Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 2/22/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland hat einen guten Ruf. Hier gibt es exzellente Ärzte und Pflegekräfte. Hier gibt es wirksame Therapien und Medikamente. Hier gibt es herausragende Forschende. Und hier gibt es eine Bundesregierung, die gerade auch in die Gesundheitsforschung weiter investieren und sie noch weiter vorantreiben will. Denn Gesundheit ist das Wichtigste, was wir in unserem Leben haben. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf haben wir unser neues Rahmenprogramm Gesundheitsforschung aufgelegt. Deutschland muss in der Gesundheitsforschung international spitze sein. Das sind wir den Menschen in unserem Land schuldig. Dabei ist eine exzellente Behandlung das eine. Im besten Fall können wir sogar Krankheiten verhindern. Beispiel Krebs: Wir haben gerade die Nationale Dekade gegen Krebs gestartet. Zehn Jahre lang mobilisieren wir alle Kräfte, um Krebs besser zu verstehen, um Krebs zu verhindern und um Krebs zu heilen. Ich bin sicher: Wir werden in den nächsten zehn Jahren große Schritte nach vorne machen. Aber nicht nur im Kampf gegen den Krebs, auch wenn das in Deutschland die gefürchtetste Krankheit ist. Die häufigsten Todesfälle verursachen in Deutschland Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber auch an Stoffwechsel-, Lungen- und Infektionskrankheiten leiden Millionen Patienten. Gleichzeitig breiten sich Antibiotikaresistenzen aus. All dies haben wir im Blick, wenn wir die Anstrengungen in der Gesundheitsforschung weiter verstärken wollen. ({0}) Unser Grundprinzip: Wir nutzen alle Ressourcen, auch und gerade die neuen technischen Möglichkeiten. Wie? Erstens. Wir binden die Patienten in die Forschung ein. Das ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel: nicht über Patientinnen und Patienten zu forschen, sondern mit ihnen. Auch die Angehörigen, die Hausärzte und die Pflegekräfte werden von Anfang an in die Forschung eingebunden. Denn wie ein Mensch seine Krankheit erlebt, wie er Therapien verträgt, das ist nicht nur für den Einzelnen wichtig. Diese Erfahrungen können auch die Forschung voranbringen. Damit das gelingt, bringen wir zweitens Forschende, Ärzte und Patienten zusammen. Dafür haben wir in unserem Land die Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung gegründet. Die bestehenden Zentren werden wir in den kommenden Jahren weiter ausbauen. In Zukunft werden wir aber noch weitere Schwerpunkte setzen: Der erste ist Kinder- und Jugendmedizin. Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen, die man einfach mit einer geringeren Medikamentendosis behandeln kann. Deswegen brauchen wir hier gezielte Forschung und damit ein neues deutsches Forschungszen­trum für Kinder- und Jugendgesundheit. ({1}) Zweitens nehmen leider auch die psychischen Krankheiten zu. Auch hier gilt es, die Ursachen besser zu erforschen. Nur wenn wir die Ursachen kennen, können wir auch mehr dagegen tun. Deshalb errichten wir auch ein Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit. ({2}) Die Gesundheitszentren sind auch für den dritten Punkt entscheidend: neue Therapien schneller raus aus dem Labor, ran an das Krankenbett zu bringen. Denn Gesundheitsforschung nutzt den Menschen nur dann, wenn sie bei ihnen ankommt. Deswegen wollen wir in der Nationalen Dekade gegen Krebs beispielsweise mindestens vier weitere Standorte des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen errichten. Hier setze ich auf Ihre Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Viertens. Wir nutzen neue Technologien: neue molekularbiologische Methoden, die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz. Technologien, die ganz neue Behandlungsmethoden ermöglichen, individuell, für jeden Einzelnen. Das ist eine Riesenchance, und wir werden sie nutzen. ({3}) Fünftens. Wir schauen über den Tellerrand hinaus. Unsere Forschung leistet auch einen gewichtigen Beitrag für Menschen in Entwicklungsländern. Ebola ist uns allen noch ein warnendes Beispiel. Wir dürfen nicht einfach zusehen, wie Menschen an Infektionskrankheiten wie Ebola sterben, wenn wir das verhindern können. Wir brauchen dringend neue Medikamente, Impfstoffe und Diagnoseverfahren. Und diese müssen auch unter den besonderen Bedingungen in Entwicklungsländern einsetzbar sein. Wir forschen gemeinsam mit den betroffenen Ländern und verbessern die medizinische Versorgung vor Ort. Auch das gehört zu unserer Verantwortung. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, fast täglich lesen wir in der Zeitung über neue Ansätze für Therapien gegen Krebs, gegen Alzheimer, auch gegen seltenere Erkrankungen wie zum Beispiel Mukoviszidose. Jeder Fortschritt im Kampf gegen diese heimtückischen Krankheiten ist ein Schritt zu einem besseren Leben. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir auch zukünftig weiter intensiv in die Gesundheitsforschung investieren. Unser neues Rahmenprogramm nimmt die neuen Möglichkeiten des technologischen Fortschritts auf. Wir stellen den Menschen in den Mittelpunkt und treiben personalisierte und digitalisierte Forschung voran. 2,5 Milliarden Euro stecken wir als Bund pro Jahr in die Gesundheitsforschung. Allein aus meinem Haus kommen davon mehr als 2 Milliarden Euro. ({5}) 2 Milliarden Euro, die wir institutionell oder durch Förderprogramme in die Gesundheitsforschung stecken. Wir machen in meinem Haus nicht viele Gesetze, dafür aber umso mehr segensreiche Förderprogramme, damit wir auch in der Gesundheitsforschung international weiter mit an der Spitze stehen. Denn Fortschritt für die Gesundheit der Menschen in Deutschland, das ist unser gemeinsames Ziel. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Anja Karliczek. – Nächster Redner: Dr. Götz Frömming für die AfD-Fraktion. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin! Vielen Dank für diesen Bericht. Er wurde uns schon im November 2018 zugeleitet. Es war also ausreichend Zeit, sich damit zu beschäftigen. Heute debattieren wir darüber. So ist das gut. Gestern allerdings hat der Bundestag im Eilverfahren über mehrere Grundgesetzänderungen abgestimmt, ({0}) die er so in dieser Form noch nie gesehen hat und die erst am Abend zuvor zugeleitet worden sind. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, ich möchte geschlossen zu Ende führen. ({0}) Meine Damen und Herren, wundern Sie sich bitte nicht, lieber Herr Kollege, dass die Bürger da draußen – und ich mache mir die Formulierung nicht zu eigen – inzwischen das Wort „Demokratieinszenierung“ verwenden. ({1}) Und genau das ist es, was Sie gestern getan haben. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Würden Sie bitte zum Thema der Debatte kommen?

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

In der Einleitung des Berichts der Bundesregierung heißt es ({0}) – beruhigen Sie sich, Sie müssen sich das anhören – ({1}) unter der vielversprechenden Überschrift „Unsere Mission“ – ich zitiere – – ({2}) – Ich zitiere aus dem Bericht zu diesem Thema. Scheinbar habe ich einen wunden Punkt getroffen, sonst würden Sie sich hier nicht so aufregen. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Jetzt hat Dr. Frömming das Wort. Ich bitte Sie, zum Thema der Debatte zu reden.

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. Ich hoffe, das kommt zu meiner Zeit dazu. Zum Thema. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

So, noch einmal: Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Dr. Frömming hat jetzt das Wort. Es geht um ein bestimmtes Thema. Ich bitte Sie, Herr Dr. Frömming, dazu zu reden.

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Richtig. Ich komme jetzt gerne dazu, wenn ich darf. ({0}) Einleitend heißt es im Bericht der Bundesregierung zur Gesundheitsforschung – ich zitiere –: Wir werden … den Standort Deutschland in der Gesundheitsforschung an die internationale Spitze führen. Das klingt ja erst einmal gut, meine Damen und Herren, es bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass Deutschland derzeit nicht zur internationalen Spitze gehört. Wenn man sich die internationalen Rankings zu den weltweit besten Universitäten im Bereich der medizinischen Forschung anschaut, dann stellt man fest, dass die ersten deutschen Universitäten – je nach den gewählten Indikatoren – erst ab Platz 40 oder noch später auftauchen. Meine Damen und Herren, das war einmal anders, und es muss auch wieder anders werden. ({1}) Der Hinweis, der an dieser Stelle dann oft kommt: „Wir haben doch unsere Forschungszentren wie Max-Planck und andere“, ist hier ein oft bemühter, aber eben auch nur schwacher Trost. Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz von einer Delegationsreise berichten, die wir mit dem Ausschuss an das NIH gemacht haben; das ist das größte amerikanische Zentrum für Gesundheitsforschung. Dort hatten wir ein Gespräch mit dessen Vizepräsidenten, der sich bei uns dafür bedankte, dass wir ihm so viele gute Doktoranden schicken, die dort arbeiten und bestens ausgebildet und hoch professionell sind. Aber sie bleiben in der Regel dort. ({2}) Die jungen Leute haben uns gefragt: Was tut ihr denn, dass wir wieder zurückkommen können? – Wir konnten ihnen leider nicht viel sagen, da wir hier derzeit hauptsächlich eine Einbahnstraße haben. ({3}) Wir müssen dafür sorgen, dass aus dieser Einbahnstraße, dem vielgerühmten Braindrain, eine Straße wird, die wieder in beide Richtungen befahrbar ist, dass also gute Leute zu uns zurückkommen. ({4}) Die Stichworte hierzu sind im Programm genannt: Forschungsförderung, Innovationsförderung und Strukturförderung, dazu die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Etablierung attraktiver Karrierewege. Insofern richtet sich das Gesundheitsforschungsprogramm auch an die Länder; denn sein Erfolg hängt in nicht geringem Maße davon ab, wie die Länder ihre Hochschulen in Position bringen. Ein Hochschulpakt für die Jahre nach 2020 ist ja in Aussicht gestellt, aber über seine Zielrichtung und Finanzierung wird noch gestritten. Sowohl an den Universitäten als auch an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen gibt es für Nachwuchsforscher eine hohe Zahl an befristeten Stellen mit oftmals sehr kurzen Befristungszeiten. Das ist ein grundsätzliches Problem, meine Damen und Herren, das auch damit zu tun hat, dass diese Einrichtungen oftmals nicht wissen, ob die ihnen von uns befristet gewährten Projektmittel auch noch ein zweites oder drittes Mal bewilligt werden. Sie werden in Kürze feststellen: Durch die gestrigen Beschlüsse wird sich dieses Phänomen jetzt auch noch auf die Schulen ausweiten. Wir werden sehen, dass auch dort nur befristete Verträge für Systemadministratoren usw. vergeben werden können. Die Menschen wissen dann aber nicht, ob sie diesen Arbeitsplatz behalten können, weil die Länder hier selbstverständlich keine dauerhaften Zusagen machen können. ({5}) Die Bundesregierung muss sich insgesamt fragen lassen, wie glaubwürdig ihr Programm ist. Haben die Koalitionsparteien und auch die FDP in den vielen Jahren ihrer jeweiligen Regierungsbeteiligung nicht genau das Gegenteil von dem getan, was sie hier versprechen, etwa bei den Karrierewegen? Ich höre die Botschaft ja sehr gerne, aber man fragt sich schon, warum all die vielen guten Absichtserklärungen, die sich in diesem Papier finden, nicht schon viel früher angegangen worden sind. ({6}) Lassen Sie mich abschließend feststellen: Die guten Ansätze dieses Programms stellen eine echte Herausforderung für alle Mitspieler dar: Universitäten und Forschungseinrichtungen, Bund und Länder. Wenn jeder der Mitspieler sich auf seine Stärken und Aufgaben besinnt, meine Damen und Herren, dann kann das gelingen. Ich schließe mit einem schönen arabischen Sprichwort: Wer gesund ist, hat Hoffnung, und wer die hat, hat alles. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Frömming. – Nächster Redner: René Röspel für die SPD-Fraktion. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich ist unser Thema jetzt ja Gesundheitsforschung. Trotzdem: Ich kann diese Propaganda der AfD, diese Lüge hier nicht einfach so im Raum stehen lassen. Wir haben seit Monaten darüber diskutiert, ob es in Deutschland möglich ist, dass der Bund Schulen finanziell unterstützt. ({0}) Da ist eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit gewesen, im Bundestag, im Bundesrat. Das Verfassungsorgan Vermittlungsausschuss hat vorgestern die Entscheidung getroffen, sodass hier darüber abgestimmt werden konnte. Sie haben diese Entscheidung übrigens mitgetragen, stellen sich aber jetzt hier hin und kritisieren das als undemokratisch. ({1}) Alle Bürgerinnen, alle Bürger sind aufgerufen, sich in der Mediathek des Bundestages die gestrige Diskussion anzuschauen –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Darf ich Sie trotzdem bitten, zum Thema Gesundheitsforschung zu kommen.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– ich reagiere nur – und das wirklich als Propaganda zu entlarven. ({0}) Sie haben somit als einzige Fraktion dagegengestimmt, dass Schulen besser ausgestattet werden. ({1}) Zur Gesundheitsforschung. Viele Menschen stellen sich unter Gesundheitsforschung vor, dass jemand im Labor sitzt und an einer Pille gegen eine Krankheit arbeitet. Tatsächlich ist diese biomedizinische Forschung noch immer der zentrale Teil unseres Fortschritts. Das macht, wenn man Erfolg hat, meistens Spaß, häufig bedeutet es aber lange Jahre Mühe, um weiterzukommen. Da ist es gut, dass wir als Bundesrepublik Deutschland mit allen unseren Forschungsgeldern Grundlagenforschung und biomedizinische Forschung weiterhin finanzieren und unterstützen, auch über dieses Rahmenprogramm. Wir sind aber sehr froh, dass sich dieses Rahmenprogramm Gesundheitsforschung auch weiterentwickelt hat. Es geht nicht mehr nur darum, Therapien und Diagnosen biomedizinisch zu entwickeln, vielmehr nimmt einen großen Teil des Programms mittlerweile die Prävention ein, nämlich: Wie lassen sich Krankheiten von vornherein verhindern? Das ist einer der wichtigsten Punkte, tatsächlich erst einmal zu erforschen, wie sich Krankheiten verhindern lassen, statt nur, wie man sie bekämpfen kann. Ich bin sehr froh, im Programm auch zu finden, dass ausdrücklich einbezogen ist, die Ursachen und die Bedingungen – die Umweltbedingungen, aber auch die sozialen Bedingungen – zu erforschen, unter denen Krankheit entsteht. Der Kollege Karl Lauterbach hat lange Jahre immer wieder auf den noch immer existierenden Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit hingewiesen. Wir sehen eben, dass unter armen Menschen, dass in sozial schwachen Stadtteilen Krankheit viel verbreiteter ist als in wohlhabenden. Das ist ein Problem, dessen wir uns annehmen müssen und auf das wir als Gesellschaft Antworten geben müssen – wir als Sozialdemokraten müssen und wollen das sowieso –, ({2}) damit diejenigen, die arm sind, nicht auch noch häufiger krank werden. Dann findet man, wenn man in die Tiefe geht, Projekte, die sich mit der körperlichen und psychischen Situation von Kindern befassen. Es ist genau richtig, zu betrachten, wie die Umgebung aussieht und was wir tatsächlich tun müssen, anstatt nur Pillen zu geben. Da geht es weiter mit Projekten, in denen es darum geht, Alleinerziehende zu unterstützen und ihnen gesunderhaltende Maßnahmen angedeihen zu lassen. Das ist eine große Aufgabe, weil wir sehen, dass viele Alleinerziehende in Armut und Krankheit rutschen. Deswegen ist Gesundheitsforschung eben auch das: nicht nur Pillen zu entwickeln, sondern sich auch um die Ursachen von Krankheit zu kümmern. ({3}) Wir haben über das Rahmenprogramm in den letzten Jahren auch Strukturen verändert. Es sind Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung auf den Weg gebracht worden, die sich vernetzt mit Diabetes, Lungenerkrankungen, neurodegenerativen Erkrankungen, aber auch mit Krebs befassen. Das ist gut so. Wir werden hinschauen müssen, inwieweit die Organisationsstrukturen richtig sind oder ob sie verändert werden müssen. Ich finde, dass man auch prüfen muss, inwieweit es eine verlässliche Finanzierung dieser Gesundheitszentren gibt. Auch da werden an uns Wünsche herangetragen, die wir im weiteren Verfahren betrachten werden. ({4}) Wir haben hier vor einer Woche über künstliche Intelligenz gesprochen. Wenn man jetzt vor dem Hintergrund der künstlichen Intelligenz den medizinischen Blick einnimmt, wird man sehen, dass künstliche Intelligenz in Kombination mit Medizin große Fortschritte bringen wird. Maschinelles Lernen nämlich heißt, dass Maschinen ganz viele Röntgenbilder, MRT-Bilder bekommen, dazu Informationen über einen Krankheitsbefund, das maschinell aufarbeiten und einem Arzt oder einer Ärztin eine Empfehlung geben können und am Ende ein Arzt, eine Ärztin entscheidet. Das wird ein großer medizinischer Fortschritt sein. Da wird künstliche Intelligenz eine gute Rolle spielen können. Wir sind sehr froh, dass wir im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung ein sehr ausführliches Kapitel haben, das sich mit armutsassoziierten vernachlässigten Erkrankungen beschäftigt. Das ist etwas, das uns hier in Deutschland kaum betrifft; wir sehen aber – Kollege Albani ist da seit langem unterwegs, auch der Kollege Karamba Diaby –, dass in anderen Ländern der Erde Menschen an Krankheiten sterben, weil es keine Medikamente gibt – zum Beispiel gegen Wurmerkrankungen –, obwohl sie eigentlich gar nicht sterben müssten. Da haben wir als großer und guter Forschungsstandort Deutschland eben auch eine internationale Verantwortung, in diesem Bereich weiter Entwicklung zu betreiben. Deswegen gibt es ausdrücklich Unterstützung dafür, dass auch das im Rahmenprogramm steht. ({5}) Mein abschließendes Wort zur Nationalen Dekade gegen Krebs. Ja, dort ist viel an Erfolgen zu verzeichnen. Es gibt wahnsinnig spannende neue Therapien und wissenschaftliche Methoden. Aber ich will auch ausdrücklich sagen: Wir als Politik haben auch die Verantwortung, bei betroffenen Menschen keine Hoffnungen zu wecken, die wir nicht erfüllen können. Deswegen rate ich eher zur Zurückhaltung mit Äußerungen in der Art, dass wir in zehn Jahren den Krebs besiegt haben könnten. Das ist der Sache nicht angemessen. ({6}) Zum Schluss. Das beste Programm gegen Krebs, das wir in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben, war das Nichtraucherschutzgesetz. Auch da gilt wieder: Prävention ist manchmal wichtiger als jede medizinische Forschung. Vielen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Röspel. – Nächster Redner: Mario Brandenburg für die FDP-Fraktion. ({0})

