Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/8/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

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Herr Präsident, natürlich mag ich. Ganz herzlichen Dank. – Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Weltbiodiversitätsrat, IPBES, hat am Montag den globalen Bericht zum Zustand der Natur vorgestellt. Ich möchte hier kurz zu diesem sehr, sehr wichtigen Bericht Stellung nehmen. Wichtig ist der Bericht deshalb, weil er dem Kampf gegen das Artensterben endlich zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen kann, was dem Thema wirklich zusteht. Über den Klimaschutz wird inzwischen weit über die Fachöffentlichkeit hinaus intensiv diskutiert. Im Vergleich dazu findet der globale Verlust an Biodiversität eine eher geringe Beachtung – zu Unrecht, finde ich jedenfalls; denn das Artensterben ist eine ähnlich große Herausforderung wie der Klimawandel. Für den Klimawandel waren und sind die Berichte des Weltklimarates, IPCC, von großer Bedeutung. Am Schutz der Artenvielfalt kann der nun vorliegende Bericht des IPBES einen vergleichbaren Anteil haben; jedenfalls bin ich davon überzeugt. Der Bericht ist das Ergebnis der Arbeit von 150 Hauptautorinnen und ‑autoren und von über 300 weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den letzten drei Jahren. Er gibt den weltweit akzeptierten wissenschaftlichen Standard wieder. Das ist an sich schon ein enormer Wert. Nun liegt eine verlässliche, eine glaubwürdige Grundlage für die Diskussion und erst recht für das politische Handeln vor. Die Ergebnisse – Sie haben sie wahrgenommen – sind schlicht alarmierend: 1 Million Arten sind vom Aussterben bedroht, viele davon werden bereits in den nächsten Jahrzehnten aussterben. Das Artensterben ist mindestens Dutzende bis Hunderte Male größer als im Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre. Die Hälfte der lebenden Korallen ist seit 1870 verschwunden; 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Meeresfläche sind stark verändert; über 85 Prozent der Feuchtgebiete sind schon verloren gegangen. Kurz gesagt: Die Natur ist weltweit in einem immer schlechteren Zustand, und verantwortlich dafür sind wir, die Menschen. Der Bericht macht aber auch Hoffnung und zeigt Auswege aus der Krise. Es gibt eine naturverträgliche Wirtschaftsweise, die dort beschrieben wird. Allerdings müssen wir dafür einiges grundlegend verändern. Ich will in der Kürze der Zeit für Deutschland drei Punkte beispielhaft herausgreifen. Mein erster Punkt betrifft die Schutzgebiete. Der Bericht macht sehr deutlich, dass ein größeres, effektiv gemanagtes Netz an Schutzgebieten helfen würde. In Deutschland sind 16 Prozent der Landfläche und 45 Prozent der Meeresfläche streng geschützt. Ich möchte erreichen, dass die Lücken noch besser geschlossen werden. Ich will gemeinsam mit den Ländern einen Aktionsplan Schutzgebiete entwickeln. Ich will, dass wir die Schutzgebiete noch besser managen, zum Beispiel den Einsatz von Pestiziden deutlich verringern. In ökologisch besonders schutzbedürftigen Bereichen, also in Naturschutz- und Wasserschutzgebieten, müssen wir den Einsatz von Pestiziden grundsätzlich verbieten. Das zweite große Feld ist der Insektenschutz. Den Bestäubern, unter anderem den Insekten, geht es besonders schlecht. Darum ist es zentral, dass wir ein wirksames Aktionsprogramm Insektenschutz bekommen. Meine Vorschläge liegen auf dem Tisch. Die Eckpunkte haben wir bereits im Kabinett verabschiedet. Jetzt wird das genaue Programm zwischen den Ressorts abgestimmt. Ich bin davon überzeugt, dass der IPBES-Bericht da noch einmal für Rückenwind sorgt. Drittens geht es um die Agrarförderung. Im Bericht ist immer wieder von schädlichen Subventionen die Rede. Das heißt, dass die aktuelle EU-Agrarförderung mit Steuermitteln zur Zerstörung der Natur beiträgt. Die Verhandlungen zur EU-Agrarreform, die nach der Europawahl weitergehen werden, sind also für die Natur, für die Artenvielfalt überlebenswichtig. Der Bericht ist ein echter Weckruf. Ich werbe dafür, dass wir die Erkenntnisse ernst nehmen und auf allen politischen Ebenen danach handeln; denn – das ist vollkommen klar – wir müssen handeln. Das gilt ebenso für den Artenschutz wie für den Klimaschutz. – Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr, Frau Bundesministerin. – Die erste Frage stellt der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD.

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, vergangenes Jahr hat das Umweltbundesamt eine Studie veröffentlicht, der zufolge circa 6 000 Tote pro Jahr an den Folgen von überhöhten Stickoxidkonzentrationen im Verkehr zu beklagen wären. Der höchste Wert in 2018 war 71 Mikrogramm pro Kubikmeter in Stuttgart. Ihrem Umweltbundesamt untersteht unter anderem die Innenraumkommission. Diese hat in 2018 zwei Richtwerte für die Konzentration von NO x in Innenräumen angegeben. Der niedrigere Wert definiert sich so – Zitat –: Richtwert I … beschreibt die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, bei der bei einer Einzelstoffbetrachtung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch dann keine gesundheitliche Beeinträchtigung zu erwarten ist, wenn ein Mensch diesem Stoff lebenslang ausgesetzt ist. Dieser Wert wird mit 80 Mikrogramm pro Kubikmeter angegeben. Ich habe dazu folgende Frage: Wie kann das Umweltbundesamt die Meinung vertreten, dass die vorhandene Stickoxidkonzentration in der Außenluft von maximal 71 Mikrogramm in Stuttgart zu Toten führt, während eine Kommission des gleichen Umweltbundesamtes zu der genau gegenteiligen Aussage kommt, nämlich dass die lebenslange Exposition von bis zu 80 Mikrogramm pro Kubikmeter, also einem höheren Wert als in Stuttgart, keine gesundheitliche Beeinträchtigung erwarten lässt?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Es ist vollkommen klar, dass Stickoxide Reizgase sind und dass wir dafür sorgen müssen, dass auch Kinder, dass auch ältere Menschen draußen vor diesen Stickoxiden geschützt sind. Deshalb gelten im Außenbereich die Grenzwerte, die es auch Kindern und älteren Menschen ermöglichen, sich ohne Gesundheitsbeeinträchtigung draußen in der Umwelt aufzuhalten. Wir wollen, dass, wenn das Fenster geöffnet wird, dann auch frische Luft hineinkommt. Am Arbeitsplatz befindet man sich für gewöhnlich nur, wenn man gesund und erwachsen ist. Deswegen gelten dort andere Grenzwerte als draußen, wo sich Kinder, ältere Menschen und Kranke aufhalten. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt aber, die Grenzwerte insgesamt noch mal zu überprüfen und abzusenken. Auch in dem Bericht der Leopoldina, um den die Bundesregierung gebeten hat, wird eine weitere Absenkung der Grenzwerte empfohlen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Herr Kollege Kraft, Zusatzfrage?

Dr. Rainer Kraft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004792, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, hervorragend, dass Sie es ansprechen: Die gleiche Innenraumkommission stellt fest, dass sich in Mitteleuropa alle Menschen inklusive Kindern und Kranken circa 90 Prozent der Zeit in Innenräumen aufhalten. Und in diesen Innenräumen gelten die besagten 80 Mikrogramm pro Kubikmeter und nicht die 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, die für den Außenbereich gelten, in dem man die restlichen 10 Prozent der Zeit verbleibt. Ich frage Sie angesichts der Tatsache, dass Sie die Werte Ihrer eigenen Kommission nicht kennen, ob Sie tatsächlich noch die richtige Frau auf dem richtigen Stuhl sind. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

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Herr Abgeordneter, wir gehen von einem Vorsorgeprinzip aus. Für uns gilt der Maßstab: Wenn man das Fenster öffnet, dann muss frische Luft hineinkommen können. Deswegen beträgt der Grenzwert, der für die Außenluft gilt, 40 Mikrogramm. Gerade NO x ist ein Reizgas, vor dem wir Menschen schützen müssen. Dieser Schutz ist für uns prioritär.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Gibt es zu diesem Thema weitere Fragen? – Das ist offenbar nicht der Fall. Dann stellt die nächste Frage die Kollegin Silvia Breher, CDU/CSU.

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, die Wolfspopulation in Deutschland steigt stark. Die Antwort Ihres Hauses auf die Sorgen der Weidetierhalter bislang beinhaltete Monitoring, Herdenschutz und Ausgleichszahlungen. Stellvertretend für viele Schafhalter und viele Weidetierhalter in Deutschland berichte ich mal von mir zu Hause. Unser Schäfer pflegt aktuell mit insgesamt fünf Gruppen die Deiche der Hase – das ist ein kleiner Fluss bei uns, der durch das kleine Städtchen entlang eines Radweges führt –, und er betreibt so aktiven Deichschutz. Allein in der letzten Woche sind seine Tiere viermal vom Wolf angegriffen worden – mit vielen tödlich verletzten Tieren in der Folge. Was soll ich diesem Schäfer sagen, wenn er mich fragt, was Sie und Ihr Haus für ihn und vor allem seine Schafe tun? Und vor allen Dingen: Wann und wie soll es für ihn und seine Schafe weitergehen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Frau Abgeordnete, der Schutz der Weidetierhaltung ist für die Bundesregierung ein großes Anliegen. Deswegen wollen wir ja auch, dass in Deutschland flächendeckend Weidetierhalter vorhanden sind. Sie sind ja nicht nur für die Kulturlandschaften wichtig, vielmehr sind sie auch für die Artenvielfalt in den Kulturlandschaften maßgeblich mitverantwortlich. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass das Zusammenleben mit dem Wolf, der ja wieder zurückkommt – es ist eine strenggeschützte Art –, funktioniert. Ich habe mich auf europäischer Ebene stark dafür eingesetzt, dass wir den Weidetierhaltern helfen dürfen, indem wir ihnen die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, um Zäune aufzubauen und dass sie Schutzhunde einsetzen können; denn das ist der einzige Weg, der funktioniert. Man muss die Herden adäquat schützen. Dort unterstützt die Bundesregierung, dort unterstützen die Länder, und das ist die Antwort, die wir den Weidetierhaltern geben können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Gibt es zu den Wölfen weitere Fragen? Das ist nicht der Fall. Dann stellt der Kollege Karlheinz Busen, FDP, die nächste Frage.

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, wir kommen beide aus dem Münsterland, und auch da hat der Wolf wieder richtig zugeschlagen. Die Kanzlerin hat den Wolf zur Chefsache gemacht. ({0}) Das begrüßen wir ausdrücklich, das haben wir schon vor einiger Zeit gefordert. Dennoch frage ich Sie, Frau Ministerin: Sieht das Bundeskanzleramt einen Gesetzentwurf zur rechtssicheren Bejagung von Wölfen vor, um wolfsfreie Gebiete zu schaffen? Und werden Sie sich auch für eine Beweislastumkehr beim Nachweis von Schädigungen von Nutztieren durch den Wolf einsetzen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ja, wir müssen das Zusammenleben von Wölfen und Menschen organisieren. Der Wolf ist eine strenggeschützte Art, und er kommt aufgrund der vielen Schutzprogramme jetzt auch nach Deutschland zurück. Ich habe einen Gesetzentwurf vorgelegt, der klar regelt, wann Wölfe entnommen werden dürfen. Sie dürfen auch nach geltendem Recht entnommen werden; aber es gibt Unklarheiten, es gibt Gerichtsurteile, die nicht ganz eindeutig sind. Deswegen habe ich einen konkreten Vorschlag gemacht, wie man das rechtssicher für alle Beteiligten regeln kann. Dieser Vorschlag liegt auf dem Tisch, und das Bundeskanzleramt wird sicherlich helfen, dass wir gemeinsam, das Umweltministerium und das Landwirtschaftsministerium, zu einer guten Lösung kommen. Das ist bei uns Chefinnensache, weil das ein wichtiges Thema ist. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage? – Herr Kollege Busen.

Karlheinz Busen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004690, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie sagen gerade, dass Sie Maßnahmen ergreifen wollen, zum Beispiel den Einsatz von Hunden. Aber Sie wissen von Fachleuten und auch von den Schäfern selbst, dass ein solcher Einsatz unmöglich ist und dass auch die Einzäunung von ganz Deutschland unmöglich ist. Also, diese Maßnahmen sind nachweislich nicht von Vorteil und von Nutzen. Da erwarten wir andere Maßnahmen; denn der Erhaltungszustand der Wölfe – das sollten Sie wissen – ist mittlerweile erreicht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, es gibt Möglichkeiten, Herden zu schützen; diese müssen natürlich regional angepasst werden. Es ist etwas anderes, ob Sie Weidetierhaltung am Deich machen oder in bergigen Gegenden. Es ist ein Unterschied, ob das im Flachland stattfindet oder woanders. Deswegen müssen regional angepasste Konzepte erarbeitet werden; diese sind zum größten Teil auch schon erarbeitet. Wir haben mit den Ländern gemeinsame Standards, sozusagen als Mindeststandard, abgestimmt. Der günstige Erhaltungszustand des Wolfes ist noch nicht erreicht. Das wird europaweit festgestellt. Also, wir können nicht einfach sagen: Das ist jetzt so. – Es gibt Regeln, mit denen man festlegt, ob dieser günstige Erhaltungszustand erreicht ist. Davon sind wir leider noch weit entfernt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr, Frau Bundesministerin. – Ich frage noch mal: Gibt es zum Thema Wolf und zum Zusammenleben von Menschen, Schafen und Wölfen weitere Fragen? – Herr Kollege Hilse.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie haben gerade gesagt, der Erhaltungszustand der Population sei noch nicht erreicht. Das Problem ist ja, dass man so tut, als sei das eine eigene Population; aber es gibt Zigtausende Wölfe in Europa, in angrenzenden Gebieten usw. usf. Man versucht jetzt, daraus eine eigene Population zu machen. Sei’s drum. Welchen Zahlenwert würden Sie denn jetzt angeben, ab dem der Erhaltungszustand erreicht ist?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Herr Abgeordneter, man kann keinen genauen Zahlenwert angeben, jedenfalls jetzt noch nicht. Die Wolfspopulation ist im Moment noch stark gefährdet; wir verlieren zurzeit einfach noch eine große Zahl Wölfe – die meisten übrigens durch den Autoverkehr. Wölfe werden einfach überfahren. Deswegen wird das nach einem genauen Maßstab gemeinsam mit den Ländern gemacht, damit man sieht, ob der Wolf in einem Zustand ist, in dem er nicht mehr gefährdet ist, in dem er sozusagen von sich aus eine Überlebenschance hat. Von diesem Zustand sind wir noch weit entfernt. Sie haben recht: Es gibt unterschiedliche Populationen. Wir haben in Deutschland drei verschiedene große Wolfsgebiete. Man muss genau schauen, in welchem Zustand die Populationen dort sind. Eine genaue Zahl gibt es aber nicht. Vielmehr ist der Maßstab: Sind die Wölfe von sich aus überlebensfähig, ohne dass man eingreifen muss? – Davon sind wir noch weit entfernt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zu einer Nachfrage, Herr Kollege Hilse.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich möchte noch mal auf den Erhaltungszustand eingehen. In welchem Zahlenbereich bewegen wir uns da? Wann würden Sie sagen, dass der Erhaltungszustand erreicht ist? Geht es hier um vierstellige Zahlen? Geht es um fünfstellige Zahlen? Geht es um sechsstellige Zahlen? Ist der Erhaltungszustand in Deutschland erst dann erreicht, wenn 20 000 Wölfe durch das Land laufen? Oder wie muss ich mir das vorstellen? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Er hat aber die Frau Bundesminister gefragt. – Frau Bundesminister.

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Herr Abgeordneter, der Erhaltungszustand wird in Europa nach einheitlichen Regeln gemessen und festgelegt. Wir haben gemeinsam mit den Ländern ein festgelegtes Verfahren, mit dem wir ermitteln, wie viele Wolfsrudel überhaupt vorhanden sind. Ich kann Ihnen keine genaue Zahl aller Wölfe nennen, weil wir nicht wissen, wie viele Tiere zu einem Rudel genau gehören. Das ist ein Wildtier, das eher ein scheues Tier ist und sich Menschen für gewöhnlich eben nicht nähert. Deswegen kann man auch nicht einfach eine Erhebung machen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, Tiere zu besendern. Das ist erlaubt. Dadurch wissen wir etwas mehr darüber, wohin die Wölfe sich bewegen und wie viele Tiere vorhanden sind. Aber man kann jetzt hier einfach keine genaue Zahl in den Raum stellen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Noch eine Zusatzfrage zu den Wölfen? – Bitte sehr, Herr Hocker.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Frau Ministerin, Sie haben sich ja in den letzten Tagen sehr exponiert zum Thema „Biodiversität und Artenvielfalt“ geäußert. Sie haben heute auch Ihr Eingangsstatement damit begonnen. Ich möchte diesen Themenkomplex gerne mit der Frage in Verbindung bringen, die wir jetzt diskutieren, nämlich mit der Frage der Wolfsmigration. Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die Biodiversität und die Artenvielfalt gerade dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden, dass Wölfe nach Deutschland migrieren? Erste Arten wie zum Beispiel das Muffelwild im Raum südöstlich von Lüneburg sind bereits ausgestorben, und zwar wegen der Migration des Wolfes. Weitere seltene Nutztierrassen geraten in besonderer Weise unter Druck, zum Beispiel Lippegänse und Wollschweine. All diese Spezies stehen kurz vor dem Aussterben, und zwar bedingt durch die Wolfsmigration. Wollen Sie tatsächlich bei der Behauptung bleiben, dass die Wolfsmigration für die Artenvielfalt förderlich ist? Oder ist es nicht so, dass Arten durch die Wolfsmigration sogar aussterben?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, für den Artenschutz ist das größte Problem nicht der Wolf, sondern der Mensch. ({0}) Wir sind diejenigen, die nachweislich die meisten Arten ausrotten. Das ist das Hauptproblem, das wir haben. Der Wolf war früher in Deutschland heimisch. Er ist ein streng geschütztes Tier, weil wir ihn nahezu ausgerottet haben. Jetzt hat der Naturschutz dazu beigetragen, dass wir wieder erste Wölfe hier in Deutschland sehen. Das größte Problem für den Artenschutz sind wir Menschen und unsere Art zu leben und zu wirtschaften.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage, Herr Kollege?

