Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wenn wir heute über den Menschenrechtsbericht der Bundesregierung diskutieren, dann geht es eben nicht um abstrakte Szenarien; vielmehr geht es um menschliche Schicksale. Ich will Ihnen eine Begegnung schildern, die ich vor etwa zwei Monaten hatte. Auf meiner Reise in den Irak habe ich drei Frauen getroffen. Sie alle hatten Kinder von IS-Kämpfern, zwei von ihnen aufgrund von Vergewaltigungen. Zum Glück konnten sie sich in einem Flüchtlingscamp in Sicherheit bringen. Als sie nach der Befreiung von Mosul in ihre Heimatstadt zurückkehren wollten, wurden sie verstoßen, ihre Kinder galten als IS-Bastarde. Ihnen blieb damals nichts anderes übrig, als in die Trostlosigkeit des Flüchtlingscamps zurückzugehen. In dem Gespräch, das ich mit ihnen geführt hatte, sagten sie mir: Aber wir hören nicht auf zu kämpfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Frauen stehen für unzählige Frauen, die in Krisen, Konflikten und Kriegen Ähnliches durchleben, Tag für Tag. Und sie hören nicht auf zu kämpfen. Ganz bewusst haben wir schon zu Beginn unserer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen versucht, diesen Frauen eine Stimme zu geben, und die Lage von Frauen vor allem im Nahen und Mittleren Osten auf die Tagesordnung gesetzt. Die Resolution 1325 der Vereinten Nationen bleibt ein Schwerpunkt unserer Arbeit im Sicherheitsrat.
Wir haben uns zum Beispiel vorgenommen, der VN-Sonderbeauftragten durch eine Resolution des Sicherheitsrates, die es so bisher noch nicht gegeben hat, den Rücken zu stärken. Wir wollen Initiativen unterstützen, die Verbrechen gegen Frauen dokumentieren, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen; denn das ist in viel zu häufigen Fällen nicht der Fall.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Genf und in New York erleben wir es täglich: Bereits den Status quo beim Menschenrechtsschutz zu halten, wird immer schwerer. Die Krise der internationalen Organisationen, die Krise des Multilateralismus ist letztlich auch eine Krise der Menschenrechte. Die Verteidigung des Status quo alleine reicht nicht aus. Menschenrechtspolitik darf nicht nur ein bloßer Abwehrkampf sein. Deshalb braucht man eine progressive Menschenrechtspolitik, eine, die nach vorne schaut und Initiativen ergreift. Dazu zählt die Stärkung von Frauenrechten, auch international. Dazu zählt unser Einsatz für Menschenrechte, auch im digitalen Raum. Und dazu zählt, dass wir im Sicherheitsrat auch die Rechte von Opfern des Klimawandels zur Sprache bringen; denn Klimawandel und Sicherheit stehen mittlerweile in einem untrennbaren Zusammenhang.
Das A und O für eine solch progressive Menschenrechtspolitik sind nach unserer Auffassung starke Institutionen. Deshalb haben wir als Bundesregierung entschieden, bereits ein Jahr früher als geplant, das heißt für den Zeitraum 2020 bis 2022, wieder für den Menschenrechtsrat in Genf zu kandidieren; denn gerade dann, wenn andere sich zurückziehen – das ist bedauerlicherweise in viel zu vielen Fällen nun einmal Realität geworden –, muss Deutschland eine starke Stimme für Menschenrechte sein. Wir wären dann 2020 parallel Mitglied im Sicherheitsrat und im Menschenrechtsrat, und das wollen wir nutzen, um Menschenrechte und Sicherheitsthemen noch stärker miteinander zu verzahnen; denn noch kommt der Blick auf die Notleidenden im Sicherheitsrat in New York oft zu kurz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das wird nur gelingen, wenn wir auch unsere Allianzen mit Gleichgesinnten stärken. Mit Schweden und Kanada zum Beispiel ziehen wir bereits an einem Strang, wenn es um das Engagement für Frauenrechte geht. Aber wir müssen auch weitere, neue Allianzen eingehen und innerhalb der Europäischen Union, bei den Vereinten Nationen, im Europarat und in der OSZE stärker, als das bisher der Fall ist, und auch im Verbund mit anderen für unsere Positionen werben. Dabei setze ich auch ganz besonders auf die Unterstützung des Deutschen Bundestages.
Herzlichen Dank.
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Danke sehr. – Wir kommen jetzt zu Fragen zu dem Bericht des Bundesaußenministers über die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung. Die erste Frage stellt der Kollege Martin Sichert, AfD.
Herr Minister, Sie haben jetzt viel über Frauenrechte gesprochen. Da knüpft meine Frage an; denn zur Frage der Frauenrechte im Nahen Osten gehört auch die Frage der Frauenrechte im Iran. Der Iran ist ein zutiefst antisemitischer, frauenfeindlicher Staat. Amnesty International berichtet von willkürlichen Verhaftungen, davon, dass Folter und Misshandlungen dort an der Tagesordnung sind, davon, dass es jedes Jahr Hunderte Hinrichtungen gibt und dass Behörden billigen, dass Menschen wegen ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer politischen Überzeugung, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität oder einer Behinderung Opfer von Gewalt werden. Der Iran exportiert sogar Terror. Die Hisbollah droht Israel mit über 130 000 iranischen Raketen.
Die Machtergreifung der Mullahs, die für all diese Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, ging mit massiver Unterdrückung der Frauen, die vorher deutlich mehr Freiheit genossen hatten, einher. Diesen Montag feierten die Mullahs den 40. Jahrestag der Machtergreifung, und die Bundesregierung, in Person Ihres Staatsministers Niels Annen, hat mitgefeiert. Wie wollen Sie glaubwürdig für Menschenrechte kämpfen, wenn Sie an Feiern der Machtergreifung eines Regimes teilnehmen, das in nahezu jeder erdenklichen Art und Weise die Menschenrechte mit Füßen tritt?
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Herr Abgeordneter, ich möchte klarstellen, dass die Bundesregierung nicht erst jetzt oder erst seit kurzem beim Thema „Menschenrechte im Iran“ immer eine sehr klare Haltung an den Tag gelegt hat.
Wir haben die Situation sowohl in Bezug auf die Arbeitsbedingungen für Menschenrechtsverteidiger, zahlreiche Hinrichtungen, die Behandlung von Frauen, die Sie angesprochen haben, als auch in Bezug auf Repressalien gegen Minderheiten öffentlich und in direkten Gesprächen immer wieder thematisiert.
Bärbel Kofler hat sich als Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung
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in ihren Erklärungen, aber auch konsularisch – dort, wo es möglich gewesen ist – für Einzelfälle eingesetzt. Wir haben auch bei den Vereinten Nationen und auch beim Menschenrechtsrat immer eine konsequente Haltung an den Tag gelegt, die im Übrigen zum Beispiel auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass ein kürzlich erfolgter Abgleich der Sanktionslisten ergeben hat, dass die EU mehr Organisationen und Einzelpersonen aus dem Iran unter Sanktionen gestellt hat als die USA, und zwar aus den gleichen Gründen, die Sie genannt haben. Wir haben zusammen mit unseren Partnern gerade kürzlich innerhalb der Europäischen Union thematisiert, dass auch aufgrund der Lage der Menschenrechte im Iran weitere Sanktionen innerhalb der Europäischen Union auf die Tagesordnung gehören.
Danke sehr. – Michael Brand, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.
Herzlichen Dank. – Herr Minister, ich will das Thema „Nationaler Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ ansprechen. Im 13. Bericht der Bunderegierung über ihre Menschenrechtspolitik gibt es explizit dazu ein Kapitel.
Während im NAP auf Regierungsebene beim Nichterreichen des Ziels – ich zitiere – „weitere Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen“ vorgesehen sind, hat ja der aktuelle Koalitionsvertrag konkret gesetzliche Konsequenzen für diesen Fall angekündigt und formuliert, dass man sich hier für EU-weite Regelungen einsetzen will.
Heute gibt es Berichte darüber, dass Minister Müller ein Gesetz vorbereitet – es nennt sich „Nachhaltiges Wertschöpfungskettengesetz“ –, in dem Bußgelder bis zu 5 Millionen Euro bzw. Freiheitsstrafen und der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen in Deutschland vorgesehen sind. Mich würde interessieren, wie Sie dazu Stellung nehmen.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, das, was der Kollege Müller gesagt hat, ist Teil einer Diskussion, die innerhalb der Bundesregierung stattfindet. Wir haben immer darauf hingewiesen, dass wir als Bundesregierung, sofern keine ausreichende Umsetzung bis 2020 erfolgt, weiter gehende Schritte prüfen, bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen. Das ist das, was der Kollege Müller angesprochen hat. Ich will auch darauf verweisen, dass im Koalitionsvertrag der Koalitionsparteien deutlich gemacht wird, dass in diesem Fall gesetzliche Rahmenbedingungen für notwendig erachtet werden und dass man sich für eine EU-weite Regelung einsetzen wird. Insofern ist das, was der Kollege Müller gesagt hat, ein Teil der Diskussion, die innerhalb der Bundesregierung geführt wird, und das entspricht auch dem, was die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Gyde Jensen, FDP, hat die nächste Frage.
Vielen Dank. – Herr Minister, es soll ja heute um den 13. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik gehen. Es ist schön, dass Sie sich der heutigen Befragung hier stellen. Noch schöner wäre es natürlich gewesen, wenn den Fraktionen dieser Bericht zeitig vorgelegt worden wäre; denn dann hätte man noch viel genauer auf einzelne Fragen eingehen können.
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Ich würde es deswegen jetzt erst mal allgemein halten und Sie fragen, ob es Kritik der Zivilgesellschaft an dem 12. Bericht gegeben hat, inwieweit diese Kritik der Zivilgesellschaft in dem 13. Bericht Niederschlag gefunden hat, wie Sie gesamtstrategisch mit der Menschenrechtspolitik umgehen und welche weiteren Schritte Sie und die Bundesregierung im Hinblick auf eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Zivilgesellschaft in Bezug auf den 13. Bericht planen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Ich will zunächst etwas zur Zuleitung des Berichts sagen, die Sie angesprochen haben. Das Kabinett hat heute Morgen diesen Bericht, der fachlich in der letzten Woche fertiggestellt wurde, beschlossen. Da es sich um einen Beschluss der Bundesregierung handelt, ist es uns gar nicht möglich, diesen Bericht dem Bundestag früher zur Verfügung zu stellen. Nachdem er beschlossen worden ist, ist er allerdings dem Bundestag direkt zugeleitet worden.
Wir befinden uns mit den zivilen Organisationen im Dialog. Vor kurzem gab es innerhalb des Auswärtigen Amtes dazu eine breit angelegte Besprechung. Wir werden uns mit dem, was an Kritik geäußert wird, was an Ergänzungen und Vorschlägen gemacht wird, auch in Zukunft intensiv auseinandersetzen und versuchen, dies auch in diesen Bericht aufzunehmen.
Dr. Rolf Mützenich, SPD.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Deutschland jetzt die zweijährige Mitgliedschaft als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nutzen wird, um nicht nur dem Multilateralismus, sondern insbesondere auch dem Themenbereich der Menschenrechte das entsprechende Gewicht zu geben. Sie werden von meiner Fraktion darin inhaltlich voll unterstützt, aber auch parlamentarisch in der nächsten Zeit begleitet. Vor diesem Hintergrund würde ich Sie gerne zu einem Aspekt fragen: Gerade die Menschenrechtsverteidiger sind in ihren jeweiligen Ländern – Volksrepublik China, Ägypten und viele andere Länder – massivem Druck ausgesetzt. Wie kann Deutschland zu deren Schutz beitragen und sie in ihrer Arbeit unterstützen?
Vielen Dank, Herr Abgeordneter. – Der Schutz von Menschenrechtsverteidigern ist tatsächlich nicht nur in China, sondern auch in vielen anderen Ländern, etwa in der Türkei, ein Problem, das nicht geringer, sondern größer geworden ist. Wir setzen uns bei den Besuchen, die stattfinden, und bei Regierungskonsultationen mit unseren Gesprächspartnern mit diesem Thema außerordentlich intensiv auseinander. Ich selber versuche sowohl bei Reisen nach China als auch in die Türkei, jeweils auch ein Gespräch mit Menschenrechtsverteidigern zu führen. Es gibt unterschiedliche Projekte von Menschenrechtsverteidigern und für Menschenrechtsverteidiger, die von der Bundesregierung unterstützt werden. Die Bundesregierung setzt zudem die Leitlinien der Europäischen Union zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern um. Diese Leitlinien haben insbesondere zum Inhalt, die Arbeitsbedingungen vor Ort zu verbessern. Das ist der Rahmen, in dem wir mit unseren Gesprächspartnern diskutieren.
Die Bundesregierung veranstaltet zum Beispiel seit 2011 jährlich Seminare für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger in unterschiedlichen Regionen in der Welt. Das letzte Regionalseminar in diesem Sinne fand Anfang September in Jordanien für die Region Naher und Mittlerer Osten sowie für die Golfstaaten statt. Dieses Jahr findet im Mai ein Regionalseminar in Georgien statt. Im November ist ein Seminar für die Region Ostafrika geplant.
Herr Bundesminister, darf ich Sie auf die Ampel aufmerksam machen?
Ja. – Daran wollte ich deutlich machen, dass wir versuchen, vor Ort auch operationell zu helfen.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt Christine Buchholz, Die Linke.
Herr Maas, der Einsatz für Menschenrechte im Allgemeinen, Frauenrechte, aber auch Religionsfreiheit im Speziellen ist sehr wichtig, erfordert aber auch, dass man sich konsequent für die Einhaltung dieser Menschenrechte im eigenen Land einsetzt. Nun ist die Bundesregierung sowohl von den Vereinten Nationen während des UPR-Verfahrens, aber auch vom Deutschen Institut für Menschenrechte dafür kritisiert worden, dass es in Deutschland eine deutliche Zunahme von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gibt.
Wir haben letzten Freitag erleben müssen, dass in Berlin drei junge muslimische Mädchen angegriffen worden sind; offensichtlich islamfeindliche Angriffe. Das ist meines Erachtens nur die Spitze des Eisberges, wenn man sich die Statistiken ansieht. Die Dunkelziffern in diesem Bereich sind sehr hoch.
Wie erklären Sie sich diese Zunahme von islamfeindlichen Übergriffen und antimuslimischem Rassismus in Deutschland? Welche Schritte leitet die Bundesregierung ein, um diesem Rassismus und der Islamfeindlichkeit entgegenzutreten?
Die Bundesregierung hat ganz bewusst in dem Menschenrechtsbericht, den wir heute im Kabinett beschlossen haben, auch die Lage in Deutschland analysiert und bewertet. Bedauerlicherweise sind diese Informationen nicht neu. Es ist eine Entwicklung der letzten Jahre, dass die Diskriminierung im Bereich Rassismus, aber auch die Diskriminierung von Religionsgemeinschaften zugenommen hat. Auch antisemitische Straftaten und Diskriminierungen haben zugenommen. Wir haben im letzten Jahr entschieden, einen Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung zu benennen. Die Bundesregierung drängt darauf, dass, wenn es sich um Straftaten handelt, diese konsequent verfolgt werden. Im Übrigen geht es nicht nur um die, die auf der Straße, sondern auch um die – das ist etwas sehr Besorgniserregendes –, die in der digitalen Welt, also den sozialen Netzwerken, verübt werden. Wir stellen insgesamt fest, dass oftmals Minderheiten die Leidtragenden der zunehmend stattfindenden Polarisierung in der politischen Debatte sind. Dagegen wenden wir uns in aller Form und auf allen Ebenen, wenn wir die Möglichkeiten dazu haben.
Margarete Bause, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, im Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsfraktionen darauf verständigt, zwei wichtige Menschenrechtskonventionen zu ratifizieren. Das sind einmal das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt und zum anderen die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker. Schon im letzten Bericht über die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung wurde zugesichert, dass die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zum Sozialpakt intensiv geprüft werde. Im Dezember hatten wir dazu die Staatssekretärin aus dem Arbeits- und Sozialministerium im Menschenrechtsausschuss. Sie hat gesagt, es sei Bewegung in die Sache gekommen. Bisher haben wir allerdings von dieser Bewegung noch nicht so viel gemerkt. Ich habe zwei schriftliche Fragen zum Stand der Ratifizierungsverfahren gestellt und habe eigentlich keine Antwort bekommen. Jetzt frage ich Sie: Wie ist der Zeitplan für beide Ratifizierungsprozesse, also Zusatzprotokoll und ILO-Konvention? Wann können wir mit einem Abschluss rechnen?
Wie Ihnen in der Antwort auf Ihre Fragen bereits mitgeteilt wurde, ist das gegenwärtig Teil der regierungsinternen Abstimmung. Ich gehe davon aus, dass, wie im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, die Ratifizierung so vorgenommen wird. Ich würde mich darüber freuen, wenn uns dies in diesem Jahr gelingt. Ich kann Ihnen keinen exakten Zeitplan nennen. Aber die Absicht der Bundesregierung ist, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir beide Dokumente ratifizieren.
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Danke sehr. – Jürgen Braun, AfD.
Herr Bundesminister, schade ist, dass der Bericht nicht vorliegt; aber das ist ja schon moniert worden. Noch arger sind Einzelfälle, um die sich die Bundesregierung nur begrenzt oder gar nicht kümmert. In Venezuela sitzt seit dem 17. November 2018 der deutsche Reporter Billy Six in Einzelhaft, vom Geheimdienst eingekerkert. Die Bundesregierung hat in dieser Sache bisher nachweislich nichts oder sehr wenig unternommen. Die Bundesregierung will nun auf ein rechtsstaatliches Verfahren drängen, obwohl Billy Six ein unschuldiger Reporter ist, der von einem sozialistischen Diktator inhaftiert wurde. Mindestens fünf Journalisten aus anderen Ländern sind inzwischen freigekommen, weil die Länder sich darum gekümmert haben, dass ihre Journalisten – ihre Staatsbürger – freikommen. Warum unternimmt die Bundesregierung dort erkennbar so wenig, und was gedenkt sie in Zukunft zu tun? Hängt es etwa von der Gesinnung von Billy Six ab, ob man sich für einen unschuldig Verfolgten einsetzt, oder warum ist die Bundesregierung in diesem Fall in Venezuela so untätig geblieben?
Herr Abgeordneter, die in Ihrer Frage enthaltene Unterstellung will ich zurückweisen und das auch anhand von konkreten Ereignissen dokumentieren. Das Auswärtige Amt und die Botschaft in Caracas betreuen Billy Six konsularisch. Am 9. Januar fand bereits ein erster Haftbesuch durch unseren Botschafter statt. Sie haben darauf hingewiesen, dass wir uns gegenüber den verantwortlichen Stellen für ein rechtsstaatliches Verfahren eingesetzt haben.