Mario Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004677, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir sprechen heute über die Neuauflage des Rahmenprogramms Gesundheitsforschung, das es natürlich grundsätzlich erst mal zu begrüßen gilt. Wir als Opposition hätten uns an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Kraft zu Visionen und weniger das Beschreiten ausgetretener Pfade gewünscht – aber dazu später mehr. Einmal ist festzuhalten, dass individualisierte Medizin ein Schlagwort ist, das im Moment in aller Munde ist. Wir müssen uns ehrlich machen und sagen, dass individualisierte Medizin nun einfach auch bedeutet: mehr individualisierte Daten, sehr wertvolle, sehr private Daten. Wenn wir uns überlegen, dass beispielsweise eine Amazon Alexa allein aufgrund der Veränderung der Stimmfarbe ihres Besitzers auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen schließen kann, dass beispielsweise eine Mischung aus Fitness-Tracker und Bewegungssensoren feststellen kann, dass wir, wenn wir beim heimischen Treppengang anstatt der gewohnten 10 Sekunden auf einmal 15 Sekunden brauchen, wahrscheinlich Knieprobleme haben, oder dass wir mit Scanner-Apps unsere Arme nach potenziellen Melanomen untersuchen können, dann müssen wir uns schon fragen, ob wir als Politik in Deutschland im Moment schon bereit sind, diese Daten preiszugeben. Aber es wird sehr erheblich sein, ob wir das als Land hinbekommen; denn das wird für den Forschungsstandort Deutschland und für den Erfolg des Medizinstandortes Deutschland entscheidend sein. ({0}) Es bleibt natürlich weiterhin richtig und wichtig, die gängigen Volkskrankheiten zu erforschen: Diabetes Typ 2 und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das ist und bleibt an dieser Stelle richtig, aber eben mit Verweis auf die hochinnovativen Medizinfelder, wie beispielsweise die individualisierte Medizin. Wir als Opposition werden bei der Ausgestaltung des Programms darauf achten, wie die Mittel abfließen und dass wir eben nicht nur die ausgetretenen Pfade gehen, sondern an dieser Stelle auch zu den modernen Pfaden kommen, die für uns als Freie Demokraten sehr wichtig sind. ({1}) Ein letzter Gedanke noch zu den Daten. Ich glaube, wir werden da nur etwas erreichen, wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern volle Transparenz bei der Nutzung ihrer Daten zusichern können. Wir brauchen die Möglichkeit, dass sich Bürger in einem Portal einloggen und sehen können, wer wann aus was für einem Grund auf ihre Daten zugegriffen hat und warum beispielsweise eine Krankenkasse was berechnet hat. Ich stehe hier als einer von uns Parlamentariern: Lassen Sie uns das bitte gemeinsam angehen; denn ich glaube wirklich, dass Heilung für viele möglich ist. Wir sollten uns an dieser Stelle nicht im Klein-Klein zerlegen. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern schuldig. Das sind wir der Gesundheit schuldig. Vielen Dank. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Mario Brandenburg. – Nächste Rednerin: Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, das war eine spannende Lektüre, dieses Rahmenprogramm Gesundheitsforschung. Noch spannender finde ich aber, wo die Bundesregierung Rahmenbedingungen, insbesondere die ökonomischen Rahmenbedingungen, eher als gegeben hinnimmt, statt sie zu verändern. Warum sage ich das? Weil Sie es als Ihre Mission bezeichnen – ich zitiere –: Gesundheitsforschung ist dann erfolgreich, wenn sie die Menschen erreicht. Am Beispiel einer großen Volkskrankheit, nämlich Demenz bzw. Alzheimer, will ich zeigen, warum Sie selbst Ihr Ziel gefährden. Sie schreiben in der Unterrichtung ganz gelassen, dass akademische Einrichtungen Erkenntnisse generieren. Idealerweise würden diese dann von der Gesundheitswirtschaft aufgegriffen. Aber: Erstens greifen die Pharmariesen die Erkenntnisse nur bei hohen Renditeerwartungen auf. Zweitens haben sich viele Pharmakonzerne längst dem Forschungsrisiko entzogen. Bei Alzheimer ist es ganz besonders dramatisch. Zuletzt hat sich im vergangenen Jahr Pfizer aus der Forschung zurückgezogen. Aktuell gibt es kein Medikament gegen das Fortschreiten bzw. für die Heilung dieser Krankheit. ({0}) Derzeit wird im Wesentlichen an Alzheimer nur noch an öffentlichen Einrichtungen oder in kleinen und mittelständischen Unternehmen geforscht. In meinem Wahlkreis beispielsweise auch: Dort engagiert sich eine kleine Firma in diesem Bereich. Man kann sich gut vorstellen, was es für eine solche Firma bedeutet, wenn erstens der Ansatz nicht trägt oder zweitens kein Kauf erfolgt. Denn es ist klar: Erst wenn der Wirkstoff Erfolg und Rendite verspricht, werden die Pharmariesen auf der Matte stehen. Natürlich ist ein Blockbuster-Medikament eine Gelddruckmaschine. Aber die öffentliche Hand und kleine und mittelständische Unternehmen gehen nicht nur in das erste Risiko. Später zahlen wir oder Erkrankte und Kassen noch einmal für die Medikamente. Und die Preise dieser Medikamente werden von den Pharmaunternehmen bestimmt. Grund genug, dass die Bundesregierung aus dieser Logik ausbricht. ({1}) Ein weiteres Defizit dieses Programms zeigt sich bei Uniklinika und klinischer Forschung. Uniklinika unterliegen wie jedes Krankenhaus auch der ökonomischen Logik des Fallpauschalensystems. Diese Behandlungsvergütung bildet aber völlig unzureichend ab, worum sich die Uniklinika kümmern, nämlich um Maximalversorgung und eben auch um Forschung und Lehre. Die Finanzierung für Forschung und Lehre kommt wiederum auch von der öffentlichen Hand, kommt aus den medizinischen Fakultäten. Trotzdem sind diese Einrichtungen unterfinanziert, wie wir es seit Jahren erleben. Das bedeutet bei den Uniklinika, dass es schwerer wird, unabhängige klinische Forschung durchzuführen, und natürlich auch, das am Ende in die Behandlung zu integrieren. Auch hier erwarte ich deutlich mehr von der Bundesregierung, insbesondere einen Schritt dahin, das Fallpauschalensystem unter diesem Blickwinkel zumindest zu ändern. ({2}) Meine Damen und Herren, auch Forscherinnen und Forscher wollen nicht nur gut vergütet werden, sie wollen auch attraktive Bedingungen für ihre Arbeit. So stoßen Ärzte, die klinisch-wissenschaftlich arbeiten, bei ihrer Qualifizierung auf starre Anerkennungssysteme, insbesondere die der Landesärztekammern. Das bedeutet am Ende natürlich, dass sie in ihrer Forschung gehemmt werden. Auch dazu gehören Lösungsansätze in ebenjenes Rahmenprogramm. ({3}) Letztendlich verzögern diese Defizite auch schnellere Fortschritte, wie schon angedeutet, bei armutsbedingten und vernachlässigten Krankheiten, insbesondere in einkommensschwachen Ländern. Fast verständnisvoll vermerken Sie an dieser Stelle das Fehlen wirtschaftlicher Anreize für Pharmakonzerne. ({4}) Aber, meine Damen und Herren, profitgetriebenes, unmoralisches Verhalten müssen wir nicht dulden. Das müssen wir bekämpfen und beenden. ({5}) Schließlich eine Gratisempfehlung. Bekanntermaßen hat diese Bundesregierung ja ein etwas unglückliches Händchen, wenn es um Studien und Beratung geht. ({6}) Da sieht Frau Karliczek für das Aufwachsen von Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Studienbedarf. Und Herrn Spahn fehlen Informationen zu seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen. Ich meine: Diese Studien gibt es längst. Wie heißt es so schön? Wer liest, ist klar im Vorteil. Dieses Geld können Sie gerne in das Rahmenprogramm stecken. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Petra Sitte. – Nächster Redner: Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine einzige Diagnose kann das Leben auf den Kopf stellen. Denken Sie nur an den langen, beschwerlichen Weg, der mit einer Krebstherapie verbunden ist, oder daran, wie es ist, miterleben zu müssen, wie sich ein lieber Mensch aufgrund von Demenz schrittweise zu einem Fremden entwickelt. Darum haben gerade Fortschritte in der Gesundheitsforschung eine so große Bedeutung für das Leben der Menschen. Wir als Politik müssen maßgeblich dafür sorgen, dass die Erkenntnisse aus dem Labor zügig in Arztpraxen, Krankenhäusern und bei den Menschen zu Hause ankommen. ({0}) Zumindest rhetorisch stellt die Bundesregierung mit ihrem Rahmenprogramm Gesundheitsforschung den Menschen in den Mittelpunkt – immerhin. Dafür ist auch eine Verbesserung der Wissenschaftskommunikation vorgesehen; denn – Zitat – „eine offene und informierte Auseinandersetzung“ stärkt „das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft“ und erhöht „die Gesundheitskompetenz der Menschen“. Beim Start der Nationalen Dekade gegen Krebs hat Minister Spahn das Ganze aber gleich ordentlich vergeigt. Aus dem Bauch heraus anzukündigen, in 10 bis 20 Jahren sei der Krebs besiegt, ist für einen Gesundheitsminister unverantwortlich. ({1}) Wer solche Schlagzeilen produziert, verspielt das Vertrauen der Patienten und leistet der Forschung einen Bärendienst. Aber auch im Rahmenprogramm Gesundheitsforschung selbst hapert es. Der Wissenschaftsrat hat der Regierung eine ganze Reihe von Hausaufgaben aufgegeben. Gerade bei der Finanzierung klinischer Studien, ohne die keine wissenschaftliche Entdeckung bei den Menschen ankommt, sehen die Expertinnen und Experten dringenden Nachholbedarf. Andere Länder haben das längst erkannt und befördern gezielt soziale und medizinische Innovationen, von denen Patienten profitieren und die im Gesundheitssystem Geld sparen. Hier würde jeder Euro mehr gleich mehrfach nutzen. ({2}) Schauen wir auf das neue nationale Forschungszen­trum für psychische Gesundheit, das die Bundesregierung plant. Psychische Erkrankungen wie Depression oder Angststörung sind längst Volkskrankheiten geworden; mehr als jeder Dritte ist im Laufe des Lebens betroffen. In diesem Bereich mehr zu forschen, ist dringend notwendig. Das unterstützen wir. ({3}) Doch auch in Bezug auf die nationalen Forschungszentren sagt der Wissenschaftsrat: Erst einmal klug nachbessern, bevor man auf die Schnelle neue Zentren schafft. – Die sind nur erfolgreich, wenn sie sich in die Forschungslandschaft einfügen und bestehende Strukturen stärken. Gerade die Erforschung psychischer Erkrankungen muss die gesamte Lebensrealität der Menschen abbilden. Das gelingt am besten, wenn Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Netzwerken mit Praktikern zusammenarbeiten. Frau Karliczek, bauen Sie keine neuen Parallelstrukturen auf, sondern stärken Sie die herausragende Forschung im Gesundheits- und Sozialbereich, die es landauf, landab längst gibt! ({4}) Der Einfluss der sozialen Lagen und Armutsrisiken auf die Gesundheit wurde schon angesprochen. Dies ist auch im Hinblick auf eine gute Forschung sehr wichtig. Eine bessere Vernetzung braucht es zudem bei der Geschlechterforschung; denn der Faktor Geschlecht spielt im Rahmenprogramm kaum eine Rolle. Das ist problematisch; denn solange der biologisch männliche Körper als Nonplusultra und Norm gilt, wird vor allem dieser erforscht. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass Herzinfarkte bei Frauen seltener erkannt werden, weil die Symptome anders ausfallen. Hier ist das Rahmenprogramm nicht auf Höhe der heutigen Wissenschaft. ({5}) Gut ist, dass das Rahmenprogramm auch internationale Gesundheitsrisiken in den Blick nimmt. Weltweit sterben Menschen an Krankheiten wie Malaria, HIV, Tuberkulose und Schlafkrankheit, weil Wirtschaft und Politik sie zu lange vernachlässigt haben. Leider ist Deutschland in diesem Bereich auch selber kein Vorbild und weit davon entfernt, die von der WHO empfohlenen 0,01 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Erforschung dieser vernachlässigten Krankheiten auszugeben. Das ist nicht solidarisch; das ist armselig. ({6}) Frau Karliczek, Sie bezeichnen Ihr Programm für die Gesundheitsforschung am Schluss des Dokuments selbst als ein „lernendes Programm“. Da kann man nur sagen: Zum Glück; denn es gibt noch viel zu tun, damit die Forschungsförderung nicht als Mitnahmebonus bei den Pharmakonzernen landet, sondern die Patientinnen und Patienten schnell von neuen Entwicklungen profitieren können. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kai Gehring. – Nächster Redner: Stephan Albani für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Albani (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Tribünen und zu Hause an den Fernsehern! Forschung ist spannend, Forschung ist relevant, Forschung gestaltet Zukunft, und medizinische Forschung ist mit Sicherheit der Teil der Forschung, bei dem man den Menschen am wenigsten erklären muss, wozu Forschung wichtig ist und wofür sie da ist. Deswegen ist auch das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung, das wir heute hier diskutieren, von höchster Relevanz und setzt um, was im Koalitionsvertrag mit dem relativ schmucklosen Satz „Gesundheitsforschung ausbauen und die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellen“ schon beschrieben ist. Zwei Leitlinien – den Menschen in den Mittelpunkt stellen sowie Personalisierung und Digitalisierung als Schlüssel – machen dieses Rahmenprogramm aus. Gerade der zweite Teil gefällt mir sehr gut; denn ich lese häufig, dass Personalisierung und Digitalisierung Herausforderungen sind, die wir bewältigen müssen. Nein, sie sind im Bereich der Medizin ein Schlüssel: Durch Personalisierung und Digitalisierung werden wir in der Medizin deutliche Fortschritte machen können. Das an dieser Stelle als Leitlinie zu sehen, ist sehr richtig. ({0}) Letzten Endes geht es nicht um eine Revolution; denn in diesem Bereich geht es – das ist ganz wichtig – darum, der Branche Orientierung, Kontinuität und Verlässlichkeit in den Strukturen zu geben. Anfang der Woche wurde auf einer Tagung der Hochschulmedizin unisono bestätigt, dass die Forschungslandschaft in Deutschland einzigartig und gut ist. Es gibt die DZGs, es gibt die Hochschulmedizin, es gibt die vier großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Bitte, Herr Frömming, Max-Planck-Forschungseinrichtungen sind kein „schwacher Trost“, sondern inhärentes Element genau dieser differenzierten Forschungslandschaft. Dass die Rankings außerhalb von Deutschland dies nicht berücksichtigen, ist weniger ein Problem von Deutschland als ein Problem der Rankings. ({1}) Medizintechnik in Deutschland ist führend, „made in Germany“ liegt vorne. Schauen wir uns das mal an: 9,8 Milliarden Euro Umsatz im Inland, 18,2 Milliarden Euro Umsatz im Ausland, 1 200 KMUs, viele Hidden Champions, deren Anteil daran bei 93 Prozent liegt. Hier müssen – das ist entscheidend – öffentlich geförderte Forschung und Industrie, liebe Linke, zusammenarbeiten. Die KMUs investieren 9 Prozent ihres gesamten Umsatzes in die Forschung; das ist wichtig. ({2}) Ein anderer Punkt, der sehr wichtig ist, ist Interdisziplinarität. Es geht nicht, wie der Kollege René Röspel sehr richtig sagte, um den einzelnen Forscher, der in seinem Zimmerchen sitzt, sondern mittlerweile geht es um Netzwerke mit Forschern aus allen Einrichtungen, aus allen Bereichen. Bei mir im Wahlkreis gibt es eine Industrie-in-Klinik-Plattform, die das alles bündelt: ­KIZMO – Klinisches Innovationszentrum für Medizintechnik Oldenburg. Dort arbeiten Mediziner, Pfleger, Ärzte, Physiker, Psychologen, Soziologen ({3}) zusammen an den Projekten und stellen auf diese Art und Weise die Interdisziplinarität in der Sache und in der Arbeit her. Ärzte, Pfleger und Praxen werden schon während der Ideenfindung im Rahmen der Projekte mit eingebunden, sodass auf diese Art und Weise sichergestellt ist, was man unter User Centered Design – der erweiterten Form des Mensch-in-den-Mittelpunkt-Stellens; nicht nur der Patient, sondern auch der Anwender und die Anwenderin stehen im Mittelpunkt – versteht. Das ist ein wesentlicher Punkt, um in der Medizin angemessen voranzukommen. Ein weiterer zentraler Gedanke wird durch solche Institutionen aufgebrochen: Es geht nicht um Versäulen, um Silodenken, sondern um Vernetzung und Translation in dieser Vernetzung; denn entscheidend ist nachher, was beim Patienten ankommt. Wenn man weiß, dass es heute durchschnittlich 14,2 Jahre dauert, bis etwas, das vom Wissenschaftler fertiggestellt wurde, letzten Endes beim Patienten ankommt, dann kann man nur sagen: Das ist zu lange. Hier müssen wir noch besser werden. Das wird durch diese Zusammenarbeit schlussendlich ermöglicht werden. ({4}) Aus meiner Sicht zusammenfassend: Uns liegt ein gutes Rahmenprogramm vor, mit dem quasi wie mit einem Fernrohr in die Zukunft geschaut werden kann und an dem sich die Branche orientieren kann. Es wurden die Evaluationsergebnisse des jetzt zu Ende laufenden Forschungsrahmenprogrammes aufgenommen. Es bietet eine Perspektive für die forschenden Einrichtungen und die Industrie, die ihrerseits – sowohl die forschenden Unternehmen als auch der Medizinische Fakultätentag gleichermaßen – nach der Veröffentlichung bereits gesagt haben: Hierbei handelt es sich um ein gutes Rahmenprogramm, das eine gute Basis für die nächsten Jahre legt. Insofern ist der Rahmen an dieser Stelle gesetzt. Jetzt beginnen wir – in Anführungsstrichen – mit dem Ausmalen des Bildes, das durch den Rahmen vorgegeben wurde. Das wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dem Kollegen René Röspel – wir waren schon eingebunden –, um dieses Rahmenprogramm zusammen mit dem BMBF im Sinne der Patienten – Stichwort: Mensch im Mittelpunkt – weiter zu entwickeln. Als Abschluss sei mir noch erlaubt, zu sagen: Meine Rede wurde in diesem Umfang durch eine Zeitspende der CSU ermöglicht. Herzlichen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Deswegen ist der Applaus wahrscheinlich noch herzlicher. Vielen herzlichen Dank, Stephan Albani. – Letzter Redner in der Debatte zur Gesundheitsforschung: Dr. Karamba Diaby für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner in dieser Debatte über das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung möchte ich am Anfang meiner Rede auf einen ganz konkreten Fall eingehen. Bei einer jungen Mutter von zwei Söhnen wurde im vergangenen Jahr Blutkrebs festgestellt. Astrid ist 41 Jahre alt und hat mittlerweile einige Chemotherapien hinter sich. Doch der Behandlungserfolg blieb bisher leider aus. Sie braucht jetzt dringend einen Stammzellenspender. Natürlich gibt es viele ähnliche Fälle – zu viele, meine ich. Der Fall „Astrid“ ist jedoch schwierig. Sie ist deutsch-nigerianischer Herkunft. Sie braucht deshalb einen westafrikanisch-europäischen Spender. Leider sind nur 3 Prozent der registrierten Spender multiethnisch. Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung sieht vor, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Ich zitiere: „Alle Menschen nehmen am medizinischen Fortschritt teil ...“ Und doch sehen wir an diesem Fall, dass es Menschen gibt, denen viel seltener geholfen werden kann. Umso wichtiger ist es, Behandlungsmethoden und Technologien zu fördern sowie die Rahmenbedingungen für Forschung zu verbessern. ({0}) Die schnelle Überführung von Forschungsergebnissen in die medizinische Versorgung steht dabei im Fokus. Denn je schneller diese Forschung angewendet werden kann, desto früher können Patienten behandelt werden. Deshalb sagen wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Die Situation der forschenden Ärztinnen und Ärzte muss verbessert werden. ({1}) Als SPD-Bundestagsfraktion setzen wir uns dafür ein, dass eine Forderung des Koalitionsvertrages umgesetzt wird. Das heißt: Erstens. Wir wollen mehr Stellen für klinisch forschende Ärztinnen und Ärzte schaffen. Zweitens. Für sie muss die Vereinbarkeit zwischen der Arbeit im Krankenhaus, Forschung und Familie verbessert werden. Drittens. Deutschland muss ein Spitzenstandort der medizinischen Forschung sein. ({2}) Medizinische Forschung ist eine globale Aufgabe. Daher müssen wir auch die internationale Kooperation in der Forschung stärken. Denn Krankheiten kennen keine Grenze. Deswegen sollten wir auch keine kennen. ({3}) Wir wollen ein gesundes Leben für alle Menschen. Dafür kann das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung einen maßgeblichen Beitrag leisten. Meine Damen und Herren, selten geht es wirklich um Leben oder Tod. Doch internationale Zusammenarbeit in der Medizin kann den Unterschied machen. Liebe Astrid, an dich: Von ganzem Herzen wünsche ich dir, dass du so schnell wie möglich einen Spender findest, damit du dein Leben weiterführen kannst. Alles Gute. Danke schön. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Karamba Diaby. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/6221 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Dr. Marcel Klinge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004782, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Würde die Große Koalition bei der Nationalen Tourismusstrategie ähnlich fleißig sein wie die 3 Millionen Beschäftigten in der Tourismusbranche, wäre sie schon heute eine Erfolgsgeschichte. ({0}) Leider ist das Gegenteil der Fall. Nichtstun ist Handlungsmaxime von Schwarz-Rot. Wir Freie Demokraten wollen dagegen mehr Tempo, mehr Einsatz und mehr Herzblut für eine der wichtigsten Wirtschaftsbranchen in Deutschland. ({1}) Was mich am meisten ärgert, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist Ihre notorische Ambitionslosigkeit. ({2}) Denn diese Haltung haben unsere Mittelständler, unsere Familienbetriebe im Tourismus, die über 300 Milliarden Euro im Jahr erwirtschaften und über 50 000 Ausbildungsplätze schaffen, wahrlich nicht verdient. Mit Wertschätzung hat diese Politik schon lange nichts mehr zu tun. ({3}) Was ist bisher passiert? 4,5 Seiten Non-Paper mit Non-Inhalt. Das ist das magere Ergebnis von knapp einem Jahr Ihrer Arbeit. ({4}) Die nationale Tourismusstrategie ist bisher eine Blackbox, von der keiner so recht weiß, wo die Reise am Ende hingeht. Die FDP-Fraktion will mit ihrem heutigen Antrag der Debatte den notwendigen Schwung und die inhaltliche Richtung geben. Wir wollen, dass bereits Ende des Jahres 2019 erste Maßnahmen umgesetzt werden, ({5}) und das gelingt nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns die nächsten Monate nicht in Detailfragen verlieren, sondern wenn wir uns auf die wesentlichen Kernherausforderungen der Branche konzentrieren und dabei – und das ist uns besonders wichtig – den Mittelstand in den Fokus unserer Bemühungen stellen. Eine nationale Strategie muss erstens smarte Antworten darauf finden, wie wir den existenzbedrohenden Fachkräftemangel bekämpfen. Sie muss zweitens Antworten darauf liefern, wie wir die Digitalisierung für alle Akteure im Tourismus positiv gestalten und in die Fläche tragen. Sie muss drittens Antworten darauf liefern, wie wir die immer schneller drehende Bürokratiespirale durchbrechen. ({6}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir finden, es ist besser, vier Seiten konkrete Lösungen umzusetzen, als 40 Seiten für die Schublade zu produzieren. Legen wir endlich mit der Arbeit los! ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurz vor der größten Tourismusmesse der Welt, der ITB, ist es ein guter Anlass, auch mal Zwischenbilanz der Wirtschafts- und Tourismuspolitik zu ziehen, und diese fällt – wie sage ich es möglichst diplomatisch? – verheerend aus. Die Großen gehen im Wirtschaftsministerium ein und aus, die Kleinen und Mittleren werden links liegen gelassen. Wir sind mit einer solchen Politik nicht einverstanden. ({8}) Ich will Ihnen das an drei Beispielen illustrieren: Was hat der Bundeswirtschaftsminister gemacht, um die dringend notwendige Flexibilisierung von Arbeitszeiten voranzutreiben? ({9}) Nichts. Was hat der Bundeswirtschaftsminister gemacht, um das seit Jahren schwelende Problem der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung für kleine und mittlere Reiseanbieter zu lösen? Nichts. Was hat der Bundeswirtschaftsminister getan, um die Bürokratielawine bei der Pauschalreiserichtlinie zu stoppen? Nichts. Deswegen, sehr geehrter Herr Altmaier, sind Sie für die Tourismusbranche die große Enttäuschung des ersten Regierungsjahres, und das war gar nicht so einfach bei der Konkurrenz im Kabinett. ({10}) Meine Damen und Herren, es wird also höchste Zeit, dass die GroKo ihre Bewegungsstarre überwindet und die nationale Tourismusstrategie – immerhin ihr einziges Projekt im Koalitionsvertrag – zu einer Erfolgsgeschichte macht. Wir Freie Demokraten liefern dazu gerne Ideen. Denn unsere großartigen Betriebe haben jede Unterstützung verdient. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Marcel Klinge. – Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Bareiß. ({0})

