Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich habe folgendes bekanntzugeben. Durch interfraktionelle Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ({0}), um die erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({1}) und um die Beratung des Antrags der Abgeordneten Josten, Ritzel, Lahr, Arndgen, Schlick und Genossen betr. Hilfe für die Eis- und Hochwassergeschädigten des Rheines und der Nebenflüsse ({2}).
Punkt 1 der gedruckten Tagesordnung von heute
ist bereits gestern erledigt worden.
Ich komme zu Punkt 2:
Wahl des Abgeordneten Seidl ({3}) zum Vertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarates.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer mit dieser Wahl einverstanden ist, gebe ein Handzeichen! - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Einstimmig beschlossen. Ich beglückwünsche den Kollegen Seidl zu seiner Wahl.
Ich darf dann die eingeschobenen Punkte aufrufen, und zwar zuerst:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ({4}); Erster Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({5}) ({6}).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Bürkel. - Abgeordneter Sabel als Vertreter!
Sabel ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den heute verhinderten Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Dr. Bürkel, möchte ich den vorliegenden Schriftlichen Bericht*) kurz mündlich ergänzen.
Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich um ein Teilstück der dem Hohen Hause vorliegenden Novelle zum Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Die Neu-
*) Siehe Anlage 2.
({8})
regelung der Arbeitslosenfürsorge war in Erwartung dieser genannten Novelle wiederholt vertagt worden. Die Neuregelung der Arbeitslosenfürsorge war dringlich. Im Ausschuß für Arbeit wurde einheitlich die Auffassung vertreten, daß dieses Teilstück vorgezogen werden sollte.
Der Inhalt der Ihnen vorliegenden Gesetzesformulierung ist im wesentlichen folgender. Zunächst ging es darum, in der Arbeitslosenfürsorge zu einem einheitlichen Recht im Bundesgebiet zu kommen. Die Regelungen waren bisher noch differenziert. Dies galt insbesondere für die Regelung der Anwartschaft zum Bezug der Arbeitslosenfürsorgeunterstützung. Aber auch die materiellen Leistungen waren zum Teil differenziert. Es war unerläßlich, hier zu einer einheitlichen Regelung zu kommen.
Verbunden mit dieser Schaffung einer einheitlichen Regelung sind eine Reihe notwendiger Verbesserungen. Zunächst erfahren die Unterstützungen in zweifacher Hinsicht eine Aufbesserung. Der Ausschuß hat die Auffassung vertreten, daß die Unterstützungssätze bis zu einem Wochenverdienst von 50 DM den Unterstützungssätzen in der Arbeitslosenversicherung angepaßt werden sollten. Hier ging es erstens um eine materielle Verbesserung und zweitens um eine Verwaltungsvereinfachung. Bei Beträgen des Wochenverdienstes von über 50 DM sind die Unterstützungssätze bis zu 12 % angehoben worden. Neben dieser Anhebung der Unterstützungen ist im Gesetz eine weitere Erhöhung der Unterstützungssätze in der Gestalt vorgesehen, daß der Unterstützungsberechtigte die Neufestsetzung seiner Unterstützung beantragen kann, wenn die Errechnung der Unterstützung aus einem Lohn vorgenommen wurde, der längere Zeit zurückliegt. Nach § 5 Abs. 2 ist es möglich, die Neufestsetzung der Unterstützung in all den Fällen zu beantragen, wo die letzte Errechnung der Unterstützung mehr als drei Monate vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erfolgt ist. Diese Bestimmung stellt sicher, daß der heute für den Unterstützungsberechtigten in Frage kommende Lohn auch der Unterstützungserrechnung zugrunde gelegt wird.
Entscheidende Verbesserungen sind in § 141 f enthalten. Hier geht es um die Neufestsetzung der anrechnungsfreien Beträge aus eigenem Einkommen des Unterstützungsempfängers und aus dem Einkommen von Familienangehörigen. Die derzeit geltenden Sätze sind schon vor verhältnismäßig langer Zeit festgelegt worden. Sie bedurften unbedingt einer Korrektur. Der anrechnungsfreie Betrag aus eigenem Verdienst des Unterstützungsempfängers ist von 6 auf 9 DM erhöht worden. Entscheidender ist aber die Neufestlegung der anrechnungsfreien Beträge bei dem Einkommen von Angehörigen, die mit dem Arbeitslosen in einem gemeinsamen Haushalt wohnen. Hier ist insbesondere darauf hinzuweisen, daß bei Verwandten in gerader Linie, die im gemeinsamen Haushalt des Arbeitslosen wohnen, eine Anrechnung nur erfolgt, soweit das Nettoeinkommen des Angehörigen 36 DM in der Woche übersteigt; bisher waren es 24 DM. Wesentlich ist dann noch die folgende Bestimmung, daß der überschießende Betrag nur zur Hälfte angerechnet werden soll; bisher wurde er ganz angerechnet. Ich glaube, diese Regelung ist notwendig, um den einzelnen noch daran zu interessieren, wirtschaftliche Möglichkeiten, die gegeben sind, zu nutzen. Insbesondere dient diese Neuregelung auch dazu, um - ich
möchte einmal sagen - einem Unwesen zu steuern. Auf Grund der bisherigen Gesetzesbestimmungen bestand die Gefahr, daß Familien auseinandergerissen wurden, weil der anrechnungsfreie Betrag für den Angehörigen des Arbeitslosen nicht zu seiner Existenzsicherung ausreichte und daß er sich vom Familienverband löste. Die anrechnungsfreien Beträge werden noch erhöht um 15 DM pro Woche - bisher 9 DM - für jede Person, die der Angehörige auf Grund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht überwiegend unterhält.
Ich darf dann nur noch hinweisen auf § 141 c Abs. 2. Hier ist versucht worden, eine Bestimmung einzubauen, die zu einer besseren Möglichkeit der Überprüfung des Arbeitswillens des Unterstützungsempfängers führt.
Ich kann mich auf diese Bemerkungen beschränken und verweise im übrigen auf den Ihnen vorliegenden Schriftlichen Bericht.
({9})
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich komme zur Einzelberatung und rufe auf Art. I. Wir werden paragraphenweise vorgehen müssen. Ich rufe auf § 141. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer der aufgerufenen Bestimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 141 a mit dem Änderungsantrag Umdruck 534*) Ziffer 1. Wird das Wort zur Begründung des Änderungsantrags gewünscht? - Herr Abgeordneter Sabel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem Änderungsantrag Umdruck 534 Ziffer 1 möchte ich folgendes bemerken. Hier ist die Ergänzung des § 141 a Abs. 1 Nr. 4 vorgeschlagen worden, und zwar aus folgenden Gründen.
Nach Erschöpfung des Anspruchs auf die Arbeitslosenunterstützung wird dem Arbeitslosen bei Vorliegen der Voraussetzungen die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung nach geltendem Recht in Anschluß an den Bezug der Alu gewährt. Eine neue Arbeitslosmeldung ist nur erforderlich, wenn der Arbeitslose nach Erschöpfung des Alu-Anspruchs sofort Arbeit aufgenommen hat, aus der er dann wieder entlassen wird. § 141 a Abs. 1 Nr. 4 des Entwurfs in der Fassung der Ausschußvorlage Drucksache 2101 stellt hinsichtlich des Nachweises der Arbeitnehmereigenschaft in jedem Falle auf die Arbeitslosmeldung ab, die dem erstmaligen Antrag auf Unterstützung vorausgeht. Stand der Arbeitslose in ununterbrochenem Bezug der Arbeitslosenunterstützung und hat er nach Erschöpfung seines Anspruchs nicht sofort Arbeit aufgenommen, so liegt die letzte Arbeitslosmeldung vor dem Bezug der Arbeitslosenunterstützung. § 141 a Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a wäre in solchen Fällen durch den letzten Bezug der Alu nie erfüllt. Auch § 141 a Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b ist nicht erfüllt, wenn die Beschäftigung vor dem Bezug der Alu länger als ein Jahr vor der Arbeitslosmeldung zurückliegt. In diesen Fällen wird der Arbeitslose nach Erschöpfung des Anspruchs auf Alu die Unterstützung aus der Arbeitslosenhilfe nicht erhalten können. Ein solches Ergebnis soll nun mit diesem Änderungsantrag ausgeschlossen werden. Es soll also sichergestellt werden, daß auch hier die Unterstützungsvoraussetzungen erfüllt sind. Ich darf Sie bitten, diesem Änderungsantrag zuzustimmen.
*) Siehe Anlage 3.
Wird hierzu das Wort gewünscht? - Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Schon der § 141 a zeigt in allen Einzelheiten, wie gefährlich es war, aus der Novelle zum AVAVG das Teilstück Arbeitslosenfürsorge, jetzt genannt Arbeitslosenhilfe, herauszunehmen und auf dem Weg über dieses Teilstück Grundsatzfragen, die der Reform sowohl des AVAVG wie der Gesamtreform der Sozialleistungen vorbehalten sein sollten, vorweg und stillschweigend so ein wenig unbemerkt von der Öffentlichkeit zu lösen und die Annahme der Vorlage mit den Argumenten des Herrn Kollegen Sabel schmackhaft zu machen, als seien hier nur sehr ausgezeichnete Vorteile mit diesem Gesetz verbunden, ohne daß er bei seiner Erläuterung des Berichts auch auf die grundsätzliche Lösung einer Reihe von Fragen hingewiesen hat, die keineswegs, weder für den Staat noch für den Arbeitslosen, Vorteile hat. Ich möchte deshalb zu diesem § 141 a und der Änderung, die er im Hinblick auf die Regierungsvorlage erfahren hat, auf einige dieser wichtigen Fragen hinweisen: Kollege Sabel hat z. B. nicht darauf hingewiesen, daß bei der Herstellung der Rechtseinheit, die mit diesem Gesetz versucht wird und die wir an sich begrüßen, hier im Plenum nicht erörtert worden ist, ob die süddeutsche oder die norddeutsche Regelung nun in ihrer Auswirkung als besser oder als weniger günstig anzusehen ist.
({0})
Die Arbeitsverwaltung in den süddeutschen Ländern hat ihre Regelung immer als die bessere betrachtet. Die Regelung der norddeutschen Lander und die der britischen Zone, die jetzt für das ganze Bundesgebiet Gesetz werden soll. ist unter den besonderen Verhältnissen der Nachkriegszeit entstanden. Sie beinhaltet eine grundsätzliche Änderung: denn nach ihr soll sich die Arbeitslosenfürsorge - jetzt Arbeitslosenhilfe - nicht nur auf diejenigen erstrecken, die vorher Arbeitnehmer waren. Das Arbeitsministerium hat immer die Begründung gegeben, daß die Arbeitslosenunterstützung Ersatz für Lohnausfall sein soll. Nun soll ein Risiko übernommen werden, das zu tragen nach meiner Auffassung und nach der meiner Freunde nicht die Aufgabe der Arbeitslosenfürsorge bzw. der Arbeitslosenhilfe sein kann. Nach der Ausweitung. die Sie in den 141 a und 141 b finden, soll das Berufsrisiko der Selbständigen und sogar das der in Ausbildung befindlichen Schüler. Fachschüler und Studenten in eine Regelung einbezogen werden. die praktisch bisher in der gesamten Geschichte der deutschen Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge nur den Lohnausfall für Arbeitnehmer ausgleichen wollte. Ich mu ß auf diesen sehr wesentlichen Unterschied mit allem Nachdruck hinweisen, weil hier auf einem Umwege Selbständige, Schüler und in Ausbildung Befindliche nun auf den Empfang einer Staatspension vorbereitet werden sollen.
({1})
- Meine Herren und Damen, ich bedaure, daß einige von Ihnen das als lächerlich betrachten. Ein Anspruch auf Versorgung gegen den Staat kann nicht all denen gegeben werden, die noch gar nicht im Beruf sind, und ein Anspruch gegen den Staat, d. h. gegenüber der Gemeinschaft der Steuerzahler, kann in der Arbeitslosenfürsorge nur denen gegeben werden, die den Arbeitsplatz verloren oder noch keinen neuen erhalten konnten, nicht aber
denen, die vorher noch gar nicht in Arbeit waren. Wenn Sie bei der Regelung der Altersversorgung oder der Invaliditätsversorgung eine solche Staatspension mit Mehrheit beschließen wollen, dann mögen Sie das mit allen Konsequenzen verantworten.
Ich muß in vollem Bewußtsein dessen, was Sie heute morgen zu beschließen vorhaben, weiter darauf hinweisen, daß in diesem § 141 a auch die Wartezeiten, d. h. der Anspruch, der erworben wird auf Grund einer Zeit, in der sich der Betreffende in entlohnter Arbeit befunden hat - nicht nur gelegentlich und geringfügig -, jetzt ganz entschieden verändert worden sind. Entgegen der Regierungsvorlage steht jetzt in dem Ausschußbeschluß, daß jeder, der mindestens 10 Wochen in entlohnter Arbeit gestanden hat, wobei diese 10 Wochen innerhalb eines Jahres auch in zwei Teilen von je fünf Wochen geleistet sein können, nun den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bekommt, d. h. wer einmal als Aushilfe oder in der Zwischenzeit in irgendeiner Scheinbeschäftigung oder in einem Gefälligkeitsarbeitsverhältnis gestanden hat, kann, wenn er geschickt ist, auf Lebenszeit - wir kommen bei anderen Paragraphen noch darauf - die Arbeitslosenhilfe erhalten.
({2})
Auf Grund dieser Bedenken werden wir sowohl den Änderungsantrag wie auch den § 141 a ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich leider genötigt, auf die Ausführungen von Frau Kalinke zu antworten. Frau Kollegin Kalinke, zunächst ist es unberechtigt, hier davon zu reden, daß diese Dinge im Ausschuß nicht ausreichend geprüft worden seien.
({0})
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß wir darüber sehr lange beraten haben. Wir hatten leider nicht allzu oft das Vergnügen, Sie dabei zu haben, obwohl Sie dem Ausschuß als Mitglied angehören.
({1})
Es wäre mir sehr viel sympathischer gewesen, Sie hätten dort Ihre Bedenken in ausreichendem Maße vorgetragen.
({2})
Ich möchte allerdings sagen, daß ich auch Ihren Bedenken nicht zustimmen kann. Frau Kollegin Kalinke, es ist bei Gott nicht so, daß die Regelung für Süddeutschland besser wäre. Ich darf darauf hinweisen, daß gerade unsere bayerischen Kollegen seit Jahren immer wieder verlangt haben, ihre an sich schlechtere Regelung bezüglich der Anwartschaftsvoraussetzungen zu verbessern und auf sie ein Recht Anwendung finden zu lassen, das in den anderen Ländern gegeben ist.
Frau Kollegin Kalinke, Sie sagen: Hier wird ein Personenkreis der Arbeitslosenfürsorge unterstellt, der an sich nicht dahin gehört, der nicht aus Arbeitnehmern besteht. Es muß auf folgendes verwiesen werden. Bisher war es ja weithin so - nicht in allen Ländern -, daß ausreichte, daß der einzelne sich dem Arbeitsamt meldete, also als Arbeitnehmer zur Verfügung stand; es mußten die
({3})
übrigen Voraussetzungen - Arbeitsfähigkeit. Arbeitswilligkeit - gegeben sein. Auch jetzt ist nach dieser Regelung Voraussetzung, daß derjenige, der Unterstützung beansprucht, ernsthaft den Willen hat, in Arbeit zu treten. Es gibt aber Fälle, in denen eine vorhergehende Arbeitnehmereigenschaft nicht nachgewiesen werden kann. Das gilt auch für die Hochschüler, die Sie anführten. Der vorgeschlagene Gesetzentwurf sagt: Eine abgeschlossene oder endgültig aufgegebene Ausbildung auf Hoch- oder anerkannten Fachschulen steht einer Beschäftigung als Arbeitnehmer gleich. Das heißt: Wenn der einzelne von einer Hoch- oder Fachschule kommt und dann arbeitslos ist - es ist ja tatsächlich zumeist anzunehmen, daß sein künftiges Verhältnis ein Arbeitnehmerverhältnis ist -, dann kann auch er Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erheben, wenn die Voraussetzungen gegeben sind.
Wir haben uns dann noch darüber unterhalten, wie die Dinge praktiziert werden sollten, wenn beispielsweise ein bisher Selbständiger seine selbständige Tätigkeit aufgibt, um als Arbeitnehmer tätig sein zu können. Auch da sind entsprechende Sicherungen eingebaut.
Ich möchte also meinen, daß die Bedenken der Frau Kollegin Kalinke nicht berechtigt sind, und ich möchte bitten, dem vorliegenden Entwurf in der Ausschußfassung die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich stelle richtig: Ich habe dem Herrn Kollegen Sabel nicht vorgeworfen, daß er das im Ausschuß nicht gründlich diskutiert hat, sondern nur, daß er es im Plenum nicht erwähnte und beanspruche für mich, daß ich, wenn ich auch wegen meiner Teilnahme an den Sitzungen des Sozialpolitischen Ausschusses verhindert war, regelmäßig da zu sein, doch die Probleme dieses Gesetzes sehr gründlich erkannt habe, und ich habe bei meinen Anwesenheiten im Ausschuß auch darauf hingewiesen.
Ich bitte, da ich jetzt den Antrag nicht in die Drucksachenabteilung geben kann, dem Herrn Präsidenten auf einem Handzettel den Antrag hinaufreichen zu dürfen, und schlage vor: in § 141 a Abs. 1 Ziffer 4 Buchst. b die Worte „zehn Wochen" durch „zwanzig Wochen" zu ersetzen, also den alten Vorschlag der Regierung einzusetzen, daß Anspruch hat, wer mindestens 20 Wochen in entlohnter, aber nicht nur gelegentlicher oder geringfügiger Beschäftigung war. Ich wiederhole: im ersten Satz des § 141 a Abs. 1 Ziffer 4 Buchst. b ist statt „zehn" „zwanzig" zu setzen.
Ich beantrage weiter, den letzten Satz desselben Absatzes - § 141 a Abs. 1 Ziffer 4 Buchst. b -: „Eine abgeschlossene oder endgültig aufgegebene Ausbildung auf Hoch- oder anerkannten Fachschulen steht einer Beschäftigung als Arbeitnehmer gleich", zu streichen. Eine Kollegin aus dem süddeutschen Raum, die der CDU angehört und die aus ihrer fachlichen Erfahrung sehr viel dazu zu sagen hat, hat uns im Ausschuß darauf aufmerksam gemacht, daß in ihrem Land sogar Handelsschulen, die nicht voll besetzt sind, mehr Schüler annehmen, als sie überhaupt verkraften können, und daß diese Schüler, die dann die Handelsschulausbildung abbrechen, weil sie entweder unfähig oder unlustig sind, dann Anspruch auf Arbeitslosenhilfe hätten. Das gilt auch für die Fachschüler und die Studenten. Diese Beispiele könnten wir um viele vermehren. Ich halte es für ganz unmöglich, daß dieser Personenkreis aus der Solidarhaftung aller Steuerzahler einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bekommt, und wäre allen verantwortungsbewußten Kollegen und Kolleginnen dankbar, wenn sie dieser Streichung zustimmten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich muß sagen, daß ich nach den Beratungen im Ausschuß die Ausführungen von Frau Kalinke außerordentlich bedaure. Wir haben uns im Ausschuß eingehend über das Problem der Arbeitslosigkeit, wie wir es auch heute noch in weiten Teilen unserer Bundesrepublik haben, unterhalten. Wir haben dabei festgestellt, daß es auf der einen Seite trotz aller Bemühungen schon ungeheuer schwierig ist, in Gebieten wie Berlin, in, sagen wir, Schleswig-Holstein, in Grenzgebieten der Zone usw., zehn Wochen Arbeit im letzten Jahr nachzuweisen. Der § 141 c baut ja ganz besonders solchen Fällen vor, wo der einzelne sich um Arbeit gar nicht ernsthaft bemüht, Frau Kollegin Kalinke. Dieser § 141 c müßte eigentlich alle Ihre Bedenken ausräumen.
Aber Frau Kalinke spricht hier von Personen, die die Solidarhaftung nur einfach ausnutzen, die gar nicht ernsthaft arbeiten wollen, sie spricht weiterhin von Renten auf Lebensdauer. Da möchte ich Sie, Frau Kollegin Kalinke, doch bitten: Kommen Sie doch einmal in die Gebiete, wo ganz besonders unsere Geschlechtsgenossinnen, die Frauen, die älteren Frauen - und das sind heute schon die 40jährigen - arbeitslos sind und sich um Arbeit bemühen! Gerade gestern habe ich einen Brief von einer solchen Berlinerin bekommen, die mir sieben verschiedene Ablehnungen schickte, immer mit der Begründung, daß sie zu alt sei; dabei hat sie die blendendsten Zeugnisse. Ich glaube, daß, wenn wir uns das überlegen, solche Ausführungen wirklich nicht am Platze sind.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
({0})
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bitte die Frau Kollegin Schroeder darauf hinweisen zu dürfen, daß nach den Übergangsbestimmungen die Möglichkeit gegeben ist. die besonderen Belange Berlins zu berücksichtigen und die Tatbestände, auf die ich hingewiesen habe, - ({0})
- Hoffentlich nicht länger, als es notwendig ist, denn wir alle wünschen, daß in Berlin
({1})
der erfreuliche Fortschritt in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,
({2})
der nicht allein Ihrer Politik in Berlin zu verdanken ist, sich fortsetzt.
({3})
Meine Damen und Herren, im Augenblick liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich darf damit zur Abstimmung kommen.
