmal fest, Herr Kollege Schmid, was Herr Pater Hirschmann gesagt hat. Und das muß Herrn Kollegen Nellen um so mehr bekannt gewesen sein, als er, wie aus Seite 43 des Gutachtens hervorgeht, selbst Herrn Professor Hirschmann folgende Frage gestellt hat:
Habe ich Sie recht verstanden, Herr Professor, daß Sie eben als katholischen Standpunkt, und zwar weitgehend sogar schon dogmatisch bestimmt, sagten: Ein grundsätzlicher Pazifist, der sich etwa auf die Bergpredigt beruft, wird von der katholischen Moraltheologie nicht anerkannt?
Darauf Pater Hirschmann: „Jawohl!" - Das zur Richtigstellung der Ausführungen von Professor Hirschmann.
({7})
Was aber nun Herrn Professor Flckensteiner betrifft, den ich in seiner Bedeutung hier nicht herausstellen will - ich erwähne ihn nur deshalb, weil ihn soeben mein Vorredner, Kollege Nellen, genannt hat -, so hat er in einer Schrift, die gerade jetzt herausgekommen ist und vermutlich meinem Freunde Nellen noch nicht bekannt ist, auf Seite 5 eindeutig festgestellt:
Wir sagen nochmals: Eine absolute Kriegsdienstverweigerung ist mit der Lehre der Kirche nicht vereinbar. Somit kann man also mit allen moraltheologischen Autoren, mit der gemeinen Lehre der Kirche sagen, daß absolute Verweigerung jedes Wehr- und Kriegsdienstes, weil eine objektive Pflichtverletzung, in sich allgemein sittlich unerlaubt ist, zumindest im Widerspruch steht mit der herkömmlichen Lehre der Kirche.
Herr Professor Fleckensteiner geht sogar zum Schluß so weit, zu erklären, daß bei den situationsbedingten Gewissensverweigerern, die also behaupten, ein bestimmter Krieg sei nicht gerecht, sogar „die Gewissenstoleranz selbst des freien Rechtsstaates in schwerer allgemeiner Notsituation Grenzen haben" kann. Meine Damen und Herren, in einer schweren allgemeinen Notsituation steht das westliche Europa angesichts der Bedrohung, die vor uns steht, und wenn mein Freund Nellen gesagt hat, man müsse mit allen Konsequenzen das Recht der Kriegsdienstverweigerung auch in dem Falle, wo das Grundgesetz es nicht vorsieht, verteidigen, so muß ich daran erinnern, daß das auch den Selbstmord der Nation zur Konsequenz haben kann,
({8})
({9})
und das wollen wir nicht. Wir stehen hier nun einmal in einem echten Konflikt zwischen dem Gewissen und dem Gemeinwohl. Man kann im Leben nicht jeden echten Konflikt gesetzlich oder anderweitig so regeln, daß er ausgeklammert wird. Er wird in vielen Dingen durchgehalten werden müssen, und man soll nicht glauben, daß man jeglicher Tragik, die es geben kann, ausweichen kann. Der Staat muß sich bei seiner Gesetzgebung in erster Linie an das allgemeine Wohl und an das objektiv richtige Gewissen halten, und er kann darüber hinaus noch einen Raum der Freiheit geben; aber der Raum muß den allgemeinen Erfordernissen angemessen sein, und das darf nicht dahin führen, daß dieser Staat der 48 Millionen Bürger der Bundesrepublik aufgelöst wird in 48 Millionen souveräne Republiken. Sonst haben wir keinen Staat mehr.
({10})
- Herr Dr. Arndt, bitte!
Herr Kollege Jaeger, Sie haben zwar Herrn Professor Hirschmann interpretiert - nach meiner Auffassung allerdings nicht richtig -; ich frage aber: Sind Ihnen die Auffassungen, die innerhalb der Evangelischen Kirche als Glaubenslehren vertreten und gelebt werden und die Sie gar nicht erwähnt haben, nicht beachtlich?
Herr Kollege Dr. Arndt, ich glaube, daß sie mir einigermaßen bekannt sind; aber ich fühle mich als Katholik wirklich nicht in der Lage, sie mit Autoritätauszulegen, und habe das meinem Freund und Kollegen Gontrum, der evangelischer Pfarrer ist, überlassen.
({0})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch ein Wort zitieren, das der verewigte Bundestagspräsident Ehlers in diesem Hause am 5. Dezember 1952 als Abgeordneter gesprochen hat, ein Mann, der sich, ebenso wie wir alle von der CDU/CSU, eindeutig zu dem in der Verfassung festgelegten Grundsatz der Kriegsdienstverweigerung im Rahmen dieser Verfassung bekannt hat. Er hat damals gesagt:
Wir können doch nun einmal nicht den Eindruck erwecken, daß es den isolierten Einzelmenschen in der Welt gebe, der tun und lassen könne, was ihm und seinem Gewissen gefalle. Der Mensch hat eine Verantwortung zu tragen auch für die anderen, auch für den Staat, auch für den Nächsten. Und ich möchte für mich ... die Möglichkeit in Anspruch nehmen, meine Verantwortung für den Nächsten zunächst und erst einmal bei den 48 und darüber hinaus den 18 Millionen Menschen, die unserer besonderen Verantwortung befohlen sind, in ihrer Gesamtheit beginnen zu lassen. Man kann nicht, indem man von diesen Dingen redet, den Eindruck erwecken wollen, daß es in Ost und West die gleichen Probleme gebe, den Eindruck, daß man im Augenblick nichts anderes zu tun habe, als den unterdrückten Menschen im Westen davor zu schützen, daß dieser Staat und dieses Parlament sein Gewissen knebelt und ihn zum Wehrdienst preßt. Wer das tut, gibt ,den Menschen, die in einer ernsten inneren Not sind, eine unzureichende Weisung und einen falschen Ratschlag.
Auch an dieses Wort wollte ich Sie erinnern.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Metzger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Ihnen offen gestehen, daß diese letzte Stunde oder die anderthalb Stunden - ich weiß nicht, wie lange es jetzt schon her ist - im Gegensatz zu dem, was wir in diesen Tagen erlebt haben, in mir doch recht viel Zuversicht erweckt haben, daß man in diesem Bundestag in dieser Weise reden kann, wie es z. B. der Kollege Nellen getan hat oder wie es auch andere getan haben. Daß man mit dieser Ernsthaftigkeit und mit diesem letzten Gewissensernst - ich sage das mit vollem Bewußtsein - hier reden kann und daß solche Leute auch angehört werden, ist, glaube ich, ein gutes Zeichen. Ich meine, wir haben alle Veranlassung, deswegen Hoffnung für unser Volk zu haben, - die man manchmal allerdings verlieren könnte. Aber manchmal gibt es auch Augenblicke, wo diese Hoffnung bestärkt wird. Ich möchte für meine Person sagen, daß diese Hoffnung heute abend bei mir wesentlich bestärkt worden ist. Denn solange noch so um das Gewissen geredet werden kann und solange man noch das Gefühl hat, daß Menschen so aus ihrem Gewissen reden ohne Rücksicht darauf, was daraus wird - denn das wissen sie ja nicht -, kann es in unserem Volke noch nicht so schlecht bestellt sein.
Nun darf ich - es fällt mir schwer - noch einiges zu der Sache selber sagen, also zur Diskussion beitragen. Herr Kollege Jaeger meinte, daß Pater Hirschmann im Grunde genommen für den Katholiken überhaupt keine Gewissensentscheidung in bezug auf die Kriegsdienstverweigerung zugelassen habe. Er war dann gezwungen, eine Stelle zu zitieren, aus der sich das Gegenteil ergibt. Es ergibt sich sogar aus dieser Stelle, daß er der Meinung ist, daß ein Katholik kein genereller Kriegsdienstverweigerer sein kann, -also genau das Gegenteil von dem, was Sie gesetzlich festlegen wollen
({0})
und was der Herr Kollege Gontrum so außerordentlich befürwortet hat. Der Herr Professor Hirschmann ist der Meinung: Ein Katholik kann nicht ein genereller Kriegsdienstverweigerer sein - den Sie allein schützen wollen -, sondern er kann nur im konkreten Fall Kriegsdienstverweigerer sein, nämlich dann, wenn ein objektiv ungerechter Krieg vorliegt.
({1})
Herr Kollege Jaeger, ich fühle mich im Gewissen verpflichtet, auch die katholischen Meinungen zu prüfen und, soweit ich das irgendwie verstehen kann, ihnen auf den Grund zu gehen, und nicht nur die evangelischen Auffassungen. Ich glaube, wir haben alle die Verpflichtung dazu. Wir können uns nicht auf das Urteil eines Kollegen, der einer anderen Konfession angehört, berufen. Wir müssen das schon selbst prüfen. Auch das gehört zu unserer Gewissensentscheidung.
Ich möchte also sagen, daß Pater Hirschmann, wenn ich ihn richtig verstehe, sehr deutlich gemacht hat, daß es gerade auf die konkrete Entscheidung, auf die Entscheidung aus der Situation heraus ankommt. Und nun hat Pater Hirschmann etwas gesagt, Herr Kollege Jaeger, das Sie offenbar übersehen haben: daß man sogar so weit gehen muß, die Gewissensentscheidung selbst dann anzuerkennen, wenn die Existenz des Staates dadurch
({2})
gefährdet wird. So weit geht Pater Hirschmann! Ich will Ihnen die Stelle - auf Seite 14 - vorlesen. Da heißt es - ich darf das zitieren, Herr Präsident -:
Selbst um seiner Existenz willen - um es schroff zu formulieren - darf der Staat nicht diese Existenz auf der Zerstörung der sittlichen Persönlichkeit aufbauen. Der unmittelbare Zwang zum Handeln gegen das Gewissen wäre eine solche Zerstörung.
Auch gegen das irrende Gewissen, wie Pater Hirschmann festlegt.
Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sehen, die katholische Theologie geht sogar so weit - und sie kann meines Erachtens gar nicht anders -, daß sie sagt: Das Gewissen des Einzelnen - und das wird ja alles unter dem Anblick vor Gott gesehen - ist vor Gott wichtiger als die Existenz des Staates. Dabei weiß Pater Hirschmann sehr genau: ein Staat, der so die Gewissen der Einzelnen respektiert, hat die beste Aussicht zu leben und wirklich innerlich lebendig und kräftig zu sein.
({3})
Deswegen kann er es sich auch leisten - das gebe ich gern zu -, solche gewagten und solche außerordentlich weitgehenden Dinge zu sagen; und er sagt sie auch mit allem Mut aus einer Haltung heraus, die man nur respektieren kann.
Was wird nun von evangelischer Seite gesagt? Auch da sehen Sie, wie sehr die konkrete Situation die Menschen gerade auch in der evangelischen Kirche zu ihren Einsichten gebracht hat. Von dem Herrn Kollegen Gontrum ist alles mögliche zitiert worden. Er hat dabei aber völlig übersehen, daß ja gerade die konkrete Situation, das, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, zu neuen Erkenntnissen geführt hat und daß das, was wir im Augenblick erleben, was uns heute morgen auch sosehr beschäftigt hat, mit eine Grundlage für die Erkenntnis ist. Bischof Kunst sagt z. B.:
Uns wird oft mit Dank ausgesprochen, daß die Kirche noch eine lebendige und wirksame Klammer von Ost und West unseres Vaterlandes ist, wahrscheinlich ja die einzige Klammer, die noch gleiche Gesetzgebung, ständiges geordnetes Zusammenkommen usw. hat.
Er betont also, daß man das der Kirche dankbar anerkenne. Aber nun fährt er weiter fort - das will auch gehört sein,- und das gehört wieder zu dem, was wir heute nachmittag erörtert haben -:
Dieses Lob wandelt sich aber häufig in heftigen Tadel, wenn wir durch diese Verbundenheit gezwungen werden, wesentliche Fragen der Bundesrepublik mit den Augen unserer Brüder und Schwestern in der Zone anzusehen. Wir meinen keinen Schritt tun zu dürfen, ohne an die Auswirkungen in der Zone denken zu müssen.
Sie ersehen daraus, wie sehr Bischof Kunst sieht und wie sehr die evangelische Kirche sieht, daß wir Entscheidungen gar nicht treffen können, ohne die konkrete Situation zu sehen, und daß wir Entscheidungen nicht treffen können, ohne daß wir sie zu gleicher Zeit auch mit den Augen unserer Brüder und Schwestern in der Zone sehen.
({4})
Wenn das nicht situationsbedingt ist, dann möchte ich wissen, was situationsbedingt ist!
Ein paar Seiten weiter sagt Bischof Kunst noch einmal ausdrücklich:
Wichtiger aber für unsere Diskussion wird sein, daß wir uns dagegen wehren, daß Gewissensbindung nur dann respektiert werden soll, wenn unveränderliche Grundsätze ihr Inhalt sind. Über Gewissensentscheidungen gibt es keinen Richter. Man wird nur von dem Verweigerer verlangen müssen, daß er die Gewissensmäßigkeit seines Handelns glaubhaft macht.
Aber er sagt ausdrücklich: Es wird nicht nur und darf nicht nur die Gewissensbindung respektiert werden, die sich nach Grundsätzen richtet, wir müssen uns vielmehr dagegen wehren, daß man nur diese Gewissensbindung meint. Genau das wollen Sie mit Ihrer Formulierung des § 25 ausgesprochenermaßen erreichen! Das hat uns Herr Kollege Gontrum ja deutlich genug gesagt.
Nun noch einmal kurz zum Juristischen. Es ist mir beinahe lästig, jetzt noch juristische Fragen anzuhängen. Die juristischen Fragen sind nicht die entscheidenden, sondern das, was juristisch, was im Grundgesetz festgelegt ist, entspringt ja doch dem, wie eben ganz richtig gesagt worden ist, Selbstverständnis dieses freiheitlich eingestellten Staates. Von daher müssen wir die Dinge verstehen. Da heißt es nun im Art. 1 Abs. 3 des Grundgesetzes ganz eindeutig - und, Herr Kollege Haasler, ,da gibt es gar nichts zu diskutieren -: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." Der Art. 4 Abs. 3 ist danach unmittelbar geltendes Recht, d. h. Sie können an diesem Recht nichts mehr deuteln, sie können an .diesem Recht nichts mehr ändern. Das steht so da, ist so aktuell, ist so unmittelbar bindend. Das sagt der Grundgesetzgeber selbst, und da steht es nun einmal mit dürren Worten und klipp und klar:
Niemand darf gegen sein Gewissen
- nicht gegen ein Gewissen, das sich nur auf allgemeinen Grundsätzen oder nur auf einer situationsbedingten Lage aufbaut, sondern gegen sein Gewissen schlechthin zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.
({5})
- Ach, dazu ist ja schon gesprochen worden. Ich will mich nicht noch einmal darauf einlassen. Wir sind uns in diesem Punkt sogar einig, Herr Kollege Kliesing. Wir sind der Meinung, daß zum Kriegsdienst auch der Waffendienst in Friedenszeiten gehört. Wir sollten also nicht über einen Punkt, der gar nicht streitig ist, noch einen neuen Streit beginnen. Abgesehen davon ist dazu genug gesagt worden.
Es geht mir im Augenblick darum, was unter Gewissen zu verstehen ist. Sie können jetzt als einfacher Gesetzgeber nicht hergehen und anfangen, das Gewissen so zu modeln und zu drehen, wie Sie glauben, daß es in die Staatsraison hineinpaßt,
({6})
sondern es gilt da schon der Satz von Pater Hirschmann, daß das Gewissen des Einzelnen über dem
({7})
Staat, also auch den Interessen des Staates, seiner Existenz steht und daß dadurch der Staat sich überhaupt erst würdig und lebensfähig macht. Darum geht es. Wenn Sie eine andere Regelung treffen, dann legen Sie nicht nur das Gesetz aus, dann ändern Sie es und dann handeln Sie verfassungswidrig. Darüber kann meines Erachtens gar kein Zweifel bestehen.
Warum wollen wir uns alle denn die Dinge so schwer machen? Warum wollen wir nicht einfach die Formulierung wählen, die uns im Grundgesetz selbst vorgeschrieben ist? Dann kann es unter uns keinen Streit geben, und dann ist es Sache der Rechtsprechung, die Dinge von Fall zu Fall auszulegen und entsprechend zu behandeln. Hier geht es um eine Frage, in der es gar keine parteipolitischen Gegensätze geben kann und geben darf. Hier handelt es sich um die Frage, ob wir selber unseren Staat, der doch unser gemeinsamer Staat ist, so gestalten, ,daß wir vor diesem Staat selbst Achtung haben können. Und es handelt sich darum, daß dieser Staat Achtung vor der Einzelpersönlichkeit, vor dem Gewissen des Einzelnen hat. Ein Staat, der so handelt und der auch den Mut dazu aufbringt - ich gebe gerne zu, es gehört auch ein bißchen Mut dazu -, ein Staat, der diesen Mut aufbringt, der wird stark sein gegen den Bolschewismus. Dann brauchen wir nichts mehr zu fürchten. Aber den Mut müssen wir aufbringen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Nellen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben mit innerer Anteilnahme die Ausführungen der beiden Redner, die heute abend gesprochen haben, über das Recht des Gewissens mitangehört. Aber das Recht zur Kriegsdienstverweigerung hat in der katholischen Moraltheologie seinen Sitz nicht nur in dem Kapitel, das die Überschrift „Das Gewissen" trägt; es hat seinen Sitz auch in dem anderen Kapitel, das die Überschrift „Das Vaterland" trägt. Dieses Kapitel der Moraltheologie enthält einen Satz, der mit demselben Satz des Naturrechts übereinstimmt: „Der Christ soll sein Vaterland verteidigen."
Wenn das Gewissen hier eine Ausnahme schafft, so ist und bleibt das eine Ausnahme, und die Ausnahme kann nur eng ausgelegt werden. Aber das unlösbare, zum mindesten schwer lösbare Problem scheint mir das zu sein, daß ein seelischer Tatbestand, ein sittliches Phänomen, eben dieses Gewissen, das sich jeder juristischen Beurteilung zu entziehen scheint, in eine Bestimmung des Grundgesetzes eingeordnet werden muß. So scheint mir die Rechtsfrage, die uns hier interessiert, die zu sein: Wie und inwieweit und unter welchen Kautelen und Garantien ist das Gewissen des Einzelnen zu respektieren?
Das Gewissen muß den Menschen in eine Konfliktslage treiben. Darin unterscheidet sich die Formulierung des Grundgesetzes von der Formulierung der Sozialdemokratie. Das Grundgesetz läßt diese Konfliktslage sehr gut erkennen in den Worten: „Niemand darf g e g e n sein Gewissen . . . gezwungen werden". In der Fassung der SPD heißt es: „Wer aus Gewissensgründen den
Kriegsdienst verweigert, . . . ". Das ist vielleicht nur ein Nuancenunterschied, aber ein nicht unwesentlicher. Denn in dem SPD-Antrag ist der Gewissensgrund das Motiv, während in Art. 4 des Grundgesetzes die Konfliktslage zum Ausdruck kommt; und sie muß auch zum Ausdruck kommen.
Aber nun muß ich in einem sehr wesentlichen Punkte den beiden Herren Grundsatzrednern widersprechen. Es handelt sich um die Frage des situationsbezogenen Gewissens. Wenn wir ein ganz klein wenig über die Genesis dieses Art. 4 Abs. 3 nachdenken, daß niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf, so zeigt sich, daß dieser Satz eine sehr lange Geschichte und Vorgeschichte hat. In der Tat geht er zurück in die Hochblüte der christlichen Moraltheologie. Er ist deshalb entstanden, weil dem Menschen und dem Bürger des Staates die Frage vorgelegt wurde: Inwieweit darf der Christ töten? Es besteht nämlich ein ganz enger Zusammenhang zwischen dem Verbot des Tötens und dem Dispens, zwischen der Frage, inwieweit im Kriege das Recht besteht, den Gegner mit der Waffe zu töten, und der anderen Frage, inwieweit der Christ auf Grund seiner Gewissensvorbehalte von seinen Verpflichtungen gegenüber dem Vaterland entbunden werden kann. Darin liegt aber die Begrenzung dieser Bestimmung. Wenn wir uns die Begrenzung dieser Bestimmung vor Augen halten - und auch der Grundgesetzgeber hat sie sich vor Augen gehalten -, müssen wir daraus folgern, daß diejenigen das Recht auf Gewissensfraiheit haben sollen, die aus Gewissensgründen die Möglichkeit des Tötens im Kriege mit der Waffe ablehnen, aber nur sie. Das bedeutet, daß diejenigen Bürger des Staates, die darüber hinaus nicht aus allgemeinen Gewissensgründen, sondern aus situationsbezogenen Erwägungen ähnliche Entscheidungen treffen, nicht unter den Schutz des Art. 4 des Grundgesetzes fallen.
Nun eine letzte Frage. Wie kann der Staat nachprüfen, ob der Bürger zu Recht von dieser seiner Gewissensfreiheit Gebrauch macht? Der Entwurf der SPD sagt: Diese Gewissensentscheidung entzieht sich überhaupt jeder staatlichen Nachprüfung. Vielmehr hat der Kriegsdienstverweigerer lediglich eine Erklärung abzugeben, er hat lediglich seinen Gewissensakt zu notifizieren, und diese Notifikation ist an eine bestimmte Stelle zu richten. Es besteht nach dieser Meinung keine Möglichkeit, auf den Grund des Gewissens zu gehen, in die Seelen hineinzuleuchten, den Motiven nachzugehen und zu unterscheiden, ob diese Gewissensentscheidung zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Ich sehe sehr wohl die außerordentliche Schwierigkeit und den großen Konflikt, daß der Staat, daß der Jurist oder irgendein Gremium von Menschen in die Gewissensfreiheit des Einzelnen eingreift.
