Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die 149. Sitzung des Deutschen Bundestages. Vor Eintritt in die Tagesordnung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Kalbitzer zur Tagesordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, dem Hause vorzuschlagen, die Tagesordnung in zwei Punkten zu ändern. Es handelt sich um die Frage der Zollpolitik. Wir halten eine schnellere Behandlung dieser Frage deshalb für nötig, weil sich in der Öffentlichkeit eine berechtigte Unruhe über die seit einem Jahr langsam, aber stetig anhaltenden Preissteigerungen bemerkbar macht. Die Regierung hat diese Tatsache, die man in den letzten Wochen aus propagandistischen Gründen gelegentlich wieder rückgängig zu machen versucht, ja im Grunde dadurch anerkannt, daß sie schon im vorigen Herbst in der Berliner Debatte selber zugesagt hat, ein Konjunkturprogramm vorzulegen. Bei diesem Versprechen ist es geblieben. Wir haben bereits damals den Vorschlag einer linearen Zollsenkung gemacht. Das Ergebnis dieses Vorschlages ist gewesen, daß einige hundert Einzelpositionen in nicht sehr umfangreichem Maße gesenkt wurden, terminlich begrenzt bis zum 30. Juni dieses Jahres. Die Bundesregierung ist bis zur Stunde nicht in der Lage gewesen, wenigstens für diese Einzelpositionen eine Verlängerungsverordnung vorzulegen.
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Das liegt nicht am Bundeswirtschaftsminister. Wir wissen, daß er vor Monaten die Vorlage an das Kabinett gegeben hat, wenigstens die bestehenden Zollermäßigungen fortzuführen. Es ist im Kabinett hängengeblieben. Sie wissen, es ist eine Folge der Intrigen der Interessentenvertreter, daß diese Politik, wie sie von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister offiziell unterstützt wird, nicht zu Ende geführt wird.
Da die Bundesregierung eine entsprechende Verordnung bis zur Stunde nicht vorgelegt hat, erlauben wir uns, zu bitten, daß die Vorlage Drucksache 2372 auf die heutige Tagesordnung gesetzt wird. Falls Sie diesen Antrag, die Vorlage Drucksache 2372 auf die heutige Tagesordnung zu setzen, ablehnen, so mache ich Sie mit allem Ernst darauf aufmerksam, daß, wenn diese Zollverordnungen nicht verlängert werden, unser Antrag also hier niedergestimmt werden sollte, automatisch ab 1. Juli Zollerhöhungen eintreten, also das Gegenteil der vom Bundeswirtschaftsminister erklärten Politik Tatsache werden würde.
Ich erlaube mir, einen zweiten Antrag vorzulegen, der sich mit der linearen Zollsenkung befaßt. Ich wiederhole, daß wir bereits im vorigen Jahr diesen Antrag gestellt haben. Er ist damals nicht zum Zuge gekommen. Inzwischen hat ihn sich der Bundeswirtschaftsminister zu eigen gemacht. Es ist darüber zu einem Kladderadatsch innerhalb des Kabinetts gekommen, und augenblicklich liegt die ganze Sache im Grunde weder beim Parlament noch bei der Regierung, sondern ausschließlich bei den Interessenten.
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Daß das in keinem Punkte etwa stark aufgetragen ist, mögen Sie aus einem Artikel in der gestrigen Nummer der Zeitschrift „Die Zeit" ersehen, die weiß Gott nicht als prosozialdemokratisch zu bezeichnen ist und die dies in Ausdrücken wiedergibt, die stärker sind als die von mir hier gebrauchten.
Ich bitte Sie also, den Antrag Drucksache 2370 ebenfalls auf die Tagesordnung zu setzen und in die Diskussion darüber einzutreten, ob die Politik der Zollsenkungen zur Konterkarierung der gegenwärtigen Preissteigerungen die erklärte Politik dieses Hauses ist oder ob Sie tatenlos den weiteren Preissteigerungen zusehen wollen. Ich mache Sie auch in diesem Punkte darauf aufmerksam, daß, wenn Sie diesen Tagesordnungspunkt nicht heute und hier behandeln, sondern auf einen späteren Termin verschieben, Sie unweigerlich bis in den Herbst hinein in dieser Sache nicht aktiv werden können. Es ist zugesagt worden, daß hierüber am 22. Juni etwa verhandelt werden sollte. Sie wissen mit Sicherheit, daß dieser Antrag nach dem 22. Juni bis zum Beginn der Sommerferien nicht mehr die Ausschüsse passieren würde; und das hieße mit anderen Worten, daß Sie und Sie allein die Verantwortung dafür tragen würden, daß Maßnahmen gegen die gegenwärtige Wirtschaftslage - die wir in gar keiner Weise dramatisieren wollen, die aber selbstverständlich Gegenmaßnahmen erfordert, das ist ganz natürlich, das ist die erklärte Absicht des Bundeswirtschaftsministers - bis zum Herbst lahmgelegt werden, daß Sie also für bis zum Herbst erfolgende weitere Preissteigerungen die Verantwortung tragen würden. Ich glaube nicht, daß einer von Ihnen in der Lage ist, mit gutem Gewissen diese Verantwortung zu tragen, und bitte Sie also, diese Vorlage ebenfalls auf die heutige Tagesordnung, und zwar an deren Anfang, zu setzen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Serres.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Koalitionsfraktionen bitte ich, die von Herrn Abgeordneten Kalbitzer gestellten Anträge abzulehnen.
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Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die Koalitionsfraktionen entschlossen sind, zunächst einmal die bestehenden Zollsenkungsverordnungen über den 30. Juni hinaus zu verlängern, und zwar in einem Maße zu verlängern, daß wir einen besseren Überblick über die Auswirkungen dieser Verordnungen bekommen; ich kann ankündigen, daß wir sie wahrscheinlich bis Ende 1957 verlängern werden. Die Bedenken, die Herr Abgeordneter Kalbitzer soeben hier geäußert hat, bestehen also nicht zu Recht.
Im übrigen, meine Damen und Herren, bin ich nicht der Meinung, daß es zweckmäßig erscheint, diese Anträge der sozialdemokratischen Fraktion heute zu behandeln. Denn wir würden damit schon heute eine konjunkturpolitische Debatte auslösen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Zollsenkungsanträge einen wesentlichen Teil der konjunkturpolitischen Überlegungen darstellen, und ich sehe nicht ein, weshalb diese Anträge nicht in der konjunkturpolitischen Debatte am 22. dieses Monats, die der Ältestenrat bekanntlich angesetzt hat, behandelt werden könnten.
Ich wäre daher dankbar, wenn Sie sich meiner Auffassung anschließen könnten, daß diese Anträge - zu denen wir sehr positiv, jedoch mit gewissen Modifizierungen Stellung nehmen werden - in der konjunkturpolitischen Debatte am 22. dieses Monats behandelt werden sollten. Ich glaube, bis dahin ist auch ausreichend Zeit, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß - das dürfte auch Ihnen, Herr Kollege Kalbitzer, nicht unbekannt geblieben sein - bereits am Dienstag dieser Woche das Wirtschaftskabinett nach uns gegebenen Verlautbarungen sich mit einer Regierungsvorlage befaßt und, soweit ich unterrichtet bin, eine umfangreiche Zollsenkungsvorlage verabschiedet hat und daß das Gesamtkabinett, wenn ich recht unterrichtet bin, noch in dieser Woche - ich nehme an, heute - sich mit der vom Wirtschaftskabinett ausgearbeiteten Zollvorlage befassen wird.
Das alles zusammengenommen, meine Damen und Herren, läßt es zweckmäßig erscheinen, daß diese Regierungsvorlage - auf deren Boden auch die Regierungskoalition im wesentlichen treten wird - zusammen mit Ihren Anträgen in der konjunkturpolitischen Debatte erörtert wird.
Ich darf also zusammenfassend meinen Antrag dahin wiederholen, den Vorschlag, die Anträge der SPD auf die heutige Tagesordnung zu setzen, abzulehnen und Ihr Einverständnis damit zu erklären, daß wir am 22. Juni die Anträge gemeinsam mit der Regierungsvorlage behandeln werden.
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Das Wort zur Tagesordnung hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte es doch sehr begrüßt, wenn wir uns hätten entschließen können, die Verlängerung der am 30. Juni auslaufenden Zollsenkungen heute zu erledigen. Da die Regierung und offenkundig auch das Haus entschlossen sind, diese Verlängerung zu beschließen, brauchen wir den Dienstweg nicht abzuwarten. Der Vorteil einer Erledigung heute würde darin bestehen, daß die Importeure disponieren könnten. Man kann doch nicht immer alles auf den letzten Tag abstellen.
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Damit tun wir uns doch alle keinen Dienst. Genau das, was wir konjunkturpolitisch wollen, nämlich eine gewisse Dämpfung, würde sich dann auch leichter erreichen lassen, als wenn wir heute nicht zu diesem Beschluß kommen könnten.
Ich glaube, die Geschäftsordnungsdebatte nimmt viel mehr Zeit in Anspruch als die Verlängerung der Zollsenkungen.
({1})
Dagegen würde ich es auch nicht für richtig halten, die lineare Zollsenkung, die von der Regierung beabsichtigt ist, heute zu behandeln, weil wir damit der konjunkturpolitischen Diskussion vorgreifen würden.
Meine Damen und Herren, es handelt sich nicht um eine Geschäftsordnungsdebatte, sondern um eine Debatte zur Tagesordnung. Deswegen erteile ich das Wort nicht nur einem Redner dafür und einem dagegen; jede Fraktion hat das Recht, sich zu dem gestellten Antrag zu äußern.
Das Wort hat der Abgeordnete Serres.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, auch diesen Antrag des Herrn Abgeordneten Margulies aus Zweckmäßigkeitsgründen abzulehnen.
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- Warten Sie ab, meine Damen und Herren, bis ich Ihnen das erklärt habe; es scheint notwendig zu sein, daß man Ihnen einige Aufklärungen dazu gibt.
({1})
Es ist in der Regierungsvorlage vorgesehen, daß die bekannten drei Verordnungen verlängert werden. Man würde also die Regierungsvorlage aufsplittern, wenn man heute schon diesen Teilantrag vorwegnähme. Ich darf Ihnen noch einmal versichern, daß wir diesem Antrag grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Ich habe ja schon gesagt, daß wir entschlossen sind, die Verlängerung für eine längere Zeit auszusprechen. Ich darf also bitten, die Anträge - sowohl des Herrn Abgeordneten Kalbitzer wie des Herrn Abgeordneten Margulies - abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag, die Tagesordnung durch die Beratung des Antrags Drucksache 2372 zu ergänzen. Wer für diesen Antrag ist, die Tagesordnung zu ergänzen, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen dann auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung den Vorschlag zu machen, die heutige Tagesordnung zu ergänzen um die Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der reichseigenen Grundstücke in Northeim, a) ehemaliges Lagerhaus und b) ehemaliges Einfamilien-Wohnhaus, an die Firma Linnhoff, Maschinenfabrik, Berlin - Drucksachen 2430 und 1802 -, und Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks Kehler Straße in Rastatt an die Stierlen-Werke AG in Rastatt ({0}) - Drucksachen 2431 und 2289 -. - Das Haus ist damit einverstanden. Wir werden dann diese beiden Anträge am Schluß der Tagesordnung behandeln.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Vorsitzende des Ausschusses für kommunale und regionale Angelegenheiten der Beratenden Versammlung des Europarates hat unter dem 1. Mai 1956 für die Unterstützung der Arbeit des Ausschusses durch den Bundestag gedankt. Das Schreiben ist den Mitgliedern des Hauses in Abschrift zugegangen.
Die gestrige Sitzung ist mit dem Beschluß geschlossen worden, die heutige Sitzung mit der Beratung der beiden Angelegenheiten zu beginnen, die den Vermittlungsausschuß passiert haben. Es handelt sich also zunächst um die Ziffern 2 und 3 der heutigen gedruckten Tagesordnung, Drucksache 2445 und Drucksache 2444. Ich rufe zunächst auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Zweiten Wohnungsbaugesetz ({2}) ({3}).
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Hoogen.
Hoogen ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem vom Bundestag am 4. Mai 1956 beschlossenen Zweiten Wohnungsbaugesetz hat der Bundesrat am 18. Mai 1956 nicht zugestimmt, sondern er hat unter Anrufung des Vermittlungsausschusses in 38 Punkten Änderungen des Gesetzes vorgeschlagen. Das Ergebnis der gestrigen Beratung des Vermittlungsausschusses liegt dem Hohen Hause als Drucksache 2445 zur Beschlußfassung vor.
Ich darf besonders hervorheben, daß der Vermittlungsausschuß seine Beschlüsse bis auf wenige Ausnahmen einstimmig gefaßt hat, namentlich in den entscheidenden Punkten.
Die Änderungswünsche des Bundesrats lassen sich in drei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe mit insgesamt 22 Punkten umfaßt die mehr formellen Vorschläge des Bundesrats und einige weniger problematische Fragen. Hier hat sich der Vermittlungsausschuß zumeist den Vorschlägen des Bundesrats angeschlossen, in verschiedenen Punkten jedoch abweichende, den Zielen des Gesetzes besser angepaßte Formulierungen gefunden.
Besonders hervorheben möchte ich die vom Vermittlungsausschuß vorgeschlagene Regelung über die vorzeitige Ablösung der öffentlichen Baudar({5})
lehen. Hier ist der Vermittlungsausschuß weder dem Vorschlag des Bundesrats noch dem ursprünglichen Beschluß des Bundestags gefolgt, sondern hat, anknüpfend an die wesentlichen Grundsätze der Bundestagsfassung, alle schwierigen speziellen Fragen der Regelung in einer Rechtsverordnung der Bundesregierung vorbehalten. Auf diese Weise wird es möglich sein, eine sorgfältige und den verschiedenen in Betracht kommenden Fällen angepaßte gerechte Lösung zu finden.
Die zweite Gruppe umfaßt den umstrittenen Bereich des sogenannten Berichterstattungswesens. Es handelt sich hier um Vorschriften, durch die sichergestellt werden soll, daß die beiden Hauptanliegen des Gesetzes, nämlich die vorrangige Förderung des Baus von Familienheimen und die Wohnraumversorgung der Bevölkerungsschichten mit geringem Einkommen, in der Praxis entsprechend den Zielen des Gesetzes durchgeführt werden. Der Bundestag hat daher in der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs entsprechend dem Ausschußbericht beschlossen, die zuständigen Behörden der Länder zu verpflichten, an die obersten Landesbehörden Berichte verschiedener Art zu erstatten, deren Ergebnisse den obersten Landesbehörden als Unterlagen für die Verteilung der öffentlichen Mittel dienen sollen. Auch war vorgesehen, daß die zuständigen Stellen der Länder die Anträge auf Bewilligung öffentlicher Mittel zum Bau von Familienheimen in jedem Fall entgegennehmen müssen. Diese vom Bundestag vorgesehenen Bestimmungen waren überwiegend vom Bundesrat zur Streichung vorgeschlagen. Der Vermittlungsausschuß hat sich wegen der zentralen Bedeutung dieser Vorschriften über die bevorzugte Förderung des Baues von Familienheimen und die Sicherstellung der Wohnraumversorgung der minderbemittelten Bevölkerungsschichten einmütig - ich darf das besonders hervorheben - zu der Auffassung bekannt, daß auf die Vorschriften über die Berichterstattung im Rahmen des Gesetzes nicht verzichtet werden kann. Er hat jedoch, um gewissen Bedenken, insbesondere in der Richtung, die ursprünglich beschlossenen Vorschriften seien zu dirigistisch, Rechnung zu tragen, die Vorschriften so gefaßt, daß dieser Einwand nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden kann. Andererseits ist er aber in der Sache dabei verblieben, daß die obersten Landesbehörden die Verteilung der öffentlichen Mittel an Hand von vollständigen und rechtzeitig beschafften Unterlagen so vorzunehmen haben, daß die Ziele des Gesetzes erreicht werden.
In der dritten Gruppe der vom Vermittlungsausschuß behandelten Probleme werden die Fragen der Finanzierung aufgeworfen. Das scheint mir die wichtigste Gruppe zu sein. Hier hat der Bundesrat zunächst verlangt, daß der Bund durch das Gesetz verpflichtet wird, öffentliche Mittel zur Finanzierung seiner Sonderwohnungsbauprogramme zusätzlich und ohne Anrechnung auf die übrigen Wohnungsbauförderungsmittel zur Verfügung zu stellen. Diesem Anliegen hat der Vermittlungsausschuß nicht in dieser Allgemeinheit entsprechen können. Er schlägt aber vor, in einer besonderen Vorschrift zum Ausdruck zu bringen, daß Leistungen des Bundes für die Wohnraumversorgung besonders genannter Bevölkerungsschichten sich aus den Jahreshaushaltsplänen des Bundes ergeben sollen.
In der umstrittenen Frage der Tragung der Miet-an den Gedankengang des Bundesratsvorschlages angeknüpft, von der Kostentragung jedoch den Ausgleichsfonds ausgenommen und in seinem Vorschlag vorgesehen, daß Aufwendungen vom Bund und von den Ländern zu gleichen Teilen getragen werden.
und Lastenbeihilfen hat der Vermittlungsausschuß
({6})
Meine Damen und Herren, der Bericht des Herrn Berichterstatters verdient die volle Aufmerksamkeit des Hauses.
({0})
Hoogen ({1}), Berichterstatter: Der Anteil des Bundes soll auf die Höhe des zu erwartenden halben Zinsaufkommens beschränkt sein. Es darf angenommen werden, daß mit dieser Lösung den Bedenken des Bundesrates weitgehend Rechnung getragen worden ist.
Ein besonders starkes Entgegenkommen schlägt der Vermittlungsausschuß in bezug auf die vom Bundesrat geforderte zusätzliche Aufbringung der Mittel für Wohnungsbauprämien vor. Der Vermittlungsausschuß konnte sich zwar nicht dazu entschließen, die Wohnungsbauprämien, wie der Bundesrat gefordert hatte, in vollem Umfang aus Bundesmitteln zusätzlich bereitzustellen. Immerhin hat er vorgeschlagen, daß in Ländern mit einer überdurchschnittlichen Beanspruchung der Wohnungsbaumittel durch die Wohnungsbaupräprämien ein voller Ausgleich der erhöhten Prämienbelastung vorzunehmen ist. Das soll in der Weise geschehen, daß die Degression der öffentlichen Mittel vom Rechnungsjahr 1958 ab um die dazu erforderlichen Beträge eingeschränkt wird. Der Ausgleich für diese den Bundeshaushalt treffende Mehrbelastung soll nach dem Rechnungsjahr 1966 aus den Rückflüssen vorgenommen werden. Damit wird gerade den Ländern, in denen große Sparleistungen für den Wohnungsbau, namentlich den Bau von Familienheimen, aufgebracht werden, eine wirksame haushaltsmäßige Entlastung zuteil.
Meine Damen und Herren, der Vermittlungsausschuß glaubt, mit seinen Vorschlägen eine echte Brücke zwischen den Auffassungen des Bundestages und des Bundesrates gefunden zu haben, und empfiehlt daher dem Hohen Hause die Annahme seines Vorschlages.
({2})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, unsere Geschäftsordnung läßt bei Berichten des Vermittlungsausschusses keine Aussprache zu. Es können jedoch wie bei jeder Abstimmung Erklärungen zur Abstimmung abgegeben werden. Jedoch mache ich die Damen und Herren. die eine solche Erklärung sollten abgeben wollen, darauf aufmerksam. daß ich nur wirkliche Erklärungen zur Abstimmung zulasse und keine „Erklärungen", die - erlauben Sie mir den Ausdruck -, getarnte Diskussionsreden sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident und das Haus können unbesorgt sein. Ich beabsichtige nicht, hier eine getarnte Erklärung abzugeben.
Keine getarnte Diskussionsrede!
Doch habe ich den Auftrag, namens meiner Fraktion zum Ausdruck zu bringen, daß wir nach Prüfung der Gesamtvorlage trotz unserer nach wie vor bestehenden großen Bedenken gegen das Gesetz als Gesamtkonzeption dem Antrag des Vermittlungsausschusses zustimmen werden, und zwar mit Rücksicht darauf, daß Einzelabstimmungen, die sich aus der Beschlußfassung des Hauses zu den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses ergeben könnten, nicht stattfinden. Wir sind der Auffassung, daß im Vermittlungsausschuß eine Reihe von wesentlichen Verbesserungen erreicht worden sind. Damit hat ein Teil der Bedenken, die wir gegen das Gesetz zum Ausdruck gebracht haben, Berücksichtigung gefunden. Dennoch bleiben von uns aus erhebliche Vorbehalte zu diesem Gesetz, das wir nach wie vor ablehnen. Aber das kann hier nicht Gegenstand der weiteren Erörterung sein. Wir stimmen infolgedessen den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses zu.
({0})
Weitere Erklärungen werden nicht abgegeben. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache 2445 zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen.
Ich rufe Punkt 3 der für heute vorgesehenen Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz über die vorläufige Fortgeltung der Inanspruchnahme von Gegenständen für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und ihrer Mitglieder ({1}).
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, dem Mitglied des Bundesrates Herrn Minister Siemsen, Nordrhein-Westfalen.
Siemsen, Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen, Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle kennen die Schwierigkeiten und den Ernst der Probleme, die mit diesem Gesetz verbunden sind. Auf der einen Seite steht das berechtigte Verlangen der deutschen Staatsbürger, ihr Eigentum und insbesondere ihre Wohnungen zurückzuerhalten, die ihnen durch Requisitionsmaßnahmen entzogen sind. Auf der anderen Seite besteht die vertragliche Verpflichtung der Bundesregierung gegenüber den Alliierten. Sie wissen auch, daß sich aus Anlaß dieser Schwierigkeiten an verschiedenen Orten Konflikte - teilweise mit Eingreifen der Polizei - ergeben haben und daß verschiedene Prozesse deswegen geführt werden.
Die erste Vorlage der Bundesregierung ist auf Antrag des Landes Rheinland-Pfalz von dem Bundesrat abgelehnt worden, im wesentlichen mit der Begründung, eine weitere Beeinträchtigung der Rechte könne dem Staatsbürger nicht zugemutet werden. Die Bundesregierung hat diesen Gesetzentwurf trotzdem dem Bundestag vorgelegt. Der Bundestag hat wesentliche Änderungen daran vorgenommen. Die Inanspruchnahme, die auf den 31. 12. befristet war, wurde vom Bundestag auf den 30. 9. 56 befristet. Die Wohnungen wurden aus dieser Regelung herausgenommen. Für einige Objekte - Erholungsheime, Sportplätze usw. - wurde eine besondere Regelung getroffen.
Der Bundesrat hat diesem Gesetz die Zustimmung auf Wunsch der Bundesregierung versagt. Die Bundesregierung wünschte, daß ihr durch Ablehnung des Gesetzes die Möglichkeit gegeben werde, den Vermittlungsausschuß anzurufen, damit sie die Schwierigkeiten, die in außenpolitischer Hinsicht entstehen konnten, überwinden konnte.
Der Bundesminister des Innern hat nach Anrufung des Vermittlungsausschusses eine neue Vorlage eingereicht, und zwar nach Abklärung mit den Ländern durch Referentenbesprechungen. Diese neue Vorlage war die Grundlage der Beratungen des Vermittlungsausschusses, die gestern stattgefunden haben. Diese neue Vorlage enthält gegenüber dem Beschluß des Bundestages folgende Änderungen.
