Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Ich bedanke mich. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! In Deutschland werfen wir im Schnitt 11 Millionen Tonnen Lebensmittel jährlich auf den Müll – Lebensmittel, die noch genutzt werden könnten. Das sind etwa 55 Kilogramm pro Kopf. Damit könnte man den Bodensee zweimal füllen.
Warum erwähne ich das? Warum ist das ein Thema für uns? Wir möchten bis zum Jahr 2030 die Lebensmittelabfälle halbieren; denn diese 11 Millionen Tonnen machen etwa 4 Prozent der Gesamtemissionen aus. Das sind umgerechnet 270 Milliarden gefahrene Pkw-Kilometer. Es sind wichtige Ressourcen – Energie, Wasser und Rohstoffe –, die zur Erstellung, zur Erzeugung oder auch zur Züchtung, zur Verarbeitung, zum Transport solcher Lebensmittel aufgewandt werden. Deshalb ist die Minderung von Lebensmittelabfällen in unser aller Sinne und vor allen Dingen eine gemeinschaftliche Aufgabe. Am Ende geht es darum, dass wir wertschätzend mit wertvollen Lebensmitteln umgehen. Daher haben wir uns im Rahmen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen verpflichtet, Lebensmittelabfälle zu halbieren. Es ist eine Gesamtstrategie, die ich heute dem Bundeskabinett vorgestellt habe.
Wir fangen nicht bei null an. Wir haben bereits die Initiative „Zu gut für die Tonne“ gestartet, und wir investieren weiter in Forschung und Innovation, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Wir stellen derzeit rund 16 Millionen Euro dafür zur Verfügung und fördern zum Beispiel digitale Lösungen zur Entwicklung intelligenter Logistikwege, um Transportwege zwischen Anbieter, Händler und Abnehmer zu optimieren, um passgenaue Packungsgrößen und Verbrauchsgrößen dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden.
Dazu nehmen wir fünf unterschiedliche Punkte in den Blick. Das fängt bei der Urproduktion an. Wir wollen Überproduktionen dort, wo sie entstehen, reduzieren. Wir wollen Nachernteverluste und Verluste beim Transport reduzieren. Wir haben eine zweite Ebene, und zwar bei der verarbeitenden Industrie. Dort wollen wir zum Beispiel Fehlverpackungen und anderes reduzieren, was wiederum zum Verschwenden von Lebensmitteln führt. Der dritte Punkt ist der Handel. Der Handel wird mit einbezogen; denn beim Handel direkt an der Theke geht es darum, ob man zu viel einkauft, ob man das Richtige einkauft oder ob man das Mindesthaltbarkeitsdatum mit einem Verfallsdatum verwechselt; denn man kann Nahrungsmittel auch dann noch verzehren, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist.
Auch die Gastronomie, die Außer-Haus-Verpflegung, wird mit einbezogen. Dazu werde ich heute die erste Veranstaltung haben, einen Sektorendialog. Dabei geht es darum, dass wir zum Beispiel Nahrungsmittel, die nicht verzehrt werden, mit nach Hause nehmen können. Das war in meiner Kindheit üblich; dann war es irgendwann verpönt. Dazu haben wir einiges entwickelt, nicht nur unsere Beste-Reste-App, sondern auch die Beste-Reste-Box.
Kommen wir zum Privathaushalt. Dort werden die meisten Lebensmittel weggeworfen. Das hat unterschiedliche Gründe, zum Beispiel in Mobilitätsfragen und in der Art, wie wir heute leben. Das liegt zum Teil aber auch an mangelndem Wissen darüber, wie gute Lagerhaltung läuft. Gerade frische Ware wie Obst oder auch Molkereiprodukte werden weggeworfen, obwohl das nicht sein müsste. Wir haben alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette eingebunden; denn Lebensmittelverschwendung finden wir überall.
Bei dieser Lebensmittelverschwendungsgegenstrategie haben wir vier Handlungsfelder.
Das sind, erstens, die politischen Rahmenbedingungen. Da schauen wir uns an: Gibt es Hindernisse bei Hygienevorschriften, bei rechtlichen Vorschriften, bei der Kreislaufwirtschaft?
Dann gibt es, zweitens, die Prozessoptimierung in der Wirtschaft. Da geht es auch um Innovation und um intelligente Verpackungen, die einem anzeigen können, ob das Produkt doch noch haltbar ist.
Es geht auch, drittens, um Verhaltensänderungen aller Beteiligten. Das fängt in der Ausbildung und Fortbildung in der Gastronomie an; aber es hat auch etwas mit der Schule zu tun.
Zum vierten Handlungsfeld „Forschung und Digitalisierung“ habe ich eben schon einiges erläutert, und ich will unsere Zusammenarbeit mit den Tafeln besonders hervorheben. Wir haben mit den Tafeln vieles erreicht – ohne Gesetz. Auch die Tafeln selbst sind gegen eine gesetzliche Regelung, wie es sie zum Beispiel in Frankreich gibt. Wir haben mit den Tafeln 260 000 Tonnen Lebensmittel im Jahr gerettet. In Frankreich sind es etwa 46 000 Tonnen. Insofern sind wir da sehr, sehr weit.
Ich will auf unseren Bundespreis „Zu gut für die Tonne“ hinweisen. Dieses Mal wird der Schwerpunkt auf dem Thema „Digitalisierung“ liegen. 100 Bewerbungen gibt es schon. Ich möchte Sie auch auf die Internetseite www.lebensmittelwertschaetzen.de hinweisen. Da haben wir den Umsetzungsprozess dieser Bund-Länder-und-Verbände-Strategie dokumentiert. Es wird jährlich einen Bericht des nationalen Dialogforums geben.
Ich kann am Ende sagen: Wir alle sind gefragt; es fängt beim ganz Einfachen an. Lebensmittel nicht wegzuwerfen, fängt damit an, dass man selbst riecht, schmeckt und probiert und am Schluss entscheidet, ob etwas nicht doch noch gut ist. Wir sollten die Lebensmittel so wertschätzen, dass wir sie ihrer Bestimmung zuführen und verzehren – gerade angesichts der über 800 Millionen Menschen, die auf dieser Welt hungern.
Danke sehr, Frau Bundesminister. – Jetzt kommen wir zu Fragen, die sich auf den Bericht der Bundeslandwirtschaftsministerin beziehen.
Die erste Frage stellt Stephan Protschka, AfD.
Danke, Herr Präsident, für das Wort. – Danke, Frau Ministerin, für den Vortrag.
Meine Frage ist: Wie hoch sind nach Ihrer Kenntnis oder nach Kenntnis der Bundesregierung die Lebensmittelverluste aufgrund von Qualitätsmaßnahmen, sprich: Normen oder Standards in der Wertschöpfungskette? Schätzungen zufolge werden ja circa 2,6 Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr aufgrund von Konsumentenerwartungen, die die Frische, Optik, Verfügbarkeit betreffen, entsorgt. Könnte man für die Lebensmittel, die aufgrund dieser drei Kriterien entsorgt werden, nicht in Betracht ziehen, diese auch wieder zur Fütterung von Tieren, zum Beispiel von Schweinen, zu verwenden? So war es früher. Damit wären die Lebensmittel nicht vollends verloren. – Danke schön.
Danke, Herr Abgeordneter. – Es gibt ja sehr unterschiedliche Gründe für Qualitätsstandards, die auch europarechtlich und europaweit geregelt sind. Ich möchte darauf hinweisen, dass es auch heute schon unterschiedliche Kreisläufe gibt. So werden zum Beispiel Lebensmittelabfälle aus der Gastronomie nicht einfach auf den Müll geworfen werden, sondern Biogasanlagen zugeführt. Wir müssen auch unterscheiden, was überhaupt für welche Tiere gut ist, was man in welchen Kreislauf gibt. Das kann man so pauschal eben überhaupt nicht sagen.
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– Schweine essen alles. Die Frage ist, ob es gut ist.
Der zweite Punkt ist: Wir müssen uns anschauen, in welchem der fünf Sektoren, die ich vorhin erwähnt habe – Urproduktion, Verarbeitung, Handel, Gastronomie und Privathaushalt –, es welche Einsparmöglichkeiten gibt und wie der aktuelle Stand ist. Eine bundesweite Übersicht darüber gibt es bisher noch nicht, und sie wird jetzt im Rahmen dieser Strategie erarbeitet.
Danke sehr. – Ursula Schulte, SPD, stellt die nächste Frage.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herzlichen Dank, Frau Ministerin. – Ich freue mich, dass die Bundesregierung ihr Ziel, bis 2030 die Menge der Lebensmittelabfälle zu halbieren, ernst nimmt. Sie setzen in Ihrem Eckpunktepapier wieder einmal auf Freiwilligkeit, und ich frage Sie, ob das Ministerium sich nicht gesetzliche Regelungen vorstellen kann, zum Beispiel, dass man ähnlich wie in Frankreich Supermärkte ab einer gewissen Quadratmeterzahl dazu verpflichtet, Lebensmittel, die übrig sind, an die Tafeln oder an andere soziale Organisationen weiterzugeben.
Ich bedanke mich für die Frage. – In der Tat haben sich CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass sie dieses Ziel erreichen. Wir haben schon betont, welche Wege wir gemeinsam gegangen sind. Ich bin dankbar, dass auch die SPD-Kollegen nach der heutigen Ressortabstimmung im Kabinett genau die Strategie, die ich vorgeschlagen habe, mittragen.
Ich will deutlich machen, dass es nicht per se ein Wert ist, ein Gesetz zu machen; vielmehr ist wichtig, ob man seine Ziele erreicht. Daher möchte ich Ihnen sagen: Ich scheue dort, wo sie notwendig sind, überhaupt nicht vor gesetzlichen Regelungen zurück. Wenn ich ein Ziel aber durch andere Maßnahmen erreichen kann und dadurch sogar besser bin, dann wäre es sicherlich unklug, eine gesetzliche Regelung zu machen. Das, was Frankreich verordnet hat, ist ja längst gang und gäbe. Schauen wir uns die Tafeln an, die 25-jähriges Jubiläum gefeiert haben. Sie haben im Februar 2016 selbst gesagt, dass sie gegen ein Anti-Wegwerf-Gesetz sind. Wir retten heute schon – ich habe es vorhin erwähnt – pro Jahr 260 000 Tonnen Lebensmittel; in Frankreich sind es nur 46 000 Tonnen. Vor allem haben wir Foodsharing und vieles mehr, was in anderen Ländern bisher nicht praktiziert wird.
Danke sehr. – Jetzt stellt Nicole Bauer, FDP, die nächste Frage.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank. – Ich begrüße es sehr, dass Sie sich des Themas Lebensmittelverschwendung annehmen. Aber Sie sprechen auch gerne von Wertschätzung von Lebensmitteln und davon, dass Lebensmittel vielleicht auch einfach zu günstig sind. Wie wollen Sie erreichen, dass der Verbraucher am freien Markt angemessene Preise bezahlt, wie würden sich die angemessenen Preise bilden, und was müsste das Bundesumweltministerium noch dazu beitragen, damit Sie bei der Erreichung Ihrer Ziele auch erfolgreich sein werden?
Danke, für Ihre Fragen. Ich versuche, sie ein bisschen koordiniert zu beantworten. – Das Thema Lebensmittelwertschätzung, auf das Sie hinauswollten, betrifft ja am Ende verschiedene Aspekte. Wertschätzung hat was mit dem Preis zu tun, aber nicht nur. Wertschätzung hat auch etwas damit zu tun, ob ich Nahrungsmittel wegwerfe. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wertschätzung kommt von Wissen.
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– Sie legen nur Wert auf den Preis. Aber Wertschätzung in der Gesamtheit einer Gesellschaft besteht aus ein bisschen mehr als nur dem Preis. Das mögen Sie anders sehen.
Schauen wir uns ein Beispiel an: Ein Apfel braucht, bis er verzehrfertig ist, 70 Liter Wasser. Zur Herstellung von 1 Kilogramm Käse werden 5 000 Liter Wasser benötigt. Wenn man das weiß, dann weiß man auch, was es bedeutet, wenn man das achtlos wegwirft. Das ist das eine.
Zum anderen ist es wichtig, dass wir das Wissen rund um Lebensmittel in den Schulalltag reinbringen, dass wir das Wissen rund um Lebensmittel an die Verkaufstheken bringen und dass wir nicht zwischen Sonntagsreden und dem Einkaufen zwischen Montag und Samstag unterscheiden. Und wie sich Preise zusammensetzen, wissen Sie als FDP-Mitglied sicherlich sowieso bestens.
Danke sehr. – Albert Stegemann, CDU/CSU.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Ministerin, herzlichen Dank, dass Sie sich dieses Themas annehmen. Bei 800 Millionen Menschen, die nicht genügend zu essen haben, ist es selbstverständlich, dass wir uns um das Thema Lebensmittelverschwendung kümmern.
Erst mal eine ganz konkrete Frage: Die Initiative „Zu gut für die Tonne!“ läuft schon eine ganze Weile. Welche Resultate hat es bisher gegeben?
Noch eine ganz spontane Frage. Wie viele von uns war ich gerade essen.
Sie Glücklicher.
Meine Augen waren größer als mein Hunger. Werden wir die Beste-Reste-Box, die Sie angesprochen haben, auch hier im Deutschen Bundestag irgendwann zu Gesicht bekommen?
Danke schön, Herr Kollege Stegemann für die Fragen. – Erst mal Glückwunsch zum Mittagessen! – Dann möchte ich kurz auf unsere Aktion „Zu gut für die Tonne!“ eingehen. Sie ist eine sehr erfolgreiche Aktion. Sie hat dazu geführt, dass wir einen Bundespreis vergeben, um den sich immer mehr bewerben und der eine riesige Breitenwirkung hat. In diesem Zusammenhang gibt es zum Beispiel Vorschläge, wie man Lebensmittel teilen kann, wie man sie besser verarbeiten kann, wie man Logistikketten verbessern kann. Jetzt wird auch das Thema Digitalisierung eingebracht. Wir haben viele Forschungsvorhaben. Insofern ist die Aktion „Zu gut für die Tonne!“ etwas sehr Erfolgreiches.
Das BMEL hat die erfolgreichste App in der Bundesregierung, und zwar die Beste-Reste-App, die zu dieser Aktion gehört. Diese App kann sich jeder runterladen. Wenn jemand in seinen Kühlschrank schaut und nicht weiß, was er mit Essensresten, die er nicht wegwerfen will, machen soll, bekommt er über die Beste-Reste-App gute Tipps und Hinweise.
Dann haben wir eine Beste-Reste-Box entwickelt, Motto „Verwenden statt verschwenden“. Das war früher einmal gang und gäbe, und wir machen das jetzt wieder salonfähig. Ich würde gerne auch dem Bundestagspräsidenten eine solche Box zukommen lassen: für die Verwertung der Reste reichhaltiger Buffets, die es hier im Bundestag vielleicht gibt. Wir bringen diese Reste aber auch woanders unter.
Vielen Dank. Aber nicht, wenn er die Sitzung des Bundestages leitet. – Im Übrigen, Frau Bundesministerin: Wenn die Ampel hier vorne rot leuchtet, sollten Sie nicht mehr reden.
Das mit der Ampel ist halt so eine Sache.
Amira Mohamed Ali, Die Linke, stellt die nächste Frage.
Herzlichen Dank. – Guten Tag, Frau Ministerin! – Die Fragen, die gerade gestellt wurden, aber auch Ihre Antworten gehen vor allen Dingen in die Richtung, dass man schaut, was die Verbraucherinnen und Verbraucher tun können, um weniger Lebensmittel wegzuwerfen.
Ich möchte mal einen Blick auf den Einzelhandel werfen. Wir haben die Situation, dass viele Landwirtinnen und Landwirte, gerade die kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe, sehr stark unter dem extremen Preisdruck des Lebensmitteleinzelhandels leiden. Der Lebensmitteleinzelhandel preist das, was weggeworfen wird, mit ein. Das heißt, es gibt ein systematisches Problem. Werden Sie in Ihrer Erwägung zur Reduktionsstrategie dieses systematische Problem angehen und vor allen Dingen auf die Frage eingehen, wie es sein kann, dass auf der einen Seite die Preise immer mehr gedrückt werden und dass auf der anderen Seite der Lebensmitteleinzelhandel in großen Mengen wegwirft? Man könnte, wenn weniger eingekauft wird, den Erzeugern höhere Preise zahlen, sogar ohne dass es für die Verbraucherinnen und Verbraucher teurer würde.