({0})
Ich möchte auch - aber das ist nur meine persönliche Meinung -
Eine Zwischenfrage?
Eine Zwischenfrage: Ist es dem Herrn Kollegen entgangen, daß in den sozialdemokratischen Vorschlägen die Verfahrensvorschrift des § 26 a Abs. 1 lautet: „Das Landgericht prüft, ob der Ernsthaftigkeit der Erklärung begründete Bedenken entgegenstehen"? Das heißt doch wohl,
({0})
daß es sich mit den Gründen der Gewissensentscheidung und mit der Persönlichkeit des Betroffenen zu befassen hat. Daran, daß die Erklärung ohne weiteres hingenommen werden muß, hat also bei uns niemand gedacht.
Herr Erler, ich habe hier eben gelesen „Für den Fall der Ablehnung der Nr. 11". Ich habe das so verstanden, daß diese Bestimmung als Eventualantrag gedacht ist.
({0})
- Wenn ich das mißverstanden habe, drücke ich mein Bedauern aus.
({1})
Die Formulierung „Für den Fall der Ablehnung der Nr. 11" hat mich zu diesem Mißverständnis geführt.
Ich möchte ein Letztes sagen. Was immer für eine Behörde oder für ein Gremium die Gewissensentscheidung nachzuprüfen hat, immer ist nachzuprüfen, ob es eine echte und starke Gewissensentscheidung ist oder ob es sich um ein vorgeschütztes, ein vorgetäuschtes, ein simuliertes oder dissimuliertes Gewissen handelt. Es ist notwendig - und das ist unser Problem -, eine Pflicht und ein Recht miteinander in Einklang zu bringen, die Pflicht, das Vaterland zu verteidigen, es aber auch vor der Atomisierung in die Gewissen, in die irren-I den und in die vielleicht vorgeschützten Gewissen zu schützen, und auf der anderen Seite den wirklich starken, echten und begründeten Gewissen Rechnung zu tragen. Ich glaube aber, daß dieses Gewissen nur dann in seiner Gültigkeit anerkannt werden sollte, wenn es wirklich ein starkes Gewissen ist, ein Gewissen, das, wenn wir diese Schutzbestimmung des Art. 4 nicht eingeführt hätten, bereit gewesen wäre, wie in früheren Jahren. in früheren Kriegen und in anderen Ländern die allerletzten Konsequenzen aus seiner Gewissensentscheidung zu tragen, die letzte Gefahr und selbst vielleicht den individuellen Untergang. Ein solches Gewissen ist schutzwürdig.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß diese Diskussion in unserem Hause zu jenen gehört, die das Haus zu ehren vermögen.
({0})
Und ich glaube, daß dies ein Tag ist, an dem jeder von uns in dem Bewußtsein nach Hause gehen kann, daß es seinen Sinn gehabt haben mag, daß er sich entschieden hat, Parlamentarier zu werden.
({1})
Als wir in das Grundgesetz den Art. 4 Abs. 3 einführten, hatten wir nicht die Absicht, eine hübsche Verzierung anzubringen, sondern wir wollten diesem Staat, der Bundesrepublik, ein bestimmtes Gepräge geben. Wir wollten, daß durch
diese Bestimmung zum Ausdruck gebracht werde, daß in diesem Staat die Staatsraison nicht als die oberste Autorität für das Handeln von Staat und Bürger anerkannt wird.
({2})
Wir wollten, wissend, daß damit das Regieren schwerer wird, dem Staat bestimmte Schranken auferlegen, Schranken auch dort, wo das Anliegen des Staates gerechtfertigt sein mochte. Wir wollten auf eine sehr drastische Weise zum Ausdruck bringen, daß unserer Meinung nach in dem künftigen deutschen Staat nicht der Zweck, auch nicht der gute Zweck, die Mittel heiligt, sondern die Güte der Mittel den Zweck heiligen sollte.
({3})
Auch der Staat selbst ist ein „Zweck", und wir meinen, daß es eine höhere Heiligung des Staates
- ich meine das Wort nicht theologisch - nicht geben kann als die, einen Staat zu wollen, der sich bewußt glaubt auf die Freiwilligkeit des Opfers seiner Bürger aufbauen zu können.
Im übrigen haben wir nicht Fragen der Moraltheologie zu entscheiden - dazu sind wir nicht kompetent -, wir haben nicht die Frage zu entscheiden, ob es moraltheologisch richtig ist, aus Gründen des Gewissens den Kriegsdienst zu verweigern. Daß man das kann, steht im Grundgesetz, dessen Schöpfer aus ethischen Gründen eine politische Entscheidung getroffen haben. Diese haben wir zu interpretieren.
Die Moraltheologie kann und muß uns Antwort darauf geben, ob es möglich ist, das Gewissen und die Gewissensentscheidung zu relativieren. Ich glaube, daß die Moraltheologie beider christlichen Konfessionen diese Frage eindeutig verneint. Die Gewissensentscheidung des Einzelnen ist etwas schlechthin Absolutes.
Herr Kollege Jaeger hat ausgeführt, daß die Fassung der Ausschußvorlage den Willen und den Text des Grundgesetzes voll decke. Ich kann ihm nicht recht geben. Das Wort „jeder", das im Text der Ausschußvorlage steht, schränkt das in Art. 4 Abs. 3 Gemeinte ein. Mit dieser Formulierung ist lediglich der Mann geschützt, der allgemein und schlechthin der Meinung ist, es dürfe zwischen Staaten keine Gewalt angewandt werden, die zu Blutvergießen führen könnte.
({4})
- Das ist also Ihre Auffassung; das also soll Ihr Text besagen. Jene aber, die an der Fertigung des Grundgesetzes mitgewirkt haben, wollten bewußt weitergehen. Es sollte nicht nur der Quäker und der Mennonit geschützt werden, es soll auch der Mann geschützt werden, der den Krieg nicht schlechthin verwirft, aber in seinem Gewissen überzeugt ist, daß es Kriegsmittel gibt, deren Anwendung schlechthin gegen das Gewissen verstoße.
- Ich meine damit - um Ihnen ein Beispiel zu geben - den Mann, der den Befehl bekommen sollte, eine Atombombe abzuwerfen, und der sagt: Diesen Befehl zu befolgen, verbietet mir mein Gewissen. Auch dieser Mann soll durch Art. 4 Abs. 3 geschützt sein.
({5})
- Genau das meine ich. ({6})
({7})
- Das meine ich, Herr Kollege.
({8})
- Mag sein! Ich war an diesen Dingen einigermaßen beteiligt. Protokolle gibt es nur für den Hauptausschuß und das Plenum des Parlamentarischen Rats. Die Protokolle der Fachausschüsse, die sich speziell mit dieser Frage befaßt haben, sind leider nicht gedruckt.
({9})
- Ich war auch dabei, Frau Kollegin. Dann haben wir offensichtlich die Dinge auf verschiedene Weise begriffen. Ich habe sie so begriffen, wie ich es hier vorgetragen habe.
Mir scheint der entscheidende Unterschied zwischen beiden Fassungen zu sein - um es vereinfachend zu sagen -: Soll nur der Quäker und der Mennonit geschützt sein, oder soll auch der Mann geschützt sein, der zwar in den Krieg geht, aber in einem bestimmten Augenblick sagt: „Jetzt geht es nicht mehr, solche Waffen zu verwenden ist Sünde, das geht gegen mein Gewissen, hier sage ich nein!" - Auch dieser Mann soll geschützt sein! Er soll nicht wegen Feigheit vor dem Feinde oder wegen Verweigerung eines Befehls vors Kriegsgericht gestellt werden können! Wir müssen uns entscheiden, ob wir das eine oder ob wir das andere wollen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Professor Schmid, hier geht es um die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Besagt das, was Sie gerade für den situationsbedingten Kriegsdienstverweigerer sagten, nach Ihrer Meinung, daß er bereits von der Grundausbildung zu befreien ist, obwohl er und niemand sagen kann, ob diese Situation, in der er in Gewissensnot sein wird, jemals eintreten wird?
Herr Kollege, der Anruf an das Gewissen entsteht immer in einer konkreten Situation. Diese konkrete Situation kann sehr verschieden aussehen. Sie kann auch schon dort gegeben sein, wo einem Mann gesagt wird: „Du mußt heute, im Jahre 1956, in einer Zeit, da Kriege mit Atombomben geführt werden, Soldat werden." Auch diese konkrete Situation kann das Gewissen anrufen und unter Umständen ein Nein herausfordern.
({0})
Die andere Frage ist, ob einer in einem Kriege angesichts einer bestimmten Situation glaubt sagen zu müssen: „Hier kann ich nicht mehr, hier verbietet mir mein Gewissen weiterzuschreiten." Es wird vielleicht noch dritte und vierte und hundertste Situationen geben. Sie entstehen aber nicht erst im Kriege! Eine Situation, bei der das Gewissen engagiert wird, liegt auch dann vor, wenn ich mich fragen muß: Kann ich heute, in einer Welt, die ihre Kriege mit Waffen führt, die Kontinente zu verwüsten drohen, es vor meinem Gewissen verantworten, zum Waffendienst ja zu sagen, oder muß ich dazu nein sagen?
Ich habe mich zu Worte gemeldet, nur um den Versuch zu machen, diese Alternative klarzustellen, um aufzuzeigen, wer nach dem Vorschlag des Ausschusses geschützt werden soll und wer nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt werden soll; das ist ein weiterer Kreis als jener, der nach Ihrem Vorschlag geschützt werden soll.
Im übrigen möchte ich zum Schluß dem Abgeordneten Nellen meinen besonderen Dank dafür aussprechen, daß er durch seine Ausführungen das Haus so nah an das Zentrum des Problems geführt hat. Er hat sich dadurch ein Verdienst erworben.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Arndt!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Kopf hat zwischen Art. 4 des Grundgesetzes und dem § 25 unseres Antrages einen Unterschied konstruieren wollen. Ein solcher Unterschied ist nicht gemeint.' Um jedes Mißverständnis auszuschließen, ändere ich deshalb den Antrag ab. Es soll nicht heißen „Wer aus Gewissensgründen", sondern „Wer auf Grund des Art. 4 des Grundgesetzes". Das ist genau das, was wir meinen. Es handelt sich um das Grundrecht.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Paragraphen nicht mehr vor.
Ich komme zu der Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 746*) Ziffer 10. Hier ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist ausreichend unterstützt.
({0})
- Ist nicht beantragt worden. Aber ich bin der Meinung, daß auf jeden Fall der Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 10 der weitergehende ist. Wenn er abgelehnt werden sollte, bleibt es dem Abgeordneten Nellen immer noch überlassen, zu fragen, ob er eine ausreichende Zahl von Abgeordneten findet, die seinen Antrag unterstützen. Dann werden wir den zur Abstimmung stellen.
Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer nunmehr, die Stimmkarten einzusammeln.
({1})
Ich frage, ob. alle Mitglieder des Hauses, die im Saale sind, Ihre Stimmkarte abgegeben haben. - Die Abstimmung ist geschlossen.
({2})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD bekannt. Abgegebene Stimmen 456 und 16 Berliner Mitglieder des Hauses. Mit Ja haben gestimmt 163 und 8 Berliner Mitglieder. Mit Nein haben gestimmt 286 und 7 Berliner Mitglieder des Hauses bei 8 Enthaltungen. Damit ist der Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 10 abgelehnt.
*) Siehe Anlage 4.
**) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 8894.
({3})
Nun gebe ich das Wort dem Abgeordneten Merten zur Begründung eines mir vorgelegten Eventualantrages zu Umdruck 746 Ziffer 10.
Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit, um die wir uns hier seit einiger Zeit bemühen - das Recht der Kriegsdienstverweigerer im Einklang mit dem Grundgesetz in diesem Gesetz zu verankern -, ist zu ernst, als daß man nicht auch die letzte Chance wahrnehmen sollte, hier zu einer befriedigenden Einigung zu kommen. Ich glaube, daß aus den Worten aller, die vor mir gesprochen haben, dieser Ernst deutlich herausgeklungen hat und daß Sie alle gemeinsam der Auffassung sind, daß von allen Menschen dieses Volkes, sei es in Uniform oder ohne Uniform, und vor allen Dingen von denen, die in diesem Hohen Hause versammelt sind, die Gewissensfreiheit verteidigt, aber nicht vergewaltigt werden soll. Wir müssen deswegen einen Weg finden, bei dem jedes einzelne Mitglied dieses Hauses das Gefühl hat, daß alles Erdenkliche und alles nur irgendwie Mögliche getan worden ist, das erstrebte Ziel zu erreichen.
Nach der Ablehnung des Antrags der Sozialdemokratischen Partei zu § 25 haben wir die Befürchtung, daß wir es in Zukunft mit zwei Arten von Kriegsdienstverweigerern zu tun bekommen, diejenigen, die sich auf den jetzigen § 25 berufen, und diejenigen, von denen vorhin die Rede gewesen ist, die sich unmittelbar auf den Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes berufen, der nach wie vor geltendes Recht bleibt. Wir möchten mit Ihnen gemeinsam dahin kommen, daß die Regelung des § 25 beide möglichen, von uns anzuerkennenden Arten von Kriegsdienstverweigerern umfaßt.
Wir bitten Sie daher, einem Antrag zuzustimmen, den wir für den Fall der Ablehnung unseres ursprünglichen Antrages vorgesehen haben. Weil es sich um eine kleine Änderung der Ausschußvorlage handelt, darf ich Ihnen den Antrag, der schon verteilt worden i t, jetzt mündlich vortragen.
Wir schlagen vor, daß in § 25 das Wort „jeder" durch das Wort „der" und das Wort „widersetzt" durch das Wort „ablehnt" ersetzt wird. Es würde dann also heißen:
Wer aus Gewissensgründen die Beteiligung an der Waffenanwendung zwischen den Staaten ablehnt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, hat statt des Wehrdienstes einen Zivildienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten. Er kann auf seinen Antrag zum waffenlosen Dienst in der Bundeswehr heranzogen werden.
Nach den Ausführungen, die hier von verschiedenen Rednern gemacht worden sind und die den Willen des Gesetzgebers klar zum Ausdruck gebracht haben, wird es nach unserer Auffassung den ausführenden Instanzen, über die wir noch reden müssen, nachher möglich sein, an Hand dieser Bestimmung diejenigen Kriegsdienstverweigerer zu schützen, deren Schutz wir uns alle angelegen sein lassen wollen.
Ich bitte Sie, diesem unserem Eventualantrag Ihre Zustimmung zu geben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag strebt die Freistellung der sogenannten situationsbedingten Kriegsdienstverweigerer vom Grundwehrdienst an. Wir glauben feststellen zu können, daß er sich in seiner Substanz nicht wesentlich von dem bereits abgelehnten Antrag unterscheidet. Infolgedessen schlagen wir vor, ihn abzulehnen.
({0})
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über diesen Eventualantrag. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Eventualantrag Umdruck 746 Ziffer 10 ist abgelehnt.
Nun, meine Damen und Herren, frage ich den Herrn Abgeordneten Nellen, ob er wünscht, daß ich das Haus frage, ob 15 Mitglieder des Hauses seinen Antrag unterstützen.
({0})
Dann würde ich ihn als weiteren Änderungsantrag zu § 25 zur Diskussion und zur Abstimmung stellen. Wird er ausreichend unterstützt?
({1})
- Der Änderungsantrag ist ausreichend unterstützt. Meine Damen und Herren, dieser Änderungsantrag lautet:
Wer aus religiöser oder sittlicher Gewissensüberzeugung sich der Beteiligung an der Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt, kann den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern. Er hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten. Er kann auf seinen Antrag zum waffenlosen Dienst in der Bundeswehr herangezogen werden.
Herr Abgeordneter Nellen, habe ich Sie damit recht verstanden?
({2})
Wird dazu das Wort gewünscht?
({3})
- Also ich wiederhole. Es ist der Text - den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses wird damit die Sache vielleicht klarer -, der in dem Vortrag des Beauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland im Verteidigungsausschuß zur Erörterung gestellt worden ist. Der Text lautet:
Wer aus religiöser oder sittlicher Gewissensüberzeugung sich der Beteiligung an der Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt, kann den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern.
Und nun schlägt der Abgeordnete Nellen vor, daß dann weitergefahren wird im Text des Ausschußantrages:
Er hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten. Er kann auf seinen Antrag zum waffenlosen Dienst in der Bundeswehr herangezogen werden.
Herr Abgeordneter Erler!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gestatte mir den bescheidenen Hinweis darauf, daß das die Fassung ist, die der Herr Beauftragte der Evangelischen Kirche vorgetragen hat.
({0})
- Ja. Ich wollte nur darauf hinweisen: wenn die Beratungen im Ausschuß nicht unter dem schrecklichen Zeitdruck gestanden hätten, wäre die Veränderung des Wortes „der" in „jeder" nicht geschehen. Und damit wir hier klar sehen, ob wir uns bereit finden können, doch auf dieser Basis zueinander zu finden, beantrage ich namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, wird dazu das Wort gewünscht? -Herr Abgeordneter Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kompromißantrag meines Freundes Nellen, der jetzt zur Entscheidung steht, der zugleich der Vorschlag ist, der vom Herrn Militärbischof der Evangelischen Kirche im Ausschuß gemacht wurde, unterscheidet sich von dem Ausschußantrag in zwei Punkten. Erstens werden statt der Worte „jeder Waffenanwendung" die Worte „der Waffenanwendung" gesetzt. Es wurden also zwei Buchstaben gestrichen. Das bedeutet in gewissem Sinn eine Lockerung des Ausschußantrags. Aber dann kommt noch eine weitere Unterscheidung. Der Ausschußantrag sagt ganz allgemein: „Wer sich aus Gewissensgründen . . .", während dieser Antrag sagt: „Wer aus religiöser oder sittlicher Gewissensüberzeugung sich der Beteiligung ... widersetzt". Das bedeutet eine eindeutige Einschränkung dessen, was im Ausschußantrag gesagt ist, so wie ich es auffasse. Ich glaube, hierüber, also über diesen Sinn des Antrags, können wir uns einig sein.
Ich halte den Vorschlag, der jetzt gemacht worden ist, für eine Lösung, über die wir ernsthaft nachdenken sollten. Ich persönlich stimme diesem Antrag Nellen zu.
({0})
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Das Wort wird dazu nicht gewünscht. Dann schließe ich die Aussprache zu diesem Punkt.
Meine Damen und Herren, bevor ich zur Abstimmung komme und die Damen und Herren Schriftführer auffordere, die Abstimmungskarten einzusammeln, erlauben Sie mir, in dieser vorgerückten Stunde eine Delegation des Parlaments und der Regierung des mit uns befreundeten Birma, geführt von dem Handelsminister, Herrn U Tin, hier in unserer Mitte herzlich willkommen zu heißen.
({0})
Nun, meine Damen und Herren, kommen wir zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln.
({1})
Meine Damen und Herren, ich werde dringend darum gebeten, Sie zu bitten, an Ihren Plätzen zu bleiben; die Schriftführer kommen sonst viel langsamer durch, und wir brauchen sehr viel mehr Zeit.
({2})
Sind noch Damen und Herren im Hause, die ihre Karte zur namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben haben? - Dann bitte ich, das gleich zu tun. - Ich schließe die namentliche Abstimmung.
({0})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. 456 stimmberechtigte Abgeordnete haben ihre Stimmkarte abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 205, mit Nein 243 Abgeordnete, enthalten haben sich 8. Berliner Abgeordnete: 16 abgegebene Stimmen, Ja 12, Nein 3, Enthalten 1. Damit ist auch der Antrag des Abgeordneten Nellen abgelehnt.
Ich komme dann zur Abstimmung über den § 25 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Gegenstimmen und Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 26, dazu den Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 11. Wer begründet, bitte? - Abgeordneter Wittrock!
Herr Präsident! Meine Damen und Damen! Nachdem die Mehrheit diese Hauses es für richtig befunden hat, sich über alle die ernsten Bedenken, die hier vorgetragen worden sind, auch über die verfassungsrechtlichen Bedenken, mit einer Handbewegung hinwegzusetzen, - ({0})
- Das stimmt doch, meine Damen und Herren!
({1})
Meine Damen und Herren, halten Sie sich
({2})
auf diese Mehrheitsentscheidung nicht allzuviel zugute! Denn das ist eine Mehrheitsentscheidung
({3})
der Mehrheit des 6. September 1953.
({4})
Heute sieht die Mehrheit draußen im Lande anders aus, meine Damen und Herren!
({5}) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 8894.
({6})
beleidigende Bemerkung! - Abg. Dr. Dresbach: Seien Sie vorsichtig!)
Meine Damen und Herren, Sie können nicht bestreiten, daß Sie hier sowohl über ernste rechtliche Bedenken als auch über Bedenken, für die gerade Sie besonderes Verständnis haben sollten, Sie, meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen Union, hinweggegangen sind! Sie können doch nicht bestreiten, daß Sie mit einer Kollektiventscheidung diese Bedenken hier niedergestimmt haben.
({7})
Herr Abgeordneter Wittrock, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß es im Parlament keine Kollektiventscheidungen, sondern nur Mehrheitsentscheidungen gibt.
({0})
Meine Damen und Herren! Hier eine nähere Würdigung vorzunehmen, wird im Zusammenhang mit dem möglich sein, was wir in der zweiten Beratung hier in diesem Hause erlebt haben.
