Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Hause folgendes mitteilen.
Erstens. Der Deutsche Bundestag hat am 23. Februar 1955 festgestellt, daß der frühere Bundestagsabgeordnete Schmidt-Wittmack sein Mandat wegen nachträglichen Verlustes der Wählbarkeit verloren hat. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 3. Mai 1956 die Beschwerde des Karlfranz Schmidt-Wittmack gegen diesen Beschluß des Deutschen Bundestages zurückgewiesen. Es steht somit rechtskräftig fest, daß Karlfranz Schmidt-Wittmack sein Bundestagsmandat verloren hat.
Zweitens. Nach den Vereinbarungen in der heutigen Sitzung des Ältestenrates darf ich Ihnen mitteilen, daß die vorliegende Tagesordnung wie folgt ergänzt werden soll.
Zunächst wird vorgeschlagen, vor Punkt 1 die
Wahl des Abgeordneten Onnen als beratendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses
vorzunehmen. Meine Damen und Herren, ich darf fragen, ob sich gegen die Wahl Bedenken erheben. - Ich höre keine Bedenken; dann darf ich feststellen, daß die Wahl des Herrn Abgeordneten Onnen zum beratenden Mitglied des Wahlprüfungsausschusses erfolgt ist.
Vor Punkt 15 soll die erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Abkommen über die Internationale Finanz-Corporation und betreffend Gouverneure und Direktoren in der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, in der Internationalen Finanz-Corporation und im Internationalen Währungsfonds - Drucksache 2328 - erfolgen. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Außerdem ist vereinbart worden, eine Umstellung der Tagungsordnungspunkte dergestalt vorzunehmen, daß Punkt 3 - betreffend Moselkanalisierung - vor Punkt 2 - betreffend Agrarpolitik - und Punkt 8, Viertes Nachtragshaushaltsgesetz 1955, vor Punkt 7 - betreffend Zweites Gesetz über den Bundesgrenzschutz - vorgezogen werden sollen. Ich darf auch dafür das Einverständnis des Hauses annehmen.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 4. Mai 1956 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz über die Handwerkszählung 1956 ({0}),
Gesetz über eine Statistik der Wohn- und Mietverhältnisse und des Wohnungsbedarfs ({1}),
Drittes Gesetz über änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung ({2}),
Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nachtrages zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955 ({3}),
Gesetz über die Feststellung eines Dritten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1955 ({4}).
Der Bundesrat hat in seiner gleichen Sitzung dem Gesetz über die vorläufige Fortgeltung der Inanspruchnahme von Gegenständen für Zwecke der ausländischen Streitkräfte und Ihrer Mitglieder nicht zugestimmt. Sein Schreiben wird als Drucksache 2365 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 4. Mai 1956 die Kleine Anfrage 235 der Fraktion der FDP betr. Investitionsmittel für die deutsche Flugzeugindustrie ({5}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2369 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 7. Mal 1956 die Kleine Anfrage 245 der Abg. Spies ({6}), Karpf, Geiger ({7}), Stücklen u. Gen. betreffend Antragsfrist bei Invalidenrenten ({8}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2366 vervielfältigt.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir zur Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 1, und zwar hier zunächst den Punkt 1 a:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes ({9});
aa) Bericht des Hauhaltsausschusses ({10}) gemäß § 96 ({11}) der Geschäftsordnung ({12}).
({13}) Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Vogel.
Dr. Vogel ({14}), Berichterstatter: Ich verweise auf den schriftlich vorliegenden Bericht*).
Herr Abgeordneter Dr. Vogel als Berichterstatter verzichtet auf einen mündlichen Bericht und verweist auf den schriftlich vorliegenden Bericht. Damit ist die Berichterstattung erfolgt.
Ich eröffne zunächst die Beratung zu diesem Bericht. Wird dazu das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Ritzel.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der nach § 96 ({0}) der Geschäftsordnung erstattete und gedruckt vorliegende Bericht hat den Haushaltsausschuß und die in ihm
s) Siehe Anlage 3.
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vertretenen Fraktionen wiederholt beschäftigt und zu lebhaften Auseinandersetzungen geführt. Ich will an die einzelnen Stationen heute nicht mehr erinnern, sondern nur erklären, daß die Unterlagen, die der Herr Bundesfinanzminister vorlegte und die innerhalb weniger Monate die fortlaufende Entwicklung in der Gestaltung des Bundeshaushalts 1955 aufzeigten, Veranlassung dazu boten, festzustellen, daß nach Auffassung der sozialdemokratischen Fraktion im Gegensatz zu der Mehrheitsmeinung - die im Haushaltsausschuß dazu führte, anzunehmen, daß eine Deckung für die Vorlage, die der Kriegsopferausschuß erarbeitet hat, und ihre Mittelanforderung nur ab 1. Juli 1956 möglich sei - eine Deckungsmöglichkeit auch rückwirkend zum 1. Januar 1956 gegeben sei, also mit der Wirkung, daß auch das letzte Vierteljahr des Rechnungsjahrs 1955 noch für eine Erhöhung der Kriegsopferrenten heranzuziehen sei. Ich glaube, es gibt kein Mitglied des Haushaltsausschusses, das sich der Erkenntnis zu entziehen vermöchte, daß auch die Unterlagen des Herrn Bundesfinanzministers, so gewissenhaft sie im einzelnen dargelegt wurden, zur Prüfung der Frage, inwieweit eine Deckung möglich ist, kein wirklich schlüssiges Urteil in Einzelheiten erlauben. Die einzelnen Mitglieder des Haushaltsausschusses sind schon darauf angewiesen, noch weiter zu forschen, um Feststellungen in Richtung auf die Ermittlung der wirklichen Haushaltslage zu treffen, da eine Reihe von Gesichtspunkten, wenigstens bis zur Stunde, nicht genügend klargestellt werden konnten. Ich befürchte auch, daß der Haushaltsausschuß und das Hohe Haus auf die Dauer dazu kommen werden, festzustellen, daß der Haushaltsausschuß in bezug auf die ihm auferlegte Verpflichtung, die Deckungsmöglichkeiten einer Finanzvorlage - nicht einer Haushaltsvorlage - an Hand der Überprüfung der Haushaltslage zu ermitteln, wirklich überfordert ist.
Es ist auch nützlich, getreu dem Wortlaut der Geschäftsordnung und ihrer einzelnen Bestimmungen einer gewissen Unklarheit, um nicht zu sagen: Verwirrung, die in einzelnen Teilen des Hauses um sich gegriffen hat, entgegenzutreten. Sie betrifft zunächst einmal die Unterscheidung der Funktionen, die der Haushaltsausschuß hat gegenüber der Lage eines Haushalts, der im Laufe ist oder, wie jetzt der Haushalt 1955, seinen vorläufigen Abschluß erfahren hat, und der Wirkung einer Finanzvorlage auf künftige Haushaltsjahre. Bei kritischer Würdigung der Situation dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß eine Prüfung der Haushaltslage in all den Fällen möglich ist und in Frage kommt, in denen es sich um einen Haushalt handelt, der im Laufe ist, der da ist. Wenn dagegen ein Haushaltsplan nur im Entwurf oder für künftige Rechnungsjahre überhaupt noch nicht vorliegt und eine Vorsehung von Mehrausgaben in Betracht kommt, dann ist die Angelegenheit Gegenstand des Etatrechts des Hohen Hauses. Ich darf Sie daran erinnern, daß diese Praxis auch bei den verschiedensten Gelegenheiten vom Deutschen Bundestag geübt wird. Ich brauche nur das Stichwort „Grüner Bericht" zu nennen, dann wissen alle Damen und Herren, daß hier nicht der Standpunkt vertreten wurde, es handele sich um eine Finanzvorlage, deren Auswirkungen im einzelnen zunächst einmal in bezug auf die Dekkungsmöglichkeit im Haushaltsausschuß geprüft werden müssen. Es ist vielmehr so, daß die Anforderungen, die sich aus einer derart angebahnten Beschlußfassung ergeben, bei der Unterbringung der erforderlichen Ausgabenansätze in dem Haushaltsplan für 1956, der sich zur Zeit noch in der Beratung befindet, unterzubringen sind. Für alle künftigen Jahre, 1957 und folgende, ist ebenfalls einfach in den kommenden Haushalten Dekkung zu suchen und zu schaffen.
Eine ähnliche Verwirrung der Begriffe dürfte nach gewissen Besprechungen, die bisher im Geschäftsordnungsausschuß stattgefunden haben, auch in bezug auf die Behandlung von Änderungsanträgen zu einer Finanzvorlage vorliegen. Ich will hier keine grundsätzlichen Diskussionen heraufbeschwören, sondern mich auf die Feststellung beschränken, daß der Begriff von Änderungsanträgen zur zweiten und dritten Beratung nach dem Geist und dem Wortlaut des neuen § 96 der Geschäftsordnung in keiner Weise mit dem dort fest umrissenen Begriff einer Finanzvorlage gleichzusetzen ist.
Nun hatte sich der Haushaltsausschuß verschiedentlich an Hand der Anträge, die von den einzelnen Fraktionen gestellt wurden und die bis zum Oktober des Vorjahres zurückreichen, zuletzt auf Grund des Antrags des Kriegsopferausschusses, mit der Frage zu befassen, ob und in welchem Ausmaß eine Deckungsmöglichkeit vorhanden sei. Es ist vielleicht nützlich, zunächst einmal einige Zahlen in die Erinnerung des Hohen Hauses zu rufen, die auf einem anderen Gebiet wegleitend sein können, um die Anforderungen zu verstehen, die sich aus der Vorlage auch des Kriegsopferausschusses und aus der Haltung des Bundesfinanzministers ergeben. Ich meine jene statistischen Unterlagen in bezug auf die Zahl der in der Bundesrepublik und in West-Berlin lebenden versorgungsberechtigten Kriegsopfer, die von Wiesbaden veröffentlicht worden sind. Ich möchte diese Zahlen, weil sie eine gewisse Größenordnung bestimmen und bestimmen müssen, in die Erinnerung rufen. Nach der letzten Statistik, die meines Wissens vom 1. Januar dieses Jahres datiert, sind 4 165 014 versorgungsberechtigte Kriegsopfer in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin vorhanden, davon rund 1,5 Millionen Kriegsbeschädigte, etwa 1,2 Millionen Kriegerwitwen, 1,1 Millionen Halbwaisen, rund 49 000 Vollwaisen und etwa 340 000 Eltern. Die Zahl der Kriegsopfer ist im letzten Jahr um über 180 000 zurückgegangen. Über 146 000 Versorgungsanträge sind bis heute noch immer unerledigt. Von den rund 1,5 Millionen Kriegsopfern sind 7179 Blinde, 46 733 Hirnverletzte, 76 926 TbcKranke und 1619 Querschnittgelähmte.
Das, meine Damen und Herren, ist die Bilanz des Unglücks, das im Rahmen der materiellen Linderungsmöglichkeiten durch den Beschluß des Haushaltsausschusses und den des Plenums hier und heute, soweit menschenmöglich, gelindert werden sollte. Wenn Sie den Entwurf des Haushaltsplans 1956 aufschlagen, dann finden Sie darin einen Ansatz von 2678 Millionen DM zugunsten der Kriegsopfer. Der Herr Bundesfinanzminister hat in einem besonderen Titel einen Betrag von 140 Millionen als Verstärkungsmittel eingesetzt. In den Beratungen, die sich besonders auf Grund der Fraktionsbesprechungen - ich nenne hier das Stichwort Kuchenausschuß - ergeben haben, und auf Grund der Anforderungen, die von den verschiedenen anderen Fraktionen des Hauses, so der SPD, des BHE und der FDP, eingebracht worden sind, hat der Herr Bundesfinanzminister sich ver({2})
anlaßt gesehen, eine weitere Belastung des Haushalts 1956 mit weiteren 360 Millionen DM in Rechnung zu stellen. Danach würde die Gesamtbelastung des Haushalts 2678 Millionen plus die von dem Herrn Bundesfinanzminister mit 140 Millionen und 360 Millionen bereitgestellten weiteren rund 500 Millionen DM betragen.
Der Kriegsopferausschuß hat seinerseits eine Vorlage ausgearbeitet, die nach Abzug der abziehbaren und abrechenbaren Beträge eine Gesamtjahresbelastung von 772 Millionen DM erfordert.
Wenn wir die Rechnung des Herrn Bundesfinanzministers und den Beschluß des Haushaltsausschusses zugrunde legen, der ebenso wie der Kriegsopferausschuß mit Mehrheit beschloß, die Neuregelung ab 1. Juli 1956 in Kraft treten zu lassen, dann stellen wir fest, daß für das Rechnungsjahr 1956 192 Millionen DM dann fehlen würden, wenn die Erhöhung der Kriegsopferrenten bereits zum 1. April 1956 in Kraft träte. Wir stellen weiter fest, daß für den Zeitraum, der uns von der SPD vorschwebt - rückwirkende Genehmigung zum 1. Januar 1956 -, ein weiterer Betrag von 193 Millionen DM aufgebracht werden müßte.
Die Frage lautet mithin - und diese Frage mußte der Haushaltsausschuß sich auf Grund von § 96 ({3}) der Geschäftsordnung stellen -: Ist es möglich, für das Rechnungsjahr 1955 noch 193 Millionen DM etwa zu Lasten der Reste bereitzustellen, die aus dem Rechnungsjahr 1955 in das Rechnungsjahr 1956 übergehen, und ist es möglich, das Rechnungsjahr 1956 mit weiteren 192 Millionen DM zu belasten?
Nun darf der Korrektheit wegen nicht vergessen werden, daß die 140 Millionen DM Verstärkungsmittel, die der Herr Bundesfinanzminister zur Erhöhung der Versorgungsbezüge eingesetzt hat, nicht nur dem Tit. 300 zugute kommen sollen - eben den Versorgungsbezügen -, sondern auch dem Tit. 303 des Einzelplans 4009 für Kosten der Heilbehandlung, dem Tit. 305 für Unterhaltsbeihilfen an Angehörige von Kriegsgefangenen und dem Tit. 306 zur Verstärkung des Ansatzes für Leistungen für Personen, die aus politischen Gründen außerhalb der Bundesrepublik und Berlins in Gewahrsam genommen worden sind.
Ich will auf diese Dinge, die keine entscheidende Bedeutung haben, hier nicht eingehen, sondern die Frage erörtern, wieso überhaupt die Möglichkeit entstanden ist, daß ein derart erheblicher Mehrbetrag - nach den Zahlen des Kriegsopferausschusses zunächst einmal ein Jahresmehraufwand von 772 Millionen DM - nachgefordert werden mußte. Diesen Betrag von 772 Millionen DM möchte ich ausdrücklich als eine Mindestleistung zur Erhöhung der Kriegsopferrenten bezeichnen. Die Antwort auf die so gestellte Frage kann nur lauten, daß eine Mehraufwendung in diesem Ausmaß erforderlich geworden ist durch eine bisherige Nichterfüllung selbstverständlicher sozialer Verpflichtungen des Bundes zugunsten seiner Kriegsopfer!
In den Beratungen des Haushaltsausschusses, in den Erörterungen der Öffentlichkeit sowie in den Nachprüfungen und Feststellungen des Bundes der Steuerzahler und der verschiedenen Finanzinstitute hat der sogenannte Juliusturm, also die Frage der Kassenreserven, eine besonders große Rolle gespielt. Die Mehrheit des Ausschusses hat den Versuch gemacht, eine Lösung dahin zu finden, daß den von dem Herrn Bundesfinanzminister bereitgestellten 140 Millionen und 360 Millionen DM ein weiterer Betrag von 80 Millionen DM zugeschlagen werden soll, um auf diesem Wege die Mittel für eine Rentenerhöhung ab 1. Juli 1956 sicherzustellen. Sowohl der Herr Bundesfinanzminister und seine Räte als auch die Mehrheit des Haushaltsausschusses haben die Behauptung aufgestellt, daß eine weitere Deckung, besonders eine Deckung zum 1. Januar rückwirkend nicht vorhanden sei. Eine nüchterne Nachprüfung der materiellen Situation ergibt, daß diese Behauptung nicht haltbar ist.
Ich möchte, ehe ich einzelne Zahlen zum Vergleich und zum Beweis für diese Behauptung, die ich hier aufstelle, nenne, meinerseits eine grundsätzliche Meinung zum Ausdruck bringen, die dahin geht, daß man, ehe die nächste Aufrüstung finanziert wird, seitens des Deutschen Bundestages moralisch verpflichtet ist, den Opfern der beiden letzten Weltkriege die Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auf die sie einen Anspruch haben.
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Meine Damen und Herren, es ist eigentlich zu beklagen, daß die Regierungsparteien bei der Behandlung der Rentenerhöhung für die Kriegsopfer eine wesentlich geringere Großzügigkeit offenbar werden ließen, als sie das bei anderer Gelegenheit getan haben. Noch im Verlaufe dieser Tagesordnung wird sich Gelegenheit bieten, das festzustellen.
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Ich brauche Sie ja nur daran zu erinnern, mit welcher eisernen Konsequenz die Regierungsparteien daran festhalten, daß der Ansatz für das Bundesverteidigungsministerium im Haushaltsplan 1955 für den Aufbau einer deutschen Wehrmacht mit einem Gesamtbetrag von 5208 Millionen DM - von Stationierungs- und Besatzungslasten nicht zu reden - verteidigt wird, obwohl nachgewiesen ist, daß bis zum 31. März, also bis zum letzten Tag des angesprochenen Rechnungsjahrs, nur rund 100 Millionen DM von den 5208 Millionen DM ausgegeben werden konnten.
Ich darf das Haus auch daran erinnern, daß der Bundesfinanzminister auf Grund seiner Politik, die er nicht zum ersten Male hier praktisch angewandt hat - nach dem Prinzip, wie es einmal im Haushaltsausschuß gesagt wurde, „sich selbst zu leihen, bei sich selbst" -, den Gesamtaufwand des außerordentlichen Haushalts in Höhe von 1,6 Milliarden DM zu Lasten des ordentlichen Haushalts verbuchen konnte.
Meine Damen und Herren, vor mir liegt eine grün umrandete Schrift des Instituts „Finanzen und Steuern", Nr. 14 vom April 1956. Ich darf mit Zustimmung des Herrn Präsidenten einen kurzen Absatz aus dieser Schrift Nr. 14 des Instituts „Finanzen und Steuern" zu dem Thema der Verrechnung außerordentlicher Ausgaben verlesen. Es heißt darin:
Wenn wir dagegen sagen, daß das Rechnungsjahr 1955 mit einem Überschuß abschließt,
- der Herr Bundesfinanzminister hatte erklärt: 1955 schließt mit einem rechnerischen Defizit ab - so ist das
- sagt das Institut weiter kein Streit um Worte, sondern die Klarstellung einer finanzpolitischen Situation. Wenn ein
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Haushalt mit einem steuerlichen Mehraufkommen abschließt, das dem Finanzminister gestattet, sein ganzes Extraordinarium statt durch Anleiheaufnahme durch einen Zuschuß des ordentlichen Haushalts zu decken und darüber hinaus über 400 Millionen DM Schuldtitel zurückzukaufen, so ist das ein Überschußhaushalt. Nur dadurch, daß der Bundesminister der Finanzen in einem Verfahren, das uns den Bestimmungen der Reichshaushaltsordnung nicht ganz zu entsprechen scheint, Zuschuß und Rückkauf in Form einer außerplanmäßigen Ausgabe tätigt, vermeidet er, einen Überschuß auszuweisen, der dann zur Schuldentilgung verwandt werden könnte und müßte.
Ich habe dem, was dieses Institut, dessen fachmännische Qualifikation wohl nicht bestritten werden kann, hier zum Ausdruck bringt, nichts hinzuzusetzen.
Im Verlaufe der Beratungen und gerade im Hinblick auf den § 96 und die damit verbundenen Deckungsmöglichkeiten spielte die Terminfrage eine große Rolle. Genannt wurden Termine: 1. Januar, 1. April, 1. Juli, 1. August, 1. Oktober. Nach der Vorlage Bundestagsdrucksache 2029 war die Wirkung der Rentenerhöhung zum 1. Januar in Aussicht gestellt. Wenn nun in der Zwischenzeit eine Wendung eingetreten ist, die eine Hinauszögerung der Wirksamkeit der Rentenerhöhung um volle 6 Monate bezweckt, dann bedeutet das eine sehr empfindliche Einbuße für die Kriegsopfer. Aus diesem Grund, aus Erwägungen sozialer Gerechtigkeit haben wir uns dafür ausgesprochen - und sind insofern in der Minderheit geblieben -, die Vorlage des Kriegsopferausschusses als Mindestforderung zum 1. Januar 1956 in Kraft zu setzen.
In der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 20. April 1956 wurde diese Forderung mit aller Energie vertreten. Die Regierungsparteien haben erklärt: Nicht heute, nicht heute wollen wir entscheiden. Vielmehr wurde die Sache zunächst noch einmal zurückgestellt. Ich habe damals schon mit meinen Freunden darauf hingewiesen, daß in Fragen der Rentenerhöhung zugunsten der Kriegsopfer eine erhebliche Differenz gegenüber der Haltung der Mehrheit zu anderen Ausgabenbewilligungen zu beobachten ist. Bei den Ausgaben sowohl im Rahmen der Vorwegbewilligungen als auch der Nachtragshaushalte für das Bundesverteidigungsministerium ist die Mehrheit dieses Hohen Hauses stets mit Sturmschritten vorangeeilt, und es konnte ihr gar nicht rasch genug gehen, um Milliardenbeträge zu bewilligen. Hier handelt es sich um den bei einer Etatsumme für 1956 von 32,5 Milliarden DM wahrhaftig nicht erschütternden Betrag von 192 bzw. 193 Millionen DM zur Erhöhung der Kriegsopferrenten pro Vierteljahr zurück.
Nun lesen wir heute in der Zeitung, daß ein Konjunkturrat zusammengetreten ist, der dazu bestimmt ist, den anhaltenden Steigerungstendenzen der Konjunktur wirksam zu begegnen. Es heißt da in einem Kommuniqué:
Es bestand Übereinstimmung, daß die gegenwärtige Situation weitere, auch einschneidende Maßnahmen erfordert, um den anhaltenden Steigerungstendenzen der Konjunktur, die bei Verwirklichung der weitgehenden Anforderungen an den Bundeshaushalt noch verstärkt werden würden, wirksam zu begegnen.
Und in Punkt 1 der Begründung wird gesagt, daß die Ausgaben des Bundeshaushalts gebremst werden müssen, damit nicht von ihnen aus die Wirtschaftslage zusätzlich erhitzt wird. - Ich glaube nicht, daß die Befürchtung begründet erscheint, anzunehmen, daß eine Erhöhung der Kriegsopferrenten um vierteljährlich 193 Millionen DM zu einer Überhitzung des Marktes, des Konsums, der Konjunktur führen würde. Der Konjunkturrat redet einer Einstellung der öffentlichen Bauten das Wort. Ich freue mich über diese Weggenossenschaft. Ich darf daran erinnern, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bereits vor vielen Monaten den Antrag auf Einstellung der Bundesbauten im Raume Bonn gestellt hat. Vielleicht erleben wir das Wunder, daß auch das geplante Pentagon des Herrn Bundesverteidigungsministers, das mit unerhörten Aufwendungen erstellt werden soll, unter diese weise Erkenntnis der Einschränkung der Bundesbauten fällt, die der Konjunkturrat der Bundesregierung empfiehlt.
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In einer Sitzung anläßlich der Beratung des Haushaltsplanes 1956 des Herrn Bundeswirtschaftsministers hat Herr Bundeswirtschaftsminister Professor Dr. Erhard erklärt, es wäre unsinnig, den produktiven Zuwachs in den Verbrauch zu führen, wie er sich ausdrückte: zu verfrühstücken. Es solle aber auch nicht, sagte er weiter, alles für Rationalisierung ausgegeben werden; vielmehr solle eine Politik des „Sowohl-Als-auch" betrieben werden. Herr Professor Erhard meinte, daß wir nach der Währungsumstellung 1948 a 11 e gewonnen hätten. Ich befürchte, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister irrt. Dieses „Wir haben alle gewonnen" trifft zweifellos auf einen Großteil des deutschen Volkes zu. Auf die Kriegsopfer trifft es bis zu dieser Stunde bestimmt nicht zu. Verloren haben die Kreise, die bei den seit 1948 gestiegenen Lebenshaltungskosten im wesentlichen dort stehengeblieben sind, wo sie damals gestanden haben.
Ein abschließendes Wort zu diesem Thema! Ich glaube, daß die Erhöhung der Kriegsopferrenten sich wohltätig in Gestalt einer Stärkung der Massenkaufkraft auswirken wird, die die deutsche Wirtschaft in keiner Weise zu gefährden vermag.
Wir haben, wie erwähnt, im Haushaltsausschuß die Rückwirkung der Erhöhung zum 1. Januar 1956 verlangt. Wir sind verpflichtet, dem Hohen Hause nachzuweisen, daß die Deckungsmöglichkeit für den Betrag von 193 Millionen DM - soviel kostet dieses Vierteljahr - vorhanden ist. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seinen letzten Übersichten das Mehraufkommen an Steuereinnahmen des Bundes aus allen in Frage kommenden Quellen im Jahre 1955 auf 1283 Millionen DM beziffert. Er hat gleichzeitig ein Verzeichnis über die überplanmäßigen und außerplanmäßigen Mehrausgaben 1955 mit einer Endsumme von 1390 Millionen DM überreicht. Von außen gesehen -weisen also die Mehrausgaben höhere Zahlen auf als die Steuermehreinnahmen. Aber der Herr Bundesfinanzminister gibt selbst zu, daß die Beträge im Einzelfall bis zu einer Million DM durch Minderausgaben des gleichen Haushaltsplanes gedeckt seien. Er hält aber das Parlament und auch den Deckung suchenden Haushaltsausschuß sehr im unklaren, wenn er in einer amtlichen Darstellung wörtlich sagt, daß die Höhe der Minderausgaben auch nicht annähernd angegeben werden könne. „Sie bilden die
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üblichen Reste", heißt es wörtlich in der betreffenden Darstellung. Gerade hier wollen wir im Interesse der Etat- und Rechnungsklarheit Gewißheit über den Umfang dieser Reste haben.