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für diese Antwort, Frau Ministerin. – Ich würde das gerne noch mal konkretisieren. Würden Sie meine Einschätzung teilen, dass durch die Wolfsmigration Freilandhaltung in Deutschland immer seltener wird, Landwirte ihre Tiere lieber im Stall belassen und es deswegen zu weniger Insekten auf unseren Flächen kommt, dass diese Wolfsmigration also durchaus negative Effekte auf die Insektenvielfalt und die Biodiversität insgesamt hat? Oder würden Sie sagen, dass all diese Argumente tatsächlich nicht derart zum Tragen kommen sollten, wie das in bestimmten Bereichen diskutiert wird? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

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Herr Abgeordneter, nein, ich teile Ihre Auffassung ausdrücklich nicht. ({0}) Ein Zusammenleben von Wolf und Mensch ist möglich. Auch die Weidetierhaltung ist möglich, wenn wir die Weidetiere schützen. Dafür gibt es gut erprobte Systeme. Auch in unseren Nachbarländern, in denen es mehr Wölfe gibt als bei uns, finden wir Weidetierhaltung vor. Genauso wird das auch in Deutschland möglich sein. Wichtig ist uns, dass die Weidetiere geschützt werden. Dafür werden auch von der Bundesregierung Mittel bereitgestellt. Wir haben uns auf der europäischen Ebene dafür eingesetzt, dass wir das dürfen und die Schäfer da unterstützen können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt stellt der Kollege Carsten Träger, SPD, die nächste Frage.

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Bundesministerin, ich möchte gerne auf Ihr Eingangsstatement zurückkommen und eine Frage zu dem vorliegenden IPBES-Bericht formulieren. Sie haben ja darauf hingewiesen, dass der Befund an Dramatik eigentlich überhaupt nicht zu überbieten ist. 1 Million Arten sind weltweit konkret vom Aussterben bedroht. Ich möchte Sie nach Ihrer Einschätzung fragen: Wie gewichten Sie sozusagen das Verhältnis zwischen den dramatischen Aussagen und Erkenntnissen zum Klimawandel und zu dem Verlust der Biodiversität? Bezüglich unseres nationalen Handelns würde ich Sie gerne, weil Sie es nur kurz gestreift haben, fragen: Was sind die Eckpunkte des angekündigten Aktionsprogramms Insektenschutz?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich bin fest davon überzeugt, dass das Verhindern des Artensterbens eine genauso große Rolle für uns spielen muss wie der Klimaschutz und dass wir beides gemeinsam behandeln müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass das Artensterben gestoppt wird und dass wir den Klimawandel endlich in den Griff bekommen. Die Hauptursachen für das Artensterben sind ja Nutzungsveränderungen an Land und in den Meeren, wo eben Lebensräume wegfallen. Wir haben nicht nur das Problem, dass die tropischen Regenwälder zunehmend wegfallen, sondern auch, dass Korallen, die die Regenwälder der Meere darstellen, durch Klimaveränderungen zurückgedrängt werden. Insofern ist die Hauptursache der Mensch. Wir müssen unser Handeln verändern. Wir müssen Rückzugsräume, Habitate für Tiere wieder ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist es für Meeresorganismen zum Beispiel wichtig, dass wir den Plastikmüll vermindern. Das ist ein Beispiel dafür, was wir unmittelbar leisten können. ({0}) Wenn wir uns die globalen Transportwege, den zunehmenden Tourismus ganz genau ansehen, dann stellen wir fest, dass darüber auch invasive Arten weltweit verteilt werden. Das Artensterben müssen wir stärker in den Griff bekommen. Da müssen wir handeln. Ich glaube, dass wir genau so ein Aktionsprogramm, wie wir es hier für den Insektenschutz haben, brauchen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank, Frau Bundesministerin. – Nachfrage? – Bitte.

Carsten Träger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004426, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Ich würde gerne eine weitere Frage zum Aktionsprogramm Insektenschutz stellen. Wie weit ist da der Fortschritt – es ist ja schon vor längerer Zeit im Kabinett abgestimmt worden –, und was sind die zentralen Punkte?

Not found (Minister:in)

Die Eckpunkte des Aktionsprogramms Insektenschutz sind im Kabinett gebilligt worden. Wir haben daraufhin unter reger Beteiligung das komplette Aktionsprogramm entwickelt. Ich habe es nun vorgelegt, und es ist im Moment in der Ressortabstimmung. Ich hoffe, dass der IPBES-Bericht jetzt auch Rückenwind dafür gibt, dass dieses Aktionsprogramm schnell Realität wird und wir an die Umsetzung gehen können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Amira Mohamed Ali, Die Linke.

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, auch ich möchte etwas zum Artensterben fragen. Sie haben zu Recht gesagt, dass der Bericht alarmierend ist und dass man jetzt sehr schnell handeln muss. Ich möchte ganz konkret zu Ihrem Aktionsprogramm Insektenschutz nachfragen. Sie haben gerade schon gesagt, das soll jetzt möglichst schnell verabschiedet werden. Was heißt denn „schnell“? Die zweite Frage dazu ist folgende: Im Rahmen dieses Aktionsprogramms sollen 5 Millionen Euro pro Jahr eingesetzt werden. Sind das alle Mittel, die Sie für den Insektenschutz vorsehen, oder sind weitere Mittel geplant? Und die dritte Frage dazu ist folgende: Haben Sie Erkenntnisse darüber, was der Rückgang der Insektenpopulationen eigentlich mit den insektenfressenden Tieren – Reptilien, Amphibien, Vögel, Säugetierarten – macht? – Danke.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Wir sehen einen ganz dramatischen Rückgang der Insekten. Das hat natürlich auch weitere Folgen. Das hat Folgen für die Bestäubung von Pflanzen, das hat aber auch Folgen für all die, die in der Nahrungskette sind. Man sieht jetzt schon, dass die Anzahl der Vögel zurückgeht. Die Vögel, die wir früher noch kannten, zum Beispiel Feldlerche und Kiebitz, stehen enorm unter Druck. Deswegen ist das Aktionsprogramm so wichtig. Wir wollen mit dem Aktionsprogramm mehr Lebensraum für Insekten erreichen. Wir wollen, dass sich die Landwirtschaft verändert, dass sie weniger Pflanzengifte einsetzt. Wir müssen gegen Lichtverschmutzung vorgehen, weil auch diese den Insekten Probleme bereitet. Und wir wollen die Forschung ausdehnen. Wir brauchen ein stärkeres Biodiversitätsmonitoring. Wir wissen zwar schon genug, um zu handeln, aber wir müssen noch mehr über die Zusammenhänge lernen. Deswegen wollen wir auch die Forschung und das Monitoring zur biologischen Vielfalt vorantreiben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage? – Bitte.

Amira Mohamed Ali (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004823, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch eine Nachfrage. Die Antwort ist mir, offen gesagt, noch zu unkonkret. Die Frage lautet: Wann ist das fertig? Haben Sie eine Prognose? Welche ganz konkreten Maßnahmen, gerade in Bezug auf die Landwirtschaft, gibt es? Ich bin im Agrarausschuss und höre dort durchaus andere Meinungen von der Landwirtschaftsministerin bezüglich des Einsatzes von Pestiziden und der Bereitschaft, jetzt sehr konkrete Schritte einzuleiten. Wie wollen Sie dieses Spannungsfeld auflösen?

Not found (Minister:in)

Das Aktionsprogramm soll möglichst schnell kommen. Es ist in der Kabinettsabstimmung. Es liegt jetzt den verschiedenen Ministerien vor. Wir warten auf die Rückmeldungen. Der IPBES-Bericht wird sicherlich Rückenwind geben, damit es noch schneller bearbeitet wird. Es soll so schnell wie möglich auf den Weg kommen. Zur Agrarpolitik. Ich will – in aller Kürze gesagt –, dass Landwirtinnen und Landwirte für Naturschutzleistungen auch bezahlt werden. Dafür müssen wir auf europäischer Ebene die Agrarpolitik grundlegend verändern. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich möchte daran gleich anschließen. Sie haben in dem Zusammenhang mit dem IPBES-Bericht auch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland gesagt, dass Sie auf einen Glyphosatausstieg bestehen, auch aus Gründen der Artenvielfalt. Deshalb meine Frage: Was heißt das ganz konkret? Vielleicht können Sie es konkreter sagen als „möglichst schnell“. Also: Bis wann kommt dieser Ausstieg? Zuletzt ist genau das Gegenteil vom Ausstieg erfolgt. Ihre Kollegin Klöckner hat etliche Verlängerungen von Zulassungen für Hundert bereits vorhandener Glyphosatprodukte und auch Neuzulassungen auf den Weg gebracht. Wie setzen Sie sich gegen diese entgegengesetzte Politik des Agrarministeriums durch? Was machen Sie denn, wenn von dort weitere Zulassungen, die von Ihnen als rechtswidrig bezeichnet werden, erteilt werden?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, vielen Dank für die Frage. – Erst einmal ist vollkommen klar, dass der Wirkstoff Glyphosat die Lebensgrundlage für Insekten, für Bestäuber zerstört und dass wir deswegen diesen Wirkstoff unbedingt verbieten müssen. Sie wissen aber auch, dass wir in einem europäischen Genehmigungsverfahren sind und dass leider mithilfe des letzten Landwirtschaftsministers Glyphosat noch einmal zugelassen wurde. Daher müssen wir jetzt leider die Konsequenzen tragen. Wir können glyphosathaltige Mittel nicht vollständig verbieten, aber wir wollen jetzt schon festlegen, wie wir aus Glyphosat aussteigen. Wir wollen jetzt schon den Einsatz minimieren. Deswegen habe ich vorgeschlagen, dass es bei der Genehmigung von neuen Pflanzenschutzmitteln, gerade bei der Genehmigung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln, Ausgleichsflächen geben muss. Wir sehen ja, wie dramatisch der Rückgang der Insekten ist. Deswegen möchte ich diese Ausgleichsflächen haben. Das ist im Moment in der Regierung noch umstritten. Wir sind aber auf dem Weg der Einigung. Dass wir aber aus Glyphosat aussteigen müssen, ist vollkommen klar. Das muss in dieser Legislaturperiode passieren, und wir werden auch beschreiben, wie wir das tun. Der Koalitionsvertrag ist ja hier ganz eindeutig. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, Nachfrage?

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne. Danke, Herr Präsident.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, das Agrarministerium sagt, Ihre Vorschläge für die Ausgleichsflächen seien verfassungswidrig, rechtswidrig, enteignungsgleich. Das Ressorthickhack hilft keiner einzigen Biene. Deshalb möchte ich Sie fragen: Was ist Ihr Plan B, wenn Ihre Vorstellungen von Schutz- und Schmutzgebieten nicht hinhauen? Wie kommen wir, wie kommen Sie zu einer wirksamen, und zwar kurzfristig wirksamen, Pestizidreduktion in der Fläche, damit der Ökologie endlich geholfen wird? Ein zweiter Punkt. Sie haben noch die schädlichen Subventionen in der Agrarwirtschaft erwähnt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Kollege Ebner, Nachfragen sollten 30 Sekunden dauern.

Harald Ebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004215, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielleicht sagen Sie noch etwas dazu, wie Sie das erreichen wollen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Frau Bundesminister.

Not found (Minister:in)

Wenn wir Insekten schützen wollen, gibt es keine Alternative dazu, weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Das ist das, was wir erreichen wollen. Es müssen weniger Pflanzenschutzmittel in den Gärten und auf den Äckern landen, damit Lebensraum für Insekten bleibt. Wir in der Regierung befinden uns in der Abstimmung darüber, wie wir die Genehmigungsverfahren ganz konkret gestalten. Ich bin aber davon überzeugt, dass, wenn es noch Flächen gibt, auf denen weiterhin Glyphosat eingesetzt wird, wir einen Ausgleich dafür brauchen. Denn keine Bestäuber zu haben, bedeutet einfach, dass wir riesige Probleme in der Landwirtschaft bekommen, und deswegen ist vollkommen klar, dass wir da handeln müssen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr, Frau Bundesministerin. – Frau Kollegin Konrad, FDP, möchte dazu eine Frage stellen.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident, dass ich die Frage stellen darf. – Frau Schulze, Sie haben eben sehr emotional ausgeführt, wie es im Bereich der Pflanzenschutzmittel aussieht. Ich habe schon einmal Ihrem Kollegen, Herrn Staatssekretär Stübgen, die Frage gestellt, welche wissenschaftliche Grundlage denn dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ausstieg aus Glyphosat zugrunde liegt. Ihr Kollege hat mir damals geantwortet, dass es keine wissenschaftliche Grundlage dafür gibt, aber dass der Ausstieg im Koalitionsvertrag aufgrund der gesellschaftlichen Verfassung vereinbart worden sei. Wenn Sie hier über Glyphosat und Insekten- und Artenrückgang reden, dann muss ich Ihnen sagen: Es ist auch heute schon möglich, auf Glyphosat in der Landwirtschaft zu verzichten und im Gegensatz dazu den Boden mechanisch zu bearbeiten. Dazu sind, wenn man die Minimalbodenbearbeitung wählt, mehrere Überfahrten nötig, oder man hängt den Pflug an und pflügt den Boden um. Diese Bearbeitung – ohne Glyphosat – ist für die Arten, die im Boden leben, ein größerer Eingriff als der Einsatz von glyphosathaltigen Mitteln. Das möchte ich hier in dieser Runde gerne klargestellt haben und frage Sie, ob Ihnen das bewusst ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, wir wollen Glyphosat natürlich nicht durch die nächstschlimmeren Mittel oder Maßnahmen ersetzen. Uns geht es darum, dass wir naturnäher wirtschaften und dazu beitragen, dass Lebensraum für Insekten erhalten wird. Da sind Pflanzengifte – die heißen nicht umsonst so – eines der Dinge, ({0}) die Insekten ganz maßgebliche Probleme bereiten. Wenn es keine Pflanzen mehr gibt, wenn man keinen Lebensraum für Insekten mehr hat, dann werden sie nicht mehr lange vorhanden sein. Deswegen ist es uns so wichtig, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert wird und dass wir vor allen Dingen Glyphosat, was eben ein Totalherbizid und damit eines der Herbizide, die sehr stark einwirken, ist, in Deutschland vom Markt nehmen. Dafür brauchen wir einen Übergang. Diesen Übergang wollen wir jetzt so gestalten, dass möglichst wenige von diesen Mitteln überhaupt noch eingesetzt werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Haben Sie noch eine Nachfrage?

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Frau Kollegin.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wenn ich darf, würde ich schon gerne nachfragen. – Sie haben gerade von dem geplanten Rückgang des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln gesprochen. Diese heißen weder Pflanzengifte noch Pestizide. Es sind Mittel zum Schutz der Pflanzen. Dafür werden sie eingesetzt. Das ist die ursprüngliche Verwendung. Wenn Sie ihren Einsatz zurückfahren wollen, dann müssen Sie auch ehrlich – und dazu möchte ich von Ihnen ein Bekenntnis hören – die Frage beantworten, ob Sie in Zukunft noch Landwirtschaft in Deutschland ermöglichen wollen oder ob wir uns darauf beschränken, Naturschutzgebiete in Deutschland auszuweiten. Und wenn Sie sagen, Sie wollen Landwirtschaft in Deutschland haben, dann hätte ich gerne gewusst, wie Sie dazu stehen, –

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

30 Sekunden!

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

– dass wir auch neue Sorten brauchen, die ertragsstärker und ertragssicherer sind und auch mithilfe neuer Züchtungsmethoden hergestellt werden; denn hier blockiert insbesondere Ihr Haus.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, in Bezug auf Nachfragen haben wir uns eigentlich darauf verständigt, dass sie auf 30 Sekunden begrenzt sein sollen. Die Antworten übrigens nach Möglichkeit auch.

Not found (Minister:in)

Frau Abgeordnete, auch die Zeit für die Antworten ist leider beschränkt, deswegen: Natürlich möchte ich Landwirtschaft in Deutschland haben. Ich möchte aber eine Landwirtschaft haben, und ich möchte Insekten und Bestäuber haben, und ich möchte eine funktionierende Tierwelt hier in Deutschland haben. Alles zusammen ist möglich. Es gibt heute schon konventionelle und ökologische Bewirtschaftungsmethoden, die mit weniger Pflanzenschutzmitteln auskommen. Das muss der Weg sein, jedenfalls für alle die, die die Artenvielfalt hier in Deutschland erhalten wollen. Das ist auf jeden Fall mein Ziel. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur zur Klarheit: Nachdem eine halbe Stunde vorüber ist, können natürlich jetzt auch Fragen zu anderen Themen gestellt werden, was aber nicht ausschließt, dass man weiterhin sowohl zu dem Bericht als auch zum Geschäftsbereich der Bundesministerin Schulze Fragen stellen kann. Die nächste Frage stellt jedenfalls der Kollege Marc Bernhard, AfD.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie möchten eine CO 2 -Steuer einführen. Der Anteil Deutschlands an den menschengemachten CO 2 -Emissionen beträgt jedoch nur 1,8 Prozent, während zum Beispiel der Anteil Chinas 28 Prozent beträgt, der Anteil Indiens etwa 8 Prozent. Zusammen mit allen Schwellen- und Entwicklungsländern erzeugen diese Länder mehr als 60 Prozent der CO 2 -Emissionen weltweit. Gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen dürfen diese Schwellen- und Entwicklungsländer, die über 60  Prozent der CO 2 -Emissionen erzeugen, ihren CO 2 -Ausstoß bis 2030 weiter unbegrenzt, also ohne Limit, erhöhen. Welchen konkreten Effekt auf das Weltklima soll also eine CO 2 -Steuer in Deutschland haben, wenn doch die Emittenten von 60 Prozent des CO 2 eine Reduzierung in Deutschland null und nichtig machen? All das, was wir hier einsparen, hat doch – selbst wenn wir die Emissionen auf null reduzieren – überhaupt keinen Effekt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, das Pariser Klimaschutzabkommen ist eine weltweite Vereinbarung, die dazu beitragen soll, dass Leben auf dieser Erde weiterhin möglich ist, dass wir Lebensräume für Menschen erhalten. Dazu wird auch Deutschland einen Beitrag leisten. Wir werden in Deutschland unseren CO 2 -Ausstoß reduzieren müssen. Dazu habe ich ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, das klare Verantwortlichkeiten für alle Bereiche festlegt. Im Rahmen dieser Verantwortlichkeiten kann auch ein CO 2 -Preis eine sinnvolle Lenkungswirkung entfalten. Er muss aber sozial gerecht sein. Er darf Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, also Mieterinnen und Mieter und Pendler, nicht zusätzlich belasten. So ein Modell zu entwickeln, ist möglich. Ich arbeite gerade in meinem Haus mithilfe von Forscherinnen und Forschern daran, so ein Modell zu erarbeiten. Aber das kann nur ein Baustein sein. Wir werden im Klimaschutz noch eine ganze Reihe von Dingen tun müssen. Das ist übrigens gut für Deutschland; denn wir sind ein Hochtechnologieland. ({0}) Wir sind diejenigen, die Innovationen entwickeln können, die Techniken exportieren können. Da bilden die Techniken, die wir beim Klimaschutz brauchen, einen der ganz wichtigen Bereiche.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Nachfrage?