Danke für Ihre Frage. – Es geht in der Tat nicht nur um die Verbraucher; es ist eine Gesamtkette, bei der wir alle gefragt sind.
Aber wir müssen auch sagen: Wir Verbraucher haben einen hohen Anspruch. Wenn wir abends in eine Bäckerei oder in irgendein Geschäft gehen, möchten wir immer gerne noch alles vorfinden. Das festzustellen, gehört zur Ehrlichkeit dazu. Deshalb haben wir gesagt: Wir schauen uns die fünf einzelnen Sektoren an. Jeder Sektor ist gefragt: von der Urproduktion über den Lebensmittelhandel bis hin zur Außer-Haus-Verpflegung. Wir schauen uns zum Beispiel bessere Logistikketten an. Wir haben zusammen mit allen Beteiligten schon Vorschläge entwickelt. Das heißt zum Beispiel, dass Waren von den Bauern nach Bedarf abgerufen werden, dass mit Algorithmen ein Verbrauchswert errechnet wird. Die Chance, die diese Strategie beinhaltet, ist, genau hinzuschauen, wer wo Verantwortung trägt, und in der Logistikkette jeweils zu reduzieren. Insofern kann es sich meiner Meinung nach auf die Preise auswirken, wenn man nicht mehr wegschmeißen muss, als man wirklich wegzuschmeißen braucht.
Danke sehr. – Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Lassen Sie mich etwas vorweg sagen, Kollege Stegemann. Was immer noch an Beste-Reste-Boxen und Ähnlichem entwickelt wird: Wenn Sie zur Kantine gehen und sagen, Sie hätten nicht alles aufgegessen, gibt man Ihnen auch schon jetzt Ihr Essen mit. Dann können Sie sich abends in Ihrer Kemenate noch ernähren. Es ist ja nicht so, dass man jahrhundertealtes Wissen über Bord geworfen hat.
Die Ministerin hat über das Thema Überproduktion in der Primärstufe geredet. Ich würde gerne wissen: Welche Maßnahmen stellen Sie sich im Bereich Überproduktion vor?
Warum frage ich das? Weil hinten ja nur weggeworfen werden kann, was vorne möglicherweise zu viel produziert wurde. Dann müssen wir aber auch die Strategie ändern. Ich meine zum Beispiel: mithilfe von chemisch-synthetischer Düngung möglichst viel produzieren, um die Erzeugnisse gegebenenfalls weltweit zu exportieren. Die beiden Strategien passen für mich aber nicht zusammen. Welche Maßnahmen wollen Sie also konkret ergreifen und welche Ideen haben Sie, um die Überproduktion zu reduzieren und die Bauern somit zu entlasten, statt Lebensmittel wegwerfen zu müssen?
Bitte.
Danke, Frau Künast, für diese Frage. – Ich kann mit der Pauschalisierung, die Sie hier vorgetragen haben, dass wir nämlich grundsätzlich eine Überproduktion hätten, nicht mitgehen, auch angesichts der vielen Menschen, die auf dieser Welt hungern. Auch wir importieren aus Ländern, für die es wichtig ist, dass sie produzieren. Wir sind in einem freien Welthandel. Das trägt übrigens auch zur Friedenssicherung bei.
Es geht darum, auch passgenauer zu produzieren. Gehen wir zum Beispiel einmal in die Gemüsebauregionen. Dort wird sehr häufig viel angefordert – auch vom Handel –, und dann – oft auch am selben Tag – wird etwa die Hälfte storniert. Dann ist aber das Gemüse, das sehr verderblich ist, schon abgepackt. Es liegt nicht am Bauern, dass er zu viel produziert, sondern daran, dass vonseiten des Abnehmers falsch kalkuliert wird. Das wollen wir durch digitale, passgenaue Maßnahmen verhindern. Das ist eine Chance.
Wir haben auch hohe Nachernteverluste. Wir haben Verluste bei Transporten, weil etwas, was produziert worden ist, erst gar nicht dort ankommt, wo es ankommen sollte. – Die Lampe leuchtet rot. Ich muss aufhören, Herr Präsident.
Frau Künast will noch weitere Fragen stellen. Daher haben Sie noch Gelegenheit, weiterzusprechen.
Da bin ich mir sicher.
Jetzt kommt nach unseren Regeln erst Wilhelm von Gottberg, AfD.
Frau Ministerin, auch von uns aus ein herzliches Dankeschön dafür, dass Sie bei dem hier in Rede stehenden schlimmen Missstand aktiv geworden sind. – Meine Frage: Seit knapp drei Jahren müssen alle französischen Supermärkte mit mindestens 400 Quadratmetern Ladenfläche alle unverkauften, aber noch essbaren Lebensmittel an Hilfsorganisationen verschenken. Wie bewertet die Bundesregierung den Rechtsrahmen für eine vergleichbare Gesetzgebung in Deutschland, und sind gegebenenfalls irgendwelche Schritte diesbezüglich geplant? – Danke.
Danke für Ihre Frage; die gab es ja eben schon mal so ähnlich. – Was in Frankreich per Gesetz für Supermärkte ab einer bestimmten Größe verordnet wurde, ist in Deutschland längst gang und gäbe. Also: Ein Gesetz zu machen, nur damit man ein Gesetz gemacht hat, das wäre ein Selbstzweck. In Deutschland ist es seit vielen Jahren üblich, dass zahlreiche Supermärkte unverkaufte und noch genießbare Lebensmittel auf freiwilliger Basis an die Tafeln oder andere soziale Einrichtungen abgeben. Die Tafeln haben große Verdienste erworben. Die Situation in Deutschland – wir sind da sehr, sehr weit – ist deshalb gar nicht vergleichbar mit der Situation in Frankreich.
Insofern sagen wir: Das Abgabesystem für Tafel und Handel wird jetzt mithilfe eines Digitalisierungsprojekts verbessert. Viele Supermärkte und auch kleinere Geschäfte des Lebensmitteleinzelhandels haben zu anderen sozialen Bewegungen wie Foodsharing beigetragen und haben dorthin Kontakte. Vor allen Dingen gibt man bereits an andere Händler Nahrungsmittel weiter, die man selbst nicht verkauft hat. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Deutschland ist da weiter als Frankreich.
Danke sehr. – Johann Saathoff, SPD.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Sie haben ja zu Recht darauf hingewiesen, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum kein Verfallsdatum ist. Ich glaube, wir beide sind uns aber einig in der Einschätzung, dass es in Deutschland durchaus viele Menschen gibt, die das eben nicht voneinander unterscheiden können. Ich glaube, dass es da auch eine Strategie geben muss, um den Menschen zu verdeutlichen, dass das Lebensmittel nicht am Tag nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums abgelaufen, sondern dann immer noch gut ist. Ich weiß, dass Sie es mit Ampeln nicht so haben. Aber vielleicht gibt es in der Dokumentation doch noch eine Möglichkeit, zusätzlich zum Mindesthaltbarkeitsdatum noch ein Verfallsdatum aufzubringen.
Sie haben gesagt: 260 000 Tonnen überschüssiger Lebensmittel werden gerettet. Das sind ungefähr 2,5 Prozent dessen, was im Jahr tatsächlich weggeworfen wird. Ich glaube, dass man diese Quote erhöhen könnte. Wenn Sie sagen: „Keine Vorschriften für den Lebensmitteleinzelhandel“, dann möchte ich umgekehrt gerne wissen, wie denn Ihre Ideen aussehen, um diese Quote zu erhöhen.
Das waren jetzt mehrere Fragen. Ich habe nur eine Minute für die Beantwortung all dieser Fragen, nicht wahr, Herr Präsident?
Das Leben ist hart.
Gut. Dann suche ich mir eben eine aus. – Zum Thema Mindesthaltbarkeitsdatum: In der Tat – Sie haben recht – werden Produkte von vielen prophylaktisch weggeworfen; gerade bei Milchprodukten stellen wir das fest. Beim Mindesthaltbarkeitsdatum handelt es sich aber nicht um das Verfallsdatum. Nur: Wenn wir das Verfallsdatum draufschreiben wollten, könnten wir es gar nicht genau angeben. Das hat ja auch was mit der Kühlkette und der Lagerung zu tun. Jedes einzelne Produkt hat ein individuelles Verfallsdatum.
Womit wir uns aber beschäftigen, sind die sogenannten intelligenten Verpackungen – deshalb geben wir jetzt rund 3 Millionen Euro in die Forschung –, bei denen man farblich oder auf andere Weise erkennen kann, in welchem Zustand das Produkt ist, ob es noch genießbar ist oder nicht.
Am Ende gehört auch dazu, am Point of Sale, direkt dort, wo der Verbraucher ist – sei es beim Bäcker, im Markt oder sonst wo –, entsprechende Informationen zu vermitteln. Damit müssen wir schon in der Schule beginnen.
Danke sehr. – Carina Konrad, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie planen ja auch Dialogforen und Verbraucheraufklärungen im Rahmen der Lebensmittelverschwendungsreduktion. Ich würde es sehr begrüßen, wenn es im Rahmen der Aufklärung gelingen würde, zu verdeutlichen, dass der ethische Aspekt der Tierhaltung und die ganzheitliche Verwertung von Tieren bei diesem Thema auch eine große Rolle spielen; denn ein Schwein besteht aus mehr als einem Schnitzel, und auch die Pute besteht aus mehr als ihrer Brust.
Ich möchte gern noch einen anderen Aspekt beleuchten: Lebensmittelverschwendung endet nicht nur im Kühlschrank, sondern fängt auch schon auf dem Acker an. – Jeder ineffizient genutzte Hektar Land in unserem schönen Land bedeutet aktive Lebensmittelverschwendung. Viel zu oft erleben wir es, dass Schädlinge – gerade im Obst- und Gemüsebau, in dem es Lückenindikationen gibt – die Pflanzen befallen, weil Pflanzenschutzmittel nicht zum Einsatz und neue Züchtungsmethoden nicht zur Anwendung kommen. Damit findet Lebensmittelverschwendung schon auf dem Acker statt. Was planen Sie da? Welchen Beitrag kann auch hier das Bundesumweltministerium leisten, mit dem Sie ja Hand in Hand zusammenarbeiten sollen?
Danke, Frau Konrad, für Ihre Frage. – Kurz zur Erläuterung und Klarstellung: Es gibt eine europäisch abgestimmte Definition, wann man von Lebensmittelverschwendung spricht. Das beginnt ab Ernte bzw. ab Schlachtung. Insofern geht diese Frage in eine andere Richtung und fällt nicht unter diese Definition.
Sie haben auf die ethische Komponente hingewiesen. Sie haben da absolut recht – da kann ich Sie nur unterstützen –: Aus Respekt vor dem Tier, aber auch vor dem Wissen, wie Nahrungsmittel hergestellt und verarbeitet werden, gehört es am Ende dazu, zu wissen, dass es eine Gesamtverarbeitung gibt, wenn es zum Beispiel um Fleischprodukte, aber auch um andere Produkte wie Obst und Gemüse geht, also um das, was zum Beispiel der Acker hergibt. Deshalb brauchen wir nicht nur zu Hause, sondern auch in der Kita und in der Schule eine Vermittlung der entsprechenden Informationen. Das sollte selbstverständlich sein; denn die Außer-Haus-Verpflegung nimmt zu. Wir sehen einen Auftrag darin, dort Wissen zu vermitteln.
Danke sehr. – Katharina Landgraf, CDU/CSU.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich habe jetzt eine Frage zu den Forschungsvorhaben. Ich begrüße es sehr, dass da jetzt richtig was losgehen soll. Wird auch über Möglichkeiten der Verwertung jenseits der Biogasanlage geforscht, also zu der Frage, wie man das, was nicht mehr zum Verzehr geeignet ist, anders – noch hochwertiger – verwerten kann?
Können wir, da Sie Hindernisse bei den Hygienevorschriften noch mal extra beleuchten, darauf hoffen, dass es eine andere Definition des Mindesthaltbarkeitsdatums geben wird? Und können wir ein bisschen lockerer damit umgehen, wenn die Kühlkette unterbrochen wird?
Ich gehe auf Ihre letzte Frage ein, was Hygienevorschriften anbelangt. Es gibt rechtliche, gesetzliche Hürden, was zum Beispiel die Abgabe von Produkten anbelangt. Wir wollen zusammen mit den Tafeln und dem LEH, dem Lebensmitteleinzelhandel, schauen, welche rechtlichen, auch hygienerechtlichen Hürden es in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft gibt. Wir haben dort Zielkonflikte, und wir müssen Lösungen dafür finden.
Es geht aber auch um die Frage, wie Lebensmittel im Kühlschrank länger „überleben“ – in Anführungsstrichen –, also um das Wissen um Hygiene im Kühlschrank und dazu, wo was gelagert wird.
Zu Ihrer Frage, wo Lebensmittel abseits der Biogasanlage entsorgt werden können. Das, was auf dem Acker angebaut wird, hat mehrere Funktionen. Als Allererstes sind es Nahrungsmittel, also Mittel zum Leben, Futtermittel und Energieträger. Zudem steigern Ausgleichsflächen die Biodiversität. Wichtig ist, dass wir nicht etwas produzieren, was nicht seiner Bestimmung gerecht wird; denn dann sind es verlorene Ressourcen.
Noch einmal Amira Mohamed Ali, Fraktion Die Linke.
Herzlichen Dank. – Frau Ministerin, meine Fraktion ist der Auffassung: Wenn man Lebensmittelverschwendung vermeiden möchte, dann ist es notwendig, es den Lebensmittelrettern möglichst einfach zu machen, Lebensmittel zu retten. In diesem Zusammenhang stellen sich zwei konkrete Fragen.
Erstens. Viele Lebensmittelretter, die weggeworfene Lebensmittel verarbeiten und dann ausgeben wollen, sehen sich mit Haftungsfragen konfrontiert, weil sie für die Genießbarkeit der Lebensmittel haften wie ein Restaurant oder ein Supermarkt.
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Wollen Sie an dieser Stelle eingreifen und die Haftungsregelung verändern?
Zweitens. Aktuell ist es strafbar, wenn man den Mülleimern von Supermärkten noch genießbare Lebensmittel entnimmt, um sie selbst zu verzehren, Stichwort „Containern“. Unserer Ansicht nach ist es dringend notwendig, dies sofort zu legalisieren; denn es kann nicht sein, dass das Wegwerfen legal ist, aber die Lebensmittelrettung nicht.
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Danke für Ihre Fragen, die ich zusammen beantworte.
In Deutschland ist es seit vielen Jahren üblich, dass zahlreiche Supermärkte unverkaufte und noch genießbare Lebensmittel auf freiwilliger Basis abgeben, zum Beispiel an neue soziale Bewegungen wie Foodsharing. So werden jeden Tag Lebensmittel gerettet. Nun geht es darum, dass wir für Geber und Nehmer zum Beispiel rechtliche Hemmnisse und Irritationen abbauen. Die entsprechenden Vorschläge werden wir in den Dialogforen zusammentragen.
Was das sogenannte Containern anbelangt: Klar, es mag auf- und wachrütteln. Dennoch unterstützen wir als Bundesregierung diese Art des „Lebensmittelrettens“ nicht. Warum? Es bleibt in Deutschland verboten; denn es ist ein Eingriff ins Eigentum. Im Einzelfall handelt es sich um Diebstahl oder Hausfriedensbruch. Man muss auch dringend davon abraten; denn die Kühlkette ist unterbrochen, was zu Kontamination und Verderb der Waren führen kann. Es können Schäden vorhanden sein, die man gar nicht sieht. Da diese Lebensmittel zum Teil weitergegeben werden, spielt hier die Lebensmittelsicherheit eine Rolle.
Danke sehr. – Jetzt kommt die schon versprochene weitere Frage von Frau Künast, wobei, Frau Künast, ich Sie bitten würde, das, was Sie fragen wollen, für den inneren Frieden in Ihrer Fraktion in einer Frage zusammenzufassen, damit noch andere aus Ihrer Fraktion fragen können.
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Den inneren Frieden in meiner Fraktion habe ich längst hergestellt.
