Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Lindrath zum heutigen 60. Geburtstag gratulieren.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktionen der Regierungskoalition beantrage ich, den Beginn der nächsten turnusmäßigen Plenarsitzung am Mittwoch, dem 4. Juli, von 14 Uhr auf 9 Uhr vorzuverlegen.
Der Ältestenrat hat gestern den Entwurf der Tagesordnung für den 4., 5. und 6. Juli aufgestellt. Die Fraktionen der Regierungkoalition hatten in dieser Sitzung des Ältestenrates verlangt, daß Punkt 1 der Tagesordnung vom 4. Juli die zweite Beratung des Entwurfs des Wehrpflichtgesetzes sein solle, da der federführende Verteidigungsausschuß seine Beratungen am vergangenen Donnerstag abgeschlossen und mit Zweidrittelmehrheit seine Stellungnahme formuliert hat. Die Oppositionsfraktionen haben im Ältestenrat der zweiten Lesung des Wehrpflichtgesetzes am 4. Juli widersprochen.
Den Usancen des Hauses entsprechend kann ein Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung im Plenum erst gestellt werden, wenn die Ausschußdrucksache dem Hause vorliegt. Das wird beim Bericht des Verteidigungsausschusses über das Wehrpflichtgesetz am Samstag der Fall sein. Infolgedessen sehen die Fraktionen der Regierungskoalition heute davon ab, einen Antrag zur Tagesordnung vom 4. Juli zu stellen, und beschränken sich auf die Forderung, den Beginn dieser Sitzung auf 9 Uhr festzusetzen. Sie werden jedoch den entsprechenden Antrag zur Tagesordnung am 4. Juli, 9 Uhr, vor Eintritt in die vom Altestenrat beschlossene Tagesordnung stellen.
Ich versage es mir, dafür heute schon eine Begründung zu geben, zumal der Öffentlichkeit wie allen Abgeordneten dieses Hohen Hauses seit langem bekannt ist, warum die Fraktionen der Regierungskoalition die Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes noch vor den Sommerferien für erforderlich halten. Zudem wird in der anschließend an diese Geschäftsordnungsdebatte stattfindenden außenpolitischen Aussprache wie auch am kom({0})
menden Mittwoch während der zweiten Lesung des Wehrpflichtgesetzes selbst Gelegenheit genug sein, in aller Ausführlichkeit zur Terminfrage Stellung zu nehmen.
Ich bitte das Hohe Haus noch einmal, entsprechend dem Antrag der Koalitionsfraktionen zu beschließen.
Zunächst hat sich der Herr Abgeordnete Seiboth zu Wort gemeldet. Herr Abgeordneter, wollten Sie zu diesem Punkt sprechen?
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- Dann gebe ich zunächst das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diesem nun wiederholten Versuch der Regierung und ihrer Fraktionen, das Wehrpflichtgesetz unter allen Umständen und ohne Rücksicht auf das politische Porzellan, das innerhalb und außerhalb Deutschlands damit zerschlagen werden würde, noch vor den Parlamentsferien durchzupeitschen, werden wir auf das schärfste widersprechen.
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Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung zur Vorbereitung der Tagesordnung für die nächste Woche beschlossen, einige sehr wesentliche und auch nach unserer Meinung vordringliche Gesetzesvorlagen behandeln zu lassen.
Da sind zunächst einmal die zweite und dritte
Lesung der Steuersenkungsgesetze. Dem Bundestag werden zur Gewerbesteuer, Umsatzsteuer, Einkommen- und Körperschaftsteuer und zur völligen oder teilweisen Aufhebung des Notopfers Berlin nicht weniger als sechs Vorlagen zugehen. Schon jetzt wissen wir alle, wie wenig aus den Versprechungen auf eine wirksame Steuersenkung geworden ist.
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Gerade weil der Bundesfinanzminister sich dabei so furchtbar knickrig gezeigt hat, werden bei der Behandlung dieser Gesetzentwürfe in der nächsten Woche die gesamte Steuerpolitik des Bundes und die Hortung von Milliarden auf Kosten des Steuerzahlers noch einmal zur Sprache gebracht werden müssen.
Das um so mehr, meine Damen und Herren, als der Bundesfinanzminister der erstaunten Öffentlichkeit gestern abend am Schluß der Haushaltsberatungen bekanntgab, daß die von der Bundesregierung freiwillig übernommenen zusätzlichen Stationierungskosten für die Alliierten von mehr als 1,4 Milliarden Mark ohne Schwierigkeiten aus den von ihm gehamsterten Mitteln gezahlt werden könnten. Das sagt der gleiche Bundesfinanzminister, der bei den Haushaltsberatungen so viele Anträge auf Förderung unseres kulturellen und sozialen Lebens zu Fall gebracht hat.
Für die nächste Woche ist ferner die zweite und dritte Lesung einer Novelle zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz vorgesehen. Wir Sozialdemokraten halten die Beratung dieser Novelle in Verbindung mit der eines Antrags unserer Fraktion auf Vorwegbewilligung von Haushaltsmitteln zugunsten einer schnelleren Zahlung an die
Kriegsgefangenen für viel vordringlicher als ein neues Wehrpflichtgesetz.
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Oder wollen Sie auch diese Hilfe für die ehemaligen Kriegsgefangenen wieder einmal zurückstellen zugunsten der Aufstellung einer neuen Armee?
Ferner haben die Regierungsparteien im Altestenrat die vordringliche Behandlung des Bundesleistungsgesetzes und des Schutzbereichgesetzes gefordert, zweier Gesetze, die unzweifelhaft sehr weit in den Lebensbereich und in die Rechte jedes einzelnen Staatsbürgers eingreifen und daher gründlichst debattiert werden müssen.
Schließlich haben wir Sozialdemokraten seit langem den Wunsch, noch vor den Parlamentsferien unseren Gesetzentwurf über den Schutz der arbeitenden Jugend behandelt zu sehen.
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Wenn Sie jetzt auf voreilige Verabschiedung von Gesetzen drängen, die die Jugend erneut in Kasernen bringen sollen, dann wollen wir zunächst einmal die Rechte derjenigen Jugendlichen geschützt sehen, die wegen der schlechten sozialen Verhältnisse ihres Elternhauses frühzeitig in die Fabriken zur Arbeit gehen müssen.
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Es dürfte nun keinem Zweifel unterliegen, daß dieses reichhaltige Programm in den Arbeitskreisen, in den Vorständen der Fraktionen und schließlich auch in den Fraktionen selbst gründlich durchgearbeitet und für die Behandlung im Plenum vorbereitet werden muß. Wenigstens erhebt unsere Fraktion für sich den Anspruch hierauf.
Daher scheint es uns völlig unmöglich, in dieses Paket von wichtigen und vordringlichen Gesetzen noch die zweite und dritte Lesung des Wehrpflichtgesetzes hineinzunehmen. Vielleicht aber hofften Sie sogar, das Haus werde auf eine gründliche und sorgfältige Aussprache über die mit der Wehrpflicht verbundenen und damit zusammenhängenden Probleme verzichten. Meine Damen und Herren, Sie mögen dann im Plenum schweigen, wenn Sie für den nächsten Mittwoch die zweite Lesung durchsetzen. Wir jedoch werden sagen, was wir von dieser Politik und von diesem Gesetz halten, und wir werden es der Öffentlichkeit sehr deutlich und sehr gründlich sagen. Von den Problemen, ob Freiwilligen- oder Berufsarmee, nehmen Sie überhaupt keine Notiz, und über unsere große Sorge, daß auf dem Wege, den Sie jetzt gehen, die letzten Chancen der Wiedervereinigung auf ein Minimum zusammenschrumpfen werden, gehen Sie leider mit einem Achselzucken hinweg.
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Daher die Frage, was denn eigentlich passieren würde, wenn das Wehrpflichtgesetz erst nach den Parlamentsferien beraten würde. Sie ketten sich noch immer an Beschlüsse und an längst auch von Ihnen für überholt gehaltene Interviews Ihres Kanzlers aus früheren Zeiten. Sie tun gerade so, als wenn sich in der Welt auf diesem Gebiet in den letzten Monaten nichts geändert hätte. Vor den Parlamentsferien 1955 - ich darf heute daran erinnern - sind Sie beim Freiwilligengesetz mit der gleichen Methode vorgegangen. Was war der Erfolg? Das Freiwilligengesetz blieb, ohne daß etwas geschah, drei Monate liegen, und im Herbst 1955 waren auch Sie der Überzeugung, daß es besser
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gewesen wäre, man hätte dieses Galopptempo vermieden.
Das Wehrpflichtgesetz, das Organisationsgesetz und die Dauer der Dienstzeit sind politisch eine Einheit. Nur aus gesetzestechnischen Gründen und um der besseren Übersichtlichkeit willen soll dieses einheitliche politische Problem in drei verschiedenen Gesetzen erfaßt werden. Das eine bedingt das andere, und das andere ist ohne das eine gar nicht durchführbar. So mogeln Sie sich doch eigentlich selber etwas vor;
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denn ein Wehrpflichtgesetz, wie es jetzt verabschiedet werden soll, nutzt Ihnen gar nichts. Ohne das entscheidende Organisationsgesetz über die Bundeswehr bleibt das Wehrpflichtgesetz, das Sie jetzt vor den Ferien durchbringen wollen, ein Torso. Es wird noch lückenhafter und unvollständiger, weil Sie nicht einmal Vorschriften über die Dauer der Dienstzeit aufnehmen wollen.
Ich frage Sie auch, wie wollen Sie es eigentlich vor Ihrem Gewissen verantworten
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- warten Sie erst einmal ab, was ich fragen will; Sie dürfen diese Frage gleich beantworten -, junge Menschen zum Militärdienst zu zwingen, ohne ihnen bei der Einberufung sagen zu können, wie lange sie dabeibleiben müssen?
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Man fragt sich dann - die Frage drängt sich geradezu auf -, welche Gründe Sie haben. Es hat sich schließlich auch in Deutschland herumgesprochen - vielleicht nicht bis zu den tauben Ohren des Herrn Bundeskanzlers -, daß eine vertragliche Verpflichtung Deutschlands zur Einführung der Wehrpflicht und zur Aufstellung einer Wehr von 500 000 Mann gar nicht besteht.
(Zuruf von der Mitte: Ist das noch zur
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Im gleichen Augenblick, und ausgerechnet in diesem Augenblick, wo fast alle Länder die Zahl ihrer Soldaten vermindern und sich überlegen, welche Möglichkeiten sie haben, abzurüsten, wollen Sie einen völlig anderen Weg gehen.
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Wir haben Sie damals - das will ich Ihnen zum Schluß noch in Erinnerung rufen - vor dem übereilten Abschluß der NATO-Verträge gewarnt. Aber Sie meinten, daß durch eine Politik der Stärke unwiderrufliche Tatbestände geschaffen werden müßten, die die Russen zum Nachgeben in der Frage der Wiedervereinigung zwingen würden. Heute weiß alle Welt, daß wir mit unseren Warnungen leider recht hatten. Darum hüten Sie sich - und davor warnen wir Sie -, jetzt mit dem Wehrpflichtgesetz ebenfalls unwiderrufliche Tatsachen zu schaffen, die uns den Weg in eine neue und elastischere Außenpolitik versperren.
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Meine Damen und Herren, ich darf bitten, sich bei Geschäftsordnungsdebatten an die vorgeschriebene Redezeit von fünf Minuten zu halten.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Seiboth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE stelle ich den Antrag, die heutige Tagesordnung abzuändern. Wir beantragen, daß die unter a) des einzigen Punktes der Tagesordnung angeführte Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung von gestern und die unter b) angeführte Beratung des Antrags der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE betreffend Rechtsanspruch auf die deutschen Vertreibungsgebiete zusammengezogen und in einem behandelt werden. Weiter bitten wir, daß unserer Fraktion nach Eintritt in die Tagesordnung zunächst Gelegenheit gegeben wird, den Antrag Drucksache 2406 zu begründen.
Zur Begründung meines Antrags darf ich kurz darauf hinweisen, daß der Herr Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten in der gestern abgegebenen Regierungserklärung bereits die Fragen, auf die sich unser Antrag bezieht, angesprochen hat. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß die Redner in der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung, wenn sie die gesamte Regierungserklärung zur Grundlage ihrer Ausführungen machen, diese Frage mit ansprechen. Das würde dazu führen, daß über Fragen des Rechtsanspruchs auf die deutschen Vertreibungsgebiete diskutiert wird, ohne daß wir eine Begründung für diesen Antrag hatten geben können.
Des weiteren befürchten wir, daß - weil heute Freitag ist - die Beratung über den Punkt b) in eine Zeit fallen könnte, in der das Haus begreiflicherweise nur halb besetzt ist, weil viele Abgeordnete zum Wochenende Pflichten in ihren Wahlkreisen zu erfüllen haben. Wir meinen, daß das der Wichtigkeit des Anliegens, das wir mit unserem Antrag verfolgen, nicht entsprechen würde.
Ich darf das Hohe Haus bitten, unserem Antrag zuzustimmen.
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht.
Meine Damen und Herren, ich lasse zunächst über den Antrag des Abgeordneten Rasner abstimmen, daß der Beginn der planmäßig für Mittwoch, den 4. Juli, mittags 14 Uhr, vorgesehenen Sitzung auf vormittags 9 Uhr vorverlegt wird. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Am Mittwoch, dem 4. Juli, beginnt die Sitzung vormittags 9 Uhr.
Ich lasse weiter über den Antrag des Herrn Abgeordneten Seiboth abstimmen, den Antrag unter Punkt b) der heutigen Tagesordnung vor Eintritt in die allgemeine Aussprache begründen zu lassen und dann die Aussprache über die Regierungserklärung und die Beratung über den Antrag miteinander zu verbinden. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
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Damit kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe Punkt a) auf:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung vom 28. Juni 1956.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
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- Aber, Herr Kollege Petersen, das ist zu spät.
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- Bezieht es sich auf die Tagesordnung?
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- Herr Abgeordneter Ollenhauer, ich darf Sie bitten, sich noch einen Augenblick zu gedulden.
Herr Abgeordneter Petersen, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem das Hohe Haus unserem Antrag auf Umstellung der Tagesordnung nicht entsprochen hat, stelle ich namens der Fraktion des GB/BHE den Antrag, den Punkt b) von der heutigen Tagesordnung abzusetzen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Ich lasse darüber abstimmen. Wer dem Antrag auf Absetzung des Punktes b) zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Punkt b) bleibt auf der Tagesordnung.
Wir treten nun endgültig in die Tagesordnung ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die Regierungserklärung, die gestern der Herr Außenminister abgegeben hat, dem Parlament die Möglichkeit zu einer außenpolitischen Debatte gibt. Wir begrüßen es auch, daß der Herr Außenminister zum erstenmal den Versuch unternommen hat, dem Parlament eine Ubersicht über die außenpolitische Aktivität der Bundesregierung zu geben. Wir finden allerdings, daß sich eine solche Übersicht nicht in der Aufzählung der verschiedenen Ereignisse und Reisen erschöpfen darf, wenn sie die Grundlage zu einer fruchtbaren Diskussion im Parlament bieten soll.
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Ich möchte mich in meiner heutigen Rede im wesentlichen mit dem zentralen Problem der Wiedervereinigung Deutschlands im Zusammenhang mit der gegenwärtigen internationalen Situation beschäftigen. Ich möchte mich deshalb jetzt darauf beschränken, einleitend zu einigen Punkten kurz Stellung zu nehmen, die der Herr Außenminister in dem ersten Teil seines Berichts behandelt hat. Ich kann mich auch deshalb kurz fassen, weil die in Frage kommenden Probleme das Parlament zu späterer Zeit noch beschäftigen werden.
Lassen Sie mich zunächst ein Wort über die Saarfrage sagen. Wir hoffen mit dem Herrn Bundesaußenminister, daß uns in absehbarer Zeit die in den Grundlinien vereinbarte Abmachung über die Zukunft des Saargebietes zur Beratung und Beschlußfassung vorgelegt werden kann und daß dann der endgültigen Regelung der Saarfrage nichts mehr im Wege steht. Wir begrüßen es, daß das Saargebiet am 1. Januar 1957 als ein Teil der
Bundesrepublik in den deutschen Staatsverband zurückkehrt und daß auch hinsichtlich der ökonomischen und finanziellen Fragen eine Regelung in Aussicht steht, die von allen Beteiligten akzeptiert werden kann und die die Grundlage für eine dauernde Befriedung des Saarproblems bilden kann.
Wir möchten für die Erreichung dieses Zieles in allererster Linie den deutschen Parteien an der Saar danken,
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die durch ihren Erfolg im Volksentscheid erst die Voraussetzung für diese Regelung geschaffen haben.
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Wir verstehen es, wenn sich jetzt die Bundesregierung befriedigt über das in Luxemburg erzielte Einvernehmen äußert. Aber um der historischen Wahrheit willen muß festgestellt werden, daß dieses Ziel erreicht wurde entgegen der Saarpolitik, die die Bundesregierung bis zum Tage der Volksabstimmung betrieben hat.
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Schließlich war es der Herr Bundeskanzler selbst, der in dem Wahlkampf um den Volksentscheid die Bevölkerung des Saargebietes öffentlich aufgefordert hat, das Saarstatut, das die Rückgliederung des Saargebietes nach Deutschland auf lange Zeit verhindert hätte, anzunehmen,
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und er hat ausdrücklich vor einer Ablehnung des Statuts gewarnt. Meine Damen und Herren, es hieße die historische Leistung der deutschen Parteier an der Saar für die Sache der Wiedervereinigung dieses Teils Deutschlands mit dem Mutterland verkleinern, wollte man jetzt den historischen Ablauf der Dinge einfach ignorieren.
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Der Herr Bundesaußenminister hat gestern mit Recht festgestellt, daß die Lösung des Saarproblems nur möglich gewesen ist durch erhebliche materielle Opfer der Bundesrepublik. Ich möchte deshalb in diesem Zusammenhang auf eine andere Tatsache hinweisen, nämlich auf die, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereits im Februar 1950 in diesem Hause durch Dr. Kurt Schumacher der Bundesregierung den Vorschlag unterbreitet hat, das Saarproblem durch ein Angebot der Bundesregierung an die französische Regierung über ein weitgehendes wirtschaftliches Abkommen mit Frankreich zu lösen. Wir waren damals schon davon überzeugt, daß ohne eine solche wirtschaftliche Regelung das politische Problem Saar nicht zu lösen sein würde. Die Regierung hat diesen Vorschlag beiseite geschoben.
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Es ist wohl heute die Frage erlaubt, ob damals eine großzügige Regelung der wirtschaftlichen Probleme, angeboten durch die Bundesregierung, nicht billiger gewesen wäre als die jetzige Vereinbarung.
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Ich mache diese Bemerkung nicht aus Rechthaberei, sondern weil die Bundesregierung vielleicht doch aus der Erfahrung in den Saarverhandlungen den Schluß ziehen sollte, daß die Verzögerung der
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Lösung unserer Wiedervereinigungsprobleme immer die große Gefahr in sich birgt, daß wir jede Lösung am Ende teurer bezahlen müssen, als wenn wir rechtzeitig initiativ die mit der Wiedervereinigung verbundenen Aufgaben anpacken.
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Was sich hier im Westen gezeigt hat, gilt im Prinzip auch für den Osten.
Abschließend möchte ich sagen, daß wir die Saarvereinbarungen, wenn sie uns vorliegen, vor allem auch aus dem Grunde akzeptieren werden, weil sie tatsächlich eines der schwersten Hindernisse für ein Freundschaftsverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland ausräumen.
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Ein französisch-deutsches Freundschaftsverhältnis
ist aber eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit der europäischen Völker.
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Meine Damen und Herren! Eine zweite Bemerkung möchte ich machen im Hinblick auf die Ausführungen des Herrn Bundesaußenministers in bezug auf weitere Schritte in der Richtung der europäischen Zusammenarbeit. Ich denke dabei in erster Linie an die jetzt in Angriff genommene Ausarbeitung der Verträge über den Gemeinsamen Markt und über Euratom. Ich möchte hier nur mit Nachdruck die Auffassung des Herrn Außenministers unterstreichen, daß bei der Schaffung weiterer europäischer Gemeinschaften in erster Linie Vorsorge getroffen werden muß, daß diese Gemeinschaften so gestaltet werden, daß sie jederzeit dritten Ländern offenstehen oder daß mindestens die Zusammenarbeit der Gemeinschaften mit dritten Ländern so leicht wie nur möglich gestaltet wird.
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Das gilt nicht nur für dritte Länder in Europa, sondern auch für Länder außerhalb Europas. Wir müssen uns darüber klar sein, daß viele der Länder, die gestern der Herr Außenminister als Entwicklungsländer bezeichnet hat, jedem Versuch eines autarkischen Zusammenschlusses von Gruppen europäischer Länder mit einem gewissen Mißtrauen gegenüberstehen, weil sie fürchten, daß solche Gemeinschaften auch eine gegen ihre Interessen gerichtete Tendenz entwickeln könnten.
Der Herr Außenminister hat gestern die Notwendigkeit der Ausdehnung unserer Beziehungen gerade zu diesen Ländern stark unterstrichen. und er hat sich für eine verstärkte Hilfe, sei es in Sachlieferungen oder sei es durch Ausbildungsbeihilfen für Techniker und Wissenschaftler, eingesetzt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat gerade während der Haushaltsberatung durch entsprechende Anträge die Notwendigkeit einer solchen verstärkten Aktivität unterstrichen, und ich kann hier nur den Wunsch äußern. daß es dem Herrn Außenminister gelingt, seinen Kollegen im Kabinett, den Herrn Finanzminister, und seine Fraktion von der Notwendigkeit solcher Bewilligungen zu überzeugen, damit seine gestrigen Worte nicht nur leere Erklärungen bleiben.
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Wir Sozialdemokraten sehen in dem engeren Verhältnis zu den Völkern, die jetzt ihre nationale Selbständigkeit errungen haben und die dabei sind, ihre eigene wirtschaftliche und soziale Ordnung aufzubauen, eine entscheidende Aufgabe der Außenpolitik der Bundesrepublik in der kommenden Zeit. Ich möchte allerdings hinzufügen, daß wir dieser Aufgabe nicht gerecht werden, wenn wir ihre Erfüllung nur unter dem Gesichtspunkt des unmittelbaren Nutzens für uns sehen,
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sondern nur, wenn wir unseren Beitrag sehen als einen Beitrag praktischer Solidarität mit diesen Völkern, damit wir es ihnen erleichtern, ihre innere Ordnung nach ihren Vorstellungen und gemäß ihren Interessen zu gestalten.
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Die Entwicklung eines dauerhaften und fundierten Freundschaftsverhältnisses zwischen diesen Völkern und den Demokratien in Europa hängt davon ab, daß wir ihnen durch die Tat beweisen, daß wir bereit sind, großzügig und uneigennützig mit allem Respekt vor' ihrem eigenen Wesen und ihren eigenen Interessen an ihrer Seite zu stehen.
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Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister - es ist die letzte Bemerkung, die ich in diesem Zusammenhang machen möchte - hat seine Besuche in Kopenhagen und in Oslo in seinem Bericht nur sehr kurz behandelt. Auch wir glauben, daß diese Besuche für eine weitere Annäherung zwischen diesen beiden Völkern und dem deutschen Volke nützlich gewesen sind. Das gilt sicher auch für den Besuch in Holland. Ich bedaure aber, daß der Herr Bundesaußenminister in diesem Zusammenhang nicht die Frage erwähnt hat, mit der er sich in allen drei Ländern auseinandersetzen mußte, nämlich mit der Frage der Wiedergutmachung für die Staatsangehörigen dieser Länder, die durch die deutsche Besetzung infolge Haft, Verfolgung oder Enteignung persönliche und sachliche Schäden erlitten haben.
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Ich glaube, daß der Herr Außenminister mit mir darin einig ist, daß diese Wiedergutmachung schnell und in fairer Weise erfolgen muß,
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und ich hoffe, daß die Regierung ohne Verzögerung die notwendigen Schritte einleitet, um die sicher von uns allen anerkannte Verpflichtung befriedigend zu regeln.
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Eine solche Regelung wäre auch ein weiterer sehr bedeutsamer, aber auch notwendiger Beitrag zur Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zu diesen Völkern.
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Meine Damen und Herren, um Ihre Zeit nicht übermäßig in Anspruch zu nehmen, verzichte ich darauf, auf weitere Detailfragen des Berichts des Herrn Außenministers einzugehen, und möchte mich nun dem Hauptthema des Berichts und der Debatte zuwenden, nämlich den Vorstellungen der Regierung über die gegenwärtige internationale Situation und ihre Schlußfolgerungen für die Außenpolitik der Bundesrepublik, vor allem im Zusammenhang mit der Frage der deutschen Wiedervereinigung. Wenn wir das tun, so können wir allerdings nicht nur die Erklärung in Betracht ziehen, die der Herr Außenminister gestern hier als
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der verantwortliche Ressortminister vorgetragen hat, sondern wir müssen wohl auch das Interview einbeziehen, das der Herr Bundeskanzler unmittelbar vor der Kabinettssitzung, in der die Grundzüge der Erklärung des Herrn Außenministers besprochen wurden, am Dienstag der amerikanischen Nachrichtenagentur INS gegeben hat,
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wenigstens soweit der Wortlaut dieses Interviews tatsächlich veröffentlicht worden ist.
Es ist wohl nicht nur unser Eindruck, daß Zeitpunkt und Inhalt dieses Interviews vom Herrn Bundeskanzler in der Absicht gewählt wurden, auf jeden Fall vor der außenpolitischen Debatte im Bundestag selbst zu Wort zu kommen
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und wieder einmal deutlich zu machen, wer in der Außenpolitik der Bundesrepublik Koch ist und wer Kellner ist.
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Es ist zunächst Angelegenheit der Regierung, besonders des Herrn Außenministers, sich mit diesem neuen Beispiel der Ein-Mann-Politik des Herrn Bundeskanzlers auseinanderzusetzen.
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Aber der Herr Bundesaußenminister wird ja für eine solche Auseinandersetzung unter seinen Kollegen im Kabinett einige Bundesgenossen finden können.
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Für die heutige Debatte bringt das Interview des Herrn Bundeskanzlers auf jeden Fall sehr bedeutsame Klarstellungen, und es gibt eigentlich der Regierungserklärung erst die richtige Farbe. Nach der Entgegennahme des Berichts des Herrn Außenministers kann man nur feststellen: In diesem Fall war das Vorprogramm aufschlußreicher als der Hauptfilm, der uns gestern hier vorgeführt wurde.
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Nun zur Sache. Der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung sind bei der Darstellung der außenpolitischen Situation und der sich daraus für die Bundesrepublik ergebenden Aufgaben wiederum von der Auffassung ausgegangen, daß sich in der internationalen Situation in den letzten Monaten nichts Entscheidendes geändert habe. Sie sind der Meinung, daß es darum auch nicht nötig ist, die bisherige Außenpolitik der Bundesrepublik zu überprüfen und nach neuen Ansatzpunkten und Aufgaben für die Außenpolitik der Bundesregierung zu suchen. Wir Sozialdemokraten halten diese Taktik und diese Politik für falsch und für außerordentlich gefährlich; denn sie bedeuten den Verzicht auf die Möglichkeiten, die Bundesrepublik in die gegenwärtigen Besprechungen und Verhandlungen über eine internationale Entspannung einzuschalten und dabei auch neue Ansatzpunkte für eine positive Förderung unseres vordringlichsten Anliegens, nämlich der Wiederherstellung der deutschen Einheit, zu finden.
Unsere Auffassung gründet sich auf zwei Tatsachen. Die erste ist die, daß die Einbeziehung der Bundesrepublik in NATO die Aussichten für die Wiederherstellung der deutschen Einheit wesentlich verschlechtert und die Verwirklichung dieses Zieles außerordentlich erschwert hat.
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Der Herr Bundeskanzler hat kürzlich an dieser Stelle erklärt, in der Frage der Wiedervereinigung seien in den letzten Monaten Fortschritte erzielt worden. Aber weder der Herr Bundeskanzler noch der Herr Außenminister haben gestern diese Behauptung durch irgendeinen konkreten Beweis belegen können.
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Der Herr Bundeskanzler hat vielmehr in seinem Interview vom Dienstag mit aller Eindeutigkeit und Schärfe die uneingeschränkte Fortsetzung seiner bisherigen Außenpolitik für notwendig erklärt und jede Diskussion über eine Revision des Verhältnisses der Bundesrepublik zu NATO im Interesse einer Lösung der Deutschlandfrage mit Entschiedenheit abgelehnt. Meine Damen und Herren, in der heutigen Situation bedeutet das Festhalten an einer solchen Politik praktisch den Verzicht auf die Wiedervereinigung,
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und über diesen Tatbestand können alle Erklärungen über angebliche Fortschritte in der Frage der Wiedervereinigung nicht hinwegtäuschen. Sie sind reine Deklamationen, die die öffentliche Meinung unseres Volkes irreführen müssen.
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Der zweite Tatbestand, auf den sich unser Urteil über die falsche Außenpolitik der Bundesregierung und ihre Gefährlichkeit für die deutschen Interessen gründet, liegt darin, daß der Herr Bundeskanzler und die Bundesregierung mit Starrheit an einer außenpolitischen Konzeption festhalten, die immer mehr in Widerspruch mit den Realitäten in der internationalen Politik gerät. Der Herr Bundeskanzler müßte diese Überzeugung selbst am stärksten gewonnen haben auf Grund seiner Erfahrungen während seines letzten Aufenhalts in den Vereinigten Staaten. Wir teilen das positive Urteil des Herrn Außenministers über die USA-Reise des Herrn Bundeskanzlers nicht. Das politische Resultat dieser Reise ist doch, daß der Versuch des Bundeskanzlers gescheitert ist, von der amerikanischen Regierung bindende Zusagen zu erhalten, die bisherige Außenpolitik der amerikanischen Regierung, vor allem auch in bezug auf die Haltung gegenüber der Sowjetunion. unverändert und uneingeschränkt fortzusetzen. Im Gegenteil, gerade in der Zeit um die Amerikareise des Herrn Bundeskanzlers sind in Amerika offizielle und offiziöse Stimmen laut geworden, die eine Neuorientierung der amerikanischen auswärtigen Politik für notwendig halten. Man glaubt, daß es an der Zeit ist. auf die neuen Methoden der russischen Außenpolitik eine entsprechende Antwort der westlichen Welt zu finden, da die vorwiegend militärische Betrachtung der Dinge der Lage nicht mehr gerecht wird und da auch die Fortsetzung des Kalten Krieges den Kern der Auseinandersetzungen zwischen West und Ost nicht mehr trifft.
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Diese Überlegungen haben ein außerordentlich starkes Echo in der amerikanischen Öffentlichkeit gefunden, und angesehene Blätter und Publizisten suchen in freimütiger und offener Weise nach
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neuen Aspekten der amerikanischen Außenpolitik, vor allem auch in der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands. Ich verzichte hier auf Zitate; aber ich denke an Blätter wie die „Washington Post" und an Publizisten vom Range eines Walter Lippmann. Die Folge ist, daß die verschiedenen Stellungnahmen des Herrn Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten, die alle in der Forderung gipfelten, nichts an der bisherigen Haltung zu ändern und die Außenpolitik mit den bisherigen Mitteln der Politik der Stärke und des Kalten Krieges fortzuführen, ein überwiegend negatives Echo in der öffentlichen Meinung Amerikas gefunden haben.
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Dabei handelt es sich nicht nur um eine Wandlung der Vorstellungen in der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern wir finden ähnliche Betrachtungen und Überlegungen in allen westeuropäischen Staaten. Ich verweise nur auf die Pläne der britischen und der französischen Regierung, für Anfang nächsten Jahres, nach den amerikanischen Präsidentenwahlen, eine neue Vierer-Konferenz abzuhalten, um eine Möglichkeit zu schaffen, sich gemeinsam über eine neue Situation auseinanderzusetzen.
Und schließlich - der Herr Bundesaußenminister hat gestern selbst auf diesen Umstand hingewiesen -: die wichtigste Tatsache in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung der Außenminister der NATO, des Kernstücks der bisherigen Konzeption der westlichen Außenpolitik. auf ihrer letzten Konferenz in Paris, angesichts der veränderten Situation in der Welt die Möglichkeiten der Ausweitung der Zusammenarbeit der NATO-Mächte auf das politische und wirtschaftliche Gebiet zu untersuchen. Die Beauftragung der Außenminister von Kanada, Italien und Norwegen mit der Ausarbeitung von Vorschlägen in dieser Richtung ist doch der sichtbarste und bedeutsamste Beweis, wie sehr die Dinge in Fluß gekommen sind.
Sicher, diese neue Entwicklung ist durch verschiedene Faktoren in der internationalen Politik ausgelöst worden, und wir wollen nicht vergessen
keinen Augenblick -: eine hervorragende Rolle spielt dabei die schnelle Entwicklung der modernen Massenvernichtungswaffen und dabei vor allem die Tatsache, daß die Sowjetunion zweifellos in der letzten Zeit so viel in ihrer wissenschaftlichen. technischen und produktionsmäßigen Leistung auf diesem Gebiet aufgeholt hat, daß sie sich in der Lage glaubt, über alle Probleme der internationalen Politik - auch mit den Vereinigten Staaten - auf der Basis von gleichwertigen Partnern verhandeln zu können.
Die Konsequenz, die die Sowjetregierung aus dieser Entwicklung gezogen hat und weiterhin zieht, ist der Versuch, mit den Mitteln einer großangelegten diplomatischen, politischen und psychologischen Offensive zu einer friedlichen Regelung der Beziehungen mit der westlichen Welt zu kommen. die ihr ein Höchstmaß von Sicherheit verschafft und die die Gefahr eines dritten Weltkrieges auf ein Minimum reduziert.
Die Preisgabe des Stalinkurses der russischen Kommunistischen Partei findet in dieser Weise ihren Ausdruck in der russischen Außenpolitik. Das bedeutet sicher nicht, daß die Sowjetunion das bolschewistische System aufgegeben hat. Es bedeutet auch nicht, daß die Sowjetunion darauf verzichtet, ihre eigenen Vorstellungen zu vertreten und ihr Einflußgebiet in der Welt zu behaupten und wenn möglich zu erweitern. Es bedeutet aber, daß die Möglichkeiten für Verhandlungen über eine Entspannung in der Welt und für eine Politik des friedlichen Nebeneinanderlebens der Völker ohne Rücksicht auf das innere System der Völker heute größer sind als vor einigen Jahren.
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Das aber ist eine entscheidende Wandlung der Weltsituation gegenüber der Lage zur Zeit des Koreakrieges,
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und wenn irgend jemand Konsequenzen aus diesem Tatbestand ziehen sollte, dann, glaube ich, sollte es das deutsche Volk sein, hier vertreten durch die Bundesrepublik.
Und schließlich: Die Veränderung der Lage, die Vergrößerung der Chancen für eine friedliche Entwicklung haben ja auch noch eine andere Ursache. Sie liegt nämlich in der beklemmenden Entwicklung der Kriegstechnik, die einen Zwang zu einer Politik der Entspannung in sich birgt, wenn nicht alle Völker untergehen wollen.
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Alle verantwortlichen Regierungen in der Welt, vor allem auch die amerikanische, stehen vor der einfachen Erkenntnis, daß im Interesse der Verhinderung der Vernichtung der Zivilisation und der Menschheit ein neuer Krieg vermieden werden muß.
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Ich finde, daß wir diese zentrale Überlegung in den Regierungen der anderen Länder bei der Beurteilung der Lage und unserer Möglichkeiten nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Ich bin sicher, daß diese Tatbestände in den nächsten Monaten die internationale Politik aller Großmächte entscheidend bestimmen werden.
Wir meinen, in dieser Lage ist es unmöglich, daß die Bundesregierung einfach an den Grundsätzen und Vorstellungen einer Politik festhält, die unter ganz anderen Voraussetzungen, zur Zeit des Koreakrieges, durch die amerikanische Regierung eingeleitet wurde und der sich damals die Bundesregierung vor allem hinsichtlich der Aufrüstung der Bundesrepublik entgegen unserer Warnung vorbehaltlos angeschlossen hat. Das Beharren auf dieser Haltung kann nur zur völligen Isolierung der Bundesrepublik in der internationalen Politik führen.
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Außerdem wird dadurch die Gefahr vergrößert - ich möchte es offen sagen -, daß in den Bemühungen um eine internationale Entspannung die Lösung des deutschen Problems ausgeklammert wird und daß es für unabsehbare Zeit bei der Spaltung Deutschlands bleibt.
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Unter diesen Umständen muß man sagen: Das Bedeutsamste in der gestrigen Regierungserklärung ist die Tatsache, daß sie nichts über neue Schritte der Bundesregierung enthält, um die Wiedervereinigungsfrage wieder ins Gespräch zu bringen. Der Herr Außenminister hat zwar eine Note an die Vier Mächte angekündigt, in der die Vier Mächte - soweit wir seine Andeutungen über den
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Inhalt der Note verstanden haben - noch einmal auf ihre Verpflichtungen hinsichtlich der Einheit Deutschlands aufmerksam gemacht werden sollen. Aber Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß in dieser Lage ein solcher neuer moralischer Appell nicht die Möglichkeit schafft, über den toten Punkt in der Wiedervereinigungsfrage hinwegzukommen.
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Die Beschränkung der Bundesregierung auf diesen mehr als mageren Vorschlag bedeutet, daß die Bundesregierung in einer der bedeutsamsten Perioden der Entwicklung in der internationalen Politik, die wir seit vielen Jahren erleben, ihre Aufgabe in der Wiedervereinigungsfrage darin sieht, daß sie nichts tun will.
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Eine solche Haltung bedeutet in der Praxis, daß die Regierung sich mit dem Scheitern ihrer Außenpolitik, die in der Wiederaufrüstung der Bundesrepublik das beste und einzige Mittel zur Wiederherstellung der deutschen Einheit sah, abfindet und damit auch abfindet mit der Fortdauer der Spaltung Deutschlands auf eine unabsehbare Zeit.
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Meine Damen und Herren, das deutsche Volk in beiden Teilen Deutschlands - das ist meine feste Überzeugung - wird sich mit einer solchen Haltung nicht abfinden.
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Wenn der Herr Bundeskanzler, die Bundesregierung und die Restkoalition in diesem Hause
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sich nicht in der Lage sehen, die Außenpolitik der Bundesrepublik den veränderten Umständen anzupassen, dann ist es Zeit, daß sie diese Aufgabe einem neuen Bundestag und einer neuen Bundesregierung überlassen.
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Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls der Auffassung, daß der Augenblick gekommen ist, in dem eine neue Außenpolitik der Bundesrepublik eingeleitet werden muß. Sie muß von den jetzt gegebenen Tatbeständen ausgehen, und sie darf sich nicht in der einfachen Wiederholung früherer Formulierungen und Forderungen erschöpfen. Die Forderung nach freien Wahlen in allen vier Zonen und in Berlin als Grundlage für die Wiederherstellung der deutschen Einheit bleibt nach wie vor richtig und unantastbar.
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Aber, meine Damen und Herren, eine Politik, die heute - nach der Genfer Konferenz - darauf besteht, daß die Sowjetunion von vornherein freie Wahlen in ganz Deutschland und die Zugehörigkeit eines wiedervereinigten Deutschlands zur NATO akzeptieren muß, ist unrealistisch, weil diese Politik zu keinem positiven Resultat führen kann.
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Wir müssen den neuen Ausgangspunkt für eine Diskussion über die Wiedervereinigung mit allen vier beteiligten Mächten auf der Ebene der internationalen Verhandlungen über Entspannung und Sicherheit zu finden suchen.
Im Rahmen der Versuche, zwischen West und Ost eine Befriedung der Beziehungen zwischen den
Völkern der Welt und in Europa zu finden, ist die Frage des internationalen militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands von entscheidender und höchst aktueller Bedeutung. Wir können das primäre Verlangen aller Völker nach Sicherheit und Frieden nur dann mit unserem Interesse an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands in Einklang bringen, wenn wir Deutschen selber den beteiligten Mächten konkrete Vorschläge für den zukünftigen internationalen militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands unterbreiten. Die Bundesrepublik muß die Initiative nehmen, um festzustellen, welche Vorstellungen alle Beteiligten von dem Status eines wiedervereinigten Deutschlands in einem europäischen Sicherheitssystem haben, das sowohl vom Westen wie vom Osten akzeptiert werden kann. Ein solcher Vorschlag schließt ein die Bereitschaft der Bundesrepublik, auch die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in NATO zur Debatte zu stellen, wenn auf einer neuen und umfassenderen Ebene mit Zustimmung aller Beteiligten eine befriedigendere Regelung der Sicherheitsfrage für die europäischen Völker und für das deutsche Volk erreicht werden kann. Selbstverständlich ist in solchen Verhandlungen auch die Mitgliedschaft der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands im Warschauer Pakt in der gleichen Weise zur Diskussion zu stellen.
Dieser Vorschlag der Sozialdemokratie, der Einbau eines wiedervereinigten Deutschlands in ein europäisches Sicherheitssystem, ist nicht neu. Aber Sie werden mir zugeben, daß seine Bedeutung heute darin liegt, daß er in den Bemühungen um internationale Entspannung ein ungleich größeres Gewicht bekommen hat, als er es vor zwei Jahren hatte, als er auch hier in diesem Hause noch als eine illusionäre Vorstellung abgetan wurde.
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Was wir also verlangen, ist, daß die Bundesregierung einen solchen Vorschlag ausarbeitet - sie ihn ausarbeitet! - und ihn als ihren Vorschlag den beteiligten vier Mächten mit der Bitte um Verhandlungen über ihn unterbreitet. Eine solche Initiative bedeutet keine Verletzung unserer Verträge und Verpflichtungen gegenüber den westlichen Vertragspartnern; denn die Verträge selbst sehen Untersuchungen über Veränderungen der Verträge und Verpflichtungen vor für den Fall, daß wesentliche Veränderungen in der internationalen Situation eingetreten sind. Daß das aber heute der Fall ist, wird wohl außerhalb Bonns von niemandem mehr ernsthaft bestritten.
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Eine derartige Verhandlung über die internationale Position eines wiedervereinigten Deutschlands setzt aber nicht nur Verhandlungen mit den westlichen Vertragspartnern voraus, sondern auch eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Hier stehen wir vor einem der trübsten Kapitel der Außenpolitik der Bundesrepublik in den letzten Monaten.
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Die Lage ist geradezu phantastisch. Einstimmig hat der Bundestag im vorigen Herbst auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion beschlossen. Der Herr Bundeskanzler hat die Vereinbarungen über diesen Schritt in Moskau in voller Kenntnis der Verhältnisse in der Sowjetunion und
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unter dem Eindruck persönlicher Beziehungen mit den maßgebenden Männern der Moskauer Regierung unterschrieben. Er hat damals sehr anerkennende Worte über die Qualität der Männer gefunden, die heute das bolschewistische Regime in der Sowjetunion repräsentieren, das allerdings der Herr Bundeskanzler in seiner Kölner Rede wieder einmal als den „Todfeind" bezeichnet hat.
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Der Herr Bundeskanzler hat die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion nicht nur als notwendig, sondern auch als nützlich für unsere Wiedervereinigungspolitik bezeichnet.
Aber seit dem Austausch der Diplomaten auf Grund dieses Abkommens ist von der Bundesregierung nicht das geringste geschehen, um die hier gegebenen Möglichkeiten diplomatischer Kontakte in Bonn und Moskau auszunutzen zur Klärung der beiderseitigen Standpunkte und mindestens zu der vorbereitenden Feststellung, ob die Sowjetunion bereit wäre, über einen konkreten Vorschlag über den zukünftigen internationalen Status eines wiedervereinigten Deutschlands zu verhandeln. Im Gegenteil, als der Herr Außenminister kurz nach der Ankunft unseres Botschafters in Moskau zu seinem ersten Bonner Besuch nach der Übernahme seines Amtes in Moskau ankündigte, man werde dem deutschen Botschafter Vorschläge für Unterhaltungen mit der Sowjetregierung in der Wiedervereinigungsfrage mitgeben, blieb diese sehr begrüßenswerte Initiative sofort an dem entschiedenen Widerstand des Herrn Bundeskanzlers hängen, und Herr Haas ging mit leeren Händen nach Moskau zurück.
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Offensichtlich hat der Herr Bundeskanzler zumindest die Vorstellung, man soll die Beziehungen zwischen Bonn und Moskau zunächst einmal auf Eis legen. Meine Damen und Herren, die Konsequenzen dieser Haltung für die großen Fragen der deutschen Politik werden sich noch zeigen. Aber im täglichen Ablauf der Dinge führt diese Politik zu geradezu tragikomischen Situationen. Ich meine hier die Kontroverse, die gestern der Herr Außenminister auch schon erwähnt hat und die entstanden ist im Zusammenhang mit der Wiedergabe von Äußerungen des französischen Ministerpräsidenten durch den Herrn Bundeskanzler über Äußerungen des Herrn Chruschtschow im Zusammenhang mit der deutschen Frage. Da gab es Erklärungen und Gegenerklärungen in Bonn und Paris, da gab es offiziöse Stellungnahmen in Moskau und in Bonn, kurzum, man dementierte und deklarierte so lange, bis die letzte Klarheit restlos verschwunden war.
