Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, Sie werden nicht vergessen haben, daß die gestrige Tagesordnung noch nicht erledigt ist, daß wir die Tagesordnungspunkte vom Donnerstag auf den Freitag vorzutragen haben. Es stehen noch acht Redner auf der Rednerliste von gestern; wir werden sie alle acht anhören. Ich schlage Ihnen vor, daß wir, nachdem die Aussprache über Punkt 1 der Tagesordnung von gestern erschöpft ist, die Tagesordnung von gestern durchverhandeln und - falls dann noch Zeit sein sollte, denn um 14 Uhr wird barmherzigerweise geschlossen ({0})
zu Punkt 3 der heutigen Tagesordnung übergehen und die Kohle noch anstehen lassen. Das Haus ist einverstanden?
({1})
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 9. Februar 1956 gemäß § 20 Abs. 5 des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten ({2}) in der Fassung vom 10. Dezember 1952 ({3}) die Verordnung M Nr. 2/56 über Milchauszahlungspreise zur Kenntnisnahme übersandt. Der Verordnungsentwurf liegt im Archiv zur Einsichtsnahme aus.
Die Fraktion der SPD hat unter dem 8. Februar ihre Große Anfrage betreffend Absichten der Bundesregierung bei der Auswahl von Freiwilligen ({4}) zurückgezogen.
Wir fahren fort in der Aussprache zu Punkt 1 der Tagesordnung der 128. Sitzung:
a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Eingliederung von Flüchtlingen, Vertriebenen, Evakuierten und Heimkehrern ({5});
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Politik der Bundesregierung in den Angelegenheiten der Vertriebenen, Sowjetzonenflüchtlinge und Evakuierten ({6});
c) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes ({7});
({8})
d) Erste Beratung des von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Ausgleichsleistungen an Sowjetzonenflüchtlinge ({9}).
Das Wort hat der Abgeordnete Dewald.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man eine Anfrage einbringt, die mindestens ihrer Länge nach als groß bezeichnet werden muß, dann braucht man sich auch nicht zu wundern, wenn die Debatte ziemlich lang wird. Die bisherige Debatte im Zusammenhang mit der Großen Anfrage ist in erster Linie - das darf man wohl sagen - eine Vertriebenendebatte gewesen. Ich glaube aber, wir haben uns hier mit einer Reihe von Fragen zu beschäftigen, die auch jene Geschädigtengruppen berühren, die nicht zu den Flüchtlingen und nicht zu den Vertriebenen gehören, also die sogenannten heimischen Kriegssachgeschädigten.
Damit diese Debatte nicht zu einer reinen Vertriebenendebatte wird, möchte ich mich mit diesen Geschädigtengruppen ein wenig befassen. Ich darf auch darauf verweisen, daß das, was die Große Anfrage enthält, mit einem Antrag meiner Fraktion gekoppelt worden ist, der im Grunde genommen dasselbe will wie die Große Anfrage, wenn sie es vielleicht auch in einer etwas präziseren Form zum Ausdruck bringt. Wir haben die Dinge, die in der Großen Anfrage vorgebracht worden sind, bereits früher mit aller Ausgiebigkeit behandelt. So hat die Große Anfrage meiner Fraktion vom 14. Juli 1954 im Grunde bereits alles vorweggenommen, was diese neuerliche Anfrage enthält.
Mir liegt besonders daran, einige Sätze zu Punkt 3 b der heutigen Anfrage zu sagen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte um ein wenig Ruhe.
Dort wird eine Beurteilung der Bundesregierung in der Frage der Kapitalstruktur der kriegssachgeschädigten Wirtschaft verlangt. Ich nehme an, daß es den Anfragern nicht darum zu tun ist, eine erneute zeitraubende Erhebung anstellen zu lassen, sondern daß es ihnen um Hilfsmaßnahmen geht, welche dieser Sektor unserer Wirtschaft dringend braucht. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Antwort des Herrn Bundesvertriebenenministers auf unsere Große Anfrage in der 44. Sitzung am 23. September 1954 verweisen. Damals führten Sie, Herr Bundesvertriebenenminister, unter anderem aus:
In diesem Plan
- dem Zweijahresplan -
konnten noch nicht die Belange der Kriegssachgeschädigten und Evakuierten behandelt werden, da deren Betreuung erst seit dem 1. April 1954 in die Zuständigkeit meines Ministeriums übergegangen ist.
Er habe aber zu bemerken,
daß die Bundesregierung sich nicht nur für die Vertriebenen und Flüchtlinge einsetzt, sondern mit gleichem Schwergewicht für die Belange der Kriegssachgeschädigten und insbesondere der Evakuierten. Die Bundesregierung hat dafür Sorge getragen - und sie wird dies weiter tun -, daß die einzelnen Geschädigtengruppen jeweils gerecht und ihren Bedürfnissen entsprechend bei allen Hilfsmaßnahmen berücksichtigt werden.
Das sind wahrhaft erhebende Worte gewesen, Herr Bundesminister, die Sie hier gesprochen haben. Die Betroffenen mußten annehmen, daß die versprochene Hilfe „just round the corner" ist. „Gerecht und ihren Bedürfnissen entsprechend", sagten Sie, und Sie werden mir gestatten, daß ich dazu einige Sätze sage. Denn gerade auf das Wort „gerecht" kommt es mir an. Es liegt mir fern, einen Stein gegen die Vertriebenen zu werfen. Ich bin mir der hohen staatspolitischen Aufgabe bewußt, diese Volksgenossen, die ein schreckliches Geschick aus ihrer Heimat trieb, in unsere Gemeinschaft einzugliedern und zu fördern, wo immer es möglich ist. Aber wir wollen doch gerecht sein. Und da wird mir aus den Kreisen der einheimischen geschädigten Wirtschaft gesagt: Sonderbare Gerechtigkeit, die man an uns übt! Zum erstenmal hat man im vergangenen Etatsjahr bei der Verteilung von Mitteln aus dem ERP-Fonds die einheimische geschädigte Wirtschaft bedacht, aber in wenig großzügiger Weise: sie hat den Betrag von 5,1 Millionen DM aus diesem Fonds erhalten, wohlgemerkt: für das ganze Bundesgebiet, während die heimatvertriebene Wirtschaft aus der gleichen Quelle 124 Millionen DM empfangen hat.
Ich betone nochmals: auch ich begrüße diese Hilfe für die Heimatvertriebenen. Ich wollte, sie wäre noch größer gewesen. Aber ich kann nicht umhin, auf die Frage der einheimischen geschädigten Wirtschaft, ob das eine gerechte Verteilung ist, zumindest mit einem zweifelnden Nein zu antworten.
Diese langfristigen und billigen Kredite - 3 % Zinsen und 17 Jahre Laufzeit - wären auch für die einheimische geschädigte Wirtschaft mit Einschluß der Evakuierten eine wirkliche Hilfe, insbesondere für den von Ihnen so viel umworbenen Mittelstand, und ich darf die Hoffnung aussprechen, daß in Zukunft dieser Kreis unserer Wirtschaft, die auch unteilbar ist, aus den Rückflüssen der ERP-Mittel besser gespeist wird als bisher. Die Leute legen großen Wert auf das Wort Gerechtigkeit. Das ist alles.
In dem diesjährigen Etat sind aus ERP-Mitteln insgesamt 491 Millionen DM zur Verteilung eingesetzt. Davon entfallen auf die gewerbliche Wirtschaft der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigten zusammen 20 Millionen DM. Ich weiß nicht, ob man hier nicht doch etwas stiefmütterlich gedacht hat. Ich kenne die Aufschlüsselung auf die einzelnen Gruppen nicht. Sollte ich mich aber irren, sollte hier doch eine gewisse Großzügigkeit vorliegend, dann lasse ich mich gerne belehren.
Man macht geltend, daß die Vertriebenenwirtschaft es ungleich schwerer hatte als die einheimische Wirtschaft, wieder emporzukommen. Das trifft fraglos in vielen Fällen zu. Aber anzunehmen, daß die Ausgebombten und die ihrer Habe durch die Kriegsereignisse beraubten Einheimischen auf Rosen gebettet seien, ist sicherlich ein Trugschluß.
Man hat lobenswerterweise - ich begrüße das - der Heimatvertriebenenwirtschaft auch mit den besonderen Steuervergünstigungen - §§ 7 a, 7 e, 10 a - der Einkommensteuergesetze unter die Arme gegriffen. Man hat sie bei der Vergabe öffentlicher
Dewald)
Aufträge bevorzugt. Alles lobenswertes Tun, das ich durchaus begrüße. Aber man muß sich daran erinnern, daß der 1. Bundestag einstimmig eine Entschließung gefaßt hat, in der es heißt, daß alle Geschädigtengruppen als gleichberechtigt in Gesetzgebung und Verwaltung zu betrachten sind, und danach muß man handeln.
Ich habe einmal bei der Beratung der Umschuldungsaktion für die heimatvertriebene Wirtschaft, mit der man sich heute beschäftigt, angeregt, man möge die 100 Millionen DM, die hier in Betracht kommen, um 30 Millionen DM aufstocken und möge mit diesen 30 Millionen der einheimischen Geschädigtenwirtschaft unter die Arme greifen. Leider ist diesem Verlangen kein Erfolg beschieden gewesen, obwohl es gerade wieder eine Hilfe für die Mittelschichten - wie wir es nennen - gewesen wäre, für d i e Schichten, deren Anliegen erneut in einem von der Fraktion der CDU/CSU gestellten Antrag aufgegriffen werden.
Alles ist also schon einmal dagewesen. Die Aufstockung dieser 30 Millionen wäre wenigstens eine helfende Geste gewesen. Die Betroffenen hätten sich gesagt: Wir sind doch nicht vergessen. Herr Bundesminister für die Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten, warum haben Sie nicht einmal eine entschlossene, gerechte Wendung nach dieser Seite gemacht?
Und nun zu den Evakuierten, die mir besonders am Herzen liegen, weil sie die Vergessenen sind, weil sie die Letzten sind, an die man gedacht hat, und sie sind deshalb in der Gefahr, daß die Hunde sie beißen.
In der bereits erwähnten Sitzung vom 23. September 1954 - es ist lange her - haben Sie, Herr Bundesminister, mit wahrhaft imponierenden Zahlen jongliert. Ein Rastelli hätte dabei neidisch werden können. Ich gestehe, daß mich dieses Zahlenmaterial fast überwältigt hat. Leider hat sich auch hier die alte Weisheit bestätigt, daß man Zahlen und Statistiken nicht immer trauen kann. Nur der Augenschein überzeugt. Unser Sprecher hat schon damals erklärt, daß wir dieser gefährlichen Zahlenvision nicht trauen, daß man vor allem keine Vorschußzahlen nennen soll, sondern nur das, was der Finanzminister wirklich freigegeben hat.
Unsere Befürchtungen sind durch die Entwicklung bestätigt worden. Ich denke hier vor allen Dingen an die Rückführung der Evakuierten innerhalb der Länder. Den Evakuierten haben Sie allerdings, Herr Bundesminister, in der Sitzung vom 15. Juni 1955 eine eiskalte Dusche versetzt. Damals - ich zitiere mit der Erlaubnis des Herrn Präsidenten wörtlich - sagten Sie:
Es ist das Problem der Evakuierten angeschnitten worden, auf das ich nur ganz kurz eingehen kann.... Ich glaube, die Durchführungsverordnung, nach der gefragt wurde, wäre lange da, wenn wir nicht die Schwierigkeiten mit den Mitteln hätten, wenn wir die Mittel aus dem Wohnungsbau, nämlich 45 Millionen aus dem Bundeshaushalt und 45 Millionen Wohnraumhilfemittel, ohne weiteres geben könnten. Was heute fehlt,
- sagten Sie dann weiter - ist die innere Umsiedlung.
Und nun kommt der entscheidende Satz, der lautet:
Dafür steht vom Bund aus kein Geld zur Verfügung.
Sie fuhren dann fort in ihren Bemerkungen und sagten:
Hier besteht eben auch die Schwierigkeit, daß die Länder nicht genug Mittel haben und daß der Bund heute die innere Umsiedlung nur sehr schwer durchführen kann.
So weit Ihre Ausführungen, womit sich unsere Befürchtungen bestätigten.
Nun, Schwierigkeiten, von denen Sie sprachen, Herr Minister, sind dazu da, daß sie ausgeräumt werden.
({0})
Man beurteilt die Tätigkeit eines Ministers danach, ob ihm das gelingt oder nicht.
Worin liegt denn die Schwierigkeit? Einfach darin, daß der Finanzminister die Theorie aufstellt, daß die innere Rückführung der Evakuierten ihn nichts angehe, daß dies Sache der Länder und Gemeinden sei; ihm verbleibe nur die Sorge für die Rückführung von Land zu Land. Diese Theorie haben Sie, Herr Bundesminister, gestern wieder aufgenommen und in Ihrer Rede ausdrücklich bestätigt. Wir haben diese Theorie stets bekämpft. Die Gesamtevakuierung ist eine direkte Kriegsfolge, zurückzuführen auf den Evakuierungsplan des damaligen Reiches. Der Bund ist Rechtsnachfolger und hat deshalb dafür einzutreten, daß allen Evakuierten Gerechtigkeit widerfährt.
Sie sagten in dieser Rede vor acht Monaten weiter, der Bund könne nichts tun. Ich nehme an, das damalige Heute gilt nach Ihren gestrigen Ausführungen auch für das heutige Heute, und das ist mehr als betrüblich. Wo sind denn die Millionen geblieben, von denen Sie damals so imponierend gesprochen haben? Hätte man sie den Evakuierten gegeben, wie ein Antrag von uns vorsah, statt sie auf die hohe Kante zu legen, dann wäre jetzt der Herr Finanzminister nicht in die kitzlige Lage versetzt, daß andere nach seinem nest-egg greifen, für die er es sicher nicht ausbrüten wollte.
({1})
Wenn der Bund heute, in Zeiten der Hochkonjunktur und der dadurch bedingten Kassenfülle, nichts für die Evakuierten tun kann, dann frage ich mich: Wann kann er es tun?
({2})
Sie haben uns in Ihrer gestrigen Rede einen neuen Kabinettsbeschluß verkündet, durch den die Wohnungsbaumittel von 500 Millionen auf 700 Millionen DM erhöht worden sind. Das sollte wohl für uns ein Trostpflästerchen darstellen und in den Evakuiertenkreisen die Hoffnung erwecken, daß nunmehr alles in Butter sei. Nein, das ist es nicht. Wir haben gestern im zuständigen Ausschuß eine Änderung des Bundesevakuiertengesetzes beraten. Bei dieser Gelegenheit habe ich erfahren, daß Ihr Haus die Kosten der Rückführung der Evakuierten auf 1500 Millionen DM veranschlagt. Da frage ich mich: Wieviel Evakuierte können Sie zurückführen mit den Mitteln, die Sie uns gestern bekanntgegeben haben?
({3})
Wenn Sie, gestützt auf diese Mittel, das Evakuiertenproblem lösen wollen, dann wird die Prophezeiung, Herr Bundesminister, die Sie vor einiger
({4})
Zeit einmal in München gemacht haben, daß Sie in drei Jahren das Evakuiertenproblem lösen werden, nicht in Erfüllung gehen. Nach dem, was wir jetzt an Mitteln zur Verfügung haben, wird es 12 bis 15 Jahre dauern, bis der letzte Evakuierte von seinem Verbannungsort in seinen Heimatort zurückgeführt ist.
({5})
So kann man das Evakuiertenproblem meiner Ansicht nach nicht lösen.
({6})
Die CDU/CSU fragt in Punkt 5 ihrer Großen Anfrage, wieviel Evakuierte bereits mit Bundesmitteln zurückgeführt worden sind. Wenn ich von der Rückführung von Land zu Land absehe, dann kann ich diese Anfrage damit beantworten, daß ich sage: herzlich wenig. Praktisch steht heute - ich betone: heute - das Evakuiertenproblem so, daß wir 500 000 rückkehrwillige Evakuierte haben und daß davon höchstenfalls 60 000 zurückgeführt sind. Man tröstet sich in amtlichen Kreisen damit, daß viele darunter seien, die sich eben so hätten einschreiben lassen, die aber dann, wenn es zum Ernstfall komme, von ihrer Einschreibung gar keinen Gebrauch machten, sondern dort blieben, wohin sie das Schicksal verweht habe. Auf eine solche Annahme kann man keinen Plan aufbauen. Man muß mit den konkreten Zahlen arbeiten, die vorliegen, und dann dementsprechend handeln. Diese Evakuierten sind die Leute, die vor 13 Jahren aus ihren Wohnungen in den Städten vertrieben worden sind, die seitdem, man möchte sagen, in elender Verbannung leben und für die zunächst nur der Trost vorhanden ist, daß sie registriert worden sind, daß sie ein Stück Papier erhalten haben, von dem sie sich bei Gott nichts abbeißen können.
Wir haben immer und immer wieder darauf verwiesen, daß das gesamte Bundesevakuiertengesetz eine leere Deklamation ist - und im Grunde genommen war das ganze Haus einhellig dieser Meinung -, wenn nicht entsprechende Mittel zur Beschaffung von Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Wir haben im vorigen Jahre den gewiß bescheidenen Antrag gestellt, 50 Millionen DM für diese Zwecke bereitzustellen. Dieser Antrag ist abgelehnt worden.
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Es wäre der erste und einzig helfende Schritt für die Evakuierten gewesen, denn unsere Parole muß sein: nicht fragen, sondern helfen. Ich kann mich erinnern, wie sich der Herr Bundesfinanzminister damals wegen dieser 50 Millionen DM gewehrt hat. Es wird wohl niemand in diesem Hause sein, der heute zurückschauend nicht sagen würde: Diese 50 Millionen DM hätten wir noch leicht verkraften können.
({8})
Es wäre dann den Evakuierten wenigstens für den Anfang etwas gezeigt worden.
({9})
Es liegt diesem Hause auch in diesem Jahre zu den Etatberatungen ein Antrag meiner Fraktion vor - neben den sonstigen aus der Natur der Sache hervorgehenden Vorschlägen, die unser Antrag enthält -, für Zwecke der Evakuiertenrückführung den Betrag von 100 Millionen DM bereitzustellen. Es ist auch möglich, daß seitens des zuständigen Ausschusses noch andere Vorschläge in dieser Hinsicht erarbeitet werden. Wir hoffen sehr, daß unser Antrag in diesem Jahre eine Mehrheit findet. Ich sehe ja, daß alle den Evakuierten helfen wollen - was zu beweisen ist!
({10})
Ich bin der Meinung, die Zustimmung zu einem solchen Antrag ist mehr wert als eine Große Anfrage von A bis Z.
({11})
Geben wir uns über die Stimmung in den Evakuiertenkreisen keiner Täuschung hin! Unter ihnen zirkuliert bereits ein böses Wort: Kasernen sind wichtiger als Evakuiertenwohnungen! Das klingt erzweifelt ähnlich einem Wort, das wir in den Anfängen der ungloriosen tausendjährigen Ara gehört haben und das da lautete: Kanonen sind wichtiger als Butter! Sorgen wir alle dafür, daß diese These nicht um sich greift - wir verbreiten sie nicht -, sorgen wir dafür, indem wir helfen und das tun, was unseres Amtes und unsere Pflicht ist. Es wird über dieses Problem noch einiges zu sagen sein, wenn das von mir erwähnte Änderungsgesetz zum Bundesevakuiertengesetz auf der Tagesordnung steht. Deshalb will ich heute auf weitere Einzelheiten nicht eingehen.
({12})
Nur ein Problem möchte ich noch anschneiden, weil weder in der Großen Anfrage noch in der Diskussion darüber irgend etwas gesagt worden ist, ein Problem, auf das der Herr Bundesvertriebenenminister einmal in einer Sitzung des Bundestages hingewiesen hat. Damals sagten Sie, Herr Minister: „Denken Sie an die Kasernenauflösung. Da stehen wir noch vor ganz anderen Problemen. Wir werden in einem Jahr 60 000 Menschen aus den Kasernen herausholen und auch neuen Wohnraum bauen müssen." Nun, ich glaube, dieses Problem ist da, und ich glaube, daß die Zahl von 60 000 zu niedrig ist; denn nach den Erklärungen des Herrn Verteidigungsministers in der letzten Fragestunde sollen so an die 150 Kasernen ihrer Zweckentfremdung entrissen und ihrer Zweckbestimmung - welch ein gruseliges Wort - zugeführt werden. Da heißt es wirklich Wohnungen bauen, wenn zu dem allerlei Verdrängtsein, das wir schon haben, zu dem allerlei Vertriebensein, das für uns für lange Jahre und immer ein Problem bleiben wird, noch die neuen Kasernenverdrängten stoßen, die Flug- und Übungsplatzverdrängten nicht zu vergessen!
Es handelt sich nicht allein um Wohnungen, es handelt sich um die Erstellung von Geschäftsräumen und Lebensraum für die durch die Wiederaufrüstung entwurzelten Existenzen. Daß sich darunter ein großer Teil Vertriebener befindet, brauche ich hier wohl nicht besonders zu beweisen. Ich möchte den Herrn Bundesvertriebenenminister fragen: Haben Sie bereits einen Plan für diese neue Art der Verdrängten? Haben Sie die Mittel zur Verfügung, diesen Verdrängten zu helfen? Und aus welchem Topf kommen diese Mittel?
Verzeihen Sie meine Neugierde, Herr Bundesminister, nach dieser Richtung hin. Aber ein altes Wort sagt: Wissen ist Macht. Und es geht die Sage, daß Sie eines sicher wüßten, nämlich wie man Macht macht. Davon möchte ich wie der Famulus im „Faust" ein klein wenig profitieren.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Meine Damen und Herren - Herr Abgeordneter Kather, ich bitte Sie, eine Sekunde zu warten -, ich habe eine interfraktionelle Vereinbarung bekanntzugeben. Die Fraktionen haben vereinbart, daß die Debatte über diesen Punkt der Tagesordnung Schlag 12 Uhr beendet wird.
({0})
Die Fraktionen haben sich verpflichtet, auf ihre Redner so intensiv einzuwirken,
({1})
daß dies möglich wird, ohne daß Redner von der Rednerliste gestrichen werden.
Zweitens: nach 12 Uhr, also 12 Uhr 1, beginnt die Aussprache über Punkt 1 a und c der gedruckt vorliegenden Tagesordnung für die 129. Sitzung. Dabei werden heute nur noch die Abgeordneten Dr. Bleiß und Dr. Friedensburg sowie Herr Staatssekretär Dr. Westrick sprechen. Im übrigen wird die Aussprache vertagt.
Weiter werden heute noch alle Punkte verhandelt, die ohne Begründung und ohne Aussprache erledigt werden können. Wo eine Begründung oder eine Aussprache nötig oder gewünscht ist, wird der Punkt auf eine der späteren Sitzungen vertagt.
Ich bitte die Damen und Herren, davon Kenntnis zu nehmen und ihre Dispositionen danach einzurichten.
Herr Abgeordneter Kather, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Präsidenten geben mir Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß meine Fraktion dieser Vereinbarung meines Wissens nicht zugestimmt hat. Mit voller Sicherheit kann ich sagen, daß die Fraktion auf mich keinen Druck dahin auszuüben versucht hat, meine Ausführungen abzukürzen. Ich habe auch nicht die Absicht, das zu tun.
({0})
Meine Damen und Herren, ich darf Sie darauf hinweisen, daß nach einer vielleicht sechs- oder siebenstündigen Debatte mit mir der erste Redner des Gesamtdeutschen Blockes zu Worte kommt. Wir haben bisher noch keine Gelegenheit gehabt, ein einziges Wort zur Großen Anfrage der CDU/ CSU, zum Antrag der SPD und zu dem Bericht des Herrn Bundesministers zu sagen. Ich bin sicher, auch bei Ihnen Verständnis dafür zu finden, daß ich das Notwendige hier zum Ausdruck bringe.
Herr Kollege Kuntscher hat die Große Anfrage der CDU/CSU mit der Sorge begründet, im Blickpunkt der Öffentlichkeit könnte dieses Problem als gelöst erscheinen oder hingestellt werden, während es in Wahrheit doch nicht gelöst ist. Diese Sorge ist nur allzu begründet. Ich muß ihn aber darauf hinweisen, daß es gerade sehr maßgebliche Kräfte aus den ihm nahestehenden Kreisen, insbesondere aus der Bundesregierung, sind, die dieser Sorge Nahrung gegeben haben. Es war der Herr Bundeskanzler, der am 10. September 1953, also vier Tage nach der letzten Bundestagswahl, die Frage aufwarf: Brauchen wir überhaupt noch ein Vertriebenenministerium?
({1})
Es war Herr von Brentano, der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der am 20. Oktober 1953 - in dem Tag kann ich mich irren; jedenfalls bei der Debatte über die Regierungserklärung - ausgeführt hat: Wir hoffen, daß nach vier Jahren vom Vertriebenenproblem nicht mehr gesprochen wird, abgesehen davon, daß diese Menschen auch dann noch an ihre Heimat denken. Und es ist letzten Endes der Herr Bundesminister für Vertriebene, der gerade in der letzten Zeit, wie ich Ihnen noch vortragen werde, wiederholt Verlautbarungen von sich gegeben hat, die dieser Befürchtung des Herrn Kollegen Kuntscher, deren Berechtigung ich durchaus anerkenne, neue Nahrung geben müssen.
Meine Damen und Herren, wir haben gestern einen anderthalbstündigen Bericht des Herrn Bundesministers gehört, einen Bericht, der, wie wir alle wissen, in wochen- und monatelanger Arbeit seiner Abteilungen zustande gekommen ist. Wir sind mit Zahlen überschüttet worden. Man hat es nicht einmal für nötig gehalten, uns diesen Bericht etwa an die Hand zu geben. Wir sind mit solcher Methode doch eigentlich einigermaßen überfordert. Aber es kommt uns zu Hilfe, daß wir einen anderen Bericht haben, den Bericht der Bundesregierung „Deutschland im. Wiederaufbau", den sie zur Mehrung ihres Ruhms jedes Jahr herausgibt und der auch erst wenige Wochen alt ist. Ich habe gestern sorgfältig zugehört und konnte feststellen, daß der Bericht, den der Herr Bundesminister gegeben hat, nicht wesentlich abweicht von dem Bericht der Bundesregierung, den wir gedruckt vorliegen haben. Aus diesem Bericht möchte ich einen Satz hervorheben, den auch der Herr Bundesminister vorangestellt hat. Es heißt darin:
Es kann festgestellt werden, daß es trotz dieses Anstiegs der Zahl der betreuten Menschen auch im Jahre 1955 gelungen ist, die geplanten Maßnahmen des Ministeriums im wesentlichen durchzuführen.
Diese Feststellung ist unrichtig. Sie ist mit den Tatsachen unvereinbar. Wir kennen die Pläne und die geplanten Maßnahmen; denn es gibt einen besonderen Plan, den Oberländer-Plan. Der Herr Bundesminister hat es für richtig gehalten, kaum daß er einen Schritt in das Ministerium gesetzt hatte, einen besonderen Plan für zwei Jahre herauszugeben. Er hat dort das, was andere schon lange gefordert und wofür andere die gesetzlichen Voraussetzungen im 1. Bundestag geschaffen haben, zu einem Plan für zwei Jahre zusammengefaßt. Meine Damen und Herren, es gibt keinen SchäfferPlan, es gibt keinen Erhard-Plan, es gibt auch keinen Konrad-Adenauer-Plan, und sogar der Bundesverkehrsminister hat sich mit dem gewöhnlichen Fahrplan der Bundesbahn gegnügt.
({2})
Aber wir haben einen Oberländer-Plan. Ich sage das, meine Damen und Herren, weil es kennzeichnend ist für das Ministerium, für den Minister und für sein Wirken, weil es die Umkehrung des alten preußischen Grundsatzes zum Ausdruck bringt: „Mehr sein als scheinen!"
({3})
Der Herr Minister hat gestern gesagt, die Bundesregierung habe gefordert, daß in fünf Jahren hunderttausend Bauernstellen geschaffen werden. Das ist eine Forderung, die wir seit vielen Jahren
Dr. Kather)
gestellt haben, die wir insbesondere bei der Beratung des Lastenausgleichsgesetzes und des Bundesvertriebenengesetzes immer wieder auch von dieser Stelle aus erhoben haben und für die wir auch die Voraussetzungen geschaffen zu haben glaubten. Wir haben ja schließlich beim Lastenausgleich um jede Mark und beim Bundesvertriebenengesetz um jeden Quadratmeter Land gekämpft. Das war alles im Fluß, und das war alles doch da. Aber es sollte geerntet werden, wo andere gesät hatten. Das wollen wir einmal mit aller Deutlichkeit feststellen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir hätten auch gar nichts dagegen gehabt, wenn wenigstens geerntet worden wäre. Aber auch das ist ja nicht oder nicht in zureichendem Maße geschehen.
({5})
Es ist heute der Tag und die Stunde, einmal darüber zu sprechen. Die Große Anfrage der CDU/ CSU, die Anträge, die der Gesamtdeutsche Block gestellt hat, stellen große Ausschnitte des Gesamtproblems zur Diskussion; aber der Antrag der SPD, der ja letzten Endes - das haben die Ausführungen der Herren Jaksch und Rehs deutlich ergeben - auf einen Wechsel in der Besetzung des Bundesvertriebenenministeriums abzielt ({6})
denn nur so kann es ja nach ihrer und auch unserer Meinung funktionsfähig gemacht werden -, stellt die gesamte Vertriebenenpolitik der Bundesregierung in den letzten sechs Jahren zur Diskussion.