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Die Botschaft bemüht sich zurzeit auch darum, dass der von Herrn Six gewählte Rechtsanwalt eben auch beauftragt werden kann. Darüber hinaus nutzen wir die übliche konsularische Betreuung auch im Fall Billy Six, und zwar auf allen Gesprächskanälen. Der Botschafter hat mehrfach im Außenministerium in Caracas vorgesprochen, und das Auswärtige Amt hat mit dem venezolanischen Botschafter auch zu diesem Fall bereits hier in Berlin ein Gespräch geführt.
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Danke sehr. – Martin Patzelt, CDU/CSU.
Herr Minister Maas, uns beschäftigt im Moment die Frage der Organtransplantationen, da wir diesbezüglich auch ein Gesetz in Vorbereitung haben. Die Menschenrechtsverletzungen durch illegale Organentnahme oder Organraub sind ein großes Problem. In dem Bericht steht diesbezüglich allerhand zu internationalen Vereinbarungen und Konventionen; aber dazu, was die Bundesregierung gegebenenfalls gegen die tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen durch illegale Organentnahmen tut, taucht überhaupt nichts auf.
Mich bewegt die Frage, ob Sie einen Überblick darüber haben, was in den betroffenen Ländern zum Beispiel entlang der Fluchtrouten passiert und was insbesondere in China passiert. Nach unseren Erkenntnissen gibt es dort massive Verletzungen von Menschenrechten durch illegale systematische Organentnahme, durch das Anbieten von Organen auf dem internationalen Markt und durch illegale Transplantationen im Lande. Mich interessiert, was die Bundesregierung darüber weiß und was sie dagegen unternimmt.
Ihr Bericht sagt, es gebe kaum offizielle Quellen und wir hätten keine gesicherten Erkenntnisse. Andererseits gibt es dazu eine Resolution des amerikanischen Abgeordnetenhauses und des Europäischen Parlaments. Die werden sich sicherlich nicht auf so unsicherem Boden bewegen, wenn sie dazu eine Resolution machen.
Uns bewegt das Problem schon sehr lange. Die systematische Organentnahme bei den Anhängern von Falun Gong in China zum Beispiel findet in Deutschland bisher überhaupt keine Resonanz.
Herr Abgeordneter, uns sind die Berichte, die Sie geschildert haben, durchaus bekannt. Es ist tatsächlich so, dass es für uns außerordentlich schwierig ist, etwa in Ländern wie China an gesicherte Informationen zu kommen. Noch viel schwieriger ist es, dagegen eine Handhabe zu haben. Dennoch können Sie sich sicher sein: Wir haben uns sowohl gemeinsam mit unseren Partnern als auch mit internationalen Organisationen mit diesem Thema beschäftigt. Allerdings liegen uns im Moment tatsächlich keine ausreichenden Informationen vor, um konkret gegen die illegale Organentnahme, die ganz sicherlich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist – vor allen Dingen dann, wenn sie organisiert geschieht –, von uns aus vorzugehen. Aber Sie können sich sicher sein, dass wir, sobald wir auch dank unserer Partner über entsprechende Informationen verfügen, alles in unserer Macht Stehende tun werden. Allerdings sind unsere Einflussmöglichkeiten insbesondere in den Regionen, in denen davon auszugehen ist, dass es dort stattfindet, sehr begrenzt – das muss man zugestehen.
Gyde Jensen, FDP.
Vielen Dank, Herr Minister. – Sie sprachen vorhin in Ihrem fünfminütigen Beitrag auch progressive Menschenrechtspolitik an. Im Zuge der Mitgliedschaft der Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat in den nächsten zwei Jahren ist ja eines der erklärten Ziele der Bundesregierung das Vorantreiben der Gleichstellung und Gleichberechtigung vor allen Dingen von Frauen und ihrer Beteiligung an nachhaltiger Friedenssicherung. Studien zeigen, dass mehr Frieden möglich ist und der Frieden nachhaltiger ist, wenn mehr Frauen an den Verhandlungstischen sitzen.
Stichwort: Umsetzung und Weiterentwicklung der Resolution 1325. Auch im zweiten Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung dieser Resolution finden sich keine klaren Indikatoren zur Erfolgsmessung, also dazu, wie erfolgreich die Resolution angewandt und umgesetzt wird. Wie möchten Sie, wie möchte die Bundesregierung sicherstellen, dass aus diesem Plan mehr wird als nur eine Absichtserklärung?
Frau Abgeordnete, indem wir dafür sorgen, dass dieses Thema auch auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates kommt, und wir uns darum bemühen, mit Partnern dazu eine entsprechende Resolution zu verfassen, die nach unserer Auffassung im Sicherheitsrat noch fehlt.
Wir haben bereits im Januar zusammen mit Großbritannien und Peru eine Veranstaltung innerhalb der Vereinten Nationen durchgeführt, bei der es genau um dieses Thema „Frauen, Frieden und Sicherheit“ ging, unter einer großen Beteiligung der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Wir werden Partner suchen, mit denen wir dieses Thema noch einmal auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates setzen können, um Frauen, die von Krisen und Konflikten betroffen sind – denn sie sind hier spezifischen Gefahren ausgesetzt –, zu stärken, aber auch ihre Rolle bei der Bewältigung von Konflikten und Krisen. Ich gehe davon aus bzw. würde mir wünschen, dass es uns gelingt, eine ausreichende Zahl von Partnerstaaten zu finden, um die Bedeutung dieses Themas mit einer Resolution im Sicherheitsrat noch einmal deutlich zu machen.
Frank Schwabe, SPD.
Herr Bundesminister Maas, Deutschland ist ja im Bereich des Multilateralismus sehr aktiv, um Menschenrechtsinstitutionen zu stärken. Wir begrüßen sehr, dass Sie gesagt haben, dass wir uns erneut für den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen bewerben.
Eine andere Institution ist der Europarat, der in diesem Jahr 70 Jahre alt wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist 70 Jahre alt, und der Europarat ist in der Krise. Wie sollte es anders sein, wenn die Staaten, die den Europarat bilden, menschenrechtspolitisch in der Krise sind? Wir haben die Situation rund um Aserbaidschan – es gab einen Korruptionsskandal –, wir haben die Lage in der Türkei, wir haben EU-Staaten wie Ungarn und Polen, die bestimmte Rechte nicht achten. Wir haben aber auch die Situation, dass Russland jetzt seit fast zwei Jahren die Mitgliedsbeiträge nicht zahlt und der Europarat als Organisation Gefahr läuft, Russland als Mitglied komplett zu verlieren. Deutschland wird eine der nächsten Präsidentschaften im Europarat innehaben. Meine Frage ist, was Deutschland tut, was Sie tun, um den Europarat zu konsolidieren und am Ende auch Russland als Teil dieser Institution zu erhalten.
Herr Abgeordneter, zunächst will ich Ihnen zustimmen und sagen, dass die Entwicklung im Europarat auch uns Sorge bereitet, insbesondere die Tatsache, dass die Fragen der weiteren Mitgliedschaft Russlands im Europarat nicht geklärt sind.
Es ist so, wie Sie es beschrieben haben: Nach der Annexion der Krim sind gewisse Rechte der russischen Delegation im Europarat suspendiert worden. Daraufhin hat die russische Seite – seit anderthalb Jahren – keine Beiträge mehr gezahlt. Es gibt eine Regelung im Europarat, dass man, wenn zwei Jahre keine Beiträge gezahlt werden, den Europarat verlassen muss. Das würde Mitte dieses Jahres der Fall sein. Deshalb gibt es eine deutsch-französisch-finnische Initiative, die darauf aus ist, in den kommenden Wochen nach Lösungen für dieses Problem zu suchen. Dazu werden Gespräche mit allen Vertretern in der Parlamentarischen Versammlung geführt, insbesondere auch mit denen – etwa mit der Ukraine, den baltischen Staaten und Großbritannien –, die bisher nicht dazu zu bewegen waren, einen Kompromiss zu erzielen. Wir wollen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Russland seine Beiträge wieder zahlt, die Stimmrechte wiederbekommt, um zu gewährleisten, dass Russland Mitglied im Europarat bleibt; denn es gibt viele Fälle, in denen der Europarat und der Gerichtshof, wie ich finde, sehr positiv gegenüber Russland tätig werden können.
Danke sehr. – Zaklin Nastic, Die Linke.
Sehr geehrter Herr Außenminister Maas, Sie haben vorhin eine Begegnung mit drei Frauen angesprochen. Ich würde gerne auf die Menschenrechtssituation hier in Deutschland zurückkommen. Ich durfte vor zwei Wochen eine Familie in Hamburg besuchen, die mittlerweile seit März vergangenen Jahres von einer Stromsperre betroffen ist. Das bedeutet, dass eine Mutter mit drei kleinen Kindern weder einen funktionierenden Herd – sie kann also nicht kochen – noch einen funktionierenden Kühlschrank hat. Es gibt auch kein warmes Wasser für die gesamte Familie. Der Sozialausschuss der Vereinten Nationen hat Deutschland schon aufgefordert, Energiearmut wirksam zu bekämpfen. Wie gedenkt die Bundesregierung Menschenrechte und damit auch Kinderrechte zu schützen und Energiearmut wirksam zu bekämpfen?
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Frau Abgeordnete, ich kann zu dem konkreten Fall, den Sie angesprochen haben, nichts sagen, da ich ihn nicht kenne. Ich bin aber gerne bereit, mich zu informieren.
Das Thema Stromsperren ist auch auf der Ebene der Bundesländer seit langem ein Thema, weil es Fälle gegeben hat, die zu Unglücken geführt haben. Es wurde mit Kerzen agiert, weil kein Strom vorhanden war, und das hat einen Brand ausgelöst, bei dem auch Menschen zu Schaden gekommen sind. Es gibt Bundesländer, die gemeinsam mit den Energieversorgern vernünftige Regelungen gefunden haben; aber das ist in erster Linie ein Thema, bei dem die Bundesländer mit den Energieversorgern in der Verantwortung sind. Ich kann nicht für alle Bundesländer bestätigen, dass Lösungen gefunden worden sind, die nach unserer Auffassung geeignet sind, solche Situationen auszuschließen. Wenn das aber der Fall ist, wird das von der Bundesregierung auch unterstützt.
Danke sehr. – Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, im letzten Aktionsplan für den Bereich Menschenrechtspolitik hat die Bundesregierung ihre Beteiligung an der Mittelmeermission EUNAVFOR MED Operation Sophia vor allen Dingen damit begründet, dass diese Mission die Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken rettet. Im Januar 2019 wurde die deutsche Beteiligung an dieser Operation ausgesetzt. Die zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer befindet sich in einer sehr schwierigen Situation. Daher drängt sich förmlich die Frage auf: Wie rechtfertigt die Bundesregierung diesen Schritt? Vor allen Dingen: Was tut sie konkret, um die zivile Seenotrettung im Mittelmeer zu unterstützen, vielleicht auch staatlich zu finanzieren? Was wird alternativ getan, um die auf dem Mittelmeer in Seenot geratenen Menschen vor dem Ertrinken zu retten? Was tut die Bundesregierung konkret für diese Personengruppe, vor allen Dingen mit Blick auf die Verteilung innerhalb der Europäischen Union?
Eins ist ganz klar: Der Zustand, wie er jetzt ist – von rechter Seite wird massiv behauptet, dass es sich um Schlepper und Schleuser handelt, obwohl es Menschen sind, die andere Menschen vor dem Ertrinken retten –, ist ein „Unzustand“. Wir wollen wissen, was die Bundesregierung konkret zu tun gedenkt.
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Die Entscheidung, sich zurzeit nicht mit einem deutschen Schiff zu beteiligen, ist keine Absage an die Mission in Gänze. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass es sich um eine sinnvolle Mission handelt. Allerdings muss die Mission in die Lage versetzt werden, Menschenleben zu retten. Sie wissen, das ist in den letzten Monaten nicht mehr möglich gewesen, insbesondere aufgrund der Entscheidung der italienischen Regierung, dass keine italienischen Häfen mehr angelaufen werden dürfen.
Wir sind im Kreise der Mitgliedstaaten der Europäischen Union seit vielen Monaten dabei, eine Regelung zu erarbeiten, die zum Gegenstand hat, dass die italienische Regierung wieder bereit ist, italienische Häfen zu öffnen. Das setzt bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Bereitschaft voraus, Schiffbrüchige, die in den jeweiligen Staaten anlanden, zu übernehmen, dass es einen Verteilschlüssel gibt. In der Vergangenheit ist viel darüber diskutiert worden, dass sich alle beteiligen müssen.
Wir sind mittlerweile der Auffassung, dass es sinnvoll wäre, dass diejenigen, die nicht bereit sind, sich zu beteiligen, andere Verantwortung übernehmen müssen. Sie müssen etwa mehr tun bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Zugegebenermaßen, das ist die Voraussetzung dafür, die italienische Regierung dazu zu bewegen, die italienischen Häfen für diese Mission wieder zu öffnen. Das ist unser Ziel, das wir nach wie vor verfolgen.
Danke sehr. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da es von zwei Oppositionsfraktionen zu dem Bericht des Bundesministers keine weiteren Fragen mehr gibt, von anderen Fraktionen aber wohl – davon eine ganze Reihe von Fragen zu sonstigen Themen –, bitte ich Sie, damit einverstanden zu sein, dass ich jetzt den zweiten Teil der Befragung eröffne. Das schließt aber nicht aus, Herr Bundesminister, dass auch in diesem Teil noch Fragen zu Ihrem Bericht zur Menschenrechtspolitik gestellt werden können.
Wenn Sie damit einverstanden sind, erhält Gelegenheit zur nächsten Frage der Kollege Stephan Brandner, AfD.
Am 8. Februar 2019 erschien auf dem offiziellen Twitterprofil des Auswärtigen Amtes die Nachricht „Film ab für Vielfalt und Gleichberechtigung – warum das Auswärtige Amt die #Berlinale2019 fördert“. Ergänzend war dem Netzauftritt des Auswärtigen Amtes das Motto der Berlinale zu entnehmen – Zitat –: Das Private ist persönlich. Am selben Tage berichteten verschiedene Medien über die Anwesenheit des Bundesaußenministers Heiko Maas mit seiner – nun ja – Freundin Natalia Wörner bei der Berlinale unter anderem wie folgt – ich zitiere –: „Kuschelnd, busselnd und tuschelnd“, berichtete die „Bild“-Zeitung. Und – Zitat –: „Knutschend vor den Kameras“, berichtete der „Stern“. Die Texte waren jeweils entsprechend bebildert.
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Ich frage die Bundesregierung – –
Herr Kollege, einen Moment! Erlauben Sie mir, eine Bemerkung zu machen: Wir sollten zwischen dem, was wir die Regierung fragen, und Bemerkungen, die ausschließlich die persönlichen Lebensumstände von Mitgliedern der Bundesregierung betreffen, einen deutlichen Unterschied machen.
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Ich bitte Sie, Ihre Frage auf den Teil zu konzentrieren, der nicht die persönliche Lebensführung von Mitgliedern des Bundestages oder der Bundesregierung betrifft.
Es ist ja gerade die Frage, ob es die persönliche Lebensführung ist, Herr Präsident.
Das mag ja sein. Aber ich bitte Sie – –
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Ja, ich frage die Bundesregierung oder den Bundesaußenminister, der jetzt hier sitzt: Sind Sie in Ihrer Funktion als Bundesaußenminister, aus dessen Haushalt eine Förderung der Berlinale stattfindet, oder als Privatperson bei der Eröffnung der Berlinale gewesen? War Anlass der Förderung das Motto „Das Private ist persönlich“? In welcher Höhe ist die Berlinale aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes gefördert worden? Und schließlich: Sind Sie der Ansicht, dass der knutschende, busselnde, tuschelnde Außenminister
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bei einer aus seinem Haushalt finanzierten Veranstaltung so handelt, wie man es von einem Bundesaußenminister erwarten kann? – Vielen Dank.
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Herr Bundesminister, Sie müssen nicht antworten. Wenn Sie mögen, können Sie es aber. – Sie wollen nicht antworten? Dann rufe ich die nächste Frage auf.
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Die nächste Frage stellt der Kollege Michael Brand, CDU/CSU.
Herr Minister, ich möchte zum Menschenrechtsbericht zurückkommen. Der Kollege Patzelt hat ja eben auch das Brennpunktthema – auch eine Neuerung in diesem Menschenrechtsbericht – angesprochen. Es fällt auf, dass das Thema „illegaler Organhandel“ leider in keinem der Länderberichte auftaucht, noch nicht mal im Zusammenhang mit China. Ich möchte China deswegen thematisieren, weil ja auch mehrfach versucht wurde, übergriffig gegenüber dem Deutschen Bundestag zu werden. Ich verweise auf die letzte Debatte über die Lage der Uiguren. Der Präsident hat dem chinesischen Botschafter in Deutschland sehr klar geantwortet – lieber Herr Kollege Schäuble, herzlichen Dank dafür –, dass wir es nicht akzeptieren, wenn von den „sogenannten Menschenrechten“ die Rede ist, wie es die chinesische Botschaft in ihrer Depesche selbst formuliert hat. Sie hat den Deutschen Bundestag sogar dafür kritisiert, dass dieses Thema hier überhaupt diskutiert wird.
Es gibt einen zweiten Fall, der uns seit drei Jahren beschäftigt. Da geht es darum, dass jeder Ausschuss nach China reisen darf, nur der Menschenrechtsausschuss hat dieses Privileg nicht. Das geht im Übrigen mit Versuchen einher, auf Abgeordnete des Deutschen Bundestages Einfluss zu nehmen, auf deren Terminkalender einzuwirken. Wenn sie bei bestimmten Organisationen wie der „Tibet Initiative Deutschland“ auftreten, dann gibt es keine Einreise nach China mehr. Oder es wird der Versuch unternommen – wie ich es persönlich erlebt habe –, Abgeordnete zu veranlassen, dass sie Texte und Bilder von ihrer Homepage löschen. So wird also versucht, auch hier in Deutschland Zensur zu praktizieren, was überhaupt nicht infrage kommt.
Herr Kollege Brand.
Die Frage kommt jetzt.
Die Ampel hat im Moment einen Defekt; deswegen ist sie immer noch grün.
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Eigentlich ist sie schon längst auf Rot.
Also bin ich im legalen Bereich, Herr Präsident.
Der Außenminister und die Menschenrechtsbeauftragte kennen das Thema ja, da wir es immer wieder behandeln. Man muss einfach sagen: Die Bundesregierung spricht im Gegensatz zu anderen europäischen Regierungen das Thema im Hinblick auf Einzelfälle oder auf strukturelle Defizite – ob im Menschenrechtsrat oder im direkten Dialog – an. Das ist die positive Nachricht. Viele andere – auch in der Europäischen Union – tun das inzwischen gar nicht mehr.