Auch die Wohnungen sollen wieder unter die weitere Inanspruchnahme fallen. Die vom Bundestag gesetzte Frist - 30. 9. 56 - wird dahin geändert, daß sie auf das Inkrafttreten des Bundesleistungsgesetzes, des Landbeschaffungsgesetzes und des Schutzbereichsgesetzes abgestellt wird. Die Fortgeltung der Inanspruchnahme soll spätestens jedoch am 31. 12. 1956 enden.
Die neue Vorlage verzichtet auf die unbedingte Freigabe von Anlagen, die der Erholung dienen. In § 2 der neuen Vorlage sind die Voraussetzungen für die Aufhebung der Inanspruchnahme stärker konkretisiert. Die Inanspruchnahme ist nicht nur aufzuheben, wenn der Gegenstand für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und ihrer Mitglieder nicht mehr benötigt wird, sondern auch dann, wenn ausreichender Ersatz zur Verfügung steht oder sonst der Bedarf in angemessener Weise auf rechtsgeschäftlicher Grundlage gedeckt werden kann.
Die neue Vorlage enthält ferner in § 4 eine Ermächtigung für die Landesregierungen, die zuständigen Behörden zu bestimmen.
Der Vermittlungsausschuß hat diese neue Vorlage zur Grundlage seiner Beratungen gemacht und sie mit einigen unwesentlichen redaktionellen Änderungen angenommen. Ein Vorschlag, die Wohnungen wieder aus der Inanspruchnahme herauszunehmen, fand nicht die Zustimmung der Mehrheit des Vermittlungsausschusses. Das Ergebnis der Beratungen des Vermittlungsausschusses liegt Ihnen in der Drucksache 2444 vor.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Es haben sich eine Reihe von Damen und Herren des Hauses gemeldet, die eine Erklärung zur Abstimmung abgeben wollen.
Zunächst aber erteile ich das Wort dem Herrn Bundesinnenminister, der nach der Geschäftsordnung und dem Grundgesetz das Recht hat, das Wort jederzeit zu ergreifen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses möchte ich folgende Erklärung der Bundesregierung abgeben.
Die Bundesregierung hat am 11. Mai die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem
({0})
Ziel verlangt, die Regierungsvorlage des Fortgeltungsgesetzes mit der Maßgabe wiederherzustellen, daß den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Rechnung getragen wird und die Interessen der Betroffenen sowie die Verwaltungsbelange der Länder soweit als möglich Berücksichtigung finden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß das Fortgeltungsgesetz in der Fassung des Vermittlungsausschusses diesem Ziele, soweit es irgend möglich ist, Rechnung trägt.
Der Einigungsvorschlag gewährleistet, daß die alliierten Requisitionen nur noch bis zu dem Zeitpunkt fortgelten, in dem die Bestimmungen der neuen Bundesgesetze, nämlich des Bundesleistungsgesetzes, des Landbeschaffungsgesetzes und des Schutzbereichsgesetzes, in Kraft treten. Auf jeden Fall hören die Requisitionen am 31. Dezember dieses Jahres auf. Das Bundesleistungsgesetz, das für die Inanspruchnahme von Wohnungen einschlägig ist, wird voraussichtlich lange vor diesem Termin in Kraft treten, ja ich habe nach den neueren Feststellungen die Hoffnung, daß es noch vor den Sommerferien verabschiedet wird.
Der Einigungsvorschlag erspart es ferner den Länderverwaltungen, die im sogenannten Dritten Reich erlassenen Gesetze von 1939 bzw. 1935 anzuwenden; ich meine das Reichsleistungsgesetz von 1939, das alte Landbeschaffungsgesetz und das alte Schutzbereichsgesetz, beide von 1935. Diese drei Gesetze enthalten nicht die Garantien, die unser demokratischer Rechtsstaat seinen Bürgern gewähren muß. Die wenigen Einzelfälle, die wir aus der Presse kennen, haben bereits gezeigt, wie problematisch die Anwendung des Reichsleistungsgesetzes wäre. Soweit trotz aller Beschleunigung des Baues von Ersatzwohnungen noch Wohnungen in Anspruch genommen werden müssen, wird das Bundesleistungsgesetz alle im Interesse der Betroffenen nötigen verwaltungsrechtlichen und zivilrechtlichen Garantien enthalten.
In diesem Zusammenhang wird es das Hohe Haus interessieren, daß nach den neuen Erhebungen des Bundesfinanzministeriums von den 9400 Wohnungen natürlicher Personen, die am 5. Mai 1956 noch requiriert waren, am 31. Dezember 1956 nur noch 2290 und nach Abwicklung der laufenden Bauprogramme in den Ländern, die bis zum Frühjahr 1957 zu erwarten ist, nur noch 829 Wohnungen natürlicher Personen in Anspruch genommen werden müssen.
Der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses wird auch außenpolitisch von erheblicher Bedeutung sein. Die Bundesrepublik erfüllt damit ihre Verpflichtungen aus dem Truppenvertrag, für eine angemessene Rechtsgrundlage der Inanspruchnahme zu sorgen. Die Bundesrepublik kann dann auch ihrerseits fordern, daß die Stationierungsmächte die aus dem Truppenvertrag sich ergebenden Verpflichtungen einhalten und im Interesse derer, die viele Jahre auf ihre eigene Wohnung verzichten mußten, vor allem die Wohnungen beschleunigt freigeben, die nicht mehr benötigt werden.
Aus allen diesen Gründen darf ich Sie im Namen der Bundesregierung bitten, dem Einigungsvorschlag zuzustimmen.
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Schmitt ({0}).
Herr Präsident!' Meine Damen und Herren! Nach Wochen der Ungewißheit und sich mehrenden Schwierigkeiten, die nicht zuletzt dadurch entstehen, daß die Stationierungsmächte auch bereits freie Wohnungen erneut in Anspruch nehmen wollen, hat der Vermittlungsausschuß jetzt eine Vorlage des sogenannten Fortgeltungsgesetzes gemacht, die in der Frage der Freimachung der von den Besatzungsmächten und jetzigen Stationierungsstreitkräften in Anspruch genommenen Wohnungen weder der bisherigen Haltung des Bundesrats noch den Beschlüssen des Deutschen Bundestags in der zweiten und dritten Lesung des Fortgeltungsgesetzes am 19. April 1956 zu diesem Fragenkomplex Rechnung trägt, sondern einfach global die Wohnungen weiterhin beschlagnahmt läßt.
Wir vermissen darüber hinaus auch nach wie vor eine verstärkte Initiative der Bundesregierung im Sinne der Entschließung vom 19. April zur Freimachung des noch belegten Wohnraums. Die Bundesregierung sieht - wie sich das auch aus den Darlegungen des Herrn Ministers wieder ergeben hat - das gesamte Problem leider nur allzusehr unter dem Gesichtspunkt eventueller Schwierigkeiten mit den Stationierungsstreitkräften und weniger unter dem Blickpunkt der Menschen, die nach über einem Jahrzehnt seit Beendigung der Kampfhandlungen auch bei den Stationierungsmächten ein größeres Verständnis für ihre Lage und den Verzicht auf manche entbehrliche Bequemlichkeiten erwartet haben. Viele Hoffnungen, hervorgerufen durch frühere Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers, auf eine schnelle Bereinigung dieser Frage sind zunichte geworden. Unter diesen Umständen wird sich die SPD-Fraktion nicht in der Lage sehen, dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zuzustimmen.
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Das Wort zur Abgabe einer Erklärung hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Die Fraktion der FDP vermag auch der jetzigen Fassung des Gesetzes nicht zuzustimmen, zumal diese Fassung gegenüber den Beschlüssen des Bundestages Verschlechterungen mit sich bringt. Es gilt deshalb nach wie vor die Erklärung, die der Abgeordnete Dr. Stammberger anläßlich der dritten Beratung des Gesetzes hier abgegeben hat. Wir verkennen nicht, daß die Bundesrepublik gehalten ist, die sich aus dem Truppenvertrag ergebenden Verpflichtungen zu erfüllen. Aber es wäre Sache der Bundesregierung gewesen, das Bundesleistungsgesetz, das Schutzbereichs- und das Landbeschaffungsgesetz mit der Beschleunigung vorzulegen, die sie bei anderen Gesetzen an den Tag gelegt hat, die mit der Rüstung zusammenhängen.
({0})
Weitere Wortmeldungen zur Abgabe von Erklärungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Vorlage Drucksache 2444 zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, das Bild ist nicht ganz klar; ich bitte, die Abstimmung zu wiederholen. Wer der Vorlage
({0})
zustimmen will, der möge sich von seinem Sitz erheben. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Ich danke Ihnen. Es besteht keine Einigkeit im Präsidium; wir müssen durch Hammelsprung entscheiden. Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, sich an die Türen zu begeben.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte, sich zu beeilen; wir haben eine sehr lange Tagesordnung zu erledigen.
Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie noch einmal, sich beeilen zu wollen.
Ich bitte, die Türen zu schließen. Das Büro stimmt ab.
Meine Damen und Herren, dies ist das Ergebnis der Abstimmung: an der Abstimmung haben sich beteiligt 344 Mitglieder des Hauses.
({3})
Mit Ja haben gestimmt 191, mit Nein 153. Damit ist der Antrag des Vermittlungsausschusses angenommen.
Ich habe soeben den Zwischenruf gehört, „344" seien zuwenig. Herr Abgeordneter Horlacher, ich möchte dazu sagen, daß, wenn die Entschuldigungen, die bei mir eingehen, in dem bisherigen Tempo weitergehen, wir gegen 10 Uhr beschlußunfähig sein könnten.
({4})
Vielleicht nehmen die Herren Fraktionsgeschäftsführer dies zur Kenntnis.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen nun vor, in Abänderung des heute früh gefaßten Beschlusses, ehe wir in die Erledigung des Restes von gestern eintreten, noch rasch Punkt 1 der heutigen Tagesordnung zu erledigen:
Beratung der Ubersicht 17 über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages betreffend Petitionen nach dem Stand vom 30. Mai 1956 ({5}).
Das Haus ist einverstanden? -({6})
Das Wort wird nicht gewünscht. Berichterstattung ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit kommen wir zu den Restbeständen der Tagesordnung von gestern zurück, zunächst Punkt 5:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung ({7}) über den Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Jochmus, Frau Strobel, Frau Dr. Dr. h. c. Lüders und Genossen betreffend Lebensmittelrecht ({8}).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Huth. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Huth ({9}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache 2127 lag diesem Hohen Hause ein Antrag betreffend Lebensmittelrecht vor. Der ausschließlich von den Damen dieses Hauses gestellte Antrag ersuchte den Bundestag, die Regierung zu veranlassen, erstens eine Neufassung des Lebensmittelgesetzes bis zum 30. Mai dieses Jahres vorzulegen. Zweitens wünschte man eine redliche Bezeichnung und Kennzeichnung aller der Verarbeitung und Bearbeitung unterliegenden Lebensmittel, und drittens wünschte man im Zuge der Verwaltungsvereinfachung die Beseitigung zahlreicher überalterter und sonstiger überflüssiger Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen.
Die mit der Beratung dieses Antrages befaßten Ausschüsse haben die Berechtigung der Vorlage der Damen dieses Hauses einmütig anerkannt und sie vollinhaltlich zu der ihrigen gemacht. Lediglich in einem Punkte hat man eine Abweichung vorgenommen, indem man der Regierung eine Fristverlängerung von 4 Wochen gegeben hat, d. h. die Regierung soll dieses neue Lebensmittelgesetz, also in veränderter Fassung, dem Hohen Hause bis zum 30. Juni dieses Jahres vorlegen.
Meine Herren, es ist mir eine besondere Ehre, der Fürsprecher aller Damen dieses Hohen Hauses zu sein,
({10})
die es gern sehen würden, wenn Sie in dieser für die Allgemeinheit wichtigen Angelegenheit alle unter einen Hut zu bringen wären.
({11})
Namens des federführenden Ausschusses bitte ich Sie, dem Ausschußantrag Drucksache 2373, der Ihnen vorliegt, Ihre Zustimmung zu geben.
({12})
Meine Damen und Herren, ich finde diesen neuen Stil der Galanterie in diesem Hause außerordentlich begrüßenswert.
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Ich kann aber leider noch nicht den Damen des Hauses das Wort erteilen, denn der Herr Bundesminister hat auch vor ihnen den Vortritt. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, daß die Bemerkung des Herrn Präsidenten mich nicht in einen Gegensatz zu den verehrten Damen des Hauses setzen sollte oder setzen wird. Ich nehme nur die Pflichten meines Amtes wahr. Aber ich hoffe wirklich ernstlich, dabei in keine Konflikte mit den Damen zu kommen.
Sie würden dabei sicher den Kürzeren ziehen.
Aus der Sache heraus wäre ein solcher Konflikt nicht gerechtfertigt, denn ich unterstütze in der Tat für die Bundesregierung voll, was die Damen hier beantragt haben.
Die Bundesregierung hält mit dem Hohen Hause eine grundlegende Reform des Lebensmittelrechtes für dringend notwendig. Der jetzige Rechtszustand ist weitgehend unübersichtlich, teilweise auch unbestimmt und trägt der Entwicklung von
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Wirtschaft und Technik nicht mehr genügend Rechnung. So ist auf diesen Gebieten der Schutz des Verbrauchers sicherlich nicht mehr in dem nötigen Umfang gewährleistet.
Auf der andern Seite bitte ich zu bedenken, daß eine alsbaldige Regelung des gesamten Fragenkomplexes großen Schwierigkeiten begegnet. Wir halten es daher für zweckmäßiger, zunächst in einer Novelle die dringendsten und wichtigsten Fragen zu regeln. Dazu gehören insbesondere - ich habe das kürzlich in Heidelberg schon einmal ausgeführt - die Fragen der Fremdstoffzusätze, die Neuregelung der Ausnahmebestimmungen und die Vereinfachung der Strafbestimmungen, die mit der Schaffung von Ordnungswidrigkeitstatbeständen verbunden werden sollen, welche neben die bisher allein vorgesehenen Straftatbestände treten sollen.
Um den Entwurf der Novelle ordnungsmäßig abschließen zu können, scheint es mir allerdings richtiger, noch die Parlamentsferien für die letzten Beratungen der Ressorts und für die daran anschließenden Beratungen des Kabinetts auszunutzen. Ich werde darum bemüht sein, daß der erste Durchgang der Novelle beim Bundesrat so rechtzeitig erfolgt, daß der Bundestag alsbald nach dem Ende der Sommerferien mit der Angelegenheit befaßt werden kann. Soweit die gewünschten Vorschriften über den erhöhten Verbraucherschutz, wie sie in Ziffer 2 des Ausschußberichtes angesprochen werden, nicht in der Novelle selbst enthalten sind, sollen die notwendigen Verordnungen beschleunigt vorgelegt werden.
Ich kann allerdings nicht verschweigen, daß die Bundesregierung mit ihren dahingehenden Plänen beim Bundesrat bisher wenig Erfolg gehabt hat. Der Bundesrat hat die ihm zugegangenen Verordnungsentwürfe grundsätzlich abgelehnt, weil er in ihnen - wie ich glaube, zu Unrecht - eine allzustarke Neigung zu angeblich perfektionistischen Regelungen erblickt. In Wirklichkeit bedeuten die Verordnungen nichts anderes, als daß die mit der Durchführung des Gesetzes betrauten Verwaltungsstellen für den einzelnen Fall konkrete Beurteilungstatbestände an die Hand bekommen, wodurch das Verwaltungsverfahren wesentlich erleichtert wird.
Das Lebensmittelgesetz enthält nämlich im wesentlichen nur allgemein gehaltene Verbotsbegriffe über Gesundheitsschädlichkeit, Verdorbenheit, Nachmachung, Verfälschung und Irreführung. Es bedarf für zahlreiche Lebensmittel notwendig spezieller Ausführungsverordnungen, die den Verwaltungsbehörden der amtlichen Lebensmittelüberwachung eindeutig angeben, welche konkreten Anforderungen an die Lebensmittel zu stellen sind. Solche konkreten Rechtsvorschriften, die nötigenfalls bis in rezeptähnliche Einzelheiten gehen können, braucht auch die Wirtschaft, damit sie weiß, wie sie die Lebensmittel behandeln und kennzeichnen soll. Ich habe schon einmal in diesem Hohen Hause ausgeführt, daß es relativ billig ist, witzige Anmerkungen zu Dingen zu machen, die perfektionistisch aussehen, die aber in der Tat nur der Übersichtlichkeit und dem Schutz des Verbrauchers dienen, indem sie kontrollierbare Maßstäbe geben.
Ich bin dankbar dafür, daß der jetzige Antrag der Bundesregierung gerade gegenüber dem Bundesrat eine wertvolle Unterstützung ihrer Auffassung bei den bevorstehenden Beratungen geben wird.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Jochmus.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die große Resonanz, die der Antrag der Einheitsfront der weiblichen Abgeordneten dieses Hauses auf Reform des Lebensmittelrechts in der Öffentlichkeit gefunden hat, beweist, daß hier in der Tat ein dringendes und allgemeines Anliegen angesprochen worden ist. Die Lebensmittelchemiker, die Ernährungsindustrie, der Frauenring, sie alle haben auf ihren großen Tagungen dieses Jahres dieses Thema eingehend behandelt, und es verdient Beachtung, daß alle Kreise einmütig der Auffassung sind, daß eine Reform des Lebensmittelrechts kommen muß. Wir sind gerade deshalb sehr dankbar, daß wir - wie schon in Heidelberg - die zustimmende Erklärung des Herrn Ministers hören konnten; denn es ist, wie er auch selber ausgeführt hat, wirklich notwendig, daß wir zu einer Rechtssicherheit gelangen.
Wenn jetzt auch überall diese schöne Einmütigkeit über die Notwendigkeit der Vorlage besteht, so bin ich doch nicht ganz so optimistisch, anzunehmen, daß sie immer erhalten bleibt, wenn wir in die Einzelberatungen eintreten - der Herr Minister hat ja schon angedeutet, daß beim Bundesrat hinsichtlich der Verordnungen Schwierigkeiten liegen können -, womit ich nun nicht irgendeiner Seite Mangel an gutem Willen oder unlautere Motive unterstellen will.
Wir sollten gerade bei diesen Beratungen mit größtmöglichem gegenseitigem Vertrauen an die Arbeit gehen. Ich bedauere es daher, daß die Presse in ihren Verlautbarungen jetzt mitunter etwas über das Ziel hinausschießt und so die an und für sich sehr begrüßenswerte Bewegung, in die die Verbraucherschaft geraten ist, zu einer überhitzten Beunruhigung steigert, was unserem Vorhaben nicht günstig sein kann.
Ich hoffe trotz der schlechten Erfahrungen, die beim Bundesrat gerade in der letzten Zeit mit Vorlagen der Regierung gemacht worden sind, daß diese grundlegenden, wichtigen, so allgemein geforderten Dinge auf Einsicht und Verständnis auch beim Bundesrat stoßen , werden. Wir versprechen, über die Hilfestellung hinaus, die wir dem Minister mit unserem Antrag vielleicht schon geleistet haben, über unsere Freunde in den Landtagen unseren Einfluß geltend zu machen, damit auch von dieser Seite her auf den Bundesrat eingewirkt und er unserem Ansinnen freundlich gestimmt wird, indem ihm gezeigt wird, wie notwendig die Dinge wirklich sind.
Es besteht in allen Kreisen Einmütigkeit darüber, daß wir Rechtssicherheit brauchen. Die Auslegung der vorhandenen Rechtsbestimmungen wird immer schwieriger und subjektiv bedingt unterschiedlicher, weil die alten Gesetze die heutigen neuen Behandlungsmethoden für Lebensmittel und die neuen Zusatzstoffe zu Lebensmitteln nicht kennen konnten. Ich denke nur an die moderne Schädlingsbekämpfung, an die künstliche Vitaminanreicherung, an die Hormon- und Antibiotikaverfütterung, die sicher nicht ungehemmt und unkontrolliert zur Anwendung kommen dürfen. Und wenn sich auch die Industrie bei der Verwendung
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von Farben in der Lebensmittelherstellung auf die kleine Zahl von etwa 25 Stoffen, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als unschädlich anerkannt sind, beschränkt, so fehlt dennoch dafür die Rechtsgrundlage. Das beruht nur auf einer freiwilligen Vereinbarung. Hinsichtlich der Konservierungsmittel fehlt es überhaupt an jeder generellen gesetzlichen Regelung; es gibt nur Einzelvorschriften in Einzelgesetzen.
Auch ist es untragbar für den innerdeutschen Verkehr, wenn einzelne Länder z. B. für den Phosphatzusatz zur Wurst Ausnahmegenehmigungen erteilen können, andere Länder diesen Zusatz stillschweigend dulden und wieder andere ihn als Verfälschung strafrechtlich verfolgen. Diese Dinge müßten bundeseinheitlich geregelt werden. Auch darüber besteht Einmütigkeit in den vorhin erwähnten Kreisen. Ich hoffe, daß auch der Bundesrat das einsehen und sich dieser Erkenntnis nicht verschließen wird.
Der Verbraucher hat dank der wachsenden ernährungsphysiologischen Aufklärung über eine gesunde Ernährung und im Hinblick auf die zunehmenden Zivilisationskrankheiten heute den Wunsch nach einer möglichst naturreinen Nahrung. Er muß durch eine vernünftige und verständliche Deklarierung mehr Klarheit bekommen über das, was er in den Lebensmitteln vor sich hat. Er muß sicher sein, daß er nur die unumgänglich notwendigen, aber garantiert unschädlichen Zusätze darin findet.
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Die erfreulicherweise von Herrn Minister Schröder in Heidelberg angekündigte völlige Reinhaltung der Grundnahrungsmittel, zu denen auch das frische Obst rechnet, wird uns dann auch hoffentlich wieder mit Genuß Apfelsinen und Zitronen essen lassen. Aber, Herr Minister, sorgen Sie dafür, daß diese Diphenyl- Wirtschaft" wirklich bald ein Ende nimmt, ganz gleich, ob sich dieser Stoff schließlich als gesundheitsschädlich herausstellt oder nicht. Diese Mottenkugeln zu essen ist wirklich keine Freude. Selbst die Amerikaner haben festgestellt, daß der Fruchtgeschmack darunter leidet. Die Diphenylanwendung bringt eindeutig Vorteile nur dem Großhändler und dem Importeur, dem Verbraucher aber nur Nachteile; ein typisches Beispiel gerade für eine solche Auswirkung der Zusätze. Denn das schöne Aussehen täuscht über die physiologische Haltbarkeit hinaus eine gute Ware vor, auch wenn sie im Innern längst strohig und trocken ist. Wenn fast keine andere Ware mehr zu haben ist, so hilft dem Verbraucher auch die angeordnete, aber im übrigen kaum, jedenfalls höchst spärlich durchgeführte Kennzeichnung nichts. Im übrigen scheint für das Diphenyl bereits eine andere Verwendung gefunden zu sein, da man es, wie wir gestern im Atomausschuß gehört haben, zum Bremsen der schnellen Neutronen in den Atomreaktoren verwenden wird.
Mit der erwähnten Freiliste und den Positivlisten für eine stark begrenzte Zahl von anerkannt unschädlichen Farben und Konservierungsmitteln, die wir gerne sehen würden und die nur nach einer strengen Prüfung ergänzt werden dürften, wären schon wesentliche Wünsche der Verbraucher erfüllt. Dann könnte die Kennzeichnung verhältnismäßig einfach gehalten werden.
