Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/10/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat sich heute unter anderem natürlich mit dem heute noch stattfindenden Europäischen Rat und der Frage des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union befasst. Wenn das gilt, was im Augenblick dieser Befragung gilt, dann bleiben uns nur noch knapp 59 Stunden Zeit, um gemeinsam einen ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zu verhindern. Ich sage für die deutsche Bundesregierung, dass das Szenario eines ungeordneten Austritts nicht in unserem Interesse ist. Deshalb sind wir auch sehr froh, dass die britische Premierministerin, die gestern ja auch noch einmal in Berlin war, uns noch einmal ihre feste Absicht versichert hat, gemeinsam mit der Opposition im Unterhaus einen Ausweg aus der schwierigen Situation zu finden. Sie hat deshalb um eine Verschiebung des Austrittsdatums bis zum 30. Juni gebeten. Wir wissen, dass solche Gespräche fraktionsübergreifend Ausdauer und Kompromissbereitschaft erfordern. Deshalb sind ich und die Bundesregierung der Meinung, dass wir den beiden Parteien ein vernünftiges Maß an Zeit geben sollten; denn ein geordneter Austritt ist nur gemeinsam mit dem Vereinigten Königreich möglich. Wir werden also heute Abend darüber diskutieren, dass wir Großbritannien mehr Zeit einräumen. Wir knüpfen natürlich auch Erwartungen daran. Das bedeutet vor allen Dingen, dass die europäischen Institutionen weiterhin reibungslos funktionieren können. Dazu gehört die ordnungsgemäße Durchführung der Europawahl im Mai in Großbritannien ebenso wie natürlich die Bereitschaft, bei Entscheidungen konstruktiv mitzuwirken. Wir haben dem Schreiben der britischen Premierministerin entnehmen können, dass Großbritannien nunmehr bereit ist, die Vorbereitungen für die Durchführung der Europawahl vorzunehmen. Falls eine Abstimmung über das Austrittsabkommen bis zum 22. Mai nicht möglich ist, wird also am Donnerstag, dem 23. Mai, die Europawahl in Großbritannien durchgeführt. Wir werden darüber beratschlagen, welche Art von Verlängerung wir Großbritannien einräumen wollen. Es kann gut sein, dass es eine längere Verlängerung als die von der britischen Premierministerin erbetene ist; aber wir werden diese Verlängerung so ausgestalten, dass Großbritannien, wenn es das Austrittsabkommen verabschiedet hat, sehr schnell danach den Austritt geordnet vollziehen kann. Für diesen Fall haben wir Vorsorge getroffen und eine Übergangsphase von zwei Jahren vereinbart. Die Bundesregierung ist, um es zusammenzufassen, weiterhin sehr an einem geordneten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union interessiert.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die erste Frage stellt Tobias Peterka, AfD.

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben ja im Hinblick auf das Internet wiederholt von „Neuland“ bzw. „unbekanntem Terrain“ gesprochen. Mit der Urheberrechtsrichtlinie – dort Artikel 17, ehemals Artikel 13 – wird nun bei modernen Content-Plattformen die Meinungsvielfalt von jungen Leuten von Brüssel beschnitten: Aus Neu mach Alt durch Uploadfilter. Werden Sie, Frau Bundeskanzlerin, gemäß dem Koalitionsvertrag dafür sorgen, dass Deutschland die Richtlinie zumindest mit einer Enthaltung im Europäischen Rat noch stoppt? Sie als Kanzlerin können das schaffen. 2015 hat das mit der Grenzöffnung ja auch funktioniert. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ist die Frage beendet?

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir haben viele Jahre daran gearbeitet, einen Kompromiss zu einem verbesserten Urheberrechtsschutz auf der europäischen Ebene zu finden, und in diesem Zusammenhang ist auch Artikel 17 dieser neuen Richtlinie zu verstehen. Das Wort „Uploadfilter“, das Sie genannt haben und das die Gemüter in der öffentlichen Diskussion erhitzt, kommt in diesem Artikel 17 gar nicht vor. Vielmehr geht es dort darum, dass Plattformen eine Verantwortung für das Management der Inhalte haben, die über diese Plattform weitertransportiert werden. In diesem Zusammenhang glauben wir, dass man überhaupt noch nicht genau weiß, wie dann die Umsetzung in nationales Recht erfolgt. Wir sehen keine Gefahr, dass dort Inhalte in irgendeiner Weise automatisch unterdrückt werden. Vielmehr sehen wir den großen Missstand, dass heute Inhalte von Kreativen sozusagen ohne Bepreisung weiterverwendet werden. Das ist nicht im Sinne der Kreativwirtschaft. Das ist nicht im Sinne des Schutzes des geistigen Eigentums. Ich halte diesen Kompromiss für vertretbar – und die Bundesregierung auch. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Wenn Sie so liebenswürdig wären, mir ein Zeichen zu geben, wenn Sie das möchten. Dann brauche ich nicht jedes Mal zu fragen.

Tobias Matthias Peterka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004850, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, das möchte ich sehr gerne. – Wie stehen Sie, Frau Bundeskanzlerin, zu den Recherchen, die besagen, dass mit Herrn Macron wohl ein Kuhhandel stattfand: „Frankreich bekommt die Uploadfilter, Deutschland dafür Nord Stream 2“? ({0}) Würden Sie auch unter Eid bestreiten, dass dies so war?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich muss erst mal die Wortwahl zurückweisen. Natürlich haben wir mit Frankreich darüber gesprochen, wie wir diese Urheberrechtsrichtlinie vernünftig umsetzen und auch zu einem Ende führen; denn wir können ja dem sozusagen Zerfließen des Werts des geistigen Eigentums nicht einfach zuschauen. Insofern gab es dort durchaus Kompromissbereitschaft von beiden Seiten. Frankreich hätte gerne keinerlei Ausnahme gemacht, auch nicht für kleine Start-ups. Die Bundesregierung war der Meinung, dass wir gerade jungen kleineren Firmen eine Entwicklungsmöglichkeit geben und diese nicht zu früh mit allen Regulierungen überschütten sollten. Deshalb hat man hier eine ausgewogene Ausnahme gefunden. Es war ein Kompromiss in der Sache wie im Übrigen auch die davon völlig unabhängige Gasrichtlinie ein Kompromiss in der Sache ist oder das Handelsmandat mit den Vereinigten Staaten von Amerika, das wir gerade als EU verhandeln, oder, oder, oder. Es ist ganz normal, dass man versucht, sich zwischen den verschiedenen Nationalstaaten zu einigen. Sie sind ja alle miteinander, glaube ich, froh, wenn die deutsch-französische Einigungsfähigkeit gegeben ist. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Christian Petry, SPD.

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Bundeskanzlerin, eine der Kernforderungen der SPD ist ein gemeinsamer europäischer Rahmen für existenzsichernde Mindestlöhne. Jetzt haben wir dies auch im Koalitionsvertrag so festgeschrieben. Ihre Nachfolgerin, Frau Annegret Kramp-Karrenbauer, hat sich darüber aber negativ geäußert. Sie hat auch mit ihren europapolitischen Vorstellungen viele von uns irritiert, sei es mit der Forderung nach dem Bau eines gemeinsamen europäischen Flugzeugträgers oder nach der Streichung des Sitzes des Europäischen Parlaments in Straßburg, was die französische Seite durchaus schlecht goutiert hat. Um nochmals auf den europäischen Mindestlohn zurückzukommen: Würden Sie bitte ausführen, wie Sie persönlich dazu stehen bzw. wie die Bundesregierung dazu steht?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich will jetzt nicht die Pfeile von mir weglenken, wenn ich sage, dass ich mich zu den Fragen, die Sie angesprochen haben und die nicht den Mindestlohn betrafen, schon geäußert habe, und zwar sehr ähnlich wie Annegret Kramp-Karrenbauer. Aber zurück zum Mindestlohn. Wir haben in der Koalitionsvereinbarung in der Tat Formulierungen dafür gefunden, und es kommt hier immer sehr auf die Details der Formulierung an. Ja, wir wollen, dass es eine vernünftige Mindestlohnszenerie innerhalb der Europäischen Union gibt. Jetzt ist immer die Frage: Wie gestalte ich die aus? Denn die heutigen Mindestlöhne sind sehr unterschiedlich, die heutigen Lebenshaltungskosten und Einkommenssituationen sind sehr unterschiedlich. Darüber kann gesprochen werden. Das ist auch ganz im Sinne der Bundesregierung. Wir stehen da voll zum Koalitionsvertrag. Aber das heißt – so viel ist auch klar –: kein einheitlicher Mindestlohn in ganz Europa.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nachfrage?

Christian Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004605, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Dass es keinen einheitlichen europäischen Mindestlohn geben wird, haben wir, glaube ich, auch so vereinbart. Es geht um die entsprechende Existenzsicherung bzw. um die entsprechende Orientierung an den Voraussetzungen – 60 Prozent des Durchschnittseinkommens etc. pp. – in den einzelnen Mitgliedstaaten. ({0}) Habe ich Sie also richtig verstanden, dass wir in diesem Sinne mit Ihrer Unterstützung oder unter Ihrer Ägide die Forderung nach einem europäischen Mindestlohn umsetzen können?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir werden als Bundesregierung nach der Europawahl zu solchen Fragen sicherlich Position beziehen, wenn sie denn von der Kommission in Vorschlägen aufgegriffen werden, selbstverständlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Christian Lindner, FDP, stellt die nächste Frage.

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Guten Tag, Frau Bundeskanzlerin!

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Guten Tag! ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich dachte, ihr seid eine bürgerliche Partei. ({0}) Frau Bundeskanzlerin, Ihre Regierung verfolgt seit vielen Jahren im Klimaschutz einen sektorspezifischen Ansatz mit ordnungsrechtlichen Vorgaben in den einzelnen Sektoren. Sie haben in der letzten Regierungserklärung auch hier noch mal dargetan, dass Sie auf Jahresscheibenbasis sektorspezifische Ziele erreichen wollen. Die Bundesumweltministerin hat im gleichen Geiste einen Entwurf für ein Klimaschutzgesetz erarbeitet. Wir haben durch diesen Ansatz in Deutschland die weltweit höchsten CO 2 -Vermeidungskosten. Nun hat die neue CDU-Bundesvorsitzende in der vergangenen Woche bei einer Veranstaltung des BDI einen vollkommen anderen Ansatz vorgeschlagen. Sie ist für eine sektorübergreifende Herangehensweise, und sie will mit CO 2 -Budgets und CO 2 -Preisen arbeiten. Das ist also ein kompletter Paradigmenwechsel. Teilen Sie die fachliche Auffassung von Frau Kramp-Karrenbauer? Und falls ja: Welche Auswirkungen hat das auf die Klimapolitik Ihrer Regierung? ({1})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Es trifft sich gut, dass heute das Klimakabinett, also der Ausschuss des Kabinetts, der sich mit Klimathemen beschäftigen wird, zum ersten Mal getagt hat. Wir haben uns eine Arbeitsagenda gegeben. Zu dieser Arbeitsagenda gehört, dass wir uns neben dem sektorspezifischen Ansatz, den wir in der Tat bisher für den Nichtzertifikatebereich verfolgt haben, auch anschauen, was es an neueren Gutachten gibt. Da gibt es zum Beispiel ein sehr interessantes Gutachten von Herrn Professor Schmidt, dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, und Herrn Professor Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die dafür werben, auch im Nicht-ETS-Bereich einen CO 2 -Bepreisungsansatz zu verfolgen. Deshalb werden wir uns mit diesen neueren Erkenntnissen auseinandersetzen und schauen, ob gegebenenfalls allein Ordnungsrecht oder steuerliche Maßnahmen, wie wir sie ja für die Gebäudewirtschaft schon lange ins Auge gefasst haben, oder aber auch solche Bepreisungsansätze zur Geltung kommen, bevor wir die gesetzlichen Maßnahmen festlegen. Wir werden diese Gutachten dann auch zurate ziehen. Im ETS-Bereich gibt es ja heute bereits eine Bepreisung. Insofern haben wir damit in weiten Bereichen der Industrie bereits Erfahrung. Wir schauen uns das also an. Wir haben noch keine abschließenden Entscheidungen getroffen, außer einer: Wir verpflichten uns – und das auch durch gesetzliche Maßnahmen –, die Klimaschutzziele 2030 vollumfänglich einzuhalten. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Bundeskanzlerin, ich entnehme Ihrer Aussage, dass Sie offensichtlich bereit sind, den bisherigen methodischen Zugang im Klimaschutz in Deutschland infrage zu stellen und marktwirtschaftlich neu zu regeln. Welche anderen alternativen Instrumente, um die CO 2 -Vermeidungskosten in Deutschland zu reduzieren, plant Ihre Regierung denn ins Werk zu setzen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir wären ja ignorant, wenn wir neueste Gutachten nicht in unsere Betrachtungen aufnehmen würden. Wir wissen, dass die preiswirtschaftlichen Signale nicht unstrittig sind. Nehmen wir nur einmal die Bepreisung von CO 2 -Vermeidungskosten im Industriebereich. Wenn der Preis pro Tonne auf über 20 Euro steigt, wird die Wirtschaft aufmerksam und sagt: Auch diese marktwirtschaftlichen Instrumente sind nicht frei von Auswirkungen. – Ankommen tut es eigentlich immer darauf, dass global möglichst viele an den gleichen Dingen teilnehmen. Also: Wir haben das Ordnungsrecht als Möglichkeit, wir haben steuerliche Anreizmaßnahmen, und wir haben die generelle CO 2 -Bepreisung, die wir uns anschauen, für die wir uns aber noch nicht entschieden haben. Wir werden sie allerdings einbeziehen. Bis zum Jahresende wird es dann die entsprechenden gesetzlichen Vorschläge geben, über die wir hier natürlich gerne diskutieren. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jürgen Hardt, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundeskanzlerin, die Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäischen Union hat in den letzten anderthalb Jahren über die PESCO eine neue Dimension erfahren. Es machen ja 25 der noch 28 Mitglieder der EU mit. Eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist notwendig und richtig und ein wichtiger Beitrag zur Stärkung des europäischen Pfeilers der NATO. Aber das Ganze wird natürlich unvollkommen, wenn Großbritannien als wichtiger Beitragsleister zu unseren Verteidigungsanstrengungen nicht einbezogen ist, nicht nur über die NATO, sondern auch über die PESCO. Gibt es, wenn Großbritannien tatsächlich aus der EU austreten sollte, Überlegungen der Bundesregierung oder vielleicht auch schon Gespräche mit den Briten, wie die Zusammenarbeit gerade in diesem Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union mit Großbritannien als dem engsten Verbündeten der EU in Sicherheitsfragen in Europa aussehen könnte?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir haben immer zwei Szenarien ins Auge zu fassen. Das eine Szenario, das wir anstreben, ist der geordnete Austritt Großbritanniens. Dann würde man in den Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien natürlich auch die Frage der Mitwirkung bei PESCO diskutieren. Sollte es nicht zu einem geordneten Austritt kommen, was ich nicht möchte, dann wäre Großbritannien ein Drittstaat. Wir beschäftigen uns auch mit der Frage, wie PESCO und Drittstaaten miteinander verbunden werden könnten; denn auch bei Norwegen stellt sich diese Frage. Das heißt, dann würden wir sehr schnell auch darüber nachdenken, wie wir Großbritannien eine Rolle in der PESCO, wenn von britischer Seite gewünscht, einräumen könnten. Aber der organischere und vorzugswürdigere Prozess wäre, in der zweijährigen Übergangszeit im Rahmen der zukünftigen Beziehungen auch diese Frage mit zu diskutieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Caren Lay, Die Linke, stellt die nächste Frage.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Bundeskanzlerin, während Ihrer Amtszeit sind die Mieten in fast allen deutschen Städten explodiert; sie haben sich komplett von der Lohn- und Einkommensentwicklung entkoppelt. Die Innenstädte veröden, Menschen werden aus ihren Wohnungen verdrängt. Sie haben dieser tickenden Zeitbombe tatenlos zugesehen. Am vergangenen Wochenende sind deutschlandweit über 55 000 Menschen auf die Straße gegangen und haben gegen Ihre nicht vorhandene Mietenpolitik protestiert. Es sind an einem einzigen Tag 15 000 Unterschriften für das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ gesammelt worden. Ich muss sagen: Ich habe von Ihnen nicht gehört, wie Sie dieses Problem bekämpfen wollen, nur dass Sie dieses Volksbegehren ablehnen. Aber was sind Ihre Antworten, um diesen Mietenwahnsinn endlich zu stoppen? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich glaube, dass das in der Tat ein wirklich großes Problem ist. Deshalb haben wir in unserer Koalitionsvereinbarung einen großen Teil dem Thema „Mieten und Wohnen“ gewidmet. Wir halten Enteignungen – das darf ich, glaube ich, für die ganze Koalition sagen – für den falschen Weg. ({0}) Wir sind der Meinung, dass es darum geht, Missbrauch einzudämmen. Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode ein Mietpreispaket auf den Weg gebracht. Wir haben eine Mietpreisbremse eingeführt, und wir arbeiten an weiteren Maßnahmen, zum Beispiel daran, wie auf dem Wohngipfel vereinbart: Wie kann ich besser Bauland zur Verfügung stellen? Wie kann ich bessere Kapazitäten der Bauwirtschaft hinbekommen? Die Bundesregierung hat sich über das Versprochene hinaus verpflichtet, sozialen Wohnungsbau weiterhin zu unterstützen. Die Bundesregierung wird mit ihren eigenen Liegenschaften gerade auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung billigen verfügbaren Wohnraum bereitstellen. Wir werden eine Wohngeldnovelle erarbeiten. Wir werden die Abschreibungsmöglichkeiten für den Neubau von Wohnungen voranbringen. Das ist also ein ganzes Maßnahmenbündel. Aber zu glauben, es entstünden mehr Wohnungen, wenn wir diejenigen, die Wohnungen gebaut haben, enteignen, das halten wir für den komplett falschen Weg. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Gerne.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ich wäre auch Ihnen dankbar, wenn Sie mir ein Zeichen gäben.

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. – Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin. – Sie merken es vielleicht selber: Etwa die gleiche vage Antwort haben Sie mir hier vor einem knappen Jahr schon einmal gegeben. Wir können, glaube ich, gemeinsam feststellen, dass das alles nichts genutzt hat. Auch der Bund hat seitdem noch keine einzige Wohnung gebaut; auch das möchte ich feststellen. Wenn Sie gegen die Enteignung sind, was sind denn dann Ihre konkreten Schritte, um Spekulation einzudämmen? Was tun Sie gegen die aggressiven Machenschaften der großen Wohnungskonzerne? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Schauen Sie, wenn Sie mir vor einem Jahr hier schon einmal diese Frage gestellt haben, dann spricht das ja nicht gerade dafür, dass Sie aufnehmen, was wir zwischendurch gemacht haben. ({0}) Wir hatten einen Wohnungsgipfel. Wir schaffen – im Bundesrat liegend – Abschreibungsmöglichkeiten. Es hängt jetzt eigentlich nur an der Zustimmung der Grünen, dass wir endlich Tempo in die Sache kriegen. Wir haben das Baukindergeld beschlossen; Tausende von Familien haben davon schon Gebrauch gemacht. Ich bin gerne bereit, Ihnen schriftlich zuzusenden, was wir alles getan haben. Ich glaube aber, darum geht es gar nicht. Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass wir mehr Wohnraum brauchen. Wir sagen, dass wir das nur durch konkrete Maßnahmen machen können, zum Beispiel indem neue Wohnungen entstehen und indem Praxen eingedämmt werden, die uns nicht weiterhelfen, nämlich der Mietwucher, den es an bestimmten Stellen gibt, und der Umstand, dass Bauland in Eigentum nicht bebaut wird. Man muss darüber nachdenken: Was kann ich da tun? ({1}) Da kann man zum Beispiel auch steuerliche Maßnahmen ins Auge fassen. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, wie der Kollege Lindner möchte ich etwas zum Thema Klimaschutz fragen. Anders als Herr Lindner glaube ich aber nicht, dass wir mit CO 2 -Vermeidungskosten ein Problem haben, sondern beim Thema „CO 2 -Vermeidung und Klimaschutz“ insgesamt. Schauen wir uns an, was Sie beispielsweise 2007 gesagt haben – ich zitiere –: Ein Weiter-so gibt es nicht. Der Klimaschutz ist die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Sie haben die Rolle Deutschlands betont. Sie haben betont, dass sich an unserer CO 2 -lastigen Wirtschaft etwas ändern muss. Wir haben pro Kopf etwa 9 Tonnen CO 2 -Emissionen; in afrikanischen Staaten sind es teilweise weniger als 1 Tonne. Wenn man sich die Bilanz Ihrer Kanzlerschaft anguckt, dann sieht man, dass die Emissionen mehr oder weniger gleich geblieben sind. Meine Frage an Sie wäre jetzt: Wie erklären Sie eigentlich angesichts Ihrer klaren Ansage zu Beginn Ihrer Kanzlerschaft das desaströse Ergebnis, das wir heute haben? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich sehe es, was Ihre Einschätzung anbelangt, natürlich nicht so. Wir haben uns für die Zeit von 1990 bis 2010 eine Reduktion der CO2-Emissionen um 20 Prozent vorgenommen. Das haben wir auch eingehalten. Für die Zeit von 2010 bis 2020 haben wir uns noch einmal eine Reduktion von 20 Prozent vorgenommen. Nach jetzigem Stand ist zu erwarten, dass wir deutlich über 30 Prozent erreichen werden. Das heißt: Man kann nicht sagen, dass in den letzten Jahren nichts geschehen ist. Da ist sehr wohl auch sehr gezielt gehandelt worden. Wir müssen dennoch mehr tun. Deshalb haben wir uns ja verpflichtet, die 2030er-Klimaziele rechtlich zu fixieren und dazu die entsprechenden Maßnahmen durchzusetzen. Sie wissen, dass gerade im Industriebereich Erhebliches geleistet wurde, auch durch den Zertifikatehandel. Wir haben den Zertifikatehandel verbessert. Der CO 2 -Preis ist jetzt nicht mehr bei 3 bis 4 Euro pro Tonne, sondern beträgt um die 20 Euro pro Tonne. Das hat auch eine Signalwirkung. Jetzt geht es darum, dass wir im Nicht-ETS-Bereich etwas machen. Ich glaube, das Ergebnis der Kohlekommission, in der sich, wie ich finde, auch die Umweltverbände dankenswerterweise sehr verantwortlich eingebracht haben, spricht für sich und führt dazu, dass wir in diesem großen Bereich der Stromerzeugung eine Klarheit haben, die wir uns vor zwei Jahren gewünscht hätten. Insofern gibt es hier erhebliche Fortschritte, was mich positiv stimmt, dass wir auch die noch vor uns stehenden Aufgaben meistern können. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, ich kann Ihr Bild der Wirklichkeit an der Stelle nicht teilen. Sie haben eben gesagt, wir hätten die Emissionen von 2010 bis 2020 um 20 Prozent reduziert. Wenn es vorher auch 20 Prozent gewesen wären, wären das 40 Prozent, und dann hätten wir jetzt das Ziel erreicht. Wir verfehlen es aber krachend. ({0}) Wir haben ein Ziel von 40 Prozent und erreichen gerade mal 30 Prozent. In den letzten zehn Jahren ist praktisch nichts an Emissionen reduziert worden. ({1}) Im Verkehrsbereich sind die Emissionen sogar gestiegen. Ich kann nicht verstehen, wie man das als Erfolg verkaufen kann. Die Bilanz der letzten zehn Jahre ist desaströs. Deshalb möchte ich Sie fragen: Warum kämpft Deutschland, wie beim letzten Energieministerrat, eigentlich an der Seite Polens gegen die Niederlande, gegen Spanien und gegen Schweden, die sich für das Ziel, bis 2050 den Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, einsetzen?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Krischer!

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Für die Position Deutschlands habe ich kein Verständnis. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Krischer, Nachfragen sollen eigentlich nur 30 Sekunden dauern. – Frau Bundeskanzlerin.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Das Traurige ist, Herr Krischer, dass ich weiß, dass Sie mir gut zuhören, und es dann trotzdem falsch wiedergeben. Ich habe nicht gesagt: Wir haben 40 Prozent erreicht. Ich habe gesagt: Wir werden deutlich über 30 Prozent erreichen. Das kann uns aber nicht zufriedenstellen. Deshalb werden wir bis 2030 entsprechende gesetzliche Maßnahmen umsetzen. ({0}) Dann habe ich über die Punkte gesprochen, die ich in der Tat für sehr bedeutsam halte. Die erneuerbaren Energien sind inzwischen unser wichtigster Energieerzeugungspfeiler. Wenn wir gemeinsam mit den Grünen den Leitungsbau genauso leidenschaftlich voranbringen wie die Erstellung von Windanlagen, dann wird das 2030er-Ziel noch leichter zu erreichen sein. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Udo Hemmelgarn, AfD.