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Man bot damit der Welt ein deprimierendes Schauspiel, statt den einfachsten Weg zu wählen und unseren Botschafter in Moskau zu beauftragen, an Ort und Stelle eine authentische Auskunft bei den Beteiligten einzuholen.
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Hier wird doch die Starrheit in der Politik zur Lächerlichkeit.
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Diesen Eindruck hat auch die gestrige Erklärung
des Herrn Außenministers nicht beseitigen können.
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- Nun, meine Damen und Herren, wir sind ja in dieser Beziehung einiges gewöhnt.
Wenn man glaubt, auf diese Weise und auch durch das Verhalten gegenüber dem russischen Botschafter in Bonn der russischen Regierung das Nichtinteresse der Bundesregierung an Gesprächen mit Moskau deutlich zu machen, dann muß man sich darüber klar sein, daß sich ein solches Verhalten nur zum Nachteil der deutschen Sache, vor allem der Sache der Wiedervereinigung, auswirken kann. Das Problem der Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und einem Land wie der Sowjetunion ist an sich schon sehr belastet durch die unüberbrückbaren Gegensätze in bezug auf die innere Struktur und die politischen Grundvorstellungen der beiden Länder. Es ist deshalb töricht, sie noch weiter zu komplizieren und dabei einfach die Tatsache zu ignorieren, daß es ohne ein korrektes Verhältnis zur Sowjetunion keine Wiedervereinigung geben wird.
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Wir Sozialdemokraten halten die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Moskau auch heute noch für richtig und notwendig, weil nur auf diesem Wege das unvermeidliche Gespräch über die deutsche Frage wieder in Gang gebracht werden kann. Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie unverzüglich die Normalisierung dieser Beziehungen durch Ausnutzung aller auf diplomatischem Gebiet liegenden Möglichkeiten vornimmt.
Wir halten es darüber hinaus für notwendig, daß die Bundesrepublik auch in Verhandlungen mit der Sowjetregierung eintritt, um die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern zu normalisieren und auszubauen. Es ist ein unhaltbarer Zustand und es ist auch eine unaufrichtige Politik, wenn man auf der einen Seite zuläßt, daß sich in wachsendem Maße wirtschaftliche Beziehungen deutscher Unternehmungen in der Bundesrepublik mit der Sowjetunion entwickeln, und auf der anderen Seite sich weigert, diese Beziehungen durch den Abschluß eines Handelsabkommens zu normalisieren.
({61})
Abgesehen davon, daß auf diese Weise die beiderseitigen Beziehungen der Völker auf der Grundlage eines besseren Verständnisses ausgebaut werden könnten, ist es auch die Aufgabe der Regierung, durch ein derartiges Handelsabkommen selber die Übersicht über die wirtschaftlichen Beziehungen im Lande zu behalten. In jedem Fall ist es notwendig, unser Verhältnis zur Sowjetunion so zu regeln, daß wir über gemeinsame Angelegenheiten der beiden Völker in der gleichen Weise auf diplomatischem Wege mit der Sowjetregierung sprechen und verhandeln können, wie wir es mit den anderen an der Deutschlandfrage beteiligten Mächten tun.
Ein anderer Punkt, meine Damen und Herren. Eine neue Außenpolitik der Bundesrepublik muß auch das Verhältnis der Bundesrepublik zu den osteuropäischen Staaten neu zu regeln suchen. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß diese Staaten
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bemüht sind, in einen engeren Kontakt mit den westlichen Ländern und auch mit der Bundesrepublik zu kommen. Diese Auswirkung des neuen außenpolitischen Kurses der Sowjetunion und der kommunistischen Parteien in den osteuropäischen Ländern ist für die weitere europäische Entwicklung von besonderer Bedeutung. Es ist sicher verfrüht, heute schon ein abschließendes Urteil über die Auswirkungen dieses neuen Kurses auf die europäische und internationale Politik zu fällen; aber die Tatsache einer gewissen Auflockerung der Situation auch in diesem Teil Europas ist unbestreitbar.
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Nach unserer Auffassung gibt es für die Bundesrepublik in einer Zeit, in der auf internationalem Feld jeder mit jedem redet und den Versuch macht, die Beziehungen zueinander besser zu gestalten, ein unmittelbares Interesse daran, möglichst mit allen Staaten normale Beziehungen zu unterhalten, um in die internationale Diskussion auch auf dieser Ebene mehr eingeschaltet zu sein, als es heute der Fall ist. Ein solcher Schritt der Bundesrepublik kann keinesfalls als eine unfreundliche Haltung ,der Bundesrepublik gegenüber unseren westlichen Partnern ausgelegt werden, denn sie selbst unterhalten seit langem solche diplomatischen Beziehungen zu allen diesen Staaten, und diese Beziehungen sind in der letzten Zeit im Zuge der neuen Entwicklung wesentlich intensiviert worden.
Natürlich gibt es für die deutsche Politik dabei besondere Probleme, die sich aus der Spaltung Deutschlands und aus dem Fehlen einer friedensvertraglichen Regelung der Grenzfragen ergeben. Die Normalisierung der Beziehungen zu den Ostblockstaaten kann und darf keine Anerkennung der Spaltung Deutschlands und keine Anerkennung der vorläufigen Grenzen im Osten Deutschlands bedeuten.
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Aber, meine Damen und Herren, die Bundesrepublik hat vor dem gleichen Problem bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion gestanden, und der Herr Bundeskanzler hat uns hier seinerzeit dargelegt, daß diese Schwierigkeiten nach seiner Überzeugung ausgeräumt worden sind durch den besonderen Brief, den er damals der russischen Regierung nach Abschluß der Vereinbarungen übermittelt hat und in dem die Vorbehalte ausdrücklich festgelegt worden sind. Eine solche Regelung wäre auch in den Fällen möglich, in denen wir diese Vorbehalte gegenüber anderen Staaten noch zu machen haben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist im Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Außenministers der Meinung, daß die Normalisierung der Beziehungen zu osteuropäischen Ländern zunächst zu den Ländern in Angriff genommen werden sollte, die wie Polen und die Tschechoslowakei unmittelbar ,an Deutschland angrenzen. Es ist auch eine Frage von Verhandlungen, in welcher Weise die Normalisierung in Gang gebracht wird. Es gibt hier verschiedene praktisch erprobte Möglichkeiten der gegenseitigen Vertretung, deren Ausnutzung zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen führen könnte.
Es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, der vom deutschen Standpunkt aus für die Aufnahme solcher Beziehungen spricht. In fast allen Ländern
Osteuropas leben noch eine große Zahl von Deutschen, die in der Vergangenheit ihre Existenz unter sehr schweren Bedingungen fristen mußten. Viele von ihnen haben den Wunsch, mit ihren jetzt in der Bundesrepublik lebenden Angehörigen wieder in einen persönlichen Kontakt zu kommen. Die Schaffung deutscher Vertretungen in diesen Ländern würde daher nicht nur die Möglichkeit der Erweiterung der Beziehungen zu diesen Ländern im allgemeinen bieten, sondern sie könnte auch eine Hilfe für diese deutschen Menschen sein.
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In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine andere Forderung an die Bundesregierung richten, nämlich das seit langem vorbereitete und praktisch fertiggestellte Handelsabkommen mit der chinesischen Regierung in Peking zu unterzeichnen und die Unterzeichnung nicht wegen Formalitäten und Meinungsverschiedenheiten über den zweckmäßigsten Ort der Unterzeichnung weiter zu verzögern. Das Interesse, das hier vom Standpunkt der deutschen Wirtschaft im Spiel ist, liegt auf der Hand. Im übrigen gelten für eine solche Entscheidung auch alle die anderen Gründe, die dafür sprechen, daß die Bundesrepublik in der Ausgestaltung ihrer Beziehungen zu allen Völkern der Welt aktiv wird.
Zu einer solchen neuen Außenpolitik gehört selbstverständlich auch das innerdeutsche Problem der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Wir haben kürzlich in diesem Hause eine ausführliche Debatte über die Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bevölkerung in der Zone und in der Bundesrepublik gehabt. Ich denke, wir werden in den Ausschüssen des Parlaments die Einzelmaßnahmen noch sehr eingehend zu besprechen haben. Es ist unsere Auffassung - um das noch einmal zu sagen -, daß von der Bundesrepublik das Höchstmaß dessen getan werden sollte, was notwendig ist, um die wirtschaftlichen, die kulturellen und persönlichen Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands so eng wie nur möglich zu gestalten.
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Dieses Bemühen um das möglichst enge Zusammenleben der beiden Teile Deutschlands ist ein wesentlicher Bestandteil jeder ernsthaften Anstrengung der deutschen Politik im Hinblick auf die Wiedervereinigung.
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Zweifellos ist die Diskussion über diesen Fragenkomplex belastet mit der Forderung der sowjetischen Regierung und der Machthaber in Pankow, die Lösung der Deutschlandfrage auf der Ebene direkter Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow zu betreiben. Der Herr Außenminister hat gestern ausführlich zu diesem Komplex Stellung genommen.
Die Sozialdemokratische Partei hält an ihrer Auffassung fest, daß Verhandlungen über das zentrale politische Problem der Wiedervereinigung zwischen Bonn und Pankow nicht möglich sind. Es geht nicht allein darum, daß wir die demokratische Legitimation des Pankower Regimes bestreiten. Wenn wir die Verlagerung der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands auf die innerdeutsche Ebene, die Übertragung der Lösung dieser Aufgabe an die Deutschen selbst, vertreten durch die Regierungen in Bonn und in Pankow, zuließen, würde das bedeuten, daß wir die Vier Mächte aus der von ihnen selbst übernom({68})
menen und immer wieder feierlich anerkannten Verpflichtung entlassen, für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zu wirken.
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Die Wiederherstellung der deutschen Einheit kann nicht ohne die Deutschen erfolgen; aber sie ist auch nur möglich, wenn die Vier Mächte unter Mitwirkung der Deutschen das entscheidende Wort für die Wiederherstellung der deutschen Einheit durch eine Vereinbarung zwischen ihnen selbst sprechen.
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Meine Damen und Herren, ich habe in dieser Rede mit so großem Nachdruck die Notwendigkeit einer aktiven Wiedervereinigungspolitik der Bundesrepublik unterstrichen, damit niemand den Vorwurf erheben kann, wir wollten eine Politik, die anderen die Lösung unseres wichtigsten nationalen Problems überläßt oder ihnen allein die Verantwortung zuschiebt.
Wir haben unseren Teil zu leisten, und wir machen der Bundesregierung ja gerade den Vorwurf, daß sie nicht genug tue. Aber die Verlagerung der Wiedervereinigungsbemühungen auf die Ebene Bonn-Pankow birgt für das deutsche Volk die Gefahr in sich, daß die Kräfte in der internationalen Politik gestärkt werden, die die Fortführung der internationalen Entspannungspolitik unter Umständen auch unter Ausklammerung der deutschen Frage betreiben möchten.
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Es ist unsere feste Überzeugung, daß Entspannung und Sicherheit in Europa nicht denkbar sind unter Beibehaltung der Spaltung Deutschlands, und es ist daher auch ein europäisches und internationales Interesse, die vier beteiligten Mächte aktiv an der Lösung dieses Problems in jedem Stadium der internationalen Entwicklung zu beteiligen.
Meine Damen und Herren, es ist verständlich, daß die Herren von Pankow die Losung „Deutsche an einen Tisch" mit besonderer Lautstärke verkünden. Für sie wäre ja eine solche Politik die denkbar größte Stärkung ihrer Position.
Das hat bei dem gegenwärtigen Entwicklungsprozeß, der durch die Neuorientierung der kommunistischen Politik eingeleitet worden ist, gerade für die kommunistische SED in der Zone noch eine besondere Bedeutung. Die kommunistische SED in der Sowjetzone ist die Partei, die bisher die geringfügigsten Konsequenzen aus der Anti-StalinPolitik gezogen hat. Die hervorragendsten Repräsentanten der Stalin-Periode sind in der Sowjetzone noch immer im vollen Besitz ihrer Macht.
Ganz abgesehen von der Frage, welche Bedeutung die neue kommunistische Haltung für die zukünftige Politik der kommunistischen Parteien in der Welt haben wird, kann es den demokratischen Kräften in der Bundesrepublik nicht zugemutet werden, in diesem Stadium der Entwicklung durch direkte Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow die hervorragendsten Exponenten einer auch nach kommunistischen Vorstellungen überholten Politik jetzt noch zu stützen.
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Wir sind uns darüber klar, daß im Zuge aller zukünftigen Verhandlungen zwischen den Vier Mächten und zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion die Rolle von Pankow immer von neuem ins Spiel gebracht werden wird. Es ist auch kein Zweifel darüber, daß im Zuge einer Realisierung eines Wiedervereinigungsprogramms die praktische Durchführung zwischen Vertretern beider Teile Deutschlands ausgehandelt werden muß. Aber solche Verhandlungen sind nach unserer Auffassung nur denkbar, wenn sie im Rahmen einer prinzipiell vereinbarten und festgelegten Regelung durch die Vier Mächte und auf der Basis und im Rahmen dieser grundsätzlichen Vereinbarungen erfolgen.
Im übrigen wird die Rolle von Pankow in der deutschen Politik nicht zuletzt davon abhängen, welches Maß von Aktivität in der deutschen Frage die Bundesrepublik selbst entfaltet.
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Jede Passivität, jedes Laufenlassen der Dinge, wie es jetzt die Politik der Bundesregierung ist, muß den sogenannten Verhandlungswert der Pankower Machthaber erhöhen.
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Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort sagen über einen auch denkbaren und nützlichen Beitrag - deutschen Beitrag - zur Förderung der Entspannung und zur Erhöhung der Aussichten für die Lösung des Deutschlandproblems. Es handelt sich ganz einfach um die Frage, ob und in welcher Weise die Bundesrepublik einen Beitrag zur Reduzierung der Rüstungen leisten kann. Auch der Herr Bundesaußenminister hat sich gestern mit der Note beschäftigt, die der russische Ministerpräsident Bulganin den Westmächten und der Bundesrepublik übermittelt hat und in der er die Reduzierung der russischen Streitkräfte in Rußland und in der Sowjetzone notifiziert und die Westmächte und die Bundesrepublik aufgefordert hat, mit entsprechenden Schritten auch bei den auf deutschem Boden stehenden Streitkräften zu folgen. In der Note an die Bundesregierung ist bemerkenswerterweise auch der Satz enthalten, daß ein solcher Schritt dazu beitragen könnte, die Wiedervereinigung Deutschlands zu erleichtern.
Meine Damen und Herren, ich will hier in keine Untersuchung darüber eintreten, welche militärische Bedeutung die Reduzierung der Truppenstärken in der Sowjetunion hat, um so weniger als eine Kontrolle dieser Maßnahme nicht möglich ist. Die Veränderungen in der Kriegstechnik haben in allen Ländern auch ihre Rückwirkungen auf die Stärken der sogenannten konventionellen Streitkräfte gehabt. Aber wie immer man unter diesem Gesichtspunkt diesen Schritt bewertet, in jedem Fall ist ein Schritt erfolgt, der eine Erleichterung der Lage bedeutet und den daher niemand achtlos ohne genaueste Prüfung beiseite schieben kann, der ein Interesse daran hat, daß wir jede Möglichkeit ausnutzen, zu einer Entspannung und zu einer Beschränkung der Rüstungen zu kommen.
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Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, sofort nach Empfang dieser Note ein eindeutig negatives Urteil zu fällen. Ich glaube, er wäre besser beraten gewesen, wenn er mit seiner Stellungnahme etwas gewartet hätte; denn dann hätte er sich wenigstens in diesem Falle an der Stellungnahme des amerikanischen Außenministers Mr. Dulles ein Beispiel nehmen können. Herr Dulles war es, der wenige Tage später erklärte, die amerikanische Regierung
({76})
werde die russische Note sehr aufmerksam durch das State Departement, durch das Kriegsministerium und durch den Sonderbeauftragten des Präsidenten für Abrüstungsfragen, Mr. Stassen, prüfen lassen. Daß die amerikanische Regierung die Angelegenheit wesentlich ernster nimmt, geht ja auch daraus hervor, daß sie die vom Herrn Bundeskanzler vorgeschlagene gemeinsame negative Beantwortung der Note abgelehnt hat. Die Bemerkungen, die gestern der Außenminister zu diesem Punkt im Zusammenhang mit den Pariser Besprechungen gemacht hat, sind eine Bestätigung dieser Feststellung.
Die Folge dieser Art von Politik ist z. B., daß sich Herr Dr. Adenauer von einer großen amerikanischen Zeitung sagen lassen muß, er sei jetzt mehr Dulles als Mr. Dulles selbst.
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- Sie hat es erklärt.
(
Ist ja gar nicht wahr!)
- Aber bestimmt! Ich habe jedenfalls solche Erklärungen gelesen. - Im Grunde genommen offenbart dieser Vorgang das Kernstück der gegenwärtigen außenpolitischen Konzeption des Herrn Bundeskanzlers. Er will unter keinen Umständen auch nur eine Diskussion über die Abrüstung, solange die deutschen Streitkräfte nicht voll aufgebaut sind.
Die Konsequenz dieser Haltung haben wir gerade heute bei der Debatte über die Tagesordnung des Plenums in der nächsten Woche erlebt. In geradezu grotesker Weise, ohne jeden stichhaltigen Grund aus der Sache oder aus der internationalen Situation heraus, besteht die CDU-Fraktion auf der Verabschiedung des Wehrpflichtgesetzes in der nächsten Woche. Meine Damen und Herren, Sie wissen genauso gut wie wir, daß von der Sache her auch für Ihre Vorstellungen in bezug auf die Aufstellung deutscher Streikräfte nichts Nachteiliges geschähe, wenn dieses Gesetz im Herbst, nach den Ferien in aller Ruhe beraten und beschlossen würde.
({0})
Aber Sie sind natürlich, Herr Dr. Krone, in einer Zwangslage wie im vorigen Jahr. Damals hat der Bundeskanzler gesagt: „Ich brauche das Freiwilligengesetz für die Genfer Konferenz der vier Staatsmänner." Darauf haben Sie es beschlossen. Es hat keinen Wert für die internationalen Verhandlungen gehabt, und es hat hier ein Vierteljahr, bis in den Herbst, im Schreibtisch gelegen, ehe irgend etwas geschehen ist.
({1})
Und diesmal, meine Damen und Herren, müssen Sie es tun, weil der Herr Bundeskanzler ja nach Amerika nicht nur die 650 Millionen DM Stationierungskosten, sondern auch die Zusage der Verabschiedung dieses Gesetzes mitnehmen wollte.
({2})
Das ist keine Politik, die sich aus der Situation entwickelt, vor der wir heute stehen.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen eines sagen; ich weiß, daß es ohne Wirkung bleibt, ich sage es trotzdem, weil es sich in den vergangenen Jahren, auch wenn wir hier in der Minderheit bileben und Sie ohne Einsicht in unsere Argumente unsere Vorschläge ablehnten, als nützlich erwiesen hat, auch in einer solchen Situation die Konsequenzen aufzuzeigen, die wir befürchten. Es ist nicht gut, daß ausgerechnet die Bundesrepublik in diesem Stadium der internationalen Entwicklung ein Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht beschließt, wo jeder von Ihnen weiß, daß Länder, an deren Treue zur NATO, an deren Bereitschaft zur Verteidigung des Westens nicht der geringste Zweifel erlaubt ist, wie z. B. Großbritannien, ernsthaft die Frage erwägen, die Dienstpflicht durch eine Ordnung auf der Ebene des Berufsheeres abzulösen. Müssen wir da eine so schicksalsschwere Frage jetzt unter dem Vorzeichen all der Diskussionen um die Abrüstung entscheiden? Darauf gibt es keine befriedigende Antwort.
({3})
Das nächste, meine Damen und Herren! Sie werden erleben, daß, wenn Sie mit Ihrer Mehrheit dieses Gesetz jetzt annehmen sollten, auch in der Sowjetzone die allgemeine Wehrpflicht kommt.
({4})
- Entschuldigen Sie! Tut mir leid, - das ist objektiv nicht richtig.
({5})
Es ist ein großer Unterschied, meine Damen und Herren, ob Sie durch Gesetz festlegen, daß jeder junge Deutsche in beiden Teilen Deutschlands zur Armee eingezogen wird, oder ob Sie Formationen militärischer Art haben, wie sie jetzt in der Volkspolizei in der Zone bestehen.
({6})
- Meine Damen und Herren, ich rede ja nicht über die militärische Bedeutung;
({7})
ich mache Sie nur darauf aufmerksam, daß die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in beiden Teilen Deutschlands unweigerlich die Vertiefung der Zonengrenze in der Richtung zur Staatsgrenze nach sich ziehen muß.
({8})
Und wenn Sie der Meinung sind, das sei alles
nicht richtig, weil es für absehbare Zeit keine realen Möglichkeiten in der Wiedervereinigung gebe,
- gut, dann sollen Sie es sagen, damit wir wissen, wo wir stehen, Sie und wir!
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Es gibt auch eine andere Überlegung - die Sie sicher nicht akzeptieren werden - als die, jetzt um jeden Preis und unter allen Umständen die Pariser Verträge zu erfüllen. Zum Beispiel wäre auf der anderen Seite eine Bereitschaftserklärung der Bundesregierung, mit allen beteiligten Partnern im Westen und mit der Sowjetunion über eine Reduzierung der für die Bundesrepublik in Aussicht genommenen Streitkräfte unter Verzicht auf die allgemeine Wehrpflicht zu verhandeln, in der gegenwärtigen Lage mindestens ein sehr ein({10})
dringlicher Beweis des guten Willens der Bundesrepublik,
({11})
alles zu tun, was in ihren Kräften steht, um Entspannung und Abrüstung zu fördern und die Hindernisse für die Wiedervereinigung Deutschlands abzubauen.
Meine Damen und Herren, Sie werden vor diese Fragen gestellt werden, und wir werden uns darüber unter anderen Umständen sicher sehr bald wieder zu unterhalten haben, wenn Sie heute nicht bereit sind, darauf einzugehen. Aber ich hoffe, daß die Vorschläge, die ich hier unterbreitet habe, deutlich gemacht haben, welche Vorstellungen die Sozialdemokratie hinsichtlich der Außenpolitk der Bundesrepublik in diesem neuen Abschnitt der internationalen Entwicklung hat. Der Westen und wir - wir sind ein Teil des Westens - stehen nach unserer Überzeugung vor der großen Aufgabe, der neuen Methode der russischen Außenpolitik mit entsprechenden Mitteln zu begegnen.
({12})
Die bisherigen, rein auf das militärische Kräfteverhältnis abgestellten Methoden sind nicht mehr ausreichend. Auf die politische, wirtschaftliche und psychologische Offensive der Sowjetunion muß der Westen mit entsprechenden Mitteln antworten. Ich habe eingangs dargelegt, daß diese Erkenntnis in der westlichen Welt zunehmend an Boden gewinnt. Wir können nur im Interesse der Freiheit und der Demokratie die Hoffnung haben, daß diese Überlegung bald zu entsprechenden praktischen Schlußfolgerungen führt; denn ein solches Resultat wird von entscheidender Bedeutung sein für die Position der freien Welt, aber auch für das Vertrauen, das die freie Welt bei den Völkern gewinnen muß, die, vor allem in Asien und Afrika, heute außerhalb der beiden Machtblöcke stehen.
({13})
Das deutsche Volk und die Bundesrepublik als ein Teil dieses Volkes hat in dieser Auseinandersetzung im Interesse der freien Welt und in seinem eigenen Interesse zwar keine entscheidende, aber doch eine bedeutsame Rolle zu spielen, und wenn wir das wollen und wenn wir so auch die Lösung der deutschen Frage in den Gesamtkomplex der Politik der Entspannung und Befriedung rükken wollen, dann ist eine neue Außenpolitik in der von mir hier skizzierten Richtung unerläßlich und dringend erforderlich.
({14})
Die Sozialdemokratie hat in den vergangenen Jahren mit Nachdruck die bisherige Außenpolitik der Bundesregierung bekämpft, weil wir in ihrer einseitigen Orientierung auf eine Politik der Stärke, auf die Einbringung eines deutschen Beitrags in die Militärallianz des Westens keinen geeigneten Weg für die erfolgreiche Lösung des deutschen Problems gesehen haben. Die Entwicklung hat uns recht gegeben. Die Politik der Stärke als Mittel einer Politik der Wiedervereinigung ist gescheitert.
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Das Resultat ist bedrückend für jeden, der eine Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit will.
Es gibt noch eine Chance, und das ist unsere Hoffnung. Heute haben Entwicklungen, von denen ich hier gesprochen habe und die sich außerhalb unserer Macht entfaltet haben, die Aussichten für
eine Lösung der internationalen Probleme oder doch mindestens für eine wesentliche Verringerung der internationalen Spannungen erhöht. Unsere Chance ist, daß wir in dieser Atmosphäre durch Verhandlungen die deutsche Frage ihrer Lösung näherzubringen suchen. Die Bundesrepublik muß dazu selbst initiativ werden, um auf einer breiteren und höheren Ebene als der Einzementierung der beiden Teile Deutschlands in die Machtblöcke von West und Ost das geeinte deutsche Volk in eine europäische Sicherheitsorganisation einzugliedern, die dem deutschen Volke und allen seinen Nachbarn in Europa ein Höchstmaß an Sicherheit und an Aussichten für eine friedliche und freiheitliche Entwicklung gibt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kiesinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Politik der Bundesregierung und der sie stützenden Gruppen in diesem Hause war auf die Einsicht gegründet, daß die Zukunft Deutschlands, seine Unabhängigkeit, seine freiheitliche, gesellschaftliche und politische Ordnung und die Erringung seiner staatlichen Einheit nur an der Seite der westlichen Welt und nur mit ihrer Hilfe gesichert werden kann. Es ist nicht unsere Schuld, daß diese Politik nur von dem größeren und freien, in der Bundesrepublik organisierten Teil unseres Vaterlandes betrieben werden kann. Dennoch war diese Politik in keinem Augenblick egoistisch nur auf die Interessen der Bundesrepublik selbst bezogen. Es war stets eine Politik für alle Deutschen und für ganz Deutschland.
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Wir hatten in dem Kampf und in den Auseinandersetzungen der letzten Jahre immer wieder die Freude und die Ermutigung, daß uns dafür Tausende und aber Tausende von Menschen aus der Sowjetzone ihren Dank und ihre Zustimmung ausdrückten.
({1})
Die Erfolge, die die Bundesrepublik errungen hat - und es sind unbestreibare Erfolge; wer den Bericht des Außenministers verfolgt hat, kann das nicht leugnen -, haben wir nicht nur für uns selbst errungen, sondern auch für unsere deutschen Landsleute jenseits der Zonengrenze. Sie nehmen an diesen Erfolgen nicht erst teil, wenn einmal die Stunde der Freiheit für sie schlägt; jetzt schon kommen sie ihnen zugute, denn für jeden Deutschen drüben ist die Existenz dieser Bundesrepublik, dieses Landes freier Menschen mit einem freien Parlament und einer freien Regierung Trost, Hoffnung, Zuversicht und eine ständige Quelle der Kraft im Durchhalten der bitteren Jahre.
({2})
Und wenn es einmal für einen ganz schlimm kommt, und er keinen Ausweg mehr weiß, dann gibt es immer noch den Weg über die Grenze, hinüber in das freie Deutschland, wo er von Herzen aufgenommen wird.
({3})
({4})
Freilich, wir konnten und durften unseren tapferen Landsleuten, deren wir jüngst am 17. Juni wieder in Liebe und Ehrfurcht gedacht haben,
({5})
nicht zu Hilfe eilen, als sie sich in Zorn und Empörung nicht gegen die Besatzungsmacht, sondern gegen ihre deutschen Unterdrücker erhoben. Wir hätten es nicht gedurft und nicht gekonnt, selbst wenn wir über eine Streitmacht verfügt hätten. Denn es ist unsere Aufgabe, diesem unserem Volke, dem ganzen Volke, den Frieden zu bewahren, weil es nach den Schrecknissen und dem Elend der vergangenen Jahre und Jahrzehnte unsere Aufgabe ist, die Ziele unserer Politik ohne Gewalt durch unablässige friedliche Bemühung zu erreichen. Jawohl, Herr Ollenhauer, ein Krieg würde jede Hoffnung auf eine bessere und glücklichere Zukunft zerstören, und darum darf es, soweit es an uns Deutschen liegt, keinen Krieg geben.
({6})
Neben der Freiheit unseres Volkes ist also die Bewahrung des Friedens unser wichtigstes Anliegen. Beiden höchsten Gütern diente und dient unsere Politik, ohne Einschränkung und ohne Hintergedanken. Freilich, es war zu allen Zeiten schwer, Freiheit und Frieden zu behaupten. Jeder Blick in die leidvolle Geschichte der Völker beweist das. Ganz gewiß haben d i e Völker den Frieden und die Freiheit nicht bewahrt, die die Hände in den Schoß legten, die dem möglichen Feinde bloß gut zuredeten oder die sich gar nicht mehr fähig zeigten, für ihre höchsten Güter das Letzte einzusetzen.
Wir wußten, daß es, so wie sich nun einmal die Dinge in der Welt nach dem Krieg entwickelt hatten, zur Bewahrung des Friedens auch für uns notwendig war, uns jener westlichen Verteidigungsgemeinschaft einzugliedern, die es verhindert hat, daß das Bild unserer Welt noch mehr verändert wurde, als es in den Jahren nach dem Krieg durch die Stalinsche Expansionspolitik geschehen ist.
({7})
Man spricht heute gern von zwei Machtblöcken, und manche Wolkenkuckucksheimer, die sich ein Plätzchen irgendwo draußen suchen möchten, erinnern sich nicht mehr daran, wie diese beiden sogenannten Machtblöcke entstanden sind. Der Westen hatte abgerüstet, Stalin tat es nicht, und erst durch eine sehr späte, für manche Völker leider zu späte Reaktion des Westens, durch den Zusammenschluß des Westens in einer weltweiten Verteidigungsorganisation wurde eine weitere Expansion der Stalinschen Macht verhindert.
In diesem Zusammenhang wurden Anforderungen an uns gestellt, die zu erfüllen uns schwerfiel und schwerfällt. Wer da in der Welt glaubt, es mache uns Freude, eine neue Streitmacht aufzustellen oder gar diese Streitmacht in die Tradition eines unseligen vergangenen deutschen Militarismus zu stellen, der irrt sich. Er sollte sich daran erinnern, wie stark gerade wir von der Regierung in den vergangenen Jahren darum gekämpft haben, daß keine nationale deutsche Streitmacht errichtet werden sollte, daß wir bereit waren, unseren Verteidigungsbeitrag gemeinsam mit unseren europäischen Nachbarn zu leisten.
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Es lag nicht an uns, daß die Europäische Verteidigungsgemeinschaft nicht zustande kam.
Nun haben wir ein Heer aufzustellen. Ich komme auf die Probleme, die Herr Kollege Ollenhauer in diesem Zusammenhang angeschnitten hat, ausführlich zurück. - Das ist nicht nur ein Problem der Summierung von soundso viel Soldaten; es ist eine gewaltige Aufgabe. Ein Heer ist nicht nur ein Apparat, eine Maschine. Es ist eine moralische Kraft. Es wird viel und alles davon abhängen, ob dieses Heer diese moralische Kraft in jedem Sinne des Wortes verkörpern wird, ob es auch eine moralische Kraft im Rahmen eines freiheitlichen demokratischen Staatswesens sein wird. Ohne daß wir bereit sind, den Soldaten, die in diesem Heere dienen, jene Ehre und Würde zuzuerkennen, die der Soldatenstand beanspruchen darf, werden wir diese moralische Kraft bestimmt nicht erreichen.
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Niemand kann leugnen - ich sagte es schon, meine Damen und Herren -, daß wir durch diese Politik der Eingliederung in das große Bündnis der freiheitlichen westlichen Welt für die Bundesrepublik erstaunliche Erfolge erzielt haben. Wer hätte vor zehn Jahren den Bericht eines deutschen Außenministers wie den gestrigen zu erhoffen gewagt! Man hätte die Erfüllung eines solchen Traumes gar nicht zu glauben gewagt.
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Allerdings, hier setzt die Kritik ein. Herr Ollenhauer hat es ja ausführlich getan. Ja, wird gesagt - wenigstens wenn man gutwillig ist und wenn man nicht alles, was wir erreicht haben, leugnen will -, diese Erfolge mögt ihr für die Bundesrepublik errungen haben, aber ihr habt sie nicht für Deutschland errungen, denn das Problem der Wiedervereinigung ist nicht gelöst. So behauptete es Herr Ollenhauer heute erneut, und Herr Wehner hat es gestern in einem Zwischenruf getan. Es ist durch eure Politik schwieriger geworden, ihr habt durch eure Politik der Verträge - so lautete es gestern - eine Chance der Wiedervereinigung verpaßt. Meine Damen und Herren, wir müssen solche Vorwürfe ernsthaft prüfen; denn das Anliegen der Wiedervereinigung ist so wichtig für uns alle, daß wir keiner Kritik in dieser Frage ausweichen. Wie steht es damit?
Ich halte die Behauptung, die Herr Ollenhauer erneut aufgestellt hat, für falsch. Ich habe gesagt, daß die Ausgangsbasis unserer Politik zunächst einmal die Sicherung der Freiheit der Bundesrepublik war. Meine Damen und Herren, ohne daß die Unabhängigkeit und die freiheitliche, gesellschaftliche und politische Ordnung der Bundesrepublik gesichert ist, gibt es keine Sicherung einer Wiedervereinigung in Freiheit für ganz Deutschland.
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Wer hier mit seiner Kritik einsetzt, der müßte zurückgehen bis zur Gründung der Bundesrepublik selbst und müßte ein Mea culpa sagen und bekennen: ich hätte schon zur Gründung der Bundesrepublik nicht mitwirken sollen.
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Welche Folgen das allerdings für unser ganzes deutsches Vaterland gehabt haben würde, das wage ich mir nicht auszudenken.
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Herr Ollenhauer, es Ist richtig, zu sagen, daß unter den gegenwärtigen Verhältnissen von Sowjetrußland kein Ja zur Wiedervereinigung erwartet werden kann, wenn in der gegenwärtigen Weltsituation Gesamtdeutschland in ein westliches Verteidigungsystem eingegliedert würde. Ich sage Ihnen diesen Satz so klar, damit wir uns in der kommenden Auseinandersetzung mit Ihren Gedanken ganz verstehen. Die Folgerung aus dieser Erkenntnis, die mit der Verteilung des Kräftegleichgewichts auf der Welt zu tun hat, ist nun aber nach unserer Auffassung nicht die Neutralisierung Deutschlands. Die erste Aufgabe, die wir zu erfüllen haben, ist eine Aufgabe der Sicherung der Freiheit, der Unabhängigkeit - wieder betone ich es - nicht nur für uns, sondern auch für die Deutschen drüben und für ganz Westeuropa.
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Der Herr Außenminister hat gestern einen Satz gesagt, den ich nachdrücklich unterstreichen möchte. Er sagte: „Wer die Einheit des deutschen Volkes fordert, aber darüber vergißt oder sogar verschweigt, daß er damit die Freiheit des deutschen Volkes gefährdet, wagt ein gefährliches Spiel."
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Frieden, Freiheit und Wiedervereinigung sind eben untrennbare Ziele. Will man die Bahn zur Wiedervereinigung ebnen, dann darf man nicht zu kleinen Aushilfen greifen, nicht an Symptomen herumzukurieren versuchen, statt die Wurzel des Übels anzupacken. Wie viele Projekte sind in den letzten Monaten wie Pilze aus dem Boden geschossen, drinnen und draußen. Bei allen beging man nach meiner Meinung denselben Fehler: den Versuch zu machen, nur an einer Stelle aufzutauen, die doch sofort wieder zufrieren würde bei der vorhandenen Kälte; statt den allerdings mühseligeren und langwierigeren Versuch zu unternehmen, ein allgemeines Tauwetter herbeizuführen.
Über dieses allgemeine Tauwetter hat der Außenminister gestern sehr gründlich gesprochen. Ich hatte manchmal den Eindruck bei den Ausführungen Herrn Ollenhauers, daß er seine Rede vor den Ausführungen des Außenministers gemacht hat;
({17})
denn sonst hätte er, glaube ich, doch sehen müssen - die Presse hat es ja auch gesehen -, daß in diesen Ausführungen erhebliche konstruktive Beiträge auch zur Lösung des wichtigsten deutschen Problems enthalten waren.
({18})
- In seiner Rede; es sind die Ausführungen des Außenministers zum Problem der allgemeinen Abrüstung.
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- Warten Sie mit Ihrem Einwand „Warum rüstet ihr dann erst auf?", ich komme gleich darauf!
Es ist nach unserer Meinung in der Tat gar nicht möglich, mit Teilprojekten vorzugehen. Wenn wir die verfahrene Situation auflockern wollen, wenn wir die Möglichkeit eines Ja sowohl des Westens wie des Ostens zur deutschen Wiedervereinigung schaffen wollen - beide müssen ihr Ja sagen -, dann müssen wir alle jene Voraussetzungen beseitigen, die zu dieser Situation geführt haben.
({20})
Das ist natürlich das Ziel der allgemeinen Entspannung auf dem Wege über eine allgemeine Abrüstung. Wenn das gelänge, dann würde sich auch das Problem der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft - ich habe schon einmal in diesem Hause angedeutet - sofort anders stellen. Wenn die allgemeine Weltlage sich grundsätzlich ändert, dann ändert sich auch das Bedürfnis nach Sicherheit und dann ändert sich auch die Notwendigkeit, bestimmte Verteidigungsvorkehrungen von seiten der westlichen Welt aufrechtzuerhalten.
({21})
Wir hängen an der NATO nicht als an einem Dogma oder weil wir einmal diesen Weg beschritten haben und nun nicht mehr von ihm abkommen können.
Wir unterscheiden uns allerdings in mehreren Dingen ganz wesentlich von der Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion und anderer unserer Kritiker. Wir glauben nicht, daß jetzt und zur Zeit dieses allgemeine Tauwetter schon begonnen hat. Die Sowjetrussen können - wie in der antiken Fabel von Helios und Boreas - bald kalt, bald warm blasen.
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- Boreas nur kalt, natürlich! Aber in Moskau, verehrter Kollege Schmid, gibt es ja verschiedene Leute, und man kann mit verteilten Rollen spielen, wenn es notwendig ist; und wenn es notwendig ist, kann derselbe Mann, auch wenn er sich gelegentlich dabei verschluckt, den Boreas oder den Helios spielen.
({23})
Wir sollten aber, wenn die sowjetische Sonne sich gelegentlich aus den Wolken herausschiebt, nicht gleich glauben, daß damit das allgemeine planetarische Tauwetter, wie Herr Ollenhauer meinte, schon eingesetzt habe.
Das Problem der deutschen Wiedervereinigung wird von unseren Kritikern, vor allen Dingen von den Sozialdemokraten, nach meiner Meinung deswegen falsch gesehen, weil sie ihre Blicke fast ausschließlich auf das militärische Problem gerichtet halten.
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Wir haben in der Vergangenheit immer gesagt, daß es keineswegs die Eingliederung der Bundesrepublik in die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft allein oder hauptsächlich sei, die die Lösung des Problems der deutschen Wiedervereinigung so außerordentlich schwierig mache. Nun, ich will nicht lange die Äußerungen von Herrn Chruschtschow über die achtzehn Millionen Deutschen, die man in der Hand habe, interpretieren oder die von Marschall Schukow berichtete Äußerung auf der Genfer Sommerkonferenz, wo er seinem amerikanischen Gesprächspartner gesagt haben soll: „Ihr habt eure Deutschen und wir haben unsere Deutschen, und dabei wollen wir denn auch zufrieden sein." Ich will nicht einmal unterstellen, daß diese Worte - und sie sind trotz aller Dementis und Interpretationskünste im Kern jedenfalls der Ausdruck der gegenwärtigen sowjetischen Haltung zum Problem der deutschen Wiedervereinigung - ein Ausdruck bösen Willens sind, sondern ich will berücksichtigen, daß es für Sowjetrußland im Zusammenhang mit dem Problem der deutschen Wiedervereinigung eine echte Proble({25})
matik gibt, um die wir uns kümmern müssen; aber dann bitte um die ganze Problematik!
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Ich bin einmal in diesem Hause von Herrn Erler gefragt worden, was ich tun würde, wenn eines Tages Sowjetrußland die Wiedervereinigung in Freiheit gegen einen Verzicht auf die Eingliederung Gesamtdeutschlands in ein westliches Militärbündnis anböte. Ich habe damals Herrn Erler gesagt: Die Antwort gebe ich Ihnen nicht, ich gebe sie der Geschichte. Ich könnte sie schon heute geben, meine Damen und Herren; denn die Frage stellt sich nicht, das hat die Entwicklung innerhalb des letzten Jahres seit den Genfer Konferenzen sehr klar gezeigt. Die Frage ist viel umfangreicher, viel komplizierter, und nur wenn wir uns daran gewöhnen, sie so zu sehen, werden wir in der Frage der Wiedervereinigung auch weiterkommen.
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Einen Augenblick! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön!
Herr Abgeordneter Erler!
Herr Kollege Kiesinger, darf ich Ihre Äußerung dahin auffassen, daß Sie dann inzwischen mindestens dahin gelangt sind, daß diese Frage au c h einen Gegenstand der Erörterungen bilden muß, wenn wir je zur Wiedervereinigung kommen wollen?
Herr Kollege Erler, Sie haben ja gehört, daß ich mit dem Streben nach absoluter Klarheit und Schärfe diese Position zu umreißen versuchte. Wenn ich aber sagte: Die Frage stellt sich nicht, dann bedeutet das, daß sie überhaupt nur in jenem Zusammenhang gelöst werden kann, den ich soeben dargelegt habe. Die Zugehörigkeit Gesamtdeutschlands zu einem westlichen Verteidigungssystem ist so lange notwendig, so lange dieses westliche Verteidigungssystem zur Verteidigung Europas notwendig ist. Wir müssen also eine Politik machen, die die Voraussetzungen dafür schafft, daß das westliche Verteidigungssystem, wie es durch die Schuld der Stalinschen Expansionspolitik geworden ist, überflüssig wird.
({0})
Wir haben in der Vergangenheit erlebt, wie Sowjetrußland seine Machtpositionen sehr weit in das Herz Europas vorgeschoben hat. Ich will bei der Gelegenheit einmal einen Gedanken erwähnen, der für die von Ihnen geforderte realistische Betrachtung der Situation wichtig ist. Es ist ja neuerdings üblich geworden, gewisse Schwalben, die noch keinen Sommer machen, zu zitieren. Herr Ollenhauer hat in seiner Rede einige Andeutungen gemacht, und es schien so, als ob nun die ganze westliche Welt, mit der wir verbündet sind, plötzlich ihre Auffassungen über die Lage revidiert hätte und daß wir - besonders der mit einem prachtvollen Indianerschmuck aus USA zurückgekehrte Bundeskanzler - die letzten Mohikaner im kalten Kriege wären.
({1})
Meine Damen und Herren, so ist es denn doch nicht. Wenn Herr Walter Lippmann oder wenn die „Washington Post", die Zeitung, die Sie zitiert haben,
({2})
oder andere, sicherlich gescheite Persönlichkeiten draußen in der Welt derartige Ideen äußern, dann bedeutet das doch keinen Erdrutsch in der politischen Beurteilung der Lage, insbesondere nicht bei den maßgeblichen politischen Kräften der Welt.
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- Wenn mir von einem Kollegen da hinten bei den Sozialdemokraten der Zuruf gemacht wird: Alle!, so kann ich Ihnen, Herr Kollege, nur empfehlen: Lesen Sie die Zeitungen besser!
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Der Außenminister hat in seinen Ausführungen einen sehr wichtigen Beitrag zu dem von uns diskutierten Problem gemacht. Er hat - einmal hintangestellt, was noch sonst die Motive der sowjetrussischen Politik sein mögen - auf die Anerkennung des sowjetrussischen Sicherheitsbedürfnisses hingewiesen. Ich unterstreiche das noch einmal. Hier liegt ein Problem für uns vor, und wir haben nicht die geringste Hemmung, dieses Problem in irgendeiner Weise und zu gegebener Zeit mit Sowjetrußland zu besprechen.
Nun sagt Herr Ollenhauer - und er trifft sich da, wie gesagt, mit einzelnen anderen Kritikern -, daß die Voraussetzungen unserer Politik - sogar unterstellt, sie sei bisher richtig gewesen - weggefallen seien. Sie haben in prophetischer Vorahnung der Entwicklung der Welt eine Politik vorgeschlagen, Herr Kollege Ollenhauer, von der Sie glauben, daß sie nunmehr durch die Entwicklung gerechtfertigt werde. Wir aber sagen: es war die Politik der Festigkeit und Einigkeit des Westens, zu dem wir uns gesellt haben, die ganz wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen hat.
({5})
Auch das muß man sehr sorgfältig prüfen. In einer bedeutenden englischen Zeitung stand jüngst, es zeige sich ein zunehmend abnehmendes Interesse der beiden Machtblöcke an der Aufrechterhaltung ihrer Truppenmacht in Westeuropa und ein zunehmendes Interesse, aus Sparsamkeitsgründen und wegen des ökonomischen Einsatzes der vorhandenen Hilfsmittel und Arbeitskräfte, ihre Truppen zurückzuziehen. Ich wage nicht zu sagen, daß diese Feststellung richtig oder unrichtig ist. Die Dinge sind ohne Zweifel im Fluß. Jedermann in unserem Lande sollte froh sein, wenn wirklich festgestellt werden könnte, daß sich eine derartige Entwicklung auf der Welt durchsetzt. Glauben Sie mir, wir wären die ersten, die eine solche Entwicklung begrüßen würden.
