Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/3/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Passenderweise hat sich das Kabinett heute auch mit einem Gesetzentwurf meines Hauses beschäftigt, zu dem ich gerne einleitend etwas sagen möchte, nämlich dem Gesetz zur Errichtung eines Deutschen Implantateregisters. Unser Ziel ist es, ein Implantateregister einzuführen. Mit den Erkenntnissen, die wir im Laufe der Zeit aus diesem Register gewinnen können, wollen wir die Sicherheit und Qualität von Implantaten und die Sicherheit der medizinischen Versorgung bei Implantationen verbessern. Die Verbesserungen sollen natürlich vor allem den Patientinnen und Patienten zugutekommen. Deswegen beziehen wir alle Patientinnen und Patienten ein, also gesetzlich Versicherte, Privatversicherte und auch Selbstzahler. Damit wir die richtigen Schlüsse aus diesem Register ziehen können, brauchen wir valide und vollständige Daten. Daher setzen wir auf eine verpflichtende Teilnahme aller Beteiligten. Die Meldung an das Register ist für die Gesundheitseinrichtungen – das werden in aller Regel Krankenhäuser sein –, die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen und alle Patientinnen und Patienten verbindlich. Hersteller werden verpflichtet, ihre Produkte in der Produktdatenbank des Registers zu registrieren. Bei Meldeverstößen der Gesundheitseinrichtungen oder im Falle von Implantaten, die nicht in der Produktdatenbank registriert sind, sieht der Gesetzentwurf einen Vergütungsausschluss vor. Diese Sanktion dürfte in aller Regel dazu führen, dass sich alle an die Vorgaben halten. Im Gegenzug für diese umfassende Verpflichtung müssen wir ein Höchstmaß an Sicherheit und Schutz in Bezug auf die sensiblen Gesundheitsdaten sicherstellen. Daher sieht der Gesetzentwurf eine Behördenstruktur für das Register vor. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information, kurz DIMDI, eine uns nachgeordnete Behörde, wird als Registerstelle die zentrale Datensammlung übernehmen. Damit wird auch die Neutralität in Bezug auf die Registerauswertung und die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben gewährleistet. Das Robert-Koch-Institut richtet eine unabhängige Vertrauensstelle ein, die alle personenbezogenen Daten pseudonymisiert und damit die Identifizierung der betroffenen Patientinnen und Patienten ausschließt. Für die Übermittlung der Datensätze wird die Telematikinfrastruktur genutzt, die einen sicheren Informationsaustausch gewährleistet. Der Mehraufwand, der bei den Gesundheitseinrichtungen, zum Beispiel in den Krankenhäusern, entsteht, wird erstattet. Wir werden voraussichtlich mit dem Endoprothesenregister für Hüft- und Kniegelenke sowie mit einem Register für Brustimplantate starten. Ich darf aus aktuellem Anlass mit Blick auf Brustimplantate sehr konkret machen, was der Mehrwert eines solchen Registers wäre: Frankreich wird dieser Tage acht Herstellern von Brustimplantaten den Import und den weiteren Verkauf von Brustimplantaten verbieten. Es besteht nämlich der Verdacht, dass bestimmte Arten von Brustimplantaten, insbesondere aufgrund einer bestimmten Texturierung an der Oberfläche, Krebs auslösen können. Es gibt einen Verdacht, aber bis jetzt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür. Jetzt wird es nachvollziehbarerweise Fragen bei einigen Patientinnen geben, die sich diese Implantate haben einsetzen lassen. Hätten wir das Register schon, könnten wir diese Patientinnen gezielt über den Verdacht, den es gibt, und über mögliche Vorsichtsmaßnahmen informieren. Wir könnten sie darauf hinweisen, dass es in bestimmten Situationen Sinn macht, Kontakt mit dem Arzt aufzunehmen. Das ist mit Blick auf die heutige Situation so nicht möglich. Ärztinnen und Ärzte müssen stattdessen aktiv auf ihre Patientinnen zugehen. Unsere Aufsichtsbehörden werden zusammen mit anderen europäischen Aufsichtsbehörden das Ganze natürlich weiter intensiv begleiten und verfolgen. Wie gesagt: Eine wissenschaftliche Evidenz für diesen Zusammenhang gibt es bisher noch nicht, nur eine Vermutung. Deswegen sind wir aufmerksam. Deswegen würde es Sinn machen, die Patientinnen zu informieren. Das können wir zum Beispiel bei einer Gelegenheit wie dieser tun, aber eben leider nicht direkt. Ein solches Implantateregister würde also in einem so konkreten Fall im Alltag Verbesserungen für die betroffenen Patientinnen bedeuten. Der Entwurf enthält – als abschließender Hinweis – zudem weitere Regelungen zur Änderung des SGB V und des Krankenversicherungsrechts, mit denen das Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung beschleunigt werden soll. Damit setzen wir Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag um, wonach medizinische Innovationen schneller in die Regelversorgung gelangen sollen. Hierzu wird die bisherige Fristvorgabe für den Gemeinsamen Bundesausschuss, der über den Umstand, ob etwas von den Krankenkassen bezahlt wird oder nicht, entscheidet, von drei auf zwei Jahre verkürzt. Um eine Einhaltung der Frist sicherzustellen, nehmen wir den unparteiischen Vorsitzenden stärker in die Pflicht. Er hat erforderlichenfalls einen eigenen Beschlussvorschlag vorzulegen, über den dann innerhalb von drei Monaten zu entscheiden ist. In diesem Zusammenhang werden die Aufsichtsrechte des Bundesministeriums für Gesundheit gestärkt, um insbesondere die Interessen der Patientinnen und Patienten besser zu berücksichtigen. Das war es zu Beginn von meiner Seite, Herr Präsident.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Minister. – Bevor wir im ersten Teil der Regierungsbefragung zu den einleitenden Ausführungen des Bundesministers für Gesundheit und seinem Geschäftsbereich kommen, muss ich noch eine sitzungsleitende Bemerkung machen: Für die Fragesteller und die Antwort des Ministers ist jeweils eine Minute vorgesehen, für eine Nachfrage 30 Sekunden. Da wir keine optische Gestaltungsmöglichkeit haben, um auf den Ablauf dieser 30 Sekunden aufmerksam zu machen, will ich darauf hinweisen, dass es schon Rot ist, wenn die Ampel Gelb wird – nur dass die Beteiligten wissen, worauf sie sich einlassen. Dann bekommt als erster Fragesteller das Wort der Kollege Dr. Axel Gehrke, AfD-Fraktion.

Prof. Dr. Axel Gehrke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004725, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Minister, meine Frage bezieht sich auf den Berufsstand der Heilpraktiker. Im Koalitionsvertrag wurde ja festgehalten, dass die Regierung im Sinne einer verstärkten Patientensicherheit das Spektrum der heilpraktischen Behandlungen überprüfen will. Nun stehen ja schon Neuregelungen im Arzneimittelgesetz zur Diskussion. Planen Sie weitere Einschränkungen, und halten Sie den in Europa einmaligen Dualismus von Ärzten und Heilpraktikern in der Gesundheitsversorgung langfristig für sachgerecht?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Präsident! Herr Kollege Gehrke, Sie haben ja schon darauf hingewiesen, dass wir uns das als Koalition vorgenommen haben. Morgen Abend wird hier im Deutschen Bundestag in erster Lesung ein Gesetz beraten werden, das vorsieht, dass die Zubereitung von Arzneimitteln durch Heilpraktiker – etwa Frischzellenkuren, bei denen in der Vergangenheit Frischzellen von Schafen bei Menschen angewendet wurden und die verschiedentlich zu Infektionen geführt haben – in Zukunft verboten ist. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir darüber hinaus keinen weiteren Verbotsbedarf, wenn ich es so formulieren darf. Wir wissen, dass die heutige Regelung bezüglich der Heilpraktiker nicht unumstritten ist. Das zeigt ja Ihre Frage, das zeigen auch verschiedene Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz. Gleichwohl gibt es eine hohe Akzeptanz in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Aus heutiger Sicht sehen wir keinen weiteren Regelungsbedarf als den, den wir morgen in erster Lesung vorschlagen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Herr Kollege Dr. Gehrke, eine Nachfrage? – Nein. Wunderbar. Dann erhält als nächste Fragestellerin die Kollegin Claudia Schmidtke, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Prof. Dr. Claudia Schmidtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Minister, zum Implantateregister: Welche Möglichkeiten bestehen für die Patientinnen und Patienten, deren Daten im Register gespeichert werden, ihre eigenen Daten einzusehen oder Informationen darüber zu erhalten?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, damit wir ein möglichst umfassendes Bild bekommen können, ist ja eine ausdrückliche Einwilligung der Patienten nicht vorgesehen. Aber natürlich soll jeder Patient erfahren können, was dort über ihn gespeichert wird. Das Recht auf Auskunft ist also nicht berührt. Wir werden im Übrigen auch die Daten, die heute schon in freiwilligen Registern, die es ja in verschiedenen Bereichen schon gibt, vorhanden sind, in das System überführen bzw. migrieren, wie man im Softwarebereich sagt, sodass sie dort auch verfügbar sind. Und – auch diese Frage hat uns heute schon erreicht; eine Bürgerin hat uns ihren Implantatepass zukommen lassen wollen nach dem Motto „Tragt mich schon einmal ein“ – wir wollen eine Regelung schaffen und Wege finden, Patienten einzuschließen, die bisher nicht dort drin sind. Die Neuregelung gilt natürlich erst einmal für alle zukünftig vorgenommenen Implantationen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Keine weitere Nachfrage. Dann erhält als nächste Fragestellerin die Kollegin Nicole Westig, FDP-Fraktion, das Wort.

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz nur ein erster Schritt zur Stärkung der Pflege sein soll. Wir Freie Demokraten haben in der parlamentarischen Beratung immer wieder betont, dass durch die einseitige Berücksichtigung der stationären Pflege negative Konsequenzen für die ambulante Pflege drohen. Die ersten Rückmeldungen von Fachleuten und Verbänden scheinen dies zu bestätigen. Ich erlebe das auch in meinem Wahlkreis – ländlicher Raum –, dem Rhein-Sieg-Kreis. Deshalb meine Frage: Was plant die Bundesregierung als zweiten Schritt, um die ambulante Pflege zu stärken?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Präsident! Frau Kollegin, wir haben tatsächlich auch im ersten Schritt Stärkungen der ambulanten Pflege mit berücksichtigt, zum Beispiel den Umstand, dass ab dem 1. Januar auch in der häuslichen Krankenpflege, also bei ambulanten Pflegediensten, die Krankenpflege machen – in der Altenpflege war das schon vorher der Fall –, Tarifbezahlung von den Krankenkassen zu refinanzieren ist. Ich weiß, dass sich das in der konkreten Umsetzung vor Ort im Moment noch teilweise – nicht überall, aber teilweise – schwierig gestaltet. Banal formuliert: Wir wünschen uns politisch Tarifbezahlung, bessere Bezahlung. Aber teilweise haben Krankenkassen den Pflegediensten gesagt: Warum zahlt ihr euren Leuten denn so viel? Zahlt doch weniger als Tarif. – Das haben wir mit dieser gesetzlichen Regelung unterbunden. Den zweiten, dritten und vierten Schritt – ich glaube, ein zweiter Schritt allein reicht nicht aus – besprechen wir unter anderem in der Konzertierten Aktion Pflege mit den Pflegeberufsverbänden, den Arbeitgebern und vielen anderen Beteiligten. Das geht über eine bessere Bezahlung, Anwerbung aus dem Ausland, Arbeitsbedingungen, Schichtzuverlässigkeit bis hin zu Modellprojekten in dem Bereich. Wir ziehen also alle Register, die wir ziehen können, um den Beruf attraktiver zu machen. Im Juni soll der Endbericht als Auftaktpunkt, wie ich hoffe, für weitere Maßnahmen vorliegen. Das soll aber damit nicht abgeschlossen sein.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Eine Nachfrage von Frau Kollegin Westig. Bitte.

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Wie bewerten Sie die Medienberichte, wonach sich Krankenkassen der Refinanzierung von Tariflöhnen durch rechtliche Tricks entziehen?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Das ist aus meiner Sicht – ich habe gerade schon darauf hingewiesen, dass auch uns solche Meldungen von der Umsetzung vor Ort erreichen – am Ende widerrechtliches Verhalten. Der Gesetzgeber hat sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass er sich zum 1. Januar auch in der ambulanten Pflege Tarifbezahlung wünscht und dass sie von den Krankenkassen und ebenso von den Pflegekassen refinanziert wird. Die Kassen, die das nicht umsetzen, handeln entgegen dem Geist und den konkreten Regelungen dieses Gesetzes. Dem wollen wir gemeinsam mit den zuständigen Aufsichten, die ja – das diskutieren wir auch an anderer Stelle – nicht nur bei uns liegen, natürlich entgegentreten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt zu diesem Thema eine Nachfrage der Kollegin Zimmermann.

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, dass ich nachfragen darf. – Ich habe ganz konkret die Frage: Wann können die Kolleginnen und Kollegen in der ambulanten Pflege und in der häuslichen Pflege damit rechnen, dass sie mehr Geld in der Tasche haben, dass es tatsächlich eine tarifliche Bezahlung gibt? Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung vor, um das mit schnellen Schritten hinzubekommen?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin Zimmermann, die Regelungen bezüglich der Refinanzierung sind zum 1. Januar in Kraft getreten. Insofern würde ein Arbeitgeber, der nach Tarif bezahlt, entsprechend refinanziert werden, wenn es entsprechende Vereinbarungen zwischen den Mitarbeitern und dem Arbeitgeber gibt. Wir reden gleichzeitig darüber, wie wir das – das gilt insbesondere in der Altenpflege, einem Bereich, den wir sehr eng und sehr intensiv zusammen mit den Kollegen aus dem Arbeitsministerium angehen – möglicherweise durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung oder über Mindestlöhne regeln können. Unsere Eins-a-Lösung wäre, durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung regelhaft zu einer besseren Bezahlung zu kommen. Gleichwohl will ich auf eines hinweisen: Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Pflege müssen, wenn ich es so formulieren darf, schnell verstehen, dass sie sich gegenüber ihren Pflegekräften an bestimmten Stellen anders verhalten müssen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Pflegekräfte können jederzeit überall in Deutschland einen neuen Arbeitgeber finden. Es gibt im Moment keinen ambulanten, keinen stationären Pflegedienst und kein Krankenhaus, die nicht Arbeitskräfte suchen. Das heißt, die Pflege ist insgesamt in einer sehr, sehr starken Position. Darin möchten wir sie auch unterstützen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, herzlichen Dank. – Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass auch auf die Nachfragen möglichst in 30 Sekunden geantwortet werden soll. Ihre Antworten haben eine Reihe von Nachfragen ausgelöst. Zunächst die Kollegin Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen.

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich möchte noch einmal bezüglich der tariflichen Bezahlung nachfragen; denn vor allem in den ostdeutschen Bundesländern sind die Pflegesätze in der Regel geringer als in den westdeutschen Bundesländern. Welche Anstrengungen haben Sie bisher unternommen – ich weise auf das sehr unterschiedliche Verhalten von Krankenkassen in den Verhandlungen gerade mit ambulanten Pflegediensten hin, die oft kleiner sind und für die es andere Schiedsverfahren gibt –, dass die Kassen ein Verfahren finden, das sicherstellt, dass Tariflöhne tatsächlich gezahlt werden? Wir haben einen Fall, der vor dem Verfassungsgericht verhandelt wird.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin.

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Was haben Sie gegenüber den Kassen konkret unternommen, dass mit den ambulanten Pflegediensten anders verhandelt wird?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Den entscheidenden Teil, Frau Kollegin, haben sozusagen Sie, hat der Deutsche Bundestag übernommen durch das Verabschieden eines Gesetzes, das zum 1. Januar in Kraft getreten ist und das eineindeutig regelt, dass Tarifbezahlung in der ambulanten Pflege von den Krankenkassen zu refinanzieren ist. Das ist eine eindeutige Regel. Daran gibt es nichts herumzudeuteln. Sie ist auf dem Rechtswege entsprechend umsetzbar. Parallel dazu bemühen wir uns, das durch Aufsichtshandeln umzusetzen. Wenn der Deutsche Bundestag das Bundesministerium für Gesundheit in die Lage versetzt, auch gegenüber bisher von uns nicht beaufsichtigen Krankenkassen Aufsichtshandeln auszuüben, wären wir sehr dankbar. Dann können wir dem entsprechend nachgehen. Große Krankenkassen in Deutschland unterstehen im Moment nicht unserer Aufsicht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Als nächster Nachfragesteller hat der Kollege Harald Weinberg, Die Linke, das Wort.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, trifft es zu – das betrifft nicht Ihr Ressort direkt, sondern das Ressort von Herrn Kollegen Heil –, dass nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz eine paritätisch besetzte Kommission eingerichtet werden soll, die für jeweils 24 Monate die Arbeitsbedingungen in der Pflege nachhaltig bestimmen soll, was de facto eine Allgemeinverbindlichkeit von bisher existierenden Tarifverträgen wäre?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Kollege, es stimmt, dass das unser Ziel ist. Aber Sie wissen auch – es geht um die sogenannte Wirkmächtigkeit und die Frage, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als Pflegekräfte von den jeweiligen Tarifverträgen entsprechend betroffen sind –, dass es im Moment solche Tarifverträge mit einer so hinreichenden Umfassung noch nicht gibt. Deswegen ist die Frage – darauf spielen Sie auch an; Sie werden das der aktuellen Berichterstattung entnommen haben –, ob es arbeitgeberseitig gelingt, eine solche Größenordnung zu erreichen. Das liegt nicht ausschließlich in unserer Hand – wir haben aber ein großes Interesse daran –, sondern es liegt vor allem in der Hand der Arbeitgeberverbände.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Zu dem Thema gibt es keine weiteren Nachfragen. Damit erhält zur nächsten Frage die Kollegin Pia Zimmermann, Die Linke, das Wort.