Thomas Bareiß (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003734

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! In der Tat, mit den heute vorliegenden Anträgen der FDP und der Linken haben wir die Gelegenheit, über eine der wichtigsten Branchen in Deutschland zu reden, der leider viel zu wenig Anerkennung und Wertschätzung zuteilwird, deren Bedeutung aber, auch was die Zahlen betrifft, enorm ist. Ich will es an wenigen Zahlen deutlich machen. Wir haben 105 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung aus dem Tourismus, das sind 4 Prozent unserer Gesamtwertschöpfung. Daraus resultieren Konsumausgaben in Höhe von 290 Milliarden Euro, die in viele, viele andere Branchen hinein eine enorme Tragweite haben. Es gibt 3 Millionen Beschäftigte in diesem Bereich, das sind 7 Prozent der Gesamtbeschäftigten. Die Zahlen zeigen, dass wir hier auf Augenhöhe sind mit der Automobilbranche, dem Maschinen- und Anlagenbau und dass die Tourismusbranche eine ganz, ganz große Bedeutung für unsere Wirtschaft hat. Das allein sind nur Zahlen. Wichtig ist für mich, dass diese Branche aufgrund ihrer Struktur etwas ganz Besonderes ist, nämlich kleinteilig und mittelständisch geprägt. Es gibt viele Familienunternehmen, die sich vor Ort mit einer hohen Leistungsbereitschaft und Flexibilität und einer großen Leidenschaft um die Kunden und deren Anliegen kümmern. Dafür will ich einmal all jenen, die in dieser Branche arbeiten und die vieles für unser Land und die Wirtschaft tun, Danke sagen. Ein herzliches Dankschön für das, was in der Tourismusbranche geleistet wird. ({0}) Ich nenne eine weitere Zahl: 84 Millionen Übernachtungen aus dem Ausland zeigen auch, dass die Tourismusbranche eine Visitenkarte für unser Land ist. Menschen, die gerne hierherkommen, werden auch zu Botschaftern unseres Landes. Das strahlt auch in viele andere Bereiche hinein. Der Tourismus ist somit zu einer Querschnittsaufgabe für uns in der Bundesregierung geworden. Auch das soll noch einmal zeigen, wie wichtig die Tourismuslandschaft für die Bundesregierung ist. Die Tourismusbranche ist derzeit sehr regional, sehr länderspezifisch organisiert und hat auch hier ihre Kompetenzen. Deshalb ist die große Frage, welche Aufgabe der Bund hinsichtlich der Tourismusstrategie jetzt verstärkt übernehmen kann. Ich glaube, dass der Bund tourismusstrategisch viel stärker tätig werden muss; denn die Herausforderungen der nächsten Jahre werden enorm sein. Ich nenne das Stichwort „Digitalisierung“; das ist eine große Herausforderung. 86 Prozent der Übernachtungen werden derzeit über das Internet gebucht, das heißt, auch hier wird eine enorme Verschiebung der Machtverhältnisse erfolgen: Sharing Economy, Anbieter wie Airbnb werden eine größere Rolle spielen. Immerhin 150 Millionen Menschen in ganz Europa sind heutzutage gehandicapt und haben ganz besondere Ansprüche an unsere Tourismuseinrichtungen. All das zeigt, dass wir hier stärker vorangehen und uns an den Bedürfnissen der nächsten Jahre orientieren müssen. Das sind Herausforderungen, denen wir auf nationaler Ebene begegnen müssen. Deshalb brauchen wir auch eine nationale Tourismusstrategie, die wir jetzt gemeinsam erarbeiten wollen. ({1}) Lieber Kollege von der FDP, in der Tat haben Sie wichtige Punkte in Ihren Antrag geschrieben. Sie haben geschrieben, dass wir die gewerbesteuerliche Hinzurechnung anpacken müssen. ({2}) Dieser Punkt liegt mir sehr am Herzen, und ich fordere alle auf, mitzumachen und tätig zu werden. Auch das Thema Arbeitszeitregelung spielt eine ganz besondere Rolle, zum Beispiel für die kleinen Gaststätten, für die Hoteliers. Auch hier sind wir dabei, die besten Lösungen zu finden. Wir brauchen hier Flexibilität am Markt. Hier müssen Veränderungen noch in dieser Legislaturperiode erfolgen. Daran arbeiten wir mit Nachdruck. Es gibt noch weitere Themen, die wir anpacken müssen. Deshalb, glaube ich, müssen wir jetzt schnell konkrete Maßnahmen ergreifen. Ich sage Ihnen ganz offen – ich habe Ihren Antrag sehr genau gelesen –: Die 17 Punkte, die Sie von der FDP aufgeschrieben haben, betreffen viele Allgemeinplätze. Ich rate jedem in der Tourismusbranche, diesen Antrag zu lesen. Es steht nicht viel drin außer heiße Luft. ({3}) Wir brauchen aber konkrete Maßnahmen, um der Tourismusbranche wirklich zu helfen. ({4}) Diese Maßnahmen wollen wir jetzt erarbeiten. Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal sagen, wie wichtig es mir als Tourismusbeauftragtem war, auch das Parlament einzubinden. Deshalb bin ich recht früh auf den Tourismusausschuss zugegangen. ({5}) Wir haben gemeinsam überlegt, welche Punkte wichtig sind, welche wir aufnehmen sollen. Wir haben jetzt gemeinsam ein Papier erarbeitet. Wir wollen im ersten Schritt ein Eckpunktepapier in das Kabinett einbringen, in dem wir die Herausforderungen beschreiben, die Handlungsfelder definieren. Wir werden sicherlich noch im März die Vorlage im Kabinett haben. Darauf aufbauend, werden wir dann mit den Ländern, den Regionen, den Akteuren vor Ort die Handlungspunkte definieren, die wir dann in die Tourismusstrategie einbauen. ({6}) Für mich ist das eine Strategie, die in sich stimmig und sinnig ist und auch die Chance bietet, konkret etwas umzusetzen und nicht nur heiße Luft zu produzieren, wie Sie das gerade in Ihrer Rede gemacht haben. Das hilft der Branche wirklich und bringt sie voran. In diesem Sinne freue ich mich auf die nächsten Monate, auf die Umsetzung der Strategie und auf eine dann auch hoffentlich sinnvolle, der Branche helfende Strategie, die wirkliche Verbesserung und Flexibilität bietet. Herzlichen Dank. ({7})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Herr Kollege Bareiß. – Nächster Redner: Sebastian Münzenmaier für die AfD-Fraktion. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die nationale Tourismusstrategie der Bundesregierung – das unbekannte Wesen. Bereits seit Konstituierung dieser nicht mehr ganz so großen Koalition wabert der Begriff durch die Tourismusbranche und über die Flure des Deutschen Bundestags. Bisheriger Inhalt? Vollkommene Fehlanzeige! Dabei wäre eine Strategie, die auf Bundesebene die Rahmenbedingungen für die Branche verbessert, definitiv zu begrüßen. Es gibt unzählige Probleme, die diese Strategie aufgreifen oder – noch besser – lösen sollte. Die gewerbesteuerliche Hinzurechnung bedroht Existenzen. Viele Betriebsübergaben oder Neugründungen im gastronomischen Bereich scheitern an bürokratischen Hürden. Unser Arbeitszeitgesetz verhindert Freiräume für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die komplizierte Fördermittelstruktur wird wohl von kaum einem Mittelständler durchschaut, und über noch größere Projekte wie beispielsweise eine gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur oder eine flächendeckende 5G-Netzabdeckung wage ich überhaupt nicht zu sprechen. Sie sehen, meine Damen und Herren: Zu tun gäbe es genug. Wir als AfD-Fraktion fordern deshalb eine nationale Tourismusstrategie, die diesen Namen auch verdient hat. ({0}) Hierzu gehört erstens eine klare Schwerpunktsetzung und zweitens eine realistische Lageeinschätzung, was wir auf Bundesebene überhaupt regeln können. Apropos Schwerpunktsetzung: Meine Freunde auf der linken Bank haben in ihrem Antrag zur Tourismusstrategie den Schwerpunkt beispielsweise auf Kindergartenabschlussfahrten gelegt. ({1}) Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich sind Kinder- und Jugendreisen wichtig; aber wenn Sie den Schwerpunkt einer bundesweiten Strategie für eine Branche, die für eine Bruttowertschöpfung von 105 Milliarden Euro verantwortlich ist und in der knapp 3 Millionen Menschen arbeiten, auf Kindergartenabschlussfahrten legen, dann muss ich sagen: Sie haben die Bedeutung dieser Aufgabe nicht erkannt. Ihren Antrag lehnen wir ab. ({2}) Kommen wir zur realistischen Lageeinschätzung zurück. Da der Tourismus, gemäß Kompetenzverteilung des Grundgesetzes, Ländersache ist, kann eine nationale Tourismusstrategie auf Bundesebene letztendlich nur die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen im Land prägen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Statt das offen zu sagen, wird die Tourismusbranche von SPD und CDU/CSU regelmäßig enttäuscht. Die Koalition hat mit der Strategie unglaublich hohe Erwartungen geweckt, und alle warten jetzt gespannt auf die kommende Arbeitserleichterung. Aber genau Ihre Koalition kann sich doch schon über einfachste Sachverhalte in diesem Bereich überhaupt nicht einigen; Herr Bareiß hat es eben angesprochen. Wir müssen die gewerbesteuerliche Hinzurechnung angreifen. Am Mittwoch haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, Ihrem eigenen Koalitionspartner öffentlich widersprochen und haben gesagt: Nein, wir werden das Thema gewerbesteuerliche Hinzurechnung politisch nicht mehr angreifen und warten stattdessen auf ein Gerichtsurteil. ({3}) Das ist ein Armutszeugnis für diese Regierung. Und es ist vor allem ein Armutszeugnis für das Selbstverständnis eines jeden roten Abgeordneten hier im Hohen Haus. ({4}) – Wissen Sie, was? Ich weiß ja, dass Ihr Selbstbewusstsein äußerst angeknackst ist. Und wenn ich mir Sie und Ihr Führungspersonal anschaue, dann verstehe ich auch, warum. ({5}) Dass es schon so weit ist, dass Sie sich politische Lösungen überhaupt nicht mehr zutrauen und sich hinter Gerichtsurteilen verstecken, ist starker Tobak. Kleiner Tipp: Vielleicht sollten Sie, statt hier rumzusitzen und zu pöbeln, Gerichtsprozessbeobachter für eine Ihrer vom Aussterben bedrohten SPD-Zeitungen werden ({6}) und in Zukunft das Bundestagsmandat denjenigen überlassen, die politisch etwas ändern wollen. ({7}) Im Gegensatz zu Ihrer Trümmertruppe versucht die FDP-Fraktion wenigstens noch, politisch zu wirken, und will der nationalen Tourismusstrategie mit immerhin 17 Punkten Kontur verleihen. Schade ist ehrlich gesagt nur, dass diese Themenliste zum größten Teil aus Allgemeinplätzen besteht. Sie wollen zum Beispiel prüfen, ob einfachere Förderinstrumente für mehr Investitionen sorgen. ({8}) Liebe Liberale, das ist eine Binsenweisheit. Das muss nicht geprüft, sondern umgesetzt werden. ({9}) Herr Klinge, Ihren Antrag werden wir im Ausschuss trotzdem gerne beraten. ({10}) Wir freuen uns auf die Debatte. Und wie Sie sehen, werden wir als AfD-Fraktion uns in Zukunft kritisch, aber auch konstruktiv mit der Idee der nationalen Tourismusstrategie auseinandersetzen. Wir hätten gerne einige realistische Lösungsvorschläge. Zum Beispiel unterstützen wir die vielen mittelständischen Betriebe, indem Fördermaßnahmen aus den verschiedensten Töpfen gebündelt und mit einem einheitlichen Ansprechpartner versehen werden, beispielsweise beim Kompetenzzentrum Tourismus. Entlasten wir die Menschen, die ihre Zeit lieber den eigenen Gästen, anstatt der überbordenden Bürokratie widmen wollen! Führen wir den digitalen Meldeschein endlich ein! ({11}) Und sorgen wir im Sinne der Verbraucher und Anbieter für mehr Transparenz auf Hotelbuchungsplattformen! Erleichtern wir die Nutzung von betriebsnahen Unterkunftsmöglichkeiten, und sorgen wir dafür, dass Azubis in Bezug auf den geldwerten Vorteil entlastet werden, wenn sie im Ausbildungsbetrieb essen oder übernachten dürfen! Schreiben Sie sich diese Ideen hinter Ihre Ohren, Herr Bareiß! Verbessern Sie bitte die Rahmenbedingungen, wo Sie es können! Und geben Sie auch ehrlich zu, was auf Bundesebene nicht machbar ist; denn nur so funktioniert glaubwürdige Politik, und nur so können Sie auch die vielen Menschen mitnehmen, die mit großer Erwartung auf die nationale Tourismusstrategie schauen. Vielen herzlichen Dank. ({12})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank. – Nächste Rednerin: Gabriele Hiller-­Ohm für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schön, dass wir heute im Vorfeld der weltgrößten Touristikmesse, der ITB in Berlin, Gelegenheit zur Debatte über die künftige Tourismuspolitik in unserem Land haben. ({0}) Ich freue mich, dass es gelungen ist, im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU das Ziel einer nationalen Tourismusstrategie zu verankern. Sie, lieber Herr Kollege Klinge, haben ja bemängelt, dass es so spät kommt. ({1}) Ich will Sie nur daran erinnern, dass Ihre FDP auch schon in Regierungsverantwortung war. Sie haben es überhaupt nicht geschafft, eine Tourismusstrategie auf den Weg zu bringen. ({2}) Wir schaffen das. Und das ist gut so. ({3}) Zur AfD: Lieber Herr Münzenmaier, Sie haben bisher überhaupt gar nichts geliefert – außer Reden, die Sie hier gehalten haben. ({4}) Es gibt keinen Antrag von Ihnen. Das war Ihnen wahrscheinlich zu anstrengend, sich hier mit einem Antrag in die Debatte einzubringen. ({5}) Also seien Sie lieber still, und hören Sie, was wir zu sagen haben! ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl der Tourismus in fast allen Regionen in unserem Land eine ganz große Rolle spielt und 3 Millionen Beschäftigte in Hunderttausenden Betrieben arbeiten, fehlt uns bisher eine übergreifende Tourismusstrategie. ({7}) Vor allen Dingen fehlt die Koordinierung der Tourismuspolitik von Bund, Ländern und Kommunen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir jetzt ändern; das bringen wir auf den Weg. Deshalb war ich auch schon sehr gespannt auf die Anträge zur Tourismusstrategie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und der FDP, und darauf, was Sie dazu zu sagen haben. Die AfD hat keinen Antrag eingebracht, die Grünen leider auch nicht. ({8}) Schauen wir uns den Antrag der FDP an: Sie sprechen einige Punkte an, für die wir uns als SPD auch starkmachen. Ja, wir brauchen eine effizientere Tourismusförderung und fairen Wettbewerb zwischen den klassischen Gastbetrieben und der Sharing Economy wie Airbnb. Natürlich brauchen wir auch Glasfasernetze für ein schnelles Internet. ({9}) Sie fordern ein Einwanderungsgesetz und Investitionen in die Berufsschulen, lieber Herr Klinge. Wir setzen uns dafür bereits ein und setzen das in der Großen Koalition um. ({10}) Sie wollen alles mittelstandsfreundlich ausgestalten. Dazu kann ich nur sagen: Ja, bitte, das machen wir. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wer trägt denn den deutschen Mittelstand im Tourismussektor? Das sind doch vor allem die Beschäftigten; auf sie kommt es an. Deshalb müssen wir mit unserer Politik genau diesen Menschen unter die Arme greifen. Diese Menschen müssen wir in den Fokus nehmen. ({11}) Und was will die FDP? Die FDP will, dass Beschäftigte künftig noch länger als bisher am Stück arbeiten sollen. Ja, Sie wollen an das Arbeitszeitgesetz ran. ({12}) Acht oder sogar zehn Stunden am Tag kellnern oder an der Rezeption stehen – das ist Ihnen nicht genug. Dabei ist erwiesen, dass Arbeitszeiten ab der neunten Stunde schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen haben können. ({13}) Deshalb machen wir bei diesen Plänen nicht mit, meine Damen und Herren von der FDP. Sie fordern zudem, dass es mehr Geringverdiener geben soll. ({14}) Nichts anderes wäre eine Anhebung der 450-Euro-Grenze für Minijobs. ({15}) Dabei wissen wir: Minijobs führen in die Sackgasse. Mit jahrelangen Niedriglöhnen und ohne soziale Absicherungen führen sie in die Sackgasse. ({16}) Ich sage nur, Herr Klinge: Nicht mit uns! ({17}) Ich komme zum Antrag der Linken. Mit seinen vier Forderungen ist er allenfalls ein Fliegengewicht, aber leider kein ausreichender Beitrag für eine Tourismusstrategie. Aber keine Sorge, die SPD denkt für Sie mit, liebe Linke. ({18}) Wir haben in den vergangenen Monaten im intensiven Dialog mit den Tourismusverbänden, Vereinen und Gewerkschaften zentrale Themenfelder und Forderungen ausgearbeitet. Gerade in dieser Woche haben wir ein umfassendes Positionspapier mit konkreten Maßnahmen in unserer Fraktion beschlossen. Schauen Sie doch alle mal rein! Es lohnt sich auf jeden Fall. Ich greife einige zentrale Punkte heraus: Erstens. Wir wollen gute Arbeit und Ausbildung gerade im Gastgewerbe. Hier setzen wir darauf, die Tarifbindung zu stärken, gute Arbeitgeber und gute Ausbildungsbetriebe besser anzuerkennen, gravierende Ausbildungsverstöße konsequenter zu ahnden sowie überbetriebliche Ausbildung und Weiterbildung zu stärken. Zweitens. Wir wollen eine leistungsfähige Infrastruktur. Wir setzen auf Erreichbarkeit der touristischen Ziele per Schiene, Straße, Luft und Wasser. Das wollen wir ausbauen. Drittens. Wir setzen auf mehr Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz beim Reisen. Natürlich haben wir auch die Veränderungen durch die Digitalisierung im Blick.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit!

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss:

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, bitte.

Gabriele Hiller-Ohm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003556, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz wichtig ist es auch, die Tourismuspolitik zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie ressortübergreifend besser zu koordinieren. Nur so kann eine nationale Tourismusstrategie Erfolg haben, meine Damen und Herren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lade Sie ein: Arbeiten Sie an der Tourismusstrategie mit. Das ist gut für den Tourismus; das ist gut für unser Land. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gabriele Hiller-Ohm. – Nächste Rednerin: Kerstin Kassner für die Fraktion Die Linke. ({0})

Kerstin Kassner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004324, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Morgen, liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion möchte mit diesem Antrag eine Ergänzung zu den sich bereits in Arbeit befindenden Teilen der Tourismusstrategie liefern. Wir möchten, dass ein besonderer Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendreisen gelegt wird. Das ist bis jetzt mit keinem Wort angesprochen worden. Das muss aber unbedingt dazukommen. ({0}) Erinnern Sie sich doch mal an Ihre Kinder- und Jugendzeit! Haben Sie nicht alle besondere Erfahrungen mit und Erinnerungen an schöne Reisen, vielleicht mit den Eltern, mit den Großeltern oder eben mit der Schulklasse? Ich erinnere mich an eine wunderschöne Reise auf die Insel Rügen. Als Sächsin habe ich mich dort in Wasser, Sand und Meer verliebt und freute mich riesig, als meine Eltern später einmal entschieden: Wir ziehen jetzt auf die Insel Rügen. – Dort lebe ich seit vielen Jahren sehr gern und wünsche mir, dass viele Gäste diese Schönheit auch erleben. ({1}) Ich komme zu unserem Anliegen, den Kinder- und Jugendreisen zurück: Wir haben im Ausschuss bereits darüber debattiert. Der Beauftragte der Bundesregierung für Tourismus, Herr Bareiß, sah kein Defizit beim Thema „Kinder- und Jugendreisen“. Dem muss ich leider ganz vehement widersprechen, und das taten im Übrigen auch sieben Experten in der Anhörung, die wir in dieser Woche im Tourismusausschuss durchgeführt haben. Es gibt sehr wohl Differenzen auf sozialer Ebene, die ausgeglichen werden müssen; ({2}) denn es ist längst nicht mehr selbstverständlich, dass jedes Kind mit den Eltern, ins Ferienlager oder auf andere Art und Weise reisen kann. Auch Klassenfahrten sind keine Selbstverständlichkeit mehr; denn sie sind in aller Regel nur möglich, wenn das Geld für eine Reise für alle Kinder bzw. Schüler aufgebracht werden kann. Wir denken, mit Kinder- und Jugendreisen wird ein sehr breites Fundament für die Liebe zum Reisen gelegt. Das sollten wir für den Tourismus nutzen. Auch zu Bildungszwecken sind Kinder- und Jugendreisen wichtig. Deshalb wünscht sich Die Linke, dass sie zum Bildungsprogramm – das beginnt nun mal im Kindergarten, Herr Kollege Münzenmaier – dazugehören. ({3}) Wir brauchen Standards für alle Altersgruppen von der Grundschule bis zum Abitur, damit die Schüler reisen können. Auf Reisen bieten sich wunderbare Möglichkeiten, Bildung zu vermitteln. Wo sollte man sich Möglichkeiten erschließen, um sich zum Beispiel mit Ökologie, mit Umweltfragen vertraut zu machen? Das gelingt vor Ort, im Wald oder im Park, am besten. Das gilt für Umweltfragen auf jeden Fall. Aber es gibt noch viel mehr. Es gibt Erinnerungsorte, mit denen sich unsere jungen Schülerinnen und Schüler beschäftigen sollten. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie man Bildung und Reisen verbinden kann. ({4}) Deshalb möchten wir, dass es Standards für alle Schülerinnen und Schüler gibt. Ich werde auf der ITB die Gelegenheit nutzen, auf einer Podiumsdiskussion mit erfahrenen Organisatoren für solche Reisen zu sprechen, um daran weiterzuarbeiten, dass es zukünftig diese Standards geben wird. Denn, wie gesagt: Reisen bildet. Aber es bildet eben auch Menschen für das Reisen. Deshalb dürfen wir auf diese Möglichkeit auf keinen Fall verzichten. Ich denke auch, dass es wichtig ist, dass wir bei Sprachreisen unterstützen. Das sind Menschen, die nach Deutschland fahren, um Deutsch zu lernen. Das sollte eine Aufgabe der DZT werden. Auch dafür werde ich zukünftig streiten. Deutschland ist ein schönes Land. Es lohnt sich, Gäste ins Land zu holen. Aber ich denke, wir sollten auch unseren Kindern und Jugendlichen diese Erfahrungen ermöglichen – so wie ich damals auf Rügen. Vielen Dank. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kerstin Kassner. – Nächster Redner: Markus Tressel für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein echter Fortschritt, dass wir überhaupt intensiv über eine nationale Tourismusstrategie diskutieren. ({0}) Das hätten wir uns vonseiten der Bundesregierung schon viel früher gewünscht, weil der Tourismus nicht erst seit dieser Wahlperiode vor zahlreichen großen Herausforderungen steht. ({1}) Ich glaube, selten zuvor sind so große Veränderungen auf einmal über diese Branche gekommen: Digitalisierung, Klimakrise, Mobilitätswandel und Fachkräftemangel – das sind die Themen, die wir auch in der Tourismuspolitik auf Bundesebene diskutieren müssen, weil man diesen Herausforderungen nicht allein auf Länder- oder gar auf Destinationsebene begegnen kann, selbst wenn man das wollte. ({2}) Hinzu kommt die wichtige Frage, wie wir Innovationen und Weiterentwicklungen unserer Destinationen finanzieren. Die Wettbewerber um uns herum schlafen ja nicht. Wenn wir zum Beispiel nach Österreich schauen, sehen wir, dass dort sehr aktiv und vor allem koordiniert die Weiterentwicklung des Tourismusstandortes vorangetrieben wird. Für andere Länder gilt das gleichermaßen. Deshalb möchte ich für uns vier Punkte hervorheben, die neben einigen anderen Aspekten zentral für eine Weiterentwicklung des Tourismusstandortes Deutschland sind. Ganz wichtig – das ist der erste Punkt –: Wir brauchen eine deutlich bessere Koordinierung dieses wichtigen Politikfelds. Ohne eine grundlegende Veränderung bei der Koordinierung auf Bundesebene, aber auch mit den Ebenen darunter, brauchen wir die inhaltlichen Themen gar nicht zu diskutieren. Fast jedes Bundesministerium macht irgendwie Tourismuspolitik in diesem Land. Dazu kommen die Länder und Destinationen. Da spielen viele Akteure nebeneinanderher, und das kann so nicht funktionieren. ({3}) Deshalb ist das ein zentrales Handlungsfeld, wenn wir da etwas nach vorne entwickeln wollen. Wir müssen Kräfte bündeln, konzeptionelle und auch finanzielle. Das bringt am Ende nicht nur mehr Output für den Tourismusstandort, sondern auch ein größeres politisches Gewicht für die Branche, das die Branche auch dringend braucht. Der zweite Punkt ist das Thema Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist angesichts des Klimawandels ein zentrales Element der Tourismuspolitik. ({4}) Hier müssen wir besonders über Mobilität sprechen, die quasi die Grundlage für Tourismus ist: Wie kommen die Leute in die Destinationen? Wie gewinnen wir mehr Passagiere für die Bahn? Wie gewährleisten wir ein bequemes und vor allem verlässliches Bahnangebot? Da kann der Bund als Eigentümer der Bahn einen intensiven Beitrag leisten. Das muss zwingender Bestandteil einer Tourismusstrategie sein. ({5}) Drittens müssen wir mit Nachdruck über das Thema Fachkräfte sprechen. Prosperierender, hochwertiger Tourismus ist auf gut ausgebildetes Fachpersonal angewiesen. Da sind wir heute schon am Limit. Wir sprechen von Abbrecherquoten von fast 50 Prozent beim Ausbildungsberuf Restaurantfachmann/Restaurantfachfrau. Ähnliche Zahlen gibt es bei den Köchen. Die meist genannten Gründe: zu lange Arbeitszeiten, auch an Wochenenden, und geringer Lohn. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, das heißt, da ist es nicht gerade förderlich, die sogenannte Flexibilisierung von Arbeitszeit in den Mittelpunkt zu stellen. Das klingt für viele Jugendliche zu Recht nicht gerade nach Traumberuf. ({6}) – Wir können uns ja über andere Themen in dem Bereich unterhalten. Eine Antwort auf den Fachkräftemangel müssen aus unserer Sicht gute und faire Ausbildungs- und später Arbeitsbedingungen sein, die die Fachkräfte auch in der Branche halten. ({7}) Da kann eine nationale Tourismusstrategie einen Beitrag leisten. Wir müssen da auch über Forschung und Lehre diskutieren, und wir müssen an der Stelle auch über die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen diskutieren. Ein wichtiger vierter Punkt ist die Förderpolitik. Die Unternehmen, die uns als Reisestandort attraktiv machen, brauchen Mittel, um in das Produkt zu investieren. Da fehlt es bei vielen Banken heute an Expertise. Die Förderlandschaft ist zersplittert. Deswegen brauchen wir eine zentrale Anlaufstelle mit Förderung aus einer Hand, bei der man auch Fragen des Bürokratieabbaus bündeln kann; Stichwort: Tourismusbank. Da haben wir großen Nachholbedarf. Das muss im Rahmen einer nationalen Tourismusstrategie auf die Agenda. Was wir für die nationale Tourismusstrategie brauchen, ist politischer Nachdruck. Wir brauchen keine weitere Zustandsbeschreibung, sondern wir brauchen einen konkreten Handlungsrahmen, Herr Staatssekretär. Das eine oder andere in dieser Frage kann man übrigens auch schon ohne nationale Tourismusstrategie zeitnah angehen. ({8}) Deswegen: Schieben wir das nicht mehr länger auf die lange Bank! Die nächste Wahl kommt spätestens 2021. Wenn wir die Strategie dann nicht nur auf dem Papier haben, sondern auch in der Umsetzung haben wollen, dann muss das jetzt zeitnah passieren. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Markus Tressel. – Nächster Redner: Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Seit mehreren Jahren boomt der Tourismus in Deutschland. Wir haben beständig Zuwächse – der Herr Staatssekretär hat darauf hingewiesen – bei Gästeübernachtungen, die im letzten Jahr erneut um 4 Prozent auf immerhin nunmehr aktuell 477 Millionen gestiegen sind. ({0}) Deutschland ist nicht nur bei Auslandsreisen weltweit mit an der Spitze, sondern wird auch als Reiseziel immer attraktiver. Deshalb ist es gar nicht verkehrt, jetzt im unmittelbaren Vorfeld der ITB über die Themen „Tourismus“ und „Tourismusstrategie“ hier im Bundestag zu debattieren. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass wir die Chancen der Branche für die wirtschaftliche Entwicklung und ihr Potenzial in vielen Bereichen noch nicht ausgeschöpft haben und vor einer Reihe von Herausforderungen stehen, auch durch die zunehmende internationale Konkurrenz. Deshalb haben wir in der Großen Koalition eine nationale Tourismusstrategie des Bundes vereinbart, um die Rahmenbedingungen für die mittelständisch geprägte Tourismuswirtschaft in Deutschland weiter zu verbessern. Wir wollen die Bundesförderung noch effizienter gestalten, die Belange der Branche in allen Politikbereichen noch besser berücksichtigen und noch mehr Bewusstsein für die große Bedeutung der Tourismuswirtschaft schaffen. ({1}) Ja, Herr Kollege Dr. Klinge, lieber Marcel, Sie schreiben in Ihrem Antrag einiges, was tatsächlich erwägenswert ist; das gilt im Übrigen auch für den Antrag der Linken – mit Ausnahme des komplett kostenfreien ÖPNV. Das werden wir nicht hinbekommen, Frau Kassner. ({2}) Sie haben auf jeden Fall hier ausgeführt, was tatsächlich noch einbezogen werden kann. Ich gestehe Ihnen zu, dass wir lieber einige Big Points in die Tourismusstrategie aufnehmen, die wir dann realistisch in den nächsten Jahren berücksichtigen und umsetzen können, als 132 Unterpunkte in dem Positionspapier unseres Koalitionspartners eben geschwind abzuarbeiten. Das werden wir in den nächsten Jahren sicher nicht alles umsetzen können. ({3}) Wir werden auch noch mehr tun, als in der Tourismusstrategie steht. Ich darf Ihnen versichern: Wir hatten diese Woche in unserer AG ein Gespräch zum Wassertourismus. Wir hatten vorgestern die Anhörung zum Kinder- und Jugendtourismus im Ausschuss, Frau Kollegin Kassner. Stichwort: Bürokratieabbau, den Sie in Ihrem Antrag erwähnt haben: Wir hatten letzte Woche mit der ehemaligen Kollegin Mayer-Bonde, jetzt beim Normenkontrollrat, ein Gespräch über Bürokratieabbau und bürokratische Belastungen. ({4}) Wir diskutieren auch über Sachen, die jetzt noch nicht unbedingt fixiert sind. ({5}) – Herr Kollege Klinge, hey, nicht schwätzen, wenn ich mit Ihnen spreche. ({6}) Sie dürfen versichert sein, dass wir auch neben der Tourismusstrategie die Belange der im Tourismus Tätigen hier berücksichtigen. Wir diskutieren leidenschaftlich und in großer Sachlichkeit darüber. Wir haben letzte Woche mit dem Staatssekretär Marco Wanderwitz im Heimatministerium über den digitalen Meldeschein gesprochen, ({7}) über die Möglichkeiten, hier Hürden abzubauen und das zu erleichtern. Wir sind da auf einem guten Weg. Wissen Sie, ich habe aus einigen Ihrer Ausführungen gehört: Sie haben schon noch Phantomschmerzen von der Nacht vom 19. auf den 20. November 2017 – lieber nicht regieren als falsch regieren. ({8}) – Er hat eine Frage, Frau Präsidentin.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wollen Sie die zulassen?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, natürlich.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich frage Herrn Lehrieder, ob er zulässt. – Er lässt zu. Herr Dr. Klinge.

Dr. Marcel Klinge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004782, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich will Ihnen zunächst in einem ganz zentralen Punkt zustimmen: Selbstverständlich hätte der Tourismus in einer Jamaika-Koalition einen völlig anderen Stellenwert gehabt als in der aktuellen Großen Koalition. ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ach, hör mir auf! Da hätten wir noch Spaß gehabt.

Dr. Marcel Klinge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004782, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Denn in diesem Fall würde die FDP den Wirtschaftsminister oder die Wirtschaftsministerin stellen. Das versteht sich von selbst. ({0}) Sie haben vielleicht noch gut in Erinnerung, dass der zentrale Knackpunkt für das Scheitern eines Jamaika-Bündnisses Ihre notorische Ablehnung eines konsequenten Auslaufens des Solidaritätszuschlags war. Sowohl die Grünen als auch die Union sind uns in diesem zentralen Punkt nicht entgegengekommen. Deswegen möchte ich Sie fragen: Hat sich die Haltung der Unionsfraktion zum Thema „ersatzloses Auslaufen des Solidaritätszuschlages“ in den letzten 16 Monaten geändert? ({1}) Ich frage dies auch vor dem Hintergrund, dass die FDP-Fraktion erst vor wenigen Wochen eine namentliche Abstimmung zu diesem Thema beantragt hat ({2}) und alle 246 Mitglieder der Unionsfraktion nicht für die ersatzlose Streichung des Solidaritätszuschlags gestimmt haben. ({3})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Dr. Klinge, ich war nicht in der Verhandlungsgruppe zum Solidaritätszuschlag dabei. Aber wenn wir 90 Prozent abbauen und dies schon fixiert haben, dann ist es eine Legendenbildung, zu sagen, wir hätten uns verweigert, einem Komplettabbau zuzustimmen. Aber Sie wissen selbst – Sie sind neu im Bundestag; alles kann man noch nicht voraussetzen –: Politik beginnt mit dem Betrachten der Realität. Wenn aus Kostengründen, aus fiskalischen Gründen noch keine 100 Prozent möglich sind, dann fängt man mit 90 Prozent an. Wenn sich dann Spielräume ergeben, weiter abzubauen, dann streben wir das an. Das ist in der Großen Koalition, wie schon gesagt, in guten Händen. ({0}) Das hätte man möglicherweise in einer Jamaika-Koalition auch hinbekommen. Frau Kollegin Suding, wir haben den Bereich Familie mitverhandeln dürfen. Da war auch nicht immer alles vergnügungssteuerpflichtig; aber wir hätten uns schon zusammengerauft. ({1}) Das wäre letztendlich eine Zweckpartnerschaft gewesen, mit der wir für ein paar Jahre gut hätten leben können. Wir arbeiten daran, den Solidaritätszuschlag komplett abzubauen. Aber die Machbarkeit ist eben immer auch von entsprechenden fiskalischen Aspekten abhängig; das sollten Sie wissen, Herr Kollege Dr. Klinge. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Lehrieder, würden Sie noch eine Frage zulassen? ({0})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das ist aber dann die letzte.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir können ja abstimmen lassen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, wir stimmen hier nicht ab. Sie sagen Ja oder Nein. Also?