Aber es sind seitens des Herrn Bundesfinanzministers weitere Darlegungen gemacht worden, die zu einer Verwirrung der Begriffe führen können. Ich darf zwei Beispiele herausgreifen. In dem Verzeichnis der außer- und überplanmäßigen Ausgaben sind die Kosten des Personalgutachterausschusses enthalten. Das Verzeichnis datiert vom 20. April 1956 und nennt für diesen Zweck die Summe von 864 200 DM. Dieser Betrag ist in dem Nachtragshaushalt etatisiert, der Ihnen zur heutigen und morgigen Sitzung ebenfalls vorliegt. In der Übersicht über die außerplanmäßigen und überplanmäßigen Ausgaben ist die Beschaffung von Seefahrzeugen mit 700 000 DM angeführt. Auch dieser Betrag ist etatisiert. Für vermögenswirksame Zwecke, die normalerweise den außerordentlichen Haushalt belasten, sind in der gleichen Übersicht des Herrn Bundesfinanzministers 580 195 000 DM enthalten. Dazu kommen 226 908 000 DM zur Deckung der Fehlbeträge aus früheren Jahren, die ebenfalls bereits abgerechnet sind. Wenn Sie diese Zahlen untereinandersetzen, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß echte über- und außerplanmäßige Ausgaben des ordentlichen Haushalts mit 582 Millionen DM übrigbleiben, von denen bis zur Stunde nicht bekannt ist, wieviel von dieser Summe durch Einsparungen in den gleichen Haushalten, in denen die Mehrausgaben veranschlagt wurden, wieder gedeckt werden konnte.
Einiges zum Thema der Ausgabenreste! Mit der Ansetzung der Ausgabenreste - also der nicht ausgegebenen Ansätze eines Rechnungsjahres - in die Ausgabenseite kommt der Herr Bundesfinanzminister zu einem rechnerischen Defizit. Dazu ist festzustellen, daß Ausgabenreste durchaus nicht ohne weiteres als echte Ausgaben eines Rechnungsjahres gebucht werden dürfen. Wir sollten uns vor der Methode der Entwicklung eines fiktiven Defizits durch die Ansammlung solcher Fonds, wie wir sie heute vor uns haben, im Interesse einer gesunden Finanzgebarung hüten. Weithin unbekannt sind auch - dank der Tatsache, daß hier meines Wissens das Bruttoprinzip keine Anwendung findet - die Zinseinnahmen des Einzelplans 60. Vielleicht kann der Herr Finanzminister oder der Herr Staatssekretär einmal den Deckel etwas lüften und sagen, wieviel Zinseinnahmen der Bund im Rechnungsjahr 1955 verbucht hat. Hinsichtlich der Deckung des außerordentlichen Haushalts 1955 habe ich bereits darauf hingewiesen, daß die Summe von 1,6 Milliarden DM auch nach der Auffassung erstklassiger Fachleute wie der des Instituts Finanzen und Steuern nicht in dem Sinne und in der Weise behandelt werden sollte, wie es seitens der Bundesregierung geschieht.
Nun die Endzahlen der Steuereinnahmen . im Vergleich zum Soll im Rechnungsjahr 1955! Nach dem Haushalt 1955 erwartete der Bund ein Gesamtsteueraufkommen von 25 274 Millionen DM. Eingegangen sind 27 094 Millionen DM, mithin nach den Angaben des Herrn Bundesfinanzministers in 1955 ein Mehraufkommen an Steuern von 1820 Millionen DM.
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Soviel zum Haushalt 1955, um den Nachweis anzutreten, daß bei dieser Rechnungsgestaltung die Möglichkeit einer rückwirkenden Erhöhung der Kriegsopferrenten mit einem Aufwand von 193 Millionen DM für das letzte Vierteljahr 1955 absolut möglich und vertretbar ist.
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Meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu der Deckungsmöglichkeit 1956. Der Haushaltsansatz sieht ein Umsatzsteueraufkommen von 11,7 Milliarden DM vor. Das Institut für Finanzen und Steuern errechnet ein Aufkommen von 12,5 Milliarden DM, also 800 Millionen DM mehr aus Umsatzsteuer. Das gleiche Institut errechnet aus den übrigen Steueraufkommen gegenüber den Ansätzen des Herrn Bundesfinanzministers im Haushaltsplanentwurf ein Mehr von 1220 Millionen DM, mithin ein Gesamtmehraufkommen an Bundessteuern von 2020 Millionen DM. Diese Berechnungen des Instituts für Finanzen und Steuern decken sich weitgehend mit denen, die wir im Arbeitskreis Haushalt und Finanzen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion angestellt haben.
Aber damit nicht genug. Vielleicht kann uns der Herr Bundesfinanzminister einmal über die Summe Aufschluß geben, die an gestundeten Steuern noch draußen hängt und ebenfalls echte Reserven bildet.
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- Herr Kollege Niederalt, ich schätze Sie viel zu hoch und Ihre Intelligenz noch höher ein, als daß ich nicht annehmen müßte, daß Sie mit mir der Auffassung sind, daß es dem Herrn Bundesfinanzminister als Partner an dem Aufkommen der Einkommen- und Körperschaftsteuer auch in bezug auf Umsatzsteuer möglich ist, draußen bei den Ländern, den Finanzämtern und den Oberfinanzdirektionen einmal Rückfrage zu halten, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, wie hoch der Betrag der gestundeten Steuern ist. Ich glaube, wir werden etwa zwischen 1 und 11/2 Milliarden DM an rückständigen Steuern rechnen dürfen.
Unbekannt in ihrer letzten Größenordnung sind auch die Reste aus dem Jahre 1955. Und nicht gewürdigt wurden die Vorschläge der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion in bezug auf Einsparungsmöglichkeiten im Verteidigungshaushalt. Wenn wir selbst bis zum 1. Januar zurückgehen, werden wir im ganzen nur wenig mehr als ein Drittel dessen an Leistungen für die Kriegsopfer zu verzeichnen haben, was im Haushaltsplan an Leistungen für das Bundesverteidigungsministerium vorgesehen ist. Selbstverständlich - um auch das noch zu sagen und keinen Zweifel aufkommen zu lassen - sind die Möglichkeiten des ordentlichen Haushalts zur Deckung der außerordentlichen Ausgaben im Rahmen des Möglichen und, praktisch gesprochen, im Rahmen der Verfügbarkeit heranzuziehen, nachdem der Bund seine sozialen Verpflichtungen auch gegenüber den Kriegsopfern erfüllt hat.
Die Summe, die der Fachausschuß mit 772 Millionen DM für Kriegsbeschädigte errechnet hat, wird nach allen Feststellungen eine wesentliche Senkung schon im Jahre 1956, wo etwa 130 Millionen DM bereits abgesetzt sind, und erst recht in den folgenden Rechnungsjahren durch das
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Ausscheiden von Waisenkindern aus der Versorgung und durch die Wirkung der Einkommenserhöhung auf die Ausgleichsrente nach § 33 des Gesetzes und durch die Wirkung der Bestimmung in § 52 a in bezug auf die Waisenrente und das Kindergeld erfahren. Wir kamen so in den Berechnungen des Kriegsopferausschusses von einem Bruttobetrag von 902 Millionen DM auf einen Nettobetrag, berechnet auf ein Jahr, von 772 Millionen DM.
Im Verlauf der Unterhaltungen ist uns immer wieder der Einwand begegnet, eine weitere Dekkung sei nicht möglich; es sei ausgeschlossen, der Bundeshaushalt könne keine derartige Bewegung mehr ertragen. Ich habe vor kurzem von einem der hervorragendsten deutschen Journalisten, von Herrn Erich Dombrowski, in der „Frankfurter Allgemeinen" eine kritische Betrachtung gefunden, von der ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten nur einen Satz vorlesen darf: Es heißt darin:
Wir sind auf dem besten Wege, wieder, wenn auch in anderer Form, zu einem totalitären Haushalt zu kommen, allerdings nicht dadurch, daß der Volksvertretung das Bewilligungsrecht durch eine Gewaltherrschaft entrissen werden soll, wohl aber dadurch, daß das Parlament vor vollendete Tatsachen gestellt, daß seinem Verfügungsrecht praktisch der Boden unter den Füßen entzogen wird.
Das ist haarscharf die Situation, der wir im Haushaltsausschuß bei der Beratung der Deckungsmöglichkeit gegenüberstanden auf Grund der Behauptung der Vertreter des Herrn Bundesfinanzministers, es sei keine Bewegungsmöglichkeit, keine Deckungsmöglichkeit gegeben.
Ich darf zum Schluß folgendes sagen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion sieht in einer Erhöhung der Kriegsbeschädigtenrenten nicht - um das Wort des Herrn Bundeswirtschaftsministers noch einmal zu zitieren - ein „Verfrühstükken" des Mehrertrags des Sozialprodukts, sondern sie sieht darin einen Akt staatspolitischer Notwendigkeit, einen Akt sozialer Gerechtigkeit. Und damit eine volkswirtschaftliche Verwendung eines Teils des Segens der Kaufkraft auch in Richtung der Kriegsopfer gegeben ist, appellieren wir an den Bundestag, das, was er im Prinzip zugesagt hat, nämlich die Erhöhung der Kriegsopferrenten zum 1. Januar 1956 zu vollziehen. Wir wollen als eine verantwortungsbewußte Opposition die Einnahmefülle der Bundeskasse nicht durch eine sinnlose Ausgabesteigerung irgendwie beeinträchtigen. Wir verlangen vielmehr die Gerechtigkeit für die Kriegsversehrten, für die Witwen, für die Waisenkinder. Die Erfüllung der Forderung, um die es sich hier und heute handelt, ist schon längst überfällig. Der Herr Bundesfinanzminister hat einmal im Haushaltsausschuß gesagt, man müsse die konjunkturbedingten Leistungsmöglichkeiten mit den Haushaltsmöglichkeiten in Einklang bringen. Einverstanden, ich habe nichts dagegen. Aber dann soll man die Leistungsmöglichkeiten des Bundeshaushalts mit anderen Ausgabefaktoren in Beziehung bringen als ausgerechnet mit moralischen und tatsächlichen Leistungsnotwendigkeiten der Sozialpolitik hier zugunsten der Kriegsopfer. Das sicherste Mittel für eine vertretbare, volkswirtschaftlich durchaus akzeptable Hebung der Kaufkraft ist die Stärkung der Kaufkraft derer, in deren Hand sich eine Mark mindestens zehnmal in
einem Jahr umschlägt. Der Bund hat selber ein steuerpolitisches Interesse daran, so vorzugehen. Wir stehen, wie erwähnt, auf dem Standpunkt, daß die Erhöhung der Sozialrenten rückwirkend zum 1. Januar 1956 wichtiger ist als die Milliardenausgaben für die Rüstung. Und mit einem Blick auf die Alliierten darf ich sagen: auch die Alliierten werden in ihrem Kampf gegen den Kommunismus erkennen, daß die Beachtung der Gebote sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit wichtiger ist als die Milliardenaufwendungen für Rüstungen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beharrt auf ihrem Antrag, die Erhöhung der Kriegsopferrenten, vorbehaltlich der noch zu behandelnden Änderungsanträge, rückwirkend zum 1. Januar 1956 zu beschließen. Sie beantragt zur Feststellung des Willens des Bundestages namentliche Abstimmung.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden ja alle aus dem soeben vorausgegangenen Spiel mit Zahlen, das Sie gehört haben, den Eindruck gewonnen haben, daß der Wahlkampf bereits mitten in vollem Gange ist.
({0})
Aber lassen Sie mich in aller Kürze - ich habe nicht die Absicht, das Hohe Haus auch eine halbe Stunde lang mit einer Debatte zu behelligen, die nicht hier geführt werden sollte, sondern die am Platze ist, wenn der Einzelplan 60 im Rahmen des gesamten Haushalts behandelt wird - einige Zahlen dazu anführen. Vielleicht ist es auch Sache des Herrn Bundesfinanzministers, noch einiges ergänzend hinzuzufügen.
Ich möchte einige Feststellungen treffen. Es ist natürlich sehr einfach, wenn man Zahlen aneinanderreiht, einen bestimmten Eindruck damit zu erwecken. Aber lassen Sie mich einige ganz wenige Zahlen hier einmal aufführen. Vom Bundesfinanzministerium ist niemals bestritten worden - und es ist ja auch von ihm veröffentlicht worden -, daß im vergangenen Haushaltsjahr 1955, das am 1. April dieses Jahres abgeschlossen hat, eine Mehrsteuereinnahme von 1,23 Milliarden DM erzielt wurde. Warum wird auf der anderen Seite verschwiegen, daß demgegenüber ein außerordentlicher Haushalt von 1,6 Milliarden DM zu decken war? Warum wird verschwiegen, daß in diesem außerordentlichen Haushalt der gesamte Betrag für die Wohnungsbauten und alle möglichen anderen Bauten enthalten war?
({1})
Wenn wir ein gemeinschaftliches Interesse daran hatten, daß diese Bauten ausgeführt wurden, und wenn wir ein gemeinschaftliches Interesse daran hatten, daß dieser außerordentliche Haushalt auch bedient worden ist, dann mußten die Mehreinnahmen dazu verwandt werden, den außerordentlichen Haushalt abzudecken.
({2})
Das ist, glaube ich, eine Angelegenheit, über die es zwischen Mitgliedern dieses Hohen Hauses keine Debatte geben sollte. Ich glaube, jedes einzelne Mitglied hat diese Zahlen ungefähr im Kopf.
({3})
Wir wissen aber, daß wir darüber hinaus noch im Laufe des vergangenen Haushaltsjahrs über eine halbe Milliarde an außerordentlichen und außerplanmäßigen Ausgaben bereits bewilligt hatten. Im Haushaltsausschuß sind diese Positionen Titel für Titel bewilligt und begründet worden. Es war also nicht nur ein außerordentlicher Haushalt in Höhe von 1,6 Milliarden DM zu decken, sondern darüber hinaus noch über eine halbe Milliarde an zusätzlichen Ausgaben aus Steuermitteln zu beschaffen.
Demgegenüber stand nur eine Mehreinnahme an Steuern von 1,23 Milliarden DM bereit. Also ein einwandfreies Defizit von ungefähr 700 Millionen DM! Daß dieses Defizit nicht kassenmäßig in Erscheinung tritt, weil der Bundesfinanzminister im vergangenen Jahr aus den Ihnen bekannten Gründen den Verteidigungshaushalt nicht in vollem Umfange in Anspruch genommen hat, ist gleichfalls eine bekannte Tatsache.
Dieses Hohe Haus hat es sich wirklich angelegen sein lassen, eine Gesetzgebung, bei der erfreulicherweise auch die Opposition tatkräftig mitgearbeitet hat, in einer Art und Weise hier durchzuführen, die mit einer großen Akribie dafür Sorge trug, das kommende deutsche Bundesheer wirklich zu einem Volksheer zu machen. Wenn man das schon in Angriff genommen hat, aber wußte, daß sich bestimmte Verzögerungen in den Verteidigungsausgaben zwangsläufig ergeben würden, dann soll man das heute hier nicht zum Vorwand nehmen, um daraus auf der anderen Seite ganz andere Ausgabeverpflichtungen herleiten zu wollen.
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Meine Damen und Herren! Als dieser Haushalt eingebracht wurde, habe ich mir erlaubt, im Auftrage meiner Freunde hier zu erklären: Uns ist die äußere Sicherheit genauso wichtig wie die soziale Sicherheit im Innern,
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und wir sind nicht gewillt, davon abzugehen. Wir sind infolgedessen auch nicht in der Lage, Ihrem Hinweis auf die Verteidigungsausgaben zu folgen, denn, was Sie eben sagten, steht in einem krassen Widerspruch zu dem, was wir oft genug bei anderen Debatten hier gehört haben! Wir wollen nicht von Ihnen annehmen, daß Sie als Opposition heute nicht gewillt sind, die Konsequenz aus der Innehaltung der Verträge auch finanziell zu ziehen. Wir sind immer noch der Überzeugung, daß Sie mit uns einer Meinung sind, daß Verträge auch dann innezuhalten sind, wenn sie finanzielle Ausgaben erfordern, auch wenn diese nur Zug um Zug in der Ausführung dieser Verträge in Erscheinung treten. Der Verteidigungshaushalt ist nun einmal mit 5,2 Milliarden DM im vergangenen Haushalt bewilligt worden. Daß er nachher in den Einzelvorwegbewilligungen nur Stück um Stück realisiert worden ist, beruht auf einer Prozedur, die auch wir nicht als schön empfinden, die sich aber zwangsläufig ergeben hat. Wir sind aber nach wie vor der Überzeugung, daß das, was ausgegeben werden mußte, notwendig ist, um die äußere Sicherheit unseres Volkes sicherzustellen, und wir werden davon auch nicht abgehen.
Soweit es sich hier noch darum handelt, Begründungen dafür anzuführen, daß wir uns im Haushaltsausschuß nicht in der Lage gesehen haben, eine Deckung noch für das Vierteljahr, das in das Haushaltsjahr 1955 hineinfällt, zu finden, glaube ich Ihnen vorhin an Hand der Leistungen für den außerordentlichen Haushalt, der außerplanmäßigen und überplanmäßigen Ausgaben eine hinreichende Begründung gegeben zu haben.
Es handelt sich jetzt nur noch darum, festzustellen, was innerhalb des laufenden Haushaltsjahres 1956 noch möglich ist. Wir haben uns geweigert, den laufenden Haushalt nur unter der Perspektive der Versorgung der Kriegsopfer allein zu sehen; ich bitte, den Nachdruck auf das Wort „allein" legen zu dürfen. Ich weiß, die Kriegsopferverbände sind genauso wie wir der Auffassung, daß, wenn wir das Prinzip der Gerechtigkeit walten lassen wollen, wir nicht eine Gruppe allein bevorzugen können, sondern den Blick auch auf die richten müssen, die noch im Laufe dieses Jahres auch ihren Teil an den verbesserten Sozialleistungen haben wollen, nämlich die Alters- und Invalidenrentner.
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Wir sind der festen Überzeugung, daß vom 1. Januar ab dieses neue große Sozialreformwerk auch rechnungsmäßig in Erscheinung treten wird. Wir werden nachher an die Opposition die Frage richten, wenn der besonders kritische Punkt kommen wird, ob auch die Arbeitnehmer in erhöhtem Maße durch höhere Beitragsleistungen zu den gesteigerten Auszahlungen beitragen werden, ob sie bereit sein wird, dieselbe Rede zu halten, die Sie jetzt hier haben halten lassen.
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Wir wissen genauso wie Sie, daß es sich um sehr schwere neue Opfer handeln wird. Nach unserer Überzeugung wird es sich um eine Summe von im Minimum 800 Millionen DM, wahrscheinlich aber von 1,4 Milliarden DM handeln, und diese Summe wird auch im Rahmen des gesamten Haushalts in irgendeiner Form von uns verkraftet werden müssen.
Es sind hier Summen bezüglich der zu erwartenden Steuermehreinnahmen genannt worden. Auch wir sind der Überzeugung, es werden höhere Steuereinnahmen hereinkommen. Der Bundesfinanzminister hat inzwischen seine Berechnungen, die auf Schätzungen des dritten Vierteljahrs 1955 beruhen, korrigiert; er nennt heute bereits eine Steuermehreinnahme von rund 580 Millionen DM. Aber selbst wenn er diese Schätzung noch verdoppeln sollte - was vielleicht möglich ist -, wird im Rahmen dessen, was dieser Haushalt neu zu verkraften haben wird, nicht mehr soviel Raum sein, über Summen von 200 Millionen DM ohne weiteres zu verfügen.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir schon jetzt genau wissen, daß wir durch einen Gemeinschaftsbeschluß dieses Hohen Hauses 850 Millionen, wahrscheinlich aber 890 Millionen DM für den „Grünen Bericht" zu bewilligen haben. Sie alle wissen, was in Zusammenhang mit der Kohlenprämie auf uns zukommt. Wir wissen, daß auch das Problem der 131er noch zusätzlich geregelt werden soll. Wir wissen weiter, daß sehr große Neuausgaben - mit Recht! - in der Durchführung der Entschädigung und Wiedergutmachung auf uns zukommen werden, und wir wissen, daß jetzt sofort das Kriegsopferproblem zu lösen ist, das augenblicklich ansteht. Im letzten Vierteljahr muß aber mindestens
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eine Summe von 200 Millionen DM, vermutlich aber von 400 Millionen DM für die Altersrentner neu aufgebracht werden.
Wenn Sie alle diese Dinge im Zusammenhang sehen, dann werden Sie verstehen, daß wir dann den Ruf nach Gerechtigkeit für alle erheben müssen,
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den Ruf nach Gerechtigkeit für alle beteiligten sozialen Gruppen.
Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, bitte ich Sie um Verständnis dafür, daß wir uns bemüht haben, nach Kräften jedem sein Teil zuzumessen. Wir werden niemals so überheblich sein, für uns in Anspruch zu nehmen, daß allein wir in der Lage seien, gerecht zu handeln, daß allein wir vielleicht ein unfehlbares Urteil haben könnten. Aber wir haben uns nach Kräften bemüht, das zu tun, was recht und billig ist.
Was hier vor uns steht, ist ein Gesetz, von dem alle der Überzeugung sind, es sei ein gutes Gesetz. Es handelt sich nur darum: wird es am 1. Juli, wird es am 1. April oder wird es am 1. Januar in Kraft gesetzt? Wir sind der Überzeugung, am 1. Januar wird es nicht gehen. Es wird sich nachher im Laufe der Debatte wahrscheinlich noch eine Diskussion entspinnen, ob es zum 1. April oder 1. Juli möglich ist. Es läßt sich sehr vieles für den einen und für den anderen Termin sagen. Wir im Haushaltsausschuß haben geglaubt - die Mehrheit, die sich dafür entschieden hat -, daß sehr gewichtige Gründe dafür sprechen, es am 1. Juli in Kraft treten zu lassen. Sie werden nachher selber darüber zu entscheiden haben, welches Datum eingesetzt wird. Aber seien Sie sich bewußt, daß Sie bei dieser Entscheidung über das Datum niemals außer acht lassen dürfen, was nachher auch noch andere Volksgruppen an Forderungen an Sie richten werden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Streit geht im wesentlichen darum, von welchem Zeitpunkt an wir die verbesserten Kriegsopferrenten zahlen wollen. Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE hat von jeher die Meinung vertreten, daß die verbesserten Renten vom 1. Januar an gezahlt werden sollen, Ind sie steht auch heute noch zu diesem Antrag. Sie ist der Auffassung, daß seit den Beratungen im Dezember vergangenen Jahres, als wir mit unseren damaligen kleinen Beratungsergebnissen vor dem Hohen Hause standen, nichts Entscheidendes in dem Beratungsgegenstand, der dem Kriegsopferausschuß später vorlag, geändert worden ist. Ich meine, daß alle verbesserten Grundlagen bereits n den Anträgen der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE und der sozialdemokratischen Fraktion im letzten Vierteljahr des Jahres 1955 vorgelegen haben und damals schon hätten beschlossen werden können.
Die Verspätung, die wir aus den Ihnen allen bekannten Gründen hier zu verzeichnen haben, sollte deshalb nicht zu Lasten der Kriegsopfer gehen, wie dies alle Fraktionen einmütig versprochen haben. Die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE
stellt deshalb den Antrag, die Inkraftsetzung der Renten zum 1. Januar 1956 zu beschließen.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hütter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe die Ehre, für die Fraktion der Freien Demokraten zur Begründung unseres Änderungsantrags Umdruck 604*) folgende Erklärung abzugeben. Wir sind der Ansicht, daß die von der Fraktion der FDP initiierte Vertagung der Verabschiedung der 5. Novelle im Dezember vorigen Jahres mit dem Ziel, weitere Verbesserungen zu erreichen, sich für die Kriegsopfer gelohnt hat. Die Vorstellungen, die meine Fraktion damals gegen die viel zu geringfügig angesetzten Verbesserungen erhob, fanden ein weites Echo nicht nur bei denen, um deren selbstverständliche Interessen es hier geht, sondern auch im Parlament. Die führenden Kriegsopferverbände haben die verantwortliche und konsequente Haltung der FDP bei der Vertretung der Interessen der Kriegsopfer deshalb auch immer wieder vor der Öffentlichkeit hervorgehoben. Dann kam in Zusammenarbeit mit anderen Parteien ein neues Gesetz zustande, das seinem sachlichen Inhalt nach die Erwartungen der Interessenvertreter der Kriegsopfer erfüllt. Dies wurde jedenfalls in den Beratungen zwischen den Verbandsvorstandsgremien und der FDP zugegeben.
Nun war unter den Mitgliedern des Kriegsopferausschusses vereinbart worden, heute keine Debatte über den materiellen Inhalt anzustellen.
({0})
Man hat der Tradition dieses Ausschusses getreu alle Probleme sehr genau untersucht und in den allermeisten Fragen gute Kompromisse erzielt. Leider wird die gute Absicht des Ausschusses, wie die Debatte gezeigt hat, nicht ausgeführt. So benutzen auch wir diese Diskussion, um ein Anliegen vorzutragen, für das wir uns von Anfang an eingesetzt haben, nämlich die Festsetzung des Termins für das Inkrafttreten des Gesetzes. Wir haben den Kriegsopfern seinerzeit versprochen, daß die Aufnahme weiterer Verbesserungen in das Gesetz keine Verzögerung des Inkrafttretens mit sich bringen würde. Wir wollen dieses Versprechen auf keinen Fall brechen, um nicht Gefahr zu laufen, das Vertrauen des Volkes in uns zu erschüttern. Für ein solches Verhalten werden auch die nicht betroffenen Gruppen draußen Verständnis zeigen. Wir halten unser Versprechen und stimmen für den 1. Januar. Ich bitte Sie, meine Herren und Damen, unserem Antrag, die 5. Novelle zum Bundesversorgungsgesetz am 1. Januar 1956 in Kraft treten zu lassen, zuzustimmen. Für den Fall der Ablehnung beantragen wir die Inkraftsetzung am 1. April.
