Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die
Hause darf ich dem Hause bekanntgeben, daß wir die Freude haben, fünf Mitglieder des englischen Unterhauses heute hier zu begrüßen.
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Ich darf die Herren Kollegen aus dem berühmtesten Parlament der Welt herzlich willkommen heißen.
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Weiter habe ich die Freude, dem Herrn Abgeordneten Dr. Brühler zu seinem 65. Geburtstag zu gratulieren.
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Nach einer Vereinbarung m Ältestenrat, darf ich schließlich noch bekantgebem, sind die folgenden Termine für die Fragestunden festgelegt worden: Die Sperrfrist für die Fragestunde am 15. März wurde rückwirkend auf den 17. Februar festgelegt, da bereits 29 Fragen für diese Fragestunde eingegangen sind. Am 21. März findet die zweite Fragestunde statt, deren Sperrfrist am 9. März, 12 Uhr, abläuft. Am 18. April folgt die nächste Fragestunde mit der üblichen Sperrfrist eine Woche zuvor, also letzter Termin für die Einreichung der Fragen: 13. April, 12 Uhr.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 10. Februar 1956 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz zur Neuordnung der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen;
Zweites Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Ausführung des Abkommens vom 27. Februar 1953 über deutsche Auslandsschulden;
Gesetz über die Gewährung von Zulagen zur Unterhaltshilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz ({3});
Gesetz über die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den Internationalen Übereinkommen vom 25. Oktober 1952 über den Eisenbahnfrachtverkehr und über den Eisenbahn-Personen- und -Gepäckverkehr.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 22. Februar 1956 die Kleine Anfrage 221 der Fraktion der SPD vom 11. Januar 1956 betreffend Strafverfolgung von Verwaltungsangehörigen der Bundesministerien ({4}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2114 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 10. Februar 1956 die Kleine Anfrage 222 der Abgeordneten Dr. Dittrich, Niederalt, Unertl und Genossen betreffend Zonenrandgebiete ({5}) beantwortet Sein Schreiben wird als Drucksache 2105 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 21. Februar 1956 die Kleine Anfrage 223 der Fraktion der SPD betreffend Versorgung der dienstunfähigen Arbeiter und Angestellten der früheren Reichsdrudcerei ({6}) ({7}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2111 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 18. Februar 1956 die Kleine Anfrage 224 der Fraktion der SPD betreffend laufende Unterstützung für dienstunfähige Arbeiter und Angestellte der ehemaligen Heeres- und Marineverwaltung ({8}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2109 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 15. Februar 1956 die Kleine Anfrage 275 der Fraktion der SPD betreffend Verkehrsgefährdung am Autobahnübergang über das Wiedbachtal ({9}) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2106 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem
16. Februar 1956 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 123. Sitzung einen Bericht über die Energiewirtschaft vorgelegt, der als Drucksache 2107 vervielfältigt wird.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem
17. Februar 1956 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 123. Sitzung einen Bericht über die Preisgestaltung bei Erwerbsunternehmen der öffentlichen Hand erstattet, der als Drucksache 2110 vervielfältigt wird.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 10. Februar 1956 gemäß § 30 Abs. 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 ({10}) den vom Bundesminister für Verkehr mit Schreiben vom 4. Februar 1956 übersandten Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1955 vorgelegt. Der Nachtrag liegt im Archiv zur Kenntnisnahme aus.
Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 8. Februar 1956 unter Bezug auf § 17 Abs. 5 des Postverwaltungsgesetzes vom 24. Juli 1953 ({11}) den durch Beschluß des Verwaltungsrats der Deutschen Bundespost vom 15. Dezember 1955 gemäß § 12 Abs. 1 des Postverwaltungsgesetzes festgestellten Voranschlag der Deutschen Bundespost für das Rechnungsjahr 1956 übersandt, der im Archiv zur Kenntnisnahme ausliegt.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Pohle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Enttäuschung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion über die Haltung der Mehrheit im Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zur 5. Novelle des Bundesvets rgungsgesetzes gibt mir Veranlassung, zu beantragen, erstens den Beschluß auf Rückverweisung des Berichts des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vom 12. Dezember 1955 und des Berichts des Haushaltsausschusses vom 14. Dezember 1955 aufzuheben, zweitens diese Berichte auf die heutige Tagesordnung des Bundestages zu setzen.
Als sich die Fraktionen in der Plenarsitzung vom 2. Februar 1956 mit einer kurzfristigen Verlegung der zweiten und dritten Lesung der 5. Novelle zum Bundesversorgungsgesetz einverstanden erklärten, gingen sie auf Grund einer Erklärung der Regierungsparteien von der Annahme aus, es bestehe eine wirkliche Chance, daß sich der Finanzminister und die Regierungsparteien zur Bereitstellung größerer Mittel für die vorgesehene Aufbesserung der Kriegsopferrenten bereit finden würden. Wir fürchten heute, insbesondere nach dem Verhalten der CDU/CSU bei der Behandlung der 5. Novelle im Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen am letzten Dienstag, dem 21. Februar, daß es sich bei der damaligen Erklärung nur um ein taktisches Manöver gehandelt hat.
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Die Mitglieder der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion haben auf weitere interfraktionelle Beratungen und Ausschußverhandlungen gedrängt und sich darum bemüht, festzustellen, wie weit nun eigentlich der Bundesfinanzminister und die CDU zu einer wirklichen Aufbesserung der Renten über den Betrag von 180 Millionen DM hinaus
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bereit sind. So hat auch der Herr Bundesfinanzminister in der Sitzung vom 21. Februar nicht erkennen lassen, ob, wann und wieviel er über jene 180 Millionen DM hinaus für die Erhöhung der Renten bereitstellen wird. Er erklärte allerdings, er müsse zunächst die überschlägigen Kosten der Sozialreform und die Aufwendungen für die Landwirtschaft auf Grund des „Grünen Berichts" übersehen können, ehe er sich zur Hergabe weiterer Gelder für die Kriegsopferrenten entschließen könne. Dann kann es eventuell Weihnachten werden, bis die 5. Novelle verabschiedet wird.
Die Ausschußberatungen sollen erst nach dem 3. März fortgesetzt werden.
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Am 4. März sind Wahlen in Baden-Württemberg.
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Will man über diesen Tag ohne Entscheidung über die Kriegsopferrenten hinwegkommen?
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Man hat versucht, die zweite Beratung unter dem Vorwand zu vermeiden, daß jene Änderungsanträge auf Erhöhung der Mittel die sofortige nochmalige Rückverweisung der Vorlagen an den Haushaltsausschuß zur Folge haben müßten. Das ist nach der Fassung des § 96 ({5}) der Geschäftsordnung offensichtlich falsch. Der Herr Bundestagspräsident hat den Ausschuß für Geschäftsordnung schon vor einiger Zeit um eine Erklärung zu § 96 ({6}) gebeten. Der Ausschuß für Geschäftsordnung war für diesen Zweck - und um die zweite Beratung der 5. Novelle zu ermöglichen - ebenfalls für Dienstag, den 21. Februar, eingeladen. Auf Forderung der Mitglieder der CDU/CSU mußte der Geschäftsordnungsausschuß die Beratung wieder absetzen.
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Wir Sozialdemokraten sind nicht bereit, solche durchsichtigen Methoden mitzumachen. Wir legen auf eine klare Entscheidung des Bundestages zur Aufbesserung der Kriegsopferrenten Wert. Daher unsere Anträge, und wir bitten Sie, ihnen zuzustimmen.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, mich bei der Erörterung dieser Frage auf das Niveau von Unterstellungen
({0})
- auf das Niveau von Unterstellungen ({1})
zu begeben. Wir sind der Meinung, daß sich gerade die Kriegsopferversorgungsfrage am allerwenigsten zu parteitaktischen Manövern eignet.
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Der Herr Kollege Pohle hat ausdrücklich auf die Wahlen in Baden-Württemberg angespielt. Ich bin ihm für diese Anspielung dankbar, und ich kann nur sagen, daß die berufenen Sprecher der Kriegsopferverbände auf das dringendste, im Interesse der Sache, gebeten haben, diese Frage aus dem Wahlkampf herauszuhalten.
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Sie legen ausdrücklich Wert darauf, daß das geschieht. Sie möchten nicht, daß jetzt plötzlich unter einer Wahlkampfatmosphäre ein Gesetz Hals über Kopf beschlossen wird,
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sondern sie wünschen, daß eine Materie dieser Art im Ausschuß gründlich und sorgfältig durchdiskutiert wird, nachdem wir alle hier im Hause uns jetzt bereit gefunden haben, an einer größeren und umfassenderen Lösung als der im Dezember vorgelegten zu arbeiten.
({5}) Infolgedessen bitte ich das Hohe Haus, den Antrag der Sozialdemokratie abzulehnen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag auf Aufhebung der Rücküberweisung der Fünften Novelle zum Bundesversorgungsgesetz und auf deren Aufnahme in die heutige Tagesordnung gehört. Sie haben auch gehört, daß widersprochen wird.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag. Wer dem Antrag, den der Herr Abgeordnete Pohle für die Fraktion der SPD hier vorgetragen hat, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit kommen wir zu Punkt 1 der Tagesordnung. Ich rufe auf:
Bericht der Bundesregierung über die Lage
der Landwirtschaft gemäß §§ 4 und 5 des
Landwirtschaftsgesetzes ({0}).
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat im Juli des vergangenen Jahres durch seine fast einstimmige Annahme des Landwirtschaftsgesetzes zum Ausdruck gebracht, daß er gewillt ist, der Entwicklung der agrarwirtschaftlichen Verhältnisse seine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Das Gesetz bestimmt, daß die Bundesregierung jährlich einen Bericht über die Lage der Landwirtschaft dem Bundestag und Bundesrat vorlegt und sich gleichzeitig dazu äußert, welche Maßnahmen sie beabsichtigt, um die wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Landwirtschaft mit vergleichbaren Berufsgruppen zu sichern. Der „Grüne Bericht", wie man den in diesem Jahr erstmals vorgelegten Bericht der Bundesregierung kurz nennen kann, wird also jedes Jahr dieses Hohe Haus beschäftigen. Er wird die breite Öffentlichkeit mit den Sorgen und Nöten der Landwirtschaft bekanntmachen. Der Bericht kann nur dann seinen Zweck in vollem Umfang erfüllen, wenn er in der gesamten Bevölkerung Verständnis für die Maßnahmen der Regierung zur Erhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft zu erwecken vermag.
({0})
Die vom Gesetz vorgeschriebenen Unterlagen sind termingemäß vorgelegt worden. Ich kann an dieser Stelle den Inhalt nur andeuten und dazu kurze Erläuterungen geben. Dabei darf ich die Bitte aussprechen, den gesamten Bericht und die darin enthaltenen Zahlenangaben einem eingehenden Studium zu unterziehen.
Zunächst darf ich kurz auf die Ursachen eingehen, die eine tiefe Beunruhigung in der Landwirtschaft hervorgerufen haben. Es war schon in der Regierungserklärung vom, 20. Oktober 1953 gesagt worden, daß die Landwirtschaft seit Anfang 1952 in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung mit den übrigen Berufssparten nicht mehr Schritt halten konnte.
({1})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie der Auffassung sind, ,daß die zahl- und umfangreichen Unterlagen, die ich Ihnen vorgelegt habe, schon ausreichen, um sich ein genügendes Bild verschaffen zu können, dann würde ich mir gerne diese Ausführungen sparen. Wir haben am heutigen Tage keine gute Einleitung gehabt; aber ich meine, wir sollten uns diesem Tagesordnungspunkt mit etwas mehr Andacht widmen.
({2})
Die ungünstige Entwicklung hat sich trotz der zahlreichen Förderungsmaßnahmen, die für die Landwirtschaft durchgeführt und eingeleitet wurden, fortgesetzt. Sie ist verschärft warden durch die Auswirkung der Ernten der Jahre 1954 und 1955, die in großen Teilen der Bundesrepublik, besonders aber in Schleswig-Holstein und Niedersachsen - in Niedersachsen bei der letzten Ernte besonders auch in den Zuckerrübenbaubetrieben -, aber auch in einigen Teilen West- und Süddeutschlands eine weitere Verschlechterung der Situation herbeigeführt haben. U. a. haben in diesem Jahre die Gebiete bei Hildesheim und Braunschweig, die in der Regel zu den besten unserer Anbaugebiete gehören, erhebliche Verluste zu verzeichnen.
Ganz besonders ins Gewicht fällt ,aber, daß die Landwirtschaft sowohl in der Bundesrepublik als auch in der gesamten freien Welt sich zur Zeit in einem Umstellungsprozeß größten Ausmaßes befindet. Eine grundlegende Wandlung der Arbeits-und Produktionsmethoden ist allgemein im Gange. Dieser Prozeß vollzieht sich in der Landwirtschaft später als in den meisten anderen Wirtschaftsbereichen. Die erste, mit der Dampfkraft verbundene Entwicklungsstufe der Technik blieb ihr weitgehend verschlossen. Erst in der zweiten Phase drangen die neuen Kraftquellen der Elektrizität und des Verbrennungsmotors auch in die Landwirtschaft vor. So ist die zeitliche Phasenverschiebung in der Entwicklung von Industrie und Landwirtschaft in mancher Hinsicht zu erklären.
Für die deutsche Landwirtschaft wurde die Umstellung besonders stark verzögert. Während die Farmer in den Vereinigten Staaten und die Bauern in anderen westeuropäischen Ländern, wie Dänemark, Schweden, den Niederlanden usw., ihre Betriebe stetig modernisieren konnten, wurde die Entwicklung bei uns durch zwei Weltkriege und deren Auswirkungen um rund zwei Jahrzehnte hinausgeschoben. Die deutsche Landwirtschaft muß nun ihren Produktionsapparat in relativ kurzer Zeit umstellen, wenn sie mit der übrigen Wirtschaft im Wettbewerb um ihre Mitarbeiter Schritt halten will.
Die Vollbeschäftigung mit ihren hohen Löhnen hat neben den Vorteilen den Mißstand mit sich gebracht, daß nur noch wenige Menschen bereit sind, die schwere Arbeit auf den Höfen zu leisten. Die Arbeit liegt deshalb vielfach auch auf großen Höfen auf den Schultern der Familienmitglieder, denen damit entweder eine übermäßige Beanspruchung zugemutet oder eine kurzfristige Mechanisierung aufgezwungen wird. In der Mehrzahl der bäuerlichen Höfe fehlen aber zunächst die Voraussetzungen der Mechanisierung und Rationalisierung. Die Wirtschaftsgebäude sind vielfach unmodern, und deshalb sind Umbauten sehr schwierig. Neubauten sind teuer. Die Gesamtkosten für Umbau und Mechanisierung übersteigen neben den notwendigen Ausgaben für Meliorationen, Wegebauten, Wiederaufbau- der Viehbestände und Seuchenbekämpfung - von den normalen Betriebsausgaben ganz abgesehen - die finanziellen Möglichkeiten der Betriebe.
Wie der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in seinem Gutachten betont hat, konnte die Landwirtschaft am Kapitalmarkt dabei nur ungenügend versorgt werden. Ausreichende Möglichkeiten der Selbstfinanzierung sind ihr nicht geboten. Im Gegenteil, die an den jährlichen Wachstumsrhythmus gebundene Produktion bedingt einen langsamen Kapitalumsatz und erfordert finanzielle Vorleistungen, die erst im Laufe der Jahre im Betriebserfolg zum Ausdruck kommen. Unter diesen Umständen ist in den letzten Jahren selbst in an sich rentablen Betrieben eine ständige Illiquidität, teilweise sogar eine nicht ungefährliche kurzfristige Verschuldung entstanden, die das Wirtschaften außerordentlich erschwert und zu einer verständlichen Unruhe in der Landbevölkerung geführt hat.
Neben sich sieht die Landwirtschaft - und das ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sehr starke psychologische Belastung - eine florierende gewerbliche Wirtschaft, die in der Lage ist, hohe Löhne zu zahlen, sich aber nicht in der Lage sieht, der Landwirtschaft die Produktionsmittel aus industrieller Fertigung zu Preisen anzubieten, die dem Indexstand der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise entsprechen würden.
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Wir haben, 1938/39 = 100 gerechnet, im Jahre 1953/54 für die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise einen Indexstand von 195 gehabt, im folgenden Jahr 1954/55 einen Indexstand von 202. In beiden Jahren hatten wir aber für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte einen Indexstand von 230.
Der Bericht der Bank deutscher Länder vom Januar 1956 sagt über die Entwicklung im letzten Jahr: Der Index für Ernährungskosten stieg im letzten Jahr um 1,7 %, der Index der Erzeugerpreise der Industrie um 2,6 %, der Index der Rohstoffe agrarischen Ursprungs um 2,6 % und der Index der industriellen Rohstoffe um 4,5 %. Die für die Landwirtschaft trotz der hohen Nachfrage nach Veredelungsprodukten ungünstige Entwicklung hält also an. Besonders müssen Sie dabei berücksichtigen, in welch außerordentlichem Umstellungsprozeß wir uns heute befinden. Aber nicht nur die ungünstige Situation hinsichtlich der Produktionsmittelpreise, auch der Abzug der Arbeitskräfte, die Zweckentfremdung der Werkwohnun({4})
gen und Landarbeitereigenheime und die Anpassung der Löhne an den Lohnstand der Industriearbeiter kennzeichnen die schwierige Lage der Landwirtschaft in der Hochkonjunktur.
Wenn sich im Gesamtrahmen unserer Wirtschaft derartige Spannungen entwickeln, ist es Aufgabe der Wirtschaftspolitik, für Abhilfe zu sorgen. Denn wie unser Volk - im Rahmen unserer vorläufigen Grenzen - ein Ganzes ist, so bildet auch unsere Wirtschaft einen einzigen zusammenhängenden und unlöslich miteinander verzahnten Komplex. Wenn ein so wichtiger Zweig der deutschen Wirtschaft wie die Landwirtschaft zurückbleibt oder kümmert, so leidet das Ganze nicht nur materiell, sondern auch moralisch und politisch. Kein Stand wird es auf die Dauer mit ansehen wollen, sich im Kreise der verschiedenen Berufszweige in eine Aschenbrödelrolle drängen zu lassen.
Das Zurückbleiben des landwirtschaftlichen Einkommens gegenüber dem gewerblichen Einkommen sehen wir aber nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen freien Welt. Welchen Opfern und Anstrengungen sich die wichtigsten Länder der freien Welt unterwerfen, um ihre Landwirtschaft gesund zu erhalten, welche wirtschaftlichen Bindungen sie im Rahmen einer Wettbewerbswirtschaft auf sich genommen haben, das können Sie ersehen aus der „Übersicht über Maßnahmen anderer Länder zur Hebung des landwirtschaftlichen Einkommens", die Ihnen in der Druckschrift „Zum Grünen Bericht" vorliegt.
Das Landwirtschaftsgesetz gibt der Bundesregierung auf, dem Bundestag und damit der deutschen Öffentlichkeit einen objektiven Bericht über die Situation der Landwirtschaft abzustatten. Der auf Grund des Landwirtschaftsgesetzes zu erstellende Bericht liegt Ihnen in einem umfangreichen Zahlenwerk vor. Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Teil I - Drucksache 2100 - ist der große Bericht, der die Erzeugungsgrundlagen der Landwirtschaft sowie die Stellung und Bedeutung der Landwirtschaft behandelt. Er ist dem Bundestag fristgerecht vor dem 15. Februar zugestellt worden. Die Abschnitte A und B zu Drucksache 2100 sind Ihnen heute übergeben worden. Dazu erhielten Sie die Druckschrift „Zum Grünen Bericht" mit der Übersicht über Maßnahmen anderer Länder, die ich eben erwähnte.
Der Abschnitt A behandelt die Maßnahmen der Bundesregierung, die sie zur Förderung der Landwirtschaft bis zum 15. Februar 1956 ergriffen hat, der Abschnitt B die Maßnahmen, die von der Bundesregierung durchgeführt werden sollen, um der Landwirtschaft die Teilnahme an der fortschreitenden Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft zu sichern.
Die für den ersten Bericht vorliegenden Unterlagen reichen zur Bildung eines vollgültigen Urteils über die Situation der Landwirtschaft und die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Betriebsgrößen noch nicht aus. Die Vergleichbarkeit wird durch folgende Umstände und Mängel beeinträchtigt.
Erstens. Zur Zeit liegen nicht 6- bis 8000 landwirtschaftliche Buchführungsergebnisse vor, sondern 5900, von denen rund 5000 zur Auswertung herangezogen werden konnten.
Zweitens. In den Betriebsgrößen von 5 bis 20 ha mit 655 000 Betrieben sind 1271 Buchführungsergebnisse ausgewertet worden. Die Anzahl der herangezogenen Betriebe unter 20 ha ist zu gering und daher nicht voll repräsentativ.
Drittens. Bei den bäuerlichen Betrieben konnte trotz unserer Bemühungen eine genaue Erfassung des betriebsnotwendigen Arbeitskräftebesatzes noch nicht vorgenommen werden.
Viertens. Auch die agrarstrukturellen Unterschiede und Nachteile konnten bei der Auswahl der Betriebe noch nicht voll berücksichtigt werden.
Die teilweise ungünstigen Wirtschaftsergebnisse der kleineren Betriebe lassen daher aus verschiedenen Gründen noch kein endgültiges Urteil zu. Es soll versucht werden, durch ergänzende wissenschaftliche Arbeiten für die nächsten Berichte größere Klarheit zu schaffen.
Da das Ministerium nicht nur 5000 buchführende Betriebe ausgewertet hat, sondern auch die Untersuchungen wissenschaftlicher Institute, Studiengesellschaften und Untersuchungen einzelner Wissenschaftler als Vergleichsmaterial herangezogen werden konnten, gewähren diese Unterlagen einen brauchbaren Einblick in die Ertragsverhältnisse unter den verschiedenen Wirtschaftsbedingungen. Sie reichen aber nicht aus, um eine exakte landwirtschaftliche Gesamtbilanz aufzustellen. Versucht man auf Grund aller verfügbaren Unterlagen eine derartige Gesamtberechnung durchzuführen so wird man auf einen Fehlbetrag von etwa 2 Milliarden DM kommen. In diesem Betrage sind aber die Verluste aus Betrieben mit unterdurchschnittlichen Produktionsbedingungen enthalten; diese dürfen nicht übersehen werden, sie sind jedoch sehr schwer zu schätzen.
Ich muß in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß wir in dem Bericht einen durchschnittlichen Arbeitslohn von 3500 DM für Frauen und Männer errechnet haben. Diese Zahl ist nicht willkürlich aus der Luft gegriffen, sondern wir haben vergleichbare Berufsgruppen für die Berechnung herangezogen: die Bauarbeiter, die Textilarbeiter, die Arbeiter der Berufsgruppe Steine und Erden sowie der metallund holzverarbeitenden Industrie. Daraus ergibt sich ein durchschnittliches Arbeitseinkommen von 3500 DM, und zwar für Männer von etwas -über 4000 DM und für Frauen von etwa 2700 DM. Sie werden mir zugeben, daß diese Vergleichslöhne nicht übertrieben hoch sind. Sie liegen aber um 29 % über den bisherigen landwirtschaftlichen Tariflöhnen und über denjenigen Löhnen, die laut Bericht in der heutigen Situation in der Landwirtschaft gezahlt werden.