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Herr Kollege.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, Sie sagen also im Prinzip, Deutschland solle quasi im Alleingang die Welt oder das Weltklima retten. ({0}) Glauben Sie denn wirklich, dass es Sinn macht, dass wir die paar Kohlekraftwerke, die wir in Deutschland haben, abschalten, während weltweit derzeit 1 500 neue Kohlekraftwerke im Bau sind? Wäre es nicht viel sinnvoller, in einem fairen Abkommen mit anderen Ländern dazu zu kommen, dass vielleicht mal die großen Emittenten ihre CO 2 -Emissionen reduzieren? Würde es nicht viel mehr Sinn machen, vernünftige CO 2 -Abscheidungsanlagen in die Zigtausend Kohlekraftwerke in China und Indien oder anderswo einzubauen, als den Menschen in Deutschland immer mehr Steuern abzupressen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, auch für Sie gilt bei Nachfragen die Grenze von 30 Sekunden. Kommen Sie bitte zum Ende.

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe es geschafft.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte, Frau Bundesminister.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, wir werden Mitte des Jahrhunderts treibhausgasneutral sein müssen, und zwar alle, die gesamte Welt. Deutschland wird dazu einen Beitrag leisten. Um unsere Technologieführerschaft zu erhalten, ist es absolut notwendig, dass wir umsteuern, dass wir zeigen, mit welchen Techniken, mit welchen Innovationen wir CO 2 vermeiden können. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als eines der ersten großen Industrieländer aus Kohle- und aus Atomstrom aussteigen werden und zeigen können, dass wir trotzdem eine sichere, saubere Energieversorgung haben. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Lukas Köhler, FDP, stellt die nächste Frage.

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich bleibe beim Thema Klimaschutz. Sie haben gerade noch mal die Sektorziele angesprochen. Auf die würde ich mich gerne auch beziehen. Sie werden von Ihrem Koalitionspartner – für uns nachvollziehbar – relativ deutlich kritisiert. Die Union scheint dem Vorschlag der Freien Demokraten folgen zu wollen, den Emissionszertifikatehandel auszuweiten. Das finde ich sehr gut. Von Ihrem Ministerium ist dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben worden, zu dem es aber unterschiedliche juristische Meinungen gibt. Ich glaube, darüber kann man sprechen. Meine Frage an Sie wäre allerdings jetzt: Wie sicher sind Sie sich denn, dass es in dieser Legislaturperiode noch zu einem Klimaschutzgesetz kommt, in dem Sektorziele ganz eindeutig festgeschrieben und auch in Jahresscheiben – oder wie man das auch immer nennen möchte – fortgeschrieben werden? Wie sehr Sie davon überzeugt sind, das umzusetzen, würde mich interessieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Herr Abgeordneter, die Sektorziele sind vom Kabinett bereits beschlossen worden. Sie sind Teil des Klimaschutzplans und wurden eins zu eins in das Klimaschutzgesetz übernommen. Insofern sind diese Ziele bereits Beschlusslage. Ich bin davon überzeugt, ich weiß, dass wir in diesem Jahr alle notwendigen Schritte in Richtung Klimaschutz gehen werden. Dieses Jahr ist das Jahr des Handelns im Klimaschutz. Alle notwendigen Maßnahmen, alle Gesetze und alle Förderprogramme werden in diesem Jahr auf den Weg gebracht. Wir werden aus Deutschland heraus unseren Beitrag dazu leisten, den CO 2 -Ausstoß zu reduzieren. Und es geht nicht mehr um die Frage, ob wir das tun. Vielmehr geht es um die Frage, wie wir das tun. Ich bin dafür, dass man klare Verantwortlichkeiten festlegt, sodass jeder Sektor verlässlich weiß, was in den nächsten Jahren passieren wird. Eine solche Verlässlichkeit braucht nicht nur die Industrie, diese Verlässlichkeit ist auch für die Menschen und ihre Investitionsentscheidungen wichtig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nachfrage?

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank für die Antwort. Sie hatten über Klarheit gesprochen. Ich würde mich über eine klare Aussage gerade im Hinblick auf den Klimaschutzplan freuen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es ihn gibt. Allerdings ist es nur ein Plan und kein Gesetz und enthält daher auch keine verbindlichen Ziele. Deswegen meine Nachfrage zur Klarstellung: Sie sind der Meinung – habe ich das eben richtig interpretiert? –, dass in dieser Legislaturperiode für jeden einzelnen Sektor verbindliche Ziele festgelegt und mit entsprechenden Maßnahmen zur Umsetzung im Klimaschutzgesetz niedergeschrieben werden?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, es wird – das ist so im Koalitionsvertrag verankert, und das wird auch von niemandem in der Regierung bestritten – ein Klimaschutzgesetz geben. Wir werden ein Bündel von Maßnahmen vorlegen, mit denen Deutschland die CO 2 -Reduktionsziele erreichen kann. Die Frage ist wirklich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wie wir das gestalten. ({0}) Es ist uns ganz wichtig, dass die Maßnahmen sozial gerecht sind und Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen nicht über Gebühr belastet werden. Außerdem soll es einen klaren und verlässlichen Rahmen für die Industrie geben, damit klar ist, was in den nächsten 20 Jahren auf sie zukommt. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Hilse, AfD, möchte dazu fragen.

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, laut den Formeln des IPCC würde die Abschaltung aller Kohlekraftwerke von heute auf morgen – und auch nur dann, wenn man daran glaubt, dass der Mensch den Klimawandel maßgeblich beeinflusst – die hypothetische Erderwärmung um 0,000284 Grad Celsius verringern. Sehen Sie es als angemessen an, für diesen aberwitzig geringen Wert – 0,000284 Grad Celsius weniger Erderwärmung – 30 000 Arbeitsplätze allein in Sachsen abzubauen und laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag 170 Milliarden Euro auszugeben? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, 97 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen uns, dass der Klimawandel menschengemacht ist und wir etwas dagegen tun müssen. ({0}) Würden Sie in ein Flugzeug steigen, wenn 97 Prozent der Ingenieure weltweit sagen: „Dieses Flugzeug stürzt ab“? – Nein, natürlich nicht. ({1}) Die Regierung wird an ihren Klimaschutzzielen festhalten. Wir werden Klimaschutz machen. Wir werden uns um die Menschen in Deutschland und übrigens auch international kümmern und unseren CO 2 -Ausstoß reduzieren. Das ist wichtig, um den Lebensraum der Menschen auf unserer Erde zu erhalten. Dazu wird Deutschland einen Beitrag leisten. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Karsten Hilse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004752, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich hatte einen konkreten Zahlenwert genannt: 0,000284 Grad Celsius weniger Erderwärmung. Meine ganz konkrete Frage lautet: Sehen Sie es als angemessen an, für einen solch geringen Wert 30 000 Arbeitsplätze zu vernichten und – laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag – 170 Milliarden Euro auszugeben? Das ist die Frage.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Nichthandeln beim Klimaschutz würde gigantische Kosten verursachen, ({0}) und wir sind nicht bereit, diese Kosten zu übernehmen. Wir werden etwas gegen den Klimawandel tun müssen. In Deutschland sind wir jedenfalls gewillt, unseren Beitrag zu leisten. Dazu gehört ein riesiges Innovationsprogramm für unsere Wirtschaft, mit dem wir neue Arbeitsplätze schaffen werden. Im Gesetz für den Strukturwandel haben wir Maßnahmen vereinbart, um in den Regionen, die im Moment noch sehr stark von der Kohle abhängig sind, neue und zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. Wir kümmern uns um die Regionen. Wir kümmern uns um die Zukunft. Das ist die Verantwortung von Politik. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Timon Gremmels, SPD, stellt die nächste Frage.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, der Emissionshandel ist sicherlich ein wichtiges Thema. Aber das System ist auf Jahre europaweit festgezurrt. Es lässt sich im Moment nicht aufschnüren. Die Ausweitung des Emissionshandels ist also – höchstens – eine Lösung für die ferne Zukunft.  Eine CO 2 -Steuer erscheint daher als pragmatischer Lösungsansatz im Hier und Jetzt. Das ist ein Zitat, nicht aus dem „Vorwärts“, sondern aus dem „Handelsblatt“ von heute. Teilen Sie die Einschätzung, dass wir – als ein Baustein von vielen, neben der Erreichung der Sektorziele – eher über eine CO 2 -Bepreisung reden sollten als über eine langwierige Ausweitung des europäischen Emissionshandels, wie in dem Artikel dargelegt? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr, Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ja, ich teile diese Ansicht. Den Emissionshandel jetzt wieder aufzuschnüren, das würde sehr viele Jahre dauern. Außer uns hat niemand Interesse daran, das zu tun. Viele Länder übererfüllen ihre Ziele. Viele Länder haben sich schon auf den Weg gemacht, die Klimaschutzziele zu erreichen. Deswegen glaube ich: Wir müssen unsere Hausaufgaben machen und zeigen, was ein hochinnovatives Land wie Deutschland tut, um den CO 2 -Ausstoß zu reduzieren. Ich halte ein Modell mit einem fairen CO 2 -Preis, das dafür sorgt, dass gerade Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen nicht zusätzlich belastet werden – sie müssen entlastet werden; das halte ich für möglich –, für einen wichtigen Beitrag. Aber das ist eben nur ein Beitrag. Das kann nicht alles andere ersetzen. Das ist ein Baustein. Wir werden viele weitere Bausteine brauchen. Dieses Gesamtpaket habe ich in meinem Klimaschutzgesetz sozusagen adressiert. Das muss jetzt diskutiert und umgesetzt werden. Der CO 2 -Preis kann eine ganz wichtige Rolle darin spielen.

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege ({0}) – Anschlussfrage, das ist doch das Gleiche; er stellt jetzt eine Frage – Lorenz Gösta Beutin, Die Linke. ({1}) – Er stellt jetzt eine Frage. Und dafür hat er eine Minute Zeit.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Richtig, aber Sie verfahren hier immer unterschiedlich. Das ist nicht so ganz deutlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ja, klar, aber ich kann Ihnen nur für eine Frage das Wort geben, und dann kommt die nächste Frage.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Okay, gut.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt haben Sie das Wort. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Schulze, Sie haben sehr eindringlich die Notwendigkeit zu handeln deutlich gemacht, auch und gerade in Zusammenhang mit dem Artensterben und dem Klimaschutz. Nun ist es aber so: Deutschland wird die Klimaziele für 2020 verfehlen. Ein wichtiger Bereich, in dem Deutschland hinterherhinkt, ist der Gebäude- und Wärmebereich. Nun ist nicht nur die Gebäudekommission abgesagt worden, sondern auch das Gebäudeenergiegesetz dreht sozusagen seine Runden. An dem ersten Entwurf gab es bereits massive Kritik von Naturschutzverbänden, aber auch aus der betreffenden Branche. Mich würde interessieren: Wie bewerten Sie den aktuellen, den überarbeiteten Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes? Wie ist da der Stand?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, erst einmal stimme ich Ihnen absolut zu. Auch der Gebäudebereich muss einen Beitrag leisten, die Treibhausgasemissionen zu senken. Gegenüber 1990 muss dieser Bereich bis 2030  67 Prozent einsparen. Das ist nicht wenig. Es gibt aber viele Programme und Möglichkeiten. Der Bundesregierung ist wichtig, dass auch im Gebäudebereich etwas passiert. Ich weiß, dass die zuständigen Minister sehr intensiv an der Entwicklung eines Gesamtpakets für diesen Bereich arbeiten. Es geht dabei nicht um nur einen Baustein, sondern um eine ganze Reihe von Maßnahmen, die dazu führen sollen, dass wir auch im Gebäudebereich unser Ziel für 2030 erreichen. Kein Bereich kann außen vor bleiben; aber gerade der Gebäudebereich ist ein enorm wichtiger. Auch da ist die Bundesregierung gewillt, zu handeln.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Wollen Sie eine Nachfrage stellen?

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nun haben Sie aber laut Medienberichten der Versendung dieses Entwurfs widersprochen. Das heißt, es gibt direkt aus Ihrem Hause Kritik. Liegt das beispielsweise daran, dass EU-Vorgaben Ihrer Ansicht nach mit diesem Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes nicht eingehalten würden? Das suggerieren zumindest die Medienberichte. Oder was sind die Gründe, aufgrund derer Sie der Versendung widersprochen haben?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

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Der Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes befindet sich im Moment in der Abstimmung zwischen den einzelnen Ministerien. Dabei ist es üblich, dass jedes Haus Anmerkungen macht und die Erwartungen des jeweiligen Ministeriums deutlich macht. In dieser Abstimmung befinden wir uns gerade. Ich bin mir ganz sicher, dass wir mit einem guten Ergebnis aus diesen Abstimmungen herauskommen werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die Kollegin Sabine Leidig möchte dazu eine Frage stellen.

Sabine Leidig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004089, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte die Nachfrage stellen, wie es um den Verkehrsbereich bestellt ist; denn nicht nur der Gebäudesektor wird die Klimaziele krachend verfehlen. Der Verkehrssektor wird die Ziele vielleicht sogar noch stärker verfehlen; denn im Verkehrssektor steigen die CO 2 -Emissionen nach wie vor. In diesem Bereich haben wir überhaupt noch keine Trendumkehr. Meine Frage ist, wie da der Verständigungsprozess läuft. Der Verkehrsminister steht da offensichtlich massiv auf der Bremse.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Auch im Verkehrsbereich werden wir die Klimaschutzziele einhalten müssen. Wir haben extra ein Klimaschutzkabinett auf den Weg gebracht, wo wir die Arbeiten zwischen den einzelnen Ressorts auch koordinieren wollen. Natürlich muss auch der Verkehrssektor einen Beitrag leisten. Der zuständige Minister wird auch seinen Beitrag vorlegen; ich bin ganz zuversichtlich, dass er da mitarbeiten wird. Er hat ja auch schon erste Ideen in seiner Nationalen Plattform entwickelt. Es gibt da eine eigene Arbeitsgruppe, die einen ersten Bericht vorgelegt hat. Ich denke, dass er auf Basis dieses Berichts seine Vorschläge dann auch im Klimakabinett vorlegen wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, wir waren beide diese Woche auf Europas größter Konferenz für digitale Gesellschaft, der re:publica, zu Gast. Ein großes Thema auf dieser Konferenz war das Thema „Wie können wir die Digitalisierung endlich nachhaltig denken?“. Ich begrüße es außerordentlich, dass Sie dazu erste Eckpunkte vorgelegt haben. Denn die Digitalisierung ist in ihrem jetzigen Zustand – das ist auch ein Thema, das in der Debatte über die Klimakrise stärker beachtet werden muss – eher ein Brandbeschleuniger der Klimakrise als ein Brandlöscher. Es ist positiv, dass Sie Eckpunkte aufschreiben, aber ich frage Sie: Was heißt das jetzt ganz konkret für den Handlungsrahmen, für ein Aktionsprogramm? Und: Sind Sie auch bereit, sich mit Herrn Scheuer, Herrn Altmaier und auch mit Frau Klöckner auseinanderzusetzen, die ja in ihren Kernbereichen bei Nachhaltigkeit, nachhaltigem Design von IT-Hardware, IT-Software, aber auch den Geschäftsmodellen des Digitalen gegensteuern? Sind Sie bereit, da in den Kampf zu gehen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, erst einmal würde ich Ihnen zustimmen, dass die re:publica wirklich eine beeindruckende Ansammlung von Menschen, eine beeindruckende Veranstaltung ist und dass es sehr gut ist, dass sich die diesjährige re:publica so stark dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet hat. Ja, ich habe dort Thesen zur Digitalisierung vorgestellt. Ich finde, dass Digitalisierung nicht Brandbeschleuniger sein darf, sondern dazu beitragen muss, nachhaltig zu sein. Ich habe Punkte in die Diskussion der Community hineingegeben. Ich glaube, dass zum Beispiel die Themen „Umweltcloud“ und „Daten zugänglich machen“ ganz wichtig sind und die Diskussionen uns helfen könnten, sinnvolle Maßnahmen zu entwickeln. Ich glaube, ich bin dafür bekannt, dass ich gerne mit meinen Kolleginnen und Kollegen in die Diskussion gehe. Deswegen kann ich Ihnen da Ihre Sorge nehmen. Das ist die typische Rolle einer Umweltministerin und eines Umweltministers: den anderen auf den Zehen zu stehen und dafür zu sorgen, dass Klimaschutz, Umweltschutz, Naturschutz wirklich stattfinden. Das werde ich in bewährter Tradition fortsetzen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ihre Sorgen sind noch nicht ganz behoben; Sie möchten eine Nachfrage stellen.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, einfach die Nachfrage: Haben Sie denn jetzt auch Aktionen ganz konkret vor? Das, was Sie aufgeschrieben haben – das haben wir auch vor einem Jahr schon aufgeschrieben –, ist gut, geht in die richtige Richtung. Aber die Frage ist natürlich: Wenn man etwas ändern will, dann muss man ja auch in Aktionen kommen. Also was sind die Schritte – eins, zwei, drei –, die Sie jetzt planen?