({7})
Da ist es nicht Zeit, sich in Details zu verlieren, wie es vielleicht die Antwort des Herrn Bundesministers uns nahelegt; es ist das Gebot der Stunde, in den entscheidenden Schwerpunkten ernsthafte Untersuchungen anzustellen über die Leistungen, die in diesen letzten sechs Jahren vollbracht worden sind. Wir müssen und können ja die Frage, ob schuld oder nicht, nicht ausschließlich auf die Politik des Herrn Oberländer abstellen. Die maßgeblichen Leute heißen anders: sie heißen Adenauer, und sie heißen Schäffer.
({8})
Sie sind die eigentlichen, die Hauptverantwortlichen für die Vertriebenenpolitik. Dabei soll das Geleistete durchaus nicht verkannt werden.
Die Ausführungen, die Herr Kollege Hellwig gemacht hat, geben mir doch zu gewissen Erwiderungssätzen Veranlassung. Der Herr Kollege Hellwig hat sicherlich eine gute und vor allem eine sehr wohlmeinende Rede gehalten. Er hat aber selber davon gesprochen, daß er in der Gefahr stehe, sich auf ein fremdes Gebiet zu begeben und deshalb doch vielleicht etwas danebenzutreten. Er weiß nicht, wie sehr er in dieser Gefahr untergegangen ist. - Herr Kollege Hellwig hat vieles gesagt, was wir unterschreiben können; das meiste! Bloß bringt uns das ja nicht weiter. Der Herr Kollege Hellwig hat vielleicht nicht die Divergenz zwischen seinen Ausführungen und den tatsächlichen Gaben erkannt, die der Bericht des Herrn Ministers uns gebracht hat. Damit ist uns nicht geholfen. Aber der Herr Kollege Hellwig wird noch sehr oft auf das angesprochen werden, was er gestern alles als notwendig bezeichnet hat.
In einem Punkt muß ich ihm jedoch gleich noch widersprechen. Er hat hier diese alte Kamelle von den 26 Milliarden, die angeblich für die Vertriebenen aufgewandt worden sind, wieder aufgetischt. Nun, meine Damen und Herren, damit ist schon Herr Lukaschek reisen gegangen, aber Gott sei Dank nur im Ausland. Wie wenig ernst eine solche Zahl zu nehmen ist, beweist allein die Tatsache, daß sie sich in den letzten Jahren eigentlich nicht verändert hat; sie ist immer dieselbe geblieben.
({9})
Herr Kollege Hellwig, wissen Sie, daß in dieser Zahl der Minderertrag des Steueraufkommens der Vertriebenen - ich weiß nicht, ob mit Hunderten von Millionen oder gar mit Milliarden - enthalten ist?
({10})
- Ja, Herr Kunze, Sie können den Kopf noch soviel schütteln; das steht absolut fest. Was würde der Herr Kollege Hellwig sagen, wenn ich ihm etwa entgegenhalten würde, daß für die Einheimischen in derselben Zeit 200 Milliarden aufgewandt worden sind? Was sollen solche Ausführungen überhaupt? Wir wissen, was im Lastenausgleich für die Geschädigten erbracht wird, und alles übrige lehnen wir ab. Wir lehnen es ab, uns die Kosten für Kanalrohre anrechnen zu lassen, die vielleicht für irgendeine Schule auf dem Lande notwendig gewesen sind, nachdem deren Bau durch den Zuzug von Vertriebenen erforderlich geworden ist.
({11})
- Das alles hat aber nichts etwa mit einer Verkleinerung der Leistungen zu tun.
({12})
- Bitte sehr, Herr Czaja, gern.
Herr Kollege, meinen Sie, daß die Ausführungen über die Kanalröhren, die Sie eben gemacht haben, auch unter das Motto „Mehr sein als scheinen" fallen?
({0})
Herr Czaja, das ist keine Frage;
({0})
das ist eine wenig kluge Randbemerkung. Das möchte ich Ihnen nur sagen!
({1})
Mein Hinweis ist nämlich die Abwehr der Umkehrung dieses Grundsatzes.
Wir wollen echte Entschädigungsleistungen für die Vertriebenen. Die wollen wir gern anerkennen. Sie liegen aber nicht vor, wenn notwendige Ausgaben durch die Stauung der Bevölkerung entstehen. Haben Sie nicht gehört, was Herr Finanzminister Schäffer in Berlin gesagt hat: daß die Einheimischen nichts mehr von der Umsiedlung der Arbeitskräfte wissen wollen? Und doch wollen Sie die Kosten für Schulbauten als besondere Leistungen herausstellen?! Nein, Herr Czaja, das geht beim besten Willen nicht.
({2})
({3})
Das bedeutet keineswegs eine Verkleinerung des wirklich Geleisteten, das wir durchaus anerkennen. Wir müssen nur in der Abwehr darauf hinweisen, daß vieles noch im argen liegt und vieles unterblieben ist, was hätte geschehen können. Es muß der wahre Stand der Eingliederung festgestellt werden.
({4})
Der Bundesminister für Vertriebene hat, wie ich schon erwähnt habe, in seiner Neujahrsbotschaft an den Verband der Landsmannschaften davon gesprochen, daß, nachdem die ärgsten Tagesnöte überwunden sind, die kulturellen und andere Fragen sich in den Vordergrund drängen, und in einer Sendung im Nordwestdeutschen Rundfunk zur selben Zeit hat er ausdrücklich von dem Primat der Kulturarbeit gegenüber der Eingliederung gesprochen. Meine Damen und Herren, das tut unser Eingliederungsminister! Nichts gegen die Notwendigkeit der kulturellen Arbeit. Diese ist eine Selbstverständlichkeit. Aber kein vernünftiger Landsmannschaftler wird sich, glaube ich, auf den Standpunkt stellen, daß ihr das Primat zuzuerkennen ist und daß die Arbeit an der Eingliederung zurücktreten muß. Wenn der Bundesvertriebenenminister eine solche Einstellung hat, dann dürfen wir uns allerdings über manche Erscheinungen, die wir feststellen müssen, nicht wundern.
Ich will hier nur wenige fundamentale Dinge ansprechen. Über eines waren wir uns vor wenigen Wochen in diesem Hause doch alle einig, nämlich über den katastrophalen Stand des Feststellungsverfahrens.
({5})
Das ist in der Großen Anfrage gar nicht erwähnt worden. Was sagt der Bericht der Bundesregierung? Der Herr Bundesminister hat gestern dazu nichts gesagt und hatte auch keine Veranlassung, dazu etwas zu sagen. Aber der Bericht der Bundesregierung sagt, und zwar unter der Rubrik „Finanzminister":
Beträchtlich gefördert werden konnte ferner das Verordnungswerk zum Feststellungsverfahren. Die Dritte Festste lungsdurchführungsverordnung ({6}) ist noch zu Ende 1954, die Fünfte Feststellungsdurchführungsverordnung ({7}) im November 1955 erschienen. Weitere Verordnungen ({8}) sind in der Vorbereitung so weit fortgeschritten, daß mit der Veröffentlichung in naher Zukunft gerechnet werden kann.
Eines muß man wissen: Im April werden es vier Jahre sein, daß das Feststellungsgesetz verabschiedet ist. Von ungefähr sieben oder acht notwendigen Verordnungen über die Bewertung sind bis jetzt ganze zwei erschienen. Und das wird als eine beträchtliche Förderung dieser Sache hingestellt! Wenn man das liest, erinnert man sich an die klassische Antwort - ich muß immer wieder darauf zurückkommen -, die uns damals der Herr Staatssekretär Hartmann gab: Wir können doch nicht für ein Gesetz einen besonderen Referenten einstellen, mit dem wir nach Erledigung der Sache nicht wissen, wohin. Wenn Sie sich das einmal vor Augen halten, Herr Kollege Hellwig, und dann Ihre gestrige Rede durchlesen, sehen Sie die Divergenz zwischen Wort und Handeln.
({9}) Was ist das Fazit? Hunderttausende von mittellosen alten Leuten sind darüber hinweggestorben, wie die Westfälische Zeitung schrieb, und weitere Hunderttausende werden noch um ihren halbwegs erträglichen Lebensabend gebracht werden. Dafür zeichnet der Bundesfinanzminister Schäffer verantwortlich.
({10})
Aber, Herr Bundesminister Oberländer, weshalb haben Sie nicht diesen katastrophalen Zustand, der Ihnen doch genau bekannt ist, in diesem Bericht der Bundesregierung angeprangert? Das wäre doch absolut Ihre Pflicht gewesen. Sie sind für diese Dinge formell nicht verantwortlich, aber Sie sind verantwortlich dafür, daß Sie nicht verantwortlich sind.
({11})
Sie haben die Zusage für die Zuständigkeit gehabt, die nicht in das Steuerministerium gehört. Wir haben gestern auch von Herrn Hellwig schöne Worte über die menschliche Seite des Problems gehört, aber die Eingliederung ist dem Herrn Steuerminister anvertraut. Sie hatten die Zusage bei der Koalitionsbildung. Ich erinnere mich daran, Herr Bundesminister Oberländer, daß Sie, als ich Sie zum erstenmal nach Ihrer Berufung aufsuchte, hinsichtlich dieser Zusage noch auf Ihre Brusttasche geklopft haben, so daß ich den Eindruck bekommen habe, wenn Sie es mir auch nicht direkt gesagt haben, daß Sie das sogar schriftlich hätten. Sie haben aber nicht darum gekämpft, trotz Ihrer Fraktion, die hinter Ihnen stand, trotz der Zweidrittelmehrheit, über die Sie letzten Endes zu verfügen hatten, und trotz der sehr aktiven Unterstützung durch die Vertriebenenverbände. Kämpfen heißt einsetzen! Sie sind nie bereit gewesen, einen Einsatz zu leisten! Wie soll dieser Kampf in Zukunft aussehen, wo Sie weder die Fraktion hinter sich haben noch die Verbände? Trotzdem sagen Sie in Ihrem Bericht: Im wesentlichen sind die Maßnahmen erreicht.
Eine Parallele zu dieser katastrophalen Entwicklung findet sich auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Siedlung bei der Eingliederung des heimatvertriebenen Landvolkes: 100 000 auf fünf Jahre oder, nach Ihrem Plan, 40 000 auf zwei Jahre. Ich lese mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus Ihrem eigenen Bericht vor:
Für das Jahr 1955/56 hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ein Programm vorgelegt, das 16 435 Stellen für Vertriebene und Flüchtlinge vorsieht. Bei Unterstellung der Erfolgsquote von 1954/55 für das laufende Haushaltsjahr werden auf Grundlage der beiden Siedlungsprogramme statt 40 000 nur rund 30 000 Stellen an Vertriebene und Flüchtlinge gehen.
Trotzdem sagt der Herr Bundesminister: „Die geplanten Maßnahmen sind im wesentlichen erreicht." - Und nun kommt etwas Symptomatisches, es schließt sich folgender Satz an:
Das Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte hat deshalb seine Zustimmung zum Programm 1955/56 nur unter der Voraussetzung geben können, daß die zuständigen Bundesressorts gemeinsam alle Anstrengungen machen, um eine weitere Intensivierung der Siedlungstätigkeit in den Ländern zu erreichen.
Da muß man mit den alten Römern sagen: Difficile
est satiram non scribere! Der Bundesminister gibt
({12})
seine Zustimmung zu einem unzulänglichen Plan im Vertrauen darauf, daß die Bundesressorts mehr machen werden. Auch hier wird wieder der Schein für das Sein genommen. Herr Bundesminister, ich kann nicht umhin, Ihnen den Vorwurf der Verschleierung eines Mißerfolgs zu machen. Die Größe dieses Mißerfolges wird aus diesen Zahlen nicht sichtbar. Als wir 100 000 für fünf Jahre und Sie, Herr Bundesminister, 40 000 für zwei Jahre forderten, da haben wir doch wohl beide nicht oder wenigstens nicht vorzugsweise daran gedacht, daß das Nebenerwerbsstellen sein sollten, sondern wir haben an eine echte bäuerliche Siedlung gedacht.
({13})
Wie ist es denn in Wirklichkeit geworden? Ich habe die Zahlen der letzten fünf Jahre hier: 1950/51 2637 Vollerwerbsstellen gleich 25 %, im nächsten Jahr 2884 gleich 20 %, im nächsten Jahr
({14})
- die Herren werden dort nervös, das kann ich begreifen, dafür habe ich volles Verständnis ({15})
1555 gleich 16 %, 1953/54 1921 gleich 20 %, und nun kommt 1954/55 1704 gleich 12 %. Das ist ein Tiefstand, wie wir ihn nie gehabt haben, und das ist das erste Jahr, in dem sich die Tätigkeit des Herrn Oberländer voll auswirken konnte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie dem Abgeordneten Glasmeyer eine Zwischenfrage?
Jawohl!
Herr Abgeordneter Kather, Sie haben gerade die Zahlen über die Siedlung verlesen. Wäre es nicht wohl passend, wenn Sie Ihren neu gekauften Hof nahe an der Schweizer Grenze irgendwie anderen Siedlern überließen, ich meine, tatsächlichen Bauern?
({0})
Herr Abgeordneter Glasmeyer, es ist in diesem Hause nicht üblich, an die Redner und an die Mitglieder des Hauses Fragen persönlichen Charakters zu stellen.
({0})
Herr Präsident, obwohl es nicht üblich ist und eine Entgleisung des Herrn Dr. Glasmeyer darstellt, die ich ihm eigentlich nicht zugetraut hätte,
({0})
hoffe ich, daß der Herr Präsident mir gestattet, die Frage zu beantworten. - Herr Glasmeyer, ich stelle fest: Erstens: es ist gerichtsnotorisch, daß dieser Hof, dessen Einheitswert 5500 DM beträgt, heute in einheimischen Händen wäre, wenn ich ihn nicht gekauft hätte.
({1})
- Moment, es kommt noch mehr! - Zweitens: Das Landwirtschaftsamt hat mir die Genehmigung versagt, ein Beweis dafür, daß ich mich nicht des Wohlwollens der Behörden erfreue.
({2})
Drittens: Trotzdem hat die dafür zuständige Landgesellschaft das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt, ein Beweis dafür, daß es nicht für die Flüchtlingssiedlung geeignet war. Viertens: Das zuständige Bauerngericht - in 100 % einheimischer Besetzung - hat mir inzwischen die Genehmigung erteilt.
({3}) Fünftens: Ich selbst habe einen Hof in Ostpreußen verloren, der viel größer ist als dieser. Sechstens: Ich habe einen vertriebenen ostpreußischen Jungbauern auf diesem Hof angesetzt. - Hoffentlich genügt Ihnen das!
({4})
Meine Damen und Herren, kehren wir zur Sache zurück! 400 000 Bauern- und Landarbeiterfamilien, über 1 Million Menschen, um die es sich hier handelt, sind aus dem deutschen Osten und Südosten gekommen. 5 % davon sind heute, nach zehn Jahren, auf Vollbauernstellen angesetzt worden, 10 % auf Nebenerwerbsstellen, 30 % sind eingliederungswillig und eingliederungsfähig, und 55 % sind berufsfremd eingegliedert; sie sind nicht mehr einsatzfähig oder sie sind gestorben. Meine Damen und Herren, das ist die nüchterne und erschreckende Bilanz, die die Zahlen zehn Jahre nach der Vertreibung ausweisen. Aber für den Herrn Eingliederungsminister sind die ärgsten Tagesnöte überwunden, und es beginnt der Primat der kulturellen Arbeit!
Auf die Finanzierung der landwirtschaftlichen Siedlung komme ich noch in anderem Zusammenhang zurück, ebenso auf die Lage der gewerblichen Wirtschaft.
Für den Wohnungsbau, über den ja schon manches gesagt ist, begnüge ich mich mit dem Zitat aus Ihrem Bericht, Herr Bundesminister:
Die Wohnungsnot lastet nach wie vor hauptsächlich auf den Vertriebenen und Flüchtlingen,
und nach wie vor stehen wir vor der Tatsache, daß Lastenausgleichsmittel im Wohnungsbau in starkem Maße zur Bildung von Eigentum bei Nichtgeschädigten dienen oder herangezogen werden.
Noch ein letzter wichtiger Komplex: die Lagerräumung! Der Herr Bundesminister hat in seinem Bericht folgendes gesagt:
Im Jahre 1955 wurde das Lagerräumungsprogramm, das der Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte 1954 aufgestellt hatte, zu Ende geführt. 377 Wohnlager, die baufällig oder doch in einem baulich sehr schlechten Zustand waren, wurden geräumt. Rund 30 000 Lagerinsassen, überwiegend Vertriebene, wurden in eigene Wohnungen eingewiesen. Zur Unterbringung dieser Personen stellte der Bund gesondert 30 Millionen DM zur Verfügung. Ein weiteres Lagerräumungsprogramm schließt sich an. Es hat wieder für Vertriebene und Flüchtlinge, die in baulich schlechten Wohnlagern leben, die Unterbringung in eigenem Wohnraum zum Ziel.
({5})
Wenn man das als Unbefangener liest, dann denkt man, es ist alles bestens. Es fällt allerdings auf, daß die Gesamtzahl nicht genannt ist, die wir nun gestern gehört haben. - Dann erinnere ich mich daran, wie oft wir in unserer Fraktion die Klage von Herrn Oberländer gehört haben, - ({6})
- Ich spreche immer noch für den Gesamtdeutschen Block.
({7})
- Herr Kuntscher, Sie müssen überhaupt besonders vorsichtig sein auf diesem Gebiet!
({8})
Ich erinnere an die Klagen vom Herrn Oberländer, der sich immer wieder darüber beschwerte, daß Herr Schäffer ihm nicht mehr als diese 30 Millionen DM gab. Er hat uns vorgerechnet, daß er 13 Jahre braucht, bis der letzte Mann das letzte Lager verlassen hat, aber ohne Zuwachs; den Zuwachs nicht mit eingerechnet! Meine Damen und Herren, wie ist es möglich, daß Herr Oberländer uns einen solchen Bericht gibt, in dem nach außen der Eindruck erweckt wird: Es ist in diesem Jahr etwas geschehen, es geschieht nächstes Jahr etwas, es ist alles in bester Ordnung!?
Das Merkwürdigste haben wir ja nun gestern gehört. Da hat Herr Oberländer doch nichts anderes gesagt, als daß die Bundesregierung nach gewissenhafter Prüfung zu dem Ergebnis gekommen sei, daß in Zukunft auch diese 30 Millionen DM nicht mehr zur Verfügung gestellt werden könnten. Herr Oberländer hat uns dabei auf die 30 Millionen DM aus dem Lastenausgleich hingewiesen, auf diese Ermächtigung, die der Kontrollausschuß gegeben hat. Meine Damen und Herren, ist denn so etwas möglich?
Herr Abgeordneter, würden Sie Herrn Dr. Czaja eine Zwischenfrage gestatten?
Ja, gern!
Herr Kollege Kather, haben Sie nicht beachtet, daß der Herr Bundesminister darauf hingewiesen hat, daß die pauschalierte Kriegsfolgenhilfe, aus deren Ersparnissen bisher die Mittel für die Lagerräumung bereitgestellt worden sind, in höherem Maße nun den Ländern zukommt, die in erster Linie Lagerinsassen unterzubringen haben, daß also in noch erhöhtem Maße Mittel des Bundes für diese Lagerräumung zur Verfügung gestellt werden?
Herr Abgeordneter Czaja, das ändert ja nichts an der Tatsache, daß der Bund selber nichts mehr zur Verfügung stellt, und das ändert auch nichts an der Tatsache, daß sowohl die alten wie die jetzt über die Länder zur Verfügung gestellten Mittel völlig unzureichend sind. Oder finden Sie es befriedigend, daß es 13 Jahre dauert, bis diese Lager geräumt sind? Man kann doch an solchen Tatsachen nicht einfach vorbeigehen.
({0})
- Nein, das sagt Herr Oberländer! Herr Oberländer wird nicht bestreiten können, daß er das immer wieder gesagt hat. Außerdem ist das ja ein ganz einfaches Rechenkunststück. Hier wird doch der Eindruck erweckt, es sei alles in Ordnung. Das sind doch Potemkinsche Dörfer, die uns hier vorgemacht werden! Das wollen wir doch einmal mit aller Deutlichkeit feststellen.
({1})
Zur Frage der Kriegsgefangenen und Heimkehrer möchte ich nicht Stellung nehmen, weil mein Freund Strosche noch Gelegenheit nehmen wird, dazu etwas zu sagen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sich in diesen wenigen Schwerpunkten das Ergebnis, das ich Ihnen aufgezeigt habe und das durchweg auf amtlichen Zahlen beruht, vergegenwärtigen, dann müssen Sie doch sagen, daß dieses Fazit sehr betrüblich ist. Ich muß folgendes feststellen.
Erstens: Auf entscheidenden Gebieten der Eingliederung hat die Politik der Bundesregierung versagt; es ist vielfach eine rückläufige Entwicklung festzustellen.
({2})
Für mindestens die Hälfte der Betroffenen ist das Problem der Eingliederung nicht oder nicht befriedigend gelöst. Hunderttausende leben noch in echter Not.
Zweitens: Im Gegensatz zu diesem Sachverhalt steht der Minister auf dem Standpunkt, daß die ärgsten Tagesnöte überwunden sind
({3})
und daß die Kulturarbeit den Vorrang vor der Eingliederung haben muß. Der Minister beschönigt und verschleiert in seinen Berichten den wahren Sachverhalt. Er hat niemals versucht, unter Einsatz seines politischen Gewichtes und seiner amtlichen Stellung die Dinge zu bessern.
({4})
Es ist noch kein Jahr her, da erschien im „Spiegel" eine Notiz. Es wurde eine Unterhaltung wiedergegeben, die der Herr Bundesminister mit seinen engeren Mitarbeitern in seinem Hause gehabt hat. Danach hatte der Herr Minister gesagt: „Ob ich Bundesvorsitzender bleibe, ob ich in der Fraktion bleibe, ob ich in der Partei bleibe, das ist alles ungewiß. Gewiß ist nur eins, meine Herren, daß ich, solange der Bundeskanzler Dr. Adenauer heißt, auf diesem Sessel sitzen werde."
({5})
Meine Damen und Herren, Sie werden mir darin recht geben, daß das ein sehr schwerer Vorwurf war, der damit dem Minister gemacht wurde. Das hieß doch nicht mehr und auch nicht weniger, als daß es dem Minister bei seinem Wirken nicht auf seine Partei oder auf die Sache der Vertriebenen ankam, sondern lediglich auf die Erhaltung seiner Position.
({6})
Man hätte deshalb doch wohl erwarten müssen, daß der Herr Minister eine solche Meldung dementierte. Er hat es bis heute nicht getan.
({7})
Er hat es nicht getan, obwohl unsere Kollegin Frau
Finselberger, die damals stellvertretende Bundes({8})
vorsitzende war, ihn schriftlich dazu aufgefordert
hat. Er muß also eine solche Meldung gegen sich
gelten lassen, und das wohl um so mehr, als die
Entwicklung, die wir inzwischen alle erlebt haben,
doch genau den in dieser Meldung angekündigten
Weg gegangen ist: Er ist nicht mehr Bundesvorsitzender, er ist nicht mehr in der Fraktion, er ist
nicht mehr in der Partei; aber er sitzt heute noch
auf dem Sessel, auf dem er damals gesessen hat,
({9})
durch das Wohlwollen des Herrn Bundeskanzlers. Glaubt der Herr Bundeskanzler wirklich, daß er den Vertriebenen, dem Parlament und dem gesamten Volke die Fortdauer dieses Zustandes zumuten kann?
Meine Damen und Herren, als die Gerüchte und Meldungen sich verdichteten, daß der Ministerflügel unserer Partei mit dem Herrn Bundeskanzler und Parteichef der CDU wegen Austritts und Übertritts verhandelte, da habe ich immer wieder gesagt: Herr Oberländer kann dabei nicht beteiligt sein. Es ist in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus - vielleicht auch des ausländischen - noch nicht dagewesen, daß ein amtierender Vorsitzender einer Partei mit einer anderen Partei wegen Austritts und Übertritts eines kleinen Kreises verhandelte, um sich da drüben ein Bett zu machen. Das kann nicht sein. Ein Mann, der das täte, würde sein Gesicht verlieren.
({10})
Ich habe mich doppelt geirrt.
({11})
Es war, was nicht sein durfte, und wenn man die Reaktion der Bundesregierung und leider auch der Öffentlichkeit betrachtet, dann kann man nicht sagen, daß der Herr Bundesminister offenbar sein Gesicht verloren hat. Ich frage mit Reinhold Maier:
({12})
Was muß ein Minister in der Bundesrepublik eigentlich anstellen, um sich für weitere Amtsführung unmöglich zu machen?
({13})
Meine Damen und Herren, die Herren Oberländer und Kraft sind Kapitäne, die sich beeilt haben, das angeblich sinkende Schiff als erste zu verlassen, und die dann, als es nun doch nicht sank, noch von draußen darauf geschossen haben. Das ist der Sachverhalt; und der moralische Gehalt dieses Sachverhalts ist eindeutig, und er wird nicht berührt durch eine noch so enge Verbindung mit der Moralischen Aufrüstung.
({14})
Wer ist dafür verantwortlich: Es ist eine geschichtlich feststehende Tatsache, daß das Bundesministerium für Vertriebene auch in der 1. Legislaturperiode mit einer völlig ungeeigneten Persönlichkeit besetzt gewesen ist.
({15})
- Ja, ganz bestimmt, Sie haben recht, Herr Kollege. Ich stelle fest, daß Sie einen lichten Augenblick gehabt haben.
({16})
Aber es handelt sich heute nicht mehr darum, wer es hätte werden können, sondern es geht hier nur darum, wer es war. Meine Damen und Herren von der CDU, ich freue mich, daß Sie so zurückhaltend sind, mich nicht zu Zitaten aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers in dieser Richtung zu zwingen. Nach allem, was wir in der Debatte erlebt und gehört haben, kann man ja wohl ohne Irrtum sagen, daß sich das in der ersten Hälfte der zweiten Legislaturperiode fortgesetzt hat. So stehen wir vor der erschütternden Tatsache, daß wir zwar seit sechs Jahren ein Vertriebenenministerium haben, daß es aber vom ersten bis zum letzten Tage mit ungeeigneten Männern an der Spitze ausgestattet war. Dafür trägt die alleinige Verantwortung der Herr Bundeskanzler.. Soll das bis zum bitteren Ende fortgesetzt werden?
({17})
Der Herr Bundeskanzler hat sich ja das erstemal bemüht, einen Wandel herbeizuführen. Damals hat er vielleicht nicht sehr große, aber doch immerhin Schritte unternommen, um eine andere Besetzung herbeizuführen. Er ist dann vor gewissen Widerständen zurückgewichen. Aber diesmal sind doch keine Widerstände da. Im Gegenteil, das ganze Volk, und ich glaube, wenn wir eine ernste Gewissenserforschung anstellen, auch das Parlament in seiner überwiegenden Mehrheit würden wohl zufrieden sein, wenn da ein Wandel geschaffen würde. Weshalb handelt der Herr Bundeskanzler diesmal so ganz anders? Sollen die beiden Minister etwa noch Wahlhilfe leisten? Haben sie immer noch den Auftrag, den Gesamtdeutschen Block zu zerschlagen? Ich habe schon am 9. Dezember 1955 von dieser Stelle aus darauf hingewiesen, daß es ein einmaliger Vorgang ist, daß Minister nicht für eine Partei, sondern gegen eine Partei besonders eingesetzt werden. Wenn wir nun noch gewisse Vorgänge und Maßnahmen der Bun desgeschäftsstelle der CDU zur Kenntnis nehmen, dann müssen wir diese Entwicklung doch als sehr sonderbar empfinden.
({18})
Herr Abgeordneter, ich mache darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit in sechs Minuten abgelaufen sein wird.
Herr Präsident, mir war bisher von einer Beschränkung der Redezeit nichts bekannt.
Vizepräsdent Dr. Schmid: In § 39 der Geschäftsordnung steht geschrieben, daß ein Redner nicht länger als 60 Minuten sprechen soll.
Der Herr Minister hat anderthalb Stunden gesprochen. Dann muß ich mich aber beeilen.
({0})
Meine Damen und Herren, das deutsche Volk hat ein feines Empfinden für derartige Manipulationen.
({1})
Ich mache Sie darauf aufmerksam - Sie haben ja schon sehr starke Rückschläge erfahren -: es kann sehr leicht passieren, daß auch aus dieser Saat eine gleiche Ernte kommt. Sie zwingen geradezu insbesondere unsere Partei im Lande, sich
({2})
die Frage zu stellen, ob man noch in einer Gemeinschaft bleiben kann, wenn uns derartige Dinge hier geboten werden.
({3})
Aber nun ein letztes. Jetzt komme ich zu Ihnen, zu den Vertriebenenabgeordneten der CDU. Ich frage mich, wie Sie so etwas mitmachen können, zumal da mir Ihre wirkliche Einstellung zu diesen Dingen und zu diesen Personen bekannt ist.
({4})
Das Schicksal hat es gefügt, daß nach der zweiten Bundestagswahl zwei Gruppen zu 27 Vertriebenenabgeordneten hier im Bundestag waren. Unterschied: Der GB/BHE hatte 1,6 Millionen Stimmen dazu gebraucht, die CDU 3,5 Millionen Stimmen. Wenn je, so war damals ein klarer Auftrag des Wählers erteilt worden. Der Herr Bundeskanzler hat das nicht beachtet, und Sie, meine Damen und Herren, haben es sich gefallen lassen, daß er nicht einmal mit Ihnen, auch mit mir nicht gesprochen hat. Damit haben Sie sich selbst zur Ohnmacht verurteilt, und so ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.