Daß das Rahmengesetz darüber hinaus die Grundlage für eine große Zahl von Verordnungen schaffen muß, ist schon erwähnt worden. Denn all die neuen Verfahren und Zusatzstoffe müssen erfaßt werden. Ganz ohne Chemie und Physik können wir eben leider bei unserer heutigen, von der Natur so weit entfernten Lebensweise nicht mehr auskommen.
Es wäre sicher vieles noch weiter anzusprechen. Aber wir Frauen haben versprochen, uns kurz zu fassen, und wir wollen dieses Versprechen halten.
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Wir warten nun seit über zwei Jahren auf die angekündigte Gesetzesvorlage der Bundesregierung. Seit nahezu sechs Jahren steht das ganze Problem zur Debatte. Auf dieser Grundlage ist unser kurz befristeter Antrag zu sehen. Wir mußten eigentlich annehmen, daß inzwischen schon vieles geschehen ist und die Vorbereitungen getroffen sind, so daß die Frist ausgereicht hätte. Wir haben nicht die Absicht, den Termin, den der Ausschuß vorgeschlagen hat, von uns aus zu ändern. Wenn die Regierung ihn nicht einhalten kann und erst nach September kommt,
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können wir es halt nicht ändern. Wir werden aber, Herr Minister, sicher immer weiter am Drücker bleiben. „Das Grüne Blatt" hat neulich einen Artikel mit der netten Überschrift versehen: „46 Frauen bringen Minister auf den Trab." Seien Sie sicher, daß wir mit unserer weiblichen Beharrlichkeit nicht locker lassen werden.
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- Ja, natürlich! Aber zunächst ist offenbar die Regierungsvorlage noch nicht einmal bis an die Länderminister gediehen.
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Jedenfalls bitten wir das Hohe Haus um die Unterstützung, die auch der Berichterstatter schon erwähnt hat, und zunächst um Annahme des Ausschußantrages auf Drucksache 2373.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist sicher sehr viel schöner, sich mit den angenehmen Seiten der Ernährung zu beschäftigen, als mit den etwas unangenehmeren der Lebensmittelkontrolle und den Gefahren, die uns bei der Ernährung unter Umständen entstehen, wenn darüber nicht entsprechend gewacht wird.
Es hat mich eigentlich doch etwas enttäuscht, daß der Herr Minister heute wiederum gesagt hat: „Bis zu dem in dem Antrag gestellten Termin sind wir mit unseren Vorlagen nicht fertig; wir werden aber nach den Ferien eine Novelle auf diesem Gebiet vorlegen." Herr Minister, wir hören das ja nicht zum erstenmal in diesem Hause. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie bereits im Jahre 1954 in der Beantwortung der Kleinen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion, wann denn die Regie({0})
rung gedenke, ein überarbeitetes Lebensmittelgesetz vorzulegen, schriftlich geantwortet haben: „Nach dem derzeitigen Stand der Arbeiten kann damit gerechnet werden, daß der Entwurf einer Novelle zum Lebensmittelgesetz den gesetzgebenden Körperschaften innerhalb Jahresfrist zugehen wird." Das hätte bedeutet, daß diese Novelle etwa im Frühjahr 1955 den Körperschaften zugegangen wäre. Wir sind jetzt bereits über das Frühjahr 1956 hinaus, und nun verlangt das Innenministerium von uns wieder, daß wir noch Geduld haben, weil die Novelle noch nicht fertig ist. Es ging auch aus anderen Verlautbarungen des Innenministeriums immer wieder hervor, daß es die Situation kennt und auch richtig einschätzt, und ich muß schon sagen: für die Saumseligkeit auf einem so wichtigen Gebiet wie dem der Volksernährung scheint es mir nun wirklich keine Entschuldigung mehr zu geben.
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Es mutet doch wirklich etwas befremdlich an, wenn man immer wieder versucht - auch das geschieht heute nicht zum erstenmal, wenn auch zum erstenmal direkt im Bundestag -, den Bundesrat zum Sündenbock dafür zu stempeln, daß diese Gesetze, Novellen und Verordnungen bis heute nicht da sind. Ich möchte meinen, daß es zum Teil -entschuldigen Sie das harte Wort, aber ich glaube, man muß es aussprechen - vom Bundesinnenministerium nicht sehr geschickt war, dem Bundesrat auf diesem Gebiet ausgerechnet Verordnungen vorzulegen, die nicht gerade die wichtigsten Angelegenheiten regeln und die auch für meine Begriffe ein bißchen sehr in Einzelheiten gegangen sind. Wenn ich Ihnen sage, daß eine dieser Verordnungen, bei denen der Bundesrat den Perfektionismus beanstandet hat, die Senfschalenverordnung war, dann werden Sie Verständnis dafür haben, daß man auf diese Weise den Bundesrat nicht davon überzeugt, daß das nun wirklich die wichtigsten auf dem Ernährungsgebiet zu regelnden Angelegenheiten sind.
Im übrigen möchte ich meinen, die Lebensmittelgesetzgebung hat nicht nur Lücken, sie hat auch Zöpfe. Wenn man damit begänne, die Zöpfe zu beseitigen, könnte man vielleicht auch beim Bundesrat etwas mehr Bereitschaft für die Notwendigkeit der Revision finden. Ich darf einige dieser Zöpfe nennen, die eigentlich sogar mehr als Zöpfe sind. Es gilt heute immer noch die Wurstbindemittel-Verordnung aus dem Jahre 1937. Wir können uns alle ausrechnen, was man im Jahre 1937 gegenüber Zusätzen zur Wurst für eine Einstellung hatte. Es gilt noch die Fleischbrühwürfel-Verordnung aus dem Jahre 1940, also aus der Zeit des Mangels. Es gilt die Süßstoff-Verordnung aus dem Jahre 1939, ebenfalls aus der Zeit des Mangels. Es gelten eine ganze Anzahl von Gesetzen und Verordnungen aus dem 19. Jahrhundert. Das ist ein Wust von Gesetzen. Wenn man da zunächst einmal an eine Flurbereinigung gegangen wäre, wären wir wahrscheinlich heute weiter und hätten nicht den Vorwurf des Perfektionismus einstecken müssen. Ich möchte auch meinen, daß es nicht genügt, nun etwa nur an die Revision des Rahmengesetzes zu gehen, sondern daß man sich vor allen Dingen einmal mit all den Fragen, die mit der Überwachung, der Untersuchung und der Kontrolle zusammenhängen, befassen sollte.
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Auch auf diesem Wege wäre es, glaube ich, möglich, die Revision des Lebensmittelrechts so vorzunehmen, daß dadurch nicht ein neuer Wust von Verordnungen entsteht, sondern eine Vereinfachung, eine bessere Überschaubarkeit und auch eine bessere Art der Durchführung herauskommen.
Mir erscheint z. B. die gegenwärtige Grundlage der Lebensmittelgesetzgebung, daß die Gesundheitsschädlichkeit eines Lebensmittels nachgewiesen werden muß, sehr bedenklich. Es wäre viel richtiger und auch für die Überwachung viel leichter, wenn die Gesundheitsunschädlichkeit eines veränderten Lebensmittels nachgewiesen werden müßte, bevor es in den Verkehr gebracht werden kann. Daß diese gesetzliche Bestimmung bis jetzt kein maßgebender Grund ist, solche unangenehmen und gefährlichen Veränderungen von Lebensmitteln, wie meine Kollegin Dr. Jochmus vorhin sagte, z. B. die Veränderung der Zitrusfrüchte, zu verhindern, geht daraus hervor, daß das Bundesinnenministerium lediglich Weisung gegeben hat, daß solche Zitrusfrüchte gekennzeichnet werden müssen, daß es aber ihre Behandlung selbst nicht verbieten konnte, weil, wie es heißt, nicht mit der für eine Gerichtsentscheidung notwendigen Bestimmtheit der Beweis erbracht werden konnte, daß diese chemischen Mittel gesundheitsschädlich sind. Also daß da etwas nicht stimmt und dringend geändert werden muß, das liegt klar auf der Hand.
Ich möchte Sie außerdem noch darauf aufmerksam machen, wie schwierig für die gesamte Überwachung und Kontrolle, für eine wirklich funktionierende und erfolgreiche Untersuchung und Kontrolle es ist, wenn es drei oder vier oder gar fünf Stellen gibt, die sich damit befassen müssen, und wenn keine einheitlichen Richtlinien und Grundlagen dafür vorliegen. Wie groß die Gefahr immer noch ist, geht daraus hervor, daß z. B. allein in dem Jahresbericht eines einzigen Untersuchungsamtes gemeldet wird, daß im Jahre 1953/54 von den entnommenen Proben immer noch 14,5 % beanstandet werden mußten.
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Meine Damen und Herren, wenn wir uns dann einmal ansehen, welche Strafen für Fälschungen von Lebensmitteln ausgesprochen werden, die nachweisbar entweder gesundheitsschädlich sind oder bereits gesundheitsschädigende Wirkungen hervorgerufen haben, brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn man einen Wust von Verordnungen braucht, um das zu verhindern. Wenn nämlich die Strafen auf dem Gebiet der Lebensmittelschädigung entsprechend dem Delikt ausfielen, würde es manch einem vergehen, überhaupt noch in Versuchung zu kommen, solche Schädigungen vorzunehmen.
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So hat z. B. ein Metzger in Frankfurt dafür, daß er Fleisch durch einen hohen Nitrit-Zusatz aufgefrischt hat, eine Strafe von 800 DM bekommen.
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Durch diese Auffrischung des Fleisches hat die Hausfrau nicht übersehen können, daß dieses Fleisch gesundheitsschädlich ist. Es sind allein in drei Familien Vergiftungen vorgekommen, die zu längerem Krankenhausaufenthalt geführt haben.
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Ein Metzger in Nürnberg hat dafür, daß er dem Hackfleisch viel zuviel Sulfit zugesetzt hat, um es möglichst schön zu machen, eine Strafe von 400 DM bekommen. Das steht in keinem Verhältnis zu den angerichteten Schäden.
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Ein Händler, der Speiseeis verkauft hat, das gesundheitsschädlich war, hat sage und schreibe eine Strafe von 15 DM bekommen.
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Ich will gar nicht untersuchen, ob diese Leute zu milde Richter gefunden haben. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß es einfach daran mangelt, daß die Richter in der Bundesrepublik einen Maßstab auf diesem Gebiet haben. Ich darf vielleicht noch ein anderes Beispiel nennen. In Hannover ist ein Konditormeister freigesprochen worden, der in seinen Butterkremtörtchen nicht Butter, sondern Margarine hatte, und zwar mit der Begründung, die Hausfrau erwarte in Butterkremtörtchen keine Butter.
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Eine solche Rechtsprechung beruht darauf, daß man nach allgemeinem Maßstab bei der Beurteilung dieser Dinge von der Verbrauchererwartung ausgeht. Nun, Sie wissen alle, daß man darüber verschiedener Meinung sein kann. Und wozu führt es, wenn sich dann z. B. zwei Parteien Gutachten von zwei verschiedenen Seiten ausarbeiten lassen, die völlig entgegengesetzt sind? Wie soll da ein Richter überhaupt noch zu einem Urteil kommen? Er geht dann vielleicht von seiner eigenen Erwartung aus. Wenn schon das Bundesinnenministerium zunächst nur eine Novelle vorlegen will, muß man zumindest in dieser Novelle unter allen Umständen einheitliche Richtlinien für die Rechtsprechung auf dem Gebiet der Ernährung im ganzen Bundesgebiet schaffen.
Noch eine kurze Bemerkung zu einer Angelegenheit, die der Herr Minister heute nicht angesprochen hat, die aber im Bulletin vom 18. April, in dem die Ausführungen des Herrn Ministers auf der Tagung in Heidelberg wiedergegeben sind, angeklungen ist. Es war davon die Rede, daß man im Innenministerium glaubt, der Antrag der Frauen des Deutschen Bundestages bezüglich der Kennzeichnung von Lebensmitteln gehe doch etwas zu weit; man glaube nicht, dieser Forderung voll gerecht werden zu können. Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß es heute der Hausfrau einfach nicht möglich ist, zu wissen, was sie kauft, wenn außen auf der Verpackung oder der Konservenbüchse nicht steht, was da nun tatsächlich alles drin ist. Es gibt heute so viel Phantasienamen für Lebensmittel.
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Was stellen Sie sich z. B. unter Essigverschnitt vor? Nun, es bleibt der Hausfrau überlassen, was sie sich darunter vorstellt. Das gilt für viele andere ähnliche Dinge mehr. Wenn man auf der anderen Seite erfährt, daß so wichtige Dinge wie das Füllgewicht in zwei Bundesländern verschieden geregelt sind - in dem einen Bundesland gilt die tatsächlich eingefüllte Masse als Füllgewicht, während in dem anderen Land auch die Flüssigkeit dazugerechnet wird -, dann muß ich
auch sagen: die Hausfrau ist einfach überfordert, wenn wir nicht - wie es z. B. in Amerika selbstverständlich ist - zu einer genauen Kennzeichnung dessen kommen, was in der Verpackung an Lebensmitteln enthalten ist. Ich denke an die schlechten Erfahrungen, die man z. B. mit der Butter gemacht hat. Die Butter ist viel älter, als man gemeinhin meint, wenn man nur die Verpackung siehe. Die schlechten Erfahrungen auf dem Gebiet des Schweineschmalzes haben dazu geführt, daß es die Frauen für unbedingt notwendig halten, daß sie auch aus der Verpackung ersehen können, wie alt ein solches leicht verderbliches Lebensmittel ist.
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Man sage uns nicht: Das kann man nicht machen. Die Lebensmittelindustrie bzw. der Importhandel haben z. B. auf dem Gebiet von Schweineschmalz jetzt aus eigener Initiative ein Beispiel dafür geliefert, wie leicht das möglich ist. Man wird in Zukunft das gute Schweineschmalz aus Amerika mit einem Gütezeichen versehen, auf dem nicht nur steht, daß das US-Schmalz ist, sondern auf dem auch steht, wie alt dieses Schmalz ist. Es ist eine Vereinbarung zustande gekommen, nach der es nicht älter als acht Wochen sein darf, wenn es in den Letztverbrauch kommt. Das ist ein Beispiel dafür, wie man solche Dinge auch einfach regeln kann und daß man dazu keine langen Verordnungen braucht, wenn man sich nur einigt.
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- Verehrter Herr Kollege Dresbach, ich bin nicht der Meinung, daß man alle diese Dinge übertreiben muß; aber man muß sie einmal ansprechen. Ich gehöre nicht zu denen, die der Auffassung sind, daß der Mensch in einer Zeit, in der so viel Gefahren aus der Veränderung der Lebensmittel auf ihn zukommen, auch gewisse Abwehrstoffe dagegen schaffen wird.
({14})
Ich habe mich darüber gefreut, daß die Presse die Aktion der Frauen des Bundestages so sehr unterstützt hat. Wenn sie einmal ein bißchen dick aufträgt, so möchte ich meinen, das ist leider notwendig geworden, weil das Innenministerium so lange Zeit gebraucht hat, um die Dinge zu regeln.
({15})
Ich darf Sie nur darauf aufmerksam machen, welchen unmöglichen Zustand wir zur Zeit auf dem Gebiet der Importware haben.
({16})
Die Bundesrepublik ist doch geradezu zum Schuttabladeplatz für Lebensmittel, die andere Länder nicht annehmen, geworden. Man transportiert diese Lebensmittel nach der Bundesrepublik, und bei uns werden sie aus Mangel an genügenden Bestimmungen, die solche Lebensmittel aufhalten könnten, auf den Verbraucher losgelassen.
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Ich möchte heute hier die Debatte um die Salmonellabakterien nicht wiederholen. Aber bitte, sehen Sie sich das Protokoll der Fragestunde an. Da hat z. B. Herr Staatssekretär Ritter von Lex, wenn ich nicht irre, meiner Kollegin Frau Keilhack geant({18})
wortet, daß bereits im Januar 1955 das Innenministerium die Länder auf die Gefahren aufmerksam gemacht hat, die durch die Einschleppung von Salmonellabakterien für die Gesundheit unserer Menschen entstehen. Das Innenministerium hat aber in der Fragestunde geantwortet, es sehe im gegenwärtigen Lebensmittelgesetz, wenn ich nicht irre, im § 5, eine Bestimmung, die für den Erlaß einer Verordnung mindestens auf dem Gebiet der eingeführten Lebensmittel, z. B. also der Eiprodukte, und für eine Kontrolle und die Anordnung einer Pasteurisierung dieser gefährlichen Lebensmittel genüge. Bis jetzt fehlt diese Verordnung immer noch. Das Innenministerium weiß davon mindestens seit 31. Januar 1955. Ja, Herr Minister, wie lange, glauben Sie, soll denn das Parlament noch Geduld haben, und wann gedenken Sie solche Verordnungen vorzulegen?
({19})
Ich möchte vor allen Dingen auch deswegen auf diese Dinge aufmerksam machen, weil ich ein bißchen das Gefühl habe: zuletzt schiebt man den Schwarzen Peter dem Deutschen Bundestag zu. Der Deutsche Bundestag hat nur noch ein Jahr, bis diese Sitzungsperiode zu Ende geht. Wir müßten uns vor dem ganzen deutschen Volk schämen, wenn wir nicht wenigstens in diesem 2. Deutschen Bundestag zu einer ordentlichen Lebensmittelgesetzgebung kämen.
({20})
Sorgen wir also dafür, daß endlich dieser Kompetenzstreit und dieses Hin und Her beendet werden und daß auch auf dem wichtigen Gebiet der Ernährung, für das wir 25 % des Volkseinkommens ausgeben, endlich wieder Wahrheit, Klarheit und Rechtssicherheit herrschen.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern, - fast hätte ich gesagt: der Herr Verteidiger.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir war gesagt worden, daß dies eine sehr einvernehmliche Debatte werden würde. Nachdem ich die Frau Kollegin Strobel gehört habe, habe ich gewisse Zweifel, ob das eine so ganz einvernehmliche Debatte ist. Frau Kollegin, als ich Ihre temperamentvollen Angriffe hörte, habe ich eigentlich sehr den Wunsch gehabt, Sie, wenn Sie nicht schon eine andere Tätigkeit hier hätten, in Abteilung IV des Innenministeriums zu haben, um dort Ihre Aktivität in der richtigen Weise und an der richtigen Stelle einsetzen zu können.
({0})
- Herr Kollege Arnholz, wenn Sie darin eine Anerkennung der Aktivität und des Temperaments der Außenseiter sehen wollen, dann stimme ich Ihnen völlig zu.
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Aber aus vielem, was die Frau Kollegin hier ausgeführt hat, geht doch hervor, ein wie komplexes Problem das in der Tat ist. Ich brauche dem Hohen Hause - ich habe das schon draußen gesagt, ich
wiederhole das hier - nicht weiter zu versichern, daß dies eine Frage ist, der ich mich mit aller Intensität angenommen habe und annehmen werde. Die Dinge sind aber nicht ganz so leicht von der Stelle zu bringen, wie es aussehen könnte. Ein Teil der Vorwürfe, Frau Kollegin, die Sie erhoben haben, ging an die Gerichte, auf die wir, wie Sie wissen, nicht den geringsten Einfluß haben, weil es sich um die Frage der Strafzumessung handelt. Ein Teil der Vorwürfe bezieht sich auf die Handhabung gewisser Bestimmungen in den Ländern. Wir selbst haben keine Gesundheitsverwaltung, sind also auf sehr begrenzte Einwirkungsmöglichkeiten angewiesen.
Aber, Frau Kollegin, wenn Sie gerade die berühmte Speiseeisverordnung angeführt und da mehr oder weniger die Partei des Bundesrates genommen haben, dann muß ich Ihnen sagen: das erschwert die Dinge. Denn Sie werden mir darin zustimmen, daß gerade Speiseeis von einer unerhört großen Anzahl von Herstellern unter Bedingungen in den Vertrieb gebracht wird, die sowieso, weil sie so allgemein verbreitet sind, besondere Schwierigkeiten mit sich bringen. Daß diese Frage für die Volksgesundheit von großem Interesse ist, ist sicher. Deswegen sollte man bei dieser Sache, mit der wir einen so kläglichen Schiffbruch im Bundesrat erlitten haben, nun also nicht den Bundesrat entschuldigen, sondern wirklich sehen, vor welchen Schwierigkeiten wir stehen. Ich möchte der Frau Kollegin Jochmus völlig darin recht geben: Die Angriffe, die hier gegen mich gerichtet worden sind, sind sicherlich nur teilweise richtig plaziert. Hier muß - wenn Sie mir den Ausdruck erlauben
- intensives Feuer auf die Länder und die Landesregierungen und damit auf den Bundesrat gehalten werden.
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Was im übrigen - ich komme auf das Speiseeis zurück, ohne daß das gerade ein wunder Punkt von mir wäre - den Teil der Verordnung angeht, der im Bundesrat als perfektionistisch mehr oder weniger verulkt worden ist, so ist dazu zu sagen, daß das gerade der alte Teil gewesen ist und ein Teil, der vorher in voller Zusammenarbeit mit den Ländern zustande gekommen war.
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Es ist für uns sehr entmutigend, wenn wir uns vorher mit den Gesundheitsverwaltungen der Länder verständigt haben und dann in einer Plenarsitzung des Bundesrates infolge temperamentvoller Eingebungsangriffe - im übrigen geht einer davon auf einen meiner eigenen politischen Freunde zurück
- mit einer Verordnung Schiffbruch erleiden, die in unseren Augen eine sehr notwendige Verordnung war.
Ich führe das mehr als pars pro toto an, um zu zeigen, daß diese Dinge sich nicht einfach nach kurzer Arbeit befriedigend und vollständig auf den Tisch des Hauses legen lassen. Frau Kollegin Strobel, das sehen Sie am besten daraus: Sie und Ihre politischen Freunde sind in Initiativgesetzen doch sehr fruchtbar gewesen; aber auf diesem Gebiet wagt sich niemand an ein Initiativgesetz heran. Das ist für mich immer ein Indiz dafür, wie schwierig eine Sache ist und wie sehr sie doch der Bearbeitung an sehr zahlreichen Stellen bedarf.
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- Ja, gnädige Frau, in dieser Sache finden aber sehr viele Ingerenzen in allen Bereichen des öffent({5})
lichen und des wirtschaftlichen Lebens statt, so daß die Lösung tatsächlich nicht ganz einfach ist.
Nun haben Sie ausgerechnet die Wurstverordnung aus dem Jahre 1937 in Frage gezogen. Was mag man wohl 1937 mit der Wurst vorgehabt haben? Gnädige Frau, ich muß Ihnen sagen, gerade diese Wurstverordnung ist eine der „modernsten" Verordnungen, die wir haben; denn ein großer Teil der anderen Vorschriften stammt tatsächlich aus den Jahren 1880 und folgende. Ich bestreite ja keinen Augenblick, daß hier Reformen nötig sind, die, wie ich hoffe, tatsächlich noch von diesem Bundestag weitgehend gefördert werden können.
Wenn Sie nun meine Heidelberger Rede angreifen und sagen, daß ich mich dagegen ausgesprochen hätte, allzu umfangreiche Beschreibungen auf der Außenseite vorzunehmen, - ({6})
- Ja, sicher, ich habe es da nicht ganz so gesagt, wie ich es jetzt gerade wiederhole. Aber der Sinn der Sache war, daß man die Beschreibungen auch nicht so ausgedehnt halten soll, daß sie schließlich mehr oder weniger wertlos werden. Wir müssen doch vielmehr zu einer Kennzeichnung kommen, die es der durchschnittlichen Hausfrau erlaubt, ein Bild davon zu gewinnen, was ihr vorgesetzt wird.