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Aber danke für die Sorge, Herr Präsident. Wir haben die anderen Fragen schon verteilt. – So, und schon ziehen Sie diese Bemerkung von meiner Zeit ab. So ein Mist.
Zu meiner Frage. Schon wieder ein freiwilliges Dialogforum, eine freiwillige Gruppe. Gemäß UN- und EU-Recht sind wir verpflichtet, bis 2030 ein Minus von 50 Prozent bei den Lebensmittelabfällen zu erreichen. Ich frage Sie, wie Sie das mit Ihrem Konzept sicherstellen wollen. Es ist wieder eine Passivstrategie. Man setzt sich zusammen und redet, auch mit den Verursachern. Es geht in Ihrer Strategie um mögliche „Zielmarken“, die man irgendwann evaluieren will. Aber wie und wann stellen Sie entlang der Versorgungskette eine Reduktion um 50 Prozent sicher, ohne strukturelle Änderungen durchzuführen? Wir alle könnten sonst 2030 in diesem Zusammenhang mit leeren Händen dastehen und damit unfähig sein, unseren Klimabeitrag zu leisten.
Frau Künast, die Sorge kann ich Ihnen nehmen. Wenn Sie sich unsere Strategie anschauen – Sie haben sie sicherlich gelesen –, stellen Sie fest, dass wir konkrete Maßnahmen und Umsetzungsziele festgelegt haben. Sie können sich vorstellen, dass wir nicht mal eben 16 Millionen Euro für Forschungsprojekte ausgeben, die dann im Sand verlaufen.
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Wir werden zum Beispiel intelligente Logistikketten für die Optimierung nutzen, um auf jeder Ebene der fünf Ebenen, die ich eben erwähnt habe, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Ein Gesetz in Bezug auf Kühlschränke zu machen, mag zwar auf dem Papier schön aussehen, ist aber unrealistisch. Insofern helfen wir dort, wo wir wirklich etwas verbessern können. Das führt zu einer Win-win-Situation, übrigens auch für den Gastronomen; das will ich deutlich sagen.
Im Übrigen möchte ich anmerken: Auch Sie waren einmal Ministerin in diesem Hause. Ich habe keine Maßnahmen von Ihnen gefunden, die in diesem Bereich zu einer Verbesserung geführt hätten.
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Das war jetzt Ihre dritte Frage, Frau Künast. Damit ist das erledigt. – Jetzt stellt Franziska Gminder, AfD, die nächste Frage.
Herr Präsident! Frau Ministerin, es ist sicher allen bekannt: Ab 1. Januar 2006 gilt eine EU-Verordnung, mit der die Verfütterung von Lebensmittelabfällen an Schweine untersagt wird. Meine Frage lautet: Ist Ihnen bekannt, dass von der Universität in Cambridge eine Food Policy, Band 58, aus dem Jahr 2016 herausgegeben wurde, in der dafür plädiert wird, die Verfütterung von Lebensmittelabfällen an Schweine wieder einzuführen? Japan verfüttert 35 Prozent seiner Lebensmittelabfälle nach erfolgter Wärmebehandlung an Schweine. Die Professoren aus Cambridge haben berechnet, dass bei einer Verfütterung von Lebensmittelabfällen an Schweine weltweit bis zu 2 Millionen Hektar Anbaufläche für Schweinefuttermittel eingespart werden könnten. Das würde zu einer geringeren Abholzung des Regenwaldes und damit zu einer Verbesserung des ökologischen Fußabdrucks des Menschen beitragen. – Vielen Dank.
Ich möchte gern darauf antworten: Lebensmittel, die für den Verzehr durch Menschen bestimmt sind und die nicht weggeworfen werden, muss ich auch nicht an Tiere verfüttern. Sinn und Zweck unserer Strategie ist, für eine Passgenauigkeit in der Kette der Herstellung zu sorgen, von der Urproduktion bis zur Abnahme im Privathaushalt, damit eben nichts weggeworfen werden muss. Ich weiß nicht, ob es als Erfolg meiner Strategie zu werten wäre, wenn man sagte: Wir sind jetzt bei 40 Prozent Verfütterung von Lebensmitteln, die eigentlich für den menschlichen Verzehr vorgesehen sind. Die Produktion von Futtermitteln ist mit einem anderen Energieaufwand, einem anderen Verpackungsaufwand, einem anderen Ressourcenaufwand verbunden; das muss man gegenrechnen. Insofern glaube ich nicht, dass Ziel, Sinn und Zweck sein sollte, für den menschlichen Verzehr gedachte Lebensmittel noch früher in Futtermittel umzuwidmen.
Danke sehr. – Artur Auernhammer, CDU/CSU.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundesministerin, Ihre Kampagne zur Lebensmittelverschwendung hat auch sehr viel mit Bildung und Erziehung zu tun. Viele Kinder, viele Jugendliche sind zwar in der Lage, ein iPhone zu bedienen, aber nicht, ein Ei zu kochen. Wie wollen Sie mit Ihrer Kampagne in diesem Bereich tätig werden? Wie wollen Sie die Lebensmittelkompetenz der Kinder und Jugendlichen stärken?
Das ist eine der ganz entscheidenden Fragen. Von Wissen lässt sich auch Wertschätzung ableiten. Wichtig ist also, zu wissen, wie etwas produziert oder erzeugt wird, wie viel Energie drinsteckt, wie viel Ressourcen drinstecken. Ich habe vorhin erläutert, dass 70 Liter Wasser für die Erzeugung eines verzehrfertigen Apfels notwendig sind. Gerade in einem Dürrejahr wie dem vergangenen wird deutlich, was es bedeutet, wenn man einen Apfel achtlos wegwirft. Man kann aus einem halben Apfel, der liegen geblieben ist, auch noch einen Obstsalat oder etwas anderes machen.
Natürlich könnte diese Vermittlung zu Hause stattfinden; aber das liegt in der Freiheit der Familien. Deshalb müssen wir in den Kitas anfangen und es über die Schulen fortführen – und da geht es nicht darum, ob wir ein neues Unterrichtsfach haben oder nicht –, dies also in die Außerhausverpflegung einpreisen. Wir unterstützen auch die Landfrauen mit ihrem Ernährungsführerschein, den sie wirklich sehr, sehr gut umsetzen, wo sie Wissen ganz authentisch vermitteln. Im Übrigen spart man dann auch Geld – fürs iPhone.
Danke sehr. – Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, die Nachwirkungen der Ministerzeit von Kollegin Künast sind offenbar so gewichtig und gewaltig, dass Sie sich selbst nach 14 Jahren noch wundern, dass damals nicht alle Probleme der Welt gelöst wurden, selbst die, über die damals noch keiner gesprochen hat. Das finde ich schon sehr erstaunlich.
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Aber, Frau Ministerin, Ihr Vorgänger – Sie hatten ja mehrere –, also Ihr direkter Vorgänger Schmidt, hatte ein 10‑Millionen-Forschungsprojekt zu den von Ihnen erwähnten sprechenden Joghurtbechern, zu intelligenten Lebensmittelverpackungen angekündigt. Deshalb meine Frage: Wann wurde das Projekt an wen vergeben, und bis wann liegen die Ergebnisse vor? Und: Fürchten Sie nicht, dass dadurch eventuell neue Probleme geschaffen werden: aufwendigere Verpackungen, mehr Ressourcenverschwendung und mehr Lebensmittelverpackungsmüll?
Danke sehr für Ihre Frage. – Kurze Anmerkung: Ja, es ist schon so lange her, dass die Grünen in der Bundesregierung dafür verantwortlich waren.
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Eben sagte Frau Künast, wir hätten damals eine Reform verhindert. Sie sagen jetzt, damals sei das noch kein Thema gewesen. Da müsste man sich wohl zunächst kurz abstimmen.
Zum Thema „intelligente Verpackung“. Sie sprechen in der Tat einen Zielkonflikt an. Aber das heißt ja nicht, dass nichts getan würde. Wenn wir sogenannte intelligente Verpackungen, zum Beispiel mit Sensoren, haben, müssen wir wissen: Was sammeln die Sensoren? Und sind sie nachher abbaubar? Was mache ich dann mit der Verpackung? Und: Verlasse ich mich nur noch darauf und nicht mehr auf meine Sinne?
Im Übrigen sind wir da in Europa sehr weit. Unsere europäischen Nachbarn fragen mich und uns immer, wie gut unsere Aktion „Zu gut für die Tonne“ läuft.
Aufträge für Forschungsprojekte sind erteilt. Ich bin mir sicher, dass wir auch mit unserem diesjährigen Wettbewerb, bei dem es schwerpunktmäßig um digitale Antworten geht, zur Lösung beitragen.
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Artur Auernhammer, CDU/CSU.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Bundesministerin, mich würde interessieren, wie die gesamte Datengrundlage entstanden ist, wie die Mengen errechnet werden. Was ist die Grundlage für Ihre Einschätzung, dass die Lebensmittel nicht mehr zum Verzehr genutzt, sondern regelrecht vernichtet werden?
Danke sehr. – Es gibt sehr unterschiedliche Datengrundlagen, aber keine passgenauen Daten für die einzelnen Sektoren. Derzeit ist die Datenlage hinsichtlich der Lebensmittelkette nicht ausreichend. Es ist wichtig, das zu sehen. Es ist bisher nicht möglich, die Beiträge der einzelnen Sektoren an der Gesamtabfallmenge zu quantifizieren. Für die Erhebung und Bewertung dieser Daten werden wir sorgen. Um den Erfolg von Reduzierungsmaßnahmen feststellen zu können, erstellen wir derzeit ein Methodenpapier und sorgen für ressortübergreifende Indikatoren. Eine Status-quo-Analyse auf der Grundlage vorhandener Daten aus dem Jahr 2015 wird derzeit durchgeführt. Das Ergebnis dieser Analyse wird die Baseline für die Strategie sein. Die Ergebnisse werden i m Juni 2019 vorliegen. Ich werde sie Ihnen dann ge rne vorstellen. Dann können wir das Reduktionspotenzial pro Sektor beziffern.
Wir haben in einzelnen Teilbereichen schon Erfahrungen gesammelt. Dazu liegen auch Dokumentationen vor. – Jetzt leuchtet die Ampel rot, und ich muss aufhören.
Danke sehr. – Stefan Schmidt, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben eben dargestellt, dass Sie mit Blick auf das sogenannte Containern keine Gesetzesänderung vornehmen möchten. Sie haben in diesem Zusammenhang unter anderem die Lebensmittelsicherheit als Argument angeführt. Meine Frage ganz konkret: Halten Sie es wirklich für sinnvoll, auf der einen Seite immer nur auf freiwillige Selbstverpflichtungen und Angebote zu setzen und auf der anderen Seite an dieser Stelle mit dem scharfen Schwert des Strafrechts zu drohen?
Danke für Ihre Frage. – Das Strafrecht greift bereits, zum Beispiel bei Hausfriedensbruch oder Diebstahl. Es gibt legale Wege, Lebensmittel zu retten, und diese legalen Wege möchten wir optimieren.
Ich will deutlich sagen: Es ist keine Lappalie, wenn man eine Lebensmittelvergiftung bekommt. Es geht auch um Haftungsfragen, wenn die Kühlkette unterbrochen wird. Wir und auch Sie als Grüne legen großen Wert auf die Einhaltung der Kühlkette. Wenn es einen Lebensmittelskandal gibt, lautet immer die erste Frage: Wer hat welchen Fehler gemacht? Wenn die Kühlkette außer Acht gelassen wird und Lebensmittel von demjenigen, der containert hat, sogar noch weitergegeben werden,
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dann kann ich das nicht gutheißen.
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Oliver Krischer stellt die letzte Frage zu diesem Themenbereich.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Zunächst, Frau Ministerin, muss ich sagen: Es freut mich, dass Sie in dieser Fragestunde offensichtlich bemerkt haben, dass Ampeln Wirkungen haben können. Ich würde mir wünschen, dass das Auswirkungen auf Ihren Verantwortungsbereich hat.
Zweite Bemerkung. Es ist ziemlich genau vier Jahre her – ich habe gerade ein Déjà‑vu –, dass an Ihrem Platz ein gewisser Herr Schmidt stand; er war damals Agrarminister. Die Älteren im Raum erinnern sich vielleicht noch an das, was man damals so manches Mal erlebt hat. Er hat eine Strategie gegen Lebensmittelverschwendung angekündigt und viele Maßnahmen vorgeschlagen. Wir haben jetzt versucht, herauszubekommen, was gemacht, was umgesetzt worden ist. Der Kollege Ebner hat gerade gefragt, was aus dem Forschungsprogramm geworden ist. – Am Ende gar nichts. Deshalb meine Frage an Sie: Die EU hat verbindliche Ziele formuliert. Was tun Sie konkret, über Apps, freiwillige Selbstverpflichtungen und irgendwelche netten Fortbildungsprogramme hinaus, um die Ziele, die Sie mit diesem Programm verfolgen, wirklich zu erreichen, damit wir nicht in vier Jahren wieder hier zusammenkommen, um zu hören, was der nächste Minister verkündet?
Herr Kollege Krischer, Sie haben mit der Bemerkung begonnen, dass Ampeln eine Wirkung haben.
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Ihre Ampel hat auch eine Wirkung.
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Frau Bundesministerin.
Um es deutlich zu sagen: Sie mögen es ignorieren, aber wir sind führend in der Europäischen Union. Deshalb wird Deutschland hinsichtlich der Maßnahmen, die wir in den einzelnen Sektoren bisher entwickelt haben, hinzugezogen.
Wir werden ein Monitoring entwickeln. lch lege Ihnen nahe, sich diese Strategie noch einmal anzuschauen. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass man sich zu Stuhlkreisen treffen würde. Das mag des einen oder anderen Interpretation sein; aber damit unterstellen Sie all den Verbänden, die diese Strategie gutheißen und die übrigens Ihnen nahestehen, dass sie das nicht ernst nehmen. Wir sind hier sehr, sehr weit gekommen. So haben wir auch weitere Forschungsprojekte laufen. Ich habe es eben gesagt: Die 16 Millionen Euro werden nicht irgendwie ausgegeben, sondern ganz gezielt eingesetzt, um zum Beispiel auch die Arbeit der Tafeln zu unterstützen, wodurch wir merklich dazu beigetragen haben, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Man muss es eben auch wollen und daran glauben, dass man gemeinsam weiter kommt. Man darf nicht unterstellen, dass nur Gesetze einen weiterbringen. Frankreich ist mit Gesetzen nicht so erfolgreich, wie wir es mit unserer Strategie sind, die es vorher schon in Ansätzen gab und die jetzt weitergeführt wird. Insofern sage ich: Machen Sie mit!
Vielen Dank, Frau Minister Klöckner.
Jetzt kommen wir zu den sonstigen Fragen. Die erste stellt Martin Hess, AfD.
Frau Minister, die wichtigste Aufgabe des Staates ist es, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten und Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Dazu gehört auch, effektive Maßnahmen gegen Terroristen zu ergreifen, die in Kriegsgebieten gekämpft haben, dort Menschen getötet haben und jetzt aufgrund ihrer doppelten Staatsbürgerschaft nach Deutschland zurückkehren wollen. Von dieser Gruppe geht nach Auffassung aller Sicherheitsexperten eine massive Gefahr für die deutsche Bevölkerung aus. Sie haben ja auch in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass diesen Personen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen sei.
Nun sollte nach übereinstimmenden Presseberichten in dieser Woche ein entsprechender Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen werden, was aber daran scheiterte, dass das SPD-geführte Justizministerium sich aufgrund hoher Arbeitsbelastung außerstande sah, den Entwurf entsprechend zu prüfen. Deshalb die Frage an Sie: Halten Sie es angesichts dieser massiven Bedrohung für die Sicherheit unserer Bürger durch solche Terrorrückkehrer für akzeptabel, dass unser Justizministerium dem Schutz der Bürger offensichtlich nicht oberste Priorität beimisst? Und was tut nach Ihrem Kenntnisstand das zuständige Innenressort, um diesen Vorgang im Interesse der Sicherheit der Bürger zu beschleunigen und weitere Verzögerungen zu verhindern?
Erst einmal sage ich ganz deutlich: Ich teile Ihre Unterstellung, dass die Bundesregierung sich nicht um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger kümmert, überhaupt nicht. Deutschland ist ein sehr sicheres Land.