({0})
Nach der eben getroffenen Entscheidung - Sie können mir glauben, daß ich das aus einer echten inneren Erregung heraus sage -,
({1})
kommt den Verfahrensvorschriften eine besondere Bedeutung zu, und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion legt Wert darauf,
({2})
daß bei der Gestaltung des Verfahrens ein Weg eingeschlagen wird, der es erlaubt, daß die Beurteilung der Erklärung dessen, der von dem Kriegsdienstverweigerungsrecht Gebrauch macht, in einer so sachgerecht wie möglichen Weise erfolgt, das Verfahren also in einer sinnvollen Weise gestaltet wird.
({3})
- Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie können sich allmählich, um die Verhandlungen nicht über Gebühr aufzuhalten, etwas beruhigen. Sehen Sie sich doch einmal den Ausschußbericht an! Dieser Ausschußbericht zu § 26, der im wesentlichen mit den Grundgedanken der Regierungsvorlage übereinstimmt, enthält einen Verfahrensvorschlag, gegen den wir sowohl im Ausschuß die ernstesten Bedenken erhoben haben wie auch hier an dieser Stelle erheben müssen. Diese Verfahrensvorschriften sind eigentlich ein Spiegelbild der Zeitnot und des Zeitdruckes, unter dem das Parlament diese so entscheidenden Bestimmungen - ich meine jetzt auch das gesamte Gesetz - gestaltet hat, ein Spiegelbild der Überhastung, mit der hier die Gesetzgebungsarbeit vorgenommen worden ist. Ich will Ihnen das jetzt auch schwarz auf weiß nachweisen.
({4})
Sie werden mir wahrscheinlich nicht bestreiten können, daß es eine ungebührliche Einschränkung der Ausübung des Rechtes aus Art. 4 Abs. 3 ist, wenn ein Kriegsdienstverweigerer die Möglichkeit zur Ausübung seines Rechtes in aller Regel nur bis zu 14 Tagen vor der Musterung hat. Das ergibt sich aus dem dritten Absatz des § 26. Darin heißt es:
Der Antrag eines ungedienten Wehrpflichtigen soll 14 Tage vor der Musterung eingereicht werden.
Meine Damen und Herren, ist Ihnen denn bisher noch nicht der Gedanke gekommen - das ist doch eine Frage, die man ernsthaft stellen kann und stellen muß -, daß ein Staatsbürger auch während seiner Militärdienstzeit auf Grund ernster Überlegungen zu einer Gewissensentscheidung kommen kann, die ihn dazu führt, den Wunsch zu äußern, von dem Kriegsdienstverweigerungsrecht Gebrauch zu machen?
Der sozialdemokratische Antrag zielt in seinem ersten Abschnitt, dem Antrag zu § 26 Abs. 1, darauf ab, diese nach unserer Auffassung bestehende Lücke zu schließen. Deshalb haben wir beantragt, zu formulieren, daß sowohl vor der Heranziehung zum Grundwehrdienst als auch während der Gesamtdauer der Wehrpflicht diese Erklärung, auf die es hier ankommt, abgegeben werden kann. Dieser Antrag entspricht einem Verlangen, dem auch Sie sich nicht verschließen sollten. Die Konsequenz aus diesem Vorschlag ist der Ihnen vorliegende Antrag auf Einfügung eines § 26 b. Denn es ist in einem derartigen Falle selbstverständlich angemessen, auch eine Regelung darüber zu treffen, in welchem Zeitpunkt die Wehrpflicht für denjenigen erlischt, bei dem die Ernsthaftigkeit der abgegebenen Erklärung anerkannt ist.
Das Schwergewicht meiner Ausführungen soll auf der Kritik der Verfahrensvorschriften und der Begründung der entsprechenden sozialdemokratischen Vorschläge liegen. Sie ersehen aus dem Ausschußbericht, daß die Prüfungsausschüsse für die Kriegsdienstverweigerer in die Wehrverwaltung eingebaut werden sollen. Meine Damen und Herren, wenn man sich den Kopf darüber zerbricht, in welche Verwaltung die Prüfungsausschüsse eingebaut werden sollen, dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß die ungeeignetste Verwaltung, die hier in Betracht kommt, die Wehrverwaltung ist. Es bieten sich die verschiedensten Verwaltungszweige an, und ich überlasse es Ihnen, sich diese Verwaltungszweige einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Sie werden zu dem Ergebnis kommen, daß die Wehrverwaltung, die in diesen Fragen doch irgendwie Partei ist, im Grunde genommen wirklich die ungeeignetste Verwaltung ist, in die die Prüfungsausschüsse für die Kriegsdienstverweigerer eingebaut werden können.
Es ist weiterhin vorgesehen, daß die Vorsitzenden der vorgesehenen Prüfungsausschüsse vom Bundesminister für Verteidigung ernannt werden. Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß wir das als eine untragbare Lösung ansehen. Die vom Herrn Bundesverteidigungsminister benannten Vorsitzenden für die Prüfungsausschüsse werden in aller Regel Beamte sein. Ein Staatsdiener der allgemeinen Verwaltung, auch wenn Sie ihm hier bescheinigen, daß er Weisungen nicht unterworfen sein soll, ist eben - das liegt im Wesen des Beamtentums - als Angehöriger der Wehrverwaltung
({5})
selbstverständlich darauf eingestellt, dieser Verwaltung zu dienen.
({6})
- Ich habe Ihren Zwischenruf so nicht verstanden; vielleicht können Sie ans Mikrophon treten; dann werde ich es besser verstehen und bin gern bereit, Ihre Frage zu beantworten.
Ich habe die Erwägungen vorgetragen, aus denen heraus wir es als untragbar ansehen, daß der Vorsitzende der Prüfungsausschüsse für die Kriegsdienstverweigerer jeweils ein Mann der Wehrmachtverwaltung ist. Selbstverständlich haben wir uns Gedanken darüber gemacht, und wir müssen uns Gedanken darüber machen, in welche Hände wir eine so schwerwiegende Entscheidung zu legen haben. Da sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß die Entscheidung in die Hand des Richters gelegt werden soll. Es erhebt sich die Frage - wir können das hier ja ganz ruhig und sachlich überlegen und auch ganz ruhig und sachlich durchdenken - ({7})
- Ich verstehe Ihre Aufregung nicht.
({8})
Wir haben uns ganz ruhig und sachlich die Frage zu stellen, in die Hand welches Richters wir diese Aufgabe legen sollen. Nun sieht ja die Ausschuß-fassung und sah die Regierungsvorlage einen bestimmten Rechtsmittelzug vor. Es ist dort vorgesehen, daß die Entscheidung in die Hände der Verwaltungsgerichte gelegt werden soll. Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß wir die Verwaltungsgerichte für ungeeignet halten, eine derartige Aufgabe zu erfüllen. Bestimmt wissen Sie, soweit Sie aus der Verwaltung kommen - aber wahrscheinlich wissen Sie alle miteinander -, daß es kaum einen Zweig der Gerichtsbarkeit gibt, der in so starkem Maße überlastet ist wie eben die Verwaltungsgerichte. Schon allein diese Überlegung sollte es verbieten, die Entscheidung über die hier anstehenden Fragen in die Hände des Verwaltungsrichters zu legen.
({9})
- Herr Kollege Dresbach, ich habe hier nicht zu überprüfen, woran die Überlastung liegt, sondern ich habe nur festzustellen, daß eine weitgehende Überlastung vorhanden ist. Wenn Sie aus Ihrem Zwischenruf die Konsequenz ziehen wollten, dann würde das dazu führen müssen, die Beseitigung der Generalklausel zu verlangen, und das wollen Sie ja wahrscheinlich ebensowenig wie wir.
({10})
- Das ist eine ganz andere Frage; die werden wir hier in diesem Hause zu erörtern und zu entscheiden haben, wenn einmal der Entwurf der Verwaltungsgerichtsordnung zur Beratung steht.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß die Frage, welcher Gerichtsbarkeit die Entscheidung übertragen werden soll, ausschließlich nach dem Wesen der hier zu treffenden Entscheidung zu beantworten ist. Verwaltungsgerichte würdigen Verwaltungsakte. Hier geht es doch um etwas ganz anderes. Sie können doch nicht behaupten, daß das, was hier zu überprüfen ist, ein Verwaltungsakt ist. Was ist denn - auf diese Frage haben wir die Überlegungen zu konzentrieren - eigentlich in dem Verfahren des Kriegsdienstverweigerers zu prüfen? Der Ausschußbericht in seinem Teil zu § 26 macht darüber überhaupt keine Aussage. Im Ausschußbericht heißt es einfach: Über die Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, wird auf Antrag entschieden. Wir sind der Auffassung, daß es der Festlegung des entscheidenden Tatbestandsmerkmals bedarf, das überprüft wird. Und was ist hier zu überprüfen? Das Gewissen können Sie nicht überprüfen; das ist heute und hier schon in hohem Maße Gegenstand von Erörterungen gewesen. Überprüfen können Sie nur die Ernsthaftigkeit der Erklärung, die von demjenigen abgegeben wird, der das Recht nach Art. 4 des Grundgesetzes für sich in Anspruch nimmt. Und um die Ernsthaftigkeit der Erklärung zu überprüfen, müssen Sie eine Würdigung des Menschen vornehmen, der die Erklärung abgegeben hat. Meine Damen und Herren, glauben Sie, daß der Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der gewohnt ist, über die Gesetzmäßigkeit von Verwaltungsakten zu entscheiden, der hierfür geeignete Richter ist?
Nach Auffassung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion kann hier nur der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Betracht kommen. Nur dieser hat auf Grund der Aufgaben, die während seiner Tätigkeit an ihn herantreten, ständig die Möglichkeit - und nur er ist es gewohnt -, menschliche Zusammenhänge zu überprüfen. Denken Sie etwa an den Richter, der in Vormundschaftssachen zu entscheiden hat; der hat - ich will das nur als Beispiel anführen - menschliche Zusammenhänge zu überprüfen. Ich könnte noch andere Zweige der ordentlichen Gerichtsbarkeit anführen, für die Gleiches gilt. Aus diesen Erwägungen haben wir uns auf den Standpunkt gestellt, daß es dem Wesen des Verfahrens, das sich aus § 25 des Gesetzes ergibt, angemessen ist, die Entscheidung den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu übertragen.
Hieraus ergibt sich der sozialdemokratische Antrag Umdruck 746 Ziffer 11. Wir haben vorgesehen, daß der Antrag durch die Erfassungsbehörde dem zuständigen Landgericht zugeleitet wird. Die Erfassungsbehörde soll die Behörde sein, die den Antrag entgegennimmt. Das Landgericht hat dann die Erklärung - und das ist ein sehr wesentlicher Punkt - dahingehend zu überprüfen, ob ihrer Ernsthaftigkeit begründete Bedenken entgegenstehen. Der Umdruck 746 befindet sich in Ihrem Besitz, und Sie können aus Ziffer 11 dieses Antrags den von uns vorgesehenen Instanzenzug ersehen. Ich will ihn hier nicht im einzelnen vortragen. Sie können vor allem aus den Formulierungen zu § 32 a entnehmen, welcher Instanzenzug vorgesehen ist. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die Beschwerde zulässig, und über diese Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Hiergegen ist die Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof zulässig.
Meine Damen und Herren, der von uns hier vorgelegte Vorschlag entspringt dem Bestreben, das Verfahren für die Kriegsdienstverweigerer in die Hände völlig unabhängiger, von der Verwaltung und insbesondere von der Wehrverwaltung unab({11})
hängiger Richter zu legen. Der von uns gemachte Vorschlag entspringt dem Bestreben, als unabhängige Organe, die allein zur Entscheidung berufen sind, die Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorzusehen. Gerade diese Organe, gerade das Landgericht, das Oberlandesgericht und der Bundesgerichtshof,
({12})
sind auf Grund der Erfahrung, auf Grund der Aufgabenstellung, die diese Gerichte haben, in erster Linie und in einem weitaus stärkeren Maße als die Verwaltungsgerichte dazu berufen, hier die Entscheidung zu treffen.
Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag die Zustimmung zu geben.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Abs. 1 des vorliegenden Antrags zu § 26 dürfte nicht notwendig sein. Dem Anliegen trägt der Entwurf des Ausschusses vollauf Rechnung. Das ergibt sich aus dem Gegenschluß zu der Bestimmung des § 26 Abs. 2, durch die nur für den ungedienten Wehrpflichtigen eine Frist vorgeschrieben ist, während deren er einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu stellen hat.
Wesentlich bei dem Vorschlag zu § 26 sind die Bestimmungen, die Sie, meine Herren Antragsteller, für den Gang des Verfahrens bei der Prüfung der Berechtigung von Kriegsdienstverweigereranträgen vorgesehen haben. Sie haben im Gegensatz zu den Beschlüssen des 6. Ausschusses geglaubt, von Anfang an die Gerichte als Prüfungsinstanzen einschalten zu müssen. Wir können Ihrem Vorschlag nicht zustimmen, weil wir befürchten, daß Sie damit den Gerichten einen Arbeitsanfall aufbürden, der möglicherweise von ihnen nicht bewältigt werden kann. Das hier durchzuführende Verfahren ist seinem ganzen Charakter nach eine Art Verwaltungsverfahren, das man so weit wie angängig im Bereich der Wehrverwaltung belassen sollte. Die Grenzen dessen, was angängig ist, werden durch das Rechtsschutzinteresse des Kriegsdienstverweigerers gezogen, der auch das Bewußtsein haben muß, daß sein Antrag vor ein Gremium kommt, welches gegenüber der Wehrverwaltung genügend Unabhängigkeit und absolute Entscheidungsfreiheit besitzt. Der Entwurf des 6. Ausschusses sieht Prüfungsausschüsse vor. Das Entscheidende bei diesen Prüfungsausschüssen ist, daß sie drei unabhängige Beisitzer haben, von denen einer von der Landesregierung und die beiden anderen von den Vertretungskörperschaften der Kreise ernannt werden. Diese drei stimmberechtigten Mitglieder der Prüfungsausschüsse sind ebensowenig wie der Vorsitzende irgendwelchen Weisungen, weder allgemeiner noch besonderer Art, unterworfen. Es besteht damit die Gewähr, daß diese Ausschüsse in der Lage sind, sachlich zu prüfen.
Der Vorsitzende des Ausschusses, dem im wesentlichen die Leitung und Überwachung, ich möchte sagen: die technische Durchführung des Verfahrens, obliegt, kann Beamter, er kann auch Beauftragter der Wehrverwaltung sein. Er hat aber kein Stimmrecht. Er wird also nur begrenzte Möglichkeiten des Einflusses auf das Entscheidungsgremium haben. Das ist gut so. Denn es muß auch der Wehrverwaltung daran liegen, dem Rechtsuchenden die Überzeugung zu vermitteln, daß sein Anliegen nicht in parteiischen oderirgendwie von der Behörde abhängigen Händen ist, sondern daß sich hier Menschen wie er bemühen, eine Lösung zu finden, die seinem Anliegen, wenn möglich, gerecht wird.
Sie, meine Herren Antragsteller, mögen glauben, daß Ihr Anliegen einer sachlichen Prüfung bei den Gerichten eventuell besser aufgehoben ist. Nun, den Gang zum Gericht schließt auch der Entwurf des 6. Ausschusses keineswegs aus. Er macht ihn nur von der Durchführung zweier Verwaltungsverfahren abhängig, nämlich einmal von dem soeben geschilderten Prüfungsverfahren und einem Verfahren vor der Beschwerdeinstanz.
({0})
- Es tut mir leid, ich sehe einige ungeduldige Mienen. Aber der sachliche Vortrag des Herrn Kollegen Wittrock erfordert unsererseits eine sachliche Entgegnung, es sei denn, daß Sie davon überzeugt sind, daß unsere Beschlüsse bereits äußerlich erkennbar so sachlich sind, daß darüber nicht mehr zu reden ist.
({1})
- Na, der Meinung scheinen Sie nicht zu sein. Dann müssen Sie eben versuchen, noch einige Minuten zuzuhören.
({2})
Nach Vorschaltung der beiden Verfahren kommt die gerichtliche Instanz mit dem Verwaltungsgericht sowieso zum Zuge. Aber die Vorschaltung der beiden Verfahren mit der gewährleisteten sachlichen Prüfung hat doch - das muß wohl allgemein eingesehen werden - einen großen Vorteil. In diesen beiden Instanzen werden alle die Fälle ausgeschieden, die entweder offensichtlich begründet oder offensichtlich unbegründet sind. Das werden bei der Vielzahl der Fälle wahrscheinlich die allermeisten sein. So besteht durch die Vorschaltung der beiden Verwaltungsinstanzen die Möglichkeit, die Gerichte von sehr viel überflüssiger Arbeit zu entlasten. Man weiß heute noch nicht, in welchem Umfang diese Arbeit unsere Gerichte noch weiter überlasten würde.
Ich erinnere Sie an die Tatsache, daß wir uns in diesem Hohen Hause oft darüber zu beklagen hatten, daß die Länderregierungen, wenn es um die Belange der Justiz ging, durchaus nicht schnell bereit waren, durch die Bewilligung von Haushaltsmitteln ihre Gerichte so zu vergrößern, daß sie schnell arbeitsfähig wurden und arbeitsfähig blieben. Wir meinen deshalb, daß der Vorschlag des 6. Ausschusses gegenüber Ihrem Vorschlag zwei wesentliche Vorteile hat, nämlich den Vorteil einer strafferen Durchführung, ohne daß dabei die sachliche Prüfung vernachlässigt zu werden braucht, und zweitens den Vorteil der Ausschaltung all jener vielen Fälle, die entweder von vornherein begründet oder von vornherein unbegründet sind.
Ich bitte daher, den Vorschlag zu §§ 26 und 26 a auf Umdruck 746 abzulehnen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Auch wir können uns dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion nicht anschließen, sind aber bei Überprüfung des § 26 zu der Überzeugung gekommen, daß zumindest noch eine Sicherung der Antragsteller erforderlich ist. Es heißt hier:
Der Antrag soll 14 Tage vor der Musterung eingereicht werden. Er befreit nicht von der Pflicht, sich zur Erfassung zu melden und zur Musterung vorzustellen.
So weit ist das in Ordnung. Aber es fehlt nach unserer Auffassung eine Sicherung, die etwa folgendermaßen lauten müßte: Die Einberufung gemäß § 21 darf erst nach Vorliegen einer ablehnenden Entscheidung erfolgen. Ich stelle den Antrag, diesen Passus in den Abs. 2 des § 26 noch einzufügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch den § 26 in der Formulierung, wie sie die SPD-Fraktion in Ziffer 11 des Umdrucks 746 beantragt, wird eine Frage aufgeworfen, die auch im Ausschußbericht Drucksache 2575 erwähnt ist. Auf Seite 2 des Ausschußberichts, linke Spalte, vierter Absatz, letzter Satz, wird ausgeführt:
Auch stellte sich die Frage, ob eine gewissensbedingte Kriegsdienstverweigerung zu jeder Zeit berücksichtigt werden müsse oder nicht.
Ich bin sicher, daß diese Frage im Ausschuß eindeutig bejaht wurde, und zwar sowohl von den Vertretern der Regierung als auch von den Mitgliedern des Ausschusses. Deshalb glaube ich, daß keine Bedenken bestehen, jedenfalls dem Abs. 1 der von der SPD beantragten Fassung des § 26 zuzustimmen. Hier wird genau das gesagt, worüber sich der Ausschuß einig war. Dies hier festzustellen scheint mir von besonderer Bedeutung für die Anwendung dieses Gesetzes zu sein. Bezüglich der weiteren Schlußfolgerungen hieraus kann man verschiedener Meinung sein. Hiernach, Herr Kollege Haasler, hätte ich persönlich gar keine Bedenken, den Abs. 1 des von der SPD beantragten § 26 anzunehmen. Ich möchte die Annahme dieser Bestimmung befürworten.
Weitere Wortmeldungen? - Liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
Ich komme zur Abstimmung.
({0})
- Absatzweise? - Ich lasse also absatzweise über Ziffer 11 des Umdrucks 746*) abstimmen. Wir kommen zur Abstimmung über Abs. 1. Wer dem Abs. 1 des Änderungsantrags zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wird gewünscht, daß ich weiter absatzweise abstimmen lasse? - Nein. Ich lasse nunmehr über die Absätze 2 und 3 des Änderungsantrags abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
*) Siehe Anlage 4.
Nunmehr lasse ich über den Änderungsantrag des Abgeordneten Atzenroth abstimmen. Der Antrag liegt Ihnen noch nicht vor, deshalb lese ich ihn noch einmal vor. Der Antrag beinhaltet, dem Abs. 2 des § 26, wie er in der zweiten Lesung verabschiedet wurde, einen weiteren Satz anzufügen, der lautet:
Die Einberufung darf erst nach Vorliegen einer ablehnenden Entscheidung erfolgen.
Der Abs. 2, der vorausgeht, lautet - ich lese auch ihn vor, damit es verständlich wird -:
Der Antrag ist schriftlich oder zur Niederschrift beim Kreis-Wehrersatzamt zustellen. Er soll begründet werden. Der Antrag eines ungedienten Wehrpflichtigen soll 14 Tage vor der Musterung eingereicht werden. Er befreit nicht von der Pflicht, sich zur Erfassung zu melden und zur Musterung vorzustellen.
Und jetzt soll der Satz folgen:
Die Einberufung darf erst nach Vorliegen einer ablehnenden Entscheidung erfolgen.