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- Herr Mellies, Sie sind eben von Natur ein mißtrauischer Mann. Es ist schade, Sie sind uns ganz sympathisch; aber diese Ihre vorwiegende Eigenschaft ist für einen Politiker nicht immer gut. Ein bißchen Optimismus in bezug auf den anderen tut ganz gut. Z. B. bin ich immer noch optimistisch
({7})
hinsichtlich Ihrer künftigen Haltung in dieser Frage.
({8})
Was hat sich denn wirklich geändert? Wir kennen die berühmte Diskussion um das Zeitalter der Atom- und Wasserstoffbomben. In derselben englischen Zeitung wurde z. B. gesagt, seitdem ein gewisses Kräftegleichgewicht auf dem Gebiet der Atom- und Wasserstoffbomben hergestellt sei, seien die konventionellen Heere überflüssig geworden. Es genüge, in Europa eine kleine „Stolperarmee" zu unterhalten, die im Falle eines Angriffs aus dem Osten die ersten Alarmsignale gäbe und eine gewisse hinhaltende Wirkung hätte. Im übrigen aber werde die Verteidigung Europas Sache der maritimen strategischen Luftflotten sein, die im Falle eines solchen Angriffs zum Einsatz kommen würden.
Wir haben in diesem Hause - ich habe es schon mehrfach gesagt - das europäische Sicherheitsproblem im Lichte der militärischen Notwendigkeiten leider immer nur sehr kärglich behandelt. Es hat, wenn ich mich recht erinnere, darüber nie eine wirklich gründliche Aussprache im Plenum dieses Hauses gegeben; sie wäre bitter notwendig. Ich kann mich in das Thema jetzt nicht vertiefen. Aber ein paar Gesichtspunkte möchte ich doch vortragen.
Der Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika hat in einer Kongreßbotschaft folgenden Gedanken ausgedrückt, den ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten wiedergeben möchte. Er sagte:
Wir müssen uns der Tatsache bewußt bleiben,
3) daß das ungebührliche Vertrauen auf eine Waffe oder die Vorbereitung auf eine einzige Art von Kriegführung einen Feind geradezu einlädt, sich auf eine andere zu verlegen. Wir müssen also in unseren Streitkräften ein Gleichgewicht und eine Geschmeidigkeit wahren, wie sie unseren Bedürfnissen angemessen sind.
Ich glaube, daß diese Bemerkung den Nagel auf den Kopf trifft. Stellen Sie sich einmal vor, daß ein potentieller Angreifer, in Erkenntnis der furchtbaren Verantwortung, die jeder Politiker und jeder Soldat hat, wenn es zum Einsatz der Atom- und gar der Wasserstoffbombe kommen soll, gerade damit spekuliert und daß er, der ja im Besitz konventioneller Waffen ist, einen Vorstoß nur mit solchen unternimmt. Die andere Seite hätte zwei Möglichkeiten. Die eine wäre: weil die Konsequenzen des Einsatzes der Atomwaffen ungeheuerlich sind, darauf zu verzichten, sie einzusetzen. Da man aber nicht im Besitze konventioneller Truppen und Waffen wäre, bedeutete das Kapitulation. Oder aber: der andere Teil wird, weil er nicht kapitulieren will, aber mit konventionellen Mitteln dem Angriff nicht begegnen kann, geradezu gezwungen, die schrecklichste aller modernen Vernichtungswaffen einzusetzen.
({9})
Es ist in der Weltdiskussion über dieses Problem viel darüber gesagt gesagt worden. Ich glaube, daß niemand sich der Beweiskraft eines solchen Arguments entziehen kann.
Es scheint mir also nicht nur zur Verteidigung der Freiheit Westeuropas, sondern auch zur Vermeidung einer Katastrophe, wie ich sie eben als
möglich geschildert habe, dringend notwendig zu sein, daß man auf konventionelle Truppen und Waffen in Europa nicht verzichtet.
Die Konzeption der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft für die Verteidigung Europas ist bekannt. Noch ist es nicht so weit, wie Sie alle wissen, daß Europa im Falle eines Angriffs aus dem Osten mit konventionellen Truppen und Waffen tatsächlich wirksam verteidigt werden könnte. Um es dahin zu bringen, sind noch bedeutsame Anstrengungen notwendig; vor allen Dingen ist die Teilnahme der Bundesrepublik an diesen Anstrengungen notwendig. Dieser Journalist und jener außenseitige Politiker können uns zwar erzählen, daß die Voraussetzungen dieser NATO-Konzeption nicht mehr vorhanden seien. Solange aber die NATO-Führung selber, solange alle Regierungen unserer Verbündeten auf dieser Konzeption beharren - und sie beharren aus wohlerwogenen Gründen darauf -, haben wir keine Veranlassung, uns durch Abschwenken von einer gemeinsamen Politik als illoyaler Partner zu erweisen.
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Ich habe Herrn Ollenhauer vorhin wirklich nicht verstanden, als er sagte, wir befänden uns im Widerspruch zu dieser Konzeption der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft, weil die letzte Außenministerkonferenz der NATO-Mächte in Paris beschlossen habe, das Aktionsfeld der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft auf das Gebiet des Wirtschaftlichen und des Politischen zu erweitern. Herr Ollenhauer, ich kann Ihnen versichern: diese Entwicklung wird von uns begrüßt und gefördert. Wir betrachten sie als einen weiteren Beitrag zur Sicherung und Stärkung und Einigung der westlichen Welt. Auch wir haben immer etwas darunter gelitten, daß diese Anstrengungen sich dort lediglich auf das militärische Gebiet beschränkten. Wo wir es im Rahmen der gemeinsamen europäischen Anstrengungen konnten, haben wir versucht, keineswegs nur militärische Planungen durchzuführen; Sie wissen wohl, wie sehr wir an der politischen und wirtschaftlichen Integration Europas interessiert waren und sind.
Die militärische Situation hat sich also nicht geändert. Vielleicht gibt es Anzeichen dafür, daß sie sich eines Tages ändern könnte. Wir stehen nicht an, zu sagen, daß wir solche Anzeichen mit großer Aufmerksamkeit beobachten und eine Entwicklung verfolgen, die es uns eines Tages erlauben könnte, mit unseren Verbündeten zusammen festzustellen, daß eine neue Weltlage entstanden sei und daß nun zugunsten der deutschen Wiedervereinigung tatsächlich an eine Revision der bisherigen Verteidigungskonzeption gegangen werden könne.
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Nun wird gesagt: Es hat sich aber auch etwas anderes geändert, die sowjetrussische Außenpolitik. Das ist eines der faszinierendsten Kapitel unserer gegenwärtigen geschichtlichen Stunde. Ich habe in den letzten Monaten versucht, möglichst viele Analysen der Vorgänge seit Stalins Tod und seit dem XX. Parteikongreß zu studieren. Viele kluge Köpfe haben diese Analyse unternommen. Aber jeder, der mit mir denselben Versuch gemacht hat, wird mir zugestehen, daß die Meinungen über dieses neue Phänomen in der Weltöffentlichkeit völlig auseinandergehen, daß keine einheitliche Auffassung besteht. Mit anderen Wor({12})
ten, er wird mir zugestehen, daß es sich hier um ein Phänomen handelt, das noch völlig ungeklärt und, wie es scheint, vorderhand noch unklärbar, im Fluß befindlich ist. Da wir alle noch nicht wissen - vielleicht weiß es nach allem, was geschehen ist, Herr Chruschtschow selber nicht -, wohin drüben die Fahrt geht, frage ich Sie: Sollen wir uns in einem solchen Augenblick der Krise des sowjetrussischen Systems, einer Krise, die ich nicht als Schwäche und nicht als Stärke bezeichnen will, aber eben einer Krise, zu übereilten Handlungen oder Unterlassungen verleiten lassen, die uns eines Tages statt einer Krise des kommunistischen Systems eine Krise der ganzen westlichen Welt bescheren könnten?
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Ich bin der Auffassung, daß sich gegenwärtig tatsächlich sehr bedeutungsvolle Dinge in Sowjetrußland zutragen. Ich kann urbi et orbi nur sagen: wenn mit diesen Vorgängen die Hoffnung verbunden werden könnte, daß sich das sowjetrussische System vermenschlicht, daß Ansätze zu einer Entwicklung auf eine Gesellschafts- und Lebensform hin spürbar werden, die uns glauben lassen könnten, daß in jenem riesigen Teil der Welt eine Morgendämmerung, wenn auch erst eine schüchterne Morgendämmerung der Freiheit und Menschenwürde anbricht, dann wären wir wahrhaftig die ersten, die das mit Jubel begrüßen würden.
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Wir werden nicht leichtfertig behaupten, daß alles, was sich da drüben vollzieht, damit gar nichts zu tun habe. Wenn man uns allerdings aus Moskau erklärt, man wende sich von Stalin oder vom Stalinismus ab und kehre zu Lenin und zum Leninismus zurück, so frage ich: was heißt das? Wenn es wirklich wahr wäre, daß man zu Lenin zurückkehrte - ich glaube, das können die Sowjetrussen nicht; denn die Geschichte ist inzwischen weitergegangen -, dann kehrte man nach meiner Überzeugung zu einer viel entschiedeneren dogmatischen Form des Kommunismus zurück, als sie unter Stalin verwirklicht war.
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Aber vielleicht ist das auch nur eine Formel für den Hausgebrauch.
Wer die Vorgänge drüben studiert, hat bemerkt, daß das Regime tatsächlich gewisse Erleichterungen gewährt. Es scheint zu stimmen, daß die Zahl der Insassen der Straflager verringert worden ist. Es scheint zu stimmen, daß in gewissen Beziehungen eine größere Rechtssicherheit für breite Schichten der Bevölkerung geschaffen werden soll. Ich drücke mich sehr vorsichtig aus, aber ich will meinen guten Willen zeigen. Es scheint zu stimmen, daß man trotz des Streites Chruschtschow/Malenkow eine Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung, der bäuerlichen sowohl wie der industriellen Bevölkerung, will. Das Versprechen einer Kürzung der Arbeitszeit, das Belassen günstigerer Einkommensverhältnisse bei der bäuerlichen Bevölkerung - das alles sind interessante Dinge. Sie mögen damit zusammenhängen, daß das System drüben es notwendig hat, sich mit breiten Schichten der Bevölkerung in irgendeiner Weise auszusöhnen.
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Welche Auswirkungen hatte das alles auf das Gebiet der Außenpolitik? Ich glaube nicht, daß die neue Politik Sowjetrußlands wesentlich aus außenpolitischen Gründen begonnen worden ist. Aber ich glaube feststellen zu dürfen, daß die neue Politik den neuen Herren Sowjetrußlands wesentliche Vorteile eingebracht hat. Ich stehe nicht an, zu wiederholen, was ich schon oft gesagt habe: daß diese Politik infolge ihrer großen Beweglichkeit und Entschlossenheit für die westliche Welt in gewisser Hinsicht gefährlicher ist, als es die starre Stalinsche Politik war.
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- Ich komme darauf, Herr Kollege Schmid. - Helios ist drüben an der Reihe, und der kalte Boreas muß sich für eine Weile zurückziehen.
Wir haben erlebt, daß dieser neuen sowjetrussischen Außenpolitik seit dem Besuch in Belgrad eine imponierende Reihe von außenpolitischen Erfolgen beschieden war. Stalin hatte durch seine Politik den Westen geeinigt - oder muß ich im Hinblick auf Europa sagen: leider nur beinahe geeinigt? Es ist ganz klar, daß die neue Politik des Lächelns, der kompetitiven Koexistenz, wie sie genannt wird, dazu beitragen soll, .diesen Einigungsprozeß der westlichen Welt aufzuhalten.
Meine Damen und Herren, ich behaupte nicht, daß die Sowjetunion das aus bösem Willen tut. Keineswegs! Es mag durchaus sein, daß sie aus ihrer Ideologie heraus - Sie wissen ja, daß die marxistisch-leninistische Ideologie jedes nichtkommunistische Land als potentiellen Feind und Angreifer betrachtet - das Bestreben hat, die Einigung all dieser potentiellen Feinde zu verhindern.
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- Ach, wissen Sie, Herr Kollege Schmid, das ist eine Frage der mehr altertümlichen oder der mehr modernen Ausdrucksweise.
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- Wenn mir ein Kommunist sagt: Du bist mein potentieller Gegner und wirst eines Tages durch den Zwang der Geschichte, der wir ein bißchen nachhelfen werden, liquidiert werden - und wir wissen aus der Geschichte, wie liquidiert wird -, dann weiß ich nicht, ob der nüchterne Apparatschik-Ausdruck der Liquidierung oder ähnliches, was wir aus der marxistischen Ideologie hören, milder zu bewerten ist als der altfränkische Ausdruck, der gebraucht worden ist.
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Ich will keinen Irrtum bestehen lassen. Ich betrachte die Sowjetunion, solange ich noch irgendeine Hoffnung auf eine günstige Entwicklung drüben habe, nicht als Todfeind, sondern als einen wenn auch außerordentlich komplizierten, schwierigen und gefährlichen Verhandlungspartner, mit dem wir eines Tages das Problem der deutschen Wiedervereinigung werden lösen müssen.
({21})
Herr Kollege Schmid, ich möchte das Wort „gefährlich" in diesem Zusammenhang nachdrücklich unterstreichen; denn ich habe den Eindruck, daß unter den Strahlen des sowjetischen Helios allzu
({22})
viele in Ihren Reihen heute schon glauben, ihre Mäntel wegwerfen zu können.
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Eine der klügsten Analysen der Vorgänge in der Sowjetunion hat nach meiner Meinung Richard Löwenthal, der ja auch in Ihren Reihen als ein gescheiter analytischer Kopf geschätzt wird, gegeben, und zwar in der Zeitschrift „Der Monat" vom April 1956. Ich zitiere ihn, weil ich glaube, daß er in Ihren Reihen völlig unverdächtig ist. Er sagt zu dem außenpolitischen Aspekt der Änderungen in der Sowjetunion folgendes. Ich darf es mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten verlesen, es sind nur wenige Sätze, das ist schade; deswegen kann ich Ihnen nur empfehlen, soweit Sie es noch nicht getan haben, diese Analyse gründlich zu studieren. Er sagt, daß die neue sowjetische Politik auf folgendes hinausläuft:
Weil man beweglicher geworden ist, weil man sich als Zentrum eines sozialistisch-kommunistischen Weltsystems fühlt und weil man das unterstützende Potential der kolonialen Mächte in sein Lager glaubt herüberziehen zu können,
- fährt dann Herr Löwenthal fort lohnt es sich, politisch belastende militärische Randpositionen wie den Ostteil Österreichs und die Basis in Porkkala in Finnland aufzugeben und lokale Kriege zu liquidieren, um die eigene Friedensliebe zu beweisen, und statt dessen politische Eroberungen zu machen. Es lohnt sich um so mehr, wenn man entschlossen ist, an allen politischen Positionen, auch wenn sie auf militärischen Gewaltakten beruhen, festzuhalten. Das Abrücken von Stalins Methoden erleichtert nur das Verteidigen seiner Eroberungen in Osteuropa.
Diesen Aspekt, Herr Wehner, sollte man doch auch sehen. Man sollte nicht von vornherein die Augen davor verschließen. Man sollte auch nicht die Augen davor verschließen, daß auf dem 20. Parteitag - worauf auch Richard Löwenthal hinweist - der Prager Putsch vom Februar 1948 sowie die sowjetische Annexion Estlands auf Grund einer Volksabstimmung unter russischen Bajonetten als Beispiele des friedlichen Weges zum Sozialismus bezeichnet worden sind.
({24})
Und Walter Ulbricht hat sich ja dann beeilt, auch die Errichtung der DDR unter solchen Verhält-als ein Musterbeispiel des „friedlichen Weges zum Sozialismus" darzustellen.
Es nützt unserem Verhältnis zur Sowjetunion und dem Verhältnis der Sowjetunion zu uns gar nichts, wenn wir an diesen Tatsachen vorbeigehen, wenn wir eine Politik des Gesundbetens und des appeasement betreiben. Zwischen uns sei Redlichkeit, Ehrlichkeit, Klarheit; das ist der Ausgangspunkt für ein gutes nachbarliches Verhältnis der beiden Völker zueinander.
({25})
Sowjetrußland hat in dieser neuen Politik ein wichtiges Mittel der Ablenkung gebraucht. Es verweist uns - und es hat dies in der, wie soll ich
sagen, jüngsten TASS-Erklärung, dem Dementi eines Dementis, aufs neue mit großem Nachdruck getan - darauf, daß die deutsche Wiedervereinigung nur auf dem Wege über Verhandlungen der beiden angeblich existierenden deutschen Staaten, nur auf dem Wege über Pankow geschehen könne. Herr Ollenhauer, ich habe mit der tiefsten Befriedigung Ihre Erklärungen darüber gehört, daß man mit Pankow nicht über die Wiedervereinigung verhandeln dürfe.
({26})
- Es ist nicht neu, wenn ich den Gesamtduktus Ihrer politischen Haltung in der Vergangenheit überprüfe. Es ist aber neu - ich habe das Material hier -, wenn ich Äußerungen einiger bedeutender politischer Persönlichkeiten der Sozialdemokratischen Partei in den letzten Wochen und Monaten verfolge.
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Ich habe dabei das Gefühl bekommen, wir seien schon in voller Vorbereitung einer Kontaktnahme mit den obersten Stellen in Pankow. Daß dies heute klargestellt worden ist, ist ein großes Verdienst, und ich glaube, sagen zu können, daß wir in den beiden wichtigsten Punkten des Problems doch wohl einig geblieben sind; erstens: es darf nur eine Wiedervereinigung in Freiheit geben, zweitens: der Weg zur Wiedervereinigung führt nicht über Pankow.
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Ich habe auch die Äußerung des Herrn Kollegen Dehler, die in der Presse berichtet worden ist, daß man vielleicht mit Pankow verhandeln könne, wenn Sowjetrußland im voraus seine Zustimmung dazu gebe, daß die ausgehandelten Ergebnisse dann auch Geltung hätten, nie für bare Münze genommen; ich konnte es einfach nicht glauben. Herr Mende hat mir dann gesagt, daß Ganze sei in Gesprächsform konjunktivisch in der Weise gefallen, daß Herr Dehler hinzugefügt habe: „Nun ja, aber das ist ja eine irreale Voraussetzung; so etwas gibt es nicht." Ich wäre sehr froh, wenn Herr Kollege Dehler uns nachher in seinen Ausführungen hierüber ganz klar Bescheid geben könnte; denn sonst müßten wir einen derartigen Plan als außerordentlich gefährlich für die deutsche Zukunft bezeichnen.
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Meine Damen und Herren vom BHE, Sie haben sich in Fulda versammelt, wo ja gelegentlich der Geist besonders intensiv zu wehen pflegt.
({30})
Aber ich habe nicht den Eindruck gehabt, daß in diesem Fall und bei Ihren Vorschlägen, unter der Bedingung der Absetzung Walter Ulbrichts und Hilde Benjamins seien gewisse Kontaktnahmen möglich,
({31})
der Geist besonders intensiv geweht hat. ({32})
Ich fürchte, wenn etwas geweht hat, war es ein etwas scharfer Ostwind.
({33})
({34})
- Herr Feller, ich habe gar keinen Grund, bei einem so wichtigen Problem darauf zu bestehen, daß Sie mehr gewollt hätten, als Sie mir erklären. Ich bin froh darüber, wenn Sie nicht mehr gewollt haben.
({35})
Aber schon, was Sie wollten, Herr Feller - Sie haben ja Gelegenheit, es hier darzulegen -, geht doch bedenklich weit.
({36})
„Wer dem Teufel den kleinen Finger gibt, . . ."
({37})
Herr Mommer ist ein mutiger Mann; er hat uns jüngst zugerufen: „Meine Herren, keine Angst vor Teufeln!", aber das beweist ja nur, daß er nicht an Teufel glaubt.
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Es waren Kostümteufelchen, die er uns präsentierte! Es gab mutigere und heroischere Kämpfer gegen den Teufel in der langen Geschichte der Menschheit, sie alle haben ziemliche Angst vor dem Teufel gehabt, und es gereicht ihnen zur Ehre.
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Aber es sind gar keine Teufel, so wie wir keine Engel sind; es sind alles Menschen, hüben wie drüben, in Moskau wie in Washington wie in Bonn. Und das gibt uns - sonst müßten wir verzweifeln
- die Hoffnung, daß eines Tages die große Sache des Menschen doch siegen wird.
({40})
- Warum denn sollte der Kollege Jaeger das hören? Meinen Sie, daß er ein besonders vertrautes Verhältnis zum Teufel hat? Oder aus welchem Grunde?
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- Ja, aber ins Theologische hat sich Herr Kollege Jaeger bei seiner damaligen Äußerung doch nicht vorgewagt.
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Also wir tun - darüber sind wir uns einig - Sowjetrußland den Gefallen nicht, daß es Pankow vorschieben kann, um sich dahinter zu verstecken.
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Wir werden immer und immer wieder an Sowjetrußland selbst appellieren, daß es mit den anderen Mächten zusammen die Pflicht hat, sich für die deutsche Wiedervereinigung einzusetzen.
Ich will gleich eines abmachen, Herr Ollenhauer. Ich war ein Befürworter der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Sowjetrußland, nicht nur aus der Notlage heraus, in der wir uns befanden. Ich bin ein Befürworter von Gesprächen mit Sowjetrußland; denn ohne daß wir den Mut zu solchen Gesprächen haben, kommen wir nicht weiter. Aber ich weiß ganz genau, daß es Stunden und Zeiten gibt, wo solche Gespräche Erfolg versprechen, und Stunden und Zeiten, wo die Situation so erstarrt ist, daß Gespräche wenig Sinn haben. Ich bin durchaus dafür, daß, nachdem wir diplomatische Beziehungen aufgenommen haben und Botschaften eingerichtet worden sind, die Dinge so gestaltet werden, daß im Laufe eines wahrscheinlich sehr, sehr langen Gedankenaustauschs
jene Voraussetzungen geschaffen werden, die einen solchen Gedankenaustausch erfolgversprechend machen. Ich glaube nicht, daß das in dramatischen Konferenzen und Notenaustauschen geschehen wird. Nach meiner Meinung wird sich das Tauwetter nur langsam und zäh durchsetzen, und in diesem langsamen und zähen Prozeß wird sich auch unser Gespräch, das wir natürlich im engsten Einvernehmen mit unseren Verbündeten führen werden, bewegen.
Der Herr Bundeskanzler hat im übrigen ganz recht: Es ist ein schlechter Rat, wenn man uns sagt: Führt ihr doch dieses Gespräch allein mit Moskau. Zunächst will es ja Moskau gar nicht führen. Es verweist uns an die Adresse Pankows.
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Aber es gibt in der westlichen Welt genug Leute, für die die deutsche Wiedervereinigung auch sehr problematisch ist und die es gern sehen, wenn es nicht gar so rasch gelöst würde. Wir dürfen davon ausgehen, daß ein solches einseitiges deutschsowjetisches Gespräch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt wäre.
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Und dann hätten wir allen jenen für die deutsche Wiedervereinigung schlecht gesinnten Kräften der westlichen Welt einen Entschuldigungsgrund dafür gegeben, daß man sich nun nicht mehr weiter bemühen müsse; denn man hätte uns ja selbst Gelegenheit gegeben, das Problem auszukämpfen.
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Man sollte dieses Argument des Bundeskanzlers ernst nehmen, auch wenn er es vorgebracht hat, bevor dieses Hohe Haus in seine außenpolitische Debatte eingetreten ist.
Nun, was wurde in der Frage der Wiedervereinigung erreicht? Was auf allen anderen Gebieten erreicht worden ist, - ich brauche es nicht zu wiederholen, ein Blick hinaus in dieses Land und Volk, ein Blick hinaus in die uns umgebende Welt, auf die Bekundungen der Freundschaft, die wir von dorther empfangen, zeigt, wie weit wir gekommen sind. Aber es ist wirklich so, wie Herr Ollenhauer behauptet hat, daß wir auf dem Gebiete der Wiedervereinigung nichts erreicht hätten und nun nach einem angeblichen Scheitern der Politik der Stärke auch nichts mehr erreichen wollten, daß wir resigniert hätten? Bitte lassen Sie mich auch dies ganz nüchtern untersuchen.
({47})
- Herr Kollege, Sie sagen „Pure Schauspielerei". Wenn Ihnen die Argumente gegen ein überzeugendes Argument fehlen, dann werden Sie beleidigend. Diesen Ton kennen wir schon lange in diesem Parlament.
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Ich hätte bei mancher Stelle der Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer eine ähnliche Berner-kung machen können. Es gehört nun einmal dazu, daß man bei einer solchen Gelegenheit manches mehr akzentuiert, als es vielleicht in einer ruhigen Ausschußsitzung geschehen wäre. Aber ich habe mich wohl gehütet, das zu tun, aus Respekt vor der Persönlichkeit des Herrn Ollenhauer und aus Respekt vor den guten Gepflogenheiten dieses Hau({49})
ses, und ich erwarte und erbitte mir von Ihnen dasselbe.
({50})
Ich habe gesagt, daß die erste Aufgabe die Sicherung der Ausgangsbasis für die Wiedervereinigung war. Diese Ausgangsbasis war und ist die freie Bundesrepublik. Ist das eine Kleinigkeit? Mußte es so kommen, wie es gekommen ist? War denn die Entwicklung, die uns zu diesem Stadium geführt hat, selbstverständlich? Das können doch nur Blinde oder Böswillige behaupten!
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Es war doch eine Folge unserer klaren, zielstrebigen, geduldigen, nie wankenden Politik!
Zweitens. Wir haben die Verpflichtungen aller Mitglieder der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft erreicht, uns in unserer Bemühung um die Erreichung der deutschen Wiedervereinigung zu unterstützen. Meine Damen und Herren, ist das etwa nichts? ist es eine Kleinigkeit, daß sich diese Staaten rechtlich zu einer solchen Politik verpflichtet haben?
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Wissen Sie denn, was es bedeutet gegenüber der Lage noch vor wenigen Jahren in diesem Lande? Es wird gesagt. das seien formale Verpflichtungen und Lippenbekenntnisse. Herr Wehner hat, glaube ich, gestern dazwischengerufen: „Bekenntnisse haben wir genug!" Ja, sind es denn nur Bekenntnisse, nur Deklamationen, die, wie Herr Ollenhauer behauptete - und es ist ein schwerer Vorwurf -, die öffentliche Meinung irreführen? Ich gebe Ihnen, Herr Ollenhauer, diesen Vorwurf zurück. Es heißt die deutsche öffentliche Meinung irreführen. wenn man behauptet, es sei auf dem Gebiete der Wiedervereinigung nichts erreicht worden!
({53})
Wir haben drittens nicht nur diese feierliche Verpflichtung der NATO-Mächte erreicht, sondern wir haben praktische Auswirkungen dieser Verpflichtung - der Außenminister hat es betont - erreicht: eine Verbindung der allgemeinen Politik der Entspannung und der Abrüstung mit dem Problem der deutschen Wiedervereinigung. Sie selbst, Herr Ollenhauer, haben davor gewarnt. daß wir mit unserem deutschen Anliegen eines Tages isoliert in der Welt stehen könnten. Ja. ist es denn eine Kleinigkeit daß wir nicht nur das formelle Versprechen. sondern schon eine so beachtliche praktische Auswirkung dieses Versprechens erzielt haben?
({54}) - Das, Herr Neumann, ist nicht bescheiden! ({55})
Es sieht nur bescheiden aus, Herr Neumann, wenn man glaubt, daß eines der schwierigsten Probleme unserer Zeit durch hektische Gesten und Taten von heute auf morgen gelöst werden könne!
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Nun zu dem angeblich so erfolglosen Besuch des Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten von Nordamerika! Herr Ollenhauer, ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen beziehen, daß der Bundeskanzler hinübergegangen sei mit dem Willen, die Amerikaner an der bisherigen Politik der - wie Sie es nennen - militärischen Stärke festzuhalten, die Erklärungen Marschall Bulganins als eine belanglose Sache abzutun, und daß in den Vereinigten Staaten der Bundeskanzler auf eisige Ablehnung gestoßen sei.
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Der Herr Bundeskanzler hat in Washington vorgeschlagen, daß man den Brief Marschall Bulganins innerhalb der NATO auf der nächsten Konferenz berät, und dieser sein Vorschlag ist angenommen worden. Konnte er mehr tun?
Nun hat das Kommuniqué, das nach seinem Besuch ausgegeben worden ist, gerade in der Frage der Wiedervereinigung einen beachtlichen Erfolg erzielt. Dieser Erfolg ist durch eine Pressekonferenz, die Herr Dulles vorgestern gehalten hat, auf außerordentlich eindrucksvolle Weise bekräftigt worden. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten dieses Interview, weil es von außerordentlicher Bedeutung gerade für das Problem der Wiedervereinigung ist, vorlesen. Die Frage lautete:
Herr Minister, könnten Sie uns sagen, ob Sie und Bundeskanzler Adenauer irgendeinen besonderen Aktionsplan bezüglich der deutschen Wiedervereinigung vereinbarten, oder sollen wir nur auf die Russen warten, bis sie einem Zeitpunkt zustimmen, in welchem wir die Besprechungen über diese Frage wieder aufnehmen sollen?
Antwort:
Nun, wir einigten uns auf weit mehr als auf eine rein passive Politik. Ich glaube, dies kam in dem Kommuniqué, das wir zum Abschluß unserer Besprechungen herausgaben, klar zum Ausdruck. Wir sagten nämlich - woran ich hier erinnere -, daß die Haltung der Sowjetunion hinsichtlich der Frage der deutschen Wiedervereinigung
- und nun kommt der entscheidende Passus sozusagen zu einem Prüfstein für alle anderen Beziehungen, die wir mit der Sowjetunion haben, gemacht werden sollte.
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Meine Damen und Herren, sind das Lippenbekenntnisse? Sind das formale Ergebnisse? - Weiter:
Auf diese Weise erwarten und hoffen wir, einen moralischen Druck derart auf die Sowjetunion auszuüben. wie er zum österreichischen Staatsvertrag führte.
Dann kommen Ausführungen über das Zustandekommen dieses Vertrages.
Das ist, glaube ich, schon etwas, was man vorzeigen kann. Es ist eben ein Fehler, in der Frage der Wiedervereinigung immer nur direkt auf das Problem zu starren. Manche großen und schwierigen Probleme lassen sich nur lösen, indem man sich zunächst einmal scheinbar von der kürzesten Richtung auf das Ziel zu abwendet, um notwendige und unerläßliche Voraussetzungen für die Lösung
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des Problems zu schaffen. Das war der Inhalt unserer deutschen Politik.
Es ist ein Nervenkrieg, nach wie vor. Ob Sie ihn Kalten Krieg nennen oder nicht, spielt keine Rolle. Ich will ihn lieber auch nicht mehr Kalten Krieg nennen. Aber vergessen Sie nicht - ich betone es noch einmal -, daß dieser Nervenkrieg nicht nur uns trifft. Die Sowjetunion hat dabei ihre Probleme, der Westen hat sie auch. Vielen Menschen im Westen ist die deutsche Wiedervereinigung ungeheuer schwierig und unbequem, und viele fürchten sie. Man hat es uns erst jüngst, als wir zusammen mit einigen Ihrer sozialdemokratischen Kollegen in Paris an deutsch-französischen Gesprächen teilnahmen, ausdrücklich gesagt: Nun habt ihr Deutschen vom Westen erreicht, was ihr erreichen konntet; jetzt muß befürchtet werden, daß ihr euch dem Osten zuwendet, um wieder eine Politik alten Gepräges zu machen. Gewiß, wir alle in diesem Hause betrachten solche Befürchtungen als völlig unsinnig und gegenstandslos. Aber wir können doch die Tatsache nicht leugnen, daß sie in der Welt sind.
Wie können wir diese Besorgnisse zerstreuen? Nun, dadurch, daß wir zwar der Welt klipp und klar zeigen, daß das Problem der Wiedervereinigung für alle dauernd auf der Tagesordnung bleiben muß, daß wir aber auch der Welt beweisen, daß wir Augenmaß, Mäßigung, Geduld, Loyalität genug besitzen, um nicht von einem Augenblick zum andern aus emotionalen Gründen aus einer Politik in die andere hinüberzukippen.
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Wir wollen - Herr Ollenhauer hat uns deswegen sehr getadelt - noch vor den Ferien das Gesetz über die Wehrpflicht verabschieden. Es liegt nahe, daß Sie uns entgegenhalten: Ist eure Berufung auf eine mögliche Abrüstungspolitik, die eine globale Entspannung bringen würde, glaubwürdig, wenn ihr zur selben Zeit aufrüstet? Die Antwort auf diese Frage ist sehr einfach. Sie liegt in den Gedankengängen beschlossen, die ich zum Problem der europäischen Sicherheit geäußert habe. Weil eine Änderung noch nicht eingetreten ist, weil die Gefahren für Westeuropa nach wie vor weiter bestehen, müssen wir diesen Beitrag, zu dem wir uns verpflichtet haben, leisten.
Ein so kluger Mann wie mein Kollege Erler hat jüngst in einem Rundfunkvortrag etwa gesagt: Der nächste Krieg finde nicht statt, darüber seien sich alle Militärexperten in der westlichen Welt einig; infolgedessen sei die Politik der Bundesregierung nicht mehr nötig. Herr Kollege Erler, das ist ein Gedankengang, der offensichtlich falsch ist.
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- Ich habe es so gelesen. - Die Hoffnung darauf, daß der nächste Krieg nicht stattfindet, hat gewisse berechtigte Gründe. Es liegen deutliche Anzeichen dafür vor, daß wir in eine Zeit eingetreten sind, die es einer kriegslüsternen Macht außerordentlich erschwert, den Entschluß zum Beginn kriegerischer Handlungen zu fassen. Aber das besagt doch keineswegs, daß eine solche Möglichkeit ausgeschlossen ist. Im Grunde genommen hätte es schon in den letzten 50 Jahren ausgeschlossen sein müssen, daß irgendeine Macht auf dieser Welt den Entschluß zum Kriege faßte, er ist doch oft gefaßt worden. Mit anderen Worten, wir müssen dafür sorgen, daß wir für einen solchen Gefahrenfall gerüstet sind. Noch ist die Situation so, daß wir von unserer bisherigen Politik nicht abrücken können. Unsere Politik, Herr Ollenhauer, ist nicht gescheitert. Daß sie sich jeweils an die sich wandelnde Weltsituation anpassen müsse und würde, hat jedermann von uns vorausgewußt. Sie werden sehen, daß diese Anpassung zu gegebener Zeit und aus berechtigtem Anlaß erfolgen wird.
Ich fasse zusammen, was wir in der Zukunft gerade auf dem Gebiete der Wiedervereinigung tun können.
1. Wir müssen nach wie vor die Ausgangsbasis für die Wiedervereinigung, die Bundesrepublik, festigen und stärken. Das bedeutet: solange die allgemeine Weltlage sich trotz unserer Mitwirkung nicht geändert hat, muß diese Position verteidigt werden.
2. Wir müssen unsere Verbündeten weiterhin an unserem Problem interessieren. Wir müssen ihnen immer wieder zeigen, daß es sich um ein gemeinsames Anliegen handelt, nicht nur durch Lippenbekenntnisse, sondern durch überzeugende Darlegungen der Situation. Wir müssen mit ihnen in einem ständigen Beratungskontakt bleiben, der ergeben soll, inwieweit sich die gemeinsame Haltung zum Wiedervereinigungsproblem an die wechselnde Situation anzupassen hat.
3. Wir haben ,die übrige freie Welt, die wir etwas vernachlässigt haben - ich gestehe es - an unserem Problem zu interessieren. Der Außenminister hat darauf hingewiesen. Ich kann mir nicht denken, daß die Völker des untergehenden Kolonialismus nicht Anteil nehmen müßten an dem Tatbestand eines neuen Kolonialismus hier in Europa, der schlimmer und brutaler ist, als es der alte gewesen ist.
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Natürlich müssen wir diesen Völkern, um die die Sowjetunion heute so erfolgreich wirbt, die Reinheit unseres Wollens klarmachen. Wir müssen sie davon überzeugen, daß wir wirklich nichts anderes wollen als die Beseitigung des Zwangssystems für unser Volk, wie sie es für ihre erwachenden Nationen wollen.
4. Wir müssen - und das ist die Hauptaufgabe - mitwirken an der Beseitigung der Voraussetzungen, die die heutige Situation geschaffen haben und damit an der Beseitigung der Voraussetzungen, die die Gründung der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft notwendig gemacht haben. Ich habe das Nötige dazu gesagt.
5. Wir müssen verhindern, daß sich, solange die Spaltung andauert, die Deutschen diesseits und jenseits der Zonengrenze auseinanderleben. Ich stimme allem zu, was dazu gesagt worden ist. Aber, Herr Ollenhauer, ich muß wählen zwischen zwei Übeln. Wenn es zur Sicherheit für Westeuropa, für die Bundesrepublik und damit auch für die künftige Sicherheit der Menschen im Osten unseres Vaterlandes notwendig ist, daß die Bundesrepublik einen Verteidigungsbeitrag leistet, dann darf mich der Umstand, daß das möglicherweise zu Gegenmaßnahmen führen wird, von dem als notwendig Erkannten nicht abhalten.
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6. Die Sowjetunion! Kein Zweifel, daß nur mit ihrer Mitwirkung die Wiedervereinigung erreicht wird. Aber ich bitte und beschwöre Sie: lassen Sie
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sich in diesem Nervenkrieg nicht zu früh müde machen.
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Denken Sie daran, daß wir hier einer völlig ungeklärten Situation gegenüberstehen! Denken Sie daran, was alles in sowjetrussischen Augen notwendig sein könnte, um einer deutschen Wiedervereinigung zuzusteuern, welche Auswirkungen eine solche Wiedervereinigung in Freiheit auf die Satelliten haben könnte, welche Auswirkungen auf den politisch-moralischen Status Westeuropas, was es für die Sowjetunion bedeuten kann, darauf zu hoffen, daß in großen Ländern Westeuropas jene Volksfrontregierungen zustande kommen, die Herr Chruschtschow als einen möglichen Weg zum Sozialismus, d. h. zur Machtergreifung des Kommunismus in diesen Ländern bezeichnet hat!
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Der Ausspruch Herrn Chruschtschows beweist, daß selbst ein neutralisiertes unbewaffnetes Deutschland für sowjetrussische Augen ein gewaltiges Problem ist. Es ist vorn sowjetrussischen Denken her durchaus zu begreifen. Aber wenn wir die friedliche Lösung des Problems mit der Sowjetunion erreichen wollen, dann dürfen wir nicht glauben, wir dürften die Wahrheit nicht sagen, wir dürften nicht sagen, wie wir die Weltlage beurteilen, wir müßten zimperlich werden, um die Herren im Kreml nicht zu verstimmen. - Die Herren im Kreml sind nicht so leicht zu verstimmen. Sie sind viel zu große Realisten, um nicht zu sehen, worum es uns geht. Allerdings: wir werden nicht nachlassen, ihnen nicht nur durch Worte, sondern, wo immer es geht, auch durch Taten zu beweisen, daß es unsere ehrliche Absicht ist, bei aller Beharrung auf der Freiheit und Unabhängigkeit unseres Vaterlandes eines Tages ein wirklich freundschaftlichnachbarliches Verhältnis zu den Völkern der Sowjetunion herzustellen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dehler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, jeder von uns in diesem Hause, niemand mehr als meine Freunde, stimmt der Apotheose auf die Freiheit zu, die Herr Kollege Kiesinger hat aufklingen lassen. Wir alle bejahen die Freiheit unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Wir alle wollen sie mit allen Mitteln sichern. Aber sie zu sichern, das ist doch nicht das Thema dieses Tages. Sie ist, das können wir mit Genugtuung feststellen, ernstlich nicht gefährdet und nicht bedroht.
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Herr Kollege Kiesinger verwahrte sich sehr nachdrücklich gegen den Vorwurf, der aus der Rede des Herrn Kollegen Ollenhauer aufgeklungen ist, das große Ziel, die Wiedervereinigung, sei nicht gefördert worden, wir seien diesem Ziel nicht näher gekommen. Die Ausführungen des Herrn Kiesinger decken sich mit der Rede, die bei der Feier des 17. Juni der Regierungschef von dieser
Stelle aus gehalten hat, einer kurzen, aber bernerkenswerten Rede. Er hat gesagt:
Ich glaube, wir können sagen: wir sind in der Wiedervereinigung weitergekommen. Gegenüber dem Zeugnis der ganzen freien Welt
- es lag ein Telegramm des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Eisenhower, vor, und eine Rede des Präsidenten der amerikanischen Gewerkschaften, Meany, war am gleichen Tage zu erwarten wird auf die Dauer keine Macht der Erde widerstehen können. Und so
- sagte er haben wir die feste Hoffnung, daß der Tag der Wiedervereinigung Deutschlands in Einheit und Freiheit bald kommen wird.
Das ist ungefähr der Tenor, auf den auch die Ausführungen des Herrn Kollegen Kiesinger gestellt sind: die Hoffnung, daß eine geistige Macht, die geistige Hilfe der Welt dazu führen wird, daß die Männer im Kreml in sich gehen und das tun, was unser heißes Verlangen ist.
Herr Kiesinger spricht von der Ausgangsbasis, die geschaffen worden ist, von dem Interesse der Alliierten, das wir aufrechterhalten müssen, von dem Interesse der anderen Welt, das wir in Bewegung halten müssen. In der Erklärung der Regierung wird das umschrieben mit „zielbewußter Außenpolitik". Meine Damen und Herren, mir scheint das alles reichlich platonisch.
Wenn wir mal eine Bilanz ziehen - „Zwischenbilanz", sagt die Regierungserklärung -: Haben wir viele Aktivposten zu verzeichnen? Daß wir, daß die Bundesrepublik, dieser deutsche Teilstaat, ein freiheitlicher Staat ist, ist das ein Verdienst? Ist das nicht mehr Gunst des Schicksals, der Geschichte, daß wir eben eingeschlossen sind in eine freiheitliche Welt, in der die Grundsätze der Demokratie gelten? Was wir uns sonst als Ziele gesotze
haben - ich spreche nicht über die innere Ordnung dieses Teilstaates Bundesrepublik Deutschland und das, was wir in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht geschaffen haben; ich spreche von den großen nationalen Zielen, die uns gestellt sind -, haben wir sie erreicht?
Ein Ziel, die europäische Ordnung, wurde in der Form der Integration eines Teils Europas erstrebt, Frankreichs, Italiens, der Bundesrepublik und der Beneluxstaaten. Das Ziel ist nicht verwirklicht, ist gescheitert. Es scheint mir nicht realpolitisch zu sein, wenn man glaubt, daß die Verhandlungen von Messina oder Venedig hier im Grundsätzlichen noch etwas wandeln, nämlich durch Institutionen ein Europa herbeiführen könnten. Nein, die Lösung kommt auf ganz anderem Wege, durch einen ganz anderen Geist, durch eine ganz andere Grundhaltung: durch den freiheitlichen, durch den liberalen Geist auch in den politischen, in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen nationalen Staaten.
Ich will die Bilanz nicht ausdehnen. Ist sie so positiv, ist sie so in die Zukunft weisend, wie unser Herr Kollege Kiesinger mit seinem beschwingten Pathos uns glauben machen will?
Ich will es mir versagen, im Rahmen der Aufgabe dieser Aussprache in die Vergangenheit zu schauen, die Fehlentscheidungen und die Fehlentwicklungen dieser Vergangenheit aufzuzeigen;
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das ist zur Genüge geschehen und bleibt als Vorwurf und als Mahnung bestehen.
Unsere Pflicht bei dieser Aussprache ist eine ganz andere, ist die zutreffende Analyse der gegenwärtigen Situation und der Versuch, aus ihrem Ergebnis die Folgerungen für unser aktives politisches Verhalten und Handeln zu ziehen. Ich meine, die Regierungserklärung bleibt vieles, allzu vieles schuldig, befaßt sich mehr mit der vergangenen Weltlage als mit der gegenwärtigen oder gar mit der Zukunft, die der Politiker voraussehen und gestalten soll, vermittelt vor allem nicht das, was sie sollte: Glauben, Vertrauen, Wollen, beweist nicht - es ist die bitterste Feststellung - innere Sicherheit und Kraft.
Was ist Politik, meine Damen und Herren? Politik ist die Brücke zwischen Idee und Wirklichkeit. Wer hat in dieser Regierungserklärung eine Idee gespürt, eine Vorstellung von dem, was geschehen soll, gar einen heißen Atem, einen wehenden Geist? Ach, das ist doch alles klügelndes Kalkül!