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Ich habe eine Nachfrage zur Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung ist ein Teilleistungsmodell. Für viele Menschen mit Pflegebedarf bzw. für viele Familien mit Pflegebedarf ist sie längst zur Armutsfalle geworden. Meine ganz konkrete Nachfrage ist: Warum halten Sie an diesem Modell so stur fest? Warum gibt es für Sie nicht ein anderes Finanzierungsmodell, das die Menschen nicht in die Armut rasseln lässt, wenn sie Pflegebedarf haben?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin Zimmermann, ich habe in einer Überschrift in diesen Tagen gelesen – das haben nicht Sie gesagt –, man könne sich das Pflegeheim nicht leisten. Das ist eine Aussage, die so nicht zutreffen kann, weil jeder in Deutschland spätestens über die Sozialhilfe alle notwendigen Kosten für eine Pflegeheimunterbringung erstattet bekommt. Problematisch ist dann meistens nicht die Frage – ich will das richtig einsortieren –, ob das Pflegeheim finanziert werden kann, weil eine Unterstützung ja möglich ist, sondern die Frage – das verstehe ich gut –, ob und in welchem Umfang für die Pflege Vermögen eingesetzt werden muss, das der Pflegebedürftige oder der Ehepartner hat. Die Pflegeversicherung war immer eine Zuschussversicherung, die einen Teil der Kosten abdeckt, und sie wurde auch in den letzten Jahren mehrfach in größerem Umfang angepasst. Der Deutsche Bundestag hat zum 1. Januar die Pflegeversicherungsbeiträge um 0,5 Beitragssatzpunkte anheben müssen. Das sind für einen Rentner mit 1 000 Euro Rente 5 Euro netto im Monat, die er weniger hat, weil er mehr für die Pflegeversicherung zahlen muss. Ich meine, wir müssen zwischen Beitragszahlern und Pflegebedürftigen, die einen Eigenanteil erbringen müssen, einen fairen Ausgleich finden. Das wird für die weiteren Debatten eine Aufgabe sein.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.

Pia Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004454, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. – Weil es ja nun doch so ist, dass Menschen in die Armut rasseln, wenn sie zum Beispiel für Pflegeheimplätze exorbitante Beträge als Eigenleistung zahlen müssen, die ja auch immer weiter steigen, hätte ich die Nachfrage: Was haben Sie denn jetzt ganz konkret an alternativen Finanzierungsmodellen auf der Kante, welche Alternativen werden in Ihrem Ministerium diskutiert, damit sich alle Menschen eine Pflege leisten können, die gut ist und zumindest das Leben und die Genesung sichert?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin Zimmermann, ich will noch mal dem von Ihnen erweckten Eindruck widersprechen, dass Pflege in diesem Land nicht finanziert würde. In diesem Land wird für jeden – selbst mit 0 Euro Einkommen – eine entsprechende Versorgung in einer stationären Pflegeeinrichtung sichergestellt. Ja, sie kann sehr teuer sein, aber sie wird für jeden bezahlt. Bitte hören Sie auf, den Eindruck zu erwecken, das wäre nicht der Fall. Die Frage ist, in welchem Umfang möglicherweise aus vorhandenem Vermögen Eigenanteile eingebracht werden müssen. Das ist eine sehr sensible Frage; aber es ist eine andere Frage als die, ob jeder Zugang zur notwendigen Versorgung hat. Den Zugang hat jeder. Es gibt da verschiedene Gerechtigkeitsaspekte. Nehmen Sie meinetwegen jemanden, der im Einzelhandel zu einem geringen Tarif arbeitet: Der schützt dann mit seinen Beiträgen zur Pflegeversicherung beispielsweise das Vermögen von 200 000 Euro, das möglicherweise jemand anders hat, obwohl er selbst nie in der Lage sein wird, 200 000  Euro Vermögen zu erarbeiten. – Ich finde, dabei sind verschiedene Gerechtigkeitsaspekte zu berücksichtigen. Entschuldigung, Herr Präsident, dass es etwas länger wurde.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, meine Nachsicht ist momentan nahezu grenzenlos. Ich habe die Regeln nicht gemacht, sondern ich habe darauf zu achten, dass sie befolgt werden. Es ist die übereinstimmende Meinung des Hauses gewesen, die Geschäftsordnung so zu gestalten.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Ich kenne das Problem.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Ob das sinnvoll ist, entzieht sich meiner jetzigen Beurteilung. Das mache ich, wenn ich nicht mehr hier sitze. Es gibt zu diesem Thema eine weitere Nachfrage. Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Achim Kessler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004776, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Bundesrat beschäftigt sich mit einer Initiative aus Hamburg, die darauf zielt, die einrichtungseinheitlichen Eigenanteile der Familien bei Pflegebedarf im Pflegeheim zu deckeln. Für viele Familien sind die Eigenanteile aber jetzt schon zu hoch. Wie hoch sollen Ihrer Meinung nach die Eigenanteile für einen Platz im Pflegeheim sein?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Kollege, die Eigenanteile in der Pflege sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich hoch – von wenigen Hundert Euro bis weit über 1 000 Euro. Das hat übrigens auch einen Grund. Deswegen wäre ich dankbar, wenn der Bundesrat sich mindestens genauso intensiv mit der Frage der unterschiedlichen Investitionsförderung der Länder beschäftigen würde. Es gibt schon vier Bundesländer, die, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet sind, gar keine Investitionsmittel für Pflegeeinrichtungen mehr bereitstellen. Die meisten Bundesländer tun zu wenig. Ich nehme die Initiative des Bundesrates sehr ernst. Wir werden uns damit beschäftigen. Ich würde mich aber freuen, wenn sich die Bundesländer genauso intensiv um die Frage kümmern würden, wie sie denn in der Pflege, bei den Investitionsanteilen, die Bürgerinnen und Bürger entlasten könnten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Keine weitere Nachfrage zu diesem Thema. Dann erhält als nächste Fragestellerin die Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, meine Fragen beziehen sich auf den heutigen Kabinettsbeschluss zur Einführung eines Implantateregisters. Wir sind sehr froh, dass dieses verbindliche Register endlich, endlich kommt. Wir fordern das schon seit zwei Wahlperioden im Sinne der Patientensicherheit. Sie haben zahlreiche Regelungen zum Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses in den entsprechenden Gesetzentwurf aufgenommen. Da vermissen wir Regelungen, die mehr Transparenz über die laufenden Verfahren herstellen und sicherstellen, dass die tragenden Gründe dafür, warum einem Votum der Patientenseite nicht gefolgt wurde, deutlich werden. Warum haben Sie keine entsprechenden Transparenzregelungen geschaffen, obwohl Sie ansonsten sehr weitgehend in den G-BA eingreifen?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, wir haben bei den vorgesehenen Regelungen sogar sehr ausdrücklich die Interessen der Patientinnen und Patienten und das, was die Patientenvertreter in den Gemeinsamen Bundesausschuss einbringen, berücksichtigt, weil insbesondere der Aspekt, wie die Patientenvertreter entschieden haben, mit ein Kriterium im Hinblick auf die Frage ist, ob und in welchem Umfang das Bundesministerium für Gesundheit auf mögliche Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses Einfluss nehmen kann. Insofern ist das aus unserer Sicht schon sehr stark berücksichtigt. Wenn das Parlament uns aber möglicherweise ermutigt, den Patientinnen und Patienten weiter gehende Eingriffsmöglichkeiten zu verschaffen, dann nehmen wir das im parlamentarischen Verfahren gerne auf.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Sie haben eine Nachfrage, Frau Kollegin?

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Bitte.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In dem Beschluss sind ja auch weitere Regelungen zur Beschleunigung der Verfahren zur Erprobung von neuen Behandlungsmethoden enthalten. Da sind Sie den Unternehmen sehr weit entgegengekommen und formulieren zum Beispiel auch, dass möglichst viele betroffene Versicherte in die Erprobung einbezogen werden sollen. Sie legen aber keinerlei Kriterien dar, die eine Einschränkung im Sinne der Patientensicherheit bedeuten. In der Regel bestehen da aber durchaus Unsicherheiten, und so weitgehend, wie es jetzt formuliert ist, fehlen entsprechende Einschränkungen. Haben Sie vor, da noch nachzusteuern?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Aus unserer Sicht, Frau Kollegin, ist das vor allem eine Ermessenssache. Ich bin angesichts der Erfahrungen aus der Vergangenheit sehr überzeugt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss seine Möglichkeiten nutzen wird, solche Einschränkungen zu beschließen. Warum diese weitgehende Formulierung? Aus einem sehr konkreten Anlass: Es geht um die Versorgung von Frauen, die von einem Lipödem, einer Fettverteilungsstörung, betroffen sind, die sehr schwere psychische und körperliche Folgen haben kann. Die Frage, wie viele Frauen überhaupt von einer Versorgung im Rahmen einer möglichen Studie zum Lipödem in den Stadien I und II profitieren würden, über die der Gemeinsame Bundesausschuss ja noch entscheiden will, ist für die betroffenen Patientinnen eine ziemlich wichtige Frage. Das berücksichtigend, haben wir es so formuliert.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Eine Nachfrage des Kollegen Harald Weinberg, Die Linke.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich komme auch zum Thema Selbstverwaltung. Im Prinzip war es ja bislang so: Wenn in Verfahrensregelungen des G-BA und des IQWiG eingegriffen wurde, dann per Gesetz, und es wurden sehr grundlegende Dinge vorgegeben, wie zum Beispiel Fristen. Sie wollen nun vom Bundestag eine Verordnungsermächtigung für Ihr Ministerium, um auch am Bundestag vorbei Verfahrensvorgaben für diese Institutionen bis ins kleinste Detail machen zu können. Warum wollen Sie vom bisherigen Vorgehen abweichen, nur per Gesetz in die Verfahrensregelungen einzugreifen? Sie fordern mehr Macht für Ihr Ministerium, am Bundestag vorbei. Ist das eigentlich nicht eine Entwicklung von einer Rechtsaufsicht zu einer Fachaufsicht?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Kollege Weinberg, da es ja vorgesehen ist, dass der Deutsche Bundestag zunächst über ein entsprechendes Gesetz entscheidet, ist es ja noch nicht vorbei. Wenn es so käme, dann wäre es eine bewusste Entscheidung des Bundestages. Verordnungsermächtigungen für Ministerien zur Konkretisierung bestimmter Sachverhalte sind übrigens ein sehr üblicher Vorgang, da die grundsätzliche politische Entscheidung, die Rahmensetzung, zwar durch den Gesetzgeber zu erfolgen hat, aber oft viele Details – auch sich ändernde Details – im Zeitablauf zu regeln sind, und das eben durch eine Verordnung. Wie gesagt: Das machen wir an vielen Stellen, um die Details besser zu adressieren. Eine vergleichbare Verordnung gibt es übrigens auch bei der Arzneimittelnutzenbewertung. Da läuft das pro­blemlos; das kritisiert niemand. Unsere Idee ist, das, was wir bei Arzneimitteln machen, auch bei der Methodenbewertung jedenfalls im Ansatz zu tun.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Keine weitere Nachfrage zu diesem Themenbereich. Dann erhält als nächster Fragesteller der Kollege Detlev Spangenberg, AfD-Fraktion, das Wort.

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Recht vielen Dank. – Herr Minister, die neue 5G-Technologie erfordert den Aufbau vieler neuer Mobilfunkantennen, und die damit einhergehende gesundheitliche Gefährdung wurde schon 2017 in verschiedenen Studien festgestellt. Die Frage ist: Inwieweit plant Ihr Ministerium eine Überprüfung dieser Studien? Plant das Ministerium, dazu selbst eine Studie in Auftrag zu geben, und zwar auch unter dem Aspekt, dass die Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz, Frau Paulini, selbst eine solche Überprüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich für notwendig hält?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Kollege, die gesundheitlichen Folgen von Strahlenbelastungen aller Art – es geht ja nicht nur um die von Ihnen genannten – werden regelmäßig wissenschaftlich untersucht. Das Ausmaß an gesundheitlichem Schaden, das Sie unterstellen, ist bisher nicht festgestellt worden. Im Übrigen müssen Sie sich schon entscheiden: Sie kritisieren hier manchmal, dass wir beim Breitbandausbau nicht vorankämen und nicht genug Masten für 5G stehen. Jetzt stellen Sie eine Frage, die mich eher vermuten lässt, dass Sie keine Masten für 5G und somit keine bessere Netzabdeckung wollen. Wer die Bundesregierung kritisiert, dass es mit dem Breitbandausbau zu langsam vorangeht, der muss akzeptieren, dass es dafür Masten braucht; denn anders wird das nicht gelingen können.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Sie haben eine Nachfrage, Herr Kollege? – Bitte schön.

Detlev Spangenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004898, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ich habe die Bundesregierung nicht kritisiert. Ich habe gefragt, ob Sie eine Studie in Auftrag geben wollen, um zu untersuchen, was behauptet wird.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Weil es um gesundheitlichen Schutz geht, wird das stets und ständig in enger und guter Abstimmung mit den Kollegen des Bundesministeriums für Umwelt – hier liegt die Federführung – geprüft. Wir nehmen jeden Hinweis sehr ernst, und weil das so ist, können wir feststellen, dass wir einen gesundheitlichen Schaden, wie Sie ihn in Ihrer Eingangsfrage postuliert haben, nicht sehen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Gibt es zu diesem Themenbereich eine weitere Nachfrage? – Das ist nicht der Fall. Dann hat als nächster Fragesteller der Kollege Dr. Rudolf Henke das Wort.

Rudolf Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Nur der korrekten Zitierung halber: Ich bin zwar Arzt für Innere Medizin, aber nicht promoviert. Ich will auf das Implantateregister-Errichtungsgesetz zu sprechen kommen. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung heißt es bezogen auf die bisherigen Qualitätssicherungsinstrumente, dass eine systematische Langzeitbeobachtung gefehlt bzw. Schwächen hatte, zumindest für Produktmängel, die unterhalb einer bestimmten Vorkommnisschwelle liegen. Das Ziel des Registers ist der Schutz von Gesundheit und Sicherheit. Es geht um Qualitätssicherung, Statistik und die Nutzung für wissenschaftliche Zwecke. Nun wissen wir aus klinischen Studien, dass es bereits sehr wirksame Instrumente gibt, um Komplikationen, Wirkungen und Nebenwirkungen zu analysieren. Kann die Bundesregierung sich vorstellen, dass wir die vorhandenen Instrumente auch für die Langzeitbeobachtung im Register nutzen könnten?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Grundsätzlich ja.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Herr Kollege Henke, die Tatsache, dass Sie promoviert wurden, haben Sie Ihrem Parlamentarischen Geschäftsführer zu verdanken. Ich kann aus rechtlicher Sicht sagen: Sie dürfen sich so anreden lassen, Sie dürfen nur den Titel selbst nicht führen. ({0}) Frau Schulz-Asche hat eine Nachfrage. – Bitte schön.

Kordula Schulz-Asche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004405, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch meine Frage bezieht sich auf das Implantateregister. Inwieweit ist das Implantateregister verknüpft mit den Aufgaben und Kompetenzen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, was zum Beispiel den Rückruf von Produkten angeht? Damit verbunden möchte ich fragen: Wie schätzen Sie mögliche Folgen des Brexits für die benannten Stellen, die die Zulassungsverfahren für Medizinprodukte durchführen, ein? Denn durch den Brexit könnten verschiedene Zulassungsverfahren nicht mehr durchgeführt oder erst sehr verspätet durchgeführt werden.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, Sie sprechen zwei Komplexe an. Zunächst zur Aufsicht. Natürlich werden die Daten, wenn es zu Vorfällen kommt – das habe ich vorhin versucht am aktuellen Beispiel rund die Entscheidung in Frankreich zu Brustimplantaten deutlich zu machen –, genutzt, um die Patientinnen und Patienten zu erreichen. Wir wissen derzeit nicht zentral, wer welches Implantat eingesetzt bekommen hat, und können daher nicht individuell auf die Personen zugehen. Insofern spielen Aufsicht und mögliche Entscheidungen wie Rückrufentscheidungen oder Informationsentscheidungen im Zusammenhang mit dem Register eine große Rolle. Was die Zulassung im Vereinigten Königreich angeht. Wir haben eine entsprechende Kommission, wie andere Staaten auch. Ich habe gestern Abend mit dem niederländischen Kollegen darüber gesprochen und darauf hingewiesen, dass bei einem Hard Brexit von einem Tag auf den anderen 2 500 Medizinprodukte ihre Zulassung verlieren könnten, wenn wir es nicht schaffen, Übergangsregelungen miteinander zu finden. Mein Eindruck ist, in diese Frage kommt – endlich, möchte ich fast sagen – Bewegung; denn für die Versorgung von Patienten ist es wichtig, zu wissen, ob bestimmte Medizinprodukte auf dem Markt sind oder nicht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, herzlichen Dank. – Eine weitere Nachfrage der Kollegin Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Frage zum Register. Wird das Register für Außenstehende, also Patientinnen und Patienten und Versicherte, einsehbar sein? Kann ich zum Beispiel sehen, dass es bei einer bestimmten Prothese zu sehr vielen unerwünschten Ereignissen gekommen ist, sodass ich mich orientieren kann, wenn ich eine entsprechende Entscheidung zu treffen habe?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Die betroffenen Patientinnen und Patienten haben die Möglichkeit, Informationen über die eigenen Daten, die im Register gespeichert worden sind, zu erhalten. Eine umfassende und detaillierte Zugriffsmöglichkeit ist bisher nicht vorgesehen. Man müsste klären, wie man den Zugriff regelt, und Kriterien aufstellen, aus denen hervorgeht, wer was einsehen darf; denn es geht – auch wenn sie anonymisiert sind – um teilweise sensible Daten. Wir wollen die gespeicherten Daten auf jeden Fall nutzbar machen, wenn es um Versorgungserkenntnisse, Aufsichtsfragen und Nachvollziehbarkeiten geht, und Transparenz herstellen, wenn es darum geht, welches Krankenhaus, welche Gesundheitseinrichtung bzw. welches Implantatprodukt wie gut ist. Diese Daten sollen entsprechend aufbereitet werden. Aber ob der Patient, der Versicherte, der Bürger die Daten individuell einsehen können soll, das ist noch nicht geregelt. Diese Idee nehme ich aber gerne in meine Überlegungen mit auf.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Keine weiteren Nachfragen zu diesem Themenkomplex. Dann erhält als nächste Fragestellerin die Kollegin Nicole Westig das Wort.

