Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/30/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bildung brauchen wir wie die Luft zum Atmen. Nur mit ihr können wir unsere Persönlichkeit entwickeln. Nur mit ihr können unsere jungen Menschen Karriere machen, haben wir Fachkräfte in unserem Land, gibt es Wohlstand in unserem Land. Nur mit Bildung haben wir auch die Chance, uns im weltweiten Wettbewerb zu behaupten. Ich glaube, wir können sagen: Jeder hat ein Recht auf Bildung. Wir nennen das Chancengerechtigkeit. Chancengerechtigkeit ist der eine Punkt. Ein zweiter Punkt ist, dass wir einen Schwerpunkt zur Unterstützung der Mitte unserer Gesellschaft setzen wollen. Darum reformieren wir das BAföG. Darum investieren wir in Menschen, die lernen wollen. So haben wir es heute Morgen im Kabinett beschlossen. Wir brauchen gut ausgebildete Menschen. Diese wollen wir mit der BAföG-Novelle fördern. Wir wollen gerade die Familien unterstützen, die diese Gesellschaft tragen, nämlich die arbeitenden Eltern mit Kindern in Ausbildung. Mit der Reform des BAföGs konzentrieren wir uns auf die wichtigsten Aspekte. Wir erhöhen den Förderhöchstsatz von heute 735 Euro auf 861 Euro im Jahre 2020. Das ist ein Plus von 17 Prozent. Weil die Wohnkosten an vielen Orten so stark gestiegen sind, erhöhen wir auch den Wohnzuschlag für alle BAföG-Geförderten, die nicht bei den Eltern wohnen, von 250 Euro auf 325 Euro. Drittens erhöhen wir die Einkommensfreibeträge bis 2021 ebenfalls um fast 17 Prozent. Damit wird die Zahl der BAföG-Geförderten wieder deutlich steigen. Besonders Familien, die bisher knapp über der Einkommensgrenze liegen, werden in Zukunft vom BAföG profitieren. Es soll aber damit nicht genug sein. Wichtig ist uns auch: Niemand soll Sorge haben müssen, sich zu sehr zu verschulden. Niemand soll deswegen von einem Studium abgehalten werden. Deswegen haben wir beschlossen, dass jeder Absolvent maximal 77 monatliche Raten à 130 Euro zahlen soll. Wer dann trotz redlichen Bemühens seine BAföG-Schulden nicht tilgen kann, dem werden sie nach 20 Jahren erlassen. Nicht zuletzt wollen wir, dass künftig junge Leute ihren BAföG-Antrag vermehrt online stellen. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung entschieden nutzen. Rechtlich ist das jetzt schon möglich. Mit den Ländern arbeiten wir jetzt gerade daran, auch die praktischen Hürden zu überwinden. Meine Damen und Herren, mit dieser BAföG-Reform stärken wir die Mitte der Gesellschaft. Wir stärken Familien mit Kindern in Ausbildung. Wir halten unser Versprechen, das wir im Koalitionsvertrag gegeben haben. Darum investieren wir in dieser Legislaturperiode zusätzlich mehr als 1,2 Milliarden Euro für das BAföG. So schaffen wir die versprochene Trendumkehr. So soll jeder junge Mensch seine Talente entfalten können. Für gute Rahmenbedingungen leisten wir mit unserer BAföG-Reform einen entscheidenden Beitrag. Gute Rahmenbedingungen für gute Bildung: Einen Schritt dahin haben wir heute mit der BAföG-Reform gemacht. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr, Frau Bundesminister. – Die erste Frage hat der Kollege Dr. Götz Frömming, AfD.

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Karliczek, es ist als Opposition immer billig und einfach, mehr von dem Guten zu fordern; für Bildung sind wir alle. Die Forderung nach einer Erhöhung werden Sie nachher wahrscheinlich von den Kollegen noch zu hören bekommen. Uns geht es eher um die inhaltliche Gestaltung. Die erste Frage lautet: Warum haben Sie nicht die Gelegenheit genutzt, den Leistungsgedanken noch mehr herauszuarbeiten? Ich meine hier nicht die Leistungen des Staates, sondern die der Studenten, die also durch bestimmte Leistungen im Studium vielleicht einen Teil der Schuld erlassen bekommen könnten. Die zweite Frage schließt an die Kritik des Deutschen Studentenwerkes an. Es hat in einer ersten Stellungnahme geäußert, dass vor allen Dingen der fehlende Wohnraum ein Problem sei. Frage dazu: Haben Sie mit Herrn Seehofer schon Kontakt aufgenommen, um vielleicht eine Wohnbauinitiative von Bund und Ländern zu starten, ähnlich wie für die Flüchtlinge? Wenn es für sie möglich war, warum nicht auch für die Studenten? – Vielen Dank.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Lieber Herr Frömming, ich will mit Ihrem zweiten Punkt anfangen. Ich habe das Thema studentischer Wohnraum, weil es auch im Koalitionsvertrag steht, mit dem Kollegen Seehofer sehr intensiv erörtert. Wir sind uns darin einig, dass wir über die Grundgesetzänderung zur Unterstützung des sozialen Wohnungsbaus, die jetzt im Raum steht, auch die Förderung studentischen Wohnraumes ansetzen, die primär Ländersache ist. Ich bin gerade dabei, mich mit den Ländern darüber zu verständigen, indem wir noch einmal darauf hinweisen, dass diese Förderung gerade in den Städten einen entscheidenden Beitrag zur Entlastung der Wohnungsmärkte leisten kann. Ihr erster Punkt: Leistung von Studenten. Ich glaube, wenn sich jemand aufmacht, sich in einem Erststudium zu qualifizieren, dann ist das generell schon eine Leistung, die sehr anerkennenswert ist. Beim BAföG geht es ja darum, diese Menschen finanziell zu unterstützen. Bei der Rückzahlung wollen wir denen, die den Staat unterstützen, indem sie das Geld schnell zurückzahlen, einen Teil der Schulden erlassen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Dr. Karamba Diaby, SPD.