Wenn wir nun aber - und das ist draußen in einzelnen Versuchen geschehen - das Jahreseinkommen pro Landarbeiter und pro Familienmitglied in der Vergleichsrechnung nur um 100 DM erhöhen, dann ergibt das eine Erhöhung des Fehlbetrags von 300 Millionen DM. Daraus können Sie ersehen, wie einfach es ist, große Minusbilanzen zu produzieren. Es wäre sehr wünschenswert, wenn man von diesen problematischen Rechnungen draußen in der Öffentlichkeit in vollem Umfang Abstand nehmen würde.
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Wir haben so viel Zahlenmaterial zum Studium vorliegen; es reicht aus, um sich für die -nächsten Monate voll damit zu beschäftigen; es reicht aber nicht aus, um derartige problematische Bilanzen aufzustellen, Bilanzen von vielleicht 3,5 Milliarden
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DM oder sogar 5 bis 6 Milliarden DM Unterdeckung, wie sie jetzt bei den Wahlkämpfen in Baden-Württemberg errechnet worden sind. Solche Bilanzen können nur den Sinn haben: erstens jede Hilfe der Bundesregierung, wie hoch sie auch sein mag, als völlig ungenügend erscheinen zu lassen,
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zweitens: die Unruhe in der Landwirtschaft aufrechtzuerhalten und radikalen Elementen entgegenzukommen, und drittens: der Jugend innerhalb der Landwirtschaft, soweit sie noch keinen tieferen Einblick hat, die Freude am eigenen Beruf zu verleiden.
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Man muß sich auch darüber klar sein, daß alle Versuche, von der Staatshilfe aus eine Verbesserung der Situation in der Landwirtschaft herbeizuführen, immer nur pari passu mit der Selbsthilfe verbunden sein können. Man kann auch nicht, wenn man etwa einen Fehlbetrag von 2 Milliarden DM ausrechnet, sagen, die Bundesregierung habe dafür zu sorgen, daß diese 2 Milliarden ausgefüllt würden, und es seien nach § 6 die notwendigen Einstellungen in den Bundeshaushalt zu machen. Wenn das so einfach wäre, dann hätte man diesen Weg vielleicht schon längst beschritten. Jede Agrarpolitik, die sich auf diesen Weg hinschieben läßt, wird zweifellos im Laufe der Jahre Schiffbruch erleiden.
In dem Bericht Drucksache 2100 ist dargelegt, daß der Vergleichsaufwand voll gedeckt ist in der Kategorie Zuckerrübenbetriebe sowie in den Betrieben der Gruppe Hackfruchtbau mit mehr als 50 ha und in den Hackfrucht-Getreidebaubetrieben über 50 ha in Nordwestdeutschland.
Meine Damen und Herren, nun werden Sie wissen wollen, wieviel Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch diese Gruppe von Betrieben gedeckt sind. Es sind ganze 8 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche, und nach der Zahl der Betriebe sind es vielleicht 6 %. Diese Gruppe ist also in ihrer Bedeutung so klein, daß wir sie bei den Maßnahmen nicht etwa besonders aussparen können, insbesondere deshalb nicht, weil, wie ich vorhin schon andeutete, im Jahre 1955 gerade die Zuckerrübenernte in Nordwestdeutschland besonders schlecht ausgefallen ist.
Der Vergleichsaufwand ist zweitens annähernd gedeckt - zu 80 bis 100 % - in den Gruppen Hackfruchtbaubetriebe bis zu 50 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, der Hackfrucht-Getreidebaubetriebe mit Ausnahme der Betriebsgrößenklasse unter 10 ha in Süddeutschland und der gleichen Betriebsgrößenklasse in der Einheitswertgruppe unter 1000 DM/ha. Weiter gehört auch die Gruppe der nordwestdeutschen Getreide-Hackfruchtbaubetriebe in diese Kategorie.
Der Vergleichsaufwand wird drittens nur zum Teil gedeckt - 70 bis 80 % - bei den GetreideHackfruchtbaubetrieben Süddeutschlands, den Hackfrucht-Getreidebaubetrieben aus den Betriebsgrößenklassen unter 10 ha und bei der Einheitswertgruppe unter 1000 DM/ha in Bayern sowie der Gruppe der Getreide-Futterbaubetriebe Nordwestdeutschlands.
Der Vergleichsaufwand wird viertens in wesentlichen Teilen nicht gedeckt - unter 70 % - in den Gruppen der Futterbaubetriebe, der HackfruchtFutterbaubetriebe sowie der Getreide-Futterbaubetriebe Süddeutschlands.
Sie erkennen daraus, daß in der Mehrzahl der Betriebe die Aufwands-Ertragsrechnung unter Berücksichtigung der Vergleichsposten keine Dekkung gefunden hat.
Nach dem Landwirtschaftsgesetz ist vorgeschrieben, daß Ihnen eine Aufstellung - in den Abschnitten A und B der vorliegenden Unterlage zu Drucksache 2100 - über das gegeben wird, was bisher von seiten der Bundesregierung geschehen ist, um diese Situation zu verbessern, und welche neuen Maßnahmen und neuen Etatmittel dem Bundestag vorgeschlagen werden.
Zu dem Abschnitt A, der alle Maßnahmen bis zum 15. Februar dieses Jahres aufführt, möchte ich im einzelnen keine Stellung nehmen. Er gibt ein umfangreiches Zahlenmaterial. Es würde im Rahmen dieser Ausführungen zu weit führen, Ihnen all diese Zahlen zu nennen. Ich möchte nur sagen: er wird die Mär, für die Landwirtschaft sei in den vergangenen Jahren von der Bundesregierung aus nichts geschehen, gründlich zerstören.
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Diejenigen, die sich zur Zeit damit abgeben, Fehlbeträge der landwirtschaftlichen Bilanzen zu errechnen, mögen sich mit diesem Zahlenmaterial beschäftigen; dann werden sie für ihre Reden draußen in den landwirtschaftlichen Versammlungen Material genug haben.
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Das Bedauerliche ist, daß man sehr häufig, wenn man draußen in die landwirtschaftlichen Versammlungen kommt, feststellen muß, daß das, was seit Monaten für die Landwirtschaft geschehen ist, bis auf den heutigen Tag bei den einzelnen nicht bekannt ist.
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Die neuen Maßnahmen zur Verbesserung der Ertragslage, die die Bundesregierung dem Bundestag und Bundesrat hiermit vorschlägt, will ich im einzelnen hier aufführen und kurze Anmerkungen dazu machen.
Diese Maßnahmen stellen Förderungsmaßnahmen dar, die auf die Verminderung der Betriebsausgaben, auf die produktivere Gestaltung der landwirtschaftlichen Erzeugungs- und Absatzmethoden und auf die Verbesserung der Agrarstruktur hinwirken sollen. Außerdem sollen auf dem Lande günstigere Arbeits- und Sozialverhältnisse und eine Stärkung der Möglichkeiten zur Selbsthilfe durch Ausbildung und Beratung herbeigeführt werden.
Zunächst die Maßnahmen zur Verminderung der Betriebsausgaben: Die landwirtschaftlichen Produkte sollen beim Erzeuger von der Umsatzsteuer freigestellt werden, wodurch eine Erlösverbesserung für die Landwirtschaft um etwa 190 Millionen DM eintreten wird.
Es ist mir hier der Einwand gemacht worden, die Befreiung von der Umsatzsteuer komme den Kleinbetrieben nicht zugute. Meine Damen und Herren, Sie brauchen sich nur einmal die Zahl derjenigen Betriebe zu merken, die mehr als 5 ha landwirtschaftliche Nutzfläche haben. Wir haben - bei insgesamt 1,3 Millionen hauptberuflich betriebenen Landwirtschaften - 780 000 Betriebe
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mit mehr als 5 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche. Umsatzsteuer zahlen aber 930 000 Betriebe. Das heißt also: von den Betrieben, die kleiner sind als 5 ha, zahlen noch 150 000 Umsatzsteuer.
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Ich glaube nicht, daß man danach behaupten kann, die Beseitigung der Umsatzsteuer erstrecke sich nicht auf die Kleinbetriebe.
Sodann soll die Betriebsbeihilfe für Dieselkraftstoff erhöht werden. Der Preis für Dieselkraftstoff liegt für die Landwirtschaft unter Berücksichtigung der auf Grund des Verkehrsfinanzgesetzes gewährten Beihilfe zwischen 33,7 und 36,2 Pf je Liter. Um einen Preis zu erreichen, der dem in anderen europäischen Ländern vergleichbar ist, erscheint eine weitere Senkung angebracht. Der Dieselkraftstoffpreis beträgt in der Schweiz 30,7 Pfennig pro Liter, in Österreich 34,1 Pfennig, in Frankreich 44,4 Pfennig pro Liter. In den Ländern Europas aber, mit denen wir, insbesondere bei einem kommenden gemeinsamen europäischen Markt, in Konkurrenz liegen, wie in Belgien, Holland und Dänemark, liegen die Preise bei 17,2 bis 18,5 Pf.
Die Senkung soll durch Fortfall des Zolls und der Umsatzausgleichsteuer erreicht werden. Unter Berücksichtigung der Inlandserzeugung von Dieselkraftstoff errechnet sich die Belastung durch Zoll und Umsatzausgleichsteuer auf 7,75 Pf je Liter. Bei einem Verbrauch von 440 000 t ergibt sich eine Ausgabenminderung für die Landwirtschaft in Höhe von 40,1 Millionen DM.
Erlaß der Lastenausgleichsabgabe für bestimmte Niederungsgebiete, insbesondere diejenigen, die unter den Marschenerlaß fallen, auf drei Jahre: Die besondere Lage der Grünlandbetriebe in bestimmten Niederungsgebieten, insbesondere in den Marschen, erfordert zusätzliche steuerliche Erleichterungen, die diesen Betrieben nach noch zu erlassenden Richtlinien durch Erlaß der Lastenausgleichsabgabe auf drei Jahre zu gewähren sind. Der Jahresbetrag wird nach vorläufigen Schätzungen rund 16 Millionen DM betragen, die dem Lastenausgleichsfonds aus Mitteln des Haushalts zu erstatten sind.
Wir haben in jahrelanger Arbeit versucht, denjenigen Betrieben, die durch die heutige Situation in der Landwirtschaft besonders betroffen sind, nämlich den ausgesprochenen Futterbaubetrieben in den Marschen an der Nordküste Niedersachsens wie der Westküste Schleswig-Holsteins und in manchen gebirgigen Teilen Deutschlands, zu helfen. Dabei hat sich die Lastenausgleichsabgabe wegen der sehr hohen Einheitswerte, die dort für die Grundstücke festgelegt sind, als besonders belastend herausgestellt. Es war nicht möglich, die Lastenausgleichsabgabe etwa an den Schluß der Zahlungsperiode anzuhängen oder inzwischen zu stunden und auf die restlichen Termine zu verteilen; es war nur möglich, diese Betriebe durch die Übernahme der 16 Millionen DM auf den Etat auf drei Jahre zu entlasten. Dadurch werden natürlich hauptsächlich Niedersachsen und Schleswig-Holstein entlastet werden.
Eine Reihe von Betrieben ist mit kurzfristigen Krediten zu hohen Zinssätzen übermäßig verschuldet. Erforderlich ist die Ablösung eines Volumens kurzfristiger Kredite in Höhe von 1 Milliarde DM. Eine Konsolidierung dieser Verpflichtungen erscheint geboten, weil die Betriebe durch den hohen Zinssatz liquiditätsmäßig belastet und durch die jederzeit drohende Fälligstellung gefährdet sind. Zur Herabsetzung der Zinsbelastung sind 40 Millionen DM vorgesehen.
Die Maßnahmen zur Senkung der Betriebsausgaben bedürfen der Ergänzung durch solche, die eine produktivere Gestaltung der Erzeugungs- und Absatzmethoden bezwecken. Sie sind im wesentlichen „gezielte" Maßnahmen, die in erster Linie solchen Betrieben zugute kommen werden, bei denen der Aufwand unter Berücksichtigung der Vergleichswerte gemäß § 4 des Landwirtschaftsgesetzes - vergleichbare Entlohnung der Arbeitskräfte einschließlich der mitarbeitenden Familienangehörigen, Betriebsleiterzuschlag, Kapitalverzinsung - nicht durch den Ertrag gedeckt ist. Darüber hinaus ist eine Reihe von Maßnahmen unerläßlich, die das Ziel verfolgen, eine Erhöhung der wirtschaftlichen Leistungskraft des Dorfes, insbesondere in übervölkerten und verkehrsentlegenen Bezirken, herbeizuführen. Die hier in Frage stehenden Maßnahmen werden sich auf die bäuerliche Betriebswirtschaft und die allgemeinen Lebensverhältnisse, insbesondere auf die Entlastung der bäuerlichen Hausfrau, günstig auswirken. Bezirke, in denen Kleinbauern, Bergbauern und strukturgeschädigte Betriebe besonders hervortreten, werden bei der Durchführung aller gezielten Maßnahmen bevorzugt berücksichtigt.
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Zunächst die Verbilligung und die Steigerung der Handelsdüngerverwendung. Die angestrebte Verbesserung der Produktivität der Landwirtschaft setzt eire Steigerung der Produktion und diese wieder eine vermehrte Anwendung von Handelsdinger voraus. Das ist allein mit den Mitteln der Wirtschaftsberatung nicht zu erreichen. Eine fühlbare Senkung der auf Handelsdünger entfallenden Betriebsausgaben, und zwar um 20 % des Preises für den gesamten Handelsdüngeraufwand, erscheint deshalb notwendig. Sie bedeutet eine Entlastung der Landwirtschaft um 226 Millionen DM pro Jahr.
An dieser Verbilligung wird sich ein Teil der Handelsdüngerindustrie auch selbst beteiligen. Es war vorgesehen, die gesamte Handelsdüngerindustrie, wenigstens die Stickstoffindustrie, die Kaliindustrie und die Phosphatindustrie, teilnehmen zu lassen. Bisher haben sich aber nur die Thomasmehlerzeuger dazu bereit erklärt, ohne Rücksicht darauf, ob die anderen Gruppen der Handelsdüngererzeuger mitgehen. Dabei handelt es sich hier natürlich nicht um solche Beträge, wie der Bund sie zur Verfügung stellen kann. Der Handelsdüngerindustrie war vorgeschlagen worden, im ersten Jahr zusätzlich 2 1/2 % - das hätte für den gesamten Handelsdünger schon 28 Millionen DM ausgemacht -, im zweiten Jahr 4 % und im dritten Jahr 5 % zu bewilligen. Die Kaliindustrie konnte sich bisher nicht entschließen, wird aber im Laufe dieses Jahres ihren Beschluß mitteilen. Die Stickstoffindustrie hat ebenfalls noch nicht eine positive Erledigung dieser Anfrage ermöglichen können. Wir hoffen aber, daß sich diese Industrien der Aufforderung nicht verschließen werden.
Zur Frage der Milchwirtschaft: Für die Zusammenlegung unwirtschaftlich arbeitender Molkereibetriebe und eine entsprechende Beratung der
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Milchwirtschaft sowie zur Förderung einer stärkeren Beteiligung der kleinbäuerlichen Betriebe an den Milchkontrollvereinen sind auf die Dauer von mehreren Jahren Zuschüsse in Höhe von jährlich 10 Millionen DM veranschlagt. Die bereits laufende Zinsverbilligung für Molkereikredite um 2 %, mit der Kredite in Höhe von 100 Millionen DM verbilligt werden können, bleibt davon unberührt und wird fortgesetzt.
Zur Verbesserung der Milchqualität sind Beihilfen für die Anschaffung von Kühleinrichtungen ins Auge gefaßt. Vorgesehen ist ein Zuschuß des Bundes in Höhe von 6 Millionen DM. Einzugsgebiete von Molkereien, die die Sicherung einer geschlossenen Kühlkette gewährleisten, werden bevorzugt berücksichtigt.
Wir haben im Jahre 1954 in den Milchkontrollverbänden der Länder 1,6 Millionen Kühe auf ihren Leistungsstand überprüfen können. Im ganzen bedürfen aber 5,6 Millionen Kühe dieser Überprüfung. Der durchschnittliche Kuhbestand in den Kontrollverbänden ist bis heute 8 Kühe pro Betrieb, d. h. also, daß in den Kontrollverbänden die mittleren und größeren Betriebe zusammengeschlossen sind, die eine Leistung von rund 1200 Litern pro Jahr und Kuh mehr aufweisen als diejenigen Betriebe, die nicht den Leistungsverbänden angeschlossen sind. Das ist bei einem Durchschnittsertrag von etwas über 3000 Litern pro Jahr eine enorme Ertragssteigerung. Die Mitgliedschaft bei den Kontrollverbänden kostet aber pro Kuh 16 DM im Jahr; es sind damit erhebliche Kosten verbunden. Für einen Kleinbetrieb mit einem Bestand von 5 Kühen bedeutet das also rund 80 DM im Jahr. Wir werden den Landeskontrollverbänden die entsprechenden Zuschüsse geben, um auch den Kleinbetrieben die Teilnahme an dieser wichtigen Arbeit - Fütterungsberatung, Feststellung der Erträge bei der einzelnen Kuh usw. - zu ermöglichen.
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Es ist vorgesehen, Kühlapparate und Kühlzellen in den einzelnen Betrieben oder in den Dörfern für die Verbilligung der Milch aufzustellen. Dazu ist folgendes zu sagen. Wenn die Milch von der Kuh kommt, ist sie sehr keimarm. Wenn sie sofort unter 9 Grad C gekühlt wird, entwickeln sich die Keime, weder schädliche noch günstige, nicht weiter. Fällt die Temperatur unter 6 Grad C, sterben die Keime ab. Sie können sich also vorstellen, welch ungeheure Verbesserung man durch Schaffung einer Kühlkette vom Stall des einzelnen Bauern bis zur Molkerei für die Trinkmilch erreichen kann. Die Maßnahmen dienen sowohl dem Erzeuger wie dem Verbraucher.
Für die Seuchenbekämpfung, insbesondere zur Bekämpfung der Tbc und der Brucellose, sind 20 Millionen DM Bundeszuschüsse vorgesehen. Schon im letzten und im vorletzten Jahre hat die Bundesregierung je 10 Millionen DM für die Seuchenbekämpfung gezahlt. Die Länderzuschüsse betrugen im gleichen Zeitraum in 1954 20 Millionen und in 1955 28,5 Millionen. Die Länder haben sich also an dieser Bekämpfung in sehr beachtenswerter Weise beteiligt.
In Kleinbetrieben kostet die Anlage eines Futtersilos pro Kubikmeter Siloraum 15 Mark mehr als in mittleren und größeren Betrieben wegen der kleineren Anlage. Wir werden den kleinen Bauern die 15 Mark pro Kubikmeter durch Zuschüsse zuweisen müssen.
Für die Durchführung von Schulmilchspeisungen werden vom Bunde ebenfalls 6 Millionen DM zur Verfügung gestellt, allerdings unter der Voraussetzung, daß sich die Länder und die Gemeinden mit je 6 Millionen pro Jahr beteiligen werden.
Nun kommt die gesteigerte Anwendung von hochwertigem Pflanz- und Saatgut. Wir haben bei uns im Kartoffelbau folgende Situation: Bei schlechten Ernten werden immer größere Bezirke zu der Versorgung mit Eßkartoffeln herangezogen. Infolgedessen glaubt ein großer Teil der Bauern immer noch, er könnte jedes Jahr Eßkartoffeln verkaufen. In der Regel wird dadurch aber bei normalen Ernten eine solche Überfüllung des Marktes herbeigeführt, daß ein Preisdruck entsteht. Wir- würden mit 26 % der Kartoffelanbaufläche den gesamten Eßkartoffelbedarf decken können, und wenn wir auf dem übrigen Teil der Fläche stärkereiche Kartoffelsorten anbauten, dann könnten wir pro Hektar der Fläche 500 Kilo Schweinefleisch mehr erzeugen, ohne ein Quentchen neuen Aufwand. Wir brauchten nur diese Einsicht zu fördern, damit möglichst viel stärkereiche Futterkartoffeln angebaut werden. Wir wollen durch die Bereitstellung von öffentlichen Mitteln erstens ein größeres Angebot von Pflanzkartoffeln und zweitens eine größere Nachfrage durch Verbilligung der Pflanzkartoffeln herbeiführen.
Dasselbe geschieht natürlich auch auf dem Gebiet der Getreidesaaten. Wir bringen durch besseres Saatgut und Pflanzgut ohne Neuaufwendungen, ohne Steigerung der Kunstdüngeranwendung, ohne eine Verbesserung der gesamten ackerwirtschaftlichen Bearbeitung Mehrerträge heraus.
Der heimische Obst- und Gemüsebau bedarf besonderer Stützung, um sich gegen den wachsenden Einfuhrdruck behaupten zu können. Das soll erfolgen durch Förderung der Absatzeinrichtungen und der Qualitätserzeugung. Vorgesehen ist die Ausmerzung veralteter Bestände im Obstbau sowie die Anlage von Kühlhäusern für Obst- und Gemüse und die Einrichtung von gemeinschaftlichen Sortieranlagen und Verladekontrollen. Eine größere Zahl von gemeinschaftlichen Sortieranlagen und Verladekontrollen soll auch in den Hauptversand-gebieten für Speisekartoffeln eingerichtet werden. Die Bereinigung von Obsterzeugungsanlagen soll durch eine Rodungsaktion im großen eingeleitet werden. Für diese Maßnahmen will die Bundesregierung 10 Millionen DM als Zuschüsse und 5 Millionen DM als Kredite zur Verfügung stellen. In manchen Teilen Deutschlands wird sich der Obstbau und der Gemüsebau, besonders aber der erste, nicht modernisieren und rentabel gestalten lassen, ohne zunächst eine allgemeine Bereinigung der Bestände vorzunehmen. Andere Länder bezahlen für die Rodungsaktionen Prämien. Wir wollen dieses Beispiel nachahmen. Wir wollen aber beim Neuaufbau von Plantagenobstbeständen mit größter Vorsicht vorgehen.