Ich freue mich sehr, daß mein Kollege, der Bundesminister der Justiz, der Debatte hat folgen können; denn Sie wissen, daß diese Gesetz- und Verordnungsentwürfe nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung von dem Justizministerium auf Rechtsförmlichkeit hin geprüft werden müssen. Auf diesem Sektor sind also alle Appelle und Nachhilfen sicherlich wünschenswert und notwendig.
Ich möchte damit schließen, daß ich sage: Bitte, seien Sie von unserem guten Willen dabei überzeugt. Wenn wir, nachdem die Novelle, wie ich hoffe, in ganz kurzer Zeit den Bundestagsausschuß erreichen wird, weiter soviel aktive Unterstützung von Ihnen haben, wie Sie jetzt auf den aktiven Angriff verwendet haben, dann werden wir tatsächlich diesen Bundestag auch mit einem verbesserten Lebensmittelrecht abschließen können.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte es mir nicht übelzunehmen, wenn ich in dem Kranz der Damen hier als Mann auftrete. Ich möchte nur ganz wenige Gesichtspunkte beisteuern. Mehr zu sagen ist auch insofern nicht nötig, als nach der sehr positiven Erklärung des Herrn Innenministers sachlich nicht mehr allzuviel zu sagen bleibt.
Die Liste von Unzulänglichkeiten, die von der Kollegin Strobel sehr temperamentvoll vorgetragen worden ist, ließe sich noch ad infinitum erweitern. Jeder, der in der Ernährungsindustrie zu tun hat - und ich habe es beruflich seit nunmehr einem Vierteljahrhundert -, weiß, daß Mißstände vorkommen.
Ich möchte mit allem Nachdruck auf eines hinweisen: so schlecht, wie in der Öffentlichkeit das
Lebensmittelgesetz dargestellt wird, ist es nun wiederum auch nicht.
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- Darf ich das mal zu Ende sagen! - In den §§ 3 und 4 sind doch sehr bestimmte Verbote ausgesprochen worden, und mit dem § 5 dieses Rahmengesetzes ist ein Instrument geschaffen worden, mit dem man einzelne Tatbestände auf dem Verordnungswege regulieren kann. Früher hat das ausgezeichnet funktioniert. Das Reichsinnenministerium bzw. das ihm unterstellte Reichsgesundheitsamt hat in enger Zusammenarbeit mit Verbraucherschaft und Herstellerkreisen Verordnungsentwürfe erstellt, in denen alle Einzelheiten geregelt worden sind. Wir sollten an diese Tradition anschließen. Eine andere Frage ist die - und das ist nicht Schuld des Innenministeriums und auch nicht Schuld des Gesetzes -, daß in dem Kompetenzstreit, der in unserem Staatsaufbau liegt, dieser Weg nun verbaut worden ist.
Ich unterstreiche das, was der Herr Innenminister hinsichtlich der Speiseeisverordnung gesagt hat. Vielleicht wäre es - um bei diesem Einzelfall zu bleiben - möglich gewesen, mehr Wert auf die hygienischen Bestimmungen zu legen, die ja den Verbraucher besonders interessieren, und weniger auf die Definition der einzelnen Sorten. Ich habe damals die Bundesratssitzung genau verfolgt und hatte den Eindruck, daß man sich gerade daran gestoßen hat. Für den Nichtsachkenner - das soll keine Kritik sein, aber es ist ja so, daß in einer Bundesratssitzung auch Nichtsachkenner sind - sind diese vielen Bezeichnungen und ihre Notwendigkeit, wie ich durchaus zugebe, nicht verständlich.
Ich möchte also mit Nachdruck sagen, das Lebensmittelgesetz hat bislang funktioniert. Selbstverständlich - das hat der Herr Bundesinnenminister schon gesagt - sind Mängel darin, und diese Mängel hätten wir schon längst abstellen können, wenn der § 5, d. h. das Verordnungsrecht hätte angewandt werden können. Auch das, was der Herr Innenminister - in Form einer Novelle über die Zusatzstoffe - angekündigt hat, hätte sich im Grunde genommen nach meiner Auffassung und nach Auffassung von vielen Sachkennern, die lebensmittelrechtlich wie auch technologisch informiert sind, auf dem Wege des § 5 längst erledigen lassen. Aber dieses Instrument ist uns durch den Bundesrat zerschlagen worden; das muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden. Wir haben keinen Grund, hier etwa Entschuldigungen vorzubringen. Wir müssen nüchtern sehen, warum etwas nicht mehr funktioniert.
Ich möchte ein zweites sagen. Es ist sicherlich gut, daß wir in diesem Hause zum erstenmal eigentlich etwas länger über diesen wichtigen Fragenkomplex sprechen. Ich begrüße das deswegen - und ich bin den Kolleginnen sehr dankbar, daß sie durch diesen Antrag Bewegung in den trägen Fluß gebracht haben -, weil wir dadurch von dieser Stelle aus der Öffentlichkeit einmal erklären können: so schlimm ist es nun auch wiederum nicht, wie gewisse Zeitungen und namentlich illustrierte Zeitschriften es darstellen. Es ist unverantwortlich, was dort mit der Unkenntnis des Durchschnittsverbrauchers getrieben wird, indem ihm Gefahren suggeriert werden, die in dem Umfang nicht da sind. So wird behauptet. wir verarbeiteten in der Ernährungsindustrie 800 Zusatz({1})
stoffe. Das stimmt nicht; noch nicht einmal ein Zehntel wird gebraucht. Dann wird behauptet, daß die Färbung von Lebensmitteln unter allen Umständen gesundheitsschädlich 'sei. Auch das stimmt nicht. Selbstverständlich, wir haben diesen Fragenkomplex infolge der Nachkriegsereignisse nicht gesetzlich regeln können. Aber es muß einmal mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß durch die sehr verdienstvolle Arbeit des Forschungsrats, die letzten Endes auf eine Initiative des Innenministeriums zurückgeht, diese Fragen in der Praxis zur Zufriedenheit geregelt sind.
Ich freue mich einerseits darüber, daß der wichtige Fragenkomplex der Färbung von Lebensmitteln durch die Angriffe, die vor etwa sieben Jahren gestartet worden sind, hier zur Sprache gebracht worden ist. Aber denken Sie daran, daß der eigentliche konkrete Vorwurf gegen das sogenannte Buttergelb völlig gegenstandslos war. Das Buttergelb, die Färbung von Margarine und anderen Fetten mit einem bestimmten Farbstoff, der in der Handelssprache mit „Buttergelb" bezeichnet wird - der chemische Name tut nichts zur Sache -, war seit 1938 untersagt. Nur war das der Öffentlichkeit nicht bekannt. Das lag in dem damaligen Staatssystem. Es wurde einfach verfügt, daß dieser Farbstoff in Deutschland gar nicht mehr hergestellt werden darf.
Die Mißstände sind nicht so, wie sie in der Öffentlichkeit durch eine übertriebene, sensationelle Berichterstattung hingestellt werden. Ich könnte Ihnen Zitate von ernsthaften Forschern, von Pharmakologen, bringen, die sich mit Leidenschaft dagegen wenden, weil dadurch ihre eigene Wissenschaft in Gefahr gebracht wird. Wenn z. B. in einem Prospekt kürzlich gesagt wurde, der Gesetzgeber lasse es zu, daß alle Betroffenen - Konsumenten, Lebensmitteluntersuchungsanstalten, Gesundheitsämter, pharmakologische Sachverständige, Ärzte - in Unkenntnis über den wahren Zustand der Lebensmittel gehalten würden, so kann man zu einer solchen Behauptung nur sagen: es ist märchenhaft, was sich da an Unkenntnis tut. Man sucht den Eindruck zu erwecken, daß hier eine gemeinsame Verschwörung von Gesetzgeber und Exekutive - ob Bund oder Länder, sei dahingestellt - und Wissenschaft besteht, urn den armen Menschen vorzeitig zu Tode zu bringen. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Der Gesundheitszustand unserer Menschen ist wesentlich besser, als er vor 50 Jahren war, und einen kleinen Teil hat sicherlich der Umstand dazu beigetragen, daß die moderne Ernährungswissenschaft und auch die moderne Ernährungsindustrie den Menschen Erzeugnisse an die Hand geben, die einwandfrei sind.
Frau Kollegin Strobel hat gesagt, daß die Überwachung nicht mehr einheitlich funktioniert, weil das eine Angelegenheit der Länder geworden ist. Ich möchte meinen Kollegen von der amtlichen Lebensmittelüberwachung danken, .daß sie sich seinerzeit freiwillig zusammengeschlossen haben, um in gegenseitigen Beratungen zu möglichst einheitlichen Richtlinien zu kommen. Ich komme auf diesen Punkt noch einmal zurück. Dort ist in der Tat eine Lücke, die wir schließen sollten; ich meine, es wäre möglich.
Nun möchte ich zu der Tendenz dieses Antrags etwas sagen. Sicherlich ist es richtig, was der Herr Innenminister gesagt hat: daß der Termin vom 30. Juni nicht einzuhalten ist. Wer auch nur in ( etwa die Materie kennt, weiß, daß das nicht möglich ist. Das liegt aber nicht nur an der Komplexität dieser Materie, von der der Herr Innenminister mit Recht gesprochen hat, sondern meiner Meinung nach auch daran, daß er gar nicht eine entsprechend besetzte Abteilung hat, um den großen Bereich des Lebensmittelrechts mit der nötigen Energie bearbeiten zu können. Wenn ich recht unterrichtet bin, Herr Innenminister, haben Sie nur dreieinhalb Stellen für die ausschließliche Beschäftigung mit diesem Fragenbereich. Ich darf mir hier die Bemerkung gestatten, daß ich es deshalb sehr bedaure, daß am 9. Mai mein Antrag auf Errichtung einer lebensmittelchemischen Abteilung beim Bundesgesundheitsamt so kläglich untergegangen ist. Ich will aber keine Leichenrede halten; das liegt mir nicht. Ich bin nur der Meinung, daß der Herr Innenminister haushaltsmäßig in der Lage sein muß, Referate für diese einzelnen Fragen zu bestellen. Wir müssen dem Innenminister - den Appell richte ich jetzt an die Damen und Herren des Haushaltsausschusses - die Mittel zur Verfügung stellen, und ich hoffe; daß er recht bald Gelegenheit nehmen wird, diese Mittel in dem notwendigen Umfang zu beantragen. Lassen wir den Termin stehen! Er kann nicht eingehalten werden, aber er kann als Druckmittel wirken. Da bin ich mit Frau Kollegin Strobel und Frau Kollegin Jochmus einer Meinung.
Nun zu der anderen Frage, die der Herr Bundesinnenminister auch schon angeschnitten hat, der Frage der Deklarierung. Es gibt zwei verschiedene Tendenzen. Die eine ist die der USA, daß man möglichst eine Angabe über alle Inhaltsstoffe auf den Lebensmitteln macht. Das geht so weit gut, als es sich um verpackte Lebensmittel handelt. Der große Kreis der nichtverpackten Lebensmittel scheidet also, praktisch schon einmal aus. Das wäre nicht so schlimm. Aber die Frage ist doch, ob eine vollständige Inhaltsangabe genügt, um das Ziel der Deklarierung - jeder Deklarierung -, den Verbraucherschutz, zu erreichen. Da sage ich aus eigener langjähriger Erfahrung nein; denn der Durchschnittsverbraucher kann im allgemeinen mit einer detaillierten Inhaltsangabe gar nichts anfangen. Es ist ihm nicht zuzumuten, daß er die notwendige Sachkenntnis hat, um diese Frage entscheiden zu können. Dagegen erwartet der Verbraucher, daß der Staat von sich aus durch die geeigneten Vorschriften von vornherein ausschließt, daß mit unseren Lebensmitteln Manipulationen vorgenommen werden, die in der Lage sein könnten, in irgendeiner Weise die Gesundheit zu gefährden; und genau darauf möchte ich- hinaus.
Nun ist die Frage, wie wir das erreichen. Ich sagte eben schon, es wird sehr schwer sein, den § 5 des Lebensmittelgesetzes in dieser Weise anzuwenden, weil die Länder nun einmal grundsätzliche Bedenken dagegen haben. Wir sollten den anderen Weg beschreiten, den uns die Österreicher mit ihrem österreichischen Lebensmittelbuch gewiesen haben. Dort sind genaue Bestimmungen erlassen worden, wie Lebensmittel zusammengesetzt und bearbeitet werden dürfen. Diese Bestimmungen haben nicht die Kraft einer Rechtsnorm. Kein Gericht ist gehalten, das unter allen Umständen als Rechtsnorm anzusehen. Aber in der Praxis der österreichischen Gerichte ist es so, daß jedes Gericht sehr eingehend begründet, warum es sich im Einzelfalle nicht an diese Bestimmungen
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des österreichischen Lebensmittelbuches hält. Wenn wir diesen Weg aufgreifen, dann haben wir meiner Meinung nach ein elastisches Instrument, das sich den ständigen Änderungen des Lebensmittelrechts einerseits, der Ernährungswissenschaft andererseits und auch den technischen Anforderungen anpassen kann. Dazu bedarf es natürlich einer ständigen Kommission, die das beobachtet und dementsprechend weiter gestaltet.
Dieser Weg hätte einen zweiten Vorteil, den Frau Strobel angesprochen hat. Frau Kollegin Strobel hat vollauf recht, es ist in der Tat ein Mißstand, daß andere rechtliche Maßstäbe an Lebensmittel angelegt werden, die in Deutschland erzeugt werden, als an solche, die importiert werden. Das hängt mit unserer Handelspolitik zusammen. Ich will dieses große Fragengebiet und die Probleme nicht aufgreifen. Wir haben ganz erhebliche Mißstände, und gerade die Vertreter der Lebensmittelüberwachung sowohl als auch die Ernährungsfachleute beklagen das oft zutiefst. Wenn wir aber auf dem Weg eines Lebensmittelbuches zumindest erst einmal zu einem europäischen Lebensmittelbuch kämen, würden viele solcher Mißstände von vornherein ausgeschaltet. Ich meine daher, daß dieser Weg der konstruktivere ist, und ich wäre dem Herrn Innenminister sehr dankbar, wenn er sich diese Gedankengänge einmal reiflich überlegte und Erwägungen anstellte, auf welchem Weg wir zu einer Neugestaltung des Lebensmittelrechts kommen können. Ich würde es besonders begrüßen, wenn wir, wie hier schon zum Ausdruck gebracht worden ist, in diesem Bundestag noch darüber debattieren könnten und zu einer Erledigung dieses brennenden Problems kämen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erfreut über das Interesse, das unser Antrag vor allem auch in den Kreisen der Herren gefunden hat. Schließlich ist dieser Antrag, der von den Frauen gestellt wurde, im wesentlichen auch im Interesse der Herren gestellt worden, die ja das essen müssen, was die Hausfrauen ihnen vorsetzen, und die in weitgehendem Maße die Leidtragenden sind, -
Die gehen ins Bundeshausrestaurant.
- wenn das Lebensmittelgesetz nicht so erlassen und durchgeführt wird, wie wir es uns erwünschen. Der Herr Präsident meint, daß wir Hausfrauen vielleicht doch irgendwie durch Restaurants ersetzt werden könnten, z. B. durch das Bundeshausrestaurant. Ja, Herr Präsident, aber auch da habe ich den Verdacht, daß man Lebensmittel vorgesetzt bekommt, die mehr oder weniger schlecht kontrolliert sind,
({0})
weil die allgemeine Kontrolle und Überwachung der Lebensmittel sehr zu wünschen übrigläßt,
({1})
womit ich einem einzelnen Restaurant keinen Vorwurf machen will. Denn dieses muß ja auch schon oft schlecht kontrollierte Lebensmittel kaufen. Im übrigen habe ich immer festgestellt, Herr Präsident, daß die Herren, die oft im Restaurant essen
müssen, sehr gerne zu den Fleischtöpfen ihrer Hausfrauen zurückkehren.
({2})
Der Krebsschaden dieser Lebensmittelgesetzgebung ist wohl auch, daß sie nicht nur höchst überaltert ist, wie der Herr Bundesinnenminister zugegeben hat, sondern daß die Überwachung auch sehr spärlich ist. Das Überwachungsnetz ist so weitmaschig, daß es gar nicht möglich ist, ausreichend zu kontrollieren. Wenn man sich einmal überlegt, daß mit das Wichtigste, nämlich die Überwachung des Lebensmittelmarktes, pro Jahr und Kopf der Bevölkerung nur 7 Pf kostet, während alle möglichen anderen Dinge, die vielleicht nicht so notwendig sind, einen weit höheren Kostenaufwand erfordern, so meine ich, daß hier einmal ernsthaft etwas getan werden muß. Da kann man nicht sagen, Herr Bundesinnenminister, das sei Sache der Länder, das gehe den Bund nur sekundär an.
(Bundesinnenminister Dr. Schröder: Die
Länder müssen aber bereitwillig
mitmachen!
- Die Länder müssen bereitwillig mitmachen, ja. Aber hier ist doch ein Ort, an dem wir im Interesse des Volkes einmal das sagen können, was wir wünschen, wobei auch die Länderminister zuhören müßten;
({3})
denn auch der Bundesrat hat in etwa auf den Bundestag und seine Abgeordneten als Vertreter des Volkes zu hören.
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Insoweit ist es nämlich durchaus richtig, wenn heute Frau Strobel - was ich sonst getan hätte - einzelne Fälle hervorgehoben und den Finger auf die Wunde gelegt hat. Es geht nicht an, daß man die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern immer nur auf dem Rücken des Verbrauchers austrägt.
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Wenn die Länder zunächst noch nicht ganz einverstanden sind, dann, bitte, Herr Bundesinnenminister, erlassen Sie trotzdem ein Rahmengesetz und machen Sie einen Entwurf im richtigen, hier vor dem Hohen Haus dargelegten Sinne! Ich bin überzeugt: wenn der Bundestag ein Rahmengesetz annimmt und dementsprechend seine Forderungen erhebt, werden sich die Länder wohl überlegen, ob sie gegen einen Beschluß des Bundestages ihre Durchführungsgesetze erlassen.
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Denn schließlich liegt doch das, was wir insbesondere als Hausfrauen dazu zu sagen haben, im Interesse auch der Hausfrauen in den einzelnen Ländern, und es liegt eben, wie gesagt, auch im Interesse der Männer. Denken Sie, meine Herren, doch bloß einmal daran, was Sie sicher noch mehr interessiert als uns Frauen, daß einzelne Weinpanschereien aufgedeckt worden sind und Sie für teures Geld einen schlechten Wein gekauft haben!
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Das ist doch etwas, was Sie wirklich sehr angeht und wo Sie auch ein Interesse daran haben, daß diese Dinge geregelt, besser kontrolliert und Vergehen streng bestraft werden.
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Was aber die zukünftige Gesetzgebung betrifft, so möchte ich Sie bitten, Herr Minister, nicht nur dieses eine Lebensmittelgesetz in Betracht zu ziehen, sondern dieses Gesetz in etwa auch abzustimmen mit dem Futtermittelgesetz, dem Viehseuchengesetz, dem Gesetz zur Schädlingsbekämpfung und mit dem Farbstoffgesetz. Wenn man z. B. ein sogenanntes Frischei aufschlägt und daran schnuppert,
({9})
bemerkt man manchmal einen eigentümlichen Geruch, der so ein bißchen an Fisch erinnert. Dieser Geruch rührt, wie mir ein Fachmann sagte, davon her, daß diese Hühner mit Fischmehl gefüttert wurden.
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Ich verstehe davon nur, daß es nicht schmeckt; warum es nicht schmeckt, habe ich mir von einem Fachmann erklären lassen müssen.
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- Das ist keine Lebensmittelfälschung; das weiß ich wohl. Es ist aber sehr wichtig, den Zusammenhang mit dem Futtermittelgesetz zu kennen. Wenn man sich einmal alle diese Dinge überlegt und wenn man sich der Hamburger Vorgänge bei der Einführung des Eipulvers und anderer Produkte erinnert - wobei auch, soweit ich weiß, das zur Verfütterung bestimmte Fischmehl eine Rolle spielte -, dann ergibt sich von selbst, daß diese ganzen Dinge im Zusammenhang gesehen werden müssen und daß das eine auf das andere abgestimmt werden muß.
Ein längeres Hinausschieben über den Termin des 30. Juni hinaus, über die Ferien hinweg, Herr Minister, erscheint mir untunlich.
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- Da kann man am besten arbeiten, ja. Aber, Herr Minister, dann gehen Ihre Referenten auch auf Urlaub, und ich habe das Gefühl, dann werden die Dinge so lange hinausgeschoben, daß es wirklich etwas gefährlich ist. Dieses Gesetz scheint mir so wichtig zu sein, daß Sie jetzt mit größter Beschleunigung darangehen müssen. Sollte wirklich eine Fristverlängerung über die Ferien erforderlich sein, dann bitte ich doch dringend darum, daß dieses Gesetz unmittelbar nach den Ferien vorgelegt wird, und zwar als Rahmengesetz, selbst wenn das eine oder das andere Land nicht einverstanden sein sollte.
Zum Schluß bitte ich Sie noch, eines als Hauptpunkt mit in das Gesetz aufzunehmen, nämlich daß die Hauptnahrungsmittel grundsätzlich von jedem, auch bisher zugelassenen Fremdstoff freizuhalten sind. Ich bin der Ansicht, daß hier wirklich nicht mit Chemikalien gearbeitet werden darf. Wir wissen alle noch nicht, ob die seit einigen Jahren, vielleicht auch seit zwei Jahrzehnten verwandten Konservierungsmittel wirklich unschädlich sind. Vielleicht erkennt man erst nach weiteren zwanzig Jahren, daß auch diese Konservierungsmittel gewisse Schäden für die Bevölkerung mit sich bringen, vor allem wenn man bedenkt, daß mit den Nahrungsmitteln dem Körper täglich eine relativ große Menge verschiedener, in ihrer gesundheitlichen Wirkung nicht aufeinander abgestimmter Chemikalien zugeführt wird. Deshalb sollte man die Hauptnahrungsmittel grundsätzlich davon freihalten.
Man bagatellisiere also die Dinge nicht. Ich weiß, daß vieles von dem, was jetzt im Laufe der Diskussion über das Lebensmittelgesetz vorgebracht wurde, Einzelfälle sind. Aber im Grunde ist es doch so, daß davon jeder einzelne Staatsbürger betroffen werden kann. Eine Neugestaltung des veralteten Lebensmittelgesetzes ist deshalb dringend notwendig, und das Gesetz sollte vor allen anderen Gesetzen bearbeitet werden.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
({0})
- Bitte? - Ich dachte, Sie hätten etwas zugerufen, Herr Kollege.
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Es war doch eine sehr interessante Debatte, und die Fragen gehen uns alle an.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die Drucksache 2373. Wer dieser Drucksache zustimmen will, der möge die Hand erheben. -Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe den nächsten Punkt auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Mieterschutzgesetzes in bezug auf landwirtschaftliche Werkwohnungen ({2}).
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Eickhoff.
Eickhoff ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache 2286 ({4}) hat die Fraktion der Deutschen Partei Ihnen erneut einen Antrag mit der Bitte vorgelegt, ein Gesetz zur Aufhebung des Mieterschutzgesetzes in bezug auf landwirtschaftliche Werkwohnungen zu verabschieden.
