Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Vor einer Woche debattierten wir bereits das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz hier im Hohen Hause. Ein kleines, feines Gesetz, wie ich finde, mit einer großen Wirkung, ein Gesetz, das engagierten Jugendlichen unter 27 Jahren die Möglichkeit gibt, einen Freiwilligendienst aus persönlichen Gründen in Teilzeit zu absolvieren.
Dass wir uns in diesem Hause so ziemlich einig sind, zeigt auch der schnelle Abschluss in Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren: Donnerstag letzter Woche die erste Beratung, am Mittwoch hatten wir es schon im Ausschuss, und jetzt debattieren und beschließen wir es hier. Diese Regierung redet nicht nur, sie packt an und setzt um. So wird gute Engagement- und Jugendpolitik gemacht.
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Ein besonders sichtbares Engagement zeigen die mehr als 80 000 Menschen, die jährlich einen Freiwilligendienst leisten. Junge Menschen finden in den Freiwilligendiensten eine Möglichkeit, sich nach der schulischen Ausbildung zu orientieren. Sie sammeln praktische Erfahrungen in Krankenhäusern, Schulen oder Kindergärten; aber auch in der Flüchtlingshilfe ist das möglich. Sie dringen in Lebensbereiche ein, die kennenzulernen ihnen sonst überhaupt nicht möglich wäre. Sie alle machen das freiwillig, selbstbestimmt, unentgeltlich und gemeinwohlorientiert; denn das ist der Schlüssel für ein gutes bürgerschaftliches Engagement.
Mit dem Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz öffnen wir heute die Freiwilligendienste und machen sie noch flexibler. Wir schaffen eine Teilzeitmöglichkeit für unter 27-Jährige, wenn es dafür gewichtige persönliche Gründe gibt.
„Was sind ‚gewichtige persönliche‘ Gründe?“, fragt sich vielleicht der eine oder andere. Es sind die Betreuung eines Kindes zum Beispiel oder die Pflege eines Angehörigen, aber auch persönliche bzw. gesundheitliche Einschränkungen. Das Freiwilligendienste-Teilzeit-Gesetz ist ein erster guter Schritt zur Modernisierung der Jugendfreiwilligendienste. Ich bin davon überzeugt: Es werden weitere Schritte kommen.
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Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch ein paar Worte zum Antrag der FDP verlieren; dazu hatte ich letzte Woche nicht so viel Zeit. Der Bundesfreiwilligendienst ist ein Lern-, Bildungs- und Orientierungsdienst; das wissen Sie sicherlich. Sie fordern eine Verbesserung der Informations- und Beratungsmöglichkeiten bzw. des Informations- und Beratungsangebotes. Dies gibt es schon heute: in persönlichen Beratungen am Infotelefon oder auch vor Ort. Genauso fordern Sie die Abschaffung der Anrechnung von Taschengeld und Sachwertbezügen als Hinzuverdienst auf die Rente. Schon jetzt kann neben einer Altersrente unbegrenzt hinzuverdient werden, wenn die Regelaltersgrenze überschritten wurde. Sie haben sicherlich Verständnis, dass wir allein wegen dieser zwei Punkte den Antrag ablehnen.
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Für meine Fraktion und auch für mich ist das bürgerschaftliche Engagement die tragende Säule der Gesellschaft. Über 30 Millionen Frauen und Männer engagieren sich tagtäglich in Deutschland für die Gesellschaft, und das ist nicht immer leicht. Aus diesem Grunde möchte ich im Namen meiner Fraktion an dieser Stelle Danke sagen: Danke an alle, die sich tagtäglich ehrenamtlich engagieren! Danke für Ihren Einsatz!
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Bitte bleiben Sie weiterhin so motiviert! Wir stehen an Ihrer Seite!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Svenja Stadler. – Nächste Rednerin für die AfD-Fraktion: Nicole Höchst.
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Frau Ministerin! Hochverehrte Freiwillige und ehrenamtlich Tätige und alle, die unserer Gesellschaft dienen! Ihnen allen gebührt die größte Dankbarkeit und der vollste Respekt dieses Hauses, ja der gesamten Gesellschaft! Ihr Engagement zeigt, dass es noch viele Menschen in diesem Land gibt, für die gemeinsame Werte nicht nur eine Haltung oder ein Lippenbekenntnis sind.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist von einem überparteilichen Konsens getragen. Er schafft endlich die Möglichkeit, dass auch Menschen unter 27 Jahren Bundesfreiwilligendienst in Teilzeit verrichten können, wenn triftige persönliche Gründe diese Teilzeit erforderlich machen. Er ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, den Zugang zu Freiwilligendiensten für mehr Interessierte zu öffnen, die vorher ausgeschlossen waren. Das finden wir richtig und wichtig.
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Engagement und die bereichernden persönlichen Erfahrungen, die daraus resultieren, dürfen niemals exklusiv sein, dürfen nicht nur dem Teil der Gesellschaft vorbehalten sein, der sich freiwilliges Engagement auch leisten kann. Der Zugang zum Freiwilligendienst für Menschen mit Beeinträchtigung wird erleichtert. Familien werden durch das Teilzeitangebot entlastet. So weit, so gut.
Natürlich gibt es auch Punkte, die wir kritisieren. Allen voran ist die haltungsethisch links-grün dominierte pädagogische Zwangsbegleitung zu nennen.
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Sie ist getragen von einem Misstrauen gegenüber der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in Vereinen, Institutionen und Elternhäusern. Das ist einer Demokratie, die etwas auf sich hält, unwürdig und erinnert eher an die Ideologieverfestigungsstrategien von Diktaturen.
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Der zweite Vorwurf ist die große verbleibende Restexklusivität. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland kann sich nach wie vor einen Freiwilligendienst nicht leisten. Leider ist also dieser Gesetzentwurf nicht der große Wurf, der er aber hätte sein können; denn im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement wurden im Namen aller Fraktionen Empfehlungen und Vorschläge zusammengetragen. Diese wurden durch den Familienausschuss bestätigt und an das Ministerium gesandt. Aber Ihnen fehlt der Mut; Sie greifen die Empfehlungen nicht auf und vertun die Chance, einen großen Schritt für Deutschland zu gehen.
Große Schritte werden aber zunehmend wichtig. Wie die vergangenen Freitage zeigen, brennen viele Jugendliche darauf, sich stärker für ihre Herzensangelegenheiten und Herzensthemen, für ihre Zukunft zu engagieren. Diese jungen Menschen haben das Recht, ernstgenommen zu werden, statt instrumentalisiert und ausgenutzt zu werden.
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Sie haben das Recht darauf, mehr zu sein als politische Schwungmasse, die Schule schwänzt.
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Sie, werte Regierung, haben somit die ehrenvolle Aufgabe, die wichtigen Signale der Jugend aufzugreifen und deren Schrei nach mehr Verantwortungsübernahme für ihre eigene Zukunft zu erhören. Ebnen Sie diesen jungen Menschen legale Wege, welche es ihnen ermöglichen, sich von reinen Forderungen zu einem eigenen, selbstbestimmten Engagement weiterzuentwickeln. Nur gefordert und nicht erhört zu werden, bringt wenig Anerkennung und viel Frust. Wertvolles Engagement in diesem Bereich hingegen erfüllt nicht nur mit dem guten Gefühl, das Richtige zu tun, sondern macht auch wirklich einen Unterschied für unser Land und für unsere Zukunft.
Werte Regierung, finden Sie besonders für die jungen Menschen Möglichkeiten, ihrer Zukunft in den Bereichen zu dienen, die ihnen wichtig sind. Wenn sich in einem Jahr dreimal so viele Menschen für ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr bewerben, als Plätze vorhanden sind, wie das zum Beispiel 2017 der Fall war, ist das ein deutliches Indiz für ein gravierendes Missverhältnis.
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Denken Sie über wichtige zusätzliche Wege nach, einer wesentlich größeren Anzahl junger Menschen den Zugang zu einem wertvollen Dienst an der Gesellschaft, der Natur und der Kultur zu ermöglichen. Ermöglichen Sie ihnen die extrem bereichernde Erfahrung, mit Engagement und Idealismus tatsächlich etwas bewirkt zu haben. Denken wir gemeinsam über die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehr- und Dienstpflicht für alle, die nicht Mütter sind, nach. Wir halten das für einen guten Beitrag zu einer inklusiven Teilhabe an der Verantwortung für unser Land und für unsere gemeinsame Zukunft.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Höchst. – Nächster Redner: Michael Kießling für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Alle, die sich freiwillig engagieren, geben unserer Gesellschaft mit ihrem Wirken ein menschliches Gesicht. Jung und Alt verbinden sich und spannen ein stabiles Netzwerk für unsere Gesellschaft. Das Konzept kann nur mit einer ausgeprägten Zivilgesellschaft und mit viel bürgerschaftlichem Engagement funktionieren, und genau darum muss es bei uns im Ausschuss, aber auch im Familienministerium gehen.
Wir müssen den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken und fördern. Dafür müssen wir die zentralen Akteure entsprechend unterstützen. Das haben wir auch im Koalitionsvertrag formuliert, Frau Höchst: Wir wollen eine Stärkung der Ehrenamtlichen und des bürgerschaftlichen Engagements, insbesondere des Bundesfreiwilligendienstes. Diese Dienste leisten einen immensen Beitrag für unser Zusammenleben, egal ob im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich. Deswegen gehen wir einen wichtigen Schritt und schaffen das Teilzeitangebot im Bundesfreiwilligendienst und in den Jugendfreiwilligendiensten.
Wem und warum wir helfen wollen, darüber haben wir in der Vergangenheit ausführlich diskutiert. Doch was ist das Ziel, und wie setzen wir es um? Erstens wollen wir mehr junge Menschen für gesellschaftliches Engagement gewinnen. Zweitens – das gehört auch dazu – brauchen wir entsprechende Haushaltsmittel, damit wir dieses Engagement langfristig ermöglichen können.
Freiwilligendienste erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Die Zahl der Dienstbeginne im Bundesfreiwilligendienst ist seit Beginn kontinuierlich gestiegen. Da ist es nur konsequent, dass sich die Union und auch die Große Koalition dem Thema widmen. Mit dem Teilzeitangebot für junge Menschen haben wir ein Werkzeug geschaffen, das Flexibilität bietet, entsprechendes Engagement unterstützt und die Menschen motiviert.
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Denn Freiwilligendienste fördern zum einen die Kommunikationsbereitschaft und die Kommunikationsfähigkeit, das wechselseitige Verständnis füreinander, und zum anderen fördern sie den Austausch der Menschen untereinander.
Um die jungen Menschen in Verantwortung zu bringen und an unsere Gesellschaft zu binden, brauchen wir aber einen stabilen Haushalt. Wenn wir die Attraktivität der Freiwilligendienste wirklich steigern wollen, sollte sich das auch im Haushalt 2020 widerspiegeln.
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Dieses Jahr stehen rund 328 Millionen Euro bereit. Das ist eine große und gute Summe, an der wir uns orientieren sollten, um keine qualitativen und quantitativen Abstriche machen zu müssen. Unser Ziel als Union ist es, entsprechende Mittel auf dem Niveau von 2019 im Haushalt 2020 einzustellen. Sollte es weniger werden, stellt sich die Frage: Wo bleibt der integrative, der inklusive Charakter des Ministeriums? Wo bleibt der Inhalt für den Slogan „Wir kümmern uns um die Kümmerer“? Klar ist, dass diese Frage geklärt werden muss. Dazu werden wir bestimmt noch einige Diskussionsrunden führen; denn eine Kürzung des Etats würde nicht nur ein negatives Signal an die Trägerstellen senden, sondern zugleich die Wertschätzung der Freiwilligen mindern. Deshalb sollte unser aller Ziel sein, die bestehenden Strukturen der Freiwilligendienste nachhaltig zu unterstützen und keine Parallelstrukturen im Ehrenamt zu schaffen.
Der Bundesfreiwilligendienst ist nicht nur für junge, sondern auch für ältere Generationen möglich; das hat Frau Stadler bereits erwähnt. Der FDP-Antrag basiert auf diesem Thema. Liebe FDP, Ihr Antrag ist ein gutgemeinter Versuch, sich der älter werdenden Gesellschaft zu widmen. Aber gleichzeitig geht der Ansatz an der Lebenswirklichkeit und an den zentralen Akteuren der Freiwilligendienste vorbei.
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Richtig ist, dass wir die alternde Gesellschaft als Faktor mitbedenken müssen, jedoch müssen wir zunächst die Hauptzielgruppe des Bundesfreiwilligendienstes unterstützen, und das ist die Gruppe der unter 27-Jährigen. Sie stellen über 73 Prozent aller im Bundesfreiwilligendienst Tätigen, die über 65-Jährigen hingegen stellen nicht einmal 1 Prozent. Zudem fordern Sie eine reduzierte Teilzeitmöglichkeit für Senioren. Aber die Möglichkeit, sich generationsübergreifend im Freiwilligendienst mit einer reduzierten Dienstzeit zu engagieren, gibt es bereits heute. Die Verantwortung für das Programm liegt jedoch bei den Ländern und nicht beim Bund; denn die Länder tragen auch die Kosten. Kurz zusammengefasst: Die Tatsache, dass Sie Gleiches mit Gleichem ersetzen wollen, erweckt den Anschein, dass Sie sich halbherzig mit dem Thema befassen. Richtig wäre es gewesen, alle Generationen einzubinden und deren gemeinsame Belange zu adressieren.
Doch zurück zum Gesetzentwurf, zu einer nachhaltigen und wertschöpfenden Idee. Wir wollen mehr Menschen für gesellschaftliches Engagement gewinnen, und das gelingt uns mit dem Teilzeitangebot. Dafür brauchen wir – ich habe es erwähnt – einen stabilen Haushalt. Gesellschaftliches Engagement ist der vielleicht wertvollste und wichtigste Teil unserer Leitkultur.
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Meine Damen, meine Herren, gerade in gesellschaftlich turbulenten Zeiten, in denen auf Landes‑, Bundes- und auf europäischer Ebene um Lösungen gerungen wird, müssen wir an einem Strang ziehen und gemeinsam die Menschen in unserer Gesellschaft verankern und in Verantwortung bringen. Deshalb bin ich stolz darauf, dass wir parteiübergreifend einen Konsens bilden konnten, um mit dem Gesetz gemeinsam etwas für unsere Gemeinschaft zu gestalten.
Am Ende möchte ich mich bei allen Freiwilligendienstleistenden, die sich tagtäglich in den Dienst unserer Gesellschaft stellen und somit zu einem guten Zusammenleben in unserer Gesellschaft beitragen, herzlich bedanken.
Ihnen noch einen schönen Tag.
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Vielen Dank, Michael Kießling. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Grigorios Aggelidis.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Letzte Woche stand ich hier und habe davon gesprochen, dass das bürgerschaftliche Engagement der Kitt unserer Gesellschaft ist. Kollege Weinberg von der CDU bemerkte zu Recht, dass das freiwillige Engagement aller Bürger jenseits jeglicher Altersstufe ein Schatz ist, den wir hegen und pflegen sollten. Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass in einer fraktionsübergreifenden Initiative die Möglichkeit der Teilzeitarbeit im Freiwilligendienst für unter 27-Jährige erleichtert wird und wir damit für eine bessere Vereinbarkeit sorgen, gerade wenn es familiäre Pflichten gibt oder gesundheitliche Themen oder bildungsbedingte Herausforderungen eine Rolle spielen. Das finden wir sehr gut.
Gleichzeitig bemerken wir, dass wir als Politik durchaus vorausschauen und überlegen sollten: Was passiert denn tatsächlich mit der älter werdenden Generation? Gibt es den Bedarf, in diesem Bereich flexibler zu sein? Nach unserer Überzeugung ist das so. Nun kann man sich darüber streiten, ob bestimmte Details schlauer oder besser formuliert werden könnten – sicherlich können sie das; wie heißt es immer so schön in diesem Haus? besser geht immer –, aber wir sollten grundsätzlich anerkennen, dass sich Lebensrealitäten und Lebensläufe im Laufe der Jahrzehnte verändern und die heute 65- bis 70-Jährigen nicht die 65- bis 70-Jährigen von morgen sind; denn sie haben andere Ansprüche.
Deswegen sollten wir auch angesichts der Herausforderungen, die auf unsere Gesellschaft zukommen, die Steigerung der Attraktivität der Freiwilligendienste für über 65-Jährige im Blick haben und entsprechend forcieren.
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Wir sollten die Tatsache, dass die ältere Generation heute deutlich mehr Teilhabemöglichkeiten und deutlich mehr Möglichkeiten für einen generationenübergreifenden Erfahrungsaustausch hat, nutzen. Wir sollten den älteren Menschen die Chance geben, ihre Erfahrungen einzubringen, sich zu engagieren. Die Möglichkeiten zur Partizipation sollten wir nutzen, soweit und so gut es irgendwie geht.
Gestatten Sie mir noch einen Hinweis. Das Ganze läuft immer noch unter dem Aspekt der Freiwilligkeit. Das bedeutet, wir zwingen keinen Träger und auch keinen Freiwilligen, darauf einzugehen; aber wenn ein Träger und ältere Menschen zusammenkommen können, dann sollten wir genau das erleichtern. Wir finden, wir sollten auf die älteren Menschen zugehen und ihnen den Zugang erleichtern.
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Das ist übrigens der Unterschied zwischen Ihnen, die Sie immer alles lenken und vorher wissen wollen – ich staune seit einem Jahr immer wieder über die prophetischen Gaben, die in diesem Haus vorhanden sind –, und uns, die wir sagen: Wir bieten den Trägern und den Senioren die Möglichkeit, besser aufeinander zuzugehen. Wenn sie es denn tun, dann ist das gut, dann begrüßen wir das, und wenn sie nicht zueinander kommen, dann ist das auch okay. Deswegen plädieren wir: Lassen Sie uns dieses Thema gemeinsam angehen.
Bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf werden wir uns enthalten.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Aggelidis. – Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke: Katrin Werner.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viele kennen das: Junge Menschen sind mit der Schule fertig, wissen aber noch nicht, welche Ausbildung oder welches Studium sie beginnen wollen. Sie wollen sich engagieren. Sie wissen noch nicht, welchen Beruf sie sich wünschen. Sie brauchen erst einmal Orientierung. – 80 000 Menschen leisten jedes Jahr einen Freiwilligendienst, im Bundesfreiwilligendienst, im Freiwilligen Sozialen oder im Freiwilligen Ökologischen Jahr. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle Freiwilligen, aber auch an die Träger und Organisatoren für dieses ehrenamtliche Engagement, für diese großartige Leistung für die Gesellschaft.
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Seit Jahren sind Verbesserungen in ebendiesen Freiwilligendiensten notwendig. Heute diskutieren wir über den Entwurf eines Gesetzes, das es jungen Menschen ermöglichen soll, im Bundesfreiwilligendienst, im Freiwilligen Sozialen Jahr oder im Freiwilligen Ökologischen Jahr den Dienst auch in Teilzeit zu leisten. Das Engagement von Menschen mit Behinderung, von Müttern und Vätern, von Menschen, die ihre Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, wird damit erleichtert.
Die Erwartungen an diesen Gesetzentwurf waren groß; denn der Bildungs- und Orientierungscharakter der Freiwilligendienste muss ausgebaut werden. Frau Giffey, wir finden, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf leider nur einen kleinen Schritt gehen. Die großen Themen werden mit diesem Gesetzentwurf nicht angepackt.
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In der ersten Lesung habe ich schon darauf hingewiesen, dass der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement fraktionsübergreifend viele Vorschläge gemacht hat. Wir haben Ihnen ein Schreiben mit Empfehlungen zugeschickt, wie man diese Freiwilligendienste weiterentwickeln könnte. Leider haben Sie diesen fraktionsübergreifend vorhandenen Rückenwind nicht genutzt, um die Vorschläge in den Gesetzentwurf einzuarbeiten.
Vieles fehlt in Ihrem Gesetzentwurf. Nicht aufgenommen wurden die Vorschläge zur Verbesserung der Anerkennungskultur. Wir finden, dass wir einen Bundesfreiwilligenpass brauchen, der Vergünstigungen bei Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen ermöglicht. Warum haben Sie nicht die Initiative „Freie Fahrt für Freiwillige“ im öffentlichen Nahverkehr aufgegriffen? Was spricht überhaupt dagegen, diese Ideen aufzugreifen?
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Die Vorschläge zur Arbeitsmarktneutralität sind nicht aufgegriffen worden. Reguläre Arbeitsplätze dürfen nicht durch Freiwillige besetzt oder gar deren Schaffung verhindert werden. Es fehlen Vorschläge zur Verbesserung der pädagogischen Bildung. Immer noch arbeiten viele Kräfte bei den Trägern auf Honorarbasis. Dabei wollen wir doch den Bildungscharakter dieser Freiwilligendienste stärken. Es fehlen Vorschläge, wie Angehörige solcher Gruppen, die in den Freiwilligendiensten zurzeit unterrepräsentiert sind, besser beteiligt werden können, also Menschen aus bildungsfernen Schichten und Menschen mit Migrationshintergrund. Das müssen wir dringend ändern.
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An dieser Stelle kurz zum FDP-Antrag. Herr Aggelidis, Sie sprachen wieder von älteren Menschen. Im Ausschuss sagten Sie gestern, Sie wollten damit auch einen Beitrag dazu leisten, die Einsamkeit älterer Menschen zu reduzieren. Sie sprechen hier von Zwängen und sagen, man solle nicht lenken. Sie wissen aber schon, dass viele ältere Menschen sich schon jetzt im Bundesfreiwilligendienst engagieren, und Sie wissen auch, dass die Zahlen belegen – das sagen Sie selber –, dass sie das teilweise auch machen, um ihre Rente aufzubessern.
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– Ich habe gesagt, dass man das von diesen älteren Menschen weiß. – Damit ist doch schon ein Zwang da, dass ältere Menschen, deren Rente nicht zum Leben reicht, in diesen Job reingehen sollten. Es ist richtig, dass wir älteren Menschen Angebote unterbreiten müssen, sich mit ihrer Lebenserfahrung zu engagieren. Wir finden nur, dass es andere Mittel und Wege dafür gibt. Man braucht eine Rente, von der man leben kann.
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– Wollen Sie eine Nachfrage stellen?
Entschuldigen Sie, ich habe mich auf die Uhr konzentriert. – Herr Aggelidis, bitte.
Vielen Dank für Ihre Frage, ob ich eine Zwischenfrage stellen möchte, Frau Werner. – Sie sind nicht die Einzige, die auf dieses Thema eingegangen ist. Sie wissen aber schon: Wenn es uns darum ginge, dann würden wir jetzt nicht eine Flexibilisierung im Sinne einer Reduzierung der Stundenzahl beantragen; denn damit erzielt man keinen substanziellen finanziellen Ertrag. Es geht in dieser Konstellation eher um Anerkennung. Wenn es um Geld ginge, dann würden wir hier nicht über weniger Stunden reden, sondern über mehr Stunden, sofern das überhaupt geht. Diesen Zusammenhang kennen Sie schon, oder?
Das steht ja in Ihrem Antrag. Dieser Zusammenhang ist aus Ihrem Antrag herauszulesen. Ich glaube, gerade bei älteren Menschen ist dieses Engagement auch nur in Teilzeit möglich. Senioren, die Enkelkinder und andere Verpflichtungen haben, auch noch einen Vollzeitfreiwilligendienst aufzulasten, das wäre ja noch schräger.
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Trotz alledem kann ein Freiwilligendienst nicht zur Aufbesserung der Rente genutzt werden.
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Damit wird ein grauer Arbeitsmarkt geschaffen. Setzen Sie sich dafür ein, dass Rente armutsfest sein muss, dass man von Rente leben kann. Setzen Sie sich für eine Kultur der Anerkennung von Senioren ein. Stärken Sie Seniorenbeiräte und Seniorenbüros in den Kommunen. Setzen wir uns dafür ein! Natürlich müssen wir auch für eine bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sorgen, sodass man sich auch im ländlichen Raum mit dem öffentlichen Nahverkehr fortbewegen kann.
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Das sind doch effektive Maßnahmen, um Senioren stärker am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen und im Bereich des ehrenamtlichen Engagements einzubinden.
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Noch einmal ganz kurz zu dem Gesetzentwurf.
Aber wirklich kurz, bitte.
Ja. – Frau Giffey, Sie sprachen im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf von einem Konzept. Uns kommt das vor wie ein Beipackzettel. Wir brauchen aber konkrete Verbesserungen, wir brauchen keinen Beipackzettel zu einem Gesetz. Gehen Sie das an. Klären Sie die vorhandenen Mängel. Legen Sie einen weiteren Gesetzentwurf vor, mit dem die Fragen „Arbeitsmarktneutralität“ und „bessere Bildung“ geklärt werden. Lassen Sie uns gemeinsam noch viel bewegen!
Danke.
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Vielen Dank, Katrin Werner. – Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen: Dr. Anna Christmann.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte anschließen an Kollegin Stadler, die damit eingestiegen ist, dass wir hier heute den Entwurf eines kleinen, aber feinen Gesetzes vorliegen haben. Da stimme ich ihr zu; die Betonung liegt eindeutig auf „klein“, würde ich sagen.
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Wir gehen heute nur einen sehr kleinen Schritt zur Erhöhung der Attraktivität der Freiwilligendienste. Das ist positiv, weil man mehr Menschen erreicht – das will ich gerne zugeben –; aber um die Freiwilligendienste wirklich umfassend zu verbessern, wäre sehr viel mehr notwendig.
Die Teilzeitoption ist ein Mittel, um Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen zu erreichen, um Menschen, die sich um ihre Angehörigen kümmern, die Kinder zu betreuen haben, zu motivieren, einen Freiwilligendienst zu leisten. Das ist auch uns Grünen ein Anliegen. Auch wir wollen die Freiwilligendienste für eine größere Gruppe von Menschen attraktiver machen. Insofern können wir diesem kleinen, aber feinen Gesetzentwurf heute zustimmen.
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Unsere Kritik an einzelnen Regelungen habe ich letzte Woche schon vorgetragen: Diese starren Regelungen zur Proportionalität des Taschengeldes sind schade, weil sie den Trägern Flexibilität nehmen. Auch die sehr allgemeine Beschreibung der persönlichen Gründe, die für die Teilzeitoption notwendig sind, sehen wir skeptisch. Hier werden wir nach Inkrafttreten des Gesetzes sehr genau hinschauen, ob es tatsächlich den gewünschten Effekt hat, dass alle Menschen sich angesprochen fühlen; denn das muss das Ziel sein.
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Wir müssen aber so ehrlich sein, Frau Ministerin: Für das Ziel „attraktivere Freiwilligendienste“ braucht es sehr viel mehr als diese Teilzeitregelung. Auch wenn ich es sehr begrüße, dass wir jetzt zwei Wochen hintereinander zur besten Zeit im Plenum über Freiwilligendienste sprechen,
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kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nur ein sehr kleiner Fortschritt ist und wir hiermit nicht die kompletten Freiwilligendienste revolutionieren. Der große Wurf für den Jugendfreiwilligendienst, den Sie angekündigt haben, steht noch aus. Hier haben wir noch keinen Vorschlag gesehen.
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Ich möchte Sie heute noch einmal fragen: Wann kommt denn das Jugendfreiwilligenjahr? In den Eckpunkten zum Haushalt haben wir noch nichts dazu gesehen. Wir haben bisher keinen Fahrplan vorgelegt bekommen. Wann kommen die Vergünstigungen bei den Fahrtkosten für die Freiwilligen? Wann packen Sie eine Verbesserung der internationalen Freiwilligendienste an, die seit Jahren auf eine Erhöhung der Zuschüsse warten, um es noch leisten zu können, den Freiwilligen internationale Aufenthalte zu ermöglichen?
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All das ist ganz zentral für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und die Förderung von Engagement. Da erwarten wir sehr viel größere Schritte, als es jetzt mit diesem kleinen Teilzeitgesetz der Fall ist.
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Noch ein paar Sätze zum FDP-Antrag, zu dem ich mich letzte Woche noch nicht geäußert hatte. In der Begründung sind wir uns sehr einig, Kollege Aggelidis. Da schreiben Sie, das Engagement gerade der älteren Generation solle weiter gefördert werden, ältere Menschen sollten angesprochen, sollten zu vielfältigen Formen von Engagement motiviert werden. Das unterstützen wir ausdrücklich. Aber was die Idee angeht, dafür den Bundesfreiwilligendienst, der ja grundsätzlich schon auch für Seniorinnen und Senioren offen ist, sehr stark zu flexibilisieren und auch für kleinere Stundenumfänge zu öffnen: Wir glauben nicht, dass der Bundesfreiwilligendienst der richtige Rahmen ist. Deswegen können wir an der Stelle nicht zustimmen.
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Grundsätzlich ist für uns Grüne aber klar: Wir wollen Engagement von allen Menschen, ob alt oder jung, mit unterschiedlichsten Hintergründen. Dafür bleibt sehr viel zu tun; denn wir haben im Moment eine einseitige Form von Engagement. Oft ist es die gleiche Gruppe. Für unsere Demokratie ist es aber ganz entscheidend, dass wir verschiedene Menschen gewinnen, sich zu engagieren. Das stärkt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Gerade in Zeiten, in denen auch unsere Demokratie vor großen Herausforderungen steht, ist es ganz entscheidend, dieses Engagement wertzuschätzen und zu stärken. Da warten wir auf Ihren Entwurf, Frau Giffey.
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Wir haben Vorschläge dazu gemacht. Daran können Sie sich gerne orientieren.
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Vielen Dank, Anna Christmann. – Nächste Rednerin: Ulrike Bahr für die SPD-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste! Ich freue mich. Ich freue mich eigentlich immer, wenn wir hier an diesem Ort über das bürgerschaftliche Engagement der vielen Millionen Menschen reden, die sich jeden Tag für unser Gemeinwohl einsetzen. Dazu gehören natürlich auch die 80 000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die sich jedes Jahr für einen Freiwilligendienst entscheiden und damit die Welt für sich selbst, aber vor allem auch für uns alle ein Stück besser machen.
In meinen Gesprächen mit ehemaligen Freiwilligendienstlern fällt mir immer wieder auf, dass die Erfahrungen eines Freiwilligendienstes länger wirken als die Dauer des eigentlichen Programms. Mit Stolz und Enthusiasmus berichten mir Freiwillige noch Jahre später von ihren persönlichen Eindrücken oder gemeisterten Herausforderungen. Sie erzählen von prägenden Momenten und von Perspektivwechseln, die sie ohne den Freiwilligendienst nie erlebt hätten. Das sind Geschichten aus Pflegeheimen oder Kindergärten, aber auch abenteuerliche Dinge wie die Aufforstung von Wäldern, die erst mithilfe von Freiwilligen möglich wurde. Dieser Erfahrungsschatz ist für unsere Gesellschaft Gold wert; denn er lässt die Teilnehmenden stets über den Tellerrand hinausblicken, jenseits ihrer sozialen und kulturellen Herkunft.
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Die Freiwilligendienste sind per Definition ein Orientierungs- und Bildungsdienst, der das lebenslange Lernen fördert. Das hat auch ein Landrat aus dem Allgäu erkannt, der vor einiger Zeit Herrn Dr. Schäuble einen Brief geschrieben hat, der an den Familienausschuss zur Kenntnisnahme weitergeleitet wurde. Der Landrat hielt speziell das Freiwillige Soziale Jahr für seine Kommune für so unentbehrlich, dass er seinem Schreiben eine Resolution des Landkreises beilegte, in der Verbesserungsvorschläge für das FSJ festgehalten wurden. Ganz oben auf dieser Liste stand der Vorschlag – ich zitiere –:
Alle jungen Menschen, die sich im Rahmen eines FSJ engagieren möchten, sollten auch einen Platz erhalten.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heute hoffentlich beschließen werden, kommen wir dieser Forderung ein ganzes Stück näher.
So gut die Freiwilligendienste auch funktionieren, sie schließen bisher immer eine große Gruppe aus. Diejenigen, die unter 27 Jahre alt sind, müssen ihren Dienst bisher zwingend als Vollzeittätigkeit ausüben. Das aber entspricht nicht den Lebensrealitäten vieler junger Erwachsener. Einige haben selbst Kinder, um die sie sich kümmern, andere sind vielleicht chronisch krank. Es gibt auch erstaunlich viele junge pflegende Angehörige. Das alles sind gute Gründe, weshalb ein Vollzeitfreiwilligendienst nicht infrage kommt. Doch auch diese jungen Erwachsenen haben es verdient, in den Genuss der Erfahrung eines Freiwilligendienstes zu kommen. Auch die Träger, Einsatzstellen und nicht zuletzt die Engagierten selbst geben mir immer wieder mit auf den Weg, diese Ungleichbehandlung zu beseitigen.
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Die SPD-Fraktion hat bereits 2015 die Einführung einer Teilzeitmöglichkeit für unter 27-Jährige in den verschiedenen Freiwilligendienstformaten gefordert. Wir begrüßen daher, dass dieser Schritt jetzt endlich vollzogen und mit dem Gesetz ein ganz konkreter Baustein für das von Bundesministerin Giffey vorgeschlagene Jugendfreiwilligenjahr gelegt wird.
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Nun zu dem Antrag der FDP. Kollegin Stadler und viele andere sind schon darauf eingegangen, aber gestatten Sie mir noch ein paar Sätze dazu. Der Bundesfreiwilligendienst richtet sich in seiner Ausrichtung bereits jetzt auch an Seniorinnen und Senioren. Die Teilnehmerzahlen sind aber gering. Ich lese Ihren Antrag so, dass Sie meinen, dass der Bundesfreiwilligendienst für Seniorinnen und Senioren nicht attraktiv genug ist oder ihnen schlichtweg nicht bekannt. Um gegenzusteuern, wollen Sie unter anderem Mittel für eine Informationskampagne ausgeben oder die Stundenzahlen in den Einsatzstellen flexibilisieren. Dem können wir uns nicht anschließen. Meiner Kenntnis nach engagiert sich die ältere Generation bereits außerordentlich, nur eben nicht in den Strukturen des Bundesfreiwilligendienstes. Warum wollen Sie Geld in die Hand nehmen, um gerade den Bundesfreiwilligendienst für Seniorinnen und Senioren zu stärken, wo wir doch wissen, dass nicht einmal genügend Plätze für alle jüngeren Bewerberinnen und Bewerber zur Verfügung stehen? Diese stehen im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs. Ich denke, hier sollten wir zuerst ansetzen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Ulrike Bahr. – Die letzte Rednerin in dieser Debatte: Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion.
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Ihnen einen schönen guten Morgen, Frau Präsidentin, ebenso wie Ihnen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Gäste! Ohne sie läuft und funktioniert nicht viel: Sage und schreibe 30 Millionen Menschen leisten in unserem Land freiwillig eine ehrenamtliche Arbeit. Sie schauen nicht nur zu; sie packen an. Das ist jener berühmte gesellschaftliche Kitt, ein geradezu unbezahlbarer und vor allem unverzichtbarer Beitrag, der unser Land zusammenhält. Nur durch dieses Engagement konnte und kann unser Leben in unserem Land so gut gelingen.
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Unsere Ehrenamtlichen wollen sich engagieren. Sie wollen helfen, sie wollen mittun und sich einbringen, damit es bei uns etwas solidarischer und liebevoller zugeht. Sie stehen anderen Menschen zur Seite und sorgen für Verständnis und unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Damit schaffen sie ein Stück Heimat. Das ist in anderen Ländern nicht üblich und etwas ganz Besonderes in unserer Welt. Diese vielen Menschen, die hier ehrenamtlich arbeiten, tun das neben ihren täglichen Aufgaben. Sie opfern ihre Freizeit und investieren zusätzlich zum Teil auch eigenes Geld in ihre sinnvolle und sinnstiftende Tätigkeit. Dieser Einsatz verdient höchste Anerkennung und allen Respekt; das haben auch alle eben formuliert.
Eine besondere Art des Dienstes an unserer Gesellschaft sind die Freiwilligendienste. 1964 gab es dazu eine erste gesetzliche Regelung. Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Wegfall des Zivildienstes wurde das Angebot der Freiwilligendienste und des Bundesfreiwilligendienstes ausgebaut.
Für 2019 stellen wir 65 Millionen Euro mehr für die Freiwilligendienste zur Verfügung. Erstmals haben wir damit auch unterstützende Maßnahmen für Freiwillige mit Behinderung beschlossen. Damit können 5 000 neue Bundesfreiwilligendienstplätze geschaffen werden. Durch die finanzielle Verbesserung kann auch die pädagogische Begleitung ausgeweitet werden. Liebe Frau Christmann, wir haben also an anderer Stelle alle Freiwilligendienste bedacht. Auch die internationalen Freiwilligendienste haben für 2019 mehr Geld erhalten.
Jedes Jahr engagieren sich etwa 80 000 Menschen in den Freiwilligendiensten und auch im Bundesfreiwilligendienst. Die jungen Leute können wählen, ob sie ein Freiwilliges Soziales Jahr, ein Freiwilliges Ökologisches Jahr absolvieren oder beim internationalen Jugendfreiwilligendienst, also im Ausland, ihren Dienst leisten wollen. Im Ausland – zumal bei einem längeren Auslandsaufenthalt – erhalten sie Einblicke in die Vernetzung, Abhängigkeiten und Zusammenhänge unserer globalen Welt. Zugleich leisten sie einen großen Dienst für die Völkerverständigung, den kulturellen Austausch und damit für den Frieden oder den internationalen völkerverbindenden gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Freiwilligendienste sind als Bildungs- und Orientierungszeiten eine ganz besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements. Diese Dienste stärken das freiwillige Engagement und vermitteln wertvolle persönliche, soziale und internationale Kompetenzen und Erfahrungen.
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Unsere jungen Leute leisten im Freiwilligendienst viel für das Allgemeinwohl, bereichern aber auch ihre Persönlichkeitsbildung. In unserer Gesellschaft verdient und erfährt diese Form des Engagements eine hohe Wertschätzung. Das Taschengeld von bis zu 381 Euro monatlich dient der finanziellen Wertschätzung. Es wird neben Leistungen wie der Familienmitversicherung, Steuervorteilen, Kindergeld oder der Anerkennung bei der Rente gezahlt.
Um die gesellschaftlichen Veränderungen in den Freiwilligendiensten zu berücksichtigen und mehr Flexibilität in den Jugendfreiwilligendiensten und dem Bundesfreiwilligendienst voranzubringen, verändern und erweitern wir die Rahmenbedingungen. In der Vergangenheit konnte der Freiwilligendienst nur vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung geleistet werden. Wie beim Bundesfreiwilligendienst konnten Freiwillige unter 27 Jahren diesen Dienst nur analog einer Vollzeitbeschäftigung leisten. Die einzige Ausnahme galt dem Sonderprogramm des Bundesfreiwilligendienstes für Menschen mit Flüchtlingsbezug.
Da wir mit diesem auslaufenden Programm positive Erfahrungen gemacht haben, schaffen wir mit der Gesetzesänderung nun die Möglichkeit eines Teilzeitfreiwilligendienstes. Voraussetzung für dieses Angebot sind die Absprache und das Einverständnis der Einsatzstelle, des Trägers und des Freiwilligen. So können zum Beispiel Vater oder Mutter von zu betreuenden Kindern auch einen Teilzeitfreiwilligendienst leisten. Ebenso ist nun die Pflege von Angehörigen in Verbindung mit einem Teilzeitfreiwilligendienst eher möglich. Wir erleichtern mit dieser Gesetzesänderung auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen den Zugang zu dieser Form des bürgerschaftlichen Engagements.
Bei Betrachtung der Zahlen, wie viele Menschen freiwillig in unserem Land einen solchen Dienst für unsere Gesellschaft leisten, können wir wirklich stolz auf unsere jüngeren Leute sein.
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Ich danke allen ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern, ob jung oder alt, dass sie unser Land lebenswerter und liebenswerter machen. Danke für Ihre Zeit, Ihre Ideen, für Ihr Anpacken, Ihr Tun – und danke für Ihr Vorbild!
Dem FDP-Antrag erteilen wir eine Absage,
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da die Freiwilligendienste einen Bildungs- und Orientierungsansatz haben. Es ist schade, dass sich die FDP bei der Flexibilisierung der Freiwilligendienste enthält.
Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen herzlichen Dank, Sylvia Pantel. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Teilzeitmöglichkeit in den Jugendfreiwilligendiensten sowie im Bundesfreiwilligendienst für Personen vor Vollendung des 27. Lebensjahres. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 19/8611 und 19/8643, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/7839 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, AfD und Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die Fraktion der FDP und Die Linke.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Aha, ein Kollege von der CSU.
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Zwei Kollegen stimmen dagegen. Das gibt Ärger bei Ihnen zu Hause. Ich weiß, wo Sie herkommen.
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Wer enthält sich? –
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Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD, AfD, Bündnis 90/Die Grünen. Enthalten haben sich die Fraktion Die Linke und die FDP. Und ein Kollege war noch nicht so ganz im Bilde, was er tun soll.
Tagesordnungspunkt 21 b. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf den Drucksachen 19/8611 und 19/8643 empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Ablehnung des Antrags der FDP auf Drucksache 19/8225 mit dem Titel „Den Bundesfreiwilligendienst für Seniorinnen und Senioren attraktiver machen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, AfD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken. Dagegen gestimmt hat die Fraktion der FDP.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wollen in Deutschland so gerne Innovationsmotor sein, doch in einigen Bereichen tuckert und tuckert der Motor so vor sich hin. Ganz besonders tuckert und tuckert er bei der praktikablen Zulassung von elektrischer Mikromobilität. Für all die, die nicht wissen, worum es hier geht: Es geht um die Zulassung von E-Scootern und Hoverboards.
Bereits der Vorgänger unseres „Ankündigungsministers“ Scheuer hatte uns versprochen, dass bald eine solche Regelung kommen werde und wir die E-Scooter und Hoverboards auf die Straße bekämen.
({0})
Aber da kam nichts. Dann kam ein Vorschlag, der wieder einkassiert wurde, weil er zu unpraktikabel war. Und dann kam ein neuer Vorschlag, der unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität ebenfalls nur abzulehnen ist.
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Denn was ist hier überhaupt nicht enthalten? Enthalten sind schon wieder nicht die Hoverboards, enthalten sind schon wieder nicht die E-Scooter. Dafür soll es eine neue Zusatzverordnung geben. Wir haben dann also eine Zusatzverordnung zur Zusatzverordnung. Das, meine Damen und Herren, ist kein Beitrag zur Entbürokratisierung hier oder in Europa.
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Frei nach dem Film „Highlander“ – ich hoffe, Sie kennen ihn alle – fordern wir: Es kann nur eine Verordnung geben. Deswegen haben wir hier einen eigenen Vorschlag vorgelegt.
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Wenn wir nach Europa gucken – ich habe gerade davon gesprochen –, dann sehen wir in allen Hauptstädten um uns herum die E-Scooter und die Hoverboards auf den Straßen. In Amsterdam, in Wien, in Paris, überall sind sie schon da. Nur hier in Deutschland schaffen wir dafür keine Zulassung.