Wir haben im Jahre 1949 etwa 70 000 Schlepper in Deutschland gehabt und haben heute etwa 450 000. Wir haben dabei eine Unzahl von schweren Anbaugeräten, um mehrere Arbeitsgänge gleichzeitig auf dem Acker durchführen zu können und dabei Arbeitskräfte zu sparen. Was nützen den Bauern in denjenigen Gemeinden, in denen z. B. Niederungsmoor oder leicht aufweichbarer Boden - Lehmboden, Lößboden usw. - vorhanden
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ist und die Feldwege nur mit einer Grasnarbe geschützt werden können, diese Wege, wenn keine gehärteten Decken für sie vorhanden sind. Die schweren Maschinen gehen bis an die Achsen in den Morast. Deshalb müssen schon aus diesem Grunde Schlepper angeschafft werden, die eine wesentlich höhere Motorenstärke haben. Wir wollen daher durch eine Verstärkung des Wirtschaftswegebaues, und zwar durch eine Vermehrung um 8- bis 10 000 km pro Jahr, dafür sorgen, daß diesem Umstand Rechnung getragen wird. Dabei will sich der Bund mit 35 Millionen DM Krediten und 35 Millionen Zuschüssen beteiligen unter der Voraussetzung, daß die Länder und Gemeinden auch je 35 Millionen DM aufbringen.
Die Verstärkung der elektrischen Überlandnetze und die Durchführung der Restelektrifizierung ist wirtschaftlich von entscheidender Bedeutung, weil ohne Einsatz von Elektromotoren eine Rationalisierung und Mechanisierung der Hofwirtschaft unmöglich ist. Wir haben in Süddeutschland Bezirke, wo, wenn eine Dreschmaschine im Dorfe läuft und ein weiterer Elektromotor angestellt wird, sofort die Funken aus dem Apparat schlagen. In manchen Dörfern werden diejenigen, die weitere Elektromotoren anstellen, wenn bereits welche laufen, bestraft. Unter diesen Umständen von einer Rationalisierung oder Mechanisierung der Hofarbeit zu sprechen oder von einer Entlastung der Hausfrau, ist völliger Unsinn. Die Restelektrifizierung und die Verstärkung der Netze müssen also in kurzer Zeit durchgeführt werden. Vom Bund aus sind 15 Millionen DM Zuschüsse und 20 Millionen DM Kredite vorgesehen unter der Voraussetzung, daß sich die Gemeinden und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen dabei beteiligen. Dazu werden noch ERP-Kredite zur Verfügung gestellt.
Die Zinsverbilligung für Neu- und Umbauten landwirtschaftlicher Gebäude, die sich schon bisher außerordentlich bewährt hat, soll auf 12 Millionen DM verdoppelt werden. Wir haben die Umbauten und Neubauten landwirtschaftlicher Gebäude schon mit den bisherigen Zinsverbilligungen außerordentlich fördern können. Wir haben im Interesse gerade der klein- und mittelbäuerlichen Betriebe in denjenigen Bezirken, in denen nicht sofortige Umlegungen erfolgen können, den Betrag verdoppelt.
Für die Förderung der gemeinschaftlichen Anwendung von Maschinen und Einrichtungen wird der Betrag auch um 3 Millionen DM erhöht. Hiermit sollen insbesondere diejenigen Apparaturen verbilligt werden, die geringe Serienzahlen aufweisen, wie z. B. Grabenräummaschinen für Bezirke an der Küste oder Hopfenpflückmaschinen und ähnliche. Es sollen aber auch zinsverbilligte Kredite für diejenigen Maschinen gegeben werden, die gemeinsam benutzt werden. Wir haben Maschinen wie z. B. Mähdrescher, Kartoffelvollroder und ähnliche, die so viele-von einem mittel- oder kleinbäuerlichen Betriebe allein nicht voll ausnutzbare - Arbeitsreserven in sich haben, daß wir demjenigen, der diese Maschinen anschafft und sie im Interesse der übrigen Gemeindemitglieder anwendet, entsprechende Zinsverbilligungen zufließen lassen wollen.
Aus Gründen der Raumordnung, die bei Begründung von Betriebsstätten gewerblicher Natur die Bezirke mit einsatzbereiten Arbeitskräften berücksichtigt und eine weitere Massierung von Menschen in Großstädten vermeidet, fördert die Bundesregierung die Errichtung gewerblicher und industrieller Betriebe in ausgesprochen kleinbäuerlichen Bezirken. Dadurch werden für ländliche Arbeitskräfte, insbesondere für die in Kleinbetrieben vielfach nicht oder nicht voll ausnutzbaren Familienarbeitskräfte, zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten geschaffen. Zugleich wird die Wirtschaftskraft der verkehrsentlegenen Dörfer wesentlich gestärkt werden. Für diesen Zweck ist im Etat eine besondere Summe nicht vorgesehen. Aber die Anträge, die von den Ländern in dieser Richtung an die Bundesregierung gestellt werden, werden auf entsprechendes Verständnis stoßen. Denn das Wirtschaftsministerium und zweifellos auch das Finanzministerium sind bereit, die Investitionen der Betriebe für diesen Zweck entsprechend zu unterstützen.
Daß die Verbesserung der Agrarstruktur in diesem Rahmen nicht fehlen kann, ist selbstverständlich.
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Für Flurbereinigung, Aufstockung und Aussiedlung inner- und außerhalb der behördlichen Verfahren sind daher von seiten des Bundes 20 Millionen DM Zuschuß und 60 Millionen DM an unverzinslichen Krediten vorgesehen, wobei natürlich auch eine Beteiligung der Länder erwartet wird.
Dazu kommt eine Erhöhung des Bundeswasserwirtschaftsfonds um 15 Millionen DM an Zuschüssen und 10 Millionen DM an Krediten. Die Mittel sollen in erster Linie für landeskulturelle Vorhaben im norddeutschen Niederungsgebiet - für Maßnahmen hinter den Deichen - und in Süddeutschland Verwendung finden.
Dann kommt die Gruppe der Maßnahmen, die eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse vorsieht. Hierher gehören die Wasserversorgung, die Kanalisation, die Abwässerbeseitigung und -verwertung. Hier herrschen auf dem Lande vielfach noch völlig unvertretbare Zustände. Man redet so viel von der Entlastung der Bauersfrau. Man beklagt so sehr, daß sie eine sehr kurze Lebenserwartung hat. Wir haben aber die Tatsache zu verzeichnen, daß 40 % aller Höfe keine eigene Wasserversorgung haben.
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Das gesamte Wasser für Vieh und Menschen wird von der Bauersfrau, dem Bauern oder den Kindern vom Brunnen bis zum Stall oder bis zur Küche herangeschleppt. 40 % ist, glaube ich, eine recht eindrucksvolle Zahl.
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Was das arbeitswirtschaftlich, rentabilitäts- und gesundheitsmäßig im Gefolge hat, werden Sie sich vorstellen können. Vom Bund sind für diese Zwecke an Zuschüssen 20 Millionen DM und an Krediten 10 Millionen DM vorgesehen. Außerdem werden gerade für diesen Zweck erhebliche ERP-Mittel zur Verfügung gestellt.
Durch Verträge mit der italienischen Regierung ist für die Versorgung der Landwirtschaft mit italienischen Saisonarbeitern im Jahre 1956 gesorgt worden.
Die Förderung des Baues von Landarbeitereigenheimen und Werkwohnungen wird laufend betrieben. Die Zweckentfremdung von Werkwoh({21})
nungen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer und auch von Landarbeitereigenheimen, deren Bau vom Staat unterstützt worden ist, hat aber dazu geführt, daß manche Höfe, die tadellose Werkwohnungen hatten und die auch den Bau erstklassiger Landarbeitereigenheime mit eigenen Mitteln unterstützt hatten, keine einzige Wohnung für Landarbeiter mehr frei haben. Die Zweckentfremdung besteht darin, daß die Arbeiter, die in diesen Wohnungen wohnen, in die Industrie gegangen sind. Ich bin vor kurzer Zeit mit meinem Auto zufällig vor einem Hof von 500 Morgen liegengeblieben. Dieser Hof hatte fünf Landarbeiterwohnungen, und alle fünf waren zweckentfremdet.
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Ihre Bewohner waren in die Industrie gegangen.
Von der Bundesregierung ist für die Freimachung dieser Werkwohnungen ein Betrag von 50 Millionen DM eingesetzt worden, aber nicht im Etat des Landwirtschaftsministeriums, sondern im Etat des Wohnungsbauministeriums.
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Zur allgemeinen Angleichung der Sozialleistungen der in der Landwirtschaft Beschäftigten an die vergleichbarer Berufsgruppen wird eine Verbesserung der Geldleistungen in der Sozialversicherung durch Bewertung der Naturallöhne zu Marktpreisen und eine Verbesserung der landwirtschaftlichen Unfallrenten durch angemessene Bewertung der Jahresarbeitsverdienste angestrebt. Der gesetzliche Jugendarbeitsschutz soll sich künftig auch auf die Landwirtschaft erstrecken.
Die überkommene Form der Altersversicherung - nach der ihre Höfe abgebende Bauern lediglich ein sogenanntes Ausgedinge erhalten - reicht für manche mittleren und fast alle kleinen Betriebe nicht mehr aus. Die rechtzeitige und geschlossene Hofübergabe unterbleibt häufig, weil der Hof die Altenteilslasten nicht tragen kann. In Realteilungsgebieten ist die Übergabe des Hofes nach wie vor mit einer Übereignung von Grundstücken an die weichenden Erben, d. h. also mit einer neuen Flurzersplitterung verbunden. Die Bundesregierung prüft daher die Möglichkeit, gleichzeitig mit der Durchführung der geplanten Sozialreform eine Altersversorgung der bäuerlichen Bevölkerung einzurichten, wobei die Versicherungsform für den einzelnen frei wählbar bleiben soll.
Ich bin mir aber klar darüber, daß wir eine allgemein wirksame Alterssicherung gerade für die mittleren und kleinbäuerlichen Betriebe nicht erreichen, wenn wir nicht eine Versicherungspflicht einführen, daß sich also jeder wenigstens irgendwie versichert haben muß;
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wo und wie, soll ihm überlassen bleiben. Dann wird sich selbstverständlich die billigste Versicherung - und das kann natürlich nur eine Umlagenversicherung sein - durchsetzen. Wenn wir aber an dem heutigen Zustand nichts ändern, werden wir die Alterssicherung niemals erreichen.
Der Landjugendplan zur beruflichen Förderung und staatspolitischen Bildung der Jugend auf dem Lande wird auch im Haushaltsjahr 1956 fortgesetzt werden. Die hierfür im Bundesjugendplan veranlagten Mittel - im Bundesministerium des Innern - sind auf 2 Millionen erhöht worden.
Ausbildung und Beratung beeinflussen die Ertragslage der Landwirtschaft auf längere Sicht.
Daß Wissen und Können der Betriebsleiter von entscheidender Bedeutung für das Betriebsergebnis sind, geht allein daraus hervor, daß die Betriebsergebnisse der 180 000 Betriebe der ehemaligen Landwirtschaftsschüler im allgemeinen über dem Durchschnitt des Bundesgebietes liegen. In denjenigen Betrieben, die sich die Wirtschaftsberatung zunutze machen, sind große Erfolge erzielt worden. So konnten beispielsweise in den Jahren 1949 bis 1953 im Durchschnitt von rund 2300 Betrieben nicht nur eine wesentliche Steigerung der Roherträge, sondern in der Regel auch eine Erhöhung des Reinertrags erreicht werden. Ins Gewicht fallende Möglichkeiten einer Steigerung der Leistungen liegen in der Erhöhung der Milchleistung je Kuh, wie ich eben schon angeführt habe. - Zur Verbesserung der Allgemeinbildung auf dem Lande, der landwirtschaftlichen Berufsausbildung und der Wirtschaftsberatung will die Bundesregierung eine zusätzliche jährliche Beihilfe in Höhe von 10 Millionen DM zur Verfügung stellen.
Die Bundesregierung beabsichtigt, die vorgesehenen Maßnahmen unverzüglich in Angriff zu nehmen und beschleunigt durchzuführen. Es ist deshalb von größter Bedeutung, daß die Länder, in deren Zuständigkeit die Mehrzahl der vorgesehenen Maßnahmen liegt, durch eine ihren Kräfteverhältnissen entsprechende Mehrleistung diese Aktion nachdrücklich unterstützen.
({25})
Meine Damen und Herren, nach dieser Gesamtübersicht will die Bundesregierung aus ihren Mitteln einen Betrag von 896 Millionen
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im kommenden Rechnungsjahr zur Verfügung stellen. Davon sind 706 Millionen Zuschüsse und Fortfall von Umsatzsteuer und Zoll bei Dieselkraftstoff sowie 140 Millionen als Kredite und 50 Millionen als Wohnungsbaukredite - im Etat des Wohnungsbauministers - vorgesehen. Das ergibt zusammen 896 Millionen. Einschließlich der ERP-Kredite, der Zuschüsse und der Kredite der Länder umfaßt dieses Entwicklungsprogramm einen Betrag von über einer Milliarde DM.
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Die Bundesregierung hat dieses Entwicklungsprogramm nicht im Sinne einer Glasglockenhilfe aufgestellt, die vor Gefahren bewahrt und damit auch die Verantwortung und Selbständigkeit des einzelnen mindert. Die Aktion soll vielmehr den Glauben der bäuerlichen Bevölkerung an sich selbst wieder stärken und ihr damit neuen Mut geben zur Weiterführung ihrer schweren Aufgabe. Die Last der Arbeit und die Verantwortung für die richtige Art der Betriebsführung kann und will die Bundesregierung niemandem abnehmen; denn der einzelne Bauer bewirtschaftet seinen Hof in voller Selbstverantwortung. Befriedigung und Glück fließen nur aus der selbständigen Entfaltung der eigenen Kräfte.
Die Möglichkeit, in unserer Agrarpolitik ein Beispiel zu bieten, stellt Westdeutschland mitten in die heutige Weltpolitik, und zwar vor die Aufgabe, in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Ost und West unser euröpäisches Agrarsystem als überzeugende Lösung anzubieten.
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({29})
Im friedlichen Wettbewerb mit den staatlichen Großbetrieben des Ostens werden wir beweisen, daß unsere bäuerliche Struktur im doppelten Sinne überlegen ist: in sozialer Hinsicht durch Erhaltung eines breiten Fundaments selbständiger Berufe und in wirtschaftlicher Hinsicht durch höhere Produktivität und damit die Möglichkeit, den Nahrungsbedarf der Menschen wirklich zu befriedigen.
({30})
Sie haben den Bericht der Bundesregierung über die Lage der Landwirtschaft gehört. Die Beratung darüber findet vereinbarungsgemäß morgen statt. Ich darf bitten, meine Damen und Herren, die Drucksachen dazu morgen wieder mitzubringen; sie können morgen nicht noch einmal verteilt werden.
Ich komme damit zu Punkt 2 der Tagesordnung und rufe auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Prüfung von Vorgängen in der Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette ({0}).
Das Wort zur Begründung des Antrages hat der Herr Abgeordnete Kriedemann.
Kriedemann ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir im 1. Bundestag gemeinsam die Einfuhr- und Vorratsstellen schufen, gaben wir ihnen in erster Linie zum Schutze der deutschen landwirtschaftlichen Erzeugung eine große Macht und eine weite Zuständigkeit bei Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen. Wir taten das aus der Überzeugung, man dürfe die Dinge in diesem Bereich nicht sich selber, nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen, vielmehr habe der Staat mit seinen Einrichtungen dafür zu sorgen, daß allen ihr Teil werde. Damit haben wir sehr viele Leute in ihrer wirtschaftlichen Existenz von den Entscheidungen und Maßnahmen der Einfuhr- und Vorratsstellen abhängig gemacht und müssen deshalb die Sorgen sehr ernst nehmen, die aus verschiedenem Anlaß in den unmittelbar betroffenen Kreisen aufgetreten sind und die verständlich sind.
({2})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren, ich bitte dringend um Ruhe. Es hat doch keinen Zweck, wenn der Präsident jeden Augenblick sagen soll: Ruhe! Ich sehe deshalb davon ab. Leider sehe ich mich aber dafür in steigendem Maße der Kritik durch Redner ausgesetzt. Ich möchte das gerne vermeiden. Bitte, helfen Sie mir deshalb, daß wir nicht in diese mißliche Lage kommen!
Bitte fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
Kriedemann ({0}), Antragsteller: Es ist begreiflich, daß Importeure oder andere Gruppen von Kaufleuten, die nicht unmittelbar Einfluß auf das Geschehen in den Einfuhr- und Vorratsstellen haben, etwas besorgt den Gang der Dinge verfolgen, wenn sie wissen, daß Konkurrenten von
ihnen in einer anderen, glücklicheren Lage sind. i Nachdem nun über bestimmte Vorgänge sehr konkrete Behauptungen in die Öffentlichkeit gekommen sind, glauben wir, daß es unsere selbstverständliche Pflicht ist, hier für Klarheit zu sorgen.
Wir haben alles Verständnis für die Anfrage der FDP gehabt und haben es bedauert, daß man im Ernährungsministerium geglaubt hat, dem Hause eine Kenntnis vorenthalten zu müssen, die in eingeweihten Kreisen vorhanden ist. Denn es reicht natürlich nicht aus, daß diejenigen, die drinsitzen, unter sich Vertraulichkeit beschließen. Es reicht jedenfalls nicht aus, um die, die draußen sitzen und die - das möchte ich noch einmal sagen - mit ihrer wirtschaftlichen Existenz von den Entscheidungen abhängen, die in den Einfuhr-und Vorratstellen getroffen werden, in hinreichendem Maße zu informieren.
Man hat damit argumentiert, daß es sich dabei um Geschäftsgeheimnisse handle. Natürlich, in einem gewissen Umfang sind die Einfuhr- und Vorratsstellen kaufmännisch geleitete Unternehmungen. Sie haben Geschäfte zu tätigen, und jedermann weiß, daß es dabei auch einmal Geschäftsgeheimnisse gibt. In dem Gesetz über die Einfuhr- und Vorratsstellen ist auch immer wieder deutlich darauf aufmerksam gemacht worden, daß diejenigen, die aus ihrer Tätigkeit zur Kenntnis von Geschäftsgeheimnissen kommen, zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Das ist, wie gesagt, selbstverständlich. Aber man kann es doch nicht als ein Geschäftsgeheimnis und vor allen Dingen nicht als ein schutzwürdiges Geschäftsgeheimnis bezeichnen, wenn es dem einen oder anderen gelingt, gegenüber seinen Konkurrenten einen Vorteil zu erzielen, der nicht auf der C größeren kaufmännischen Einsicht oder der größeren wirtschaftlichen Leistung beruht. Der Bundestag ist, glaube ich, die letzte Instanz, die es sich leisten könnte, Geschäftsgeheimnisse so zweifelhafter Art zu verteidigen.
Darüber hinaus glauben wir, daß diejenigen, die sich zur Marktordnung bekennen - das möchte ich für meine Freunde hier noch einmal betonen, daß wir uns uneingeschränkt zur Marktordnung als zu einer Einrichtung bekennen, die für die Landwirtschaft unverzichtbar ist -, auch vor allen anderen die Verpflichtung haben, jeden nur möglichen Zweifel an der Marktordnung auszuräumen. Wir halten es für eine sehr gefährliche Sache, wenn wir Tatbestände bestehen lassen oder mindestens nicht Klarheit über zweifelhafte Tatbestände schaffen, die den Kreisen als Ansatzpunkte für ihre Kritik willkommen sein dürften, die zur Marktordnung eben anders, nämlich negativ, stehen.
Wir sehen in dieser ganzen Angelegenheit gar keine dramatische Sache. Niemand - und ich bitte in allem Ernst, dies mir auch abzunehmen - hat es nötig, sich zum Verteidiger der Marktordnung gegenüber diesem Antrag zu machen, denn die Marktordnung wird gar nicht angegriffen. Je selbstverständlicher das Haus sich um solche Vorgänge kümmert, nachdem sie nun einmal in der Öffentlichkeit einen sehr breiten Raum eingenommen haben, desto einfacher und desto schadloser für die ganze Einrichtung wird sich ein solcher Komplex auch abwickeln lassen. Deshalb bitte ich Sie ohne alle Pathetik und ohne alles Aufheben, unserem Antrag auf Einsetzung eines Unter({1})
suchungsausschusses mit den hier aufgeführten Zielen zuzustimmen.
({2})
Sie haben die Begründung des Antrages gehört. Ich eröffne die Beratung. Wird das Wort gewünscht?
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine verehrten Damen und Herren! Zu den Grundlagen unserer Agrarpolitik gehört außer dem Landwirtschaftsgesetz, das morgen beraten wird, der Grundsatz, daß das, was bisher für die Landwirtschaft geschaffen ist, als Grundlage zu erhalten. Dazu gehört die Marktordnung auf den verschiedenen Gebieten,
({0})
die zu dem Zweck geschaffen worden ist, der Landwirtschaft einen Rückhalt gegen die zunehmende Liberalisierung zu geben, aus der Erkenntnis heraus, daß die Landwirtschaft sich angesichts der Natur ihrer Betriebe nicht dazu eignet, einer restlosen Liberalisierung unterworfen zu werden. Deswegen nehmen die Marktordnungsgesetze ganze Zweige der Landwirtschaft von der Liberalisierungsliste aus. Das ist die wichtige Aufgabe der Marktordnung.
({1})
Sie hat aber weiterhin die Aufgabe, marktregulierend aufzutreten und das Verhältnis zwischen Einfuhr und eigener Produktion in entsprechende Regelungen zu bringen. Dies Aufgaben haben die Einfuhr- und Vorratsstellen zum Teil erfüllt; nicht immer zu aller Zufriedenheit,
({2})
das gebe ich ja zu. Aber wo Menschen tätig sind, besonders auf wirtschaftlichem Gebiet, da wird es auch immer gewisse Interessenkonflikte und manche Geschichten geben. Ich kann es nicht verhindern - deswegen hat eine lange Rede von meiner Seite gar keinen rechten Wert -,
({3})
daß Sie einen Untersuchungsausschuß einsetzen. Denn ein Viertel der Mitglieder des Bundestags haben Sie doch hinter sich. Wissen Sie, Herr Kollege Schoettle, was das bedeutet, daß ein Viertel des Bundestages das Recht hat, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen? Das bedeutet einen Schutz derer, die die Mehrheit im Bundestag nicht haben, damit auch die bei gewissen Gelegenheiten zum Wort kommen. Aber im allgemeinen kommen aus den Untersuchungsausschüssen - entschuldigen Sie, ich bin ein alter Parlamentshase - keine weltbewegenden Dinge heraus. Ich war selber wiederholt an Untersuchungsausschüssen beteiligt, und was ist herausgekommen? Das war verhältnismäßig wenig, weil die einzelnen von den zusammenhängenden wirtschaftlichen Vorgängen - das ist meistens so - verschiedene Vorstellungen haben, so daß greifbare Ergebnisse meist nicht zu erzielen sind.
({4})
- Herr Schoettle, ich bin gern bereit, wenn meine Zeit dazu ausreicht. Aber wenn ich sehe, daß woanders eine nutzbringendere Arbeit geleistet werden kann, gehe ich lieber dorthin.