Sie haben eine Große Anfrage vorgelegt, Sie haben vor einem Jahr eine Entschließung zur Umschuldung vorgelegt. Ich habe Ihnen schon damals gesagt: Mit Entschließungen und Anfragen kommen wir in dem Problem nicht weiter, es müssen echte Anträge gestellt werden. Jetzt hat der Unterausschuß mit großem Fleiß und großer Mühe fünf viertel Jahre an dieser Umschuldungsaktion gearbeitet, und wir haben gestern von Ihnen, Herr Kuntscher, gehört - ich muß Ihnen überhaupt das Kompliment machen, daß Ihre Ausführungen einen sehr viel klareren Überblick gaben als die des Herrn Bundesministers -, daß es jetzt an der Kurspflege für die Anleihe fehlt. Ja, wieviel macht das aus? Das macht 10 oder 15 Millionen DM aus. Ist es nicht ein unwürdiger Zustand, daß das Parlament wegen 10 oder 15 Millionen DM für eine von allen im Hause längst als notwendig erkannte Maßnahme quasi hinter dem Herrn Bundesfinanzminister herlaufen muß?! Es war für mich aufschlußreich, daß wir auch gestern, als doch das Bundesministerium in einer gewissen Bedrängnis war, keine Zusage für diese Kurspflege hörten. Ich habe es jedenfalls nicht gehört, Herr Czaja, auch wenn Sie zehnmal mit dem Kopf schütteln. Das ist doch ein wahrhaft unerträglicher Zustand!
Herr Hellwig hat uns gestern viele schöne Dinge erzählt. Aber, meine Damen und Herren, Sie haben ja sogar gegen den Antrag auf Fahrpreisermäßigung gestimmt, diese eine halbe Fahrt;
({5})
ein Teil von Ihnen, nicht alle! Und ein noch größerer Teil hat gegen unseren Antrag gestimmt,
({6})
mit dem wir den Hausratsabzug nicht für drei, sondern für fünf Jahre gefordert haben. Und, meine Damen und Herren, Sie haben Mann für Mann am 1. Dezember für den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung gestimmt.
({7})
Ist das die Schicksalsgemeinschaft, die uns doch
über alle Parteischranken hinweg verbinden sollte?
({8})
Ist das die Demokratie, daß über so merkwürdige Dinge wie die, daß man den Vertriebenen zumutete, daß ihr Minister sechs Monate auf Antwort wartete, in diesem Hause nicht gesprochen werden kann? Meine Damen und Herren, so werden Sie den Auftrag Ihrer Wähler nicht erfüllen. Sie bekommen die Unterschrift der Fraktion, wenn es sich um Entschließungen oder so etwas handelt, aber sonst nicht. Dieser Angriff gegen den § 38, den Sie gestern unter dem Druck dieser Verhandlung zurückgezogen haben, trug die Unterschrift der Fraktion, und er trug bezeichnenderweise auch die Unterschrift von fünf heimatvertriebenen Abgeordneten. Nein, meine Damen und Herren, auch ich muß Ihnen hier die Frage vorlegen, die Ihnen gestern schon Herr Rehs oder Herr Jaksch vorgelegt hat: Ist denn keiner unter Ihnen bereit, in die Bresche zu springen und dafür zu sorgen, daß wenigstens in den letzten zwei Jahren noch das Notwendige geschieht, und Herrn Schäffer wenigstens etwas Widerpart zu leisten? Sie tragen als die Vertriebenensprecher in der größten Regierungspartei, die die Mehrheit hat, doch eine ganz besondere Verantwortung.
({9}) Überlegen Sie sich das einmal!
({10})
Zum Schluß ein Wort an Sie, Herr Bundesminister Oberländer: Sie sind nach meiner Überzeugung den Geschädigten vieles, wenn nicht alles schuldig geblieben. Aber einen großen Dienst können Sie ihnen noch erweisen: Treten Sie zurück, besser heute als morgen!
({11})
Das Wort hat der Herr Bundesminister Preusker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich jetzt in die Debatte eingreife. Aber da ich um 11 Uhr an einer Kabinettssitzung teilnehmen muß, möchte ich das, was ich als Wohnungsbauminister zu den hier gemachten Ausführungen zu bemerken habe, kurz zusammenfassen.
Ich darf eines vorausschicken. Ich glaube, es gibt wohl niemanden in diesem Hause - ebensowenig wie in der Bundesregierung -, der nicht genau weiß, was für eine fast übermenschliche Aufgabe unserem Volk mit der Eingliederung von 11 Millionen aus ihrer Heimat Vertriebenen gestellt worden ist. So etwas ist doch in der neueren Geschichte noch nicht dagewesen.
({0})
Und wenn ich daran denke, daß beispielsweise auch die Bürgerkriegszustände der letzten Jahre in Griechenland, die von seiten der Kommunisten ausgelöst wurden, ihre Wurzel in der Vertreibung von noch viel, viel weniger Menschen nach dem ersten Weltkrieg hatten,
({1})
dann glaube ich, wohl sagen zu können, welche ungeheure Verantwortung jeder von uns - ich muß sagen: der Einheimische ebenso wie der Heimatvertriebene - gegenüber dieser großen Bedrohung hat, die absichtlich als ein dauerndes Menetekel über uns aufgehängt worden ist.
({2})
Nun darf ich zur Sache ausführen: Innerhalb von drei, vier, fünf, sechs Jahren diese ungeheure Masse von Elend zu beseitigen, war - das weiß auch jeder in unserem Volke - schlechterdings unmöglich.
({3})
Wir haben seit 1949 bis zum Ende des vergangenen Jahres 3 Millionen Wohnungen neu gebaut; das sind Wohnungen für rund 12 Millionen Menschen. Hätten wir es allein mit dem Problem der Flüchtlinge zu tun gehabt, dann wären diese 11 Millionen Flüchtlinge bereits bis zum Ende des vergangenen Jahres untergebracht gewesen. Daran können Sie einmal sehen, welche Leistungen tatsächlich vollbracht werden konnten. Aber es hat daneben noch 2 1/4 Millionen durch den Bombenkrieg total zerstörter Wohnungen gegeben, in denen ebenfalls nicht weniger als 9 Millionen Einheimische gewohnt hatten. Dazu hat noch eine Million Wohnungen gefehlt, die in den Jahren des Nationalsozialismus nicht gebaut worden waren, weil man damals die Rüstung vor den Wohnungsbau gestellt hatte. So müssen Sie die Dinge doch einmal sehen.
Gestern und heute ist immer wieder gesagt worden, der Anteil der Heimatvertriebenen bei der Zuteilung der neuen Wohnungen sei zu gering. Im Durchschnitt der letzten Jahre sind doch immerhin - das kann niemand bestreiten - 40 % aller neuen Wohnungen an Heimatvertriebene und Geschädigte vergeben worden, ein wesentlich höherer Anteil, als es dem Anteil dieser Gruppen an der Gesamtbevölkerung entspricht. Daß immer noch diese ungeheure Not da ist und daß wirklich nach wie vor für diese Menschen etwas getan werden muß, die sich am wenigsten helfen können, weil sie meist nicht einmal die Ausweichmöglichkeiten über verwandtschaftliche Bande oder ähnliches besitzen, das ist auch anerkannt.
Gerade jetzt, wo wier an die Schlußberatung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes gehen, darf doch erstens festgestellt werden, daß in § 1 Abs. 4 dieses Gesetzes unangefochten der Vorrang der Heimatvertriebenen stehengeblieben ist.
({4})
Zweitens ist beabsichtigt - das ist den Damen und Herren der Fraktionen in den Fachausschüssen durchaus bekannt -, den Ländern die Pflicht aufzuerlegen, jedes Jahr einen Bericht, der bis zum 31. März erstattet sein muß, der gesamten deutschen Öffentlichkeit, dem Bund, dem Bundestag und der Bundesregierung vorzulegen. Aus dem Bericht muß hervorgehen, wieviel Menschen noch in Lagern, in Bunkern, in Baracken, in Nissenhütten und in Notunterkünften leben und warum sie noch nicht wohnlich untergebracht werden konnten. Ebenso besteht die Absicht, hierfür einen Vorrang der Mittelverteilung einzuräumen, wobei diese Menschen Eigentum erwerben oder in anderen neugebauten oder ihnen zur Verfügung gestellten Wohnungen untergebracht werden können. Wenn man auf Grund der Zahlen dieser Bilanz Jahr für Jahr in der deutschen Öffentlichkeit die Tatsachen sieht, dann werden auch Bund und Länder und die gesamte Öffentlichkeit in ganz anderer Weise auf dieses Problem aufmerksam werden, und dann wird überall noch mehr als bisher in einer Gemeinschaftsleistung von Bund und Ländern - sie allein führt zum Erfolg - geschehen.
Ich darf noch etwas hinzufügen. Wir sind doch in der Wohnungsbauleistung mit den rund 550 000 Wohnungen, die wir in den letzten beiden Jahren jährlich erstellt haben, wirklich an die Grenze der
Kapazität unserer Menschen, unserer Unternehmen, der Geräte und all dieser baulichen Voraussetzungen gegangen. Es ist ja schon so weit gekommen, daß man uns im letzten Jahr vorgeworfen hat, der Wohnungsbau sei an der Überhitzung der Konjunktur schuld. Ich darf das hier einmal mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Ich werde nach wie vor in Übereinstimmung mit der Bundesregierung dafür sorgen, daß der Wohnungsbau unter keinen Umständen irgendwie gekürzt wird. Wir bemühen uns im Gegenteil, ihn in jeder Hinsicht bis an die Grenze des Möglichen auszudehnen.
({5})
Aber über die Grenze des Möglichen hinaus geht es nicht.
Es ist in der ganzen Welt anerkannt , daß Deutschland auf diesem Gebiet an der Spitze fast aller Länder steht. Hier wird das Mögliche getan. Ich kann nur das eine sagen: zu jeder sachlichen Verbesserung und zur Schaffung neuer Möglichkeiten werden wir und werde ich Ihnen jederzeit die Hand bieten. Aber die Diskussion muß auf dem Boden des Sachlichen geführt werden, damit sie einen Erfolg für das ganze Volk hat.
({6})
Sehen Sie, Herr Kollege Jaksch, Sie stellen sich hin - ich weiß, Sie reiben sich immer einmal gern mit mir - und sagen: ja, und dann noch diese Kostenmiete, wenn ein Viertel des gesamten Volkes auf Wanderschaft ist! Da möchte ich Sie doch bitten: lesen Sie sich erst einmal den Gesetzentwurf durch, ehe Sie so etwas sagen. In dem § 65 Abs. 7 des Entwurfs steht ausdrücklich, daß die Bundesregierung bzw. der Bundesminister für Wohnungsbau Höchstsätze für die Mieten für die minderbemittelte Bevölkerung festlegen kann. Ich kann Ihnen nur sagen: er kann sie nicht nur festlegen, sondern er wird sie festlegen. Genau so wie wir vorgeschlagen haben, daß sämtliche seit 1948 neugebauten sozialen Wohnungen mit höchstens der Richtsatzmiete von 1,10 DM der minderbemittelten Bevölkerung vorbehalten bleiben, genau so wird die Bundesregierung die Höchstsätze in der Zukunft bei dieser Grenze festlegen und dafür sorgen, daß sie nicht überschritten werden könne n.
({7})
Ich glaube deshalb, daß auf diesem Gebiet das Notwendige geschieht.
Mein Appell geht nochmals dahin, daß wir alle miteinander wesentlich weiterkommen, wenn wir die notwendigen Maßnahmen, die jetzt in der Sache angelaufen sind, weiterführen. Ich glaube, angesichts der Leistungen auf dem Gebiet des Wohnungsbaus sagen zu können, daß wir gerade hier bis an die Grenzen dessen gegangen sind, was unser Volk leisten konnte.
({8})
Darf ich nochmals wiederholen, daß wir beabsichtigen, jetzt die jährliche Berichterstattung der Länder an den Bund über alle Insassen in Lagern, Baracken und Nissenhütten usw. festzulegen. Und dann - ich wette mit Ihnen - wird das ganze Volk einschließlich der Bundesregierung dafür sorgen, daß es keine 13 Jahre dauert.
({9})
Meine Damen und Herren, ehe ich jetzt das Wort weiter gebe, möchte ich mitteilen, daß der Altestenrat gestern vereinbart hat, auf die heutige Tagesordnung noch zu setzen: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft. Da die Sache im Ausschuß einmütig erledigt wurde, wird sie uns nur kurze Zeit beschäftigen. - Das Haus ist einverstanden.
Das Wort in der fortgesetzten Aussprache hat der Abgeordnete Miller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist soviel über Sowjetzonenflüchtlinge angeklungen, daß es doch richtig zu sein scheint, auch einmal aus der Sicht der Sowjetzonenflüchtlinge die Dinge zu betrachten, wie sie in der Großen Anfrage und in den verschiedenen Anträgen behandelt werden.
Sie wissen ja alle: die Sowjetzonenflüchtlinge kommen zum allerwenigsten Teil freiwillig. Ihre Zahl vermehrt sich von Tag zu Tag, einfach weil einmal der seelische Druck nach 10 Jahren Unterdrückung nicht mehr durchzustehen ist, zum andern weil die wirtschaftliche Entwicklung in der Zone die Menschen zur Flucht zwingt. Ich darf Ihnen an einigen Zahlen aufzeigen, wie die Dinge liegen.
85 % der Industrie in der Zone sind sozialisiert. 95 % des ehemaligen Großhandels in der Zone sind sozialisiert. 69 % des ehemaligen Einzelhandels in der Zone sind sozialisiert. 30 % der Landwirtschaft in der Zone sind sozialisiert, in sagenannten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zusammengefaßt, und der Kampf gegen die Bauern über 20 ha geht unentwegt weiter. 72 % der Arbeiter in der Zone arbeiten bereits in sozialisierten Betrieben. Da ist das Interessante, daß der Großteil der Flüchtenden gerade Arbeiter sind, woraus zu entnehmen ist, daß auch die Arbeiter mit der Sozialisierung im .angeblichen Paradies der Werktätigen nicht einverstanden sind.
Ich will Ihnen einige Zahlen nennen, die die Sowjetzonenflüchtlinge betreffen, um Ihnen aufzuzeigen, wie sich die Dinge entwickeln. Wir haben am 1. Oktober 1955 - von daher stammt die letzte Statistik - 2 674 100 Zugewanderte gezählt. Sie wissen, daß in den Monaten Oktober, November, Dezember und Januar eine weitere erkleckliche Anzahl geflohen ist, so daß sich diese Zahl bedeutend erhöht hat. Daraus ergibt sich das Interessante, daß bei einer Anzahl von 8 867 000 Heimatvertriebenen die Sowjetzonenflüchtlinge inzwischen bereits leider Gottes eine Höhe von 30 % der Heimatvertriebenen erreicht haben. Und nun kommt der Ruf aus den Reihen der Sowjetzonenflüchtlinge nach etwas Gleichberechtigung. Nur ein Quentchen von dem, was anderen bisher zugeteilt werden konnte - eben, weil sie die ersten waren -, möchten sie haben, um sich eingliedern zu können.
Ich darf Ihnen daher zu Punkt 2 a der Großen Anfrage - Auffüllung des Härtefonds - folgendes sagen. Die Sowjetzonenflüchtlinge anerkennen mit Dank, daß die Bevölkerung der Bundesrepublik ihnen bisher geholfen hat und daß, wie wir aus dem Mund des Herrn Bundesvertriebenenministers hörten, der Betrag für den Härtefonds aufgestockt wird. Daß dies bisher nicht ausreichend geschah, mögen Sie bitte aus folgenden Zahlen entnehmen, die aus dem Bulletin Nr. 101vom 2. Juni 1955 stammen. Laut Aussage des Bulletins waren bis zum 31. März 1955 15 Milliarden an Lastenausgleichsmitteln verausgabt worden, darunter 158 466 000 Mark aus dem Härtefonds. Damals waren aber im Härtefonds noch sowohl die Spätheimkehrer enthalten als auch die Heimatvertriebenen, soweit sie den zweiten Fluchtweg hatten antreten müssen. Unter diesen 15 Milliarden waren 4062 Millionen an Unterhaltshilfe ausgegeben worden. Davon sind auf die Sowjetzonenflüchtlinge direkt 2 726 000 entfallen, was einem Prozentsatz von 0,06 entspricht. An Hausratshilfe waren ausgegeben worden 2780 Millionen; für die Sowjetzonenflüchtlinge waren daraus 26 848 000 DM entfallen, was einem Anteil von 0,9 % entspricht.
An Aufbaudarlehen für die gewerbliche Wirtschaft waren 1177 Millionen DM ausgegeben worden; davon entfallen auf die Sowjetzonenflüchtlinge 37 512 300 DM, was einem Anteil von 3,5 % entspricht.
An Aufbaudarlehen für die Landwirtschaft waren 718 Millionen DM ausgegeben worden, davon für die Sowjetzonenflüchtlinge 8 365 000 DM, was einem Anteil von 1,1 % entspricht.
Bei den Wohnungsbaudarlehen müssen wir eine Trennung vornehmen, weil ja - das muß gerechterweise erwähnt werden - für die nach dem 1. Februar 1953 gekommenen Sowjetzonenflüchtlinge ein Sonderprogramm aufgestellt worden ist. Aber wir haben doch seit dem Jahre 1945 schon die Flüchtlinge hier - enteignete Bauern wie viele andere -, die nicht unter dieses Sonderprogramm fielen und sich infolgedessen auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt bemühen mußten, zu einer Wohnung zu kommen. Ich spreche jetzt von den vor dem Stichtag 1. Februar 1953 Gekommenen. Da wurden an Wohnungsbaudarlehen insgesamt - nach meinen Zahlen vom 31. März 1955 - 5009 Millionen DM ausgegeben. Davon sind auf die Sowjetzonenflüchtlinge 9 776 700 DM entfallen; das entspricht einem Anteil von 0,2 %.
Sie sehen, wenn Sie diese Prozentzahlen damit in Vergleich setzen, daß die Zahl der Sowjetzonenflüchtlinge 30 % der Zahl der Heimatvertriebenen beträgt, wie wenig die Sowjetzonenflüchtlinge bisher bei der Eingliederung berücksichtigt sind. Wir hoffen, daß diese Zahlen - auch dem Herrn Vertriebenenminister - Anlaß geben, die Dinge in Zukunft in eine gewisse Parität zu bringen, d. h. den Menschen, die aus der Zone kommen, zu helfen, soweit es ihm und der Bundesregierung möglich ist.
Ich darf in diesem Zusamenhang auf folgendes hinweisen. Der Herr Bundesminister hat erfreulicherweise gestern in seiner Antwort auf die Große Anfrage bekanntgeben können, daß die Bundesregierung bereit ist, zu den 40 Millionen DM, die aus dem Lastenausgleichsfonds kommen, im Haushaltsausschuß 100 Millionen DM als Zuschuß des Bundes für den Härtefonds zu beantragen, und daß sie hofft, das durchzusetzen. Ich habe nur die eine Befürchtung: auch dieser Betrag wird bei dem wachsenden Flüchtlingsstrom nicht ausreichen können, und zwar aus folgenden Gründen. Wir haben bis jetzt 512 000 Antragsteller auf Ausweis C. Davon sind erst 49,7 % günstig beschieden worden, d. h. sie haben den Ausweis C bekommen. 27,8 % wurden abgelehnt. Viele davon sind in die Beschwerdeinstanz gegangen, und man muß damit rechnen, daß sie da noch Erfolg haben werden, so
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daß aus den 512 000 zusätzlich noch schätzungsweise 179 000 Ausweis-C-Berechtigte kommen werden. Hinzu kommen noch die Häftlinge, die auch Anrecht auf den Ausweis C haben, wenn sie entlassen werden, und hinzu kommen nach den eigenen Angaben des Herrn Ministers zirka 70 000 Jugendliche, die ebenfalls die Hilfen des Härtefonds in Anspruch nehmen können. Es muß also, soweit bis heute feststellbar, mit einem Zuwachs von mindestens 260 000 Menschen auf diesem Sektor gerechnet werden, die Unterhaltshilfe, Hausratentschädigung, Ausbildungsbeihilfe, gewerbliche Aufbaudarlehen, landwirtschaftliche Aufbaudarlehen usw. in Anspruch nehmen können. Ich glaube, daß der Betrag von 140 Millionen DM hier nicht ausreichen kann, und ich bitte heute schon den Herrn Minister, alles daranzusetzen, daß von der Regierungsseite aus dieser Betrag erforderlichenfalls aufgestockt wird.
Nun wird uns immer wieder zur Antwort gegeben: Der Härtefonds ist bisher noch nie ausgeschöpft worden. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hierzu folgendes sagen. Dieses Ausschöpfen war unmöglich, weil bei den Ausgleichsämtern und Flüchtlingsämtern alle Anträge zurückgehalten wurden und nicht verbeschieden werden konnten, da der Fonds niemals genügend dotiert war. So kam es, daß die Ämter draußen die Anträge nachher stoßweise unerledigt liegen hatten. Daher sind wir im vorigen Jahre auch in gemeinsamer Arbeit den Herrn Bundesfinanzminister angegangen, die 50 Millionen DM, die für 1955 im außerordentlichen Etat gestanden haben, dem Härtefonds zuzuführen, damit überhaupt in dieser Richtung den dringendsten Anliegen geholfen werden konnte. Ich habe also zu Punkt 2 a der Großen Anfrage an den Herrn Bundesminister die Bitte, dafür zu sorgen, daß der Härtefonds genügend hoch dotiert wird; denn ich darf von der wirtschaftlichen Seite aus sagen: je schneller die Menschen, die kommen, eingegliedert werden, desto schneller sind sie auch produktiv tätig und bringen sie dem Staat entsprechende Steuereinkommen.
Zu Punkt 2 b möchte ich folgendes sagen. So hoch es einzuschätzen ist, daß im Bundesjugendplan die Mittel für die Sowjetzonenflüchtlinge von 2,5 Millionen auf 7,5 Millionen DM aufgestockt werden, so scheint mir dieser Betrag doch nicht ausreichend zu sein. Ich kann das auf Grund der Zahlen sofort beweisen. Nach den Statistiken haben wir am 31. Dezember 1955 159 384 jugendliche Flüchtlinge im Alter von 18 bis 24 Jahren gehabt. Meine Damen und Herren, diese Menschen - das haben wir vor einigen Tagen in den Flüchtlingslagern in Berlin beobachten können - brauchen eine weitere Betreuung, wenn sie nicht verwahrlosen sollen. Man darf nie vergessen, daß sie aus der Zone kommen, wo sie von der FDJ „betreut" und sozusagen poussiert wurden, und daß sie sich im Westen einsam fühlen und abzusinken drohen. Man überlege sich auch in der Bevölkerung, was für einen zusätzlichen Arbeitsplatz aufgewendet wird und ob es nicht angebracht ist, neben den Aufwendungen für den Arbeitsplatz wenigstens eine kleine Teilquote für den Menschen zur Verfügung zu stellen, der den Arbeitsplatz einnehmen soll, weil nur bei entsprechender Betreuung diese Menschen vor dem Absinken bewahrt werden.
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Ein Weiteres, meine Damen und Herren! Ich glaube, daß hier noch viel mehr getan werden muß. Die Statistik sagt, daß von 893 823 Personen, die insgesamt Ausbildungsbeihilfen bekommen haben, bisher nur 13 386 Sowjetzonenflüchtlinge - das sind 1,5 % - berücksichtigt worden sind. Dabei beträgt der Anteil der Flüchtlinge 30 % der Vertriebenen.
Bei Punkt 3 a handelt es sich um die Förderung der Vertriebenenwirtschaft. Auch hier darf ich bitten, insbesondere an die Betriebe von Sowjetzonenflüchtlingen zu denken, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil diese im Gegensatz zu der Heim atvertriebenenwirtschaft keinen Hauptentschädigungsanspruch haben, sich infolgedessen viel schwerer die erforderlichen Kredite verschaffen können und daher meist auch hohe Zinsen zu tragen haben. Die steuerlichen Vergünstigungen, z. B. § 10 a EStG, können - das wissen wir alle - meist nicht ausgeschöpft werden. Warum? - Weil die Zinslast, die auf der Vertriebenenwirtschaft liegt, den normalen Gewinn auffrißt. Dadurch wird ein Ausschöpfen der steuerlichen Vergünstigungen unmöglich gemacht.
Ein weiteres Anliegen der Sowjetzonenflüchtlinge ist in dieser Hinsicht, bei der Übernahme gewerblicher oder landwirtschaftlicher Betriebe auch in § 202 des Lastenausgleichsgesetzes den Heimatvertriebenen gleichgestellt zu werden. Insoweit können wir den Antrag der GB/BHE-Fraktion ohne weiteres unterstützen.
Zu der Eingliederung der vertriebenen Bauern darf ich Ihnen, um Ihnen einen Begriff zu geben, wie sich von der Sicht der Sowjetzonenflüchtlinge aus die Dinge darstellen, folgende Zahlen nennen. Sie wissen, daß im Jahre 1945/46 in der Zone im Zuge der Bodenreform 13 723 Bauern enteignet wurden. Seither ist der Strom der Flüchtlingsbauern nicht abgesunken, sondern sogar gestiegen. Mir liegen Zahlen vor, wonach aus der Zone bisher insgesamt 115 000 selbständige Bauern und Gärtner - also aus der bodenbenutzenden Wirtschaft - geflohen sind. Wenn man nun sieht, wieviele davon bisher eingegliedert und mit entsprechenden Mitteln ausgestattet worden sind, könnte man erschrecken. Von den 115 000 sind 686 wieder zu einem Hof gekommen.
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Es wurden dafür aufgewendet 11 940 000 DM mit ergänzender Finanzierung von 7 189 000 DM gegenüber 30 514 anderen Bauern mit 332 700 000 DM. Der Anteil beträgt also 3,6 %. Hierbei sollte man aber folgendes berücksichtigen. Wer schon zehn Jahre berufsentfremdet ist, wird nicht mehr so siedlungswillig sein wie der, der frisch von seinem Hof wegkommt und noch die Energie und die Lust hat, in seinem Beruf zu bleiben. Diese Sowjetzonenbauern sind meiner Ansicht nach noch am ehesten siedlungswillig.
Zu Ziffer 5 a) der Großen Anfrage darf ich das wiederholen, was ich am Anfang gesagt habe. Die Sowjetzonenflüchtlinge sind dankbar, daß ihre Wohnungsbausorgen in einem Sonderprogramm schneller behoben werden als in dem üblichen Rahmen. Wir haben nur die eine Bitte, dieses Sonderprogramm jeweils entsprechend der Flüchtlingszahl aufzustocken, weil es immer noch billiger kommt, dem Menschen gleich eine richtige Wohnung zu schaffen und ihn zur Arbeit zu bringen, als daß man ihn jahrelang im Lager sitzen läßt. Ohne produktive Arbeit kostet er den Staat nur Geld und wird demoralisiert. Was das jahrelange
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Lagerleben für die Familie und für den einzelnen bedeutet, brauche ich all denen nicht zu sagen, die einmal hinter Stacheldraht gesessen haben. Nichts anderes ist auch das Lagerleben.
Zu Ziffer 5 c) der Großen Anfrage möchten wir eine Bitte aussprechen, die sich besonders an den Herrn Wohnungsbauminister richtet. Er ist leider nicht mehr im Hause. Bei dem neuen Wohnheim-und Familiengesetz muß die Eigentumsbildung auch für die aus der Sowjetzone vertriebene Bevölkerung vorgesehen werden; denn diese hat auch ein Anrecht auf Eigentum. Wenn die Wiedervereinigung kommt, kommt sie dann nicht mit leeren Händen nach Hause und kann den Aufbau in der Heimat um so intensiver vorantreiben.
Zu Ziffer 6 folgendes. Die Mittel sind wohl zugebilligt, aber sie kommen so spät, daß damit der Lageraufenthalt viel zu lange ausgedehnt wird. Wir wissen aus den Verhandlungen mit den Ländern, daß die von der Bundesregierung den Ländern zugebilligte Kopfquote für die aufgenommenen Sowjetzonenflüchtlinge nach dem 1. Februar 1953 von 1500 DM pro Kopf für die Länder kein Anreiz mehr ist, die Dinge vorwärtszutreiben. Weil - mit einem Wort - die Baukosten derart gestiegen sind, weigern sich die Länder, die Wohnungen schnellstens zu bauen, denn sie müssen selber entsprechend höhere Zuschüsse geben. Daher unsere Bitte, die Kopfquote zu erhöhen, damit den Ländern der Anreiz verbleibt, die Menschen schnell an die Arbeit heranzuführen.
Zu der Altlagerauflösung folgende kurze Anregung. Auch die Kommunen sollten sich darüber klarwerden, daß es vor allem gilt, Menschen, die unproduktiv in Lagern sitzen, herauszubekommen, um sie an die Arbeit heranzuführen. Daher sollte man, soweit es möglich ist, den Wohnungsbau für diese Menschen dem Theaterbau und ähnlichen anderen Dingen voranstellen.
Weitere Wünsche der Sowjetzonenflüchtlinge darf ich Ihnen in ganz kurzem Aufriß vortragen. Die Notaufnahme ist zu beschleunigen. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, die in den betreffenden Fachausschüssen beraten werden müssen. Ferner sollte endlich das Ausweisverfahren mit der Aufnahme koordiniert werden, d. h. man sollte nicht erst in Berlin, Gießen und Uelzen nur die Aufnahme festlegen und es dann dem zuständigen Flüchtlingsamt überlassen, wann es den Ausweis C ausstellt. Vielmehr sollte mit der Aufnahmeentscheidung - ob aus besonderer Zwangslage oder Ermessensgründen - auch sofort der Ausweis C ausgestellt werden, damit erstens Doppelarbeit vermieden wird und zweitens der Flüchtling sofort die Vergünstigungen, die mit dem Ausweis C zusammenhängen, in Anspruch nehmen kann. Das erleichtert es ihm, sich einzugliedern.