Nicole Westig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004931, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben zu Beginn des Jahres eine Grundsatzdebatte über die künftige Finanzierung der Pflege gefordert. Wir Freien Demokraten hatten bereits im vergangenen Jahr mit einer Kleinen Anfrage und einem Entschließungsantrag entsprechende Impulse geliefert. Uns liegt die Generationengerechtigkeit sehr am Herzen. Wir haben im Februar einen weiteren Antrag in den Bundestag eingebracht, aber weder in der Beantwortung der Kleinen Anfrage noch im Plenum kamen von der Bundesregierung entsprechende Vorschläge. Deswegen meine Frage: Wie gedenkt die Bundesregierung sich an der von Ihnen geforderten Debatte zu beteiligen?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Zum Ersten. Es ist Sinn der Debatte, dass die Bundesregierung vorher nicht weiß, was hinten rauskommt. Die Debatte soll vielmehr ausdrücklich breit geführt werden, weil es – bei einigen Nachfragen wurde das kurz angesprochen – um die Abwägung unterschiedlicher Interessen geht: um die nachvollziehbaren Interessen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen, was die finanzielle Belastung angeht, aber gleichzeitig auch um die Interessen der Beitragszahler, die das Ganze finanzieren. Zum Zweiten. Wir werden bei uns im Bundesministerium für Gesundheit bis zum Sommer eine Reihe von Fachgesprächen zu unterschiedlichen Modellen führen – zum Beispiel Sockel-Spitze-Tausch und vieles andere mehr; es gibt mehrere Modelle, ohne dass ich mir eines zum jetzigen Zeitpunkt zu eigen mache –, auch über die weitere Finanzentwicklung in der Pflegeversicherung. Ich finde, wir sollten hier wie bei der Rente den Blick über 2030 hinaus wagen. Auf der Basis dieser Fachgespräche werden dann weitere Vorschläge gemacht, und wir werden natürlich auch die öffentliche Debatte aufnehmen und begleiten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Keine Nachfrage zu diesem Thema. Dann hat als nächster Fragesteller der Kollege Harald Weinberg, Die Linke, das Wort.

Harald Weinberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004186, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte auf den Umgang mit der Selbstverwaltung eingehen. Sie haben vor, für den Gemeinsamen Bundesausschuss Bewertungskriterien vorzugeben und deren Einhaltung zu überwachen. Für mich ist das de facto eine Fachaufsicht. Wenn wir das machen würden, käme sofort der Vorwurf der Staatsmedizin, dabei setzen gerade wir auf die fachliche Unabhängigkeit von wissenschaftlichen Einschätzungen. Deshalb meine Frage: Welchen Wert haben wissenschaftlich begründete Einschätzungen, wenn sie mit einer staatlich vorgegebenen Methodik erstellt wurden, und führen Sie damit nicht de facto eine Fachaufsicht in der Selbstverwaltung ein?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Herr Kollege, wir führen keine Fachaufsicht in der Selbstverwaltung ein. Es geht hier um einen wahrscheinlich sehr seltenen Fall, dass es innerhalb der vorgegebenen Fristen zu keiner Entscheidung kommen wird. Meine Vermutung ist, dass, auch weil das Ministerium möglicherweise eine prägende Rolle spielen könnte, die allermeisten Entscheidungen vorher getroffen werden. Damit wäre das Ziel beschleunigter Verfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss im Sinne der Patientinnen und Patienten erreicht. Ansonsten bleibe ich dabei: Die Selbstverwaltung, auch die Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses, ist für uns alle von hohem Wert. Es ist nicht umsonst so, dass in allen bisher von uns vorgeschlagenen Gesetzentwürfen der Bundesregierung der Gemeinsame Bundesausschuss zusätzliche Aufgaben erhalten hat. Nur an den wenigen Stellen, an denen es über acht, neun oder zehn Jahre nicht zu Entscheidungen kommt, sollten wir, finde ich, dann auch gemeinsam im Interesse der Patienten darauf drängen können, dass Entscheidungen getroffen werden.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Die Kollegin Klein-Schmeink hat dazu eine Nachfrage.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Im Gegensatz zu Ihrer gerade gegebenen Antwort wollen Sie ja durch uns als Gesetzgeber die Möglichkeit bekommen, dass Sie in einer Rechtsverordnung Regelungen treffen können, mit denen Sie in den Ablauf des Verfahrens beim Gemeinsamen Bundesausschuss – in die Fristen, in die Prozessschritte, in die Ausgestaltung der Stellungnahmeverfahren und in die Ausgestaltung von Beauftragungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – eingreifen können und die Anforderungen an die Unterlagen und Nachweise zur Bewertung der Methoden sowie die tragenden Gründe ausgestalten können. Das käme tatsächlich der Fachaufsicht gleich. Es passt nicht zu dem, was Sie gerade ausgeführt haben, als Sie davon gesprochen haben, das solle nur in seltenen Fällen zum Tragen kommen; denn dabei handelt es sich um eine generelle Rechtsverordnung.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, meine Aussage zu den seltenen Fällen bezog sich auf die Fristen und die Abfolge, wie wir zu einer Entscheidung kommen, wenn Fristen nicht eingehalten werden. Dann gilt das, was ich gerade gesagt habe. Was die Verordnungsermächtigung angeht, gilt: Der Rahmen einer solchen Methodenbewertung orientiert sich auch an den Vorgaben, die bei der Arzneimittelnutzenbewertung vom Bundesministerium für Gesundheit durch eine Verordnung festgelegt werden. Das ist nichts Neues. Bezüglich der Arzneimittel hat es bei allen Beteiligten eine sehr hohe Akzeptanz. Das wird es – daran habe ich keinen Zweifel – auch bei dieser Verordnung im Ergebnis haben. Sie müssen nur eines sehen: Nicht zuletzt durch Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stellt sich die Frage, ob immer absoluter Goldstandard – randomisierte kontrollierte Studien – notwendig ist und ob dies tatsächlich dem eigentlichen Gesetzeswortlaut „auf dem verfügbaren Stand der Evidenz“ entspricht. Dieses Thema kann durch eine solche Verordnung mit adressiert werden – übrigens im Sinne der Patientinnen und Patienten. Es ist in aller Regel Patientensicht, die die Frage stellen lässt, ob diese Entscheidungen tatsächlich ihre Interessen berücksichtigen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Zu diesem Thema gibt es keine weitere Nachfrage. Dann erhält als nächste Fragestellerin die Kollegin Dr. Kirsten Kappert-Gonther das Wort.

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004773, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben, ich möchte sagen: endlich, einen Referentenentwurf für die Reform der Hebammenausbildung vorgelegt. Wie sehen die nächsten konkreten Umsetzungsschritte im Gesetzgebungsverfahren aus, und was sind die aktuellen Unklarheiten oder Konflikte zwischen Bund und Ländern bezüglich der Ausgestaltung dieser künftigen Ausbildung?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, wir sind gerade in der regelmäßigen Ressort-, Verbände- und Länderanhörung und ‑abstimmung nach Vorlage des Referentenentwurfes. Wir streben an, in den nächsten – nageln Sie mich nachher bitte nicht auf eine Woche fest – vier Wochen in einem Kabinettsbeschluss die Argumente zusammenzuführen, die uns erreichen. Dann liegt es in der Hand des Deutschen Bundestages, wie schnell es zu zweiter und dritter Lesung und zur Entscheidung kommt. Wir würden auch sehr für eine schnelle Entscheidung werben, damit die Hochschulen sich entsprechend darauf vorbereiten können; denn sie müssen wissen, was das alles beinhaltet. Jetzt habe ich leider den zweiten Teil Ihrer Frage vergessen. ({0}) – Ach so. Entschuldigung. Diesen Teil habe ich vielleicht bewusst vergessen, weil dies ({1}) nicht ganz problemfrei ist – aber nicht nur in diesem konkreten Fall. Vielmehr haben wir ein grundsätzliches Phänomen, bei dem ich auch gerne die Hilfe des Bundestages für künftige Beratungen in Anspruch nehmen würde. Es gibt regelmäßig 16 : 0-Beschlüsse der Länder dahin gehend, dass wir bestimmte Berufszweige im Gesundheitswesen akademisieren sollen, zumindest zusätzlich, teilweise substitutiv. Nur sind die Länder nie bereit, die entsprechenden Fachhochschul- und Hochschulkapazitäten zu finanzieren. So wird dann kein Schuh daraus. Man kann nicht einerseits die Akademisierung von bestimmten Berufen fordern, aber andererseits nicht bereit sein, an den Hochschulen die entsprechenden Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Das ist ein regelmäßiger Konfliktfall. Da nehme ich gerne Ihre Unterstützung für die Debatten mit.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Minister, ich höre Sie besonders gerne, wie Sie wissen. Aber Sie sollten vielleicht auch mal die Zeit beachten. – Bitte, Frau Kollegin. Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004773, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, was werden Sie denn über die Ausbildungsreform hinaus in dieser Legislaturperiode noch konkret tun, um die Situation in den Kreißsälen substanziell zu verbessern und insbesondere dem Personalmangel dort entgegenzuwirken?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Wir haben schon mit jüngster Gesetzgebung die Regelungen, die wir in der Pflege für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben, auch auf die Hebammen in den Krankenhäusern übertragen. Dort geht es ja in aller Regel um einen 365-Tage-24-Stunden-Betrieb, also Betrieb an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr. Hier kann in bestimmten Bereichen eine Kitafinanzierung aus Kassenmitteln – das ist neu – erfolgen. Ansonsten haben wir ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem in den nächsten Monaten bis nach der Sommerpause das Ganze noch einmal aufgearbeitet werden soll. Weil es aus den unterschiedlichsten Bereichen die unterschiedlichsten Informationen gibt, soll in diesem Gutachten die Situation der Versorgung mit Geburtshilfe und Hebammen dargestellt werden, und sollen dann auch konkrete Vorschläge gemacht werden. Denn es ist bisher, wie ich finde, eine in Teilen unstrukturierte Debatte, die sich eher auf Problembeschreibung beschränkt. Wir möchten aber gerne auch zu konkreten Vorschlägen kommen. Das soll noch im Laufe dieses Jahres geschehen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Wir haben Nachfragen. Die erste Nachfragerin ist die Kollegin Corinna Rüffer.

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004390, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank für die Möglichkeit des Nachfragens. – Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie aus Sicht Ihres Ministeriums keine Möglichkeiten sehen, die Länder dabei zu unterstützen, Studienkapazitäten aufzubauen? Wie sieht es eigentlich für ausgebildete Hebammen aus, die möglicherweise einen akademischen Abschluss erwerben wollen, ohne noch ein gesamtes Studium absolvieren zu müssen? Und wie ist es mit dem Spurwechsel derjenigen, die sich gerade in der Ausbildung befinden?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Die Antwort auf die erste Frage ist Ja. Zur zweiten Frage. Dann muss man halt miteinander schauen. Wenn sich jemand dafür entscheidet, nach der Ausbildung anschließend noch ein Studium zu absolvieren, ist ihm das ja unbenommen. Was einen Spurwechsel in dem Sinne angeht, dass jemand mitten in der Ausbildung ist und jetzt ins duale Studium wechseln möchte, weiß ich nicht, ob und wie das tatsächlich gestaltet werden kann. Man müsste darüber reden, welche bisher erworbenen Abschlüsse oder – Scheine wird es da ja nicht geben – Qualifikationsstandards, die erreicht sind, man für das Studium anerkennen könnte. Das ist sicherlich etwas, was man sich gemeinsam anschauen kann. Es wird mit Sicherheit auch Teil der Stellungnahmen sein, die uns gerade erreichen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Aschenberg-Dugnus, FDP-Fraktion.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Spahn, ich muss auch noch einmal zur Akademisierung der Hebammenausbildung nachfragen. Nunmehr ist seit sieben Jahren bekannt, dass im Januar 2020 – und wir sind jetzt im April 2019 – die vollständige Akademisierung erfolgen muss. Ihre Antwort war mir leider nicht ausreichend. Wie können Sie sicherstellen – Sie müssen doch einen Plan haben –, dass die Länder bis zum Januar 2020 ausreichend Studienplätze zur Verfügung stellen? „Wir müssen mal schauen“ oder „Ich brauche Ihre Unterstützung“ reicht mir leider nicht aus. – Danke schön.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, erstens habe ich um Ihre Unterstützung gebeten, wenn es um die Frage geht, wer welche Finanzverantwortung trägt. Die Finanzverantwortung für Hochschulen ist ziemlich klar zugeordnet. Insofern brauche ich eher moralische Unterstützung. Der rechtliche Teil ist ja schon klar geregelt. Zweitens ist es übrigens nicht richtig, dass das EU-Recht eine Akademisierung vorschreibt. Das EU-Recht sieht das Kriterium einer zwölfjährigen Schulpflicht vor. Im deutschen Recht hätte man auch einfach die Anforderungen, bevor man in eine solche Ausbildung startet, von zehn Jahren auf zwölf Jahre Schulbesuch erhöhen können und den Rest so lassen können, wie er ist. Das wäre auch eine EU-rechtskonforme Umsetzung gewesen. Es hätte nicht per se die Akademisierung sein müssen. Sie haben sicherlich verfolgt, dass es politisch in den letzten Jahren intensive Debatten darüber gegeben hat, ob es richtig ist, nach und nach alle Gesundheitsberufe zu akademisieren. Unter dem Titel „alle“ würde ich sagen: tendenziell Nein. In diesem konkreten Fall der Hebammen haben wir uns allerdings im Koalitionsvertrag – Sie wissen, dass er vor einem Jahr vereinbart worden ist – für die Akademisierung entschieden. Jetzt setzen wir sie zügig um.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.

Maria Klein-Schmeink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004072, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch dazu eine Nachfrage: Wie stellen Sie sicher, dass die rechtliche Regelung, die jetzt kommt, auch zeitgerecht umgesetzt werden kann, weil dann ja auch noch auf Länderebene der entsprechende Vollzug passieren muss? Immerhin hatten Sie im Vorlauf sehr viel Zeit, um Regelungen zu finden. Es dürfte auch äußerst selten sein, dass ein kompletter Ausbildungsberuf so kurzfristig verändert wird und dann in der Fläche die neuen Kapazitäten sachgerecht vorgehalten werden müssen. Wie stellen Sie sicher, dass das zum 1. Januar 2020 auch machbar ist?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, im Moment machen wir das ja an ziemlich vielen Stellen, was das System auch etwas unter Druck bringt. Wir verändern die Ausbildung im Bereich der Pflegeberufe zum 1. Januar des nächsten Jahres. Zur Psychotherapeutenausbildung läuft aktuell das Gesetzgebungsverfahren; ein entsprechender Gesetzentwurf, mit dem wir ein ganz neues Berufsbild schaffen, wird dem Deutschen Bundestag bald zur ersten Lesung vorgelegt. Sie sehen also: Wir sind kräftig am Arbeiten, auch um die Zukunftsfähigkeit der Berufsbilder im Gesundheitswesen sicherzustellen. Dass auch im Bereich der Hebammenausbildung etwas passieren wird – duales Studium mit großem Praxisanteil –, ist spätestens bekannt, seit der Entwurf vor einigen Wochen vorgelegt wurde. Insofern können sich alle Beteiligten darauf einstellen. Es ist nicht vorgesehen, dass alle Hochschulen die entsprechenden Umstellungen zum 1. Januar vornehmen, sondern es ist eine schrittweise Umstellung vorgesehen. Für diejenigen, die jetzt in der Ausbildung sind, wird es natürlich die notwendigen Übergangsfristen geben. Ich glaube nicht, dass wir wegen weniger Monate Verzug europarechtlich in große Schwierigkeiten geraten, zumindest wenn bis dahin eine verbindliche Entscheidung des Bundestages vorliegt.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Minister. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich öffne nun die Befragung auch für den zweiten Teil, Fragen zur vorangegangenen Kabinettssitzung und allgemeine Fragen, wobei allgemeine Fragen auch solche zum Geschäftsbereich des Ministers sind. – Als nächste Fragestellerin hat die Kollegin Beatrix von Storch das Wort.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Minister! Herr Präsident! Der Völkermord an den Armeniern und an anderen christlichen Minderheiten 1915/16 hat etwa 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet. Er wird heute von der türkischen Regierung weiter geleugnet. Und mehr noch: Der Versuch der Aufarbeitung dieses Völkermordes wird in der Türkei strafrechtlich verfolgt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat ein deutliches Zeichen angekündigt. Er hat angekündigt, den 24. April als Gedenktag für den Völkermord an den Armeniern zu einem nationalen Gedenktag in Frankreich zu machen. Ich frage die Bundesregierung: Wie begegnet die Bundesregierung dem Eindruck, dass sie aus Angst vor den Reaktionen der türkischen Regierung oder auch der türkischen Nationalisten den Völkermord an den Armeniern nicht ausdrücklich als Völkermord bezeichnet? Wie begegnet die Bundesregierung dem Eindruck, dass sie den Begriff „Völkermord“ vermeidet?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Indem, Frau Kollegin von Storch, soweit ich weiß, alle Mitglieder der Bundesregierung, wenn sie im regelmäßigen Austausch mit ihren türkischen Kollegen sind, auch solche Fragen ansprechen und thematisieren, federführend natürlich die Kollegen im Auswärtigen Amt. Auch die Frau Bundeskanzlerin bespricht solche Themen regelmäßig bei entsprechenden Treffen. Insofern werden wir aus unserer Sicht unserer Verantwortung an dieser Stelle gerecht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie haben eine weitere Nachfrage, Frau von Storch?

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja, ich habe eine weitere Nachfrage.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Sie haben das Wort.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie werden in bilateralen Gesprächen mit der Türkei das Thema ansprechen. – Ich frage Sie ausdrücklich: Ist die Bundesregierung bereit, den Begriff „Völkermord“ für den Völkermord an den Armeniern öffentlich zu verwenden?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin von Storch, Sie haben diese Frage schon öfter gestellt; ich glaube, sogar mir im Rahmen einer früheren Regierungsbefragung. Ich verweise auf die bisher dazu gegebenen Antworten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Gibt es zu diesem Themenbereich eine Nachfrage? – Das ist erkennbar nicht der Fall. Dann hat als nächste Fragestellerin die Kollegin Aschenberg-Dugnus das Wort.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, die Bundesregierung will das Boni-Verbot für rezeptpflichtige Arzneimittel aus dem Arzneimittelgesetz jetzt im SGB V verankern. Meine Frage ist: Können Sie zusichern, dass das Boni-Verbot mit dem europäischen Recht vereinbar ist, bzw. warum halten Sie eine Notifizierung durch die EU für überflüssig?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, Ziel ist, die Gleichpreisigkeit verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Versorgung gesetzlich Versicherter in Deutschland durch eine sozialrechtliche Regelung sicherzustellen. Sie soll, wie Sie schon gesagt haben, im SGB V verankert werden, wo die Krankenversicherung geregelt ist. Da ausdrücklich alles, was die Sozialgesetzgebung betrifft, Sache der Nationalstaaten ist und nicht der Europäischen Union, ist eine Notifizierung nicht vonnöten. Es geht hier um Sozialrecht.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich nachfragen?

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Aschenberg-Dugnus, Sie dürfen gerne nachfragen.