Aber ich will Sie konkret fragen. Wir verzeichnen seit drei Jahren keinen Fortschritt. Der Menschenrechtsdialog darf nicht zu einem Feigenblatt beim Thema Einreiseverbot verkommen. Es ist zwar gut, miteinander zu sprechen, aber man muss irgendwann auch Konsequenzen ziehen.
Danke sehr.
Deswegen die Frage: Gibt es positive Signale, dass der Menschenrechtsausschuss reisen kann, und welche Konsequenzen würde die Bundesregierung ansonsten ziehen?
Herr Bundesminister.
Herr Abgeordneter, es gibt immer wieder positive Signale – auch in den Gesprächen, die wir mit chinesischen Verantwortlichen führen –, wenn wir darauf zu sprechen kommen, dass der Menschenrechtsdialog fortgeführt werden soll. Bedauerlicherweise sind das meistens verbal-positive Informationen, die wir bekommen. Wir sind damit nicht zufrieden. Wir wissen: Es gibt eine Vielzahl von Dialogen, etwa den Rechtsstaatsdialog, die stattfinden und vernünftig und gut funktionieren. Wir werden diesen Dialog auch in Zukunft in unseren Gesprächen mit den chinesischen Verantwortlichen einfordern.
Ich stimme Ihnen zu, dass es mittlerweile sehr lange der Fall ist, dass wir dort hingehalten werden. Aber wir haben den chinesischen Verantwortlichen immer auch deutlich gemacht, dass für uns irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem wir entscheiden müssen, ob das auch Auswirkungen auf andere Dialogformate hat; denn letztlich ist das eine bilaterale Entscheidung. Man kann sich nicht aussuchen, was man gerne hätte. Wir führen eine Vielzahl von Dialogformaten mit den Chinesen, die bei den Chinesen auf eine besondere Akzeptanz stoßen. Wir gehen davon aus, dass unserem Wunsch, auch den Menschenrechtsdialog jetzt endlich stattfinden zu lassen, gefolgt wird. Ansonsten müssen wir uns überlegen, wie wir mit anderen Formaten umgehen.
Danke sehr. – Nicole Bauer, FDP.
Meine Frage geht an Frau Weiss aus dem Gesundheitsministerium. – Mich würde interessieren, welche neuen Erkenntnisse Bundesminister Spahn aus der geplanten Studie zu den seelischen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs zu gewinnen denkt, die es nicht schon längst gibt. Denken Sie nicht, dass man die 5 Millionen Euro Steuergelder an einer anderen Stelle wesentlich wirkungsvoller einsetzen könnte? – Danke schön.
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Ich muss erst den Bundesaußenminister fragen, ob er die Frage selbst beantworten möchte oder ob er seine Kollegin bitten möchte, zu antworten.
Ich gebe das sehr gerne weiter.
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
Schönen Dank, Herr Außenminister, dass ich die Frage beantworten darf. – Verehrte Kollegin, es handelt sich um einen einvernehmlichen Kabinettsbeschluss. Die Studie ist ergebnisoffen. Man will in einer wissenschaftlichen Studie Informationen zu Häufigkeit und Ausprägung seelischer Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen gewinnen. Es gibt noch keine deutsche Studie. Die Frage darf erlaubt sein – wenn ich das sagen darf –, warum es in Deutschland bei mehr als 100 000 Abtreibungen im Jahr offenbar keine entsprechende Studie gibt. Es ist also vernünftig, Geld in die Antwort auf die Frage nach dem Leid der Frauen zu investieren.
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Wie gesagt, die Studie ist ergebnisoffen, und das ist ein einstimmiger Kabinettsbeschluss, der – auch wenn jetzt seitens einiger Kolleginnen und Kollegen der SPD Kritik geäußert wird – unter anderem von der Justizministerin unterschrieben worden ist.
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Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Kathrin Vogler, Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte mich wieder an Herrn Minister Maas wenden. Sie haben ja zu Anfang Ihres Vortrags auch über die Lage von Frauen im Irak gesprochen. Ich finde, wir tun gut daran, Opfer von Menschenrechtsverbrechen, von Völkermord und von anderen schlimmen Vergehen gegen die Menschlichkeit auch Jahre nach den Ereignissen wieder in den Blick zu nehmen.
Ich möchte mich jetzt beschäftigen mit der Lage der Jesidinnen und Jesiden im Iran. 2014 wurden sie Opfer eines versuchten Völkermords durch Daesh, den selbsternannten „Islamischen Staat“. Wie ich jetzt erfahren habe, ist die Situation der Überlebenden, also derjenigen, die die Verbrechen des IS überlebt haben, im Augenblick mehr als besorgniserregend und kritisch. Unter unglaublichen Bedingungen leben sie im Sindschar-Gebirge oder im Lager von Dohuk. Sie sind abgeschnitten von humanitärer Hilfe, von Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Betätigung, und Sie werden mit den Traumata, die sie erlitten haben, vor allem die Frauen – durch Verschleppung, durch Entführung, durch Vergewaltigung und durch Wegnahme ihrer Kinder –, alleingelassen.
Da möchte ich gerne wissen: Was tut eigentlich die Bundesregierung konkret – konkret –, um auf den Irak und die kurdische Selbstverwaltung im Nordirak einzuwirken, damit die jesidische Bevölkerung in der Region Shengal wieder frei, sicher und menschenwürdig leben kann?
Frau Kollegin, Sie sind schon eine halbe Minute darüber.
Das ist meine Frage gewesen. – Danke, Herr Präsident.
Herr Bundesaußenminister.
Frau Abgeordnete, ich bin im Dezember des letzten Jahres im Irak gewesen, auch im Nordirak, in der kurdischen Region. Dieses Thema stand dort bei allen Gesprächspartnern auf der Tagesordnung. Sie wissen, dass es eine deutsche Initiative gibt, die Frauen Zuflucht gewährt hat. Ich bin dort gebeten worden, zu überprüfen, ob wir diese Initiative ausbauen können und ob es zusätzliche Angebote gibt. Ich habe das mitgenommen; es wird zurzeit innerhalb der Bundesregierung diskutiert. Wir sind uns der Probleme bewusst.
Es ist teilweise sehr schwierig – auch logistisch –, an diese Frauen heranzukommen. Dennoch haben wir uns vorbehalten – auch im Kontakt mit den regional Verantwortlichen –, nach Lösungen zu suchen, entweder die Situation dieser Frauen vor Ort zu unterstützen oder möglicherweise auch noch einmal Kontingente zu übernehmen und Frauen die Möglichkeit zu geben, nach Deutschland zu kommen. Das ist nicht abgeschlossen; aber das ist Teil der Überprüfung, die wir vorgenommen haben, und wir sind mit den Verantwortlichen im Irak und vor allen Dingen im Nordirak in dieser Frage weiter in Verbindung.
Danke sehr. – Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesaußenminister, wie erklären Sie oder die Bundesregierung die Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Altmaier am 3. Februar 2019 in Kairo, es gelte, die deutsch-ägyptische Zusammenarbeit auf eine neue Grundlage zu stellen und weiterzuentwickeln, vor dem Hintergrund der katastrophalen Menschenrechtslage in Ägypten mit derzeit über 60 000 politischen Häftlingen, wo Verschwindenlassen, Folter, monatelange Haft ohne Anklage an der Tagesordnung sind und die Medien und die Meinungsfreiheit massivst eingeschränkt werden, wie nicht einmal zu Zeiten von Ex-Staatschef Mubarak?
Zugespitzte Frage: Wird die deutsche Ägypten-Politik künftig menschenrechtsbasiert sein, oder werden wirtschaftliche Zusammenarbeit und Rüstungsexporte und Stabilität im Vordergrund stehen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, dass das Thema Menschenrechte bei allen Besuchen von deutschen Regierungsmitgliedern in Ägypten oder bei Gesprächen, wenn ägyptische Verantwortliche nach Deutschland kommen, immer ein Thema ist. Ich bin im letzten Jahr nicht nur mit dem Kollegen Außenminister, sondern auch mit Staatspräsident Sisi zusammengekommen, und das Thema ist auch dort noch einmal angesprochen worden.
Darüber hinaus gibt es tatsächlich auch wirtschaftliche Verbindungen in den Irak. Wenn etwa ein deutsches Unternehmen sich dort beteiligt am Aufbau von Elektrizitätsversorgung, durch die eine Großzahl von Menschen in den Genuss von Stromversorgung kommt, dann halte ich das mit Blick auf die Situation der Menschen vor Ort durchaus für vernünftig und richtig.
Es wird nie dazu führen, dass das, was wir in der Türkei erleben – dass es Repressalien gibt gegenüber Minderheiten, aber auch gegenüber Vertretern der Opposition –, nicht zur Sprache käme bei den Terminen, die dort stattfinden, oder wenn Verantwortliche der ägyptischen Regierung hier sind. Das werden wir auch weiter thematisieren, und wir werden darauf hinweisen, dass sich das Verhältnis zwischen Deutschland und Ägypten nur dann normalisieren wird, wenn die Voraussetzungen geschaffen werden, dass grundlegende Menschenrechte eingehalten werden.
Danke. – Dr. Christian Wirth, AfD.
Herr Minister, ich komme auf das Ergebnis der Kohlekommission zu sprechen. Gestern haben betroffene saarländische Gemeinden in einem offenen Brief – auch an Sie adressiert – das Ergebnis der Kohlekommission kritisiert. Ich teile die deutliche Enttäuschung. Für die Braunkohleregionen werden – wahrscheinlich zu Recht – massive Pläne beschlossen, Pakete geschnürt: fast 600 Maßnahmen. Für das Saarland sind nur 11 Maßnahmen geplant, davon 6 im Bereich der KI‑Forschung und der Digitalisierung.
Die saarländischen Kommunen können nur etwa 50 Prozent von dem investieren, was eine durchschnittliche ostdeutsche Kommune investieren kann – auch in Braunkohlerevieren. Die saarländischen Schulen haben zum Beispiel einen Investitionsstau von 580 Millionen Euro.
Glauben Sie als Mitsaarländer, dass die Bundesregierung in Bezug auf das Saarland die verfassungsmäßigen Prinzipien „Gleichbehandlung“ und „Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ beachtet hat?
Herr Abgeordneter, das glaube ich sehr wohl, obwohl es im Saarland keine Braunkohle, sondern nur Steinkohle gibt, die schon lange nicht mehr gefördert wird.
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Im Übrigen ist nach dem Beschluss, aus der Steinkohleförderung auszusteigen – sowohl gegenüber Nordrhein-Westfalen als auch schon vor vielen Jahren gegenüber dem Saarland –, eine Vielzahl von Paketen verabredet worden, durch die Infrastrukturmaßnahmen gefördert wurden. Das halte ich für außerordentlich vernünftig, und es gibt im Saarland bereits infrastrukturelle Entwicklungen, die durchaus zu betrachten sind.
Aber das alles hat etwas mit dem Ausstieg aus der Steinkohle und weniger mit dem Ausstieg aus der Braunkohle zu tun, von der es im Saarland keine gibt.
Danke sehr. – Bijan Djir-Sarai, FDP.
Vielen Dank. – Herr Minister, derzeit findet in Warschau ja eine sogenannte Nahostkonferenz statt. Viele Außenministerkollegen von Ihnen nehmen daran teil.
Das iranische Außenministerium meldet dazu, man habe Sie aufgefordert, an dieser Konferenz nicht teilzunehmen. Ich habe jetzt erfahren, dass von Ihrer Seite zunächst einmal geplant war, nur einen Abteilungsleiter dahin zu schicken. Sie haben sich jetzt, glaube ich, kurzfristig entschieden, Staatssekretär Annen dahin zu schicken. Mich würde in dem Zusammenhang interessieren, ob diese Konferenz für Sie keine Relevanz hat, warum andere Außenminister dahin reisen, Sie aber nicht, und welche Botschaft dahinter steckt.
In diesem Zusammenhang würde ich gerne auch noch bezüglich Staatssekretär Annen fragen, den ich sehr schätze – sowohl dessen Arbeit als auch ihn persönlich –: Finden Sie es richtig, dass ein deutscher Staatssekretär aus dem Außenministerium an einer Party der iranischen Botschaft zum Jahrestag der Islamischen Revolution teilnimmt?
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Herr Annen ist kein Staatssekretär, sondern Staatsminister; das ist schon ein feiner Unterschied – auch wenn es darum geht, zu klären, auf welcher Ebene unsere Teilnahme an dieser Nahostkonferenz in Warschau reglementiert wird.
Ich kann Ihnen nur sagen, dass von den über 70 Ländern, die eingeladen worden sind, meines Wissens die wenigsten auf der Ebene der Minister teilnehmen. Der französische Kollege kommt zum Beispiel auch nicht. Er schickt seinen politischen Direktor. Wir sind dort also höherrangiger vertreten.
Der Grund, weshalb ich nicht dorthin reise, ist, dass uns ganz einfach nicht abschließend klar ist, was das Ziel und das Ergebnis dieser Konferenz sein werden. Ich finde, wenn man über den Nahen Osten redet, dann muss man auch über den Iran reden. Der war aber überhaupt nicht eingeladen.
Es ist auch nicht so, dass die Staaten, die dort teilnehmen, in irgendeiner Weise an einem Abschlusskommuniqué beteiligt werden, sondern es wird eine Abschlusskonferenz des Gastgeberstaates und der Vereinigten Staaten geben. Auf das, was da gesagt wird, können wir keinen Einfluss nehmen. Das ist nicht unbedingt das, was wir als eine – ich würde es mal so sagen – Konferenz verstehen, auf der versucht wird, nach gemeinsamen Lösungen zu suchen.
Wir haben uns entschieden, dort sehr hochrangig mit einem Staatsminister vertreten zu sein – also höherrangiger als wahrscheinlich die meisten anderen Staaten –, weil wir an der Diskussion natürlich auch teilnehmen wollen.
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– Das war keine Party.
Dr. Rolf Mützenich, SPD.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie noch Fragen zu diesem Themenfeld erlauben. – Ich würde den Bundesminister auch im Hinblick auf die Arbeit vergangener Bundesregierungen gerne noch fragen, was die jetzige Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland im Sicherheitsrat für die Arbeit in Bezug auf die Kinderrechte bedeutet.
Wenn ich mich recht entsinne, waren bei der vormaligen Mitarbeit der Bundesrepublik Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Kinderrechte in bewaffneten Konflikten ein Schwerpunktthema, um mit Partnerländern etwas zu entwickeln. Mich würde interessieren, welche weiteren Arbeiten in diesem Themenfeld für die nächste Zeit geplant sind.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, wir wollen an das, was dort bereits in den vergangenen Jahren geleistet wurde, anknüpfen. Wir wollen als Mitglied des Sicherheitsrates insbesondere das Thema „Kinder und bewaffnete Konflikte“ fortführen. Wir wollen außerdem, dass dieses Querschnittsthema – letztlich ist es ein solches – bei Krisen- und Länderbefassungen im Sicherheitsrat eine stärkere Rolle spielt. Wir haben dazu bereits eine Vielzahl von Staaten gewonnen, die sich diesem Vorhaben anschließen werden. Wir wollen, dass der Kinderschutz in den Mandaten von Friedensmissionen der Vereinten Nationen überall da verankert wird, wo das erforderlich ist. Das ist in der Vergangenheit nicht in ausreichendem Maße geschehen.
Wir werden uns auch für die Aufdeckung und Dokumentierung der schwerwiegenden Kinderrechtsverletzungen einsetzen, die es an vielen Stellen dieser Welt gibt. Die Bundesregierung hat sich außerdem bereits 2017 für die Einsetzung der Group of Eminent Experts als Unterorgan des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen eingesetzt. Wir wollen insbesondere Verstöße, von denen wir im Rahmen des Jemen-Konfliktes wissen, einer Untersuchung zuführen und damit auch dem Thema Accountability Rechnung tragen. Das heißt, wir wollen darauf hinwirken, dass insbesondere bei der Verletzung von Kinderrechten Mechanismen entwickelt werden, die dort, wo diese Verletzungen strukturell geschehen, etwa in Konflikten wie im Jemen, zu einer strafrechtlichen Aufarbeitung führen.
Vielen Dank. – Andrej Hunko, Die Linke.
Vielen Dank, Herr Außenminister. – Sie haben vorhin in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Frank Schwabe auf die Bedeutung des Europarates, der Menschenrechtskonvention und des Gerichtshofes in Straßburg hingewiesen. Sie haben auch in dem Menschenrechtsbericht oft deren Bedeutung hervorgehoben; diese Einschätzung teilen wir völlig.
Wir gehen aber nun in das zehnte Jahr, in dem die Europäische Union dieser Menschenrechtskonvention nicht beitritt. Das hätte laut Lissabon-Vertrag seit 2009 passieren sollen. Sie schreiben im Menschenrechtsbericht: Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass dieser Beitritt stattfindet. – Er findet aber nicht statt. Das bedeutet natürlich auch eine Schwächung des Straßburger Gerichtshofes, weil eine wichtige Institution diesen Gerichtshof letztlich nicht anerkennt.
Meine Frage ist: Wie sieht Ihr Einsatz dafür aus, dass die EU endlich der Menschenrechtskonvention beitritt, und welche weitere Entwicklung erwarten Sie hier? – Vielen Dank.
Herr Abgeordneter, Sie wissen, dass die deutsche Bundesregierung dafür ist, dass es zu einem Beitritt der Europäischen Union zur Menschrechtskonvention kommt. Sie kennen auch die Diskussion, die darüber stattfindet und mit juristischen Gutachten untermauert wird. Ich glaube nicht, dass die Bedeutung dieses Dokumentes in der politischen Diskussion nicht ausreichend gewürdigt wird; vielmehr verschanzt man sich bedauerlicherweise hinter juristischen Argumentationen.
Wir werden uns weiter dafür einsetzen, dass diese Diskussionen in dem Sinne aufgelöst werden, dass die Europäische Union ihren Beitritt erklärt. Wir befinden uns dabei mit einer Vielzahl von Staaten im Gespräch. Ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, dass es irgendwann dazu kommt.
Danke sehr. – Ottmar von Holtz, Bündnis 90/Die Grünen.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Ich habe eine Frage an den Bundesaußenminister zum Menschenrechtsbericht. Die Kollegin Jensen hatte eben schon die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen angesprochen. Sie hatten daraufhin gesagt, dass Sie im Dialog mit der Zivilgesellschaft seien. Das ist natürlich gut und richtig.
Ich frage jetzt allerdings, ob Sie sich vorstellen können, dass künftig die Nichtregierungsorganisationen schon im Vorfeld einbezogen werden, also bei der Erstellung des Berichts. Können Sie sich vorstellen, dass es dafür einen geplanten Prozess gibt, den man institutionalisiert?