Dr. Karamba Diaby (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004259, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, in meinen Gesprächen mit dem Deutschen Studentenwerk wurde immer das Thema Bürokratie angesprochen. Ich möchte Sie fragen: Welche Pläne haben Sie, das Antragsverfahren für das BAföG zu vereinfachen? Sie haben das kurz erwähnt. Gehen Sie bitte in Ihrer Antwort insbesondere auf das elektronische Antragsverfahren ein. Derzeit werden diese Verfahren ja sehr unzureichend angenommen. Die Studentenwerke deuten an, dass da eine Änderung notwendig ist. Deshalb möchte ich gerne die Pläne hören, die Sie in diesem Zusammenhang haben.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die Notwendigkeit sehen wir auch. Es sind heute schon Online-BAföG-Anträge möglich, was aber sehr wenig genutzt wird, weil dies derzeit noch sehr komplex und sehr kompliziert ist. Wir haben das Onlinezugangsgesetz auf den Weg gebracht und wollen damit alle Leistungen, die der Staat auf verschiedenen Ebenen zur Verfügung stellt, online möglich machen. Die Onlinebeantragung beim BAföG gehört dazu. Deswegen haben wir jetzt, weil das über die Länder orchestriert wird, eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um unter Vorsitz des Landes Sachsen-Anhalt einen Prototypen zu entwickeln und die Beantragung über das Onlinezugangsgesetz zur Verfügung stellen zu können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Jens Brandenburg, FDP, ist der nächste Fragesteller.

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, Studierende sind ja eigenständige Erwachsene und nicht einfach Anhängsel einer elterlichen Bedarfsgemeinschaft. Wir sehen, dass vor allen Dingen diejenigen momentan ein großes Finanzierungsproblem im Studium haben, deren Eltern für die BAföG-Vollförderung zu viel verdienen oder deren Eltern zu wenig verdienen, um den Lebensunterhalt ihrer Kinder aus eigener Tasche zu finanzieren. Wann kommt denn endlich ein elternunabhängiges BAföG, das allen jungen Menschen die Möglichkeit zum Studium gibt?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Das elternunabhängige BAföG wäre wie ein bedingungsloses Grundeinkommen. Genau das lehnen wir ab. Wir wollen, dass weiterhin die primäre Zuständigkeit der Familie erhalten bleibt. Alles andere würde unser Unterhaltsrecht komplett auf den Prüfstand stellen. Wir müssten im Grunde die ganze Struktur, nach der unser Sozialsystem angelegt ist, komplett umkrempeln, wenn wir solche Veränderungen vornehmen würden. Wir bleiben dabei, dass die Zuständigkeit für eine Erstausbildung und die Unterstützung der Kinder zunächst einmal bei den Eltern liegt, wenn sie ausreichend leistungsfähig sind. Denn nur so können wir sicherstellen, dass mit dem Steuergeld sparsam umgegangen wird.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Dietlind Tiemann, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.

Dr. Dietlind Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004918, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, Sie haben gesagt – ich unterstütze das nachhaltig –, dass Studierende an privaten Berufsakademien ebenfalls gefördert werden sollen. Welche haben Sie da im Auge, und warum sind Sie der Auffassung, dass das gesetzlich zu regeln ist?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die privaten Berufsakademien haben sich in den letzten Jahren entwickelt und bieten Abschlüsse analog zum Bachelor an. Für uns sind das sehr wichtige Studiengänge; denn es handelt sich häufig um soziale oder technisch-duale Studiengänge. Vor dem Hintergrund, dass sie bisher nicht förderfähig waren, weil es private Einrichtungen sind, haben wir uns aufgrund der Gleichwertigkeit der Abschlüsse entschieden, die Studierenden an Berufsakademien mit zu unterstützen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nicole Gohlke, Die Linke, stellt die nächste Frage.