Was ist ganz konkret falsch an der Verordnung, die jetzt vorgelegt worden ist? Ganz konkret falsch ist zum Beispiel die Kategorisierung als Kraftfahrzeug; denn das bedeutet eine Altersbegrenzung und eben auch eine Versicherungspflicht. Ganz konkret bedeutet das für junge Menschen, für Menschen unter 23 Jahren, 90 Euro im Jahr für eine Versicherung. Das ist für einen Schüler, für einen Auszubildenden verdammt viel Geld.
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Junge Menschen sind für das Ministerium sowieso erst Menschen ab 14 Jahren; denn erst dann dürfen sie E-Scooter fahren. Fahrräder, die ein Vielfaches dieser Geschwindigkeit erreichen und mit menschlicher Antriebskraft betrieben werden, dürfen von Kindesbeinen an gefahren werden. Ich frage mich tatsächlich: Wann beginnt endlich ein Umdenken im Ministerium? Wann kommt das veränderte Straßenbild in den Köpfen der Menschen im Ministerium an?
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Wir reden in diesem Hohen Hause und überall, etwa in den Medien, ganz oft davon, dass wir den ÖPNV attraktiver machen wollen, dass wir wollen, dass mehr Menschen Bus und Bahn benutzen. Das schaffen wir aber nur, wenn wir es den Menschen erleichtern, zur Bahn und zum Bus zu kommen. Das ist die letzte Meile. Dafür eignen sich diese Elektrokleinstfahrzeuge ganz hervorragend. Deswegen müssen sie dringend auf die Straße.
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Was gar nicht rollen wird, sind Innovationen; denn die Verordnung, die hier vorgelegt worden ist, umfasst eben nicht, was in der Zukunft kommen wird. Sie ist so eng gefasst, dass beispielsweise E-Kinderwagen – das wird bald das Neueste sein – davon gar nicht umfasst werden. Da sie von dieser Verordnung nicht erfasst werden, brauchen wir wieder eine Zusatzverordnung. Das wäre dann die dritte.
Was wollen wir als FDP-Fraktion? Was fordern wir in unserem Antrag? Wir wollen diese Kleinstfahrzeuge in das bestehende System der Straßenverkehrs-Ordnung eingliedern. Wir wollen drei Nutzergruppen; das ist praxisnah. Wir wollen runter mit den Kosten, runter mit der Bürokratie, damit diese Elektrokleinstfahrzeuge endlich auf die Straße kommen. Dafür bitten wir um Unterstützung.
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Vielen Dank, Daniela Kluckert. – Jetzt hat das Wort für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Bilger.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin mir sicher: Die heutige Debatte wird von vielen Menschen besonders interessiert verfolgt,
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von denen, die bereits Elektrokleinstfahrzeuge nutzen und es kaum erwarten können, dass wir dafür endlich den rechtlichen Rahmen schaffen,
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von Start-ups und anderen Unternehmen, die zukunftsweisende Ideen für die Mobilität der Zukunft mit Elektrokleinstfahrzeugen entwickelt haben, ob als Hersteller oder als Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen oder beidem zusammen, von vielen Menschen, die gespannt darauf sind, wie diese Fahrzeuge unsere Mobilität und das Stadtbild verändern werden, von vielen Menschen, die diese Fahrzeuge nutzen möchten, um den Weg zur Arbeit oder zur nächsten S-Bahn-Station zurückzulegen und dabei auch noch staufrei durch die Stadt zu kommen, aber auch von Menschen, die den Elektrokleinstfahrzeugen skeptisch gegenüberstehen oder Nachteile beispielsweise für den Rad- oder Fußverkehr befürchten.
Unsere Aufgabe im Bundesverkehrsministerium war es, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der Chancen Realität werden lässt, dabei aber auch Risiken berücksichtigt. Ich will klar sagen – dabei spreche ich auch für Minister Scheuer –: Für uns steht das Ermöglichen, das Nutzen der Chancen im Vordergrund.
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Chancen gibt es bei der Mobilität der Zukunft viele. Diese sollten wir zum Wohle der Menschen nutzen. Das muss der Anspruch moderner Verkehrspolitik sein, meine Damen und Herren.
Ich will nicht verhehlen – ich war auch in der letzten Legislatur für dieses Thema im Verkehrsausschuss zuständig –: Das Ganze hätte auch etwas schneller gehen können. Aber wir mussten die Chancen und Risiken intensiv abwägen und uns mit dem Gutachten der Bundesanstalt für Straßenwesen auseinandersetzen. Nach all diesen Prozessen haben wir nun einen meines Erachtens ausgewogenen Verordnungsentwurf vorliegen. Weder die Komplettliberalisierung noch das Komplettverbot – beides gibt es in anderen Ländern, meine Damen und Herren – war für uns die Lösung. Wir haben uns nach diesem intensiven Prozess der Diskussion und Abwägung für einen guten Vorschlag, also für diese Verordnung, entscheiden können.
Viele haben sich an der Debatte beteiligt, viele waren auch ungeduldig. Vor und während der Erarbeitung der Verordnung gab es von verschiedensten Stellen, von Verwaltung, Industrie, Start-ups, Interessenvertretungen im politischen Raum, zahlreiche Vorschläge und Anregungen. Unser Ministerium hat diese Vorschläge in Betracht gezogen, darüber mit den Verkehrspolitikern des Deutschen Bundestages diskutiert und im Sinne der Verkehrssicherheit und der innovativen Mobilität den Verordnungsentwurf erarbeitet.
Für uns als Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sind die Elektrokleinstfahrzeuge ein ganz wichtiger Bestandteil der Mobilität der Zukunft. Ich weiß, dass ich da mit vielen von Ihnen einer Meinung bin. Durch die Vielzahl an Neuentwicklungen im Bereich elektrifizierter Kleinstfahrzeuge hat sich in den letzten Jahren ein bedeutendes Innovationspotenzial in diesem Bereich gezeigt. Eine Besonderheit dieser Elektrokleinstfahrzeuge liegt in ihren kleinen Abmaßen und dem geringen Gewicht. Diese Fahrzeuge eignen sich daher ganz hervorragend für die sogenannte Letzte-Meile-Mobilität, für kurze Strecken als Ergänzung der ÖPNV-Nutzung im Berufs- und Freizeitverkehr, und sicherlich auch dafür, das Auto einmal stehen zu lassen. Diese Fahrzeuge sind batteriebetrieben und damit emissionsfrei. Elektrokleinstfahrzeuge sind ein wichtiger Bestandteil des Wandels zu einer umweltbewussten und fortschrittlichen Mobilitätskultur in unseren Städten, modern und nachhaltig. Mit unserer Verordnung wird die Teilnahme dieser innovativen Fahrzeuge am öffentlichen Straßenverkehr ermöglicht.
Wo stehen wir nun im Verfahren? Wann kann es endgültig losgehen? Am 26. Februar dieses Jahres wurde der Verordnungsentwurf an die Europäische Kommission zur Notifizierung übermittelt. Ein Inkrafttreten der Verordnung ist noch für das Frühjahr 2019 geplant. Also bereits in diesem Sommer werden E-Tretroller und andere Kleinstfahrzeuge mehr und mehr unterwegs sein.
Der aktuelle Verordnungsentwurf adressiert Fahrzeuge mit Lenk- und Haltestange. Für Fahrzeuge ohne Lenk- und Haltestange, wie beispielsweise Hoverboards, wird im BMVI mit Hochdruck an einer Ausnahmeverordnung zur Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung gearbeitet.
Das Mindestalter für die Nutzer beträgt 12 Jahre, Frau Kollegin Kluckert. Diese Personen dürfen Elektrokleinstfahrzeuge mit Schrittgeschwindigkeit bis 12 Kilometer pro Stunde auf den Gehwegen nutzen. Ab einem Mindestalter von 14 Jahren können auch Fahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 12 bis 20 Kilometer pro Stunde auf dem Radweg gefahren werden.
Ganz wichtig: Die Einführung der Elektrokleinstfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Was heißt hier Evaluierung für uns? Wir werden uns mit den Folgen dieser neuen Mobilitätsform genau beschäftigen. Sollten wir feststellen, dass wir zu restriktiv waren, dann können wir weiter liberalisieren. Sollten wir feststellen, dass Risiken unterschätzt wurden, dann bedeutet das natürlich, dass wir daraus Konsequenzen ziehen müssen.
Noch einmal kurz zusammengefasst die Vorzüge des aktuellen Vorschlags: Wir haben die Verkehrssicherheit berücksichtigt. Es besteht keine Zulassungspflicht. Die Versicherungspflicht aber sichert Risiken ab. Die Verordnung schafft positive Marktbedingungen, beispielsweise durch den Verzicht auf eine Führerscheinpflicht. Dadurch können Sharing-Konzepte von diesen Möglichkeiten besonders profitieren. Und wir sind im Kontakt mit den Bundesländern, dass die Elektrokleinstfahrzeuge im ÖPNV kostenlos mitgenommen werden können.
Meine Damen und Herren, der Bundesregierung ist es ein großes Anliegen, diese innovativen Fahrzeuge möglichst schnell und verkehrssicher auf die Straßen zu bringen; denn damit werden neue Möglichkeiten für die individuelle Mobilität geschaffen. Es ist gut, dass wir mit unserer Verordnung den Einsatz von Elektrokleinstfahrzeugen ermöglichen. Nutzen wir diese Chance!
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Vielen Dank, Steffen Bilger. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Dr. Dirk Spaniel.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es geht hier um einen Antrag zum Thema Elektrokleinstmobilität. Der Antrag lautet „E-Scooter und Hoverboards jetzt bürgerfreundlich zulassen – Flexible Mobilität schnell und innovativ ermöglichen“. Das hört sich ja alles ganz modern an. Die FDP will hier sicherlich den überwiegend jugendlichen Nutzern entgegenkommen. Interessant ist, dass in dem FDP-Antrag der Fußgänger gar nicht vorkommt. Gerade hier sind die schwächsten Verkehrsteilnehmer, nämlich Kinder und alte Menschen, zu finden.
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Dass wir hier und heute überhaupt über dieses Thema diskutieren, ist die Folge der politisch gewollten sogenannten Verkehrswende.
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Das wirkliche Ziel dieser Verkehrswende bei allen etablierten Parteien ist, die individuelle Mobilität mit dem eigenen Automobil einzugrenzen.
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Bekanntlich wird alles unternommen, um das Autofahren teurer, unattraktiver oder gar unmöglich zu machen.
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Die bekannte Methodik der Dieselfahrverbote kennen wir zur Genüge. Würden Sie alle, von Linken bis FDP, das Leben für Pendler, Bewohner von Städten und das Autofahren nicht immer mehr sabotieren, zum Beispiel durch den Entfall von Parkplätzen und den Entfall von Fahrspuren,
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dann müssten wir heute über Elektroroller und Hoverboards auf Gehwegen überhaupt nicht diskutieren.
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Ich empfehle allen Beteiligten, die Untersuchung zu Elektrokleinstfahrzeugen, den Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen F 125, mal genauer zu lesen.
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Unter anderem fordern Sie in Ihrem Antrag, dass Elektrokleinstfahrzeuge, die schneller als 6 Kilometer pro Stunde sind, auch auf dem Gehweg fahren dürfen. Die BASt ist strikt dagegen.
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Weiterhin soll von einer Altersbegrenzung für zwei von drei Fahrzeugklassen, die Sie beschreiben, abgesehen werden.
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Auch hier ist die Bundesanstalt für Straßenwesen strikt dagegen. Sie empfiehlt ein Mindestalter von 15 bzw. 16 Jahren. Laut Ihrem Antrag soll auch Personenbeförderung und – man höre und staune – Anhängerbetrieb vorgesehen werden. Das lehnen die Experten der BASt ebenfalls ab.
Ich will Ihnen hier jetzt mal ein plakatives Beispiel nennen.
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Wenn dieser Antrag der FDP angenommen wird, dürfen Kinder unter acht Jahren mit einem E-Scooter auf dem Gehweg fahren.
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Ich habe mir den Bericht der Bundesanstalt mal durchgelesen.
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– Hören Sie zu, dann lernen Sie jetzt was. – Als Naturwissenschaftler habe ich mit den vorgegebenen Daten der BASt den Bremsweg eines E-Scooters ausgerechnet. Der Bremsweg liegt bei 8 Metern. Sie denken, das ist nicht viel? Das ist ungefähr vergleichbar mit dem Bremsweg eines Autos mit einer Geschwindigkeit von knapp 50 Kilometern pro Stunde – und das auf dem Gehweg. Sie müssen nicht alles verstehen, aber Sie sollten vielleicht vorher mal mit Experten reden.
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Was Sie hier machen, ist hanebüchener Unsinn.
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Hier geht noch mal kräftige Kritik an die Regierung. Herr Bilger, hören Sie bitte zu!
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Sie haben bei der Diskussion im Ausschuss unsere Sicherheitsbedenken weggewischt. Sinngemäß haben Sie gesagt: Wir fühlen uns nicht an die Empfehlung der Experten der Bundesanstalt für Straßenwesen gebunden; das ist eine politische Entscheidung.
({15})
– Doch, das haben Sie gesagt. – Das ist genau das Problem dieser Regierung und einiger Politiker hier:
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Selbstüberschätzung und fehlende rationale Diskussionsgrundlagen. Jawohl!
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Ich finde es angesichts steigender Unfallzahlen im Straßenverkehr,
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die vor allen Dingen aus dem zunehmenden Radverkehr resultieren, unglaublich zynisch, dass Sie ein wesentlich unsichereres Verkehrsmittel ohne jede ausreichende Erprobung im Straßenverkehr zulassen wollen.
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– Sie haben leider keine Ahnung.
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Mit diesem Placebo-Antrag zum Ersatz des Autos betreiben Sie unverantwortliche Klientelpolitik für Hersteller und Verleiher von E-Scootern.
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Die von Ihnen hier propagierte Mobilität steht auf kleinen, wackligen Rädern. Wir wollen eine sichere, funktionierende Mobilität für die Bürger dieses Landes.
({22})
Dieser Antrag ist kein Fortschritt. Was Sie machen, ist für Fußgänger und alle anderen Verkehrsteilnehmer einfach nur gefährlich. Deshalb sind wir dagegen.
Vielen Dank.
({23})
Vielen Dank, Dirk Spaniel. – Nächster Redner: Arno Klare für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt nach dieser Rede schwer, wieder zum Antrag zurückzukommen.
({0})
Ich will es aber gleichwohl versuchen.
Frau Kluckert, Sie haben davon gesprochen, dass Sie als FDP – es ist in der Tat so – einen eigenen Antrag vorgelegt haben. Allerdings ist er hinsichtlich der Kategorien, die Sie wählen, deckungsgleich mit dem, was Electric Empire geschrieben hat.
({1})
Das ist der Verband der Elektrokleinstfahrzeuge. Sie haben in einer Kategorie eine Änderung vorgenommen. Während Sie diese als „sportlich“ klassifizieren, spricht Electric Empire von „Experten“. Das ist übrigens der treffendere Begriff; denn draußen auf den öffentlichen Straßen wird kein Sport getrieben, sondern da herrscht Verkehr. Sport mache ich nicht auf der Straße, sondern woanders.
({2})
Kommen wir zum Thema zurück. Elektrokleinstfahrzeuge sind Kraftfahrtzeuge.
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Ergo gilt die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Und in dieser Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sind einige Aspekte aufgelistet, die man beachten muss, wenn es sich um Kraftfahrzeuge handelt. Man muss zum Beispiel für bestimmte Verkehrsbereiche Höchstgeschwindigkeiten definieren; das wird getan. Man muss die Motorleistung definieren; das wird getan. Man muss über Abmessungen, über Licht- und Warnanlagen, über Bremseinrichtungen etc. reden. All das wird durch die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vorgegeben und ist zwingend anzuwenden, weil es sich um Kraft fahrzeuge handelt. Übrigens gibt es in der Schweiz so etwas Ähnliches; da werden diese Fahrzeuge Motorfahrzeuge genannt. Ich finde den Begriff sehr viel treffender, weil man sich mit Motor und ohne Muskelkraft fortbewegen kann.
Sie erheben einen Vorwurf, der sich in den Fragen widerspiegelt: Ist das zu restriktiv? Wird da ein Markt abgeriegelt? Deckeln wir etwas künstlich? Nein, das tun wir nicht.
({4})
Denn es geht um zwei gleichgewichtige und gleichwertige Rechtsgüter, die wir hier abzuwägen haben; Steffen Bilger hat gerade darauf hingewiesen. Es geht um das Recht auf Mobilität und sich fortzubewegen, wie man möchte. Es geht aber auch um das sehr hohe Gut der Verkehrssicherheit und darum, Schaden von Menschen abzuwenden. Dieses Gut leitet sich schlussendlich aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes ab. Das ist kein Rechtsgut, das weit unten angesiedelt wäre. Wenn man diese beiden Rechtsgüter gegeneinander abwägt, stellt man fest, dass die jetzt vorgelegte Verordnung äußerst ausgewogen, pragmatisch und der Situation angemessen ist.
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Sie ist deshalb angemessen, weil wir Verkehrsräume mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten berücksichtigen müssen, weil die Fahrerlaubnisse – in Anführungsstrichen – klar geregelt sind, indem sie an das Alter und damit an die Kompetenz der Verkehrsteilnehmenden gekoppelt sind.
Außerdem muss es eine Versicherungspflicht geben.
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Das ist zwingend notwendig. Ich kann das nicht versicherungsfrei gestalten.
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In § 1 des Pflichtversicherungsgesetzes steht, dass alle Kraftfahrzeuge, Bezug nehmend auf die Definition in der einschlägigen Gesetzgebung, eine Versicherung haben müssen. Ich komme auf den Anfang meiner Rede zurück: Da Elektrokleinstfahrzeuge Kraftfahrzeuge sind, benötigen sie zwingend eine Pflichtversicherung.
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Genau das fehlt in Ihrem Antrag. Sie wollen alles – wenn ich das so sagen darf – laissez faire gestalten nach dem Motto: Mal gucken, ob es draußen irgendwie funktioniert, und dann schauen wir mal. – So kann man Verkehr im öffentlichen Raum rechtlich nicht organisieren.
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Weil das alles in Ihrem Antrag fehlt, kann man ihn nur ablehnen.
Ich danke Ihnen. Ich schenke Ihnen übrigens eine Minute Ihrer kostbaren Zeit.
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Vielen Dank, Arno Klare. – Jetzt haben Sie den Applaus sicher. Vielen herzlichen Dank.
Nächster Redner: Andreas Wagner für die Fraktion Die Linke.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Obwohl Städte auf den Autoverkehr zugeschnitten sind, nehmen die Staus zu und damit auch der Ärger derjenigen, die im Stau stehen, sowie der Anwohnerinnen und Anwohner, die den Autoabgasen und dem Lärm ausgesetzt sind. Radfahrende drängeln sich häufig auf viel zu schmalen und oft zugeparkten Radwegen oder sind auf der Straße mit Lkws und Autos auf gefährlicher Tuchfühlung. Fußwege sind häufig zu eng, und auf ihnen werden mangels Parkraums oft Autos verkehrswidrig abgestellt, die dann ausgerechnet die schwächsten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer behindern und gefährden. Dann muss der Vater mit dem Kinderwagen oder die Seniorin mit dem Rollator schon mal auf die Straße ausweichen, weil der Gehweg blockiert ist.
Wenn es nach der Bundesregierung und der FDP geht, sollen Rad- und Fußwege nun zusätzlich Elektrokleinstfahrzeuge wie E-Scooter und Hoverboards aufnehmen. Für den Fuß- und Radverkehr, bald auch für die Elektroroller ist aber schlicht zu wenig Fläche vorhanden. Das darf so nicht bleiben.
({0})
Es ist notwendig, die Verkehrsflächen in den Städten neu aufzuteilen mit dem Ziel, den Autoverkehr zu reduzieren. Wir brauchen mehr Platz für den Rad- und Fußverkehr, und jetzt auch für Elektrokleinstfahrzeuge.
({1})
Dafür muss die Bundesregierung sorgen, dafür müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Das ist längst überfällig.
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Die Fraktion Die Linke sieht in Elektrokleinstfahrzeugen Verkehrsmittel, die zu einer Reduzierung des Autoverkehrs in den Städten und somit zu mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität beitragen können. Eine Nutzung der Gehwege durch Elektrokleinstfahrzeuge lehnen wir jedoch aus Gründen der Verkehrssicherheit ab.
({3})
Ausnahmen hiervon sind aus meiner Sicht nur für Kinder denkbar, wenn sie mit ihrem Hoverboard mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs sind. Wer auf Gehwegen unterwegs ist, muss sich frei und geschützt bewegen können, ohne Gefahr zu laufen, dass es zu einem Zusammenstoß mit einem sich fast geräuschlos nähernden Elektroroller kommt. Fußwege gehören den Fußgängerinnen und Fußgängern und müssen ihnen vorbehalten bleiben.
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Wir brauchen deshalb eine Neuaufteilung von Verkehrsflächen, auch um Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern und Nutzern von Elektrokleinstfahrzeugen zu vermeiden und die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Das muss jetzt endlich angegangen werden.
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Die Bundesregierung tut aber kaum etwas, um den Städten und Gemeinden eine gerechtere Flächenverteilung zu ermöglichen. Warum im Straßenverkehrsrecht eine Parkraumbewirtschaftung nur aus verkehrlichen Gründen, zum Beispiel wegen hohem Parkdruck, möglich ist, verstehe, wer will. Es muss möglich sein, Parkraum zukünftig aus Gründen der Verkehrsplanung, der Steigerung der Aufenthaltsqualität und des Klima- und Umweltschutzes zu bewirtschaften und umzuwidmen, auch zugunsten von mehr Verkehrsflächen für Elektrokleinstfahrzeuge.
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Dafür muss die Bundesregierung die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Es wird höchste Zeit!
Es gibt Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen Elektroroller im öffentlichen Verkehrsraum bereits fahren dürfen. Sie zeigen hohe Verletztenzahlen und zunehmende Konflikte zwischen Fahrern von Elektrorollern und zu Fuß Gehenden. Dennoch hat es die Bundesregierung nicht für nötig erachtet, diese Erkenntnisse zurate zu ziehen und in der Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge zu berücksichtigen.
({7})
Zusätzlich halten wir eine Untersuchung des Verhaltens der Nutzerinnen und Nutzer von Elektrokleinstfahrzeugen für sinnvoll. So lässt sich herausfinden, ob Elektroroller privaten Autoverkehr ersetzen oder ob Menschen, die vorher diese Wege mit dem Rad gefahren sind, auf einen Elektroroller umsteigen. Letzterer Fall wäre aus dem Blickwinkel des Umwelt- und Klimaschutzes und der Gesundheit kein wirklicher Gewinn.
({8})
Wenn Elektrokleinstfahrzeuge private Autofahrten ersetzen, können sie jedoch sehr wohl Teil der Verkehrswende sein.
Zum Antrag der FDP. Sie schlagen im Gegensatz zum Entwurf der Bundesregierung in Ihrem Antrag drei geschwindigkeitsdefinierte Klassen von Elektrokleinstfahrzeugen vor: 12 Stundenkilometer, 25 Stundenkilometer, 45 Stundenkilometer. Die ersten beiden Klassen sind versicherungsfrei. Für sie sind kein Mindestalter, keine Fahrerlaubnispflicht und keine Helmpflicht vorgesehen. Für die Klasse der Elektrokleinstfahrzeuge bis zu 45 Stundenkilometer wird all dies vorausgesetzt. Ob diese Einteilung und die damit verbundenen Regeln sinnvoll sind, ist fraglich. Hier sollte die geplante öffentliche Anhörung im Verkehrsausschuss abgewartet werden. Das grundlegende Problem der begrenzten Aufnahme von Elektrokleinstfahrzeugen auf Rad- und Fußwegen findet im Antrag der FDP keine Erwähnung. Wie soll verhindert werden, dass Verleihfirmen mit ihren Elektrorollern die Fußwege zuparken? Wie sieht es mit der Verkehrssicherheit der Fußgängerinnen und Fußgänger aus? Auch auf diese Fragen finden sich im Antrag der FDP leider keinerlei Antworten.
Elektroroller sind eine hervorragende Möglichkeit, das Auto auf der letzten Meile zwischen Bushaltestelle und Haustür zu ersetzen. Aber – und das ist das große Problem – die autogerechte Stadt von heute passt mit den neuen Mobilitätsformen nicht zusammen.
({9})
Wenn die Bundesregierung die Mobilität mit Elektrokleinstfahrzeugen vorantreiben will, muss sie die Radinfrastruktur stärker fördern.
({10})
Sollen doch auf den Radschnellwegen die schnelleren E-Bikes und Elektrokleinstfahrzeuge der Berufspendler fahren! Derzeit stellt die Bundesregierung 25 Millionen Euro pro Jahr für Radschnellwege zur Verfügung. Mit diesem Betrag lässt sich gerade mal ein Radschnellweg von 10 bis 15 Kilometer bauen. Die finanziellen Mittel müssen also deutlich aufgestockt werden.
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Solange die Bundesregierung sowie die FDP nicht umdenken und eine Verkehrswende wie der Teufel das Weihwasser scheuen, werden Elektrokleinstfahrzeuge ihr Potenzial nicht entfalten können. Wir wollen den Verkehr anders organisieren, sodass er attraktiv, bezahlbar für alle und klimafreundlich ist. Wir brauchen die Verkehrswende jetzt!
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Andreas Wagner. – Nächster Redner in der Debatte: Matthias Gastel für Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir als Grüne sind seit dem Jahr 2015 intensiv an diesem Thema dran und setzen uns für die Freigabe der Elektrokleinstfahrzeuge ein. Andere Länder, auch in Europa, sind uns da um Jahre voraus. In Deutschland wird sehr spät, sehr zögerlich, sehr kompliziert und vielfach leider auch zulasten des Fuß- und Radverkehrs reagiert.
({0})
Diese Zögerlichkeit führt dazu, dass viele Start-ups mit ihren Ideen, die hinter diesen Mobilitätskonzepten stecken, lange warten mussten, bis endlich die Freigabe für diese Fahrzeuge erteilt wurde und sie endlich ihre Produkte auf den Markt bringen können. Aber wir haben schon einen unregulierten Markt, und das ist natürlich ein Problem.
Die Kleinstfahrzeuge bieten eine ganze Menge Chancen. Die Hälfte aller Autofahrten findet im Kurzstreckenbereich statt. Und wer, aus welchen Gründen auch immer, Kurzstrecken nicht mit dem Fahrrad oder zu Fuß zurücklegen möchte, bekommt mit den Elektrokleinstfahrzeugen eine dritte Alternative zu Autofahrten auf kurzen Strecken zur Verfügung gestellt.
({1})
Elektrokleinstfahrzeuge können auch Schwung in Sharingkonzepte bringen und eine Empfehlung für E-Mobilität insgesamt und damit auch für den Abschied vom Verbrennerauto darstellen. Diese Chancen müssen aber klug genutzt werden. Und klug nutzen bedeutet, Entwicklung zuzulassen und gleichzeitig auf die Verkehrssicherheit besonders achtzugeben.
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Dann können die Chancen genutzt werden, beispielsweise in Ergänzung zu öffentlichen Verkehrsmitteln, durch die Mitnahme dieser Fahrzeuge in Bus und Bahn, was aufgrund des Gewichts und der Größe dieser Fahrzeuge viel einfacher möglich ist als beim Fahrrad.
Wir erkennen durchaus an, dass die Bundesregierung gegenüber ihren ersten Entwürfen einer Verordnung nachgebessert hat. So gibt es beispielsweise keine Vorgabe mehr für den Mofaführerschein. Es gibt die Möglichkeit, auch Fahrzeuge ohne Lenk- und Haltestange zuzulassen. Das ist auch richtig. Zufrieden sind wir mit dieser Verordnung der Bundesregierung trotzdem nicht;
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sie bleibt kompliziert. Es bleibt beim deutschen Sonderweg, sodass Fahrzeuge extra für den deutschen Markt entwickelt und produziert werden müssen.
Wir als Grüne hätten uns auch vorstellen können, die Personenmitnahme und das Mitführen eines Anhängers zuzulassen; das haben Sie leider in Ihrer Verordnung nicht berücksichtigt. Mit Ihrer Verordnung bleibt auch vieles im Unklaren: Die Mitnahme von Elektrokleinstfahrzeugen in öffentlichen Verkehrsmitteln ist beispielsweise noch nicht geregelt, genauso wenig wie die Frage, ob die Kleinstfahrzeuge auch auf Feld- und Waldwegen genutzt werden dürfen. Wir hätten damit kein Problem; aber dazu gibt es von Ihnen noch keine Aussage. Das bedeutet: Obwohl jetzt ein Verordnungsentwurf vorliegt, macht die Bundesregierung am Ende nichts anderes, als sowohl die Hersteller als auch die Nutzer zu verunsichern. Und das ist natürlich kein gutes Zeichen für eine solche Verordnung.
({4})
Unser Hauptkritikpunkt zu dieser Verordnung ist, dass ein Gutteil dieser Fahrzeuge auch auf Gehwegen fahren soll. Wir haben eine jahrzehntelange Fehlentwicklung bei der Aufteilung von Verkehrsräumen. In der Regel wird zunächst einmal die Fahrbahn für Autos und Lkws geplant – sie ist mindestens 6,50 Meter breit –, und dann wird geschaut, wie viel Platz übrig ist. Den bekommen dann diejenigen, die zu Fuß unterwegs sind, teilweise auch diejenigen, die mit dem Rad unterwegs sind. Geh- und Radwege sind häufig zugeparkt, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Bußgelder so gering sind und das Zuparken von Wegen als Kavaliersdelikt gesehen wird.
({5})
Diesen begrenzten Verkehrsraum für den Fuß- und Radverkehr wollen Sie, sowohl die Bundesregierung als auch in noch größerem Umfang die FDP mit ihrem Antrag, jetzt noch für die Elektrokleinstfahrzeuge freigeben. Aber Geh- und Radwege sind keine freie Verfügungsmasse für alle neuen Mobilitätsangebote.
({6})
Am Beispiel der Elektrokleinstfahrzeuge zeigt sich die gesamte Feigheit der Verkehrspolitik bei uns in Deutschland.
({7})
Erst wurde die Verordnung lange verschleppt, dann wurde sie unter massivem öffentlichem Druck endlich vorgelegt, und jetzt werden die Elektrokleinstfahrzeuge bei den schwächsten Verkehrsteilnehmern abgeladen. Damit sind Konflikte vorprogrammiert.
({8})
Und wo es Konflikte gibt, wird die Akzeptanz für diese Fahrzeuge eben nicht da sein; aber genau darauf kommt es an.
({9})
Nötig ist, dass Verkehrsräume neu aufgeteilt werden. Verkehrsräume müssen von außen nach innen entwickelt werden: erst die Gehwege in der erforderlichen Breite, dann die Radwege in einer Breite, die auch Elektrokleinstfahrzeuge zulassen. Und daraus ergibt sich dann die mögliche Fahrbahnbreite für Autos und Lkws.
({10})
Das geht natürlich nicht von heute auf morgen; aber wir müssen endlich damit anfangen, die Verkehrsräume neu aufzuteilen.
({11})
Was sofort möglich und für die Verkehrssicherheit auch notwendig ist, ist, dass wir den Kommunen mehr Spielräume geben, um Tempo 30 innerorts auszuweisen. Das wäre ein wesentlicher Beitrag zur Verkehrssicherheit für alle. Aber das möchten weder die Bundesregierung noch die FDP. Die FDP möchte die Belange der Autofahrenden stärker als bisher berücksichtigt wissen.
({12})
Das ist natürlich ein Problem. Es stellt sich die Frage: Was denn nun? Mehr Platz für die Elektrokleinstfahrzeuge oder mehr Raum und Rechte für die Autofahrenden? Beides zusammen wird schwer möglich sein.
({13})
Wir halten den Antrag der FDP in manchen Punkten durchaus für diskussionswürdig.
({14})
Wir hätten aber ein Problem, wenn er eine Mehrheit fände. Es müsste eine neue Anhörung mit Verbänden und Ländern geben. Das heißt, es würde dieses Jahr keine Freigabe für Elektrokleinstfahrzeuge erfolgen. Wir wollen diese Freigabe aber. Deswegen sagen wir: Auch wenn die Verordnung nicht gut ist, soll die Bundesregierung sie in Kraft setzen. Wir sehen uns an, wie sie sich auswirkt, und bessern dann entsprechend nach.
Absehbar ist aber, dass es keinen Sinn macht, die Elektrokleinstfahrzeuge einfach zuzulassen und an der Verkehrspolitik ansonsten keine Veränderungen vorzunehmen.
({15})
Wir brauchen endlich eine Regierung, die dem Fuß- und Radverkehr inklusive Elektrokleinstfahrzeuge den nötigen sicheren Verkehrsraum zubilligt.
Und wir brauchen das Ende der Rede.
Dann bekommen alle diese Verkehrsmittel, die zukunftsfähig, umwelt-, klima- und auch menschenfreundlich sind, ihre Chance.
({0})
Vielen Dank, Matthias Gastel. – Nächster Redner: Dr. Christoph Ploß.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In den Diskussionen über die Mobilität der Zukunft hier im Deutschen Bundestag ist in den letzten Monaten klar geworden, dass wir als CDU/CSU-Fraktion mit dem größten Investitionshaushalt in der Geschichte Deutschlands für folgende Punkte stehen: für die zunehmende Digitalisierung des Verkehrs, für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und des Radverkehrs, für Investitionen in die Infrastruktur, vor allem in die Schiene, aber auch in Tunnel, Brücken und Straßen. Wir stehen für den Ausbau der Elektromobilität – wasserstoff- und batteriebetrieben –, für synthetische Kraftstoffe und E-Fuels. Beim künftigen Mobilitätskonzept geht es jedoch nicht nur darum, dass in einigen Jahren die saubersten Busflotten in den deutschen Städten unterwegs sind, es immer mehr U- und S-Bahnen gibt und die Autos immer umweltfreundlicher werden. Es geht auch nicht nur darum, dass der Verkehr insgesamt klimafreundlicher und leiser wird. Wenn wir über künftige Verkehrskonzepte diskutieren, dann geht es auch darum, welche Verkehrsmittel am besten auf längeren Strecken und welche Verkehrsmittel am besten auf kürzeren Strecken zum Einsatz kommen.
Eines sollte dabei klar sein: Heutzutage gibt es immer weniger nur den Autofahrer, den Radfahrer oder den Fußgänger. Heutzutage ist jeder von uns mal das eine und mal das andere. Deswegen geht es bei künftigen Mobilitätskonzepten vor allem darum, die unterschiedlichen Verkehrsträger und die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer noch besser miteinander zu vernetzen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit die Menschen nicht auf das Auto angewiesen sind und das Auto, wenn möglich, stehen lassen.
Dabei haben wir einen anderen Ansatz als die Grünen. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen das nicht durch Verbote oder durch Gängelung erreichen. Vielmehr wollen wir Anreize schaffen, damit die Menschen das freiwillig machen.
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Deswegen ist es auch so wichtig, dass die Bundesregierung die Elektrokleinstfahrzeuge nun ab Mai bzw. ab dem Frühsommer mit einer Sonderverordnung genehmigen wird. E-Scooter, Hoverboards, E-Kickboards werden kommen; diese Elektrokleinstfahrzeuge werden legalisiert werden.
({1})
Sie schaffen genau die notwendigen Anreize. Sie sind für die sogenannte erste oder letzte Meile geeignet.
Man kann an zwei Beispielen ganz einfach verdeutlichen, wie es in einigen Monaten in Deutschland aussehen wird. Herr Müller wohnt im Vorort einer großen Metropolregion in Deutschland und arbeitet montags bis freitags bei einer großen Versicherung, die im Stadtkern liegt. Um zur Arbeit zu kommen, wird er seinen Elektrotretroller für die ersten 1,5 Kilometer zur nächsten U-Bahnstation nehmen. Dann wird er acht Stationen mit der U-Bahn fahren und den letzten Kilometer bis zu seinem Arbeitsplatz mit dem Elektrotretroller zurücklegen.
Oder Frau Meier. Sie wohnt auf dem Land, in einem schönen Dorf in Deutschland. Sie fährt jeden Abend 2 Kilometer zu ihrem Sportverein.
({2})
Für diese Strecke hat sie bisher das Auto genommen. In Zukunft wird sie ihr Elektrokleinstfahrzeug nehmen, wenn das Wetter passt. Diese Beispiele zeigen: Die Elektrokleinstfahrzeuge werden die Mobilität in Deutschland noch flexibler, noch umweltfreundlicher machen.
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Es ist aber richtig, dass wir den Antrag der FDP ablehnen. Wenn er eine Mehrheit fände, würde dies das ganze Verfahren noch einmal verzögern und Zeit kosten. Viele von uns warten ja darauf, dass es mit den Elektrokleinstfahrzeugen endlich losgeht. Außerdem sind noch einige handwerkliche Fehler darin. Zum Beispiel suggerieren Sie, man könne die Elektrokleinstfahrzeuge nicht im öffentlichen Nahverkehr mitnehmen.
({4})
Das ist aber sehr wohl möglich, wie wir im Verkehrsausschuss gehört haben.
({5})
Darüber hinaus wollen Sie mehrere Genehmigungsklassen schaffen. Das bedeutet mehr Bürokratie,
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und mehr Bürokratie ist mit der CDU/CSU-Fraktion nicht zu machen.
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Wir wollen eine unbürokratische Lösung, meine Damen und Herren.
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Deswegen unterstützen wir mit besonderer Leidenschaft den Entwurf des Bundesverkehrsministeriums; denn er stellt einen wunderbaren Kompromiss zwischen Verkehrssicherheit auf der einen Seite und weniger Bürokratie auf der anderen Seite dar.
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Es ist ein guter Kompromiss. In vielen europäischen Metropolen, zum Beispiel in Paris oder Barcelona, gehören die Elektrokleinstfahrzeuge längst zum Alltag.
Herr Kollege.
Ich wollte eigentlich meinen Schlusssatz sagen. Jetzt haben Sie mich unterbrochen. – Ich lasse die Frage gerne zu.
Voilà! Das wäre meine Frage gewesen. Sonst wäre es zu spät gewesen. Sie lassen Sie zu. – Herr Dr. Spaniel, bitte.
Herr Kollege, Sie haben eben davon gesprochen, dass die Mitnahme von Elektrokleinstfahrzeugen in öffentlichen Verkehrsmitteln mit dieser Regelung genehmigt wird. Diese Elektrokleinstfahrzeuge haben Lithium-Ionen-Batterien.
({0})
Wie Sie vielleicht wissen, muss es, wenn man solche Batterien in Bussen oder U-Bahnen transportieren will, eine Genehmigung geben. Ich frage mich, warum Sie das so komplett locker sehen. Tatsächlich ist der Transport von Elektrokleinstfahrzeugen mit Lithium-Ionen-Batterien zum Beispiel in Flugzeugen untersagt.
({1})
Könnten Sie mir vielleicht erklären, wie Sie das sicherheitstechnisch beurteilen?
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Erst mal herzlichen Dank, dass Sie auf charmante Art und Weise meine Redezeit noch etwas verlängert haben.
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Aber nicht allzu lang.
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Ich konnte auf diesen Aspekt leider nicht eingehen. Es gab umfangreiche Untersuchungen. Das hat auch der Parlamentarische Staatssekretär Bilger in seiner Rede dargelegt. Vor allem das gesamte Feld der Verkehrssicherheit wurde vom Bundesverkehrsministerium untersucht. Fachleute waren über Jahre damit beschäftigt, alle Punkte abzuklopfen. In vielen anderen Großstädten werden Elektrokleinstfahrzeuge im Übrigen seit Jahren genutzt, ohne dass solche Schreckensszenarien, wie sie von Ihnen hier dargelegt werden, bekannt geworden sind. Ich habe volles Vertrauen, dass die Experten des Ministeriums und auch die externen Experten sehr gute Arbeit geleistet haben.
Ein wichtiger Punkt ist: Die Elektrokleinstfahrzeuge sind vor allem dann sinnvoll, wenn sie mit dem öffentlichen Nahverkehr kombiniert werden. Viele Nutzer fahren vier, fünf U-Bahnstationen und dann noch mal 1 Kilometer, die sogenannte letzte Meile, mit dem Elektrokleinstfahrzeug. Wir werden das Ganze nach einem gewissen Zeitraum evaluieren. Ich bin aber überzeugt, dass Ihre Schreckensszenarien sich dann nicht bewahrheiten werden. – Herzlichen Dank.
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Ich komme schon zum Schluss, Frau Präsidentin. – Wie gesagt, in vielen europäischen Metropolen wie in Paris oder Barcelona gehören die Elektrokleinstfahrzeuge längst zum Alltag. Ich freue mich darauf, dass dies auf Initiative der CDU/CSU-Fraktion bald auch in Deutschland der Fall sein wird.
Herzlichen Dank.
({1})
Vielen Dank, Dr. Ploß. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Wolfgang Wiehle.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der FDP, Innovation in allen Ehren, aber mit diesem Antrag schießen Sie weit über das Ziel hinaus. Ich nenne als Beispiel die Geschwindigkeitsbegrenzung von 12 km/h auf dem Gehweg. Das ist das Tempo eines schnellen Joggers. Ein Jogger kann aber besser bremsen und ausweichen. Diese Kritik richtet sich, nebenbei gesagt, auch an die Bundesregierung. In Ihrem Antrag nennen Sie Elektrokleinstfahrzeuge „praktische Vehikel für die letzte Meile“. Und schon sind wir in der Begriffswelt einer ideologischen Verkehrswende, die sich vor allem gegen das Auto richtet, das durch alle möglichen Kombinationen anderer Verkehrsmittel ersetzt werden soll.
Die Beiträge, die wir von den Fraktionen der Linken und der Grünen gehört haben, bestätigen diese Sicht. Da geht es dann um die Umwidmung von Parkplätzen oder um das Planen der Straßen, sodass für den Straßenverkehr selber bestenfalls noch Restgrößen übrig bleiben.
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So robust, meine Damen und Herren von der FDP, wie Sie das jetzt angehen wollen, produzieren Sie noch eine zusätzliche Gruppe von Verlierern der Verkehrswende, nämlich die Fußgänger. Die Sicherheit der Schwächsten aller Verkehrsteilnehmer verlieren Sie nämlich aus dem Blick.
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Einen Vorteil hat es ja, nicht an der vordersten Spitze der Innovation zu stehen: Man kann aus den Fehlern anderer lernen, jedenfalls dann, wenn man die Augen offenhält; sonst geht man den schmerzhaften Weg, diese Fehler zu wiederholen.
Aus den USA, wo es kaum eine Regulierung für diese neue Klasse von Fahrzeugen gibt, wird von steigenden Verletztenzahlen berichtet, beispielsweise aus Santa Monica in Kalifornien. Sehr häufig sind es auch die Fahrer dieser neuartigen Vehikel selbst, die im Krankenhaus landen – leider! Lizenzverträge knebeln dann verletzte Nutzer, die klagen wollen, und dennoch gibt es erste Ansätze für Sammelklagen. In Spanien hat die rasche Verbreitung von E-Scootern nach einem tödlichen Unfall in Barcelona einen deutlichen Knick bekommen. In Wien hat man sich zu verstärkten Polizeikontrollen entschlossen.
Das alles, meine Damen und Herren, spricht dafür, bei der Einführung der Elektrokleinstfahrzeuge gleich das richtige Augenmaß anzuwenden. Die AfD will sie keineswegs verhindern. Wähler aller Parteien warten darauf, diese Fahrzeuge legal einsetzen zu können.