Wir haben das bei anderer Gelegenheit schon erlebt. Herr Ollenhauer hat davon gesprochen, wie die Dinge liefen, als es um die Saar ging. War das eine große Konzeption, ein großer Wille? Man stelle sich vor, wie die Dinge jetzt geklittert werden, wie man sich das, was dann trotz der irrigen Vorstellung der hier Verantwortlichen geschehen ist, zu Buche schlagen will! Man muß sich vorstellen, was in der Saarfrage weiter geschah. Ein Akt, der mit professoraler Akkuratesse begonnen war, wurde einfach fortgeführt, als ob am 23. Oktober 1955 nichts geschehen wäre. Es war eine der merkwürdigsten Feststellungen der Regierungserklärung, die beabsichtigte Regelung an der Saar - dabei ist der 1. Januar 1957 noch nicht einmal ein absolutes, feststehendes Datum - sei durch beiderseitige Opfer erreicht. Merkwürdig, daß man nicht erkennt, daß uns und nur uns Opfer - gegenüber Ansprüchen, die nicht in die europäische Landschaft passen, will ich mal vorsichtig sagen - zugemutet werden.
Wenig von Politik habe ich in der Regierungserklärung gespürt, wenig auch von einem ernsten leidenschaftlichen Willen, die Dinge in Bewegung zu bringen.
Man sagt so gern, das gespaltene Deutschland sei ein gefährlicher Unruheherd im Herzen Europas, im Schnittpunkt der weltpolitischen Interessen, und alle seien daran interessiert, daß diese Gegensätze beseitigt werden, weil es sonst keine Sicherheit und keinen dauerhaften Frieden gebe. Meine Damen und Herren, das ist eine schöne These, die sich mit der Wirklichkeit nicht deckt. Zeigen Sie mir die Unruhe, zeigen Sie mir die Menschen, die sich gegen das Schicksal aufbäumen, zeigen Sie mir die Menschen in der Bundesrepublik, die Tag für Tag das Empfinden haben, daß dieser Eiserne Vorhang ein schweres Schicksal für uns ist! Es macht sich doch ein ganz anderer Geist in unserem Volke breit: Der Konformismus, das Sich-Abfinden mit den Dingen, das Hinnehmen dieses schwersten Schicksals. das ein Volk treffen kann. So sind doch die Dinge. Ich meine nicht, daß unsere Parteien die Verpflichtung fühlen, hier aufwühlend zu wirken.
Es hat sich schon in der Saarfrage gezeigt, welchen Geistes man ist. Das war die erste Möglichkeit, zu zeigen, daß man Deutschland will, daß man will, daß deutsches Land und deutsche Menschen zusammengehören. Da konnte man es zeigen.
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Wie sind wir diffamiert worden, nicht von den einfachen Leuten, aber auf Weisung der führenden Wirtschaftsschicht; was hat man von Wirtschaftlern gehört!
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Es wurde so getan, als ob es eins wäre, ob die Deutschen drüben oder herüben, ob sie autonom oder ob sie bei Deutschland wären. Jetzt hat man doch auch das Gefühl einer schlimmen Sattheit; es ist eine Tatsache, daß die Frage der deutschen Einheit nicht aufwühlt.
Herr Kiesinger sagte, wir müßten die Alliierten, wir müßten die Neutralen in der Welt an der Frage der Wiedervereinigung interessieren. - Wir müssen zunächst einmal die deutschen Menschen bewegen, daß sie das empfinden!
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Wie weit sind wir doch gekommen! Ich glaube, es war der italienische Botschafter, der zu Hause bei einer Konferenz seiner Regierung berichtet hat, daß man in Deutschland hier und da bei schönen Festen, besonders am 17. Juni, von der Wiedervereinigung spreche, daß aber die Wiedervereinigung kein ernstes deutsches Anliegen, keine ernste deutsche Sorge sei. Soweit sind wir gekommen.
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- Ich referiere nur. Das müssen Sie dem Mann
sagen, der es als ein objektiver neutraler Politiker vermittelt hat.
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- Sie sind wirklich der letzte, der mir das sagen könnte.
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Ich liebe dieses Volk, und ich treibe Politik, weil ich es liebe.
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- Welcher Mangel an einfachstem Takt, meine Herren!
War das eine politische Rede?, frage ich. Steckt hinter dieser Rede eine Vorstellung, die ein politisches Gestalten aus einem Guß erstrebt? Ach, man hat das Gefühl, diese Rede war von den verschiedenen Referenten nach Abteilungen zusammengestellt, und einige Kabinettsmitglieder haben dann noch ihre Wünsche zur Geltung gebracht.
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Manchmal hat man das Empfinden, meine Damen und Herren: es lohnt sich nicht mehr, hier in diesem Raume über Außenpolitik zu sprechen; das füllt Folianten, die in die Bibliothek kommen, aber
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das rührt doch nicht die Menschen, besonders nicht eine solche Regierungserklärung.
Ein Wort: Eine Rede soll ja eine Tat sein.
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Eine Rede soll wirken.
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- Sie lachen, weil Sie durch die Deklamationen dieses Hauses verdorben sind.
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Meine Damen und Herren, eine Rede, die nicht wirkt, ist doch sinnlos!
Betrachten wir uns einmal, wie nun diese Rede die politische Macht anspricht, auf die es bei der Frage der deutschen Einheit ganz wesentlich ankommt: die russische Regierung. Was könnte die russische Regierung - sie ist ja hier im Hause vertreten -,
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was könnte die sowjetrussische Regierung veranlassen, etwas zu tun, kann diese Regierungserklärung sie veranlassen, auch nur das Geringste zu tun, um dem Streben nach der deutschen Einheit entgegenzukommen? Bitte, sagen Sie mir das. Das wäre ein konstruktives Werk, das wäre Politik gewesen, wenn die Rede auch nur einen Ansatzpunkt in dieser Richtung gezeigt hätte, wenn sie der russischen Regierung, der sowjetrussischen - ich will den Herrn Rasner wirklich nicht herausfordern; es ist geschichtlich Rußland und bleibt Rußland, auch wenn dort die Sowjets herrschen -, wenn sie der Regierung der Sowjetunion dargelegt hätte, was wir wollen, so daß unsere Wünsche, darf ich das Wort gebrauchen, ihr vertrauter geworden wären.
Es ist viel von „realistisch" und „unrealistisch" gesprochen worden. Wenn Sie die Regierungserklärung nach diesem Gesichtspunkt bewerten, wissen Sie erst, wie unrealistisch, wie trocken, wie abstrakt sie ist, wie immobil die Haltung ist, die hinter ihr steckt. Wenn Sie den Satz aufnehmen - er stammt nicht von mir, sondern von einem klugen Politiker - „Politik ist die Brücke von der Idee zur Wirklichkeit", müssen Sie sagen: diese Rede hat wahrlich keine Brücke geschlagen.
Es ist nicht einmal eine diplomatische Rede, meine Damen und Herren; denn die Diplomatie hat ja hohe Aufgaben. Auch hier das Zitat eines klugen Mannes: .,Die Diplomatie ist die Kunst. einen negativen Wert zu einem positiven Wert umzuformen."
Das ist die Aufgabe, die vor uns steht. Wir kennen alle die Schwierigkeiten und Hemmungen, die der Erfüllung unserer politischen Ziele entgegenstehen. Niemand verkleinert sie. Ich stimme mit Herrn Kiesinger in der Bewertung - ich suche ihn vergeblich mit meiner Seele - durchaus überein: es ist eine Illusion, zu glauben, daß die Aufgabe auch nur im geringsten leichter geworden sei. Um so größer ist die Aufgabe, die politische und die diplomatische Aufgabe, die uns gestellt worden ist.
Haben Sie aus dem Bericht der Regierung auch nur das Geringste an diplomatischem Vermögen herausgespürt, auch nur den Versuch zu einer Diagnose und dann zu einer Prognose? Und haben Sie einen starken, kräftigen Willen geahnt, der dahinterstünde? Nein! Es ist weder eine politische, noch eine diplomatische Regierungserklärung.
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- Herr Kunze, es gibt keine politischen Rezepte; es gibt sie besonders nicht im Parlament. Wenn Sie das erwarten, dann sehen Sie, glaube ich, die Dinge der Außenpolitik falsch. Deswegen auch meine Skepsis, diese Fragen hier und auch im Ausschuß zu behandeln. Außenpolitik wird am Ende anders gemacht. Aber wir sind leider gezwungen, nun einmal sehr ernsthaft zu sagen, daß die Dinge so nicht weitergehen,
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daß die Dinge auf einem schlechten Wege sind, daß wir dem Ziel der Wiedervereinigung durch die Politik, die getrieben worden ist, ferner sind denn je.
Sowohl in dem merkwürdigen Interview, das am Dienstag gegeben worden ist - wahrlich kein staatsmännisches Interview -, als auch in der Rede des Herrn Kiesinger klingt immer die Forderung an, wir müßten um das Vertrauen der westlichen Welt besorgt sein. Es ist so oft gesagt worden: Ja, wenn wir mit den Russen sprechen oder wenn wir Verhandlungen mit dem Osten aufnehmen - so ungefähr wird, glaube ich, gesagt -, dann räumen wir die Positionen, die wir in Frankreich, die wir in England, die wir in den Vereinigten Staaten haben.
Also wenn das der Ausgangspunkt, die Ausgangsbasis unserer Politik ist - Herr Kiesinger ist leider zum Telephon., glaube ich, gerufen worden -, wenn wirklich das Vertrauensverhältnis zwischen dem Westen und uns so labil ist, daß ein Gespräch mit dem Kreml - das doch immer die Abstimmung mit der westlichen Welt zur Voraussetzung hätte, weil es doch darum ginge, die Meinung der westlichen Welt mit der Rußlands und der unsrigen in Einklang zu bringen - die Gefahr heraufbeschwören würde, daß das Vertrauen der westlichen Welt zu uns erschüttert würde, auf welch schwankendem Boden steht dann dieses Vertrauen!
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Was ist denn in den letzten Jahren nicht geschehen? In welchem Maße ist dann der westlichen Welt n i c h t zum Bewußtsein gebracht worden, wie tief die deutsche Demokratie in der Bundesrepublik begründet ist und daß es am Ende in dem verantwortlichen Deutschen Bundestag niemanden gibt, der nicht mit den demokratischen Verpflichtungen tief verbunden ist! Was ist hier gefehlt worden,
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wenn so, wie man es darstellt, das Vertrauen der westlichen Welt auf ganz wenige Augen oder Schultern oder Herzen gerichtet ist!
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Meine Damen und Herren, man malt oft den Geist von Rapallo als drohendes Gespenst an die Wand. In diesem Zusammenhang darf man das vielleicht erwähnen. Wie falsch! Als ob so etwas bestünde! Der Schock von Rapallo bestand doch
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darin, daß damals ganz überraschend und ohne jede Verständigung der Westalliierten ein Abkommen mit Rußland getroffen wurde, - etwas, was in der gegebenen Situation überhaupt nicht im Bereich der Möglichkeiten unseres Willens liegt.
Ein Versuch der Analyse der gegenwärtigen Situation, um daraus Folgerungen zu ziehen: wie sind die augenblicklichen Strömungen in der Welt, in die ja die Frage der deutschen Wiedervereinigung eingebettet ist?
Man möchte zu der Regierungserklärung sagen: in ihr lebt die Vorstellung, als ob die Welt nur aus der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten bestünde. Daneben kam eigentlich nur noch der Präsident von Indonesien, Herr Sukarno, etwas plastischer zur Erscheinung. Mit ihm sind aber offensichtlich keine politischen Gespräche über die wechselseitigen Beziehungen und die Beziehungen zu den Weltproblemen geführt worden, sondern so, wie man es schildert, hat man nur „unsere" Tatsachen etwas renommierend vorgezeigt.
Wie ist die augenblickliche Strömung? Entscheidend ist die Haltung der Sowjetunion zur Frage der deutschen Wiedervereinigung. Darauf liegt selbstverständlich das Gewicht. Wie steht es damit?
Die Dinge sind überscharf am Anfang dieses Monats durch das, was in Luxemburg erklärt worden ist, beleuchtet worden, durch die alarmierende Nachricht, daß der französische Ministerpräsident Mollet ein . Gespräch mit Chruschtschow wiedergab, die Erklärung Chruschtschows, daß die Sowjetunion unter den gegebenen Umständen nicht bereit sei, einer Wiedervereinigung Deutschlands zuzustimmen, selbst wenn dieses wiedervereinigte Deutschland neutralsiert sei; Rußland habe lieber 17 Millionen Deutsche mit sich als 70 Millionen Deutsche gegen sich; die weitere Erklärung, daß die Sowjetunion die Existenz zweier deutscher Staaten als Tatsache betrachtet und nicht bereit ist, die sogenannte Deutsche Demokratische Republik und ihre sozialen Errungenschaften aufzugeben. Ähnliche Erklärungen waren schon vorher, schon nach der zweiten Genfer Konferenz, auch schon nach der Juni-Konferenz, von den russischen Staatsmännern, von Bulganin und Chruschtschow, geäußert worden, auch bei dem Besuch der beiden in London im Mai dieses Jahres.
Bittere Feststellungen, die für uns entscheidend sind.
Maßgebend sind aber die Worte: „unter den gegebenen Umständen nicht bereit". Die Politik muß an diesem Punkte ansetzen. Hier beginnt die Pflicht einer aktiven deutschen Politik in der Frage der Wiedervereinigung. Sie muß versuchen, zu klären, was unter diesen „gegebenen Umständen" zu verstehen ist. Hier besteht Anlaß, meine Damen und Herren, daß die deutsche Regierung sich in das Gespräch zwischen Osten und Westen einschaltet und versucht, die Dinge zu beeinflussen, versucht, dem Ziele unseres nationalen Strebens näherzukommen. Hier empfindet man doch, meine ich, als eine beinahe quälende Verpflichtung, was die Aufgabe der Politik ist. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, zu polemisieren und zu agitieren, die Äußerung Chruschtschows zu variieren, entscheidende Worte „70 Millionen mit sich ", ;,20 Millionen gegen sich" nicht wiederzugeben und dann diese Äußerungen mit dem Vokabular
- Herr Ollenhauer hat schon darauf hingewiesen
- nun, ungefähr des Antikomintern-Paktes zu belegen, nicht nur als rechtlich unmöglich - das ist richtig! -, sondern auch als brutal und anmaßend usw. zu bezeichnen, und dann etwas selbstgerecht festzustellen, an dem Kurs Rußlands habe sich nichts geändert, und es bestehe kein Anlaß, etwas zu unternehmen; man kann sich wieder getrost in die politische Abstinenz hineinflüchten.
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- Ich sage das. Ich befürchte das, Herr Kiesinger.
So dient man eben nicht der großen politischen Aufgabe der Entspannung, die gestellt worden ist, besonders gestellt worden ist von Leuten, die immer noch am meisten von praktischer Politik verstehen, von den Engländern. Großbritannien, ich muß schon sagen, diese Heimstatt nüchterner und unideologischer Politik.
Die Dinge sind dann weitergegangen. Der Standpunkt der Sowjetunion ist in den Gesprächen mit den französischen Staatsmännern zum Ausdruck gekommen, ist in einer Reihe von Veröffentlichungen deutlich geworden.
Die Sowjetunion hat - ich will die Quellen nicht im einzelnen bezeichnen; das würde zu weit führen - klar zum Ausdruck gebracht, daß ein wiedervereinigtes Deutschland die Gefahr einer Agitation, einer Aggression gegen Rußland in sich schließen könne, daß eine Irredentapolitik einsetzen könne, daß die Wiedervereinigung zwar eine Spannungsgefahr beseitigen, aber neue Spannungsgefahren schaffen könne. Das sind die Tatsachen.
Meine Damen und Herren, auch Irrtümer, auch falsche Vorstellungen, auch psychologische Fehlleitungen sind politische Tatsachen. Sie gilt es zu beeinflussen. Das kann man nur im Gespräch. Und vor der Sorge gegenüber Deutschland können die Russen nur durch uns, also nur durch deutsche Politik, nur durch deutsche politische Aktivität befreit werden. Hier können wir uns nicht auf die Westalliierten verlassen.
Ich bin nicht der Meinung - um noch ein Wort zu dem Dienstag-Interview zu sagen -, daß diese Methode geeignet ist, aus einer passiven Resignation herauszuführen und zu dem zu führen, was notwendig ist: aktive, konstruktive deutsche Politik in unserer Lebensfrage, in der Frage der deutschen Wiedervereinigung. Wir können einmal auch das Positive der gegenwärtigen Situation sehen. Niemals war nach meiner Meinung die äußere Voraussetzung für die Aufnahme von Kontakten besser als die jetzige. Durch die atomare, durch die nukleare Gleichgewichtigkeit ist in der Welt vieles in Fluß gekommen. Neues will werden und will sich gestalten. Man muß schon sagen: überall in der Welt ist dieses Empfinden vorhanden, wird gedacht, wird geplant, wird gesprochen. Da können doch nicht nur wir Deutschen stumpf sein und die gleichen Litaneien in diesem Hause abbeten, wie wir es jetzt schon im siebenten Jahre tun.
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Nein, der Fluß der Zeit darf an uns nicht vorbeigehen. Es geht doch am Ende um unser Schicksal, und es geht um das deutsche Schicksal!
Ich frage - Herr Ollenhauer und Herr Kiesinger haben die Frage schon aufgeworfen -: Gibt es eine neue Lage in der Sowjetunion, oder ist alles
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beim alten geblieben, so wie es ungefähr die Regierungserklärung uns glauben machen will? Ich glaube, man darf der Geheimrede Chruschtschows vom 24. Februar dieses Jahres kein übermäßiges Gewicht beimessen. An sich war sie keine Überraschung für denjenigen, der die russischen Dinge kennt; denn schon nach dem Tode Stalins hat die neue Regierung ganz positiv versprochen, daß die Kommunistische Partei alle Mängel des Staatsapparats beseitigen und alle Akte von Willkür und Ungesetzlichkeit aufdecken und ausmerzen wird. Dieses Versprechen stand schon im Raum, und wir wissen doch, wie vieles geschehen ist, wie Tausende und aber Tausende von Menschen rehabilitiert worden sind, in sehr ausführlichen Schauprozessen, so wie sie mit dem umgekehrten Vorzeichen seinerzeit verurteilt worden wären.
Die Rede Chruschtschows war die Einlösung dieses Versprechens, und darum die Feststellung, meine Damen und Herren: mit dieser Rede entfernt sich der Kommunismus nicht von sich. Der Kommunismus gibt sich nicht auf. Es wäre eine Illusion - da hat Herr Kiesinger vollkommen recht -, diesen Schluß zu ziehen; im Gegenteil, der Kommunismus festigt sich und seinen Apparat. Das ist die Situation.
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- Was heißt „also"? Um so mehr muß man tun!
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- Ja, Herr Krone, das, was bisher geschehen ist: nichts zu tun, - soll ich Ihnen wirklich diese Banalitäten vorhalten? Soll ich Ihnen sagen, wie man den Herrn Sorin behandelt? Soll ich Ihnen sagen, wie man den Herrn Haas einsetzt? Soll ich Ihnen den ganzen Leidensweg der letzten fünf Jahre aufzeigen, welche Chancen man nicht genützt hat?
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Ich glaube, in diesem Hause braucht man ja nicht mehr beim Abc der Politik zu beginnen. So sind doch die Dinge!
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Die Dinge haben sich drüben nicht gewandelt; sie sind genauso hart, wie sie waren.
Aber worum geht es? Es geht nicht etwa um eine Revolution gegen den Kommunismus, sondern es geht um eine Evolution des Kommunismus mit immerhin bedeutsamen Wandlungen. Stalin hatte versucht, alle kommunistischen Staaten zu Satelliten, zu wirtschaftlichen Kolonien zu machen. Das hat er getan. Tito hat dagegen rebelliert. Sein Besuch und seine Aufnahme in Moskau haben doch eine symbolische Bedeutung. Das Zeichen des anderen Kurses ist, daß man jetzt im kommunistischen Bereich eine Vielzahl von selbständigen nationalen Staaten zugesteht. Hier vollzieht sich in einem gewissen Maße eine Aufweichung, eine zunehmende nationale Ordnung und auch eine Form des Antikolonialismus. Tito ist meines Erachtens der lebendige Beweis für eine ganz entscheidende politische Tatsache, der lebendige Beweis dafür, daß nationale Unabhängigkeit innerhalb der kommunistischen Welt möglich geworden ist, daß ein Staat mit den beiden großen Mächtegruppen in der Welt verbunden sein kann.
Ach, ich erwarte nicht von Ihnen, daß Sie das sofort abnehmen.
({28})
Dafür ist der Gedanke vielleicht viel zu neu und zu kühn.
({29})
Immerhin sehe ich in dieser Entwicklung eine ganz entscheidende Umstellung. Man kann neutral und trotzdem gebunden sein. Na, beflügeln Sie einmal Ihre Phantasie, vielleicht kommen Sie zu guten Lösungen.
({30})
Das erscheint mir bedeutsam: die Möglichkeit der Neuorientierung einer Politik im Rahmen einer bestehenden Allianz. Nun muß sich natürlich manches erweisen, z. B. ob die Sowjetunion bereit ist, den Oststaaten große Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu gewähren. Ich habe mir die Mühe gemacht, interessante Gespräche mit Menschen aus Polen und aus der Tschechoslowakei zu führen.
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Ich empfehle es jedem, dem die Dinge am Herzen liegen. Das Bewußtsein dieser Menschen, daß sie Europäer sind, daß sie zum Westen gehören wollen, ist bewegend. In Polen klingt der Schmerz auf, daß Polen durch die Zone der Sowjetunion, durch die Sowjetmacht von Deutschland getrennt ist. Hier sind doch Dinge, die in Bewegung sind. Sie zu fördern und in unserem Sinne zu beeinflussen, ist Aufgabe der deutschen Außenpolitik und Diplomatie.
({32})
Ich will mich nicht mit der These der Regierungserklärung auseinandersetzen, daß die Sowjetpolitiker ihre Politik immer dann ändern, wenn sie spüren, daß sie auf unüberwindliche Widerstände stoßen. Na, ich weiß nicht - ({33})
- Meinen Sie, daß das richtig sei und daß Sie das durch die Entwicklung der letzten Jahre beweisen könnten? Selbst wenn das richtig wäre, Herr Rasner: ein guter Diplomat würde das nicht sagen, sondern würde über diese Möglichkeit schweigen und nicht dem, mit dem er weiter politisch handeln will, das Gefühl der Niederlage zufügen.
({34})
Ich meine, es ist ein krasses Mißverhältnis in der Wertbeziehung, wenn man diesen Weg geht.
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Auf jeden Fall: Nützt uns Bundesrepublikanern eine solche Auffassung? Der Wandel der sowjetrussischen Politik ist doch nicht zu leugnen. Ich übersehe gar nicht, was geschehen ist, wie bedeutsam, sagen wir einmal, der Widerstand in Griechenland, in Nordpersien,
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die Überwindung der Blockade Berlins, der Widerstand in Korea waren. Aber die Gründe für die Wandlung der Haltung der Sowjetpolitiker sind doch ganz andere, sind Fakten, die zu analysieren jetzt zu weit führen würde und nicht notwendig ist.
({37})
Aber, meine Damen und Herren, müssen wir uns denn wirklich in Hoffnungen wiegen, daß diese - ich muß sie noch einmal zitieren - Politik der Stärke eine Wirksamkeit haben könnte? Gibt es nicht ganz andere Faktoren, die zu einer Verständigung führen können?
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Können wir nicht mit einem Rußland, das in sich beruhigt, das sicher ist, das Angstkomplexe aus Überlegenheit abreagiert hat, eher zur Erfüllung unserer politischen Ziele kommen als mit einem Rußland, das ängstlich ist oder das gar vom Westen her entwertet, diffamiert wird? Von den Leuten, die mich kennen, wird niemand sagen, daß ich mein Urteil in dieser Frage geändert habe. Auf jeden Fall ist festzustellen: in dieser Frage ist vieles, allzu vieles im Fluß. Grundsätzliches hat sich geändert.
Nach der Herbstkonferenz in Genf hat die Sowjetunion den Ring des „containment", der Zurückdrängung Rußlands mit all seinen Lebensfunktionen durchbrochen, praktiziert auf jeden Fall die Methode der klassischen Diplomatie, der Diplomatie des Lächelns - wir wissen, mit welchem Erfolg -, dringt dabei in die westliche Welt ein und wirbt um Sympathien nicht nur bei uns, sondern vor allem im asiatischen Raum. Es geschieht nicht zuletzt durch das Angebot der wirtschaftlichen Hilfe. Man kann sagen, die Sowjetunion gibt den Kalten Krieg auf und beginnt sich zur Zusammenarbeit im Rahmen der UNO zu rüsten.
Sehr interessant ist das gemeinsame Kommuniqué, das aus Anlaß des Besuchs Titos in Moskau herausgegeben worden ist und das von einer „großen kollektiven internationalen Aktion" spricht. Ich glaube, dahinter verbirgt sich das, was die Sowjetregierung will. Es beginnt nach meiner Meinung eine starke Bewegung der Neutralen. An uns ist es nicht, an dem Ufer des Stromes dieser Zeit liegenzubleiben, sondern mitzuschwimmen. Das ist die Aufgabe einer deutschen Politik, und von dem Bewußtsein dieser Verpflichtung habe ich aus der Regierungserklärung nichts entnommen.
Man kann sagen: der Prozeß der Entspannung setzt sich fort, der militärische Charakter der heutigen Allianzen bekommt einen starken wirtschaftlichen und politischen Akzent. Die Möglichkeit der Zusammenarbeit der beiden Welten und der Neutralen verstärkt sich. Es zeigen sich immer größere Möglichkeiten, und nur im Rahmen dieser Entwicklung kann die deutsche Frage durch hochgespannte deutsche politische Aktivität gelöst werden, kann die deutsche Einheit in einer Form hergestellt werden - darauf kommt es eben am Ende an -, die von der Sowjetunion hingenommen wird und die unsere Interessen, besonders das, was Herr Kiesinger euch herausgestellt hat, den Grundsatz unserer politischen, geistigen und gesellschaftlichen Freiheit, wahrt.
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- Ich glaube. wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie von meiner Tendenz und von den Möglichkeiten der Zeit Kenntnis nehmen müssen. Ich glaube, ich habe in noch viel stärkerem Maße als meine beiden Vorgänger versucht, zu analysieren und zu folgern. Ich bin der Meinung, die Chance steigt von Tag zu Tag, und unsere Chance zu nützen, ist die Aufgabe.
Ich sollte manches über den Standpunkt der Freien Demokraten im einzelnen sagen. Ich bin durchaus der Meinung, daß der Rechtsanspruch auf Wiedervereinigung nach wie vor besteht und mit allen Mitteln von uns geltend gemacht werden muß, nicht nur durch die Festlegung in den Pariser Verträgen, die wir mit beschlossen haben und zu denen wir stehen, von denen wir uns nicht distanzieren, die deutsche Einheit ist eine Verpflichtung, die auch im Potsdamer Kommuniqué ratifiziert worden ist, die in der Atlantikcharta vom 14. August 1941 festgelegt und die in das Krimabkommen vom 12. Februar 1945 übernommen worden ist. Wir haben eine gute Rechtsposition, wir denken nicht daran, sie zu verlassen.
Die Regierungserklärung ist sehr schön, mit klingenden Worten über das Verhältnis von Recht und Macht, ausgeklungen. Ich will nicht Macchiavelli zitieren. Die Rechtsposition aufrechtzuerhalten ist Macht. Ich bin ein Mann des Rechtes und glaube, daß sich Recht immer am Ende durchsetzt, wenn es mit heißem Willen vertreten wird. Die Erkenntnis: in der Wiedervereinigungsfrage geht es um uns; ich habe vor Jahren hier an diesem Platz einmal gesagt: Nostra res agitur. Hier stehe ich in schroffstem Widerspruch zu dem, was in dem Interview vom letzten Dienstag gesagt worden ist.
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Man wirft uns vor, daß viele unserer Äußerungen - was weiß ich; in der Regierungserklärung kommen sehr harte Adjektiva vor - „unrealistisch" gewesen seien, „aus Emotion geboren" seien, „abwegige Vorstellungen" seien. Das ist ja nicht gerade sehr liebenswürdig und eine gewisse Umkehr der Dinge. Das Parlament qualifiziert die Regierung und nicht die Regierung die Parlamentarier. Alles was recht ist!
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Ich meine, ich befinde mich in guter Gesellschaft. Der Arthur S c h o p e n h a u er, Herr Kiesinger, hat einmal gesagt: Gute, wirksame Ideen werden zunächst verlacht, im zweiten Stadium sind alle dagegen, und im dritten erkennen sie alle an.
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Ich könnte Ihnen manches sagen, was ich im Laufe der Jahre erklärt habe und was man mir übelgenommen oder verdacht hat.
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- Aber trotzdem! Das ist ein primitiver Umkehrschluß, Herr Kiesinger. Aber bitte, ich rechte mit Ihnen: Sagen Sie mir eine meiner Ideen, die zu Recht verlacht worden wäre! Ich erkenne den Vorwurf, der erhoben worden ist, wir hätten irgend einmal Deutschland geschadet, nicht an, weil ich das Gefühl habe, daß das, was meine Freunde und mich bewegt, aus heißestem Herzen kommt. Gerade die Passivität der Bundesregierung, das Gefühl bei uns: „Notwendiges geschieht nicht", hat uns bewogen, mit gesteigerter Leidenschaftlichkeit zu wägen: Was ist möglich und was ist notwendig? Das nehmen wir für uns in Anspruch.
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Ich will mich mit vielem nicht auseinandersetzen. Der Vorschlag der Volksbefragung ist in der gestrigen Regierungserklärung vollkommen falsch bewertet worden. Das ist auch eine sehr einfache Art, mich ad absurdum führen zu wollen, wenn man fragt: Was wäre die Volksbefragung in letzter Konsequenz? Ich will keine letzte Konsequenz, sondern
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ich will eine Volksbefragung, eine Erklärung des Volkes zu einer bestimmten Frage, zu einer Frage, die man durchaus positiv beantworten kann. Man sagt, das sei selbstverständlich. Gar nichts ist selbstverständlich. Die Frage, die ich vorlegen wollte, war wohl bedacht, war die Fortführung der Direktiven der Chefkonferenz von Genf vom Juli vorigen Jahres: die Befragung, ob die deutschen Menschen in einem wiedervereinigten Deutschland ein Sicherheitssystem wollen, zu dem mindestens die vier Siegermächte gehören. Wir wissen, was die Volksbefragung vom 23. Oktober 1955 an der Saar ausgelöst hat:
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die Möglichkeit, daß deutsche Menschen sich zur deutschen Schicksalsfrage äußern können. Kann man das entwerten? Nein!
Ich könnte einen ganzen Katalog von dem aufzählen, was wir seit Jahren überlegt haben - wirklich nicht leichtfertig -, was unser Freund Pfleiderer schon Anfang 1952 als mögliche Lösung der Wiedervereinigungsfrage dargestellt hat.
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- Nun, Sie haben gar keinen Grund, das mit Heiterkeit festzustellen. - Andere haben es übernommen, immerhin Leute mit politischem Rang, Herr Pelster: Herr Churchill in seinem Ost-LocarnoVorschlag, Herr Eden mit seinem Vorschlag bei der ersten Konferenz in Genf. Wahrlich kein Grund zur Heiterkeit! Viele andere Dinge könnte ich Ihnen darlegen. Soll einmal die Regierung sagen, ob das wahr ist, was bei dem Deutsch-Engtischen Gespräch in Königswinter behauptet worden ist: daß dieser gute Wille Edens bei der ersten Genfer Konferenz - in Anlehnung an das, was wir vorgedacht haben -, daß sein Plan - Begründung einer entmilitarisierten oder militärisch „verdünnten Zone" und anderes - zurückgezogen worden ist, nicht, wie Chruschtschow in einem Interview behauptet hat, weil Amerika dagegen Verwahrung eingelegt hätte, sondern - so die Behauptung englischer Abgeordneter - weil die Bundesrepublik das gewollt habe.
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Halten Sie das für eine konstruktive, für eine fördernde Außenpolitik für die Lösung des Problems, das uns gestellt ist?
Herr Kiesinger will etwas hören von meinem Vorschlag oder von meiner Äußerung über Gespräche mit Pankow auf einer Pressekonferenz in Berlin - ich glaube, es war am 11. Juni -, die sehr stark beschickt war
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mit Korrespondenten nicht nur aus dem Ostsektor und aus der Zone, auch aus den Oststaaten, Polen und Tschechoslowakei. Die Frage lautete: Wollen Sie mit Pankow verhandeln? Meine Antwort - nun, ich habe wohl die schroffste Ablehnung gegeben, die es jemals gegeben hat -: Mit einem Leprakranken legt man sich nicht ins Bett!
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Und dann habe ich weiter erklärt: Ich habe gestern ein Gespräch - zufällig - mit einem Russen von Rang gehabt, der mich auch danach gefragt hat, und da habe ich ihm gesagt - und das hat er akzeptiert -: In der Frage der deutschen Wiedervereinigung geht es nicht um Themen, die man mit Pankow besprechen kann, sondern es geht um
die Frage des Status, des völkerrechtlichen, des politischen und des militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschlands im Zusammenhang mit den beiden Weltblöcken;
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dazu hat doch eine Regierung von Pankow niemals eine Kompetenz! Dann habe ich - natürlich übersteigernd - gesagt, das mindeste, was Rußland tun müßte, sei, von vornherein anzuerkennen, daß Pankow berechtigt sei, über eine seiner - Rußlands - Lebensfragen, über die Frage der militärischen Struktur Mitteleuropas zu verhandeln.
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- Was heißt „na, na"? Wen hat es nicht überzeugt? - Wie?
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Ich nehme nicht an, daß Rußland sein Schicksal
oder auch nur einen kleinen Teil der politischen
Dinge, die Rußland wesentlich berühren, in die
Hand des Herrn Ulbricht geben wird.
Ich will mich mit dem, was ich hier, natürlich etwas verkürzt, gesagt habe, begnügen. Vielleicht noch einmal ein Bekenntnis, um Mißverständnisse auszuräumen: Ich glaube, keine Partei ist nach ihrer Grundhaltung mehr dem Bolschewismus entgegengesetzt als wir.
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Was ist denn die Gegenkraft gegen den Bolschewismus? Der Wille, das Leben in Freiheit, in Selbstverantwortung im Geist, im Staat und in der Politik zu gestalten. Das ist das, was uns erfüllt. Es kann keine leidenschaftlicheren Gegner des Bolschewismus geben als uns. Wir sind über Verleumdungen, als ob wir hier anfällig wären, weit erhaben.
Aber darauf kommt es an: Wir haben Sorge um Deutschland. Die Dinge sind bisher, Herr Kiesinger, nicht gut gegangen. Es ist nicht gelungen, in diesem nationalen Notstand eines gespaltenen Deutschlands wenigstens hier in der Bundesrepublik, in diesem Hause eine Einheitsfront in der Lebensfrage des deutschen Volkes herbeizuführen. Das ist ein Fehler - ich will nicht rechten, ich will hier keine Verantwortungen aufstellen -, eine bittere Fehlentwicklung. Wir sind sachlich in der Frage der deutschen Einheit - wir wollen uns doch nicht täuschen - nicht weitergekommen. Sprechen Sie mit den Menschen, die von drüben kommen, und sehen Sie die Verzweiflung in ihren Augen! Dann wissen Sie, was nicht erreicht worden ist. Meine Freunde sind aus der Koalition geschieden, weil ihnen der Glaube an den klaren Willen der Regierung in dieser Frage verlorengegangen ist. Die Regierungserklärung ist wahrlich nicht geeignet, diesen Glauben erneut zu schaffen.
({55})
Das Wort hat der Abgeordnete Feller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte, die wir heute führen, erhält einen Akzent, der uns weg von jeder Deklamation und jedem Pathos zur Realistik führen muß, nämlich den Akzent, der ihr durch die Meldung über den Aufstand, der sich in Polen und vor allem in der Stadt Posen abspielt, gesetzt wird.
({0})
({1})
Die Meldungen darüber weisen im Ursprung und im Ablauf der Unruhen gewisse Übereinstimmungen mit dem 17. Juni 1953 in Berlin und in der Zone auf.
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Wir wissen nicht, wie die Dinge sich entwickeln und wie sie enden werden. Wir wollen uns auch jeglicher Einmischung enthalten. Aber wir werden gerade an diesen Vorgängen beobachten können, wieweit die im Osten vorgegangenen Veränderungen wirklich zum Grundsatz der Nichteinmischung zurückgeführt haben oder zurückführen werden Daraus werden wir auch unsere Schlüsse zu ziehen haben auf das Verhältnis, das sich im Zuge der inneren Veränderungen in der Sowjetunion und in den Satellitenstaaten auch zur deutschen Frage und zu Deutschland ergeben könnte.
Aber sehen wir von diesen Vorgängen einmal ab, dann ist die heutige Debatte über die außenpolitische Lage, die nach langer Pause wieder einmal stattfindet, nicht durch ein bestimmtes außenpiolitisches Ereignis veranlaßt. Sie stellt vielmehr, wie die Regierungserklärung mit Recht sagt, eine Art Zwischenbilanz ,dar. Die Regierungserklärung fügt hinzu, daß sich aus ihrer Prüfung ergeben müsse, ob die bisherige Außenpolitik der Bundesregierung einer Änderung bedürfe oder nicht. Aber die Regierungserklärung nimmt selbst das Ergebnis dieser Prüfung vorweg, indem sie feststellt, daß keinerlei Änderung der Außenpolitik der Bundesregierung notwendig sei. Damit, meine Damen und Herren, erlangtallerdings die in der Regierungserklärung selbst verlangte Prüfung einen sehr einseitigen Charakter.
Meine Fraktion befaßt sich als ein Teil der Opposition idennoch mit dieser Prüfung und beteiligt sich daran, aber nicht etwa in der Absicht, von vornherein zu behaupten, daß alles an der bisherigen Außenpolitik der Bundesregierung falsch gewesen sei. Es kommt uns nämlich keineswegs darauf an, mit einer solchen Behauptung innerpalitisches Kapital zu schlagen oder unseren Übergangs der Koalition in die Opposition zu rechtfertigen. Wir wären sogar bereit, Irrtümer oder Fehler einzusehen, wenn wir zu der Überzeugung kämen, daß dadurch dem Ziele der deutschen Außenpolitik, nämlich der Herbeiführung der deutschen Einheit, ein Dienst erwiesen werden könnte.
Meine Damen und Herren, wir können hier ganz frei und unbelastet Stellung nehmen, weil wir uns der Übereinstimmung mit unseren Anhängern und Wählern in jedem Falle sicher sind. Wir haben am vergangenen Sonntag unseren Bundesparteitag in Fulda gehabt. Wir haben dort auch rüber die außenpolitischen Fragen gesprochen, haben Beschlüsse dazu gefaßt und sind deshalb der Zustimmung unserer Anhänger, die diese Beschlüsse gewollt und gefaßt haben, völlig sicher.
Wir haben auch nicht die Absicht und haben es nicht nötig, uns auf jene Entartungsformen einzulassen, die allmählich insofern im Schwange sind, als man draußen vor seinen Wählern und Anhängern etwas anderes sagt, als man hier zu sagen wagt.
({3})
- Verehrter Herr Kollege Kiesinger, es gibt eine ganze Reihe Ihrer Freunde, die draußen ganz anders sprechen, aber dann hier, wenn Sie versuchen, mit
Taschenspielerkunststückchen uns Osttendenzen unter die Jacke zu schieben, Beifall klatschen. Das wollte ich Ihnen einmal mit aller Deutlichkeit gesagt haben.
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- Konkret? Meine Damen und Herren, ich kann mich hier gar nicht darauf einlassen,
({5})
weil ich jetzt nicht das Material vorliegen habe, wie viele Ihrer Parteifreunde draußen Reden halten, in denen Vorschläge und Gedanken enthalten sind, die sich durchaus mit dem vergleichen lassen, was wir vergangenen Sonntag in Fulda beschlossen haben. Es gibt ganze Sätze und Passagen der Regierungserklärung, die im Grunde nichts anderes besagen.
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Aber diese Tendenz, die auch hier wieder versucht wird, kennen wir zu gut, als daß sie uns etwas anhaben könnte. Man hat diese Taktik lange Zeit nur gegenüber der Sozialdemokratie geübt, hinter der man dauernd die Türme des Kremls zu sehen behauptete. Jetzt, nachdem wir nicht mehr der Regierungskoalition angehören, versucht man sie auch uns gegenüber zu üben.
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- Wo ist Idas geschehen? Vorhin von Herrn Kiesinger! Herr Rinke, Herr Kiesinger hat gesagt:
Sie haben sich in Fulda versammelt, wo ja gelegentlich der Geist besonders intensiv zu wehen pflegt.
Und er hat dann gesagt:
Ich habe den Eindruck gehabt, daß bei Ihren Vorschlägen, daß nach der Absetzung Walter Ulbrichts und Hilde Benjamins gewisse Kontaktnahmen möglich wären, ein etwas scharfer Ostwind geweht hat.
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- Bitte sehr, Herr Kollege Kiesinger!
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Feller, ob Sie verstanden haben, daß ich gesagt habe, es habe ein scharfer Ostwind geweht. Ich habe nicht gesagt, daß ein scharfer Wind nach Osten geweht hat.
({0})
Aber Herr Kollege Kiesinger, das ist doch eine ausgesprochene Sophisterei, was Sie hier zu treiben versuchen. Die mögen Ihnen Ihre Freunde abnehmen. Wir nehmen sie Ihnen nicht ab; denn wir wissen, was damit gemeint und was damit bezweckt war.
({0})
Ich will auf die Sache selber, auf den Inhalt unserer Entschließung später noch zurückkommen. Wir brauchen uns durch derartige Angriffe nicht berührt zu fühlen und brauchen uns vor allen Dingen nicht ängstlich zu fühlen, daß sie auf unsere Anhänger irgendeine Wirkung auszuüben in der Lage wären.
({1})
Meine Damen und Herren, ich sagte vorhin, daß wir durchaus bereit seien, uns auch zu Irrtümern zu bekennen, wenn wir glaubten, daß wir damit der Aufgabe der Wiedervereinigung Deutschlands einen Dienst erweisen können. Denn wer bereit ist, für die Wiedervereinigung Deutschlands jedes Opfer, ausgenommen das der Freiheit, zu bringen, der muß auch das Opfer zu bringen bereit sein, begangene Irrtümer oder Unterlassungen zuzugeben. Aber die Bundesregierung scheint es jedenfalls nicht zu sein. Denn an keiner einzigen Stelle in ihrer Erklärung ist die Bereitschaft zu spüren, anzuerkennen, daß ihre Politik uns dem Ziele der Wiedervereinigung eben nicht nähergebracht hat und daß doch eine Überlegung am Platze ist, ob dies nicht Anlaß zu irgendwelchen Veränderungen geben kann. Die Frage danach wird, das Ergebnis der verlangten Prüfung vorweggenommen, in der Regierungserklärung einfach verneint.
Wir wollen es uns mit der Kritik nicht zu leicht machen. Wir haben auch nicht etwa die Absicht, von der von uns gegebenen Zustimmung zum Eintritt der Bundesrepublik in die vertragliche Gemeinschaft der freien Völker abzurücken, nachdem wir inzwischen aus der Koalition in die Opposition übergegangen sind. Wir stehen auch unverändert zu der Auffassung, daß wir geistig und politisch zur abendländischen Völkergemeinschaft gehören und daß wir die Freiheit und die Sicherheit der Bundesrepublik heute nur durch diese gewährleistet sehen. Wir haben auch keineswegs die Absicht, der Bundesregierung Vorschläge zu machen oder Ansinnen an sie zu stellen, die zur Folge haben müßten, daß die Bundesrepublik ihre vertraglich übernommenen Verpflichtungen gegenüber ihren Partnern nicht mehr nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten und ohne Hintergedanken erfüllen könnte. Denn niemand hat es eindringlicher erfahren als die Opfer des Krieges und der Vertreibung, wohin ein Volk durch eine Politik der leichtfertigen Vertragsbrüche und der arglistigen Täuschung von Vertragspartnern gebracht werden kann. Darüber bedarf es bei uns keinerlei Belehrung. Die Bundesregierung wird auch stets mit unserer Unterstützung rechnen können, wenn sie ihrer zu Maßnahmen bedarf, die zur Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen auch nach unserer Überzeugung unerläßlich sind.
Die Kritik an der Bundesregierung, zu der wir uns als Oppositionspartei nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sehen, entspringt unserer Befürchtung, daß in den vergangenen Monaten doch nicht alles, was möglich war, geschehen ist, um auf dem Wege zur Wiedervereinigung vorwärtszukommen, und der Überlegung, was noch geschehen kann, um darauf nicht stehenzubleiben.
Wir erkennen durchaus an, was die Bundesregierung, insbesondere was der Herr Bundesaußenminister in den vergangenen Monaten unternommen haben, um unsere Beziehungen zu uns befreundeten Staaten im Westen zu verbessern. Wir haben den Bericht des Herrn Bundesaußenministers über seinen Besuch in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen und die mit den Regierungen dieser Länder erzielten Übereinstimmungen mit Befriedigung zur Kenntnis genommen. Wir bedauern es außerordentlich, daß der Erfolg seines Londoner Besuches für uns überschattet ist von den schon an anderer Stelle kritisierten Äußerungen, die der Herr Bundesaußenminister in London bei dieser Gelegenheit zur Frage der Gebiete jenseits Oder und Neiße gemacht hat. Ich will an dieser Stelle nicht mehr darauf eingehen.
Wir begrüßen es, daß es in den Luxemburger Verhandlungen gelungen ist, die Voraussetzungen für eine Rückkehr der Saar zur Bundesrepublik zum 1. Januar 1957 zu schaffen.