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die Bundesregierung hat sicherlich zur Kenntnis genommen, dass derzeit die Enteignung von Wohnungsbauunternehmen in bestimmten politischen Kreisen ernsthaft diskutiert wird. Hier werden grundlegende Wertentscheidungen des Grundgesetzes angegriffen, und es wird der gesellschaftliche Zusammenhalt in bisher unbekanntem Ausmaß gefährdet. Diese Diskussion ist Ergebnis einer völlig verfehlten Wohnungsbaupolitik. Sie ist aber auch das Ergebnis einer politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, die Sie als Kanzlerin während der letzten 13 Jahre maßgeblich zu verantworten haben. Daher meine Frage an Sie: Fühlen Sie angesichts dieser Diskussionen eine persönliche Verantwortung für den beispiellosen Tabubruch und für die gesellschaftliche Entwicklung, die dorthin geführt hat?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Also, ich weiß jetzt nicht, welchen Tabubruch Sie ansprechen. ({0}) – Ja, für die Wortmeldungen der Opposition bin ich nicht verantwortlich. ({1}) Ich mache sie mir nicht zu eigen. Ich bin gegen Enteignungen. Das habe ich hier schon doppelt und dreifach gesagt, aber ich wiederhole es gerne. Wir haben in bestimmten Ballungsgebieten ein Problem; das ist richtig. Darauf gibt es zwei Antworten. Das eine ist, dass wir gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland schaffen, das heißt, dass wir die Schwierigkeiten der Menschen in den ländlichen Räumen sehen und zum Beispiel gezielt Ansiedlungen von Behörden und Unternehmen vor Ort fördern; das ist ganz wichtig. Das andere ist, dass wir auf die Entwicklung in den Ballungsgebieten reagieren. Ich habe der Kollegin von den Linken bereits ausführlich dargestellt, welche Maßnahmen wir unternehmen. Politik besteht darin, immer wieder auf Probleme, die auftreten, zu reagieren. Ich hoffe, das können wir schnell. Deshalb setze ich auf Planungsbeschleunigung und hoffe auf die Beratung im Bundesrat am Freitag, damit wir die Sonderabschreibungen für den Wohnungsbau durchbekommen usw. usf. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Möchten Sie eine Nachfrage stellen?

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. – Frau Bundeskanzlerin, im Hinblick auf den grundgesetzlichen Schutz des Eigentums nach Artikel 14 nehmen wir mit Erstaunen wahr, dass sich auch Teile des Koalitionspartners SPD an der Diskussion beteiligen und Enteignungen befürworten. ({0}) Wie beurteilt die Bundesregierung die Positionierung des Koalitionspartners SPD in dieser Frage?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich bin froh, dass sich die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands eindeutig geäußert hat und Enteignungen ablehnt. Das stellt mich zufrieden, und darauf setze ich. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Claudia Moll, SPD, stellt die nächste Frage.

Claudia Moll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, meine Frage bezieht sich auf das Thema Pflege. Ich habe bis zum 23. September 2017 fast 30 Jahre in der Pflege gearbeitet, und zwar sehr gerne. Im letzten Jahr haben wir zusammen mit der Union das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz auf den Weg gebracht. Das ist zwar ein kleiner Schritt gewesen, aber ein sehr guter. Er geht in die richtige Richtung. Nur brauchen wir jetzt dringend Tariflöhne für die Pflegefachkräfte. ({0}) Sie sind unterbezahlt, dabei hat man als Pflegefachkraft eine sehr große Verantwortung. Ohne Tariflöhne geht es nicht mehr. Aber nicht nur an die Tariflöhne müssen wir ran. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir die Eigenanteile für die Pflege neu gestalten. Es kann nicht sein – da spreche ich aus Erfahrung –, dass es Pflegebedürftige bzw. Angehörige gibt, die die Pflege wirklich nicht mehr bezahlen können. Wir sollten endlich zu einer Deckelung des Eigenanteils bei den Pflegekosten kommen. Viele vergessen, dass auch viele junge Familien davon betroffen sind; denn auch junge Menschen können aufgrund von Unfall oder Krankheit pflegebedürftig sein. Das wird ganz oft vergessen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin, schauen Sie einmal auf die Ampel!

Claudia Moll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, ich beeile mich. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundeskanzlerin. ({0}) – Nein, die Zeit ist jetzt um. Entschuldigung, das tut mir leid. Die Zeit für Ihre Frage ist jetzt deutlich abgelaufen.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Um Ihnen zu Hilfe zu eilen: Ich vermute, ich habe Ihre Frage erahnt. ({0}) Sie stehen nun wirklich für die Menschen, die in der Pflege arbeiten und wissen, wovon sie sprechen. Dass dieses Thema die Menschen wirklich umtreibt, das weiß ich. Deshalb haben wir in diesem Zusammenhang ja auch schon einiges auf den Weg gebracht. Wir haben vereinbart, dass wir sowohl über Mindestlöhne als auch über Tariflöhne sprechen. Ich unterstütze dabei Hubertus Heil, der dieses Unterfangen jetzt in Angriff genommen hat. Er steht in engem Austausch mit dem für Pflege zuständigen Gesundheits- und Pflegeminister Jens Spahn. Wir müssen aber sehen, dass wir im Zusammenhang mit Tarifverträgen nicht nur über Regierungshandeln sprechen, sondern auch die Tarifparteien miteinander zu einer Einigung kommen müssen. Doch das gestaltet sich im Pflegebereich – das wissen Sie sicherlich besser als ich – wegen der verschiedenen Träger komplizierter, als wir alle miteinander gedacht haben. Deswegen wird das Thema aber nicht zu den Akten gelegt, sondern es werden intensive Gespräche geführt, die in den nächsten Monaten – das wird nicht auf die lange Bank geschoben – abgeschlossen werden. Was die Deckelung der Eigenbeteiligung anbelangt, haben wir im Koalitionsvertrag erst einmal vereinbart, dass die Kinder von Pflegebedürftigen in gewisser Weise entlastet werden. Jetzt hat die SPD einen neuen Vorschlag eingebracht. Wir sind, wie immer, gerne bereit, darüber in der Koalition zu diskutieren. Dazu kann ich Ihnen heute noch keine Zustimmung geben; aber wir werden ihn uns anschauen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Möchten Sie noch eine Frage stellen?

Claudia Moll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Aber nur 30 Sekunden.

Claudia Moll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Ich möchte keine Frage stellen, sondern ich habe eine Bitte: Lassen Sie uns doch gemeinsam dieses ganze System von Kopf bis Fuß umkrempeln!

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Da muss ich jetzt bei aller Bereitschaft zur Einigkeit doch etwas widersprechen. ({0}) Nach einem langen Diskussionsprozess haben wir das System von den Pflegestufen umgestellt auf die Pflegegrade. Mit den Pflegegesetzen, die wir jetzt verabschiedet haben, haben wir vieles vorangebracht. Wenn wir den Menschen jetzt mitteilen würden, dass wir finden, dass das, was wir in vierjähriger Arbeit gemacht haben, falsch ist und wir jetzt alles vom Kopf auf die Füße stellen müssen, dann wäre das, wie ich finde, keine gute Mitteilung. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Ich sage nicht, dass wir am Ende dieses Weges angekommen sind; aber gerade die Pflegegrade sind gut, gerade für Demenzkranke; das gilt auch für vieles andere. Ich stelle jetzt nicht das gesamte System wieder zur Disposition, sondern wir arbeiten weiter. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Bettina Stark-Watzinger, FDP, stellt die nächste Frage.

Bettina Stark-Watzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004902, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kanzlerin, die mit den Stimmen der CDU/CSU unter Rot-Grün eingeführte sogenannte Doppelverbeitragung von Betriebsrenten und Direktversicherungen ist eine Ungerechtigkeit, die circa 6 Millionen Menschen in unserem Land betrifft, Menschen, die für das Alter vorgesorgt haben und sich auf die damals – vor 2004 – bestehenden Regelungen verlassen haben. Jetzt haben wir vernommen, dass der Parteitag der CDU in Hamburg und die SPD, vertreten durch Frau Nahles, sich für die Abschaffung der Doppelverbeitragung eingesetzt haben. Wir haben vernommen, dass Minister Spahn eine Gesetzesinitiative auf den Weg bringen wollte, die Sie blockiert haben. Meine Frage ist: Wie rechtfertigen Sie das, bzw. wie erklären Sie das den circa 6 Millionen betroffenen Menschen in unserem Land? Und vor allen Dingen: Wie können Sie das erklären vor dem Hintergrund, dass in den letzten Jahren die Steuereinnahmen sehr stark gesprudelt sind? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir hatten in der Tat eine gute Einnahmesituation des Staates. Wir haben damit ja auch sehr viele gute Dinge auf den Weg gebracht. Die Doppelverbeitragung ist in der Tat ein Thema, das viele Menschen umtreibt, so auch die Vertreter der CDU, der CSU und der SPD. Die Frage der Doppelverbeitragung ist rechtsstaatlich überprüft worden. Das Bundesverfassungsgericht hat gegen diese Praxis nichts einzuwenden gehabt. Ich finde das erst einmal wichtig. Man kann damit sagen: Von der Rechtssituation her ist das vertretbar; die Regelung ist nicht für rechtswidrig erklärt worden. – Dennoch gibt es Enttäuschungen und in diesem Zusammenhang immer wieder Vorstöße. Ich persönlich bin als Bundeskanzlerin auch dafür verantwortlich, dass geprüft wird, ob das, was wir uns wünschen, machbar ist und in den Haushalt passt, und dass jedes Projekt hinsichtlich der Wichtigkeit mit anderen Projekten abgewogen wird. Da ich dafür bin, dass wir die sogenannte schwarze Null weiter einhalten, also weiterhin einen ausgeglichenen Haushalt haben, habe ich Bedenken gegen bestimmte Vorgehensweisen geltend gemacht. Im Übrigen muss man sich immer anschauen: Mache ich das für die Zukunft, mache ich das auch noch für die Vergangenheit, und welche anderen Projekte kann ich dann nicht machen? In diesem Abwägungsprozess befinden wir uns, und da konnte ich noch kein grünes Licht geben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage, Frau Stark-Watzinger?

Bettina Stark-Watzinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004902, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kanzlerin, ich möchte noch einmal nachfragen. Ich halte erst einmal fest: Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch sinnvoll für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Zweitens möchte ich Sie fragen: Es kann nicht sein, dass mit Blick auf neue sozialpolitische Vorhaben, bei denen wir zum Beispiel über eine Respektrente ohne Bedürfnisprüfung sprechen, Menschen, die Konsumverzicht geübt haben, die für ihr Alter vorsorgen, um eigenständig zu leben, nicht entlastet werden. Deswegen frage ich Sie konkret: Werden Sie Ihre Richtlinienkompetenz in Anspruch nehmen, sodass, bevor solche Maßnahmen ergriffen werden, die Ungerechtigkeiten in unserem Sozialsystem beendet werden? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich bin der Meinung, dass eine sogenannte Respekt­rente oder Grundrente, wie wir sie im Koalitionsvertrag genannt haben, ohne Bedürftigkeitsprüfung nicht richtig wäre, und ich lehne das deshalb ab. ({0}) Man kann an der Art der Bedürftigkeitsprüfung etwas ändern, das soll unbürokratisch sein. Zweitens kann ich hier nicht mit einem einfachen Ja, wie Sie es gern von mir hören würden, sagen, dass wir diese Praxis der Doppelverbeitragung ändern. Das hat Gründe, die in der allgemeinen Abwägung liegen. Wir haben eben über Pflege gesprochen, wir haben die Grundrente Plus noch in unserer Planung, und wir haben bei den prioritären Vorhaben, die wir in der Bundesregierung haben, leider keine Finanzen eingeplant für diese Maßnahme, und wir müssen auf die Solidität der sozialen Sicherungssysteme insgesamt achten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Gunther Krichbaum, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, ich glaube, dass sich die Bundesregierung und der große Teil des Parlaments in einem Ziel einig wissen, dass wir alles daransetzen sollten, einen harten Brexit zu vermeiden. Er hätte wirtschaftspolitisch und gesellschaftspolitisch verheerende Konsequenzen, im Übrigen für Europa wie auch selbstverständlich für Großbritannien. Insbesondere müssen wir natürlich auch an Irland und Nordirland denken. Meine Frage ist nun dahin gehend: Es gibt verschiedene Modelle für eine Verlängerung, die auch heute im Europäischen Rat erörtert werden: die kurzfristige Verlängerung bis zum 30. Juni, also bis kurz vor der Konstituierung des Europäischen Parlaments, oder darüber hinaus. Michel Barnier, der Chefunterhändler der Europäischen Union, hat am letzten Freitag im AStV, also im Ausschuss der Ständigen Vertreter, verdeutlicht, dass er nicht für eine zu lange Verlängerung einsteht, weil er das Risiko sieht, dass die Europäische Union in Geiselhaft genommen werden könnte und dass wir zum Teil diese Unstimmigkeit in Großbritannien zu uns in die Europäische Union importieren. Meine Frage ist die: Für welche Position tritt die Bundesregierung ein? Für welche Art der Verlängerung?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich glaube, dass die Verlängerung so kurz wie möglich sein sollte, aber sie sollte uns auch eine gewisse Ruhe geben, sodass wir uns nicht alle zwei Wochen wieder mit dem gleichen Thema befassen müssen; denn ich glaube, wir können davon ausgehen, dass unser Wunsch, dass es einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gibt, erhalten bleibt. Mit der Mitteilung der britischen Regierung, dass sie Vorbereitungen für das Abhalten der Europawahl trifft und diese Europawahl gegebenenfalls auch durchführt, ist für mich ein wichtiger Punkt des Funktionierens der Europäischen Union eingetreten. Wir müssen uns jetzt immer fragen – ich sage einmal, das ist eine historische Entscheidung, erstmalig tritt ein Land aus der Europäischen Union aus –: Wie werden wir in fünf oder zehn Jahren auf diese Frage schauen? Ich glaube, es ist richtig, dass die 27 Mitgliedstaaten sich im Übrigen seit langem sehr einig entschieden haben, wenn möglich die Wünsche Großbritanniens bei unseren Entscheidungen zu berücksichtigen. Deshalb trete ich dafür ein, wenn es dafür heute eine breite Mehrheit gibt, dass wir die Verlängerung durchaus über mehrere Monate machen können, aber nicht hinauszögern und dass dann, wenn Großbritannien entschieden hat, der Austritt sofort erfolgen kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke. – Zusatzfrage?

Gunther Krichbaum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003573, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundeskanzlerin, wir möchten, nicht zuletzt durch den Aachener Vertrag, uns in zentralen politischen Fragen zwischen Deutschland und Frankreich abstimmen. Daher meine Frage: Hat es vorbereitend zu dem heutigen Treffen auch ein Abstimmungstreffen mit Frankreich gegeben?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Es hat selbstverständlich permanent Gespräche mit der französischen Seite gegeben. Es wird auch heute vor dem Europäischen Rat noch ein Treffen von mir mit dem französischen Präsidenten geben, bei dem wir noch einmal unsere Positionen abstimmen, und ich denke, wir werden heute Abend zu einem Ergebnis kommen, das nicht an einer deutsch-französischen Nichteinigkeit scheitern wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Sevim Dağdelen, Die Linke, stellt die nächste Frage.

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, das Europäische Parlament und auch der US-amerikanische Kongress haben wegweisende Beschlüsse gefasst, indem sie ihre Unterstützung für diesen mörderischen Jemen-Krieg durch die islamistische Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien einstellen wollen. Vor wenigen Tagen erst wurden nach Angaben des Kinderhilfswerks UNICEF zwei Schulen in der jemenitischen Hauptstadt von der saudischen Luftwaffe wieder getroffen, zahlreiche Kinder getötet und verletzt. Sie haben jetzt im Bundessicherheitsrat beschlossen, dass es wieder Genehmigungen geben soll für Gemeinschaftsprojekte wie Tornados und Eurofighter an Saudi-Arabien oder auch die Vereinigten Arabischen Emirate. Meine Frage ist – auch angesichts der Berichterstattung jetzt bei „Tagesschau“, von „German Arms“ und anderen Journalisten, dass genau diese deutschen Waffen in diesem mörderischen Krieg im Jemen eingesetzt werden –: Warum stoppen Sie nicht die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, obwohl Sie doch genau wissen, dass diese Tornados und Eurofighter im Jemen-Krieg eingesetzt werden? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Also, erstens haben wir heute gerade im Kabinett, wenn ich das kurz erwähnen darf, die deutsche Beteiligung an der Mission zur Umsetzung des Hudaida-Friedensabkommens beschlossen. Wir bringen uns sehr intensiv – insbesondere der Bundesaußenminister – in die Frage ein: Wie können wir zu einer Konfliktlösung hier beitragen? Zweitens kennen Sie die Beschlüsse. Wir sind natürlich in einer Abwägung. Wir sind Teil von europäischen Gemeinschaftsprojekten. Nebenbei: Über die Beschlüsse des Bundessicherheitsrates berichte ich natürlich nicht. Aber ich kann sagen, dass wir in den Gemeinschaftsprojekten vereinbart haben, insbesondere mit Großbritannien, dass keine Auslieferung an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate erfolgt, aber dass wir den Weiterbau ermöglichen. Ich glaube, es geht hier um ein Spannungsfeld, zugegebenermaßen, zwischen Verbindlichkeit und Verlässlichkeit Deutschlands als ein Teil europäischer Rüstungspolitik und gleichzeitig unseren politischen Zielen. Auch unsere Partner wie Großbritannien und Frankreich haben sehr wohl beachtliche politische Erwägungen in diesem Zusammenhang angestellt. Das ist Europa: dass wir dann immer wieder versuchen, auch gute gemeinsame Lösungen zu finden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage?

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. – Frau Bundeskanzlerin, es ist ja bezeichnend, dass Sie bei Ihrer Abwägung zu dem Schluss gekommen sind, dass die europäische Zusammenarbeit bei Rüstungsproduktion für Sie einen höheren Stellenwert hat, als Menschenleben zu retten im Jemen, indem man einfach keine Waffen mehr und auch nicht Gemeinschaftsgüter wie die Kampfjets Eurofighter und Tornado liefert. Aber wenn Sie schon an einer Konfliktlösung interessiert sind: Wäre die Lösung des Konfliktes nicht einfacher, indem man keine Kriegspartei ist – durch Waffenlieferungen –, anstatt unglaubwürdig als neutraler Beobachter im Jemen aufzutreten? Warum stoppen Sie nicht einfach diese Waffenlieferungen an Saudi-Arabien? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Gut, wir müssen uns erst einmal vergegenwärtigen, dass Saudi-Arabien nicht die einzige Konfliktpartei in diesem Krieg ist; es gibt da auch durchaus eine Rolle des Iran. Zweitens habe ich eben deutlich gemacht, welche Randbedingungen wir auch für den Weiterbau von Gemeinschaftsprojekten gesetzt haben, um dann die Situation noch einmal zu bewerten, bevor es zu Auslieferungen kommt. Drittens hat die Bundesregierung unsere nationale Ansicht deutlich gemacht, dass es zurzeit keine – es gibt eine Ruhensanordnung; die ist um sechs Monate verlängert worden – Möglichkeit für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate gibt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Katharina Dröge, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, die Bundesregierung streitet ja momentan öffentlich über die Ausrichtung einer Nationalen Industriestrategie. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat vorgeschlagen, das europäische Wettbewerbsrecht aufzuweichen, um Fusionen und Marktmacht von Großkonzernen zu ermöglichen. Dem widerspricht Ihr Bundeskanzleramtsminister Helge Braun – ich nehme an, mit Ihrer Unterstützung –, er lässt sich im „Handelsblatt“ zitieren mit: Unsere Unternehmen sollen wegen ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten erfolgreich sein und nicht, weil europäische Verbraucher zu hohe Preise bezahlen. Deswegen würde ich Sie fragen: Was ist denn da eigentlich gerade los in der Bundesregierung? Haben Sie es für notwendig gehalten – das Bundeskanzleramt –, in dieser Form so öffentlich die Notbremse zu ziehen? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Also, ich glaube, wir sind uns einig, Frau Kollegin, dass lebendige Diskussionen uns in der Sache immer voranbringen ({0}) und dass wir über die Frage, welchen Anteil der Industrie an der Wertschöpfung in unseren Ländern wir in Zukunft wollen und welche Maßnahmen wir in einem komplizierten internationalen Umfeld – China, Protektionismus von anderen Ländern – wählen sollen, diskutieren müssen. Ich bin sehr dankbar, dass der Bundeswirtschaftsminister den Stein ins Wasser geworfen hat und eine Industriestrategie vorgeschlagen hat und alle eingeladen hat, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Ich sehe keinen Widerspruch zwischen den Aussagen des Bundeswirtschaftsministers und des Chefs des Bundeskanzleramts. Natürlich wollen wir, dass Unternehmen ihren Marktplatz behaupten im Wettbewerb – in einem fairen Wettbewerb. Bei dem Wort „fair“ können wir sofort ansetzen: Was bedeutet das, wo gibt es welche staatlichen Subventionen, und welche Art der Reaktion müssen wir europäischerseits finden? Das hat dann etwas mit dem Wettbewerbsrecht zu tun. Im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsrecht stellt sich die interessante Frage, wie man „Marktmacht“ eigentlich definiert. Zurzeit wird die Marktmacht durch den Ausschreibungsmarkt definiert. Nehmen wir mal das Beispiel von Siemens und Alstom: Es gibt heute zwar keine chinesischen Bewerber für den Ausschreibungsmarkt der Europäischen Union, die in Rede stehende Fusion von Siemens und Alstom könnte aber in zehn Jahren von Bedeutung sein. Ist jetzt der heutige Ausschreibungsmarkt das Relevante, oder ist der heutige Markt des größten chinesischen Eisenbahnbauers – auf dem globalen Markt hat er bereits heute einen Anteil von über 50 Prozent – das entscheidende Kriterium? Darüber müssen wir sprechen, und ich glaube, das machen auch Sie.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Zusatzfrage. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Beide. – Sie wollte wissen, ob Herr Altmaier oder Herr Braun. Ich sage: beide.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das halte ich für nicht zusammenbringbar. Diese Quadratur des Kreises müssen Sie noch mal in Ruhe erklären. Frau Bundeskanzlerin, Herr Altmaier konnte mir bisher vor allen Dingen nicht erklären, was er konkret am europäischen Wettbewerbsrecht ändern will. Ich habe ihm gesagt: Eine Diskussion alleine ist noch kein Vorschlag.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich bin ja gerade extrem spezifisch geworden.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade das Beispiel „Siemens/Alstom“ gebracht. Angesichts der Tatsache, dass bei dem geltenden europäischen Wettbewerbsrecht von 7 000 Fusionen nur 29 untersagt wurden, habe ich einfach die Frage: Gibt es außer Siemens/Alstom für Sie noch ein anderes Beispiel, an dem Sie darlegen können, warum das europäische Wettbewerbsrecht verändert werden muss? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Nun gut, das war das jüngste Beispiel. ({0}) Ich habe mich sehr viel mit dem Telekommunikationsmarkt beschäftigt und bin mir nicht sicher, ob die Konsolidierung da so schnell gelaufen ist, wie wir uns das wünschen würden. Inzwischen hat dort aber manches stattgefunden. Ich habe jetzt kein zweites Beispiel parat, das gerade aktuell ist, aber ich habe Ihnen doch gesagt, welche systemische Frage wir stellen müssen. Wenn ein Unternehmen aus einem Land wie China über 50 Prozent des globalen Angebots im Bereich der Eisenbahn macht und heute auf dem europäischen Markt noch nicht tätig ist, dann stellt sich die Frage, ob wir nicht durch Alstom und Siemens einen globalen Player schaffen sollten, der mit dieser großen globalen Marktmacht konkurrieren kann. Ist dann der heutige Ausschreibungsmarkt in der Europäischen Union die relevante Entscheidungsgröße, oder ist die Frage, welche globale Marktmacht ein Unternehmen hat, das heute noch nicht in Europa engagiert ist, entscheidend? Über diese Frage werde ich weiter diskutieren. Sie können ja eine andere Meinung haben, aber dass wir diese Frage stellen, ist, glaube ich, lebenswichtig. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Gottfried Curio, AfD, stellt die nächste Frage.

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Bundeskanzlerin, aktuelle Bilder zeigen einen gewaltsamen Durchbruchsversuch von 2 000 Migranten, um von Griechenland zur geschlossenen Balkanroute zu gelangen. Angreifer mit Kindern als Schutzschilder schleudern Steine gegen die Einsatzkräfte. Nur ein robuster Polizeieinsatz verhindert das gewaltsame Durchbrechen der Grenze. Diese notwendige Aktion wird hierzulande oft mit dem Ausdruck „Hässliche Bilder“ verleumdet. Sie haben sich mit dem Global Compact for Migration zur Förderung von Migration schlechthin verpflichtet – auch jenseits von Flucht oder Arbeitsaufnahme. Das ist ein weiterer Magnet für illegale Migration. Mit einem erfolgreichen Durchbruch auf die Balkanroute ist jetzt jederzeit zu rechnen. ({0}) Im September 2015 haben Sie die bereits vorbereitete Sicherung der deutschen Grenze verhindert. Werden Sie diesmal Vorkehrungen für einen tatsächlich effektiven Grenzschutz treffen ({1}) und Leute, die ohne Fluchtgrund – der Krieg in Syrien ist aus – als Karawane aus bereits sicheren Ländern kommen, abweisen? Das heißt: Werden Sie die Grenze, wenn nötig, effektiv und robust sichern? ({2})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir haben seit 2015 ja eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, darunter auch eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten. Deshalb hilft Frontex in Griechenland, und deshalb gibt es auch eine deutsch-griechische Zusammenarbeit und einen sehr engen Austausch. Auf dieser Grundlage werden wir auch weiter arbeiten. Ich mahne in Richtung Griechenland allerdings an, dass wir bis heute keine vollständige Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens haben. Die türkische Seite hat einen sehr viel besseren Grenzschutz eingesetzt; wir unterstützen die Türkei ja auch bezüglich der Flüchtlinge. Aber das Abkommen zur Rückführung syrischer Flüchtlinge, die illegal über die Ägäis kommen, von Griechenland in die Türkei, wird nicht in ausreichendem Maße umgesetzt. Hier arbeiten wir auch mit der griechischen Regierung daran, dass das umgesetzt wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke. – Zusatzfrage?