Ja, das kann ich mir vorstellen. Das ist auch ein Thema der Gespräche gewesen, die wir mit der Zivilgesellschaft geführt haben. Wir suchen nach Lösungen, wie man das operationalisieren kann. Wir haben das nicht abschließend entschieden. Aber ich könnte mir das durchaus vorstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde noch – die Befragung der Bundesregierung hat jetzt die Dauer von einer Stunde erreicht – von jeder Oppositionsfraktion jeweils eine Frage zulassen.
Die AfD ist als Nächste gemeldet: Markus Frohnmaier.
Herr Minister, ich hatte bereits letztes Jahr die Regierung dazu befragt, ob sie bereit sei, den Angriff auf Afrin durch die Türkei zu verurteilen. Heute kann man bei der Nachrichtenagentur AFP lesen, dass Sie sich auch weiterhin zur Intervention bzw. zur aggressiven Besatzungspolitik in Nordsyrien bedeckt halten wollen. Sind Sie heute in der Lage, dazu eine Aussage zu treffen, und verurteilen Sie diese Besatzungspolitik?
Herr Abgeordneter, nicht nur ich, sondern die Bundeskanzlerin höchstpersönlich hat hier am Rednerpult des Deutschen Bundestages diese Verurteilung bereits ausgesprochen. Darüber hinaus kann ich Ihnen versichern, dass wir in den Gesprächen mit den türkischen Verantwortlichen auch mit Blick auf die jetzige Situation in Syrien immer wieder darauf hinweisen, dass wir von ihnen erwarten, dass es zu keinen großflächigen militärischen Operationen kommen wird, die nach unserer Einschätzung sicherlich auch unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr zu rechtfertigen wären.
Das, was in Afrin geschieht, ist von der Bundesregierung verurteilt worden. Das, was zurzeit im Norden des Iraks geschieht, ist Thema von Gesprächen mit den türkischen Verantwortlichen, auch mit der klaren Botschaft, dass wir eine weitere Intervention dort für nicht akzeptabel halten.
Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Renata Alt, FDP.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Maas, gestern jährte sich zum vierten Mal das Minsker Abkommen. Die Ergebnisse der Verhandlungen im Normandie-Format im fünften Jahr sind überschaubar. EU-Ratspräsident Tusk hat die Ergebnisse bei der letzten Verlängerung der Sanktionen gegen Russland als „null Fortschritt“ bezeichnet. Meine Frage an Sie ist: Welche Rolle spielt für die Bundesregierung der von der OSZE in der Trilateralen Kontaktgruppe erarbeitete und vorgelegte Friedensplan, und warum hat die Bundesregierung diesen in keiner Antwort – ich habe Ihnen mehrere schriftliche Fragen gestellt – mit einem einzigen Wort erwähnt?
Er spielt für uns natürlich eine große Rolle. Die Vereinbarungen von Minsk sind nach wie vor die Grundlage unseres Engagements auch in dem sogenannten N4-Format, in dem wir zusammen mit den Franzosen den Russen und den Ukrainern gegenübersitzen. Es gab auch in den letzten Monaten, nachdem es in der ersten Hälfte des letzten Jahres ein N4-Treffen auf Ministerebene gegeben hat, bereits Konsultationen im N4-Format auf Expertenebene. Es ist allerdings so, dass im Moment die Beweglichkeit der Konfliktparteien außerordentlich eingeschränkt ist. Das hat zum einen mit den Ereignissen im Asowschen Meer zu tun. Das hat zum anderen aber auch damit zu tun, dass in der Ukraine Ende März Präsidentschaftswahlen stattfinden, was ein wichtiges innenpolitisches Thema ist, und es in dieser Phase des Wahlkampfes außerordentlich schwierig ist, Kompromisse zu erzielen.
Wir befinden uns aber mit beiden Seiten im Gespräch. Ich werde auf der Münchner Sicherheitskonferenz auch noch einmal mit dem Kollegen Lawrow zusammentreffen, um über diese Situation zu sprechen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir es zukünftig schaffen können, eine VN-Mission für die Ostukraine zu vereinbaren, die im Grundsatz sowohl von Poroschenko als auch von Putin zugesagt worden ist. Es wird wahrscheinlich vom Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine abhängen, wie es weitergehen wird.
Danke sehr. – Heike Hänsel, Die Linke.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben angekündigt, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für zivile Konfliktlösungen einzustehen und diese zu stärken. Nun haben Sie sich in Bezug auf Venezuela aber sehr vorschnell an die Seite der USA gestellt und leider keine vermittelnde Position eingenommen. Das verstehe ich nicht unter einer aktiven Friedenspolitik, weil die Gefahr einer Militärintervention durch die Zuspitzung massiv angestiegen ist. Mit der vorschnellen Anerkennung Guaidós haben Sie eigentlich nur Öl ins Feuer geschüttet. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat die Anerkennung als völkerrechtlich fraglich bezeichnet.
Meine Frage: Spitzt sich das Ganze wegen der US-Hilfslieferungen nach Venezuela weiter zu? Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz haben diese Hilfslieferungen verurteilt, weil sie politisch missbraucht werden. Die Bundesregierung hat ja 5 Millionen Euro für Venezuela beschlossen, die für die Bevölkerung dringend benötigt werden. Werden Sie bereit sein, diese Hilfe zusammen mit den Vereinten Nationen zur Verfügung zu stellen, oder machen Sie das jetzt genauso wie die USA, dass Sie Hilfe nur anbieten, wenn sie an Guaidó geht? Die UN sind ja schon seit Jahren in Venezuela aktiv und versorgen die Bevölkerung.
Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass ich die Anerkennung von Juan Guaidó als Übergangspräsidenten, verbunden mit der Aufgabe, Neuwahlen in Venezuela zu organisieren, nicht als voreilig empfinde. Ich bin fest davon überzeugt, dass die breite internationale Unterstützung dazu geführt hat – dies hat nicht in erster Linie etwas mit den USA zu tun, sondern auch mit vielen europäischen Staaten –, dass es dort noch zu keinen militärischen Auseinandersetzungen gekommen ist. Ich will mir nicht ausmalen, wie die Situation wäre, wenn die Unterstützung für Guaidó international nicht so groß wäre, wie sie es ist. Ich kann mir vorstellen, dass das Herrn Maduro durchaus ermuntert hätte, das Militär schon längst eingesetzt zu haben. Ich glaube, dass das eine präventive Maßnahme gewesen ist, die dazu geführt hat, dass das Militär bisher in den Kasernen geblieben ist. Ich hoffe, dass es dort auch bleibt.
Wir haben 5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe angekündigt. Es ist nicht so, dass uns von der venezolanischen Regierung in irgendeiner Weise angedeutet worden ist – weder jetzt noch in der Vergangenheit –, dass diese humanitäre Hilfe ins Land kommt. Bisher ging sie im Wesentlichen zu den Flüchtlingen in den Nachbarländern, die längst aus Venezuela geflohen sind.
Insofern: Unser Ziel ist in erster Linie, dafür zu sorgen, dass die humanitäre Hilfe dort ankommt, wohin sie soll, nämlich zu den Menschen in Venezuela. Das wird von der dortigen Regierung bisher konsequent verhindert.
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Danke sehr. – Die letzte Frage stellt Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – In dem Bericht, den Sie uns vorgelegt haben, finde ich unter „Rüstungsexportkontrolle“ nur den Hinweis darauf, dass die Menschenrechte eine herausragende Rolle spielen sollen. Deswegen frage ich Sie, wie die Tatsache, dass wir noch dieses Jahr beispielsweise an Ägypten – die Menschenrechtslage dort war gerade schon Thema – Kriegswaffen geliefert haben, mit Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und auch Saudi-Arabien zusammenpasst, wo es seit dem Kashoggi-Mord eine inoffizielle Situation gibt. Ich frage: Wann werden Sie dazu eine rechtsverbindliche Entscheidung treffen? Wann wird der Widerruf der Genehmigungen für Saudi-Arabien erfolgen? Und wie werden Sie sich bei diesem Thema mit unserem französischen Nachbarn auseinandersetzen, mit dem wir in Zukunft Rüstungsgüter produzieren wollen und der eine völlig andere Einstellung hat, gerade auch im Hinblick auf Saudi-Arabien? Wie werden Sie sich gegenüber dem französischen Kollegen dafür einsetzen, dass wir hier in Zukunft nicht alles freigeben?
Frau Abgeordnete, ich setze mich mit dem französischen Kollegen ständig damit auseinander. Es ist vollkommen richtig, dass es in Frankreich eine andere Haltung dazu gibt. Wenn man unterschiedliche Haltungen hat, muss man irgendwann einen Kompromiss schließen. Wir haben in der Frage von Saudi-Arabien sehr klar entschieden, dass wir nicht nur keine neuen Genehmigungen mehr erteilen, sondern selbst die bereits erteilten Genehmigungen nicht mehr zur Ausfuhr bringen.
Wir werden die Situation in Saudi-Arabien weiter sehr intensiv verfolgen. Unser besonderes Augenmerk gilt insbesondere dem Jemen-Konflikt. Sie wissen, dass es schon im Dezember Friedensgespräche in Stockholm und einen politischen Prozess gegeben hat, bei dem wir hoffen, dass unter der Ägide der Vereinten Nationen eine Friedenslösung erreichbar ist, und zwar über den Waffenstillstand in Hudaida hinaus. Dann wird man die Lage neu bewerten müssen.
Zu Ihrem allgemeinen Hinweis, was die Rüstungsexporte in Verbindung mit Menschenrechtsfragen angeht, möchte ich zumindest darauf hinweisen: Wenn Sie sich den Rüstungsexportbericht für das letzte Jahr anschauen, werden Sie feststellen, dass die Rüstungsexporte massiv zurückgegangen sind. Ich finde, das ist Ausdruck einer außerordentlich zurückhaltenden Rüstungsexportpolitik, die auch mit Fragen zu tun hat, die Sie hier erwähnt haben.
Vielen Dank, Herr Minister. – Das war die letzte Frage. Ich schließe die Befragung der Bundesregierung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa ist abhängig. Wir hängen nicht an der Nadel, wir hängen nicht an der Flasche, wir hängen immer noch an fossilen Energien. Und wie andere Süchtige versprechen wir, damit aufzuhören; aber vorher muss man noch mal einen ordentlichen Schluck aus der Pulle nehmen. Nichts anderes ist die Diskussion über Nord Stream 2, über den südlichen Gaskorridor, über neue LNG-Terminals. All dies sind Projekte, die die fossile Abhängigkeit Europas über Jahre hinaus zementieren und fortschreiben. Die Wahrheit ist aber: Nur wenn wir bis 2030 den Verbrauch von Öl, Gas und Kohle, von fossiler Energie, um 30 Prozent reduzieren, werden wir die Pariser Klimaschutzziele erreichen.
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Wir müssen bis 2050 sicherstellen, dass vier Fünftel, 80 Prozent, der bekannten Reserven an Kohle, Öl und Gas unter der Erde bleiben. Und da helfen keine Ausreden nach dem Motto: Ich höre auf zu rauchen, ich rauche nur noch E‑Zigaretten.
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Die Sucht bleibt. In diesem Fall kommt zum Beispiel noch hinzu: Die CO 2 -Bilanz von gefracktem Flüssiggas ist nicht besser als die von Steinkohle. Sucht geht mit Lebenslügen einher. Eine dieser Lebenslügen hat die Bundesregierung, hat der Bundeswirtschaftsminister lange hochgehalten, und das ist die Behauptung, Nord Stream 2 sei ein rein wirtschaftliches Projekt. Das ist schon beim Investor falsch.
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Er gehört zu 100 Prozent dem russischen Staat; er trägt zu mehr als einem Zehntel zum Haushalt der Russischen Föderation bei. Und das soll unpolitisch sein?
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Ich hätte mir eigentlich gewünscht, lieber Herr Altmaier, dass Sie die Ehrlichkeit von Helmut Schmidt und Helmut Kohl gehabt hätten, die mal gegen den wütenden Widerstand von Ronald Reagan und seinem damaligen Botschafter eine Pipeline durch die Ukraine gebaut haben, weil sie unabhängiger von den USA werden wollten. Und: Sie wollten damals die Sowjetunion einbinden. Insofern habe ich mit einer gewissen Gelassenheit die Drohbriefe von Herrn Grenell gelesen; sie stehen in einer alten Tradition. Aber auch das zeigt: Nicht nur der Bau von, sondern auch der Widerstand gegen Nord Stream 2 ist hochpolitisch. Da wird auch manche Argumentation nicht überzeugender. Mir leuchtet nicht ein, warum Gas, das direkt aus Russland kommt, abhängiger macht als Gas, das über die Ukraine nach Deutschland kommt.
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Aber natürlich geht es hier auch um handfeste ökonomische Interessen, und das ist anders als in den 80er-Jahren. Die USA wollen in den nächsten sechs Jahren zum größten Flüssiggaslieferanten für Europa werden. Schauen Sie sich die Kapazitäten an, die da geschaffen worden sind! Und was macht unser Bundeswirtschaftsminister? Er will neue Flüssiggasterminals bauen. Er will sie nicht nur bauen, er will sie auch noch subventionieren. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Wir steigen aus der Kohle aus und subventionieren den Import einer fossilen Energie, deren CO 2 -Bilanz nicht besser ist als die von Kohle.
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Das, was hier passiert, ist eine Wette gegen den Klimaschutz. Es soll immer mehr Gas importiert werden. Aber wenn man wirklich etwas für den Klimaschutz tun will,
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dann muss man doch den Verbrauch von Gas senken, und zwar am besten schneller, als die Quellen in den Niederlanden, in Norwegen und in Niedersachsen versiegen. Gas wird bei uns nicht in der Verstromung eingesetzt, sondern vor allen Dingen in der Wärmebereitstellung. Fraunhofer-Studien belegen es: Würden wir jedes Jahr 3 Prozent unseres Gebäudebestandes energetisch sanieren, würden wir für mehr erneuerbare Energien in diesem Bereich sorgen, würden wir den Deckel beim Ausbau der Erneuerbaren runternehmen, dann könnten wir bis 2030 so viel Gas sparen, wie wir heute jährlich aus Russland importieren. Warum tun wir es nicht?
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Klimaschutz schafft doch die wirkliche Energieunabhängigkeit.
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Das haben andere auch schon ausgesprochen. Dieser Tage hat das zum Beispiel die 16‑jährige Greta Thunberg immer wieder getan.
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Wir sollten sie dafür loben.
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Der Kollege Paul Ziemiak von der CDU hat sie ja offensichtlich zum Gefallen der AfD dafür per Twitter gedisst.
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Ich will Ihnen von der Union eins sagen: Greta Thunberg geht für Ziele auf die Straße, die Sie in Paris unterschrieben haben.
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Sie muss auf die Straße gehen, weil Sie Ihre eigenen Ziele ignorieren. Paul Ziemiak spricht einer 16‑Jährigen eine politische Meinung ab, wird aber morgen mit Freude dafürstimmen, dass weiterhin 17‑Jährige bei der Bundeswehr dienen sollen. Wo liegt da die Logik, meine Damen und Herren?
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Wenn Sie Ihren Job beim Klimaschutz machen würden, Herr Kollege Altmaier, dann müsste Greta Thunberg nicht jeden Freitag streiken,
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und wir müssten uns nicht über Pipelines und Flüssiggasterminals streiten.
Deswegen sage ich Ihnen, um ein Plakat von „Fridays for Future“ zu zitieren: „Make the world Greta again!“
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Als Nächster hat das Wort Bundesminister Peter Altmaier.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werter Herr Kollege Trittin, wir gehören dem Deutschen Bundestag ja eine vergleichbare Zeit an. Ich muss sagen: Ihre Reden waren auch schon mal realitätsbezogener.
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Wir haben seit vielen Jahren ein gemeinsames Bemühen, nämlich die Energiewende zum Erfolg zu führen und das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Das wird aber nicht mit Voodoo-Politik gehen;
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das wird nur gehen, wenn wir die Versorgungssicherheit in diesem Land und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit mit den Anforderungen einer vernünftigen und nachhaltigen Klimapolitik in Übereinstimmung bringen.
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Ich habe Ihnen eben zugehört. In den fünf Minuten haben Sie gesagt: Prima, dass wir die Kernkraftwerke abschalten. – Ja, das ist der gemeinsame Konsens.
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Das werden wir tun.
Dann natürlich: Der Kohleausstieg kann gar nicht schnell genug kommen. Ich habe die Äußerungen vonseiten der grünen Bundestagsfraktion noch im Ohr, als die Kohlekommission mit Zustimmung der Umweltverbände eine Empfehlung für den Ausstieg bis zum Jahre 2038 abgegeben hat: Alles viel zu spät; geht alles viel schneller.
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Es soll natürlich auch kein russisches Gas über Nord Stream 2 und es soll auf gar keinen Fall Fracking-Gas aus den USA importiert werden.
Aber anschließend machen Sie dann die Bundesregierung verantwortlich, wenn der Strom nicht, wie man das gewohnt ist, jederzeit aus der Steckdose kommt, um die grünen Parteiratssitzungen zu versorgen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht hier um eine Kernverantwortlichkeit, nämlich um die wirtschaftliche und soziale Stabilität in diesem Land. Wir werden in Europa und in Deutschland in den nächsten Jahren einen steigenden Gasbedarf haben,
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der gleichzeitig mit einem Rückgang der Gasproduktion in Europa einhergeht. Wir beziehen derzeit rund 30 Prozent des Erdgases, das in Deutschland verbraucht wird, aus den Niederlanden, und Sie wissen sehr wohl, dass die Produktion in den Niederlanden aus ökologischen Gründen in den nächsten Jahren drastisch zurückgehen wird. Das Gleiche gilt für Gasbezugsquellen aus anderen Ländern der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraumes.
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Und weil wir uns im Regierungsprogramm dieser Koalition gemeinsam darauf verständigt haben, auch den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung in verantwortlicher Weise zu organisieren, werden wir mittelfristig nicht weniger, sondern mehr Gas benötigen. Wenn man die zurückgehende Produktion in den Niederlanden und anderswo und den steigenden Bedarf, um jederzeitige Versorgungssicherheit zu gewährleisten, zusammen betrachtet, dann kommt man zum Ergebnis, dass wir in Europa insgesamt jährlich bis zu 100 Milliarden Kubikmeter Gas mehr benötigen werden als bisher. Deshalb, meine Damen und Herren, stellt sich die Frage der Versorgungssicherheit und der Unabhängigkeit auch in einer ganz anderen Weise als bisher.
Wir haben in den letzten 40 Jahren jederzeit die Versorgungssicherheit bei Gas gewährleistet. Wir waren zu keinem Zeitpunkt erpressbar. Aber wenn der Gasbedarf für eine Anzahl von Jahren steigt, dann müssen wir die Frage stellen, was es bedeuten würde, wenn ein Lieferant, aus welchem Grund auch immer, ausfällt. Das ist keine Frage von Freund oder Feind – wir haben auch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges aus Russland immer die Menge an Gas bekommen, die vereinbart und zugesichert war –; vielmehr ist das eine Frage verantwortlicher Politik. Deshalb sage ich Ihnen: Wenn wir über Nord Stream 2, über LNG-Terminals und über Fragen reden, die mit der Ukraine zu tun haben, dann sind das keine Gegensätze, sondern es sind die verschiedenen Seiten ein und derselben Medaille.