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich lasse zu. Natürlich, Herr Münzenmaier.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das ist aber dann die letzte Zwischenfrage bei Ihrer Rede.

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Lehrieder, vielen herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich halte die Zwischenfrage auch ganz kurz. – Teilen Sie die Auffassung Ihres Koalitionspartners, der SPD, ({0}) dass wir das Problem der gewerbesteuerrechtlichen Hinzurechnung nicht mehr politisch lösen, sondern uns auf die Gerichtsurteile verlassen sollten? Ein kurzes Ja oder Nein als Antwort würde mir reichen. ({1})

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Münzenmaier, Sie können mir die Antwort nicht vorschreiben. Ob ich Ja oder Nein sage und wie ich die Frage beantworte, ist immer noch meine Sache – Punkt eins. ({0}) Punkt zwei. Wir haben hier bereits vor ein paar Monaten auf Ihren Antrag hin über die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung debattiert und uns dazu Gedanken gemacht. Das Ganze ist aus meiner Sicht Sache des Gesetzgebers. Wenn ein Gesetz aus unserer Sicht falsch ist, dann sollten wir uns nicht hinter dem Bundesfinanzhof verstecken. Aber es ist wie in jeder Partnerschaft: Wir brauchen, wie schon gesagt, einen Konsens, und wir diskutieren lebhaft mit unserem Koalitionspartner. Ob wir da irgendwas auf die Reihe bekommen oder ob wir die Entscheidung des BFH abwarten müssen, kann ich Ihnen aber nicht sagen. Mir tut es ein Stück weit um die Reisebüros leid, die mit den erforderlichen Rückstellungen natürlich ein gewisses Damoklesschwert über sich haben. Wir sollten uns überlegen, ob wir kleinen und mittleren Gewerbebetrieben, kleinen Reisebüros, Busunternehmen gerecht werden, wenn wir das Problem nicht lösen. Wir werden daran arbeiten. Aber Sie dürfen versichert sein: Dieses Problem ist bei der Großen Koalition in guten Händen. ({1}) – Dass die AfD nicht viel glaubt, ist mir schon klar. Meine Damen und Herren, zu den Schwerpunkten. Wir wollen mit der Tourismusstrategie die ländlichen Räume stärken. Die weitere Erschließung von ausländischen Quellmärkten – Stichwort „Incoming-Tourismus“ – ist, glaube ich, auch ein ganz wichtiges Thema. Wir haben die Mittel der Deutschen Zentrale für Tourismus in Frankfurt erhöht, um mehr Gäste für Deutschland zu begeistern. Was die Unterstützung der Branche bei der Digitalisierung angeht, haben Sie in Ihrem Antrag natürlich ein Stück weit recht, wenn Sie fragen: Wie können wir erreichen, dass auch kleine Anbieter im ländlichen Raum die Möglichkeit haben, online ihre Produkte an den Mann zu bringen? ({2}) Bei der Förderung umweltfreundlicher Angebote sowie dem Ausbau der Barrierefreiheit – Stichworte „Tourismus für alle“ und „inklusiver Tourismus“ – gibt es genug zu tun. Wo die Schwerpunkte in der Tourismusstrategie liegen werden, werden wir in den nächsten Wochen lebhaft mit unserem Koalitionspartner und mit der Bundesregierung diskutieren. Lieber Thomas Bareiß – jetzt schwätzt der auch schon wieder –, ich freue mich auf die konstruktive Debatte in den nächsten Wochen. – Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Danke schön. ({3})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Lehrieder. Jetzt hören Sie aber auch auf zu schwätzen; denn jetzt kommt die nächste Rednerin. ({0}) – Jetzt hinsetzen. ({1}) Nächste Rednerin: Gülistan Yüksel für die SPD-Fraktion. ({2})

Gülistan Yüksel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004448, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf der Tribüne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Tourismus ist wie keine andere Branche von Weltoffenheit und Gastfreundschaft geprägt. Das wurde in einigen Beiträgen eben auch deutlich. ({0}) Es muss deswegen in unser aller Interesse sein, diese zu fördern. ({1}) Kinder- und Jugendreisen sind hierfür eine gute Möglichkeit; denn in ihnen liegt ein besonderes Bildungspotenzial. Sie fördern die Persönlichkeitsentwicklung, Herr Lehrieder, und sie vermitteln wichtige Werte wie Toleranz, Neugier und Weltoffenheit. Das wollen wir allen ermöglichen. Eine Studie des Bundeswirtschaftsministeriums aus 2014 hat gezeigt, dass drei von vier Kindern und jungen Menschen in Deutschland mindestens einmal im Jahr verreisen. Das ist gut. Wir dürfen aber jene jungen Menschen nicht vergessen, die aus verschiedenen Gründen keine Möglichkeit dazu haben. ({2}) Wir wollen, dass auch sie Reiseerfahrung sammeln können. Zur Überwindung finanzieller Hürden bietet der Bund mit dem Bildungs- und Teilhabepaket bereits ein gutes Instrument. Dies bestätigten auch die Experten in der Anhörung im Tourismusausschuss am Mittwoch; wir waren ja alle anwesend. Demnach bestehen eher praktische Hürden bei der Durchführung von Klassenreisen. Hier stehen aber vor allem die Länder in der Pflicht, liebe Frau Kollegin Kassner. ({3}) Das haben die Sachverständigen uns auch mitgeteilt. Wir fordern daher in unserem Positionspapier zur nationalen Tourismusstrategie auch eine stärkere Wertschätzung von Kinder- und Jugendtourismus. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so erfreulich der wachsende nationale Tourismussektor auch ist: Wirklich erstrebenswert ist ein nachhaltiger Tourismus. ({5}) Dieser muss im Sinne der Agenda 2030 ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltig sein. Entsprechend eindeutig – und ausführlicher als im vorliegenden Antrag der Linken – sind auch hier unsere Erwartungen an die nationale Tourismusstrategie. Gemeinsam mit allen Akteuren im Tourismus wollen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette den schädlichen Auswirkungen des Tourismus entgegenwirken. Gleichzeitig gilt es, die Potenziale des Tourismus für nachhaltige Entwicklung zu nutzen, und das sowohl im nationalen Kontext als auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Deshalb halten wir zahlreiche Maßnahmen auf den unterschiedlichen Zuständigkeitsebenen für erforderlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ({6}) so etwa die Einführung einer staatlich getragenen Zertifizierung für Mindestanforderungen an nachhaltiges Reisen. Diese würde beispielsweise Angaben zu CO 2 -Emissionen einschließen. So schaffen wir die nötige Transparenz, durch die Reisende Nachhaltigkeit zum Buchungskriterium machen können. Staatliche Behörden sollten dabei Vorbildcharakter haben, indem sie klimafreundliche Transportmittel zum zentralen Auswahlkriterium ihrer Reiserichtlinien machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine drei Minuten Redezeit sind schon um. Mit diesen und vielen weiteren Vorschlägen stellen wir die Weichen für einen nachhaltigen Tourismus. ({7}) Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratungen in den kommenden Monaten. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen später eine gute Fahrt in Ihre Wahlkreise, am besten mit der Bahn. Herzlichen Dank. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Gülistan Yüksel. – Nächster Redner: Michael Theurer für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Theurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004914, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast alle Redner haben die Bedeutung der nationalen Tourismusstrategie betont und unterstrichen. Aber ich halte an der Stelle noch mal fest: Hätte die FDP-Fraktion durch unseren Kollegen Dr. Marcel Klinge nicht einen Antrag vorgelegt und hätten wir das nicht zum Topthema dieser Woche gemacht, dann würde dieses Parlament gar nicht über diese nationale Tourismusstrategie sprechen. ({0}) Es war gut, dass wir Freien Demokraten das beantragt haben. Nun zu Ihnen, sehr geehrter Herr Staatssekretär Bareiß. Ihre Bemühungen, Ihre Anstrengungen sind ja aller Ehren wert. Aber im Grunde genommen ist es doch erforderlich, dass der Bundeswirtschaftsminister dieses Thema zur Chefsache macht. ({1}) Er hat angekündigt, dass sein Ministerium ein Mittelstandsministerium sein soll, ein Serviceministerium für den Mittelstand. Aber wenn man sich anschaut, was Minister Altmaier tut, dann muss man sagen: Er legt eine nationale Industriestrategie vor. Wenn er etwas nicht ist, dann ein Mittelstandsminister. Wenn er etwas ist, dann ist er ein Monopolminister. ({2}) Denn er philosophiert öffentlich darüber, wie Industriekonzerne fusionieren können, anstatt die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Betriebe zu verbessern. Genau das ist notwendig. Wir Freie Demokraten reden nicht nur darüber, sondern wir haben konkrete Initiativen und Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag eingebracht, etwa zum Thema „Flexibilisierung der Arbeitszeit“, um den neuen Anforderungen durch die Digitalisierung und Globalisierung besser Rechnung zu tragen und Bürokratie im Mittelstand abzubauen. Eingebracht wurde eine Vorlage im März 2018 – abgelehnt von den Fraktionen, die die Große Koalition tragen. ({3}) Oder das Bürokratieentlastungsgesetz III. Wann kommt es denn? Im Koalitionsvertrag wird es behandelt. Wir glauben nicht, dass Sie es zeitnah vorlegen werden. Auch die Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist bereits angesprochen worden. Ein weiteres Thema ist die Verdienstgrenze bei den Minijobs: Anpassung an den Mindestlohn oder Dynamisierung? Davon sind Millionen Menschen in der Gastronomie, in der Hotellerie betroffen. Wir haben dort einen akuten Fachkräftemangel. Gerade im Bereich der Teilzeit und der Minijobs muss es eine Verbesserung geben. ({4}) Wir sind der festen Überzeugung: Wenn Mittelstandpolitik nicht nur in Sonntagsreden erwähnt, sondern auch auf die Tagesordnung des Parlaments kommen würde, dann könnte man den Menschen in der Gastronomie, in der Hotellerie, in der Tourismusbranche das Leben wesentlich erleichtern. Anstatt für Kunden, für den Gast zu arbeiten, anstatt zu kochen und die Menschen zu verwöhnen, verschwenden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Tourismus- und Hotelbetrieben ihre Zeit mit Zettelwirtschaft und Dokumentationspflichten. Es muss alles dokumentiert werden: über die Brotschneidemaschine bis hin zum Fettabscheider. Das ist Bürokratie pur, meine Damen und Herren. An der Stelle sollte Minister Altmaier seinen Ankündigungen, Entlastungen für den Mittelstand in den Mittelpunkt zu rücken, endlich Taten folgen lassen. ({5}) Wir werden die Regierung an der Stelle treiben. Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Michael Theurer. – Der letzte Redner in der Debatte zur nationalen Tourismusstrategie ist Dr. Klaus-Peter Schulze für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Klaus Peter Schulze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004406, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben im Koalitionsvertrag mit der SPD das erste Mal verankert, dass eine Tourismusstrategie auf den Weg gebracht werden soll. Damit sind wir im Vergleich zu den vorangegangenen Legislaturperioden einen deutlichen Schritt vorangekommen. ({0}) Der zweite Punkt – das muss ich Ihnen zugestehen, liebe Kollegen von der FDP bzw. von den Linken –: Durch Ihren Antrag haben wir die Möglichkeit, dieses Thema in der Kernzeit zu diskutieren. Dafür herzlichen Dank! ({1}) Aber, Kollege Theurer, wenn Sie sagen, in den Hotels herrsche Zettelwirtschaft, zeigt sich, wie ich glaube, dass Sie lange nicht mehr im Hotel übernachtet haben. Da geht mittlerweile alles elektronisch und digital; ({2}) denn dort ist die Digitalisierung schon angekommen. Zu dem Bashing, das der Staatssekretär hier erfahren musste, weil in Sachen Tourismusstrategie angeblich nichts passiert, frage ich Sie, Herr Münzenmaier: Wo waren Sie am 3. Dezember 2018, als der Tourismusbeirat des Wirtschaftsministeriums getagt hat und der Staatssekretär sechs Stunden mit den Fachleuten aus Deutschland diskutiert hat, wie wir die Tourismusstrategie gestalten? ({3}) – Die Einladung habe ich auch rechtzeitig bekommen. ({4}) Übrigens war ich der einzige Abgeordnete, der dort anwesend war. Aber wichtige Dinge kann man dann auch einmal verlagern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen wir zu zwei Punkten, die für mich von großer Bedeutung sind, damit sie Bestandteil der Tourismusstrategie werden. Erstens. Wir haben eine sehr gute Entwicklung des Tourismus in den großen Städten. Wenn ich mir die Zahlen von 2017 ansehe, dann stelle ich fest, dass München und Leipzig ein Plus von 14 Prozent, Köln immerhin von 9 Prozent und Hamburg von 5 Prozent hatten. Im ländlichen Raum sieht es nicht so aus. Dort ist es deutlich schwieriger. Die DZT, die wir in diesem Jahr erstmals mit mehr als 30 Millionen Euro unterstützen, hat im Jahr 2016 damit begonnen, den ländlichen Raum stärker zu bewerben. Ein guter Erfolg – das muss man sagen – war das Lutherjahr. Dort hat die DZT international Werbung für Deutschland gemacht, insbesondere für die Lutherstadt Wittenberg. Es war so, dass die Übernachtungszahlen in Sachsen-Anhalt um 14 Prozent angestiegen sind. Ich denke, das ist ein gutes Ergebnis und wir können zufrieden sein, dass wir die DZT haben, die international unterwegs ist. Ich glaube, die Kollegen, die in Peking, Nordamerika und Österreich unterwegs sind und für uns arbeiten, haben Beifall verdient. ({5}) In dem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf das Thema „ländlicher Raum“ zurückkommen. Hier sind aus meiner Sicht große Potenziale zu heben, die sich teilweise sehr gut entwickelt haben. Ich erinnere an unsere 16 Nationalparks. Ich erinnere an die 16 Biosphärenreservate. Hier gelingt es zunehmend besser, regionale Produkte, die von kleinen und mittelständischen Unternehmen erbracht werden, an den Touristen zu bringen. Sie haben damit eine gute Umsatzentwicklung. Auf dem Weg sollten wir zukünftig, unter anderem auch durch den Abbau von Bürokratie, die entsprechende Unterstützung geben. Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte und den wir unbedingt berücksichtigen müssen, ist das Thema Kreuzfahrten. Bei den Kreuzfahrtschiffen, die mit ihren noch selbstlaufenden Kraftwerken in den Häfen liegen – zum Beispiel in Hamburg – und deren Emissionen an Feinstaub und NO x deutlich höher sind als bei allen Dieselfahrzeugen, müssen wir etwas tun. Der erste Schritt muss Landstromversorgung sein. Der zweite Schritt muss katalytische Nachverbrennung in den Abgasanlagen sein. Der dritte Schritt – das ist dann der entscheidende –: Die Kreuzfahrtschiffe müssen auf LNG umgestellt werden. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, lieber Kollege Schulze. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/7899 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sie sind einverstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Nationale Tourismusstrategie sozial-ökologisch gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/7956, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/7120 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und AfD. Gegenstimmen kommen von der Fraktion Die Linke, und enthalten hat sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Agnes Malczak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004106, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer sich über das Thema „feministische Außenpolitik“ lustig macht wie die AfD, der macht sich heutzutage einfach nur noch selber lächerlich. ({0}) Dass Sie ein Problem mit Frauen haben, sieht man auch, wenn man in Ihre Reihen schaut. Eine feministische Außenpolitik heißt, die Rechte, die Repräsentation und die Ressourcen von Frauen sicherzustellen und zu stärken. Es geht um Geld, aber es geht auch um Perspektiven, und es geht um Potenziale. ({1}) Außenminister Maas hat sich sehr wolkig zu dieser Idee bekannt. Wir legen in unserem Antrag sehr viele sehr pragmatische Vorschläge vor, wie Deutschland dem in diesem Jahr im VN-Sicherheitsrat und im nächsten Jahr im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft ganz konkret pragmatische Taten folgen lassen kann. ({2}) Schweden und Kanada haben auf der internationalen Bühne schon vorgemacht, wie es geht und dass es, ehrlich gesagt, ziemlich cool ist. ({3}) Es geht überhaupt nicht darum, dass Frauen die besseren Menschen sind. Worum es geht, wird im Handbuch der schwedischen Regierung sehr klar und bestechend erklärt – Zitat –: Die feministische Außenpolitik beginnt und endet mit der Realität. Sie basiert auf Fakten und Statistiken zum Alltag von Mädchen und Frauen ({4}) und möchte konkrete Ergebnisse im Leben von Menschen – übrigens nicht nur Frauen – erzielen. Andernfalls verliert sie ihre Relevanz. Meine Damen und Herren, noch immer sind die Rechte von Frauen weltweit unter Beschuss, derzeit wieder mehr. Wenn Frauen nicht selbst entscheiden können, wo, wie und mit wem sie leben, wenn Populisten wie die Präsidenten Trump und Bolsonaro mit frauenfeindlichen Parolen Hass säen, wenn Frauen und Mädchen bei der Verteilung von Hilfsgütern leer ausgehen, wenn Vergewaltigungen und abscheuliche sexualisierte Gewalt in Kriegen systematisch als Waffe eingesetzt werden, dann braucht es eine klare und laute Stimme für diese Frauen, und es braucht jemanden, der für ihre Rechte kämpft. ({5}) Das International Peace Institute hat Friedensprozesse weltweit untersucht und festgestellt, dass ein stabiler Frieden um mehr als ein Drittel wahrscheinlicher wird, wenn Frauen am Prozess beteiligt werden. ({6}) Allerdings sind nur 8 von 100 Stühlen an den Tischen von Friedensverhandlungen von Frauen besetzt, und das muss sich endlich ändern. ({7}) Übrigens sollte man nicht immer nur mit dem Finger in die Ferne zeigen. Wenn wir glaubwürdig für die Rechte von Frauen eintreten wollen, müssen wir auch auf dem internationalen Parkett gleichberechtigt Frauen in der ersten Reihe haben. ({8}) Und wie sieht es in den deutschen Botschaften aus? Derzeit gibt es 20 Botschafterinnen und 132 Botschafter. Das sind keine Zahlen, auf die Heiko Maas stolz sein kann. Da erwarten wir eine schnelle Veränderung. ({9}) Meine Damen und Herren, ich sitze jetzt seit ungefähr zehn Jahren im Verteidigungsausschuss. Da kriegt man als junge Frau – die nehmen mich da immer als junge Frau wahr – Sachen zu hören wie: „Das Mädchen ist ja gut vorbereitet“, „Ja, Frau Brugger, wenn Sie dann mal alt werden ...“, „Das ist alles ein bisschen idealistisch und naiv“. Dazu möchte ich zwei Sachen sagen: Erstens. Wenn ich mir die düstere Weltlage anschaue und auch die manchmal festzustellende Verschlafenheit und Steifheit der deutschen Außenpolitik, dann muss ich sagen: Eine Prise Idealismus kann dem Ganzen nicht nur schaden; vielmehr kann die Weltpolitik sie auch gut gebrauchen. ({10}) Meine zweite Botschaft geht an alle Frauen und vor allem Mädchen dort draußen: Lasst euch nicht entmutigen! Glaubt an euch selbst! Macht euer eigenes Ding, und geht euren eigenen Weg! Vielen Dank. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Nächste Rednerin: Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als genau vor 100 Jahren Marie Juchacz, eine tapfere Sozialdemokratin, als erste Frau eine Rede in der Weimarer Nationalversammlung hielt, löste das laut Protokoll Heiterkeit aus. Heute, 100 Jahre später, reden wir über feministische Außenpolitik, und wieder gibt es diese Heiterkeit. ({0}) – Ihr Männer dort drüben seid wirklich sehr, sehr berechenbar; aber es ist nicht klug. ({1}) Heiterkeit kann etwas Schönes sein – ich bin gerne dabei –; aber es gibt auch eine abschätzige Heiterkeit. Wir Frauen kennen das. Hinter dieser Heiterkeit verbirgt sich die Frage vieler – nicht aller – Männer, die ich in den letzten Tagen häufig gehört habe: „Was soll das denn jetzt?“ oder: „Habt ihr keine anderen Probleme?“ oder: „Wie albern ist das denn?“. ({2}) Übrigens ist diese Heiterkeit nicht selten der Humus für Chauvi-Witze, und davon haben wir Frauen genug! ({3}) Was bedeutet nun „feministische Außenpolitik“? Sie bedeutet erstens die aktive Teilhabe von Frauen an der Außen- und Sicherheitspolitik. ({4}) Die Außenpolitik muss weiblicher werden. ({5}) Zu den Grünen, die den Antrag gestellt haben: Ihr habt leider keine einzige Frau als ordentliches Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. ({6}) Das kann auch noch besser werden. So viel zur feministischen Außenpolitik. Zweitens. Inhaltlich geht es – das wurde eben schon gesagt – um die Interessen, die Rechte und den Schutz von Frauen vor Gewalt und Unterdrückung. Wir müssen als Frauen in der Außenpolitik Anwältinnen der Schwächsten sein, die sich nicht selbst verteidigen können. ({7}) Wenn mehr Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik agieren, ändert sich der Blickwinkel auf diese. ({8}) Forscher aus Berlin, Genf und Amsterdam haben Friedensverträge ausgewertet und festgestellt: Frieden ist nachhaltiger, wenn Frauen mit am Verhandlungstisch gesessen haben. ({9}) Leider ist Außenpolitik in unserem Land und weltweit nach wie vor eine Männerdomäne. Wenn es um Krieg und Frieden geht, sitzen keine bzw. nur sehr, sehr wenige Frauen an den Verhandlungstischen, und das genau muss sich ändern. ({10}) An dieser Stelle höre ich dann oft: Was wollt ihr denn? Ihr habt doch eine Bundeskanzlerin. ({11}) – Wunderbar. Ihr seid so berechenbar und so – Entschuldigung – blöd. – ({12}) Ja, die haben wir, und sie ist außenpolitisch gut unterwegs und auch sehr erfolgreich. Aber Angela Merkel warnt selber – Zitat –: „Aus der Tatsache, dass es mich gibt, darf kein Alibi werden.“ ({13}) Immer noch dominieren dunkle Herrenanzüge die Parlamente. ({14}) Es ginge auch anders. ({15}) Übrigens, auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz dominieren die dunklen Herrenanzüge, obwohl es in diesem Jahr einige wenige Frauen mehr gab. Auch das ginge anders. Frauen wollen und können außenpolitisch tätig sein. Frauen sind dafür auch besonders geeignet. Wir sind gute Diplomatinnen, gute Brückenbauerinnen. Nicht Konfrontation, sondern Ausgleich der verschiedenen Interessen ist unser Grundprinzip, und dies alles im Interesse der Schwächsten, der Frauen und im Interesse des Friedens in der Welt. ({16}) Es gibt gute Ansätze. Vieles von dem, was im vorliegenden Antrag steht, wird schon umgesetzt. Ich nenne drei Punkte: erstens den nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325, zweitens die EU-Taskforce zu Frauen, Frieden und Sicherheit und drittens die Unterstützung des African Women Leaders Network durch die Bundesregierung. Der vorliegende Antrag ist ein Weckruf. Das finde ich durchaus gut. Allerdings – ich komme zum Ende, Frau Präsidentin – überfrachten Sie mit 33 Forderungen an die Bundesregierung auf neun Seiten das Thema und verzetteln sich. Weniger wäre mehr. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. ({17}) Ich will am Ende sagen: Am Beginn meiner politischen Arbeit vor 40 Jahren hätte ich allergrößte Probleme mit dem Begriff „Feminismus“ gehabt. ({18}) Wenn es aber um die Rechte und um die Teilhabe von Frauen in allen Bereichen unserer Gesellschaft und weltweit geht, dann habe ich heute kein Problem mehr mit dem Feminismus. ({19})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank.

Elisabeth Motschmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004357, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Augenblick! – Letzter Satz – der ist jetzt noch wichtig –: Männer sind uns wichtig, lieb und teuer. Aber wir Frauen wollen mitmachen; wir wollen dabei sein. ({0}) Das steckt hinter der feministischen Außenpolitik. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Elisabeth Motschmann. – Nächster Redner in der Debatte: Petr Bystron für die AfD-Fraktion. ({0}) – So, jetzt kommt Herr Bystron dran. ({1}) – Meine Güte!

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir müssen uns heute mit einem sexistischen Antrag von Claudia Roth und ihrem Künstlerkollektiv beschäftigen. ({0}) Ich trenne bewusst zwischen den Autorinnen und dem Rest der Fraktion; denn einigen Grünen ist dieses Elaborat peinlich. Wir werden gleich sehen, warum. Eine Kostprobe aus dem Papier: Frauen und Mädchen … werden in allen Regionen – in allen Regionen! – der Erde … diskriminiert; ihnen werden gleiche Rechte verwehrt und es wird … verhindert, dass sie politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich gleichberechtigt teilhaben können. ({1}) Das schreibt eine Frau, Vizepräsidentin eines Parlaments, in einem Land, in dem seit 13 Jahren eine Frau regiert. ({2}) Frau Roth, schlagen Sie im Grundgesetz nach: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ ({3}) Frauen werden nicht in allen Ländern der Welt diskriminiert. Sie und Frau Merkel sind die besten Beispiele dafür. Oder wird etwa Angela Merkel, zum achten Mal nacheinander zur mächtigsten Frau der Welt gekürt, auch strukturell diskriminiert ({4}) und an der gleichberechtigten politischen Teilhabe gehindert? Von wem denn? Von Helmut Kohl, Roland Koch, Friedrich Merz, Christian Wulff oder Wolfgang Schäuble? ({5}) Ja, es gibt Länder, in denen Frauen durch mittelalterliche, patriarchalische Strukturen unterdrückt und benachteiligt werden. ({6}) Es sind allesamt islamische Länder, und das verschweigen Sie in Ihrem Antrag. ({7}) Das passt nicht zu Ihrer Ideologie. Sie selbst, Frau Roth, haben Ihren Antrag völlig wertlos gemacht, indem Sie sich im Iran diesen Strukturen unterworfen haben. ({8}) – Da lachen Sie?