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Dennoch: Sie stehen ja in Ihrem eigenen Wort, dass sich 2015 nicht wiederholt; wir reden jetzt nicht vom Skandal der stillen Dauerzuwanderung. Österreich und Bosnien warnen vor gigantischen sich formierenden Migrantentrecks: 60 000 in Griechenland, 40 000 in der Türkei. Bulgarien ist bereit, 3 000 Soldaten an die Grenze zu schicken, um die Trecks zu stoppen. Deren Ziel ist Deutschland, wo man selbst als vollziehbar Ausreisepflichtiger im Land bleibt und per Dauerduldung das Sozialsystem ausbeutet. Deshalb: Würden Sie diesmal Ihrer Pflicht zum Grenzschutz, wenn nötig, nachkommen oder wieder einen Innenminister behindern?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich sage noch mal, dass der Grenzschutz im Wesentlichen an der Außengrenze stattzufinden hat: dazu eben das EU-Türkei-Abkommen, dazu die Maßnahmen an der bulgarischen Grenze zur Türkei und an anderen Außengrenzen der Europäischen Union. Wir haben eine exzellente Zusammenarbeit mit Griechenland. Deshalb glaube ich, dass wir diese Dinge gemeinsam bewältigen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke. – Nächste Frage stellt Kerstin Tack, SPD.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin. – Meine Frage bezieht sich auf die Paketbranche. Wir nehmen ja wahr, dass für die allermeisten Menschen in Deutschland heute das Internet in der Tat kein Neuland mehr ist. Wir nehmen auch wahr, dass das Bestellen im Internet ganz besonders für die Paketbranche zu einem Megawachstum geführt hat, allerdings sehr häufig auf dem Rücken der Beschäftigten in dieser Branche. Wir haben im Februar dieses Jahres eine groß angelegte Kontrolle durch den Zoll gehabt, der über 12 000 Menschen kontrolliert und festgestellt hat, dass wir wirklich schwierige Situationen haben, nicht nur illegale Beschäftigung, sondern insbesondere auch das Ausbleiben von Leistungen der Sozialversicherung. Wir haben in der Vergangenheit immer gemeinsam festgestellt: Wenn wir Kenntnis über schwierige Arbeitsbedingungen haben, haben wir das als politischen Handlungsauftrag gesehen, gesetzgeberisch tätig zu werden. Diesen sehen wir auch in dieser Branche. Der Arbeitsminister möchte gerne die Nachunternehmerhaftung, wie wir sie ja in der letzten Legislatur für die Fleischindustrie mit großem Erfolg gemeinsam definiert haben, auch für die Paketbranche einführen, damit die in Haftung genommen werden können, die durch Sub- und Sub-Subunternehmen dafür sorgen, dass keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Kollegin.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Frage ist: Unterstützen Sie diese Initiative?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich unterstütze, dass wir zu mehr geordneten Verhältnissen in der Paketbranche kommen. Ich glaube, dass es dort in der Tat Vorkommnisse gibt, die nicht in Ordnung sind. Ob das Instrument der Nachunternehmerhaftung hier das richtige ist, dazu habe ich mich noch nicht mit einer positiven Meinung geäußert. Ich glaube, wir können die Kontrolldichte noch erhöhen. Wir müssen mit der Branche sprechen. Dann muss man sehen, was wir machen, wenn das alles nichts fruchtet. Aus meiner Sicht sind wir noch nicht an dem Punkt angekommen, um die Nachunternehmerhaftung auch für diese Branche durchzusetzen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Möchten Sie noch eine Zusatzfrage stellen? – Bitte.

Kerstin Tack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004173, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. – Wir haben uns in der Vergangenheit in der Regel bei Kenntnis solch schwieriger Verstöße sehr viel schneller und eindeutiger gesetzgeberisch positioniert. Können Sie mir die Gründe nennen, warum Sie bei der Paketbranche anders als in der Fleischbranche oder in der Baubranche hier aktuell einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf nicht sehen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich glaube, wir beschäftigen uns in der öffentlichen Diskussion noch nicht so lange mit dieser Frage. Die Vorschläge aus Ihren Reihen sind da auch relativ neu. Deshalb müssen wir diese Diskussion noch etwas fortsetzen. Wir sollten nicht als einzigen ordnungspolitischen Ansatz immer die Nachunternehmerhaftung nehmen. Es gibt auch andere Möglichkeiten. Der Staat hat hier vor allen Dingen eine wichtige Kontrollfunktion, ({0}) die übrigens vom Bundesfinanzministerium gut ausgeübt wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Stephan Thomae stellt die nächste Frage.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, eine Frage zu Artikel 17 Urheberrechtslinie, den Uploadfiltern. Da hat heute im Rechtsausschuss die Koalition mit ihrer Stimmenmehrheit einen Antrag der FDP zur Beratung dieses Themas von der Tagesordnung abgesetzt.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Abgelehnt wahrscheinlich, nicht?

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Begründung der Koalition war, es gebe noch Klärungsbedarf. Meine Frage an Sie ist: Was für ein Klärungsbedarf besteht da noch? Ist noch etwas zu klären? Erwägt vielleicht die Regierung, im Ministerrat doch nicht zuzustimmen? Oder sagen Sie: „Nein, es ist eigentlich nichts mehr zu klären, alles klar. Das war nur ein Vorwand, um den Antrag der FDP abzusetzen“? Was ist denn nun richtig? Gibt es noch Klärungsbedarf, oder war das nur ein vorgeschobener Grund?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Also, zu den Vorgängen im Ausschuss kann ich zugegebenermaßen jetzt nicht viel sagen. Ich weiß nur, dass wir uns bezüglich unseres Abstimmungsverhaltens auch noch mit einer Protokollerklärung, die wir abgeben – wir haben schon einmal eine abgegeben –, beschäftigen. ({0}) Sie wird noch abgestimmt. Im AStV wird ja morgen abgestimmt. Dann wird am 15. April dieses Jahres im Agrarrat sozusagen unter TOP 1 darüber abgestimmt. Aber die grundsätzlich positive Einstellung, dass dieser Kompromiss tragfähig ist, steht nicht infrage.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage?

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Eine Nachfrage genau zu diesem Punkt. „Protokollerklärung“, das ist eine neue Information. Können Sie uns informieren, was Inhalt, Gegenstand dieser Protokollerklärung sein soll?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Nein, weil wir daran arbeiten.

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe vernommen, dass bereits ein Vorschlag seitens der SPD eingegangen ist, der momentan aber noch von Ihrer Fraktion verhindert wird bzw. dem entgegengetreten werden soll.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wenn Sie vernommen haben, dass es einen Vorschlag der SPD, also der zuständigen Ministerin, gibt, dann ist das keine neue Information. Aber in der Tat wird in der Koalition noch an der Formulierung dieser Protokollerklärung gearbeitet. Wenn sie fertig ist, bekommen Sie diese genauso zur Kenntnis wie die Initiative der SPD, die Ihnen schon bekannt ist. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt Florian Hahn, CDU/CSU.

Florian Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004048, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Bundeskanzlerin, das Thema Brexit ist sozusagen medial omnipräsent. Es gibt aber auch viele andere Themen, die auf EU-Ebene gerade für die Zukunft unseres Landes sehr wichtig sind, beispielsweise der Umgang der Europäischen Union mit China. Ein EU-China-Gipfel hat bereits stattgefunden. Mich interessiert: In letzter Minute konnte noch eine Abschlusserklärung konsentiert werden. Der Grund, warum das so lange gedauert hat, war, dass man sich nicht auf Floskeln, sondern auf substanzielle Inhalte geeinigt hat. Ist das insgesamt ein Indiz oder ein Signal dafür, dass die EU inzwischen eine andere Strategie gegenüber China verfolgt?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir haben sehr hart um diese Abschlusserklärung gerungen. Ich bin sehr dankbar, dass die Kommission hier hart verhandelt hat. Wir werden ein Investitionsschutzabkommen mit China, wenn es so eintritt wie verabredet, 2020 haben. Wir sind weitergekommen zum Beispiel bei den Herkunftsbezeichnungen; das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt. Wir hatten in Frankreich, als der französische Präsident Jean-Claude Juncker und mich eingeladen hatte, um mit dem chinesischen Präsidenten zu sprechen, all diese Themen angesprochen und darauf hingewiesen, dass Multilateralismus eine faire, beidseitige reziproke Herangehensweise erfordert. Ich glaube, dass wir durch die China-Strategie-Diskussion, die wir im letzten Europäischen Rat geführt haben, innerhalb der Europäischen Union ein Stück weit sensibler geworden sind bezüglich der Wichtigkeit eines einheitlichen Auftretens, auch wenn das nicht überall und abschließend klappt; das muss man auch sagen. Die Bundesregierung hat sich übrigens vorgenommen, während der deutschen Präsidentschaft einen Vollgipfel mit 27 Mitgliedstaaten plus China abzuhalten, um gerade an der Kohärenz unserer Chinapolitik zu arbeiten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Fabio De Masi, Die Linke, stellt die nächste Frage.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben 2014 auf dem G-20-Gipfel in Brisbane gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Das heißt, es wird nie wieder notwendig sein, dass Steuerzahler dafür eintreten müssen, dass, wenn große Banken zusammenbrechen, sie dann praktisch ein erpresserisches Potenzial entwickeln und Steuerzahler diese Banken retten müssen. Nun verhandelt die Deutsche Bank mit der Commerzbank, an der der Bund beteiligt ist, über eine Fusion. Wir wissen ja: Zwei kranke Truthähne ergeben keinen Adler. – Sehen Sie nicht das Risiko, dass da wieder eine solch große Bank entsteht, dass die Steuerzahler quasi enteignet werden, ({0}) weil sich eine solche Megabank in der nächsten Krise selbst verstaatlicht, und können Sie ausschließen, dass dann dafür Steuergelder fließen werden?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich lehne erst einmal ab, auf diese Art und Weise über zwei Bankinstitute in Deutschland zu sprechen. Das tut wirklich nicht gut. ({0}) Alle Banken unterliegen inzwischen einem europäischen Aufsichtsregime. Wir haben zudem eine deutsche Finanzmarktkontrolle. Bei allen Fusionen, die stattfinden werden, werden die systemischen Risiken sehr gut berücksichtigt. Wir wissen: Je größer die Banken sind, desto stärker sind die Eigenkapitalanforderungen. All das ist inzwischen geregelt. Insofern steht das, was ich in Brisbane gesagt habe, nicht nur auf dem Papier. Wir haben auch die entsprechenden Dinge dazu gemacht. Unter dieser Maßgabe werden auch die aktuellen Gespräche geführt. Sie sind ergebnisoffen. Sie sind nach Marktbedingungen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Ich finde, es ist nicht unsere Sache, wertend einzugreifen, bevor die Gespräche zu Ende geführt wurden.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Eine Zusatzfrage.

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Bundeskanzlerin, mit Verlaub, zur Deutschen Bank würde mir noch viel mehr einfallen, nicht nur der Vergleich mit dem Truthahn. Die haben eine durchaus beachtliche Strafakte angesammelt. Ich möchte dann doch feststellen – vielleicht widersprechen Sie dieser Bewertung –, dass Ihre Aussage von 2014 nicht mehr gilt; denn Sie schließen keine Steuergelder für die Deutsche Bank aus.

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich habe gerade gesagt, dass die Aussage gilt und inzwischen in die Tat umgesetzt wurde durch eine Vielzahl ordnungspolitischer Maßnahmen. Also: Ich widerspreche Ihnen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Bundeskanzlerin, Gesundheitsminister Jens Spahn möchte 5 Millionen Euro für eine Studie ausgeben, um die psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen zu erforschen; es geht um das sogenannte Post-Abortion-Syndrom. Zur Vorbereitung der Ausschreibungen hat das Gesundheitsministerium zwei Fachgespräche durchführen lassen. Ergebnis des ersten Fachgesprächs war, dass die involvierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Fragestellung als nicht evidenzbasiert zurückgewiesen haben. Ergebnis des zweiten Fachgespräches war, dass auch die Beratungsinstitutionen gesagt haben, dass es keinen Erkenntnisbedarf gibt. Meine Frage ist: Ist diese Studie nicht einfach reine Geldverschwendung, um einen schlechten Kompromiss beim § 219a StGB durchzusetzen? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich finde den Kompromiss, den wir beim § 219a gefunden haben, einen sehr guten Kompromiss, auf den wir sehr viel Energie verwandt haben. ({0}) Ich halte die Studie auch für sinnvoll und vernünftig, und deshalb, glaube ich, wird sie auch durchgeführt. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage.

Katja Dörner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004030, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nun wissen wir ja, dass die Versorgungslage sowohl mit Blick auf Schwangerschaftsabbrüche als auch mit Blick auf Hebammen beispielsweise nicht gut ist, genau genommen sogar sehr schlecht ist. Wären diese Gelder, die jetzt für diese Studie ausgegeben werden sollen, in diesem Bereich nicht deutlich besser investiert?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Unsere neuen Regelungen und Ergänzen des § 219a haben ja geradezu den Sinn, dass Frauen darüber informiert sind, wann und wo die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs besteht. Die Frage der Hebammen ist ein ganz anderes Kapitel, mit dem wir uns ja auch sehr, sehr intensiv beschäftigen. Insofern glaube ich, dass wir durch unsere Regelung die Situation eher verbessern, als dass wir sie verschlechtern.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Axel Gehrke, AfD, stellt die nächste Frage.

Prof. Dr. Axel Gehrke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004725, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Bundeskanzlerin, fehlende Fachkenntnisse ausländischer Ärzte aus Drittstaaten, die in Deutschland arbeiten, haben leider bereits Menschenleben gekostet. Selbst echte Dokumente aus Drittstaaten bieten keine Gewähr für korrekt bescheinigte Qualifikationen. Halten Sie es deswegen für geboten, zukünftig bundeseinheitlich zu regeln, dass ausländische Ärzte aus Drittstaaten einer Prüfung unterzogen werden, die zumindest unserem Dritten Staatsexamen entspricht, und dass sie vor allem eine Zulassung erst dann erhalten, wenn sie gute Fähigkeiten der sprachlichen Kommunikation – auf Deutsch natürlich – nachweisen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Es gibt ja die staatliche Zulassung in den Gesundheitsberufen. Wir haben da einen Zusammenschluss der Bundesländer, die für diese Zulassung zuständig sind, befördert. Wir haben immer dafür geworben. Die Bundesländer haben sich darauf eingestellt, damit nicht jedes einzelne Bundesland jede Berufsgruppe im Gesundheitssystem zulassen muss. Das ist jetzt ins Laufen gekommen, und ich vertraue hier voll auf die Kompetenz der Länder. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage.

Prof. Dr. Axel Gehrke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004725, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das war sehr ausweichend, Frau Bundeskanzlerin. Ich meine gerade die Presseberichte über einen Libyer, der verurteilt wurde, weil er Urkunden gefälscht hatte, damit als Arzt tätig gewesen war und dann durch Unfähigkeit aufgefallen war. Sind solche Meldungen für Sie Einzelfälle, oder welche anderen Möglichkeiten sehen Sie, die Patienten vor fachlicher Nichtbehandlung entsprechend zu schützen? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Solche Fälle führen natürlich dazu, dass man die Zulassungsbestimmungen sich immer wieder mal anschaut, auch die Prozeduren; das ist ja völlig klar. Aber solche Fälle hat es leider auch schon bei deutschen Staatsbürgern gegeben. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Bernhard Daldrup, SPD, stellt die nächste Frage.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Bundeskanzlerin, wir sind bei der Grundsteuerreform zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf der Zielgeraden und haben nach jahrzehntelangen Diskussionen die Chance, nun ein neues Grundsteuerrecht zu verabschieden. Deswegen würde ich gerne wissen, ob Sie meine Auffassung teilen, dass es angesichts der Bedeutung der Grundsteuer für die Kommunen in Deutschland und der Verpflichtung des Bundes, für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen, auch weiterhin ein in Gesamtdeutschland geltendes einheitliches Grundsteuerrecht gelten sollte. Oder sind Sie eher der Auffassung, dass es eine Öffnungsklausel und damit sozusagen eine unglaubliche Differenzierung des Grundsteuerrechtes in Deutschland geben sollte?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich habe durchaus Sympathie für die Vorschläge meiner Fraktion, dass man auch Abweichungen ermöglichen sollte. Der Bundesfinanzminister betrachtet das ja auch und bewertet das auch. Wichtig ist, dass wir dann zu einer gemeinsamen Regelung kommen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würde es zu einer solchen Situation kommen, hätten wir dann nicht eine Lage, wie wir sie jahrzehntelang in Verhältnis zwischen Bund und unterschiedlichen Ländern gehabt haben, und das hohe Risiko, dass die Grundsteuer möglicherweise vollständig wegfällt? Wie wäre Ihre Auffassung dann, wie denn eigentlich die jährlich 14 Milliarden Euro Einnahmeausfälle der Kommunen kompensiert werden können? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Jetzt wollen wir nicht den Teufel an die Wand malen. Wir wollen ein Grundsteuerrecht in time bis zum Jahresende – das ist ganz klar –, und das werden wir auch gemeinsam hinbekommen; denn die Kommunen warten darauf. Wenn ich recht informiert bin, gibt es in den Kommunen sowieso Unterscheidungsmöglichkeiten auch durch die Hebesätze und vieles andere mehr. Wir haben sowieso kein einheitliches Steuerrecht überall. ({0}) Insofern ist es eine Fiktion, einfach zu sagen: Das muss alles über einen Kamm geschoren werden. – Aber wir wollen, dass in time, also in der notwendigen Zeit, ein Gesetz vorliegt. Das eint uns in der Koalition, glaube ich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die letzte Frage in dieser Regierungsbefragung stellt der Kollege Michael Theurer, FDP.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundeskanzlerin, Ihre Antwort zu Alstom und Siemens überzeugt nicht. Was machen Sie denn mit den anderen Wettbewerbern Tyco und Bombardier? Mit der Industriestrategie will der Bundeswirtschaftsminister ja den Wettbewerb einschränken und die Fusionskontrolle schwächen. Er will auch eine Industrieholding schaffen über die KfW, die Beteiligungen an Unternehmen erwirbt. Das hat zu massiver Kritik geführt: bei Unternehmen, bei den Industrieverbänden, insbesondere im Mittelstand und bei den Familienunternehmen. Wann sprechen Sie Peter Altmaier Ihr vollstes Vertrauen aus? ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Ich habe ja schon gesagt, dass die Initiative von mir sehr positiv eingeschätzt wird und dass es darüber natürlich eine kontroverse Diskussion gibt. Herr Theurer, Sie wissen doch auch, dass wir durch die globalen Entwicklungen – jetzt habe ich noch gar nicht von der Plattformwirtschaft gesprochen – völlig neue Herausforderungen beim Kartellrecht haben. Wenn das Kartellrecht so bleibt, wie es in den 50er- und 60er-Jahren war, dann werden wir damit nicht hinkommen. Darüber zu sprechen, gebietet die Vernunft, auch mit Blick auf die Möglichkeit, dass wir weltweit führend bleiben. Bei Mobilitätsplattformen und anderem haben wir noch ganz andere Probleme. Deshalb führen wir all die Plattformdiskussionen durch. Als Bundeskanzlerin lade ich immer den Chef des Bundeskartellamtes ein, damit gerade da Sensitivität entsteht und wir gemeinsame Antworten finden; denn das Kartellamt agiert natürlich unabhängig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Zusatzfrage.

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ein Wettbewerbsrecht für die digitale Ökonomie ist absolut notwendig; aber bei der Industriestrategie von Peter Altmaier kommt die Kritik insbesondere aus dem deutschen Mittelstand, von den Familienunternehmen, zum Beispiel von Herrn Eben-Worlée oder von Frau Leibinger-Kammüller von Trumpf. Nehmen Sie die Sorgen des deutschen Mittelstandes nicht ernst, und warum machen Sie sich die Position des deutschen Mittelstands nicht zu eigen?

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Schauen Sie, ich nehme die Position des deutschen Mittelstandes natürlich ernst, weil er das Rückgrat unserer Wirtschaft ist. Aber der deutsche Mittelstand prosperiert nur, wenn wir auch ein paar große Player haben. Über diese Dinge zu sprechen, ist notwendig. Da gibt es keine eineindeutigen Antworten. Niemand macht doch eine Industriestrategie gegen den deutschen Mittelstand. Große mittelständische Unternehmen, zum Beispiel die Firma Herrenknecht – die Ihnen wahrscheinlich genauso gut bekannt ist wie Frau Leibinger-Kammüller von Trumpf –, wissen, was sie für Wettbewerbsbedingungen heute auf der Welt haben und wie sie darauf reagieren müssen. Gott sei Dank gibt es eine Antwort, und die müssen wir voranbringen: Innovation, Innovation, Innovation. Dort, wo wir ein Stück besser sind als andere, schaffen wir es meistens auch, auf die Märkte zu kommen. Diese Weisheit gilt nach wie vor, mit und ohne Altmaiers Industriestrategie.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Mit diesem Appell schließe ich die Regierungsbefragung. ({0})

Rita Hagl-Kehl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11004287

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bezahlbares Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen dieser Zeit. Was heute zum Allgemeinplatz geworden ist, ist noch nicht allzu lange so. Noch bevor in Berlin über Enteignungen diskutiert wurde und große Demonstrationen gegen hohe Mieten standfanden, nämlich bereits im Jahr 2013, hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz unter Minister Heiko Maas die Mietpreisbremse auf den Weg gebracht. Damals haben viele Zeter und Mordio geschrien. Aber wenn Sie mich fragen: Man hätte die Mietpreisbremse bereits damals schärfer stellen sollen. ({0}) Denn dann würde sie die Entwicklung der Mieten noch besser bremsen. Davon bin ich überzeugt. ({1}) Seit Beginn der Legislaturperiode arbeiten wir im Bereich „Wohnen und Miete“ mit Hochdruck an weiteren Verbesserungen des Mieterschutzes. Dafür hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag und beim Wohngipfel ein Programm gegeben. Das ist nicht in Stein gemeißelt und enthält nicht alles, was aus Mietersicht wünschenswert wäre. Es sind aber die ersten Schritte zu weiterem Schutz vor überhöhten Mieten und vor Verdrängung; denn die Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt und Toleranz ist, dass Menschen noch Räume haben, in denen sie sich begegnen können. Mit dem Ende 2018 verabschiedeten Mieterschutzgesetz haben wir schon erste Maßnahmen für bezahlbare Mieten erfolgreich auf den Weg gebracht. Durch mehr Transparenz bei der Mietpreisbremse und der abgesenkten Umlage für Modernisierungen wird das Herausmodernisieren künftig schwieriger. Das stärkt die Rechte der Mieter und schützt sie vor Druck durch den Vermieter. Damit wird es aber nicht sein Bewenden haben. Aus der Vielzahl der Punkte, die wir noch vorhaben, will ich Ihnen noch drei weitere nennen, zu denen wir noch 2019 Vorschläge machen werden: Erstens: die Verlängerung der Mietpreisbremse um weitere fünf Jahre. Hierbei geht es uns auch darum, dass wir die Rüge als Voraussetzung abschaffen. Der Mieter hat bis jetzt erst, nachdem er gerügt hat, und nicht schon vom Mietbeginn an ein Recht auf Rückerstattung und damit nichts in der Hand, wenn der Vermieter schon zum Mietbeginn eine höhere Miete angesetzt hat. Wir glauben, dass das auch eine große Rolle spielen wird. Zweitens: die Verlängerung des Betrachtungszeitraums der ortsüblichen Vergleichsmiete von vier Jahren auf sechs Jahre. Das ist ein Beschluss des Wohngipfels vom September 2018. Diese wird ebenfalls zu einer Dämpfung des Mietanstiegs führen. Drittens wollen wir auch die Nebenkosten senken, die anfallen, wenn jemand ein Wohneigentum erwirbt. Uns geht es darum, dass junge Menschen sich möglichst frühzeitig ein Wohneigentum zulegen können und damit einen Schutz vor steigenden Mieten, aber auch vor Verdrängung haben. Dazu fordern wir und vor allem unsere Ministerin – das wurde auch auf dem Wohngipfel so beschlossen – das Bestellerprinzip beim Immobilienkauf. ({2}) Im Folgenden geht es aber auch darum, welche Maßnahmen im Baubereich ergriffen werden. Es nützt nichts, wenn wir uns nur um den Mieterschutz kümmern, gleichzeitig aber nicht gebaut wird; denn die Nachfrage nach Wohnungen ist da. Deswegen übergebe ich im Folgenden gerne an den Kollegen Marco Wanderwitz, der seine Sicht aus dem Baubereich darstellen wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Tino Chrupalla für die AfD. ({0})