Die wirtschaftlichen und finanziellen Opfer, die damit verbunden sind, werden wir zwar prüfen, aber in einer grundsätzlichen Bereitschaft, sie auf uns zu nehmen, weil uns die Freiheit deutscher Menschen und deutschen Landes solche Opfer zu rechtfertigen scheint. Wir wollen aber an dieser Stelle gleich betonen, daß es uns notwendig erscheint, daß die Bundesregierung dafür Vorsorge trifft, daß die Bevölkerung an der Saarselbst durch ihre Rückgliederung zur Bundesrepublik keine wirtschaftlichen oder sozialen Belastungen zu erleiden hat.
({2})
Denn wir sind der Auffassung, daß diese Rückkehr zu 90, zu 95, ja meinetwegen zu 99 % das Verdienst dieser Bevölkerung an der Saar allein ist und daß sie für dieses Bekenntnis zu Deutschland nicht noch bestraft werden darf.
({3})
- Trotz der Bochumer Rede, Herr Kollege Wehner, oder gerade wegen der Bochumer Rede sind wir der festen Überzeugung, daß es so ist.
Wir stimmen dem negativen Urteil, das auch von Herrn Kollegen Ollenhauer über die Reise des Bundeskanzlers in die Vereinigten Staaten gefällt wurde, zu. Es geht doch nicht an, einfach auf deklamatorische Erklärungen und Kommuniqués zu verweisen
({4})
und die sich allmählich zu einem unüberhörbaren Chor vereinigenden Stimmen der öffentlichen Meinung auch in den Vereinigten Staaten einfach zu überhören.
({5})
- Denn was ist das für eine Politik, Herr Kollege Kiesinger, die der öffentlichen Meinung hier in der Bundesrepublik dauernd Sand in die Augen zu streuen versucht und sie über die wahren Entwicklungen in den westlichen Ländern hinwegtäuscht? Sie haben vorhin den Zwischenruf „Einzelgänger" gemacht. Es handelt sich doch nicht um Einzelvorgänge. Herr Kollege Ollenhauer hat den Namen Lippmann genannt. Es ließen sich noch Dutzende anderer nennen, es ließe sich Kennan, es ließe sich Flanders nennen. Es stehen jeden Tag Dinge in der Zeitung, die uns davon überzeugen, daß allmählich ein Wandel auch in der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten vorgeht.
({6})
- Bitte sehr.
Herr Kollege Feller, können Sie mir mehr als ein Dutzend Namen von Außenseitern nennen, die diese angeblichen Änderungen der Meinung in der Welt bekunden? Ich wäre Ihnen dankbar.
Herr Kollege Kiesinger, wir wollen uns hier auf kein Zählspiel einlassen.
({0})
Aber eins kann ich sagen. Ich habe schon einige
Leute genannt, die nicht, wie Sie behaupten, Außen({1})
seiter sind, sondern die in der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten etwas zu bedeuten haben. Das werden Sie weder von Herrn Lippmann noch von Herrn Kennan noch von Herrn Flanders bestreiten wollen.
({2})
- Bitte sehr!
Eine Zwischenfrage!
Herr Feller, sind Sie sich darüber klar, daß Herr Lippmann seit vielen Jahren einen Ausnahmefall, wenn auch einen klugen und respektierten Ausnahmefall, in der Beurteilung der Weltlage in der öffentlichen Meinung Amerikas darstellt?
Herr Kollege Kiesinger, ich stimme Ihnen keineswegs darin zu, daß er einen ausgesprochenen Ausnahmefall darstellt.
({0})
So etwas behauptet man immer dann, wenn einem die Meinung, die eine bestimmte Persönlichkeit äußert, nicht angenehm ist.
({1})
Herr Kollege Kiesinger, Sie haben gefragt, wieso man eigentlich dazu kommen könne, dem Herrn Bundeskanzler zu unterstellen, daß er in Amerika bemüht war, ein Festhalten an der Politik der Stärke zu veranlassen. Ich muß Sie fragen, was Sie eigentlich über die Reden und Äußerungen des Bundeskanzlers in den Vereinigten Staaten gelesen oder was Sie nicht gelesen haben. Das, was ich gelesen habe, spricht jedenfalls dafür. Ich habe nur zufällig einen einzigen Artikel bei mir; er stammt aus der „Welt". Ich brauche daraus nur ein paar Stichworte zu entnehmen; sie lauten etwa so:
„Seien Sie sich völlig klar", rief er - der Bundeskanzler aus, „Sowjetrußland betrachtet die Vereinigten Staaten als seinen eigentlichen Gegner. Sie sind genauso gut gefährdet, meine Freunde aus Amerika."
Dann heißt es weiter, er ziehe es vor, von Befreiung statt von Wiedervereinigung zu sprechen, was natürlich die Amerikaner als „Liberation" ohne weiteres in einem ganz bestimmten Sinne auslegen müssen. Er sagt dann weiter, daß er mit aller Entschiedenheit an dem Standpunkt General Gruenthers festhalte, daß das militärische Fundament der NATO ohne die deutsche Mitgliedschaft zerstört würde, was mit dem Ende Europas gleichbedeutend wäre. Meine Damen und Herren, haben Sie das nicht gelesen? Lesen bloß wir solche Dinge? Oder werden uns andere Nachrichten serviert als Ihnen? Das verstehe ich nicht.
({2})
- Meine Herren, ich nahm an, daß Sie es auch gelesen haben. Deswegen wollte ich bloß stichwortartig darauf aufmerksam machen.
({3})
- Na, Herr Feister, ich habe weniger Bart als Sie.
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- Ich kann Ihnen nachher in einem Privatkolleg,
({5})
wenn ich alle meine Presseausschnitte beisammen
habe, das alles noch einmal langsam und deutlich
vorlesen, damit Sie sich damit beschäftigen können.
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So sehr wir auch die Fortschritte einer europäischen Integration und die Bemühungen um die Schaffung eines gemeinsamen Marktes begrüßen und mit Ihnen darin übereinstimmen, daß auch mit den übrigen freien Völkern der Welt eine engere wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit herbeigeführt werden muß, bleibt für uns doch die erschreckende Feststellung, daß aus dem Bericht über die Außenpolitik der Bundesregierung nichts, aber auch gar nichts von dem zu erkennen ist, was auf einen Fortschritt in der Lösung der deutschen Frage hindeutet, daß uns auch die Bundesregierung nichts darüber zu sagen weiß, wie diese Frage aus der Sackgasse, in die sie nach dem ergebnislosen Ausgang der zweiten Genfer Konferenz geraten ist, 'herausgebracht werden soll.
Wir können nicht umhin, zu konstatieren, daß sich in demselben Tempo - ja vielleicht noch in einem schnelleren Tempo -, in dem die Integrationsbemühungen im Westen voranschreiten, die Teilung des deutschen Volkes vertieft und die Spaltung Deutschlands immer unüberwindbarer zu werden droht. Was hilft es, wenn die Regierungserklärung in dieser Lage zur Geduld mahnt, aber nicht zu sagen weiß, wann und womit diese Geduldbelohnt werden soll? Allzugroße Geduld kann gewiß schädlich für die Entwicklung sein; aber allzuviel Geduld kann uns dazu führen, auch die letzten Chancen für die Wiedervereinigung Deutschlands zu verpassen.
Meine Damen und Herren, das besagt nichts gegenüber den westlichen Integrationsbemühungen und dem Anteil der Bundesregierung daran, aber es zwingt uns erneut zu der Mahnung, daß die deutsche Frage nicht hinter die europäische treten und vernachlässigt werden darf. Denn die Vorstellung, daß die letztere im Gefolge der ersten gelöst werden könne, dürfte sich doch als falsch erwiesen haben. Es gibt nach unserer Auffassung keine europäische Lösung ohne eine Lösung der -deutschen Frage; aber es gibt - und dafür mehren sich die Zeichen; allerdings nicht in der Regierungserklärung, wohl aber am Horizont der Weltpolitik - die Gefahr, daß man an eine weltpolitische Entspannungsmöglichkeit ohne eine Lösung der deutschen Frage denkt. Es wäre falsch, hier so zu tun, als ob „nicht sein kann, was nicht sein darf".
Das enthält keinerlei Vorwürfe gegen den Westen. Wir wissen genau, daß es auch keine Lösung der deutschen Frage ohne die Hilfe des Westens geben kann und schon gar nicht gegen den Westen geben darf.
Aber wie steht es denn eigentlich zur Zeit im Westen? Die Regierungserklärung geht mit keinemWort auf die Schwierigkeiten ein, die wir doch alle kennen, auf die Schwierigkeiten infolge der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten mit ihrem durch die bedauerliche Erkrankung des Präsidenten bedingten Unsicherheitsfaktor, die Schwierigkeiten Frankreichs in Nord({7})
afrika und die Englands in Zypern und ananderen Stellen des Empire. Und diese Schwierigkeiten haben doch einen entscheidenden Anteil daran, daß die russische Offensive des Lächelns gewisse Erfolge aufzuweisen hat, zunächst nicht bei den Regierungen, aber - und darauf bezogen sich meine vorherigen Hinweise - in der öffentlichen Meinung. Ich frage: Wie lange werden die Regierungen - auch im Westen - unter den gegebenen Umständen dieser öffentlichen Meinung noch widerstehen können? Wir haben doch alle auch von Regierungsstellen im Westen schon die ersten Äußerungen vernommen, die auf eine Umkehrung der Reihenfolge von Wiedervereinigung, Abrüstung und Entspannung hinzielen.
Meine Damen und Herren, hier muß einmal mit allem Ernst die Frage gestellt werden, ob wir es unseren Partnern im Westen noch länger zumuten können, daß sie sich ihre mit anderen Sorgen wahrlich angefüllten Köpfe über unser Anliegen mehr zerbrechen, als wir zu tun bei ihnen den Eindruck hervorrufen, und das muß ihr Eindruck sein, wenn die Regierungserklärung es unterläßt oder die Debatte darüber es unterlassen würde, etwas darüber zu sagen, wie das Gespräch über die ,deutsche Frage wieder in Gang gebracht werden soll.
Es genügt doch nicht, wie das hier heute geschehen ist, darauf hinzuweisen, daß sich die Haltung der Sowjetunion gegenüber einer Lösung der deutschen Frage in den letzten Jahren zusehends versteift habe, ohne gleichzeitig in eine Untersuchung der Ursachen einzutreten, noch dazu, wenn man sich dabei einfach auf sowjetische Äußerungen bezieht, deren Widersprüchlichkeit doch nicht ohne weiteres erlaubt, sie als endgültig und eindeutig anzusehen.
Mir schien es richtiger zu sein, daß die Regierung uns hier einmal darlegt, ob und warum es nicht möglich war, unsere westlichen Partner nachdrücklich an ihre, uns gegenüber übernommenen Verpflichtungen hinsichtlich der Einheit Deutschlands zu erinnern und sie zu neuen Schritten zu ihrer Herbeiführung zu bewegen. Diese Frage kann man nicht mit dem Hinweis auf immer wiederkehrende Erklärungen beantworten, die so lange nur Deklamationen enthalten, wie nichts darüber gesagt wird, was denn nun weiter geschehen soll. Kann es uns denn von unseren Partnern im Westen verübelt werden, wenn wir sie immer wieder in einer Sache bedrängen, die nach ihren eigenen Erklärungen und nach Lage der Dinge auch die ihre ist?
Welche Veranlassung haben wir eigentlich, den Westmächten immer nur unsere Vertragstreue zu versichern und damit den Eindruck hervorzurufen, als ob es in Deutschland politisch bedeutsame Kräfte gäbe, die nicht bereit seien, sich an die vertraglichen Verpflichtungen zu halten? Muß nicht so geradezu der Eindruck hervorgerufen werden, daß wir uns damit zufriedengäben, im Rahmen der NATO gesichert zu sein, und daß wir uns im Zuge einer fortschreitenden Entspannung auch mit der Spaltung Deutschlands abfänden?
Nach der Genfer Konferenz ist in diesem Hause von allen Seiten gefordert worden, es müsse jetzt schleunigst in einer gründlichen Analyse erforscht werden, welche Bemühungen dazu führen könnten, das in Genf zum Stillstand gekommene Deutschlandgespräch wieder in Fluß zu bringen. Das war, wie Sie sich erinnern werden, am 2. Dezember 1955. Ich meine, es ist heute, ein halbes Jahr danach, durchaus gerechtfertigt, nach den Ergebnissen dieser Analyse zu fragen. Die Regierungserklärung jedenfalls wußte darüber sehr wenig auszusagen. Sie enthält nicht einmal Andeutungen darüber, welche Bemühungen zu einer Neuorientierung in der Deutschlandfrage im Gange sind. Es wird darin zwar wiederholt - was für uns alle hier eine Selbstverständlichkeit bedeutet -, daß wir nichts tun dürfen und nichts tun wollen, was uns in einen Gegensatz zu den freien Völkern des Westens bringen könnte. Aber wir fragen demgegenüber, ob die Bundesregierung das Notwendige und Richtige getan hat, um im Westen das nötige Verständnis für unser Anliegen und für die Dringlichkeit unseres Anliegens zu verstärken und dafür Sorge zu tragen, daß sich die Entspannung nicht so vollzieht, daß nicht in jeder ihrer Phasen auch die deutsche Frage wieder zur Sprache kommt.
Wir verkennen keineswegs das Risiko, das in einer solchen Forderung steckt. Es könnte sein, daß eine Stimmung eintritt, welche die deutsche Frage als lästig empfindet, weil sie dem Fortschreiten der Entspannung im Wege steht. Aber eine solche Entwicklung läßt sich nicht dadurch verhindern, daß wir schweigen oder die Welt am laufenden Band unserer Vertragstreue versichern oder auf die ihr ja zur Genüge bekannte antibolschewistische Einstellung des deutschen Volkes hinweisen. Eine solche Entwicklung kann nur verhindert werden, wenn die Bundesregierung sich ihrerseits zu einer neuen Initiative entschließt.
Wir sind sehr bescheiden, meine Damen und Herren. Wir verlangen nur ganz einfach und schlicht eine Initiative. Wir sind nicht so anspruchsvoll wie Bundesminister, die heute schon von der Regierung eine „rollende Initiative" verlangen. Vielleicht entspringt das der taktischen Überlegung, daß ein mit möglichst vielen Beiwörtern geschmücktes Verlangen dann entsprechend bessere Rückzugsmöglichkeiten bietet.
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Meine Damen und Herren! Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß die Regierung nicht alle Pläne und Vorschläge vorbehaltslos zu akzeptieren bereit ist, zumal viele, das wissen wir alle, von Unberufenen und zum Teil aus Motiven reiner Geltungssucht gemacht werden. Wir anerkennen es sogar als großen Fortschritt, daß die Regierungserklärung sich einmal mit einer Reihe von Vorschlägen seriöser Politiker, auch wenn sie nicht den Koalitionsparteien angehören, auseinandersetzt. So etwas ist ja bisher in außenpolitischen Erklärungen der Regierung nie der Fall gewesen, wenigstens nicht soweit meine Erinnerung reicht. Aber wenn die Regierung ihren Kritikern vorwirft, ihre Kritik nicht mit Vorschlägen zu verbinden und zu begründen, die die Bundesregierung vor dem ganzen Volke verantworten zu können glaubt - so heißt es in der Regierungserklärung -, dann müssen wir fragen, wie die Bundesregierung ihre Inaktivität und ihren bisher gezeigten Mangel an Vorstellungen vor dem ganzen deutschen Volke verantworten zu können glaubt.
Ich frage: Wo findet sich in der Regierungserklärung ein einziger Satz, der darüber Auskunft gibt, wie die Bundesregierung nun eigentlich politisch weiterzukommen glaubt, d. h. das Gespräch über die deutsche Frage nun auf weltpolitischer Ebene wieder in Gang zu bringen vermeint?
Natürlich ist es leichter, eine Initiative zu fordern, als klare Vorschläge einer inhaltsreichen Ini({9})
tiative zu machen. Aber die Bundesregierung darf sich doch nicht darauf beschränken, derartige Feststellungen zu treffen und damit zuzugeben, daß sie entweder keine aussichtsreiche Initiative mehr sieht oder unter den ihr vorgeschlagenen keine solche sehen will. Dann wäre es allerdings besser - wie Herr Kollege Dehler gefordert hat -, sie gäbe zu, daß sie die Sache für aussichtslos hält.
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- Ich habe sie gehört, Herr Kollege Rinke. Wenn Sie sie nicht verstanden haben, kann ich nichts dafür.
Wir haben keinen Zweifel daran, daß es unsere Partner im Westen ehrlich meinen, wenn sie uns immer wieder einmal versichern, daß die Lösung der deutschen Frage auch ein Ziel ihrer Politik sei, und es enthält keinen Vorwurf gegen sie, wenn wir die für uns schmerzliche Feststellung treffen, daß diese Erklärungen bisher nicht zu sichtbaren Erfolgen geführt haben. Aber können wir von den Regierungen des Westens noch erwarten, daß sie initiativ werden, wenn wir sie nicht dazu drängen, daß sie sich um erneute Verhandlungen bemühen, wenn wir ihnen keine Vorschläge machen?
Selbstverständlich ist dabei nicht an Vorschläge gedacht, die geeignet wären, unsere oder ihre Verhandlungsposition von vornherein zu schwächen. Aber es ist doch wirklich einiges in der Welt vorgegangen - das läßt sich doch nicht bestreiten und mit irgendwelchen Methoden wegeskamotieren -, das Anlaß zu neuen Gesprächen bieten könnte. Wir finden es an der Zeit, daß sich unsere amtliche Außenpolitik von den Hemmungen frei macht, daß jeder deutsche Schritt, der darauf ausgeht, die Möglichkeiten für eine Lösung der deutschen Frage zu
erkunden, uns unbedingt die Sympathien des Westens verscherzen könne und uns in eine hoffnungslose Isolierung führen müsse. Herr Dr. Dehler hat mit Recht gesagt, das Vertrauen in der westlichen Welt müßte eine sehr schwache Grundlage haben, wenn solche Befürchtungen berechtigt wären; und es gibt doch auch wirklich keine handgreiflichen Beweise dafür, daß es so ist.
Hier wäre eine großartige Aufgabe für den Herrn Bundesaußenminister, sich diplomatischen Ruhm für alle Zeiten zu erwerben, indem er den Westmächten unter Hinweis auf die Unruhe im deutschen Volk und das Drängen der Opposition deutlich macht, daß erneute Schritte zur Lösung der deutschen Frage unternommen werden müssen,
({11})
und wir richten die dringende Bitte an den Herrn Bundeskanzler, daß er seinem Außenminister für diese Aufgabe endlich freie Hand gibt.
({12})
Wenn sich allerdings bei diesen Bemühungen herausstellen sollte, daß die Westmächte ihrerseits in der augenblicklichen Situation nichts zu unternehmen bereit oder in der Lage sind, dann müßte es doch gelingen, ihr Einverständnis damit herbeizuführen, daß die Bundesregierung endlich dazu übergeht, die diplomatischen Beziehungen, die wir im vergangenen Jahre mit der Sowjetunion hergestellt haben, dazu zu benutzen, in direktem Gespräch mit ihr die Auffassung der Sowjetunion in der deutschen Frage zu erkunden. Die Regierungserklärung enthält kein Wort darüber, warum dies bisher nicht geschehen ist. Sie beruft sich lediglich auf sowjetische Äußerungen, die von dritter Seite berichtet
wurden und als Beweis für die Unzugänglichkeit der Sowjetunion dienen sollen; aber sie sagt nicht, warum sich die Regierung nicht bemüht, die Einstellung der Sowjetunion selbst festzustellen.
Es ist für uns wirklich nicht ersichtlich, welche Gefahren auch im Hinblick auf den Westen in einem solchen Vorgehen enthalten sein sollten, wenn dabei das Einvernehmen mit unseren westlichen Partnern gewahrt bleibt. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion ja dann zum wiederholten Male die Bundesrepublik auf direkte Verhandlungen zwischen Pankow und Bonn verweisen könne, und der Herr Bundesaußenminister hat nicht weniger als vier Seiten seiner Regierungserklärung dazu benutzt, zu begründen, warum eine solche Verweisung und die damit verbundene Anerkennung der sogenannten DDR für uns unannehmbar sind. Das hätte er wesentlich kürzer machen können; denn ich glaube, niemand in diesem Hause und nur wenige in unserer Bevölkerung denken an eine solche Anerkennung. Wir stimmen dabei - und auch in der Begründung - dem Herrn Bundesaußenminister vollkommen zu.
Ich sehe mich aber bei dieser Gelegenheit veranlaßt, noch einmal auf unsere in Fulda gefaßten Beschlüsse zurückzukommen. Ich konzediere Herrn Kollegen Kiesinger, daß er, wenn er nur die Dienstagausgabe der „Frankfurter Allgemeinen" gelesen hat, sich vielleicht eine falsche Meinung darüber hätte bilden können, obwohl ich das nicht als sehr verantwortungsbewußt ansehe. Aber es heißt in der „Frankfurter Allgemeinen", man sehe in diesem Beschluß die Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Ostberliner Regierung nach dem Rücktritt Ulbrichts. In Wirklichkeit ist nichts anderes beschlossen worden, als daß der Gesamtdeutsche Block bereit ist, seine Amtsträger zu Versammlungen in die Zone zu entsenden, wenn Ulbricht und Hilde Benjamin als Zeichen der Abkehr vom Stalinismus ihrer Funktionen enthoben sind. Darin ist doch überhaupt nichts von einer Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Pankower Regierung enthalten, und wir sind nach wie vor selbstverständlich der Auffassung, daß 'solche Verhandlungen und eine damit verbundene Anerkennung der DDR nicht in Frage kommen. Aber das hat doch nichts damit zu tun, daß wir bereit sind, mit der Bevölkerung in der Zone zu sprechen, auch in politischen Diskussionen und, wenn es sich dabei ergeben sollte, auch mit Funktionären des dortigen Systems. Wir wären dankbar, wenn sie uns die Gelegenheit dazu gäben; denn um diese geistige Auseinandersetzung, meine Damen und Herren, kommen wir doch nicht herum, auch nach der Wiedervereinigung nicht.
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Wir müssen sie doch aufnehmen und können nicht länger so tun, als ob der Kommunismus als geistigpolitischer Faktor auf deutschem Boden nicht existiere, wenn er auch in der Bundesrepublik glücklicherweise keine Rolle spielt.
Wir haben aber manchmal den Eindruck, meine Damen und Herren, daß es Leute gibt, die dann, wenn sie auch nur von einer Reise, von einem Besuch in der Zone sprechen hören, schon das Gefühl von Ansteckung und Ansteckungsgefahren haben. Das sind Leute, die innerlich sehr unsicher sein müssen in ihrer Widerstandskraft. Für uns gilt das nicht, auch wenn Herr Kiesinger gesagt hat: „Wer dem Teufel den kleinen Finger gibt!"
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- Dem Teufel, ja, das haben Sie gesagt. Aber, meine Damen und Herren, wie stellen Sie sich denn eine Wiedervereinigung vor, was wollen Sie denn mit den inzwischen dort drüben herangewachsenen, heranerzogenen vielen kleinen Teufeln tun, wenn Sie sich nicht mit ihnen auseinandersetzen?
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- Das hat er doch gemeint!
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- Herr Kunze, wir haben beschlossen, daß wir hinübergehen wollen, um dort Versammlungen abzuhalten und zu diskutieren, und darauf sagt er: Wer dem Teufel den kleinen Finger gibt ...,
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also meint er damit die Möglichkeit einer Berührung mit irgendeinem kleinen SED-Funktionär, den man in einer solchen Versammlung treffen könnte. Wenn Sie etwas anderes gemeint haben, dann wäre allerdings Ihr Angriff noch sehr viel boshafter gewesen.
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- Ihres Irrtums? Ja, Herr Kollege Kiesinger, so soll man es nicht machen. Man soll nicht so schwerwiegende Vorwürfe wie den der vorhandenen Osttendenzen gegen eine politische Partei erheben, wenn man nur einen einzigen Zeitungsartikel darüber gelesen und sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, die Beschlüsse, die diesem Artikel zugrunde
lagen, zur Kenntnis zu nehmen.
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- Ja, die Zeitung ist gut, das will ich nicht bestreiten; aber in dem Fall hat sie doch nicht ausgereicht, um Sie vor einer Haltung zu bewahren, die ich jedenfalls nicht unter den Begriff der politischen Fairneß zu rechnen bereit bin.
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- Jawohl, meine Damen und Herren, ich denke gar nicht daran, auch wenn Sie damit nicht einverstanden sind, Herr Pelster.
Ich habe manchmal den Eindruck und das Gefühl, daß sich wirklich viele bei .uns vor einer solchen Auseinandersetzung scheuen, weil sie ihrer selbst nicht sicher sind. Das ist nämlich etwas grob umschrieben der Menschenkreis, für den der Begriff der Freiheit erst als eine Parole zur Abwehr des Bolschewismus erfunden werden mußte. Wir brauchen keinen Ostwind, um an die Aufgabe der Erhaltung der Freiheit erinnert zu werden. Wir fühlen uns selbst sicher genug, um in solchen Auseinandersetzungen auch für die Freiheit zu kämpfen. Und darum allein ging es uns bei unseren Fuldaer Beschlüssen.
Wir haben übrigens noch einen anderen Gedanken zur Herbeiführung einer gesamtdeutschen Diskussionsmöglichkeit erneut aufgenommen, auf den ich hier noch einmal hinweisen möchte. Wir haben ihn schon einmal im Vorjahr in die Diskussion geworfen. Es handelt sich dabei um den Gedanken eines, wenn Sie so wollen, „Gesamtdeutschen Rates". Es stört uns in diesem Fall gar nicht, daß der Name auch von östlicher Seite verwendet worden ist. Wir haben nämlich damals gesagt: er könne aus freien, aber getrennten Wahlen hervorgehen, die in beiden Teilen Deutschlands durchzuführen wären. Der Vorschlag ist damals von den verschiedensten politischen Seiten als unrealistisch oder gar als gefährlich abgetan worden. Man hat gesagt, er würde den Grundsatz der gesamtdeutschen freien Wahlen erschüttern. Wenn man das befürchtet, müßte man sich überlegen, ob es eine andere Möglichkeit des Zustandekommens gibt. Aber inzwischen haben immerhin so viele Politiker der Opposition und Koalition ähnliche Gedanken laut werden lassen, daß es doch angebracht wäre, sich einmal vorurteilslos zusammenzusetzen und sich über die Modalitäten und das Zustandekommen eines solchen Gremiums zu unterhalten. Es kommt uns dabei wirklich nicht darauf an, unsere Urheberschaft zu behaupten; wir wollen gern darauf verzichten.
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- Ach, Herr Haasler,
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wenn Ihr Einwurf auch nur die Spur einer Richtigkeit haben wollte, dann hätten Sie sagen müssen: Moskau! Denn es trifft zu - das will ich gar nicht bestreiten -, daß im Laufe der zweiten Genfer Konferenz von Molotow die Forderung nach einem gesamtdeutschen Rat erhoben worden ist; nebenbei: lange nachdem wir sie hier schon im Plenum des Bundestags erhoben hatten; wir könnten also höchstens annehmen, daß Moskau etwas von uns übernommen hat. Ich brauche ja wohl nicht darauf hinzuweisen, daß die Voraussetzungen und die Formen des Zustandekommens - ich will mich jetzt hier darüber nicht näher auslassen - bei unserem Plan und bei dem, was seinerzeit von Molotow in Genf vorgetragen worden ist, grundsätzliche Unterschiede enthielten, und die sind ja entscheidend. Denn da hat es sich um ein Gremium gehandelt, das aus beiden Regierungen gebildet werden sollte, während es sich bei uns um ein Gremium handelt, das aus freien Wahlen gebildet werden soll.
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- Ja, Herr Rinke, vielleicht zerbrechen Sie sich mal etwas Ihren Kopf! Wir wären Ihnen durchaus dankbar, wenn wir wirklich einmal die Freude hätten, das Ergebnis eines Kopfzerbrechens bei Ihnen feststellen zu können, wenn Sie uns da einen neuen Namen bescheren!
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Herr Abgeordneter, wir wollen doch persönliche Invektiven unterlassen.
Ich bin gern dazu bereit, Herr Präsident, diesen Ausdruck, sofern er als beleidigend empfunden werden sollte, zurückzunehmen. Das hindert nichts an unserer Freude, die wir haben würden, wenn Herr Kollege Dr. Rinke uns mit dem Ergebnis seiner geistigen Arbeit dazu verhelfen würde, der Sache einen neuen Namen zu geben. So ist das, glaube ich, in freundliche Form gebracht, Herr Kollege Rinke.
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Ich wiederhole also, damit aber auch wirklich kein Mißverständnis mehr entstehen kann, daß eine Auseinandersetzung mit den Vertretern des Systems in der Zone, gleich, in welcher Form sie zustande käme, nach unseren Vorschlägen nicht bedeutet, daß wir bereit wären, das System selbst oder seine Machthaber anzuerkennen.
Meine vorhin gestellte Frage, warum die Bundesregierung nicht bereit ist, das Einvernehmen der Westmächte herbeizuführen, um auch über die deutsche Frage mit Moskau zu sprechen, kann aber doch gar nicht mit dem Hinweis darauf beantwortet werden, daß Moskau bisher die direkten Verhandlungen zwischen Bonn und Pankow verlangt habe. Denn es gibt im Hinblick auf das wiedervereinigte Deutschland doch zumindest eine Frage, die überhaupt nicht zwischen Bonn und Pankow ausgehandelt werden könnte, und das ist die des militärischen Status, den ein wiedervereinigtes Deutschland haben soll. Darüber gibt es jedenfalls bis heute keine klare Stellungnahme der Sowjetunion. Eis wird zwar angenommen, daß ihre Forderungen in dieser Hinsicht für uns unannehmbar seien. Aber die endgültige Gewißheit darüber läßt sich doch nur auf dem Wege einer direkten Fragestellung erlangen, und diese ist bisher bei keiner Gelegenheit erfolgt.
Der Herr Kollege Ollenhauer hat in diesem Zusammenhang davon gesprochen, daß die NATO-Konzeption überholt sei. Er hat zumindest den Eindruck erweckt, als wolle er schon jetzt die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der NATO in Frage stellen. Ich weiß nicht, ob ich ihn dabei richtig verstanden habe. In dieser Frage, die ja auch Herr Kiesinger gestellt hat, stimme ich ausnahmsweise mit ihm überein. Aber um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich feststellen, daß wir keine Mäglichkeit sehen, ein europäisches Sicherheitssystem auf der Grundlage der Existenz zweier deutscher Staaten zu errichten, wohl Taber unter Einbeziehung eines wiedervereinigten Deutschlands als Partner mit gleichen Rechten und Pflichten.
Das, was Herr Kollege Kiesinger hier über die Politik des Überflüssigmachens westlicher Verteidigungssysteme gesagt hat, war zwar etwas unklar; aber wenn er damit gemeint haben sollte, daß wir erst dann zu einer Wiedervereinigung Deutschlands kommen würden, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland nur deshalb keinem westlichen Bündnissystem angehören könne, weil es dann keines mehr gäbe, - ja, meine Damen und Herren, das bedeutet doch den Verzicht auf die Wiedervereinigung überhaupt. Denn eine bündnisfreie Welt, Herr Kiesinger, hat es nie gegeben und wird es wohl nie geben, jauch im Atomzeitalter nicht. Der einzige Fortschritt, den es geben kann, ist der, von einem regionalen zu einem kollektiven Sicherheitssystem zu gelangen. Wenn Sie es so gemeint haben, dann bin ich allerdings mit Ihnen einverstanden oder dann habe ich Sie verstanden.
Die Bundesregierung hat selbst in ihrer Erklärung gesagt, daß sie an einer Verbesserung ihres Verhältnisses zur Sowjetregierung aufrichtig interessiert sei und daß sie wisse, daß die Wiedervereinigung Deutschlands nicht gegen die Sowjetunion ertrotzt werden könne. Wir halten diese Erklärung für außerordentlich wichtig. Wir meinen aber auch, sie müßte die Konsequenz haben, daß manche oder sehr viele dazu im Widerspruch stehende Äußerungen in Zukunft unterbleiben. Wenn die Bundesregierung sagt, daß sie für die Beurteilung der sowjetischen Politik kein anderes Kriterium als die sowjetische Deutschlandpolitik akzeptieren könne, dann schiene es doch wirklich sehr konsequent, daß sie sich darüber unmittelbar informiert und nicht länger von dritten Mächten informieren läßt, die an diesen Fragen kein lebenswichtiges Interesse haben oder haben können.
Die Erkundung des sowjetischen Standpunktes scheint uns aber auch noch aus einem weiteren Grunde notwendig. Wir wissen alle, daß die Verträge, die wir im vorigen Jahre geschlossen haben, eine Überprüfung ermöglichen, wenn Ereignisse insbesondere im Hinblick auf eine Wiedervereinigung Deutschlands eintreten sollten, die eine solche Überprüfung erforderlich machen. Niemand außer uns kann an einer solchen Überprüfung ernstlich interessiert sein. Wir können sie aber nur fordern, wenn wir wissen, was im Hinblick darauf notwendig sein könnte, daß die Sowjetunion sich bereit erklärt, den von ihr besetzten Teil Deutschlands freizugeben.
Wir meinen also: der schmerzliche Zustand, daß die Sowjetunion die Macht über einen Teil Deutschlands besitzt, zwingt uns dazu, mit ihr darüber zu sprechen. Ich wiederhole noch einmal, daß dies nach unserer Auffassung nur unter der Voraussetzung geschehen kann, daß dabei das Einvernehmen mit unseren westlichen Partnern gewahrt bleibt. In dieser Wahrung sehen wir die vordringlichste Aufgabe unserer Außenpolitik neben der der Führung eines unmittelbaren Gesprächs mit Moskau.
Die Regierungserklärung enthält eine ausführliche Stellungnahme über das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Satellitenstaaten und den Fragen der deutschen Ostgrenzen. Ich habe schon an anderer Stelle Gelegenheit gehabt, zu erklären, daß wir mit den Auslassungen der Bundesregierung zu diesen Fragen bisher durchaus nicht einverstanden sein konnten. Wir sind zwar dankbar, daß in der Regierungserklärung ein Versuch gemacht wird, wenigstens eine Richtigstellung vorzunehmen. Aber derartige Erklärungen allein können uns nicht genügen, solange sie im Widerspruch zu anderen Äußerungen und bekanntgewordenen Absichten stehen, Absichten, die ich etwa so umschreiben möchte, daß manche Gedanken über die Regelung der Verhältnisse in Osteuropa, die in der Vergangenheit als Fehlleistung deklariert wurden, langsam wieder an Bedeutung zu gewinnen beginnen. Im Gegensatz zu jener Äußerung nach der Herstellung der diplomatischen Beziehungen mit Moskau, diplomatische Beziehungen bedeuteten noch nicht unbedingt eine Normalisierung, sind jetzt gewisse Vorstellungen über Normalisierungsversuche der Beziehungen zu den Satellitenstaaten im Gange, die nicht unbedingt auch die Deckung der diplomatischen Beziehungen zu haben brauchen.
Ich will über diese problematischen Dinge nicht weiter sprechen, weil ich diesen Komplex einem meiner politischen Freunde überlassen möchte, der damit gleichzeitig auch unseren Antrag begründet, der Ihnen zur heutigen Tagesordnung vorliegt.
Die Regierung - meine Damen und Herren, damit komme ich zum Schluß - hat es Tals nicht verwunderlich bezeichnet, daß sich aus der Enttäuschung des deutschen Volkes darüber, daß in der Lebensfrage des Volkes kein Fortschritt erzielt wurde, Stimmen erheben, die nach einer Revision der bisherigen Außenpolitik rufen. Es ist verständlich, wenn die Regierung sich bemüht, darzulegen,
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daß ihre Außenpolitik keiner Revision bedarf. Wir stimmen darin mit ihr überein, wenn es sich dabei um eine Umkehr oder um eine Aufgabe unseres freundlichen Verhältnisses zu den freien Völkern der Welt handeln sollte. Es geht uns aber in der Frage der Wiedervereinigung nicht darum, etwas zu revidieren, weil man nicht revidieren kann, was nicht geschehen ist. Sondern es geht um die Revision einer Haltung, die befürchten läßt, daß in der Frage der Wiedervereinigung auf absehbare Zeit nichts mehr geschieht. Wir glauben nicht, daß wir damit noch allzulange Zeit haben.
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Das Wort zur Begründung des Antrags unter Litera b der Tagesordnung betreffend Rechtsanspruch auf die deutschen Vertreibungsgebiete - Drucksache 2406 - hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Dr. kather ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den ich begründe, bittet den Bundestag, die Bundesregierung zu ersuchen, sicherzustellen, daß der Rechtsanspruch auf die deutschen Vertreibungsgebiete von Mitgliedern der Bundesregierung und ihr nachgeordneter Stellen nicht in Zweifel gezogen wird. Er bittet weiter, alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und notwendig sind, um die Durchführung dieses Anspruches voranzutreiben und sicherzustellen. Als Sofortmaßnahme wird verlangt, beim Auswärtigen Amt eine Abteilung für deutsche Ostfragen einzurichten. Schließlich soll der Bundestag die Bundesregierung ersuchen, bis zum 31. Oktober über die getroffenen Maßnahmen Bericht zu erstatten.
Der Deutsche Bundestag vollendet mit der nächsten Arbeitswoche das siebente Jahr seiner Tätigkeit. In dieser langen Zeit hat er sich niemals in einer besonderen Debatte mit dem Schicksal der deutschen Vertreibungsgebiete befaßt und hat auch niemals darüber diskutiert, auf welchem Wege und auf welche Weise die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimat vorangetrieben und durchgeführt werden könnte. Das ist doch wohl ein sehr bemerkenswerter Tatbestand. Ich erwähne diesen Sachverhalt, um darzutun, welch große Zurückhaltung seitens der Vertriebenen-Abgeordneten in diesem und im vorigen Bundestag hinsichtlich dieses Problems geübt worden ist.
Auch im vorpolitischen Raum haben die überparteilichen Organisationen keine besonders aktivistische Tätigkeit in dieser Frage entfaltet. Sie haben wohl am „Tag der Heimat" und bei landsmannschaftlichen Treffen ihr Recht auf die Heimat herausgestellt, aber wenn sie sich in der Frage der Eingliederung und des Lastenausgleichs zu gewaltigen Protestkundgebungen entschlossen haben, so sind Demonstrationen gleicher Art für das Recht auf die Heimat und die Heimatgebiete bisher nicht durchgeführt worden.
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- Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie gehört, daß ich den „Tag der Heimat" ausdrücklich erwähnt habe!
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- Ich kann den Sinn der Fragestellung nicht einsehen; ich möchte darauf nicht eingehen. - Sie
haben in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen schon im Jahre 1950 auf Haß, Rache und Vergeltung verzichtet. Ihre Sprecher haben innerhalb und außerhalb des Parlaments immer wieder erklärt, daß sie die Rückgabe der Heimat nicht um den Preis eines neuen Krieges erstreben wollen. Man hat dem deutschen Volke in der Vergangenheit vielfach nationalistische Einstellung vorgeworfen. Ich möchte dazu im einzelnen keine Stellung nehmen, aber ich weiß nicht, ob ein derart maßvolles und zurückhaltendes Auftreten der Millionen von diesem schweren Schicksal Betroffenen in vielen ,anderen Völkern möglich gewesen wäre.
({3})
Diese Haltung der Vertriebenen hat nicht die Anerkennung gefunden, die sie verdient hätte. In einem großen Teil der Presse wird das Problem totgeschwiegen oder in abträglicher Weise behandelt. Mir ist keine einzige Zeitung zu Gesicht gekommen, in der unser heute gestellter Antrag auch nur besprochen worden wäre. Wir haben also mit dieser Zurückhaltung einen schlechten Lohn geerntet. Jetzt ist es so weit gekommen, daß der Außenminister der Bundesrepublik zunächst das Recht auf die deutschen Vertreibungsgebiete selbst als problematisch bezeichnet und sich dann darauf zurückgezogen hat, daß er nur die Durchführung des Rechts als problematisch habe kennzeichnen wollen. Und als darauf ein einziger Schrei der Entrüstung durch alle Vertriebenenorganisationen aufklang, da mußten sich die Sprecher dieser Menschen sagen lassen, sie versuchten, auf dem Schicksal der Vertriebenen mit politischen Geschäften so etwas wie eine Lebensstellung aufzubauen. So schreibt die „Stuttgarter Zeitung" vom 21. Juni 1956. Um ihre massiven Vorwürfe rechtfertigen zu können, verfälscht sie bewußt und laufend den Sachverhalt. Es wird in diesem Artikel immer wieder so getan, als ob die Proteste gegen die Äußerungen des Herrn von Brentano und des Herrn Kollegen Greve erfolgt seien, weil sie zum Ausdruck gebracht hätten - ich zitiere wörtlich -:
daß vorerst nur eine Wiedervereinigung zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetzone möglich sei.
Ich stelle hier den Versuch einer grotesken Geschichtsfälschung fest. Niemand hätte gegen eine solche Auffassung protestiert, und niemand hat gegen eine solche Auffasung protestiert.
Ich selbst habe von dieser Stelle aus am 25. Februar 1955 folgendes erklärt - ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren -:
Ich habe schon im 1. Bundestag wiederholt Gelegenheit gehabt, zu erklären, daß wir Vertriebenen durchaus bereit und damit einverstanden sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands sich in Etappen vollzieht. Wir sind uns immer darüber klar gewesen, daß zuerst die Sowjetzone mit ihren 18 Millionen Menschen kommen muß. Wir haben aber auch nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir nicht unsere Zustimmung dazu geben könnten, daß die Wiedervereinigung sich auf Kosten der deutschen Vertreibungsgebiete vollzieht.
Ich habe mit diesen Äußerungen damals bei keiner Vertriebenenorganisation Widerspruch gefunden. Sie entspricht der gemeinsamen Auffassung der großen Verbände; und damit ist klargestellt, daß die Vertriebenen sich niemals auf den Standpunkt
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des „alles oder nichts" gestellt haben und daß ein Teil der Presse mit ihrer oben von mir gekennzeichneten Argumentation falsche Tatbestände errichtet, um gegen sie anrennen zu können.
Der Herr Bundesaußenminister hat am vergangenen Donnerstag und auch gestern von Mißverständnissen gesprochen. Ich glaube nicht, daß er die Möglichkeit hat, sich auf diese Weise aus der Affäre zu ziehen. Herr von Brentano hat am 1. Mai vor der Auslandspresse in London auf die Frage eines spanischen Journalisten, ob die Bundesregierung auch an die ostdeutschen Gebiete denke, wenn sie von der Wiedervereinigung spreche, erklärt:
Keine deutsche Regierung hat das Recht, auf diesen Heimatanspruch freiwillig zu verzichten. Ich persönlich glaube aber, daß das deutsche Volk eines Tages vor eine sehr ernste Frage gestellt werden könnte, ob es nämlich auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße verzichten soll, wenn damit die 17 Millionen Deutschen der Sowjetzone die Freiheit wiederbekommen, oder ob man das nicht tun soll, um unseren problematischen Rechtsanspruch auf diese Gebiete aufrechtzuerhalten.
So wurde die Meldung gegeben. Am gleichen Tage hat der Botschafter von Herwarth gegenüber dem polnischen Journalisten Stephan Litauer laut Warschauer Rundfunk erklärt:
Es ist Ihnen bekannt, daß es in diesen Gebieten keine Deutschen mehr gibt, daß dort Polen wohnen. Sind unter diesen Bedingungen, wenn man die Dinge real sieht, unsere Ansprüche nicht problematisch?
Am 2. Mai, also am Tage darauf, telegraphierte der Herr Bundesaußenminister an das Auswärtige Amt, er habe in London sinngemäß gesagt, daß die Vertriebenen ein Recht auf ihre Heimat besäßen und daß eine deutsche Regierung die Oder-Neiße-Linie niemals anerkennen könne. Aber es könne der Tag kommen, an dem das deutsche Volk prüfen müsse, ob es auf die Freiheit der 18 Millionen verzichten wolle, um einen Rechtsanspruch aufrechtzuerhalten, dessen friedliche Regelung problematisch erscheinen müsse.
Am 3. Mai, wieder einen Tag später, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts, hinsichtlich vielfacher Mißdeutungen sehe er sich veranlaßt, zu präzisieren und zu ergänzen:
Die Bundesregierung hat nicht das Recht und auch nicht die Absicht, den Rechtsanspruch auf diese Gebiete fallen zu lassen. Die volle Durchsetzung unseres Rechtsanspruchs auf die Ostgebiete kann problematisch werden, wenn wir nicht zunächst unsere Kraft und Opferbereitschaft auf die Wiedervereinigung mit den 18 Millionen in der sowjetisch besetzten Zone richten.
Es ist auch von einem falschen Zungenschlag gesprochen worden. Inzwischen haben sich aber doch einige Dinge zugetragen, die beweisen, daß kein falscher Zungenschlag vorgelegen hat, sondern die Bekanntgabe einer bestehenden Auffassung.