Wir kommen zur Abstimmung über diesen Änderungsantrag. Wer ihm zustimmen will, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Nunmehr habe ich auf Umdruck 746 Ziffer 12 noch einen Eventualantrag vorliegen, der dann zum Zuge kommen soll, wenn der Antrag Ziffer 11 abgelehnt ist. Soll er begründet werden? - Herr Abgeordneter Bauer!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erbitte trotz der Geisterstunde noch ein gewisses Minimum an gutem Geist der Aufnahmebereitschaft, zur Begründung unseres Änderungsantrages zu § 26 Abs. 4 einige Worte anzuhören. Ich möchte eine Bestimmung aufs Korn nehmen, die im ersten Moment vielleicht weniger wesentlich erscheinen mag und die vielleicht mancher als selbstverständlich überlesen hat. Es ist der erste Satz des Abs. 4, der lautet:
Die Ausschüsse haben bei ihrer Entscheidung die gesamte Persönlichkeit des Antragstellers und sein sittliches Verhalten zu berücksichtigen.
Diese Bestimmung hat auf den ersten Blick gewisse starke Berührungspunkte mit einer Auffassung, die ihren Niederschlag in der Erklärung der Evangelischen Kirche vom Dezember 1955 gefunden hat, die beiden deutschen Regierungen zugeleitet worden ist. Diese Erklärung befaßt sich mit der Frage, woran wohl der Kriegsdienstverweigerer erkannt werden kann. Dazu wird gefordert, daß der Ernst der Gewissensentscheidung und der Eindruck der persönlichen Haltung des Antragstellers stärker berücksichtigt werden sollten als die Art der von ihm angeführten Gründe.
Dieser Gedankengang ist durchaus diskutabel - und er ist von mir in der Mitberichterstattung im Rechtsausschuß herangezogen worden -, wenn man ihn in der Würdigung vor dem entscheidenden Gremium als eine Art Aushilfe bei der Auslegung in Zweifelsfällen benützt. Wenn man aber eine Formulierung in so starrer Form hineinschreibt, wie es hier geschehen ist, nämlich daß die gesamte Persönlichkeit und das sittliche Verhalten berücksichtigt werden sollen, können wir eine gewisse
({0})
Gefahr nicht verkennen, nämlich die, daß der Staat sozusagen von Amts wegen Erhebungen über den einzelnen Menschen hinsichtlich seines Gesamtverhaltens anstellt, also vielleicht noch über Moral und Sittlichkeit hinaus.
Ich möchte einmal fragen, wer denn für eine solche Beurteilung die Unterlagen liefert? Gehen wir einmal auf das flache Land hinaus! Ich denke an Hunderte von Dörfern in der westdeutschen Bundesrepublik, die in der Eifel liegen können wie im Emsland, in der Rhön und im Spessart wie im Bayerischen Wald. Da habe ich nun einmal die Befürchtung: wenn dort der Herr Lehrer, der Herr Bürgermeister, der Geistliche sein Urteil abgibt, dann wird derjenige, der vielleicht einmal gewagt hat, gegen den Stachel der Obrigkeit zu löken, der vielleicht sogar im Geruch steht, etwas links zu stehen, oder der auch mal ein paar Glas Bier über den Durst getrunken hat, verhältnismäßig schlecht fahren. Ich fürchte, daß über einen jungen Menschen dann das Urteil schon gesprochen ist, bevor er vor dem entscheidenden Gremium für seine Darlegungen den Mund geöffnet hat.
Nun sind aber diese Gründe der Entscheidung des Gremiums und diese Unterlagen für uns keineswegs das Kriterium. Was ist der Kern der Sache? Der Kern der Sache ist und bleibt, daß es zu verhindern gilt daß auf Grund diesen Formulierung eine Art staatlich unterstützte Sittlichkeits- und Gesinnungsschnüffelei eingeführt werden könnte, sagen wir, eine Art Durchleuchtung des jungen Staatsbürgers nach allen Richtungen und in Dunkelkammern, die man vielleicht nur allzu schwer erhellen kann. Und eben weil wir hier die Gefahr einer anhebenden menschlichen Gesamterfassung und einer Generaldurchsuchung jedes Einzelnen erkennen - nach Sittlichkeit, nach Verhalten, nach Auffassungen womöglich -, weil wir diese Gefahr heraufziehen sehen, lehnen wir diese Fassung mit Entschiedenheit ab, und zwar rechtlich gestützt auf Art. 1 unseres Grundgesetzes, der mit Absicht an der Spitze den Grundsatz verankert: Die Würde des Menschen ist unantastbar und untersteht dem Schutz der staatlichen Gewalt, also auch des Gesetzgebers. Wir sehen hier die Gefahr eines Verstoßes gegen das Grundgesetz und lehnen diese Fassung mit Entschiedenheit ab.
Der Klarheit halber will ich hinzufügen, daß wir den zweiten Satz des Abs. 4: „Die Mitglieder der Ausschüsse sind an Weisungen nicht gebunden" selbstverständlich stehenlassen wollen. Über diesen Satz hat ja bei allen Fraktionen Einigkeit bestanden.
Ich bitte Sie also, den Satz 1 des Abs. 4 in § 26 abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie man in der Würdigung einer sittlichen Persönlichkeit einen Verstoß gegen Art. 1 des Grundgesetzes erblicken kann, ist mir nicht recht ersichtlich.
({0})
Ich möchte nur zwei Bemerkungen dazu machen.
Der Antrag der SPD unterscheidet sich von der jetzigen Vorlage insbesondere dadurch, daß er die Beweislast geradezu umkehrt. Danach wäre also
nicht das Prinzip der Wehrpflicht das Normale, sondern das Prinzip der Kriegsdienstverweigerung.
({1})
Und noch ein anderes; ich glaube, das sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen. Dieser Satz ist auf meinen Antrag in die Gesetzesvorlage aufgenommen worden. Ich habe die Frage, ob es richtig sei, ihn aufzunehmen, sowohl an die Vertreter der Kirchen gestellt wie an Professor Siegmund-Schultze, immerhin den Vertreter einer großen Organisation, die die Interessen der Kriegsdienstverweigerer vertritt. Sie haben nicht nur keine Bedenken dagegen geäußert, sondern Professor Siegmund-Schultze hat sogar die Auffassung vertreten, daß eine derartige Regelung im Interesse der echten Kriegsdienstverweigerer liege. Ich glaube, wenn das die Auffassung einer solchen Organisation ist, dann sollten wir keine Bedenken dagegen haben.
({2})
Bevor ich das Wort weiter gebe, darf ich dem Hause eine Mitteilung machen. Da 12 Uhr - Mitternacht - vorbei ist, muß ich die Damen und Herren bitten, sich draußen in die erneut aufgelegten Anwesenheitslisten einzutragen. Das ist notwendig.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nicht ernstzunehmende Unterstellung des Herrn Kollegen Kliesing, daß hier das Prinzip der Wehrpflicht in ein Prinzip der Wehrdienstverweigerung verkehrt werde, weise ich zurück. Auch die Behauptung, daß eine staatliche Nachprüfung des sittlichen Verhaltens im allgemeinen mit dem Art. 1 des Grundgesetzes vereinbar sei, halte ich für unzutreffend. Wir haben diese Frage im Wiedergutmachungsrecht gehabt, wo einige Gerichte geglaubt haben, sie könnten die allgemeine Achtbarkeit einer Person prüfen. Diese Frage liegt gegenwärtig dem Bundesverfassungsgericht vor.
Wenn es eine staatliche Prüfung des Menschen auf seine sittlichen Grundsätze hin gibt, dann ist das eine Demontage der menschlichen Person.
({0})
Ich für meine Person lehne es ab, mich von irgendeiner staatlichen Instanz auf meine Sittlichkeit hin prüfen zu lassen. Das ist absolut unmöglich. Das geschieht im Osten, aber nicht bei uns im Westen.
({1})
Aber hier zeigt sich dieser ganze sittliche Hochmut und Übermut, der hinter Ihrem Gesetz steht.
({2})
Das wollte ich Ihnen noch einmal gesagt haben.
Nun sagen Sie, Sie haben Professor SiegmundSchultze, Sie haben Organisationen, Sie haben Kirchen gefragt. Ich glaube nicht, daß Theologen so leicht beurteilen können, was aus derlei Dingen in der Hand von Ausschüssen in der Praxis wird, - ganz etwas anderes, als was jene Herren sich darunter wohlwollend vorstellen. Aber ich darf Ihnen gerade zur Frage der Evangelischen Kirche eins sagen: auf Seite 19 des Ratschlages des
({3})
Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland finden Sie, daß zwar bei der Prüfung der Gründe des Kriegsdienstverweigerers auch seine Lebensführung beachtet werden soll. Das ist ganz normal, das geschieht in jedem Prozeß, in dem es um Strafsachen und um die Glaubwürdigkeit eines Menschen geht. Im übrigen ist man nicht einmal einem wegen Mordes Beschuldigten gegenüber befugt, ihn „allgemein" auf seine sittlichen Grundsätze hin zu prüfen. Aber, fügt die Evangelische Kirche hinzu, „womit nicht eine fehlerfreie Lebensführung gemeint sein darf". Das ist ein sehr wichtiger Satz! Denn was in der sittlichen Überprüfung steckt, ist die kommende Degradierung und Diffamierung der Kriegsdienstverweigerer, bei denen herausgesucht wird, der Mann habe angeblich einmal dieses und jenes getan. - Sie schütteln den Kopf, Herr Jaeger. Sie wissen doch genau, wie das zugeht, wie das bei der Denazifizierung zugegangen ist, wie es bei der Wiedergutmachung zugegangen ist und wie es hier erst recht kommen wird.
Das wird also von der Evangelischen Kirche dazu gesagt. Nach den vorangegangenen Abstimmungen habe ich allerdings nicht den Eindruck, daß das, was vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland geäußert warden ist, hier in diesem Hause interessiert. Denn Sie haben es schlechterdings in den Wind geschlagen,
({4})
als ob das von irgend jemand käme, der keinerlei Beachtung in Deutschland verdiente. Was Sie heute nacht getan haben, das hat den Glauben in Deutschland verletzt.
({5})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.
({0})
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 746*) Ziffer 12 mit der Modifikation - ich nehme an, daß ich es so richtig verstanden habe und richtig aus dem Gesetz herauslese -, daß der zweite Satz „Die Mitglieder der Ausschüsse sind an Weisungen nicht gebunden" stehenbleiben soll, zuzustimmen wünscht, der gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
({1})
- Meine Damen und Herren, ich bitte, sich doch zu beruhigen, damit ich in meinen Geschäften fortfahren kann. Es ist sowieso schon sehr spät.
Ich rufe nunmehr auf den Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 13, - 14 - und 15. Wenn ich es richtig verstehe, sind sie durch die Abstimmung erledigt. - Herr Abgeordneter Erler!
Ziffer 13 ist durch die Abstimmung erledigt, Herr Präsident; sie entfällt infolge der Abstimmung über § 26 Abs. 3. Ziffer 14 hingegen ist nicht erledigt. Nachdem uns versichert worden ist, daß auch gemäß der Fassung der Aus*) Siehe Anlage 4.
schußvorlage ein Soldat während des Wehrdienstes sich zum Kriegsdienstverweigerer erklären kann, muß man ja wohl irgendwo feststellen, wann er dann aus der Bundeswehr ausscheidet. Hier ist vorgesehen: mit dem Tage, an dem ihm die bejahende Entscheidung mitgeteilt worden ist.
Dann rufe ich den Antrag Umdruck 746 Ziffer 14 und gleichzeitig auch Ziffer 15 auf, weil das materiell zusammengehört. Wer begründet? - Er soll nicht mehr begründet werden.
Dann komme ich zur Abstimmung. Ziffer 15 ist jetzt insoweit geändert, als statt „§ 27" „§ 26 c" zu setzen ist, der neu eingeschoben werden muß.
Ich komme also zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 746 Ziffer 14, einen neuen § 26 b mit dem aus dem Umdruck ersichtlichen Inhalt einzufügen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 15, nach der ein neuer § 26 c mit der aus dem Umdruck ersichtlichen Fassung eingefügt werden soll. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe: - Enthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit sind wir am Ende des Abschnitts III des Gesetzentwurfs.
Ich kehre zurück zu § 11 und § 12.
({0})
Meine Damen und Herren, zu § 11 liegen Ihnen die Anträge auf Umdruck 744 Ziffer 3, Umdruck 746 Ziffer 4 und Umdruck 762 vor.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 746*) Ziffer 4. Ich habe lange darüber nachgedacht und habe mich auch mit den Antragstellern und den Kritikern verständigt. Ich glaube doch, daß der Antrag Umdruck 746 Ziffer 4 weitergehend ist als der Antrag Umdruck 744 Ziffer 3 betreffend Abs. 2 Nr. 1, weil in dem letztgenannten Antrag das einzige Kind und in dem Antrag Umdruck 746 Ziffer 4 der einzige Sohn gemeint ist. Ich glaube also, wir können uns darauf einigen, daß der Antrag Umdruck 746 Ziffer 4 weiter geht und daß wir deshalb zuerst über ihn abstimmen.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag auf namentliche Abstimmung ist ausreichend unterstützt. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({0})
Ich frage, ob alle Stimmkarten der Mitglieder des Hauses, die im Saale sind, abgegeben sind. Alle Stimmkarten abgegeben? - Die Abstimmung ist geschlossen.
({1})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck 746
*) Siehe Anlage Anlage 4.
**) Vgl, das endgültige Ergebnis S. 8894.
({2})
Ziffer 4 bekannt: Abgegebene Stimmen insgesamt 456 und 16 Berliner Abgeordnete; mit Ja haben gestimmt 171 und 8 Berliner Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 285 und 8 Berliner Abgeordnete, keine Enthaltungen. Damit ist der Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 4 abgelehnt.
Nun kommen wir zu dem Änderungsantrag Umdruck 744 ({3})**) Ziffer 3, zunächst Nr. 1. Der Änderungsantrag ist begründet. Wird dazu noch weiter das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Bucerius!
Meine Damen und Herren! Ihnen liegt der Antrag Umdruck 762*) als selbständiger Antrag vor. Wir wollen diesen Antrag nicht als selbständigen Antrag aufrechterhalten, sondern als Änderungsantrag zu dem Antrag der FDP Umdruck 744 Ziffer 3 Nr. 1 stellen. Ich wiederhole: wir bitten, über den Antrag Umdruck 744 Ziffer 3 Nrn. 1 und 2 getrennt abzustimmen; unser Antrag Umdruck 762 soll ein Änderungsantrag zu Nr. 1 sein. Wenn dieser Änderungsantrag von Ihnen angenommen ist, bitten die Damen und Herren von der FDP-Fraktion um namentliche Abstimmung über die so geänderte Fassung des Antrags Umdruck 744**) Ziffer 3 Nr. 1. Die CDU-Fraktion schließt sich diesem Antrag auf namentliche Abstimmung an.
({0})
Die FDP ist mit dem Antrag auf Umdruck 762 einverstanden. Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Erler!
Herr Präsident, wenn ich die ganze Sache eben richtig aufgefaßt habe, dann bedeutet das eine Einschränkung des FDP-Antrags Umdruck 744 Ziffer 3. Wir werden gegen die Einschränkung stimmen.
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht; dann kommen wir zur Abstimmung.
({0})
- Gut, wir haben das gehört.
Dann kommen wir zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der CDU/CSU, DP und FVP auf Umdruck 762*). Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Änderungsantrag ist angenommen.
Herr Abgeordneter Erler!
Im Hinblick darauf, daß nun immerhin eine wenn auch im Vergleich zu den vorhergegangenen Anträgen noch so magere Berücksichtigung des wesentlichen Anliegens, nämlich der Befreiung der letzten Angehörigen von Familien, die schwere Opfer gebracht haben, erreicht wird, werden wir dieser eingeschränkten Fassung unsere Zustimmung geben.
*) Siehe Anlage 11. **) Siehe Anlage 2.
Herr Abgeordneter Bucerius, wollen Sie dann an Ihrem Antrag auf namentliche Abstimmung festhalten?
Herr Präsident, ich habe den Wunsch der FDP-Fraktion weitergegeben; die CDU-Fraktion hat sich dem angeschlossen. Wenn die FDP-Fraktion ihren Antrag aufrechterhält, wird die CDU-Fraktion ihn weiterhin unterstützen. - Die FDP erhält ihn aufrecht; wir unterstützen ihn weiterhin.
Dann mache ich darauf aufmerksam, daß wir noch einmal über etwas abstimmen, worüber mindestens in der Substanz bereits abgestimmt ist.
({0})
- Aber ich bitte Sie: über den Antrag Umdruck 744 Ziffer 3 ist mit der Zustimmung der Antragsteller und durch die Annahme des Änderungsantrags Umdruck 762 bereits abgestimmt. Ich frage Sie, ob Sie unter diesen Umständen auf einer Wiederholung der Abstimmung mit Stimmzetteln bestehen.
({1})
Herr Abgeordneter Mende, ich schlage Ihnen vor, das zurückzunehmen. Es bringt mich in geschäftsordnungsmäßige Schwierigkeiten.
Wenn auch seitens der SPD die einstimmige Annahme dieses Antrages sichergestellt ist, verzichten wir auf namentliche Abstimmung.
Dann stelle ich fest, daß der Antrag Umdruck 744*) Ziffer 3 mit der Änderung auf Umdruck 762 angenommen ist.
Nun rufe ich auf den Änderungsantrag Umdruck 749**) Ziffer 2 zu § 12 Abs. 2. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Merten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um den Antrag, die Bestimmung zu streichen, wonach die Wehrpflichtigen, die sich auf das geistliche Amt vorbereiten, auf Antrag vom Wehrdienst zurückgestellt werden. Er hängt aufs engste zusammen mit dem Antrag, § 11 Ziffer 1, die Befreiung der ordinierten Geistlichen evangelischen Bekenntnisses vom Wehrdienst, zu streichen. Sie haben bereits den Antrag, die Befreiung der evangelischen Geistlichen vom Wehrdienst zu streichen, abgelehnt. Ich will hier noch einmal den Versuch machen, Sie zu veranlassen, wenigstens in diesem Punkte meinen Argumenten zu folgen, die bereits in der zweiten Lesung vorgebracht worden sind, und diese Ausnahmebestimmung für die Wehrpflichtigen, die sich auf das geistliche Amt vorbereiten, wegfallen zu lassen. Diese Bestimmung gibt unter anderem auch allen möglichen Mißbräuchen Raum. Ich freue mich schon auf das sprunghafte Anwachsen der Zahl der Theologiestudenten. Ob sich allerdings die Kirchen darüber freuen werden, ist eine andere Frage. Ich habe im Gegenteil den Eindruck, daß sie von keinerlei Freude erfüllt sein werden und daß das, was da auf das geistliche Amt zukommt, nicht von der inneren Berufung, sondern von den unbe-
*) Siehe Anlage 2. **) Siehe Anlage 7.
({0})
rechtigten Vorteilen getrieben wird, die dieses Gesetz einräumt. Ich möchte Ihnen das hier gesagt haben, damit hinterher jedermann weiß, wer an dieser Entwicklung die Schuld trägt. Ich bitte Sie, sich das ernstlich zu überlegen.
Ich weiß genau, daß auch hier Wünsche von seiten der Studentenschaft und der Theologie sowohl als auch von einzelnen evangelischen Landeskirchen vorliegen. Aber wir haben heute abend auch schon wiederholt festgestellt, meine Damen und Herren von der Christlich-Demokratischen Union, daß Ihnen die Argumente, die von christlichen Kirchen für die Debatte beigesteuert werden, nur in dem Augenblick sympathisch sind, in dem sie zufällig auch mit Ihren politischen Absichten übereinstimmen.
({1})
- Nein, ich spreche nicht von mir selbst.
({2})
Herr Kollege Dr. Jaeger, auf diesen Einwand habe ich gewartet. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie ihn gemacht haben. Ich bitte Sie, mir in den vergangenen sieben Jahren eine einzige Abstimmung der sozialdemokratischen Fraktion entgegen den Wünschen der christlichen Kirchen nachzuweisen. Wenn Ihnen das gelingt, darf ich Ihnen dazu jetzt schon meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nicht zu dem Stellung nehmen, was die evangelischen Theologiestudenten betrifft. Aber was die katholischen Theologiestudenten angeht, so darf ich Ihnen allerdings sagen, Herr Merten, daß Ihr jetziger Antrag in schroffem Gegensatz zu den Wünschen der katholischen Kirche in Deutschland steht.
({0})
Herr Abgeordneter Haasler!
({0})
Meine Damen und Herren! Es wird Ihnen unangenehm sein, was ich sage, aber es ist wichtig zu wissen.
({0})
Wenn es wirklich der Wunsch der evangelischen Kirche ist, nur solche Anwärter zu bekommen, die den Wehrdienst geleistet haben, dann steht es ihr ja frei, von ihren Kandidaten zu verlangen, daß sie den Antrag nicht stellen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 749 Ziffer 2*). Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist abgelehnt.
({0})
- Sie meinen wegen § 11?
({1})
- Ich weiß, es ist mir völlig klar. ({2})
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag Umdruck 744 Ziffer 3 Nr. 2. Ich mache darauf aufmerksam, daß dieser Antrag mit dem Antrag Umdruck 746 Ziffer 5 konkurriert.
({3})
- Ja, nicht ganz.
({4})
- Jawohl! - Zunächst hat zu Antrag Umdruck 744**) Ziffer 3 Nr. 2 Frau Abgeordnete Dr. Ilk das Wort.