Es liegen vor ein Änderungsantrag der Frau Abgeordneten Kalinke zu § 141 a Ziffer 4 Buchstabe b und ein Antrag der Kollegen Dr. Bürkel, Sabel, die eine Einfügung nach dem Buchstaben b wünschen. Demgemäß muß ich zunächst über den Antrag der Frau Abgeordneten Kalinke abstimmen lassen. Nach diesem Antrag soll es - ich wiederhole - in § 141 a Ziffer 4 Buchstabe b statt „zehn Wochen" heißen „mindestens zwanzig Wochen". Außerdem soll der letzte Satz gestrichen werden. Wer diesem Antrag der Frau Abgeordneten Kalinke zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zum Umdruck 534*), zum Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Bürkel, Sabel, Engelbrecht-Greve und Genossen, in § 141 a Abs. 1 Nr. 4 hinter Buchstabe b einen neuen Satz, der Ihnen vorliegt, einzufügen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen.
Ich lasse nunmehr über § 141 a in der soeben geänderten Form abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
- Das war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 141 b auf. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wer dem aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe § 141 c auf, dazu den Umdruck 549**), Antrag der Fraktion der DP. Ich weiß nicht, ob er bereits verteilt ist.
({0})
- Noch nicht verteilt. - Zur Begründung Frau Abgeordnete Kalinke!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Frau Kollegin Schroeder hat meine Ausführungen hinsichtlich der Dauerrente beanstandet. In § 141 c Abs. 2 sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Arbeitslosenhilfe in Zukunft eine Dauerrente bedeuten wird.
Ich verwahre mich dagegen, wenn in der Diskussion so bedeutungsvolle Probleme mit gefühlsmäßigen Appellen so dargestellt werden, als wolle etwa der eine den Arbeitslosen weniger geben und der andere mehr. Ich kann mir vorstellen, daß einem Dauerarbeitslosen, der nicht mehr zu vermitteln ist oder der krank ist, mit einer Rente, sei es einer Rente auf Zeit oder einer auf Dauer, sei es mit einem Rehabilitierungsverfahren oder sei es mit einer Fortzahlung des Lohns bis zu seiner Gesundung, unter Umständen mehr gedient werden kann als mit dieser Vorwegnahme der Reform durch Schaffung einer Dauerarbeitslosenhilferente. Diese Dauerarbeitslosenhilferente begründen Sie, meine Herren und Damen, wenn Sie § 141 c Abs. 2 der Ausschußvorlage zustimmen. Es heißt darin - ich sage es für diejenigen, die es nicht gelesen haben sollten -:
*) Siehe Anlage 3.
**) Siehe Anlage 8.
Eine Unterstützungsdauer von 156 Wochen - das sind drei Jahre kann die Vermutung begründen, daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht. Der Arbeitslose hat auf Verlangen nachzuweisen, daß er sich ernstlich bemüht hat, Arbeit zu finden.
Das heißt in einfachem Deutsch: Diejenigen, die es vorgeschlagen haben und beschließen wollen, meinen, daß man nach drei Jahren Arbeitslosenhilfezahlung, denen ein halbes Jahr Arbeitslosenversicherungsunterstützung vorangegangen ist, also nach zusammen dreieinhalb Jahren, beim Arbeitsamt, das das Gesetz durchführen muß, vermuten oder merken könnte, daß der Betreffende dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen kann.
Während bisher die Nachweispflicht, die Beweislast beim Arbeitsamt lag, liegt sie jetzt beim Unterstützungsempfänger. Er soll jetzt nachweisen, daß er sich vergeblich bemüht hat.
Ich glaube, wir alle würden unseren Beamten und Angestellten bei der Arbeitsverwaltung ein schlechtes Lob spenden, wenn wir dem Paragraphen zustimmen würden. Damit würden wir unterstellen, daß sie wirklich dreieinhalb Jahre brauchen, um das festzustellen. An Stelle der drei Jahre reichen 52 Wochen genau aus. 52 Wochen haben wir zur Zeit als Höchstzeit der Unterstützung in den Höchstfällen der Krankengeldzahlung. Wir haben 52 Wochen, plus 26 Wochen in der Arbeitslosenversicherung; das wären insgesamt ein und ein halbes Jahr.
Im Zusammenhang mit der Reform sollte nach meiner Auffassung die Frage gestellt werden: In welchem Maße und mit welchen Mitteln ist die Gemeinschaft in der Lage, dem betreffenden Menschen eine Dauerunterstützung zu geben, wenn er nach anderthalb Jahren keinen Arbeitsplatz gefunden hat? In gar keinem Fall aber sollte auf dem Wege über die Arbeitslosenhilfe eine zeitlich unbegrenzte Rente gezahlt werden. Ich bitte daher, unserem Antrag zuzustimmen und an Stelle der 156 Wochen „52 Wochen" zu setzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nicht den Eindruck entstehen lassen, andere Kollegen und Kolleginnen in diesem Hohen Hause beschäftigten sich nicht mit den Problemen der mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterstützungen. Darüber haben wir ausreichend diskutiert. Wir wissen, daß sich jeder, der es mit der Sozialversicherung ernst meint, gegen mißbräuchliche Inanspruchnahme wehren muß. Nun, Frau Kollegin Kalinke, wenn wir diese Formulierung gefunden haben, dann allerdings nicht ohne Grund. Von Frau Kollegin Schroeder ist ja auf die besondere Situation mancher Bezirke hingewiesen worden.
Ich bin mir über die Problematik dieser Bestimmung in Abs. 2 im klaren. Ich glaube aber, sie gibt eine gewisse Möglichkeit zu einem Ansporn, daß nun auch der Arbeitslose selbst wirklich initiativ wird zur Erlangung eines Arbeitsplatzes. Wir dürfen die Dinge unter den heutigen Umständen jedoch nicht überspitzen. Ich möchte deswegen dafür plädieren, es bei der Ausschußformulierung zu belassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich widerspreche dem Antrag der Frau Ka1inke. Wir hatten nicht immer oder, richtiger gesagt, selten den Genuß, sie im Ausschuß zu sehen. Sie hat es damit begründet, daß es ihr nicht immer möglich war zu kommen. Dafür haben wir volles Verständnis. Dann aber dürften wir erwarten, daß sie sich das ganze Gesetz, an dem wir monatelang gearbeitet haben, gründlich durchsieht; sie würde dann zu folgender gründlich kommen.
Wir haben in Deutschland zweierlei Gebiete, Gebiete mit einer Voll- oder Überbeschäftigung und Gebiete mit einer fast vollkommenen Arbeitslosigkeit oder einer geringen Beschäftigung. Im Westen ist das Gefälle so, daß wir von einer langfristigen Arbeitslosigkeit kaum reden können. Das Gesetz hat alle Hürden eingebaut, um den wirklich Arbeitsunlustigen die Möglichkeit zu nehmen, Unterstützungen auf Kosten der Allgemeinheit zu beziehen. Wenn ich dagegen an Berlin, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Oberbayern denke, weiß ich große Gebiete, in denen keine Arbeitsmöglichkeiten vorhanden sind. Es ist zwecklos, Menschen von dort in das Ruhrgebiet zu transportieren, ohne die Familien mitzunehmen. Hier kommt es darauf an, einen echten Ausgleich herbeizuführen.
Man kann aber nicht einseitig dem Arbeitslosen die Beweislast aufbürden. Wenn sich das Arbeitsamt und der Arbeitslose darin einig sind, daß auf Grund der herrschenden Arbeitsmarktlage Möglichkeiten der Arbeitsuche und Arbeitszuweisung nicht gegeben sind, kann man nicht sagen, daß mit 52 Wochen die Arbeitslosigkeit beendet ist; sie ist wirklich nicht beendet, sie besteht nachher weiter. Man würde dann dem Arbeitslosen den immer noch bittereren Weg zum Wohlfahrtsamt zumuten. Dagegen wehren wir uns.
Wir haben uns in langen Verhandlungen darauf geeinigt, daß hier gesagt wird: „Eine Unterstützungsdauer von 156 Wochen kann die Vermutung begründen, daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht." Die Vermutung begründen kann heißt nicht: begründet die Vermutung. Dann heißt es weiter: „Der Arbeitslose hat auf Verlangen nachzuweisen, daß er sich ernstlich bemüht hat, Arbeit zu finden. Dabei ist die Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen", und zwar nicht nur die örtliche, sondern die allgemeine Arbeitsmarktlage. Wenn die Arbeitslosigkeit in diesem Bezirk fortbesteht und das Arbeitsamt keine Möglichkeit hat, dem Arbeitslosen eine Arbeit nachzuweisen, und auch der Arbeitslose selbst keine Möglichkeit sieht, irgendeine Arbeit zu bekommen, dann muß nach meiner Auffassung die Unterstützung weitergezahlt werden.
Ich bitte Sie darum, der Ausschußfassung, die wirklich gründlich überlegt worden ist, zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Ich muß zunächst einmal den Bemerkungen entgegentreten, die hier immer wieder gemacht werden und die den Anschein erwecken, als ob hier nur Abgeordnete sprechen könnten, die an den
Ausschußberatungen von Anfang an bis zum Ende teilgenommen haben.
({0})
- Meine Damen und Herren, das ist doch einfach unmöglich, wenn die Sitzungen verschiedener Ausschüsse immer gleichzeitig stattfinden, nicht wahr, Herr Sabel.
({1})
Es ist einfach unmöglich, an parallel stattfindenden
Ausschußsitzungen teilzunehmen. Das hindert aber
nicht, daß man sich, wie Frau Abgeordnete Kalinke gesagt hat, mit der Materie auch außerhalb des Ausschusses eingehend beschäftigt. Deswegen hat man doch das Recht, auch hier Ausführungen zu machen.
({2})
Meine Damen und Herren, Sie haben aus den Ausführungen von Frau Kalinke gehört, daß es sich hier nicht nur um ein arbeitsmarktpolitisches, sondern auch um ein Wirtschafts- und Landwirtschaftsproblem handelt. Ich möchte die Bundesregierung fragen, was die beiden hierfür zuständigen Minister zu dieser Formulierung sagen. Bedauerlicherweise sind diese beiden Minister nicht anwesend. Ich frage also den Herrn Arbeitsminister, ob er für seine beiden Kollegen eine Erklärung abgeben kann. Sonst würde ich beantragen, diese beiden Minister zu dieser Frage hier zu hören.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Zu den Ausführungen des Kollegen Sabel kann ich nur sagen, daß ich einige begrüße, weil er zugegeben hat, welche Problematik in diesen Paragraphen steckt. Ich finde, wenn man sich des vollen Ernstes und der Problematik bewußt ist, dann sollte man mit dem gleichen Ernst solche Probleme nicht vorab lösen, da sie ohnehin im Raum stehen und da die Dauerarbeitslosigkeit, eines der ernstesten Probleme unserer Zeit, eine Folge des Krieges, das Problem der Heimatvertriebenen und des Elends unserer älteren Angestellten, in keinem Fall wirklich beseitigt wird.
({0})
Geben wir diesem Personenkreis eine Dauerarbeitslosenhilfe und setzen Sie, meine Herren und Damen, an die Stelle des Wortes „Fürsorge" nun das Wort „Hilfe", wie es einige Professoren ja auch vorgeschlagen haben, so ändert das doch nichts an dem Tatbestand, daß die Arbeitslosenhilfe auch in Zukunft eine Fürsorgeleistung sein wird, auch wenn die Voraussetzungen dieser Fürsorgeleistung andere sind als die der individuellen Fürsorge in der öffentlichen Fürsorge. Und, meine Herren und Damen, es hindert auch nichts daran, und Sie sollten es denen, die die Gesetze nicht so genau kennen, nicht verschweigen, daß Sie im Gesetz eine Bedürftigkeitsprüfung haben und daß Sie einen Fragebogen ausgeben.
Wenn das aber so ist, sollte es doch wirklich kein Problem sein, was der Kollege Odenthal - nicht einmal zwischen den Zeilen, sondern sehr deutlich - gesagt hat, dauernd zu desavouieren, was der Staat mit der Gemeinschaft seiner Bürger für diejenigen tut, die Fürsorgeleistungen empfangen wollen und sollen. Ob wir mit Steuermitteln Fürsorge
({1})
über die Arbeitslosenfürsorge, jetzt genannt „Hilfe", oder über die öffentliche Fürsorge geben, bleibt im Endeffekt völlig gleich. Nicht aber bleibt im Effekt gleich, ob Sie den langfristig Arbeitslosen, also insbesondere unseren Heimatvertriebenen und den älteren Angestellten, durch eine Dauerarbeitslosenrente helfen wollen. Dieser Weg ist der schlechteste. Von dem Problem der Heimatvertriebenen sagten Sie, daß es in den Gebieten Norddeutschlands so besonders tragisch ist, während uns die Not der älteren Angestellten in Berlin vor große Schwierigkeiten stellt.
Wir sollten, nachdem so viel von Sozialreform, Rentenreform, Rehabilitierung und neuen Wegen gesprochen wird, diesen Menschen die Freude am Leben geben, indem wir ihnen wirklich Möglichkeiten schaffen, nützlich tätig zu sein. Dabei sollten wir aber nach anderen Wegen, nach besseren Möglichkeiten suchen und nicht glauben, dieses Problem mit einer Dauerarbeitslosenrente lösen zu können.
Ich möchte auch zur Aufklärung von Mißverständnissen sagen, daß es die Meinung des Arbeitsministers war - sein Vertreter hat im Ausschuß darauf hingewiesen -, daß durchaus nicht a 11 e Alfu-Empfänger langfristig arbeitslos sind, sondern daß es nur ein bestimmter Ausschnitt ist. Es gilt, für diese Gruppen von Alfu-Empfängern Wege zu suchen, wobei gar nicht die Konsequenz zu sein braucht, sie nun von der öffentlichen Fürsorge auf die Arbeitslosenfürsorge zu schieben und umgekehrt, damit die Kostenträger es gegenseitig abwälzen und damit der arme Mensch von einer Stelle zur anderen laufen muß, sondern es muß überlegt werden, daß sich bei einer Reform die Dinge sinnvoll aneinanderfügen.
Meine Damen und Herren, wie stellen Sie sich denn die Sozialreform vor, wenn wir bei jedem einzelnen Gesetz, das wir machen, die Möglichkeit der endgültigen und sinnvollen Lösung dieser Probleme verschließen?
({2})
- Ich muß leider so laut sprechen, weil Sie sich unterhalten und weil Ihnen die Probleme der Arbeitslosen anscheinend nur im Wahlkampf interessant sind.
({3})
Im Wahlkampf, meine Herren von der SPD, da sind Sie die Verteidiger der Ärmsten der Armen. Hier sind Sie nicht bereit, ernsthaft zu diskutieren in Fragen, die diese Menschen angehen.
({4})
Es würde Ihnen besser anstehen, diese Probleme der Reform mit dem Ernst, mit dem Sie immer die Sozialreform fordern, hier zu diskutieren.
({5})
Das pflegt man in der Regel mit Sachverstand zu tun, nicht nur im Ausschuß und nicht aber mit Geschrei.
({6})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Atzenroth hat mich persönlich angesprochen, und ich bin gerne bereit, ihm die Antwort zu geben, die
er wohl gewünscht hat. Er sagte: die besonders interessierten Minister des Kabinetts. Er meinte damit wahrscheinlich den Herrn Wirtschaftsminister und den Herrn Landwirtschaftsminister. Sie sind beide mit mir der Meinung, daß man die Mißstände im Bezug von Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosenunterstützung nur mit den Paragraphen bekämpfen kann, die klar sagen, daß die beiden Unterstützungsarten nur gegeben werden, wenn der Betreffende, der sie haben will, arbeitsfähig und arbeitswillig ist.
({0})
- Nein, er kann jederzeit, wenn ihm eine zumutbare Arbeit angeboten wird und er diese ablehnt, in eine sogenannte Sperrfrist gebracht werden. Das ist doch letzten Endes das Entscheidende. Ich bin überzeugt, daß wir, wenn in der Zukunft, da wir in einem größeren Umfang als in der Vergangenheit in der Lage sind, Arbeit anzubieten, von diesen gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, in eine gesunde Ordnung kommen. Wir sollten uns meines Erachtens bei der Behandlung dieser Tatbestände nicht allzusehr ereifern. Wir sind in einer Übergangszeit. In den vergangenen Jahren hatten wir den Tatbestand einer überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit. Gott sei Dank haben sich diese Dinge heute für unsere Arbeitslosen wesentlich gebessert, und ich bin der Überzeugung, daß wir, wenn dieser Zustand erhalten werden kann, alle diese Probleme, über die wir uns heute vielleicht noch streiten können, als überlebt ansehen werden.
({1})
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich nehme an, daß der Umdruck 549 inzwischen verteilt ist.
({0})
- Das ist der Fall.
Dann lasse ich abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der Deutschen Partei auf Umdruck 549*) Ziffer 1. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über § 141 c in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 141 d mit dem Umdruck 541**) Ziffer 1. Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Sabel.
Meine Damen und Herren! Ich hätte am liebsten zunächst einmal die Begründung der Antragsteller abgewartet. Da eine Begründung des Antrags nicht erfolgt, möchte ich zur Klarstellung auf folgendes verweisen.
§ 141 d regelt die Errechnung der Hauptunterstützung nach dem Bemessungsentgelt. In Abs. 1 Nr. 1 und 2 sind die allgemein geltenden Regeln festgelegt. Der Abs. 3 will nur die Fälle regeln, in denen Abs. 1 nicht angewandt werden kann. Hier soll dem Bemessungsentgelt das tarifliche oder ortsübliche Arbeitsentgelt zugrunde gelegt werden, das für den Antragsteller in Frage kommt. Hier ist die Formulierung „unbillig hart" gewählt worden. Der Antrag Umdruck 541 Ziffer 1 will das Wort „hart" gestrichen haben. Die verschärfte Form „unbillig
*) Siehe Anlage 8.
**) Siehe Anlage 5.
({0})
hart" war gewollt, um deutlich zu machen, daß eine Abweichung von dem allgemeinen Errechnungsmodus nur in Ausnahmefällen ermöglicht werden soll. Ich glaube, daß wir aus diesen Gründen die Formulierung beibehalten sollten.
Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage, die hier gestellt ist, hat keine allzugroße Bedeutung. Im Grundsatz wissen wir, daß das Wort „unbillig hart" im Sprachgebrauch nicht üblich ist. Vielleicht wäre für den Personenkreis, der langfristig arbeitslos ist, die Bezeichnung „unbillige Härte" angemessen gewesen. Wir haben uns aber überlegt, ob nicht in der Wortstellung „unbillig hart" eine Schärfe liegt, die vielleicht nicht angemessen wäre. Daher schlagen wir vor, das Wort „hart" zu streichen und lediglich „unbillig" stehen zu lassen.
Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen. Es geht nur um die Frage, ob man hier die Worte „unbillig hart" neu in den Sprachgebrauch der Gesetzgebung hineinbringen will. Ich sehe bei dieser Gesetzesbestimmung, bei der es um die langfristig Arbeitslosen geht, die unter besonderer Not leiden, keinen Anlaß, das bisher übliche Wort durch „unbillig hart" zu ersetzen. Ich beantrage deshalb, das Wort „hart" zu streichen.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 541 Ziffer 1*). Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. -
Ich lasse die Abstimmung wiederholen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den § 141 d in der Ausschußfassung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den § 141 e, dazu die Änderungsanträge Umdruck 549**) Ziffern 2 und 3, Umdruck 544***) Ziffern 1 und 2 und Umdruck 534****) Ziffer 2.
Wird das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Auftrag, im Namen der Fraktion der CDU/CSU den Änderungsantrag Umdruck 544 ***) einzubringen und zu begründen.
Mit den Absätzen 3 und 5 des § 141 e soll dem Anliegen Rechnung getragen werden, daß diejenigen Personen, welche wie Ehepaare zusammenleben, obwohl sie nach Recht und Gesetz keine solchen sind, nicht günstiger gestellt werden als das rechtmäßig getraute Ehepaar. Dieses Anliegen anerkennt die Fraktion der CDU/CSU in vollem Umfange. Wir haben hierzu einen Änderungsantrag einge-
*) Siehe Anlage 5. **) Siehe Anlage 8. ***) Siehe Anlage 6. ****) Siehe Anlage 3.
bracht, weil der Gesetzestext den landläufig gewordenen Begriff der „Onkelehe" oder, wie sie hier genannt wird, die „eheähnliche Gemeinschaft" in einem Atemzug mit der rechtmäßig geschlossenen Ehe nennt. Wenn auch vom Gesetzgeber nicht gewollt, so wird doch der Eindruck erweckt, als werde diese Art des Zusammenlebens in gewissem Umfang legalisiert. Die Begründung, die der Ausschuß seiner Fassung mitgegeben hat, geht nicht mit dem Gesetz hinaus, und das, was wir uns im Ausschuß darüber gedacht haben, wird draußen nicht bekannt. Diese Gefahr einer falsch verstandenen und vom Gesetzgeber nicht gewollten Auffassung wird auch noch dadurch verstärkt, daß die Formulierung „eheähnliche Gemeinschaft" gebraucht wird. Aus unserer sittlichen und religiösen Überzeugung heraus können wir einem solchen Begriff, der damit das erstemal Eingang in ein Bundesgesetz finden würde, unsere Zustimmung nicht geben. Es gibt nach unserer Auffassung keine „eheähnliche Gemeinschaft", die ein Zwischending darstellt, sondern es gibt nur die wirkliche Ehe, wie wir sie aus unseren sittlichen und religiösen Grundsätzen heraus kennen und wie sie auch allein vom Gesetzgeber anerkannt wird. Außerdem steht die Ehe nach dem Grundgesetz unter dem Schutz des Staates.