Am 23. Mai erschien im Auftrag des Außenpolitischen Rates in Nordamerika das Buch „Rußland und Amerika, Gedanken und Aussichten", geschrieben von Professor Henry L. Roberts, Direktor des Russischen Instituts der Columbia-Universität. Dieses Buch hat ein Vorwort von Herrn McCloy, in dem gesagt wird, das deutsche Volk müsse gewisse
Sicherheiten geben. Die Furcht der Polen und Tschechen, ihre gegenwärtigen Westgrenzen einzubüßen, unterstütze die Aufrechterhaltung der sowjetischen Kontrolle über Osteuropa. Das freie Volk der Bundesrepublik Deutschland müsse unter Umständen erwägen, ob es nicht wünschenswert sei, die Ansprüche auf einige früher in deutschem Besitz befindliche Gebiete aufzugeben als Schritt zur Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland. - Text übersetzt durch Presse- und Informationsamt der Bundesregierung schon am 24. Mai!
Bevor der Herr Bundeskanzler nach Amerika fuhr, war in der Presse zu lesen, daß er vor diesem Außenpolitischen Rat, dessen Vorsitzender Herr McCloy ist, sprechen werde. Ich habe daraufhin den Herrn Bundeskanzler schriftlich gebeten, diese Gelegenheit zu benutzen, um der Auffassung des Herrn McCloy entgegenzutreten. Der Herr Bundeskanzler erwiderte mir in einem Brief, in dem er mir den amtlichen Text übersandte, mit dem Bemerken, die Äußerung von Herrn McCloy sei in der Presse falsch wiedergegeben. Ich habe einen Unterschied zwischen dem amtlichen und dem in der Presse veröffentlichten Text nicht feststellen können. Aber der Herr Bundeskanzler schrieb mir weiter, er werde bei Gelegenheit mit Herrn McCloy sprechen. Ich stelle fest, daß er in Amerika auch eine Äußerung getan hat, die dort allgemein als eine Distanzierung von der Äußerung McCloys aufgefaßt worden ist.
Meine Damen und Herren, die prompte Übersetzung und Veröffentlichung dieses soeben erschienenen Vorworts von Herrn McCloy hat in weitesten Kreisen den Eindruck erweckt, es habe sich um eine bestellte Entlastungsoffensive zugunsten des Herrn Bundesaußenministers gehandelt.
Am 23. Mai gab der Herr Bundesaußenminister der englischen „Yorkshire Post" ein Interview. Auf die Frage, ob Deutschland an der Wiedervereinigung des Sudetenlandes interessiert sei, entgegnete der Minister unzweideutig mit Nein. Er glaube aber, daß den Sudetendeutschen das Recht, zurückzukehren, zuerkannt werden müsse. Herr von Brentano drückte deutlich aus, daß er die Frage der Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie durch ein Abkommen zwischen Polen und einer gesamtdeutschen Regierung zu regeln wünsche. Ein solches Abkommen, das vermutlich keine große Bevölkerungsverschiebung zur Folge haben werde und noch vor dem Abschluß eines Friedensvertrages geschlossen werden könne, möchte er auf dem Wege zweiseitiger freundschaftlicher Verhandlungen erreichen. Die sowjetische Regierung werde „möglicherweise" mitwirken. Der Herr Bundesaußenminister nahm die Gelegenheit wahr, den Rückkehrwillen eines Teils der Vertriebenen in Zweifel zu ziehen und zum Ausdruck zu bringen, daß es manchen von ihnen besser gehe als manchen Einheimischen.
Nach alledem, glaube ich, ist es nicht möglich, daß der Herr Bundesminister von Mißverständnissen oder auch nur von einem falschen Zungenschlag spricht. Bei unseren Gegenspielern hat es jedenfalls weder Mißverständnisse noch falsche Zungenschläge gegeben.
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Im Sommer vergangenen Jahres feierten sie die fünfte Wiederkehr des Tages, an dem der Schandvertrag geschlossen wurde, durch den die OderNeiße-Linie zur „Friedensgrenze" ernannt wurde.
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Man feierte diesen Tag und schickte sich gegenseitig Delegationen. Nach der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 8. Juli 1955 hat Herr Walter Ulbricht, stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der DDR, in einem Zeitungsartikel aus diesem Anlaß erklärt:
Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß mit der Festigung der Oder-Neiße-Friedensgrenze die Grenzen zwischen Deutschland und Polen endgültig bestimmt sind. Niemand wird es gelingen, diese Grenzen in irgendeiner Form zu verändern.
Dieser Einstellung der beteiligten Regierungen wurde in besonderer Form Nachdruck verliehen dadurch, daß die Regierungen in Polen den Neusiedlern in den deutschen Vertreibungsgebieten das Eigentum an 500 000 Bauernhöfen übertrug, die auch heute noch deutschen Bauern gehören.
Diese Vorgänge haben natürlich bei den Vertriebenen, ganz besonders aber bei den Bauern, Beunruhigung und Entrüstung hervorgerufen. Vergeblich waren aber alle Bemühungen, die Bundesregierung zu einem Protestschritt gegen diesen eklatanten Rechtsbruch zu bewegen.
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Damals schrieb mir Herr von Brentano wie folgt:
Die mit dem Dekret des polnischen Staatsrates vom 12. Juli 1955 verfügte Verleihung von Eigentumsrechten an polnische Neusiedler stellt einen Teil der Durchführung der bereits 1945 von der polnischen Regierung rechtswidrig dekretierten Enteignung des deutschen Besitzes dar. Sie gehört somit zu den zahlreichen polnischen Maßnahmen, die seit 1945 entgegen dem völkerrechtlichen Status der deutschen Ostgebiete vorgenommen wurden. Die Bundesregierung wird nach wie vor keine Gelegenheit vorübergehen lassen, ihren grundsätzlichen Standpunkt bezüglich der deutschen Ostgebiete zum Ausdruck zu bringen.
Meine Damen und Herren, die Enteignung von 500 000 Bauernhöfen in unserer Heimat im Jahre 1955 war in den Augen des Herrn Bundesaußenministers eine Maßnahme im Zuge der 1945 begonnenen Vertreibungshandlungen, und es bestand deshalb für ihn kein Anlaß, dagegen zu protestieren!
In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß der Herr Bundeskanzler schon im Herbst 1953, wie Sie sich erinnern werden, von einem Kondominium mit Polen gesprochen hat; ein Begriff, der auf der gleichen Linie liegt, auf der sich der Herr Bundesaußenminister jetzt bewegt.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Verleihung des Karlspreises an einen Mann, der nach seiner eigenen Darstellung für die Vertreibung von 15 Millionen Menschen weit mehr schuldhaft verantwortlich ist, als dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit offenbar bewußt ist. Auch dieser Tatbestand ist symptomatisch dafür, wie wenig deutsche Stellen sich bei ihren Maßnahmen Gedanken oder Vorstellungen machen von dem Schicksal der Vertriebenen und der Gebiete, aus denen sie vertrieben wurden.
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Die Demonstration in Aachen richtete sich weniger gegen Herrn Churchill als gegen die Männer, die für diese Taktlosigkeit verantwortlich zeichneten.
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Es ist beliebt, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß wir den Krieg verloren haben und daß wir uns vor allem mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, daß Millionen Menschen unter der Verantwortung einer deutschen Regierung unendliches Leid zugefügt worden ist.
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Diesen Vorwurf hat die schon erwähnte „Stuttgarter Zeitung" gerade in den letzten Tagen wieder meinem Parteifreund Seiboth gemacht, als er die heimatpolitischen Ziele des Gesamtdeutschen Blocks auf dem Parteitag entwickelt hat. Ich weiche dieser Frage nicht aus. Es ist nicht möglich, neues Unrecht durch altes Unrecht zu rechtfertigen.
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Der Heilige Vater schrieb im April 1948 an die deutschen Bischöfe wie folgt:
Wir glauben zu wissen, was sich während der Kriegsjahre in den weiten Räumen von der Weichsel bis zur Wolga abgespielt hat. War es jedoch erlaubt, im Gegenschlag 12 Millionen Menschen von Haus und Hof zu vertreiben und der Verelendung preiszugeben? Sind die Opfer dieses Gegenschlags nicht in der ganz überwiegenden Mehrzahl Menschen, die an den angedeuteten Ereignissen unbeteiligt, die ohne Einfluß auf sie gewesen waren, und war jene Maßnahme politisch vernünftig und wirtschaftlich verantwortbar, wenn man an die Lebensnotwendigkeiten des deutschen Volkes und darüber hinaus an den gesicherten Wohlstand von ganz Europa denkt? Ist es wirklichkeitsfremd, wenn Wir wünschen und hoffen, daß alle Beteiligten zur ruhigen Einsicht kommen und das geschehene Unrecht rückgängig machen, soweit es sich rückgängig machen läßt?
Damit ist von der höchsten moralischen Autorität der Welt klargestellt, daß die Vertreibung nicht durch Berufung auf das nationalsozialistische Unrecht, das wir gar nicht leugnen, gerechtfertigt werden kann.
Eine gewisse deutsche Presse liebt es, den Sprechern der Vertriebenen, die an dem Rechtsanspruch festhalten, mangelnden Realismus vorzuwerfen. Auch das ist heute schon mit aufgeklungen. Dieser Vorwurf ist unbegründet. Auch die Vertriebenen und wir alle verkennen die Verteilung der Kräfte in der Welt nicht, und wir wissen, daß man aus Verhandlungen häufig mit einem Kompromiß herauskommt und vielleicht sogar herauskommen muß, insbesondere, wenn man einen verlorenen Krieg hinter sich hat. Wir können aber nicht einsehen, daß es mit Realismus etwas zu tun hat oder gar der Weisheit letzter Schluß ist, wenn man in einem Zeitpunkt, wo von Verhandlungen noch gar keine Rede ist,
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schon anfängt, den eigenen unbestreitbaren Rechtsanspruch in Zweifel zu ziehen und faule Kompromißvorschläge zu machen.
({13})
Damit erreicht man nichts anderes, als daß man sich für die einmal wirklich beginnenden Verhandlungen in eine völlig aussichtslose Ausgangsposition bringt.
Welchen Schaden der Herr Bundesaußenminister angerichtet hat, werde ich Ihnen aus der Auslands({14})
presse noch nachweisen. Dieser Schaden ist um so größer, als sich eine gewisse deutsche Presse beeilt hat, dem Herrn Bundesaußenminister zu assistieren. Hier hat sich insbesondere wieder einmal der „Rheinische Merkur" ausgezeichnet. Er schreibt:
Bieten wir endlich in Richtung Prag und Warschau etwas Glaubwürdigeres an als das Münchener Abkommen und die im Grunde genau so unzulängliche Berufung auf die Grenzen von 1937.
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Ist es wirklich erlaubt und möglich, daß Deutsche so schreiben?
Das offizielle SED-Organ „Neues Deutschland" erklärt dazu:
Bravo, Bravissimo! Einen Haken hat die Geschichte allerdings. Die Oberschlaumeier vom „Rheinischen Merkur" sind zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und der Grenze der Tschechoslowakei bereit, weil sie glauben, damit zwischen beiden Ländern einerseits und der Deutschen Demokratischen Republik andererseits einen Keil treiben zu können.
Das gleiche Blatt belobigt in hohen Tönen den Chefredakteur der Hamburger „Welt", Herrn Hans Zehrer, der zur Ostpolitik dem deutschen Volk ein Umdenken und eine Revision der Methoden empfohlen hatte. Das „Neue Deutschland" anerkennt diese Haltung mit den Worten:
In allgemein verständliches Deutsch übersetzt: das Verrücken von Grenzpfählen ist keine ungefährliche Sache.
„Und damit kann man nur einverstanden sein", fährt das Blatt fort.
Besonders aufschlußreich sind natürlich die Äußerungen der polnischen Presse. Die führende kommunistische Zeitung in Warschau, die „Trybuna Ludu" schreibt:
Jetzt gerade ist der Außenminister der Bundesrepublik genötigt - freilich noch auf inkonsequente Weise und voller Schwankungen -, den Revisionismus der Bonner Regierung zu revidieren.
„Dzienik Polski", eine exilpolnische Zeitung, triumphiert:
Es scheint, daß die öffentliche Meinung Deutschlands langsam heranreift zur Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, wenn dies der Preis der Wiedervereinigung wäre."
Die Zeitung „Glos Pracy“ aus Warschau sagt:
Wenn dieses Problem heute konkreter ist als vor ein oder zwei Jahren, wenn in Westdeutschland heute mehr sachliche Stimmen über Polen und seine Grenzen zu hören sind, so ist der Hauptgrund in der festen Haltung der DDR zur Oder-Neiße-Grenze und in der Freundschaft zwischen Polen und der DDR zu suchen.
An dieser festen Haltung hat es bei uns gefehlt. Wenn ich mir überlege, was der Herr Bundesaußenminister in der gestrigen Regierungserklärung zu diesen erschütternden Entwicklungen und zu dem Porzellan, das er in reichem Maße zerschlagen hat, zu erklären hatte, so muß ich seine Stellungnahme nicht nur als äußerst dürftig bezeichnen, sondern
auch feststellen, daß er an dem richtigen und wahren Problem vorbeigeredet hat.
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Der Herr Bundesaußenminister hat den Anschein zu erwecken versucht, er habe in London lediglich zum Ausdruck bringen wollen, daß niemand bei uns daran denke, die besetzten Gebiete des Deutschen Reiches mit Gewalt wiederzuholen. Der vom Herrn Bundesaußenminister selbst gegebene Hinweis auf die Charta der deutschen Heimatvertriebenen und den dort schon im Jahre 1950 ausgesprochenen Verzicht auf Rache, Vergeltung und Gewaltanwendung
- ein Verzicht, den wir Vertriebene auch gerade von dieser Stelle aus immer wieder erneuert haben
- beweist einmal, daß kein besonderer Anlaß zu dieser Erklärung bestand, und zeigt zum anderen, daß niemand den Herrn Bundesaußenminister wegen dieser Äußerung angreifen konnte und angegriffen hat.
Man zitiert aus der Charta immer nur den Verzicht auf Rache und Vergeltung.
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Aber in der Charta heißt es auch: „Den Menschen mit Zwang von seiner Heimat trennen bedeutet ihn im Geiste töten." Und es geht aus dem ganzen Inhalt auch hervor, daß die Vertriebenen entschlossen sind, niemals ihr Recht auf die deutschen Vertreibungsgebiete preiszugeben. Diese Erklärungen werden nicht zitiert, und ich, der ich als erster die Charta unterzeichnen durfte, sehe mich genötigt, eine solche Anrufung der Charta als Mißbrauch zu kennzeichnen.
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Der Herr Bundesaußenminister hat gestern erklärt, die Bundesregierung halte ihre „klare Einstellung zur Frage der Grenzziehung im Osten unverändert aufrecht". Ich muß sagen, daß diese Formulierung mir langsam geradezu unheimlich wird Es 'geht hier nicht um eine Grenzregulierung, es geht um rund 25 % des deutschen Landes und Bodens, und dafür sollte man andere Worte wählen. Herr von Brentano hat gestern selbst den Satz ausgesprochen:„ Die staatsrechtliche Einheit Deutschlands ist nicht untergegangen." Ich vermag leider nicht zu erkennen und anzuerkennen, daß der Herr Bundesaußenminister sich bei seinen von mir zitierten Erklärungen von diesem Bewußtsein und dieser Vorstellung hat leiten lassen.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben gestern den Standpunkt vertreten, daß die Bundesregierung diplomatische Beziehungen zu den Satellitenstaaten des Sowjetblocks nicht aufzunehmen vermag, weil diese Staaten davon ausgehen, daß die Teilung Deutschlands und die Existenz zweier Staaten eine Realität sei, die man im internationalen Verkehr anerkennen müsse. Ich will nicht zu dieser Frage selbst Stellung nehmen; das hat Herr Feller schon getan. Aber ich muß diese Haltung in Vergleich setzen zu Ihren Vorschlägen in Ihrem Interview mit der „Yorkshire Post". Was hat Sie bewogen und wie war es möglich, ,daß Sie bei einer solchen Einstellung gegenüber diesen Staaten sich schon jetzt den Kopf darüber zerbrechen und im Ausland öffentlich diskutieren, auf welche Weise zwischen einem dieser Staaten, nämlich Polen, und der künftigen gesamtdeutschen Regierung die Frage der Oder-Neiße-Gebiete vor Abschluß eines Friedensvertrages freundschaftlich geregelt werden könnte,
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wobei Sie noch das Rezept gaben, von größeren Bevölkerungsverschiebungen abzusehen? Bestand auch nur der geringste Anlaß zu einer solchen Stellungnahme? Hatten Sie wirklich keine aktuellere Frage oder keine größere Sorge? Wie ist dieses Ihr Verhalten wiederum in Einklang zu bringen mit Ihrer gestrigen Feststellung, daß die Regelung der territorialen Fragen im Osten Deutschlands dem Friedensvertrag vorbehalten bleiben müsse?
Diese Divergenz nötigt doch zu der Vermutung und zu dem Schluß, daß mit Ihren Äußerungen auf näherliegende Dinge hingewiesen werden sollte. Man hat die Vermutung ausgesprochen, daß Sie gewissen Bedürfnissen im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen in Nordamerika Rechnung tragen wollten. Ich möchte dazu keine Stellung nehmen.
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In der Bonner Korrespondenz „Deutsche Information" wurde unter dem 26. Juni eine Meldung verbreitet, wonach ein deutsch-polnisches Kondominium in Sicht sei. Danach soll auf dem Gründungstag der FVP in Bochum das Gerücht verbreitet worden sein, daß zwischen dem State Department und der Bundesregierung ein gemeinsamer Initiativvorschlag besprochen worden sei, wonach den Polen die Möglichkeit gegeben werden würde, an einer Europäisierung mitzuwirken, die ihre nach 1945 erworbenen Rechte ungeschmälert lasse. Dieser Vorschlag sieht die Repatriierung rückkehrwilliger Vertriebener unabhängig von der Wiedervereinigung vor, denen nach ihrer Wiederansiedlung ein verwaltungsmäßiges Mitspracherecht zugestanden werden sollte. Auch dabei findet sich der Hinweis, daß amerikanische Regierungskreise sich davon noch vor der Präsidentschaftswahl eine Besänftigung der Amerikapolen erhoffen.
In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben - und deshalb erwähne ich das hier -, daß Polen tatsächlich derartige Repatriierungsbestrebungen realisieren will. Ich halte es im Interesse der Klarheit unseres politischen Lebens für unbedingt erforderlich, daß die Bundesregierung zu diesen Meldungen eine klare Stellung bezieht.
Ich möchte noch hervorheben, daß die wiederholten Auslassungen des Herrn Bundesaußenministers bis in die Reihen seiner politischen Freunde Beunruhigung ausgelöst und auch Widerspruch gefunden haben. Ich erinnere an die Stellungnahme der Herren Kollegen Kiesinger und Dr. Jaeger und an die Erklärung der CDU-Vertriebenen in Niedersachsen. Sogar der doch völlig unverdächtige „Volksbote" hat Herrn von Brentano bescheinigt, daß er bei dieser Gelegenheit demonstriert habe, wie man auf dem politischen Parkett ausrutschen könne. Es war, wie wir gesehen haben, mehr als das, und es ist immerhin sehr bemerkenswert, daß der Katholische Flüchtlingsrat Mitte Juni auf seiner Arbeitstagung in Würzburg eine Entschließung angenommen hat, in welcher die Proteste der deutschen Heimatvertriebenen gegen „die verwirrenden Auslassungen einiger Politiker des In- und Auslandes über Ostdeutschland" gutgeheißen wurden. Für eine gewisse Presse des In- und Auslandes dürfte es heilsam sein, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Katholische Flüchtlingsrat den dabei den Vertriebenen gemachten Vorwurf nationalistischer Tendenzen - den man ja immer sehr schnell bei der Hand hat -mit Entschiedenheit zurückgewiesen hat. In Wahrheit seien diese Proteste, so heißt es in der Entschließung, der „Schrei vergewaltigter Volksmassen".
Die Bundesregierung und vor allem der Herr von Brentano sollten sich ein Beispiel an der Haltung des Vatikans nehmen. Der Heilige Stuhl ist in dieser Frage schon seit Jahren von der polnischen Regierung angegriffen und bedrängt worden. Er hat trotzdem unentwegt und bis auf den heutigen Tag an seiner Auffassung festgehalten, daß diese Gebiete ein Teil des Deutschen Reiches sind und bleiben bis zum Abschluß eines Friedensvertrages unter Zustimmung aller Beteiligten.
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Es ist doch wirklich nicht zuviel verlangt, wenn man von der deutschen Bundesregierung fordert, daß sie eine gleiche klare und entschiedene Haltung einnehme. Sie hat eine viel weitergehende Verpflichtung als der Vatikan. Denn ihr ist im Grundgesetz auferlegt, die Rechte Gesamtdeutschlands zu wahren. Herr Bundesaußenminister, dieser Verpflichtung haben Sie zuwidergehandelt. Ich lehne es ab, mit Ihnen über das eine oder das andere Wort zu diskutieren. Die Gesamttendenz dieser ganzen Vorgänge und Ihrer Haltung ist klar und der angerichtete Schaden fast irreparabel. Wir können trotz aller persönlichen Wertschätzung nicht mehr das Vertrauen zu Ihnen haben, das der Mann besitzen muß, der für die deutschen Vertreibungsgebiete sprechen und verhandeln muß. Dieses Vertrauen ist zerstört. Deshalb haben wir in der zweiten Lesung des Haushalts die Streichung Ihres Gehalts beantragt.
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Meine Ausführungen haben deutlich ergeben, daß wir es nicht verstanden haben, in der Welt Verständnis und Sympathie für unser Schicksal und vor allem für unser Recht auf Rückgabe der geraubten Gebiete zu erwecken. Die bedauerlichen Vorgänge der letzten Zeit haben einer langjährigen bedauerlichen Entwicklung nur die Krone aufgesetzt.
Wie oft habe ich von dieser Stelle darauf hingewiesen, daß wir der sehr rührigen und geschickten Propaganda der Polen und Tschechen im Ausland nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben. Die Bundesregierung hat diese Seite des Problems völlig vernachlässigt. Wenn wir auch damit einverstanden sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands sich in Etappen vollzieht, so ändert das doch nichts daran, daß auch die zweite Etappe psychologisch, propagandistisch und politisch vorbereitet werden muß. Als die grauenhafte Tatsache der Vertreibung und ihres Umfanges in der westlichen Welt bekannt wurden, ging ein Schrei der Entrüstung und des Entsetzens durch die freiheitliebenden Völker. Unser Anspruch auf die Vertreibungsgebiete und auf das Selbstbestimmungsrecht kann nach völkerrechtlichen und naturrechtlichen Grundsätzen doch gar nicht in Zweifel gezogen werden. Obwohl also alle Voraussetzungen vorlagen, uns das Mitgefühl und die Anerkennung in der ganzen Welt zu sichern, sind wir in der Meinung der Weltöffentlichkeit völlig ins Hintertreffen geraten. Auch dafür trifft die Bundesregierung die Verantwortung. Wir haben einen Mammutbau für das Ministerium des Auswärtigen errichtet, von dem wir ja neulich noch gehört haben, daß er verkorkst sei, aber es hat sich darin noch immer kein Platz für eine deutsche Ostabteilung gefunden. Es fehlt aber nicht nur die Politische Abteilung, für die als Ersatz ein Referat da ist; es fehlt vor allem auch die Informationsabteilung Ost.
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Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß.
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- Ich weiß, daß ich dafür Beifall bekomme.
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Sicherlich werde ich wie jeder, der Kritik übt, gefragt werden, wie ich es besser machen würde. Ich könnte ja auch, wie es vorher getan wurde, sagen: In politischen Fragen gibt es keine Rezepte, oder: Es werden andere dafür bezahlt. Aber ich möchte der Frage nicht ausweichen. Wir sind uns darüber einig, daß die Wiedervereinigung in Etappen erfolgen muß, und ich stelle die Frage, ob wir die Etappe I so weit gefördert haben, daß es wirklich notwendig erscheint, schon detaillierte Rezepte für die Etappe II auf den Tisch zu legen. Ich halte das nicht nur für nicht notwendig; ich halte es für unmöglich.
Ich habe heute schon einmal gesagt, daß die Notwendigkeit von Kompromissen auch uns bekannt ist, und ich möchte darüber hinaus sagen, daß nach meiner Überzeugung auch die Vertriebenen vernünftigen Lösungen durchaus zugänglich sein werden. Aber solange an Verhandlungen nicht zu denken ist, kann man doch Kompromißvorschläge gar nicht öffentlich diskutieren, weil die Gegenleistung ausbleibt und ausbleiben muß und der Standpunkt der anderen dadurch immer nur härter wird.
Die beste Vorbereitung der Etappe II der Wiedervereinigung ist die Vorbereitung und die Verwirklichung der Etappe I. Die einzige Waffe des Besiegten ist das Recht, und es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diese Waffe scharf zu halten. Vergleichsvorschläge können erst erörtert werden, wenn man am Verhandlungstisch sitzt. Der Herr Bundesminister hat gestern in seinen beiden letzten Sätzen zutreffende Ausführungen über das Recht und das Verhältnis zwischen Macht und Recht vorgetragen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Ich verlange nur, daß das auch auf unseren Anspruch angewendet wird.
Die Vertriebenen müssen aus der Entwicklung, die ich wahrheitsgemäß aufzeigen mußte, die Konsequenzen ziehen. Sie haben gesehen, daß sich gegen sie die Wahrheit des alten Wortes richtet: Qui tacet, consentire videtur; wer schweigt, erweckt den Anschein, daß er zustimmt.
Meine Damen und Herren, die Behandlung unserer Anträge zu Beginn der heutigen Sitzung kennzeichnet die Situation.
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Es ist in diesem Hause meines Wissens noch nie in sieben Jahren vorgekommen, daß der Wunsch des Antragstellers, einen Punkt von der Tagesordnung abzusetzen, nicht berücksichtigt worden ist.
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Es ist bezeichnend, daß gerade bei unserem Antrag mit dieser Übung erstmals gebrochen wurde, - doch nicht deshalb, mein sehr verehrter Herr Ehren, weil Sie diese Diskussion für unaufschiebbar hielten, sondern weil Sie die Gelegenheit benutzen wollten, sie möglichst unauffällig über die Bahn zu bringen.
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Wir werden den Vertriebenen darin beistehen, laß ihre Stimme in Zukunft unüberhörbar ins Ohr
der Welt und des deutschen Volkes klingt, damit das Recht keinen Schaden nimmt.
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Ich beantrage Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß - federführend - und an den Vertriebenenausschuß und den Gesamtdeutschen Ausschuß zur Mitberatung.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Kather hat am Ende seiner Ausführungen erklärt, er beabsichtige nicht, mit mir in eine Diskussion darüber einzutreten, welche Formulierungen von mir gebraucht worden seien. Herr Kollege Kather, aber ich beabsichtige, mit Ihnen darüber in eine Diskussion einzutreten.
({0})
Sie haben sich viel Mühe gegeben, Herr Kollege Kather, Erklärungen von mir in einem Sinne zu interpretieren, wie er für die von Ihnen doch vorzugsweise vertretenen Menschen nachteilig ist. Ich weiß nicht, ob es sehr sinnvoll war, wenn Sie sich die Mühe gaben, entgegen dem, was gesagt wurde und gemeint war, in der öffentlichen Meinung Deutschlands und der Welt den Eindruck zu erwecken, die Haltung der Bundesregierung in dieser Frage sei zweifelhaft. Ich wage immerhin zu fragen, ob dieser Versuch dem von Ihnen vertretenen Ziele dient.
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Aber lassen Sie mich auf das eingehen, was ich gesagt habe. Ich habe am 1. Mai auf einer Pressekonferenz in London erklärt, daß die Millionen der aus den deutschen Ostgebieten Vertriebenen ein Recht auf ihre Heimat besitzen. Ich habe hinzugefügt, dieses Menschenrecht auf Heimat sei nach jahrhundertelanger Geschichte legitimen Ursprungs, und ich habe weiter hinzugefügt, keine deutsche Regierung könne jemals die Oder-NeißeLinie als Grenze anerkennen. Ich glaube, daß diese Feststellung doch sehr unmißverständlich war.
Ich wurde dann gefragt: Wie ist es, wenn es sich um das konkrete Problem der Wiedervereinigung handelt? Wird Deutschland, wird das deutsche Volk, wird die Bundesregierung, wird der Deutsche Bundestag verlangen, daß sich die deutsche Wiedervereinigung auch auf diese Gebiete erstreckt? Wird Deutschland die Wiedervereinigung mit der sowjetisch besetzten Zone von der Erfüllung dieses weitergehenden Anspruchs abhängig machen? Darauf habe ich allerdings erklärt: nein. Diese Erklärung gebe ich auch heute noch einmal ab; ich glaube, wir sind uns darin einig, daß es zunächst um Leben oder Sterben von 17 Millionen Menschen geht.
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Ich glaube nicht, daß diese Äußerung Kritik verdient, sondern ich glaube, daß wir alle sie uns zu eigen machen sollten.
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Ich habe das auch in meinem Interview mit der „Yorkshire Post" nur in dem Sinne gesagt und keine Erklärungen in dem Sinne abgegeben, wie Sie sie hier wiedergegeben haben, Herr Kollege.
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- Ich habe das Bulletin hier vor mir liegen. - Ich habe auf die Frage nach den Gebieten jenseits der Oder-Neiße-Linie sehr eindeutig gesagt, daß es Aufgabe einer gesamtdeutschen Regierung sein müsse, hier eine Verständigung zu erreichen, und daß die Verhandlungen darüber auch schon vor einem Friedensvertrag beginnen könnten. Meine Damen und Herren, habe ich damit etwas anderes gesagt als das, was hier von allen Sprechern dieses Hauses immer wieder gesagt worden ist?
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Ist es nicht richtig, auf die klare Frage, wie wir uns die Entwicklung denken, auch eine klare und anständige Antwort zu geben, um den letzten Zweifel zu beseitigen, daß irgend jemand in Deutschland auch nur mit dem Gedanken spiele, die Lösung dieser Frage mit Gewalt durchzuführen?
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Vergessen wir doch nicht, daß solche Sorgen in der Welt sind und daß es unser gemeinsames Anliegen sein muß, diese Sorgen zu zerstreuen. Nur wenn man in der Welt weiß, daß ein wiedervereinigtes Deutschland sein neugewonnenes Potential nicht mißbrauchen wird, nur dann wird man uns in der Wiedervereinigungspolitik die Unterstützung geben, die wir brauchen um der 17 Millionen Menschen willen.
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Ich habe gestern auch nicht, Herr Kollege Kather, etwa von Grenzregulierungen - wie Sie es zitieren - oder ähnlichem gesprochen,
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sondern ich habe gesagt: das Problem der Ostgrenzen ist ein Problem, das im Friedensvertrag geregelt werden muß. Ich glaube, daß auch hier kein Widerspruch ist zwischen dem, was Sie meinen, Herr Kollege Kather, was Ihre Freunde meinen, und dem, was ich meine.
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Wenn ich in dem Interview mit der „Yorkshire Post" sagte, daß hier keine großen Menschenverschiebungen zu erwarten seien, - meine Damen und Herren, verstehen Sie nicht, was ich damit sagte? Daß wir eben nicht androhen, nicht sagen wollen, wir könnten uns eine Verständigung nur in der Form denken, daß man wieder Menschen vertreibt. Wollen wir das ankündigen? Sie wollen es doch selbst auch nicht tun, meine Damen und Herren!
Und wenn ich sagte, daß vielleicht nicht alle in die alte Heimat zurückkehren, - ich habe auf eine Frage geantwortet, ob ich der Überzeugung sei, daß sich nun wieder eine Völkerwanderung von Millionen in Bewegung setzen werde. Darauf habe ich geantwortet - und ich sage es auch hier -, ich sei glücklich, daß es Tausenden und Hunderttausenden von Menschen gelungen sei, in der neuen Heimat eine Existenz zu finden. Ist das eine Feststellung, die wir nicht hätten treffen dürfen?
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Ich glaube, es ist eine Feststellung, auf die wir stolz sein können, daß es gelungen ist, wirklich unzählige Hunderttausende von Menschen in den Stand zu setzen, sich in dieser neuen Heimat zu Hause zu fühlen.
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Meine Damen und Herren, ein letztes Wort. Die Unterstellung, ich selbst oder irgend jemand von der Bundesregierung hätte, wie Sie sagten, solche Äußerungen getan mit Rücksicht auf die bevorstehenden Wahlen in den Vereinigten Staaten, diese Unterstellung empfinde ich als peinlich, und ich halte es für unter meiner Würde, darauf zu antworten.
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Aber Ihre Frage, Herr Kollege Kather, ob zwischen der Bundesregierung und dem State Department eine solche Vereinbarung vorbereitet würde, wie Sie sie inhaltlich zitiert haben, kann ich getrost mit Nein beantworten. Es ist ein Ausdruck blühender Phantasie, was hier von irgend jemandem entwickelt worden ist, und auch Sie sollten es wirklich nicht einmal für möglich halten, daß die Bundesregierung sich mit solchen Dingen beschäftigt!
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Das Wort hat der AbAbgeordnete Baron Manteuffel-Szoege.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gerade die letzten Ausführungen, die wir gehört haben, haben uns meinem Empfinden nach gezeigt, wie schwierig und wie bedenklich es ist, außenpolitische Fragen in allzu großer Breite zu behandeln. Es ist das schwierigste Problem, das es in einem Parlament überhaupt geben kann, weil eine Fülle von Dingen nur angedeutet, schwach hervorgehoben oder nicht gesagt werden können. Aber grundsätzlich möchte ich mich bei meinen Ausführungen von einem Ausspruch des verehrten Kollegen Dehler leiten lassen, der mich seinerzeit lebhaft beeindruckt hat. Es ist ein Zitat Bismarcks, der dem Sinn nach gesagt hat: Die schlechteste Politik, die man überhaupt machen kann, ist eine wechselnde!
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Ich glaube, daß es wirklich ein Verdienst ist, an einer geraden Linie festzuhalten, wenn das auch sicherlich schwierig ist gegenüber einem Partner - ich will den Ausdruck „Gegner" hier nicht gebrauchen -, bei dem die Zielsetzung klar ist, eine Zielsetzung von solcher Kraft, von solcher Stärke, von solcher Durchdachtheit, daß es durch Jahrzehnte schwergefallen ist, sich davon zu überzeugen, daß Menschen die Kraft und den Willen haben, an einer Tendenz festzuhalten, nämlich die Welt von Grund auf zu verändern. Ich glaube, daß wir uns mit diesem Problem praktisch und theoretisch, gleichgültig in welchem Lager wir hier stehen, nicht genug auseinandersetzen können.
Ich erinnere mich, einmal in den Erinnerungen Trotzkijs folgende Begebenheit gelesen zu haben. Als Trotzkij nach der Flucht aus Sibirien nach London zu seinem Meister Lenin kommt und ihm voll Freude über seine revolutionären und agitatorischen Taten berichtet, glaubt er große Anerkennung einheimsen zu können. Da stellt ihm Lenin nur die nüchterne Frage: .,Und wie steht es mit der Theorie?" So seltsam es vielleicht diesem Kreise, der doch auf das Praktische eingestellt sein muß, scheinen mag: wir sollten uns immer wieder vor Augen halten, daß wir uns, wenn wir uns mit einer Kraft auseinanderzusetzen haben, die einen weltanschaulichen Charakter hat, mit der ihr zugrunde liegenden Theorie auseinandersetzen müssen.
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An dieser Theorie hat sich nichts geändert.
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Ich wage zwar nicht, in die Zukunft zu schauen, aber wenn sich wieder etwas ändern sollte in Moskau, im Kreml, und wenn andere Männer an der Spitze stehen sollten - wie es dem Ablauf der Zeiten entspricht -, dann wird sich an der Theorie nur so viel ändern, daß dieser oder jener glaubt, es habe sich etwas geändert.
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Das sollten wir uns vor Augen halten, und man sollte da nicht mit irgendwelcher Herablassung, mit Hochmut geistiger oder sonstiger Art tadeln, sondern man sollte sich innerlich mit dieser Problematik auseinandersetzen. Wer nach Beispielen dafür sucht, daß sich in bezug auf die Zielsetzungen nichts geändert hat, könnte an die NEP-Politik Lenins denken. Hatte sich damals etwas geändert? Die bürgerliche Welt, die die Ruhe, die Bequemlichkeit so sehr sucht - quieta non movere -, glaubte damals, vor Jahrzehnten, als ich ein junger Mann war, auch predigen zu können, es sei doch alles so anders geworden und werde sich nun zum Besten ändern.
Ich glaube, das Zweite, das uns Deutsche besonders angeht, ist nun, daß man vom Gesichtspunkt Moskaus aus feststellt: Die DDR ist eine Realität. Das mag sehr unbequem sein, das mag bedauerlich sein, das mag ärgerlich sein, dem ist so. Geändert hat sich nur - und das ist wesentlich für uns - die Methode. Gerade je fester und geradliniger man an einer Politik festhält und festhalten will, desto mehr muß man sich überlegen, ob nicht einer neuen Methode eine gewandelte Methode auch von unserer Seite entgegengesetzt werden soll.
Bei der DDR haben sich aber zwei Punkte nicht geändert: einmal der militärische. Es ist nicht wesentlich, ob man dort eine Wehrpflicht einführt oder nicht. Sie sind uns dort schon weit voraus. Sie haben dort bereits ein stehendes Heer, ob das nun Polizei oder anders heißt. Dieses Heer ist ausgerüstet und ausgebildet, und diesem Heer wird man, glaube ich, nicht die nichtklassischen Waffen geben; man hat ihm die klassischen Waffen zugewiesen. Ich glaube, auch diese wesentliche Tatsache sollten wir uns vor Augen halten.
Politisch hat sich dort nichts an dem Kurs geändert, und ich frage mich, ob sich dort so viel, wie man glaubt oder hofft oder Merkmale sieht, an dem Kurs wie in den anderen Staaten ändert. Es gilt doch immer das Gesetz, daß kein System so mächtig ist, daß es radikal das ändern kann, was es geschaffen hat. Auch Eltern sind - mögen sie ihre Kinder noch so lieben, noch so wohlwollend erziehen - an das gebunden, was sie ihnen an Erbmasse mitgegeben haben, und sie können das dann nicht mehr ändern.
Diese Betrachtungen geraten ins Philosophische oder Theologische, aber sie haben auch in der praktischen Politik eine ungeheure Bedeutung. Ich glaube daher, daß sich der sogenannte Stalinismus in der sowjetisch besetzen Zone länger und stärker halten muß. Das sage ich insbesondere in bezug auf das, was wir heute in den Morgenblättern lesen.
Neu ist meiner Ansicht nach eine Erscheinung auf dem wirtschaftlichen Sektor; sie macht uns weitere Schwierigkeiten. Nicht daß dort die Verstaatlichung, die Enteignung der Menschen ununterbrochen weiter fortschreitet. Wir merken
nicht, daß auch auf diesem Gebiet, wo man vielleicht am ehesten und am bequemsten anhalten könnte, irgend etwas zum Stillstand gebracht worden ist. Vielmehr braucht man die Sowjetzone, um in Asien die friedliche, wirtschaftliche Erfassungspolitik durchzuführen. Für diese Politik bildet die sowjetisch besetzte Zone einen außerordentlich wertvollen Faktor.
Wenn man alle diese Dinge überlegt, kann man meinem Empfinden nach nicht sagen: Verhandelt mit der Sowjetunion, ihr bekommt dann das, was ihr wollt, doch wieder. - Ich glaube, die Aufgabe derer, die diesen Standpunkt vertreten, sollte sein, die wesentlichen Voraussetzungen für eine solche Verhandlungsmöglichkeit zu schaffen.
Es ist vielleicht etwas weitschweifend und vielleicht etwas unpopulär, wenn ich hervorhebe, daß, solange es Staaten gibt, auch eine Abschätzung dieser Staaten in bezug auf ihre gegenseitige Stärke erfolgt. Es ist ein ehernes, wenn auch erschütterndes Gesetz, daß Macht ein entscheidender Faktor ist. Daher muß jeder, der eine Loslösung unserer östlichen Heimatgebiete aus der Verklammerung anstrebt, in der sie sich zur Zeit befinden, den festen Willen haben, daß dieses von 50 Millionen Deutschen bewohnte Gebiet möglichst stark wird, um den 18 Millionen zu helfen. Unter Stärke sollte man um Himmels willen nicht primär militärische Stärke verstehen; dies spielt nicht die entscheidende Rolle, sondern ganz andere Dinge. Wenn jemand dazu beigetragen hat, daß unsere Wirtschaft stark ist, so dient er denen, die dereinst verhandeln müssen. Wenn jemand dazu beigetragen hat, daß unsere sozialen Verhältnisse nach Möglichkeit gesund werden - sie könnten noch sehr viel gesunder werden und es könnte noch unendlich viel auf dem Gebiet geschehen -,
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so erleichtert er künftiges Verhandeln. Wer wünscht, daß wir an Potential gewinnen, um ein Partner derer aus dem Osten zu werden, der muß eine militärische, ich möchte sagen eine physische Erstarkung der Nation wünschen, so schwer sie uns auch fallen mag.
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Man sollte nicht immer die Unterscheidung zwischen klassischen und nichtklassischen Waffen machen. Das Erschütternde ist doch, daß wir seit dem Ende des zweiten furchtbaren Weltkrieges eine Reihe von Kriegen erlebt haben, in denen von nichtklassischen Waffen keine Rede war, und doch haben sie wesentliche Entscheidungen mit sich gebracht. Das zweite Erschütternde ist, daß diese Kriege weitgehend einen bürgerkriegartigen, partisanenhaften Charakter hatten, wo die Anwendung von nichtklassischen Waffen überhaupt unvorstellbar ist. Stellen Sie sich bitte vor, wie es um Korea gestanden hätte, wenn Korea einigermaßen militärisch gesichert gewesen wäre. Das namenlose Unglück wäre nicht über dieses Volk gekommen. Militärische Mittel können eine größere Sicherheit zur Wahrung des Friedens, zur Erhaltung einer Nation bewirken als der Verzicht auf diese, und man wird immer wieder von Menschen aus der Zone hören: verzichtet nicht auf dieses Instrument! Ich glaube, wenn in der Zone eine geheime Abstimmung möglich wäre, das Ergebnis würde auch in dieser Richtung erstaunlich sein.
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Aber wir müssen noch auf etwas anderes drängen. Wir legen Wert - ich bedaure, daß der Außenminister in diesem Augenblick nicht da ist ({8})
auf die Schaffung eines schlagkräftigen diplomatischen Apparats. Ich will hier nicht auf die Einzelheiten eingehen. Ich will auch vom Standpunkt des Vertriebenen nicht sagen, daß wir mit bestimmten Abteilungen des Auswärtigen Amtes nicht ausgezeichnet gearbeitet haben. Aber wenn man wirklich vor immer wachsenden diplomatischen Aufgaben steht, wenn die Außenpolitik uns vor immer neue Aufgaben stellen wird, deren Umfang wir nicht übersehen können, so müssen wir zugeben, daß die dort zur Verfügung stehenden Kräfte nicht ausreichen. Man sollte gerade gegenüber einem Partner von dieser Beweglichkeit, der bürokratische Vorstellungen in unserem Sinne nicht kennt, nicht allzu bürokratisch eingestellt sein. Mir schiene es ein langwieriger Weg, wollten wir uns für die Ostdiplomaten auf die Entwicklung beschränken, die die Pflanzschule in Speyer einmal nehmen wird. Gerade wenn man den Standpunkt einer militärischen Erstarkung vertritt, sollte man sich auch für eine diplomatisch-politische mit allem Nachdruck einsetzen.
Erlauben Sie mir nun, einen Sprung zu tun und auf das zurückzukommen, was Herr Kollege Kather ausgeführt hat. Mir scheint, daß hier eine ganze Reihe von Punkten zusammengezogen worden sind, die zwar zeitlich tatsächlich zusammenfallen, aber inhaltlich nicht zusammengehören. Das ist die berühmte Simplifizierung der Dinge, die mir bedenklich erscheint. Man könnte noch einen weiteren Fall hinzufügen, nämlich die Rede, die Herr Greve in Braunschweig gehalten hat, wenn man dieses Bukett der Kritik vervollständigen wollte.
Ich sehe die Dinge ein wenig anders. Es ist zweifellos kein abgekartetes Spiel - wenn dieser Ausdruck erlaubt ist -, daß in London und in Braunschweig ähnliches gesagt worden ist, nur mit verschiedener Akzentuierung des Temperaments. Genauso, wie wir Vertriebenen oder jedenfalls ein wesentlicher Teil durchaus befriedigt waren, nachdem man uns mitgeteilt hatte, das sei nicht die Auffassung einer Partei, sondern einer einzelnen Persönlichkeit, ist meiner Ansicht nach die Angelegenheit damit erledigt. Nachdem der Herr Bundesaußenminister in einem eingehenden Brief seinen Standpunkt präzisiert hat, kann ich nur sagen - verzeihen Sie, daß ich das mit einiger Brutalität ausführe -: wir sind zufrieden, daß wir seinen Standpunkt schwarz auf weiß haben.
Der Ausspruch des Herrn von Herwarth war mir nicht bekannt. Aber es regen sich da böse Gefühle in mir. Vor Jahr und Tag hat er auch mir einmal etwas über das Saargebiet gesagt, was mich erbittert hat; einen anderen Ausdruck kann ich in bezug auf Herrn von Herwarth an dieser Stelle nicht gebrauchen. Die Sache ist abgetan, aber vielleicht ist es besser, wenn dieser Diplomat sich einige Zurückhaltung auferlegt.
