Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich dem Abgeordneten Bauereisen zu seinem 60. Geburtstag gratulieren.
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Ich habe bekanntzugeben, daß um 9 Uhr 30 eine Sitzung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht im Sitzungssaal 206 Süd stattfindet. Um 11 Uhr findet eine Sitzung des Wahlmännerausschusses zur Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht im Sitzungszimmer 206 Süd statt.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 7. Dezember 1955 die Kleine Anfrage 207 der Abgeordneten Dr. Gleissner ({1}), HÖcherl, Klausner, Spies ({2}), Lücker ({3}), Dr. Eckhardt und Genossen betreffend Einkommensteuer für landwirtschaftliche Betriebe - Drucksache 1865 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 1925 vervielfältigt.
Der Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 6. Dezember 1955 auf Grund der Entschließung des Deutschen Bundestages in seiner 57. Sitzung eine vom Herrn Bundesminister der Finanzen ausgearbeitete Denkschrift über eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes überreicht, die als Drucksache 1924 vervielfältigt wird.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Einziger Punkt:
Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1956 ({4}) ({5}).
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich, daß wenigstens, glaube ich, ein Viertel dieses Hohen Hauses an einem solchen Ehrentag des Parlaments
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- sagen wir: 10 °/o des Hohen Hauses -, an einem so wichtigen Tag des Parlaments, geneigt ist, über den Bundeshaushalt, das Kernstück der parlamentarischen Arbeit, zu debattieren. Hat es deswegen eigentlich einen Sinn, an einem solchen Tag all die Klagen zu wiederholen, die alljährlich an dieser Stelle bei der ersten Lesung des Haushalts von fast allen Parteien vorgetragen wurden: Klagen über die physische Unmöglichkeit, sich binnen 24 Stunden mit einer 54 Schreibmaschinenseiten langen Rede des Herrn Bundesfinanzministers geistig auseinanderzusetzen, Klagen aber auch über die noch größere Überforderung, die Allgemeinen Vorbemerkungen zum Entwurf des Haushalts 1956, ein Kompendium von 621 Seiten im DIN-A-4-Format, binnen drei Tagen durchzuarbeiten?
Lassen Sie mich rasch noch ein Wort zu diesen Vorbemerkungen sagen. Sie sind dieses Jahr noch umfassender als im vergangenen Jahr ausgefallen und liegen ja inzwischen den Mitgliedern dieses Hohen Hauses vor. Welch ein prachtvolles Material zur Abfassung von vielen guten Dissertationen! Eine Unsumme von Arbeit ist da geleistet worden. Den Verfassern gebührt unbestreitbar der ganz besondere Dank dieses Hohen Hauses. Sie haben zum erstenmal eine Reihe von Wünschen dieses Hauses darin erfüllt. Damit meine ich nicht nur den auf Seite 439 in der dritten und vierten Anlage der Drucksache 1900 vorgelegten Funktionsplan, d. h. die Zergliederung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes nach Sachgebieten, sondern auch die in schöner Breite im siebten Teil dargelegte Vermögensaufgliederung des Bundes und die Aufgliederung seiner Schulden. Wie wünschens({1})
wert wäre es für uns, eine ähnliche Offenlegung auch von seiten der Länder und Gemeinden zu erhalten! Dann erst wäre der allgemeinen Forderung Genüge getan, einen Gesamtüberblick über das zu erhalten, was sich heute hinter dem Schlagwort „Öffentliche Hand" verbirgt.
Ein besonderes Kapitel innerhalb der Vorbemerkungen befaßt sich mit einer weiteren Forderung, die, soviel ich mich erinnere, im vergangenen Jahr Herr Kollege Schoettle diesem Hause nachdrücklich ans Herz legte, der Forderung nämlich, eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung für die vertiefte Erkenntnis der finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge zu schaffen. Eine solche Gesamtrechnung ist uns in naher Zukunft dank der entschieden in Angriff genommenen Vorarbeiten in Aussicht gestellt worden. Sicherlich wird sie die Berechenbarkeit des Konjunkturablaufs auf Jahre hinaus erleichtern. Ob sie aber die Hoffnungen erfüllen wird, die viele in sie setzen, wage ich ein wenig zu bezweifeln. Schaden kann es jedenfalls in keinem Fall, eine solche Gesamtrechnung einmal aufzustellen.
Wenn häufig genug in der Presse das geringe Interesse des Hohen Hauses für Haushaltsdinge beklagt wird, kann ich doch nicht umhin, festzustellen, daß auch in der Presse selbst für die immense Bedeutung des Zahlenwerks dieses 32-Milliarden-Haushalts 1956 bislang nur ein mehr als bescheidener Spaltenaufwand zu verzeichnen war. Noch schlechter sieht es beinahe mit der Behandlung dieses gewichtigen Abschnitts des Parlamentarismus in den Zeitschriften und Wochenzeitungen aus. Die wenigen Veröffentlichungen, an die sich Parlamentarier oder insbesondere die Mitglieder des Haushaltsausschusses oder des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen heute halten können, sind an den Fingern beider Hände abzuzählen. Auch hier stellen wir in der deutschen Öffentlichkeit, selbst in der Fachpresse, ein allzu geringes Interesse an dieser Kernfrage unseres staatlichen Lebens fest, sehr im Gegensatz z. B. zur angelsächsischen Welt, wo diese Dinge einen ganz anderen Raum einnehmen und wo sich auch viel mehr Publizisten von Rang und Professoren der undankbaren und zeitraubenden Arbeit unterziehen, sich in diese spröde Materie einzuarbeiten.
Gestatten Sie mir, in diesem Zusammenhang generell auf eine Frage einzugehen, die nur zu häufig sofort in Verbindung mit dem Haushalt draußen im Volk besprochen wird: das Problem der Verwaltungsaufblähung und der ständigen Kostensteigerung der Verwaltung. Bevor ich mich damit in einigen Sätzen befasse - mein Freund Kollege Niederalt wird später gründlicher darauf eingehen -, möchte ich aus meiner innersten Überzeugung heraus ein Wort herzlichen Dankes an alle diejenigen Beamten, Angestellten und Arbeiter im Bundesdienst sagen, die nur zu oft über die Grenze ihrer physischen Leistungsfähigkeit hinaus in den Aufbaujahren für Volk und Staat hervorragende Dienste geleistet haben.
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Ich kenne die, wie ich sie einmal nennen möchte, ehrenvolle Verlustliste mancher Ministerien. Ich kenne aber auch den meiner Überzeugung nach übersteigerten Personenbedarf anderer Ministerien und Bundesbehörden. Alle in einen Topf zu werfen, wäre wohl das Ungerechteste, was wir uns an
Kritik leisten könnten. Ich habe vor einiger Zeit bereits dem Hohen Hause erklärt, daß der Hauptgrund für das Anwachsen der Verwaltung einmal in der Notwendigkeit, die Not und das Elend nach dem Zusammenbruch von 1945 zu meistern, und in zweiter Linie nicht zuletzt in dem Übermaß an Gesetzgebungswerken von Bund und Ländern liegt.
Nehmen wir einige Beispiele heraus. Wenn wir - unserer Überzeugung nach zu Recht und aus zwingenden Gründen - allein die Mittel für die Flurbereinigung in der Landwirtschaft innerhalb der letzten zwei Jahre um rund 60 Millionen DM erhöht haben und von den Ländern ein Gleichziehen mit ihren Mitteln verlangen, bedeutet das eine Verdoppelung, ja vielleicht sogar eine Verdreifachung oder eine Vervierfachung der Vermessungsämter und der Flurbereinigungsämter. - Die 18 000 Bediensteten der Kriegsopferversorgung sind eine unvermeidliche und notwendige Folge der Betreuung von über 3 Millionen Kriegsopfern. - Wenn wir von diesem Jahr ab Hunderte von Millionen neu in den Straßenbau investieren - aus einer gleichfalls von diesem Hohen Hause wohl einmütig bejahten Notwendigkeit -, dann muß das zu einer Vermehrung des Personals führen, das diese Summen verplanen, ausgeben und die Ausgaben kontrollieren und überwachen muß.
Ich will nur am Rande erwähnen, wie sehr alle von mir leidenschaftlich bejahten und geforderten Sparsamkeitsmaßnahmen überschattet werden von dem Aufbau der Bundeswehr, nicht nur den 12 Divisionen, die wir auf die Beine stellen sollen, sondern den vielleicht 200 000 Zivilisten, die zur Verwaltung, Betreuung und für die Bauten dieser Bundeswehr notwendig sein werden. Das alles zu übersehen, wäre grob fahrlässig und leichtfertig. Trotzdem glaube ich an die Möglichkeit sehr erheblicher Einsparungen und an die Möglichkeit der Begrenzung des Verwaltungsapparats.
Nehmen Sie nur ein Beispiel aus der Fülle dessen heraus, was in den Vorbemerkungen darüber enthalten ist. Dort wird mit Recht z. B. auf die erhebliche Kostenersparnis hingewiesen, die allein durch die rechtzeitige Zurverfügungstellung der Mittel für Straßen- und Hochbauten erzielt werden könnte. Wenn die Straßenbauten, statt wie bisher in Hunderte von kleinen Objekten zersplittert zu werden, nunmehr in größere Baulose aufgeteilt werden - so lesen wir es in den Vorbemerkungen -, lassen sich Großbaumaschinen einsetzen, und damit werden Menschen und Kasten gespart. Ich wünschte nur, es wäre auch so. Wer aber den Einzelplan des Bundesverkehrsministeriums durchsieht, wird merken, daß sich an der Zersplitterung der Bauvorhaben zur Zeit jedenfalls noch nicht Wesentliches geändert hat. Die goldenen Worte der Vorbemerkungen, auf die ich noch später zurückkommen werde, sollten sich auch entsprechend praktisch auswirken.
Lassen Sie mich jetzt zu dem Problem der Einsparungen abschließend noch etwas vortragen. Ich bedaure, daß die Bundesregierung dem Vorschlag des Bundesfinanzministers nicht gefolgt ist, den § 5 des Haushaltsgesetzes, den mein Freund Brese bei der zweiten Lesung des Haushalts 1955 beantragt hat, wieder hineinzusetzen. Ich kann für meinen Kollegen Brese, der heute leider sein Anliegen nicht selbst hier vortragen kann, bereits ankündigen, daß er seinen Antrag von 1955 auch für den Haushalt 1956 wieder einbringen wird.
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Ich bin überzeugt, er wird erneut eine Mehrheit in diesem Hohen Hause finden.
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- Augenblick einmal! Ich werde gleich auch darauf noch eingehen, Herr Gülich. - Es gibt nämlich nicht nur Behörden mit wachsenden Aufgaben, sondern eine ganze Reihe anderer, deren Aufbau beendet ist und deren Aufgabenstellung sich sogar nicht unerheblich gemindert hat. Bei einer vernünftigen Handhabung durch den Haushaltsausschuß stellt die sogenannte Lex Brese eine keinesfalls von der Hand zu weisende Abbaumaßnahme und Bremse dar. Ich habe vom Herrn Bundesfinanzminister eine Erfolgsmeldung über die Durchführung der Lex Brese erbeten, Herr Kollege Gülich.
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- Das stimmt allerdings. - Doch kann ich mir denken, daß so kurze Zeit nach der Inkraftsetzung des Haushaltsgesetzes 1955, das erst im Juli in Kraft gesetzt worden ist - und so viele Beamte sterben Gott sei Dank nicht oder werden in den Ruhestand versetzt -, zwischen Juli und Oktober 1955 noch keine nennenswerten Auswirkungen vorliegen können. Ich erwarte aber in einem späteren Zeitpunkt einen Bericht über die Durchführung dieser Maßnahme, die ich für meine Person keineswegs für undurchführbar halte.
Wenn ich mich jetzt dem Haushalt 1956 selbst zuwende, bitte ich die Öffentlichkeit, vor allem den durchlaufenden Posten in Höhe von 2,4 Milliarden DM zu beachten, der als Nachwirkung der Pariser Verträge den Haushalt nur äußerlich belastet. Das war ähnlich schon so im Haushalt 1955 der Fall. Der eigentliche Haushalt 1956 umfaßt also nur ein Volumen von rund 30 Milliarden DM. Er beinhaltet allerdings 2,5 Milliarden echter Einnahmen und Ausgaben mehr als der des vergangenen Jahres. Der Bundesfinanzminister nahm die Anregung in dem Amerika-Bericht der Haushaltsexperten, den außerordentlichen Haushalt nach Möglichkeit abzuschaffen und einen Kapital- und Investitionshaushalt zu schaffen, positiv auf. Ich hätte sehr gewünscht, diese Anregung schon im Haushalt 1956 verwirklicht zu sehen. Im letzten Jahr deckte der Bundesfinanzminister den außerordentlichen Haushalt aus Mitteln des ordentlichen Haushalts, d. h. aus Steuermitteln. Er hatte sie infolge des Nichtinkraftsetzens des EVG-Vertrages eingespart. Mein Freund Dr. Dresbach hatte sicher recht, wenn er einmal ironisch meinte: Das Nichtschuldenmachen stellt nicht unbedingt eine Sünde des Bundesfinanzministers dar. Meiner Überzeugung nach war seine Handlungsweise - auch wenn sich hier unsere Ansichten nicht ganz decken, Herr Kollege Schoettle - im vergangenen Jahr durch das geltende Haushaltsrecht gedeckt. Ich hätte an seiner Stelle vielleicht eher an die Abzahlung der seit 1951 mitgeschleppten Defizitreste gedacht;
({7}) aber darüber kann man streiten.
Wer von uns allerdings wollte daran zweifeln, daß der Bundesfinanzminister auch für das laufende Haushaltsjahr 1955 keine Anleihe aufnehmen wird, sondern den gleichen Weg wie 1954 gehen wird? Das ist in einem kleinen Absatz der Vorbemerkungen bereits so gut wie angekündigt worden. Ich wüßte auch nicht, mit welchen Argumenten ihm die Bank deutscher Länder angesichts seiner Kassenfülle noch eine erneute Riesenanleihe freigeben sollte. Vor allem aber wüßte ich nicht, wer angesichts der gegenwärtigen Stagnation auf dem deutschen Kapitalmarkt eine Bundesanleihe in Höhe von über einer Milliarde zeichnen sollte, während selbst die angesehensten Großunternehmungen im Augenblick nicht wagen, neue Aktien zu emittieren
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- das sind die Maßnahmen des Herrn Vocke -, und noch nicht einmal Pfandbriefe unterzubringen sind. Aber darauf komme ich vielleicht noch ein wenig später zurück.
Wenn also der außerordentliche Haushalt ohnedies nicht im Haushaltsjahr 1956 zu vollziehen ist, hätte man besser daran getan, ihn in den ordentlichen Haushalt einzubauen. Das gesamte Haushaltsbild wäre wahrheitsgetreuer geworden, als es gegenwärtig ist. Trotzdem hat der Herr Bundesfinanzminister unbestreitbar recht - das wird ihm auch von sehr scharfen Kritikern bescheinigt-, daß dieser Haushalt 1956 erheblich konsolidierter und in sich gefestigter ist als seine Vorgänger. Die Steuer-Vorausschätzungen gehen bei der Annahme eines Nettozuwachses des Bruttosozialprodukts um 7 bis 8 % hart an das heran, was auch bekannte Institute geschätzt haben.
Es bleiben bei den Einnahmen noch einige zweifelhafte Posten. Hoffentlich verschafft u. a. dem Bundesfinanzminister die Annahme des Beschlusses des Vermittlungsausschusses über den Bundesanteil an der Einkommen- und Körperschaftsteuer den von ihm in den Haushalt bereits eingesetzten Betrag. Er wird wohl sicher auch auf die Wirksamkeit des § 96 der Geschäftsordnung vertrauen und hoffen, es mögen ihm bis zum Inkrafttreten des Haushalts 1956 weitere neue Ausgaben bewirkende Beschlüsse des Hohen Hauses erspart bleiben außer denen, die er bereits vorsorglich in sein Kalkül für 1956 aufgenommen hat.
Zur Zeit befaßt sich aber die deutsche Öffentlichkeit eigentlich weniger mit dem Haushalt 1956 als mit dem laufenden Haushalt 1955 und dessen Ablauf. Der Bundesfinanzminister hat gestern äußerst scharf seinen Standpunkt zu den Vorwürfen präzisiert, er erziele im laufenden Haushaltsjahr Riesenüberschüsse und verweigere trotzdem, die Konsequenzen daraus in Gestalt von Steuersenkungen zu ziehen. Damit ist auf das Problem des - wie es so nett in den grünumrandeten Heften des Instituts „Finanzen und Steuern" gesagt worden ist - „Julius-Turms von Spandau" eingegangen worden. Das Problem der Finanzierung der deutschen Wiederbewaffnung wird von ihm als ein Gesamtproblem gesehen, für das die Gesamtmittel innerhalb von vier oder vielleicht besser fünf Bundeshaushaltsjahren aufgebracht werden müssen. Er fühlt sich durch den Pariser Vertrag verpflichtet, Summen, die in diesem oder auch im nächsten Haushaltsjahr für den Gesamtkomplex der Wiederbewaffnung nicht ausgegeben werden, als Ausgabereste zurückzubehalten, um sie in den darauffolgenden Jahren zur Bewältigung dieser Gesamtaufgabe zur Verfügung zu haben. Er verfährt hier mit den Milliarden nicht anders als z. B. bei der Verteilung der Kosten eines Straßen- oder Brükkenbaus im Verkehrshaushalt auf vier oder fünf Teilbeträge während vier oder fünf Jahre, wobei
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er den Baubeginn erst für den vielleicht vorletzten Teil vorsieht.
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- Nein, das Bild ist in diesem Falle sogar sehr richtig, Herr Kollege.
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- Sie werden für ein und dasselbe Objekt vier oder fünf Teilbeträge in den einzelnen Jahren einsetzen, und selbst wenn Sie den Bau im ersten oder zweiten Jahr nicht anfangen, stehen die Mittel für das dritte oder vierte Jahr voll zur Verfügung. In dieser Beziehung stimmt dieses Beispiel, glaube ich, doch.
Die Folge dieser unbestreitbar konsequenten fiskalischen Methode und in sich logischen Auffassung zeigt sich in dem gegenwärtigen Kassenbestand des Bundes. Dieses Problem verschärft sich noch durch die von dem Bundesfinanzminister nicht zu verantwortende Konservierungspolitik der Finanzminister früherer Besatzungsmächte und unserer heutigen verbündeten Mächte in Gestalt der Hortung der Stationierungskosten. Zwar wird der Überhang aus der Besatzungszeit abgebaut; aber das, was jetzt so langsam abgebaut wird, wird vielleicht auch im nächsten Jahr nicht völlig verschwinden, weil von diesem Jahr an an Stationierungskosten 3,2 Milliarden DM zur Verfügung stehen. Wir glauben, daß davon nicht alles ausgegeben werden wird und vermutlich 1955 ein kleinerer, neuer Überhang hinzutreten kann. Herr Minister Schäffer hat in seinen Verhandlungen ein Mitbestimmungsrecht über die Ausgabe dieser Beträge erreicht, um sie nicht zu einem allzugroßen Störungsfaktor in der innerdeutschen Wirtschaft werden zu lassen. Mehr konnte er sicherlich nicht erreichen. Wir erkennen dankbar an, daß er sich als ein sehr zäher und erfolgreicher Unterhändler in diesen Verhandlungen bewährt hat.
Dieser Besatzungs- und Stationierungskostenüberhang steigerte zusammen mit den in diesem Jahr nicht mehr zur Ausgabe gelangenden Verteidigungsausgaben des Bundes die Kassenkonten des Bundes bei der Bank deutscher Länder zu ihrer jetzigen Höhe. Das Bestreben der Finanzminister der uns verbündeten Länder, deren Truppen gegenwärtig den Schutz der Bundesrepublik gewährleisten, die auf sie zukommende spätere Last der völligen Unterhaltung ihrer Truppen auf deutschem Boden so lange wie möglich hinauszuschieben, ist sicherlich verständlich. Den Briten und Franzosen eröffnet sich ab 1955 die für sie unerfreuliche Aussicht, sehr große Beträge in Devisen für den Unterhalt ihrer Truppen in Deutschland bereitstellen zu müssen, ein Problem, das schon von der Devisenseite her ernste Beachtung verdient. Die Fachleute wissen längst, einen wie hohen Beitrag an baren Dollardevisen die Amerikaner jährlich in der Bundesrepublik für die Bedürfnisse ihrer Divisionen in Deutschland ausgeben.
Aber kehren wir jetzt zu dem Zentralproblem des Bundesfinanzministers zurück. Es lautet folgendermaßen: Kann er es gegenüber den Verbündeten verantworten, daß das in den Haushalten 1955 und 1956 für Verteidigungszwecke angesammelte Geld jetzt für andere Zwecke verwandt wird? Er sagt klipp und klar: Nein! Dieses Problem und seine Stellung dazu wird sicher im Mittelpunkt eingehender Beratungen innerhalb des nächsten Vierteljahres in den Ausschüssen dieses Hohen Hauses stehen.
Mit diesem Problem untrennbar verbunden ist aber meiner Überzeugung nach auch die Handhabung des § 96 der Geschäftsordnung. Ich habe es im Haushaltsausschuß erklärt und stehe nach wie vor dazu, daß meine Fraktion entschlossen ist, diesen § 96 auch gegenüber Anträgen aus ihren eigenen Reihen zur Geltung zu verhelfen. Wenn aber der Haushaltsausschuß eine klare Stellungnahme zur Beschaffung einer Deckung für eine neu beantragte Ausgabe beziehen soll, dann muß er in dieser zentralen Frage der nicht verausgabten Verteidigungsmittel in den Jahren 1955 bis 1956 restlos Klarheit haben.
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- Das aber vornehmlich! - Ich glaube, daß das die zentrale Frage ist. Diese Frage lautet - ich wiederhole es noch einmal -: Ist der Weg des Bundesfinanzministers der einzig mögliche oder nicht?
Ob diese Frage im Sinne des Bundesfinanzministers oder in einem anderen Sinne von diesem Hohen Hause entschieden wird, - eins, meine Damen und Herren, möchte ich im Namen meiner Fraktion hier völlig klar und deutlich machen. Die Fraktion der CDU/CSU wird entsprechend der bereits vor einem Jahr deutlich abgegebenen Zusicherung die Stabilität unserer Währung und Wirtschaft niemals dem Tempo der Wiederbewaffnung opfern. Wenn es sich also herausstellt, daß die Aufstellung der deutschen Bundeswehr in dem auch von uns angestrebten Zeitraum trotz äußersten Einsatzes nicht zu schaffen ist, dann hat dieses auch von uns voll und ganz angestrebte Ziel hinter der Sicherung der Währung zurückzutreten.
Ich darf hier im Namen meiner Fraktion gegenüber in der letzten Zeit manchmal zu Unrecht erhobenen Vorwürfen unserer Verbündeten zum Ausdruck bringen, daß wir uns im Rahmen der uns gesetzlich und verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Möglichkeiten nach wie vor mit aller Kraft und Entschiedenheit bemühen werden, die Einhaltung des vereinbarten Termins innerhalb der Pariser Verträge zu fördern. Es hat aber angesichts der unter Mitwirkung der Besatzungsmächte geschaffenen Verfassung und ihrer Bestimmungen, angesichts der furchtbaren Kriegsopfer- und Flüchtlingslasten und der noch immer nicht beseitigten Zerstörungen auf deutschem Boden niemand im Ausland ein Recht, unseren guten Willen und unsere Entschlossenheit zu bezweifeln, das Äußerste für unsere eigene Sicherheit und die Sicherheit der westlichen Welt beizutragen.
Es ist wohl andererseits bis jetzt keinem Mitglied dieses Hohen Hauses verborgen geblieben, wie sehr von seiten der NATO auf einen höheren deutschen Verteidigungsbeitrag gedrängt wird. Der Bundesfinanzminister steht demnächst in Paris vor sehr schwierigen Verhandlungen. Auch das sollte hier entsprechend gewürdigt werden. Ich bin überzeugt, er fährt, bestens ausgerüstet mit den Unterlagen über die Lasten, die Deutschland bis jetzt aufgebracht hat und die wir künftig noch aufbringen müssen, zu diesen Gesprächen.
Auf Seite 193 der „Vorbemerkungen" wird in den Erläuterungen zum Kriegsfolgenschlußgesetz wörtlich erklärt:
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Es ist in der Begründung zum Gesetzentwurf darauf hingewiesen und durch Zahlen im einzelnen belegt, daß die Leistungen, welche die Gesamtheit der Steuerzahler zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft und in Erfüllung sonstiger kriegsbedingter Lasten aufgebracht hat, vermutlich über alles hinausgeht, was jemals in der Geschichte von einem Volk in ähnlicher Lage vollbracht worden ist. Von 1950 bis einschließlich 1955 haben die mit dem Ziel des Wiederaufbaus der Wirtschaft aus öffentlichen Mitteln erbrachten Leistungen über 19 Milliarden DM und die sonstigen Kriegsfolgelasten . . . . über 34 Milliarden DM betragen. Nicht berücksichtigt sind dabei die Verteidigungs- und Besatzungslasten, die bis Ende 1955 46,5 Milliarden DM betragen haben.
Meine Damen und Herren, das deutsche Volk hat in diesen Jahren also insgesamt den Betrag von rund 100 Milliarden DM an Wiederaufbauleistungen, kriegsbedingten Belastungen und Besatzungskosten aufgebracht. Man sollte auch im Ausland bei der Betrachtung der deutschen finanziellen Leistungsfähigkeit diese gewaltige Summe nicht ganz übersehen. Die Mitglieder der Haushaltsgruppe, die in Washington mit Experten des State Department sprachen, hatten den Eindruck, daß man dort vor allem das neue Problem der Sowjetzonenflüchtlinge überhaupt noch nicht oder noch nicht in seinem vollen Umfang beobachtet hat. Zu den 600 000 Sowjetzonenflüchtlingen der vergangenen Jahre werden sich in diesem Jahr vermutlich 300 000 neu hinzugesellen, für deren Unterbringung und Unterstützung wir Hunderte von Millionen neu aufzubringen haben. Das bedeutet: Zu dem keineswegs völlig gelösten Problem der Inarbeitbringung und Umsiedlung von 9,5 Millionen Heimatvertriebenen aus dem Jahre 1945 bis 1946 tritt das neue Problem von fast 1 Million Sowjetzonenflüchtlingen hinzu.
Bei der Betrachtung deutscher Steuerlasten wird im Ausland ebenso völlig übersehen, daß das Lastenausgleichsaufkommen im laufenden Haushaltsjahr 1955 rund 4,4 Milliarden DM erreichen wird. So glücklich wir auf der einen Seite sind, mit einem so gewaltigen Betrag den Heimatvertriebenen helfen und unter die Arme, greifen zu können, damit sie sich eine neue Existenz aufbauen können, so sehr drückt auf der andern Seite die Last der Aufbringung dieser 4,4 Milliarden DM auf den Schultern derer, die sie nun einmal zu zahlen haben, und wer hätte 1949/50 überhaupt mit einer solchen Summe zu rechnen gewagt!
Die Aufbringung dieser gewaltigen Lasten verdanken wir der einzigartigen Arbeitsleistung des deutschen Volkes, dem Glück einer in dieser Höhe und auch in dieser Dauer sicher nicht erwarteten Konjunktur des gegenwärtigen Jahres und der ausgezeichneten Konjunktur der vergangenen Jahre seit der Währungsreform. Die Bundesregierung darf mit Recht für sich in Anspruch nehmen, daß ihre entschlossen und geradlinig verfolgte Politik der freien Marktwirtschaft entscheidend dazu beigetragen hat. Auf der weiteren Steigerung des Bruttosozialprodukts um mindestens 7 bis 8 % baut die Vorschätzung der Steuererträge des Jahres 1956 auf.
Leider haben wir trotz unbestreitbarer wirtschaftlicher Erfolge und trotz dieser unerhörten Arbeitsleistung - nun komme ich auf einen sehr wichtigen Punkt - noch nicht im entferntesten die
Vermögensverluste während des Krieges und während der Währungsverfallszeit ersetzen können. Das deutsche Volk lebt gegenwärtig fast allein von seiner Arbeitsleistung, seinem Erfindungsgeist und seiner Organisationsgabe. Gleicht sich aber diese seine Arbeitsleistung der unserer hauptsächlichsten Konkurrenten auf dem Weltmarkt langsam an, d. h. sollte sie von Jahr zu Jahr sinken, ohne daß durch entsprechend große Rationalisierungsinvestierungen nach amerikanischem Stil dieser Vorgang aufgefangen oder ausgeglichen werden kann, dann entscheidet in der Zukunft bei freiem Wettbewerb auf den Weltmärkten das Kapital der Wettbewerber den Kampf um die Aufträge. Damit aber geraten wir in den Lieferungsbedingungen bei der Finanzierung von Exportaufträgen in eine fatale Unterlegenheit gegenüber den unvergleichlich kapitalstärkeren Wettbewerbern auf dem Weltmarkt. Ich weiß nicht, ob man sich in allen Teilen des deutschen Volkes dieser Entwicklung voll bewußt ist. Es ist wohl an der Zeit, in einem Augenblick daran zu erinnern, wo zum erstenmal seit der stürmischen Exportentwicklung der letzten fünf Jahre die Einfuhren die Ausfuhren - im letzten Vierteljahr 1955 - zu überwiegen beginnen. Wie schnell stolze Devisen- und Goldvorräte schwinden können und welche Konsequenzen sich sofort auf dem Gebiet des Lebensstandards und auch der Steuern daraus ergeben, dafür liefert die Entwicklung Englands im letzten halben Jahr ein eindrucksvolles Beispiel.
Wir können auch nicht daran vorbeigehen, noch einmal zu unterstreichen, was der Bundesfinanzminister in diesem Zusammenhang auch zu der deutschen Lohn- und Preisentwicklung sagte. Wir wollen es hier von seiten der CDU/CSU völlig klarmachen: Die CDU/CSU ist der Überzeugung, daß Löhne mit wachsenden Gewinnen gleichfalls steigen sollen. Wo Löhne ohne Preissteigerungen aus den Gewinnen heraus verkraftet werden können, wo die Produktivität eines Betriebs entsprechend wächst, sind Lohnerhöhungen durchaus gerechtfertigt. Wir halten dagegen mit der Regierung jede Übersteigerung der Löhne für eine sinnlose Ingangsetzung der Lohn- und Preisspirale.
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- Das wollen wir nicht unbedingt sagen; denken Sie an den Bauarbeiterstreik von vor zwei Jahren!
- Darüber hinaus nehmen meine Freunde mit Stolz für sich in Anspruch, nicht nur in dieser Frage, der Forderung nach gerechten Löhnen, sondern auch in den Fragen der Mitbestimmung und der Gewinnbeteiligung hervorragende Beiträge geleistet zu haben.
In überzeugenden Darlegungen und Statistiken der Vorbemerkungen zum Haushalt wird das Schritthalten der Sozialleistungen in den Haushalten von Bund und Ländern mit dem Wachstum des Bruttosozialprodukts absolut unter Beweis gestellt. Die Sozialleistungen wuchsen von 8,2 Milliarden 1951 auf 11,7 Milliarden 1954 an und sind seitdem weiter gewachsen. Sie machen ziemlich gleichbleibend in diesen Jahren 7 bis 8 % des Bruttosozialprodukts aus. Wir wenden uns aber seitens der CDU/CSU mit Entschiedenheit gegen jede Unterstellung, als ob bis zum heutigen Tage die Aufbringung für Sozialleistungen zugunsten des Verteidigungsbeitrags vernachlässigt worden sei. Wir wenden uns gegen jede Unterstellung, als ob hier in irgendeiner Form der Versuch unternommen worden sei, das Schicksal der Ärmsten
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der Armen dem Tempo der Aufrüstung unterzuordnen. Wir haben das bis jetzt nicht getan, und
wir gedenken das auch in der Zukunft nicht zu tun.
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Auch die Opposition hat vor diesem Hohen Hause versichert, daß die Bundesrepublik ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen habe. Die Vertragstreue aber schließt Verteidigungsleistungen in der bekannten Höhe in sich. Man kann nicht das eine als unvermeidlich ansehen und das andere ablehnen. Darüber hinaus haben wir uns von seiten der CDU/CSU in den letzen Jahren gradlinig und unverrückbar zu der Überzeugung bekannt, daß ohne die Schaffung äußerer Sicherheit auch die von uns genauso geforderte soziale Sicherheit im Innern eben nicht gewährleistet werden kann.
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Wir haben unbestreitbar in der Versachlichung der Diskussion über die Außenpolitik und auch über die Wirtschaftspolitik sehr erfreuliche Fortschritte gemacht. Ich denke hier vor allen Dingen an die Konjunkturdebatte, die wir in Berlin miteinander geführt haben. Ich denke auch - mit besonderem Vergnügen - an die letzte außenpolitische Debatte und ihren sachlichen Inhalt, und ich nehme an, daß wir auch die künftigen Beratungen über die sachlichen Notwendigkeiten eines Verteidigungsbeitrags in dem gleichen Sinne eines Versuchs, uns sachlich gegenseitig zu überzeugen, führen können und werden.