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– Ja, man kann es auch schwarzmalen.
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Aber ich stelle mich vor die Sicherheitsbehörden, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitunter sogar ihr Leben für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland einsetzen. Insofern weise ich Ihre Unterstellung wirklich vehement zurück. Ich möchte den Kollegen Staatssekretär aus dem zuständigen Ressort bitten, zu antworten.
Ich muss nur darauf hinweisen, Herr Staatssekretär: Wir müssen trotzdem bei der Minute bleiben. Die Hälfte davon ist rum.
Ich weise ebenfalls die Unterstellung zurück, wir würden irgendetwas verzögern. Unser Haus befindet sich in intensiven Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium und die sind noch nicht zu Ende geführt. – Vielen Dank.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt Oliver Luksic, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Bei „tagesschau.de“ wird gerade getitelt: Rechenfehler im Umweltbundesamt. Meine Frage an die Bundesregierung ist, wie dazu Stellung genommen wird. Hier hat ein Mathematiker und Epidemiologe der Ruhr-Uni nachgewiesen, dass die Behauptung, es gäbe 6 000 Tote wegen Stickstoffdioxid, so nicht haltbar sei. Er sagt, man könne, wenn überhaupt, nur von einer Verringerung der Lebenszeit ausgehen; er redet von acht Stunden. Das ist also ein gewisses Delta zu 6 000 Toten. Da das Umweltbundesamt eine nachgeordnete Behörde der Bundesregierung ist, möchte ich fragen: Hält die Bundesregierung an der Aussage fest – die Bundesumweltministerin hat das ja mehrfach wiederholt –, es gäbe 6 000 Tote durch Stickstoffdioxid und Diesel, oder wird die nachgeordnete Behörde angewiesen, diese Rechenfehler zu korrigieren und zu revidieren?
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Sehr geehrter Herr Abgeordneter, Sie beziehen sich auf eine „Spiegel Online“-Meldung. Ich habe hier im Parlament in der Zwischenzeit Fragen beantwortet. Aus Respekt vor dem Parlament checke ich in dieser Zeit keine „Spiegel Online“-Nachrichten. Insofern kann ich dazu keine Stellung nehmen.
Dann stellt Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen, die nächste Frage.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Ihr Vorgänger – ich komme noch einmal auf ihn zurück – hat versucht, in seinem gescheiterten Gentechnikgesetz ein gewisses Innovationsprinzip zu verankern, ein Begriff, den sich die Chemieindustrie ausgedacht hat, um das Vorsorgeprinzip zu schwächen. Dieser Begriff taucht im Forschungsbericht 2018 der Bundesregierung wieder auf. In schöner Deutlichkeit steht hierzu:
Ein Ziel
– dieses Innovationsprinzips –
muss es sein, Regelungen zum Schutz des Menschen und der Umwelt so zu formulieren, dass diese Regelungen Innovationen nicht erschweren oder gar verhindern.
Die Frage ist: Warum brauchen wir ein Vorsorgeprinzip, wenn es im Fall einer Innovation gar nicht in der Lage sein soll, diese Innovation zu verhindern? Ist das auch Ihre Position, Frau Ministerin? Wie wollen Sie das im Hinblick auf neue Gentechnik und andere Dinge handhaben?
Danke für Ihre Frage. – Zunächst einmal: Ich sehe Innovationen als etwas sehr Gutes an. Ohne Innovationen würden wir alle hier nicht sitzen oder stehen.
Offenheit für Innovationen heißt insofern auch Offenheit für neue Erkenntnisse im Hinblick auf Vorsorge. Und in diesem Fall kann ich nur sagen: Es ist gut, dass die Bundesregierung auf der einen Seite Risikofolgeabschätzungen im Blick hat, sich aber auf der anderen Seite von der Welt nicht abhängen lässt, sondern in Innovation und Forschung investiert.
Für mein Ministerium bzw. Ressort kann ich mit Stolz sagen, dass wir mit rund 900 Millionen Euro den viertgrößten Forschungs- und Entwicklungshaushalt haben. Ich glaube, es ist unser aller Aufgabe, nicht Angst zu machen, sondern daten- und faktenbasiert auf Innovationen zu setzen. Auf welche Innovationen man setzt, kann man nicht pauschal beantworten, sondern muss man sich im Einzelfall anschauen.
Danke sehr. – Dirk Spaniel, AfD.
Sehr geehrte Frau Ministerin, aufgrund der nachweislich bestehenden Probleme bei der Löschung von verunfallten elektrischen Fahrzeugen haben mich einige Feuerwehren und Verbände angeschrieben und gebeten, diese Fahrzeuge in der Öffentlichkeit als eine Gefahr zu kennzeichnen. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bekannt ist: Bei einem Brand der Batterien entstehen toxische Dämpfe. Das stellt eine große Gefahr dar, und häufig reichen die Löschwasservorräte der vorhandenen Feuerwehrfahrzeuge für die Löschung dieser Batterien nicht aus. Hinzu kommt noch etwas Gefährliches, nämlich dass man nicht ausschließen kann, dass die Retter bzw. Helfer, die dieses Fahrzeug anfassen, einen elektrischen Schlag bekommen. – Deshalb ist die Frage: Wie will die Bundesregierung solche Fahrzeuge kennzeichnen? Wir sind uns ja einig, dass die Feuerwehren und Helfer vor dieser Gefahr in irgendeiner Weise geschützt werden müssen. Welche Vorschläge hat die Bundesregierung?
Danke für die Frage. – Wenn ich als Rettungsassistentin an einen Unfallort käme, weiß ich nicht, ob ich mir erst einmal irgendeinen Aufkleber anschauen würde. Das hat eher etwas damit zu tun, ob man darüber informiert ist. Wir haben solche Erfahrungen auch bei Photovoltaikanlagen gemacht. Das sind neue Erkenntnisse. Es geht mir darum, dass die Elektromobilität, auf die wir setzen, nicht aus diesem Grund unterbunden wird. Das hat ganz klar etwas mit der Schulung der Hilfskräfte und der Erkennbarkeit solcher Autos zu tun.
Vielleicht kann der zuständige Kollege das noch ergänzen.
Wollen Sie das? Sie müssen nicht.
Das war eigentlich schon ausführlich genug.
Das war eigentlich perfekt. Frau Ministerin, Sie haben die Frage zur vollen Zufriedenheit des Verkehrsministeriums beantwortet.
Nun stellt Dr. Gero Hocker, FDP, die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Frau Ministerin, laut der aktuellen, vor wenigen Tagen veröffentlichten Statistik Ihres Hauses ist die Zahl der Nutztierrisse durch Wölfe im Jahr 2017 um 60 Prozent höher ausgefallen als im Vorjahr. Weidetierhalter geben auf, der Hochwasserschutz und die Artenvielfalt sind gefährdet. Erst vor wenigen Tagen ist im Landkreis Nienburg in Niedersachsen ein ehrenamtlicher Wolfsberater von seinem Amt zurückgetreten, weil ihn Morddrohungen erreicht haben, da er angeblich den Abschuss eines Wolfes befürwortet hat. Um den Menschen in den ländlichen Regionen, den Landwirten, den Weidetierhaltern und anderen Naturnutzern, wieder eine Perspektive zu geben, frage ich die Bundesregierung, wann sie gedenkt, endlich verbindliche und objektiv nachvollziehbare Kriterien zu definieren, nach denen der Abschuss eines Wolfes rechtssicher erfolgen kann.
Danke für Ihre hochaktuelle Frage. – Zunächst einmal ist es – das sollte man auch erwähnen – ein Erfolg des Artenschutzes, dass der Wolf, der bei uns überhaupt nicht mehr vorgekommen ist, zurückgekehrt ist. Das kann aber nicht dazu führen, dass der Bestand an Wölfen, die hier keine natürlichen Feinde haben, nicht reguliert werden darf.
Der Wolf ist ein hochgeschütztes Tier, und es ist wichtig, dass die Jäger und diejenigen, die vor Ort darüber entscheiden – untere Behörden und auch Landratsämter –, nicht mit Anzeigen und Drohungen überzogen werden. Deshalb ist es unser Ansinnen, das Bundesnaturschutzgesetz zu ändern. Ich persönlich halte es für notwendig, dass wir, um Rechtssicherheit zu erreichen, auch schauen müssen, in der FFH-Richtlinie eine Regelung zur Regulierung eines Wolfsrudels hinzubekommen. Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir die Schafhalter schützen; das ist ja Ihr Punkt. Wir, BMU und BMEL, haben auf europäischer Ebene gemeinsam erreicht, dass wir die Präventionsmaßnahmen zu 100 Prozent erstatten können.
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Danke sehr. – Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen. – Nicht mehr. – Dann hat die nächste Frage Christian Wirth, AfD.
Danke, Herr Präsident. – Frau Ministerin, aus den Medien war unter Berufung auf Sicherheitskreise aus Baden-Württemberg zu erfahren, dass etwa ein Drittel bis die Hälfte der abgeschobenen Migranten wieder in die Bundesrepublik zurückkehrt. Unsere Frage: Wie viele davon haben finanzielle Rückkehrhilfen erhalten, und was gedenkt die Bundesrepublik Deutschland gegen diese rechtswidrigen Einreisen zu tun?
Danke für Ihre Frage. – Die Formulierung „aus Medienkreisen“ ist für mich jetzt nichts Valides. Sie wollen von mir eine konkrete Zahl als Antwort auf eine sehr unkonkrete Frage.
Es gibt klare Rechtsgrundlagen. Sie können Ihre Frage gerne schriftlich an die Bundesregierung stellen. Ich glaube, dann bekommen Sie eine konkrete Antwort auf Ihre unkonkrete Frage.
Carl-Julius Cronenberg, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau Ministerin, im „Handelsblatt“ war am Montag die Einschätzung der Bundesregierung zu lesen, dass die Bürokratiebelastungen infolge der Verschärfung der Entsenderichtlinie durchaus ernst zu nehmen seien. Diese Einsicht begrüßen wir ausdrücklich. Das klang in Ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage vom letzten Jahr allerdings noch ganz anders. Seitdem haben mich viele Briefe von besorgten, um nicht zu sagen, genervten Unternehmern erreicht, auch aus dem Raum Trier und der Südpfalz. Von daher frage ich Sie: Welche konkreten Maßnahmen zur Bürokratieentlastung planen Sie bei der nationalen Umsetzung der Entsenderichtlinie, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die deutsche Umsetzung möglicherweise Vorbildcharakter für andere Mitgliedstaaten haben könnte? Will sagen: Wenn Deutschland draufsattelt, werden auch andere draufsatteln, was der Exportindustrie und der mittelständisch geprägten deutschen Maschinenbauindustrie erheblichen Schaden zufügen könnte.
Ich darf mich für die Frage bedanken. Ich freue mich, dass Sie die Trierer Region und die Südpfalz kennen. Ich selbst komme aus der Mitte, aus Bad Kreuznach und Guldental, auch eine schöne Region.
Das Thema Bürokratieabbau betrifft alle Bereiche. Das will ich vorab sagen, weil ich danach das Wort gerne an die für diesen Bereich zuständige Kollegin abgeben möchte. Wir überprüfen die Bürokratiekosten und versuchen, Zielkonflikte zu lösen. Dort, wo wir Bürokratiekosten abbauen können, tun wir dies natürlich auch.
Ich möchte Herrn Cronenberg kurz antworten. – Herr Cronenberg, Sie kennen ja die sauerländische Metallindustrie am besten. Insofern verstehe ich Ihr Anliegen. Selbstverständlich sind wir aus Sicht des BMAS bemüht, die Entsenderichtlinie so umzusetzen, dass sie den Arbeitnehmerinteressen dient und kein unnötiger Bürokratieaufbau dabei entsteht. Wenn Sie da konkrete Anhaltspunkte haben, wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie diese genauer erfragen würden. Dann könnten wir Ihnen auch genauer antworten. Aber wir sind sehr froh, dass die Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie so beschlossen worden ist, wie sie ist.
Danke sehr. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich lasse jetzt noch je eine Frage aus der AfD und der FDP zu. Dann beenden wir die Regierungsbefragung.
Damit hat Wilhelm von Gottberg die nächste Frage.
Frau Ministerin, eine Frage zu Ihrem Ressort: Inwieweit wird die Bundesregierung hinsichtlich der aktuellen Prognosen, nach welchen die zur Auszahlung der Dürrehilfe benötigten Gelder in einigen Bundesländern nicht ausreichen, den Finanzierungsbedarf aus anderen Mitteln decken? Und die Zusatzfrage: Können wir damit rechnen, dass mindestens 50 Prozent des angemeldeten Schadens auch ausgeglichen werden? – Danke.
Das Besondere an Prognosen ist, dass sie in die Zukunft gerichtet sind. Deshalb kann ich Ihnen nichts zur Verlässlichkeit von Prognosen sagen. Ich beziehe mich auf Daten und Fakten. Es war auch gut, dass ich mich im vergangenen Sommer nicht auf die Prognosen verlassen habe, wonach man mehrere Milliarden Euro brauchte, sondern auf die Ernteergebnisse. Diese waren die Grundlage meiner Entscheidung. Auf dieser Grundlage haben wir nach einem gewissen Schlüssel und bestimmten Kriterien die Gelder für die Länder vorgesehen, die Bedarf angemeldet hatten. Die Kriterien sind, dass der Verlust über 30 Prozent beträgt und dass dann 50 Prozent ersetzt werden, und zwar unter der Bedingung, dass der betreffende Betrieb existenzgefährdet ist. Bisher liegen wir bei den Anträgen bei dem Plafond, den wir vorausgesagt hatten. Eine genaue Abrechnung wird es geben, wenn sie möglich ist. Dann werden wir Sie gerne informieren.
Danke sehr. – Die letzte Frage stellt Carina Konrad, FDP.
Sehr geehrte Frau Ministerin, der Wolf war schon Thema. Sie haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Sicherheit des Menschen vor dem Wolf höchste Priorität hat. Angesichts dieser Tatsache fragen wir uns, über welche Aspekte zur Wolfsproblematik zwischen Ihnen und der Umweltministerin im vergangenen Koalitionsausschuss debattiert wurde, welche Ergebnisse erzielt wurden und wie sich die weitere Vorgehensweise gestaltet.
Danke für Ihre Frage. – Natürlich hat die Sicherheit des Menschen oberste Priorität. Wir haben viele Schafrisse, mittlerweile sogar auch Pferd- und Rinderrisse zu verzeichnen. Zum Glück ist uns noch nicht bekannt, dass Menschen zu Schaden gekommen sind. Hier gibt es aber klare Rechtssicherheit.
Zu Ihrer Frage, welche Themen zwischen mir und der Ministerin im Koalitionsausschuss eine Rolle gespielt haben: keine, weil weder die Ministerin noch ich im Koalitionsausschuss waren. Die Ministerin war auf einer Auslandsreise in Indien.
Vielen herzlichen Dank, Frau Ministerin, und vielen herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die interessanten Fragen und Antworten.
Damit ist die Regierungsbefragung beendet.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer seine Ziele erreichen will, braucht andere. So werden die Ziele auch die Ziele anderer, und natürlich umgekehrt. Und das ist der Übergang von der Rohigkeit zur Kultur. – Das stammt nicht von mir, sondern von Immanuel Kant. Das ist eigentlich eine ziemlich gute Beschreibung der Notwendigkeit von multilateralen Ansätzen, von gemeinsamen regelbasierten Ordnungssystemen.
Eines der Merkmale der Münchner Sicherheitskonferenz in diesem Jahr, ebenso wie im letzten Jahr, war wieder unsere gemeinsame Erkenntnis, dass die multilaterale Ordnung, dass der gemeinsame Ansatz, auf der Basis von freiwillig vereinbarten Regeln zur Lösung von Konflikten zu kommen, unter Druck ist und sogar von denen infrage gestellt wird, die diese regelbasierte Ordnung selbst maßgeblich mitgeprägt haben. Vor diesem Hintergrund haben mir viele Reden auf der Münchner Sicherheitskonferenz nicht gefallen, auch nicht die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten Pence und natürlich auch nicht die Rede des iranischen Außenministers.