Die BASt, die Bundesanstalt für Straßenwesen, hat umfangreiche Forschungen durchgeführt; Kollege Dr. Spaniel hat das schon erwähnt. Lassen wir uns bei der Beratung im Verkehrsausschuss von diesen Erkenntnissen leiten! Machen wir die schmerzhaften Fehler anderer nicht noch einmal! Verhindern wir eine neue Gruppe von Verlierern der sogenannten Verkehrswende!
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Vielen Dank, Herr Wiehle. – Nächste Rednerin: Elvan Korkmaz für die SPD-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion möchte E-Scooter und Hoverboards jetzt bürgerfreundlich zulassen und damit flexible Mobilität schnell und innovativ ermöglichen.
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Klingt gut – im ersten Moment vielleicht. Ich habe mich zum Beispiel gefragt, was Sie mit „innovativ ermöglichen“ eigentlich meinen. Ich dachte, ermöglichen, das ist das, was wir hier im Parlament tun, und zwar mit Gesetzen. Das ist auch das, was das Ministerium macht, wenn es eine Verordnung erlässt; und als Berichterstatterin für das Thema Verkehrssicherheit muss ich sagen: Ich finde es gut, dass solche Verordnungen nicht „innovativ ermöglicht“ werden, sondern breite Untersuchungen erfolgen, bevor man eine Verordnung erlässt.
({1})
Der Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen liegt Ihnen bestimmt auch vor, und ich empfehle Ihnen, mal einen Blick hineinzuwerfen. Natürlich – Berichte lesen dauert. Berichte zu schreiben, das dauert noch länger. Mein 14-jähriger Praktikant hat mir diese Woche gesagt: Hoverboards – warum sprecht ihr denn jetzt eigentlich darüber? Das ist seit 2014 nicht mehr cool. – „Oha!“, sage ich da nur, was sich diese „Profis“ manchmal so herausnehmen – und gerade freitags!
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Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wenn das Ministerium mal einen Trend verpasst, weil es versucht, unterschiedliche Belange unter einen Hut zu bringen, dann kann ich das noch verschmerzen. Wenn Ihr Antrag jetzt aber über die Dinge spricht, die sogar das Ministerium schon längst bearbeitet hat, weil die Verordnungen für die E-Scooter bereits vorliegen, dann müssen Sie sich einmal ernsthafte Gedanken über Ihre Innovationsfähigkeit machen,
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und das Märchen von der Bundesregierung als Hemmschuh können Sie sich an dieser Stelle sparen.
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Übrigens, um mal in dieser Logik zu bleiben: Die Innovation Ihres Antrags liegt allein darin, dass Sie Elektrokleinstfahrzeuge in einer neuen, sogenannten Sportklasse mit einer Geschwindigkeit von bis zu 45 km/h erlauben wollen, und ich muss gestehen: Als ich den Antrag las, kam mir ein ganz charmanter Gedanke: Ich würde Herrn Lindner gern einmal auf einem 45 km/h schnellen, selbstbalancierenden Elektrokleinstfahrzeug ohne Lenkstange sehen –
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aber mit Helm bitte; denn dieser wäre jetzt auch nach Ihrem Antrag Pflicht.
So witzig das klingt – das mag vielleicht Unter den Linden noch funktionieren, vielleicht, wenn man sich die übrigen Verkehrsteilnehmer wegdenkt, aber die Dorfstraßen in meinem Wahlkreis haben Kopfsteinpflaster, und da nützt dann auch der Helm nichts mehr. Aber Verkehrssicherheit spielt in Ihrem Antrag ohnehin nur eine geringe Rolle.
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Aber zurück zu Ihrem Lieblingsthema – ich kann es nicht lassen, und auch mein Kollege Herr Klare hat es bereits genannt –: Ihr Lieblingsthema ist die Innovation. Es gibt Zufälle, die gibt es gar nicht. Gestern Morgen habe ich ein Positionspapier von Electric Empire bekommen. Wem das nichts sagt: Das ist der bescheidene Name vom Bundesverband Elektrokleinstfahrzeuge e. V.
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Ist es also Zufall, dass sich große Teile Ihres Antrags mit diesem Positionspapier decken?
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Der normativen Kraft des Faktischen – übrigens die dezenten Worte des Verbandes –
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geben Sie einfach so nach? Da, muss ich sagen, habe ich ein grundsätzlich anderes Verständnis von Politik.
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Dabei möchte ich der Branche gar nicht zu nahe treten. Dass sie für sich Werbung macht, ist legitim, und dass Elektrokleinstfahrzeuge ein sinnvoller Baustein eines multimodalen Verkehrs sein können, versteht sich von selbst – ob es nun private E-Scooter oder Sharingmodelle sind.
Aber für die Mobilitätswende müssen wir alle Möglichkeiten ausloten, keine Frage. Daher möchte ich noch eines klarstellen und dann auch damit abschließen: Die Mobilitätswende schaffen wir nur im Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft; denn mit der Zulassungsverordnung fängt die Arbeit doch erst an. Nur weil wir die Fahrzeuge erlauben, funktioniert der Verkehr noch nicht. Wir haben eine erste Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge mit Lenkstange, und wir haben bald auch eine Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge ohne Lenkstange; aber wir brauchen noch 11 012 Verkehrskonzepte –
Dazu haben wir jetzt aber keine Zeit mehr.
– 11 012; das ist nämlich die Anzahl der Gemeinden in Deutschland, und dort findet die Verkehrswende statt.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Korkmaz. – Nächster Redner: Dr. Christian Jung für die FDP-Fraktion.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Deutschland ist hintendran, weil es in anderen Ländern wie Österreich, Schweden oder Frankreich längst E-Scooter gibt, die dort angewandt werden und auch sehr gut im Straßenverkehr funktionieren.
Fünf Jahre hat die Bundesregierung benötigt, um voraussichtlich ab dem kommenden Sommer endlich die Benutzung von E-Scootern in deutschen Städten zu ermöglichen. Erst gegen Ende dieser Zeit haben Sie die Option erkannt, doch wenigstens zunächst E-Scooter zuzulassen, wie ich bereits im Sommer 2017 vorgeschlagen habe.
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Solche Vorwürfe von Ihnen wirken natürlich überhaupt nicht, weil meines Wissens dieser Verband, von dem ich persönlich niemanden kenne, vor drei Tagen gegründet worden ist und vor zwei Tagen ein Positionspapier verabschiedet hat.
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Wir beschäftigen uns seit der Wahl 2017 mit diesem Thema.
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Da hat es diesen Verband noch gar nicht gegeben; und ich sehe auch, wenn ich mit Leuten aus dieser Community spreche, die nicht in Verbänden organisiert sind, dass sie außer Frau Kluckert, mir und Herrn Gastel überhaupt keine Politiker kennen. Das heißt, die hatten alle mit diesen Leuten bisher keinen Kontakt.
({3})
Endlich wird nun, wie Staatssekretär Bilger gerade zugegeben hat, diese Verordnung eingeführt. Sie haben, anders als die Österreicher, die Schweden und die Franzosen, diese Entwicklung nicht hinbekommen und sie auch nicht in eine Verordnung gießen können.
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Es darf niemanden wundern, wenn nicht nur Bauprojekte Jahrzehnte verschlingen. Wenn selbst eine vergleichsweise simple Verordnung schon ein halbes Jahrzehnt Kompetenzen im Ministerium und in den nachgeordneten Behörden bindet, dann ist das einfach zu lange. Bei uns dauert – man sieht es an den E-Scootern – einfach alles zu lange, und bei uns in Deutschland ist alles auch viel zu kompliziert.
({5})
Und dann packt die Bundesregierung noch eine Sache obendrauf: Herr Staatssekretär Bilger, Sie verlangen eine Versicherungspflicht, lassen aber im Moment die Versicherer über die Details komplett im Unklaren. Das passt doch nicht zu einer zeitnahen Zulassung, weil dann junge Menschen, die bereits ein solches Gerät haben, es aber noch nicht im Straßenverkehr verwendet haben, dieses vielleicht ohne Versicherung verwenden werden. Vielmehr werden weitere Verzögerungen und Frust über die intransparenten bürokratischen Vorgänge innerhalb der Bundesregierung nun die Folge sein.
Meine Damen und Herren, wir müssen weg vom bisherigen starren Ansatz hin zu einer praxisnahen Anwendung. Dazu haben wir jetzt Vorschläge gemacht und möchten die auch gerne diskutieren, weil es ja in den nächsten Jahren noch viel mehr Innovationen im Bereich der E-Scooter geben wird. Statt zu pauschalieren und die Unterschiede bei den Modellen der Elektrokleinstfahrzeuge zu ignorieren, müssen wir jetzt endlich einen guten Rahmen schaffen, damit die E-Scooter in Deutschland endlich legal fahren dürfen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Christian Jung. – Nächster Redner: Karl Holmeier für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Sie, sehr geehrter Herr Spaniel, hier vorhin gesagt haben – bei uns sagt man: das ist Blödsinn hoch drei –, gehört in die „heute-show“ und nicht in den Bundestag.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Elektrokleinstfahrzeuge stehen kurz vor der Zulassung. Damit gehen wir einen weiteren Schritt auf dem Weg, neue Mobilitätsformen in Stadt und Land zuzulassen. Wir danken unserem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, dass er die Verordnung für Kleinstfahrzeuge mit Haltestange auf den Weg gebracht hat und dass diese Fahrzeuge voraussichtlich ab Sommer dieses Jahres auf Geh-, Radwegen und auf der Straße fahren dürfen. Mit der neuen Verordnung schaffen wir den rechtlichen Rahmen für ein Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach neuen Formen der Mobilität.
In anderen europäischen Ländern dürfen diese Elektroroller schon seit längerer Zeit auf öffentlichen Verkehrswegen genutzt werden. Manche Länder haben Elektroroller teilweise ohne jegliche Beschränkungen freigegeben und damit schlechte Erfahrungen gemacht.
({1})
Deshalb brauchen wir geordnete Verhältnisse und müssen dabei auch wichtige Sicherheitsaspekte berücksichtigen.
({2})
Es wird sich eine vielfältige Nutzung für diese neuen Kleinstfahrzeuge ergeben. Bisher dürfen die Elektrokleinstfahrzeuge offiziell nur auf Privatgelände genutzt werden. Junge Unternehmer, meine sehr verehrten Damen und Herren, welche die Elektroroller über ein Sharingkonzept vermieten wollen, warten voller Ungeduld darauf, dass die Verordnung demnächst in Kraft tritt. Die Erfahrungen aus anderen Ländern, deren Städte von Elektrorollern förmlich überflutet wurden, zeigen jedoch, dass wir mit einer ausgewogenen Verordnung den richtigen Weg gehen.
({3})
Die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 20 km/h, die Regelungen für Bremsen und Beleuchtung sowie die Versicherungspflicht sind notwendige Maßnahmen. Dies garantiert die Verkehrssicherheit und die Qualität der Elektroroller,
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insbesondere wenn diese für Sharingkonzepte genutzt werden sollen.
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Die Gefahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, der neuen Fahrzeuge werden somit von Anfang an minimiert. Mögliche Konflikte mit Fußgängern, Radfahrern und allen weiteren Verkehrsteilnehmern werden reduziert.
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Es wurde eine ausgewogene Lösung zwischen der neuen Mobilitätsform und den klassischen Fortbewegungsmitteln gefunden. Insbesondere für die erste und für die letzte Meile wird so ein innovatives Mobilitätskonzept für Deutschlands Städte, aber auch für den ländlichen Raum geschaffen. Die Menschen können umweltfreundlich und ohne Lärmbelästigung diese erste und letzte Meile bewältigen bzw. zurücklegen. Daher arbeiten wir gemeinsam mit den Ländern auch daran, dass die Elektroroller in den öffentlichen Verkehrsmitteln mitgenommen werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mobilität entwickelt sich ständig fort. Die Verordnung wurde technologieneutral ausgestaltet, damit auch neue Technologien im Bereich der Mikromobilität erfasst werden können.
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Neue Fortbewegungsmittel benötigen einen geeigneten rechtlichen Rahmen. Ob an dieser Verordnung noch Nachbesserungen, wie beispielsweise eine Helmpflicht oder vielleicht mal eine Führerscheinpflicht, notwendig werden, wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Wir werden die Verordnung fortlaufend evaluieren.
Den Antrag der FDP lehnen wir ab. Die Differenzierung zwischen einer Freizeit-, einer Pendler- und einer Sportlerklasse orientiert sich nicht an technischen Kriterien und damit an falschen Voraussetzungen. Die Ausweitung der Höchstgeschwindigkeit auf bis zu 45 km/h halte ich für sehr bedenklich. Die Geschwindigkeitsbegrenzung der Elektroroller auf 20 km/h ist ein wichtiger Punkt für die Sicherheit der Fahrer, aber auch für die Sicherheit der Menschen im Umfeld. Ein Verkehrshindernis auf dem Radweg stellen Elektroroller mit dieser Geschwindigkeit grundsätzlich nicht dar. Es gibt auch Fahrradfahrer, die mit weniger als 25 km/h auf dem Radweg fahren. Ein sportlicher Fahrradfahrer muss die langsamen Elektroroller genauso akzeptieren, wie er langsame Fahrradfahrer akzeptieren muss.
Die Versicherungspflicht auch bei geringeren Geschwindigkeiten halte ich im Gegensatz zur FDP für notwendig und für richtig. Fahrräder sind in der privaten Haftpflichtversicherung mitversichert. Elektroroller sind Kraftfahrzeuge und von der privaten Haftpflichtversicherung nicht erfasst. Deshalb ist eine Versicherungspflicht wichtig und notwendig. Schon bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h können bei Unfällen ernsthafte Verletzungen auftreten. Mit der Versicherungspflicht werden die Nutzer der Elektroroller und die Unfallgegner geschützt, zumal die private Haftpflichtversicherung, wie schon angesprochen, für Elektroroller nicht greift.
Wir lehnen den Antrag der FDP ab.
Vielen Dank.
({8})
Herr Spaniel hat zu einer Erklärung das Wort. Ich verweise darauf: Das ist eine Erklärung zur Aussprache nach § 30 der Geschäftsordnung. Sie können sich nur auf das beziehen, was Herr Holmeier zu Ihnen persönlich gesagt hat, und dürfen nicht wieder die Debatte eröffnen.
Vielen Dank, dass Sie die Erklärung erlauben. – Sie haben eben gesagt, das, was ich hier gesagt habe, sei Unsinn und habe nur Platz in der „heute-show“.
({0})
Das mag Ihre Meinung sein. Tatsächlich ist es so – ich möchte Sie noch mal darauf hinweisen –, dass ich diese Bremswege anhand des Antrags der FDP ausgerechnet habe.
({1})
Was ich zitiert habe, waren Fakten. Ich möchte ganz klar darauf hinweisen: Es mag vielleicht vom Ton her etwas polemisch gewesen sein,
({2})
aber ich habe hier Fakten zitiert, die Sie offensichtlich ignoriert oder nicht berücksichtigt haben. Die Bremswege, die ich ausgerechnet habe, entsprechen den Tatsachen, und diese können Sie mit entsprechender Expertise im Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen nachlesen. Somit verbitte ich mir die grundsätzliche Behauptung, das, was ich inhaltlich gesagt habe, sei Klamauk. Das ist es in der Tat nicht. Es sind harte Fakten. Entweder kennen Sie diese Fakten und können sie bestätigen, –
So, jetzt reicht es. Danke schön.
– oder Sie haben eine andere Erklärung dafür.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Herr Holmeier,
({0})
eigentlich gibt es da jetzt keine Widerrede.
Wie gesagt: Die Rede von Herrn Spaniel war Blödsinn hoch drei. Dazu stehe ich. – Das war’s schon.
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Danke, Herr Holmeier. – Dann hat jetzt das Wort Andreas Rimkus für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen!
Viele kamen allmählich zu der Überzeugung, einen großen Fehler gemacht zu haben, als sie von den Bäumen heruntergekommen waren. Und einige sagten, schon die Bäume seien ein Holzweg gewesen, die Ozeane hätte man niemals verlassen dürfen.
Douglas Adams, „Per Anhalter durch die Galaxis“.
Ich starte gerne mit Adams; denn da stecken ja immer ein bisschen Wahrheit und Wahnsinn drin.
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Das passt gelegentlich ganz gut zu unserer Arbeit, zumindest zu einem Teil derer, die unsere Arbeit teilen.
Von den Ozeanen auf die Bäume auf die Straße und auf denen nun demnächst mit E-Scootern – na klar: kein Holzweg. Ausdrücklich: Ja, das ist in Ordnung. – Aber dennoch, liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP: Ihr Antrag wird abgelehnt. Als rheinisches Kind bin ich zwar grundsätzlich ein Vertreter der Philosophie „Et hätt noch immer jot jejange“,
({1})
aber manchmal geht es eben nicht gut. Schon deswegen müsste man sich vorher mal kurz ein paar Gedanken machen, und das ist hier auch angezeigt.
Elektrokleinstfahrzeuge sind wichtig, aus der Perspektive meines Ressorts „Wirtschaft und Energie“ gleich in mehrfacher Hinsicht. In Entwicklung, Herstellung und Vertrieb dieser kleinen Flitzer steckt Wertschöpfungspotenzial, und es muss in unser aller Interesse sein, dieses auch für die nationale Wirtschaft zu erschließen. Gleichzeitig eröffnen sich mit den Scootern und Co Perspektiven für Mobilitätskonzepte von morgen, und das ist mindestens genauso wichtig.
Erste Kurzzeitbetrachtungen lassen durchaus vermuten, dass Scooter dort, wo sie heute schon in hoher Zahl zum Einsatz kommen – in den USA und einigen europäischen Nachbarländern zum Beispiel –, einen nennenswerten Beitrag zur lokalen Entlastung des ÖPNV leisten können. Das ist gut; denn die ÖPNV-Nutzung nimmt ja auch in vielen Ballungszentren stetig zu. Noch wichtiger: Insbesondere für die erste und letzte Meile stellen Scooter auch eine echte Alternative zum Auto dar. Damit machen sie die E-Mobilität nachhaltiger, effizienter. Sie sind zugleich ein praktischer Anwendungsfall für die Sektorkopplung und helfen uns perspektivisch, immer mehr grüne Energie und damit die Energiewende auf der Straße auch voranzubringen.
({2})
Nachfrage und Anwendungen sind da.
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, insofern würde ich mit Ihnen übereinstimmen: Deutschland hinkt hier ein bisschen hinterher. Das ändern wir jetzt. Die vorgelegte Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung der Bundesregierung, die bald in Kraft treten wird, ist hier, mit Verlaub, aber die bessere Alternative. Warum? Weil wir bei allem Enthusiasmus gegenüber neuen Mobilitätstrends für klare Regeln und den Erhalt von Verkehrssicherheit Sorge tragen müssen. Dabei geht es nicht um übertriebene Vorsicht oder Bürokratie, sondern es geht um hundertprozentige Sicherheit, die es aber in dieser Form auch nicht gibt.
Ich zitiere noch mal Adams: Ein weit verbreiteter Fehler, den Menschen machen, wenn sie versuchen, etwas idiotensicher zu gestalten, ist, den Einfallsreichtum von Idioten zu unterschätzen.
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Ich meine, damit hat Douglas Adams wirklich recht.
Mit 45 Stundenkilometern auf 10 mal 50 Zentimetern gummibeschichteter Stehfläche und, entsprechend Ihrem Antrag, nicht mal mit Lenk- oder Haltestange! Ich bitte Sie, allen Ernstes! Hier Nein zu sagen, ist keine übertriebene Vorsicht, sondern gesunder Menschenverstand.
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Zum Vergleich: Ein klassischer Motorroller weist bei dieser Geschwindigkeit eine ganz andere Stabilität auf – mit einem größeren Radstand, einer besseren Federung, besserer Sichtbarkeit usw. – und bedarf zusätzlich eines Führerscheins.
Auch bei der Haftungs- und Versicherungssystematik haben wir ein Problem. Fahrzeuge bis 25 Stundenkilometer von der Versicherungspflicht auszunehmen, wie Sie es vorschlagen, obwohl die Haftpflicht nicht greift, ist angesichts der Realität auf den Straßen ausgesprochen unbedarft.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich durchaus, dass wir uns in der Zielrichtung einig sind: Wir wollen neue Formen der Mobilität möglich machen. Wir streiten vielleicht ein wenig über die Spielregeln. Aber für meinen Teil bin ich mir sicher, dass wir mit der anstehenden Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung eine vernünftigere, verantwortungsvollere und effektivere Lösung an den Start gebracht haben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. – Ich bin drei Sekunden drüber. Schönes Wochenende!
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Vielen Dank, Andreas Rimkus. – Letzter Redner in der Debatte: Thomas Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, als letzter Redner die Debatte zusammenfassen zu dürfen, weil sie doch deutlich macht, wie groß die Unterschiede sind, bevor wir Elektrokleinstfahrzeuge am Ende tatsächlich erlauben.
Wenn ich damit anfangen darf: Ich glaube, ich habe noch nie in einer Rede über die AfD gesprochen. Herr Kollege Spaniel, ich muss aber sagen: Wir sind es ja gewohnt, dass die von der „heute-show“ draußen vor dem Plenarsaal stehen. Aber dass sie jetzt schon am Rednerpult stehen, das ist neu.
({0})
Vielleicht gucken wir noch mal ganz genau auf Ihre Nebeneinkünfte, darauf, ob Sie nicht ein Honorar von denen bekommen haben. Ich kann mir das fast nicht anders vorstellen.
Ich fand es sehr unterhaltsam. Ich fand, ganz ehrlich, besonders den Punkt ganz interessant, dass Sie solche großen Schwierigkeiten und Risiken darin sehen, Lithium-Ionen-Akkus mit in die U-Bahn zu nehmen. Daraus könnte man fast schließen, die AfD will nicht nur die Elektrokleinstfahrzeuge verbieten, sondern auch noch erreichen, dass man Smartphones, Tablets und Laptops vor der U-Bahn abgeben muss.
({1})
Aber vielleicht sind Sie bei diesem Thema, sobald das Wort „Akku“ in den Mund genommen wird, in einer Ideologie gefangen; ich weiß es nicht.
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Wir haben heute einen Antrag der FDP-Fraktion vorliegen. Ich finde es gut, dass Sie das Thema Elektrokleinstfahrzeuge nach vorne schieben. Ich finde es auch gut, dass Sie sagen: Wir müssen hier schneller werden. – Was allerdings nicht funktioniert, ist, erstmals zu dem Zeitpunkt, zu dem die Notifizierung in Brüssel schon abgeschlossen ist, mit eigenen Vorschlägen zu kommen; denn damit würden wir genau das Gegenteil von dem tun, was Sie postulieren. Wir würden in dem Prozess nämlich wieder zurückgehen, würden ein neues Modell machen, müssten es wieder in Brüssel genehmigen lassen und würden Monate verlieren. Ich glaube, das kann nicht wirklich die Intention der FDP sein.
Was die genaue textliche Urheberschaft betrifft – dazu haben wir heute auch einiges gehört –, müssen Sie sich mit dem Lobbyverband dieser Unternehmen mal darüber klar werden, wer da bei wem abgeschrieben hat; ich weiß es nicht. Der Vorwurf, wir hätten zu wenig Lobbyistenkontakte, ist jedenfalls interessant; das kann ich nicht anders sagen.
({3})
Erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung von Frau Kluckert?
Ja klar, gerne.
Herr Jarzombek, vielen Dank, dass Sie mir die Zwischenfrage gestatten. – Weil das jetzt so im Raum stand, dachte ich, frage ich mal Sie. Dieser Antrag liegt jetzt schon einige Zeit vor. Das zitierte Papier ist am 21. März von dem angesprochenen Verband an uns Politiker versendet worden. Wie schätzen Sie denn realistisch die Möglichkeit ein, etwas, das am 21. März eingeht, zu kopieren und in einen Antrag zu bringen, der ja doch erst mal die ganzen Gremien usw. durchlaufen muss, bevor er hier im Bundestag erörtert werden kann?
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Frau Kluckert, wenn Sie jetzt die Bundesregierung wären, was Sie aber durch eigene Entscheidung nicht sind,
({0})
würde bestimmt eine Oppositionsfraktion eine Kleine Anfrage stellen oder der „Spiegel“ eine IFG-Anfrage machen: Wann hat eigentlich wer welche Termine mit wem gehabt, und worüber wurde da gesprochen? – Insofern, glaube ich, sind finale Papiere immer ein Endpunkt und nicht der Beginn.
({1})
Ich habe auch schon formuliert: Wer da von wem abgeschrieben hat, das muss man klären. Vielleicht haben Sie ja auch einen sehr positiven Einfluss auf diesen Verband.
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– Dann gratuliere ich Ihnen dazu.
Der Kollege Bilger hat mich noch mal darauf hingewiesen, dass es zahlreiche Expertenanhörungen gab und dass das Ministerium mit allen Beteiligten gesprochen hat; das ist, glaube ich, auch klar.
Ich selbst habe nicht das Gespräch mit den Lobbyisten geführt, sondern mit einem Gründer, der jetzt eine große Unternehmung in diesem Bereich gegründet hat, um mich einmal darüber zu informieren, wie diejenigen, die in diesen Bereichen auch Arbeitsplätze schaffen, mit Regelwerken umgehen können.
Ich sage ganz klar: Natürlich wäre es auch schön gewesen, wenn man bei all diesen Dingen vielleicht noch schneller gewesen wäre. Aber: Die hier vorgetragenen Probleme sind ja auch nicht erfunden. Man sieht in anderen Ländern, dass dies in der Tat durchaus nicht völlig ungefährlich ist.
({3})
Denn wie so oft im Leben wird es Leute geben, die sich erst mal vorsichtig an so ein neues Mobil herantasten und sorgfältig damit umgehen, und es wird auch solche geben, die sofort mit der ersten Bewegung Vollgas geben.
Insofern ist das Thema der Versicherungspflicht, glaube ich, ein kluges Element darin. Wir werden noch darüber reden können, ob am Ende eine Versicherungspflicht notwendig ist; denn wenn nichts passieren sollte, kann man sich sicherlich perspektivisch von so etwas auch wieder verabschieden. Aber sollten doch Unfälle passieren, dann möchten wir nicht, dass irgendjemand im Regen stehen gelassen wird.
Deshalb sind die Elemente, die wir haben, ausgewogen, auch die 20 km/h. Ich gebe hier unumwunden zu: Schneller finde auch ich immer besser. Aber das Interessante daran ist, dass uns die Grünen beispielsweise auffordern, hier schneller zu sein, während wir bei den Autos langsamer sein sollen.
({4})
Insofern versuchen wir, hier einen Mittelweg zu gehen.
Das bringt mich zu der Frage, wie wir eigentlich weiter verfahren. Ich sage ganz deutlich – das sage ich von links nach rechts, durch alle Meinungen –: Wir wollen hier keine Verkehrswende erzwingen. Wir als CDU wollen den Menschen die Freiheit lassen. Diejenigen, die sagen: „Wir wollen mit so einem Ding fahren“, sollen auch die Möglichkeit dazu bekommen.
({5})
Ich wüsste nicht, dass es irgendeine Initiative gibt, jemanden dazu zu zwingen. Ich sehe aber draußen eine Menge Leute, die schon heute mit nicht zugelassenen Rollern durch die Gegend fahren. Deshalb ist es für uns eine pragmatische Sache, zu sagen: Wenn es eine neue Technologie gibt, dann lassen wir sie auch zu und schaffen dafür ein vernünftiges Regelwerk.
Was, glaube ich, bei all diesen neuen Dingen für uns als Herausforderung kommt, ist, dass wir nicht mehr ein Gesetzespaket oder eine Verordnung machen können, was 20 Jahre halten wird. Durch den stetigen technischen Fortschritt müssen wir uns jetzt viel schneller anpassen.
({6})
Deshalb ist es klug, dass das Ministerium sagt: Wir bereiten schon eine zweite Verordnung vor.
Wir werden das Ganze genau beobachten.
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Ich glaube, wir werden zu diesen Dingen in der Zukunft häufiger hier reden, und das ist auch richtig. Wir müssen jetzt einmal starten mit dem, was vorgelegt, was notifiziert ist.
({8})
Wir müssen genau gucken, was dann passiert. Dann werden wir uns anpassen, auch an die technische Entwicklung, und aus dem Verhalten der Nutzer lernen.
Ich danke der Bundesregierung für die gute Initiative. Ich freue mich, bald selbst mit so einem E-Scooter durch meinen Wahlkreis fahren zu dürfen.
Vielen Dank.
({9})
Vielen Dank, Kollege Jarzombek. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/8543 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorschlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wenn wir heute das Stiftungsgesetz für das Forum Recht beschließen, dann reiht sich das ein in eine ganze Reihe von Maßnahmen, die wir für einen starken und einen modernen Rechtsstaat in Deutschland beschlossen haben und die wir uns für die Zukunft vorgenommen haben. Im Zuge des Paktes für den Rechtsstaat stellen wir mit Bundesmitteln 2 000 zusätzliche Richter und Staatsanwälte ein. Wir werden die technische Ausstattung bei den Gerichten verbessern, und wir werden, etwa mit der Reform der Strafprozessordnung, für schnellere und effektivere Prozesse sorgen. Sie sehen, wir tun wirklich eine Menge dafür, dass wir in Deutschland auch weiterhin einen modernen und einen starken Rechtsstaat haben werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Es kommt aber auch und gerade darauf an, die Vorteile des Rechtsstaates den Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, und genau das ist der Sinn des Forums Recht: einen Ort zu schaffen, an dem sich alle Bürgerinnen und Bürger über den Rechtsstaat informieren können, wo er erlebbar ist; ein Zentrum, das den Rechtsstaat in die Republik trägt und nicht nur bloßes Museum ist. Das Forum Recht wird dabei kein klassisches Museum, sondern eine spannende Einrichtung, in der nicht nur dokumentiert, sondern von der aus auch kommuniziert und informiert wird – eben der Rechtsstaat erlebbar wird und für ihn geworben wird.
Das Forum Recht soll dabei ein Botschafter unseres Rechtsstaates und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sein und das Bewusstsein in der Gesellschaft für unseren Rechtsstaat stärken. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe, gerade in Zeiten, in denen es auch in Deutschland antirechtsstaatliche Tendenzen gibt. Das sollte uns auch einen zweistelligen Millionenbetrag wert sein, den wir dann in den Haushaltsberatungen beschließen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({1})
Erfreulich ist, dass die Ost-West-Diskussion, die wir einige Wochen bei diesem Thema hatten, vom Tisch ist. Im Stiftungsgesetz bekennen wir uns ganz klar auch zu einem Standort in Leipzig. Das halte ich für wichtig; denn das Werben für den Rechtsstaat ist eine gesamtdeutsche Aufgabe. Deswegen ist es gut, dass wir ganz klar sagen: Karlsruhe und Leipzig werden einen Standort bekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Denn gerade vor 30 Jahren haben uns die Bürger in Ostdeutschland ja gezeigt, dass es sich für einen Rechtsstaat zu kämpfen lohnt. Die Menschen, die in den neuen Bundesländern gegen das DDR-Unrechtsregime auf die Straße gegangen sind, haben für einen Rechtsstaat gekämpft. Daran sollten wir uns immer wieder erinnern und stolz darauf sein, dass wir in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und einem funktionierenden Rechtsstaat leben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Wichtig ist mir, dass die beiden Standorte nicht gegeneinander ausgespielt werden. In Karlsruhe ist man bei den Planungen und der Entwicklung schon sehr weit, in Leipzig verständlicherweise noch nicht. Deswegen sollten wir dafür sorgen, dass Karlsruhe nicht ausgebremst wird und Leipzig weiterhin unterstützt wird.
Ich freue mich, dass es sowohl in Karlsruhe als auch in Leipzig sehr gut vorangeht, dass die Planungen dort auf Hochtouren laufen. Deshalb halte ich unser in der Gesetzesbegründung sehr optimistisch anvisiertes Ziel durchaus für realistisch, die Einrichtung 2026 zu eröffnen. Das wäre ein ganz starkes Zeichen für unseren Rechtsstaat, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Jetzt gab es in den letzten Tagen – man kann fast sagen: Stunden – den Wunsch, an den Sitzen in den Gremien etwas zu ändern. Ich habe großes Verständnis dafür. Es waren gute Argumente, die etwa der DGB oder die Sozialrichter vorgebracht haben. Wir wären dafür offen gewesen. Auf der anderen Seite muss man aber auch sagen: Wir hatten uns vor kurzer Zeit einvernehmlich – Linke, Union, FDP, Grüne und natürlich auch die SPD – auf dieses Gesetz geeinigt. Wir haben gesagt: So wollen wir es machen. So wollen wir die Sitze in den Gremien aufteilen. – Das jetzt noch einmal aufzumachen, hätte die große Gefahr beinhaltet, dass wir erst im Sommer oder, wenn es dumm gelaufen wäre, erst im Herbst das Stiftungsgesetz hätten beschließen können. Aber wir wollen das jetzt machen. Wir brauchen diese Einrichtung. Reden wir nicht immer nur von einem starken Rechtsstaat, sondern beschließen wir mit dem Forum Recht ein ganz starkes Zeichen für unseren modernen Rechtsstaat in Deutschland.
Vielen Dank.
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Der Kollege Thomas Seitz ist der nächste Redner für die Fraktion der AfD.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eigentlich wurde von unserer Seite das Wichtigste zu diesem Propagandamuseum und der dazugehörigen Stiftung bereits im Oktober letzten Jahres und vergangenen Freitag an dieser Stelle gesagt:
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Dieses Projekt ist schlicht und ergreifend unnötig; denn es ist zum einen eine Verschwendung von Steuergeld, und zum Zweiten ist es darauf angelegt, politisch missbraucht zu werden.
Sie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf von Anfeindungen gegen die Rechtsstaatlichkeit und meinen damit doch in Wahrheit
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nur die Wahlerfolge der AfD, durch die Ihre Pfründe an den Futtertrögen des Politikbetriebs in Gefahr sind.
({2})
Und ich verspreche Ihnen, dass zu den bereits verlorenen Mandaten noch viele weitere dazukommen werden.
Sie sprechen von Forschung und Dokumentation und meinen damit doch in Wahrheit die Uminterpretation des Rechts und der Rechtsgeschichte im Sinne einer kulturmarxistischen Ideologie.
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Sie, die SPD, sprechen in der Beschlussempfehlung von der Notwendigkeit eines schlanken Entscheidungsgremiums bei diesem Projekt
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und meinen damit wohl die Sicherstellung ideologischer Linientreue. Wie man hört, soll Ihre Frau Nahles darin ja eine Expertin sein. – Wenn Herr Notz etwas sagen will, soll er sich einfach melden.
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Meine Damen und Herren: Ja, die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands wird angegriffen.
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Der Gleichheitssatz des Grundgesetzes ist unter Dauerbeschuss durch den zeitgeistigen Gleichstellungswahn. Statt Rechtsgleichheit haben wir Gender-Mainstreaming und staatlich verordnete Bevorzugung von Migranten.
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Die freie Meinungsäußerung, vor allem im Internet, also in der Gegenöffentlichkeit zum herrschenden Mainstream, wird immer stärker beschnitten. Und vom natürlichen Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder und von dem Schutz von Ehe und Familie reden wir besser gar nicht; denn beides ist praktisch Vergangenheit.
Staatlich geförderte Antifa-Trupps sind sehr erfolgreich dabei,
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die Versammlungsfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit Andersdenkender einzuschränken.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Movassat?
Aber gern.
Bitte schön.
Herr Seitz, Sie reden hier viel vom Schutz des Rechtsstaates. Was sagen Sie eigentlich zu den diversen Spendenskandalen der AfD,
({0})
mit denen Sie die Chancengleichheit der anderen politischen Parteien gefährdet haben? Sie haben den Rechtsstaat missachtet, indem Sie diese Spendengelder angenommen haben. Sie stellen sich hierhin und tun so, als ob Sie der Verteidiger des Rechtsstaates sind, und in der politischen Praxis verletzen Sie die Regeln, die für die Parteien gelten.
({1})
Herr Movassat, ich selbst stehe für eine absolute Aufklärung dieser Vorgänge. Bei all diesen Vorgängen handelt es sich um nicht abgeschlossene Sachverhalte. Darüber wird entschieden werden, gegebenenfalls werden die Gerichte darüber entscheiden. Selbstverständlich ist es richtig, wenn es ein Fehlverhalten gab, dass dann auch die dafür vorgesehenen Sanktionen verhängt werden. Das ist Rechtsstaat. Wir wollen uns davor nicht drücken, sondern, wenn es Fehler gab, müssen die Konsequenzen getragen werden. Erwähnt sei aber: Wir haben kein Parteivermögen einer diktatorischen Partei vereinnahmt, wir hatten keine Geldkoffer, sondern es ging um Zahlungen, die zum großen Teil nach einer gewissen Zeit wieder zurücküberwiesen wurden.
({0})
Ich darf fortfahren. Danke, Herr Präsident.
Ein politisch noch nicht vollständig verwirklichtes, faktisch jedoch etabliertes Recht auf Abtreibung negiert das Recht auf Leben und tötet aktuell jedes Jahr in Deutschland um die 100 000 ungeborene Kinder. Die Reaktion der Öffentlichkeit hierauf besteht im Wesentlichen aus Schweigen, während um Flüchtlinge auf dem Mittelmeer ein Bohei gemacht wird. Zur Klarstellung: Es geht mir nicht um die Bewertung des Todes von Menschen,
({1})
es geht mir um den Umgang unserer Gesellschaft damit. Nüchtern muss man einfach feststellen, dass auf dem Mittelmeer im Verlauf von fünf Jahren weniger Menschen gestorben sind, als in Deutschland unschuldige Kinder im Verlauf von lediglich zweieinhalb Monaten im Mutterleib ermordet werden.
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Herr Kollege, der Kollege von Notz hätte gerne eine Zwischenfrage gestellt.
Wenn ich danach länger „hetzen“ darf, gerne.
Herr Kollege Seitz, vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage. – Vielleicht könnten Sie die ganzen AfD-Satzbausteine in Ihrer Rede mal weglassen und zum Thema reden; denn wir reden hier über das Forum Recht.
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Mich interessiert ernsthaft – wirklich, Herr Seitz, nehmen Sie es mal ernst! –, was Sie als gewählter Abgeordneter zum Forum Recht sagen. Ich möchte nicht jetzt hier irgendwas zum Mittelmeer und zu Flüchtlingen hören. Es sind immer dieselben Satzbausteine. Das hilft niemandem weiter. Sprechen Sie mal zum Thema!
Vielen Dank.
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Herr von Notz, auch Sie dürfen stehen bleiben, wie es dem parlamentarischen Gebrauch entspricht.
({0})
– Vielen Dank.
Selbstverständlich wüssten Sie, wenn Sie aufgepasst hätten: Ich spreche die ganze Zeit zum Thema.
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Bereits eingangs sagte ich: Dieses ganze Projekt ist überflüssig; es ist eine Verschwendung von Steuergeldern.
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Ich werde nachher auch noch mal wiederholen, was ich Ihnen bereits im vergangenen Jahr gesagt habe: Es geht nicht darum, den Rechtsstaat in einem Museum auszustellen; es geht darum, den Rechtsstaat zu leben und zu praktizieren, und zwar in der Realität und nicht in einer Vitrine.
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Danke. Jetzt dürfen Sie sich setzen.
Das Asylrecht wird faktisch zu einem „Jeder darf rein und dann auch bleiben“ pervertiert.
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Die Grundpfeiler unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung – voran Gewaltenteilung und Volkssouveränität – werden durch immer weiter gehende internationale Verpflichtungen,
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insbesondere im Rahmen der Europäischen Union, ausgehöhlt.
Also ja, der Rechtsstaat wird attackiert, und zwar von Ihnen.
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Und weil Sie es sind, die den Rechtsstaat angreifen, ist auch ganz klar, dass das sogenannte Forum Recht nicht dazu dienen wird, die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland durch Aufklärungsarbeit zu schützen. Dieses Projekt dient vielmehr dazu, Ihre Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit ideologisch zu verschleiern.
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Ich wiederhole, was ich im Oktober bereits gesagt habe: Der Rechtsstaat gehört nicht in ein Museum,
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sondern er muss gelebt und praktiziert werden. Hören Sie auf mit der Ideologisierung des Rechts! Hören Sie auf mit der Beschickung des Bundesverfassungsgerichts mit Berufspolitikern oder Berufsfeministinnen wie einer Frau Baer!
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Hören Sie auf mit der Stigmatisierung vermeintlich falscher Gesinnungen, und sorgen Sie stattdessen dafür, dass Rechtsgutverletzungen konsequent und angemessen verfolgt werden.
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Und wenn abgehalfterte Ex-Ministerinnen etwas zu sagen haben,
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melden sie sich doch bitte.
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Stellen Sie die Haushaltsmittel, die Sie in Ihr Museum und die Versorgungsposten für Gesinnungsfreunde stecken wollen,
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doch einfach der Strafjustiz zur Verfügung; denn diese hat es nötiger denn je. Ich gebe Ihnen da gerne auch Nachhilfeunterricht, wo es brennt.
Wir als AfD-Fraktion lehnen diesen Gesetzentwurf wie auch die Beschlussempfehlung ab und werden genau verfolgen, wie sich Ihre schöngerechnete Kostenprognose entwickeln wird. Zum Glück geht es nicht um einen Flughafen, sondern nur um ein Museum.
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Vielen Dank.
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Herr Kollege Seitz, Sie haben die Kollegin Künast in unerträglicher Weise persönlich beleidigt.
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Ich rüge das ausdrücklich.
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Ingo Wellenreuther für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir respektieren das freie Mandat nach Artikel 38 GG, aber wissen auch um § 104 BGB, und ich habe Zweifel, ob die Voraussetzungen gerade vorlagen.
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Das Recht und den demokratischen Rechtsstaat als kulturelle Errungenschaft in Deutschland erlebbar zu machen, das war die Grundidee, die sich Stadtverwaltung und Stadtrat von Karlsruhe vor gut 15 Jahren auf die Fahnen geschrieben haben, um sich als Kulturhauptstadt Europas zu bewerben. Damals war die Bewerbung nicht erfolgreich – vielleicht war die Zeit noch nicht reif dafür –; aber eine großartige Idee war geboren, nämlich, den Menschen deutlich zu machen, dass ein Leben in Freiheit und in einem vereinten, friedlichen Europa nur möglich ist, wenn es einen funktionierenden Rechtsstaat als notwendige Basis für eine stabile Demokratie gibt. Es ist denjenigen in Karlsruhe nicht hoch genug anzurechnen, dass sie dieses Ziel nicht aus den Augen verloren und damit die Grundlage dafür gelegt haben, dass mit maßgeblicher Unterstützung des Bundesverfassungsgerichtes, des Bundesgerichtshofes und des Generalbundesanwaltes vor drei Jahren dieses Projekt den Bundestag erreichen konnte.
Wir Berichterstatter haben dann unsere Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss begeistern können und Mehrheiten dafür organisiert, Geld zur Verfügung zu stellen, damit eine Machbarkeitsstudie für ein Forum Recht in Auftrag gegeben werden konnte. Diese Studie hat dann in beeindruckender Weise belegt, dass es inzwischen einen großen Bedarf gibt, in einem Dokumentations-, Informations- und Diskussionszentrum den Rechtsstaat und das Recht als Grundpfeiler der Demokratie für jeden in Deutschland erlebbar zu machen.