Ich finde es aber falsch, verzeihen Sie, daß ich das sage, einem Minister das Gehalt - oder seiner Behörde die Finanzierung - abzusprechen, mit dem wir ein Jahr lang in vielen Dingen ausgezeichnet zusammengearbeitet haben.
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Es ist durchaus möglich, daß man mir jetzt von
Vertriebenenseite so wie in andern Fällen den Vorwurf machen wird: Du bist schlapp, du bist ein
Mann der Regierung, du trittst nicht energisch auf.
Wir haben dieses Papier erreicht, haben das Schreiben erhalten. Wir haben in der Regierungserklärung eine Deklaration gehört, die wir begrüßen. Unser Wunsch geht aber noch weiter - Sie sind davon orientiert, Herr Außenminister -: Wir wollen mit Ihnen einen dauernden arbeitsmäßigen Kontakt herstellen - wohl wissend, daß Sie nicht alle unsere Wünsche erfüllen können -, genauso wie seinerzeit vor knapp einem Jahr der Herr Bundeskanzler unsere Bitte erfüllte, einen der unseren zu der Fahrt nach Osten mitzunehmen, als es sich um Fragen handelte, die unser Vertriebenenschicksal primär treffen konnten. Auch als es sich um die Formulierung des bekannten Briefes des Herrn Bundeskanzlers handelte, haben zwei von uns mitgeredet, der Abgeordnete Gille und ich. Herr Gille ist Jurist, ich bin ein ungebildeter Mann auf diesem Gebiet. Herr Gille war entgegenkommender und leichter zu befriedigen als ich, und da Herr Gille sehr schwer zu befriedigen ist, war ich mit mir in diesem Moment recht zufrieden, was nicht allzuoft vorkommt.
Meine Damen und Herren, es erschüttert einigermaßen, daß wir uns bei dem Problem der Wiedervereinigung gewissermaßen gegenseitig Vorwürfe machen: Du machst dich nicht stark genug, du bist nicht tätig genug, du bist nicht eifrig genug. Wir streiten untereinander; der eine sagt: Der Weg A ist richtig, und der andere sagt: Der Weg B ist richtig! Aber der Außenwelt wird es viel mehr Eindruck machen, wenn wir sie überzeugen: wir alle eifern um diese Dinge; sie sind - wenn auch in verschiedener Form, vielleicht in ganz gegensätzlicher Form, das kann ich gut begreifen - Herzenssache eines jeden.
Ich halte die von Herrn Kollegen Kather zitierten Aussprüche der „Stuttgarter Zeitung", die ich mit den Aussprüchen in Braunschweig oder mit denen in London in keiner Weise in Verbindung bringen will - beide waren sicherlich nicht nützlich -, für unwürdig und für schädlich. Mit diesen Aussprüchen wird versucht, Menschen, die sich aufopferungsvoll für ihre Schicksalsgenossen einsetzen, als Geschäftspolitiker zu deklassieren. Es ist mir gleichgültig, ob man einen Mann aus der Partei A, B oder C deswegen angreift. Aber so etwas greift dann weiter über; schon hat eine belgische Zeitung diese Formulierung übernommen. Das schadet uns Deutschen allen insgesamt. Die Probleme des Ostens sind letzthin nicht Angelegenheit einer Gruppe von Vertriebenen, sondern sie sind gesamtdeutsche Probleme.
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Ich bin fest überzeugt, daß ein Mann in Aachen ebensowenig auf den Osten verzichten darf, wie ein Mann, der zufällig in Königsberg oder Breslau geboren ist. Das Schicksal bindet uns alle in einem Schiff, nur daß wir uns in den verschiedenen Räumen dieses Schiffes befinden mögen. Wer verzichtet, wer alles der Zukunft überlassen will, der zeigt damit nur, daß er in seinem Bestreben, das Volk stark zu machen, weich ist, daß bei uns weiche Stellen vorhanden sind. In die weichen Stellen, gleichgültig welche, stößt der andere hinein, mit einer gewissen Berechtigung, möchte ich sagen.
Uns auf diesem Gebiet stark zu machen scheint mir die gemeinsame Aufgabe zu sein. Ich glaube, die Vertriebenen sollten nach außen hin immer vom Recht auf Heimat reden. Wir wollen alle vom Recht auf Heimat reden, jeder für jeden, genauso
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wie wir uns mit warmem Herzen für das Schicksal unserer Volksgenossen im Saargebiet eingesetzt haben. Wir wußten ganz genau, daß wir uns, wenn wir uns für die Verträge einsetzten, für eine Erstarkung Deutschlands auch im Hinblick auf den Osten einsetzten und daß es dann überhaupt erst zu einer Abstimmung kommen konnte. Ich muß Ihnen ehrlich sagen: ich habe mich fast glücklich gefühlt, als ich vor einigen Monaten im Saargebiet war und diese starke und gehobene Stimmung fand.
Ich stimme auch ganz damit überein, daß wir, wie hier von dem Herrn Vorsitzenden der SPD gesagt worden ist, diese Geschlossenheit der Einigkeit der Parteien danken. Sie könnte ein Vorbild sein. Ermöglicht worden aber ist diese Abstimmung durch eine vorausschauende Politik der Bundesregierung;
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um diese Tatsache, die geschichtlich feststeht, kommt man nicht herum. Ich glaube, daß, wie jeder Erfolg auch indirekte Erfolge hat, nichts mehr der Stärkung des Durchhaltewillens der 18 Millionen unerlösten Schwestern und Brüder gedient hat, als daß sie nun erleben: dieses Gebiet kommt wieder zu Deutschland zurück. Da sehen Sie die innere Verbundenheit zwischen Westen und Osten, obgleich die Voraussetzungen völlig andere sind. Je mehr sich das Saargebiet uns nähert, desto mehr werden wir bestrebt sein, die Beziehungen zu Frankreich zu vertiefen und auszubauen in der wohlverstandenen Erkenntnis, daß es für diesen Staat nicht leicht ist, diese Entwicklung sich abspielen zu sehen.
Wir Vertriebenen - und alle, die mit ihnen fühlen - sollten uns vor Augen halten, daß es nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht auf die Heimat gibt. Dieses Wort enthält viel mehr, als es zunächst den Anschein hat. Was würde es bedeuten, wenn dieser und jener sagte: Ich bin nun rangiert, mich interessieren die Dinge nicht mehr?
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Halten Sie sich bitte vor Augen, daß jede Zustimmung zu einem Unrecht weiteres Unrecht fördert. Welcher Mensch wußte, als in den 20er Jahren, also vor über 30 Jahren, die Griechen aus ihren Heimstätten vertrieben wurden, wo sie länger gelebt hatten, mehr als tausend Jahre länger als diejenigen, die sie vertrieben, und als man Schiffer und Händler und Reeder und Seeleute zu kleinen Bauern machte in einem ärmlichen Lande, daß damit die Anfänge geschaffen wurden, die den Einbruch aus dem Norden nach Griechenland außerordentlich erleichtert haben? Man darf niemals aus Bequemlichkeit einem Unrecht zustimmen. Wenn jeder Vertriebene heute glänzend eingebaut wäre, was übrigens nicht der Fall ist, so müßten sich die Nichtvertriebenen erheben und sagen: Wir dulden dieses Unrecht nicht. Geschähe das nicht, so würde die Folge sein, daß einmal einem anderen Volk, vielleicht auf einem anderen Kontinent, dasselbe entsetzliche Unrecht zugefügt werden könnte, wenn das Unrecht ungestraft bliebe. Das ist doch der tiefere Sinn alles historischen Geschehens, daß man die Gefahren von Unrecht erkennt und unerbittlich auf seinem Standpunkt steht, damit dieses Unrecht nicht wieder geschehen kann.
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Meine sehr Verehrten, während wir heute in Ruhe hier sitzen, sterben vielleicht in Posen Menschen anderer Sprache und anderer Nationalität. Sie sterben aus demselben Anlaß wie vor wenigen Jahren Deutsche vor den Toren Berlins. Sollte uns das nicht das Gefühl der Verbundenheit über Sprachen, über Grenzen hinweg mit allen Menschen geben, die Sinn für Freiheit haben?
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Wir wollen in dieser Stunde mit warmem Herzen, ohne Haß und Rachegefühle an alle Menschen denken, die für Unrecht leiden und sich gegen Unrecht und Unfreiheit aufbäumen.
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Das Wort hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben wohl alle den Eindruck, daß unser außenpolitischer Weg augenblicklich durch eine Durststrecke geht, und bei einer Durststrecke kommt es darauf an, daß man die Zähigkeit aufbringt, den beschwerlichen Weg zu vollenden, und eine absolut klare Vorstellung von dem Ziel hat, wohin man will; sonst geht man auf einer Durststrecke zugrunde.
Ich bin dem Herrn Baron Manteuffel-Szoege sehr dankbar für seine grundsätzlichen Ausführungen. Ich glaube, wir sollten einige Unterscheidungen als ein wichtiges Ergebnis dieser Debatte mit uns nehmen: die Unterscheidung, die zu treffen ist zwischen der intellektuellen Nervosität, die stets eine Gefährdung in einer parlamentarischen Demokratie ist, und der inneren Unruhe des Herzens, die wir alle in uns tragen. Aus der intellektuellen Nervosität und aus jener Sucht, stets immer wieder etwas Neues zu wissen, was übermorgen sein könnte, können wir nur in den Fehler einer Politik des Wechselns verfallen; aus der inneren Unruhe des Herzens aber wird Zähigkeit und Zielstrebigkeit einer Politik hervorgehen.
Es ist auch zu unterscheiden zwischen Festigkeit und Starrsinn. Festigkeit gehört zu jeder Politik, die zu einem Erfolg führen soll. Wir haben zu unterscheiden zwischen den prinzipiellen Zielen, dem, was völlig unverzichtbar ist, und den Methoden und Wegen, die uns zu diesen Zielen hinführen. Konsequenz ist in allem politischen Handeln notwendig, und das ist auch das, was unsere Wähler von uns fordern. Sie fordern von uns nicht einen ständigen Erfindungsreichtum neuer Gedanken und Ideen, die sich so verstricken und verwirren, daß nachher kein Mensch mehr weiß, wo wir eigentlich stehen. Sie fordern von uns Zuverlässigkeit.
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Die letzten Monate haben da mehrere Verstöße gebracht. Ich kann Ihnen nur sagen: gewiß, wenn der Gegner seine Taktik ändert - und er hat sie geändert -, dann bin ich gezwungen, meine Taktik auch zu ändern. Man spricht davon, daß eine ganze Epoche zu Ende gegangen sei und daß ein tiefgreifender Wandel eingetreten sei. Ich glaube, in der Politik und vor allem in der Außenpolitik bringt jeder Tag eine Änderung des Wetters. Jeder Tag bringt neue Tatsachen. Da ist es eben doch die Aufgabe der Diplomatie und der Außenpolitik,
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diesen Tatsachen Rechnung zu tragen. Aber in den prinzipiellen Zielsetzungen ist Stabilität notwendig.
Namens meiner politischen Freunde möchte ich zum Ausdruck bringen: Wir wenden uns gegen jede Erscheinung einer Politik der Resignation, aber wir wünschen auch in diesen ernsten Schicksalsfragen, wo es buchstäblich um die Existenz unserer Nation geht, keine Politik der Emotionen. Damit können wir nur etwas verderben. Ich wende mich gegen ein weiteres Schlagwort, das gefährlich ist und ein Kampfmittel im Kalten Krieg zu sein scheint: dieses dumme Reden von dem satten Westen. Hier haben wir denselben seelischen Hunger im Leidensweg der deutschen Nation. Es ist eine Diffamierung der Absicht, der Grundlagen, der Moral unseres Handelns. Sie werden durch dieses dumme Wort vom satten Westen herabgesetzt. Der Mensch lebt nicht allein von Brot. Sehen Sie doch ins Volk hinaus. Ist hier denn eine Heiterkeit des Lebens, ist hier denn irgend etwas Freudiges in diesem Lande? Es ist doch eine tiefe innere Unruhe, die darauf beruht, daß es für uns unerträglich ist, daß ein Teil des Volkes - unsere Brüder dort drüben, jenseits der Zonengrenze - die Hauptlast des verlorenen Krieges trägt.
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- Seien Sie mal so liebenswürdig und lassen Sie mich in Ruhe reden. Dieses Stören kann ich nicht vertragen.
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- Ich meine, ich persönlich kann es nicht vertragen, weil ich es für unwürdig halte, die Erörterung von Fragen, die diese Bedeutung für uns haben, so zu stören und durch Zwischenrufe zu unterbrechen, die wirklich nicht mit der Sache zusammenhängen.
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- Ich höre Sie auch an, ich höre Sie mit großer Aufmerksamkeit an, lassen Sie auch mich ruhig reden.
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Wenn wir dem Problem unseres zerrissenen Landes gegenübertreten, ist es sehr notwendig, daß eine echte Erkenntnis der Schuld, unsere eigene Schuld an der Spitze steht. Ich rechne damit, daß das, was ich hier sage, in der Öffentlichkeit vielleicht Unwillen erregt. Aber es ist kein Zweifel: wir werden keinen klaren Blick für die Überwindung der Spaltung unseres Landes gewinnen, wenn wir uns nicht der geschichtlichen Schuld, die wir selber daran tragen, vollkommen bewußt sind.
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Es ist nicht eine individuelle Schuld, es ist auch nicht die Kollektivschuld. Es ist eine geschichtliche Schuld, etwas fast Metaphysisches; das muß man spüren. Gewiß, manche Leute spüren so was nicht. Ich glaube aber doch, die Mehrheit des deutschen Volkes spürt es.
Ich möchte fragen, was ist ein Teil des Erscheinungsbildes dieser Schuld? Wir müssen die Neigung zum politischen Spießertum in unserem Lande überwinden. Dieser primitive Nationalismus ist ja
nichts anderes als ein Ausdruck des politischen Spießertums.
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Es wäre ein Verhängnis, wenn die Frage nach der Überwindung der Spaltung unseres Landes in diesem primitiven Nationalismus ihr Ende finden sollte.
Der Herr Kollege Dehler hat davon gesprochen, daß wir in den letzten fünf Jahren einen Leidensweg durchschritten hätten. Gewiß, es war ein Leidensweg; er ist sogar älter als fünf Jahre, es ist der Leidensweg des deutschen Volkes, daß es in den letzten Generationen seine Stellung zum Westen sehr schwer bestimmen konnte. Ich betrachte es als einen Fortschritt, daß diese Stellung des deutschen Volkes zum Westen und zu seinen Grundwerten im politischen Sinne einer Klärung und Lösung nähergekommen ist.
Herr Kollege Dehler sprach ferner davon, es gehe nicht um eine Revolution gegen den Kommunismus, sondern um eine Evolution im Kommunismus. Nun, es wird sehr viel geheimnißt über diese inneren Wandlungen, die da vor sich gehen. Für uns ist wesentlich, da wir uns ja nicht in die inneren Verhältnisse anderer Völker einzumischen haben, zu erkennen: Haben diese inneren Wandlungen drüben - der Übergang von der persönlichen Führung und vom Führerkult zur Kollektivführung und ihren Begleiterscheinungen - eine Änderung der außenpolitischen Atmosphäre, der außenpolitischen Tatsachen mit sich gebracht?
Ich gestehe, daß eine gewisse Änderung im Klima stattgefunden hat. Man ist überhaupt ins Gespräch gekommen. Man soll dem durchaus Rechnung tragen. Aber wenn man sich auf die inneren Wandlungen verläßt, dann muß man auch sehr viel Geduld aufbringen, die vielen „Vielleicht" und die ferne Zukunft, die dahinterstehen, mit in Rechnung zu stellen.
Worin unterscheiden wir uns denn so wesentlich vom bolschewistischen Denken im politischen Bereich? Ich meine, vor allen Dingen darin, daß der Bolschewismus nach der Lehre des LeninismusMarxismus außenpolitisch wie auch innenpolitisch die Vorgänge gewissermaßen naturgesetzlich betrachtet. Die Ergebnisse, die Entwicklungen werden von ihm im Sinne eines Naturgesetzes begriffen, während die westliche Auffassung, die ja von der persönlichen Freiheit und von dem Unlogischen und den auf Grund der persönlichen Freiheit möglichen überraschenden Entscheidungen ausgeht, die Dinge als einen geistigen Prozeß ansieht, der viel Unvorhergesehenes bieten kann. Ich glaube, es wäre grundsätzlich falsch, in der Außenpolitik ein Verhalten an den Tag zu legen, das der sowjetrussischen, der bolschewistischen Theorie von dem naturgesetzlichen Eintreten und Ablauf von Ereignissen Rechnung tragen würde. Denn jede Tatsache im Westen, die Aufweichungserscheinungen erkennen läßt, jede Tatsache, die irgendwie zeigt, daß die Theorie von der Selbstzersetzung der kapitalistischen Staaten zutrifft, ermutigt und bestätigt ja eine Doktrin, auf der das ganze Denken der Bolschewisten aufgebaut ist, und wird damit den Gegner immer härter in seinem Verhalten und seinen Erwartungen machen.
Immerhin, heute steht es in den Zeitungen - Herr Kollege Feller und andere Redner haben schon auf das Ereignis hingewiesen -: in Posen haben sich Arbeiter erhoben, also Arbeiter erhoben
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sich im Arbeiterparadies! Zeichen sind am Himmel.
Ich will sie nicht übertreiben; aber es scheint doch
so zu sein, daß sich hier ein Erdbeben ankündigt.
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Es sind Dinge, die schon am 17. Juni einmal ausbrachen. Vielleicht sind diese Zeichen Vorboten von Entwicklungen, Vorboten, wie es etwa die Revolution von 1905 gewesen ist. Wir wissen es nicht, aber immerhin sollte uns das veranlassen, sehr fest zu bleiben in den Grundzielen unserer Anschauungen und unserer Politik.
Welches sind diese Grundziele? Drei Ziele sind es: Freiheit, Friede und die Wiederherstellung der Einheit unseres Staates, die Wiedervereinigung. Ich gebrauche das Wort „Wiedervereinigung" ungern. Es hat sich eingebürgert. Ich sage lieber: Wiederherstellung der Einheit des deutschen Staates. In „Wiedervereinigung" steckt schon irgendwie die Unterstellung, als gäbe es zwei deutsche Staaten; aber dieses Wort hat sich nun einmal eingebürgert.
In diesen drei Begriffen - Freiheit, Friede und Wiedervereinigung - liegt eine gewisse Rangfolge, die wir zu beachten haben. Denn wir können nicht um den Preis der Freiheit den Frieden erhalten und auch nicht umgekehrt. Wir können vor allen Dingen nicht glauben, um den Preis des Friedens und der Freiheit die Wiedervereinigung gewinnen zu können. Diese drei Dinge stehen in einem inneren Zusammenhang, und sie sind drei unverzichtbare Prinzipien.
Meine politischen Freunde haben mit Befriedigung Kenntnis genommen von der Vollständigkeit, dem Aufbau und der umfassenden Art der Erklärung des Herrn Außenministers. Die deutsche Frage ist zwar eine der wichtigsten Fragen der Außenpolitik überhaupt, aber sie ist natürlich nicht isoliert zu betrachten, sie ist auch nicht das einzige Thema der Außenpolitik.
Es darf mit Befriedigung festgestellt werden, daß es gelang, das Verhältnis zur freien Welt zu bereinigen, vor allem daß einer der Streitpunkte zwischen Deutschland und Frankreich durch die Luxemburger Vereinbarung beseitigt werden konnte. Wir hoffen, daß die Durchführung dieser Vereinbarung nicht zu neuen Streitigkeiten führen wird. Es ist in der deutschen Geschichte seit langem erstmalig, daß die Streitpunkte zwischen Deutschland und Frankreich so weit reduziert werden konnten. Damit ist ein Fundament gelegt für eine Einigung Europas, die notwendig ist, wenn wir überleben wollen.
Wir begrüßen vor allen Dingen auch die Erklärung, die hinsichtlich Asiens und Afrikas abgegeben worden ist. Gerade in diesen aus dem Kolonialismus gelösten Völkern können wir uns kulturell und wirtschaftlich gute und zuverlässige Freunde verschaffen, Freunde, die uns in unserem Schicksal aus ihrem Innern heraus irgendwie verstehen.
Das wichtigste und eines der schwierigsten Probleme der außenpolitischen Situation ist das Verhältnis zu den Staaten des Ostblocks. Auch hier haben wir zu unterscheiden zwischen der Sowjetunion und den osteuropäischen Satelliten, unter diesen wieder zwischen den Nachbarn Deutschlands und denjenigen Staaten Osteuropas, die nicht Nachbarn von uns sind und mit denen wir keine Interessenkonflikte unmittelbarer Art haben. Wiederum zu unterscheiden von den Staaten des Ostblocks ist dann der Komplex des Fernen Ostens,
Chinas und der anderen ostasiatischen Staaten, die unter dem Einfluß oder im Bündnis mit der Sowjetunion stehen.
Ein Wort zur Saarfrage. Die Entwicklung an der Saar beweist, daß nicht nur die Diplomatie der Regierungen eine Entwicklung außenpolitisch zu ermöglichen vermag, sondern daß dazu immer auch der Beitrag des Volkes kommen muß. Dieses Beispiel, daß es gelungen ist, die Entscheidung des Volkes zu verwirklichen und damit der ganzen Welt einen eindrucksvollen Beweis zu geben, wo der Standort der Saar ist, sollte uns auch eine Richtlinie für die politische Entwicklung sein, die sich in den anderen Fragen unserer nationalen Existenz andeutet.
Wir brauchen eine aktive Diplomatie, und wir haben nach der Erklärung des Herrn Außenministers durchaus den Eindruck, daß die Grundlagen für eine solche aktive Diplomatie, Zielsetzung und Methode gegeben sind. Aber eines muß auch gesagt werden. In Verhandlungen läßt sich bekanntlich ein einigermaßen beschlagener und erfahrener Diplomat nur dann ein, wenn ein annehmbares Ergebnis dieser Verhandlungen in Aussicht steht. Das ist ein Grundsatz, der meiner Ansicht nach beachtet werden sollte.
Lassen Sie mich Ihnen nun in kurzen Zügen die Vorstellung der Deutschen Partei über die gegenwärtige außenpolitische Lage zusammenfassend darstellen.
Wir müssen uns fragen: Worin hat die Sowjetunion ihre Taktik geändert? Was ist wirklich gegenüber der stalinistischen Außenpolitik Neues geschehen? Erstens, kann man feststellen, die Tatsache der Räumung von Porkkala; zweitens der österreichische Staatsvertrag; drittens die Aussöhnung mit Belgrad; des weiteren vielleicht auch gewisse Gesten, die auf eine Herabsetzung der Truppenstärken hindeuten, eine Frage, die problematisch ist; denn damit können auch ganz andere Zwecke, nämlich das Gewinnen von Arbeitskräften, verfolgt werden, und niemand kann beweisen, was nun wirklich dort geschehen ist.
Nicht geändert hat sich das sowjetrussische Verhalten in der Deutschlandfrage. Hier sind die Forderungen sogar verhärtet und gesteigert worden. Die Sowjetunion ist vom Bündnisverbot und von der absoluten Rüstungsbegrenzung für Deutschland offen dazu übergegangen, nun zu verlangen, daß mit Pankow verhandelt wird, daß Deutschland aus dem Westbündnis nicht nur militärisch, sondern auch politisch, wirtschaftlich und sozial ausscheidet. Sie verweigert freie Wahlen im Sinne des Eden-Planes. Sie verlangt ferner, daß die sogenannten Errungenschaften in der Zone privilegiert und nach Westen hin ausgedehnt werden; sie verlangt schließlich, daß den nicht sozialistischen oder kommunistischen Kräften, Parteien und Organisationen das Wahlrecht und die gesellschaftlich-wirtschaftliche Existenzgrundlage genommen wird.
Was kann man tun, um dieser Lage Rechnung zu tragen?
Die Politik des Zurückdrängens des Bolschewismus durch Stärke und Drohung wäre eine sehr wirklichkeitsfremde Politik; sie scheidet aus. Eine solche Vorstellung trägt ein Kriegsrisiko in sich, das niemand im Westen, vor allem niemand in Deutschland, auf sich zu nehmen bereit ist. Krieg und Gewalt überhaupt bedeuten Atomkrieg und Vernichtung beider Seiten. Der Krieg ist kein Mittel
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der Politik mehr, sondern ihre Katastrophe. Die Rüstung hat heute nur noch die wichtige Funktion, das Gleichgewicht der Kräfte herzustellen und aufrechtzuerhalten und militärisch die Möglichkeiten der Gewalt, d. h. die Katastrophe eines Krieges, von vornherein zu neutralisieren.
Eine kleine Nebenbemerkung. Wenn wir in der NATO nicht genügend Landstreitkräfte stehen haben, dann besteht ständig die Gefahr, daß im Falle eines Konflikts gleich mit dem großen Prügel der Atomwaffe eingegriffen werden muß. Die Existenz von Landstreitkräften hat auch eine gewisse moralische Bedeutung; denn geschichtlich - das hat Ortega y Gasset einmal gesagt - ist es so, daß die großen Heere, die jeweils bestanden haben, weniger durch ihren Einsatz als durch ihre Existenz ihre Bedeutung gehabt haben, weil sich in ihnen auch in der Rüstung ausgedrückt hat, was ein Volk für seine Existenz zu geben und zu opfern innerlich bereit ist.
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Eine Politik der Beschwichtigung ist gleichbedeutend mit einer Politik der Stabilisierung des Status quo. Sie kann vom deutschen Standpunkt aus nicht akzeptiert werden, weil sie die Ursachen der Spannung zwischen Ost und West nicht beseitigt, sondern vertieft. Auch eine Politik der kleinen Mittel, wie der Ausklammerung oder der Isolierung der deutschen Frage, und des Verliandelns um Modalitäten der Abrüstung bedeutet ein Kurieren am Symptom und nicht ein Sanieren der Ursachen. Eine solche Politik der kleinen Mittel verschweigt die wahren Spannungsgründe und verschleppt damit die Krisis bis zu einem Stadium der Unheilbarkeit, was für Deutschland Vernichtung der Nation bedeuten müßte.
Unsere Aufgabe und die Aufgabe der Zeit überhaupt - nicht nur die Aufgabe Deutschlands - ist es, eine wirkliche Entspannungspolitik zu treiben, die die Ursachen der Spannung beseitigt. Das heißt, wenigstens in Mitteleuropa muß es zu einer Bereinigung und Neuordnung kommen. Es ist zu prüfen, welche Zugeständnisse dazu von beiden Seiten gemacht werden können und gemacht werden müssen, um den Spannungsherd zu sanieren. Diese Politik kann nicht aus der Autonomie der deutschen Position heraus geführt werden; sie kann nur eine Politik der Kooperation und der Koordination mit unseren Bündnispartnern sein. Es liegt im deutschen Interesse, daß das Verhandlungs-Njet der Sowjets gebrochen wird oder klargestellt wird, daß es unter den gegebenen Umständen nicht zu durchbrechen ist.
Die diplomatischen Beziehungen zu Moskau müssen also diesen Inhalt bekommen, d. h. immer wieder Klarstellungen bezüglich der russischen Position zu erzielen, und zugleich auch eine Klarstellung der Grenzen ergeben, inwieweit eine konstruktive Kompromißmöglichkeit gegeben ist, ohne - das möchte ich sehr stark betonen - die deutsche Freiheit und ihre Sicherung durch die freie Welt preiszugeben oder zu gefährden. Ferner muß das Verhältnis zu unseren unmittelbaren östlichen Nachbarn bereinigt werden. Voraussetzung einer solchen Bereinigung ist das Zugeständnis auch dieser Staaten, die Anerkennung des Anspruchs des deutschen Volkes, seine staatliche Einheit wieder zu gewinnen, und zweitens die Bereitschaft, über die Gebietsfragen, die als Konfliktsstoff zwischen Deutschland und diesen Staaten bestehen, friedliche
Verhandlungen zu ermöglichen. Diese beiden Vorbehalte sind die Grundlage einer Bereinigung unseres Verhältnisses auch nach drüben hin.
Wir haben also mit Moskau eine pragmatische Koexistenz einzuleiten und mit den benachbarten Ostblockstaaten über eine Bereinigung unserer Nachbarschaftsbeziehungen auf der Grundlage des Friedenswillens zu verhandeln, nicht nur wir, sondern das Ganze - damit ich nicht mißverstanden werde - in einer koordinierten Kooperation mit unseren Bündnispartnern. Dabei müssen wir, d. h. in diesem Falle noch die Bundesrepublik, sowohl gegenüber Moskau als auch gegenüber den benachbarten Ostblockstaaten von vornherein eindeutig klarstellen, daß wir nicht zu verhandeln bereit sind auf Kosten unserer Sicherheit und unserer Freiheit. Wenn man also von uns fordern sollte, daß Voraussetzung von Verhandlungen ein Bruch der Pariser Verträge ist, müßten wir ein solches Ansinnen zurückweisen. Die Regierung der Bundesrepublik ist verpflichtet, dem Ostblock wie auch dem Westen absolut klarzumachen, daß es in Deutschland keine Elemente gibt, die, unter welchen Voraussetzungen auch immer, bereit wären, ein Wirtschafts- und Sozialsystem anzunehmen, das Deutschland dem bolschewistischen Osten angleichen oder eingliedern würde.
Unter dieser Voraussetzung allein sind wir bereit, unsere Existenz auch nach dem Osten hin zu bereinigen, wie wir unsere Existenz im Verhältnis zum Westen hin bereinigt haben. Wir müssen eindeutig klarmachen, daß die allein mögliche Politik der Entspannung nur auf dem Prinzip der deutschen Einheit in Freiheit beruhen kann, für deren Herbeiführung wir jede Geduld und jedes Opfer aufzubringen bereit sind, das von uns nicht die Preisgabe der freiheitlichen Lebensordnung, der gewonnenen Verbindungen mit der freien Welt, der Freiheit zum Meere, des Zugangs zu den Rohstoffen über See und des kulturellen, wirtschaftlichen und personellen Austausches mit der atlantischen Gemeinschaft verlangt. Dieses Stück Freiheit, das wir gewonnen haben, darf niemals aufgegeben werden;
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denn davon lebt dieses 70-Millionen-Volk auf engem Raum, und das zu behalten ist wichtig, äußerst wichtig.
Ferner darf auch nicht die Entwicklung der Welt in der atlantischen und europäischen Gemeinschaft preisgegeben werden; denn hier geht es um prinzipielle Ziele, die in ihrer Substanz und in der Realität die Freiheit sichern und einen dauerhaften Frieden ermöglichen.
Noch einige Worte zur deutschen Frage. Wir haben hier den internationalen und den nationalen Aspekt zu unterscheiden. Die deutsche Frage ist ein Problem - das kommt schon in den Kommuniqués der Genfer Konferenz zum Ausdruck -, das einerseits in die Frage der internationalen Regelung unter den Vier Mächten und zum andern in die nationale Frage der Wiedervereinigung mündet. Was heißt das aber: die Wiederherstellung der staatlichen Einheit? Wir wollen da doch Realisten sein. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit bedeutet, daß unsere 17 Millionen Deutschen von einem kommunistischen Regime befreit werden. Das wollen Sie doch.
Die deutsche Frage als internationales Problem hat eine reale Grundlage in der Verpflichtung der Vier Mächte, die staatliche Einheit unseres Volkes
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I wiederherzustellen. Die zweite reale Grundlage ist die Unterstützung durch unsere westlichen Bündnispartner auf diesem Gebiet.
Ich sprach davon, daß die Ursachen der Spannungen beseitigt werden müßten, daß man nicht allein am Symptom kurieren könne. Das bedeutet, daß in der Systematik des Denkens vielleicht von all denen, die einen internationalen und einen Sicherheitsstatus Deutschlands vorweg erdenken und erdichten wollen, um damit einen Gesprächsgegenstand zu haben. ein gedanklicher Fehler gemacht wird. Das Sicherheitssystem und die Wandlung der Verträge, der Bündnisblöcke, die sich gegenwärtig in dieser Lage gebildet haben, hängen davon ab, daß von der Sowjetunion in zwei Fragen klare Zugeständnisse gemacht werden: einmal das Zugeständnis einer Lösung der deutschen Frage, die Wiederherstellung unseres Staates in Freiheit, und zum andern eine kontrollierte Abrüstung. Wenn diese beiden Zugeständnisse vorweg im Prinzip gemacht werden, dann ergibt sich ganz von selbst die Wandlung des gesamten Staatensystems und die Lösung der damit verknüpften Fragen. Denn in dem Augenblick sind die Spannungsursachen beseitigt, und mit der Beseitigung der Spannungsursachen ergibt sich von selbst ein neues Staatensystem, ergeben sich neue Formen der Beziehungen. Aus der Beseitigung der Ursachen der Spannung in der deutschen Frage und in der Abrüstungsfrage wird sich ein ganz anderer Geist und eine ganz andere Realität des kommenden Sicherheitsvertrages ergeben.
Ich glaube, die Neuordnung Mitteleuropas ist ein Schlüssel, um diesen großen Fragenkomplex der europäischen Sicherheit zu bereinigen. osterreich war zweifellos ein Anfang. Dazu gehört aber auch die Verständigung mit unserem polnischen Nachbarn und die Verständigung mit der Tschechoslowakei auf der Grundlage und mit dem Ziel der Befriedung, damit ein reales Sicherheitsgefühl nicht nur in Deutschland, sondern in Mitteleuropa und damit in ganz Europa entsteht. Mit den anderen Ostblockstaaten Ungarn und Rumänien haben wir keine unmittelbaren Interessengegensätze.
Ich unterstreiche vollinhaltlich, was Baron Manteuffel-Szoege hinsichtlich der prinzipiellen Bedeutung der Einstellung der Vertriebenen gesagt hat, und kann mir den Inhalt seiner Ausführungen auf diesem Gebiet zu eigen machen.
Was hat nun die sozialdemokratische Opposition gegenüber dieser Vorstellung konkret anzubieten? Was sagt sie? Worin liegt ihr anderes Konzept der Außenpolitik? Einmal sagt sie - soweit es die Behandlung der deutschen Frage auf der internationalen Ebene angeht -, sie sei bereit, zur Lösung der deutschen Frage militärische Zugeständnisse zu machen. Gut, das ist eine klare Aussage. Auf dem Gebiet des nationalen, also des innerdeutschen Bereichs ist die sozialdemokratische Opposition uns in der Frage der Wiedervereinigung bisher ein klares Konzept schuldig geblieben. Will sie Zugeständnisse machen - das ist die Gretchenfrage - im Bereich des Gesellschaftsgefüges, will sie Zugeständnisse machen im Bereich des sozialen, des wirtschaftlichen Gefüges? Diese Gretchenfrage muß eines Tages klar beantwortet werden.
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- Ich habe es gelesen. Sie haben sich aber doch
nicht so deutlich ausgedrückt. Die Gretchenfrage
lautet: Wollen Sie Zugeständnisse machen im Hinblick auf die sogenannten Errungenschaften der Zone drüben oder nicht?
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- Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, ich pflege mit dem Kollegen Mellies, wenn wir uns sonst treffen und wenn ich nicht auf der Tribüne stehe, an sich höflicher zu verkehren. Ich möchte es der langen Sitzung zuschreiben, daß er hier die ihm sonst gemäße gute Form verletzt hat.
({16})
Also Schwamm drüber!
Wir stehen in der Gefahr - die „Times" hat es sehr deutlich ausgedrückt -, das Westbündnis zu verlieren und die Wiedervereinigung nicht zu erlangen. Wenn wir das Westbündnis verlieren, verlieren wir unsere Freiheit, und wenn wir die Wiedervereinigung nicht erlangen, dann verlieren wir die deutsche Nation. Beides - nationale Freiheit und nationale Einheit - muß erreicht werden; beides muß für die Dauer gesichert werden.
({17})
- Das soll „deutschnationale Propaganda" sein? Mein lieber Herr, da war wohl doch eine ganz andere Zeit. Damals, als man noch deutschnationale Propaganda machen konnte, war leichter Politik zu machen, als jetzt! Unsere Probleme sind härter, viel schwieriger geworden. Sie haben offenbar davon noch keine Notiz genommen, daß sich die Welt seitdem ein gutes Stückchen gedreht hat.
({18})
Sie wollen es nur noch nicht einsehen. Das geht sogar aus Ihrer Programmatik hervor.
Man hat gesagt - ich glaube, es war der Kollege Dehler -, die Wiedervereinigung sei ferner denn je, und er hat dabei erkennen lassen - das ungefähr sagte Kollege Dehler -: durch die Politik, die getrieben worden sei, sei die Wiedervereinigung Deutschlands erschwert worden. Es ist nicht ganz klar, was Herr Dehler gemeint hat: durch unsere Politik, die wir getrieben haben, oder durch die Politik, die der Westen getrieben hat, oder durch die Politik, die der Westen und wir zusammen getrieben haben? Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man so etwas sagt - darauf muß ich den Herrn Kollegen Dehler leider hinweisen -, dann ist das nichts anderes, als wenn man sagt: der Ermordete und nicht der Mörder ist schuld.
({19})
- Ja, doch; der Konservative muß so sprechen.
Wir haben die deutsche Frage - das ist doch der Sinn unserer Außenpolitik gewesen - in das Bewußtsein der Welt gerückt, und damit ist viel erreicht worden.
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Vor drei, vier Jahren war die deutsche Frage noch nicht in das Bewußtsein der Welt gerückt. Gerade heute ist ein neues Moment aufgetreten. Ich meine die Erklärung von Herrn Dulles , daß das Verhalten der Sowjetunion in Fragen der deutschen Wiedervereinigung auch von der amerikanischen Politik zum Prüfstein für die Verständigungsbereitschaft der Sowjetunion genommen werde. Ich nenne
({21})
das die „Dulles-Doktrin". Das ist ein ganz bedeutender Schritt nach vorn in dem Erreichen der möglichen Ziele unserer Politik. Warum? Letztlich geht es doch bei der Frage der Entspannung zwischen Ost und West um das Gespräch, das zwischen Washington und Moskau geführt wird, und wenn bei diesem Gespräch unser nationales und europäisches Anliegen einen solchen Platz bekommen hat, dann ist damit eine wirklich dynamische Kraft in die künftige Entwicklung eingeführt worden, die wir sehr hoch zu werten haben.
Wir dürfen unter diesem Aspekt uns nicht dazu verleiten lassen, isolierte zweiseitige Verhandlungen mit der Sowjetunion zu führen. Das bedeutet natürlich nicht, daß wir uns nicht jeweils über die jeweilige Lage in Moskau durch unseren Botschafter Klarheit verschaffen. Schließlich gibt es ja auch dort in dem Verhältnis unseres Botschafters zu den drei westlichen Botschaftern - das übrigens ausgezeichnet ist - viele Möglichkeiten der Konsultation und der Koordination.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit, um jedem Mißverständnis entgegenzutreten, sagen: wir wollen keine Verhandlungen mit Pankow. Wir müssen auf diesem Gebiet alles vermeiden, was die staatliche Teilung Deutschlands de facto und de jure vertieft. Pankow muß weg. Pankow, dieses System da drüben, ist nichts anderes als eine Mischung von kommunistischen und nationalsozialistischen Vorstellungen, das Ganze russisch gefärbt, und im übrigen spricht man drüben sächsisch.
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Diese Zerreißung der menschlichen Beziehungen nach drüben - und das hat gerade jetzt die Synode in Berlin ergeben - ist für uns alle unerträglich, unerträglich im Moralischen, Sittlichen und Materiellen. Bis in das einzelne menschliche Leben hinein reicht diese Qual unserer Existenz in der Teilung.
Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit hat im innerdeutschen Bereich eine sehr reale Grundlage, eine Mitte, von der wir auszugehen haben: nämlich das Einheitsbewußtsein unseres Volkes. Dieses Einheitsbewußtsein müssen wir erhalten. Eine Politik der menschlichen Kontakte ist notwendig. Hier ist das Äußerste zu erreichen, und da soll man auch nicht zu ängstlich sein. Man soll - da gebe ich Herrn Kollegen Feller völlig recht - Selbstsicherheit haben und auch ruhig das Gespräch suchen. Nur so kommen wir ja weiter.
Es ist auch nötig, eines Tages - und wir sollten darüber nachdenken, wie das möglich ist - als Vorstufe zur Reintegration ganz Deutschlands einen Gesprächspartner drüben zu finden, mit dem wir uns unterhalten können, ohne damit das Regime zu legitimieren, ohne damit dem deutschen Widerstand in den Rücken zu fallen.
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- Ja, ja, genau das! Ich will Sie gar nicht mißverstehen. Hier muß ein gewisser Fortschritt erzielt werden, darüber muß nachgedacht werden. Es gibt unabhängige Leute. Aber in den Formen, in denen dieses Gespräch zu suchen ist, muß Vorsicht geübt werden; denn jeder Schritt, der irgendwie in das Bewußtsein der Welt die Existenz von zwei deutschen Staaten bringt, muß peinlichst vermieden werden.
Vor allen Dingen ist eins notwendig: der ewige Mißbrauch der Frage der Wiedervereinigung im
Bereich der inneren Politik muß überwunden werden. Genauso wie die Saarfrage mißbraucht worden ist - jetzt, am 1. Januar, kehren Volk und Gebiet an der Saar zu uns zurück -,
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genauso besteht die Gefahr, daß wir durch das ständige Sich-gegenseitig-Überbieten im Wiedervereinigungswillen unter den Parteien die Position Deutschlands und die realen Möglichkeiten, die gegeben sind, durch eine Politik der falschen Parteikonkurrenz und der gegenseitigen Verdächtigung schwächen.
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Indem diese Frage bis in die Kommunalwahlen hinein zum Hauptwahlschlager gemacht wird, zerstören wir unsere Position. Es wäre ein großer Segen für das deutsche Volk, wenn es uns gelänge, über diesen Mißbrauch hinwegzukommen und eine wirkliche Zusammenarbeit aller Parteien auf diesem Gebiet zu gewinnen. Über Einzelheiten kann man sich streiten. Da gibt es Meinungsverschiedenheiten, die man austragen und ausdiskutieren kann. Dafür ist eine parlamentarische Demokratie da. Aber in dem Grundsätzlichen legen wir Wert auf absolute Klarstellung. Da kann es keinen Brückenbau und Verwischungen geben, und die Aufrichtigkeit unseres Denkens gebietet es, unsere Standorte ohne Hinterhalt zu beziehen.
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- Ich glaube, ich habe noch niemals von diesem Platz aus und auch in meinem übrigen politischen Verhalten persönliche Verdächtigungen und Unterstellungen ausgesprochen.
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- Lieber Herr Kollege Mellies, ich habe nicht die Absicht, gegen meine eigene Gesinnung zu handeln, wem gegenüber es auch sei. In diesen Fragen sind sachliche Klarstellungen notwendig, und ich will gewisse Gretchenfragen stellen
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- ja, das sind Gretchenfragen -, die man beantworten muß. Darin steckt keine Verdächtigung. Ich habe schon einmal von hier aus gesagt: es gibt in Deutschland kein demokratisches Element, das grundsätzliche und grundlegende Rechte und Positionen der Freiheit aufgeben will.
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- Meine Frage ist dahingehend zu verstehen - ich antworte Ihnen offen darauf -: Sie haben in Ihrer Programmatik im Formalen oft Zielsetzungen, die in der Struktur denen drüben ähneln, obwohl ein völlig anderer Geist die Sache beherrscht. Ich befürchte - das sage ich Ihnen offen -, daß jede Verständigungsbereitschaft, jede Verwischung hinsichtlich der sozialen und wirtschaftlichen Struktur von Westen nach Osten hin, wenn man auf diesem Gebiet Zugeständnisse machen will, bewirkt, daß damit das totalitäre Gift sich auch in unsere Gesellschaftsordnung einschleicht.
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({31})
Das ist ein sachlicher Gegensatz in der Methode der Politik. Ich sage es noch einmal ganz deutlich und offen, - ({32})
- Nein, ich verdächtige Sie nicht, Herr Kollege Mellies; verstehen Sie es doch! Es ist doch etwas völlig anderes, ob ich eine Form im freiheitlichen Sozialismus habe oder im Kommunismus.
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Aber ich befürchte, daß ein Brückenbau auf diesem Gebiet das Gift von drüben hereinkommen läßt. Das ist doch das Problem.
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Ich habe noch folgendes zu sagen. Wir haben die Europapolitik. Sie soll nicht durch unsere anderen sehr tiefen Sorgen überschattet werden. Wir haben auch da absolut am Ziel festzuhalten. Die Europapolitik wird jetzt oft diffamiert, als sei sie nicht mehr aktuell, als sei sie schwach geworden. Nein, im Gegenteil! Sie kommt praktisch im Gemeinsamen Markt und im Euratom ihrer Verwirklichung näher. Man denkt jetzt realistischer über diese Fragen. An dem Grundziel, daß Freiheit und Frieden für alle nur in dieser europäischen Gemeinschaft zu bewahren und zu behalten sind, haben wir festzuhalten.