Wer aber das überblickt, was allein im Rahmen der 5,2 Milliarden und der 8,8 Milliarden an Verteidigungsausgaben in diesem Jahr und im nächsten Jahr an neuen Aufgaben auf Bund, Länder und Gemeinden zukommt, wird sich besorgt die Frage nach der Methode der Bewältigung dieses Sonderproblems vorlegen. Die Verwaltung steht hier vor einer unerhört schwierigen Aufgabe. Sie wird sich in den nächsten vier Jahren erst zu bewähren haben. Nicht etwa eine seit Jahren eingespielte und persönlich zusammengeschweißte Verwaltung, sondern eine Verwaltung - nämlich das Bundesverteidigungsministerium -, die sich jetzt erst neu aufbaut und bereits während ihres eigenen Aufbaus Milliardenbeträge sinnvoll und sparsam verausgaben soll, das ist das besondere Problem, vor dem wir im nächsten Haushaltsjahr und in den kommenden Haushaltsjahren stehen werden. Es handelt sich nämlich keineswegs allein um das im Aufbau befindliche Bundesverteidigungsministerium und die ihm nachgeordneten Behörden, sondern auch um die mitbeteiligten Ministerien, z. B. - um nur einige herauszugreifen - das Bundesfinanzministerium und das Bundeswohnungsbauministerium. Eine Reihe ungemein schwieriger organisatorischer Fragen muß in allernächster Zeit hier gelöst werden. Ich spreche nicht nur von dem Aufbau des zivilen und militärischen Teils des Verteidigungsministeriums und seiner Unterorganisationen, sondern von der noch schwierigeren Frage der Organisation des Beschaffungswesens, der Entwicklung der Landbeschaffung, der Aufschließung für die notwendigen Neubauten, von der Umsetzung von Betrieben und von Familien aus Wehrmachtbauten in neu zu schaffende Neubauten, von der Ersatzbeschaffung von Land für Enteignete und von der sinnvollen, der gesamten Wirtschaftskonjunktur angepaßten Errichtung der militärischen Bauten selbst.
Leider scheinen alle diese Fragen bis vor wenigen Wochen noch ein wenig dilatorisch behandelt worden zu sein. Auch im Bundeswirtschaftsministerium hat man wohl die Schwierigkeiten der reinen Organisation des Beschaffungswesens unterschätzt. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Mit der vielleicht 15 Mann umfassenden Prüfungsabteilung im Bundeswirtschaftsministerium ist überhaupt nicht daran zu denken, die Riesenarbeit der Nachprüfung von Millionen von einzelnen Preisen auf ihre Angemessenheit und Vertretbarkeit hin durchzuführen. Ohne hier einen Maßstab anlegen zu wollen, möchte ich Ihnen einmal das sagen, was wir im Pentagon in Washington vorgefunden haben. Dort arbeitet bei einem völlig eingearbeiteten Beschaffungswesen ein Heer von nicht weniger als 6000 Prüfern an der Kontrolle der Preise, die von den Firmen vorgelegt werden.
Herr Kollege Schmidt ({18}) hat gestern hier an dieser Stelle sehr zutreffend die enormen Schwierigkeiten der Gewinnung von fachkundigen und erfahrenen Personen für die Herstellung und Prüfung von Ausschreibungen zur Beschaffung der vielen Millionen Einzelstücke der Wehrmachtausrüstung geschildert. Wer die bis heute noch unerledigten Tausende von Fällen von Grundstücksenteignungen aus der nationalsozialistischen Ära bei Wehrmacht- und Autobahnbauten vor sich sieht, weiß auch um die mehr als mühevolle und zeitraubende Arbeit, die notwendigen Grundstücke überhaupt zusammenzubekommen. Da wir alle gemeinschaftlich verlangen und fordern, es sollten dabei die Normen unseres Rechtsstaates absolut gewährleistet bleiben und es sollte auch niemand geschädigt werden, müssen diese unvermeidlichen Landbeschaffungen zeitraubender, schwieriger und darum auch kostspieliger werden. Was man deshalb hier an zusätzlichem Personal rechtzeitig braucht, wird von uns sicherlich bewilligt werden.
Ist aber diese Aufgabe insgesamt - ich spreche hier vor allem die Landbeschaffung und die Bauten selbst an - mit den herkömmlichen Verwaltungsmethoden allein zu meistern? Oder sollten nicht Bundesverteidigungsminister und Bundesfinanzminister gemeinschaftlich überlegen, wie man ihr so unbürokratisch, so praktisch und so sparsam wie möglich zu Leibe rücken könnte? Es ist eine zeitlich zu überschauende Leistung, und sie kann deshalb auch zu einem großen Teil mit Angestellten und braucht nicht unbedingt mit Beamten auf Lebenszeit bewältigt zu werden. Wir wollen hier - ich glaube, das ist wohl auch die einhellige Überzeugung dieses Hauses - unter keinen Umständen im Gefolge der Verteidigungsbauten einen später überflüssigen, zusätzlichen neuen Beamtenapparat schaffen.
Man wird um so billiger bauen, je rechtzeitiger man plant und je mehr Mittel man auf weite Sicht vergibt. Das, was ich vorher bereits als „goldene Worte" in den „Vorbemerkungen" hinsichtlich des Straßenbaus zitierte, gilt noch in viel stärkerem Maße für die zu bauenden Unterkünfte der Wehrmacht. Manche von uns saßen vor wenigen Tagen mit den Spitzen der deutschen Bauwirtschaft in einem Gespräch zusammen. Wir hörten dort, daß eine noch unausgenutzte Kapazität von ca. 20 %, die uns glaubwürdig nachgewiesen wurde, selbst im Hochbau liege, wenn nur diese Bauten maglichst gleichmäßig über das ganze Jahr verteilt rechtzeitig geplant würden. Ein Unternehmer aber, der sich nicht bei einer Ausschreibung einen bestimmten Bauauftrag auf Jahre hinaus sichern kann, wird sich niemals die notwendigen, auch Preise und Kosten sparenden Maschinen anschaf({19})
fen, die er für eine solche Bauausführung braucht. Wenn diese Kalkulation auch vom Bundesfinanzminister in seinen Vorbemerkungen als richtig anerkannt wird, sollte man sich auch beizeiten über die Form einer Finanzierung solcher Großbauten über ein Haushaltsjahr hinaus einigen.
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Man kennt den Bedarf. Wir werden ja auch darauf noch sehr ausführlich in der gemeinsamen Sitzung zu sprechen kommen müssen. Denn, Herr Professor Gülich, es ist meine feste Überzeugung, daß wir mit den bisherigen Vorschriften der Haushaltsordnung mit einem solchen Riesenproblem einfach nicht gut fertig werden können.
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Man kennt also den Bedarf. Es handelt sich darum, ihn sinnvoll und unter Vermeidung neuer Engpässe beim Baumaterial und bei den Bauarbeiten auf Jahre hinaus zu verteilen, unter Vermeidung eben von Engpässen, die wir ja bereits auch in diesem Jahr schon zu spüren bekommen haben, obwohl wir jetzt noch keineswegs irgendwelche Ausgaben für diesen Zweck geleistet haben.
Die öffentliche Hand ist hier in einer unvergleichlich viel besseren Lage als der Privatunternehmer, weil sie hier besser planen kann. Der Bundesfinanzminister kann hier viel Geld sparen, wenn er über seinen eigenen Schatten springt und durch eine rechtzeitige Vorlage seiner Pläne und derjenigen des Bundesverteidigungsministeriums vor dem Haushalts- und dem Sicherheitsausschuß Zweckbindungen oder Vorbescheide über ein Haushaltsjahr hinaus ermöglicht.
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- Nun, über seinen eigenen Schatten wird er es vielleicht fertigbringen.
Wir sind mit dem Bundesfinanzminister völlig darin einig, daß eine Überhitzung der Baukonjunktur mit allen ihren Wirkungen auf andere Zweige der Wirtschaft durchaus vermieden werden kann. Was die Verwaltung dafür braucht, soll ihr nicht verweigert werden. Der Bundesfinanzminister sollte sich als ein weitschauender Koordinator, aber nicht als ein Diktator der beteiligten Ressorts fühlen. Ich sehe hier vor allem auch eine große und überragende Aufgabe des Verteidigungskabinetts im Rahmen der Bundesregierung. Wir lieben keine Ressortstreitigkeiten vor den Ausschüssen dieses Hohen Hauses. Gerade in den letzten Monaten aber schien es uns manchmal an der notwendigen - ich will mich vorsichtig ausdrücken - rechtzeitigen Abstimmung zwischen den an der Verteidigungsaufgabe hauptbeteiligten Ressorts zu fehlen.
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Ich hoffe, es bedarf nur dieses Hinweises und der dahinter stehenden Mahnung meiner Freunde, um hier den von uns gewünschten Wandel zu schaffen.
Damit bin ich aber auch zugleich, meine Damen und Herren, bei einer der Fragen angelangt, die breiteste Schichten unseres Volkes heute im Zusammenhang mit der Verteidigung am meisten interessieren. Es wird zum Teil, manchmal auch ein wenig geflissentlich, mit der Unterstellung gearbeitet, die Unterkünfte der Wehrmacht würden auf Kosten des Wohnungsbaus gebaut. Wer sich die für den Wohnungsbau im Haushalt 1956 angesetzten
Mittel dagegen anschaut, weiß, daß das unwahr ist. Es sind alle Vorkehrungen getroffen, und der Wohnungsbauminister hat die notwendigen Vorwegbewilligungen zugesichert erhalten, um das Rekordvolumen von rund 550 000 neuen Wohnungen des vergangenen Jahres und des Jahres 1954 auch für 1956 zu sichern. Wie ich gerade gestern abend noch im Radio hörte, hat inzwischen der Wohnungsbauminister Dr. Preusker den Ländern bereits mitgeteilt, was sie 1956 von ihm angewiesen erhalten.
Meine Freunde sind aber keineswegs länger gewillt, Jahr für Jahr weitere Milliardenbeträge an Steuergeldern für Wohnungsbauten im Kollektiveigentum zu bewilligen.
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Rund 80 % von den bisher dafür ausgegebenen
15 Milliarden DM sind an rund 2000 Wohnungsbaugesellschaften geflossen. Wir wollen an Stelle
eines unkontrollierbaren Kollektivwohnungsvermögens eine möglichst breite Schicht von Eigenheimbesitzern und Wohnungseigentümern schaffen.
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Im Besitz von Eigenheimen und Eigenwohnungen sehen wir einen der Schutzwälle gegen den das Eigentum verneinenden Kommunismus.
Wir sind aus dem gleichen Grunde erfreut über die Zusicherung einer Entschuldungsaktion für die neu aufgebauten Wirtschaftsbetriebe von Heimatvertriebenen und die Zinsverbilligungs- und Bürgschaftsaktionen für den gewerblichen Mittelstand. Gerade beim Durchlesen der Vorbemerkungen - ich konnte dabei in drei Nächten allerdings nur etwa 200 Seiten DIN A 4 von 620 Seiten überfliegen - fand ich die sehr interessanten Statistiken über Investitionen und Vermögensbildungen der öffentlichen Hand. Man muß sie in die richtige Relation setzen zu den Investitionen der Industrie, um die Entwicklung des mittelständischen Vermögens nach der Währungsreform zutreffend beurteilen zu können. Danach kann aber kein Zweifel an dem Zurückbleiben des mittelständischen Vermögens gegenüber dem kräftig mit der Konjunktur fortschreitenden Vermögen der öffentlichen Hand einschließlich der Sozialversicherungsgesellschaften auf der einen Seite und der Industrie auf der anderen Seite, von Banken und Versicherungsgesellschaften ganz zu schweigen, bestehen. Wir werden also von unserer Seite aus sehr nachdrücklich weitere Maßnahmen der öffentlichen Hand, vorab des Bundes, zugunsten der Eigentumsbildung des Mittelstandes und seiner Existenzerhaltung zu fordern haben.
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Wir sehen nach wie vor in der größtmöglichen Zahl selbständiger Existenzen des Mittelstandes die gesündeste Basis unseres Staates.
Wenn schon - um nur ein Beispiel herauszugreifen - angesichts des sich abzeichnenden Finanzverfassungsgesetzes dem Bundesfinanzminister bei der Umsatzsteuer kein allzu großer Spielraum mehr bleibt, dann wird man von seiten des Bundes das in seinem Rahmen Mögliche zugunsten einer Senkung der Gewerbesteuer, vor allem durch Heraufsetzung der Freigrenzen, eben tun müssen; denn heute spielt das Gewerbesteueraufkommen bereits eine nicht zu unterschätzende Rolle neben den Einkommensteuern und den Verbrauchsteuern.
Ich bin mir mit dem Bundesfinanzminister durchaus der sehr unterschiedlichen Lage der Gemein({27})
den und Städte hinsichtlich ihres Gewerbesteueraufkommens bewußt. Selbst zwischen den Großstädten ergeben sich erstaunlich große Divergenzen, z. B. zwischen den Ruhrgroßstädten und solchen Gewerbezentren wie Stuttgart und Frankfurt. Allein dieser Umstand scheint doch die Forderung nach genaueren, einheitlicheren und übersichtlicheren Haushaltsvergleichen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu rechtfertigen.
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Ich für meine Person hätte nichts gegen eine Beteiligung der Gemeinden auch an den Einkommensteuern,
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wenn dies verfassungsrechtlich mit den Ländern auszuhandeln wäre. Dies würde dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit weitaus mehr entsprechen als das bisherige System des Kommunalausgleichs innerhalb der Länder, bei dem die finanzschwachen ihrerseits wiederum von den finanzstarken Ländern und dem Bund abhängen. Es ist bei uns so manches wunderschön kompliziert, auch da, wo es im besten demokratischen Sinne wahrhaftig nicht kompliziert zu sein brauchte.
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Darf ich hier eine Bemerkung über das Verhältnis von Bund und Ländern überhaupt einschieben. Das Bestreben der Länder an sich, ihre Investitionsvorhaben an öffentlichen Bauten finanziell möglichst ungestört und auch in den nächsten Jahren reibungslos durchzuführen, finde ich durchaus verständlich. Daß uns als Bundestagsabgeordneten die einseitige Regelung innerhalb unserer Verfassung nicht gefällt, wonach die Länder über den Haushalt des Bundes mitzubestimmen haben, ohne daß der Bund auch nur die geringste Einsicht in die Haushalte der Länder, geschweige denn ein Mitspracherecht besäße,
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das sollte umgekehrt auch den Ländern verständlich sein.
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- Lieber Kollege Niederalt, nun komme ich noch zu einem viel schwierigeren Kapitel. Wenn ich das jüngste Ergebnis des Vermittlungsausschusses, der gestern getagt hat, bereits als durch den Bundesrat angenommen einmal annehme, dann will es mir scheinen, daß hier ein Kompromiß auf dem Rücken des Steuerzahlers geschlossen worden ist.
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Die Länder sichern sich ein Höchstmaß an Einkommen- und Körperschaftsteuern. Der Bund wird sozusagen direkt darauf gestoßen, bei seinen später wachsenden Bedürfnissen eine Ergänzungsabgabe zu erheben, d. h. eine neue Steuer einzuführen.
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Ich für meine Person möchte hier gern einmal die voraussichtliche Reaktion des normalen Steuerzahlers vorwegnehmen. Ihm ist es wohl in der großen Masse völlig gleichgültig, ob er dem Bund oder dem Land Steuern zu zahlen hat. Für ihn ist mit Recht allein die Höhe seiner Steuern ausschlaggebend.
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Es wird ihm nun auch in der Rede des Bundesfinanzministers mit eindrucksvollen Zahlen ein Investitionsspielraum der Länder von rund 2,9 Milliarden DM vorgerechnet. Es wird weiter ein Schuldenzuwachs von 11 Milliarden DM einem Vermögenszuwachs der Länder von 23,4 Milliarden DM gegenübergestellt. Der deutsche Steuerzahler liebt an sich schon gar nicht derartige Vermögenszusammenballungen in der öffentlichen Hand. Noch weniger Verständnis aber hat er meinem Empfinden nach dafür, daß ihm in Aussicht gestellt wird, künftig an den Bund eine neue Steuer abzuführen, nur damit die Steuererträge der Länder und Gemeinden weiter steigen können. Läge es nicht vielmehr bei anerkannt wachsenden Ausgaben des Bundes und gleichbleibenden der Länder statt dessen nahe, den Bundesanteil in sinnvoller Weise entsprechend zu erhöhen? Ich wiederhole, daß ich hier für meine Person spreche. Vielleicht erinnert man sich aber beim Inkrafttreten der in diesem Vermittlungsvorschlag vorgesehenen Revisionsklausel an derartig einfache Überlegungen einmal im Jahre 1958. Nebenbei bemerkt hat es auch innerhalb der Weimarer Zeit keinen Dauerfrieden zwischen Reich und Länder auf finanziellem Gebiet gegeben, sondern, wenn ich mich nicht täusche, nicht weniger als 15 mehr oder weniger mangelhafte Kompromisse auf Zeit. Nichts scheint in dieser Welt so schwierig zu sein wie eine Einigung zwischen Finanzministern.
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- Herr Kollege Gülich, waren Sie nicht auch einmal bei dieser Zunft?
Lassen Sie mich jetzt nach dieser Anmerkung noch einiges aus dem Haushalt 1956 hervorheben. Ich gebe meiner ganz besonderen Freude über die für den Straßenbau zu erwartenden Leistungen Ausdruck. Wenn es die Offa schaffen sollte, die für 1956 bestimmten 115 Millionen DM der Autobahnen entsprechend aufzustocken, werden für Bundesstraßen und Autobahnen rund 800 Millionen DM zur Verfügung stehen. Das ist endlich einmal ein Betrag, der der Größe des Notstandes auch annähernd entspricht. Vielleicht gelingt es, mit der vorgesehenen organisatorischen Zusammenfassung der Bauabschnitte sogar noch zu einer wesentlichen Beschleunigung der Bauten selbst zu gelangen, damit nicht gerade in den Sommermonaten der Reiseverkehr am meisten gehemmt wird. Der Haushaltsausschuß hat vor wenigen Tagen dem Antrag meiner Freunde entsprochen, im Vorgriff auf den Haushalt 1956 eine Bindung von rund 301 Millionen DM dieser Straßenbauansätze bereits ab 1. Januar 1956 zuzulassen. Damit wird praktisch die Planung und Ausschreibung für einen sehr großen Teil der Bundesstraßen und Umbauten in das entscheidende Vierteljahr im Winter 1956 vorverlegt. Dadurch wird nicht nur eine sinnvollere Ausnutzung der Arbeitskraft und Maschinen bewirkt, sondern auch eine bessere Jahresdurchschnittsleistung bei den Stein- und Schotterwerken sowie den anderen Hauptlieferanten ermöglicht.
Beinahe ebenso erfreulich ist, was uns bereits vorher über die diesjährige Entwicklung der Bundesbahn mitgeteilt werden konnte. Wir kennen die sehr vorsichtige Beurteilung der Bundesbahnfinanzen durch ihre eigenen Finanzexperten. Angesichts dieser Entwicklung aber ist auch die Frage der vielfachen Zuschüsse, Zuwendungen und Steuerverzichte im Haushalt 1956 zugunsten der Bundesbahn in ein völlig neues Licht gerückt. Wir werden
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diese Frage noch sehr ernsthaft zu prüfen haben. Immerhin rückt jetzt das Problem der von uns seit langem geforderten Konsolidierung der Bundesbahn in eine greifbarere Nähe. Wir werden uns, glaube ich, schon im Jahre 1956 oder 1957 damit befassen können. Selbst wenn im nächsten Jahr die Massentransportkonjunktur weiter anhält - und die Maßnahmen zur Beschränkung der Gütertransporte werden sich ja erst nach fünf Jahren auswirken -, teile ich nicht ganz den Optimismus des Bundesfinanzministers und erst recht nicht den meines sonst sehr verehrten Kollegen Dr. Wellhausen hinsichtlich der Erreichung eines ausgeglichenen Bundesbahnhaushalts schon in diesem oder vielleicht im nächsten Haushaltsjahr. An eine Ablieferung der Beförderungsteuer an den Bund wagen ja wohl auch kühne Träumer kaum zu denken. Mir scheint das Problem der Eisenbahn heute nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches, ja vielleicht sogar ein internationales Sorgenproblem zu sein. Wir werden wohl froh sein müssen, die Hunderte von Millionen für Bundesbahnzuschüsse in Zukunft zur Lösung anderer Aufgaben verwenden zu können. Ich denke hier voller Sorge an das Problem des deutschen Wasserhaushalts und die völlig unzulänglichen Mittel, die wir bislang dafür in den Haushalt einstellen konnten. Ich halte energische Maßnahmen zur Erhaltung des deutschen Wasservorrates - auf weite Sicht gesehen - für mindestens ebenso wichtig für eine weitere Entwicklung unserer Wirtschaft wie z. B. die Steigerung der Kohlenproduktion oder das vom Bundesfinanzministerium mit gutem Recht hervorgehobene Problem der kernphysikalischen Forschung und des künftigen Baues von Atommeilern und -kraftwerken. Niemand wird die hier genannten Mittel im kommenden Haushaltsjahr als üppig bezeichnen. Da uns aber ein ausgewachsenes neues Atomministerium angekündigt wurde, werden wir dort wohl die entsprechenden Summen für die unbedingt notwendige Einholung der Fortschritte anderer Nationen vorfinden. Wir sind da auf einiges gefaßt, werden aber über den Notwendigkeiten der heute uns so sehr auf die Haut gerückten kernphysikalischen Forschung nicht die ebenso notwendige, vielleicht in manchen Bezirken noch notwendigere Grundlagenforschung und Forschung auf anderen Gebieten der Wissenschaft vernachlässigen. Der Haushaltsausschuß hat ja von jeher eine verständliche Schwäche für die Archäologie gezeigt
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- ich glaube, diese Schwäche teilen Sie mit anderen, Herr Kollege Schoettle! -, aber er hat sich, glaube ich - das kann er mit Recht von sich sagen -, in den letzten Jahren niemals auch den anderen Anliegen der Wissenschaft versagt, und er wird das auch in Zukunft nicht tun, auch wenn ihm manchmal bei den Anforderungen der Vielzahl von nicht immer bedeutungsvollen Forschungsinstituten im Bereich des Bundesernährungsministeriums und des Bundesinnenministeriums diese Sache ein wenig schwer gemacht wird.
Lassen Sie mich nun gegen Schluß noch ein Wort über die Vermögenslage des Bundes und über die vielleicht noch wichtigere Frage der Bundesschuldensituation sagen, bevor ich mich am Ende mit noch einigen Kernproblemen der Investitionen befasse. Es kommt uns vielleicht erst jetzt beim Haushalt 1956 die wachsende Schuldenlast des Bundes recht zum Bewußtsein. Sie drückte sich bislang nur in einem im Vergleich zu anderen Ländern verschwindenden Prozentsatz an Zins- und Amortisationsleistungen im Haushalt aus. Das wird in Zukunft wesentlich anders werden, wenn das Kriegsfolgenschlußgesetz, das Rückerstattungsgesetz und die vom Bundesfinanzminister bereits angekündigten Gesetze über die Tilgung von Ausgleichsforderungen in Kraft gesetzt werden. Die bis jetzt 20 Milliarden Bundesschulden, die in den Vorbemerkungen auf Seite 610 in einer zusammengefaßten Statistik uns aufgeführt werden, dürften sich in den nächsten Jahren sehr rasch verdoppeln. Um so größere Aufmerksamkeit sollten wir deswegen auf der anderen Seite den Erträgen des Bundesvermögens zuwenden. Wir glauben, daß diese Erträge auch im kommenden Haushaltsjahr immer noch unverständlich gering ausfallen. Wir wollen hier deswegen den Herrn Bundesfinanzminister mit allem Nachdruck an die nunmehr schon seit zwei Jahren erhobene Forderung erinnern, doch mehr als bisher um angemessene Erträge aus diesem Bundesvermögen besorgt zu sein.
Wir wiederholen auch noch einmal nachdrücklich eine zweite Forderung. Der Bundesfinanzminister möge sich gerade im kommenden und im folgenden Haushaltsjahr verpflichten, neu zu erwerbende Liegenschaften soviel wie möglich durch Abstoßung anderer Liegenschaften oder Teile des Bundesvermögens zu finanzieren. Die öffentliche Hand wird durch die unvermeidlichen Neubauten an Unterkünften usw. ohnehin automatisch einen erheblichen Vermögenszuwachs erfahren. Wir sind nicht daran interessiert, das Staatsvermögen auf Kosten der Steuerzahler sich noch weiter ausdehnen zu lassen, nachdem die Folgen des ersten derartigen Prozesses von 1935 bis 1945 noch nicht rückgängig gemacht worden sind.
Noch ein weiteres Wort an den Bundesfinanzminister. Wenn sich der Bundesfinanzminister in seiner Rede und in den Vorbemerkungen auf Seite 10 nachdrücklich gegen eine neue Expansion und Investition der Wirtschaft wendet, so übersieht er den Widerspruch zu dem, was er auf Seite 15 zu Recht angeführt hat, indem er die bevorstehende weitere Anspannung des Arbeitsmarktes ankündigt und dann wörtlich sagt: „Damit gewinnt die Produktivitätssteigerung entscheidende Bedeutung für die weitere Hebung des Lebensstandards." Er sprach hier nämlich von der mit Sicherheit zu erwartenden Verknappung auf dem Arbeitsmarkt. Wie man sich eine weitere Produktivitätssteigerung ohne neue Investitionen vorstellt, möchte ich einmal ganz naiv fragen. Wer z. B. den NovemberBericht der Bank deutscher Länder aufmerksam liest, findet dort sehr beachtliche Angaben über das seit einem halben Jahr stetige Übergreifen der Konjunktur auch auf die Konsumgüterindustrie. Das ist angesichts der wachsenden Zahl der Erwerbstätigen, der Erhöhung der Leistungen für die Rentner und Unterstützungsberechtigten, eines Betrages von 852 Millionen DM allein an Hausratshilfe in einem Etatjahr durchaus natürlich. Die Bank deutscher Länder sagt aber eine eigenständige neue Investitionswelle der Konsumgüterindustrie voraus. Man braucht kein Prophet zu sein, um das gleiche für die Bauwirtschaft voraussagen zu können. Das alles wird uns zwingen, der Frage der Beschaffung von Arbeitskräften im kommenden Jahr eine weitaus größere Aufmerksamkeit zu widmen, als das bislang der Fall war.
In diesen Wochen vor dem Weihnachtsfest hat sich unverkennbar eine ruhigere Beurteilung der
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Gesamtkonjunktur durchgesetzt. Die Bundesregierung sollte diese kühleren Monate zu einer Überprüfung ihrer organisatorischen Möglichkeiten für eine bessere Koordination der konjunkturpolitischen Lenkungsmöglichkeiten in ihrer Hand nutzen. Es ist leider nicht so, daß bei unserem Volk mit der unleugbar steigenden Sättigung der materiellen Bedürfnisse auch jene innere und so nützliche Gelassenheit gegenüber der Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung gewachsen wäre. Wir leben in einem sehr jungen Staate und sind ängstlich alle miteinander bemüht, uns selbst und das deutsche Volk mit diesem neuen Haus, in dem es wohnt, vertraut und es darin heimisch zu machen. Daß dieses Haus auf der einen Seite offen und noch nicht zugebaut ist, erschwert unser Bemühen unendlich. Aber wir wollen gerade diese Stunde der Konzentration auf unsere innerstaatliche Aufgabe im Rahmen des Haushalts nicht ungenutzt lassen, unsere Hand all denen entgegenzustrecken, die mit uns bereit sind, an der Sicherung und an der Wohlfahrt unseres jungen Staates mitzuarbeiten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Präsidenten eigentlich dankbar, daß er meine Wortmeldung übersehen und dem Sprecher der größten Regierungsfraktion zuerst das Wort gegeben hat. So ist eine Situation vermieden worden, wie sie in den vergangenen Jahren gelegentlich eintrat, daß nämlich der erste Sprecher der Regierungskoalition in dem Bemühen, die Argumente der Opposition abzuwehren, in erster Linie zum Apologeten des Herrn Bundesfinanzministers und der Bundesregierung wurde. Heute hat man wenigstens auch einige andere Töne gehört, und das war zur Bereicherung der Debatte durchaus angemessen. Denn Gesprächspartner in diesem besonderen Falle einer Haushaltsdebatte sind ja nicht Opposition und Regierungskoalition, Gesprächspartner sind Parlament und Bundesfinanzminister.
Der Herr Bundesfinanzminister begann gestern seine Rede mit einem Lob für die vielen, die dabei mitgewirkt haben, daß der Haushaltsplan 1956 auch in diesem Jahr einen Monat vor der bestimmungsgemäß vorgeschriebenen Zeit dem Parlament vorgelegt werden kann. Ich möchte dieses Lob nicht im geringsten einschränken, ja, ich möchte noch eine anerkennende Bemerkung hinzufügen, die die Form des Haushalts, die Aufmachung, die Begleitpapiere betrifft, die ja einen wesentlichen Schritt nach vorne in der Durchleuchtung und in der Möglichkeit der Beurteilung des Haushaltsplans bedeuten.
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In dieser Hinsicht hat sich vieles gebessert, und man muß denen, die dafür viel Mühe und Arbeit aufgewandt haben, Dank wissen.
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Allerdings muß ich sagen, meine Damen und Herren, daß ich die Schlußfolgerung des Herrn Bundesfinanzministers aus seiner lobenden Bemerkung, daß die Verabschiedung des Haushalts zu dem im Grundgesetz vorgeschriebenen Termin möglich sein sollte, nicht akzeptieren kann, und zwar ganz einfach aus diesem Grunde: Auch der Herr Bundesfinanzminister muß ja schließlich die umständliche Gesetzgebungsmaschine kennen, die uns das Grundgesetz beschert hat. Er wird wohl selbst kaum glauben, daß wir in der uns noch verbleibenden Woche vor den Weihnachtsferien einen wesentlichen Teil des Haushalts beraten können. Und dann bleiben uns praktisch im ganzen noch drei Monate bis zum 1. April 1956, dem Termin, an dem nach den Erfordernissen des Grundgesetzes der neue Haushalt in Kraft treten sollte. Diese drei Monate reichen nach allen Erfahrungen nicht aus, um Bundestag und Bundesrat, die ja beide an der Verabschiedung des Haushalts beteiligt sind, unter Wahrung aller Fristen Gelegenheit zu einer gründlichen und verantwortlichen Beratung zu geben. Meine Freunde und ich müssen Wert darauf legen, daß insbesondere die gründliche Beratung dieses Haushalts möglich ist. Ich würde es übrigens für entschieden zweckmäßiger halten, wenn der Herr Bundesfinanzminister durch eine solche Bemerkung - ich möchte sie im Rahmen des Ganzen nicht überbewerten -, von der er wissen muß, daß sie eine technische Unmöglichkeit fordert, die parlamentarischen Beratungen nicht unter einen ungewöhnlichen Zeitdruck stellen wollte. Wir haben schließlich in diesem Hause Tote und schwer Angeschlagene genug, und ich glaube, wir brauchen nicht auch noch einige aus dem Haushaltsausschuß hinzuzufügen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern hier versucht, die Kritik vorwegzunehmen, die gegenüber seiner Publikationspraxis laut geworden ist. Ich glaube nicht, daß dieser Versuch ganz gelungen ist. Natürlich weiß auch ich, daß die Voraussetzungen für die Übertragung der englischen Praxis des Budget-day, d. h. der Konzentration der Veröffentlichung des Budgets auf einen einzigen Tag, in der Bundesrepublik schon infolge der Doppelgleisigkeit der gesetzgeberischen Arbeit nicht gegeben sind. Die Art aber, wie der Herr Bundesfinanzminister nach der Verabschiedung des Haushaltsentwurfs im Kabinett an die Öffentlichkeit gegangen ist, muß doch kritisiert werden.