Aus welchem Grunde haben wir uns veranlaßt gesehen, noch einmal einen solchen Gesetzentwurf einzubringen? Doch einzig und allein aus der tiefen Sorge um unsere deutsche Landwirtschaft. Sie wissen, wie die Verhältnisse in unserer Landwirtschaft liegen. Wir haben uns in diesem Hause darüber sehr oft unterhalten. Aber die Verhältnisse werden immer schlechter, insbesondere in bezug auf die Arbeitskräfte. Bei keinem Berufsstand ist der Arbeitskräftemangel und der Arbeitskräftebedarf so groß wie bei unserer Landwirtschaft. Kommen Sie einmal auf unsere Dörfer, und Sie werden feststellen, daß mindestens 90 bis 95 % unserer Bauern und insbesondere unserer Bauernfrauen von morgens bis abends beschäftigt sind, nicht nur alltags, sondern auch sonntags, nicht, weil sie an der Arbeit übermäßig Freude haben, sondern nur, weil sie ein Pflichtbewußtsein gegenüber ihren Höfen und eine Sorge um ihre Tiere haben. Wie gern würden diese Bauern Arbeitskräfte einstellen, wie gern würden sie sie auch gut bezahlen, wenn sie sie nur bekommen könnten! In vielen Fällen könnten unsere Landwirte Arbeits({5})
kräfte bekommen, wenn für diese Arbeitskräfte die benötigten Wohnungen zur Verfügung gestellt werden könnten. Aber über 50 000 landwirtschaftliche Werkwohnungen sind heute noch von Menschen belegt, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind, die vor Jahren auf die Höfe gekommen sind, um bewußt nur für kurze Zeit auf dem Hofe Arbeit zu leisten, nur damit sie eine Wohnung bekommen, um dann nach kurzer Zeit in die Industrie abzuwandern.
Wie soll es denn bei unserer Landwirtschaft werden, wenn der Nachwuchs sieht, wenn die jungen Menschen erkennen, daß die Verhältnisse untragbar sind! Dann ist es keinem Menschen zuzumuten, in die Landwirtschaft zu gehen. Den jungen Menschen muß die Sicherheit gegeben werden, daß sie in der Landwirtschaft die Möglichkeit haben, ihr Leben lang ihr gutes Geld zu verdienen, aber sie müssen auch wissen, daß, wenn sie älter werden und sich verheiraten wollen, die nötigen Werkwohnungen für sie bereitstehen. Wir haben uns sehr oft über das Problem der Landflucht unterhalten. Ich bin überzeugt: wenn wir die vorgeschlagene Änderung beim Mieterschutzgesetz vornähmen, würde der Landflucht so ziemlich ein Riegel vorgeschoben werden.
Wir sind uns vollkommen darüber klar, daß für die Menschen, die die Wohnungen jetzt innehaben, Ersatzwohnungen geschaffen werden müssen. Keiner von uns will irgendwie, daß diese Menschen auf die Straße gesetzt werden. Wir wissen, daß zusätzliche landwirtschaftliche Wohnungen gebaut werden müssen; und sie werden auch gebaut.
Das muß aber einmal ganz eindeutig zum Ausdruck gebracht werden: jeder landwirtschaftliche Arbeiter, der eine landwirtschaftliche Werkwohnung bezieht und auf dem Hof Arbeit annimmt, muß sich in Zukunft darüber klar sein, daß Arbeitsplatz und Wohnung miteinander gekoppelt sind.
Herr Frehsee, der Kollege von der SPD, hat vor gut acht Tagen in einem Artikel im „Vorwärts" unseren Antrag als unsozial bezeichnet. Herr Frehsee, wir sind nicht unsozial, und ich glaube hier behaupten zu können, daß auch unsere Bauern nicht unsozial sind und nicht unsozial sein wollen. Mit der Verwirklichung unseres Antrages würden wir die Voraussetzungen dafür schaffen, daß auch unsere Bauern auf ihren Höfen soziale Verhältnisse schaffen können, wie sie anderswo seit langem üblich sind.
Sicherlich wird es bei der Freimachung der Wohnungen einige Härten geben; aber dies soll die Sorge unserer Dorfbürgermeister sein. So wie ich unsere Dorfbürgermeister kenne, werden sie auch mit diesem Problem fertig, vor allem, wenn sie wissen, daß die große Sorge, die ihnen die landwirtschaftlichen Werkwohnungen bisher gemacht haben, in Zukunft von ihnen genommen wird. Ich glaube jedenfalls, daß die Härten, die in einigen wenigen Fällen entstehen werden, in keinem Verhältnis zu den großen Vorteilen stehen, die mit diesem Gesetz unserer Landwirtschaft gebracht werden. Meine Fraktion und ich sind jedenfalls davon überzeugt, daß hiermit unserer Landwirtschaft eine wirkliche, große und unbedingt nötige Hilfe gegeben wird.
Ich möchte Sie namens meiner Fraktion bitten, unseren Antrag dem Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen - federführend - und dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassung sowie dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - zu überweisen.
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Der Antrag ist eingebracht und begründet. Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Frehsee.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere angesichts der Einmütigkeit und, wie der Herr Präsident bemerkt hat, der Galanterie, mit der der vorangegangene Tagesordnungspunkt erledigt worden ist, der Fraktion der Deutschen Partei, die diesen Gesetzentwurf eingebracht hat, namens der sozialdemokratischen Fraktion eine scharfe Absage erteilen zu müssen. Niemand, der sich mit der Landwirtschaft zu befassen hat, der ihre Sorgen und ihre Probleme kennt, hat nicht schon von dem Problem der fremdbesetzten landwirtschaftlichen Werkwohnungen gehört. Das Problem gibt es. Es muß gelöst werden, und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist bereit, ihren Teil zur Lösung dieses Problems und damit eines Teilproblems des landwirtschaftlichen Arbeitskräfteproblems beizutragen. Es kommt aber auf die Wahl der Mittel an, die eingesetzt werden, um das Problem zu lösen. Es kommt darauf an, ob man sich für eine konstruktive oder für eine destruktive Lösung entscheidet.
Die sozialdemokratische Fraktion will eine konstruktive Lösung. Sie will beispielsweise, daß der soziale Wohnungsbau mehr als bisher auf das flache Land übergreift. Sie hat von ganzem Herzen begrüßt, daß im Grünen Plan 50 Millionen DM für den Werkwohnungsersatzbau vorgesehen und in das Zweite Wohnungsbaugesetz übernommen sind. Sie hat begrüßt, daß in den Etat des Landwirtschaftsministeriums laufend auch Mittel für die Zinsverbilligung von Krediten aufgenommen werden, die für den Landarbeiterwohnungsbau hergegeben werden sollen. Das sind in dem Etat, den wir demnächst zu verabschieden haben werden, 6 Millionen DM. Wir sollten uns davor hüten, diesen Etatposten durch irgendwelche Ergänzungen und Änderungen in seinem Bestimmungszweck zu beeinträchtigen, sondern sollten diese 6 Millionen DM Zinsverbilligungsmittel für landwirtschaftliche Um- und Erweiterungsbauten und für den Landarbeiterwohnungsbau belassen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat auch dem § 115 Ziffer 10 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, das heute durch die Annahme der Vorschläge des Vermittlungsausschusses verabschiedet worden ist, zugestimmt. In dieser Bestimmung wird der Vollstreckungsschutz, den das Wohnraumbewirtschaftungsgesetz vorsieht, für Inhaber landwirtschaftlicher Werkwohnungen, die zur Räumung ihrer Wohnung verurteilt sind, aufgehoben. Die sozialdemokratische Fraktion hat auch diese Maßnahmen mitgemacht aus der Sorge heraus, daß das Problem des landwirtschaftlichen Arbeitskräftemangels übermächtig werden könnte, und weil alles getan werden muß, um dieses Problem zu lösen. Diese Bestimmung im Wohnraumbewirtschaftungsgesetz trifft j ene böswilligen Elemente, die es zweifellos gibt, die die landwirtschaftlichen Werkwohnungen besetzt halten, obschon sie anderswo Wohnungen bekommen könnten.
({0})
Vor diese böswilligen Elemente stellen wir uns in keiner Weise. Wir stellen uns aber vor alle jene, die nicht aus eigenem Verschulden keine andere Wohnung bekommen und die landwirtschaftlichen Werkwohnungen besetzt halten, weil eben der soziale Wohnungsbau auf dem Lande bisher nur in geringem Ausmaße entwickelt ist und weil es keine Ersatzwohnungen für diese Leute gegeben hat.
Wir halten den § 20 des Mieterschutzgesetzes für voll ausreichend, in dem es heißt, daß der Mieterschutz auch für Werkwohnungen gilt, daß er aber nicht für solche Mieter gilt, die - ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - durch ihr „Verhalten dem Vermieter gesetzlich begründeten Anlaß zur Auflösung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gegeben" haben, und auch nicht für solche Werkwohnungsinhaber gilt, die das Verhältnis aufgelöst haben, ohne daß ihnen „vom Vermieter ein solcher Anlaß gegeben" wäre. Diese Fälle - das sind die Fälle der Böswilligen, von denen ich gesprochen habe - sind in dem bestehenden und gültigen § 20 des Mieterschutzgesetzes bereits ausgenommen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das in vollem Umfang für die Werkwohnungsverhältnisse ausreicht, die unbefriedigend sind und bei denen es einer Regelung bedarf.
Die Aufhebung des Mieterschutzgesetzes, die von der Deutschen Partei beantragt wird, müssen wir als ein destruktives Mittel zur Lösung des Arbeitskräfteproblems betrachten.
Herr Kollege Eickhoff hat soeben davon gesprochen, daß dieses Mittel auch dazu dienen soll, die Landflucht einzudämmen. Herr Kollege Eickhoff, es ist meine volle Überzeugung, wenn ich hier sage, daß die Aufhebung des Mieterschutzes zu einer Verstärkung der Landflucht beitragen wird. Meine Damen und Herren, wenn der Mieterschutz für Inhaber landwirtschaftlicher Werkswohnungen aufgehoben wird, bedeutet das eine neue Diskriminierung der Landarbeiter, die sich so schon über eine ganze Reihe von Diskriminierungen durch den Gesetzgeber beklagen
({1})
und die immer wieder sagen, daß nicht nur der niedrigere Lohn und nicht nur die soziale Stellung des Landarbeiters an der Landflucht schuld sind, sondern das Ausnahmerecht, das beispielsweise in der Arbeitslosenversicherung besteht, wo die Landarbeiter nicht den gleichen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben wie andere Arbeitnehmer, und in der Unfallversicherung, wo für sie nicht die gleichen Bestimmungen gelten wie für andere Arbeitnehmer. So ist es auf vielen anderen Gebieten; ich will Sie damit nicht aufhalten, ich habe es an anderer Stelle auch schon gesagt.
Hier soll neues Ausnahmerecht für die Landarbeiter geschaffen werden, und zwar minderes Recht. Ich will so ein großes Wort nicht mit Betonung aussprechen, aber es wird draußen bei den Landarbeitern gesagt: „Ja, gilt denn der soziale Rechtsstaat für uns nicht?" Ich sage es mit Absicht hier in diesem Hause etwas leiser; aber es ist so, daß minderes Recht geschaffen werden soll. Meine Damen und Herren von der Landwirtschaft, Sie müßten eigentlich einsehen, daß Landwirtschaft und Landarbeiterschaft zusammengehören und daß, wenn die Landarbeiterschaft diskriminiert wird, das auf die Landwirtschaft insgesamt zurückfällt.
Die Auswirkung der Aufhebung des Mieterschutzgesetzes für landwirtschaftliche Werkwohnungen würde sein, daß jeder landwirtschaftliche Arbeitgeber ohne Ansehen der Person des Inhabers der Werkwohnung und ohne Ansehen irgendwelcher Gründe diesen Werkwohnungsinhaber nach Ablauf der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist - die nach den Tarifverträgen in einer großen Anzahl von Fällen 14 Tage beträgt -, also nach 14 Tagen durch die Polizei auf die Straße setzen lassen könnte, exmittieren lassen könnte.
({2})
Das hat das Mieterschutzgesetz verhindert, diesen Zustand hat das Mieterschutzgesetz allgemein beseitigt; und dieser Zustand unseligen Angedenkens soll jetzt für die Landarbeiter wieder herbeigeführt werden, die Exmission nämlich. Dann muß die Obdachlosenpolizei herkommen und diesem Landarbeiter eine Notwohnung in einer Baracke oder sonstwo anweisen, wenn sie seine Möbel nicht auf der Straße stehen lassen will. Die Älteren von uns werden das ja noch aus eigenem Erleben und aus eigener Anschauung kennen.
Nun will ich nicht ohne weiteres sagen, daß die Landwirtschaft davon allgemein Gebrauch machen würde. Aber sicherlich würde es Einzelfälle geben, in denen davon Gebrauch gemacht wird. Das bedeutet, daß der Willkür Tür und Tor geöffnet wird. Sie sagen, Herr Kollege Eickhoff, daß man das nicht wolle. Nun, ich glaube es Ihnen, daß Sie das nicht wollen. Aber durch Aufhebung des Mieterschutzes schaffen Sie die rechtliche Möglichkeit der Exmission. Dem können wir nicht zustimmen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Mehrheit des Hauses das mitmacht. Es würde einen Rückfall in die Zeit der Gesindeordnung bedeuten. Aus diesem Grunde habe ich geschrieben - es ist richtig, Herr Kollege Eickhoff -, daß es eine unsoziale Angelegenheit ist.
Sie wollen der Landwirtschaft helfen. Sie werden der Landwirtschaft mit einer Aufhebung des Mieterschutzgesetzes nicht helfen, sondern Sie werden ihr schaden. Denn Sie werden die Werbekraft der Landarbeit weiter vermindern. Wenn irgendein Arbeiter, der an sich bereit ist, in der Landwirtschaft zu arbeiten, weiß, daß die Werkwohnung, die er innehat, ihm von heute auf morgen oder in 14 Tagen genommen werden kann und er exmittiert werden kann, dann wird er es sich noch mehr als bisher dreimal oder zehnmal überlegen, ob er den Arbeitsplatz in der Landwirtschaft annimmt; er wird ihn nicht annehmen.
Ich komme zum Schluß. Die sozialdemokratische Fraktion wird den Weg, der von der Deutschen Partei vorgeschlagen worden ist, nicht mitgehen, nicht nur, weil er ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und weil er unsozial ist, sondern auch weil er gegen die Interessen der Landwirtschaft gerichtet ist. Die sozialdemokratische Fraktion kann sich nicht vorstellen, daß sich in diesem Bundestag eine Mehrheit für den Antrag der Deutschen Partei findet; sie beantragt deswegen Übergang zur Tagesordnung.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Brönner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Eickhoff hat mit Recht die schwierige Lage der Landwirtschaft, die Landflucht, die Belastung der landwirtschaft({0})
lichen Hausfrau usw., geschildert. Wir müssen alle geeigneten Wege gehen, um hier eine Abhilfe zu schaffen. Auf der andern Seite hat Herr Kollege Frehsee auch auf Bedenken hingewiesen, die gegen den vorliegenden Gesetzentwurf angeführt werden müssen, vor allem, daß ein Arbeiter erst recht nicht bereit wäre, zur Landwirtschaft zu gehen, wenn er damit rechnen müßte, daß ihm über kurz oder lang die Wohnung gekündigt werde und er dann wieder auf der Straße stünde. Wir haben daher in unserm Zweiten Wohnungsbaugesetz zwei Punkte beschlossen. Einmal haben wir den § 115 beschlossen, der schon angeführt worden ist, und zum andern den § 68, nach dem der Bundeswohnungsbauminister 50 Millionen zur Verfügung zu stellen hat, damit Ersatzwohnungen für zweckentfremdete landwirtschaftliche Wohnungen gebaut werden. Also es wird etwas geschehen. Wenn wir einmal annehmen, daß für eine solche Wohnung etwa 8000 DM öffentliche Mittel gegeben werden, dann reicht es für den Bau von 6250 Wohnungen als Ersatzwohnungen, damit die landwirtschaftlichen Werkwohnungen frei gemacht werden.
Ich darf aber auch auf einen neuen Gesichtspunkt hinweisen. Im gewerblichen Sektor haben wir ähnliche Klagen wie im landwirtschaftlichen Sektor, insbesondere beim Bergarbeiterwohnungsbau. Auch von dort sind schon bei den Beratungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes im Ausschuß für Wohnungswesen Anträge gekommen, auch die gewerblichen Werkwohnungen in den abgeschwächten Vollstreckungsschutz hereinzunehmen. Wir haben es nicht getan. Aber die Probleme sind brennend. Wir müssen an ihre Beratung herangehen und können uns nicht auf die landwirtschaftlichen Wohnungen allein beschränken; auch die Bergarbeiterwohnungen müssen dabei in Betracht gezogen werden.
Deshalb habe ich die Aufgabe, im Namen der CDU/CSU zu beantragen, daß der vorliegende Gesetzentwurf den drei von Herrn Eickhoff genannten Ausschüssen überwiesen wird.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Kunz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Deutschen Partei Drucksache 2286 beinhaltet die völlige Aufhebung des Mieterschutzgesetzes für landwirtschaftliche Werkwohnungen. Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE hat wohl volles Verständnis für diese alte Forderung der Landwirtschaft, daß landwirtschaftliche Werkwohnungen in erster .Linie für die im Betrieb beschäftigten landwirtschaftlichen Fachkräfte zur Verfügung stehen sollen, um dadurch erstens die notwendigen Arbeitskräfte für eine intensive Wirtschaftsweise zu erhalten und zweitens auch die Landflucht zu bannen.
Die Fraktion meiner Partei sieht aber in diesem Antrag der Deutschen Partei einen Vorstoß nicht nur gegen die Mieterschutzbestimmungen für landwirtschaftliche Werkwohnungen. Die Fraktion befürchtet, daß bei .Aufhebung dieser gesetzlichen Bestimmungen weitere Anträge auf Auflockerung kommen könnten, wodurch der gesamte Mieterschutz ins Wanken geraten müßte. Der Mieterschutz ist aber heute noch eine zwingende Notwendigkeit. Noch immer fehlen rund 3 Millionen Wohnungen. Es ist bekannt, daß gerade in den ehemaligen landwirtschaftlichen Werkwohnungen in den Dörfern draußen sozial Schwache, vor allem Heimatvertriebene und Flüchtlinge wohnen, die seinerzeit in diese Wohnungen eingewiesen worden sind. Es besteht unserer Meinung nach keine Möglichkeit, die jetzigen Mieter landwirtschaftlicher Werkwohnungen bei Aufhebung des Mieterschutzes entsprechend unterzubringen. Die Voraussetzungen hierzu sind noch nicht geschaffen worden. Der Antrag der Deutschen Partei auf der Drucksache, die zuerst eingereicht wurde, spricht von 50 000 landwirtschaftlichen Werkwohnungen, die heute fremd besetzt sind. Ich muß die Frage stellen: Wohin mit diesen 50 000 Familien, wenn der Mieterschutz für landwirtschaftliche Werkwohnungen aufgehoben werden sollte? Die Forderung der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, aus sozialen Gründen, zum Schutze der dort jetzt wohnenden sozial schwachen Personen die Bestimmungen auf alle Fälle aufrechtzuerhalten, ist deshalb verständlich.
Ich darf noch darauf verweisen - Herr Dr. Brönner hat es schon ausgesprochen -, daß in dem kommenden Zweiten Wohnungsbaugesetz Mittel zur Verfügung gestellt werden, so daß die Möglichkeit besteht, der Landwirtschaft durch den Bau neuer Landarbeiterwohnungen und Landarbeitersiedlungen entgegenzukommen. Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE wird gegen den Antrag der Deutschen Partei votieren.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Frehsee hat vorhin erklärt, daß er bei diesem Punkt nicht die Courtoisie walten lassen könne, die bei dem vorigen herrschte. Ich glaube doch, daß es ein Gebot der politischen Courtoisie ist, über diesen Antrag nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen.
({0})
Er scheint mir auch aus sachlichen Gründen dieses Schicksal nicht zu verdienen. Wir von der FDP unterstützen den Antrag grundsätzlich; denn er richtet sich nicht gegen die Landarbeiter und bezweckt nicht deren Diskriminierung, sondern er richtet sich gegen die Scheinlandarbeiter,
({1})
gegen diejenigen, die nach kurzer Landarbeitertätigkeit nun in die Fabrik abschwenken und den Bauern den Raum wegnehmen. Natürlich gibt es Fälle, in denen man sagen kann: der Mann wohnt hier unverschuldeterweise. Das „unverschuldet" fasse ich nun allerdings so auf, daß er nicht nur keinen Räumungsgrund nach dem Mieterschutzgesetz gibt, sondern daß er unverschuldeterweise keinen anderen Raum findet. Es wird eben gerade Aufgabe der Ausschußberatungen sein, hier, vielleicht in Form einer Vollstreckungsschutzbestimmung, Härten zu mildern. Dem möchten wir uns gar nicht verschließen; aber wir beantragen auch Überweisung an die Ausschüsse.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Körner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte ist das Für und Wider herausgeschält worden. Ich halte es für notwendig, daß wir nicht, wie der Antrag der SPD lautet, zur Tagesordnung übergehen, sondern daß der gesamte Komplex mit allen seinen Schwierigkeiten in den Ausschüssen eingehend durchberaten wird.
Der Abgeordnete Frehsee hat mit Recht gesagt: Zwischen den Bauern, Landwirten und Landarbeitern besteht irgendwie ein Aufeinanderangewiesen-Sein. Gerade aus dieser Schau heraus kann man nicht behaupten, daß auf dem Gebiet nun nichts weiter zu tun wäre. Wir haben im Zweiten Wohnungsbaugesetz die berühmten, hier immer wieder erwähnten 50 Millionen eingesetzt. Es ist das eine Aufgabe des, wie Herr Kollege Frehsee sagte, „Konstruktiven". In dieser Richtung müßte mit allen Mitteln weitergearbeitet werden. Man wird aber die Lage der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte draußen auf dem flachen Lande nicht meistern, wenn man die Augen vor der wirklichen Lösung verschließt, an die Frage des Mieterschutzes in keiner Weise herangeht und das Ganze auf sich beruhen läßt. Das würde an dem Kern der Dinge vorbeigehen. Damit wäre nichts, aber auch gar nichts erreicht.
Für die Demokratische Arbeitsgemeinschaft bitte ich, diesen Antrag den Ausschüssen zur eingehenden Beratung zu überweisen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Eickhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz auf die Ausführungen meines Kollegen Frehsee erwidern. Ich glaube nicht, daß es an und für sich üblich ist, Herr Frehsee, vorweg zu betonen: Ich will nicht nur eine Absage, ich will sogar eine starke Absage erteilen.
({0})
Vor allen Dingen, Herr Frehsee, haben Sie gesagt, daß unser Antrag für die landwirtschaftlichen Arbeiter diskriminierend sei.
({1})
Sie haben gesagt, wir seien bemüht, für unsere landwirtschaftlichen Arbeiter neues Unrecht zu schaffen. Das muß ich im Namen meiner Fraktion und meiner Partei ganz energisch zurückweisen.
Ich habe mich gefreut, daß die anderen Herren Kollegen damit einverstanden sind, daß alle diese Fragen im Ausschuß geklärt werden. Ich möchte wiederholen, was ich schon vorhin erklärt habe: Niemand will, daß die Menschen, die diese Wohnungen jetzt bewohnen, auf die Straße gesetzt werden. Ich habe verlangt, daß Ersatzwohnungen gebaut werden. Wenn diese Ersatzwohnungen fertig sind, sollen die landwirtschaftlichen Wohnungen frei gemacht werden. In Zukunft soll dann aber tatsächlich der Arbeitsplatz mit der Wohnung gekoppelt sein. Ich hoffe, daß wir in den Ausschüssen zu einem wirklich befriedigenden Ergebnis für unsere Landwirtschaft kommen.