({1})
Herr Abgeordneter Petersen!
Meine Damen und Herren! Die Debatte läuft etwas anders, als man sie sonst gewohnt ist. Wir sind etwas in Schwierigkeiten gekommen, weil eigentlich der sachliche Bericht des Kriegsopferausschusses noch gar nicht vorliegt und
*) Siehe Anlage 6.
({0})
sich die Betrachtungen etwas durcheinanderschieben. Das macht die Diskussion und auch die Vertretung der Anträge sehr schwer.
Ich habe vorhin unseren Antrag, als Termin für die Zahlung der Renten das Datum „1. Januar 1956" zu wählen, Umdruck 604 Ziffer 1, begründet. Wir haben den Alternativantrag gestellt, der unter Ziffer 2 steht*), wonach das Hohe Haus für den Fall der Ablehnung des ersten Antrages beschließen möge, die Zahlung der erhöhten Renten vom Beginn des Haushaltsjahres an, also zum 1. April 1956 zu beschließen. Ich glaube, diesem Antrag sollte auf jeden Fall gefolgt werden, denn wir können davon ausgehen, daß das zu beschließende Gesamtvolumen von 772 Millionen DM im laufenden Haushaltsjahr zahlungsmäßig nicht ausgeschöpft werden wird. Die Abwicklung der Umrechnung wird so viel Zeit in Anspruch nehmen, daß das Hohe Haus über den Gesichtspunkt, daß im Augenblick vielleicht noch nicht klargestellt ist, woher die Deckung zu nehmen ist, wird hinwegsehen können.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, gemäß § 127 der Geschäftsordnung zu verfahren und die Anwendung der Bestimmungen des § 96 ({1}) für diesen Fall - Inkraftsetzung des Gesetzes für die Rentenzahlung am 1. April 1956 - zu suspendieren.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Probst.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Gestatten Sie, daß ich die Debatte zunächst auf die Grundlinien zurückführe. Ich befürchte sonst, daß tatsächlich etwas erschüttert wird, Frau Hütter, nämlich die Grundlagen, auf denen dieses Parlament beruht und zugleich auch die Freiheit des Staatsbürgers.
({0})
Ich darf zunächst feststellen, daß der Abgeordnete seinem Gewissen unterworfen ist. Das ist ein Grundsatz, der im Grundgesetz niedergelegt ist. Ich betone das gegenüber Einwirkungen auf das Parlament von draußen, die in diesen Tagen versucht worden sind, etwa mit Formulierungen des Inhalts: Wir hoffen, daß Sie endlich einmal Ihrem Gewissen folgen! Wir müssen solche Formulierungen auf das schärfste zurückweisen.
({1})
Sie sind in der Lage, das Ansehen des Parlaments auf das schwerste zu schädigen. Damit wird niemandem ein Gefallen getan. Wir entscheiden unabhängig nach unserem Gewissen, nach den Erkenntnissen einer sorgfältigen Überprüfung der Gesamtlage. Dabei bekenne ich mich zu einer Sozialpolitik, die immer das Gesamtgefüge zugleich im Auge hat.
Das Budgetrecht ist ebenfalls ein Grundrecht des Parlaments, und ich darf für meine politischen Freunde und mich zum Ausdruck bringen, daß wir uns verpflichtet fühlen, die Möglichkeiten des Haushalts sorgfältig und eingehend zu prüfen, um echte Dauerleistungen geben zu können.
({2})
s) Siehe Anlage 6.
Die Kriegsopfer haben ein Anrecht darauf, daß wir Ihnen Sicherheit bieten, indem wir den Haushalt abgleichen, ihn wahr und klar gestalten als Voraussetzung der Erhaltung einer gesunden Währung, der Erhaltung der Kaufkraft, ja der Steigerung der Kaufkraft der Renten. Wir haben deshalb eingehend und sorgfältig mit dem Wunsch, den frühestmöglichen Termin zu erreichen, noch einmal die Haushaltslage überprüft. Wir sind uns darüber klar, daß wir, wenn wir heute den Kriegsopfern gemäß Antrag Umdruck 606 als Inkraftsetzungstermin den 1. April geben, damit andere Wünsche zurückstellen müssen, um eine Deckung zu finden. Ich möchte dies ausdrücklich betonen.
Ich darf dem Hohen Hause unter diesen Gesichtspunkten empfehlen, den Änderungsantrag Umdruck 606 meiner politischen Freunde und der Fraktionen der DP und DA anzunehmen, das Datum 1. Juli 1956 durch das Datum 1. April 1956 zu ersetzen.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich die Absicht, meine Begründung zum Termin nach dem Mündlichen Bericht des Kriegsopferausschusses zu bringen. Aber ich habe den Eindruck, daß die Geschichte hier etwas durcheinandergeht. Weil ich mutmaße, daß der Herr Präsident gleich nach der Diskussion über den Bericht des Haushaltsausschusses über den Termin abstimmen lassen wird, halte ich es für notwendig, noch einiges zu sagen.
Die ganze Situation, die ganze Unruhe ist doch dadurch entstanden, daß man von seiten der Regierung den deutschen Kriegsopfern gegenüber immer wieder Versprechungen gemacht und daß man es auch nicht vermocht hat, für die heutige Aussprache einen früheren Termin festzusetzen. Ich darf daran erinnern, daß es meine Fraktion war, die bereits am 28. September 1955 einen Antrag auf Erhöhung der Kriegsopferrenten eingebracht hat. Wir haben damals als Termin des Inkrafttretens dieser 5. Novelle den 1. Dezember 1955 vorgesehen. Ich darf, da man uns manchmal und gerade im vergangenen Jahre den Vorwurf gemacht hat, das sei ein Propagandaantrag der SPD, hier feststellen, daß wir seinerzeit ein Mehr von etwa 907 Millionen DM für die deutschen Kriegsopfer beantragt haben. Jetzt haben wir nach langen Beratungen im Kriegsopferausschuß einen Bruttobetrag von 902 Millionen DM erreicht. Damit ist doch wohl bewiesen, daß die Überlegungen meiner Fraktion nicht von ungefähr sind.
Lassen Sie mich noch etwas anderes sagen. Wir haben in der vergangenen Woche über die Einführung der neuen Wehrmacht diskutiert. Da habe ich den Eindruck gehabt - Sie können es mir übelnehmen oder nicht -,
({0})
daß Sie von der Mehrheit des Hauses da einen sehr frühen Termin wollten. Meine Freunde und ich sind der Auffassung, daß es auch ein Anliegen dieses Hauses sein muß, den gerechten Ansprüchen der deutschen Kriegsopfer entgegenzukommen, ehe man wieder eine neue deutsche Wehrmacht aufbaut.
({1})
({2})
Ich weiß nicht, ob es nicht doch richtig ist, daß das Bundesversorgungsgesetz, wie man bei den Verhandlungen mit den einzelnen Fraktionen dieses Hauses und wie auch der Bundeskanzler in etwa gesagt hat, schon deshalb schlecht sein müsse, weil es in einem kurzen Zeitablauf schon eine 5. Novelle brauche. Ich bin der Meinung, im Interesse des Vertrauens der deutschen Kriegsopfer sollte man nun nicht um 192 Millionen DM feilschen. Denn diese 192 Millionen DM sind nach unserer Auffassung vorhanden. In den Reden des Herrn Bundesfinanzministers in der Vergangenheit kam immer wieder zum Ausdruck: Gibt es eine Rentenerhöhung, dann kommt eine inflationistische Tendenz auf. Das ist jedoch nicht eingetreten. Tatsache ist doch, daß wir für Verbesserungen auf dem Sektor der Kriegsopferversorgung noch niemals Nachbewilligungen notwendig hatten. Im Gegenteil, von den Ansätzen im Bundeshaushalt der vergangenen Jahre sind erhebliche Beträge übriggeblieben.
Und noch eines. Im Kriegsopferausschuß erklärte der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, daß 500 Millionen DM zur Verfügung stünden, und beantragte im Namen des Herrn Finanzministers, diese 5. Novelle am 1. Oktober 1956 in Kraft zu setzen.
({3})
Wenn wir rechnen, dann stellen wir doch fest, daß wir für einen Monat 641/2 Millionen DM benötigen. Das bedeutet, daß man, wenn man nur 500 Millionen DM zur Verfügung hätte, mit diesem Betrag doch immerhin schon etwa acht Monate die Versorgungsleistungen tragen könnte. Und nun frage ich: Warum ist man dann hier nicht gleich konsequent, sondern unternimmt wieder den Versuch, zum Schaden der deutschen Kriegsopfer noch zwei Monatsbeträge einzusparen?
Es ist auch eine Tatsache, daß unser Herr Finanzminister gerade bei den sozialen Positionen in unserem Bundeshaushalt immer sehr erhebliche Deckungspolster eingebaut hat. Das kommt darin zum Ausdruck - das habe ich ja vorhin gesagt -, daß die Versorgungspositionen in den vergangenen Jahren nicht ausgeschöpft worden sind. In den nächsten Jahren werden wir einen gewaltigen Abgang von Versorgungsberechtigten zu verzeichnen haben. Ich darf an Hand amtlicher Unterlagen einmal feststellen, daß wir von 1953 bis 1955 einen echten Abgang an Versorgungsberechtigten in Höhe von 170 000 Menschen hatten. In dem Voranschlag des kommenden Bundeshaushalts ist ja auch schon wiederum vorausschauend ein Ausscheiden von 170 000 Versorgungsberechtigten berechnet, und ich bin der Meinung, es werden noch mehr sein. Darüber hinaus haben wir nach den nächsten fünf Jahren mit dem Problem der deutschen Kriegswaisen grundsätzlich nichts mehr zu tun. Ich frage, ob es unter diesen Umständen notwendig ist, um die 192 Millionen DM, die diesmal erforderlich sind, ein so großes Feilschen zu veranstalten.
Im Interesse der Wahrheit muß ich aber noch einige Dinge sagen, die dem Bundesarbeitsminister nicht recht angenehm sein werden. Er hat nämlich im Kriegsopferausschuß darum gebeten, die Novelle deshalb spät in Kraft zu setzen, weil die Länder, die ja diese Novelle in eigener Verwaltung und Verantwortung durchzuführen hätten, verwaltungsmäßig dazu nicht in der Lage seien. Meine
Damen und Herren, das mag sein; ich kann das nicht feststellen. Aber die drei größten Bundesländer, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen, haben erklärt, daß diese Verwaltungsschwierigkeiten nicht bestünden und daß sie ohne weiteres in der Lage seien, die Novelle rückwirkend zu bearbeiten.
({4})
Wir sollten uns auch nicht dadurch, daß die Verwaltung es nicht schafft und die Arbeit nicht verkraften kann, leiten und dazu bestimmen lassen, soziale Gesetze nicht zu schaffen und nicht zu realisieren, sondern es kommt doch letzten Endes darauf an, daß wir einen möglichst großen sozialen und staatspolitischen Nutzeffekt erzielen. Den erzielen wir dann, wenn wir diese Novelle mit Wirkung vom i . Januar in Kraft setzen.
Frail Dr. Probst hat gesagt, das Parlament sei unter Druck gesetzt worden. Ich kenne keine Telegramme. Ich habe wohl etwas gehört; wir verurteilen das, wir wollen und wünschen das nicht. Aber ich möchte eines feststellen. In diesem Parlament ist schon oft gesagt worden, dieser Staat brauche keine Mahner. Meine Damen und Herren, wenn diese starken mahnenden Kräfte, die positiv wollenden Kräfte nicht dagewesen wären, dann wäre es auch nicht zu dem Ergebnis der vorliegenden 5. Novelle gekommen,
({5})
sondern es wäre wahrscheinlich bei diesem kleinen Novellchen von Weihnachten 1955 geblieben.
Meine verehrten Kollegen, die Sie so oft davon sprechen, man solle sich den Dank des Vaterlandes auch etwas kosten lassen, Sie haben jetzt Gelegenheit, dafür zu sorgen und mit dazu beizutragen, daß diese Novelle am 1. Januar 1956 in Kraft gesetzt wird.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz der in der Diskussion bei den einzelnen Sprechern zum Ausdruck gekommenen Nuancen glaube ich feststellen zu können, daß das Haus in dem Eifer einig ist, die Belange der Kriegsopfer aufs beste zu wahren. Ich glaube, die Kriegsopfer selbst können darüber glücklich sein.
Als wir im Frühjahr dieses Jahres erstmals die 5. Novelle berieten, die damals nicht zum Zuge kam, habe ich namens der Koalitionsfraktionen die Erklärung abgegeben, daß wir im Verlauf der weiteren Beratungen daran arbeiten würden, eine Novelle zu erstellen, die den Verpflichtungen gerecht würde, die Staat und Gesellschaft gegenüber den Kriegsopfern haben. Meine Freunde von der Deutschen Partei glauben, daß mit der jetzt vorliegenden 5. Novelle diesen Belangen Rechnung getragen ist, und wir werden uns unter Abwägung aller sachlichen Gründe, insonderheit auch unter Abwägung der Tatsache, daß in den nächsten Monaten noch zahlreiche weitere Bevölkerungskreise mit erheblichen Mitteln zu bedenken sein werden, für den Termin des 1. April aussprechen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich geht jetzt der Streit immer noch um die Frage der Inkraftsetzung. Herr Kollege Rasch, ich möchte in diesem Zusammenhange und in diesem Hause sagen, daß man die Dinge nicht auf den Kopf stellen soll. Wenn wir die ganze Entwicklung betrachten, so sehen wir, daß vor Weihnachten ein Volumen von 180 Millionen DM zur Debatte stand, heute dagegen ein Volumen von 903 Millionen DM. Man kann keineswegs sagen, daß damit irgendwie Leistungen vorenthalten würden. Ich möchte auch namens meiner politischen Freunde erklären, daß wir uns wirklich ernsthaft bemüht haben, den Kriegsopfern gerecht zu werden. Deshalb ist auch der Antrag gestellt worden, das Gesetz am 1. April in Kraft zu setzen. Ich glaube, den Kriegsopfern wäre der beste Dienst erwiesen, wenn wir uns auf diesen Termin einigten. Es ist immer der schönste und beste Augenblick gewesen, wenn sich das Parlament in der Frage der Kriegsopferversorgung einig gezeigt hat. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß diese Frage nicht etwa mit großen Reden gelöst werden kann. Herr Kollege Rasch, ich kann mich noch erinnern, wie Sie damals bei der Einbringung der 3. Novelle gesagt haben: „Wer bietet mehr?!" Nun erleben wir das gleiche Spiel wieder. Ich will aber nicht näher auf diese Dinge eingehen. Man kann aber nicht sagen - das ist eine falsche Darstellung -, daß die Christlich-Demokratische Union gegenüber den Kriegsopfern nicht verantwortlich gehandelt hätte. Wenn man die 3. Novelle, die mit Wirkung vom 1. Januar 1955 in Kraft getreten ist, und jetzt 1 die 5. Novelle betrachtet, dann zeigt sich doch ein entscheidender Schritt vorwärts, der nach außen hin den Eindruck erwecken kann, daß man in vollem Verantwortungsbewußtsein gegenüber den Kriegsopfern versucht, das Bestmögliche zu tun.
({0})
In diesem Sinne, meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen, möchte ich bitten, daß wir uns über den Termin 1. April einigen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir stehen heute am Ende einer Entwicklung, bei der die Vertreter aller Parteien dieses Hauses weniger Anlaß haben, einander Vorwürfe zu machen, als festzustellen, daß über den wesentlichen Inhalt der neuen Novelle zum Kriegsopferversorgungsgesetz eine allgemeine Einigung in diesem Hause erreicht worden ist. Die Streitpunkte, um die es jetzt noch geht, sind auf das äußerste Maß reduziert, so daß ich sagen darf: Es war gerechtfertigt, wenn die Koalition damals den Antrag stellte, erneut in die Beratungen einzutreten und auf einer wesentlich verbesserten Basis zu einer Einigung zu gelangen. Allerdings sind wir der Auffassung, daß aus der damaligen Vertagung die eine Konsequenz gezogen werden sollte: Wir haben damals den Kriegsopfern versprochen, daß die erneute Beratung und die von ihr in Anspruch genommene Zeit nicht zu ihren Lasten gehen sollen; deshalb sollten wir uns heute in der Verständigung zusammenfinden, das Gesetz zum 1. April in Kraft treten zu lassen. Das hätte auch den Vorzug, daß wegen des Inkrafttretens des Gesetzes aus haushaltsmäßigen Erwägungen keine neuen Befürchtungen aufzuwerfen wären. Ich glaube, das ist doch das wichtigste Resultat, das wir heute erzielen müssen: daß die Novelle nun verabschiedet wird und demnächst in Kraft tritt.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache zu dem Punkt i a aa, d. h. über den Antrag des Haushaltsausschusses.
Alles, was hier vorgetragen und beantragt worden ist, bezieht sich eigentlich auf die zweite Lesung, und zwar auf den Art. IV des vorliegenden Gesetzentwurfs. Wir haben uns heute im Ältestenrat hinreichend die Köpfe zerbrochen, wie wir die Sache geschäftsordnungsmäßig am richtigsten machen. Ich darf Ihnen im Zusammenhang damit vorschlagen, daß wir die Anträge, die zu Art. IV gestellt worden sind und die Ihnen ja in den Umdrucken 599 Ziffer 5, 604 und 606 vorliegen, nunmehr in Änderungsanträge zu dem Antrag des Haushaltsausschusses verwandeln. Wir würden dann zunächst einmal über diese Änderungsanträge der Reihenfolge nach abstimmen, über den weitestgehenden zuerst.
Der weitestgehende Antrag ist der der SPD, Umdruck 599 Ziffer 5; er wäre hier sinngemäß als weitestgehender Änderungsantrag zu dem Antrag des Haushaltsausschusses zuerst zur Abstimmung zu bringen. Er ist identisch mit dem Antrag Umdruck 604 Ziffer 1. Wir würden dann für den Fall, daß dieser Antrag abgelehnt werden sollte, über die Anträge Umdruck 606 und Umdruck 604 Ziffer 2 abstimmen, die wiederum identisch sind. Über das weitere geschäftsordnungsmäßige Verfahren können wir uns dann nachher unterhalten. Auch dafür sind schon Vorschläge gemacht.
Zunächst hat zur Abstimmung das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Menzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Ältestenratssitzung, die kurz vor Beginn dieser Plenarsitzung stattfand, wurde vereinbart, bei Anträgen zum Stichtag für das Inkrafttreten des Gesetzes keine namentlichen Abstimmungen zu beantragen. Das konnte der Herr Kollege Ritzel nicht wissen, weil die Sitzung erst kurz vor Beginn der Plenarsitzung beendet war. Ich bitte daher, diesen Antrag als hinfällig anzusehen.
Meine Fraktion ist für den Fall der Annahme eines Änderungsantrages zum Stichtag mit dem von Herrn Kollegen Petersen beantragten Verfahren einverstanden, gemäß § 127 der Geschäftsordnung von der Anwendung des § 96 ({0}) der Geschäftsordnung abzusehen.
Meine Damen und Herren! Sie haben diesen Antrag gehört. Auf namentliche Abstimmung wird verzichtet. Ich unterstelle, daß das Haus mit dem Verfahren einverstanden ist, das ich vorgetragen habe.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag 599 Ziffer 5*) verbunden mit dem Änderungsantrag Umdruck 604 Ziffer 1**), sinn-
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 6.
({0})
gemäß umgeändert in einen Änderungsantrag zu dem Antrag des Haushaltsausschusses auf Drucksache 2349. Sinn dieses Änderungsantrages ist, die Leistungsverbesserungen ab 1. Januar 1956 in Kraft treten zu lassen, selbstverständlich dann mit den entsprechenden finanziellen Konsequenzen, die der Herr Berichterstatter in seinem Schriftlichen Bericht, der Ihnen vorliegt, auf Seite 2 der Drucksache dargelegt hat. Ich nehme an, daß das Haus mit diesen Modalitäten einverstanden ist. Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD, der FDP und des GB/BHE, die Leistungsverbesserungen ab 1. Januar 1956 eintreten zu lassen, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Einer meiner Herren Schriftführer zweifelt, ob das Ergebnis eindeutig ist. Ich bitte die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun kommen wir zu dem zweiten Änderungsantrag, der Ihnen auf Umdruck 606*) als Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Probst und Genossen und der Fraktionen der DP und der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft vorliegt, verbunden mit dem Änderungsantrag Umdruck 604 Ziffer 2**), dem Eventualantrag der Fraktionen der FDP und des GB/BHE. Wer diesem Änderungsantrag, die Leistungsverbesserungen am 1. April 1956 eintreten zu lassen, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige Gegenstimmen ist dieser Antrag vom ganzen Hause angenommen.
Nun kommen wir zu dem geschäftsordnungsmäßig ungewöhnlichen Verfahren, daß wir eine Bestimmung der Geschäftsordnung, nämlich den § 96 ({1}), für diesen Fall nach § 127 außer Kraft setzen. Um der Korrektheit willen lese ich den § 127 der Geschäftsordnung vor:
Abweichungen von den Vorschriften der Geschäftsordnung können im einzelnen Fall mit Zweidrittel-Mehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages beschlossen werden, wenn die Bestimmungen des Grundgesetzes dem nicht entgegenstehen.
Ich darf feststellen, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes in diesem Falle einem solchen Beschluß nicht entgegenstehen. Ich glaube nicht, daß wir diese Zweidrittel-Mehrheit unbedingt durch Auszählung feststellen müssen, wenn wir uns durch eine eindeutige Abstimmung darüber verständigen können, daß der § 127 für den Fall angewendet werden soll, daß der letzte, soeben angenommene Antrag weiterverfolgt und der zweiten und dritten Lesung zugrunde gelegt wird, ohne daß er noch einmal an den Haushaltsausschuß verwiesen und die Stellungnahme des Haushaltsausschusses dazu eingeholt wird. Besteht darüber völlige Klarheit? - Ich höre keinen Widerspruch; es besteht Klarheit.
Nun werde ich zunächst versuchen, ohne Auszählung festzustellen, ob wir § 127 im Hinblick auf § 96 in diesem Sinne anwenden können. Wer dafür ist, daß wir in diesem Fall und nur für diesen Antrag den § 127 anwenden, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Eine Auszählung erübrigt sich; das scheint mir die einstimmige Meinung des Hauses zu sein.
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*) Siehe Anlage 7.
**) Siehe Anlage 6.
- Verzeihen Sie, ich korrigiere mich: Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Bei einigen Neinstimmen ist dieser Geschäftsordnungsantrag angenommen.
Ich rufe dementsprechend nunmehr die Ziffer 1 a bb des Punktes 1 unserer Tagesordnung auf:
Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen ({3}) ({4})
und trete damit in die Beratung der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs ein.
Zuvor gebe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort zur Berichterstattung über den Gesetzentwurf selber. Herr Abgeordneter Pohle, möchten Sie dazu das Wort nehmen? - Bitte schön!
Pohle ({5}) ({6}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Befürchten Sie nicht, daß ich meinen eigenen Schriftlichen Bericht*) noch vor Ihnen kommentieren möchte;
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das würden Sie auch nicht honorieren. Ich darf nur eine Ergänzung anbringen. In der Schule war ich zuerst nicht beglückt, wenn mein Lehrer mir beizubringen versuchte, daß das Komma immer an der richtigen Stelle stehen müsse. Im späteren Leben hat man kennengelernt, daß Kommas von ungeheuer Bedeutung sein können. Wenn bei einer Planung oder Brückenberechnung ein Komma nicht an der richtigen Stelle steht, kann die Brücke später sogar einstürzen. Da wir aber hier keinen Einsturz, sondern einen Aufbau vornehmen wollen, darf ich Sie davon unterrichten, daß auf Seite 13 des Schriftlichen Berichts unter Art. II „Übergangsvorschriften" in der fünften Zeile hinter ,,Nr. 21" ein Komma fehlt, das dort eingesetzt werden muß.
Die zweite Ergänzung, die ich hier vorzutragen habe, betrifft folgendes. Wir haben ja schon einen ganzen Katalog von Berlin-Bestimmungen, und wir haben immer Eile und Sorge gehabt, auch die neueste in unseren Gesetzestexten zu verarbeiten. Wir haben zwar diesmal die richtige Berlin-Klausel im Gesetz, aber wir haben noch etwas vergessen. Wir werden von dem Berliner Senator für Bundesangelegenheiten darauf aufmerksam gemacht, in Art. III müsse folgender Satz 2 angefügt werden:
Rechtsverordnungen, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen werden, gelten im Land Berlin nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes.
Herr Präsident, ich bitte, davon Kenntnis zu nehmen; es hat seine Richtigkeit und seine Ordnung. Im übrigen berufe ich mich auf den Schriftlichen Bericht.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen ebenso exakten wie kurzen Bericht und komme damit zur zweiten Lesung. Eine allgemeine Aussprache, wenn sie nicht ausdrücklich gewünscht wird, entfällt nach den Bestimmungen unserer Geschäftsordnung.
Ich rufe zunächst auf den Art. I, die Ziffern 1, -2,-3,-4,-5,-6,-7,-8.- Dazu liegen Änderungsanträge nicht vor. Wird zu den aufge-
*) Siehe Anlage 2.
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rufenen Ziffern das Wort gewünscht? - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung.
Ich komme zur Abstimmung. Wer den aufgerufenen Ziffern des Art. I zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Ziffern sind einstimmig angenommen.