Unser Antrag sieht daher eine Trennung der Begriffe in Abs. 3 Satz 1 vor und stellt das Anliegen selbst in einen besonderen Satz am Schluß dieses Abs. 3. Entsprechendes müßte dann natürlich auch bei Abs. 5 geschehen. Auch hierzu enthält unser Antrag eine Formulierung. Dadurch ist eine klare Trennung der Begriffe gegeben. Gleichzeitig wird durch unsern Antrag einem Mißverständnis des Gesetzes in diesem Punkt vorgebeugt. Wir bitten das Hohe Haus, dem Antrag Umdruck 544 seine Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! In den monatelangen Beratungen haben wir gerade den § 141 e sehr gründlich durchgearbeitet. Wir vertraten zunächst die Auffassung, daß jeder Arbeitnehmer aus seinem Arbeitnehmerverhältnis einen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung oder in diesem Fall auf Arbeitslosenfürsorgeunterstützung hat. Wir sahen, daß wir mit dieser Auffassung nicht durchkamen in dem Fall, wo zwei Menschen in einer Ehe oder in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben. Es entstand dann eine lange Unterhaltung darüber, was eine eheähnliche Gemeinschaft ist. Wir kamen fast übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß wir für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft eine Hausund Wirtschaftsgemeinschaft voraussetzten, die nicht allein zwei Fremde umfassen soll, sondern auch bei älteren Schwestern usw. vorliegen kann. Ich mag die Dinge nicht weiterspinnen.
Aber wenn wir diesen Begriff verlassen sollten, dann müßte zunächst die Frage der Onkelehe gelöst werden. Solange der Gesetzgeber nicht den Mut hat, hier eine Ordnung zu schaffen, daß für die Zeit der Verheiratung die Unterstützung eines der beiden Teile ruht und später wiederaufleben kann, oder eine ähnliche Regelung, eine Abfindung vorsieht, solange sollten wir hier von der Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft ausgehen.
Wohin kommen wir aber, meine Damen und Herren, wenn wir hier der Gesinnungsschnüffelei Tür und Tor öffnen und prüfen: Was liegt denn außerdem noch vor? Liegen hier die Erfordernisse
A ({0})
vor, daß man sagen könnte, sie leben wirklich wie Eheleute zusammen? Wollen Sie das wirklich? Ich bezweifle es. Wollen Sie den schon sehr starken Apparat der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung noch weiter aufblähen mit einem System à la Metternich, das man in Österreich längst verlassen hat, wo dieser Zustand Rechtsbrauch war? Wir sind der Meinung, wir sollten das nicht tun; wir sollten uns auf das Vorliegen einer Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft einigen, und das umfaßt im Sprachgebrauch die Bezeichnung „eheähnliche Verhältnisse". Wenn wir sagen: sie sollen den Anspruch erst bekommen, wenn sie wie Eheleute zusammenleben, dann möchte ich wissen, wie weit die Gesinnungsschnüffelei geht und wo hier das Ende ist.
Ich möchte das vermieden wissen; denn daran hat keiner von uns ein wirkliches Interesse. Darum stimme ich der Auffassung des Ausschusses zu und bitte auch Sie, der Vorlage des Ausschusses zuzustimmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das Parlament sollte den Mut haben, auch die heißen Eisen unserer Zeit anzupacken. Auch an dieser Frage zeigt sich wieder, wie richtig meine anfangs geäußerte Meinung war, daß man solche Probleme nicht aus dem Zusammenhang der sozialen Fragen unserer Zeit lösen kann. Es ist zweifelsohne richtig, was der Kollege Odenthal gesagt hat: daß das Problem weniger groß wäre - und damit bestätigte er meine Ausführungen -, »wenn sich die Leistungen nur auf Arbeitnehmer bezögen. Wenn aber der Arbeitnehmer entweder auf Grund seiner Steuern oder auf Grund seiner Beiträge, zu denen er zwangsweise verpflichtet ist, einen Rechtsanspruch hat, dann muß ich mich ganz entschieden dagegen verwahren, daß dieser Anspruch der Arbeitnehmer in der vorgesehenen Form begrenzt wird.
Sie, Kollege Odenthal, haben weiter gesagt - und das setzt der ganzen Diskussion neue Lichter auf -, Sie hätten nur eine Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft gemeint. Ich würde mich angesichts der großen Belastung der Frauengeneration unserer Zeit ganz entschieden dagegen wehren, wenn Sie unter einer solchen Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft das Zusammenleben einer berufstätigen Frau mit ihrer alten Mutter, mit ihrer Schwester und ihrem Bruder oder das Zusammenleben von Verwitweten verstünden und praktisch damit belasteten, daß Sie untersuchten, wie die einzelnen Voraussetzungen sind, soweit es sich um die Versicherungsleistungen handelt.
Was aber die Fürsorge angeht, Herr Odenthal, so muß allerdings der Steuerzahler und die Gemeinschaft fordern, daß, wer aus den Mitteln der Fürsorge Hilfe haben will, auch seine Verhältnisse darlegen muß. In der Darstellung, die uns der zweite Teil der L-Statistik geben wird, werden wir Bemerkenswertes darüber erfahren, wie in Deutschland Sozialleistungsempfänger in Wirklichkeit leben. Erst wenn wir das sehr genau wissen, werden wir über die künftigen Probleme, sei es der Onkelehen, wie man sie nennt, sei es der „Haus- und Wirtschaftsgemeinschaften", anders denken und dann auch echte und bessere Lösungen suchen und finden müssen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Frau Abgeordnete Schroeder!
Frau Abgeordnete Kalinke, Sie haben gesagt, Sie wehrten sich dagegen, daß die berufstätigen Frauen noch stärker belastet würden. Wenn eine berufstätige Frau mit ihrer Mutter zusammenlebt und diese Mutter von ihrer Arbeit ernährt, wollen Sie diese Frau anders behandeln als z. B. einen Mann, der seine Frau von seiner Arbeit miternährt?
Nein, die will ich keineswegs anders behandeln. Ich will sie aber auch nicht bestrafen. Ich will versuchen, das falsche Denken aufzuzeigen, das sich daraus ergibt, daß man es Gesinnungsschnüffelei nennt, wenn man die wirtschaftlichen Voraussetzungen da prüft, wo Menschen zusammenleben. Ich wollte auf die unterschiedliche Situation, Belastung und auf die unterschiedlichen Rechtsansprüche der Beteiligten hinweisen. Ich würde mich dagegen wehren, wenn jemand der Meinung wäre, der Staat müsse für meine Mutter sorgen. Ich würde das als meine Verpflichtung ansehen, und ich weiß, daß das unendlich viele Frauen genau so tun.
Es handelt sich aber doch um Arbeitslose. Da können Sie es nicht mehr als ihre Verpflichtung ansehen.
Ich halte es für richtig, daß die Arbeitslosen, wenn sie nicht Arbeitslosenversicherungsleistungen, sondern Arbeitslosenfürsorgeleistungen bekommen, in dem Bogen, der ihnen vorgelegt wird, ausfüllen müssen, was ihre Verwandten, mit denen sie zusammenleben, an Einkommen haben. Das versteht sich doch von selbst. Wenn ich etwas von Ihnen aus Ihrer Tasche haben will, dann muß ich auch so ehrlich sein und sagen, was ich selbst habe, auch wenn Sie, Herr Richter, abwinken. Wenn es aus Ihrer Tasche geht, Herr Richter, werden Sie auch Ihrem besten Genossen sagen: Wozu brauchst du das, und sag mal, mein Junge, warum willst du das von mir, du hast doch noch das und das und eventuell eine sehr wohlhabende Familie. Wir sollten den Mut haben, über die Grundsätze der subsidiären Hilfe in aller Offenheit zu sprechen. Es ist heute offenbar so weit gekommen, daß derjenige verfemt ist, der den Mut hat, darauf hinzuweisen, daß Fürsorgeleistungen vom Steuerzahler gezahlt werden müssen und daß es sehr oft die Ärmsten der Armen sind - Sie sprechen ja immer von ihnen, und auch ich möchte gerade die Armen schützen -, die diese Steuern Pfennig für Pfennig aufbringen müssen.
Ich bin mit Herrn Kollegen Odenthal einig, daß der Antrag der CDU genau zu dem führt, was wir alle nicht wollen, nämlich zu der Schnüffelei, ob es sich wirklich nur um eine Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft handelt. Das Wort „Gesinnung" ist dabei falsch; denn mit Gesinnung hat das sehr wenig zu tun. Es handelt sich um eine Schnüffelei nach der Form des Zusammenlebens der Menschen, und diese Schnüffelei halte ich allerdings wirklich für unannehmbar und für praktisch unlösbar. Sie müßten dann, wenn Sie das bejahten - ich bejahe den CDU-Antrag nicht -, bei der Arbeitsverwal({0})
tung einen Fürsorgeapparat aufbauen, wie ihn die individuelle Fürsorge hat. Es würde aber dann nicht genügen, am Tag in die Wohnungen zu gehen, sondern man müßte wahrscheinlich auch noch Nachtwachen einstellen, die nun diese Schnüffelei bis ins letzte fortsetzen. Ich glaube, daß wir uns so weit im Perfektionismus der Fürsorge nicht versteigen sollten, auch dann nicht, wenn wir um die Moral in unserer Zeit besorgt sind. Die Moral ist in unserer Zeit weniger von den Ärmsten der Armen bedroht, die zusammenleben, weil die Rente oder die Unterstützung nicht ausreicht, um zwei Wohnungen zu haben. Die Moral ist sehr viel mehr von ganz anderen Leuten bedroht, die trotz größerer Mittel nicht in der Lage sind, mit den Problemen ihres eigenen Lebens und denen der Umwelt fertig zu werden.
Ich glaube also, daß der Vorschlag der CDU ebenso wie der Vorschlag, der in der Vorlage des Ausschusses gemacht worden ist, schlecht ist. Hier im Parlament ist er Ihnen, meine Kollegen und Kolleginnen - die Ausschußvorlage -, damit liebgemacht worden, daß man sagte, man spare Geld. Morgen wird er Ihnen sehr unlieb sein; denn morgen wird das Problem der wilden Ehe mit ihren Rechtsansprüchen, wenn es einmal auf einem Umweg in der Gesetzgebung verankert worden ist, auch bei anderen Reformfragen auftauchen. Dann werden Sie nicht in der Lage sein, es anders zu behandeln als hier.
Wir sollten den Grundsatz beibehalten, daß, wer einen Rechtsanspruch in der Versicherung auf Grund seiner Versicherungsbeiträge erworben hat, auf Grund der Tatbestände eine entsprechende Leistung ohne individuelle Prüfung erhält. In der Fürsorge sollte dagegen ein solcher Anspruch nur nach individueller Prüfung und nach Darlegung der Verhältnisse gewährt werden. Diese Darlegung kann sich natürlich nur auf die wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen.
Ich bitte, die unmögliche Bezeichnung der Vorlage: „eheähnliche Gemeinschaft" zu streichen. Meine Freunde werden auch den Antrag der CDU in seinem zweiten Teil ablehnen, an die Stelle der Bezeichnung „eheähnliche Gemeinschaft" eine Bestimmung zu setzen, wonach das Arbeitsamt zu prüfen hat, ob diejenigen, die dort Hilfe beantragen, wie Ehepaare zusammenleben. Wir halten dieses Prinzip für unmöglich, für nicht durchführbar und mit unserer Auffassung nicht vereinbar.
({1})
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das Wort hat der Abgeordnete Jahn ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir halten es nicht für richtig, von einer Gesinnungsschnüffelei zu reden, und zwar einfach deshalb, weil es sich bei der Ehe um eine rechtmäßig geschlossene Gemeinschaft handelt, bei der gesetzliche Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Wenn man von Schnüffelei spricht, dann müßte man den Begriff „eheähnliche Gemeinschaft" auch in der Fürsorge abschaffen, wo er tatsächlich eine Rolle spielt. Man kann nicht eine Sache einerseits in der Fürsorge tun und andererseits in der Gesetzgebung unterlassen.
Ich habe den Auftrag, im Namen der Fraktion der CDU/CSU die Ziffer 1 unseres Antrags Umdruck 544 dahin abzuändern, daß es im zweiten
Halbsatz lauten soll: „Entsprechendes gilt für Personen, die in Wirtschaftsgemeinschaft leben, als ob sie Eheleute wären." Das wäre dann ein Entgegenkommen gegenüber dem Anliegen, hier nur von einer „Wirtschaftsgemeinschaft" zu reden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, die Dinge werden immer verworrener. Darf ich Ihnen einmal sagen, was sich eigentlich der Ausschuß darunter vorgestellt hat. Ich glaube, hier werden Dinge hineinkompliziert, die an sich gar nicht zur Diskussion gestanden haben. Es ging einzig und allein darum, daß Personen, die, ohne verheiratet zu sein, zusammenleben, als ob sie verheiratet wären, nun nicht bessergestellt sein sollten als Eheleute. Wir haben uns lange über eine brauchbare Formulierung unterhalten. Wir haben dabei festgestellt, daß es gar nicht so einfach ist, eine Formulierung zu finden, die all dem entspricht, was vorgetragen wurde. Aber ich kann Ihnen von mir aus nur sagen: was bisher an Änderungsvorschlägen gemacht worden ist, ist bei Gott nicht besser als die Ausschußfassung. Deshalb würde ich empfehlen, bei der Ausschußfassung zu bleiben.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht.
Ich komme zur Abstimmung. Ich lasse zuerst abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der DP auf Umdruck 549*) unter Ziffer 2. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 544**) unter Ziffer 1 in der von Herrn Abgeordneten Jahn geänderten Form. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Bürkel, Sabel, Engelbrecht-Greve auf Umdruck 534***) unter Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist nicht klar. Ich bitte die Damen und Herren, die zuzustimmen wünschen, sich von den Plätzen zu erheben.
({0})
- Ich bitte, Platz zu nehmen. Wenn Sie meinen, daß ein Irrtum vorliegt, so erteile ich Ihnen das Wort zur Geschäftsordnung, Herr Abgeordneter Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, daß im Hohen Haus dieser Antrag noch in Zusammenhang gebracht wird mit der Diskussion, die wir eben hat-
*) Siehe Anlage 8. **) siehe Anlage 6. ***) Siehe Anlage 3.
({0})
ten. Der Antrag Umdruck 534 Ziffer 2 hat aber damit gar nichts zu tun. Es handelt sich um ein ganz neues Problem. Ich habe nur geglaubt, zur Begründung nichts zu sagen zu brauchen. Wenn Sie gestatten, Herr Präsident, will ich das jetzt tun.
({1})
Der Herr Abgeordneter Sabel hat zur Geschäftsordnung festgestellt, daß er meint, es liege ein Irrtum vor. Wenn alle einverstanden sind, kann ich ihm das Wort noch geben. Sie können auch noch das Wort haben, Frau Kollegin Kalinke.
({0})
- Ich weiß selber, wie die Dinge stehen. Aber wenn ein Irrtum hier ,im Hause vorgekommen ist und alle gemeinsam den Irrtum berichtigen wollen, dann kann davon abgewichen werden. Widersprechen Sie dem, daß wir die Sache noch einmal klären? - Nein.
Bitte, Herr Abgeordneter Sabel!
Mit Umdruck 534*) wird der Antrag gestellt, in § 141 e Abs. 3 im letzten Satz die Worte „nach § 120" zu streichen. Es handelt sich um folgendes. Aus § 141 e Abs. 3 Satz 3 ergibt sich eine ungerechtfertigte Besserstellung der gemäß § 123 AVAVG freiwillig Weiterversicherten, da auf sie der § 120 AVAVG keine Anwendung
1 findet. Nach § 120 AVAVG wird als Krankengeld der Betrag der Arbeitslosenunterstützung gewährt. Die freiwillig Weiterversicherten erhalten das Krankengeld nach einer vorliegenden Senatsentscheidung auf Grund der freiwilligen Weiterversicherung. Nach § 141 e Abs. 3 Satz 6 würde die gemeinsame Veranlagung der Ehegatten entfallen, wenn einer von ihnen als freiwillig Weiterversicherter erkrankt und Krankengeld bezieht. Das aber ist gegenüber den Ehegatten, von denen einer Anspruch auf Krankengeld nach § 120 AVAVG hat, nicht gerechtfertigt. Um diese Korrektur bitte ich Sie; ich glaube, sie ist vertretbar.
Wird hierzu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich darf jetzt also abstimmen lassen über den Änderungsantrag der Abgeordneten Dr. Bürkel, Engelbrecht-Greve und Sabel, Umdruck 534*) Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der Deutschen Partei, Umdruck 549**) Ziffer 3. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Umdruck 544***) Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 8. **) Siehe Anlage 6.
bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den § 141 e in der geänderten Form. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
({0})
Ich rufe auf den § 141 f. Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich auf die §§ 141 g, - 141 h, - i, -k - und 1411. - Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer den §§ 141 f, g, h, i, k und 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; die Paragraphen sind angenommen.
Ich darf abstimmen lassen über den Art. I als Ganzes. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Art. II, und zwar § 1 mit dem Änderungsantrag auf Umdruck 546*). Wird das Wort gewünscht? - Das Wort zur Begründung des Änderungsantrags Umdruck 546 hat die Frau Abgeordnete Schroeder ({1}).
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich kann mich ganz kurz fassen, nachdem wir vorhin schon auf das Problem der langfristig Arbeitslosen eingegangen sind. Es handelt sich in § 1 Ziffer 2 der Übergangsvorschriften um eine Erleichterung in der Form, daß bis zum Ablauf von sechs Monaten diejenigen, die im letzten Jahre nicht 10 Wochen gearbeitet haben, Unterstützung erhalten sollen. Ich gebe zu: Hier ist an eine kleine Erleichterung gedacht; sie ist aber wirklich nur ganz klein, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß z. B. in Berlin durch die Blockade und nach der Blockade eine außergewöhnliche Arbeitslosigkeit eingetreten ist. Der Herr Arbeitsminister hat vorhin mit Recht auf die gewaltigen Arbeitslosenzahlen nach Kriegsende hingewiesen, und ich gebe gern zu und bin glücklich darüber, daß es Gebiete in Deutschland gibt, in denen diese hohen Ziffern zurückgegangen sind. Aber ich warne davor - und ich habe das in diesen Tagen auch schon im Ausschuß für Arbeit ausgesprochen -, daß wir unsere Gesetzgebungswerke nun schaffen auf der Grundlage der Vollbeschäftigung, die in gewissen Teilen im Westen Deutschlands vielleicht zutrifft. Aus diesem Grunde haben wir, und zwar in Verbindung mit unseren Berliner Freunden sowohl im Senat wie in der Arbeitslosenverwaltung den Antrag gestellt, daß in § 1 Nr. 2, der das Problem betrifft, daß die Arbeitslosen im letzten Jahre nicht 10 Wochen gearbeitet haben, hinzugefügt wird: „es sei denn, daß die sinngemäße Anwendung des § 141 c Abs. 2 . . . die Weiterzahlung bedingt". Nach diesem § 141 c müssen - ich habe schon darauf hingewiesen - die Arbeitslosen nachweisen, daß sie sich selber auch wirklich um Arbeit bemüht haben. Wenn sie das nachweisen können - ich denke, es wäre Sache der Arbeitsämter, diese Kontrolle in allem Ernst vorzunehmen -, dann sehe ich keinen Grund dafür, ihnen die Unterstützung zu nehmen.
*) Siehe Anlage 7.
({0})
Ich darf vielleicht gleich, da ich nun einmal das Wort habe, ein Wort zu dem Antrag sagen, der von meinem Berliner Kollegen Stingl zusammen mit Herrn Sabel gestellt worden ist. Danach sollen die zehn Wochen Arbeit in Berlin nicht in den Lauf des letzten Jahres, sondern in die letzten zwei Jahren fallen. Ich könnte mich über diesen Antrag freuen, wenn nicht die Berliner Verhältnisse - das weiß Herr Stingl ebensogut wie ich, denn auch er war bei den Berliner Besprechungen dabei - so ganz besonders schwierig wären. Es ist gerade für die langfristig Arbeitslosen ungeheuer schwer - trotz unserer ausgedehnten Notstandsarbeit -, nachzuweisen, daß sie in den letzten zwei Jahren diese 10 Wochen gearbeitet haben, besonders wenn sie, sagen wir einmal, das 40. Lebensjahr überschritten haben. Das sind ganz bestimmt nicht die Untüchtigsten, aber es sind gewiß die Bedauernswertesten unter den Arbeitslosen. Ich gebe gern zu: Ihr Antrag würde eine Verbesserung bedeuten. Ich würde mich aber außerordentlich freuen, wenn Sie trotz alledem meinen Antrag annähmen, der dieses Problem wirklich so lösen würde, wie es notwendig ist. Deswegen bitte ich um Annahme dieses Antrags auf Umdruck 546.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Kollegin, es tut mir leid, daß ich Ihnen widersprechen muß. Ihr Änderungsantrag zu diesem Paragraphen wäre notwendig, um unsere Berliner Verpflichtung zu erfüllen. Hier geht es aber darum, daß im Bundesgebiet und in Berlin das einheitliche Recht in der Arbeitslosenhilfe eingeführt wird. Dieses einheitliche Recht würde allerdings - das haben wir nachgewiesen - in Berlin zu ungerechtfertigten Härten führen. Diese ungerechtfertigten Härten, Frau Kollegin Schroeder, die nur für Berlin in Betracht kommen, weil wir in Berlin zur Zeit die Arbeitslosenfürsorgeunterstützung auch für diejenigen bezahlen, die nach 1945 überhaupt einmal Arbeit gehabt haben, wird zumindest - nach den Berichten, die aus Berlin gekommen sind - weitgehend durch unseren Antrag Umdruck 539 ({0}) zu Art. III ausgeräumt. Es ist gerechtfertigt, daß diese Änderung, die insbesondere auf die Berliner Verhältnisse Bezug nimmt, auch in den Bestimmungen, die die Anwendung des Gesetzes in Berlin betreffen, untergebracht wird. Ich darf daher sagen, daß meine Freunde Ihrem Antrag widersprechen werden. Andererseits darf ich damit, Herr Präsident, auch gleichzeitig die Ziffer 2 des Umdrucks 539 ({1})*) - Einfügung einer Ergänzung für Berlin - begründet haben.