Nach weiteren wichtigen Zwischenschritten – das waren die Aufnahme in den Koalitionsvertrag, der Grundsatzbeschluss im letzten Oktober, zwei große Symposien in Karlsruhe letztes Jahr mit vielen Experten aus ganz Deutschland – kommen wir heute einen ganz entscheidenden Schritt weiter, um das Forum Recht arbeitsfähig zu machen, nämlich indem wir ein Stiftungsgesetz zur Errichtung einer bundesunmittelbaren Stiftung Forum Recht mit Sitz in Karlsruhe verabschieden. Damit setzt der Deutsche Bundestag einen guten rechtlichen Rahmen für dieses überragende Parlamentsprojekt.
Es freut mich besonders, dass fast alle Fraktionen des Hauses – mit Ausnahme der AfD – dieses Projekt mittragen und es auch aktiv gefördert haben. Es ist auch gelungen – das finde ich auch besonders wichtig –, dass im Deutschen Bundestag aus eigener Sachkompetenz heraus ein praktikables Stiftungsgesetz formuliert werden konnte und der vorgelegte Entwurf des Justizministeriums noch wesentlich verbessert werden konnte.
Vernünftig war, eine schlanke Organstruktur festzulegen. Das Kuratorium mit 22 Mitgliedern ist das Leitungs- und Entscheidungsorgan der Stiftung. Durch die paritätische Besetzung mit elf Abgeordneten wird deutlich, dass das Forum Recht ein Projekt des Parlaments und nicht eines der Regierung ist. Im Kuratorium finden außerdem Vertreter der Bundesministerien der Justiz und des Innern, der obersten Gerichtsbarkeit, des Generalbundesanwaltes, der Landesjustizverwaltungen, der Anwaltschaft und der Städte Leipzig und Karlsruhe ihren Platz. Zudem ist der Stiftungsbeirat durch die jeweilige Vorsitzende oder den jeweiligen Vorsitzenden vertreten, und eine weitere Ausdehnung – Herr Fechner, Sie haben es angesprochen – hätte die Handlungsfähigkeit des Kuratoriums infrage gestellt.
Wichtig war, dass im Stiftungsbeirat – das ist das beratende Gremium aus Wissenschaftlern und Repräsentanten der Zivilgesellschaft – der Förderverein Forum Recht e. V. Sitz und Stimme hat und damit das besondere Engagement der aktiven Ideengeber aus Karlsruhe gewürdigt wurde. Außerdem sind im Stiftungsbeirat wichtige Berufsverbände mit einer besonderen Beziehung zum Thema Recht als Repräsentanten der Zivilgesellschaft systematisch richtig aufgehoben. Weitere Mitglieder werden noch durch das Kuratorium gewählt werden. Dabei, Frau Keul, kommen auch Organisationen, die sich für Recht, Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte einsetzen, in Betracht.
Sinnvoll war, für die Stiftung nur einen Direktor oder eine Direktorin vorzusehen. Für die inhaltliche und konzeptionelle Arbeit der Stiftung muss eine kreative Persönlichkeit von internationalem Ruf gefunden werden, die durch einen stellvertretenden Verwaltungsdirektor unterstützt wird. Damit wird gewährleistet, dass in wesentlichen Fragen keine Pattsituation entstehen kann, die bei einer gleichberechtigten Doppelspitze zu befürchten war.
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Außerdem war es zielführend, mit dem Stiftungsbeirat nur ein Beratungsgremium zu installieren und davon abzusehen, zusätzlich einen Arbeitskreis gesellschaftlicher Gruppen einzurichten, weil dies die Arbeitsfähigkeit der Stiftung stark eingeschränkt hätte.
Entscheidend für den Erfolg des Projektes aber wird in Zukunft sein, dass ausreichend Finanzmittel aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Wohltuend sind insoweit die Rückmeldungen aus dem Haushaltsausschuss und die entsprechenden Finanzierungszusagen. Die Machbarkeitsstudie hat nämlich belegt, dass in Karlsruhe für den Bau des Forums Recht auf dem Gelände des Bundesgerichtshofs ein Betrag von 70 Millionen Euro benötigt wird. Dieser Betrag wurde von den Haushältern ausdrücklich zugesagt und stand ja auch ursprünglich bereits in der Gesetzesbegründung. Nachdem es jetzt aber nicht nur einen Sitz des Forums Recht in Karlsruhe gibt, sondern mit Leipzig spät ein Standort dazugekommen ist, müssen dafür zusätzlich Gelder bereitgestellt werden. Nach einer vorläufigen Berechnung sollen dies 45 Millionen Euro sein. Damit man sich nicht zu früh begrenzt, ist die Formulierung, dass sich der Betrag für die beiden Standorte „jeweils im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich bewegen“ wird, in die Begründung des Stiftungsgesetzes aufgenommen worden. Klar ist aber, dass das noch vorzulegende Realisierungskonzept der Bundesregierung die bisherigen Planungen in vollem Umfang berücksichtigen muss.
In der Summe geht es also um circa 120 Millionen Euro als einmaliger Erfüllungsaufwand für dieses großartige Projekt – gut angelegtes Geld, wie ich meine, um die Gebäude zu errichten und unter anderem darin den Rechtsstaat erlebbar zu machen. Außerdem werden später natürlich auch zahlreiche Formate umgesetzt, die bundesweit und im virtuellen Raum den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, sich aktiv einzubringen und dadurch einen intensiven Bezug zum Rechtsstaat in Deutschland zu erfahren. Für diesen laufenden Erfüllungsaufwand sind die jeweiligen Kosten dankenswerterweise bereits jetzt gesetzlich abgesichert.
Für diejenigen, die es noch nicht gehört haben: Für den Sitz des Forums Recht konnte kein besserer Ort als Karlsruhe gefunden werden,
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nicht nur deshalb, weil die Idee aus Karlsruhe kam, sondern weil Karlsruhe als Residenz des Rechts mit dem Verfassungsgericht, dem Bundesgerichtshof und der Bundesanwaltschaft der „place to be“ ist, wenn es in Deutschland um Recht, Rechtsstaat und Gerechtigkeit geht, und weil Karlsruhe mit dem ersten eigenständigen Parlamentsgebäude auf deutschem Boden und der Badischen Verfassung von 1818 als Wiege der Demokratie gilt.
Mit einem Standort in Leipzig erfährt das Forum Recht jetzt eine räumliche Ausdehnung und eine Unterstützung.
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Ich bin sicher, dass sich auch dort bald ein Förderverein etablieren kann, der von der jahrelangen Vorarbeit der Initiatoren in Karlsruhe profitieren wird. Wichtig – auch das wurde schon angesprochen – erscheint mir, dass insoweit eine konstruktive Zusammenarbeit stattfindet und nicht mit kleinem Karo die Urheberschaft des Projekts infrage gestellt wird.
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Aus allen genannten Gründen werden wir als Union dem vorgelegten Stiftungsgesetz mit großer Freude zustimmen.
Herr Kollege.
Ich komme zum Ende. – Als ehemaliger Richter, als Demokrat und als Karlsruher mache ich das besonders gerne und sehe schon jetzt voller Vorfreude der Realisierung des Projekts entgegen. Es wird ein Vorzeigeprojekt für Deutschland und für unsere Demokratie werden, das hervorragend geeignet ist, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken.
Vielen Dank.
({0})
Der Kollege Dr. Stefan Ruppert hat das Wort für die FDP-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich musste eben an den Rat meiner 97-jährigen Großmutter denken, die mir sagte: Wenn dir ein Unflat begegnet und Vulgärsprache pflegt, dann halte dich mit bürgerlicher Erziehung vornehm zurück. Du kannst nicht die gleichen Mittel im Kampf gegen diese Diktion verwenden, weil du dich auf ein ähnliches Niveau begeben würdest. – Insofern wünsche ich der Rede von Herrn Seitz viele Zuhörer. Die sollen sich mal ein Bild darüber machen, in welcher Sprache und mit welcher mangelnden Erziehung Sie an diesem Pult sprechen.
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Ein Anliegen ist es mir schon, Frau Baer zu verteidigen, weil sie nicht hier sein kann. Sie ist eine arrivierte Staatsrechtlerin.
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Sie mögen nicht all ihre Positionen teilen – ich tue das auch nicht –; aber ein Bundesverfassungsgericht lebt davon, dass es von Mitgliedern mit pluralen Meinungen besetzt ist.
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Das ist auch etwas, was man vom Rechtsstaat erst verstehen muss, bevor man es dann vielleicht auch mal vertreten kann.
Die dritte Bemerkung: Mein Dank gilt wirklich all jenen hier im Parlament, im Bundesjustizministerium, aber auch in der Zivilgesellschaft, dem Verein um Ullrich Eidenmüller und anderen, die sich dafür eingesetzt haben , dass Recht sichtbar wird, vielleicht auch Unrecht sichtbar wird, dass ein Diskurs darüber stattfindet und wir darüber reden können, welch wichtige Rolle das Recht in unserer Gewaltenteilung und unserer Demokratie spielt. Es gibt eben keinen demokratischen Staat ohne rechtsstaatliche Grundlage, und das können wir dort sichtbar machen. Wir können auch die Zumutungen, die es bisweilen auch zu ertragen gilt, wenn man sein Recht bekommen will, sichtbar machen. Wir können einen Diskurs darüber anregen, wie in Deutschland Recht gepflegt wird. Insofern ist das heute ein wirklich wunderbarer Tag, dass wir das gesamtparlamentarisch auf den Weg gebracht haben.
({3})
Ein wichtiges Anliegen ist mir noch, zu sagen: Es gibt keinen Grund, zu zögern. In Karlsruhe sind unglaublich viele Vorarbeiten geleistet worden. Man steht in den Startlöchern. Ich freue mich darüber, dass sich jetzt auch in Leipzig bürgerschaftliches Engagement und Initiative bildet, dass man sich auch dort Gedanken macht. Man wird dann sicherlich zu tragfähigen Konzepten kommen. Es gibt aber, wie gesagt, keinen Grund, jetzt zu zögern. Wir können in Karlsruhe unmittelbar beginnen und in Leipzig dann in nicht allzu langer Ferne fortsetzen. Es ist ein gemeinsames Dach, das wir hier errichten. Unter diesem Dach sind zwei Rechtsstandorte gut geborgen: einmal der Standort Leipzig mit der Tradition des Reichsgerichts und heutiger Gerichte und auf der anderen Seite Karlsruhe. Ich glaube, das ist kein Gegen-, sondern ein Miteinander. Und wir sollten in Karlsruhe zügig anfangen.
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Die letzte Bemerkung betrifft die Beteiligung anderer Gruppen. Das ist eben ein Konsens, der hier besteht. Ich finde schon, dass es ein berechtigtes Interesse der Anwaltschaft, des Deutschen Anwaltvereins, und auch des Richterbunds gibt. Man hätte sich – zumindest nach meiner Vorstellung – auch eine rollierende Beteiligung der Präsidentinnen und Präsidenten oberster Gerichte vorstellen können.
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Vielleicht denken wir darüber einfach noch mal nach und betrachten im guten Konsens den weiteren Vollzug. Heute haben wir es konsensual auf den Weg gebracht. Insofern will ich mich auch nicht davon distanzieren. Ich glaube, wir können es in einem späteren Verfahrensgang noch etwas valider machen und die Beteiligung verbreitern, ohne die Effizienz der Entscheidungsfindungen zu gefährden.
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Am Ende also ein Feiertag des Rechts, den wir heute begehen können, ein Startpunkt für eine positive Entwicklung.
Herzlichen Dank allen, die daran mitgewirkt haben.
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Vielen Dank, Herr Kollege Ruppert. – Der nächste Redner für die Fraktion Die Linke: der Kollege Friedrich Straetmanns.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Fraktion hat – wie mein Kollege Movassat in der vergangenen Woche schon angemerkt hat – diesen Gesetzentwurf intensiv begleitet. Auch ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir das Projekt und seine Zielrichtung durchaus begrüßen, und wir hätten den Antrag wahrscheinlich auch mitgezeichnet. Die Befindlichkeiten der Unionsfraktion haben mal wieder überwogen – Schwamm drüber, wir kennen dieses Spiel ja bereits. Vielleicht wird es ja dem einen oder anderen bei Ihnen irgendwann einmal langweilig damit.
({0})
Wir begrüßen, dass der Entwurf nunmehr auch von uns geforderte Punkte wie den Standort Leipzig enthält. Schade ist, dass die Gremien der geplanten Stiftung nicht die gesellschaftlichen Akteure in dem Maße repräsentieren, wie es möglich gewesen wäre und wie wir es im Ausschuss auch beantragt haben. Wir werden dennoch diesem Vorschlag unsere Zustimmung geben.
Allerdings komme ich nicht umhin, Ihnen, meine Damen und Herren der Regierungskoalition, grundsätzliche Überlegungen mit ins Wochenende zu geben. In der Begründung des Entwurfs führen Sie aus:
Im Jahr 1949 gaben sich die Deutschen ein vorbildliches Rechtssystem und ein Grundgesetz, in dem die Grundrechte alle Staatsgewalt als unmittelbar geltendes Recht binden.
Das heute zu schaffende Forum Recht soll dazu beitragen, dieses Rechtssystem in der Gesellschaft besser zu verankern, sodass es nicht als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird. Das ist, wie gesagt, ein ehrenwertes Ziel. Das Rechtssystem der Bundesrepublik ist allerdings nicht nur in Gefahr, für selbstverständlich gehalten zu werden; es ist Angriffen von ganz rechts ausgesetzt und – ich muss es so deutlich sagen – auch von dieser Regierung.
Trauriger Spitzenreiter bei diesen Angriffen ist Bundesinnenminister Horst Seehofer. Ich sage das hier, weil mich sein jüngster Vorstoß zum Staatsangehörigkeitsrecht wirklich betroffen macht.
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Als das Grundgesetz 1949 aus der Taufe gehoben wurde, herrschte große Einigkeit, dass Deutschland aus Verantwortung für Verbrechen und Krieg in der Zeit der Herrschaft der Nationalsozialisten Verantwortung übernehmen soll. Das Grundgesetz enthielt daher einige klare Grundsätze: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ zum Beispiel, jedenfalls bevor diesem 1993 mit dem sogenannten Asylkompromiss ein längeres „oder halt auch nicht“ hinzugefügt wurde.
Ein weiterer solcher Grundsatz lautet: „Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden“, so steht es in Artikel 16. Doch genau das plant der Bundesinnenminister bereits und hat laut Presseberichterstattung mit der Bundesministerin der Justiz einen Kompromiss erzielt.
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Das sind Beispiele, und zwischen ihnen besteht ein Zusammenhang. Die Bundesrepublik verabschiedet sich häppchenweise von ihrer historischen Verantwortung, die sie 1949 aus guten Gründen auf sich nahm. Für politisch Verfolgte schob sie die Verantwortung zunächst den europäischen Staaten an den Außengrenzen zu; mittlerweile ist man schon so weit, nicht nur Autokraten wie Erdogan die Aufgabe zu übertragen, Menschen auf der Flucht von Deutschland fernzuhalten, sondern sogar libyschen Foltermilizen.
Beim Entzug der Staatsbürgerschaft verhält es sich ähnlich. Nach Ihrem Wunsch sollen sich doch einfach andere Staaten mit den Dschihadisten herumschlagen, anstatt – wie es unsere Rechtsordnung gebietet – die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik. Solche Angriffe schaden der rechtsstaatlichen Ordnung in weit größerem Maße als das schwindende Interesse in der Bevölkerung an ihr.
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Und auch ein wohlgemeintes, gut organisiertes Forum kann diese Schäden auf Dauer nicht auffangen. Meine Fraktion wird weiterhin diese Angriffe zurückweisen.
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In diesem Sinne begrüßen wir die Schaffung eines Forums Recht, auch um die jeweilige Regierung an die Ansprüche unserer Rechtsordnung zu erinnern. Und seien Sie gewiss: Mir als Richter ist das ein ganz persönliches Anliegen.
Vielen Dank.
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Die Kollegin Katja Keul hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ohne den Rechtsstaat wäre die Demokratie nichts weiter als die Diktatur der Mehrheit. Erst ein funktionierender Rechtsstaat macht Freiheit möglich, indem er die Durchsetzung individueller Ansprüche ermöglicht. Dass der demokratische Rechtsstaat auch Zumutungen für uns bereithält, haben wir gerade erlebt; denn er verlangt uns ab, dass wir Reden wie die des Kollegen Seitz ertragen müssen. Aber ich kann Ihnen versichern: Wir halten das aus.
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Um die Funktionsweisen des Rechtsstaates besser bekannt und erfahrbar zu machen, wollen wir als Bundestag gemeinsam das Forum Recht errichten. Wir gründen dafür eine Stiftung, deren Kuratorium zur Hälfte aus der Legislative und zur anderen Hälfte aus Repräsentanten der Justiz und der Exekutive besteht. Wir haben über die Zusammensetzung des Kuratoriums einige Runden gedreht, bevor wir uns einig waren. Am Ende war es wie immer ein Kompromiss, aber Kompromisse gehören zum Wesenskern der Demokratie, auch wenn sie häufig zu Unrecht als faul diffamiert werden.
({1})
Zufrieden bin ich unter anderem damit, dass jetzt auch das Bundesverwaltungsgericht und nicht nur BGH und Bundesverfassungsgericht vertreten sind. Gerade die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist ein Erkennungsmerkmal des Rechtsstaats. Vor dem Verwaltungsgericht begegnen sich Bürger und Staat auf Augenhöhe, und der Staat muss seine Entscheidungen und Eingriffe rechtfertigen. Ohne Verwaltungsrechtsweg steht der Bürger hilflos vor der Macht des Staates, so wie es vielen Bürgern in der DDR ergangen ist.
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Ein weiteres Erkennungsmerkmal des Rechtsstaates, wenn es um die Begegnung von Staat und Individuum geht, ist das Strafrecht und die Rechtsgarantien für Beschuldigte und Angeklagte. Wenn ich die aktuelle Debatte zur Reform der Strafprozessordnung betrachte und die Rufe nach immer schärferen Strafdrohungen höre, werde ich den Eindruck nicht los, dass das Forum Recht schnellstmöglich auf den Weg gebracht werden muss und dass ein Besuch desselben auch für Gesetzgeber hilfreich sein sollte.
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Im Hinblick auf das konstruktive Gesetzgebungsverfahren, das wir mit dem Forum gehabt haben, will ich die Kontroverse an dieser Stelle nicht vertiefen.
Die Arbeits- und Sozialgerichte und der Bundesfinanzhof sind zweifelsohne genauso zentral für das Funktionieren unseres Rechtsstaates, auch wenn jetzt nur die Standortgerichte in Leipzig und Karlsruhe im Kuratorium vertreten sind; auf die Rolle des Beirates komme ich gleich noch. Wichtig ist mir, dass auch die Anwaltschaft mit einem Vertreter/einer Vertreterin der Bundesrechtsanwaltskammer im Kuratorium vertreten ist. Die Anwaltschaft ist nicht nur Organ der Rechtspflege, sondern sichert den Zugang der Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Rechtsstaat.
Als Grüne hätten wir uns allerdings auch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft im Kuratorium gewünscht, das jetzt doch etwas justizlastig geraten ist.
({4})
Diese Verbände sollen jetzt stattdessen über den Beirat mitwirken. Das kann so funktionieren, wenn wir ihn richtig zusammensetzen. Im Gesetz haben wir nur wenige ausdrücklich genannt. Gerade der Deutsche Anwaltverein hat mit seinem wegweisenden Projekt „Anwältinnen und Anwälte in die Schulen“ vorgemacht, wie man Politikverdrossenheit und Erosion des Rechtsbewusstseins schon bei jungen Menschen entgegenwirken kann. Diese Idee sollte vom Forum unbedingt aufgegriffen und unterstützt werden.
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Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Deutschen Anwaltverein zur Wahl seiner Präsidentin zu gratulieren, der ersten Frau in diesem Amt. Herzlichen Glückwunsch an Edith Kindermann.
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Zurück zum Beirat. Bei allem Verständnis dafür, dass wir auf weitere namentliche Nennungen im Gesetzestext verzichtet haben, will ich mir den Beirat des Forums Recht nicht vorstellen ohne die Gewerkschaften und Sozialverbände, die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, das Institut für Menschenrechte und die Verbraucherzentralen. Aber auch Vereine wie Amnesty International oder die Umwelthilfe gehören für uns zu einem Forum Recht dazu. Der Rechtsstaat wird nämlich nicht nur von den Repräsentanten der drei Gewalten garantiert, sondern von allen gesellschaftlichen Gruppierungen, die ihn mit Leben füllen, indem sie Interessengegensätze und Konflikte mit rechtsstaatlichen Mitteln austragen. Oder anders formuliert: Stellen Sie sich vor, wir haben Gerichte und keiner geht hin.
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Ich hoffe, das Forum Recht wird einen Beitrag dazu leisten können, das Recht begreifbar zu machen, den Konsens damit zu stärken und vielleicht, wer weiß, am Ende sogar etwas Begeisterung für den Rechtsstaat zu vermitteln. Doch wie so oft setzen wir hier nur den Rahmen für das Projekt. Ab heute liegt es an den Beteiligten, das Forum mit Leben zu füllen und sicherzustellen, –
Kommen Sie bitte zum Ende.
– dass daraus auf keinen Fall nur ein Museum für Rechtsgeschichte wird.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Esther Dilcher.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Verhältnismäßig oft haben wir über das Thema Forum Recht hier im Plenum debattiert. Ich habe mir heute Morgen überlegt: Was kannst du erzählen, was noch nicht erzählt worden ist? Aber plötzlich ist noch einmal Bewegung in die Sache gekommen; denn einige von uns haben bitterböse Briefe vom Deutschen Gewerkschaftsbund und den Bundesrichtern der Sozial‑, Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeit bekommen.
Es ist nicht so, dass wir uns in den überparlamentarischen Gesprächen nicht damit beschäftigt hätten, wer einen Sitz im Kuratorium bekommt, in dem Gremium, das über den Haushalt der Stiftung und über die vorläufige Programmgestaltung entscheidet. Wie sollte man das ausgestalten? Sollen wir das Ganze noch einmal aufrollen? Es ist schon angesprochen worden: Der Prozess würde noch einmal verzögert. – Wir haben uns dafür entschieden, ein schlankes Gremium zu gestalten. Ich denke, 21 vielleicht verschiedene Meinungen unter einen Hut zu bringen – bzw. 22 Meinungen, wenn man den Vorsitzenden oder die Vorsitzende des Stiftungsbeirats hinzurechnet –, wird schon schwierig genug. Das haben unsere Debatten gezeigt, und dort waren wir wesentlich weniger.
Was wäre, wenn wir das Gremium erweitern würden? Dann müssten wir – Katja Keul hat es schon ausgeführt; mir sind auch noch ein paar Punkte eingefallen – die Gewerkschaften der Polizei, die Verbände der Berufsbetreuer und der Verfahrensbeistände, Opferverbände, zum Beispiel den Weißen Ring, möglicherweise Pressevertreter, die juristisch Prozesse begleiten, Professorinnen und Professoren sowie Studierende der Rechtswissenschaften einbeziehen. Wir könnten wieder das Fass aufmachen und den DAV dazunehmen,
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damit eine Juristenvereinigung im Kuratorium vertreten ist. Das wollen wir aber nicht.
Mir ist es viel wichtiger, dass diejenigen, die gerne einen Sitz im Kuratorium haben wollen und dort mitentscheiden wollen, ihre Ideen einbringen. Aber Ideen einbringen kann man auch, wenn man nicht im Kuratorium sitzt. Man kann sich an den Stiftungsbeirat oder das Kuratorium wenden, um gute Ideen einzubringen, um Projekte vorzulegen und letztendlich auch um bei der Durchführung, bei der Vollziehung, bei der Mitarbeit Hand anzulegen.
({1})
Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir Ihnen vom rechten Spektrum – das heute, wie ich feststellen muss, sehr mau vertreten ist, obwohl es vor anderthalb Jahren noch hieß, man wolle uns mal zeigen, wie hier gearbeitet wird – entgegnet haben: Wir arbeiten nicht durch Sitzen, sondern wir arbeiten mit dem Kopf.
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Das gilt ebenso für das Forum Recht. Es ist nicht wichtig, ob ich im Kuratorium sitze, sondern ob ich Hand anlege, ob ich Projekte einbringe, ob ich mitarbeite. Und die Gelegenheit dazu hätten Sie gehabt. Auch wenn Sie sagen: „Nein, wir lehnen das Projekt ab“, hätten Sie die Gelegenheit nutzen und sagen können: Wir arbeiten mit und zeigen, was Rechtsstaat aus unserer Sicht bedeutet. – Aber auch dem haben Sie sich verweigert.
({3})
Das Forum Recht soll nicht – darauf ist auch schon hingewiesen worden – nur Museum sein, und es ist auch nicht nur Museum. Ich finde es bitter, wie die AfD hier argumentiert. Sie transportieren dieses Bild ständig weiter, sodass man den Eindruck haben könnte, es sei wirklich nur ein Museum. Das ist es nicht. Aber der Rechtsstaat hat eben auch Geschichte, und Geschichte kann ich in einem Museum besonders gut zur Geltung bringen. Ich kann aber darüber hinaus auch neue Plattformen schaffen – so ist das Forum Recht auch gedacht, es soll eine Dialogplattform sein –, damit von außen auf das Wissen und die Ergebnisse der Forschung zugegriffen werden kann.
Zeigen wir also, dass es ausreichend Gründe dafür gibt, wieder Vertrauen in unseren Rechtsstaat zu haben und das Forum Recht weiter zu begleiten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Carsten Körber, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Barley! Wir debattieren heute abschließend über den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung der bundeseigenen Stiftung Forum Recht. Ich persönlich freue mich sehr, heute für meine Fraktion hier sprechen zu dürfen; denn ich sehe in der heutigen Debatte eine große Stunde des Parlamentarismus. Das mag vielleicht etwas pathetisch klingen; so denken Sie möglicherweise. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass diese Debatte hier und heute eine besondere Debatte ist.
Warum? Erstens. Der vorliegende Gesetzentwurf kommt aus der Mitte des Parlaments. Das Forum Recht ist also ein Parlamentsprojekt. Zweitens. Dieser Gesetzentwurf wird inhaltlich von fünf der sechs Fraktionen in diesem Hause getragen. Dass drei Oppositionsfraktionen eine Idee der Regierungskoalition unterstützen, das ist selten in diesem Hause. Das zeigt die Bedeutung des Parlamentsprojekts „Forum Recht“.
In den letzten Monaten haben wir in den verschiedenen Gremien und auch hier im Hohen Hause viel über das Forum Recht gesprochen. Jetzt kommen wir endlich zu dem Punkt, an dem das Forum Recht Wirklichkeit wird. An dieser Stelle sollten wir vielleicht einmal innehalten und die Frage stellen, woher diese Idee überhaupt kommt und was die Voraussetzung dafür war, dass wir diese Debatte heute führen können.
Da muss ich natürlich nach Karlsruhe blicken. Vor gut 15 Jahren – Kollege Wellenreuther hat es schon angedeutet – gab es in Karlsruhe die Idee, sich als Kulturhauptstadt Europas zu bewerben. Dabei entstand erstmals die Idee eines Forums Recht. Nachdem die Bewerbung leider nicht erfolgreich war, verschwand die Idee für viele Jahre in den Schubladen. 2016 wurde sie wieder hervorgeholt. Diesmal allerdings mit mehr Erfolg, als die Initiatoren sich das damals wahrscheinlich vorgestellt hatten. Es gründete sich der Initiativkreis Forum Recht in Karlsruhe, die Keimzelle dieses zivilgesellschaftlichen Engagements. Über die letzten Jahre hinweg haben sich viele Menschen dort in ihrer Freizeit engagiert, die Idee weiterentwickelt und etwas Bewundernswertes aus dieser Idee, die letztlich am Küchentisch geboren wurde, hervorgebracht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön sagen an all die Aktiven in Karlsruhe. Ohne ihr Engagement wäre diese Debatte im Hohen Hause heute nicht möglich.
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Doch damit nicht genug. Aus dem Karlsruher Initiativkreis heraus hat sich vor kurzem auch ein Förderverein Forum Recht gegründet. Das nenne ich Zivilgesellschaft at its best.
Jetzt habe ich die ganze Zeit über Zivilgesellschaft gesprochen. Lassen Sie mich den Blick bitte noch auf einen weiteren Aspekt werfen. Die Idee aus Karlsruhe wird nun zu einem wahrhaft gesamtdeutschen Projekt. Das Forum Recht wird an zwei Standorten entstehen, einmal in Karlsruhe und einmal in Leipzig, so wie wir bedingt durch die deutsche Teilung zwei Städte des Rechts in Deutschland haben. Der Sitz der Stiftung und der Hauptsitz des Forums Recht werden in Karlsruhe sein. Einen Standort wollen wir in Leipzig errichten.
Ich glaube, an diesem Punkt sollte ich etwas klarstellen: Wir haben im Deutschen Bundestag am 18. Oktober des vergangenen Jahres erstmals über das Forum Recht debattiert. Nach dieser Debatte haben wir ebenfalls mit einer großen überfraktionellen Mehrheit beschlossen, neben dem Hauptsitz in Karlsruhe einen weiteren Standort in Ostdeutschland, zum Beispiel in Leipzig, einzurichten. Inzwischen – das wissen wir alle – ist die Entscheidung für Leipzig gefallen. Ich kann natürlich verstehen, dass diese Entscheidung in Karlsruhe für Irritationen gesorgt hat. Es gibt dort die Sorge, dass die Kosten für Leipzig zulasten von Karlsruhe gehen könnten. Dazu möchte ich ganz klar sagen: Wenn wir uns als Parlament bewusst für einen weiteren Standort entscheiden, dann werden wir natürlich auch dafür sorgen, dass dieser Standort ausfinanziert ist, und zwar nicht zulasten von Karlsruhe.
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Jetzt erwarte ich auch von denjenigen, die vielleicht noch etwas kritisch und unsicher waren, dass sie selbstbewusst und offen in den produktiven Austausch mit Leipzig treten; denn sie haben allen Grund, selbstbewusst zu sein. Hier in Berlin, aber gewiss auch in Leipzig weiß man um die Verdienste der Aktiven in Karlsruhe. – Man weiß, was Ihnen zu verdanken ist. Machen Sie jetzt gemeinsam etwas Großes daraus!
Ich freue mich, zu sehen, dass auch in Leipzig das Forum Recht nicht im luftleeren Raum existiert. Auch in Leipzig stehen die Zivilgesellschaft und die juristische Community fest hinter dieser Idee. Der Freistaat Sachsen, die Stadt Leipzig, aber auch die Leipziger Universität ziehen hier gemeinsam an einem Strang. Wie in Karlsruhe beginnt sich jetzt das Forum Recht auch in Leipzig zu formieren. Ich glaube, dass wir gemeinsam den Beginn einer ganz besonderen Institution erleben. Lassen Sie uns gemeinsam das Forum Recht zu einem Erfolg machen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Körber. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzentwurf zur Errichtung der Stiftung Forum Recht. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/8607, den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/8263 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der AfD mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das sind wieder alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD. Gegenprobe! – Gegenstimmen der AfD. – Keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Unser Gesetzentwurf liegt Ihnen vor. Analog zum Wehrbeauftragten soll die Stelle eines Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes beim Deutschen Bundestag geschaffen werden, ein unabhängiger Ansprechpartner für Polizistinnen und Polizisten sowie Bürgerinnen und Bürger, im besten Sinne ein Anwalt in der Sache.
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In der letzten Legislaturperiode haben drei von vier Fraktionen unseren Vorschlag befürwortet. Gescheitert ist der Gesetzentwurf leider trotzdem, weil sich die Union in der Großen Koalition durchgesetzt hat. Damals haben Sie in Gesprächen sinngemäß gesagt: Na ja, wir warten jetzt mal die Bundestagswahl ab; dann kann man das in einer Koalition gut verhandeln, wenn die Union auch etwas dafür bekommt. – So ist es nicht gekommen. Deshalb sagen wir: Wir wollen hier keinen Kuhhandel. Es geht hier allein um die Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Darum sollte es bei unserer Entscheidung gehen. Nicht Geben und Nehmen sollte bei diesem Thema ausschlaggebend sein, sondern das bessere Argument.
Man sieht es doch in der Praxis: Überall, wo es eine solche Stelle oder etwas Vergleichbares gibt – in Rheinland-Pfalz, in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen, in Baden-Württemberg, sogar in Sachsen und Bayern; demnächst wird so eine Stelle auch in Berlin geschaffen werden –, hört das Gerede von Generalverdacht und Misstrauen schlagartig auf. In Schleswig-Holstein kommen laut Landespolizeibeauftragter sogar drei Viertel aller Eingaben direkt aus dem Polizeiapparat. Und das hat nicht etwa dazu geführt, dass sich die Polizistinnen und Polizisten dafür rechtfertigen mussten, im Gegenteil. Wer das sieht, der sagt doch: Gut so, da werden Probleme nicht länger unter den Teppich gekehrt, da geht es voran. – Auch sonst sehe ich in der Sache keine überzeugenden Argumente gegen den Polizeibeauftragten. Aber wo es keine überzeugenden Gegenargumente gibt, da erfolgt oft der tiefe Griff in die Ausredenkiste, nach dem Motto: Das haben wir alles schon, das brauchen wir nicht.
Ein beliebtes Argument in der letzten Wahlperiode war: Wir haben doch den Petitionsausschuss. – In der Tat, jeder kann sich an den Petitionsausschuss wenden; aber die Arbeit dort hat nur sehr wenig mit dem zu tun, was wir von einem Polizeibeauftragten zu Recht erwarten können. Zum einen hat der Petitionsausschuss weder die Möglichkeit noch die Aufgabe, sich über den Einzelfall hinaus einen Eindruck von der Polizei zu verschaffen, zum anderen bewertet der Petitionsausschuss Eingaben zu Strukturen und Arbeitsweisen nicht polizeifachlich in Form eines regelmäßigen Berichts, und er nimmt auch keine entsprechenden Prüfaufträge aus anderen Ausschüssen entgegen. Er kann also die parlamentarische Kontrolle der Polizei, so wie wir es in unserem Gesetzentwurf vorgesehen haben, nicht ersetzen.
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Ein weiteres Argument, das von den Kritikern unseres Vorschlags genannt wird, ist der Hinweis auf die Vertrauensstelle beim Bundespolizeipräsidenten, die 2015 geschaffen wurde. Sie arbeitet aber nicht unabhängig, sondern ist direkt dem Präsidenten, Herrn Romann, unterstellt, und außerdem steht sie nur den Beschäftigten der Bundespolizei zur Verfügung, aber nicht dem Bundeskriminalamt, dem Zoll und schon gar nicht den Bürgerinnen und Bürgern.
Darüber hinaus gilt auch für die Arbeit der Vertrauensstelle das Legalitätsprinzip. Es ist daher nicht möglich, sich erst einmal beraten zu lassen und gegebenenfalls später zu entscheiden, wie man mit der Eingabe weiter verfährt. Der Polizeibeauftragte hingegen ist ein Anwalt in der Sache, der beides ermöglicht.
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Die Beschäftigten können sich ohne Einhaltung des Dienstweges an eine unabhängige Stelle wenden, und sei es nur, dass sie eine Beratung brauchen. Und Bürgerinnen und Bürger, die von einer polizeilichen Maßnahme betroffen sind, können sich an eine externe Stelle wenden, die gerade nicht die Polizei ist, aber trotzdem die nötige Expertise hat und auch Wege aufzeigen kann, die sich in der konkreten Situation bieten. So sollte es sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
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Gewissermaßen als letzte Patrone der Kritiker eines Polizeibeauftragten kommt der Verweis auf die Personalvertretungen und Polizeiseelsorge. Ich will das hier in aller Wertschätzung sagen: Beide Institutionen sind von wirklich großer Wichtigkeit. Aber sie haben völlig andere Aufgaben. Genau wie Staatsanwaltschaften und Gerichte, interne Vertrauensstellen oder die Personalräte können sie die parlamentarische Kontrolle der Polizei, die das Gewaltmonopol im Innern ausübt, nicht ersetzen.
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Alle Institutionen, die ich genannt habe, schauen sich nur den Einzelfall an. Aber niemand richtet den Blick auf das große Ganze, auf die gesamte Institution, um herauszufinden, ob es zum Beispiel systemische Ursachen gibt, wo kein Strafverfahren weiterhilft, sondern die politisch abgestellt werden müssen. Das ist die Aufgabe von uns hier im Parlament. Aber um das effektiv tun zu können, brauchen wir den Polizeibeauftragten als Hilfsorgan des Bundestages.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann Sie nur noch einmal ermutigen, sich wirklich ernsthaft die Frage zu stellen, was in der Sache gegen die Einrichtung eines Polizeibeauftragten spricht. Polizistinnen und Polizisten arbeiten in einem hochsensiblen Bereich und haben besondere Befugnisse. Wenn wir sagen, hier braucht es eine kontrollierende, unabhängige Instanz, dann liegt das nicht am fehlenden Vertrauen. Ganz im Gegenteil: Ohne das Vertrauen der Bevölkerung könnte die Polizei ihre Arbeit überhaupt nicht machen. Den höchsten Anspruch an ihre Arbeit haben doch sowieso Polizistinnen und Polizisten selbst. Dabei sollten wir sie nach Kräften unterstützen. Aber man unterstützt niemanden durch Lippenbekenntnisse, sondern nur durch konkrete Verbesserungen.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass es in naher Zukunft einen verlässlichen, unabhängigen Ansprechpartner für Bürgerinnen und Bürger, aber auch für Polizistinnen und Polizisten gibt, einen Anwalt in der Sache, der uns bei der parlamentarischen Kontrolle hilft. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.
Ganz herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion: der Kollege Josef Oster.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten über die Arbeit der Polizei in unserem Land. Bevor ich auf den Gesetzentwurf, der heute beraten wird, eingehe, möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, zunächst einmal allen Polizisten in unserem Land meinen herzlichen Dank auszusprechen.
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Was sie für unser Land und unsere Bevölkerung Tag für Tag leisten, verdient größten Respekt und Anerkennung. Das gilt übrigens auch für alle Rettungskräfte.
Warum erwähne ich das so deutlich ganz am Anfang meiner Rede? Weder ist in der Rede, die wir gerade von Frau Mihalic gehört haben, ein Wort des Dankes oder der Anerkennung zu hören gewesen, noch ist in der Begründung zum Gesetzentwurf irgendwo ein Wort des Dankes oder der Anerkennung zu lesen.
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Der gesamte Entwurf, so wie er uns vorliegt, ist Ausdruck eines ausgeprägten Misstrauens gegenüber der Polizei und dem Staat insgesamt.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Tagesordnungspunkt ist zudem nach meiner Überzeugung ein mustergültiges Beispiel dafür, wie man in der Politik falsche Prioritäten setzen kann.
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– Ja, das sagt auch ein Bürgermeister, Herr von Notz. – Wir haben doch in Deutschland, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, aktuell kein akutes Problem mit Gewalt oder Fehlverhalten von Polizisten;
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wir haben ein Problem mit Gewalt gegen Polizisten. Hier besteht Handlungsbedarf.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, auch wenn es der falsche Ansatz ist, begrüße ich es durchaus, dass Sie sich auch mal mit Themen der inneren Sicherheit befassen.
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Auch Ihr Ansatz, sich für Transparenz und Akzeptanz polizeilicher Arbeit einzusetzen, ist begrüßenswert.
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Das Problem ist aber doch nicht, dass in Deutschland eine weitere Beschwerdestelle fehlt. Das Problem ist, dass die Arbeit unserer Polizei Tag für Tag schwieriger wird.
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Überall dort, wo Menschen arbeiten, passieren natürlich auch Fehler. Das stelle ich auch bei der Polizei nicht infrage. Allerdings kann doch schon heute jede Bürgerin und jeder Bürger selbstverständlich polizeiliches Fehlverhalten anzeigen. Diese Fehler aufzuarbeiten, ist die Aufgabe von Staatsanwaltschaften und Gerichten.
Aber auch intern wird polizeiliches Fehlverhalten konsequent aufgearbeitet. Die Bundespolizei verfügt über ein klares Beschwerdemanagement, das eine unabhängige, unparteiische und umfassende Aufklärung gewährleistet.
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– Das machen wir hier, Frau Mihalic. Wir sind doch ein Parlament, das selbstlos genug ist, diese parlamentarische Kontrolle auch zu vollziehen.
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Aber ich war bei den internen und externen Beschwerdemöglichkeiten. Sie haben es eben auch angesprochen. Es gibt eine Vielzahl von Stellen, an die sich Polizisten wenden können: Personalvertretungen, Gleichstellungsbeauftragte, Sucht- und Sozialberatung, Vertrauensstellen, die Innenrevision, Datenschutzbeauftragte und – auch wenn Sie das eben von sich gewiesen haben – auch den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages.
All das sind Anlaufstellen, die für ein gut funktionierendes Beschwerdesystem bei der Polizei stehen. Die Einführung eines unabhängigen Polizeibeauftragten ist deshalb nicht notwendig. Das würde nur zu überflüssigen Doppelstrukturen führen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Probleme liegen doch ganz woanders. Die Beispiele von Gewalt gegen Polizei sind vielfältig: G-20-Gipfel, Hambacher Forst, problematische Fußballspiele usw. usw. Gerade gestern hat es hier in Berlin wieder eine Massenschlägerei gegeben, bei der auch ein Polizist verletzt wurde. Das sind Probleme, um die wir uns kümmern müssen.
Die nackten Zahlen zeigen: Es gab im vergangenen Jahr insgesamt 2 311 Angriffe auf Polizisten. Dabei sind 503 Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei verletzt worden. Auch in meinem Heimatland Rheinland-Pfalz gab es im Jahr 2017 über 1 500 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte. Hier besteht akuter Handlungsbedarf; hier müssen wir handeln.
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Genau das tun wir von CDU und CSU. Wir haben ganz aktuell dafür gesorgt, dass Angriffe auf Polizisten härter bestraft werden.
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Wir haben dafür gesorgt – gemeinsam mit unserem Koalitionspartner –, dass in dieser Wahlperiode insgesamt 15 000 neue Stellen bei den Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern geschaffen werden.
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Und wir haben dafür gesorgt, dass mit dem Pakt für den Rechtsstaat 2 000 zusätzliche Stellen bei der Justiz eingerichtet werden. So sieht Unterstützung der Polizeiarbeit aus.
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Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Beamtinnen und Beamten von Bundespolizei, BKA und Zoll sind Bürgerinnen und Bürger in Uniform. Laut aktuellen Umfragen vertrauen 81 Prozent der Deutschen unserer Polizei. Sie liegt damit im Ranking noch vor den Ärzten. Dieses Vertrauen in die Polizei ist ein hohes Gut. Um dieses Ansehen der Sicherheitskräfte in der Bevölkerung werden wir international beneidet. Ich betrachte es, und das gilt auch für unsere Fraktion, als eine zentrale Aufgabe, dieses Vertrauen weiter zu stärken und eben nicht durch linken politischen Aktionismus zu schwächen.