Tino Chrupalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004695, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Vor ein paar Jahren war der deutsche Wohnungsmarkt noch vergleichsweise entspannt. Das war zu Zeiten, als man zum Beispiel in London zwei gut bezahlte Jobs haben musste, um sich ein WG-Zimmer in einer guten Lage leisten zu können. Von einer eigenen Wohnung konnten da viele nur träumen. Heute ist Berlin auf dem besten Weg in eine ähnliche Situation – München, Hamburg und Dresden auch. Wie kommt das? Die Gründe liegen eigentlich auf der Hand, und die Herren von den Altparteien müssten es eigentlich am besten wissen. Wer hat denn im Jahr 2006 beschlossen, den gesamten kommunalen Wohnungsbestand in Dresden an ausländische Immobilienspekulanten zu verhökern? Ich kann Sie daran erinnern: Das war der Dresdner Stadtrat mit den Stimmen von CDU, FDP und der PDS – ({0}) ausgerechnet von den Parteien, die sich um die Mietpreise sorgen. 48 000 Wohnungen wurden damals an die US-amerikanische Investorgruppe Fortress verkauft. Sie konnte sich mit ihrem Angebot gegen Apellas durchsetzen. Das ist übrigens die Beteiligungsgesellschaft von Ihrem Spezialfreund George Soros. Frau Barley steht ja in sehr gutem Verhältnis zu ihm, und ich nehme an, der eine oder andere hier auch. Nun ja, Herr Soros hat es dann gemeinsam mit Ihrer großzügigen Unterstützung geschafft, die Mieten mit anderen Mitteln nach oben zu treiben, und zwar mit seiner Propaganda für offene Grenzen. Allein in den drei Jahren von 2015 bis 2017 betrug der Wanderungsüberschuss circa 2 Millionen Menschen, von denen die meisten in die Städte drängten. Das ist ein ganz offensichtlicher Zusammenhang, der hier aber geflissentlich übersehen wird. ({1}) – Ja, ja, machen Sie sich nur lustig. Sie werden schon noch sehen, was Sie davon haben. ({2}) – Ja, eben. ({3}) Für wie dumm halten Sie eigentlich die Wähler? Glauben Sie im Ernst, man kann hier Millionen von Menschen neu ansiedeln, ohne dass sich das auf die Mietpreise auswirkt? ({4}) Das Dumme ist nur, dass fleißig arbeitende und steuerzahlende deutsche Bürger die Zeche bezahlen müssen. Dass das eine bodenlose Ungerechtigkeit ist, müsste eigentlich jedem einleuchten. Das brauche ich eigentlich nicht zu erklären. ({5}) – Ja, wie immer. Ja, werte Kollegen, es gibt auch viele türkische Familien, die hier ihre Steuern zahlen. Für die sind die steigenden Mieten übrigens genauso ein Problem, und auch sie fühlen sich benachteiligt gegenüber den sogenannten Flüchtlingen. Auch wenn 2018 nur 165 000 Asylbewerber plus 40 000 über ein Visum im Rahmen des Familiennachzugs plus 10 000 Illegale nach Deutschland gekommen sind, ({6}) entspricht diese Größenordnung immer noch der Einwohnerzahl einer Stadt wie Lübeck. Der Zuzug von 2 Millionen Menschen erfordert – damit Sie sich das mal plastisch vorstellen können – den zehnfachen Wohnraum von Lübeck oder 33 neue Städte in der Größe von Görlitz. Da wird es dann ganz schön eng in einem der am dichtesten besiedelten Länder Europas. Ist es denn ein Wunder, dass da die Mietpreise durch die Decke gehen? ({7}) In Berlin lief übrigens ein ähnliches Spiel wie in Dresden. ({8}) 65 000 Wohnungen aus dem kommunalen Wohnungsbestand wurden an ein Konsortium internationaler Fondsgesellschaften veräußert – für schlappe 400 Millionen Euro. Das sind übrigens gerade mal 6 000 Euro pro Wohnung. Die Vorlage erstellte damals die rot-rote Regierung, also die Kommunisten und die Sozialisten, ({9}) die bis heute ihr trügerisches soziales Image pflegen. ({10}) Was soll man dazu sagen? Und wenn die Grünen jetzt noch mehr sozialen Wohnungsbau vorschlagen, statt die Überbesiedlung unseres Landes samt ihren ökologischen Konsequenzen anzugehen, dann ist ihnen wirklich nicht mehr zu helfen. Die AfD-Fraktion hätte da ein paar Lösungsvorschläge, um die Mietpreise zu drosseln. ({11}) – Doch, doch. Von Ihnen kommen ja solche Vorschläge nicht. ({12}) Erstens: Maßnahmen gegen gemeinwohlfeindliche, man könnte auch sagen: asoziale Immobilienspekulanten. ({13}) Zweitens: konsequente Rückführung aller nicht bleibeberechtigter Personen und Abweisung illegaler Einwanderer an der Grenze. Drittens: Ausstieg aus dem Migrationspakt. ({14}) Übrigens haben wir im Osten noch reichlich bezahlbaren Wohnraum anzubieten, insbesondere in meinem Wahlkreis Görlitz. Das ist eine sehr schöne Gegend, und wenn die Bundesregierung dort nicht so viele Arbeitsplätze vernichten würde, dann könnte man dort auch gut arbeiten und leben. Vielen Dank. ({15})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner in der Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär Marco Wanderwitz für die Bundesregierung. ({0})

Marco Wanderwitz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003655

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde dann wieder zum Thema sprechen wollen, nämlich zu Bauen und Wohnen. ({0}) Ich möchte mit dem beginnen, was die Kollegin ­Hagl-Kehl bereits gesagt hat: Das Thema Wohnen, das wir heute besprechen, gehört in der Tat zu den großen sozialen Fragen unserer Zeit. Wir bearbeiten dieses Thema als Bundesregierung, ({1}) und zwar gemeinsam mit den Ländern und den Kommunen; denn da liegt die gemeinsame Verantwortung für dieses wichtige Thema. Genau deshalb haben wir uns im September letzten Jahres bei der Bundeskanzlerin gemeinsam mit Ländern und Kommunen zum ersten Wohngipfel zusammengefunden, unsere Konzepte übereinandergelegt und uns Hausaufgaben aufgegeben. Für uns, für die Bundesregierung, finden sich diese in unserem Koalitionsvertrag wieder, den wir abarbeiten. ({2}) Ich möchte bei der Gelegenheit festhalten, dass es erhebliche regionale Unterschiede in unserem Land gibt. Das sieht man bei dieser Thematik ganz deutlich. Es gibt extrem betroffene Gegenden, zum Beispiel Berlin. Das sind zumeist große Städte, aber auch teilweise Regionen im Umfeld von Boomstädten. Im Gegensatz dazu gibt es Regionen, die vom Thema Mietpreissteigerungen und vom Thema Wohnungsknappheit nicht oder nur sehr gering betroffen sind. Das zumindest gilt es festzuhalten; denn das kommt mir bei der aufgeregten Debatte der letzten Tage manches Mal ein wenig zu kurz. Deshalb ist das Thema „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ auch Teil unserer Antwort auf die Mietprobleme, insbesondere in großen Städten. ({3}) Wenn in Deutschland in gewissen Regionen 1,5 Millionen Wohnungen fehlen und es gleichzeitig in anderen Regionen einen Leerstand von 2 Millionen Wohnungen gibt, dann muss doch Teil der Lösung sein – und das wollen wir; deswegen gibt es die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die im Sommer ihre Ergebnisse vorlegen wird –, dass uns unter dem Gesichtspunkt „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ eine proaktivere Strukturpolitik gelingt, durch die nicht mehr, wie bisher, zu viele Menschen aus den strukturschwachen ländlichen Regionen wegziehen, ({4}) wodurch dort Probleme entstehen, während auf der anderen Seite der Zuzug in die großen Städte ebenfalls Probleme mit sich bringt. ({5}) Deswegen sind wir bei dem Thema Daseinsvorsorge; deswegen sind wir bei dem Thema Milchkanne, Frau Kollegin Göring-Eckardt; deswegen sind wir bei dem Thema Mobilität, und deswegen sind wir bei dem Thema Arbeitsplätze. Das, was wir uns jetzt in der sogenannten Kohlekommission zum Thema „Strukturwandel in den Braunkohleregionen“ vorgenommen haben, ist gar nicht so schlecht, finde ich. Im Gegenteil: Aus meiner Sicht ist das eine gute Blaupause. In diesem Sinne wird auch die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ im Sommer Vorschläge liefern. ({6}) Ich möchte als Erstes nicht über Mieten, sondern über Wohnen im Eigentum sprechen. Warum? Weil wir eines der Länder sind, das im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarländern die niedrigste Wohneigentumsquote hat. Auch das ist Teil des Problems in diesem Land. Wenn nämlich die Wohneigentumsquote höher wäre – so hoch wie in anderen Ländern –, dann hätten wir dieses Mietproblem in geringerem Maße. Deswegen hat sich diese Bundesregierung vorgenommen, die Wohneigentumsquote zu erhöhen, ({7}) und deswegen ist – auch wenn ich weiß, dass das manchen nicht gefällt, wahrscheinlich weil sie etwas gegen selbstgenutztes Wohneigentum haben – eines der wichtigsten Instrumente, das wir bereits auf den Weg gebracht haben, so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, das Baukindergeld: ({8}) 1 200 Euro pro Jahr und Kind für zehn Jahre für junge Familien, die Wohneigentum erwerben wollen, und zwar unabhängig davon, ob sie es im Bestand erwerben oder ob sie dafür neu bauen. Es geht vor allem darum, Familien in Eigentum zu bringen, damit sie künftig Wohneigentümer statt Mieter sind. ({9}) Deswegen bin ich sehr stolz auf dieses Baukindergeld, das wir binnen sechs Monaten zum Laufen gebracht haben. 1,7 Milliarden Euro sind mittlerweile gebunden. 83 000 Anträge sind gestellt. Die ersten 4 000 haben jetzt ihre Auszahlungen bekommen, gerade mal ein Jahr nachdem die Regierung angefangen hat, zu arbeiten. Ich finde, das ist sehr vorzeigbar. Wir wollen die Wohnungsbauprämie ertüchtigen und attraktiver machen. Wir haben uns vorgenommen, ein begleitendes Bürgschaftsprogramm zum Eigentumserwerb auf den Weg zu bringen, dies wiederum, wie schon das Baukindergeld, mit der KfW. Wir appellieren in dem Bereich, in dem wir als Bund keine eigene Kompetenz haben, intensiv an die Länder, dass sie das tun, was dem gesunden Menschenverstand entspricht, nämlich aufhören, beim Thema Nebenkosten an der Grunderwerbsteuerschraube zu drehen. Bayern und Sachsen sind da die beiden Vorbilder: Sie haben es nicht getan. Alle anderen haben zugelangt. Das Mindeste, was da herauskommen muss, ist ein Freibetrag für erstmaligen Wohneigentumserwerb. ({10}) Wir haben das Thema Bauland als ein Nadelöhr identifiziert, was nicht besonders schwer war, aber wir bearbeiten es auch, und zwar mit einer Baulandkommission, die seit einigen Monaten intensiv arbeitet. Das weiß ich deshalb, weil ich ihr gemeinsam mit einigen Kollegen aus dem Bundestag und vielen Expertinnen und Experten aus den Ländern, Kommunen und Verbänden angehöre; ich leite diese Kommission. Wir wollen das Nadelöhr Bauland beseitigen. Ich nenne einfach mal ein paar Stichpunkte, die derzeit diskutiert werden. Das ist zunächst das Bauordnungsrecht, insbesondere der Vorschlag, dass die Musterbauordnung deutschlandweit gilt, damit sie nicht nur ein Muster ist und es am Ende nicht doch 16 Landesbauordnungen gibt. ({11}) Es geht beispielsweise um die Themen „Verdichtung“, „Dachgeschossausbau“ und „Dorfkern“; es geht um ein moderates Mehr an Möglichkeiten des Bauens im Außenbereich, ({12}) wo beispielsweise Familien über Land verfügen, auf dem sie gerne bauen würden – zum Beispiel unmittelbar neben dem Bauernhaus, das den Eltern gehört –, was sie derzeit aber nicht können. ({13}) Es geht auch um das Thema „Aktivierung öffentlicher Grundstücke“. Die BImA beispielsweise geht da schon voran. Das Eisenbahnsondervermögen ist ein weiteres Thema beim Bund. Aber auch die Länder haben öffentliche Grundstücke. Deswegen haben sie sich verpflichtet, diese zu aktivieren. Es geht um die Themen „Erbbaurechte“, „kommunale Bodenpolitik“ und um den § 13b Baugesetzbuch, der bis Ende dieses Jahres läuft und – auch wenn die Evaluation nach relativ kurzer Zeit schwierig ist – sich aus meiner Sicht als gut taugliches Instrument erwiesen hat, mit etwas weniger Aufwand schneller zu Ergebnissen bzw. zu Baugenehmigungen zu kommen. ({14}) Ich komme vom Thema „Wohnen im Eigentum“ zum Thema „Wohnen im Mietobjekt“. Die Bundeskanzlerin hat es vorhin bei ihrer Befragung schon angesprochen: Am Freitag ist mal wieder eine Sitzung des Bundesrats. Da geht es auch um eines der zentralen Instrumente des regierungsseitigen Instrumentenkoffers beim Thema Mietwohnungsbau, nämlich die Sonder-AfA. Sie wird befristet. Das kann man kritisieren. Ich bin sehr dafür, dass wir darüber sprechen, wie man mittelfristig dauerhaft zu einer höheren Abschreibung kommen kann. Aber jetzt soll erst mal dieses Instrument einen Impuls geben. Für den Zeitraum von vier Jahren gibt es dann nicht nur die lineare Abschreibung von 2 Prozent pro Jahr, sondern auch eine zusätzliche Abschreibung von 5 Prozent pro Jahr. Das kostet Steuergeld; das führt zu Steuerminder­einnahmen. Genau deswegen hängt es im Bundesrat: weil die Länder offensichtlich nicht willens sind, ihren Teil zur Lösung beizutragen. Das bringt mich gleich zum nächsten Punkt, bei dem ich nicht anders kann, als deutlich zu sagen, dass die Länder hier – bis auf wenige löbliche Ausnahmen – für die letzten Jahre kein Ruhmesblatt vorzuweisen haben, und das ist das Thema „sozialer Wohnungsbau“. Ich sehe hier beispielsweise den Kollegen Wegner, der ja aus Berlin kommt. Wenn ich dann vor meinem geistigen Auge die Berliner Bausenatorin sehe, die am Wochenende auf einer Demo faktisch gegen ihre eigene Politik demonstriert hat, dann stelle ich mir schon die Frage, was für eine Art von Persönlichkeitsspaltung man da haben muss. ({15}) Berlin hat beim sozialen Wohnungsbau komplett versagt – mit einer linken Bausenatorin. ({16}) Insofern: Machen Sie Ihre Hausaufgaben. Dann können Sie bei dem Thema wieder mitdiskutieren. Wir als Bund haben jedenfalls 2018 und 2019 den Ländern 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt. Gott sei Dank ist die Grundgesetzänderung, durch die wir ab 2020 wieder selbst in den sozialen Wohnungsbau einsteigen können, durchgegangen, nachdem auch sie im Bundesrat eine kleine Schleife gedreht hat. Bis dahin erwarte ich, dass die Länder – ich habe heute beispielsweise Positives aus Niedersachsen gelesen – endlich mit dem Geld mehr für den Zweck tun, für das es ursprünglich mal vorgesehen war, nämlich Sozialwohnungsbau. Mir ist klar, dass es nur eine investive Zweckbindung gibt und deswegen in den allermeisten Fällen in den letzten Jahren kein Missbrauch der Bundesmittel im eigentlichen Sinne stattgefunden hat. Aber seit der Bund nicht mehr die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau trägt, seit der Föderalismusreform 2006, hat sich der Bestand an Sozialwohnungen in Deutschland halbiert. Dafür tragen die Landesregierungen die Verantwortung, niemand hier in diesem Haus. ({17}) Der letzte Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist das Thema Wohngeldreform. Die werden wir zum 1. Januar 2020 zum Fliegen bekommen – schon wieder; denn die letzte ist noch nicht so lange her. Warum? Weil es nottut. Deswegen will ich ausdrücklich sagen: Wir brauchen regelmäßige Anpassungen der Bedarfssätze. Das kann man Dynamisierung nennen. Wir sind da innerhalb der Bundesregierung noch intensiv am Verhandeln. Aber die Wohngeldreform, wie sie im Koalitionsvertrag steht, steht ebenfalls auf unserer Tagesordnung. Wir arbeiten das ab, was wir uns vorgenommen haben. Und wenn die Länder und die Kommunen mittun, bin ich guten Mutes, dass wir das Thema nicht morgen gelöst haben, aber dass wir bis Ende der Legislaturperiode erheblich weitergekommen sein werden. Danke schön. ({18})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. – Der nächste Redner ist der Kollege Christian Lindner, FDP-Fraktion. ({0})