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, meine Frage bezieht sich auf die Wohnpauschale. Wir erkennen natürlich an, dass diese erhöht werden soll. Aber auch eine Wohnpauschale von 325 Euro liegt deutlich unter dem Betrag, der zur Deckung der durchschnittlichen Kosten des studentischen Wohnraums aufgewendet werden muss, und liegt auch deutlich unter der Bemessungsgrenze beispielsweise für die Kosten der Unterkunft im SGB II. Meine Frage lautet: Wie genau sollen Studierende zum Beispiel in meiner Heimatstadt München eine Unterkunft bezahlen, oder hält es die Bundesregierung für richtig, dass künftig nur noch Kinder aus reicheren Elternhäusern in den großen Hochschulstädten studieren können? Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Die Wohnpauschale für diejenigen, die noch zu Hause leben, soll von 52 auf 56 Euro erhöht werden. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Mietpreissteigerungen der vergangenen Jahre an den elterlichen Mietwohnungen vorbeigegangen sind und sich in den Jahren ab 2020 nicht fortsetzen, sondern stagnieren werden? Oder wie ist diese unterdurchschnittliche Steigerung zu bewerten?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die letzte soziale Erhebung zeigt zu den Wohnkosten, dass wir mit einer Pauschale von 325 Euro schon über den durchschnittlichen Kosten liegen. Wir haben im Fokus, dass man in Deutschland an jeder Hochschule sehr gut studieren kann, nicht nur in den Städten, wo Wohnraum im Moment sehr teuer ist. Wir haben uns deswegen weiterhin für eine Pauschale entschieden, damit die Attraktivität überall in Deutschland gleich ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, ist der nächste Fragesteller.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Das Bundesausbildungsförderungsgesetz hat in 13 Jahren unionsgeführter Bundesregierung sehr viele Nullrunden durchlitten und hält seit vielen Jahren überhaupt nicht mehr Schritt mit den gestiegenen Lebenshaltungs- und Wohnkosten. Nun hat das Statistische Bundesamt herausgefunden, dass rund 180 000 Schülerinnen und Schüler sowie Studierende zwischen 2014 und 2017 aus dem BAföG-Bezug herausgefallen sind. Für uns ist ganz wichtig, wenn Sie eine solche Novelle auf den Weg bringen: Was ist eigentlich Ihr Reformanspruch bis 2022? Wie viele zusätzliche BAföG-Geförderte wollen Sie mit dieser BAföG-Reform erreichen? In Ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage haben Sie gesagt, dass Sie dem Kabinettsbeschluss nicht vorgreifen wollen. Jetzt ist der Kabinettsbeschluss da. Deshalb wüssten wir gerne, wie viele zusätzlich Geförderte Sie bis 2022 erreichen wollen.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die Zahl 180 000, die Sie in den Raum gestellt haben, betrifft die Fallzahlen, auch diejenigen, die nur ein, zwei Monate in einem Jahr gefördert wurden. Der Rückgang der Zahl der im Jahresdurchschnitt Geförderten lag wesentlich niedriger, nämlich gerade bei rund 100 000. An dieser Stelle haben wir angesetzt und haben gesagt: Trendumkehr bedeutet, dass wir wieder mehr junge Leute fördern wollen. Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode auf diesem Weg bis zu 100 000 junge Leute mehr erreichen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Dirk Spaniel, AfD, stellt die nächste Frage. – Wo ist er? ({0}) – Gut. – Dann kommen wir zur nächsten Frage. Diese stellt Dr. Ernst Dieter Rossmann, SPD.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, das hohe Ziel der Trendumkehr teilen wir Sozialdemokraten voll und ganz. Mit 1 Milliarde Euro geht ein ordentliches zusätzliches Aufkommen an Mitteln hinein. Die Erreichbarkeit von mehr Studierenden und Familien hängt ja auch damit zusammen, an welchen Schlüsselstellen man ansetzt. Können Sie noch einmal darstellen, weshalb gerade den Freibeträgen – auch in der Stufung über mehrere Jahre – da ein besonderes Gewicht zukommt? Denn das ist aus unserer Sicht eine entscheidende Größe. Das Zweite. Es hat aufgrund angenommener Zahlen merkwürdige Berechnungen gegeben, die belegen sollten, dass, weil man so lange braucht, um die entsprechenden Anträge zu stellen, daraus abgeleitet nur wenige Studierende zusätzlich in die Förderung kommen. Kann es sein, dass bei diesen Berechnungen vergessen wurde, dass die elektronische Antragstellung eine Erleichterung darstellt und somit ein geringeres Zeitvolumen zugrunde zu legen ist? Was halten Sie also von solchen Küchenberechnungen im Hinblick auf den Zeitaufwand bei der Antragstellung?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Ich will die zweite Frage zuerst beantworten. Solche Berechnungen beruhen immer auf Erfahrungswerten und statistischen Annahmen und haben deswegen natürlich Ungenauigkeiten. Wenn man bessere Erkenntnisse hat, kann man nachbessern. Das wurde getan. Deswegen ist die jetzt zugrunde gelegte Zahl an Stunden wesentlich geringer als bei der letzten BAföG-Reform. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. In den letzten Jahren sind viele aus der BAföG-Förderung herausgefallen aufgrund der guten konjunkturellen Lage. Die gute konjunkturelle Lage hat dazu geführt, dass in vielen Fällen beide Elternteile arbeiten und dass viele Eltern Lohnsteigerungen erhalten haben. Das hat wiederum dazu geführt, dass sie aus den Einkommensfreibeträgen herausgefallen sind und deswegen ihre Kinder kein BAföG mehr bekommen haben. Wir setzen deshalb genau dort an. Wir wollen im Grunde sicherstellen, dass diejenigen, die soeben darüber liegen und in den letzten Jahren aus der Förderungsberechtigung herausgefallen sind, wieder hineinkommen und dadurch genau diejenigen gefördert werden, die es aus unserer Sicht am nötigsten haben, weil sie von gestiegenen Wohn- und Lebenshaltungskosten am meisten betroffen sind.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Jens Brandenburg, FDP, stellt die nächste Frage.