Ich möchte nicht den Eindruck aufkommen lassen, daß meine Freunde und ich - ich besonders habe gar keine Veranlassung dazu - etwa die Information der Presse und damit der Öffentlichkeit unterbinden wollen. Wir sind im Gegenteil der Meinung, daß diese Information rechtzeitig und vollständig sein soll, damit die Öffentlichkeit auch Anteil an den politischen Entscheidungen nehmen kann, die in diesem Hause getroffen werden. Es kommt aber auf das Wie der Information und auf die politische Wirkung an, die damit erzielt wird. Der Herr Bundesfinanzminister legt ja schließlich den Entwurf eines Haushalts vor, einen Entwurf, der prinzipiell in allen seinen Teilen der Veränderung durch parlamentarische Beschlüsse zugänglich sein muß. Wir wissen, wie eng leider die Grenzen der parlamentarischen Beeinflussungsmöglichkeiten gegenüber den Einzelheiten des Haushaltsplans sind. Die Gründe dafür brauche ich hier nicht auseinandersetzen; sie sind oft genug hier ausgesprochen worden. Es heißt aber das Parlament zu einer zweitrangigen Verfassungsfigur degradieren, wenn in der Berichterstattung über die Pressekonferenz des Herrn Bundesfinanzministers über den Haushaltsplanentwurf landauf, landab zu lesen stand: Die Bundesregierung stellt für diesen oder jenen Zweck im Haushalt 1956 diese oder jene Summe zur . Verfügung, - gerade so, als ob mit der Verabschiedung im Kabinett bereits die Entscheidungen in allen Fragen getroffen sind. Das
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mag ein Mißverständnis bei den Journalisten sein. Aber ich glaube, dieses Mißverständnis ist nicht zum geringsten durch die Art der Publikation und der Information der Öffentlichkeit erzeugt worden. Es geht hier gar nicht um eine Prestigefrage, sondern es geht um die prinzipielle Frage, wer in diesem Stadium der Haushaltsentwicklung den Vorrang hat, das Parlament oder die Regierung. Wir sollten auf die Klarstellung dieser Dinge einen gewissen Wert legen, weil das Parlament im Bewußtsein der Öffentlichkeit sowieso noch einiges an Prestige zuzugewinnen hat.
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In England ist ja schließlich ein Finanzminister gegangen worden, weil ihm nachgewiesen wurde, daß er eine Stunde vor seiner Haushaltsrede einem befreundeten Journalisten Mitteilungen über den Inhalt seines Budgets gemacht hatte. Bei uns in der Bundesrepublik tritt ein Finanzminister nicht einmal zurück, wenn er von seiner eigenen Mehrheit in entscheidenden Finanzfragen im Stich gelassen wird. Dafür haben wir ja ein Grundgesetz.
Das kennzeichnet aber doch wohl den Unterschied am besten, und ich muß sagen, ich habe es nicht gerade als besonders taktvoll empfunden, wenn der Herr Bundesfinanzminister über ein Gespräch mit einer englischen Wirtschaftsjournalistin so berichtet hat, als ob wir hier in der Bundesrepublik auf allen Gebieten sozusagen eine Nasenlänge vor den Engländern wären.
Wir sollten darauf bestehen, daß bei aller Anerkennung des Bedürfnisses nach korrekter Unterrichtung der Öffentlichkeit die staatsrechtlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Positionen der gesetzgebenden und der administrativen Gewalt nicht immer mehr zuungunsten des Parlaments verschoben werden. In der modernen Massengesellschaft, im modernen Industriestaat liegt die Gefahr ja so sehr nahe, daß eine solche Verschiebung zugunsten der Administration oder, genauer gesagt, zugunsten der Bürokratie eintritt und das Parlament immer mehr zu einem Schattendasein verdammt wird.
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Uns genügt es schon - und das muß in diesem Zusammenhang auch gesagt werden -, daß das böse Wort von der „Kanzlerdemokratie" in der öffentlichen Diskussion herumgeistert, und eine „Finanzministerdemokratie" kann ich mir noch als viel weniger wünschenswert vorstellen als die Diktatur - entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, die Demokratie, die unter dem Vorzeichen der absoluten Unantastbarkeit des Regierungschefs steht.
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Der Herr Bundesfinanzminister präjudiziert nach unserer Meinung wichtige Parlamentsentscheidungen, wenn er vor jeder parlamentarischen Beratung detaillierte Angaben über den Umfang seiner Bereitschaft zu Steuersenkungen oder zu sonstigen finanzpolitischen Maßnahmen macht und damit von vornherein schon die Grenze absteckt, innerhalb deren er überhaupt bereit ist, über bestimmte Maßnahmen zu verhandeln. Das scheint uns eine Methode zu sein, die auf die Dauer nicht tragbar ist.
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Daß der Herr Bundesfinanzminister auch sonst eine Neigung zeigt, die Information des Parlaments hinter die der Presse zu setzen - wobei ich nichts gegen die Presse gesagt haben will -, hat er schließlich damit gezeigt, daß er die vom Bundestag am 23. Februar 1955 gewünschten Denkschriften zur Frage der Ehegattenbesteuerung und der steuerlichen Entlastung der Arbeitseinkünfte der Presse übergeben hat, ehe ein Abgeordneter sie überhaupt zu Gesicht bekommen hat.
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Das scheint uns nicht die richtige Methode zu sein, auf Beschlüsse des Parlaments zu reagieren.
Bei der Gelegenheit übrigens eine Bemerkung zur Frage der Ehegattenbesteuerung selbst, die zwar unmittelbar nichts mit dem sachlichen Inhalt der Vorschläge des Herrn Bundesfinanzministers zu tun hat, wohl aber mit der Behandlung dieser Dinge durch ihn. Der Deutsche Bundestag hat es mehrmals mit eindrucksvollen Mehrheiten abgelehnt, dem Herrn Bundesfinanzminister auf seinem Wege zur gemeinsamen Veranlagung im Arbeitsprozeß stehender Ehegatten zu folgen. Es ist zwar ein Zeichen der Beharrlichkeit des Herrn Bundesfinanzministers, daß er immer wieder mit derselben Idee kommt; aber wäre es nicht ein Zeichen für einen gewissen Respekt vor der Meinung des Parlaments, das mehrmals entschieden hat, wenn er diese Meinung endlich zur Kenntnis nehmen wollte?
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Nun, meine Damen und Herren, es ist bei dieser ersten Beratung nicht möglich, den Haushaltsentwurf in allen Einzelheiten zu untersuchen, ganz abgesehen davon, daß wir uns in diesem Stadium mit den Grundsätzen auseinanderzusetzen haben, die in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers zum Ausdruck kamen und die auch in dem Entwurf ihren Niederschlag finden. Trotzdem gestatten Sie mir einige allgemeine Bemerkungen zu Form und Struktur des Haushaltsentwurfs.
Leider sind die Allgemeinen Vorbemerkungen - und ich muß diese Klage hier wiederholen, obwohl der Herr Kollege Vogel sie schon zu einem Teil selber vorgebracht, zu einem Teil abgeschwächt hat - zu einem Zeitpunkt in die Hand der Abgeordneten gekommen - nämlich vor zwei Tagen -, wo es völlig ausgeschlossen ist, sie in dieser kurzen Zeit auch nur annähernd gründlich zu studieren. Ich bedaure das außerordentlich. Denn in diesen Allgemeinen Vorbemerkungen stekken die Ansatzpunkte - aber auch nur die Ansatzpunkte - zu einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, die wir Sozialdemokraten bei vergangenen Haushaltsdebatten mit Nachdruck gefordert haben.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat dem Hohen Hause einen Antrag unterbreitet, der wohl bei der dritten Beratung des Haushalts zur Entscheidung kommen wird, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß des Bundestages den Jahresbericht der Bundesregierung an die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit - abgekürzt: OEEC - v o r dessen Absendung rechtzeitig zur Kenntnis zu bringen und die Stellungnahme des Ausschusses dazu einzuholen. In einem anderen Antrag fordern wir, daß dem Bundestag die Berechnungen und Schätzungen des Sozialprodukts und die statistischen Unterlagen für die Errechnung des Steueraufkommens, die dem Haushalt 1956 zugrunde gelegt worden sind, bekannt({9})
gegeben werden. Ich weiß, daß diese Anträge heute nicht entschieden werden können; das ist auch nicht der Sinn der ersten Beratung. Aber die Absicht dieser sozialdemokratischen Anträge ist es - und darum erwähne ich sie -, daß dieses Haus über die fragmentarischen Allgemeinen Vorbemerkungen hinaus, die wir als eine erfreuliche Verbesserung der bisherigen Praxis betrachten, detailliertere Unterlagen für seine eigenen Entscheidungen in finanz-, steuer- und wirtschaftspolitischen Fragen bekommt, als es sie bisher zur Verfügung hatte.
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Es ist nicht einzusehen, daß die Bundesregierung in umfangreichen Vorarbeiten Materialien für eine supranationale Organisation wie die OEEC erstellt, deren Nützlichkeit und Bedeutung wir durchaus anerkennen, daß aber dieselben Unterlagen dem eigenen Parlament nur in einem beschränkten Umfang zur Verfügung stehen sollen.
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Wir müssen schließlich Entscheidungen treffen, die unmittelbar in das Schicksal jedes einzelnen Staatsbürgers eingreifen, und haben deshalb ein Recht darauf, ausreichend, vollständig und gründlich informiert zu sein. Wir meinen, daß wir durch die Annahme der von uns gestellten Anträge dem Ziel näherkommen können, das uns mit einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vorschwebt, ohne daß wir damit etwa die Illusion verbinden, daß diese volkswirtschaftliche Gesamtrechnung uns nun auf lange Zeit Aufschluß über alle, auch die subtilsten Bewegungen im volkswirtschaftlichen Prozeß geben könnte. Das glauben wir auch nicht, und deshalb haben wir immer erklärt, diese volkswirtschaftliche Gesamtrechnung solle ein Orientierungsmittel, nicht aber ein gesetzlich bindendes Instrument sein.
Inwieweit der Funktionenhaushalt, der erstmalig dem Gesamtplan des Bundeshaushalts angeschlossen ist, einen wesentlichen Fortschritt bedeutet und eine klarere Übersicht über die Verwendungszwecke der Haushaltsmittel gibt, wird sich im Laufe der Beratungen im Haushaltsausschuß zeigen müssen. Daß der Versuch gemacht wurde, ist begrüßenswert. Damit hat wohl zum erstenmal die weitgestreute internationale Diskussion über das Problem des sogenannten Leistungsbudgets in unserer Haushaltspraxis einen Niederschlag gefunden.
Die Reform unseres Haushaltsrechts steht allerdings immer noch aus. Meine anläßlich der letzten Haushaltsberatung erhobene Forderung, daß sich das Parlament rechtzeitig in die Behandlung dieses sein ureigenstes Recht berührenden Problems einschalten soll, bleibt nach wie vor bestehen. Was der Herr Bundesfinanzminister aus dem Reisebericht einiger Mitglieder des Haushaltsausschusses und der Verwaltung über ihre Beobachtungen im Bereich des amerikanischen Haushaltswesens gestern thesenmäßig herausgegriffen hat, akzeptieren wir auch, freilich nur als gute Vorsätze; das muß ich ausdrücklich hinzufügen. Denn entscheidend ist, daß die guten Vorsätze auch verwirklicht werden.
Ich habe schon von der Haushaltsordnung gesprochen, deren Reform dringend notwendig ist. Aber daß der Herr Bundesfinanzminister gestern in der Frage der Umstellung des Haushaltsjahrs auf das Kalenderjahr eine so zögernde Haltung eingenommen hat und so sehr betont hat, daß die Länder bisher nicht mittun, das muß ich, offengestanden, bedauern. Es will mir scheinen, daß dieser Schritt längst überfällig wäre.
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Wir haben in diesen Tagen im Haushaltsausschuß - Herr Kollege Vogel hat schon in einem anderen Zusammenhang davon gesprochen - den hoffentlich von Erfolg begleiteten Versuch gemacht, eine der unangenehmsten Begleiterscheinungen unserer jetzigen Haushaltspraxis zu mildern oder zu beseitigen.
Das Haus wird sich demnächst mit einem Vorschlag zu beschäftigen haben, der aus den Reihen der Regierungskoalition kommt und den der Haushaltsausschuß modifiziert hat, einem Vorschlag, der es möglich macht, die Mittel für den Straßenbau, die in diesem Entwurf für das Haushaltsjahr 1956 vorgesehen sind, im Wege der Bindungsermächtigungen an den Beginn des Haushaltsjahrs vorzuziehen. Das ist ein bescheidener erster Schritt und ein Notbehelf, der den berechtigten Klagen der Bauwirtschaft über das späte Fließen der Haushaltsmittel für Bauzwecke vielleicht ein Ende bereiten mag. Aber es muß eine Lösung für das Gesamtproblem gefunden werden.
Ich bedaure sehr, daß der Herr Bundesfinanzminister die Überlegungen, die vor einiger Zeit angestellt wurden, daß man nämlich die Haushaltsperiode einmal nur auf neun Monate beschränken solle, um damit den Anschluß an das Kalenderjahr zu finden, nicht zu Ende geführt hat. Einmal müssen wir den Sprung machen, und ich glaube, je eher je besser.
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Allerdings hat der Herr Bundesfinanzminister mit seinem Hinweis nicht Unrecht, daß die Länder - und vor allem die Länder! - zögern. Aber wäre es nicht gut, wenn wir einmal durch einen kühnen Entschluß einen sanften Zwang auf die zögernden Länder ausübten?
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Ich bin überzeugt, daß sie nachkommen würden.
Als ich in meiner letzten Haushaltsrede hier im Hause davon sprach, daß die Post zum Kalenderjahr als ihrem Wirtschaftsjahr übergegangen sei, bekam ich einen leise vorwurfsvollen Brief des Finanzchefs der Deutschen Bundesbahn, in dem er mich armen Parlamentarier darauf hinwies, daß nicht nur die Deutsche Bundespost, sondern schon seit 30 Jahren das größte Unternehmen der öffentlichen Wirtschaft, nämlich die Deutsche Bundesbahn, das Kalenderjahr als Wirtschaftsjahr habe. Nun, meine Damen und Herren, wenn zwei so gewaltige Faktoren der öffentlichen Wirtschaft das Kalenderjahr als Wirtschaftsjahr haben, dann müßte es doch nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn uns unüberwindliche Schwierigkeiten den Entschluß erschweren oder gar unmöglich machen sollten, dasselbe zu tun.
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In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Strukturproblem dieses Haushaltsplans herausgreifen, auf das wir Sozialdemokraten unsere nachdrückliche Kritik richten müssen. Wir haben immer gefordert, daß das Aufkommen aus dem Notopfer Berlin zweckgebunden werde und in vollem Umfang zur Stützung des Haushalts des Landes Berlin
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Verwendung finde. Deshalb haben wir stets beantragt, daß im Einzelplan 45, dem Einzelplan, in dem die Hilfsmaßnahmen für Berlin auf der Ausgabenseite ausgewiesen wurden, nicht nur die Aufwendungen für Berlin als Ausgaben, sondern auch das Aufkommen aus dem Notopfer als Einnahme eingestellt werden. Was ist statt dessen geschehen? Der Herr Bundesfinanzminister hat den Einzelplan 45 einfach verschwinden lassen, die Einnahmen aus dem Notopfer Berlin in den Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - übergeführt und dazu gesagt: Nun stehen ja Einnahmen und' Ausgaben in e in e m Einzelplan.
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Mir scheint das ein Verfahren zu sein, das allen politischen Überlegungen widerspricht und unter gar keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt ist.
({18}) Schließlich, meine Damen und Herren, ist es ja nicht einfach eine haushaltstechnische Angelegenheit, sondern eine eminent politische Frage, die sich in den Hilfsmaßnahmen für Berlin widerspiegelt.
Wir freuen uns darüber, daß der Herr Bundesfinanzminister Erleichterungen für einen bestimmten Kreis von Steuerzahlern angekündigt hat, indem er auf die Erhebung des Berliner Notopfers insoweit verzichten will, als es bisher bis zu 30 DM betragen hat. Das kann aber doch nicht irgendwie die Hilfe für Berlin einschränken. Wir sind der Meinung, daß die Hilfe für das Land Berlin im Gegenteil ausschließlich unter den allgemeinen politischen Gesichtspunkten und Erfordernissen gesehen werden muß, und zwar ohne Rücksicht auf die fiskalischen Überlegungen im Bundesfinanzministerium.
Ich möchte mich nun vor allem der Einführungsrede des Herrn Bundesfinanzministers selbst zuwenden. Freilich kann ich ihm dort nicht folgen, wo er den Versuch gemacht hat, bestimmte Züge seiner Finanzpolitik sozusagen ideologisch zu untermauern. Daß die Finanzpolitik zu dienen hat, ist - Herr Bundesfinanzminister, entschuldigen Sie das etwas harte Wort - ein Gemeinplatz. Das wissen wir alle. Die Frage ist, wem sie zu dienen hat, in wessen Diensten sie steht. Sie haben gesagt, die Finanzpolitik, die Haushaltspolitik müsse dazu dienen, die Politik der Regierung durchzuführen. Das ist der Grund, warum wir auch Ihre Finanzpolitik kritisiert haben; denn wir stehen ja in einer Reihe von Fragen im Widerspruch zu der Politik der Regierung. Wir haben es immer richtig verstanden, daß Sie als Minister dieser Regierung eine bestimmte Finanzpolitik und keine andere treiben. Wir haben Ihnen daraus keinen Vorwurf machen können. Unsere Kritik richtet sich gegen die Grundlagen der Politik. Ich möchte gleich hinzufügen - was leider in der Bundesrepublik gelegentlich einmal notwendig ist, weil es manche Leute gern übersehen oder vielleicht nicht begreifen können -, daß Gegnerschaft gegen eine temporäre Regierung - und jede Regierung ist temporär und nicht definitiv - nicht mit Gegnerschaft gegen den Staat und seine Rechtsgrundlagen gleichbedeutend ist. In diesem letzteren Punkte können wir Sozialdemokraten absolut keiner Mißinterpretation unserer eigenen Absichten und Ansichten ausgesetzt sein.
Meine Damen und Herren, einen großen Teil seiner Rede hat der Minister der Abwehr bestimmter Forderungen gewidmet, die im Parlament und in der Öffentlichkeit gegenüber seiner Finanzpolitik erhoben worden sind. Diese Forderungen und Wünsche an den Bundesfinanzminister gehen von der unbestreitbaren Tatsache aus, daß infolge der Hochkonjunktur das Aufkommen aus Steuern und Abgaben weit über die Schätzungen hinausgeht und daß deshalb die Bundeskasse wie manche andere öffentliche Kasse über einen hohen Bestand an liquiden Mitteln verfügt. Die Forderung nach Steuersenkungen auf der einen und nach Verbesserung der sozialen Leistungen auf der anderen Seite mögen in ihren Motiven und Absichten verschiedener Art sein. Sie beruhen aber im letzten Grund auf der These, daß der Staat von seinen Bürgern nicht mehr fordern soll, als er zur Bestreitung seiner aktuellen Ausgaben braucht.
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Demgegenüber hat der Bundesfinanzminister eine andere These aufgestellt, die meine Freunde und ich für höchst bedenklich und auf die Dauer für unerträglich halten, die These nämlich, daß er als Finanzminister mit seiner Finanzpolitik jetzt schon Reserven für künftige Jahre ansammeln müsse. Im Zusammenhang damit hat er ein Argument gebraucht, das in einem geradezu grotesken Widerspruch zu allen haushaltsrechtlichen Vorstellungen steht, die wir bisher für gültig gehalten haben. Er hat nämlich, um seine Politik der Aufspeicherung von Mitteln, die mit einem schönen deutschen Wort auch Thesaurierungspolitik genannt wird, zu rechtfertigen, den Grundsatz der Einheit des Haushalts kühn über Bord geworfen und den Verteidigungshaushalt mit seinen 9000 Millionen als eine Art „Blümlein Rührmichnichtan" dem übrigen Haushalt gegenübergestellt.
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Hier, wo die entscheidenden Positionen des Sozialhaushalts, der Wirtschafts-, der Agrar- und Finanzpolitik zu Buche stehen, sollen alle Kompromisse zwischen drängenden Forderungen der Zeit und der Menschen und den fiskalischen Bedürfnissen des Herrn Bundesfinanzministers im engen Raum ausgetragen werden, während in der „guten Stube" der Verteidigung überhaupt nicht abgestaubt werden darf.
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Mir scheint das eine unmögliche These zu sein, die man auf die Dauer einfach nicht durchhalten kann, wenn man nicht zu absolut unmöglichen Proportionen bei der Aufbringung der Mittel für allgemeine Aufgaben kommen will.
Mit einer eleganten Handbewegung hat der Herr Bundesfinanzminister alle Einwände gegen diese seine Thesaurierungspolitik abgetan. Aber die Beispiele, die er aus der Zeit der reinen Besatzungskostenwirtschaft herangezogen hat, sind nicht schlüssig. Wir bewegen uns ja jetzt in einem Raum, in dem wir, da wir ja souverän sind, allein zu bestimmen haben, wenngleich ich natürlich zugebe, daß vertragliche oder Rechtsverpflichtungen nicht einfach beiseite geschoben werden können. Aber der Bundeshaushalt ist ein Ganzes und muß es bleiben.
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- Es kommt darauf an, welche finanziellen Volumina man in diese Vertragsverpflichtungen hin({23})
eingeheimnist oder hineininterpretiert, und da gehen die Meinungen auch auseinander, Herr Kollege Conring!
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Der Herr Bundesfinanzminister hat übrigens diesmal im Gegensatz zu früheren Jahren mit entwaffnender Offenheit von seinen Gründen für seine Aufspeicherungspolitik gesprochen. Ich habe selten so klar gesehen oder mindestens aus den Worten des Herrn Ministers herausgehört, warum er das tut. Ich zitiere ihn. Er sagte:
Vielmehr ist damit zu rechnen, daß in der Anlaufzeit die Ausgaben geringer sind, um in den späteren Jahren Spitzen zu erreichen, die für das einzelne Jahr zu überhöhten Belastungen führen würden, wenn nicht vorausschauend auch finanzpolitisch für diese Jahre vorgesorgt würde.
Ich muß offen sagen, ich bedaure zutiefst, daß der Herr Bundesfinanzminister in unserer allgemeinen verfassungsrechtlichen Konstruktion ein so bequemes Bett für diese Methode bekommen hat. Das englische Beispiel, das er gelegentlich einmal, mit einem gewissen Anflug von Wunschträumen, heranzieht, ist da viel überzeugender. Da muß der Finanzminister nämlich jedes Jahr den Belastungssatz des Steuerzahlers dem Parlament neu vorschlagen und kann sich nicht darauf verlassen, daß die Steuerquellen ja so lange in der angenehmen Höhe fließen, als nicht durch Parlamentsentscheidungen andere Sätze festgelegt werden. Es wäre gut, wenn wir diese Methode erreichen würden. Ich fürchte leider, daß vorher eine Reihe von verfassungsrechtlichen Konsequenzen geklärt werden müssen. Aber wenn man das, was der Herr Bundesfinanzminister in seinem vorhin zitierten Satz sagte, auf eine einfache deutsche Formel bringen will, dann müßte man sagen: die Medizin soll dem Kinde löffelweise beigebracht werden. Oder man kann auch anders sagen: man hält das Niveau der steuerlichen Belastung jetzt höher, als es auf Grund der aktuellen Aufgaben sein müßte, damit man nicht später steuerliche Belastungen vornehmen muß, die politisch unangenehm sein würden.
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Es bleibt zu untersuchen, wie sich die Dinge in Wirklichkeit verhalten. Ich wage da zunächst einmal zu behaupten, daß die Manövriermasse in der Bundeskasse - ich rede jetzt von der Kasse, nicht vom Haushalt - größer ist, als es der Herr Bundesfinanzminister zugeben will. Er bewertet, jedenfalls nach unserer Meinung, die Rückzahlungsforderungen von seiten der Besatzungsmächte - ich muß mich korrigieren: der Herr Bundesfinanzminister hat gestern das interessante Wort „Stationierungsmächte" gebraucht, das mir bisher noch nicht begegnet ist - zu hoch. Die „Stationierungsmächte" werden nicht dieselben hohen Forderungen stellen und vermutlich auch nicht stellen können, wie sie der Herr Bundesfinanzminister immer annimmt. Das ist das eine.
Zum andern hat vor einigen Wochen der Deutsche Bundestag in Berlin eine konjunkturpolitische Debatte durchgeführt. Als Resultat dieser Debatte und vermutlich auch unter dem Eindruck der Diskussion über den Unterschied zwischen den Haushaltsansätzen 1955 und dem tatsächlichen Aufkommen hat sich auch der Herr Bundesfinanzminister entschließen müssen, Steuersenkungen für möglich zu halten. Vorsorglich hat er gleich den Betrag genannt, den er - nicht etwa das Parlament, sondern er - zur Verfügung stellen wolle. Er hat es auch gestern wiederholt. Daraus geht hervor, daß er sich nur in einem sehr mäßigen Umfang auf eine Herabsetzung der Steuerlast einlassen möchte. Er fürchtet vermutlich, daß seine Methode des Rufspeicherns von Mitteln im Wege der Ansammlung von Ausgaberesten bei einer Anpassung der Steuerlast an den aktuellen Bedarf nicht mehr möglich ist, und vielleicht spielt dabei auch die Überlegung eine Rolle, daß, wenn jetzt die Steuern so gesenkt würden, wie sie gesenkt werden könnten, man möglicherweise im Wahljahr 1957 die Steuern erhöhen müßte. Und das wäre doch höchst unangenehm, höchst unpopulär;. denn dann würde einiges sichtbar, was man bisher bestritten hat.
({26})
- Das halte ich für sehr wahrscheinlich.
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- Herr Kollege Dr. Willeke, ich glaube, wir unterhalten uns am besten in dieser Richtung und nicht quer durch das Haus.
Ich muß nochmals sagen, der allgemeine Eindruck ist: Man hält das Niveau der Steuerlast jetzt höher als nötig, um zu einem politisch ungünstigen Zeitpunkt dem Wähler nicht die Wahrheit über die wirklichen Verteidigungslasten sagen zu müssen.
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In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Frage der Steuersenkung überhaupt. Ihre Notwendigkeit und ihre Möglichkeit werden heute kaum mehr bestritten. Meinungsverschiedenheiten bestehen über Umfang und Richtung. Die konjunkturpolitische Situation würde dringend in die Richtung einer Senkung der Verbrauchsteuern weisen, so wie die Sozialdemokratie es in ihren Anträgen zur Konjunkturpolitik gefordert hat. Aus den Beratungen in den Ausschüssen des Bundestages wissen wir allerdings, daß ein großer Teil der Regierungsmehrheit Verbrauchsteuersenkungen überhaupt nicht mehr will und sich um so nachdrücklicher für eine Senkung der Einkommensteuer einsetzt. Hier klafft ein Widerspruch nicht nur zwischen den offenkundigen konjunkturpolitischen Notwendigkeiten, sondern auch zwischen den Absichten der Regierung, soweit sie erkennbar waren, und den Wünschen bestimmter Wirtschaftskreise, die ihre Sprecher bei der Mehrheit dieses Hauses haben. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion wäre - ich kann das erklären - durchaus bereit, einer weiteren Senkung von Steuersätzen zuzustimmen, wenn die vordringlichen Forderungen auf Senkung der Verbrauchsteuern befriedigt worden sind. Das Übergewicht der Verbrauchsteuern lastet in erster Linie nicht auf den Leuten mit steuerpflichtigem Einkommen, sondern auf der ganzen Masse der Bevölkerung. Wenn sich die Absicht jener Kreise durchsetzte, die aus sehr eigennützigen Gründen die Ertragsteuern senken und die Verbrauchsteuern in ihrer jetzigen Höhe belassen möchten, dann würde der groteske Zustand eintreten, daß die Rüstungsausgaben fast ausschließlich aus Verbrauchsteuern finanziert werden.
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({30})
Wir Sozialdemokraten müssen einer derartigen Politik, wie sie auch in der gestrigen Rede des Herrn Bundesfinanzministers zum Teil spürbar wurde, entschiedene Gegnerschaft ansagen.
Es war übrigens bemerkenswert und sicher nicht ganz zufällig, daß der Herr Bundesfinanzminister in seiner Rede immer dann, wenn er die Gefahren für die Währung schilderte, die Lohn- und Gehaltsforderungen der Arbeitnehmerschaft unter den Gefahrenquellen an erster Stelle nannte.
({31})
Warum eigentlich immer diese Warnungen an die Arbeitnehmer, wenn von Gefahren für die Währung die Rede ist?
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Gibt es nicht andere Gefahren, meine Damen und Herren? Haben die Wünsche der Arbeitnehmerschaft nach einem besseren Anteil am Sozialprodukt in der Geschichte Deutschlands jemals dieselbe währungszerstörende Rolle gespielt wie die zwei Kriege, die unnötigerweise geführt worden sind und die zur Zerstörung der Währungsgrundlagen geführt haben?
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Man soll uns doch nicht immer mit solchen Dingen kommen!
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- Mein lieber Herr Kollege, die Warnungen an die Arbeitnehmer bei jeder Lohn- und Gehaltsforderung sind billig, weil sie nämlich nicht kompensiert werden durch gleichartige und gleichgewichtige Warnungen an Leute, deren Aktionen I die Währung viel eher gefährden als die bescheidenen Wünsche der breiten Masse der Arbeitnehmer.
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Ich sage nochmals: unsere nationale Substanz ist zweimal vernichtet worden durch Kriege, aber nicht durch Lohn- und Gehaltsbewegungen oder gar Rentenerhöhungen.
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- Herr Kollege Pelster, ich polemisiere doch nicht gegen Sie. Ich weiß doch auch, wo Sie im Herzen stehen.
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- Vielleicht fragen Sie ihn selber, Frau Kalinke!
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- So schüchtern? Das traue ich Ihnen gar nicht zu!
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Besonders interessant fanden wir die Bemerkung des Herrn Bundesfinanzministers über die Verteilung des Sozialprodukts. Seine Behauptung, daß jeder Bevölkerungsteil an dem größer gewordenen Volkseinkommen seinen Anteil erhalten habe, verlangt nach unserer Meinung eine kleine Ergänzung, nämlich die, daß die Anteile für die verschiedenen Schichten der Bevölkerung leider verschieden groß waren, auch ihrem Gewicht nach verschieden groß. Der Kampf geht ja schließlich darum,
den Anteil derjenigen Schichten unseres Volkes am gestiegenen Sozialprodukt zu erhöhen, die bisher zu kurz gekommen sind. Ich hätte es eigentlich nicht für möglich gehalten, daß sich ausgerechnet der Herr Bundesfinanzminister zu der Behauptung versteigen würde, die Forderung nach einem größeren Anteil am Volkseinkommen würde mit Sicherheit dazu führen - ich muß ihn hier zitieren -, daß der Kuchen „Bruttosozialprodukt" nicht mehr aus 100 Hundertteilen, sondern aus 150 oder mehr bestehen sollte. Ich weiß, daß der Herr Bundesfinanzminister sich zu verschiedenen Malen in Additionskünsten versucht hat, wobei er ungleichartige und nicht addierbare Dinge zusammenrechnete.
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Aber ich bin doch nach wie vor der Meinung, daß Herr Finanzminister Schäffer nicht die Absicht hat, in die Geschichte der Bundesrepublik als Bundesmilchmädchen einzugehen,
({41})
und ich finde, die Geschichte mit den 150 Hundertteilen war eigentlich nicht sein Stil. Auch wir haben in der Schule rechnen gelernt.
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Auch wir Sozialdemokraten, meine Damen und Herren, sind aus unserer Verpflichtung gegenüber den Interessen des Volksganzen für ein gesundes Maß. Die Frage ist nur, wo dieses gesunde Maß liegt; und da darf ich doch darauf hinweisen, daß im Maßhalten manche Leute in der Bundesrepublik in den letzten Jahren sich viel geringere Zurückhaltung auferlegt haben als die breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung.
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Das dürfte wohl eine Feststellung sein, der man nicht widersprechen kann, wenn man durchs Land geht und um sich blickt.
Wir wehren uns dagegen, daß jeder Versuch, die Konsumkraft der breiten Massen durch Erhöhung ihres Einkommens oder durch Senkung der Verbrauchsteuern zu steigern, damit beantwortet wird, daß man den Teufel des Währungsverfalls an die Wand malt. Die Stabilität der Währung ist für uns eine genauso wichtige Sache wie dem Herrn Bundesfinanzminister und hoffentlich allen in diesem Hause.
Aber ich habe mich eigentlich etwas gewundert über eine Bemerkung des Herrn Kollegen Vogel, deren Bedeutung mir noch nicht ganz klargeworden ist. Ich polemisiere sonst nicht gegen Sie; ich habe es heute nicht nötig, da Sie ja vor mir sprachen. Sie sagten, Herr Kollege Vogel - und ich überlege mir immer noch, worauf Sie hinauswollten -, daß in dem Augenblick, in dem die Sicherheit der Währung etwa durch die übersteigerten Forderungen aus dem Sicherheitskomplex in Gefahr geraten würde, Sie zugunsten der Sicherung der Währung auf Elemente der Sicherheit lieber verzichten würden. Habe ich Sie richtig verstanden?
Nein, nicht auf Elemente der Sicherheit, sondern auf ein übersteigertes Tempo der Ausführung!
„Übersteigertes Tempo der Ausführung". Ich bin Ihnen dankbar für diese Erklärung. Sie wird uns vielleicht in kommenden Aus({0})
einandersetzungen ein gutes Stück weiterhelfen. Wir werden uns dann auf Sie berufen.