Ich rufe die Ziffer 9 des Art. I auf. Hierzu liegt auf Umdruck 599 Ziffer 1*) ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Ich frage, ob dieser Änderungsantrag begründet werden soll. - Herr Abgeordneter Bazille zur Begründung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist noch keine Woche verstrichen, seit wir die große Aussprache über die Frage der Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht in diesem Hause hatten. Es muß schon bezweifelt werden, ob es dem deutschen Volke gegenüber, in dem es kaum eine Familie gibt, die nicht einen Angehörigen zum Personenkreis der Kriegsopfer zählt, politisch klug war, das Wehrpflichtgesetz vor der Novelle zum Kriegsopferrecht zu behandeln. Das gilt noch mehr hinsichtlich der vorgesehenen Rentenerhöhungen, welche Gegenstand unserer heutigen Beratung sind.
Die allgemeine Wehrpflicht, auf dem im Staatsgedanken enthaltenen Solidaritätsprinzip aufbauend, verpflichtet den Bürger zur Hingabe von Leben und Gesundheit. Sie findet ihr Pendant in der Kriegsopferversorgung. Es muß deshalb unverständlich bleiben, daß die Koalitionsparteien glauben, in diesem Bereich Lösungen unter Anwendung des Subsidiaritätsgedankens finden zu sollen. Wir haben gegen diese Entwicklung in der 5. Novelle bei den Ausschußberatungen eine ganze Reihe von verfassungspolitischen und allgemein rechtlichen Bedenken geltend gemacht. Wir haben dargelegt, daß es schlechterdings unzumutbar ist, das Bundesversorgungsgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung für die Wehrpflichtigen von morgen für anwendbar zu erklären und diese in den spezifischen Risikobereich der Bundeswehr zu zwingen, wenn die Gefahr, hierbei einen Gesundheitsschaden zu erlangen, so schlecht äquivaliert ist, wie das in den gegenwärtigen Rentenleistungen im Bereich der sogenannten Grundrenten im Bundesversorgungsgesetz der Fall ist. Bei der Beratung dieses Gegenstandes haben wir bewußt darauf verzichtet, weitere Einzelanträge zu stellen, weil wir der Meinung sind, daß die Grundrenten des Bundesversorgungsgesetzes ein wesentliches Kernstück des Kriegsopferversorgungsrechts überhaupt bilden.
In diesem Zusammenhang wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die Kriegsopfer, welche in Arbeitsverdienst stehen, eigentlich gehalten seien, auf Ansprüche zugunsten derjenigen unter ihnen zu verzichten, welche nicht mehr auf eine eigene Existenzbasis gestellt sind, weil sie ihr Körperschaden an der Ausübung einer selbständigen Existenztätigkeit hindert. Man hat so bewußt einen Gegensatz konstruiert zwischen demjenigen Beschädigten, der mit dem Verlust seiner Gesundheit zugleich seine Arbeitsfähigkeit verloren hat, und demjenigen, der trotz dieses Gesundheitsverlustes weiterhin seine Existenzsicherung und die des ihm zugeordneten Familienverbandes selbständig bewirkt. Wir sind der Auffassung, daß das
*) Siehe Anlage 4.
Rechtsgut Gesundheit ein so hohes menschliches Gut ist, daß die Rentenskala des Bundesversorgungsgesetzes geradezu ein Gradmesser der Bewertung des Bürgers durch den Staat bzw. durch diejenigen wird, die den Staat zu repräsentieren berufen sind. Wir meinen, daß es in dieser Zeit der Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht nicht zu vertreten ist, Rentenleistungen aufrechtzuerhalten, die bei schweren Körperschäden, die nach dem Bundesversorgungsgesetz mit 50 % Erwerbsminderung eingestuft werden, Regelrenten von monatlich nur 40 DM vorsehen. Wir sehen in diesen niedrigen Grundrentenbeträgen auch eine ernsthafte Gefährdung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, des Prinzips nämlich, daß die Ansprüche des Bürgers gegenüber der Allgemeinheit, die ihn verpflichtet hat, nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Billigkeit zu bemessen sind. Wir glauben nicht, daß bei Gegenüberstellung der allgemeinen Folgen der Körperschäden und der Rentenleistungen, wie sie auch nach dem Stande der Ausschußberatungen zur 5. Novelle vorgesehen sind, von Gerechtigkeit und Billigkeit die Rede sein kann. Wenn wir vergleichbare Rechtsgebiete heranziehen - so etwa die Gesundheitsrisikoabdeckung im allgemeinen Straßenverkehr oder die Gesundheitsrisikoabdeckung im Berufsleben -, erkennen wir, daß auf diesen Gebieten für gleiche Körperschäden Leistungen gewährt werden, die mehr als das Doppelte, ja das Dreifache dessen ausmachen, was hier der Bundesgesetzgeber als Äquivalent für die im Kriegsdienst eingetretenen Gesundheitsschäden auszuwerfen bereit ist.
Wenn hier immer wieder der Einwand kommt: der Wahlkampf hat schon begonnen, dann möchte ich darauf hinweisen, daß wir uns im Ausschuß bereit erklärt hatten, bei der strukturellen Weiterentwicklung des Bundesversorgungsgesetzes Lösungen zu suchen, die sowohl dem sozialpolitischen Bedürfnis als auch den rechtlichen und insbesondere den verfassungspolitischen Erwägungen Rechnung tragen. Allein wir hatten zu verzeichnen, daß die Koalitionsparteien an dem von ihnen vertretenen Subsidiaritätsprinzip festhielten. Sie waren der Meinung, daß für die Festsetzung einer Rente die Verdienstsituation des Anspruchsberechtigten maßgebend sei und daß demgegenüber der Gesundheitsschaden in der Bewertung zurücktreten müsse. Die gesamte deutsche Öffentlichkeit, die über kurz oder lang vor dem Problem stehen wird, die deutsche Jugend erneut zum Wehrdienst zu verpflichten und damit einem spezifischen, von der Allgemeinheit begründeten Risiko auszusetzen, hat Veranlassung, darüber nachzudenken, ob diese Methode der Rechtsfindung geeignet ist, den hier vorliegenden Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Ist es doch nicht lange her, daß erklärt wurde, der Staat sei alles und der einzelne sei nichts, der einzelne habe völlig und vorbehaltlos hinter den Bedürfnissen des Staates zurückzutreten. Wir gehen jetzt in eine Situation hinein, in der es dem einzelnen Bürger zur Pflicht gemacht ist, die politischen Kräfte auch zum Schutz seiner bürgerlichen Sphäre aufzurufen.
Ich persönlich vertrete die Meinung, daß das Risiko eines Wehrdienstschadens allein von der Gemeinschaft getragen werden muß und unvereinbar ist mit den Prinzipien der Subsidiarität. Denn die Gemeinschaft erlegt das Opfer auf, Leben und Gesundheit hinzugeben, und ihr erwächst daraus also die Pflicht, die Folgen, die dadurch entstehen,
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so weit als möglich zu tragen, und darf sie nicht auf den Bürger abwälzen.
Weil wir diesem Prinzip der Rentenfindung in der Kriegsopferversorgung ein sehr großes Gewicht beimessen und weil wir der Auffassung sind, daß das Rechtsgut „Gesundheit" höher veranschlagt werden muß, als dies bei der seitherigen Entwicklung des Bundesversorgungsgesetzes geschehen ist, haben wir entsprechende Änderungsanträge gestellt. Ich möchte weitere Gründe, die noch im einzelnen für die Sätze anzuführen wären, welche meine Fraktion Ihnen zur Annahme empfiehlt, hier nicht vortragen. Ich glaube aber, es ist für die deutsche Öffentlichkeit gut, wenn sie dieser Frage beizeiten die gehörige Aufmerksamkeit schenkt. Denn hier wird in einem Maße in die Sphäre des Bürgers eingegriffen wie auf keinem vergleichbaren Gebiet der Begegnung von Bürger und Staat. Hier werden wesentliche Grundrechte des einzelnen berührt, die in unserer Verfassung verankert sind. Seit die Menschen über ihr Schicksal nachdenken, in Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte, haben sie und haben ihre großen Denker immer wieder die Feststellung getroffen, daß die Gesundheit an Leib und Seele zu dem wesentlichsten und inhaltsvollsten Besitz gehört, welcher einem Menschen in seinem Erdendasein beschieden sein kann. Der demokratische Rechtsstaat sollte dieses Rechtsgut auch in einer entsprechenden Form behandeln. Die Überlegungen, welche hier hinsichtlich der finanziellen Inanspruchnahme der deutschen Allgemeinheit angestellt werden müssen, sollten nicht beinhalten, daß man den Kriegsopfern zumutet, innerhalb der einzelnen Leistungsbereiche Rentenverzichte einzugehen, sondern es muß ernsthaft die Frage gestellt werden: Sind Steuersenkungen heute möglich angesichts der Tatsache, daß unbestreitbare Rechtsansprüche der Kriegsopfer keine entsprechende Abgeltung durch das Gesetz gefunden haben?
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Maucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure außerordentlich, daß wir uns heute über dieses Problem, das wir in stundenlangen Beratungen im Ausschuß eingehend behandelt haben, hier im Plenum nochmals auseinandersetzen.
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Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß die Fraktion der Christlich-Demokratischen Union immer positiv zur Grundrente gestanden hat. Das hat sie bewiesen durch ihre erneuten Anträge, nämlich die Anträge auf Unantastbarkeit der Grundrente.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Bazille, es ist ganz klar, daß man draußen sehr populär wird, wenn man die Frage der allgemeinen Wehrpflicht hiermit verbindet. Niemand ist erfreut über sie; aber jeder ist sich ebenso klar, daß wir die Sicherheit für unser deutsches Volk brauchen.
({1})
Wenn man darüber spricht, daß vor einer Woche diese Frage diskutiert worden ist, so hat, glaube ich, auch wiederum die Fraktion der CDU/CSU zusammen mit den übrigen Regierungsparteien, das heißt das ganze Haus, jetzt, indem sie den Termin
auf den 1. April vorverlegt haben, bekundet, daß sie die große Verantwortung gegenüber den Kriegsopfern erkennen.
Und nun, Herr Kollege Bazille, darf ich Ihnen folgendes sagen. Wenn wir uns an die Beratungen erinnern, und vor allem den Antrag Ihrer Fraktion - Drucksache 1708 - zur Hand nehmen, stellen wir folgendes fest: Die Fraktion stellte damals den Antrag, die Grundrente bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 °/o auf 23 DM zu erhöhen; der Ausschuß hat Erhöhung auf 25 DM beschlossen. Für die Beschädigten mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 % beantragte die SPD-Fraktion eine Erhöhung auf 29 DM; der Ausschuß hat Erhöhung auf 33 DM beschlossen. Und so weiter! Der Beschluß des Ausschusses liegt also tatsächlich in allen Zahlen höher als der ursprüngliche Antrag Drucksache 1708 vom 28. September 1955. Wären wir damals Ihrem Antrag gefolgt, dann wäre zwar das Gesetz im Januar in Kraft getreten, aber mit wesentlich niedrigeren Sätzen, als sie der Ausschuß jetzt beschlossen hat. Ich glaube, das ist nur eine ganz nüchterne Realität, die ich in diesem Zusammenhang feststellen darf.
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- Ich glaube, da könnten wir ebenfalls bestehen, wenn wir die Statistik zur Hand nähmen.
Der Ausschuß hat außerdem zusätzlich in § 31 beschlossen, unseren alten Beschädigten vom 65. Lebensjahr an einen Alterszuschlag in Höhe von 10 DM zu gewähren. Auch diese Beträge müssen Sie noch hinzunehmen, besonders bei solchen, die auf Grund ihrer Beschädigung im Alter besonders stark behindert sind.
Außerdem möchte ich sagen, daß wir in diesem Zusammenhang auch den § 30 sehen müssen, nach dem ja die Möglichkeit besteht, in vielen Einzelfällen zu helfen, d. h. der Schwere ihrer Beschädigung gerecht zu werden.
Alle diese Dinge, im Zusammenhang gesehen, darf man, glaube ich, doch nicht ohne weiteres verschweigen.
Bei der Abstimmung ist aber entscheidend, meine Verehrten, daß wir unter keinen Umständen den Fall eintreten sehen möchten, daß die Beratung und Verabschiedung dieser Novelle nochmals verzögert wird; das würde dann eintreten, wenn dieser Antrag angenommen würde. Denn dann würde der § 96 der Geschäftsordnung wirksam werden, und dann, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, würden nochmals Wochen vergehen, bis das Gesetz in Kraft träte. Ich glaube, wir können uns nicht erlauben, die Geduld der Kriegsopfer noch länger in Anspruch zu nehmen.
Was ich zu diesem Punkt gesagt habe, gilt auch für Punkt 2 und Punkt 4. Bei Punkt 3 bedarf es eigentlich keiner Abstimmung. Die hier angeschnittene Frage ist bereits in den Übergangsbestimmungen geregelt. Mit diesem Antrag werden also offene Türen eingerannt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin über die Ausführungen meines sehr geschätzten Kollegen
({0})
Maucher nicht besonders glücklich. Wenn wir uns über die Frage der Grundrente auseinandersetzen, lieber Kollege Maucher, - gut, aber dann nicht mit den Argumenten, die Sie jetzt herbeigeholt haben. Es ist natürlich sehr billig, den Antrag Drucksache 1708 der sozialdemokratischen Fraktion zu zitieren. Aber, Herr Kollege Maucher, wenn Sie jetzt ganz ehrlich gewesen wären, dann hätten Sie dazu sagen müssen, daß dieser Antrag mit dieser Höhe der Grundrenten zu einer Zeit gestellt worden ist, als Sie mit Ihrer Koalition überhaupt noch nicht bereit waren, die Grundrenten anzuheben.
({1})
({2})
Sie hatten die Grundrente ganz außer Ansatz gelassen, und dann, als sich die Fronten lockerten, als die große Chance bestand, die Grundrente zu erhöhen, - nun, liebe Frau Dr. Probst, wir beide kennen uns ja nun seit sieben Jahren, und ich glaube, wir kennen uns bis auf den Grund unserer Seele;
({3})
wir können uns gegenseitig nicht mehr täuschen. Ich weiß Sie zu schätzen, wenn Sie wie der laue Südwind kommen, der die Knospen an den Bäumen wachzuküssen versucht,
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und ich kenne Sie, wenn Sie mit Windstärke 12 durchs Land brausen und die Kriegsopferkähne im Ausschuß ins Wackeln kommen.
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Also nach der Richtung hin bin ich durchaus bereit, Ihnen das Kompliment zu machen, daß Sie nachher, als die Fronten sich lockerten, tagelang mit einer kleinen Wundertüte durchs Haus gegangen sind und zu mir gesagt haben: „Rate mal, Pohle, was darin ist! Viel mehr, als ihr euch bei der ganzen Geschichte vorstellt!" Aber Sie haben den Vogel nicht herausgelassen.
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Nun habe ich gesagt: „Frau Dr. Probst, wenn es so ist, - über die Grundrente in einer besseren Substanz werden Sie mit uns immer reden können." Deshalb haben wir dieses Problem auch noch einmal aufgerollt. Also, Kollege Maucher, argumentieren; aber nicht so!
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Ehe ich abstimmen lasse, will ich in Erinnerung bringen, daß heute vormittag im Ältestenrat vereinbart worden ist, d. h. man ist sich darüber klargeworden, § 96 ({0}) der Geschäftsordnung so auszulegen, daß, falls der Änderungsantrag 599 Ziffer 1 angenommen werden sollte, er als an den Haushaltsausschuß überwiesen gilt. Ich werde dann die Damen und Herren des Haushaltsausschusses bitten, sich zusammenzusetzen, und mir von dem Haus die Erlaubnis einholen, inzwischen Punkt 2 der Tagesordnung, die Moselkanalisierung, aufzurufen, damit wir nicht allzuviel Zeit verlieren. Ist das Haus mit diesem Verfahren einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Wir stimmen über den Änderungsantrag Umdruck 599 Ziffer 1*) ab. Wer diesem Antrag zustimmen will, der möge ein Handzeichen geben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über die Ziffern 9, 10, 11, 12 bis 22. Wer diesen Bestimmungen des Ausschußvorschlages zustimmen will, gebe ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Es ist ein Änderungsantrag, eine neue Nummer 22 a einzusetzen, angekündigt, den Sie auf Umdruck 599 Ziffer 2 finden. Wer begründet? - Das Wort zur Begründung hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD legt Ihnen mit Umdruck 599 einen Änderungsantrag zu § 50 Abs. 1 BVG vor. Der § 50 Abs. 1 in seiner augenblicklichen Fassung bestimmt, daß die Elternrente nur für die Dauer der Bedürftigkeit gewährt wird, wenn der Verstorbene der Ernährer seiner Eltern gewesen ist oder geworden wäre. Der Antrag der SPD auf Umdruck 599 bezweckt, daß die Frage der Ernährereigenschaft im Gesetz nicht mehr erscheint. Die Praxis zeigt, daß die Prüfung der Ernährereigenschaft sehr schwierig ist. Die Entscheidungen der Versorgungsämter hierüber beruhen überwiegend nur auf Annahmen. Denn wer kann wissen, ob der Sohn, der, ehe er eingezogen wurde und während seiner Wehrdienstzeit, als er noch ledig war, seine Eltern unterstützte, heute noch dasselbe tun würde? Und wer kann beweisen, daß derjenige, der damals 20 Jahre alt war und dann gefallen ist, heute seine Eltern unterstützen würde? Wer kann beweisen, daß, wenn eine Familie sechs Kinder hatte, fünf davon noch leben und diese fünf ihre Eltern aus irgendwelchen Gründen nicht unterstützen können, der Sechste, der gefallen ist, vielleicht doch in der Lage gewesen wäre, seinen Eltern zu helfen? Niemand kann von dem Verhalten eines Kindes auf das Verhalten eines anderen Kindes schließen. Der Staat, der von einem Kind, das selbst in wirtschaftlich dürftigen Verhältnissen lebt, fordert, seine Eltern zu unterstützen, geht einfach zu weit, wenn er, der ein Opfer von diesen Eltern gefordert hat, nämlich ihren Sohn, nicht in der Lage ist, seiner Verpflichtung nachzukommen.
({0})
Die Prüfung der Ernährereigenschaft des Verstorbenen kann nur in einer Annahme enden, die niemals bewiesen werden kann. Die Prüfungen verlaufen oft sehr häßlich, und die Eltern, die ihren Antrag abgelehnt bekommen, haben immer das Gefühl, daß sie ungerecht behandelt sind; denn sie verstehen die Haltung des Gesetzgebers in dieser Frage einfach nicht.
({1})
Sie kennen alle das alte Sprichwort: „Eine Mutter kann sieben Kinder ernähren, aber sieben Kinder sind meistens nicht imstande, eine Mutter zu ernähren." Doch der Staat sollte nicht die Rolle des pflichtvergessenen Kindes spielen.
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Der Verwaltung der Versorgungsämter wird mit der Prüfung der Ernährereigenschaft eine Ver-
*) Siehe Anlage 4.
({3})
pflichtung auferlegt, die sie mit dem besten Willen nicht erfüllen kann. Diese Prüfungen verleiten einerseits die antragstellenden Eltern sehr oft zu unwahren Angaben; auf der anderen Seite sehen sich die Versorgungsämter oft gezwungen, willkürliche Entscheidungen zu treffen. Es liegt einfach in der Natur dieser Bestimmung, daß sie unkorrekt ausgeführt werden muß. Schon während der Zeit des Reichsversorgungsgesetzes und auch während der Zeit des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes ist das Prinzip der Feststellung der Ernährereigenschaft großzügig durchbrochen worden; denn die Praxis hat gezeigt, daß die Bestimmungen immer und immer wieder zu Unzuträglichkeiten geführt haben. Wir sollten heute so vernünftig sein, diese unzuträglichen Bestimmungen aus dem Gesetz herauszunehmen.
({4})
Eine nennenswerte Mehrbelastung würde dadurch nicht eintreten; denn durch die in § 50 festgelegte Bedürftigkeit ist der Rahmen der Bewilligung bereits abgegrenzt. Wenn schon in der Zeit der Gültigkeit des Reichsversorgungsgesetzes die Frage der Ernährereigenschaft umstritten war und wenn die Versorgungsämter sich immer wieder gezwungen sehen, das Gesetz in diesem Punkt unkorrekt anzuwenden, sollten wir heute die Konsequenzen ziehen und den Erfahrungen der Praxis Rechnung tragen. Da der Kreis der Elternrentenbezieher immer kleiner wird und nach dem Inkrafttreten der Sozialreform zahlreiche Eltern sowieso aus der Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz herausgenommen werden, sollten auch jene, die die Sache von der finanziellen Seite her betrachten, durchaus bereit sein, unserem Antrag zuzustimmen. Wir alle wissen, daß die alten Menschen in unserem Staat zu einem großen Teil wirtschaftlich recht kümmerlich leben. Jene, die einen Antrag auf Elternrente stellen, gehören mit zu diesen besonders bedürftigen Kreisen. Wir als Abgeordnete dieses Bundestages sollten uns verpflichtet fühlen, den alten Menschen besonders zu helfen. Hier ist eine Möglichkeit. Darum bitte ich Sie, dem Antrag der SPD auf Umdruck 599 zuzustimmen.
({5})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Probst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sinn der Elternrente, wie sie auch in dem alten Reichsversorgungsgesetz gestaltet war, ist der, an die Stelle des Unterhalts durch den gefallenen Ernährer zu treten. Die Unterhaltsverpflichtung der noch lebenden Kinder bleibt erhalten. Diese Unterhaltsverpflichtung ist im Bürgerlichen Gesetzbuch niedergelegt. Sie bildet eine der Grundlagen der menschlichen Gesellschaftsordnung schlechthin. Wir müssen doch mit Sorge sehen, wie in unserem Volke das Bewußtsein der Unterhaltsverpflichtung auch als einer ethischen Verpflichtung immer mehr schwindet. Wir dürfen als Gesetzgeber nicht dazu beitragen, daß diese Fundamente der Ordnung zerstört, unterminiert und entwertet werden.
({0})
Auch aus diesen grundsätzlichen Erwägungen bitte ich, den Antrag abzulehnen. Wir haben gerade bei den Elternrenten die Renten als solche und die Einkommensfreigrenzen verbessert. Wir haben vor allem auch eine Unterhaltsleistung da
vorgesehen, wo das letzte Kind, das einzige Kind oder alle Kinder gefallen sind. In diesen Fällen ist eine ganz klare Unterhaltsverpflichtung des Staates gegeben.
Außerdem verweise ich nochmals auf die Ausführungen des Kollegen Maucher, der gesagt hat, wir gefährden die heutige Abstimmung. Wir können die Kriegsopfer unter keinen Umständen noch länger auf diese wesentlichen Verbesserungen warten lassen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann nur unterstreichen, was meine Kollegin Frau Schanzenbach zu diesem Problem gesagt hat. Aber es liegt noch etwas anderes darin. Ich möchte in diesem Fall den Herrn Bundesarbeitsminister persönlich ansprechen. Herr Bundesarbeitsminister, Sie dürfen mir glauben, es hat mich wirklich tief berührt, wenn auf meinen Tisch immer Bescheide von Versorgungsämtern gekommen sind, in denen so nackt und brutal stand: Da sich Ihr überlebender Sohn Erwin nicht um Sie kümmert, ist anzunehmen, daß es der gefallene Sohn, wenn er zurückgekommen wäre, auch nicht getan hätte.
({0})
Das ist etwas so Brutales, daß man den Eltern bei dem schweren Verlust, den sie erlitten haben, nun praktisch noch den gefallenen Sohn diffamiert und sagt: Weil der eine schlecht ist, ist der andere auch schlecht gewesen. Das können wir doch nicht so sitzen lassen; das muß doch irgendwie heraus aus der Geschichte.
Auch aus diesem Grunde bitte ich Sie, dem Antrag Ihre Zustimmung nicht zu verweigern.
({1})
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister. - Er hat in diesem Hause auch vor Damen den Vortritt, Frau Dr. Probst.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur einige ganz kurze Worte zu diesem Thema. Gerade Sie, Herr Kollege Pohle, wissen einmal, daß aus den Entscheidungen über die Gewährung von Witwenrenten sehr wenig Klagen bei den Sozialgerichten eingegangen sind. Sie wissen auch, daß die eingereichten Klagen nach der genauesten Nachprüfung der Tatbestände fast alle abgelehnt worden sind. Es ist nicht so, daß sich die seitherige Regelung nicht bewährt hätte. Wir in diesem Hohen Hause haben keine Veranlassung, irgend jemanden dazu zu verleiten, zu sagen: Nun ja, bei dir wird ja nur die Bedürftigkeit geprüft; ob deine anderen Kinder, die noch leben, unterhaltsverpflichtet sind, gilt für dich jetzt nicht mehr; du brauchst nur hinzugehen und den Antrag zu stellen. Damit würden wir Leute auf den Plan rufen, die auch nach der Meinung der Kriegsbeschädigten selbst nicht dahingehören. Deshalb bin ich der Meinung, daß der Ausschuß sehr wohl beraten war, als er die vorliegende Fassung beschloß.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Probst.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, die Herr Kollege Pohle gemacht hat, beweisen eines: daß die Durchführungsverordnung einer nochmaligen Überlegung bedarf. Wir haben dem bereits im Ausschuß zugestimmt. Es ist bereits im Protokoll festgehalten, daß der Ausschuß sich mit der Gestaltung der Durchführungsverordnung noch einmal befassen wird. Ich glaube aber nicht, daß diese Aufgabe durch eine Änderung des Gesetzes selbst gelöst werden kann. Ich empfehle daher noch einmal, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bazille.