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ich habe dieses Programm für die Digitalisierung vorgelegt, habe Punkte aufgeschrieben, die wir angehen wollen. Da sind ganz konkrete Punkte dabei. Ich möchte zum Beispiel 50 Leuchtturmprojekte für die künstliche Intelligenz, die nachhaltig sind, auf den Weg bringen. Ich stelle mich aber auch erst mal der Diskussion. Ich finde, wenn man ein Thema neu in die Diskussion einbringt – und die Debatte zum Thema „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ ist eine recht junge Debatte –, dann muss man auch die Diskussion mit vorantreiben. Das das Erste, was ich machen will. Das Zweite ist natürlich, konkrete Projekte voranzutreiben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Der Kollege Beutin möchte dazu eine Frage stellen.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist ja immer schön, wenn die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangeht. Aber es stellt sich mir die Frage: Wie sind da Ihre Informationen? Wie sieht es beispielsweise in der öffentlichen Verwaltung aus? Eine einfache Maßnahme wäre beispielsweise, die Server in öffentlichen Einrichtungen mit Ökostrom zu betreiben. Das wäre einfach zu machen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, es ist ein ganz wichtiges Thema, andere Stromquellen zu nutzen. Aber noch besser ist es, Strom zu sparen, und das ist unser erklärtes Ziel. Wir haben es durch den Einsatz von anderer IT-Infrastruktur in den letzten Jahren geschafft, unseren Stromverbrauch zu reduzieren, und wir wollen den Stromverbrauch weiter reduzieren. Obwohl wir immer mehr dieser Rechner einsetzen, ist es das erklärte Ziel, den Verbrauch zu reduzieren. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Sie wollen noch eine Frage stellen? – Wenn Sie mir liebenswürdigerweise ein Zeichen geben. Bitte.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Ziel der Bundesregierung ist ja, auf erneuerbare Energien umzustellen. Ein Beitrag, der wirklich einfach zu leisten wäre, ist, wenn man für die Server Ökostrom nutzen würde. Man muss ja nicht das eine tun und das andere lassen, sondern man kann doch beides machen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Herr Abgeordneter, ja, sicherlich kann man beides machen, mir ist aber wichtig, dass wir es im Sinne der Nachhaltigkeit wirklich schaffen, den Energieverbrauch zu reduzieren. Unser erklärtes Ziel ist, bis 2024 jedes Jahr 2 Prozent weniger Energie zu verbrauchen. Das ist gar nicht so einfach zu erreichen. Es ist aber in der Tat wichtig, beides zu tun, nämlich, erneuerbare Energien zu nutzen und den Energieverbrauch zu reduzieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Paul Podolay, AfD, stellt die nächste Frage.

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundesministerin, in Deutschland werden in Industrie und Gewerbe, Medizin, Forschung sowie in der Landwirtschaft etwa 100 000 umschlossene radioaktive Strahlenquellen genutzt. Die Benutzung dieser Strahler unterliegt der staatlichen Aufsicht. Trotz der Kontrolle können der Verlust eines Strahlers oder der Fund einer herrenlosen Strahlenquelle nicht vollständig ausgeschlossen werden. Laut dem Bundesamt für Strahlenschutz wurden in den Jahren 2009 bis 2014 bundesweit 169 Meldungen über den Verlust bzw. den Fund von Strahlern aufgezeichnet, wovon zwei als hochradioaktive Strahlenquellen eingestuft sind. Meine Frage: Ist Ihnen bekannt, ob sich die Zahlen seit 2014 verbessert oder eher verschlechtert haben? Verfolgen Sie die Lage bzw. die Statistik?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, dazu werden sicherlich genaue Zahlen vorliegen. Da mir die Frage vorher nicht bekannt war, habe ich diese Zahlen jetzt natürlich nicht dabei. Ich kann das aber gerne schriftlich nachreichen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Möchten Sie eine Nachfrage stellen? Da die Frau Bundesministerin Ihnen die Antwort nachliefert, haben Nachfragen aber eigentlich nur relativ wenig Sinn.

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe noch eine andere Nachfrage.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Eine andere? Das ist aber keine Nachfrage. – Na, schauen wir mal.

Paul Viktor Podolay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004855, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es geht nicht um die Zahlen. – Was unternimmt die Bundesregierung bezüglich des internationalen Informationsaustausches in diesem Bereich, und wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit der Internationalen Atom­energie-Organisation aus, die ein Informationssystem zur Übermittlung von Daten zu weltweit verlorengegangenen Strahlenquellen betreibt?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Frau Bundesministerin.

Not found (Minister:in)

Wir haben einen intensiven Austausch mit unseren Nachbarstaaten über die Atomkraftwerke und über die Frage der Strahlungen, weil das in dieser dicht besiedelten Region, in Europa, natürlich wichtig ist. Wir tauschen uns auch über Sicherheitsfragen aus, weil es gerade für Deutschland, da wir jetzt ja aus der Nutzung von Atomstrom aussteigen werden, ganz zentral ist, dass wir weiterhin à jour, auf dem Stand der Technik, bleiben, um das, was andere tun, die die Atomkraft nutzen, einschätzen zu können. Deswegen gibt es intensive Kontakte und einen intensiven Austausch auf der fachlichen Ebene.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt die Kollegin Carina Konrad, FDP.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin Schulze, ich will noch mal zum Artenschutz zurückkommen. Sie haben eben sehr umfangreich dargestellt, in welch schlechtem Zustand sich die Artenwelt befindet, und haben Maßnahmen für Deutschland vorgestellt, die Sie ergreifen wollen. Damit attestieren Sie ja Ihrem eigenen Ministerium für die letzten Jahre ein Versagen. Man soll nun den Schritten folgen, die Sie eben vorgeschlagen haben, nämlich eine Extensivierung der Produktion und die Einstellung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes. Sie planen ja offensichtlich, dort in Richtung von Verboten zu gehen. Ich frage mich jetzt schon: Wie sollen dann auch in Zukunft noch hochwertige und sichere Nahrungsmittel auf deutschen Äckern produziert werden? Frau Bundesministerin Klöckner hat sich in der letzten Woche positiv gegenüber einer Gesetzesänderung auf europäischer Ebene geäußert, um die neuen Züchtungsmethoden – Veränderungen an Pflanzen mit der Genschere CRISPR/Cas9 – zu ermöglichen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich frage Sie: Wie stehen Sie dazu? Unterstützen Sie diesen Vorstoß von Frau Klöckner?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Frau Abgeordnete, Sie haben jetzt mehrere Fragen in einer gestellt. Ich will erst Ihre Frage zu CRISPR beantworten. Ich lehne CRISPR als Züchtungsmethode ab. Ich glaube, dass auch das eine gentechnische Veränderung ist und dass wir deshalb diese gentechnische Veränderung genauso wie alle anderen gentechnischen Veränderungen betrachten müssen. ({0}) Sie haben gesagt, dass man im Rahmen der Ackerbaustrategie unbedingt die heute eingesetzte Menge an Pflanzenschutzmitteln braucht. Davon bin ich nicht überzeugt. Wir können Landwirtschaft mit weniger Pflanzenschutzmitteln naturverträglicher betreiben. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, wir würden so weitermachen wie bisher. Dann würden wir die Insekten komplett ausrotten und wie in den USA immer Bestäuber an die Felder heranholen müssen. – So etwas mag ich mir gar nicht vorstellen. ({1}) Die dort entstehenden Kosten kann, glaube ich, niemand von uns ernsthaft wollen. Deswegen müssen wir uns für den Schutz der Insekten einsetzen. ({2}) Ein Rückgang der Artenvielfalt von 70 Prozent ist doch nichts, bei dem man sagen kann: Wir können einfach so weitermachen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage? – Bitte, Frau Kollegin Konrad.

Carina Konrad (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004789, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne. – Ich versuche, meine Frage innerhalb von 30 Sekunden zu stellen. In dem EuGH-Urteil heißt es, dass neue Züchtungsmethoden keine Gentechnik seien, sie aber wie gentechnische Verfahren zu regulieren seien, was die Züchter hier bei uns im Land vor enorme Herausforderungen stellt und was sie auch von weltweiten Entwicklungen abhängt. Ich möchte Sie deshalb nochmals fragen: Halten Sie unter den Voraussetzungen, die Sie eben mit Blick auf den Artenrückgang und den Flächenverbrauch alle skizziert haben, wirklich daran fest, dass diese Methode in unserem Land nicht möglich sein soll?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Frau Abgeordnete, gentechnische Veränderungen kann man, wenn sie einmal im Freiland sind, nie wieder zurückholen. Diese Technik ist nicht rückholbar. Dieses Risiko finde ich sehr hoch. Ich folge da dem Europäischen Gerichtshof: Genau die Regelungen, die für andere gentechnische Pflanzen gelten, müssen auch für diese Pflanzen gelten. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die Frau Kollegin Skudelny möchte eine Nachfrage stellen.

Judith Skudelny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004159, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, wir hatten gestern ein Frühstück, bei dem der IPBES-Bericht vorgestellt worden ist. Dabei wurde gesagt, dass ein Grund für den weltweiten Artenrückgang ist, dass es sich manche Länder leisten können, extensive Landwirtschaft zu betreiben, weil sie mehr Waldflächen und mehr Naturschutzgebiete haben und dadurch die Umweltauswirkungen in andere Länder verschieben. ({0}) Wir können das aus Deutschland heraus nur dann verhindern, wenn wir parallel zu einer extensiven Landwirtschaft eine Konsumänderung erreichen. Deswegen würde mich mal interessieren: Wo sehen Sie denn Ansätze? Welche Vorschriften möchten Sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern machen, damit wir parallel zu einer Konsumänderung eine extensive Landwirtschaft betreiben können, ohne deren Auswirkungen auf andere zu verschieben?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

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Frau Abgeordnete, ich bin davon überzeugt, dass wir die Landwirtschaft so verändern können, dass sie wieder naturverträglich ist. Das war früher mal so: Wir haben im Einklang mit der Natur arbeiten können. Jetzt ist es so, dass wir in einem Umfang Insekten verlieren, der lebensbedrohlich ist. Wenn wir keine Insekten mehr haben, ist unsere Nahrungsgrundlage gefährdet. Dann ist die Wasserreinhaltung gefährdet. Dann ist die medizinische Forschung gefährdet, die sehr viele Erkenntnisse aus der Natur zieht. Deswegen glaube ich, dass der Bericht des Weltbiodiversitätsrates ein wirklicher Warnschuss ist. Wir müssen uns jetzt endlich um den Schutz der Insekten kümmern. Ich habe dafür ein Aktionsprogramm vorgelegt. Das muss jetzt schnell auf den Weg gebracht werden. Jetzt noch zu sagen: „Das ist alles nicht so zentral, da kann man noch ein bisschen abwarten“, ist jedenfalls nicht meine Meinung.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt würde ich gerne dem Kollegen Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort für die letzte Frage in dieser Regierungsbefragung erteilen.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, wir haben ja nun sehr lange über den Artenschutz geredet. Entscheidend wird dabei sein, die Form der Landwirtschaft, die das fördert, was Sie gesagt haben, massiver in den Blick zu nehmen. Was gedenken Sie konkret zu tun, um die Landwirtschaft der vielseitigen, der kleinstrukturierten, der lebenserhaltenden Grundlagen stärker zu fördern? Da sind hohe Erwartungen an Sie gerichtet. Was ist konkret Ihre Handlungslinie?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

Not found (Minister:in)

Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich glaube, dass ein zentraler Ansatz, um das stärker zu fördern, die europäische Agrarpolitik ist. Sie wissen, dass im Moment die europäische Agrarpolitik die Landwirte in erster Linie nach der Größe von Flächen bezahlt. Wenn aber Landwirte Naturschutzleistungen und damit ja Leistungen für uns alle erbringen, dann sind dafür auf der europäischen Ebene nur ganz geringe Mittel vorgesehen. Das halte ich für den falschen Weg. Ich möchte, dass die Naturschutzleistungen, die die Landwirtinnen und Landwirte erbringen, im Rahmen der EU-Agrarförderung mitfinanziert werden. Dafür setze ich mich ein. Das halte ich für einen zentralen Hebel, um in diesem Punkt weiterzukommen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ich schließe die Regierungsbefragung mit dem Dank an die Frau Bundesministerin. Ich gucke mal, ob mich die Frau Kollegin Roth in der Leitung der Sitzung ablöst. – Sie tut es.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Einen schönen guten Tag von mir an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der Junge will doch nur spielen!“, oder „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ – so kann man wohl manche Einlassung in den letzten Tagen zur Debatte um Enteignungen verstehen; denn die Diskussionen der letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass die Sehnsucht nach dem linksautoritären Staat nicht nur bei Kevin Kühnert und einigen Jusos sehr lebendig ist, ({0}) sondern auch bei manchen gestandenen Sozialdemokraten oder Grünen; ({1}) ich denke da nur an Robert Habecks Unterstützung für die Enteignungsinitiative. Auch in den Medien und in der öffentlichen Debatte musste man mehr als einmal hören und lesen, dass es doch gut sei, wenn es endlich wieder Ideen, Visionen, Utopien gebe, wenn endlich wieder die Systemfrage gestellt werde. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das letzte Mal, dass in Deutschland die Systemfrage gestellt wurde, das war 1989. Die Ostdeutschen und die Osteuropäer haben diese Frage sehr eindeutig beantwortet. ({3}) Nachdem der Sozialismus im vergangenen Jahrhundert in so vielen Ländern ausprobiert wurde und so viel Leid gebracht hat, könnte man auch zu dem Ergebnis kommen, dass nicht die Umsetzung, sondern die Idee das Problem ist. ({4}) Aktuell lohnt da auch ein Blick nach Venezuela. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zugleich gilt: 1989 war nicht das Ende der Geschichte. Was wir gerade erleben, ist eine ernste Kampfansage an die soziale Marktwirtschaft. Wir Freien Demokraten nehmen diese Debatte an. ({5}) Ohne die Eigentumsgarantie und den Ausblick darauf, dass sich unternehmerisches Risiko lohnt, wäre die beachtliche Entwicklung der Bundesrepublik nach zwei grausamen Weltkriegen niemals möglich gewesen. Wir brauchen auch heute Gründergeist und Menschen, die den Mut haben, Arbeitskraft und Geld in Neues zu investieren. Das führt zu Wettbewerb zwischen den Angeboten, das führt zu niedrigeren Preisen und einer größeren Auswahl an Produkten und Dienstleistungen. Davon profitieren gerade Menschen, die keine großen Einkommen haben. ({6}) Kollektivierungsträume dagegen sind Gift. Schon das Gerede über Enteignung und staatliche Willkür schafft ein unternehmerfeindliches Klima. Welche Gründer oder Investoren haben eigentlich noch Lust, ein Unternehmen aufzubauen, wenn sie befürchten müssen, dass es in staatliches Eigentum übergeht, sobald es nach ­Kühnert’scher Definition zu groß geworden ist? ({7}) Dann gehen sie eben woanders hin. Solche Vorschläge sind kurzsichtig und verantwortungslos. Die Fragen lauten doch eher: Warum sollte jemand mehr als den eigenen Arbeitsplatz schaffen? Oder: Warum sollte jemand seine Ersparnisse in eine andere als die eigene Wohnung investieren? Auch darum geht es in der sozialen Marktwirtschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8}) Zugleich ist es wichtig, sich zu fragen: Woher kommt denn jetzt diese neue Lust an der Systemfrage? Warum soll das jetzt so charmant und so anziehend sein? Richtig ist: Es ist für viele Menschen in unserem Land zu schwer, sich ein eigenes Vermögen aufzubauen. Und es ist ein Problem, wenn das Aufstiegsversprechen in einer Gesellschaft nicht mehr gilt oder jedenfalls nicht mehr für genug Menschen spürbar und wahrnehmbar ist. ({9}) Jeder und jede muss die Chance haben, sich durch Fleiß, Können und Mut ein eigenes Vermögen aufzubauen. Daran müssen wir arbeiten. Das ist für uns zum einen eine Frage von Bildung, und zwar sowohl am Anfang des Lebens als auch lebenslang. Keine Biografie darf eine Sackgasse sein. Wir müssen für lebenslanges Lernen deutlich mehr tun. So haben wir unter anderem die Einführung eines Midlife-BAföGs vorgeschlagen. Zum anderen brauchen wir vor allem auch bessere Rahmenbedingungen für Eigentums- und Vermögensbildung für breite Massen in unserer Gesellschaft. ({10}) Dafür ist es notwendig, endlich die kalte Progression abzubauen, den Soli abzuschaffen, die Sparerfreibeträge anzupassen und keine zusätzliche Grunderwerbsteuer zu erheben, weil damit Menschen der Traum von den eigenen vier Wänden erschwert wird. An all dem müssen wir arbeiten. ({11}) Es ist bemerkenswert, dass vom Bundeswirtschaftsminister, der immerhin heute hier ist, in dieser Debatte noch nichts zu hören war. ({12}) Es reicht eben nicht, im Bundeswirtschaftsministerium Säle nach Ludwig Erhard zu benennen; man muss auch eine Politik in seinem Geiste machen. ({13}) Offenbar ist einigen abhandengekommen, was die Gründerväter der sozialen Marktwirtschaft noch wussten, nämlich dass wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit zusammengehören, dass sie sich bedingen und nicht gegeneinander auszuspielen sind. In einer Gesellschaft mit freien Menschen mit unterschiedlichen Träumen, Wünschen und Vorstellungen kann sich Sozialismus nur autoritär durchsetzen. ({14}) Wenn wir unsere Demokratie und unseren Wohlstand wirksam verteidigen wollen, dann muss uns deutlich mehr und Besseres einfallen als Spaltung und Umverteilung des Status quo. Lassen Sie uns daran arbeiten, das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft zu erneuern! Vielen Dank. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Frau Teuteberg. – Nächster Redner in der Aktuellen Stunde: Bundesminister Peter Altmaier. ({0})