Wird weiter ,das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich lasse über den Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Schroeder und Genossen, Umdruck 546**), abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nun über den § 1 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die
*) Siehe Anlage 4.
**) Siehe Anlage 7.
Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 2 mit dem Umdruck 539 ({0}) Ziffer 1 und den Umdruck 541 Ziffer 2 auf. Wird noch das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Sabel!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Umdruck 539*) Ziffer 1
({0})
muß im Zusammenhang mit Umdruck 541, dem Änderungsantrag der SPD, gesehen werden. Hier geht es um die Frage der Mietzuschläge. Es wird gewünscht, daß ein Sonderzuschlag zur Arbeitslosenhilfe in den Fällen gezahlt werden soll, in denen durch den Fortfall der Zuschläge eine Verringerung der bisherigen Gesamtunterstützung eintritt. Das ist das Anliegen des SPD-Antrags. Wir haben gegen den Einbau von Sonderzuschlägen stärkste Bedenken, denn dadurch wird ja die Absicht des Gesetzgebers ignoriert, zu einem einheitlichen Recht zu kommen. Allerdings darf ich sagen, daß die Gewährung von Mietbeihilfen nicht dem System der Arbeitslosenhilfe entspricht. Zweck der Arbeitslosenhilfe ist es, entsprechende Lohnausfälle teilweise auszugleichen. Die Arbeitsämter sind nicht in der Lage, gerade hier Maßnahmen fürsorgerischer Art durchzuführen; sie sind meines Erachtens dazu auch nicht berufen.
Wenn das Argument der Notwendigkeit einer einheitlichen Betreuung wiederholt vorgetragen wurde, so muß ich darauf verweisen, daß dieser Grundsatz schon immer dadurch durchbrochen wird, daß sich eine Gesamthilfe im Rahmen einer im Gesetz festgelegten Auffanggrenze halten muß. Wir haben versucht, einen Ausweg zu finden. Mit unserem Antrag auf Umdruck 539 ({1}) Ziffer 1 wollen wir das Problem dadurch regeln, daß wir die Übergangsfrist verlängern. In § 2 heißt es bisher:
Mietzuschläge und Sonderbeihilfen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes gewährt worden sind, können in Übergangsfällen . . . längstens jedoch für die Dauer von drei Monaten . . . in der bisherigen Höhe weitergewährt werden.
Hier möchten wir vorschlagen, an die Stelle der drei Monate zwölf Monate zu setzen. Damit wird meines Erachtens dem Anliegen Rechnung getragen, und wir erreichen wenigstens einmal diese einheitliche Regelung.
Ich darf darauf hinweisen, daß bis zum Ablauf dieses Zeitraums von zwölf Monaten auch die Arbeiten an der Novelle zum AVAVG abgeschlossen sind. Sie wird bis dahin in Kraft sein; das dürfen wir nach den Vorbereitungen erwarten. Diese Novelle zum AVAVG sieht weitere Korrekturen vor, die dann einen Verzicht auf die Mietbeihilfen rechtfertigen.
Um der Systematik, aber auch um der Einheitlichkeit des Rechts willen möchte ich darum bitten, unserem Antrag zuzustimmen und den Antrag der SPD zu dieser Sache abzulehnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schroeder.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es tut mir außer-
*) Siehe Anlage 4.
({0})
ordentlich leid, daß ich heute nun schon zum dritten Male auf die Sonderlage hinweisen muß, die aber diesmal nicht nur für Berlin, sondern für die gesamte britische Zone besteht. Sowohl in Berlin wie in der britischen Zone wird mit der Alfü ein Mietzuschlag verbunden. Ich habe mir in Berlin vorrechnen lassen, welches die Folgen sind, wenn dieser Mietzuschlag wegfällt. Das bedeutet, daß bei einer großen Zahl von Arbeitslosenfürsorgeempfängern, jetzt also Arbeitslosenhilfeempfängern, überhaupt keine Erhöhung eintritt, aber in einzelnen Fällen noch Ermäßigungen von 3, 4 und 5 DM eintreten. Nun kann man sagen: Ja, dann muß das Sozialamt eintreten. Aber es besteht doch eine Härte ganz besonders da - wir alle kennen diese schwierigen Fälle -, wo die Unterstützungssätze absolut an der unteren Grenze sind. Außerdem wollen die Leute auch nicht extra noch zum Sozialamt gehen, um sich diesen Mietzuschlag zu holen.
Aus diesem Grunde würde das Gesetz, wenn es bei der jetzigen Fassung des § 2 des Art. II bleibt, für eine große Anzahl von Personen in Berlin, aber auch in der britischen Zone, in den Orten, in denen immer noch langfristige Arbeitslosigkeit vorhanden ist - wie Neumünster, Kiel usw. -, statt einer Freude wirklich einen großen Schmerz hervorrufen.
Nun freue ich mich, daß unser Kampf um diese Frage Herrn Sabel veranlaßt hat, eine Verbesserung vorzuschlagen: man will die Übergangszeit von 3 Monaten auf 12 Monate heraufsetzen. Das ist natürlich eine Verbesserung. Ich wiederhole: ich freue mich darüber, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nun auch in der Hoffnung darauf, daß die langfristige Arbeitslosigkeit einmal zurückgeht, den weiteren Schritt täten und sagten: Wir wollen durch einen neuen Stichtag - wir alle kennen den Kummer mit den Stichtagen - nicht neue Härten hervorrufen, sondern wir wollen den Mut haben, zu sagen, daß da, wo eine Ermäßigung der Unterstützung durch den Wegfall des Mietzuschlages eintritt, der Unterschiedsbetrag gewährt werden soll. Ich glaube, das ist wirklich keine allzu große Bitte, die wir hier aussprechen.
({1})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 539 ({0}) *) der Abgeordneten Sabel und Stingl, Ziffer 1. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck 541 **) der Fraktion der SPD, Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich muß die Abstimmung wiederholen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich nochmals um das Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 2 in der Ausschußfassung
({1})
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 5. - ja, Verzeihung - mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 3, - 4, - 5. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich lasse über Art. II im ganzen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Art. III §§ 1, - 2, - 3. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den §§ 1, 2 und 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 4 mit dem Antrag Umdruck 539 ({2}) Ziffer 2. Wird hierzu das Wort gewünscht?
({3})
- Der Antrag ist schon begründet. - Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Ich lasse über den Antrag Umdruck 539 ({4}) Ziffer 2 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich lasse über § 4 mit der nunmehr beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 5 auf. - Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Ich lasse über Art. III im ganzen abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen - Es ist so beschlossen.
Ich lasse über Einleitung und Überschrift abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der zweiten Beratung.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Soviel ich mich erinnern kann, ist das Vorgehen, das wir hier praktiziert haben, in diesem Bundestag zum erstenmal zu verzeichnen. Aus einem großen Gesetzeswerk, das von der Bundesregierung vorgelegt worden ist, ist ein kleiner Komplex herausgenommen und zu einem neuen Gesetz formuliert worden mit der Absicht - so vermute ich -, dieses Gesetz später wieder mit dem großen Werk zu vereinigen. Diese Ausnahmeregelung hätte nur dann einen Sinn haben können, wenn es sich um besonders dringliche Angelegenheiten gehandelt hätte. Ich bestreite, daß das hier der Fall war.
Meine Damen und Herren, ich glaube dem Herrn Bundesfinanzminister sagen zu müssen, daß hier der Kuchen angeschnitten wird, der in der Presse in letzter Zeit ständig präsentiert wird. Man wird dagegen einwenden: 60 bis 65 Millionen DM pro Jahr, wie der Haushaltsausschuß festgestellt hat, sind zu vertragen, und es bleibt noch immer genug von dem Kuchen übrig, womit vielleicht auch noch andere Interessenten befriedigt werden können.
Frau Kollegin Schroeder hat aber schon darauf hingewiesen, man solle nicht Gesetze für ein oder zwei Jahre machen. Was wir hier verabschieden,
({0})
soll doch eine Regelung für lange Zeit sein. Dann wird wahrscheinlich eine viel größere Zahl als diese 60 oder 65 Millionen entstehen, wenn wir wieder einmal Verhältnisse bekommen, wie wir sie vor fünf oder sechs Jahren hatten; mit dieser Möglichkeit müssen wir unter allen Umständen rechnen. Dann sind das - und diese Mahnung ergeht an den Haushaltsausschuß, der sich die Sache etwas leicht gemacht hat - unabdingbare Lasten, über die nicht mehr neu verhandelt wird; das sind dann Leistungen, die automatisch auf den Haushalt zukommen und auf die ein Rechtsanspruch besteht. Man kann es nicht so abtun: 60 bis 65 Millionen in diesem Haushalt sind ja keine Angelegenheit, über die man sehr lange zu debattieren brauchte.
Wir haben aus den Beratungen der zweiten Lesung gehört, welche Auswirkung dieses Teilgesetz aus dem großen AVAVG außerdem auf die endgültige Regelung der Arbeitslosenversicherung haben wird und haben muß. Es ergeben sich auch hier wieder Zwangsläufigkeiten; an ihnen werden wir nicht vorbeikommen. Was wir hier erhöht, verlängert und hinzugefügt haben, muß sich auswirken - es ist einfach nicht anders möglich; die Beratungen können gehen wie sie wollen - auf das Gebiet der Arbeitslosenversicherung; es wird sich dann dort potenziert auswirken.
Wir halten es auch aus diesem Grunde nach wie vor für einen Fehler, daß man dieses Gesetz vorgezogen hat. Es fehlt die Abstimmung gegenüber dem Hauptgesetz, und es fehlt auch - darauf hat schon Frau Kalinke hingewiesen - die Abstimmung auf das Gesamtproblem der Sozialreform. Auch hier nimmt man einige Dinge heraus, und zwar, wie ich glaube, einseitig; denn mit dem, was in manchem dieser Abschnitte praktiziert wird, begibt man sich auf den Weg zur allgemeinen Staatsbürgerversorgung, und gerade die Kreise der CDU, die grundsätzlich nicht bereit sind, diesen Weg einer Sozialreform zu gehen, sollten es sich noch einmal überlegen, ob sie nicht schon hier einen Schritt tun, den sie nachher nicht mehr zurückgehen können.
Es wäre zweckmäßig und eigentlich logisch gewesen, die Wiederherstellung der Regierungsvorlage zu beantragen. Aber die beiden großen Parteien hatten sich im Ausschuß über diese Regelung geeinigt, und die Bundesregierung hat, wie wir auch vom Herrn Bundesarbeitsminister gehört haben, gegen diese Regelung keine Einwendungen zu erheben. Ich betone das ausdrücklich und werde die Bundesregierung daran erinnern, wenn wir über weitere Fragen der Sozialreform hier sprechen werden; sie kann dann von diesem Wort nicht zurück.
Noch ein Wort. Gestern hat mein Kollege Dr. Becker darauf hingewiesen, wie schwierig das Arbeiten in der Koalition in außenpolitischen Fragen gewesen ist. Hier ist eine Parallele auf der innerpolitischen Ebene. Als die Vorziehung dieses Teils aus dem großen Gesetz im Ausschuß vorgetragen wurde, waren die Koalitionspartner der CDU von diesem Vorgehen überrascht; sie haben gebeten, Koalitionsbesprechungen darüber herbeizuführen. Dieser Wunsch ist abgelehnt worden. Ich betone das ausdrücklich, weil das Verhältnis in der Koalition so häufig falsch dargestellt wird. Hier ist ein konkreter Fall, an dem man nicht vorbeigehen kann.
Meine Damen und Herren, wir sehen in diesem Gesetz eine große Gefahr und werden es daher, so
wie wir es in der zweiten Lesung getan haben, auch in der dritten Lesung ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine kurze Bemerkung zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Atzenroth. Ich glaube, es wird hier übersehen, daß es sich tatsächlich um eine wirklich dringliche Regelung handelt, die schon seit Jahren anstand. Ich darf an verschiedene Anträge von verschiedenen Seiten erinnern, die allerdings seinerzeit zurückgestellt wurden, weil man glaubte, die Novelle zum AVAVG würde diesem Hause schneller vorgelegt werden. Nun, Herr Kollege Atzenroth, wenn Ihre Auffassung richtig wäre, müßte praktisch auch die Arbeit an der Novelle zum AVAVG ausgesetzt werden. Ich glaube, wir sollten uns von dem Gedanken frei machen, daß die Sozialreform in einem Stück verabschiedet werden könnte.
({0})
Ich sehe in der Sozialreform eine Summe verschiedenster Maßnahmen. Sicher, sie sollen aufeinander zugeschnitten sein, es muß eine gewisse Ordnung dabei sein. Aber ich glaube, diese Ordnung ist hier keinesfalls verletzt.
Herr Kollege Atzenroth, ich darf Sie auf folgende Tatsache hinweisen. Die anrechnungsfreien Beträge, die bisher für die Arbeitslosenfürsorge galten, wurden im Jahre 1939 festgelegt; sie sind also seit 17 Jahren nicht korrigiert worden. Nun wissen Sie, daß diese Beträge in einer gewissen Relation zum Lohneinkommen stehen und stehen müssen. Also hier war nun wirklich die Anpassung, die vorgenommen worden ist, unerläßlich, die Anpassung der anrechnungsfreien Beträge entsprechend der Entwicklung. Ich möchte nicht auf die Verhältnisse hinweisen, die sich gerade durch die bisher unzureichende Regelung ergeben haben.
Herr Kollege Atzenroth, wenn Sie meinen, hier werde der Kuchen angeschnitten, von dem man so oft spricht, so möchte ich allerdings dazu bemerken: Es ist ein ganz, ganz kleines Stück von dem Kuchen. Ich möchte fast sagen, man kann eigentlich nicht von Stück reden. Man müßte hier schon von den Kuchenkrümeln reden,
({1})
wenn man das irgendwie darstellen wollte; so kämen wir der Sache wohl näher. Es geht um eine Angelegenheit in einer Größenordnung - sicher! - von 75 Millionen. Aber der Gesamtkuchen wird auch von Ihnen für größer gehalten; Sie können sich also die Größe des Stücks selbst ausrechnen.
Aber, was mich eigentlich veranlaßt hat, hier nochmals zu sprechen, Herr Präsident: Ich möchte den Antrag gleich für die dritte Lesung stellen - hier ist ein Versehen vorgekommen -: Bei § 141 e hat man den Antrag Umdruck 544 - das ist der Antrag Dr. Krone und Fraktion - in Ziffer 1 abgelehnt, hat also die Ausschußfassung wiederhergestellt, der Ziffer 2 aber zugestimmt. Das geht nicht. So etwas kann aber vorkommen, weil nicht jeder hier die Übersicht hat. Wir müssen deshalb die Sache wieder ordnen. Ich möchte also für § 141 e Abs. 5 die Wiederherstellung der Ausschußfassung beantragen.
Das Wort hat der Abgeordnete Odenthal.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Zunächst darf ich mich dem Antrag des Kollegen Sabel anschließen. Die Inkonsequenz der Abstimmung hinsichtlich Ziffer 1 des Umdrucks 544 muß durch eine Neuabstimmung in der dritten Lesung berichtigt werden, damit das Ergebnis bei Ziffer 2 dem bei Ziffer 1 entspricht. Das zum ersten.
Meine Damen und Herren, wir haben lange um diese Regelung gekämpft. Wir haben das Für und Wider in den Fraktionen und in den Ausschüssen erwogen und waren nicht immer ganz einig. Wir haben ja zu diesem Gesetz gesagt, weil wir es auf breiter Grundlage haben wollten. Ich möchte mit einigen Worten auf diese Dinge eingehen. Grundlage der heutigen Beratung ist der Entwurf der Novelle zum AVAVG auf Drucksache 1274, der am 5. Mai 1955 von der Bundesregierung eingebracht worden ist. Wir arbeiten fast ein Jahr an dieser Novelle und haben die Überzeugung gewonnen, daß es noch längerer Zeit bedarf, um diesen ganzen Fragenkomplex, der sich seit 1927 im damaligen Reich, dann in der Nazizeit und nach dem Jahre 1945 in den verschiedenen Ländern unterschiedlich entwickelt hat, nun einheitlich zusammenzufassen und so nach Möglichkeit zu einem besseren allgemeinverbindlichen Recht zu kommen.
Darum hat die SPD-Fraktion mit Drucksache 587 vom 15. Juni 1954 eine bundeseinheitliche Regelung gefordert. Wir haben auch die Erhöhung der Freibeträge 'und die Einheitlichkeit verlangt. In diesem Punkte irrt der Kollege Dr. Bürkel , der leider nicht hier ist. Aber loyal, wie wir SPD-ler nun einmal sind,
({0})
haben wir ihm vorsorglich schon gesagt, daß hier ein Schnitzer vorliegt. Denn er sagt in seinem Schriftlichen Bericht auf Drucksache 2101 in I „Allgemeines" unter Ziffer 2 in Satz 2:
Der Gesetzentwurf
- nämlich der Gesetzentwurf der SPD auf Drucksache 587 übernimmt im wesentlichen die Regelung in der früheren britischen Zone, wobei die anrechnungsfreien Beträge des zu berücksichtigenden Einkommens um 50 v. H. erhöht werden.
Das ist das, was Herr Kollege Sabel auch schon erwähnt hat. Das haben wir damals beantragt. Das haben wir Herrn Kollegen Dr. Bürkel ebenso loyal gesagt, damit er es mündlich berichtigen kann. Er war dazu nicht in der Lage. Herr Kollege Dr. Bürkel sagt weiter in Ziffer 4 Satz 3:
Die Leistungen der Arbeitslosenfürsorge würden nach diesem Entwurf
- es handelt sich um den von der SPD-Fraktion am 18. Oktober 1955 auf Drucksache 1798 eingebrachten Gesetzentwurf bis zu einer Entgeltstufe von 67 DM sogar die Leistungen der Arbeitslosenversicherung übersteigen. Der Gesetzentwurf enthält im übrigen keine Vorschriften über die Erhöhung der Freisätze, die bei der Anrechnung von Einkommen des Arbeitslosen und seiner Angehörigen zu beachten sind.
Bei der Schwierigkeit der Materie hat er wahrscheinlich übersehen, daß er in Ziffer 2 etwas anderes gesagt hatte. Das spricht nicht unbedingt gegen den Kollegen Dr. Bürkel.
({1})
- Nein, es sind zwei Entwürfe.
({2})
Er hat sie beide angeführt. Er hat angeführt, daß wir einen ersten Entwurf zur Vereinheitlichung und Erhöhung der Freibeträge eingebracht haben. Wir haben dann, weil wir wußten, daß die Novelle noch geraume Zeit in Anspruch nehmen würde, am 18. Oktober 1955 mit Drucksache 1798 eine allgemeine Erhöhung in der Rentenversicherung sowohl wie in der Arbeitslosenfürsorge von 12 1/2 % gefordert. Aber berichtigt hat man die Vorlage nicht. Ich muß das deshalb hier sagen, damit Sie selber die Vorlage berichtigen können.
Wir haben diese unsere Anträge im Oktober eingebracht, weil wir wußten, daß wir mit der gesamten Materie des Gesetzes über die Arbeitsverwaltung doch nicht in kürzerer Zeit fertig werden können. Wir waren uns dessen bewußt, daß wir nicht so lange warten konnten. Die Zahl von 250 000 langfristig Arbeitslosen umfaßt nicht nur die Arbeitslosen in den Notstandsgebieten, also in Berlin, in Schleswig-Holstein usw., sondern darunter befinden sich Hunderttausende von Angestellten, die mit 40 Jahren anscheinend überaltert sind und die bis zur Dauer von 10 Jahren langfristig arbeitslos sind. Wir glauben, daß diesen langfristig Arbeitslosen zuerst geholfen werden sollte.
Ich stehe nicht an, hier gern anzuerkennen, daß eine ganze Reihe Kollegen aus der Koalition sich unserer Auffassung angeschlossen haben und daß das, was nun im Für und Wider erarbeitet worden ist, als tragbare Verhandlungsgrundlage angesehen werden kann. Ich wünsche, daß sich diese Zusammenarbeit bei einem Teil der kommenden Sozialreform in einem „Krümelchen", wie Herr Kollege Sabel sagte, fortsetzt. Die wertvollen Ansätze, die sich bei der Beratung der Novelle zum AVAVG gezeigt haben, wären nun bei der Regelung der gesamten Renten- und Sozialleistungen fortzuführen.