Christine Aschenberg-Dugnus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004003, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Es gibt allerdings einige Verfassungsrechtler, die sagen, dass das eben nicht der Fall ist. Ich habe der Presse entnommen, dass auch Ihr Koalitionspartner der Meinung ist, dass das nicht der Fall ist. Deswegen wäre es doch einfacher, eine Notifizierung durchzuführen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, zum einen erlebe ich es nahezu täglich, dass die verschiedenen Verfassungsrechtler zu unseren Vorschlägen unterschiedliche Positionen vertreten. Für mich ist entscheidend und bindend die Position und Einschätzung der Fachleute bei uns im Ressort und auch in den anderen beteiligten Ressorts. Zum anderen finde ich den Gedanken schon vom Ansatz her falsch; denn wenn wir über Notifizierung reden, reden wir über den Binnenmarkt. Es geht aber nicht um eine Regelung für den Binnenmarkt. Wir regeln das im Sozialgesetzbuch. Wir schaffen keine Regelung für den Markt, sondern für gesetzlich Versicherte. Damit ist das eine sozialrechtliche Regelung. Jede unnötige Notifizierung würde aus unserer Sicht einen Eindruck erwecken, der nicht richtig ist, und damit möglicherweise zu einer rechtlichen Angreifbarkeit führen, die aus unserer Sicht auch nicht richtig wäre. Sozialrecht ist Mitgliedstaatsrecht, und das sollte es nach meiner festen Überzeugung an dieser Stelle auch bleiben. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Wir haben eine weitere Nachfrage aus der Fraktion Die Linke.

Sylvia Gabelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004723, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe eine Nachfrage zur Gleichpreisigkeit. Bei der von Ihnen vorgeschlagenen Überführung der entsprechenden Regelung in das SGB V ist die private Krankenversicherung explizit ausgeschlossen. Dadurch gerät die Gleichpreisigkeit zumindest in Gefahr. Dazu hätte ich gerne Ihre Einschätzung gehört.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, es liegt in der Natur der Sache, dass eine sozialrechtliche Regelung, die wir im Sozialgesetzbuch verankern, nur gesetzlich Versicherte betrifft. Durch höchstrichterliche Entscheidung ist aber jüngst festgelegt worden – ich glaube, gestern oder vorgestern –, dass, wenn Privatversicherte von ihrer Apotheke einen Bonus erhalten, dieser bei der Erstattung durch die Privatversicherung abgezogen werden muss und nicht erstattet werden kann. Der Bonus muss ausdrücklich genannt und abgezogen werden, weil im Versicherungsvertrag mit dem privaten Versicherungsunternehmen festgelegt ist, dass nur die tatsächlich entstandenen Kosten zu erstatten sind. So ist indirekt auch dieser Bereich geregelt.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Zu dem Themenbereich gibt es keine weiteren Nachfragen. Als nächster Fragesteller hat Matthias W. Birkwald das Wort.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Spahn, ich habe eine Frage zur Abschaffung der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten. Dazu haben Sie im Januar dieses Jahres einen Referentenentwurf aus Ihrem Hause – Titel: Betriebsrentnerentlastungsgesetz – vorgestellt. Die für die Rückkehr zur hälftigen Verbeitragung notwendigen Finanzmittel beziffern Sie mit 3 Milliarden Euro. 500 Millionen Euro wollen Sie aus Beitragsgeldern finanzieren, 2,5 Milliarden Euro aus Steuermitteln. Gleichzeitig haben Sie öffentlich gefordert, die Beitragssätze zur Krankenversicherung zu senken, weil die Kassen voll seien. Das scheint mir sehr widersprüchlich zu sein. Deshalb frage ich Sie: Wollen Sie die Kosten hauptsächlich aus Steuermitteln finanzieren? Ist es angesichts der Kassenlage nicht sinnvoll, mindestens die Hälfte oder gar alles aus Beitragsmitteln zu finanzieren?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Lieber Herr Kollege Birkwald, erstens habe ich keinen Entwurf „vorgestellt“, sondern ich habe ihn einigen wenigen Kollegen übersandt, was dazu geführt hat, dass er irgendwie medial verbreitet wurde und für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt hat. Das ist etwas anderes als das, was die Formulierung, ich hätte etwas vorgestellt, impliziert. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Ja, das ist ein Vorschlag für eine mögliche Finanzierung. Ein Beitragsausgleich von 3 Milliarden Euro ist keine Kleinigkeit, weil er jährlich zu verbuchen wäre. Es gibt aber auch die politische Entscheidung aller drei die Koalition tragenden Parteien, an dieser Stelle zu Veränderungen kommen zu wollen. Daher befinden wir uns in Gesprächen innerhalb der Bundesregierung und der Koalition, ob und wie dieses Ziel erreicht werden kann, ohne dass wir in der gesetzlichen Krankenversicherung, aber auch im Bundeshaushalt perspektivisch Finanzierungsprobleme bekommen. Im ersten Jahr sind Finanzierungsprobleme vielleicht nicht wahrscheinlich; wir müssen aber sicherstellen, dass es auch perspektivisch nicht dazu kommt. Die Frage ist auch, welche Zwischenschritte möglich sind.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Birkwald, Sie haben eine Nachfrage. Bitte.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja. – Da knüpfe ich gleich an: In welchem Stadium befindet sich denn jetzt der Referentenentwurf in der Ressortabstimmung, und was können die Betriebsrentnerinnen und -rentner erwarten? Wann werden Sie einen Kabinettsentwurf vorlegen?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Die Debatte um die Vorschläge befindet sich im Stadium der Intensivbetreuung. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Zum dem Thema gibt es keine weitere Nachfrage. Dann hat als nächste Fragestellerin die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich habe eine Frage zum Kompromiss zu § 219a StGB, zur sogenannten Werbung für Abtreibung, und zu der Debatte, die es darum gab. Sie wollen eine Studie, für die 5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden, erstellen lassen zu den – nach meinem Kenntnisstand – seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen; das ist der Fokus. Ich nehme wahr, dass dieser Vorstoß von Ihnen in der gesamten Debatte tatsächlich ein starkes Misstrauen gegenüber den Entscheidungs- und Selbstbestimmungsrechten von Frauen hervorgerufen hat. In diesem Zusammenhang erinnern sich, glaube ich, auch viele an den von Ihnen gezogenen Vergleich der Pille danach mit Smarties. Ich frage an dieser Stelle nach: Was wollen Sie mit dieser Studie konkret erreichen? Welche Klarheit können Sie uns hier heute zum Inhalt dieser Studie beibringen? Beziehen Sie in diese Studie zum Beispiel auch die Erkenntnisse aus Untersuchungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2016 ein?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Liebe Frau Kollegin, zum Ersten ist diese Studie Bestandteil der Vereinbarung innerhalb der Koalition und der Bundesregierung sowie gemeinsames Anliegen und gemeinsamer Auftrag der gesamten Bundesregierung in ihrem Kabinettsbeschluss. Zum Zweiten: Die Ausdrucksweise im Rahmen der Debatte um die Pille danach mag unglücklich gewesen sein. Ich habe damals nur darauf hingewiesen, dass sie ein Medikament ist, das nicht frei ist von Nebenwirkungen, und bei dieser Aussage bleibe ich in der Sache auch, weil sie ein Faktum beschreibt. Im Übrigen geht es ja auch um Aufklärung und Informationen rund um mögliche Nebenwirkungen von bestimmten Medikamenten. Zum Dritten: Wir werden die Studie natürlich wie jede wissenschaftliche Studie ergebnisoffen anlegen. Wir nehmen auch die Erkenntnisse aus anderen Studien ernst und wahr. Wahr ist aber auch, dass es bisher keine umfassende Studie zu den Bedingungen, die in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern schon besondere sind, gibt. Das fängt schon bei der Beratungsstruktur an. Ich verstehe, ehrlich gesagt, manchmal nur schwer, warum die Frage, wie es betroffenen Frauen in dieser sehr, sehr schwierigen Lage geht, teilweise – nicht durch Sie, aber in der öffentlichen Debatte – so diffamiert worden ist. Ich finde, wir sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, zu wissen, ob es Probleme gibt. Wenn ja, dann kann man schauen, wie man Abhilfe schaffen kann. Wenn es keine Probleme gibt, wäre das auch ein Ergebnis, mit dem wir umgehen können. Aber warum eine solche Studie in den Diskussionen teilweise mit solchen Unterstellungen versehen wird – ich nehme Sie ausdrücklich aus –, kann ich nicht verstehen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Eine weitere Nachfrage, Frau Ulle Schauws. Bitte.

Ulle Schauws (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004395, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es verwundert mich, dass Sie sagen, es sei eine gemeinsame Entscheidung der Bundesregierung. Ministerin Giffey hat im Rahmen der Regierungsbefragung eine sehr klare Abgrenzung gezogen. Von daher kann ich nicht unbedingt erkennen, dass es ein gemeinsames Handeln ist. Ich frage deswegen nach, weil Sie die Studien, die schon bestehen, mit einbeziehen wollen. Das ist insofern interessant, als dass auf der Internetseite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung www.familienplanung.de und auch in der Studie von 2016 unter anderem die Rede davon ist, dass insbesondere die Stigmatisierung eine besonders bedrückende Situation für Frauen ist. An dieser Stelle frage ich mich wirklich, warum Sie das Post-Abortion-Syndrom hier vielleicht in den Vordergrund stellen wollen, aber nicht zum Beispiel das Thema der Stigmatisierung.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Zum ersten Punkt: Es ist ein einstimmiger Beschluss der Bundesregierung. In den Unterlagen für diese Kabinettsbefassung wurden die Informationen über die Studie berücksichtigt. Die Studie ist Bestandteil der einstimmig von der Bundesregierung beschlossenen Eckpunkte zum Bundeshaushalt 2020. Insofern ist die Beschlusslage der Bundesregierung dazu einheitlich und klar. Was den zweiten Punkt angeht, schließe ich weder das eine noch das andere aus. Es ist auch an keiner Stelle von mir oder anderen Mitgliedern der Bundesregierung oder meines Ministeriums irgendwie geäußert worden, dass wir nur das oder nur das oder nur jenes anschauen, sondern wir gehen an eine solche Studie heran, wie wir an jede wissenschaftliche Studie herangehen: mit dem Wunsch nach Erkenntnisgewinn, im Übrigen insbesondere im Interesse der betroffenen Frauen in einer schwierigen Lage.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Eine Nachfrage hierzu hat die Kollegin Cornelia Möhring, Die Linke.

Cornelia Möhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004111, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. – Herr Minister Spahn, ich habe die Nachfrage, ob im Rahmen dieses Forschungsvorhabens konkret untersucht werden wird, ob und in welcher Form sich die Kriminalisierung und die damit einhergehende Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen belastend auf Frauen auswirkt und wie das ihre Entscheidung beeinflusst.

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin, das Studiendesign steht noch nicht en détail fest; die Entscheidung ist ja auch noch nicht so lange her. Ich sehe aber keinen Grund, nicht auch solche Aspekte mit – nicht ausschließlich, aber mit – zu berücksichtigen, die insgesamt in der Debatte eine Rolle spielen. Ich finde aber eben auch: Genauso wie dieser Aspekt dazugehört, gehört natürlich auch die Frage dazu, ob und welche seelischen Folgen die Abtreibung als solche möglicherweise gehabt hat. So sehr, wie Sie dafür werben, den einen Aspekt nicht zu vergessen, fände ich es fair, wenn Sie in der Debatte beachten würden, dass zu einer guten, wissenschaftlichen Studie auch weitere Aspekte gehören.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Die letzte Nachfrage in dieser Befragungsrunde hat die Kollegin Steffi Lemke.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin jetzt nicht genau damit vertraut, Herr Minister, ob sämtliche Studien zu Auswirkungen von Eingriffen vom Kabinett beschlossen werden und ob dafür außerplanmäßige Ausgaben vom Kabinett bewilligt werden müssen. Können Sie mir erläutern, warum das in diesem Falle so gemacht worden ist? Zu welchen weiteren Eingriffen und deren potenziellen psychischen Folgen sind ebenfalls Studien im Kabinett beschlossen und mit welchem finanziellen Volumen bewilligt worden? Oder ist das in diesem Falle eine absolute Ausnahme gewesen?

Jens Spahn (Minister:in)

Politiker ID: 11003638

Frau Kollegin Lemke, ich kann nicht für mich in Anspruch nehmen, alle Kabinettsbeschlüsse der letzten 70 Jahre zu überblicken. ({0}) Deswegen kann ich das so nicht beantworten. Ich kann Ihnen aber sagen, dass es natürlich nicht regulär ist, dass die politische Entscheidung zu einer einzelnen Studie in diesem Umfang öffentliche und auch Ihre Aufmerksamkeit erfährt. Aber Sie werden in den letzten zwölf Monaten ja mitbekommen haben, welche Kompromisse wir in der Frage rund um den § 219a finden, sodass wir betroffenen Frauen in einer schwierigen Situation bessere Informationsmöglichkeiten zugänglich machen, auch Informationen über die Frage, welcher Arzt als Ansprechpartner infrage kommt. Dieser Kompromiss beinhaltet noch weitere Bestandteile, so erhalten – übrigens eine von mir vorgeschlagene Maßnahme – Frauen bis zum 22. Lebensjahr, also zwei Jahre länger, die Pille ohne Kosten. Da Sie ja auch koalitionäre Erfahrungen haben, wissen Sie – aus vergangenen Jahren; das ist schon ein bisschen her –, dass Kompromisse manchmal verschiedene Aspekte beinhalten. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich beende damit die Befragung. Vielen Dank, Herr Minister, auch für Ihre Standfestigkeit. ({0}) – Die CDU-Fraktion lebt. ({1})

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich konnte Sie im vergangenen Jahr darüber informieren, dass wir im Jahre 2017 die niedrigste Kriminalitätsbelastung seit 1992 hatten. ({0}) Das Bezugsjahr 1992 ist wichtig, weil es das erste Jahr mit einer gesamtdeutschen Kriminalitätsstatistik war. Heute kann ich die erfreuliche Mitteilung machen, dass 2018 die entsprechenden Zahlen noch einmal gesunken sind. 2018 verzeichnete die Polizeiliche Kriminalstatistik weniger als 5,4 Millionen Straftaten. Natürlich ist jede Straftat eine zu viel. Aber objektiv betrachtet, meine Damen und Herren, ist dies der niedrigste Wert seit Jahrzehnten. Das ist ein großer Erfolg. ({1}) Die Aufklärungsquote hat einen Höchststand erreicht – sie wird geschlüsselt seit dem Jahr 2005 festgestellt –, ({2}) nämlich 56,5 Prozent. Das ist der höchste Wert seit 2005. Auch hier haben wir eine Zunahme gegenüber 2017. Angesichts dieser Zahlen – Rückgang bei den Straftaten, höhere Aufklärungsquote – ({3}) kann man mit Fug und Recht festhalten, dass Deutschland eines der sichersten Länder der Welt ist. ({4}) Das ist für die Bevölkerung eine gute Botschaft. ({5}) Ich möchte deshalb an dieser Stelle denen danken, die in allererster Linie für den Schutz unseres Landes, unserer Bevölkerung tätig sind. Das sind unsere Polizistinnen und Polizisten. Ein Dankeschön für die sehr gute tägliche, schwierige Arbeit! ({6}) Ich möchte auch sagen: Die Entwicklung ist zwar erfreulich, aber wir müssen alle miteinander daran arbeiten, dass sie in den nächsten Jahren verstetigt wird. Deshalb möchte ich heute schon dem Parlament sagen: Wir brauchen bei allem, was da in den letzten Monaten und Jahren geschehen ist, weiterhin eine gute personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden, eine gute materielle Ausstattung, die auf der Höhe der Zeit ist. Wir müssen weiterhin Sicherheitslücken, die wir im Recht haben, schließen. Die schlechteste Antwort wäre, wenn wir uns auf diesen erfreulichen Zahlen ausruhen würden. Ich sage heute noch einmal vor der Öffentlichkeit: Niemand kann eine absolute Sicherheit, eine hundertprozentige Sicherheit versprechen. Aber das Menschenmögliche für die Sicherheit in unserem Lande müssen wir zu jeder Zeit tun. ({7}) Meine Damen und Herren, auch wenn man die einzelnen Straftatengruppen betrachtet, ist die Entwicklung erfreulich, ({8}) vor allem in den Bereichen, die für die Bevölkerung besonders belastend sind. Die Diebstahlsdelikte – übrigens der größte Bereich der Straftaten – befinden sich ebenfalls auf dem niedrigsten Niveau seit Jahrzehnten. Es gab einen Rückgang um 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ganz besonders erfreulich ist die Entwicklung beim Wohnungseinbruchdiebstahl, der viele Menschen umtreibt: Die Statistik verzeichnet hier erneut eine Abnahme, und zwar um 16,3 Prozent. Gerade dieses Beispiel zeigt besonders, ({9}) dass die Maßnahmen des Bundes und der Länder in den letzten Jahren gewirkt haben – sei es die schärfere Strafandrohung, die Telefonüberwachung, oder seien es die Sicherungsmaßnahmen an Wohnungen und Häusern, die vom Bund, aber auch von den Ländern gefördert wurden. Wie wirksam dies ist, können Sie an einer Zahl ablesen: Fast die Hälfte der Wohnungseinbrüche scheitert wegen des Widerstandswertes der Wohnungen und der Häuser schon beim Versuch. ({10}) Ich finde, das zeigt ganz deutlich: Wenn man Anreize für mehr Sicherheit setzt und die Strafen erhöht, dann ist das Zusammenwirken dieser beiden Dinge mit einem gewaltigen Sicherheitsgewinn in Deutschland verbunden. ({11}) Auf diesem Weg müssen wir weitermachen. ({12}) Was mich auch immer persönlich sehr interessiert, ist die Entwicklung der Gewaltkriminalität. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung und Einschätzung hatten wir bei den Gewaltdelikten ebenfalls einen Rückgang gegenüber 2017, um fast 2 Prozent. Gleiches gilt für die Kriminalität von Ausländern: 2018 blieb der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen mit 30,5 Prozent ({13}) im Vergleich zum Vorjahr – mit 30,4 Prozent – praktisch konstant. ({14}) Wo Licht ist, ist auch Schatten – das möchte ich offen ansprechen –: Bei bestimmten Deliktsgruppen haben wir Zuwächse. Auf diese Bereiche müssen wir verstärkt blicken, und wir müssen auch handeln. Das gilt vor allem für die Fälle von Widerstand gegen die Staatsgewalt. Hier haben wir eine Zunahme der Zahl der erfassten Fälle um fast 40 Prozent. Das ist sicher darauf zurückzuführen, dass wir das Recht geändert haben und es jetzt eine präzisere Erfassung dieser Vorgänge gibt. Früher sind all diese Vorgänge unter dem allgemeinen Begriff der Körperverletzung erschienen, und jetzt erscheinen sie als Straftat „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Das ändert überhaupt nichts an dem Befund, dass wir die Übergriffe auf Polizei und Einsatzkräfte als Gesellschaft in keiner Weise hinnehmen dürfen und dass es einen Konsens in unserer Gesellschaft geben muss – das gehört zur Staatsräson –, dass man keinen Widerstand gegen Polizeibeamte leistet. ({15}) Wir haben das Momentum der Digitalisierung. Das Internet ist ein neuer Markt für die Kriminalität geworden. Das gilt für die Rauschgiftkriminalität, das gilt für den Bereich der eigentlichen Cybersicherheit, aber auch für die Verbreitung von Kinderpornografie und den Handel mit Waffen. Deshalb möchte ich heute schon sagen: Wenn die Bundesregierung und auch die Koalitionsfraktionen Vorschläge machen werden, um der Internetkriminalität stärker Herr zu werden, dann ist das auch in diesen Zahlen begründet. Wir können Anstiege der Kriminalität in diesen Bereichen einfach nicht hinnehmen. Wir müssen also in den nächsten Monaten Lücken in unserem Recht schließen. Meine Damen und Herren, zum ersten Mal hat das Bundeskriminalamt im Rahmen der Kriminalitätsstatistik über lange Zeit eine Untersuchung durchgeführt, wie das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung ist. Die Zahlen, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe, müssen natürlich – auch in Zukunft – nicht mit dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung übereinstimmen. Auf der einen Seite gibt es sehr gute, erfreuliche Zahlen, auf der anderen Seite haben wir davon abweichende Sicherheitsgefühle in der Bevölkerung. ({16}) Die Zahl der Menschen in der Bevölkerung, die persönlich von schweren Delikten wie Raub usw. betroffen sind, ({17}) liegt allerdings bei unter 1 Prozent. ({18}) Um den bestimmt gleich folgenden Missinterpretationen – weniger bei der Koalition, aber daneben – entgegenzutreten: Wissen Sie, die letzte Untersuchung zur Stimmung wurde im Jahr 2012 durchgeführt. Die jetzige Untersuchungsreihe geht bis zum Jahre 2017. Und ich sage ganz vorsichtig: In dieser Zeit hat sich in Deutschland und in der ganzen Welt – als Beispiel nenne ich nur Terrorismus – leider eine ganze Menge zum Negativen entwickelt. Es liegt auf der Hand, dass die Bevölkerung angesichts der Entwicklung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat, in Bezug auf das Sicherheitsgefühl etwas anders denkt als im Jahr 2012. ({19}) Ich sage das nur präventiv gegenüber dem, was ich gleich hören werde. ({20}) Zusammengefasst: Die Zahlen sind erfreulich. Es gibt nachweisbare Erfolge. Wir werden unter unserer Regierungsverantwortung alles tun, damit es hier und dort noch besser wird bzw. wir das erreichte Niveau halten. Mein Ziel ist, dass Deutschland eines der sichersten Länder in der Welt bleibt. Dafür werde ich gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen alles tun. Ich danke. ({21})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der AfD ist der Abgeordnete Dr. Gottfried Curio. ({0})