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass wir heute über dieses Thema debattieren; denn unser hohes Maß an Wohlstand wurde ermöglicht durch die soziale Marktwirtschaft – durch nichts anderes – und damit durch den Fleiß von Millionen Bürgerinnen und Bürgern sowie den Einsatz von Hunderttausenden Unternehmerinnen und Unternehmern. ({0}) Die soziale Marktwirtschaft „hat sich als weltweit erfolgreichstes Wirtschaftsmodell durchgesetzt. Sie war und ist jeder Form von Planwirtschaft überlegen. Vor 40 Jahren wurden sogar in China Elemente von Marktwirtschaft eingeführt. Seit dem Ende des Kalten Krieges erlebt die Marktwirtschaft einen weltweiten Siegeszug.“ Das ist ein Zitat aus der Nationalen Industriestrategie 2030: „Strategische Leitlinien für eine … europäische Industriepolitik“. ({1}) Liebe Frau Teuteberg, Sie haben hier eine nette Rede gehalten. Aber wenn Sie sich schon an der Industriestrategie abarbeiten, sollten Sie vielleicht auch die Passagen zitieren, die wichtig sind, damit die Menschen sehen, dass die Politik in Deutschland zur sozialen Marktwirtschaft steht und sie verteidigt, ({2}) egal was der eine oder andere dazu sagt. ({3}) Ich bin überzeugt, lieber Herr Westphal, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Koalitionspartner, dass das, was der Vorsitzende der Jungsozialisten zu diesem Thema gesagt hat, von niemanden bei Ihnen hier in der ersten, zweiten und dritten Reihe geteilt und unterstützt wird. ({4}) Aber ich hätte mir schon gewünscht, dass sich unser sozialdemokratischer Koalitionspartner eindeutiger von dem distanziert, was hier an Unsinn und längst überwundenen Positionen noch einmal zum Besten gegeben worden ist. ({5}) Wir dürfen überhaupt nicht verkennen, dass diejenigen, von denen wir erwarten, dass sie sich für Marktwirtschaft einsetzen, dass sie Marktwirtschaft mit Leben erfüllen, indem sie Unternehmen gründen, Unternehmen übernehmen, indem sie auch als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Streben nach Glück und Wohlstand entwickeln und voranbringen, zutiefst verunsichert werden, wenn der Eindruck entsteht, dass der Staat im Grunde jeden diskriminiert und jeden schief anblickt, der wirtschaftlich erfolgreich ist und der es schafft, mit seiner eigenen Arbeit etwas zu erwerben. Der Staat hat nicht das Recht, den Bürgerinnen und Bürgern das wegzunehmen, was sie durch ihren eigenen Einsatz und durch ihre eigene Leistung erwirtschaftet haben. ({6}) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir auch in den grundsätzlichen ordnungspolitischen Fragen Linie halten. ({7}) Liebe Frau Teuteberg, Sie haben das alles nicht erlebt, aber die erste große Bewährungsprobe der sozialen Marktwirtschaft nach dem Krieg, nach ihrer Einführung durch Ludwig Erhard, war in der Zeit der sozial-liberalen Koalition zwischen 1969 und 1982. Damals haben die Jungsozialisten gesagt, sie wollen die Belastungsgrenze der Wirtschaft austesten. Damals hat Karl Schiller gesagt: „Genossen, lasst die Tassen im Schrank“, und ist zurückgetreten. Damals wurde eine ausufernde Staatsverschuldung in Gang gesetzt, und es wurden in der Sozialpolitik nicht nachhaltige Gesetze am Fließband beschlossen. ({8}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind damals in dieser Koalition geblieben – 12, 13 lange Jahre. ({9}) Und Sie haben eben nicht Ihr ordnungspolitisches Gewissen vor Ihre parteipolitischen Interessen gestellt. Deshalb: Bevor Sie andere kritisieren, kehren Sie einmal vor der eigenen Tür! ({10}) Ich habe übrigens ein hohes Maß an Respekt vor Otto Graf Lambsdorff, ({11}) der damals ein Papier veröffentlicht hat, mit dem er eine Koalition beendet und einen grundlegenden wirtschaftspolitischen Wandel in unserem Land ({12}) ermöglicht hat. Aber es müsste Ihnen doch auch zu denken geben, dass Sie und Ihre eigene Partei es seit dem Ausscheiden von Otto Graf Lambsdorff aus der aktiven Politik niemals mehr geschafft haben, eine ordnungspolitische Debatte in diesem Land so zu prägen, ({13}) dass man sich noch einige Wochen später daran erinnert hätte. ({14}) Ich fordere Sie auf: Seien Sie das Gewissen der Marktwirtschaft! ({15}) Treten Sie für die Marktwirtschaft ein! Sie werden Unterstützung finden beim amtierenden Bundeswirtschaftsminister. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele Bereiche, in denen wir dringend mehr Marktwirtschaft brauchen, zum Beispiel bei der Energiewende. Wir brauchen mehr Marktwirtschaft und mehr Freiheiten für junge Gründerinnen und Gründer. Wir müssen überlegen, was wir tun können, um die ausufernde Bürokratie einzudämmen. ({17}) Das alles sind Herausforderungen, und ich lade Sie ein, daran mitzuwirken, sie zu bewältigen. ({18})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Könnten Sie die Lautstärke der Zurufe ein kleines bisschen dämpfen? Es ist wirklich schwierig, ihn zu verstehen. Wir verstehen ihn kaum. Sie stehen gerade nicht am Redepult.

Peter Altmaier (Minister:in)

Politiker ID: 11002617

Wenn ich die akustische Lautstärke berücksichtige, scheine ich einen Nerv getroffen zu haben, lieber Herr Dürr. Meine Damen und Herren, wir müssen die Frage stellen, was wir tun können, damit wir das Wohlstandsversprechen „Wohlstand für alle“ von Ludwig Erhard – das war ein Versprechen, das Wirtschaft, Sozialpartner und Politik gemeinsam abgegeben haben und seit über 70 Jahren gemeinsam garantieren – einhalten in einer Welt, die sich dramatisch verändert. Um uns herum sind eben nicht nur Länder, die die reine Marktwirtschaft und faire Bedingungen und Zurückhaltung des Staates zu ihren Maximen machen, sondern um uns herum gibt es viele, die durch aktive Industriepolitik versuchen, ihren eigenen Unternehmen Wettbewerbsvorteile und Marktzugänge zu verschaffen. Wir kopieren dies nicht. Aber wir haben allen Grund, uns die Entwicklungen genauer anzusehen, die dazu führen, dass durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz weltweit die Claims neu abgesteckt werden. Wir haben allen Grund, die Frage zu stellen, was geschieht, wenn große Unternehmen, die durch Fusionen von nationalen Unternehmen in den USA oder in China entstanden sind, plötzlich versuchen, auf den Märkten, ob im Eisenbahnwesen oder sonst wo, Fuß zu fassen und eine Monopolstellung zu erlangen. Wir haben das im Bereich der Photovoltaik vor einigen Jahren erlebt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die reine Lehre ist gut, und wir alle sind Anhänger der reinen Lehre; aber schon Ludwig Erhard und Franz Josef Strauß und auch FDP-Vorsitzende wie Hans-Dietrich Genscher wussten, dass man jedes Problem in seiner eigenen Situation betrachten und danach handeln muss. Als Franz Josef Strauß damals mit mehreren europäischen Staaten Airbus gegründet hat, um eine europäische Flugzeug­industrie zur Entstehung zu bringen, da war Ludwig Erhard noch am Leben. Und es ist nicht berichtet, dass er damals große Sorge um den Fortbestand der Marktwirtschaft hatte. Denn selbstverständlich wusste auch Ludwig Erhard, dass die Marktwirtschaft als Prinzip nur dann dauerhaft erfolgreich sein kann, wenn sich die eigene Volkswirtschaft dauerhaft im internationalen Wettbewerb behaupten kann. Wir haben im Laufe der Zeit erkannt, dass Subventionen kein Mittel sind, um dauerhaft Erfolg zu generieren. Wir haben erkannt, dass marktwirtschaftliche Verfahren weltweit die besten sind. Und wir vertrauen darauf, dass unsere Wirtschaft in freien und offenen Märkten erfolgreich sein kann, so wie sie es in den letzten Jahren war. ({0}) Rund 50 Prozent der deutschen Industrieproduktion gehen in den Export. Für kein anderes Land in der Welt hat die Bezeichnung „Made in xy“ einen so guten Klang wie unser „Made in Germany“. Wir haben einiges zu verteidigen. Wir haben auch einiges zu verlieren; aber wir haben noch viel mehr zu gewinnen. Es ist gelungen, liebe Frau Teuteberg, die Arbeitslosigkeit, die in Ihrer Regierungszeit auf über 2 Millionen gestiegen war, in den letzten 17 Jahren so zu reduzieren, dass wir im wiedervereinigten Deutschland in einigen Monaten wahrscheinlich weniger Arbeitslose haben werden als damals in der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Wir haben heute die höchste Zahl von Beschäftigungsverhältnissen in Deutschland. Und viele Menschen haben einen persönlichen Lebensstandard, der höher ist als alles, was sich Ludwig Erhard und seine Zeitgenossen seinerzeit vorstellen konnten. Wenn wir jetzt darüber diskutieren, wie wir Klimaschutz für die Zukunft entwickeln, wenn wir jetzt darüber diskutieren, wie wir die Energiewende weiter voranbringen, wenn wir jetzt darüber diskutieren, wie wir unsere Systeme der sozialen Sicherheit härten und dafür sorgen, dass mehr Bildung und Infrastruktur möglich werden, dann sollten wir das so tun, dass wir den marktwirtschaftlichen Lösungen den Vorzug geben vor jeder Form von Interventionismus. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der Marktwirtschaft am weitesten kommen. ({2}) Das ist kein Argument gegen eine nationale Industriestrategie. Das ist eine Bestätigung dafür, dass wir sie dort brauchen, wo sie notwendig ist. Lassen Sie uns darüber einen gemeinsamen Dialog führen. Vielen herzlichen Dank. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Peter Altmaier. – Nächster Redner: Uwe Witt für die AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste des Hohen Hauses! Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf der sozialen Marktwirtschaft. Trotzdem wird allerorten und von verschiedenen Interessengruppen die Axt an ebendiese gelegt. SPD, Linke und Grüne versuchen immer wieder, unserem Volk ihre Vorstellungen eines demokratischen Sozialismus schmackhaft zu machen. Kevin sei Dank bekamen wir jüngst noch einmal deutlich gemacht, wie die Vorstellungen der SPD dazu aussehen, Stichwort: Enteignung von Unternehmen. Dankenswerterweise haben unsere Bürger ein gutes Gedächtnis: Auch nach 30 Jahren sind das klägliche Scheitern und die Grausamkeiten des real existierenden Sozialismus inklusive Mauerbau, Schießbefehl und völlig ruinierter Infra- und Wirtschaftsstruktur noch nicht vergessen. Stimmt’s, Kollegin Wagenknecht? ({0}) Vor kurzem wurden wir von der SPD mit dem Konzept „Sozialstaat 2025“, dem Füllhorn bunt zusammengewürfelter, bereits einmal gescheiterter Maßnahmen und von den Linken adaptierter Konzepte, beglückt. Über die Finanzierung der Wahlwerbemaßnahmen für die SPD hat sie sich keine Gedanken gemacht. Getreu dem sozialistischen Motto: Geld ausgeben können wir, bezahlen müssen andere. ({1}) Der deutlich spürbare Motor und Pulsschlag des SPD-Konzeptes „Sozialstaat 2025“ ist die Angst, bald dauerhaft einstellige Wahlergebnisse einzufahren. Sie, meine Damen und Herren in der Bundesregierung, scheinen vergessen zu haben, dass der Sozialstaat Geld kostet und vom Steuer- und Beitragszahler zu finanzieren ist. Wer die Leistungsfähigkeit und die Leistungskraft der Bürger überfordert, gefährdet unsere soziale Marktwirtschaft in ihren Grundfesten. ({2}) Werte Kollegen von der FDP und von der CDU/CSU, freuen Sie sich nicht zu früh! Dass ich mit den Linken und Sozialdemokraten begonnen habe, bedeutet nicht, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. Auch Sie haben mit Ihrem unbändigen Drang zur Europäisierung und zur Einführung eines europäischen Superstaates die Axt an die Grundfesten unserer sozialen Marktwirtschaft gelegt. ({3}) Nicht nur, dass Sie uns in Regierungsverantwortung mit der SPD eine völlig überzogene Einwanderung in unsere Sozialsysteme zumuten, ({4}) nein, Sie haben es zugelassen, dass das gute europäische Prinzip der Subsidiarität in der EU – jeder kümmere sich um seine Angelegenheiten auf der niedrigstmöglichen Ebene – von EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof sukzessive ausgehebelt wird. ({5}) Ich nenne dazu nur ein Beispiel: Im Mindestlohngesetz wurde festgelegt, dass der Mindestlohn im Transportgewerbe auch für ausländische Fahrer gilt. Arbeitgeber im In- und Ausland müssen in Deutschland beschäftigten Lkw-Fahrern den Mindestlohn zahlen. Frankreich hat eine ähnliche Regelung. Finnland und Dänemark haben ihr nationales Transportgewerbe durch Kabotageregelungen geschützt. Es geht um den Schutz der heimischen Arbeitsplätze und des heimischen Arbeitsmarktes. Das ist gelebte Subsidiarität und wurde durch die Tarifpartner, die Gewerkschaften und Arbeitgeber hart erkämpft. Aus Sicht der EU-Kommission jedoch schränkt das deutsche und das französische Mindestlohngesetz die Dienstleistungsfreiheit ein, weshalb sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und Frankreich, aber auch gegen Dänemark und Finnland eingeleitet hat. An diesem Beispiel sieht man deutlich, wie die Errungenschaften unserer sozialen Marktwirtschaft durch die EU, die Sie geschaffen haben, in Gefahr gebracht werden. Die Bundesregierung sieht diesem Treiben nicht nur seit Jahren zu, sie fördert solche Dinge noch. ({6}) Ich könnte noch viele Beispiele zum Widerspruch von nationalem Arbeitnehmerschutz und EU-Regelungswut nennen. Das Muster ist nur zu deutlich: All das, was in Deutschland zu einem Aufschrei führen würde, wird leise und effektiv über die EU angegriffen, und hier in Deutschland ist hinterher keiner schuld. Wir – und damit meine ich uns alle, werte Kolleginnen und Kollegen – sollten unseren Sozialstaat wie unsere Wirtschaftsverfassung zukünftig gegen diese Angriffe verteidigen; denn sonst gibt es irgendwann nichts mehr zu verteidigen. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Uwe Witt. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Bernd Westphal. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft ist eingebettet in unser Grundgesetz – und das in diesem Jahr schon seit 70 Jahren. Dieses Modell ist deshalb erfolgreich, weil es ökonomisch, sozial gerecht und auch ökologisch ist. Und um es gleich klarzustellen: Zum Grundgesetz gehört auch Artikel 14, Schutz des Eigentums. Dazu gehören aber gleichzeitig auch die Verpflichtung und die Verantwortung, die man aufgrund dieses Eigentums hat. ({0}) Wir als SPD kennen die positiven Faktoren einer Marktwirtschaft und bekennen uns auch dazu. ({1}) Gerade Wettbewerb und Innovation bringen Fortschritt und führen zu günstigen Preisen bei technisch innovativen Produkten und bei Dienstleistungen für die Verbraucher. Technischer Fortschritt war aber auch immer verknüpft mit sozialem Fortschritt. ({2}) Das ist in den letzten Jahren sicherlich nicht mehr immer so gewesen. Insofern gibt es im System der sozialen Marktwirtschaft Schwächen. Deshalb muss die Politik Leitplanken setzen, innerhalb derer sich die soziale Marktwirtschaft entwickelt. Darüber muss man sicherlich reden. Wir haben erfolgreiche Instrumente wie zum Beispiel die Tarifautonomie, die grundgesetzlich geschützt ist. Die Gewerkschaften sind mit für den Ausgleich der Interessen zuständig. Sie führen Tarifverhandlungen oder verhandeln über die Arbeitsbedingungen und andere Dinge. Das ist ein sehr erfolgreiches System. Auch die Mitbestimmung mit Jugendvertretern, mit Betriebsräten und Aufsichtsräten führt dazu, dass sich in dem erfolgreichen System der sozialen Marktwirtschaft mit der Sozialpartnerschaft ein Ausgleich von Interessen etabliert hat. Das sind Errungenschaften in vielen Bereichen, nämlich des Arbeitsschutzes, der Weiterbildung, der Innovation und auch der Beratungen über Investitionen. Durch Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft wäre es notwendig, sich auch diesen Mitbestimmungsthemen zu widmen. In einer Demokratie müssen wir uns mit dem, was wir hier diskutieren und beschließen, genau diesen Themen stellen. Deutschland ist erfolgreich – nicht trotz, sondern wegen dieser sozialen Standards. ({3}) Politik muss aber auch dann einen klaren Rahmen setzen, wenn der Markt versagt. Trotz der Erfolge der sozialen Marktwirtschaft sehen wir, dass der Staat in vielen Bereichen eingreifen muss. Ich will einige Beispiele nennen. Der Staat muss zum Beispiel angesichts der abnehmenden Tarifbindung reagieren. Das haben wir erfolgreich getan, indem wir mit dem Mindestlohn eine Untergrenze der Bezahlung eingeführt haben. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit einer leichteren Allgemeinverbindlichkeitserklärung mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu einer tariflichen Bezahlung verhelfen. ({4}) Das Gleiche gilt auf dem Wohnungsmarkt. Hier haben wir mit der Einführung der Mietpreisbremse und mehr Mitteln für den sozialen Wohnungsbau reagiert. Hier gibt es staatliche Eingriffe, die genau dieses Defizit in diesem Marktsegment bereinigen. Bei der Energieerzeugung sehen wir, dass wir mit der jetzigen Struktur und herkömmlichen Art der Energieerzeugung unser Klima schädigen. Deshalb setzt Politik klare Bedingungen, wie wir CO 2 -Emissionen reduzieren können, wie wir unser Energiesystem für die Zukunft umwelt- und klimafreundlich gestalten. Aber das geschieht natürlich auch mit einer sozialen Flankierung. An diesen Beispielen sieht man, dass der Staat eingreifen muss, weil der Markt nicht alles regelt. ({5}) Wir haben das 2007 und 2008 sehr extrem gemerkt, als Marktversagen dazu geführt hat, dass wir nicht nur eine Finanz-, sondern auch eine weltweite Wirtschaftskrise hatten. Gerade ein starker Staat, ein handlungsfähiger Staat hat mit Konjunkturprogrammen, mit Arbeitslosengeld, mit Kurzarbeitergeld gemeinsam mit den Sozialpartnern dafür gesorgt, dass wir sehr erfolgreich aus der Wirtschafts- und Finanzkrise herauskamen. Das ist ein Beweis dafür, dass staatliches Handeln notwendig ist und man dem Markt nicht alles allein überlassen kann. ({6}) Herausforderungen im 21. Jahrhundert gibt es genug. Die SPD hat ein Alleinstellungsmerkmal, wenn es darum geht, wirtschaftliche Prosperität mit sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz zu verbinden. Wir waren vor 155 Jahren dabei. Als mit der Industrialisierung Industrie 1.0 entstanden ist, wurde die SPD gegründet. Wir haben die Kompetenz gehabt und Maßnahmen in Gang gebracht, die diese Standards auch bis heute regeln. ({7}) Der Staat setzt Impulse, wo Defizite sind: in Forschung, in Bildung, in Entwicklung, in Investitionen in Infrastruktur. Das ist ein innovationsfreundliches Umfeld, was Politik garantiert. Die SPD wird erfolgreich daran weiterarbeiten, dass wir dieses erfolgreiche und innovationsfreundliche Umfeld auch zukünftig in der sozialen Marktwirtschaft behalten. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Westphal. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Dr. Sahra Wagenknecht. ({0})