({2})
Abgeordneter Frehsee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, Sie noch einmal strapazieren zu müssen. Aber der Herr Kollege Eickhoff hat gemeint, meine Feststellung zurückweisen zu müssen, daß die Aufhebung des Mieterschutzgesetzes eine die Landarbeiter diskriminierende Maßnahme darstelle. Ich stelle fest, es ist ein objektiver Tatbestand: eine soziale Schutzbestimmung, die allgemein für die gesamte deutsche Bevölkerung gilt, soll für die Landarbeiter aufgehoben werden.
Nunmehr liegen Wortmeldungen nicht mehr vor. Ich schließe die Beratung.
Meine Damen und Herren, bevor ich zur Abstimmung schreite, fühle ich mich als Präsident doch verpflichtet, zu sagen, daß ich gewisse Zweifel habe, ob bei Vorlage eines Gesetzentwurfs in der ersten Beratung überhaupt der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung möglich ist. Wir haben das hier schon einmal praktiziert, ich weiß es. Aber ich habe mir die Geschäftsordnungsbestimmungen nochmals angesehen. § 79, der die erste Beratung behandelt, sagt:
Am Schluß der ersten Beratung kann der Gesetzentwurf
- kann, muß nicht! einem Ausschuß überwiesen werden. Er kann nur in besonderen Fällen gleichzeitig mehreren Ausschüssen überwiesen werden, wobei der federführende Ausschuß zu bestimmen ist.
Abs. 2 lautet:
In der ersten Beratung findet keine andere Abstimmung statt.
Liegt also ein Gesetzentwurf vor, so bestimmt der § 79 Abs. 2, daß in der ersten Beratung keine andere Abstimmung stattfinden kann.
§ 29 regelt den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung. Er hat einen Abs. 2 - das ist die Stütze für die Auffassung; ich werde es gleich erläutern -:
Über Vorlagen und Anträge der Bundesregierung oder des Bundesrates darf, auch wenn sie einen Gesetzentwurf nicht enthalten, nicht zur Tagesordnung übergegangen werden.
Daraus hat man - argumentum e contrario - geschlossen: Wenn also ein Initiativgesetzentwurf aus dem Hause kommt, dann fällt er nicht unter diese Ausnahmebestimmung. Es ist eine Frage, in welchem Verhältnis dieser § 29 Abs. 2 zu dem § 79 Abs. 2 steht.
Aber noch eine andere Auslegungsregel, die man ja heranziehen muß, enthält der § 84 Abs. 3, wo es heißt:
Sind in der zweiten Beratung alle Teile eines
Gesetzentwurfes abgelehnt worden, so unterbleibt jede weitere Beratung und Abstimmung.
Wenn ich das zusammen kombiniere, dann würde ja, wenn man bei einem Initiativgesetzentwurf immer Übergang zur Tagesordnung zuließe, der § 84 Abs. 3 in sehr vielen Fällen niemals praktisch.
Ich fühlte mich verpflichtet, hierauf hinzuweisen. Ich will die Sache heute nicht ausdiskutieren lassen. Ich weise nur auf diese Zweifel hin, um die Fraktion der SPD zu fragen, ob sie unter diesen Umständen ihren Antrag nicht zurückzieht.
({0})
({1})
- Gut. Dann muß ich nach der Vorschrift des § 29 zuerst über ihn abstimmen lassen. Wer dem Antrag der SPD-Fraktion, bezüglich der vorliegenden Drucksache 2286 zur Tagesordnung überzugehen, zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer zuzustimmen wünscht, erhebe sich vom Platz. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Präsidium ist sich nicht einig. Wir müssen zum Hammelsprung schreiten.
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Ich bitte doch, den Saal etwas schneller zu räumen, damit wir unsere Tagesordnung noch abwickeln können. - Ich bitte die Türen zu schließen.
Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen.
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Ich bitte, die Türen zu schließen. Die Auszählung ist beendet.
Ich gebe das Ergebnis der Auszählung bekannt: abgestimmt haben 313 Abgeordnete, mit Ja 118, mit Nein 194, enthalten hat sich einer. Damit ist der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung abgelehnt.
Ich komme damit zu dem zweiten Antrag, den die Antragsteller gestellt haben: Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen - federführend - und an die Ausschüsse für Rechtswesen und Verfassungsrecht, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung. Wer für diesen Antrag ist, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der gestrigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs ({4}).
Ich erteile das Wort zur Begründung dem Herrn Abgeordneten Dr. Bucher.
Dr. Bucher ({5}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorgänge, die unsere Fraktion veranlaßt haben, diesen Gesetzentwurf einzubringen, sind bekannt. Ich darf mich deshalb bei der Schilderung des Tatbestandes auf wenige Sätze beschränken und werde dabei auch nur das berichten, was an diesem Tatbestand unstreitig ist.
In der Öffentlichkeit wurde die Meldung verbreitet, einem Abgeordneten eines deutschen Länderparlaments seien 100 000 DM angeboten worden, wenn er bei der Wahl des Ministerpräsidenten in diesem Lande in einem bestimmten Sinne abstimme, und dem Geschäftsführer seiner Fraktion seien weiterhin 60 000 DM angeboten worden - sozusagen pro Stück - für jeden Abgeordneten, den er in diesem Sinne beeinflusse. Der betreffende Abgeordnete hat diese Meldung bestätigt, hat aber den Namen des angeblichen Anbieters nicht genannt. Ein früherer Minister des Landes hat daraufhin Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet mit dem Zweck, festzustellen, wer der Betreffende war, und ihn der Bestrafung zuzuführen. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren in der Sache eingestellt, weil es keine gesetzliche Bestimmung gebe, die es ermögliche, den Unbekannten, wenn man ihn ermittelt und wenn es ihn gibt, zu bestrafen. Es bleibt also in der Affäre nur die Möglichkeit, sie auf dem Umweg über Beleidigungsprozesse zu klären. Daß dieser Umweg in solchen Sachen nicht besonders erfreulich ist, bedarf keiner Betonung. Wir haben Beispiele dafür in der letzten Zeit wiederholt erlebt. In einem Fall haben sehr prominente Beleidigungskläger dann selber darauf verzichtet, eine klare Herstellung ihrer Ehre zu erreichen.
Es handelt sich aber dabei nicht nur um die Ehre von Einzelpersonen, auch nicht um die Ehre von prominenten Einzelpersonen, sondern es handelt sich in solchen Dingen um die Ehre des Parlaments und um die Ehre des Staates. Wir müssen peinlich darauf achten, daß nicht schon wieder die Mär von der Korruption, die zwangsläufig mit dem Parlamentarismus verbunden sei, in die Welt gesetzt wird. Es sind nämlich bereits solche Andeutungen gemacht worden. Im Zusammenhang mit dieser Sache war zu lesen, der 1. Deutsche Bundestag habe ganz heimlich und von der Öffentlichkeit unbemerkt eine Strafbestimmung geschaffen, die es unmöglich mache, einen solchen Fall zu verfolgen; der 1. Deutsche Bundestag habe also absichtlich sich, seine sämtlichen Mitglieder, gegen strafrechtliche Verfolgung in solchen Fällen sichern wollen. Daß diese Behauptung völlig unberechtigt ist, ist klar. Ich möchte deshalb in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich betonen, daß eine - wenn ich dieses vereinfachende Wort gebrauchen darf - Bestechung eines Abgeordneten in Deutschland seit 1945 weder im Bunde noch irgendwo in einem Lande erfolgt ist, auch in diesem Falle nicht erfolgt ist, sondern daß es sich allerhöchstens um den Versuch gehandelt hat, das zu tun.
Ich darf einen kurzen Überblick über die Entwicklung dieser Gesetzesbestimmung geben. Ich fasse ihn sehr kurz, zumal ich nicht die Ehre hatte, im 1. Bundestag mitzuwirken, und dazu aus eigener Kenntnis nichts sagen kann. - Ursprünglich bedrohte der § 109 des Strafgesetzbuchs den mit Strafe, der in öffentlichen Angelegenheiten Wahlstimmen kauft oder verkauft. Diese Bestimmung „in öffentlichen Angelegenheiten" war etwas zu weit und vage gefaßt, und es wurde die Ansicht teils vertreten, teils bekämpft, daß darunter auch Abstimmungen, Wahlen i n Parlamenten, nicht nur Wahlen z u Parlamenten fallen. Der Strafgesetzentwurf 1927 hat hier eine erweiternde Klarstellung gebracht. Er dehnte den Geltungsbereich dieser Bestimmung auf Wahlen und Abstimmungen in öffentlichen Angelegenheiten aus. Auch die Überschrift lautete überall: „Wahlen und Abstimmungen". Dieser Text gibt allerdings auch noch keine Klarheit darüber, ob auch jetzt nur noch Wahlen zu Parlamenten oder auch Wahlen in Parlamenten gemeint waren. Nach den Motiven war dies aber der Fall.
Im Anschluß an diesen Entwurf brachte die Bundesregierung in Drucksache Nr. 1307 im 1. Bundestag den § 107 b ein, der ebenfalls die Tendenz des Entwurfs von 1927 hatte. Diese Absicht der Bundesregierung wurde nicht verwirklicht. Im Rechtsausschuß wurden Bedenken dagegen geäußert, eine Abgeordnetenbestechung, einen Stimmkauf im Parlament, unter kriminelle Strafe zu nehmen. Die Bedenken waren von zweierlei Art. Einmal könne man über solche hochpolitischen Sachen nicht das Amtsgericht entschei({6})
den lassen, und zum anderen sei es unmöglich, wirkliche Stimmkauf-, Bestechungsfälle von legitimen politischen Verhandlungen und Bestrebungen abzugrenzen. Wenn eine Gruppe etwa bei solchen politischen Verhandlungen zu weit gehe, also das betreibe, was man populär einen Kuhhandel nennt, dann solle der Wähler entscheiden. Ich glaube, es war der Kollege Arndt, der den Vorschlag machte, man möge das Grundgesetz durch eine Vorschrift ergänzen, die in Fällen gewinnsüchtiger Ausnutzung des Mandats die Aberkennung des Mandats durch das Bundesverfassungsgericht unter Vorschaltung eines Parlamentsbeschlusses vorsieht.
Es kam dann zu den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen, § 108 b und § 109 a, die gegenüber der bisherigen Bestimmung eine einschränkende Klarstellung bringen, indem sie deutlich aussprechen, daß die Strafbestimmung nur auf Wahlen z u Parlamenten Anwendung findet.
Unser jetziger Entwurf Drucksache 2310 bezweckt nun das gerade Gegenteil, das, was offenbar ursprünglich auch der ersten Bundesregierung vorgeschwebt hatte: eine erweiternde Klarstellung, die deutlich sagt, daß die Strafbestimmung auch für Wahlen und Abstimmungen innerhalb der Volksvertretungen gilt.
Ich darf noch einen kurzen Blick auf das ausländische Recht werfen. In den Vereinigten Staaten gibt es eine solche Bestimmung im Strafgesetzbuch. Man befaßt sich dort überhaupt ohne falsche Scham mit pressure groups und Lobbyisten und behandelt sie in einem eigenen Gesetz vom Jahre 1946. Dies mag für uns ein Hinweis sein, unser Parteiengesetz möglichst bald zu verwirklichen. Der Herr Bundesinnenminister hat uns ja neulich im Bulletin klargelegt, mit wie großer Gewissenhaftigkeit hieran gearbeitet wird. Ich hoffe nur, daß diese zu begrüßende Gewissenhaftigkeit nicht allzusehr auf Kosten der Schnelligkeit geht. In England faßte das Unterhaus bereits im Jahre 1695 eine Entschließung, die besagt, daß das Angebot von Geld oder anderen Vorteilen an ein Mitglied des Parlaments ein Kapitalverbrechen sei, und in England kann so eine Handlung vor den ordentlichen Gerichten verfolgt werden. Dasselbe gilt in Frankreich.
Unseren Entwurf darf ich nun nur noch in vier Punkten erläutern. Der Entwurf erweitert, wie ich sagte, den Geltungsbereich, der in § 109 a des Strafgesetzbuchs definiert ist, und läßt im übrigen die materiellen Strafbestimmungen unberührt. Er ist systematisch nicht bei der Bestechung eingegliedert, da es sich hier nicht um ein Beamtendelikt handelt. Das Rechtsschutzobjekt ist nicht die Sauberkeit des Beamtenkörpers, sondern der Schutz der staatsbürgerlichen Rechte. Der Wähler soll gegen den Versuch geschützt werden, denjenigen, dem er seine Stimme gegeben hat, in unlauterer Weise zu beeinflussen.
Zweitens. Ein bestechlicher Abgeordneter ist, oder ich darf sagen: wäre eine politische Erscheinung, gegen die sich der Wähler wehren kann. Das ist richtig. Er kann es allerdings erst zu gegebener Zeit: bei der nächsten Wahl. Er kann diesem Abgeordneten seine Stimme versagen. Man kann sich also hier zwar nicht auf den bekannten Palmströmschen Standpunkt stellen, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber man könnte sich bezüglich des Abgeordneten damit begnügen, daß man sagt, diese Erscheinung müßte mit politischen Mitteln bekämpft werden.
Anders steht es dagegen mit dem Bestechenden oder einer Gruppe, die Bestechungsversuche macht. Hiegegen kann sich der Wähler, der Staatsbürger, überhaupt nicht wehren. Es geht uns also hauptsächlich darum, die aktive Beeinflussung, den Stimmenkauf, unter Strafe zu stellen, weniger die passive. Nun steht allerdings die passive Bestechung im Verhältnis der notwendigen Teilnahme zur aktiven, und bei der eigentlichen Bestechung im 28. Abschnitt des Strafgesetzbuches ist es ja auch so, daß die Strafbestimmungen gegen die passive Bestechung sogar weitergehend sind als die gegen die aktive. Bereits einfache passive Bestechung ist strafbar. Wir können deshalb natürlich nicht darauf verzichten, auch die passive Bestechung, also auf seiten des Abgeordneten, der sich kaufen ließe, unter Strafe zu stellen.
Die dritte Frage ist die: Treten wir dem Parlament zu nahe, wenn wir eine solche Bestimmung vorsehen? Ich darf hiezu mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren, was Gerland im Jahre 1931 in einer Schrift „Rechtsschutz gegen politische Unehrlichkeit" geschrieben hat. Er sagt:
Wir treten dem Parlament nicht zu nahe, wenn wir den Fall käuflicher Parlamentarier in Erwägung ziehen. Der Fall liegt nicht anders, wenn wir die Tatsache möglichen Amtsmißbrauches zur Erörterung stellen und aus ihr die Notwendigkeit von Strafbestimmungen gegen Beamtenbestechung, Rechtsbeugung und ähnliches mehr ableiten. Allerdings herrscht, wie nicht geleugnet werden kann, in politischen Kreisen oft eine fast mimosenhafte Scheu, sich mit Mißständen zu befassen, die man zwar nicht gut leugnen kann, die man aber am liebsten ignoriert, ohne daß man indessen mit einer derartigen Vogel-Strauß-Politik auch nur das geringste zu bessern in der Lage wäre.
Genauso, wie es bis jetzt, soweit mir bekannt ist, kaum Fälle gegeben hat, in denen die Strafbestimmung gegen Rechtsbeugung angewandt werden mußte, genauso wird es wohl auch, hoffen wir, keine Fälle geben, in denen man diese Strafvorschrift braucht. Trotzdem ist es notwendig, sie zu schaffen, damit nicht in der Öffentlichkeit der unheilvolle Eindruck entsteht, es könnte, wenn etwa so etwas vorkommt, der Betreffende tatsächlich straffrei ausgehen.
Schließlich noch der letzte Punkt: die Abgrenzung des Tatbestandes. Das ist natürlich zugegebenermaßen eine schwierige Frage. Hier gibt es die allerverschiedensten Möglichkeiten. Wenn man mit dem Fall anfängt, daß eine Fraktion erklärt, der Vorlage einer anderen Fraktion zustimmen zu wollen, wenn diese andere Fraktion ihrerseits eine ihrer Vorlagen annehme, so wird man ohne weiteres sagen können, daß das selbstverständlich nicht unter diesen Tatbestand fällt. Der entgegengesetzte krasse Fall ist der, der sich in Düsseldorf ereignet haben soll, oder ist der Fall, wenn z. B. einem Abgeordneten Geld angeboten würde, damit er eine bestimmte Rede in bestimmtem Sinne hält. Dazwischen gibt es nun selbstverständlich Übergänge, bei denen man im Zweifel sein kann. Aber ich glaube, wir können es der Rechtsprechung überlassen, hier die Abgrenzung zu finden; denn dann ist nämlich die Frage immer die, ob eine pflichtwidrige Handlung vorliegt und ob mit der
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Pflichtwidrigkeit auch Rechtswidrigkeit gegeben ist. In dem von mir zuerst genannten Beispiel wäre selbstverständlich von einer Pflichtwidrigkeit nicht die Rede.
Ich darf also namens meiner Fraktion dem Hohen Hause vorschlagen, unseren Gesetzentwurf Drucksache 2310 dem Rechtsausschuß zur Beratung zu überweisen.
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Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Bucher hat sich bereits sehr ausführlich über die ganze Entwicklung und Behandlung des Problems der Abgeordnetenbestechung verbreitet. Er hat auch eingehend die Problematik dargelegt, die diese Frage aufwirft. Ich kann mich daher auf einige wenige Ausführungen beschränken.
Die Bundesregierung begrüßt es, daß von der FDP der Antrag gestellt wurde, das Problem der Abgeordnetenbestechung einer Lösung zuzuführen. Ich darf darauf hinweisen, daß sich bereits im Jahre 1950 gelegentlich der Vorlage des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes das Bundesjustizministerium - damals unter Führung meines Vorgängers, des Herrn Kollegen Dehler - mit Nachdruck für die Einbeziehung der Abgeordnetenbestechung ausgesprochen hat. Man hat sich damals entschlossen, nur das Staatsschutzproblem im eigentlichen Sinne anzufassen. Daraufhin hat das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz im Jahre 1953 die Angelegenheit wiederum aufgegriffen. Aus den Gründen, die der Herr Kollege Bucher geschildert hat, konnte die Frage damals nicht zu einem Abschluß gebracht werden.
Ich begrüße also namens der Bundesregierung und insbesondere namens des Bundesjustizministeriums diese Vorlage. Wir werden uns bemühen, bei der Lösung des gewiß nicht einfachen Problems mitzuwirken. Ich bin überzeugt, daß es gelingen wird, eine entsprechende Regelung zu finden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Platner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich pflichte meinem ersten Herrn Vorredner vollkommen darin bei, daß im Interesse des Ansehens von Staat und Parlament die Möglichkeit der Verwirklichung der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung in umfassender Weise und mit allem Ernst geprüft werden muß. Ich habe keinen Zweifel, daß auf allen Seiten dieses Hohen Hauses die volle Bereitschaft dazu besteht. Die insbesondere vom Rechtsausschuß des Parlaments durchzuführende Prüfung wird uns, wie schon die Ausführungen des ersten Herrn Vorredners gezeigt haben, zu einer Reihe sehr schwieriger Einzelfragen führen, die in der heutigen Grundsatzdebatte nur kurz angedeutet werden können.
Herr Kollege Dr. Bucher hat bereits darauf hingewiesen, daß sich schon der Rechtsausschuß des 1. Bundestages anläßlich der Beratung des Dritten Strafrechtsänderungsgesetzes mit der Frage der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung befaßt hat. Dabei hat sich der Herr Abgeordnete und
Kollege Dr. Arndt grundsätzlich gegen die Auffassung gewandt, daß es den Begriff der Abgeordnetenbestechung angesichts der engen Verbundenheit des einzelnen Abgeordneten mit bestimmten Gruppeninteressen überhaupt geben könne. Auch sei das Interesse der politischen Gruppen an einem Einfluß auf die Verwaltung durchaus legitim. Daher sei eine gerichtliche Entscheidung, ob der im einzelnen Fall erstrebte Vorteil ein erlaubter oder unerlaubter sei, unmöglich. Eine Grenze sei allerdings dann gegeben, wenn z. B. ein Abgeordneter sich für eine zur Durchsetzung bestimmter Interessen gehaltene Rede ein Geschenk machen lasse. Aber auch insoweit sei in der abstrakten Gesetzessprache eine entsprechende Abgrenzung nicht möglich, und deshalb gebe es nur den Weg, im Falle gewinnsüchtiger Ausbeutung des Mandats auf Antrag einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den betreffenden Abgeordneten durchzuführen.
Ich darf allerdings zum Ausdruck bringen, daß wir Bedenken haben, dieser Auffassung zu folgen. Wir halten vielmehr eine Abgrenzung erlaubter von unerlaubter Interessenwahrnehmung durchaus für möglich. Die Strafwürdigkeit dieser unerlaubten Interessenwahrnehmung würde sich aus der Verletzung des Rechtsguts der Wahllauterkeit und der Verletzung der dem Abgeordneten obliegenden Pflichten ergeben. Die Ahndung eines derartigen strafwürdigen Unrechts ist nach unserer Auffassung ein Gebot der Gerechtigkeit sowie der politischen Sauberkeit.
Diese Auffassung herrscht, wie Herr Kollege Dr. Bucher mit Recht bereits angedeutet hat, auch in zahlreichen anderen Staaten. Die Strafgesetzbücher vieler Staaten stellen die Abgeordnetenbestechung unter Strafe. Dabei werden in der ausländischen Gesetzgebung Unterscheidungen sowohl hinsichtlich der Einstufung des Täters als auch der systematischen Eingliederung der Tat gemacht.
Bei einer Betrachtung unter diesen beiden Gesichtspunkten zeigen sich in der ausländischen Gesetzgebung drei Wege der strafrechtlichen Erfassung der Abgeordnetenbestechung.
In der ersten Gruppe von Ländern wird dem Parlamentsmitglied keinerlei strafrechtliche Sonderstellung eingeräumt, so daß es nicht wegen Bestechung als eines Amtsdelikts bestraft werden kann, sondern nur in dem konkreten tatbestandlichen Rahmen einer dem § 108 b unseres Strafgesetzbuches entsprechenden Bestimmung.
In einer Reihe anderer Länder hat die Gesetzgebung den Begriff der Bestechung des Charakters eines Amtsdelikts entkleidet und ihn auf alle Personen ausgedehnt, die eine irgendwie im öffentlichen Interesse liegende und vom Vertrauen der Öffentlichkeit getragene Tätigkeit ausüben.
In einer dritten Gruppe von Ländern erweitert man bei Aufrechterhaltung des Amtsdeliktscharakters der Bestechung den Begriff des Beamten oder des Amtes in dem Maße, daß auch ein Parlamentsmitglied als Beamter anzusehen ist und sich damit wegen Bestechung strafbar machen kann.