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Entschuldigung! Ich werde nachher darauf eingehen.

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Na, dann stoppen Sie jetzt die Zeit, wenn Sie mich unterbrechen. Stoppen Sie die Zeit! ({0}) Jetzt werde ich als Mann durch Ihren Einwurf strukturell benachteiligt. Also bitte! ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Bystron, ich versuche hier, die Sitzung zu leiten. ({0}) Ich bitte: Wenden Sie sich an die Kolleginnen und Kollegen, und ich werde dann gegebenenfalls auf Ihre Geschichten antworten.

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Roth, es gibt hier schon Diskussionen im Hause, dass Sie der Rolle als Vizepräsidentin nicht gewachsen sind. ({0}) Sie bestätigen das nur.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Wir werden uns mit dieser Äußerung von Herrn Bystron, wer hier würdig ist und wer hier nicht würdig ist, selbstverständlich im nächsten Ältestenrat befassen. ({0})

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Auf unseren Antrag, hoffe ich doch.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich bitte Sie jetzt, in Ihrer Rede fortzufahren.

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sie selbst, Frau Roth, haben Ihren Antrag wertlos gemacht, indem Sie im Iran den Frauen in den Rücken gefallen sind, die ins Gefängnis gesteckt werden, wenn sie ohne Kopftuch auf die Straße gehen. Sie haben mit den Mullahs paktiert und dabei auch noch das Symbol der Unterwerfung, das Kopftuch, aufgesetzt. ({0}) Das ist feministische Politik à la Claudia Roth! Was feministische Politik aber für Angela Merkel bedeutet, sehen wir in den letzten vier Jahren: Brexit, zerstörte EU, das gemeinsame Europa gespalten und Deutschland international isoliert. Meine Damen und Herren, Sie sehen selbst: Dieser Antrag ist ein Missbrauch des Parlaments für kulturmarxistische Propaganda. ({1}) Die Autorinnen wollen sich lediglich mehr Geld und Macht sichern mit Quoten für Jobs, für die ihnen die Qualifikation fehlt. ({2}) Und, Frau Roth, Sie wollen einen Paradigmenwechsel? Ja, den sollen Sie haben. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel; denn die Alt-68er haben in den letzten 50 Jahren genug Schaden angerichtet! ({3}) So wie Frau Merkel Europa spaltet, spalten Sie unsere Gesellschaft. Sie hetzen Frauen gegen Männer auf, ({4}) Homosexuelle gegen Heteros, Weiße gegen Schwarze, Behinderte gegen Nichtbehinderte. ({5}) Das lassen wir uns von Ihnen nicht mehr gefallen! ({6}) Wir brauchen keine Spaltung. Wir brauchen keine Quoten. Ein Staat betreibt Außenpolitik, um seine Interessen zu vertreten – nicht die Interessen seiner Frauen, sondern die Interessen aller seiner Bürger. ({7}) Wir brauchen daher eine verantwortungsvolle Außenpolitik für alle Bürger dieses Landes, und im Moment am meisten für einen Mann – Billy Six –, den Sie im Gefängnis verrotten lassen. ({8}) Frau Roth, ich spreche daher für jeden einzelnen unserer Wähler: Über 8 Millionen Menschen lehnen Ihren Antrag geschlossen ab. ({9})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächste Rednerin in dieser Debatte: Michelle Müntefering für die Bundesregierung. Frau Müntefering, bitte. ({0})

Michelle Müntefering (Gast)

Politiker ID: 11004359

Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bystron, ich gehe nicht weiter auf Sie ein. Sie haben Ihr Verständnis von Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen hier gestern schon deutlich gemacht. Oder soll ich besser „Ihr Unverständnis“ sagen? ({0}) Dieser Antrag hat seine Berechtigung; diese Debatte lohnt sich. Ellinor von Puttkamer war die erste Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, 1969 vom damaligen Außenminister Willy Brandt ernannt. Zuvor hatte ihr das Auswärtige Amt ganz offiziell bescheinigt: Sie hat einen durchaus männlichen Verstand. – Das sollte wohl ein Lob sein. ({1}) Mit Verlaub, an so einem grundsätzlich männlichen Verstand habe ich nicht nur mit Blick auf so manche Staatenlenker dieser Welt meine Zweifel. ({2}) Aber es tut sich etwas – auch im Auswärtigen Amt – bei der Besetzung von Spitzenämtern mit Frauen, wenngleich gilt – Sie wissen es –: 33 Prozent Frauen in Führungspositionen in der Berliner Zentrale und 15 Prozent Leiterinnen im Ausland, das ist nicht genug. Es gibt noch viel zu tun. Es ist noch Luft nach oben, ({3}) etwa beim Berichtswesen unserer Botschaften. Mit Heiko Maas, Kolleginnen und Kollegen, haben wir einen Außenminister, der das Thema verstanden hat und für den Gleichberechtigung kein Fremdwort ist. ({4}) Wir sind uns bewusst, dass wir noch besser werden können. Die Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen ist eben noch lange keine Selbstverständlichkeit. Deswegen finde ich es gut, dass die Opposition von den Grünen heute einen Impuls einbringt – auch mit konkreten Vorschlägen –, von denen wir einige bereits umsetzen und andere schon angepackt haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen heute – wir haben es gerade schon von Frau Motschmann gehört –: Friedensverträge sind stabiler und halten länger, wenn auch Frauen beteiligt sind. Frauen sind besonders betroffen, wo Krieg herrscht. Vergewaltigung, Ausbeutung, sexuelle Gewalt, das wird ganz gezielt als Demütigung von Völkern, als Kriegswaffe eingesetzt. Deswegen arbeiten wir mit den lokalen Bevölkerungen zusammen. Ein Beispiel: Die Abrüstungskampa­gnen, die wir im ländlichen Nigeria unterstützt haben, hätten ohne die Einbeziehung und die Überzeugungskraft weiblicher Führungskräfte gar nicht funktioniert. Ohne die Bedürfnisse der Hälfte der Weltbevölkerung zu berücksichtigen, können wir keine gute Politik machen, ({5}) ohne sie einzubeziehen, können wir keine Demokratie fördern, und ohne den Frauen Sicherheit zu geben, können wir keinen Frieden in der Welt herstellen. Das ist kein Selbstläufer. Die VN-Charta der Menschenrechte, die globalen Ziele, die SDGs, das sind die großen internationalen Verabredungen, um deren Durchsetzung wir immer und überall ringen müssen. ({6}) Deswegen setzen wir einen Schwerpunkt bei unserer Arbeit im Sicherheitsrat. Wir übernehmen den Co-Chair bei der Umsetzung der Resolution 1325, „Frauen, Frieden und Sicherheit“. Das ist ein starkes Signal Deutschlands auf diesem Feld. Ich habe mich selber mit Margot Wallström getroffen, habe den Mitgliedern des Sicherheitsrates unsere Unterstützung – auch konkrete, auch finanzielle – zugesagt. Die Netzwerkbildung von Frauen ist wichtig, und deswegen helfen wir dem African Women Leaders Network und gründen gerade ein zweites Netzwerk mit Lateinamerika und in der Karibik. Wir werden die Zivilgesellschaft nach New York einladen. Wir wollen ihr eine Stimme geben, ihr Gehör verschaffen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin überzeugt, dass sich diese Debatte lohnt, weil wir Frauen für einen Unterschied dabei sorgen können, wohin sich diese Welt entwickelt. Liebe Männer, helfen Sie uns dabei! Herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Müntefering. – Als Nächste hat die Kollegin Renata Alt, FDP-Fraktion, das Wort. ({0})

Renata Alt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004654, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Letzte Woche wurde meine Büroleiterin bei einer Veranstaltung zur europäischen Verteidigungspolitik von einem älteren Herren angesprochen. Völlig überraschend fragte er sie: Na, was machen Sie denn hier bei einer außenpolitischen Veranstaltung? Wessen Praktikantin sind Sie? – Meine Damen und Herren, dass im Jahr 2019 Frauen eine außenpolitische Qualifikation derart plump abgesprochen wird, ist beschämend. ({0}) Deutsche Außenpolitik muss weiblicher werden. Andere Länder sind uns da längst weit voraus. Ich nenne nur einige bekannte Außenpolitikerinnen: Condoleezza Rice, Hillary Clinton, ({1}) Chrystia Freeland, Federica Mogherini. Madeleine ­Albright war gerade eine sehr gefragte Gesprächspartnerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Lassen Sie uns für eine Außenpolitik eintreten, in der Frauen selbstverständlich ihren Platz haben, vor allem als Gestalterinnen. ({2}) Dazu bekennt sich die Bundesregierung in den Leitlinien zur Krisenprävention und in der UN-Resolution 1325. Diese Resolution macht deutlich, dass Frauen nachhaltig Frieden sichern. Setzen Sie in Ihren Projekten endlich auf die aktive Beteiligung und Einbindung von Frauen, in UN-Missionen, bei der Gesetzgebung oder auch bei der Traumabewältigung! ({3}) Frau Müntefering, nutzen Sie den UN-Sicherheitsrat! Legen Sie einen Schwerpunkt auf die Rechte der Frauen! Es darf nicht sein, dass in Afrika sexualisierte Gewalt immer noch als Kriegswaffe eingesetzt wird. ({4}) Es darf nicht sein, dass in Indien weit über 100 Frauen täglich vergewaltigt, unterdrückt oder sogar ermordet werden, nur weil sie Frauen sind. ({5}) Unterstützen Sie Frauenbewegungen weltweit, wie zum Beispiel die iranische White-Wednesday-Bewegung! ({6}) Liebe Frau Brugger, vielem von dem, was Sie gesagt haben, kann ich zustimmen. Uns eint die Überzeugung, dass wir eine bessere Außenpolitik brauchen. Aber brauchen wir unbedingt das Adjektiv „feministisch“ für die Außenpolitik? ({7}) Nein. Das Label „feministisch“ ist für unser Anliegen überflüssig. Ich bin der Meinung, dass das sogar kontraproduktiv ist; ({8}) denn wir werden nur sehr schwer eine gemeinsame Definition von „Feminismus“ finden, und das haben die schwedischen Politiker mittlerweile auch erkannt. Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein modernes Land. Wir brauchen eine moderne und verantwortungsvolle Außenpolitik, die Schwache schützt, eine Außenpolitik, die allen Chancen bietet und Teilhabe ermöglicht. Wir brauchen eine Außenpolitik, deren Umsetzung und Repräsentation von Männern und Frauen gleichermaßen vorangetrieben wird. ({9}) Denken Sie auch an die Zukunft Ihrer eigenen Töchter. Durch Vorbildfunktion in Führungspositionen können wir die junge Generation von Frauen ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Dieses Bild eines modernen Deutschlands möchten wir Freie Demokraten in die Welt transportieren. Der Überweisung Ihres Antrags in den Ausschuss werden wir zustimmen. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Alt. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Kathrin Vogler, Die Linke. ({0})

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Herren und Damen im Saal und auf den Tribünen! Wir reden hier über einen Antrag der Grünen zu feministischer Außenpolitik, und dabei hört man gleich das große Murren aus der rechten Mitte des Hauses: Was soll denn das sein? – Von ganz rechts kommt das übliche Geplärre von der angeblichen Genderideologie, wobei ich zugeben muss, dass der Beitrag von Herrn Bystron heute schon außergewöhnlich flegelhaft war. ({0}) Auf der anderen Seite des Saales hört man den einen oder anderen ganz leise Joschka Fischer zitieren, der sagte, dass es nur „eine gute oder schlechte Außenpolitik“ gebe. Das stimmt übrigens; denn eine Politik, die die Bedürfnisse und die Fähigkeiten der Mehrheit der Menschen vernachlässigt und nicht einbezieht, ist einfach eine schlechte Politik. ({1}) Wenn Friedensverträge länger halten, weil Frauen daran beteiligt waren, dann ist das gut für alle. Ich freue mich übrigens, dass Sie der Gedanke so provoziert. Das zeigt doch, dass hier offenbar ein wunder Punkt getroffen wird. ({2}) Außenpolitik halten viele hier im Saal quasi naturgemäß für eine Männersache, die in Silberrückenrunden stattzufinden hat. Schauen wir uns nur mal unseren Auswärtigen Ausschuss an: Lediglich 12 Frauen sitzen dort 33 Männern gegenüber. Bei der AfD – das ist klar –, aber auch bei den Grünen sitzt dort keine einzige Frau, bei der FDP immerhin eine, und bei der Union sind von 16 Vollmitgliedern 3 Frauen. Das können auch die SPD mit einem Frauenanteil von 50 Prozent und Die Linke mit einem Frauenanteil von 75 Prozent nicht ganz rausreißen. – Ich kann Sie aber beruhigen: Mit feministischer Außenpolitik können sich auch Männer beschäftigen; das können auch Männer mit voranbringen. Sie werden sehen: Das ist eine Politik, die ganz nebenbei auch für die männliche Minderheit auf diesem Planeten gut ist. ({3}) Wenn die Politik die Bedürfnisse von Frauen ganz besonders berücksichtigen will, dann berührt das einige grundsätzliche Fragen. Mir reicht es nicht, die UN-Resolution 1325 in Sonntagsreden zu feiern und verbale Bekenntnisse zum Schutz von Frauen und Kindern in UN-Militärmandate zu schreiben oder in NATO-Stäben einfach etwas mehr weibliches Personal unterzubringen, sondern wir müssen knallhart über Interessen reden. Erstens: Rüstungsexporte. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, geht davon aus, dass 80 Prozent aller durch Kleinwaffen getöteten Personen Frauen und Kinder sind. Und was tut die Bundesregierung? Im Koalitionsvertrag haben Sie sich ja noch dazu verpflichtet, Kleinwaffen nicht mehr in Länder außerhalb von EU und NATO zu exportieren. Diese Regelung haben Sie aber noch nicht umgesetzt, weil jetzt erst mal darum geschachert wird, welche Ausnahmen erlaubt sein sollen. So geht das nicht. Da müssen Sie endlich vorankommen. ({4}) In diesem Zusammenhang will ich auch noch einmal daran erinnern, dass die Bundesregierung endlich aufhören muss, Waffen an die Länder zu liefern, die am Jemen-Krieg beteiligt sind; denn da leiden die Frauen ganz besonders. ({5}) Zweitens. Opfer von Vergewaltigungen und Zwangs­ehen, etwa die Jesidinnen im Nordirak, müssen nicht nur rechtlichen Schutz in Deutschland bekommen. Vielmehr muss es vor Ort Hilfsmaßnahmen geben, zum Beispiel Psychotherapien und soziale Unterstützung. Da unternimmt die Bundesregierung leider viel zu wenig. Wenn diese Frauen in Deutschland Asyl erhalten, müssen sie selbstverständlich auch das Recht bekommen, ihre Familien zu sich in die Sicherheit zu holen. Alles andere ist doch unmenschlich und unerträglich. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Bystron aus der AfD-Fraktion?

Kathrin Vogler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004181, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, ich möchte gerne weitermachen. Drittens. Frauen, vor allem Arbeiterinnen und arme Frauen, sind in vielen Ländern der Welt besonderer Unterdrückung und Ausbeutung ausgesetzt. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie diese besonderen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse im Rahmen ihrer internationalen Beziehungen anspricht und auf Veränderungen drängt. ({0}) Das muss auch Konsequenzen für die Praxis deutscher Konzerne im Ausland haben. ({1}) Es gibt kein Recht auf Profitmaximierung durch Sweat­shops, in denen schlecht bezahlte Frauen und Kinder unter krankmachenden Arbeitsbedingungen Markenklamotten für die reiche Welt zusammennähen. Das muss in den Mittelpunkt! ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Gisela Manderla, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich möchte nicht auf die menschenverachtenden Bemerkungen der AfD-Kollegen eingehen, die peinlich waren, ({0}) aber vorab eine Bemerkung zur Kandidatur von Kanzlerin Merkel machen: Als sie zum ersten Mal kandidiert hat, ({1}) waren es die Frauen der CDU/CSU und die Frauen aus der Gesellschaft und anderen politischen Gremien, die Frau Merkel in dieses Amt getragen haben, und darauf sind wir heute immer noch sehr stolz. ({2}) „Wer Frauen stärkt, stärkt die Welt“ ist der Leitspruch des UN Women Nationales Komitee Deutschland. Und die Tatsache, wie emotional heute über Ihren Antrag diskutiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, zeigt, dass dieses Thema im Fokus bleiben muss. Ich bin Ihnen deshalb dankbar, dass Sie dieses Thema heute noch einmal auf die Tagesordnung gebracht haben. ({3}) Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass ich den Ansatz „feministische Außenpolitik“ nicht unterstütze. Sie wissen ja auch, dass wir Ihren Antrag heute ablehnen werden. ({4}) – Wir werden ihn überweisen, danke schön. Bereits im Jahr 2000 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1325 verabschiedet, und zwar unter dem Leitsatz „Frauen, Frieden und Sicherheit“. Seitdem wurde diese Resolution um sieben weitere ergänzt. Kern ist, dass Frauen einen hohen Stellenwert in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Entwicklungspolitik haben. Auf der einen Seite sind Frauen ein maßgeblicher Faktor bei der Etablierung von Frieden und Sicherheit. Aber auf der anderen Seite sind es gerade Frauen und Mädchen, die am stärksten unter den Folgen kriegerischer Auseinandersetzungen und gewaltsamer Konflikte leiden müssen. Die Bundesregierung hat deshalb den Stellenwert der Resolution 1325 erkannt und die Umsetzung der Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ als immens wichtiges Thema identifiziert. So soll die Geschlechterperspektive als Querschnittsthema systematisch in allen relevanten Politikfeldern mitbetrachtet werden. Dies gilt umso mehr – das wurde schon gesagt –, als die Zahl der Krisen- und Konfliktherde in der Welt nicht abnimmt, sondern leider zunimmt. Die Befriedung dieser vielschichtigen Krisen und gewaltsamen Auseinandersetzungen ist eine der drängendsten Herausforderungen der gesamten Weltgemeinschaft. Hierfür ist ein mehrstufiger Ansatz erforderlich. Ich will die Punkte gern stichpunktartig nennen: Es geht um Prävention. Es geht um Konfliktbeilegung. Es geht um Stabilisierung. Es geht um Friedensbildung und Wiederaufbau. Und vor allem geht es um Nachsorge und Friedenssicherung. Diesem Ansatz, meine Damen und Herren, wird die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik gerecht. So wurde zunächst ein erster Aktionsplan der Regierung für den Zeitraum von 2013 bis 2016 auf den Weg gebracht. Es ging um die Förderung der Rechte von Frauen und um einen außenpolitischen und innenpolitischen Aspekt. Es ging zuerst einmal um die Maghreb-Staaten und den OSZE-Raum. Es ging – dafür bin ich der Regierung sehr dankbar – vor allen Dingen auch darum, dass geflüchteten Frauen und Mädchen hier in Deutschland eine besondere Fürsorge zuteilwird. Es ging zum Beispiel darum, dass Frauen und Mädchen in Flüchtlingsunterkünften getrennt unterkommen und besonders gefördert werden. Wenn Sie sehen wollen, wie flüchtende Frauen in der Welt gepiesackt werden, dann müssen Sie sich den Film von Lukas Roegler ansehen, der das eindeutig beweist. – Der zweite Aktionsplan für die Jahre von 2017 bis 2020 konnte ebenfalls große Erfolge erzielen. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es dringend notwendig ist, dass wir auf unserem Weg für den Frieden, die Freiheit und die Sicherheit von Frauen und Mädchen weitergehen. Deshalb noch einmal vielen Dank für Ihre Aktion!