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ja wirklich löblich, dass die FDP sich Sorgen um die soziale Marktwirtschaft macht. Ich fange mal mit dem Gemeinsamen an: Diese Sorgen teilen wir. Allerdings nicht, weil Juso-Chef Kühnert Positionen formuliert hat, die früher mal sozialdemokratische Selbstverständlichkeiten waren, sondern weil Sie alle seit Jahren mit Ihrer Politik dazu beitragen, dass das Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirtschaft für immer mehr Menschen zu einer hohlen Phrase geworden ist. Das ist doch das Kernproblem. ({0}) Erst gestern hat das DIW Zahlen veröffentlicht, die eigentlich Anlass für eine Aktuelle Stunde zum Zustand unserer Wirtschaftsverfassung hätten sein sollen. Nach diesen Zahlen ist der Löwenanteil der Einkommenszuwächse seit den 90er-Jahren bei den oberen 10 Prozent der Haushalte angekommen, während die Ärmeren sogar Einkommen verloren haben und sich der Anteil derer, die trotz Arbeit arm sind, in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt hat. Und da reden Sie von sozialer Marktwirtschaft! Ein kluger Mann hat einmal gesagt, dass von einer sozialen Marktwirtschaft nur die Rede sein kann, – Zitat – „wenn entsprechend der wachsenden Produktivität … echte Reallohnsteigerungen möglich werden.“ ({1}) Nach diesem Maßstab ist es ein Hohn, eine Gesellschaft noch soziale Marktwirtschaft zu nennen, ({2}) wenn jeder Vierte für einen Lohn arbeitet, von dem man nicht anständig leben kann, ({3}) wenn beispielsweise bei den Zustellern in den letzten Jahren die Löhne um über 20 Prozent gesunken sind. ({4}) Der kluge Mann, den ich gerade zitiert habe, hieß übrigens Ludwig Erhard, auf den Sie alle sich so gerne beziehen. Und auch wenn das böse E-Wort bei Ihnen sofort Schnappatmung auslöst – ({5}) ja, es ist dringend nötig, über Enteignungen zu reden, ({6}) und zwar über die Enteignungen, die Sie alle gemeinsam durch Ihre Politik verursacht haben; denn etwas anderes als eine Enteignung war es nicht, als mit den Agenda-Reformen in Deutschland einer der größten Niedriglohnsektoren in ganz Europa geschaffen wurde. Prekäre Jobs, Leiharbeit, Dauerbefristungen – das war und ist eine Enteignung von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. ({7}) Dazu haben Sie keine Aktuelle Stunde beantragt. Oder reden wir über Hartz IV! Auch wer viele Jahre lang geschuftet hat und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, verliert nach einem Jahr Arbeitslosigkeit alles, was er sich im Leben aufgebaut hat. Was ist das anderes als eine kalte Enteignung? ({8}) Aber niemand von Ihnen echauffiert sich darüber und macht das zum Thema. Oder nehmen Sie die Mietentwicklung, ein ganz aktuelles Thema. Seit Jahren schauen Sie untätig zu, ({9}) wie in den Städten die Mieten explodieren und immer mehr Familien aus ihren Wohnbezirken verdrängt werden, während die Deutsche Wohnen oder auch Vonovia Gewinnrekorde vermelden. Ihre Mietpreisbremse ist so zahnlos, dass sie das doch nicht verhindert hat. ({10}) Das ist doch das Problem. Sie hätten etwas dagegen machen können – ({11}) mit einem wirklichen Gesetz zu einem Mietpreisstopp, aber Sie haben nichts gemacht. Jetzt, wo die Menschen beginnen, sich gegen diese Enteignung zu wehren, fangen Sie plötzlich an, sich Sorgen um die Grundfesten der sozialen Marktwirtschaft zu machen. Ich finde und wir finden: Das ist wirklich bezeichnend. ({12}) Wenn man sich die FDP so ansieht und auch Ihre Rede gehört hat, Frau Kollegin, dann muss man sagen: Es ist wirklich traurig, was aus der großen Tradition des politischen Liberalismus geworden ist. ({13}) Es gab ja durchaus mal eine Zeit, als Liberale noch wussten, dass Unternehmen vor allem denen gehören sollten, die in ihnen arbeiten, und nicht etwa Finanzinvestoren, die sie in Melkkühe für kurzfristige Maximalrenditen verwandeln, ({14}) auch nicht Erbendynastien, die wie das Geschwisterpaar Quandt und Klatten leistungslos jeden Tag 3 Millionen Euro Dividendeneinkommen aufs Konto überwiesen bekommen. ({15}) Das ist für Sie eine liberale Gesellschaft? Das ist für uns Feudalismus. ({16}) Ich zitiere was Schönes – wenn Sie vielleicht gnädigerweise zuhören, statt immer dazwischenzuschreien! –: Heute konzentriert sich der Zuwachs an Produktivkapital aus Gewinnen in den Händen weniger Kapitalbesitzer. Das ist gesellschaftspolitisch gefährlich, sozial ungerecht und mit den liberalen Forderungen nach Gleichheit der Lebenschancen … nicht vereinbar. Machen Sie auch eine Aktuelle Stunde, wenn einer so was sagt? – Das stand nicht im Marx’schen Kapital; das stand im Freiburger Programm der FDP. ({17}) Da waren Sie mal, aber davon sind Sie weit weg. ({18}) Ich finde, statt sich mit Ihrem hemdsärmeligen Ellenbogen-Liberalismus zu blamieren, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin Dr. Wagenknecht, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Sahra Wagenknecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004183, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– sollten Sie lieber mal darüber nachdenken, warum wachsende Ungleichheit historisch immer wieder dazu führt, die Fundamente der Demokratie zu untergraben. Wir halten das für eine gefährliche Entwicklung, und deshalb stehen wir an der Seite all der Menschen, die sich dagegen wehren. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun wissen wir ja fast alle, dass Kollektivierung und Verstaatlichung keine Antwort auf die Herausforderungen sind, vor denen wir stehen. ({0}) Trotzdem bringen die Äußerungen eines Juso-Vorsitzenden die ganze Republik über Tage hinweg in Wallungen und führen zu einer Aktuellen Stunde hier im Deutschen Bundestag. Man muss sich doch mal der Frage stellen: Warum passiert das eigentlich? Ich sage Ihnen: Das passiert, weil Kevin Kühnert etwas adressiert hat, das viele spüren. Ein Unbehagen ist da: das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht mehr stimmt, das Gefühl, dass Menschen nicht mehr wissen, ob sie in ihrer Wohnung bleiben können, das Gefühl, dass Menschen nicht mehr wissen, ob sie von ihrer Arbeit noch leben können, ({1}) das Gefühl, dass Menschen nicht mehr die Gewissheit haben, dass die Zukunft für ihre Kinder noch lebenswert ist. Dieses Gefühl ist mit Händen zu greifen, und das hat er mitadressiert. ({2}) Es gibt Fehlentwicklungen; die dürfen wir nicht ignorieren. Ich meine das Unbehagen, dass hier jeder machen kann, was er will: Internetgiganten mit Datensammelwut, manipulierende Automobilkonzerne, spekulierende Banken, überzogene Rendite bei Immobilien, exorbitante Managergehälter. Das ist doch zu greifen, dass hier Fehlentwicklungen sind, gegen die wir etwas tun müssen. ({3}) Und jetzt will die FDP über die soziale Marktwirtschaft sprechen. Ist es das, was Sie unter sozialer Marktwirtschaft verstehen? ({4}) Ehrlich gesagt, andere stoßen wenigstens mal Debatten an; Sie kommen mit Themen von vorgestern und führen hier Reden aus den 80er-Jahren, ({5}) wie im Übrigen ziemlich viele, unter anderem der Wirtschaftsminister, der nicht mehr zum Wettbewerbsrecht steht. ({6}) Fakt ist, dass die soziale Marktwirtschaft das Wohlstandsversprechen für alle eben nicht mehr einhalten kann. Das ist doch Fakt. ({7}) Niemand glaubt, dass diese Regierung noch in der Lage ist, die Probleme anzupacken. Das sorgt eben für Unbehagen bei den Menschen. Die Sorge um ihre Zukunft treibt die Kinder auf die Straße. ({8}) Die Union wird zur Dagegen-Partei. Ihr seid inzwischen gegen alles. Jeder Vorschlag wird abgelehnt. CO 2 -Preis, Tempolimit, Vorschläge, die in anderen europäischen Ländern schon längst Alltag sind: Ihr sagt immer nur Nein. AKK sagt Nein. Laschet sagt aber: „Vielleicht“, und Schulze sagt Ja. Bei dieser Kakofonie, die die Bundesregierung beim Thema Klimaschutz an den Tag legt, muss doch ein Unbehagen da sein. ({9}) Die soziale Marktwirtschaft ist das beste System, das wir kennen: Marktwirtschaft mit Freiheitsversprechen und Wohlstandsversprechen für alle. Aber dazu muss ein Staat aktiv und regulierend eingreifen. Und ja, Privateigentum wird zu Recht geschützt. Aber im Grundgesetz steht auch: „Eigentum verpflichtet“, und diese Verpflichtung muss ausbuchstabiert werden, mit Leitplanken. ({10}) Wir müssen den Begriff erweitern. Worum es geht, ist eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Das Wohlstandsversprechen in einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft bedeutet nämlich, dass alle Menschen – alle, auch zukünftige Generationen, auch Menschen auf anderen Kontinenten – faire Chancen für ein gutes Leben haben. Eine sozial-ökologische Marktwirtschaft kann ein solches Wohlstandsversprechen geben, meine Damen und Herren. ({11}) Die Lösungen von Kevin Kühnert sind falsch. Andere Eigentumsverhältnisse bringen nicht mehr Klimaschutz, kein einziges Elektroauto mehr. ({12}) In Frankreich betreiben Staatskonzerne AKWs. VW hat mit 20 Prozent Staatsbeteiligung das Dieselgate angeführt. ({13}) Wir müssen Kindern, die freitags auf die Straße gehen, Antworten geben, Menschen, die Angst haben, Zuversicht geben, in dieser angespannten Zeit Orientierung geben. Unser Wirtschaftssystem ist doch viel zu ressourcenhungrig. Wenn alle so leben wollten wie wir, bräuchten wir zweieinhalb Planeten. Die haben wir nicht. Da müssen wir Antworten geben. ({14}) Ihr von der FDP habt vor zwei Wochen getwittert: Alle reden über #FridaysForFuture. Brauchen wir nicht vielmehr #MondaysForEconomy?! ({15}) Das war euer Tweet. ({16}) Jetzt antworte ich mal frei nach Lindner: Was wir brauchen, ist eine Economy for Future, und dafür brauchen wir Profis. Vielen Dank. ({17})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Andreae. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Matthias Heider, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Heider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004051, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir wussten nicht so genau, wohin uns denn diese Aktuelle Stunde unter Ihrer Führung, liebe Frau Kollegin Teuteberg, bringen würde. ({0}) Wie soll ich sagen? Mit dem Kompass der sozialen Marktwirtschaft gerade noch mal so die Kurve bekommen. Wenn diese Aktuelle Stunde denn was Gutes hat, dann das, dass wir aufmerksam beobachten können, wie sich insbesondere die Parteien auf der linken Seite dieses Hauses mit dem Thema „soziale Marktwirtschaft“ beschäftigen. ({1}) Für viele von Ihnen ist das eher eine Orientierungsdebatte als eine Aktuelle Stunde. Das muss man an der Stelle mal deutlich feststellen. ({2}) Ich will Ihnen auch genau sagen, warum das so ist: weil Sie beim Thema „soziale Marktwirtschaft“ vielen Irrungen und Wirrungen ausgesetzt sind – insbesondere bei Linken und Grünen und auch bei Teilen der SPD. ({3}) Ich meine nicht die ersten drei Reihen, sondern die dahinter, ({4}) die jetzt nicht so gut zu sehen sind. ({5}) Es macht uns eine gewisse Sorge, wenn wir bei diesem Thema nicht mehr auf Ihren Kompass vertrauen können. ({6}) Ich will für die Unionsfraktion an dieser Stelle mal ganz deutlich feststellen: Auch 50 Jahre nach Ludwig Erhard ist die Union diesem gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Leitbild verpflichtet. ({7}) Es hat viele positive Ergebnisse für unser Land gebracht. Schon 1948 ist das Preisdiktat abgeschafft worden. Aufbau und Wohlstand unseres Landes in den 50er- und 60er-Jahren sind mit dem Leitbild verbunden. Auch das wirtschaftliche Zusammenwachsen nach der deutschen Einheit – Sie werden es jetzt nicht gerne hören – haben wir dem Motor der sozialen Marktwirtschaft zu verdanken und nicht etwa der Planwirtschaft. ({8}) Es sind Marktkräfte, die dort am Werk gewesen sind und diesen Erfolg herbeigeführt haben. ({9}) Meine Damen und Herren, das Grundgesetz äußert sich nicht zu einer Wirtschaftsverfassung. Das ist ja auch das Thema heute. Aber die soziale Marktwirtschaft hat sich bewährt. Sie steht sogar im Vertrag über die Europäische Union: Der Binnenmarkt soll ein ausgewogenes Wirtschaftswachstum, Preisstabilität und eine in hohem Maße wettbewerbsfähige Wirtschaft gewährleisten. – Das ist das, was für alle 28, demnächst 27 Staaten in der Europäischen Union gilt. Ich bin der Auffassung: Wir müssen uns diesem Prinzip verpflichtet fühlen. Wir haben es aus unserem Grundgesetz abgeleitet. Wir stehen für Vertragsfreiheit, für Privateigentum, für Haftung, für ein funktionierendes Preissystem, das in unserem Land verlässlich Signale zu Angebot und Nachfrage gibt, und letztendlich auch für eine Begrenzung der Monopole. ({10}) Meine Damen und Herren, ich füge für die Union hinzu: Die soziale Marktwirtschaft muss den Menschen dienen – nicht umgekehrt die Menschen der Wirtschaft. ({11}) Das ist ein entscheidendes Prinzip, das wir hinzufügen. ({12}) Wenn wir uns im 21. Jahrhundert die Frage stellen: „Wie gehen wir mit all den Herausforderungen um?“, dann stellen wir immer wieder fest: Viele Lösungen aus der analogen Welt passen nicht in die digitale Welt der nächsten Jahre. Wir werden uns darüber Gedanken machen müssen, wie wir darauf reagieren. Mit der Union kann man über alle vernünftigen Instrumente der Wirtschaftspolitik sprechen. ({13}) Nur für verrückte Ideen, meine Damen und Herren, haben wir keinen Sinn. Die lehnen wir ab. ({14}) Sie wollen ein paar Beispiele? – Die gebe ich Ihnen gerne; Frau Künast, hören Sie gut zu! Wir haben gerade über analog und digital gesprochen. Missbrauchsunabhängige Entflechtung, das ist Ihre Lösung für die Plattformen, die in den USA, in China und auch in Europa auf dem Wirtschaftsmarkt zu finden sind. ({15}) Das ist eine Änderung des Kartellrechts, die Sie gern hätten. Das ist nur ein ganz kleines Stück vor Enteignung. ({16}) Wo wir gerade beim Thema Europa sind: Die Vergemeinschaftung von Schulden steht in Ihrem Wahlprogramm. Steuererhöhungen, Umverteilung und Zentralismus, das sind Ihre Gedanken für Europa. ({17}) Sie wollen eine Plastiksteuer und eine Digitalsteuer. Mehr als zehn Steuerarten wollen Sie entweder einführen oder erhöhen. Das ist keine marktwirtschaftliche Antwort; das ist eine Katastrophe. ({18}) Ich sorge mich natürlich auch wegen der Enteignungen, die bei unserem Koalitionspartner diskutiert werden. Aber Irrungen und Wirrungen kommen vor. Ich hoffe, dass wir die Grundsteuer in einem ordentlichen Kontext hinbekommen. ({19}) Da zählen wir auf Sie. Da werden wir ganz genau hinschauen. ({20}) Herr Präsident, ich würde gerne noch über die Staatsunternehmen sprechen, die von den Linken so geschätzt werden, doch dazu fehlt mir leider die Zeit. Das verschiebe ich auf die nächste Sitzung. Herzlichen Dank. ({21})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. Ich hätte Sie sonst auch unterbrechen müssen. Als nächster Redner hat der Kollege Hansjörg Müller, AfD-Fraktion, das Wort. ({0})