Dieser flüchtige Überblick über die Gesetzgebung anderer Länder zeigt uns, daß diese trotz zum Teil viel älterer Traditionen einer echten Volksvertretung die Ergänzung des Appells an Ehre und Gewissen des Abgeordneten durch eine praktisch reale Strafsanktion nicht nur als mög({0})
lich, sondern auch als notwendig empfinden. Auch die in den letzten Jahrzehnten in Deutschland erarbeiteten Entwürfe zu einem neuen deutschen Strafgesetzbuch, nämlich die Entwürfe von 1919, 1925, 1927 und der Kahlsche Entwurf von 1930 bezogen Wahlen und Abstimmungen innerhalb der Parlamente eindeutig in den Geltungsbereich der Bestimmungen über Wahldelikte ein. Gegenüber diesem sowohl von der Gesetzgebung des Auslandes wie den deutschen Strafrechtsexperten der letzten Jahrzehnte als zwingend empfundenen Postulat der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung würde unsere öffentliche Meinung kein Verständnis dafür aufbringen, wenn wir die strafrechtliche Ahndung der Abgeordnetenbestechung ablehnten.
Der angesichts der besonderen Stellung des Abgeordneten in den Debatten des 1. Bundestages bereits gemachte Vorschlag eines nur verfassungsgerichtlichen Verfahrens bei gewinnsüchtiger Ausbeutung des Mandats führte schon damals zu einer Diskussion über die Modalitäten des Verfahrens gegen den Abgeordneten. Der hier behandelte Gesetzentwurf ist ja nur eine Anregung zur gesetzgeberischen Lösung des Problems, bei der dem Gesetzgeber die Ausgestaltung des zu beschließenden Gesetzes freisteht. Je nach der materiell-rechtlichen Lösung des Problems wird der Gesetzgeber hinsichtlich der Verfahrensmodalitäten vor folgende Möglichkeiten gestellt:
1. Anklage vor dem Verfassungsgericht, das entweder lediglich die Korruption festzustellen oder das Abgeordnetenmandat abzuerkennen hat, unter Ausschaltung jeder strafgerichtlichen Verfolgung;
2. Vorentscheidung des Verfassungsgerichts über die Frage der Ausbeutung des Mandats in gewinnsüchtiger Absicht und nachfolgende Aburteilung wegen Abgeordnetenbestechung durch die ordentlichen Gerichte;
3. lediglich ein Strafverfahren vor den ordentlichen Gerichten.
Eine Erörterung der einzelnen für und wider die eine oder die andere Möglichkeit sprechenden Gründe würden den Rahmen der Grundsatzdebatte sprengen. Ich darf aber zum Ausdruck bringen, daß wir entsprechend unserer Neigung zur Bejahung der Strafbarkeit in der Verfahrensfrage das Strafverfahren vor den ordentlichen Gerichten als die gangbarste Lösung in Betracht ziehen. Angesichts der privilegierten Stellung der Abgeordneten und der besonderen Schwierigkeiten des Verfahrens sind wir der Meinung, daß das Verfahren innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit den höheren und damit qualifizierten Gerichten zu übertragen ist.
Zur Rechtfertigung dieses unseres Standpunktes lassen Sie mich abschließend kurz noch folgendes sagen. Wir Abgeordneten sind zur höchsten und ehrenvollsten Aufgabe im Staate berufen, der Aufgabe der Gesetzgebung. Höchste Aufgabe und höchste Ehre bedeutet aber auch zugleich höchste Verantwortung. Deshalb darf das Volk erwarten, daß auch wir Abgeordnete unser Verhalten im Parlament den gleichen Maßstäben zu unterstellen bereit sind, mit denen das Strafgesetz das Verhalten des einfachen Staatsbürgers im Bereich der Ausübung staatsbürgerlicher Rechte strafrechtlich bemißt. Daß wir das tun, ist meines Erachtens eine unabweisbare Forderung der Gerechtigkeit. Gerade bei der gesetzgeberischen Bewältigung dieses für das Ansehen von Staat und Parlament so bedeutsamen Problems sollten wir des in erhöhtem Maße für den demokratischen Staat gültigen Satzes eingedenk sein: Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es darf nach dem bisherigen Ergebnis der Erörterungen festgestellt werden, daß dieser Gesetzentwurf allgemein begrüßt wird. Auch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffassung, daß es eine gute Sache ist, daß der Fragenkomplex, der auch Anlaß zu diesen Anträgen gegeben hat, in dem weiteren Gesetzgebungsgang hier einer Erörterung unterzogen wird mit dem Bemühen, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu treffen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hatte bereits im 1. Bundestag einen Antrag eingebracht, und zwar am 6. Juni 1951, also vor genau fünf Jahren, der zwei Anliegen zum Gegenstand hatte, erstens die Einführung einer Registrierpflicht für die sogenannten Förderergesellschaften, über die nachher noch einiges zu sagen sein wird, und zweitens die strafrechtliche Regelung im Sinne des Antrags der FDP-Fraktion, der uns heute vorliegt.
Es ist bereits die Rede davon gewesen, daß im Rechtsausschuß des 1. Bundestages anläßlich der Beratung des Strafrechtsänderungsgesetzes Erörterungen über diesen Fragenkomplex angestellt worden sind. Dort - das möchte ich noch einmal ausdrücklich feststellen; das ergibt sich aus den Protokollen - bestand Einmütigkeit darüber, daß die korrumpierenden Einwirkungen auf das politische Leben zu bekämpfen sind. Niemand hat damals irgendein sogenanntes Plädoyer für die Korruption gehalten, auch nicht der Abgeordnete Dr. Arndt, wie das in irreführender Weise von einer angesehenen Zeitung gesagt und von weniger angesehenen Blättern nachgeplappert worden ist.
Die Problematik, vor der man damals stand und vor der wir heute wieder stehen, ist einfach die, ob und inwieweit es möglich ist, Vorgänge, die aus Einwirkungen auf die Mitglieder des Parlaments von außen her bestehen, mit dem Maßstab des Strafgesetzes zu messen und durch die Organe der Strafgerichtsbarkeit zu prüfen. Ich will hier auf die ganze rechtliche Problematik, die in ausreichender und auch tiefgründiger Weise von meinen Vorrednern, insbesondere von Herrn Kollegen Platner, dargelegt worden ist, nicht noch einmal eingehen. Die letzten Erfahrungen und der Antrag der FDP-Fraktion veranlassen uns, den Fragenkomplex erneut auch in den Ausschüssen zu durchdenken. Ich möchte zur tatsächlichen Problematik nur folgendes sagen. Es kann und darf nicht Rechtens sein und es kann und darf nicht erlaubt sein, wenn irgendwelche Sendboten jener ominösen „Förderergesellschaften" durchs Land reisen, um den Versuch zu machen, 100 000 oder 60 000 DM einem Abgeordneten dafür zu zahlen, daß er in irgendeinem ganz konkreten Falle, also im Falle einer konkreten Stellungnahme zu irgendeiner bestimmten Frage, in einer bestimmten Weise abstimmt. Es darf auch nicht Rechtens sein, daß man Mittelsmännern, denen die Aufgabe zufällt, die etwa - etwa! - käuflichen Abgeordneten herauszufinden, Beträge so in Höhe von, sagen wir,
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20 000 DM anbietet. Es kann und darf weiterhin
das muß in unsere Betrachtung in tatsächlicher Hinsicht einbezogen werden -- nicht Rechtens sein, wenn man Abgeordneten eines Landtags, die von Beruf etwa Rechtsanwälte oder Architekten sind, zusätzliche Aufträge anbietet oder laufende Mandate zu entziehen droht je nachdem, ob der Abgeordnete zu einer ganz konkreten Fragestellung ja oder nein sagt.
({1})
Das alles kann und darf nicht geduldet werden, und es ist die Verpflichtung des Gesetzgebers, seinen Gehirnkasten, wenn ich es mal so ganz plastisch ausdrücken darf, anzustrengen, um hier all dem, und wenn es auch nur Anfänge in unserem politischen Leben sein mögen, von vornherein einen Riegel vorzuschieben. Denn diejenigen, die so handeln, die in dieser Weise mit derartigen Mitteln auf Mitglieder der Gesetzgebungsorgane einzuwirken versuchen, untergraben das Vertrauen des Volkes in die Organe der Demokratie.
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Auch das verdient hier Erwähnung: diejenigen, die aus gegebener Veranlassung in der Öffentlichkeit nach solchen Vorkommnissen Alarm geschlagen haben, verdienen den Dank des Parlaments. Wer hier Alarm gegeben hat, der hat damit die Möglichkeit geschaffen, in die trübe und muffige Atmosphäre der politischen Korruption frische Luft zu bringen.
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Bei der Überprüfung des gesamten Fragenkomplexes darf ein Problem nicht übersehen werden, nämlich die korrumpierende Tätigkeit der sogenannten Förderergesellschaften.
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Es ist einfach schamlos, was sich da alles abspielt.
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- Ja, eben; das wird durch bestimmte legislative Maßnahmen noch begünstigt. Das muß mit Bedauern festgestellt werden und ist hier auch schon wiederholt von Sprechern meiner Fraktion festgestellt worden.
Als im Jahre 1953 die SPD mit einer Dokumentensammlung über die Tätigkeit dieser Gesellschaften an die Öffentlichkeit trat, war die Reaktion Totschweigen oder Nichtwahrhabenwollen. Heute, im Jahre 1956, werden die Methoden dieser Förderergesellschaften von manchen Leuten schon als eine Selbstverständlichkeit angesehen. Lassen Sie mich an Stelle zahlreicher Beispiele für die Wirksamkeit der Förderergesellschaften eines anführen. Da schreibt die „Frankfurter Neue Presse" am 9. Mai 1956 folgendes - ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren -:
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß die sogenannte Förderergesellschaft den Freien Demokraten die weitere finanzielle Hilfestellung versagt hat. Dagegen soll die FVP nach einer Erklärung Dr. Kohuts mit erheblichen Mitteln ausgestattet sein.
Und dann heißt es an einer anderen Stelle in
diesem Bericht der „Frankfurter Neuen Presse":
Aus der Landtagsfraktion der Partei
- der FDP - ist bisher nur der ehemalige Stellvertretende Reichsstudentenführer der NSDAP Dr. Derichsweiler ausgeschieden, obwohl er noch acht Tage vorher versichert haben soll, daß er keiner neuen politischen Partei beitreten, sondern sich aus dem politischen Leben zurückziehen und sein Landtagsmandat niederlegen wolle. Als Finanzwerber der Freien Demokraten kann er nun der neuen Partei seine Erfahrungen zur Verfügung stellen.
Und jetzt kommt ein interessanter Satz in dem Bericht der „Frankfurter Neuen Presse":
Einen besonderen Einfluß auf die Entscheidung Derichsweilers soll die Förderergesellschaft genommen haben.
In welcher Weise in Nordrhein-Westfalen gegenüber Parteien die Methode „Geldhahn auf - Geldhahn zu" praktiziert worden ist, das wissen Sie alle ebensogut wie ich, und einige Damen und Herren dieses Hauses wissen es auch noch besser, und zwar aus unmittelbarer Erfahrung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang erklären, warum wir diese Tätigkeit der Förderergesellschaften für so gefährlich halten und warum wir der Meinung sind, daß dieser Fragenkomplex in den Bereich unserer Erörterungen in den Ausschüssen einbezogen werden muß. Einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der FDP, der sicherlich hierüber weitgehende Einblicke haben muß, hat laut Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 16. Mai 1956 folgendes gesagt: „Die Gefährlichkeit der Spenden liegt in der Zweckgebundenheit", und die Zweckgebundenheit ist doch darauf gerichtet, daß jene Gesellschaften durch finanzielle Einwirkungen, durch das Spielenlassen dessen, was man als politisches Geld bezeichnet hat, politische Macht ausüben.
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Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, hier einen Riegel vorzuschieben; denn hier wird offensichtlich in einer schamlosen und frechen Weise politische Macht mit Geld ausgeübt und gekauft. Damit wird das Vertrauen des Staatsbürgers in die freie Tätigkeit des Parlaments und letzten Endes in die freiheitliche Demokratie untergraben. Ich bitte diejenigen unter den Anwesenden, die Verbindungen zu diesen Förderergesellschaften haben, auch einmal zu überlegen, daß durch eine derartige Wirksamkeit an den Fundamenten der freiheitlichen Demokratie gerüttelt wird.
({7})
Alle diese Gesellschaften, deren Tätigkeit sich im Halbdunkel oder gar im Dunkel abspielt, fördern doch das, was man als das Praktizieren der käuflichen Liebe auf dem Gebiete der Politik bezeichnen könnte.
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- Sehr richtig!
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Ich darf vielleicht auf eine Bemerkung des Abgeordneten Dr. Jaeger bei der Behandlung dieses Fragenkomplexes im Rechtsausschuß hinweisen. Er hat damals gesagt:
Zu den Gegnern der Demokratie zählen nicht
nur die Staatsfeinde auf der äußersten Rechten
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und Linken, sondern ebenso die, die die demokratischen Einrichtungen korrumpieren.
Veranlassung zu dieser Bemerkung hatte der Problemkreis gegeben, der uns auch heute beschäftigt und der im ersten Bundestag unter der Überschrift „Spiegel-Affäre" eine so große Rolle gespielt hat. Die sozialdemokratische Fraktion hat bereits im ersten Bundestag einige Anregungen gegeben, den hier angeschnittenen Problemen Rechnung zu tragen. Gewiß wird nicht immer das Strafgesetz das geeignete Mittel zur Beseitigung der Mißstände sein. Wir hatten im ersten Bundestag weitere Vorschläge gemacht, z. B. den Vorschlag, eine Registrierungs- und Veröffentlichungspflicht für die Förderergesellschaften und für alle diejenigen zu schaffen, die im Zwielicht des Lobbyistentums krebsen. Das ist nämlich nötig, und ich betrachte es als meine Pflicht, auch hier an Hand eines Beispieles auf die Notwendigkeit einer solchen Regelung hinzuweisen. Ich darf aus einem Bericht der „Frankfurter Rundschau" vom 16. Mai 1956 zitieren. Da wird eine dieser Förderergesellschaften - ich meine jetzt in ihrer Lokalisierung - wie folgt charakterisiert:
Keine Angabe im Telefonbuch, kein Schild an der Gartentür der Zwei-Stock-Villa in der Forsthausstraße 43 in Frankfurt am Main kündet z. B. vom Dasein der sogenannten Förderergesellschaft der hessischen Wirtschaft. In der Mainstadt
- also in Frankfurt befindet sich allerdings nur die Verbindungsstelle der Landesförderergesellschaft Hessen. Ihre Zahlstelle ist in Ludwigshafen, damit der hessische Finanzminister nicht in den Kochtopf gucken kann.
Das alles zeigt, daß hier, und zwar aus gegebener Veranlassung, der Gesetzgeber tätig werden muß. Die im 1. Bundestag gegebenen Anregungen sind damals in der Last der Arbeit, aber wahrscheinlich auch zu einem erheblichen Teil in der Verstrickung der Interessen, die auch in diesem Hause eine gewisse Rolle spielt, versackt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion spricht die Hoffnung aus, daß dieses Haus, unberührt von irgendwelchen Einflüssen von außen - ich denke etwa an die Staatsbürgerliche Gesellschaft, in der bedauerlicherweise ein Mitglied dieses Hauses in dieser Richtung wirksam ist -, den Willen hat, den bestehenden Erscheinungen Rechnung zu tragen. Dafür mag das Wort gelten: Wehret den Anfängen!
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Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.
Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Angst, daß ich diese Debatte noch verlängern werde. Ich habe nicht vor, zu den grundsätzlichen Fragen dieses Komplexes zu sprechen.
Ich habe Herrn Kollegen Wittrock so verstanden, daß er behauptet, die Steuerfreiheit von politischen Geldern komme den Förderergesellschaften zugute. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: das Gegenteil ist der Fall. Denn dadurch, daß wir jedem einzelnen Staatsbürger die Möglichkeit geben, politische Parteien mit seinem verdienten
Einkommen zu unterstützen, ist ein Umweg über Verbände einfach nicht mehr nötig. Genau das war der Grund, warum ich mich seinerzeit für diese Bestimmung eingesetzt habe.
({0})
- Das ist eine andere Geschichte.
({1})
Aber über diese Fragen könnte man noch vieles pro und contra sagen.
({2})
Ich will nur in aller Deutlichkeit feststellen, daß die Behauptung des Herrn Kollegen Wittrock in dieser Richtung objektiv einfach falsch ist.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung der ersten Lesung. Es ist Überweisung des Gesetzentwurfs Drucksache 2310 an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht beantragt. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Damit sind wir am Ende der gestrigen Tagesordnung.
Wir treten nunmehr in die heutige Tagesordnung ein. Drei Punkte sind schon erledigt. Der Abgeordnete Rehs als Berichterstatter der schwierigen Materie des Punktes 10 hat mich gebeten, die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen vorzuziehen. Ist das Haus damit einverstanden, daß ich so verfahre? - Ich höre keinen Widerspruch. Ich rufe also auf Punkt 10 der heutigen Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen ({0});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({1}) ({2}).
({3})
Ich erteile das Wort dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Rehs.
Rehs ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht kein Anlaß, den vorliegenden Schriftlichen Bericht*) auch nur in Teilen zu wiederholen. Aber aus der Mitte des Hauses sind zu einem Punkte Zweifel geäußert worden, und man hat den Wunsch ausgesprochen, daß eine Klarstellung erfolgt. Ich komme diesem Wunsch hiermit nach, um so eher, als damit eine weitere Erörterung und eine eventuelle Antragstellung vermieden werden.
In dem § vor 1 wird gesagt, daß das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen, die auf Grund des Bundesrechts angeordnet werden, sich nach diesem Gesetz bestimmt, soweit das Bundesrecht das Verfahren nicht abweichend regelt. In dem Schriftlichen Bericht ist hier als e i n Beispiel einer bereits vorhandenen bundesrechtlichen Regelung des gerichtlichen Verfahrens bei Frei-
*) Siehe Anlage 2.
({5})
heitsentziehungen auf das Strafverfahren verwiesen worden. Es sind nun Zweifel darüber aufgetaucht, ob das Gesetz auch in den Fällen angewendet werden muß, in denen das Bundesrecht bereits eine Verfahrensregelung für Freiheitsentziehungen enthält, diese Regelung aber nicht den Erfordernissen des Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes entspricht, weil sie nicht die Einschaltung des Gerichts vorsieht. Das gilt insbesondere für die Freiheitsentziehung auf Grund des § 20 der Fürsorgepflichtverordnung, der nach § 22 Abs. 2 des Entwurfs künftig als förmliches Gesetz im Sinne des Art. 104 Abs. 1 des Grundgesetzes gelten soll.
Dazu ist folgendes zu bemerken. Wenn der § vor 1 die Anwendung des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen für die Fälle ausschließt, in denen das Bundesrecht das Verfahren abweichend regelt, so will er damit selbstverständlich nur die Fälle treffen, in denen das Verfahren bereits bundesrechtlich in einer den Anforderungen des Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes entsprechenden Weise geregelt ist, d. h. bereits die Freiheitsentziehung nur durch das Gericht angeordnet werden kann. Das ergibt sich schon aus dem Zweck des Gesetzes, für alle auf materiellem Bundesrecht beruhenden Unterbringungsfälle, für die noch keine dem Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes entsprechende Regelung besteht, die nötigen Verfahrensvorschriften zu treffen; denn eine Freiheitsentziehung durch die Verwaltungsbehörde ohne Einschaltung des Gerichts ist wegen Art. 104 Abs. 2 des Grundgesetzes unzulässig, weil über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat. Daher ist selbstverständlich auch auf Grund § 20 der Fürsorgepflichtverordnung ebenso wie auf Grund der beiden weiteren in § 22 Abs. 2 des Entwurfs genannten Verordnungen eine Freiheitsentziehung nur unter Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen zulässig. Das ergibt sich im übrigen bereits aus Abschnitt III Ziffer 2 des Schriftlichen Berichts, wo ausdrücklich die Anwendbarkeit des Gesetzes auf die in § 22 Abs. 2 des Entwurfs genannten Vorschriften hervorgehoben ist. Hierüber bestand auch im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht allseitiges Einverständnis. Ich darf daher diese Feststellungen zur Behebung der aufgetauchten Zweifel, gewissermaßen als authentische Interpretation, noch einmal treffen.
Ich danke dem Herrn Bereichterstatter. Ich eröffne die zweite Beratung. - Ich darf noch eine Frage an den Herrn Berichterstatter stellen. Der § vor 1 soll doch keine Präambel werden, sondern später wohl „§ 1" hei({0})
Ich rufe also auf in der Ausschußfassung § vor 1, §§ 1, - 2, - 3, - § 4 entfällt, § 5, - § 6 entfällt, §§ 7, - 8, - 9, - 10, - 11, - § 12 entfällt, §§ 13, - 14, - 15, - §§ 16 und 17 entfallen wieder nach dem Vorschlag des Ausschusses, §§ 18, - 19, -20, - § 21 entfällt, §§ 22, - 23, - 24, - 25, - Einleitung und Überschrift. - Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Paragraphen in der Ausschußfassung und der Einleitung und der Überschrift zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit ist die zweite Lesung des Gesetzes beendet. Wir treten in die
dritte Lesung
ein. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die allgemeine Aussprache.
Da Änderungsanträge nicht vorliegen, kommen wir zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zuzustimmen wünscht, erhebe sich bitte. - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist auch der Punkt 10 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Ich kehre zurück zu Punkt 4:
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes ({1}).
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß auf Begründung und Aussprache in der ersten Beratung verzichtet wird. Ich schlage Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Heimatvertriebene als federführenden Ausschuß, an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als mitberatende Ausschüsse vor. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Wertpapierbereinigungsgesetzes ({2}).
Hier soll wie zuvor verfahren werden. Ich schlage Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Geld und Kredit vor. Ist das Haus damit einverstanden?
({3})
- Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen.
Punkt 6:
Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuersäumnisgesetzes ({4}).
Auch hier wollen die Antragsteller auf mündliche Begründung verzichten. Ich schlage Überweisung an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vor.
({5})
- Das Haus ist damit einverstanden. Punkt 7:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Umsatzsteuersystem ({6});
b) Erste Beratung des Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({7});
c) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({8}).
Ich sehe hier in meinen Unterlagen - ich selbst konnte nicht an der Sitzung des Ältestenrates teilnehmen - eine Klammer bei Punkt 7 a und b. - Soll das nur für die Debatte gelten?
({9})
({10})
- Gut, dann lasse ich die drei Anträge zuerst begründen. Zuerst der Antrag unter Punkt 7 a, Drucksache 2234.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Kurlbaum.
Kurlbaum ({11}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich mit den Fragen unserer Umsatzsteuergesetzgebung befaßt, der mußte in letzter Zeit besorgt werden angesichts der Flut der Anträge, die sich aus den interessierten Kreisen wegen einer Änderung unserer Umsatzsteuer über uns Abgeordnete ergossen hat. Zweifellos hat unser gegenwärtiges Umsatzsteuersystem grundsätzliche Mängel. Da es sich dabei um volkswirtschaftliche Mängel handelt, haben diese Mängel besondere Bedeutung.
Der erste entscheidende Mangel besteht darin, daß unser derzeitiges Umsatzsteuersystem einseitig die Angliederung vor- oder nachgeordneter Stufen, sei es der Herstellung oder der Verteilung, begünstigt. Wenn man z. B. bestimmte unserer Großunternehmen in mittlere oder kleinere selbständige Unternehmen aufteilte und trotzdem die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Betrieben aufrechterhielte, so würde sich eine um Millionen höhere Umsatzsteuer ergeben. Es ist ganz klar, daß dieser Tatbestand dem Grundsatz der steuerlichen Gerechtigkeit nicht entspricht.