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, wir wissen ja, dass ein großer Anteil der eigentlich BAföG-Berechtigten erst gar keinen Antrag stellt, unter anderem weil das Verfahren zur Antragstellung so aufwendig ist. Nun taucht das Wort „digital“ im 52-seitigen Referentenentwurf kein einziges Mal auf. Sie haben auf die Frage des Kollegen Diaby nur sehr vage mit Verweis auf einen Arbeitskreis geantwortet. Deshalb möchte ich von Ihnen konkret wissen: Welchen Beitrag leistet Ihr umfangreicher Gesetzentwurf zur medienbruchfreien Digitalisierung des Antragverfahrens, und wann wird uns in Deutschland endlich ein BAföG-Antrag per App zur Verfügung stehen?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Das Gute ist, dass wir nicht für alles eine Gesetzesänderung brauchen. Für all das, was wir jetzt beschließen, brauchen wir keine Gesetzesänderung, um den Online-BAföG-Antrag auf den Weg zu bringen. Wir sind deshalb in der Arbeitsgruppe dabei, zügig ein Modul zu erarbeiten, das wir über das Onlineportal des Bundes zur Verfügung stellen können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Stephan Albani, CDU/CSU, stellt die nächste Frage.

Stephan Albani (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, mit jedem Tag, der momentan vergeht, wird ein ungeordneter, ein Hard Brexit leider realistischer. Natürlich kann nicht antizipiert werden, was schlussendlich wirklich geschieht. Aber für mich ist es nicht zuletzt als Vorsitzender der Deutsch-Irischen Parlamentariergruppe eine elementare Fragestellung, was mit den Studierenden im Ausland – in diesem Fall in Großbritannien – vor diesem Hintergrund passiert.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, was ein ungeordneter Brexit für die Menschen bedeutet, die mit Auslands-BAföG gefördert werden. Wir haben jetzt eine Übergangsregelung geschaffen. Diese Regelung soll bei den Auszubildenden Vertrauen schaffen, sicher sein zu können, dass sie ihr Studium oder ihre sonstige Ausbildung im Ausland in Ruhe zu Ende bringen können, und soll unbillige Härten abfedern. Der Gesetzentwurf zu dieser Übergangsregelung ist von der Bundesregierung am 12. Dezember letzten Jahres beschlossen worden und wird morgen in erster Lesung hier beraten. Dann kann das Gesetz pünktlich noch zum 30. März dieses Jahres in Kraft treten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Birke Bull-Bischoff, Fraktion Die Linke, stellt die nächste Frage.