Die Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers veranlassen mich, hier einiges richtigzustellen. Das Bundesversorgungsgesetz wird bekanntlich von den Ländern durchgeführt. Gerade die Vertreter der Länder waren es, die immer wieder die einzelnen Mitglieder des 29. Ausschusses gebeten haben. diese Bestimmung, Prüfung der Ernährereigenschaft durch die Versorgungsämter, fallenzulassen,
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und zwar ganz einfach deshalb, weil diese Prüfung faktisch unmöglich ist. Es ist nicht möglich, festzustellen, ob ein Gefallener der Ernährer seiner Eltern geworden wäre. Hier spielen eine große Zahl von Tatbeständen eine Rolle, die ein Versorgungsamt beim besten Willen nicht nachzuprüfen vermag. Wir sollten im Interesse der Sauberkeit der Gesetzgebung dem einzelnen Verwaltungsbeamten, der dem Gesetz verpflichtet ist, nicht etwas zumuten, was er tatsächlich nicht erfüllen kann. Das ist die eine Seite des Problems.
Die zweite Seite ist die, die die Frau Kollegin Probst hier wie auch im Ausschuß angeschnitten hat. Es wird gesagt, mit dem Wegfall der Ernährereigenschaft sei zugleich auch der Wegfall der Inanspruchnahme noch lebender Familienangehöriger verbunden. Dem ist nicht so, und dem muß auf das entschiedenste widersprochen werden. Es bleibt ia im Gesetz die Bestimmung bestehen, daß die Voraussetzung für die Gewährung der Elternrente die Bedürftigkeit ist, und bei der Prüfung der Bedürftigkeit ist eben festzustellen, ob unterhaltsverpflichtete Angehörige da sind, die imstande sind, für ihre Eltern zu sorgen. Sind solche unterhaltsverpflichtete Angehörige da, die diese Sorge übernehmen können, dann ist die Bedürftigkeit zu verneinen, und die Elternrente steht dem Betreffenden nicht zu.
Wenn man sich also über diese Bestimmung unterhält, dann sollte man es auch unter Zugrundelegung des Gesetzeswortlauts tun.
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Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten Gesetze, die wir beschließen, möglichst klar gestalten und den Verwaltungsbehörden Prüfungssituationen und Auslegungen nicht in einem übermäßigen Umfang zumuten. Das tun wir aber mit der bisher vorliegenden Gesetzesfassung. Ich meine, die Verwaltung - und damit werten wir ihre Tüchtigkeit gar nicht ab - ist überfordert, wenn man ihr zumutet, solche doch sehr auf der subjektiven Seite liegenden Tatbestände festzustellen, ob der Verstorbene der Ernährer seiner Eltern ist oder geworden wäre, und damit dann die Konsequenz zu verbinden: Hier wird Elternrente gewährt oder hier nicht. Wir sollten bemüht sein - dieser Wunsch ist ja auch sehr oft von seiten der Verwaltung vorgetragen worden -, hier vom Gesetzgeber aus klare Bestimmungen zu schaffen. Wir unterstützen den Antrag der SPD.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 599 Ziffer 2') zustimmen will, der möge das Handzeichen geben. - Gegenprobe. - Meine Damen und Herren, es besteht keine Einmütigkeit im Präsidium. Wir müssen noch einmal abstimmen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Gegenprobe! ({0})
Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf Ziffern 23, - 24 - ich bemerke, daß der zu Ziffer 24 angekündigte Änderungsantrag Umdruck 599 Ziffer 3 zurückgezogen ist -, - 25 - und 26.
Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Auf Umdruck 599 ist unter Ziffer 4 ein Änderungsantrag angekündigt, eine Ziffer 26 a einzufügen. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion beantragt, bei der Antragsfrist für die Elternrenten das Datum zu ändern und anstatt „1956" die Jahreszahl „1958" einzusetzen. Elternrente ist ja - das haben wir vorhin gehört - eine sogenannte Bedürftigkeitsrente. Es kann nun der Fall sein, das haben wir auch immer wieder in der Verwaltung erlebt -, daß die Bedürftigkeit von Kriegereltern erst bei ihrer Invalidität im Alter eintritt. Wenn das nicht korrigiert wird, würden diese Eltern, die dann bedürftig werden und alle sonstigen Voraussetzungen erfüllen, nicht mehr die Möglichkeit erhalten, Elternrente nach dem Bundesversorgungsgesetz zu beziehen. Wir möchten deshalb - es ist eine rein verwaltungsmäßige Korrektur - anstatt „1956" „1958" setzen, und ich bitte Sie um Zustimmung.
Das Wort hat der Bundesminister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir vom Bundesarbeitsministerium und, ich glaube, auch im Kabinett haben keine Bedenken dagegen, daß diese Verlängerung im Gesetz festgelegt wird.
*) Siehe Anlage 4.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Umdruck 599 Ziffer 4*) zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf die Ziffern 27, - 28, - 29. -
Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der möge das Handzeichen geben. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Auf Umdruck 601 Ziffer 1**) ist ein Änderungsantrag angekündigt, eine Ziffer 30 einzufügen, unterzeichnet von Herrn Abgeordneten Arndgen.
Das Wort für die Begründung hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag Umdruck 601 hat das Ziel, zu verhüten, daß an einem Tage zwei Ergänzungsgesetze zum Bundesversorgungsgesetz verabschiedet werden. Wenn Sie sich die Tagesordnung der heutigen Sitzung ansehen, finden Sie unter Punkt 1 b einen Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Xnderung des Bundesversorgungsgesetzes. Dieser Gesetzentwurf, der vom Haushaltsausschuß beraten wurde, hat lediglich den Inhalt, den Sie in dem Änderungsantrag auf Umdruck 601 finden. Es ist ein Initiativgesetzentwurf des Bundesrats, der eine Änderung des § 86 Abs. 1 Satz 3 letzter Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes vom 20. Dezember 1950 vorsieht. Dieser § 86 Abs. 1 letzter Halbsatz hat folgenden Wortlaut:
nach Ablauf von drei Monaten fallen diese Bezüge insoweit den Ländern zur Last, als sie die für die gleiche Zeit nach dem Gesetz zustehenden Bezüge übersteigen.
Eine solche Bestimmung mußte in das Gesetz vom Jahre 1950 aufgenommen werden, da in einigen Ländern, namentlich in den Ländern der ehemals französischen Zone, eine Reihe Renten höher lagen als die durch das Bundesversorgungsgesetz damals festgelegten Renten. Diese Renten mußten auf die Renten des Bundesversorgungsgesetzes umgestellt werden. Um nun die Rückstufung in einer angemessenen Zeit zu gewährleisten, bestimmte der angezogene § 86 Abs. 1 letzter Halbsatz, daß nach drei Monaten die Mehraufwendungen für nicht zurückgestufte Renten den Ländern zur Last fallen. Bei der Formulierung des § 86 Abs. 1 letzter Halbsatz war davon ausgegangen worden, daß die Umstellung der Renten in einem Zeitraum von sechs Monaten erfolgen könne. Dabei war auch daran gedacht, die Mehraufwendungen, die durch nicht rechtzeitige Rentenumstellungen entstehen, vom Bund und von den Ländern je zur Hälfte tragen zu lassen.
Bereits im Februar 1951 hatte der Bundesrat, der den jetzigen Gesetzentwurf eingebracht hat, einen gleichen Gesetzentwurf zur Änderung des § 86 Abs. 1 letzter Halbsatz dem Hohen Hause vorgelegt. Der damalige Gesetzentwurf ist vom Bundestag in der 178. Sitzung am 5. Dezember 1951 abgelehnt worden. Trotz der damaligen Ablehnung hat diesmal der Haushaltsausschuß das Begehren
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 5.
des Bundesrats noch einmal eingehend geprüft. Dabei ist der Haushaltsausschuß zu der Meinung gekommen, daß die Wünsche des Bundesrats nicht ganz unberechtigt sind, und zwar deswegen, weil das im Dezember 1950 verkündete Gesetz rückwirkend ab 1. Oktober 1950 in Kraft getreten ist. Von den angenommenen sechs Monaten für die Umstellung der Renten waren also mit Inkrafttreten des Gesetzes schon drei Monate verstrichen. Um nun den Ländern bezüglich der Mehraufwendungen für die Rentenumstellungszeit entgegenzukommen, hat der Haushaltsausschuß beschlossen, im letzten Halbsatz des § 86 Abs. 1 die Worte „drei Monate" durch die Worte „sechs Monate" zu ersetzen. Mit dieser Änderung des § 86 werden die Beträge, die von den Ländern an den Bund noch abzuführen sind, von 84 771 611 DM um 21 553 869 DM auf 63 227 811 DM vermindert.
Im Auftrage des Haushaltsausschusses bitte ich, die Ihnen vorliegenden Bestimmungen anzunehmen und die Gesetzesänderungen dem Entwurf des Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes entsprechend dem Antrag Umdruck 601 hinzuzufügen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 601 Ziffer 1*) zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe auf Art. II, - Art. III. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der möge das Handzeichen geben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Bei Art. IV möchte ich zunächst einmal einige Feststellungen treffen, damit das Haus sich im klaren ist, worüber abgestimmt wird. Ursprünglich lag ein Änderungsantrag auf Umdruck 599 Ziffer 5**) vor; er ist erledigt. Die Änderungsanträge Umdruck 604 Ziffer 1 und 2***) sind ebenfalls erledigt. Dagegen ist der Änderungsantrag Umdruck 601 Ziffer 2 noch nicht erledigt. Der einzige Änderungsantrag, der zu Art. IV noch offensteht, befindet sich also auf Umdruck 601 Ziffer 2. Besteht darüber Einverständnis?
({0})
Herr Abgeordneter Arndgen, der Antrag ist wohl durch Ihren Vortrag mit begründet?
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Rasch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben vorhin über Art. IV abgestimmt. Wir haben aber noch nicht über Art. I Ziffer 17 -§ 41 a Abs. 1 b - abgestimmt; diese Bestimmung betrifft die Gewährung von Kindergeld für nichterwerbstätige Kriegerwitwen. Sie entsinnen sich vielleicht, daß wir bei der Beratung des Kindergeldgesetzes die nichterwerbstätigen Kriegerwitwen ausgeklammert haben. Wir haben später einen weiteren Personenkreis hineingenommen. Durch diese Regelung im Bundesversorgungsgesetz soll nun erreicht werden, daß auch diese Frauen, der Restkreis der Anspruchsberechtigten, Kindergeld erhalten, allerdings nicht nach den Bestimmungen des Kin-
*) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 4. ***) Siehe Anlage 6.
({0})
dergeldgesetzes, sondern nach einer neuen Bestimmung des Bundesversorgungsgesetzes.
Herr Abgeordneter Rasch, darf ich Sie einmal unterbrechen. Unterliegen Sie nicht einem Irrtum? Ist nicht durch eine der vorhergegangenen Abstimmungen zu den Ziffern 18 bis 26 Ihrem Anliegen schon Rechnung getragen worden, und sind dadurch Ihr Antrag und Ihre Ausführungen nicht erledigt?
({0})
Ich bin nicht der Meinung, daß das richtig war. Wir begehen hier wieder eine Ungerechtigkeit. Wir geben den Kriegerwitwen das Kindergeld erst 11/2 Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem es die übrigen Anspruchsberechtigten erhalten.
Herr Abgeordneter Rasch, das mag sachlich richtig sein. Aber leider ist die Angelegenheit schon durch eine Abstimmung erledigt.
Wir kommen also zur Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 601 Ziffer 2*). Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, der gebe das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Art. V - ohne Änderungsanträge - und die Einleitung und Überschrift auf. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist die zweite Beratung beendet. Ich rufe auf zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht?
Das Wort zur allgemeinen Aussprache hat Frau Abgeordnete Probst.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich darf mich zur dritten Lesung auf eine Erklärung beschränken. Der vorliegende Entwurf einer fünften Novelle zum Bundesversorgungsgesetz bedeutet einen wesentlichen Schritt in Richtung auf das erstrebte Ziel einer Versorgung, die der Größe des gebrachten Opfers würdig ist. Sie bringt eine umfassende Weiterentwicklung des Bundesversorgungsgesetzes in allen seinen Leistungen unter Beibehaltung seiner Grundstruktur. Die Verbesserungen beziehen sich zunächst auf die Grundrenten der Kriegsopfer - wobei die Alterszulage zur Grundrente, wie schon dargelegt, eine wesentliche Neuerung darstellt -, ebenso auf die Ausgleichsrenten für Kriegsbeschädigte und Hinterbliebene, die Einkommensfreigrenzen und die Erhöhung des progressiven Freibetrages auf vier Zehntel für das unselbständige Einkommen und die Einführung des progressiven Freibetrages in Höhe von drei Zehnteln für das selbständige Einkommen z. B. aus Landwirtschaft, Handwerk und kleinen Gewerbebetrieben. Die Elternrenten wurden ebenfalls erhöht und zugleich zur Unterhaltsleistung in den Fällen fortentwickelt, in denen das letzte, das einzige Kind oder alle Kinder gefallen sind. Darüber hinaus sieht die neue Fassung des § 30 eine ausreichende Berücksichtigung des besonderen beruflichen Schadens im Einzelfalle und der seelischen Auswirkungen und Schmerzen als
1 Siehe Anlage 5.
Begleiterscheinung der Beschädigung vor. Zu der Grundrente, das hatte ich bereits dargelegt, wird eine Alterszulage vom 65. Lebensjahr an in Höhe von 10 DM gewährt. Um der Kriegerwitwe die zweite Eheschließung zu erleichtern, wurde die Heiratsabfindung auf das 36fache des Monatsbetrages erhöht; im Falle des Todes des zweiten Ehemannes erhält sie eine Beihilfe in Höhe der Witwenrente; bei unschuldiger Scheidung eine Beihilfe in Höhe der Witwenbeihilfe nach § 48.
Es ging uns vor allem darum, diese wesentlichen Verbesserungen, die eine Höhe von 903 Millionen DM brutto aufweisen, so rasch wie möglich durch Verabschiedung des Gesetzes zu realisieren. Mit diesem Bekenntnis zur fünften Novelle haben wir uns zugleich zur Priorität des Rechts der deutschen Kriegsopfer vor allen anderen Aufgaben des Staates bekannt. Wir freuen uns, heute feststellen zu können, daß dieses Ergebnis in intensiver und in harmonischer Zusammenarbeit aller Fraktionen im Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen erzielt werden konnte. Es drängt mich, den Dank dafür auch dem Vorsitzenden dieses Ausschusses, Herrn Petersen, auszusprechen. Wir anerkennen gleichfalls dankbar die konstruktive, staatserhaltende und verantwortungsbewußte Beratung des Ausschusses durch die Kriegsopferverbände. Herr Präsident Gerstenmaier war es, der zum Ausdruck gebracht hat, daß diese Beratung eine gute gewesen ist. So lassen Sie mich abschließend dem Hohen Hause die Bitte unterbreiten, den vorliegenden Gesetzentwurf einer fünften Novelle zum Bundesversorgungsgesetz einmütig zu verabschieden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, mit Zustimmung des Herrn .Präsidenten etwas von einem Manne zitieren zu dürfen, der nicht mehr unter den Lebenden weilt, der aber in der Kriegsopferversorgung und ihrem gesetzlichen Niederschlag in diesem Hause eine große, entscheidende und erfolgreiche Rolle gespielt hat. Am 19. Oktober 1950 sagte mein Freund Leddin zur Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes:
Namens der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion habe ich die folgende Erklärung abzugeben. Die sozialdemokratische Fraktion hat schon bei der ersten Lesung des Bundesversorgungsgesetzes ihre grundsätzliche Stellungnahme zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz zu dem in dem Gesetzentwurf enthaltenen Rentensystem hat sie das Prinzip der Unteilbarkeit des Rentenanspruchs herausgestellt und ist dafür im Ausschuß eingetreten.
Die Mehrheit des Ausschusses hat anders entschieden. Diese Entscheidung wird von uns respektiert, wenngleich wir nicht verhehlen, daß nicht alle Leistungen des Gesetzes den politischen Vorstellungen der Sozialdemokratie entsprechen.
In meinen Gedanken werfe ich die Frage auf: Was würde der Abgeordnete Bruno Leddin dazu sagen, ob ein Ja oder Nein zu diesem Gesetz ausgesprochen werden soll? Auch unsere politischen Vorstellungen sind nicht alle in Erfüllung gegangen, und die grundlegende Arbeit, die wir gelei({0})
stet haben - das möchte ich besonders betonen -, ist noch keine Reform des Bundesversorgungsgesetzes. Wir werden nicht darum herumkommen, Herr Bundesarbeitsminister, auch außerhalb dieses Hauses Vorstellungen zu entwickeln, damit wir das ganze Gefüge von unten und oben einmal durchleuchten.
Aber ich erkenne an: in gemeinsamer Arbeit ist es gelungen, durch diese fünfte Novelle einen wesentlichen Fortschritt in der Bundesversorgung zu erzielen. Es ist für mich eine besondere Freude, daß es uns auch gelungen ist, einen neuen Begriff in das Bundesversorgungsgesetz hineinzubringen, nämlich den der Alterszulage für die über 65 Jahre alten Schwerbeschädigten. Wir hoffen, daß wir das späterhin noch ausweiten können.
Wie gesagt, nicht alle unsere Wünsche sind in Erfüllung gegangen, aber wir alle haben das Bestreben, in die Unruhe, die in die Kriegsopferkreise hineingekommen ist, wieder eine Befriedung und eine Ruhe hineinzutragen. Deshalb wird die sozialdemokratische Fraktion zur fünften Novelle ja sagen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Petersen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben über alle Fraktionen hinweg das Anliegen, uns heute am Schluß der Beratung der 5. Novelle gegenseitig die Hand zu reichen und uns zu beglückwünschen, daß wir für die Kriegsopfer ein so gutes Stück Weg zu dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit zurückgelegt haben. Es ist gar kein Zweifel, daß der eine oder andere Wunsch offengeblieben ist, und jede Fraktion wird in dieser Hinsicht etwas vorzutragen haben. Aber wenn wir das Ganze sehen, sollten wir einmütig bekunden: Die Vertagung von Weihnachten vergangenen Jahres war keine schlechte Sache, sondern sie hat uns die Möglichkeit gegeben, das heutige gute Ergebnis zu erreichen. Das gilt nicht nur für den materiellen Inhalt des Gesetzes, das gilt auch für den Termin, zu dem wir uns heute einmütig bekannt haben.
Wir haben mit dieser Novelle die Versorgungslage für die Kriegsbeschädigten um 300 Millionen DM, für die Witwen um 351 Millionen DM, für die Waisen um 169 Millionen DM und für die Eltern um 53 Millionen DM verbessert. Das bedeutet. auf die einzelnen Gruppen berechnet, für die Grundrenten 321 Millionen DM, für Ausgleichsrenten, Einkommensgrenzen und Progressionen 498 Millionen DM und für die Elternrenten, wie vorhin schon gesagt, 53 Millionen DM mehr gegenüber dem bisherigen Ansatz.
Wer sich an einem Beispiel klarmachen will, wieviel Gutes mit dieser Novelle geschaffen worden ist, der möge den Stand nach der 3. Novelle und nach der heutigen 5. Novelle an dem Beispiel einer Kriegerwitwe mit drei Waisen betrachten. Sie hat bis zum 1. April dieses Jahres Gesamtrenten von monatlich 262 DM bezogen. Sie wird ab 1. April dieses Jahres monatlich 365 DM, also 103 DM monatlich mehr, erhalten. Meine Damen und Herren, das ist sicher nicht die Erfüllung aller Ihrer Wünsche; aber es ist ein guter Erfolg, den wir gemeinsam erreicht haben. Ich bin dankbar dafür, daß wir uns über allen kämpferischen Einsatz hinweg im Ausschuß und auch hier die Hand zum guten Ende gereicht haben. Ich glaube, daß wir als Bundestag auch vor den Kriegsopfern voll bestehen können. Die Kriegsopfer sind einen großen Schritt nach vorn gekommen. Wir werden später, wenn einmal die Saar zu Deutschland heimkehrt, die Möglichkeit haben und wahrnehmen, in einer Gesamtüberlegung die Frage weiterer notwendiger Verbesserungen der Kriegsopferversorgung zu prüfen. Mit dem heutigen Ergebnis der 5. Novelle sollten wir alle von Herzen zufrieden sein. Auch die Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE sagt zu diesem Gesetz ja.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Hütter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es ist unnötig, noch einmal im einzelnen auf das Gesetz einzugehen. Wir halten die hier zu verabschiedende 5. Novelle zum Bundesversorgungsgesetz für das Beste, was auf dem Weg einer organischen Weiterentwicklung aus dem Bestehenden geschaffen werden konnte. Wenn wir etwas bedauern, dann nur, daß es nicht gelungen ist, die Verbesserungen der 5. Novelle schon im Entwurf interfraktionell einzubringen. Die Bemühungen der Freien Demokraten in dieser Richtung blieben erfolglos. Auf alle Fälle aber hat uns dieses Gesetz unserem Ziel nähergebracht, ein Versorgungsgesetz zu schaffen, das den Opfern des Krieges so hilft, wie es nach unseren finanziellen Verhältnissen möglich ist.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Berg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Demokratischen Arbeitsgemeinschaft stimmt der Neuregelung der Kriegsopferversorgung zu. Wir begrüßen es, daß eine sehr erhebliche Verbesserung der materiellen Leistungen durchgesetzt werden konnte, an der alle Kriegsopfer ihren Anteil haben. Das ist hier von den Vorrednern schon genügend gewürdigt worden. Ebenso begrüßen wir es, daß eine durchgreifende Revision der Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes erfolgt ist, die die Gestaltung der Sonderleistungen. der Heilfürsorge, der Berufsbetreuung usw. betreffen. Vor allem freuen wir uns darüber, daß eine Neufestsetzung des Grades der Erwerbsminderung erfolgt ist. Der alte sogenannte Knochentarif ist weitgehend zurückgedrängt worden und hat einer wirklich funktionellen Betrachtungsweise weichen müssen. Auf diese Weise kommt auch der Kriegsbeschädigte sozusagen in den Genuß der moderneren Anschauung über die Einheit von Körper und Seele in Zusammenhang mit seiner Umgebung, dem Beruf. Wir möchten der Erwartung - und Erwartung soll hier mehr als Hoffnung heißen - Ausdruck geben, daß die ausführenden Verwaltungsorgane den Geist des Gesetzes gerade in diesen Punkten verstehen und nicht durch Kleinlichkeit und Bürokratie, wie es leider hier und dort immer wieder geschehen ist, zerschlagen, was hier in mühseliger Arbeit und in dem echten Drang zu helfen aufgebaut wurde.
({0})
Würdigt man nun den so erreichten Zustand in Zusammenhang mit den Gegebenheiten - und diese Gegebenheiten sind nun einmal die zur Verfügung stehenden Geldmittel -, so kommen doch einige Bedenken, die nicht unausgesprochen bleiben dürfen, auch wenn sie uns nicht hindern Sollen, dem Vorschlag unsere Zustimmung zu geben. Wir hätten gewünscht, daß die zur Verfügung stehenden Geldmittel in einem höheren Maße, als das geschehen ist, mit Schwerpunktwirkung bei den am schwersten Betroffenen eingesetzt worden wären, auch wenn dadurch die in ihrer großen Masse voll oder fast voll erwerbsfähigen leichter Beschädigten etwas weniger von den Versorgungsmehrleistungen abbekommen hätten. Wir meinen damit vor allem die Grundrente. Es wäre nach unserer Ansicht richtiger gewesen, in den unteren Stufen die bisherige Regelung beizubehalten, um sie in den Bereichen der schwereren Beschädigungsgrade entsprechend stärker anzuheben. Ich glaube, wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß sich hier der Einfluß der Kriegsopferverbände bemerkbar gemacht hat. Wir haben große Achtung vor der Betreuungsarbeit, die in diesen Verbänden, vor allem in den Amtsstuben der kleinen Ortsverbände, tagtäglich geleistet wird. Wir sind aber der Meinung, daß die Tätigkeit der Kriegsopferverbände in den letzten Wochen vielleicht etwas das vertretbare Maß überschritten hat, vor allem im Hinblick auf den Termin des Inkrafttretens der materiellen Verbesserung dieser Vorlage.
Heute ist mehrfach der Zusammenhang der allgemeinen Wehrpflicht mit diesem Gesetz angesprochen worden. Wir bejahen die allgemeine Wehrpflicht und den Aufbau der Bundeswehr, um Sicherheit zu schaffen, Sicherheit auch für die
Sozialleistungen für die Kriegsopfer. Dies ist der Zusammenhang zwischen Kriegsopferversorgung und Wehrpflicht, wie wir ihn sehen.
Das Bewußtsein, den Opfern der beiden Weltkriege ihr hartes Los wieder etwas erleichtert zu haben, mag die Bedenken, die sich gegen einzelne Punkte richten, besiegen. Wir stimmen gern zu und hoffen, daß jetzt alle Anstrengungen gemacht werden, den Kriegsopfern die Wohltaten dieser Novelle so schnell wie möglich zugute kommen zu lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde von der Deutschen Partei möchte ich unserer Befriedigung darüber Ausdruck geben, daß wir hier in gemeinsamer Arbeit ein so schönes Werk geschaffen haben. Ich glaube, es ist nicht übertrieben, wenn ich feststelle, daß die Verwirklichung dieser 5. Novelle wieder einen Markstein in der deutschen Kriegsopferversorgung darstellt. Ich möchte nur noch den Wunsch aussprechen, daß, nachdem das Gesetz als solches beschlossen ist, auch seitens der Verwaltung alle Maßnahmen so zügig und präzise getroffen werden, daß die Kriegsopfer so bald wie möglich in den Genuß des ihnen zustehenden Geldes gelangen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die allgemeine Beratung ist abgeschlossen.
Ich rufe zur Einzelberatung auf. - Anträge sind nicht gestellt.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar unmittelbar zur Schlußabstimmung. Wer dem Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes in der Fassung, die dieser Entwurf in der zweiten Beratung erhalten hat, zustimmen will, der möge sich von seinem Sitz erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
({0})
Wir haben nunmehr noch abzustimmen über Ziffer 2 des Antrages, „die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären". Wer dem zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Ich stelle auch hier einstimmige Annahme fest.