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Denn gerade das ist ja eines unserer entscheidenden Argumente, daß das Tempo der Sicherheit - oder des Versuchs, zur Sicherheit zu gelangen - unter Umständen für die tatsächliche innere Sicherheit Konsequenzen haben kann, die wir nicht wollen können. Aus übersteigerten Forderungen, die aus den verschiedensten Quellen kommen können, von außen und von den Interessenten im Innern, könnte sich in der Tat eine Situation ergeben, wo, wie ich hoffe, Herr Kollege Vogel, wir dann Ihrer Bundesgenossenschaft sicher sein dürfen.
({2})
Herr Kollege Schoettle, ich darf Sie daran erinnern, daß ich Ihnen genau den gleichen Satz schon vor einem Jahr zugerufen habe!
Es hat ja keinen Sinn; das ganze Haus nimmt nicht teil an unserem Gespräch, und ich möchte nicht einseitig hier antworten, ohne daß auch Ihre Frage bekanntgeworden ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Verhandlungen nicht in ein Zwiegespräch nach verschiedenen Seiten ausarten zu lassen!
Der Herr Präsident hat natürlich völlig recht. Trotzdem finde ich, daß es unseren Haushaltsdebatten weder in der Vergangenheit geschadet hat noch heute schaden wird, wenn sie gelegentlich auch durch solche kleinen menschlichen Begegnungen aufgelockert werden.
({0})
Das soll beileibe keine Kritik an der Intervention
des Herrn Präsidenten sein; das sei ferne von mir.
Meine Damen und Herren, um das Haus aber an solchen Fragen teilnehmen zu lassen, müßten sich diejenigen, die Zwischenfragen stellen, auch an das Mikrophon begeben.
({0})
Zum Thema der Verbrauchsteuern noch eine letzte, abschließende Bemerkung. Der Herr Bundesfinanzminister stellt - und ich muß hier wieder seinen eigenen Sprachgebrauch anwenden - für die Senkung der Verbrauchsteuern 400 Millionen zur Verfügung. Was das Parlament dazu sagt, das kommt für ihn also erst in zweiter Linie.
({0})
- Ich folge nur seinem Sprachgebrauch, Herr Kollege Conring. Ich kann nicht dafür. Er „stellt zur Verfügung" heißt es in der Regel. Ich wende mich gegen diese Form. Schließlich beschließt das Parlament! - Wir sind der Meinung, daß das nicht ausreicht, und insbesondere glauben wir, daß die Senkung der Zuckersteuer auf 10 DM nicht genügend ist und daß entsprechend den von uns zur Konjunkturpolitik eingebrachten Anträgen die Steuern auf den Verbrauch in einem Umfang gesenkt werden können, der das Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern auf ein vernünftiges Maß zurückführt.
Nun komme ich zum materiellen Inhalt des Entwurfs. Es ist natürlich unmöglich und würde dem Sinn einer ersten Beratung widersprechen, wenn ich zu viele einzelne Positionen behandeln wollte. Ich muß mich deshalb auf charakteristische Details beschränken, auf die wir in den kommenden Ausschußberatungen unsere Aufmerksamkeit konzentrieren werden.
Ob der Haushalt wirklich, wie der Herr Bundesfinanzminister erklärt hat, nicht nur formell, sondern auch materiell ausgeglichen ist, wage ich zunächst einmal zu bezweifeln. Denn das Jonglieren mit den rechnungsmäßigen Fehlbeträgen, die schließlich das Ganze schon hinbiegen werden, scheint mir vom Standpunkt der Haushaltswahrheit und -klarheit nicht gerade überzeugend gewesen zu sein. Freilich kann ich auch dem Bundesrat nicht folgen - das will ich hier gleich sagen-, dessen Einwände in manchen Punkten offenbar sehr von der Überlegung bestimmt waren, wie die Wünsche der Länder in der Frage des Bundesanteils und auf anderen Gebieten einigermaßen gerechtfertigt und begründet werden könnten.
({1})
Wir Sozialdemokraten sind nicht die Schleppenträger der Länderfinanzminister und des Bundesrates. Wir möchten hier unsere eigene Position ganz entschieden bewahren,
({2})
auch wenn es sich um die Auseinandersetzung mit dem Bundesfinanzminister handelt.
Eine besonders peinliche Sache scheint uns zu sein, daß auch in diesem Haushaltsentwurf der Herr Bundesfinanzminister darauf verzichtet hat, den § 75 der Haushaltsordnung anzuwenden.
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Das setzt die alte schlechte Übung fort, die Fehlbeträge vergangener Jahre nicht ordnungsgemäß in den Haushalt einzustellen. Ich glaube nicht, daß das im kommenden Haushaltsjahr noch notwendig wäre. Wir werden uns darüber zu unterhalten haben, wenn das Haushaltsgesetz beraten wird.
Ein zweiter Punkt, der Anlaß zu kritischen Überlegungen gibt, ist die noch immer nicht abgeschlossene Erhöhung des Personalstandes. Ich freue mich, daß der Sprecher der größten Regierungspartei in dieser Frage einen sehr entschiedenen Standpunkt bezogen hat, und ich hoffe, daß es dem Parlament gelingt, Entwicklungen zu bremsen, die nicht erfreulich sind. Der Bundeshaushalt weist bei den Beamten, Angestellten und Arbeitern der Bundesverwaltung einen Personalstand auf, der jetzt die 100 000er-Grenze überschritten hat, wenn man den Nachtrag 1955 noch hinzunimmt, in dem ja nicht unbeträchtliche Personalforderungen enthalten sind.
({4})
Es werden uns außerdem noch eine Reihe von gewaltigen Personalforderungen bevorstehen, wenn erst einmal das Bundesverteidigungsministerium beginnt, über den noch bescheidenen Kern hinaus in seine eigentlichen, von ihm selbst gesetzten und manchmal nicht immer ganz klar erkennbaren Aufgaben hineinzuwachsen. Jedenfalls wird uns da noch einiges blühen, und es wäre gut, wenn sich
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das Parlament jetzt schon mit aller Entschiedenheit auf den Standpunkt stellte, daß das Wachstum der Behörden nicht unter allen Umständen ein unausweichliches Naturgesetz ist, dem nicht entgegengetreten werden kann.
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Wie wenig die Mahnungen hier im Hause und in der Öffentlichkeit gefruchtet haben, zeigt sich an der Geschichte der Sonderministerien. Meine Damen und Herren, diese Geschichte, so kurz sie ist, so lehrreich ist sie auch! Der Herr Atomminister Strauß ist uns gestern in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers schon als das Haupt eines künftigen selbständigen Ressorts vorgestellt worden. Nun, wir Sozialdemokraten sind nicht fortschrittsfeindlich. Wir wissen, daß die Atomforschung, die Entwicklung der Atomkraft auch im zivilen Bereich eine außerordentlich wichtige und wahrscheinlich in der Zukunft vieles in unserem Leben beherrschende Sache ist. Wir können nicht an der Entwicklung vorbeigehen. Die Bundesrepublik muß selbstverständlich den Versuch machen, den Rückstand aufzuholen, der aus Krieg, Niederlage, Abschließung von der internationalen Forschung und was dergleichen Gründe mehr sind, entstanden ist. Das kann man alles als durchaus richtig und notwendig, wenn nicht geradezu unausweichlich ansehen. Aber man wird gespannt darauf sein dürfen, in welchem Tempo und Ausmaß sich der Aufbau eines eigenen Atomministeriums vollziehen wird. Vor allem muß man gespannt darauf sein, ob die Bundesregierung auch einmal daran denken wird, die Zusammenfassung von Aufgaben in einem Ressort personell dadurch zu ermöglichen, daß sie die Beamten und Angestellten nicht neu anfordert, sondern aus Behörden nimmt, wo sie durch das neue Amt entlastet oder gar überflüssig werden könnten.
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Man hat manchmal den Eindruck, als ob die Dinge völlig unorganisch, einfach aus dem Zufall heraus, zunächst einmal geschaffen und dann zwangsläufig weiterentwickelt würden. Das beste Beispiel sind die beiden anderen, noch übriggebliebenen Sonderminister.
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Da sind der Herr Minister Kraft und der Herr Minister Dr. Schäfer. Beide sind vom Kabinett mit Sonderaufgaben beauftragt worden, der eine mit Untersuchungen auf dem Gebiete des selbständigen Mittelstandes, der andere mit der Koordinierung der wasserwirtschaftlichen Probleme, beides zweifellos Aufgaben, die absolut notwendig sind. Aber ist es notwendig, daß die beiden Sonderminister, vertreten im Haushaltsausschuß durch das Bundesfinanzministerium, nun auf Grund eines Kabinettsbeschlusses postwendend mit Wünschen kommen, die auf die Entwicklung einer eigenen Behörde hinzielen? Man hat früher einmal scherzweise von der Dame ohne Unterleib gesprochen. Ich habe den Eindruck, daß die Herren Sonderminister zunächst Minister ohne Unterleib waren, daß aber der Unterleib nun nachträglich doch noch geliefert werden soll.
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Ich weiß nicht, ob das nun gerade der Weg ist, auf
dem wir gehen sollten, und ich bin froh, sagen zu
können, daß jedenfalls der Haushaltsausschuß diese Versuche nahezu einheitlich abgewehrt hat. Ob er sich damit auf die Dauer durchsetzen wird, ist eine ganz andere Frage. Man hat manchmal das Gefühl, daß sich nicht nur Gesetz und Rechte wie eine ewige Plage fortsetzen, sondern auch Planstellen, Referate und Abteilungen.
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Wenn sie erst einmal geschaffen sind, kommt man nicht wieder davon herunter. Wollen wir das auf die Dauer akzeptieren? Bis jetzt ist auch in dem Entwurf des Bundeshaushalts 1956 wenig von einem Streben nach Vereinfachung und Reform zu spüren.
Dasselbe muß auch in einem gewissen Umfang von der Bautätigkeit des Bundes gesagt werden. Wir haben ja vor unserer Nase das schöne große - für mein Gefühl viel zu große - Gebäude des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Es ist sicher kein Provisorium, was da im Provisorium Bonn gebaut worden ist. Die Frage ist, wie sich das weiterentwickeln soll. Das ist ein Beispiel, aber kein ermutigendes. In diesem Haus schickt sich ein schon jetzt recht üppiger Apparat an, sich weiter auszudehnen. Wenn man sich noch dazu überlegt, daß nach dem Willen der Bundesregierung dieses Presse- und Informationsamt auch die Bewirtschaftung der 2 Millionen DM für die Erzeugung von Wehrbereitschaft - sprich: Wehrpropaganda - haben soll, die im Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums ausgebracht werden, dann hat man das Gefühl, daß der Traum des Herrn Staatssekretärs a. D. Lenz von einem Propagandaministerium gerade jetzt allmählich der Erfüllung entgegenreift. War das eigentlich das Resultat all der Proteste gegen die Tendenzen, die seinerzeit sichtbar wurden?
Kommen erst die Bauten im Bereich des Verteidigungsministerium in Gang, dann, glaube ich, müssen wir Schlimmes befürchten. Über die Absichten aus diesem Bereich hört man schon jetzt allerlei, was zu ernsten Sorgen Anlaß gibt, und die gestern vom Herrn Bundesfinanzminister entwikkelte Theorie von der „Exterritorialität" des Verteidigungshaushalts dient in dieser Hinsicht auch nicht zur Beruhigung. Denn wenn dieser Haushalt ganz für sich allein steht, kann man dort ja schließlich alles machen, was man will, wenn nicht rechtzeitig etwas dagegen unternommen wird. Es ist schön zu wissen, daß man, wie uns gesagt worden ist, nicht beabsichtigt, die alten Heeresbauämter wieder einzurichten. Hoffentlich gilt das aber auch auf einem anderen Gebiet, das nicht weniger gefährlich sein kann, nämlich auf dem Gebiet - Herr Dr. Vogel hat es schon angesprochen - der Liegenschaftsverwaltung und der Grundstücksbeschaffung. Man muß sich nur einmal vorstellen, daß diese Tätigkeit, die zweifellos im Zuge der Entwicklung einer Wehrorganisation in Gang kommen wird, sich etwa unter dem Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis abspielen würde! Was würde da für die öffentliche Hand dann manchmal an unsinnigen Entscheidungen herauskommen! Ich möchte hier mit allem Nachdruck - obwohl das ein Spezialfall ist - meiner Meinung Ausdruck geben, daß alle diese Fragen am besten in der zivilen Hand der Bundesvermögensverwaltung bleiben und daß alle militärischen Stellen aus diesen Dingen völlig ausgeschaltet bleiben.
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Sonst befürchte ich, daß sie uns aus der Hand geraten könnten. Überhaupt sollte jede Herauslösung der Streitkräfte aus dem Zusammenhang mit dem zivilen Leben der Nation - auch in den Anfängen schon - unterbunden werden. Leider habe ich in der These des Herrn Bundesfinanzministers, die ich verschiedentlich attackiert habe, einen solchen Anfang gesehen. Vielleicht meint er es nicht so.
Eng verbunden mit dem Verteidigungskomplex ist ein Thema, das in diesen Tagen durch die Verabschiedung eines Gesetzentwurfs im Kabinett parlamentarisch aktuell geworden ist: der zivile Luftschutz. Bei der Beratung des Haushalts 1955 hat der Bundesminister des Innern erklärt, das Luftschutzprogramm der Regierung werde einen ähnlichen Betrag bringen, wie ihn die sozialdemokratische Opposition fordere, nämlich 1,2 Milliarden DM. Wir haben damals verlangt, daß diese 1,2 Milliarden DM aus dem Verteidigungshaushalt genommen werden. Allerdings, so sagte der Herr Minister, wolle die Regierung diese Last auf drei Haushaltsjahre verteilen. Im Entwurf des Bundeshaushalts 1956 finden wir statt der sich aus dieser Erklärung des Herrn Ministers eigentlich ergebenden Summe von etwa 400 Millionen DM nur einen Betrag von 64 Millionen DM beim Etat des Innenministeriums, wozu noch an anderer Stelle 20 oder 30 Millionen DM kommen, so daß insgesamt für Zwecke der Luftschutzes und verwandte Gebiete rund 90 Millionen DM aufgewandt werden. Gemessen an dem, was ohne Beanstandung und mit einem gewissen Schutzwall umgeben im Verteidigungshaushalt für die militärische Seite des Verteidigungskomplexes aufgewandt wird, finden wir, daß die Vernachlässigung des Schutzes der Zivilbevölkerung geradezu aufreizend ist.
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Man kann darüber streiten, und es gibt Leute, die der Meinung sind, daß Luftschutz angesichts der Entwicklung der modernen Vernichtungswaffen eine nahezu hoffnungslose Angelegenheit sei. Ich teile diese Ansicht nicht, und meine politischen Freunde teilen sie in ihrer erdrückenden Mehrheit auch nicht, weil sie der Auffassung sind, daß, wenn eine Politik schon mit der Möglichkeit bewaffneter Konflikte rechnet, der Schutz der Zivilbevölkerung eine unausweichliche Notwendigkeit ist, die den eigentlichen Verteidigungsaufgaben mindestens gleichgesetzt werden muß.
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Wenn schließlich im Entwurf der Bundesregierung für den zivilen Luftschutz eine Verteilung der Luftschutzlasten zu je einem Drittel auf Bund, Länder und Gemeinden gefordert wird, so müssen wir angesichts der Finanzsituation zahlloser Gemeinden einmal aus diesem Grund schon jetzt dagegen nachdrücklich die schwersten Bedenken erheben, zum andern aber auch dagegen, daß man durch eine offenkundig im luftleeren Raum gebaute Konstruktion wahrscheinlich die Realisierung der Luftschutzmaßnahmen zu einem erheblichen Teil unmöglich macht, daß man also einer unrealistischen These nachjagt. Der Luftschutz ist ein Teil des Verteidigungsbeitrags; daran kann gar kein Zweifel sein. Wir meinen, daß er voll im Haushalt erscheinen muß und daß zu seiner Finanzierung auch die Mittel herangezogen werden sollten, die zwar für Verteidigungszwecke etatisiert sind, die aber dafür nicht gebraucht werden. Nach
den Angaben, die wir kürzlich bei Ausschußberatungen erhalten haben, ist man sogar im Verteidigungsministerium der Auffassung, daß von den im Haushalt 1955 veranschlagten 5,2 Milliarden DM nur etwa 2 Milliarden DM gebraucht werden. Nach derselben Quelle kann der Rest auch im Jahre 1956 nicht aufgebraucht werden. Das Argument des Herrn Bundesfinanzministers, er müsse Reserven ansammeln, können wir auch und gerade in diesem Zusammenhang nicht akzeptieren.
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Nun hat der Herr Bundesfinanzminister gestern bei der Betrachtung des Agrarhaushalts eine besonders interessante Note angeschlagen. Ich will nicht auf die Details des Einzelplans 10 eingehen; besorgen Sie das nicht. Neben der Darstellung der besonderen Leistungen der Bundesregierung für die Landwirtschaft behandelte der Herr Bundesfinanzminister ja bekanntlich sehr breit die steuerliche Belastung der Landwirtschaft und bezeichnete sie im Grunde genommen als außerordentlich milde. Was der Herr Bundesfinanzminister da sagte, das klang doch wie eine Polemik, die offenbar an die Adresse der Herren Bauernverbandspräsidenten gerichtet war. Einige der Herren sitzen ja auf den Bänken der größten Regierungspartei. Ich weiß nicht, ob sie deshalb zu den Freunden des Herrn Bundesfinanzministers gehören. Aber das zu untersuchen, ist nicht meine Sache. Ich weiß auch nicht, ob sie sich durch die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers etwa haben überzeugen lassen, die angekündigten Kampfmaßnahmen abzublasen. Das muß man auch abwarten. Immerhin ist es ganz interessant, daß der Herr Bundesfinanzminister als Mitglied der Regierung es für zweckmäßig hielt, in der Richtung der Herren Bauernverbandspräsidenten sehr deutliche Worte zu sprechen. Man brauchte da nicht einmal zwischen den Zeilen zu lesen.
Ich möchte allerdings hinzufügen, Herr Minister: wir Sozialdemokraten bezweifeln, ob das Zahlenspiel, das Sie in einem Teil Ihrer Rede zu der Frage der landwirtschaftlichen Steuerbelastung veranstaltet haben, wirklich beweiskräftig ist. Uns erscheint es eher einseitig und gewagt, einzelne Jahre herauszufischen und ihre Ergebnisse mit denen der gewerblichen Wirtschaft zu vergleichen, mit Werten, die wahrscheinlich gar nicht in vollem Umfang vergleichbar sind. Ich glaube, man sollte hier doch vorsichtig sein.
Nun einige Bemerkungen zum Verkehrshaushalt. Der Herr Bundesfinanzminister hat darauf hingewiesen, daß das Volumen des Verkehrshaushalts in diesem Entwurf 150 Millionen DM mehr betrage als im vorhergehenden. Wir müssen dazu sagen, daß uns angesichts der Gesamtsituation im Verkehrswesen diese Steigerung im Verkehrshaushalt eigentlich recht kümmerlich erscheint.
({16})
Denn man kann wohl nicht behaupten, daß etwa im Straßenverkehr eine wesentliche Entlastung eingetreten ist und bereits wesentliche Schritte nach vorwärts gemacht worden sind. Die Mittel für den Straßenbau scheinen uns trotz des Verkehrsfinanzgesetzes, dessen Mittel ja in vollem Umfang in der Summe enthalten sind, noch weit hinter den Bedürfnissen zurückzubleiben. Unser Straßensystem wird beim jetzigen Finanzvolumen in ab({17})
sehbarer Zeit nicht in Ordnung kommen. Mir scheint, daß auf diesem Gebiet Überlegungen notwendig sind, die eine Verstärkung der Mittel zur Folge haben. Ob das in diesem Haushalt möglich ist, ist eine ganz andere Frage. Aber in den nächsten Jahren müssen wir zu wesentlich größeren Anstrengungen auf diesem Gebiete kommen.
({18})
Die Lage der Bundesbahn - Herr Dr. Vogel hat mir da eigentlich etwas vorweggenommen, was ich selber sagen wollte - ist vom Herrn Bundesfinanzminister nach meinem Gefühl und nach der Überzeugung meiner Freunde etwas zu optimistisch betrachtet worden. Ich muß offen sagen, ich habe eigentlich gestaunt, daß der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesbahn in einer Situation, in der man doch nur ganz oberflächlich urteilen konnte, als ein sonst sehr nüchterner und verantwortungsbewußter Mann in der Öffentlichkeit Prognosen gestellt hat, die gar nicht durch die Tatsachen gerechtfertigt sind. Die Lage der Bundesbahn erfordert noch immer Bundesmittel, und die Frage, ob diese Bundesmittel notwendig sind, ist, glaube ich, bereits in positivem Sinne beantwortet. Die Einnahmenverbesserungen bei der Bundesbahn sind schließlich kein Wunder. Sie sind im wesentlichen eine Folge der. konjunkturellen Entwicklung, und es wäre merkwürdig, wenn dieses größte öffentliche Wirtschaftsunternehmen von dieser Entwicklung nicht auch einen gewissen Anteil abbekäme. Aber deshalb sollte man gerade jetzt mit den optimistischen Urteilen über die Lage der Bundesbahn außerordentlich zurückhaltend sein.
Ein entscheidender Punkt in den Schwierigkeiten der Bundesbahn ist die Tatsache, daß sie politische Lasten auf sich nehmen mußte, die mit ihrer eigentlichen Aufgabe nicht im Zusammenhang stehen, politische Lasten, die auf dem Zusammenbruch des Staates im Jahre 1945, auf der Vertreibung von Millionen Menschen aus den Ostgebieten und auf anderen Gründen beruhen, die man aber der Bundesbahn als einem Wirtschaftsunternehmen eigentlich nicht zumuten dürfte, genauso wenig wie man etwa einem privatwirtschaftlichen Unternehmen eine solche Last aufbürden könnte, ohne daß es dabei vor die Hunde ginge.
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- Bedenken Sie, Herr Kollege Conring, daß die Deutsche Bundesbahn heute einen Personalstand an aktiven Bediensteten hat, der erheblich geringer ist als die Zahl der Pensionäre. Wie soll denn ein Wirtschaftsunternehmen dieser Art sich wirklich entwickeln und wirtschaften können, wenn es eine solche Last zu tragen hat? Wir sind der festen Überzeugung, daß die öffentliche Hand, d. h. der Bundeshaushalt, gar nicht darum herumkommt, der Bundesbahn diese politischen Lasten abzunehmen, damit sie wirklich wirtschaften kann. Daß der Bund das in seinem Haushalt verkraftet, ist eine unausweichliche Notwendigkeit.
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Man sollte auch nicht darauf spekulieren, daß sich diese Dinge schon, von selber, einfach durch den Zeitablauf erledigen. Eine solche Spekulation wäre außerordentlich gefährlich.
Ich muß nun eine Bemerkung aus der Rede des Herrn Bundesfinanzministers herauspicken, weil sie außerordentlich aufschlußreich und interessant ist, nämlich eine Bemerkung über den Luftverkehr, über die Lufthansa. Ich fand es eigentlich sehr
niedlich, daß er formulierte: die Privatwirtschaft werde sich sicher an der Lufthansa in größerem Ausmaß erst dann beteiligen, wenn die Schwierigkeiten des ersten Aufbaus überwunden seien.
({21})
Meine Damen und Herren, besser hätte kein Sozialdemokrat die Abneigung der Privatwirtschaft kennzeichnen können, im allgemeinen Interesse Risiken zu übernehmen,
({22})
und ihre Bereitschaft, einzusteigen, wenn diese Risiken durch die öffentliche Hand bewältigt sind. Wir fürchten, Herr Minister Schäffer wird nicht bereit sein, aus dieser Erkenntnis, die er selber formuliert hat, auf anderen Gebieten die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Schließlich noch eine kritische Bemerkung zu den Wohnungsbaumitteln! Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern zufrieden festgestellt, daß diese Mittel gleichgeblieben sind. Herr Kollege Dr. Vogel hat hier sehr anerkennende Worte für die Leistungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus gefunden, und ich bin weit davon entfernt, diese Leistungen abzuwerten. Ich möchte nur behaupten - und ich glaube, das kann ich im Namen meiner Freunde tun -, daß diese Leistungen nicht dazu ausreichen, die Wohnungsprobleme in der Bundesrepublik zu bewältigen.
({23})
Wir glauben, daß gar kein Grund zur Zufriedenheit besteht, wenn festgestellt wird, daß die Mittel im Haushalt gleichgeblieben seien. Wir halten eine Verstärkung der Wohnungsbaumittel um mindestens 200 Millionen DM für möglich und für notwendig und wir glauben, daß wir darüber sehr ernsthaft reden müssen, weil nur dadurch, daß diese Mittel verstärkt werden, eine wirklich fühlbare Entlastung auf dem Wohnungsmarkt herbeigeführt werden kann.
In diesem Zusammenhang muß ich sagen, daß ich es eigentlich nicht ganz oder gar nicht verstehe, daß der Herr Bundesminister nicht endlich auch von der Kreditermächtigung Gebrauch macht, die ihm die Haushaltsgesetze Jahr um Jahr geben. Seine Abneigung gegen Anleihen in allen Ehren, und die Berufung auf die Stagnation am Kapitalmarkt ist ja auch ein Argument, das hinkt; man braucht ja nur die Frage aufzuwerfen, warum der Kapitalmarkt stagniert. Hat nicht etwa die Finanz- und Steuerpolitik des Herrn Bundesfinanzministers mit dieser Tatsache auch etwas zu tun? Ich möchte das jetzt nicht im einzelnen untersuchen; die Frage aufzuwerfen ist aber gestattet, Herr Bundesfinanzminister. Also, Ihre Abneigung gegen Anleihen in allen Ehren, aber wenn man schon den außerordentlichen Haushalt - und das hat man gelegentlich unter Berufung darauf getan, daß man dafür nicht ordentliche Einnahmen verwenden dürfe - mit so wichtigen Positionen wie dem Wohnungsbau bestückt, dann sollte man auch den Mut haben, den außerordentlichen Haushalt auf dem Wege zu decken, der im allgemeinen für Investitionen und für den außerordentlichen Haushalt vorgeschrieben ist und immer üblich war, nämlich dem Weg der Aufnahme von Anleihen. Vielleicht werden Sie mit der Bank deutscher Länder gewisse Schwierigkeiten haben; das mag sein. Trotzdem, glaube ich, geht es auf die Dauer nicht, daß Sie mit Ausgaberesten im ordentlichen Haushalt und den Verpflichtungen, die Sie im außerordentlichen Haushalt ein({24})
gegangen sind - allerdings manchmal mit dem stillen Vorbehalt, der uns häufig begegnet: „soweit Haushaltsmittel dafür zur Verfügung stehen" -, so hin- und herschieben. Aber das sind ja dann immer platonische Versprechungen; und die sollte man doch nicht machen, weil man dadurch Gefahr läuft, die Öffentlichkeit irrezuführen und vielen Menschen Hoffnungen zu machen, die nicht in Erfüllung gehen.
Schließlich einige Bemerkungen zum Sozialhaushalt! Sie können natürlich nicht erschöpfend sein. Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern auch beim Sozialhaushalt ein kleines Additionskunststückchen vollbracht.
({25}) Sicherlich mit den besten Absichten hat er alle Leistungen von Bund, Ländern, Gemeinden, Sozialversicherungsträgern und ich weiß nicht was alles, zusammengerechnet und daraus den Sozialaufwand der Bundesrepublik errechnet. Es scheint mir etwas zu weit zu gehen - ich muß es ganz offen sagen-, auch noch die Beiträge der Pflichtmitglieder der Sozialversicherung in die Betrachtung des Sozialhaushalts der Bundesrepublik einzubeziehen. Das stellt doch eigentlich die Tatsachen etwas auf den Kopf.
({26})
Man sollte das nicht tun, und ich glaube, daß es auch der Sache nach nicht berechtigt ist.
({27})
- Das ist eine bescheidene Forderung, Herr Kollege Mellies.
Zweitens. Trotz der festzustellenden Steigerung des Gesamtbetrags des echten Sozialhaushalts des Bundes sind die Renten unzureichend geblieben, und das ist der Maßstab für die Leistung des Bundes.
({28})
Die Polemik des Herrn Ministers gegen die Leute, die eine Erhöhung der Renten auf 75 % des Arbeitseinkommens für notwendig halten, richtet sich doch nicht nur gegen die böse Opposition, sondern vor allem auch gegen den Kabinettskollegen des Herrn Bundesfinanzministers, den Bundesarbeitsminister St o r c h, der diese Forderung sehr nachdrücklich erhoben hat. Wir sind der Meinung, daß Herr Storch recht hat
({29})
und daß das möglicherweise gar nicht ausreicht, um die Situation einer Reihe von Menschen in unserem Volke einigermaßen geradezurichten. Wir wollen uns nicht mit den sonstigen Ansichten des Herrn Storch identifizieren; bei den Leistungen, die er bei der Sozialreform vollbracht oder vielmehr nicht vollbracht hat, möchten wir das schon gar nicht tun. Aber mir scheint, daß die Polemik, die Herr Bundesfinanzminister gestern gegen seinen Kabinettskollegen geführt hat, an der wirklichen Situation vorbeigeht.
Schließlich ein Wort zur Wiedergutmachung. Gewiß, die Wiedergutmachungsaufwendungen, die im Zuge der Gesetzgebung zum Bundesentschädigungsgesetz auf den Bund zukommen und die schon jetzt geleistet werden, sind beträchtlich. Aber sind sie denn so, daß sie wirklich dem Schaden, dem menschlichen, dem moralischen, dem materiellen Schaden auch nur in etwa näherkommen,
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der durch das Dritte Reich an Millionen Menschen angerichtet worden ist? Ich bin immer - in meiner Situation als Vorsitzender eines Ausschusses, der mit finanziellen Dingen zu tun hat, liegt das nahe - geneigt, die Möglichkeiten und die Notwendigkeiten gegeneinander abzuwägen. Aber manchmal finde ich, daß wir von Wiedergutmachung in einem Sinne reden, in idem dieses Wort nicht gebraucht werden dürfte; denn das, was zerschlagen, vernichtet worden ist, kann überhaupt nicht wieder gut gemacht werden.
({31})
Was geleistet wird, ist nur ein ganz bescheidener Teil dessen, was wir zu leisten verpflichtet wären, wenn wir vor uns selber bestehen wollen. Bitte, nehmen Sie das als einen Protest gegen eine Situation, von der ich weiß, daß sie nicht leicht zu ändern ist. Nehmen Sie das als die Auflehnung gegen einen Tatbestand, der einmal da ist. Aber ich bin der Meinung, wir alle müßten ein Interesse daran haben, diesen Sachverhalt so wenig schmerzhaft zu machen wie nur möglich. Das ist das mindeste, was wir leisten können.
({32})
Darum, meine ich, sollten wir gar nicht die Leistungen für die Wiedergutmachung in irgendeiner Weise mit anderen Leistungen in Vergleich setzen. Wenn wir das täten, dann müßten wir hinzufügen: wir sind in der Bundesrepublik bei dem Ersatz für Schäden auf anderen Gebieten sehr viel großzügiger und sehr viel schneller gewesen als bei der Wiedergutmachung des Unrechts, das vom Nationalsozialismus begangen worden ist.
({33})
Ich möchte gar nicht gegen bestimmte Kreise polemisieren, die manchmal sehr laut darüber reden, daß sie noch nicht genug bekommen haben; Sie können sich alle denken, was ich meine.
Nun darf ich zum Schluß kommen. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben gestern mit einer gewissen Genugtuung davon gesprochen, daß der Bundestag durch die Änderung seiner Geschäftsordnung eine Möglichkeit geschaffen habe, in finanzpolitischen Fragen eine Methode zu entwickeln, die verhindere, daß das Parlament zur Unzeit und unter Bedingungen, die für den Bundeshaushalt untragbar sind, finanzielle Entscheidungen, finanzielle Beschlüsse trifft. Wir haben selber an der Formulierung dieses neuen § 96 der Geschäftsordnung des Bundestags mitgewirkt.
Es mag manchem so scheinen, als ob das alles gar nichts mit dem Haushalt zu tun habe. Es hat doch etwas damit zu tun. Denn, Herr Bundesfinanzminister, dieser § 96 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags bringt dieses Parlament und vor allem den Ausschuß, der mit der Beratung des Bundeshaushalts nicht nur einmal im Jahr, sondern laufend zu tun hat, in eine Situation, wo er versagen muß, wenn Sie nicht mitspielen.
({34})
Geheimnistuerei, das Verschaukeln von Ziffern und Zahlen und Titeln und Resten ist auf die Dauer nicht mehr möglich, wenn wir in diesem Hause nicht vor uns selber und vor den Menschen, die draußen von Parlament und Regierung etwas erwarten, zum Lügner werden wollen.
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({36})
3 Da kann ich nur eines sagen - und das gilt für die öffentliche Finanzwirtschaft im allgemeinen -: Legen Sie die Karten auf den Tisch, halten Sie keine zurück! Erst dann wird ein ehrliches Spiel möglich sein.