Wir stimmen der Vorlage trotz einiger Bedenken zu. Ich will Ihnen sagen, weshalb. Die Tabelle wird bis zu 50 DM Einkommen in der Woche angehoben. Das ist ein kleiner Erfolg, und es steht praktisch nur in einem kleinen Verhältnis zum Arbeitslohn. Aber nicht der Arbeitslohn, sondern die Tabellensätze sind die Grundlage. Ferner werden die Sätze bei einem Einkommen von 50 DM in der Woche als Berechnungsgrundlage ungefähr um 12 % gehoben. Besonders wichtig scheint mir zu sein, wenn man den ganzen Umfang der Arbeitslosigkeit übersieht, daß die Freigrenzen gehoben werden, und zwar für das eigene Einkommen des Arbeitslosen von 6 DM auf 9 DM je Woche, für das Einkommen des Ehegatten von 25 DM auf 30 DM je Woche, für Angehörige, die im Hausstand des Arbeitslosen leben, von 24 DM auf 36 DM je Woche. Darüber hinaus soll nur eine 50%ige Anrechnung stattfinden. Außerdem findet eine Anrechnung von 15 DM statt, wenn der Arbeitslose verpflichtet ist, andere Angehörige zu
({3})
unterhalten, die aber nicht in seinem Hause leben. Ich will auf diese Frage hier nicht im einzelnen eingehen. Das sind Dinge, die für die Vorlage sprechen, und zu denen wir ja sagen.
Wichtiger scheint mir noch zu sein, daß der Arbeitslose nicht an dem Einkommen kleben bleibt, das er einmal gehabt hat und das einmal die Grundlage der Berechnung seiner Unterstützung war. Er hat die Möglichkeit, zu beantragen, daß nicht das unmittelbar letzte Einkommen und nicht das Einkommen, das einmal der Alu zugrunde lag, sondern das Einkommen der letzten Zeit als Grundlage genommen wird. Das hat verschiedene Auswirkungen. Wenn durch Tarifvertrag oder Erhöhung der Ortslöhne praktisch eine Erhöhung des Einkommens eingetreten war, dann ist das letzte Einkommen des Arbeitslosen Maßstab für die Berechnung seines Einkommens als Alfu-Empfänger. Dieser Vorteil bestimmt uns, zu dieser Regelung grundsätzlich ja zu sagen. Wir glauben, daß man in der Zukunft nicht mehr durch Gesetz, sondern in einer gewissen Automatik jährlich solche Überprüfungen vornehmen kann, wenn wir fürchten, daß eine kaum sichtbare Inflation uns zwingt, die Verhältnisse in der Lohnentwicklung zu überprüfen.
({4})
Weniger erfreulich - ich sage es ganz offen - sind einige andere Dinge. Wir haben im Bundesgebiet eine verschiedenartige Gesetzgebung gehabt. Wir haben in der britischen Zone und in Rheinland-Pfalz den Zustand gehabt, daß jeder Arbeitslose, nicht nur derjenige, der seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung erschöpft hat, sondern auch der bisherige Arbeitgeber oder Selbständige oder die Frau, die erstmalig auf dem Arbeitsmarkt erschienen und diesen Willen durch die Bereitschaft zur Vermittlung und zur Arbeitsübernahme zu erkennen gaben, in die Alfu hinein genommen wurden. Es gelang uns nicht, den Grundsatz durchzusetzen. Die Regierung verlangte eine kleine Anwartschaft von 20 Wochen als Voraussetzung dafür, daß man überhaupt in die Alfu hineinkommt. Sie sagte, in anderen Teilen Deutschlands bestehe ein solcher Zustand. Man hat gesagt, der Personenkreis betrage nur 18 000. Richtig mag sein, daß nach den jetzigen Verhältnissen die Zahl dieser Leute in Höhe von 18 000 kaum weiter wachsen wird. Auch das hat uns bewogen, nachher einem Kompromiß zuzustimmen, indem wir sagten: Wer aus der Selbständigkeit oder sonstwoher in die Alfu hineinkommt, muß als Voraussetzung den Nachweis einer Beschäftigung von 10 Wochen im letzten Jahr erbringen. Damit haben wir uns mit einigen Schmerzen abgefunden. Ich hoffe, daß die Zukunft die Dinge so gestaltet, daß derjenige, der aus der Selbständigkeit abwandert, zunächst einmal einen Arbeitsplatz bekommt und dann erst beim Arbeitsamt vorstellig wird. Wenn das so geht, haben wir dabei keine großen Bedenken.
Die Sonderbeihilfen sind heute morgen schon besprochen worden. Sie sollten nicht nur als Mietbeihilfen gezahlt werden. Wir hatten den Wunsch, daß der Arbeitslose, der in einen besonderen Notstand gerät, nicht den bitteren Weg zur Fürsorge gehen muß. Es ging uns da weniger um die
Summe. Uns wurde nachgewiesen, daß im Jahre 1954 - die Zahl ist nicht mehr als auf die Hälfte gesunken - 794 Millionen DM für den Gesamtaufwand der Arbeitslosenfürsorge ausgegeben wurden. Von diesem Gesamtaufwand wurden nur 14 Millionen für Sonderbeihilfen einschließlich der Mietbeihilfen aufgebracht. Die Zahl hat uns dabei weniger interessiert. Wir gingen von dem Grundsatz aus, daß jeder Arbeitsfähige und Arbeitswillige nur von einer Stelle betreut werden sollte. Wir wollten den Zustand beseitigt wissen, daß nur derjenige, der beim Arbeitsamt in der Unterstütztenkartei geführt wird, mit Vorzug vermittelt wird. Es ist zwar die Praxis vorhanden, daß auch die vom Wohlfahrtsamt betreuten Arbeitsfähigen dem Arbeitsamt gemeldet werden. Aber der Vermittler hat die Auflage, zunächst die zu vermitteln, die vom Arbeitsamt unterstützt werden. Schöne Theorien helfen da nicht über die Tatsache hinweg, daß dem so ist.
Leider haben Sie diese Anträge abgelehnt. Sie haben eine Verbesserung beschlossen, die Herr Kollege Sabel vorgeschlagen hat. Aber dem Grundsatz, daß alle Menschen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind, hinsichtlich der Vermittlung und der Unterstützung nur von einer Stelle, und zwar dem Arbeitsamt, betreut werden sollten, ist damit nicht Rechnung getragen. Diese Aufforderung bleibt für uns bestehen.
In diesem Zusammenhang noch eine Frage, die ich nicht weiter anschneiden will. Sie haben sie entschieden. Wir wehren uns dagegen, daß die Nachprüfung hinsichtlich der Bedürftigkeit zur Nachprüfung der Hilfsbedürftigkeit werden wird. Wir wehren uns entschieden dagegen, daß nun eine Organisation der Arbeitsverwaltung aufgebaut wird, die ein besonderes Schnüffelsystem einführt, die in den Familien schnüffelt und sieht, welche Möglichkeiten noch bestehen. Ich sage das noch einmal. Ich hoffe, daß wir in der Praxis die Wirklichkeit anders erleben.
Dann hatten wir noch ein anderes Anliegen. Eine ganze Menge Menschen sind von der Anrechnung in der Arbeitslosenfürsorge ausgenommen. Wir haben aber die Auffassung gehabt, daß die Kriegsbeschädigten nicht schlechter, aber auch nicht besser zu behandeln seien als die anderen. Wir sind der Meinung gewesen, daß hier dem Grundsatz Rechnung getragen werden muß, daß nicht der Grund, sondern der Grad der Beschädigung entscheidend sein muß. Wir sind damit in dieser Beratung zu keiner endgültigen Fassung gekommen. Abgelehnt wurde unser Antrag nicht. Er wurde zurückgestellt, damit wir bei der Beratung des gesamten Komplexes des AVAVG, vielleicht auch noch später bei der Beratung der Sozialgesetzgebung, diese Frage erneut aufrollen. Aber die Frage ist angeschnitten, und es muß darüber verhandelt werden. Man kann die Dinge nicht so im Raum stehen lassen. Denn der Verletzte und der Kriegsbeschädigte sind nicht in dem Zustand, in dem sie verletzt wurden, in ihrem Einkommen behindert worden. Was für sie die größte Hinderung ausmacht, ist, daß das Fortkommen in einem für sie möglichen Berufe erschwert ist. Das ist das Hindernis, und das sollte bei der ganzen Frage berücksichtigt werden.
Nach § 141 c kann eine Unterstützungsdauer von 156 Wochen die Vermutung begründen, daß der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung nicht zur Ver({5})
fügung steht. Der Arbeitslose hat auf Verlangen nachzuweisen, daß er sich ernstlich bemüht hat, Arbeit zu finden. Dabei ist die Arbeitsmarktlage gebührend zu berücksichtigen. Wir haben im Ausschuß lange um eine Formulierung gekämpft, die der Wirklichkeit Rechnung trägt und nicht nur eine Deklamation enthält. Wir hoffen, daß die Arbeitsämter sowohl die Arbeitsmarktlage als auch die Familienzugehörigkeit berücksichtigen. Es geht einfach nicht an, daß ein Flüchtling, der nach Berlin kommt, nach Dortmund weitergeleitet wird, während seine Angehörigen nach Holstein weitergeleitet werden. Das ist ein Unding.
Wir möchten auf der anderen Seite nicht, daß aus dem Bayerischen Wald Kräfte herausgezogen werden, für die man dann praktisch keine Wohnung, sondern nur eine Unterkunft hat. Wir wünschen, daß im Zuge der Umsiedlung, nicht der zwangsweisen, sondern der Förderung der Wanderung, der Wohnungsbau stärker forciert wird, als das bisher geschehen ist, damit der Mensch, der heute noch in Notstandsgebieten lebt, den neuen Arbeitsplatz antreten und auch seine Familie überführen kann. Das ist ein Anliegen, das uns lange genug bewegt. Ich habe die Vermutung, daß die Reserven der Arbeitsverwaltung in Höhe von rund 3 Milliarden DM zu einem Teil dazu benutzt werden könnten, dem Wohnungsbau einen starken Auftrieb zu geben und die Spitzenfinanzierung für einige hunderttausend Wohnungen zu ermöglichen, die dann diesem Zweck dienstbar gemacht werden könnten. Das scheint mir ein echtes Anliegen zu sein. Ich glaube, daß sich Möglichkeiten dazu finden, wenn in dieser Selbstverwaltung die Kräfte da sind, die dem Vorstand und dem Präsidenten der Verwaltung einmal nachdrücklich darlegen, daß es wichtiger ist, Mittel dort anzusetzen, wo der Arbeitsmarkt ihrer bedarf und wo die Arbeitslosigkeit gemildert wird, als die Mittel einfach an die Länder' nach Maßgabe ihrer Arbeitslosigkeit oder ihrer Bevölkerung zu geben. Das sind Dinge, zu denen wir nicht ja sagen können. Hier bleibt der Bundesregierung und der Arbeitsverwaltung, aber auch der Koalition ein weites Betätigungsfeld. Daneben sollten alle Möglichkeiten genutzt werden, auch in den Notstandsgebieten Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Ich weiß, wie schwer das ist. Ich weiß, wie lange wir uns schon bemühen, das zu tun. Ich weiß aber auch, daß die geringe Lieferung von Strom und Gas und der Mangel an Verkehrsmöglichkeiten dort alle Bemühungen praktisch gestoppt haben. Darum muß die Wanderung gefördert werden, darum muß der Wohnungsbau gefördert werden, damit Arbeitszeit, Arbeitsmöglichkeiten und Wohnungsmöglichkeiten in ein gutes Verhältnis zueinander kommen.
Wenn wir trotz dieser Bedenken dem Gesetzentwurf zustimmen, dann geschieht das noch aus folgendem Grunde. Die Arbeitsmarktlage läßt, so hoffen wir, eine weitere Zunahme der Beschäftigung erwarten. Wenn bei der Umsiedlung der Kräftebedarf und der erforderliche Wohnungsbedarf entsprechend berücksichtigt wird, dann ist nicht mehr mit einer Vermehrung der Alfu-Empfänger zu rechnen. Es wird vielmehr eine Verminderung dieser Zahl eintreten, wenn wir zunächst einmal, auch wenn wir die Freizügigkeit bejahen, im eigenen Raum Ordnung schaffen, ehe wir an eine größere Ansiedlung von Fremdarbeitern denken, Diese Frage sollten wir auch einmal überlegen, und die Regierung sollte sich diese Überlegungen zunutze machen.
Es kann aber auch erwartet werden, daß Antragsteller aus den Kreisen der Selbständigen einmal eine gewisse Zeit in abhängiger Stellung beschäftigt gewesen sein müssen, ehe sie im Falle der Arbeitslosigkeit zum Arbeitsamt gehen können. Im übrigen hat der Arbeitsminister die Möglichkeit, durch Rechtsverordnung Menschen in die Arbeitslosenfürsorge aufnehmen zu lassen, auch wenn sie vorher noch nicht Arbeitnehmer waren, wenn aber in einzelnen Bezirken und Gebieten der Zug zur Unselbständigkeit so groß wird, daß vor einer Aufnahme in die Alfu eine Überprüfung der Möglichkeiten für eine Vermittlung in noch zu besetzende Arbeitsplätze geboten erscheint. Das ist ein Weg, der durchaus möglich ist. Ich möchte bitten, daß der Arbeitsminister von dieser Möglichkeit weitestgehend Gebrauch macht.
Die Übergangsvorschriften geben so, wie sie beschlossen sind, einen gewissen Schutz. Unsere Bedenken in bezug auf die Verteilung der Schwergewichte haben nicht das Ausmaß, daß wir zu dem Gesetz nein sagen können. Unser Verlangen nach Betreuung aller Arbeitsfähigen durch die Arbeitsämter bleibt bestehen und wird durch unsere Stellungnahme nicht berührt.
Zum Schluß möchte ich noch folgendes sagen. Es ist Sache der Wirtschaftspolitik, der Arbeitsmarktpolitik, aber auch der Wohnungspolitik der übergroßen Nachfrage nach Arbeitskräften in einzelnen Bezirken durch vernünftige Einordnung von Arbeitslosen aus den Notstandsgebieten in den Arbeitsprozeß zu steuern. Die Arbeitszeitregelung muß in einem Verhältnis zu den Möglichkeiten der Unterbringung von Arbeitern stehen. Der Wohnungsbau muß dort gefördert werden, wo ein Bedarf an Arbeitskräften besteht. Die Menschen müssen dorthin kommen bzw., wie man so sagt, die Wanderung muß dorthin gelenkt werden, wo Wohnungsmöglichkeiten und Arbeitsmöglichkeiten gegeben sind. In erster Linie kommt es uns darauf an, nach der langen Verzögerung schnell zu helfen. Wir stimmen deshalb der Vorlage zu.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den sehr ausführlichen und gründlichen Darlegungen meines Vorredners darf ich mich für meine Fraktion auf die Behandlung einiger grundsätzlicher Fragen beschränken.
Wir begrüßen, daß dieser Teil aus dem AVAVG vorgezogen wird, und zwar deshalb, weil die Frage der Arbeitslosenhilfe für uns so entscheidend ist, daß wir keinen Tag versäumen möchten, um den hierfür in Frage kommenden Menschen eine, wenn auch nur geringfügige Besserung zukommen zu lassen. Wir wissen, daß der Kreis derer, die unverschuldet in Arbeitslosigkeit geraten sind, der Kreis ist, der die Hilfe unserer Gemeinschaft und unseres Staates am dringendsten braucht. Wir sollten deshalb jede Verzögerung vermeiden, und wir begrüßen dankbar die Verbesserungen, die im Gesetz erscheinen.
Natürlich wissen auch wir, daß die Beträge, von denen im Gesetz die Rede ist, nur ein Tropfen auf
({0})
den heißen Stein sein können. Aber in Anbetracht der Dringlichkeit, helfen zu müssen, wollen wir lieber wagen, nur diesen Tropfen zu geben und damit einen guten Beginn zu machen, als darauf zu verzichten oder die Sache bis zum Abschluß der Beratung des AVAVG oder vielleicht gar bis zum Abschluß der Sozialreform hinauszuzögern. Die Lösung dieser beiden großen Aufgaben, die noch vor uns liegen, wird noch Monate in Anspruch nehmen. Es ist deshalb gut, daß wir uns heute gesondert mit diesen Fragen der Arbeitslosenhilfe beschäftigt haben.
Besonders wichtig ist, daß durch den heute verabschiedeten Gesetzentwurf - und das wird von uns begrüßt - eine bundeseinheitliche Regelung eingeführt wird, daß also die bisher bestehenden neun verschiedenen Arten der Regelung gleichgeschaltet werden. Das wird für die Auslegung des Gesetzes außerordentlich vorteilhaft sein.
Wir begrüßen die Neuregelung der Sätze, die Anordnung der Tabelle, und wir begrüßen auch die Regelung in bezug auf die Wartezeit. In bezug auf die Wartezeit wird die letzte Entscheidung bei der Weiterarbeit am AVAVG gefällt werden müssen. Wir plädieren dafür, daß die Wartezeit so kurz wie möglich festgesetzt wird; wenn irgendmöglich, sollte sie überhaupt abgeschafft werden.
Wir halten es für notwendig, ein Kapitel besonders anzusprechen: die Achtung vor der Familie. Wir müssen bei den Bemühungen, die Menschen wieder in den Arbeitsprozeß einzureihen, immer darauf bedacht sein, daß wir Bindungen, die für das menschliche Leben einfach unersetzlich sind, nicht unnötigerweise zerreißen. Deswegen unsere Warnung: keine unnötigen Veränderungen, keine Verpflanzung, wenn sie nicht gesichert ist durch das Beisammenbleiben der Familie und den dafür notwendigen Wohnraum.
Wir sehen die Arbeitslosenhilfe als notwendig an. Wir möchten uns deutlich distanzieren, wir möchten nicht, daß auch nur der Eindruck erweckt wird, diese Arbeitslosenhilfe wäre eine Art Staatspension. Das Wort ist heute schon gefallen. Wir sind der Meinung, die Arbeitslosenhilfe ist eine Prothese, eine Beihilfe, um diesen Menschen, die zum großen Teil - ich denke vor allem an unsere älteren Arbeitsnehmer und an unsere Vertriebenen - langfristig arbeitslos sind, wieder Mut und das Vertrauen zu sich selber zu geben, damit sie auch von sich aus wieder einen neuen Start versuchen. Wir sehen die Arbeitslosenhilfe also nicht von dem Standpunkt der Versorgung; es ist wahnsinnig, auch nur auf den Gedanken zu kommen, nur davon zu sprechen. Wir sehen sie nur als eine notwendige Unterstützung, um den Menschen wieder die Startmöglichkeit zu geben und sie aus der Trostlosigkeit der jahrelangen Arbeitslosigkeit herauszuführen.
In diesem Zusammenhang ist für uns entscheidend der Grundsatz, daß die Menschen, die arbeitswillig und arbeitsfähig sind, zum Arbeitsamt und nicht zum Sozialamt gehen müssen. Das Arbeitsamt hat sich da seiner Aufgabe gemäß zu verhalten, zu vermitteln, zu verbinden und dafür zu sorgen, daß ein Anschluß ans Wirtschaftsleben wieder möglich wird.
Wir sind der Überzeugung, daß die weitere Arbeit an dem Gesetz über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung noch die eine oder andere Verbesserung auch auf diesem Gebiet bringen kann. Deshalb werden wir uns bei allen weiteren Beratungen immer davon leiten lassen, den schuldlos arbeitslos gewordenen Menschen die größtmögliche Hilfe zu gewähren und ihnen die Wiedereinreihung in den Arbeitsprozeß zu ermöglichen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Kollege Sabel hat zur Eröffnung der dritten Lesung erklärt, es gebe sicherlich gewisse Leute - ich nehme nicht an, daß er die Kollegen des Parlaments meinte, die hier gesprochen haben -, die sich unter der Sozialreform so etwas vorstellen wie ein großes Buch mit mehr oder weniger Siegeln, in dem man für alle Gebiete und Probleme des Lebens die nötigen Lösungen abliest, wobei es dann unter Umständen so sein könnte, wie der Sprecher des BHE eben gesagt hat und wie es im Wahlkampf zur Eroberung der Massen ausgedrückt werden könnte: die Wartezeit so kurz wie möglich, die Leistungen so hoch wie möglich und ihre Gewährung so lange wie möglich. Ich glaube, das wäre wirklich eine sehr verantwortungslose Vereinfachung der Probleme.