Dr. Gottfried Curio (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004698, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kriminalitätsstatistik wird vorgestellt, und Minister Seehofer ist ein zufriedener Mann. Warum eigentlich? Die Zahl der Rauschgiftdelikte etwa ist um 6 Prozent auf 350 000 gestiegen. Die Grenzen zu Belgien und Holland müssten dafür überwacht werden. GdP-Vorstand Krummen sagt: Der Grenzschutz findet zum jetzigen Zeitpunkt so gut wie gar nicht statt. Wir sind offen wie ein Scheunentor. – Das ist unzumutbar. Staatsversagen! ({0}) Es gibt einen Anstieg um 40 Prozent bei Gewalt gegen Polizei, etwa bei Abschiebungen; viele müssen abgebrochen werden. Obwohl die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger schon über 30 Prozent liegt, lässt Seehofer die Grenzen weiter sperrangelweit offen. ({1}) Dabei kommen immer mehr Mehrfachtäter aus dem Maghreb, aus Libyen oder Zentralafrika. Die Abschiebepraxis scheitert. Sie muss effektiver werden. Wir brauchen Abschiebehaft, finanzielle Sanktionen – Durchsetzung. ({2}) Gefängnisse – überfüllt, Polizei – Personalmangel, Gerichte – überlastet, arabische Clans breiten sich aus. Aber Minister Seehofer ist ein zufriedener Mann. Die Zahl der Angriffe auf Polizei, Sanitäter, Feuerwehrleute steigt. Das Dunkelfeld der nicht angezeigten Delikte wird ausgeblendet. Gefährderüberwachung wäre rund um die Uhr zu leisten, die Zahlen steigen. Aber Minister Seehofer ist ein zufriedener Mann. Aber nicht der Innenminister soll sich sicher fühlen, sondern der Bürger, und der weiß genau, was in seiner Stadt los ist. ({3}) Weniger Wohnungseinbrüche – eine Leistung der Regierung? Von wegen! Erfolg nur durch kostenaufwendige Prävention seitens der Bürger. Gegen die Schengen-verursachte grenzüberschreitende Kriminalität tut die Regierung wenig. Weil die Grenzen nicht gesichert werden, müssen die Leute jetzt ihre Haustür sichern. Wenn Ärzte zunehmende Aggressivität beklagen, werden Deeskalationskurse und Sicherheitstrainings angeboten, natürlich für die Ärzte, Migranten dürfen ausrasten. ({4}) Wenn immer mehr Bürger Pfefferspray mit sich führen, ist Deutschland dann sicherer geworden? Wenn immer mehr Menschen nicht wagen, in No-go-Areas zu gehen, und das dann zum Rückgang der Kriminalität führt, dann ist das vorauseilende Risikovermeidung wegen bereits herrschender Kriminalität und geht auf Kosten des Lebensraums der Bürger. Das ist staatliches Totalversagen. ({5}) Der Anteil von Migranten unter Tatverdächtigen liegt bei 14 Prozent, bei schwereren Straftaten noch höher; der Bevölkerungsanteil liegt bei 2 Prozent. Bei Ausländern liegt die Kriminalitätsrate insgesamt bei über 30 Prozent, beim Bevölkerungsanteil bei 13 Prozent. Jeder dritte Gefängnisinsasse ist Ausländer. Was tut die Regierung gegen den überhohen Anteil der Ausländerkriminalität? ({6}) Sie verschenkt quasi deutsche Pässe. Wer so eine Regierung hat, muss sich um Rechtsbrechernachschub nicht mehr sorgen. ({7}) Ohne Frau Merkels Willkommenskultur hätte es letztes Jahr über 500 Tötungsdelikte, 1 300 Vergewaltigungen und 22 000 Fälle gefährlicher Körperverletzung nicht gegeben. Die Täter waren jeweils Flüchtlinge. Aber Frau Merkels freundliches Gesicht war ja wichtiger. Kein Wunder, wenn das Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung zunimmt. Wer eine Hochrisikogruppe junger Männer aus Kulturen erlernter Gewaltbereitschaft und Frauenverachtung ohne jede Not – Stichwort „Selbsteintritt“ – in Millionenstärke ins Land bringt, der, meine Damen und Herren, handelt verantwortungslos. ({8}) Personalnotstand bei der Polizei. Rückläufige Zahlen in der Statistik gibt es auch, weil immer weniger Polizisten da sind, um Anzeigen aufzunehmen und Kontrollen durchzuführen. ({9}) Staatsversagen! Personalnotstand bei den Gerichten. 2018 kamen 65 dringend Tatverdächtige aus U-Haft frei, weil die Verfahren nicht rechtzeitig bearbeitet wurden. Die laufen jetzt wieder frei rum. Staatsversagen! Clankriminalität. Der Essener Polizeipräsident sagt: Da ist die Integration voll gegen die Wand gefahren, weil sich viele dieser Leute gar nicht eingliedern wollen. Diese Menschen sehen den Staat nur als Beute an. In Essen wird ein Clanchef nicht angeklagt; das Sicherheitsrisiko sei zu hoch. Staatsversagen! Irrenhaus Deutschland 2019. ({10}) Der Täter von Chemnitz hätte längst abgeschoben sein müssen: Intensivtäter, Messerangriff, 14 Aliasnamen, Diebstahl, Schlägerei, Drogenhandel. Die Duldung war abgelaufen, er durfte bleiben und tötete. Die Bürger dürfen Frau Merkels freundliches Gesicht ausbaden, eine tödliche Fahrlässigkeit an unterlassener Gefahrenprävention. Und wo der verzweifelte Bürger gegen dieses Unrecht demonstrierend aufbegehrt, tritt das Kanzleramt eine Desinformationskampagne ohnegleichen los, und ein Topsicherheitschef, der das enttarnt, wird als politisch unbequem entlassen. ({11}) Im Sicherheitsranking des Weltwirtschaftsforums liegt Deutschland 2017 auf Platz 51, zwei Jahre zuvor lag es noch auf Platz 20. Wenn Herr Seehofer sagt, Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt: Ja, meine Damen und Herren, für Kriminelle. Ich danke Ihnen. ({12})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Kollegin Dr. Eva Högl. ({0})