Christian Lindner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004097, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle wissen, dass die Wohnungsmärkte angespannt sind. ({0}) – Ja, klar. – ({1}) Auch gerade wir hier, die wir als Abgeordnete in Berlin tätig sind und hier einen Zweitwohnsitz haben, kennen das aus eigener Betroffenheit. ({2}) Nun haben wir ein Einkommen, mit dem Wohnraum für uns erschwinglich bleibt. Aber wir kennen die Situation hier. Deshalb leugnet niemand die angespannte Situation, auch wir nicht. Es handelt sich aber nicht um Marktversagen. Im Gegenteil: Die Märkte funktionieren sehr gut. Die Märkte zeigen nämlich an, dass wir eine hohe Nachfrage bei einem knappen Angebot haben. Wir können darauf mit einer individuellen Unterstützung von Bedürftigen reagieren, zum Beispiel durch eine Subjektförderung à la Wohngeld. Vor allen Dingen müssen aber Angebot und Nachfrage ausgeglichen werden. Das geht nur, indem mehr gebaut wird; ({3}) denn eine Enteignung schafft nicht eine einzige zusätzliche Wohnung. ({4}) Übrigens, in dem Zusammenhang wird über Soros und Spekulanten usw. gesprochen. In welchem Zustand waren denn die öffentlichen Wohnungen, die damals privatisiert worden sind, ({5}) bei denen dann Private in die Sanierung investieren mussten? Und wem gehören heute diese Wohnungsportfolios? Lebensversicherungen, Versorgungswerken; oft sind es kirchliche Träger. Wer hier pauschal von Spekulanten mit allen Nebenbedeutungen spricht, wird der wirklichen Situation überhaupt nicht gerecht. ({6}) Wir müssen also mehr bauen. Wir brauchen attraktive steuerliche Rahmenbedingungen und schnellere Baugenehmigungen, auch durch die Möglichkeit der Digitalisierung. Wir müssen Flächen ausweisen, nachverdichten, Dachgeschosse ausbauen und aufstocken und Baukosten reduzieren. Eine Enteignung, wie sie jetzt wieder in die Debatte eingebracht wird, führt nur dazu, dass der Mangel anders verwaltet wird. Enteignung führt nicht dazu, dass der Mangel behoben wird. ({7}) Herr Staatssekretär, Sie haben eben über Energiekosten gesprochen. Ich finde es richtig, dass Sie das Augenmerk darauf lenken, dass wir nicht nur über die Kaltmiete sprechen dürfen. Vielmehr müssen wir auch über die Warmmiete sprechen. ({8}) Für die Mieterinnen und Mieter ist doch entscheidend: Wie hoch ist die Warmmiete? Wo sind die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen oder der Bundesregierung, um unsere Energiekosten endlich unter Kontrolle zu bekommen? ({9}) Inzwischen zahlen die privaten Verbraucher die höchsten Strompreise. Das belastet sie auch. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun gibt es hier in Berlin den Vorschlag der Enteignung. Der Parteivorsitzende der Grünen hat sich ganz an die Spitze der Bewegung gesetzt. ({11}) Ja, in Artikel 15 des Grundgesetzes ist das vorgesehen. ({12}) Das ist archaisches Verfassungsrecht; denn das ist ein Recht, das vor dem Godesberger Parteitag der SPD geschaffen worden ist. Es ist geschaffen worden zur Zeit des Ahlener Programmes der CDU, als Sie noch die Verstaatlichung der Industrie wollten. ({13}) Danach kamen Ludwig Erhard, das Wirtschaftswunder, die Erfolgsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft, und Hunderttausende, nein, Millionen Wohnungen wurden in Deutschland gebaut, und zwar aus dem Markt heraus in gesellschaftlicher Verantwortung. ({14}) In der DDR jedenfalls war das Wohnen weder sozialer noch besser. Dann sagt Herr Hofreiter: Für Autobahnen und Tagebau wird ja auch enteignet. – Das ist ein interessantes Argument. Dort wird enteignet, weil es kein milderes Mittel gibt. ({15}) Es gäbe aber mildere Mittel am Wohnungsmarkt, zum Beispiel, indem man Flächen ausweitet, ({16}) oder indem man zum Beispiel in den Landesentwicklungsplänen Siedlungsflächen vorsieht. Oft genug sind es die Grünen, die das verhindern. ({17}) Schauen wir allein auf das Land Berlin als Beispiel. Berlin-Westkreuz: 1 000 Wohnungen könnten geschaffen werden. Der grüne Baustadtrat will aber lieber eine Grünfläche, und deshalb findet dort keine Bebauung statt. ({18}) Tempelhofer Feld: Dort könnten 4 800 Wohnungen geschaffen werden. Grüne und Linke sind dagegen. 4 800 Wohnungen werden nicht gebaut. ({19}) Elisabeth-Aue in Berlin-Pankow: 5 000 Wohnungen könnten gebaut werden. Auf Drängen der Grünen schließt der Senat das aus. ({20}) Alleine in Berlin gehen 11 000 nicht gebaute Wohnungen auf das Konto der Verhinderer von Bündnis 90/Die Grünen. ({21}) Dann stellen Sie sich ganz nach vorne und sagen: Wir müssen enteignen. – Sie lenken von Ihrem eigenen Versagen hier in der Hauptstadt ab. Mein letzter Gedanke. Nach den Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung fehlen in Deutschland 1,9 Millionen Wohnungen. Das entspricht etwa einem Investitionsbedarf von 250 Milliarden Euro. Wo soll das Geld herkommen? Von der öffentlichen Hand mit Schuldenbremse? Das geht nur mit privatem Kapital, und mit Enteignungsdebatten, wie Sie sie führen, schrecken Sie privates Kapital ab, ausgerechnet dort, wo wir es brauchen. ({22}) Wir entspannen die Mietwohnungsmärkte auch – ich stimme dem Staatssekretär ausdrücklich zu –, wenn mehr Eigentum möglich ist. Sorgen wir also dafür, dass auch Normalverdiener in die Reichweite von Eigentum kommen. Das wäre übrigens auch eine Form privater Altersvorsorge. Mit dem Baukindergeld wird zumindest das richtige Motiv verfolgt, aber es ist das falsche Instrument, weil es nicht zielgenau ist. Richtig und gut wäre, es gäbe öffentlich abgesicherte Kredite auch für Familien mit normalen Einkommen, und wir würden endlich auf die Grunderwerbsteuer bei den Menschen verzichten, die zum ersten Mal in der Geschichte der Familie überhaupt Eigentum erwerben wollen. ({23})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Dietmar Bartsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003034, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Offensichtlich haben wir ein großes Problem. Das wird schon daran deutlich, dass sich alle darüber einig waren, hier eine erweiterte Aktuelle Stunde durchzuführen. Das hatten wir seit 15 Jahren nicht mehr im Deutschen Bundestag. Dass es ein Problem gibt, darüber ist man sich in diesem Hause also offensichtlich einig. ({0}) – Fragen gerne, ansonsten Ruhe. Wir haben in Deutschland ein Problem. Das wurde vor allen Dingen am letzten Wochenende deutlich. Zehntausende waren auf den Straßen; sie haben für bezahlbaren Wohnraum demonstriert und gegen die Mietenpolitik der Bundesregierung. Das ist das Erste. ({1}) Als Zweites will ich Folgendes sagen: Als wir in diesem Hohen Haus über die Flüchtlingsfrage diskutiert haben, wurde sehr häufig über die Ängste der Bürgerinnen und Bürger geredet. Ich kann Ihnen nur sagen: Diejenigen, die auf den Straßen waren, und viele andere mehr, die haben Ängste. Die haben Angst, dass sie ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können; die haben Angst, dass sie aus ihrer Wohnung rausmüssen. Das sind reale Ängste, um die wir uns wirklich kümmern müssen, meine Damen und Herren. Die Wohnungsfrage ist in Deutschland die zentrale soziale Frage der Gegenwart. Dementsprechend müssen wir handeln. ({2}) Es gibt einen zweiten Grund, warum dieses Thema so intensiv behandelt wird. Das hat mit dem schönen Wort „enteignen“ zu tun. ({3}) Auch Herr Lindner ist eben umfassend darauf eingegangen. Einige haben bei dem Thema Schweißperlen auf der Stirn, andere bekommen Schnappatmung. Ich will nur kurz NRW ansprechen: Schwarz-Gelb hat, wenn ich das richtig weiß, im Hambacher Forst enteignet. – Wie man sieht, hängt das also immer von der Situation ab. ({4}) Ich will Ihnen mal eines sagen: Dass der Markt nicht alles regelt, das zeigen die Ergebnisse deutlich. Wenn die Bundesregierung sich hierhinstellt und sagt, dass alles läuft, dann muss ich sagen: Frau Merkel regiert seit gefühlt hundert Jahren. Die Situation, mit der wir es jetzt zu tun haben, ist das Ergebnis Ihrer Politik. Sie haben für diese Situation gesorgt, im Übrigen auch mit Ihrer Entscheidung von 2006, die Verantwortung für den sozialen Wohnungsbau den Ländern zu übertragen. Wir waren damals dagegen. Man hätte den sozialen Wohnungsbau nicht den Ländern übertragen sollen; denn dann hätte sich der Bund stärker engagieren können. ({5}) Jetzt zum Thema Deutsche Wohnen, weil dieses Unternehmen besonders im Fokus steht. Das ist ein Unternehmen, das im letzten Jahr 1,8 Milliarden Euro Gewinn gemacht hat. Das ist ein Unternehmen, das eine Rendite von 18 Prozent eingefahren hat. Der Chef hat 4,5 Millionen Euro eingesackt. – Und da sagen Sie etwas von Markt, Herr Lindner? ({6}) Nein, Herr Lindner, es gibt keinen Mittelständler, der 18 Prozent Rendite einfährt. Diese Rendite geht zulasten der Mieterinnen und Mieter. Die sind ausgepresst worden. ({7}) Es sind massive Mietsteigerungen vorgenommen worden. ({8}) Selbst die 17 Milliarden Euro, die als Wohngeld und als sonstige Wohnkostenzuschüsse ausgegeben werden, landen bei diesen Unternehmen. Das ist Enteignung! Das ist Enteignung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! Das ist die Wahrheit. ({9}) Deutsche Wohnen und Vonovia haben nicht eine Wohnung gebaut; das ist doch die Realität. Bauen tun ganz andere. ({10}) Dann gibt es den schönen Satz: Enteignung schafft keine einzige Wohnung. – Na, Donnerwetter! Ich frage mich: Wer hat das eigentlich gesagt? Natürlich schafft Enteignung keine einzige Wohnung. Das ist eine völlig absurde Behauptung. Die bisherige Politik hat jedoch dazu geführt, dass die Menschen nur noch das Volksbegehren als Ausweg sehen. Und wenn dieses Volksbegehren innerhalb weniger Stunden Zehntausende Unterschriften bekommt, dann muss man doch mal darüber nachdenken, ob es vielleicht wirklich ein Problem gibt. Darum geht es doch. Und wenn hier gesagt wird: „Bauen, bauen, bauen“, dann sage ich: Gegen Bauen hat doch niemand etwas. Das ist doch völlig in Ordnung. ({11}) – Natürlich nicht. – Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Es geht doch nicht um das Bauen an sich. Es muss doch darum gehen, dass wir bezahlbare Wohnungen neu bauen. ({12}) Spekuliert wird im Wohnungsmarkt genug. Die Renditen sind sensationell. Natürlich bin ich dafür, den Ankauf von Grundstücken zu erleichtern. Natürlich bin ich für eine schnellere Vergabe von Baugenehmigungen. Wegen meiner können wir auch das Baurecht ändern. Das ist alles möglich. Aber noch dringender brauchen wir mehr Sozialwohnungen. Wir brauchen einen wirksamen Mietendeckel und nicht eine Mietpreisbremse, bei der der Name das Beste ist, die ansonsten aber real total versagt hat. Das ist doch die reale Situation. ({13}) Noch einmal zu dem Argument, wenn man in Berlin enteignen würde, würde das die Steuerzahler 36 Milliarden Euro kosten, und dieses Geld wäre dann nicht mehr vorhanden für andere Projekte. So einen Unsinn habe ich selten gehört. Jeder, der halbwegs etwas von Bilanzen versteht, der weiß, dass es den Haushalt überhaupt nicht belastet, wenn man eine Anstalt öffentlichen Rechts gründet – überhaupt nicht –, weil man dann nämlich auf der einen Seite Wohnungsbestand hätte und auf der anderen Seite Bankkredite. ({14}) Das ist doch völlig absurd. Das hat mit der Schuldenbremse null zu tun, wenn man das rechtlich vernünftig macht. Wenn man das rechtlich vernünftig macht, passiert da gar nichts. ({15}) Ich kann Ihnen ja mal einen Vorschlag machen, wie man die Mietpreise wirklich drücken kann: Man kann zum Beispiel den Betrachtungszeitraum für den Mietspiegel um fünf Jahre verlängern. Das würde den Druck auf die Mietpreise reduzieren. Dann würden sie wirklich sinken. Wohnen ist und bleibt ein Menschenrecht. Danach sollten wir uns richten und nicht nach den Interessen von Spekulantinnen und Spekulanten. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Katrin Göring-Eckhardt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, in der Tat reden wir über eine der zentralen sozialen, aber auch gesellschaftlichen Fragen. In dieser Zeit hat sich die Zahl der Wohnungslosen in unserem Land auf 1,2 Millionen erhöht. Es sind immer mehr Familien darunter; das ist ein Riesenthema. Wir wissen, dass sich Menschen, die in andere Bundesländer umziehen müssen, wie zum Beispiel die Bundespolizistin oder der Bundespolizist, die bzw. der den nächsten Karriereschritt machen will, fragen: Kann ich mir überhaupt das Wohnen leisten? Wir wissen, dass Studierende sich fragen: Kann ich meinen Studienplatz antreten? Kann ich mir das Wohnen leisten? – All das ist Thema derjenigen Menschen, die Tag für Tag Angst haben, keine bezahlbare Wohnung zu finden, Angst, weil die Wohnungsbesichtigung zum Shooting wird, und die zu Zehntausenden auf die Straßen gehen. Deswegen ist es richtig, dass wir zur Sache reden und hier nicht ideologische Kämpfe ausfechten, meine Damen und Herren. ({0}) Eines will ich Ihnen klar und eindeutig sagen: Ich hätte es Ihnen und mir gern erspart, über das Thema Enteignung zu reden. Ich hatte gehofft, dass wir wirklich über die dramatische Situation reden und darüber, welche Maßnahmen es gibt, und nicht über die eine Maßnahme, die es als allerletztes Mittel auch geben muss und die in unserem Grundgesetz steht. ({1}) Und wer das Grundgesetz hier angreifen will, dem sage ich: Das ist das Verrückteste, was ich überhaupt gehört habe, in der Demokratie, in diesem Parlament. ({2}) Sehr gern reden wir aber auch über das, was Enteignung ist. Wie kommt es denn, dass die SPD, die Union und auch die FDP immer unterstützt haben, dass Zehntausende von Menschen für die Tagebaue in Nordrhein-Westfalen und anderswo – wie das Bundesverfassungsgericht es formuliert – enteignet und zwangsumgesiedelt wurden, und gesagt haben: „Nein, es gibt keine milderen Maßnahmen“? Das ist eine klare und eindeutige Entscheidung der Enteignung, meine Damen und Herren. ({3}) Oder nehmen Sie den Straßenbau: Enteignung allerorten; oder die Verstaatlichung der Hypo Real Estate. Auch da hat niemand geschrien: Oh Gott, das ist ja Enteignung. – Nein, das war ganz locker, das ging ganz einfach, kein Problem für Sie. Aber jetzt ist es ein Problem, wenn es um Spekulanten geht, wenn es um Missbrauch von Eigentum geht. ({4}) Ich rede nicht von kirchlichen Genossenschaften, ich rede nicht von denjenigen, die dazu beitragen, dass sozialer Wohnungsbau funktioniert, sondern ich rede von denen, die gigantische Renditen erzielen, die versuchen, Leute durch Modernisierungen etc. aus den Wohnungen zu treiben. Von denen rede ich. Und in dem Augenblick, in dem Leute Wohnbebauung nicht möglich machen und Felder brachliegen lassen, da geht es um die letzte Möglichkeit der Enteignung. Sie sagen: Das geht nicht, das ist ideologisch. – Nein, das ist eine Möglichkeit, und über die muss man in diesen Zeiten reden, meine Damen und Herren. ({5}) All denen, die da von Sozialismus reden, will ich noch eines sagen: Im Sozialismus, in der DDR, wurde in mehreren Wellen enteignet. Es gab mehrere Menschen, die sich dagegen gewehrt haben, die hinterher dafür im Gefängnis gesessen haben. Wer jetzt so tut, als sei das, was hier auf der Grundlage des Grundgesetzes geschieht, mit der Art von Enteignung, die im Sozialismus geschah, vergleichbar, dem sage ich: Verdammt noch mal, entschuldigen Sie sich bei denjenigen, die darunter massiv gelitten haben, meine Damen und Herren! Das wäre das Mindeste! ({6}) Liebe Bundesregierung, Sie haben heute hier fast einschläfernde Reden gehalten. ({7}) – Ich scheine ja einen Nerv getroffen zu haben. – Man fragt sich schon: Was tun Sie eigentlich? Sie unterhalten sich über eine Mietpreisbremse, die nicht funktioniert und die ausläuft. Sie sagen: Das hätten wir gern anders. – Das können Sie machen, das machen Sie aber nicht. ({8}) Sie unterhalten sich darüber, dass der Soli unbedingt abgebaut werden muss. Das kann man machen, aber dann vergleichen Sie das bitte mit den Mietsteigerungen, die wir in den letzten Jahren hatten. ({9}) Die 300 Euro, die eine Mittelschichtfamilie durch den Abbau des Soli vielleicht herauskriegt, werden längst aufgefressen durch das, was in der Vergangenheit an Mietsteigerungen erfolgt ist, und zwar um das Drei-, das Vier-, manchmal das Zehnfache, wenn Sie nach München gucken, meine Damen und Herren. ({10}) Wenn man über Enteignung reden will, dann können Sie in dem Zusammenhang über Enteignung reden. Sie können sich auch einmal fragen, wieso eigentlich so wenige Mittelschichtfamilien heute noch bauen können. Das Baukindergeld hilft denen doch nicht, das ist ein Mitnahmeeffekt. ({11}) Der Grund ist vielmehr, dass die Kaufpreise genau wie die Mieten gigantisch gestiegen sind. Nur ganz wenige, nämlich die Großinvestoren, profitieren davon. Ich sage: Das hilft dem Wohnungsmarkt in diesem Land überhaupt nicht, meine Damen und Herren. ({12}) Ich will zuletzt sagen: Wir haben wirklich in den Städten ein riesiges Problem. – Ja, auf der anderen Seite, in den ländlichen Regionen, gibt es zum Teil Leerstand, lebt zum Teil die Großmutter allein im großen Haus. An alles das müssen wir auf andere Weise rangehen; aber das ist ein anderes Thema. – Was wir jetzt brauchen, sind echte Maßnahmen: dass Boden zur Verfügung gestellt wird – auch von der BImA –, dass das Erbbaurecht genutzt wird, dass wir eine echte Mietpreisgarantie bekommen, dass wir endlich gemeinnützig bauen und dass diese gemeinnützigen Wohnungen auch gemeinnützig, also günstig, bleiben. Darum geht es doch heute. Das muss endlich kommen, und zwar mit Macht! ({13}) – Ja, natürlich, in Baden-Württemberg passiert das. Nach Schwarz-Gelb ist die Zahl der Sozialwohnungen dort um 500 Prozent gestiegen! Das sollten Sie sich hinter die Ohren schreiben! ({14}) So. Und dann hätten wir noch eine Sache, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– die könnten wir wirklich gebrauchen, nämlich einen Bauminister, der seine Arbeit macht ({0}) und vielleicht in so einer Debatte auch einmal anwesend ist. ({1}) Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir liegt ein Antrag der Fraktion der FDP vor, den Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat herbeizuzitieren. ({0}) Gibt es dagegen eine andere Auffassung, die hier vorgetragen wird? – Bitte schön, Kollege Grund. ({1}) – Moment! Danach wird abgestimmt, jetzt wird erst mal gefragt.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, es gilt hier immer noch das Prinzip von Rede und Gegenrede. Es ist der Antrag gestellt worden. Wir widersprechen diesem Antrag, weil die Bundesregierung – zwei Parlamentarische Staatssekretäre haben zum Thema vorgetragen und gesprochen – hier gut vertreten ist, nicht nur personell, sondern auch inhaltlich. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Gut. – Dann lasse ich über den Antrag der Fraktion der FDP auf Herbeizitierung des Ministers abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – ({0}) Wer ist dagegen? – ({1}) Ich glaube, das Letztere ist die Mehrheit, oder? – Nein? Sind wir uns nicht einig? – Also, darf ich noch einmal fragen: Wer gegen den Antrag der FDP ist, den bitte ich noch einmal um das Handzeichen. – ({2}) Das ist die Mehrheit. – Nein? Also, wir sind uns leider im Präsidium nicht einig, ({3}) sodass ich Sie jetzt bitte, den Saal zu verlassen; wir müssen einen Hammelsprung machen. ({4}) Wenn Sie bitte die Türen schließen und den Saal verlassen. – ({5}) Wenn Sie den Plenarsaal zügig verlassen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar; es muss vorangehen. – Ich darf Sie jetzt wirklich bitten, den Plenarsaal zu verlassen. – Darf ich mal fragen, ob die Türen mit Schriftführern besetzt sind? – Gut. Dann eröffne ich die Abstimmung. Sind wir so weit? – Dann schließe ich die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt: 441 Kollegen haben sich an der Abstimmung beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 194, mit Nein 246, 1 Enthaltung. Damit ist der Antrag der FDP abgelehnt. Ich begrüße unter uns ganz herzlich den Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer, ({6}) der genau wie Sie alle an dieser wichtigen Debatte teilnehmen wird. Wir kommen zum nächsten Redner. Das ist für die Fraktion der SPD der Kollege Bernhard Daldrup. ({7})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch mich freut es, dass der Minister jetzt da ist und dass das Ganze eine bestimmte, hohe Aufmerksamkeit erhält. Aber ich darf Ihnen versichern: Ich bin nicht die unsichtbare Hand der FDP. Man hat das so veranlasst. Es ist in Ordnung. Die Demonstrationen, die es am letzten Wochenende gegeben hat, und sicherlich auch das Volksbegehren zur Enteignung großer Immobilienunternehmen sind mit ausschlaggebend für diese Aktuelle Stunde gewesen. Man merkt ja sofort: Enteignung, das ist immer noch so ein Begriff, der viele Gemüter in Unruhe versetzt. Dabei zieht es kaum jemand in Zweifel – das ist eben auch schon gesagt worden –, wenn beispielsweise bei Bebauungsplanverfahren für baureife Grundstücke oder wenn es um Verkehrstrassen geht, Artikel 14 des Grundgesetzes herangezogen wird. Wir haben solche Dinge sogar schon gemacht, als es um leidende Banken mit Systemrelevanz ging; Verstaatlichung war das dann. Jetzt geht es mehr um Artikel 15 unseres Grundgesetzes. In beiden Artikeln sind jedenfalls Enteignung und Vergesellschaftung verankert – als Ultima Ratio und nachrangig zum Schutz des Eigentums. Aber ich frage mich bei dieser Debatte, warum man eigentlich so elektrisiert reagiert. Was ist eigentlich mit den Unternehmen, die bei den Mieterinnen und Mietern solche existenziellen Ängste auslösen – die Unternehmen müssten doch eigentlich die Partnerinnen der Mieterinnen und Mieter sein –, sodass die Betroffenen solche Forderungen überhaupt stellen? Darüber muss, meine ich jedenfalls, gesprochen werden. ({0}) Es geht nämlich nicht einfach nur um Mieterhöhungen – sie sind bestimmt von höchstem Interesse –, sondern auch um den Verlust des Zuhauses; es geht um den Verlust von einem Stück Heimat und um die Angst vor sozialem Abstieg. Das gehört alles dazu. Der Fall eines 89‑jährigen Rentners, dem nach 44 Jahren die Wohnung gekündigt werden soll, mag ja ein extremes Beispiel sein; aber es ist nicht das einzige in einem Kontext, in dem es so nicht weitergehen kann. ({1}) Was ist eigentlich die Antwort darauf? Wir sind der Auffassung: Enteignung ist es nicht, und zwar wegen der Ungewissheiten, die damit verbunden sind, und wegen der Fragen: Sind die Voraussetzungen erfüllt? Was ist mit den Wertermittlungen? Wie ist das mit der Finanzierbarkeit der Entschädigungen? Vor allen Dingen aber müssen wir fragen: Nutzt es eigentlich den Mieterinnen und Mietern, und ist es gut für die Zukunft? Verstaatlichung schafft – das ist eben gesagt worden – keine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt – diese Auffassung teilen wir –, sie schafft auch keine neuen Wohnungen; das ist auch zutreffend. Aber permanente und exorbitante Mieterhöhungen schaffen auch keine neuen Wohnungen, und deshalb muss man dagegen etwas tun. ({2}) Kurzum, der Weg wirft wahrscheinlich mehr Fragen auf, als er Probleme löst. Ich möchte nur auf eines reagieren. Ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn die Debatte zum Vehikel einer politischen Rechtsverschiebung, einer Verschiebung unserer politischen Kultur, unseres Verhältnisses zum Grundgesetz wird und zum Ausdruck der Probleme des sozialen Rechtsstaats gemacht wird. Weder Vergleiche mit der DDR noch mit der Zeit des Nationalsozialismus, wie ich sie in den Zeitungen gelesen habe, sind in irgendeiner Weise angebracht. Das ist nicht akzeptabel. ({3}) Was muss man tun? Ich will ausdrücklich anerkennen, dass die beiden Staatssekretäre hier eine ganze Reihe von Maßnahmen aufgeführt haben, und ich kann auch guten Gewissens aufzählen, was wir schon auf den Weg gebracht haben – ich will nicht alles wiederholen, aber systematisch durchgehen –: angefangen bei den 5 Milliarden Euro für die Förderung von sozialem Wohnraum über die Stärkung der Mieterrechte, die ich ausdrücklich nennen will, die eigentumsstärkenden Maßnahmen, die zusammen mit dem Baukindergeld eben schon genannt worden sind, bis hin zu steuerrechtlichen Vergünstigungen. Ich will auch darauf hinweisen – auch das ist genannt worden –, dass selbstverständlich das Bodenrecht dazugehört. Wir arbeiten mit der Bodenkommission an Themen wie dem Planungswertausgleich, dem Baugebot, der künftigen Vergabe von öffentlichen Grundstücken im Erbbaurecht und ähnlichen Dingen mehr. Also, wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen auf den Weg gebracht. Daher habe ich mich gewundert, als der „Tagesspiegel“ mich gestern anrief und fragte, was ich denn eigentlich von Robert Habecks Vorschlag halten würde, die Grundstücke der BImA verbilligt abzugeben. Ich habe gesagt: Ich halte eine Menge davon. Es ist bloß nicht sein Vorschlag; das machen wir schon seit einem Jahr. ({4}) – Mit anderen Worten: Pharisäertum, mein lieber Chris, ist auch nicht hilfreich. ({5}) Ein Blick nach Schleswig-Holstein ist in manchen Punkten übrigens ganz hilfreich, wie auch nach Nordrhein-Westfalen bei der Senkung der Grunderwerbsteuer. Also, packt euch an die eigene Nase! ({6}) Und es geht noch weiter. Wir wollen die bundesseitige Unterstützung bei der Gründung von kommunalen Wohnungsunternehmen verbessern. Wir wollen auf diese Art und Weise die Entmietungsstrategien und Luxussanierungen beenden. Wir wollen das Bestellerprinzip verändern. Wir wollen die Umwandlungsverordnung – sie betrifft die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen – verschärfen, die Förderung von Genossenschaften verbessern und viele Dinge mehr. Aber die Frage ist: Hilft es eigentlich, Maßnahme an Maßnahme aneinanderzureihen? Ich glaube, ohne die verhärteten Fronten in irgendeiner Weise aufzubrechen, wird es nicht gehen. Die wirtschaftsliberale Haltung „Privat vor Staat“ war ideologisch geprägt. Sie hat pragmatische Politik in den vergangenen Jahren mehr verhindert als ermöglicht. Die jüngste Geschichte der Wohnungsmarktpolitik ist eine Ansammlung von Fehlentscheidungen in ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich glaube, dass, wenn man etwas verändern will, viele in der Wohnungswirtschaft, zuallererst große Immobilienunternehmen, allen Grund haben, ihr Verhältnis zur gesellschaftlichen Verantwortung der Wirtschaft konkret zu ändern. ({7}) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. So steht es in Artikel 14 des Grundgesetzes. Wer daran erinnert, begeht keinen Tabubruch, sondern steht auf dem Boden unserer Verfassung. ({8}) Ich glaube, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bräuchten so etwas wie einen New Housing Deal – so will ich es mal nennen –, einen Pakt für bezahlbares Wohnen. Dieser muss dafür sorgen, dass die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum sichergestellt ist.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie zum Ende.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort am Ende. – Ich glaube, dass es eine ganze Reihe von Punkten gibt, die den Bau von Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung zur Daueraufgabe der öffentlichen Hand machen. Diese muss aber auch die privaten Investoren einbeziehen. Mit anderen Worten: Es gibt eine ganze Reihe von Aufgaben, –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

So, jetzt ist gut.

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– die wir da angehen können und die ich leider nicht alle aufzählen kann. Aber schauen Sie morgen in den „Tagesspiegel“, da stehen noch ein paar zusätzliche drin. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wertes Präsidium! Meine Damen und Herren! Es gibt eine Wohnungsnot, und schuld daran sind Sie alle von den Altparteien. ({0}) Sie haben mit Ihrer Politik den Karren in den Dreck gefahren. Dass einige von Ihnen jetzt ernsthaft Enteignungen erwähnen und Besitzer privater Immobilien für Ihre Fehler büßen sollen, das ist unverschämt. Wir jedenfalls werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Enteignungen zu verhindern. ({1}) Abgesehen davon, dass Enteignung ein massiver Eingriff in die Grundrechte ist, verschärft Enteignung das Problem der Wohnungsnot. Wenn die Investoren befürchten, enteignet zu werden, dann investieren sie folglich ihr Geld lieber an anderer Stelle. Auf die Spitze hat Herr Lauterbach von der SPD das Thema getrieben, der Enteignungen als verfassungskonform rechtfertigt, ({2}) weil Hitler angeblich auch enteignet hat. Das ist nur ein weiterer Beleg dafür, dass, wenn man Rot und Grün mischt, Braun dabei rauskommt. ({3}) Sind wir doch mal ehrlich: In diesem Land läuft doch schon seit Jahren eine kalte Enteignung. In Duisburg-Marxloh beispielsweise sind dank Ihrer verfehlten Politik die Immobilien nichts mehr wert. Dort gäbe es zwar Wohnraum, aber keiner will in einem Viertel wohnen, das die Roma übernommen haben ({4}) und in dem es aussieht, als hätten viele Bewohner dort noch nie etwas von Zivilisation gehört. ({5}) Solange Sie alle lieber glücksbesoffen Europafähnchen schwenken, als Politik für das deutsche Volk zu machen, so lange ist es unmöglich, die Probleme in diesem Land in den Griff zu bekommen. ({6}) Die Lage am Wohnungsmarkt hat sich unter anderem auch durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit verschärft; denn die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist in Wahrheit eine Armutsfreizügigkeit. Von 2011 bis 2017 sind allein eine halbe Million Rumänen nach Deutschland eingewandert. Ganze Dörfer der rumänischen Unterschicht sind nach Deutschland gezogen und belegen hierzulande günstigen Wohnraum. ({7}) Gleichzeitig wurde günstiger Wohnraum immer knapper, weil im grünen Ökowahn durch die Verschärfung der Bauvorschriften die Kosten für Neubau und damit auch die Mieten in die Höhe geschossen sind. ({8}) Generell ist es scheinheilig, dass die Grünen diese Aktuelle Stunde beantragt haben. Ich erinnere nur daran: Letztes Jahr, als die Wohnungsnot schon spürbar war, haben die Grünen in Bayern ein Volksbegehren initiiert, das zum Ziele hatte, dass nur noch halb so viele Flächen wie bisher neu bebaut werden sollten. ({9}) Sie wollen Flächen für die Windräder, Sie wollen Flächen für Solarparks, es sollen mehr Wohnungen gebaut werden, aber zugleich wollen Sie weniger Flächen bebauen. ({10}) Dass das ein Widerspruch ist, sollte eigentlich sogar Ihnen auffallen. ({11}) Welch desolate Politik Sie inzwischen betreiben, ({12}) möchte ich Ihnen jetzt mal anhand eines offiziellen Berichts der Stadt Erlangen vortragen. Dort steht – ich zitiere –: Aktuell sind alle Objekte restlos belegt … Alle weiteren Personen sind im Zuge des Obdachlosenrechts in … Gasthäusern unterzubringen … Bei einem Preis von 120,00 €/Tag und Person belaufen sich die Kosten für die Unterbringung einer 4‑köpfigen Familie auf 14.400 € pro Monat. Insbesondere bei Familien(-nachzügen), welche unterzubringen sind, erscheint dies problematisch, da die Gebührenschuld sehr schnell auf solche hohen Summen steigt. … Bei einer weiteren Zuspitzung der Situation müssen gemeindliche Einrichtungen wie Turnhallen genutzt werden. ({13}) Der Bericht aus Erlangen – offiziell von der Stadt – nennt die Asylpolitik inklusive des unbegrenzten Familiennachzugs als weiteren elementaren Grund für die Wohnungsnot. ({14}) – Der ist von März dieses Jahres. – Seit 2015 sind über Asyl und Familiennachzug circa 2 Millionen Armutszuwanderer ins Land gekommen. Wenn man die Einwohnerzahl von Hamburg nach Deutschland holt, dann muss man auch bereit sein, die Infrastruktur, die Wohnungen etc. von Hamburg nachzubauen. Das haben Sie nicht getan. ({15}) Sie haben einfach geltendes Recht gebrochen und ein gewaltiges Gesellschaftsexperiment gewagt. Nun fliegt uns allen dieses Experiment um die Ohren. ({16}) Denn wenn wir die sozialen Problemfälle aus Europa und aus der ganzen Welt nach Deutschland holen, dann ist es logisch, dass die sozialen Probleme hierzulande explodieren. Diejenigen, die am meisten darunter leiden, sind die bedürftigen Deutschen. Ich zitiere dazu noch mal aus dem Bericht aus Erlangen: ({17}) Hierzu müssen auch Maßnahmen vollzogen werden, bei welchen eingewiesene Obdachlose, bei bestimmten Verhaltensweisen, aus städtischen Obdachlosenunterkünften verwiesen und nicht wieder aufgenommen werden. Im Klartext: Man will Obdachlose auf die Straße setzen, um Platz für den Familiennachzug zu schaffen. Diejenigen von Ihnen, die immer ganz laut schreien, dass es ein Menschenrecht ist, dass Arme aus aller Welt nach Deutschland kommen können, ({18}) treten die Menschenrechte der Schwächsten in Deutschland mit Füßen, und die treten auch das Menschenrecht auf Wohnung in Deutschland mit Füßen. Das ist einfach nur erbärmlich. ({19})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Kai Wegner. ({0})