Aber es ist der Eindruck erweckt worden, daß in der Frage gar nichts geschehen wäre. Das ist auch nicht der Fall. Denn der Verwaltungsrat für die Einfuhr- und Vorratsstellen hat die Sache schon selber untersucht. Er hat einen Sonderprüfungsausschuß eingesetzt; darüber liegt ein Bericht vor. In dem Bericht ist hervorgehoben worden, daß die ganze Berichterstattung des Vorstandes mangelhaft war. Das steht sowieso schon drin.
Weiterhin ist die Frage der finanziellen Nachteile erörtert worden. Das ist auch immer das Kernproblem bei solchen Untersuchungen: Ist dabei eine finanzielle Schädigung eingetreten? Bezüglich der Auslagerung von Butter im Jahre 1954 - um die handelt es sich - hat der Bericht der Deutschen Revisions- und Treuhandgesellschaft festgestellt, daß erhebliche vermeidbare Verluste nicht entstanden sind und daß das Verhalten des Vorstandes unter den gegebenen Umständen vertretbar war. Das ist ein Kernstück der Untersuchung durch die Deutsche Revisions- und Treuhandgesellschaft.
Ich will auf die anderen Dinge nicht näher eingehen. Aber es kommt noch hinzu, daß auch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als Aufsichtsbehörde jederzeit das Recht hat, hier nach den Verhältnissen zu sehen. Es wäre wünschenswerter gewesen, Sie hätten mit Ihrem Antrag das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufgefordert, von sich aus nach eingehender Beratung einen Bericht zu erstatten; das hätte zunächst vollständig ausgereicht. Denn cue Erntuhr- und Vorratsstelle kann den Bericht ja nicht erstatten, weil da gewisse Vorschriften über eine vertrauliche Behandlung bestehen. Ich könnte Ihnen das im einzelnen schildern; ich will es aber unterlassen.
Es hat also gar keinen Sinn, wenn ich mich gegen den Untersuchungsausschuß ausspreche. Ich stelle das hier pflichtgemäß fest, weil ich meine, es kommt nichts dabei heraus. Die Angelegenheit wäre genauso gut auf dem Weg über das Ministerium aufzuklären gewesen, das dem Bundestag einen Bericht vorgelegt hätte. Dann hätten wir uns mit der Frage beschäftigen können. Wir sehen den Dingen mit Ruhe entgegen und sind naturgemäß auch daran interessiert, an der Aufklärung von Mißständen überall, wo solche bestehen, mitzuarbeiten.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Kriedemann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich nicht mit der Gewißheit begnügen, daß uns mit dem Antrag gar nichts passieren kann, da es auch im deutschen Parlamentarismus sozusagen einen Minderheitenschutz gibt. Ein Viertel der Mitglieder des Hauses kann einen Untersuchungsausschuß einsetzen; man braucht das also nicht weiter zu begründen. Aber einige Bemerkungen von Herrn Horlacher veranlassen mich dazu, Ihre Aufmerksamkeit noch einen Augenblick in Anspruch zu nehmen.
({0})
Zunächst, noch einmal ganz dick unterstrichen: ich bin - und alle meine Freunde mit - mit Herrn Horlacher in der Überzeugung einig, daß die Marktordnung nicht angetastet werden soll. Wir bedauern es aber außerordentlich, daß in gewissen Kreisen, in denen ich Gott sei Dank keine besonders intimen Freunde habe - Freunde schon, aber, Herr Kollege Horlacher, nicht so intime Freunde -, jede Beschäftigung mit der Marktordnung immer wieder als ein Angriff auf die Marktordnung gedeutet wird. Das hat damit nämlich gar nichts zu tun. Ich sage noch einmal: diejenigen, die die Marktordnung in Gang halten wollen, sind in erster Linie verpflichtet, darauf zu achten, daß die Dinge dort in Ordnung sind und daß es dort gut zugeht. Daß sich aus der Konstruktion der Stellen eine Reihe von Interessenkonflikten oder, sagen wir von mir aus bloß: möglichen Interessenkonflikten ergibt, die weit über das Maß dessen hinausgehen, was durch menschliche Unzulänglichkeit ein für allemal und überall gegeben ist, das, Herr Horlacher, kann niemand bestreiten.
Im übrigen ist es keine Schande, wenn man den Versuch macht, aus der Erfahrung zu lernen. Selbst wenn wir einmal dazu kämen, aus der Erfahrung Konsequenzen zu ziehen, wäre das alles andere als etwa eine Abkehr vom Bekenntnis zur Marktordnung.
Zu einer weiteren Bemerkung von Ihnen, Herr Horlacher. Ich halte es nicht für gut, wenn sich hier jemand hinstellt und sagt: Was aus parlamentarischen Untersuchungsausschüssen so herauskommt, na, das weiß man j a, das ist nicht viel. Ich glaube, es wäre im Interesse der Demokratie und im Interesse der Festigung des demokratischen Bewußtseins in unserer Öffentlichkeit viel besser, wenn wir uns alle in dem festen Entschluß zusammentäten, diese letzte Instanz - einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß - über jeden Zweifel erhaben sein zu lassen.
({1})
Wir haben in einem Untersuchungsausschuß, der hier auf Veranlassung unseres früheren Kollegen Dr. Baumgartner eingesetzt worden ist und der sich mit den Einfuhr- und Vorratsstellen befassen mußte, eine Reihe von peinlichen Erfahrungen machen müssen. Die peinlichste Erfahrung war meiner Ansicht nach, zu sehen, wie Staatsbürger, die sich jedem einzelnen von uns gegenüber ernstlich beschwert haben und ihre Beschwerden teilweise auch recht gut mit Tatsachen unterstützen konnten, nachher angesichts der Bürokratie, mit der sie sich bei der Durchführung ihrer Geschäfte ständig auseinandersetzen müssen, nicht mehr die Zivilcourage aufgebracht haben. Ich bedauere sehr, daß das Parlament nicht in der Lage war, diesen Mangel zu ersetzen oder zu verhindern. Daß wir aber daran interessiert sind, die Einrichtung der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu entwickeln und sie so wirksam wie nur irgend möglich zu machen, das, glaube ich, sollte insbesondere in einem Augenblick nicht bezweifelt werden, in dem es draußen in der Welt nach manchen Zeitungen so aussieht, als sei die Beziehung der Deutschen zur Demokratie nur ganz dünn. Im Parlament ist wohl am allerwenigsten Platz und Möglichkeit, diese Aufgabe des Parlaments zu relativieren. Ich wiederhole die Aufforderung meines Freundes Schoettle an Sie: Helfen auch Sie, Herr Horlacher, der Sie Mitglied des Verwaltungsrates einer Einfuhr- und Vorratsstelle und ein Mann sind, der in Geschäften bewandert ist und hier vielleicht sehr viel mehr Sachverstand
besitzt und auch Interna kennt als irgendein anderer von uns, in diesem Falle bitte mit, daß hier absolute Klarheit geschaffen wird. Es ist nämlich noch keine Klarheit.
Was nützt ei uns denn schon, daß es einen Untersuchungsbericht gibt, wenn er nicht veröffentlicht wird! Gerade auf diesen Tatbestand gründet sich unser Antrag auf Einsetzung dieses Ausschusses, daß ein Antrag einer Fraktion dieses Hauses - nicht einmal der Opposition - auf Veröffentlichung dieses Untersuchungsberichts mit der Begründung abgelehnt worden ist: das ist eine Angelegenheit, die machen die Beteiligten unter sich ab, die haben das ja vertraulich erklärt; deswegen kann das Parlament in diese Angelegenheit nicht einsteigen. Wir haben aus den Zeitungen erfahren können, wie lange es gedauert hat, bis der Untersuchungsbericht dem Ernährungsminister zur Kenntnis gekommen ist. Ich meine, schon das allein sollte uns Veranlassung geben, hier einmal, ich möchte fast sagen, ein Exempel zu statuieren und zu sagen: So kann man mit dem Parlament nicht umgehen, so bescheiden sind die nicht, und so leicht sind sie nicht zu beruhigen. Deshalb soll hier so vorgegangen werden, wie wir vorschlagen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Struve.
Ich habe den Eindruck, daß durch die Ausführungen des Herrn Kollegen Kriedemann der Eindruck entstanden ist, daß wir gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses seien. Ich muß gestehen, daß der Kollege Horlacher nicht in allen Teilen seiner Darlegungen so verständlich war, daß das Hohe Haus folgen konnte,
({0})
weil er auf Grund seiner langen parlamentarischen Erfahrung zu den einzelnen Dingen sehr humorvoll Stellung genommen hat. Das schließt aber nicht aus, daß wir, Herr Kollege Kriedemann, keinesfalls der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Widerstand leisten wollen.
Die Einfuhr- und Vorratsstellen sind Einrichtungen, die auf Grund der Marktordnungsgesetze geschaffen worden sind. Die Einfuhr- und Vorratsstelle für Fette ist also eine Einrichtung auf Grund des Marktordnungsgesetzes für Milch- und Milcherzeugnisse.
Wenn ich zu diesen Dingen noch kurz etwas sage, dann vor allem deshalb, weil Sie, Herr Kollege Kriedemann, am Anfang Ihrer letzten Ausführungen erneut ein klares Bekenntnis zur Milchmarktordnung abgelegt haben. Ich bin allerdings der Meinung - ich habe das schon bei den jetzt laufenden Ausschußberatungen betont -, daß dieses klare Beknntnis nicht ohne weiteres in vollen Einklang mit den Anträgen zu bringen ist, die Sie gerade im Augenblick eingebracht haben und die eine sehr wesentliche Änderung des Marktordnungsgesetzes für die Milchwirtschaft beinhalten. Wir werden auf Grund der sehr langen Ausschußberatung im Zusammenhang mit den von Ihnen gestellten Anträgen auf diese Dinge zurückkommen. Ich möchte aber heute schon eines feststellen: die dort vorgeschlagenen Änderungen würden auf eine Auflösung und auf ein Durcheinander in unserer Milchwirtschaft hinauslaufen,
({1})
und das soll und darf unter gar keinen Umständen eintreten.
({2})
Nach dem grundsätzlichen Bekenntnis, das Sie auch heute wieder auf diesem für unsere deutsche Landwirtschaft wichtigen, ja wichtigsten Teilgebiet, nämlich unserer Milchwirtschaft, abgelegt haben, zweifle ich nicht daran, daß wir in den weiteren sachlichen Beratungen im Ausschuß zu einer Einigung kommen. Eine weitgehende Auflockerung auf diesem Gebiet ist nicht möglich. Eine Milchmarktordnung ist nur dann aufrechtzuerhalten, wenn wir das Verhältnis vom Erzeuger zur Molkerei und auch das Verhältnis von der Molkerei zum Handel als Zwischenstufen zum Verbraucher sehr sorgfältig behandeln. Nur in Übereinstimmung mit der sehr umfangreichen Arbeit in den Ländern werden wir auf diesem Gebiet die Ziele, die uns gemeinsam vorschweben, erreichen, nämlich auf der einen Seite der Landwirtschaft diese sichere und bedeutungsvollste Einnahmequelle abzusichern und auf der anderen Seite durch eine gleichzeitige Hebung der Qualität dem Verbraucher diese Erzeugnisse so gut wie nur möglich anzubieten.
Wenn wir uns in dieser Richtung einig sind, dann zweifle ich nicht daran, daß, wenn bezüglich der Einfuhr- und Vorratsstelle irgendwelche Schwierigkeiten auftauchen, diese im Rahmen eines heute hier einzusetzenden Ausschusses bereinigt werden können. Es wird keiner in diesem Hohen Hause sein, der nicht daran interessiert ist, daß wir hier eine äußerste Sauberkeit in jeder Hinsicht sicherstellen. Nur so kann das Vertrauen aller an der Milchwirtschaft interessierten Kreise erhalten werden.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung über diesen Antrag.
Wir kommen zur Beschlußfassung. Da es sich um eine interne Sache des Hauses handelt, zählen die Berliner Abgeordneten mit. Von den 509 Mitgliedern des Hauses sind ein Viertel 128 Abgeordnete. Die SPD-Fraktion hat, wenn ich recht unterrichtet bin, 162 Mitglieder. Ich darf deshalb mit Zustimmung des Hauses feststellen, daß nach Art. 44 des Grundgesetzes und § 63 der Geschäftsordnung die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses beschlossen ist.
Ich komme zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Förderung von Flüchtlingsstudenten und Schülern aus der sowjetischen Besatzungszone ({0}).
Darf ich fragen, ob Sie gleich auch die andere Große Anfrage begründen wollen?
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- Dann rufe ich auch Punkt 3 b auf:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Finanzielle Sicherung der Vorbereitungslehrgänge für Abiturienten und Studenten aus der sowjetischen Besatzungszone ({2}).
Das Wort zur Begründung der Großen Anfragen hat der Herr Abgeordnete Dr. Mommer.
Dr. Mommer ({3}), Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere beiden Großen Anfragen beschäftigen sich mit einer bestimmten Gruppe innerhalb der Sowjetzonenflüchtlinge, die in so großer Zahl zu uns kommen. Dieser Strom kennt ein Auf und Ab. In dem Jahr des Volksaufstandes vom 17. Juni waren es 330 000, die zu uns kamen. Im Jahre 1954 war die Bewegung ruhiger; es waren nur 184 000. Aber jetzt schwillt der Strom wieder an. Im vergangenen Jahr war es eine Viertelmillion.
Nun ist es sehr interessant, daß innerhalb dieses Stromes die Gruppe der Jugendlichen ganz besonders stark beteiligt ist. Im Jahre 1953 waren 48,7 % der Flüchtlinge im Alter von unter 25 Jahren und alleinstehend. Dieser Prozentsatz ist dauernd gestiegen, und er ist im dritten Quartal des vorigen Jahres bei 55,7 % angelangt. 55,7 % unter den 250 000 waren alleinstehende Jugendliche im Alter bis zu 25 Jahren. Nun noch eine dritte Besonderheit. Unter den Jugendlichen, die da gekommen sind, ist der Anteil der Abiturienten und Studenten besonders stark gestiegen, und zwar von früher 1 % der Jugendlichen auf 2 % im vergangenen Jahr.
Dieses Phänomen des steigenden Anteils der Jugendlichen im allgemeinen und der Abiturienten und Studenten im besonderen hängt natürlich mit dem politischen Druck zusammen, der drüben ganz besonders auf die Jugend ausgeübt wird und der sich bei der Jugend an den Oberschulen und den Universitäten noch einmal besonders bemerkbar macht. Wir können auf die Gründe im einzelnen hier nicht eingehen; ich will ein paar Stichworte sagen.
Obenan steht natürlich die Werbung für die Volkspolizei. Bei den Schülern und Studenten kommt hinzu, daß dem Regime die Möglichkeit gegeben ist, durch Verweigerung der Zulassung zum Studium und Verweigerung eines Stipendiums noch einen ganz speziellen Zwang auf die jungen Menschen auszuüben. Wegen ihres Herkommens oder sogenannter „ungenügender gesellschaftlicher Betätigung" - soll heißen: Nichtteilnahme an der Arbeit der FDJ - wird den jungen Menschen verwehrt, das Studium durchzuführen, das sie sich ausgewählt haben.
Unsere Großen Anfragen beschäftigen sich nun damit, ob wir in der Bundesrepublik alles tun, um einer sozialen und einer gesamtdeutschen Verpflichtung diesen Menschen gegenüber gerecht zu werden, ob wir schon alles tun, um diesen Menschen hier das Leben so leicht wie möglich zu machen und ihnen die Fortsetzung ihres Studiums schnell und unter guten Bedingungen zu erlauben.
Man muß gestehen, daß Beträchtliches schon geschieht, und ich stelle mit Freude fest, daß unsere beiden Großen Anfragen, seitdem sie eingebracht wurden, neue Impulse auf diesem Gebiet gegeben zu haben scheinen. In diesem Zusammenhang muß man auch den von allen Fraktionen des Hauses eingebrachten Antrag auf Drucksache 2034 sehen, der sich mit dem Thema der jugendlichen Flüchtlinge auseinandersetzt. Aber, meine Damen und Herren, durch manches Tun und noch mehr durch Unterlassungen machen wir doch diesen Menschen das Leben schwerer, als es sein muß, und dieses Versagen bei uns hat böse politisch-psychologische Konsequenzen.
Lassen Sie mich zunächst ein paar Worte zum Problem der Oberschüler sagen. Wir kennen alle die Schwierigkeiten, die eine Wohnsitzverlegung bei den Oberschülern schon innerhalb der Bundesrepublik von einem Land zum andern mit sich bringt. Die
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Verschiedenheit der Schulsysteme usw. schafft diese Schwierigkeiten, die uns allen bekannt sind. Sehr viel größer sind sie, wenn der Wechsel von der Zone nach hier erfolgt. Da ist der Schulaufbau und ist der Lehrstoff durch die Entwicklung der letzten Jahre noch unterschiedlicher geworden, als er es unter den Ländern der Bundesrepublik ist. Es erweist sich als unerläßlich, die Oberschüler durch Nachschulungskurse zu schicken, wenn sie hier den Anschluß an die Entwicklung in der Oberschule finden sollen. Diese Nachschulung muß aber organisiert und finanziert, und es muß für den Lebensunterhalt der Oberschüler aus der Zone gesorgt werden.
Die Schaffung der Nachschulungsplätze ist eine Aufgabe der Länder. Die Länder entledigen sich dieser Aufgabe in sehr unterschiedlicher Weise. In rühmlicher Weise tut sich bisher Nordrhein-Westfalen hervor.
({5})
-- Es wird sich noch rühmlicher hervortun, Herr Kollege!
({6})
- Nun, ich werde Ihnen gleich auch ein kritisches Wort über Nordrhein-Westfalen sagen. Daß sich Nordrhein-Westfalen für die Oberschüler in positivem Sinne hervortut, hat dazu geführt, daß 80 % der alleinstehenden Oberschüler nach Nordrhein-Westfalen gekommen sind und dort die Beendigung ihres Studiums an der Oberschule suchen.
Bei den Studenten und Abiturienten - nun hören Sie zu, Herr Kollege! - ist es anders. Da tut sich Nordrhein-Westfalen bisher - bisher! - nicht hervor. Ich hoffe, daß es das in Zukunft tun wird.
({7})
- Nun, Herr Kollege, dabei handelt es sich gar nicht um ein Problem der Parteipolitik, und als ich mich mit diesen Dingen beschäftigt habe, habe ich feststellen müssen, daß das Positive sowohl wie das Negative, wenn ich so sagen darf, quer durch die Fraktionen geht. Für die Studenten wird in Hessen, in Niedersachsen und in Berlin das meiste getan. Ich freue mich, Herr Kollege, feststellen zu können, daß zwei dieser Länder sozialdemokratisch regiert sind und das andere bis vor kurzer Zeit sozialdemokratisch regiert war.
({8})
Dort strömen die Studenten und die Abiturienten zusammen. Diese drei Länder haben deshalb dreibis viermal mehr Abiturienten und Studenten, als es ihrem normalen Anteil nach dem Uelzener Schlüssel für die Verteilung der Sowjetzonenflüchtlinge entspricht.
Die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werden in den Denkschriften des überparteilichen Bundesstudentenringes getadelt. Dort wird seit einiger Zeit am wenigsten getan.
({9})
- Herr Kollege, seien Sie mit meiner Antwort, daß das manchmal quer durch die Fraktionen geht, zufrieden!
Wir müssen hier überhaupt eine interessante politische Feststellung treffen. In unserem föderalistischen System kann es nicht anders sein, als daß sich in der Behandlung solcher Fragen erhebliche
Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern ergeben, und dann wird die gute Erfüllung einer gesamtdeutschen Aufgabe, wie wir sie hier vor uns haben, bestraft. Sie wird dadurch bestraft, daß die Interessierten natürlich zum besseren Wirt wandern und ihn mit überdurchschnittlichen Ausgaben für einen allgemeinen Zweck, für eine gesamtdeutsche Aufgabe, belasten.
Auf diesem Gebiet könnte die Konferenz der Kultusminister viel tun, um die Ausbreitung des Gedankens eines Bundeskultusministeriums nicht zu fördern. Die Bundesregierung hat nach unserer Meinung die Pflicht, die Länder zu mahnen, ihre Verpflichtung gegenüber den Oberschülern, Abiturienten und Studenten zu erfüllen; die Kosten sind, da es sich um Flüchtlinge handelt, unter Kriegsfolgelasten zu verrechnen. Aus dem Jugendplan wurden schon im vergangenen Jahr Mittel für die Schaffung der Nachschulungsplätze für die Oberschüler zur Verfügung gestellt. Im kommenden Haushaltsjahr muß mehr geschehen.
Größere Kosten verursacht der Lebensunterhalt dieser alleinstehenden Menschen. Hier ist der Bund zuständig, und der Bund zahlt auch, aber er tut es bisher bürokratisch langsam und aus vielen Töpfen, von denen die Schüler und Studenten von drüben natürlich nicht wissen, wo sie stehen und wie man an sie herankommt. Die Kosten für den Lebensunterhalt der Schüler und Abiturienten werden aus vier Töpfen gedeckt. Einmal werden Ausbildungsbeihilfen nach § 302 LAG gezahlt, es werden Erziehungsbeihilfen nach dem Bundesversorgungsgesetz gezahlt, es werden Heimkehrerausbildungsbeihilfen gezahlt, und viertens werden Fürsorgeleistungen gewährt, die zu 80 % vom Bund zu erstatten sind. Gerade bei der Fürsorgeleistungen entstehen die größten Schwierigkeiten; denn immerhin verbleiben 20 % den Fürsorgeverbänden, und da die Schüler und Abiturienten aus sachlichen Gründen in bestimmten Gebieten konzentriert werden müssen, entstehen für diese Gebiete ganz besonders schwere Lasten. Weil das Verfahren, zu diesen für die Schüler und Studenten vorgesehenen Mitteln zu kommen, so kompliziert ist, dauert es sehr lange, bis die Mittel flüssig werden: daraus entstehen die größten Verzögerungen. Die Bereitstellung einer Rente aus dem Bundesversorgungsgesetz dauert ein Jahr und länger.
Ähnlich kompliziert wie bei den Oberschülern ist die Lage bei den Abiturienten und Studenten. Die Schwierigkeit der Geldbeschaffung führt dann zu Mühen und Zeitverlust. In einer Denkschrift des Bundesstudentenrings können wir lesen, daß durchschnittlich mit einem Jahr Zeitverlust gerechnet werden muß. Dieser große Mißstand springt allen in die Augen, und der Schrei nach Abhilfe ist allgemein. Deshalb haben wir auch das erfreuliche Resultat festzustellen, daß in dem schon erwähnten interfraktionellen Antrag Drucksache 2D34 unter Ziffer 3 die Schaffung eines ausreichenden Garantiefonds, eines Garantie-,. Vorschuß- und Zuschußfonds, gefordert wird, aus dem die Mittel schnell und unbürokratisch zur Verfügung gestellt werden sollen, wobei angenommen wird, daß die Zahlungen auf Grund der Verpflichtungen der eigentlichen Lastenträger später in diese Kasse zurückfließen. Dieser Fonds muß dann auch die Funktion übernehmen, Lücken zu schließen, die in dem komplizierten System der Versorgung der Flüchtlinge vorhanden sind. Da
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jetzt die Forderung nach dem so wichtigen Garantiefonds in voller interfraktioneller Besetzung vorgetragen wird, darf man die Hoffnung hegen, daß wir es auch bei Herrn Finanzminister Schäffer schaffen werden. Ich möchte schon jetzt Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Punkt in der Beantwortung der Großen Anfragen durch die Bundesregierung lenken.