Herr Präsident! Ich glaube, dieser Antrag konkurriert auch noch mit dem Antrag Umdruck 754***) Ziffer 1 b. Ich weiß nicht, ob wir auch dazu noch Stellung nehmen sollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich heute morgen in der Zeitung las, daß sich auch die CDU/CSU dazu entschließen werde, die Sowjetzonenflüchtlinge von der Verpflichtung zum Wehrdienst freizustellen, habe ich mich gefreut, daß unsere stundenlange Diskussion bei der zweiten Lesung doch von Erfolg gekrönt war. Und als vorhin die Sitzung unterbrochen wurde und man mir sagte, man wolle den § 11 noch einmal durchdiskutieren, habe ich wieder Hoffnung geschöpft. Um so enttäuschter bin ich jetzt, daß Sie mit Ihrem Antrag Umdruck 745
({0})
auf unsere Argumente, die wir Ihnen in der zweiten Lesung so eindringlich nahegelegt haben, so gut wie gar nicht eingegangen sind.
Der Antrag, den wir eingebracht haben und der dahin lautet, daß Wehrpflichtige, sofern sie Verwandte ersten Grades besitzen, die ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthaltsort in der sowjetisch besetzten Zone oder im sowjetischen Sektor von Berlin haben, auf Antrag von der Wehrpflicht freigestellt werden, dokumentiert doch unsere große Sorge um den Bestand der Familie, die dadurch schon getrennt ist, daß es überhaupt zwei Zonen gibt, und deren Band wir in keiner Weise noch weiter durch die Verpflichtung zur allgemeinen Wehrpflicht lockern wollen. Wir haben Ihnen vorgestern alle unsere Gründe für den Antrag dargelegt, und wir waren uns doch alle einig in der Beurteilung der großen Gefahr, die für die in der Sowjetzone lebende Familie darin besteht, daß Sie hier ein Mitglied dieser Familie, einen Sohn oder einen Vater, der hier im Westen lebt, der allgemeinen Wehrpflicht unterstellen. Wir haben klargemacht, daß das nicht nur bedeutet, daß der Betreffende, solange er der Wehrkontrolle untersteht, praktisch nicht hinübergehen kann,
*) Siehe Anlage 7. **) Siehe Anlage 2.
({1})
sondern daß die Angehörigen drüben während der ganzen Zeit der Kontrolle gefährdet sind. Sie wollen jetzt mit Ihrem Antrag, dem § 12, der seinerseits sagt, daß derjenige von der Wehrpflicht zurückgestellt werden kann, für den die Heranziehung zum Wehrdienst wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeutet, noch hinzufügen „und für Verwandte ersten Grades in der Sowjetzone besondere Notstände zu erwarten sind". Hierin verkennen Sie die Situation; damit ändern Sie und helfen Sie nämlich im Grunde genommen nichts.
Bitte denken Sie einmal daran: Ein Flüchtling, der hier Zuflucht gesucht hat, stellt, wenn er sich melden muß, den Antrag, ihn freizustellen, weil im Falle seiner Heranziehung Verwandte ersten Grades einem besonderen Notstand ausgesetzt würden. Dann muß er dabei begründen, warum er herübergegangen ist. Er muß weiterhin begründen, daß seine Angehörigen auf Grund dieses Tatbestandes, daß er der Wehrpflicht unterliegt, einem besonderen Notstand ausgesetzt sind.
({2})
In jedem Fall werden dabei Tatsachen bekannt, die unter Umständen drüben für die Angehörigen erst einen Notstand erzeugen. Sie können nicht sagen, daß die Musterungskommission oder die Wehrbezirkskommandos so weit Diskretion üben werden und können, daß diese Tatbestände nicht bekanntwerden, die der betreffende Wehrpflichtige für seinen Antrag angibt.
({3})
- Herr Kollege, Sie meinen den Paragraphen, durch den die betreffenden Stellen zum Schweigen verpflichtet sind. Ja, das ist richtig. Aber wir wissen, daß der Personenkreis, der mit diesen Dingen befaßt ist, sehr groß ist und daß man auch bei den Notaufnahmeverfahren zahlreiche Erfahrungen gemacht hat. Auch dort waren die Leute zum Schweigen verpflichtet, und doch wurden die berichteten Dinge bekannt, und die Angehörigen hatten drüben Schwierigkeiten. Diese Tatsache an sich wird allein schon dazu beitragen, daß soundso viele Leute mit Rücksicht auf ihre Angehörigen drüben gar nicht wagen werden, einen Antrag auf Freistellung einzureichen.
Aber wenn der Wehrpflichtige den Antrag auf Befreiung stellt, so entsteht auch hier wiederum die Frage des Ermessens der Behörde. Das haben wir das vorige Mal schon abgelehnt. Wer beurteilt denn dann wirklich, ob eine Notlage vorliegt? Wie soll der Mann, der eingezogen werden und seine Wehrpflicht ableisten soll, denn beweisen, daß drüben seine Angehörigen in eine Notlage kommen? Das sind doch alles Dinge, die einfach nicht zu beweisen sind.
Dann möchte ich noch einmal auf ein ganz ernstes Argument hinweisen. Allein wegen der Tatsache, daß der Betreffende hier wehrpflichtig ist, vielleicht auch dient, kann auf die Angehörigen irgendein Druck ausgeübt werden. Das kann sich auf den Wehrpflichtigen übertragen, so daß dieser vielleicht aus Sorge, daß an seinen Angehörigen Repressalien verübt werden, sich - das will ich einmal ganz klar sagen - zu unredlichen Handlungen in der Wehrmacht, zu Spionage und ähnlichem, verleiten läßt. Wir können es gar nicht verantworten, einen jungen Menschen in solche Konflikte zu bringen. Und denken Sie immer an folgendes: Schneiden
Sie nicht die letzten Familienbande, die die jungen Menschen, die hier nach dem Westen gekommen sind, mit ihren Eltern verknüpfen, durch.
({4})
Das ist eine sehr ernste Frage. Sagen Sie bitte nicht: Es gehen soundso viel tausend junge Menschen der Wehrpflicht verloren. Hier kann man nicht mit Zahlen arbeiten.
Wir sind Ihrem Anliegen schon insoweit entgegengekommen, als wir darauf verzichtet haben, eine generelle Freistellung zu beantragen. Wir haben selber gesagt: jeder Flüchtling und jeder, der Angehörige ersten Grades in der Sowjetzone hat, soll selber entscheiden, ob er dienen will. Allein darum haben wir gesagt: Nur auf Antrag soll er von dem Dienst befreit werden. Wir sagen auch nicht, es reiche irgendwie aus, daß er zurückgestellt wird, wie die Damen und Herren von der SPD beantragt haben. Nein, er soll grundsätzlich freigestellt werden. Wir erachten das Menschliche, das in diesen Dingen liegt, die Tragik, die sich in diesen Fällen entwickelt, für so wichtg, daß wir von unserem Antrag nicht abgehen können.
Ich bitte Sie, sich das doch einmal zu überlegen. Wenn Sie schon so weit gegangen sind, wie das jetzt der Fall ist, dann tun Sie doch noch diesen Schritt und stimmen Sie uns zu. Wenn dem so ist, wie Sie in der letzten Lesung ausgeführt haben, daß junge Menschen herüberkommen, um einen Wehrdienst für die Freiheit des Vaterlandes zu leisten, dann brauchen Sie auch keine Sorge zu haben, daß die Zahl derer, die ihre Freistellung beantragen, so groß wird und daß Ihre Argumentation richtig und unsere falsch ist.
({5})
Herr Minister Blank hat das vorige Mal gesagt, das könne man wegen des Ausfalls an Wehrpflichtigen nicht tun. Wenn er und seine Freunde aus der CDU aber die Konsequenzen aus ihren damaligen Ausführungen ziehen, müssen sie mir recht geben. Sie müssen dann sagen, die jungen Menschen haben hier die Freiheit gesucht, und sie sind auch bereit, sie zu verteidigen; sie werden diesen Antrag nicht unbegründet stellen. Ein Ausfall wird also nicht oder nur in geringem Maße eintreten.
Ich bitte also noch einmal, unseren Antrag zu unterstützen.
({6})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weiter gebe, möchte ich auf folgende Situation aufmerksam machen. Es liegen drei Änderungsanträge vor. Der Änderungsantrag Umdruck 744 Ziffer 3 Nr. 2 ist soeben begründet worden. Wir haben dann noch einen Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 5 und einen Änderungsantrag auf Umdruck 745 Ziffer 1 a. Alle drei Änderungsanträge betreffen den gleichen Problemkreis. Ich schlage Ihnen vor, daß wir die Beratung miteinander verbinden und in folgender Reihenfolge nachher zur Abstimmung kommen: zunächst über den Änderungsantrag Umdruck 744 Ziffer 3 Nr. 2, dann über den veränderten § 11, danach über den Antrag Umdruck 745 Ziffer 1 a und schließlich über die Ziffer 5 des Umdrucks 746.
({0})
- Sie meinen, daß Ihr Antrag weiter geht?
Ja, erstens ist er weitergehend.
Außerdem: der Antrag Umdruck 745 Ziffer 1 a befaßt sich mit § 12 Abs. 4, und wir beantragen ja, vor Abs. 4 noch einen Absatz einzufügen.
Sie haben auf Umdruck 746 unter Ziffer 6 noch den anderen Antrag gestellt. - Ich habe nichts dagegen, wenn das Haus damit einverstanden ist. - Aber es ist kein Zweifel, daß Umdruck 744 Ziffer 3 Nr. 2 zuerst kommt, dann der § 11. Dann kann über Ihren Antrag Umdruck 746 Ziffer 5 und danach über den Antrag Umdruck 745 Ziffer 1 a abgestimmt werden.
Nun gebe ich das Wort weiter an Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Fürchten Sie nicht, daß ich noch einmal alle Argumente vortrage, die wir am Mittwoch zur Begründung unseres Antrages zur Erwägung gegeben haben; ich werde das im Hinblick auf die vorgerückte Stunde nicht tun. Aber ich muß doch sagen, daß das Schicksal der nächsten Angehörigen, die im Osten leben, während der Sohn oder der Mann - auch das letztere ist möglich - hier im Westen zum Militär eingezogen wird, meiner Fraktion und mir so sehr am Herzen liegt, daß wir in dieser dritten Lesung noch einmal versuchen müssen, die Damen und Herren der CDU zu bewegen, für unseren Antrag zu stimmen.
Meine Herren und Damen, was Sie am Mittwoch dagegen gesagt haben - ich habe es schon damals ausgeführt -, war wirklich in keiner Weise stichhaltig. Herr Majonica hat gemeint: wir werden ja diejenigen, die gefährdet sind, nicht einziehen. Das ist ungefähr dasselbe wie das, was Sie heute in Ihrem Antrag sagen: wo für Verwandte ersten Grades besondere Notstände zu erwarten sind, soll eine Freistellung erfolgen. Das sind schöne Worte. Seien Sie mir nicht böse, wenn ich das sage. Das sind Dinge, die wir gar nicht im voraus beurteilen können. Wir müssen dem vorbeugen, was kommen kann. Dabei möchte ich Sie daran erinnern, daß es sich hier nicht nur um die Flüchtlinge von gestern und heute dreht. Es dreht sich au c h um die jungen Menschen, die hier im Westen leben und ihre allernächsten Angehörigen - ich sage es noch einmal: Eltern oder auch die Frau und Kinder - drüben in der Zone haben. Wir wollen uns doch daran erinnern, wie es 1945 und in den folgenden Jahren gewesen ist. Eine ganze Reihe von Soldaten, die aus westlicher Gefangenschaft kamen, gingen nicht nach dem Osten, weil sie in Gefahr waren, aufs neue in Gefangenschaft zu geraten. Die Folge ist die außerordentlich häufige Trennung der Familien, die wir in Deutschland haben. Dazu sind im Laufe der letzten Jahre die hunderttausend Flüchtlinge gekommen.
Meine Herren und Damen, daß ich mich noch einmal zum Wort gemeldet habe, ist auch durch die Briefe und Telegramme veranlaßt worden, die ich seit Mittwoch bekommen habe und die nicht irgendwie agitatorisch sind, sondern mir aus tiefem menschlichem Empfinden gesagt haben, daß ich auf dem rechten Wege war. Ich könnte Ihnen manche davon vorlesen; aber in dieser nächtlichen Stunde will ich Ihnen nur aus einem einzigen Brief ein paar kurze Bemerkungen vortragen, um Ihnen zu zeigen, wie den Menschen draußen, nicht nur denen in der Ostzone und nicht nur denen in Berlin, sondern auch denen in Westdeutschland, diese Dinge zu Herzen gehen.
Ich habe vor mir den Brief eines Arztes liegen, der mir vollkommen unbekannt ist, der selbst schreibt:
Ich bin seit 1946 Mitglied der CDU, aber ich bin tief empört über die Art und Weise, wie nun im Bundestag die menschlichen Fragen behandelt werden.
Er sagt in diesem Brief:
Sie haben unsere Gedanken und Sorgen, die wir bei der ganzen Behandlung dieses Fragenkomplexes empfanden, wörtlich ausgedrückt.
Und er fügt hinzu:
Grundsätzlich bin ich der Meinung, daß wir bei einer Verteidigung des Westens nicht abseits stehen dürfen. Jedoch erfüllt mich und viele meiner Freunde die Art und Weise, wie man die Dinge über das Knie bricht, mit größter Sorge.
({0})
Ich hatte in den letzten Tagen gehört und ich hatte es auch schon in der Diskussion zum Teil so verstanden, daß gerade in dieser schwerwiegenden Frage, die die Spaltung Deutschlands betrifft und wo es darum geht, den Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs nicht neue Lasten aufzubürden, eine Verständigung erzielt worden wäre, daß die Damen und vor allen Dingen die Kolleginnen der CDU vielleicht in ihrer Fraktion erreicht hätten, daß sie uns in dieser Frage zustimmen würde.
Ich begreife gar nicht, warum nicht. Der Herr Verteidigungsminister hat uns am Mittwoch die Zahlen mitgeteilt. Diese waren wirklich nicht so erheblich, daß er deshalb fürchten muß, sein 500 000-Mann-Heer nicht zusammenbringen zu können. Es ist schon mit Recht darauf hingewiesen worden, daß mancher junge Mann von sich aus sagen wird: Ich will aber Soldat werden! - Gut, dann soll er es, aber er soll nicht dazu gezwungen werden. Ich bitte deshalb noch einmal, daß Sie sich diese Frage überlegen.
Heute morgen hat einer der Herren Redner - wenn ich nicht sehr irre, war es Herr Kollege Berendsen - gesagt: Wir sind doch nicht schuld, wenn die Frauen und Mütter drüben leiden.
Nein, wir alle miteinander sind insofern schuld, als wir das Unglück, das über uns gebracht worden ist, nicht haben verhindern können. Darauf will ich gar nicht eingehen. Wir alle wissen ganz genau, natürlich sind es die Verhältnisse im Osten, die uns diese Sorge auferlegen und die wir im Moment nicht ändern können. Aber was wir ändern können, das müssen wir doch versuchen zu ändern, und ich glaube, dies können wir wirklich ändern. Es ist doch wahrhaftig keine so große Sache, daß man diese Menschen, wie wir in unserem Antrag gesagt haben, zurückstellt, zurückstellt meinetwegen noch in der Hoffnung, daß eines Tages andere Verhältnisse da sind, aber sie im Augenblick, wo eine Gefahr für die Familien besteht, von der Einberufung zum Wehrdienst zurückstellt.
Ich möchte das wiederholen, was in den Telegrammen und Briefen, die ich in diesen Tagen bekommen habe, immer wieder gesagt wird: wollen wir denn nicht wenigstens bei diesem Wehrgesetz das Menschliche berücksichtigen und zum Wort kommen lassen! Darum bitte ich Sie alle miteinander.
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Brökelschen.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Frau Schroeder sagte einleitend, daß sie nicht die materielle Diskussion von vorgestern hier wieder eröffnen wolle. Frau Schroeder, Sie haben es doch getan. Es würde an sich für mich verlockend sein, das zu wiederholen, was ich vorgestern hier gesagt habe. Ich will aber nur ganz kurz ein paar Bemerkungen machen, damit die Situation klar wird und damit es nicht so aussieht, als ob wir Frauen von der CDU die menschliche Seite, von der Frau Schroeder gesprochen hat, nicht genau so sähen.
Ès handelt sich, wenn ich das noch einmal ganz klar sagen darf, um folgendes. Einmal müssen wir sehen, daß gegen die Wehrpflicht drüben in der Zone eine ungeheure Propaganda gemacht worden ist und daß man immer wieder versucht hat, mit dem Hinweis auf die bevorstehende Wehrpflicht in der Bundesrepublik die Jugendlichen - denn um diese handelt es sich letzten Endes bei dem ganzen Problem - in der Zone festzuhalten. Wir haben es erlebt, daß trotzdem der Flüchtlingsstrom der Jugendlichen in den letzten Monaten laufend wieder angewachsen ist. Also es ist nicht so, als ob man dadurch, daß die Jugendlichen hier zur Wehrpflicht eingezogen werden, irgendwie drüben die Situation ändert.
({0})
Die Eltern wissen ganz genau - und die Jugendlichen kommen im Durchschnitt nicht ohne Genehmigung der Eltern herüber -,
({1})
- die Eltern wissen ganz genau, was den Jugendlichen hier bevorsteht.
Und nun lassen Sie mich das Weitere nagen, worauf ich auch schon hingewiesen habe. Meine Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht an, daß wir unsere westdeutsche Jugend hier jetzt zum Wehrdienst heranziehen
({2})
und daß wir die, die aus der Zone kommen, von der Wehrpflicht freistellen.
({3})
Wir können nicht auf der einen Seite sagen, wir wollen so schnell wie möglich die Jugendlichen aus der Zone hier eingliedern in bezug auf die Rechte, und wir nehmen sie dann aus von den Pflichten, die wir hier unseren Jugendlichen auferlegen.
({4})
- Ja, ausgerechnet als Frau will ich das sagen,
({5})
weil ich keine neue Spaltung hier in unsere Jugend hineingebracht haben will.
({6})
Wir haben wiederholt, meine Kolleginnen, und ich sage das mit aller Deutlichkeit, erlebt, daß heftige Reaktionen hier bei unserer Jugend festzustellen sind, weil gesagt wird: „Man muß schon Sowjetzonenflüchtling sein, um hier da und da Vorteile zu bekommen."
({7})
Meine Damen und Herren, beruhigen Sie sich.
({0})
Nein, ich möchte jetzt zu Ende sprechen. - Meine Herren und Damen! Deswegen habe ich ({0})
- Das zu beurteilen überlassen Sie mir.
Herr Kollege Klötzer, ich würde Ihnen empfehlen, sich etwas zu mäßigen.
Meine Herren und Damen, deshalb habe ich von vornherein - ({0})
Herr Kollege Klötzer, ich würde dringend bitten, sich etwas zu mäßigen.
Deswegen habe ich vorgestern ganz klar gesagt: ich will die Härtefälle berücksichtigt haben; aber es geht nicht an, daß wir generell die Jugendlichen aus der Zone hier in eine Ausnahmestellung hineinbringen.
({0})
Ich bin gebeten worden, zu diesen Dingen Stellung zu nehmen. Ich habe das getan.
({1})
Meine Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den Dingen andere Auffassungen. Es ist anscheinend nicht möglich, daß wir uns hier verständigen. Ich möchte nur nicht, daß wir irgendwie hier dem Vorwurf ausgesetzt werden, daß wir für die Tragik der Situation, wie sie unsere Spaltung ist,
({2})
weniger Sorge haben als Sie. Ich bin aber nicht der Meinung, daß diese Tragik erst herbeigeführt worden ist jetzt durch die Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes.
({3}) .
8868 2. Deutscher: Bundestag
Einen Augenblick, meine Damen und Herren.
({0})
Einen Augenblick, meine Damen und Herren!
({1})
Meine Damen und Herren! Ich muß feststellen, daß es mir unmöglich war, ,der Rede zu folgen. Der Lärm ist viel zu groß. Es ist total unmöglich, hier oben noch der Verhandlung zu folgen, wenn der Lärm so groß ist. Ich muß doch bitten, daß wir trotz der vorgerückten Stunde uns weniger aufregen. Es geht nicht anders, als daß wir uns etwas mehr zusammennehmen.
Nun, wer hat zuerst das Wort erbeten? - Herr Dr. Gille.
({2})
- Meine Damen und Herren, ich kann nur dem zuerst das Wort geben, den ich zuerst sehe. Es ist möglich, daß sich verschiedene Herren zur gleichen Zeit melden.
Herr Dr. Gille, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehöre zu denen, die sich im Laufe der Debatte ehrlich bemüht haben, die Argumente der Regierungskoalition zu würdigen, und habe deshalb auch in völliger Unabhängigkeit meine Stimme abgegeben. Ich bin menschlich auf das tiefste erschüttert über das, was in den letzten Minuten im Deutschen Bundestag zu sagen möglich war, unter dem Beifall von vielen von Ihnen, meine Damen und Herren.
({0})
Wieviel Verhärtung der Herzen demonstriert sich hier bereits, das unerhörte menschliche Schicksal der Ostzonenflüchtlinge mit dem der glücklichen Menschen zu vergleichen, die mit ihren Eltern seit Jahr und Tag hier in der Freiheit leben können! Ich habe keinen Begriff für diese Herzenshärte, die hier ausgesprochen wird.
({1})
Ich bitte, meine Erregung zu verstehen. Wenn sich jemand auch nur einmal die Mühe gemacht hat, sich in diese tragischen menschlichen Schicksale von Zehntausenden -deutscher Familien hineinzudenken, und dann solche Vergleiche anstellt, die würden: gegenüber der einheimischen Jugend bevorzugt - die das Glück hat, hier zu leben fehlt mir jeder Maßstab, die Dinge überhaupt noch mit parlamentarischen Ausdrücken zu bezeichnen.