Wir haben noch die lit. b des Punktes 1 der Tagesordnung zu erledigen:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ({1});
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) ({3}); Berichterstatter: Abgeordneter Arndgen.
({4})
Es handelt sich um einen Gesetzentwurf. Ein Gesetzentwurf kann nicht anders erledigt werden als durch Abstimmung in zweiter Beratung. Da die Anträge dieses Gesetzentwurfs alle in dem Gesetz, das wir soeben verabschiedet haben, beschieden worden sind - und zwar durch die Annahme des Antrags Umdruck 601 -, wird, glaube ich, die Abstimmung sehr leichtfallen und sehr schnell vor sich gehen. Seitens des Bundesrates ist wohl niemand da, der dieses Gesetz noch begründen will? - Es ist ja praktisch gegenstandslos geworden.
Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, - Art. 2, - Einleitung und Überschrift.
Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, der möge die Hand erheben. - Niemand erhebt die Hand; der Antrag ist abgelehnt. Damit ist der Antrag des Bundesrats Drucksache 1003 erledigt.
Ich rufe nunmehr auf als Punkt 2 die auf Ihrer gedruckten Tagesordnung als Punkt 3 vermerkte
Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Moselkanalisierung ({5}).
Wer begründet diese Große Anfrage? Das
Wort zur Begründung der Großen Anfrage hat der Abgeordnete Schwann.
Schwann ({6}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Freie Demokratische Partei hat am 6. März eine Große Anfrage eingebracht, die sich mit der Frage der Moselkanalisierung beschäftigt. Die Anfrage bezweckte, die Bundesregierung zu veranlassen, sich über ihre Ansichten und Pläne in dieser Frage zu äußern und darüber hinaus dem Parlament Gelegenheit zu geben, seine Meinung vor der Schaffung vollendeter Tatsachen zu bekunden. Wir waren und sind der Auffassung, daß es für die Regierung eines demokratisch regierten Landes von hohem Nutzen ist, die Einstellung ihres Parlaments vor dem Abschluß von Verhandlungen zur Kenntnis zu nehmen.
({7})
Mein Freund Max Becker hat diese Vorstellung in seiner von dem Herrn Bundeskanzler so schlecht zensierten Rede vom 25. Februar 1955 in die Frage gekleidet: Wie wäre es, wenn bei internationalen Verhandlungen der amtierende Außenminister sagen könnte, genau wie der französische: „Meine Mehrheit ist in dem Punkt mehr als schwach. Sie ist sehr wacklig. Ihr müßt mir das und das noch konzedieren"?
Bei der mehr als souveränen Art der Behandlung des Parlaments durch unsere Regierung ist leider diese allenthalben praktizierte und gewünschte Zusammenarbeit zwischen Parlament und Regierung in Westdeutschland noch nicht zu erreichen. Abweichende Meinungen werden ungern gehört, anstatt daß man sie ausnutzt. Sie werden leider nicht zur Stärkung der deutschen Position in Verhandlungen mit Dritten verwendet. Das westdeutsche Parlament wird in der Regel vor vollendete Tatsachen gestellt und darf dann ja oder nein sagen, oder richtiger: es hat dann ja zu sagen.
Das ist keine gute Demokratie, die wir hier exerzieren. Sie ist vor allem deshalb nicht gut, weil sie nicht das Höchstmögliche für unser Volk herauszuholen vermag, da sie die Stimme der Opposition nicht stärker einschaltet.
Durch die Verlautbarungen vom 3. und 4. Mai 1956 erfährt das deutsche Volk zum erstenmal offiziell, daß die Moselkanalisierung ein Teil der Saarregelung sein wird. Man gibt zu, daß diese Einstellung nicht auf einem rechtsverbindlichen Junktim beruht, und erklärt, daß sie vielmehr einer Überlegung praktisch-politischer Zusammenarbeit entspreche.
Wir hören von zwei Verträgen, die geplant sind: erstens einem französisch-deutschen Saarvertrag, der die politische Rückgliederung des Saargebiets in die Bundesrepublik auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Bedürfnisse hin regelt, und zweitens einem Dreiländervertrag zwischen der Bundesrepublik, Frankreich und Luxemburg über die Kanalisierung der Mosel.
Durch diese Entwicklung ist die Frage Nr. 1 unserer Großen Anfrage ergänzungsbedürftig geworden; sie bedarf der Ergänzung durch die Frage:
Warum hat die Regierung ihre doch offensichtlich schon länger bestehende Absicht, den Bau des Moselkanals zu konzedieren, nicht in einem früheren Stadium dem westdeutschen Parlament mitgeteilt? Warum hat insbesondere der Herr Bundeskanzler sich in der eben erwähnten Bundestagssitzung vom 25. Februar 1955 so erregt über die Vorschläge auf eine deutsch-französische wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit geäußert, wie sie ihm im Auftrage der Freien Demokraten in einem Vierzehn-Punkte-Programm übermittelt wurden?
Auch in diesen Vorschlägen war als Punkt 14 unter sehr genau festgelegten Vorbehalten über die Moselkanalisierung einiges ausgesagt. Er selbst ist im Gegensatz zu früher heute ohne jeden vertraglichen Zwang bereit, finanziell sehr viel weittragendere Konzessionen zu machen. Das Saarstatut war akzeptiert. Daß es sich anders ausgewirkt hat, als seine Verfasser und Anhänger erwarteten und propagierten, ist nicht die Schuld Westdeutschlands.
Wir, die Freien Demokraten, waren damals bereit, statt dieses Saarstatuts ein echtes, großzügiges Agreement auf wirtschaftlichem und finanziellem Gebiet mit Frankreich herbeizuführen. Die Bundesregierung ist auf diesen Vorschlag nicht eingegangen. Ebenso hat Frankreich durch den Mund seines damaligen Botschafters FrancoisPoncet den Herrn Bundeskanzler wissen lassen, daß derartige Angebote wirtschaftlicher und finanzieller Kooperation von seiten Frankreichs im Zusammenhang mit der Saarfrage nicht erwünscht seien.
Der Herr Bundeskanzler hat damals die Vorschläge der Freien Demokraten in der Sitzung vom 25. Februar 1955 sehr stark simplifiziert. Er hat gesagt:
Wenn wir, das besiegte Deutschland, das besetzte und geteilte Deutschland, hingegangen wären und den Franzosen Geld angeboten hätten, weil wir es haben und sie nicht, dann hätten S i e das machen sollen, Herr Dr. Becker, - ich nicht!
Was heute mit dem Moselkanal angeboten wird, erscheint zwar der Form nach als Sachleistung , eine Sachleistung aber, die uns in Westdeutschland schon in der Anlage erhebliches Geld kosten wird, die der lothringischen Wirtschaft laufend große Gewinne verspricht, unserer eigenen Wirtschaft zudem noch eine zusätzliche verstärkte Konkurrenz auf den Weltmarkt schafft und nicht zuletzt die Bundesbahn finanziell erheblich schädigt.
Die Frage, inwieweit der Moselkanal einen Verstoß gegen Art. 4 und Art. 70 des Montanvertrags bedeutet, soll hier im einzelnen nicht untersucht werden. Die beiden großen Partner der Montanunion, vor allem aber Deutschland, müssen sich nach unserer Auffassung hüten, die kleineren zu unterdrücken und zu majorisieren oder sogar dem Geist der Montanunion gegenüber vertragsbrüchig zu werden, wenn dieser erste Versuch einer praktischen europäischen Zusammenarbeit und damit die europäische Idee an sich nicht erheblichen Schaden nehmen sollen.
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Meine Damen und Herren, die Äußerung eines luxemburgischen Ministers in diesem Zusammenhang ist sehr deutlich:
Es wäre eine Utopie, auch nur einen Centime in den Moselkanal zu investieren. Sollte das Moselkanalprojekt je einmal verwirklicht werden, müßten unsere französischen Nachbarn uns gegenüber die Verpflichtung übernehmen, Kompensationen als Entgelt für die unausbleiblichen Verluste zu zahlen.
Das ist die Meinung eines luxemburgischen Ministers!
Das Hohe Haus kann und wird heute zu diesem Problem nicht endgültig Stellung nehmen. Es gibt unbestreitbar einige durchaus ernsthafte Argumente, insbesondere der Moselanwohner, die auch aus deutscher Sicht für das Projekt angeführt werden könnten. Für uns als die im Letzten Verantwortlichen gilt es heute, die Regierung aufzufordern, die Karten auf den Tisch zu legen. Wir möchten den Schlußbericht des französisch-deutsen Sachverständigenausschusses vom 18. Februar zur Kenntnis bekommen. Wir wünschen den
({9})
Standpunkt der Bundsregierung zu hören, insbesondere auch zu den Fragen, über die sich die Sachverständigen nicht einigen konnten. Wir möchten wissen, ob und inwieweit Frankreich bereit ist, eine Verzinsung und Amortisation der Kanalbaukosten zu übernehmen. Nachdem wir im Bundesgebiet nach der Verkehrspolitik der Bundesregierung mehr und mehr dazu übergehen, die Verkehrsträger ihre Verkehrswege selbst finanzieren zu lassen - siehe Verkehrsfinanzgesetz -, muß die Bundesregierung sich dazu äußern, wie in diesem Fall das Kostendeckungsprinzip gehandhabt werden soll. Wir müssen darüber aufgeklärt werden, wie hoch sich die Baukosten dieses Kanals wirklich stellen, wie hoch sich die Frachteinsparungen der lothringischen Stahlindustrie errechnen, wie stark unsere eigene Industrie in ihrer Konkurrenzfähigkeit durch den Moselkanal betroffen wird und wie hoch die jährlichen Ausfälle der Bundesbahn sein werden. Darüber hinaus interessiert die Frage, ob und in welchem Umfang der verkehrsmäßig stark belastete Rhein in der Lage sein wird, den durch den Moselkanal vermehrten Verkehr überhaupt noch aufzunehmen. Wir sind daran interessiert, zu erfahren, ob die Bundesregierung den Versuch gemacht hat, dem Wunsch der lothringischen Industrie auf verbesserte Verkehrsverhältnisse durch Elektrifizierung der Bundesbahn an der Mosel unter besonderer Frachtengestaltung entgegenzukommen. Wir möchten wissen, ob und wie endlich die Frage des Rheinseitenkanals gelöst wird. Es ist nicht uninteressant, zu wissen, ob Frankreich bereit ist, seinerseits pari passu einen Wasserweg für die deutsche Wirtschaft an das Mittelmeer zu projektieren. Nicht zuletzt wäre es von Bedeutung, zu erfahren, ob die Tatsache des Baues eines Moselkanals für die französische Wirtschaft nicht so bedeutungsvoll ist, daß vor der Fertigstellung der letzten Baustufe eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Belgien, Luxemburg, Saar, Ruhr und Lothringen herbeigeführt werden muß zur Kompensation der durch den Bau auf der einen Seite entstehenden Gewinne mit den auf der anderen Seite zu errechnenden Verlusten. Darüber hinaus aber muß sich die Bundesregierung in aller Offenheit mit den sehr sachkundigen und klaren Stellungnahmen des Bundesverbandes der Industrie, des DGB, des Landtags von Nordrhein-Westfalen, der Wirtschaftsvereinigung Eisen und Stahl, der Handelskammer, der Saarwirtschaft, vor allem auch mit dem Gutachten der Bundesbahn und vielen anderen auseinandersetzen.
Die Argumente für und wider bedürfen einer vernünftigen Abwägung. Diese Auseinandersetzung in Gang zu bringen und vor allem die Bundesregierung zu einer umfassenden Stellungnahme zu veranlassen, ist der Sinn unserer Großen Anfrage.
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Die Anfrage ist eingebracht und begründet. Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gestellte Anfrage darf ich wie folgt beantworten.
Zur ersten Frage: Zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung haben in den vergangenen Jahren wiederholt Gespräche über die Kanalisierung der Mosel stattgefunden. Sie führten zu dem Ergebnis, daß die beiden Regierungen in der zweiten Hälfte des Jahres 1955 eine deutschfranzösische Kommission zum Studium der Moselkanalisierung bildeten und sie beauftragten, die technischen, rechtlichen, finanziellen und sonstigen wirtschaftlichen Fragen zu untersuchen, die für die Entscheidung über den Bau des Kanals wesentlich sind.
Die Kommission hat ihre Arbeiten Mitte Februar dieses Jahres mit einem Bericht abgeschlossen, der auf einigen Gebieten, insbesondere dem technischen und dem rechtlichen, im allgemeinen zu gemeinsamen Feststellungen gelangt, auf anderen hingegen, insbesondere dem volkswirtschaftlichen und dem verkehrspolitischen, überwiegend voneinander abweichende Thesen enthält. Die französische Regierung hat alsdann in den am 20. Februar 1956 aufgenommenen deutsch-französischen Verhandlungen, die in erster Linie auf eine Bereinigung der Saarfrage, darüber hinaus aber auf eine möglichst vollständige Klärung auch der sonstigen schwebenden deutsch-französischen Fragen abzielten, das Problem des Moselkanals erneut zur Sprache gebracht. Bis zum heutigen Tage besteht keine Verpflichtung der Bundesregierung gegenüber der französischen Regierung, die Mosel zu kanalisieren. Die Bundesregierung schließt für den weiteren Verlauf der Verhandlungen die Möglichkeit einer Vereinbarung über den Bau des Kanals nicht aus. Dies setzt aber jedenfalls eine befriedigende Regelung der anderen mit der Rückgliederung des Saargebiets zusammenhängenden sowie anderer Fragen, z. B. der des Rheinseitenkanals, voraus.
Über den Stand der Moselkanalfrage in diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung den zuständigen Unterausschuß des Auswärtigen Ausschusses dieses Hohen Hauses laufend eingehend unterrichtet. Ich kann daher auch auf die Zusatzfrage des Herrn Abg. Schwann, der die zu mangelhafte Unterrichtung beanstandete, nur feststellen, daß diese Unterrichtung in dem Unterausschuß erfolgt ist, den der Auswärtige Ausschuß eingerichtet hat und dem auch Vertreter seiner Fraktion angehört haben. Ich kann allerdings auch eine Bemerkung nicht unterdrücken. Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Schwann sagen, daß sich die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag verantwortlich fühlt, aber nicht einem westdeutschen Parlament.
({0})
Zur zweiten Frage. Der frühere Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Arnold , hat sich wiederholt an die Bundesregierung in der Frage des Moselkanals gewandt. Dieser sind daher die Bedenken, die er gegenüber dem Kanalprojekt im allgemeinen und insbesondere vom Standpunkt des Landes Nordrhein-Westfalen hegt, bekannt, ebenso wie sie selbstverständlich die von anderer Seite erhobenen Bedenken sorgfältig geprüft hat und prüft. Das gilt für alle diese Darstellungen, die auch Herr Abgeordneter Schwann bei der Begründung seiner Anfrage vorgetragen hat. Es ist selbstverständlich, daß alle diese Denkschriften sehr sorgfältig geprüft und zum Teil auch in mündlichen Gesprächen erörtert worden sind.
({1})
Ohne das Problem jetzt erschöpfen zu wollen, was weder notwendig noch opportun noch möglich ist, kann jedoch gesagt werden: Es wäre verfehlt, das Projekt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt seiner wirtschaftlichen Wirkungen und getrennt von allen übrigen Fragen der deutschfranzösischen Beziehungen zu betrachten.
({2})
Ohne ein spezielles Junktim zwischen dieser Frage und einer bestimmten anderen Frage des deutschfranzösischen Verhältnisses, insbesondere der Saarfrage, anzuerkennen, muß man der Tatsache Rechnung tragen, daß, wenn in unserem Verhältnis zu Frankreich eine Anzahl von Fragen, die teils von uns, teils von Frankreich als wichtig angesehen werden, der Lösung harren, die Behandlung der einen Frage unvermeidlicherweise auch die der anderen beeinflußt.
Die Bundesregierung erwartet von den gegenwärtigen Saarverhandlungen, daß die Saar zu uns unter Modalitäten zurückkehrt, die ihren Lebensnotwendigkeiten Rechnung tragen und Möglichkeiten der wirtschaftlichen Entfaltung offen halten. Die Erfüllung dieses Wunsches bedeutet für Frankreich teilweise ein tatsächliches wirtschaftliches Opfer. Wir erwarten von Frankreich ein Entgegenkommen bezüglich der Gestaltung des Rheinseitenkanals und der Gewinnung der Wasserkraft am Oberrhein. Damit sind für Frankreich gewisse Opfer verbunden. Erwarten wir von Frankreich Opfer, so müssen wir billigerweise anerkennen, daß Frankreich solche auch von uns erwarten kann. Der Moselkanal bedeutet für uns zweifellos ein erhebliches Opfer, das nur verantwortet werden kann, wenn ihm gleichwertige französische Zugeständnisse auf den von uns zur Sprache gebrachten Gebieten gegenüberstehen. Würde eine solche Einigung gelingen, so wäre damit einer umfassenden Regelung der bisher noch ungelösten deutsch-französischen Probleme die Grundlage gegeben, einem Vertragswerk, das einen außerordentlich bedeutsamen Schritt zur Festigung des freundnachbarlichen Verhältnisses der beiden Länder darstellen würde.
({3})
Die Anfrage ist beantwortet. Ich stelle die Frage an das Haus, ob eine Aussprache gewünscht wird.
({0})
Ich bitte um Handzeichen! - Der Antrag ist genügend unterstützt.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache hat der Abgeordnete Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die deutsche Saarbevölkerung allen denen eine energische Absage erteilt hatte, die ihr jenes sogenannte Europäische Statut zur Annahme empfohlen hatten, ist endlich die Saarfrage auf das richtige Geleise gekommen. Nachdem sie auf das richtige Geleise gekommen war, hat die sozialdemokratische Fraktion keine parlamentarischen Schritte mehr in dieser Sache unternommen. Vorher war sie, wie Sie wissen, auf diesem Gebiet sehr aktiv. Aber jetzt, nachdem wir wissen, daß in den Verhandlungen, die geführt werden, das Ziel: die baldige politische und wirtschaftliche Rückgliederung des Saargebietes aufgestellt worden ist, können wir aufatmen, und jetzt
erinnern wir uns auch an das hier gegebene Wort, das wir alle gegeben haben - früher schon -, daß wir bereit seien, bei einer guten, im Sinne des Selbstbestimmungsrechts getroffenen Lösung der Saarfrage Frankreich in wirtschaftlichen Fragen entgegenzukommen. Dazu stehen wir auch heute.
Leider ist es mit solchen Dingen nun so, daß die allgemeine Erklärung, besonders wenn sie sich auf eine ungewisse Zukunft bezieht, nicht wehtut, daß sie aber anfängt wehzutun, wenn es an die Konkretisierung für eine nahe Zukunft herangeht. Auch dann muß man noch zu seinem Wort stehen, und wir gedenken, dazu zu stehen. Aber die Frage ist, wo man entgegenkommt und wie man entgegenkommt. Das ist dann im einzelnen zu prüfen.
Lassen Sie mich einige Bemerkungen dazu machen. Eines ist im Verfahren schon einmal sehr wichtig. Ich glaube, auch das Saarabkommen, das aus den jetzigen Verhandlungen hervorgehen wird, muß die Zustimmung der Saarbevölkerung finden. Nachdem es dort einen frei gewählten Landtag gibt, braucht man nicht mehr an eine Volksbefragung zu denken. Der frei gewählte Landtag kann sich für diese Saarbevölkerung zu dem Abkommen äußern. Ich glaube, er wird es tun müssen. Und das heißt, daß in dem Abkommen nichts enthalten sein darf, was für die Saarbevölkerung unannehmbar ist.
Das ist ein wichtiger Punkt. Das bedeutet z. B., daß man auf dem einen Gebiet, auf dem Frankreich von uns Konzessionen fordert, sehr vorsichtig sein muß. Man verlangt von uns, daß Frankreich noch in der Zukunft etwa 90 Millionen t Kohle von der anderen Seite der Grenze her soll abbauen können. Die Kohle würde im Warndt abgebaut, in der einzigen Reserve an Kohle, über die das Saargebiet verfügt. Bald wird es im Saargebiet erschöpfte Gruben geben, und die Bergarbeiter wollen in anderen Gruben wieder Arbeit finden. Sie wollen dann nicht ins Ausland arbeiten gehen, möchten vielmehr in deutschen Betrieben arbeiten. Da ist es wesentlich, zu wissen, daß die Forderung, die Frankreich stellt, den Abbau eines Drittels der sicheren Reserven im Warndt und etwa eines Zehntels der geschätzten wahrscheinlichen Reserven bedeuten würde. Es ist weiter wichtig, zu wissen, daß, wenn diese Konzession gemacht würde, noch etwa 25 Jahre lang von der lothringischen Seite her unter deutschem, saarländischem Boden Kohlen gegraben würden. Das sind keine erfreulichen Dinge. Das sind für die SaarBergarbeiter insbesondere, aber auch für die Saarbevölkerung im allgemeinen, unannehmbare Dinge.
Ich mache auf eine wichtige psychologische Frage in diesem Zusammenhang aufmerksam. Das Kohlegraben unter der Grenze her hat etwas sehr Unsympathisches an sich. Es gibt an der Saar ein Wort, das, glaube ich, bei den Kämpfen, die es dort in den letzten Monaten gegeben hat, eine wichtige Rolle gespielt hat, das Wort von dem „Kohlenklau", das ich hier zitiere, nur um eine psychologische Tatsache in Erinnerung zu rufen. Dieses Wort droht 25 Jahre lang weiter Kurs zu haben, wenn man auf diesem Gebiet die geforderte Konzession machte. Wir möchten empfehlen, hier sehr hart im Widerstand zu sein und die Konzession, die auch hier gemacht werden muß, auf ein sehr viel geringeres Maß herabzudrücken. Das hat mit Fragen der Kohlenlieferung nichts zu tun. Auch unsere
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Freunde an der Saar sind bereit, langfristige Lieferverträge abzuschließen, durch die die Versorgung Frankeichs mit Saarkohle sichergestellt würde.
Zu einem zweiten Punkt eine Bemerkung. Es ist die Rede von weiteren französischen Beteiligungen in der Montanindustrie des Saargebietes, insbesondere bei den Röchlingschen Eisen- und Stahlwerken in Völklingen. Wie Sie wissen, kam im vorigen Jahr, am 30. April, ein Abkommen zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung darüber zustande, daß die Aktien dieses Werkes im Verhältnis 50 : 50 in französische und deutsche Hände übergehen sollten und daß die Familie Röchling entsprechend das Werk zum Verkauf stellte. Ein französischer Vorsitzer des Vorstandes sollte das Überwiegen des französischen Einflusses zunächst einmal sicherstellen. Der Zweck dieses Vertrages war es, die Familie Röchling, die der französischen Regierung politisch unerträglich schien, auszuschalten; und die ungeschriebene Grundlage dieses Vertrages war die Annahme, daß jenes Statut vom 23. Oktober 1954 angenommen würde. Diese ungeschriebene Grundlage hat sich als falsch erwiesen, und wir glauben, daß dementsprechend auch dieser Vertrag gegenstandslos geworden ist.
Ich möchte an dieser Stelle auf einen weiteren wichtigen Punkt aufmerksam machen. Wenn das Saargebiet - hoffentlich recht bald - ein Land der Bundesrepublik geworden sein wird, dann muß das deutsche Recht auf das Saargebiet übertragen werden. Dazu gehört auch unser Mitbestimmungsrecht in der kohle- und stahlerzeugenden Industrie. Der Vertrag, über den ich soeben sprach, würde diese Übertragung unseres Mitbestimmungsrechtes auf das Völklinger Werk nicht gestatten. Wir müssen die Regierung bitten, daß bei Konzessionen, die auf diesem Gebiet gemacht werden, dafür Sorge getragen wird, daß dieses fortschrittliche Mitbestimmungsrecht der Bundesrepublik auch für die Montanindustrie an der Saar gelten kann. Es gibt da eben neben der nationalen Frage, die sich darin ausdrückt, daß die Saarbetriebe möglichst deutsche Betriebe sein sollen, auch eine soziale Frage, und es ist unser Anliegen, daß in diesen Werken an der Saar dann auch die SaarArbeiter ein entscheidendes Wort mitzureden haben.
Schließlich zu dem eigentlichen Gegenstand unserer Debatte, zu dem Moselkanal. Die Verknüpfung mit dem Saargebiet ist als politische Tatsache, glaube ich, hinzunehmen. Es ist auch hinzunehmen, daß die Franzosen sich weigern, Ersatzlösungen, die man vorschlagen könnte und die viel billiger wären, anzunehmen. Ich glaube, das sind politische Tatsachen, mit denen man sich abfinden muß. Aber ich bin der Meinung, die auch Herr Schwann hier ausgedrückt hat, daß uns doch noch viele Informationen fehlen, um eine abschließende Meinung über den Kanalbau bilden zu können. Die Experten, die an die Arbeit gesetzt worden sind, haben, soweit sie Deutsche waren, eine extrem pessimistische Rechnung, und soweit sie Franzosen waren, eine extrem optimistische Rechnung aufgemacht. Bei einer durchschnittlichen Baukostenberechnung von etwa 700 Millionen DM differiert ihre Rechnung um nicht weniger als 180 Millionen DM, und bei der Frage der Betriebskosten, die jährlich entstehen, differiert sie um 43 Millionen DM. Ähnlich ist es dann bei der Gewinn- und Verlustrechnung. Als Politiker, der sich auf die Informationen der Experten verlassen muß, ist man bei solchen Zahlen der Experten wirklich verlassen und nicht in der Lage, ein gutes Urteil zu fällen.
Aber eins scheint doch klar aus dem hervorzugehen, was wir wissen: Wenn der Moselkanal gebaut wird, dann wird es ein politischer Kanal sein und kein wirtschaftlicher Kanal. Für uns Deutsche bringt er keine greifbaren Vorteile, die uns veranlassen könnten, ihn zu bauen. Das schließt nicht aus, daß unsere Landsleute in Trier und in Koblenz manche Vorteile darin finden würden. Das schließt auch nicht aus, daß der Anfall von einigen hundert Millionen Kilowattstunden Strom ganz erfreulich wäre. Insgesamt ist es kein Projekt, das man vom deutschen Standpunkt aus empfehlen könnte. Wenn er gebaut wird, dann um Frankreichs willen; dann wird es ein Preis für die französische Zustimmung zur alsbaldigen Rückgliederung des Saargebietes sein.