Entschuldigen Sie, der Hinweis auf Ihre Allgemeinen Vorbemerkungen überzeugt gar nicht; denn es ist nicht so, daß Sie da Ihr Spiel bereits restlos aufgedeckt hätten, Herr Minister. Ich sage noch einmal: wenn Parlament und Regierung - in diesem Fall das Parlament als eine verfassungsrechtliche Institution, nicht geteilt in Regierungskoalition und Opposition - ihre Aufgabe erfüllen wollen, dann müssen sie in erster Linie die volle Wahrheit über den Zustand Ihrer eigenen Kassen, über den Zustand Ihres Haushalts sagen.
({37})
Ich kann Ihnen verraten, daß wir bei den kommenden Beratungen das Unsere dazu tun werden, daß die Karten auf den Tisch kommen.
({38})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Blank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine beiden Herren Vorredner haben dem Herrn Bundesfinanzminister und seinem Ministerium den Dank dafür ausgesprochen, daß der Haushaltsvoranschlag 1956 so zeitig vorgelegt worden ist. Für meine Freunde und mich selbst kann ich mich diesem Dank nur anschließen.
Lassen Sie mich bitte einen Augenblick bei dem gewaltigen Umfang der Drucksache 1900 und all dessen, was dazu gehört, bleiben. Ich habe den Eindruck, daß der Herr Bundesfinanzminister mit voller Absicht eine besondere Art von dünnem Papier hat wählen lassen, das sich auch schon bei der sogenannten Luxusausgabe des verabschiedeten Haushalts bewährt hat, damit man das Ganze überhaupt noch transportieren kann. Die „Allgemeinen Vorbemerkungen" sind in diesem Jahr zwar nicht dicker als im vorigen Jahr, aber dafür um eine ganz stattliche Anzahl von Seiten länger. Diese Allgemeinen Vorbemerkungen werden sich - das ist wohl mit Sicherheit zu erwarten - immer mehr zu einer durchaus regelmäßigen und sich ständig vervollkommnenden Einrichtung, die zum Bundeshaushalt gehört, entwickeln. Sie sind auch diesmal wieder eine Fundgrube von Material. Man kann sich, ich möchte beinahe sagen, weit über den Bereich des Bundesministeriums der Finanzen hinaus über fast alles, was in Deutschland im öffentlichen Bereich passiert ist, aus den Allgemeinen Vorbemerkungen unterrichten lassen.
Die Fortschritte, die bei den Allgemeinen Vorbemerkungen zu verzeichnen sind, ergeben sich besonders auf dem Gebiete der Bundesbeteiligungen. Da stellen die konsolidierten Bilanzen der großen Bundesunternehmungen eine wirkliche Weiterentwicklung gegenüber dem dar, was uns noch im vorigen Jahr geliefert wurde. Ich kann das hier nur am Rande vermerken; denn über Einzelheiten der Bundesbeteiligungen zu sprechen, ist die erste Beratung des Bundeshaushalts nicht der richtige Ort. Wir haben ja sogar einen besonderen Unterausschuß dieses Hohen Hauses, der sich mit diesen Fragen beschäftigt.
Als eine ausgesprochene Neuheit möchte ich auch den ausdrücklich als Entwurf bezeichneten Funktionenhaushalt besonders erwähnen. Meine Herren Vorredner haben ebenfalls schon davon gesprochen. Mein Eindruck bei der Durchsicht dieses Funktionenhaushalts geht dahin, daß schon durch diese Form der Beweis geliefert ist, daß ein Parlament einen nach Funktionen aufgegliederten Haushalt niemals wird verabschieden können. Wir werden höchst wahrscheinlich bei der institutionellen Aufgliederung des Haushaltsplans bleiben müssen. Das war ja auch der Eindruck der Mitglieder des Hohen Hauses, die im Sommer dieses Jahres in Amerika waren und die nun hier in schöner Gleichmäßigkeit nacheinander das Wort ergreifen; ich bin Numero 3. Wir haben uns drüben davon überzeugt, daß in dem Bundesstaat „Vereinigte Staaten von Amerika" sehr viele Probleme gleicher Art bestehen, daß aber die Form, in der man dieser Probleme Herr werden will, ganz andersartig und auch in den einzelnen Staaten sehr verschiedenartig ist. Aber ich will auch darauf nicht weiter eingehen. Allen Kollegen, die sich für diese Seite interessieren, darf ich die Lektüre unseres leider sehr umfangreich gewordenen Berichts, der vor einigen Monaten verteilt wurde, sehr ans Herz legen.
Auch das Sachverzeichnis - es ist in dieser Form mehr ein technisches Hilfsmittel - ist zu begrüßen. Aber ebenfalls auf unsere amerikanischen Erfahrungen, insbesondere auf eine Bemerkung, die auch in unserem Bericht steht, gestützt, möchte ich folgende Bitte an den Herrn Bundesfinanzminister und seine Herren richten: bitte viel Information, möglichst konzentriert, aber bitte nicht zuviel Papier! Die Gefahr, daß man einen Bericht wegen seines Umfanges gar nicht erst zu lesen anfängt, ist bei allen Parlamentariern, die in der Weise in Anspruch genommen sind, wie das bei uns der Fall ist, sehr groß. Sie finden in unserem Amerikabericht eine Stelle, an der es heißt, daß auch die amerikanischen Stellen der Exekutive ihren Parlamentariern sehr dicke, sehr klein gedruckte, sehr lange Berichte vorlegen und daß die Berichte vielleicht in dem sicheren Vertrauen so ausgestaltet sind, daß sie dann nicht gelesen werden. Auf diesen Weg wollen wir uns bitte nicht begeben, nicht nur wegen der Kosten, sondern auch wegen des Gewissens der Abgeordneten, die ja die Verpflichtung fühlen oder fühlen sollten, die ihnen von der Regierung unterbreiteten Schriftstücke zu lesen!
({0})
Einige Worte möchte ich dem Haushaltsgesetz widmen, das in dem jetzt vorgelegten Entwurf gegenüber 1955 verhältnismäßig wenig Änderungen aufweist. Mit meinen Herren Vorrednern bedauere ich aufs tiefste, daß der § 6 wiederum die Außerkraftsetzung des § 75 der Reichshaushaltsordnung vorsieht. Das heißt also, daß wir uns wieder einmal mit den Fehlbeträgen der Vorjahre, wie es das Gesetz vorschreibt, nicht befassen sollen. Meine Damen und Herren, wir haben - das hat der Herr Bundesfinanzminister mit Recht gesagt - einen gesunden, einen sicheren Haushalt. Er hat sich auf das Urteil des Bundesrates berufen, der ebenfalls diesen Haushalt als „innerlich gesund" bezeichnet. Ich stehe auf dem Standpunkt: Wenn wir im Zeichen noch weiter steigender Zahlen die Verpflichtung des § 75 nicht erfüllen, dann versäumen wir etwas. Ich will die Frage der Notwendigkeit des Verfahrens, das § 75 vorschreibt, hier
({1})
gar nicht untersuchen. Wenn man glaubt, daß man auf die nachträgliche Abdeckung von Fehlbeträgen früherer Haushaltsjahre verzichten kann, bitte, dann soll man das Gesetz ändern, aber nicht sich selbst den bequemen Ausweg schaffen, durch einen kleinen Paragraphen die Anwendung eines Gesetzesparagraphen, der ja nicht zum Scherz in die Reichshaushaltsordnung hineingekommen ist, einfach von Jahr zu Jahr außer Kraft zu setzen. Ich finde, man muß die Vorschriften durchführen. Wenn sie undurchführbar geworden oder wenn sie unpraktisch, unanwendbar geworden sind, dann muß man sie ändern, darf sie aber nicht einfach so beiseite schieben.
({2})
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner gestrigen Rede einen sehr kurzen Satz gesprochen, den meine Freunde und ich nur aufs nachdrücklichste bestätigen können: Die Finanzpolitik hat zu dienen. Das beste an diesem Satz ist diese uneingeschränkte Kürze, diese Feststellung: die Finanzpolitik hat zu dienen. Wir haben uns manchmal mit Situationen zu beschäftigen gehabt, in denen wir - Herr Kollege Schoettle hat in anderem Zusammenhang davon gesprochen - uns als Parlament gelegentlich der vom Ministerium gemachten Finanzpolitik glaubten erwehren zu müssen. Das von dem Herrn Bundesfinanzminister erwähnte englische Beispiel, das auf völlig anderen staatsrechtlichen und - wenn man das bei England sagen darf - verfassungsrechtlichen Grundlagen beruht, kommt ja für uns leider, leider nicht in Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, daß in den zuständigen Instanzen eine Änderung unseres Grundgesetzes, das den Lauf der Gesetzgebung vorschreibt, irgendwie Aussicht auf Verwirklichung hätte. Also können wir nur mit Wehmut daran denken und sagen: Albion, in dieser Beziehung hast du's besser!
Der Herr Bundesfinanzminister hat den Haushaltsvoranschlag 1956 als einen Haushalt der Sicherheit nach innen und nach außen bezeichnet. Wir sind durchaus bereit, anzuerkennen, daß das angestrebt ist, in weitem Umfange, soweit man das heute überhaupt übersehen kann, erreicht ist und daß es ein im höchsten Grade erstrebenswertes Ziel ist, einen solchen Haushalt der Sicherheit nach innen und nach außen aufzustellen. Eine Bemerkung kann ich mir in diesem Zusammenhang allerdings nicht verkneifen. Die Finanzpolitik hat zu dienen, darüber haben wir eben gesprochen. Die Sicherheit des Haushalts soll dem Ganzen dienen, nicht so sehr dem Finanzministerium. Jedenfalls darf das Sicherheitsgefühl, das durch den Haushaltsplan im Bundesfinanzministerium vielleicht hervorgerufen werden kann, den Steuerzahler nicht unnötig viel kosten.
Angesichts der unerwartet günstigen Entwicklung der Konjunktur leben weiteste Teile unserer Wirtschaft, besonders aber auch die öffentliche Finanzwirtschaft in einem, man möchte beinahe sagen, euphorischen Zustand, von dem wir überzeugt sein müssen, daß er nicht ununterbrochen bis in fernste Zukunft andauern wird.
({3}) Das wird nicht immer so bleiben.
Gerade in diesem Zusammenhang spielen die Überlegungen bezüglich der Sicherstellung der in den nächsten Jahren wachsenden Verteidigungsausgaben eine ganz besondere Rolle. Niemand denkt daran, sich den Verpflichtungen, soweit sie auf internationalen Verträgen beruhen, zu entziehen. Wichtig ist auch - das hat uns der Herr Bundesfinanzminister ja gestern versprochen -, daß die zu diesem Zweck für spätere Jahre angesammelten Mittel nicht schockartig auf die Wirtschaft losgelassen werden sollen im Wege plötzlich zu vergebender massierter Aufträge usw. Ein abweichender Vorschlag ist auch nicht gemacht worden, wie man anders, solange wir nicht die beneideten englischen Verhältnisse haben, die Deckung für das Anwachsen der Ausgaben sicherstellen könnte als durch eine gewisse Ansammlung; das häßliche Wort dafür heißt Hortung oder Thesaurierung.
({4})
- Es ist - das wollte ich gerade zum Ausdruck bringen - kein anderer Vorschlag gemacht worden. Wenn ich auch durchaus dafür bin, daß man, um mit dem Kollegen Schoettle zu reden, selbstverständlich auch die gute Stube der Verteidigung immer wieder von neuem abstauben muß - das ist ja auch in jedem anderen Zimmer erforderlich -, so bin ich doch der Meinung, daß hier in ganz besonderer Weise, solange kein besserer Vorschlag gemacht wird, auf dem vom Herrn Finanzminister vorgeschlagenen Wege die volle Erfüllung der uns hier erwachsenden Verpflichtungen sichergestellt werden sollte.
Ich habe in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers einen Ausdruck gefunden, bei dem mir etwas unbehaglich wurde; der heißt „finanzwirtschaftliche Konjunkturpflege". So wie die Dinge noch lagen, als wir in Berlin zusammen waren, hätte ja dann die Pflege wohl in einer Abschwächung, in einer Abkühlung der damals vermuteten übermäßigen Konjunkturtemperatur bestehen müssen. Das alles hat sich mit der Abnahme der äußeren Temperatur auch in der öffentlichen Diskussion einigermaßen beruhigt. Konjunkturpflege möchte ich aber, soweit etwas Derartiges in einer sozialen Marktwirtschaft überhaupt zu erfolgen hat, lieber in der Gesamtpolitik der Bundesregierung durchgeführt sehen als nur durch das Finanzressort.
({5})
Die finanzielle Ordnung ist oberstes Ziel der deutschen Finanzpolitik, hat der Herr Bundesfinanzminister gesagt. Selbstverständlich einverstanden, meine Damen und Herren! Finanzielle Ordnung aus vielen, vielen Gründen! Aber ich darf eine Bemerkung machen. Meine Freunde und ich glauben, daß zur finanziellen Ordnung auch die Vermeidung der Ansammlung zu hoher, nicht notwendiger Barbeträge in öffentlichen Kassen gehört.
({6})
Das eigentlich von alters her probateste und ganz gut bewährte Mittel scheint mir darin zu bestehen, daß weniger Steuern erhoben werden; dann kann der Überdruck in den Kassen nicht entstehen.
({7})
In einer Aussprache über den Bundeshaushalt muß natürlich auch die Einnahmeseite behandelt werden. Das hat auch der Herr Bundesfinanzminister getan. An den Seitenzahlen der Rede gemessen sind das, was der Herr Bundesfinanzminister zu etwa zu senkenden Steuern gesagt hat, dem Um({8})
fange nach etwa 10 % gegenüber dem, was er über die Notwendigkeit der Ausgaben gesagt hat.
Meine Freunde halten grundsätzlich ihre in den Anträgen Drucksachen 1762, 1763 und 1764 gestellten Forderungen auf Senkung der nach unserer Meinung auch heute noch übergroßen Steuerlast aufrecht. Ich darf die wichtigsten Forderungen hier noch einmal ganz kurz nennen. Wir fordern eine lineare Senkung des Tarifs der Einkommensteuer um 10 %.
({9}) Inzwischen hat die Bank deutscher Länder in ihrem November-Bericht, der heute schon zitiert worden ist, in dem Abschnitt über die öffentlichen Finanzen eine Darstellung gegeben, die nach unserer Überzeugung unserer Forderung in dieser Beziehung eine Stütze gibt, wie sie besser, klassischer und deutlicher gar nicht gegeben werden kann.
({10})
Wir fordern auch eine Verbesserung - sie ist uns ja auch in Aussicht gestellt - der Ehegattenbesteuerung.
({11})
Wir sind allerdings der Auffassung, daß die Denkschrift des Bundesfinanzministeriums zu dieser Frage - über die ebenfalls schon gesprochen wurde - unsere Wünsche und Erwartungen nicht erfüllt, insbesondere auch insofern nicht, als wir mit voller Absicht eine Denkschrift der Bundesregierung erbeten hatten, aber eine Ausarbeitung des allerdings vordringlich zuständigen, aber nur eines Ressorts bekommen haben.
({12})
- Ah, vielen Dank! Das wußte ich nicht. Ich kann mich immer noch nicht daran gewöhnen, daß es das gibt.
({13})
- Ich bin überzeugt; aber es geht eben ein bißchen langsam.
Meine Damen und Herren, wir verzichten in keiner Weise auf Verbrauchsteuersenkung gemäß unserer Drucksache 1762.
({14})
- Sie haben sich enthalten, Herr Professor; die Dinge liegen doch etwas anders, als sie vereinfachterweise in der Zeitung stehen.
({15})
- Für meine Fraktion habe ich das zu erklären, was ich hier eben gesagt habe.
({16})
- Vielen Dank!
Schließlich glauben wir, daß wir an der ebenfalls von uns in der Drucksache 1763 beantragten steuerlichen Begünstigung des Steinkohlenbergbaus festhalten müssen. Daß auf diesem Gebiet etwas Besonderes geschehen muß, halten wir für ein sehr dringendes Erfordernis im Interesse der Versorgung unserer Wirtschaft mit Grundstoffen.
Wir müssen auch fordern, meine Damen und Herren, daß die Konsolidierung des ganzen Finanzwesens nicht ausschließlich bei den Bundesfinanzen selbst erfolgt. Dort ruft die angenehme Kassenlage höchstens besondere Begehrlichkeit hervor.
({17})
Wir sollten vielmehr auch bei den einzelnen Einkommensbeziehern und namentlich in den unteren und mittleren Kategorien vorsehen, daß auch dort eine Konsolidierung eintreten kann - um es vulgär auszudrücken: daß sich auch dort ruhig etwas Speck ansammelt -, damit die deutsche Volkswirtschaft im Jahre 1957 oder 1958 in der Lage sein kann, auch größere Beanspruchungen ohne Schwierigkeiten durchzustehen.
({18})
Wenn zusätzlich zu diesen Lohn- und Einkommensteuersenkungen noch Verbrauchsteuern, wie die Zucker- und die Zündwarensteuer, gesenkt werden können, wenn auch noch andere Verbrauchsteuern gesenkt werden können - wir haben eben davon gesprochen - und wenn außerdem bei Milch und Kohle die erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden können, dann allerdings glauben wir, daß das ein abgerundetes Sofortprogramm auf dem Gebiete der Finanzen und Steuern ist. Dazu müßte aber vielleicht noch - diese Ergänzung möchte ich hier anbringen - die von dem Herrn Bundesfinanzminister selbst in Aussicht gestellte Erörterung der Frage kommen, ob gewisse Umsatzsteuerbelastungen in Fällen der Be- und Verarbeitung in Zukunft wegfallen können.
Ob es richtig ist, beim Notopfer Berlin so vorzugehen, wie es der Herr Bundesfinanzminister in seiner gestrigen Rede in Aussicht gestellt hat, erscheint uns zweifelhaft. Wir glauben, daß die ganze Bevölkerung immer wieder auch in der Form einer finanziellen und im übrigen ja nicht untragbaren Belastung daran erinnert werden sollte, welche Aufgabe die Bundesrepublik in Berlin, für Berlin und damit für ganz Deutschland zu erfüllen hat.
({19})
Es ist völlig unmöglich - meinen Herren Vorrednern ist es genauso gegangen -, alle Gesichtspunkte zu behandeln, die der Herr Bundesfinanzminister in seiner gestrigen Rede herausgestellt hat, und es ist auch nicht möglich und nicht vorgesehen, in einer ersten Beratung in irgendeiner Weise auf Einzelprobleme des Haushalts einzugehen. Trotzdem darf ich einige ganz wenige Anmerkungen zu speziellen Fragen machen.
Bezüglich des zukünftigen Schicksals der Bundesbahn sind wir nicht so pessimistisch, wie der Kollege Schoettle das eben geäußert hat.
({20})
- Der Meinung sind wir allerdings auch, und es geschieht ja schon eine ganze Menge. Vielleicht muß in der politischen Richtung etwas geschehen. Das muß erneut überlegt werden. Ich glaube aber,
({21})
daß man dem Herrn Bundesfinanzminister - und das scheint mir auch im Sinne der Ausführungen des Kollegen Schoettle zu liegen - darin beistimmen muß, daß die Aufwendungen für die Bundesbahn, weil es sich um einen zur Zeit noch bestehenden laufenden Fehlbetrag handelt, von uns auch im ordentlichen Haushalt verkraftet werden müssen und nicht etwa, wie es der Bundesrat sich gedacht hat, in den außerordentlichen Haushalt aufgenommen werden können.
({22})
- Es wäre ja überhaupt sehr erwünscht, wenn sich das eines Tages erreichen ließe.
Meine Freunde begrüßen die zusätzlichen Aufwendungen für die ländliche Siedlung. Der Herr Bundesfinanzminister hat gestern die mich sehr erheiternde Bemerkung gemacht, der Appell an die Länder stehe in den Erläuterungen zu Kap. 10 02 Tit. 531. Ich bin der Meinung, daß es damit natürlich nicht getan ist. Ich habe mir die Erläuterungen zu Tit. 531 angesehen. Da steht: „Die Länder sollen . . .". Ich möchte, um die auch von dem Herrn Bundesfinanzminister ausgesprochene Erwartung und diesen mündlichen Appell zu unterstreichen, meinerseits erklären: Wir erwarten, daß sich die Länder an der Aufbringung der Finanzierungsmittel beteiligen, wie es in den Erläuterungen zu Tit. 531 von Kap. 10 02 steht.
Selbstverständlich beobachten meine Freunde genau so wie die Herren Vertreter der anderen Fraktionen das weitere Anwachsen des Personalbestandes mit Sorge. Die Zahlen, die schon im Nachtragshaushalt 1955 und die ferner im Haushaltsvoranschlag 1956 - ohne Verteidigung - stehen, sind an sich objektiv nicht sehr groß. Aber der Trend geht eben leider immer noch nach oben, und wir müssen dahin kommen, daß es in dieser Beziehung rückwärts geht. Daß natürlich die Gesetzgebung dieses Hauses nicht unschuldig daran ist, daß die Ministerien glauben, die ihnen von uns übertragenen Arbeiten nur mit mehr Menschen erfüllen zu können, wollen wir zwar zugeben, und wir wollen uns auch selber vornehmen, diese Dinge stets im Auge zu behalten.
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Ich hatte neulich eine sehr interessante Unterhaltung mit dem Innenminister eines Landes, der sagte: Sie können auch bei uns sehr gut helfen, indem Sie nicht immer die obersten Landesbehörden in ihren Bundesgesetzen als die durchführende Stelle bestimmen. - Eine Sache, die wir uns gelegentlich einmal bei solchen Gesetzen überlegen müssen.
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- Die Durchführungsbestimmungen tun dann auch noch ein weiteres dazu.
Nachdrücklich anschließen möchte ich mich dem, was der Kollege Schoettle zur Frage des Luftschutzes gesagt hat. Die Summen, die in diesem Jahr für den zivilen Luftschutz vorgesehen sind, sind - gemessen an der Aufgabe - unendlich bescheiden, und wir brauchen uns bloß der vorgestrigen Diskussion über die Operation der Carte blanche zu entsinnen, um uns noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, welche Gefahren drohen. Ich
möchte - das tue ich seit Jahren - die Dinge so betrachten: Wir alle sind, glaube ich, ohne Ausnahme, der Überzeugung, daß das Letzte geschehen muß, um einen Krieg zu verhindern. Aber wenn nachher ein Krieg, an dem wir vielleicht überhaupt gar nicht einmal selbst beteiligt sind, sondern in dem wir nur Objekt sind, über uns dahinbraust, und es ist in Deutschland zum Schutze der Zivilbevölkerung und auch der wichtigen Anlagen und Arbeitsplätze nichts geschehen, dann wird man sagen: Dafür, daß das passiert ist, seid ihr - das deutsche Parlament und die Regierung - verantwortlich. Wir müssen uns diese Sache sehr ernstlich überlegen, und es ist wirklich die Frage, was wichtiger ist - ich bitte um Entschuldigung, wenn ich diese beiden nicht miteinander in unmittelbarer Verbindung stehenden Dinge einmal in diese Verbindung setze -: Ist es wohl wichtiger, die gesetzlich zwingend nicht einmal vorgesehene Tilgung der Ausgleichsforderungen in Angriff zu nehmen und auf diesem Gebiet ein Milliardenprogramm durchzuführen - auf Jahre hinaus natürlich, aber der Luftschutz läßt sich auch nicht von heute auf morgen machen -, oder wäre es nicht doch mindestens erwägenswert, daß man die Mittel, die hier der Tilgung der Ausgleichsforderungen dienen sollen, vielleicht dem Schutz der Zivilbevölkerung dienstbar macht?
Die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers über den Sozialetat haben uns in eindrucksvoller Weise vor Augen geführt, welche Leistungen unsere gesamte Volkswirtschaft für diesen Zweck erfreulicherweise hat aufbringen können.
({25})
Es ist eine Binsenwahrheit, aber ich möchte es doch noch einmal sagen: nur eine ertragreiche Wirtschaft, eine Wirtschaft, die vorwärtsschreitet und Gewinne erzielt, kann Leistungen von dieser gewaltigen Milliardenhöhe aufbringen.
({26})
Es .ist infolgedessen alles daran gelegen, daß der Weg, der uns bis zu diesem Maße wirtschaftlicher Aktivität und größeren Ertrages gebracht hat, auch weiter beschritten wird.
({27})
Der Einzelplan 14, der Haushalt des Bundesministeriums für Verteidigung, ist vorläufig noch im neuen Bundeshaushaltsplan ein Torso. Wir behandeln zur Zeit im Sicherheitsausschuß und im Haushaltsausschuß in gemeinsamen Sitzungen die Vorschläge, die zu einer beschleunigten Durchführung wenigstens der Anlaufmaßnahmen erforderlich sind. Hier wird sich ein Gesamtüberblick erst gewinnen lassen, wenn die Verwaltung in der Lage gewesen sein wird, uns die Einzelheiten in der Form eines Haushaltsvoranschlages zu unterbreiten. Beruhigend ist an dieser Sache, daß die vorgesehene Gesamtsumme im laufenden Haushaltsjahr unter keinen Umständen wird erhöht werden müssen oder können. Es wird also unbedenklich sein, selbst wenn die Einzelheiten im Augenblick der Verabschiedung des Haushalts 1956 noch nicht vorliegen, die Globalsumme zu beschließen.
Der Herr Bundesfinanzminister und anschließend Herr Kollege Schoettle - ich weiß nicht, ob auch Sie etwas dazu gesagt haben, Herr Vogel; ich bitte um Entschuldigung - sind auf die Frage „Atom"
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- ich nenne einfach mal dieses Stichwort - eingegangen. Meine Freunde sind der Meinung, daß dieses Gebiet den nächsten Haushalt und die kommenden Haushalte stark in Anspruch nehmen wird. Die jetzt für die Bundesrepublik mögliche friedliche Nutzung der Kernenergien wird nicht nur dringende gesetzliche Maßnahmen erfordern, sondern auch materielle Bereitstellungen, um den schon sehr großen Vorsprung der anderen Staaten möglichst bald einzuholen. Ich möchte diese Notwendigkeit hier nicht im einzelnen begründen. Das wird sicherlich in Kürze bei der schon lange ausstehenden Aussprache über die diesen Fragenkomplex betreffende Große Anfrage mehrerer Abgeordneter aller Fraktionen ausgiebig geschehen. Dabei handelt es sich aber nicht etwa allein um die in der Öffentlichkeit so lebhaft diskutierte Frage der Planung und Aufstellung eines Atommeilers, sondern ganz allgemein auch um die Förderung der zentralen Forschung und Entwicklung, nicht zuletzt aber um die eigentlich schon überfällige Prüfung und Festlegung aller Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung, zur Überwachung von Wasser und Luft gegen radioaktive Verseuchung und anderes mehr. Hier wird eine gewisse Großzügigkeit in der Bereitstellung von Mitteln wahrscheinlich erforderlich sein. Gerade weil wir nicht in der Lage sein werden, so große Mittel aufzubringen wie beispielsweise die USA, Großbritannien oder sogar Frankreich, werden wir besonders überlegt vorgehen müssen, um den richtigen Einsatz zu sichern. Meine Fraktion wird jedenfalls in ,den Haushaltsberatungen energisch dafür eintreten, daß das Notwendige im Rahmen des Haushalts bereitgestellt wird.
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Ein Wort lassen Sie mich zum Wohnungsbau sagen. Wir haben uns Laufe der letzten Jahre daran gewöhnt, 400, 500 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau als eine Selbstverständlichkeit anzusehen. Die Notwendigkeit für diese Aufwendungen besteht nach wie vor. Herr Kollege Schoettle hat sogar vorhin eine Verstärkung dieser Mittel um 200 Millionen gefordert. Man wird sich das überlegen müssen. Eine Verschiebung hat sich insofern ergeben, als nun ,allmählich durch das Fälligwerden einer größeren Anzahl von Bausparprämien, die ja aus den allgemeinen Wohnungsbauförderungsmitteln genommen werden müssen, das eigentliche, offizielle soziale Wohnungsbauprogramm beeinträchtigt wird. Das sollten wir, so wie die Dinge heute liegen, nicht zulassen. Meine Freunde und ich jedenfalls betrachten den Wohnungsbau noch immer als eine Aufgabe allererster Ordnung, als d i e Aufgabe im Bereich der Bundesrepublik. Ich möchte diesen Standpunkt auch von dieser Stelle aus ausdrücklich unterstreichen.
Die Aufrechterhaltung der Kaufkraft unserer Währung, die Sicherheit der intervalutarischen Bewertung unserer Währung hatte der Herr Bundesfinanzminister als eine unserer wichtigsten Aufgaben bezeichnet. Wir können das nur bestätigen und auch das, unterstreichen, was zu diesem Punkt der Kollege Vogel in seinen Ausführungen gesagt hat. Es darf - so muß unsere Politik und insbesondere unsere Ausgabenpolitik beschaffen sein - überhaupt niemals der Gedanke aufkommen, die Währung könnte nicht stabil sein. Wir haben augenblicklich, wie uns der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat, geradezu märchenhaft gute Deckungsverhältnisse des umlaufenden Geldes durch Gold und Devisen. Das wird nicht immer so
bleiben; das gehört auch zu der Euphorie. Aber selbst wenn sich das in irgendeinem Zeitpunkt einmal ändern sollte, - unsere staatliche Ausgabenpolitik kann und darf niemals Anlaß auch nur zu Zweifeln geben an der Sicherheit und der Aufrechterhaltung des Wertes unserer Währung,
Von meinen Herren Vorrednern ist schon verschiedentlich von der allmählich sehr notwendig gewordenen Reform des Haushaltsrechts gesprochen worden. Meine Kollegen Schoettle, Vogel und ich freuen uns sicherlich darüber, daß der Herr Bundesfinanzminister wesentliche Anregungen und Erkenntnisse, die wir in USA gewonnen haben und die in unserem Bericht niedergelegt sind, aufgreift. Auch uns erscheinen die Punkte: Rechnungsjahr gleich Kalenderjahr, Abschaffung des außerordentlichen Haushalts und dafür Einrichtung eines Kapital- oder Investitionshaushalts, Mehrjährigkeit gewisser Ausgabeermächtigungen, Anpassung der Reichshaushaltsordnung an die gegenwärtige staatsrechtliche Lage, Vermögensrechnung, Rechnungsabschluß, Bundesbeteiligungen usw. vordringlich zu sein. Wir freuen uns, wenn nun diese Arbeiten, die schon seit langem laufen, schnell weitergehen. Wir wissen, eine Reform des Haushaltsrechts ist eine unendlich komplizierte und langwierige Aufgabe. Wir glauben aber, daß man den Perfektionismus nicht zu weit treiben und dringliche Abänderungen in einer Art Kleiner Haushaltsrechtsreform lieber vorwegnehmen und gesetzlich verabschieden sollte. In diese Richtung führen ja auch die Ausführungen zu dem Thema auf den Seiten 228 und 229 der Allgemeinen Vorbemerkungen.
In meiner Eigenschaft als Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses des Haushaltsausschusses lassen Sie mich sagen, daß wir im Rechnungsprüfungsausschuß besonders die Hoffnung haben, die Rechnungslegung und die Prüfung durch den Bundesrechnungshof mögen so beschleunigt werden, daß wir in einer nahen Zukunft aus den Erfahrungen und Ergebnissen vergangener Jahre und möglichst nahe zurückliegender Jahre Nutzanwendungen und Kenntnisse für die Behandlung des neuen Haushalts gewinnen können. Denn das ist ja eigentlich der letzte und tiefe Sinn einer Rechnungsprüfung. .
({30})
Namens meiner Freunde darf ich das Hohe Haus bitten, den Haushaltsvoranschlag, Drucksache 1900, dem Haushaltsausschuß zu überweisen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Niederalt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Jahres 1956 zeigt ein Merkmal, das äußerlich zunächst wohl am meisten auffällt. Es ist die Tatsache, daß auch in diesem Jahr das Haushaltsvolumen wieder nicht unerheblich angewachsen ist. Ich nenne nur drei Zahlen: 1954 hatten wir einen Etat von 27,1 Milliarden DM, 1955 einen solchen von 30,5 Milliarden DM, und der Haushalt 1956 liegt uns mit 32,5 Milliarden DM vor. Es ist richtig, das Wachstum des Haushalts gegenüber 1955 beträgt nur 6,5 % und steht damit vielleicht noch in einem tragbaren Verhältnis zum Anwachsen des Sozialprodukts, das bekanntlich in diesem Jahr über 10 % ausmacht. Trotzdem scheint mir aber in diesem unentwegten Wachsen des Haushaltsvolumens eine gefährliche Tendenz zu liegen. Ich möchte mich gegen diese
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Tendenz wenden, und zwar vor allem deshalb, damit wir uns nicht einfach an diesen Umstand gewöhnen. Wenn das so weitergeht, müßten wir uns fragen: Bei welchem Haushaltsvolumen stehen wir im Jahre 1960?