Hansjörg Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004831, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Na, warten Sie mal ab! – Werter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die FDP hält ein Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft. Das ist ungefähr so, als würde ein Alkoholiker für den Konsum von Milch werben. Warum ist das so? Das erkläre ich Ihnen jetzt gerne. Das hängt damit zusammen, dass 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland kleine und mittelständische Unternehmen sind, die klar definierte Interessen haben, und zwar die, vom Staat in Ruhe gelassen, anstatt durch Bürokratismus ruiniert zu werden. Was macht die ehemalige Wirtschaftspartei FDP? Sie fördern genau den Bürokratismus, der unsere mittelständischen Unternehmen in den Ruin treibt. ({0}) – Sie glauben mir das nicht? Dann erkläre ich das jetzt. Zu den Fakten. Die soziale Marktwirtschaft braucht, um überhaupt wirken zu können, unternehmerische Freiheit. Diese kostbare unternehmerische Freiheit wird durch irrsinnige Verwaltungsorgien erstickt, ausgehend von der Europäischen Union. Aber Sie haben nicht den Mumm, zuzugeben, dass der Regelungswahn der Europäischen Union aus dem Kern des EU-Systems kommt, und weil er aus dem Kern des EU-Systems kommt, kann man innerhalb des Rahmens des EU-Systems keine Lösung finden. Unsere Unternehmen können nur dann vom existenzgefährdenden Bürokratismus befreit werden, wenn sie vom Moloch der EU befreit werden. ({1}) Ich bin nicht der Erste, der das sagt; ich bin der Zweite, der das sagt. Adidas-Chef Rorsted hat das gestern schon gesagt. Endlich hat sich mal ein Industriekapitän getraut, und es werden noch weitere Industriekapitäne folgen. Bisher haben nur wir von der Alternative für Deutschland uns getraut, das zu sagen. Der Moloch EU ist unreformierbar geworden, und zwar aus einem Grund, den Sie nicht sehen wollen. Der Moloch EU ist schleichend zu einer zentralen Planwirtschaft verkommen, und Planwirtschaft ist nun mal das Gegenteil von Marktwirtschaft. Deswegen bezeichne ich die FDP als ehemalige Wirtschaftspartei. Die EU ist etwas geworden, was wir nicht wollten. Wir wollten einen freien Markt haben, aber die EU ist inzwischen etwas anderes geworden. Die EU ist ein Herrschaftsinstrument geworden, um die 99 Prozent der deutschen mittelständischen Unternehmen finanziell auszusaugen und durch überbordende Auflagen und Bürokratismus kaputtzumachen. Das ist die Wahrheit. ({2}) – Okay, dann sage ich Ihnen jetzt mal die Wahrheit. Damit habe ich kein Problem. Ich zitiere Ludwig Erhard. Er sagt: Freiheit herrscht nur dort, wo die Macht, Freiheit zu unterdrücken, nicht missbraucht wird … ({3}) Damit sind wir beim Punkt: Auf dem EU-Markt hat die Machtkonzentration durch Finanzkonzerne eine derartige Größenordnung erreicht, dass es für Unternehmen aus der Realwirtschaft immer schwieriger wird, zu überleben. Deswegen erwarte ich von den Freien Demokraten, dass sie sich von dieser EU distanzieren, weil sie in dieser Form freiheitsfeindlich ist. ({4}) Ludwig Erhard sagt noch etwas. Ludwig Erhard sagt, dass die freie Konvertierbarkeit der Währungen die beste Integration Europas darstellt. ({5}) – Gut zuhören! – Ich wiederhole: die freie Konvertierbarkeit der Währungen. ({6}) Er spricht im Plural. Er spricht nicht von einer Währung. So! ({7}) Der Euro ist eine erzwungene Einheitswährung, und eine erzwungene Einheitswährung ist Geldsozialismus pur, und Geldsozialismus ist das Gegenteil eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs zwischen verschiedenen Währungen. Auch davon sollten Sie sich distanzieren als Freie Demokraten, wenn Sie es wirklich ernst damit meinen, hier die Interessen unserer Wirtschaft vertreten zu wollen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie reden von sozialer Marktwirtschaft in Deutschland. Das tun Sie gut, aber de facto unterwerfen Sie sich, wie alle anderen Fraktionen hier im Hause auch, der zentralen Planwirtschaft aus Brüssel. ({9}) Deswegen muss ich feststellen, dass Ihr Profil nicht mehr stimmt, dass Sie keine wirtschaftsliberale Partei mehr sind. Das, was Sie vertreten, ist der Neoliberalismus, und Neoliberalismus ist das Gegenteil von echter liberaler Freiheitlichkeit. ({10}) Wir von der AfD setzen auf echte Liberalität. Echt liberal zu sein, heißt, freiheitlich zu sein, selbstverantwortlich, eigenverantwortlich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien zu handeln und nicht nach dem zentralen Sozialismus aus Brüssel; ({11}) denn nur der souveräne Nationalstaat ermöglicht es überhaupt, dass die soziale Marktwirtschaft funktioniert. Meinen Schlusssatz kennen Sie: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Regierung Merkel möglichst bald abtreten sollte. Ich danke Ihnen. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Sabine Poschmann, SPD-Fraktion. ({0})

Sabine Poschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004377, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ehrlich gesagt, ist mir ein bisschen unklar, warum Sie, meine Damen und Herren von der FDP, heute eine Aktuellen Stunde fast zu einer Generaldebatte über die soziale Marktwirtschaft machen. ({0}) Wollen Sie uns testen? Oder sind Sie sich am Ende selber gar nicht mehr sicher, wie Sie zur sozialen Marktwirtschaft stehen? Dabei liegt die Betonung auf „sozial“. ({1}) Grundsätzlich hat sich das Modell bewährt: Die Wirtschaft wächst seit 2010, und sie wächst auch in Zukunft; die Arbeitslosenzahlen waren im April so niedrig wie nie zuvor seit der Wiedervereinigung; die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse steigt; die Nachfrage nach Arbeitskräften bewegt sich auf hohem Niveau. ({2}) Kurz und gut: Die Wirtschaft steht trotz aller Krisen robust da. Der Punkt ist nur: Im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren von der FDP, sind wir als SPD der Auffassung, dass nur ein starker und handlungsfähiger Staat imstande ist, vor Missbrauch zu schützen, den wir derzeit in einigen Bereichen erleben – ({3}) Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, spricht sogar von „Exzessen“ –: Paketzusteller, die für 4,50 Euro die Stunde unterwegs sind, ({4}) Unternehmen, die ganze Belegschaften in Billigtöchter ausgliedern, um die Tarifbindung zu umgehen, Menschen, die ordentlich verdienen, aber trotzdem nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete in der Großstadt bezahlen sollen. ({5}) Wenn das lhre Vision von der sozialen Marktwirtschaft sein sollte, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Die der SPD ist es nicht. ({6}) Sie schwören auf das freie Spiel der Kräfte, auf die Freiheit der wirtschaftlichen Entwicklung, wie es Ihr Parteivorsitzender noch im April betont hat. Wohin das freie Spiel der Kräfte führt, erleben wir gerade: 10 Prozent der Deutschen besitzen 60 Prozent des Nettovermögens in Deutschland. Das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft und in die soziale Gerechtigkeit bröckelt. Deshalb treten wir Sozialdemokraten entschieden für einen starken Staat ein, der klare und unmissverständliche Rahmenbedingungen setzt. ({7}) Es geht dabei nicht um Gängelei oder Eingriffe in die unternehmerische Freiheit. Wir wollen einen Staat, der Grenzen setzt, wo der Markt aus dem Ruder läuft, und der Arbeitnehmer vor Ausbeutung schützt. Genau das ist der Grund, warum Bundesarbeitsminister Heil die Nachunternehmerhaftung auf die Zustellerbranche ausweitet. ({8}) Genau das ist der Grund, warum sich die SPD für eine weitere Erhöhung des Mindestlohns einsetzt, von dem insbesondere Frauen profitiert haben. ({9}) Der Untergang des Abendlandes, vor dem die FDP damals gewarnt hat, ist mitnichten eingetreten und auch nicht die Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen. Wir wollen, dass Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, aber vielleicht wenig verdient haben, im Alter mindestens eine Grundrente bekommen. ({10}) Die Wohnungsnot in den Großstädten lösen wir nicht, indem wir neues Bauland für Eigenheimbesitzer ausweisen. Wir lösen sie, indem wir den sozialen Wohnungsbau ankurbeln ({11}) und Genossenschaftsmodelle fördern, für die Rendite und Gewinnmaximierung eben nicht das oberste Ziel sind. ({12}) Wir wollen, dass die Tarifbindung in den Betrieben wieder funktioniert und mehr Beschäftigte mit ordentlichen Verträgen ausgestattet werden. Gesundheitspolitik, Pflege im Alter, Klimaschutz: Alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen? Ich möchte das nicht. ({13}) Sie sehen, meine Damen und Herren von der FDP, wie fundamental sich unsere Definition von sozialer Marktwirtschaft unterscheidet. ({14}) Und das hat nichts mit Sozialismus, Planwirtschaft oder Verstaatlichung zu tun. Uns geht es um die Menschen und ihre Lebensbedingungen, um jene Menschen, die all die Vermögenswerte und den Wohlstand, auf die dieses Land mit Recht stolz ist, jeden Tag neu erwirtschaften. Die SPD jedenfalls wird diese Menschen nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Herzlichen Dank. ({15})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Poschmann. – Als nächster Redner hat der Kollege Reinhard Houben, FDP-Fraktion, das Wort. ({0}) – Kollege Dehm ist aufgewacht. ({1})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mal ehrlich: Was hat diese soziale Marktwirtschaft denn außer Frieden, Wohlstand, Freiheit, Teilhabe und Eigentum eigentlich schon gebracht? Das las ich gestern bei Twitter. Ich finde, es trifft den Nagel auf den Kopf. Aber, meine Damen und Herren, ich muss Ihnen leider mitteilen: Die soziale Marktwirtschaft hat nicht mehr sehr viele Freunde, weder in Deutschland noch in Europa. ({0}) Nicht nur die parlamentarische Demokratie, sondern auch die soziale Marktwirtschaft wird zunehmend von Populisten von rechts und links infrage gestellt. ({1}) Deutschland braucht Fürsprecher und Verteidiger der sozialen Marktwirtschaft. ({2}) Leider sucht man diese in diesem Parlament sehr lange – findet sie manchmal vielleicht noch in der Union –, und auch in der Regierung sucht man sie mehr oder minder vergeblich. Herr Minister Altmaier, Sie haben uns einmal eine Charta der sozialen Marktwirtschaft versprochen. Sie wollten das umsetzen. Es sind jetzt ungefähr anderthalb Jahre vergangen. Es ist nichts passiert. Herr Altmaier, ich höre Sie ja häufiger, in verschiedenen Veranstaltungen ({3}) – ja, genau, ich bin das; ich bin immer da –, ({4}) und kenne Sie eigentlich als guten Rhetoriker. Aber jetzt muss ich einmal festhalten: Frau Teuteberg hat Ihre Nationale Industriestrategie in ihrer Rede überhaupt nicht erwähnt. ({5}) Frau Teuteberg für etwas zu kritisieren, was sie nicht angesprochen hat, und dieses dann zu verteidigen, ist rein rhetorisch schon interessant. ({6}) Ich sage mal, es ist auch schwierig. Sie beziehen sich da ja auf Franz Josef Strauß und Airbus. Mit dem Ende des A380 fehlen uns aber 80 Millionen Euro im ERP-Sondervermögen. Das ist Geld, das im Moment zur Unterstützung der mittelständischen Wirtschaft fehlt. Darauf sollten Sie vielleicht einmal eingehen und nicht Airbus und die Ideen von Franz Josef Strauß permanent vor sich hertragen! ({7}) Alle – Wirtschaftsverbände, Institute, Experten, selbst die FDP – haben gewarnt: Der Boom bleibt nicht ewig. – Sie haben sich aber lieber auf den Erfolgen der Wirtschaft und der Menschen in diesem Land ausgeruht. Herr Altmaier, Sie haben uns 20 Jahre lang 2 Prozent jährliches Wachstum versprochen. Wir sind jetzt quasi kurz vor der Null. Sie sollten sich in dieser Frage mal etwas infrage stellen. Ich finde es schon etwas arrogant, wenn man so mit Wirtschaftszahlen umgeht. ({8}) Die Koalition hat Zeit vergeudet und keine Mittel eingesetzt, um auf eine abkühlende Wirtschaft einzugehen. ({9}) – Herr Kollege, er hat diese Aussage zum Wachstum getätigt; deshalb muss er auch zu dieser Aussage stehen. – Es ist für uns jedenfalls sehr schwer nachvollziehbar, dass man die Möglichkeiten der Hochkonjunktur nicht genutzt hat, um entsprechend Vorsorge zu treffen. Deutschland braucht eine Agenda der Fleißigen. Deutschland braucht eine Agenda der Mutigen. Was haben wir bekommen, Herr Altmaier? Wir haben eine Nationale Industriestrategie bekommen. Das ist für mich mehr eine Agenda für die Großen. ({10}) Sie wollen europäische Champions über Unternehmenseinkäufe orchestrieren. Sie wollen, dass gegebenenfalls sogar der Staat Unternehmen kauft. Die Schlüssel zum Erfolg jedoch sind Wettbewerb und Innovation. Größe ist da keineswegs nötig. Das beweist der Mittelstand jedes Jahr. ({11}) Herr Altmaier, Sie sind als neuer Ludwig Erhard angetreten und geben sich jetzt häufig als Franz Josef Strauß. Sie haben in Ihrem Beitrag sehr oft „damals“ gesagt. Es geht nicht um damals. Es geht um den Blick nach vorne, es geht um Zukunft. Deswegen: Setzen Sie nicht auf eine Industriepolitik, die mich eher an Günter Mittag, den letzten Wirtschaftsminister der DDR, erinnert! ({12}) Die sozialdemokratischen Kollegen haben den Namen ja vermieden, aber ich könnte mir inzwischen vorstellen, dass man Kevin Kühnert sogar zum Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium macht. ({13}) Selten, meine Damen und Herren, waren sich Wirtschaftsverbände so einig in der Kritik am Wirtschaftsministerium. Die Familienunternehmer haben die Vorschläge „Antimittelstandspolitik“ genannt. Die Unternehmensteuerreform, die Bekämpfung des Fachkräftemangels, der Bürokratieabbau, die Abschaffung des Soli, Investitionen statt Wahlgeschenke: Das wären Dinge, die uns nach vorne bringen und uns neue Möglichkeiten in einer abkühlenden Konjunktur geben würden. Das geschieht aber nicht. Herr Minister Altmaier, Sie haben heute in der „Welt“ angekündigt, dass Sie den Soli abschaffen und etwas bei der Körperschaftsteuer sowie den Energiepreisen tun wollen. ({14}) Wenn gleichzeitig Ihr haushaltspolitischer Sprecher, Herr Rehberg, zum gleichen Zeitpunkt in der gleichen Zeitung sagt: „Nein, wir haben überhaupt gar keinen Spielraum für Steuersenkungen“, muss ich Sie doch fragen: Sind Sie in Ihrer Fraktion, im Ministerium und in dieser Regierung isoliert? Wie kann es zu solchen Aussagen kommen, die sich so stark widersprechen?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Einerseits spricht Altmaier vom Abbau, andererseits sagt Rehberg, dass das nicht geht. Das ist schon eine merkwürdige Kombination. Ein letztes Wort.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte.

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mein einziger Trost ist: Auch wenn Sie den Abschwung nicht werden verhindern können, richten Sie wahrscheinlich auch keinen größeren Schaden an; denn – – ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, ich habe Ihnen das Wort entzogen, weil Sie bereits fast eine Minute über Ihre Redezeit von fünf Minuten hinweg sind. Meine Nachsicht hat hier ihre Grenzen. ({0})

Reinhard Houben (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004763, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ist gut. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ich bin in der Tat nicht Schöpfer der Geschäftsordnung, sondern ihr Hüter, und sie gilt für alle in gleicher Weise. Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Klaus-Peter Willsch, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten lieben Kollegen! Ich danke Ihnen ausdrücklich; ich hatte schon Sorge, ich müsste Herrn Houben von hier wegtragen, bevor ich ans Rednerpult gehen kann. Aber das ging ja gerade noch mal gut. ({0}) – Gut gekontert. ({1}) Ich will mit einem Zitat beginnen, um den Anlass für diese Debatte noch mal deutlich zu machen: 100 Jahre empirisch gesicherte Erfahrungen mit staatlich gelenkten Volkswirtschaften haben gelehrt, dass sie wegen mangelnder Effizienz und Qualität bankrottgehen und zudem auch für die soziale Verelendung ihrer Beschäftigten sorgen. Aber das ignoriert Kühnert. Gut gesprochen! Von wem war das? Das war von Sigmar Gabriel. Das war das einzig nette und richtige Zitat, was ich zu den Äußerungen von Kühnert gefunden habe. Wenn ich dagegen lese, was der Herr aus Schleswig-Holstein, der DGB-Vorsitzende und Ähnliche von sich gegeben haben! ({2}) Es gab dazu relativ wenig Gegenstimmen. Sie hätten hier Herrn Gabriel mal auftreten lassen sollen; er hätte ein bisschen was geraderücken können. Ich will mal grundsätzlich etwas dazu sagen. Mich besorgt es schon, wie die Grundinstitution des privaten Eigentums in öffentlichen Debatten ins Hintertreffen gerät, weil damit die wichtige Funktion von privatem Eigentum verloren zu gehen droht. Das private Eigentum entspricht dem Erwerbsstreben, das der menschlichen Natur innewohnt; es entspricht dem Austauschwunsch zwischen Menschen. Deshalb ist es wichtig, dass wir es schützen und dass wir nicht nur aus Nützlichkeitserwägungen oder sogar fast verschämt wie häufig bei der SPD darüber reden, sondern dass wir es aktiv bejahen; denn Eigentum ist die Voraussetzung dafür, dass wir Frieden und Ordnung in der Gesellschaft haben und dass wir unsere natürliche Veranlagung, nach vorne zu streben ({3}) und unsere Anlagen zu entwickeln, entfalten können. ({4}) Ich will das auch an einem anderen Punkt deutlich machen, mit dem sich Eucken viel beschäftigt hat: Interdependenz der Ordnungen. Sie werden eine freie Wirtschaftsordnung nur haben, wenn Sie Freiheit in der Staatsordnung haben und wenn Sie eine freie Gesellschaft haben. Gewaltenteilende Demokratie, Freiheit des Individuums und Wettbewerbswirtschaft gehören zusammen und sind aufeinander angewiesen. Es ist wichtig, dass wir uns das immer vergegenwärtigen; denn die Freiheit stirbt sonst zentimeterweise. ({5}) Das Problem ist, dass sehr viele nur aus Nützlichkeitserwägungen sagen: Ja, gut, es gibt eben den grundgesetzlichen Schutz von Eigentum. Es arbeitet hier auch ganz schön effizient. – Nein, das ist ein konstitutives Merkmal einer Wettbewerbswirtschaft. Deshalb ist es wichtig, dass wir das im Blick behalten. Ich will noch jemanden zitieren, der ebenfalls in der geistigen Urheberschaft der sozialen Marktwirtschaft zu verorten ist. Friedrich August von Hayek hat sich in seinem Werk „Der Weg zur Knechtschaft“ damit beschäftigt ({6}) und gesagt, dass es eben falsch ist, sich keine Sorgen zu machen, wenn im wirtschaftlichen Bereich Freiheiten eingeschränkt werden; denn das ist nicht von untergeordneter Bedeutung, sondern es stellt eine Gefährdung unserer wirtschaftlichen Freiheit dar, die geradezu zwangsläufig auch Auswirkungen auf unsere gesellschaftliche Freiheit hat. Planwirtschaft führt zu totaler Herrschaft, zu einer Entmündigung der Verbraucher. Zur Verbraucherdemokratie, die wir in der Marktwirtschaft haben, sagt er wörtlich: Unsere Bewegungsfreiheit in einer auf dem Wettbewerb beruhenden Gesellschaft steht und fällt damit, daß, wenn eine Person die Befriedigung unserer Wünsche ablehnt, wir uns an eine andere wenden können. Haben wir es aber mit dem Besitzer eines Monopols zu tun, so sind wir ihm auf Gnade und Ungnade ausgeliefert, und eine Planwirtschaftsbehörde, die die gesamte Volkswirtschaft lenkt, würde der mächtigste Monopolist sein, den man sich vorstellen kann. ({7}) Genau das – deshalb sollte man das Thema schnell beenden können – haben wir hier in Deutschland gehabt. Wir haben durch Ihre Vorgängerpartei ({8}) 17 Millionen Deutsche einem 40-jährigen grausamen Feldversuch ausgesetzt: mit zentraler Verwaltungswirtschaft, mit zentralen Planungsbehörden. Man musste beim Rat des Kreises oder der kreisfreien Stadt bitten und betteln, um eine Badewanne oder eine Baugenehmigung zu bekommen. ({9}) Sich solche Empfehlungen heute in diesem Haus, an der Grenze zur Mauer stehend, wieder anhören zu müssen, ({10}) und dass das von der SPD, aus der es gekommen ist, nicht deutlich genug zurückgewiesen wird, das ist das, was uns umtreiben muss und womit wir uns beschäftigen müssen. ({11}) Vielen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Willsch. Sie haben gerade noch einmal Glück gehabt. – Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Falko Mohrs, SPD-Fraktion. ({0})