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wünsche mir, dass wir diesen Weg miteinander konstruktiv weitergehen. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Manderla. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Dr. Daniela De Ridder, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! In zahlreichen Ländern dieser Erde wächst die Tendenz zu einem besorgniserregenden Nationalchauvinismus. Damit einher geht eine antiemanzipatorische und frauenverachtende Entwicklung. Wo Menschenrechte missachtet werden, sind es vor allem immer die Rechte von Frauen und Mädchen, die mit Füßen getreten werden. ({0}) Mit Blick auf die UN-Konvention für Menschenrechte und die Resolution 1325 muss sich die deutsche Außenpolitik daher immer als Gegenpol zu diesen Entwicklungen begreifen. Unser Sitz im UN-Sicherheitsrat bietet also eine hervorragende Gelegenheit, das Thema „Frauen, Frieden und Sicherheit“ mit hoher Priorität auf die weltpolitische Agenda zu setzen. Wir wollen noch einen Schritt weiter gehen und deutlich machen, dass, ja, auch Jungen und Männer in patriarchalen Strukturen leiden. Wir setzen deshalb auf eine geschlechterorientierte Außenpolitik. Dazu haben wir bereits einige Handlungsfelder definiert. Auch im Auswärtigen Amt – ohne Frage – sowie bei Mandaten und Missionen, bei Auslandseinsätzen von Polizei- und Sicherheitskräften setzen wir auf Gender-Mainstreaming und arbeiten mit Akribie an einem Gender-Aktionsplan. ({1}) Ja, wir brauchen mehr Diplomatinnen in unseren deutschen Botschaften und Konsulaten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Der Kampf gegen Hunger und Armut kann nicht losgelöst werden von den geschlechtsspezifischen Lebenslagen der Menschen. Gleiches gilt für sexualisierte Gewalt. Denken wir an Genitalbeschneidungen, Zwangsverheiratungen oder Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe. Dies gilt im Übrigen ebenso für eine bessere medizinische Versorgung, etwa bei armuts- oder hungerinduzierten Krankheiten, bei der Bekämpfung von Mütter- und Säuglingssterblichkeit oder auch bei der HIV-Prävention. Weltweit brauchen Frauen und Mädchen gleiche Rechte und einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen. ({3}) Wirtschaftliche Ungleichheit und geringe Teilhabe von Frauen an politischen Entscheidungsstrukturen kritisieren wir scharf, und seien Sie sicher: Das tun wir keineswegs nur hier im Plenum, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir setzen auf faire Vertriebsstrukturen und Handelsabkommen, und wir machen uns stark für international anerkannte Umwelt- und Sozialstandards, die immer auch Frauen mitbetreffen. Frauen sind jedoch keineswegs nur Opfer in Konflikten. Die verstärkte Beteiligung von Frauen bei Friedensdiensten und Versöhnungsinitiativen, an Friedens- und Abrüstungsverhandlungen stellt nicht nur eines unserer Nachhaltigkeitsziele bei der Politik der Agenda 2030 dar. Die Erfahrung lehrt uns doch auch, dass der Einfluss von Frauen zu einem besseren und schnelleren Abschluss der Verfahren führt und dass diese sogar nachhaltiger wirken, meine Damen und Herren. Ja, Herr Bystron, Frauen können mehr, als nur an der Stange zu tanzen. ({4}) Wir setzen national auf eine enge ressortübergreifende Zusammenarbeit und international auf unsere multilateralen Kooperationen, insbesondere mit jenen Ländern, die ihrerseits bereits Konzepte zu einer gleichstellungs­orientierten Außenpolitik oder einer Politik der Parité entwickelt haben wie etwa Schweden, Kanada und Frankreich. ({5}) Last, but not least: Wir brauchen ein Gender-Monitoring, ein gendersensibles Frühwarnsystem und eine genderorientierte Forschung zur Außenpolitik. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich, mit Verlaub, Herr Präsident, zum Schluss kommen. Das Thema der gleichstellungsorientierten Außenpolitik ist zu wichtig und zu groß, um im Klein-Klein der Fraktionsdifferenzen zerrieben zu werden. ({6}) Daher lade ich Sie alle ein, meine Damen, überfraktionell im Rahmen eines Parlamentskreises „Frauen in der Außenpolitik“ enger zusammenzuarbeiten. Dazu eingeladen sind selbstverständlich auch alle Feministen, die uns dabei gerne unterstützen möchten. Gott sei Dank ist dann die AfD nicht mit von der Partie. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin De Ridder. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist so: Frauen und Mädchen werden in allen Regionen der Welt strukturell diskriminiert. ({0}) Sie sind in besonderem Maße von Krieg, von Gewalt, von Armut und übrigens auch von der Klimakrise betroffen. ({1}) Zugleich wird ihre Perspektive aber in der internationalen Politik weiter sträflich vernachlässigt, und das erfordert einen grundlegenden Paradigmenwechsel. ({2}) Wir müssen die Bedürfnisse von Menschen, nicht von Staaten in den Mittelpunkt rücken. Wir müssen also den traditionellen Sicherheitsbegriff ergänzen, von der staatlichen hin zur menschlichen Sicherheit. ({3}) Und wir müssen anfangen, Außen- und Sicherheitspolitik systematisch aus der Perspektive derer zu betrachten, die seit Jahrhunderten besonders unter ihren negativen Folgen zu leiden hatten. ({4}) Gewalt, Leid und Not gehen längst nicht mehr nur von zwischenstaatlichen Konflikten aus. Sie sind Konsequenz tief verwurzelter, auch patriarchaler Machtverhältnisse. Diese Verhältnisse zu ändern, auch das ist Ziel einer feministischen Außenpolitik. ({5}) Deshalb wollen wir die klassischen Strukturen aufbrechen. Wir wollen die Gelder neu ausrichten und neue Analysemechanismen anwenden. Wir wollen, dass Deutschland vorangeht und Druck macht, nicht zuletzt im UNO-Sicherheitsrat bei der vollständigen Umsetzung der Resolution 1325, bei der Förderung von Frauen und marginalisierten Gruppen weltweit, beim Schutz und bei der Durchsetzung ihrer sozialen, ökonomischen, politischen, ({6}) reproduktiven und sexuellen Rechte. Das wäre eine gute deutsche Außenpolitik. ({7}) Aber es geht eben auch um gleichberechtigte Beteiligung. Frauen sind entscheidende Akteurinnen, die eingebunden gehören, weil sie Teil dieser Gesellschaft sind, wie Elisabeth Motschmann gesagt hat, weil sie Friedensprozesse nachhaltiger, weil sie gesellschaftliche Umbrüche inklusiver zu gestalten helfen. Es geht also nicht darum, Frauen zu zählen, sondern darum, sicherzustellen, dass Frauen zählen. Das ist es, was wir mit „Paradigmenwechsel“ meinen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesichts all dieser Maskulinisten und Machomachtpolitiker weltweit ({9}) braucht es die kraftvolle Vision einer gerechteren, einer diversen Welt mehr denn je. Mehr denn je braucht es selbstbewusste und mutige Stimmen, gerade auch weibliche Stimmen, die eintreten für eine Gesellschaft, in der alle Menschen ohne Gewalt und Unterdrückung leben können. ({10}) Klassische Außenpolitik ist an dieser Aufgabe leider bislang gescheitert. Also: Zeit für eine feministische Außenpolitik, ({11}) wie sie übrigens auch von Margot Wallström oder Justin Trudeau vertreten wird! Vielen Dank, liebe Kolleginnen in diesem Teil des Hauses. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Roth. – Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt erhält das Wort die Kollegin Katrin Staffler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frauen, Frieden, Sicherheit – diesen Dreiklang haben wir heute in der Diskussion schon ein paarmal gehört. Das ist der Dreiklang, der uns in der Diskussion umtreibt. Fakt ist: Wir brauchen mehr Frieden. Ja, wir brauchen auch mehr Sicherheit, und – ganz definitiv, in der Tat – wir brauchen mehr Frauen. Frauen sind in fast allen Bereichen der Außenpolitik nicht in dem Maße vertreten, wie es Männer sind. Dabei sind Frauen – in meinen Augen zumindest – sehr gute Außenpolitiker. Zumindest aber sind sie definitiv keine schlechteren als Männer, Herr Bystron. Im Umkehrschluss heißt das aber auch nicht, dass Männer die schlechteren Außenpolitiker sind, nur weil sie Männer sind. ({0}) Das zu behaupten, wäre diskriminierend, und diskriminieren wollen wir in dieser Diskussion sicher nicht. ({1}) Ihr Antrag in allen Ehren, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber ich frage mich ganz ehrlich: Sind Sie damit nicht ein bisschen spät dran? Ich habe in Ihrem Antrag nichts, aber auch gar nichts gelesen, was mir neu gewesen wäre. Auch wir sind uns der schwierigen Lage, in der sich viele Frauen und viele Mädchen weltweit befinden, durchaus sehr bewusst. Und ja, es wurden auch schon unterschiedlichste Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Situation dieser Frauen und Mädchen zu verbessern. Ich möchte – und das ist nur ein kleiner Auszug – einfach einmal aufzählen, was schon alles getan wird, damit Sie sehen, dass Ihr Antrag eigentlich ad acta gelegt werden könnte. Beginnen wir doch einmal mit den Zielen, die das Auswärtige Amt – im Übrigen nicht erst seit gestern – für sich festgelegt hat. Das Ziel ist ein Frauenanteil von 50 Prozent in allen Bereichen. Um das Ziel zu erreichen, gibt es einen Gleichstellungsplan und eine Gleichstellungsbeauftragte, die unter anderem darüber wacht, dass Frauen in ihrer Karriereentwicklung im Auswärtigen Amt nicht benachteiligt werden. Das ist im Übrigen eine Forderung, die in Ihrem Antrag steht. Auf europäischer Ebene ist Deutschland regelmäßiger Teilnehmer der „EU Task Force zu Frauen, Frieden und Sicherheit“; da ist er wieder, der Dreiklang. Dabei wirkt Deutschland an Entscheidungen und Aktivitäten der EU zur Umsetzung der Resolution 1325 mit – auch davon haben wir heute schon ein paarmal gehört – und zählt auf Ebene der Vereinten Nationen zur Freundesgruppe dieser Resolution. ({2}) Und der wichtigste Fakt oder – lassen Sie es mich anders formulieren – der entscheidende Hinweis, dass das Thema schon lange an höchster Stelle angekommen ist, ist die Tatsache, dass „Frauen, Frieden und Sicherheit“ ein thematischer Schwerpunkt der deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat 2019 und 2020 ist. ({3}) In internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Europäischen Union setzt sich die Bundesregierung schon seit langem dafür ein, dass die Rolle von Frauen in Konfliktbewältigung und Krisenprävention gestärkt wird, sei es bei der Ausbildung von Polizistinnen in Afghanistan, bei der Förderung von irakischen Frauen in Existenzgründerinnenseminaren oder bei verschiedenen anderen Projekten zum Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt und zur Gewaltprävention. Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fordern die Gleichstellung von Mann und Frau nicht nur, sondern wir fördern sie auch, weil die Gleichstellung der Geschlechter eine Frage der Gerechtigkeit ist. Die Frage der Gerechtigkeit und der Gleichstellung bringt mich wieder zu Ihrem Antrag zurück. Es tut mir leid, aber den folgenden Kommentar kann ich mir an der Stelle nicht verkneifen: Ich habe schon ein bisschen schmunzeln müssen, als ich auf Seite 7 Ihres Antrags das Wort „Frauen“ versehen mit einem Gendersternchen gesehen habe, und zwar gar nicht einmal so sehr wegen des Sternchens an sich. Aber wenn Sie schon so korrekt sein wollen und an der Stelle von der Gleichstellung der Geschlechter sprechen, dann hätte ich, ehrlich gesagt, schon erwartet, dass Sie einen Absatz später bei der Aufzählung „Frauen und Männer“ das dritte Geschlecht nicht vergessen. ({4}) Abschließend möchte ich noch die Kolleginnen und Kollegen der Grünen, aber auch die Kolleginnen aller anderen Parteien grüßen, die ich auf der Münchner Sicherheitskonferenz getroffen habe. Es war schön, dass Sie so zahlreich vertreten waren, und ich hoffe, Sie haben das Gleiche gedacht, als Sie mich und meine Kollegin Bettina Wiesmann getroffen haben: von der CDU/CSU-Fraktion als Frauen beim Thema Außenpolitik. Man höre und staune! Danke schön. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. Die SPD-Fraktion hat für die Kollegin Saskia Esken eine Kurzintervention beantragt, die ich jetzt zulasse. – Frau Kollegin Esken, bitte.

Saskia Esken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielen Dank. – Ich möchte eine Anmerkung meiner Kollegin Daniela De Ridder erläutern, da einige Unruhe durch die Reihen der Kollegen von der AfD ging. Die Anmerkung an Herrn Bystron, Frauen könnten mehr, als an der Stange zu tanzen, bezog sich auf seine innerparteiliche Mitbewerberin, der er beschieden hat, Frauen wie sie sollten lieber an der Stange tanzen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Darauf können Sie nicht antworten, Frau Kollegin; denn das war eine schlichte Feststellung. ({0}) Aber wie nicht anders zu erwarten, meldet die AfD-Fraktion jetzt eine Kurzintervention des Kollegen Bystron an, die ich zulasse. – Herr Kollege Bystron, Sie haben das Wort. ({1})

Petr Bystron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004692, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Erstens. Sie zitieren falsch. Sie haben mir unterstellt, dass ich das gesagt habe. Richtig ist, dass das meine Kollegin bei einem innerparteilichen Wahlkampf gesagt hat. ({0}) So viel zum Umgang zwischen Frauen und Männern. Zweitens. Sie wurde nicht gewählt, und ich wurde auch nicht gewählt in diesem Wahlgang. ({1}) Gewählt wurde unser Kollege Kay Gottschalk, weil er der Beste war. So ist das bei uns in der Partei. Drittens. Es war wirklich durchsichtig, dass das jetzt kommt. Sie sehen: Wir haben uns längst vertragen. Wir kommen sehr gut miteinander aus. Wir brauchen so etwas nicht. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich die Debatte. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/7920 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt in den Saal kommen oder den Saal verlassen, das möglichst zügig zu machen, damit wir ohne Verzögerung fortfahren können.

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute geht es um nichts weniger als um die Zukunft des Automobilstandortes Deutschland. Das liegt an der europäischen Gesetzgebung, durch die ab Anfang 2021 die CO 2 -Emissionsgrenzwerte bei Neufahrzeugen massiv verschärft werden. Wenn alles so kommt, wie aktuell beschlossen, werden in Europa in wenigen Jahren im Wesentlichen nur noch Kleinwagen produziert werden. Das sage nicht ich, das haben uns Experten in Anhörungen hier im Bundestag erklärt. ({0}) – Es waren nicht einmal unsere Experten. Kurz die Sachlage. Die Fahrzeugflotten der Pkw-Hersteller dürfen bis 2030 einen Durchschnittsverbrauch von circa 2,5 Litern auf 100 Kilometern nicht mehr überschreiten, sonst drohen diesen Herstellern drastische Strafzahlungen an die Europäische Union. ({1}) – Da können Sie ruhig klatschen. Da sehen Sie die Arroganz, genau. – Fahrzeuge oberhalb der Kompaktklasse werden das ohne Elektrifizierung nicht erreichen. Die Elektrifizierung dieser Fahrzeuge, ob nun als Plug-in-Hybrid oder als Vollelektrofahrzeug, macht sie aber aufgrund der hohen Herstellkosten für weite Teile unserer Bevölkerung unerschwinglich und unpraktikabel. ({2}) Mit dem Willen der angeblich bürgerlichen CDU/CSU wird hier mal so eben der Verbrennungsmotor aus politischen Gründen so verteuert, dass er nicht mehr marktfähig ist. Die SPD-Umweltministerin schießt dann noch den Vogel ab, indem sie die Strafzahlungen noch weiter erhöhen wollte, höher als von der EU gefordert. Sie nehmen den Bürgern in diesem Land ihr bezahlbares Auto und dazu die Arbeitsplätze weg! ({3}) Die EU-Papiere zu der Verordnung sprechen von einem zu erwartenden Wegfall von Arbeitsplätzen, der durch Sozialpartner aufgefangen werden soll. Dann wird mir auch klar, warum Sie von der SPD das Sozialsystem ausbauen wollen. Die geplante Massenarbeitslosigkeit ist für CDU/CSU und SPD mindestens ein Kollateralschaden, wenn nicht sogar ein politisches Ziel auf dem Weg zu einer vermeintlich besseren Welt. Die AfD geht hier einen völlig anderen Weg. Wir haben den Menschen vor der Bundestagswahl 2017 versprochen, dass wir eine Alternative anbieten wollen, eine Alternative zu ideologischer, wirtschaftsfeindlicher und undurchdachter Politik. ({4}) Genau aus diesem Grund wollen wir die finanzielle Gleichbehandlung von Fahrzeugen mit synthetischen Kraftstoffen mit Elektrofahrzeugen. Wir nehmen es nicht hin, dass die Bundesregierung durch staatliche Subventionierung den Verbrennungsmotor aus dem Markt drängt. Dadurch, dass wir die Bundesregierung dazu bringen, sich auf europäischer Ebene für die Anerkennung von Fahrzeugen mit synthetischen Kraftstoffen als Null-Gramm-CO 2 -Fahrzeuge einzusetzen, tun wir übrigens auch etwas für die tatsächliche Reduktion der CO 2 -Emissionen, liebe Kollegen von den Grünen. ({5}): Oh!) Ihre Geschichte vom sauberen Ökostrom, der Elektrofahrzeuge antreibt, ist doch ein Hirngespinst. Ein Elektrofahrzeug erzeugt genauso viel CO 2 wie ein Dieselfahrzeug. ({6}) Um das zu ändern, müsste man den Strom in Deutschland erst einmal komplett CO 2 -frei erzeugen, und das ist in den nächsten 15 Jahren überhaupt gar nicht möglich. Sie wissen das, Sie erzählen aber trotzdem Ihr Märchen. ({7}) Sie vernichten hier einen Industriezweig, ohne dass wir CO 2 -Emissionen damit reduzieren. Das finde ich total verachtenswürdig. ({8}) Jeder, der zukünftig CO 2 -frei mit seinem Auto fahren will, kann das tun. Wir bieten hier ein praktikables Konzept an. Durch Umsetzung unseres Antrages kann jeder an die Tankstelle fahren und mit sauberem Gewissen CO 2 -neutralen Sprit tanken, übrigens auch mit älteren Fahrzeugen. Mit diesem Antrag erhalten wir das Auto für alle Teile der Bevölkerung. Das ist echte Sozialpolitik. ({9}) Denn nur günstige Verbrennungsmotoren geben auch der alleinerziehenden Mutter die Möglichkeit, kostengünstig und schnell von A nach B zu kommen, ein Elektrofahrzeug ermöglicht das eben nicht. Wir brauchen einen fairen Wettbewerb, und es muss endlich Schluss sein mit der planwirtschaftlichen Privilegierung von Elektrofahrzeugen. Unser Antrag leistet dazu einen Beitrag. Vielen Dank. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Kollege Dr. Spaniel. – Als Nächstes spricht zu uns der Kollege Dr. Hermann-Josef Tebroke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben – ich zitiere –: Wir wollen die Klimaziele von Paris erreichen und dabei soziale Belange berücksichtigen, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gewährleisten und bezahlbare Mobilität sicherstellen. Dafür bedarf es eines ganzen Bündels von Maßnahmen, wie z. B. der Förderung von Elektromobilität ... Das zeigt: Die Union sagt – erstens – Ja zur Sicherung der Mobilität und Ja zum Klimaschutz. Auch in der Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie des Verkehrsministers werden diese Grundsätze aufgegriffen und konkretisiert. Sie erkennen, meine Damen und Herren, dass es nicht gegen die Verbrennungsmotoren geht, dass auch nicht einseitig interessengetrieben entschieden wird, auch nicht ideologisch verblendet, sondern pragmatisch, technologieoffen und offen für neue Erkenntnisse, und es wird nachvollziehbar entschieden. ({0}) Auch aus der Abwägung, ob Elektromotoren oder andere alternative Antriebe vorzuziehen sind, wird genau dies deutlich. Aber das Ziel, möglichst schnell und möglichst deutlich CO 2 zu reduzieren, führt dazu, dass gegenwärtig der Einführung der Elektromobilität ein Vorzug zu geben ist, und zwar dann, wenn regenerativer Strom eingesetzt wird. Deswegen erfolgt eine besondere Förderung der Forschung und Produktion, aber auch des Absatzes von Elektroantrieben durch steuerliche Anreize und vielleicht auch Vorzüge bei der Maut. Natürlich, meine Damen und Herren, werden auch weitere Kriterien in die Betrachtungen mit einbezogen, natürlich die Kompatibilität mit dem Vorgehen in Nachbarstaaten, natürlich auch die Auswirkungen auf die Automobil- und die Energiewirtschaft, natürlich wird auch die Verfügbarkeit der notwendigen Infrastruktur getestet – und, und, und. Wenn aber – die Elektromobilität ist keineswegs abschließend überzeugend – die CO 2 -Ziele nicht alleine durch die Elektrofahrzeuge erreicht werden, werden wir weitersuchen, werden wir weiterforschen und auch neue Antriebskonzepte untersuchen, und zwar technologieoffen. ({1}) Auch das ist im Koalitionsvertrag sehr deutlich so formuliert worden, und auch jüngst im CSU-Papier von Seeon wird das sehr deutlich – ich darf wieder zitieren –: Wir wollen die Wissenschaft beim Heben von Klimainnovationen unterstützen. Durch neue Technologien und Methoden zur Emissionsreduktion können die Potenziale in allen Sektoren ausgeschöpft werden, wie z. B. synthetische Kraftstoffe … Ausdruck dieser Technologieoffenheit ist unser – zweitens – klares Ja zur Förderung innovativer Antriebssysteme, insbesondere auch synthetischer Kraftstoffe, und zwar in der Hoffnung und der Erwartung, dass der entscheidende Nachteil dieser Technologie, nämlich die Ineffizienz bei der Produktion, ausgeglichen und aufgehoben werden kann, wenn hinreichend regenerative Energien für die Erzeugung dieser Kraftstoffe zur Verfügung stehen. Das ist im Moment noch nicht der Fall. Vorteile sehen wir natürlich dann, wenn wir daraus eine führende Position der Branchen in der Welt erreichen können, wenn die Technologie der Verbrennungsmotoren hier bei uns weiterentwickelt und genutzt werden kann, wenn wir vorhandene Infrastruktur nutzen können. Deswegen gibt es die ausgeprägte Forschungsförderung auf der Anbieter- und Herstellerseite. Der Bundestag ist da schon lange unterwegs. Dazu gibt es viele Belege, und nicht zuletzt – die Anfrage der FDP hat das deutlich gemacht – Förderprojekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, aber auch des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Immer wieder und überall geht es darum, diese Technologie weiterzuentwickeln, um sie für die Zukunft nutzbar zu machen. Das ist gut so. Das ist auch strategisch konsistent. Weiter so! ({2}) Aber, meine Damen und Herren, solange ein Angebot nicht in ausreichender Menge verfügbar ist, macht es auch keinen Sinn, auf der Nachfrageseite Anreize zu setzen. Deswegen sagen wir – drittens – heute Nein zur steuerlichen Gleichstellung des Verbrenners mit synthetischen Kraftstoffen mit Elektrofahrzeugen. Es ist frustrierend, es ist kontraproduktiv, wenn eine Nachfrage angetriggert wird, die gar nicht befriedigt werden kann. Deswegen sagen wir auch Nein zu dem Antrag der AfD, die dieses viel zu früh fordert oder aber mit ihrem Antrag zu spät ist, weil die Debatte über die synthetischen Kraftstoffe längst läuft und auch die Forschung längst vorangetrieben wird.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Attraktiver ist der Antrag der FDP. Er fordert, nicht nur herkömmliche, sondern auch neuartige Antriebsformen breitgefächert zu erforschen und zu fördern. Da sind wir schon längst unterwegs. ({0}) Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte.

Dr. Hermann Josef Tebroke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Anträge sind so, insbesondere der der AfD, nicht zu akzeptieren. Ich danke Ihnen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächste Rednerin erhält das Wort die Kollegin Daniela Kluckert, FDP-Fraktion. ({0})

Daniela Kluckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004784, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Veränderungen brauchen kluge Ideen. Vor allem brauchen wir kluge Ideen, die dann auch von den Menschen angenommen werden. Das gilt insbesondere für Themen, die so ernst sind wie der Klimawandel. Die Bundesregierung versucht derzeit auf der einen Seite mit sehr viel Geld und Subventionen und auf der anderen Seite mit Verboten, des CO 2 -Ausstoßes auf unseren Straßen Herr zu werden. Das Problem daran ist aber, dass erstens das Geld niemand will und zweitens die Verbote nicht wirken. ({0}) Zumindest wirken sie nicht so, wie Sie sich das von der Bundesregierung gewünscht haben; denn wirksam wird damit nur unsere Wirtschaft geschädigt, und wirksam werden mit dieser Politik die Arbeitsplätze gefährdet. Warum die Bundesregierung so agiert, das kann ich nur erahnen. Meiner Vermutung nach geht es eben vielen gar nicht um den Umweltschutz, sondern es geht darum, den Kampf gegen den Verbrennungsmotor zu führen oder am Ende den Kampf gegen das Auto im Ganzen. Klar ist jedenfalls, dass sich das Verkehrsministerium und das Umweltministerium heillos uneins sind. Auch das ist eine Form des schlechten Regierens. ({1}) Deswegen von uns die Forderung: Lösen Sie diesen Knoten endlich auf! Werden Sie sich einig, wie Sie da vorangehen. ({2}) Als Freie Demokraten setzen wir bei der Bekämpfung des Klimawandels auf unsere klügsten Köpfe und dann auch auf Wettbewerb. Anders wird es nicht gehen. Erster Punkt. Mit unseren klügsten Köpfen wollen wir Innovationen vorantreiben. Deswegen brauchen wir endlich eine technologieneutrale Forschungsförderung, die es so jetzt nicht gibt. ({3}) Ohne politische Vorgaben sollen unsere Wissenschaftler an den besten Wegen forschen, die dann zu CO 2 -Einsparungen führen. Der zweite Punkt ist der Wettbewerb. Der Wettbewerb und damit die Menschen müssen am Ende entscheiden, was sich durchsetzt, und sich dafür einsetzen, wie Mobilität CO 2 -neutral funktioniert. ({4}) Die Bundesregierung setzt allein auf Elektromobilität. Wir als Freie Demokraten sagen: Um die Eispole vor dem Schmelzen zu bewahren, brauchen wir auch die Gasantriebe. Dafür brauchen wir eben auch E-Fuels, meine Damen und Herren. ({5}) Studien zeigen, dass E-Fuels einen Beitrag von 40 Prozent zur Minderung des CO 2 -Ausstoßes leisten können. Warum in aller Welt nehmen wir sie nicht mit in die Förderung auf? ({6}) Deswegen muss sich die Bundesregierung endlich dafür einsetzen, dass diese E-Fuels in die Flottenziele der Automobilhersteller aufgenommen und auf die Ziele angerechnet werden können. Die letzte Chance dafür wurde 2018 bei den Pkws vertan. Hier wurde nichts gemacht, auch wegen der Uneinigkeit der Ministerien. Gerade jetzt haben Sie die Möglichkeit, das bei den Lkws nachzuholen. Vertun Sie die Chance diesmal nicht! Nur mit der Anrechenbarkeit der CO 2 -neutralen Kraftstoffe kann eben auch in solche Kraftstoffe investiert werden. Dann ist diese Technik auch bezahlbar. ({7}) Bezahlbare individuelle Mobilität muss eine Kernforderung von uns sein, das muss sie bleiben. Meine Damen und Herren, den Eispolen ist es egal, wie wir CO 2 einsparen. Behandeln Sie deswegen Gasantrieb und Elektromobilität gleich! Nutzen Sie die Chancen der neuen Kraftstoffe! ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Kluckert. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Fraktion. ({0})

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute mit einem gleichstellungspolitischen Antrag der AfD zu tun. Das kommt auch nicht alle Tage vor. Es geht darum, dass eine technische Entwicklung durch Steuererleichterungen, also durch die Steuerpolitik, unterstützt werden soll. Das ist auch der Punkt, weshalb ich hier rede. Man kann zweifellos über so ein Thema reden. Dann braucht man aber auch in der Steuerpolitik nicht jemanden, der nur Rosinenpickerei betreibt, sondern einen seriösen Gesprächspartner. Das ist die AfD bei diesem Thema nicht; ({0}) denn jedes Mal, wenn wir über Steuerpolitik reden, ist es so, dass nach Ihrer Meinung eine Steuer abgeschafft oder ausgehöhlt werden soll. Ein paar Beispiele. Erstens. Grundsteuer: 14 Milliarden Euro. Die AfD sagt: vollständige Streichung. Wer trägt die Folgen? Die Menschen in den Städten und Gemeinden. Zweitens. Gewerbesteuer – das Thema haben wir gestern diskutiert –: Da haben wir von Stefan Keuter gehört, man solle sie abschaffen und Zuschläge auf die Einkommensteuer einführen. Die Folge: Spaltung in dieser Gesellschaft, was die Städte angeht. Dritter Punkt. Grunderwerbsteuer: Steuersenkungen fordern, ohne den Ländern an irgendeiner Stelle zu sagen – sie bekommen die Einnahmen aus dieser Steuer –, wie dieser Verlust ausgeglichen werden soll. Oder Solidaritätszuschlag: Wir werden den Soli für 90 Prozent der Steuerzahler 2020/21 abschaffen. Das macht rund 10 Milliarden Euro. Das sind ganz konkrete Steuerentlastungen. Alleinstehende beispielsweise mit einem zu versteuernden Einkommen von unter 61 000 Euro oder bei Ehepaaren 122 000 Euro und in der Gleitzone 152 000 Euro zu versteuerndem Einkommen werden vom Soli befreit – komplett. ({1}) Aber wir sind der Auffassung: Wer mehr verdient, sollte durchaus auch mehr bezahlen. Ein Minister mit einem Einkommen von 180 000 Euro sollte seine 3 600 Euro an Soli bezahlen. Auch der Chef eines DAX-Unternehmens, der 5,8 Millionen Euro verdient, sollte 142 000 Euro an Soli bezahlen. All dies will die AfD natürlich auch abschaffen. Sie will sozusagen Bezieher hoher und höchster Einkommen entlasten. Fazit der ganzen Geschichte: Wenn Sie die Steuerpolitik zu verantworten hätten, dann wäre Deutschland morgen pleite. ({2}) Das ist ökonomisch falsch. Mal am Rande: Patriotisch ist das übrigens auch nicht. Der Staat hätte nämlich gar keinen Spielraum, um solche erwünschten Entwicklungen, wie Sie sie jetzt vorgeschlagen haben, steuerlich fördern zu können, wenn man auf die Steuereinnahmen sozusagen zulasten der Menschen in den Städten und Gemeinden und zugunsten von Höchstverdienern verzichten wollte. Das machen wir nicht.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Spaniel?

Bernhard Daldrup (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004258, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Präsident. Ich biete hier kein zusätzliches Forum. Es bleibt die Frage, ob Ihr Antrag technisch gerechtfertigt ist. Dazu hat Herr Tebroke eben schon etwas gesagt. Aus klimapolitischer Sicht sind die E-Fuels und Power-to-X-Technologien durchaus eine Option. Ich muss mich da mehr auf das Urteil von Fachleuten stützen, die sagen, dass die steuerrechtliche Gleichstellung der Elektromobilität mit Fahrzeugen, die nur mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden – das steht nämlich in Ihrem Antrag –, an der Wirklichkeit vorbeigeht. Aber dazu wird gleich mein Kollege Mathias Stein ein paar Bemerkungen machen. Jetzt muss ich mich bei der FDP entschuldigen. Ich habe aus zeitlichen Gründen noch nichts zu Ihrem Antrag sagen können. ({0}) Zur Frage der Technologieoffenheit bei Antriebstechnologien will ich sagen: Es ist nicht falsch, was Sie schreiben. Aber neu ist es auch nicht. ({1}) Das, was beim Thema „Änderung der Dienstwagenbesteuerung“ auf den Weg gebracht werden soll, ist es genauso wenig. Also, fragen wir mit Blick auf den Antrag einmal ganz freundlich mit Gerhard Polt: Braucht’s des eigentlich? Die Antwort ist: Ja, des braucht’s offensichtlich für das Selbstbewusstsein der FDP. Der Rest geht in die Ausschüsse. Herzlichen Dank. ({2})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Die AfD-Fraktion hat eine Kurzintervention beantragt, die ich zulasse. Der Kollege Dr. Spaniel hat das Wort.