Der Multilateralismus ist offensichtlich in einer Krise. Wenn man sich die Frage stellt, woran das liegt, erkennt man vielleicht ein Problem, das hinter dieser Krise des Multilateralismus steht, nämlich dass letztlich das Erfolgsrezept der letzten Jahrzehnte, durch Dialog und Kompromiss zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, die eine, neudeutsch gesprochen, Win-win-Situation, also eine vorteilhafte Situation für alle Beteiligten darstellt, nicht mehr das Ansehen genießt, das es in der Vergangenheit hatte, und dass die Politiker, die sich um solche Kompromisse bemühen, nicht das Ansehen genießen wie früher. Es ist heute zunehmend derjenige populär, der möglichst populär und kraftvoll seine Position zu 100 Prozent laut auf dem Markt verkündet, und nicht derjenige, der bereit ist, gegebenenfalls etwas von seiner eigenen Position – im Sinne von Immanuel Kant – abzugeben, um dann umso mehr für sich und sein Volk und sein Land zu erreichen.
Dabei ist es offensichtlich, dass in einem Alleingang die Probleme nicht zu lösen sind. Deutschland repräsentiert gut 1 Prozent der Weltbevölkerung – mit sinkender Tendenz. Und wenn wir uns in der Welt mit unseren Vorstellungen und Ideen behaupten wollen, dann brauchen wir Verbündete und müssen mit Verbündeten arbeiten. Diejenigen, die den Menschen erzählen, sie könnten die Probleme aus eigener Kraft ohne Vertrauen auf multilaterale Strukturen lösen, gaukeln, insbesondere wenn es um die kleineren Länder geht, ihren Bürgerinnen und Bürgern eine Souveränität vor, die es in Wirklichkeit gar nicht mehr gibt.
Was wäre die deutsche nationale Souveränität in der Handelspolitik verglichen zu dem, was wir zum Beispiel in der Europäischen Union durch unsere vergemeinschaftete Handelspolitik haben? Welche Kraft hätte die deutsche Außenpolitik, wenn sie sich nicht im Rahmen von NATO und EU in größeren Verbünden bewegen würde? Welche Möglichkeiten hätten wir, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes vor Terror und Gewalt zu schützen, wenn wir es nicht mit anderen gemeinsam probierten? Ich fordere und wünsche mir, dass wir uns jenseits der Frage nach der Überwindung der Krise des Multilateralismus auch wieder der Kompromissfindung als der Königsdisziplin der Außenpolitik zuwenden. Auch wir Deutschen sind dort gefordert.
Ich möchte kurz noch einige Punkte ansprechen.
Blicken wir ganz konkret darauf, wo wir Kompromisse machen müssen: Ich glaube, dass in der Außenpolitik der Europäischen Union der Übergang zum Mehrheitsprinzip unverzichtbar ist. Ich habe es für einen schwerwiegenden Mangel gehalten, dass der Außenrat der Europäischen Union nicht in der Lage war, zum Thema „INF-Vertragsbruch durch Russland“ und zum Thema „Venezuela“ eine gemeinsame europäische Position zu formulieren.
Ich glaube, dass wir auch Kompromissbereitschaft brauchen beim Thema „EU-Haushalt der Jahre 2021 bis 2027“. Wenn es um die Prioritätensetzung geht, zum Beispiel bei der Bewältigung der großen Krisen dieser Welt und einer neuen Afrika-Politik der Europäischen Union und Deutschlands, müssen wir möglicherweise auch den einen oder anderen Kompromiss machen im Hinblick auf von uns gewünschte, liebgewonnene bisherige Zuwendungen von europäischer Ebene.
Wir müssen auch akzeptieren, dass wir im Bereich der Verteidigungsaufgaben eine Verpflichtung gegenüber unseren Partnern eingegangen sind, der wir entsprechen müssen. Deswegen sollten wir uns nicht wegducken vor dem von uns propagierten Ziel der Erhöhung der Verteidigungsausgaben.
Das sind Kompromisse, bei denen wir im Konkreten gefordert sind und mit denen wir unseren Beitrag leisten können zur Stärkung des Multilateralismus. In diesem Sinne verstehe ich die Botschaft der Münchner Sicherheitskonferenz an uns.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Jürgen Hardt. – Nächster Redner für die AfD-Fraktion: Dr. Anton Friesen.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Zuhörer! Kurz vor Beginn der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz sagte der Leiter Wolfgang Ischinger – ich zitiere –:
Ich würde mir wirklich dringend wünschen, dass am Ende dieser Konferenz ich als Konferenz-Vorsitzender und die Konferenzteilnehmer sagen werden: Wir haben ausnahmsweise … nicht nur gegeneinander und übereinander geredet, sondern mal miteinander. Und wir haben versucht, Lösungen voranzutreiben. Dann wäre ich zufrieden.
Ob der Zufriedenheitspegel des Herrn Ischinger nach der Konferenz gestiegen ist, sei einmal dahingestellt; denn die Münchner Sicherheitskonferenz hat die Uneinigkeit und Unordnung sowohl in der Welt als auch in dieser sogenannten Großen Koalition mehr als deutlich werden lassen.
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Ob beim 2-Prozent-Ziel der NATO oder bei der Zukunft des INF-Vertrages: CDU/CSU und SPD bleiben sich herzlich treu in ihrer Uneinigkeit.
Während Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte, die Bundesregierung halte am 2‑Prozent-Ziel der NATO fest und müsse dafür noch mehr tun, sagte der hier durch Abwesenheit glänzende Außenminister Maas:
Sicherheit bemisst sich für uns nicht allein in wachsenden Verteidigungsbudgets.
Während von der Leyen von der erhöhten Gefahr, die die russischen Waffen gerade für uns in Europa bedeuten, sprach und eine Reaktion anmahnte, lehnte der SPD-Außenpolitiker Mützenich jegliche konventionelle Nachrüstung ab. Kein Wunder, dass die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik bilanzierte:
Innenpolitisch gelähmt, entwickelt Deutschland nicht die Kraft, die außenpolitisch von Berlin erwartet und benötigt wird.
Während die Große Koalition von Ordnung so weit entfernt ist wie die SPD von der Kanzlerschaft, befinden wir uns außenpolitisch in einer Weltunordnung, der diese Bundesregierung nicht einmal ansatzweise gewachsen ist. Ob beim Iran-Abkommen, beim INF-Vertrag, beim Handelskrieg zwischen den USA und China oder bei der Chaotisierung des Nahen und Mittleren Osten: Bestehende Vertragswerke zerfallen, die Geschichte kehrt in Gestalt rivalisierender Großmächte zurück, und Deutschland steht am Rande des Weltgeschehens und beschwört den Multilateralismus als außenpolitische Zivilreligion.
({1})
Dabei sind in dieser Weltunordnung gerade Ad-hoc-Koalitionen, Koalitionen der Willigen, ein effektives Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen, um das Chaos einzuhegen und um zumindest regional für Ordnung zu sorgen.
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Nichts anderes schreibt auch Professor Carlo Masala, Professor an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Diese Koalitionen sind nach ihm sogar „das bestimmende Kooperationsmuster“ im 21. Jahrhundert.
Was bedeutet das für eine zukunftsgerichtete deutsche Außenpolitik, wie sie die AfD vertritt? Es bedeutet, sich von den Träumereien einer liberalen Reform der globalen Institutionen wie den Vereinten Nationen zu verabschieden und sein Handeln an den eigenen nationalen Interessen auszurichten.
({3})
Nicht jeder Konflikt auf dieser Welt berührt die deutschen Interessen unmittelbar. Daher gibt es auch keinerlei Notwendigkeit, sich überall personell, materiell, finanziell zu engagieren.
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Es gibt sogar viele Fälle, in denen ein solches Engagement völlig kontraproduktiv ist. In Afghanistan hat die Intervention raum- und kulturfremder Mächte zu einem Desaster geführt. Der blütenhafte Arabische Frühling wurde in Libyen und Syrien ganz schnell zu einem blutigen Winter.
({5})
In der Weltpolitik geht es eben nicht nur um ein Wünsch-dir-was, sondern um die Durchsetzung eigener Interessen und die Sicherstellung der grundlegenden Stabilität. Dann klappt es auch mit Lösungen auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Dr. Friesen. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion: Dr. Rolf Mützenich.
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss weder das Format noch das Auftreten vermeintlicher oder tatsächlicher Weltenlenker auf der Münchner Sicherheitskonferenz mögen. Dennoch ist diese Sicherheitskonferenz ein Raum für Gespräche, für Meinungen und insbesondere ein Seismograf für den Zustand der internationalen Ordnung. Und diese internationale Ordnung ist bedroht. Wir erleben es jeden Tag. Wir diskutieren es hier im Deutschen Bundestag. Wir erleben internationale Krisen. Und wenn dieser Seismograf ausschlägt, versuchen wir insbesondere mit Diplomatie, mit Friedensförderung, das eine oder andere entgegenzuhalten.
Ja, es ist richtig: Auf der Konferenz waren Nationalismus und Geltungssucht von den einen spürbar, von anderen aber das Bemühen – insbesondere von den deutschen Vertreterinnen und Vertretern, von den deutschen Rednerinnen und Rednern –, für Multilateralismus, für Kooperation und für Regeln einzutreten. Mein Eindruck auf der Konferenz war in der Tat, dass es der Wunsch von einigen oder vielleicht sogar der Mehrheit ist, nach Regeln die internationale Ordnung mitzugestalten. Ja, die internationale Ordnung ist bedroht, aber wir dürfen uns, wie ich finde, nicht der Resignation hingeben, sondern wir müssen tagtäglich ausbuchstabieren, was wir eigentlich wollen. Deswegen ist es richtig, wenn die Bundeskanzlerin und der Außenminister für Abrüstung eintreten. In der Tat sehen wir trotz unterschiedlicher Auffassungen innerhalb der Koalition einerseits die offensichtliche Verletzung des Abkommens über die Mittelstreckenraketen wie andererseits die berechtigte Frage vonseiten Russlands, was eine Raketenabwehr, insbesondere wenn sie mit der NATO verknüpft ist, für Russland bedeutet. Ich finde, wir tun gut daran, wenn wir für verlässliche humanitäre Hilfe eintreten und uns gerade angesichts des bevorstehenden Europawahlkampfs Gedanken über den Zustand Europas machen. Wenn wir über eine europäische Ordnung nachdenken, dann müssen wir, glaube ich, auch Russland mitdenken.
Ja, es herrscht Ernüchterung über den Stand der transatlantischen Möglichkeiten. Wenn man die Argumentation des amerikanischen Vizepräsidenten Pence sieht, dann muss man sagen, dass in der amerikanischen Administration offensichtlich Sicherheit nur noch durch Unterordnung ausbuchstabiert wird. Wir kennen das von Trump: Wenn ihr uns nicht in unseren wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen folgt, steht Artikel 5 des NATO-Vertrages für uns zur Disposition. – Dem muss man sehr offen widersprechen: auf der Münchner Sicherheitskonferenz und darüber hinaus, insbesondere mithilfe der neuen Mehrheit im amerikanischen Repräsentantenhaus. Auf der einen Seite gibt es also bedrohliche Situationen, auf der anderen Seite aber auch die Möglichkeit zu neuer Kooperation. Ich erhoffe mir von der demokratischen Mehrheit manches gemeinsame Handeln mit dem Deutschen Bundestag.
Ein dritter Aspekt aus der Wahrnehmung der Münchner Sicherheitskonferenz ist folgender: Wir haben einen durchaus selbstbewussten chinesischen Vertreter auf der Bühne gesehen, von dem man dann aber, als er gefragt wurde, was denn dieses Land, das ja von sich behauptet, mehr und mehr weltpolitischen Einfluss zu haben, für eine regelbasierte Ordnung einzubringen habe, relativ wenig gehört hat. Umso mehr muss man, glaube ich, die Volksrepublik China ermutigen, auf dem Weg einer regelbasierten Ordnung weiterzugehen, zumindest wenn sie das, was sie behauptet, auch in der Wirklichkeit umsetzen möchte. Das war ein dritter Aspekt aus der Münchner Sicherheitskonferenz.
Vierter Aspekt: Europa. Ich finde, es ist gut, wenn wir uns immer wieder vor Augen halten, dass die Diskussion über Europa mehr umfasst – das sage ich auch mit Blick auf einige Fraktionen hier im Deutschen Bundestag – als den europäischen Beitrag zum militärischen Gelingen. Sie umfasst insbesondere die Frage der zivilen Friedensförderung, der Diplomatie und letztlich auch des Einsatzes im Bereich der Entwicklungshilfe.
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Zum Schluss, meine Damen und Herren, würde ich gerne die Rolle des Parlaments auf der Münchner Sicherheitskonferenz würdigen. Es ist gut, dass wir Gelegenheit hatten, mit, ich glaube, 50 Mitgliedern des Deutschen Bundestages dort vertreten gewesen zu sein. Ich finde, es ist notwendig, dass das deutsche Parlament dort seine Stimme erhebt. Sie sollte gehört werden; denn wir sind diejenigen, die legitimiert sind und für eine demokratische Sicherheitspolitik eintreten. Zumindest einige Fraktionen – davon bin ich überzeugt –
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wollen diese demokratische Sicherheitspolitik in den nächsten Monaten und Jahren auch ausbuchstabieren.
Vielen Dank.
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Vielen Dank, Rolf Mützenich. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Alexander Graf Lambsdorff.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wir haben eine Aktuelle Stunde zur Münchner Sicherheitskonferenz, aber ich bin sicher, vielen Kolleginnen und Kollegen ging es ein bisschen wie mir: Wir hatten das Gefühl, auf einer Münchner Unsicherheitskonferenz zu sein.
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Wir haben dort insbesondere das Thema Rüstungskontrolle rauf und runter diskutiert, viele Reden über den Mittelstreckenraketenvertrag, der gekündigt worden ist, gehört. Aber dieser ist nur der mittlere Teil einer ganzen Rüstungskontrollarchitektur, die ins Wanken geraten ist. Der ABM-Vertrag ist bereits beendet. New START, der Vertrag zur Reduzierung strategischer Atomraketen, läuft 2021 aus. Die Unsicherheit wächst also eher, als dass die Sicherheit steigt.
Die zweite Beobachtung, die man, glaube ich, machen kann, ist: Ja, die amerikanische Administration ist schwierig. Die Rede des Vizepräsidenten hat nicht allen gefallen, sie konnte uns auch nicht allen gefallen. Aber ich glaube, diese Konferenz hat auch gezeigt, dass die USA, dass die transatlantischen Beziehungen mehr sind als der Mann im Weißen Haus und sein Stellvertreter.
({1})
Es war die größte Delegation des amerikanischen Kongresses in München, die jemals angereist ist: 55 Leute unter der Führung von Nancy Pelosi. Das zeigt, dass die transatlantischen Beziehungen lebendig sind, tiefer und breiter als allein der Blick auf das Weiße Haus das unterstellt. Aus Sicht meiner Fraktion macht das deutlich: Berechtigte Kritik an der Politik der Administration von Donald Trump darf niemals umschlagen in einen allgemeinen Antiamerikanismus, meine Damen und Herren.
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Für uns als Liberale steht in der internationalen Politik der Mensch im Mittelpunkt. Wir haben uns gefreut über Weiterentwicklungen des Regelwerks, des internationalen Regelwerks zum Internationalen Strafgerichtshof. Wir wollen auch weiter daran arbeiten, dass die Schutzverantwortung, die Responsibility to Protect, international weiterentwickelt wird, sich zu einem Konsens weiterentwickelt. Diese regelgebundene Weltordnung, in der der Mensch im Mittelpunkt steht, ist uns wichtig. Die regelgebundene Weltordnung heißt auf Englisch „the liberal world order“, einfach deswegen, weil das Kernmerkmal des Liberalismus die Bindung von Macht an Recht ist. Genau darum geht es. Wir wollen in den internationalen Beziehungen die Stärke des Rechts statt das Recht des Stärkeren.