Herr Sabel ist also mit uns in dem einig, was er immerhin zugab: daß eine gewisse Ordnung im System unserer sozialen Leistungen notwendig ist. Ich bin mit ihm auch darin einig, daß eine Reihe von Fragen einen hohen Dringlichkeitsgrad hat. Ich glaube aber, daß wir diese dringenden Probleme sehr viel besser und früher hätten lösen können, wenn die schon im 1. Bundestag von meinen Freunden immer wieder erhobene Forderung der Herstellung der Rechtseinheit als Voraussetzung für alle Reformen nicht so oft vertagt und nicht so lässig behandelt worden wäre. Es ist gar kein Zweifel, daß mit diesem Gesetz wieder der Versuch gemacht worden ist, die Rechtseinheit auf einem Teilgebiet wiederherzustellen, wie wir das zur Zeit bei den Beratungen in den verschiedensten Ausschüssen, in denen soziale Fragen unserer Zeit anstehen, erleben. Aber leider ist es eben nur bei einem Versuch geblieben, weil die großen Grundsatzfragen, die bei der Wiederherstellung der Rechtseinheit in der Bundesrepublik und in Berlin zu beantworten sind, nicht verantwortungsbewußt genug geprüft worden sind. Die dringlichen Probleme der Rechtseinheit, der Leistungsreform und der damit unlösbar verbundenen Fragen der Personenkreise sind in diesem Gesetzentwurf leider nicht so gelöst worden, wie es nach den langen Beratungen hätte erwartet werden können. Ich bedaure mit dem einzigen Vorredner, der hier in Übereinstimmung mit mir diesen Gedanken ausgesprochen hat, dem Kollegen Dr. Atzenroth, daß aus einem zusammenhängenden Reformwerk, nämlich der Novelle zum AVAVG, ein Teilstück herausgebrochen worden ist, und ich bedaure noch mehr, daß bei der Beratung dieser Probleme über die großen Nahtstellen sowohl im Hinblick auf die Rentenversicherung wie auf die Krankenversicherung wie auch auf die vielen Fragen, die sich aus der veränderten Gesellschaftsstruktur ergeben, keine Lösung gefunden worden ist. Das ganze Unglück - das muß hier zum soundsovielten Male mit Bedauern ausgesprochen werden - liegt daran, daß denen, die die Vorlage ausgearbeitet haben - und davon kann ich das Bundesministerium für Arbeit nicht ausnehmen -, die Konzeption fehlt. Alle diese Probleme müssen, wenn sie auch nicht in einem Buch gelöst werden können - niemand
({0})
nimmt das an -, doch in einen solchen Zusammenhang gebracht werden, daß man an den Stellen, wo sich die Probleme berühren, wo es sich um die Übergänge von der Versicherung in die Versorgung oder von der Versorgung in die Fürsorge handelt, wo sich die einzelnen Leistungsarten und ihre Dauer überschneiden, zu wirklich vernünftigen, sinnvollen und ausreichenden Lösungen kommt. Aber es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß unser Volk in der Lage ist, überall ausreichende Lösungen zu finden und alle Probleme zur Zufriedenheit zu lösen. Man muß gleichzeitig den Mut haben, zu sagen, daß es nicht um Krümelchen oder Scheiben dieses Kuchens geht - um im Bilde des Kollegen Sabel zu bleiben -, sondern darum, daß man dem Hungrigen zuerst von dem Kuchen etwas gibt und denjenigen, die zur Selbsthilfe in der Lage sind oder denen anders geholfen werden kann und muß, das Stück Kuchen versagt.
Von einem Sprecher des BHE ist hier gesagt worden, daß ihm das „wahnsinnig" erscheine. Der Herr Präsident hat das sicher überhört. Ich nehme auch nicht an, daß der Sprecher des BHE die Vertreter anderer Auffassungen, die sie sehr sachlich begründet haben, unter die Wahnsinnigen rechnen will.
({1})
Ich glaube vielmehr, daß sich auch der BHE sehr ernsthaft überlegen sollte, ob es nicht viel vernünftiger ist, den wirklich hilfs- und schutzbedürftigen Menschen die Leistungen, die man ihnen geben will, auch für die Zukunft zu garantieren. Das kann man aber nur, wenn man eine sehr genaue Rechnung über die Summe aller Leistungen aufmacht und wenn man die Zusammenhänge sieht. Daß diese Zusammenhänge nicht für alle in dem einfachen Modell einer Versorgung auf Lebenszeit, die man dann von einer Tabelle abliest, berücksichtigt werden können, scheint für alle Kenner der komplizierten Materie unserer sozialen Leistungen eigentlich selbstverständlich zu sein, und nur jemand, der keine Kenntnis dieser Zusammenhänge besitzt, kann die Probleme so vereinfachen. Ich bedaure außerordentlich, daß mit diesem Gesetz - zwar in der guten Absicht, die Leistungen der Arbeitslosenversicherung anzuheben - darüber hinaus Entscheidungen sozusagen auf kaltem Wege getroffen worden sind, die der endgültigen Lösung in der Reform vorgreifen, ja sie teils verbauen.
Die Angehörigen der Koalition haben mit uns gemeinsam schon im 1. Bundestag - und vielfach beteuert auch im 2. Bundestag - erklärt, daß sie zwischen Versicherung, Versorgung und Fürsorge unterscheiden wollen.
({2})
Nachdem Sie denjenigen, die aus der Arbeitslosenversicherung Ansprüche haben, und denjenigen, die Ansprüche auf Fürsorgeleistungen haben, nach Ihrer Tabelle die gleichen Leistungen, zumindest bis zur Höhe von 50 DM, geben, nachdem Sie also keinen Unterschied mehr machen zwischen dem, der nach dem Versicherungsprinzip Beiträge bezahlen muß, und dem, der Anspruch auf die Haftung der größeren Gemeinschaft hat, nachdem Sie alle Ihre von Ihnen so oft beteuerten Grundsätze über den Haufen werfen, wenn Sie sie in der Praxis anwenden sollen,
({3})
nachdem Sie selber im Ausschuß versucht haben, eine automatische und dynamische Arbeitslosenhilfe einzuführen, sage ich Ihnen hier in aller Offenheit: wer A sagt, muß B sagen, aber zur Not auch die Kosten für das ganze Abc tragen! Es wird in den nächsten Wochen und Monaten - ich hoffe, nicht nur angesichts der Wahlkämpfe, sondern angesichts der Verantwortung vor der Zukunft unseres Volkes - noch sehr ernsthaft über diese Probleme zu sprechen sein.
Der Herr Kollege Odenthal hat das Wort ausgesprochen, daß „die Kriegsbeschädigten nicht schlechter und auch nicht besser gestellt werden sollten". Nun, Herr Kollege Odenthal, wir hatten nach 1945 Anlaß, mit der britischen Militärregierung sehr heftige Auseinandersetzungen darüber zu führen, wieweit die Kriegsbeschädigten etwa nach dem Modell der Unfallversicherung behandelt werden sollten. Wir mußten damals sehr ernsthafte Kämpfe führen, um die Sonderversorgung für unsere Kriegsbeschädigten überhaupt wieder zu erreichen. Ich glaube, Sie könnten mißverstanden werden, und ich hoffe, Sie haben es nicht so gemeint, daß Sie die Sonderversorgung für unsere Kriegsbeschädigten mit ihrer ganz individuellen Behandlung angetastet haben wollen.
({4})
- Wenn das so ist, dann sind wir darin einig, daß wir in der Novelle zur Kriegsopferversorgung dafür sorgen sollten, daß alles geschieht, um die Kriegsbeschädigten in die Lage zu versetzen, einen Arbeitsplatz voll auszufüllen.
Ich habe schon in der zweiten Lesung darauf hingewiesen, daß Sie praktisch das Risiko des selbständigen Berufs und das Risiko des in der Berufsausbildung Befindlichen nun mit dem Risiko gleichgesetzt haben, das der Arbeitslose hat, der vorher im Arbeitsleben stand. Ich glaube, die Praxis wird zeigen, auf welche gefährlichen Wege, Sie, meine Herren und Damen, sich begeben haben, als Sie unsere Anträge ablehnten und dieser Ausweitung der Personenkreise, aber auch dieser Verfälschung des Risikos in so unterschiedlich gearteten und gar nicht homogenen Gruppen zumindest die Tür geöffnet haben.
Es besteht kein Zweifel, daß die großen Fragen einer individuelleren Behandlung der Ursachen der Arbeitslosigkeit in diesem Zusammenhang nicht einer Lösung zugeführt worden sind. Ich betrachte sie als dringend reformbedürftig. Ich möchte nur auf die sehr unterschiedlichen Konsequenzen der Fluktuationsarbeitslosigkeit, der konjunkturellen Arbeitslosigkeit und der saisonbedingten Arbeitslosigkeit hinweisen. Ich bedaure auch, daß nicht mit größerer Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen ist, daß es nicht möglich ist, mit den Mitteln der Arbeitslosenfürsorge die Probleme unserer veränderten Gesellschaftsordnung, vor allem das Problem unserer Heimatvertriebenen, etwa, wie der Sprecher des BHE es ausdrückte - es blieb ihm vorbehalten, das zu sagen -, mit Prothesen und Krücken zu lösen. Ich meine, daß wir es besser lösen sollten, indem wir für unsere Heimatvertriebenen auf einem anderen Wege, nämlich über die Verbesserung des Lastenausgleichs, das Notwendige tun, statt sie für die Dauer zu Empfängern von Arbeitslosenhilfe zu machen.
Im Zusammenhang mit den vielen Problemen, die sich aus Umsiedlungsmaßnahmen, Berufsumstellung und Rehabilitierung ergeben, bedauere ich, daß zur Lösung der Probleme der Rehabilitierung, von denen Sie alle viel mehr sprechen als ich
({5})
und denen Sie wahrscheinlich eine übersteigerte Bedeutung auch im Zusammenhang mit dem Wahlkampf beimessen, hier keine einzige Weiche gestellt worden ist, damit diese Voraussetzungen für die Reform der Rentenversicherung auch bei der Dauerarbeitslosigkeit sinnvoll eingegliedert werden könnten.
Sie haben weiter eine Vorentscheidung über die Altersgrenze getroffen. Sie haben die Altersgrenze auf 65 Jahre festgesetzt. Ich habe mich gewundert, daß die Berliner Sprecher sich nicht dagegen gewandt haben, denn für die Frauen in Berlin gilt ja die Altersgrenze von 60 Jahren. Ich wundere mich darüber, daß sie nicht darauf aufmerksam gemacht haben, welche Konsequenzen diese Regelung in den Gebieten hat, wo eine große Frauenarbeitslosigkeit besteht.
Der erste Versuch, die großen sozialen Fragen unserer gestörten Gesellschaftsordnung und die „heißen Eisen", wie etwa die der „Onkelehe" und des Zusammenlebens der Menschen mit geringen Einkünften, mit sozialpolitischen Mitteln zu lösen, ist, meine Herren und Damen, gründlich mißlungen. Im Interesse des Schicksals dieser älteren Menschen, die ja in der Regel Witwen und Rentner sind, bedaure ich es außerordentlich, daß hier kein Weg und kein glücklicher Impuls für die Lösung der künftigen Sozialreform gefunden wurde. Wir sollten gemeinsam verhindern, daß wir mit einer falschen Moral die Dinge am falschen Ende anpacken.
Es scheint mir auch sehr fraglich, ob der Begriff der Arbeitsfähigkeit als Merkmal der Abgrenzung zwischen der Arbeitslosenfürsorge, also der jetzigen Hilfe, und der öffentlichen Fürsorge ausreicht und ob die Voraussetzungen für die dringend notwendige Untersuchung und die Lösung dieses Begriffs hier erfüllt sind.
Auch wir wollen die Erhöhung der Sätze für die Arbeitslosenfürsorge. Aber wir halten es für dringend notwendig, die Grenzen neu abzustecken. Wir halten es sogar für unerträglich, daß man in der Öffentlichkeit mit sehr mißverständlichen Äußerungen immer von prozentualen Rentenversprechungen spricht, die ohne Klarheit über das Ausmaß zu sozialen Enttäuschungen führen müssen, wenn man in diesem Zusammenhang nicht den ganzen Komplex der sozialen Leistungen mit ihren finanziellen Auswirkungen sieht. Ich glaube, wir können es uns, meine Herren und Damen, auch wenn Sie die Schatten der bevorstehenden Wahlen schon so belastend spüren, nicht leisten, gerade dort Versprechungen zu machen, wo es unsere größte Verpflichtung wäre, diese Versprechungen wirklich einzulösen.
Wenn hier mein Ausdruck von der Dauerarbeitslosenhilferente soviel Widerspruch geweckt hat, so doch nur bei denen, die nicht zu wissen scheinen, wie ernst wir in diesem Hause auch schon im 1. Bundestag darum gerungen haben,- eine Rentenversicherungsreform mit einer echten Unterscheidung zwischen der Versicherungsrente und der Versorgungsrente zu erhalten. Der Staat ist in unserer Zeit - ich betone das ausdrücklich - unter anderen Gesichtspunkten als vielleicht um die Jahrhundertwende zu solchen Lösungen verpflichtet.
Die Diskussion und die Abstimmungsergebnisse haben gezeigt, daß viele der Bedenken, die ich hier angebracht habe, bis in die Reihen der sozialdemokratischen Fachleute unter den Kollegen sicherlich geteilt werden. Sie haben trotz der gegnerischen Ausführungen - es ist j a immer leicht, meine Herren, mit allgemeinen Redensarten
({6})
und allgemeinen Sprüchen über die Dinge hinwegzureden - auch gezeigt, daß viele der Bedenken wieder auftauchen werden, wenn wir uns über die Zusammenhänge der Reform unterhalten wollen.
Gestatten Sie mir zum Schluß, die Kollegen von der Opposition, von der SPD, auf ein Wort hinzuweisen, das Herr Professor Mackenroth, der viel zu früh verstorbene Genosse Ihrer Partei, damals schon im Hinweis auf die Notwendigkeit zur Vorbereitung der Reform warnend gesagt hat: „Wir kommen mit guten gesetzlichen Maßnahmen nie zu spät, wohl aber kann man mit gesetzgeberischen Frühgeburten auch die allerbesten Ideen kompromittieren." Den Kollegen von der CDU sage ich hier mit dem großen Ernst, der uns in der gemeinsamen Koalition auch zur gemeinsamen Verantwortung verbindet: Es ist in keiner Zeit so viel von Selbsthilfe, von Selbstverantwortung, von den Grundsätzen der Subsidiarität gesprochen und geschrieben und es ist in keiner Zeit so sehr an diesen Grundsätzen gesündigt worden. Es gibt kein Einzelgesetz, bei dem Sie nicht vor die Aufgabe gestellt sind, die Entscheidungen eines Gesetzes an diesen Grundsätzen zu messen. Ich glaube, daß wir Abgeordneten den Mut haben sollten, endlich auch wieder darüber zu sprechen, was in der Fürsorge, die wir reformieren wollen - und sie ist ein Teilstück der Reform -, an unerhörten Werten auch der Hilfe für die Menschen ruht, nämlich in der individuellen Fürsorge, wie sie bei uns in Deutschland so vorbildlich entwickelt ist. Wir sollten sie nicht immer wieder diskriminieren lassen, als sei die Fürsorge etwas, dessen man sich zu schämen hat. Die Fürsorge der Gemeinschaft für diejenigen, die der Fürsorge bedürfen, ist eine hohe sozialethische Verpflichtung. Wir sollten uns abgewöhnen, daß wir, wenn wir Menschen auf Leistungen der Fürsorge verweisen, gleichzeitig so tun, als sei das etwas Diskriminierendes. Wir sollten stolz darauf sein, daß wir aus der Gemeinschaftsleistung - mit der Zuflucht der Hilfe aus der Fürsorge - immer denen zu helfen in der Lage sein werden, die den schweren Weg durch die Nöte unserer Zeit nicht mehr allein schaffen können.
Mit diesem Gesetz haben Sie wieder einmal die Weichen zu einer Sozialreform verkehrt gestellt, die niemals, wenn Sie so fortfahren, jene Grundforderungen erfüllen wird, die Sie so oft verteidigt haben. Aus diesen grundsätzlichen Erwägungen werden wir, obwohl wir den Erhöhungen der Leistungen zugestimmt haben, dem Gesetz in seiner Gesamtheit nicht zustimmen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige ganz kurze Bemerkungen. Ich sage in aller Offenheit: die Behandlung dieses Gesetzes ist meines Erachtens keine Gelegenheit, zu einer Generaldiskussion der Sozialreform zu kommen. Ich glaube, das hätten wir uns ersparen können.
({0})
Frau Kollegin Kalinke, wir werden Ihnen zu gegebener Zeit die Antwort geben! Und, Frau Kollegin Kalinke, ich möchte Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen: falsche Behauptungen werden dadurch nicht richtiger, daß man sie immer wiederholt.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie Frau Kalinke eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Frau Kalinke.
Wollen Sie mir bitte sagen, welche meiner Behauptungen falsch waren!
({0})
Frau Kollegin Kalinke meint, ich solle ihr sagen, welche ihrer Behauptungen falsch waren. Ich muß Ihnen sagen: nicht nur eine, es waren einige!
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir Gelegenheit gäben, Ihnen zu antworten, wenn Sie nicht nur allgemein darüber hinweggingen.
Frau Kollegin Kalinke, ich sagte Ihnen ja schon: wir werden in der Generaldiskussion zur Sozialreform auf ,diese ganz allgemeinen Vorwürfe, die Sie erhoben haben, zurückkommen. Aber heute scheint mir das nicht am Platze zu sein. Wir haben auch noch einige andere Dinge zu tun.
Ich möchte mich nur gegen folgendes wehren, Frau Kollegin Kalinke. Sie haben ja erklärt, das Gesetz, das jetzt zur Verabschiedung steht, werde eine wesentliche Ausweitung gegenüber der bisherigen Rechtssituation bringen. Ich darf Ihnen dazu sagen: wenn man zur Vereinheitlichung in einem Rechtsgebiet kommt, dann wird man eben da etwas geben, da etwas wegnehmen müssen. Das ist nun einmal so, ist auch hier so - Sie haben das bei der Diskussion über Berliner Anliegen gemerkt -: einem Teil beispielsweise wird, auf die Dauer gesehen, die Mietbeihilfe genommen, bei dem anderen sind die Anwartschaftsvoraussetzungen schärfer geworden. Hier ist keine Ausweitung ganz generell vorgenommen worden, sondern es geht hier wirklich nur um eine dringlich notwendige Rechtsvereinheitlichung. Wir haben bei Gott nicht versucht, bei etwas, was erst in der Sozialreform praktiziert werden soll, hier die Entscheidung vorwegzunehmen; dazu haben wir uns nicht für befugt gehalten.
Aber, Frau Kalinke, verübeln Sie es mir nicht: ich habe anfangs bedauert, daß Sie an den Ausschußsitzungen nicht teilgenommen haben. Mein Bedauern wird etwas gemildert, wenn ich bedenke: Wären Sie dabei gewesen, dann würden wir, fürchte ich, das Gesetz heute noch beraten.
({0})
Weitere Wortmeldungen scheinen nicht vorzuliegen. - Doch, der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung; es dauert wirklich nicht lange.
Ich möchte mich für den Hinweis auf meine Ausführungen bedanken, in denen ich von Prothesen gesprochen habe. Dafür bin ich sehr dankbar. Das könnte nämlich wirklich falsch verstanden werden. Ich habe das ausschließlich so gemeint, daß man mit diesem Gesetz da, wo eine langfristige Arbeitslosigkeit vorhanden ist - ich dachte insbesondere an unsere vertriebenen Menschen, die also seit Jahr und Tag nicht den Anschluß gefunden haben -, eine Hilfsstellung für das Weiterkommen gibt. Ich möchte aber nicht, daß meine Worte so ausgelegt werden, der Staat gebe nur Tröpfelchen, so daß sich die Menschen nur mit Mühe und Not am Leben erhielten. Ich meinte und möchte das sehr deutlich aussprechen: der Staat, die Gemeinschaft hat die absolute Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Menschen, die ohne ihre Schuld nicht mehr im Arbeitsprozeß stehen, wieder dorthin gelangen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
({0})
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich bedauere die Art, in der der Kollege Sabel mir geantwortet hat.
({0})
Ich werde auf seine Ausführungen nicht in dieser Art und Form eingehen. Ich bin aber der Meinung, es wäre besser gewesen, er hätte auf meine Frage, was ich hier Falsches oder Widerlegbares gesagt haben soll, eine Antwort zur Sache gegeben. Ich verwahre mich in aller Form dagegen, daß ein Kollege an der Art und Dauer meiner Mitarbeit an den Beratungen im Ausschuß meint, Kritik üben zu können. Ich glaube, daß nicht immer die Quantität mit der Qualität identisch ist
({1})
und daß auch der größte Lärm nun, meine Herren
von der CDU, Ihnen keineswegs zur Ehre gereicht.
({2})
Wird noch weiter das Wort gewünscht? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann kommen wir zur Abstimmung.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag ab, den ich verlesen will, damit kein Zweifel besteht, worüber wir abstimmen. Der Antrag lautet: „In Art. I § 141 e Abs. 5 wird die Ausschußfassung wiederhergestellt." Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, ist die allgemeine Aussprache und die Einzelaussprache erledigt. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als einem Ganzen zustimmen will, der möge sich von seinem Sitz erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Wir haben weiter über die Ziffer 2 des Antrags des Ausschusses abzustimmen. Sie finden Ziffer 2 auf Seite 9 der Vorlage. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Meine Damen und Herren, mir ist mitgeteilt worden, daß die Fraktionen der DP und der CDU übereingekommen seien, Punkt 4 der Tagesordnung von heute nicht zu behandeln. Es wird also um Absetzung gebeten. Es handelt sich um die Beratung der Anträge der Fraktion der Deutschen
({0})
Partei über die Aufhebung des Personalgutachterausschußgesetzes usw. Ist das Haus damit einverstanden?
({1})
- Ich frage, ob das Haus einverstanden ist. Wenn ein Punkt von der Tagesordnung abgesetzt werden soll, muß das Haus dies beschließen. Es ist also der Antrag gestellt, Punkt 4 der gedruckten Tagesordnung abzusetzen. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Der Punkt ist von der Tagesordnung abgesetzt.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll auch der Punkt 3 der Tagesordnung, der Bericht des Petitionsausschusses Drucksache 2108, von der Tagesordnung abgesetzt werden. - Das Haus ist damit einverstanden.
Wir kommen nunmehr zu dem zweiten Punkt der Ergänzungen der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE, DP eingebrachten Entwurfs eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({2}).
Wird das Wort gewünscht? - Das ist wohl nicht der Fall. Ich nehme an, daß die Vorlage dem Ausschuß für den Lastenausgleich überwiesen werden soll. Keine weiteren Vorschläge? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe auf den
Antrag der Abgeordneten Josten, Ritzel, Lahr, Arndgen, Schlick und Genossen betreffend Hilfe für die Eis- und Hochwassergeschädigten des Rheines und der Nebenflüsse ({3}).
Soll dieser Antrag begründet werden? - Das Wort hat der Abgeordnete Josten.