Unter den Oberschülern gibt es Gruppen, die bisher gar nichts bekommen haben. Ich will der Kürze der Zeit wegen nur eine erwähnen, es ist allerdings eine politisch besonders interessante: die Absolventen der Arbeiter- und Bauernfakultäten in der sowjetischen Besatzungszone. Für die drüben ist diese Fakultät eine der Errungenschaften, auf die sie so stolz sind. Ich will Ihnen ganz freimütig etwas sagen: wenn diese Arbeiter- und Bauernfakultäten von dem Dogmatismus befreit würden, der ihnen anhaftet, und wenn weiter die Ansprüche, die an die Leistungen gestellt werden, nicht aus politischen Gründen herabgeschraubt würden, dann wären sie sogar eine Errungenschaft. Schließlich müssen wir uns alle noch viel Gedanken darüber machen, daß an unseren Universitäten und Hochschulen nur 4 % der Immatrikulierten aus Arbeiterkreisen stammen.
({11})
- Nun, wenn Sie es genau wissen wollen, Herr Kollege, es sind 4,8 % der Studierenden. Ich kann Ihnen alle Statistiken, die darüber erstellt wurden
- ich habe sie bei mir -, vorzeigen. - Die Kultusminister müssen ihre starre Haltung gegenüber diesen Studenten etwas revidieren und sich politisch klug und sozial verständnisvoll auch gegenüber diesen Menschen verhalten, die ja dadurch, daß sie zu uns gekommen sind, beweisen, daß sie trotz der Förderung, die sie durch jenes Regime erfuhren, die Freiheit bei uns vorziehen.
Nun zum Problem der Abiturienten. Die Konferenz der Kultusminister erkennt das Abitur, das nach Dezember 1950 drüben gemacht wurde, zum Hochschulbesuch nicht mehr an, zumindest muß eine Sonderprüfung gemacht werden, es sei denn, daß der Student drüben schon über ein Jahr an Hochschulen studiert hat. Zu diesen Sonderprüfungen müssen sich 80 % der Abiturienten und Studenten, die zu uns kommen, stellen. Die Vorbereitung erfolgt privat oder in Sonderkursen, die sechs Monate dauern. Es gibt für diese Kurse und für die Anforderungen, die bei der Prüfung gestellt werden, keine konkreten und allgemeingültigen Richtlinien. Außerdem - und das ist das schlimmste in diesem Punkte - gibt es viel zu wenig Kurse. Im Jahre 1955 waren etwa 220 Plätze für solche Kurse vorhanden, und der Bedarf lag bei 2000. Wir erwarten, daß der Bund bei den Ländern auf die Vermehrung der Plätze drängt und daß er seine Zuschüsse, die er schon zu ihrer Schaffung aus dem Bundesjugend-plan zahlt, vermehrt.
Ich darf auch ein kleines Sonderproblem berühren. Es ist die Frage der Anerkennung des Russischen als einer Fremdsprache, die beim Abitur zählen soll. Es liegt im Interesse der Studenten, daß man ihre drüben erworbenen Kenntnisse im Russischen als Kenntnisse in einer Fremdsprache anerkennt.
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Ich möchte gar nicht erst die Vermutung aussprechen, daß der geistige Horizont unserer Kultminister durch den Eisernen Vorhang eingeengt sein könnte.
Bei der Finanzierung der Kosten für den Lebensunterhalt bis zur Ablegung der Sonderprüfung stellen sich die gleichen Probleme wie bei der Förderung der Oberschüler. Ich darf auf das verweisen, was ich früher sagte.
Schließlich. zur Lage der Flüchtlingsstudenten an unseren Hochschulen! Die Studenten stehen allein, sind ohne Angehörige und sind noch unsicher in der neuen Umgebung. Schon im Sommer 1953 haben wir hier beschlossen, daß die Kriegsfolgenhilfe auf die Förderung der Flüchtlingsstudenten ausgedehnt wird und daß ihnen die Erziehungsbeihilfen - praktisch Stipendien - für die ersten zwei Semester ihres Studiums gezahlt werden. Daraus sind im laufenden Etatsjahr 2 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden, und zwar in Tit. 625 des Haushalts des Bundesministeriums des Innern. Die jungen Leute bekamen daraus jährlich ein Stipendium von 1400 DM. Für zwei Semester sind alle gesichert, soweit sie auf der Hochschule angenommen werden. Dann sind 60 % bis zum Schluß ihres Studiums gesichert durch die Ansprüche, die sie auf die Mittel des Lastenausgleichsgesetzes, des Bundesversorgungsgesetzes und des Heimkehrergesetzes geltend machen können. 40 % jedoch sind auf sich selbst gestellt und auf die Mittel der allgemeinen Studienförderung, Freitische, Gebührenbefreiung, Beihilfen usw. angewiesen, Mittel, die unzureichend sind, was schon in der Durchschnittszahl dieser Leistungen zum Ausdruck kommt, nämlich 533 DM im Jahr.
Der interfraktionelle Antrag Drucksache 2034, der hier eigentlich indirekt mit zur Beratung steht, bringt da, wenn wir uns beim Finanzminister durchsetzen können, dadurch einen großen Fortschritt, daß diese Förderung von zwei auf drei Semester ausgedehnt wird, und weiterhin durch die Forderung, einen Härtefonds zu schaffen, aus dem auch die weitere individuelle Betreuung bis zum Abschluß des Studiums finanziert werden kann. Wenn es gelingt, aus diesem Härtefonds jetzt auch die Begabten weiter durch das ganze Studium hindurch finanziell zu stützen, dann wird auf diesem Sektor der Flüchtlingsstudenten eine eigentlich vorbildliche Förderung der Studenten geschaffen.
Da kommen wir auf das allgemeine Problem der Förderung begabter Studenten. Die Frage 8 in unserer Anfrage Drucksache 1967 ist nicht so einfach hinten angehängt, die Frage nämlich nach dem Stipendienwesen hier bei uns in der Bundesrepublik und im westlichen und östlichen Ausland. Der Grund für die Stellung dieser Frage lag auch nicht nur in der Frage 9, in der Frage nach der Bedeutung der Förderung begabter Studenten für die Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus. Es kommt darauf an, daß wir in der Bundesrepublik ein kohärentes, in sich logisches System der Förderung der Studenten schaffen. Wir dürfen nicht hier eine kleine Gruppe und da eine kleine Gruppe besonders gut versorgen und die anderen hängenlassen. Das muß schon nach einem übergeordneten Gesichtspunkt geschehen, und der übergeordnete Gesichtspunkt kann nur die allgemeine Begabtenförderung sein.
Nun wird die Bundesregierung sagen, daß gerade das eine Länderaufgabe sei. Ich will sie aber auf folgenden Sachverhalt aufmerksam machen: 17 % der an unseren Hochschulen immatrikulierten Studenten bekommen Vollstipendien, und die Mittel
({13})
für diese Vollstipendien werden fast ausschließlich vom Bund zur Verfügung gestellt. Die Studienstiftung des deutschen Volkes hat dabei einen winzigen Anteil. Der große Brocken kommt aus den Kriegsfolgegesetzen, Lastenausgleichsgesetz usw. Hier übernimmt der Bund einzelnen Gruppen gegenüber aus sozialen Gründen eine Verpflichtung, die in das Problem der allgemeinen Förderung der Begabten eingreift. Die Länder dagegen stellen die Mittel für die 10 % der Studenten, die nur eine teilweise Förderung erfahren. Wir haben damit den Zustand erreicht, daß für die Studenten, die sich auf Kriegsfolgeschäden berufen können, das Studium vom Geld unabhängig geworden ist. Die soziale Verpflichtung für die anderen wird nicht anerkannt. Daraus ergibt sich die verzerrte Situation, die auf den Universitäten zu dem gefährlichen Wort geführt hat, man müßte Flüchtling sein, um etwas freier von Sorgen studieren zu können. Das ist eine böse Situation, die wir nicht lange dulden dürfen. Es gibt aus dieser Verzerrung nur den Ausweg, daß wir die Dinge umkehren und nicht sektorenweise unter einem andern Gesichtspunkt als dem der Förderung für Begabte vorgehen. Wir müssen den Gesichtspunkt der Förderung der Begabten zum oberen Gesichtspunkt machen. Dann werden die Flüchtlinge und die anderen nur Unterfälle, eine besondere Kategorie.
In Berlin hat man die Konsequenz aus der Verzerrung schon gezogen. Dort führte die besondere Situation - 4500 Oststudenten unter 15 000 Studierenden - dazu, daß 19 % der Studierenden ein sogenanntes Währungsstipendium bekamen, das die materiell sicherstellt. Die Einheimischen, die Westberliner, hatten das Nachsehen. Man hat sie nicht lange nachsehen lassen, sondern zu ihren Gunsten Sozialstipendien geschaffen. Jetzt bekommen rund 32 % der Studierenden in Berlin diese Sozialstipendien mit dem Erfolg, daß ein wenig über die Hälfte aller Studierenden in Berlin Vollstipendien bekommen.
Meine Damen und Herren, daraus müssen wir für die Verhältnisse in der Bundesrepublik lernen. Ich glaube, daß bei der kommenden Sozialreform die große Gelegenheit gegeben ist, diese verzerrten Dinge richtigzustellen. Wir müssen da etwas tun, damit sich hier bei uns im Westen nicht mehr der größere Teil der Studenten durch das Studium durchhungern und durchschuften muß.
({14})
Wir kämen dann aus einer sehr beschämenden Rekordsituation heraus. Ich bitte Sie, das, was ich jetzt sage, ganz besonders zu bedenken. In keinem Lande östlich oder westlich unserer Grenze ist heute noch das Studium so sehr vom Geld abhängig wie hier bei uns, in keinem Lande östlich oder westlich unserer Grenze! Mir scheint, daß sich daraus - vor allem wegen unserer Lage in einem geteilten Land, in dem wir in scharfem Wettbewerb mit einem anderen, diktatorischen Regime stehen - für uns besondere Aufgaben ergeben. Das Problem ist aber so groß und so bedeutend, daß ich es an dieser Stelle nicht vertiefen möchte. Meine Fraktion behält sich vor, darauf zurückzukommen, und wir müssen uns dann alle entscheiden, damit hier etwas geändert wird. Wir müssen hier unsere soziale, kulturpolitische und gesamtdeutsche Verpflichtung gegenüber der akademischen Jugend besser erfüllen als bisher.
({15})
Sie haben die Begründung der Großen Anfragen der Fraktion der SPD gehört. Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Großen Anfragen befassen sich, wie aus den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer bereits hervorging, mit drei Personengruppen aus dem Kreise der jugendlichen Flüchtlinge: einmal mit den Studenten aus der SBZ, die bereits ihr Studium in der Bundesrepublik aufgenommen haben, dann mit Studenten und Abiturienten, die zunächst ihre Nachtragsreifeprüfung ablegen müssen, und schließlich mit Schülern, die ihre Schulausbildung in der Bundesrepublik fortsetzen wollen. Ich bitte mir zu gestatten, daß ich diese drei Gruppen von jugendlichen Flüchtlingen getrennt behandle, was freilich eine gewisse Abweichung von der Reihenfolge der Fragen, in der diese in den Drucksachen 1967 und 1968 gestellt sind, mit sich bringen wird.
Ganz allgemein darf ich vorausschicken, daß sich die Bundesregierung aller dieser jugendlichen Sowjetzonenflüchtlinge in zweifacher Hinsicht annimmt. Einmal soll durch Ausbildungsbeihilfen die Fortsetzung der durch die Flucht unterbrochenen Schul- oder Berufsausbildung ermöglicht werden, und zum zweiten sollen neben diesen Hilfen, die dem einzelnen Jugendlichen zugedacht sind, weitere Zuschüsse, insbesondere aus dem Bundesjugendplan, treten, die an diejenigen Einrichtungen der Jugendhilfe gehen, die zur gesellschaftlichen Eingliederung der jugendlichen Flüchtlinge bestimmt sind.
Ich darf mich zunächst mit den geflüchteten Studenten befassen. Zu den Fragen in Ziffer 1 und 6 der Drucksache 1967 ist folgendes zu bemerken: In den ersten neun Monaten des Rechnungsjahrs 1955 haben 1669 Studenten ihr Studium an westdeutschen Universitäten aufgenommen und die von Herrn Abgeordneten Dr. Mommer erwähnte Förderung aus dem Haushalt des Bundesministeriums des Innern - Tit. 625 - erhalten. Die Flüchtlingsstudenten erhalten für eine begrenzte Zeit eine Beihilfe, die ihnen die Eingliederung in die Bundesrepublik und die Aufnahme ihres Studiums erleichtern soll. Die Hilfe wurde bisher auf die ersten beiden Semester nach der Aufnahme des Studiums in der Bundesrepublik beschränkt, in der Erwägung, daß das „soziale Defizit", das in der speziellen Flüchtlingssituation liegt, nach zwei Semestern so weit ausgeglichen sein werde, daß der geflüchtete Student seinen westdeutschen Kommilitionen gleichgestellt werden könne. Die inzwischen gesammelten Erfahrungen haben aber erkennen lassen, daß den aus der Flüchtlingssituation sich ergebenden besonderen Notständen - insbesondere ist zu bedenken, daß der geflüchtete Student meist völlig allein dasteht - durch eine Förderung während zwei Semestern nicht ausreichend begegnet werden kann. Die Bundesregierung ist deshalb bereit, die Förderung für Flüchtlingsstudenten auf drei Semester auszudehnen,
({0})
wie das auch in dem interfraktionellen Antrag Drucksache 2034, der in einer der letzten Plenarsitzungen angenommen worden ist, gefordert wurde.
({1})
({2})
- Ich komme noch darauf zurück.
Der Ansatz bei Tit. 625 ist in der gestrigen Sitzung des Haushaltsausschusses bereits entsprechend bemessen worden.
({3})
Die Flüchtlingsstudenten haben bisher nach Beendigung der eben erwähnten Förderungsmaßnahmen ihr Studium in folgender Weise weiterführen können: 43 % haben eine Ausbildungsbeihilfe nach dem Lastenausgleichsgesetz erhalten. 17 % haben eine entsprechende Beihilfe nach dem Bundesversorgungsgesetz erhalten; davon waren 7 % Kriegsbeschädigte und 10 % Kriegswaisen. Das sind also die 60 %, von denen Herr Abgeordneter Dr. Mommer bereits gesprochen hat, die ohne Schwierigkeiten ihr Studium fortsetzen können. Die restlichen 40 % nehmen größtenteils an der Begabtenförderung oder der allgemeinen Förderung über das Studentenwerk teil. Es darf erhofft werden, daß die Länder in der allgemeinen Studentenförderung, die zu ihrer Zuständigkeit gehört, ihr besonderes Augenmerk den Flüchtlingsstudenten zuwenden oder soweit notwendig in Zukunft noch stärker zuwenden werden.
Ziffer 5 in Drucksache 1967: Die Bedingungen für die nunmehr dreisemestrige Beihilfe des Bundesministeriums des Innern sind folgende:
1. Notaufnahme,
2. Aufnahme des Studiums an einer westdeutschen oder Berliner Hochschule.
. 3. Diejenigen Studenten, die eine Ausbildungsbeihilfe von anderen Stellen zu erwarten haben, treten diese an den Verband deutscher Studentenwerke ab und erhalten dafür die Beihilfe des Bundesministeriums des Innern.
4. Ein Förderungsausschuß an jeder Hochschule stellt fest, ob die Voraussetzungen für die Beihilfe im einzelnen vorliegen.
In der Ziffer 8 der Drucksache 1967 wird über die Situation der Flüchtlingsstudenten hinaus nach den allgemein in der Bundesrepublik üblichen Förderungsmaßnahmen für die Studentenschaft gefragt. Ich darf dabei vorausschicken, daß es sich hierbei im wesentlichen um Aufgaben der Länder handelt. Es ist bereits erwähnt worden, daß in der Bundesrepublik etwa 27 % der Studenten Stipendien oder Beihilfen aus öffentlichen Mitteln erhalten. Es entfallen dabei auf die allgemeine Begabtenförderung durch Studienstiftung, Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, Begabtenförderung des Bayerischen Kultusministeriums, Deutscher Akademischer Austauschdienst, Stiftung „Mitbestimmung" und andere 1,59% der deutschen Studentenschaft. Es entfallen auf die zweckgebundene Begabtenförderung, also die Förderung des Nachwuchses in bestimmten Wissenschaftszweigen, 0,7%. 14,5 % der Gesamtzahl der Studenten erhalten Erziehungsbeihilfen nach den verschiedenen Gesetzen über Kriegsfolgeschäden: Lastenausgleichsgesetz, Heimkehrergesetz, Bundesversorgungsgesetz. Die allgemeine Studentenförderung - Gebührenerlaß, Beihilfen über die Studentenwerke und andere Maßnahmen - kommt 10 % der Studentenschaft zugute. Diese 10 % erhalten eine teilweise Förderung im Durchschnittsbetrage von 553 DM jährlich, während die übrigen Förderungsmaßnahmen, die ich eingangs schilderte, zwischen 1420 und 1880 DM .jährlich liegen, also etwa dreimal so hoch sind.
Es ist hier und heute nicht meine Aufgabe, kritisch zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das heutige, zum Teil recht langwierige und unübersichtliche Förderungsverfahren nicht wesentlich verbessert werden sollte und ob nicht in stärkerem Maße mit jeder Förderung auch die Auslese der Begabungen verbunden werden müßte. Ich darf hierzu auf die bemerkenswerten Empfehlungen verweisen, die im Oktober 1955 auf der Hochschulreformkonferenz in Bad Honnef beschlossen worden sind. Diese Empfehlungen schlagen mit beachtlichen Gründen das Modell einer hochschulgerechten Förderung vor, über dessen Übernahme die Länder zu entscheiden haben werden.
Ich fasse nochmals dahin zusammen, daß in der Bundesrepublik 17 % der Studentenschaft ganz und 10 % der Studentenschaft teilweise aus öffentlichen Mitteln durch Stipendien oder Beihilfen gefördert werden. Es trifft zu, daß in Frankreich 54 % und in England 71 % der Studenten Stipendien erhalten. Zum Verständnis dieser ausländischen Zahlen muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß in England und Frankreich ein strenges Ausleseverfahren für alle gilt, die zur Universität kommen. Die ausländischen Prozentzahlen beziehen sich also auf eine bereits ausgelesene und daher von vornherein begrenzte Studentenschaft.
({4})
- Jedenfalls ist der Unterschied doch der, daß in Deutschland das Prinzip des freien Zugangs zur Universität für jeden Abiturienten gilt. Danach ist festzustellen, daß die englischen und französischen Prozentzahlen sich wegen der unterschiedlichen Prinzipien des Zugangs zur Universität nicht ohne weiteres mit den deutschen Zahlen vergleichen lassen.
({5})
Ich möchte nunmehr auf die in der Drucksache 1968 gestellten Fragen nach den geflüchteten Abiturienten eingehen, wobei unter Abiturienten auch diejenigen Studenten zu verstehen sind, die bereits in der sowjetischen Besatzungszone studiert haben, aber die Nachtragsreifeprüfung noch ablegen müssen. Eine solche Nachtragsreifeprüfung ist auf Grund von Beschlüssen der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder für die Anerkennung der SBZ-Hochschulzugangszeugnisse bei denjenigen Studenten und Abiturienten notwendig, die ein derartiges Zeugnis nach dem 31. Dezember 1950 erworben und nicht mindestens ein Studienjahr in der SBZ studiert haben. Die Kultusministerkonferenz sieht die Möglichkeit des Besuchs von Sonderkursen vor, die den notwendigen Reife-und Kenntnisstand vermitteln sollen. Bis zum Beginn des Wintersemesters 1955/56 haben sich insgesamt 6533 Abiturienten, 4000 in Berlin und 2533 in der Bundesrepublik, einer Sonderprüfung unterzogen. Von diesen gingen in Berlin 2770 und in der Bundesrepublik 448 durch die von den Ländern eingerichteten Sonderkurse. 884 Abiturienten bereiten sich gegenwärtig auf die Nachtragsreifeprüfung vor. 297 sind zur Zeit ohne pädagogische Betreuung, - ein Beweis für die Notwendigkeit einer Vermehrung von Förderungsmöglichkeiten. Es ergeben sich zur Zeit sehr unliebsame Wartezeiten von sechs Monaten und darüber. Weiter gibt es eine Zahl von Abiturienten, die sich durch privaten Unterricht auf die Nachtragsreifeprüfung
({6})
vorbereiten. Das Bundesministerium des Innern hat im Rechnungsjahr 1955 aus den Mitteln des Bundesjugendplans für diese etwa 300 Abiturienten 100 000 DM zur Verfügung gestellt.
Ziffer 3 der Drucksache 1968: Bei der Förderung von Vorbereitungskursen ist zu unterscheiden zwischen den Mitteln für die Einrichtung und den Ausbau von Vorbereitungsplätzen und den Mitteln für den Lebensunterhalt der Kursteilnehmer. Für die Einrichtung von Plätzen ist im Bundesjugendplan 1956 unter den SBZ-Mitteln ein Betrag von insgesamt 850 000 Mark vorgesehen. Hieraus sollen Zuschüsse für die Einrichtung von neuen Plätzen gegeben werden. Der Lebensunterhalt während des Besuchs der Vorbereitungskurse kann durch Ausbildungsbeihilfen nach den bereits erwähnten gesetzlichen Vorschriften oder durch Leistungen der öffentlichen Fürsorge gesichert werden.
Trotz dieser Beihilfemöglichkeiten entstehen häufig nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Die besondere Lage der Abiturienten macht eine Zusammenfassung in Schwerpunkten notwendig, um die erforderlichen erzieherischen Maßnahmen zu ermöglichen. Als alleinstehende Jugendliche können sie in der Regel, insbesondere wenn sie in einem Heim untergebracht sind, keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Fürsorgerechts begründen. Damit ist das Angebot des Bundes, 80 % der Kasten im Rahmen der Kriegsfolgenhilfe als verrechnungsfähig anzuerkennen, von der Mitwirkung des örtlichen Fürsorgeverbandes abhängig, die leider nicht immer zu erreichen ist.