({3})
Meine Damen und Herren, das Recht des Stärkeren in der internationalen Politik einzubinden, indem man sich in Organisationen zusammenschließt, sich auf ein Regelwerk, auf Konfliktbearbeitungsmechanismen einigt, ist eine Selbstbindung der Stärkeren in diesen Organisationen. Die Stärkeren in diesen Organisationen erwarten dann, wie ich finde mit Recht, innerhalb dieses Regelwerks auch ein bisschen den Respekt der Schwächeren davor, dass die Kräfteverhältnisse nun mal unterschiedlich sind. Sie sind auch einem steten Wandel unterworfen. Deswegen muss die internationale Ordnung, deswegen müssen sich die internationalen Organisationen auch weiterentwickeln. Es gibt Organisationen, die wir nicht mehr brauchen, die wir auflösen können. Die Westeuropäische Union haben wir bereits aufgelöst. Es gibt andere, die wir reformieren müssen: den Internationalen Währungsfonds hinsichtlich der Stimmgewichtung, die Weltbank genauso. Die Welthandelsorganisation haben wir reformiert, aber hier sehen wir eine echte Herausforderung, weil Länder wie China diese Reform missbrauchen, um Dinge zu behaupten, die nicht wahr sind. China ist bis heute keine Marktwirtschaft, behauptet es allerdings innerhalb der Welthandelsorganisation. Wir müssen also auch Reformen mit Augenmaß machen.
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Eine Reform haben wir bereits gemacht. Deswegen – das will ich hier noch einmal sagen – war es besonders absurd, dass Linke – hier sind gerade einige aktive Zwischenrufe in der Linksfraktion unterwegs; schön, dass Sie auch wieder da sind, Herr Dehm – –
({5})
– Wunderbar, alles klar; ich habe es schon fast vermisst. Aber irgendjemand hat dazwischengerufen.
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– Frau Hänsel war das. Alles klar, ich nehme alles zurück. Frau Hänsel, Sie waren es mit den Zwischenrufen.
Was ich sagen wollte: Wir haben erkannt, dass Reformbedarf da ist. Wir haben die G 7 der Industriestaaten ausgeweitet zu den G 20, damit die Schwellenländer, die viele der ärmeren Menschen auf der Welt vertreten, auch eine Stimme im internationalen Konzert haben. Es sind ausgerechnet Ihre Freunde, die Linksextremen, die in Hamburg mit einem Angriff auf eine internationale Gruppierung ein derartig gewalttätiges Spektakel veranstalten, wo die Reform zugunsten der schwächeren Menschen auf der Welt bereits umgesetzt worden ist. Ich finde das total absurd.
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Meine Damen und Herren, ein Positivbeispiel für Reform ist manchmal – das wird manche überraschen – die Europäische Union. Sie schafft es ganz gut, mit der Stimmgewichtung im Rat, der doppelten Mehrheit, den sich anpassenden Sitzverteilungen im Europäischen Parlament, die sich wandelnden Kräfteverhältnisse gut abzubilden. Negativbeispiel ist natürlich, dass die Mitgliedstaaten alle darauf bestehen, noch einen Kommissar zu haben.
({8})
Auch die Kommission muss also reformiert werden.
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Letzter Punkt, meine Damen und Herren. Wir haben viel über nationale Interessen gehört. Das suggeriert ja, dass die deutsche Außenpolitik in der Vergangenheit nationale Interessen außer Acht gelassen habe. Meine Damen und Herren, das zentrale nationale Interesse war die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes in Freiheit, und Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher haben das geschafft. Hier zu suggerieren, deutsche Außenpolitik verfolge nationale Interessen nicht, ist ahistorisch, falsch und wird sich überleben, meine Damen und Herren.
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Heute ist unser Interesse der Erhalt der Freiheit, und wenn, wie Henry Kissinger richtig sagte, Deutschland zu groß für Europa und zu klein für die Welt ist, dann ist auch eines klar: Den Erhalt der Freiheit werden wir nur mit Verbündeten und Partnern leisten können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Vielen Dank, Graf Lambsdorff. – Nächster Redner: Tobias Pflüger für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz fand tatsächlich so etwas wie ein Showdown statt, aber ein innerwestlicher Showdown. Auf der einen Seite stand eine arrogante Rede des Vizepräsidenten der USA, Mike Pence, der die USA als „Champion der Freiheit“ bezeichnete und sagte, notwendig seien weltweit die US-amerikanische Führung und glaubwürdige Pläne zur Erfüllung des 2‑Prozent-Ziels. Diese Rede war ein Ausdruck der Rücksichtslosigkeit und Arroganz der derzeitigen Regierung der USA.
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Im Gegensatz dazu in der Wahrnehmung stand Angela Merkel. Sie wurde danach groß gefeiert. Doch warum eigentlich? Weil sie sich für die deutsche Autoindustrie in die Bresche geworfen hat? Vielleicht.
In der „Bild“-Zeitung war zu lesen, sie habe bewiesen, dass sie die Führerin der freien Welt sei. – Nein, dazu ist sie garantiert nicht geeignet. Das zeigt auch ihr Abwatschen der Schülerinnen- und Schülerbewegung, die sich für eine klare Klimapolitik einsetzt.
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Wer sich nicht vorstellen kann, dass Jugendliche von sich aus gegen die fatale Klimapolitik der Bundesregierung auf die Straße gehen, hat nicht mitbekommen, was Jugendliche derzeit wirklich bewegt.
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Das Ganze war doch eher ein Konflikt darüber, wie westliche Politik weltweit derzeit durchgesetzt werden soll. Was haben denn Angela Merkel und Ursula von der Leyen in München gesagt? Ursula von der Leyen hat in München wieder mal versprochen, die deutschen Militärausgaben in ungeahnte Höhen zu treiben. Als wären die 43,2 Milliarden Euro noch nicht genug, sollen es bis 2024 60 Milliarden werden. Wir sagen: nicht mehr Ausgaben für das Militär, sondern endlich Abrüstung!
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Das Finanzministerium hat gerade erst bekannt gegeben, dass es mit Steuermindereinnahmen von 9 Milliarden Euro pro Jahr rechnet, weil die Konjunktur lahmt. Auch von der Leyens Aussagen, die deutschen Militärausgaben seien seit 2014 um 36 Prozent nach NATO-Kriterien gestiegen und das Militärbudget sei seit 2009 nach dem NATO-Gipfel in Wales um 80 Prozent gestiegen, sind skandalöse Aufrüstungszahlen.
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Wie wollen Sie diese enormen Rüstungsausgaben eigentlich finanzieren? Wo setzen Sie den Rotstift an? Was genau streichen Sie denn? Schulen, Kindergärten, Renten, Wohnungsbau: Das sind die Bereiche, die dann weniger bekommen, wenn Sie gleichzeitig aufrüsten. Das ist der Punkt.
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Diese Bundesregierung kann nur eine Leier: Aufrüstung, Aufrüstung, Aufrüstung, und es ist gut, dass dagegen wieder Tausende Menschen in München auf die Straße gegangen sind und für eine Welt ohne Militär demonstriert haben.
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Tun Sie endlich etwas gegen die soziale Spaltung in dieser Gesellschaft, statt Milliarden für die Aufrüstung zu verpulvern!
Und die Kanzlerin? Die Kanzlerin hat versprochen, im Kontext des Aachener Vertrages sollen nun auch noch die laschen bisherigen Rüstungsexportrichtlinien geschleift werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist es, worum es offensichtlich eigentlich geht, nämlich dass man hier die Richtlinien für die Exportinteressen der Waffenindustrie opfert. Das ist skandalös.
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Wir sehen uns in unserer Kritik am Aachener Vertrag bestätigt. Ja, es geht offensichtlich darum, dass man mit einem Geheimabkommen nebenbei die Rüstungsexportrichtlinien schleifen will. Wir sagen dazu klipp und klar Nein.
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Diese Sicherheitskonferenz hat einmal mehr vor allem Unsicherheit geschaffen, und das lag auch an Kanzlerin Merkel und Verteidigungsministerin von der Leyen. Es war die Rede von der Welt als Scherbenhaufen – ein interessantes Bild im Übrigen. Wer sie wieder zusammensetzt, wissen wir seit diesem Wochenende auch: jedenfalls nicht diese Sicherheitskonferenz.
Ich fand es sehr bezeichnend, dass als positives Beispiel der Einsatz in Afghanistan genannt wurde, sowohl von Angela Merkel als auch von Ursula von der Leyen. Nein, genau dieser Einsatz zeigt, wie desaströs die Außen- und Militärpolitik dieser Bundesregierung ist.
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Es ist richtig und bleibt richtig, dass wir den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordern.
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Bei der Sicherheitskonferenz lief im Hintergrund eine ganze Reihe von Gesprächen, bei denen es darum ging, Aufrüstung zu organisieren, insbesondere im Bereich der Europäischen Union. Genau das ist offensichtlich die Antwort der Bundesregierung auf die Forderungen der US-amerikanischen Regierung. Wir sagen Nein – auch zur Aufrüstung der Europäischen Union.
Vielen Dank.
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Der Kollege Omid Nouripour ist der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss ja gönnen können. Ich danke den Koalitionsfraktionen, dass sie das Thema der Münchner Sicherheitskonferenz und vor allem das Thema des Erhalts der regelbasierten internationalen Ordnung auf die Tagesordnung gesetzt haben; denn es ist dringend notwendig, dass wir es hier diskutieren.
Zum Gönnen-Können gehört auch, zuzugeben, dass die Bundeskanzlerin eine sehr bemerkenswerte, sehr mitreißende und überraschend argumentationsfreudige Rede gehalten hat. Ich hätte mir in der Vergangenheit in so vielen Momenten gewünscht, dass sie so eine ähnliche Rede gehalten hätte.
Es ist richtig, dass sie die Frage der regelbasierten Ordnung und der Zusammenarbeit und damit die Stärkung des Multilateralismus in den Mittelpunkt gestellt hat. Das ist das Gebot der Stunde, das ist korrekt. Die Frage ist nur: Welche Zusammenarbeit und zu welchem Zweck? Da lohnt es sich, genauer draufzuschauen, was die Frau Bundeskanzlerin so gesagt hat. Wenn sie nicht erwähnt, was denn eigentlich der Sinn der Zusammenarbeit ist, ist das bedauerlich; aber es ist offenkundig – alle, die sich ein bisschen auskennen, wissen es –, dass der Zusammenhalt der Europäischen Union jetzt am wichtigsten ist. Und da wurde die Rede doch mehr als dünn.
Beispiel: Nord Stream.
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Da passte es nicht zusammen, dass sie erst mit dem Thema der Klimakatastrophe begann und dann mit einer so großen Vehemenz und mit so viel Herzblut die Gaspipeline verteidigte. Sie hat zwar völlig recht, wenn sie sagt, dass man sich an jeden Strohhalm klammern und alles versuchen muss, um Russland einzubinden; aber die Frage ist, inwieweit das auf Kosten anderer Staaten in der Europäischen Union geht. Darüber hat sie sich schlicht ausgeschwiegen. Sie hat verschwiegen, dass Nord Stream mittlerweile zum Spaltpilz zwischen Deutschland und vielen anderen Staaten der Europäischen Union – beispielsweise Polen und dem Baltikum – geworden ist.
Beispiel: Rüstungsexporte. Sie sagt, wir bräuchten eine gemeinsame EU-Politik bei den Rüstungsexporten. Das klingt total gut und vernünftig. Wir sind immer die Ersten, die dafür sind, dass es eine gemeinsame europäische Politik gibt. Aber Rüstungsexporte dienen ja keinem Selbstzweck, sondern können nur ein Instrument sein. Beispielsweise können Rüstungsexporte in Partnerstaaten dazu dienen, langfristig die Abrüstung voranzubringen. Allerdings müssen die Rüstungsexporte einer gemeinsamen Außenpolitik unterstellt sein. Die gibt es aber nicht, und wir sind ganz weit davon entfernt. Ich hätte mir gewünscht, dass sie das, was am wichtigsten ist, nämlich eine gemeinsame Außenpolitik, voranstellt.
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Alles andere führt dazu, dass wir jetzt eigentlich nur über Industriepolitik reden. Damit fallen wir in Zeiten zurück, die mit Friedenspolitik überhaupt nichts zu tun haben.
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Was sagt Frau von der Leyen dazu? Frau von der Leyen sagt – ich muss ihr zubilligen, dass es von ihr immerhin ein überliefertes Zitat von dieser Konferenz gibt; es gibt andere deutsche Minister, nach deren Auftritten kein Zitat überliefert wurde –:
Wir Deutschen sollten nicht so tun, als seien wir moralischer als die Franzosen.
Das bezog sie auf die Rüstungsexporte.
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Meine Damen und Herren, das ist einfach eine komplette Verkennung dessen, was die Rüstungsexporte mit unserer Sicherheit machen.
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Es geht hier nicht nur um Moral; es geht um Sicherheit. Wie viele Waffensysteme, die Deutschland nach Saudi-Arabien geschickt hat, haben zu einer Entspannung zwischen Saudi-Arabien und Iran geführt? Wie viele deutsche Waffensysteme, die wir nach Ägypten geliefert haben, haben dazu geführt, dass das Land demokratischer wird? Die neue Verfassung, die gerade in Ägypten verabschiedet werden soll, würde dazu führen, dass der Diktator des Landes, el-Sisi, bis 2034 im Amt bleiben kann. Wenn die Bundesregierung sagt, wir kauften uns mit den Rüstungsexporten auch Einfluss, dann kann ich nur sagen: Gott bewahre, dass ihr Einfluss dazu führt, dass der Mann die nächsten 15 Jahre dableibt.
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Der Grundfehler ist das Setzen auf eine Scheinstabilität, die keine Stabilität ist. Es ist ein fataler Fehler, zu glauben, dass Friedhofsruhe Stabilität bedeutet. Das ist so oft in der Geschichte widerlegt worden, aber es hört nicht auf.
Ich wünsche mir, dass die Frau Bundeskanzlerin in der Zukunft viel öfter solche Reden hält – ich hätte es mir auch in der Vergangenheit gewünscht –, nicht nur auf internationalen Konferenzen, sondern auch gegenüber der deutschen Öffentlichkeit. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass sie aufgestanden und sich dem entgegengestellt hätte, als relevante Teile der Unionsfraktion mit einer chauvinistischen Sprache in der „Bild“-Zeitung erklärt haben, man möge doch endlich ein paar Inseln von Griechenland nehmen, wenn man denen schon Geld gebe.
In Bezug auf den Zusammenhalt in Europa wurde viel Porzellan zerschlagen, weil der scharfe Ton damals nicht unterbunden worden ist. Ich hätte mir so gewünscht, dass die Frau Bundeskanzlerin während der Finanzkrise klar und deutlich mit einer solchen Argumentationslust gesprochen hätte; denn dann würden wir heute wahrscheinlich in einem anderen Land leben. Ich hätte mir 2015/2016 gewünscht, dass sich die Bundeskanzlerin entsprechend positioniert hätte.
Es ist dringend notwendig, dass die Europäische Union zusammenhält. Es ist dringend notwendig, den Spaltpilzen entgegenzutreten. Leider hat sie das bisher nicht in der Form getan, die notwendig gewesen wäre. Denn wir drohen beispielsweise zunehmend zum Spielball der aktuellen Verwerfungen zwischen China und Russland zu werden. Gleiches gilt in Bezug auf die Nichtpolitik bzw. die zerstörerische Politik des amtierenden US-Präsidenten.
Die USA sind nicht verlässlich – das hat die Frau Bundeskanzlerin gesagt –, aber es ist noch weitaus schlimmer. Eine der zentralen Baustellen in der derzeitigen Auseinandersetzung über Demokratie sind die Fake News. Selbst der US-Präsident twittert täglich mehr Fake News als die Newsrooms in Sankt Petersburg. Da geht es nicht um Irritationen, da geht es um Feindseligkeiten. Auch deswegen ist es notwendig, dass die Europäische Union zusammenhält.
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Dr. Norbert Röttgen ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Münchner Sicherheitskonferenz ist die herausragende Konferenz zur Sicherheits- und Außenpolitik weltweit. Ich finde es gut, dass es sie gibt. Sie schafft Räume für Dialog, den wir gerade in diesen Zeiten brauchen.
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Meine wesentliche Schlussfolgerung aus der Konferenz in diesem Jahr ist, dass ich für einen Themenwechsel plädiere. Ich bin der Auffassung, dass wir inzwischen hinreichend genug analysiert und beschrieben haben. Wir kennen die Lage. Wir wissen, dass die auf Regeln beruhende internationale Ordnung im Verfall begriffen ist. Wir haben eine Rückkehr der Großmächtepolitik diagnostiziert. Wir müssen jetzt weg vom Analysieren hin zu einer Beantwortung der Fragen kommen: Welche Konsequenzen ziehen wir daraus? Wie wollen wir handeln? Was tun wir? Auch das Hohe Haus muss sich mehr mit diesen Fragen beschäftigen.