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Erster Punkt. Sie haben mich ja kritisiert, weil ich wie die Bundesregierung insgesamt – übrigens auch frühere Bundesregierungen – sage: Nord Stream 2 ist natürlich zunächst einmal ein privates Projekt, weil wir uns vor vielen Jahren entschieden haben, dass die Unternehmen und nicht der Staat die Hauptverantwortung für die Gasversorgung tragen und dass auch die nötige Infrastruktur privatwirtschaftlich erstellt wird.
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Es sind Genehmigungen erteilt worden für Nord Stream 2 in Finnland und in Schweden und in Russland und in Deutschland. Eine Genehmigung aus Dänemark steht noch aus.
Zweiter Punkt. Wir haben aber gleichzeitig ein politisches Interesse an geostrategischer Stabilität und an Diversifizierung. Deshalb sage ich Ihnen: Wir haben ein Interesse daran, dass die berechtigten Interessen der Ukraine gewahrt bleiben. Deshalb hat diese Bundesregierung sich seit dem Mai des vergangenen Jahres dafür eingesetzt, dass es direkte Gespräche zwischen Russland, der Ukraine und der Europäischen Kommission gibt, damit ein substanzieller Gastransport auch nach einer möglichen Fertigstellung von Nord Stream 2 ermöglicht wird. Diese Gespräche finden statt. Es besteht die Chance, dass wir diese Gespräche zu einem guten Ergebnis führen. Ich bin überzeugt, dass über diese Pipeline, die Sie angesprochen haben, auch in Zukunft jedes Jahr mehrere Dutzend Milliarden Kubikmeter Gas über die Ukraine nach Europa exportiert werden.
Dritter Punkt. Wir haben zu diesem Projekt, Nord Stream 2, in der gestrigen Nacht, in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch eine wichtige Entscheidung des Europäischen Parlamentes und des Europäischen Rates im Trilogverfahren getroffen. Diese Entscheidung geht zurück auf einen Kompromissvorschlag, den Frankreich und Deutschland gemeinsam erarbeitet haben. Das Ergebnis ist, dass diese Leitung trotz ungeklärter Rechtsfragen europäisch reguliert wird, aber nicht in der Tiefe, wie es ursprünglich von der Kommission geplant war, und so, dass Deutschland in erheblicher Weise an diesen Entscheidungen mitwirken kann. Das war ein großer Moment für die Europäische Union, weil immer behauptet worden ist, alle in Europa, außer die deutsche Bundesregierung, seien gegen Nord Stream 2.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Kompromiss, der den Fortgang der Arbeiten ermöglicht und die Realisierung des Projekts möglich macht, ist mit einer überwältigend breiten Mehrheit getroffen worden, und ich möchte allen in der Bundesregierung und im Europäischen Parlament danken, die dazu beigetragen haben, dass dies möglich war.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, Stichwort „LNG-Versorgung“: Wenn der Gasbedarf in Europa und weltweit steigt, ist es doch selbstverständlich nicht nur sinnvoll, sondern sogar auch notwendig, dass wir darüber nachdenken, wie wir eine solche Infrastruktur schaffen, dass eine Versorgung aus unterschiedlichen Quellen jederzeit möglich ist.
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Wir reden dann auch über amerikanisches Gas, ja, aber nicht ausschließlich.
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Wir reden über Gas aus dem Mittelmeerraum, wir reden über Gas aus dem Nahen und Mittleren Osten.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie Versorgungssicherheit und den Ausschluss jeder Form von Erpressbarkeit gewährleisten wollen,
({15})
dann ist es am allerbesten, wenn mehrere Lieferanten Zugang auf den Markt haben. Das ist gut für Transparenz, das ist gut für Preise, das ist gut für Unabhängigkeit.
({16})
Aus diesem Grund unterstützen wir den Bau dieser Terminals, die übrigens ebenfalls privat realisiert werden müssen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den letzten Jahren über dieses Thema oftmals und kontrovers diskutiert. Manche Debatte war ideologisch inspiriert. Ich glaube, es wäre gut, wenn wir nach dem Konsens, den wir zu vielen Fragen des Atomausstiegs erreicht haben – auch zur Endlagersuche, auch zur Übertragung der Rückstellungen; daran waren Sie nicht ganz unbeteiligt –, wenn wir nach dem Konsens, den die Kohlekommission gefunden hat, es schaffen würden, auch bei diesem wichtigen Thema einen partei- und fraktionsübergreifenden Konsens zu realisieren.
Wir werden langfristig selbstverständlich im Bereich der Gasversorgung die Dekarbonisierung fortsetzen.
({18})
Es war nicht die rot-grüne Bundesregierung, es ist diese Bundesregierung, die Reallabore einrichtet, um Power to Gas, Power to Liquid, Power to Steel und viele andere Möglichkeiten zu prüfen.
({19})
Ich sage Ihnen voraus: Wir werden auch erreichen, dass der Bedarf langfristig mehr und mehr aus erneuerbaren Energien und über Wasserstoff abgedeckt wird. Aber Sie dürfen doch nicht vergessen, dass bis dahin noch einige Jahre vergehen und dass wir die Aufgabe haben, die Energiewende auch zum Gelingen zu führen, indem wir sicherstellen, dass die Stromversorgung jederzeit verlässlich und unabhängig ist. Deutschland hat im Übrigen, wenn ich das sagen darf, ein Interesse an guten Beziehungen sowohl zu den Vereinigten Staaten wie zu Russland.
({20})
Was unsere energiepolitischen Entscheidungen allerdings angeht, glaube ich, dass wir sehr wohl imstande sind, diese gemeinsam mit unseren europäischen Partnern eigenständig zu treffen, und dass wir keine Ratschläge von außen notwendig haben. Wir haben Meinungsfreiheit – jeder darf sagen, was er denkt –, aber die Bundesregierung entscheidet das, was im Interesse unseres Landes wichtig und notwendig ist.
Vielen Dank.
({21})
Vielen Dank, Herr Minister. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Leif-Erik Holm für die Fraktion der AfD.
({0})
Liebe Bürger! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wichtig und gut, dass wir heute über das Projekt Nord Stream 2 reden, wenngleich der Titel mich ein wenig verwirrt hat, von den Grüninnen und Grünen in Auftrag gegeben. Es geht um die Vereinbarkeit von Nord Stream 2 mit den Klima- und Energiezielen der EU, als ob das der wirklich entscheidende Punkt wäre.
Ich muss sagen, Herr Trittin, Ihre Argumentation ist wirklich abenteuerlich. Nach der Kernkraft, nach der Kohle wollen Sie jetzt auch noch die Gaskraft verteufeln. Woher bekommen wir bitte schön in Zukunft die vernünftige und stetig erzeugte Energie?
({0})
Ich kann die Bürger wirklich nur warnen: Wenn die Grünen unser Land regieren, dann werden sie uns in die Steinzeit zurückbefördern.
({1})
Was Sie hier anbieten, ist eine energiepolitische Amokfahrt.
Richtig und vernünftig ist vielmehr: Wir brauchen in Zukunft mehr Gas, gerade wegen der vermurksten Energiewende. Nur flexible, schnell anfahrbare Gaskraftwerke eröffnen die Möglichkeiten, auch in Zeiten ohne Wind- und Sonnenstrom das Land am Laufen zu halten.
({2})
Nord Stream 2 ist also eine absolut folgerichtige Idee. Diese neue Leitung gefährdet nicht unsere Energiesicherheit, sondern sie stärkt sie, und das ist wichtig für Deutschland, für die Bürger und die Unternehmen.
Dass die neue Leitung unsere Abhängigkeit von Russland erhöht, ist ebenso Quatsch mit Soße. Wenn das gleiche russische Gas durch die Ukraine fließt, sind wir dann weniger abhängig? Nein, natürlich nicht. Vielmehr haben wir sogar ein zusätzliches Risiko, dann nämlich, wenn die Transitländer den Hahn zudrehen. Eine bilaterale Pipeline liegt also ganz klar im deutschen Interesse.
({3})
Ein paar Zahlen dazu. 2017 haben wir 117 Milliarden Kubikmeter Gas importiert, davon nicht mal die Hälfte aus Russland. Nur die Hälfte davon haben wir selbst verbraucht. Von Abhängigkeit kann also überhaupt keine Rede sein.
Nun verstehe ich, dass die Transitländer die Pipeline nicht gut finden. Das ist durchaus ernst zu nehmen. Das aber kann nichts an unserer grundsätzlichen Entscheidung ändern. Wie im privaten Leben wählt man das beste und sicherste Angebot. Gleichwohl macht es aber Sinn, mitzuhelfen, dass auch die Ukraine weiter versorgt wird. Es ist zu begrüßen, wenn auch die Landleitung weiter betrieben werden kann. Im Übrigen stärken wir mit Nord Stream 2 sogar die Energiesicherheit der Ukraine; denn natürlich kann das Ostseegas bei Notwendigkeit auch in Richtung Osteuropa weitergeleitet werden.
Meine Damen und Herren, Nord Stream 2 ist ein absolut sinnvolles Projekt, an dem übrigens nicht nur Russen und Deutsche beteiligt sind, sondern auch Unternehmen aus Österreich, aus Frankreich, aus Belgien, aus den Niederlanden, aus Großbritannien. Es ist ein privatwirtschaftliches Projekt, das auch der Völkerverständigung dient. Es ist ein Projekt des Friedens. Wer miteinander handelt, der schießt nicht aufeinander.
({4})
Lassen Sie mich noch kurz zum Thema Flüssiggas kommen. Da wird ja nun die Diskussion befeuert, dass Deutschland Flüssiggas aus den USA kaufen könnte. Das hielte ich für völlig absurd, da dieses Gas deutlich teurer als das russische ist. Wenn es dazu käme, dann könnte man das nur als Einknicken vor der ungebührlichen Drohpolitik der US-Administration werten. Das würden die Bürger zu Recht nicht akzeptieren. Deutschland muss endlich souverän handeln.
({5})
Den Bau von LNG-Terminals an unserer Küste, Herr Minister, halten auch wir für richtig, und zwar vor allem als Sicherheitsinfrastruktur. Natürlich müssen wir auch für den Fall der Fälle gewappnet sein, dass kein Gas mehr aus der Pipeline kommt, aus welchem Grund auch immer. Aber, Stand heute, gibt es keinerlei Grund, das deutlich teurere Fracking-Gas aus den USA zu kaufen. Das macht in finanzieller Hinsicht und das macht auch aus Umweltsicht keinen Sinn.
Zum Schluss will ich noch sagen, dass mich die Politik der Vereinigen Staaten hier wirklich sehr befremdet. Der Versuch der politischen Bevormundung erinnert an dunkelste Zeiten des Kalten Krieges, und der sollte eigentlich langsam überwunden sein. Ich finde, wir Deutschen sollten alles dafür tun, dass wir nie wieder zum Spielball der Großmächte werden. Lassen Sie uns den Rücken gerade machen und auf Basis von Vernunft und internationaler Zusammenarbeit unsere legitimen nationalen Interessen vertreten.
Vielen Dank.
({6})
Der nächste Redner für die SPD-Fraktion: der Kollege Bernd Westphal.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als überzeugter Parlamentarier und Demokrat finde ich das Instrument der Aktuellen Stunde wirklich sehr hilfreich. Aber ich finde es schon sehr merkwürdig, dass die Grünen sie beantragt haben. Warum?
({0})
– Sie müssen schon zuhören. – Weil auf der einen Seite das Ergebnis der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ begrüßt wird, in dem Gaskraftwerken und Gas-KWK-Anlagen eine wichtige Rolle als Übergangsproduzenten von Energie zugeschrieben wird, und auf der anderen Seite jetzt hier in dieser Aktuellen Stunde kritisiert wird, dass Unternehmen unterwegs sind, eine entsprechende Gasversorgung sicherzustellen.
({1})
Da müsst ihr euch entscheiden – das muss ich ganz ehrlich sagen –, was ihr wollt.
({2})
Es trägt zur Versachlichung der Debatte bei, darauf hinzuweisen, dass dieses privatwirtschaftliche Projekt zum Beispiel auf deutscher Seite von Uniper und von Wintershall mit auf den Weg gebracht wird und dass es neben Gazprom auch andere Unternehmen mit staatlicher Beteiligung wie OMV, Engie, ein französisches Unternehmen, oder Shell gibt.
({3})
Es handelt sich also um ein wettbewerbliches, privatwirtschaftliches Projekt.
Die deutschen Behörden haben das, was sie von deutscher Seite zur Genehmigung der Pipeline beitragen können, genehmigt. Die Bundesregierung hat in Brüssel dazu beigetragen, dass es einen Kompromiss gibt. Herzlichen Dank an die Bundesregierung, dass das möglich war! Es wäre schon fraglich gewesen, wenn es eine Lex Nord Stream 2 gegeben hätte, die diesem Projekt den Garaus gemacht hätte. Das wäre eine unberechtigte Politisierung gewesen, die nicht angemessen gewesen wäre.
Was das Zieldreieck der Energiepolitik angeht, also sicher, sauber und bezahlbar, leistet Nord Stream einen wichtigen Beitrag. Wir haben auf der einen Seite, was die Sauberkeit angeht, eine Klimaverträglichkeit, weil Gas eben eine andere CO 2 -Bilanz hat als andere fossile Energieträger. Wir wollen langfristig aus der Kohleverstromung raus, und das geht eben nur, wenn wir mit Gas einen letzten fossilen Energieträger haben, der deren Aufgabe übernehmen kann. Klar ist aber auch, dass Gas grüner werden muss und die Produzenten aus den Ländern, aus denen Gas nach Deutschland geliefert wird, zum Beispiel in Form von Zertifikaten nachweisen müssen, dass es eine Bohrlochdichtigkeit gibt und ein sogenannter Schlupf, also Transportverluste und Leckagen, dementsprechend verhindert werden. Alle Lieferländer müssen hier einen Beitrag leisten.
({4})
Bezüglich der Sicherheit unserer Energieversorgung ist zu beachten, dass wir bei den erneuerbaren Energien eine Volatilität in der Erzeugung haben. Bis wir eine entsprechende Infrastruktur von Speichern und Netzen aufgebaut haben, kann Gas als ein flexibler Energieträger zur Versorgungssicherheit beitragen. Man muss, was die Sicherheit der Lieferungen angeht, auch sagen – das gehört zur Wahrheit dazu –, dass in den letzten Jahrzehnten russische Energielieferungen – ob Gas oder Öl – nie politisch missbraucht worden sind. Deshalb ist Gas ein wichtiges Instrument bei der Versorgungssicherheit.
({5})
Der Gaspreis leistet auch einen Beitrag, die Liquidität im Markt zu erhöhen. Die Gaspreisgestaltung trägt also dazu bei, dass es hier einen Stabilitätsfaktor gibt.
Auch die Relevanz von Gas für die deutsche Industrie will ich hier betonen. Das ist etwas, was auch die Grünen durchaus im Blick haben sollten. In der Grundstoffindustrie und in der chemischen Industrie zum Beispiel dient Gas nicht nur der Energieerzeugung, sondern Gas dient dort auch als Grundstoff. Die BASF zum Beispiel hat einen Gasverbrauch, der vergleichbar ist mit dem von Dänemark. Daran sieht man, welch wichtigen Beitrag Gas für unsere industrielle Wertschöpfung leistet. Das ist zumindest für uns als SPD sehr wichtig.
({6})
Natürlich muss Gas auch grüner werden. Deshalb werden wir uns trotz Nord Stream 2 nicht zurücklehnen. Vielmehr muss uns die derzeitige Situation ein Ansporn sein, dafür zu sorgen, dass Gas grüner wird. Die Nutzung von Wasserstoff könnte hier zum Beispiel einen großen Beitrag leisten, indem ein Teil der Gasinfrastruktur genutzt wird. Wir brauchen dementsprechend mehr Anreize, Gas zukünftig auch im Mobilitätssektor einzusetzen. Mit dem geplanten Klimaschutzgesetz müssen wir auch Anreize schaffen, um entsprechende Elektrolyseanlagen aufzubauen.
({7})
Was die außenpolitische Dimension angeht: Unsere mittel- und osteuropäischen Nachbarländer haben sicherlich eine andere Erfahrung mit Russland gemacht als wir, auch historisch. Deshalb sind die Bedenken und Befürchtungen, die dort formuliert werden, ernst zu nehmen. Wir werden diese Bedenken in unsere Überlegungen einbauen und die Transitmöglichkeiten über die mittel- und osteuropäischen Länder, die auch eine Einnahmequelle für diese Länder darstellen, bei der zukünftigen Planung berücksichtigen.
({8})
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen weg von fossilen Energieträgern – ja, das stimmt –, aber gleichzeitig aus Öl, Kernenergie, Kohle und auch noch Gas auszusteigen, wird nicht funktionieren. Gas ist ein leistungsfähiger Energieträger. Er leistet einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit. Er wird die Brücke bilden ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. Deshalb ist Nord Stream 2 ökonomisch und ökologisch ein sinnvolles Projekt.
Vielen Dank und Glück auf!
({9})
Für die Fraktion der FDP hat das Wort der Kollege Dr. Lukas Köhler.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Grüne, ich sehe Sie in Sorge, in Sorge darüber, dass die Frage, ob sich Nord Stream 2 mit der Energie- und Klimapolitik der EU vereinbaren lässt, völlig ungeklärt ist. Dabei ist die entscheidende Frage doch, wie sich Ihre Klimapolitik mit einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung vereinbaren lässt.
({0})
Das macht Ihre Kritik an Nord Stream 2 leider völlig unglaubwürdig.
({1})
Der planwirtschaftliche Kohleausstieg kann Ihnen gar nicht schnell genug gehen. Hier geben wir viele Milliarden für einen rein symbolischen Weg aus; denn der Kohleausstieg war auch schon durch den Emissionshandel beschlossene Sache. Aber nun, da die Diskussion um die Kohle auf die Zielgerade zu gehen scheint, haben Sie sich einen neuen Gegner, den Klimakiller Gas, ausgesucht.
({2})
Eigentlich erstaunlich; denn morgen bringen Sie hier in diesem Haus einen Antrag ein, in dem Sie explizit den Neubau von Gaskraftwerken fordern. Dieser steht im Bericht der Kohlekommission, und den wollen Sie ja eins zu eins umsetzen. Ich finde, Herr Trittin, damit haben Sie heute ein Eigentor geschossen.
({3})
Nur damit ich das richtig verstehe – ich weiß, Sie hören mir gerade nicht zu, aber vielleicht erklären Sie es mir nachher –: Sie warnen heute vor den negativen Folgen der Energiegewinnung aus Gas, und morgen fordern Sie hier, dass wir mehr Gas nutzen sollen. Das ist doch wirklich absurd.