Kai Wegner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003860, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Wohnen bewegt die Menschen, und zwar buchstäblich: Am letzten Wochenende waren Zehntausende Bürger auf den Straßen Berlins und anderer Städte unterwegs. Berichte über Wohnungsmangel, steigende Mieten und Modernisierungsverdrängung haben zur Verunsicherung vieler Mieterhaushalte beigetragen. Ja, ich habe Verständnis für die Sorgen und Nöte und nehme diese auch sehr ernst. Es ist Aufgabe der Politik, es ist unsere Aufgabe, diesen Menschen wieder das Vertrauen zu geben, dass sie in ihrer Mietwohnung geschützt sind, dass Wohnen bezahlbar bleibt und dass jeder eine faire Chance hat, eine passende Wohnung zu finden. Aber, meine Damen und Herren: Populismus und Radikalforderungen tragen dazu gerade nicht bei. Wir brauchen in Deutschland keinen Mietenwahnsinn, und was wir mit Sicherheit nicht brauchen, ist ein Enteignungswahnsinn. ({0}) Dass in Berlin am Samstag die Bausenatorin gegen die eigene gescheiterte Politik auf die Straße gegangen ist, ({1}) hat schon eine ganz besondere Qualität, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Die Umsetzung des Berliner Volksbegehrens, welches durch Die Linke unterstützt wird, ({3}) zeigt einmal mehr, dass Ihre Bausenatorin gescheitert ist. ({4}) Von der Umsetzung dieses Volksbegehrens wären rund 15 Prozent aller Berliner Mieterinnen und Mieter betroffen – 15 Prozent! ({5}) Kosten: 37 Milliarden Euro. Das ist keine Zahl, die ich aufgeschrieben habe, sondern eine Vorlage des rot-rot-grünen Senats. Eine astronomische Summe! Ich stelle mir mal vor, was man mit 37 Milliarden Euro alles machen könnte. Einen Bruchteil davon bräuchten wir, um in Berlin neue Sozialwohnungen zu bauen. Sie könnten Belegungsrechte für preiswertes Wohnen kaufen. Sie könnten ein Berliner Wohngeld schaffen, um wirklich bedürftigen Menschen zu helfen. All das tun Sie aber nicht, sondern Sie streuen mit Enteignungsdebatten den Menschen Sand in die Augen und geben ihnen das Gefühl, dass sie irgendwie in Sicherheit leben, was aber nicht dazu führen wird, dass sie es auch tun. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, lösen Sie die Probleme in Berlin, und streuen Sie den Leuten keinen Sand in die Augen! ({7}) Und noch mal – Herr Bartsch, weil Sie es erwähnt haben –: Bei einer Enteignung entsteht keine neue Wohnung. Genau so ist es; es entsteht keine neue Wohnung. ({8}) Eines ist doch klar: Wenn wir weiter in der Mangelwirtschaft leben, werden wir das Problem nicht lösen. ({9}) Wir müssen endlich die Mangelwirtschaft abstellen, und wir müssen die Herausforderungen am Wohnungsmarkt gestalten, gerade in den Ballungsräumen, gerade in den überhitzten Wohnungsmärkten. Von daher müssen wir hier alle Chancen nutzen, und der Bund tut das auch. Meine Damen und Herren, bedenklich finde ich in der Tat – ich will nur mit einem Satz darauf eingehen –, was der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, nun gesagt hat. Die Grünen sind – so sagen sie es selbst – eine bürgerliche Partei – das wollen sie zumindest sein –, und das Erste, was sie machen, ist, auf den Enteignungszug mitaufzuspringen. So viel zur bürgerlichen Partei Bündnis 90/Die Grünen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({10}) Enteignungen schaffen keinen einzigen Quadratmeter zusätzlichen Wohnraum. Sie kosten Unsummen von Geld und verschrecken obendrein Investoren. ({11}) Ja, wir brauchen private Investoren. Es ist nötig, dass der Staat im Rahmen der Förderung sozialen Wohnraums mitbaut. Aber um die Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir auch die Privaten und die Genossenschaften. Wir haben als Bundesregierung beim Wohnraumgipfel ein Maßnahmenpaket vorgelegt. ({12}) Der Staatssekretär Wanderwitz hat das deutlich gemacht: Ja, wir müssen bauen, bauen und nochmals bauen. In Deutschland, gerade auch in Berlin, sollen sich die Baukräne drehen ({13}) und nicht im Sumpf von Enteignung und sozialistischen Ideen untergehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({14}) – Ja, das ist so. Da können Sie jammern; ({15}) aber es hat seinen Grund, warum wir in diesem Jahr nicht 70 Jahre DDR feiern, sondern 30 Jahre Mauerfall; auch das gehört zur Wahrheit. ({16}) Wir vertrauen auf die soziale Marktwirtschaft. Dazu gehören starke soziale Leitplanken. Deshalb haben wir die Mietpreisbremse nachgeschärft. Wir geben Milliarden Euro in die soziale Wohnraumförderung. Wir werden dafür sorgen, dass der Mietspiegel transparenter, fairer und rechtssicher wird, und wir werden das Wohngeld deutlich stärken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, bedeutet, die Menschen nicht mit populistischen Scheinlösungen in die Irre zu führen. Wir sagen Nein zu Enteignungen; denn wir wollen Wohnungen bauen und keine Luftschlösser. So sichern wir gutes, angemessenes und preiswertes Wohnen. Herzlichen Dank. ({17})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Daniel Föst hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Daniel Föst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004716, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe volles Verständnis für alle Menschen, die auf die Straße gehen und gegen gestiegene Mieten protestieren. Ich kann da jeden Einzelnen verstehen. ({0}) Die Menschen sind wütend. Sie sind auch zu Recht wütend; denn die gestiegenen Mieten fressen immer mehr von ihrem Einkommen auf. Damit muss endlich Schluss sein. ({1}) Was mich wirklich wütend macht, ist, wie sich Rot-Rot-Grün hier in Berlin aus der Verantwortung stiehlt, wie es Rot-Rot-Grün durch perfide Manöver geschafft hat, allein den Vermietern den Schwarzen Peter zuzuschieben. ({2}) – Ja, München ist lange genug rot-grün regiert. Da gibt es genau das gleiche Problem. – Werte Linke, SPD und Grüne, Sie sind hier in der Hauptstadt in Regierungsverantwortung ({3}) und propagieren ein Volksbegehren, das Ihnen sagen soll, wie Sie zu regieren haben. Am Samstag gehen Sie protestieren, und am Montag haben Sie als Politiker keine Antwort auf die Probleme. Mehr Regierungsunfähigkeit kann man gar nicht demonstrieren. ({4}) Ich kann schlichtweg nicht fassen, dass wir in Deutschland im Jahr 2019 über Enteignung diskutieren. Das macht mich sprachlos. ({5}) Dabei weiß jeder, dass Enteignungen das Problem der hohen Mieten und des knappen Wohnraums nicht lösen werden. Sie wollen nur Ihre ideologischen Feindbilder bedienen. Was kommt denn eigentlich als Nächstes? Welches Eigentum wollen Sie dann an sich reißen? Wen wollen Sie dann enteignen? ({6}) Den konventionellen Bauer, der ein Feld brachliegen lässt, weil er nicht in Ihre Ideologie passt? Oder den Mittelständler, der sein Unternehmen ausweiten und mehr Arbeitsplätze schaffen will? ({7}) Oder vielleicht sogar die Oma, die ein Grundstück für den Enkel vorhalten will? ({8}) Sie greifen pauschal das Eigentum der Menschen an. ({9}) Was Sie dabei überhaupt nicht verstehen: ({10}) Sie treiben die kleinen Vermieter in die Hände der großen Unternehmen; ({11}) denn kein privater Vermieter tut sich diese Unwägbarkeit an, die Sie schaffen. ({12}) Sie geben vor, sich um die Sorgen der Mieter zu kümmern, aber Sie bewirken genau das Gegenteil. Das zeugt entweder von Unkenntnis oder aber davon, dass Sie die Ängste der Menschen ausnutzen, und das ist schamlos. ({13}) Wir müssen Wohnungen bauen. Die Lösungen, um mehr, schneller und günstiger zu bauen, liegen auf dem Tisch. Wir als Serviceopposition ({14}) haben eine Offensive für bezahlbaren Wohnraum vorgelegt. Dieser Zehnpunkteplan war dringend notwendig; denn – bei aller persönlichen Sympathie – die Bundesregierung ist in weiten Teilen planlos. Herr Minister Seehofer, es freut mich sehr, Sie hier zu sehen. Aber wo sind die Impulse aus Ihrem Haus, um nachhaltig das Wohnkostenproblem zu lösen? Da ist nichts. ({15}) Dabei wäre es eigentlich relativ simpel: Mangel lässt sich nicht verwalten, Mangel muss man beheben. Jetzt setzen die linken Parteien noch einen obendrauf: Sie wollen den Mangel nicht nur verwalten, Sie wollen den Mangel auch noch kaufen, und zwar für sage und schreibe 37 Milliarden Euro allein in Berlin. Für 37 Milliarden Euro könnten Sie in Berlin 200 000 günstige Wohnungen bauen. Das Wohnkostenproblem wäre gelöst; die Mieten würden sinken. ({16}) Aber darum geht es Ihnen nicht. Es geht hier um billige Meinungsmache. Dafür habe ich nur ein Wort, und das ist Populismus. ({17}) Wenn ich dann höre, diese Enteignungen wären ja gar nicht so teuer oder nach Bartsch’scher Ökonomie sogar umsonst, ({18}) wenn ich höre, sie würden „nur“ 10 Milliarden Euro kosten oder 1 Euro pro Unternehmen, wie manche sagen, dann muss ich sagen: Unser Rechtsstaat wird am Ende stärker sein als Ihre Ideologie. Unser Rechtsstaat wird auch stärker als Ihr Populismus sein. ({19}) Sie schüren ja die Hoffnung, dass durch Enteignungen das Wohnproblem zu lösen sei und die Menschen mit Enteignungen günstig wegkommen. Was passiert, wenn man die Menschen mit falschen Versprechen in Volksabstimmungen schickt, können Sie gerade live in Großbritannien beobachten. ({20}) Es ist unverantwortlich, wie sich Rot-Rot-Grün in der Debatte über Enteignungen verhält. ({21}) Nehmen Sie Ihre Verantwortung endlich dort wahr, wo Sie gewählt wurden, und schaffen Sie mehr Wohnraum. Wer dem Mieter wieder Macht geben will, der muss mehr bauen, schneller bauen, günstiger bauen und darf nicht länger den ländlichen Raum ausbluten lassen. So lösen wir das Wohnkostenproblem. ({22})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin Caren Lay. ({0})

Caren Lay (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004088, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über 55 000 Menschen waren wir am Wochenende auf der Straße, um gegen die Mietenpolitik dieser Bundesregierung zu demonstrieren. Das war ein Riesenerfolg der Mieterinnen-und-Mieterbewegung. ({0}) Ich möchte mich bei allen Initiativen, die das organisiert haben, bedanken. Großartig, was ihr dort losgetreten habt! ({1}) Jetzt regen Sie sich auf. Natürlich war die linke Bausenatorin mit auf der Straße. Es waren sogar drei Senatorinnen und Senatoren auf der Straße. ({2}) Es waren zwei linke Parteivorsitzende dabei, um gegen Ihre Politik zu demonstrieren. Das ist doch gut so. Wir sind Teil dieser neuen Mietenbewegung. ({3}) Ja, meine Damen und Herren, es war auch der Auftakt der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, die in Windeseile, an einem einzigen Tag, über 15 000 Unterschriften gesammelt hat. Was für ein fulminanter Start einer Bürgerbewegung! Meinen herzlichen Glückwunsch! ({4}) Jetzt regen sich die Vertreter der Union hier auf und sagen, die Forderungen seien zu radikal. Jahrelang haben Sie gar nichts getan, um die Mietenexplosion einzudämmen. Tatenlos haben Sie zugesehen, wie Hunderttausende aus ihren Wohnungen geflogen sind, und jetzt regen Sie sich auf. Sie treiben die Leute aus ihren Wohnungen und wundern sich, wenn sie auf die Straße gehen. Das ist ja wohl absurd. ({5}) Ja, es gibt mildere Mittel jenseits der Enteignung: den Mietenstopp, die Abschaffung der Modernisierungsumlage, ({6}) Kampf gegen Spekulationen und die Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit. Das alles haben wir hier mehrfach vorgeschlagen. Sie haben es immer abgelehnt. ({7}) Sie haben Deutsche Wohnen, Vonovia und Co einfach gewähren lassen, obwohl doch jeder hätte wissen können, welche aggressiven und skrupellosen Strategien sie gegen die Mieterinnen und Mieter praktizieren. ({8}) Da darf man sich doch nicht wundern, wenn die Leute es irgendwann selbst in die Hand nehmen, ein Bürgerbegehren starten und ihre Forderungen radikalisieren. Das ist doch völlig logisch. ({9}) Ja, jetzt schreien alle „Hilfe!“ und „Gewalt!“, wenn sie das Wort „Enteignung“ hören. Mal davon abgesehen, dass das bei Braunkohle und Autobahnen an der Tagesordnung ist, frage ich Sie: ({10}) Wo war Ihr Aufschrei bei der faktischen Enteignung von Hartz‑IV-Betroffenen durch zu geringe Wohnkostenzuschüsse? ({11}) Wo war Ihr Aufschrei bei der Enteignung der städtischen Mieterinnen und Mieter durch die Mietenexplosion? Da haben Sie geschwiegen. Das ist doch eine einzige Heuchelei. ({12}) Die FDP, also der parlamentarische Arm von Deutsche Wohnen und Vonovia, sagt jetzt: Bauen statt klauen. ({13}) Wissen Sie was? Michael Zahn, der Chef von Deutsche Wohnen, zahlt sich an Gehalt 4,5 Millionen Euro im Jahr aus. Rolf Buch, der Chef von Vonovia, zahlt sich 5,7 Millionen Euro in einem einzigen Jahr. ({14}) Und wer bezahlt das? Das bezahlen Hartz-IV-Betroffene, ({15}) Rentner und Geringverdiener; das bezahlen arme Leute. Das ist doch der eigentliche Klau. ({16}) Der eigentliche Skandal ist, dass börsennotierte Aktiengesellschaften überhaupt Wohnungen besitzen dürfen. Die steigern die Rendite für die Aktionäre auf Kosten der Mieterinnen und Mieter. Für uns als Linke ist eines klar: Mit Wohnungen darf nicht an der Börse spekuliert werden. Wohnen ist ein Grundrecht und keine Ware. ({17}) Enteignen und Bauen ist kein Widerspruch. Wir haben doch hier einen Vorschlag für ein großes Neubauprogramm nach Wiener Vorbild gemacht, mit dem in den Händen von Städten und Genossenschaften 1,5 Millionen Wohnungen hätten entstehen können. Sie haben es abgelehnt. Und jetzt wollen Sie die Zuschüsse für den sozialen Wohnungsbau bei diesen Haushaltsverhandlungen kürzen. Das ist doch die Wahrheit. ({18}) Ich verstehe – das will ich schon sagen –, wenn sich FDP und Union jetzt ein Stück weit über die Aussagen von Robert Habeck aufregen. Ich finde es positiv. ({19}) Klar, er hat mit Ihnen in der Koalition in Schleswig-Holstein noch die Abschaffung der Mietpreisbremse verhandelt. Jetzt ist sie beschlossen worden. Jetzt ist er für Mietobergrenzen und denkt über Enteignungen nach. Ich finde, das ist eine überaus positive Entwicklung, ein guter Lerneffekt, ({20}) und ich hoffe, dass sich die Grünen im Zuge dessen in Berlin auch klar positionieren werden. ({21}) Das haben sie bisher nämlich noch gar nicht getan. ({22}) Meine Damen und Herren, ich finde, es kann so, wie es ist, nicht bleiben. Alle haben gesagt, dass sie etwas für Mieterinnen und Mieter tun wollen. Ich möchte einen ganz konkreten Vorschlag machen: Lassen Sie das mit diesen Sonntagsreden! Sie können hier und heute unterschreiben. ({23}) Vielen Dank. ({24})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christian Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004333, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, am Wochenende haben Sie es auf Twitter und Facebook so richtig krachen lassen, haben den Mund so richtig voll genommen und hatten Schaum vor dem Mund beim Thema Enteignung. Wenn ich mir einmal anschaue, wer diese Krise der letzten zehn Jahre auf den Wohnungsmärkten zu verantworten hat, dann muss ich sagen: Das sind Sie. Angesichts der Mietsteigerung in den großen Städten, angesichts des Protests von 55 000 Menschen am letzten Wochenende wäre ich so klein mit Hut und würde den Mund nicht so voll nehmen. ({0}) Der Mietenwahnsinn, den Sie zu verantworten haben, ist doch das Produkt der letzten zwei Wahlperioden. Jetzt zeigen Sie mit dem Finger auf die anderen und tun so, als ob wir Grüne am Wochenende die Räterepublik ausgerufen hätten. ({1}) Ich finde, die Rote-Socken-Kampagne können Sie mal zu Hause lassen. ({2}) In der Regierungszeit Merkels haben sich die Immobilienpreise in München und Berlin verdreifacht. In der Regierungszeit Merkels sind die Mieten in München um 70 Prozent gestiegen, in Berlin haben sie sich verdoppelt. ({3}) 1989 haben FDP und die CDU/CSU diese Entwicklung ausgelöst; denn 1989 haben Sie im Deutschen Bundestag die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Steuergesetz beschlossen. Das hat eine Privatisierungswelle ungeahnten Ausmaßes ausgelöst, die es in der Bundesrepublik Deutschland davor noch nie gab. 3 Millionen Sozialwohnungen wurden privatisiert und sind heute an der Börse notiert. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, nämlich der Politik, dass es der Markt schon richten wird. Diese Politik ist aber gescheitert. Schwarz-Gelb ist in der Wohnungspolitik Knall auf Fall gescheitert. ({4}) Die Regierung Merkel hat seit 2007  9,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau gesteckt. Allein in dieser Wahlperiode werden Sie 12 Milliarden Euro für das Baukindergeld ausgeben. In Ihrer Politik stimmen doch die Verhältnisse überhaupt nicht. ({5}) Das Mietrecht wurde zwar verbessert, weil die SPD Druck gemacht hat, aber unter Schwarz-Gelb haben Sie doch die Mieterrechte geschliffen. Da haben Sie beim Kündigungsschutz etwas gemacht. Da sind Sie richtig reingegangen und haben dafür gesorgt, dass die Leute heute rausmodernisiert werden können. Das ist doch der eigentliche Skandal. Vor diesen Entscheidungen, die Sie damals getroffen haben, können Sie heute nicht die Augen verschließen. ({6}) Sie haben jahrelang die falschen Prioritäten gesetzt, und wenn, dann haben Sie das Falsche gemacht. Das Baukindergeld schafft keine bezahlbare Wohnung. Das ist eine Eigentumsförderung für jene, die eh schon über Kapital verfügen. Das nutzt den Leuten in Berlin, die am Wochenende demonstriert haben, überhaupt nichts. ({7}) Es ist mit 12 Milliarden Euro die größte Maßnahme in Ihrem Ministerium, aber für bezahlbaren Wohnraum bringt sie überhaupt nichts. Ich kann angesichts der Zahlen der Betroffenen in den Städten und angesichts des Mietwuchers und der Mietsteigerung ehrlich nicht verstehen, dass Sie das in dieser Debatte auch noch irgendwie schönreden wollen. ({8}) Herr Ziemiak – er ist heute nicht hier – hat es so richtig knallen lassen. Er hat gesagt: Mit einer Partei, die nach Enteignung ruft, kann man nicht regieren. – Er muss eigentlich aus seiner eigenen Partei austreten; denn so schizophren kann man gar nicht sein. ({9}) Jeder Ministerpräsident, auch Herr Seehofer, hat in seiner Regierungszeit enteignet. Ich sage Ihnen eines: Wenn man in Berlin Braunkohle finden würde, dann würden Sie in der Union bei einer solchen Kampagne gleich unterschreiben. ({10}) Der DDR-Vergleich von Herrn Ziemiak ist wirklich krass ahistorisch. Die DDR war ein Regime, an dessen Grenze Menschen erschossen worden sind. Das in dieser Debatte zu bringen, in der es um einen Artikel des Grundgesetzes geht, finde ich selbst für einen Generalsekretär der CDU intellektuell erbärmlich. Es ist auch irgendwie beschämend und zeigt, welches Geschichtsverständnis Sie in Wahrheit haben. ({11}) Den Leuten da draußen geht der Arsch auf Grundeis, weil sie wissen, dass sie bei diesen Mietsteigerungen ihre Wohnung verlieren werden, weil sie wissen, dass sie aus ihrem Quartier und ihren Kiezen heraussaniert werden, weil sie wissen, dass bezahlbarer Wohnraum in Berlin und in vielen Städten keine Mangelware, sondern einfach nicht mehr vorhanden ist. Diesen Menschen geht es nicht um Enteignung. Ihnen geht es um bezahlbaren Wohnraum, und sie wollen, dass Sie als Große Koalition und Sie, Herr Seehofer, endlich Ihren Job machen. Fangen Sie endlich an, Dinge umzusetzen! ({12}) Wir haben gefühlt 1 Million Vorschläge gemacht, wie man bezahlbaren Wohnraum schaffen kann. Aber wenn man nur dem Markt hinterherrennt, wird es nicht gelingen. Die SPD macht auch immer wieder Druck und versucht, etwas durchzusetzen, kriegt es aber gegen Sie in der Union nicht hin. ({13}) Sie sind die wahren Blockierer beim Thema „bezahlbares Wohnen“. Wenn Sie nicht anfangen, beim Mietrecht nachzugeben und eine andere Wohnungspolitik zu machen, wird es da draußen noch schlimmer werden. ({14}) Die soziale Schieflage wird zunehmen, und wir werden unseren sozialen Zusammenhalt genau bei dieser Frage verlieren. ({15}) Deswegen werden wir Grünen weiter mit den Mieterinnen und Mietern, die auf die Straße gehen, demonstrieren, und wir werden dieses Thema in den nächsten Wahlkämpfen zu der sozialen Frage machen. Da müssen Sie sich mehr einfallen lassen als nur eine Rote-Socken-Kampagne. Danke schön. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Eva Högl das Wort. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich betone es zu Beginn noch einmal: Wohnen ist nicht weniger als ein Menschenrecht. ({0}) Deswegen müssen wir alle gemeinsam hier im Deutschen Bundestag, in den Ländern und in den Kommunen alles dafür tun, dass alle Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Ich sage es noch einmal: Es geht um alle Menschen. Es geht um die, die hier schon lange leben, und auch um die, die zu uns gekommen sind. Da machen wir keinen Unterschied. Wir machen Wohnungspolitik für alle Menschen. ({1}) Wohnen ist zu Recht das Topthema. Wir wissen, dass die Lage in Deutschland sehr unterschiedlich ist, aber wir reden hier vor allem über die angespannten Mietmärkte in den Großstädten. Was uns besorgt machen muss – das ist die neue soziale Frage –, ist, dass diese Lage von Vermieterinnen und Vermietern ganz brutal ausgenutzt wird. Deswegen finde ich es absolut richtig – das sage ich für die SPD; wir sind nämlich mitmarschiert –, dass die Menschen auf die Straße gehen. ({2}) Das war ein sehr gutes und wichtiges Zeichen. Allein in Berlin sind 40 000 Menschen auf die Straße gegangen und haben gesagt: Wir brauchen eine neue Wohn- und Mietpolitik. – Da sind natürlich auch wir gefragt. Für die SPD sage ich klar und deutlich: Wir stehen an der Seite der Mieterinnen und Mieter. Und, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich sage das jetzt in Ihre Richtung –, da können wir in der Koalition noch eine Schippe drauflegen. ({3}) In der Bau- und Mietpolitik können wir nämlich noch eine ganze Menge mehr machen. ({4}) Ich fange einmal damit an, zu betonen, dass wir beim Bauen eine gemeinsame Kraftanstrengung der öffentlichen Hand und der privaten Investorinnen und Investoren brauchen. Da muss man nicht gegeneinander diskutieren; da sind alle gemeinsam gefragt. Wir sind hier zwar nicht im Berliner Abgeordnetenhaus, aber Berlin ist oft Thema gewesen, und ich glaube, auch in Richtung des Koalitionspartners in Berlin kann man sagen: Wir brauchen auch hier eine gemeinsame Kraftanstrengung, damit wir mehr bezahlbaren Wohnraum in Berlin schaffen. Was wir im Deutschen Bundestag gemacht haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern, ist ein erster wichtiger Schritt. Dafür nehmen wir richtig viel Geld in die Hand, nämlich 5 Milliarden Euro. ({5}) Was wir auch noch tun sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist, darüber nachzudenken, ob wir nicht mehr gegen den Leerstand tun können, indem wir eine ganz andere Liegenschaftspolitik auf den Weg bringen. Die BImA macht schon jetzt eine andere Liegenschaftspolitik. Aber wir könnten uns, wenn Grundstücke nicht bebaut werden oder wenn Wohnungen leerstehend gelassen werden, auch überlegen, noch stärker die Möglichkeiten zu nutzen, die uns das Baugesetzbuch gibt. ({6}) In Bezug auf das Mietrecht ist das größte Problem der Preisanstieg, die exorbitant ansteigenden Mieten, die Menschen aus den Kiezen vertreiben, die Kieze völlig verändern und die auch die Gefahr bergen, dass eine Stadt irgendwann nicht mehr bewohnbar ist und es nur noch eine Bewegung zum grünen Stadtrand gibt. Was wir natürlich wollen, ist, dass unsere Innenstädte bewohnt werden, dass hier Leben stattfindet. Für Berlin kann ich sagen: Die Attraktivität unserer schönen Hauptstadt hängt ganz maßgeblich davon ab, dass Menschen im Zentrum von Berlin leben und wohnen, und das wollen wir erhalten. ({7}) Wir müssen noch mehr machen, um die exorbitanten Preissteigerungen in den Griff zu bekommen. Wir haben die Mietpreisbremse gemeinsam auf den Weg gebracht. Die wollen wir entfristen und weiter schärfen. In Berlin – das ist ein gutes Modell auch für andere Bundesländer – haben wir eine weitere Idee auf den Weg gebracht, nämlich den Mietendeckel; denn in der Zeit, in der neue Wohnungen entstehen, besteht dringender Handlungsbedarf, Mietsteigerungen abzumildern, im wahrsten Sinne des Wortes zu deckeln, damit die Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen nicht verlassen müssen. Ein Hauptthema bei Mietsteigerungen sind Modernisierungen. Da haben wir mit dem neuen Mieterschutzgesetz, das seit 1. Januar gilt, die Umlagen nach Modernisierungen von 11  Prozent auf 8 Prozent gesenkt und auch die wichtige Kappungsgrenze eingeführt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier im Deutschen Bundestag noch eine ganze Menge zu tun; ich habe das schon gesagt. Zum einen müssen wir die Beschlüsse des Wohngipfels umsetzen. ({8}) Ich bin einigermaßen besorgt, wenn ich höre, dass es daran Zweifel gibt, dass das für uns verbindliche Vereinbarungen sind. ({9}) Ich hätte heute gerne die Bundeskanzlerin dazu gefragt; das ist ja bei der Befragung Thema gewesen. Ich erwarte, dass wir die Beschlüsse umsetzen. ({10}) Dazu gehört der Mietspiegel. Dazu gehören natürlich auch das Bestellerprinzip und die Mietpreisbremse. Dazu gehören vor allen Dingen auch Regelungen im Mietrecht, beispielsweise zu den Eigenbedarfskündigungen, die ein großes Problem sind, oder zur Umwandlung von außerordentlichen in ordentliche Kündigungen. Es gibt beim Mietrecht also noch eine ganze Menge zu tun. ({11}) Ein Satz zum Thema Enteignungen. Auch für uns ist das in der aktuellen Lage keine Lösung der Probleme; aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir von der SPD sind froh, dass es Artikel 15 im Grundgesetz gibt, ({12}) dass wir grundsätzlich die Möglichkeit haben, mit einer Vergesellschaftung im Wohnbereich tätig zu werden. Wir brauchen nämlich mehr Wohnungen in öffentlicher Hand, wir müssen auch zurückkaufen. Deswegen ist diese Diskussion jedenfalls ein wichtiger Beitrag, auch wenn Enteignungen unsere Probleme im Moment nicht lösen. Ein letzter Punkt – es blinkt schon, aber das ist mir noch wichtig –: Was wir auch gemeinsam machen müssen, ist, Obdachlosigkeit zu verhindern. Viele Menschen haben kein Dach über dem Kopf. Da muss es eine gemeinsame Kraftanstrengung geben. Insofern stelle ich fest: Wir haben noch viel zu tun. Ich würde mich freuen, wenn wir das hier in möglichst großer Übereinstimmung gemeinsam anpacken würden. Vielen Dank. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die AfD-Fraktion: der Kollege Udo Hemmelgarn. ({0})