Ich möchte in der vorgegebenen Kürze der Aktuellen Stunde drei methodische und drei inhaltliche Anmerkungen dazu machen. Zur Methode: Wie sollten wir unser Handeln in Zukunft verstehen?
Erstens. Es ist eine Schwäche von uns – wir sollten vielleicht auch über unsere Schwächen, die Schwächen Europas und Deutschlands, reflektieren –, dass wir mit unseren Argumenten und unseren Ansichten zu stark in der alten Welt verhaftet sind. Wir haben es mit einer neuen Realität eines geopolitischen Großmächtewettbewerbs zu tun. Dieser neuen Realität müssen wir uns stellen. Das erfordert sicherlich auch neue Antworten von uns, meine Damen und Herren.
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Zweitens. Wir werden nicht das Problem lösen. Wir werden keinen Vorschlag vorlegen können, der die internationale Ordnung wiederherstellt. Auch der Nachfolger von Trump wird keine Politik mehr machen, wie sie vorher gemacht worden ist. Die USA werden auch unter dem Nachfolger nicht zum Status quo ante zurückkehren. Aber wir können beginnen, uns mit einzelnen Problemen zu beschäftigen, und zwar in Bereichen, in denen wir etwas ausrichten können. Ich glaube, dass die Welt nur eine andere wird, wenn wir konkret an einzelnen Stellen anfangen, etwas zu bewegen.
Eine dritte methodische Anmerkung. Ich glaube, der richtige Ansatz im Sinne des Multilateralismus besteht darin, dass wir bestehende Allianzen und neue Allianzen mit Inhalt und Verantwortung füllen. Deutsche Außenpolitik muss in Allianzen denken. Diejenigen, die die Ordnung attackieren, geben das Denken in Ordnungen, in Systemen, in Regeln und in Allianzen gerade auf.
Wir müssen aber auch einen operativen Ansatz verfolgen. Dazu kurz drei inhaltliche Anmerkungen, die weiterverfolgt werden müssen.
Erstens: Wo können wir etwas tun? Wie können wir etwas für die internationale Ordnung tun?
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Die Freiheit der Meere ist ein wesentlicher Teil der internationalen Ordnung. Sie ist eine Basis unseres Wohlstandes. Das Prinzip der Freiheit der Meere ist vor allen Dingen im Südchinesischen Meer gefährdet. Dieses Meer ist von grundlegender Bedeutung für unseren Wohlstand in Deutschland, weil dort eine wesentliche Handelsroute für Deutschland verläuft. Wir sind also Nutznießer dieser Ordnung. Wir sind verbunden in unseren Interessen mit den USA, Japan, Großbritannien, Frankreich, Indonesien, Neuseeland und Australien. Das ist eine neue Allianz, die sich für diesen Teil der internationalen Ordnung einsetzt. Wir sollten uns zumindest die Frage erlauben – wir dürfen sie nicht tabuisieren –: Was ist eigentlich der Beitrag Deutschlands, das so enorm von dieser Ordnung profitiert, diese Ordnung zu stabilisieren? Wir sind Nutznießer, aber nicht Stabilisator. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren.
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Zweitens Handelsbeziehungen. Wir haben mit Japan, mit Kanada einen Vertrag geschlossen; ich begrüße das sehr. Aber was ist, wenn wir nach Süden schauen, wo Länder darauf warten, Zugang zu unserem Markt zu erhalten? Der Arabische Frühling ist angesprochen worden. Wir sagen, ein Land ist übrig geblieben, dort, wo es begann: Tunesien. Wir nennen es einen Leuchtturm. Die Tunesier sagen: Wir sind kein Leuchtturm; uns geht es schlechter als vorher – wirtschaftlich und sozial. – Sie sagen: Ihr gebt uns viel Geld, aber ihr behandelt uns nicht als Partner, weil ihr uns nicht mit den Produkten, die wir erarbeitet haben, auf euren europäischen Markt lasst.
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Also: Handelsbeziehungen auch zu den Ländern, mit denen wir Allianzen und Beziehungen entwickeln können!
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Drittens und letzte Bemerkung. Die strategische Herausforderung, vor der wir stehen – und damit verbunden die Frage von Sein oder Nichtsein unserer Art zu leben –, besteht darin, dass Europa seine Rolle in der Welt definieren muss, dass wir ein Akteur für unsere eigenen Interessen werden; denn wir haben kein anderes Land mehr, das sich unsere Interessen vorbehaltlos zu eigen macht. Darum müssen wir als Europa für unsere eigenen Interessen einstehen, müssen unsere eigenen Interessen wahrnehmen.
Ich glaube nicht, dass Europa – allerletzte Bemerkung – absehbar das Europa der 28 oder der 27 sein wird, sondern wir müssen hier einfach mit einer Gruppe von Ländern, mit einer Avantgarde, beginnen, gemeinsame Außenpolitik zu betreiben – mit einer Avantgarde, die sich auf Kompromisszwang verständigt und dann gemeinsam Politik macht. Das ist der Anfang von dem, was notwendig ist, damit unsere Art zu leben bestehen bleibt und sie friedlich und tolerant in der Welt vertreten werden kann, meine Damen und Herren. Diese Avantgarde für europäische Außenpolitik kann und muss sehr, sehr rasch entstehen.
Vielen Dank.
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Für die AfD-Fraktion hat der Kollege Rüdiger Lucassen das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, mit wie wenig sich die politische Kaste unseres Landes mittlerweile zufriedengibt.
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– „Kaste“ ist übrigens eine Bezeichnung aus Indien und gehört zur Hierarchie, Graf Lambsdorff. Jetzt haben Sie es gelernt.
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In München hält Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Rede, beschreibt die Schieflage der Welt, und die Außen- und Sicherheitspolitiker der Union geraten in Verzückung. Ein flammender Appell an die internationale Zusammenarbeit sei das gewesen, Merkels politisches Vermächtnis sei das gewesen. Die richtige Emotionalität habe die Bundeskanzlerin an den Tag gelegt.
Die Presse sah das meist auch so. Ich saß am letzten Samstag auch in dem Raum. Die Bundeskanzlerin hat zweifelsfrei die Gunst der Stunde genutzt und Emotionalität erzeugt. Nur, sehr geehrte Kollegen von der Union, für Emotionalität allein können Sie sich in der Welt der Staaten und der Interessen nichts kaufen.
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Sie wissen auch, dass die Worte der Regierungschefin durch nichts unterlegt sind. Deutschland steht dank der Bundeskanzlerin am Spielfeldrand der internationalen Politik und schaut zu. Ein Halbsatz in Merkels Rede machte das deutlich. Zum Thema INF-Vertrag sagte sie in München – ich zitiere –:
Ein Vertrag, der im Grunde für Europa gefunden wurde, ein Abrüstungsvertrag, der unsere Sicherheit betrifft, wird von den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland in der Rechtsnachfolge der Sowjetunion gekündigt; und wir sitzen da…
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Ja, Frau Bundeskanzlerin, die Welt ist stürmisch geworden. Auch auf unser Land kommt Sturm zu, und Sie sitzen da – seit 13 Jahren. Die Bundeskanzlerin hat es in ihrer gesamten Regierungszeit nicht geschafft, eine außen- und sicherheitspolitische Gesamtstrategie für Deutschland zu entwerfen. Man muss davon ausgehen, dass sie es nicht wollte.
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Und dieses Parlament hat es ihr durchgehen lassen.
Ein weiterer Punkt. Sie hat das viel geforderte deutsche Engagement nicht in die Tat umgesetzt, weder bei den Bündnisverpflichtungen noch bei der Migration oder bei den zahlreichen Konflikten in der Welt. In München sprach die Kanzlerin die Themen alle an: das Machtstreben Chinas, die Völkerwanderung aus Afrika nach Europa, die Konflikte in der Ostukraine, im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan, in Libyen. Alles richtig erkannt. Aber wie reagiert Deutschland darauf? Das sagt die Bundesregierung nicht. Dafür gibt es keine Strategie.
Notwendig wären auch konkrete Maßnahmen, um die erkannten Gefahren zu entschärfen. Der Kollege Röttgen hat gerade von Methoden gesprochen. Ich will meinerseits eine draufsetzen. Ich nehme das Beispiel Russland: Deutschland hat doch ein vitales Interesse daran, die immer schärfer werdende Konfrontation mit der Russischen Föderation abzufangen. Die richtige Maßnahme wäre also, den NATO-Russland-Rat tatsächlich – tatsächlich! – wiederzubeleben, in einen Dialog zu treten, Vertrauen aufzubauen.
Ich will Ihnen nur ein einziges Beispiel dafür geben, wie man Vertrauen aufbaut: 2013 arbeitete das deutsche Verteidigungsministerium
({5})
noch an einem militärischen Austauschprogramm zwischen der Bundeswehr und den russischen Streitkräften; ganz einfach gehalten, auf der Kompanieebene. Ziel war: sich kennenlernen, Vorurteile abbauen, engerer Austausch auf der Arbeitsebene. Dann kam die Annexion der Krim, und seitdem sind alle Bemühungen auf Eis gelegt. Das ist ein Fehler.
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Es geht doch gerade um solche vertrauensbildenden Maßnahmen. Es reicht nicht, dass sich nur die Regierungschefs, die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitiker in München treffen und Appelle an die Welt richten, sondern auf der Arbeitsebene muss Vertrauen aufgebaut werden. Es wäre die Aufgabe der Bundesregierung, im gesamten Spektrum der Außen- und Sicherheitspolitik Strategien zu entwickeln, die die Probleme lösen können. Nur wenn die Regierung solche Strategien entwickelt, kann sie auch definieren, welche Mittel sie zur Umsetzung benötigt. Nur dann kann sie ermitteln, welchen Beitrag sie in einem Bündnis leisten will. Nur dann kann sie ermitteln, was die Bundeswehr können muss. Und nur dann kann sie ermitteln, wie viel Geld sie tatsächlich dafür braucht. Ohne eine Strategie bleibt der Regierung nur die Emotionalität. Das reicht nicht.
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Eine Rede am Ende einer Kanzlerschaft ist zu wenig, um Deutschlands Position in der Welt zukünftig zu behaupten. Ja, Deutschland allein ist in vielerlei Hinsicht zu schwach. Wir brauchen und wir wollen Partner; aber auch die müssen wissen, was Deutschland will.
Danke.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Fritz Felgentreu.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die drei Tage in München hatten es in sich. Seit vier Jahren ist die Münchner Sicherheitskonferenz die Bestandsaufnahme einer sich immer weiter in neuen und alten Konfrontationen verhärtenden Welt.
Alt: Erneut hat der russische Außenminister vor einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen und damit der Sicherheitslage in Europa gewarnt. Erneut hat er die Europäer aufgefordert, sich von den USA ab- und einem Interessenausgleich mit Russland zuzuwenden. Und erneut kratzen sich die meisten Europäer am Kopf, weil es ihnen schwerfällt, einem Nachbarn zu vertrauen, der die selbst eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen ignoriert, der sich destabilisierend in ihre gesellschaftlichen und politischen Konflikte einmischt und der seine Streitkräfte einsetzt, um Grenzen zu verändern und politische Einflussgebiete abzustecken.
Neu: Das wachsende Gewicht Chinas wird von Jahr zu Jahr deutlicher spürbar. Zugleich wächst die Bereitschaft, nicht länger arglos eine Entwicklung treiben zu lassen, die auf die Dominanz einer dynamischen, autoritären und auf lückenlose Kontrolle abzielenden Weltmacht hinauslaufen kann. Die Debatte um die Firma Huawei und den 5G‑Standard zeigt, dass die Gefahren einer zu großen Abhängigkeit von China immer mehr Ländern bewusst werden.
Neu: In seiner Rede hat US-Vizepräsident Mike Pence deutlich zu verstehen gegeben, dass er über die zentralen Forderungen seines Präsidenten insbesondere gegenüber Deutschland nicht diskutieren oder gar verhandeln will, sondern dass er deren Erfüllung erwartet. Zugleich signalisierten die in großer Zahl angereisten amerikanischen Parlamentarier bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass sie nicht bereit sind, ein kooperatives und freundliches Miteinander aufzugeben oder etwa die NATO infrage zu stellen.
In der Frage, was das offenbar bevorstehende Ende des INF-Vertrages für die Sicherheit unseres Planeten bedeutet, schürzt sich Altes und Neues zu einem verwickelten Knoten. Wir verstehen hier ja alle, dass dieser Vertrag zwischen der damaligen Sowjetunion und den USA, dieser Vertrag, der das niemals direkt beteiligte Europa gleichwohl bisher sicherer gemacht hat, ganz entscheidend auch Chinas wegen erodiert ist. Russlands nuklearfähige Mittelstreckenflugkörper sind eben auch eine Reaktion auf das große Arsenal an Mittelstreckenraketen, das China aufgebaut hat.
Und Europa? Ja, meine Damen und Herren, wo bleibt eigentlich Europa auf dieser Elefantenhochzeit der Mächtigen? Europas Politik sieht heute mit an, wie die Ordnung, die aus den Lehren des Zweiten Weltkriegs entstanden ist, Stück für Stück demontiert wird. Angesichts dieser Entwicklung beschwört Europa den Wert eines regelbasierten Miteinanders der Staaten und Völker.
Für diese Koalition ist völlig klar: Unser Europa muss mit einer Stimme sprechen, damit es gehört wird. Außenminister Maas hat das in seiner Rede in München auf die einfache Formel gebracht: Europa, und das schließt Großbritannien mit ein, ist Teil unserer Staatsraison. – Wir werden deshalb nicht müde werden, auf allen Ebenen den inneren Zusammenhalt Europas zu stärken und zu fördern.
Dass ein einiges und handlungsfähiges Europa sich nicht auf den Handel beschränken kann, dass dazu auch soziale Standards und eben die Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehören, diese Erkenntnis hat sich in den Krisen der letzten fünf Jahre fast überall durchgesetzt. Wer Regeln schaffen und durchsetzen will, aber nicht die Macht dazu hat, an dem zieht der Zug der Zeit vorüber, und irgendwann wird er sich nicht wehren können, wenn andere die Regeln diktieren. Deshalb ist die Grundsatzentscheidung der Europäischen Union richtig, sich mit eigenen, europäischen Strukturen ergänzend und stärkend an die Seite der NATO zu stellen.
PESCO, also die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit mit ihren inzwischen über 30 Projekten, das beschlossene Monitoring über die Fähigkeitsentwicklung in den Mitgliedsländern und der Europäische Verteidigungsfonds sind die Grundlage für den gemeinsamen Fortschritt. Wir müssen in der Umsetzung schnell und konsequent sein, weil davon unser Zusammenhalt nach innen und unsere Glaubwürdigkeit nach außen abhängen. Das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Land Europas wird mit gutem Beispiel vorangehen müssen; sonst werden andere europäische Länder gar keinen Grund haben, die eigenen Zusagen zuverlässig und stetig umzusetzen.
Wir dürfen uns gedanklich und konzeptionell nicht auf dem vereinbarten Fortschritt ausruhen. Die bestehenden Battle Groups sind noch keine europäische Armee. Auch ergänzend zu PESCO lohnt es sich, darüber zu diskutieren, ob die EU nicht noch einen Schritt weiter gehen und eigene Fähigkeiten aufbauen muss, um auf unvorhergesehene Situationen schnell und flexibel reagieren zu können.
Die drei Tage von München helfen uns, zu verstehen, dass wir nüchtern analysieren, klug planen und konsequent handeln müssen, um unsere Resilienz zu stärken und dem eigenen Anspruch Wirkung zu verleihen. Jeder Gegenentwurf zu einer regelbasierten Weltordnung läuft für die vielen kleinen und mittelgroßen Länder Europas auf Abhängigkeit hinaus. Europas größter Wert ist aber die Freiheit.
Vielen Dank.
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Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege Christian Schmidt.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, es waren interessante Tage und es waren Tage, in denen uns klar geworden ist, dass von uns auch die Vorgabe einer Struktur erwartet wird, damit das Puzzle zusammengesetzt werden kann.