Ein weiteres Anliegen! Wir haben voriges Jahr vom Herrn Finanzminister gehört, daß künftig drei Jahre Steuerfreiheit für diejenigen bestehen soll, die den Ausweis C haben. Der Ausweis C entspricht in seiner Wertung dem Ausweis A der Heimatvertriebenen. Die Heimatvertriebenen haben fünf Jahre und mehr diese steuerliche Vergünstigung gehabt; jetzt hat man sie auf drei Jahre heruntergesetzt. Man darf nicht vergessen, der Sowjetzonenflüchtling hat auf keinen Fall Anspruch auf Hauptentschädigung. Er muß also das, was er sich anschaffen muß, auf dem Wege seiner Ersparnisse beschaffen. Er kommt ja meist nur mit einem Pappkarton oder Koffer. Ergo muß man ihm, nachdem er keinen Hauptentschädigungsanspruch hat, doch insoweit entgegenkommen, daß man ihm nicht nur für drei Jahre, sondern mindestens für fünf Jahre Steuerermäßigung zubilligt, so daß er sich die Möbel und was sonst zu einem Lebensstandard gehört, beschaffen kann.
Ein Weiteres! Die Heimatvertriebenen haben jahrelang bis zu ihrer Eingliederung Freifahrten auf der Bundesbahn in beschränktem Ausmaß gehabt.
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- Ja, das ist jetzt abgeschafft, aber sie hatten sie!
- Sollte man nicht allein der Gerechtigkeit halber auch den Sowjetzonenflüchtlingen für einige Jahre bis zu ihrer Eingliederung vier Freifahrten im Jahr auf der Bundesbahn zubilligen, um dem gleichen Anliegen zu entsprechen?
Ein weiterer Wunsch, den ich ansprechen darf, ist folgender. Viele kommen ja mit ihren halberwachsenen Kindern und müssen nun für ihre Kinder die Ausbildung finanzieren. Hier gibt es bekanntlich Meßbeträge darüber, inwieweit der Sowjetzonenflüchtling Ausbildungsbeihilfen beantragen kann. Er kriegt meinetwegen eine Wohnung zugebilligt, muß sich aber erst die Möbel und das Allerdringendste beschaffen. Die Bitte der Sowjetzonenflüchtlinge geht dahin, soweit sie noch Kinder in die Schule schicken müssen, die Meßbeträge auf den doppelten Satz der bisherigen zu erhöhen, um die Möglichkeit zu haben, ihren Kindern eine angemessene Ausbildung zukommen zu lassen.
Natürlich müssen die Sowjetzonenflüchtlinge zumindest auch die Registrierung ihrer Schäden verlangen - das ist eines der großen Anliegen -, die sie in der Zone erlitten haben. Hier geht es um folgendes. Bekanntlich sind in der Sowjetzone sogar die Häftlinge eingesetzt, um die Grundbücher und alle Unterlagen zu vernichten, damit nicht mehr nachgewiesen werden kann, was wessen Eigentum war. Nun sagen die Flüchtlinge mit Recht: Wenn wir schon hier sind, dann wollen wir wenigstens eine Registrierung, solange die Zeugen noch leben, die uns bestätigen können, was wir einmal gehabt haben. Das ist doch wichtig für den Tag der Heimkehr, weil sie dann durch die Registrierung nachweisen können, was sie einmal gehabt haben. Denn ihre Frage ist: Wie können wir sonst rechnen, wieder zu unserem Eigentum zu kommen!
Das sind Dinge, die ich Ihnen aus der Sicht der Sowjetzonenflüchtlinge einmal darlegen wollte, damit Sie begreifen, welches die Wünsche dieser Millionen Menschen sind. Ich habe von dieser Stelle aus einmal gesagt, die Sowjetzonenflüchtlinge sind für die Bundesrepublik ein Gewinn, weil sie a) Arbeitskräfte gebracht haben, b) Industrieerfahrungen mitgebracht haben und weil sie c) - das wurde auch gestern hier zum Ausdruck gebracht - uns immer wieder klarmachen können: Bewahrt euch vor dem Bolschewismus, wir haben die Erfahrung hinter uns, was er mit sich bringt! - Bei Berücksichtigung all dieser Dinge werden die Vertriebenen und die einheimische Bevölkerung uns sicher als Brüder und Schwestern aufnehmen und auch entsprechend anteilmäßig behandeln.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den beiden Anträgen sagen, die gestern Herr Kollege Dr. Klötzer vorgetragen hat. Wir haben zum Teil erhebliche Bedenken gegen diese Anträge, einmal, weil nach dem Antrag Drucksache 1965 die Beweislast künftig dem Bund zufallen würde, wie Dr. Klötzer
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selber ausgeführt hat. Es wird hier noch manches im Fachausschuß darüber zu sagen sein. Zum Antrag Drucksache 1966 möchte ich sagen: wir haben, soweit wir die Dinge bisher überblicken konnten, feststellen müssen, daß sich hiernach effektiv eine Schlechterstellung für die Flüchtlinge herausstellen würde. Daher muß im Fachausschuß darüber noch beraten werden. Wir sollten die Dinge heute nicht zu sehr ausdehnen. Wir sollten uns aber dann im Fachausschuß klarwerden, wie man die Dinge in das richtige Fahrwasser bringen kann.
Lassen Sie mich mit der Bitte schließen: Sie haben nun die Anteilzahlen gehört, Sie haben gehört, was für Wünsche wir haben. Seien Sie versichert, die Menschen aus der Sowjetzone wollen nicht mehr und nicht weniger denn als vollwertige deutsche Reichsbürger von eh und je auch in der Bundesrepublik gelten, wollen mitarbeiten am Aufbau, wollen aber auch berücksichtigt werden in ihren Wünschen.
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Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, will ich mitteilen, daß ein Antrag eingegangen ist - Drucksache 2091 - betreffend Hilfe für die Hochwassergeschädigten in Vilshofen. Sie kennen alle das schreckliche Überschwemmungsunglück, das dort viele Menschen getroffen hat. In diesem Antrag wird die Bundesregierung ersucht, einen Betrag von 300 000 DM als erste Soforthilfe zur Verfügung zu stellen. Ich nehme an, daß das Haus einverstanden ist, daß dieser Punkt noch auf die Tagesordnung gesetzt wird. Ich nehme an, daß es dabei keine Aussprache geben wird. - Das Haus ist einverstanden.
Nunmehr hat das Wort der Bundesminister Oberländer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst kurz erklären: ich bin an der Abfassung der Großen Anfrage nicht beteiligt gewesen. Wenn ich dazu angeregt habe, so glaube ich genau das getan zu haben, was gestern der Kollege Jaksch hier vorgeschlagen hat, nämlich für etwas mehr Publicity für das Vertriebenenproblem zu sorgen. Das ist doch wahrscheinlich das, was Sie gewollt haben, Herr Kollege Jaksch.
Ich habe deshalb nicht ganz verstanden, warum der Kollege Rehs sich gestern nach der Rede meines Freundes Jaksch gegen diese Anregung zur Großen Anfrage gewandt hat. Ich glaube, daß die Anfrage vom Gesichtspunkt des Herrn Jaksch aus doch richtig war. Ich darf ihm für die Anregung danken und ihm hiermit erklären, daß ich künftig öfters von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werde.
Eine wichtige Frage ist nun von ihnen beiden, von Herrn Jaksch und Herrn Rehs angeschnitten worden: die der Bundesumsiedlung. Herr Jaksch, Sie haben die Zahl von 400 000 Umsiedlungswilligen genannt, Herr Rehs hat die Zahl von 250 000 genannt. Sie sind sich wohl mit mir darüber einig, daß wir die ganze Umsiedlungsverordnung nicht ohne die beteiligten Länder gemacht haben. In einer Sitzung des Umsiedlungsausschusses der Arbeitsgemeinschaft der Flüchtlingsverwaltung am 4. Januar 1956 in Würzburg, der auch Vertreter der drei Umsiedlungsländer Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein angehören, ist eine Zahl von rund 100 000 genannt worden, auf deren Umsiedlung sie noch Wert legten.
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- Ja, bitte! Ich sage dies, weil Sie sagen, es gebe in diesen Ländern noch mehr Umsiedlungswillige. Ich habe vor kurzem, am 26. November - mit Minister Stain in München darüber gesprochen. Ich kann Ihnen gern all die Gespräche, die ich im einzelnen geführt habe, angeben. Immer wieder ist mir gesagt worden: Bei der äußeren Umsiedlung ist wichtigstes Anliegen die Familienzusammenführung! Glauben Sie doch bitte nicht, daß wir deshalb die Umsiedlung auf die Familienzusammenführung beschränken wollen! Aber letzten Endes ist sie doch - sozial gesehen - zweifellos das dringlichste. Die Bundesregierung, die früher Menschen umgesiedelt hat, damit sie zu Arbeit kommen, hat doch die moralische Pflicht, nun die Familien nachzuholen. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir nun in voller Übereinstimmung mit den drei Ländern - bitte, prüfen Sie das nach! - die Zahl von 94 500 eingesetzt. Wieviel weitere Umsiedlungswillige da sind, kann ich Ihnen im Augenblick nicht genau sagen. Ich bin hier auf die Angaben der Länder angewiesen. Was soll ich anderes tun? Aber sicher ist, daß die Länder am 4. Januar mitteilten: Wenn jetzt noch 100 000 umgesiedelt werden, dann sind die Möglichkeiten erfüllt. - Ich lasse mich gern belehren und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir andere Stimmen nennen würden.
Es war für mich ohnehin nicht leicht, die Umsiedlungsverordnung mit den Ländern vorzubereiten. Ich sage das nur zu diesem Thema, weil es gestern hier angeschnitten worden ist. Ich habe die Frage der Umsiedlungsverordnung niemals leicht genommen und habe daher auch mit den Vertretern der Länder selbst an Ort und Stelle gesprochen, auch in Kiel. Und, Herr Kollege Rehs, ich habe in Kiel nichts anderes gesagt, als was ich auch hier mitteilte, mit einer Ausnahme, die ich Ihnen gern zugebe. Ich habe nämlich in Kiel gesagt, ich würde es gern sehen, wenn wir die innere Umsiedlung stärker berücksichtigten, daß das aber im Augenblick nicht möglich sei. Sie waren, glaube ich, leider nicht dabei. Sonst würden Sie wissen, was ich in Kiel gesagt habe.. Ich stehe hier absolut zu meinem Wort.
Nun darf ich auf die Frage der Kurspflege kurz eingehen. Sie sagten, Herr Rehs, ich hätte beim Finanzminister nichts erreicht. Ich habe die 100Millionen-Anleihe angeführt. Ich kann doch nichts dazu, wenn der Finanzminister glaubte, daß er deswegen nicht vor dem Ausschuß für Heimatvertriebenenwirtschaft zu erscheinen brauchte. Das hat mit diesen Dingen gar nichts zu tun. Vielmehr ist eines klar: Wir haben vereinbart, daß sich die Bundesregierung, soweit es über die Kraft des Emittenten, also der Ausgleichsbank, hinausgeht, durchaus für die Kurspflege verpflichtet fühlt, und zwar genau so wie für die Kurspflege bezüglich anderer Regierungsanleihen.
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Eine Bevorzugung konnte ich nicht erwarten. Ich wollte die Gleichstellung durchsetzen, und die habe ich erreicht. Sie meinten jedoch gestern, ich hätte absolut nichts erreicht. Ja, mehr zu erreichen als Gleichstellung hatte ich gar nicht erwartet. Also habe ich das erreicht, was ich erreichen wollte.
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- Ich weiß nicht, was Sie von irgendeinem Beamten des Bundesfinanzministeriums mitgeteilt bekommen haben. Ich muß mich auf das verlassen, was ich selbst aus einer Besprechung mit dem Kollegen Schäffer genau weiß. Das ist für mich maßgebend. Wenn Sie es anders wissen, wollen wir uns gern darüber unterhalten. Ich bitte Sie nur zu verstehen - die Sache liegt erst drei Tage zurück, ich erinnere mich infolgedessen genau -: ich war erstaunt, daß die Angelegenheit gestern in diesem Sinne vorgebracht wurde. Wenn ich nichts erreicht hätte, hätte ich die Anleihe überhaupt nicht erwähnen können.
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- Ich habe Ihnen gesagt: eine Gleichstellung mit der Kurspflege der Regierungsanleihen. Sie können für eine Anleihe, die doch in einigen Jahren überhaupt erst auf dem Markt erscheint - eine Depotanleihe, wie Sie wissen -, heute noch nicht sagen, wieviel die Kurspflege kostet. Ich möchte Sie bitten, hierüber auch den Finanzminister zu fragen. Ich habe die Gleichstellung geklärt. Das andere ist eine Angelegenheit des Bundesfinanzministers; fragen Sie bitte den Herrn Bundesfinanzminister!
Darf ich eine Frage stellen?
Bitte schön!
Darf ich Ihnen unterstellen, Herr Minister, daß diese Vereinbarung der nächsten Sitzung des Unterausschusses für Heimatvertriebenenwirtschaft schriftlich vorgelegt wird?
Das werde ich ihm gern vorschlagen.
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- Ich bin bereit, in den Ausschuß zu kommen und Ihnen selbst zu sagen, was ich dort erfahren und ausgemacht habe. Da habe ich gar keine Sorge.
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- Aber das habe ich doch gestern gesagt! ({2})
- Ich habe gestern zu der Frage der Anleihe wörtlich gesagt - ich habe es noch im Kopf -, daß die Anleihe, nachdem die langwierigen Verhandlungen beendet sind, nun in Kürze perfekt wird. Daß noch Schwierigkeiten bestehen, habe ich nicht gesagt. Ich hätte sonst die Anleihe gar nicht erst erwähnt.
Ich darf Ihnen, Herr Kollege Rehs, sagen, daß ich erstaunt war, als Sie gestern erklärten, ich hätte geäußert, es sei so ungefähr alles in Ordnung, und ich hätte alles beschönigen wollen. Ich glaube, daß ich mit meiner gestrigen Rede doch die Dinge sehr ernst dargestellt habe. Ich glaube eigentlich kaum, daß man sie noch ernster darstellen kann. Ich befürchte, daß Ihre Darstellung darauf zurückzuführen ist, daß Sie schon um 15 Uhr Ihre Antwortrede auf meine noch nicht gehaltene Rede oben auf der Pressebank haben verteilen lassen. Nun waren Sie etwas gebunden.
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Ja, Herr Kollege Rehs, das ist eine Tatsache, sie lag nämlich bereits um 15 Uhr hier auf meinem Platz. Da war meine Rede noch nicht gehalten.
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Ich habe wichtige Zahlen in meine Rede doch erst gestern vormittag eingesetzt. Wenn Sie all das berücksichtigten, weiß ich nicht, wie Sie dazu kommen, zu sagen - ich bitte, das zu klären -, daß ich die Dinge beschönigt hätte. Ich glaube, daß ich die Dinge gestern sehr ernst dargestellt habe. Sie sind nicht nur Ihre, sondern auch meine Sorge.
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- Nein, das habe ich nicht gesagt. ({6})
- Ich konnte in dem Bundesbericht gerade diese Dinge und die zusätzlichen Verbesserungen, die immerhin mehrere Hundert Millionen ausgemacht haben, gar nicht erwähnen.
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- Bitte schön!
Herr Minister, ist es richtig, daß Sie gestern gesagt haben, der Herr Finanzminister hätte jeweils die für die landwirtschaftliche Siedlung erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt?
Jawohl.
Dazu stehen Sie? Halten Sie das wirklich für wahr?
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir sofort das Gegenteil bewiesen.
Na ja, es fehlen doch für dieses Jahr wieder - - Sie wissen doch, daß voriges Jahr 60 Millionen im Vorgriff erst am 19. Oktober bewilligt worden sind?
Ich möchte die Gegenfrage an Sie stellen, Herr Kather: Wann ist die landwirtschaftliche Siedlung durch Mangel an Mitteln unterbrochen worden? Denn das wäre doch das, was Sie eben fragen wollten. Das möchte ich beantwortet haben, bitte.
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Eine weitere Frage!
Ich kann Ihnen darauf antworten, daß durch diese Manipulation - ({0})
Herr Abgeordneter Kather, Sie haben das Recht, Fragen zu stellen. Sie haben nicht das Recht, eine Rede zu halten.
Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß durch diese Manipulation die landwirtschaftliche Siedlung um Monate verzögert
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worden ist, weil man sich vier Monate darüber gestritten hat: sind die Voraussetzungen für den Vorgriff da oder sind sie nicht da?
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Dann wäre doch wohl die Folge, daß in diesen Monaten kein Geld für die Siedlung dagewesen wäre. Ich darf Sie bitten, den Beweis dafür anzutreten. Sie können ihn im Augenblick nicht antreten.
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Darf ich dem Kollegen Klötzer zu dem Antrag des GB/BHE kurz noch etwas sagen. Er hat gefragt, ob das Bundesvertriebenenministerium die Entscheidung von Lüneburg kenne. - Das Bundesvertriebenenministerium kannte die Entscheidung von Lüneburg sofort; aber das Bundesvertriebenenministerium kannte auch die Entscheidungen von Stuttgart, Kassel, Koblenz, Hamburg und Bremen, die genau umgekehrt waren. Das Bundesvertriebenenministerium weiß weiter auch, daß das Bundesverwaltungsgericht diese Entscheidung von Lüneburg weder gebilligt noch verworfen, sondern zur abermaligen Behandlung nach Lüneburg zurückverwiesen hat. Eine Begründung dafür liegt noch nicht vor. Ich bin der Ansicht, daß, wenn man ein Urteil herausgreift, man schon der Sachlichkeit wegen verpflichtet ist, alle Urteile zu nennen,
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und dann sieht es eben ganz anders aus. Sie haben gestern so ungefähr gesagt: Das Bundesvertriebenenministerium hat vom Lüneburger Urteil überhaupt nicht Kenntnis genommen und war uninformiert. Ich muß Ihnen leider sagen, daß das Ganze gesehen werden muß und daß wir die Begründung abwarten sollten. Was den Antrag angeht, so kann ich schon persönlich, aber im Augenblick noch nicht für die Bundesregierung erklären, daß die Dinge geändert werden müssen. Wir sind uns also im Grunde in vielem einig. Nur bei der Begründung mit diesem Urteil bitte ich um Vorsicht.
Herrn Dewald darf ich antworten, daß wir selbstverständlich, wenn Kasernen geräumt werden - übrigens sind mir ganz andere Zahlen bekannt als Ihnen, nicht 60 000, sondern etwa 45 000 für das Jahr,
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das ist die Zahl, die ich jetzt als Anforderung habe -, daß wir dann dafür sorgen werden, daß niemand aus den Kasernen herauskommt, ohne in eine ordentliche Wohnung zu kommen! Die Bundesregierung hat eben noch einmal 50 Millionen DM dafür bewilligt. Es sind dann für einen Kaserneninsassen, einen Sowjetzonenflüchtling, einmal 1500 DM gezahlt worden, und dazu kommen weitere 1000 DM. Das sind 2500 DM.
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Ich glaube, daß sich damit die Länder nicht zu beklagen haben und daß damit eine entsprechende Wohnung gesichert ist.
Sie haben weiter die Frage gestellt, wo die Millionen geblieben sind, über die ich gesprochen habe. Lassen Sie mich immerhin erwähnen, daß doch seit 1954 bereits 62 800 Evakuierte zurückgeführt worden sind und daß auf Grund der Programme, wie ich erwähnt habe - ich spiele gar nicht mit Zahlen, ich habe mir das sehr genau zusammengesetzt, weil ich sehr vorsichtig bin -, nun 74 000 Evakuierte zurückgeführt werden können, wobei ich zugebe, daß die Zurückführung von weiteren 35 000 von der Frage des Kontrollausschusses abhängt. Das ist hier genügend diskutiert worden. Das sei also völlig offen zugegeben. Es ist sicher, daß eine ganze Menge unserer Wünsche nicht erfüllt sind. Aber ich darf immerhin zunächst einmal sagen, daß der Präsident des Bundesausgleichsamtes nach der gestrigen Erklärung der Bundesregierung die Hilfe für Hausrat, für Eingliederung in den gewerblichen und bäuerlichen Mittelstand und für die Ausbildung in Höhe des Vorjahres einplanen kann. Irgendeine Verminderung gegenüber dem vorigen Jahr ist also nicht notwendig. Das glaube ich völlig eindeutig gesagt zu haben.
Was die Vorfinanzierungshilfe für den Lastenausgleich anlangt, so enthält sie auch die 100 Millionen DM für die bäuerliche Ansiedlung nach § 46 Abs. 2. Unterdessen sind auch die Empfehlungen der Bundesregierung für die Beschleunigung der Eingliederung durch die Sicherung der Altersversorgung landabgebender Bauern hinausgegangen. Nach der Struktur des Grundgesetzes kann die Bundesregierung nur Empfehlungen geben. Sie kann ja gar nicht anders handeln. Es liegt doch an den Ländern, sie durchzuführen,
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genau so wie die Aufstellung des jährlichen Siedlungsplanes der Bundesregierung nur eine Zusammenstellung der Siedlungspläne der Länder sein kann.
Wenn nunmehr gefragt wird, wie ich dazu die Zustimmung geben konnte, so muß ich sagen: Ich kann doch nichtsanderes tun als von Land zu Land fahren - was ich tue - und die Landwirtschaftsminister der Länder zu überzeugen versuchen, daß sie ihr Programm verbessern müssen. Was Sie mir so nachdrücklich empfohlen haben, mich nämlich in der Bundesregierung hundertprozentig durchzusetzen, das kann ich nur meinen lieben Kollegen in den Ländern empfehlen.
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Wenn sie das gleiche täten, sich nämlich auch hundertprozentig durchsetzten, dann würde auf dem Gebiete der Siedlung manches ganz anders aussehen; denn ob ich einem Plan, den mir der Kollege Lübke vorlegt, meine Zustimmung gebe oder nicht, ist viel weniger wichtig, als daß die Kollegen in den Ländern diese Leistungen zu steigern versuchen, weil anders die Dinge gar nicht zu machen sind.
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Ich darf nun auf Ihre Frage, Kollege Kather, eingehen; das möchte ich noch kurz klären. Ich habe nie gesagt, daß es einen Primat der Kulturarbeit gibt. Ich habe zwei Reden vor mir liegen - nur um es kurz zu klären -, in denen das völlig eindeutig steht. Ich kann mich auf einen Satz be({7})
rufen, und ich bitte, ihn mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen zu dürfen. Er lautet:
Die Zeit, in der es allen Vertriebenen erst einmal um die primitivsten Lebensgrundlagen ging, sie also um Tisch, Bett und Stuhl kämpfen mußten, ist heute für einen großen Teil der Vertriebenen vorbei, wenn auch durchaus nicht für alle.
Das habe ich gesagt. Und in einem anderen Satz habe ich gesagt:
So gefährlich die Täuschung ist, heute behaupten zu wollen, daß die wirtschaftliche Eingliederung vollendet sei, so notwendig ist dennoch die Erkenntnis, daß nach der Überwindung der ärgsten, vordringlichen Tagesnöte unsere Tatkraft immer bewußter und zielstrebiger auf die Erhaltung und Förderung der überzeitlichen Werte, der bedrohten kulturellen Substanz unserer entrissenen Heimat und ihrer Lebensträger, der Vertriebenen und ihrer Jugend, gerichtet sein muß.
Das sind die beiden Sätze, die ich heute vor dem Bundestag in jeder Rede wiederholen würde. Ich habe die Sorge, Herr Kollege Kather, daß der Adressat Sie etwas bekümmert hat. Ich hätte das genau so Ihrem Verband gesagt wie jedem anderen.
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Von einem Primat der kulturellen Arbeit habe ich jedenfalls nie gesprochen. Das Wort „Primat" ist nicht gebraucht worden, und ich finde es auch hier - ({9})
- Bitte, welchen Satz? ({10})
- Daß dies der besondere Auftrag der Landsmannschaften ist, darüber besteht doch kein Zweifel. Die Kulturarbeit ist immer von dieser Seite aus betrachtet worden. Aber, meine Damen und Herren, ich möchte hier nicht in Verbandsgegensätze eingreifen. Denn Sie wissen, daß es immer mein Ziel war, die Verbände zu einigen, und niemand hat die Streitigkeiten mehr bedauert als ich.
({11})
- Bitte! Aber ich möchte wissen: wo ist das „Primat"? Sie haben von Primat gesprochen. Bitte, beweisen Sie es doch! Ich stehe zu jedem Wort, das ich gesagt habe.
({12})
- Wenn Sie das hier in einer Rede vor dem Bundestag sagen und das sehr abträglich für mich sagen, dann muß ich doch das Recht haben, mich zu verteidigen.
({13})
- Bitte schön, gern!
Haben Sie in dem Interview beim Nordwestdeutschen Rundfunk am 22. Dezember 1955 folgenden Satz gesagt?
Der Verband der Landsmannschaften muß
jetzt an alle jene herantreten, die den wirtschaftlichen Fragen einen Vorrang einzuräumen bereit sind, den Primat der kulturellen und rechtlichen Fragen zu sichern und so zu großer Einigung der Vertriebenen beizutragen.
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Ja, das ist eine ganz andere Frage! Jetzt will ich Ihnen ganz klar sagen: Diese These habe ich immer vertreten; die ist nicht neu.
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- Nein! Darf ich Ihnen sagen: Sie nehmen das Ganze aus dem Zusammenhang heraus; denn ich habe erklärt, was vorher wirtschaftlich zu tun ist. Sie können nicht diesen einen Satz an dieser Stelle herausgreifen.
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- Ich sagte schon: ich nehme an, daß der Adressat Ihnen nicht gefallen hat.
({2})
- Aber ich kann leider nichts dafür.
Nun möchte ich noch Herrn Miller kurz antworten. Wir sind uns doch wohl darüber klar, daß, wenn jetzt die Mittel für den Härtefonds von der Bundesregierung verdoppelt worden sind, wir zunächst hoffen können, daß es reicht. Wenn es nicht reicht, ist ja klar, daß für Bedarf, der plötzlich auftritt - sagen wir mal: einen Flüchtlingsstrom usw. -, immer noch Möglichkeiten bestehen. Ich habe mich zunächst damit zufrieden gegeben, daß wir diesen Betrag verdoppeln. Wir können dann immer noch sehen, wie die Dinge weitergehen.
Im übrigen möchte ich sagen, daß ich auf unsachliche persönliche Angriffe hier nicht antworten will; die gehören nicht ins Haus.
({3})
Ich bin der Ansicht, daß sie auf den Angreifer selbst zurückfallen. Ich muß allerdings sagen, daß ich eines tief bedaure: daß unsere ausländischen Gäste der Moralischen Aufrüstung, die sich zur Zeit in der Bundesrepublik befinden, hier auch in diese unsachlichen persönlichen Angriffe mit hineingezogen worden sind.
({4})
Ich bin der Ansicht, daß wir uns das vor dem Ausland schon hätten schenken sollen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einleitend nicht untersuchen, wo das Feld moralischer Aufrüstung am besten bestellt werden könnte, ich möchte aber gerade aus diesem Gedanken heraus einen Problemkreis noch ein wenig beleuchten, der in der Anfrage ebenso wie in der Beantwortung ziemlich
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zu kurz gekommen ist: das sind die Fragen unserer Heimkehrer! Der Herr Bundesminister ist darüber ziemlich schnell hinweggegangen. Dies und nicht zuletzt auch einige Ausführungen des Herrn Kollegen Kuntscher, die nicht unwidersprochen im Raum stehenbleiben dürfen, veranlassen mich, diese Fragen anzusprechen.
Diese Probleme sind vielleicht - wir können sagen: Gott sei Dank - aktueller als manche andere, da wir immer noch Spätestheimkehrer erwarten und ersehnen und da wir erfreulicherweise Nachrichten über Rückkehrer aus dem Gewahrsam der Satellitenstaaten und über Inhaftierte aus der DDR vernehmen können. Dadurch allein schon entbehren diese Fragen, Gott sei Dank, nicht einer gewissen Aktualität. Sie verlangen aber auch eine häufigere - hier schließe ich mich ganz den Ausführungen des Herrn Kollegen Jaksch an -, eine eindringlichere und zeitlich nicht forcierte Behandlung. Sie sollten bei der Rangierung auf der Tagesordnung immer Tagesordnungspunkt Nr. 1 sein und nicht in den Geruch kommen, nur zur Faschingszeit unter „Ferner liefen" angesprochen zu werden; denn hier gilt ja das vom Herrn Bundesfinanzminister zitierte Bild besonders. Hier ist nämlich tatsächlich noch „eine gute Jagd zu tun"; das Wild ist - um im Bilde zu bleiben - nicht erlegt, sondern hier kann man als guter Jäger tatsächlich ein Objekt finden - und man sollte es finden -, mit dem man sich „waidmännisch" beschäftigen kann.
Ganz grob gesagt: es ist kein Geheimnis und, glaube ich, dem Herrn Bundesminister auch nicht verborgen geblieben, daß die Theorie, also die freundlichen Begrüßungen da und dort und auch am Heimatort, so anerkennenswert sie auch sein mögen, mit der Praxis, will sagen: der wirklichen Behandlung des Personenkreises der Heimkehrer im weitesten Sinne des Wortes, sehr oft nicht im Einklang steht, wie es notwendig wäre. Die Folgen fehlender Arbeitsmöglichkeiten, Existenz- und Wohnungssorgen, besonders in den Grenz-, Zonen- und Notstandsgebieten, und manche Bitternis seelisch-geistiger Art sind nicht ausgeräumt und werden auch nicht entsprechend ausgeräumt. Herr Minister, die Stimmung, die Ihnen im vorigen Sommer in Hannover sozusagen als vox populi von den dort versammelten 150 000 Heimkehrern sehr deutlich entgegengebracht wurde, als Sie eine Rede hielten, die eine Rede des Herrn Bundesfinanzministers hätte sein können, aber nicht die Rede des Bundesvertriebenenministers, der sich mit Heimkehrerfragen obsorgend und fürsorgend zu beschäftigen hat, ist bis in den untersten Stufen der mit diesen Dingen sich befassenden Verbände heute noch unverändert lebendig.