({4})
Wenn es Ihnen tatsächlich nur um Nord Stream 2 ginge und um die Angst vor einer starken Abhängigkeit von Russland, dann könnten wir darüber reden; denn bei solchen Partnern ist natürlich Vorsicht geboten. Aber gleichzeitig wollen Sie auch keine diversifizierte Gasversorgung, etwa durch den Bau von LNG-Terminals; denn dann käme ja böses Fracking-Gas aus den USA. Auch davor haben Sie gerade gewarnt.
({5})
Sie wollen also keine Kohle, Sie wollen kein Flüssiggas aus den USA, Sie wollen kein Fracking in Deutschland, und Sie wollen schon mal gar keine Kernenergie. Und dann wundern Sie sich, dass wir jetzt auf russisches Gas angewiesen sind? Das ist völlig absurd.
Wenn man Ihre Interviews liest, Herr Trittin, dann merkt man relativ schnell, dass Sie in einem völligen Zweispalt sind: Sind Sie für Nord Stream 2, sind Sie gegen Nord Stream 2?
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Wollen Sie dafür sein, weil die USA dagegen sind? Oder machen Sie es wie Frau Göring-Eckardt, die immer wieder betont, dass wir keine Pipeline brauchen, weil Sonne und Wind das schon regeln werden. Das funktioniert vielleicht in einer grünen Wünsch-dir-was-Welt, in der Energiepolitik aus der Dose kommt, in der Energiepolitik nichts mit Grundlastfähigkeit zu tun hat, aber in der Realität funktioniert das nicht.
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Ihr klimapolitisches Wunschdenken hat uns doch erst in diese energiepolitische Sackgasse geführt.
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Umso schlimmer, dass die Bundesregierung dabei auch noch mitmacht. Der kopflose Kohleausstieg, den die Union und insbesondere die SPD nun herbeiführen, treibt uns nämlich genau in diese Abhängigkeit.
({9})
Und Herr Altmaier, Sie haben ja nicht einmal mehr den Anspruch, eine marktwirtschaftliche Lösung zu entwickeln, und das ist in einer einst so stolzen Partei wie der Union wirklich traurig. Die Planwirtschaft fängt bei Ihnen doch in der Industriepolitik an und hört bei der Energiepolitik noch lange nicht auf.
({10})
Da verwundert es nicht, dass Sie privat und staatlich nicht mehr auseinanderhalten können. Ein Projekt, das komplett von einem russischen Staatskonzern kontrolliert wird, als privatwirtschaftliche Entscheidung zu bezeichnen, ist der Abgesang an jedes marktwirtschaftliche Verständnis.
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Herr Altmaier, Sie sind ein begeisterter Europäer, das gestehe ich Ihnen zu. Aber wieso hat die Einigung mit unseren Partnern so unglaublich lange gedauert? Sie wissen spätestens seit September, dass Macron etwas gegen Nord Stream 2 hat, als er das im Europäischen Parlament exakt so ausdrückte. Wo ist da der Anspruch, eine umfassende europäische Lösung zu finden? Wo ist die Initiative zu einer wirklich gemeinsamen europäischen Energiepolitik? Da war nichts davon zu erkennen. Ihr EU-Kommissar, Herr Oettinger, läuft landab und landauf und mahnt das seit Jahren an, und Sie bekommen es nicht auf die Reihe. Das ist ein Trauerspiel!
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Wir kommen nicht darum herum: Wenn wir umweltverträgliche, aber auch sichere und bezahlbare Energie wollen, dann sind wir auf Importe angewiesen. Wegen dieser Abhängigkeit ist Energiepolitik aber auch immer Außen- und Sicherheitspolitik. Wir müssen hier deshalb eng mit unseren europäischen Partnern zusammenarbeiten. Wir dürfen uns aber nicht auf nur einen Lieferanten stützen. Außenpolitisch ist ein gemeinsames Europa ein starkes Europa, und nur das können wir gebrauchen. Wenn wir Nord Stream 2 aber nun unumgänglich gemacht haben, dann muss die Bundesregierung garantieren, dass es nicht als Waffe gegen die Ukraine eingesetzt wird. Es darf aber auch nicht als Druckmittel gegen uns verwendet werden. Deswegen brauchen wir Gas aus unterschiedlichen Quellen.
Aber: Neben der Sicherheit, die immer auch mit der Versorgungssicherheit verbunden ist, braucht Deutschland auch energiewirtschaftlich ein klares, eindeutiges Preissignal für die Bürgerinnen und Bürger. Ich weiß, liebe Grüne, dass das eine Kollegin von Ihnen im Umweltausschuss anders sieht. Aber Preisfragen sind immer auch mit Klimafragen verbunden. Wenn wir die Akzeptanz der Bevölkerung verlieren, dann, meine Damen und Herren, haben wir auch den Kampf um den Klimaschutz verloren, und das können wir uns weder im Industrie- noch im Energiesektor leisten.
Vielen herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Klaus Ernst, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, Herr Köhler: Wenn ich Köhler hieße, wäre ich vielleicht auch kohleaffiner, aber das bin ich nicht.
({0})
– Ja, ja, damit müssen Sie leben, und nach der Rede müssen Sie mit noch viel mehr leben.
({1})
Ich möchte Ihnen sagen, Herr Köhler: Ihre Rede war wirklich so was von „old fashioned“! Sie haben die Zeichen der Zeit noch gar nicht erkannt, sehen nicht, dass Kohle und natürlich auch Gas ausgehen werden. Insofern haben die Grünen recht, wenn sie sagen, es wäre viel besser, wenn wir sehr schnell den Zeitpunkt erreichten, an dem wir Gas nicht mehr brauchen.
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Die Frage ist nur: Ist es realistisch, anzunehmen, dass der Zeitpunkt bei dieser Bundesregierung bald kommt?
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Da habe ich natürlich meine Zweifel. Ich denke, dass wir mit dieser Bundesregierung nicht so schnell eine echte Energiewende hinkriegen, sodass auf fossile Energieträger verzichtet werden kann. Daher stellt sich schon die Frage, welches Gas denn dann kommen soll.
Es ist ja darauf hingewiesen worden, Kollege Trittin: Die Zustimmung zu Ihrem morgigen Antrag, die Empfehlungen der Kohlekommission schnell umzusetzen, bedeutet ja auch, schneller Gaskraftwerke zu bauen. Und das Gas dafür muss bei gleichzeitigem Rückgang von europäischem Gas irgendwoher kommen. Und dann stellt sich die Frage: Welches Gas? Das ist die eigentliche Frage, über die wir dann reden müssen. Da ist es vielleicht sinnvoll, sich die unterschiedlichen Interessenlagen anzusehen.
Die Amerikaner haben doch, bitte schön, nicht das Interesse, für eine autonome, eine unabhängige Energieversorgung Europas einzutreten. Ja wer glaubt das denn?
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Wer das glaubt, der glaubt auch an die Wiederverwendbarkeit von Einwegunterwäsche, Kolleginnen und Kollegen.
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Die Amerikaner haben klipp und klar eigene ökonomische Interessen, und die bestehen darin, ihr Gas, das sie nun in enormen Mengen produzieren, auch auf dem europäischen Markt abzusetzen. Warum wollen sie das auch in Europa absetzen? Unter anderem, weil aufgrund von Trumps Politik die Chinesen nicht mehr so viel LNG-Gas abnehmen. Also drängen die Amerikaner verstärkt auf den europäischen Markt. Das hat aber nichts mit uns zu tun; das ist eindeutig amerikanisches Interesse. Und darum führt sich der amerikanische Botschafter hier auch auf wie ein Schachtelteufel,
({6})
indem er alle Möglichkeiten nutzt, deutsche Unternehmen unter Druck zu setzen, indem er mit exterritorialen Sanktionen droht. Das ist der Hintergrund.
Aber sind das eigentlich auch unsere Interessen? Ich muss mal fragen: Wo liegen denn unsere Interessen? Unsere Interessen bestehen doch wohl darin, dass wir das Gas, das wir brauchen, zu einem einigermaßen anständigen Preis zuverlässig und vor allen Dingen auch in ausreichender Menge bekommen. Das ist unser Interesse, und das unterscheidet sich grundsätzlich von dem amerikanischen.
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Und wir wissen, und zwar seit Jahren, dass wir das russische Erdgas, das wir beziehen, zuverlässig, zu einem vernünftigen Preis und übrigens jede Krise überdauernd geliefert bekommen haben. Das ist der Tatbestand.
Jetzt zur Abhängigkeit. Also, meine Damen und Herren, wenn die Amerikaner sagen, die Abhängigkeit Europas von den Russen würde größer werden, wenn wir Russland immer mehr Gas abnehmen, muss ich fragen: Ist denn Russland nicht viel stärker davon abhängig, dass wir ihnen Gas abnehmen? Wäre es für Russland nicht viel schlimmer, wenn wir Russland kein Gas abnehmen würden, als es für uns wäre, auf russisches Gas zu verzichten?
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In einer Hinsicht – lassen Sie mich an dieser Stelle sagen – bin ich ganz froh über diese gegenseitige Abhängigkeit: Ich denke, in diesen unsicheren Zeiten, in denen wir zurzeit leben, sind ein wenig Stabilität, ein wenig gegenseitige Abhängigkeit vielleicht ganz sinnvoll; das stärkt vielleicht auch die Kräfte in Europa, die mehr auf Zusammenarbeit setzen und weniger auf Konfrontation.
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Auch aus diesem Grunde halte ich das für gar nicht so schlecht.
Im Übrigen war es ja kein Linker, sondern Eckhard Cordes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft – ich hätte nie gedacht, dass ich als Gewerkschafter den mal so freudig zitieren könnte –,
({10})
der bei uns im Wirtschaftsausschuss gesagt hat – einige Ausschusskollegen sind da –: Ein starkes Europa ist ohne Einbeziehung Russlands nicht möglich. – Jetzt frage ich mal: Wo liegen da die amerikanischen Interessen? Vielleicht sind sie an einem starken Europa gar nicht interessiert.
({11})
– Nein, das sind keine Theorien; das sind praktische Folgen amerikanischer Politik.
Meine Damen und Herren, der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Ukraine. Das Gas, das durch die Ostsee zu uns kommt und das dann von uns dorthin geliefert wird, ist doch auch russisches Erdgas.
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Geht es Polen und der Ukraine nicht schlichtweg um die Transitgebühren, die sie bekämen, wenn die Leitungen durch Polen und die Ukraine verliefen?
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Aber warum soll es in unserem Interesse sein, Transitgebühren zu zahlen? Wenn wir diese Länder unterstützen wollen, müssen wir das anders machen als über Transitgebühren. Ein bisschen ehrlicher, bitte!
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Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang: Danke, Herr Altmaier, dass Sie die Vereinbarung innerhalb der EU hinbekommen haben. Das war gut. Ich hoffe, dass das Ding jetzt bald gebaut wird
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und wir die Debatte mit einer vernünftigen Regelung beenden können.
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Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die Behauptung, Europa würde sich abhängig oder gar erpressbar von Russland machen, ist schlicht falsch. Pipelines erzeugen eine gegenseitige Abhängigkeit: Die einen brauchen das Gas, die anderen das Geld.
({0})
Aber konkret betrachtet kann Russland seine Kunden nicht einfach wechseln – Europa seine Lieferanten aber leicht. Es gibt eine Vielfalt von Pipelines und Flüssiggasterminals mit reichlich Kapazität.
({1})
Das europäische Gasnetz ist inzwischen so gut ausgebaut, dass kein Mitgliedstaat auf einen einzigen Lieferanten angewiesen ist – nicht einmal die Ukraine, die heute über Leitungen aus dem Westen versorgt wird.
({2})
– Vielen Dank für den Applaus, meine sehr geehrten Damen und Herren. Der Applaus gehört aber nur eingeschränkt mir; ich habe nämlich gerade den Kollegen Trittin zitiert,
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der, wie man nachlesen kann, genau diese Sätze so gestern der Deutschen Welle gegenüber gesagt hat.
({4})
Allerdings hat Ihre Rede, Herr Trittin, vorhin relativ wenig mit dem zu tun gehabt, was Sie gestern gesagt haben. Jetzt weiß ich nicht: Durften Sie von Ihrer Fraktion aus das nicht sagen, wie Sie es denken?
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Oder – um den Kollegen Ernst noch einmal zu zitieren – wechseln Sie Ihre Meinungen wie andere die Unterwäsche?
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– Ja, den Eindruck könnte man manchmal haben, in der Tat.
Es sind schon viele Punkte angesprochen worden. Lassen Sie mich noch mal einige Daten und Fakten, insbesondere zu den Themen Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit, nennen. Wenn wir das umsetzen wollen, was wir uns in Deutschland und in Europa vorgenommen haben – es ist ja angeklungen: Dekarbonisierung, Ausstieg aus der Kernenergie, Ausstieg aus der Kohle –, dann brauchen wir auf absehbare Zeit definitiv mehr Gas, weil wir nur mit Gas die gesicherte Leistung – im Stromnetz beispielsweise – erreichen werden.
Da wird jetzt oft gesagt, Nord Stream 2 wäre schädlich für Europa, es würde abhängig machen, es würde die Versorgungssicherheit gefährden. Das Gegenteil ist natürlich der Fall. Ich will es Ihnen gerne mit ein paar Daten und Fakten darlegen.
Wir können uns darüber streiten, wie sich der Gasverbrauch entwickeln wird. Heute liegt er jedoch zwischen 90 und 100 bcm, also „billion cubic meters“, Milliarden Kubikmeter, pro Jahr in Deutschland, 450 bis 500 Milliarden m 3 in Europa; deshalb lassen Sie mich die 500 Milliarden m 3 als Größenordnung nehmen. Jetzt gibt es unterschiedliche Szenarien, wie sich der Verbrauch entwickeln wird. Aber er wird mindestens um 50, wenn nicht um 100 bcm ansteigen. Das heißt, wir werden bis 2030 in Europa 500, wahrscheinlich eher 600 bcm brauchen. Da wir aber nur noch 20 Prozent davon heute in Europa selber fördern – in Deutschland unter 10 Prozent – und wir, weil es die Grünen und andere nicht wollen, kein Fracking in Deutschland – und in Europa – betreiben, durch das wir die Eigenversorgung verbessern könnten,
({7})
sind wir auf Importe angewiesen. Von daher sind wir, glaube ich, gut beraten, diese Importe sowohl nach Quellen als auch nach Transportwegen zu diversifizieren.
Wie sieht es da aus? Ein Transportweg sind die Pipelines. Wir bekommen bereits heute rund 400 bcm durch Pipelines, die nach Europa führen. Diese Pipelines führen nicht nur aus Russland durch Weißrussland oder über die Ukraine und Polen nach Deutschland, die kommen auch aus dem Kaukasus durch die Türkei, die kommen aus Nordafrika durch das Mittelmeer, die kommen aus Skandinavien durch die Nordsee usw., insgesamt 400 bcm.
Dann haben wir Speicher, Gott sei Dank in Deutschland sehr viele, insgesamt mit einem Volumen von ungefähr 100 bcm. Das heißt, selbst wenn das Gas einmal nicht fließt, sei es regional bedingt, weil im Winter mehr gebraucht wird als im Sommer, oder sei es, weil es auch einmal zu Einschränkungen kommt – da brauchen wir übrigens nicht nur die Gefahr der Unterbrechungen durch Russland an die Wand zu malen, es kann auch zu Havarien oder Zwischenfällen kommen wie im letzten Jahr in Baumgarten in Österreich –, dann können wir 100 bcm, also 20 Prozent unseres Verbrauchs, über Speicher kompensieren.
Dann haben wir die LNG-Kapazitäten, die angesprochen wurden und die jetzt weiter ausgebaut werden. Da haben wir – Stand: heute – Kapazitäten von 220 bcm, und von noch einmal 20 bis 30 bcm im Bau, also insgesamt 250 bcm, 50 Prozent des Bedarfs.
Wenn Sie das alles jetzt aufsummieren – Eigenproduktion, Speicher, Pipelines, LNG –, dann kommen wir auf über 200 Prozent des Gasbedarfs. Das ist Versorgungssicherheit; damit werden wir nicht abhängig, sondern wir werden unabhängiger. Und mit Nord Stream 2 kommen 55 bcm, also 10 Prozent des europäischen Gasbedarfs, dazu. Das ist ein klarer Beweis dafür, dass die Versorgungssicherheit besser und nicht schlechter wird.
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Herr Kollege.
Wenn ich jetzt mehr Redezeit hätte – die ist leider abgelaufen –, würde ich auch darlegen, wie die Liquidität am Markt erhöht wird und dadurch der Wettbewerb zu günstigeren Preisen führt –
Das machen wir nächstes Mal.
({0})
– und wie auch über Gas CO 2 eingespart werden könnte. Aber ich fürchte, das müssen wir auf die nächste Aktuelle Stunde vertagen.
Absolut.
In diesem Sinne: Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Der nächste Redner: der Kollege Armin-Paul Hampel, AfD-Fraktion.
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Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Liebe Besucher im Deutschen Bundestag! Besonders herzlich: Liebe Besuchergruppe aus Niedersachsen drüben im Jakob-Kaiser-Haus! Ich habe gedacht, dass wir bezüglich Nord Stream 2 über wirtschaftliche Probleme und darüber sprechen, ob das nicht viel eher eine politische Debatte sein muss, wie Frau Merkel schon vor einigen Monaten sagte, aber ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass wir bezüglich Nord Stream 2 jetzt eine Klimadebatte führen werden; das hätte ich nicht geglaubt.
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– Ja, natürlich steht es da. Ich habe das ja vorher gelesen; so ist es nicht. Ich habe das trotzdem nicht begreifen wollen.
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Verstehen Sie, warum? – Damit Sie es gleich wissen: Ich fange keine minutenlange Diskussion über einen Stoff an, der zu 0,04 Prozent in der Luft vorkommt – und meine Fraktion auch nicht.
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Viel interessanter ist, was in den vergangenen Tagen abgegangen ist. Vor wenigen Wochen hat uns der deutsche Außenminister – sein Staatsminister sitzt ja hier – noch vorgeschwärmt, die deutsch-französische Freundschaft sei in Aachen mit dem erneuten, zweiten, Élysée-Vertrag besiegelt, wir würden noch enger und noch intensiver zusammenarbeiten, und wenige Wochen später haut uns der französische Freund – obwohl ich heute ja gelernt habe, dass wir jetzt von Zusammenarbeit reden – diesen Vertrag links und rechts um die Ohren,
({3})
indem er den Deutschen in den Rücken fällt, uns nicht unterstützt, sondern indem er – Überraschung! – polnische und ukrainische Interessen wahrnimmt.