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Wir müssen unseren Polizeibeamten – Landes- wie Bundespolizisten – klar zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen;
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denn die Herausforderungen werden weiterwachsen. Linke und rechte Extremisten, Islamisten oder auch „Reichsbürger“ gefährden unsere Demokratie. Der Rechtsstaat muss hier mit aller Konsequenz handeln. Dafür brauchen wir eine starke Polizei.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Notz?
Nein, ich möchte im Zusammenhang reden.
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Wir treten für einen besseren europäischen Grenzschutz ein. Die Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2021 auf zunächst 5 000 Einsatzkräfte anwachsen. Deutschland wird auch hier selbstverständlich seinen Beitrag leisten. Auch dafür brauchen wir eine starke Polizei.
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– Der Wehrbeauftragte hat eine ganz andere Funktion. Das kann man meines Erachtens überhaupt nicht vergleichen. Wenn das Ihre Zwischenfrage war, ist sie damit gleich beantwortet.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, das sind nur wenige Beispiele, die deutlich machen, dass wir unserer Polizei den Rücken stärken müssen: personell, materiell und auch moralisch. Einen zusätzlichen Polizeibeauftragten benötigten wir dafür aber ganz gewiss nicht. Den Gesetzentwurf lehnen wir ab.
Die klare Botschaft von CDU/CSU lautet: Wir – CDU und CSU – stehen an der Seite unserer Polizei.
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Nächster Redner für die Fraktion der AfD ist der Kollege Lars Herrmann.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
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Der Gesetzentwurf der Grünen ist völlig absurd,
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und Sie sollten sich schämen! Wenn es darum geht, Fehlentwicklungen zu erkennen und ihnen vorzubeugen, empfehle ich den Grünen dringend, einen Parteibeauftragten zu wählen.
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So jedenfalls äußert sich die DPolG, die Bundespolizeigewerkschaft, zu dem hier vorgelegten Machwerk der Grünen, und ich schließe mich dieser Meinung ausdrücklich an und gehe sogar noch weiter: Ihr Antrag ist ein bösartiger Angriff auf unsere Bundespolizisten und zeigt einmal mehr, welches tiefe Misstrauen die Grünen gegenüber der Polizei insgesamt hegen.
Denselben Vorwurf habe ich erst in der vergangenen Woche den Linken bezüglich eines Antrags zur Einrichtung einer Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene gemacht. Sie befinden sich also in schlechter Gesellschaft.
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Wirklich wundern muss man sich darüber nicht, war es doch insbesondere die Bundespolizei, die dafür gesorgt hat, dass der Castor-Transport immer sicher in Lüchow-Dannenberg angekommen ist. Dafür musste hauptsächlich Ihre Klientel von den Schienen getragen werden.
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Übrigens: Da hatte ich meinen ersten Bandscheibenvorfall.
Auch ist es die Bundespolizei, die, wenn man sie nur lässt, dafür einsteht, dass unsere Grenzen sicher sind, und die auch im Bereich der Rückführung dafür Sorge trägt, dass abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimatländer zurückgebracht werden.
Atommülltransporte schützen, gewalttätige Demonstranten neutralisieren, Grenzen kontrollieren und schützen und abgelehnte Asylbewerber abschieben:
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Wer diese Aufgaben in Deutschland engagiert umsetzt, wird automatisch zum Feindbild der Grünen, und dass das so ist, beweist der hier vorgelegte Gesetzentwurf.
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Welcher polizeiliche Sachverstand bei den Grünen tatsächlich vorherrscht, möchte ich kurz illustrieren. So zeigte Frau Künast ihr polizeiliches Fachwissen, als ein IS-Terrorist in der Regionalbahn bei Würzburg mit einer Axt ein Blutbad anrichtete.
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Als er auch auf die eintreffenden Polizeibeamten losging, machten diese von der Schusswaffe Gebrauch und verletzten den Angreifer tödlich. Frau Künasts größte Sorge war damals, warum der Verbrecher nicht angriffsunfähig geschossen werden konnte.
Noch ein Beispiel. So macht die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Frau Dr. Mihalic, der Polizeiführung den Vorwurf, für die gewalttätigen Ausschreitungen beim G-20-Gipfel in Hamburg verantwortlich zu sein – was aber ebenfalls nicht verwundert, tummelte sich doch ihr Parteifreund Jürgen Kasek, seinerzeit immerhin sächsischer Landesvorsitzender der Grünen, inmitten der „Welcome to hell“-Demo und betrachtet Gewalt gegen Polizisten mehr oder weniger als zum normalen Ablauf gehörend.
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Zurück zu Ihrem Bundespolizeibeauftragten, der erforderlich sei, weil nach Meinung der Grünen bei der Bundespolizei unverhältnismäßige Gewalt ausgeübt werde, Menschenrechte verletzt oder Bürger im öffentlichen Raum diskriminiert oder unangemessen behandelt würden, weil die Bundespolizei im Inland und an den Grenzen auf unterschiedliche Art und Weise die Aufgabe hat, Straftaten zu verfolgen und Gefahren abzuwehren. – So steht es in Ihrem Gesetzentwurf.
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Dabei verkennen Sie jedoch eine wesentliche Sache, nämlich dass die Polizei in Deutschland nun einmal Angelegenheit der Bundesländer ist. Ein Polizeibeauftragter auf Bundesebene ist damit schon von Verfassungs wegen völlig deplatziert und schlichtweg überflüssig.
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Weiterhin besteht für Bundespolizisten nach § 63 Bundesbeamtengesetz nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zur Remonstration gegenüber Vorgesetzten, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme bestehen.
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Auch wurde 2015 die Vertrauensstelle der Bundespolizei eingerichtet, die direkt dem Präsidenten der Bundespolizei angegliedert ist und Eingaben von Mitarbeitern vertraulich entgegennimmt. Es besteht also weder ein Bedarf noch irgendeine Notwendigkeit für einen Bundespolizeibeauftragten.
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Um es mit den Worten des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Herrn Rainer Wendt, zu sagen: Natürlich kann man die innere Sicherheit den Grünen anvertrauen.
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Nur: Dann ist sie halt weg, die innere Sicherheit.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Herrmann. – Die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion: die Kollegin Susanne Mittag.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf und die Anträge beinhalten eine an sich gute Idee. Auch in der vergangenen Legislaturperiode haben die Grünen dazu – allerdings fast gleichlautende – Anträge in den Deutschen Bundestag eingebracht, und immer noch sind dieselben Fragen offen wie bei den Anhörungen 2017.
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Aber vielleicht kommen wir ja in den parlamentarischen Beratungen bei dem einen oder anderen Punkt ein Stückchen weiter.
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Auch haben wir in der vergangenen Woche einen ähnlichen Antrag der Linken gehabt und auch da schon darauf hingewiesen, dass es in einigen Bundesländern schon Anlaufstellen für Beschwerden von Bürgern, aber eben auch für Polizisten gibt. Es ist in gewissen Bereichen also schon geübte Praxis.
So eine Vertrauensstelle ist kein Anschlag auf das Vertrauen in die Polizei, sondern zeigt auch eine gewisse Souveränität beim Umgang mit dem Thema.
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Bei der Polizei arbeiten Menschen. Menschen machen Fehler – das ist völlig normal und überall so, sogar hier. Nun gilt es aber zu prüfen, wie man mit solchen Fehlern oder Beschuldigungen gegenüber der Polizei oder innerhalb der Polizei umgeht.
Zu einem fairen und realistischen Umgang mit diesem Vorschlag gehört aber auch, der Polizei nicht immer wieder grundsätzlich strukturelle Mängel bzw. Rassismus zu unterstellen. Das sind und bleiben allenfalls Einzelfälle.
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Ich habe eben herausgehoben: Es gibt bereits Beschwerdestellen in den Bundesländern. Aber auch die Bundespolizei hat mit ihrer Vertrauensstelle – das ist eben erwähnt worden – schon seit längerem auf mögliche Missstände innerhalb der Organisation reagiert. Dorthin können sich die Angehörigen der Bundespolizei wenden, wenn sie Fehlverhalten von Kollegen oder Vorgesetzten erkennen – das ist keine Kleinigkeit – und dies direkt an die Leitung weitergeben wollen. Diese Stelle funktioniert gut, auch wenn die Zahlen zum Glück nicht hoch sind. Aber jedes einzelne Vorkommnis rechtfertigt eine solche Stelle, und das verhindert auch ein wenig die Legendenbildung, die leider oftmals rund um den Einsatz von Polizei festzustellen ist.
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In den vorliegenden Anträgen wird ein Bundespolizeibeauftragter beim Deutschen Bundestag gefordert. Er soll für die Bundespolizei, das BKA, den Zoll sowie die Polizei im Deutschen Bundestag zuständig sein und unabhängig ermitteln dürfen. An den Beauftragten können sich sowohl Beamte aus den Polizeien als auch Bürger wegen vermuteter Missstände wenden. Der Beauftragte soll parallel zu den eventuell auch erfolgenden staatsanwaltschaftlichen oder Disziplinarermittlungen arbeiten. Das heißt also, dass ein Beamter, dem Fehlverhalten vorgeworfen wird – sollte man dem Antrag folgen –, nunmehr mit drei verschiedenen Ermittlungsebenen konfrontiert ist. Das macht die Sache für den Beamten nicht zwingend leichter.
Und: Der immer wieder im Raum stehende Vorwurf, Fehlverhalten von Polizisten werde nicht mit allen rechtsstaatlichen Mitteln begegnet und Missstände innerhalb der Organisation würden eher verschwiegen als gründlich aufgearbeitet, stimmt so nicht; denn an den Vorwürfen, die den Bundespolizisten in Hannover im Jahre 2015 gemacht wurden, kann man sehr gut sehen: Die Ermittlungen wurden der Landespolizei übertragen, und als Reaktion hat der Präsident der Bundespolizei die schon vorab beschriebene Vertrauensstelle geschaffen. Es ist heute also absolut üblich und normal, dass bei Vorwürfen die Ermittlungen von einer anderen, also außerhalb jeglicher Zuständigkeit liegenden, Dienststelle und einer anderen Staatsanwaltschaft durchgeführt werden, wenn es denn reell läuft.
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Das hat sich als ein fachlich gutes und unabhängiges Vorgehen erwiesen.
Insgesamt wird mit den Anträgen und dem Gesetzentwurf versucht, die gesamte Bandbreite der möglichen Vorwürfe gegen Polizeibeamte zu erfassen und Externe zuständig zu machen. Für „unangemessenes Verhalten“ oder das, was vom Bürger als „unangemessen“ empfunden wird, gibt es keine klare Definition. Jeder empfindet etwas anderes als unangemessen. Das gilt besonders bei repressiven Maßnahmen, bei denen es schon mal hektisch und unübersichtlich werden kann. Für diese Unangemessenheit bis hin zu strafbaren Handlungen soll der Bundespolizeibeauftragte zuständig sein. Das ist ein ziemlich schwieriges Unterfangen.
Nun noch kurz zu dem ebenfalls vorliegenden ergänzenden Antrag zu den Änderungen der Richtlinien für das Strafverfahren und Bußgeldverfahren, den sogenannten RiStBV. Sie schlagen eine Frist von drei Wochen vor, innerhalb derer ein Beamter, der zwar Kenntnis von einem Vorkommnis hat, aber nicht direkt Beteiligter ist, eine Aussage machen kann, ohne dass er sich einer Strafvereitelung im Amt schuldig macht. Das ist ein guter Ansatz. Aber einige Verfahren dauern so lange, dass dafür die Frist von drei Wochen absolut nicht ausreicht. Deswegen müsste man überlegen, im Strafrecht und Disziplinarrecht eine Art Kronzeugenregelung einzuführen. Das würde vielleicht weiterhelfen.
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Zum Schluss möchte ich noch einen Gedanken ganz kurz anführen. Wenn wir über Vorwürfe gegen Polizeibeamte reden, dann muss man auch an das Ende der Ermittlungen denken. Am Ende der Ermittlungen steht oft „eingestellt“. Es wird nach außen überhaupt nicht deutlich, auch nicht für den Polizeibeamten, ob das Verfahren mangels Beweisen eingestellt wurde oder ob die Vorwürfe definitiv falsch waren. Es wäre sehr hilfreich, festzulegen, dass am Ende eines Verfahrens, wie immer es auch ausgehen mag – Disziplinar- oder Strafverfahren –, Polizeibeamte Kenntnis davon bekommen, ob Vorwürfe ungerechtfertigt waren, sie ganz klar als nicht zutreffend eingestuft worden sind, und dass das Ganze öffentlich darzustellen ist.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat als nächster Redner der Kollege Benjamin Strasser, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei, des Bundeskriminalamts, des Zolls und auch der Polizei beim Deutschen Bundestag leisten jeden Tag einen wichtigen Beitrag für unser Gemeinwesen, für den jeder und jede von uns zu Respekt und Dank verpflichtet ist. Wer auch in Extremsituationen den Kopf für die freie Gesellschaft hinhält, darf zu Recht die notwendige politische Unterstützung erwarten. Für die Fraktion der Freien Demokraten kann ich versichern: Diese Unterstützung haben sie!
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kritiker des heute zur Debatte stehenden Entwurfs betonen, dass die Stelle einer oder eines Polizeibeauftragten Tausende Mitarbeiter der genannten Behörden unter einen Generalverdacht stellt. Lassen Sie mich betonen: Falschen und pauschalen Unterstellungen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte tritt meine Fraktion konsequent entgegen.
Genau aus diesem Grund haben wir uns in der vergangenen Sitzungswoche übrigens kritisch zum Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Linken positioniert, der einseitig von Misstrauen gegenüber der Polizei und ihren Beamtinnen und Beamten geprägt war. Ein solches falsches Grundverständnis kann ich aber im heute vorliegenden Entwurf der Fraktion der Grünen glücklicherweise nicht entdecken. Es gehört zur Redlichkeit, Herr Kollege Oster, dass man differenziert darstellt, was in den Anträgen wirklich steht.
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Allein deshalb finde ich, dass wir ihn zumindest ergebnisoffen diskutieren sollten.
Wir sind ja nicht die Einzigen, die darüber kontrovers debattieren. Auch bei den Polizistinnen und Polizisten selbst und in ihren Gewerkschaften wird schon länger eine kontroverse Debatte geführt und teilweise auch gehandelt. Das Beispiel Hannover ist angeführt worden. Der Bundespolizeipräsident Romann hat aufgrund dieser Vorfälle eine entsprechende Vertrauensstelle geschaffen. Auch das begrüßen wir als Fraktion der Freien Demokraten ganz explizit.
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Es steht außer Frage, dass es in komplexen und unübersichtlichen Einsatzlagen genauso wie im anspruchsvollen Alltag von Polizistinnen und Polizisten zu Situationen kommen kann, die nicht richtig laufen. Es entstehen unterschiedliche Auffassungen zwischen Bürgern und Beamten über die Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen. Ja, in manchen Fällen werden auch Kompetenzen und Befugnisse überschritten. Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, liebe Kollegen der Union, so zu tun, als sei die Institution Polizei frei von Fehlern. Wo Menschen arbeiten, können Fehler passieren. Das gehört eben auch zur Realität dazu.
Es gibt allerdings heute keinen Weg, derartige Konflikte außerhalb der Wege der Fach- und Dienstaufsicht oder der Gerichtsbarkeit zu klären. Um strukturelle Faktoren und Entwicklungen in den Bundespolizeibehörden aufzuarbeiten, sind sie eben nicht geeignet. Ich glaube nicht, dass die Instrumente der Dienst- und Fachaufsicht überholt sind. Aber es schadet nicht, sich zu überlegen, wo diese sinnvoll ergänzt werden können, um die parlamentarische Kontrolle – genau darum geht es heute – ohne Skandalisierung zu gewährleisten.
Herr Kollege Oster, ich weiß nicht, ob ein Untersuchungsausschuss immer das beste Mittel ist, wenn es um das Ansehen der Polizei geht, oder ob wir nicht andere Instrumente suchen sollten, um ebendiese parlamentarische Kontrolle auszuüben.
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Ende letzten Jahres hat Seda Basay-Yildiz, eine der Opferanwältinnen im NSU-Prozess, ein mit „NSU 2.0“ betiteltes Drohfax erhalten, wodurch ein Netzwerk rechtsradikaler Beamtinnen und Beamten in der hessischen Landespolizei aufgedeckt wurde. Dieser Fall hat uns alle aufgeschreckt. Solche Ereignisse sind geeignet, das Ansehen der Institution Polizei und damit auch des Staates an sich negativ zu beeinflussen.
Auf der anderen Seite stört mich aber heute besonders, dass wir von den Drohungen gegen Frau Basay-Yildiz und dem, was dahintersteht, immer nur aus den Zeitungen erfahren müssen. Genau mit diesem Fall kann man den Eindruck erwecken, es gäbe so etwas wie institutionellen Rassismus. Diesem Eindruck trete ich entgegen: Weder im NSU-Untersuchungsausschuss noch im alltäglichen Gespräch mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten lässt sich der Vorwurf eines solchen institutionellen Rassismus erhärten. Auch das müssen wir zur Sprache bringen.
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Genau deshalb ist es wichtig, Wege zu schaffen, wie man entstandene Probleme in Polizeibehörden thematisieren kann. Die Kritiker heute müssen mir erklären, was ihnen lieber ist: Möchten Sie, dass externe Missstände von Betroffenen und Whistleblowern in den Behörden geleakt – also Informationen durchgestochen – werden müssen oder dass die Betroffenen die Möglichkeit einer externen Kontrolle haben, die nur dem Parlament verpflichtet ist? Fälle wie dieser sogenannte NSU 2.0 sind viel zu heikel, als dass sie für die schnelle Schlagzeile missbraucht werden dürfen.
Ein unabhängiger Polizeibeauftragter des Bundes kann deshalb sowohl Bürgerinnen und Bürgern als auch Beamtinnen und Beamten den Weg eröffnen, dass Missstände dort ankommen, wo sie hingehören, nämlich bei uns Parlamentariern. In jedem System, sei es auch noch so gut, können Fehlentwicklungen vorkommen. Es ist unsere Verantwortung, geeignete Wege zu finden, um strukturelle Probleme auch über den Einzelfall hinaus zu identifizieren und abzustellen.
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Das Vertrauen in die Polizei ist groß; das ist angesprochen worden. Schon heute zeigen Meinungsumfragen, dass 80 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger angeben, Vertrauen in die Polizeibehörden zu haben. Ein Beauftragter, der dem Parlament und damit auch der Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen in der Polizei genauso wie über Probleme der Beamtinnen und Beamten in deren alltäglicher Arbeit regelmäßig Bericht erstattet, schafft Transparenz. Genau deshalb ist das aus meiner persönlichen Sicht ein Instrument, mit dem das bestehende Vertrauen noch weiter gestärkt werden kann.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Fraktion der Freien Demokraten kommt es darauf an, kein System des einseitigen Misstrauens gegenüber der Polizei zu etablieren. Ein unabhängiger Polizeibeauftragter als Element der Qualitätssicherung und der modernen Mitarbeiterführung kann ein spannender Ansatz sein, auch für die weitere Entwicklung unserer Polizei.
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Der Antrag der Grünen ist aus meiner Sicht dafür zumindest eine taugliche Beratungsgrundlage.
Mit dieser abwägenden Haltung, die ich Ihnen im Namen der Freien Demokraten hier erläutert habe, sehen wir den Beratungen im Innenausschuss gespannt entgegen. Wir können nicht nur Serviceopposition. Wir sind die konstruktiv-kritische Parlamentskraft in diesem Haus.
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Vielen herzlichen Dank.
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Der nächste Redner ist der Kollege Niema Movassat, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden über den Vorschlag der Grünen, die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten zu schaffen. Dies gibt es in einigen Bundesländern schon, zum Beispiel im CDU-regierten Schleswig-Holstein. Davon ist die Welt nicht untergegangen. Ich kann der Unionsfraktion nur empfehlen, ihren Ministerpräsidenten Günther zu fragen, wie das funktioniert. Da können Sie etwas lernen.
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Viele Menschen haben Vertrauen in die Arbeit der Polizei. Die Polizei leistet einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben, zum Beispiel, indem sie Verbrechen bekämpft. Aber immer wieder sorgt das Verhalten von Polizisten dafür, dass Menschen Vertrauen verlieren.
Der Fall Oury Jalloh ist einer dieser unsäglichen Fälle.
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Jalloh kam unter nicht aufgeklärten Umständen in einer Polizeidienststelle in Dessau zu Tode.
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Ein anderes Beispiel ist der Umgang mit den Hinterbliebenen der Opfer der NSU-Morde. Sie wurden im Zuge der Ermittlungen in einen Zusammenhang mit kriminellen Machenschaften gebracht. Viele Angehörige hätten sich eine unabhängige Stelle gewünscht, die diese rassistische Ermittlungspraxis überprüft.
({3})
Auch der Fall rund um den NSU 2.0, wo hessische Polizisten rechtsgerichtete Drohbriefe an die Rechtsanwältin Basay-Yildiz verschickten, oder der Vorgang im LKA Berlin, wo sich Beamte neonazistische SMS zusendeten, verdeutlichen, dass wir endlich eine Diskussion über strukturelle Fehlentwicklungen in der Polizei brauchen.
({4})
Es ist auch im Sinne all der Beamten, die gute Arbeit leisten und die durch solche Vorgänge in ein schlechtes Licht gerückt werden.
({5})
Es geht bei diesem Thema aber auch um Polizeigewalt. Bei einem Fußballspiel im November 2007 kam es zu Übergriffen der Polizei auf Fans des TSV 1860 München. Aus nächster Nähe wurde Pfefferspray versprüht, und durch Schläge mit Schlagstöcken erlitten auch Minderjährige Kopfverletzungen.
({6})
Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen die Polizisten ein. Der Fall ging bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser sagte in aller Deutlichkeit, dass die Polizei gegen das Folterverbot in der Menschenrechtskonvention verstoßen hat. In dem Urteil wurde die fehlende Kennzeichnungspflicht moniert. Vor allem wurde aber vom Gericht die Frage aufgeworfen: Wer ermittelt hier eigentlich gegen wen? Immer sind es Polizisten, die gegen Polizisten ermitteln – und die sind kaum neutral.
({7})
Allein 2014 wurden 98 Prozent der Verfahren gegen Polizisten eingestellt. 98 Prozent der Verfahren eingestellt!
({8})
Einen Polizisten anzuzeigen, bringt fast nie etwas. Das darf in einem Rechtsstaat nicht sein.
({9})
Deshalb fordern wir eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle, die transparent und unter Einbeziehung der Betroffenen das Fehlverhalten bei der Polizei untersucht. Das ist übrigens auch eine wichtige Anlaufstelle für Polizistinnen und Polizisten, die über interne Missstände reden wollen, aber Angst haben, das bei ihren Kolleginnen und Kollegen zu tun. Die brauchen ebenfalls eine unabhängige Stelle, an die sie sich wenden können. Auch dafür ist dieser Gesetzentwurf wichtig.
Danke schön.
({10})
Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion: der Kollege Axel Müller.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der letzten Woche hatten wir es mit einem Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema Polizeibeschwerdestelle zu tun. Diese Woche liegt nun der Antrag der Grünenfraktion zur Einrichtung eines unabhängigen Polizeibeauftragten auf Bundesebene vor.
({0})
Sie holen damit wieder einen Antrag hervor, der nahezu gleichlautend in der letzten Legislaturperiode gestellt wurde und mit dem Sie gescheitert sind.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Ich glaube, dass sich durch all diese Anträge eines wie ein roter Faden zieht: ein tiefgreifendes Misstrauen gegenüber der Korrektheit polizeilicher Arbeit. Ein guter Beleg dafür – Sie sehen, ich habe mich sehr eindringlich mit Ihrem Antrag auseinandergesetzt –
({1})
ist auf Seite 18 des Gesetzentwurfs Ihr Vorwurf, dass in den Dienststellen der Polizei Korpsgeist herrscht.
({2})
Das, meine Damen und Herren, unterscheidet uns von der Union sehr genau von Ihnen, den Linken und den Grünen. Wir glauben grundsätzlich an die Funktionsfähigkeit der Institutionen des demokratischen Rechtsstaats und daran, dass seine Repräsentanten nach Recht und Gesetz handeln.
({3})
An dieser Stelle möchte ich mich den Worten des Dankes meines Kollegen Oster, meiner Kollegin Mittag und des Kollegen Strasser in Bezug auf die Leistung der Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen in diesem Land anschließen.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich – so wie überall im Leben, wie in allen gesellschaftlichen Schichten und Gruppen – gibt es unter anderem bei Politikern und Politikerinnen Menschen, die Fehler machen.
({5})
Davor ist auch der Polizeibeamte nicht gefeit. Zuweilen verstößt auch er oder sie gegen Recht und Gesetz oder gegen disziplinarrechtliche Vorgaben.
Deshalb ist ein Beschwerdemanagement sicher sinnvoll. Es gibt ein solches Beschwerdemanagement
({6})
– mehrere der Vorredner haben darauf abgestellt –, nicht zuletzt bei der Bundespolizei. Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, hat gesagt: In seiner Behörde gibt es insgesamt 18 unterschiedliche Stellen, die sich mit Beschwerden der unterschiedlichsten Art beschäftigen.
({7})
Aber zur Ahndung von etwaigem strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Fehlverhalten braucht es eines nicht: einen unabhängigen Polizeibeauftragen mit solchen Befugnissen, die Sie ihm zuschreiben, so eine Art Supercop, meine Damen und Herren, wie ihn der Gesetzentwurf der Grünen vorsieht.
({8})
Ich gehe auf zwei Aspekte ein, damit mir nicht vorgeworfen wird, ich hätte nicht genau gelesen, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf fordern.
Nach § 7 Ihres Gesetzentwurfs darf dieser Beamte alle öffentlichen Stellen ohne vorherige Anmeldung betreten und sich alle Auskünfte, die er wünscht, erteilen lassen. Seine Fragen müssen uneingeschränkt beantwortet werden. Er darf sogar Leitstellen, Einsatzzentralen und Dienstfahrzeuge durchsuchen. Er bekommt Einsicht in Strafakten und Datenträger. Er darf seinerseits Vertraulichkeit gegenüber Zeugen zusagen. – Übrigens all das ohne richterlichen Beschluss. Dabei ist das ja bekanntlich ein hohes Gut unserer Bürgerrechte, das diesen demokratischen Staat von dem deutschen Staat, den wir von 1933 bis 1945 kennengelernt haben, unterscheidet. Ich frage Sie, die Kolleginnen und Kollegen der Grünen: Gelten diese Bürgerrechte für Polizeibeamte nicht?
({9})
Ganz nebenbei sprechen Sie in Ihrem Gesetzentwurf auf Seite 4 von einem „Zeugnisverweigerungsrecht“ und nehmen dabei Bezug auf § 55 der Strafprozessordnung. Da Sie das jetzt schon zum zweiten Mal vorlegen, hätte ich mir gewünscht, dass Sie da noch ein bisschen nacharbeiten. § 55 der Strafprozessordnung bezieht sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen; es schützt den Zeugen vor strafrechtlicher Verfolgung. Das Zeugnisverweigerungsrecht schützt sowohl den Zeugen als auch den Beschuldigten aufgrund des engen Bezugs, den beide zueinander haben. Aber auf solche Feinheiten kommt es Ihnen offenbar nicht an.
({10})
Sie sind der Meinung, man muss Menschen mit solchen Befugnissen so ausstatten, damit sie rustikal arbeiten können. Jeder Staatsanwalt wird bei den Befugnissen, die Sie dem unabhängigen Polizeibeauftragten zuschreiben, richtiggehend neidisch; das kann ich Ihnen versichern.
Ihr Vergleich mit dem Wehrbeauftragten ist einfach falsch. Er hat Auskunftsbefugnisse, aber ist in erster Linie auf Amtshilfe der anderen Dienststellen angewiesen. Auch der Vergleich, Frau Mihalic, mit den Beauftragten auf Landesebene hinkt total. Das wird deutlich, wenn man weiß, was der baden-württembergische Landesbeauftragte auf der Anhörung, die auf Ihren Wunsch in der letzten Legislaturperiode zustande gekommen ist, gesagt hat. Er hat gesagt, er sieht sich in der Rolle eines Ombudsmannes, in der Rolle eines Mediators; ihm gehen diese Befugnisse zu weit. Dieser ist, seine Versuche der NSA Die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen auf Landesebene sind im Übrigen in fast allen Bundesländern gleich gefasst. Ich habe mir das angeschaut. Das zeigt, dass die Landesbeauftragten eben keine Möglichkeit haben, in Straf- oder Disziplinarverfahren einzugreifen. Das geht also alles wesentlich weniger weit als Ihr Gesetzentwurf.
Der Vizechef der Polizeigewerkschaft spricht von einem Generalverdacht und der Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, von einer politischen Paralleljustiz. Einen solchen Staat im Staate, wie Sie ihn gründen wollen – Sie geben dem Beauftragten ja auch noch die Befugnis, Außenstellen einzurichten –, hatten wir schon einmal; das wollen wir nicht.
Ganz zum Schluss sage ich Ihnen: Das geltende Disziplinarrecht und das geltende Strafrecht, das die unabhängigen Staatsanwaltschaften hüten, funktionieren. Ich war Staatsanwalt und kann Ihnen sagen: Wenn gegen Polizeibeamte ermittelt wird, dann geschieht das erstens sehr penibel und wird zweitens niemals von der Stelle gemacht, der der Beschuldigte angehört, sondern immer von einer anderen Behörde. Herr Movassat, vielleicht sollten Sie doch das zweite Staatsexamen machen und vielleicht doch noch ins Referendariat gehen; dann lernen Sie das.
({11})
Wer das alles mit einem Fragezeichen versieht, wie Sie es in Ihrem Antrag tun, beweist zwei Dinge: erstens wenig oder keine Praxiserfahrung und zweitens kaum Fachkenntnisse. Nach alledem können wir Ihrem Antrag in dieser Form nicht zustimmen. Ich freue mich auf die Beratung.
Vielen Dank.
({12})
Der nächste Redner für die Fraktion der AfD: der Kollege Martin Hess.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Grünen trieft vor Polizeifeindlichkeit. Sie sprechen dort von unverhältnismäßiger Gewalt durch Polizeibeamte, von Menschenrechtsverletzungen oder von öffentlicher Diskriminierung der Bürger. Sie unterstellen dabei der Bundespolizei in einer solchen Pauschalität Fehlverhalten, dass Sie damit alle Polizisten unter Generalverdacht stellen.
({0})
Das ist eine unerträgliche Beleidigung und Herabwürdigung unserer Polizei, die sich Tag und Nacht mit vollem Engagement für die Sicherheit unserer Bürger einsetzt. Diese Unverschämtheit ist inakzeptabel und nicht hinnehmbar.
({1})
Denn die Realität sieht wie so oft anders aus: Wenn solche Verstöße im Einzelfall vorkommen, werden sie bereits jetzt mit aller Konsequenz verfolgt. Es gibt schlichtweg keine Notwendigkeit für einen Polizeibeauftragten.
Aber ich danke Ihnen trotzdem. Letzte Woche der Antrag der Linken zur Einrichtung einer Polizeibeschwerdestelle, diese Woche Ihr Gesetzentwurf zur Schaffung eines Polizeibeauftragten – damit ist jedem Polizeibeamten in unserem Land eines eindeutig klar: Die Grünen und Linken sind die politischen Feinde unserer Polizei.
({2})
Das belegt nicht nur Ihr Entwurf, sondern ist vor allem auch dort erkennbar, wo Sie in den Ländern mitregieren. Dort lassen Sie nämlich die Polizei im Stich, das ist völlig unverantwortlich. Sie verhindern aktiv eine Verbesserung der Personalsituation und der Ausrüstung und setzen unsere Polizeibeamten damit den immer massiver werdenden Angriffen von Kriminellen und Extremisten
({3})
nahezu schutzlos aus.
Schauen Sie auf das rot-rot-grüne Berlin: 7 000 Beamte fehlen, 1,4 Millionen Überstunden, eklatante Mängel bei der Ausrüstung, keine Taser, immer noch keine Bodycam, obwohl genau diese Einsatzmittel nachweislich dazu führen, dass Übergriffe gegen Polizeibeamte effektiv reduziert werden können.
({4})
So sieht sie aus, die Polizei, die Sie sich wünschen: völlig wehr- und wirkungslos Ihrer linksextremistischen Klientel und Schwerkriminellen ausgeliefert. Sie tragen damit bewusst und gewollt zur Erosion unseres Rechtsstaats bei. Es ist Aufgabe der AfD, Sie dabei zu stoppen, und ich garantiere Ihnen: Wir werden Sie stoppen.
({5})
Denn die Polizei ist in Wirklichkeit – das wurde hier schon angesprochen – nicht Täter, sondern Opfer:
({6})
Jedes Jahr werden über 70 000 Kollegen Opfer von Gewalttaten. Immer häufiger bedrohen Mitglieder krimineller Clans und Linksextremisten die Polizeibeamten – sogar im privaten Umfeld – und filmen sie bei Kontrollen und Festnahmen.
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Nehmen Sie von den Linken und den Grünen deshalb endlich zur Kenntnis: Nicht die Polizei ist ein Problem für unseren Rechtsstaat,
({8})
sondern Ihre linksextremistischen und islamistischen Freunde sind es.
({9})
Und natürlich würden genau diese auch den Polizeibeauftragten dazu nutzen, um Polizeibeamte mit Beschwerden zu bombardieren und ihnen strukturellen Rassismus und Diskriminierung zu unterstellen. Seien Sie ehrlich: Das ist es doch, was Sie wirklich wollen. Sie wollen eine Denunziationsplattform für gewalttätige Extremisten und sonstige Kriminelle; aber die AfD wird das nicht zulassen.
({10})
Wir brauchen weder einen Polizeibeauftragten noch eine Polizeibeschwerdestelle. Was unsere Polizei wirklich braucht, ist endlich eine uneingeschränkte politische Rückendeckung für eine robuste Nulltoleranzstrategie gegen Gewalttäter und Extremisten.
({11})
Nur so können wir unser Land endlich wieder sicherer machen, und nur so werden wir die Gewalt gegen unsere Polizeibeamten, gegen Feuerwehrleute und Rettungsdienste endlich in den Griff bekommen. Die AfD – lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen – steht fest an der Seite unserer Polizei, die mit außerordentlichem Engagement und mit bewundernswertem Idealismus alles für den Schutz unserer Bürger tut. Dafür dankt die AfD-Fraktion ganz ausdrücklich allen Polizistinnen und Polizisten.
({12})
Links-Grün-Rot hat schon viel zu lange die Sicherheitsbehörden in unserem Land diffamiert, beleidigt und sie an einer effektiven Aufgabenwahrnehmung gehindert. Damit muss endlich Schluss sein. Wir werden Ihre Hexenjagd beenden, und deshalb lehnen wir diesen polizeifeindlichen Gesetzentwurf kategorisch ab.
({13})
Ich erteile das Wort für die SPD-Fraktion dem Kollegen Uli Grötsch.
({0})
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hess, Sie haben eben in Ihrer Aufzählung, was eine Gefahr für unser Land ist, den Rechtsextremismus vergessen. Dass Sie ihn vergessen haben, war bestimmt nur ein Fauxpas;
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deshalb sei er der Vollständigkeit halber erwähnt.
({1})
Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es ein Versagen der Sicherheitsbehörden wie im Falle der NSU-Mordserie in Deutschland nie wieder geben darf. Die Sicherheitsbehörden selbst, aber auch wir als Parlament haben dahin gehend schon vieles verändert: Wir haben etwa im Bundesverfassungsschutzgesetz den Einsatz von V‑Leuten neu geregelt, das BKA-Gesetz auf den Weg gebracht, das Zusammenspiel der Landesämter mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz neu geregelt und vieles mehr. Wenn man so will, waren die 47 Handlungsempfehlungen der Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses das Vermächtnis der parlamentarischen Aufklärung der NSU-Mordserie im Deutschen Bundestag. Und die meisten Handlungsempfehlungen sind bereits umgesetzt.
Eine unserer Forderungen – sie steht auch im Sondervotum der SPD –, die noch offen ist, betrifft die unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene, die es in vier Bundesländern – das haben wir eben gehört – schon gibt. Deshalb, glaube ich, sollten wir hier im Parlament Ihren Vorschlag eines Polizeibeauftragten nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten des Bundestages diskutieren.
({2})
Ich und wir als SPD-Bundestagsfraktion sind für diese Debatte offen, bei allen ungeklärten Fragen, die sich aus Ihrem Gesetzentwurf noch ergeben.
Ich bin dafür offen, nicht etwa weil es in den Polizeibehörden des Bundes viele Vorfälle gibt oder ich eine Flut an Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern erwarte. Im Gegenteil, liebe Kolleginnen und Kollegen: Erst vor einigen Wochen hat der Präsident der Bundespolizei im Innenausschuss die Zahlen extremistischer Vorfälle – zum größten Teil sind das Propagandadelikte – für den Zeitraum der letzten sechs Jahre dargelegt. 0,1 Prozent beträgt der Anteil an rechtsextremistischen und rassistischen Verdachtsfällen gemessen am Personalkörper von über 47 000 Beamtinnen und Beamten bei der Bundespolizei. Herr Movassat, bei einem Wert von 0,1 Prozent von „strukturellen Fehlentwicklungen“ – das haben Sie eben gesagt – zu sprechen,
({3})
zeigt mir, was für ein verqueres Bild von der Polizei bei Ihnen offenbar vorherrscht.
({4})
Warum braucht es dann in Anbetracht dieser Zahlen einen Polizeibeauftragten? Ich glaube, das ist kein Widerspruch. Wir als SPD treten den Vorurteilen gegenüber unseren Beamtinnen und Beamten entschieden entgegen, und das bei jeder Gelegenheit. Ich gehe sogar so weit und sage: Wir verstehen uns im besten Wortsinn als ein Schutzpatron der Bundespolizei.
({5})
Wir kümmern uns nicht erst seit dieser Legislaturperiode um die Belange der Beamtinnen und Beamten: vom Personalaufwuchs über Ausbildung und höhere Zulagen bis zur Ausstattung mit Sachmitteln. Wahr ist aber auch, dass es, wie überall, auch hier schwarze Schafe gibt. Natürlich zählt auch jeder Einzelfall. Im Gegensatz zu Ihnen von den Linken wünsche ich mir aber eher eine politische Rolle des Polizeibeauftragten: einen Interessenvertreter der Polizei, der oder die auch eine symbolische Wirkung entfaltet, der oder die für staatliches und rechtsstaatliches Handeln wirbt und Vertrauen wiederherstellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren dieses Thema aktuell unter dem Eindruck der Vorfälle bei der hessischen Polizei – Stichwort „NSU 2.0“; wir haben es eben schon gehört. Sechs Beamte sind suspendiert worden. Solche schwarzen Schafe diskreditieren unsere Sicherheitsbehörden, und sie dürfen sich natürlich niemals sicher fühlen. Und wenn ein unabhängiger Polizeibeauftragter seinen Beitrag dazu leisten kann, dann sind wir für diese Debatte offen.
Vielen Dank. Wir freuen uns auf die Beratung.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Friedrich Straetmanns.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Polizei hat als Behörde weitreichende Kompetenzen und Möglichkeiten, Eingriffe in den Alltag von Bürgerinnen und Bürgern vorzunehmen. Da dies erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen hat, müssen polizeiliche Maßnahmen angemessen kontrolliert werden. In den meisten Fällen handeln Polizistinnen und Polizisten im Einklang mit der Rechtsordnung, nämlich um den Schutz Dritter zu gewährleisten. Dafür gebührt der Polizei ganz sicher Respekt.
({0})
Zu oft aber überschreiten Einzelne ihre Kompetenzen zum Schaden der betroffenen Personen. Wird jemand zu Unrecht Opfer polizeilicher Maßnahmen, wird sein Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert. Verlorenes Vertrauen umgehend wiederherzustellen, sollte Aufgabe aller staatlichen Gewalt sein. Bislang besteht die Möglichkeit einer Strafanzeige oder einer Dienstaufsichtsbeschwerde.
Die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Polizistinnen und Polizisten, anders als die Strafanzeige mit weniger finanziellen Risiken und bürokratischen Hürden verbunden, ist allerdings oft wirkungslos. Ein Problem ist dabei, dass letztlich Personen, die der Polizei angehören, über vermeintliche oder tatsächliche Vergehen bei der Polizei zu befinden haben. Das kann nicht sein.
({1})
Eine unabhängige Kontrollinstanz, die selber tätig werden und ohne finanzielle oder andere Risiken eingeschaltet werden kann, ist der beste Weg, um das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern zurückzugewinnen. Polizistinnen und Polizisten, die sich korrekt verhalten, können sich dies von dieser unabhängigen Instanz bestätigen lassen.
({2})
Das Amt des Polizeibeauftragten soll betroffenen Personen Schutz vor Diskriminierung durch die Bundespolizei bieten, ein Vorwurf, der oft zu Recht gegen die Bundespolizei erhoben wurde.
({3})
So stellte das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im April 2016 fest, dass drei Beamte in einem Regionalzug zwei Personen, deutsche Staatsbürger, lediglich deshalb als Einzige kontrollierten, weil diese dunkelhäutig waren. Das nennt man Racial Profiling. Um sich zu wehren, mussten die Betroffenen den umständlichen und kostspieligen Rechtsweg wählen. Folgerichtig musste ihnen das Verwaltungsgericht recht geben, allerdings erst nach einer längeren Zeit und einem nicht unerheblichen Aufwand. Das muss sich ändern.
({4})
Dazu ist der vorliegende Gesetzentwurf ein richtiger Schritt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, wir stehen Ihren Absichten hier wohlwollend gegenüber,
({5})
aber eine Frage kann ich Ihnen nicht ersparen: Wie wollen Sie das in Zukunft eigentlich in einer schwarz-grünen Koalition umsetzen?
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Der Kollege Michael Kuffer ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn die Debatte über weite Strecken schwer zu ertragen war, gibt uns Ihr Antrag die Gelegenheit, eines von zwei Klischees zu bestätigen und das andere zu widerlegen.
Erstes Klischee. Oppositionsarbeit ist ein mühsames Geschäft, jedenfalls dann, wenn die Regierung gut arbeitet wie im vorliegenden Fall.
({0})
Das Klischee ist bestätigt. Die Oppositionsarbeit scheint so mühsam zu sein, dass sie nur zu bewältigen ist, indem Sie alte Anträge heute wieder aufwärmen.
({1})
Zweites Klischee. Die Regierungsfraktionen lesen die Anträge der Oppositionsfraktionen nicht. Das Klischee ist
({2})
widerlegt. Wir haben Ihren Antrag sehr sorgfältig gelesen. Deshalb ist uns natürlich auch aufgefallen, dass er eine bloße Wiederholung Ihres Antrags von 2016 ist.
({3})
Ich könnte es mir leicht machen und einfach auf unsere damaligen Erklärungen verweisen.
({4})
Aber erstens kocht die CDU/CSU-Fraktion gerne frisch, und zweitens würden wir Ihnen ja damit die Oppositionsarbeit noch mühsamer und noch schwerer machen, was uns natürlich absolut fernliegt.