Ich komme damit zum Schluß. Ich erkenne die vier Punkte an, die Kollege Kiesinger als Fazit seiner Rede genannt hat. Ich darf um der Deutlichkeit willen namens der Deutschen Partei folgendes erklären. Die Deutsche Partei bejaht die bisherige Außenpolitik, im Bündnis mit den freien Westmächten die deutsche Freiheit zu sichern und im gleichen Bündnis der Sowjetunion klarzumachen, daß Frieden und Entspannung in Europa nur zu erreichen sind, wenn dem deutschen Volke die Möglichkeit gegeben wird, seine Verfassung politisch, wirtschaftlich und sozial ohne jede Beeinflussung von außen aus eigener freier Entscheidung zu bestimmen. Wir sind willens, alles zu tun und zu erfüllen, was den berechtigten Wünschen in West und Ost dient, diesen Zustand der Entspannung und Sicherheit herbeizuführen.
Wir sind aber nicht bereit, Opfer auf Kosten der Selbstbestimmung Deutschlands zu bringen. Entweder will der Osten den Frieden, dann muß er bereit sein, seine Verpflichtungen zur Wiederherstellung der Einheit unseres Staates zu erfüllen, und den Deutschen die Entscheidung nach eigenem Willen einräumen; oder aber er ist nicht dazu bereit, dann müssen wir warten und in ständiger Aktivität darum ringen, daß die Einsicht gewonnen wird. Ohne die Freiheit einer gesamtdeutschen unverfälschten Willensentscheidung wird es keine Sicherheit und keinen Frieden in der Welt geben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich dem Herrn Kollegen Ollenhauer möchte ich namens meiner politischen Freunde den deutschen Parteien an der Saar den Dank dafür abstatten, daß sie so maßgeblich dazu beigetragen haben, den Willen der Bevölkerung an der Saar dahin zu stärken, daß sie sich gegen das Saarstatut und für die Rückkehr der
Saar zu Deutschland entschieden haben. Aber der Feststellung, die Herr Ollenhauer in Verbindung mit dem Saar-Thema glaubte treffen zu können, daß das Ziel der Rückkehr der Saar gegen die Politik der Bundesregierung erreicht worden sei, glaube ich widersprechen zu müssen, und zwar gerade deshalb, weil ich einer der Abgeordneten bin, die sich gerne dazu bekennen, daß sie gegen die Annahme des Saarstatuts im Bundestag gestimmt haben.
Warum ist die Feststellung von Herrn Kollegen Ollenhauer nicht richtig? Es ist zu beachten, daß das Saarstatut hier im Bundestag wie in den französischen Parlamenten angenommen werden mußte, damit die Bevölkerung überhaupt Gelegenheit zur Abstimmung bekam. Es lag dann allerdings im deutschen Interesse, daß die Saarbevölkerung bei dieser Abstimmung das Saarstatut ablehnte. Wenn man diesen Prozeß, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratie, rückschauend betrachtet, kommt man zu einer Feststellung, die uns wohl allseitig mit Befriedigung erfüllen kann. Das ist die Feststellung, daß die unterschiedlichen Stellungnahmen der verschiedenen Parteien in diesem Hause und die teilweise ja auch innerhalb derselben Fraktionen unterschiedlichen Stellungnahmen beide nötig waren, um dieses für Deutschland und, wie ich meine, auch Europa höchst positive Endresultat zu erzielen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Kollege, wenn Ihre Auffassung richtig ist, sind Sie dann auch darüber hinaus der Meinung, daß es unter diesen Voraussetzungen nötig gewesen ist, daß der Herr Bundeskanzler sich noch in den letzten Tagen vor der Abstimmung dafür ausgesprochen hat, das Saarstatut anzunehmen, und im übrigen die Auffassung der deutschen Parteien bekämpft hat?
Das war eine Einzelfrage, die nicht von entscheidender Bedeutung gewesen ist, wie das Abstimmungsergebnis an der Saar am besten beweist.
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Tatsache ist jedenfalls, daß die Annahme des Saarstatuts hier im Bundestag die Voraussetzung dafür war, daß die Bevölkerung Gelegenheit zur Abstimmung bekam. Diese Gelegenheit hat sie dann allerdings, wie wir dankbar anerkennen, dazu benutzt, die Annahme des Saarstatuts zu verhindern.
Aber noch in einem weiteren Sinne ist es richtig, zu sagen, daß dieses für Deutschland so positive Resultat der Saarpolitik nur erzielt werden konnte auf dem Boden der jahrelangen Politik der europäischen Aussöhnung, wie sie die Bundesregierung, gestützt von den Koalitionsparteien, betrieben hat.
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Es mußte vorangegangen sein all das, was wir an politischen Entscheidungen in diesem Hause getroffen haben - leider gegen die Opposition -, angefangen von dem Petersberg-Abkommen über den Beitritt zum Europarat, über die Annahme des Montanunion-Vertrages, über die Annahme des EVG-Vertrages im deutschen Parlament bis zur Annahme des WEU-Vertrages und des Beitritts der
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Bundesrepublik zur NATO. All das mußte erfolgt sein, damit sich in Frankreich eine Bereitschaft durchsetzte, überhaupt eine solche Lösung in Betracht zu ziehen, wie sie dann in dem Saarstatut, das die Volksbefragung vorsah, ihren Niederschlag fand.
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Was nun die wichtigste Frage anlangt, die heute im Mittelpunkt unserer Erörterungen steht, so muß man sagen, daß gerade die Lösung, die das Saarproblem gefunden hat, für uns alle eine immerwährende Ermutigung sein sollte, in dem Kampf um die Befreiung Mitteldeutschlands den klaren Kurs, die zielklare, entschlossene und zähe Politik beizubehalten, wie wir sie die ganzen Jahre hindurch gerade im Rahmen der gesamten Westpolitik betrieben haben. Wir müssen uns doch alle darüber im klaren sein, daß wir das schwere friedliche Ringen mit der Sowjetunion um die Befreiung Mitteldeutschlands überhaupt nicht gewinnen könnten, wenn wir isoliert, auf uns selbst gestellt, in der Welt wären, wenn wir nicht mächtige Freunde und Bundesgenossen hätten. Erfreulicherweise ist festzustellen, daß die Front derjenigen Völker und Staaten, denen immer klarer wird, eine wie schwerwiegende Bedeutung die Wiedervereinigung Deutschlands für die Erhaltung des Friedens in Europa und damit des Friedens in der Welt hat, immer größer wird; denn bei den Neutralen, die erst während der letzten 20 Jahre der kolonialen Abhängigkeit entronnen sind und inzwischen ihre nationale Existenz gewonnen haben, dürfen wir ja voraussetzen, daß sie in dem Maße, in dem unsere Politik in dieser Richtung in aufklärendem Sinne tätig ist, immer mehr Verständnis für die Bedeutung der Wiedervereinigung gewinnen, so daß sie bereit sind, unser Anliegen zu unterstützen. So ist, darf man heute sagen, der Kreis der Nationen und Staaten, die sich gegenüber der östlichen Welt für die Wiedervereinigung auf der Basis der Freiheit einsetzen, Gott sei Dank schon längst nicht mehr auf die Mitgliedstaaten der NATO und sonstiger westlicher Verteidigungsgemeinschaften beschränkt, sondern er umfaßt heute bereits eine ganze Reihe jener an politischem Gewicht monatlich wachsenden neutralen Staaten Asiens und Afrikas.
Wir haben nun einmal mehr gehört, daß die NATO die deutsche Wiedervereinigung erschwere; das Festhalten an der NATO bedeute den Verzicht auf die Wiedervereinigung. In Wahrheit ist es doch so, daß allein die NATO die Sowjets dazu gebracht hat, die stalinistische Gewaltpolitik zunächst einmal abzubauen, wobei dahingestellt sein mag, ob das zunächst aus taktischen Gründen geschah oder bereits auf einem endgültigen Entschluß beruhte, von den Methoden der Aggression, von den Methoden der Gewaltpolitik endgültig Abschied zu nehmen. Die neue Phase der Koexistenz wäre von den Sowjets überhaupt nicht eingeleitet worden, wenn die westlichen Völker nicht so viel Besinnung geübt und die Notwendigkeit des kollektiven Widerstands gegen den aggressiven Stalinismus erkannt und daraus alle Konsequenzen gezogen hätten. Es ist bei Gott nicht unser Nachteil, der Nachteil der Deutschen in der Bundesrepublik gewesen, daß wir den Entschluß gefaßt haben, uns an den gemeinsamen Verteidigungsmaßnahmen des Westens zur Eindämmung des östlichen Gewaltsystems zu beteiligen.
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Wenn nun von dem starren Festhalten an einer Politik gesprochen wird, die in immer stärkeren Gegensatz zu den Realitäten gerate, dann muß man fragen: Was sind hier eigentlich Realitäten? Herr Kollege Ollenhauer nannte die „Washington Post" und den Namen Lippmann. Nun, es ist nichts Neues, es ist in allen Ländern der westlichen Welt so, daß starke Gruppen von Zeitungen, starke Gruppen von Publizisten den Regierungskurs bekämpfen. Es gibt in allen westlichen Ländern wenn nicht eine parlamentarische, so doch eine außerparlamentarische Opposition, die sich in der öffentlichen Meinung und über die Presse ausspricht. Das ist nicht nur in den Vereinigten Staaten so - und wir wissen, daß Lippmann einer von denjenigen ist, die seit Jahren die offizielle amerikanische Politik bekämpfen, ohne mit seinen Auffassungen bisher einen weitertragenden Erfolg erzielt zu haben -, sondern es ist auch in Frankreich so, es ist in England so.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, freuen wir uns, daß es so ist. Denn wir Deutsche haben das stärkste Interesse daran, daß sich der bisherige Zustand nicht ändert. Wir haben das stärkste Interesse daran, daß diese Gruppen in der Publizistik der westlichen Länder auf die offizielle Außenpolitik auch in Zukunft so wenig einflußreich bleiben, wie sie es in der Vergangenheit gewesen sind. Das gilt nicht nur in dem Verhältnis der Publizistik zur amtlichen Außenpolitik, sondern wir haben auch erfreulicherweise die Erscheinung, daß in den angelsächsischen Ländern und auch in Frankreich die Europapolitik und die Verteidigungspolitik der gesamten westlichen Welt von starken Parlamentsmehrheiten getragen wird. Das ist auch im Bundestag so gewesen, und wir wollen hoffen, daß das in Zukunft so bleibt. Von Realitäten kann man also bei Gott nicht sprechen, wenn man die publizistischen Außenseiter in den westlichen Ländern oder aber die Minoritäten meint, die einen anderen politischen Kurs empfehlen, als er bisher von den Regierungen der westlichen Welt gesteuert worden ist.
Wir hörten eine Bemerkung, die Ausweitung der NATO auf politische Zwecke deute auch an, daß sie in ihrer bisherigen, militärischen Form nicht mehr den Bedürfnissen genüge. Nun, es sind schon seit langer Zeit aus den Regierungen und den hinter ihnen stehenden politischen Kräften Bestrebungen im Gange, um der NATO einen weiteren Wirkungskreis zu geben, sie also aus der rein militärischen Zusammenarbeit auf eine politische Zusammenarbeit hin zu entfalten. Das würde dann nur um so besser jene politischen Zwecke erreichbar machen, die uns Deutschen in besonderem Maße am Herzen liegen.
Wir hörten, die Offensive der Sowjets zur Durchsetzung ihrer Auffassungen über Koexistenz habe Erfolge gehabt. Gewiß hat sie Erfolge gehabt, und dahinter steht die mächtigste Wirklichkeit, die es heute für die gesamte Welt gibt- das sagte Herr Kollege Ollenhauer sehr richtig -: die überaus schnelle Entwicklung der modernen Waffen. Aber das ist eine Entwicklung, von der man nicht zu befürchten braucht, daß sie auf Kosten der westlichen Welt geht, sondern die dazu führt, allen beteiligten Völkern, sowohl den westlichen als auch den unter kommunistischer Herrschaft stehenden, klarzumachen, daß sie sich auf dem Wege der Abrüstung und der kollektiven Sicherheit zusammenfinden müssen, wenn Katastrophen riesenhaften Aus({5})
maßes, wie sie ein moderner Krieg mit sich bringen würde, vermieden werden sollen. Wir sind allerdings der Meinung, daß wir, wenn wir Fortschritte in der Frage der deutschen Wiedervereinigung erzielen wollen, mit unseren Hoffnungen darauf angewiesen sind - und daraus auch alle Konsequenzen hinsichtlich unserer Mitarbeit ziehen sollten -, daß das Abrüstungsproblem einer zufriedenstellenden Regelung zugeführt wird. Allerdings können wir darunter nicht ein Abrüstungsabkommen verstehen, das der erforderlichen Kontrolle entbehrt mit dem Ergebnis, daß von einem der Vertragspartner eines Tages der Vertrag überraschend als ein Fetzen Papier erklärt wird, oder aber noch schlimmer, daß, während die Tinte noch trocknet, mit der der Vertrag unterschrieben wurde, bereits von Partnern den übernommenen Verpflichtungen zuwider gehandelt wird. Wir müssen also Wert darauf legen, daß von den Sowjets außer den Bodenkontrollen auch die Luftinspektionen anerkannt werden. Daß die Sowjets bisher die Zustimmung zu den Luftinspektionen verweigert haben, ist eine wesentliche Ursache dafür, daß in dem Abschluß eines Abrüstungsabkommens bisher keine wesentlichen Fortschritte gemacht wurden. Die Verhandlungen in London im Unterausschuß der UN mußten inzwischen abgebrochen werden; sie werden demnächst im Hauptausschuß der UN fortgesetzt. Unsere Regierung sollte ebenso wie alle anderen Regierungen der westlichen Welt ihr wichtigstes Bemühen darin sehen, daß die Abrüstungsanstrengungen aller beteiligten Länder erfolgreich fortschreiten. Denn je früher es zu einer weltumspannenden Regelung der Abrüstung kommt, desto früher tritt die Zeit ein, von der wir erwarten können, daß sie einen grundlegenden Wandel der Probleme und damit wahrscheinlich auch der sowjetischen Einstellung zu diesen Problemen bringt.
Herr Kollege von Merkatz hat soeben sehr richtig darauf hingewiesen, daß es einen grundlegenden Wandel bedeuten wird, wenn zu der Abrüstungsvereinbarung der sowjetische Wille hinzutritt, die Wiedervereinigung auf der Basis der Freiheit auf dem Wege einer freien Willensentscheidung des gesamten deutschen Volkes anzuerkennen. Dann bieten sich nämlich Möglichkeiten für die Entfaltung eines kollektiven Sicherheitssystems. Dann besteht nicht mehr das Bedürfnis, an Schutzbündnissen festzuhalten, die allerdings bis zu diesem Zeitpunkt unerläßlich sind und gerade von uns Deutschen in der gefährlichsten geographischen Lage im Herzen Europas nicht preisgegeben werden können, ohne daß wir uns selber den allerempfindlichsten Schaden zufügen. Es muß das Ziel der westlichen Regierungen sein, das gegenwärtige Schutzbedürfnis durch Erreichung einer durch Abrüstungsabkommen und durch die sowjetische Bejahung der deutschen Wiedervereinigung gründlich gewandelten Situation wegfallen zu lassen.
Man kann keineswegs sagen, daß die Bundesregierung in dieser wichtigen Situation, in der wir uns noch bewegen, nicht alles tue, um die deutsche Wiedervereinigung zu fördern. Das ist deshalb falsch, weil es sehr wesentlich ist, die westlichen Völker über die Bedeutung der deutschen Wiedervereinigung so aufzuklären, daß sie an dem von ihnen bisher eingenommenen Standpunkt weiterhin festhalten. Wichtig ist, daß sich die westlichen Regierungen nicht von der Erklärung abbringen lassen, die sie den Sowjets bisher immer entgegengesetzt haben: kein Abrüstungsabkommen, ohne
daß mit der deutschen Wiedervereinigung auf der Grundlage der freien Willensentscheidung des deutschen Volkes begonnen wird.
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Das Ringen um die Erhaltung der Bundesgenossen und um die Gewinnung neuer Freunde kann nicht mit irgendwie in Erscheinung tretenden Propagandaaktionen geschehen, sondern nur durch ein Unmaß diplomatischer Kleinarbeit. Wir haben gestern aus dem Bericht des Bundesaußenministers gehört, wie intensiv gerade die diplomatische Kleinarbeit in den letzten Monaten nicht nur bei den Völkern der westlichen Welt, also den Völkern der westlichen Verteidigungsbündnisse, sondern auch bei den Neutralen Asiens und Afrikas gewesen ist. Da werden viele kleine Elemente zusammengetragen, um den Enderfolg unseres Bemühens zu sichern, daß die gesamte Welt der freien Völker nicht müde wird, uns in dem Wiedervereinigungsverlangen zu unterstützen. Das ist die wichtigste Voraussetzung dafür, daß es uns im Laufe der Zeit gelingt, die sowjetische Einstellung, die heute allerdings betrüblicherweise noch völlig negativ ist, zu wandeln. Nur wenn wir Deutschen in starker Gemeinschaft stehen, wird es uns gelingen, dieses Ringen, das ein friedliches, aber erbittertes und zähes ist, siegreich zu beenden.
Wir glauben, daß es zur Erreichung dieses Ziels keinen anderen Kurs als den gibt, den die Koalitionsparteien und die von ihnen getragene Bundesregierung seit einigen Jahren eingeschlagen haben.
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Das Wort hat der Abgeordnete Czermak.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst erklären, daß wir dem vorliegenden Antrag des GB/BHE grundsätzlich zustimmen, nicht in allem seiner Begründung.
Als Heimatvertriebener darf ich insbesondere zu den Fragen der deutschen Ostgebiete kurz Stellung nehmen. In ihnen sollten sich die Heimatvertriebenen aller politischen Parteien mit den Einheimischen einig sein. Wir wollen im Wesen alle dasselbe, nämlich die Anerkennung unseres guten Rechts auf die Heimat und des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf internationaler Basis.
Dazu gleich eine Frage als Selbstkritik: Warum schaffen die 8,5 Millionen Heimatvertriebenen im Bundesgebiet nicht endlich die Wiedervereinigung in ihren eigenen Reihen? Schon im Jahre 1951 wurde in Hannover der Einheitsverband aller Vertriebenen feierlich proklamiert. Trotzdem besteht heute noch eine Doppelgleisigkeit zwischen BVD und Landsmannschaften, die unendlich viel Organisationsarbeit, Geld und Nerven kostet.
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- Dazu komme ich noch, aber es erscheint mir wichtig, bei der Gelegenheit zu sagen, daß es gerade jetzt, in dieser Zeit und in dieser schwierigen außenpolitischen Lage sehr notwendig wäre, daß
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alle 8,5 Millionen Heimatvertriebenen einig sind und geschlossen auftreten.
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Meine Damen und Herren, gerade wir Heimatvertriebenen, die den Osten und sein kommunistisches Regime mit allen Gefahren aus eigenem Erleben kennen - ich war auch drüben in Rußland, bei Moskau in Kriegsgefangenschaft -, wir, die alle Schrecken der Aussiedlung mitgemacht haben, bekennen uns nach wie vor zum freien demokratischen Westen und zu den abgeschlossenen Verträgen, weil wir sehr gut wissen, daß wir dringender denn je Freunde und Verbündete brauchen, um in Frieden und Freiheit leben zu können.
Wir wissen aus eigener Erfahrung, daß drüben im weiten Osten ganz andere Begriffe von Zeit und Raum, von Recht und Menschlichkeit herrschen als bei uns und daß daher bei allen Verhandlungen größte Vorsicht geboten ist. Aber verhandelt muß trotzdem werden, gesprochen muß werden. Mit dem Reden kommen die Leut zusammen, wie man im Egerland sagt. Wir wollen eine klare, feste, bündnistreue Außenpolitik, ohne daß wir dabei unseren Standpunkt aufgeben, ohne daß wir das an uns begangene Unrecht anerkennen. Wir müssen aber jetzt, etwa zehn Jahre nach Kriegsschluß, nach Kontakten auf bestimmten Gebieten suchen und eine elastischere, beweglichere, aufgelockerte Politik betreiben. Es müssen neue Wege und neue Ideen aufgezeigt werden können. Ich berufe mich hier auf ein Wort, das in der Regierungserklärung steht: Aktion ist besser als Reaktion.
({3}) - Da müssen Sie andere fragen, nicht mich.
Ich weiß, wie bitter und unerträglich es wäre, wenn es in Prag und Warschau und Budapest zwei deutsche Gesandtschaften gäbe, eine aus Bonn und eine aus Pankow. Aber ich muß wirklich fragen, ob es nicht doch möglich wäre, auch ohne Gesandtschaften und ohne diplomatische Beziehungen darüber zu verhandeln, daß z. B. die letzten Kriegsgefangenen, Verurteilten und Zwangsarbeiter entlassen werden,
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daß die zurückgebliebenen Deutschen, die zu ihren Angehörigen in der Bundesrepublik wollen, endlich ausgesiedelt werden, daß die Heimatvertriebenen die amtlichen Unterlagen für den Lastenausgleich zur Feststellung ihres verlorenen Vermögens bekommen, auch für den Währungsausgleich für Sparguthaben und für Versicherungen, daß gegenseitige Besuche von Familienangehörigen erleichtert werden, daß eine gegenseitige Rechtshilfe vereinbart wird und vieles andere mehr, damit endlich der Eiserne Vorhang, wenn auch nicht aufgehoben, aber doch gelockert wird.
Das soll und darf kein Verzicht auf unser gutes Recht sein, keine Anerkennung des begangenen Unrechts. Wir werden Potsdam niemals anerkennen. Aber wir wollen auf all diesen Gebieten endlich weiterkommen.
In der Regierungserklärung wird ausdrücklich gesagt, daß unter den augenblicklichen Umständen diplomatische Beziehungen mit den östlichen Nachbarstaaten nicht aufgenommen werden können, was aber nicht bedeutet, daß die Bundesregierung an der Herstellung normaler Beziehungen uninteressiert wäre und daß der aufrichtige Wille zur Verständigung nicht bestünde.
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Dazu ist allerdings eine Aktivierung der Ostpolitik notwendig, vor allem auch - das verlangt der vorliegende Antrag - der Ausbau und die richtige Besetzung einer Ostabteilung im Auswärtigen Amt mit Referenten, die den Osten kennen und dadurch sicherlich sehr wertvolle Arbeit leisten können. Das ist ein sehr alter, berechtigter und dringender Wunsch aller Heimatvertriebenen, der aber leider bisher nicht erfüllt wurde.
Ich möchte nochmals ausdrücklich feststellen, daß für uns Heimatvertriebene die Wiedervereinigung Deutschlands die erste und vordringliche Aufgabe ist und bleibt. Das ist der erste Schritt, und dann kommen erst wir. Denn erst nach erfolgter Wiedervereinigung kann die Frage der deutschen Ostgebiete nur durch eine gesamtdeutsche Regierung und durch einen Friedensvertrag gelöst werden. Das besagt auch die vorliegende Regierungserklärung klar und deutlich.
({6})
- Das müssen Sie doch langsam schon erkannt haben! ({7})
Wir wollen eine Wiedervereinigung und auch eine Rückgewinnnung der verlorenen Heimat ohne jede Gewalt. Wir möchten es nach all dem furchtbaren Geschehen dieses halben Jahrhunderts, das wir durchgemacht haben, wirklich alle gern erleben, daß endlich in einer neuen besseren Welt nicht die Idee der Gewalt, sondern die Gewalt der Idee zum Siege kommt.
Ich muß, meine Damen und Herren, offen erklären - ich beziehe mich da auf meinen Vorredner und will mich nicht allzuviel wiederholen -, daß in letzter Zeit alle Heimatvertriebenen durch offizielle und inoffizielle Äußerungen stark beunruhigt worden sind. Der Herr Außenminister Dr. von Brentano hat bereits zu dem Thema Stellung genommen; Sie können von seinen Erklärungen Kenntnis nehmen.
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In der Regierungserklärung steht ausdrücklich, daß einseitige Entscheidungen, die in den Jahren nach dem Zusammenbruch getroffen wurden, vom deutschen Volke nicht anerkannt werden und daß die Anerkennung des Rechts auf die Heimat und des Selbstbestimmungsrechts unabdingbare Voraussetzung für die Erlösung der in der Vertreibung oder in Unfreiheit lebenden Menschen und Völker sind.
Mr. McCloy hat davon gesprochen, daß die Gebiete jenseits von Oder und Neiße als Tauschobjekt für die Wiedervereinigung angeboten werden sollen. Meine Damen und Herren, deutsches Land und deutsche Menschen sind kein Tauschobjekt. Dagegen müssen wir uns in aller Entschiedenheit verwahren. Dieser Grundsatz hat sich auch Gott sei Dank in der Saarfrage durchgesetzt. Zu solchen Offerten besteht auch nicht der geringste Anlaß, da ja über diese Frage, wie wir wissen, erst bei einem Friedensvertrag nach der Wiedervereinigung gesprochen werden kann.
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Schließlich muß ich noch, so peinlich mir das auch aus Gründen der Kollegialität ist, zu öffentlichen Äußerungen des Kollegen Dr. Greve Stellung nehmen, die nicht nur die Sudetendeutschen, sondern alle Heimatvertriebenen zu schärfsten Protesten veranlaßt haben. Ich kann mich dabei auf die ablehnende Stellungnahme seiner eigenen Parteifreunde und Fraktionskollegen, Minister Hoegner, Jaksch und Reitzner berufen. Er hat gesagt, daß das Sudetengebiet kein deutsches, sondern tschechoslowakisches Staatsgebiet sei und bleibe und daß wir keinerlei Ansprüche auf dieses Gebiet erheben. Er hat weiter gesagt, daß Verrat an der Wiedervereinigung und Kriegshetze begehe, wer unter den Klängen des Egerländer Marsches auf Raub fremden Staatsgebietes ausziehen wolle. Dazu muß ich feststellen, meine Damen und Herren, daß das Sudetenland, was allgemein bekannt sein sollte, - ({10})
- Na, wenn man die Äußerungen hört, muß man annehmen, daß der oder jener das, was ich jetzt sagen will, nicht weiß:
({11})
daß das Sudetenland jahrhundertealtes deutsches Gebiet ist. Schauen Sie doch nur auf die Bauten, die Kirchen, die Straßen und die Plätze in Eger, Prag und Reichenberg und in anderen Städten, wo die Steine reden - Saxa loquuntur! - und zeugen von einer echten alten deutschen Kultur- und Aufbauarbeit. Was wäre uns erspart geblieben, wenn nach dem ersten Weltkrieg im Jahre 1919 das proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Sudetendeutschen anerkannt worden wäre! Sie wollten zu Österreich; aber man hat sie damals gegen ihren Willen in die Tschechoslowakei eingegliedert. Es wäre uns sicherlich sehr, sehr viel erspart geblieben, wenn man damals Recht und nicht Unrecht gesetzt hätte.
Darf ich mich zu der Frage auf einen unbefangenen Zeugen berufen, und zwar Herrn Vizepräsidenten Dr. Jaeger , der ausdrücklich gesagt hat - ich darf das mit Genehmigung des Herrn Präsidenden vorlesen -:
Gerade gegenüber dem Osten muß eines völlig klargestellt werden. So sehr uns die Wiedervereinigung am Herzen liegt, so darf sie keineswegs mit dem Verzicht auf andere Gebiete erkauft werden, die ebenso wie die Sowjetzone zum Reichsgebiet von 1937 gehört haben. Schlesien und Ostpreußen sind ebenso unbestreitbar deutscher Boden wie Thüringen und Mecklenburg. Man kann nicht einen Rechtsbruch dadurch heilen, daß man einen anderen, noch größeren Rechtsbruch anerkennt.
Was aber vom deutschen Recht auf die Ostgebiete gilt, gilt auch vom Heimatrecht der nach Deutschland Vertriebenen aus Gebieten außerhalb der Reichsgrenzen. Die Bundesrepublik ist nun einmal durch die Geschichte der letzten elf Jahre zum Schirmherrn der Sudetendeutschen geworden. Sie darf deshalb keine Politik betreiben, die rechtlich oder praktisch die Anerkennung der Ausweisung der Deutschen in Böhmen und Mähren bedeuten würde.
Ich bin dem Herrn Kollegen Vizepräsidenten Jaeger für diese Worte dankbar.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein ganz kurzes Wort an den Herrn Außenminister. Er hat in der Regierungserklärung von seinen Besuchen gesprochen, von der freundlichen Aufnahme und von den guten Beziehungen zu den Ländern bis weit hinaus in den Fernen Osten. Von seinem Besuch aber in Wien, wo er doch auch sehr herzlich aufgenommen wurde und wo seither, sicherlich gerade auch durch diesen Besuch, sehr freundschaftliche Beziehungen herrschen, hat er kein Wort gesagt. Sie werden es verstehen, daß unserm Herzen das deutsche Nachbarland, die deutschen Brüder und Schwestern in Wien näher stehen als so manches andere sehr sympathische Land und Volk im Fernen Osten, „unnahbar euren Schritten". Das wollte ich zum Schluß mit der mir angeborenen österreichischen Höflichkeit gesagt haben.
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Das Haus hat von dieser Erklärung Kenntnis genommen.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Prinz zu Löwenstein.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde - ich habe schon beim Heraufgehen Ihre Zwischenrufe gehört ({0})
kurz zum Punkt b) der Tagesordnung sprechen;
denn zum Punkt a) hat mein Freund Thomas Dehler heute das Nötige und Abschließende gesagt.
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Ich habe lediglich hinzuzufügen, nachdem uns eben die Entschließung Drucksache 2577 vorgelegt worden ist, daß wir dieser selbstverständlich unsere Zustimmung verweigern.
Ein, zwei Dinge, die im Laufe der Diskussion aufgefallen sind! Der verehrte Kollege Baron Manteuffel sprach wohl als erster von der vorausschauenden Politik der Bundesregierung, die zur Rückkehr der Saar geführt habe. Ich glaube nicht, daß man das so darstellen darf; das würde ja den geschichtlichen Tatsachen Gewalt antun.
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Was die Bundesregierung meinte vorausschauen zu können, war doch etwas ganz anderes. Man nahm doch gar nicht ernsthaft an, daß das Volk an der Saar unter dem Druck, unter dem es stand, das sogenannte europäische Statut ablehnen würde.
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Es ist dann doch geschehen. Es ist ein demokratischer Durchbruch gewesen. Menschen von allen Gruppen und allen Parteien ist das zu verdanken. Aber man soll doch heute nicht im nachhinein versuchen, die Geschichte anders zu schreiben, als sie sich abgespielt hat.
Meine Damen und Herren, ich habe den Antrag der Fraktion des BHE auf das lebhafteste begrüßt. Durch diesen Antrag ist die Möglichkeit gegeben worden, in diesem Hohen Hause ein sehr entscheidendes Gebiet zu behandeln, das sonst nur am
2. Deutscher Bundestab ({4})
Rande behandelt wird. Mein Freund und Kollege Dr. Czermak hat vom Standpunkt der Heimatvertriebenen schon darüber gesprochen. Ich habe vom Standpunkt des Einheimischen und des Heimatverbliebenen nur eines hinzuzufügen. Es geht hier ja wirklich - das wurde auch schon zum Ausdruck gebracht -- nicht um ein Anliegen, das nur die Heimatvertriebenen betrifft. Es ist das Anliegen jedes einzelnen von uns, ganz gleich, ob wir aus dem Osten stammen oder aus dem Süden, aus dem Westen oder dem Norden des Reiches. Es geht hier um ein unabdingbares, um ein göttlich gegebenes Recht auf die Heimat, ein Recht, auf das niemand verzichten kann, schon deshalb nicht, weil wir es als Treuhänder auch für die noch ungeborenen Geschlechter tragen.
Zum Abschluß dieser Diskussion möchte ich noch einmal in aller Deutlichkeit folgendes herausstellen, gerade weil wir über die entscheidende Frage der deutschen Wiedervereinigung gesprochen haben. Ich habe die sogenannte Friedenslinie der Oder und Neiße schon vor Jahren als eine „Friedhofslinie" bezeichnet. Ich bin der Meinung, daß wir das gerade im jetzigen Stadium der Wiedervereinigungspolitik herausstellen müssen. Es hat ja ein jeder Deutscher, gleich wo er wohnt und woher er stammt, jedes Dorf in Ostpreußen, in Schlesien oder in Pommern und in anderen Gebieten des deutschen Ostens mit verloren. Gerade wenn man wie wir auf dem Standpunkt steht, daß man mit der Sowjetunion verhandeln muß, daß man vielleicht sogar Hoffnung haben kann, daß diese Verhandlungen, wenn größere Aktivität dahintersteht, zu einem Erfolg führen, muß man den Rechtsanspruch auf den deutschen Osten unbedingt aufrechterhalten. Man verschafft sich keine irgendwie günstigere Position, wenn man auch nur den Schatten eines Verdachts aufkommen läßt, als ob man diesen Anspruch nicht mehr voll aufrechterhalten würde.
Das herauszustellen ist wesentlich; denn diese Frage kommt auf uns zu. Sie ist schon mehrmals auf uns zugekommen. Ob wir auf die Wiedervereinigung mit der Mittelzone zu verzichten bereit sind, wenn wir nicht gleichzeitig das Land östlich der Oder und Neiße bekommen, das ist eine falsche Fragestellung,
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und ich lege Wert darauf, das in aller Deutlichkeit festzuhalten, wie es ebenso falsch gewesen ist, uns zu fragen: Wollt ihr die Verständigung mit Frankreich oder das Saargebiet?
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Wir haben geantwortet: wir wollen die Saar, weil wir die Verständigung mit Frankreich wollen und weil wir der Meinung sind, daß nur dann, wenn wieder zwischen zwei Völkern das Recht herrscht, wahre Freundschaft und wahre Verständigung möglich sind. Das Unrecht trennt die Völker, und das Recht verbindet sie. Das war der tiefste Grund für unser Ringen um die Saar, und das ist der tiefste Grund für unser Ringen um den deutschen Osten.
Es ist hier mit Recht ausgedrückt worden - ich glaube, vom Herrn Kollegen Dr. Kather -, daß man nicht alles getan habe, um in der öffentlichen Meinung der Welt die Bedeutung des deutschen Ostens herauszustellen. Es waren schlechte, zumindest ungenügende Public relations. Die polnische Lobby in Amerika ist außerordentlich gut organisiert, ohne Unterschied der Parteien. Sie nimmt einen sehr starken Einfluß auch auf das amerikanische politische Leben, was wir nicht tun wollen und nicht tun dürfen. Aber was wir tun müßten, wäre, in den Universitäten, in den Schulen und in allen kulturellen Mittelpunkten des Landes für Aufklärung zu sorgen, um dieser Geschichtsklitterung, die von seiten der von mir erwähnten Lobby getrieben wird, entsprechend begegnen zu können. Ich halte auch das für entscheidend; denn es muß noch eines, was hier schon angeklungen ist, in aller Deutlichkeit herausgestellt werden: Es geht hier nicht nur um ein deutsches Anliegen, sondern um ein Anliegen der Menschlichkeit und des menschlichen Rechtes schlechthin. Solange man Deutschland geteilt halten kann, so lange ist dasselbe Recht auf Einheit - wiederum ein gottgegebenes Recht - jedes einzelnen Volkes bedroht, und erst die Aufhebung der Teilung Deutschlands wird jedem Volk das gleiche Recht auf Einheit sichern. Solange man deutsches Land abtrennen kann entgegen den Bestimmungen der Atlantikcharta, entgegen allen Bestimmungen gültigen Völkerrechts, so lange sind die gleichen Lebensrechte jeder anderen Nation ebenso bedroht.
Daher meine ich, daß die Debatte heute nachmittag, die doch sehr überparteilich geführt wurde, auch dem Grundanliegen der heutigen außenpolitischen Diskussion gedient hat. Denn sie war ein Beitrag zur Wiedervereinigung, und sie war ein Beitrag in unserem Appell an das Gewissen der Welt, durch die Wiederherstellung des Rechtes in Deutschland dem Rechte jedes Volkes und damit dem Frieden aller Völker zu dienen.
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Meine Damen und Herren, ich habe noch einen Namen auf meiner Liste, den des Kollegen Lemmer. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Präsidenten für die tröstliche Mitteilung, daß ich als Schlußlicht einer langen Rednerreihe hier noch fungieren darf. Wir haben eine bemerkenswerte Debatte erlebt, in der im Grunde genommen die relative Position deutscher Politik recht deutlich zum Ausdruck gekommen ist.
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Es sollte ein Tag politischer Debatte sein. Das ist zum Teil auch der Fall gewesen, und das hat ganz gewiß dazu beigetragen, manche kritisierten und beunruhigenden Publikationen der letzten Zeit abzuklären und über den Standpunkt der Regierungspolitik volle Klarheit zu schaffen.
Ich glaube, daß auch die Kollegen der Opposition, auch wenn sie in dieser oder jener Frage anderer Meinung sind, nicht bestreiten können, daß in der Regierungserklärung und auch in den nachfolgenden Ausführungen der Sprecher der Regierungsparteien über die Auffassungen zur Außenpolitik unseres Landes ein klärender Beitrag geleistet worden ist.
Wenn die Außenpolitik eine solche begrenzte Perspektive gehabt hat, indem im Mittelpunkt ihrer Erörterung die Frage der deutschen Wiedervereinigung stand, so sollte das von der Welt richtig gewürdigt werden. Es bedeutet nicht, daß wir uns nur innerhalb unserer Mauern und Wände geistig
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umsehen. Wir blicken durchaus darüber hinaus, und wir wissen, daß eine eigentliche außenpolitische Debatte ohne globale Perspektiven gar nicht geführt werden könnte.
Wenn in dieser Debatte sehr viel die östliche Macht angesprochen worden und von den uns befreundeten Mächten des Westens kaum die Rede gewesen ist und wenn es heute tatsächlich keinen Sprecher an diesem Rednerpult gab, der sich nicht mit der Politik der Sowjetunion auseinandersetzte, so ist es nicht nur unsere Schuld, daß das so eindeutig zum Ausdruck gekommen ist. Wir wissen um unsere große geschichtliche politische Belastung in der Situation, in der sich die Welt und insbesondere Europa befinden. Aber nicht wir sind es gewesen, die die östliche Weltmacht in eine schicksalhafte Schlüsselstellung deutscher Politik gerückt haben. Weil sich die Sowjetunion in dieser Schlüsselstellung befindet, sind wir mit der wachsenden Konsolidierung der Bundesrepublik genötigt, uns mit ihr positiv und negativ mehr als bisher auseinanderzusetzen.
Meine Damen und Herren, es ist mit Recht oft die Frage aufgeworfen worden, ob der neue Kurs in der östlichen Politik, von dem man spricht, gültig sei oder nicht. Diese Frage zuverlässig zu beantworten, ist ganz gewiß sehr schwierig. Aber wir insbesondere haben diese Frage mit großem Ernst zu stellen, weil vieles davon abhängt, was unser Volk betrifft.
Man spricht von dieser neuen Politik des Lächelns. Man spricht von der größeren Elastizität und den guten Manieren der sowjetischen Diplomatie. Wir brauchen das im einzelnen nicht zu erörtern. Aber ich darf gerade bei der Würdigung der Bedeutung der sowjetischen Politik für das höchste Anliegen unseres Volkes, die deutsche Wiedervereinigung, feststellen, daß uns im neuen Kurs Moskaus bisher ein konkreter Beitrag zu unserem Anliegen versagt geblieben ist.
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Ich spreche das nicht mit irgendeinem polemischen Akzent aus, sondern ich stelle das mit ganzem Ernst nur fest. Ganz gleich, was da nun in diesen bekannten Unterredungen in Genf, in Moskau, in Paris gesagt worden ist: Es bleibt doch übrig, daß eine konkrete Geste, die für uns eine Ermutigung mit dem Blick auf die Wiedervereinigungspolitik wäre, bis heute ausgeblieben ist.
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Wenn wir nun heute lesen, daß der neue sowjetische Kommandant in Berlin dem Berliner Bürgermeister im Schöneberger Rathaus einen Besuch gemacht hat, so reihe ich auch das in eine ganze Gruppe von einzelnen Erscheinungen und Vorgängen ein, die als Entspannung interpretiert werden könnten, wenn die politische Realisierung auch. nur in der Ferne erkennbar wäre. Ich denke, daß es bei diesem Besuch im Schöneberger Rathaus nicht sein Bewenden haben sollte. Der sowjetische Kommandant sollte sich davon überzeugt haben, daß die Moskauer Politik wohl in der Lage wäre, gerade in Berlin den ersten konkreten Beitrag zu leisten.
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Was verstehe ich unter einem konkreten Beitrag? Berlin gehört nicht zur NATO. In Berlin sind die Wehrdienstgesetze des Bundes nicht in Kraft. Doch alle Erscheinungen, die Argumente bei der
Negation sowjetischer Deutschlandpolitik sind, - in Berlin entfallen sie!
Ich möchte die Anregung geben, daß die sowjetische Politik möglichst schnell Gelegenheit geben sollte, in dieser von der NATO ausgeklammerten alten deutschen Hauptstadt Gesamtberliner Wahlen durchzuführen, auf Grund eines von ihrer Militäradministration bestätigten Gesetzes der Berliner Bevölkerung aller Sektoren und Bezirke die Möglichkeit zu geben, durch eine echte Wahläußerung die Einheitlichkeit ihrer Stadt wiederherzustellen.
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Allerdings sollte diese großzügige Aktion, wenn sie erfolgt, nicht an die Illusion geknüpft werden, als ob die Berliner damit einverstanden sein könnten, in die Kontrollrats-Ära vergangener Zeiten zurückzusinken. Im zwölften Nachkriegsjahr sollte bei aller Wahrung des Vier-Mächte-Status - auf den wir Westberliner mit unseren Freunden in Ostberlin bekanntlich Wert legen - nicht die Illusion aufdämmern, als ob man auch zu den Kontrollratspraktiken der Zeit vor zehn Jahren zurückkommen könnte. Ich möchte hoffen, daß es möglich wäre, in dieser Weise zu einem konkreten Beitrag zur realen Entspannung auch der deutschen Situation zu kommen.
Ich halte es für vollkommen berechtigt und notwendig, daß viele Sprecher in dieser Debatte das Interesse erwähnt haben, welches die sowjetische Politik selbst wahrnehmen könnte, wenn sie sich nicht mehr als einziges Hemmnis einer Wiedervereinigung in Freiheit in den Weg stellte.
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Von allen Sprechern ist mit einer vorbildlichen und taktvollen Zurückhaltung gesprochen worden ohne irgendeine Entgleisung gegenüber einer Staatsmacht oder auch einer früheren Besatzungsmacht. Das sollte man würdigen und sollte man nicht mißverstehen.
Mit großer innerer Bewegung lesen wir in diesen Stunden die aus Posen einlaufenden Meldungen. Wir sind weit davon entfernt - wie es auch Herr Kollege Feller in seinen Ausführungen schon andeutete -, uns etwa schürend oder ermunternd dazwischenzustellen. Das ist eine Angelegenheit des polnischen Volkes. Wir wissen auch, daß solche Eruptionen oft zunächst zu schweren Rückschlägen führen. Aber das moralische Potential, das in einem solchen geschichtlichen Augenblick, und wenn auch nur blitzhaft, beleuchtet wird, sollte allen, die es angeht, eine Mahnung sein, den Worten und Kundgebungen ihrer Gesinnung nun auch die Tat für den Frieden folgen zu lassen. Sie sollten begreifen, daß in der Mitte dieses Jahrhunderts auf die Dauer keinem Volk, welches es auch sei, eine fremde Herrschaft aufgezwungen werden kann.
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Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen beantrage ich zu dem Entschließungsantrag Drucksache 2577 der Kaolitionsfraktionen namentliche Abstimmung.
({0})
Zum Antrag Drucksache 2406 beantrage ich ziffernweise Abstimmung. Wir bitten, Ziffer 1 des Antrags abzulehnen. In der Erklärung des Herrn Bundesaußenministers ist das Erforderliche mit aller Deutlichkeit gesagt worden; diese Ziffer ist gegenstandslos. Die Anträge unter Ziffern 2, 3 und 4 bitten wir an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten zu überweisen.
Das Wort hat der Kollege Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage die Überweisung des ganzen Antrags an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht.
Ich lasse zunächst über den Antrag auf Ausschußüberweisung des Antrags Drucksache 2406 abstimmen. Der weitestgehende Antrag ist der Antrag auf Überweisung der ganzen Vorlage an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten.
({0})
- Sie beantragen noch, den Vertriebenenausschuß und den Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen als mitberatende Ausschüsse zu beteiligen. Wer für die Überweisung des ganzen Antrages auf Drucksache 2406 an die erwähnten Ausschüsse ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag des Abgeordneten Rasner, der beantragt hat, die Ziffer 1 des Antrags Drucksache 2406 zu streichen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit.
Wer für die Überweisung der übrigen Ziffern des Antrags an die erwähnten Ausschüsse ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Zum Antrag Drucksache 2577 ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Damen und Herren des Büros, die Stimmkarten einzusammeln.
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Meine Damen und Herren, will ein Mitglied des Hauses seine Stimmkarte noch abgeben? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
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Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich beteiligt 362 stimmberechtigte Abgeordnete und 12 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 220 stimmberechtigte Abgeordnete, 4 Berliner Abgeordnete, mit Nein 135 stimmberechtigte Abgeordnete, 8 Berliner Abgeordnete. 7 der stimmberechtigten Abgeordneten haben sich der Stimme enthalten. Damit ist der Entschließungsantrag Drucksache 2577 angenommen.
Meine Damen und Herren, die Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, die 157., ein auf Mittwoch, den 4. Juli, vormittags 9 Uhr, und schließe die 156. Sitzung des Deutschen Bundestages.