Josten ({4}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Ich will eine sehr kurze Begründung geben. Mit dem vorliegenden Antrag streben wir eine erste Hilfe für die durch Eis- und Hochwasser des Rheines und seiner Nebenflüsse Geschädigten an. Es ist ein interfraktioneller Antrag. Wir bitten das Hohe Haus, diesen Antrag des Haushalts- und dem Finanzausschuß zuzuweisen,
({5})
um eine baldige Erledigung zu ermöglichen. Die Antragsteller sind sich zwar bewußt, daß der Betrag von 300 000 DM, der für die großen Schäden zur Verfügung gestellt werden soll, nur ein Teilbetrag sein kann. Die Länder, zu denen die betroffenen Gebiete gehören, sollen selbstverständlich entsprechende Zuschüsse leisten. Dadurch dürfte doch eine beachtliche Hilfe für die Betroffenen entstehen.
Zur Zeit werden die Schäden von den Städten und Gemeinden ermittelt. Es kann jetzt schon gesagt werden, daß diese Schäden erheblich höher liegen, als allgemein vermutet wurde. Insbesondere sind die Schäden infolge der Eisversetzung am 3. März größer, als sie in den vergangenen Jahrzehnten namentlich am Rhein aufgetreten sind.
Aus diesem Grunde bitten wir auch die Bundesregierung, dem Hohen Hause innerhalb von sechs Monaten über die Gesamtregelung der Eis- und Hochwasserschäden zu berichten.
Ich möchte noch kurz auf die Debatte vom 24. Februar dieses Jahres eingehen, als der Bericht des Haushaltsausschusses über den Antrag betreffend Hilfe für die Hochwassergeschädigten in Vilshofen behandelt wurde. Herr Kollege Arndgen und Herr Kollege Ritzel haben dabei auf das Fehlen eines Katastrophenfonds hingewiesen. Auch ich möchte heute auf diesen Mangel aufmerksam machen. Bereits in der letzten Woche haben wir einen Antrag formuliert, einen solchen Fonds in Höhe von 2 Millionen im Etat vorzusehen. Die Inanspruchnahme dieses Fonds könnte durchaus unter dem Gesichtspunkt erfolgen, den Kollege Dr. Vogel in der Sitzung vom 24. Februar anführte, daß die Beteiligung der Länder Voraussetzung ist.
Wir bitten also heute um Überweisung an den Haushaltsausschuß und um baldige Erledigung dortselbst.
({6})
Wird weiter das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Es ist der Antrag gestellt, die Vorlage dem Finanz- und dem Haushaltsausschuß zu überweisen, federführend wohl der Haushaltsausschuß.
({0})
Das Haus ist einverstanden. Die Vorlage wird an den Haushaltsausschuß überwiesen. Damit ist auch dieser Punkt erledigt.
Nachdem Punkt 4 der heutigen Tagesordnung abgesetzt worden ist, rufe ich auf Punkt 5:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Personalgutachterausschuß-Gesetzes ({1}).
Wer wird diese Vorlage begründen? - Das Haus verzichtet auf Begründung? - Wird auch auf Aussprache verzichtet? - Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe nicht, wie wir jetzt hier einen Gesetzentwurf beraten sollen, nachdem die logische Voraussetzung dieses Entwurfs, nämlich der vorangegangene Entwurf über die von der DP beantragte Aufhebung des Personalgutachterausschuß-Gesetzes heute gar nicht behandelt wird.
({0})
Es handelt sich um etwas anderes, Herr Kollege Erler. Abgesetzt ist Punkt 4 a und b. Jetzt sind wir bei Punkt 5.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Berendsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es handelt sich um eine völlig andere Angelegenheit. Darüber sind wir uns klar. Ich beantrage Überweisung an den Verteidigungsausschuß.
Das Haus ist damit einverstanden.
({0})
({1})
- Dann lasse ich abstimmen, damit Sie Ihre Meinung auch sichtbar zum Ausdruck bringen können. Wer für die Überweisung an den Verteidigungsausschuß - ({2})
- Wer für die Überweisung an den Haushaltsausschuß als federführenden Ausschuß ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Gegen die Stimmen der Deutschen Partei und die Stimmen einiger Mitglieder anderer Fraktionen angenommen. Ich konnte nicht genau erkennen, wer es im einzelnen ist.
({3})
Dann rufe ich auf Punkt 6:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Verbesserungen der gesetzlichen Unfallversicherung ({4}).
Das Wort hat der Abgeordnete Meyer.
Meyer ({5}) ({6}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich habe die Frage der Erhöhung der Unfallrenten u. a. in einer Fragestunde vor ungefähr einem halben Jahre angesprochen. Da aber die Regierung in dieser Angelegenheit bisher nicht initiativ geworden ist, hat nun die SPD-Fraktion dem Hause auf der Ihnen vorliegenden Drucksache 2054 den Entwurf eines Gesetzes über Verbesserungen der Leistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung vorgelegt.
Ich darf bei dieser Gelegenheit feststellen, daß die Unfallversicherung, also das Dritte Buch der Reichsversicherungsordnung, gewissermaßen ein Stiefkind der sozialen Gesetzgebung gewesen ist und anscheinend bleiben soll; denn auch in den Gesprächen über die Sozialreform sind zwar eine ganze Menge von Andeutungen und Vorschlägen gemacht worden - das wollen wir gern zugeben -, wahrscheinlich wird aber dieser Bundestag das Reformwerk in seiner Gesamtheit nicht mehr unter Einbeziehung der Unfallversicherung verabschieden.
Die Unfallversicherung ist nicht nur in bezug auf sehr schlechte Leistungen ein Stiefkind der Gesetzgebung. Ich darf hier einige nennen: Es gibt in der gesetzlichen Unfallversicherung keinen Zuschlag für die Ehefrauen. Die Kinderzulage wird nur bis zum 18. Lebensjahr gewährt und hört da plötzlich auf. Immer wieder bekommen wir gerade zu dieser Frage zahlreiche Zuschriften. Eine frühere günstige Regelung wurde in einer der Brüningschen Notverordnungen beseitigt. Die Unfallversicherung kennt auch keine Waisenrente, obwohl hierdurch sehr große Härten auftreten. Es gibt nicht das Sterbevierteljahr; es gibt keine Elternrente, eine sehr bedauerliche Erscheinung, die im Zuge der kommenden Sozialreform irgendwie geregelt werden muß. Es gibt keine Erziehungsbeihilfe, es gibt kein Bestattungsgeld. Das sind also materielle Fragen des Rechts.
Darüber hinaus hat aber, glaube ich, dieses Hohe Haus in einem sehr starken Maße gerade den Unfallrentnern dadurch Unrecht getan, daß die Erhöhung der Unfallrenten immer viel später erfolgte als die Erhöhung der Sozialrenten.
Wir wissen, daß es 1950, als wir nach der großen Preissteigerungswelle während der Korea-Krise unseren ersten Antrag einbrachten, ein Jahr gedauert hat, bis das Rentenzulagengesetz verabschiedet wurde, aber noch ein weiteres Jahr, also insgesamt zwei Jahre, bis das damalige Unfallrentenerhöhungsgesetz verabschiedet wurde. Das letztgenannte Gesetz wurde noch dazu in einer Form verabschiedet - wenn ich an die Einführung des Bezugs auf die Renten unter 50 %, die in den letzten Unfallrentengesetzen zu kurz gekommen sind, erinnern darf -, daß man eine sogenannte Versorgungskassenleistung in bezug auf die Einkommensverhältnisse eingeführt und damit das sonst so geheiligte Versicherungsprinzip durchbrochen hat. Wegen der Kürze der Zeit will ich nicht gravierende Beispiele anführen, um zu zeigen, wie vollkommen falsch sich diese Bestimmung aus dem Gesetz von 1952 ausgewirkt hat.
Die Berufskrankheiten sind seit 1925 Gegenstand der Regelung der Unfallversicherung. Wir haben hier, insbesondere im Hinblick auf die vollkommen unzulängliche 5. Berufskrankheiten-Verordnung, Abhilfe verlangt. Ich habe noch in einer der letzten Fragestunden den Herrn Minister nach den Erfahrungen mit dieser Berufskrankheiten-Verordnung gefragt. Er hat auch hier wieder, wie schon vor Jahren, darauf hingewiesen, daß klare Ausführungsbestimmungen - insbesondere der Handhabung der Silikose, die im Bergbau und in der chemischen Industrie eine sehr große Rolle spielt - erlassen werden sollen. Das ist ein fortgesetztes Tauziehen.
Nach unserer Auffassung ist es ein grundsätzliches Problem der Neuordnung, wie man die Frage der Vertrauensärzte regelt. Ich denke hier an eine Broschüre, die in letzter Zeit von Herrn Dr. Schrader herausgegeben worden ist, der diese Frage nach wie vor beim Vertrauensarzt der Berufsgenossenschaft belassen will. Ich glaube, hier muß in der künftigen Reform ein Konsortium gebildet werden, bei dem auch die Versichertenvertreter mitwirken, damit den Leuten wirklich Recht geschieht. Es kann auch nicht, wie es sich bei der praktischen Anwendung der 5. Berufskrankheiten-Verordnung abzeichnet, der Justitiar einer Berufsgenossenschaft auslegen, wie diese gesetzlichen Bestimmungen angewandt werden sollen.
Wiederholt wurde von unserer Seite - schon 1951 - die Frage der Unfallrenten unter 20 % angesprochen. Der Herr Minister hat damals sehr weitgehende Zusagen gemacht. Die Presse hat die Frage aufgegriffen. Aber dann wurde ein schneller Rückzug angetreten, und es war in diesen fünf Jahren bisher nicht möglich, die Frage der Unfallrenten unter 20 %, die seinerzeit auch durch die Brüningschen Notverordnungen beseitigt worden waren, in klaren gesetzlichen Bestimmungen zu regeln. Wir haben diese Frage in unserm Gesetzentwurf angesprochen.
Der Grundgedanke unseres Gesetzentwurfs ist die Anpassung aller Unfallrenten - ich betone ausdrücklich: aller Unfallrenten, auch der Unfallrenten unter 50 % - an das veränderte Preisniveau. Nach unserer Auffassung muß nach so langen Diskussionen nun endlich das Problem der, wie wir es früher genannt haben, „gleitenden Renten" - der heutige Sprachgebrauch hat das Wort „dynamische Renten" eingeführt - in Angriff genommen werden, und die künftigen Sozialrenten
- dazu gehört ohne Zweifel auch die Unfallrente
- müssen an das jeweilige Lohngefüge angelehnt werden, um die Kaufkraft der Renten wiederherzustellen.
({7})
Ich möchte an dieser Stelle nicht über die beängstigende Preisentwicklung sprechen, die wir in der letzten Zeit beobachten. Preisend mit viel schönen Reden kann man das Problem der fortgesetzten Preiserhöhung nicht lösen. Ich will es mir versagen, einige gravierende Dinge der ganzen Preisentwicklung anzuführen. Ich denke besonders an die sogenannte Stahlspannenkalkulation, die immer den gleichen prozentualen Preisaufschlag auf die Ware bei dem verschiedenen Umsatz aufschlägt. Dadurch kommen natürlich ganz bedeutende Preissteigerungen heraus. Die Anpassung der Unfallrenten an das veränderte Preisgefüge seit 1952, wo wir das letzte Unfallrentenerhöhungsgesetz in diesem Hause verabschiedet haben, ist Grundlage unseres Gesetzentwurfs. Denn die Unfallrente wird nach der prozentualen Schädigung, die der Betreffende erlitten hat, vom Jahresarbeitsverdienst berechnet. Wer die zahlreichen Zuschriften studiert, die die Kollegen dieses Hauses immer wieder bekommen, ist erschreckt darüber, mit wie wenigen Pfennigen, möchte ich einmal sagen, besonders die Witwen von Unfallrentnern auskommen und leben müssen. Wir haben in diesem Gesetzentwurf die Höchstgrenze, die im 1949 er Gesetz 200 DM betrug, auf 325 DM festgelegt.
Ein besonderes Problem, das ich noch ganz kurz ansprechen möchte und das uns in früheren Jahren hier schon beschäftigt hat - wir konnten erfreulicherweise eine kleine Verbesserung erzielen -, sind die Ruhensvorschriften, also die §§ 1274 und 1275 der Reichsversicherungsordnung, wo gesagt wird, daß beim Zusammenfallen einer Unfallrente mit einer Rente der Rentenversicherung ein Viertel der Rente der Rentenversicherung - wieder in Durchbrechung des Versicherungsprinzips - ruht, d. h. praktisch abgezogen wird. Eine ungeheure Verwaltungsarbeit ist, besonders wenn es sich um niedrige Renten handelt, damit verbunden. Wir schlagen deshalb vor, daß beim Zusammentreffen von Renten der Unfallversicherung und der Rentenversicherungen die §§ 1274 und 1275 der Reichsversicherungsordnung nur angewendet werden, wenn beide Renten zusammen den Betrag von 250 DM monatlich übersteigen. Dieser Satz ist sehr gering angesetzt, um hier zu einer Verständigung zu kommen. Aber dadurch dürfte sehr viel Verwaltungsarbeit erspart werden.
Noch einige Worte von grundsätzlicher Bedeutung zu § 11 unseres Gesetzentwurfs. Eine aus sozialen und arbeitsmarktpolitischen Gründen längst überfällige Verbesserung der Bestimmungen der gesetzlichen Unfallversicherung für land- und forstwirtschaftliche Arbeiter ist hier zusammengefaßt. Während die Unfallrente in dem gewerblichen Sektor nach dem vor dem Unfall erzielten Arbeitsverdienst, in besonderen Fällen auf der Grundlage des 300fachen des Ortslohns bemessen wird, wird die Unfallrente in der Land- und Forstwirtschaft nicht nach dem tatsächlich erzielten, sondern nach einem durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienst berechnet, der von den in der Reichsversicherungsordnung eigens zu diesem Zweck vorgesehenen Ausschüssen von Zeit zu Zeit festgesetzt wird. Diese Regelung hat dazu geführt, daß die Unfallrenten vor allem der land- und forstwirtschaftlichen Arbeitnehmer allgemein, nicht nur absolut - das wäre wegen der niedrigen Löhne der Landwirtschaft erklärlich -, sondern auch relativ im Vergleich zum erzielten Verdienst erheblich niedriger sind als in der gewerblichen Wirtschaft. Es handelt sich hier um eine echte soziale Disparität - wir gebrauchen dieses Wort absichtlich, weil es in diesem Kreise verstanden wird -, die von den Land- und Forstarbeitern als diskriminierend angesehen wird und deren Beseitigung sie seit langem fordern.
Neben anderen sozialrechtlichen Ausnahmebestimmungen zu Lasten der Landarbeiter hat auch das Wissen um die niedrige Unfallrente immer ein gutes Stück dazu beigetragen, die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme in der Landwirtschaft zu beeinträchtigen. Insofern hat der § 11 arbeitsmarktpolitische Bedeutung, abgesehen davon, daß er unvertretbare soziale Härten beseitigt. Er will das mit einer Beseitigung der im Dritten Buch der Reichsversicherungsordnung enthaltenen Ausnahmebestimmungen über die Bemessung der Unfallrenten für land- und forstwirtschaftliche Arbeitnehmer, wohlgemerkt: nur für diese und nicht für landwirtschaftliche Betriebsinhaber und ihre Familienarbeitskräfte, für die andere Voraussetzungen bestehen, obschon meine politischen Freunde der Auffassung sind, daß auch bei ihnen in dieser Beziehung nicht alles in Ordnung ist. Für Land-und Forstarbeiter sollen die gleichen Bestimmungen angewendet werden, wie sie für gewerbliche Arbeitnehmer gelten.
Wir sind zuversichtlich, daß die Mehrheit dieses Hauses unseren Gedankengängen folgen wird, zumal wir im Sozialpolitischen Ausschuß bereits bei der Beratung des vor kurzem verabschiedeten Gesetzes über die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt dieses dringende Problem für unsere Landarbeiter zur Diskussion gestellt haben.
Der Kürze der Zeit zuliebe möchte ich zum Schluß noch einmal auf die Gesamtheit unseres Gesetzentwurfs zurückkommen. Der Faden, der sich durch unseren Gesetzentwurf hindurchzieht, ist der Gedanke, daß nun endlich auch die Unfallrentner in eine Rentenerhöhung einbezogen werden, die wir den Beziehern von Sozialrenten schon vor Jahren durch das Erste Rentenmehrbetragsgesetz und dann nach einem Jahr durch das Sozialzulagengesetz gewährt haben. Die Unfallrentner warten also nun mit Recht darauf, daß der Bundestag auch ihre Renten erhöht.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Es ist vereinbart, daß zu diesem Punkt keine Aussprache stattfindet. Aber ein Wort, das der Herr Vorredner gebraucht hat, kann doch nicht unwidersprochen bleiben. Er hat gesagt, daß die Unfallversicherung von jeher das Stiefkind der Sozialversicherung gewesen sei. Jeder, der etwas von den Dingen versteht, weiß, daß es umgekehrt ist, daß die Unfallversicherung stets der beste Zweig unserer Sozialversicherung gewesen ist.
({0})
Die Unfallversicherung steht durch die vorbeugenden Maßnahmen und durch die Hilfen, die sie gewährt hat, an erster Stelle; das möchte ich hier klar und deutlich zum Ausdruck bringen. Auf die Einzelheiten werden wir im Ausschuß zu sprechen kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der SPD - Entwurf eines Gesetzes über Verbesserungen der gesetzlichen Unfallversicherung - trägt das Datum 1. Februar 1956. Alle diejenigen, die sich in diesem Hause mit Sozialpolitik beschäftigen und die Taktik der SPD-Fraktion in Sachen Sozialpolitik in diesem Haus kennen, wußten spätestens am 18. Januar dieses Jahres, daß die SPD mit einem solchen Antrag aufwarten würde. In einer Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses, die an diesem 18. Januar stattfand, hat Herr Ministerialrat Raack vom Bundesarbeitsministerium davon Kenntnis gegeben, daß im Rahmen der Vorbereitungen einer Sozialreform auch die Vorarbeiten zu einem Gesetz zur Änderung der Unfallversicherung schon weit fortgeschritten seien.
({0})
Es scheint mir, daß die SPD-Fraktion, nachdem sie von diesem Vorhaben Kenntnis bekommen hat, schnell mit diesem Antrag gekommen ist, um durch das Fenster hindurch draußen den Eindruck zu erwecken, als wenn sie es gewesen wäre, die in Sachen der Verbesserung der Unfallversicherung den Anstoß gegeben habe.
({1})
Das möchte ich hier einmal ausführen, damit diese Dinge im Protokoll des Bundestages festgehalten werden.
({2})
Nun ein Wort zu dem Gesetzentwurf. Der Tendenz, die Renten der alten Unfallrentenempfänger zu erhöhen, die Beschränkungen der bekannten Verordnung aufzuheben und weiter die Festsetzung der Jahresarbeitsverdienste für die Berechnung der Unfallrenten der landwirtschaftlichen Arbeitnehmer in Ordnung zu bringen, stimmen wir zu. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß alle diese Vorschriften auch in dem Regierungsentwurf stehen, der sich in Arbeit befindet.
({3})
Nun bin ich zusammen mit meinen Freunden der Meinung, daß über die Forderungen hinaus, die Sie in Ihren Gesetzentwurf hineingearbeitet haben, noch eine Reihe weiterer Dinge geregelt werden müssen.
({4})
Meine Freunde und ich sind der Meinung, daß alle Bestimmungen des Dritten Buches der Reichsversicherungsordnung überprüft und daß diese Bestimmungen an den seither entwickelten Sach- und Rechtszustand angepaßt werden müssen.
({5})
Dann glauben wir, daß auch Bestimmungen über die Bezüge der Witwen und der Waisen, soweit sie noch nicht eingebaut sind, eingebaut und den heutigen Verhältnissen angepaßt werden müssen.
Nun das Wichtigste. Wir stehen in der Diskussion über die Reform der sozialen Leistungen.
({6})
- Meine sehr verehrten Kollegen von der SPD-Fraktion, wenn man sich mit Sachkennern der Sozialversicherung aus Ihrer Partei von Mensch zu Mensch und nicht vor einem Forum unterhält und wenn man nur Sachdebatten führt,
({7})
dann spürt man, daß auch die Kollegen Ihrer Fraktion, die von den Dingen etwas verstehen, mit uns der Meinung sind, daß die Dinge nicht übers Knie gebrochen werden können, sondern daß eingehende Beratungen und Vorarbeiten notwendig sind.
({8})
Wir sind der Meinung, daß jedes Gesetz zur Änderung und Verbesserung der Unfallversicherung in allen seinen Bestimmungen auf die Grundbestimmungen der Alters- und Invalidenversicherung abgestimmt werden muß. Geschieht das nicht, dann machen wir eine Zwischenlösung, durch die das Gewirr und das Gestrüpp der Gesetzesbestimmungen für die sozialen Einrichtungen noch vermehrt werden, und wir kommen nicht zu der notwendigen Vereinfachung.
({9})
Daher muß unter allen Umständen versucht werden, auch dieses Gesetz zur Änderung und zur Verbesserung der Leistungen der Unfallversicherung auf die Grundbestimmungen der Alters- und Invalidenversicherung abzustimmen. Weiter muß versucht werden, all die Wünsche und Beschwerden, die in den letzten Jahren auf uns zugekommen sind, bei der Abfassung der neuen Bestimmungen so weit wie irgend möglich zu berücksichtigen und ihnen, soweit es sich um Härtefälle handelt, in den Bestimmungen entsprechend Rechnung zu tragen.