({5})
In inhaltlicher Hinsicht ist Ihr Antrag dieses Mal leider wieder nicht zu retten. Das widerlegt übrigens ein drittes Klischee, dass nämlich etwas, das gut abgehangen ist, immer besser wird.
({6})
Sie stellen sich mit Ihrem Gesetzentwurf – das wissen Sie; das muss ich Ihnen nicht sagen – gegen beide großen Polizeigewerkschaften, die sich klar gegen Ihren Vorschlag ausgesprochen haben. Sie stellen sich gegen die Bundespolizei und das BKA. Die Leitungen beider Behörden sehen in der vorgeschlagenen Institution keinen Sinn. Sie haben mehrfach differenziert dargestellt, warum das so ist.
({7})
Das Entscheidende ist aber, dass Sie sich vor allen Dingen gegen diejenigen stellen, auf die Sie sich im Übrigen fälschlicherweise – ich werde Ihnen gleich erklären, warum – immer wieder berufen, nämlich gegen die Beamtinnen und Beamten der Polizeien des Bundes selbst.
Die Beamten wissen, dass die Fürsorge für ihre Belange gut organisiert ist: Seien es die zahlreichen Stellen der Personal- und Interessenvertretungen, des Sozialmedizinischen Dienstes, der Seelsorge, der Innenrevision oder die eigens eingerichtete Vertrauensstelle bei der Bundespolizei,
({8})
die unabhängig und nach Wunsch anonym die Möglichkeit bieten, etwaige Vorfälle zu melden.
Die Bundespolizei hat damit ein ausgesprochen ausgefeiltes und wohldurchdachtes System entwickelt, um das sie im Übrigen von vielen beneidet wird und das auch von unabhängiger Stelle als vorbildhaft angesehen wird. Sie lebt damit eine offene und transparente Fehlerkultur und ist geprägt von einem hohen Maß an Verantwortungsbewusstsein, vorbildhafter Haltung und Personalführung.
Es ist nun immer wieder der Vergleich zum Wehrbeauftragten hergestellt worden. Sie verschanzen sich hinter der Behauptung, es gäbe schon ein Instrument, das im Fall der Bundespolizei als Parallele herangezogen werden kann. Das ist natürlich eine absolute Themaverfehlung. Der Wehrbeauftragte ist Anwalt der Soldaten. Ihr Antrag ist jedoch ausschließlich auf Kontrollinstrumente gerichtet. Tun Sie uns wenigstens den Gefallen und sagen es!
({9})
Sagen Sie doch, dass Sie vom Misstrauen gegen die Polizistinnen und Polizisten getrieben sind!
({10})
Sagen Sie, dass Sie ihnen weiterhin Steine in den Weg legen wollen! Das entspricht Ihrer Haltung und Ihrem Duktus in allen Fragen des Umgangs mit der Polizei.
({11})
Sagen Sie es wenigstens ehrlich!
({12})
Herr Kollege von Notz, Sie haben vorhin die Gewaltenteilung angesprochen.
({13})
Es ist die Aufgabe des Bundestages als Gesetzgeber, das Handeln der Polizei durch Gesetze zu determinieren. Es ist überhaupt nicht unsere Aufgabe, die Einhaltung der Gesetze zu kontrollieren. Dafür gibt es die Justiz.
({14})
Es gibt keine vergleichbaren Fälle, in denen der Deutsche Bundestag die Aufgabe hat, die Einhaltung der Gesetze zu kontrollieren. Es gibt keine Parallele zu dem, was Sie hier vorschlagen. Das ist einzigartig. Es ist einzigartiger Unsinn.
({15})
Natürlich ist auch der Vergleich mit dem Wehrbeauftragten schief. Selbst wenn das Amt des Bundespolizeibeauftragten so angelegt wäre wie das Amt des Wehrbeauftragten, nämlich analog als Anwalt der Polizisten, bleibt es dabei: Es bedarf einer solchen Regelung bei der Polizei nicht.
Ich muss Ihnen nicht erklären, dass die Stellung des Wehrbeauftragten besonders ist. Sie leitet sich aus dem besonderen Status der Soldatinnen und Soldaten ab, nämlich aus der Tatsache, dass sie einen wesentlich stärker eingeschränkten Grundrechtsschutz haben. Das Soldatenrecht gibt den Soldaten keine Möglichkeit der Remonstration. Das ist anders als im Beamtenrecht.
Der Wehrbeauftragte ist die Substitution für einen eingeschränkten Grundrechtsstatus der Soldatinnen und Soldaten. Dies haben wir bei der Polizei gerade nicht. Polizeibeamte sind in der gleichen Situation wie alle anderen Beamtinnen und Beamten. Wir müssten ja für alle Felder der Eingriffsverwaltung letztlich solche Beauftragten einführen.
({16})
Wenn Sie also die Parallele zum Wehrbeauftragten ziehen wollen, dann ziehen Sie diese bitte richtig. Dann können Sie nur zu dem Ergebnis kommen, dass ein Beauftragter wie der Wehrbeauftragte bei der Polizei eben nicht gebraucht wird.
({17})
Ich bitte Sie wirklich: Hören Sie auf, unsere Polizisten unter Generalverdacht zu stellen. Das haben sie wirklich nicht verdient. Sie verdienen unseren Respekt und unseren Dank. Natürlich müssen wir uns Fehlverhalten ernsthaft angucken, aber dafür sind die vorgesehenen Instanzen zuständig.
({18})
Das sind die Justiz, die Gerichte und die Staatsanwaltschaften.
Vielen Dank.
({19})
Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auch auf den Zuschauerrängen! Als letzter Redner hat man ja die Gelegenheit, die Debatte in voller Länge zu verfolgen. Bei dieser gesamten Debatte habe ich das Gefühl: Wenn der geneigte und nicht in der Materie steckende Bürger draußen zusieht, sagt er: Was ist denn das? Worüber diskutieren die denn überhaupt? – In unserem Land ist die Kriminalitätsrate auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren, und zwar nicht etwa deshalb, weil die Gesetzgebung sich in den 25 Jahren dramatisch geändert hätte, sondern weil die Frauen und Männer bei der Polizei einen tollen Job machen,
({0})
bei dem sie sich für die Einhaltung unseres Grundgesetzes, der Grundrechte und für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger einsetzen.
Trotzdem, meine sehr verehrten Damen und Herren, sage ich für die Sozialdemokratie ganz deutlich, dass die Idee, die hinter dem Antrag steht, eine gute Idee ist;
({1})
denn unabhängige Kontrolle ist etwas, was genauso wie eine unabhängige Stelle, an die sich jede Beamtin und jeder Beamte wenden kann, doch eigentlich selbstverständlich in einer modernen Verwaltung des 21. Jahrhunderts ist.
({2})
Deshalb, glaube ich, haben sich auch, ohne dass ich in die dortige Landespolitik eingreifen will, die Länder Schleswig-Holstein – schwarz-grün regiert –, Baden-Württemberg – grün-schwarz regiert mit einem schwarzen Innenminister – und Rheinland-Pfalz – mit einer Ampelkoalition aus eigentlich fast allen, die in diesem Hohen Haus vertreten sind – dazu durchgerungen, Lösungen zu finden, um einerseits
({3})
das berechtigte Interesse der Bürgerinnen und Bürger, eine unabhängige Kontrollinstanz zu haben, andererseits aber auch das berechtigte Interesse der Polizeibeamtinnen und ‑beamten, eine unabhängige Stelle zu haben, an die sie sich wenden können, umzusetzen, und sind zu unterschiedlichen Lösungen gekommen.
Ich persönlich hätte mir eher gewünscht, dass wir uns heute weniger mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auseinandersetzen. Ich habe mir auch nicht gewünscht, dass wir uns vor einer Woche mit dem Antrag der Linken auseinandergesetzt haben, sondern ich hätte mir – und gebe dies an Sie, Herr Staatssekretär Krings, weiter – eigentlich gewünscht, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer diese schon lange anhaltende Diskussion aufnimmt,
({4})
sie auf die Agenda der Innenministerkonferenz setzt und dort darüber debattiert, welche Möglichkeiten es gibt, für den föderalen Flickenteppich, den wir haben, eine einheitliche, kongruente Lösung mit Transparenz und Sicherheit für dieses Land zu finden.
({5})
Meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren, lassen Sie mich aber am Ende noch etwas anfügen, da ich das Gefühl habe, dass wir uns insbesondere beim Vergleich mit dem Wehrbeauftragten in der Legendenbildung befinden. Ein Blick in den Gesetzestext erleichtert die Rechtsfindung, hat man mir einmal während der Ausbildung gesagt. Deshalb lohnt es sich vielleicht, einen Blick in den Artikel 45b unseres Grundgesetzes zu werfen, in dem der Auftrag des Wehrbeauftragten klar geregelt ist. Er hat den Auftrag, den Schutz der Grundrechte und die parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen. Der Schutz der Grundrechte für unsere Polizeibeamtinnen und ‑beamten nach innen und nach außen ist ein sicher nicht zu vernachlässigendes Ziel und wichtig in dieser demokratischen Gesellschaft. Die parlamentarische Kontrolle jedoch
({6})
ist in unserem föderalen Land unterschiedlich geregelt und deshalb, so denke ich, gut bei der Innenministerkonferenz angesiedelt.
({7})
Heute, glaube ich, können wir diesem Antrag nur einen guten Weg in den Ausschüssen wünschen, und ich hoffe, dass wir dort zu guten Anregungen und Ergebnissen kommen, an denen wir weiterarbeiten können. In der jetzigen Form ist er aber noch zu dünn, würde ich sagen, um ihm bereits zustimmen zu können.
({8})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und ein schönes Wochenende.
({9})
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/7928, 19/7929 und 19/7930 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit ist das so beschlossen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Damen und Herren Vertreter des Zentralrates! Antisemitismus ist in unserer Gesellschaft ein bekannter Begriff, bei Antiziganismus fragen die Menschen schon eher nach, was man damit eigentlich meine. Dahinter verbirgt sich – wie beim Antisemitismus – eine rassistisch motivierte Ablehnung gegenüber einer ganzen Bevölkerungsgruppe, in diesem Fall nicht gegenüber den Juden, sondern gegenüber den Sinti und Roma.
Auch sie wurden zu Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns, wurden systematisch entrechtet, erniedrigt, ermordet, deportiert, zu Hunderttausenden ihres Lebens beraubt. Ein Denkmal im Berliner Tiergarten zeugt davon. Die Diskriminierung der Juden, aber eben auch der Sinti und Roma endete nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In Deutschland, in Ost- wie Westeuropa, schlicht überall werden sie bis heute diskriminiert. Das ist auch einer Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat vom August des Jahres 2017 zu entnehmen. Das Thema wurde auch auf einem Kongress im Oktober 2018, an dem ich teilnehmen durfte, umfassend debattiert.
Mit dem Blick auf unsere Geschichte trägt Europa, aber insbesondere gerade auch Deutschland eine ganz besondere Verantwortung, wenn es um den Kampf gegen den Antiziganismus geht.
({0})
Daher wird die Bundesregierung in Kürze eine unabhängige Expertenkommission entsprechend den Koalitionsvereinbarungen ernennen. Das begrüße ich an dieser Stelle ausdrücklich.
({1})
Unser gemeinsamer Antrag von CDU/CSU und SPD, also der Antrag der Koalitionsfraktionen, verbindet damit Anregungen, Hoffnungen, aber auch Forderungen, deren Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde. Es gibt aber bekanntlich – dies wurde bereits vom Herrn Präsidenten erwähnt – einen Oppositionsantrag. Ich möchte den Fraktionen, die diesen Antrag verfasst haben, sowohl der FDP als auch den Grünen und den Linken, zumindest ein ganz ehrliches Engagement zu diesem Thema nicht absprechen. Die Haltung der AfD kenne ich leider nicht. An den Berichterstattergesprächen haben Sie sich, soweit ich mich erinnern kann, nur ein einziges Mal beteiligt. Ich habe nichts in Erinnerung, was Sie inhaltlich dazu hätten beitragen wollen.
({2})
Ich bedaure das außerordentlich, aber ich bedaure auch – im Wissen der mir bekannten Restriktionen, auch meiner Fraktion –, dass es uns nicht gelungen ist, zu diesem Thema einen gemeinsamen Antrag über die Fraktionsgrenzen hinweg in dieses Hohe Haus einzubringen.
({3})
Wir waren sehr nah dran, das möchte ich sagen. Es waren letztendlich gerade einmal hundert Worte, die unsere beiden Anträge voneinander unterscheiden.
({4})
Ich bedanke mich auch für das konstruktive Wirken, das das Bundesministerium des Innern gezeigt hat, sowie ausdrücklich bei Herrn Staatssekretär Wanderwitz.
Am Ende waren wir, wie gesagt, sehr nah beieinander, und, meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Dieses Thema ist eigentlich zu wichtig, um es auf dem Altar des politischen Klein-Klein
({5})
der parteipolitisch motivierten Auseinandersetzung zu opfern.
({6})
– Allein Ihr Zwischenruf zeigt doch schon wieder, auf welche Ebene Sie sich begeben wollen:
({7})
Unsere Beschlüsse seien schuld daran.
({8})
Ich will das hier im Einzelnen nicht noch einmal aufrollen. Ich glaube, ich habe auch in meiner Fraktion deutliche Worte verloren, was ich davon halte.
Der Deutsche Bundestag, meine Damen und Herren, repräsentiert das Staatsvolk, und ungeachtet der darin vorhandenen politischen Mehrheiten haben wir als Mitglieder dieses Bundestages den demokratischen Auftrag erhalten, uns um den Schutz der Minderheiten zu kümmern. Die Qualität einer Demokratie bemisst sich nicht nur nach Wirtschaftsdaten. Sie bemisst sich insbesondere auch danach, wie die Mehrheit mit Minderheiten umgeht.
({9})
Der Minderheitenschutz gehört zur DNA einer Demokratie; das haben wir Deutsche hart erlernt.
({10})
– Herr Braun, das kann man auch nicht erfahren, wenn man einen Vizepräsidenten wählt oder nicht. Da braucht es schon etwas mehr.
Wir haben es mit einer Kommission zu tun – ich habe es ja erwähnt –, die von der Bundesregierung eingesetzt wird. Darauf haben sich die Koalitionspartner verständigt. Das hindert uns als Parlament aber nicht – das ist unser Selbstverständnis, von dem wir ausgehen müssen –, mitzudebattieren, zu sagen, welche Vorstellungen wir bei diesem Thema, was die Arbeit der Kommission anbelangt, haben. Das gehört auch zum Selbstverständnis unseres Hauses.
Das bringt mich dazu, ein paar Worte zu den im Vorfeld an uns gerichteten Forderungen und Formulierungsempfehlungen von Interessenvertretern zu verlieren. Das ist selbstverständlich zulässig, keine Frage, und es hilft manchmal auch, uns für Themen zu sensibilisieren. Es darf aber daraus nicht die Erwartungshaltung entstehen – ich blicke direkt nach oben zu Ihnen auf der Zuschauertribüne; ich glaube auch nicht, dass Sie diese Erwartungshaltung haben –, dass wir diese Vorschläge eins zu eins übernehmen. Das wäre mit dem Mandat eines freien Abgeordneten, wie es Artikel 38 des Grundgesetzes vorsieht, einfach nicht zu vereinbaren. Es soll diese Unabhängigkeit auch für die Expertenkommission gelten. Wir wollen mit unserem Antrag diesem Gremium außer ein paar wenigen Anregungen keine konkreten Arbeitsweisungen geben. Wenn wir das könnten, dann bräuchte es keine Expertenkommission, dann wären wir ja selber die Experten.
Abschließend wünsche ich der Kommission eine wirklich segensreiche Arbeit, auch im Interesse der Gruppe der Sinti und Roma, und uns am Ende hilfreiche Erkenntnisse, die uns weiterbringen beim Schutz der Minderheiten, insbesondere der betroffenen Gruppe.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Die Doppelbezeichnung „Sinti und Roma“ ist ein Kunstbegriff, der von Interessenverbänden in den 80er-Jahren kreiert wurde. Die Unterschiede zwischen Sinti und Roma sind so groß, dass auf der Sitzung des Beratenden Ausschusses für Fragen der deutschen Sinti und Roma im November 2018 die Vertreter der Sinti die Auflösung der Doppelbezeichnung gefordert haben. Die immer wieder verwendete Bezeichnung „Sinti und Roma“ ist irreführend. Sie erweckt den Eindruck, die seit über 600 Jahren in Deutschland lebenden Sinti seien Asylsuchende, Ausländer, Bürger zweiter Klasse, die um ein Bleiberecht bitten müssten. Die Sinti machen zu Recht geltend, dass es sich bei ihnen um eine alteingesessene Minderheit hier in Deutschland handelt.
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Wie lange müssen die Sinti also noch in Deutschland leben, bis sie von Ihnen akzeptiert werden? Sinti kommen weder aus Bosnien, Serbien, Rumänien noch aus Bulgarien. In diesen Ländern gibt es keine Sinti. Wenn Sie aber heute alles in einen Topf werfen und über Antiziganismus sprechen, dann sollten Sie auch korrekterweise von – so formuliert es die Sinti Allianz Deutschland – „Zorn auf uns Zigeuner“ sprechen. Als Freund der Zigeuner sage ich:
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Das ist kein Schmähbegriff, sondern Alltagssprache. Viele Sinti sind nicht damit einverstanden, dass diese Bezeichnung ein mit Klischees und Vorurteilen belastetes Schimpf- und Schmähwort ist. Ich zitiere die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller:
Ich bin … mit dem Wort „Roma“ nach Rumänien gefahren, habe es in den Gesprächen anfangs benutzt und bin damit überall auf Unverständnis gestoßen.
Sie müssen endlich eines lernen: Mit dem Gebrauch vermeintlich politisch korrekter Begriffe stellt sich nicht unmittelbar Respekt ein.
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Und die Diskriminierung wird nicht dadurch geringer, dass man die Bezeichnung „Sinti und Roma“ benutzt. Gerade wer sich den Angehörigen dieser Gruppen verbunden fühlt, kommt nicht umhin, den Antrag, den Sie vorgelegt haben, abzulehnen; denn er zeichnet ein Bild, das vollkommen falsch ist. Aus jeder Zeile atmet dieser Antrag einen unfreiheitlichen Geist. Sie stempeln mit Ihrem Antrag alle Angehörigen dieser Gruppe pauschal als potenzielle Opfer ab. Diese Gruppe ist aus Ihrer Sicht so schwach, verletzlich und hilfsbedürftig, dass es nicht ohne ein ganzes Maßnahmenpaket geht.
Staatliche und sogenannte zivilgesellschaftliche Institutionen sollen sich gegen Antiziganismus engagieren. Auf europäischer Ebene soll Antiziganismus ebenfalls mit höchster Dringlichkeit geächtet werden, ganz so, als ob von Lissabon bis Helsinki jeder dieser Gruppe um sein Leben fürchten müsste. Und natürlich soll auch ein Expertengremium eingesetzt werden, ein Gremium, das alle Erscheinungsformen des Antiziganismus systematisch untersuchen und bis 2021 dem Bundestag Bericht erstatten soll.
Die Kritik der Sinti an diesem Expertengremium haben Sie dabei geflissentlich ignoriert. Zur Erinnerung – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: „Mittlerweile werden genügend öffentliche Gelder für Personen und Institutionen vergeudet, die sich der Antiziganismusforschung verschrieben haben. Eine weitere Expertenkommission ist nach unserer Meinung absolut überflüssig.“ – Zitatende.
Die Sinti befürchten sogar – ich zitiere –: „Eine Expertenkommission bzw. die immer zahlreicher werdenden Antiziganismusexperten könnten, so zeigen die bisherigen Erfahrungen, kaum dazu beitragen, Antiziganismus abzubauen. Vielleicht bewirken sie sogar das Gegenteil.“ – Zitatende.
Spätestens jetzt müsste Ihnen klar sein: Nicht jeder Mensch sieht sich als Opfer. Einige Angehörige dieser Gruppe empfinden die pauschale Zuschreibung eines Opferstatus geradezu als beleidigende Bevormundung.
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So schreibt die Sinti Allianz Deutschland – Zitat –: „Der unaufhörlich drängende Ruf nach Antiziganismusforschung ist darauf ausgerichtet, uns Sinti in eine fortwährende Opferrolle zu drängen und dort zu halten, weil sich damit offenbar Politik und Geld machen lässt.“ – Zitatende.
Schließlich – das betrifft alle Bürger – fordern Sie in Ihrem Antrag auch, und zwar vollkommen schwammig, mehr Engagement gegen Hass im Internet. Das kennen wir schon von Heiko Maas und seinem Zensurgesetz. Dabei ist Ihr Maßstab nicht einmal mehr das Strafgesetzbuch, sondern das, was irgendeine Kommission empfiehlt. Sie missbrauchen die Zigeuner jetzt also auch noch dazu, um die freie Rede in Deutschland weiter einzuschränken.
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Deshalb bleibt uns als freiheitliche Partei und als Freund dieser Gruppe nichts anderes übrig,
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als Ihren Antrag kategorisch abzulehnen.
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Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Frohnmaier. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Dr. Eva Högl, SPD-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor allen Dingen: Sehr geehrter, lieber Herr Rose! Sehr geehrte, liebe Delegation des Zentralrats der Sinti und Roma!
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Ihnen gilt ein ganz besonderes Willkommen. Sie sind schon begrüßt worden, aber ich möchte an dieser Stelle noch einmal sagen, dass es uns sehr ehrt und sehr freut, dass Sie heute hierhergekommen sind und unserer Debatte hier im Deutschen Bundestag folgen.
Der Mord an den Sinti und Roma – über eine halbe Million Menschen sind während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet worden – gehört zu den schrecklichsten Verbrechen unserer Geschichte. Deswegen ist es wichtig, dass wir immer wieder daran erinnern und dass wir dieses schreckliche Verbrechen nicht vergessen. Deswegen war es auch ein wichtiges Zeichen, dass wir hier, in unserer unmittelbaren Nähe, 2012 das Denkmal einweihen konnten und an dieses schreckliche Verbrechen erinnern. Aber vor allen Dingen wollen wir an diesem Denkmal den Blick in die Zukunft richten; denn wir sind froh und dankbar, dass in Europa 12 Millionen Sinti und Roma – das sind geschätzte Zahlen – und in Deutschland über 100 000 leben. Es ist ganz wichtig, das hier heute noch einmal zu betonen; denn wir reden auch über die Zukunft.
Sinti und Roma bereichern das Zusammenleben in Deutschland und Europa aktuell und schon seit Jahrhunderten. Deswegen betrübt es uns alle, dass Sinti und Roma auch weiterhin diskriminiert werden, ausgegrenzt werden, mit Vorurteilen konfrontiert werden, dass sie als alteingesessene Minderheit in Europa beleidigt und ihrer Würde beraubt werden, dass sie Schwierigkeiten haben, im Bereich der Bildung oder Gesundheit und auch auf dem Arbeitsmarkt einen gleichberechtigten Zugang zu erhalten.
Wir haben hier im Deutschen Bundestag im NSU-Untersuchungsausschuss brutal erlebt, liebe Kolleginnen und Kollegen – daran können sich sicherlich noch einige erinnern –, als wir anlässlich der Morde der NSU-Terrorgruppe die diesbezüglichen Ermittlungen untersucht haben, dass von der Polizei auch heute noch diskriminierend ermittelt wird mit fiesen Vorurteilen und ungerechtfertigten Verdächtigungen.
Ich will nur einmal kurz zitieren: „Wir prüfen auch intensiv im Zigeunermilieu“, ließ sich 2007 ein Ermittler zitieren. Das hat uns veranlasst, im Abschlussbericht ganz deutlich zu formulieren, dass solche Diskriminierungen nie wieder erfolgen dürfen.
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Es war gut, Herr Rose, dass Sie damals die Arbeit unseres Untersuchungsausschusses begleitet haben.
Meine Damen und Herren, wir wollen daraus lernen. Wir wollen jede Form von Hass, von Vorurteilen, von Diskriminierungen konsequent bekämpfen und ihr entschieden entgegentreten. Wir wollen Sinti und Roma schützen und auch fördern. Deswegen ist es gut, dass wir heute auf der Basis eines Antrags eine Expertenkommission einsetzen; denn – Herr Müller hat es schon gesagt – wir wissen nicht alles besser, sondern wir ziehen den Rat von Expertinnen und Experten hinzu. Wir als SPD hätten uns gefreut, wenn wir das mit den fünf demokratischen Fraktionen hätten machen können. Aber es ist gut, dass wir diesen Antrag auf den Weg bringen.
Ich will ganz ehrlich sein: Ich bin traurig, dass wir diese Kommission überhaupt brauchen. Aber es ist gut, dass wir sie jetzt bekommen. Denn wir müssen noch einmal eine Bestandsaufnahme machen. Wir müssen noch einmal gründlich schauen, welche Diskriminierungsformen es gibt. Wir wissen – wer das wichtige Dokumentationszentrum in Heidelberg kennt, wird zustimmen –, wie wichtig die Dokumentation von Diskriminierungen und Benachteiligungen ist.
Aber wir wollen den Blick auch in die Zukunft lenken. Wir wollen nämlich Handlungsempfehlungen geben. Da setzen wir auf die Expertise der Kommission, was wir noch machen müssen beim Gedenken, bei der Bildung und bei der weiteren Förderung.
Ich freue mich, dass die Kommission auch auf der Basis der Vorschläge des Zentralrats mit elf kompetenten Personen exzellent besetzt werden wird. Wir werden diesen Auftrag ernst nehmen, auch die Handlungsempfehlungen der Kommission. Das wird ein wichtiger Beitrag sein, um deutlich zu machen, dass Sinti und Roma unser Leben, unsere Gesellschaft und unser Zusammenleben bereichern.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
In diesem Sinne: Viel Erfolg für diese Arbeit.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Högl. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Linda Teuteberg, FDP-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass von diesem Deutschen Bundestag heute die starke Botschaft ausgeht, dass Antiziganismus in Deutschland keinen Platz hat. Dass Hass und Diskriminierung, die Sinti und Roma leider noch immer oft genug entgegenschlagen, entschieden bekämpft werden müssen. Das sollte, nicht nur vor dem Hintergrund unserer eigenen Geschichte, eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Uns Freien Demokraten ist dieses Anliegen so wichtig und so ernst, dass ich jetzt aus Respekt davor gar keine weitere Redezeit auf irgendwelche Bemerkungen zu Kleingeistigkeiten im Vorfeld dieser Debatte verlieren werde.
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Denn alles, was dieses starke Signal schwächen könnte, sollte unterlassen werden, finde ich.
Tatsächlich hat dieses Hohe Haus – das will ich selbstkritisch bemerken – das Schicksal der Sinti und Roma lange nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit behandelt. Das gilt für die Verfolgung von Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus, die im Deutschen Bundestag nach meinem Wissen zum ersten Mal in den späten 70er-Jahren debattiert wurde. Das gilt auch für die Diskriminierung von Sinti und Roma, die überhaupt erst in der letzten Legislaturperiode Thema in diesem Haus wurde.
Es ist höchste Zeit, dass wir hier ein deutliches Zeichen setzen. Dass wir uns zu diesen Mitmenschen, deren Familien oft seit Jahrhunderten in unserem Land leben, die Nachbarn und Mitbürger sind, endlich eindeutig bekennen.
Wenn ich höre, dass sich eine deutsche Sintiza wie zum Beispiel Marianne Rosenberg erst als Erwachsene traute, offen über ihre Wurzeln zu sprechen, dass ihr Vater, ein Überlebender des Holocaust, sein Kind darauf vorbereiten musste, sich in der Schule gegen Beschimpfungen zu wehren, dann stimmt mich das sehr traurig. Die Erfahrungen von Marianne Rosenberg machen auch heute noch viele Sinti und Roma. Weil alte Vorurteile, alte Ressentiments noch in den Köpfen sind und weiterleben.
Ich will einmal mit der Erlaubnis des Präsidenten aus der Autobiografie von Otto Rosenberg zitieren, um das zu verdeutlichen. Otto Rosenberg, geboren 1927 in Ostpreußen, aufgewachsen in Berlin, erlitt und überlebte Auschwitz und kehrte zurück nach Berlin. Er schildert die Nachkriegszeit:
Aber wir haben Steine geputzt und Schutt weggeräumt. Berlin ist doch unsere Stadt. Mitunter fiel es nicht leicht. Von Entschädigung oder Wiedergutmachung war damals ja noch gar nicht die Rede. Und als es dann so weit war, in den fünfziger Jahren, mußte ich bis vor das Landgericht. Es hieß, ich wäre kein richtiger Deutscher und hätte keine Bindung an die Stadt Berlin. „Zigeuner. Wandertrieb. Hat keine Bindung an die Stadt Berlin.“
Wir wissen: Das ist untragbar, und das wollen und müssen wir ändern.
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Darum freuen wir Freien Demokraten uns, dass wir heute der Bundesregierung einen klaren Auftrag mit auf den Weg geben. Und dass schließlich mit der Umsetzung der Empfehlungen der Expertenkommission Antiziganismus in Deutschland wirksam bekämpft wird. Damit sich die deutschen Sinti und Roma in unserem, in ihrem Heimatland tatsächlich zu Hause fühlen können.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Teuteberg. – Der nächste Redner ist der Kollege Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass sich der Deutsche Bundestag heute in einer Debatte mit der Bekämpfung des Antiziganismus befasst und dazu auch einen Beschluss fassen wird, ist ein wichtiges, gutes und längst überfälliges Zeichen.
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Es ist insbesondere ein Zeichen gegenüber den Sinti und Roma hier in Deutschland, aber auch gegenüber den in anderen Ländern der Welt lebenden Nachkommen Hunderttausender Menschen, die entrechtet, deportiert und ermordet worden sind. Für uns als Linke ist es deshalb besonders wichtig, dass die Einstufung als Völkermord klar und eindeutig benannt wird.
Richtig ist leider auch die aktuelle Aussage, dass Sinti und Roma bis heute zum Teil unter Ablehnung, Ausgrenzung und Benachteiligung leiden und antiziganistische Vorurteile nicht nur in rechten Randgruppen zu finden sind, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen. Dies einzugestehen, ist ebenso notwendig wie das klare Bekenntnis zur staatlichen Förderung der Kultur der Sinti und Roma, wie bei anderen nationalen Minderheiten, sowie zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, gegen alle Erscheinungsformen des Antiziganismus entschieden vorzugehen und dazu auch ein Expertengremium einzusetzen, wie es Linke und Grüne seit langem gefordert haben.
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Ich danke namens meiner Fraktion allen, die sich an der Erarbeitung des Antrags beteiligt haben. Es ist wichtig, dass wir heute in dieser Frage endlich zu einer Entscheidung kommen.
Man könnte tatsächlich von einem historischen Beschluss sprechen, wenn es, wie vom Zentralrat der Sinti und Roma ausdrücklich gewünscht, heute einen gemeinsamen Antrag aller demokratischen Fraktionen gegeben hätte. Das ist leider einmal mehr an der Borniertheit der Union gescheitert. Gerade bei diesem hochsensiblen Thema halte ich das für unverantwortlich.
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Ich bedanke mich ausdrücklich bei der FDP und den Bündnisgrünen, dass sie den in einem langen Prozess ausverhandelten Antrag heute in der ursprünglichen Form gemeinsam mit der Linken einbringen. Noch hat die Koalition ja die Möglichkeit, diesem Antrag zuzustimmen, der Punkte enthält, die in dem Antrag von Union und SPD nun plötzlich fehlen. Ich will nur ein Beispiel nennen. In dem Ursprungsantrag gab es den Punkt V. Dort heißt es:
Der Bundestag verpflichtet sich, jeder Form des Hasses gegen Sinti und Roma und dem Antiziganismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen zu begegnen.
Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, ich frage Sie allen Ernstes: Wie kann man einen solchen Satz aus dem Antrag streichen?
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Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. Dabei wäre ein klares Bekenntnis des Bundestages so wichtig. Eine Studie der Universität Leipzig von 2018 ergab, dass rund 56 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen: Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Nähe aufhalten. – Die Hälfte der Befragten fordert, Sinti und Roma aus den Innenstädten zu verbannen. 60 Prozent unterstellen ihnen pauschal, kriminell zu sein, obwohl die offiziellen Statistiken dafür keine Grundlage geben.
Die Aufarbeitung des NS-Genozids an den Sinti und Roma ist in Deutschland extrem schleppend verlaufen. Anträge auf Entschädigung von Menschen, die im Konzentrationslager waren, wurden in der BRD systematisch abgelehnt, auch weil noch viele Nazis in den Behörden saßen.
Ausländischen Roma, die den Völkermord in der NS-Zeit überlebten, wird bis zum heutigen Tag eine Entschädigung verweigert. Wir als Linke meinen: Das muss dringend korrigiert werden.
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Eine kritische Aufarbeitung dieser Geschichte ist vor allem der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma zu verdanken, die sich über Jahrzehnte hinweg trotz aller Anfeindungen dafür engagiert hat. Nicht zuletzt deshalb gilt auch mein Gruß und mein Dank Romani Rose und den Vertretern des Zentralrats auf der Besuchertribüne.
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Ein letztes Wort. Die Linken hätten sich eine Expertenkommission des Bundestages gewünscht statt einer, die beim Innenministerium angesiedelt ist. Wir begrüßen aber, dass die Bundesregierung die Zusammensetzung und Ausstattung der Kommission eng mit dem Zentralrat der Sinti und Roma abgesprochen hat. Dort werden hochqualifizierte Leute arbeiten. Wir warten gespannt auf die Ergebnisse.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Hahn. – Als Nächstes spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Filiz Polat.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Vertreterinnen und Vertreter der Selbstorganisation heute hier im Deutschen Bundestag! Der Einstieg fällt mir schwer. Ich muss, auch in Anbetracht der zahlreichen Vertreterinnen und Vertreter der Selbstorganisation, zurückweisen, dass ein Kollege im Deutschen Bundestag hier Wörter verwendet, die als diskriminierend empfunden werden. Er hat einen Begriff verwendet, für den die Sinti in Zeiten des Nationalsozialismus mit dem „Z“ gekennzeichnet wurden. Diese Äußerungen verurteilen wir auf das Schärfste, meine Damen und Herren.
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Einige erinnern sich: Am 27. Januar 2011, anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus hat zum ersten Mal ein Vertreter der Sinti und Roma im Deutschen Bundestag sprechen dürfen: Zoni Weisz, ein Mann, dessen Mutter und Geschwister in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 in Auschwitz bei der Liquidierung des Lagerabschnitts B II vergast wurden. Es war die Nacht des Porajmos, die Nacht des Verschlingens. Zoni Weisz sagte etwas, was mir und wahrscheinlich vielen in Erinnerung blieb:
… der Völkermord an den Sinti und Roma ist immer noch ein … „vergessener Holocaust“.
Ja, Zoni Weisz hat leider recht, meine Damen und Herren.
Deshalb ist es ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, nicht nur heute, sondern jeden Tag, an das Schicksal der Sinti und Roma während des Zweiten Weltkrieges, aber auch – das wurde gesagt – im Nachkriegsdeutschland zu erinnern. Die Einrichtung, meine Damen und Herren, einer lange geforderten unabhängigen Expertenkommission Antiziganismus ist dabei ein richtiger und wichtiger Schritt.
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Aber – das hat der Kollege Hahn gesagt – da reicht keine Überschrift, Herr Müller. Wir sollten es genauso machen, wie wir es beim Antrag zur Bekämpfung von Antisemitismus gemacht haben. Der Bundestag sollte sich selbst verpflichten,
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jeder Form des Hasses gegen Sinti und Roma und des Antiziganismus im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten. Das sind wir den Vertreterinnen und Vertretern schuldig.
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Aniziganistische Gewalt und Hetze, Ausgrenzung und Diskriminierung sind weiterhin Bindekraft der Rechtsradikalen und Rechtspopulisten in ganz Europa. Wir dürfen aber nicht nur nach rechts schauen, meine Damen und Herren; denn Antiziganismus ist leider – das wurde gesagt – auch in der Mitte der Gesellschaft sehr tief verankert: über alle Milieus und alle gesellschaftlichen Schichten hinweg. Deshalb stehen wir auch an der Seite derjenigen, die nach jahrzehntelanger beharrlicher Bürger- und Bürgerinnenrechtsarbeit schon so vieles erreicht haben, des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma mit seinem Vorsitzenden an der Spitze, Romani Rose, und seiner Landesverbände. – Viele von Ihnen sind heute hier. Wir verneigen uns vor Ihnen und danken für Ihren unermüdlichen Einsatz, meine Damen und Herren.
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Ich will nur drei Punkte nennen – es gibt so viele zu nennen –: die Durchsetzung der Anerkennung des Völkermordes an Sinti und Roma als entscheidende Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe nach der NS-Diktatur, die Anerkennung der Sinti und Roma seit 1997 in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa als nationale Minderheit – Ihr Verdienst –, die Eröffnung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in direkter Nachbarschaft zum Deutschen Bundestag am 24. Oktober 2012 als sichtbarer Ausdruck der Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland. Deswegen freue ich mich auch, dass das Denkmal nunmehr in das Besucherprogramm des Presseamtes aufgenommen wurde. Vielen Dank dafür.
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Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Meine Damen und Herren, Sie sehen, es gibt noch viel zu tun. In diesem Sinne: Wir stehen an Ihrer Seite bei der Bekämpfung des Antiziganismus. Sie ist eine dauerhafte und so wichtige Aufgabe für die Politik und eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Jeder muss sich jeden Tag überprüfen.
Frau Kollegin, Sie haben einen letzten Satz.
Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit der Expertenkommission und wünschen viel Erfolg.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der heutigen Debatte wollen wir ein starkes Zeichen gegen den Antiziganismus setzen. Wir tun das, weil es nach unserer Überzeugung in unserer Gesellschaft keinen Platz für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, für Vorurteile und Herabwürdigungen geben darf. Wir stehen in der Pflicht, weil Antiziganismus, Anfeindungen gegen Sinti und Roma, antiziganistische Straftaten zur bitteren Realität gehören, bei denen wir nicht wegsehen dürfen. Antiziganismus ist kein neues Phänomen. Er begleitet die Geschichte unseres Landes seit Jahrhunderten wie ein dunkler Fleck.
Sinti und Roma leben seit 600 Jahren in unserem Land als Nachbarn und Freunde. Sie haben aber im Laufe der Geschichte allzu oft erfahren müssen, dass sie behandelt werden, als ob sie nicht dazugehören würden. Diese Ausgrenzungen wurden unternommen mit schablonenhaften Herabwürdigungen oder wildromantischen Beschreibungen. Klar ist, dass diese stets ein grobes Zerrbild der Wirklichkeit waren und im Kern nichts anderes sind als stereotyper Rassismus. Dem stellen wir uns entgegen.
({0})
Das Eintreten gegen Antiziganismus erwächst auch aus der besonderen historischen Verantwortung unseres Landes. Während der Zeit des Nationalsozialismus sind insgesamt 500 000 Roma und Sinti deportiert, entrechtet und ermordet worden. Diesen weiteren Völkermord nennen die Roma „Porajmos“. Es war der Versuch der planmäßigen Vernichtung des Volkes der Roma und Sinti aus reinem Rassenwahn. Bei diesem dunklen, bitteren Kapitel unserer Geschichte möchte ich jedem beipflichten, der sagt, dass vielleicht zu wenig darüber geforscht, zu viel geschwiegen und zu wenig darüber gesprochen wurde. Es ist richtig, dass auch diese Erinnerung viel stärker in das Licht der Geschichte gerückt wird.
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Die Zeichen der jungen Vergangenheit sind sehr ermutigend: die Rede von Zoni Weisz im Jahr 2011 hier von diesem Rednerpult im Deutschen Bundestag oder die Errichtung des Denkmals für die ermordeten Roma und Sinti im Jahr 2012 gleich hier um die Ecke an einer prominenten Stelle in Berlin. Wir müssen aber die Erinnerung weiter wachhalten. Wir dürfen die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir die Lebenssituation der Roma und Sinti heute in ganz Europa in den Blick nehmen müssen.
Etwa 12 Millionen Menschen leben als Minderheit der Roma und Sinti in Europa. Ja, zur Wirklichkeit gehört auch, dass einige davon von Armut betroffen sind, von Wohnverhältnissen, die wir verbessern müssen, und von fehlendem Zugang zu Bildung. Wir dürfen aber nicht den Fehler begehen, es allein bei diesen Beschreibungen zu belassen. Armut und Ausgrenzung dürfen nicht die einzige Realität sein, die andere von Roma und Sinti sehen. Das würde dazu führen, dass wir die Menschen darauf reduzieren. Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen einerseits Armut bekämpfen und Bildung in den Vordergrund rücken, aber wir müssen andererseits auch viel stärker über die vielfältigen kulturellen Errungenschaften, mit denen die Roma und Sinti Europa in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten bereichert haben, sprechen. Darüber müssen wir reden. Das muss auch ein wichtiger Teil der Arbeit dieser Expertenkommission werden.
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Meine Damen und Herren, die Debatte heute ist wichtig, weil ein Grundsatz im Mittelpunkt steht: Die Möglichkeiten und die Beurteilung eines Menschen dürfen niemals von der Herkunft oder der Ethnie abhängen. Was zählt, ist, was er für die Gesellschaft tun kann, und insbesondere, dass er seine eigene Würde hat. Wir debattieren heute über dieses Thema, weil wir wissen, dass jeder Mensch eine unverwechselbare Würde hat, und wir diese Würde auch verteidigen. Überall dort, wo Handlungsbedarf besteht, werden wir ihn auch annehmen. Deswegen ist es richtig, dass wir einen Dreiklang vornehmen: die Erinnerung wachhalten, Diskriminierung bekämpfen und die Kultur fördern. Da ist die Expertenkommission wichtig. Wir wollen, dass diese Arbeit auf europäischer Ebene und auf Bundesebene gemeinsam mit den Vertretern vonstattengeht, weil wir damit letzten Endes auch ein ganz wichtiges Werk für uns selbst vollbringen, nämlich mit Blick auf die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, und wie gehen wir mit unserem kulturellen Erbe um?
Deswegen empfehle ich die Annahme unseres Antrags.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ullrich. – Als letzte Rednerin hat die Kollegin Gabriela Heinrich, SPD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte zu Beginn sehr herzlich den Vorsitzenden und die Mitglieder des Zentralrats begrüßen und mich für die gute und intensive Zusammenarbeit bedanken.
Wir haben uns alle gemeinsam dafür eingesetzt, dass wir rechtzeitig zur Einsetzung der Expertenkommission auch im Plenum über die Einsetzung sprechen können, auf die wir uns im Koalitionsvertrag geeinigt haben. Vom Bericht der Expertenkommission erwarte und erhoffe ich mir viele wichtige Impulse für unsere zukünftige Politik.
Aus der Vielzahl der Forderungen des Antrags möchte ich eine herausgreifen. Im Internet gibt es unzählige Fälle antiziganistischer Hetze, und das auch kein bisschen schwammig. Wie so oft bei Hassreden werden beleidigende Begrifflichkeiten verwendet, um zu demütigen, zu diffamieren, zu bedrohen. Uns war es wichtig, auch diesen Punkt in den Antrag aufzunehmen, weil der Ton im Internet widerspiegelt, wie auch in der nichtdigitalen Welt über Sinti und Roma gesprochen wird. Nun, diese Art von Rassismus ist – und das ist wirklich beschämend – durchaus salonfähig geworden. Um das zu erkennen, müssen wir nicht bis nach Osteuropa oder Südosteuropa blicken.