Ich glaube, es darf uns nicht wundernehmen, wenn dieses Wachstum des Haushaltsvolumens auch in der Öffentlichkeit ziemlich Kritik hervorgerufen hat. Ich meine, wir dürften an dieser Kritik nicht vorbeigehen. Ich sage „wir"; denn diese Kritik richtet sich nicht etwa in erster Linie gegen den Bundesfinanzminister, der etwa diese 2 Milliarden Mehrbetrag, wie ich jüngst in einer Zeitung gelesen habe, so ganz nebenbei verfrühstückt. Die Kritik richtet sich wirklich gegen uns, die wir eben die entsprechenden Entscheidungen im Bundestag fällen.
Ich glaube, wir müssen uns im Laufe des Haushaltsjahrs öfter, als es bisher geschehen ist, daran erinnern, daß unsere Beschlüsse sehr reale Folgen haben. Manche unter uns, die ob des ständigen Anwachsens des Haushaltsvolumens heute vielleicht beunruhigt sind, denken im Laufe des Jahres, vor allem dann, wenn gerade i h r Antrag, wenn gerade i h r Arbeitsgebiet zur Debatte steht, nicht oder zuwenig daran, daß dieser ihr politischer Wille ein Teil der großen Summe ist, die dann den Haushalt ergibt. Der Haushalt ist nun einmal das Ergebnis der politischen Entscheidungen im Bundestag. Dieser Satz ist so selbstverständlich, daß man ihn kaum auszusprechen wagt. Und doch wird die Wahrheit des Satzes im Laufe des Jahres immer wieder übersehen.
Ich bejahe diese Kritik am Anwachsen des Haushaltsvolumens. Sie soll uns Mahnung sein für unsere parlamentarische Alltagsarbeit, nicht bloß heute, sondern das ganze Jahr über. Diese Kritik sollten aber auch jene beherzigen, die draußen in irgendwelchen Interessentengruppen, in Verbänden immer wieder Forderungen erheben. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, den Chor derjenigen, die heute in der Öffentlichkeit, in der Presse und im Rundfunk so Kritik an dem Ausmaß unseres Haushalts üben, näher zu besehen. Wir würden vermutlich sehr häufig feststellen, daß es die gleichen Leute sind, die das Jahr über durch ihre Stimme selbst Anlaß zur Kritik geben.
So sehr ich diese Kritik bejahe, so wenig habe ich aber - das muß ich auch einmal in aller Deutlichkeit aussprechen - Verständnis für jene Art von Kritik, die nur in allgemeinen Redewendungen von „unerhörter Aufblähung des Bundeshaushalts" spricht oder in unsubstantiierte Klagen über eine leichtfertige Großzügigkeit oder gar Verschwendungssucht des Bundes ausbricht. Diese billige Art von Kritik findet man besonders häufig bei gewissen Politikern auf Landesebene, die von Verantwortungsbewußtsein, von Verantwortungsgefühl und Sachkenntnis gleichermaßen unbeschwert, als einzige politische Konzeption nur das Ressentiment gegen den Bund,
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wenn nicht noch mehr haben.
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Es lohnt an sich nicht, sich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen, und zwar deshalb nicht, weil ja diese Art Leute gar keine Kritik üben wollen, sondern Polemik.
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Weil wir uns selbst immer wieder Rechenschaft ablegen sollen, möchte ich aber doch einmal von einer Aufstellung Kenntnis geben, die ich mir einmal in diesem Zusammenhang machen ließ. Diese Aufstellung enthält die Mehrbeträge, das Anwachsen des Haushalts seit dem Jahr 1954, seit der Zeit also, seit der dieser Bundestag die Verantwortung trägt. Der Etat 1956 ist gegenüber 1954 um 5,4 Milliarden angewachsen. Von diesen 5,4 Milliarden gehen automatisch 2,4 Milliarden - die bekannte Besatzungskostenrücklage - ab, so daß wir ein echtes Anwachsen von 3 Milliarden gegenüber dem Jahr 1954 haben. Diese 3 Milliarden sind - um Ihnen nur die allerwichtigsten Positionen aufzuzeigen - zurückzuführen auf Mehrausgaben bei den sozialen Kriegsfolgeleistungen und sonstigen Sozialleistungen in Höhe von 770 Millionen, auf eine Mehrausgabe bei den Ersatzleistungen, Entschädigungen - bei den sogenannten politischen Schulden - in Höhe von 453 Millionen, auf eine Mehrausgabe für unsere Bundesfernstraßen in Höhe von 333 Millionen, auf eine Mehrausgabe bei Tilgung, Inanspruchnahme aus Sicherheitsleistungen usw. in Höhe von 237 Millionen, auf eine Mehrausgabe für Wohnungsbau und Siedlung in Höhe von 120 Millionen, auf eine Mehrausgabe in der Bundessteuerverwaltung in Höhe von 109 Millionen, auf eine Mehrausgabe bei Subventionen und Vorratshaltung in Höhe von 73 Millionen, bei der Finanzhilfe Berlin in Höhe von 50 Millionen, bei der Hilfe für die Deutsche Bundesbahn in Höhe von 58 Millionen usw.
Ich habe die hier erwähnten Beträge zusammengezählt; sie allein ergeben schon 2,2 Milliarden. Die vielen kleineren Positionen kann ich Ihnen im einzelnen hier nicht vortragen.
Aus dieser Aufstellung, meine ich, ergibt sich klar - und jedermann hat ja die Möglichkeit, diese Übersicht nachzuprüfen -, daß das Anwachsen des Haushalts seit dem Jahr 1954 eben doch auf die Ordnung unseres sozialen, unseres wirtschaftlichen Lebens in unserem Nachkriegsdeutschland zurückzuführen ist. Ich wollte, die deutsche Öffentlichkeit könnte manchmal Zeuge unserer Beratungen im Haushaltsausschuß sein. Dann wäre die deutsche Öffentlichkeit überzeugt, daß man wirklich nicht - wenn man nicht Demagogie treiben will - von einer Ausgabefreudigkeit oder gar Verschwendungssucht sprechen kann.
Was allerdings die Beurteilung der Frage anlangt, ob die eine oder andere Ausgabeposition vordringlich ist, - ja nun, meine Damen und Herren, da gehen natürlich die Ansichten auseinander je nach dem Standpunkt, den man eben einnimmt. Aber Tatsache bleibt doch, daß eine Mehrheit des Parlaments jeweils die betreffende Ausgabenposition für dringlich hält.
Damit ist auch weitgehend schon die ernstzunehmende Kritik widerlegt, die das Institut „Finanzen und Steuern" am Anwachsen des Haushaltsvolumens geübt hat. Das Institut ist der Meinung, daß im wesentlichen die Einnahmenabundanz - so drückt es sich aus - schuld an der Ausgabenopulenz sei. An dieser Ansicht ist sicher richtig, daß Ausgaben im allgemeinen leichter beschlossen werden dürften, wenn dabei auf schon vorhandene Mittel zurückgegriffen werden kann, als dann, wenn zur Deckung dieser Ausgaben neue Steuern eingeführt oder Steuererhöhungen durchgeführt werden müssen. Aber auch das Institut kann uns nicht angeben, welche konkreten Ausgabepositionen ausgespart werden könnten. Es
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kommt mit Ausnahme des doch sehr theoretischen Ausgabestopps, den es vorschlägt, zu nichts anderem als zu dem Allheilmittel der Einschränkung des Verwaltungsapparats.
Ich habe mir nun auch die Ziffern der Personalausgaben geben lassen und stelle fest, daß sie vom Jahre 1954 bis zum vorliegenden Haushalt um 200 Millionen DM gewachsen sind. Zu diesem außergewöhnlich hohen Betrag muß natürlich sofort hinzugefügt werden, daß darin 150 Millionen DM für das Besoldungsänderungsgesetz und weiter etwa 20 Millionen DM enthalten sind, die im Zuge der Aufstockung des Bundesgrenzschutzes von 10- auf 20 000 Mann notwendig wurden. Damit ergibt sich in den Jahren 1954 bis 1956 ein echtes Anwachsen der Personalkosten in Höhe von 30 Millionen DM. Ich möchte diese Mehrausgabe, die durch die Personalvermehrung - 1954/55 waren es 1170 Kräfte, 1955/56 sind 1285 gewünscht - entstanden ist, weiß Gott nicht verniedlichen. Aber im ganzen gesehen muß doch festgestellt werden, daß diese 30 Millionen DM nicht die entscheidende Bedeutung haben, die ihnen manche um der Popularität willen so gern zugestehen.
Wenn es wirklich so ist, daß das ständige Anwachsen des Haushalts uns hier im Parlament und den Kritikern draußen in der Öffentlichkeit eine ernste Sorge bedeutet, so kann es nur eine einzige Konsequenz geben: daß wir in Zukunft bei unseren Entscheidungen das ganze Jahr über an das Haushaltsvolumen denken und daß man auch draußen in der Öffentlichkeit bei den Wünschen und Forderungen die Zurückhaltung übt, die notwendig ist.
Ich sagte schon, daß auch der Haushalt 1956 leider wieder erhebliche Personalwünsche enthält. Ich habe im vergangenen Jahr von dieser Stelle aus dazu sehr eingehend Stellung genommen. Herr Kollege Schoettle und Herr Kollege Blank haben zu diesem Thema heute schon einiges ausgeführt. Ich möchte mich deshalb sehr kurz fassen, vor allem auch deshalb, weil vor einigen Wochen hier in diesem Hohen Hause eine Debatte über Verwaltungsvereinfachung stattgefunden hat, bei der Herr Kollege Dr. Menzel ausgezeichnete und sehr zutreffende Ausführungen gemacht hat. Aber nach meiner Meinung wird man bei dem föderativen Charakter des Grundgesetzes auf der Bundesebene mit der zum Schlagwort gewordenen Verwaltungsvereinfachung nicht sehr weit kommen. Die Verwaltungsvereinfachung ist als echte Aufgabe in erster Linie den Ländern und den Kommunen gestellt.
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Was wir hier tun können, um das ständige Anwachsen des Personals zurückzudrängen, ist nach meiner Auffassung dies: Wir müssen uns wappnen, müssen unser Herz mit einem harten Panzer umgeben
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- ja, das ist notwendig, wenn man die Haushaltsberatungen kennt -,
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um die Kraft zu besitzen, einfach rigoros nein zu sagen. Ich sage wiederum: wir , meine Damen und Herren, weil es nicht genügt, wenn das nur die Mitglieder des Haushaltsausschusses tun.
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Ich sage „wir" und meine damit vor allem auch die Mitglieder der Fachausschüsse. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, daß gerade die Fachausschüsse mit ihren korrespondierenden Ressorts in sehr enger Verbindung standen und sich bei den Haushaltsberatungen als die beredten Anwälte der Personalwünsche der Ressorts gebrauchen ließen.
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Vom Verteidigungsministerium und von den besonderen Dauerausgaben wie für Luftschutz oder für die Zugehörigkeit zur NATO oder anderen wirklichen Daueraufgaben abgesehen, müssen wir den Standpunkt einnehmen: Der personelle Aufbau unserer Verwaltung gilt als abgeschlossen. Wir haben deshalb - und ich freue mich sehr darüber - im Haushaltsausschuß Sonderwünsche zur Erfüllung vorübergehender Aufgaben unbedingt und ohne Ausnahme abgelehnt.
Die Bundesregierung muß im Rahmen ihrer Organisationsgewalt dafür sorgen, daß echte Personalschwierigkeiten, die sicher immer und immer wieder auftreten können, durch einen Rückgriff auf das gesamte Personal der Bundesverwaltung überwunden werden. Ich vermute, daß die Bundesregierung das erst dann tun wird, wenn sie am entschlossenen Willen des Parlaments merkt, daß der wesentlich bequemere Weg, nämlich der Weg über die Neuanforderung von Personal, eben nicht mehr gangbar ist.
In diesem Zusammenhang muß ich auch erwähnen, daß im neuen Haushaltsgesetz jene Bestimmung nicht mehr enthalten ist, die wir im vergangenen Jahr bei der dritten Lesung eingeführt haben und die besagt, daß jede vierte freiwerdende Planstelle und Angestelltenstelle nicht mehr besetzt werden soll. Ich bin damals, wie Sie sich erinnern können, für diese Bestimmung eingetreten, obwohl ich vom Gesetzestechnischen her gegen diese rohe und ungezimmerte Bestimmung allerhand Bedenken hatte. Ich bin damals dafür eingetreten - und ich habe das auch erklärt -, weil ich den Sinn dieser Bestimmung dahin verstehe: man soll in den Bundesressorts einmal klar und deutlich zur Kenntnis nehmen, daß wir weitere Personalwünsche nicht mehr entgegennehmen. Offensichtlich ist diese Bestimmung von einzelnen Bundesministerien nicht so verstanden worden; sonst wären die Personalwünsche im Haushalt 1956 nicht zu erklären.
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- Ich muß mich ja immer etwas vornehm ausdrükken, Herr Kollege Gülich, das wissen Sie doch.
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Als Sprecher einer Regierungspartei hat man es nicht so leicht, seine Meinung so deutlich zu sagen wie Sie.
Wir werden die Frage im Haushaltsausschuß genau prüfen, werden uns einen Erfahrungsbericht vorlegen lassen, und wenn nicht wirklich überzeugende Argumente vorgebracht werden können, müssen wir auf der Einfügung dieser oder einer ähnlichen Bestimmung auch im Haushalt 1956 bestehen. Wir befinden uns dabei übrigens in recht guter Gesellschaft. Der Bundesrat, der doch weiß Gott etwas von Verwaltung versteht, hat den gleichen Vorschlag gemacht.
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Noch ein ernstes Wort. Häufig wird denjenigen, die sich als Sprecher gegen die unentwegte Personalvermehrung hervortun, eine beamtenfeindliche Tendenz unterschoben. Ich selbst brauche wohl nicht besonders zu betonen, daß mir eine solche Einstellung wirklich nicht liegt. Ich darf auch für die anderen Rufer im Streite versichern, daß ihnen eine derartige Tendenz sicher nicht unterschoben werden kann. Wir wissen sehr genau, daß es sehr viele Bundesbedienstete gibt, die vor allem in leitender Stellung in aufopferungsvoller Hingabe buchstäblich jeden Tag - ich könnte Ihnen Namen nennen - manchmal bis weit in die Nacht hinein als Beamte oder Angestellte der Allgemeinheit dienen. Der Herr Kollege Dr. Vogel hat schon den Dank dafür ausgesprochen. Ich möchte mich aus ehrlichem Bedürfnis heraus diesem Dank anschließen.
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Das hindert aber nicht, daß wir der Auffassung sind, da und dort könnte durch eine bessere Organisation sowohl innerhalb der Ministerien wie auch vor allem im Verhältnis der Ministerien zueinander manche Doppelarbeit, mancher Leerlauf vermieden werden.
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Da und dort müssen wir feststellen, daß wertvolle Arbeitskraft auf Sachgebieten verwendet wird, deren Bearbeitung uns zumindest nicht vordringlich erscheint. Ich erinnere nur daran, in welche Lebensbereiche die ungezählten Verordnungen, die uns täglich begegnen, heute schon vorgedrungen sind.
In dieser Beziehung fällt aber auch - auch das hat der Kollege Dr. Blank schon angedeutet - auf das Parlament ein großer Teil der Schuld. Nur ein
Beispiel für viele: Vor einigen Wochen haben wir, uns, zunächst noch ganz nebenbei, mit der Drucksache 1813 befaßt, dem Entwurf eines Bundesbaugesetzes. Dieses kleine Ungeheuer eines Gesetzentwurfs umfaßt mit der Begründung 81 Druckseiten, und der Inhalt ist voller verfassungsrechtlicher und wirtschaftspolitischer Problematik. Wieviel wertvollste Arbeitskraft von qualifizierten Ministerialbeamten hat dieser Entwurf wohl bisher schon in Anspruch genommen, wieviel Arbeitskraft wird er noch bei der Vorbereitung zu den Sitzungen der Ausschüsse und bei den Sitzungen selbst in Anspruch nehmen! War der Entwurf wirklich unerläßlich notwendig angesichts der Tatsache, daß unsere Gesetzesmaschine sowieso auf Hochtouren läuft?
({15}) Konnte man nicht noch zwei oder drei Jahre warten? Herr Kollege Dr. Schild, ich weiß, daß das Ihnen ein besonderes Anliegen ist. Wir müssen uns aber doch ganz allgemein, meine ich, dazu durchringen, eine Dringlichkeitsskala aufzustellen. Es gibt in unserem Nachkriegsdeutschland nun einmal Dinge, die meiner Auffassung nach wesentlich vordringlicher sind. Ich bin fest überzeugt, daß wir unsere Forderung bezüglich des Personalstopps nur dann praktisch verwirklichen können, wenn wir uns selbst bei unserer parlamentarischen Arbeit zu einer Reihenfolge nach der Dringlichkeit zwingen und uns dabei manchmal auch etwas bescheiden, uns für die nächste Zeit manchmal noch etwas behelfen.
Nur dann wird es übrigens auch möglich sein, die ewige Unrast, die in diesem Hause ist, die kein überlegtes und kein überlegenes Arbeiten mehr gestattet, das ständige Hetzen von Sitzung zu Sitzung, von Besprechung zu Besprechung etwas zu bannen. Unter diesem ständigen Hetzen leiden wir alle oder doch wenigstens die meisten von uns so sehr, daß es leider Gottes manchen von unseren Kollegen schon den Tod gebracht hat.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich noch einem speziellen Punkt zuwenden. Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Etatrede im Zusammenhang mit den Maßnahmen zur Förderung der Wirtschaft auch die regionalen Förderungsmaßnahmen für das Grenzland und das Zonenrandgebiet erwähnt. Er sagte in diesem Zusammenhang, daß diese Hilfsmaßnahmen trotz der derzeitigen guten Konjunktur auch im Haushaltsjahr 1956 fortgesetzt werden. Wir begrüßen diesen Beschluß der Bundesregierung sehr dankbar. Auch ich möchte die Notwendigkeit der Fortführung dieser Maßnahmen unterstreichen. Dort in den Grenz- und Zonenrandgebieten ist von der vielbesprochenen und vielbeschriebenen Überhitzung der Konjunktur noch nichts zu spüren.
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Dort weht noch ein kalter Wind, der Wind vom Osten her, der eine Überhitzung nicht aufkommen läßt. Gern anerkennen wir, daß die allgemein gute Konjunktur allmählich auch auf diese Gebiete etwas ausstrahlt. Gern stellen wir fest, daß die Mittel des Bundes im Wirtschaftsleben spürbar werden. Wir werden noch die eine oder andere Korrektur an den Programmen vornehmen müssen, insbesondere werden wir die Frachthilfe auf den Lkw-Verkehr ausdehnen müssen, und zwar ohne Beeinträchtigung der bisherigen Frachthilfe.
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Wir werden weiter dafür sorgen müssen, daß diese Gebiete mehr als bisher mit den zu erwartenden öffentlichen Aufträgen bedacht werden; eine Maßnahme, die nicht bloß im Interesse der Zonenrandgebiete oder Grenzgebiete, sondern ebenso sehr im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegt, da dadurch die Spannungserscheinungen, die sich in den Ballungsräumen unserer Wirtschaft da und dort schon zeigen, vermindert werden können.
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Diese eben erwähnten Maßnahmen dienen aber vornehmlich dazu, die in den Grenz- und Zonenrandgebieten schon vorhandenen Betriebe wirtschaftlich zu stärken. ,Daneben, meine ich, müssen wir uns ernsthaft bemühen, in jene Grenz- und Zonenrandgebiete, die noch aufnahmefähig sind, noch weitere Betriebe zu bringen, damit diese Gebiete ebenfalls wirtschaftlich allmählich durchblutet werden. Ich weiß, daß das nicht leicht ist und daß der Bundeswirtschaftsminister keine Möglichkeiten hat, hier Anweisungen zu erteilen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mir im vergangenen Jahr, als ich bei ihm persönlich Bedenken gegen seine Verhandlungen um ausländische Arbeitskräfte erhob, versichert, daß er bei sich bietender Gelegenheit die Unternehmer auf die im Grenzgebiet vorhandenen Arbeitsreserven aufmerksam mache. Er hat dies auch getan, und ich bitte ihn und alle maßgebenden Herren seines Hauses, dies immer und immer wieder zu tun, und zwar nicht bloß in öffentlichen Reden, sondern auch in Einzelbesprechungen, denn da scheint mir der Erfolg oft noch besser zu sein. Ich bitte weiter, bei Verhandlungen über die Aufnahme ausländischer Arbeitskräfte von Fall zu Fall auch zu prüfen, ob dem
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Mangel an Arbeitskräften nicht durch die Errichtung von Zweig- und Filialbetrieben in den Grenz-
und Zonenrandgebieten begegnet werden kann, und ich bitte ganz besonders für den Fall, daß zu irgendeinem Zeitpunkt etwa wieder Investitionsgespräche zum Zwecke der Rationalisierung geführt werden, dabei dann unbedingt auch die Frage einer Teilverlagerung der Betriebe in die Zonenrand- und Grenzgebiete mit in Erwägung zu ziehen.
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Dieser Bitte an den Bundeswirtschaftsminister möchte ich von dieser Stelle aus auch die Bitte an die Industrie selbst anschließen, die Bitte, die Frage der Errichtung von Filialbetrieben im Grenzgebiet doch ernsthaft zu überlegen. Ich appelliere dabei - ich bin nüchtern genug - weiß Gott nicht an das Wohltätigkeitsgefühl der Unternehmer, ich appelliere aber an die wirtschaftliche und politische Vernunft. Die Tatsache, daß in den genannten Gebieten noch eine relativ große Arbeitsreserve steckt, die Tatsache, daß durch die Frachthilfe die Revierferne doch weitgehend ausgeschaltet ist, die Tatsache, daß dort vielfach weit günstigere Tarife gelten, die Tatsache, daß dort die Möglichkeit gewisser steuerlicher Erleichterungen und Sonderabschreibungen besteht, alle diese Tatsachen sollten doch vom rein Kaufmännischen her nicht unterschätzt werden.
In diesem Zusammenhang ein Wort an die Länder. Die beteiligten Länder müssen wir, und zwar gerade vom Standpunkt des Bundeshaushalts her, dringend ersuchen, bei der Durchführung der verschiedenen Projekte, ob es sich um einen Straßenbau oder um den Bau einer gewerblichen Schule handelt, nicht die Landesmittel zu kürzen im Hinblick darauf, daß für dieses einzelne Projekt im Grenzgebiet Bundesmittel zu erwarten seien. Wenn unsere Beobachtungen, die wir in dieser Richtung leider machen mußten, sich verstärken würden, müßten wir von der bisherigen Verteilungsart der Globalzuwendungen abkommen und uns andere Wege überlegen. Die Bundesmittel sind, soweit sie nicht unmittelbar Wirtschaftsbetrieben zugute kommen, für die Gemeinden und Landkreise gedacht, damit sie in die Lage versetzt werden, die notwendigen strukturverbessernden Aufgaben durchzuführen, ohne dabei in eine unerträgliche Schuldenlast zu kommen;
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sie sind also als Zusatzmittel zu den Eigenleistungen gedacht. Ich halte den Grundsatz der Globalzuwendungen nach wie vor für richtig, aber nur im Grundsatz. Dieser Grundsatz setzt eine unbedingte Loyalität seitens der beteiligten Länder voraus.
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Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie mit diesem Einzelproblem vielleicht etwas länger aufgehalten habe. Die wirtschaftliche Förderung der Gebiete am Eisernen Vorhang ist wirklich ein eminent wichtiger Punkt, der uns alle miteinander angeht.
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Es handelt sich dabei - ich betone das immer wieder - nicht um eine regionale Aufgabe, es handelt sich um eine Gesamtaufgabe. Es kann uns allen nicht gleichgültig sein, weder wirtschaftspolitisch noch sozialpolitisch noch allgemein politisch, daß sich in Westdeutschland in den Ballungsräumen unsere Wirtschaft so konzentriert, daß heute schon gewisse Spannungserscheinungen festzustellen sind, während ausgerechnet am Eisernen Vorhang eine wirtschaftliche Leere mit ihren zwangsläufigen Folgen auf sozialpolitischem und auch auf allgemein politischem Gebiet vorhanden ist.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat, wie ich in der Presse feststellen konnte, vor kurzem in Italien erklärt, daß ein zu starkes soziales Gefälle in Europa für uns alle in Europa eine Gefahr darstelle. Ich meine, er hat damit recht. Aber wenn dies richtig ist, dann muß es um so mehr eine Gefahr sein, wenn ein solches soziales Gefälle etwa in einzelnen Teilen unserer westdeutschen Bundesrepublik und noch dazu am Eisernen Vorhang festzustellen ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die allgemeine Aussprache über den Haushalt bietet für den Gesamtdeutschen Block die willkommene Gelegenheit, ja die Verpflichtung, einmal die Frage zu prüfen: wie steht es mit dem Schicksal all der Gruppen, deren Betreuung dem Ministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte anvertraut ist? Und vor allem die Frage: Wie weit sind wir mit der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge gekommen, und was sagt der vorliegende Haushaltsplan dazu?
Seit der Bundestagswahl vom 6. September 1953 ist von Regierungsseite das Bestreben erkennbar geworden, zu sagen, das Problem sei im wesentlichen gelöst. Der Herr Bundeskanzler hat schon vier Tage nach der Wahl die Frage aufgeworfen, ob wir überhaupt noch ein Vertriebenenministerium brauchen, und der Fraktionsvorsitzende der größten Regierungspartei, Herr von Brentano, erklärte bei der Debatte zur Regierungserklärung im Oktober 1953 wörtlich:
Ich hoffe, daß nach vier Jahren das Problem der Heimatvertriebenen in der politischen Diskussion keine Rolle mehr spielen wird mit Ausnahme der einen, daß diese Menschen auch nach vier Jahren in der gleichen Weise an ihre Heimat denken werden wie heute.
Nun, meine Damen und Herren, wer sich ernsthaft und verantwortungsbewußt mit diesem Komplex beschäftigt, weiß, wie unbegründet dieser Optimismus ist und wie gefährlich er ist. Dabei verkennen wir durchaus nicht das, was getan worden ist, und versagen dieser Leistung auch nicht unsere Anerkennung. Aber es muß mir gestattet sein, einmal mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die Erfolge, die wir Vertriebenen besonders im 1. Bundestag unter harten Kämpfen errungen haben, heute vielfach gerade von denen in Anspruch genommen werden, die uns damals den größten Widerstand entgegengesetzt haben.
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Das gilt ganz besonders von dem Herrn Bundesfinanzminister. Er hat auf die stolze Bilanz des Lastenausgleichs hingewiesen und gestern insbesondere hervorgehoben - schade, daß er nicht da ist -, daß aus diesem Fonds 280 Millionen DM für die landwirtschaftliche Siedlung und über 300 Millionen DM für die gewerbliche Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich bereitgestellt werden können.
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Ich darf demgegenüber bemerken, daß gerade Herr Schäffer es war, gegen dessen härtesten Widerstand wir die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Entwicklung geschaffen haben. Herr Bundesfinanzminister Schäffer schmückt sich hier also mit Federn, die wir ihm vor Jahren in hartem Kampf ausgerissen haben.
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- Ich habe den Herrn Bundesfinanzminister Schäffer auch angegriffen, als ich noch CDU-Mann war, Herr Lücke; das möchte ich auf ihren Zwischenruf bemerken.
Trotz aller Anerkennung des Geleisteten ist es eine nicht zu bestreitende Tatsache, daß für Millionen und aber Millionen das Problem noch völlig ungelöst ist, jedenfalls nicht gelöst im Sinne einer echten und zumutbaren Eingliederung.
Mit- der stolzen Bilanz des Herrn Bundesfinanzministers von gestern hat es auch seine besondere Bewandtnis. Er hat gestern auf die starken Steigerungen hingewiesen, die die Leistungen aus dem Lastenausgleich seit 1952 erfahren haben, und die Zahlen genannt: für 1952 1,5 Milliarden DM, für 1953 3,5 Milliarden DM, für 1954 4,2 Milliarden DM und für dieses Jahr voraussichtlich 4,4 Milliarden DM. Wohlgemerkt, der Herr Bundesfinanzminister spricht nicht von dem Aufkommen, sondern von der Verteilung. Wenn er die Zahlen des Aufkommens genannt hätte, dann hätte er eine solche Steigerung auch nicht im entferntesten aufzeigen können.
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Der Herr Bundesfinanzminister hat es auch nicht für nötig gehalten, darauf hinzuweisen, daß diese Steigerung der Ausgaben in der Hauptsache dadurch zustande gekommen ist, daß das Bundesfinanzministerium und das ihm angegliederte Bundesausgleichsamt es nicht fertigbekommen haben, in den ersten Jahren das vorhandene Geld an den Mann zu bringen. Wir erinnern uns noch an den großen Geldüberhang, der damals vorhanden war und zeitweilig die Summe von einer Milliarde DM überstieg. An diesem Tatbestand ist seinerzeit auch von dieser Stelle aus eine scharfe Kritik geübt worden. Immerhin bewundere ich die Eleganz - ich bewundere sie aufrichtig -, mit der der Herr Bundesfinanzminister es verstanden hat, aus einem Versagen einen Erfolg und aus einer Not eine Tugend zu machen.
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Meine Damen und Herren, der Herr Abgeordnete Vogel hat heute von den schweren Opfern gesprochen, die die Abgabepflichtigen beim Lastenausgleich zu bringen haben. Nun, ich verkenne die Leistung nicht, wie ich schon sagte. Aber ist es wirklich möglich, wenn man die Opfer auf der einen Seite mit denen auf der anderen Seite vergleicht, hier zu sagen: Es sind schwere Opfer gebracht worden!? Ich stehe ja heute noch unter dem Vorwurf, daß ich seinerzeit zum Lastenausgleich ja gesagt habe. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß diese Abgaben nach dem Einheitswert berechnet werden, daß wir eine Freigrenze von 5000 DM haben, und wenn Sie wissen, wie gering die Einheitswerte vielfach sind, dann werden Sie mir über alle Parteischranken hinweg recht darin geben, daß wenigstens bei dem kleineren und mittleren Besitz von schweren Opfern wirklich nicht gesprochen werden kann.
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- Ich bin sehr gern bereit - wir können uns ja nicht ins einzelne verlieren -, Ihnen das mit zahlenmäßig belegten Beispielen nachzuweisen.
Vor wenigen Monaten teilte das Bundesausgleichsamt mit, daß Hunderttausende von Unterhaltshilfeempfängern bereits gestorben sind. Sie sind gestorben, ohne in den Besitz der Entschädigungsrente gekommen zu sein, weil das Feststellungsverfahren nicht vorangekommen ist. Ich zitiere, was damals eine einheimische Zeitung, die „Westfälische Zeitung", schrieb:
Dieses Hinwegsterben Hunderttausender alter Leute in der Mittellosigkeit ist ein bedrückendes Zeichen dafür, wie sehr die Schwächsten immer noch die Last tragen.
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Das ist die Kehrseite der stolzen Bilanz des Herrn Bundesfinanzministers. Wir haben das auch von dieser Stelle aus schon sehr eingehend erörtert. Und wie steht es heute mit dem Feststellungsverfahren? Am 30. September dieses Jahres waren genau 5,1 % der gestellten Anträge bearbeitet und entschieden.
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Und das auf den Tag. genau dreieinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes! Der Herr Bundesfinanzminister ist Ressortminister. Die Kosten trägt der Bund. Ich habe schon wiederholt von dieser Stelle aus vorgetragen, daß diese Zuständigkeit geändert werden muß. Bei der Regierungsbildung sind unserer Partei entsprechende Zusagen gemacht worden. Sie sind nicht gehalten worden. Es hat sich nichts geändert, und Herr Professor Oberländer hat daraus, man muß wohl sagen: Konsequenzen gezogen, die nicht nur uns überrascht haben.
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So gestaltet sich das Schicksal der eigentlichen Verlierer des Krieges, unserer Alten und nicht mehr Erwerbsfähigen bei Vertriebenen und Geschädigten.