Um aber unsererseits die Entscheidung treffen zu können, ob man diesen Preis annehmen kann oder nicht, muß man noch einiges wissen. Man muß erst einmal wissen: wie sieht für uns die Aktivseite aus, die also im wesentlichen eine rein politische Seite sein wird, nämlich wann und wie wird das Saargebiet zurückgegliedert? Wir müssen auch die Passivseite kennen, und dazu gehört: wie hoch sind die anderen Nebenpreise, die man fordert, z. B. in der Frage des Warndt, in der Frage der Röchlingwerke usw? Schließlich muß man wissen: wie hoch ist der Preis, den der Bau und der Betrieb des Kanals selbst bedeutet? Dazu gehören die Baukosten, die übrigens, wie mir scheint, das geringere Problem sind, ferner gehören dazu die Betriebskosten und die Gewinn- und Verlustrechnung. Schließlich gehören dazu die Nebenwirkungen, die sich z. B. für die Bundesbahn ergeben, auf der Aktivseite vielleicht eine politische Nebenwirkung in der Behandlung des Problems des Rheinseitenkanals und endlich die Auswirkungen, die Konkurrenzvorteile, die für die lothringische Industrie entstehen und die Saarindustrie und die Ruhrindustrie im Wettbewerb benachteiligen. Wir müssen auch wissen, was für ein Bedarf an Investitionsmitteln in fernerer Zukunft auf uns zukommen wird, mit deren Hilfe wir nachteilige Folgen etwa für die Eisenindustrie des Saarlandes werden ausgleichen müssen.
Es ist schon an sich ein fast unlösbares oder wenigstens unfaßbares Problem, wenn man politische Vorteile gegen ökonomische Nachteile und Opfer abwägen muß. Es gibt kein Rezept, mit dessen Hilfe man da eine Gleichung aufstellen könnte. Trotzdem werden wir es in diesem Fall tun müssen. Wir werden politische Vorteile gegen wirtschaftliche Opfer abwägen müssen. Aber dieses Abwägen wird vollends unmöglich, wenn man die wirtschaftlichen Opfer nicht klar umreißen und abgrenzen kann, wenn man gar nicht weiß, wie groß sie sind. Das gilt für die Kanalisierung der Mosel. Wir wissen nicht, wie die wirkliche Kosten- und Betriebsrechnung aussieht.
Herr Kollege Schwann, wir sind nicht der Meinung, daß das Plenum der geeignete Ort ist, um das im einzelnen zu erörtern. Diese komplizierten Dinge sollten besser in den Ausschüssen behandelt werden. Deswegen haben wir uns erlaubt, hier einen Antrag vorzulegen, der die Bundesregierung ersucht, in einer gemeinsamen Sitzung der Ausschüsse des Bundestages, die hieran inter({1})
essiert sind, nämlich des Auswärtigen Ausschusses, des Verkehrsausschusses und des Wirtschaftspolitischen Ausschusses, die Tatsachen und die politischen Erwägungen zu unterbreiten und da mehr Klarheit zu schaffen.
Ich darf eine kleine Berichtigung zu dem Antrag vorbringen. In der vorletzten Zeile dieses Antrages muß es nach „Erwägungen" heißen: „um den Bau des Moselkanales", nicht: „am Bau".
Erst wenn wir mehr Informationen bekommen haben und genauer wissen, was da zu zahlen ist, können wir urteilen. Über allem steht aber auch bei uns Sozialdemokraten die Hoffnung, daß es gelingt, das Saargebiet recht bald wieder dahin zu holen, von wo es nie hätte weggeholt werden sollen: zu der deutschen Heimat.
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Wir werden uns freuen und auch dies und jenes Opfer verschmerzen, wenn es dadurch gelingt, die deutsch-französischen Beziehungen zu bereinigen und vielleicht dadurch, daß wir dies hier tun, einen kleinen Modellfall für die Wiedervereinigung nach dem Osten hin zu schaffen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch meine politischen Freunde bewegt das Problem, das den Gegenstand der Großen Anfrage unserer Kollegen von der Freien Demokratischen Partei bildet. Wir sind aber von der Antwort, die der Herr Bundesaußenminister gegeben hat, durchaus befriedigt. Wir sind insbesondere damit einverstanden, daß die näheren Auskünfte und Aufschlüsse in den Ausschüssen gegeben werden, und sind gern bereit, in diesem Punkte der Anregung unserer sozialdemokratischen Kollegen zuzustimmen.
Ich glaube, Herr Kollege Schwann ist nicht ganz gut unterrichtet gewesen, wenn er glaubt, daß es bisher an der rechten demokratischen Erörterung zur Frage der Moselkanalisierung gefehlt habe. Es gibt wenig Wirtschaftsprojekte in der Welt, die seit Jahrzehnten ausgiebig erörtert worden sind wie das Problem der Moselkanalisierung. Ich erinnere mich, daß ich mich schon als Student im volkswirtschaftlichen Seminar damit habe herumplagen müssen. Damals waren aber schon 150 Jahre vergangen, seitdem die ersten Erörterungen auf diesem Gebiet stattgefunden hatten. Ich glaube also, die deutsche Öffentlichkeit hat mehr Nahrung für ihr durchaus berechtigtes Interesse auf diesem Gebiet erhalten als in den meisten anderen Fällen. Man kann wohl der Bundesregierung keinen Vorwurf daraus machen, daß nicht dauernd alle Einzelheiten vor diesem Hause erörtert worden sind. In diesem Zusammenhang erinnere ich an die sehr ernsten Ausführungen, die der frühere amerikanische Botschafter Kennan, einer der bekanntesten und bedeutendsten Diplomaten, die wir in der Welt haben, über die Schwierigkeiten, in der Demokratie Außenpolitik zu treiben, gemacht hat. Ich würde Herrn Kollegen Schwann empfehlen, diese Ausführungen, die in der ausgezeichneten Zeitschrift „Außenpolitik" veröffentlicht worden sind, einmal zu studieren. Kennan sagt doch mit Recht, daß die demokratische Außenpolitik es in steigendem Maße erschwert, außenpolitische Probleme überhaupt noch anständig zu lösen. Da müssen wir, weil wir nun einmal in einer Demokratie leben - und mit Bewußtsein und mit Entschlossenheit in der Demokratie leben - eine vernünftige Mitte finden. Ich glaube, daß diese bei dem bisher eingeschlagenen Verfahren auch durchaus gewahrt ist.
Unsere Bedenken gegen eine zu ausgiebige Debatte in diesem Hause werden auch durch den Umstand genährt, daß wir das größte Interesse daran haben - ich glaube, Kollege Mommer hat das auch
zum Ausdruck gebracht -Verhandlungen die jetzt schwebenden deutsch-französischen zu einem
guten Ergebnis führen. Wir haben nicht den Wunsch, durch eine Debatte, mag sie auch gewissen volkstümlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen, dieses günstige Ergebnis irgendwie zu gefährden. Die anständige, loyale Bereinigung der Saarfrage und die anständige, loyale Bereinigung der j ahrhundertealten Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland sind für uns ein so wichtiges Anliegen, daß wir uns ihr zuliebe auch eine gewisse Beschränkung auferlegen müssen.
Wir stimmen durchaus dem zu, was Kollege Becker vor fünf Vierteljahren in diesem Hause ausgeführt hat: daß er gern bereit sei, für die Entspannung der deutsch-französischen Beziehungen Geld und andere materielle Dinge zu opfern. Ich glaube, das ist eine Auffassung, die von der großen Mehrheit dieses Hauses geteilt wird. Aber diese Opfer, denen wir gegebenenfalls zuzustimmen verpflichtet sein werden, dürfen nichts Unzumutbares enthalten. Es ist die Frage, ob der Bau eines Moselkanals für das deutsche Volk, die deutsche Wirtschaft ein unzumutbares Opfer bedeuten würde. Man kann schon aus der ganzen, ich wiederhole: jahrzehntelangen, ja jahrhundertelangen Erörterung sehen, daß das Problem leider nicht so einfach liegt. Wie bei den meisten Problemen dieser Art gibt es hierzu keine abschließende eindeutige Stellungnahme. Ein einheitliches Urteil kann von deutscher Seite, gerade auch von der von mir zu vertretenden wirtschaftswissenschaftlichen Seite aus, kaum gefunden werden. Die Interessen stehen gegeneinander, und je nachdem, ob Lothringen zu Deutschland gehört hat oder nicht zu Deutschland gehört hat, haben sich die Ansichten auch zeitlich in diesem Punkte verändert.
Daß der Kanalbau nicht im privatwirtschaftlichen Sinne rentabel sein würde, darüber kann, glaube ich, kein Zweifel sein. Das Kostendeckungsprinzip, das wir für solche Gelegenheiten aufzustellen pflegen, läßt sich in derartigen Fällen nicht verwirklichen. Bauten, Unternehmen dieser Art rentieren sich - wenn man von „rentieren" sprechen mag - in einem höheren Sinne, in einem allgemeinen Sinne, in dem Sinne einer jahrzehnte-
und womöglich jahrhundertelangen Entwicklung, aber nicht in einem unmittelbar in Zins und Dividende sich ausdrückenden Maße. Es ist gar kein Zweifel, daß der Kanal nicht rentabel in dem üblichen Sinne sein würde, d. h. daß wir nicht eine Verzinsung erzielen würden, wie wir sie heute in Deutschland immer noch, Gott sei es geklagt, mit 8% für solche Zwecke ansetzen. Wenn es doch gelänge, so würde jedes Interesse der Beteiligten an dem Kanal dahinschwinden, weil dann die Kanalabgaben viel zu hoch sein müßten, um eine solche Verzinsung herauszuholen.
Nicht ganz so klar liegt das volkswirtschaftliche Interesse. Es ist kein Zweifel, daß der Kohle-ErzAustausch, der einmal den großen Leuten der deut({0})
sehen Schwerindustrie vor 50 Jahren vorschwebte, der Austausch von Erz und Kohle zwischen Lothringen und dem Ruhrbezirk, durch einen Kanalbau erleichtert würde. Aber die Dinge haben sich geändert. Deutschland hat sich auf andere Erze eingestellt, es ist an der Minette nicht mehr so interessiert, wie es vor fünfzig Jahren der Fall zu sein schien. Auch die Kohleabsatzfragen spielen heute kaum eine Rolle. Unsere Bergleute schaffen gar nicht die Kohlen, die in Deutschland und im Ausland benötigt werden. Infolgedessen ist die Sicherung eines verbesserten Absatzmarktes in Lothringen keine so dringende Aufgabe mehr für uns. Das kann später wieder einmal eintreten, aber im Augenblick, glaube ich, kann man das Kohle-ErzProblem, das in diesem Zusammenhange einmal so wichtig erschien, nicht in den Vordergrund stellen.
Auch die Möglichkeit der Energiegewinnung ist vielleicht nicht ausschlaggebend. Wir werden bei dem vollen Ausbau, wie er vorgesehen ist - zehn Staustufen von insgesamt dreizehn sollen mit Elektrizitätsgewinnung verbunden werden -, eine Menge von etwa 800 Millionen Kilowattstunden im Jahr erzeugen. Das wäre allenfalls eine Kohlenersparnis von einer halben Million Tonnen. Das ist nicht gerade überwältigend. Vor allen Dingen erscheint es deshalb nicht so wichtig, weil die Kosten verhältnismäßig hoch sein werden. Nach den unterschiedlichen Berechnungen Frankreichs und Deutschlands muß man zwischen 21/2 und 31/2 Pf für die Kilowattstunde veranschlagen. Mit rheinischer Braunkohle oder mit Steinkohle aus dem Ruhrgebiet wäre es billiger zu machen, namentlich mit Abfallkohle. Hierin liegt also auch kein ausschlaggebender Faktor, wenn es natürlich auch bei den zunehmenden Sorgen um eine künftige Energieknappheit nicht ganz unwichtig sein mag, ob man aus der kanalisierten Mosel fast 1 Milliarde Kilowattstunden im Jahre wird herausholen können.
Das Gewichtigste und deshalb auch in den deutschen Erörterungen Voranstehende ist die Wettbewerbsverschiebung, die zwischen den Schwerindustrien Lothringens und der Ruhr eintritt. Da kann es gar kein Zweifel sein - deshalb wird der Kanal ja von der einen Seite gewünscht und von der andern Seite nicht gern gesehen -, daß die augenblickliche Gleichgewichtslage in der Erzeugung von Roheisen und in dem Absatz der Stahlerzeugnisse gestört wird. Das wird bei allen Verkehrsverbesserungen immer der Fall sein. Aber in der Tat scheint es doch schwer zumutbar, daß hier auf Kosten der Allgemeinheit eine Wettbewerbsverschiebung erfolgt, die nur einem Partner zugute kommt. Ja, es ist eigentlich noch peinlicher, wenn man sich klarmacht, daß diese Wettbewerbsverschiebung zuungunsten des einen Teils erfolgt und dieser die Kosten auch noch zu einem wesentlichen Teil mit tragen soll. Da liegt in der Tat ein Opfer, das von den Beteiligten wohl nur mit Zähneknirschen getragen werden kann. Ich möchte unseren Unterhändlern doch dringend nahelegen, diesen Gesichtspunkt, der ja nicht ganz ohne moralische Erwägungen ist, voranzustellen.
Ich glaube auch, wir können uns über das schwer Zumutbare einer solchen Forderung nicht mit der Behauptung hinwegtäuschen lassen, daß damit die Europäisierung unserer Wirtschaft gefördert wird. Weniges hat dem europäischen Gedanken so sehr in unserem Lande geschadet wie die Tatsache, daß dieser europäische Gedanke, der auch uns heilig und wert und teuer ist, von einem Interessenten dazu benutzt wird, damit gewisse egoistische Ziele zu bemänteln.
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Das ist für den europäischen Gedanken nicht gut. Wir sollten uns hüten, diesen Fehler zu begehen, wenn uns überhaupt an einer Verwirklichung der europäischen Einigung in unserer Zeit irgendwie gelegen sein sollte.
Schmerzlich ist auch, daß unsere Freunde an der Saar von diesem Kanal eine Verschlechterung ihrer Wettbewerbssituation erwarten. Es besteht gar keine Frage, daß, wenn die lothringische Eisenindustrie durch Verbilligung ihres Kohlebezuges und durch verbilligte Absatzmöglichkeiten für ihren Stahl begünstigt wird, das zuungunsten nicht nur der Ruhr, sondern auch der Saar geschehen wird. Es wäre also eine etwas schmerzliche Morgengabe, die wir unserem deutschen Landesteil in dem Augenblick, wo er zurückkommt, zuteil werden lassen.
Endlich möchte ich noch einen Gesichtspunkt erwähnen, der, glaube ich, in den bisherigen Erörterungen nicht recht zur Geltung gekommen ist. Der Kanal soll je nach französischen und .deutschen Schätzungen zwischen 550 und 700 Millionen DM kosten. Eine solche Investition der öffentlichen Hand ist in einem Augenblick, wo wir uns in der Wirtschaftswissenschaft ständig überlegen, wie es vermieden werden kann, daß die Überhitzung der Konjunktur noch weiter gesteigert wird, wirtschaftlich nicht gut zu rechtfertigen. Insofern hätte die Moselkanalisierung eine sehr unangenehme Begleiterscheinung. Es wäre vielleicht doch zu fragen, ob man den Kanal, wenn sein Bau überhaupt einmal erfolgen soll, nicht als Konjunkturreserve ansehen und seinen Bau auf einen Zeitpunkt verschieben sollte, in dem eine zusätzliche Investition der öffentlichen Hand durchaus auch im allgemeinwirtschaftlichen Interesse liegen würde. Ich könnte mir denken, daß manche Sorgen, die der ganze Kanalbau auslöst, gerade auch durch eine solche wirtschaftspolitische Behandlung teilweise ausgeräumt würde.
Im ganzen kann kein Zweifel sein, daß vom deutschen Standpunkt aus die Nachteile die Vorteile erheblich überwiegen. Mit dem Kanalbau sind vom deutschen Standpunkt aus auf absehbare Zeit erheblich mehr Nachteile zu erwarten. Ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren, daß diese ganze Problematik des Kanalbaus etwas Anachronistisches hat.
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Man baute Kanäle zu einer Zeit, als es noch keine Eisenbahnen gab, wenn man es dann auch noch lange Zeit fortgesetzt hat. Die Franzosen haben es nicht ganz leicht, aus der Vorstellungswelt des 18. Jahrhunderts herauszukommen. Deswegen sind sie vielleicht noch besonders stark an dieser Art der Verkehrsbewältigung interessiert. Vielleicht könnte dadurch, daß in die Verhandlungen einmal der Gedanke der Überhitzung der Konjunktur hineingebracht wird, ein gewisser Zeitraum eingelegt werden, in dem mancher Franzose bei kühler Überlegung zu dem Schluß kommt, daß man durch eine Elektrifizierung der Bahnen, die die Mosel begleiten, hinsichtlich der besseren und billigeren Verkehrsbewältigung mindestens das gleiche er({3})
zielen könnte, ohne daß die unverhältnismäßig hohen Kosten des Kanalbaus entstehen.
Selbstverständlich - ich stimme da dem Kollegen Mommer durchaus zu - kann der Kanalbau von uns nicht isoliert betrachtet werden. Wir müssen ihn im Lichte einer Gesamtbereinigung der deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen und im Zusammenhang mit der Regelung der Saarfrage sehen. Hier möchte ich besonderes Gewicht auf die Warndtfrage legen. Das ist ein Punkt, der für die Saarbevölkerung nicht nur gefühlsmäßig im Vordergrund steht, sondern der auch wirtschaftlich die größte Bedeutung hat. Hier würde doch auch eine unmittelbare sachliche Beziehung bestehen. Wenn wir durch eine Erleichterung des Verkehrs zwischen Ruhr und Lothringen den Kokskohlenbezug für die lothringische Eisenindustrie verbessern, ist diese um so weniger auf die Warndtkohle angewiesen, die in dem Saargebiet nun einmal die Hauptreserve an Kohle darstellt.
Auch der Rheinseitenkanal ist in diesem Zusammenhang anzuführen. Die Röchlingfrage - von dem Kollegen Mommer dankenswerterweise schon angezogen - spielt ebenfalls eine Rolle. Ich glaube, wir sind uns darin einig, daß wir es ablehnen, etwa den Bau des Moselkanals für sich als eine Einzelmaßnahme zu beurteilen. Er kann für uns überhaupt nur tragbar werden, wenn sie Bestandteil einer wirklich dauerhaften, guten französisch-deutschen Entspannung wird und wenn im Rahmen dieser Entspannung die Vorteile und Nachteile für beide Seiten in ein angemessenes, vernünftiges und gesundes Verhältnis gebracht werden. Nur dann wären wir bereit, überhaupt über diesen Punkt mit uns reden zu lassen. Ich glaube aber, wir können das Vertrauen zu unserer Bundesregierung haben, daß sie diese Gesichtspunkte - wir haben es von dem Herrn Außenminister gehört - in den Verhandlungen mit genügender Festigkeit und mit genügender Geschicklichkeit zum Ausdruck bringen wird.
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Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind nur zwei Gründe, die mich veranlassen, noch ein Wort zu sagen.
Ich wollte zunächst ausdrücklich erklären, daß die Bundesregierung es begrüßen würde, wenn der Antrag, den die Fraktion der SPD gestellt hat, angenommen würde. Ich glaube mit Ihnen, daß dieser Kreis der richtige Kreis wäre, um die ganze Problematik dieser Fragen und die ganzen einzelnen Details, die sich ja auch hier in der Diskussion gezeigt haben, zu besprechen. Die Bundesregierung ist selbstverständlich bereit, den Ausschüssen jede gewünschte Auskunft zu geben und jede Information entgegenzunehmen. Denn es versteht sich von selbst, meine Damen und Herren, daß ein Vertrag, den wir dort schließen, der Billigung des Parlaments bedarf, und je sorgfältiger wir ihn mit dem Parlament vorbereiten, desto einfacher wird die Ratifizierung sein.
Ich bitte Sie dann, meine Damen und Herren, mich zu entschuldigen. Ich möchte das ausdrücklich sagen. Ich habe eine Verpflichtung gegenüber den isländischen Gästen, die hier sind. Der Herr Staatssekretär wird hier bleiben; wenn noch eine
Frage zu stellen ist, ist Herr Staatssekretär Dr. Hallstein bereit, sie zu beantworten.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt nur eine Rechtfertigung dafür, daß zu diesem Zeitpunkt die Große Anfrage der FDP hier im Hause behandelt wird: das sind die Vorwürfe, die in der französischen Presse vor einiger Zeit erschienen sind, daß wir - das deutsche Parlament, der Bundestag - eine Verzögerungsaktion vorbereiteten. Nichts ist, glaube ich, so falsch wie gerade diese Annahme. Ich glaube, aus allen Worten, die hier von den verschiedensten Fraktionen erklungen sind, geht hervor, daß wir deutschen Parlamentarier ein Interesse daran haben, diese leidige Frage, das ganze Saarproblem im Zusammenhang mit der Moselkanalisierung, endlich ausgeräumt zu sehen, damit sie kein Streitpunkt mehr zwischen unseren Völkern ist. Das sollte man uns wirklich glauben. Man kann uns aber doch nicht übelnehmen, wenn wir nun mit aller gebotenen Nüchternheit das Problem hier erörtern, daß wir versuchen, Vor- und Nachteile abzuwägen.
Lassen Sie mich zunächst etwas zu meinem Kollegen Schwann sagen: Lieber Kollege Schwann, ich verstehe eigentlich nicht ganz Ihre Bemerkungen zu Eingang Ihrer Begründung. Wenn Sie an den Beratungen des Unterausschusses teilgenommen hätten, so wüßten Sie, daß eigentlich alle Fragen, die Sie aufgeworfen haben, dort behandelt und, ich muß sagen, zur Zufriedenheit beantwortet worden sind.
Ich habe ein sehr ungutes Gefühl bei der Antwort des Herrn Außenministers gehabt, obwohl ich seinen Worten Beifall gespendet habe. Aber das schlechte Gefühl kommt nicht daher, weil die Antwort der Regierung unbefriedigend wäre, sondern das liegt doch in der Sache. Man kann - da stimme ich Herrn Kollegen Friedensburg absolut zu - im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht die Karten auf den Tisch legen, wie es vielleicht die deutsche Öffentlichkeit haben möchte, sondern wir müssen unseren Unterhändlern eine gewisse Bewegungsfreiheit geben und können sie nicht festlegen. Das ist doch so selbstverständlich wie nur etwas.
Nach dem Antrag, den die SPD gestellt hat und den auch wir unterstützen, erübrigt es sich für uns eigentlich, noch in konkrete Einzelheiten einzugehen. Aber es ist vielleicht richtig, daß ich auf eins aufmerksam mache: Ich teile die Ansicht des Kollegen Friedensburg nicht, daß Kanäle Anachronismen seien. Ich könnte hier genaue Berechnungen anstellen, daß sich für Massengüter Kanäle immer noch lohnen, auch wenn man eine andere Verkehrskostenberechnung treibt als die Franzosen. Ich glaube daher, daß wir es uns so einfach nicht machen dürfen.
Ich wäre glücklich, wenn wir diese Probleme, über die die Sachverständigen durchaus nicht einer Meinung sind - es gibt deutsche Sachverständige, die pro Kanal sprechen, es gibt französische, die kontra Kanal sprechen -, wirklich nur vom rein Wirtschaftlichen erörtern würden. Aber es ist hier von Herrn Kollegen Mommer mit Recht gesagt worden: es ist ja kein wirtschaftliches Problem mehr. In den Besprechungen des Unterausschusses
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ist das ganz klar zum Ausdruck gekommen. Im Gegensatz zu verschiedenen Vorrednern bin ich der Auffassung, daß das Material, das uns vorliegt, eigentlich genügt, um ein Urteil zu fällen.
Wenn ich alle die Denkschriften und Berechnungen vergleiche, komme ich zu dem Ergebnis, daß vom rein Wirtschaftlichen her einfach kein Raum für den Kanal bleibt. Auch die Franzosen geben das indirekt selber zu. Wenn sie unseren Unterhändlern sagen, es sei nicht nur eine Frage der Wirtschaft, sondern für die Franzosen sei es mehr; es sei eine Art Mythos, so gestehen sie ein, daß von der Wirtschaftlichkeit her der Kanalbau nicht gerechtfertigt werden kann, sondern daß sie in diesem Punkte - ich schließe mich da den Ausführungen von Herrn Friedensburg an - den europäischen Gedanken strapazieren. Aber das ist es, glaube ich, noch nicht einmal allein. Es steckt mehr darin an Emotionellem. Ich möchte diesen schwierigen Komplex nicht ansprechen; es ist nicht gut, wenn wir das tun; wir sollten das respektieren. Aber man sollte uns nicht glauben machen, daß etwa die Ruhrstahlindustrie die deutsche öffentliche Meinung so weit beherrschte, daß ihre materiellen Interessen für die deutsche Haltung ausschlaggebend seien. Ich gebe ohne weiteres zu: es ist eine Behinderung. Ich habe wiederholt betont, daß man das Argument, daß für die lothringischen Stahlwerke etwa 1 bis 2 % Frachtkostenvorteile entstehen, nicht so leicht abfertigen kann. Zur Zeit spielt das keine Rolle für uns. In dem Augenblick aber, wo wir auf dem Weltmarkt gegeneinander konkurrieren müßten, wäre es eine ganz wesentliche Benachteiligung der Ruhrstahlindustrie, wenn die lothringische Industrie ab Amsterdam mit um 2 % günstigeren Preisen aufwarten könnte. Also so einfach darf man sich das nicht machen.