Falko Mohrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004824, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine eigenartige Debatte, die wir hier führen. Sie ist zwar zeitweise unterhaltsam. Aber, Frau Teuteberg, als Sie Ihre Rede eingeleitet haben, war mir relativ schnell klar, worum es Ihnen offensichtlich geht. Sie preisen sich hier als die Hüterinnen und Hüter der sozialen Marktwirtschaft; ich komme gleich dazu, wie sozial eigentlich die soziale Marktwirtschaft an einigen Stellen heute ist. Aber dann habe ich mir überlegt: Ganz offensichtlich geht es Ihnen als FDP doch darum, von sehr peinlichen und eigenen fehlgeleiteten Diskussionen und Debatten abzulenken. ({0}) Wenn Ihr eigener Parteivorsitzender Christian Lindner – wir bekommen ihn hier leider nur noch selten zu Gesicht – twittert, dass Kindern und Jugendlichen nicht zugemutet werden kann, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen, wenn er twittert, dass sie nicht das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen könnten und dass man die damit zusammenhängenden Fragen den Profis überlassen solle, und man dann sieht, dass Sie hier – um diese Debatte zu überbrücken – eine Diskussion hochziehen, dann kann ich nur sagen: Ihre eigene Jugendorganisation, die JuLis, wäre wahrscheinlich froh, wenn sie eine solche Aufmerksamkeit bekäme. Sie nutzen das jetzt aber schäbig aus, um über eigene Fehler hinwegzutäuschen. ({1}) Wenn ich dann sehe, wie auch die AfD da draufspringt, muss ich sagen: Das scheint das gleiche Muster zu sein. Auch hier dient es dazu, um von eigenen Spendenskandalen oder den Auflösungserscheinungen der Partei in Niedersachsen abzulenken. – Herr Witt, ganz ehrlich: Wenn Sie sagen, dass Sie ein Problem mit dem demokratischen Sozialismus haben, dann habe ich das Gefühl, dass Sie eher ein Problem mit dem Wort „demokratisch“ haben. Alles andere können Sie sich denken. ({2}) Die Debatte, die wir hier führen, lenkt doch eigentlich von wichtigen gesellschaftlichen Fragestellungen ab. ({3}) Herr Kollege, ich komme aus Wolfsburg. Dort gibt es einen Autobauer, über den an vielen Stellen kontrovers diskutiert wird. ({4}) – Jetzt hören Sie mir kurz zu! – Dieser Autobauer gehört übrigens zu einem großen Teil dem Land Niedersachsen. Zusammen mit den Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern haben diese Staatsbeteiligung und das VW-Gesetz dafür gesorgt, dass dieses Unternehmen auch in schwierigen Zeiten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Bord gehalten hat. Wenn das etwas ist, was Sie infrage stellen, dann haben Sie den Mut und sagen das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land ins Gesicht. ({5}) – Schreien Sie nicht dazwischen! Hören Sie zu! – Haben Sie am Ende den Mut, das den Betroffenen zu sagen, Herr Kollege! ({6}) Kommen wir zu den anderen wichtigen sozialpolitischen Fragen zurück, die Sie ganz offensichtlich überdecken wollen. Wie sozial ist denn, Frau Teuteberg, Ihre soziale Marktwirtschaft beispielsweise im Gesundheitswesen, wenn Krankenhäuser privatisiert werden und sie sich am Ende nur noch darum kümmern, ihren eigenen Profit zu maximieren? Wie sozial ist denn Ihre soziale Marktwirtschaft, wenn sich Studenten nicht mehr leisten können, in Ballungszentren zu wohnen? Ich habe, glaube ich, einen kleinen Freud’schen Verhörer gehabt, als Sie über BAföG gesprochen haben. Ich habe zuerst Mitleids-BAföG verstanden. Irgendwie habe ich Ihnen das auch zugetraut. Aber ich habe noch einmal nachgeschaut und festgestellt, dass Sie das Midlife-BAföG meinen. Aber auch das ist ehrlicherweise bei den Mietpreisen oft nicht ausreichend, um Wohnraum zu bezahlen. Wo ist denn Ihr Konzept von den ehrbaren Kaufleuten? ({7}) Wo ist denn Ihr Konzept von der Verantwortung der Wirtschaft? Wenn Sie von überbordender Bürokratisierung sprechen, dann geht es Ihnen im Wesentlichen darum, zum Beispiel bei Fragen betreffend den Mindestlohn Aufzeichnungspflichten abzubauen, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eben nicht mehr diesen Schutz genießen. Wie sozial ist denn dann Ihre soziale Marktwirtschaft, und wo ist Ihr Bild der ehrbaren Kaufleute, meine Kolleginnen und Kollegen von der FDP? ({8}) Was eigentlich den Glauben in die soziale Marktwirtschaft infrage stellt, ist doch, dass Menschen in diesem Land spüren, dass sie der Strukturbrüche im Alltag nicht mehr Herr werden. Wir reden auch sehr intensiv über den Strukturwandel im Zusammenhang mit Fragen betreffend die Energiewende und den Kohleausstieg. Das sind doch die Fragen, bei denen am Ende Menschen den Glauben in die soziale Marktwirtschaft verlieren, weil sie das Gefühl haben, dass es eben keinen starken Staat mehr gibt, der dafür sorgt, dass auch in ländlichen Räumen die soziale und öffentliche Infrastruktur aufrechterhalten wird, weil Menschen das Gefühl haben, dass die Schulen nicht mehr dem Stand entsprechen, den moderne Bildung heute haben sollte. Das sind doch die Gründe, warum am Ende die soziale Marktwirtschaft infrage gestellt wird. Darüber, meine Kolleginnen und Kollegen, sollten wir an dieser Stelle diskutieren. Also, ganz ehrlich: Beim nächsten Mal überlegen Sie sich etwas Sinnvolles für eine Aktuelle Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Und überdecken Sie nicht die Debatten, die bei Ihnen fehlgeleitet sind! Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion. ({0}) – Gut, das wiederholen wir jetzt, Herr Kollege. – Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, obwohl es unüblich ist. Aber ich überlasse der Linken nicht alleine, das zu kommentieren. ({1})

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist sehr fürsorglich. – Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft ist das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, das uns in den letzten sieben Jahrzehnten so unvergleichbar erfolgreich gemacht hat. Sie verbindet eine leistungsfähige Wirtschaftsordnung, die gekennzeichnet ist durch individuelle Freiheit, Tarifautonomie und Wettbewerb, mit so wichtigen Punkten wie sozialem Ausgleich, gesellschaftlicher Teilhabe und Verantwortung für das Gemeinwesen. Meine Damen und Herren, ohne die soziale Marktwirtschaft von Ludwig Erhard wäre das Wirtschaftswunder nicht denkbar gewesen. Wenn wir uns heute über den Stand der Wirtschaftsverfassung unterhalten, dann macht es doch Sinn – ich bin zugegebenermaßen etwas überrascht, dass das bisher noch nicht passiert ist –, dass wir uns heute hier mal die konkreten Auswirkungen anschauen. Wir haben rund zehn Jahre an Wirtschaftswachstum zu verzeichnen. Wir haben im Moment aufgrund außenwirtschaftlicher Turbulenzen einen leichten Rückgang dieses Wachstums, aber immerhin noch ein Wachstum. Bereits für das nächste Jahr ist ein Wachstum von 1,5 Prozent prognostiziert. ({0}) Wir haben heute in diesem Land eine Beschäftigtenzahl von 44,9 Millionen. Das ist ein unerreichter Rekordwert. Er liegt über eine halbe Million über der Zahl von vor einem Jahr. Gleichzeitig ist die Anzahl der Arbeitslosen in diesem Land auf unter 2,23 Millionen zurückgegangen. Dieses resultiert in einer Arbeitslosenquote von 4,9 Prozent. Ein weiterer Gesichtspunkt ist mir als Vertreter der letzten verbliebenen Volkspartei wichtig: Wir kombinieren das mit einem Nominallohnanstieg in diesem Jahr von 4,8 Prozent. Und das ist eben Ausdruck des Sozialen. ({1}) Meine Damen und Herren, dank dieser bewährten Balance aus Eigenverantwortung, Wettbewerb und sozialer Absicherung haben wir in diesem Land eben Freiheit, Wohlstand und Sicherheit. Wenn man ein solches Erfolgsmodell hat, dann bleibt es nicht aus, dass man auch Nachjustierungen vornehmen muss. Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Volkswirtschaften, in denen zum Teil massive staatliche Eingriffe das Wirtschaftsgeschehen bestimmen, in denen es Subventionierungen, Abschottungen gibt, und wir müssen uns überlegen, welche richtigen Antworten wir darauf finden. Deswegen finde ich es begrüßenswert, dass Peter Altmaier die Initiative ergriffen hat und ein so wichtiges wie auch streitbares Thema wie das einer Industriestrategie in den Raum gestellt hat. Meine Damen und Herren, eine breite ordnungspolitische Debatte ist wichtig. Wir müssen uns darum kümmern, dass wir aus dieser Debatte verlässliche und zukunftsfähige Rahmenbedingungen ableiten. Dazu gehört zum Beispiel, Schlüsseltechnologien zu identifizieren. Ich halte die Idee einer deutschen Cloud, eingebettet in einen europäischen Zusammenhang, für richtig. Wir wollen den Rohstoff Daten in Deutschland und Europa besser schützen; aber wir wollen ihn auch besser nutzbar machen und dieses wichtige Zukunftsfeld nicht alleine Wettbewerbern aus Übersee überlassen. Ich finde es auch richtig, dass wir uns darüber Gedanken machen, ob wir in diesem Land in der Lage sind, eine Batteriezellfertigung aufzubauen. Das ist nicht ohne Risiko; aber es lohnt die Anstrengung und die Überlegung. Der Förderaufruf des Wirtschaftsministers zur Ansiedlung von Batteriezellfertigungen zeigt, dass das genau der richtige Weg ist. Über 30 Unternehmen aus der gesamten Republik haben bereits ihr Interesse daran bekundet. Das zeigt, meine Damen und Herren: Wir sind auf dem richtigen Weg und haben solide Ergebnisse vorzuweisen. Lassen Sie mich im Endteil der Rede auf das Thema „Rolle des Eigentums“ zu sprechen kommen. Ich zitiere Ludwig Erhard, der Folgendes sagte: Eine starke Triebkraft der wirtschaftlichen Leistung ist das Streben nach Eigentum. Es ist darum ein bedeutsames politisches Ziel, möglichst vielen Menschen die Eigentumsbildung in eigener freier Verfügung zu ermöglichen. Meine Damen und Herren, Eigentum schafft Wohlstand, Eigentum schafft Wachstum, Eigentum schafft Arbeitsplätze, und das ist Sozialpolitik. ({2}) Deswegen finde ich es zugegebenermaßen etwas bedauerlich, dass die Kolleginnen und Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion es heute unterlassen haben, diese irrlichternden Äußerungen eines ihrer Mitglieder ihrer Jugendorganisation hier mal klarzustellen. Das ist sehr bedauerlich. Auch sie sollten sich viel stärker und bewusster zum Eigentum bekennen. ({3}) Wir führen diese Aktuelle Stunde auf Verlangen der FDP durch; deswegen will ich die letzten Worte auf die Freunde der FDP verwenden. Sie wollten ja, dass wir in die Zukunft kucken, und ich kucke zwei Tage in die Zukunft: Da beschäftigen wir uns mit einem FDP-Antrag. Zu diesem Antrag sind einige bemerkenswerte Dinge festzustellen: Erstens: kein Wort zur Rohstoffpolitik, kein Wort zur Cloud-Technologie, kein einziges Wort zur Frage „Wie gehen wir mit dem Patentrecht um?“ und beispielsweise auch kein Wort zur Leitindustrie. Das Schlimmste, Herr Dürr ({4}) – darauf habe ich gewartet –: Sie finden in diesem ganzen dünnen Antrag für Freitag, in dem für das Aufzählen der Namen der Mitglieder der FDP-Fraktion mehr Druckerschwärze verwendet wurde als für die Beschreibung und die abzuleitenden Ideen, nicht einmal das Wort „Mittelstand“. ({5}) Sie sollten anderen nicht etwas vorwerfen, was Sie selber nicht beherzigen. Am besten ist, Sie ziehen diesen Antrag zurück.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Günter Mittag – um im Bild zu bleiben – ({0}) hätte sich nicht getraut, einen solchen dünnen Aufguss der Volkskammer vorzulegen. Vielen Dank. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Als letzter Redner hat das Wort der Kollege Jan Metzler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jan Metzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende dieser Debatte reden zu dürfen, gibt einem die Möglichkeit, das eine oder andere noch einmal hervorzuheben. Ich stelle erstens fest: Die Union ist die Partei der sozialen Marktwirtschaft. ({0}) Ich stelle zweitens fest: Peter Altmaier steht in der Tradition von Ludwig Erhard. ({1}) Und ich stelle drittens und abschließend fest: Die Union erteilt Hirngespinsten wie Enteignung eine klare Absage. ({2}) Um das festzustellen, hätten wir wahrlich diese Aktuelle Stunde nicht gebraucht. Aber es ist schön, das am Ende hier noch einmal entsprechend darlegen zu dürfen. Zu den Fakten – darauf hat mein Kollege Carsten Müller bereits Bezug genommen –: Die deutsche Wirtschaft wächst seit zehn Jahren, niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung, höchster Stand an sozialversicherungspflichtigen Jobs. Jetzt male ich mir die Welt nicht schön; aber ich mache sie mir auch nicht schlechter, als sie ist. Ich weiß, dass bei dem einen oder anderen – das ist in dieser Debatte auch deutlich geworden – Optimismus gewissermaßen nicht zur ureigensten Kernkompetenz gehört. Aber nichtsdestotrotz geht es auch darum, mit Optimismus Herausforderungen anzugehen, die vor uns liegen. Dabei bietet die soziale Marktwirtschaft zweifelsohne die beste aller Basen, die wir haben. Ich möchte mit Ihrer Erlaubnis, sehr geehrter Herr Präsident, gern zitieren. Im Vorwort zum Jahreswirtschaftsbericht 2019 hat Peter Altmaier geschrieben: Die Soziale Marktwirtschaft erweist sich als leistungsfähige Wirtschaftsordnung, weil sie individuelle Freiheit, gesellschaftliche Teilhabe und Verantwortung für das Gemeinwesen miteinander vereint. Völlig zu Recht. Das ist die Basis, wenn es darum geht, die Herausforderungen auch in einer digitalen Welt, in einer digitalen Zeit, in einer Zeit der Globalisierung anzugehen. Ich möchte auf zwei, drei Punkte hinweisen; denn im globalen Kontext ist schon zu sehen, dass sich etwas verändert. Sechs der sieben weltweit teuersten Unternehmen produzieren nichts mehr, zumindest nicht Physisches. Die großen Fünf – Facebook, Google, Amazon, Apple und Microsoft – haben eine Börsenkapitalisierung von 4,2 Billionen Dollar, viermal so viel wie alle Firmen im Dax. All diese gigantischen Unternehmen sind zum Teil keine 20 Jahre alt. Weiterführend: Allein Microsoft hat letzte Woche die Schallmauer von 1 Billionen Dollar durchbrochen. Der gesamte Dax hat ein Volumen von 1,2 Billionen Dollar. Vielleicht an der Stelle auch ein kurzer Blick nach China. In China gibt es ein Unternehmen namens Alibaba, eine B2B-Plattform. Diese Plattform hat jedes Jahr einen Aktionstag, und zwar findet der immer am 11. November statt. ({3}) Am Aktionstag im Jahre 2018 wurden 31 Milliarden US-Dollar an einem Tag umgesetzt. Bereits nach 1 Minute und 25 Sekunden waren es 1 Milliarde Dollar Umsatz. Über diese Verschiebung muss man debattieren. Das ist ein Anstoß gewesen, den uns auch Peter Altmaier mit seiner Initiative zu einer Nationalen Industriestrategie mit auf den Weg gegeben hat. Gleichzeitig gilt es, zu betonen, dass unter den Top 20 – das wird jetzt meinen Freund Falko Mohrs freuen – beispielsweise auch Volkswagen und Daimler aufgeführt sind. Daraus ergibt sich folgende Schlussfolgerung: Erstens. Wenn man die Marktbewegung insbesondere der Tech-Unternehmen betrachtet, kann man sagen: Ja, es verändert sich etwas im wirtschaftlichen Weltgefüge, und zwar wirklich dramatisch. Darauf müssen wir reagieren. Zweitens. Wenn wir die Liste der größten Unternehmen betrachten, wird deutlich, dass Marktbewertung eben nicht alles ist, sondern die Wertschöpfung in entsprechendem Maße ungebrochen wichtig ist. Bei der physischen Wertschöpfung sind wir beim Rückgrat unserer deutschen Wirtschaft. Da sind wir in der Kombination von Hidden Champions und gleichzeitig der Wirtschaftsmacht von nebenan, sprich dem Handwerk, bei den Weltmarktführern. Wir haben zwischen 1 200 und 1 500 Weltmarktführer in Deutschland, auf die wir stolz sein können. Mit all dem, kombiniert mit einer Start-up-Szene, die sich positiv entwickelt, haben wir eine gute Basis gelegt, um letztlich die Herausforderungen der Globalisierung und Digitalisierung entsprechend anzugehen. Es gibt gute und passende Ansätze in einer großen Bandbreite: von der Enquete-Kommissionen „Künstliche Intelligenz“, die auf den Weg gebracht worden ist, über die Strategie der Bundesregierung im selbigen Kontext bis hin zur Agentur für Sprunginnovationen. Zusammenfassend möchte ich festhalten: Manchmal würde es auch helfen, wenn wir bei der einen oder anderen Debatte nicht permanent in einen Panikmodus verfallen würden, sondern wenn wir uns gemeinschaftlich auf Sachlichkeit besinnen würden und in entsprechendem Maße dem nachkommen, was unsere Aufgabe ist: gemeinsam Konzepte für den Fortbestand des Erfolgs dieser Wirtschaft im Sinne der sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Metzler. – Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 9. Mai 2019, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 17.00 Uhr)