Dr. Birke Bull-Bischoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004688, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, ich möchte Sie nach einer Diskrepanz in der Argumentation fragen. Auf der einen Seite erklärt die Bundesregierung, dass die positive Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung verantwortlich sei für den Rückgang der Zahl der BAföG-Geförderten. Auf der anderen Seite muss man aber zur Kenntnis nehmen, dass der Anteil der Studierenden, die nebenbei arbeiten, auf hohem Niveau bleibt, dass der Anteil des eigenen Verdienstes an den Finanzierungsquellen zunimmt und dass der Anteil der Studierenden aus Elternhäusern mit niedrigem Einkommen abnimmt, die von sich aus sagen, die Finanzierung des Lebensunterhalts sei aus ihrer Sicht gerecht gesichert. Wie bewerten Sie diese Diskrepanz?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Wir wissen aus der letzten Sozialerhebung, dass mit unserem Vorschlag die Lebenshaltungskosten gedeckt würden. Die meisten Studierenden, die arbeiten – das haben wir in dieser Befragung auch herausgefunden –, sagen: Wir wollen ein bisschen mehr haben für Dinge, die wir uns extra leisten wollen. – Deswegen soll es so bleiben, dass Einkünfte nach der 450-Euro-Regelung auf das BAföG nicht angerechnet werden. Denn natürlich wollen wir den Studierenden, die sich ein bisschen mehr leisten wollen, die Möglichkeit geben, auch etwas hinzuzuverdienen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Beate Walter-Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Beate Walter-Rosenheimer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004221, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Die Bundesregierung ist laut § 35 BAföG verpflichtet, Bundestag und Bundesrat alle zwei Jahre einen Bericht zu den jüngsten Entwicklungen beim BAföG vorzulegen. Der 2019er-Bericht soll entfallen; Sie wollen erst 2021 wieder einen Bericht vorlegen. Ich möchte gern von Ihnen wissen, wie Sie sich Veränderungen und Anpassungen an die aktuelle Lage vorstellen, wenn Sie, wie Sie es vorhaben, erst 2021 wieder einen Bericht vorlegen. Es kann sein, dass es in dieser Wahlperiode bei der halbgaren Reform bleibt, die Sie heute vorstellen. Wie wollen Sie also auf den aktuellen Handlungsbedarf reagieren? Das ist meine Frage. Zur Erinnerung – wir haben es heute schon gehört –: Mit der letzten BAföG-Novelle wollte die Bundesregierung 110 000 zusätzlich Geförderte erreichen. Da liegen wir jetzt weit darunter. Ich wüsste gerne, was Sie dazu sagen.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Ich will als Erstes auf den ersten Punkt – warum wollen wir den Bericht verschieben? – eingehen: Eine Evaluierung muss auch eine Aussagekraft haben. Das erste Jahr, das nach der BAföG-Reform die Wirkung der neuen Kriterien abbildet, ist das Jahr 2019. Wenn wir eine Evaluierung über drei Jahre durchführen, dann werden wir die Jahre 2018, 2019, 2020 vollständig berücksichtigen können, und dann können wir im Sommer 2021 wirklich feststellen: Hat es gewirkt, oder hat es nicht gewirkt? Ich denke, wir können an einer Stelle auch mal froh sein: Wir wollen natürlich Familien mit Kindern in Ausbildung unterstützen. Aber wenn zugleich die Wirtschaftslage so gut ist, dass die Einkommen im Grunde schneller steigen, als wir mit den Sozialleistungen nachziehen können, dann sollten wir jetzt froh sein, dass wir wieder in die Mitte der Gesellschaft investieren, aber sollten nicht eine gute Wirtschaftslage beklagen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Martin Sichert, AfD, stellt die nächste Frage.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, wer BAföG bezieht, der kann sich ja vom Rundfunkbeitrag befreien lassen. Unabhängig davon, dass wir für die Abschaffung des Rundfunkbeitrags sind, sind wir grundsätzlich für weniger Bürokratie in diesem Land. In diesem Zusammenhang ist es immer gut, die Kommunikation zwischen den Behörden zu verbessern. Wir sehen, dass diese Kommunikation, wenn es zulasten der Bürger geht, sehr gut funktioniert, beispielsweise wenn die Einwohnermeldeämter Meldedaten an den Beitragsservice übermitteln. Könnten Sie sich vorstellen, dass wir auch einen Automatismus schaffen, dass die Daten derer, die BAföG beziehen, an den Beitragsservice gehen, sodass sich die Studenten, die sich schon mit der Bürokratie für das BAföG herumschlagen müssen, nicht auch noch mit der Bürokratie für den Rundfunkbeitrag beschäftigen müssen?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Bürokratieabbau ist für uns ein sehr wesentliches Thema, und genau aus dem Grunde haben wir jetzt den Aufschlag mit dem Onlinezugangsgesetz gemacht, um so die ganzen Leistungen, die der Staat bietet, zu bündeln. An dieser Stelle wird es weitergehen, bis wir alle 575 Leistungen online zur Verfügung stellen können. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Oliver Kaczmarek, SPD, stellt die nächste Frage.

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, vielen Dank für Ihren Bericht. Das sind ja gute Zahlen: kräftige Erhöhungen der Bedarfssätze, der Freibeträge und der Wohnpauschale. Das nehmen wir gerne entgegen. Dann können wir gucken, ob wir auch die Trendwende zustande bringen. Aber erst mal ist das ein solider Entwurf, finde ich. Ich möchte zum Thema Wohnen fragen. Zum einen. Der Grund dafür, dass die Wohnkosten für Studierende so hoch sind, ist ja der, dass wir zu wenig Wohnraum haben. Habe ich Sie gerade richtig verstanden, dass Sie mit dem Bauminister besprochen haben, dass die Bundesregierung einen Beitrag dazu leisten möchte, dass mehr Wohnraum auch für Studierende errichtet wird, damit eine Entspannung auf dem Markt eintritt? Zum Zweiten. Die Kollegin von den Linken hat gerade gemeint, die Anhebung der Wohnpauschale auf 325 Euro werde nicht die durchschnittlichen Mietkosten abdecken. Das hat mich ein bisschen irritiert. Deswegen möchte ich Sie fragen, wie Sie auf den Wert 325 Euro gekommen sind, was also die Grundlage dafür ist.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die Wohnraumfrage ist für mich eine sehr, sehr wichtige; denn gerade in den Großstädten, wo es viele Hochschulen und viele Studenten gibt, sind die Wohnungsmärkte häufig angespannt. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass bezahlbarer studentischer Wohnraum einen Beitrag zur Entspannung der Lage leisten kann. Deswegen habe ich das Ganze erst mit Horst Seehofer besprochen, und wir haben dann gesagt – Wohnraumunterstützung ist ja Sache der Länder, die das dann zusammen mit den Studierendenwerken organisieren –: Gut, wir machen einen Aufschlag. Wir schreiben jetzt unsere Länderkollegen an und weisen sie darauf hin, dass das für uns ein wichtiger Aspekt im Rahmen des sozialen Wohnungsbauprogramms ist, das wir jetzt gerade auf den Weg bringen. Das Zweite ist: Wir haben die durchschnittlichen Kosten für studentischen Wohnraum erhoben und sind bei gut 300 Euro gelandet. Wir haben gesagt: Ja, wir geben für die nächsten Jahre noch ein wenig obendrauf. So haben wir dann den Betrag von 325 Euro festgelegt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Jens Brandenburg, FDP, stellt eine weitere Frage.