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Was ich immer wieder mitbekomme – auch in den letzten Wochen wieder und auch unter denjenigen, die sehr wohl guten Willens sind –: In den Debatten um Antiziganismus wird einiges durcheinandergeworfen. Im Mittelpunkt stehen dann häufig Roma, die in den letzten Jahren aus anderen Ländern nach Deutschland migriert sind, und auch sie sind besonders von Antiziganismus betroffen und, ja, schutzwürdig.
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Aber – und das wird leider häufig vergessen – Sinti und Roma sind eine anerkannte nationale Minderheit. Sie sind ein Teil Deutschlands, wie die Dänen, Sorben und Friesen. Sie sind ein Teil Deutschlands, ein Teil deutscher Geschichte, deutscher Kultur. Und als Teil der deutschen Gesellschaft soll ihr Beitrag zur Kultur, ihre Geschichte als deutsche Minderheit anerkannt, gewürdigt und geschützt werden.
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Eine wichtige Aufgabe übernimmt hierbei das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Wir wollen, dass das Zentrum sein Potenzial ausfüllen kann und die notwendige, auch finanzielle Unterstützung erhält. Außerdem muss die jahrhundertealte Geschichte von Sinti und Roma an unseren Schulen thematisiert werden, ebenso die Vorurteile gegenüber dieser nationalen Minderheit, damit klar wird, was Antiziganismus ist: eine Form von Menschenfeindlichkeit – eine Form von Menschenfeindlichkeit, die übrigens auch dazu führt, dass manche Angehörige der Sinti und Roma nicht selbstverständlich offen mit diesem Teil ihrer Identität umgehen. Das ist sehr schade, weil uns das die positive Vielfalt in unserem Land nicht deutlich macht.
Ich muss zum Schluss – obwohl man darüber streiten kann, ob es erwähnenswert ist – noch etwas loswerden: Ich bin einerseits wirklich froh, dass wir heute über dieses Thema gemeinsam sprechen. Aber ein fraktionsübergreifender Antrag wäre schön gewesen.
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Schließlich haben fünf Fraktionen an diesem Antrag mitgewirkt und ihn begleitet. Dass dies nicht gelungen ist, liebe Koalitionspartner, obwohl es keine inhaltlichen Differenzen gab, ist nach außen nicht vermittelbar.
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Der Kampf gegen Antiziganismus hat keine Prinzipienreiterei verdient. Jetzt haben wir zwei Anträge, obwohl wir uns eigentlich einig waren, und ich bedaure auch, dass ein Satz verschwunden ist. Das ist unschön, aber – das ist mir sehr wichtig – das mindert nicht die Bedeutung dessen, was wir heute beschließen.
Vielen Dank.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste des Hohen Hauses! In Deutschland leben 7,8 Millionen Schwerbehinderte; das sind 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mehr als 40 Prozent der schwerbehinderten Menschen in Deutschland sind im erwerbsfähigen Alter.
Um schwerbehinderten Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, wurde den Arbeitgebern mit den Regelungen des zweiten Kapitels des SGB IX die Pflicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Arbeitnehmer auferlegt. Dennoch haben schwerbehinderte Erwerbsfähige nach wie vor eine deutlich niedrigere Erwerbsbeteiligung als nicht schwerbehinderte Erwerbsfähige. Die Arbeitslosenquote Schwerbehinderter liegt bei 11,7 Prozent; sie liegt damit deutlich über der Arbeitslosenquote Nichtschwerbehinderter. Daher ist klar erkennbar, dass die Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung bei schwerbehinderten Arbeitslosen nicht ausreichend greifen.
Damit kann man nicht zufrieden sein, und es ist auch nicht zu verstehen, warum die Hemmschwelle, schwerbehinderte Arbeitnehmer einzustellen, bei manchen Arbeitgebern offenbar immer noch so hoch liegt. Schwerbehinderte arbeitslose Menschen sind häufig besonders gut qualifiziert. Anteilig finden sich unter den schwerbehinderten Arbeitslosen sogar mehr Fachkräfte als unter den nicht schwerbehinderten Arbeitslosen. Trotzdem gelingt es ihnen seltener als nicht schwerbehinderten, eine Beschäftigung aufzunehmen, und sie müssen auch deutlich mehr Wartezeit in Kauf nehmen, damit es überhaupt gelingt. Im Durchschnitt sucht ein schwerbehinderter Arbeitsloser 366 Tage nach einem Job; das sind 104 Tage mehr als bei Menschen ohne Handicap. Auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen ist mit 44,4 Prozent bei Schwerbehinderten deutlich höher als bei Menschen ohne Behinderung; dort liegt er bei 35,6 Prozent.
Deutschland hat sich bereits 2009 verpflichtet, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, die Behinderten das Recht auf eine frei gewählte Arbeit garantiert. Doch obwohl die Ziele der Konvention nicht annähernd erreicht wurden, fehlt es bisher an funktionierenden Maßnahmen, um die Quote arbeitsloser Schwerbehinderter endlich signifikant und nachhaltig zu senken. Die AfD hat sich dazu Gedanken gemacht; denn die derzeitigen Regelungen im zweiten Kapitel SGB IX sind offenbar nicht ausreichend.
Die Einstellungspflicht für schwerbehinderte Arbeitnehmer entsteht bereits ab einer Zahl von 20 Beschäftigten. Dennoch wählen viele Firmen statt der Einstellung eines neuen Mitarbeiters mit Behinderung häufig die Möglichkeit, eine jährliche Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt zu zahlen. Darunter sind insbesondere Firmen, die in der Vergangenheit gar keine Erfahrungen mit der Beschäftigung Schwerbehinderter hatten. Hier ist natürlich Aufklärungsarbeit notwendig. Viele Arbeitgeber wissen vielleicht auch nicht, welche zahlreichen Förderungen bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten möglich sind.
Wir meinen, dass die durch die Regelungen des SGB IX geschaffene Einstellungsverpflichtung mit Sanktionsdrohung, also einer Bestrafung, unzureichend ist, um Arbeitgeber von den Vorteilen der Einstellung behinderter Menschen zu überzeugen. Wir glauben auch, dass die derzeitigen Regelungen die Schaffung behindertengerechter Arbeitsplätze einseitig fördern, nämlich vornehmlich in Unternehmen einer bestimmten Größe und in bestimmten Regionen, in denen diese Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber besonders häufig zu finden sind.
Wir wollen die freiwillige Schaffung zusätzlicher Arbeits- und Ausbildungsplätze für Schwerbehinderte fördern, auch in kleineren Betrieben, indem wir auf ein zusätzliches Bonussystem setzen. Darum fordern wir die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des zweiten Kapitels SGB IX vorzulegen, der die Unternehmen für die Schaffung von Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte dann belohnt, wenn sie mehr Schwerbehinderte einstellen, als sie per Gesetz verpflichtet sind. Das Gleiche gilt natürlich auch für Ausbildungsplätze. Das soll ausdrücklich – ausdrücklich – auch für privatrechtliche Betriebe und für Arbeitgeber gelten, die gar nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen für Behinderte verpflichtet werden. Wir schlagen hier einen steuerfreien Bonus für jede Vollzeitstelle und jeden Ausbildungsplatz in Höhe von monatlich 250 Euro vor. Das kann zunächst aus einem Topf finanziert werden, in den die Ausgleichsabgaben derjenigen Arbeitgeber fließen, die trotz Verpflichtung keine Arbeitsplätze für Schwerbehinderte schaffen. Bei Mehrbedarf muss der Topf natürlich aus Steuermitteln aufgestockt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, helfen Sie uns dabei, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen! Springen Sie über Ihren Schatten, und unterstützen im Sinne der schwerbehinderten Erwerbsfähigen in Deutschland diesen Antrag, auch wenn er bei Ihnen auf der schwarzen Liste steht, weil er von der AfD kommt!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster Redner hat das Wort der Kollege Wilfried Oellers für die CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute aufgrund des AfD-Antrags die Möglichkeit, über die Thematik „Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen“ zu sprechen. Natürlich ist es ein großes Ziel der Koalitionsfraktionen, Menschen mit einer Beeinträchtigung Möglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt zu bieten. Das ist unser höchstes Ziel, und wir setzen alles daran, dass wir es auch umsetzen.
Ich denke, dass die Maßnahmen, die wir in der jüngsten Vergangenheit umgesetzt haben, positive Auswirkungen haben werden und eine positive Entwicklung festzustellen ist; denn wir haben Stand Juni letzten Jahres eine Arbeitslosenzahl von 156 000 Menschen mit einer Beeinträchtigung; das ist der niedrigste Stand seit zehn Jahren. Wenn man einmal den Zeitraum von 2014 bis 2017 betrachtet, stellt man fest, dass diese Zahl um 10 Prozentpunkte gesunken ist. Darüber hinaus gibt es eine positive Entwicklung bei den Unternehmen, die eigentlich gar nicht verpflichtet sind, Menschen mit einer Beeinträchtigung einzustellen, also bei Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern; ihre Zahl wächst an. Im Zeitraum von 2010 bis 2015 waren es 30 000 Unternehmen mehr, sodass wir jetzt einen Stand von 168 000 Betrieben haben.
Natürlich gibt es immer noch 40 000 Unternehmen in unserem Land, die laut SGB IX eigentlich verpflichtet sind, Menschen mit einer Beeinträchtigung einzustellen, dies aber nicht tun und dafür die Zahlung einer Ausgleichsabgabe in Kauf nehmen. An dieser Stelle, denke ich, müssen wir noch mehr Aufklärungs- und Unterstützungsarbeit leisten. Ich denke da insbesondere an die Möglichkeit der Schaffung einer Servicestelle, wo gegebenenfalls Betriebe mit etwas mehr als 20 Mitarbeitern bei dem höheren bürokratischen Aufwand mit dem etwas umfangreicheren Antragssystem bei Unterstützungsleistungen – darauf komme ich gleich noch zu sprechen – unterstützt werden, wenn sie aufgrund ihrer personellen Ressourcen den Antragsaufwand nicht leisten können.
Dass wir Maßnahmen ergriffen haben, zeigt zum Beispiel das Budget für Arbeit. Wenn Unterstützungsleistungen in Aussicht gestellt werden sollen, muss man zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Budget für Arbeit für Arbeitgeber, die Menschen mit einer Beeinträchtigung einstellen, Lohnkostenzuschüsse bis zu 75 Prozent des Lohns gewährt werden, nach einem entsprechenden Berechnungsmodus gedeckelt auf 1 200 Euro. Herr Beeck, sehen Sie es dem Ministerium und uns bitte nach, dass wir in Bezug auf die Anfrage zu den Auswirkungen des Budgets für Arbeit, die Sie gestellt haben, noch keine Erkenntnisse haben. Das Budget für Arbeit gilt erst seit dem 1. Januar 2018, sodass es vielleicht verständlich ist, dass es dazu noch keine verlässlichen Zahlen gibt.
Darüber hinaus gibt es für Arbeitgeber auch die Möglichkeit, finanzielle Zuschüsse zu erhalten, um einen Arbeitsplatz barrierefrei und behindertengerecht einzurichten. Diese finanziellen Zuschüsse können beantragt werden. Ferner gibt es über die Integrationsämter die Möglichkeit, eine Kompensation von Lohnausfällen aufgrund einer etwas reduzierteren Leistungsfähigkeit der jeweiligen Person zu beantragen. Möglichkeiten haben wir also wirklich zur Genüge. Ich denke, dass diese auch ausgeschöpft werden sollten.
Sie bringen jetzt einen neuen Antrag ein. Den nehmen wir mit in die Ausschüsse und werden uns dort damit beschäftigen. Allerdings verstehe ich nicht so ganz Ihre Begründung im Antrag, weil Sie explizit sagen, dass auch kleinere Unternehmen Anreize bekommen müssen, Menschen mit einer Beeinträchtigung einzustellen. All das, was ich gerade erwähnt habe, gilt auch für kleinere Unternehmen. Die Zahl von 20 Arbeitnehmern besagt im Ergebnis nur, ab wann ein Unternehmen verpflichtet ist, Menschen mit einer Beeinträchtigung einzustellen, ist aber keine Grenze dafür, ob man in Bezug auf Unterstützungsleistungen anspruchsberechtigt ist. Falls Sie das irgendwo im Gesetz gelesen haben, zeigen Sie es mir; ich habe es nicht gefunden. Wir werden Ihren Antrag beraten.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält der Kollege Jens Beeck, FDP-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst in meiner Eigenschaft als Sprecher meiner Fraktion für die Belange von Menschen mit Behinderung sagen: Wann immer ich mich mit AfD-Anträgen auseinanderzusetzen hatte, hatte ich sehr wenig Freude an den Dingen, mit denen wir uns auseinandersetzen mussten. Ich verstehe Ihren Antrag als einen Hinweis in die Richtung, dass Sie sich von früher in diesem Haus gestellten unsäglichen Kleinen Anfragen und Äußerungen von Teilen Ihrer Landespolitiker absetzen und sich in die Gemeinschaft derer begeben, die für Menschen mit Behinderung verbesserte Bedingungen schaffen wollen. Das ist zunächst einmal etwas Positives. Herr Kollege Witt, Ihnen persönlich mag ich das auch abnehmen. Ich hoffe, Sie setzen sich an dieser Stelle in Ihrer Partei durch.
In Ihrem Antrag sagen Sie, dass Sie neben dem Malussystem, das durch die Schwerbehindertenabgabe besteht – zugegebenermaßen nur für Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern –, zusätzlich ein Bonussystem einführen wollen. Ich glaube, dass dieser Antrag zu kurz greift; denn – Kollege Oellers hat es schon angesprochen – für die Vielzahl von Hilfesystemen, die es in unserem Land gibt, um Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen, gibt es eine rechtliche Grundlage. Die Probleme ergeben sich nicht aus den Gesetzen, sondern – das ist im Ausschuss für Arbeit und Soziales immer wieder Thema – aus dem Vollzug. Aus dem Revisionsbericht der Bundesagentur für Arbeit über die Arbeit von Jobcentern, die in ausgesprochen unbefriedigender Weise ihre Tätigkeit zur Vermittlung von Menschen mit Vermittlungshemmnissen und mit Behinderungen wahrnehmen, geht hervor, dass wir qualifizieren und die schon vorhandenen Instrumente so nutzen müssen, dass sie bei den Menschen und im Arbeitsmarkt ankommen. Dem haben wir uns gemeinsam verschrieben. Das BMAS – Frau Staatssekretärin Griese ist anwesend – hat zugesichert, dass man sich dem annimmt. Auch die Bundesagentur hat Maßnahmen zugesichert. Wir hoffen auf schnelle Verbesserungen und Hilfe für die Menschen im Arbeitsmarkt.
Kollege Oellers hat angesprochen, dass es seit dem 1. Januar 2018 das Budget für Arbeit gibt – § 61 SGB IX –, das von vielen in der Praxis missverstanden worden ist als reines Instrument, um Menschen, die in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen beschäftigt sind, in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Es ist aber nicht darauf beschränkt, sondern eröffnet ausdrücklich auch Jugendlichen in der Orientierungsphase, Hilfen in Anspruch zu nehmen. Auch sollen Menschen mit seelischen Behinderungen die Möglichkeit haben, begleitende Hilfen zu nutzen. Dieses Instrument muss sich derzeit noch bewähren.
Anders als der Kollege Oellers bin ich nicht der Auffassung, dass eine Deckelung des Lohnkostenzuschusses nach § 18 SGB IV auf 1 200 Euro angemessen ist. Im Grunde ist das fast ein bisschen beleidigend, weil viele Menschen mit Behinderungen durchaus in der Lage sind, eine Arbeitsleistung zu erbringen, die weit über die 1 200 Euro als 75-Prozent-Anteil hinausgeht. Dafür muss der Staat dann auch eintreten.
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Neben der Tatsache, dass die Vermittlungsbemühungen in den Jobcentern deutlich besser werden müssen, besteht Nachschärfungsbedarf beim Budget für Arbeit, entweder durch eine andere Regelung oder durch den Wegfall von § 18 SGB IV. Es gibt darüber hinaus – auch das muss man offen zugeben – gutgemeinte, aber bei der Steuerung am Arbeitsmarkt falsch wirkende rentenrechtliche Regelungen, die die Betroffenen im Grunde dazu bringen, lieber in der Werkstatt zu bleiben, weil man bestimmte Privilegien verliert, wenn man auf den ersten Arbeitsmarkt wechselt. Das muss harmonisiert werden, um einen Wechsel möglich zu machen, und das führt eigentlich zu einem Bonussystem.
In dem Strauß von Maßnahmen, über die wir nach der Überweisung Ihres Antrags im Ausschuss beraten können, liegt viel Potenzial. Wenn wir gemeinsam daran arbeiten, ist das ein Fortschritt für die betroffenen Menschen. Ich hoffe, dass wir im Ergebnis zu Verbesserungen kommen.
Herr Präsident, herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege Beeck. – Als Nächstes hat die Kollegin Angelika Glöckner, SPD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD zielt darauf ab, Unternehmen zu belohnen, wenn sie Menschen mit Behinderungen beschäftigen. So weit, so gut. Bemerkenswert finde ich aber, dass Sie Ihren Fokus auf die Unternehmen statt auf die Menschen richten. Ich finde, das sagt viel aus.
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Gestatten Sie mir vorweg einige grundsätzliche Anmerkungen. Wir feiern am nächsten Dienstag den zehnten Jahrestag der UN-Behindertenrechtskonvention. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen: Wir haben einiges erreicht, etwa im Bereich der Barrierefreiheit oder mit dem Bundesteilhabegesetz. Es gibt aber dringenden Handlungsbedarf im Bereich des Arbeitsmarktes; denn es sind immer noch Menschen mit Behinderungen, die an dem Boom, den wir auf dem Arbeitsmarkt haben, nicht partizipieren. Sie verweilen durchschnittlich viel länger als die restlichen Bevölkerungsgruppen in der Arbeitslosigkeit. Das muss sich ändern.
In der UN-Behindertenrechtskonvention geht es um die Teilhabe am Arbeitsleben. Die Arbeitgeber haben die Pflicht, die Menschen zu beschäftigen. Teilhabe ist ein Menschenrecht.
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Ehrlich gesagt, irritiert es mich schon – da bin ich nicht bei meinem Vorredner –, wenn wir über Menschenrechte sprechen und dann dafür plädiert wird, dass ein entsprechender Anreiz für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen geschaffen werden muss. Für mich ist das die Umdeutung eines Menschenrechts. Ein Menschenrecht steht uns von Anfang an zu und bedarf keiner Anreizsysteme. Daher finde ich den Ansatz in diesem Punkt falsch. Hier müssen Sie nachbessern, Kolleginnen und Kollegen.
Wir kennen das Modell der Ausgleichsabgabe. Danach sollen Unternehmen mindestens 5 Prozent der Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderungen vergeben. Wir machen aber durchgängig die Erfahrung, dass viele Unternehmen eher die Ausgleichsabgabe in Höhe von 135 bis 350 Euro zahlen, als dass sie die Plätze Menschen mit Behinderungen geben. Sie setzen mit Ihrem Modell darauf, mit einem Bonus von 250 Euro ein Umdenken bei den Unternehmen zu bewirken. Aber das erfasst nicht den Kern des Problems.
Im Übrigen verkennen Sie, dass wir bereits ein wichtiges Instrument eingeführt haben, nämlich das Instrument „Budget für Arbeit“, mit dem Arbeitgeber finanziell, aber auch beratend unterstützt werden, damit sie in die Lage versetzt werden, ihre Arbeitsplätze entsprechend auszurichten. Darüber hinaus betreuen und begleiten wir die Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt. Als weiteres wirksames Instrument will ich das Programm „Sozialer Arbeitsmarkt“ nennen, das den betroffenen Menschen die große Chance bietet, in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
Ihr Bonusmodell ist ganz gut, aber noch nicht ausgereift. Sie wollen kleine Betriebe begünstigen. Wenn Sie sich die Zahlen angesehen hätten, hätten Sie gemerkt, dass es in der Regel die großen Betriebe sind, die über die gesetzliche Mindestbeschäftigtenquote hinaus Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Daher wird der Bonus nicht den kleinen Betrieben zukommen, sondern den großen. Die einzigen, die sich freuen können, sind die Anleger der DAX-Konzerne, aber nicht die Kleinbetriebe und erst recht nicht die Menschen mit Behinderungen.
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Ich finde, hier muss nachgearbeitet werden, Kolleginnen und Kollegen von der AfD. Ich bin gespannt auf die weiteren Beratungen. Wir werden sehen, was am Ende dabei herauskommt.
Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Glöckner. – Nächster Redner ist der Kollege Sören Pellmann, Fraktion Die Linke.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir zunächst zwei Vorbemerkungen:
Erste Vorbemerkung. Nach der Debatte in der vergangenen Woche hier im Plenum hätte ich mit einem Gesetzentwurf der Koalition zum Thema Wahlrechtsausschlüsse gerechnet. Leider Fehlanzeige!
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Aber das klärt jetzt gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht. Vielen Dank an die beiden miteinreichenden Fraktionen.
Zweite Vorbemerkung. Heute genau vor einem Jahr, am 22. März 2018, erreichte uns – Herr Beeck hat es schon angesprochen – die Kleine Anfrage der AfD-Fraktion. Wenn Sie ein Jahr später einen Tagesordnungspunkt aufsetzen, der sich mit Menschen mit Behinderungen beschäftigt, dann hätte ich von Ihnen erwartet, dass Sie sich für die Entgleisungen endlich in aller Öffentlichkeit entschuldigen. Leider Fehlanzeige!
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Zum vorliegenden Antrag. Erstens. Die Fraktion Die Linke hat bereits mehrere Initiativen in dieser Wahlperiode ergriffen und hier im Plenum zur Abstimmung gestellt mit dem Ergebnis, dass beim rechten Rand des Hauses eine Verweigerungshaltung zu verzeichnen war. Sie haben alle unsere Vorhaben abgelehnt.
Zweitens. In Ihrem Antrag schreiben Sie „Unternehmen bestimmter Größe“ und „sehr stark in bestimmte Regionen“. Ich empfehle eine Rücksprache mit den beiden Kollegen, die leider nicht mehr im Saal sind, aus meiner Heimatstadt Leipzig. Das dortige Jobcenter und die Arbeitsagentur führen regelmäßig Frühstücke mit Abgeordneten durch. Im Herbst vergangenen Jahres war die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen Thema. Wenn Sie das Thema so interessiert, dann hätte ich erwartet, dass Sie anwesend sind. Aber außer Ihrem Namensschild, weil Sie sich angemeldet hatten, war von der AfD leider keiner da.
Drittens. Ihr Antrag zeichnet sich dadurch aus, dass er deutlich arbeitgeberfreundlich ist und Menschen mit Behinderungen und mit Beeinträchtigungen in keiner Weise berücksichtigt.
Nun zu der Frage: Wofür steht Die Linke? Welche Forderungen haben wir? Erstens. Wir brauchen, um tatsächlich mehr Fortschritte zu erreichen, eine deutliche Erhöhung der Ausgleichsabgabe auf 1 000 Euro pro Monat und Platz.
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Zweitens. Wir brauchen nach unserer Auffassung auch eine Rückkehr zur Beschäftigungsquote von derzeit 5 Prozent auf wieder 6 Prozent. Das wäre ein klares Signal.
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Drittens. Wir haben in der letzten Wahlperiode bereits einen sehr umfangreichen Antrag vorgelegt, in dem es um Arbeit und Menschen mit Behinderungen gegangen ist.
In diesem haben wir insbesondere darauf abgezielt, dass Assistenzleistungen deutlich stärker in den Fokus genommen und entsprechend gefördert werden müssen. Auch diese Forderung besteht fort.
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Viertens. Wir sind darüber hinaus der Auffassung, dass die Förderung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern nur in Kombination, ganzheitlich, betrachtet werden kann und Assistenzleistungen immer mitgedacht werden müssen.
Fünftens. Wir brauchen eine deutlich stärkere Förderung und Anerkennung von Inklusionsbetrieben. Es gibt einzelne Beispiele, die zeigen, dass das sehr gut funktioniert. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn der Gesetzgeber auf Bundesebene mehr will, ist auch deutlich mehr drin. Es hängt, wie so häufig, leider nur am Geld.
Sechstens. Ich fände es deutlich besser – Herr Beeck hat das angesprochen –, wenn Sie mit den Betroffenen ins Gespräch kämen und nicht ständig sagten: Wir reden über das, was Betroffene wollen. – Mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, ist die deutlich bessere Antwort.
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Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Wenn ich mir das Wörterbuch der AfD anschaue, dann vermisse ich zwei Wörter: „Inklusion“ und „Teilhabe“. Wenn Sie daran arbeiten würden, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eines ist klar: Wir sind als Gesellschaft, als Bundesrepublik Deutschland von einer inklusiven Gesellschaft und einem inklusiven Arbeitsmarkt meilenweit entfernt. Bei genauerer Betrachtung müssen wir feststellen, dass in vielen Bereichen genau das Gegenteil der Fall ist: Wir haben eine steigende Zahl von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Das betrifft vor allen Dingen Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Für alle, die das nicht so genau wissen, sollten wir einmal deutlich sagen: Das sind Menschen, die in diesen Einrichtungen in der Regel Vollzeit arbeiten und mit sage und schreibe durchschnittlich 180 Euro im Monat nach Hause gehen. Was soll daran bitte inklusiv sein?
Wir haben es zu tun mit Jobcentern – das hat der jüngste Revisionsbericht der Bundesagentur für Arbeit noch einmal wirklich eindrücklich deutlich gemacht –, die völlig überfordert sind – und zwar in verschiedener Hinsicht – mit der Vermittlung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen auf dem Weg in den ersten Arbeitsmarkt. Auch das ist eine riesige Baustelle, an der wir arbeiten müssen.
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Wir haben die Situation, dass von dem schon seit einiger Zeit andauernden wirtschaftlichen Aufschwung in diesem Land Menschen mit Behinderungen kaum profitieren. Wir haben es zu tun mit einer Situation, in der Menschen mit Behinderungen, die arbeitslos werden, ganz große Probleme haben, den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu finden. Und wir haben es zu tun mit einer Situation, in der ungefähr 25 Prozent der Unternehmen, die eigentlich verpflichtet wären, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen – das sind ungefähr 37 000 an der Zahl –, nicht eine einzige Person mit Behinderungen beschäftigen. Angesichts dessen können wir, glaube ich, nicht davon sprechen, dass wir hier einen inklusiven Arbeitsmarkt haben. Wir sehen, dass wir ganz viele Baustellen haben, an denen wir zu arbeiten haben.
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Ein Punkt ist die Ausgleichsabgabe, die offensichtlich überhaupt kein Anreiz ist, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Selbst Wolfgang Schäuble hat vor einigen Jahren gefordert, die Ausgleichsabgabe zu verdoppeln. Das werde ich nie vergessen. Leider ist dieser wirklich gute Vorschlag in der Großen Koalition ohne Reaktion verhallt. Über diesen Vorschlag müssten wir eigentlich noch einmal diskutieren, weil das ein effektives Mittel wäre, um hier wirklich etwas zu verbessern.
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Ich will gar nicht verhehlen oder damit hinterm Berg halten, dass es auch für Arbeitgeber Schwierigkeiten gibt, wenn es darum geht, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Ja, wenn man das versucht, dann wird man häufig von Pontius nach Pilatus geschickt. Ja, es ist häufig so, dass man nicht einmal weiß, wer verantwortlich für die Finanzierung von Zuschüssen ist. Das ist eine einzige Zumutung, auch für die Arbeitgeberseite; das ist sicherlich so. Ich empfehle allen, das Buch bzw. die Reportage von Martin Keune, der mittlerweile leider verstorben ist, zu lesen. Er selber hat über sein Buch gesagt: Ich berichte hier vom Kampf gegen Behördenschläfrigkeit und ‑arroganz. – Da ist ganz viel dran. Das ist eine unterhaltsame Lektüre. Alle, die wissen wollen, wo die Probleme auf der Arbeitgeberseite liegen, sollten das lesen.
Aber weiß Gott, der Vorschlag, den Arbeitgebern einen Bonus zu zahlen, wird an der Situation substanziell ganz sicher nichts verändern. Wir brauchen ein System, das einfach ist, das verständlich ist und das unterstützt, das den Arbeitgebern tatsächlich weiterhilft. Wir brauchen deutlich weniger Bürokratie, und wir brauchen klare Zuständigkeiten. Wir brauchen einen Eingliederungszuschuss, der verlässlich ist. Und ja, wir brauchen einen starken Rechtsanspruch darauf, dass die Mehrkosten des Arbeitgebers tatsächlich erstattet werden.
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Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ein letzter Satz. – Mit der Forderung nach einem Bonus vermitteln Sie das Bild, dass wir es hier mit einer bemitleidenswerten Personengruppe zu tun haben und den Arbeitgebern ein Bonbon geben müssen, damit sie mit der Zumutung, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, klarkommen können.
Frau Kollegin, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Das ist auf jeden Fall der falsche Weg. Es gibt auf jeden Fall sehr viele andere Punkte, an denen wir ansetzen können und müssen.
Herzlichen Dank.
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Als nächster Redner erhält der Kollege Uwe Schummer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Es ist in der Tat zehn Jahre her, dass wir die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert und unterzeichnet haben. Das Entscheidende ist, dass wir damit einen Paradigmenwechsel in der Definition, letztendlich auch in der politischen Betrachtung behinderter Menschen vollzogen haben: Die Behinderung wird nicht länger als individuelles Defizit definiert, sondern als Ergebnis der Wechselwirkung zwischen behinderten Menschen und den Barrieren in der Umwelt der Menschen gesehen. Das sind Behinderungen, die wir gesellschaftlich beseitigen müssen. Das ist der Ansatz der UN-Behindertenrechtskonvention.
Wir haben mit dem Bundesteilhabegesetz am Ende der letzten Legislaturperiode gesagt: Wir wollen von der Pauschalierung weg; denn dem einen ist das zu wenig und dem anderen zu viel. Wir wollen nicht länger alle über einen Kamm scheren, sondern wir wollen differenzierte Hilfen, weil die Gruppe der Menschen, die wir im Blick haben, sehr differenziert ist. Wir wissen, dass diese Gruppe hinsichtlich ihrer Qualifikation und Identifikation keine Belastung für die Betriebe darstellt, wenn die Umwelt Barrieren beseitigt. Vielmehr sind diese Menschen Aktivposten, die sich stark in die Wertschöpfung der Unternehmen einbringen.
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Es ist gut, dass es gezielte Hilfen zur Unterstützung behinderter Menschen gibt, um Teilhabe in der Arbeitswelt zu erreichen. Es gibt also nicht nur einen Bonus, sondern viele Bonisysteme, weil eben die Gruppe so vielfältig ist.
Wichtig ist Folgendes: Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten müssen, anders als das unterstellt und im Antrag formuliert wird, keine Ausgleichsabgabe leisten. Sie können aber alle Boni, alle Förderungen beziehen, auch Leistungen aus der Ausgleichsabgabe. Das heißt, diese Unternehmen sind in besonderer Weise privilegiert. Sie müssen keine Ausgleichsabgabe zahlen, wenn sie keinen behinderten Menschen einstellen, können aber alle Geldleistungen in Anspruch nehmen, wenn sie einen behinderten Menschen beschäftigen.
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Etwa 80 Prozent der Mittel aus der Ausgleichsabgabe werden über die Integrationsämter der Länder verteilt und 20 Prozent über den Bund, über die Bundesagentur für Arbeit. Das Budget für Arbeit wurde mehrfach erwähnt. Darüber wird ein personenzentrierter Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent als – de facto – Minderproduktivitätsausgleich gewährt, und zwar dauerhaft und unbefristet, um die betreffenden Personen als Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt und die betreffenden Betriebe im Wirtschaftsprozess marktfähig zu machen. Wir haben, was ganz entscheidend ist, neben dem Lohnkostenzuschuss die Finanzierung einer Assistenz, eines Coachings, einer Begleitung vorgesehen. Wir wollen möglichst viele aus der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt bringen.
Auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt nutzen wir ein, wie ich finde, sehr starkes Instrument: die Inklusionsbetriebe. Für mich sind das Lotsenboote. Mittlerweile haben wir um die 1 000 Inklusionsbetriebe, die als Sozialbetriebe auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind. Sie können auf Leistungen aus dem Budget für Arbeit zugreifen. In diesen Betrieben sind 25, 30 oder 35 Prozent der Beschäftigten wesentlich behindert oder anerkannt schwerbehindert. In diesen Betrieben wirken behinderte Menschen und nichtbehinderte Menschen zusammen.
Das Spannende ist, dass auch Menschen, die aus der Werkstatt in einen Inklusionsbetrieb wechseln, ihren Rentenanspruch aus der Werkstatt – Erwerbsminderungsrente nach 20 Jahren Wartezeit – nicht verlieren; sie können, weil der Betrieb als Sozialunternehmen definiert ist, dieses Privileg weiter behalten, auch wenn sie auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig sind.
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Es gibt die unterstützte Beschäftigung mit betrieblichen Trainingsmaßnahmen. Letztendlich gibt es auch die Initiative – das hat Wilfried Oellers eben angesprochen –, ein Budget für Ausbildung zu schaffen, sodass nicht nur Arbeit, sondern auch Qualifizierung und Ausbildung entsprechend gefördert werden. Es gibt die Finanzierung von technischen Hilfen und barrierefreien Arbeitsplätzen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen, bitte.
Wir haben auch Eingliederungshilfen bzw. Lohnkostenzuschüsse als Bonisysteme. Es gibt also eine Vielfalt an verschiedenen Themen.
Was aber notwendig ist, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen, –
Sie haben jetzt noch einen Satz.
– ist, dass wir die 41 000 Betriebe, die noch keinen behinderten Menschen beschäftigen, gezielt ansprechen. Das geht nicht mit 250 Euro und ein bisschen mehr Cash in die Täsch.
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Herr Kollege, ich habe Ihnen das Wort entzogen. Sie haben Ihre Redezeit eine Minute überschritten. – So ist das Leben.
Ja, so ist das Leben. – Ich habe die falsche Brille und habe daher das Signal nicht rechtzeitig gesehen. Ich bitte um Entschuldigung.
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Kein Problem. Sie müssen sich nicht bei mir entschuldigen, sondern bei den Kolleginnen und Kollegen. – Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine Vorbemerkung zu Herrn Pellmann: Wir haben in unserem Antrag aus der letzten Woche geschrieben, dass die Wahlrechtsausschlüsse zum 1. Juli abgeschafft werden, und wir sind guten Mutes, dass wir das schaffen. Wir haben nicht gesagt, dass wir den Gesetzentwurf heute vorlegen werden.
Meine Damen und Herren von der AfD, mir ging es bei Ihrem Antrag ehrlicherweise wie Herrn Beeck: Ich war zunächst einmal erleichtert. Denn nach Ihrer unsäglichen Kleinen Anfrage vom vergangenen April, die ja eine Reaktion von allen Behindertenverbänden zur Folge hatte, war ich auf das Schlimmste gefasst. Dagegen ist ihr jetziger Antrag ja richtig Gold: keine Volksverhetzung, keine ausländerfeindlichen Parolen. Da habe ich mich wirklich gefreut. Man ist ja bescheiden geworden in seinen Erwartungen Ihnen gegenüber.
Inhaltlich fordern Sie einen Lohnkostenzuschuss von monatlich 250 Euro, undifferenziert für jeden schwerbehinderten Beschäftigten, den ein Arbeitgeber über seine Beschäftigungsquote hinaus einstellt. Da sage ich mal: Donnerwetter, wirklich originell! Und uns werfen Sie Gießkannenzuschüsse vor. Mit dem Antrag mutieren Sie ja zum Erfinder der Gießkanne. Nein, meine Damen und Herren von der AfD, so wird das nichts. Lohnkostenzuschüsse haben in der Behindertenpolitik durchaus ihren Sinn. Sie müssen aber eine zentrale Voraussetzung erfüllen: Sie müssen genau auf Problemfälle fokussiert sein. Ihr Gießkannenzuschuss ist überhaupt nicht fokussiert.
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Wissen Sie, wer das seit 25 Jahren deutlich besser macht? Die Arbeitsagenturen und die Jobcenter. Rechtsgrundlage dafür ist § 90 SGB III. Danach können Arbeitgeber, die schwerbehinderte Menschen einstellen, über maximal acht Jahre mit bis zu 70 Prozent der Lohnhöhe gefördert werden – aber eben auch nur da, wo es Sinn macht. Das ist der richtige Weg.
Jetzt gibt es auch noch das Budget für Arbeit. Herr Schummer und meine Kollegin Frau Glöckner haben das erläutert. Dass auch diese Regelungen und auch das Budget für Arbeit keine Patentlösungen sind, zeigen die nach wie vor schlechten Arbeitslosendaten zu Menschen mit Behinderung. Darauf hat Herr Witt ja durchaus zu Recht hingewiesen, um auch mal was Nettes zu sagen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Arbeitgeber, die zu wenige Schwerbehinderte beschäftigen, müssen dafür eine Ausgleichsabgabe zahlen. Die unterschiedlich gestaffelten Höhen sind dabei zielführend. Besonders schwierig ist es aber, wenn ein Arbeitgeber überhaupt keine Schwerbehinderten beschäftigt. Das ist dann ja schon fast ein politisches Statement. Es ist daher eine absolut sinnvolle Initiative, die Arbeitsminister Heil am Dienstag gemeinsam mit Herrn Clever und Herrn Scheele auf dem Parlamentarischen Abend der Bundesagentur vorgestellt hat: dass jetzt nämlich jeder einzelne Arbeitgeber angeschrieben wird, der überhaupt keine Schwerbehinderten beschäftigt. Die Initiative hat den schönen Namen „Einstellung zählt“. Das ist nicht die Lösung aller Probleme, aber es ist ein guter und richtiger Schritt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, um verstärkt Menschen mit Behinderung in Arbeit zu bringen, ist vor allem Aufklärung nötig. Herr Oellers hat das völlig zutreffend gesagt. Ich war vorgestern auf einer Veranstaltung mit Gehörlosen. Die berichteten mir, dass viele Nichtbehinderte große Hemmungen hätten, mit ihnen in Kontakt zu treten. Diese Kontaktscheu gegenüber Menschen vor allem mit auffälligen Behinderungen gibt es bei vielen Bürgern. Und sie sind einer der größten Jobkiller.
In meiner Heimatstadt Hamburg hat das Integrationsamt daher mit der Ausgleichsabgabe ein Projekt aufgebaut, das „Dialog im Dunkeln“ heißt. Sehende werden dort von Blinden durch dunkle Räume geführt, die Blinden zeigen den Sehenden, wie man sich dort zurechtfindet, und plötzlich verstehen Sehende die Blinden viel besser. Das Projekt gibt es seit fast 20 Jahren und ist weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Sie werden es nicht glauben: Letztes Jahr kam der zwölfmillionste Besucher in dieses Projekt.
Aufklärungsprojekte wie dieses sind großartig. Sie bauen Barrieren zwischen Behinderten und Nichtbehinderten ab, und sie schaffen Aufklärung darüber, dass Menschen mit Behinderung keinen Deut schlechter arbeiten als Menschen ohne Behinderung – häufig sogar besser.
Ich danke Ihnen.
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Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartke. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der AfD zeigt, welches Bild Sie von Inklusion haben. Der Antrag zeigt auch, welche Wertschätzung Sie Menschen mit Behinderungen entgegenbringen. Für uns stehen die Würde der Betroffenen und deren individuelle und selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsmarkt im Vordergrund.
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Die AfD zeigt mit ihrem Antrag, dass sie ein ganz anderes Bild hat. Ihr geht es nicht um Selbstbestimmung, Teilhabe und Inklusion. Wenn Sie ein Bonussystem zur Schaffung von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen fordern, dann zeigt das ein gewisses Welt- und Menschenbild. Wenn man ein Bonussystem fordert, kann das auch bedeuten, dass Sie Inklusion von Menschen mit Behinderung als Belastung für Unternehmen sehen, die mit einem Bonussystem aufgefangen werden soll.
Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren von der AfD, sehen das anders. Wir sehen Inklusion und Teilhabe als Bereicherung. Wir sehen Inklusion und Teilhabe als Chance.
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– Ich bin nicht von den Grünen, sondern von der CSU, aber ich sehe es genau deswegen auch so. – Und so sehen es auch viele Unternehmen. Das merke ich bei vielen Unternehmensbesuchen in meinem Wahlkreis. Hier wird die Arbeit von Menschen mit Behinderung nicht nur wertgeschätzt, sondern als Bereicherung gesehen. So beschäftigt eine Schreinerei ganz selbstverständlich in enger Zusammenarbeit mit einer sozialen Einrichtung einen Menschen mit Behinderung. Oder ein mittelständischer Metallverarbeiter aus der Gemeinde Barbing, der einen Mitarbeiter mit Handicap eingestellt hat, stellt diesem sogar einen Paten zur Seite.
Wir, meine sehr geehrten Damen und Herren von der AfD, lehnen Ihren Antrag nicht ab, wie der Kollege Witt es vorher aufgezeigt hat, weil er auf einer schwarzen Liste steht, sondern wir setzen uns mit ihm kritisch auseinander, weil er eindimensional ist. Eindimensional ist er deshalb, weil Geld alleine nicht ausschlaggebend sein wird, um mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu finden.
Ich habe Ihre Konzepte gesucht, wie das Ganze noch besser geregelt werden kann, als es derzeit der Fall ist. Ich bin auf Fragen gestoßen, die sicherlich brennender sind als das Thema Geld: Wie können wir Betriebe bei der Integration von Menschen mit Behinderung noch stärker unterstützen? Wo können wir die Menschen mit Behinderung noch stärker unterstützen, dass Arbeitsplätze geschaffen werden und sie barrierefreie Rahmenbedingungen bekommen? All das sind Fragen, die wir beantworten müssen, meine Damen und Herren. Das kann man auch gerne in Ihren Antrag hineinschreiben, aber wenn, dann kommt bestimmt ein Antrag von uns, der sicherlich nicht so eindimensional ist wie Ihrer.
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Mit Ihrem Antrag kommen wir nicht zu Verbesserungen. Betriebe brauchen keine Gießkannenprämien wie gerade ausgeführt, sondern Menschen mit Behinderung, die mit geeigneten Maßnahmen zur Teilhabe und Inklusion beitragen.