Dr. Eva Högl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003896, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt uns hier immer eine hervorragende Grundlage und wichtige Daten, um zu schauen, wo wir stehen und wo wir noch Handlungsbedarf haben. Ich finde es absolut richtig, dass wir mit guten Nachrichten anfangen – diese kann man gar nicht oft genug betonen –, nämlich dass wir in einem der sichersten Länder der Welt leben. Das ist ein echter Erfolg unserer gemeinsamen Politik der öffentlichen Sicherheit. ({0}) Wenn wir 5,76 Millionen Straftaten haben, dann ist natürlich jede einzelne Straftat eine zu viel und lässt uns nicht ruhen. ({1}) Aber das ist der niedrigste Stand seit 1992. Der Rückgang erfolgt zum zweiten Mal in Folge. Das ist ein Erfolg. So machen wir weiter. ({2}) Das gilt auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Aufklärungsquote von 56,5 Prozent, die weiter steigt und die höchste seit 2005 ist. Wenn wir diese guten Nachrichten zusammenfassen, dann muss ich ganz deutlich sagen: Das ist vor allen Dingen das Ergebnis der exzellenten, der hervorragenden Arbeit unserer Sicherheitsbehörden in den Ländern und im Bund. Dafür auch vonseiten der SPD ein ganz herzliches Dankeschön. ({3}) Natürlich dürfen wir nie zufrieden sein, und wir sind es auch nicht. Wir müssen hier weiterhin miteinander über eine ganze Menge debattieren und auf den Weg bringen. Aber die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt uns, dass wir grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind. Für die SPD ist das vor allen Dingen ein Dreiklang aus guten Gesetzen, die wir hier und in den Ländern verabschieden, aus gut ausgestatteten Sicherheitsbehörden und auch aus umfassender Prävention; denn das ist ein ganz wichtiger Baustein unserer Sicherheitspolitik. Ich freue mich, Herr Seehofer, dass Sie bereits als gutes Beispiel die sinkende Zahl der Wohnungseinbrüche erwähnt haben. Die resultiert aus einer guten Kombination aus guten Gesetzen, aus Bestrafung und aus gut ausgestatteten Sicherheitsbehörden, aber auch aus unserem hervorragenden KfW-Programm, das dadurch Sicherheit schafft, dass es die Prävention in den Vordergrund rückt. Ungefähr die Hälfte der Wohnungseinbrüche scheitert daran, dass die Türen und Fenster sicher sind. Sie bleiben im Versuchsstadium stecken. Das zeigt, dass dieses Programm genau richtig war. ({4}) Es ist effektiv, es ist kostengünstig. Der durchschnittliche Förderbetrag beträgt 500 Euro. Es ist auch nachhaltig; denn wir haben jetzt schon drei Jahre in Folge einen Rückgang der Kriminalität zu verzeichnen. ({5}) Das ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wir hier Sicherheitspolitik gestalten. Das wollen wir fortsetzen und ausbauen. ({6}) Was uns beunruhigen muss, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist natürlich die Differenz zwischen der objektiven Sicherheit, die wir feststellen können, und dem Unsicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger. ({7}) Es lässt uns nicht ruhen, wenn wir feststellen, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger sich nicht sicher fühlen. ({8}) Das müssen wir sehr ernst nehmen. Unsere Maßnahme ist vor allen Dingen die Stärkung des Rechtsstaats; denn unser Rechtsstaat mit mehr Polizei vor Ort und auf der Straße, mit schnelleren Verfahren, auch mit schnelleren Urteilen schafft Vertrauen. Dieser Rechtsstaat, diese Demokratie, diese gut ausgestatteten Behörden – Polizei und Justiz –, das schafft Vertrauen. Ich glaube, dass das ein ganz wichtiger Beitrag dazu ist, das subjektive Gefühl der Sicherheit zu stärken. ({9}) Eine ganze Reihe von Bereichen der Kriminalität müssen wir noch stärker in den Blick nehmen. Das betrifft Cyberkriminalität, auch die Sexualdelikte. Ich möchte einen Bereich nennen, nämlich die politisch motivierte Kriminalität. Da dürfen wir alles andere als ruhig und zufrieden sein, ({10}) sondern müssen alle gemeinsam sehr aufmerksam sein und unsere Anstrengungen noch intensivieren. Wir haben mobile rechtsextreme Netzwerke. Wir haben Rechtsextreme bis in die Parlamente hinein. Wir haben Hass und Hetze im Netz. Wir haben Gewalt und Übergriffe auf den Straßen und vor Ort. Wenn 10 Prozent mehr antisemitische Straftaten festgestellt werden müssen, dann ist das ein gewaltiger und nicht hinzunehmender Anstieg. ({11}) Die antiziganistischen Straftaten – wir haben hier schon über Antiziganismus debattiert, als wir den Antrag verabschiedet haben – sind um über 50 Prozent gestiegen. ({12}) Wir haben 2017 über 20 000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten gehabt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das darf uns nicht ruhen lassen; denn das ist eine handfeste Bedrohung für unsere Gesellschaft. Da müssen wir handeln. ({13}) Ein allerletzter Aspekt: Die Kriminalität – auch das stellen wir fest – wird digitaler. Sie verlagert sich von der Straße ins Netz. Die Diebstähle finden weniger im Bereich von Autos, Fahrrädern und Taschen, sondern zunehmend im Bereich von elektronischen Identitäten, Passwörtern und Daten statt. Deswegen ist es für uns gemeinsam auch eine Herausforderung, unsere Sicherheitsbehörden fit für die Verbrechen 4.0 und für digitale Kriminalität zu machen. Also, wir sind zufrieden, was einen Teil der Ergebnisse angeht, aber wir stellen auch fest: Wir haben hier noch viel zu tun. – Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt uns wichtige Hinweise dazu, woran wir auch im Deutschen Bundestag weiterarbeiten müssen. Vielen Dank. ({14})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Konstantin Kuhle für die Fraktion der FDP. Sie haben das Wort. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern ist die Polizeiliche Kriminalstatistik für das vergangene Jahr vorgestellt worden. Aus dieser Polizeilichen Kriminalstatistik geht hervor, dass die Gewaltkriminalität gesunken ist und dass die Zahl der Vermögensdelikte in Deutschland abgenommen hat. Das ist ein guter Befund. Dieser Befund sollte für uns zunächst einmal Anlass sein, den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten zu danken, die jede Straftat, die hier aufgeführt ist, aufgeklärt haben. ({0}) Hier hat die Polizei die Unterstützung des gesamten Hauses verdient. Lieber Bundesminister Seehofer, Sie haben ja das Thema „Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ auch angesprochen. Aber wenn man mal ganz ehrlich ist, dann hat die Große Koalition und dann haben SPD, CDU und CSU nicht gerade dazu beigetragen, dass die Bevölkerung sich in Deutschland sicher fühlt, ({1}) sondern gerade Sie als zuständiger Minister haben unnütze Debatten angestoßen, angefangen beim Schicksal von Hans-Georg Maaßen über den Islam bis hin zu Migration, also Debatten, die geeignet waren, die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland anzuheizen, statt sie zu befrieden. Deswegen muss man ganz klar sagen: Wenn die Behörden in Deutschland gute Arbeit bei der Aufklärung von Straftaten gemacht haben, dann war das nicht wegen der Großen Koalition, sondern trotz der Großen Koalition. ({2}) Das ist ein schlechter Befund anlässlich der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Polizei hat unsere Unterstützung verdient. Sie hat Unterstützung bei der finanziellen Ausstattung und bei der personellen Ausstattung verdient. Sie hat aber auch Unterstützung dabei verdient, ihr eine hinreichende Datengrundlage und eine statistische Grundlage zur Seite zu stellen. Da ist die Polizeiliche Kriminalstatistik ein sinnvoller Anfang. Sie ist aber nicht vollständig. Die Polizeiliche Kriminalstatistik enthält nicht die politisch motivierte Kriminalität. Sie enthält nicht bestimmte Aspekte der organisierten Kriminalität. Beispielsweise das Thema Menschenhandel kommt in der Polizeilichen Kriminalstatistik nicht vor. ({3}) Andere Aspekte fehlen weiterhin. Auch die Opferperspektive und das Dunkelfeld, die Wahrnehmung der Bevölkerung, sind zwei Aspekte, die in der Polizeilichen Kriminalstatistik überhaupt keine Rolle spielen. Deswegen ist die Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik mit Vorsicht zu genießen. Deswegen braucht es eine neue Aufarbeitung auch des Dunkelfeldes. ({4}) Gestern hat die Bundesregierung die Polizeiliche Kriminalstatistik mit dem sogenannten Viktimisierungssurvey des Bundeskriminalamtes vorgestellt. Das klang erst mal gut. Aber hat die Sozialdemokratie eigentlich gemerkt, dass es sich dabei um eine reine Beruhigungspille handelte, weil die Union den Periodischen Sicherheitsbericht nicht möchte, der im Koalitionsvertrag verankert ist? ({5}) Wieso haben Sie denn die Gelegenheit nicht genutzt und mal den Periodischen Sicherheitsbericht vorgestellt, der im Koalitionsvertrag verankert ist? Das hätte längst kommen müssen. ({6}) Das war eine reine Beruhigungspille. Ich hoffe, die Sozialdemokraten haben es gemerkt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten uns über die finanzielle Ausstattung, über die tatsächliche Ausstattung der Polizeibeamten unterhalten. Wir sollten hier aber auch über die Befugnisse der Polizei sprechen. Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass die Große Koalition sich hier feiert und die Sicherheitssituation über den grünen Klee lobt, aber gleichzeitig in den Ländern dafür sorgt, dass die Polizeigesetze immer weiter verschärft werden. ({7}) Wir sprechen über den Staatstrojaner. Wir sprechen über die Vorratsdatenspeicherung. ({8}) Wir sprechen neuerdings sogar über Uploadfilter für terroristische Inhalte, über Präventivhaft. All das sind Maßnahmen, die von Vertreterinnen und Vertretern der Großen Koalition in den Ländern protegiert und vorgeschlagen werden. ({9}) Und dann stehen Sie hier und loben die Sicherheitssituation in Deutschland. Das passt nicht zusammen. ({10}) Die Bevölkerung hat es verdient, von diesen Maßnahmen ernsthaft und besonnen überzeugt zu werden, aber nicht überrumpelt zu werden, indem man in Sonntagsreden die Sicherheitslage lobt, um dann, wenn wieder was passiert, mit der nächsten Überwachungsmaßnahme um die Ecke zu kommen. ({11}) Diese Polizeiliche Kriminalstatistik verbietet geradezu eine weitere Einschränkung der digitalen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. ({12}) Meine Damen und Herren, einen letzten Aspekt möchte ich ansprechen. Das ist der Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kriminalität. Die Polizeiliche Kriminalstatistik legt nahe, dass es in bestimmten Bereichen eine Häufung von Tatverdächtigen – und auch tatsächlich von Verurteilungen – gibt, die aus Milieus stammen, in denen Menschen nach Deutschland eingewandert sind. Und machen wir uns einmal klar, dass das große Problem, das wir heutzutage mit Clankriminalität und mit organisierter Kriminalität in Deutschland haben, unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass wir hier Milieus haben, die über Jahre und Jahrzehnte im Unklaren darüber gelassen worden sind, ob sie in Deutschland ein Bleiberecht haben und ob sie in Deutschland arbeiten können. Ich will da nicht falsch verstanden werden. Die Herkunft ist niemals eine Entschuldigung dafür, eine Straftat zu begehen. Aber wer es bis zur Europawahl nicht hinkriegt, ein Einwanderungsgesetz mit Beschäftigungsduldung auf den Weg zu bringen, der züchtet sich die nächste Generation von Clankriminellen heran. ({13}) Deswegen muss die Duldung und muss der Zugang zum Arbeitsmarkt auch bei Geduldeten vor der Europawahl geregelt werden. Sonst hat Ihr Vorgehen gegen Clankriminalität überhaupt keine Grundlage. Auch das gehört zu einer wirksamen Bekämpfung von Kriminalität dazu. Vielen Dank. ({14})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl der erfassten Straftaten in Deutschland ist auf dem niedrigsten Niveau seit 25 Jahren. Das ist zweifellos eine gute Nachricht. Sie zeigt, dass die ständigen Forderungen von Hardlinern in der Bundesregierung, die Sicherheitsbehörden weiter aufzurüsten und die Grundrechte weiter zu beschneiden, keine Berechtigung haben. ({0}) Dennoch verweist der Innenminister heute – wie auch gestern – wieder auf das gewachsene Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung, um nach mehr Polizei- und Geheimdienstbefugnissen zu rufen. Herr Minister, ich sage Ihnen: Auf dieser Grundlage der Angst Politik zu machen, ist nicht nur unseriös, sondern auch eine Vorlage, wie wir heute wieder gesehen haben, an die AfD, die das natürlich gerne bedient. ({1}) Angstgefühle in der Bevölkerung sind ein direktes Ergebnis der Angstkampagnen, die wir in den letzten Jahren hauptsächlich von der CSU, also von Herrn Seehofer, aber auch von der AfD in diesem Land gespürt haben, indem man ständig Stimmung gegen Flüchtlinge macht. ({2}) Der Anteil von Einwanderern unter den Tatverdächtigen sinkt in der Tat. Trotzdem werden einzelne Straftaten, an denen sie beteiligt sind, vor allen Dingen von der AfD, aber auch von manchen blutrünstigen Medien, ({3}) in einer Art und Weise thematisiert, dass man sich etwas fragen muss. Bei weißen deutschen Tatverdächtigen wird das nicht gemacht. Hier gilt auch die Unschuldsvermutung. Aber wenn es beispielsweise darum geht, dass im letzten Jahr 2 000 Flüchtlinge angegriffen wurden, fragt man sich doch: Wo bleibt da der Aufschrei? ({4}) Dennoch suggeriert die CSU – von der AfD ganz zu schweigen – unverdrossen, Zuwanderung sei ein Sicherheitsproblem – man kann es nicht mehr hören! –; deswegen müsse man die Grenzen dichtmachen und Schutzsuchende in Lager sperren. ({5}) Diese Taktik ist so simpel wie bösartig: Erst schüren Sie Angst, dann ernten Sie Bedrohungsgefühle, um mit diesen wiederum Ihre Aufrüstung des Sicherheitsapparates zu rechtfertigen. ({6}) Besonders gerne verweisen gerade Sie von der AfD dabei auf die sexuellen Übergriffe auf Frauen. Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Sie instrumentalisieren die Frauen; es geht Ihnen gar nicht um die Frauen. Das ist wirklich perfide und zynisch. ({7}) Gerade kursiert ein Gesetzentwurf von Herrn Seehofer im Innenministerium, der die Befugnisse der Geheimdienste massiv erweitern soll. Privatcomputer und Handys sollen gehackt werden dürfen, in Wohnungen soll eingebrochen werden dürfen, ({8}) und die Daten von Kindern sollen künftig gespeichert werden, um die Polizei mit entsprechenden Informationen zu versorgen. ({9}) Damit startet der Innenminister eindeutig einen Großangriff auf die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern. Das, meine Damen und Herren, sollte uns Angst machen, aber auch unseren Widerstand beflügeln. Wenn davon die Rede ist, dass entgegen dem Trend die Zahl der Drogendelikte zugenommen hat, dann muss man auch sagen: Es geht dabei meistens um Cannabis. ({10}) Die Linke sagt schon lange: Kiffen ist kein Fall für Staatsanwälte. Man sollte eine entsprechende Legalisierung vornehmen. ({11}) Wenn es um harte Drogen geht, dann muss man die Drogenabhängigen wenigstens entkriminalisieren. ({12}) Die Zahl der Straftaten gegen Vertreter der Staatsgewalt hat zugenommen; das wurde hier schon genannt. Wer hier aber beispielsweise über Gewalt gegen die Polizei spricht, muss ehrlicherweise auch von Polizeigewalt sprechen. ({13}) – Ja, das wollen Sie nie hören; das weiß ich. Aber damit müssen Sie sich auch mal befassen. – Wo ist denn zum Beispiel der Bericht über rechtsextreme Netzwerke in den Sicherheitsbehörden? ({14}) Darüber hinaus fehlen Kriminalitätsstatistiken zu bestimmten Bereichen, zum Beispiel zur Steuerhinterziehung von Superreichen. Unterm Strich will ich ganz klar festhalten: Die größte Gefahr für unsere Sicherheit geht nicht von einem unkontrollierbaren Überwachungsstaat aus, ({15}) sondern tatsächlich davon, dass hier mehr und mehr Überwachung eingefordert wird. ({16}) Im Endeffekt ist die PKS nur eingeschränkt aussagekräftig. Das haben wir hier mehrfach gehört. Über die Hell- und Dunkelfelder müssen wir mehr wissen, wir müssen mehr über Präventionsprogramme wissen, und wir müssen vor allen Dingen über die Ursachen der Kriminalität sprechen. Der Sicherheitsbericht – er ist hier schon angesprochen worden – würde in der Tat mehr Aufschluss darüber geben, wie man präventiv weiterkommen kann, wie der Kollege Kuhle schon gesagt hat. Ich danke Ihnen. ({17})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Irene Mihalic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Als ich gehört habe, dass Sie zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde auf die Tagesordnung gesetzt haben und dann auch noch mit dem Titel „Erfolge bei der Bekämpfung der Kriminalität …“, ({0}) da habe ich mich schon gefragt, ob Sie sich jetzt ganz ernsthaft selbst für die positive Entwicklung im Bereich der Polizeilichen Kriminalstatistik feiern wollen – ({1}) nach dem Motto: Die Kriminalität geht zurück, Horst sei Dank! – Glauben Sie ernsthaft, Herr Seehofer, dass Sie dafür verantwortlich sind? ({2}) – Ja, natürlich, wenn es gut läuft, sind immer alle verantwortlich. ({3}) Wenn es wirklich gut läuft und bei der Polizeilichen Kriminalstatistik ein Rückgang zu verzeichnen ist, dann müssen wir dafür in allererster Linie den Polizistinnen und Polizisten danken, deren Beitrag hier sichtbar wird, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Auch wenn ich meine, dass Sie sich das nicht auf Ihre Fahne schreiben können, haben Sie in einem Punkt recht, Herr Seehofer: Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. – Nur Bayern nicht; da gibt es erstaunlicherweise eine Zunahme der Zahl an Straftaten. Da fragt man sich schon: Was ist da eigentlich los? ({5}) Neben der PKS haben Sie gestern der Öffentlichkeit auch erste Ergebnisse der neuen Opferbefragung vorgestellt. Wir sehen, dass das Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung massiv wächst, obwohl die Kriminalitätslage gleichzeitig auf einem historischen Tiefstand ist. Sie haben vorhin ein paar Gründe genannt, woran das Ihrer Vermutung nach liegt. Herr Seehofer, ist Ihnen eigentlich nicht einmal der Gedanke gekommen, dass auch Sie dafür eine gewisse Mitverantwortung tragen? Mit Ihrem Alarmismus, mit Ihrer Wahlkampfrhetorik haben Sie massiv dazu beigetragen, die Bevölkerung zu verunsichern. ({6}) Es funktioniert einfach nicht – damit spreche ich auch Sie an, Herr Kollege –, den Menschen 364 Tage im Jahr zu erzählen, dass alles immer schlimmer und schlimmer wird, und sich einmal im Jahr vor die Bundespressekonferenz zu stellen und zu sagen: Deutschland ist sicher. – Das geht einfach nicht. ({7}) Deshalb kann ich meinen Appell, den ich schon öfter an Sie gerichtet habe, nur noch einmal wiederholen: Hören Sie endlich damit auf, Sicherheits- und Kriminalpolitik nach Stimmungslage zu machen und dabei unsere Bürgerrechte massiv einzuschränken! Damit muss endlich Schluss sein. ({8}) Wir brauchen dringend eine Versachlichung der Debatte – ohne übertriebene Euphorie und Aktuelle Stunden, aber dafür mit soliden Analysen da, wo sich die Dinge negativ entwickeln. Das fängt damit an, dass wir uns erst einmal einen realistischen Überblick über die Kriminalitäts- und Sicherheitslage in Deutschland verschaffen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik sagt dazu nur sehr wenig aus. Das sagen Ihnen auch Kriminologen, das BKA, die Polizeigewerkschaften. Alle Experten in diesem Bereich sagen Ihnen das alle Jahre wieder. Deswegen fordern ja auch viele Experten Periodische Sicherheitsberichte, ({9}) die kontinuierlich vorgelegt werden, damit wir endlich einmal ein realistisches Bild von der Sicherheits- und Kriminalitätslage bekommen. ({10}) Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal dafür werben, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen. Die Anhörung im Innenausschuss dazu haben wir ja schon hinter uns. Sie ist wirklich sehr gut gelaufen. Alle anwesenden Experten – außer dem der AfD – waren sich völlig einig: Der Periodische Sicherheitsbericht muss kommen, und zwar regelmäßig und auf verbindlicher Grundlage, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Auch wenn oder gerade weil ein solcher Bericht nicht beliebig interpretierbar ist und sich deshalb nicht so sehr zur Selbstdarstellung eignet, ({12}) sollten Sie sich dem nicht länger verschließen. Apropos Selbstdarstellung: ({13}) Eine Sache ist mir noch aufgefallen. Eigentlich legen Sie die PKS immer gemeinsam mit der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität vor; ({14}) nur in diesem Jahr nicht. Warum eigentlich nicht? Frau Högl hat eben deutliche Zuwächse im Bereich des Rechtsextremismus angesprochen. Aber wo ist eigentlich die Statistik dazu? Die würde ich gerne einmal sehen. ({15}) Hatten Sie Angst, dass uns die Straftaten von Nazis und Islamisten die gute Stimmung bei der ach so guten PKS verhageln? Nein, meine Damen und Herren, wir sind nicht dazu da, nur die schöne Hälfte der Bilanz hier im Hause abzufeiern, sondern wir sind dazu da, an den realen Problemen zu arbeiten. Und dazu gehören alle Zahlen, Daten und Fakten auf den Tisch. ({16}) Herr Seehofer, hören Sie damit auf, sich selbst zu inszenieren und die Bilanzen so zu präsentieren, wie es Ihnen gerade in den Kram passt! Beginnen Sie endlich mit der Arbeit an der Sache! Das Bundeskriminalamt sagt, dass weniger als 10 Prozent aller Straftaten im Bereich Cybercrime angezeigt werden, weil viele Opfer der Polizei überhaupt nicht zutrauen, in dieser Sache überhaupt etwas ausrichten zu können. ({17}) Da müssen Sie als zuständiger Innenminister doch sofort anfangen, zu rotieren, und für mehr Spezialisten in diesem Bereich sorgen. ({18}) Legen Sie doch mal was vor zur Islamismusprävention, zur Bekämpfung rechtsextremer Netzwerke, zur organisierten Kriminalität und vor allen Dingen auch zur dringenden Reform der Sicherheitsarchitektur. Es gibt sehr viel zu tun in Ihrem Bereich. Zeigen Sie uns endlich, dass wir einen Innenminister im Bund haben, der nicht nur nach dem eigenen Empfinden arbeitet! ({19})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Mathias Middelberg für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Es geht hier nicht darum, heute irgendetwas abzufeiern, sondern wir wollen uns ganz nüchtern über den Stand der Dinge ins Bild setzen. Aber der Stand der Dinge ist eben sehr befriedigend, er ist sehr zufriedenstellend, um nicht zu sagen: gut in seiner Entwicklung. Man kann auch mal ganz nüchtern feststellen, dass wir im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung in den letzten Jahren enorme Erfolge erzielt haben, und in den letzten Jahren hat ganz wesentlich die Koalition aus CDU, CSU und SPD die Verantwortung getragen. Das kann man an dieser Stelle schon mal erwähnen. ({0}) Dann darf man – da möchte ich mich allen Rednern anschließen – vor allen Dingen denen danken, die dafür hauptverantwortlich sind, nämlich den Polizeibeamten und den Sicherheitskräften vor Ort. Ihnen gilt unser ganz herzlicher Dank. ({1}) Aber, Frau Mihalic – und da sind wir dann doch etwas anderer Auffassung als Sie –, die Politik ist für die Ergebnisse der Kriminalitätsbekämpfung schon noch mitverantwortlich. Sie haben ja eben – „süßerweise“ hätte ich fast gesagt – ({2}) wahrscheinlich ironischerweise erwähnt, dass die Kriminalität in Bayern jetzt ansteigen würde. Ist das mit dem Abgang von Horst Seehofer, unserem Minister, verbunden? ({3}) Dann ist die Kriminalitätsentwicklung gewissermaßen positiv-akzessorisch an Horst Seehofer gekoppelt. ({4}) Der hat nämlich in zehn Jahren als Ministerpräsident in Bayern eine erstklassige Entwicklung mit ständig zurückgehender Kriminalität zu verantworten und hat auch den Rückgang hier mitzuverantworten. ({5}) Wenn wir schon beim Thema sind, wie wir das politisch auseinanderdividieren, dann stellen wir fest, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. Frau Mihalic, wenn Sie sich mal ansehen, wie die Zahlen in Bayern und wie die Zahlen in anderen Bundesländern sind, dann stellen Sie fest, dass sie ziemlich erschreckend sind. ({6}) In Bayern haben Sie die niedrigste Zahl von Straftaten pro 100 000 Einwohner. Bayern ist das mit Abstand sicherste Land in Deutschland. Also, da kann ich doch nur sagen: Bayern, seit Jahrzehnten in CSU-Verantwortung, muss doch in diesem Bereich Muster für uns alle sein. ({7}) Dann haben Sie das bayerische Polizeiaufgabengesetz kritisiert. Also ich würde sagen: Wenn man einfach mal Erfahrungswerte gelten lässt, müsste das eigentlich das Musterpolizeigesetz für Deutschland werden. ({8}) – Hört! Hört! Das ist, Herr Kuhle, an den Ergebnissen gemessen, zunächst einmal die naheliegende Folgerung. Ich sage Ihnen noch mal, damit wir es genau wissen: München hat 5 800 Straftaten pro 100 000 Einwohner, Berlin über 14 000, Hannover über 14 000, Hamburg über 11 000. Das spricht nun alles nicht dafür, dass in Bayern irgendwie Hardliner am Werk sind, sondern das spricht dafür, dass da Leute am Werk sind, die den Rechtsstaat wahren und den Rechtsstaat sehr genau nehmen, und das ist richtig so. ({9}) Es ist auch so, dass gerade diese Regierung beim Thema Wohnungseinbruch vorangekommen ist; das ist von den Kollegen deutlich gemacht worden. Hier hat sich bezahlt gemacht, dass wir mehr Personal einsetzen, dass wir schon in der letzten Wahlperiode härtere Strafdrohungen festgesetzt, zusätzliche Ermittlungsbefugnisse ermöglicht und das besondere Programm für den Einbruchschutz aufgelegt haben. Alle diese Maßnahmen waren richtig, und sie führen jetzt zu Ergebnissen. Damit darf man auch zufrieden sein. ({10}) Zum Abschluss möchte ich Ihnen sagen: Diese Statistik ist natürlich nicht der Punkt, um zu sagen: „Wir ruhen uns aus“ und: „Wir freuen uns nur über die Ergebnisse“, sondern sie ist auch Ansporn, in bestimmten Bereichen noch schärfer hinzusehen und besser zu werden. Ich nenne auch das Thema Messerkriminalität in diesem Zusammenhang. Ich glaube, dass wir das sehr genau und sehr aufmerksam beobachten müssen, und zwar ganz unabhängig von der Nationalität oder der Herkunft der beteiligten Täter. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir die Strafdrohung in diesem Bereich anheben wollen, und wir müssen auch den Vorschlag zu schärferen Bedingungen bei Waffenverbotszonen, der jetzt aus Niedersachsen eingebracht wurde, sorgfältig prüfen. Ich sage Ihnen abschließend, weil auch die Politisch motivierte Kriminalität hier angesprochen worden ist: Die Entwicklungen auf der rechten Seite sind besorgniserregend. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie sich die Zahlen angucken, wer als Linksextremist, wer als Rechtsextremist und wer auf islamistischer Seite oder sonst wo unterwegs ist, dann werden Sie feststellen: Das sind alles ziemlich bedrückende Zahlen, die sich in ihrer Höhe nicht deutlich unterscheiden, selbst wenn Sie dann die gewaltbereiten Täter nehmen. Hier gibt es keine großen Differenzierungen. Wir jedenfalls machen beim Thema Extremismus keine Differenzierung. All das ist eine Bedrohung für den Rechtsstaat, und dem setzen wir uns mit voller Energie und ohne jede Einschränkung entgegen. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Hess für die Fraktion der AfD. ({0})