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Wollten wir nicht deutsch-französische Interessen gemeinsam wahrnehmen? Oder haben die Polen und Ukrainer den Aachener Vertrag auch unterschrieben? Ich glaube kaum.
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Wie wollen wir da im UN-Sicherheitsrat gemeinsam Politik machen, meine Damen und Herren?
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– Wir reden hier über die deutsch-französische Freundschaft. Wir haben eine andere Vorstellung von ehrlicher Freundschaft, Herr Kollege.
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Da haben Sie allerdings recht: Wir wollen auch mit unseren französischen Kollegen auf Augenmaß verhandelnd ins Gespräch kommen.
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Man reibt sich erstaunt die Augen: Frankreich vertritt die Interessen von Polen und der Ukraine, Aachen ist passé.
Die Bundeskanzlerin hatte die Augen ja lange geschlossen. Mittlerweile hat sie eingeräumt, es sei nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein politisches Projekt. Jetzt stehen wir wieder einmal vor dem Scherbenhaufen der deutschen Außenpolitik von Angela Merkel und Herrn Maas: Wir haben mit den Amerikanern – mit Herrn Trump – nicht gerade glänzende, sondern eher schlechte Beziehungen, die Russen sanktionieren wir, und – ich wiederhole das immer gerne – die Chinesen haben wir erst jetzt als strategische Herausforderung angenommen. Der von Ihnen beschworene Multilateralismus ist eine Floskel, und er zeigt nur das völlige Versagen der Bundesregierung.
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Meine Damen und Herren, mittlerweile wachen einige auf. Es gibt wieder Stimmen, die auf eine Rückbesinnung auf die nationalen Interessen pochen. Was jetzt passiert ist, ist Folgendes: Europa bestimmt über einen der wichtigsten Punkte, die unsere Gesellschaft beeinflussen können, mit, nämlich über die Energieversorgung. Wir haben uns vorführen lassen; das haben wir ja gelernt. Das französische Verhalten war uns vorher eben nicht bekannt. Und wir haben einen Kompromiss geschlossen, von dem wir gar nicht wissen, ob dieser so durchgesetzt werden wird; denn eines sage ich Ihnen: Auch Polen hat jetzt erst mal mit einem einzigen Ziel zugestimmt, nämlich, dass das Europäische Parlament genau diese Kompromissvereinbarung torpedieren wird. Sie werden im Europäischen Parlament keine Mehrheit dafür bekommen,
({10})
und dann stehen wir noch mal vor einem Scherbenhaufen unserer Politik. Das ist das Entscheidende.
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– Das werden Sie erleben; glauben Sie es mir.
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Was haben wir dadurch gewonnen? Es gibt eine Einflussnahme europäischer Länder, von denen wir jetzt lernen, dass sie Eigeninteressen – hören Sie gut zu –, ihre nationalen Interessen durchsetzen, und zwar ganz massiv. Die Einzigen, die das nicht machen, sind wir Deutschen, und dafür sollte sich diese Bundesregierung schämen.
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Die von Ihnen so leidenschaftlich verteidigte deutsch-französische Zusammenarbeit ist eine Farce; Sie haben es gerade erlebt.
Wir müssen jetzt aus dieser Situation wieder herauskommen. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines: Lassen Sie uns einen Weg gehen, auf dem wir Deutschen alleine in der Lage sind, über die Verteilung und Zuteilung von Energie und die Energieversorgung in unserem Land hier in Berlin – nicht in Brüssel, nicht im Europäischen Parlament, nicht im Rat und nicht in der Kommission, sondern hier in Berlin – zu entscheiden. Das ist für unser Land von nationalem Interesse. Begreifen Sie endlich, dass die Menschen das genauso wollen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({14})
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Timon Gremmels.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist heute meine elfte Rede zu energiepolitischen Fragen. Bei der Mehrheit der Reden habe ich sehr viele Gemeinsamkeiten mit den Grünen festgestellt, wir konnten uns aufeinander beziehen. Leider, muss ich Ihnen sagen, ist das heute nicht der Fall. Aber das ist okay. Wir sind ja auch verschiedene Parteien mit unterschiedlichen Interessen. Aber ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten haben einfach die besseren Argumente.
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Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Trittin, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ist sowohl energiepolitisch wie auch industriepolitisch falsch. Alle Studien, die uns vorliegen – die BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“, die dena-Studie „Integrierte Energiewende“ –, besagen: Wir brauchen auch in der Zukunft Gas, und wir brauchen mehr Gas. Ich zitiere aus der dena-Studie 2018: Für die kosteneffiziente Erreichung unserer Klimaziele brauchen wir einen breiten Technologiemix. Wir brauchen eine moderne, effiziente Gasinfrastruktur.
Die Gasinfrastruktur spielt auch in Zukunft eine zentrale Rolle im Energiesystem. Übrigens sagt Greenpeace das Gleiche. Also, wir brauchen auch in Zukunft Gas für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland. Deswegen ist das, was Sie hier beantragen, nämlich zeitgleich aus Atom, aus Kohle, aus Öl und jetzt auch noch aus Gas auszusteigen, nicht möglich. Das geht nicht. Das überfordert auch unsere Industrie. Das überfordert den Industriestandort Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({1})
Ich möchte Ihnen mal ein Beispiel nennen. Wir haben ja schon über vieles gesprochen, auch darüber, dass Erdgas hier weiterverarbeitet wird. Hier ist zum Beispiel der BASF-Standort genannt worden. BASF braucht preiswertes Gas, um chemische Produkte zu entwickeln. Wenn es das nicht bekommt und auf teures LNG-Gas aus den USA zurückgreifen muss, werden die chemischen Produkte nicht mehr in Deutschland hergestellt, sondern in den USA. Ich glaube, das kann auch nicht in unserem Interesse sein. Wir wollen den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
Deswegen ist der Bezug von Gas aus Russland zu wettbewerbsfähigen Preisen auch ein wichtiger Punkt, um Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern, zum Beispiel auch bei mir in Kassel, wo Wintershall seinen Sitz hat, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Natürlich müssen wir auch mit den Unternehmen darüber reden, dass Erdgas immer grüner wird. Das tun wir doch auch. Deswegen müssen wir gucken, dass wir hier an dieser Stelle Erdgas Stück für Stück ersetzen und es grüner machen.
({3})
Aber das ist ein Prozess, den wir gemeinsam angehen. Wir sollten jetzt hier nicht vorschnell das Kind mit dem Bade ausschütten.
Ich möchte sagen, dass es mich schon etwas ärgert, wenn hier unlauter argumentiert wird. Die Frage ist, ob denn Erdgas klimaschädlicher ist als Kohle. Wenn ich die Grünen richtig verstanden habe, dann würde das alles keinen großen Unterschied machen
({4})
Ehrlich gesagt, das ist falsch. Gucken Sie doch mal bitte in die UBA-Studie von 2018.
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Darin heißt es deutlich, dass der zusätzliche Einsatz von Erdgas bis 2030 eine CO 2 -Reduktion von 25 bis 40 Millionen Tonnen bringt. Insofern ist das sinnvoll.
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Die Grünen meinen, es besser zu wissen. Sie sagen, wenn man die Vorkettenemissionen einberechnen würde, wäre Erdgas klimaschädlicher. Das ist völlig falsch. Auch das sagt die UBA-Studie von 2018. Darin steht klar: Selbst mit den Vorkettenemissionen bleibt der CO 2 -Fußabdruck von Erdgas deutlich hinter dem von Kohle und Erdöl, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({7})
Insofern ist es wichtig, dass wir in Zukunft auch weiter auf Erdgas setzen, und natürlich auch auf russisches Erdgas.
Anders beim US-Fracking-Gas: Hier spielen die Vorkettenemissionen eine wesentliche Rolle.
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Durch das Aufbrechen des Bodens wird massiv Methan freigesetzt.
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Außerdem ist das Verflüssigen für die Umwelt und das Trinkwasser deutlich gefährlicher. Das ist ein Unterschied zu russischem Erdgas, das durch hohen Druck aus den Lagerstätten kommt. Das macht es klimafreundlich. Ansonsten hat mein Kollege Westphal deutlich gesagt, dass wir auch da gucken müssen, dass es zu Innovationen kommt, die in Zukunft dafür sorgen, dass auch russisches Erdgas sauberer wird, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Aber wir müssen aufpassen – das sage ich gerade den Kolleginnen und Kollegen der Grünen –, dass wir uns nicht vor den amerikanischen Karren spannen und uns nicht für die Energiepolitik von Trump einspannen lassen.
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Trump hat doch nicht die Sorge, dass Deutschland von Russland energiepolitisch abhängig wird. Sein primäres Ziel ist es – das hat er auch in seinen Reden deutlich gemacht –, Jobs in den USA durch Fracking zu schaffen. Darum geht es doch bei der LNG-Frage, meine sehr verehrten Damen und Herren. Deswegen müssen wir selbstbewusst sagen, wie die deutschen Interessen sind, und dazu gehört auch russisches Erdgas. Erdgas ist eine Brücke, und Windgas ist die Zukunft.
Zum Schluss nenne ich für die SPD noch folgende Punkte: Wir sind für den Atomausstieg bis 2022, für den Kohleausstieg bis 2038, für den weiteren Ausbau erneuerbarer Energien zum Beispiel im Stromsektor bis 2030, und wir sind für eine Brücke von Erdgas hin zu Windgas. Das ist unser Ziel.
Und als Schlusswort: Natürlich kann auch der Bezug von Erdgas aus Russland eine weitere Brücke sein, nämlich die eines außenpolitischen Dialoges. Wir müssen das nutzen, um außenpolitisch weiter Einfluss zu behalten und mit Russland im Gespräch zu bleiben.
Ich danke Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
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Für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Dr. Julia Verlinden das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Debatte wird eines wieder ganz deutlich: Die Bundesregierung hat keine Gasstrategie. Deswegen irrlichtern Sie bei diesem Thema auch so herum, und das ist fatal. Das ist fatal für den Klimaschutz und für die Investitionssicherheit.
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Sie müssen sich als Bundesregierung doch fragen: Wie viel Gas braucht unser Energiesystem der Zukunft? Es ist auch anders, als Sie behaupten, Herr Minister Altmaier. Die Gasnetzbetreiber in Deutschland geben nämlich selbst an, dass die Gasnachfrage sinken wird, und zwar schon innerhalb der nächsten zehn Jahre.
Die nächste Frage wäre: Wie bringen wir den Gasverbrauch der Zukunft in Einklang mit dem Pariser Abkommen? Herr Altmaier hat mit seinen Aussagen eben diese Klimaschutzziele aufgegeben, und er hat auch nicht wirklich zum Thema dieser Aktuellen Stunde gesprochen.
Ja, wir müssen raus aus allen fossilen Energieträgern. Das scheint Ihnen in der GroKo echt Angst zu machen. Aber ich kann Sie beruhigen: Das funktioniert.
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– Jetzt kommt es. Ich erkläre es Ihnen gerne. –
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Gas bedeutet nämlich nicht automatisch fossiles Erdgas, und Kraftwerke werden in Zukunft viel weniger Stunden pro Jahr laufen. Sie können aus Ökostrom Wasserstoff oder synthetisches Methan herstellen, ganz ohne CO 2 -Emissionen.
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Und vergessen Sie nicht die bestehenden Biogasanlagen.
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Darüber hat übrigens heute bisher keiner gesprochen.
Ihre Politik, liebe GroKo, müsste sich doch jetzt auf erneuerbare Gase und Energiesparen ausrichten, anstatt möglichst viele Bezugsquellen auf der ganzen Welt für einen fossilen Rohstoff zu organisieren, den wir in absehbarer Zeit überhaupt nicht mehr brauchen. Diese Erdgasimporte verlängern das fossile Zeitalter.
Ob russisches Erdgas über Nord Stream 2, Fracking-Gas aus den USA oder Flüssiggas aus Katar: Nichts davon hilft im Kampf gegen die Klimakrise, nichts davon reduziert die Abhängigkeit von Energieimporten, und nichts davon erhöht die Wertschöpfung bei uns vor Ort.
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Aber um all das müsste es doch bei einer verantwortungsvollen Energiepolitik gehen. Stattdessen lassen Sie, Herr Altmaier, sich vor jeden Karren derjenigen spannen, die auch noch die letzten fossilen Rohstoffe verdealen wollen. Und Sie setzen sich in Brüssel dafür ein, das fossile Megaprojekt Nord Stream 2 gegen den Willen der europäischen Partnerländer durchzusetzen. Es ist doch ein guter Ansatz der EU-Kommission, den Gasmarkt zu regulieren.
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Aber typisch: Die Bundesregierung wollte mal wieder eine Extrawurst. Ich bin sehr froh, dass das Europaparlament da aufpasst.
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Und als sei das noch nicht genug, überlegt die Bundesregierung zusätzlich, wie sie Steuergelder in Flüssiggasterminals versenkt. Ich fasse es nicht.
Minister Altmaier hat gestern zur Investorenkonferenz geladen. Diejenigen auch noch zu hofieren, die Fracking-Gas nach Deutschland verkaufen wollen, ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich seit Jahren für ein striktes Fracking-Verbot und den Klimaschutz einsetzen.
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Ein Faktencheck: Die bestehenden LNG-Terminals in Europa sind bei weitem nicht ausgelastet.
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Selbst für erneuerbare Gase sind absehbar keine höheren Importkapazitäten erforderlich. Trotzdem will der Wirtschaftsminister jetzt sogar geltendes Recht ändern, damit die Gaskundinnen und -kunden einen Teil der Kosten für dieses unsinnige Projekt zahlen.
Wir Grüne haben echt keinen Bock darauf, dass Sie jetzt schon wieder durch schlechte Energiepolitik erst fossile Investitionen anreizen und dann hinterher Milliardengeschenke als Entschädigungen an die Konzerne verteilen, wenn Sie dann von der EU gezwungen werden, die Klimaschutzziele tatsächlich umzusetzen.
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Zusätzliche Infrastruktur für Erdgas wird sich nicht rechnen. Das gilt auch für Nord Stream 2. Bei Kosten von über 17 Milliarden Euro wird sich Nord Stream 2 frühestens nach 20 Jahren rentieren; dann haben wir 2040. Wenn wir die Klimaziele auch nur ansatzweise erreichen wollen, wird diese Pipeline bereits vorher völlig nutzlos sein.
Deswegen fordere ich Sie von der Bundesregierung auf: Schaffen Sie keine Investitionsruinen auf Kosten von Verbraucherinnen und Verbrauchern sowie Klima! Schwenken Sie endlich um, und nehmen Sie die Energiewende ernst! Wir brauchen Substitution statt Diversifizierung. Das heißt Ersatz von fossilem Gas durch Erneuerbare und Energieeinsparung anstatt immer mehr Länder, aus denen wir fossiles Erdgas einkaufen.
Herr Altmaier hat eben gesagt: Langfristig können wir über erneuerbares Gas nachdenken. – Mann, Mann, Mann! Sie haben echt den Schuss nicht gehört, wie dringend der Klimaschutz ist.
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Auch Timon Gremmels von der SPD sagt nicht, was er konkret dafür tun will, dass wir Stück für Stück auf erneuerbares Gas setzen.
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Investieren Sie endlich Grips in die Aufgabe: Wie ersetzen wir fossiles Erdgas? Das passiert nicht von selbst. Dafür müssen Sie politische Maßnahmen umsetzen.
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– Herr Präsident, ich werde sehr stark in meinem Redefluss gestört.
Frau Kollegin, die Zeit ist abgelaufen. Wenn Sie vielleicht zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende.
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Liebe Kollegen, lassen Sie die Kollegin ihren letzten Satz noch sprechen. – Bitte, Frau Kollegin, letzter Satz!
Es gibt jetzt drei Sachen zu tun.
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Erstens: Im Gebäudebereich die Millionensubventionen für fossile Heizungen abschaffen und endlich ein Gebäudeenergiegesetz vorlegen, das den Bestand klimaneutral macht.
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Zweitens: Ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, das die verbindlichen Vorgaben für die Treibhausgasreduktion festlegt, und einen CO 2 -Preis.
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Drittens: Endlich den Ersatz von Erdgas durch erneuerbare Energien umsetzen, indem Sie auf Power to Gas setzen anstatt auf fossile Infrastruktur.
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Frau Kollegin, es ist jetzt wirklich vorbei.
Ich kann verstehen, dass die Schülerinnen und Schüler, die jeden Freitag auf die Straße gehen, wütend auf diese Bundesregierung sind.
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Es tut mir leid, aber wir haben hier Regeln. Sie hatten fünf Minuten, reden aber jetzt schon sechs Minuten. Das geht so nicht.
Der nächste Redner ist der Kollege Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Verlinden, Sie haben jetzt in der Debatte ordentlich Gas gegeben. Aber ich kann Ihnen sagen: Sie haben in die falsche Richtung Gas gegeben; denn das, was Sie sich vorstellen, führt in die falsche Richtung und auch dazu, dass Deutschland nicht mehr zukunftsfähig ist. Ich kann nur hoffen, dass das auch die Wählerinnen und Wähler erkennen.
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Meine Damen und Herren, ich verstehe die ganze Aufregung nicht; denn heute Nacht haben sich die Unterhändler der EU-Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates beim Streit um Nord Stream 2 verständigt. Man könnte eigentlich sagen: Ende gut, alles gut.
Hier ist auf vielen Seiten in Wahrheit viel Scheinheiligkeit im Spiel. Die EU-Mitgliedsländer, die am lautesten aufschreien – das sollte man nicht übersehen –, haben selbst oft die größten wirtschaftlichen Interessen. Zuallererst geht es doch um ebendiese wirtschaftlichen Interessen. Das kann man auch mit Blick auf die USA sagen. Deswegen hat die Bundesregierung von Anfang an zu Recht die Haltung vertreten, dass es sich bei Nord Stream 2 um ein Wirtschaftsprojekt handelt.
Nord Stream 2 war immer ein ungeliebtes Kind der EU-Kommission. Sie will Regeln des europäischen Energiebinnenmarktes auf das Vorhaben außerhalb der EU anwenden. Das ist schon ein problematisches Unterfangen. Der Juristische Dienst des Rates hat bei seiner Prüfung festgestellt, dass es dafür keine Rechtsgrundlage gibt. Dennoch hat die Kommission weiter daran gearbeitet. Aber wie gesagt, wir haben ja jetzt eine Einigung.
Ich möchte noch etwas zum Thema Russland sagen. Der Hauptvorwurf lautet: Mit Nord Stream 2 liefert sich Deutschland den Russen aus. – Die Angst vor Russland wird von manchen Kritikern in großen Lettern an die Wand gemalt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich komme aus der Sicherheitspolitik und habe bestimmt kein naives Bild und keinen naiven Blick auf Russland. Es ist trotzdem nicht ratsam, sich von Angst leiten zu lassen. Wir müssen die Situation ganz nüchtern betrachten. Russland war in der Vergangenheit immer ein zuverlässiger Energielieferant. Allen schwierigen Konflikten zum Trotz und bei allen Sanktionsmaßnahmen hat Russland seine Lieferverpflichtungen stets erfüllt.