Ich will auf weitere Notwendigkeiten, die bei der Beratung dieses Gesetzes zu beachten sind, nicht eingehen, bin aber der Meinung, daß sich der Ausschuß für Sozialpolitik mit Ihrem Antrag beschäftigen muß und daß auch über den Zeitpunkt der Verabschiedung Ihres Antrags und über die Form, in der es geschehen soll, noch eingehende Überlegungen notwendig sind. Aus all diesen Gründen stelle ich den Antrag - das ist vorhin vom Herrn Kollegen Meyer versäumt worden -, den Antrag Drucksache 2054 dem Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen.
({10})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich hätte mich sehr gefreut, wenn der Herr Kollege Arndgen diese verständnisvollen Ausführungen im Zusammenhang mit dem Gesamtproblem der Reform bei dem ersten Punkt, den wir heute beraten haben, gemacht und einigen meiner Anträge zugestimmt hätte. Ich kann mich aber nicht seiner Auffassung anschließen, daß es nicht das gute Recht der Opposition in diesem Hause ist, einen Antrag einzureichen, der sozusagen in der Luft hängt, und daß es nicht unser aller Pflicht ist, im Ausschuß ernsthaft darüber
({0})
zu beraten. Wenn es der Regierung gelingt, ihre Vorlage rechtzeitig zu unterbreiten, werden wir über beides beraten.
({1})
- Ich vertrage mich immer mit Ihnen, wenn es um sachliche Dinge geht.
({2})
Ich weise die Feststellung in der Begründung des Kollegen von der SPD zurück, daß etwa mit unserer Unfallversicherung einiges nicht in Ordnung sei. Unsere Unfallversicherung ist nach wie vor nicht nur für Deutschland, sondern für die ganze Welt, ja, auch für diejenigen, die an das Zauberwort von der Rehabilitierung glauben und davon sehr viel erwarten, noch immer ein ausgezeichnetes Vorbild. Nicht in Ordnung ist nur die Höhe der Leistungen. Darüber besteht gar kein Zweifel. Hier muß ich wiederholen, was ich heute morgen erklärt habe: wer A sagt, muß auch B sagen und zur Not das ganze Alphabet; wer Rentenerhöhungen will und Versprechungen macht, muß sich darüber klarwerden, daß er solche Zusagen nach in Übereinstimmung zu bringenden Grundsätzen für alle Zweige der sozialen Leistungen und natürlich auch in Anpassung an die Entwicklung tun muß. Das ist das Problem, das uns zu lösen übrig bleibt.
Ich halte die Überweisung an den Ausschuß für eine Notwendigkeit und die beschleunigte Beratung der Probleme für dringlich.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Nur ganz wenige Bemerkungen. Herr Kollege Atzenroth, die Kritik meines Parteifreundes Meyer bezog sich auf die Leistungen der Unfallversicherung.
({0})
Es ist eine Tatsache, daß seit dem Jahre 1951 die Renten der Unfallversicherung nicht der Entwicklung der Kaufkraft und der Löhne angepaßt worden sind. Es ist weiter eine Tatsache, daß durch das letzte Gesetz von 1952, das mit Wirkung von 1951 in Kraft getreten ist, 95 % der Renten bei einer Beschädigung bis 50 % nicht erhöht worden sind, sondern sich heute noch auf dem Stande von 1949 und früher befinden. Darauf bezieht sich unser Entwurf, und deshalb hat mit Recht Herr Kollege Meyer davon gesprochen, daß die gegenwärtigen Leistungen der Unfallversicherung hinter den sozialen Anforderungen, die wir stellen müssen, zurückbleiben.
({1})
Nun hat Herr Kollege Arndgen ausgeführt, daß ein Ministerialrat bei einer Ausschußberatung erklärt habe, die Regierung sei mit einer Neuordnung beschäftigt.
({2})
Erklärungen über soziale Neuordnung haben wir nicht nur von Ministerialräten, sondern auch von Ministern seit vielen Jahren gehört,
({3})
ohne daß bis jetzt etwas Konkretes geschehen ist. Zudem darf ich darauf hinweisen, daß nach den
letzten Beschlüssen des Sozialkabinetts über die beabsichtigte Neuordnung der Rentenleistungen meiner Kenntnis nach nicht in Aussicht gestellt worden ist, auch die Unfallrenten an die Bedürfnisse der Gegenwart anzupassen.
({4})
Im Hinblick auf diese Tatbestände war es eine Verpflichtung der Opposition - Frau Kalinke hat das bestätigt - zu fordern, daß die Renten der Unfallversicherung nicht weiter hinter dem Lebensstandard derjenigen zurückbleiben, die aktiv im Arbeitsprozeß stehen. Das ist unser Anliegen. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Menschen, die ihre Gesundheit und Arbeitskraft im Interesse des Betriebs verwandt haben, dadurch die Voraussetzungen für die Steigerung des Sozialprodukts geschaffen haben, und die bei der Arbeit im Betrieb einen Unfall erlitten haben, ihren gerechten Anteil erhalten sollen.
({5})
Deshalb fordern wir eine Anpassung der Unfallrenten an den gegenwärtigen Lohnstandard. Das ist der Inhalt unseres Antrags. Herr Kollege Arndgen, Sie haben sich bereit erklärt, im Ausschuß daran mitzuarbeiten. Wir haben die Hoffnung und richten an Sie die Bitte, mit dafür zu sorgen, daß die Anpassung noch vor diesem Sommer durchgeführt wird. Eine weitere grundsätzliche Reform - wie Sie sagen: Überprüfung sämtlicher Vorschriften des Dritten Buchs der RVO über die Unfallversicherung - soll dann erfolgen. Aber jetzt ist es notwendig und dringend, die Unfallrenten der Entwicklung der Kaufkraft anzupassen.
({6})
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letzten Ausführungen von Herrn Professor Schellenberg zwingen mich wieder einmal, hier zu einer Sache Stellung zu nehmen, die eigentlich heute nicht diskutiert werden sollte.
({0})
- Nein, letzten Endes haben doch Sie hier die Erörterungen begonnen. Mir ist mitgeteilt worden, es sollte heute über die Sache nicht diskutiert werden. Sonst hätte ich ja zu den Dingen Stellung genommen.
Nun hat Herr Professor Schellenberg in seiner temperamentvollen Art wieder einmal vorgetragen: Ja, die Regierung hat schon sehr viel versprochen, und genau so wie sie früher keine Vorlagen eingebracht hat, wird es auch hier nicht geschehen. Herr Professor' Schellenberg, wir haben heute morgen ein Teilstück einer Regierungsvorlage verabschiedet, die seit dem Mai des vergangenen Jahres im zuständigen Ausschuß des Bundestags liegt. Diese Tatsache sollte dem Hohen Hause doch ganz klar vor Augen geführt haben, daß hier Probleme vorliegen, die man nicht so leichthin von heute auf morgen lösen kann.
Ich will Ihnen in aller Offenheit sagen: Sie wissen genau so wie wir von der Regierung, daß wir uns bemüht haben, mit den Rentenerhöhungsgesetzen der beiden letzten Jahre einen gewissen
({1})
Notstand zu überbrücken. Sie haben gesagt, ein Teil der Unfallrentner habe selbst die Vergünstigungen aus dem Zulagengesetz des Jahres 1952 nicht erhalten. Sie wissen doch, daß in dem damaligen Gesetz vorgesehen war, daß alle Unfallrentner, die bis zu 50 % erwerbsgemindert sind, eine Erhöhung ihrer Rente beantragen können, wenn sie einen gewissen Prozentsatz der tarifvertraglichen oder der allgemeinen Löhne nicht erreichen. Wenn nur ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz dieser unter 50 % beschädigten Leute entsprechend dieser Möglichkeit einen zusätzlichen Antrag gestellt hat, dann ist das doch der Beweis dafür, daß es unserer Volkswirtschaft möglich war, auch diesen teilbeschädigten Menschen noch den vollen Arbeitslohn zu geben. Darüber sollten wir uns alle freuen. Eine Rente ist nicht Selbstzweck, sondern sie ist das Mittel zum Zweck, einen Lebensstandard aufrechtzuerhalten und Erschwernisse auszugleichen, die sich aus der Körperschädigung ergeben. Ich möchte Sie bitten, doch nicht bei jeder Detailfrage, die hier aufgeworfen oder behandelt wird, das ganze Problem unserer sozialen Neuordnung zur Debatte zu stellen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur eine Bemerkung zur Richtigstellung! Durch das Gesetz aus dem Jahre 1952 sind leider diese Unfallrenten - unter 50 % Beschädigung - nicht den geltenden Tarifen angepaßt worden, sondern nur dem Lohnstand zur Zeit des Unfalls. Das heißt, daß wir praktisch heute Unfallrenten haben, die noch auf dem Stand der Löhne von 1929/1930 und früher liegen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist der Antrag gestellt, die Vorlage an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 28. Juni 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf Begründung und Aussprache zu verzichten und die Vorlage zu überweisen an den Ausschuß für Arbeit als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als mitberatenden Ausschuß. Ist das Haus einverstanden? - Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Lohnstatistik ({1});
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit ({2}) ({3}). ({4})
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Maier ({5}). Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Maier ({6}) ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zur Ergänzung bzw. Erläuterung des Ihnen vorliegenden Schriftlichen Berichts *) noch einige wenige Bemerkungen.
Der Ausschuß für Arbeit hat die Vorlage der Regierung im allgemeinen für gut, aber nicht für ausreichend befunden. In dem Gesetzentwurf war vorgesehen, daß eine laufende Statistik über die Arbeitsverdienste und Arbeitszeiten in der Landwirtschaft, eine laufende Statistik über die Arbeitsverdienste und Arbeitszeiten in anderen Wirtschaftsbereichen sowie Sondererhebungen über Arbeitsverdienste und Arbeitszeiten als Bundesstatistik durchgeführt werden sollen. Hierbei sollten wie bislang nur Arbeiter erfaßt werden. Die Ausschußmitglieder waren aber einhellig der Auffassung, auch Erhebungen über die Angestellten in dieses Gesetz mit einzubeziehen.
Die Aussprache in dem Ausschuß ergab, daß sich auch die Vertreter der Regierung dieser Auffassung nicht verschließen konnten. Lediglich wegen der Kostenfrage hatte der Regierungsentwurf eine solche Einbeziehung der Angestellten nicht vorgesehen. Der Ausschuß gab der Überzeugung Ausdruck, daß diese aus der Sache heraus notwendige Ausweitung des Gesetzes nicht an den Kosten scheitern dürfte, zumal die in Frage kommenden finanziellen Aufwendungen des Bundes und der Länder im Hinblick auf die Bedeutung dieser statistischen Ermittlungen und Erhebungen nicht von besonderem Belang sind. Wer sich vor Augen hält, daß diese Erhebungen nicht nur dazu dienen, Stand und Bewegung der effektiven Verdienstverhältnisse der Arbeiter und Angestellten einschließlich der Arbeitszeiten der Arbeiter aus Staats- und wirtschaftspolitischen Gründen möglichst weitgehend zu erfassen, sondern auch den Sozialpartnern, den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, wertvolle sachliche Unterlagen zu bieten, der kann nur zu der Schlußfolgerung gelangen, daß diese Mehraufwendung in jeder Weise gerechtfertigt ist. Mit der Erfüllung der diesem Gesetz zugrunde liegenden Aufgaben wird zweifellos ein wesentlicher Beitrag zur sozialen Befriedung geleistet.
Der Bundesrat hat in seinen wenigen Änderungsvorschlägen die Auffassung vertreten, es handele sich bei dem vorliegenden Gesetz um ein Zustimmungsgesetz. Der Ausschuß hat sich dieser Meinung nicht angeschlossen, sondern der Ansicht der Bundesregierung beigepflichtet, daß der Gesetzentwurf nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Bezüglich der Durchführung von Sondererhebungen jedoch war der Ausschuß der Auffassung, daß dem Vorschlag des Bundesrates zu folgen sei, der an Stelle der im Regierungsentwurf vorgesehenen Kann-Bestimmung eine stärkere Bindung bzw. Verpflichtung der Bundesregierung für notwendig erachtet hat.
Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, Sie namens des Ausschusses für Arbeit zu bitten, dem Gesetzentwurf Drucksache 1994 in der Ausschußfassung Drucksache 2118 Ihre Zustimmung zu geben.
({8})
*) Siehe Anlage 9.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, Änderungsanträge sind nicht angekündigt. Ich schlage Ihnen vor, daß wir das Verfahren abkürzen, indem ich die §§ 1 bis 10 zusammen
({0})
und zugleich Einleitung und Überschrift aufrufe. Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen eine Stimme angenommen. Die zweite Beratung ist abgeschlossen. .
Wirt treten in die
dritte Beratung
ein. Auf allgemeine Aussprache wird wohl verzichtet? - Anträge liegen nicht vor, wir kommen unmittelbar zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzes ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. - Gegenprobe! - Bei drei Gegenstimmen angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({1}).
Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf Begründung und Aussprache zu verzichten, und weiter, die Vorlage unmittelbar an den Ausschuß für Lastenausgleich zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen*). Dieser Punkt ist erledigt.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes, des Zolltarifs und des Mineralölsteuergesetzes ({2}) ({3}).
Hierzu macht Ihnen der Ältestenrat denselben Vorschlag. Er schlägt vor, die Vorlage an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und den Ausschuß für Außenhandelsfragen zu überweisen. Strittig ist, wer die Federführung haben soll. Darüber kann sich, falls das Haus es wünschen sollte, jetzt eine angeregte Debatte entfalten. Meiner Meinung nach sollte der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen federführend sein, aber vielleicht ist meine Meinung falsch.
Das Wort hat der Abgeordnete Krammig.
Herr Präsident, Sie haben mir das vorweggenommen: es ist zweifellos eine Vorlage, die der Federführung durch den Finanz-und Steuerausschuß bedarf, weil in erster Linie das Zollgesetz und das Mineralölsteuergesetz geändert werden sollen und der Zolltarif nur im Zolltarifgesetz als solchem betroffen ist. Ich bitte daher, den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß zu bestimmen.
Widerspruch erhebt sich nicht; dann ist so beschlossen. Punkt 10 ist erledigt.
Ich rufe Punkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Lotze, Dr. Schneider ({0}), Dr. Greve und
*) Siehe Anlage 10.
Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des § 10 der Justizbeitreibungsordnung ({1}).
Hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, die Vorlage an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? ({2})
- Legen Sie Wert darauf, den Antrag zu begründen?
({3})
- Wenn Sie wünschen, bitte.
Das Wort hat der Abgeordnete Lotze.
Lotze ({4}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 15 Juristen des Hauses bitten das Hohe Haus, den § 10 der Justizbeitreibungsordnung aufzuheben. Es handelt sich dabei
- ich will mich mit Rücksicht auf die vorgerückte Stunde ganz kurz fassen - um folgendes. Im Jahre 1937 hat die nationalsozialistische Regierung einen neuen Paragraphen in die Justizbeitreibungsordnung hineingebracht, der es ermöglicht, daß die Beamten der Gerichtskassen, also Beamte, die an sich mit der Rechtsprechung nichts zu tun haben, nach ihrem eigenen Ermessen in Strafsachen während des Verfahrens - selbst noch vor der Anklageerhebung - einen Arrest ausbringen können, durch den das Vermögen des Angeklagten, über dessen Schuld also noch keine richterliche Entscheidung vorzuliegen braucht, ganz oder teilweise beschlagnahmt werden kann.
Was der Nationalsozialismus mit dieser Regelung bezweckte, brauche ich dem Hohen Haus wohl nicht weiter vorzutragen. Der Sinn der Vorschrift war natürlich, in politischen Prozessen Angeklagte von vornherein auch ihrer finanziellen Subsistenzmittel für die Durchführung einer ordnungsmäßigen Verteidigung zu berauben. Leider hat man von dieser Vorschrift, obwohl sie mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist - nach Art. 92 des Grundgesetzes geht alle Rechtsprechung von den Richtern aus und gehört in die Hände der Richter -, in einem erheblichen Maße und zunehmend Gebrauch gemacht. Die Personen, die über die Frage eines solchen Arrestes entscheiden, sind nicht Richter und sind auch nicht Rechtspfleger. § 10 bestimmt, daß die Gerichtskasse, die nur die Interessen des Fiskus zu vertreten hat, über die Frage entscheidet, ob ein solcher Arrest angewandt werden soll oder nicht. Da aber ein Arrest zweifellos eine Maßnahme ist, die eine richterliche Entscheidung voraussetzt, ist es nach meiner Überzeugung mit Art. 92 des Grundgesetzes nicht vereinbar, daß dieses Verfahren nach § 10 der Justizbeitreibungsordnung weiter fortgeführt wird.
Wir haben uns nach meiner Überzeugung aber auch international durch das Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte verpflichtet, derartige Verfahren nicht mehr zu dulden. Art. 6 dieses Gesetzes bestimmt ausdrücklich, daß alle derartigen Fragen nur durch den Richter entschieden werden dürfen.
Es kommt noch hinzu, daß das Oberverwaltungsgericht Lüneburg abgelehnt hat, eine solche reine Verwaltungshandlung nachzuprüfen, und zwar mit der Begründung, daß die Verordnung Nr. 165 dem entgegenstehe.
({5})
Wir haben also heute folgende Situation. Jeder Angeklagte muß damit rechnen, daß es ein Justizkassenbeamter für gut befindet, einen Arrest in sein Vermögen auszubringen, bevor noch die Schuld festgestellt worden ist.
§ 10 der Justizbeitreibungsordnung bezieht sich zwar auf die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Arrest; aber die eine sehr wichtige Vorschrift über das Arrestverfahren, den § 945, läßt er außer acht. Nach § 945 haftet derjenige, der einen Arrest ausbringt, dafür, d. h. daß sich der Arrest nachträglich auch als begründet erweisen muß. Es kann also heute passieren, daß das Vermögen eines Angeklagten, sagen wir, eines vermögenden Kaufmanns, mit einem Arrest belegt wird, daß infolge dieses Arrests sein Geschäft finanziell zusammenbricht, daß er nachher mangels Täterschaft freigesprochen wird und, wenn man den § 10 der Justizbeitreibungsordnung zugrunde legt, der Staat noch nicht einmal verpflichtet ist, ihn angemessen zu entschädigen.
Meine Damen und Herren, noch kurz einen Beweis dafür, wie weit wir heute in diesen Dingen gekommen sind. Ich möchte betonen, es gibt hier nicht bloß den Fall Müller, sondern es gibt eine Reihe von solchen Fällen. In einem Falle, den ich kenne, ist eine Vermögensbeschlagnahme erfolgt. Der Verteidiger hat sich an die Gerichtsinstanzen gewandt und sie gebeten, ihm für die Wahrnehmung des Revisionstermins beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einen Betrag aus dem beschlagnahmten Vermögen freizugeben, damit er dort die Verteidigung wahrnehmen kann. Darauf hat er von dem Oberstaatsanwalt, der diese Gelder verwaltete, den Bescheid bekommen, er denke gar nicht daran, einen Betrag von, ich glaube, 200 Mark waren es, freizugeben, da die Anwesenheit des Verteidigers bei diesem Gericht nicht gesetzlich vorgeschrieben sei. So weit sind wir also heute schon, daß der Staatsanwalt, d. h. die Gegenpartei, darüber entscheidet, ob die Verteidigung ordnungsmäßig geführt werden kann oder nicht. Ich glaube, allein dieser Tatbestand sollte uns Anlaß sein, dafür zu sorgen, daß diese Vorschrift, die weder mit dem Grundgesetz noch mit der Konvention zum Schutze der Menschenrechte vereinbar ist, so schnell wie möglich aufgehoben wird.
Ich bitte daher das Haus, den Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß zu überweisen, und ich bitte den Vorsitzenden des Rechtsausschusses, mit Rücksicht auf die Dringlichkeit gerade dieses Falles, den Entwurf dort so schnell wie möglich zur Beratung zu bringen.
({6})
Wird eine Aussprache gewünscht? - Offenbar nicht.
({0})
Dann frage ich das Haus, ob es mit der Überweisung an den Rechtsausschuß einverstanden ist. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ehe ich den letzten Punkt der Tagesordnung aufrufe, habe ich ein Versäumnis gutzumachen. Bei Ziffer 5, der ersten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Personalgutachterausschuß-Gesetzes, haben wir die Vorlage nur an den Haushaltsausschuß überwiesen. Nun bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, daß es sich hier auch um ausgesprochene Steuerfragen handelt. Deswegen muß man die Vorlage wohl auch an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zur Mitberatung überweisen. - Das Haus hat so beschlossen.
Nun rufe ich Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hoogen, Dr. von Buchka, Dr. Schneider ({1}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des § 13 des Dritten D-Markbilanzergänzungsgesetzes ({2});
Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({3}) ({4}).
({5})
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Schranz. Verzichtet das Haus auf Berichterstattung?
({6})
Der Berichterstatter verzichtet auch? - Das Haus ist Ihnen sicher dafür dankbar.
Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, - 2, -3,- 4, - Einleitung und Überschrift. - Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Dann ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Anträge sind nicht gestellt. Wir kommen, da eine allgemeine Aussprache nicht gewünscht wird, sofort zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes im ganzen ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Meine Damen und Herren, damit ist die Tagesordnung erledigt. Ich habe noch bekanntzugeben, daß der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaftspolitik mich gebeten hat, Ihnen mitzuteilen, daß die für Sonnabend, den 17. März vorgesehene Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik ausfallen muß. Weitere Mitteilungen sind nicht zu machen.
Ich berufe die nächste, die 136. Sitzung des Bundestages ein auf Mittwoch, den 21. März, 14 Uhr, und schließe die 135. Sitzung des Bundestages.