({2}),
Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie dringend, im Interesse dieser Menschen ein Wort zu sprechen, das diese Bitterkeit aus unseren Herzen nimmt. Das kann nicht in diesem Raume stehenbleiben. Die Folgen sind unabsehbar, wenn das in Ihrer
Gegenwart, Herr Bundeskanzler, einfach stehenbleibt. Bitte sagen Sie etwas dazu! Das kann nicht Ihre Zustimmung finden.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, Herr Dr. Kliesing, mit dieser Art verschieben wir das Problem. Wenn wir hier gegenseitig die einen als „uns" und die anderen als „ihr" bezeichnen und sagen „Bei u n s gefällt es e u c h ganz gut", dann sind wir verloren, Herr Dr. Kliesing.
({0})
Denn hier geht es um e i n deutsches Volk, das wissen Sie genauso wie wir, und wir sollten uns auch in der Erregung nicht zu solcher Teilung hinreißen lassen, die eine zusätzliche Teilung des deutschen Volkes wäre.
({1})
Als gestern der Herr Kollege Berendsen - er war es wohl, wenn ich mich nicht irre - diesen Platz mit der Bemerkung verließ, Sie würden es sich noch einmal überlegen, hatte ich die Hoffnung, vielleicht hat diese ernsthafte Diskussion, die wir gestern hier geführt haben, doch dieses Ergebnis. Nun, ich muß zugeben, Sie haben sich offensichtlich -einiges überlegt; aber das, was Sie als das Ergebnis Ihrer Überlegungen vorgelegt haben, entspricht nicht - entschuldigen Sie - der Tragweite der Auswirkungen einer Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im gespaltenen Deutschland. Da liegt das eigentliche Problem. Sie können das nicht auf solche Dinge reduzieren wie den Begriff, daß ;die Heranziehung aus persönlichen oder häuslichen oder wirtschaftlichen oder beruflichen Gründen eine besondere Härte bedeuten würde. Dazu ist schon gesagt worden: Das müßte dann in jedem Falle bewiesen werden. Vor allem wird es dem Problem nicht gerecht, daß mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im gespaltenen Deutschland in wahrscheinlich unabsehbarer Weise die bisher möglichen Beziehungen gedrosselt werden.
Nun haben Sie eine Verbesserung gegenüber dem bis vor kurzem von Ihnen behaupteten Standpunkt vorgenommen. Sie sagen, ein Wehrpflichtiger soll vorn Wehrdienst auf Antrag zurückgestellt werden, wenn für Verwandte ersten Grades besondere Notstände zu erwarten sind.
Übrigens, vielleicht war es Ihr Unglück, vielleicht war es infolge der späten Stunde so, daß die Frau Kollegin Dr. Brökelschen, die von ihrer Fraktion, wie sie gesagt hat, beauftragt war, zu dieser Sache zu sprechen, von den Verwandten ersten Grades gar nicht gesprochen hat, sondern zunächst einmal ausschließlich von den jungen Leuten. Dazu ist sie noch ausgeglitten; nun, das will ich nicht wieder aufrühren. Es geht aber um beide Teile. Es geht um die jungen Menschen, die
({2})
hier sind - ich erinnnere an das, was Frau Schroeder sagte -, die nicht allein Flüchtlinge sein müssen. Wir wollen das doch nicht als Normalzustand ansehen, daß hier nur der ist, der durch das sogenannte Notaufnahmeverfahren gegangen ist. Es geht um die vielen Studenten. Es geht um die vielen, die längere Zeit hier sind und die sich den Weg auch nicht verbauen wollen, wieder zurückzugehen, zu ihren Eltern nämlich und an Arbeitsstätten. Das alles wollen wir noch im Bereich des Möglichen halten.
Sie aber haben sehr oft bei der Debatte über dieses Spezialthema, das ein Zentralthema ist, vom „Brechen" gesprochen: sie hätten ja schon gebrochen und auch die Eltern wüßten ja, was sich daraus ergebe. Das ist ein Gedankensprung, und ich möchte Sie, falls das noch möglich ist - ich habe sehr wenig Hoffnung -, doch darum bitten, das zu korrigieren. Denn in beiden Fällen - in dem Fall des Standpunktes, den Sie zuerst einnahmen, wie auch dem des Standpunkts, den Sie jetzt mit Ihrem Antrag einnehmen - haben die durch die allgemeine Wehrpflicht Betroffenen die Last, zu beweisen, daß es so ist, um zurückgestellt zu werden. Es ist die Frage: Wollen Sie oder wollen Sie nicht, daß die Folgen dieses Gesetzes durch eine generelle Sonderbestimmung für die Söhne aus der sowjetisch besetzten Zone gemildert werden? Wenn Sie diese Frage allerdings negativ beantworten, werden wir es mit neuen Schwierigkeiten zu tun haben.
Ich muß mir erlauben, noch einmal auf eine Bemerkung zurückzukommen, die ich in der ersten Lesung zu den Antragstellern von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei gemacht habe: ich hätte es für gut gehalten - und das war unser ursprünglicher Antrag im Ausschuß -, wenn entsprechend dem klaren Wortlaut des § 11 gesagt worden wäre: „Freigestellt vom Wehrdienst sind . . ." und man dann die Wehrpflichtigen aufgeführt hätte, die Verwandte ersten Grades in der Zone haben. Dann wäre auch für die Machthaber drüben nicht daran zu deuteln, dann könnte niemand behaupten, wir hätten die Absicht, solche Menschen zu ziehen oder zu erfassen; dann wäre klar, daß man einen Standpunkt hat. Bitte, Wehrpflicht ja oder nein? Dann hätte man zumindest diesen Raum frei gelassen.
({3})
Nun, ,die Antragsteller haben sich auch dazu nicht entschließen können. Wir haben es wieder nur mit dem Behelfsmittel zu tun: „Auf Antrag werden freigestellt", wie es der eine Antrag sagt, oder „Auf Antrag sollen zurückgestellt werden", wie es unser eigener Antrag sagt, der ja die Vorgeschichte der Ablehnung im Ausschuß schon erlebt hat.
Wir hätten noch eine Gelegenheit, wenn wir noch in einer wirklichen Beratung wären. Aber das ist ja schwerlich anzunehmen. In wenigen Stunden wird das Ganze hinter uns liegen. Nach menschlichem Ermessen werden Sie die allgemeine Wehrpflicht im gespaltenen Deutschland einführen. Ich fürchte, daß die Folgen für die menschlichen Beziehungen zwischen den Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze vergleichbar sein werden mit den Folgen, die sich mit der Annahme der Pariser Verträge in bezug auf die Verhärtung der Spaltung Deutschlands eingestellt haben. Weil wir das befürchten, darum dieser Versuch, mit dem Hilfsmittel des § 11 oder des
§ 12 diesen Teil Menschen freizustellen oder zurückzustellen, und deswegen auch unsere Abwehr der Verniedlichung oder, sagen wir, um nicht zu verletzen, der Verkleinerung dieses Problems, das - wir werden es alle erleben - auf dem Gebiet der innerdeutschen Beziehungen wahrscheinlich genauso schmerzlich seih wird, wie es für denjenigen, der sehen kann, heute schon schmerzlich ist zu sehen, wie sehr sich die Spaltung, der Zustand der Teilung seit Ihren Verträgen verhärtet hat.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht das wiederholen, was mein Freund Herbert Wehner gesagt hat. Ich hätte mir meinen Diskussionsbeitrag ersparen können, wenn der Herr Bundeskanzler das aus dem Raum herausgenommen hätte, was vorhin hier gesagt worden ist.
Ich möchte, Herr Bundeskanzler, als der Jüngste in diesem Parlament zu Ihnen, zu dem ich bestimmt in der gebotenen Achtung als der Jüngste zum Ältesten aufschaue, doch einiges feststellen. Ich kann mir von meinen Altersgenossen in der Bundesrepublik nicht vorstellen, daß sie, wie die Frau Kollegin Brökelschen vorhin sagte, die Tatsache, daß die Flüchtlinge aus der SBZ hier vom allgemeinen Wehrdienst freigestellt werden, zum Anlaß nehmen, von einer Privilegierung dieser Flüchtlinge zu sprechen.
({0})
Diese Feststellung muß hier getroffen werden; denn die deutsche Jugend hat in dieser Beziehung einen gesunden Sinn.
Wenn wir gegen die allgemeine Wehrpflicht sind, dann ist mit ein Grund dafür, daß die Spaltung, die wir so sehr bedauern, durch diese allgemeine Wehrpflicht noch mehr vertieft wird. Es sind heute sehr harte Worte gesprochen worden, und ich habe die ganze Diskussion sehr aufgeschlossen verfolgt. Im Laufe dieses Tages fiel das Wort von der Kanzlerarmee, die wir von dieser Seite befürchteten. Nach dem, was ich bis jetzt hier erlebt habe, nach dieser Hartherzigkeit, die ich von der rechten Seite und von der Mitte dieses Hauses erlebt habe, erkläre ich für meine Person: Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß Sie dieses Mittel einer Kanzlerarmee wieder für sich in Anspruch nehmen, wie wir es als Sozialdemokraten aus anderen Motiven im Kaiserreich usw. immer bekämpft haben.
({1})
- Bitte, ich habe diesen Eindruck gewonnen, und ich spreche es hier heute abend aus. Es wäre mir angenehmer gewesen, wenn hier im Laufe der Diskussion die Kollegen, die ehemalige Generale und Offiziere sind, nicht so sehr von der rein strategischen, militärpolitischen Seite gesprochen hätten, sondern wenn sie dabei, wie es vorhin gesagt worden ist, auch das rein menschliche Problem etwas in den Vordergrund gestellt hätten.
Die jungen Menschen, die von dem Gesetz, welches Sie wollen, meine Damen und Herren,
({2})
betroffen werden, sind in dem Alter, in dem auch ich - mit knapp 17 Jahren - Soldat werden mußte, und das ist kaum 10 bis 12 Jahre her. Ich kann mich noch sehr gut in diese Situation versetzen. Ich möchte den Zwischenrufer von vorhin unterstützen und dem Herrn Kollegen von Manteuffel sagen: Herr Kollege von Manteuffel, die Rede, die Sie heute im Hinblick auf die Freiheit gehalten haben, sollten Sie auch dann halten, wenn Sie wieder General sind - erst dann werden wir als junge Menschen Achtung empfinden können
- und nicht in einer Interregnumszeit, wie es heute der Fall gewesen ist.
({3})
- Nun, daß Sie in diesem Zusammenhang und in dieser vorgerückten Stunde unruhig werden, dafür habe ich Verständnis. Aber es muß doch einmal zum Ausdruck gebracht werden, wie Sie diese Dinge hier machen. Wenn sie einmal ganz wenig nachgegeben haben, so doch nur, weil Sie glaubten, gewissen Argumenten in der Öffentlichkeit nunmehr nachgeben zu müssen, um dann später mit Scheinargumenten wieder genau das Gegenteil zu tun.
({4})
Das ist vorhin gerade bei diesem Antrag, mit dem die Freistellung der SBZ-Jugendlichen erreicht werden sollte, zum Ausdruck gebracht worden.
Ich möchte mit einer persönlichen Bemerkung zum Herrn Bundeskanzler abschließen. Herr Bundeskanzler, in sehr vielen Versammlungen, wo ich gesprochen habe, sind Sie mit Stresemann verglichen worden. Ich will nicht untersuchen, inwieweit das zutrifft; aber ich kenne eine Bemerkung Stresemanns über Sie in seinem Nachlaß. An dem Tage, als er Sie in Köln in Ihrer Eigenschaft als Oberbürgermeister besuchte - ich vergesse dieses Datum nicht, weil ich an diesem Tage, am 15. Dezember 1926, geboren wurde -,
({5})
hat er gesagt - nun, Sie verstehen, was ich damit sagen will -, daß Sie ohne Frage für Köln ein guter Mann, ein guter Oberbürgermeister seien, ob immer im gesamtdeutschen oder Reichsinteresse handelnd, sei zu bezweifeln.
Ich bitte Sie jetzt herzlich und dringend, daß Sie zu dem, was hier gesagt worden ist, eine Erklärung abgeben, damit ich nicht zu der Feststellung kommen muß: Er ist ohne Frage für Köln ein guter Oberbürgermeister gewesen, vielleicht auch für Bonn und die Bundesrepublik ein guter Bundeskanzler; ob immer im gesamtdeutschen Interesse handelnd, - sehr zu bezweifeln!
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kliesing.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten uns alle einig darin sein, daß wir solche Würdigungen, wie sie der Herr Wienand in seinen letzten Sätzen ausgesprochen hat, doch lieber dem Urteil der Geschichte überlassen sollten.
({0})
Ich habe mich hier zum Wort gemeldet, um ein paar Worte zu sagen - ({1})
Wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Nein, ich möchte jetzt die paar Worte sagen.
({0})
Herr Abgeordneter, der Redner gestattet keine Zwischenfrage.
Ich möchte ein paar Worte zu dem Anliegen sagen, das Frau Brökelschen hier vertreten hat. Wir haben in diesem Gesetzentwurf einen Paragraphen, der sagt, daß Menschen, die aus der Sowjetzone kommen, zunächst einmal unbeschadet aller anderen Umstände ein Jahr von der Wehrpflicht freigestellt sind. Sollte es sich um Fälle handeln, in denen keine Verwandten ersten Grades drüben in der Zone wohnen, dann - ich glaube, da gehen Sie mit mir einig - sollen sie genau wie jeder andere wehrpflichtig sein.
Ich glaube, das war das Anliegen der Brau Brökelschen, das vielleicht hier mißverstanden worden ist und auch mißverstanden werden konnte.
({0}).
- Ach, wissen Sie, wenn Sie so abfällige Urteile über eine Kollegin fällen, dann sollten Sie doch zunächst einmal überlegen, um welche Kollegin es sich handelt.
({1})
Frau Brökelschen - das möchte ich hier sagen - ist eine Kollegin, die vielleicht nicht so oft und so laut immer wieder Reden über die Aufgabe der deutschen Wiedervereinigung gehalten hat wie andere, die dafür aber in rastloser und opferbereiter Arbeit
({2})
wie wenige in diesem gesamten Hohen Hause sich in den ganzen Jahren ihrer Tätigkeit für die Sowjetzonenflüchtlinge aufgeopfert hat.
({3})
- Herr Kollege Klötzer, wir wollen hier nicht aufrechnen. Aber ich glaube, die Leistungen, die Frau Brökelschen für die Sowjetzone und die Flüchtlinge vollbracht hat, können sich mit Ihren persönlichen Leistungen 'bestimmt messen.
({4})
({5})
Damit unser Antrag nicht mißverstanden wird: vorgestern ist in der Diskussion hier von den Notständen die Rede gewesen, die Menschen in der Sowjetzone auf Grund der Tatsache treffen können, daß ihre Söhne hier wehrpflichtig werden. Wir haben versucht, diesem Anliegen gerecht zu werden. Bitte, sehen Sie sich diese Formulierung an! Herr Kollege Wehner, ich glaube, Sie können mir bestätigen, daß mit dieser Formulierung das Problem auch generell gelöst werden kann. Nur möchten wir - und deshalb haben wir allerdings etwas vorsichtig formuliert - eines vermeiden, daß nämlich aus unserer Formulierung draußen irgendwo Rückschlüsse auf staatsrechtliche Auffassungen gezogen werden können, die niemand in diesem Hause vertritt.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Zu dem Antrag Umdruck 746 Ziffer 5 möchte ich namentliche Abstimmung beantragen.
Ich gestatte mir nach den Ausführungen des Kollegen Kliesing noch die Bemerkung, daß es ihm jetzt eigentlich nicht mehr schwerfallen sollte, entweder den Antrag auf Umdruck 744 oder wenigstens den auf Umdruck 746 anzunehmen. Er hat uns versichert, daß wir Frau Kollegin Brökelschen mißverstanden hätten; es sei ihr nur darauf angekommen, diejenigen Wehrpflichtigen zu befreien, die Verwandte ersten Grades mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt in der sowjetischen Zone hätten. Genau davon ist die Rede; das steht da drin. An eine Befreiung von anderen ist gar nicht gedacht. Es handelt sich also um genau den Sachverhalt, den Sie zu decken wünschen.
Das andere Bedenken, das jetzt plötzlich in Ihrer Fraktion aufgetaucht ist, ist mir vollkommen unverständlich, nachdem der Bundestag ein Notaufnahmegesetz beschlossen hat, in dem all diese Fragen sehr ausführlich geregelt worden sind. Hier ist von der sowjetisch besetzten Zone und vom sowjetisch besetzten Sektor von Berlin die Rede und von nichts anderem. Das ist genau die Sprache, deren sich das Hohe Haus bei ähnlichen Anlässen immer bedient hat. Ich bitte Sie also, sich doch nicht hinter Vorwänden zu verstecken. Wenn, dann sagen Sie uns wirklich, warum Sie dagegen sind. Ihre Rede selber war ein Plädoyer dafür, den Antrag so anzunehmen, wie ihn die Herren von der FDP oder mindestens wir gestellt haben.
({0})
Frau Dr. Ilk!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin der Ansicht, daß unser Antrag der weitergehende ist und dem Anliegen, das uns so sehr beschäftigt, am meisten entspricht. Ich möchte Sie daher bitten, zuerst über unseren Antrag, und zwar namentlich, abzustimmen. Ich beantrage das im Namen meiner Fraktion und glaube, daß wir Unterstützung finden werden.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe von Anfang an festgestellt, daß der Antrag Umdruck 744 Ziffer 3 Nr. 2 der weitergehende ist und daß über ihn zuerst abgestimmt werden muß. Darüber hat sich das Haus auch geeinigt.
Nun beantragen Sie namentliche Abstimmung über den Antrag Umdruck 744 Ziffer 3 Nr. 2. Ich frage, ob dieser Antrag ausreichend unterstützt wird. - Der Antrag ist ausreichend unterstützt.
Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 744*) Ziffer 3 Nr. 2. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({0})
Haben alle Mitglieder im Saal ihre Stimmkarten abgegeben? - Die Abstimmung ist geschlossen.
({1})
Die namentliche Abstimmung ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen insgesamt 455 und 16 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 191 und 11 Berliner Abgeordnete; mit Nein haben gestimmt 261 und 5 Berliner Abgeordnete; 3 Enthaltungen.
({2})
Damit ist der Antrag auf Umdruck 744 Ziffer 3 zweiter Teil abgelehnt.
({3})
- Meine Damen und Herren, bis jetzt war es guter Stil in diesem Hause, daß das Ergebnis einer Abstimmung einfach hingenommen wurde. Wir werden diesem Stil hoffentlich auch weiter treu bleiben am frühen Morgen um 2 Uhr und 7 Minuten.
Ich rufe auf zur Abstimmung den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 746***) Ziffer 5. Die Herren Antragsteller haben mir gesagt, daß sie den Antrag auf namentliche Abstimmung zurückziehen. Meine Damen und Herren, bitte nehmen Sie doch Platz, wir stimmen vom Platz aus ab. Wer diesem Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 5 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, ich muß nun die Abstimmung über den § 11 in der durch die Annahme der Änderungsanträge Umdrucke 744 Ziffer 3 Nr. 1 und 762 geänderten Fassung nachholen. In der durch die Annahme dieser Änderungsanträge geänderten Fassung stelle ich den § 11 zur Abstimmung. Wer dem § 11, so geändert, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Paragraph ist, so geändert, angenommen.
Nun komme ich zu dem Änderungsantrag Umdruck 745****) Ziffer 1.
({4})
- Zur Abstimmung hat das Wort der Herr Abgeordnete Erler.
*) Siehe Anlage 2.
**) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 8894.
***) Siehe Anlage 4. ****) Siehe Anlage 3.
Zu dem Änderungsantrag Umdruck
745 Nr. 1 möchte ich erklären, daß wir dieser Bestimmung, obwohl sie ein außerordentlich mageres Resultat einer langwierigen Debatte ist und wir die Magerkeit dieses Resultats auf das tiefste beklagen, dennoch zustimmen, damit für die Betroffenen wenigstens noch die Chance einer Berücksichtigung gegeben ist.
Damit kommen wir zur Abstimmung.
({0}) Frau Abgeordnete Dr. Ilk!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich für meine Fraktion den Worten von Herrn Kollegen Erler anschließen. Auch wir werden dem Antrag zustimmen, sowenig Chancen er für die Sowjetzonenflüchtlinge und die hier im Westen schon immer ansässigen Personen bietet, deren Familienangehörige im Osten beheimatet sind.
Dann stimmen wir über den Änderungsantrag Umdruck 745*) Ziffer 1 a und 1 b ab. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag angenommen.
Der Änderungsantrag auf Umdruck 747**) ist zurückgezogen.
Über Umdruck 746***) Ziffer 6 muß noch abgestimmt werden. Wird zu diesem Änderungsantrag noch das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Änderungsantrag Umdruck
746 Ziffer 6 ist abgelehnt.
Nun stimmen wir über den § 12 in der durch die Annahme des Änderungsantrags auf Umdruck 745 Ziffer 1 a und 1 b geänderten Fassung ab. Wer dem so geänderten § 12 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der § 12 ist in der geänderten Fassung angenommen.
Ich rufe § 17 auf. Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 748 Ziffer 2 vor. - Ich muß mich korrigieren. Darüber ist schon abgestimmt.