Die Hilfe, die von der öffentlichen Hand gewährt werden kann, ist in jedem Einzelfall von einer verwaltungsmäßigen Prüfung abhängig, deren Dauer unterschiedlich ist. Es ist nicht selten, daß z. B. ein Rentenverfahren nach dem Bundesversorgungsgesetz eine ganze Reihe von Monaten, vielleicht sogar noch längere Zeit in Anspruch nimmt. Der Träger der Förderungsmaßnahmen für den Jugendlichen kann aber nicht immer die Kosten für den Lebensunterhalt so lange übernehmen, bis das Verfahren abgeschlossen ist. Zu einer derartigen Zwischenfinanzierung ist er meist nicht in der Lage. Auch sind die Träger der Förderungsmaßnahmen häufig zu wenig mit der leider festzustellenden Vielfalt der einzelnen Vorschriften vertraut, um den Betreuten hierbei eine ausreichende Beratung und Unterstützung zuteil werden zu lassen.
In Erkenntnis all dieser Schwierigkeiten wurde in dem interfraktionellen Antrag ({7}) ein Garantiefonds gefordert. Ein solcher Fonds würde zwei Aufgaben haben. Einmal würden solche Jugendliche, für die keine Beihilfemöglichkeiten auf Grund der geltenden Gesetze bestehen, entsprechende Beihilfen aus dem Fonds erhalten. Insoweit würde der Fonds ein Zuschußfonds sein. Zugleich aber müßten aus dem Fonds zum Ausgleich der geschilderten Verzögerung Vorschüsse gezahlt werden können, die dann von den endgültigen Kostenträgern zu erstatten wären. Insoweit würde es sich um einen Vorschußfonds handeln. Der Herr Bundesminister für Vertriebene hat bereits bei der Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU, Drucksache 1961, in der Plenarsitzung vom 9. Februar mitgeteilt, daß die Bundesregierung zur Zeit die Schaffung eines Zuschuß- und Vorschußfonds berate. Ich darf annehmen, daß die dafür bestehenden Möglichkeiten
bei der Beratung des Haushalts des Bundesministeriums des Innern für 1956 im Haushaltsausschuß in den nächsten Tagen noch im einzelnen zu erörtern sein werden. Ich darf bereits jetzt erklären, daß für den Zuschußteil eines solchen Fonds die Bundesregierung die erforderlichen Beträge auf alle Fälle zur Verfügung stellen wird. Wegen der Einrichtung eines Vorschußfonds wird es zunächst noch einer gewissen Abklärung mit den endgültigen Kostenträgern - Lastenausgleich usw. - bedürfen.
Frage 5 in der Drucksache 1968: Die Länderregierungen sind bereits durch eine Denkschrift
des Bundesministeriums für Vertriebene vom
10. November 1955 auf die besondere Situation
der geflüchteten Abiturienten aufmerksam gemacht worden. Unter nochmaligem Hinweis auf
die große politische Bedeutung des Problems der
geflüchteten Abiturienten erscheint es der Bundesregierung notwendig, daß durch die hierfür zuständigen Länder Plätze in Vorbereitungskursen
in größerer Anzahl zur Verfügung gestellt werden und daß in allen Verwaltungsbereichen bei
der Auszahlung von Beihilfen ein schnelles und
unbürokratisches Verfahren angewendet wird. Oft
ist die Art und Weise, in der der jugendliche
Flüchtling bei seiner ersten Begegnung mit westdeutschen Behörden behandelt wird, entscheidend
für seine gesamte Einstellung zu unserem Staat.
({8})
Wir sollten keine Gelegenheit auslassen, um dem jugendlichen Flüchtling zu zeigen, daß wir ihn nicht enttäuschen, sondern daß wir ihn ernst nehmen.
Ich darf zu der Frage der Oberschüler kommen, die nicht Abiturienten sind, und zur Frage der 1 Fachschüler, Ziffer 2 in der Drucksache 1967: In den Monaten vom 1. April bis zum 31. Dezember 1955 wurden insgesamt 47 132 alleinstehende jugendliche Flüchtlinge gezählt. Die Zahl der Jugendlichen im Familienverband konnte nicht ermittelt werden. Auch konnte die Zahl der Oberschüler, da sie nicht besonders erfaßt werden, nicht festgestellt werden.
Ziffer 3 der Drucksache 1967: Eine Hilfe, die den geflüchteten Oberschülern die Fortsetzung der unterbrochenen Schulausbildung ermöglichen soll, muß sowohl in der Bereitstellung von Nachschulungsmöglichkeiten in Förderklassen als auch in Beihilfen zum Lebensunterhalt bestehen. Die Einrichtung von Nachschulungsplätzen fällt in die Zuständigkeit der Länder. Im Rechnungsjahr 1955 gab aber das Bundesministerium des Innern Zuschüsse dazu aus den SBZ-Mitteln des Bundesjugendplans. Für das Rechnungsjahr 1956 ist vorgesehen, ebenfalls Zuschüsse zur Finanzierung von Nachschulungsplätzen aus den erwähnten Mitteln zu geben, und zwar bei Plätzen mit Internat bis zu 500 DM und bei Plätzen ohne Internat bis zu 140 DM je Platz. Wegen der Beihilfen zum Lebensunterhalt darf ich auf die Ausführungen verweisen, die ich bezüglich der Abiturienten gemacht habe.
Ziffer 4 der Anfrage Drucksache 1967: Von der gegenwärtigen Förderung sind folgende Gruppen von Fachschülern und Oberschülern nicht erfaßt:
1. Vertriebene, die nach dem 11. Juli 1945 ihren Wohnsitz in der SBZ oder in Berlin ({9}) genommen haben;
2. Zuwanderer ohne anerkannten politischen Fluchtgrund;
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3. jugendliche Aussiedler im Sinne des § 1 Abs. 2 Ziffer 3 des Bundesvertriebenengesetzes;
4. Schüler der 5. bis 7. Klasse und 5. Fachschüler, die weniger als die Hälfte ihrer Ausbildung voll(ndet oder in der SBZ ihr 18. Lebensjahr erreicht haben und damit nach dem dortigen Recht volljährig wurden, und schließlich Fachschüler mit abgeschlossener Ausbildung. Ich darf bemerken, daß in all diesen eben von mir erwähnten Fällen die notwendigen Voraussetzungen für eine künftige Förderung durch Verordnung oder durch Erlaß geschaffen werden sollen.
Weiter können nicht gefördert werden Schüler, die das Bundesnotaufnahmeverfahren nicht beantragen. Diese Schüler müssen das Verfahren notfalls schriftlich nachholen. Schüler, die im Familienverband kamen und zusammen mit der Familie im Bundesnotaufnahmeverfahren abgelehnt wurden, sollen das Verfahren für sich allein nachholen. Beide Gruppen sollen im Fall der Aufnahme eine Hilfe erhalten. Weiter wurden bisher die Oberschüler und Abiturienten nicht gefördert, die keine Ausbildungsbeihilfen nach den erwähnten gesetzlichen Bestimmungen oder nach Fürsorgerecht erhalten, und schließlich - Herr Abgeordneter Dr. Mommer hat es bereits erwähnt - die Absolventen von „Arbeiter- und Bauernfakultäten", d. h. von Vorstudienanstalten, die in drei Jahren politisch zuverlässige oder doch wenigstens als politisch zuverlässig erscheinende Jugendliche auf das Universitätsstudium vorbereiten. Diese konnten bisher nicht gefördert werden, da ihre Zeugnisse in der Bundesrepublik nicht als Reifezeugnisse anerkannt werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie in der SBZ mehr als ein Jahr auf einer Universität studiert hatten. Das gleiche gilt von den Studenten, die entweder ohne Reifezeugnis über ein Technikum zur Universität gekommen sind oder an Sonderhochschulen wie etwa der „Hochschule für Planökonomie" oder der „Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften Walter Ulbricht" studiert haben. Hier dürfte die Ständige Konferenz der Kultusminister berufen sein, ein Verfahren zu überlegen, um die wirklich Begabten durch eine geeignete Auswahl festzustellen, sie gesellschaftlich einzugliedern und ihnen dann die Möglichkeit zu weiterer schulischer Ausbildung zu geben.
Nach Schaffung des erwähnten Vorschuß- und Zuschußfonds wird es möglich sein, auch diesen bisher nicht geförderten Gruppen Ausbildungsbeihilfen zu gewähren.
Die Frage der Härtefälle bei den Studenten wird, wenn man erst einen gewissen Begriff davon hat, unter welchen Voraussetzungen Härtefälle anzuerkennen sind, bei den Richtlinien zu Tit. 625 erledigt werden.
In Ziffer 7 der Großen Anfrage Drucksache 1967 ist nach den politischen Häftlingen unter den geflüchteten Studenten und Schülern gefragt. Bisher sind 248 politische Häftlinge unter den Studenten gezählt worden. Die Zahl unter den Schülern konnte nicht ermittelt werden.
Die politischen Häftlinge unter den Studenten haben aus Tit. 625 Sonder Beihilfen erhalten. Freizeiten wurden für sie mit Mitteln des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen abgehalten. Die politischen Häftlinge unter den Schülern werden in einem in Göttingen eingerichteten
und vom niedersächsischen Kultusministerium finanzierten Sonderkursus auf das Abitur vorbereitet.
Ich darf zum Schluß auf die in Ziffer 9 der Drucksache 1967 gestellte Frage eingehen. Hier wird gefragt, ob sich die Bundesregierung der Bedeutung des Problems der jugendlichen Flüchtlinge in der Bundesrepublik bei der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus bewußt sei. Ich glaube, daß aus meinen Ausführungen hervorgeht, daß die Bundesregierung diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Selbstverständlich genügen materielle Sicherungen allein nicht, um junge Menschen gegen kommunistische Einflüsse zu sichern. Aber zunächst geht es doch einmal darum, den Studenten und Schülern mit den materiellen Sicherungen zugleich auch die Voraussetzung für ihre Ausbildung zu geben und ihnen damit zu einem eigenen festen Standort im Leben zu verhelfen. Erreichen die jugendlichen Flüchtlinge ihr Ausbildungsziel und damit eine gesicherte Position, so werden sie nicht nur krisenfest sein, sondern es wird damit dem deutschen Volk auch eine ganz besondere geistige Substanz erhalten, die wir gerade unter diesen jungen Menschen zu unserer Freude immer wieder feststellen können. Das Erlebnis einer jahrelangen Unfreiheit und Unterdrückung hat in ihnen in ganz besonderer Weise jene nüchterne Wachheit der Beobachtung und abseits von jedem müden Skeptizismus jene Gabe zu einer objektivierenden Kritik entwickelt, die mir eine der ersten Voraussetzungen und eines der wesentlichsten Elemente der Bekämpfung des Kommunismus und für die Entwicklung einer echten demokratischen Lebensform zu sein scheint.
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Die Große Anfrage ist beantwortet. Ich nehme an, daß mehr als 50 Abgeordnete die Besprechung wünschen. - Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Brökelschen.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich glaube, es ist allgemein zu begrüßen, daß die beiden Großen Anfragen der SPD Veranlassung geben, das ganze Problem der zu uns herübergekommenen Jugendlichen aus der Zone, soweit Fragen der Berufsunterbrechung, der Schulbildung und des Studiums in Betracht kommen, hier heute einmal im Zusammenhang aufzurollen. Ich möchte aber auf der andern Seite auch sagen, daß die Anfragen der SPD und die heutige Debatte nicht der Anlaß gewesen sind, daß diese Fragen in allem Ernst überhaupt aufgerollt worden sind. Wer in der Arbeit der letzten Monate gestanden hat, der weiß, in wieviel Sitzungen sich der Jugendausschuß zusammen mit Vertretern des Gesamtdeutschen Ausschusses um diese Dinge bemüht hat, und der weiß auch - ich habe schon bei den Ausführungen von Frau Kollegin Renger auf diese Dinge hingewiesen -, daß das Fazit dieser Besprechungen in dem interfraktionellen Antrag zum Ausdruck gekommen ist, den wir hier vor ganz kurzer Zeit einstimmig angenommen haben.
Darüber hinaus haben die ganz detaillierten Ausführungen von Herrn Staatssekretär Bleek uns einen Einblick in all das gegeben, was bereits geschehen ist. Wenn wir diese Antwort von Herrn Bleek zusammennehmen mit dem Antrag, von dem
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ich soeben sprach, dann glaube ich doch, daß die Probleme, soweit sie im Augenblick lösbar sind, auch gelöst werden können, wenn es jetzt gelingt, im Haushaltsausschuß die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.
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- Richtig, Herr Blachstein, und deswegen hoffe ich, daß wir alle einig sind in dem Bestreben, den Haushaltsausschuß - darauf komme ich noch - von der Notwendigkeit der Bewilligung dieser Mittel zu überzeugen.
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- Auf uns auch, Herr Blachstein! Deshalb hoffe ich, daß wir die Sache einstimmig durchziehen.
Die heutige Debatte hat uns wieder vor die Tatsache gestellt, wie unendlich folgenschwer die Spaltung Deutschlands ist und daß wir hier in einer Entwicklung stehen, die eine Richtung in der Jugenderziehung anbahnt, die auf die Dauer schwer zu verkraften ist, wenn nicht die Wiedervereinigung Ernst wird. Deshalb steht hinter der Erörterung heute hier als ganz große, letzte Mahnung die Frage der Wiedervereinigung und die Verpflichtung, alles zu tun, daß die Spaltung und damit die ganze Problematik unserer Jugend überwunden wird.
Herr Kollege Mommer hat im Zusammenhang mit den heute hier anstehenden Fragen die Frage der Begabtenförderung angeschnitten. Ich möchte mich auf diese Frage heute nicht einlassen, weil ich der Meinung bin: das ganze Gebiet ist viel zu komplex, als daß wir es in Zusammenhang mit den Flüchtlingsjugendfragen erörtern können. Die Antwort, die Herr Staatssekretär Bleek auf die Vergleiche gegeben hat, die Herr Kollege Mommer zwischen der deutschen Situation und derjenigen in England oder anderen Staaten zog, zeigt ja schon, wie gefährlich es ist, Dinge zu vergleichen, bei denen man nicht ganz genau die Voraussetzungen kennt.
Ich möchte hierzu nur eines sagen. Herr Kollege Mommer, Sie haben gesagt, daß es nicht gut wäre, wenn sich der Student durch sein Studium durchschuften müßte. Ich gestehe Ihnen ganz offen, daß auch ich zu den Studenten gehört habe, die sich sehr haben durchschuften müssen.
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Ich will Ihnen in aller Offenheit sagen, daß es mir nicht geschadet hat. Ich bin sogar der Meinung, daß es gut ist, wenn den Studenten nicht alles in den Schoß fällt.
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Entscheidend ist nur, daß die Schufterei nicht die Folge haben darf. daß der Student geistig überlastet ist und daß er körperlich den Dingen nicht gewachsen ist. Ich glaube, das ist das Gefahrenmoment, das wir vor allem auch bei der Flüchtlingsjugend aus dem Osten sehen müssen.
Nun gestatten Sie mir ein paar Fragen und ein paar Bemerkungen zu dem eigentlichen Thema von heute. Herr Staatssekretär Bleek hat schon darauf hingewiesen, daß für die augenblickliche Notlage, die zweifellos entstanden ist, dadurch Abhilfe geschaffen worden ist, daß sowohl die Summe der
Mittel für die Flüchtlingsstudenten wie auch die Summe der Beträge für Berlin erhöht worden ist.
Und nun lassen Sie mich das eine sagen. Es ist ja doch Tatsache, daß die ganze Frage erst wirklich dringend geworden ist durch den gewaltigen Anstieg der Zahl dieser Flüchtlinge seit dem 1. April 195E, seit dem Moment nämlich, wo die Jugendweihe in ihren Auswirkungen sich zeigte, wo weiter der berühmte Beschluß des Parlaments der FDJ über die „freiwillige" Meldung zur Volkpolizei sich auswirkte und seitdem sowohl die in der handwerklichen Berufsausbildung stehenden wie auch die anderen Jugendlichen immer stärker empfinden, daß es überhaupt nicht möglich ist, in der allgemeinen Situation der Zone zu einer echten, befriedigenden Berufsausbildung zu kommen.
Aus dieser Situation in der Zone ergibt sich - da unterstreiche ich das, was Herr Mommer gesagt hat -, daß gerade unter diesen Flüchtlingen die allerbesten Kräfte sind. Das sind eben die, die tatsächlich vorwärts wollen, die ganz klar sehen, welche inneren und äußeren Chancen ihnen in der sogenannten DDR gegeben sind und was alles ihnen bei dieser Situation nicht gegeben werden kann.
Wir sollten darüber hinaus, um den ganzen Ernst dieser Fragen zu sehen, auch noch etwas anderes beachten. Auch ein totalitärer Staat kann auf die Dauer geistige Führungskräfte nicht entbehren. Mit den Apparatschiks allein kann auch ein totalitärer Staat nicht seine Zukunft sichern. Deswegen ist es unser allergrößtes Interesse, diese geistig lebendigen und geistig aktiven und willigen Kräfte nicht - wie es einmal gesagt worden ist - zu Strandgut hier in unserer Bundesrepublik werden zu lassen. Das ist das große allgemeine politische Anliegen.
Deshalb unterstreiche ich auch das, was Herr Staatssekretär Bleek weiter gesagt hat: Es darf nicht dahin kommen, daß von diesen Jugendlichen solche in die Zone zurückkehren, die über ein echtes Versagen der Bundesrepublik enttäuscht sind und deshalb einfach entweder drüben mitmachen oder sogar in Führung gehen.
Daraus ergibt sich für uns dreierlei. Wir haben - und ich stelle das bewußt an den Anfang, meine Herren und Damen - in dieser ganzen Frage eine große menschliche Verpflichtung zu erfüllen. Ich möchte das gerade auch im Hinblick auf die konkreten Ausführungen und Einzelauskünfte des Herrn Staatssekretärs Bleek sagen. Wir müssen mit dieser menschlichen Aufgabe fertig werden, wir müssen verhindern - ich denke da an einen etwas merkwürdigen Artikel, der vor ganz kurzer Zeit im „Sonntagsblatt" erschienen ist -, daß diese Jugendlichen, gerade auch die Studenten, hier in das Gefühl einer völligen geistigen Verlassenheit und menschlichen Einsamkeit geraten, aus der es für sie kein Herauskommen gibt, auch dann nicht, wenn man ihnen finanziell hilft.
Die zweite große Fragengruppe ist die der Anerkennung der Examina oder, allgemeiner ausgedrückt, die Frage des Anschlusses an unser ganzes Ausbildungs-, Schul- und Hochschulsystem. Herr Mommer hat mit Recht darauf hingewiesen, daß das im wesentlichen natürlich eine Frage der Konferenz der Kultusminister der Länder ist. Aber ich möchte gerade auch im Anschluß an das, was Herr Bleek sagte, meinem dringenden Wunsche Ausdruck geben, daß doch in diese Arbeit der Kultusministerkonferenz und vor allen Dingen in die
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Realisierung ihrer Beschlüsse durch die Länder ein etwas besseres Tempo kommen möchte, als es leider Gottes bis jetzt vorhanden gewesen ist. Was wir gerade in der heute zur Debatte stehenden Angelegenheit brauchen - das gilt für den Bund und das gilt für die Länder -, ist, daß in Situationen, die unter Umständen unvorhergesehen über uns kommen, die aber an unsere letzten nationalen und politischen und staatlichen Verpflichtungen gehen, die Bereitschaft und die Fähigkeit besteht, damit mit möglichst wenig Bürokratie und mit möglichst viel Entschlußkraft und Einfühlungskraft fertig zu werden.
Zum Dritten! Die Frage der finanziellen Hilfe - darauf hat Herr Mommer mit Recht hingewiesen - ist allerdings entscheidend. Die Frage, ob nach zwei Semestern der Student aus der sowjetisch besetzten Zone mit dem westdeutschen Studenten die gleichen Startbedingungen erreicht hat, hat sich negativ beantwortet. Infolgedessen - das ergibt sich aus den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Bleek - ist die Unterstützungszeit von zwei Semestern auf drei Semester ausgedehnt worden. Damit ist eines der wesentlichen Anliegen der Vorbesprechungen erfüllt worden. Aber, meine Herren und Damen, lassen Sie mich in aller Ehrlichkeit auch ein Weiteres sagen. Ich bin der Meinung. daß darüber hinaus in einzelnen Härtefällen die Möglichkeit gegeben werden muß, über die drei Semester hinaus finanzielle Hilfe zu leisten.
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Auf der andern Seite möchte ich aber auch sagen - und damit schneide ich das Problem an, auf das Herr Mommer in anderem Zusammenhang hingewiesen hat -, daß wir alles tun müssen, damit nicht durch eine überstarke finanzielle Förderung der Studenten aus der Zone irgendwelche Verstimmungen unter unseren westdeutschen Studenten entstehen und so Spannungen entstehen können, die wir gerade im Hinblick auf die notwendige innere Eingliederung der Flüchtlingsstudenten nicht brauchen können. Es ist in dieser Situation
- auch das möchte ich sagen - auf beiden Seiten, sowohl bei den Studenten der Bundesrepublik wie bei denen aus der Zone, sehr viel guter Wille notwendig, um die beiderseitigen Schwierigkeiten anzuerkennen und von einer gemeinsamen Basis aus gemeinsam vorzugehen und die Dinge gemeinsam zu meistern. Ich bin allerdings der Meinung, daß da, wo gesundheitliche Schädigungen nicht überwunden sind und wo vor allen Dingen auch Schädigungen als Folge von politischen Schwierigkeiten in der Zone noch nicht überwunden sind, über das dritte Semester hinaus geholfen werden müßte.
Nun ein paar Sätze zu der Frage der unterbrochenen Berufsausbildung und der Schüler der höheren Schulen. Nach dem, was ich einleitend allgemein gesagt habe, möchte ich hier nur noch betonen, daß es nicht zu verantworten wäre, wenn in diesen Fällen nicht geholfen würde. Gerade bei den Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren - denn um solche handelt es sich im wesentlichen - ist die Gefahr, daß sie aus Enttäuschungen heraus wirkliche Vertreter des Kommunismus werden, größer als bei Älteren, die schon eine selbständigere geistige Einstellung zu den Dingen haben. Ferner ist bei diesen Jahrgängen die Gefahr, daß sie sozial und geistig abrutschen, viel stärker als bei den Älteren.