Aber ich glaube auch - und da stimme ich Herrn Mommer zu -: das Kriterium ist nicht so sehr die Benachteiligung der Ruhrstahlindustrie. Ich persönlich bin überzeugt, daß die Intelligenz und die Möglichkeiten der Rationalisierung, die noch in der Ruhrstahlindustrie stecken, diesen Nachteil überwinden werden.
Das Entscheidende für meine Freunde ist: Wie schneidet die Saar ab? Wird nicht bei dieser Regelung die Saar in den toten Winkel gestellt? Wir müssen unseren französischen Freunden die Gegenrechnung aufmachen, daß wir dann zusätzlich Verpflichtungen gegenüber der Saar übernehmen müssen, die wir noch nicht kennen, die wir aber erarbeiten müssen. Insofern ist es gut, wenn diese Fragen auch noch einmal in den gemeinsamen Besprechungen der verschiedenen Ausschüsse beantwortet werden. Wir müssen ganz klar wissen: Was kostet uns das?
Selbstverständlich können wir eine solche politische Entscheidung nicht treffen, ohne daß wir auch mit den Anrainerstaaten, also im wesentlichen Luxemburg, zu einem Akkord gekommen sind. Aber das ist eine Sache, die die Luxemburger vorbringen werden; wir brauchen nicht ihr Sprecher zu sein.
Ich möchte schon der Zeit wegen darauf verzichten, noch einmal im einzelnen alle wirtschaftlichen Argumente pro und kontra hier anzuführen. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß wir in Deutschland einen schlechten Beigeschmack verspüren, wenn wir die französischen Forderungen und das Argument hören, der Moselkanal sei ein Zeichen unserer europäischen Gesinnung. Wir
haben im Gegenteil die Auffassung, daß es nicht gut ist, wenn die Verwirklichung des garantierten Rechtes auf Selbstbestimmung eines Volkes mit wirtschaftlichen Gegenleistungen erhandelt werden muß; ich will einen anderen Ausdruck nicht gebrauchen. Das sollten auch unsere französischen Freunde begreifen, und ich hoffe, daß es den Unterhändlern der Bundesregierung gelingt, es den Franzosen klarzumachen.
Ich habe heute in diesem Hause anläßlich der Sitzung der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft von Herrn Staatssekretär Brandt aus Düsseldorf ein sehr schönes Wort gehört, und das sollten wir unseren französischen Freunden und uns allen immer wieder zurufen: Es kommt in der Mitte dieses Jahrhunderts nicht darauf an, daß man Provinzen außerhalb seines Staatsverbandes erobert, um seine Lebensmöglichkeiten zu verbessern, sondern es kommt darauf an, daß wir Provinzen des Geistes erobern. Ich glaube, wenn wir jetzt dieses letzte Problem zwischen Frankreich und Deutschland ausräumen - und wir sind bereit, Opfer dafür zu bringen; das ist hier klar zum Ausdruck gekommen -, dann werden wir gemeinsam diese Provinzen des Geistigen für unser Vaterland, zum Nutzen unserer gemeinsamen Vaterländer, zum Nutzen unseres Abendlandes erobern.
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Meine Damen und Herren, es ist bei mir angeregt worden, in dem Antrag Umdruck 603*) zu den dort aufgeführten Ausschüssen als weiteren Ausschuß den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen hinzuzufügen. Sind die Antragsteller damit einverstanden?
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- Demnach gilt der Antrag als insoweit ergänzt. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nur einige kurze Bemerkungen!
Dem Antrag der SPD-Fraktion stimmen wir, auch in der jetzt geänderten Fassung, zu.
Die Ausführungen des Herrn Außenministers haben meine Kollegen nicht in vollem Umfange befriedigt insofern, als wir immerhin gern gesehen hätten, wenn die deutsche Öffentlichkeit die Möglichkeit gehabt hätte, das, was schließlich nach Abschluß des Vertrages hier in aller Öffentlichkeit erörtert werden muß, schon vorher zu erörtern. Trotzdem sind wir von dieser Aussprache insofern befriedigt, als wir, ich glaube, zum erstenmal in diesem Hause Gelegenheit gehabt haben, schon vor Abschluß von internationalen Verträgen in einer Form, die der Außenpolitik der deutschen Bundesrepublik eine gewisse moralische Unterstützung gibt, vorzugehen, auch wenn die Unterstützung von oppositioneller Seite kommt.
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Wir stimmen auch Herrn Kollegen Mommer und Herrn Kollegen Friedensburg zu. Das, was ich damals hier gesagt habe: Land und Leute nein, aber Geld und Gut ja, das halten wir aufrecht. Ich habe mich, ehe das Saarstatut zur Debatte stand, immer bei französischen Kollegen orientiert, weshalb Frankreich auf die Saar Wert legt. Die Antwort
*) Siehe Anlage 8.
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war immer: Weil wir bei unserer schlechten passiven Außenhandelsbilanz gern die Saarkohle für unsere lothringische Industrie in französischen Franken und nicht in Deutscher Mark bezahlen wollen. Und ein Agrarpolitiker setzte noch hinzu: Weil wir gern unsere landwirtschaftlichen Produkte aus dem Elsaß und aus dem landwirtschaftlichen Teil Lothringens im Saargebiet absetzen möchten. Jawohl, auf dieser Grundlage können wir uns wirtschaftlich ausgezeichnet einigen. Auch über die Frage der Kohlenlieferungen und deren Umfang kann absolut verhandelt werden, ebenso wie über das Ausmaß dessen, was in einer nicht zu weit gespannten Übergangszeit an wirtschaftlichen Verflechtungen Frankreich-Saar und auch an neu aufzunehmenden Verflechtungen Deutschland-Saar, Deutschland-Frankreich zu geschehen hat. Was die Frage des Warndt betrifft, was die Frage der Kohlenbergwerke betrifft, so unterstreiche ich Wort für Wort das, was unser Kollege Mommer gesagt hat.
Herr Kollege Friedensburg meinte unter Bezugnahme auf Kennan, es sei immer schwierig, Außenpolitik in Demokratien zu praktizieren. Das ist insofern richtig, als sich die Außenpolitik immer zwischen den zwei Extremen bewegt: Wie sage ich es meinem Kinde? Oder: Die Kinder hören es gern. Dazwischen gibt es eine Variation von Ausführungen, die man eben nur im Ausschuß machen kann. Aber es ist auch eine Erziehung der Öffentlichkeit zur Beschäftigung mit der Außenpolitik, wenn diese Probleme hier angesprochen werden und wenn dann auch in Beantwortung der hier gestellten Fragen der Öffentlichkeit Tatsachen und Zahlen angegeben werden, über die sie diskutieren kann.
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Den Bedenken, die Kollege Friedensburg über das Moselkanalprojekt geäußert hat, schließen wir uns voll an. Wenn ich ihn recht verstanden habe, haben bei ihm die Bedenken die Vorteile weit überwogen. Wir müssen damit rechnen, daß das Saargebiet und das Ruhrgebiet durch den Moselkanalbau eine ganz enorme Konkurrenz erhalten. Und hier habe ich eine Frage aufzuwerfen, die vielleicht einmal bei den Verhandlungen an die französische Seite gestellt werden könnte: Hätte man französischerseits auch den Moselkanal gewünscht, wenn die Saar durch ihre Abstimmung nicht zu Deutschland zurückgekehrt, sondern in dem Status einer französich-saarländischen Verflechtung verblieben wäre? Ich möchte das verneinen. Dann hätte man ihn nicht gewünscht; dann wäre das Saargebiet wirtschaftlich französisch geblieben. aber die Mosel wäre nach wie vor durch deutsches Land geflossen. Ich hätte gern gewußt, mit welcher Begründung man dann den Bau eines Moselkanals von uns verlangt haben würde. Wenn er jetzt von uns verlangt wird, dann beweist eben die Frage, die ich eben andeutete, doch nur, daß er mit einer Frage der Äquivalenz, einer Gegenleistung über die Freigabe der Saar, grundsätzlich nichts zu tun hat. Bei einigen Vorrednern ist auch mit Deutlichkeit angeklungen, daß es sich um einen gewissen Mythos handle, daß man sich in einer Frage festgebissen habe, von der man jetzt schlecht abkommen könne. Ich glaube deshalb, daß man die Frage: Hätte Frankreich auch die Moselkanalisierung gefordert, wenn die Saar nicht zu Deutschland zurückgekehrt wäre?, stellen sollte.
Es gibt viele Gründe gegen den Moselkanal. Einer ist nicht genannt worden - ich möchte ihn noch
nennen, man kann ihn allerdings weder in Deutschen Mark noch in französischen Franken irgendwie valutieren -: die Unberührtheit einer der letzten deutschen schönen Landschaften, die noch nicht von Maschinen und Motoren so erobert sind wie alle anderen Gebiete. Auch sie dem deutschen Volk als Erholungsstätte zu erhalten, ist nicht der letzte Grund, der gegen den Moselkanal spricht.
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Das Wort hat der Abgeordnete Körner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus der Debatte und vor allem in der Erklärung der Regierung ist ein Satz bemerkenswert. Daß für die deutsche Regierung keine Verpflichtung zum Bau des Moselkanals besteht, halte ich doch für sehr wesentlich. Der Herr Bundesaußenminister schloß aber mit dem Satz, daß die Möglichkeit des Baues eines Moselkanals nicht ausgeschlossen sei, sie aber die Regelung der Saarfragen voraussetze. Ich glaube, zwischen diesen beiden Angelpunkten bewegt sich die gesamte Frage. Der Herr Kollege Friedensburg glaubte, daß die Energiegewinnung nicht ganz so ins Gewicht fallen würde. Soweit ich orientiert bin, sind wir in einem ständigen harten Wettlauf zwischen dem sich unerhört steigernden Energiebedarf und dem hinterherhinkenden Ausbau unserer Energiewerke. Aus diesem Grunde könnte und sollte man zu einem Energieausbau nicht von vornherein ein Nein sagen. Dabei stimme ich auch dem zu, was der Herr Kollege Dr. Becker eben sagte: die letzte Romantik und eine unberührte Flußlandschaft gehen uns hierbei dann auch noch verloren.
Herr Dr. Mommer hat recht, wenn er erklärt: Hier werden politische Vorteile und ökonomische Nachteile gegeneinander ausgewogen. Man kann nicht alles mit Zahlen packen; überdies widersprechen sich die Zahlen der Sachverständigen erheblich.
Nun wurde hier behauptet - und das möchte ich noch einmal in irgendeiner Weise klarstellen -, Kanalbauten seien nicht mehr so dringend. Bis jetzt ist der Wasserweg immer noch der billigste Weg für Massengüter, das kann man nicht leichtfertig übersehen. Das Kanalprojekt ist allein für sich betrachtet wirklich keine glatte Angelegenheit und zumindest verkehrstechnisch nicht ohne weiteres zu bejahen. Aber ich muß auch hier noch einmal daran erinnern: Im Verlauf der Verhandlungen mit Frankreich haben wir des öfteren betont, daß wir gegenüber berechtigten französischen Wünschen zu Opfern bereit sind. Ich glaube aber, daß dieser Opfergang - das zielt auf den europäischen Gedanken hin - nicht einseitig uns zugemutet werden darf. Daß Frankreich an den Abbau der Warndt-Kohle Interessen hat und wir an den Röchlingwerken und anderem, ist selbstverständlich und wird aus der Debatte nicht ausgeschlossen werden können.
Es bleibt aber zu bedenken, ob man heute überhaupt zu einer erschöpfenden, abschließenden Stellungnahme kommen kann, vor allem, da die Angelegenheit noch im Fluß ist. Eine nicht geschickte Form der Debatte - alle Sprecher haben ja heute versucht, sich in jeder Weise dem Stand der Verhandlungen anzupassen -, eine nicht geschickte
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Formulierung könnte das stören, was uns doch zutiefst am Herzen liegt, nämlich die beiden größten Nachbarn des europäischen Kontinents endlich einander näherzubringen, um damit dieses leidige Problem aus der Welt zu schaffen.
Somit ist die Kanalisierung der Mosel nicht nur eine rein verkehrstechnische oder tarifarische Sache, sondern sie ist eingeschlossen in einer Fülle anderer Fragen. Gewiß, der Kanalbau ist nicht dringlich und vom Standpunkt der deutschen eisenschaffenden Industrie oder vom Standpunkt der Schiene, der Bundesbahn aus keineswegs besonders gewinnbringend.
Ich will nicht auf Einzelheiten eingehen, auf die Höhe der Kosten, die nach den Sachverständigen differieren, usw. Wir haben das alles schon gehört. Ja, auch der Finanzschlüssel, z. B. die Aufteilung der Kosten zwischen Frankreich, Deutschland und Luxemburg ist noch absolut unklar und offen. Die Bahnlinie, wird man sagen, ist viel kürzer. Die Mosel hat eine unendliche Zahl von Windungen. Mit einer Elektrifizierung der Bahnstrecke könnten wir das Ganze für die lothringischen Gruben vielleicht viel attraktiver machen als durch den Bau eines Kanals.
Herr Dr. Mommer, auch Sie haben gesagt, die Sachverständigengutachten unterscheiden und widersprechen sich in den verschiedensten Punkten, in den Berechnungen der Kanalgebühren, vor allem - darauf möchte ich das Hohe Haus aufmerksam machen - bezüglich des Baus einer zweiten Schleusenkammer an den entsprechenden Staustufen. Von daher kommen nämlich die großen Differenzen hinein.
Auch das Transportvolumen wird sehr verschieden geschätzt. Es gibt Zahlen, die von 11/2 Millionen Tonnen pro Jahr sprechen, und andere von 41/2 Millionen Tonnen. Danach richtet sich aber die Benutzung des Kanals und die Höhe der Kanalabgaben und damit wiederum die Höhe der Tarife und der Belastungen für die Transportkosten. Wir haben Verständnis für die Wünsche der lothringischen Gruben und der Werke. Aber auch die französischen Sachverständigen werden unsere Einwände nicht mit einer Handbewegung abtun können. Die lothringische Stahlindustrie hat ihre Sorgen und glaubt vielleicht, sie hänge zu sehr von der Tarifgestaltung der Deutschen Bundesbahn ab, während bei uns die Sorge herrscht - sie ist hier schon angeklungen -, daß sich die Standortbedingungen der deutschen Ruhrindustrie völlig verschieben könnten.
Ein anderer Punkt, rein sachlich. Die französischen Sachverständigen rechnen mit einer Abgabe von 50 Pf pro Tonne als Kanalgebühren ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Wasserstraßenkosten, während unsere deutschen Sachverständigen ein Vielfaches dieser Summe annehmen.
Damit sind einige Dinge angeschnitten. Ich will sie nicht weiter ausmalen, weil uns das Zeit kosten würde.
Eins ist auch noch bemerkenswert: daß die Kosten der Instandhaltung der Schiffahrtsstraße selbst sehr differieren zwischen den 27 Millionen der französischen Sachverständigen und den über 45 Millionen der deutschen Sachverständigen. Das kommt nicht zuletzt von der zweiten Schleusenkammer.
Mit dem, was ich jetzt sage - es handelt sich dabei um eine noch sehr offene Frage -, möchte ich mich an Herrn Kollegen Dr. Friedensburg wenden. Betrachtet man das Kanalprojekt vom europäischen Standpunkt aus und besonders unter dem Gesichtspunkt eines gemeinsamen europäischen Marktes, so ist die Kanalisierung der Mosel anders zu beurteilen, als wenn man nur streng gegeneinander abgegrenzte Nationalwirtschaften sieht. Ich glaube nicht, daß wir bei einem Zusammenwachsen der europäischen Wirtschaften, des Marktes und der Kräfte des europäischen Kontinents auf weite Sicht sagen können, wir hätten ein Zuviel an guten Verkehrswegen, auch Wasserwegen, auf diesem europäischen Kontinent. Das darf man nicht außer acht lassen.
Wir haben den Rheinseitenkanal behandelt. Jedes Wort erübrigt sich. Wir werden uns bei der Debatte auch weiterhin mit der Montanunion und ihren Aufgaben befassen müssen. Das ganze Projekt soll sich auf weite Sicht wenn möglich aus sich selbst tragen, und wir müssen berücksichtigen, was die Beneluxstaaten und die Saar dazu zu sagen haben. Soweit die Situation.
Frankreich will sich - um das abschließend zu betonen - möglichst von jedem Tarif und jeder Tarifgestaltung der Bahn unabhängig machen. Wir betrachten das Ganze in einem komplexeren Sinne. Aber wir wollen hoffen, daß eine für alle Teile befriedigende Lösung gefunden werden kann.
Ich würde es sehr begrüßen, wenn der Antrag, das gesamte Thema an die entsprechenden Ausschüsse zu verweisen und dort zu debattieren, vom Hohen Hause angenommen würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Jacobs.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage durch den Herrn Bundesaußenminister und die Debatte haben zweifellos ergeben, daß mehr als ein erster Schritt auf dem Wege der Verwirklichung eines Projekts getan wurde, das hier mit Recht als der Versuch einer politisch anständigen Lösung an der Saar gekennzeichnet worden ist. Es ist richtig, daß unsererseits die Bereitschaft vorhanden sein muß, wirtschaftliche Opfer zu bringen. Allerdings ist es eigentlich erstaunlich, daß hier in diesem Hause von mehreren Seiten gesagt wurde, das Problem könne nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eines ökonomischen Vorteils für Frankreich gesehen werden. In der Tat, wenn man überlegt, daß die übrigen interessierten Staaten, wie beispielsweise Luxemburg und Belgien, sicherlich im Falle der Verwirklichung dieses Kanals Forderungen an Frankreich erheben werden, ist die Frage erlaubt: Wie kommt es dann, daß das Ganze auch für Frankreich fast ausschließlich eine Prestigeangelegenheit zu sein scheint?
Da darf ich mir doch die Frage erlauben, ob das nicht die Schuld der Bundesregierung ist, die durch ihr Verhalten - nicht in der jüngsten, sondern in einer weiter zurückliegenden Vergangenheit - Frankreich dazu gebracht hat, aus der Frage der Moselkanalisierung eine Prestigeangelegenheit zu machen. Dies ist dann der Fall, wenn es den Tatsachen entspricht, daß die Bundesregierung bereits bereit gewesen ist, nicht um den Preis der Frei({0})
gabe der Saar, sondern damals um den Preis, Divisionen im Rahmen des erwarteten EVG-Vertrages aufstellen zu können, zur Moselkanalisierung ja zu sagen. Insofern ist es ein Streit um Worte. Die Ausgangsposition, die nach meiner Auffassung für uns eine bessere sein könnte. ist sicherlich nicht wiederherzustellen.
Wir müssen uns aber auch darüber im klaren sein, daß es bei der Errechnung der für die Bundesrepublik entstehenden Kosten nicht ausschließlich damit getan ist, eine rechnerische Grundlage für die Aufwendungen zu schaffen, die das Projekt als solches erfordert. Denn da für den Fall der Verwirklichung des Projekts Moselkanalisierung die Saar erheblich benachteiligt wird, dürfte es keinen Zweifel daran geben, daß schon im jetzigen Augenblick ein erhebliches Mehr an finanziellen Aufwendungen unsererseits mit einkalkuliert werden muß, das notwendig sein wird, um die Saar konkurrenzfähig zu machen,
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und zwar konkurrenzfähig im Hinblick auf die Erschwernisse, denen sie sich im Falle der Verwirklichung des Moselkanalisierungsprojektes gegenübersieht. Ich für meinen Teil möchte keinen Zweifel daran lassen, daß die Bevölkerung an der Saar das nicht verdient hat und ihrerseits einen Anspruch darauf erheben kann, wenn schon im Interesse einer vernünftigen Regelung der französisch-deutschen Beziehungen unsererseits die Konzession der Moselkanalisierung gemacht wird, daß ihre Entscheidung vom 23. Oktober letztlich nicht darauf hinausläuft, daß ihre wirtschaftliche Situation unnötigerweise erschwert wird. - Sie sind l ja Fachmann, Herr Kollege Dr. Lenz ({2}), und wenn Sie sich so belustigt auf die Beine schlagen, dann müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß der Bau des Moselkanals im jetzigen Augenblick für uns die Notwendigkeit mit sich bringt, an der Saar größere finanzielle Aufwendungen zu machen, um sie konkurrenzfähig zu erhalten oder sie so konkurrenzfähig zu machen, wie es erforderlich sein wird, wenn aus verschiedenen Erwägungen die Notwendigkeit der Moselkanalisierung bejaht wird. Dieser Gesichtspunkt ist es, der mir Veranlassung gegeben hat, mich überhaupt zum Wort zu melden.
Lassen Sie mich bitte noch auf eine andere Frage kommen, die sicherlich Gefahr läuft, übersehen zu werden. Mein Kollege Mommer war der Meinung, daß, abgesehen von den Anrainern im Raum Koblenz und Trier, die sicherlich an der Verwirklichung dieses Projektes interessiert seien, in Deutschland keine Kräfte vorhanden seien, denen man billigerweise schon aus ökonomischen Erwägungen den Bau dieses Kanals empfehlen könne. Ich kann als Einwohner dieses Gebietes, aus Trier kommend, sagen: Gemach! Auch nur mit Einschränkungen unsere Begeisterung und unser rein regionales Interesse an der Moselkanalisierung! Uns wäre beispielsweise gar nicht damit gedient, einen Wechsel auf die Zukunft zu bekommen dergestalt, daß eines Tages einmal mit dem Anfang dieser Arbeiten Handel, Wandel und Produktion dort gedeihen können, wenn die unmittelbare Folge des Beschlusses, den Kanal zu bauen, die wäre, daß der bisher einzige nennenswerte Industriebetrieb in Trier, das Eisenbahn-Ausbesserungswerk in TrierWest, liquidiert und geschlossen werden müßte. Ich sage das gar nicht in die Luft, Herr Lenz. Es bestand die Absicht, morgen bereits Angehörige des Ministeriums Blank in das Eisenbahn-Ausbesserungswerk zu schicken mit dem Ziel, festzustellen, wie es sich anders als für die jetzigen Zwecke verwenden läßt. Die Bundesbahn hat mit ihrer Erklärung keinen Zweifel daran gelassen, daß sie nicht ausschließlich dafür verantwortlich gemacht werden kann, eine produktive Grenzlandpolitik zu betreiben, wenn die Bundesregierung ihrerseits nicht geneigt ist, ihr entsprechend zu helfen, und daß sie sich in diesem Falle an die Zusage, diesen Industriebetrieb dort mit 1500 Beschäftigten aufrechtzuerhalten - das sind Größenordnungen, die Ihnen sonderbar erscheinen mögen; für diese industriearme Gegend ist es eine entscheidende Größenordnung -, nicht mehr gebunden fühlt.
Deshalb meine Bitte, dafür zu sorgen und von vornherein mit einzukalkulieren, daß dem Bau des Moselkanals parallel laufen muß eine stärkere Förderung der industriellen und Investitionsmaßnahmen an der Saar und das Versprechen an die Bundesbahn seitens der Bundesregierung, ihr diejenigen Mittel an die Hand zu gehen, die ihr auch dann noch gestatten, diesen Betrieb dort zu halten. Die 1500 Beschäftigten dieses Betriebes mit ihren Angehörigen sind nicht begeistert ob der Aussicht, gewissermaßen auf dem Altar der Verständigung mit ihren Arbeitsplätzen geopfert zu werden. Ich fühle mich verpflichtet, den Bedenken dieser Menschen Ausdruck zu geben, und ich würde es als ein Versäumnis betrachten, wenn in diesem Zeitpunkt und von dieser Stelle aus nicht auf diesen Teilaspekt hingewiesen worden wäre.
Nun noch etwas Versöhnliches zum Abschluß. Der Terminus technicus ist falsch; es handelt sich nicht um die Kanalisierung der Mosel, 1 sondern es handelt sich - abgesehen von dem Bau der Staustufen -, wenn es so weit kommt, um die Wiederherstellung jenes Zustandes, wie er bereits vor 2000 Jahren war. Sonst hätten Sie keine Gelegenheit, die Nachbildung des römischen Weinschiffes von Neumagen zu besichtigen. Es handelt sich um die Wiederschiffbarmachung eines Flusses, der in den letzten 100 Jahren als Folge eines neuen Verkehrsträgers versandet ist, und insofern ist der Terminus technicus „Moselkanalisierung" sicherlich nicht richtig.
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Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung zu Punkt 3.
Es liegt ein Antrag auf Umdruck 603*) vor. Ich sehe, er ist dahin ergänzt worden, daß auch der Gesamtdeutsche Ausschuß zu diesen gemeinsamen Beratungen mit beigezogen werden soll. Das Haus ist-mit dieser Änderung einverstanden. Dann darf ich, weil ich der Meinung bin, daß man den Antrag nicht erst an einen Ausschuß zu verweisen braucht, gleich darüber abstimmen lassen. Wer dem Antrag auf Umdruck 603 zuzustimmen wünscht, gebe bitte das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen.
Damit ist Punkt 3 der heutigen Tagesordnung erledigt.
Wie ich hier sehe, scheint interfraktionell vereinbart zu sein, daß der nächste Punkt der Tages-
*) Siehe Anlage B.
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Ordnung, nämlich die Große Anfrage betreffend Agrarpolitik und die Beratung des Antrags betreffend Maßnahmen nach dem Grünen Bericht, auf morgen früh verschoben wird. Mit Rücksicht darauf frage ich das Haus, ob es der Meinung ist, daß wir nunmehr schließen sollten. Ist das Haus damit einverstanden?
({1}) - Das ist der Fall.
Ich gebe noch bekannt, daß die Sitzung des Arbeitskreises der CDU ausfällt.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen früh, 9 Uhr, mit der Maßgabe, daß wir mit der Großen Anfrage betreffend Agrarpolitik beginnen und danach die übrigen Tagesordnungspunkte abwickeln.
Ich schließe die Sitzung.