Die Heimkehrer haben das Gefühl, daß Sand im Getriebe der Verwaltung ist und daß das Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Das ist für diese Menschen einfach unverständlich. Sie haben nämlich immer die Hoffnung gehabt und haben sie auch heute noch, daß es möglich ist, von Bonn aus, und zwar mit einem Ministerium, mit einem Instrument - Sie sagten uns doch immer, daß Sie es zu einem wirksamen Instrument ausgestalten wollten -, diesem Schwarzer-Peter-Spiel irgendwie beizukommen und eines Hin- und Herschiebens der Verantwortung zwischen Bund und Land irgendwie Herr zu werden.
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Sie haben, Herr Bundesminister, sehr oft in Kundgebungen und Versammlungen auch dieses Personenkreises bezüglich des Herrn Finanzministers Schaffer Worte gebraucht, die Sie vielleicht heute, da Sie eine gewisse politische Tuchfühlung zu ihm gewonnen haben, nicht mehr wahrhaben möchten. Aber diese Worte sind bekannt, und die Leute, vor denen Sie sie gesprochen haben, haben sie sich wohl gemerkt. Diese Menschen haben ein komisches Gefühl, wenn die Dinge nun nicht so gehen, wie Sie es einstens versprochen und in Aussicht gestellt haben. Ich höre aus Heimkehrerversammlungen und -kundgebungen immer nur heraus, man habe das Gefühl, daß in diesem Ministerium auch in dieser Beziehung die Zügel schleifen gelassen werden. Die Zensuren, die hier verteilt werden, sind vernichtend; sie variieren zwischen „mangelhaft" und „ungenügend"! Allüberall herrscht das Gefühl: „unhaltbare Zustände"!
Wir wollen nicht verkennen, daß viele Dinge im Gange, im Fluß sind. Das sind Fragen wie etwa die der Vererblichkeit und Übertragbarkeit des Anspruchs in § 5, die Neufestsetzung der Antragsfrist gemäß § 9 Abs. 6. All das ist in Behandlung, und Änderungswünsche werden effektiv diskutiert. Ich nenne diesbezüglich weiter § 1 Abs. 1 Ziffer 2, § 2 Abs. 2, § 9 Abs. 4 und 5, sowie § 22, die Frage der Anfechtung der Beschwerdeausschußbescheide.
All das ist im Fluß. Wir begrüßen das. Aber die Lücken und Härten, die angesichts der Flüchtigkeit bei der Abfassung gerade des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes entstanden und fühl-und sichtbar geworden sind, sind nicht in dem erforderlichen Maße von Ihnen, Herr Minister, und Ihrem Hause beseitigt worden.
Was die Bereitstellung von Mitteln anlangt, so wollen wir nur hoffen, daß die Worte des Herrn Finanzministers vom 22. Juni 1955 in der 90. Bundestagssitzung, die uns noch in den Ohren klingen, nämlich: daß für diese Dinge immer Mittel vorhanden sein würden, auch wirklich erfüllt werden. Zumindest hoffen wir, daß wir nicht ähnliche leidige Vorgänge erleben, wie wir sie bei der Etatberatung im vergangenen Jahr erlebt haben.
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- Darauf komme ich auch noch, Herr Kollege Kuntscher. Sie wollten hier anscheinend den Eindruck erwecken, als ob der Bedarf für diese Dinge nicht da sei.
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- Da werden Sie gleich die Antwort erhalten, die zur Klärung dieser Dinge notwendig sein wird.
Die crux secunda bleibt immer noch das Heimkehrergesetz selbst, und zwar in der Inlandgefangenenfrage, auch im Problem der arbeitslosen Heimkehrer sowie der Heimkehrer im öffentlichen Dienst, ferner bezüglich der Berücksichtigung im 131er-Gesetz, betreffs Ausbildungshilfe, hinsichtlich einiger Sozialversicherungsprobleme, z. B. der Steirungsbeträge für Zeiten unverschuldeter Krankheit, anrechnungsfähiger Beträge zur Sozialversicherung für ehemalige Kriegsgefangene usw.
Ein besonders leidiges Kapitel sind die Durchführungsverordnungen gemäß § 44, wobei wir froh sind, daß es dem zuständigen Ausschuß gelungen ist, die Dritte Durchführungsverordnung aufzuheben, die den im Gesetz umschriebenen Personen({4})
kreis in unzulässiger Weise einengte, auch wider den Willen des Gesetzgebers und offensichtlich im Widerspruch zu manchen verfassungsmäßigen Dingen. Aber die Forderung bleibt, nun so bald wie möglich das dadurch entstandene Vakuum auszufüllen, und zwar initiativ vom Ministerium her.
Wir hören immer - das ist das übliche Wort des Herrn Bundesministers -: „Ich strebe an", „die Bundesregierung strebt an" ! Hier ist die Möglichkeit geboten, dieses Streben in sichtbare Taten umzusetzen.
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Denn gerade diese Fragen der Durchführungsverordnung zum zweiten Teil des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes, der Beihilfen also, sind dadurch verschleppt worden, daß zwar die Bundesmittel da sind, aber die Rechtsverordnungen zum großen Teil fehlen. So können die Dinge nicht realisiert werden!
Es besteht also - ich spreche hier bewußt aus zahlreichen Erfahrungen, die ich in direkten Gesprächen oder in Versammlungen und Kundgebungen mit den Betroffenen gewonnen habe - weithin der Eindruck, daß die Amtswaltung des Ministeriums in dieser Richtung unbefriedigend ist, daß keine echte Initiative vorhanden ist und auch in Richtung auf andere Ministerien keine echten Initialzündungen wirksam werden. Ein Ministerium wie das Ihre, Herr Minister Oberländer, kann als ein Sozialministerium bezeichnet werden. Inwieweit gehen nun solche sozialen Initialzündungen - auch im Heimkehrerproblemkreis - hinüber zum Bundesarbeitsministerium, zur „Sozialreform" etwa, den Fragen der Inlandgefangenen, der Berufung von Heimkehrerärzten an die Sozialgerichte usw.? Inwieweit Initialzündungen zum Bundesfinanzministerium hin notwendig wären, brauchen wir nicht zu erörtern; das ist bereits vielfach gesagt worden. Aber auch zum Bundesjustizministerium und zum Auswärtigen Amt hin müssen sie vorhanden sein - ich sage nur Breda oder Landsberg -, ferner zum Bundesverteidigungsministerium hin - man denke z. B. an die rechtliche Stellung derjenigen Neu-Soldaten jenen Mächten gegenüber, die als Gefangene des zweiten Weltkriegs eben diesen Gewahrsamsmächten unterworfen waren. Das alles sind Fragen, die erörtert werden sollten, die initiativ aus dem Ministerium heraus aufgeworfen werden müßten.
Die Koordinationsleistung des Ministeriums in Richtung auf den Komplex Bund und Länder wird noch zu untersuchen sein. Aber ich erlaube mir vorerst einmal schlicht die Frage: Warum ist es dem Ministerium z. B. nicht gelungen, ähnlich wie etwa dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, eine zusammenfassende Publikation herauszustellen, eine prägnante Dokumentation des deutschen Kriegsgefangenenschicksals also, in der z. B. auch verschiedene Sondergesetze - denken Sie an Holland - einzelner Gewahrsamsländer oder die Geschichte des Nationalkomitees „Freies Deutschland" usw. zugänglich gemacht werden sollten? Es müßte doch möglich sein, einmal solch eine Unterlage zur Hand zu haben.
Weshalb - eine weitere Frage - ist die auf Grund einer einstimmigen Bundestagsentschließung vom Juli 1953 anläßlich der dritten Lesung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes veranlaßte Erfassung der Heimkehrerjahrgänge 1945 und 1946 noch nicht erfolgt? Ist sie aus technischen
Gründen, etwa über die Gemeinden und Kreise, unmöglich? Will man hier bis zur Volkszählung von 1960 warten?
Eine andere Frage, die sich in diesem Zusammenhang aufdrängt: Warum ist der Bildersuchdienst noch nicht angelaufen, zumindest in Form einer Teilaktion? An den Mitteln - so bin ich unterrichtet - könnte es nicht liegen. Liegt es vielleicht an der Mehrgleisigkeit mehrerer mit öffentlichen Geldern unterstützter Suchdienste? Wo ist hier eine gewisse Koordinationsfunktion des Ministeriums sichtbar geworden? Denn hier muß die Bitte erhoben werden, keine doppelte und dreifache Parallelarbeit zu leisten, sondern entweder einen Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes, ähnlich wie es nach dem zweiten Weltkrieg war, einzurichten oder zumindest eine sinnvolle Koordination mehrerer Suchdienste herbeizuführen.
Noch eine Frage, die in diesem Zusammenhang gestellt werden soll: Was macht eigentlich der sogenannte Kriegsgefangenenbeirat im Ministerium?
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Bekümmert er sich, beratend, praktisch um das Schicksal der Kriegsgefangenen? Behält er auch die Westgefangenenfrage dauernd im Auge, und steht er in Richtung Auswärtiges Amt hier anregend mitten in der Arbeit?
Eine weitere Frage: Wie steht es mit den Anforderungslisten gegenüber Moskau? Sind sich hier Deutsches Rotes Kreuz und Ihr Ministerium einig geworden, oder wird über den direkten Draht von Moskau, den wir nun haben, gespielt werden? Denkt man an eine Listenvorlage in nächster Zukunft, zumindest in Abschnitten?
Das sind alles Fragen, die sich erheben und die sich besonders, sehr verehrter Kollege Kuntscher, daraufhin konzentrieren: Wieso klappt es im Zusammenspiel Bund und Länder nicht richtig? Gestatten Sie mir dazu, einmal einen Eindruck aus einem Ausschuß wiederzugeben, wo dieses Ministerium gegenüber den anderen Ministerien durch seine Primitivität sichtlich auffällt; das ist im Petitionsausschuß. Während es fast allen anderen Bundesministerium gelingt, durch Stellungnahmen Eingaben und Petitionen in Fragen zu erledigen, wo die Durchführung der Bundesgesetze in den Händen der Länder liegt, also dieselben Voraussetzungen gegeben sind wie hier, während es also anderen Ministerien glückt, eine echte Stellungnahme im Zusammenwirken mit den Länderministerien zu erstellen, können wir im Petitionsausausschuß dauernd die Erfahrung machen, daß das Bundesvertriebenenministerium dazu nicht imstande ist. Es vermag die Dinge nicht so wie das Finanzministerium und das Arbeitsministerium etwa, wo ja die Verhältnisse zwischen Bund und Ländern - denken Sie an das Finanzministerium - auch nicht immer rosig sind, zu meistern.
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Es verwundert nicht, daß dann Vertreter dieses Ministeriums im Ausschuß erklären, sie hätten noch gar nicht gewußt, daß der Petitionsausschuß diese Art von Stellungnahmen fordere. Wenn man dann die Herren Regierungsvertreter fragt, ob sie denn nicht nachgelesen hätten, daß in allen Bundestagsprotokollen, wo der Petitionsausschuß diese Mängel festgestellt habe, dieses Verhalten des Ministeriums und diese Übung gerügt worden seien,
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bekommt man zur Antwort, sie hätten das nie gelesen und nie vorgelegt bekommen. Sozusagen „wie ein neugeborenes Kind" erscheint dann dieses Ministerium!
Wenn an solchen kleinen Randerscheinungen ein sonderbares Verhältnis zwischen Bundesministerien und Länderministerien sichtbar wird, dann darf man sich nicht wundern, wenn hier das Spiel Bund-Länder, das Schwarzer-Peter-Spiel also, trotz intensiver Länderbesprechungen in Erscheinung tritt und - was mich besonders unangenehm berührte - auch noch im Plenum gespielt wird.
Und nun, sehr verehrter Herr Kollege Kuntscher: Wenn Sie von „agitatorischen Anträgen" anläßlich der Beratung des letzten Haushalts gesprochen haben,
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so müssen Sie sich über eines klar sein: daß Hunderttausende Heimkehrer, denen die Not wirklich auf den Nägeln brennt, diese Anträge nicht als agitatorisch empfunden haben, sondern als notwendig und wohl begründet; hier glaube ich, ist die Stimme des Volkes entscheidend. Und im übrigen: wollen Sie etwa behaupten, daß der Bedarf nach diesen Dingen- ({10})
- Dann ist es also ein organisatorischer Fehler!
Wer hat von Bedarf gesprochen? Ich habe festgestellt, daß 45 Millionen DM bereitstanden, und gefragt, ob es wahr ist, daß nur 2 Millionen DM abgerufen sind.
Herr Kollege Kuntscher, jeder im Hause wird dann aber den Eindruck haben - das ist der logische Schluß -, daß hier zuviel Mittel angesetzt worden seien und auf der anderen Seite ein effektiver Bedarf in dieser Höhe nicht bestehe. Da müßte dazu gesagt werden: Wo steckt denn da der Wurm im Holze? Wo steckt denn der?
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Ich darf aus einer seriösen Zeitung, der „Frankfurter Allgemeinen", verlesen, was, auf diese Dinge angesprochen, der Staatssekretär im hessischen Innenministerium erklärte - ich bitte um die Erlaubnis des Herrn Präsidenten -:
Er kritisierte das bisherige Tempo, in dem die bewilligten Bundesmittel für Heimkehrerentschädigungen zur Verfügung gestellt wurden. In Hessen seien bei dem Gesamtbedarf von etwa 100 Millionen DM im vergangenen Jahr 17 Millionen DM als Entschädigung ausgezahlt worden, vorwiegend an Spätheimkehrer. Die hessische Landesregierung unternehme alle Schritte, um bei der Bundesregierung eine Beschleunigung durchzusetzen. Auch die Darlehnsmittel für Existenzgründung oder Wohnungsbau der Heimkehrer beliefen sich auf nur 45 Millionen DM für das ganze Bundesgebiet bei einem Bedarf von mindestens 80 Millionen DM. Das Land Hessen, das auf den ihm zustehenden Teilbetrag noch einen 20 %igen Zuschuß beisteuere, habe aus diesen Mitteln im voraus nahezu 1,5 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Bei der augenblicklichen Lage könne damit aber höchstens die Hälfte der Anträge befriedigt werden. Die Abänderungsvorschläge des VdH zur Versorgungsgesetzgebung fänden die volle Unterstützung der hessischen Landesregierung.
Und ein Mitglied dieses Hohen Hauses hat in der gleichen Versammlung, in der der Staatssekretär im hessischen Innenministerium sprach, mit Recht herausgestellt, daß von den im Februar 1954 durch den Bundestag bewilligten Mitteln für Heimkehrerkredite erst im November 1955 die ersten Zahlungen geleistet wurden, und auch diese nur im Umfang von 2 % der bewilligten Summe. Von 1,6 Millionen Heimkehrerentschädigungsanträgen seit 1947 seien bisher nur 20 % überhaupt bearbeitet worden.
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Unter diesen Umständen dürfe man es den Heimkehrern nicht verübeln, wenn sie schließlich die Geduld verlören.
Ja - es ist eben nun einmal ähnlich wie beim Lastenausgleich. Man muß sich klar sein, daß bei der Durchführung derartig diffiziler und komplexer Gesetze eine Verwaltung mit eingeschaltet werden muß, die auch mit diesen Problemen tatsächlich fertig wird. Sehr verehrter Herr Kollege Kuntscher, ich habe in Bayern - wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf - mitregiert; ich habe erlebt, daß die Verwaltung von allem Anfang an inadäquat diesen Aufgaben gestaltet war. Es ist meiner Meinung nach ein dringendes Erfordernis, daß ein Ministerium, das nach den Aussagen des Herrn Bundesministers Dr. Oberländer ein machtvolles, koordinierendes, schlagkräftiges und einsatzfähiges Instrument werden sollte, gerade auch dorthin einwirkt, wo eben der Bedarf nicht in dem Maße befriedigt werden kann.
Und noch eins, sehr verehrter Herr Kollege. Sie sagten, etwas zensurausteilend, daß „Der Heimkehrer", das Organ des VdH, sich erlaubt habe, die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen abzudrucken. Herr Kollege Kuntscher, wo immer Sie bei Heimkehrern anfragen, deren politisches Interesse zweifellos und Gott sei Dank sehr wach ist, interessieren sie sich nun einmal dafür, wie diejenigen Abgeordneten abstimmen, die bei Festen, beim „Tag der Treue" usw. sehr gern ihr besonderes Mitgefühl mit den Schicksalen der Heimkehrer zum Ausdruck bringen,
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dann aber ganz ruhig dagegen stimmen, auch wenn zugegebenermaßen - solche Fälle kenne ich aus eigener Erfahrung - das eigene Gewissen gesagt hat: Hier hätte ich ja sagen müssen.
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Solches ist dem „Heimkehrer" also nicht zu verwehren, und er wird es mit Recht, glaube ich, auch in Zukunft tun.
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- Dann um so besser, Herr Kollege Schütz.
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Meine Damen und Herren, das Hohe Haus hat eine Begrenzung der Aussprache beschlossen, die auf etwa 12 Uhr festgesetzt worden ist. Da noch zwei Mitglieder des Hauses, die versprochen haben, sich sehr kurz zu fassen, zum Wort gemeldet sind, darf ich einer({0})
seits den Herrn Redner bitten, sich kurz zu fassen, andererseits die übrigen Mitglieder des Hauses bitten, die Rede nicht durch Zwischenrufe zu verlängern.
Sehr verehrter Herr Präsident, ich werde mich im Verhältnis zu der langen Begründung und den Ausführungen des Herrn Ministers sehr kurz fassen.
In der Praxis erleben Sie, daß Landkreise einfach erklären müssen, daß kein Geld vorhanden sei. Sie erleben in der Praxis, daß ein Land verhältnismäßig nur sehr wenige Darlehen zum Bau einer Wohnung positiv erledigen konnte. Ich habe in meinem Kreis erlebt, daß sich die Ausgleichsämter und der Bezirksfürsorgeverband in den Haaren liegen, ob bezüglich Wohnraumdarlehen Rundschreiben des Bundesausgleichsamtes für den Fürsorgeverband rechtsverbindlich sind oder nicht. Der Auszahlungsstopp für Nichtamnestierte wirbelt einen gewissen Staub auf. Und alles schaut nach Bonn, schaut vor allem darum nach Bonn, weil der Herr Bundesminister erklärte, sich besonders stark machen zu wollen, daß dieses Spiel zwischen Bund und Land aufhöre.
({0})
- Dann müssen Sie einmal mit den Heimkehrern
sprechen. Die lenken ihre Blicke schon nach Bonn!
All das aber geht auf Kosten der materiellen Eingliederung der Heimkehrer, geht aber auch auf Kosten der seelisch-geistigen Aufrüstung oder, wenn sie wollen - das Wort fällt heute sehr oft -, der moralischen Aufrüstung; denn diese Probleme wie andere: Erholungsfürsorge, Gesundheitsmaßnahmen, Wohnungs- und Siedlungsfragen und alle existentiellen Eingliederungsdinge haben eben auch ihr geistiges, staatspolitisches Gewicht, zumal in einer Zeit, wo wir uns materiell und ideell bereits auf eine neue Wehrmacht eingestellt haben.
Ich kann daher auf parlamentarischer Ebene nur die Gesamtzensur wiederholen, die draußen in den Kreisen der Betroffenen erteilt worden ist: „mangelhaft" bis „ungenügend", vor allem bezüglich einer eigenschöpferischen Initiative des Ministeriums, im Hinblick auf einen lebendigen Kontakt mit den Betroffenen, wobei deren Gesamtwertung aus Maßstäben erwächst, die die Opfer, welche diese Menschen gebracht haben, mit diesen leidigen praktischen Erscheinungen in Vergleich setzen. Auch hier also wie auf dem Sektor der Heimatvertriebenen, der Evakuierten und der Sowjetzonenflüchtlinge ein sehr, sehr trauriges Bild, ähnlich wie es in Hannover laut und sichtbar wurde.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Renger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Minister Oberländer war gestern der Meinung, daß man das Problem der jugendlichen Sowjetzonenflüchtlinge aus dieser Debatte herausnehmen könne. Meiner Fraktion scheint dieses Problem aber von sehr großer Bedeutung,
({0})
und die optimistische Darstellung des Herrn Ministers zwingt uns doch dazu, einige Worte zu sagen.
Im übrigen ist wohl bekannt, daß der interfraktionelle Antrag Drucksache 2034 bereits in den Ministerien beraten wird. Deshalb ist es notwendig, diesen Ministerien und auch Herrn Minister Schäffer einige Hinweise dazu zu geben.
Der Jugendausschuß war kürzlich in Berlin und mit ihm ein Unterausschuß des Gesamtdeutschen Ausschusses. Was wir in Berlin gesehen haben, ist erchütternd. Hier muß etwas getan werden. Berlin selbst hat schon fast alles Menschenmögliche getan. Darum ist es notwendig, daß der Bund noch mehr Hilfe bringt. In diesem Hohen Hause sind in den letzten Jahren eine Fülle von Gesetzen verabschiedet und Hilfsmaßnahmen getroffen worden. Aber bitte überlegen Sie sich, daß der Einzelfall des Geflüchteten und die politische Situation in der sowjetischen Besatzungszone von uns immer wieder andere Maßnahmen erzwingen. Hier stehen eine Fülle von komplizierten Gesetzesvorschriften, die verschiedenartigen in Frage kommenden Renten- und Versorgungsansprüche, die Verrechnung zwischen Bund, Ländern und Fürsorgeverbänden gegeneinander, so daß die jugendlichen Flüchtlinge unter Umständen monatelang warten müssen, bis sie endlich eine materielle Hilfe bekommen.
Aus den Erfahrungen im Jugendausschuß darf ich berichten, daß uns bis jetzt die Ministerien kaum geholfen haben, geholfen etwa in der Form, daß sie, wenn sie endlich einmal solch einen Mißstand gesehen haben, von sich aus gesagt haben: Die Gesetze stimmen nicht mehr; wir müssen andere Möglichkeiten ersinnen.
({1})
Die Jugendlichen können für solche Mißstände kein Verständnis haben, und die Erfahrungen haben gezeigt, daß Resignation, Unzufriedenheit, Unterbrechung der Ausbildung und schwieriges Anknüpfen an das eventuell Erlernte und sogar Rückwanderung in die Zone die Folge sind.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön!
Darf ich eine Zwischenfrage stellen, Frau Renger. - Ist Ihnen bekannt, daß alles das inzwischen in einem Sechsoder Sieben-Punkte-Programm zusammengefaßt und der Antrag hier angenommen worden ist?
Ja, das ist mir bekannt, sehr verehrte Frau Kollegin, ich bin aber nicht sicher, daß die Wünsche dieses Hauses nachher in den Ministerien auch erfüllt werden.
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Eine Zusatzfrage!
Noch eine Zwischenfrage, Frau Renger. Halten Sie es, nachdem die anderen Fraktionen im Vertrauen auf diesen Antrag auf eine Diskussion dieser Frage heute und hier verzichtet haben, für richtig, nun von sich aus die Dinge noch einmal aufzugreifen?
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Von einer Abmachung darüber ist mir nichts bekannt.
({0})
Jedenfalls erscheint mir das Problem so wichtig, daß es hier angesprochen werden sollte.
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Ich darf fortfahren. - Wir haben bei unserem gemeinsamen Antrag diese Probleme gesehen und gerade für die Vereinfachung der Verrechnungswege diesen Garantiefonds eingesetzt, der jetzt von dem Herrn Finanzminister dotiert werden muß. Wenn das überhaupt wirksam werden soll, müßten erst einmal 15 Millionen DM in Aussicht genommen werden.
Noch eine Bemerkung zu dem BHE-Antrag Drucksache 1966, in dem von Lastenausgleich-Ausbildungshilfen die Rede ist. Auch hier sollten sich die Beamten im Ministerium einmal überlegen, ob man die Ausführungsbestimmungen nicht etwas anders gestalten könnte; denn aus diesem Fonds haben nur 3 % der alleinstehenden Jugendlichen in der Bundesrepublik eine Ausbildungshilfe bekommen. Ebenso sollten die Bestimmungen des AVAVG - etwa § 140 - überprüft werden, die hier mit hineinspielen. Besonderer Prüfung bedarf die Bestimmung, daß der Wohnsitz im anerkannten Sanierungsgebiet liegen muß; denn im allgemeinen werden Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone dort überhaupt nicht eingewiesen. Es müssen also, wenn, wie in der letzten Zeit, der Flüchtlingsstrom ein vorher unvorstellbares Maß erreicht hat, besondere Wege gesucht wei den.
Nachdem das Jugendreferat im Bundesvertriebenenministerium anscheinend überhaupt nicht vorausschauend geplant hat, scheint mir die Frage an den Herrn Bundesvertriebenenminister doch berechtigt zu sein, was dieses Referat eigentlich die ganze Zeit gemacht hat und ob es seinen Aufgaben wirklich nachgekommen ist. Wir sollten uns darüber klar sein, daß bei all den jungen Menschen, die zu uns kommen, der erste Eindruck vom freien Westen für ihre Einstellung zu einer demokratischen Ordnung von entscheidender Bedeutung ist, ebenso wie die richtigen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung, wie Hilfe und soziales und menschliches Verständnis. Das sind nun einmal für sie Prüfsteine, wie ernst es der westdeutschen Bevölkerung mit der Wiedervereinigung und ihrer Sorge für die Menschen in Mitteldeutschland und Ostdeutschland ist.
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Die Frage, warum die jugendlichen Flüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen sind und ob sie wirklich immer politisch gefährdet sind, wird oft gestellt. Mir scheint, die Frage ist falsch gestellt, denn jede Flucht liegt in dem politischen System begründet. Das fängt in der Familie an und geht bis zur kasernierten Volkspolizei. Die jugendlichen Flüchtlinge brauchen, wenn sie zu uns kommen, zuerst einmal menschliche Betreuung und das Gefühl, nicht etwa arme Verwandte zu sein.
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Wenn sie hier sind, leiden sie unter der Einsamkeit, und das Heimweh spielt bei ihnen eine große Rolle. Sie finden sich in einer Welt wie der unseren nicht zurecht, denn sie kommen aus einer Welt, wo sie immer dirigiert wurden. Den Sowjetzonenflüchtlingen die vorsichtige und verständnisvolle Hilfsbereitschaft der ganzen Bevölkerung entgegenzubringen, um diese Menschen an den demokratischen Staat heranzuführen, das scheint die erste Aufgabe.
Lassen Sie mich eine Bemerkung zu dem Herrn Kollegen Miller machen. Mir scheint, daß bei der Begegnung mit den jungen Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone Wahrheit das erste Gebot ist. Ich möchte dem Herrn Kollegen Miller, der seine Erfahrungen in der Zone gesammelt. hat, doch sagen, daß das, was er dort gesehen hat, mit Sozialisierung nichts zu tun hat.
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Er hat uns hier mit Begriffen und einer Sprache aufgewartet, die eigentlich der von Herrn Ulbricht und Herrn Grotewohl entsprechen.
({5})
- Verzeihung, die Verwechslung der Begriffe meine ich!
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Was dort Sozialisierung genannt wird, ist eben
keine Sozialisierung, sondern eine ganz üble Verstaatlichung, Verzeihung: Staatskapitalismus - ({7})
- Bitte, Sie haben von der Landwirtschaft gesprochen, die sozialisiert worden sei usw., und was Sie damit meinen, ist uns allen bekannt. Ich wollte Ihnen nur sagen: wenn Sie mit diesen jungen Leuten diskutieren wollen, dann handhaben Sie die Begriffe so, wie sie richtig sind.
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Wegen der vorgeschrittenen Zeit möchte ich auf alles andere, was uns noch am Herzen liegt, nur in Stichworten eingehen.
Da ist zunächst die Frage der unkontrollierten Werbung von jugendlichen Flüchtlingen durch die Industrie. Die Industrie sollte nicht nur darauf bedacht sein - und hier müßte ein allgemeiner Aufruf an sie erfolgen -, wegen der geburtenschwachen Jahrgänge und der bevorstehenden Einberufung Arbeitskräfte aufzusaugen, sondern sie sollte auch daran denken, daß sie eine Erziehungsaufgabe hat und daß sich daraus für sie Pflichten ergeben. Es müßte dafür gesorgt werden, daß diese Jugend in Wohnheimen untergebracht wird; Familien sollten aufgerufen werden, die Patenschaft bei diesen jugendlichen Flüchtlingen zu übernehmen.
Auch der Frage der Oberschüler und Abiturienten haben wir uns in dem gemeinsamen Antrag angenommen. Die Position 625 sollte entsprechend erhöht werden. Uns erscheint die geplante Erhöhung viel zu gering. Denken Sie daran, wieviele Förderungsklassen und Internate aufgebaut werden müssen. Lassen Sie mich eine Zahl nennen: in Nordrhein-Westfalen müßten zur Zeit noch 1750 Oberschüler ihr Abitur nachmachen; es stehen ihnen erst 110 Plätze zur Verfügung. Wie lange sollen die Flüchtlinge warten, bis sie an die Reihe kommen?
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Auch noch ein Hinweis auf die unterschiedliche Situation der Studierenden in Berlin und in der Bundesrepublik: hier muß auch die Ministerialbürokratie schnell schalten, damit die Überbelegung in der Stadt Berlin nicht noch größer wird. Wenn sich in der Bundesrepublik mit ihrem „Wirtschaftswunder" die große Mehrzahl endlich einmal bereit erklären könnte, eine Hochschulreform anzustreben, wären hier viele Ungerechtigkeiten aus dem Wege geräumt.
Ich habe hier nur einige wenige Punkte herausgegriffen. Zum Schluß möchte ich Ihnen sagen: Wir hier im Westen sind noch einmal davongekommen; deswegen haben wir auch die größere Verpflichtung. Es scheint sich hier bei einem großen Teil eine Angst vor einer kommunistischen Infiltration auszubreiten, die bei manch einem schon zu einer Hysterie geworden ist. Das sollten wir doch endlich einmal zu den Akten legen. Ich glaube sogar, diesen oder jenen Kommunisten könnten wir noch verkraften und ihn notfalls wieder in sein gelobtes Land zurückschicken. Die übergroße Mehrzahl der jugendlichen Flüchtlinge verdient unsere größte Anteilnahme und Hilfsbereitschaft.