Wir treten nun in die Beratung von Abschnitt IV ein. Ich rufe den § 29 mit dem Antrag Umdruck 746 Ziffer 16 auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Bazille!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir auch die Hoffnung haben können, daß der makabre Dreiklang unseliger Vergangenheit, der da lautete: „Maul auf - bücken - kv",
({0})
in unserem Lande keine fröhliche Urständ feiert, so legen wir darüber hinaus doch Wert darauf, daß die Rechte des Staatsbürgers beim Dienst in der Bundeswehr in vollem Umfang gewahrt bleiben. Es ist nun einmal so, daß sich die Interessen
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 5. ***) Siehe Anlage 4. des Staates und die Interessen des Bürgers bei der Entscheidung über eine Entlassung eines Wehrpflichtigen aus gesundheitlichen Gründen rivalisierend gegenüberstehen. Es ist eine schlechte Lösung, wenn es lediglich den beamteten Ärzten der Bundeswehr und der Versorgungsverwaltung überlassen bleibt, darüber zu entscheiden, ob eine Wehrdienstbeschädigung vorliegt oder nicht.
Der Herr Bundesminister für Verteidigung hat im Verteidigungsausschuß zwar erklärt, er habe das volle Vertrauen zu den Ärzten seines Dienstbereiches und zu den Ärzten der Versorgungsverwaltung, daß sie bei ihrer medizinischen Urteilsbildung das wohlverstandene Interesse des Staatsbürgers im Auge haben. Er hat weiter erklärt, daß die Interessen des Staatsbürgers im Gesetz zur Genüge gewahrt seien. Nach den bitteren Erfahrungen in der Kriegsopferversorgung kann dieser Ansicht leider nicht ein Quentchen Wahrheitsgehalt zugesprochen werden. Noch heute, im Jahre 1956, wird ein harter Rentenkampf in jährlich mehr als 10 000 Versorgungsverfahren vor den Sozialgerichten darüber ausgefochten, ob eine Kriegsbeschädigung vorliegt oder nicht. In jedem Jahr seit Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes wurden mehr als 10 000 Fälle im gerichtlichen Streitverfahren gegen die Versorgungsbehörden gewonnen. In dieser Vielzahl von Fällen wurde von den ärztlichen Dienststellen das Vorliegen einer Wehrdienstbeschädigung verneint; und erst durch Beibringung von Gutachten und Obergutachten konnte auf dem Rechtswege bewiesen werden, daß tatsächlich eine Wehrdienstbeschädigung vorlag.
Wir wollen diesem Zustand einer sehr einseitigen ärztlichen Beweisführung und Beurteilung, ob Wehrdienstbeschädigung vorliegt, dadurch einen Riegel vorschieben, daß wir - § 29 - die Bildung einer Ärztekommission verlangen, die sich auf streng wissenschaftlicher Grundlage über das Vorliegen einer Wehrdienstbeschädigung äußert.
Hier handelt es sich um die Berücksichtigung eines staatsbürgerlichen Anspruchs und ich hoffe, daß sich trotz der vorgerückten Stunde in diesem Hause eine Mehrheit dafür findet, das Recht des Bürgers, der zum Wehrdienst herangezogen wird, ebenso zu bewerten wie das Recht des Staates, der diesen Dienst in Anspruch nimmt.
({1})
Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Dr. Moerchel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Bazille hat sehr allgemeine Ausführungen zur Begründung seines Antrags gemacht.
({0})
Dieser Antrag soll doch eine spätere Beweisführung ermöglichen, und da, Kollege Bazille, bin ich der Auffassung, daß der Beweis durchaus mit Hilfe des Abs. 2 des § 29 geführt werden kann. Es wäre sehr verfehlt, sich hier über den Wert oder Unwert ärztlicher Gutachten zu unterhalten. Ich möchte aber nicht versäumen, hier zu betonen, daß die Kommission, die Sie vorschlagen, auch nur Gutachten zu erstatten hat. Der Betroffene hat nach § 29 Abs. 2 durchaus die Möglichkeit, nach seiner Wahl andere Ärzte zur Gutachtenerstattung und
({1})
Beweisfindung herbeizuholen. Es wäre ein sehr gefährliches Unterfangen, hier zwischen Ärzten der Bundeswehr, Ärzten der Versorgungsverwaltung und frei praktizierenden Ärzten Unterschiede zu machen.
Herr Kollege Bazille, es muß auch an dieser Stelle einmal gesagt werden: jeder Arzt, ob bei der Bundesverwaltung, ob bei der Versorgungsverwaltung oder frei praktizierend, den Hippokratischen Eid abgelegt, der ihn zur absoluten Objektivität verpflichtet.
({2})
- Es ist falsch, hier von einer kv-Maschine zu sprechen.
({3})
- Aber Herr Kollege Schmid, damit stempeln Sie den Arzt doch zum Erfüllungsgehilfen des Staates, und das ist er nicht.
({4})
- Bezweifeln Sie doch nicht die Objektivität des Arztes in der Bundeswehr oder irgendwo anders!
({5})
Wir haben bei der Beratung des Soldatengesetzes die Funktion des Erfüllungsgehilfen, also die Figur des Stabsarztes, die Ihnen vorschwebt, ausdrücklich ausgenommen - Herr Kollege Erler, ich rufe Sie als Zeugen an -, und wir haben versucht und es ist uns gelungen, den Arzt in der Bundeswehr zum Anwalt der Soldaten zu machen.
({6})
- Das werden wir später sehen! Deshalb bin ich der Auffassung: schaffen Sie nicht die Voraussetzungen, die Stellung des deutschen Arztes auch in der Bundeswehr von vornherein zu diskreditieren!
({7})
- Ich kann mir nicht vorstellen, daß es sich hierbei um eine „unverschämte Zumutung" handelt.
({8})
- Ich habe gesagt: geben Sie nicht die Möglichkeit, ihn zu diskreditieren! Ich habe nicht gesagt, daß Sie ihn diskreditiert haben.
Ich möchte Ihnen vorschlagen, den Antrag abzulehnen, weil für den Betroffenen alle Möglichkeiten in § 29 Abs. 2 gegeben sind.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere, meinem Kollegen Moerchel aus sachlichen Gründen in einigen
Punkten widersprechen zu müssen. Der Hinweis, das Recht des Soldaten, über die vorgesehene Regelung hinaus Gutachten von Ärzten seiner Wahl einzuholen, gebe ja die Möglichkeit, andere Gutachten heranzuziehen, ist insofern nicht befriedigend, als dieses Recht wahrscheinlich meistens nur von den wohlhabenderen Soldaten wird ausgeübt werden können.
({0})
Meine Damen und Herren, das ist eine Tatsache. Der einfache Mann wird kein Gutachten, das Wert haben soll, von irgendeinem Professor einholen können. Man kann den Ärzten zweifellos nicht unterstellen - davon wollen wir doch ausgehen und nicht von irgendwelchen traurigen Randerscheinungen, die es in jedem Beruf gibt -, daß sie nicht ihre Pflicht täten, wenn sie irgendeine Beamtenfunktion ausübten. Aber die Möglichkeit des Irrtums ist nun einmal vorhanden; sonst gäbe es keine gewonnenen Revisionsprozesse in Rentenverfahren.
Der Gedanke dieses Antrags ist doch, möglichst frühzeitig den Tatbestand objektiv, wie eine Photographie, so festzuhalten, daß er in einem späteren Streitverfahren von keinem der Beteiligten, weder von den Vertretern des Staates noch von dem Geschädigten, angezweifelt werden kann. Seine Rechte, die das Versorgungsgesetz ihm gewährt, werden gar nicht eingeschränkt. Aber auf alle Fälle ist ein Tatbestand, der so frühzeitig wie nur möglich festgestellt wird, für alle bindend. Ich meine, daß das in den eventuell kommenden Auseinandersetzungen für beide Teile nur von Vorteil sein kann. Die Möglichkeit, diese Kommission zu errichten, ist durchaus gegeben, und ich meine, wir sollten im gemeinsamen Interesse des Staates und des Soldaten diese Regelung annehmen.
({1})
Herr Abgeordneter Bazille!
Nur zwei Sätze der Erwiderung auf die Ausführungen des Kollegen Moerchel. Erstens: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube! Zum zweiten: Die Mehrheit dieses Hauses will es also von der Größe oder vom Inhalt des Geldbeutels eines Staatsbürgers abhängig machen, ob er diese Gutachten nach Qualität und Zahl beibringt, um seine grundsätzlichen Rechte durchzusetzen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß niemand in diesem Hause auch nur im geringsten die Absicht hat, die beamteten Ärzte zu diskreditieren.
({0})
Sie hätten diese Unterstellung nicht machen dürfen, Herr Kollege.
({1})
- Sie haben sie gemacht, und damit haben Sie einige Mitglieder des Hauses sehr zu Unrecht beleidigt.
({2})
({3})
Ich bin nicht sehr empfindlich, aber es gibt gewisse Dinge, die man sich nicht gefallen lassen darf.
({4}) - Ich habe Ihnen nichts getan.
({5})
Der Unterschied zwischen dem praktischen Resultat Ihres Vorschlags und dem unseres Vorschlages ist der: Wir wissen doch alle, daß - in allen Ehren - beamtete Ärzte fiskalischer denken als freie Ärzte.
({6})
Ich war lange Zeit Richter an einem Versorgungsgericht. Ich habe dort Erfahrungen sammeln können.
Das Zweite ist: beamtete Ärzte unterliegen den dienstlichen Anweisungen ihrer vorgesetzten Dienststellen, und in diesen Anweisungen sind sehr häufig Richtlinien für die Beurteilung von Tatbeständen gegeben, an die der beamtete Arzt gebunden ist. Deswegen ist die Garantie für den zu entlassenden Soldaten, daß sein Gesundheitszustand so objektiv wie möglich festgestellt wird, ein Vielfaches größer, wenn dieser Zustand von einer freien Ärztekommission festgestellt wird. Mit dieser Feststellung wird den beamteten Ärzten kein Stein aus ihrer Krone genommen.
({7})
Herr Abgeordneter Rasch!
Meine Damen und Herren! Zu diesem Problem möchte ich nur drei Zahlen nennen. Wir wollen gar nicht bestreiten, daß sich auch die beamteten Ärzte ihren Dienstobliegenheiten hingeben, so wie es von einem Arzt erwartet werden kann. Aber wir haben erlebt, daß es gerade in der Frage des Zusammenhanges von Krankheiten, die sich infolge Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft ergeben haben, unheimlich schwer ist, den Beweis zu führen. 130 000 Kriegsgefangene sind in der Gefangenschaft und in der Heimat in der Zeit vom 1. Januar 1947 bis zum 1. Januar 1950 verstorben. Von den Angehörigen dieser Gefangenen hören wir immer wieder die Klage, daß es ihnen nicht möglich ist, irgendeinen Versorgungsanspruch zu erlangen.
In der Kriegsopferversorgung ist es folgendermaßen. Wir haben heute - elf Jahre nach Kriegsende! - in der Bundesversorgungsverwaltung noch 185 000 unerledigte Anträge auf Rentenversorgung. Wir haben heute in der ersten Instanz der deutschen Sozialgerichtsbarkeit 181 000 Klagen auf Anerkennung von Versorgungsansprüchen.
({0})
Gerade deshalb, weil wir den kommenden Soldaten nicht zumuten wollen, genausoviel Jahre zu warten, und weil wir wünschen und hoffen, daß der neue Soldat nicht den gleichen erbärmlichen, häßlichen Weg gehen muß wie die Soldaten der vergangenen zwei Weltkriege, wünschen wir, daß hier eine Regelung erfolgt, wie sie in unserem Antrag vorgesehen ist. Was Herr Kollege Reichstein sagte, stimmt voll und ganz. Wir haben so viele arme Teufel in der Bundesrepublik, und gerade bei den Witwen und Waisen, die nicht in der Lage sind, aus der eigenen Tasche die Beträge aufzubringen, die für die Erstellung eines privaten Gutachtens notwendig sind. Deshalb bitten wir Sie dringend, unserem Antrag zu entsprechen.
({1})
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 746*) Ziffer 16 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Darf ich bitten, die Abstimmung zu wiederholen: wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! ({0})
- Das Präsidium ist sich nicht ganz einig; verzeihen Sie, ich muß Sie bitten, aufzustehen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich, sieh vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! ({1})
Wir kommen zu keiner Einigkeit, - wir kommen zum Hammelsprung!
({2})
Ich bitte, die Türen zu schließen. - Die Türen bitte öffnen, die Auszählung beginnt!
({3})
Ich bitte, die Auszählung zu beenden. - Die Türen bitte schließen!
Die Auszählung ist beendet. - Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt: Der Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 16 ist angenommen mit 228 Ja-Stimmen gegen 185 Nein-Stimmen bei 9 Enthaltungen. ({4}). Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Kliesing!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Antrag bezweckt, in der Frage der Dienstgradentziehung alle Soldaten gleichzustellen. Wir bitten, ihm zuzustimmen.
Wird dazu weiter das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich stelle diesen Änderungsantrag zur Abstimmung. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Änderungsantrag ist angenommen.
Ich stelle den § 30 in der geänderten Fassung zur Abstimmung. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! -§ 30 ist in der geänderten Fassung angenommen.
Ich komme zu § 31 und zum Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 746*) Ziffer 17.
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 8.
({0})
Wird dazu das Wort gewünscht? - Wird nicht gewünscht. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen?
- Der Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 17 ist angenommen.
Ich stelle den § 31 nicht mehr zur Abstimmung; denn der Änderungsantrag bezieht sich auf den gesamten Wortlaut des § 31. Dieser ist also in der Fassung des Änderungsantrags auf Umdruck 746 Ziffer 17 angenommen.
Ich komme nun zu dem Antrag auf Umdruck 746 Ziffer 18, nach dem ein neuer § 32 a eingefügt werden soll.
({1})
- Ist erledigt, wird also gestrichen.
Ich rufe auf § 33. Hier liegen mehrere Änderungsanträge vor. Zunächst der Änderungsantrag auf Umdruck 746 Ziffer 19. Wird dazu das Wort gewünscht? ({2}) Von den Antragstellern? - Niemand.
Ich lasse zunächst über den jetzigen Abs. 1 in der Fassung der Vorlage abstimmen, an den der in dem Änderungsantrag genannte Satz angefügt werden soll.
({3})
Ich lasse zunächst über das abstimmen, was in der Vorlage unter Abs. 1 steht. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
({4})
- Es wird über § 33 abgestimmt, und zwar über das, was in der linken Spalte als Ziffer 1 steht. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Satz ist angenommen.
Nun lasse ich über den Änderungsantrag abstimmen, d. h. über die beantragte Ergänzung unter Ziffer 19 des Umdrucks 746. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Nun komme ich zu dem Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 20. Wird dazu das Wort gewünscht? Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag unter Ziffer 20 des Umdrucks 746 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; dieser Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich komme zu dem Änderungsantrag unter Ziffer 21 des Umdrucks 746. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Kliesing!
Hier bitten wir über die beiden Halbsätze getrennt abzustimmen!
({0})
Das bedeutet also, Sie wollen zunächst über Abs. 5 a - Seite 31 der Vorlage - abgestimmt haben.
Ich bitte, zunächst über die Worte „Der Widerspruch gegen den Musterungsbescheid hat aufschiebende Wirkung" abzustimmen.
Sie wollen also über den ersten Halbsatz im Änderungsantrag abstimmen?
({0})
- Gut. Wir stimmen über diesen Halbsatz: „Der Widerspruch gegen den Musterungsbescheid hat aufschiebende Wirkung" ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Insoweit ist der Änderungsantrag angenommen.
Wir stimmen nunmehr über den zweiten Teil des Satzes ab. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der zweite Teil des Satzes ist abgelehnt.
Nunmehr stimmen wir über den Abs. 5 a in § 33 ab, der durch diesen Halbsatz, der angenommen worden ist, erweitert wird. Wer dem Abs. 5 a in der so geänderten Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Abs. 5 a ist in der geänderten Fassung angenommen.
Nun komme ich zur Abstimmung über den § 33 im ganzen mit den angenommenen Änderungen. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - § 33 ist mit den Änderungen angenommen.
Ich rufe auf § 34 mit dem Änderungsantrag Umdruck 746*) Ziffer 22. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Schmid ({1}) - wenn es noch erlaubt ist, „Tübingen" zu sagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie, den letzten Satz des § 34 der Ausschußvorlage zu streichen. Abs. 1 des § 34 nimmt dem Betroffenen die Möglichkeit, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung einzulegen. Seine Möglichkeit, Revision einzulegen, hängt davon ab, ob das Verwaltungsgericht, also die unterste Instanz, die Revision zuläßt.
Die Revisionsinstanz ist aber die Kontrollinstanz für die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Entscheidung, die höchstrichterliche Garantie für den Bürger, daß ihm gegenüber das Recht richtig angewandt worden ist. In zivilrechtlichen Streitigkeiten steht die Revision von einem bestimmten Streitwert ab den Parteien zu, bei familienrechtlichen Streitigkeiten so gut wie immer, in Strafsachen weitgehend. In der Vorlage ist der Ausschluß der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vorgesehen. Es fällt also eine normale Tatsachen-und Rechtsinstanz aus. In einem solchen Fall scheint uns die Möglichkeit, Revision einzulegen, noch notwendiger zu sein als sonst. Wir reduzieren sonst den Rechtsweg in Angelegenheiten, die für das Leben eines Menschen von schicksalhafter Bedeutung sein können, auf ein unerträgliches Minimum. Wir sollten also die Revisionsmöglichkeit nicht einschränken, sondern einen möglichst leichten Zugang zur Revisionsinstanz schaffen. Der Antrag des Ausschusses macht die Revision von der Zulassung der Revision durch das Verwaltungsgericht abhängig. Mir scheint schon diese Bestimmung eine kaum erträgliche Einschränkung zu sein. Wenn sie aber eingeführt werden sollte, dann müßte gegen den Beschluß des Gerichts, das
*) Siehe Anlage 4.
({0})
die Revision nicht zulassen will, eine Beschwerdemöglichkeit eingeführt werden.
Im Ausschuß sind einige Argumente dagegen angeführt worden, einmal: das Bundesverwaltungsgericht würde blockiert werden; es könne den Geschäftsanfall nicht bewältigen. Mir scheint das kein sehr schlüssiges Argument zu sein. Man sollte doch den Bürgern den Rechtsweg nicht deshalb verweigern, weil man sonst mehr Richter anstellen müßte, als man zur Zeit hat.
Das zweite Argument, das geltend gemacht wurde, war: es liege im Interesse aller Beteiligten, daß dem Hader möglichst rasch ein Ende gemacht werde. Das ist ein ganz vernünftiger Grundsatz, wenn es sich um Bagatellsachen handelt, um Beleidigungsprozesse, um kleine Zivilprozesse. Da kann man sagen: es ist wichtiger, daß die Parteien möglichst rasch auf irgendeine Weise auseinanderkommen, als daß man durch zwei, drei oder vier Instanzen geht. Aber hier handelt es sich doch um etwas anderes. Hier handelt es sich doch darum, ob der Staat von einem Menschen verlangen kann, daß er für ein Jahr oder mehr aus seiner Lebensordnung herausgerissen wird, oder nicht. Da ist ein klärendes Gerichtsverfahren eine Notwendigkeit. Denn es handelt sich nicht um Bagatellsachen. Dem Betroffenen muß die Möglichkeit gegeben werden, durch eine höchstrichterliche Instanz feststellen zu lassen, ob er den Angriff des Staates auf seine Bewegungsfreiheit dulden muß oder nicht. Da genügt es nicht, durch Verkürzung des Instanzenzuges dem Hader ein Ende zu setzen. In diesem Falle muß vielmehr jede Garantie dafür geschaffen werden, daß der Staat sein Recht nicht mißbraucht und daß keinem Bürger von hoher Hand etwas auferlegt wird, was das Gesetz ihn zu tragen nicht verpflichtet.
Mit der Bestimmung des letzten Satzes in Abs. 2 legen Sie die Entscheidung darüber, ob die Prüfung durch das oberste Gericht erfolgen kann oder nicht, in die Hand der untersten Instanz. Nur wenn diese ihre Entscheidung für nachprüfbar erklärt, kann das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz tätig werden. Das Nein der untersten Instanz schneidet den weiteren Rechtsweg ab, und das ist unzumutbar. Wenn schon untere Gerichte über die Zulässigkeit der Revision entscheiden sollen, dann muß zumindest zwischen dieser untersten Instanz und der Revisionsinstanz eine zweite Instanz als Beschwerdeinstanz eingeschaltet werden. Darum muß der letzte Satz in § 34 Abs. 2 gestrichen werden.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jaeger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Volk und Parlament klagt man überall über die Vervielfachung der Rechtsmittel und die Hypertrophie des Rechtsstaates. Wenn aber ein neues Gesetz gemacht wird, schafft man wieder Bestimmungen, die noch mehr Rechtsmittel beinhalten. So etwas schlägt auch die Sozialdemokratische Partei vor. Wir bitten Sie also, den Antrag abzulehnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Lotze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, daß hier von der Seite meiner Fraktion nicht dem Vorschlag der SPD zugestimmt wird. Es handelt sich hier um die Einschränkung von Grundrechten. Wenn es um die Einschränkung von Grundrechten geht, dann sollte man mit der Einschränkung von Rechtsmitteln aber äußerst vorsichtig sein.
({0})
Ich sehe mich daher genötigt, bei aller sachlichen Ablehnung, die ich sonst zu den Anträgen heute gezeigt habe, diesem Antrag zuzustimmen, und ich bitte meine Freunde, das auch zu tun.
({1})
Keine weiteren Wortmeldungen?
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 22 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zu § 35. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 746 Ziffer 23 vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 36 mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 759*). Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Dieser Änderungsantrag ist einstimmig angenommen.
Dann muß ich abstimmen lassen über den ganzen § 36 in der geänderten bzw. erweiterten Fassung. Wer dem so geänderten § 36 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - § 36 ist in der geänderten Fassung angenommen.