Was setzen wir dagegen, was haben wir als Europäer dagegengesetzt, dass es manche gibt, die diese Struktur zerstören wollen oder neben der Struktur arbeiten wollen? Wir haben – es ist mehrfach angesprochen worden – den Gedanken der regelbasierten Ordnung, den Henry Kissinger auf den Westfälischen Frieden von 1648 zurückführt, weiterzuentwickeln. Deswegen geht es nicht nur um Befindlichkeit oder Nabelschau. In gewisser Weise war die Rede der Bundeskanzlerin ein Zeichen für den Weg nach vorn, auch im Hinblick auf die vielen Aufgaben, die zu erledigen sind.
Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitiere ich:
Europa, das vor knapp einem Jahrhundert noch ein Quasi-Monopol auf die Gestaltung der globalen Ordnung hatte, läuft Gefahr, sich von der gegenwärtigen Suche nach einer gemeinsamen Struktur abzukoppeln, wenn es seinen inneren Aufbau letztendlich mit seinem geopolitischen Ziel gleichsetzt. Europa wendet sich just in einem Augenblick nach innen, da die Weltordnung, die es in bedeutendem Maße mit geschaffen hat, von zerstörerischen Entwicklungen bedroht wird, die alle Regionen, die ihre Mitgestaltung versäumen, am Ende in den Abgrund reißen könnte. So befindet sich Europa in einer Schwebe zwischen einer Vergangenheit, die es überwinden will, und einer Zukunft, für die es noch keine Vision entwickelt hat.
Dies schrieb Henry Kissinger 2015 in seinem Buch über die neue Weltordnung.
Wir sind der Kritik Kissingers ein Stück weit gefolgt und haben reagiert. Ja, Europa hat sich verbessert und entwickelt.
Natürlich gibt es neue Krisenherde, über die ich im Einzelnen gar nicht reden möchte. Das sind fast alltägliche Krisen. Wenn ich an den Konflikt und die Diskussionen zwischen Serben und Kosovaren über die Frage denke, wie ein zukünftiges friedliches Nebeneinander aussehen kann: Das sind Dinge, die – lassen Sie es mich so sagen – händelbar sind. Daran scheitert die Welt nicht. Sie würde aber daran scheitern, wenn wir unsere eigenen Verträge nicht einhalten würden. Franz Josef Strauß sagte dann immer: Pacta sunt servanda.
Die Verträge, die wir auf europäischer Ebene haben, und die Verträge, die wir auf internationaler Ebene haben, müssen reformiert werden. Die Grundstrukturen müssen wir aber behalten. Das heißt, dass die NATO – das ist ein ganz entscheidender Punkt und wurde sehr deutlich – im Mittelpunkt stehen wird und dass wir auch unsere Beiträge dazu leisten müssen, dass sich die NATO nach vorne entwickelt: als politisches Bündnis – genau das wurde unterstrichen –, aber auch mit seinen Fähigkeiten, sei es bei der Cyberabwehr oder im militärischen Bereich.
Ich denke, dass der Eckwertebeschluss zum Bundeshaushalt 2020, den die Bundesregierung in Kürze zu fassen hat, dem auch Rechnung tragen muss, was wir in Wales zuletzt zugesagt und vereinbart haben und was die Bundeskanzlerin und die Verteidigungsministerin auch sehr deutlich benannt haben. Die Verteidigungsausgaben müssen an diese Linie angepasst werden. Sie sind kein Selbstzweck, aber eine Notwendigkeit zur Vertrauensbildung und zur Lückenschließung. Dies wird uns in Europa erst in die Lage versetzen, uns als einen selbstständigen, einen eigenständigen, aber nicht abtrennbaren Teil der NATO – separable but not separate – zu verstehen.
Wir werden noch diskutieren müssen, wie stark wir eine europäische Identität in der NATO erhalten und inwieweit wir hier doch Doppeleffekte haben, die wir mit einer klugen gemeinsamen Überlegung noch zusammenführen müssen.
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Ein Letztes. Die Münchner Sicherheitskonferenz bleibt der zentrale Dreh- und Angelpunkt dieser Diskussion in Deutschland. Ich danke Wolfgang Ischinger und freue mich, wenn uns dies auch in Zukunft nachhaltig gelingt. Solch eine Konferenz kann man nicht erfinden; sie entwickelt sich. Sie hat sich seit Ewald von Kleist entwickelt, einem, der aus dem Widerstand gegen das Naziregime kam und mit Ethik, Ehre, aber auch klarem Bewusstsein bezüglich der Notwendigkeiten gearbeitet hat.
Es liegt an uns – auch auf Bundes- und Landesebene und sonst wie –, unsere Beiträge dazu zu leisten, dass Wolfgang Ischingers Konferenz, die MSC, auch zukünftig das zentrale Forum für Sicherheit in Deutschland und in Europa sein wird.
Herzlichen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat das Wort die Kollegin Siemtje Möller.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Münchner Sicherheitskonferenz hatte es in diesem Jahr tatsächlich in sich, wie der werte Kollege Felgentreu schon betont hat. Sie hat gezeigt, dass sich die internationalen Kräfte verschoben haben. Das transatlantische Verhältnis hat sich in den letzten zwei Jahren nachhaltig verändert.
Dass es so weit gekommen ist, betrübt mich. Der immer beschworenen Wertegemeinschaft des Westens steht eine harte Bewährungsprobe bevor. Wir in Europa müssen uns vielen Fragen stellen: Wie kümmern wir uns um unsere eigene Sicherheit? Wie bleiben wir verlässliche Bündnispartner? Und: Wie begegnen wir den wirklich wichtigen Problemen unserer Zeit, ohne uns dabei von der Realityshow jenseits des Atlantiks ständig ablenken zu lassen?
Deutschland nimmt in der internationalen Sicherheitspolitik eine besondere Funktion ein. Fest verankert im Herzen Europas, konnten wir diese besondere Rolle nutzen, um bei internationalen Konflikten zu beraten und vermittelnd eine Tür aufzustoßen. Insbesondere in den letzten Jahren haben deutsche Außenminister komplizierte Lösungen für komplexe Konflikte entscheidend mitgestaltet und vorangebracht. Das geschieht in dem tiefen Bewusstsein unserer historischen Verantwortung und zugleich der tiefen Verpflichtung zum Frieden und zu einer regelbasierten Weltordnung, in der mittels klug aufgebauter Verträge Interessen ausgeglichen und in Einklang gebracht werden. Letztendlich wird so das kriegerische Austragen von Konflikten verhindert.
Ein Blick in die komplizierter und unsicherer werdende Welt zeigt, dass es eines Mehrs an überlegter, verbindlicher Vermittlung Deutschlands bedarf und zugleich auch eines Mehrs an einer klaren und selbstbewussten Position, um die Kanäle der Bündnisse und der Verbündeten selbst nutzen zu können. Das ist in unserem ureigenen Interesse. Das tun wir nicht ausschließlich für die anderen. Nein, das tun wir für uns, weil die Welt dann sicherer wird und auch die Menschen in Deutschland weiterhin in Sicherheit leben können.
Eine besondere Gelegenheit, dieses Geschick unter Beweis zu stellen, ist die Sicherheitskonferenz. Vollumfänglich auf ganz kleinem Raum, eingeschränkt durch zeitliche und räumliche Enge: So wird kein drängendes Thema der Sicherheitspolitik ausgespart. Genannt wurden schon die Verwerfungen um das Südchinesische Meer, Iran und die Sicherheitslage im Mittleren und Nahen Osten, die Zukunft der internationalen Abrüstungskontrolle im Zusammenhang mit der Aufkündigung des INF-Vertrags und natürlich die Fortentwicklung in Südosteuropa – um nur einige wenige zu nennen.
Das Gute an einer solchen Konferenz, die eben auf so engem Raum stattfindet: Niemand kann sich dort aus dem Weg gehen – und auch keinem Thema. Da sitzen dann der Präsident des Kosovo und der Präsident Serbiens gemeinsam auf einem Podium, diskutieren und gehen danach, sich auf die Schulter klopfend, auch gemeinsam von diesem Podium nach dem Motto: Gemeinsam kriegen wir das schon hin. – In Anbetracht des Konflikts, der so erbittert ausgetragen wurde und immer noch wird, ist dies tatsächlich beeindruckend.
Die diesjährige Tagung war eine Konferenz der klaren Worte und auch ein Schaulaufen in einer sich verändert habenden internationalen Welt. China gibt sich als Vertreter einer multilateralen Weltordnung – Betonung auf „gibt sich“ –, während die USA von Deutschland strengen Gehorsam bei einer stark vereinfachenden Analyse der Welt an sich erwarten, so beispielsweise deutlich zutage tretend bei der Frage rund um Nord Stream 2 und LNG-Import. Als überzeugter Transatlantikerin tun mir da schon das Herz weh und angesichts so starker Vereinfachungen zugegebenermaßen auch ein wenig der Kopf.
Dennoch glaube ich, dass es auch etwas Gutes hat, wenn Interessen klar formuliert werden. Nur so kann man mit ihnen umgehen, nur so können sie überhaupt verhandelt werden. Da können wir uns zugegebenermaßen von anderen noch eine Scheibe abschneiden. Uns kommt auf dem internationalen Parkett die von mir beschriebene besondere Rolle zu, die wir aber nur ausfüllen können, wenn auch wir unsere Interessen klar benannt und präzise herausgearbeitet haben, sonst werden wir beliebig.
Zu unserem Interesse gehören dabei ganz sicher Frieden und Sicherheit über eine tiefe Verwurzelung im westlichen Bündnis und in Europa. Diese beiden Verwurzelungsorte können dabei von einzelnen Personen zwar besonders gestärkt werden, so wie es die großen Europäerinnen und Europäer und auch Transatlantikerinnen und Transatlantiker der Vergangenheit gemacht haben. Aber die Prinzipien, die ihnen zugrunde liegen, Freiheit, Demokratie, Sicherheit und Frieden, sind größer als jeder und jede Einzelne. Sie überragen als normative, moralische Ordnungsprinzipien die Tagespolitik, und sie sprengen auch jeden Tweet.
Joe Biden, früherer Vizepräsident der Vereinigten Staaten, sagte auf der Konferenz: Wir sind hier, weil wir euch brauchen. Ich hoffe, ihr braucht uns auch. – Unsere Antwort darauf kann und muss doch lauten: Of course! – Wir werden alles dafür tun, um den komplexen Herausforderungen mit Lösungsvorschlägen zu begegnen, die dieser Komplexität auch angemessen sind: gemeinsam und im Dialog.
Vielen Dank.
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Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kollege Roderich Kiesewetter, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende dieser Aktuellen Stunde ist uns allen deutlich geworden, dass bei der Münchner Sicherheitskonferenz, aber auch hier die Bruchlinien der internationalen regelbasierten Ordnung zum Greifen nahe sind. Das für uns Beklemmende ist, dass auf der Münchner Sicherheitskonferenz keine europäische Position sichtbar war, die das Ganze wieder gekittet hätte. Wir sollten uns noch einmal vor Augen führen, was Angela Merkel angesprochen hat. Sie hat die Bruchlinien, die Puzzles benannt: die Entwicklung in Afrika, die Erosion der internationalen Rüstungskontrollarchitektur, aber auch die demografische Entwicklung, den Klimaschutz und letztlich die Handelskonflikte. Die Antwort darauf, die wir hier zum Teil versucht haben zu geben, ist nicht der Rückzug ins Nationale. Die Probleme zu lösen – das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner fraktionsübergreifend dargelegt –, geht nur gemeinsam. Wenn wir nicht in der Lage sind, die Probleme gemeinschaftlich zu lösen, wird uns eine Renationalisierung erst recht an den Abgrund bringen.
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Drei Punkte liegen mir am Herzen. Erstens, der Blick auf die Münchner Sicherheitskonferenz selbst: Das ist eine privat organisierte Konferenz, wo Außen-, Entwicklungs-, Sicherheits-, Handels- und Wirtschaftspolitik zusammengeführt werden. Dieser Konferenz gelingt es außerdem seit vielen Jahren, auch junge Leute einzubinden. Das ist ein Pfund. Das Kostbare an dieser Konferenz ist, dass sie nicht mehr wie vielleicht vor 30, 40 Jahren eine Konferenz der Elder Statesmen ist, sondern die Probleme generationenübergreifend anpackt. Sicherheitspolitik bekommen wir nur in die Gesellschaft, wenn wir Foren schaffen. Deshalb sollte das uns als Parlamentarier ein Mahnruf sein, uns im Parlament mit solchen Fragen intensiver zu beschäftigen. Wir als CDU/CSU und SPD in der Koalition haben bewusst dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt, um nicht nur über 30 Einzeldebatten – 16 oder 17 mal 2 im Jahr – über Einsätze zu führen, sondern um auch gezielt über die strategische Ausrichtung zu sprechen.
Wenn eines deutlich geworden ist, dann das – das sind meine beiden anderen Punkte –: Die Bundesrepublik Deutschland kann nicht alleine agieren. Aber die Verteidigungsanstrengungen, die wir unternommen haben, haben die NATO gestärkt. Diese Stärkung der NATO führt dazu, dass sie wieder ernst genommen wird, dass sie auch von den Partnern in Osteuropa, von Polen und dem Baltikum, als Sicherheitsgarantie verstanden wird. Die Folgerungen, die wir daraus ziehen, sind die Verbesserung der Ausrüstung der Bundeswehr und ein stärkeres Engagement in der NATO bzw. eine stärkere Sichtbarkeit in der NATO. Genauso wichtig ist, dass wir vor dem Hintergrund einer gestärkten NATO und mit durchgedrücktem Rücken wieder das Gespräch mit Russland suchen. Wir brauchen auf militärischer und politischer Ebene den NATO-Russland-Rat. Nachdem wir die NATO wieder stark gemacht haben, sollten wir uns nicht der Chance begeben, einen engeren Austausch mit Russland zu suchen und unsere Punkte durchzubringen – sie alle sind bekannt –, von der Krim bis hin zum Vorgehen in Syrien.
Der letzte Gedanke, den ich anstellen möchte, betrifft die Rolle Europas. Wenn wir über Afrika und eine faire Handelspolitik nachdenken, stellen wir fest, dass die Rolle Europas weniger sichtbar ist, als sie sein könnte. Wo ist unser strategischer Beitrag, um den Maghreb stärker an den europäischen Wirtschaftsraum anzubinden? Wo ist der europäische Beitrag, die Operation Sophia und die europäische Grenzmission in Libyen enger miteinander zu verknüpfen? Wo ist der europäische Beitrag mit Blick auf den Schutz von Minderheiten in Idlib, um im Nahen und Mittleren Osten stärker präsent zu sein? Hier haben wir in den nächsten Jahren unsere Hausaufgaben zu machen.
Die Lösung bedeutet also nicht weniger Europa oder weniger NATO und Renationalisierung, sondern, dass wir, fest verankert im Westen, Trump als Warnzeichen und gleichzeitig als Ermutigung sehen, unser europäisches Schicksal fester in die Hand zu nehmen und im Umfeld Europas mehr Verantwortung zu übernehmen. Das kostet Geld. Das bedeutet mit dem Blick auf den Finanzrahmen nicht nur der Bundeswehr, sondern auch der Entwicklungszusammenarbeit, der industriellen Unterstützung sowie der Ausbildungs- und der Bildungsunterstützung, dass wir Geld in die Hand nehmen müssen, um junge Menschen außerhalb Europas aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung zu führen – davon profitieren wir Europäer wiederum – und um gemeinsam einen Sicherheitsraum um das Mittelmeer herum zu gestalten.
In diesem Sinne war die Münchner Sicherheitskonferenz ein Weckruf und, ich glaube, auch ein Appell an uns, dass wir uns im Parlament intensiver mit solchen Fragen beschäftigen.
Herzlichen Dank.
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Vielen Dank, Roderich Kiesewetter. – Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Februar 2019, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 16.45 Uhr)
Berichtigung
79. Sitzung, Seite 9217 B, zweiter Absatz, zweiter Satz, ist wie folgt zu lesen: „Ergänzend war dem Netzauftritt des Auswärtigen Amtes das Motto der Berlinale zu entnehmen – Zitat –: ‚Das Private ist politisch‘.“
79. Sitzung, Seite 9217 C, letzter Absatz, dritter Satz, ist wie folgt zu lesen: „War Anlass der Förderung das Motto ‚Das Private ist politisch‘?“