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, das BAföG erreicht ja immer weniger Studierende und Schüler, es werden immer weniger gefördert. Rückläufig sind die Zahlen insbesondere in der Teilförderung. Nun legen Sie uns offenbar keine strukturelle Reform des BAföG vor, sondern Sie tauschen im Wesentlichen nur ein paar Euro-Werte aus. Wir sehen es insbesondere bei den Freibeträgen, die Sie anpassen: Der größte Teil davon, etwa zwei Drittel, wird in den nächsten Jahren allein schon durch die Inflation aufgefressen. Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee, dass Sie mit solchen Trippelschritten eine wirkliche Reform, eine Trendwende im BAföG, erreichen können?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Wir führen ja Erhebungen dazu durch, was unsere Reformen bewirken. Wir haben von daher gesagt: Wir machen drei Schritte bei den Einkommensfreibetragserhöhungen. Natürlich wäre es so, dass, wenn wir nur einen Schritt machen würden, im nächsten Anlauf, bei der nächsten Einkommenserhöhung, schon wieder ein Absinken der Zahlen der geförderten Studierenden zu verzeichnen gewesen wäre. Deswegen haben wir gesagt: In einem ersten Schritt wollen wir auf aktuelle Gegebenheiten durch die Anpassung der Einkommensfreibeträge reagieren. Die zweite und die dritte Stufe sind wirklich dazu da, die Trendumkehr einzuleiten und sicherzustellen, dass es dann auch mehr BAföG-Berechtigte werden. So sind wir dann zu der Aussage gekommen, dass wir bis 2021 rund 100 000 junge Menschen mehr erreichen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Astrid Mannes, CDU/CSU, hat als Nächste das Fragerecht. – Es hat sich erledigt. Die nächste Frage stellt dann Nicole Gohlke, Die Linke.

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Inflation seit der letzten Erhöhung der BAföG-Fördersätze 2016 hat den Geldwert um 5,2 Prozent gemindert. Die BAföG-Novelle der Bundesregierung erhöht die Sätze jetzt erst mal um 5 Prozent, im kommenden Jahr dann um 2 Prozent. Wieso gehen Sie, wieso geht die Bundesregierung davon aus, dass derartige Steigerungen in diesem Bereich eine Trendwende im Hinblick auf die Bedeutung des BAföG einleiten werden? Zweiter Teil meiner Frage: Haben Sie, hat das Bildungsministerium die Festschreibung einer dauerhaften Dynamisierung der BAföG-Sätze in Erwägung gezogen, um künftige Kaufkraftverluste auszugleichen, und, wenn nicht, warum nicht?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Zum ersten Punkt. Es ist nicht die Anhebung der Bedarfssätze, die die Trendumkehr einleiten soll, sondern die der Einkommensfreibeträge. Durch höhere Einkommensfreibeträge, dadurch, dass wir wieder mehr Familien mit Kindern in Ausbildung erreichen, leiten wir die Trendumkehr ein. Die Bedarfssätze sollen in zwei Schritten erhöht werden, weil es aufgrund gestiegener Lebenshaltungskosten und gestiegener Wohnkosten notwendig ist. Was war noch einmal der zweite Teil Ihrer Frage?

Nicole Gohlke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004041, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ob Sie die Festschreibung einer dauerhaften Dynamisierung erwogen haben.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Nein, eine solche Dynamisierung haben wir nicht erwogen, weil wir es Ihnen, dem Parlament, ermöglichen wollen, auch nach einem Bericht, die dann notwendigen Anpassungen ganz zielgenau vorzunehmen. Wenn wir einfach nur eine Dynamisierung haben wollten, würden wir im Grunde zielgenaue Anpassungen von BAföG aus der Hand geben. Das wollen wir nicht. Deswegen wollen wir weiter Berichte erstellen – aussagekräftige Berichte –, und dann können wir in der nächsten Legislaturperiode eine neue BAföG-Reform angehen, wenn die Notwendigkeit dazu besteht.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen, stellt noch eine Frage.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Ich wollte danach fragen, dass Sie jetzt das BAföG-Gesetz so ändern, dass Sie sich die Berichtspflichten künftig gar nicht mehr auferlegen. Es geht ja nicht, dass Sie jetzt einfach sagen: Die gesetzliche Grundlage, dass alle zwei Jahre ein Wirksamkeitsbericht erscheint, gilt für uns jetzt einfach mal nicht. – Wir halten es für eine wichtige Angelegenheit, dass die Berichtspflicht, die gesetzlich festgeschrieben ist, auch erfüllt wird. Zweiter Punkt. Wir erleben jetzt einmal mehr eine Novelle nach Gutsherrenart, ({0}) bei der man nicht sagen kann, dass systematisch prima berechnet wurde, wie die Fördersätze und Freibeträge oder auch die Wohnkosten erhöht werden. Deshalb ist die Frage der regelmäßigen dynamischen Erhöhung schon eine, die uns umtreibt und die bei vielen seit vielen Jahren Beschlusslage ist. Wieso greifen Sie nicht wie in anderen Bereichen der Sozialgesetzgebung zu einer regelmäßigen Indexierung, damit das BAföG regelmäßig und verlässlich steigt und damit dessen Anstieg nicht immer ein Stück weit von Regierungswillkür abhängt und zu einer Schlacht der Zahlen wird? Es täte, glaube ich, der BAföG-Politik, gerade der CDU-geführten Regierungen, sehr gut, wenn es zu einer verlässlichen, regelmäßigen Erhöhung käme statt einfach so nach Gutsherrenart. ({1})