Lassen Sie uns das Thema Russland in diesem Fall nicht größer machen, als es ist. Es ist doch so, dass Russland von den Einnahmen aus dem Gasexport in die EU abhängig ist und nicht andersherum. Der Kollege Pfeiffer hat das vorhin schon entsprechend erklärt: Die einen brauchen das Gas und die anderen die Kohle. – Es ist doch nicht schlecht, dass die russischen Gaslieferungen für beide Seiten weiter von Bedeutung sind; sie tragen auch zur Stabilität bei.
Ein weiterer Vorwurf lautet, wir ließen die Ukraine im Stich. Die Bundeskanzlerin hat immer wieder betont, dass die Ukraine auch weiterhin Transitland bleiben müsse. Die Bundesregierung besteht darauf, dass vor einer Betriebsgenehmigung für Nord Stream 2 ein neuer Durchleitungsvertrag zwischen Moskau und Kiew geschlossen wird.
Meine Damen und Herren, Herr Trittin, Sie haben vorhin Paul Ziemiak vorgeworfen, er hätte Greta Thunberg gedisst.
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Ich kann nur sagen: Wer den Kohlekompromiss als „pauschal“ und „absurd“ bezeichnet und bewertet
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– übrigens ein Kompromiss, dem Greenpeace und viele andere zugestimmt haben –, der muss sich auch Fragen gefallen lassen. Selbst wenn sie 16 Jahre alt ist, selbst wenn sie aus Schweden kommt und selbst wenn es ihr nicht passt: Auch dann muss sie sich diese Fragen gefallen lassen.
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Paul Ziemiak hat nichts anderes gemacht, als zu fragen: Wie sieht es eigentlich mit den Arbeitsplätzen aus? Was ist mit der Versorgungssicherheit? Was ist mit der Bezahlbarkeit? Und das hat nichts mit „dissen“ zu tun,
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sondern das ist Realpolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Vielen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Klaus Mindrup das Wort.
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es schon gehört: Gestern Nacht ist in Brüssel ein guter Kompromiss erzielt worden. Da hätten wir die Aktuelle Stunde eigentlich auch absagen können.
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Im Kern geht es gar nicht um Nord Stream 2, sondern es geht um zwei andere Fragen. Erstens: Brauchen wir in den nächsten Jahrzehnten noch Erdgas? Zweitens: Brauchen wir eine Gasinfrastruktur?
Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir können hier zwar viele Gesetze ändern, aber wir sollten nicht versuchen, gegen die Gesetze der Physik zu regieren.
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Wir haben im Augenblick in Deutschland einen Anteil von 16 Prozent Erneuerbaren am gesamten Energieverbrauch – 16 Prozent! Wer gleichzeitig aus Atomkraft, Braunkohle, Steinkohle, Erdöl und Erdgas aussteigen will, führt unser Land ins wirtschaftliche Chaos.
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Dazu fällt mir nur der Filmtitel „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ ein.
Ich kann Ihnen klar sagen, was die SPD will. Wir wollen, dass Deutschland ein Land für die produzierende Industrie und das produzierende Gewerbe bleibt. Wir wollen, dass in unserem Land eine hohe Wertschöpfung stattfindet, von der alle profitieren. Wir wollen, dass Energie bezahlbar bleibt, und wir wollen das mit Klimaschutz und grünem Wachstum verbinden; denn wir wollen bis 2050 klimaneutral werden, und das Schritt für Schritt.
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Gleichzeitig wollen wir im elektrischen Sektor nicht von Atom- oder Kohlestrom aus anderen Ländern abhängig sein. Wir haben im Augenblick im elektrischen Bereich 40 Prozent erneuerbare Energien. Die hätten wir nicht, wenn wir nicht in den Jahren von 2014 bis 2017 einen Rekordzubau bei Windkraft gehabt hätten. Wir haben 40 Prozent; wir wollen 65 Prozent. Gleichzeitig nehmen wir jetzt aber enorme gesicherte Kraftwerksleistungen vom Markt: Wir nehmen 9,5 Gigawatt Atomstrom vom Markt, und wir werden aus der Kohle aussteigen, Schritt für Schritt. Deswegen müssen wir Vorsorge treffen für die Zeit, in der kein Wind weht und keine Sonne scheint.
({4})
Dafür brauchen wir Langfristspeicher. Wir haben einen idealen Langfristspeicher, und das ist Gas. Wir haben – wie unter anderem im Wahlkreis vom Kollegen Saathoff – Kavernen; diese Kavernen müssen wir nutzen. Deswegen ist es wichtig, dass wir auch darüber nachdenken, welche Gaspolitik wir machen. Es ist vollkommen klar, dass bis 2050 die Gase erneuerbar sein müssen – why not? –, und das machen wir auch.
({5})
Wir in der SPD haben das schon im Jahre 2017 in einem Papier beschlossen. Ich war im Herbst letzten Jahres in der Schweiz. Dort gibt es einen Zusammenschluss von Stadtwerken, die erneuerbares Gas aus Island importieren wollen. Dafür braucht man LNG-Terminals, dafür braucht man Infrastruktur. In Deutschland haben wir aber keine Terminals.
({6})
Wir wollen auch ein bisschen Geld verdienen, und an der Küste in Wilhelmshaven ist das eine sinnvolle Investition. Wir sollten doch nicht unsere eigenen nationalen Interessen hintanstellen.
({7})
In der Übergangszeit, bis wir erneuerbare Gase haben, müssen wir Erdgas natürlich effektiv nutzen.
Der Gebäudebereich ist ja schon angesprochen worden. Die Hauptlösung im Gebäudebereich – das wissen wir alle – liegt im Quartiersbereich. Deswegen brauchen wir neue Gaskraftwerke. Die gehören aber nicht auf die grüne Wiese, sondern die gehören in die Städte und in Kraft-Wärme-Kopplung-Betriebe, sodass die Abwärme genutzt wird.
({8})
Und dort, wo wir in Norddeutschland zum Teil Überschüsse haben, kann man dann auch Power to Heat nutzen. Das können Sie sich bei mir im Wahlkreis in Berlin-Buch angucken; das wird nämlich heute schon gemacht. Das können wir weiter aufbauen.
Aber auch Deutschland kann besser werden. Das Biogas gehört eigentlich in die Erdgasnetze und gehört weiter ausgebaut; vollkommen klar. Die Strukturkommission hat uns eines mitgegeben und gesagt: Wir müssen die Abgaben intelligenter regeln. – Übrigens sind die Abgaben und die ganze Politik, die wir hier gemacht haben, sehr stark von dem ehemaligen grünen Staatssekretär Baake geprägt.
Wir haben hier einen Beschluss zur Klimakonferenz unter der Überschrift „Nutzen statt Abregeln“ gefasst. Die Power-to-Gas-Technologie ist total wichtig. Es ist doch absurd, dass ein Windmüller in Deutschland mehr Geld damit verdient, die Windkraftanlage wegen der Abgaben abzuregeln, als Wasserstoff wirtschaftlich zu erzeugen. Das müssen wir ändern.
({9})
Ich glaube, ein Punkt ist noch wichtig. Die Aufgabe, diese Energiewende hinzukriegen, wird unterschätzt. Wenn 9,5 Gigawatt Atomkraft vom Netz gehen, brauchen wir zum Ausgleich dieser Stromerzeugung 70 Gigawatt aus Photovoltaik – 70 Gigawatt, wenn wir es nur über Photovoltaik machen würden, um mal die Dimension zu zeigen. Dies zeigt auch dem Bundeswirtschaftsminister die Absurdität des 52‑Gigawatt-Deckels für Photovoltaik. Völlig verrückt, wenn man die Aufgabe betrachtet.
({10})
Das sind wirtschaftliche Investitionen, weil die Photovoltaik günstiger geworden ist. Damit können wir sparsam und wirtschaftlich Strom für unsere Mieterinnen und Mieter und für das Gewerbe erzeugen. Dass wir das machen müssen, wurde bei der Anhörung deutlich. Europa sagt uns ja, dass das der richtige Weg ist. Europa hat gegen den deutschen Widerstand die Regeln so gestaltet, dass man die Dezentralität fördert. Und uns erzählt man, Europa sei dagegen. Völlig falsch. Deswegen ist ganz entscheidend: Europa ist die Lösung, Europa ist unsere Zukunft, und die Zukunft ist erneuerbar.
Danke schön.
({11})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Peter Stein.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Russland ist direkter geografischer und wichtiger Nachbar der Europäischen Union und bleibt dies auch – egal, in welchen Verhältnissen man zueinander steht. Das mag den Amerikanern nicht gefallen und den Grünen offenbar auch nicht, ist aber ein Fakt.
Russland ist nach wie vor deutlich mehr abhängig von seinen Einnahmen aus den Energielieferungen als wir von den Importen aus Russland. Aufgrund dieser Abhängigkeit war sogar die Sowjetunion während der Zeit des Eisernen Vorhanges, des Kalten Krieges, stets ein verlässlicher Lieferant von Öl und Gas, und das seit 1973. Jetzt kann man aus der Geschichte eines lernen: dass wirtschaftliche und soziale gegenseitige Abhängigkeiten vielleicht sogar die Lust auf ernsthafte internationale Konflikte reduzieren helfen.
Ich möchte einen Satz von der Kollegin Göring-Eckardt, die leider nicht mehr da ist, zitieren:
({0})
Würde sich die Bundesregierung mit gleicher Verve in Brüssel einmal für mehr Klimaschutz und saubere Energien einsetzen, wären Nord Stream 2 und
– betont –
russische Gasimporte gänzlich verzichtbar.
Ich frage mich, warum ausgerechnet der Einschub „russische Gasimporte“ so bedeutsam gewesen ist. Gleichzeitig beklagen die Grünen nämlich die arme Ukraine, der der Verlust von Leitungsentgelten beim Transport von russischem Gas droht. Wie schräg ist diese Sicht auf die Dinge eigentlich?
Ich zitiere außerdem von der Homepage der Grünen:
Die Partnerschaft zwischen der Ukraine und der EU dürfe in dieser Hinsicht nicht destabilisiert werden.
Das, was Sie hier heute vorgetragen haben und selber kommunizieren, ist alles so was von unlogisch – und das seit vielen Jahren –, dass es schon fast nicht mehr zu verstehen ist.
({1})
Weiter zitiere ich:
Echte Importunabhängigkeit gäbe es nur, wenn man den Gasverbrauch durch Einsparungen und Erneuerbare Energien verringere.
Weiter:
Aus dieser Sicht sei die Planung der Nord Stream 2 Leitung eine Wette von Investoren auf ein Versagen der EU in Sachen Klimaschutz. Dass diese Wette scheitern wird, muss die Aufgabe von grüner Politik sein.
Damit sagen Sie ja im Grunde, was Ihre Zielstellung ist: Sie wollen nichts anderes, als uns auch komplett aus dem Gas als Energieträger herausbringen.
({2})
Ich wette, dass diese grüne Politik scheitert, weil sie uns jegliche Versorgungsstabilität nimmt und jeglichen grundlastfähigen Energieträger sofort und sogleich verbieten will.
({3})
Sie wollen komplett und einzig auf Sonne und Wind als Energieträger setzen. Das wird in die Hose gehen. Ich habe den Eindruck, Sie holzen die Energiesicherheit schneller ab als RWE den Hambacher Forst.
({4})
Kommen wir zur Grundlast. Grundlast heißt Atomenergie. Da steigen wir aus; das ist beschlossen, das ist Konsens.
Kohleverstromung: Es gibt den Vorschlag, bis 2038 auszusteigen. Ich glaube, das ist mehrheitsfähig hier im deutschen Parlament.
({5})
Biomasse: Ihre Jünger rennen doch als Erste herum und reden von der Vermaisung der Landschaft.
Wasserkraft: Ich möchte die Grünen erleben, wenn wir auf der Schwäbischen Alb oder im Bayerischen Wald oder im Schwarzwald in die Täler gehen und Wasserspeicher aus Beton bauen. Ich möchte erleben, was dann für Diskussionen entstehen.
({6})
Kernfusion ist für Sie Teufelszeug, obwohl das sicherlich – in der Forschung zumindest – eine Option für die Zukunft ist.
({7})
Was bleibt? Es bleibt das Gas. Und es bleibt natürlich – das möchte ich deutlich hervorheben – der Umstieg der Gasversorgung auf synthetische, erneuerbare Varianten. Ich möchte an vorderster Stelle den Wasserstoff nennen. Aber um Wasserstoff zu transportieren, brauchen wir ein funktionierendes Gasnetz.
({8})
Unser Gasnetz versorgt 80 Prozent der Haushalte, und wir erreichen eine Versorgung von über 90 Prozent in Gewerbe- und Industriegebieten. Aber ohne dass Gas in den Leitungen fließt und ein gewisser Druck aufgebaut ist, können wir das Wasserstoffelement eben nicht durchleiten. Wir brauchen das Gas als Transportmedium. Ich würde mich sehr dafür einsetzen, dass wir beispielsweise den Anteil – wir können momentan nur 2 Prozent Wasserstoff ins Netz einspeisen – durch einen einfachen gesetzgeberischen Vorgang auf 10 Prozent erhöhen,
({9})
um schon mal einen gewissen Markt zu schaffen.
({10})
Zur Debatte um Speicherkapazitäten: Wir haben im deutschen Gasnetz die größten Speicher, die wir uns vorstellen können; da sind 50 Terawatt möglich. Das müssen wir nutzen, das müssen wir auch erhalten, und dazu brauchen wir – auch in der Übergangszeit – auf jeden Fall eine Gasversorgung.
({11})
Ich möchte einen breiten Energiemix behalten. Solange wir das nicht anders gelöst haben, wird Deutschland hinsichtlich der Grundlast immer abhängig sein von Importen aus Drittstaaten. Ich sage deshalb: Wir brauchen einen breiten Mix möglichst vieler zuverlässiger Quellen und Energiearten.
Letzter Satz. Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern und bin natürlich ganz stolz darauf, dass wir in Lubmin, ehemals Standort eines Atomkraftwerks, das jetzt durch die Energiewerke Nord abgebaut wird, einen Hub, einen Knoten der europäischen Energieversorgung, bekommen. Das ist für die Wirtschaft gut, das ist für Mecklenburg-Vorpommern gut, das ist für Deutschland gut und auch für Europa.
Herzlichen Dank.
({12})
Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde: der Kollege Mark Helfrich, CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Anders als leere Parlamente, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, haben leere LNG-Terminals immerhin einen Mehrwert: Sie sind nämlich eine Option, wenn wir über Bezugsalternativen reden. Dass der Erfolg eines LNG-Terminals nicht davon abhängt, wie viel Umschlag dort stattgefunden hat, wurde in der Diskussion leider nicht verstanden,
Am Donnerstag, den 24. Januar dieses Jahres, hatten wir eine lange frostige Nacht und keine Sonne am Tag. Wenig Wind und tiefhängende Wolken legten Windräder und Solarpaneele in Deutschland lahm. Mehr als die Hälfte des verbrauchten Stroms wurde an diesem Tag in den heimischen Kohlekraftwerken produziert. Nach dem Willen der Kohlekommission sollen diese bald vom Netz gehen. Den Rest erzeugten größtenteils Atom- und Gaskraftwerke.
Warum erzähle ich Ihnen das? Am Beispiel der Dunkelflaute vom 24. Januar wird das ganze Dilemma der grünen energiepolitischen Naivität sichtbar. Ginge es nämlich nach den Grünen, hätten wir schon seit Jahren kein laufendes Kernkraftwerk mehr, wären längst aus der Kohle ausgestiegen und würden eher heute als morgen die Erdgasnutzung einstellen. Ach ja, und Erdöl soll ja am besten auch im Boden bleiben, wenn es nach Ihnen ginge.
({0})
Würden wir die Grünen also von der Leine lassen, hätte Deutschland an diesem Tag komplett im Dunkeln gesessen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Kerzenschein kann sehr romantisch sein, hilft aber dem Industriestandort Deutschland an solchen Tagen nicht wirklich weiter.
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Sehr geehrte Damen und Herren, die Energiewende und der Atomausstieg sind beschlossene Sache, auch die Kohleverstromung wird irgendwann ein Ende finden.
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Die dadurch entstehenden Versorgungslücken werden wir nicht so schnell durch erneuerbare Energien ausfüllen können. Deshalb brauchen wir zur Versorgung in Deutschland viel Gas. Das kann Nord Stream 2 liefern. Fakt ist: Deutschland ist derzeit der weltgrößte Erdgasimporteur und auch einer der größten Gasverbraucher der Welt. Aber nicht nur Deutschland, sondern auch die Europäische Union werden in Zukunft mehr Gasimporte brauchen als heute; denn die niederländische und britische Gasförderung ist stark rückläufig.
Im Ergebnis müssen wir in den nächsten Jahren bis zu 140 Milliarden Kubikmeter Erdgas ersetzen. Damit Sie eine Vorstellung haben: Dies entspricht etwa 140 Prozent des gesamten Gasverbrauchs in Deutschland. Mithilfe von Nord Stream 2 sollen jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas nach Europa geliefert werden. Das wären etwa 40 Prozent des europäischen Mehrbedarfs an Gas. Auch deshalb ist es richtig, dass Europa zusätzlich auf Pipelinegas aus Aserbaidschan und auf LNG setzt. Nord Stream 2 ist damit nur ein Teil der Lösung des europäischen Energieproblems.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch wenn es Ihnen von den Grünen in dieser Aktuellen Stunde um etwas ganz anderes geht und Sie etwas ganz anderes suggerieren:
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Nord Stream 2 steht nicht im Widerspruch zu den Zielen der europäischen Energieunion,
({4})
nämlich die Wettbewerbsfähigkeit, die Nachhaltigkeit und die Sicherheit der Energieversorgung in Europa zu verbessern. Das zeigt auch die gestrige Einigung auf EU-Ebene. Wie im Übrigen jede andere neue Transportpipeline auch erhöht Nord Stream 2 die Vielfalt der Transportwege, stärkt den Wettbewerb und die Versorgungssicherheit in Europa. Zudem ist der europäische Markt mit über 30 LNG-Terminals unabhängiger als je zuvor. Persönlich – das gebe ich gerne zu – hoffe ich, dass in Brunsbüttel demnächst das nächste LNG-Terminal entsteht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, es mag für Sie eine wirklich bittere Pille sein, aber zu den harten Fakten zählt: Ohne Erdgas funktioniert die Energiewende in Deutschland nicht,
({5})
und ohne Erdgas erreichen wir auch die europäischen Klimaziele nicht. Ende der Debatte.
Herzlichen Dank.
({6})
Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 14. Februar 2019, um 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluss: 17.01 Uhr)