Darüber hinaus beeinträchtigt unser gegenwärtiges Umsatzsteuersystem in zahlreichen Fällen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen gegenüber den Großunternehmen, sondern auch ihre Existenzfähigkeit. Des weiteren fördert unser gegenwärtiges Umsatzsteuersystem auch die Angliederung z. B. von Steuerabteilungen, von Rechtsabteilungen, von Bauabteilungen an die Großunternehmungen und schränkt damit den Betätigungsbereich der freien Berufe weiter ein. Man kann daher ganz klar und deutlich sagen, daß unser gegenwärtiges Umsatzsteuersystem ausgesprochen mittelstandsfeindlich ist. Indem es konzentrierte wirtschaftliche Macht begünstigt, verschiebt es die Startbedingungen im Leistungswettbewerb. Es wirkt in Richtung auf eine Verminderung der Zahl der selbständigen Existenzen und hat daher auch bedenkliche soziologische Folgen.
Der zweite entscheidende Fehler unseres derzeitigen Umsatzsteuersystems ist, daß es eine Spezialisierung und eine sinnvolle Arbeitsteilung behindert. Jeder, der Gelegenheit hatte, sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den USA anzusehen
- ich hatte in den letzten Jahren mehrfach Gelegenheit dazu -, ist davon überrascht, feststellen zu müssen, wieviel weitgehender die Spezialisierung in der amerikanischen Wirtschaft fortgeschritten ist.
({12})
- Natürlich auch eine Frage der Gesinnung. Ich habe nicht behauptet, daß das der einzige Grund für die sehr viel weitergehende Spezialisierung der amerikanischen Wirtschaft sei. Ich behaupte nur
- und ich glaube, das kann niemand bestreiten -, daß unser Umsatzsteuersystem zumindest eine weitergehende Spezialisierung unserer deutschen Wirtschaft zu behindern geeignet ist und damit ein Hindernis bei der Rationalisierung unseres Wirtschaftssystems darstellt.
Was ich hier gesagt habe, ist zweifellos nichts grundlegend Neues. Aber ich habe es für richtig gehalten, diese Dinge hier einmal auszusprechen, insbesondere deshalb, weil man in letzter Zeit dazu übergegangen ist, Vorschläge auf Änderungen in größerem Umfang an dem derzeitigen Umsatzsteuersystem zu machen, und zwar indem man Sonderregelungen für einzelne Wirtschaftszweige verlangt. Alle diese Versuche, durch Schaffung von Sonderregelungen für bestimmte Wirtschaftszweige das gegenwärtige Umsatzsteuersystem zu verbessern, führen aber dazu, daß der einzige wirklich überzeugende Vorteil des gegenwärtigen Umsatzsteuersystems, nämlich seine verhältnismäßig große Einfachheit, weitgehend illusorisch gemacht wird. Noch viel schlimmer ist, daß, wenn man solche mannigfachen Sonderregelungen zuläßt, überhaupt nicht mehr abzusehen ist, mit wieviel weiteren Anträgen auf Sonderregelungen wir dann in Zukunft noch zu rechnen haben. Es ist unmöglich, für jede Form der Mehrstufigkeit oder für jede Form der zwischenbetrieblichen Zusammenarbeit eine angemessene Regelung durch Sonderregelungen zu treffen.
Nun mag es sein, daß der Gedanke für einzelne Abgeordnete verlockend ist, auf diesem Wege bestimmten Wirtschaftszweigen zu helfen. Ich glaube aber, daß man durch solche begrenzten Versuche der Sache im ganzen wenig dient. Im übrigen habe ich die lebhafte Befürchtung, daß, wenn wir mit diesen vielen Sonderregelungen für das Umsatzsteuerrecht fortfahren, wir uns letzten Endes einen ähnlich unerfreulichen Komplex schaffen, wie es heute schon der Zolltarifkomplex ist. Dadurch würde das Umsatzsteuerrecht unerfreulicherweise zu einem weiteren Tummelplatz für Gruppeninteressen werden. Aus diesem Grunde ist es dringend notwendig, daß wir uns hier im Hause mit der Frage eines neuen Umsatzsteuersystems einmal sehr eingehend und gründlich befassen.
Nun haben wir in unserem Antrag noch drei Spezialfragen angesprochen. Wir haben darauf hingewiesen, daß das jetzige System keinen einwandfreien Ausgleich der umsatzsteuerlichen Belastung für die einzelnen Warengruppen, weder bei der Einfuhr noch bei der Ausfuhr, zuläßt. Das ist besonders wichtig für die Importeure, wenn wir in Zukunft daran denken, unseren Zollschutz weiter abzubauen, und es ist meiner Ansicht nach besonders wichtig auch für die Exporteure, nachdem nunmehr die Vergünstigungen bei den Ertragsteuern fortgefallen sind.
Das zweite, die Differenzierung der Umsatzsteuer für bestimmte Stufen der Erzeugung und Verteilung, ist, wie ich glaube, allgemeines Anliegen. Aber auch dieser Gesichtspunkt läßt sich bei einem nichtkumulativen Umsatzsteuersystem zweifellos sehr viel besser berücksichtigen als beim jetzigen System.
Schließlich bringt das jetzige System es mit sich, daß die Investitionsgüter nicht nur, wie alle anderen Güter auch, kumulativ belastet werden, sondern daß die Abschreibungen auf die Investitionsgüter als Preisbestandteile der Waren, zu deren Erzeugung sie benutzt werden, nochmals kumulativ belastet werden. Im französischen Umsatzsteuerrecht hat man sich schon sehr eingehend mit diesem Problem befaßt und hat versucht, es zu lösen. Dort hat man erkannt, daß man, zumindest nicht auf lange Sicht, einer weiteren Rationalisie({13})
rung nicht unnötige Schranken von der Steuerseite her auferlegen sollte.
Die Bundesregierung hat sich zum System der Umsatzsteuer in der Denkschrift über eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes - Drucksache 1924 - in dem Abschnitt „Vorschläge zur Änderung des Systems" geäußert. In dieser Denkschrift wird anerkannt, daß es notwendig ist, eingehende Untersuchungen über die Möglichkeit eines Übergangs zu einem nichtkumulativen System anzustellen. Ich begrüße diese Feststellung. Interessant war für mich bei der Lektüre dieser Denkschrift, festzustellen, daß offenbar das Bundesfinanzministerium in den preisregulierenden Mechanismus des Wettbewerbs kein großes Vertrauen setzt. Das kommt in der Denkschrift klar zum Ausdruck. Es wäre interessant, wie das Bundeswirtschaftsministerium darüber denkt. Im übrigen aber beschränkt sich die Argumentation des Bundesfinanzministeriums in dieser Denkschrift im wesentlichen auf die Anführung betriebswirtschaftlicher und fiskalischer Gesichtspunkte. Ich vermisse eine Auseinandersetzung mit dem, was unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten vorzubringen ist. Wenn Sie einmal den Zusammenhang zwischen diesem Steuersystem, der Spezialisierung und der Intensivierung des Wettbewerbs erkennen, dann werden Sie mir zugeben, daß das volkswirtschaftliche Fragen so großer Bedeutung sind, daß dagegen z. B. die Frage der Aufbringungskosten nicht mehr als primär betrachtet werden kann.
Abschließend lassen Sie mich folgendes sagen. Es ist unserer Ansicht nach dringend notwendig, daß die Bundesregierung einen umfassenden Beitrag mindestens zur Diskussion des Umsatzsteuersystems liefert. Von der Wissenschaft und auch von der Verwaltungspraxis sind schon interessante, sehr weitgehend durchgearbeitete Vorschläge gemacht worden. Ich erwähne in diesem Zusammenhang nur die sehr eingehende Arbeit von Herrn Zierold-Pritsch. Die Bundesregierung sollte diesem Hause mindestens eine umfassende Übersicht über die ganze Problematik dieser Systematik und über all das Material vorlegen, das notwendig ist, damit sich dieses Haus mit der Frage näher beschäftigen kann.
Aus diesem Grunde bitten wir Sie, unseren Antrag nicht nur dem Ausschuß für Finanzen und Steuern, sondern wegen seiner großen allgemeinwirtschaftlichen Bedeutung zur Mitberatung auch dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik zu überweisen.
({14})
Ich rufe auf Punkt b), Drucksache 2379.
({0})
- Die Regierung verzichtet.
Ich rufe auf Punkt c), Drucksache 2419. Die an-tragstellende Fraktion verzichtet ebenfalls auf Begründung.
Dann schlage ich dem Haus vor, daß wir, falls das Wort weiter nicht gewünscht wird, diese beiden Gesetzentwürfe - Drucksachen 2379 und 2419 - vorab überweisen, und zwar den ersten an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung und den zweiten an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - federführend - und an den Ausschuß für Außenhandelsfragen zur Mitberatung. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind diese beiden Gesetzentwürfe überwiesen.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache zu dem Antrag Drucksache 2234 und erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Eckhardt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedeutung der Frage, um die es sich hier handelt, steht außer aller Debatte. Eine sehr eingehende weitere Prüfung der Gedankengänge etwa zur Nettoumsatzsteuer oder zu anderen Systemen eines möglichen Umsatzsteuerrechts wird von uns durchaus begrüßt. Ich darf aber bemerken, daß in diesem Hause sowohl im Finanzausschuß als auch in dem von ihm gebildeten Unterausschuß für Umsatzsteuer gerade diese Fragen schon sehr ausführlich behandelt worden sind. Wir haben selbstverständlich auch die vorliegenden Gesetzesvorschläge z. B. aus der Feder von Professor Schmölders und anderen besprochen und geprüft. Wir haben uns auch mit dem Bundesfinanzministerium darüber in Verbindung gesetzt, und es ist nicht so, als ob das Bundesfinanzministerium nun gedächte, zu warten, bis etwa die Aufforderung an es gestellt wird, zu dieser Debatte beizutragen, sondern das Bundesfinanzministerium hat auf unsere Anregungen hin schon Schritte unternommen, um ausländische Umsatzsteuersysteme, insbesondere aber die Wirkungen des französischen Umsatzsteuersystems im Saargebiet an Ort und Stelle zu prüfen. Das alles geschieht also bereits laufend.
({0}) - Ich komme darauf, Herr Kurlbaum. Diese Ergebnisse können nicht so schnell vorgelegt werden, wie Sie sich das vorstellen. Es handelt sich immerhin um eines der schwierigsten und umfassendsten Probleme, die gesetzgebungstechnisch gestellt werden können. Auch in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg sind ja schon eingehende Ermittlungen über die Art der verschiedenen Umsatzsteuersysteme angestellt worden, und ein Ausschuß der deutschen Wirtschaft hat sich damals grundlegend mit diesen Fragen befaßt. Es handelt sich also nicht um Dinge, die in wenigen Wochen erledigt werden können, sondern wenn das Bundesfinanzministerium uns einen umfassenden Bericht über diese Fragen geben soll, dann wird es dazu noch geraume Zeit brauchen. Sie wünschen einen solchen Bericht schon zum 31. August 1956.
Ich halte die Vorlage des Berichts zu diesem Zeitpunkt für schlechterdings ausgeschlossen. Aber wir werden uns über diese Frist wahrscheinlich noch einmal unterhalten müssen.
({1})
- Dazu ist zu sagen, daß die jahrelang durchdachten Ausarbeitungen, die Sie ja erwähnt haben, in vielerlei Beziehungen den praktischen und sonstigen Anforderungen noch nicht genügen, daß sich im Gegenteil Schwierigkeiten herausgestellt haben, die fast unüberwindbar sind. Vielleicht wissen Sie auch, daß Ausschüsse der Wirtschaft, und zwar gerade auch der mittelständischen Wirtschaft, sich nicht erst seit Monaten, sondern schon seit Jahren mit diesen Gedankengängen befassen, und vielleicht wissen Sie ebenfalls, daß diese Ausschüsse
({2})
der Wirtschaft vorläufig wenigstens zu der Auffassung gekommen sind, daß die vorliegenden Pläne technisch undurchführbar seien. Das alles wird eingehend besprochen werden müssen.
Es gibt auch nicht nur die Möglichkeit etwa eines Nettoumsatzsteuersystems. Ich darf darauf hinweisen, daß nur Frankreich ein solches System hat, und Frankreich hat nicht einmal allein das Nettoumsatzsteuersystem, sondern es hat daneben noch das alte Umsatzsteuersystem in dem Sinne, in dem Sie es gekennzeichnet haben. Und es gibt andere Länder, die früher ähnliche Systeme gehabt haben, es aber ablehnen, solche Systeme einzuführen. Das ist nicht nur eine deutsche, sondern eine europäische Frage, deren Bedeutung wir, wie ich vorhin schon gesagt habe, nicht verkennen.
Es gibt auch eine Fülle von Lösungsmöglichkeiten. Wenn wir jetzt im Finanzausschuß das geltende Umsatzsteuerrecht betrachten, dann nicht unter dem Gesichtspunkt, irgendwelche Sonderregelungen einzuführen. Wenn wir beispielsweise vor kurzem uns darüber einig geworden sind, den Begriff der Be- und Verarbeitung beim Großhandel aufzulockern - eine der schwierigsten Fragen der geltenden Umsatzsteuertechnik -, dann doch nur aus dem Gesichtspunkt der Vereinfachung. Wir wären erfreut, wenn wir das alte Umsatzsteuergesetz wieder herstellen könnten; unsere Tendenz geht jedenfalls dahin.
Die größte Schwierigkeit, die im Augenblick besteht, ist doch die rein fiskalische Schwierigkeit des Steuersatzes. Er hat vor dem Kriege bei einem Umsatzsteuersatz bis zu 2 % keine wesentlichen Schwierigkeiten der von Ihnen geschilderten Art gegeben.
Nun gibt es aber außerdem auch wesentliche Vereinfachungsmöglichkeiten im Rahmen des Systems. Wenn Sie etwa meinen, daß Sonderanregungen wie die Anträge zur Pauschalierung bestimmter Umsatzphasen oder dergleichen eine Erschwerung darstellen, so darf ich Ihnen erwidern, daß das ganz wesentliche Vereinfachungen sind. Die Komplikationen, die in unser Umsatzsteuerrecht hineingekommen sind, sind fast ausschließlich auf die Erhöhung der Sätze und auf die Maßnahmen zurückzuführen, die infolgedessen notwendig waren. All das wird eingehend besprochen werden müssen, und ich meine, wir sollten diese Frage in erster Linie dem Ausschuß überlassen, der sich seit Monaten damit beschäftigt, d. h. wir sollten Ihren Antrag an den Finanzausschuß überweisen. Im Finanzausschuß und in dem von ihm gebildeten Umsatzsteuerausschuß werden ja die Dinge, von denen Sie hier reden, laufend besprochen, und zwar unter der Mitwirkung von Herren Ihrer Fraktion. - Das wollte ich nur im allgemeinen zu diesen Dingen sagen.
Hinsichtlich des Grundgehalts Ihres Antrages sind wir durchaus Ihrer Meinung, daß diese Dinge einer gründlichen Prüfung bedürfen. Ich bitte, den Antrag zur weiteren Bearbeitung an den Finanzausschuß zu überweisen.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kurlbaum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Dr. Eckhardt veranlassen mich doch zu einer kurzen Bemerkung. Erstens einmal ist, glaube ich, der Hinweis darauf, daß zwischen den beiden Weltkriegen an diesem Problem schon gearbeitet worden sei, für uns nicht sehr gewichtig, denn ich meine, daß wir, was die Wirtschaftspolitik betrifft, seitdem in vieler Hinsicht einiges zugelernt haben, und wir betrachten gerade die Fragen, die ich hier angesprochen habe, heute unter ganz anderen Gesichtspunkten.
({0})
Natürlich ist auch mir bekannt, daß in Ausschüssen der Wirtschaft darüber gesprochen und beraten wird. Aber soll das für uns ein Anlaß sein, darauf zu warten, daß diese Ausschüsse uns die Ergebnisse ihrer Beratungen vorlegen?
Dann der Hinweis, daß die ganze Schwierigkeit durch den hohen Satz entstanden ist. Meine Herren, wenn Sie uns den Vorschlag machen, binnen kurzem den hohen Satz herabzusetzen, dann wollen wir gern mit Ihnen darüber reden!
({1})
- Ja. Aber, meine Herren, ich gehe von Fakten aus. Ich möchte Sie, Herr Dr. Dresbach, fragen: Sehen Sie praktisch zu verwirklichende gute Aussichten, den Umsatzsteuersatz in nächster Zeit radikal herabzusetzen? Dann würde mich das selbstverständlich interessieren.
({2})
- Das ist doch ein ganz anderes System, das auf einer sehr viel kleineren Basis beruht. Da die Basis sehr viel kleiner ist, hat man doch gar keine Vergleichsmöglichkeit. Wenn ich statt der Bruttoumsätze Nettoumsätze besteuere, dann ist bei der Besteuerung der Nettoumsätze die Basis sehr viel kleiner, und ich muß dann einen höheren Sitz haben.
({3})
- Gut, dann muß man sich aber einmal über die Einzelheiten unterhalten.
({4})
- Ja, die Beharrlichkeit in steuerpolitischen Systemfragen ist zweifellos nicht nur bei uns sehr groß.
Herr Dr. Dresbach, ich habe mich mit den Umsatzsteuersystemen in anderen Ländern sehr eingehend befaßt, und ich kann hier nur folgendes feststellen. Es gibt in keinem Land des Westens von erheblicher wirtschaftspolitischer Bedeutung einen so hohen Anteil des Umsatzsteueraufkommens am Gesamtsteueraufkommen wie bei uns zusammen mit einem so primitiven System, wie wir es haben. Das kann ich Ihnen beweisen. Darüber werden wir uns im Ausschuß im einzelnen noch unterhalten.
({5})
({6})
- Herr Dr. Dresbach, das sind eben die Meinungsverschiedenheiten: Soll man eine solche Systemfrage nur, sagen wir, vom Standpunkt der fiskalischen Primitivität aus beurteilen,
({7})
oder sollen wir ein solches Umsatzsteuersystem unter dem Gesichtspunkt der fördernden Wirkung auf die ganze Volkswirtschaft betrachten?
Nun zu den Ausführungen von Herrn Dr. Eckhardt, der Ausschuß habe sich schon mit all dem
befaßt. Meine Herren, ich habe die Protokolle, soweit ich nicht bei den Sitzungen des Unterausschusses anwesend sein konnte, sehr eifrig gelesen. Ich will Ihnen ganz offen sagen, was
meine Fraktion und mich veranlaßt hat, diesen
Antrag einzubringen. Bei der letzten großen
Steuerdebatte haben es listige Leute fertiggebracht,
einen Antrag zu formulieren, der lediglich von
einer Änderung des Umsatzsteuer r echt s sprach.
Diese Formulierung über die Änderung des Umsatzsteuer rechts haben gewisse Leute dazu benutzt, sich sehr wenig mit der Systemfrage zu beschäftigen und alle Bemühungen auf die Änderung des Umsatzsteuer r echt s zu konzentrieren.
({8})
- Bitte, zeigen Sie es mir im Protokoll; es würde mich sehr interessieren, denn ich habe die Protokolle selbst genau studiert.
Mich belustigt bei der ganzen Angelegenheit Ihre große Animosität. Ich habe ja den Bundestag in dieser Frage bisher überhaupt nicht angeklagt. Aber nachdem Sie das so aufgefaßt haben, sehe ich mich veranlaßt, einmal festzustellen, daß es hier im Hause offensichtlich sehr starke Kräfte gibt, die eben nicht an einer Modernisierung unseres Systems interessiert sind.
({9})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist Überweisung des Antrags Drucksache 2234 an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - federführend - beantragt. - Das Haus ist damit einverstanden. Weiter ist die Überweisung zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik beantragt; aber wenn ich die Ausführungen von Herrn Kollegen Eckhardt richtig verstanden habe, möchte er das nicht. Oder widersprechen Sie dem nicht?
({0})
- Gut, wenn nicht widersprochen wird, so ist auch das beschlossen.
Punkt 8:
Beratung des Berichts des Bundesrechnungshofes über die Prüfung der Bilanzen und des Geschäftsbetriebs der Verwertungsstelle der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein für das Geschäftsjahr 1952/53 und das Geschäftsjahr 1953/54 ({1}).
Ich schlage Überweisung dieses Berichts an den
Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen vor. - Das
Haus ist damit einverstanden; dann ist so beschlossen.
Punkt 9:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für den Lastenausgleich ({2}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Verwendung der für den Wohnungsbau bestimmten Lastenausgleichsmittel ({3}).
Berichterstatter ist Abgeordneter Zühlke; bitte.
Zühlke ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, die Drucksache 2358 zur Hand zu nehmen. Es hat sich da ein Druckfehler eingeschlichen. In dem Einleitungssatz heißt es: Die Bundesregierung wird ersucht, bis spätestens zum 31. Oktober 1957 zu berichten. Es muß heißen: 1956.
Ich brauche keine weiteren wesentlichen Erklärungen abzugeben. Der Lastenausgleichsausschuß, der sich mit der Angelegenheit befaßt hat, hat mich gebeten, dem Präsidium eine schriftliche Erklärung zum Mündlichen Bericht vorzulegen. Darf ich bitten, daß das dem Stenographischen Bericht als Anlage*) beigefügt wird.
Abschließend folgendes. Mit dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 2082 hat sich der Lastenausgleichsausschuß befaßt. Er hat nur ganz wenige Änderungen vorgenommen. Der Ausschuß bittet das Hohe Haus, der Vorlage Drucksache 2358 zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 2358 mit der Modalität, daß es auf der ersten Seite nicht heißt „bis spätestens zum 31. Oktober 1957", sondern „bis spätestens zum 31. Oktober 1956". Wer dem Antrag mit dieser Modifikation zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Punkt 10 ist bereits erledigt. Punkt 11:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen auf Zustimmung des Bundestages zum Verkauf eines reichseigenen Grundstücks der kriegszerstörten ehemaligen Marinekaserne in Kiel, Annenstraße ({0}).
Ich schlage dem Hause Überweisung dieses Antrags an den Haushaltsausschuß vor. - Das Haus ist damit einverstanden; dann ist so beschlossen.
Ich finde hier noch die zwei Drucksachen 2430 und 2431 vor, deren Beratung das Haus heute morgen noch auf die Tagesordnung gesetzt hat:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({1}) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der reichseigenen Grundstücke in Northeim
a) ehem. Lagerhaus
b) ehem. Einfamilien-Wohnhaus
an die Firma Linnhoff, Maschinenfabrik, Berlin ({2});
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({3}) über den An-
*) Siehe Anlage 3.
({4})
trag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung des bundeseigenen Grundstücks Lgb. Nr. 5311/7 - Kehler Straße 27/31 - in Rastatt an Stierlen-Werke AG in Rastatt ({5}) ({6}).
In beiden Sachen ist der Abgeordnete Dr. Vogel Berichterstatter.
({7})
- Kann das Haus auf mündliche Berichterstattung verzichten? - Das ist der Fall.
Der Ausschuß beantragt, daß das Haus zustimmen möge. Wird das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Ausschußantrag auf Drucksache 2430 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Auch in der zweiten Sache beantragt der Ausschuß, das Hohe Haus möge dem Antrag des Bundesministers der Finanzen zustimmen. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich abstimmen. Wer dem Ausschußantrag auf Drucksache 2431 zuzustimmen wünscht, gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Die für den 21. Juni vorgesehene Fragestunde ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung auf Donnerstag, den 28. Juni verlegt worden. Die Frist zur Einreichung für Fragen endet am Freitag, dem 22. Juni, 12 Uhr.
Ich berufe die nächste, die 150. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. Juni 1956, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.