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die Berichtspflicht ist für uns ein wesentlicher Punkt, der uns ein Urteil darüber ermöglicht: Wirken unsere Reformen, oder wirken sie nicht? – Aber wahr ist natürlich: Wir können nicht alle zwei Jahre einen Bericht erstellen, der dann keine Aussagekraft hat. ({0}) Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen 2018 bis 2020 als nächsten Berichtszeitraum nehmen, um zu sehen: Wirken unsere Reformen? ({1}) Zur Dynamisierung. Wir haben die Wohnkostenpauschale überproportional erhöht und die Bedarfssätze um 7 Prozent. Das zeigt sehr schön, dass wir zielgenau erhöhen und nicht einfach nur dynamisieren. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Yasmin Fahimi, SPD, stellt die nächste Frage.

Yasmin Fahimi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004713, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Ministerin, die SPD hat immer ein Interesse daran, dass das BAföG auch Studentinnen und Studenten aus einkommensschwächeren Familien unterstützt, weil wir der Auffassung sind, dass es darum geht, einen Blick auf die Talente und nicht auf ihre Herkunft zu werfen. Deswegen ist neben der Frage von Freibeträgen und Bedarfssätzen auch die Frage wichtig, inwieweit wir die Lebensrealität der Studentinnen und Studenten besser abbilden können, zum Beispiel, wenn sie während ihres Studiums auch anderen Aufgaben wie der Pflege von Angehörigen nachgehen. Inwiefern besteht aus Ihrer Sicht die Möglichkeit, eine bessere und stärkere Flexibilisierung noch zu berücksichtigen, gerade auch mit Blick auf die Anerkennung von solchen zusätzlichen Leistungen neben dem Studium? Denn es geht uns um das Talent. Das ist bei solchen Lebensentwürfen im Zweifelsfall eher noch mehr wertzuschätzen.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Im BAföG sind schon einige Flexibilisierungsmöglichkeiten enthalten, faktisch ein Teilzeitstudium aufzunehmen, beispielsweise bei Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft oder auch Kindererziehung. Die Pflege ist dort noch nicht enthalten. Ob man die Pflege zusätzlich in die Flexibilisierungsmöglichkeit einbeziehen kann, können wir gerne im parlamentarischen Verfahren noch diskutieren. Ich glaube, wir müssen gucken, wie viele davon betroffen sind und ob das beispielsweise wie die Berücksichtigung von Kindererziehung gestaltet werden kann. Aber ich wäre grundsätzlich nicht abgeneigt.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Jens Brandenburg, FDP, möchte noch mal eine Frage stellen.

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben jetzt fast ein Jahr gebraucht, um uns einen Entwurf vorzulegen. Die strukturelle Reform bleibt aus; Sie drehen an altbekannten Schrauben. Wir können heute leider lediglich – da wir nur ihn kennen – über den Referentenentwurf sprechen. Der ist insbesondere bei Betroffenenverbänden und seitens der Studierenden auf deutliche Kritik gestoßen. Die Verbände machen sehr deutlich, dass diese Schritte nicht ausreichen, um das Problem zu lösen. Deshalb lautet meine Frage: Was sind die größten Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf von vor ein paar Wochen, die Sie inzwischen im Kabinettsbeschluss berücksichtigt haben?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die größte Veränderung, die wir seit den erstmals von mir vorgestellten Eckpunkten aufgenommen haben, ist die, dass wir eine dritte Stufe bei den Einkommensfreibeträgen eingeführt haben, damit wir wirklich sicherstellen können, dass die Trendumkehr gelingt, dass mehr junge Leute dauerhaft erreicht werden können. Warum haben wir gewartet, um die Kabinettsreife herzustellen? Weil wir uns erst die aktuellsten Prognosezahlen auch schon für 2018 anschauen und herausfinden wollten, was die Ursache dafür ist, dass die Zahl der BAföG-Empfänger, die wir erreichen wollen, zurückgegangen ist. Wir wollen gerade durch die überproportionale Steigerung der Einkommensfreibeträge in drei Stufen nachhaltig nachsteuern, um die Trendwende auch wirklich zu gewährleisten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die letzte Frage zum Themenbereich Ihres einleitenden Berichts stellt der Kollege Dr. Stefan Kaufmann, CDU/CSU.