Ich rufe auf § 36 b. Hier liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 746**) Ziffer 24 vor. Wird das Wort dazu gewünscht? - Herr Abgeordneter Schmidt!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 36 b hat den Zweck, jenen Wehrpflichtigen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft unterdrückt worden sind, die man trotz jahrelanger Kriegsdienstzeit nicht befördert hat, sei es aus Gründen der Rasse - ({0})
- Sie wissen noch gar nicht, was ich sagen will, Herr Dr. Jaeger.
({1})
- Ich will einen Änderungsantrag zu unserem Änderungsantrag stellen. Ich bitte das abzuwarten.
({2})
*) Siehe Anlage 9.
**) Siehe Anlage 4.
({3})
§ 36 b hat, wie gesagt, den Zweck, jenen Wehrpflichtigen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft unterdrückt worden sind, die man trotz jahrelanger Kriegsdienstzeit nicht befördert hat aus Gründen der Rasse, der Weltanschauung, des Glaubens und der politischen Überzeugung, die man schließlich für wehrunwürdig erklärt hat, als einen Akt der Wiedergutmachung den militärischen Rang zu verleihen, der ihnen normalerweise zustünde. Es scheint mir übrigens kein Zweifel daran zu bestehen - wenn ich das eben noch sagen darf, Herr Dr. Jaeger -, daß man im Regierungsentwurf eine solche Wiedergutmachungsklausel vergessen hat. Um so mehr ist anzuerkennen, daß die Abgeordneten der Koalition im Ausschuß unserem Antrag auf Einfügung dieses § 36 b zugestimmt haben.
Nun ist allerdings die Einbringung und die Beratung dieses Paragraphen im Ausschuß in erheblicher Eile vor sich gegangen. Deshalb st eine nicht gerade vorzügliche Formulierung zustande gekommen. Unser Änderungsantrag nach dem Umdruck, den der Herr Präsident eben verlesen hat und zu dem ich hier spreche, dient einer zweckmäßigeren Formulierung. Unser Änderungsantrag stellt eine Anpassung dar an die nunmehr einstimmig beschlossene Regelung des Bundesentschädigungsgesetzes und des Bundesgesetzes zur Entschädigung der verfolgten Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Dabei darf ich, einer Anregung aus dem Verteidigungsministerium entsprechend, folgende Änderung in unserem Änderungsantrag vornehmen. In Abs. 1 wird der letzte Halbsatz gestrichen und durch die Worte „den sie bei normalem Verlauf ihrer Laufbahn wahrscheinlich erreicht hätten" ersetzt; der Abs. 2 bleibt unverändert.
Die so zu gewinnende Fassung des § 36 b scheint dem gemeinsam gewollten Zweck am besten gerecht zu werden. Man sollte glauben, daß die Mehrheit diesem Änderungsantrag ebenso zustimmen könnte, wie es Herr Dr. Jaeger eben zu dem ursprünglichen Antrag angekündigt hat.
Wird das Wort zu diesem Änderungsantrag gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich stelle den so geänderten Antrag, den Herr Abgeordneter Schmidt eben verlesen hat, zur Abstimmung. Muß ich ihn wiederholen?
({0})
Wer diesem so geänderten Änderungsantrag zu Umdruck 746 Ziffer 24 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Änderungstrag ist einstimmig angenommen.
Ich komme zum § 38, hierzu Änderungsantrag auf Umdruck 745*) Ziffer 2. Wird das Wort dazu gewünscht? - Herr Dr. Kliesing!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist durch die Annahme unseres Antrags zu § 11 überholt. Wir ziehen ihn zurück.
Da es sich um den letzten Änderungsantrag handelt, darf ich die Gelegenheit gleich benutzen, für die Schlußabstimmung über das Wehrpflichtgesetz im Namen der Fraktionen der Koalition namentliche Abstimmung zu beantragen.
*) Siehe Anlage 3a.
Meine Damen und Herren, ich muß mich korrigieren. Es war eine Einfügung, § 37 c, nicht der von mir aufgerufene § 38.
Damit sind alle Änderungsanträge erledigt.
Bevor wir zur Schlußabstimmung kommen, gebe ich dem Herrn Abgeordneten Ollenhauer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stehen am Schluß der dritten Lesung des Wehrpflichtgesetzes und damit vor der Schlußabstimmung über eines der entscheidendsten Gesetze, die der Deutsche Bundestag seit der Gründung der Bundesrepublik verabschiedet hat. Ich möchte aus diesem Anlaß einige Feststellungen hinsichtlich der Haltung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion treffen.
Zunächst hat die dritte Lesung, die wir heute hier durchgeführt haben, uns den Eindruck der zweiten Lesung in weitem Umfang bestätigt.
({0})
Wir haben zwar eine sehr lange Sitzung hinter uns, aber als ihr Resultat müssen wir feststellen, daß auf der Seite der Koalitionsparteien in keiner Weise ein ernsthaftes Entgegenkommen gegenüber den Gesichtspunkten der Opposition gezeigt worden ist.
({1})
In allen entscheidenden Punkten hat die Koalition darauf bestanden, ihre Position, so wie in den Ausschüssen festgelegt, zu behaupten und die Anträge der Opposition abzulehnen.
Vor allem hat uns die Ablehnung in den Fällen auf das schwerste betroffen, in denen es nicht oder nicht in erster Linie um politische oder sachliche Meinungsverschiedenheiten ging, sondern um letzte menschliche Anliegen.
({2})
Das gilt sowohl in der Frage der Stellung der Kriegsdienstverweigerer als auch in der Frage des Verständnisses für die jungen Menschen aus der sowjetisch besetzten Zone. Wir bedauern diese Entscheidung der Mehrheit auf das tiefste, nicht weil wir hier unterlegen sind, sondern weil diese Entscheidung, wie wir fürchten, ein wesentliches Stück Vertrauen von jungen Menschen in die Bundesrepublik erschüttert hat.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte hinzufügen: Wir haben sachliche Gegensätze in diesem Hause nicht zu fürchten, weil es zum Wesen der Demokratie gehört, daß im Kampf der Meinungen durch Mehrheitsbeschlüsse eine Entscheidung gefällt wird. Hier aber, meine Damen und Herren, stehen wir vor der Tatsache, daß bei einem der entscheidenden Gesetzeswerke, dessen Gelingen davon abhängt, daß es vom Vertrauen der großen Mehrheit des Volkes getragen wird, es nicht zu einer Abmilderung, sondern zu einer Verschärfung der Gegensätze gekommen ist.
({4})
Meine Damen und Herren, den Schritt, den Sie jetzt unternehmen, nämlich die Bundeswehr auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht aufzubauen, unternehmen Sie unter Bedingungen, die
({5})
wir als sozialdemokratische Opposition auf das tiefste beklagen, weil wir glauben, daß die Haltung der Mehrheit in allen diesen Verhandlungen in den Ausschüssen und hier nicht geeignet ist, in der neuen Bundeswehr den Geist des Vertrauens heranzubilden, den wir brauchen, wenn diese Bundeswehr sich mit der deutschen Demokratie in der Bundesrepublik wirklich verbunden fühlen soll.
({6})
Gestatten Sie mir auch einige allgemeine politische Feststellungen. Meine Damen und Herren, Sie haben heute morgen 3 Uhr das Ziel erreicht, das Ihnen als die letzte Leistung vor Beginn der Ferien gesteckt worden war. Sie werden zu der Schlußabstimmung über das Wehrpflichtgesetz kommen. Aber, meine Damen und Herren, Sie sind sich doch darüber klar, daß diese Entscheidung unter Zeitdruck keine gute Entscheidung ist, weil es keinen zwingenden Grund gegeben hat, in dieser Weise ein so entscheidend wichtiges Gesetz durch das Parlament hindurchzubringen.
({7})
Sie haben hier nur einen einzigen politischen Grund von Gewicht anführen können: nämlich durch diese Art der Erledigung noch einmal zu unterstreichen, daß Sie die unveränderte Fortführung der Politik der Stärke wollen, so, wie der Herr Bundeskanzler sie hier immer wieder vertreten hat.
({8})
Wir sind sehr oft in der Position der Warnenden gewesen. Ich empfinde es als keine gute Sache, daß wir es bei dieser Gelegenheit und aus diesem Anlaß wieder sein müssen. Aber es ist sicher, und ich möchte es hier feststellen, damit wir alle uns später daran erinnern: durch die Entscheidung, die Sie jetzt mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik fällen, wird die Spaltung Deutschlands verschärft, durch eine Entscheidung, die Sie aus freiem Willen auf sich genommen haben.
({9})
Ein anderer Punkt, den ich in dieser Stunde festhalten möchte: Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik birgt die Gefahr einer neuen großen Belastung und Bedrückung für die Bevölkerung in der Zone in sich.
({10})
Wir werden darüber hier noch sehr oft zu sprechen haben, nachdem es uns nicht gelungen ist, Sie von unseren Bedenken gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht auch aus diesem Grund zu überzeugen.
Und ein letzter Punkt: Es wird eine bemerkenswerte Tatsache in der Geschichte der Bundesrepublik bleiben, daß die Bundesrepublik die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in einem Augenblick beschlossen hat, in dem ein so weitgehender Beschluß in direktem Gegensatz zu den internationalen Bemühungen um Entspannung und Abrüstung steht.
({11})
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wird aus diesem Grunde und auch aus dem Grunde, daß es sich um ein Ausführungsgesetz zu den Pariser Verträgen handelt, das Gesetz ablehnen. Ich möchte aber hier hinzufügen: die Sozialdemokratische Partei und ihre Bundestagsfraktion werden
den Kampf gegen die verfehlte Außen- und Militärpolitik der Bundesregierung, die auch durch die heutige Entscheidung zum Ausdruck kommt, nach der Annahme dieses Gesetzes mit aller Entschiedenheit und mit unverminderter Kraft fortführen.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Krone.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bin der Meinung, daß wir an diesem Tage an einem Punkte stehen, der entscheidende Bedeutung für die deutsche Geschichte hat. Ich denke daran, daß es bei der Änderung des Grundgesetzes gelungen war, bei einer Reihe von wichtigen nationalen Fragen eine Einigung auf breiter Basis herbeizuführen. Meine Fraktion gab sich der Hoffnung hin, daß diese Politik auf breiter Basis hier im Hause würde fortgesetzt werden können.
({0})
Wir haben uns nach dieser Richtung hin bemüht, nicht nur indem wir mit Ihnen in dem Willen übereinstimmten, eine sorgsame Berätung in den Ausschüssen herbeizuführen, sondern auch, soweit das nur irgend möglich war, im Sachlichen.
Ich muß dagegen Verwahrung einlegen, daß Herr Kollege Ollenhauer die Meinung vertreten hat, wir hätten in diesem Gesetz das ursprüngliche menschliche Anliegen vernachlässigt.
({1})
Soweit dieses Anliegen mit einem Gesetz, das die deutsche Jugend aufruft, für das Vaterland einzustehen, vereinbar ist, haben wir ihm entsprochen.
({2})
Herr Kollege Ollenhauer, Sie haben von der Zone und ihren Menschen gesprochen. Ich glaube, einem Kollegen, der in Berlin beheimatet ist und von dem Bewußtsein derselben Verpflichtung getragen ist wie die Damen und Herren aus Ihren Reihen, sollte man nicht nachsagen, daß er hier einer Sache zustimme, die gegen das Wohl und Interesse der Menschen in der deutschen Zone sei.
({3})
Es sei kein zwingender Grund, das Gesetz zu verabschieden, wurde gesagt. Herr Kollege Ollenhauer, ich glaube nicht, daß Sie, wenn wir das Gesetz im Herbst verabschiedet hätten, zugestimmt hätten.
({4})
Hier kam vielmehr Ihre politische Haltung zum Ausdruck, die ich anerkenne und auf Grund deren ich annehme, daß Sie auch im Herbst dagegen gestimmt hätten.
Wir sind der Auffassung, daß es sich nicht nur um eine Verpflichtung aus den Verträgen, sondern um eine Verpflichtung von der Sache her handelt. Ich möchte das ablehnen, was Sie gesagt haben, daß das nämlich eine Politik sei, die uns nicht von unserem Gewissen her geboten sei, sondern daß dafür andere Motive maßgebend gewesen seien.
({5})
Meine Damen und Herren, daß wir das tun mußten, unterschreibe ich; aber es war nicht irgendwie von einem Menschen her gesetzt, sondern von der Sache her, für die wir uns hier einsetzen. Wir sind nämlich verpflichtet, uns dafür einzusetzen, daß dieses unser Land, in dem wir leben, frei bleibt.
({6})
Wir sind nicht der Meinung, daß wir mit diesem Gesetz einen Schritt getan haben, der die Spaltung unseres Volkes vertieft, sondern meinen, daß es ein Schritt zur Wiedervereinigung in Freiheit ist. Aus dieser Verpflichtung haben wir dieses Gesetz beschlossen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mende.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der Freien Demokratischen Partei darf ich zur Schlußabstimmung folgende Erklärung abgeben.
Zum Unterschied von der Behandlung unserer Änderungsanträge in der zweiten Lesung konnte in der dritten Lesung unser Antrag auf Zurückstellung der letzten Söhne, wenn auch mit einer geringen Einschränkung, einstimmig angenommen werden. Der Antrag auf Befreiung der Wehrpflichtigen, die Verwandte ersten Grades in der Sowjetzone und im sowjetischen Sektor Berlins haben, ist leider erneut abgelehnt worden. Dem Gedanken der Wiedervereinigung ist dadurch kein Dienst erwiesen worden.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei muß trotz grundsätzlicher Bejahung der Prinzipien einer allgemeinen nationalen Verteidigungspflicht, trotz Annahme aller bisherigen militärpolitischen Gesetze vom Freiwilligengesetz über das Soldatengesetz bis zu den gestrigen Vorwegbewilligungen diesem Wehrpflichtgesetz ihre Zustimmung versagen,
({0})
weil es aus sachlichen und aus psychologischen Gründen in diesem Augenblick nicht verabschiedet werden sollte.
Die Fraktion wird sich daher in der Schlußabstimmung enthalten.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Reichstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE habe ich die Ehre, zur Schlußabstimmung folgende Erklärung abzugeben.
Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE hat schon bei der ersten Lesung des Wehrpflichtgesetzes als ihre grundsätzliche Auffassung dargelegt, daß die Bundeswehr eines demokratischen Deutschland nach dem Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht und Verteidigungspflicht aller Staatsbürger aufgebaut werden sollte. Wir haben gleichzeitig die Voraussetzungen genannt, von denen nach unserer Auffassung die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht abhängig ist. Diese Voraussetzungen sind in der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs von den Sprechern unserer Fraktion noch einmal ausdrücklich dargelegt worden. Die dritte Beratung hat die Mängel dieses Gesetzentwurfs nur noch einmal bedrückend deutlich gemacht. Die notwendigen Voraussetzungen blieben unerfüllt.
Die Behandlung der Anträge über die Sowjetzonenflüchtlinge hat erkennen lassen, welche Bereitschaft bei der Mehrheit dieses Hauses vorhanden ist, wenn es darauf ankommt, der Spaltung Deutschlands Rechnung zu tragen und für ihre Überwindung Opfer zu bringen.
({0})
Wir haben bei der allgemeinen Aussprache in der dritten Lesung unsere Auffassung über unsere gemeinsame Verpflichtung zur Erfüllung der auch mit unserer Zustimmung abgeschlossenen Verträge noch einmal unmißverständlich vorgetragen. Wir sehen uns aber unter Hinweis auf die in der allgemeinen Aussprache gegebenen eingehenden Begründungen in unserem Gewissen nicht in der Lage, die Verantwortung für dieses unzulänglich gebliebene Gesetz mit zu tragen.
Daher können wir uns auch nicht der Stimme enthalten. Wir werden gegen das Gesetz stimmen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir treffen die Entscheidung, die vor uns steht, im vollen Bewußtsein unserer Verantwortung. Ich gebe zu, daß sie uns nicht leichtfällt. Aber wir wissen, daß wir sie treffen müssen. Wir weisen alle Vorwürfe zurück, die darauf hinzielen, uns nicht legitimiert zu dieser Entscheidung zu nennen. Wer zur Verantwortung legitimiert ist, ist dieses Haus, ist dieses demokratisch gewählte Parlament.
({0})
Die Vorwürfe, die von den Oppositionsparteien gegen uns erhoben worden sind, sind daher ungerechtfertigt.
({1})
Sie, meine Damen und Herren, sind genau wie wir vor Gott und unserem Volke zur Verantwortung berufen. Wir sind bereit, diese Verantwortung zu tragen.
Ich will nicht noch einmal das Für und Wider dieses Gesetzes erörtern; ich habe das gestern morgen bereits ausführlich getan.
Ich bedaure die Erklärung des Kollegen Ollenhauer und stelle nochmals ausdrücklich fest, daß die Bedingungen, unter denen wir dieses Gesetz beschließen, gerechtfertigt sind, daß es notwendig ist, dieses Gesetz zu beschließen, und ich warne davor, immer wieder darauf hinzuweisen, daß durch den Beschluß dieses Gesetzes die Spaltung Deutschlands vertieft würde, auf daß nicht jenen in die Hand gearbeitet werde, die es darauf anlegen, die Spaltung Deutschlands aufrechtzuerhalten.
({2})
({3})
Meine Freunde von der Deutschen Partei und ich glauben, daß, wenn wir das Gesetz über die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht beschlossen haben, unsere Brüder und Schwestern in der Zone ein erhöhtes Sicherheitsgefühl haben können.
({4})
Was den Geist der Bundeswehr betrifft, den der Kollege Ollenhauer hier beschworen hat, so haben wir das Vertrauen, daß sie aus den guten Traditionen heraus, gepaart mit den Erkenntnissen aus den schweren Erfahrungen der letzten Jahre, den richtigen Geist finden wird.
Ich möchte schließen mit einem Wort des Dichters Herder:
Wenn du mußt, so diene dem Staate. Wenn du kannst, so diene der Menschheit.
Wir sind überzeugt, daß wir das mit diesem Gesetze tun.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Manteuffel.
von Manteuffel ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Bundestagsfraktion der Freien Volkspartei habe ich zu erklären: Aus den Gründen, die unsere Sprecher in den verschiedenen Lesungen dargelegt haben und die ich hier im Zusammenhang zusammengestellt habe - ich bitte, sie zu Protokoll zu nehmen*) -, bejahen wir das Gesetz und stimmen zu.
({2})
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Schlußabstimmung. Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({0})
Ich frage, ob alle Stimmkarten abgegeben sind. Haben alle Mitglieder des Hauses, die im Saale sind, ihre Karte abgegeben?
Die Abstimmung ist geschlossen.
({1})
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, noch einige Minuten Platz zu nehmen! Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis**) der namentlichen Abstimmung bekannt. Abgegebene Stimmen: insgesamt 456 Mitglieder des Hauses und 16 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 270 stimmberechtigte Abgeordnete und 6 Berliner Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt 166 Mitglieder des Hauses und 8 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 20 stimmberechtigte Mitglieder und 2 Berliner Abgeordnete. Ich stelle damit fest, meine Damen und Herren, daß damit das Wehrpflichtgesetz in dritter Lesung angenommen ist.
*) Siehe Anlage 12.
**) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 8894.
Ich komme noch zur Abstimmung über die Ziffer 2 des Ausschußantrages auf Seite 10 der Drucksache. Dort wird beantragt, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Eingaben für erledigt zu erklären. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie nicht mehr den Wunsch haben, weiter in der Tagesordnung fortzufahren.
({2})
Nun, meine Damen und Herren, es hieße Ihre Geduld überfordern, wenn nach diesem langen Kampf und Ringen nun noch eine festliche und verklärende Ansprache des Bundestagspräsidenten erfolgen sollte. Die schenke ich Ihnen und schenke ich mir. Aber, meine Damen und Herren, bei alledem, was hier kontrovers ist, - dieser Beschluß kann nicht von unserem Volk und er kann nicht von der Welt zur Kenntnis genommen werden, ohne daß wir in zwei Sätzen doch das auszusprechen und hinzuzufügen versuchen, worin wir uns doch ganz gewiß einig sind. Lassen Sie es mich in aller Kürze so sagen: Ich glaube, wir sind, wie wir auch hier gestimmt haben, alle davon überzeugt und davon durchdrungen, daß es in unseren Tagen und in den Tagen, die unseren Kindern und Kindeskindern in Deutschland beschert sind, niemals mehr darauf ankommen kann und darauf ankommen darf, daß die Welt uns fürchtet oder uns auch nur mißtraut, sondern daß sie, wenn sie uns schon nicht liebt - darüber haben wir keine Macht -, uns doch achten und dem neuen Deutschland vertrauen möge. Das ist das eine.
Das andere ist, daß das, was heute hier beschlossen worden ist, doch in einem Geist Wirklichkeit werden möge, in dem wir bestehen können vor dem, was groß ist in unserer nationalen Geschichte, und daß wir auch bestehen können vor dem, was unseren Kindern und Enkeln im Schutz der Freiheit und im Frieden des geeinten Vaterlandes zum Segen werden möge.
Damit, meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese lange Debatte und diese Entscheidung hier abschließen.
Da wir in der Tagesordnung nicht fortfahren, bleibt mir nur noch, Ihnen für die Ferien eine gute Erholung im Kreis der Ihren, die Sie sicher seit langem ersehnen, zu wünschen.
Das Haus vertagt sich nach einem Beschluß des Ältestenrates, der Ihnen bekannt ist, bis zum 10. September. Ich berufe die nächste, die 160. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Donnerstag, den 27. September 1956, 14 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.