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Hieran mögen besonders unsere Ministerialbeamten und selbstverständlich in erster Linie Herr Bundesfinanzminister Schäffer denken, wenn sie, wie wir hoffen, großzügig und politisch richtig die Maßnahmen für die Eingliederung der geflüchteten Jugend beraten, wie sie in dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen des Bundestages Drucksache 2034 vorgeschlagen sind.
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Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Aussprache. Punkt 1 a, Große Anfrage der CDU/CSU, ist erledigt.
Der Antrag der Fraktion der SPD unter Punkt 1 b, Drucksache 1896, und der Gesetzentwurf der Fraktion des GB/BHE unter Punkt 1 c, Drucksache 1965, werden, wie ich Ihnen vorschlagen darf, an den Ausschuß für Heimatvertriebene - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen überwiesen. - Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Den von der Fraktion des GB/BHE eingebrachten Gesetzentwurf unter Punkt 1 d, Drucksache 1966, schlage ich vor an den Ausschuß für den Lastenausgleich - federführend - und zur Mitberatung an den Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen zu überweisen. Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Gemäß den Vereinbarungen, die vorhin vom Herrn amtierenden Präsidenten Schmid bekanntgegeben worden sind, kommen wir nunmehr zur Tagesordnung von heute, und zwar zu Punkt 1 a und 1 c, nicht hingegen 1 b.
Ich rufe also auf Punkt 1 a:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Kohlenwirtschaft ({0}).
Begründet Herr Abgeordneter Dr. Bleiß?
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- Bitte sehr!
Dr. Bleiß ({2}), Anfragender: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kohle ist unser wichtigster Rohstoff. Die Ordnung in der Versorgung und in der Preisbildung ist eine wesentliche Voraussetzung für den Ablauf unseres Wirtschaftslebens. Seit einiger Zeit scheinen uns nun die Versorgung nicht mehr völlig geordnet und die Preisbildung für den Verbraucher ins Rutschen gekommen zu sein.
Wir haben schon anläßlich der Haushaltsdebatte im Juni des vergangenen Jahres auf eine Reihe von Mängeln in der Versorgungslage hingewiesen. Im Verlauf der damaligen Debatte hatte der Staatssekretär Dr. Westrick die Freundlichkeit, zu versichern, daß unsere Kritiken und Anliegen mit echtem und letztem Ernst aufgenommen würden und daß im Wirtschaftsministerium alles getan werde, um jeder berechtigten Kritik in weitgehendem Maße Folge zu leisten.
In dem Zeitraum, der seit der Debatte im Juni des vergangenen Jahres verstrichen ist, hat sich die Situation nicht entspannt, sondern eher weiter verschärft. Wir haben zur Zeit zwar keine akuten Lieferschwierigkeiten, aber das Sortenproblem, Herr Staatssekretär, ist doch ziemlich durcheinandergeraten. Hinzukommt, daß die Versorgungslücke nur durch zunehmende Importe von US-Kohle geschlossen werden kann. 1955 haben wir, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, 7 Millionen t amerikanischer Kohle importiert - 1956 werden es wahrscheinlich 10 Millionen t sein -; das hat zu weiteren unliebsamen Konsequenzen in der Preisbildung geführt, die breite Verbraucherschichten auf das stärkste belasten.
Eine Verminderung der US-Kohlenimporte, die zu wünschen wäre, wird nach unserer Auffassung unter den gegebenen Verhältnissen nur dann möglich sein, wenn die deutsche Förderung kräftig gesteigert wird. Eine Steigerung der Förderung ist aber nur dann zu erwarten, wenn der Lohn des Bergmannes angemessen erhöht und seine Lage durch sonstige soziale Maßnahmen wesentlich verbessert wird, so daß sich genügend Arbeitskräfte diesem schweren Beruf widmen.
Wir fragen daher die Bundesregierung:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die dringend notwendige soziale Besserstellung des Bergmannes unter Vermeidung von Preiserhöhungen für Kohle sicherzustellen?
Ein weiterer Fragenkomplex, der dringend der Erörterung bedarf, betrifft das Verhältnis der Kohle zu ihren Konkurrenzprodukten. Heute zeichnet sich schon ein immer stärker werdender Wettbewerb mit dem Gas und dem Öl ab. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die zukünftige Stellung der Kohle in der Energieversorgung sehr wesentlich durch die Entwicklung der Atomwirtschaft beeinflußt werden wird. Die Organe der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl arbeiten seit längerer Zeit an der Festlegung allgemeiner Ziele für die Kohlewirtschaft. Wir fragen in diesem Zusammenhang:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, insbesondere welche Untersuchungen hat sie eingeleitet, um mit ausreichendem Material begründete eigene Vorstellungen über die Energiewirtschaft zu entwickeln?
Schließlich erfüllt uns ein weiterer Tatbestand in der Kohlewirtschaft mit einiger Sorge. Das sind
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die Gespräche, die in den letzten Wochen über die Möglichkeiten eines Verkaufs von Aktienpaketen großer Bergbauunternehmungen an das Ausland geführt worden sind. Unsere Sorgen gehen besonders nach der Richtung, daß durch eine derartige Effektentransaktion ausländische Interessentengruppen in die Lage versetzt werden, zunehmenden Einfluß auf die Gestaltung des deutschen Kohleabsatzes zu gewinnen. Wir befürchten hieraus weitere erhebliche Störungen für die deutsche Kohleversorgung.
Deshalb fragen wir:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß weitere Betriebe der Grundstoffindustrien unter ausländischen Einfluß geraten?
Ich möchte nun zu einigen grundsätzlichen Problemen der Kohlewirtschaft Stellung nehmen. Auf dem deutschen Kohlemarkt werden zur Zeit vier Sorten von Kohle gehandelt: einmal die deutsche Kohle zum deutschen Inlandspreis, zweitens Importkohle zum Weltmarktpreis, drittens Importkohle zum Weltmarktpreis, aber mit gewissen Frachterleichterungen, und viertens die sogenannte Heimkehrerkohle zu einem mehr oder minder manipulierten Preis.
Zu dem Sortenproblem im Absatz ist das Preis-Sortenproblem in der Beschaffung gekommen. Der mehrfach gespaltene Preis hat zu einem Preiswirrwarr geführt, der durch den Quotentausch z. B. zwischen der Stahlindustrie und den Kraftwerken an der Wasserkante sich ständig vertieft und vergrößert.
Die Preisverzerrungen, die sich aus dem gespaltenen Preis ergeben, sind marktpolitisch zu erklären: auf der einen Seite müssen wir an die Länder der Montanunion Kohlen zum Inlandspreis liefern, andererseits sind wir gezwungen, die entsprechenden Versorgungslücken durch US-Importe zu schließen.
Solange sich der Inlands- und der Weltmarktpreis auf annähernd gleicher Höhe bewegen, liegt darin kein ernstes Problem. Nachteilige Folgen für die deutsche Wirtschaft werden sich aber immer dann einstellen, wenn wie im gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltmarktpreis weit über dem Inlandspreis liegt. Der Schaden, der sich bei der heutigen Preissituation für die deutsche Wirtschaft ergibt, dürfte mit 250 Millionen Mark eher zu niedrig als zu hoch beziffert sein. Die Beträge werden sich erhöhen, wenn sich im Laufe des Jahres 1956 unsere USKohlenimporte weiter steigern sollten.
Es entzieht sich meiner Kenntnis, ob eine so einseitige Lastverschiebung von den Partnern der Montanunion bei Abschluß des Vertrages gewollt war, oder aber sagen wir, selbst wenn das nicht der Fall gewesen sein sollte, bleibt immerhin festzustellen, daß die Marktsituation, wie sie sich seit etwa einem Jahr entwickelt, bei Abschluß des Vertrages einfach nicht berücksichtigt worden ist. Dieser Tatbestand sollte - diese Bitte richte ich an Sie, Herr Staatssekretär Dr. Westrick - bei den Verhandlungen, die bei Ablauf der Übergangszeit des Montanvertrages notwendig werden, Berücksichtigung und Bereinigung finden.
Das gleiche gilt hinsichtlich der für uns so nachteiligen Bestimmungen des Montanvertrags, wonach die Länder der Montanunion zwar jederzeit berechtigt, aber in keinem Zeitpunkt verpflichtet
sind, ihren Kohlebedarf bei uns zu decken. Sie machen bei einer angespannten Versorgungslage von ihrem Recht in vollem Umfang Gebrauch; sie weichen aber bei einem reichlicheren Versorgungsangebot immer auf billigere Versorgungswege aus. Auch diese einseitige Besserstellung unserer Partner im Montanvertrag scheint mir dringend reformbedürftig zu sein.
Meine Damen und Herren, welche Konsequenzen ergeben sich für uns aus der gegenwärtigen Situation? Es scheinen sich drei Möglichkeiten anzubieten. Die erste Alternative ist, daß man die Versorgungsprobleme nach dem „Laissez faire" behandelt, wie es die Bundesregierung getan hat, daß man also überhaupt nichts tut.
Die zweite Alternative wäre die Errichtung einer zentralen Importstelle unter Einschaltung der Verbraucher. Sie wäre nach unserer Auffassung zweckmäßigerweise bei der Kohlenverkaufsorganisation zu errichten und hätte die Aufgabe, langfristige Lieferverträge abzuschließen und die hohen Importpreise herabzuschleusen.
Die dritte Möglichkeit schließlich wäre eine Verteilung von Importquoten an Verbrauchergruppen, um auf diese Weise unter Einschaltung von Ausgleichsmöglichkeiten zu einer angenäherten Preisentwicklung zu kommen.
Die erste Alternative, meine Damen und Herren, das „Laissez faire", scheidet nach unserer Meinung völlig aus. Sie hat sich als verfehlt erwiesen und hat uns die Preisverzerrungen beschert.
Bei der zweiten Alternative wäre zu prüfen, ob sie ohne Genehmigung der Hohen Behörde praktiziert werden könnte. Sollte eine Genehmigung erforderlich sein, dann sollte sich der Herr Bundeswirtschaftsminister tunlichst bald um eine solche Genehmigung bemühen.
Über die dritte Möglichkeit, die ich hier andeuten durfte, müßte noch eingehender gesprochen werden. Aber eines scheint uns dringend notwendig zu sein: daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet überhaupt etwas unternimmt, um den immer größer werdenden Preiswirrwarr zu beseitigen. Ich glaube, daß die bisher gezeigte Lethargie auf diesem Gebiet einfach nicht mehr zu ertragen ist.
Nun zu einem anderen Problemkreis: Erhaltung und Steigerung der Kohlenförderung; denn bei einer Ausweitung des Wirtschaftsvolumens ist auch mit einer Verschärfung der Versorgungslage auf dem Kohlenmarkt zu rechnen. Ich bin der Meinung, daß die wohl von uns allen für notwendig gehaltene Steigerung der Kohlenförderung in erster Linie ein arbeitsmarktpolitisches Problem ist. Die starke Fluktuation der Bergarbeiter hat im letzten Jahr unvermindert angehalten. Annähernd 14 000 Fachkräfte sind 1955 in benachbarte Industriezweige mit besseren Lohn- und besseren Arbeitsbedingungen abgewandert. Die teilweise recht massiven Methoden der Abwerbung lassen bei den einschlägigen Industriezweigen auf ein nicht immer hohes Maß von Einsicht in gesamtwirtschaftliche Notwendigkeiten schließen.
Daraus ergeben sich notwendig einige Konsequenzen. Wenn die Fluktuation im Bergbau künftig vermindert und neue Kräfte für den Bergbau gewonnen werden sollen, dann muß der Facharbeiterlohn im Bergbau wegen der Schwere und Gefährlichkeit des Berufes an der Spitze der Lohnskala stehen. Das ist eine Erkenntnis, die heute in vielen Kreisen geteilt wird.
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Wir begrüßen es in diesem Zusammenhang, daß zwischen den Sozialpartnern eine Einigung in der Lohnfrage erzielt wurde, eine Einigung, die eine Erhöhung der Löhne ab 15. Februar um 9 % vorsieht. Wir begrüßen es weiter, daß eine zusätzliche Erhöhung der Löhne in Aussicht genommen ist, in der Weise, daß eine Prämie je verfahrene Schicht gezahlt werden soll.
Das sind zwar eine Reihe von positiven Momenten. Aber, meine Damen und Herren, wir glauben, daß mit der Lohnpolitik allein die ausreichende Versorgung mit Arbeitskräften nicht zu erreichen ist. Sie muß nach unserer Auffassung durch eine Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen unterstützt und untermauert werden.
Zu diesen sozialpolitischen Maßnahmen gehört an erster Stelle die Einführung der Fünftagewoche bei vollem Lohnausgleich. Das ist eine Forderung, die die Gewerkschaften seit geraumer Zeit erheben. In den Vereinigten Staaten beispielsweise wird das seit Jahren mit Erfolg praktiziert. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß auch von der Hohen Behörde ernsthaft erwogen wird, die Einführung der Fünftagewoche allen Mitgliedstaaten zu empfehlen. Wir sind der Meinung, daß eine Vorleistung unsererseits auf diesem Gebiet für uns nur von Nutzen sein könnte.
Zu den sozialpolitischen Maßnahmen gehört weiter ein umfassendes Wohnungsbauprogramm. Im Bergbau fehlen heute noch 40 000 Wohnungen.
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- Ja, 30 000, aber wenn wir etwas in die Zukunft projizieren, können wir ruhig von einer etwas höheren Zahl ausgehen. Wir brauchen einen verbesserten Gesundheitsdienst, die Herabsetzung des pensionspflichtigen Alters für den Bergmann und vor allen Dingen, meine Damen und Herren, die Bekämpfung der Berufskrankheit im Bergbau, die wirksame Bekämpfung der Silikose. Ich kann wegen der Kürze der Zeit diese Maßnahmen nur andeutungsweise erwähnen. Wir werden aber bei einer späteren Aussprache auf alle diese Dinge ausführlicher zu sprechen kommen.
Ich möchte mich nun einem anderen Problem, der Kosten- und Preisfrage, zuwenden. Die Erhöhung der Bergarbeiterlöhne um 9 % bedeutet für den Bergbau eine Kostenerhöhung um 3 Mark je Tonne Absatz. Von einigen Kreisen des Ruhrbergbaues ist gefordert worden, den bequemsten Weg zu gehen und die Lohnerhöhung einfach über den Preis auf den Verbraucher abzuwälzen. Bei dieser Gelegenheit wollte man gleichzeitig einige Restbestände aus früheren Zusagen des Wirtschaftsministeriums bereinigen. Summa summarum haben sich diese Kreise hieraus eine Preiserhöhung von 6 Mark je Tonne Absatz errechnet.
Meine Damen und Herren, ich möchte gar keinen Zweifel darüber lassen, daß wir jede Erhöhung der Kohlenpreise bei der derzeitigen konjunkturpolitischen Situation für außerordentlich gefährlich halten. Die Wintermonate bringen gewöhnlich eine saisonale Entspannung in der konjunkturellen Lage. Trotzdem und trotz der Seelenmassage des Herrn Bundeswirtschaftsministers sind aber erst kürzlich wieder, und das scheint mir symptomatisch zu sein, einige Preissteigerungen erfolgt. Die Gefahr weiterer Preissteigerungen entsteht, wenn im Frühjahr die Baukonjunktur voll einsetzt und Rüstungsaufträge sich verstärkt bemerkbar machen sollten. Wenn in einer solchen Situation, im Zeitpunkt der Anspannung aller wirtschaftlichen Kräfte, der Kohlenpreis erhöht wird, dann kann diese Preiserhöhung das grüne Licht für eine Kette weiterer Preissteigerungen sein. Wir betrachten die Lage wirklich mit ernster Sorge und warnen nachdrücklich vor einer Erhöhung der Kohlenpreise im gegenwärtigen Zeitpunkt.
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Eine andere Frage ist, wie man einen Ausgleich für die Kostenerhöhung erzielen kann. Zunächst lehnen wir eine Abgeltung aller zusätzlichen Forderungen des Bergbaues ab, für deren Erfüllung frühere Zusagen vorliegen. Solche Forderungen nach Abgeltung haben nach unserer Auffassung keine Berechtigung, denn man kann nicht allgemein von einer Unrentabilität des gesamten Bergbaues sprechen. Hierfür einige Daten. Nach den jetzt vorliegenden Bilanzen des Jahres 1954 hat in diesem Jahr 1954 keine Bergbauunternehmung mit echtem Verlust gearbeitet. Es gibt zwar einige Gesellschaften, die keine Dividende verteilt haben; aber der überwiegende Teil der Unternehmungen hat im Durchschnitt eine Dividende von mehr als 5 % ausschütten können, und nahezu alle Gesellschaften haben außerdem von den Abschreibungsmöglichkeiten, die der § 36 des Investitionshilfegesetzes einräumt, Gebrauch machen können.
Noch ein weiteres Datum. Nach den von dem Unternehmensverb and durchgeführten Bilanzanalysen für das Jahr 1954 ergibt sich ein wirtschaftlicher Ertrag von 3,10 DM pro Tonne Kohle. Das war im Jahre 1954. Wie sieht es nun 1955 aus? Nach den Berechnungen des Ruhrbergbaues ergibt sich für die reinen Zechen, also ohne Berücksichtigung der weiterverarbeitenden Betriebe und der Nebenbetriebe, zwar eine Kostenunterdeckung von etwa 4,70 DM pro Tonne.
Aber diese Zahlen bedürfen betriebswirtschaftlich einer Korrektur.
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So enthält, wie sich aus den in der Presse veröffentlichten Berechnungen ergibt, die Kostenrechnung erstens einen kalkulatorischen Nettokapitaldienst von 6 DM je Tonne, zweitens überhöhte Abschreibungen von 0,80 DM je Tonne und drittens Lastenausgleichszahlungen, die nach dem Willen des Gesetzgebers aus den Erträgen, aber nicht vom Verbraucher geleistet werden sollen, von 0,40 DM je Tonne; alles in allem ergeben sich überhöhte Ansätze in Höhe von 7,20 DM je Tonne verwertbarer Förderung.
Wenn man die eingebauten Sicherheiten aus der kalkulatorischen Kostenrechnung herausnimmt, dann ergibt sich im Schnitt gesehen nicht etwa ein Betriebsverlust von 4,70 DM, sondern ein Betriebsgewinn von 2,50 DM je Tonne verwertbarer Kohle, d. h. auf den Absatz umgelegt ein Betriebsgewinn von 3 DM je Tonne. Damit bestätigt sich auch für 1955, was die Bilanzanalyse des Unternehmensverbandes für 1954 errechnet hat, im Schnitt ein Nutzen von 3 DM je Tonne Absatz.
Nun handelt es sich hierbei allerdings um eine Durchschnittsrechnung. Die Rentabilität ist nicht überall gleich. Es gibt - nicht bei den Unternehmungen, aber bei den reinen Zechenbetrieben - einige Betriebe, die mit Betriebsverlusten arbeiten. Es gibt auch Zechen, die in der reinen Kohlen({8})
förderung heute noch sehr ansehnliche Überschüsse abwerfen. Es dürfte in diesem Zusammenhang interessant sein, daß es Gesellschaften gibt, die Gewinne bis zu 15 DM je Tonne Kohle erzielen. Die unterschiedliche Rentabilität hängt in der Hauptsache mit den Gegebenheiten der Lagerstätten zusammen, so z. B. mit der Flözmächtigkeit, mit der Beschaffenheit der Kohle.
Um zu angenäherten Produktionsbedingungen zu kommen, wird von uns der Ausgleich zwischen Unternehmen mit günstigen und solchen mit ungünstigen bergbaulichen Verhältnissen vorgeschlagen.
Ich darf noch einmal ausdrücklich herausstellen, daß die derzeitige Kosten- und Ertragslage des Bergbaus keine Erhöhung des Kohlepreises rechtfertigt.
Wenn wir eine Erhöhung des Kohlepreises ablehnen, dann muß nach meiner Meinung die Kostensteigerung, die sich aus der bevorstehenden Lohnerhöhung ergibt, in irgendeiner Form ausgeglichen werden. Wir haben entsprechende Vorschläge zu diesem Thema gemacht. Über Einzelheiten wird im Ausschuß noch gesprochen werden müssen. Eine Ablehnung der Erhöhung des Kohlepreises, aber ein Ausgleich ,der Lohnerhöhung auf fiskalischem Wege scheint uns das Richtige, und ein solcher Ausgleich ist möglich.
Ich möchte mich nun einem dritten Problemkreis zuwenden. Ich bin der Meinung, daß es für den gesamten Bergbau einer umfassenden Untersuchung bedarf. Das gilt zunächst für die. Kosten-und Ertragslage, um ausreichende Anhaltspunkte für eine Preisbildung zu gewinnen. Das gilt aber nach unserer Auffassung in noch stärkerem Maße hinsichtlich der Möglichkeiten einer Produktivitätssteigerung. Außerdem müßte geprüft werden, welche Maßnahmen erforderlich sind, um die Kapazität des Bergbaus der Wirtschaftsentwicklung anzupassen.
Die strukturelle Entwicklung des Bergbaus ist einerseits von der Entwicklung der Energiewirtschaft, von der Rationalisierung der Kohleverwendung abhängig. Auf der anderen Seite wird sie durch die Entwicklung der Konkurrenzprodukte Öl und Gas und in absehbarer Zeit durch die Verwendung von Atomenergie in der gewerblichen Wirtschaft beeinflußt. Daß sich hieraus erhebliche Änderungen in der Struktur ergeben, scheint uns auf der Hand zu liegen.
Das hat auch die Hohe Behörde veranlaßt, bestimmte Untersuchungen und Erhebungen für langfristige Planungen einzuleiten. An diesen Erhebungen sollten wir - als der weitaus stärkste Kohlenproduzent in der Montanunion besonders interessiert sein, und wir hätten mit eigenen Vorschlägen die Aktion der Hohen Behörde unterstützen müssen. Es scheint mir eine vordringliche Aufgabe zu sein, Versäumnisse auf diesem Gebiet unbedingt wiedergutzumachen.
Die strukturellen Erhebungen sind deswegen so dringlich, weil sie uns wichtige Anhaltspunkte für die notwendigen Investitionen auf lange Sicht bringen werden, z. B. für das Abteufen neuer Schächte, die Zentralisierung von Schachtanlagen.
Zu dem Fragenkomplex der Produktivitätssteigerung gehören nach unserer Auffassung auch Untersuchungen über den Stand und die notwendigen Verbesserungen in der Mechanisierung unter and über Tage, in den Nebenbetrieben und in den
Betrieben der Weiterverarbeitung. Zahlreiche Kraftwerke sind heute überaltert. Der Kohleeinsatz je Kilowattstunde ist teilweise erstaunlich unwirtschaftlich. In der Modernisierung der Nebenbetriebe und der Weiterverarbeitung dürfte eine bedeutende Rentabilitätsreserve für den deutschen Bergbau liegen. Wenn im Zechenselbstverbrauch nur 10 % Kohle durch verbesserte Anlagen eingespart werden können, so bedeutet das für die deutsche Wirtschaft zusätzlich die Verfügbarkeit von mehr als einer Million Tonnen.
Die Maßnahmen, die zur Steigerung der Produktivität und zur Kapazitätserhaltung notwendig sind, erfordern in ihrer Gesamtheit einen so erheblichen finanziellen Aufwand, daß der Bergbau aus seinen eigenen Mitteln ein solches Programm nicht finanzieren kann. Die Finanzierung erheblicher Investitionen über den Preis ist nach unserer Auffassung völlig indiskutabel. Deswegen wird der Bund in wesentlich stärkerem Umfang als bisher dem Bergbau finanzielle Hilfe gewähren müssen. Die Mittel müssen, wenn sie als Kredit gegeben werden, langfristig zur Verfügung stehen. Sie dürfen nur niedrig verzinslich sein. Bei einer Heranziehung des Kapitalmarkts käme eine Hilfe des Bundes in Form von Zinszuschüssen und in Form von Bundesbürgschaften in Betracht. Die Bürgschaftsübernahme ist ein altes Anliegen der SPD; sie ist im Bergbau bei einigen Gesellschaften, wenn auch bisher in sehr bescheidenem Umfang, mit Erfolg praktiziert worden.
Meine Damen und Herren, der gesamte Komplex der Untersuchungen stellt ein so umfassendes Arbeitsprogramm dar, daß die Heranziehung verschiedener Sachverständigengruppen erforderlich werden wird. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, eine allgemeine Enquête über den gesamten Kohlenbergbau zu veranstalten. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist vorbereitet und wird dem Hohen Hause in den nächsten Tagen zugeleitet werden. Der Bergbau ist unser wichtigster Rohstofflieferant mit einem Umsatz - einschließlich der Nebenbetriebe - von jährlich etwa 10 Milliarden Mark, mit einer Beschäftigtenzahl von über 600 000 Menschen und mit erheblichen Rentabilitätsreserven, die im Interesse der Wirtschaft erschlossen werden sollten. Das sollte eine derartige Untersuchung rechtfertigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß meiner Begründung den Standpunkt meiner Fraktion zur Kohlenwirtschaft kurz zusammenfassen. Wir Sozialdemokraten lehnen im gegenwärtigen Zeitpunkt aus konjunkturpolitischen Gründen eine Preiserhöhung für Kohle ab. Wir sind der Meinung, daß der Ausgleich für die Lohnerhöhung durch fiskalische Maßnahmen gefunden werden kann. Um die Fluktuation zu verhindern und neue Kräfte für den Bergbau zu gewinnen, befürworten wir die soziale Besserstellung des Bergmanns. Wir bejahen die Notwendigkeit einer Modernisierung der Betriebe. Wir befürworten den Einsatz von Bundesmitteln für langfristige Investitionen. Wir halten eine Enquête für den Kohlenbergbau und seine Veredelungsbetriebe für dringend erforderlich. Wir sind der Meinung, daß die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen für eine Gesundung des Ruhrbergbaus und eine Normalisierung der Kohlenwirtschaft unentbehrlich sind.
Nun noch ein Wort zu unseren Bergarbeitern. Im Bergbau - das sollte uns immer wieder zu denken geben - bestehen Arbeitsverhältnisse, wie sie dem arbeitenden Menschen heute normalerweise nicht
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mehr zugemutet werden. Täglich hat der Bergmann seine schwere und gefährliche Arbeit ohne Tageslicht, ohne normale Frischluft, unter unnatürlich hohen Temperaturen und bei einem starken Verschmutzungsgrad zu verrichten. Seit Monaten ist bekannt, daß etwas geschehen muß, um dem Bergmann zu helfen. Wir betrachten es als einen Erfolg unserer Initiative, daß die Bundesregierung - wie wir hoffen, Herr Staatssekretär, ernstlich und wirksam - gewisse Maßnahmen ergreifen will. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß dem Bergarbeiter die Lohnerhöhung für den 15. Februar dieses Jahres in Aussicht gestellt worden ist. Wir erwarten von Ihnen, Herr Staatssekretär, eine Antwort auf die Frage, ob diese Maßnahme noch rechtzeitig bis zu dem zugesagten Termin durchgeführt werden kann.
({10})
Meine Damen
und Herren, Sie haben die Begründung der Großen
Anfrage der Fraktion der SPD gehört. Wir sind
übereingekommen, daß wir nun zunächst nicht die
Antwort hören, sondern erst die Begründung des
Antrags der Fraktion der CDU/CSU zu Punkt 1 c:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/
CSU betreffend Hilfsmaßnahmen und Entwicklungsprogramm für den Steinkohlenund Pechkohlenbergbau ({0}).
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Dr. Friedensburg ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem strahlenden Glanz unseres Wirtschaftswunders wirkt es ein wenig merkwürdig, daß es in dem sonst so erfolgreichen Bilde dunkle Stellen geben soll. Es muß vor der Öffentlichkeit, es muß aber auch vor der Regierung und dem Hohen Hause näher begründet werden, weshalb wir uns entschlossen haben, von einer Notlage eines großen, wichtigen Wirtschaftszweiges zu sprechen und von der Notwendigkeit, dieser Notlage abzuhelfen. Wir haben uns gewöhnt, das Wort „Not" in der Regel mit dem Begriff der kleinen Leute in der Wirtschaft zu verknüpfen, der Bauern, der Handwerker, der kleinen Mittelständler. Aber daß dieser mächtige, imponierende Wirtschaftszweig, als den wir die Kohlenwirtschaft doch kennen, notleidend sein soll, will uns nicht recht eingehen. Ich möchte deshalb ein paar Angaben hierzu machen, gerade auch, weil die Ausführungen meines Herrn Vorredners, des verehrten Kollegen B1 e i ß, vielleicht doch in dem einen oder anderen Punkte mißdeutet oder mißverstanden werden können.
Das äußere Kennzeichen der Schwierigkeiten, in die die Kohlenwirtschaft geraten ist, ist das Zurückbleiben der Produktion. Wir haben in Deutschland im Jahre 1955 einen allgemeinen Produktionsindex von 204 gegenüber 1936 erreicht. Unsere allgemeine Industrie also hat ihre Produktion reichlich verdoppelt. Der Steinkohlenwirtschaft ist es nur gelungen, auf einen Index von 112 zu kommen. Derjenige Wirtschaftszweig also, der doch eigentlich notwendig ist, um den ganzen Körper der deutschen Wirtschaft mit Nahrung zu erfüllen, hat gegenüber der allgemeinen Entwicklung so weit zurückbleiben müssen. Auch wenn wir nichts weiter wissen als diese beiden Zahlen, müssen wir zu der Überzeugung kommen: da ist etwas nicht in Ordnung, da müssen sich Regierung und Volksvertretungen zusammenfinden, um an diesem Zustand etwas zu ändern.