Udo Theodor Hemmelgarn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004743, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste auf den Tribünen! Wer das Wohnen wieder bezahlbar machen will, der muss sich zunächst die Frage stellen, wie es zu der gegenwärtigen Krise auf dem Wohnungsmarkt gekommen ist. Grundsätzlich ist der Wohnungsmarkt ein Markt wie jeder andere. ({0}) – Hören Sie zu. ({1}) Der Preis für Wohnraum wird über Angebot und Nachfrage bestimmt. Auf der Angebotsseite können wir zunächst das völlige Versagen aller von Frau Merkel und Ihrem Vorgänger geführten Bundesregierungen feststellen. Seit 1998 wurden in Deutschland keine Maßnahmen zur Förderung des Wohnungsbaus ergriffen. Im Gegenteil: Die unsinnigen Vorgaben der Energieeinsparverordnung haben das Bauen teuer und für Investoren unattraktiv gemacht. Die Wohnungen, die gebaut wurden, entstanden vornehmlich im gehobenen Segment. Da war für die Investoren noch Geld zu verdienen. Natürlich haben sich die gestiegenen Baukosten auch in höheren Mieten niedergeschlagen. Das Gleiche gilt für die Grunderwerbsteuer, die seit 2003 von den Ländern insgesamt 27‑mal erhöht wurde und mittlerweile in der Spitze bei 6,5 Prozent liegt. Auch diese Kosten treiben indirekt die Mietpreise. Erst im Herbst 2018 wurde schließlich ein sogenannter Wohngipfel abgehalten, dessen Ergebnisse als mehr als dürftig bezeichnet werden müssen. Das selbstgesteckte Ziel der Großen Koalition von 1,5 Millionen Neubauwohnungen in dieser Legislaturperiode ist mit den getroffenen Beschlüssen auf keinen Fall erreichbar. Das Versäumnis der Bundesregierung wiegt dabei umso schwerer, als der Wohnungsmarkt die Besonderheit aufweist, dass er ein sehr träger Markt ist und nur langsam auf eine Erhöhung der Nachfrage reagieren kann. Im Übrigen ist das Bauhauptgewerbe derzeit komplett ausgelastet. Während also die Angebotsseite des Wohnungsmarktes so gut wie überhaupt nicht gestärkt wurde, hat sich die Nachfrage nach Wohnungen gerade in den Ballungsräumen seit Jahren erhöht. Seit Jahren wussten die jeweiligen Bundesregierungen von der Flucht der Bürgerinnen und Bürger aus dem ländlichen Raum in die Städte. Darauf reagiert wurde nicht. Weiterhin sind im Zuge der EU-Osterweiterung und der Arbeitsmarktkrise im südlichen Europa vermehrt Menschen aus den dortigen EU-Ländern zu uns gekommen, um hier zu leben und zu arbeiten. Darauf regiert wurde nicht. Schließlich muss man – auch wenn es viele von Ihnen hier nicht hören möchten – in diesem Zusammenhang auch die Zuwanderung erwähnen. ({2}) Allein im Zuge der Flüchtlingskrise, die 2015 ihren Höhepunkt fand, sind weit mehr als 1,5 Millionen Menschen in unser Land gekommen. Darauf reagiert wurde nicht. Auch gegenwärtig haben wir eine jährliche Zuwanderung von mehreren Hunderttausend Menschen. Es kommt jedes Jahr praktisch eine weitere Großstadt von der Größe Heidelbergs hinzu. Für diese Menschen benötigt man Wohnraum. Die sich steigernde Nachfrage nach Wohnraum hat schließlich zur Verknappung des Wohnraums und zu einer Explosion der Mieten insbesondere in den Großstädten geführt. Damit ist auch klar, was zu tun ist, um das Wohnen wieder bezahlbar zu machen – wir haben das an dieser Stelle schon mehrfach dargelegt –: Das Angebot an Wohnungen muss erhöht werden. Die Wohnungen müssen schneller und auch billiger gebaut werden. Wir fordern seit langem ein Moratorium der Energieeinsparverordnung, bis sich der Wohnungsmarkt wieder normalisiert hat. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden. Die Bauämter wurden in den vergangenen Jahren personell und materiell so weit ausgedünnt, dass sie kaum noch in der Lage sind, ihre Aufgaben vernünftig zu erfüllen. Hier bedarf es unverzüglicher Maßnahmen, um die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen und zu verbessern. Die Kommunen müssen dazu angehalten werden, Bauland auszuweisen und dem Markt unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Die Arbeit der Baulandkommission muss beschleunigt werden. Den betroffenen Mietern ist insbesondere in angespannten Wohnungsmärkten kurzfristig mit einer deutlichen Anhebung des Wohngeldes zu helfen. Das Wohngeld ist dabei in einem zweijährigen Turnus zu dynamisieren. Was in dieser Situation nichts bringt und mittel- und langfristig zu einer weiteren Verschärfung der Krise führt, sind Eingriffe, die Investoren und Vermieter drangsalieren und die Investitionen in den Wohnungsbau endgültig zum Erliegen bringen. Nach der gescheiterten Mietpreisbremse treibt die Politik eine neue Sau durchs Dorf. Das Zauberwort heißt „Enteignung“. Es ist lächerlich, wenn die gleichen politischen Parteien, die vor einigen Jahren im großen Stil Wohnungen an Investoren veräußert haben, die Käufer jetzt als gierige Heuschrecken beschimpfen und den Rückkauf oder sogar die Enteignung von Wohnungen anstreben. SPD und Linke im Berliner Senat waren es, die im Jahr 2004 die Wohnungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft GSW für einen Spottpreis von knapp 400 Millionen Euro verkauft haben. Heute beträgt der Wert ein x-Faches. Das nenne ich Verschleuderung von Volkseigentum. Und die gleichen Parteien wollen jetzt enteignen? Das ist hanebüchener Unsinn. Enteignungen lassen keine zusätzliche Wohnung entstehen. Vielmehr werden wenige Privilegierte in den Genuss subventionierter Wohnungen kommen, während sich die Probleme für die Masse der Wohnungssuchenden weiter verschärfen werden. Hinsichtlich der Nachfrageseite auf dem Wohnungsmarkt wiederhole ich abschließend eine Forderung, die ich an dieser Stelle schon einmal erhoben habe: Frau Merkel, nehmen Sie den Migrationsdruck von den Wohnungsmärkten, und sichern Sie endlich die Grenzen! Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Ulrich Lange. ({0})

Ulrich Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004087, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, beim Thema Wohnen geht es um eine wichtige gesellschaftliche Frage. Es ist aber unglaublich, was wir hier heute Nachmittag im Deutschen Bundestag teilweise gehört haben, historisch unglaublich. ({0}) Es wird von Enteignung geredet. Die Kollegin Göring-­Eckardt ist ja nicht mehr da ({1}) – halt, sie hat sich hinten in der letzten Reihe versteckt –; ({2}) sie stößt ins gleiche Horn wie der Parteivorsitzende Habeck. Beim Thema Enteignung ist der altkommunistische Geist der Grünen wieder aus der Flasche gekommen. ({3}) Man zeigt, wo man seine Wurzeln hat. ({4}) – Ja, Herr Kollege. Grundgesetz und Enteignung? Das, was Sie hier sagen, ist Unsinn. Durch Enteignung wird keine Wohnung geschaffen. Durch Enteignung wird kein Problem gelöst. Enteignungen verschlingen Milliarden für Entschädigungen. Das verschweigen Sie. ({5}) Sie haben nicht einmal ein Hustenbonbon, um das große Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, zu lösen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Eigentum gehört zur DNA unserer sozialen Marktwirtschaft, ({6}) und die soziale Marktwirtschaft, lieber Kollege Kühn, ist eine historische Erfolgsgeschichte. Das spiegelt sich in dem Geschichts- und Werteverständnis dieses Hauses wider. Wir werden nicht vergessen, wo wir herkommen. ({7}) Jetzt zur sozialistischen Wohnungspolitik, die von der ganz linken Seite dieses Hauses gefordert wird: ({8}) Der Kollege Bartsch, der nicht mehr anwesend ist, will das alles über Banken finanzieren, und die Kollegin Lay ist gegen die Modernisierungsumlage. Ja, wollen Sie wieder Wohnungen wie früher in Ostberlin? Ich kann mich erinnern, wie wir damals Farben und Fliesen zur Verwandtschaft in Ostberlin geschickt haben. Ich sage Ihnen ganz offen: Darauf haben wir keine Lust. Wir haben keine Lust auf Wohnen à la DDR 2020. ({9}) Wir müssen bauen; das ist richtig. Dafür brauchen wir Bauland. Dann müssen wir aber auch den Landwirten steuerlich entgegenkommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie können nicht hier den Mund aufreißen und vor Ort permanent die Bauverhinderer sein, weil sich irgendwo ein Regenwurm oder eine Maus findet. ({10}) Wir müssen nicht nur an die Dachflächen heran, wir müssen auch an die Bahngelände heran. Wir müssen vernetzen, wir müssen Gleise legen. Dann müssen Sie aber auch für den Nahverkehr vor Ort so kämpfen, wie Sie es hier tun, und ihn nicht vor Ort wieder verhindern. ({11}) Wir haben in den letzten Wochen und Monaten eine Vielzahl von Vorschlägen unterbreitet, insbesondere auch auf dem Wohngipfel. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir brauchen, erreichen wir nicht von heute auf morgen – das wissen alle in diesem Haus –, schon gar nicht mit den Mitteln von gestern. ({12}) Es reicht nicht, mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, ({13}) lieber Kollege Bartsch, der nicht mehr anwesend ist. Der Bund gibt 5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau. Dieses Geld wird an die Länder überwiesen. Berlin, wo Sie gefühlt eine Ewigkeit mitregieren, hat Wohnungen verkauft. Berlin hat 2006 unter Rot-Rot keine einzige Sozialwohnung gebaut. Hier sitzt ein ehemaliger Ministerpräsident und Bauminister, der in Bayern 2017  5 000 Sozialwohnungen gebaut hat, während Sie gerade einmal 500 gebaut haben. ({14}) Das Baukindergeld, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine Frage des Eigentums, und Eigentum ist eine Frage der Generationengerechtigkeit. ({15}) Deswegen stehen wir nach wie vor voll zu diesem positiven Instrument. 60 Prozent der Mietwohnungen halten Privatpersonen. Verschrecken Sie diese nicht! Wir brauchen diese privaten Investoren. Die halten ihre Wohnungen in Ordnung; die modernisieren; auf die sind wir in unserer sozialen Marktwirtschaft angewiesen. ({16}) Lassen Sie uns gesellschaftlich zusammenhalten und das Problem mit vernünftigen Mitteln lösen. ({17}) Dazu gehören Enteignungen definitiv nicht. Danke schön. ({18})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Dr. Johannes Fechner hat für die SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Johannes Fechner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist – das ist unbestritten – dramatisch. Die Mieten und auch die Immobilienpreise steigen exzessiv, nicht nur in den Großstädten. Normalverdiener müssen, wenn sie denn überhaupt eine Wohnung für sich und ihre Familie finden können, 30 oder 40 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete zahlen. In meiner Heimatregion, in Südbaden, in der Region um Freiburg, ist es für Normalverdiener unmöglich, eine Immobilie zu kaufen, und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann nicht so bleiben. Gegen diesen sozialen Sprengstoff müssen wir vorgehen. ({0}) Deshalb begrüße ich es sehr, dass so viele Menschen in Deutschland auf die Straße gegangen sind und gegen die Wohnungsnot protestiert haben und – wie die SPD – wichtige Verbesserungen fordern, die dringend notwendig sind. Wir haben schon einiges getan. Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt und jetzt auch noch verschärft, und die Evaluierung hat gezeigt, dass sie dort, wo sie gilt, auch tatsächlich wirkt. Es gibt bundesweit Urteile, mit denen Mieterinnen und Mieter die Mietenexplosion mit unserem Instrument der Mietpreisbremse stoppen konnten. Deshalb ist für die SPD eines klar: Wir brauchen die Mietpreisbremse bundesweit, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Wir wollen noch einen Schritt weitergehen. In Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten ist auch das noch zu viel. Dort wollen wir, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre die Mieten nur in der Höhe der Inflation steigen können, womit wir auch dort für die Mieterinnen und Mieter die hohen Mieten stoppen wollen. ({2}) Wer das blockiert? Das ist klar. Die Union möchte diesen besseren Mieterschutz nicht haben. Aber um es ganz deutlich zu sagen: Es hat mich wirklich geärgert, was in Schleswig-Holstein passiert ist. Sie hier, die Grünen im Bundestag, fordern immer wieder Verschärfungen bei der Mietpreisbremse und kritisieren uns, und Ihr Parteivorsitzender, Herr Habeck, ist der Killer der Mietpreisbremse in Schleswig-Holstein. Das ist der Gipfel der Heuchelei. ({3}) Dort stoppen Sie die Mietpreisbremse, Sie schaffen sie ab, und hier fordern Sie Verschärfungen. Das ist der Gipfel der Heuchelei, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen. ({4}) Wir haben auch weitere Mietsteigerungen durch die Umlage von Modernisierungskosten eingeschränkt. Mit unserem Mieterschutzgesetz, das zum Jahreswechsel in Kraft getreten ist, sorgen wir dafür, dass die Modernisierungskosten nur noch in Höhe von 8 Prozent statt 11 Prozent pro Jahr umgelegt werden können, und wir haben einen Deckel eingeführt, sodass die Umlage der Modernisierungskosten maximal 3 Euro pro Quadratmeter innerhalb von sechs Jahren betragen kann. Das sind wichtige Maßnahmen, dafür hat uns der Mieterbund gelobt. Auch wenn wir mehr hätten haben wollen, so waren das wichtige Maßnahmen. Deswegen war es gut, dass wir sie so beschlossen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Als Nächstes werden wir uns den Betrachtungszeitraum für den Mietspiegel vornehmen. Da ist es wichtig, dass auch die früheren Jahre, in denen die Mieten noch nicht so hoch waren, bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete einbezogen werden. Wir erwarten noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf dahin gehend, dass der Betrachtungszeitraum von vier auf sechs Jahre ausgeweitet wird. Man hätte sich auch zehn Jahre vorstellen können, das wäre noch besser gewesen, aber immerhin: sechs Jahre und damit ein Stück weit mehr Mieterschutz. Das ist ein ganz wichtiges Signal, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Auf dem Wohngipfel der Bundesregierung wurde das Bestellerprinzip beschlossen. Ganz klar wurde gesagt: Wir wollen die Maklerkosten absenken. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme. Wir nehmen hier die Bundesregierung beim Wort. Die Kanzlerin hat ihr Wort gegeben, und wir erwarten jetzt, dass sie das auch in ihrer eigenen Fraktion durchsetzt. Alles andere wäre Wortbruch und ein Zeichen der Schwäche, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({7}) Das Berliner Volksbegehren hat gezeigt und dafür gesorgt, dass wir eine grundlegende Diskussion über das Thema Wohnen haben, und das finde ich gut so. Ob es in Berlin gelingt, diese 4 Milliarden Euro für eine Entschädigung zusammenzubringen, oder ob es nicht besser wäre, dieses Geld sofort in den Wohnungsbau zu geben, weil dann noch schneller Wohnungen gebaut werden können, ist eine Frage, mit der sich die Berliner Politik beschäftigen muss, aber eines ist klar: Grund und Boden sind nicht beliebig vermehrbar. ({8}) Deswegen brauchen wir auch mehr Akzente in der Bodenpolitik. Ich finde es deshalb überfällig, dass wir die Grundsteuer C verschärfen, dass die Gemeinderäte, die Städte und Gemeinden, dafür sorgen können, dass bebaubare Grundstücke durch die Grundsteuer höher besteuert werden. Es soll in Zukunft richtig wehtun, wenn ein bebaubares Grundstück vom Eigentümer nicht bebaut wird. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, um Grundstücke zu bekommen. ({9}) Wir sollten noch einen Schritt weitergehen. Das Baugebot im Baugesetzbuch hat sich – da sind wir uns, so denke ich, wohl alle einig – als zahnloser Tiger erwiesen. Ich halte es für sinnvoll, dass wir diese Vorschrift verschärfen und dass die Gemeinden vor Ort die Möglichkeit haben, Grundstückseigentümer, die ihr Grundstück nicht bebauen wollen, obwohl es einfach möglich wäre, dazu zu bringen, das Grundstück zu verkaufen oder es zu bebauen. Auch das ist eine ganz wichtige Maßnahme. Beim Thema Grundsteuer finde ich, dass wir dann, wenn wir jetzt zur Grundsteuerreform kommen, auch regeln, dass die Grundsteuer eben nicht mehr auf die Mieterinnen und Mieter umgelegt werden kann. Ich fand diesen Vorstoß von Ministerin Barley sehr gut. Das wäre für die Mieter eine Entlastung und für die Vermieter keine allzu hohe Belastung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Die SPD steht ganz klar auf der Seite der Mieterinnen und Mieter. Lassen Sie uns diesen sozialen Sprengstoff in unserer Gesellschaft beseitigen und für besseren Mieterschutz und mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland sorgen! Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Thorsten Frei. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man diese Debatte hier hört, dann, glaube ich, muss man sie tatsächlich vom Kopf auf die Füße stellen. ({0}) Es ist in der Tat so, dass wir große Probleme haben, genügend Wohnraum in Deutschland bereitzustellen. Der Deutsche Städtetag spricht von etwa 1 Million Wohnungen, die da fehlen. Aber dann muss man auch darüber sprechen, warum das so ist, was wir dagegen tun und was die richtigen Rezepte und Lösungen sind. Warum ist es so? Deutschland wächst: Wir haben viel Migration von außerhalb Europas, aus Europa, aber auch Migration und Wanderungsbewegungen in unserem Land, beispielsweise von Ost nach West, von Nord nach Süd und vor allen Dingen von den ländlichen in die Ballungsräume. Deswegen sind wir mit einer solchen Herausforderung konfrontiert, die auch dadurch verstärkt wird, dass die Menschen heute mehr Wohnraum in Anspruch nehmen, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Darauf brauchen wir Antworten. Interessant an dieser Debatte finde ich, dass die politisch linken Parteien darauf immer mit Staatsgläubigkeit, mit Dirigismus, mit Bürokratie, mit Bevormundung der Menschen reagieren, anstatt dass man die Wirkkräfte der sozialen Marktwirtschaft tatsächlich so walten lässt, dass sie erfolgreich wirken können. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist unser Ansatz, wenn es um die Lösung der Probleme geht. ({1}) Was haben wir denn gehört in der Debatte? Wir haben gehört, dass man die Mietpreisbremse verschärfen muss, ({2}) wir haben von einem Mietpreisdeckel gehört, ({3}) wir haben davon gehört, dass man das Wirtschaftsstrafrecht verschärfen muss, ({4}) wir haben von vielem gehört, sogar von Enteignungen. ({5}) Dabei ist doch so offensichtlich – das haben jetzt viele Vorredner gesagt –, dass man damit keinen Wohnraum schafft. Es ist umgekehrt: Mit dem Geld, das man bräuchte, um die 240 000 Wohnungen, die in Berlin in Rede stehen, gegen Entschädigung zu enteignen, könnte man zehnmal so viele Wohnungen in Berlin bauen, wie eigentlich fehlen. Das ist doch der Maßstab, um den es geht. Daran kann man schon sehen: Es ist ideologischer Irrsinn, den Sie hier produzieren, ({6}) hat aber nichts mit reeller Politik zu tun und hat auch nichts damit zu tun, die Probleme der Menschen zu lösen. ({7}) Darum muss es doch gehen. Streuen Sie den Menschen keinen Sand in die Augen, sondern lösen Sie die Probleme! Das ist die Aufgabe von Politik. Und was setzen wir dem jetzt entgegen? Wir haben es gehört: Wir machen ein Baukindergeld, wir investieren in den sozialen Wohnungsbau. Die Wahrheit ist doch: Es ist falsch, so zu tun, als ob die Bundesländer in Gänze ihrer Verantwortung im sozialen Wohnungsbau nicht gerecht würden. Nein, man kann ziemlich gut lokalisieren, wo die Probleme sind. Der Kollege Lange hat es in seiner Rede getan. Ich will darauf hinweisen, dass acht Länder in den vergangenen Jahren nicht einmal das Bundesgeld dafür eingesetzt haben, in den sozialen Wohnungsbau zu investieren, geschweige denn, wie verabredet, eigenes Landesgeld obendrauf zu legen. Der Bund hat im Jahr 2017  1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dafür kann man 45 000 Wohnungen bauen. Tatsächlich sind sage und schreibe 26 231 Wohnungen mit diesem Geld gebaut worden. Es gab Länder wie beispielsweise Mecklenburg-Vorpommern, wo seit Jahren keine einzige Sozialwohnung gebaut worden ist. Dieses Geld ist zweckentfremdet worden, aber von acht Ländern, nicht von allen, und es waren im Zweifel Länder, die links regiert waren, in denen solche Entscheidungen getroffen wurden. ({8}) Genauso übrigens, wenn ich hier höre von Vergemeinschaftung von Wohnungen in Berlin. Dann gehört doch zur Wahrheit dazu, dass es ein rot-roter Senat im Jahr 2004 war, der die Berliner Wohnungsbaugesellschaft verkauft hat. ({9}) – Ja. Sie waren daran beteiligt. Menschenskinder, daran kann man doch wirklich sehen, wie absurd Ihre Argumente sind: ohne stichhaltige Begründung, ohne Lösungsvorschläge. Das ist Ihr Problem. Das macht Sie umso weniger glaubwürdig an dieser Stelle. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will noch auf einen Punkt hinweisen, der ganz wichtig ist. Es geht auch darum, dass wir die Prozesse verschlanken, insbesondere die Planungsprozesse. Das, was wir mit § 13b des Baugesetzbuches gemacht haben – und den wir entfristen müssen –, ist eine deutliche Verbesserung für die Kommunen, schnell zu Bauland zu kommen; denn Bauland ist die Grundvoraussetzung dafür, dass tatsächlich gebaut werden kann. Wir müssen auch darauf achten, dass es nicht der Staat ist, der das Bauen teuer macht. Hier ist an die Grunderwerbsteuer zu denken, die in den vergangenen Jahren in vielen Bundesländern unverhältnismäßig erhöht worden ist. An sie muss man rangehen. Es muss einem auch zu denken geben, dass die Baupreise in den Niederlanden in den letzten zehn Jahren um 6 Prozent und in Deutschland um 40 Prozent gestiegen sind. ({11}) Es sind auch unsere Landesbauordnungen, die mit überdachten Fahrradstellplätzen und Fassadenbegrünungen dafür gesorgt haben, dass das Bauen teuer geworden ist. Da können wir etwas verändern, und wir dürfen nicht, wie Sie, mit sozialistischen Ideen aus der Mottenkiste kommen. Das ist doch der Punkt, an dem man wirklich Realpolitik machen kann, und genau das sollten wir tun. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Ulli Nissen. ({0})