Meine Herren und Damen, gerade bei den Jugendlichen unter 18 Jahren ist für uns auch der
Gedanke an die Eltern verpflichtend. Ich gebe einem Jungen oder Mädel unter 18 Jahren weniger gern eine selbständige Lebensverantwortung und stelle sie mit größeren Sorgen in eine mir völlig fremde und auch räumlich ferne Situation als einen Jugendlichen über 18 Jahre, der schon auf der Universität ist. Infolgedessen kommt für die Eltern, die ihre Kinder hier herübergeben, zu der allgemeinen schweren Bewältigung des einzelnen Tages auch noch die Sorge um diese Kinder und Jugendlichen hinzu. Es kommt weiter hinzu - wie ich selber in der letzten Zeit wiederholt habe beobachten können -, daß diese Jugendlichen wohl Gegner des dortigen politischen Systems sind, daß sie aber auf der andern Seite, ohne daß sie es überhaupt merken, auch schon sehr stark von den geistigen und Denkkategorien des Ostens beeinflußt sind. Aber gerade diese Jugendlichen sind auf der anderen Seite noch sehr ansprechbar und bildungsfähig, und infolgedessen ist es nicht allzu schwer, sie zu einer echten geistigen Auseinandersetzung mit einem in unserem Sinne positiven Ausgang zu bringen.
Diese Jugendlichen zeigen überdies weithin eine erstaunliche Bereitschaft zu harter geistiger Arbeit und sind auch bereit, auf sehr vieles zu verzichten. Wir dürfen sie aber andererseits nicht überfordern, sondern müssen die berufliche Ausbildung und den Abschluß der Schulausbildung durch finanziell hinreichende Mittel sichern. Deshalb möchte ich an Herrn Staatssekretär Bleek offen die Frage richten: Wenn wir an den einstimmig beschlossenen Garantiefonds herangehen, Herr Staatssekretär, wie hoch schätzen Sie die Summe, oder - ich will lieber gar nicht sagen „schätzen"
- wie hoch muß nach Ihrer Überzeugung die Summe sein, die für die wirkliche Eingliederung und den Unterhalt dieser Schüler der höheren Schulen und der Jugendlichen mit unterbrochener Berufsausbildung erforderlich ist? Wir sollten diese Mittel nicht zu niedrig ansetzen, damit wir nicht in einem Augenblick, wo sich eventuell die Situation kompliziert, wieder hier im Bundestag einen Antrag einbringen müssen und so hinter einer Situation herhinken, bei der es viel besser wäre, wenn wir von vornherein auf sie gewappnet sind. Ich wäre deshalb dankbar, wenn wir hier konkrete Angaben bekommen könnten. Die Tatsache, daß der Garantiefonds einstimmig angenommen worden ist. daß alle überzeugt waren, daß er geschaffen werden muß, stellt einen erfreulichen Ausianispunkt dar, den wir aber jetzt in befriedigender Weise konkretisieren müssen. Deshalb geht zum Schluß mein Appell an den Haushaltsausschuß,
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und wir hätten uns vielleicht die Diskussion hier wesentlich verkürzen können, wenn wir uns alle miteinander auf diesen Appell geeinigt hätten.
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- Zunächst einmal der Haushaltsausschuß, Herr Blachstein; denn wenn sich der Haushaltsausschuß einstimmig auf unseren Standpunkt stellt, halte ich den Finanzminister immer noch für einsichtsvoll genug, daß er sich dem Votum des gesamten Hauses und des Haushaltsausschusses nicht verschließt. Es kommt darauf an, daß der Haushaltsausschuß in den Beratungen der nächsten Tage die
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allgemeine menschliche, die allgemeine politische und die allgemeine soziale Notwendigkeit begreift, diesen Fonds so zu dotieren, daß wir die von uns allen erkannte und von uns allen bejahte Aufgabe erfüllen können.
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Das Wort hat der Herr Staatssekretär Bleek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielleicht ist es für den weiteren Verlauf der Aussprache zweckmäßig, wenn ich die konkrete Anfrage der Frau Abgeordneten Brökelschen jetzt gleich beantworte, vorbehaltlich selbstverständlich der Entscheidung des Haushaltsausschusses und vorbehaltlich selbstverständlich der Stellungnahme des Herrn Bundesfinanzministers in diesen Beratungen des Haushaltsausschusses.
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Nach unseren Berechnungen würden für einen Vorlage- und Zuschußfonds etwa .15 Millionen DM erforderlich sein. Von diesen 15 Millionen DM würden 9 Millionen DM auf Abiturienten, Oberschüler usw. und 6 Millionen DM auf Volksschüler und Lehrlinge entfallen. Wieweit von diesem Gesamtbetrage durch später zu erwartende Beihilfen - Lastenausgleich usw. - mit Rückflüssen zu rechnen ist, läßt sich natürlich hundertprozentig nicht sagen. Man kann aber annehmen, daß bei den Empfängern der letztgenannten 6 Millionen DM in vollem Umfange ein Anspruch auf derartige Beihilfen besteht und daß auch von den 9 Millionen DM für Abiturienten und Oberschüler ein nicht ganz unerheblicher Teil nur im Wege des Vorschusses, der nachher aus den endgültigen Beihilfen abgedeckt werden könnte, zu gewähren sein würde.
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Frau Abgeordnete Brökelschen einen so flammenden Appell an den Haushaltsausschuß des Bundestags gerichtet hat, möchte ich sagen: Ihre Worte ebenfalls in das Ohr des Herrn Bundesfinanzministers! Ich glaube, wenn er es so aufnehmen wird, wie es hier gesagt worden ist, wird sehr vieles leichter sein als bisher.
Ich möchte mich nunmehr nur noch einer Bemerkung der Frau Kollegin Brökelschen zuwenden, wobei ich allerdings vorausschickend sagen möchte, daß ich ihre Grundhaltung dankbar anerkenne und daß sie in uns gewiß sehr gute Bundesgenossen bei der Lösung der Probleme finden wird, die sie hier angesprochen hat. Allerdings scheint mir eines doch klargestellt werden zu müssen, Frau Kollegin. Sie sagten, auch Sie hätten zu denjenigen gehört, die hart arbeiten mußten, um ihr Studium selber zu finanzieren oder das Studium durchzustehen. Ich darf es auch von mir sagen. Ich glaube aber nicht - ich möchte es Ihnen wenigstens nicht unterstellen -, daß Sie damit eine sozialphilosophische Grundhaltung zum Ausdruck bringen wollen, die in etwa besagt, man müsse die Menschen hart arbeiten lassen; das sei wichtiger, als ihnen irgendwie sozialpolitisch zu
helfen, da das dann letzten Endes noch gegen die Interessen dieser Menschen gerichtet sei.
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- Nun, bitte, ich habe gesagt, ich möchte es nicht unterstellen; aber Sie sehen, daß es durchaus so verstanden worden ist, und Sie sollten mir für die klarstellenden Worte dankbar sein.
Nun zu dem, was der Herr Staatssekretär Bleek in Beantwortung der zwei Großen Anfragen gesagt hat. Ich möchte auch dem Herrn Staatssekretär Bleek oder der Regierung für das danken, was bisher getan worden ist, und für das, was hier auch in unserem Sinne positiv beantwortet worden ist. Aber es schien mir doch so, daß man gravierende Fragen, die gestellt worden sind, nicht so mit der letztgültigen Klarheit beantwortet hat, wie es zu wünschen gewesen wäre, um der kommenden Entwicklung etwas beruhigter entgegensehen zu können. Es stimmt zwar, daß in dem interfraktionellen Antrag, der von diesem Hause einstimmig angenommen worden ist, die Förderung für drei Semester und darüber hinaus in Härtefällen der Garantiefonds gefordert werden; die Regierung wird ersucht, ihn zu schaffen. Aber wir sollten dabei auch sagen, daß das die unterste Grenze dessen ist, was erreicht werden soll. Denn es gibt gerade unter den Flüchtlingsstudenten sehr viele, denen durch die dreisemestrige Förderung und durch den Garantie- und Härtefonds angesichts der zu erwartenden gewiß sehr engen Vorschriften letztlich auch nicht gedient sein wird.
Weiter wurde gesagt - diese Zahlen decken sich mit den von uns ermittelten -, daß immerhin rund 40 % der Studenten auf die Begabtenförderung und auf die allgemeine Studentenförderung angewiesen sind.
Hierbei sollten wir uns doch einmal vor Augen führen, daß für diese rund 40 %, von denen hier die Rede ist, nur eine ganz geringe Summe Geld zur Verfügung steht, die auf sie verteilt werden kann. Diese gewiß geringe Summe reicht bei weitem nicht aus, um den Studenten finanziell die Sicherung eines ordnungsmäßigen Studiums zu geben, selbst wenn ich die Härte der Arbeit mit berücksichtige, die von der Frau Kollegin Brökelschen hier angesprochen worden ist.
Im Jahre 1953 hat man ermittelt, daß der „Monatswechsel" - wenn ich es einmal in der Sprache der Studenten sagen darf - mindestens 182 DM betragen müßte, um die Bedürfnisse der Studenten zu befriedigen. Von allen Studierenden haben aber nur 12,4 % mehr als 150 DM zur Verfügung. Das heißt, daß rund 88 % der Studenten unter 150 DM haben und demnach für diesen überwiegenden Teil der Studenten das Studium nicht gesichert ist.
In dem Zusammenhang habe ich es als sehr dankenswert empfunden, daß hier das Förderungsverfahren angesprochen wurde und die Rede von der Begabtenförderung war. Man hat im Anschluß an die Beschlüsse und die Diskussionen der Kultusministerkonferenz in Honnef sehr gute Modelle, um diese Erörterung weiterzuführen. Vor allen Dingen muß man sich der Frage des Förderungsverfahrens zuwenden, denn hier scheint mir noch sehr viel reformbedürftig zu sein. Ich glaube nicht, daß hier im Hause eine Kollegin oder ein Kollege ist, der sagen kann, daß bei dem jetzt vorwiegend gewährten Förderungsbetrag von 40 DM pro Monat
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von einer ausreichenden Förderung die Rede sein kann. Damit kann man auf die Dauer gesehen einfach nicht argumentieren.
Dann wurde vorhin in diesem Zusammenhang von einer besseren Auslese gesprochen. Gewiß, auch wir sind für eine Auslese, für die die Begabung entscheidend sein muß. Aber man kann sich einfach nicht des Eindrucks erwehren, daß heute Geld eher einen Auslesefaktor an den Universitäten darstellt denn die wirkliche Begabung des einzelnen.
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Hier muß etwas Entscheidendes getan werden. - Herr Kollege Seffrin, ich werde nachher sehr dankbar Ihre Argumente dagegen entgegennehmen. Aber ich habe nun einmal auf Grund des vorhin Dargelegten und angesichts der Dinge, die mir von den Universitäten bekannt sind, den Eindruck. Ich darf einmal das aufgreifen, was der Kollege Mommer vorhin sagte, als er von den ABFlern, also von den Studenten der Arbeiter- und Bauernfakultäten der DDR sprach, die zur Zeit noch nicht berücksichtigt werden. Er sagte, daß rund 5 % der deutschen Studenten aus Arbeiterkreisen - wenn ich es soziologisch einmal so ausdrücken darf - kommen. Darf ich das einmal weiterführen: Wir sollten uns dann auch einmal Gedanken darüber machen, wenn wir hier zur Kenntnis nehmen, daß nur rund 5 % aus Arbeiterkreisen kommen, aber auf der anderen Seite Untersuchungsergebnisse z. B. des Instituts für Begabtenforschung in Hannover vorhanden sind, die einwandfrei unter Beweis stellen, daß der Prozentsatz der Jugendlichen aus Arbeiterkreisen, die die Begabung und das
Rüstzeug zu einem akademischen Studium mitbringen, ungleich höher ist als der Prozentsatz derjenigen, die heute auf Grund des Geldauslesefaktors an den deutschen Universitäten studieren. Ich habe hier die Befürchtung, daß das auf die Dauer gesehen eine volkswirtschaftliche Fehlinvestition ist. Denn wenn wir für den Studenten sehr große Summen pro Semester oder pro Jahr auswerfen, so muß es doch - ich komme durch Ihren Zwischenruf, Herr Kollege Seffrin, auf diese Bemerkung - für uns eine Selbstverständlichkeit sein, dann auch Überlegungen anzustellen, daß neben den teilweise geringen Studiengebühren
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Brökelschen?
Aber bitte!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage: Sind Sie nicht der Meinung, daß die Gegenüberstellung von Arbeitern und Leuten mit Geld heute doch etwas überholt ist?
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Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der größte Teil der Studenten sich aus Kreisen rekrutiert, in denen der Vater im freien Beruf steht oder Beamter oder Angestellter ist, also aus Kreisen, deren Einkommen entweder auf gleicher Höhe mit dem der Arbeiterschaft oder sogar noch darunter liegt?
Frau Kollegin Brökelschen, ich möchte die Antwort hier sofort geben. Ich bin nicht mit Ihnen der Meinung, daß diese Unterscheidung heute keine Rolle mehr spielt. Aus dem
vorhin Dargelegten ist einwandfrei ersichtlich, daß es leider nicht so ist. Ich wäre froh, Ihnen zustimmen zu können.
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Um meinen vorhin aufgegriffenen Gedanken zu Ende zu führen: Wir sollten uns doch bemühen, den geringeren Prozentsatz der Kosten, die der Student selbst aufbringen muß, auch noch zu übernehmen, wenn wir durch eine strengere Auslese bei der Begabtenförderung zu einem größeren Nutzeffekt in dieser Angelegenheit kämen. Ich glaube, das wäre sozialpolitisch, volkswirtschaftlich oder wie Sie es auch nennen wollen, gerechtfertigter als das Prinzip, das bis jetzt bei uns angewandt wird.
Lassen Sie mich von diesen ABFlern zu einem anderen Punkt übergehen, der mir vorhin nicht sehr gefallen hat. Gewiß bin ich mit der Regierung und auch mit Ihnen, Frau Kollegin Brökelschen, der Meinung, daß es heute darauf ankommt, Schulbeispiele dafür zu geben, daß wir die gewiß guten Kräfte, die aus der DDR zu uns kommen, nicht brachliegen lassen, um sie unserer Gesellschaftsordnung gegenüber nicht verbittert werden zu lassen. In dem Zusammenhang muß man aber doch auch einmal Überlegungen darüber anstellen, wie man sie hier eingliedern kann. Ich weiß, daß das nicht nur ein finanzielles Problem ist. Aber man kann es auch nicht so machen, wie es das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen bisher versucht hat, indem man pseudowissenschaftliche Traktätchen von einem Falk und Andrae herausgibt, die letztlich das, was hier unter freiheitlichem Demokratismus verstanden wird, was wir als Sozialdemokraten vertreten, in einer nicht mehr zu verantwortenden Form auch noch herunterziehen. So kann man die Auseinandersetzung mit den Menschen, die zu uns kommen, auf die Dauer gesehen auch nicht führen. Das sollte hier gesagt werden, damit auch auf diese Dinge einmal die Aufmerksamkeit gelenkt wird.
Nun zu dem, was vorhin über das Notaufnahmeverfahren gesagt wurde. Ich weiß, daß Verhandlungen mit dem Ziel im Gange sind, das Notaufnahmeverfahren abzuschaffen. Ich weiß auch, daß man noch einmal um eine gewisse Karenzzeit oder Zwischenzeit gebeten hat. Aber ich glaube, wir sollten hier sehr betont herausstellen, daß es nicht sehr vorteilhaft für uns ist, wenn all diejenigen, die in die Bundesrepublik kommen, der Befragung durch die Alliierten ausgesetzt werden. Das sollte offen ausgesprochen werden, und es sollte alles und jedes versucht werden, um dies abzuschaffen.
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- Ich freue mich, daß ich auch hier die Zustimmung des Hauses feststellen darf.
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Durch die Änderung des § 3 der Ersten Durchführungsverordnung zum Überleitungsgesetz wollen wir erreichen - und ich glaube, da waren wir uns bei der Ausarbeitung des interfraktionellen Antrages durchaus einig -, daß alle Flüchtlinge unter 25 Jahren anerkannt werden. Damit wollten wir aber doch in weiterer Konsequenz auch erreichen, daß sie nicht mehr der Befragung durch die Alliierten in Berlin ausgesetzt sind.
Ich habe vorhin schon gesagt, daß es darauf ankommt, einen größeren Prozentsatz der Studenten
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in die allgemeine Studentenförderung einzubeziehen. Berlin hat hier durchaus ernst zu nehmende Praktiken entwickelt. Denken wir an das, was in Berlin hinsichtlich der Währungsbeihilfen und Sozialstipendien getan wird. Dies können wir anderen Ländern durchaus zur Nachahmung empfehlen. Sie haben ja - denn so leichtsinnig sind die Berliner wirklich nicht - in das Ausleseverfahren auch eine gewisse ,Begabtenauslese mit eingeschlossen. Aber sie helfen doch immerhin durch Währungsbeihilfen und durch die Sozialstipendien über 50 % der Studenten, was man von den westdeutschen Universitäten leider nicht sagen kann.
In diesem Zusammenhang wäre auch nötig, darauf hinzuweisen, daß es vor allen Dingen erforderlich ist, ein besonderes Augenmerk auf die Vorbereitungskurse, die zur Zeit noch bei den höheren Schulen liegen, zu richten. Ich glaube, daß es zweckmäßiger wäre, wenn man diese Vorbereitungs- oder Anerkennungskurse nicht mehr so sehr auf Heime konzentrierte, sondern den Versuch unternähme, sie möglichst in die Universitätsstädte zu bringen, damit dort die Möglichkeit des Einlebens und der Kontaktnahme mit dem westdeutschen Universitätsbetrieb gegeben ist. Davon würde nach meinem Dafürhalten der einzelne mehr profitieren, als es der Fall ist, wenn er jetzt fern der Universitätsstadt nur auf ein ganz bestimmtes Examen vorbereitet wird und nachher mit dem freiheitlichen Universitätsprinzip, wie es nun einmal bei uns im Gegensatz zur „DDR" vorherrscht, konfrontiert wird.
Diese wenigen Gedanken über diese Frage wollte ich hier noch aussprechen. Zum Schluß habe ich noch eine Bitte. Wir sollten von den Oberschülern, die zu uns kommen, um die Anerkennungsprüfungen zu machen, nicht noch die Prüfungsgebühr von 30 Mark verlangen, wie es in den einzelnen Ländern geschieht. - Ich weiß nicht, möglicherweise ist die Gebühr in der Zwischenzeit wieder abgeschafft worden. - Wenn die Möglichkeiten des Bundes, darauf hinzuwirken, nicht ausreichen, dann sollten wir überlegen, ob wir nicht Mittel dafür zur Verfügung stellen, daß wir also die 30 Mark ablösen. Dies scheint mir im Gesamten gesehen ein sozialpolitisches, ein gesamtdeutsches Anliegen zu sein wie die ganze Frage, die heute diskutiert worden ist.
Abschließend darf ich, um vielleicht das Interesse des Hohen Hauses für diese Fragen noch etwas zu erwärmen, wenigstens noch auf einen Auszug aus dem Gesetzblatt der „Deutschen Demokratischen Republik" - ich darf das mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren - Teil I Nr. 15 vom 10. Februar 1956 hinweisen, der mir vorliegt. Danach werden für die Jugend in der Zone rund 2 1/2 Milliarden ausgegeben. Ich weiß, daß das ganz bestimmte Tendenzen hat; ich weiß, daß das zweckbetont ist, daß es nicht so sehr auf den einzelnen ankommt, dem man helfen will, und ich weiß, daß wir das mit unserer Hilfe nicht vergleichen können. Aber es beweist doch auch, daß diese Frage drüben zumindest mit einer größeren Aufgeschlossenheit - wenn auch aus zweckbetonten Motiven - gesehen wird, als es bei uns im Gesamten gesehen der Fall gewesen ist. Ich hoffe, daß es mir mitdiesem Hinweis gelungen ist, Ihre besondere Aufmerksamkeit auf diese Frage zu lenken. Vielleicht trägt er mit dazu bei, daß der für den Haushaltsausschuß und für das gesamte Parlament vorgetragen herzliche Aufruf der Frau Kollegin Brökelschen in letzter Konsequenz auch den Finanzminister erreicht. Dann tun wir uns in dieser Sache leichter und können helfen; denn das ist der Sinn unserer Anfrage gewesen, nicht etwa, daß wir Politik damit machen wollen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Kutschera.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine politischen Freunde und ich freuen sich darüber, daß die Fraktionen sich heute so eingehend mit diesem Problem beschäftigt haben. Wir sind auch nicht dadurch beeindruckt, daß ein großer Teil unserer lieben Kolleginnen und Kollegen im Augenblick eine wichtigere Beschäftigung hat. Wir sind der Auffassung, daß das Problem, dessen Besprechung heute ansteht, unsere ganze Kraft in Anspruch nimmt und vor allen Dingen von der politischen Seite aus stärker als bisher angesprochen werden muß. Die Oststudenten und -schuler, die zu uns kommen, kommen doch, weil sie die seelische Belastung in der Sowjetzone einfach nicht mehr ertragen können. Sie kommen zu uns, weil sie sich als ungeeignet gezeigt haben, dem dortigen System vorbildlich zu dienen. Wenn sie das nämlich täten, dann würden sie dort ihre Förderung bekommen. Wenn sie sich zu diesem System auch nur einigermaßen bekennen könnten, würden sie drüben in der Zone bleiben können. Weil sie es nicht können, weil sie einfach ihre innere Einstellung nicht überwinden können, weil sie einfach die Grundsätze einer echten demokratischen Berufung fühlen und nur hier leben können, deshalb kommen sie zu uns, und deshalb brauchen sie so dringend unsere Hilfe.
Wir haben heute vielleicht zuwenig nach Berlin gesehen. Ich halte es deshalb für notwendig, einige Worte über die dortige Situation zu sagen. Wir haben gerade in Berlin feststellen müssen - und das war ja bei unserem letzten Besuch der Hauptzweck -, daß die Förderung der Ostabiturienten und -schüler ein ganz entscheidendes Problem darstellt. Allein in Berlin wollen etwa 1100 junge Menschen ihr Studium zu Ende führen. Man versucht nun, diese jungen Menschen in Heimen unterzubringen und zu betreuen. Zum großen Teil ist das möglich. Ein geringer Teil versucht, sich durch Privatunterkünfte durchzuschleppen, und wieder ein kleiner Teil muß mit dem Pendelverkehr vorliebnehmen.
Nun haben gerade die letzten Wochen eine bedeutende Erschwernis gebracht. Infolge der verstärkten Werbung für die kasernierte Volkspolizei und infolge der eingeführten Wehrpflicht für die sogenannte Volksarmee ist es diesen jungen Menschen kaum mehr möglich, zurückzugehen und ihre Eltern zu besuchen. Hier müssen wir also ebenfalls nach Wegen suchen, diesen Menschen den Aufenthalt bei uns zu erleichtern, ihnen die Möglichkeit zu geben, auch hier in Westdeutschland das Studium zu vollenden.
Wir wissen, daß bei der Wiedervereinigung gerade diese Menschen eine entscheidende Rolle spielen werden. Es muß uns daran liegen, daß wir die jungen Menschen, die auf Grund ihrer Schulausbildung einmal im Leben eine führende Stelle einnehmen, für uns behalten können, sie ausbilden können, um sie in dem Augenblick der Wiedervereinigung an den Stellen, an denen sie gebraucht werden, zur Verfügung zu haben.