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, alle Jahre wieder – könnte man sagen – das gleiche Schauspiel: Sie stellen die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik vor und überschlagen sich dabei mit Superlativen. 2018 hatten wir, so behaupten Sie, sogar das sicherste Deutschland seit Jahrzehnten. Ihre Absicht ist dabei klar: Sie sprechen den Bürgern das eigene Urteilsvermögen ab und diffamieren all jene als Angsthasen oder Panikmacher, die aufgrund persönlicher Erfahrungswerte wissen, dass Sie, Herr Minister, unrecht haben. Die Wahrheit ist: Deutschland wird immer unsicherer, und das subjektive Unsicherheitsgefühl unserer Bürger ({0}) stimmt sehr wohl mit der objektiven Faktenlage der Statistik überein. – Ich werde das so lange wiederholen, bis Sie, Herr Minister, endlich zur Kenntnis nehmen, dass die PKS nicht die tatsächliche Sicherheitslage in unserem Land abbildet. Früher hatten wir keine Betonpoller und keine schwerbewaffneten Polizisten in unseren Innenstädten, und Frauenschutzzonen bei öffentlichen Veranstaltungen gab es auch nicht. Allein das zeigt doch jedem jeden Tag ganz offensichtlich, dass wir unsicherer leben als früher. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis, und beleidigen Sie nicht fortwährend die Intelligenz unserer Bürger! ({1}) Herr Minister, Sie sagten bei der Vorstellung der PKS, Sie wollten nicht über Gewalt durch Zuwanderer, also Flüchtlinge und Asylbewerber, sprechen, sonst würde man Ihnen eine politische Instrumentalisierung der Zahlen vorwerfen. Und ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden nicht zulassen, dass Sie Ihr eigenes Politikversagen mit solchen Tabuisierungen kaschieren. Wer Probleme lösen will, der muss Fakten klar benennen, und Fakt ist: Deutschland ist unsicherer geworden, und die Grenzöffnung von 2015 ist die Hauptursache dafür. ({2}) Über 1 Million Straftaten durch Zuwanderer, darunter 250 000 Rohheitsdelikte, 16 000 Sexualdelikte und 1 500 Tötungsdelikte wären niemals begangen worden, wenn Sie unsere Grenzen effektiv geschützt hätten. ({3}) Wenn wir das Verhältnis von Opfern und Tätern vergleichen, müssen wir feststellen: Letztes Jahr fielen 102 Deutsche einem vollendeten Tötungsdelikt durch Zuwanderer zum Opfer; aber nur ein einziger Zuwanderer wurde durch einen Deutschen getötet. Insgesamt wurden 2018 über 46 000 Deutsche zum Opfer einer Straftat durch Zuwanderer; das bedeutet einen Anstieg um 19 Prozent. Fakt ist: Deutsche werden immer häufiger Opfer schwerer Straftaten von Zuwanderern. Diese Entwicklung muss gestoppt werden und ist inakzeptabel. ({4}) Schauen wir nach Bayern, Herr Minister, wo Ihre CSU regiert: Letztes Jahr waren 20,8 Prozent der Tatverdächtigen im Bereich der Gewaltkriminalität Zuwanderer. Vor zehn Jahren waren es noch weniger als 2 Prozent. Das zeigt eindeutig: Sie versagen im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik nicht erst seit 2015. Das können Sie nicht wegdiskutieren; das ist eine Tatsache. ({5}) Stichwort „Messerangriffe“. Selbst Täteranwälte geben zu: In den Herkunftsländern vieler Zuwanderer werden Konflikte mit dem Messer ausgetragen. – Und genau dieser kulturelle Hintergrund wird durch die Kriminalstatistik bestätigt. In Baden-Württemberg stellen Zuwanderer 2018 über 30 Prozent der Tatverdächtigen im Bereich der Gewaltkriminalität mit dem Tatmittel Messer. ({6}) Sehen Sie, Herr Minister, endlich ein: Wer Messerkriminalität stoppen will, muss die Massenmigration stoppen. ({7}) Neuerdings bilden Zuwanderer in Berlin sogar Straßenbanden. Dabei hat unser Rechtsstaat nicht einmal wirksame Konzepte gegen die eingesessenen kriminellen Familienclans, die unsere Bürger tyrannisieren und das staatliche Gewaltmonopol ablehnen. Durch Zuwanderung wird dieses Problem massiv verschärft. Das BKA warnt vor einer Zunahme der Clanstrukturen und der BND gar vor der nigerianischen Mafia. Herr Minister, wer kriminelle Familienclanstrukturen bekämpfen will, der darf ihnen nicht massenhaft Nachschub ins Land holen. ({8}) Immer mehr Bürger melden sich bei mir, weil sie sich um die Sicherheit ihrer Familien sorgen. Insbesondere Frauen kommen auf mich zu, weil sie Angst vor sexuellen Übergriffen haben; Sie teilen mir mit, dass sie zum Beispiel abends nicht mehr joggen gehen. Und diese Ängste bestätigt ja auch ihr neuer Viktimisierungssurvey: Mehr als die Hälfte der Frauen vermeiden bestimmte Orte, um nicht Opfer einer Straftat zu werden. – Ich erinnere an die Kölner Silvesternacht 2015: 661 Opfer von Sexualstraftaten, 43 Verfahren und 3 Verurteilungen. Nur 3 Verurteilungen! Diese Bilanz, Herr Minister, ist eines Rechtsstaates unwürdig. ({9}) Und was machen Sie? Sie fragen sich: Wie kann ich den Bürgern ihre Ängste ausreden? – Und ich sage Ihnen: Sorgen Sie endlich für mehr Sicherheit! Dann verschwinden diese Ängste von ganz alleine. ({10}) Unser Rechtsstaat – auch das ist Fakt – erodiert immer mehr; aber die AfD wird sich dem entschlossen entgegenstellen und Sie immer wieder mit dieser Realität konfrontieren. Deutschland kann erst wieder sicher werden, wenn die illegale Massenmigration gestoppt wird. Und die AfD ist dazu jederzeit bereit. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Susanne Mittag für die Fraktion der SPD. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist positiv, die Tendenz ist positiv: Wir haben mehr Sicherheit in Deutschland. Dank auch an alle Umsetzenden; das ist nämlich die Polizei. Das ist alles gesagt worden, und dem kann ich mich nur anschließen. Es ist aber auch nachvollziehbar: Nach Alarmismus – hatten wir gerade mal wieder –, Dramatisierung und teilweise leider auch steigenden PKS-Zahlen in den letzten Jahren führen endlich sinkende Zahlen in diesem Jahr natürlich nicht automatisch zu einem größeren Sicherheitsgefühl. – Tatsächliche Zahlen und Gefühl im Bereich des persönlichen Sicherheitsempfindens haben so gut wie nichts miteinander zu tun. Ich komme aus einer Stadt, die vor über einem Vierteljahrhundert ziemlich negative PKS-Zahlen hatte. Seither ist die Zahl der Straftaten massiv gesunken. Eine wirklich sehr gute Prävention findet seit Jahrzehnten statt. Trotzdem haben wir dort vor Ort immer noch ein schlechtes Image – ich nenne den Ort gar nicht; sonst geht es gleich weiter –, und vermutlich brauchen wir noch 50 Jahre, um von diesem Image herunterzukommen. Verschlechtern geht schnell, Verbessern dauert sehr, sehr lange. ({0}) Auch jetzt, bei den verbesserten Zahlen, sind Gründe für Furcht und Verunsicherung im eigenen Umfeld nachvollziehbar; denn zu den Erlebnissen gehören auch niederschwellige Taten, die vielleicht nicht immer erwähnt werden, wie Nötigung, Bedrohung, Beleidigung, Stalking, häusliche Gewalt. Oft sind Frauen davon betroffen; das wird ganz gerne übersehen. Auch wenn es Antragsdelikte sind: Sie werden verfolgt, und sie wirken bei den Betroffenen sehr lange nach. Allein der Punkt Sachbeschädigung: 560 000 Fälle, und es gibt ein großes Dunkelfeld. „Ach, es hat ja gar keinen Zweck, das anzuzeigen“, so die Antwort. Da ist – immer latent – ein fehlendes Gefühl für die Aufklärung vorhanden; denn nur angezeigte Taten führen dazu, dass überhaupt aufgeklärt wird. Auch das ist ein Beitrag zum fehlenden Sicherheitsgefühl. Aber auch Wohnungseinbruch, entwendete Fahrzeuge – immerhin 30 000, gerne hochwertig – oder auch die 100 000 Fälle Taschendiebstahl, die angezeigt wurden – all das führt zu einer direkten Betroffenheit der Person mit jahrelangen persönlichen Auswirkungen: Die Person denkt immer daran, hat noch jahrelang später das Gefühl, dass bei der Sicherheit etwas schiefgelaufen ist. All das bringt Verunsicherung, und all das ist völlig nachvollziehbar. Die letztgenannten Delikte gehören oft zur organisierten Kriminalität, und deren Täterstrukturen beziehen sich nicht nur auf Deutschland; das können wir also nicht allein in Deutschland regeln. Es wäre zur Betrachtung der Kriminalitätslage hilfreich gewesen, jetzt schon die Statistik zur organisierten Kriminalität zu haben. Viele der hier aufgelisteten Taten gehören nämlich zur OK und sind im Bereich der Ermittlungen dann ganz anders zu betrachten: strukturierter, grenzübergreifender, unter Berücksichtigung weiterer Folgetaten wie zum Beispiel Geldwäsche mit Immobilien- oder Firmeninvestitionen. Es ist daher wichtig, die Koordinierungsstelle OK beim BKA noch weiter auszubauen – das ist schon in gewisser Weise passiert; aber es muss noch mehr passieren – und nicht nur die Kriminalitätsbekämpfung in Deutschland zu betrachten, sondern auch über die Grenzen hinaus. Es ist daher auch wichtig, mit unserem Haushalt Europol weiter zu stärken, und zwar personell und auch finanziell. ({1}) Spätestens die Statistik der Verbreitung pornografischer Schriften mit Kindern und Jugendlichen als Opfern – hier gibt es einen zweistelligen Zuwachs! – zeigt, dass bessere Ermittlung und Sicherstellung von Daten, deren Menge sich inzwischen im Terabyte-Bereich bewegt, zu mehr Aufklärung von Taten führen. Das Hellfeld wird verbessert – ja –, lässt aber auch ahnen, wie groß – auch prozentual – das Dunkelfeld ist. Und noch wichtiger: Es sind deutsche, europäische und internationale Straftaten. Das bedingt eine deutsche, europäische und internationale Zusammenarbeit. ({2}) Wir haben hier ein Hellfeld; in der Polizeilichen Kriminalstatistik ist ja nur das aufgeführt, was wir wissen. Das Dunkelfeld ist eher vage. Hilfreich sind hier schon – auch wenn das kritisch angemerkt worden ist – die Viktimisierungsumfragen des BKA von 2012 und 2017. Es stellen sich außerdem die Fragen: Wohin entwickelt sich eigentlich unsere Kriminalität in den nächsten Jahren? Wie können wir alle damit befassten Ermittlungsbehörden darauf vorbereiten? Und wie kann Prävention in der Zukunft aussehen? Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Teilansicht der Sicherheit in Deutschland, und ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Für die Sicherheit in der Zukunft brauchen wir aber noch eine ganze Menge mehr. Der Periodische Sicherheitsbericht, über den wir in dieser Legislaturperiode gesprochen und verhandelt haben – das ist schon erwähnt worden; wir sind da aber noch nicht fertig –, ist ein ganz wichtiger Baustein. Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist immer der Schulterblick nach hinten, zurück in die Vergangenheit. Dann wissen wir, woran wir sind. Aber wichtig ist, dass wir Methoden entwickeln, mit denen wir Trends für die Zukunft erkennen können, um noch besser vor die Lage zu kommen, ({3}) um frühzeitig zu reagieren: bei der Ausstattung, personell, haushalterisch, bei länderübergreifender Zusammenarbeit. Das wird die Herausforderung für den nächsten Periodischen Sicherheitsbericht sein. Die PKS ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil. In diesem Jahr fällt sie ganz positiv aus. Trotzdem reicht uns das nicht. Herzlichen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Philipp Amthor für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines ist doch völlig klar: Die Polizeiliche Kriminalstatistik, über die wir diskutieren, der Rückgang der Zahl der Straftaten um 3,4 Prozent, zeigt vor allem eines: Unsere Polizei macht ihre Arbeit wirklich gut. ({0}) Von verschiedenen Seiten des Parlamentes wird uns hier jetzt vorgeworfen, wir würden uns hier heute feiern, wir würden die Polizisten benutzen. ({1}) Dazu kann ich nur sagen: Sie sollten einmal erleben, wie das ist, wenn wir uns feiern! ({2}) Aber zunächst einmal sollten Sie dafür arbeiten, dass es aufhört, dass Sie hier im Parlament gut über die Polizei reden, an den Stammtischen aber doch wieder die Narrative von Demonstranten bedienen, die von Polizisten nur schlecht reden. ({3}) Sie unterstützen diejenigen, die im Hambacher Forst mit Kot auf Polizisten werfen. Sie tolerieren zum Teil das, was wir beim G-20-Gipfel gesehen haben. ({4}) Von den Grünen bis zur FDP wird Hand in Hand mit der Antifa ({5}) gegen bayerische Polizeigesetze demonstriert. ({6}) Ich sage Ihnen: Wenn Sie wollen, dass wir uns richtig feiern, dann müssen Sie von Respekt gegenüber Polizisten nicht nur reden, sondern das auch ernst meinen. ({7}) Es ist richtig, dass wir heute sagen: Der Dank darf nicht zuallererst der Politik gelten. Vielmehr muss unser Dank, wenn wir uns die Polizeiliche Kriminalstatistik anschauen, zuallererst den Polizistinnen und Polizisten, den Schutzmännern, den Beamten beim BKA und den vielen Menschen gelten, die tagtäglich für die Sicherheit in unserem Land einstehen; diesen Menschen sind wir von ganzem Herzen dankbar. ({8}) Ich sage Ihnen auch: Umso mehr macht es uns als Fraktion dann traurig, wenn wir mit Blick auf die Polizeiliche Kriminalstatistik zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Zahlen im Deliktsbereich „Widerstand gegen und tätliche Angriffe auf die Staatsgewalt“ um 40 Prozent gestiegen sind. ({9}) Das ist etwas, was uns in besonderer Weise schmerzt. Deswegen sagen wir: Für Angriffe auf und Widerstand gegen unsere Polizisten haben wir kein Verständnis. ({10}) Ich will Ihnen bei dieser Zahlendebatte aber auch sagen: Allein auf die Zahlen kann es nicht ankommen. Die Grünen fordern noch mehr Statistiken. Wir haben hier schon oft genug über die Frage statistischer Erfassungen diskutiert. Aber schauen wir uns doch einmal die Lebensrealität der Menschen an! Dann sehen wir, dass, obwohl die Sicherheit in unserem Land objektiv deutlich besser geworden ist, das subjektive Unsicherheitsgefühl der Menschen so hoch wie seit Jahren nicht mehr ist. Ich will Ihnen sagen: Mit Blick auf meine Heimat in Vorpommern kann ich das an vielen Stellen auch verstehen. Wir müssen uns schon fragen: Was erzählen wir eigentlich den Bürgern, die in Boock, in Rothenklempenow, in Blankensee binnen weniger Monate erleben, dass die Feuerwehr, drei landwirtschaftliche Betriebe und gastronomische Betriebe von einer ganzen Einbruchsserie heimgesucht werden? Was sage ich dem Landwirt an der polnischen Grenze bei mir in Glasow, der in manchen Wochen mehr Papier mit Strafanzeigen beschreibt als mit Aufträgen? Was soll ich denen erzählen? Soll ich den Menschen an der polnischen Grenze sagen: „Tja, habt euch nicht so! Statistisch seid ihr doch sicher“? Ich sage, das ist die falsche Antwort. Wir müssen natürlich bei den Fakten bleiben, aber wir müssen auch ganz klar unterstreichen – und das ist unser Anspruch als CDU/CSU-Bundestagsfraktion –, dass wir für einen starken Staat stehen, der nicht nur ein Versprechen ist, sondern sich auch in der Lebenswirklichkeit der Menschen wiederfindet. ({11}) Das verwirklicht man durch gute Politik; aber das verwirklicht man auch durch den Dreiklang, den wir immer wieder aufgestellt haben: durch mehr Personal, durch eine bessere Ausstattung unserer Polizei und auch, ganz ausdrücklich gesagt, durch adäquate Kompetenzen. An all diesen drei Dingen arbeiten wir, und deswegen ist es für uns wichtig, dass der starke Staat nicht nur ein Thema in Sonntagsreden ist, sondern dass wir es auch schaffen, dass die Menschen vor Ort einen Staat erleben, der das Recht konsequent durchsetzt; und genau dafür arbeiten wir. Ich will Ihnen sagen: Wir werden jetzt mit dem Stellenaufwuchs bei der Bundespolizei genau darauf achten, dass die Bundespolizei nicht nur an den Außengrenzen Bayerns Kriminalität bekämpft, sondern auch an anderen Grenzen Deutschlands. Deswegen geht es darum, dass der Stellenaufwuchs bei der Bundespolizei in ganz Deutschland ankommt, von Pasewalk bis Pirna. ({12}) Wir werden dafür arbeiten, klare Worte für einen starken Staat zu finden. Eines geht aber auch nicht – bei allem Verständnis, auch für subjektives Unsicherheitsgefühl –: Gefühle können Fakten nicht ersetzen. Deswegen ist es immer richtig, dass wir uns unserer Fakten vergewissern. Wenn wir das tun, so wie in diesen Tagen mit der Polizeilichen Kriminalstatistik, dann tun wir das nicht, indem wir uns feiern, sondern dann tun wir das, indem wir sagen: Unsere Polizisten machen eine gute Arbeit. Darauf sind wir stolz. Das ist uns Ansporn, noch weiter voranzukommen. Wir legen hier die Hände nicht in den Schoß, sondern wir machen weiter, und das ist unser Anspruch für einen starken Staat. Herzlichen Dank. ({13})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Uli Grötsch für die Fraktion der SPD. ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Feierstunde ist das hier natürlich nicht; aber eine Stunde der Wahrheit ist es im besten Wortsinn schon. Es ist eine Stunde der Wahrheit für fast alle, zumindest für die, die sich an die Fakten gehalten haben. Zu den Fakten dieser Aktuellen Stunde gehört, dass die Zahl der polizeilich erfassten Straftaten im Jahr 2018 – nichts anderes hat die Polizeiliche Kriminalstatistik jemals wiedergegeben, und für was anderes wurde sie auch niemals eingeführt – nochmals um 3,6 Prozent gesunken ist. In 2017 war sie bereits um knapp 10 Prozent gesunken. In Deutschland wird fast jede zweite Straftat aufgeklärt. Das ist nichts, worauf wir uns ausruhen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen; aber wir haben es – das ist nicht zu leugnen – seit gestern schwarz auf weiß: Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt. Punkt! Das kann man an dieser Stelle auch mal so festhalten. ({0}) Ich glaube, dass es vor dem Hintergrund einer solchen Entwicklung, einer Entwicklung, die tatsächlich ein Trend ist, nämlich dass die Zahl der Straftaten in Deutschland seit Jahren kontinuierlich zurückgeht, nicht richtig ist, immer gleich reflexartig ein Aber anzufügen. Es wäre auch schön, wenn Teile des Hauses aufhören würden, immer wieder aufs Neue unser Land schlechtzureden und für unsicher zu erklären. ({1}) Auch mir sei es gestattet, zu sagen, dass es natürlich in erster Linie nicht das Verdienst der Großen Koalition ist, dass dieser Trend sich seit Jahren fortsetzt, sondern dass es das Resultat erstklassiger Polizeiarbeit überall bei uns im Land ist. Aber trotzdem flankieren wir als Große Koalition auch schon seit Jahren die Polizeiarbeit in Deutschland durch einen sich fortsetzenden Rekordstellenaufwuchs bei der Bundespolizei und beim Bundeskriminalamt, eben weil wir die Zeichen der Zeit erkannt haben, weil das Bekenntnis zum starken Staat nicht einen Staat meint, der seine Bürger überwacht und gängelt, sondern einen Staat, der seine Bürger schützt und der ihnen die Möglichkeit gibt, in Freiheit und in Frieden in Deutschland zu leben. ({2}) Auch in diesem Jahr schwebt über der Polizeilichen Kriminalstatistik das sogenannte Unsicherheitsgefühl der Menschen, ihre subjektiven Ängste. Ich will sagen, dass im sichersten Land der Welt dieses vermeintliche Gefühl der Unsicherheit von den Panikmachern oftmals angefacht, herbeigeredet wird. ({3}) Das, was Sie eben getan haben, Herr Hess – Sie hetzen die Menschen in Deutschland gegeneinander auf, ganz bewusst tun Sie das, und Sie missbrauchen den Boden des Parlaments für Ihre Hetze, die Sie eben hier wieder verbreitet haben –, das ist unterste Schublade und dieses Parlaments nicht würdig. ({4}) Die Kriminalität, die den Menschen am meisten begegnet, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Alltagskriminalität. Auch hier spricht die PKS 2018 eine deutliche Sprache: Pkw-Diebstahl minus 9 Prozent, Taschendiebstahl minus 18 Prozent, Fahrraddiebstahl minus 3 Prozent, Ladendiebstahl minus 4 Prozent ({5}) und Wohnungseinbrüche – eines der Delikte, die die davon Betroffenen oftmals in ihren intimsten Gefühlen verletzen – minus 16 Prozent, ein absoluter Rekordtiefststand, auch in diesem Zusammenhang. Das zeigt uns: Staatliche Präventionsmaßnahmen wirken. Darin muss auch das Gebot der Stunde liegen. In einem Land wie Deutschland, in dem das Niveau an Straftaten so gering ist – ich will dabei nicht missverstanden werden; eine jede Straftat, die begangen wird, ist uns auch in Zukunft immer eine zu viel –, geht es nicht mehr um immer schärfere Gesetze. Dass die Kriminalität, die Zahl der Straftaten, in Bayern ein bisschen angestiegen ist, ist auch eine Wahrheit; ja, das stimmt. Aber man muss schon dazusagen, dass das auf niedrigstem Niveau passiert ist; auch das gehört zur Wahrheit. Das zeigt mir auch, dass das Ganze mit Blick auf das bayerische Polizeiaufgabengesetz keine Frage ist von immer schärferen Gesetzen, sondern dass das Gebot der Stunde mehr Prävention ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Beweis dafür. Die PKS 2018 kann sich mehr als sehen lassen. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Christoph de Vries für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Christoph Vries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004926, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hoffentlich sind nicht nur Sie gespannt, Frau von Storch. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland ist so sicher wie fast noch nie, und das ist doch die entscheidende und das ist auch die wichtigste Botschaft der Polizeilichen Kriminalstatistik 2018. Wir haben 80 000 Beschäftigte im Bundesinnenministerium und in den nachgeordneten Behörden des Bundes, aber auch 260 000 Beschäftigte bei den Länderpolizeien, die jeden Tag mit ganzer Kraft für die Sicherheit in unserem Land Dienst tun. Deswegen will ich, auch wenn es schon passiert ist, diesen Sicherheitskräften noch mal ausdrücklich danken; denn sie machen unser Land jeden Tag ein Stück sicherer, und dafür gebührt ihnen auch unser Dank. ({0}) Es ist ja viel von Fakten gesprochen worden. Herr Hess, gucken wir uns das mal an – Sie haben es mit den Fakten ja nicht so –: Wenn wir die Häufigkeitszahl, die ja die Kriminalitätsbelastungen widerspiegelt, von 2018 mit der von 2015 vergleichen, stellen wir fest: Die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland Opfer einer Straftat zu werden, ist 15 Prozent niedriger als vor drei Jahren. Wie kommen Sie zu der Behauptung, dass das Land immer unsicherer geworden ist? Das entbehrt wirklich jeder Grundlage, Herr Hess. ({1}) Natürlich gilt der Dank in erster Linie immer den Beamtinnen und Beamten und allen Mitarbeitern, die das leisten; aber es ist doch überhaupt keine Frage, dass diese Bundesregierung, diese Koalition in der Vergangenheit und auch aktuell Riesenanstrengungen mit der Sicherheitsoffensive, mit dem Pakt für den Rechtsstaat unternommen hat. Ich will es noch mal sagen: Gegenüber 2015 werden heute 50 Prozent mehr Mittel bereitgestellt für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland – nur beim Bund. Das sind 2 Milliarden Euro mehr als noch vor vier Jahren. Das ist doch ein Riesenerfolg. ({2}) Wenn wir uns allein den aktuellen Haushalt anschauen: 5 000 Stellen mehr im Bereich der inneren Sicherheit, hauptsächlich bei der Bundespolizei, ({3}) beim Bundeskriminalamt, beim BSI. Natürlich zeigen sich die Früchte dieses Engagements und dieser Anstrengungen auch in der PKS. Es ist ja schon mehrfach gesagt worden: Wir haben bei der Gesamtkriminalität einen Rückgang um 3,4 Prozent, und wir haben eine Aufklärungsquote, die sich auf einem Höchststand befindet. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten: Die Sicherheit Deutschlands ist bei der Union in guten Händen. ({4}) Wir verstehen uns schon auch als Garant für den starken Staat, für einen funktionierenden Rechtsstaat, der die Menschen schützt und die Freiheit sichert. Es ist aber angesprochen worden: Wir dürfen die Hände auch nicht in den Schoß legen. Denn wo Licht ist, ist auch Schatten. Ich will nur mal zwei Deliktsfelder aus der PKS ansprechen: Wir sehen eine erhebliche Zunahme ({5}) um 14 Prozent im Bereich der Kinderpornografie und eine Zunahme um 6 Prozent bei den BTM-Delikten, den Rauschgiftdelikten. Gucken wir uns diese Bereiche mal an. Erster Bereich: Rauschgift. Ich habe mir das für Hamburg mal angeschaut. Wer sind dort die Dealer? Wer sind die Tatverdächtigen? Rund 44 Prozent der Tatverdächtigen sind ausländischer Herkunft, und wir haben dort rund 400 Personen, die ausreisepflichtig sind. ({6}) Wenn man sich anschaut, welche Nationalität, welche Herkunft die haben, dann sieht man: Es sind Afghanen, Syrer und bei den Frontdealern – zum Beispiel in Hamburg-St. Pauli – in hohem Maße aber auch Personen aus Gambia, Ghana und anderen westafrikanischen Staaten. Das alles sind Staaten mit geringen Anerkennungsquoten. Natürlich fragen sich die Bürger zu Recht: Warum sind diese ausreisepflichtigen Personen noch hier? Das zeigt doch eines: Eine konsequente Rückführungspolitik ist nicht nur wichtig für die Akzeptanz des Asylrechts, sondern auch ein wichtiger Baustein für weniger Kriminalität in Deutschland, und deswegen müssen wir bei den Rückführungen noch besser werden. ({7}) Sie haben den Minister angesprochen. Er wird demnächst das Geordnete-Rückkehr-Gesetz auf den Weg bringen, und genau das hat das ja zum Ziel: mehr Effektivität bei den Abschiebungen, besser werden bei der Durchsetzung der Ausreisepflichten. Der zweite Bereich – ich habe es angesprochen – ist die Kinderpornografie. 2017 hatten wir in Deutschland 8 400 Fälle, die nicht ermittelt werden konnten, weil wir zwar IP-Adressen haben, die aber nicht zuordnen können. Warum ist das so? Weil wir in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung haben! ({8}) Die Provider speichern die Verbindungsdaten nicht. Hier sage ich jetzt auch mal in aller Deutlichkeit an die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und auch von der FDP: Datenschutz darf in Deutschland nicht zum Täterschutz werden. ({9}) Wir müssen dafür sorgen, dass diese Verbindungsdaten länger gespeichert werden können, damit die Urheber dieses schmutzigen Geschäfts endlich ausfindig gemacht werden können. Es ist doch völlig klar: Der Schutz der Kinder muss an dieser Stelle Vorrang haben. ({10}) Dass wir für Verbesserungen sorgen müssen, gilt im Übrigen nicht nur für die Verbindungsdaten, sondern auch hinsichtlich des Strafmaßes. Es ist doch unerträglich, dass in Deutschland die Höchststrafe für den Besitz und für die Verbreitung von Kinderpornografie mit drei Jahren geringer ausfällt als die Höchststrafandrohung für einen einfachen Ladendiebstahl mit fünf Jahren. Wir wollen das ändern und das Strafmaß an dieser Stelle deutlich erhöhen. ({11}) Damit will ich zum Abschluss kommen. Ihre datenschutzrechtlichen Bedenken stehen in keinem Verhältnis zu den möglichen staatsgefährdenden Straftaten. Wir brauchen Zutrauen in unseren Rechtsstaat und kein Misstrauen gegenüber den Sicherheitsbehörden in Deutschland. Der Polizeibeamte ist doch nicht die Gefahr in Deutschland für die Bürger, ({12}) sondern das ist der islamistische Gefährder, das ist der Kleinkriminelle oder das sind die Rockerbanden im Bereich der organisierten Kriminalität. ({13}) Es gibt also viel zu tun; wir werden das machen. Treten Sie nicht als Bremser auf, sondern helfen Sie uns, den Behörden die notwendigen rechtlichen und technischen Instrumente an die Hand zu geben, damit sie eine gute und erfolgreiche Arbeit leisten können! Vielen Dank. ({14})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Axel Müller für die CDU/CSU. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Schlussredner der heutigen Debatte will ich mich auf ein paar grundsätzliche Gedanken beschränken, die sich anhand dieser Polizeilichen Kriminalstatistik meines Erachtens geradezu aufdrängen: Der erste Gedanke ist, dass die Menschen aus der Gruppe der Zuwanderer der letzten drei Jahre überproportional an Straftaten beteiligt sind. Wir sind mit unseren Bemühungen um eine Integration dieser Menschen also noch lange nicht am Ziel. ({0}) Daher sollte es auch das Anliegen aller Fraktionen – Frau von Storch, auch das der AfD – sein, dass sie unsere Integrationsministerin bei ihren Bemühungen um eine erfolgreiche Integration unterstützen. ({1}) Ausgrenzungen, Herr Kollege Hess, wie Sie sie heute wieder vorgenommen haben, sind sicherlich der falsche Weg. Der zweite Gedanke. Dass es bei den sexuell motivierten Straftaten zum Nachteil von Kindern entgegen der rückläufigen Tendenz des Jahres 2017 im Jahre 2018 erneut zu einem Anstieg gekommen ist, ist überaus bedauerlich. Die Schwächsten einer Gesellschaft sind die Kinder. Sie können sich nicht selber schützen. Deshalb muss der Staat sie schützen. Dazu braucht es auch die Möglichkeiten der Ermittlungen, die wir gerne hätten, nämlich dass wir mehr im Netz ermitteln können – auch verdeckt, sozusagen – und dass wir zum Weiteren zulassen, dass Videovernehmungen von Kindern in Strafprozessen eingeführt werden können. Dritter Gedanke. Der erneute Rückgang bei den Eigentumsdelikten ist sicherlich erfreulich und schafft auch ein gewisses Maß an Zufriedenheit. Das zeigt zum einen, dass die bisherigen Bemühungen Wirkung zeigen, zum anderen aber auch, dass wir noch Möglichkeiten hätten, den Erfolg noch zu steigern. Ich habe vorhin zugehört, wer sich wieder mit Zurufen lautstark zu Wort gemeldet hat, als es darum ging, dass man vielleicht etwas mehr Nachforschung zulässt, als das bisher der Fall ist. Wenn Sie nämlich mit Staatsanwälten und Polizisten sprechen, dann sagen diese, dass es ein Frevel ist, dass wir es nach wie vor nicht ermöglichen, durch eine ausgedehnte Handydatenspeicherung retrograde Standortbestimmungen vorzunehmen, um endlich mal die Bewegungsprofile von Einbrecherbanden und der organisierten Kriminellen nachvollziehen zu können. ({2}) – Schließen Sie sich uns doch mal an! ({3}) Entscheidend ist auch, welche Schlüsse wir daraus ziehen; die Kollegin Mittag hat bereits dazu gesprochen. Es ist ja nicht so, Frau Mihalic, dass wir keinen Periodischen Sicherheitsbericht wollen, sondern wir wollen ihn und arbeiten ja auch schon daran. ({4}) Die Expertenanhörung hat uns in einem auch recht gegeben, dass nämlich Ihre Forderung, ihn alle zwei Jahre zu wollen, wohl überzogen ist, weil das keinen Sinn macht. Einmal pro Legislatur dürfte wohl reichen. ({5}) Vierter Gedanke: der Rückgang bei den Vermögensdelikten und bei der Leistungserschleichung. Leistungserschleichung – ich meine das Schwarzfahren – ist zugegeben ein Bagatelldelikt. Der Rückgang in diesem Bereich zeigt doch, dass die stetige Forderung nach einer Entkriminalisierung dieses Delikts – auf eine Verweisung ins Zivilrecht oder eine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit wird hier immer wieder abgestellt – falsch ist. Tatsache ist doch, dass die strafrechtliche Drohung das Entscheidende ist. ({6}) Die Repression hält die Täter von weiteren Straftaten ab. Wer Schwarzfahrer also entkriminalisieren will, der schafft im Endergebnis falsche Anreize. ({7}) Der fünfte Gedanke. Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, die Statistik macht – das wurde von den Rednern hier mehrfach hervorgehoben – auch negative Auswüchse deutlich. Bei den Straftaten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt ist ein Anstieg um fast 40 Prozent zu verzeichnen. Es mag sein, dass das auch mit einer Veränderung der Gesetzeslage zusammenhängt, weil wir hier eine breitere Basis geschaffen haben, es zeigt aber auch, dass die Vorgehensweise, die Teile des Parlaments hier in der letzten Sitzungswoche vorgeschlagen haben, nämlich unsere Sicherheitsbehörden, insbesondere die Polizei, durch immer mehr Gängelei in ihren Bewegungsfreiheiten einzuschränken und einen Polizeibeauftragten mit solchen Ermittlungsbefugnissen einzuführen, wie Sie von den Grünen es wollen, an dieser Stelle der falsche Weg ist. ({8}) Die fortwährende Forderung nach einer Ausdehnung der Strafbarkeit beispielsweise im Zusammenhang mit Messerdelikten und die Erweiterung der Strafrahmen, die immer wieder gefordert wird, schaffen letztendlich keine Lösung. Die Gesetze sind ausreichend; man muss sie nur konsequent anwenden. Zu guter Letzt bin ich bei der Justiz angelangt. Eine Aufklärungsquote von nahezu 60 Prozent ist sehr erfreulich. Entscheidend ist jedoch, dass die Straftaten nicht ungeahndet bleiben. Dazu braucht es auch, Herr Kollege Staatssekretär hier auf der Regierungsbank, endlich mal eine Bewegung des Justizministeriums im Bereich der Strafprozessordnung. ({9}) Wir müssen endlich die Praxis bekämpfen, die es bei Beweis- und Befangenheitsanträgen gibt; diese hat nämlich nichts anderes im Sinn als die Verschleppung der Verfahren. ({10}) Zum Schluss möchte ich noch zum Besten geben: Wenn wir das nicht tun, lassen wir erstens die, die bei der Polizei erfolgreiche Arbeit geleistet haben, im Regen stehen und schaffen wir bei ihnen nur Frust, und verkennen zweitens, dass nur die Strafe, die der Tat auf dem Fuße folgt, beim Täter und bei potenziellen Straftätern Wirkung zeigt. Ich bedanke mich. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Ich bedanke mich auch. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 4. April 2019, um 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 16.59 Uhr) Berichtigung 89. Sitzung, Seite 10660 A, erste Klammerbemerkung, letzter Zuruf ist wie folgt zu lesen: (Gegenruf von der AfD: Geh nach Hause!)