Ulli Nissen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004363, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Wochenende haben bundesweit fast 60 000 Menschen gegen steigende Mieten und mangelnden Wohnraum demonstriert. In Frankfurt war ich selbstverständlich dabei, weil auch ich mich für Verbesserungen im Mietrecht einsetzen will. Nach aktuellen Zahlen fehlen bei uns etwa 40 000 Wohnungen. Eine ähnliche Dramatik gibt es auch in vielen anderen Wahlkreisen. Wir haben uns in den SDGs, den Nachhaltigkeitszielen 2030, verpflichtet, bis 2030 den Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum und zur Grundversorgung für alle sicherzustellen. Das gerade in Berlin gestartete Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hatte innerhalb von zwei Tagen mehr als 15 000 Unterstützerinnen und Unterstützer. Diese Initiative hat viele aufgeschreckt. Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit dem Vorstand einer betroffenen Gesellschaft. Er war sehr besorgt. Ich habe ihm deutlich gemacht, dass er sich über den Ärger der Menschen nicht wundern muss. In Frankfurt hatten wir aktuell einen Fall, in dem dieses Unternehmen noch während der laufenden Modernisierungsmaßnahmen erste Kosten auf die Mieterinnen und Mieter umlegte, obwohl die Mieterschaft noch unter den Baumaßnahmen leidet. Das ist nicht klug – höflich ausgedrückt –, und der Ärger ist vorprogrammiert. Das wirtschaftsnahe Institut der deutschen Wirtschaft hat in einer Studie gerade veröffentlicht, dass private Unternehmen die Mieten in deutschen Großstädten deutlich stärker erhöht haben als kommunale und genossenschaftliche Vermieter. ({0}) Die Nettokaltmiete bei kommunalen Wohnungen blieb von 2013 bis 2017 konstant bei durchschnittlich 7,40 Euro pro Quadratmeter. Bei genossenschaftlichen Wohnungen stieg sie von 7,00 Euro auf 7,50 Euro. Die Mietpreise privater Unternehmen stiegen dagegen von 7,70 Euro auf 8,70 Euro. Ja, es gibt den Artikel 15 Grundgesetz, der eine Vergesellschaftung von Grund und Boden zulässt – gegen eine Entschädigung. Es gibt aber auch den Artikel 14 Absatz 2 Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. ({1}) Dieser ist mir sehr viel näher. Liebe Linke, ihr liebäugelt mit Enteignungen. Ihr wart daran beteiligt, dass Dresden als erste Kommune Deutschlands den gesamten Wohnungsbestand von etwa 48 000 Wohnungen an eine Heuschrecke verkauft hat. ({2}) Die SPD hat dies damals abgelehnt. Uns allen muss klar sein, dass wir künftig keine kommunalen Wohnungsbestände mehr an private Investoren verkaufen. Das sollte doch in unser aller Interesse sein. ({3}) – Ich merke, ich habe euch aufgeregt; das macht mir Freude. Mein Ziel ist Bauen, Bauen, Bauen von bezahlbarem Wohnraum. Die rot-schwarze Bundesregierung hat dafür gesorgt, dass in dieser Legislaturperiode 5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereitstehen. Die Stadt Frankfurt geht auch hier, beim Bauen, mit gutem Beispiel voran. Künftig soll bei allen neuen Baugebieten festgelegt werden, dass 50 Prozent der Flächen für den sozialgeförderten Wohnungsbau – hälftig auf dem 1. und dem 2. Förderweg – genutzt werden. Weitere 25 Prozent sollen für Konzeptvergaben reserviert werden. Danke an den SPD-Planungsdezernenten Mike Josef für diese super Initiative. Leider stehen in angespannten Wohnungsmärkten aus miesen Spekulationsgründen viele Wohnungen leer. Diese müssen dem Wohnungsmarkt umgehend wieder zur Verfügung gestellt werden. In Frankfurt sind dies mehrere Tausend Wohnungen. Liebe Grüne, in Hessen merkt ihr, wie es ist, in der Realität der Koalition zu sein. Leider hat die neugewählte schwarz-grüne Landesregierung kein Zweckentfremdungsverbot für Wohnungen eingeführt, obwohl die Grünen dies in ihrem Wahlprogramm versprochen haben. So ist die Realität. Die Enttäuschung der Mieterinitiative über die Grünen kann ich gut verstehen. Die Wut wird noch dadurch verstärkt, dass im schwarz-grünen Hessen die Kündigungsfrist nach Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen nur bei acht und nicht bei maximal zehn Jahren liegt – ein Geschenk von zwei Jahren für die Immobilienspekulanten. Wir als Bund haben gehandelt. Wir haben die Möglichkeit der Umlage nach Modernisierungen auf maximal 3 Euro gedeckelt. Ich selber setze mich für eine veränderte Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen ein. Bisher dürfen in angespannten Wohnungsmärkten die Mieten innerhalb von drei Jahren um 15 Prozent erhöht werden, in anderen Gebieten sogar um 20 Prozent. Ich frage: Wer hat solche Gehaltssteigerungen? Deshalb müssen wir dies deutlich reduzieren. Meine Forderung: Maximal 2 Prozent pro Jahr! Auch hier geht Frankfurt mit gutem Beispiel voran. Bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding mit 50 000 Wohnungen haben wir den Mietanstieg auf 1 Prozent pro Jahr begrenzt. Von Frankfurt kann man lernen! Ich finde es gut, dass die rot-schwarze Bundesregierung auf dem Wohngipfel unter anderem festgelegt hat, dass wir die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen einschränken und den Betrachtungszeitraum beim Mietspiegel ausweiten wollen. Die Reform des Wohngelds geht aktuell ins Kabinett: Wir wollen eine jährliche Dynamisierung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Menschen mitnehmen wollen, müssen wir handeln. Dann hat auch ein Volksbegehren für Enteignung keinen Erfolg. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, ausreichend bezahlbaren Wohnraum für die Menschen zu schaffen! Ich bedanke mich bei meinem Praktikanten Nick ­Engelmann, der oben auf der Bühne sitzt und mich bei meiner Vorbereitung toll unterstützt hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns handeln. Wir haben viel zu tun. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Antje Tillmann hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Tillmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003646, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass das beste Mittel gegen zu hohe Mieten und gegen Wohnungsmangel ist, genügend Wohnraum zu schaffen. Wohnungen bauen hilft gegen hohe Mieten. Aber selbst wenn man nicht dieser Meinung ist und wenn man sich in diesem Zusammenhang dem Aspekt Enteignung widmen will, wie es der Kollege Bartsch eben getan hat, dann muss man damit ganz sachlich und betriebswirtschaftlich umgehen: Die Forderung nach diesem Instrument zu einem Zeitpunkt in die Diskussion einzubringen, wo die Grundstückspreise explodieren, zeigt doch ganz klar, dass das betriebswirtschaftlich nicht funktionieren kann. Der Kollege Bartsch wusste noch, dass man die Anschaffungskosten auf der Aktivseite einer Bilanz ausweist. Und ja, die Kredite, die man vielleicht zur Finanzierung braucht, stehen auf der Passivseite. Das Problem ist nur, dass man spätestens nach einem Monat, wenn nämlich die Kosten der Abschreibung des Kaufpreises höher als die Erträge aus den Mieten sind, pleite ist. ({0}) Also würde es überhaupt nichts nutzen, zum jetzigen Zeitpunkt zu enteignen, weil wir natürlich nicht unter Verkehrswert enteignen. Die Forderung, zu einem Zeitpunkt zu enteignen, wo die Grundstückspreise explodieren, zeugt wirklich davon, dass Sie überhaupt keine Ahnung haben, ({1}) weder von Artikel 15 des Grundgesetz noch von Bilanzierung. Schade, dass der Kollege Bartsch jetzt keine Zeit mehr hatte, sich diesen Teil der Rede anzuhören. ({2}) Aber vielleicht können Sie es ihm ja ausrichten. Das macht keinen Sinn. Das macht auch keinen Sinn, weil natürlich jeder weitere Investor überlegen wird, für 7 Euro zu bauen, wenn bei 7,50 Euro die Enteignung droht. Von daher kann man diese Debatte ganz sachlich und, Kollege Kühn, völlig ohne Schaum vorm Mund führen. Man braucht nur ein bisschen betriebswirtschaftlichen Verstand. Dann merkt man: Das ist keine Lösung! Deswegen schlagen wir einen anderen Weg ein. Wir sagen: In einem Dreiklang von Wohnungsbauunterstützung schaffen wir mehr Wohnungen und damit eine Entlastung auf dem Wohnungsmarkt. Aber dazu muss man natürlich auch sagen, dass dies das Problem mit dem Wohnraum in den Innenstädten nicht lösen wird. Wir können natürlich die Innenstädte zubetonieren. Das ist vielleicht Ihre Position, unsere ist das nicht. Wir müssen zusätzlich wissen, dass wir in einer Generation fast doppelt so viel Wohnraum pro Person wie vorher in Anspruch nehmen. Da kann jeder Einzelne für sich überlegen, ob es weiter funktionieren kann, dass wir für jede Person mehr als 46 Quadratmeter zur Verfügung stellen. Diesen Bedarf werden wir dauerhaft auch durch noch mehr Wohnungsbau vermutlich nicht lösen. ({3}) Aber in der Zwischenzeit, glaube ich, muss man das Problem mit den Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern angehen. Ich höre, dass teilweise Kollegen, die schon gesprochen haben, von den Oberbürgermeistern ihres Wahlkreises angerufen werden, die ihnen sagen: Hallo, bei mir im Ort stehen Wohnungen leer. – Das ist in Thüringen ganz genauso. Deshalb bin ich froh, das Staatssekretär Wanderwitz die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ angesprochen hat; denn es ist vermutlich billiger, abends einen Bus zurück in den ländlichen Raum fahren zu lassen, als in den Innenstädten auch den letzten Park mit zusätzlichen Wohnungen zuzubetonieren, weil alle Menschen in die Innenstädte wollen. Vielleicht schaffen wir es, den ländlichen Raum doch attraktiver zu machen, die Schulen vor Ort zu erhalten – das ist im Moment ein Thüringer Thema – und dann Menschen zu motivieren, auf dem Land in einer schönen Umgebung preiswert zu wohnen und am Abend mit dem Bus von der Stadt nach Hause zu fahren. ({4}) Neben diesem Konzept werden wir selbstverständlich auch in Wohnraum investieren. Das Programm für den sozialen Wohnungsbau ist schon erwähnt worden. In einer Sonderaktion stellen wir zusätzlich zu den 1,5 Milliarden Euro weitere 2 Milliarden Euro zur Verfügung. Die KfW hat alleine 2018  15 Milliarden Euro an Krediten und 2 Milliarden Euro an Zuschüssen für sozialen und anderen Wohnraum zur Verfügung gestellt. Herr Kollege Kühn, ich finde es traurig, dass Sie den Familien das Baukindergeld nicht gönnen; denn selbstverständlich werden die Familien, die sich ein Eigenheim schaffen, Wohnungen freimachen, in die andere einziehen können, die vielleicht die finanziellen Mittel für das Baukindergeld und das Wohneigentum nicht brauchen. ({5}) Sie haben das als eine teure, unnütze Maßnahme beanstandet. ({6}) Wir freuen uns über jede Familie, die dieses Programm nutzt. Dieses Programm führt dazu, dass Kinder in einer guten Umgebung aufwachsen. Selbstverständlich sind uns auch die Kinder wichtig, deren Eltern sich das nicht leisten können. Für diese stellen wir Wohnbauprogramme zur Verfügung. Was kommt noch neben dem, was wir schon umgesetzt haben? Leider schlummert im Bundesrat das Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsneubaus. ({7}) Auch das hätte in erheblichem Umfang zu Mietwohnungsneubau führen können. ({8}) Der Deutsche Bundestag hat dieses Gesetz im November 2018 verabschiedet. Leider können sich die Länder nicht dazu durchringen, es endlich auf den Weg zu bringen, obwohl auch das Gegenstand des Wohngipfels war. ({9}) Ich bin sehr froh, dass wir dafür gesorgt haben, dass man dieses Modell mit staatlichen Zuschüssen für den sozialen Wohnungsbau koppeln kann. Natürlich wäre es perfekt, wenn man mit der Sonderabschreibung zusätzlichen Wohnraum für Menschen schaffte, die preiswerten Wohnraum benötigen. Wir wollen einen Grunderwerbsteuerfreibetrag. Wir wollen auch die Wohnungsbauprämie als Teil der Vermögensbildung anpassen, damit sie für junge Menschen attraktiv wird. Von daher haben wir für alle drei Gruppen das entsprechende Programm. Mit dem Koalitionspartner müssen wir noch sprechen hinsichtlich der Grundsteuer; denn seit gestern wissen wir, dass wir die Mietsituation in den Innenstädten noch dadurch erschweren, dass es einen Metropolenzuschlag geben soll. Ich war bisher immer davon ausgegangen, dass wir München, Frankfurt und Berlin nicht noch teurer, sondern billiger machen wollen. Aber darüber können wir vielleicht im Gesetzgebungsverfahren zur Grundsteuer diskutieren. Bis dahin glaube ich, dass wir mit dem angesprochenen Dreiklang auf einem guten Weg sind. Ich bitte Sie, das zu unterstützen. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Wir kommen zum vorletzten Redner dieser Aktuellen Stunde. Das Wort hat der Kollege Mario Mieruch.

Mario Mieruch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004822, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon spannend, diese Debatte hier zu beobachten, in der sich sicherlich zu Recht beklagt wird, wie sich alles verteuert hat. Aber irgendwie kam noch keiner auf die Idee, die Frage zu stellen, warum sich nicht in gleichem Maße die Löhne entwickelt haben und wer dafür wiederum die Verantwortung trägt. Nach zwei sozialistischen Diktaturen, die sich ausgesprochen gerne der angesprochenen Maßnahme bedienten, diskutieren wir heute erneut über Enteignungen. Jedem Freiheitlich-Konservativen sollte das eigentlich einen kalten Schauer über den Rücken jagen, während andere relativ deutlich klarmachen, was von ihnen zu erwarten ist, wenn sie in der Regierungsverantwortung sind. Selbst ein Boris Palmer, der gerne als das grüne Feigenblatt der Vernunft wahrgenommen wird, droht Grundstücksbesitzern mit Bußgeldern und Enteignungen. In der SPD spricht man sogar von einem Notwehrrecht. Was soll das denn sein? Der Staat wehrt sich gegen zu viel Privateigentum? Ziemlich seltsam! Liebe Frau Göring-Eckardt, auch Sie haben sich vorhin über die Vergleiche mit dem Sozialismus beklagt. Ich bin zufälligerweise im selben Landkreis groß geworden wie Sie, und offensichtlich habe ich eine realitätsnähere, nüchterne Wahrnehmung davon, wie Sozialismus letzten Endes gewirkt hat; denn ich bin selber in einem staatlich verwalteten Loch aufgewachsen. Das möchte ich heute keinem mehr gönnen. Ansonsten wurde hier gerne der Hambacher Forst als Vergleich angesprochen. Ich halte das Wohnungsbaukonzept dort für relativ wenig zukunftsfähig, indem man Baumhäuser baut, aus denen heraus man seine Besucher mit Kacke bewirft. Ich glaube, das bringt nichts. ({0}) Heute sind es nicht nur die ausufernden Dämmvorschriften, die den Neubau erheblich verteuern. Vermieten wird zunehmend unattraktiv, weil sich der Vermieter seine Mieter nicht mehr frei aussuchen kann, weil er schwierige Rechtswege beschreiten muss, wenn Mietnomaden und Messies sein Eigentum zerstören. Verlässliche Rechtssicherheit gibt es höchstens auf dem Papier. Die steigende Grunderwerbsteuer und die Energiepreise tun ihr Übriges. Besonders kleine Vermieter erwirtschaften kaum noch Rendite. Ohne Rendite keine Vermietungen! Artikel 15 des Grundgesetzes wird immer wieder herangezogen. Von Frau Nissen haben wir den Hinweis auf Artikel 14 Absatz 2 gehört. Aber Artikel 14 Absatz 3 wird gerne vergessen; denn vor der Enteignung steht nicht zuerst das Recht auf Enteignung, sondern die Enteignung findet immer im Kontext statt. Artikel 14 Absatz 3 bezieht sich auf die Missstände nach dem Zweiten Weltkrieg. Er sollte den Wiederaufbau Deutschlands vereinfachen. Ich begrüße die Ehrlichkeit insbesondere der Berliner Regierungsparteien, dass sie ihre Regierungsergebnisse ebenso katastrophal bewerten, wie es die damalige Situation war. Wenn Enteignungen die Antwort sein sollen, dann geht es zurück zum VEB Wohnungsbaukombinat. Aber die Enteignung – das haben wir gehört – verbessert nicht die Situation. Diese absurden Ideen sind aber nicht neu. Ich möchte dazu einmal etwas zitieren: Ein Beispiel für solche nationalen Anstrengungen gibt es in unserer Geschichte. Ich verweise hier auf das Lastenausgleichsgesetz, das gleich zweimal in diesem Bereich gute Hilfen geleistet hat, und zwar – das möchte ich ganz deutlich sagen – mit den Mitteln einer Vermögensabgabe. Dieses Wort sollten wir auch wieder öfter in den Mund nehmen. Ja, meine Damen und Herren, insbesondere auf den Tribünen, dieses Wort stammt aus einer Rede zu klammen Kommunalfinanzen aus dem Jahre 2011, gehalten von Kirsten Lühmann von der SPD. Und das betrifft dann nicht bloß die bloßen Spekulanten; das betrifft jeden, der sich ein Häuschen gebaut hat und der sich künftig solchen Vermögenseingriffen des Staates gegenübersieht. ({1}) Vielen Dank.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Jetzt kommt der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: Karsten Möring von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner in einer solch langen Aktuellen Stunde ist es schon schwierig, sich an das eine oder andere zu erinnern, was hier gesagt worden ist. Ich will es in dem einen oder anderen Fall trotzdem versuchen. Fangen wir mit Frau Lay an. Frau Lay hat gesagt, wir sollen keine Sonntagsreden halten, sondern wir sollen mal arbeiten. ({0}) Ich vermute, liebe Frau Lay: Das, was Sie hier abgeliefert haben, das war die eigentliche Sonntagsrede. ({1}) Denn Sonntagsreden sind dadurch geprägt, dass sie Scheinlösungen präsentieren, und das, was Sie produziert haben, sind tatsächlich Scheinlösungen; denn der Wohnungsmangel, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, wird durch das alles überhaupt nicht verändert. Herr Kühn, lieber Kollege, bei Ihnen fiel der Satz: Wohnungen sind nicht mehr vorhanden. Deswegen kann man sie auch nicht finden und auch nicht mehr einziehen. – Ja. Und was schließen Sie daraus? Ich schließe daraus, dass wir mehr Wohnungen bauen müssen – dass wir sie nicht anders verteilen müssen, dass wir sie bauen müssen. Wenn ich mir die Frage stelle, wie wir sie bauen, dann kann ich nur sagen: Der Bund baut sie nicht. Das, was der Bund macht, ist: Er leistet Finanzierungshilfen, er verabschiedet Rahmengesetze, er verändert das Mietrecht und alles drum und dran; bauen tut er aber nicht. Ach, Frau Lay, ich habe noch eins vergessen – das will ich noch nachschieben –: Zu „Sonntagsrede“ gehört auch die Scheinheiligkeit, zu sagen: Wir Linke, Grüne – das gilt auch für Teile der SPD – gehen demonstrieren gegen die Wohnungspolitik von Linken, Grünen und SPD im Berliner Senat. Die Berliner Situation ist wirklich kafkaesk; denn das, was Sie hier machen könnten, tun Sie nicht, und anschließend beklagen Sie, dass Sie das nicht gemacht haben. ({2}) Das ist schon ein bisschen absurd. ({3}) – Ja, nach der Aktuellen Stunde. Ich glaube, man darf hier keine Zeichnungen präsentieren. ({4}) Das habe ich mal von einem Präsidenten in der letzten Wahlperiode gelernt. Frau Göring-Eckardt, eine Bemerkung muss ich auch an Sie richten. Sie haben bei dem Thema „Enteignung/Verstaatlichung“ unter anderem den Kauf der Hypo Real Estate als Verstaatlichung bezeichnet. Ja, wenn Sie das so fassen, dann könnte es ja die Lösung des Problems sein, dass der Berliner Senat die Gesellschaften, um die es hier geht, einfach kauft. Wenn es Aktiengesellschaften sind, kann er es sogar an der Börse tun. Warum will er das denn nicht tun? Weil er meint, dass er dann dafür zu viel bezahlen muss. Aber das, was er dafür bezahlen müsste, wäre der Wert dieses Unternehmens. Wenn wir über Verstaatlichung reden, dann sollten wir uns auch klarmachen, dass wir auch ein anderes Problem haben. Ich sage mal ganz plakativ: Wer die Verstaatlichung fördert, erklärt den Bankrott seiner Politik; denn er sagt damit, dass alle anderen Möglichkeiten nicht funktionieren oder nicht funktioniert haben. Wir wissen doch aus der Rechtsprechung in Enteignungsprozessen jeglicher Art, dass Enteignungen immer abgelehnt wurden, wenn nicht sämtliche Alternativen ausgeschöpft worden sind. Wir reden natürlich über viele Alternativen, die es hier gibt. Von daher gesehen ist die ganze Diskussion um Verstaatlichung oder Ähnliches mehr, selbst wenn man nicht über die Volumen, die man dafür als Entschädigung zahlen sollte, redet, eine Scheindiskussion, weil die Gerichte uns bescheinigen werden, dass hier vielleicht Konkursbetrug vorliegt, aber keine Berechtigung zur Enteignung. Wenn wir jetzt mehr Wohnungen haben wollen, müssen diese auch bezahlt werden. Wir haben in den Reden vorhin sehr deutlich gehört, um welches finanzielle Volumen es geht. Der Staat kann es nicht. Wir können nur anreizen. Wir können die Länder mit 5,5 Milliarden Euro Bundesgeld für den sozialen Wohnungsbau anreizen, und diese können wiederum Investoren anreizen. Wenn man von den Investoren verlangt, Wohnungen zu bauen, dann ist es vielleicht nicht unbedingt das Geschickteste, wenn man sie pauschal beschimpft. Man sollte vielleicht diejenigen beschimpfen, die als schwarze Schafe unterwegs sind; davon gibt es ja einige. Aber wenn man in cumulo sagt, alle, die privat in den Wohnungsbau investieren, seien geldgierig oder Ähnliches, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die anschließend sagen: Es gibt auch noch Anlagealternativen. – Von daher gesehen sollte man da vielleicht ein bisschen mehr differenzieren. Einer der entscheidenden Punkte, wenn man Wohnungen bauen will, ist, dass man das Bauland dafür bereitstellt. Wir haben zwar die Baulandkommission; aber die Baulandbereitstellung ist primär Aufgabe der Kommunen. Da kann man natürlich in der Tat viel mehr machen. Man kann aktivieren, man kann aber auch sagen: Ich arbeite mit Erbbaurecht; ich setze Konzeptvergaben ein, mit denen die Höhe der Mieten geregelt werden kann; ich gebe Quoten für den sozialen Wohnungsbau vor. – Alles das kann man machen; das sind Instrumente, die funktionieren. Letzter Satz zum Thema Mietpreisbremse. Ich glaube, wir haben sie ziemlich ausgereizt. Wir stellen fest, dass Wohnungsbauunternehmen nicht mehr oder nur noch begrenzt modernisieren, ({5}) weil sie sonst die Kappungsgrenzen erreichen. Da sind wir an der Grenze dessen, was wir mit der Mietpreisbremse bewirken können. Also brauchen wir die anderen Bereiche zur Förderung des Wohnungsbaus, und dafür sollten wir ein gutes Klima schaffen. Die Diskussion, die hier in Berlin geführt wird, bewirkt das Gegenteil; sie hilft uns kein Stückchen weiter. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Kollege Möring. – Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 11. April 2019, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.07 Uhr)