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Von diesem Gesichtspunkt aus ist deshalb auch zu überprüfen, ob wir nicht bessere Möglichkeiten der Anerkennung ihres bisherigen Studiums f in-den können. Ich denke dabei vor allem - es ist von Herrn Kollegen Mommer schon aufgezeigt worden - an die Wertung der Kenntnisse in slavischen Fremdsprachen.
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- Das ist mir völlig neu. Die Auswirkung in der Praxis sieht nicht so aus. Daß seit fünf Jahren bereits darauf Rücksicht genommen wird, ist völlig unbekannt. Vielleicht ist das eine „geheime Reichssache".
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- Das hat sich bis zu mir noch nicht herumgesprochen. Das ist denkbar.
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Sie sind jedenfalls mit mir der Auffassung, daß man die Kenntnisse in slavischen Sprachen entsprechend werten sollte; denn wir brauchen diese Voraussetzung.
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Wenn wir von Wiedervereinigung sprechen, müssen wir gleichzeitig von unserer Nachbarschaft sprechen, und dazu brauchen wir die slavischen Sprachen.
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Die Erhöhung der Förderung auf drei Semester ist auch nach unserer Auffassung eine absolute Notwendigkeit, und wir geben unserer Freude darüber Ausdruck, daß wir bei diesem Antrag eine einheitliche Meinung im ganzen Hause hatten.
Lassen Sie mich zu der Situation der Studenten noch eins offen aussprechen! Ich habe manchmal das Gefühl, daß man einige Dinge zu verniedlichen versucht, auch die Sozialprobleme unserer studierenden jungen Menschen. Man glaubt, die Dinge werden sich schon irgendwie erledigen; außerdem ist es klar, daß der tüchtige Mensch sich ohne Prothese irgendwie zurechtfindet. Dazu muß man doch folgendes sagen. Es ist sicherlich kein Geheimnis, daß rund 30 % unserer jungen Studenten mit höchstens 50 Mark Verpflegungsgeld im Monat auskommen müssen. Das bedeutet doch, daß sie jede freie Stunde und Minute, die andere Generationen dazu benutzen konnten, sich vorzubereiten, sich weiterzubilden, dazu benutzen müssen, sich durch Arbeit Geld zu verdienen. Und diese Arbeiten sind recht mannigfaltig. Es beginnt damit, daß man früh um fünf bereits den ersten begegnet, die als Schaffner tätig sein müssen, die sich ihre fünf Stunden herumschlagen, um nachher auf der Schulbank wieder weiterlernen zu können. Wir sehen sie beim Kohlenschippen, wir finden sie beim Zeitungsverkauf und finden sie beim Würstchenanbieten. Überall haben wir die jungen Menschen, die sich so durchschlagen müssen. Sie tun es, und wir sind auch stolz darauf, daß sie es tun. Nur: sollten wir es ihnen nicht wirklich etwas leichter machen?
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Sollten wir nicht wirklich noch ernster überlegen, ob wir nicht gerade hier ansetzen, gerade hierfür Mittel freimachen können?
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Im Volke geht die Sage, in unserem Parlament sitze der sparsamste Mann Deutschlands. Das ist sehr schön. Aber gerade bei diesem Gebiet, über das wir heute sprechen, sollte man einmal fragen: Ist die Sparsamkeit nicht gerade bei der jungen Generation, die uns dringendst braucht, außerordentlich schlecht am Platze? Wir müssen uns also Gedanken darüber machen, wie wir an diese Dinge noch stärker herangehen können, wobei ich, wie gesagt, vor der ausgesprochenen Verniedlichung warnen möchte.
Dann ist hier noch eine Frage aufgetaucht, die ich nicht unbeantwortet lassen darf, wenngleich auch schon mein Herr Vorredner darauf eingegangen ist. Es handelt sich um die Sorge, durch die Förderung der sowjetzonalen Studenten und Schüler würden die Einheimischen benachteiligt und es könne dadurch das Gefühl aufkommen, daß hier eine Rivalität entstehe.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir die Situation dieser Menschen genau kennen, dann wissen wir doch, daß sämtliche Beihilfen, die gegeben werden, nur die allernotwendigste Voraussetzung zum weiteren Studium schaffen. Wir werden auf keinen Fall der Auffassung folgen können, daß damit einheimische Studenten benachteiligt würden. Wir würden uns dagegen auch schwer verwahren, und zwar im Interesse dieser Menschen, über die wir heute sprechen; denn diese Menschen wollen gar keine Bevorzugung gegenüber anderen, sie wollen nur gerechte, gleiche Startmöglichkeiten. Ich möchte also bitten, sich auch darüber Gedanken zu machen, ehe man den Schluß zieht, durch die Unterstützung dieser Menschen könne eine Rivalität entstehen. Immer, auch bei gleichen finanziellen Voraussetzungen, laufen diese Menschen um ein gute Länge hinterher, weil ihnen die beste Voraussetzung, nämlich das Elternhaus, in den meisten aller Fälle fehlt.
Zu der Frage der Heimunterbringung wäre vielleicht noch zu sagen, daß wir stärker als bisher von der reinen Heimunterbringung abrücken und versuchen sollten, in größerem Maße auf Familienanschluß hinzuwirken, um diese Menschen in die Familien, in das Familienleben und damit in dieses ganze Niveau stärker hineinführen zu können. Dazu wird es notwendig sein, daß wir den sogenannten Pflegeeltern finanziell etwas unter die Arme greifen. Denn es kann nicht so sein, daß nur der, der es sich finanziell leisten kann, einen Gast aufzunehmen, dafür in Frage kommt, sondern es muß so sein, daß wir die Familien in Betracht ziehen, bei denen unsere jungen Menschen gut untergebracht sind.
Die anderen Fragen wurden von meinem Vorredner entsprechend gewürdigt. Wir brauchen uns da nur anzuschließen.
Ich möchte Sie abschließend herzlich darum bitten, die Fragen der finanziellen Hilfe nicht in dem Sinne der Ausführungen des Bundesvertriebenenministers in Berlin zu behandeln,
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daß man nämlich von dem Gesichtspunkt ausgeht:
ja, wir können nicht so günstige Unterstützungen
geben; denn es besteht die Gefahr, daß der Osten
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dann, um unsere Währung zu gefährden, auf einen Schub Tausende von Menschen abstellt.
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Das, was in Berlin passiert ist und was sich auf die Häftlinge bezog, könnte sich natürlich so weiter fortpflanzen, wenn wir das nicht einmal deutlich aussprechen.
Ich bitte also, von dieser Methode abzurücken, soweit Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, das nicht auch schon längst getan haben. Die Durchführung des vor einigen Wochen gemeinsam angenommenen Antrags Drucksache 2034 wird zeigen, ob es dem Hohen Hause ernst ist mit den Auffassungen, die heute hier vertreten worden sind.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seffrin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu diesem Thema sind ziemlich breite Ausführungen gemacht worden. Eines ist sicher: den jungen Menschen, die vom Osten herüberkommen, muß geholfen werden. Wir haben aus den Ausführungen, die hier gemacht wurden, ja auch gehört, daß geholfen wird und daß die Entwicklung dieser Hilfe in vollem Gange ist.
Zu den allgemeinen Dingen, die gesagt wurden, ist einiges zu ergänzen. Man hat darauf hingewiesen, daß die Zahl der Kinder aus Arbeiterfamilien, die bei uns an den Universitäten studieren, gering sei, und man glaubt, daß das ein sozial nicht günstiges Verhältnis darstelle. Man hat hier von den Arbeiter- und Bauernfakultäten in der sowjetisch besetzten Zone gesprochen. Wenn es ein unsoziales Verhalten gibt, dann ist das bei jenem sogenannten Staat da drüben der Fall. Denn wenn er nur Kinder von Arbeitern und Bauern zum Studium zuläßt und alle anderen ausschließt, dann ist das etwas höchst Unsoziales.
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- Ich komme darauf noch zurück, Herr Blachstein.
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Wir haben in Berlin bei dem Besuch der dortigen Heime gesehen, daß junge Menschen, wenn sie nach der sozialen Auffassung der sogenannten DDR nicht zu einem bestimmten sozialen Sektor gehören, einfach daran gehindert werden, sich weiterzubilden, und dann zu uns herüberkommen. Wir haben aber auch sehen können, daß die Bundesrepublik tatsächlich außerordentlich darum bemüht ist, diesen jungen Menschen das, was sie dort verloren haben, hier bei uns in entsprechender Weise zu ersetzen, ja ihre Lage hier so gut wie möglich zu gestalten. Ich glaube deshalb, daß wir in der Bundesrepublik, insgesamt gesehen, demokratischer und vor allen Dingen sozial besser denken und besser eingerichtet sind als die Leute, die darum ein großes Gerede bei sich selbst machen.
Nun, Herr Blachstein, mit den Statistiken und Zahlen ist es so eine eigene Sache. Das wurde hier schon öfter erwähnt. Damit kann man alles beweisen, das Positive und das Negative. Wenn Sie mich fragen, ob ich der Ansicht sei, daß 5 % der Arbeiterkinder an der Universität ausreichend seien, so muß ich antworten, daß die Frage an sich schon nicht richtig gestellt ist. Denn soweit ich die Dinge kenne, besteht bei uns heute die Möglichkeit, zur Universität zu kommen, für den Begabten in der Regel tatsächlich auf jeden Fall. Und wenn ich aus meiner eigenen Kenntnis der Dinge sprechen darf, so möchte ich sagen, daß doch auch einmal die Frage zu stellen wäre: Wer ist Arbeiter? Ich glaube, wir müssen wohl - Frau Kollegin Brökelschen hat das schon angekündigt - von dem vor 50, 60, 70, 80 Jahren üblichen Standpunkt herunterkommen, daß der Arbeiter schlechthin nur der Hand- oder der Fabrikarbeiter sei. Auch andere Menschen arbeiten, auch andere Menschen sind tätig und sind in ihren wirtschaftlichen Verhältnissen - da hat Frau Brökelschen vollkommen recht - manchmal schlechter gestellt als der Arbeiter, den Sie vielleicht speziell im Sinne haben.
Eine Sache scheint mir doch außerordentlich wichtig zu sein. Der Kollege Wienand hat darauf hingewiesen, wenn ich ihn recht verstanden habe, daß in der sowjetisch besetzten Zone von den dortigen Stellen 2 1/2 Milliarden Mark für Jugendförderung 'eingesetzt seien, und er hat damit sagen wollen: wie wenig tun wir! Ich möchte sagen: trotz dieser 21/2 Milliarden laufen die jungen Menschen dort weg. Der Staat bezahlt mit Grnd, aber die Jugend bezahlt dort mit ihrer Freiheit.
({2})
An dieser Stelle tut sich der Abgrund auf. Hier zeigt sich der Hintergrund: je mehr der Staat mit Geld an die jungen Menschen herankommt, desto mehr verlieren sie ihre Freiheit. Aber wir wollen, daß der junge Mensch nicht zu einem vom Staat gegängelten Objekt wird, sondern daß er ein Mensch bleibt, der sich immer bewußt ist, daß er selbst sein Möglichstes beitragen soll, um sich zu bilden, um frei zu bleiben und nicht das Opfer staatlicher Millionen und Milliarden zu werden.
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Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Mommer?
Herr Kollege, habe ich Sie wirklich richtig verstanden, daß Sie meinen, der junge Mensch
({0})
verliere um so mehr seine Freiheit, je mehr der Staat in materieller Hinsicht für ihn tue? - Das würde ja zu der Konsequenz führen, daß wir auch die Stipendien, die wir haben, noch abschaffen müßten.
Ich habe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich hier ein Hintergrund und ein Abgrund zeigt
({0})
und daß man genau erkennen muß, wohin ein Weg unter Umständen führen kann.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen offenbar nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache. Punkt 3 der Tagesordnung ist erledigt.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhauhaltsgesetz ({0}).
({1})
- Meine Damen und Herren, ich bitte um ein klein wenig mehr Ruhe; es ist sehr schwer, sich verständlich zu machen, insbesondere, wenn man erkältet ist.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf Begründung und Aussprache zu verzichten. Im Ältestenrat hat man sich dagegen nicht darüber einigen können, an welche Ausschüsse die Vorlage verwiesen werden soll. Auf der einen Seite wurde ein Sonderausschuß verlangt; auf der anderen Seite wurde in Aussicht gestellt, daß Überweisung an einige der bestehenden Ausschüsse beantragt werde. Nach meinem Dafürhalten geht der Antrag auf Einsetzung eines Sonderausschusses weiter. Ich lasse daher zunächst diesen Antrag begründen. Wer will ihn begründen?
({2})
- Es ist also der Antrag gestellt, einen Sonderausschuß einzusetzen, und zwar, von wieviel Mitgliedern, Herr Abgeordneter Rasner?
({3})
- Von 21 Mitgliedern.
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- Sie wollen dagegen sprechen? - Ich erteile Ihnen das Wort, im Rahmen einer Geschäftsordnungsdebatte gegen diesen Antrag zu sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion widerspricht dem Antrag auf Einsetzung eines Sonderausschusses. Es entspricht nicht der Übung, die bisher in diesem Hause gepflogen worden ist, für bestimmte Sachmaterien Sonderausschüsse einzusetzen. Ich sage: es entspricht nicht der Übung. Ich verkenne nicht, daß von dieser Übung in Einzelfällen Ausnahmen gemacht worden sind. Wir sind aber der Auffassung, daß es nicht fördernd wirkt, wenn zur Beratung dieses Gesetzentwurfs ein Sonderausschuß eingesetzt wird. Es kommt letzten Endes entscheidend darauf an, die Arbeit zu fördern. Dieser Sonderausschuß wird sich ausschließlich aus Kollegen und Kolleginnen zusammensetzen, die bereits Mitglieder verschiedener Ausschüsse sind, des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, des Auschusses für Verkehrswesen, und welche Ausschüsse hier sonst noch in Betracht kommen. Diese Kolleginnen und Kollegen werden der sachlichen Arbeit in allen diesen Ausschüssen entzogen.
Dadurch wird die Arbeit in den Fachausschüssen gehemmt, ohne daß die Gewähr dafür geboten ist, daß dieser Sonderausschuß wirklich entsprechend funktioniert. Vielen Kolleginnen und Kollegen wird es nicht gelingen, sich aus der Arbeit im Fachausschuß frei zu machen und sich in der erwünschten Weise in dem Sonderausschuß zu betätigen. Es besteht die Gefahr - und wir wollen ja die Beratung dieses Gesetzentwurfes fördern -, daß dieser Sonderausschuß aus den von mir angedeuteten Gründen nicht zu einem wirklichen Funktionieren kommt. Deshalb halten wir es für sachdienlicher, wenn der Gesetzentwurf in den einzelnen Fachausschüssen des Hauses beraten wird.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion beantragt deshalb die Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung - federführend - und zur Mitberatung an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Verkehrswesen, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Kommunalpolitik, für Fragen des Gesundheitswesens, für Atomfragen und für Rechtswesen und Verfassungsrecht.
({0})
- Ja, meine Damen und Herren, diese Materie - ({1})
- Das ist mir so gesagt worden, meine Damen und Herren!
({2})
Wir schlagen in jedem Falle vor: Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als federführenden Ausschuß.
({3})
Herr Abgeordneter, wozu wollen Sie das Wort haben?
({0})
- Nach der Geschäftsordnung ist das Wort zunächst für einen Antrag zu erteilen und dann gegen den Antrag. Die Mühe, den Antrag zu stellen, haben Sie mir überlassen.
({1})
- Sie haben selber darauf verzichtet, dafür zu sprechen. Dagegen ist schon gesprochen worden. Es ist nicht sehr logisch, wenn jener, der für den Antrag sprechen will
({2})
- meine Damen und Herren, der Präsident spricht! -, erst dann zu sprechen bereit ist, nachdem schon dagegen gesprochen worden ist. Trotzdem erteile ich Ihnen das Wort. Sie wollen es mir nicht verübeln, diese kleine Lektion erteilt zu haben.
({3})
- Sie wollen noch einmal das Wort haben?
({4})
- Bitte schön.
Ich möchte nur eine Berichtigung vornehmen. Meine Damen und Herren, in allen Fraktionen gibt es Mißverständnisse, und auch Sie sind gegen Mißverständnisse nicht gefeit. Da mir soeben ein Mißverständnis unterlaufen ist, bitte ich um Erlaubnis des Herrn Präsidenten, daß ich den Antrag auf Ausschußüberweisung wie folgt berichtige: Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung - feder({0})
führend - und an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik, für Verkehrswesen und für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitberatung.
({1})
Das sind immerhin ein Drittel der ursprünglich beantragten Ausschüsse. - Bitte, Herr Abgeordneter Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf mich zunächst, Herr Präsident, bedanken, daß Sie mir das Wort trotzdem erteilt haben, obwohl ich zu Anfang darauf verzichtet habe.
Wir haben alle einmal klein angefangen!
Ich glaube, aus der Begründung, die soeben der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion für seine Auffassung gegeben hat, ergibt sich schon automatisch, warum wir für die Bildung eines Sonderausschusses sind. Der Herr Bundeskanzler hat in einer der letzten Debatten mit Recht das vom Haus etwas belächelte Wort gesagt, daß Wasser ebenso wichtig sei wie Atom.
({0})
- Wir sind der Meinung, daß die Fragen der Wasserwirtschaft ebenso wichtig sind wie die Fragen des Atoms. Für die Atomfragen ist ein ständiger Ausschuß des Bundestages, korrespondierend zum Ministerium, gebildet worden. Hier wollen wir so weit nicht gehen. Wir wünschen aber einen solchen Sonderausschuß, weil nur dieser die Gewähr bietet, daß diese wichtige Arbeit so gefördert werden kann, wie wir sie gern gefördert sehen möchten. Es ist eine allgemeine Erfahrung in diesem Hause, daß die Überweisung eines zudem auch noch schwierigen Gesetzes an eine Vielzahl von Ausschüssen die Arbeit nicht fördert, sondern nur hindert und lähmt. Wir wollen nicht nur die Überweisung dieses Gesetzes an einen Sonderausschuß, sondern möchten ausdrücklich auch darum bitten, wenn dieser Sonderausschuß gebildet ist, keinen anderen Ausschuß an der Arbeit an diesem Gesetz zu beteiligen. Das Gesetz wirft eine solche Fülle von Fragen verschiedenster Art auf, daß der reduzierte Katalog, Herr Kollege, den Sie eben hier vorgetragen haben, wirklich nicht den weiten Rahmen deckt.
Ich bitte deshalb, den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen und der Überweisung an einen Sonderausschuß zuzustimmen, der allein, ohne Beteiligung anderer Ausschüsse, diese Materie behandelt.
Also Ihr Antrag lautet in Wirklichkeit, einen Sonderausschuß einzusetzen. Damit erledigt sich ja dann der andere Antrag.
Wir sind uns wohl über eines einig: daß es, wenn ein Sonderausschuß eingesetzt werden sollte, ein 21er-Ausschuß sein soll, so daß wir darüber nicht besonders abzustimmen brauchen.
Ich lasse also darüber abstimmen, ob ein Sonderausschuß eingesetzt werden soll - ich würde vorschlagen, ihn zu nennen:
({0})
„Wasserhaushaltsgesetz" -, also unter ausgesprochener Beschränkung auf dieses Gesetz, nicht etwa auf die Wasserwirtschaft im ganzen.
({1})
- Ich würde Ihnen vorschlagen, das nicht zu tun. Man sollte bei diesen Dingen im Rahmen der gestellten Anträge bleiben.
Wer für diesen Antrag, - Sonderausschuß -, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Es ist also ein Sonderausschuß „Wasserhaushaltsgesetz" eingesetzt, der 21 Mitglieder zählen wird, die die Fraktionen benennen werden. An diesen Ausschuß ist die Vorlage überwiesen.
Punkt 4 ist erledigt.
Ich rufe Punkt 5 auf. Die Fraktionen sind sich offenbar darüber einig, daß dieser Punkt abgesetzt werden soll. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Aufhebung des Besatzungsrechts ({2}).
Auch hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf eine ausdrückliche Begründung und auf Aussprache zu verzichten und die Vorlage sofort an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? - Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen; Punkt 6 ist erledigt.
Punkt 7 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({3}).
Auch hier schlägt der Ältestenrat vor, auf Begründung und Aussprache in erster Lesung zu verzichten und die Vorlage sofort an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen als federführenden Ausschuß und den Ausschuß für Jugendfragen als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? - Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen.
Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes ({4}) ({5});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für den Lastenausgleich ({6}) ({7}).
({8})
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Zühlke.
Zühlke ({9}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Lastenausgleichsgesetz gewährt im Rahmen der Hypothekengewinnabgabe verschiedene Vergünstigungen. Diese Vergünstigungen sind im besonderen geeignet, den
({10})
Wiederaufbau und die Wiedererstellung kriegszerstörter Grundstücke zu erleichtern. Die Fragen sind in den verschiedensten Paragraphen des Lastenausgleichsgesetzes geregelt. Besonders hemmend ist aber, daß die Frist für die Vergünstigungen nach dem Lastenausgleichsgesetz am 31. März 1956 abläuft. Aus diesem Grunde ist uns im Lastenausgleichsausschuß die Vorlage zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes überreicht worden. Der Ausschuß ist einstimmig der Meinung, daß zum Wiederaufbau kriegszerstörter Grundstücke eine Fristverlängerung notwendig ist, und schlägt Ihnen vor, die Frist bis zum 31. Dezember 1960 zu verlängern. Ich bitte das Hohe Haus, dem Ausschußantrag die Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichtersatter.
Ich rufe auf Art. 1, - Art. 2, - Art. 3, - Einleitung und Überschrift. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer diesen Bestimmungen zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir kommen zur Schlußabstimmung in
dritter Beratung
Ich nehme an, daß eine allgemeine Aussprache unterbleiben soll. Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzen ist, den bitte ich, dies durch Erheben zu bezeugen. - Gegenprobe! - Ich stelle auch hier einstimmige Annahme fest. Punkt 8 ist erledigt.
Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({0}).
Hier wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß bei Ziffer 2 des Umdrucks 521*) offenbar ein Irrtum unterlaufen ist insoweit, als auf diesem Umdruck vermerkt ist, daß für den Antrag unter Ziffer 2 der Ausschuß für Heimatvertriebene federführend sein soll, während es der Sache nach zweckmäßig erscheint, eher den Ausschuß für den Lastenausgleich zum federführenden Ausschuß zu erklären. Ist das Haus dieser Meinung?
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- Kein Widerspruch; dann wird der Antrag Umdruck 521 in dieser Weise geändert.
Wer für die Annahme der Vorlage Umdruck 521 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist die heutige Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste, die 131. Sitzung ein auf Freitag, den 24. Februar, 9 Uhr, und schließe die 130. Sitzung des Deutschen Bundestages.