Dr. Dirk Spaniel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004899, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben eben ausgeführt, dass wir selektiv Steuern herauspicken und streichen wollen. Nein, die korrekte Formulierung in diesem Antrag ist doch völlig klar. Deshalb wundere ich mich, dass Sie das hier nicht so darstellen. Wir wollen Steuern nicht für etwas erheben, was es im Moment noch gar nicht gibt, weil diese Steuern bei einem Konkurrenzprodukt eben auch nicht erhoben werden. Wir wollen hier einen fairen Wettbewerb bei Fahrzeugen erreichen: Den einen werden Steuervergünstigungen und sonstige Vergünstigungen zugestanden – das sind die Elektrofahrzeuge –, und den anderen Fahrzeugen, die den gleichen Effekt auf die Umwelt haben, werden sie verweigert. Dies ist kein Wettbewerb. Das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass wir Steuerpicking betreiben wollen. Ich finde das sehr bedauerlich. Sie hätten den Antrag vielleicht mal lesen sollen. Er war in diese Richtung gemeint. Wir wollen einen Wettbewerb erzeugen. – Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Daldrup, wollen Sie antworten? – Sie möchten nicht antworten. Dann ist die Kurzintervention beendet. Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Jörg Cezanne, Die Linke. ({0})

Jörg Cezanne (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004693, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Der Verbrennungsmotor ist tot; lang lebe der Verbrennungsmotor!“ So lautet die grundlegende Botschaft, die sich leider hinter beiden Anträgen mehr oder weniger verbirgt. Wir können über Einzelfragen im Ausschuss gerne reden. Ich will zu zwei grundlegenden Einwänden etwas sagen. Erstens. Die Fixierung auf technische Lösungen bei der Bewältigung der Verkehrswende reicht nicht aus. ({0}) Die Innenstädte und die Ballungsräume werden von Blechlawinen lahmgelegt. Dieses Problem lösen wir nicht dadurch, dass wir Mineralöl durch strombasierte Kraftstoffe ersetzen. Die besten E-Mobile sind Straßenbahnen, U-Bahnen und S-Bahnen. ({1}) Ohne einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr werden wir die Verkehrsprobleme in unseren Städten und die Zukunft der Mobilität nicht in den Griff bekommen. Das gilt auch für den Güterverkehr. ({2}) Zweiter Punkt. Offenheit für neue Technologien ist gut, man muss sich aber auch nicht dümmer stellen, als man ist. Wenn Sie nur einmal im Kopf überschlagen hätten, welche Strommengen notwendig wären, um den Pkw-Verkehr in Deutschland auf sogenannte E-Fuels umzustellen – Herr Dr. Spaniel, das müssten Sie eigentlich hinbekommen –, dann wüssten Sie, dass das überhaupt keine Option ist, über die sich ernsthaft nachzudenken lohnt. ({3}) Wir werden E-Fuels brauchen; das stimmt. Für den Luftverkehr wird es wahrscheinlich keine anderen Alternativen geben. Aber für den Straßenverkehr sind batterieelektrische Antriebe – für den Pkw-Verkehr in jedem Fall – das Gebot der Stunde. Die Entscheidung ist längst gefallen: Tesla ist vorangegangen, VW zieht nach, die deutsche Automobilindustrie ebenfalls. Wir sind gut beraten, wenn wir den deutschen Automobilkonzernen und ihren Beschäftigten den Übergang in diesen Strukturwandel ebnen. Das geht mit dem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, nicht. ({4}) Um es auf den Punkt zu bringen: Die Probleme des Verkehrssektors und der Automobilindustrie werden wir nicht dadurch lösen, dass wir den Verbrennungsmotor mit E-Fuels künstlich beatmen. Wir brauchen eine echte Verkehrswende, die den öffentlichen Verkehr in den Mittelpunkt stellt. Dafür wird es auch in Zukunft Autos geben. Die werden in nächster Zukunft batterieelektrisch verkehren, die werden geteilt werden und möglicherweise auch autonom fahren. Dafür sollten wir unsere staatlichen Mittel aufwenden. Ich danke Ihnen. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Cezanne. – Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. ({0})

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgerechnet die beiden Parteien, die AfD und die FDP, die sich gegen den Ausstiegskompromiss der Kohlekommission stellen, die vor Ort den Ausbau erneuerbarer Energien blockieren, wollen klimafreundliche Mobilität mit Kraftstoffen sichern, die auf Basis erneuerbarer Energien hergestellt werden. Das ist schon erstaunlich. ({0}) Wegen der enormen Energieverluste bei der Umwandlung von Strom in synthetische Kraftstoffe und der hohen Kosten, die dabei entstehen, wäre das die mit Abstand teuerste Variante klimafreundlicher Mobilität. ({1}) Die Kosten für E-Fuels liegen laut einer Studie im Auftrag des VDA derzeit bei 4,50 Euro pro Liter Dieseläquivalent. Derzeit gibt es nur einige Demonstrationsanlagen, aber keine industrielle Förderung. ({2}) Aber die AfD suggeriert: Wenn eine Steuerbefreiung für E-Fuels käme, könnten morgen Autos mit Verbrennungsmotor – Zitat – „problemlos auch mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden“. Meine Damen und Herren, Sie wollen die Bürger hinters Licht führen. ({3}) – Karlheinz Busen [FDP]: Dummes Zeug!) Selbst die Prognosen in den Auftragsstudien der Mineralölwirtschaft zeigen: Die Erzeugungskosten für E-Fuels werden auch 2030 noch deutlich höher sein als die Kosten für Benzin und Diesel. Die AfD will also die Mobilität für die Menschen richtig teuer machen. Wir Grüne wollen das nicht. ({4}) Auch der zusätzliche Strombedarf wäre immens. Für das Fahren mit E-Fuels müsste fünfmal so viel Strom eingesetzt werden, wie wenn der Strom direkt in rein batterieelektrischen Fahrzeugen eingesetzt und damit die Infrastruktur effizient genutzt wird. ({5}) Eine Studie der Agora Verkehrswende zeigt: Würde der Verkehrssektor vor allem mit synthetischen Kraftstoffen klimaneutral umgebaut, könnte allein der Strombedarf des Verkehrs in Deutschland im Jahr 2050 bei etwa 900 Terawattstunden liegen. Dieser Bedarf übersteigt die gesamte derzeitige Bruttostromerzeugung in Deutschland. ({6}) – Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das muss auch nicht in Deutschland hergestellt werden!) Wo soll der Strom herkommen? Diese Frage können Sie nicht beantworten. Sie schaffen nur neue Importabhängigkeiten.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Jung aus der FDP-Fraktion?

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein. ({0}) In der Debatte ist mehr Augenmaß notwendig. Wir werden flüssige synthetische Brennstoffe aus Ökostrom brauchen. Aber wegen der beschriebenen Nachteile sollten sie nur dort zum Einsatz kommen, wo wir mit der Elektromobilität an Grenzen stoßen, also insbesondere im Flug- und Seeverkehr. Die FDP, zu der ich jetzt kommen möchte, ist ebenso schräg unterwegs wie die AfD. Sie wollen fossile Kraftstoffe durch einen anderen, nämlich Erdgas, ersetzen, während alle namhaften deutschen Automobilhersteller längst innovative elektrische Antriebe im Angebot haben. Mit so einer Strategie würden wir weder die Klimaschutzziele erreichen noch könnten unsere deutschen Automobilfirmen im internationalen Wettbewerb bestehen. Zum Glück sind unsere Hersteller deutlich klüger und investieren mit ehrgeizigen Zielen in die Elektromobilität. ({1}) Nach dem Lesen des Antragstextes kann ich Ihnen empfehlen: Informieren first, Antrag schreiben second. ({2}) Ich verteidige ungern die Regierung, aber in diesem Fall muss ich es mal tun: Es stimmt einfach nicht, dass die staatliche Förderung sich nur auf Elektromobilität konzentriert. Die staatliche Förderung sieht auch den Aufbau von Wasserstofftankstellen vor, ist also technologieoffen. ({3})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, achten Sie auf Ihre Redezeit.

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. – Anders als es in Ihrem Antrag steht, sind die Gespräche des Trilog-Verfahrens zu den CO 2 -Grenzwerten für Pkw und Lkw in Brüssel längst abgeschlossen. Sie sind einfach zu spät dran. Wenn Sie uns verkehrspolitisch herausfordern wollen, dann müssen Sie etwas früher aufstehen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Die FDP-Fraktion hat für den Kollegen Dr. Jung eine Kurzintervention beantragt, die ich zulasse. Herr Dr. Jung, Sie haben das Wort.

Dr. Christian Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004769, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Kühn, Sie haben meine Zwischenfrage leider nicht zugelassen. – Ich will Ihnen nur ganz offen sagen: Es spricht überhaupt nichts gegen die flüssige Elektromobilität, also die synthetischen Kraftstoffe. Es gibt viele Gründe, so etwas zu fördern. Wir werden da in den nächsten Jahren einen gesunden neuen Mix bekommen. Natürlich werden diese Kraftstoffe in der Regel – schaut man sich die neuen Anlagen an – in dieser Weise nicht alle in Deutschland hergestellt werden. Aber es ist trotzdem ein guter Beitrag, um einen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie zu finden. Deswegen frage ich Sie: Warum haben Sie als verkehrspolitischer Sprecher der Grünen das Thema E-Fuels noch nicht in irgendeiner Weise intellektuell durchdrungen? ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Kühn, möchten Sie antworten?

Stephan Kühn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004085, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Vorsitzender, ich möchte eigentlich nicht, aber tue es trotzdem. – Lieber Kollege Jung, wenn Sie meiner Rede aufmerksam zugehört hätten, dann hätten Sie sich an die Einsatzfelder für das Thema E-Fuels, die ich benannt habe, erinnern können. Dann hätten Sie auch gemerkt, dass es um eine differenzierte Betrachtung geht. Wir haben unterschiedliche Verkehrsträger, für die es unterschiedliche Antworten braucht – übrigens weltweit regional unterschiedlich. Aber wir müssen die Themen „Kosten“ und „Effizienz“ sowie die Frage, wann bestimmte Technologien verfügbar sind, im Blick behalten. Man muss sagen, dass die E-Fuels zur Erreichung der Ziele, die wir bis 2030 im Verkehrsbereich erreichen wollen, keinen Beitrag leisten werden; das ist Fakt. Schauen Sie in die Studien, schauen Sie sich die Kostenstrukturen an. Wenn Sie die Mobilität nicht teuer machen wollen, dann sind E-Fuels nicht die erste Wahl. Für bestimmte Bereiche haben sie eine Bedeutung, aber erst nach 2030. Das sagen übrigens auch die Studien, die das Thema E-Fuels puschen wollen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Damit erhält als nächster Redner das Wort der Kollege Dr. Christoph Ploß, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christoph Ploß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004854, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Mobilität der Zukunft ist derzeit eines der Megathemen in Deutschland; und das vollkommen zu Recht. Denn auf der einen Seite geht es hier im Deutschen Bundestag um die Frage, welche politischen Initiativen wir ergreifen müssen, um die steigenden Erwartungen an die Mobilitätsstrukturen in Deutschland zu erfüllen – immer mehr Güter werden transportiert, die individuellen Mobilitätsansprüche steigen –, und auf der anderen Seite müssen wir die Frage beantworten, wie wir die Luftqualität und Lärmsituation in den deutschen Großstädten weiter verbessern und den CO 2 -Ausstoß im Verkehrsbereich reduzieren können. Für uns, die CDU/CSU-Fraktion, ist dabei völlig klar: Die Antworten auf diese Herausforderungen sind nicht Fahrverbote, ist nicht Gängelung, und das sollten auch möglichst nicht politische Vorschriften sein, wie sich die Bürger fortzubewegen oder wie sie zu leben haben. Vielmehr wollen wir es über Investitionen in die Wissenschaft, technologische Investitionen und Unternehmertum erreichen und damit die Mobilität der Menschen weiter verbessern und auch unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das heißt Investitionen in den Schienenverkehr, in den öffentlichen Nahverkehr, Investitionen natürlich auch in die Digitalisierung des Verkehrs, um den Verkehrsfluss zu verbessern und Staus zu reduzieren. Aber es bedeutet natürlich auch, dass wir in neue Antriebstechnologien investieren müssen, und es bedeutet auch, dass wir in synthetische Kraftstoffe investieren müssen, möglichst aus erneuerbaren Energien. Mein Kollege Dr. Tebroke hat es eben in seiner Rede völlig zu Recht dargestellt: Dafür brauchen wir vor allem den Ausbau der Elektromobilität, vor allem – das ist das große Ziel in dieser Legislaturperiode – den weiteren Ausbau der Infrastruktur für Elektromobile. Aber wir dürfen unsere verkehrspolitischen Initiativen hier im Deutschen Bundestag nicht auf Elektromobilität reduzieren – ein solches Denken würde auch zu kurz greifen –, sondern wir brauchen technologieoffene Lösungen. ({0}) Dafür müssen wir mehrere Pfade beschreiten. Das ist für uns gar keine Frage eines Entweder-oder, sondern eher eines Sowohl-als-auch. Denn mit mehreren Pfaden werden wir am Ende ans Ziel kommen. Das bedeutet natürlich auch CO 2 -neutrale Kraftstoffe. Denn die Vorteile von synthetischen Kraftstoffen, möglichst aus erneuerbaren Energien, wie Electrofuels oder E-Fuels liegen auf der Hand: Sie sind nutzbar in Verbrennungsmotoren, global transportierbar, gut lagerbar. Vor allem aber kann die bestehende Infrastruktur genutzt werden, und deswegen müssen synthetische Kraftstoffe und vor allem E-Fuels ein wichtiger Baustein sein, wenn wir über eine künftige Mobilitätsstrategie hier reden. ({1}) Aber, liebe Kollegen der FDP und auch der AfD, viel wichtiger als steuerliche Diskussionen wäre es, das Potenzial synthetischer Kraftstoffe zu heben und die synthetischen Kraftstoffe weiter in die Förder- und Forschungsprogramme Deutschland einzubauen. ({2}) Da wurde eben freundlicherweise von dem Kollegen der Grünen gesagt, da passiere im Moment schon eine ganze Menge. Das wollen wir weiter vorantreiben. Außerdem – das ist ein richtiger Punkt; da stimme ich Ihnen zu, liebe Kollegen der FDP – müssen wir auf europäischer Ebene dafür werben, dass synthetische Kraftstoffe aus erneuerbarer Energie angerechnet werden. Denn nur dann werden sich Investitionen in E-Fuels rentieren und E-Fuels eine Chance auf dem Markt haben. ({3}) Umgekehrt würde das natürlich auch die deutsche Automobilindustrie stärken. Wir deutsche Politiker sollten daran ein Interesse haben. So könnten wir kluge Wirtschafts- und Umweltpolitik kombinieren und einen Beitrag zum Umweltschutz und zur Stärkung unserer Industrie leisten. Mit synthetischen Kraftstoffen oder E-Fuels ist das möglich, neben, wie eben gesagt, der Elektromobilität. Deswegen – lassen Sie mich das zum Abschluss sagen, Herr Präsident – müssen wir für die Mobilität der Zukunft verschiedene Maßnahmen in die Wege leiten. Dazu zählen Investitionen in alternative Antriebe, aber dazu zählen auch Investitionen in E-Fuels und synthetische Kraftstoffe. Das gilt es in dieser Legislaturperiode weiter voranzutreiben. Herzlichen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Ploß. – Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt lauschen wir nun den Worten des Kollegen Mathias Stein, SPD-Fraktion. ({0})

Mathias Stein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen in der Verkehrspolitik vor einer epochalen Herausforderung: Der Verkehr wird weiter zunehmen, und gleichzeitig müssen wir es schaffen, die Klimaziele von Paris einzuhalten. Dabei verursacht der Verkehr mehr als 20 Prozent der CO 2 -Emissionen. Großartig ist allerdings, dass wir bereits heute Technologien greifbar haben, die es uns ermöglichen, eine Vision von einer klimaneutralen Mobilität zu realisieren, ohne dass es sozial einschränkt oder wirtschaftlich ausgrenzt. Wenn ich mir aber die Anträge der rechten Seite der Opposition ansehe, dann stelle ich mir die Frage, ob man da in Zukunft tatsächlich gut aufgestellt ist. Das Rezept der AfD lautet: Erst einmal retten wir den Verbrennungsmotor. ({0}) Natürlich werden wir den Verbrennungsmotor noch eine ganze Weile brauchen, aber wenn man sich genau anschaut, was in dem Antrag steht, dann stellt man fest: Da ist sehr viel heiße Luft. ({1}) Sie gehen davon aus, dass es Autos geben wird, die nur mit E-Fuels funktionieren. Wie wollen Sie das denn machen? Eben haben Sie gesagt: Na ja, da kann man dann alles reinschmeißen. Das ist eine zusätzliche steuerliche Subvention, die wir an dieser Stelle nicht haben wollen. Wir haben einen nicht konkurrenzfähigen Preis von 4,50 Euro pro Liter Dieseläquivalent. ({2}) Sie haben neulich von 2,50 Euro gesprochen. Aber das ist immer noch eine Erhöhung. Wie wollen Sie das denn sozial subventionieren? Also, mehr als heiße Luft ist da nicht. ({3}) Nun komme ich zur FDP und zum Gasantrieb. Gas ist günstig, Gas ist verfügbar, Gas ist super. Deshalb haben wir in der letzten Wahlperiode auch durchgesetzt, dass die CNG-Kraftstoffförderung verlängert wird. Das heißt, wir tun da etwas. Aber wir müssen doch unsere Priorität darauf richten, dass wir rechtzeitig die nicht endlichen Energieträger fördern. Insofern müssen wir auch andere Schwerpunkte setzen. ({4}) Zur Frage der Forschungsförderung ist hier schon viel gesagt worden. Sie wollen wieder Eulen nach Athen tragen. Ich empfehle Ihnen die Kleine Anfrage der Kollegen von den Grünen von Anfang Februar 2019 – das ist die Drucksache 19/7521, das können Sie sich aufschreiben –, dort ist detailliert hinterlegt – es werden sogar die einzelnen Firmen genannt –, was gefördert wird. Insofern tun wir das. Also, mehr als Stückwerk ist bei FDP und AfD nicht zu entdecken. Wir als Große Koalition haben aber die Grundlagen, damit wir diese Klimaschutzziele tatsächlich erreichen. Wir haben die Nationale Plattform „Zukunft der Mobilität“ eingerichtet. Wir haben beschlossen, dass der Vorsitzende des Verkehrsausschusses und die Stellvertreterin dort vertreten sein dürfen. Ich denke, da werden wir einiges erreichen. Außerdem haben wir einen guten Koalitionsvertrag. Da würde es im Übrigen auch helfen, wenn der Verkehrsminister ab und zu mal dort reinguckt. Denn wir wollen die Mobilitätswende ohne Scheuklappen und ohne Denkverbote sozialverträglich umsetzen. Herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Stein. – Damit schließe ich die Aussprache. Tagesordnungspunkt 27 a. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/6007 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist jedoch strittig. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Finanzausschuss. Die Fraktion der AfD wünscht Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der AfD, Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Keiner. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD, Federführung beim Finanzausschuss. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Keine. Dann ist dieser Überweisungsvorschlag gegen die Stimmen der AfD-Fraktion mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Tagesordnungspunkt 27 b. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/7902 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federführung beim Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur liegen soll. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Angelika Glöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorweg sage ich den Kollegen der Fraktion Die Linke Danke für diesen Antrag. Denn Sie geben uns hier einmal mehr Gelegenheit, über ein wichtiges Thema zu sprechen, nämlich über Armut. Überall da, wo Armut herrscht, muss Politik handeln. Gleichwohl – das sage ich auch – enthält Ihr Antrag einige Klischees. Wenn man Ihren Antrag liest, gewinnt man den Eindruck, als würde bei uns in Deutschland die Massenverelendung anwachsen, als würden überdurchschnittlich viele Menschen ausgebeutet oder unter ganz schlechten Bedingungen arbeiten. Ich finde, dieses Bild ist zu drastisch. Denn wenn man Deutschland mit den übrigen EU-Mitgliedsstaaten vergleicht, zeichnet sich ein anderes Bild ab. Wir haben eine sehr gute Beschäftigungsquote, die höchste seit der Wiedervereinigung. Wir haben positive Entwicklungen bei Nettolöhnen von Vollzeitbeschäftigten, ({0}) und der Politik wird bescheinigt, dass wir viel gegen Armut und Arbeitslosigkeit unternommen haben. Sie sehen: Deutschland ist besser, als Sie es zeichnen. Ich will aber auch sagen: Nicht alle Menschen in diesem Land partizipieren an dieser positiven Entwicklung. Ich nenne beispielhaft Rentnerinnen und Rentner mit niedrigen Lebenserwerbseinkommen, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose und natürlich auch deren Kinder. Ja, wir müssen einiges tun. Machen wir uns ehrlich, Kollegen von der Linken: Es wird und es wurde auch vieles getan. Ich will auf einige Beispiele eingehen. Ich nenne die Brückenteilzeit, die ermöglicht, dass Beschäftigte nach einer Teilzeitphase wieder auf Vollzeit umswitchen können. Das verändert natürlich das Einkommen zum Positiven und hilft auch, Altersarmut entgegenzuwirken. ({1}) Ich nenne den sozialen Arbeitsmarkt: Wir ermöglichen vielen Menschen, die lange in Arbeitslosigkeit verharren, wieder in Arbeit zu kommen. Wir wollen die Menschen nicht in Arbeitslosigkeit verwalten; wir wollen, dass sie in Arbeit kommen. Ich nenne das Starke-Familien-Gesetz, das wir auf den Weg gebracht haben. Es stärkt die Familien und wirkt der Kinderarmut entgegen. ({2}) Ja, die SPD-Fraktion will auch das Bürgergeld und die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung. Das sind für uns wichtige Schritte. Wir wollen einen modernen Sozialstaat, der für die Menschen da ist, wenn sie ihn brauchen. Wir wollen nicht, dass Menschen zwischen Ämtern und Behörden hin und her laufen müssen, und wir wollen Mitarbeiter in den Behörden, die genügend Zeit haben, sich um die Menschen zu kümmern. ({3}) Ihr Antrag enthält einige Vorschläge. Wir haben ein umfassendes Konzept, um den Sozialstaat zu modernisieren. Ich denke, Kolleginnen und Kollegen der Linken, es liegt auf der Hand: Wir haben das bessere Konzept. Ihren Antrag müssen wir leider ablehnen. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Glöckner. – Als nächster Redner erhält der Kollege Martin Sichert, AfD-Fraktion, das Wort. ({0})