Kaum besser geht es einer zweiten großen Gruppe, dem heimatvertriebenen Landvolk, bei dem es sich einschließlich der Familienmitglieder um weit über eine. Million Menschen handelt. Zehn Jahre sind seit der Vertreibung vergangen, und in diesem Zeitraum sind erst annähernd 5 % auf Vollbauernstellen bescheidenen Umfanges wiederangesetzt worden. Das Bundesvertriebenengesetz schreibt in § 46 vor, daß, vorbehaltlich der Dekkungsklausel, in jedem Jahr 100 Millionen DM für die landwirtschaftliche Neusiedlung im Haushalt bereitzustellen sind. Der Herr Bundesfinanzminister hat diese Anordnung bereits im ersten Jahre unbeachtet gelassen, und die Herren, die im ersten Bundestag waren, werden sich erinnern, daß es uns in einer der letzten Sitzungen mit Hilfe der Opposition gelang, die 75 Millionen DM, die im außerordentlichen Etat standen, in den ordentlichen Etat zu überführen. Im vergangenen Jahre ist es nicht einmal dazu gekommen, daß ein solcher Antrag gestellt worden ist. Und wie sieht es jetzt aus? Bereits im Juli 1955 waren die laufenden Haushaltsmittel für Siedlungszwecke verbraucht, und der Herr Bundesfinanzminister mußte sein Versprechen, Vorgriffe auf den neuen Haushalt zu gestatten, in einer Höhe von 60 Millionen DM einlösen. Das hat natürlich erhebliche Zeit in Anspruch genommen und auf das Tempo der Sied({9})
lung eine ungünstige Rückwirkung gehabt. Da die Vorgriffe nicht in den Nachtragshaushalt und auch nicht in den außerordentlichen Haushalt übernommen worden sind, müssen sie nach § 30 Abs. 3 der Reichshaushaltsordnung aus dem neuen Haushalt abgedeckt werden. Dadurch schrumpft der im neuen Haushalt um 60 Millionen DM erhöhte Ansatz der Siedlungsmittel auf den gleichen Betrag wie im Vorjahre zusammen. Man kann also nicht, wie es der Herr Bundesfinanzminister getan hat, von einer Erhöhung des Ansatzes um 60 Millionen DM sprechen. Falls keine andere Regelung getroffen wird, besteht für das nächste Haushaltsjahr also die gleiche Situation wie 1955. Für die Verplanungen und Auszahlung stehen 94,7 Millionen DM zur Verfügung. Das sind praktisch nicht viel mehr als 50 % dessen, was das Bundesvertriebenengesetz und das Siedlungsförderungsgesetz jährlich vorschreiben. Notwendig sind aber nach dem Siedlungsprogramm 1955, das leider erst am 14. Oktober dieses Jahres vom Kabinett beschlossen wurde, 150 bis 170 Millionen DM.
Es ist unbedingt wünschenswert, daß das gesetzlich vorgeschriebene Siedlungsprogramm gleichzeitig mit dem Haushalt vorgelegt wird. Ein Siedlungsprogramm post festum zu beschließen, ist nicht zweckmäßig.
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150 000 siedlungswillige und -fähige Familien von Vertriebenen und Flüchtlingen warten seit so vielen Jahren darauf, angesetzt zu werden. Auf der anderen Seite haben wir in der Bundesrepublik 128 000 Bauernhöfe, deren Eigentümer in hohem Alter und ohne Erben sind. Sollte es wirklich unmöglich sein, diese beiden Faktoren zusammenzubringen? Voraussetzung ist natürlich eine ausreichende Altersversorgung für die abgebenden Eigentümer. Es sollte doch wohl bei energischem Zusammenwirken von Finanz-, Landwirtschafts-
und Vertriebenenminister nicht unmöglich sein, diesem Problem beizukommen. Es geht um ein großes Ziel: die Erhaltung der wertvollen, ja unersetzlichen bäuerlichen Substanz aus dem deutschen Osten und Südosten, und da ist keine Zeit mehr zu verlieren.
Der Herr Bundesfinanzminister hat selbst auf die Notlage der gewerblichen Wirtschaft der Vertriebenen und Flüchtlinge hingewiesen. Er hat diese Betriebe als ein besonderes Sorgenkind bezeichnet und auf die geplante Umschuldungsaktion aufmerksam gemacht. Ich möchte hier die verdienstvolle Arbeit des dafür gebildeten Unterausschusses des Vertriebenenausschusses nicht unerwähnt lassen. Aber dieser Aktion steht noch ein weiteres Hindernis entgegen. Die Erfahrung der letzten Monate hat gezeigt, daß es kaum zu verantworten ist, eine solche Anleihe aufzulegen, wenn nicht vorher die Mittel sichergestellt sind, die für die notwendige Kurspflege der Anleihe gebraucht werden. Es ist deshalb das Anliegen des Finanzausschusses der Lastenausgleichsbank und auch unser Anliegen, daß der Herr Bundesfinanzminister diese Mittel bereitstellt. Andernfalls kann die Aktion kaum mit der gebotenen Beschleunigung gestartet werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat sie aber selbst als dringend notwendig bezeichnet.
In diesem Zusammenhang muß ich den Herrn Bundesfinanzminister noch auf § 72 des Bundesvertriebenengesetzes hinweisen. In Abs. 1 dieser Bestimmung heißt es
Die Begründung und Festigung selbständiger Erwerbstätigkeit der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchlinge in der Landwirtschaft, im Gewerbe und in freien Berufen ist durch Gewährung von Krediten aus öffentlichen Mitteln zu günstigen Zins-, Tilgungs- und Sicherungsbedingungen, durch Zinsverbilligungen und Bürgerschaftsübernahmen zu fördern.
Diese gesetzliche Anordnung hat noch weniger Gnade vor den Augen des Herrn Bundesfinanzministers gefunden als die des § 46 des gleichen Gesetzes. Auf Grund des § 72 sind bisher Mittel noch nicht zur Verfügung gestellt worden. Der Hinweis auf die ERP-Mittel geht fehl; denn einmal besagt der klare Wortlaut etwas anderes, und zweitens wäre für die ERP-Mittel eine solche gesetzliche Anordnung gänzlich überflüssig gewesen. Es ist erforderlich, daß nunmehr auch ein angemessener Betrag für die Zwecke der gewerblichen Eingliederung im Haushalt bereitgestellt wird. Ich glaube nicht, daß das Hohe Haus sich damit abfinden würde, daß diese gesetzliche Anordnung unbeachtet bleibt, zumal da der Herr Bundesfinanzminister selber auf die besondere Notlage der Betroffenen hingewiesen hat.
Zum Wohnungsbau hat der Herr Bundesfinanzminister gestern ausgeführt:
Obwohl in der Bauwirtschaft bedenkliche Erscheinungen zutage getreten sind, die eine Übersteigerung der Baukosten befürchten lassen, sind die Mittel für den Wohnungsbau nicht gekürzt worden, sondern bestehengeblieben.
Der Herr Bundesminister geht also davon aus, daß bei einer Steigerung der Baukosten unbedingt die Kürzung der Mittel am Platze ist.
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Ich glaube aber nicht, daß er mit dieser Logik allgemeinen Anklang finden wird. Wir halten die im Haushaltplan 1956 vorgesehenen Mittel auf Grund der veränderten Lage des Wohnungsbaues für unzureichend. Die Darlehen in Höhe von 500 Millionen DM, die im außerordentlichen Haushalt für den sozialen Wohnungsbau ausgewiesen werden, können bei der Entwicklung des Bau- und Grundstücksmarktes nicht mehr das angestrebte Ziel erreichen. Zum Ausgleich für die entstandenen und zu erwartenden Mehrkosten müßte diese Summe um 100 Millionen DM erhöht werden. Falls die Bundesregierung weiter auf dem nicht vertretbaren Standpunkt beharrt, daß die Prämien, die nach dem Wohnungsbauprämiengesetz gezahlt werden müssen und den Betrag von 60 Millionen DM übersteigen, von den Ländern aus den Darlehensmitteln für den sozialen Wohnungsbau aufgebracht werden müssen, müßte der vorgesehene Darlehensbetrag für den sozialen Wohnungsbau um weitere 100 Millionen DM auf insgesamt 700 Millionen DM erhöht werden. Unter Berücksichtigung der Sparzuwachsrate muß für 1956 mit einem Prämienbedarf bis zu 160 Millionen DM gerechnet werden, so daß dann ca. 100 Millionen DM aus reinen Wohnungsbaumitteln entnommen werden müßten. Die Gewährung von Prämien für Leistungen, die zugunsten des Wohnungsbaues gemacht werden, ist unseres Erachtens aber eine Steuervergünstigungsmaßnahme. Es erhebt sich daher der Zweifel, ob sie überhaupt in den Haushalt des Bundesministers für Wohnungsbau hineingehören.
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Bei diesem Mehrbedarf von 200 Millionen DM ist nicht berücksichtigt, daß das Zweite Wohnungsbaugesetz, das Wohnungsbau- und Familienheimgesetz, weitere Mehrleistungen zugunsten der wohnungsuchenden Bauherren vorsieht. Insbesondere wird die Versorgung der Wohnungsuchenden mit besonders geringem Einkommen zwangsläufig einen erhöhten Bedarf an öffentlichen Mitteln ausweisen. Auf keinen Fall wird sich meine Fraktion damit einverstanden erklären können, daß der soziale Wohnungsbau eine rückläufige Entwicklung erfährt. Das Steueraufkommen des Bundes läßt eine Deckung des Mehrbedarfs durchaus zu. Darüber hinaus vertreten wir die Meinung, daß der soziale Wohnungsbau weiterhin vorrangig vor anderen Aufgaben betrachtet werden muß. Dies gilt besonders für solche, die vor der Behebung der dringendsten Notstände auf diesem Gebiet erst nachträglich an den Bund herangetreten sind.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Rede die Relation zwischen Haushaltsmitteln und Mitteln aus dem Lastenausgleich beim Wohnungsbau mit 1,3 zu 1,1 Milliarden DM angegeben. Dabei ist aber noch nicht sichtbar geworden, daß in der ersten Zahl erhebliche Beträge stecken, die nicht dem sozialen Wohnungsbau dienen. Es muß gefordert werden, daß diese Relation sich in Zukunft zuungunsten des Haushalts verschiebt. Ich kann darauf hinweisen, daß auch der Kontrollausschuß beim Bundesausgleichsamt vor kurzem sich zu dieser Auffassung bekannt hat. Das muß um so mehr Geltung haben, als sich in der Vergangenheit gezeigt hat, daß die echte Eigentumsbildung aus Lastenausgleichsmitteln nicht in befriedigendem Umfange zum Zuge gekommen ist. Ich schließe mich insoweit den Ausführungen, die der Abgeordnete Vogel zu diesem Punkt heute gemacht hat, in vollem Umfang an.
Bei dieser Gelegenheit ein Wort zu den Bauten in der provisorischen Bundeshauptstadt. Der Herr Bundeskanzler hat im Jahre 1949 den Kostenaufwand auf wenige Millionen DM beziffert. Jetzt sind es schon 200 Millionen DM, wenn man nur die eigentlichen Bundesausgaben in Betracht zieht. Es muß endlich erwartet werden, daß mit diesem Aufwand an Bauten ein Ende gemacht wird.
({13})
Ministerien von tausend Zimmern sind mit dem Begriff des Provisoriums unvereinbar.
({14})
Diese ganze Bautätigkeit hat in erster Linie dazu beigetragen, wenn es wiederholt dahin gekommen ist, daß an dem wirklichen Willen der Bundesregierung zur Wiedervereinigung Zweifel laut wurden.
({15})
- Verzeihung, meine Herren, Sie haben wohl nicht verstanden oder gehört, was ich gesagt habe: wenn es dazu gekommen ist. Ich berichte eine Tatsache. Ich erhebe keinen Zweifel. Darüber hat sich der Herr Bundeskanzler selber von dieser Stelle aus oft genug beklagt, Herr Lücke, das wissen wir doch alle. - Auch in Berlin und in der Sowjetzone muß diese Bautätigkeit in Bonn zum mindesten mit gemischten Gefühlen betrachtet werden; das kann doch niemand in Abrede stellen. Gerade in dem gegenwärtigen Zeitpunkt, nachdem die Aussichten auf eine schnelle Entwicklung in der
Frage der Wiedervereinigung so gering geworden sind, sollte alles vermieden werden, was irgendwelche Zweifel wachrufen oder wachhalten könnte. Man sollte sehr viel mehr Wert darauf legen, unsere Position in Berlin zu halten, auszubauen und zu stärken und damit zu dokumentieren, daß Berlin die Hauptstadt Deutschlands für uns ist und bleibt.
({16})
Ich glaube, daß ich die Ausführungen, die ich für das Notopfer Berlin und für Berlin überhaupt vorgesehen hatte, nach dem, was der Herr Kollege Schoettle dazu gesagt hat, stark abkürzen kann. Wir sind ebenso wie die Sozialdemokratische Partei, die das ja durch einen Antrag belegt hat, der Auffassung, daß der volle Betrag aus dem Notopfer diesem Zweck zugeführt werden muß. Wir sind mit dem, was der Sprecher der Sozialdemokratie vorgetragen hat - und ich glaube, er hat damit eigentlich die Meinung des ganzen Hauses ausgesprochen -, der Auffassung, daß die Frage Berlin nicht nach fiskalischen, sondern nach politischen Gesichtspunkten behandelt und entschieden werden muß.
({17})
Ich kann mich daher darauf beschränken, nur noch zu sagen, daß die Absicht des Herrn Bundesfinanzministers, den Einzelplan 45 künftig wegfallen zu lassen und die Ausgaben für Berlin je nach ihrer Art in den verschiedenen Einzelplänen unterzubringen, von uns als völlig abwegig angesehen wird.
({18})
Es muß klar ersichtlich bleiben, was Berlin benötigt und was für Berlin getan werden muß. Deshalb muß der Einzelplan 45 bestehenbleiben.
Mit Besorgnis verfolgen wir auch die Entwicklung auf dem Gebiet der Lager- und Barackenräumung. Zur Zeit leben immer noch annähernd 290 000 Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte in Baracken, Notunterkünften, Auffanglagern und dergleichen. Die abträglichen Folgen eines derartigen Daseins sind bekannt. Im laufenden Haushaltsjahr waren für die Zwecke der Lagerräumung 30 Millionen DM vorgesehen. Der Herr Bundesvertriebenenminister hat sich in der Fraktion immer wieder darüber beklagt, daß dieser Betrag völlig unzureichend sei und daß es 13 Jahre dauern würde, bis der letzte Mann aus dem Lager herauskäme. Bei dieser Berechnung ist in Betracht zu ziehen, daß ein Zugang nicht berücksichtigt worden ist. Wir sehen jetzt zu unserem Erstaunen, daß in dem vorliegenden Voranschlag überhaupt keine Mittel für diesen Zweck bereitgestellt sind. Wie es heißt, sollen die Länder künftig die Kosten tragen und, soweit es nötig ist, der Bund die Vorfinanzierung übernehmen. Wie das ohne einen Ansatz im Etat vor sich gehen soll, ist mir nicht ganz verständlich. Wenn das bisherige Tempo der Lagerräumung beibehalten wird, dann wird die Bundesregierung mit diesem Problem nicht fertig werden.
Die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers zur Kriegsopferversorgung sind ebenso kurz wie unbefriedigend. Richtig ist allein, daß die Zahl der Versorgungsberechtigten zurückgegangen ist. Aber seine Meinung, daß die dadurch entstandenen Einsparungen im Haushalt im wesentlichen dazu bestimmt seien, die durch die notwendigen Verbesserungen der Kriegsopferversorgung zu erwartenden Ausgaben abzufangen, kann nicht geteilt werden.
({19})
Sie kann so lange nicht geteilt werden, als die Lage der Kriegsbeschädigten, der Kriegerwitwen und -waisen nach wie vor völlig unbefriedigend ist. Es war das gemeinsame Anliegen dieses Hohen Hauses, für die Kriegsopfer endlich eine sozial gerechte Lebensgrundlage zu schaffen. Sie ist bisher nicht erreicht und wird auch dann nicht erreicht werden, wenn für die Verbesserung der Kriegsopferversorgung nur die 140 Millionen DM bereitgestellt werden, in deren Rahmen sich die zur Beratung stehende Gesetzesvorlage der Regierungsparteien bewegt. Hier müssen andere Leistungen vollbracht und andere Mittel bereitgestellt werden, wenn die sozial gerechte Lösung dieses dringenden Problems mit Nachdruck angestrebt wird.
Die Worte des Herrn Bundeswirtschaftsministers in Berlin, daß man insbesondere den Rentenempfängern und den Kriegsopfern aus der allgemeinen staatspolitischen Verantwortung helfen müsse, weil diese Gruppen sich nicht durch Lohnkämpfe selbst helfen könnten, sind durchaus zu begrüßen. Aber mit Worten allein kann das Problem nicht gelöst werden. Die im Etat vorgesehenen Maßnahmen können nur als Anfang gewertet werden.
Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung im Jahre 1953 eine umfassende Sozialreform als vordringlich bezeichnet.
({20})
- Jawohl! - Er hat auch später noch dieses Problem als innerpolitisches Anliegen Nr. 1 bezeichnet. Aber zur Zeit müssen wir doch feststellen, daß wir noch immer weit von der Verwirklichung dieser Zusagen entfernt sind. Das muß mit allem Nachdruck gesagt werden, und das bleibt richtig, auch wenn wir es begrüßen, daß nunmehr endlich, wie aus dem Etat des Herrn Bundesarbeitsministers ersichtlich ist, für diesen Zweck zusätzliche Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden sollen.
({21})
- Es ist bezeichnend, daß Ihnen die Notwendigkeit neuer Bauten nur im Zusammenhang mit der Sozialreform angreifbar erscheint.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch die betriebliche Altersfürsorge in Verbindung mit den 1952 verabschiedeten Richtlinien über Bundesbeihilfen erwähnen. Auch in diesem Jahr sind die Mittel um etwa ein Drittel gekürzt worden, und das Bundesarbeitsministerium begründet diese Kürzung damit, daß eine Anzahl Betriebe an der Bundesbeihilfe nicht mehr beteiligt sind. Weiter ist seitens der Regierung schon zum Ausdruck gekommen, daß im Laufe des nächsten Jahres auch die Krupp-Werke aus der Bundesbeihilfe ausscheiden. Dem Bundesarbeitsministerium ist trotz der Preis- und Lohnentwicklung nicht die Erkenntnis gekommen, daß die Bundesbeihilfe völlig unzureichend ist und erhöht werden muß. Hierfür sollten in erster Linie die Mittel zur Verfügung stehen, die durch Ausscheiden von Betrieben eingespart werden.
Nachdem in der Presse, insbesondere im September dieses Jahres, immer wieder betont wurde, daß die Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik erreicht sei, und darüber hinaus in den letzten Wochen erneut Meldungen darüber erschienen, daß sich die Regierung über die Beschäftigung fremdländischer Arbeitnehmer Gedanken mache, da bereits im kommenden Jahr ein Arbeitskräftemangel entstehen werde, möchten wir den Herrn Bundesarbeitsminister erneut in aller Deutlichkeit auf die Dauerarbeitslosigkeit der älteren Arbeitnehmer und Angestellten hinweisen.
({22})
- Ja, er ist nicht da. Das ist das übliche Bild. Man darf es aber ja hier nicht beanstanden, ohne sich vom Herrn Abgeordneten Rinke den Zuruf „Demagoge" zuzuziehen.
({23})
- Also ist die Sache ohne Gefahren, meinen Sie? Gut! - Meine Damen und Herren, ich kann mir zu diesem Problem, das wir ja so oft hier behandelt haben und auch bei anderer Gelegenheit noch behandeln werden, wohl weitere Ausführungen ersparen.
Wie die Bundesregierung zum Problem der Eingliederung steht, dafür gibt es in diesem Haushalt ein weiteres Anzeichen. Man hat es für gut gehalten, die ohnehin so knapp bemessenen Mittel für die Organisationen, die sich mit der Eingliederung der Geschädigten befassen, gegenüber dem Vorjahr um 20 000 DM zu kürzen. Das erinnert uns daran, daß schon bei der letzten Etatberatung Vertriebenenabgeordnete der CDU im Haushaltsausschuß eine Kürzung dieser Position um 50 000 DM durchgesetzt hatten. Und ganz gewiß im Sinne dieser Herren hat sich damals Herr Bundesminister Oberländer beeilt, ausgerechnet am Tage vor der zweiten Lesung eine Neuverteilung der Mittel auf der geschmälerten Basis vorzunehmen, wobei 80 % der Kürzung dem Bund der vertriebenen Deutschen zur Last gelegt wurden, während andere Organisationen Erhöhungen zugebilligt bekamen.
({24})
Die Verbände, die sich mit der Eingliederung befassen, sind unbequem. Sie sind auf Grund ihrer Aufgabenstellung darauf angewiesen, allzuviele Forderungen zu erheben. Es ist daher das Bestreben erkennbar, die Kulturarbeit und die sich mit dieser Arbeit vornehmlich befassenden Organisationen in den Vordergrund zu schieben, allerdings auch da, ohne wirklich Ausreichendes zu tun. Kultur hört sich immer gut an, und man kann schon mit wenigen Mitteln etwas Sichtbares aufstellen, während bei den sozialen Anliegen mit solchen Beträgen natürlich nichts getan ist. Deshalb sind die Landsmannschaften bei der Bundesregierung beliebter und angesehener, und den unbequemen Eingliederungsorganisationen, insbesondere dem Bund der vertriebenen Deutschen wird aus der oben gekennzeichneten Sicht „Das Problem ist gelöst" Zukunft und Existenzberechtigung gleichermaßen abgesprochen.
Auch von anderer Seite her wird diese stärkste Vertriebenenorganisation als unbequem und gefährlich angesehen, nämlich vom Westdeutschen Flüchtlingskongreß, von der kommunistischen Tarnorganisation auf dem Sektor der Vertriebenen. Dort wird diese Organisation mit allen Mitteln bekämpft -
Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß
({0})
die Ausführungen, die Sie jetzt machen, in die zweite Lesung des Gesetzes gehören. In der ersten Lesung wird nur über die allgemeinen Gesichtspunkte gesprochen. Sie gehen jetzt auf absolute Details ein. Ich bitte Sie, sich an die großen Linien zu halten.
Herr Präsident, ich bin bei der Behandlung der kommunistischen Infiltration gegenüber den Vertriebenenverbänden. Ich glaube, meine nächsten Ausführungen werden Ihnen sofort beweisen, daß das sehr wohl zur allgemeinen Aussprache gehört.
In der letzten- Zeit geht man von kommunistischer Seite einen anderen Weg, den der Anbiederung und Unterwanderung. Man verteilt ständig Presse- und andere Druckerzeugnisse, die bestimmt und geeignet sind, den Eindruck hervorzurufen, als ob man sich zu uns bekenne und zu uns gehöre. Der Bundesregierung wird dauernd Material über die verstärkten Versuche kommunistischer Infiltration vorgelegt. Herr Bundesminister Jakob Kaiser hat errechnet, daß sich der Kommunismus diese Tätigkeit im Jahr 135 Millionen DM kosten läßt. Niemand kann sich doch darüber im unklaren sein, daß nach der Herstellung diplomatischer Beziehungen mit Moskau diese Gefahren der verstärkten kommunistischen Infiltration noch sehr viel größer sind. Wie weit diese Untergrundarbeit an anderer Stelle schon gewirkt hat, das zeigen die Vorgänge bei der Westfalenhütte anläßlich der letzten Betriebsratswahl. Deshalb kann ich mich wohl im Rahmen der allgemeinen Aussprache mit diesem Problem beschäftigen und darlegen, daß die Kürzung der Etatmittel beweist, daß sich die Bundesregierung der Gefahren offenbar nicht in genügendem Maße bewußt ist.
({0})
Es kann doch kein Zweifel sein, wie groß das Interesse der Allgemeinheit an diesen Fragen sein muß. Wenn die Bundesrepublik sich bisher gegen die kommunistische Infiltration so immun gezeigt hat wie keine andere westliche Demokratie, dann haben die Vertriebenen und ihre Verbände einen sehr wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung.
({1})
Sie haben einen Anspruch darauf, daß die Bundesregierung und auch dieses Hohe Haus sich dieses Sachverhaltes bewußt sind, und wir können erwarten, daß wir nicht einen Zweifrontenkampf zu führen haben, sondern daß wir die volle Unterstützung der Bundesregierung in diesem Kampf haben.
({2})
Ich möchte noch ein Wort zu den kulturellen Anliegen der Vertriebenen sagen. Ich habe schon gesagt, daß auch da die Mittel nicht ausreichen, die zur Verfügung gestellt sind. Im Etat des Bundesvertriebenenministeriums sind ganze 800 000 DM bereitgestellt. Dieser Betrag ist gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes zur Pflege des Kulturguts der Vertriebenen und Flüchtlinge und der wissenschaftlichen Forschung bestimmt. Es bedarf eigentlich gar keines Hinweises, daß ein solcher Betrag nicht ausreicht. Mit diesem Geld sollen ein halbes Dutzend kulturelle Bundeseinrichtungen der Vertriebenen und Flüchtlinge aufrechterhalten, ostdeutsche Archive und Bibliotheken gesichert, ergänzt und ausgewertet, ostdeutsche und osteuropäische Forschung gefördert, die heimatvertriebenen Kulturschaffenden unterstützt und den Millionen Vertriebenen und noch mehr den Einheimischen durch kulturelle Breitenarbeit das Kulturgut des deutschen Ostens lebendig gemacht oder erhalten werden. Es liegt auf der Hand, daß dazu die Mittel nicht ausreichen. Man kann mit Recht darauf hinweisen, daß bisher von einer wirklichen Kulturpflege mit staatlicher Unterstützung eigentlich nicht gesprochen werden kann, sondern daß auch die Volksgruppen sich doch mehr oder weniger a) mit eigenen Opfern, b) mit Bitten und Betteln behelfen mußten.
({3})
Es muß doch einmal auf diesem Gebiet anders werden. Auch die Verteilung ist unzulänglich; aber insoweit will ich der Anregung des Herrn Präsidenten folgen und die weitere Diskussion auf die späteren Beratungen vertagen.
Für diese Fehlentwicklungen in mancher Hinsicht, die ich aufzeigen konnte, trägt die letzte Verantwortung der Herr Bundeskanzler. Wir stehen augenblicklich vor der Tatsache, daß der Herr Bundesvertriebenenminister vor fünf Monaten - übermorgen sind es genau fünf Monate - ebenso wie der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben, Herr Kraft, sein Entlassungsgesuch eingereicht hat und daß diese beiden Entlassungsgesuche bis auf den heutigen Tag unbeantwortet geblieben sind.
({4})
Ich glaube nicht, daß ein derartiger Vorgang in einer anderen Demokratie der westlichen Welt möglich wäre.
({5})
Das gilt sowohl von der Tatsache, daß die beiden Herren sich das bieten lassen
({6})
als auch von dem Umstand, daß der Herr Bundeskanzler diese Art der Sachbehandlung für vertretbar gehalten hat und offenbar noch hält. Auch das ist ein Gegenstand, der durchaus in eine Haushaltsberatung hineingehört; denn es erhebt sich doch in diesem Zusammenhang die Frage, ob die beiden Herren Minister unter den Umständen, unter denen sie amtieren, überhaupt noch wirkliche Leistungen erbringen können.
({7})
Das war hinsichtlich der Person des Herrn Bundesministers für besondere Aufgaben seit jeher zweifelhaft. Herr Bundesminister Kraft hatte die Aufgabe - das steht in der Regierungserklärung -, für eine besonders gute und enge Fühlung zwischen dem Kabinett und seiner Fraktion Sorge zu tragen.
({8})
Herr Bundesminister Kraft hat diese Aufgabe unseres Erachtens niemals erfüllt,
({9})
und seit dem 11. Juli dieses Jahres steht fest, daß er sie nicht erfüllen kann.
Ich darf in diesem Zusammenhang doch wohl einmal hervorheben, daß mein Fraktion - jedenfalls die Mehrheit der anwesenden Mitglieder ({10})
sich bei der letzten Haushaltsberatung über den Etat des Herrn Bundesministers Kraft der Stimme enthalten hat. Das ist immerhin eine bemerkenswerte Offenheit gegenüber einem Minister der eigenen Partei.
Ein Bundesminister, der seine Demission eingereicht hat, ist in einer ähnlichen, wenn nicht noch schlimmeren Situation als die Mitglieder eines zurückgetretenen Kabinetts. Jede Post kann ihm die Annahme seines Entlassungsgesuchs bringen, wenigstens wenn es ernstlich gemeint war
({11})
und keine entgegenstehenden Abreden vorliegen;
({12})
aber das wollen wir doch nicht annehmen. Er kann also nur von heute auf morgen wirken und planen, er kann keine Politik auf lange Zeit treiben. Meine Fraktion ist der Auffassung, daß ein derartiger Zustand bei keinem Ministerium auch nur auf kürzeste Zeit vertretbar ist, aber schon ganz und gar
({13})
- Herr Ehren, mischen Sie sich lieber nicht ein, sonst muß ich Ihnen einiges erzählen, was Ihnen auch nicht gefällt.
Bitte, keine Zwiegespräche.
({0})
Nun, ich befinde mich ja in voller Übereinstimmung mit dem Herrn Präsidenten; ich habe Herrn Ehren gebeten, still zu sein.
Meine Damen und Herren, was soll man aber sagen, wenn es sich um ein Ministerium handelt, dem die Beseitigung oder Linderung der Not von 20 Millionen Menschen anvertraut ist, denen durch den Krieg und seine Folgen ein besonders schweres Los zugefallen ist! Wie ist es möglich, daß der Herr Bundeskanzler bei diesem Ministerium für diese Zeitdauer einen solchen Zustand für vereinbar mit der ordnungsmäßigen Wahrnehmung der Regierungsgeschäfte hält? Wäre so etwas auch beim Bundesfinanzministerium oder beim Bundeswirtschaftsministerium nur denkbar? Die Frage stellen heißt sie verneinen, und deshalb muß ich namens meiner Fraktion schärfsten Protest gegen die Aufrechterhaltung dieses Zustandes anbringen.
({0})
Ich kann darauf hinweisen, daß die größte Oppositionspartei offenbar derselben Auffassung ist; denn sonst hätte sie nicht einen Antrag eingebracht, der den Herrn Bundeskanzler ersucht, nun endlich eine funktionsfähige Besetzung des Bundesvertriebenenministeriums herbeizuführen.
Die Sache hat aber noch eine andere, eine sehr ernste Seite. Es ist nichts Ungewöhnliches, daß sich Bundesminister nebenher auch für eine Partei - für ihre Partei - einsetzen, die sie ja im Regelfall ins Kabinett geschickt hat. Aber hier liegt noch ein ganz anderer Tatbestand vor. Wir haben doch z. B. alle gelesen, was in den letzten Tagen in Ratzeburg vor sich gegangen ist. Dort werden Keimzellen der Gruppe Kraft-Oberländer gebildet, die nach eigenen Erklärungen von Herrn Kraft
nur den einen Zweck haben, nicht eine neue Partei aufzubauen, sondern eine bestehende Partei zu zerschlagen.
({1})
Ich frage das Parlament, ob es geduldet werden kann, daß Bundesminister die Möglichkeiten, die ihnen ihr Amt gibt, dazu ausnützen, nur gegen eine andere Partei zu arbeiten und sie zu unterminieren.
({2})
Der Herr Bundeskanzler hat sehr hohe Anforderungen an die Haltung seiner Koalitionspartner von der FDP gestellt. Aber uns gegenüber als Koalitionspartner hat er es mit seinen Pflichten für vereinbar gehalten, bei bestehender Koalition mit unseren Ministern wegen Austritts und Übertritts zu verhandeln oder verhandeln zu lassen.
({3})
Das möchte ich einmal mit aller Deutlichkeit klargestellt haben.
Meine Damen und Herren, das Schlimmste von allem ist die Haltung, die Sie, die Mehrheit des Hauses, in der vergangenen Woche eingenommen haben. Sie haben es abgelehnt, mit uns über diesen Sachverhalt, den man doch wohl nicht gerade als normal oder selbstverständlich bezeichnen kann, auch nur zu diskutieren. Herr Dehler hat neulich irgendwo geschrieben - er hatte auch guten Anlaß dazu -: Wenn man die parlamentarischen Spielregeln verletzt, dann ist der Rubikon überschritten. Meine Damen und Herren, hier wurde der Rubikon überschritten; daran kann es gar keinen Zweifel geben.
({4})
Was ich Ihnen hier vorgetragen habe, ist alles in allem ein Sachverhalt, der an die Grundfesten unseres demokratischen Lebens rührt.
({5})
Ich muß es beklagen, daß die deutsche Öffentlichkeit darauf so wenig reagiert hat, und ich möchte der Überzeugung Ausdruck geben, daß solche Dinge gar nicht passieren könnten, wenn die Öffentlichkeit schneller und energischer reagierte.
({6})
Meine Damen und Herren, Sie haben uns in der vergangenen Woche behandelt wie im 1. Deutschen Bundestag die Kommunisten bei Stellung von propagandistischen Anträgen.
({7})
Es kann gar keine Rede sein, daß es hier um verfassungsrechtliche Dinge ging.
({8})
- Herr Kollege, Sie waren nicht im 1. Deutschen Bundestag. Sonst wüßten Sie, daß über genau denselben Antrag gegen Herrn Professor Erhard verhandelt, diskutiert und sachlich abgestimmt worden ist.
({9})
Es bestand bei uns gar kein Zweifel, daß der Bundeskanzler, auch wenn der Bundestag zugestimmt
({10})
hätte, in seiner Entscheidung immer noch frei gewesen wäre. Aber wir wollten ihm doch wenigstens sagen und hatten den Wunsch, daß die Mehrheit des Hauses ihm sagte, was unser Wunsch war und wie wir diese Dinge beurteilen.
({11}) Sie haben uns wie Kommunisten behandelt.