Vielleicht noch ernster ist aber eine andere Zahl. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich einige Zahlen nenne; aber mit Worten läßt sich trefflich streiten; es ist besser, man sagt mit klaren Zahlen, um was es sich handelt. Die Produktivität, d. h. die Wertschöpfung je Kopf des Beschäftigten, hat in der deutschen Industrie im Jahre 1955 gegenüber der Vorkriegszeit einen Stand von 127 % erreicht. Das heißt, je Kopf des Beschäftigten erzeugt die deutsche Industrie heute Werte, die um ein Viertel höher liegen als vor dem Kriege; eine wundervolle, hoch anerkennenswerte Leistung, die uns nur Respekt vor allen Beteiligten, den Arbeitern, den Ingenieuren und den Kaufleuten, abnötigt. Der Kohlenbergbau hat nur einen Index von 73 % erreicht. Also ebenso viel, wie die allgemeine Industrie über den Vorkriegsstand hinausgelangt ist, ist der Kohlenbergbau zurückgeblieben.
Ich glaube, wer sich mit volkswirtschaftlichen Zusammenhängen beschäftigt, wird geradezu erschrocken sein, wenn er die Bedeutung dieser Zahlen auf sich wirken läßt.
Und nun ein Wort zur Rentabilität. Herr Kollegen Bleiß hat ja viel Zeit darauf verwendet, nachzuweisen, daß es mit der Rentabilität gar nicht so schlimm stehe. Ich habe die Bilanzen und die Gewinn- und Verlustrechnungen der Aktiengesellschaften für das Jahr 1954 - für 1955 liegen sie noch nicht vor - nachprüfen lassen, und, Herr Kollege Bleiß, ich habe ermittelt, daß die Aktiengesellschaften, die im Kohlenbergbau tätig sind, im Jahre 1954 eine Rendite von 2,05N, also wenig mehr als 2 %, im Durchschnitt erzielt haben. Das ist völlig unzureichend angesichts der Notwendigkeit, Kapital für diesen Bergbau zu interessieren. Wer sich das einmal klarmacht, wer namentlich auch die Zahlen aus der Vorkriegszeit in Erinnerung hat, auch die wesentlich günstigeren Zahlen im Durchschnitt der deutschen Industrie, der kann erkennen, daß da von einer gesunden Rentabilitätslage einfach nicht gesprochen werden kann.
Eine so unverfängliche, so neutrale Stelle wie die Hohe Behörde in Luxemburg, die sich ja außerordentlich bemüht, sich nicht als Interessentenvertreter der einen oder der anderen Seite aufzufassen, hat ja nachgewiesen - die von Kollegen Bleiß genannten Zahlen sind von der Hohen Behörde ermittelt und von ihr bestätigt worden -, daß der deutsche Steinkohlenbergbau in seinem Ertrage um 4,50 bis 5 Mark je Tonne hinter dem Ertrage zurückbleibt, der erforderlich wäre, um neues Kapital zu interessieren, also wenigstens 4 % für das investierte Kapital im ganzen zu zahlen.
({2})
- Das ist kalkulatorisch gemacht worden. ({3})
- Kollege Bleiß, wir werden darüber ja im Wirtschaftspolitischen Ausschuß sprechen können. Ich gebe nur die amtlichen Zahlen wieder und kann nur sagen, daß, soviel ich weiß, sowohl das Wirtschaftsministerium wie auch ich selbst diese Zahlen als richtig anerkennen können.
Auf der sozialen Seite sehen wir, daß sich die Bergleute nicht mehr finden, die zur Steigerung der Kohlenförderung notwendig sind. Der deutsche Steinkohlenbergbau hat in den letzten Jahren einen Schwund von 17 000 Personen erlitten. Die Förderung hätte also wesentlich höher sein können. Dabei gilt heute noch die Tatsache, daß der Berg({4})
mann mit seinem Lohn verhältnismäßig günstig dasteht. Das ist ein sehr ernstes allgemeines, ich möchte beinahe sagen, kulturelles Problem. Die Menschen scheuen es immer mehr, sich dem Schmutz, dem Schweiß und den Gefahren eines Berufs auszusetzen, wenn sie für das gleiche oder nahezu das gleiche Geld in Berufen tätig sein können, in denen sie einen weißen Kragen anbehalten können. Das ist nun einmal eine allgemeine Erscheinung der modernen Zivilisation, die uns sehr ernst stimmen und jedenfalls veranlassen muß, den Beruf des Bergmannes mit besonderen Anreizmitteln zu versehen, damit er in der Lage bleibt, die Aufgaben zu erfüllen, von denen wir ihn gar nicht entbinden können, wenn wir unsere Wirtschaftsleistung weiter steigern wollen.
Eine besonders schmerzliche Erscheinung der Lage unseres Steinkohlenbergbaues ist aber die Notwendigkeit, fremde Kohle zu überhöhten Preisen einzuführen, übrigens auch ein Zeichen, daß da volkswirtschaftlich etwas nicht in Ordnung ist. Die amerikanische Kohle, die wir in steigenden Mengen hereinnehmen müssen, kommt je Tonne ungefähr um 40 DM teurer als unsere inländische Kohle, und es würde eine unerhörte Belastung für die deutsche Wirtschaft sein, wenn sich das weiter steigern sollte. Das bedeutet, auf 10 Millionen Tonnen umgerechnet, die wir in diesem Jahre einführen sollen, eine Belastung des deutschen Außenhandels mit rund einer Milliarde DM. Meine Damen und Herren, eine Milliarde DM werden wir im Jahre 1956 ausgeben müssen, um unsere Kohlenversorgung durch Zukauf amerikanischer Kohle überhaupt in Ordnung zu halten.
Das wäre noch begreiflich und vielleicht verantwortbar, wenn wir keine Kohle hätten. Aber wir haben die Kohle doch im deutschen Boden. Deutschland ist eins der kohlereichsten Länder, meiner Überzeugung nach, auf die Fläche gerechnet, vierleicht sogar das kohlereichste Land der Erde. Die Milliarden Tonnen, die auf Hunderte von Jahren hinaus unsere Versorgung sicherstellen können, liegen noch unter der Erde. Es ist auch keineswegs so, daß die Kohle etwa besonders ungünstig gelagert sei. Ich kenne die meisten in Frage kommenden Kohlenreviere aus eigener Anschauung sehr gut. Deutschland kann wenigstens sagen, daß es im Durchschnitt der übrigen Länder steht; meiner Ansicht nach steht es sogar besser als die meisten anderen europäischen Länder, von Großbritannien vielleicht abgesehen. Es ist also an sich gar kein Grund erkennbar, warum der Bergbau in diese verhängnisvolle Situation gekommen ist, daß seine Förderung nicht mehr ausreicht, die deutsche Versorgung sicherzustellen.
({5})
Was ist der Grund? Der Grund ist, wie man sich das ja ohne weiteres denken kann, wirtschaftlicher Natur. An den Bergbau sind dauernd neue Anforderungen gestellt worden. Wir haben es von Herrn Kollegen Bleiß ja sehr anschaulich gehört, daß eine neue Lohnsteigerung um 3 DM je Tonne bevorsteht. Der Bergbau kann nicht wie jeder andere Wirtschaftszweig auf die beiden sonst gegebenen Möglichkeiten ausweichen, nämlich die Steigerung der Produktivität oder die Steigerung des Preises. Das ist der Weg, auf dem sonst eine Industrie steigende Kosten abfangen kann. Eine Produktivitätssteigerung ist angesichts der besonderen Verhältnisse im Bergbau unter Tage nicht möglich oder wenigstens nur in sehr langen Zeiträumen und nur mit verhältnismäßig geringen Fortschritten. Es ist nicht einfach möglich, zu sagen: am 15. Februar werden die Lohnkosten um etwa 3 DM je Tonne gesteigert, und das wird durch entsprechende Steigerung der Produktivität abgefangen. Preiserhöhungen will Herr Bleiß aber auch nicht. Es bleibt also nur übrig, daß der Bergbau in eine ungünstigere Lage kommt, und da ergeht nun in der Tat der Ruf an die Regierung: Entweder nimmt man den Bergbau aus dieser Situation heraus, d. h. man gibt ihm die Möglichkeit, sich im Rahmen der freien, sozialen Marktwirtschaft so zu betätigen, wie es jeder andere tut. Oder aber, wenn die Regierung das aus wahrscheinlich sehr wohlerwogenen Gründen nicht verantworten zu können glaubt, ist sie verpflichtet, dafür zu sorgen, daß diese Sonderlasten dem Bergbau abgenommen werden. Man kann dem Bergbau im Interesse der Allgemeinheit nicht immer neue Lasten auferlegen in dem vollen Bewußtsein, daß er sich selber nicht helfen kann, und dann sagen: Der Bergbau soll selber sehen, wie er die Konsequenz trägt. Ich glaube, Herr Kollege Bleiß, da reicht es dann nicht aus, wenn es auch sehr schön ist, hier zu erklären: Wir wollen keine Kohlenpreiserhöhungen, aber wir wollen höhere Löhne; und über das, was zu geschehen hat, wollen wir nachher im Wirtschaftspolitischen Ausschuß sprechen. Das scheint mir nicht ganz ausreichend zu sein. Da würden meine Freunde sich doch für verpflichtet halten, heute etwas klarere und präzisere Forderungen zu stellen.
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- Sie werden meine Vorschläge auch gleich hören.
Ich möchte noch über die besonderen Gründe der geringen Elastizität des Bergbaus sprechen. Der Bergbau verfügt im großen und ganzen über weit überalterte Anlagen. Dem nicht im Bergbau Tätigen wird es vielleicht geradezu grotesk erscheinen, daß das Durchschnittsalter der deutschen Steinkohlengruben 77 Jahre beträgt und daß reichlich 90 % der deutschen Steinkohlengruben vor Beginn des ersten Weltkriegs angelegt worden sind. Wenn man sich einmal die unerhörte Entwicklung, die die Technik seitdem genommen hat, vor Augen hält, ist es geradezu - ich wiederhole es - grotesk, sich vorzustellen, daß der Bergbau unter solchen Umständen seinen Platz in der modernen Wirtschaft behaupten soll.
Die Konkurrenz mit den anderen Energieträgern ist einstweilen noch nicht so ernst. Ich erwähne nur am Rande, daß das Heizöl, das heute sehr stark genannt wird, in Deutschland im Jahre 1955 einen Verbrauch von ganzen 2 Millionen t gehabt hat. Das ist jedenfalls gegenüber dem Kohlenverbrauch nicht so wesentlich, daß davon eine Einengung der Entwicklungsmöglichkeiten des Steinkohlenbergbaus abgeleitet werden könnte.
Ich glaube auch nicht, daß die Atomenergie in absehbarer Zeit für unseren Steinkohlenbergbau eine ernsthaft gefährliche Konkurrenz bedeuten wird. Es ist notwendig das zu sagen, weil viele Leute meinen: Was kümmert Ihr euch denn so viel um den Steinkohlenbergbau?! In kurzer Zeit wird kein Mensch mehr unter Tage arbeiten wollen. Die Leistung wird uns eines Tages ein schöner Kernreaktor abnehmen. - Wir wissen heute noch immer nicht, was wir mit dem sogenannten Atommüll tun sollen. Die phantastischen Pläne, ihn nach dem Mond zu schießen oder ihn in den Weltraum oder sonst irgendwie hinauszubefördern, scheinen mir nicht recht realisierbar zu sein. In wirtschaftlicher Hinsicht ist heute noch in gar keiner Weise
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ein Vergleich mit der Kohlenenergie gegeben. Die Zahlen für die Kilowattstunde liegen in Höhe des Mehrfachen dessen, was die Kilowattstunde aus der Braunkohle und aus der Steinkohle kostet. Endlich - das darf ich als Fachmann sagen - scheint mir die Frage der Rohstoffversorgung, die noch immer in einem gewissen Umfang nötig sein wird, keineswegs so günstig zu liegen, wie man annimmt. Jedenfalls würden wir in Deutschland sehr unklug handeln, wenn wir im Vertrauen auf eine später einmal einsetzende Atomenergieversorgung nun das, was wir in der Hand haben, nicht die Spatzen in der Hand, sondern die Taube in der Hand, etwa verhungern lassen wollten, weil wir hoffen, uns irgendwann einmal auf irgendeinem anderen Weg helfen zu können.
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- Nein, keineswegs; ich möchte mich ausdrücklich dazu bekennen, daß wir uns auf dem Gebiet der Kernenergie sehr wohl bemühen sollten, mit der Entwicklung anderer Länder Schritt zu halten. In England, aber auch in Amerika hat man allerlei eingeleitet, und es wäre ein Jammer, wenn sich Deutschland, das auf dem entsprechenden wissenschaftlichen Forschungsgebiet eine solche Bedeutung gehabt hat, in der tatsächlichen Ausnutzung ausschalten lassen wollte. Ich würde nur nicht empfehlen, Herr Kollege Bleiß, daß wir in der einstweilen noch recht vagen Hoffnung, im Wege der Atomernergieausnutzung zu wirtschaftlichen Kraftanlagen zu kommen, heute die Maßnahmen versäumen, die zur Sicherung der Wirtschaftlichkeit unseres Kohlenbergbaus unentbehrlich sind.
Abg. Dr. Bleiß: Das hat auch kein Mensch
verlangt!)
- Nein, das behaupte ich auch nicht, Herr Kollege Bleiß. Ich möchte es nur einmal gesagt haben. Es gibt aber in der öffentlichen Meinung gelegentlich solche Stimmen. Entschuldigen Sie, Herr Kollege Bleiß, ich habe mich nicht gegen Sie gewandt, sondern ich spreche ganz allgemein.
Ich bin sogar entschieden der Ansicht, daß unsere Regierung und vielleicht auch wir hier im Hause ganz andere Anstrengungen darauf richten sollten, als es in den letzten Jahren geschehen ist; Deutschlands Anteil an der Entwicklung der Ausnutzung der Atomenergie zu sichern. Aber ebenso entschieden wünsche ich, daß man deshalb nicht den Kohlenbergbau vernachlässigt, ganz abgesehen davon, daß wir den Kohlenbergbau besitzen, das ist unser eigen. Die ganze standortmäßige Entwicklung der deutschen Wirtschaft beruht ja auf der Kohle, und wenn erst einmal die Atomenergie eingeführt sein wird, dann werden Standortverschiebungen in einem Ausmaß eintreten, bezüglich deren unsere volkswirtschaftliche Phantasie versagt, die jedenfalls nicht zugunsten unseres Landes und unserer Arbeiterschaft gehen werden. Auch das ist ein Umstand, den wir uns recht wohl vor Augen halten wollen.
Die Gründe für das Zurückbleiben des Steinkohlenbergbaus liegen ferner in der völlig unzureichenden Kapitalausstattung. Nach den Ermittlungen des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu Berlin hat der Steinkohlenbergbau im Jahre 1954 je Beschäftigten 1760 DM investiert, die Eisenindustrie 3850 DM, also mehr als das doppelte. Ich will Sie hier nicht mit den anderen
Zahlen aufhalten. Jedenfalls steht der Steinkohlenbergbau auf der untersten Sprosse der Leiter, und alle anderen Wirtschaftszweige stehen darüber. Da kann es einen nicht wundern, daß der Bergbau in seiner Produktionsentwicklung zurückbleibt und daß die Anlagen überaltert sind. Wir können rechnen, daß bei der jetzigen Kohlenförderung jedes Jahr im Durchschnitt etwa anderthalb Grubenfelder im deutschen Bergbau erschöpft sind. Tatsächlich sind seit 1938 statt 24, wie sich bei Ausrechnung ergeben müßte, im ganzen 5 neue Gruben in Förderung gekommen. Unser Bergbau ist durch diese schlechte Kapitalausstattung - das ist auch ein dringendes Anliegen, das wir der Regierung vortragen müssen - hoffnungslos zurückgeblieben.
Nicht unerwähnt möchte ich auch lassen, daß der Bergbau, und zwar gerade der Ruhrbergbau, von dem wir hauptsächlich sprechen, durch die Entwicklung der Entflechtung und der Dekartellisierung in recht erhebliche Schwierigkeiten gekommen ist. Es ist ein peinliches Gefühl, daß der Wirtschaftszweig, der uns solche Sorge macht, auch noch ein Hauptopfer der politischen Entwicklung des letzten Jahrzehnts gewesen ist. Es wäre vielleicht doch Zeit, Herr Staatssekretär Westrick, einmal zu überlegen, ob nicht das eine oder das andere, was politisch und in der öffentlichen Meinung längst als überholt und gegenstandslos erscheint - ich denke etwa an die Verkaufsverbote gegenüber einigen großen deutschen Unternehmen des Ruhrgebiets -, endlich einmal in friedlichem Einvernehmen mit den Vertragspartnern beseitigt werden kann. Das mag für unser Problem zunächst nicht allzu wichtig sein, aber es ist doch ein Schatten, es ist eine Fessel, die gerade auch auf dem deutschen Kohlenbergbau liegt. Es wäre deshalb gut, wenn diese psychologischen Schwierigkeiten für eine gesunde Vorwärtsentwicklung recht bald beseitigt würden.
Wir sehen jedenfalls: der Kohlenbergbau ist ein Stiefkind der sozialen Marktwirtschaft. Er hat nicht die Möglichkeit, sich der Vorteile der sozialen Marktwirtschaft zu bedienen, und er hat dafür den Nachteil, die Konkurrenz im Raume der Montanunion bestehen zu müssen. Aus dieser außerordentlich peinlichen Situation müßte die Regierung ihn allmählich herausheben. Es ist, volkswirtschaftlich betrachtet, eine unmögliche Zumutung an einen Wirtschaftszweig, unter solchen Umständen seine Pflicht zu erfüllen.
Sie wissen, daß ich als ein völlig unabhängiger Mann zu diesen Dingen stehe. Nicht etwa als Vertreter des Bergbaus, sondern als Wirtschaftsfachmann bin ich nur erstaunt, daß es dem Bergbau überhaupt gelungen ist, in einer im Grunde so unhaltbaren Zwangslage seine Aufgaben noch einigermaßen erfolgreich zu erfüllen.
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- Das ist eine Frage für sich. Ich bin sehr im Zweifel, ob der Bergbau mit seiner geringen Elastizität, mit der Langfristigkeit aller seiner Maßnahmen nicht überhaupt, ähnlich wie die Landwirtschaft, aus den Gesetzen der sozialen Marktwirtschaft herausgenommen werden sollte. Ich kann mir nicht gut denken, daß das auf die Dauer geht.
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- Wenn Sie die Güte haben, - wir wollen hier nicht Zwiegespräche führen. Die Zeit ist leider fortgeschritten. Es reizt mich sehr, darauf einzugehen; aber ich möchte das im Augenblick vermeiden.
Für die Lösung, auf die unsere Herren Kollegen von links wiederholt gedrängt haben, müssen wir meiner Ansicht nach klar unterscheiden die Sofortmaßnahmen von denen, die langfristig getroffen werden müssen. Der Antrag meiner politischen Freunde sieht ja auch eine solche klare systematische Unterscheidung vor.
Der Kollege Bleiß hat sehr energisch eine Preiserhöhung abgelehnt. Ja, Herr Kollege Bleiß, kann man es verantworten, dem Bergbau, also einem Zweig, dessen Zurückbleiben in der allgemeinen Entwicklung von niemandem bestritten werden kann und dem wir gerade im Begriffe sind, durch die Lohnerhöhung neue Lasten aufzuerlegen, zu sagen: Deine Preise darfst du nicht erhöhen?! Das ist meiner Ansicht nach nicht zu verantworten. Ich bin als Wirtschaftswissenschaftler auch nicht davon überzeugt, daß eine mäßige Preiserhöhung um 2 oder 3 Mark ernsthaft das Preisgefüge erschüttern oder beeinträchtigen könnte. Ich glaube, daß eine solche Erhöhung ernsthaft in Erwägung gezogen werden sollte.
Ferner sind meiner Ansicht nach steuerlich sehr wohl Möglichkeiten gegeben. Der Herr Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums ist ja hier. Es gibt gewisse Bestimmungen unseres Steuerrechts, die der Sondersituation des Bergbaus nicht gerecht werden. Namentlich die Abschreibung der unterirdischen Anlagen ist durchaus betriebsfremd geregelt. Hier wären wesentliche Änderungen, die auch zu einer finanziellen Erleichterung des Bergbaus führen könnten, durchzuführen, und zwar sehr kurzfristig.
Die großen sozialen Lasten, die auf dem Bergbau liegen, werden von uns allen anerkannt und sie werden - ich glaube das auch dem Kollegen Bleiß sagen zu können - gern getragen. Aber soweit sie das tragbare Maß überschreiten, wird man angesichts der allgemeinen Bedeutung der Kohlenwirtschaft von der Bundesregierung erwarten können, daß sie zur Tragung dieser Lasten beiträgt.
Endlich hat Kollege Bleiß einen Ausgleich zwischen den hochverdienenden Zechen - die es ja Gott sei Dank immer noch in einzelnen Fällen gibt - und den weniger gut verdienenden vorgeschlagen. Wir möchten diesen Weg nur sehr ungern beschreiten, Herr Kollege Bleiß. Wir fürchten, daß dabei der Staatsinterventionismus - um nicht gleich von Sozialisierung zu sprechen - eine zu große Betätigungsmöglichkeit gegenüber einem Wirtschaftszweig erhält, dessen großartige Entwicklung im letzten Jahrhundert doch auf der freien Betätigung der Unternehmerinitiative beruht hat. Wir sehen in England und auch in Frankreich, daß sie durch die Staatsinitiative nicht wirksam ersetzt werden kann. Es ist ein sehr gefährliches Mittel, nun noch die letzte Freudigkeit des Unternehmers, seinen Betrieb voranzubringen, dadurch zu beseitigen, daß man sagt: Wenn du künftig besser verdienst, mußt du natürlich davon dem anderen weniger Tüchtigen und weniger gut Verdienenden abgeben. Das möchten wir nicht gerne haben.
Aber wir sind uns wohl alle einig, daß die Maßnahmen sehr dringlich sind und daß mit ihnen nicht gewartet werden kann. Wir haben nicht ohne Grund darauf bestanden, daß diese Debatte heute noch in so später Stunde stattfindet. Es muß bald gehandelt werden, weil, wie wir hören, am 15. Februar eine neue Mehrbelastung des Bergbaus eintreten soll. Aber ich glaube, wir sind uns alle mit der Bundesregierung einig, daß damit eine wirkliche Lösung des Problems des deutschen Kohlenbergbaus nicht gefunden wird, sondern daß es sich hier nur um die Beseitigung der augenblicklichen Notlage handelt, daß darüber hinaus weitergehende und viel umfangreichere Maßnahmen notwendig sind. Ob dazu, Kollege Bleiß, eine neue Enquete erforderlich ist, müssen wir überlegen. Ich will dem nicht von vornherein widersprechen, aber ich habe Sorge davor, daß man, wenn wir eine Enquete machen, glaubt, man habe ja einstweilen Zeit, man wolle einmal auf die Ergebnisse warten, die die Enquete bringt. Eine solche Enquete wird nach allen Erfahrungen einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren erfordern. Außerdem sind - und ich glaube davon etwas zu verstehen - unklare Tatbestände eigentlich gar nicht gegeben. Wir wissen, um was es sich handelt. Was soll denn wirklich bei einer Enquete noch herauskommen? Das, was noch geklärt werden muß, werden wir - ich glaube, da werden wir gern und vertrauensvoll zusammenarbeiten - in den Ausschüssen dieses Hauses fertigbringen. Dergleichen Aufgaben nimmt sich übrigens die Hohe Behörde in Luxemburg bereits mit großer Energie und großer Sorgfalt an. Also so dringend scheint mir eine Enquete nicht zu sein. Wenn Sie so entscheidenden Wert darauf legen und glauben, aus dem einen oder anderen Grund - den Sie noch anführen müssen - darauf bestehen zu sollen, will ich nicht widersprechen. Ich habe mich mit meinen politischen Freunden darüber noch nicht geeinigt. Aber ich möchte dringend davor warnen, etwa im Vertrauen auf ein irgendwann zu erwartendes Enquete-Ergebnis das heute bereits dringend erförderlich gewordene Entwicklungsprogramm aufzuschieben.
({12})
- Sie sind uns leider das Sofortprogramm noch schuldig geblieben. Ich freue mich aber, daß auch Sie das Sofortprogramm haben wollen. Aber vielleicht wäre es auch nicht gut, wenn wir die Verpflichtung, die wir der Bundesregierung auferlegen wollen, uns ein langfristiges Entwicklungsprogramm vorzulegen, damit lockerten, daß zunächst das Ergebnis des Enquete-Ausschusses abgewartet wird. Ich glaube, die Situation im Kohlenbergbau ist so klar, daß wir schon heute erkennen können, welche Maßnahmen notwendig sind - Sie haben es zum Teil selber angedeutet -, und daß wir uns über die Notwendigkeit sowie über die Durchführung eines langfristigen Programms einigen können.
Vor allen Dingen geht es um die Beschaffung der Investitionsmittel. Da kann ich dem Kollegen Bleiß nur zustimmen. Weiter muß die Rentabilität durch eine ganz andere und womöglich etwas radikalere Preispolitik wiederhergestellt werden. Es wird auch notwendig sein - ich möchte da einmal an den Bergbau eine Mahnung richten -, daß der Bergbau sich etwas mehr um die öffentliche Meinung kümmert als bisher.
({13})
({14})
Die öffentliche Meinung ist über den Bergbau herzlich schlecht unterrichtet. Das ist so ein Beruf, der sich im Dunkeln abspielt, von dem sich der durchschnittlich Gebildete im Grunde gar keine rechte Vorstellung machen kann.
({15})
Die Forderungen des Bergbaus, und zwar der Arbeiterschaft und der Unternehmerschaft, sind in der Öffentlichkeit einstweilen nicht ausreichend begründet. Es wird gut sein, wenn sich der Bergbau dieser Notwendigkeit für die Zukunft sehr viel stärker bewußt wird.
In diesen Zusammenhang würde auch eine bessere Nachwuchswerbung gehören. Wir müssen uns Mühe geben, den Bergmannsberuf noch als einen eigentlichen Beruf, nicht bloß als einen Notbehelf für jemanden, der nichts Besseres zu tun hat, als einen eigentlich schönen Beruf im Sinne einer Berufung, unseren jungen Deutschen anziehend zu machen. Das ist sicherlich auch auf materiellem, vielleicht sogar überwiegend auf materiellem Wege nötig. Dazu gehört aber auch eine - ({16})
- Schön. Ich sage ja: Dazu gehört auch eine soziale Besserstellung. Sozial möchte ich nicht ohne weiteres mit „materiell" identifizieren. Dazu gehört eine soziale Besserstellung neben der materiellen. Dazu gehört aber auch ein besseres Wissen des jungen Deutschen um die Notwendigkeit des Bergbaus und auch um die Werte, die im Bergbau stecken. Ich glaube, daß diejenigen unter uns, die den Bergbau kennen, es gar nicht für so schrecklich halten, einmal im Dunkeln zu arbeiten. Ich muß sagen, wenn ich als reichlich älterer Herr heute noch einmal in die Grube komme, fühle ich mich da eigentlich so zu Hause wie sonst kaum irgendwo.
({17})
- Jawohl, ich habe auch Kohle gehackt, mein lieber Kollege Bleiß, und ich habe meinen Schichtlohn mühsam herausgehackt. Ich weiß, wie dem Bergmann zumute ist.
Meine Damen und Herren, wir wollen in dieser Stunde keine Zeit verlieren. Jedenfalls möchte ich für meine politischen Freunde versichern, daß wir uns der Dringlichkeit dieser Maßnahmen durchaus bewußt sind, und unsere Bundesregierung herzlich bitten, sich dieser dringlichen Maßnahmen anzunehmen. Lloyd George hat einmal gesagt, die englische Wirtschaft sei ein Block von Stahl, der auf einem Sockel von Kohle ruhe. Man kann das genau so gut von der Wirtschaft unserer Bundesrepublik sagen. Wehe uns, wenn dieser Sockel sich als unzulänglich oder gar als bröckelig und morsch erweist! Tun wir alles, um diesen Sockel gesund und fest zu machen, damit eine vernünftige Weiterentwicklung auch der ganzen Wirtschaft möglich ist!
({18})
Zur Beantwortung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Herrn Abgeordneten Bleiß ein wenig die.. Sorge erleichtern, indem ich ihm die Versicherung abgebe, daß das Bundeswirtschaftsministerium weder einen Anlaß noch aber auch die Möglichkeit hat, angesichts der großen und ständigen aktuellen Sorgen, die mit dem wirtschaftlichen Alltagsgeschehen verbunden sind, in Lethargie zu versinken. Wir haben uns aufrichtig und ernst Mühe gegeben - genau so, wie wir es damals in der Debatte in Aussicht gestellt haben -, mit diesen Sorgen fertig zu werden.
Herr Abgeordneter Bleiß sagt einerseits, ein Preisanstieg bei Kohle möge verhindert werden, andererseits: die Löhne müßten erhöht werden. Das bedeutet, kurz und schlicht gesagt, daß die Differenz aus dem Gewinn genommen werden müßte.
({0})
- Darf ich dazu vielleicht noch etwas ergänzen. Zur Zeit müßte dieser Betrag aus dem Gewinn genommen werden; denn anderes Geld steht dem Bergbau nicht zur Verfügung.