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Es gibt viele finanzielle Anreize, beispielsweise Ausbildungszuschüsse, Bildungsleistungen, Eingliederungszuschüsse und Zuschüsse für Arbeitshilfen in den Betrieben. Es gibt viele Regelungen im Bundesteilhabegesetz. In meinem Wahlkreis ist eine unabhängige Teilhabeberatung gegründet worden, wo man sich für Menschen mit Behinderung sehr viel Zeit nimmt, um sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. All das sind wichtige Maßnahmen, die schon heute dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt mehr Chancen haben. Wir brauchen deshalb kein Bonussystem, wie es von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken, vorgestellt worden ist, sondern wir müssen den Betrieben den integrativen Mehrwert von Menschen mit Behinderung aufzeigen. Das muss auch bei Behörden der Fall sein. Menschen mit Behinderungen einzustellen, muss eine Selbstverständlichkeit werden. Das wird es nur, wenn man es als Bereicherung und Chance sieht, und da gibt es gemeinsam viel zu tun.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Herr Kollege Aumer. – Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/8557 an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jetzt hoffe ich, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht denken: Das mit den Frauen machen sie wieder am Schluss der Woche! – Wir haben in der vorletzten Sitzungswoche zur Primetime über Entgeltdiskriminierung von Frauen und Männern gesprochen; insofern passt das jetzt schon. Worüber hatten wir anlässlich des Frauentags und des Equal-Pay-Day gesprochen? Darüber, dass wir eine Entgeltdifferenz zwischen Männern und Frauen von 21 Prozent mittelbar und unmittelbar von 6 Prozent haben. Es gibt natürlich auch Leute – das haben die Diskussionen in den letzten Wochen gezeigt –, die das Problem bestreiten; es existiert für sie gar nicht. Die andere Variante ist: Man stellt sich diesem Problem.
Ich habe mir gedacht, dass ich mich heute nicht wissenschaftlich oder ideologisch nähere, sondern einmal ganz praktisch anfange. Ich habe mir den Tarifvertrag des Einzelhandels in Baden-Württemberg – da komme ich her; den kenne ich am besten – zur Hand genommen. Danach bekommst du als Einzelhandelskauffrau mit Hauptschulabschluss, Realschulabschluss oder vielleicht auch mit Abitur sowie nach einer dreijährigen Ausbildung und sechs Jahren Tätigkeit in etwa 2 600 Euro brutto. Nach dem gleichen Tarifvertrag – ich brauche Hauptschulabschluss, Realschulabschluss oder Abitur – habe ich nach sechs Jahren in einem handwerklichen Beruf schlappe 300 Euro mehr. Das ist die mittelbare Diskriminierung.
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Dann geht es weiter. Als Buchhalterin oder Lohnbuchhalterin bekomme ich nach diesem Tarifvertrag ebenfalls in etwa 2 900 Euro. Arbeite ich aber nicht im Einzelhandel, sondern in der Metallindustrie in Baden-Württemberg, dann bekomme ich als Buchhalterin oder Lohnbuchhalterin zwischen 3 100 und 5 000 Euro. Da haben wir es wieder: Die gleiche Tätigkeit wird in typischen Frauenbranchen schlechter bezahlt als in typischen Männerbranchen. Darum geht es, darüber reden wir.
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Dazu hatten wir am vergangenen Montag eine Anhörung im Ausschuss. Die Anhörung ist natürlich keine Evaluation des Entgeltgleichheitsgesetzes. Es gab auch Fraktionen, die dazu keine Sachverständigen geladen hatten, da sie das Problem ja komplett bestreiten. Ich aber fand die Anhörung insofern interessant, als dass uns von den Sachverständigen viel mit auf den Weg gegeben wurde. Das eine war, dass die Arbeitgeber eine gute Kinderbetreuung eingefordert haben, damit man auch verlässlich erwerbstätig sein kann. Da, glaube ich, sind wir mit dem Gute-Kita-Gesetz schon einen Schritt weiter als noch vor einem halben Jahr.
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Wir haben auch über das Verbandsklagerecht gesprochen. Und natürlich ist es ein Elend! Solange ich das Gefühl habe, dass ich jede Frau, die in Deutschland individuell klagt, persönlich kenne, haben wir einfach ein Problem; denn die meisten Frauen klagen einfach nicht. Viele Frauen denken: Ich bin bei einem Arbeitgeber beschäftigt; da geht es mir gut; da werde ich die Welt nicht „schalu“ machen, indem ich eine Klage einreiche. – Ja, das Verbandsklagerecht brauchen wir!
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Ich erinnere mich an eine Schreinermeisterin, die bei der Uni Stuttgart beschäftigt ist. Sie kriegt 1 200 Euro weniger als ihr Kollege, der exakt das Gleiche arbeitet. Sie hat Klage eingereicht, ist aber durchgereicht worden, weil die Richter beschlossen haben, dass das eine Eingruppierungsklage ist, und diesen Diskriminierungstatbestand überhaupt nicht erkannt haben. Darum braucht man für solche Sachen ein Verbandsklagerecht.
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Jetzt haben wir einen Koalitionsvertrag, der besagt: Die erste Überprüfung des Entgelttransparenzgesetzes wird die Grundlage der Entscheidungen über weitere Schritte sein. – Die Evaluation läuft; im Sommer 2019 sind wir damit fertig. Dann haben wir eine Grundlage dafür, und deshalb werden wir die Anträge heute ablehnen. Aber wir können uns nach dem Sommer gern unterhalten. Die SPD ist jedenfalls bei Verbandsklagerecht, Betriebsgröße, Ehegattensplitting und allem, worüber am letzten Montag diskutiert wurde, ziemlich klar in ihrer Haltung. Ich hoffe, dass wir den Koalitionspartner dann auch noch überzeugen können.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat der Kollege Thomas Ehrhorn, AfD-Fraktion, das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Jahrzehnten ertragen wir die verschiedenen Auswüchse linker Ideologieprojekte, deren Hauptmerkmal es ist,
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keinen Fehler auf dem Weg zum totalen Irrtum zu machen. Ob Gender-Gaga
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oder Klima-Religion,
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am Ende findet sich für jede Sekte der geeignete Anhänger.
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Anhänger hat auch das Märchen der angeblich unterdrückten und diskriminierten Frau, die in einer von Männern dominierten Welt ungerecht behandelt wird.
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Die Geschichte wird immer gleich erzählt. Sie lautet etwa so: Die Chefs in den Unternehmen sind meistens Männer. Die wissen die Arbeit von Frauen aus Gründen, die mir noch niemand erklären konnte, einfach nicht zu schätzen, und deshalb bekämen die Frauen weniger Gehalt.
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Nun lösen wir uns mal ganz kurz von der Welt der Märchen und kommen zu den Fakten. Vergleicht man die Gehälter aller berufstätigen Frauen in der Bundesrepublik mit denen aller berufstätigen Männer, stellt man fest: Ja, dann verdienen Frauen in der Tat – rein statistisch – erst einmal 21 Prozent weniger.
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Ja, aber eben nicht für die gleiche Arbeit, nicht in den gleichen Berufen, nicht in vergleichbaren Firmen und nicht mit der gleichen Berufserfahrung!
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Woran liegt das? Es liegt daran, dass Frauen in eher niedrig entlohnten Bereichen wie Erziehung, Unterricht, Gesundheit und Sozialwesen überrepräsentiert sind. Unterrepräsentiert sind sie dagegen in wissenschaftlich oder naturwissenschaftlich orientierten Berufen, den sogenannten MINT-Berufen.
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Warum das so ist? Ja, das müssen Sie die Frauen vielleicht einmal selbst fragen.
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Könnte es vielleicht daran liegen, dass Frauen und Männer so gleich, wie immer behauptet wird, doch nicht sind?
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Sei’s drum! Es ist jedenfalls nicht die Aufgabe des Staates, den Frauen in ihre freie Berufswahl hineinzureden.
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Bereinigt man die Statistik nun aber um diesen Faktor, stellt man fest, dass von der Lohnlücke gerade noch 6 Prozent übrig bleiben.
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Aber damit ist die Geschichte ja nicht zu Ende. Laut Umfragen sind noch immer viele Paare – also Männer und Frauen – der Meinung, dass Mütter von Schulkindern nicht Vollzeit arbeiten sollten. Und oft sind es in der Tat die Frauen, die bereit sind, etwas Karriere für ein klein wenig mehr Zeit mit dem eigenen Kind einzutauschen – eine Einstellung, die bei den Damen und Herren von Linken und Grünen natürlich zur Schnappatmung führt, die aber in einer freien Gesellschaft einfach legitim ist. Das müssen Sie mal zur Kenntnis nehmen.
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Während sich also in dieser Lebensphase viele Frauen selbst aus dem Rennen nehmen, indem sie sich für eine Teilzeitstelle entscheiden, machen Männer nicht selten Überstunden und sammeln Berufserfahrung.
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Und höhere Berufserfahrung – wer hätte das gedacht? – führt zu höherem Lohn. So einfach ist das.
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Und wird die Statistik auch diesbezüglich bereinigt, so rechnet uns das Institut der deutschen Wirtschaft vor, bleibt vom Gender Pay Gap so gut wie nichts mehr übrig.
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Dass es in das linke Weltbild nicht so gut passen mag, dass Frauen noch immer die Zeit mit dem eigenen Kind höher bewerten als berufliches Fortkommen, wissen wir natürlich. Im Sozialismus gehören Frauen in die Produktion und die Kinder in die Kita; auch das wissen wir.
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Inzwischen gibt es ja sogar Frauen, die deshalb arbeiten, um die Kosten für den Kitaplatz zu erwirtschaften. Das heißt, sie verdienen Geld, um tatsächlich fremde Menschen dafür zu bezahlen, dass sie das eigene Kind erziehen.
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Ich frage Sie: Merkt denn hier eigentlich
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie merken auch nichts in dieser Debatte!
irgendwann irgendwer in diesem Hohen Haus, wie krank das eigentlich ist?
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Wenn wir nun aber unbedingt über Diskriminierung und finanzielle Ungleichheiten reden wollen, dann reden wir doch mal über den Gender Lifetime Gap, wie ich es nenne. Reden wir mal darüber, dass Frauen durchschnittlich fünf Jahre länger leben, was ja nach Genderideologie gar nicht passieren dürfte, weil Frauen und Männer ja gleich sind.
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Dennoch passiert es. Das heißt, Frauen profitieren im Durchschnitt fünf Jahre länger von einer Rente, die im Übrigen auch durch männliche Beitragszahler gezahlt wird. Schon mal darüber nachgedacht?
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Rechnen wir doch mal aus, was da finanziell so alles zusammenkommt.
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Vielleicht kommen wir dann auch zu ganz anderen Bewertungen bezüglich der angeblichen immer wieder benannten strukturellen Benachteiligungen,
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die wir natürlich immer nur bei Frauen ausmachen.
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Deshalb sage ich Ihnen: Hören Sie endlich auf, die Menschen mit Ihren ideologischen Märchen zu langweilen. Frauen sind in dieser Gesellschaft keine Opfer!
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Deswegen brauchen wir weniger Frauenquoten. Wir brauchen keine Prüfung der Entgeltgleichheit, und am allerwenigsten brauchen wir ein Verbandsklagerecht.
Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.
Ihre Anträge haben den Nährwert einer Gurke.
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Wir werden sie selbstverständlich ablehnen.
Danke schön.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Redner hat seinen Platz wieder eingenommen. Sie können jetzt mit den Zwischenrufen aufhören.
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Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ursula Groden-Kranich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich noch ein bisschen fassen, weil es wirklich schön ist, wenn ältere Männer zu Themen reden, von denen sie aber auch gar nichts verstehen.
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Und die Zwischenrufe zeigen, dass das nicht besser wird.
({1})
Ich rede nun seit fünf Jahren zu dem Thema „Entgelttransparenz und Gleichstellung“. Wie viele von Ihnen auch verfolge ich die Debatte in Politik, Medien und Wirtschaft sogar sehr viel länger. Man könnte es sich leicht machen und ein knappes Fazit in drei Sätzen ziehen: Erstens. Es gibt beim Thema Entgeltlücke nach wie vor sehr viel Luft nach oben. Zweitens. Die Debatte ist insgesamt breiter geworden. So breit hätten wir sie jetzt auch nicht gebraucht, aber es ist gut, dass die Debatte nun breiter ist.
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Drittens. Einiges hat sich durchaus verbessert; das dürfen wir auch mal erwähnen.
Zum ersten Punkt. Wo können wir nicht zufrieden sein? Was muss noch besser werden? Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, mehr Ganztagsbetreuung, viel mehr Flexibilität in der Arbeitswelt, das waren die Themen, die in der öffentlichen Anhörung ganz besonders nach vorn gestellt wurden. Flexibilität in der Arbeitswelt ist ein Mehrwert; ein Mehrwert, der eben entsprechend honoriert werden kann. Ich glaube, dafür können wir noch einiges tun.
Um noch einen weiteren Bereich rauszugreifen: Das Führen in Teilzeit ist im Gegensatz zu der Zeit meiner früheren Berufstätigkeit heute möglich und wesentlich akzeptierter als noch vor einigen Jahren und bringt sogar sehr guten Erfolg. Genau das müssen wir stärken. Wenn wir sehen, dass es heute nicht nur möglich ist, sondern auch gemacht wird, dass auch Männer Teilzeitarbeit annehmen, dann finde ich es wichtig, dass genau dieses Thema auch genannt wird.
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Wir brauchen mehr frauen- und familienfreundliche Strukturen, übrigens nicht nur in der Privatwirtschaft, sondern auch in Gewerkschaften. Und auch in den öffentlichen Institutionen – da dürfen wir uns alle an die eigene Nase fassen – sind die Strukturen ebenso verkrustet wie woanders.
Wir dürfen uns nicht nur auf Frauen konzentrieren. Partnerschaftlichkeit in der Erwerbs- und Pflegearbeit ist erst dann gut, wenn Männer und Frauen diese ganz selbstverständlich gemeinsam übernehmen.
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Auch wenn ich die Argumentation nicht ganz teile, weil sie von der Systematik nicht ganz schlüssig ist: Ja, tatsächlich, wenn mehr Männer in Pflege und Erziehung tätig werden, werden auch die Gehälter steigen. Das kommt uns allen zugute.
({5})
Am allerwichtigsten ist es nach meiner Ansicht und auch der von Expertinnen und Experten in der Anhörung am Montag dieser Woche, dass wir viel früher ansetzen. Wir müssen Mädchen stärken, und zwar nicht erst, wenn sie in der Berufsausbildung sind, sondern von Anfang an, also in der Grundschule, und ihnen klarmachen, dass sie von sich aus eine echte Wahlmöglichkeit haben. Wir müssen ihnen diesen Mehrwert vermitteln und deutlich machen, dass es etwas Schönes ist, im Beruf aktiv zu sein und auch für die Familie da zu sein.
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Zu meinem zweiten Punkt. Die Debatte über Equal Pay ist nicht wirklich besser geworden. Auch in den vorliegenden Anträgen werden wir die Lösung nicht finden. Ich danke für meine Fraktion herzlich für Ihre Einladung, aber, ich glaube, beim Verbandsklagerecht beispielsweise sind wir noch Welten auseinander. Das wird auch nach der Evaluation so sein.
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– Okay.
Aber wir müssen uns auch damit abfinden, dass die Lücken bestehen. Es gibt nach wie vor die unbereinigte und die bereinigte Lücke; dazu wird meine Kollegin Frau Dr. Launert was sagen. Aber wir dürfen auch nicht so pauschal argumentieren, dass dies alles nur strukturelle Benachteiligungen sind. Manchmal kann Diskriminierung ein Grund sein. Aber manchmal sind es auch persönliche Entscheidungen. Es ist zu schwer, als dass wir mit einem Gesetz alles ändern könnten.
Genauso wie ich mit dem Mythos der Linken breche, dass immer alles nur ein strukturelles Thema ist, genauso möchte ich mit dem Mythos auf der rechten Seite brechen, dass alle Frauen freibestimmt und immer selbst entschieden haben, die Familienarbeit zu wählen. Wenn wir mal in unsere eigenen Familiengeschichten gucken, dann stellen wir fest: Da war es eben nicht so. Meine Mutter hätte gerne mehr und anderes gearbeitet. Aber das war zu ihrer Zeit nicht üblich. Wir sind also in diesem Punkt schon einen ganzen Schritt weiter.
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Dritter Punkt. Fakt ist: Frauen gehen heute insgesamt mehr arbeiten. Sie haben bessere Jobs. Sie tragen mehr zum Haushaltseinkommen bei als noch vor einigen Jahren. Sie sind präsenter in öffentlichen Führungsrollen und auch nach der Geburt von Kindern häufiger erwerbstätig. Es ist auch erfreulich, dass viele Unternehmen in Deutschland diese Lage durchaus erkannt haben. Diese positive Entwicklung bestätigen auch Studien.
Das bedeutet trotzdem nicht, dass wir uns jetzt hinsetzen und sagen können: Es wird schon irgendwann alles. – Nein, wir müssen politisch da weitermachen, wo wir die Ursachen sehen, aber bitte mit einem Strauß von Maßnahmen, statt zu glauben, mit einem Gesetz alles regeln zu können.
Wir müssen in der Bildung früher ansetzen: bei dem Thema Geschlechterrollen, beim Angebot von MINT-Fächern, bei breiter Berufsberatung. Wir müssen Mädchen stark machen.
Zum Schluss appelliere ich an uns alle: Lassen Sie uns auch in unseren Büros dafür werben, dass unsere männlichen Mitarbeiter nicht nur zwei Vätermonate nehmen, sondern mehr. Damit können wir alle etwas tun.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin.
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, muss ich eine geschäftsleitende Bemerkung mache, weil der Kollege Martin Schulz – Klammer auf: ein Mann; Klammer zu – sich darüber mokiert hat, dass bei diesem Thema hier im Präsidium drei Männer sitzen. Ich finde, das ist ein Glück. Die Schriftführerinnen und Schriftführer werden ungefähr ein halbes Jahr vorher für die Sitzungszeiten nominiert. Insofern liegt es nicht an den Personen, die hier sitzen, sondern an dem Thema, das aufgerufen worden ist. Aber wir drei haben uns verständigt und können sagen: Equal Pay ist bei uns verwirklicht.
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Als nächste Rednerin bekommt die Kollegin Nicole Bauer das Wort.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauen verdienen mehr! Das ist keine Tatsache. Das ist ein Appell, eine Forderung. Frauen verdienen mehr, nämlich gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Leistung, meine Damen und Herren.
Aber das, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Anträgen an Änderungen fordern, ist der falsche Ansatz; tut mir leid. Denn wir brauchen sicherlich nicht noch mehr Regulierungen, nicht noch mehr Bürokratie und erst recht keine absurden Strafandrohungen.
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Wir wollen konstruktiv statt konfrontativ an die Sache herangehen. Wir wollen mit der Wirtschaft, mit den Unternehmen, mit den Arbeitgebern gemeinsam eine Lösung finden – und nicht gegen sie. Deshalb setzen wir an den Ursachen an und doktern nicht nur an den Symptomen herum.
Warum verdienen die Frauen denn tatsächlich weniger? Erwerbslücken, Teilzeit und die Berufswahl – im Wesentlichen sind es genau diese drei Dinge. Da hilft uns auch kein Verbandsklagerecht.
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An die Schließung der Lohnlücke von 21 Prozent müssen wir ran. Dass Frauen hierzulande im Schnitt 21 Prozent weniger als die Männer verdienen, kritisiere ich – das kritisiere ich als Frau und als Freie Demokratin. Ein Entgelttransparenzgesetz wird uns hier auch nicht weiterbringen.
Stattdessen brauchen wir beste Kinderbetreuung, Modelle wie Langzeitarbeitskonten und viel mehr Flexibilität, um zeitlich und örtlich unabhängig zu arbeiten; weg von der Präsenzkultur hin zur Ergebniskultur. Wir soll ten auch neue Wege denken: geteilte Arbeitsplätze und Jobsharing bis in die Führungspositionen hinein. Das eröffnet uns wahre neue Chancen.
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Und wir brauchen viel mehr Talentmanagement, Talentschmieden für Frauen, für junge Führungskräfte. Mama zu sein und eine Managementposition dürfen sich nicht ausschließen, meine Damen und Herren.
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Das gilt im Endeffekt für alle Branchen. Auch ich persönlich hatte einen Talentmanager; das war mein Opa. Dass ich Ingenieurin wurde, verdanke ich zu großen Teilen ihm. Er hat mir früh beigebracht, wie man Zündkerzen beim Auto wechselt oder ein Radio repariert.
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Er schaffte es, die technische Begeisterung in mir zu wecken – von Kindesbeinen an.
Genau das möchte ich erreichen: dass wir unsere Kinder bestärken, dass sie alles werden können, was sie wollen – losgelöst von den Geschlechterklischees und der schlechten Bezahlung –, dass sie sich nicht abschrecken lassen. „Früh ansetzen“ sollte also die Devise lauten. Veraltete Rollenbilder aufbrechen, egal ob in Kitas oder Schulen, tatsächlich mit wahren Vorbildern!
Und, meine Damen und Herren, wir müssen die sozialen Berufe besser bezahlen; das muss uns gelingen.
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So wäre der Grundstein für eine faire und leistungsgerechte Bezahlung gelegt, und zwar völlig unabhängig vom Geschlecht. Genau das wollen wir erreichen, und genau deshalb setzen sich die Freien Demokraten dafür ein.
Ihre Anträge lehnen wir ab, weil sie in eine für uns falsche Richtung gehen. Die Frauen in unserem Land verdienen definitiv mehr.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Bauer. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke: die Kollegin Doris Achelwilm.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir diskutieren heute über einen Antrag der Linken, der inzwischen schon ein Jahr alt ist und trotzdem noch passt. Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen beträgt nämlich wie im Vorjahr und im Jahr davor 21 Prozent. Das ist auch im europäischen Vergleich ein besonders schlechter Wert. Aber entsprechende Ambitionen und Maßnahmen der GroKo – leider Fehlanzeige; da haben Sie komplett versagt. Das müssen Sie sich an dieser Stelle leider noch mal anhören, damit sich wirklich was tut.
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Der Kampf gegen die ungleiche Bewertung der Arbeit von Männern und Frauen geht so zäh und schleppend voran, dass sogar eine Rede von 1896 zu diesem Thema nach wie vor aktuell ist. Die Sozialistin Clara Zetkin forderte damals – ich zitiere – „gleichen Lohn für gleiche Leistung ohne Unterschied des Geschlechts“.
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Sie forderte, wie wir heute sagen, Equal Pay.
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An Lippenbekenntnissen zu dem Thema mangelt es nicht. Wirtschaftsminister Altmaier hat am Equal Pay Day zu unserer Überraschung erklärt, Feminist zu sein.
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– Nein, es war nicht der 1. April, sondern der 18. März. – Familienministerin Giffey beteuerte, entschlossener gegen Lohndiskriminierung vorgehen zu wollen. Das sind alles schöne Botschaften, aber das war es auch schon. Sie haben zu dieser Debatte keinen eigenen Vorschlag beigesteuert, der Auskunft darüber gibt, was aus ihrer Sicht strategisch getan werden muss.
Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist eine Gerechtigkeitslücke,
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die wir nicht länger nur analysieren dürfen, sondern wir müssen sie mit einer Reihe konkreter Maßnahmen schließen, damit Frauen ihren Lebensunterhalt und ihre Unabhängigkeit unter den gleichen Bedingungen wie Männer bestreiten können, damit Alleinerziehende nicht länger so starke Lasten tragen müssen und damit wir die soziale Spaltung zwischen Arm und Reich, die viel mit der sozialen Spaltung zwischen Männern und Frauen zu tun hat, endlich in den Griff bekommen.
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Der ständige Verweis darauf – wir haben es auch hier wieder gehört –, dass das Entgelttransparenzgesetz seine Wirkung angeblich erst noch entfalten muss, bringt uns aus unserer Sicht nicht weiter. Diese Erwartungshaltung ist das Gesetz leider nicht wert; denn es ist weitgehend zahnlos, gilt nur für große Betriebe und unter bestimmten Voraussetzungen, die für Frauen vielfach gar nicht gegeben sind.
Es hilft auch nicht, zu beschwichtigen, dass die bereinigte Lohnlücke ja nur bei 6 Prozent liegen würde, wie man so oft hört. Erstens ist auch eine unverdeckte Benachteiligung von Frauen von 6 Prozent ein absolutes No-Go.
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Zweitens wirken strukturelle Diskriminierungen, die wissenschaftlich nachgewiesen den Unterschied von 21 Prozent in der Summe ausmachen, viel tiefgreifender als offensichtliche, weil sie als normal gelten, schwerer angreifbar sind und deshalb umso klarer benannt und abgestellt werden müssen.
Spätestens angesichts einer massiven Altersarmut, die vor allem Frauen betrifft, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir es hier mit groben Struktur- und Systemfehlern zu tun haben. Übrigens liegt die Lohnlücke in manchen Branchen wie dem hier schon erwähnten Einzelhandel, wo sehr viel in Teilzeit gearbeitet wird, sogar bei über 24 Prozent, wie die Arbeitnehmerkammer Bremen nachgewiesen hat. Mit diesen Missständen werden wir als Linke uns definitiv nicht abfinden; das ist ein Versprechen.
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Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie haben 2012 selbst ein Entgeltgleichheitsgesetz vorgelegt, das in die richtige Richtung ging und von Gewerkschaften und Frauenorganisationen begrüßt wurde. Teile dieser Vorschläge haben wir für unseren Antrag übernommen und sie um weitere ergänzt. In der Anhörung im Ausschuss am Montag wurde unser Antrag unter anderem vom Juristinnenbund befürwortet.
Ich nenne noch mal einige Maßnahmen daraus. Erstens wollen wir, dass Verstöße gegen das Lohndiskriminierungsverbot mit Bußgeldern sanktioniert werden, wie sie in Island eingeführt wurden. Zweitens. Betriebs- und Personalräte sollen bei Maßnahmen zur Entgeltgerechtigkeit Mitbestimmungsrechte erhalten. Drittens wurde in der Anhörung mehrfach thematisiert, dass das Ehegattensplitting eine starke Hürde gegen Einkommensgleichheit darstellt; es gehört abgeschafft.
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Viertens. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und den Gewerkschaften soll der Gerichtsweg eröffnet werden. Hier braucht es das Verbandsklagerecht gegen Lohndiskriminierung, damit betroffene Frauen nicht allein für ihre Rechte streiten müssen.
Kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss. – Lassen Sie uns den Skandal der Lohndiskriminierung von Frauen beenden. Es wird wirklich Zeit.
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Vielen Dank. – Als nächste Rednerin spricht zu uns die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Entgelttransparenzgesetz ist wie ein Sieb, aber leider wie ein grobes Sieb. In diesen Maschen verfängt sich nichts; alle Betriebe mit weniger als 200 Beschäftigten rauschen schon mal direkt durch – wie übrigens auch die AfD mit ihrer Kompetenz in diesem Punkt bei dieser Debatte durchrauscht.
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Für fast zwei Drittel der berufstätigen Frauen gilt dieses Gesetz gar nicht. Es hilft in den verbleibenden Betrieben auch nicht, den fetten Brocken Lohndiskriminierung aufzufangen; denn das Gesetz wird kaum genutzt, und es verändert nichts an der unbereinigten Lohnlücke von sage und schreibe 21 Prozent. Es ist eine Fehlanzeige.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Gesetz muss aber mehr schaffen. Bei Lohndiskriminierung sollte es auch die Rechte derer stärken, die diskriminiert werden. Wir Grünen wollen ein Entgeltgleichheitsgesetz, das Frauen wirklich was bringt. Wir wollen endlich kollektive Rechtsschutzmöglichkeiten durch ein Verbandsklagerecht oder durch Gruppenverfahren einführen, damit Frauen gemeinsam und nicht individuell juristisch gegen unfaire Bezahlung wirksam vorgehen können. Das wirkt, liebe Regierung.
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In der Anhörung im Frauenausschuss am Montag wurden die Vorschläge von unserer Fraktion und von den Linken zur Verbesserung des Gender Pay Gap diskutiert. Interessanterweise wurden von den Sachverständigen der Arbeitgeberseite das Ehegattensplitting, die kostenlose Mitversicherung und die zu geringen Arbeitsvolumina stark kritisiert.
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Und es stimmt ja: Diese bestehenden Hürden für Frauen sind die Bremsklötze für eine eigenständige Existenzsicherung. Die müssen weg, und zwar zügig.
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Das Fehlen von ganztägigen Betreuungsangeboten für Kinder und die mangelnde Versorgung von pflegebedürftigen Angehörigen wurden auch bemängelt. Ja, auch das ist sicher ein ganz wichtiger Punkt.
Aber ist all dies das große Übel des Gender Pay Gap? Ich sage Ihnen: Nein. Wer als Hauptursache für die Gehaltsschere die teilzeitbeschäftigten Mütter sieht oder die globalen Vereinbarkeitsargumente ins Feld führt, bedient sich billiger Ausreden, um nicht selbst handeln zu müssen.
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Die Verantwortung für schlechte Bezahlung liegt nicht individuell bei der einzelnen Frau, sondern bei denen, die die unfairen Strukturen bestehen lassen. Und das lassen wir Grünen Ihnen so nicht weiter durchgehen.
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Seien Sie endlich konsequent bei den Maßnahmen für Entgeltgleichheit.
Und anstatt weiter über zu viel Bürokratie zu jammern, sollten Arbeitgeber besser mit gutem Beispiel vorangehen, verbindliche und automatische Prüfverfahren einführen und Lohnstrukturen transparent und gerecht gestalten. Lohngleichheit ist auch ihre Verantwortung. Gesetzesverschärfungen sind sonst zwingend erforderlich.
Ich sage Ihnen: Junge Frauen und Männer erwarten, dass Unternehmen sich moderner aufstellen. Lohngerechtigkeit sollte selbstverständlich dazugehören, genauso übrigens wie flexible Vollzeit von 30 bis 40 Stunden, wie wir Grüne es vorgeschlagen haben, damit junge Menschen, junge Familien Betreuungs- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich und selbstbestimmter aufteilen können.
Ich sage Ihnen noch eines: Die nächste Generation der Mädchen und jungen Frauen, von denen übrigens einige maßgeblich die Fridays-for-Future-Bewegung voranbringen, wird einen Gender Pay Gap nicht hinnehmen, genauso wie Frauen es schon seit langer Zeit nicht tun. Bundesregierung und Wirtschaft sollten endlich Dampf machen, und zwar richtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen uns im Juli dieses Jahres wieder, wenn das Entgelttransparenzgesetz evaluiert wird. Dann gucken wir uns die Maschen dieses Siebs noch mal genau an, und ich sage Ihnen: Wir werden sie enger knüpfen. Von den Regierungsfraktionen erwarten wir dazu konkrete Vorschläge.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Schauws. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Josephine Ortleb, SPD-Fraktion, das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ausgebildete Gastronomin. Ich habe viele Jahre in diesem Beruf gearbeitet. In meinem Team waren fast ausschließlich Frauen. Wir, ich, haben gerne zusammen und für unsere Gäste gearbeitet, wenn auch häufig unter Druck und in der Regel schlecht bezahlt. Und damit stehen wir im Gastronomiebereich nicht alleine da. Das haben wir am Montag, dem Equal Pay Day, wieder gesehen. 21 Prozent weniger Lohn bedeutet 21 Prozent weniger Wertschätzung für die tagtägliche Arbeit von Frauen, nicht nur in der Gastronomie:
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weniger Wertschätzung für die Frau, die nur Teilzeit arbeiten kann, weil sie mit der häuslichen Pflege von Angehörigen beschäftigt ist – unbezahlt – oder weniger Wertschätzung für die Frau, die eine unterbrochene Erwerbsbiografie hat, weil sie die Kindererziehung übernommen hat, natürlich auch unbezahlt. Genau daran erinnern wir am Equal Pay Day. Es geht darum, den Frauen endlich das zu geben, was sie verdienen, und das ist hundertprozentige Wertschätzung, sehr geehrte Damen und Herren.
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Klar ist, wer die volle Wertschätzung umsetzen will, um so die Lohnlücke zu schließen, muss strukturelle Benachteiligung von Frauen bekämpfen. Diese hat viele Facetten: geringe Entlohnung in sozialen Berufen, ungleiche Verteilung unbezahlter Sorgearbeit, ungleiche Bezahlung im außertariflichen Bereich, um nur einige Punkte zu nennen.
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Benachteiligende Strukturen, die wir weltweit vorfinden, mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt, werden je nach politischem Willen mal mehr, mal weniger stark aufgebrochen. Als ich letzte Woche in New York war, hatte ich die Gelegenheit, mit vielen Menschen zu sprechen und mir einige gute internationale Beispiele für einen Aufbruch anzuschauen. Diese Beispiele aus Island, Australien oder Schweden zeigen uns: Auf dem Weg zur Lohngerechtigkeit steht am Anfang immer Transparenz. Genau deswegen ist das Entgelttransparenzgesetz für uns als SPD-Fraktion ein erster Schritt.
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Der nächste Schritt ist für uns Entgeltgleichheit. Aber wenn ich in mein Bundesland, das Saarland, schaue, wird klar: Es gibt nicht die eine Maßnahme, die all diese Strukturen aufbricht. Im Saarland haben wir mit 70 Prozent die niedrigste Erwerbsquote von Frauen in Deutschland. Dahinter verbergen sich altbekannte Strukturen: Das tradierte Modell des Alleinverdieners wird weiterhin gelebt und auch durch das immer noch bestehende Ehegattensplitting zementiert. Frauen, auch mit sehr hohen Bildungsabschlüssen, bleiben durch ihren Löwinnenanteil an der Kinderbetreuung und der Pflege Angehöriger länger in unbezahlter Sorgearbeit zu Hause. So kommen sie in der Konsequenz nicht auf das gleiche Lohnniveau wie Männer.
Wir müssen also viele einzelne Schritte gehen, um eine hundertprozentige Wertschätzung zu ermöglichen. Einige dieser Schritte sind wir schon gegangen: Das Gute-Kita-Gesetz schafft gute und bezahlbare Kinderbetreuungsangebote und ermöglicht eine bessere partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
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Und die Brückenteilzeit bewahrt heute viele Frauen vor der Teilzeitfalle.
Es ist also so: Transparent über Lohnstrukturen in großen Unternehmen zu sprechen, kann nur ein erster Schritt sein. Deswegen wollen wir in diesem Jahr dieses Gesetz erst mal evaluieren und schauen, wie weit uns diese Transparenz gebracht hat, um dann weitere Schritte zu besprechen. Diese Schritte können sein, ein Verbandsklagerecht einzuführen, die Auskunftspflicht auf kleinere Unternehmen zu erweitern, Beschäftigte durch die Arbeitgeber über Lohnstrukturen aktiv zu informieren, so wie es in anderen Ländern schon gang und gäbe ist. Das Ziel ist klar: hundertprozentige Wertschätzung für Frauen.
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Echte Wertschätzung heißt gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. Die ersten Schritte sind getan. Lassen Sie uns die nächsten Schritte zusammen planen und dann 100 Prozent geben, um unser Ziel zu erreichen!
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt und in dieser Sitzung erteile ich das Wort der Kollegin Dr. Silke Launert, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! 21 Prozent – diese Zahl haben wir am Montag, am Equal Pay Day, und auch heute mehrfach in der Debatte gehört. Das Thema erfordert jedoch – das sehen wir, wenn wir es uns näher anschauen –, dass wir uns noch ein paar mehr Zahlen vor Augen führen: 94 Prozent der Väter von minderjährigen Kindern arbeiten Vollzeit, lediglich 33,5 Prozent der Mütter. In den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen gibt es lediglich 9 Prozent Frauen. Warum lohnt es sich, diese Zahlen näher anzuschauen? Sie zeigen, wo der Kern des Problems in Wirklichkeit liegt.
Es gibt – das wurde schon mehrfach gesagt – die bereinigte und die unbereinigte Lohnlücke. Herr Ehrhorn, Sie sagen, das sei lediglich ein „Gender-Gaga“. Das tut mir persönlich leid. Ich denke, es hilft niemandem, wenn wir das Problem ignorieren, und weitere Schritte zur Lösung finden wir so auch nicht. Die Fakten, die wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen vor. Jetzt können wir uns darüber unterhalten, wo, wie, weshalb, warum wir was besser machen können; aber das so abzuwerten, finde ich, ist eine Abwertung von 50 Prozent der Bevölkerung. Es tut mir leid; ich empfinde ich es so.
({0})
Ich bin niemand, der permanent auf die AfD eindrischt
({1})
– es ist das erste Mal, dass ich es tue –, aber ich muss sagen: Sie haben mich mit diesem Ausdruck wirklich dazu gebracht.
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Zur unbereinigten Lohnlücke. Man vergleicht den durchschnittlichen Bruttoverdienst pro Stunde der Männer mit dem der Frauen, egal welche Ausbildung, welche Schulbildung, welche Karrierestufe – das sind diese 21 Prozent. Und worauf entfällt der größte Anteil? Auch dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen. Der größte Anteil dieser Differenz entfällt auf die Wahl der Tätigkeit. Ob einem das jetzt gefällt oder nicht; so ist es aber nach den Unterlagen. Und wir wissen es doch alle: Die Friseurin verdient oft viel weniger als der männliche Handwerker. Natürlich arbeiten viele Frauen in sozialen Bereichen, die schlechter bezahlt werden, als Erzieherin, als Kinderkrankenschwester, und wir haben das Problem natürlich auch beim Staat.
({3})
– Ich habe von der Lohnlücke geredet, und Sie haben alles pauschal als „Gender-Gaga“ verurteilt. Das ändert nichts daran, dass einige Sätze vielleicht wahr sind; aber überhaupt diesen Ausdruck im Zusammenhang mit Frauen und einer ernstgemeinten Debatte zu verwenden, für die es ja Gründe gibt, finde ich einfach daneben; es tut mir leid.
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Man muss ja nicht immer dieselbe Haltung haben.
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Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ehrhorn?
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Er hat mich leider schon so viel Zeit gekostet, dass ich noch ein bisschen Zeit brauche, um meine Rede zu halten.
Die Zeit halte ich ja an, Frau Kollegin. Es ist nicht so, dass sie abgezogen wird.
({0})
Die Frage lautet: Ja oder Nein?
Ja, er kann ruhig die Frage stellen.
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Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich wollte nur höflich darauf aufmerksam machen, dass mit dem Begriff „Gender-Gaga“ auch noch ganz andere Dinge gemeint waren,
({0})
zum Beispiel der Wahnsinn, der bezüglich der Verunstaltung unserer deutschen Sprache betrieben wird, und Ähnliches. Gender-Gaga bezog sich also nicht unbedingt auf das, was Sie fälschlicherweise, wie ich glaube, darunter verstanden haben.
({1})
Wir sollten uns insofern einig sein, dass einiges von dem, was Sie gerade gesagt haben, durchaus mit dem übereinstimmt, was ich vorher auch benannt habe. Manchmal sind wir so weit gar nicht auseinander.
({2})
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie diesen Ausdruck in einem anderen Zusammenhang benutzt haben.
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Dann gibt es dazu auch nichts mehr zu sagen.
Der erste Punkt ist leider wirklich die Wahl der Tätigkeit. Natürlich kann man sagen: Alle Frauen sollen in die technischen Berufe; alle Frauen sollen in die freie Wirtschaft. – Viele gehen übrigens auch zum Staat, weil sie einen sicheren Job wollen. Ich habe das selbst so gemacht. Ich habe auf viel Gehalt verzichtet, weil ich nicht in eine internationale Großkanzlei gegangen bin, sondern lieber Richterin geworden bin und mich für die Vereinbarung von Familie und Beruf entschieden habe. Deshalb ist es auch wichtig, die Jobs beim Staat und im sozialen Bereich aufzuwerten. Ich freue mich, dass die Ministerin, die leider nicht mehr da ist, das erkennt. Ich habe es gar nicht schlecht gefunden, dass wir diese doch erheblichen Tariferhöhungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst haben. Wir brauchen uns nicht wundern, dass wir diese Differenz haben, wenn in der Industrie ganz anders bezahlt wird als im öffentlichen Bereich oder im sozialen Bereich. Auch wenn das natürlich für die Haushalte langfristig sehr belastend ist – der Ecki Rehberg schaut mich schon grimmig an –, müssen wir doch bereit sein, da mehr zu investieren, um eine Annäherung zu erreichen.
Der zweite Punkt sind natürlich Teilzeitarbeit und Auszeiten für Kinder, oft verbunden mit einem Karriereknick. Ich habe es gesagt: Zwei Drittel der Mütter arbeiten nur Teilzeit. Auch da müssen wir die Situation verbessern, indem wir die Rahmenbedingungen optimieren. Bessere Kinderbetreuung wurde schon angesprochen. Auch da machen wir seit Jahren viel, jetzt das Gute-Kita-Gesetz. Das betrifft nicht nur die Anzahl der Einrichtungen, wir brauchen auch eine Stärkung der Tagespflege und eine bessere Abdeckung der Betreuung in den Randzeiten, damit Frauen umfangreicher arbeiten können. Aber auch wenn wir dafür gesorgt haben, wird es Frauen mit kleinen Kindern geben, die trotzdem sagen: Ich will nur halbtags arbeiten.
In meinem Büro ist es so. Es sind gerade zwei Mütter nach der Geburt eines Kindes zurückgekommen. Ich habe sie heute noch mal gefragt: Warum bist du nur halbtags bzw. in Teilzeit zurückgekommen? Warum wolltest du keine Ganztagsstelle? – Sie haben mir beide – und es sind moderne Frauen – gesagt: Ich habe doch schon jahrelang gearbeitet. Jetzt möchte ich ein bisschen mehr Zeit für meine Kinder haben. – Ich finde, auch das gehört zur Wahrheit.
Rund-um-die-Uhr-Betreuung wollen wir, um denjenigen, die entsprechend arbeiten wollen, dieses zu ermöglichen. Wir wünschen uns aber auch ein bisschen Akzeptanz für diejenigen, die sagen: Mir reicht es, ein paar Jahre halbtags zu arbeiten. – Das gehört auch dazu.
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Jeder, der eine Frau verurteilt, weil sie sich dafür entscheidet,
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der kann sich vielleicht Feminist nennen, er ist aber kein Frauenfreund.
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Deshalb ist es wichtig, dass wir für diejenigen, die sich bewusst für Halbtagsarbeit entscheiden, auch Karriere- und Weiterentwicklungsangebote machen. Auch da – die Kollegin hat schon einiges angesprochen: Führen in Teilzeit und Jobsharing – müssen wir die Vorreiterrolle übernehmen. Ich freue mich, dass der Staat so langsam in die Puschen kommt. Auch die Wirtschaft lernt nach und nach dazu.
Es fehlt der letzte Bereich. Da geht es um die bereinigte Lohnlücke, um die 6 Prozent, die wir noch haben. Hier setzt die Transparenz an. Wenn ich wüsste, dass mit völliger Transparenz alle Probleme gelöst wären, würde ich eine entsprechende Regelung, obwohl es eine unglaubliche Veränderung bei den Unternehmen bedeuten würde, vielleicht sogar mittragen. Ich war in der letzten Wahlperiode in Schweden; dort herrscht völlig Transparenz, –
Frau Kollegin Launert, kommen Sie zum Schluss, bitte.
– und die haben trotzdem eine erhebliche bereinigte Lohnlücke.
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Lassen Sie uns doch erst einmal die Evaluation des Entgeltgleichheitsgesetzes abwarten. Dann können wir uns die nächsten Schritte überlegen.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Launert. – Damit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Drucksachen 19/8612 und 19/8644.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1005 mit dem Titel „Lohndiskriminierung von Frauen beenden – Equal Pay durchsetzen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen der anderen Fraktionen des Hauses angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 19/1192 mit dem Titel „Entgeltdiskriminierung verhindern – Verbandsklagerecht einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke mit den anderen Stimmen des Hauses angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Bevor ich Sie entlasse, wünsche ich Ihnen ein entspanntes Wochenende und eine erholsame Ruhephase.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 3. April 2019, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 15.06 Uhr)