Wir werden darauf nicht unsachlich reagieren. Wir wissen nun aber, wie sich der Herr Bundeskanzler und seine Partei das Verhältnins zum Gesamtdeutschen Block vorstellen. Wir nehmen das zur Kenntnis, und wir werden uns danach zu richten wissen. Wir werden eine klare, entschiedene und sachliche Opposition treiben. Wir sind allerdings der Auffassung - ich spreche damit die Meinung der Fraktion aus -, daß unsere Freunde draußen im Lande sich darüber klarwerden müssen, ob sie noch eine Regierungsgemeinschaft mit einer Partei aufrechterhalten können, die uns im Bundestag so behandelt, wie wir in der vergangenen Woche behandelt wurden.
({12})
- Herr von Kessel sitzt außerhalb des Treibens.
({13})
Wir werden uns an der weiteren Beratung dieses Haushalts in dieser Haltung einer sachlichen und entschiedenen Opposition beteiligen.
({14})
Ich nehme an, daß das begrifflich-sachlich gemeint war.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schild.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, im Namen meiner politischen Freunde etwas zu wiederholen, was von meinen Herren Vorrednern bereits über den Haushalt gesagt worden ist. Weder den grundsätzlichen Ausführungen des Kollegen Dr. Vogel noch den von den Vertretern anderer Fraktionen vorgetragenen Argumenten brauche ich etwas hinzuzufügen. Ich möchte lediglich auf die Vorbemerkungen eingehen, die uns in dieser Form und in diesem Ausmaß erstmalig unterbreitet worden sind. Diese Vorbemerkungen lassen eindeutig erkennen, daß Stil, Form, Tendenz und Motive unserer gesamten Finanzpolitik in Bund, Ländern und Gemeinden keine Harmonie aufweisen. Diese finanzpolitische Harmonie scheint mir aber eines der ganz großen Probleme zu sein, die wir im Anblick der Zustände jenseits des Eisernen Vorhanges hier bei uns zu lösen haben. Der Herr Finanzminister hat in seinem Schlußwort ausdrücklich darauf hingewiesen, daß wir hier in dem Geisteskampf zwischen Ost und West stehen. Zu diesem Geisteskampf gehört nach der Auffassung meiner politischen Freunde zumindest das Bemühen, die finanzpolitische, steuerpolitische, finanzverwaltungsmäßige Übereinstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden herzustellen. Für eine derartige harmonische Entwicklung ist nach all dem, was wir den Vorbemerkungen an Spannungsverhältnissen, an ungeklärten Zahlen- und Größenverhältnissen, an fragwürdigen Zuständigkeiten entnehmen können, eine Änderung des Grundgesetzes unerläßlich. Wir werden ohne Grundgesetzänderung - das haben die letzten Jahre bewiesen - in dem Spannungsverhältnis Bund/Länder einerseits und in dem Spannungsverhältnis Länder/Gemeinden andererseits nicht zu einer klaren und übersichtlichen, vor allen Dingen nicht zu einer gerechten Finanzpolitik kommen, weder für alle . Kreise unseres Volkes, noch auch für alle öffentlichen Organe, die Selbstverwaltung der Gemeinden, die Hoheitsverwaltungen der Länder und des Bundes. Ich habe deshalb die dringende Bitte an alle Fraktionen dieses Hohen Hauses, daß wir uns gemeinsam ernstlich überlegen, wie wir die restlichen Jahre der zweiten Legislaturperiode des Bundestages dazu benutzen können, auf dem Wege zu einer finanz- und steuerpolitischen Harmonie einmal einen großen Schritt nach vorwärts zu tun, auch wenn wir dabei an Änderungen des Grundgesetzes nicht vorbeikommen.
({0})
Herr Kollege Vogel hat beispielsweise erklärt, er persönlich sei nicht dagegen, den Gemeinden einen Zuschlag zur Einkommensteuer zuzusprechen, um eine völlig andersgeartete kommunale Steuerpolitik zu ermöglichen. Damit ist eines der Probleme angesprochen, das höchst aktuell ist. Herr Professor Gülich machte soeben den Einwurf: „Und der Bundesrat?" Darauf kann man nur antworten, daß im Bundesrat doch letzten Endes, parteipolitisch gesehen, politisch-dynamisch gesehen, dieselben Parteien - vertreten durch ihre Minister - sitzen, wie wir sie hier auch haben.
({1}),
Wir müssen dazu kommen, daß innerhalb der einzelnen Parteien - und das trifft für alle Parteien zu - die Auffassungen nicht derartig verschieden sind, daß wir nicht zu einem echten Ausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden kommen können.
Zweitens ist aus den Vorbemerkungen die Notwendigkeit einer Änderung des Haushaltsrechts, der Haushaltsordnung klar ersichtlich. Auch in diesem Punkte hat die Fraktion der Deutschen Partei die Bitte an alle, daß die Möglichkeiten einer Reform der Haushaltsordnung überprüft und bestimmte, im Interesse der finanzpolitischen Harmonie erforderliche Neufassungen vorgenommen werden.
Drittens stellen die Vorbemerkungen selbst eindeutig fest, daß wir bei dem jetzigen Stand unserer Finanzstatistik bei weitem noch keinen klaren Überblick darüber gewinnen können: Woher stammen die Einnahmen, wohin fließen die Ausgaben, sind die Steuerlasten im Hinblick auf die Steuerträger im einzelnen zumutbar?
({2})
Das steht wörtlich in den „Vorbemerkungen" auf den Seiten 40 und 41. Es handelt sich hier um eine der technischen Grundfragen einer umfassenden Finanzstatistik.
Im Haushaltsausschuß haben wir im letzten Jahre einen eingehenden Vortrag gehört über die Möglichkeiten der technischen Erneuerung des Buchhaltungsverfahrens bei den Finanzämtern.
({3})
Wir sind darüber unterrichtet worden, daß in einem bestimmten Gebiet, nämlich in Frankfurt und den um Frankfurt herum sitzenden Finanzämtern, das Hollerithverfahren bereits eingeführt ist. Mit dem Hollerithverfahren ist es möglich, alle für die Finanzstatistik erforderlichen Unterlagen sowohl quantitativ wie qualitativ auf dem schnellsten Wege zu beschaffen. Meine politischen Freunde sind deshalb der Ansicht, daß man dieses Verfahren nun nicht mehr auf die lange Bank schieben darf, da wir die Unterlagen, die Sie selbst, Herr Bundesfinanzminister in den „Vorbemerkungen" für die Vollständigkeit der Finanzstatistik aufgestellt haben, praktisch nur auf diesem Wege gewinnen können. Wir sind der Ansicht, daß das im kommenden Haushaltsjahr, koste es was es wolle, durchgeführt werden muß; denn von der Übersicht und von der Kenntnis über die Verteilung der Steuerlasten auf die verschiedenen Schichten der Bevölkerung hängt letzten Endes die Auffassung der Allgemeinheit ab, ob sie steuerlich einigermaßen gerecht behandelt wird.
({4})
Wir werden die soziale Eifersucht nie beseitigen können. Wir werden aber zum mindesten dahin kommen müssen, daß wir mit amtlichem, einwandfreiem Material die Verteilung des Sozialprodukts wenigstens bis zu einem höchstmöglichen Grade im Blick auf die steuerliche Gerechtigkeit glaubhaft machen können.
Ich möchte nicht wiederholen, was hinsichtlich des Verwaltungsapparats und über die bisherige Anwendung des Plenarbeschlusses bei der Neubesetzung jeder vierten Behördendienststelle hier gesagt worden ist. Ich möchte vielmehr wieder auf die „Vorbemerkungen" zurückkommen und im Sinne der allgemeinen Finanzpolitik im Bundesgebiet, die ja letzten Endes in Bund, Ländern und Gemeinden eine Einheit bilden muß, darauf hinweisen, daß nach der Auffassung meiner politischen Freunde die Quote der Beteiligung der öffentlichen Hand an den Gesamtinvestitionen, die in den letzten Jahren möglich waren, bei den vermögenbildenden Anlageinvestitionen wesentlich zu hoch ist. In den einschlägigen Zahlen, die Sie veröffentlicht haben, ist davon die Rede, daß im Jahre 1954 30,6 Milliarden DM Bruttoanlageinvestitionen erfolgten= und daß davon 10,3 Milliarden DM auf die öffentliche Hand entfallen. Diese Quote von 33 Oh, und mehr halten meine politischen Freunde für unerträglich im Hinblick auf die Privateigentumsbildung der Staatsbürger im allgemeinen.
({5})
Die Gefahren, die sich aus einer derartigen Eigentumsbildung der öffentlichen Hand ergeben, haben wir alle mehr oder weniger im Bewußtsein. Nun gibt es ganz bestimmte Kreise, ganz bestimmte politische Ansichten und Richtungen, die darin gar keine Gefahr sehen, denen es völlig gleichgültig ist, ob das Volkseigentum mehr privatwirtschaftlich oder ob es mehr kollektivistisch-staatswirtschaftlich orientiertes Eigentum ist. Im Hinblick auf die Schlußerklärung des Herrn Bundesfinanzministers über den Geisteskampf zwischen Ost und West bin ich doch der Ansicht, daß wir uns in der westdeutschen Bundesrepublik die Frage des Vorrangs des Privateigentums noch ernster und noch intensiver vorlegen müssen, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
({6})
Dazu gehört auch die Einschränkung der Investitionen der öffentlichen Hand, einschließlich der Vermögensbildung dort, wo sie nicht erforderlich ist. Als öffentliche Hand ist hier nicht nur der Bund, sondern sind Bund, Länder und Gemeinden in ihrer Gesamtheit gemeint. Diese grundsätzlichen Fragen scheinen meinen politischen Freunden aus den „Vorbemerkungen" heraus einige der wesentlichsten zu sein, die auch hier zur Debatte gestellt werden müssen.
In der geistigen Auseinandersetzung mit dem Osten sind, glaube ich, die Konturen nicht überall, in allen Parteien und Fraktionen einheitlich. Sie können es aus der Natur der Sache und aus der geschichtlichen Entwicklung heraus nicht sein. Aber es gibt doch bestimmte Probleme, über die einmal ein ernstes Wort gesprochen werden muß. Wenn wir algemeinhin das, was jenseits des Eisernen Vorhangs vor sich geht, die dortige totalitäre Gesellschaftsordnung und Staatsverfassung, ablehnen und als unwürdig oder vielleicht, mit einem volkstümlichen Ausdruck, als böse betrachten, dann müßten wir ja diesseits des Eisernen Vorhanges etwas tun, was man volkstümlich vielleicht das Gute nennt, eine Gesellschaftsordnung schaffen, die man als gut bezeichnen kann. Da es zwischen böse und gut kein Kompromiß gibt, so kann diese Gesellschaftsordnung nur das Gegenteil der Gesellschaftsordnung des Ostens sein. Das Gute ist nun einmal immer das Gegenteil des Bösen und umgekehrt. Ich habe manchmal den Eindruck, daß wir hier versuchen, Kompromisse zu machen. Hier dürfen wir nur ganz kompromißlos denken und politisch handeln.
({7})
Diese Kompromißlosigkeit muß in sehr vielen Fragen zum Ausdruck kommen, in denen sich die echten Konturen dieser Auseinandersetzung abzeichnen und verwirklichen müssen. Beispiele: Wenn man drüben das Privateigentum bekämpft und restlos vernichtet, dann müßten wir uns überlegen, wie man hier in jedem Fall mit allen Mitteln, mit aller politischen Dynamik das Privateigentum im Verhältnis zum öffentlichen Eigentum fördern kann.
({8})
Wenn man drüben die wirtschaftlich und sozial selbständigen Menschen in Handwerk, Handel, Gewerbe, Bauernschaft, freien Berufen restlos vernichtet, weil Selbständigkeit eben nicht in das totalitäre System paßt, dann müßten wir uns hier überlegen - auch finanzpolitisch überlegen! -, was wir tun können, um hier - im Gegensatz zu der Gesellschaft des Ostens - die selbständige Mittelschicht mit allen Mitteln zu fördern und zu erhalten.
({9})
Das muß sich natürlich auch gerade finanz- und steuerpolitisch auswirken. Wenn man drüben die Arbeitsverfassung der Sollerfüller praktiziert, dann müßten wir uns hier, wenn wir das Gute tun wollen, für die Gestaltung unserer Gesellschaftsordnung überlegen, wie wir hier die freiheitliche Arbeitsverfassung des arbeitenden Berufsmenschen noch mehr sichern könnten, als wir es bisher getan haben, und ihn vor allen vermassenden, totalitären, kollektiven Einflüssen abschirmen.
({10})
Da wir nun einmal an dem Zustand angelangt sind, wo unser Staat nicht nur ein Staat der Ver({11})
waltung, nicht nur ein Staat der Ordnung, sondern auch ein Staat der Verteilung geworden ist, nämlich der Verteilung des Sozialprodukts, haben wir die Situation vor uns, daß dieser Staat selbstverständlich auch zum Schiedsrichter über die Verteilung des Sozialprodukts gemacht worden ist und täglich mehr gemacht wird. Dieses Schiedsrichteramt ist ein sehr heißes Eisen und kann auf die Dauer nur dann gelingen, auf die Dauer nur dann mit öffentlicher Glaubwürdigkeit ausgeübt werden, wenn dazu auch die öffentlichen Aufklärungen gegeben werden können, warum das Sozialprodukt so oder so in Anspruch genommen und verteilt wird.
({12})
Die erforderliche Finanzstatistik, eine der wesentlichsten Voraussetzungen, fehlt uns im Moment noch, um zu einer finanzpolitischen, steuerpolitisch Harmonie zwischen allen in Betracht kommenden öffentlichen Körperschaften, aber auch mit den sozialpolitischen Selbstverwaltungskörperschaften und manchen anderen Institutionen zu gelangen.
Im Zuge dieser Politik der Förderung des privaten Eigentums haben meine politischen Freunde in finanzpolitischer Beziehung sehr große Sorgen anzumelden. Diese Sorgen bewegen sich in erster Linie um die Grundfrage, ob die Finanzpolitik darauf abgestellt ist, die Lust, die Liebe, die Freude, die Spannkraft derjenigen Menschen zu erhalten, die als selbständige Mittelschicht in unserer Gesellschaftsordnung noch vorhanden sind.
({13})
Es kommt j a darauf an, daß man dies unbedingt notwendige Ziel nicht durch Deklarationen, durch politische Reden, durch psychologisch-wirtschaftliche Aufmunterung zu erreichen versucht, sondern dadurch, daß man sich praktisch darüber klar wird, was man tun kann, um die selbständige Mittelschicht finanz- und steuerpolitisch zu erhalten.
({14})
Dazu möchte ich zunächst einmal sagen: Meine politischen Freunde sind der Auffassung, daß das, was man schlechthin Mittelstandspolitik der Bundesregierung nennt, im Augenblick und in den letzten Jahren, von unserem Standpunkt aus gesehen, recht blutarm aussieht.
({15})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, was vor 14 Tagen Herr Kollege Illerhaus von der CDU gesagt hat: Vier Jahre haben vergehen müssen, ehe überhaupt einmal über eine Mittelstandsfrage gesprochen worden ist. Eine derartige Mittelstandspolitik ist auf die Dauer gesehen nicht mehr glaubwürdig und kommt auf die Dauer gesehen bei den breiten Massen des selbständigen Mittelstandes oder der Mittelschicht nicht mehr an.
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Ich bin deshalb der Auffassung, daß wir unter diesem Gesichtspunkt auch einmal die Finanz- und Steuerpolitik für die selbständige Mittelschicht erörtern müssen.
Die wesentliche Belastung, die die selbständige Mittelschicht im letzten Jahre erfahren hat, ist und bleibt das Kindergeld. Meine politischen Freunde sind deshalb der Auffassung, daß die 460 Millionen Aufkommen an Kindergeld nicht eine zusätzliche Belastung der selbständigen Wirtschaft sein dürfen, sondern daß sie von der Allgemeinheit getragen werden und in den Haushalten des Bundes und der Länder erscheinen müssen.
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Ich melde eine derartige Forderung für die Haushaltsberatung in zweiter und dritter Lesung hiermit bereits an.
Ferner erleben wir es auf der ganzen Linie, erst recht seit dem August dieses Jahres, daß die mittelständische gewerbliche Wirtschaft praktisch wieder in eine neue Kreditmisere geraten ist. Sie befand sich schon immer in einer sehr schlechten Kreditlage, nicht weil die Banken kein Geld hatten, sondern weil die Zins- und Tilgungslasten für die mittelständische Wirtschaft einfach zu hoch sind.
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Nach dieser Richtung hin erleben wir nun seit dem August dieses Jahres wieder neue Belastungen, neue Fehlentwicklungen, die unter allen Umständen repariert werden müssen.
Über den Kapitalmarkt hier etwas zu sagen, ist wohl überflüssig. Die Finanzpolitik hat ja die Möglichkeit, im Interesse der Rationalisierung, des Nachholens von Investierungen in mittelständischen Betrieben, vor allem im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit mehr zu tun, als sie bisher getan hat.
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Ich weiß, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie in dieser Frage mit dem verehrten Herrn Bundeswirtschaftsminister einer Meinung sind: keine Subventionen! Ich weiß aber auch, daß wir mit dieser Grundhaltung, die Sie „marktkonform" nennen, auf die Dauer gesehen nicht auskommen.
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Solange wir in der Landwirtschaft eine Zinssubvention für langfristige Investitionen nicht entbehren- können, muß die mittelständische gewerbliche Wirtschaft auf diesem Gebiet gleichziehen. Für die langfristigen Investierungen, die in der gewerblichen Wirtschaft nun einmal erforderlich sind, benötigen wir auch eine bis jetzt im Haushalt nicht untergebrachte Zinssubvention, und zwar mindestens in derselben Höhe, wie sie für die Landwirtschaft existiert.
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Hinsichtlich der Eigentumsbildung in der mittelständischen gewerblichen Wirtschaft bedaure ich ganz außerordentlich, daß im Etat des Bundeswohnungsbauministers - ich weiß nicht, ob mit Ihrer Zustimmung oder auf Ihre ausdrückliche Veranlassung - die Mittel, die für die Zinsverbilligung zum Bau von gewerblichen Räumen und Läden, d. h. zur echten Eigentumsbildung im gewerblichen Mittelstand, vorgesehen waren, von 4 Millionen DM auf 1 Million DM gekürzt worden sind. Sie werden mir wahrscheinlich antworten: Diese Mittel sind in diesem Jahre nicht in Anspruch genommen worden, und deshalb brauchen wir im Jahre 1956 nur 1 Million DM einzusetzen; dann besteht demnächst die Möglichkeit, für diesen Zweck insgesamt 5 Millionen DM zu verausgaben. Ich kann nicht umhin, zu erklären, daß die Nichtinanspruchnahme dieser Mittel nicht dem gewerblichen Mittelstand zur Last gelegt werden kann. Der Grund liegt darin, daß bis zur Stunde die Richtlinien über die Zinsverbilligung nicht erlassen worden sind.
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2. Deutscher Bundestag - 1.
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Die Bundesregierung hat nicht die Möglichkeit geschaffen, diese Mittel in Anspruch zu nehmen.
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Ich bedaure außerordentlich, daß das gemeinsame Wollen von Koalition und Opposition, die in dieser Frage mitgezogen hat, für die Finanzierung von gewerblichen Läden und Werkstätten auf eigenem Grund und Boden Hilfe zu leisten, bis jetzt restlos negativ verlaufen ist. Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat mir heute morgen erklärt, daß die Richtlinien darüber gestern veröffentlicht worden sein, nachdem er sich monatelang mit den Ländern um das Problem herumgestritten habe. Hier haben Sie wieder das Beispiel der finanzpolitischen Disharmonie selbst in derartig haushaltsrechtlich kleinen Angelegenheiten.
Wir bitten also, die 4 Millionen DM nun nicht etwa wegen bisheriger Nichtinanspruchnahme fallenzulassen. Wir werden im Gegenteil beantragen, die 4 Millionen DM im nächsten Jahr beim Etat des Wohnungsbauministers wieder aufleben zu lassen, so daß insgesamt 8 Millionen DM zur Verfügung stehen.
Mit Rücksicht auf die Bildung des Privateigentums als ein Mittel der geistig-politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West unterstützen wir auch Wünsche, die heute von ,dieser Stelle vorgetragen worden sind. Ich glaube, es war Herr Kollege Schoettle, der anregte, den Betrag für die Wohnungsbauwirtschaft und -finanzierung um 200 Millionen DM zu erhöhen. Wir sind der Auffassung, daß man mit Rücksicht auf die gesamte Entwicklung der Wohnungswirtschaft, insbesondere hinsichtlich der Eigentumsprobleme, die damit zusammenhängen, ohne diesen Betrag in Zukunft nicht auskommen kann.
Dazu kommt die auch in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers angeschnittene Grundfrage der Kreditgarantiegemeinschaften als einer gewissen Kredit- und Sicherheitshilfe für zukünftige mittelständische Kredite. Auch hier erscheint mir die Frage der Förderung der selbständigen gewerblichen Mittelschicht allzu bagatellmäßig gelöst. Wenn man bedenkt, daß 7 Milliarden DM Bürgschaften des Bundes vorhanden sind und im Augenblick nur 100 Millionen DM für die Kreditgarantiegemeinschaften des Handwerks und des Handels und für diejenigen, die sich jetzt noch in der mittleren und kleinen Industrie oder in der Landwirtschaft bilden könnten, zur Verfügung stehen, so muß man sagen: im Verhältnis zu den 7 Milliarden DM ist das natürlich gar kein Kontingent. Wir werden also darauf zu achten haben, daß die Bankabsicherungen mittelständischer Kredite, Personalkredite, langfristiger oder Investitionskredite, die heute sonst kaum möglich sind, mit wesentlich größeren Bürgschaftsmitteln praktiziert werden können, damit der gewerbliche Mittelstand hinsichtlich seiner Investitionsnotwendigkeiten mit der Industrie gleichziehen und damit zum gleichen Wettbewerbsstart in vielen Branchen kommen kann.
Damit wären wir bei dem Kapitel Steuerfragen angelangt, das vom Standpunkt des gewerblichen Mittelstandes aus gesehen ebenfalls ein heißes Eisen ist. Wir sind nicht der Auffassung - die hier verkündet worden ist -, daß die Manövriermasse für Steuerreformen so klein ist, wie sie der Herr Bundesfinanzminister bislang in der Öffentlichkeit angegeben hat.
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Im Gegenteil, wir sind der Meinung, daß jetzt der einzig mögliche Zeitpunkt da ist, im Anblick der Kassenfülle, aber auch im Anblick der in der Zunahme des Sozialprodukts liegenden stillen Reserven der Steuereinnahmen des nächsten Jahres entscheidende Steuerreformen durchzuführen,
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und zwar Steuerreformen, bei denen auch die Einkommensteuer hinsichtlich der mitarbeitenden Ehefrauen neu geregelt werden muß. Dabei wird meine Fraktion das Splitting vertreten und nicht etwa mit den bisher vorgeschlagenen Freibeträgen die Sache als erledigt ansehen. Die verschiedenen Denkschriften, die in der letzten Zeit veröffentlicht worden sind - die Denkschrift des Herrn Bundesfinanzministers über die Ehegattenbesteuerung, die Denkschrift des Herrn Bundesfamilienministers über die Familienfürsorge und die Familienpflege überhaupt und manche andere Denkschriften -, zeigen, daß das Problem in seiner Gesamtheit nun einmal endgültig gelöst werden muß. Wir sind der Auffassung, daß die letzte Entscheidung nur bei der getrennten Haushaltsbesteuerung für alle diejenigen Familien liegen kann, wo Ehemann und Ehefrau im Wirtschafts- und Arbeitsprozeß tätig sind. Bei den übrigen Haushalten kann und muß zumindest das Splitting bis zu einem gewissen Höchstbetrag vom Haushaltseinkommen eingeführt werden.
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Ich gebe ausdrücklich zur Kenntnis, daß das auch die Auffassung der amtlichen Berufsvertretungen ist. Ich möchte mich dagegen verwahren, daß es sich hierbei etwa um reine Interessentenwünsche handelt. Es ist die Meinung der amtlichen Berufsvertretungen aller mittelständischen Organisationen des Bundesgebietes.
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Das zweite, was für die Reform der Einkommensteuer vom Standpunkt des gewerblichen Mittelstandes aus wichtig ist, ist die Bildung freier Rücklagen für die Altersvorsorge. Wir müssen eine steuerfreie Rücklage vom Betriebsgewinn machen können, die als Kapital im Betrieb bleibt, um für das Alter Vorsorge zu treffen. Es ist nicht möglich, das mit dem Hinweis abzutun, für das Alter könne über die Sonderausgaben etwa durch Prämien an Lebensversicherungen oder Kapitalversicherungen gesorgt werden. Ein sehr großer Teil, ich möchte beinahe sagen, der größte Teil der gewerblichen Mittelschicht ist nicht liquide genug, um derartige Prämien zahlen zu können. Wir müssen ihm also die Möglichkeit geben, durch steuerfreie Rücklagen im Betrieb selbst für das Alter vorzusorgen. Die Finanzverwaltung braucht natürlich von Jahr zu Jahr den Nachweis darüber, um sich einen klaren Überblick zu verschaffen. Die steuerfreien Rücklagen für die Altersversorgung unserer mittelständischen Handwerker, Kaufleute, Gewerbetreibenden, mittleren und kleineren Industriellen sind aber ein Problem, das nicht anders gesehen werden darf, als ich es hier dargestellt habe.
Wir stehen ferner auf dem Standpunkt - der auch bereits von anderen Kollegen vorgetragen worden ist -, daß außer getrennter Ehegattenbesteuerung und steuerfreien Rücklagen für die Altersvorsorge - wir werden darüber im Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und im Haus({29}))
haltsausschuß sehr ernst zu debattieren haben - auch eine lineare Steuersenkung in einem bestimmten Ausmaß unter allen Umständen in Erwägung gezogen werden muß.
Für viel wichtiger halten wir es jedoch, im Wege finanzpolitischer Harmonie zwischen Bund, Ländern und Gemeinden endlich einmal das Problem der Gewerbesteuerreform anzugreifen.
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Das gehört ebenfalls mit zu den Grundfragen dieses Haushalts. Dieser Haushalt ist aut etwa 32 Milliarden DM aufgebaut, von denen meiner Schätzung nach 11 Milliarden DM an die Länder für alle möglichen Zwecke zurückfließen werden. Wir haben zwar in den Vorbemerkungen keine Statistik, keine einzelnen Angaben, wieviel von diesen 32 Milliarden DM wieder echt auf die Länder verteilt werden. Aber 11 Milliarden sind ungefähr die Quote, die man aus allen Verhandlungen und Besprechungen der Vergangenheit entnehmen kann. Umgekehrt haben wir wieder den Finanzausgleich zwischen Ländern und Gemeinden, und dabei spielen für die Finanzkraft der Gemeinden die Gewerbesteuer, die Grundsteuer und die sonstigen Steuern eine so entscheidende Rolle, daß die Komplexität der Bundes- und Ländersteuern und der Kommunalsteuern als Ganzes gesehen werden muß, wie ich bereits betont habe. Dabei erweist sich vom Standpunkt des gewerblichen Mittelstandes aus die Gewerbesteuerreform als dringend notwendig. Ich will diese Frage nur anschneiden, ohne in Einzelheiten der Gewerbesteuerreform einzusteigen.
Auch bezüglich der Verbrauchsteuern, wie sie vom Herrn Finanzminister vorgeschlagen sind, werden wir bei den Beratungen unsere positive Haltung zur Kenntnis geben in der Hoffnung, daß das Gesamtbukett der möglichen Steuersenkungen in seiner Gesamtheit erörtert wird. Denn alles, was wir bisher an amtlichen Erörterungen zur Kenntnis genommen haben, halten wir für vorsichtigstes Vorgefecht. Wir wissen, daß im Endeffekt bei der dritten Lesung des Haushalts nachher immer noch etwas anderes herauskommt als das, was in diesem Vorgefecht bereits zugegeben wird. Herr Bundesfinanzminister, wir sind der Auffassung, daß diesmal das Vorfeld sehr, sehr eng abgesteckt worden ist. Wir hoffen, daß dieses Vorfeld im Laufe der Verhandlungen sich von Stufe zu Stufe erweitern wird, wenn wir an die Manövriermasse denken, die wir uns vorstellen.
Nun zu einem letzten Kapitel! Wir haben weiterhin große Sorge, daß die finanzpolitischen Zustände in Bund, Ländern und Gemeinden auf die Dauer für die Landwirtschaft nicht erträglich sind. Wenn heute in der Tagespresse verkündet worden ist, daß 200 000 ha neue Landbeschaffungen, zu einem Teil für Verteidigungszwecke, erforderlich sein sollen, dann bedeutet das bei einer durchschnittlichen Bauernhofgröße von 7,5 ha, wie wir sie praktisch haben, 26 000 Bauernhöfe.
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- Das ist keine Ente, Herr Vogel, sondern das ist eine Tatsache, daß den 200 000 ha derartiger Geländeflächen diese Zahl von Bauernhöfen entspricht. Wir haben unter diesem Gesichtspunkt zu
erwägen, daß für all die öffentlichen Landbeschaffungen, die nunmehr erforderlich sind, in erster Linie bereits vorhandenes öffentliches Gelände in Anspruch genommen und weitestgehend von der Enteignung bäuerlichen Grund und Bodens abgesehen wird. Wir haben darüber hinaus ernstlich zu prüfen, ob nicht bereits im öffentlichen Besitz befindliches landwirtschaftliches Gelände wieder den Bauern zur Verfügung gestellt wird. Ich denke an die 12 000 ha öffentlichen Besitzes im SalzgitterGebiet, die nicht so unbedingt zur wirtschaftlichen Betätigung der Salzgitter-Werke gehören.
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Sie sind damals im Zuge der großen Enteignungsmaßnahmen enteignet worden und können nunmehr, weil in der öffentlichen Hand überflüssig, an das Bauerntum zurückgegeben werden.
Wir müssen für Ödlandkultivierungen mit Rücksicht auf die große Landinanspruchnahme etatmäßig mehr tun, als vorgesehen ist. Wir können im Emsland und auch im Küstenland mehr tun, um Umsiedlerstellen zu schaffen, die jetzt im Zuge dieser Entwicklung notwendig werden, wenn unter Umständen mehr Bauernland für Verteidigungszwecke benutzt werden muß. Wenn Sie einmal einen Blick hi die Vorbemerkungen werfen - ich bin dem Herrn Bundesfinanzminister außerordentlich dankbar, daß er einmal Zahlen angegeben hat -, dann werden Sie feststellen, daß Bund, Länder und Gemeinden vom Jahre 1949 bis zum Jahre 1954 für 1,2 Milliarden DM Landbeschaffungen vorgenommen haben,
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die in das Vermögen der öffentlichen Hand übergegangen sind.
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Rechnen Sie im Jahre 1955 noch praeter propter 400 Millionen DM dazu, dann sind von 1954 bis 1955 für Landbeschaffung für die öffentliche Hand 1,6 Milliarden DM aufgewandt worden. Man muß diese Zahlen und die dahinter stehenden Größenflächen einmal auf sich wirken lassen. Ich bin überzeugt, daß es sich nicht in jedem Falle um Bauernland handelt, es wird sich zum Teil auch um andere Grundstücke und andere Landarten handeln. Aber immerhin ist ja neulich einmal von der Landwirtschaft erklärt worden, daß seit dem Jahre 1948 landwirtschaftlicher Grund und Boden zu anderen Zwecken, zu industriellen Zwecken, zu Verkehrszwecken und sonstigen Zwecken, in der Größenordnung des Regierungsbezirks Köln abgegeben werden mußte.
Man sollte also die Landbeschaffung äußerst vorsichtig handhaben und Umsiedlungen überall dort durchführen, wo es erforderlich wird, und man sollte vor allen Dingen - das möchte ich ganz besonders betonen - bei dieser Landbeschaffung keine nun etwa im Zuge der Zeit liegenden unüberlegten Preise anwenden. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß gerade in der Preispolitik bezüglich des unbebauten Grund und Bodens alles getan werden muß, jede Spekulation zu verhindern. Auch alle diese Fragen haben mit Rücksicht auf die zur Debatte stehenden Gesetze der Raumordnung, der Entschädigung und Enteignung, das Landbeschaffungsgesetz, das Schutzbereichsgesetz und andere, eine finanzpolitische Auswirkung.
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Ich darf mich auf diese grundsätzlichen Eigentumsfragen, auf die Fragen der Erhaltung der selbständigen Mittelschicht in finanzpolitischer Hinsicht beschränken. Dabei darf ich noch einmal betonen, daß diese finanzpolitische Harmonie zwischen Bund, Ländern und Gemeinden überhaupt nach unserer Auffassung die Voraussetzung dafür ist, daß nicht einer die Verantwortung auf den anderen abwälzt: die Länder auf den Bund, der Bund auf die Länder, die Gemeinden auf die Länder. In den großen geistigen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West spielt diese finanzpolitische Harmonie eine Hauptrolle. Wir werden sie ohne Änderung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Reichshaushaltsordnung voraussichtlich nicht schaffen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung zu diesem Punkt.
Es ist beantragt Überweisung an den Haushaltsausschuß. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste, die 119. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. Dezember 1955, 14 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.