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Wertes Präsidium! Meine Damen und Herren! „Armut in Deutschland den Kampf ansagen“ ist ein schöner Titel. Leider bewirkt Ihr Antrag genau das Gegenteil: Sie schaffen damit systematisch Armut. ({0}) – Nein, das ist kein Humbug; das ist Tatsache. In Ihrem Antrag steht, dass Sie eine Mindestsicherung von 1 050 Euro netto für jeden Erwachsenen in Deutschland einführen wollen. Damit schaffen Sie das Problem, dass das Sozialsystem in Deutschland für arme Menschen aus anderen Ländern noch viel attraktiver wird, dass die Zuwanderung in unsere Sozialsysteme massenhaft zunehmen wird. ({1}) Sie wollen das Kindergeld auf 328 Euro pro Kind erhöhen. Wir zahlen jetzt schon Hunderte Millionen Euro an Kindergeld in andere Länder. Das wird sich vervielfachen, wenn wir das Kindergeld so deutlich erhöhen. In Ihrem Antrag haben Sie gar nicht mehr versucht, darzustellen, wie das alles finanziert werden soll. ({2}) Das Einzige, das Sie noch hineingeschrieben haben – das ist der nächste sozialpolitische oder arbeitsrechtliche Schwachsinn –, ist die Forderung: Wir wollen Minijobs sozialversicherungspflichtig machen. Das heißt, Sie versuchen in allen möglichen Bereichen, den Menschen die Anreize zu nehmen, zu arbeiten. Dass sich Arbeit auch wirklich lohnt, auch wenn man gering qualifiziert ist, fällt bei Ihnen weg. Sie fördern, dass immer mehr Menschen vom Sozialstaat leben müssen und dass diejenigen, die unser Land inzwischen massenhaft verlassen, nämlich die hochqualifizierten Menschen, die Leistungsträger in unserem Land, immer stärker belastet werden, indem Sie einfach nur an den Symptomen herumdoktern. Das ist grundfalsch. ({3}) Wir müssen eine echte, vernünftige Armutsbekämpfung betreiben. Das heißt, dass wir den Menschen in dem Zeitraum ihres Erwerbslebens mehr von ihrem Geld lassen müssen. ({4}) Vor 30, 40 Jahren konnte ein einfacher Arbeiter, ein einfacher Angestellter mit seinem Gehalt seine Familie versorgen und hatte darüber hinaus auch noch die Möglichkeit, eine Immobilie zu erwerben, sich ein Haus zu bauen. ({5}) Davon sind wir heutzutage meilenweit entfernt. ({6}) Warum sind wir davon meilenweit entfernt? Weil die Staatsquote immer mehr erhöht wird, weil den Menschen immer mehr Geld aus der Tasche gezogen wird und weil man dieses Geld dann nimmt, um es als staatliche Wohltaten zu verteilen. Diesen Sozialismus lehnen wir ab. ({7}) Wir sehen, dass der Sozialismus in Deutschland immer in den Ruin geführt hat. Sozialismus ist eine Ideologie, die versucht, zu versprechen: Wohlstand für alle! Wir schaffen die Armut ab! Wir lösen eure Probleme! In Wahrheit aber schaffen Sie letztlich Armut für alle. ({8}) Wir haben in Deutschland schon zweimal erlebt, dass der Sozialismus dieses Land ruiniert hat. Wir werden es ein drittes Mal nicht zulassen. ({9}) Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Und bitte tun Sie uns einen Gefallen: Hören Sie auf, solche Potpourri-Anträge zu stellen. Wahrscheinlich haben Sie irgendeinen Mitarbeiter, der würfelt, welche sozialpolitischen Forderungen Sie jetzt wieder in einem Paket zusammenschnüren. ({10}) Machen Sie einmal etwas Vernünftiges, Durchgerechnetes, Durchkalkuliertes, dann können wir uns hier auch intensiv mit einzelnen sinnvollen Forderungen beschäftigen. Aber diesen sozialistischen Schwachsinn braucht unser Land nicht. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, den wir heute debattieren, ist fast ein Jahr alt. Mittlerweile hat die SPD einige dieser Forderungen übernommen. Das sei nur festgestellt. Manchmal adelt die Zustimmung der SPD eine Sache, hier nicht. Deswegen will ich für die Union festhalten: Die Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ist falsch. Sie ist deshalb falsch, weil wir die Festsetzung der Höhe des Mindestlohns einer Kommission überlassen haben – aus gutem Grund. ({0}) Wir wollten verhindern, dass der Mindestlohn zum Spielball politischer Interessen wird. Das ist nach wie vor richtig. Und ich kann nicht verstehen, warum ihr Kollegen von den Sozialdemokraten von diesem richtigen Schritt wieder Abstand nehmen wollt. ({1}) Die Forderung nach einer sanktionsfreien Mindestsicherung ist falsch. Sie wäre nichts anderes als ein bedingungsloses Grundeinkommen, ({2}) ein staatliches Gehalt ohne Gegenleistung. Das entwertet die Arbeit als Quelle der Entwicklung der Persönlichkeit. ({3}) Es entwertet den Menschen und macht ihn zum bloßen Empfänger staatlicher Transferleistungen. Wir wollen, dass der Mensch selbstständig ist. Er soll seinen Stolz darin finden, sein Leben selbstverantwortlich zu gestalten und dem Staat zu sagen: Ich brauche dich nicht. – Das ist ein wesentliches Element von Freiheit, die wir schätzen und verteidigen. ({4}) Die Forderung nach der Abschaffung sachgrundloser Befristungen und der weitgehenden Einschränkung der Leiharbeit ist falsch. Wir wollen Missbräuche unterbinden, aber Flexibilisierungsmöglichkeiten erhalten. Am Ende ist es doch die Leistungskraft der Wirtschaft, die den Sozialstaat finanziert. ({5}) Aber richtig ist auch: Ohne einen funktionierenden Sozialstaat wäre die Wirtschaft weniger leistungsfähig. Deswegen ist die soziale Marktwirtschaft auch immer als „irenische Formel“ bezeichnet worden, als Friedensordnung. Fehlt dieser Frieden, fehlen auch alle Möglichkeiten des Wachstums und des Wohlstands. Eine Bemerkung zum Begriff der Armut. Armut wird definiert als eine Situation der Ungleichheit. Wer weniger als 40 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung hat, gilt als arm. Folglich kann man die Armut nur beseitigen, wenn man die ökonomischen Formen der Ungleichheit beseitigt. Und spätestens hier wird klar: Neben der statistischen Dimension hat der Begriff „Armut“ auch die Dimension eines Kampfbegriffs. Er richtet sich im Namen der Gleichheit gegen alle Ungleichheit. Allerdings: Nur in einer vollständig egalitären Gesellschaft gäbe es dann keine Armut mehr – aber eben auch keine Freiheit. Wir haben alle unterschiedliche Anlagen und Talente, Gott sei Dank. Wie dunkel wäre diese Welt, wenn die Entfaltung dieser Anlagen und Talente im Namen der Gleichheit unterdrückt würde? ({6}) Wie arm wäre unsere Welt, wenn sich Leistung nicht lohnte, Anstrengung ins Leere liefe? Ja, Ungleichheit motiviert, sie inspiriert, sie ist eine treibende Kraft technologischer und wirtschaftlicher Entwicklung. Deswegen wollen wir die Ungleichheit nicht beseitigen, wohl aber im Rahmen der Wirtschafts- und Sozialordnung einhegen und nutzbar machen. Und wir wollen dafür sorgen, dass die Ungleichheit immer auf die Gerechtigkeit bezogen wird. So garantieren wir, dass die Ordnung der Wirtschaft auch als legitim angesehen wird. Ein letzter Punkt. Der Antrag fordert eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1 050 Euro. ({7}) Dazu wird man die Bedarfssätze erhöhen müssen. Werden diese erhöht, haben auch die Menschen Anspruch darauf, die bisher über der Grenze lagen und nun darunterliegen. Die Folge ist: Wir haben mehr Menschen mit einem Anspruch auf staatliche Leistungen. Und, meine Damen und Herren, wenn ich die Dynamik populistischer Umverteilungsdiskurse richtig einschätze, ({8}) wird genau dies dann zum Argument gewendet. Es heißt dann: In Deutschland steigt die Armut, weil die Anzahl der Leistungsbezieher steigt. – Dann werden wir wieder eine Debatte führen – vielleicht aber auch nicht, wenn wir heute den Antrag der Linken ablehnen, was zumindest meine Fraktion tun wird. Herzlichen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmer. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Pascal Kober, FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja nicht so, dass es keine sozialen Probleme in Deutschland gäbe und wir als Politik diese Herausforderungen nicht besser lösen könnten als bisher. Aber Ihre Schwarzmalerei, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, hilft keinem und ist letztlich selbst ein Skandal. Wir haben in dieser Woche die neueste Studie der ­Bertelsmann-Stiftung zur Kenntnis genommen. Sie zeigt, dass es den Kindern in Deutschland gut geht: Acht von zehn Kindern haben ein eigenes Zimmer. Neun von zehn Kindern haben einen eigenen ruhigen Platz für sich. Und die meisten Kinder sagen auch, dass es ihnen materiell gut geht. Aber jedes zweite Kind sagt, dass es Angst vor Armut hat. Das muss ja irgendwo herkommen. Es kommt genau von dieser Skandalisierung, ({0}) die Sie hier immer wieder in den Deutschen Bundestag bringen. ({1}) Es ist unverantwortlich, die Sorgen und Ängste der Menschen zu instrumentalisieren. Das muss ich Ihnen leider vorhalten. Wenn man sich Ihre Forderungen anschaut, stellt man fest: Es sind die üblichen, beispielsweise die Manipulation der Mindestlohnkommission. Sie wollen einen politisch festgesetzten Mindestlohn. Dass Sie das fordern, ist das eine. Aber dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dieser Politik jetzt hinterherlaufen, kann ich Ihnen nun wirklich nicht empfehlen. Sie wissen doch selber: Wenn Sie 12 Euro fordern, werden die Kollegen der Linken rasch 13 Euro fordern. Diesen Wettlauf werden Sie nicht gewinnen; Sie werden ihn verlieren. ({2}) Was Sie als sanktionsfreie Mindestsicherung fordern, liebe Kollegen der Linksfraktion, ist letztlich nichts anderes als das Abschreiben der Menschen. Wenn Sie den Menschen nicht einmal mehr zutrauen, dass sie sich auch selber durch Mitwirkung um Arbeit bemühen können und sollen, dann bedeutet das, dass Sie sie letztlich auf das Abstellgleis schieben. Das zeigt, wie klein Sie von diesen Menschen denken, und das ist nicht in Ordnung. ({3}) Viel wichtiger wäre es, dass wir, statt immer neue Forderungen nach höheren Transferleistungen aufzustellen, beispielsweise endlich einmal die Zuverdienstgrenzen im Hartz-IV-System so ausgestalten würden, dass sich für die Menschen Arbeit auch wirklich lohnt. Wenn wir das täten – das hat gerade eine seriöse Studie vorgerechnet –, dann könnten wir 300 000 Menschen sofort, geradezu mit einem Schlag, neu in Arbeit bringen. ({4}) Das ist die richtige Politik, die Politik des liberalen Bürgergeldes, wie wir, die FDP, es fordern. Eine alleinerziehende Frau mit drei Kindern hätte nach unserem Modell des liberalen Bürgergeldes, das wir gestern vorgestellt haben, im Monat 370 Euro mehr zur Verfügung. Das ist wirkliche Hilfe. Wenn wir den Menschen mehr Netto vom Brutto lassen, wenn Anstrengung sich lohnt, dann arbeiten sich die Menschen aus ihrer Situation heraus. Das wäre auch ein wirklicher Jobmotor. ({5}) Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf: Handeln Sie jetzt! Nehmen Sie die Zuverdienstgrenzen in Angriff! ({6}) So ist es leicht möglich, vielen Menschen mehr Geld im Portemonnaie zu lassen und mehr Gerechtigkeit in diesem Land herzustellen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Pascal Meiser, Fraktion Die Linke. ({0})

Pascal Meiser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004819, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich frage mich schon: Was läuft eigentlich verkehrt, wenn in einem reichen Land wie Deutschland fast 14 Millionen Menschen von Armut betroffen sind, während die Zahl der Millionäre und Milliardäre von Jahr zu Jahr immer weiter steigt? Was läuft eigentlich verkehrt in Deutschland, dass es inzwischen mehr als 5 Millionen Menschen gibt, die sich nicht jeden Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten können? Ich finde, mit sozialer Gerechtigkeit hat das alles doch nichts, aber wirklich gar nichts mehr zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Fakt ist: Die Armut in diesem Land nimmt zu – und das, obwohl die Wirtschaft brummt und die Zahl der Arbeitslosen sinkt. Millionen Menschen werden gnadenlos vom Wohlstand in unserem Land abgehängt. Das ist und bleibt für uns Linke inakzeptabel. ({1}) Fakt ist auch: Der größte Teil der von Armut betroffenen Menschen ist erwerbstätig. Sie sind arm trotz Arbeit. Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommt zum Beispiel der letzte Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes: Das betrifft die Verkäuferin aus der Bäckerei um die Ecke, das betrifft die Lkw-Fahrer und die Reinigungskräfte – im Übrigen zur großen Schande dieses Hauses leider auch die, die tagtäglich so zuverlässig unsere Bundestagsbüros putzen –, und es betrifft noch viele mehr. Es betrifft auch die Rentnerinnen und Rentner, die im Alter in Armut leben und Flaschen sammeln müssen, und natürlich die Erwerbslosen, die Hartz IV beziehen. Diese Menschen hören oder lesen dann, wie die Kanzlerin verkündet: „Deutschland geht es gut“ – oder ähnliche Sätze von bleibender Schönheit. Oder sie müssen sich diese Debatte anhören, insbesondere das, was aus der rechten Ecke hier über Armut gesagt wird. Haben Sie eigentlich nur die geringste Vorstellung davon, was das bei denjenigen auslöst, die selbst in Armut leben müssen? So verlieren viele das Vertrauen in die Politik, manche sogar das Vertrauen in die Demokratie. Das ist doch etwas, was uns alle hier – alle! – mit großer Sorge erfüllen sollte. ({2}) So vielfältig wie die Gesichter, so unterschiedlich sind auch die Gründe für die wachsende Armut. Deshalb genügt es auch nicht, an einzelnen Symptomen herumzudoktern, wie es diese Bundesregierung beständig tut, liebe Kollegin Glöckner. Wir brauchen endlich ein umfassendes Programm zur Bekämpfung der Armut in Deutschland, wie wir es mit unserem Antrag vorgelegt haben. ({3}) Dazu gehört, zuallererst dafür zu sorgen, dass diejenigen, die hart arbeiten, davon auch anständig leben können. Deshalb lassen Sie uns endlich für einen armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn von 12 Euro sorgen und für konsequente Maßnahmen zur Erhöhung der Tarifbindung. ({4}) Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die gesetzliche Rente wieder vor Armut im Alter schützt, und zwar mit einem Rentenniveau von 53 Prozent, wie wir es vor der unsäglichen Riester-Reform hatten. ({5}) Aber auch bei einem Ausgleich für Niedriglöhne bei der Berechnung der Rente, der auch Geringverdienern ein Alter in Würde erlaubt, haben Sie, liebe SPD, wenn Sie es ernst meinen, unsere Unterstützung – auch in der Auseinandersetzung mit der Union. ({6}) Schließlich: Hören Sie damit auf, die Hartz-IV-Sätze künstlich kleinzurechnen und den Menschen noch das Notwendigste zum Leben durch Sanktionen zu streichen! Lassen Sie uns stattdessen endlich eine armutsfeste Mindestsicherung schaffen – ({7}) für all diejenigen, die erwerbslos sind und die genauso wie alle anderen ein Recht auf ein Leben in Würde haben. Wenn auch Sie das Vertrauen in die Politik wiederherstellen wollen, dann gibt es nur eines: Lassen Sie uns den Sozialstaat in diesem Land endlich wieder stärken, und zwar so, dass er tatsächlich und umfassend vor Armut schützt. Vielen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Dr. Wolfgang ­Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten mehr über die Zukunft, über die Agenda 2030 und die Nachhaltigkeitsziele reden. ({0}) Da gibt es das schöne Nachhaltigkeitsziel 1, bei dem es um die Beseitigung von extremer Armut weltweit geht. Ziel 1.2 will die Halbierung der Armut – nach der nationalen Definition – in allen Staaten – also auch bei uns. Man muss feststellen: Diese Bundesregierung hat für die Erreichung dieses Ziels überhaupt keinen Plan und keine Strategie. ({1}) Beides muss man aber haben, um das Ziel zu erreichen. Uns Grünen ist das enorm wichtig; denn wir Grüne streiten für eine inklusive Gesellschaft, in der alle Menschen selbstbestimmt sozial teilhaben können. ({2}) Armutsbekämpfung ist für uns ein zentrales Ziel. Ich nenne in der Kürze der Zeit vier Punkte, an denen man ansetzen könnte: Erstens: Obdachlosigkeit. Gehen Sie mal zu den Menschen in der Friedrichstraße! Nach Schätzungen der BAG Wohnungslosenhilfe gibt es in Deutschland 50 000 Menschen, die auf der Straße leben. Das ist eine Schande für dieses reiche Land. ({3}) Die Bundesregierung muss endlich Verantwortung übernehmen, damit Obdachlosigkeit beseitigt wird. Zweitens. Wir brauchen eine ordentliche Grundsicherung. Der Regelsatz muss endlich angehoben werden. ({4}) Es geht nicht an, dass sie immer wieder kleingerechnet wird und der Regelsatz für soziale und kulturelle Teilhabe nicht reicht. ({5}) Wir müssen bei der Grundsicherung dafür sorgen, dass alle, die ein Anrecht darauf haben, diese Grundsicherung auch bekommen. Es kann doch nicht sein, dass die Hälfte bzw. ein Drittel der Menschen, die einen Anspruch haben, die Grundsicherung nicht bekommen. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder, der das Anrecht darauf hat, die Grundsicherung auch erhält. ({6}) Drittens. Wir müssen mehr gegen Armut trotz Erwerbstätigkeit tun. Das ist eben schon gesagt worden. Die meisten Armen in Deutschland, die größte Gruppe, sind erwerbstätige Arme. Wir müssen mehr gegen Kinderarmut tun. Es ist ein Skandal, dass in Deutschland jedes fünfte Kind in Armut aufwachsen muss. ({7}) Wir müssen dafür sorgen, dass jemand, der arbeitet, mehr als das Grundsicherungsniveau hat – und zwar alle, die arbeiten: Auch die Teilzeiterwerbstätigen, die Alleinerziehenden und die Selbstständigen müssen mehr haben als das Grundsicherungsniveau. Wir brauchen eine Kindergrundsicherung, um Familienarmut endlich zielgenau zu bekämpfen. ({8}) Schließlich muss die Rente armutsfest werden. Nun ist die Grundrente durchaus ein richtiger Schritt. Das ist auch kein Wunder, weil viel von unserer grünen Garantierente abgeschrieben worden ist. Aber das ist nur was für die Spitze des Eisbergs. Wenn man den gesamten Eisberg schmelzen will, muss man das mit einer Bürgerversicherung kombinieren. Dann wird ein Schuh draus. Das zusammen wäre ein wirklich signifikantes Mittel gegen Altersarmut. Das heißt also, es gäbe die Möglichkeit, Armut in Deutschland tatsächlich energisch anzugehen, die Armut zu halbieren oder letztlich sogar ganz zu beseitigen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der politische Wille dafür muss nur da sein. Wir müssen handeln. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank. – Als nächster Redner in dieser Debatte hat der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD sagt der Armut in Deutschland den Kampf an – in der Großen Koalition und darüber hinaus. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, deshalb stimmt es einfach nicht, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben: Es fehlt nicht an Erkenntnissen über Armut, sondern an gesetzlichem Handeln. Woran arbeiten wir denn im Sozialausschuss? An Gesetzen, die das Leben der Menschen in Deutschland besser machen! An allererster Stelle muss man hier die Einführung des sozialen Arbeitsmarktes nennen; Frau Glöckner hat es bereits gesagt. ({1}) Arbeit zu einem vernünftigen Lohn ist das beste Mittel gegen Armut. ({2}) Mit dem sozialen Arbeitsmarkt finanziert der Staat endlich richtige Jobs für Langzeitarbeitslose, für Menschen, die sonst überhaupt keine Chance am Arbeitsmarkt mehr hätten, die abgehängt wären. Ein Staat, der Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert, hat etwas Wesentliches erkannt: Arbeit gibt dem Alltag eine Struktur, Arbeit stärkt das Selbstbewusstsein. ({3}) Deswegen hat die SPD in ihrem jüngst vorgestellten Sozialstaatskonzept eines in den Vordergrund gestellt: ein Recht auf Arbeit. ({4}) Wir wollen, dass auch Menschen, die schon lange nicht mehr gearbeitet haben, wieder in Arbeit kommen. Wenn sie das nicht schaffen, dann wollen wir sie an die Hand nehmen und Hilfestellungen geben. Ein Recht auf Arbeit ist die Antwort auf die falschen Konzepte eines sanktionsfreien, eines bedingungslosen oder eines garantierten Grundeinkommens. ({5}) Denn all diesen Konzepten ist eines gemeinsam: Sie orientieren nicht auf Arbeit. ({6}) Sie sagen den Menschen, die schon lange arbeitslos sind: Bemüh dich gar nicht weiter um Arbeit. Nimm das Grundeinkommen und bleib zu Hause. ({7}) Indirekt sagen sie: Ihr kommt nicht mehr in Arbeit; wir haben euch aufgegeben. ({8}) Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie gibt niemanden auf. Wir wollen, dass alle Menschen in Arbeit kommen. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, die Zwischenfragen kenne ich; das sind immer Korreferate. ({0}) Der soziale Arbeitsmarkt ist der erste Vorbote dieses Rechtes auf Arbeit. Wir wollen, dass Arbeit sich auch im Alter bezahlt macht. Deshalb wollen wir eine Grundrente, die den Namen auch verdient. Jemand, der 35 Jahre lang gearbeitet hat, muss im Alter eine Rente ohne aufstockende Grundsicherung bekommen. Punkt! ({1}) Es geht um Menschen, die über Jahrzehnte durch ihre Arbeit, Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen die Gesellschaft zusammengehalten haben. Es ist nicht richtig, dass diese Menschen zum Amt gehen müssen, um staatliche Hilfen zu beantragen. Und es ist schon gar nicht richtig, dass sie sich dann dort nackt machen müssen, um ihre gesamten Einkommensverhältnisse offenzulegen – und die ihres Lebenspartners gleich noch dazu. ({2}) Daher sage ich Ihnen: Wir wollen eine würdevolle Grundrente ohne bürokratische Bedürftigkeitsprüfung schaffen. ({3}) Am Ende noch ein Satz zu Matthias Zimmer und den 12 Euro Mindestlohn: Nein, wir wollen die Mindestlohnkommission nicht abschaffen, ({4}) aber damals ist der Mindestlohn von 8,50 Euro politisch festgelegt worden. Wir haben heute festgestellt: Es war eine zu niedrige Festlegung; ({5}) denn wenn man sein Leben lang gearbeitet hat, bekommt man bei dem derzeitigen Mindestlohn immer noch aufstockende Grundsicherung. Das wollen wir nicht. Wir wollen einen Mindestlohn von 12 Euro. Ich danke Ihnen. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Bartke. – Als letzter Redner unserer Tagung erhält der Kollege Frank Heinrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bin mir des kurz bevorstehenden Wochenendes bewusst. Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag ist überschrieben mit „Armut in Deutschland den Kampf ansagen“. So wie es die Kollegin Glöckner gesagt hat, sage ich es auch: Natürlich stellen wir uns dem. Aber auf die Überspitzung, auf die Politik hin und wieder angewiesen ist, würden wir gern verzichten, um dem Thema wirklich gerecht werden zu können. Denn mit den Klischees lässt sich letztlich schlecht arbeiten. Ja, Armut in Deutschland gibt es. Das werden wir nicht verleugnen. Das ist an vielen Stellen peinlich. Daraus leiten wir einen Auftrag ab. Zuvor drei Grundgedanken: Da, wo sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt, ist in seltensten Fällen Bedürftigkeit vorhanden. Und wenn sich da die Zahlen ändern, wie Sie in Ihrem Antrag feststellen, dann müssen wir genauer hinschauen. Die Antworten sind aber nicht so einfach, wie Sie es im Antrag schreiben. Der zweite Gedanke: Wer Arbeitslosigkeit bekämpft – so wie Sie, Herr Kollege Bartke, das eben gesagt haben –, der bekämpft Armut. Da müssen wir anpacken. Der dritte: Gut ausgebildete Personen sind in der Regel dauerhaft vor sozialem Abstieg geschützt. Kurz zu den Zahlen, die jetzt schon einige Male genannt wurden: Seit 2005 ist die Zahl an Hartz-IV-Empfängern deutlich gesunken – von 5 auf 2,3 Millionen –, bei 5 Millionen mehr Beschäftigten im Jahr 2018 im Verhältnis zu 2005. Die Langzeitarbeitslosenzahl hat sich halbiert; Deutschland hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. Ich will nichts schönreden; ich möchte nur bitte nebeneinanderstellen. ({0}) 80 Prozent der 50- bis 59-Jährigen arbeiten, Reallöhne sind gestiegen. Es sind eindeutige und objektive Indizien dafür, dass die Gesellschaft als solches auf einem guten Weg ist und keinesfalls einfach nur unter den Bedingungen, wie Sie sie beschreiben, leiden muss. Die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre sind nach unserer Meinung und aus der Sicht Europas und der Welt geachtet – und ich finde: zu Recht. ({1}) Beim Thema Armut geht es nicht nur ums Geld. Wir werden die Armut auch nicht nur über Geld bekämpfen oder abschaffen können. In der letzten Debatte vor 309 Tagen hier habe ich meinen Bezug dazu erzählt. In Kurzform: Ich habe selbst teilweise Sozialhilfe bezogen. Wenn ich nach der Regel mit den Prozenten gehen würde, die vorhin genannt wurde, habe ich 50 Prozent meines Lebens unterhalb dieser Schwelle gelebt. Aber mir war das als Kind in der Zeit zu keinem Zeitpunkt bewusst. Das war kein Leiden unter der Situation. Deshalb war es trotzdem nicht einfach – und für die Eltern wahrscheinlich noch weniger. Es geht nicht nur um die Elemente finanzieller Ausstattung. Sie nennen im Antrag auch die Tafeln. Ich bin da zu Hause: Als ehemaliger Heilsarmee-Offizier habe ich selbst zwei gegründet und eine dritte dann begleitet. Sie führen das als Beispiel dafür an, dass es schlimmer geworden ist. Ich leide auch darunter, dass so viele da hinmüssen. ({2}) Aber das ist mir zu dünn. Im Übrigen wurden die Tafeln wegen des Überflusses gegründet, aus dem ökonomischen, aber auch aus dem ökologischen Gedanken heraus. Natürlich – deshalb habe ich es nicht verschwiegen – gibt es Menschengruppen mit einem erhöhten Risiko, in soziale Not zu geraten, besonders drei Gruppen: Langzeitarbeitslose bzw. Geringqualifizierte, lang Alleinerziehende und ihre Kinder sowie Menschen mit Migrationshintergrund. Ich habe gelernt, dass man Lösungen nur findet, wenn man das Problem genau und klar benennt. Ganz ehrlich: Da kommen wir zu einer anderen Problembeschreibung als Sie und wahrscheinlich dann auch – logischerweise – zu anderen Problemlösungen, wie öfter in der Politik. Die Problembeschreibung ist unter anderem, dass in Deutschland die Unterschicht kaum größer wird, aber der Wechsel zwischen den Schichten, der Aufstieg tatsächlich schwieriger geworden ist. Wer von unten kommt und unten ist, bleibt meist unten. Das braucht unsere besondere Aufmerksamkeit. Da denken wir: Nur Bildung wird an der Stelle helfen, gesellschaftliche Aufstiegschancen zu erhöhen. ({3}) Was tun? Ihre Forderungen umsetzen? Das würde aus unserer Sicht den Anreiz senken, dem sozialstaatlichen Prinzip des Förderns und Forderns widersprechen und nicht zuletzt Milliarden kosten, die wir a) nicht haben und was b) auch nicht – das haben wir vorhin gehört – auf das Wohlwollen der treuen Steuerzahler trifft.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Ende. Der Schlüssel im Kampf gegen Armut ist mehr Bildung. Die zentrale Botschaft des Armuts- und Reichtumsberichts ist: Wir müssen den Einfluss der Bildungsherkunft neutralisieren. Dieser Herausforderung stellen wir uns. Ich erinnere nur an das Qualifizierungschancengesetz, an die demnächst anstehende Bearbeitung von § 16 SGB II. Genau das ist uns wichtig: Wir wollen das Geld nicht pauschal ausgeben und dann nichts übrig haben, –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, oben bittet unten, jetzt zum Schluss zu kommen.

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– sondern differenziert und zielgenau. – Zielgenau war ich nicht, was die Redezeit angeht. Ich danke für die Nachsicht. Ein schönes Wochenende! ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Armut in Deutschland den Kampf ansagen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/7131, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1687 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller anderen Mitglieder des Hauses angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Die Sitzungswoche war sehr anstrengend, aber überwiegend auch inspirierend. Ich wünsche Ihnen allen ein erholsames und entspanntes Wochenende. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. März 2019, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 12.41 Uhr)