Sie haben zwar gesagt, in der Zukunft sollte im Wege der Rationalisierung ein besseres Ergebnis erzielt werden. Das ist ein selbstverständliches Anliegen, dessen Verwirklichung übrigens - und ich möchte 'nicht unterlassen, darauf hinzuweisen - von dem Bergbau seit dem Kriegsende in ständiger Bemühung auch angestrebt wird. Vergessen Sie doch nicht, daß es dem Bergbau gelungen ist, trotz dieser Schwierigkeiten, die hier deutlich geworden sind, seine Förderung ständig anzuheben und es in dem vergangenen Jahr auf eine Gesamtförderung von 132 Millionen t zu bringen, obwohl im September 1953 13 000 Menschen mehr unter Tage im Steinkohlenbergbau tätig waren als im September 1955. Darin scheint mir schon der Beweis dafür zu liegen, daß diesen Bemühungen des Bergbaus ein beachtlicher Erfolg beschieden ist.
Der Bergbau hätte die Enquete, die Herr Abgeordneter Bleiß vorschlägt, meines Erachtens nicht zu fürchten. Ich habe allerdings den Eindruck, daß wir in der Beurteilung der Ergebnislage weit voneinander abweichen. Ich glaube, daß die Ergebnislage des Bergbaus einen wesentlichen Anstieg der Löhne bei gleichbleibenden Preisen nicht gestattet, und ich mache die Damen und Herren darauf aufmerksam, daß der Lohnanteil bei der Steinkohle im Durchschnitt gesehen etwa 58 bis 59 % beträgt.
Ein Wort zu dem Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg! Schon früher einmal haben wir aus Bergbaukreisen gehört, der Bergbau sei der Meinung, er sei ein „Stiefkind der sozialen Marktwirtschaft." Ich habe die Hoffnung, daß diese Meinung objektiv nicht richtig ist. Professor Erhard hat dazu die sehr elegante Replik gefunden, daß das Sorgenkind gleichzeitig das Lieblingskind für den Vater sei.
({1})
Ich hoffe, Sie werden aus der Antwort, die ich auf die Anfrage der SPD geben werde, sehen, daß wir weder in Lethargie versunken sind, noch daß wir hier das vermeintliche Stiefkind wie ein Aschenbrödel behandeln wollen. Wir sind mit Ihnen, Herr Dr. Friedensburg, absolut davon überzeugt, daß die Kohle das Blut der deutschen Wirtschaft ist, das wir gesund zu erhalten im eigensten Interesse verpflichtet sind.
Nur glauben wir, daß der Kohlenpreis eine ungeheure Rückwirkung auf das gesamte Preisgefüge hat.
({2})
({3})
Es ist nicht zu leugnen, daß mancherorts, in besonderem in letzter Zeit, Preisauftriebstendenzen fühlbar und sichtbar werden, an deren Dämpfung wir alle miteinander interessiert sind. Infolgedessen ist es unsere Aufgabe, zwischen diesen beiden Dingen hindurchzufinden. Ich hoffe, Sie werden durch meine Beantwortung der Frage der Sozialdemokratischen Partei sehen, daß wir uns zumindest sehr ernste Mühe gegeben haben, diesem wichtigen Problem gerecht zu werden.
Damit darf ich nun zu der Beantwortung der Anfrage kommen. Zunächst wende ich mich zum Punkt I der Anfrage. Eine der wichtigsten Grundlagen für den Bergbau ist - das hat auch einer der Vorredner ausgeführt - die menschliche Arbeitskraft. Aus diesem Grunde ist die Besserstellung des Bergmanns - und zwar insbesondere des unter Tage tätigen - von jeher ein besonderes Anliegen der Bundesregierung gewesen. Sie läßt sich dabei vor allem von dem Gedanken leiten, dem Bergmann für seine schwere, gefährliche und ihn leider vielfach zu früher Invalidität führende Tätigkeit einen Ausgleich zu schaffen. Darüber hinaus aber sind solche Maßnahmen auch deshalb berechtigt und +notwendig, weil es für die deutsche Wirtschaft ganz unerläßlich ist, in ausreichendem Umfange Arbeitskräfte für die Untertagebelegschaften zur Aufrechterhaltung der bergbaulichen Förderung zu gewinnen und zu erhalten. Neben einer besonderen Bevorzugung der Bergleute durch den Bergarbeiterwohnungsbau und durch hohe Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherungen dienen diesem Ziele vor allem die umfangreichen Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten für Bergleute in den Betrieben sowie in den Bergschulen. Sie ermöglichen es nahezu ohne jeglichen Kostenaufwand für den Betroffenen, in gehobene Stellungen der Bergwerksbetriebe aufzurücken.
Die Bundesregierung plant darüber hinaus - sie wird hierbei insbesondere von der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt - gerade jetzt Erleichterungen auf lohnsteuerlichem Gebiet. Dieses Mittel erscheint uns besonders geeignet, den Bergmann nicht nur finanziell besserzustellen, sondern ihn auch in seiner ganzen sozialen Position hervorzuheben und damit den bergmännischen Beruf begehrenswerter zu gestalten. Die Bundesregierung hat beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes einzubringen, durch das den Untertagebergarbeitern für jede verfahrene Schicht als sogenannte Bergmannsprämie eine steuerfreie Schichtprämie gewährt wird. Die Gedingearbeiter, also die Hauer und Gedingeschlepper, sollen für jede verfahrene Schicht 2,50 DM erhalten, die Schichtlöhner 1,25 DM. Das Verhältnis der Zahl der Gedingelöhner zur Zahl der Schichtlöhner liegt nach den ersten Schätzungen wie 53 : 47. Unter Berücksichtigung dieses Anteils von Gedingearbeitern und Schichtlöhnern an der Untertagebelegschaft würde sich eine durchschnittliche Schichtprämie ergeben, die bei rund 2 DM liegt. Da diese „Bergmannsprämie" nur für verfahrene Schichten gezahlt wird, schafft sie damit gleichzeitig den gewollten Anreiz, die Zahl der Schichten möglichst voll zu verfahren. Die mit Mitteln des Bundes und der Länder aus dem Lohnsteueraufkommen finanzierte Bergmannsprämie hat keine Preiserhöhung zur Folge.
Ich komme zu Punkt II, darf allerdings zum Schluß noch auf die Punkte I und II zusammen zurückkommen. Das Problem des verstärkten Wettbewerbs zwischen der Kohle und anderen
Energieträgern steht mit der ersten Frage in engem Zusammenhang. Ob die Kohlenversorgung der Wirtschaft ausreichend sein wird, hängt nicht nur von der Entwicklung der Verfügbarkeit an Kohle, sondern von der Entwicklung der Primärenergie überhaupt ab. Das wird vor allem auf weite Sicht verstanden werden müssen, die wir bei aller Sorge um die Maßnahmen, die die Gegenwart verlangt, nicht aus dem Auge lassen dürfen. Zu der Primärenergie gehören vor allem die Steinkohle, die Braunkohle, Erdöl, Wasserkraft und Erdgas. Hierzu läßt sich feststellen - und das gilt keineswegs nur für die Bundesrepublik -, daß in der Energiewirtschaft die einzelnen Energiearten in zunehmendem Maße gegeneinander ausgetauscht werden können, was sich heute vor allem in steigendem Wettbewerb des Öls mit der Kohle äußert.
Dies zwingt zu einer Betrachtungsweise und zu Überlegungen, die auf die Entwicklung der Energiewirtschaft als Ganzes gerichtet sind. Hiermit komme ich zur Beantwortung der in der Begründung vorgetragenen Frage von Herrn Abgeordneten Bleiß. Von der Bundesregierung sind schon seit einiger Zeit Untersuchungen zur Frage der künftigen Entwicklung des gesamten Energiebedarfs der Bundesrepublik und seiner Deckungsmöglichkeiten eingeleitet worden. Dabei wurden nicht nur die Verhältnisse in unserem Lande, sondern auch die vielfältigen Vorgänge auf dem gleichen Gebiet in den Nachbarländern geprüft. Über diese Fragen haben Anfang dieses Monats Besprechungen mit einem kleineren Kreis von Sachverständigen aus der Wirtschaft stattgefunden. Das Ergebnis dieser Arbeiten soll in Form einer Denkschrift zunächst dem Kabinettsausschuß zur Beratung vorgelegt werden. Heute kann schon folgendes hierzu gesagt werden.
Es läßt sich voraussehen, daß trotz aller Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Energiearten die Kohle auch in den kommenden Jahren, vorläufig jedenfalls noch, der Hauptträger unserer Energiewirtschaft sein wird. Der Energiebedarf wird so stark steigen, daß alle Möglichkeiten auszunutzen sein werden, um eine Deckung des Bedarfs zu erreichen. Das bedeutet die Notwendigkeit der Steigerung der heimischen Förderung von Kohle, Erdöl und anderen Energieträgern, verstärkte Umwandlung dieser Energieträger in Strom und Gas, fortschreitende Rationalisierung des gesamten Energieverbrauches und Heranziehung von Kohle und Öl im Einfuhrweg. Bei den anzustrebenden Lösungen müssen die Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und der Sicherheit der Energieversorgung sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Die Energie ist ein Hauptfaktor für die laufende Produktivitätssteigerung der Wirtschaft. Insbesondere mit Rücksicht auf die Wettbewerbsstellung der deutschen Industrie wird es immer wichtiger, einer möglichst wirtschaftlichen Gestaltung der Energieversorgung allergrößte Aufmerksamkeit zu widmen. Das Bundeswirtschaftsministerium erwägt, den Antrag zu stellen, daß der Zoll für Heizöl für gewerbliche Zwecke, der heute noch 15 DM je Tonne beträgt, entfällt. Es kann darin in Ansehung des steigenden Bedarfs unseres Erachtens keine Gefahr für die Kohle gesehen werden, und dieser Schritt erscheint uns notwendig, um das Heizöl als echten Ergänzungsfaktor für die Energiebilanz des Bundesgebietes einzuschalten.
({4})
Zu Punkt III der Anfrage: Die Möglichkeit eines Verkaufs von Aktienpaketen an Bergwerksunternehmen wird zur Zeit, soweit der Bundesregierung bekannt ist, nur im Zusammenhang mit einem bestimmten Fall erörtert.
({5})
In diesem Falle hat ein Aktionär der ehemaligen Vereinigten Stahlwerke AG an einer der 17 Nachfolgegesellschaften, die bei der Entflechtung nach dem Gesetz Nr. 27 der Alliierten Hohen Kommission entstanden sind, im Wege des Aktientausches eine erhebliche Beteiligung erworben. Sie liegt aber unter der Sperrminorität von 25 %. Es handelt sich also um einen besonders gelagerten Einzelfall, mit dessen Wiederholung man nicht zu rechnen braucht, da diesem Aktionär beim Erwerb seines Pakets besondere Umstände zugute kamen, die sich bei dem jetzt abgeschlossenen Aktientausch im Zuge der Entflechtung nach dem Gesetz Nr. 27 ergeben haben. Der erwähnte Aktionär hat sein Paket der Gesellschaft zu einem weit über dem Börsenkurs liegenden Preis zum Kauf angeboten. Die Gesellschaft konnte dieses Angebot, abgesehen von anderen Gründen, schon deshalb nicht annehmen, weil Aktiengesellschaften der Erwerb eigener Aktien durch § 65 des Aktiengesetzes grundsätzlich untersagt ist. Der Aktionär hat daraufhin angekündigt, daß er einen anderen Käufer für sein Aktienpaket suchen werde. Es sind bisher keine Anhaltspunkte dafür bekanntgeworden, daß es dem Aktionär gelungen ist, zu den von ihm geforderten Bedingungen einen Käufer, insbesondere einen Devisenausländer, zu finden. Ein Verkauf an einen Devisenausländer zu einem über dem Börsenkurs liegenden Preis würde nach der Allgemeinen Genehmigung Nr. 42 aus dem Jahre 1950 einer devisenrechtlichen Genehmigung bedürfen. Da derartige Pakete in der Praxis stets zu einem über dem Börsenkurs liegenden Preis gehandelt werden, können sie nicht ohne Genehmigung an Devisenausländer verkauft werden.
Die volkswirtschaftliche Beurteilung derartiger Geschäfte hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Bekanntlich hat die Bundesregierung im Sommer 1954 ein ausländisches Angebot auf Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an der bundeseigenen Bergwerksgesellschaft Hibernia abgelehnt. Eine Beteiligung ausländischer Aktionäre an deutschen Bergbauunternehmungen kann jedoch nach Ansicht der Bundesregierung nicht allgemein als unerwünscht bezeichnet werden, insbesondere dann nicht, wenn sie mit dem Zufluß von für Investitionen dringend benötigten Kapitalien verbunden ist oder wenn gleichzeitig dem inländischen Aktionär die Gelegenheit geboten wird, sich an gleichwertigen ausländischen Unternehmungen zu beteiligen. Die Erleichterung der gegenseitigen Kapitalverflechtung mit ausländischen Unternehmungen liegt sogar vielfach im Interesse der deutschen Industrie, z. B. zur Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen, die in Deutschland nicht oder nur unzureichend vorhanden sind. In dem zur Erörterung stehenden Einzelfall liegen jedoch Anhaltspunkte für eine abschließende Beurteilung unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte noch nicht vor.
Jetzt darf ich noch ein paar allgemeine Bernerkungen, die zur Fragestellung I und II gehören, anschließen. Ich möchte mir erlauben, Ihnen folgende Beschlüsse des Bundeskabinetts zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit des Bergbaus bekanntzugeben. Ich tue dies wegen des Zusammenhangs mit den aufgeworfenen Fragen und wegen der engen Berührungspunkte mit den Anträgen der Fraktion der SPD und der CDU/CSU in den Drucksachen 2021 und 2081.
Neben der bereits erwähnten „Bergmannsprämie" für die Untertagebergarbeiter hat die Bundesregierung als zweite Maßnahme beschlossen, dem von dem Herrn Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen ausgearbeiteten Vorschlag für eine günstigere Bewertung des Bergbauvermögens unter Tage, nach dem Sie soeben fragten, Herr Abgeordneter Dr. Friedensburg, im Steinkohlenbergbau zuzustimmen. Diese Abschreibungsmöglichkeiten werden nach überschlägiger Schätzung innerhalb von drei bis fünf Jahren zusätzliche Abschreibungen in Höhe von insgesamt 360 Millionen DM gestatten. Bei der Verteilung dieser Abschreibungen auf vier Jahre ergibt sich eine ungefähre Kostenentlastung von 44 Pfennig je Tonne abgesetzter Kohle. Durch diese Bewertungsvergünstigung erfolgt auf dem Gebiete der Vermögensteuer eine zusätzliche und bleibende Entlastung von 3 Pfennig je Tonne abgesetzter Kohle, so daß die Gesamtentlastung sich auf 47 Pfennig beläuft.
Als dritte Maßnahme zur Ertragsverbesserung des Bergbaus ist von der Bundesregierung vorgesehen, für die Dauer bis zu zwei Jahren aus Haushaltsmitteln des Bundes den Knappschaften 6 1/2 % des Arbeitgeberbeitrags zur Knappschaftsrentenversicherung zu zahlen. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung bleiben aber durch diese Regelung unberührt. Die Erstattung der Arbeitgeberbeiträge durch den Bund in Höhe von 6 1/2 % führt zu einer durchschnittlichen Kostenentlastung des Steinkohlenbergbaus von 1,77 DM je Tonne. Diese Regelung bedeutet für die einzelnen Bergwerksunternehmen des Steinkohlenbergbaus eine gezielte Hilfe, da die Schachtanlagen mit ungünstigen Lagerungsverhältnissen nur eine niedrigere Leistung und daher entsprechend erhöhte Lohnaufwendungen haben. Die Schachtanlagen mit den niedrigsten Lohn- und Gehaltskosten erzielen dadurch eine Entlastung von 1,14 DM je Tonne abgesetzter Kohle, die Schachtanlagen mit den höchsten Lohn- und Gehaltskosten dagegen eine Entlastung von 2,86 DM. Der Steinkohlenbergbau ist außerdem in Höhe von insgesamt 22 Pf je Tonne durch die Senkung der Montanumlage der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl entlastet, und zwar ab 1. Juli 1955 und ab 1. Januar 1956.
Zum 1. April 1956 ist eine Erhöhung der Preise für Hochofenkoks in Aussicht genommen worden. Die Höhe der hierdurch eintretenden Entlastung des Steinkohlenbergbaus beziffert sich nach unserer Rechnung auf 34 Pf je Tonne, sie wird allerdings teilweise auch etwas geringer geschätzt.
Seit dem 2. Januar 1956 liegt bei der für die Preisfestsetzung zuständigen Hohen Behörde in Luxemburg ein auf eine in Aussicht genommene Lohnerhöhung gestützter Antrag des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau vor, die Steinkohlenpreise ab Februar dieses Jahres um 3 DM je Tonne Absatz zu erhöhen. In dem Antrag ist gleichzeitig gesagt, daß eine weitere Preiserhöhung um 3 DM oder eine entsprechende Entlastung auf der Kostenseite zum Ausgleich einer seit langem bestehenden Kostenunterdeckung gefordert werden müsse.
({6})
Bei den Beratungen der Bundesregierung ist die Erwägung maßgebend gewesen, eine Preiserhöhung zu vermeiden oder sie wenigstens auf das geringste Maß zurückzuführen, jedenfalls jede Preiserhöhung zu vermeiden, die Rückwirkungen auf das Preisgefüge in der Bundesrepublik im allgemeinen hätte und damit insbesondere den Verbraucher noch in dieser Heizperiode belasten würde.
Die Verwirklichung der Beschlüsse der Bundesregierung würde bedeuten, daß die Steinkohlenpreise statt um 6 DM, wie in dem eben zitierten Antrag gefordert wird, höchstens um 2 DM je Tonne Absatz erhöht zu werden brauchen. Diese Preisanhebung wird nicht vor dem 1. April 1956 erfolgen. Da mit dem heutigen Tag, also dem 10. Februar 1956, die Ausgleichsumlage der Hohen Behörde für den belgischen Steinkohlenbergbau um 15 Pf gesenkt und damit der Verbraucher um diese 15 Pf, die er ja unmittelbar zu zahlen hat, entlastet wird, würde eine am 1. April dieses Jahres eintretende Preiserhöhung um 2 DM tatsächlich nur eine Belastung des Verbrauchers um 1,85 DM je Tonne bedeuten.
Die Bundesregierung hat die von ihr vorgesehenen Maßnahmen der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zur Kenntnis gebracht. Sie rechnet damit, daß die Hohe Behörde gegen diese Vorschläge keine Einwendungen erheben wird. Die Beschlüsse der Bundesregierung sichern dem Untertagebergarbeiter die seiner schweren Arbeit entsprechende Vergünstigung und ermöglichen eine Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit des Bergbaus. Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß die vorgesehenen Maßnahmen zur Beruhigung des Lohn- und Preisgefüges einen wirksamen Beitrag auslösen werden.
({7})
Meine Damen und Herren. Sie haben die Antwort der Bundesregierung gehört. Auf eine Beratung dieser Antwort wird nach einem Übereinkommen der Fraktionen jetzt verzichtet.
Der Punkt 1 b ist abgesetzt.
Nun ist zu Punkt 1 c über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU zu beschließen. Hier ist Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik - federführend -, an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und den Ausschuß für Finanz-und Steuerfragen beantragt Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Nun fahren wir vereinbarungsgemäß mit der Tagesordnung von gestern fort. Aber ehe ich die Punkte aufrufe, die nicht debattiert werden. bringe ich, das Einverständnis des Hauses voraussetzend, zwei neue Punkte, die mit Zustimmung des Hauses auf die Tagesordnung gesetzt worden sind, hier zur Verhandlung.
Das erste ist der
Antrag der Abgeordneten Unertl, Lermer, Dr. Dittrich, Höcherl und Genossen betreffend Hilfe für die Hochwassergeschädigten in Vilshofen ({0}).
Meine Damen und Herren, der Antrag liegt Ihnen vor. Auf Begründung wird verzichtet; ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Aussprache. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. -({1})
- Er soll an den Haushaltsausschuß überwiesen werden? Das ist mir nicht gesagt worden.
({2})
- Es ist eine Finanzvorlage nach § 96 der Geschäftsordnung.
Wird eine weitere Überweisung beantragt? - Das ist nicht der Fall. Sind die Damen und Herren mit der Überweisung an den Haushaltsausschuß einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wir kommen zu dem Punkt
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der deutschen Eierwirtschaft ({3});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) ({5}).
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet. Ein Schriftlicher Bericht*) ist nachträglich eingegangen. Ich eröffne die Beratung zu den §§ 1, -2, - 3, - 4, - 5, - 6, - 7, - Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Beratung. Wer den aufgerufenen Paragraphen, der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist in zweiter Lesung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Beratung. - Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Beratung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Damit kommen wir zu Punkt 2 der Tagesordnung von gestern
Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betreffend Bildung eines Atomenergieausschusses ({6}).
Ich frage, ob das Wort gewünscht wird. - Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht; ich schließe die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Antrag ist angenommen.
({7})
- Als 21er-Ausschuß, das steht im Antrag, Herr Abgeordneter.
Ich komme zu Punkt 3:
Erste Beratung des von der Fraktion der DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung des Personalgutachterausschuß-Gesetzes ({8}).
Wird hier auf Debatte verzichtet? ({9})
- Der Punkt soll abgesetzt werden; es ist so beschlossen.
*) Siehe Anlage 2.
({10}) Ich rufe auf Punkt 4:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften ({11});
Erster Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({12}) ({13}).
({14})
Als Berichterstatter hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Weber ({15}).
Dr. Weber ({16}) ({17}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die mir durch die lange Dauer der Debatte zu Punkt 1 der gestrigen Tagesordnung geschenkte Zeit dazu benutzt, den Bericht schriftlich abzufassen und nehme das Einverständnis des Hauses an, daß ich ihn als Anlage zum Protokoll überreiche*). Ich bitte Sie namens des Ausschusses, dem Antrag, ersichtlich aus Drucksache 2033, zustimmen zu wollen, den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter in der aus der Zusammenstellung der Drucksache ersichtlichen Fassung anzunehmen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Bericht gehört. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich komme zur Abstimmung über den einzigen Artikel der Drucksache 2033 in der Vorlage des Ausschusses sowie über Einleitung und Überschrift. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Der Entwurf ist in der zweiten Beratung angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die Beratung. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung der zweiten Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 5 der Tagesordnung von gestern:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu der Erklärung vom 10. März 1955 über die Verlängerung der Geltungsdauer der Zollzugeständnislisten zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen ({0}) ({1});
Schriftlicher Bericht**) des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({2}) ({3}).
({4})
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung der zweiten Lesung und rufe auf die Artikel 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift. Wer dem Entwurf zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - In zweiter Lesung angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Auf das Wort wird verzichtet. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen will, den
*) Siehe Anlage 3. **) Siehe Anlage 4. bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 6 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Vierte Berichtigungsund Änderungsprotokoll vom 7. März 1955 zu den Anlagen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ({5}) und zum Wortlaut der diesem Abkommen beigefügten Zollzugeständnislisten ({6}); Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Außenhandelsfragen ({7}) ({8}).
Berichterstatter: Abgeordneter Hahn ({9})
Auf mündliche Berichtersattung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung. Ich rufe auf Artikel 1, - 2, - 3, - Einleitung und Überschrift. Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - In zweiter Lesung angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der dritten Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich komme zu Punkt 7:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Brüsseler Protokoll vom 30. Juli 1936 über die Immunitäten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ({10});
Schriftlicher Bericht**) des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({11}) ({12}).
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Leverkuehn.
({13})
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung zweiter Lesung zu Art. 1, 2, 3, Einleitung und Überschrift. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist in zweiter Lesung angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs
eines Gesetzes über das Internationale Über-
* Siehe Anlage 5.
**) Siehe Anlage 6.
({14})
einkommen zur Verhütung der Verschmutzung der See durch Öl, 1954 ({15}).
Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Verkehrswesen ({16}) ({17}).
Berichterstatter: Abgeordneter Schwann. ({18})
Auf mündliche Berichterstattung wird verzichtet; der Bericht wird auch hier zu Protokoll genommen. Ich eröffne die Beratung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung in zweiter Lesung und komme zur Abstimmung. Das Haus ist damit einverstanden, daß alle Artikel nach der Vorlage des Ausschusses miteinander verbunden werden. Wer den Artikeln, der Einleitung und Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne sie. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Gegenprobe! - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Es ist noch über Ziffer 2 des Antrages des Ausschusses abzustimmen - Sie finden ihn in Drucksache 2066 auf Seite 2 -, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen durch die Beschlußfassung für erledigt zu erklären. Das Haus ist damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 9 der Tagesordnung:
Beratung der Achten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({19}).
Auch hier wird auf das Wort zur Einbringung verzichtet. Ich eröffne die Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Außenhandelsfragen. Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Punkt 10. Hier, meine Damen und Herren, bitte ich zu beachten, ,daß zunächst Punkt 10 a zu behandeln ist:
Zweite Beratung ({20}) des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundesversorgungsgesetzes ({21}).
aa) Schriftlicher Bericht des Haushaltsausausschusses ({22}) gemäß § 96
({23}) der Geschäftsordnung ({24}),
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen ({25}) ({26}).
({27})
Anträge: Umdrucke 514, 515, 516, 517, 518.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß dieser Entwurf zurückver-
*) Siehe Anlage 7. wiesen wird an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen - federführend - und an den Haushaltsausschuß, und zwar mit den Anträgen auf den Umdrucken 514 bis 518. Wer dieser Rückverweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Punkt 10 b:
Zweite Beratung ({28}) des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes ({29});
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschusses ({30}) ({31}).
({32})
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, die Beratungen über diesen Gegenstand auszusetzen und ihn später zusammen mit dem Punkt 10 a erneut zur Verhandlung zu stellen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 11:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({33}).
Auf das Wort zur Begründung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag auf Umdruck 519 ({34}) *) zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Das, meine Damen und Herren, war die gestrige Tagesordnung.
Ich fahre fort in der heutigen Tagesordnung.
({35})
- Man hat sich darauf geeinigt, daß die Große Anfrage über die Beeinflussung der Ertragslage der Energieversorgungsunternehmen durch Verwendung ausländischer Kohle - Punkt 2 der heutigen Tagesordnung - abgesetzt wird.
Ich rufe auf Punkt 3:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beschluß vom 8. Dezember 1954 betreffend die Anwendung des Artikels 69 des Vertrages vom 18. April 1951. über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ({36}).
Auf das Wort zur Begründung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik - federführend - und an den Ausschuß für Arbeit - mitberatend -. Wer dieser Überweisung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Es ist so beschlossen.
Punkt 4 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Hoogen, Dr. von Buchka, Dr. Schneider ({37}) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des § 13 des Dritten D-Markbilanzergänzungsgesetzes ({38}).
*) Siehe Anlage 8.
({39})
Auf das Wort zur Begründung wird verzichtet. Ich eröffne die Beratung. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - federführend - sowie an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen. Außerdem finde ich zu meinem Kummer hier eine handschriftliche Notiz: Ausschuß für Geld und Kredit. Ist das eigentlich im Ältestenrat vereinbart worden?
({40})
- Dann lasse ich hier darüber abstimmen, ob das Haus dieser weiteren Ausschußüberweisung zustimmen will. Es ist immer dieselbe Sache. Es sind schon zwei Ausschüsse: der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - federführend - und der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen - mitberatend -. Gut, das steht auf meiner Vorlage. Nun ist handschriftlich hinzugefügt: Ausschuß für Geld und Kredit. Damit bin ich nicht einverstanden, wenn es nicht vorher im Ältestenrat vereinbart worden ist.
Ich lasse also zunächst darüber abstimmen, ob der Gesetzentwurf an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht - federführend - und den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen
- mitberatend - überwiesen werden soll. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Diese Überweisung ist beschlossen.
Wer nun der Mitüberweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, nur keinen Hammelsprung mehr am Freitag um 13 Uhr 55!
({41})
Aber die Abstimmung muß wiederholt werden. Wer der Mitüberweisung an den Ausschuß für Geld und Kredit zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Das Präsidium ist übereinstimmend der Meinung, daß das letztere die Mehrheit ist. Die Mitüberweisung ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, es muß in diesem Hause auch etwas für die Geschäftsordnung getan werden!
({42}) Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Varelmann, Eckstein, Schmücker, Dr. Krone und Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes ({43}).
({44})
- Ist zurückgezogen! Entschuldigen Sie, hier versagte mein Fahrplan.
Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Varelmann, Krammig, Winkelheide und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Heuerlingsverhältnissen ({45}).
Auf die mündliche Einbringung wird verzichtet. 1 Ich eröffne die Beratung. - Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Beratung. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend ({46})
- Herr Abgeordneter Dr. Glasmeyer, Sie möchten lieber, daß der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten federführend ist?
({47})
- Herr Abgeordneter, Fraktionsbeschlüsse gelten hier natürlich nicht,
({48})
sondern dem Haus wird nur vorgetragen, was im Ältestenrat vereinbart ist;
({49})
alles andere muß beantragt werden.
({50})
Sie haben den Antrag gehört, meine Damen und Herren. Ich werde darüber zunächst abstimmen lassen. Wer dem Antrag des Abgeordneten Dr. Glasmeyer, federführend an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und nicht federführend an den Ausschuß für Arbeit zu überweisen, zustimmen will, bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Meine Damen und Herren, auch das Präsidium besteht aus irrenden Menschen, aber es ist gemeinsam der Überzeugung, daß das letzte die Mehrheit ist. Infolgedessen ist der Antrag Dr. Glasmeyers abgelehnt. Ich darf unterstellen, daß damit die Überweisung an den Ausschuß für Arbeit - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - beschlossen ist. Ich höre keinen Widerspruch.
Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({51}) über den Antrag der Fraktion der DP betreffend Grünlandwirtschaft im norddeutschen Küstengebiet ({52}).
Berichterstatter: Abgeordneter Seither.
Auch hier wird erfreulicherweise auf den mündlichen Bericht verzichtet. Ein Schriftlicher Bericht*) wird nachgereicht.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
- Gegenprobe! - Der Antrag ist angenommen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende auch der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste, die 130. Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Donnerstag, den 23. Februar 1956, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.