Dr. Stefan Kaufmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004065, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, die weitreichende Novelle, die Sie gerade vorgestellt haben, sieht auch eine Änderung des Rückzahlungssystems vor. Schon heute zahlen die Studierenden am Ende nicht mehr als 10 000 Euro zurück. Zukünftig sollen es letztlich auch nicht mehr als 10 000 Euro sein. Können Sie vielleicht noch mal sagen, wo der Unterschied im Rückzahlungssystem liegt und wo vor allem die Vorteile des geplanten Rückzahlungssystems liegen?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Für uns war wichtig, sicherzustellen, dass niemand, auch wenn er nicht erfolgreich ist und sich die Rückzahlung, die ja einkommensabhängig ist, nicht leisten kann, sein ganzes Leben lang BAföG-Schulden hat. Deswegen haben wir die Systematik verändert und sind auf 77 Monatsbeiträge gegangen. Wir haben zusätzlich gesagt: Wer es nach 20 Jahren nicht geschafft hat, seine BAföG-Schulden abzubauen, der bekommt sie erlassen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Jetzt kommen wir zu dem Teil der Regierungsbefragung, der alle anderen Themenbereiche betrifft. – Die erste Frage stellt der Kollege Dr. Christian Wirth, AfD.

Dr. Christian Wirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004936, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, im Jahre 2018 ist die Zahl ausländischer Gefängnisinsassen rasant gestiegen; wir dürften auf 17 000 ausländische Gefängnisinsassen zusteuern. Das macht für den deutschen Steuerzahler ungefähr einen Betrag in Höhe von 720 bis 750 Millionen Euro pro Jahr. Es gibt das Institut der Strafvollstreckung im Herkunftsland. Davon macht die Bundesregierung immer weniger Gebrauch. Sie hat im Jahre 2010 noch 348 Anträge gestellt, im Jahr 2016 waren es 242 Anträge; die Tendenz ist weiter fallend. Warum nutzt die Bundesregierung diese Möglichkeit nicht – insbesondere zur Einsparung von Steuergeldern und im Hinblick darauf, dass eine Abschiebung dann nicht mehr notwendig ist, da die Straftäter, die ihr Aufenthaltsrecht verwirkt haben, ja bereits in ihren Herkunftsländern sind?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Die Frage würde ich gerne an das federführende Ressort weitergeben.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Krings, möchten Sie die Frage beantworten?

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Präsident, wir müssen erst mal klären, welches Ressort – Justiz oder Inneres – für die Frage der Strafvollstreckung im Ausland zuständig ist.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Aber es wäre schon schön, wenn trotzdem jemand von der Regierung die Frage jetzt beantworten könnte. Sonst unterbrechen wir die Sitzung. ({0})

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Ich habe nur gesagt, dass wir einmal grundsätzlich dieser Frage nachgehen müssen. – Ich kann jetzt die Zahlen ad hoc nicht nennen. Aber eines unserer Ressorts wird Ihnen gerne eine Antwort zukommen lassen; das kann ich Ihnen versichern. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Christian Jung, FDP.

Dr. Christian Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004769, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Ministerin! Das Bundesprogramm für die Abbiegeassistenten für Lkws ist nach vier Tagen überzeichnet. Die Frage an Sie ist: Haben Sie als Bundesregierung vor, die Mittel für dieses Bundesprogramm jetzt aufzustocken?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Staatssekretär Ferlemann.

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Schönen Dank, Herr Präsident. – Wir werden evaluieren, ob die Mitteldotierung ausreicht. Sollte das nicht der Fall sein, werden wir uns überlegen, ob wir das Programm noch weiter aufstocken können.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.

Katja Keul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004067, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. – Meine Frage bezieht sich auf den § 219a Strafgesetzbuch. Es gibt seit gestern eine breite Debatte – nicht nur im Parlament, sondern in der Öffentlichkeit – darüber, wie die Einigung in der Koalition, die jetzt in Form eines Referentenentwurfs vorliegt, zu verstehen ist. Das würde ich gerne mal von der Bundesregierung hören, weil es da unterschiedliche Lesarten gibt. Soll es so sein, dass die Ärztinnen und Ärzte informieren und an die neutralen Stellen verweisen dürfen? Oder dürfen sie nur auf die neutralen Stellen verweisen? Sprich: Macht sich eine Ärztin oder ein Arzt, der oder die sachliche Informationen über Abtreibungen wie Methoden oder Fristen gibt, nach dieser Einigung künftig strafbar oder nicht?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Wer antwortet bitte? – Herr Staatssekretär Lange.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Im Referentenentwurf ist geregelt, dass sie eine Information geben dürfen und dass sie entsprechend verweisen dürfen. Das ist die zweite Regelung, die im Referentenentwurf getroffen worden ist. Insofern ist Rechtssicherheit gewährleistet sowohl auf der einen Seite für die Ärztinnen und Ärzte als auch auf der anderen Seite für die Patientinnen, die sich informieren können. – Vielen Dank.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Martin Hess, AfD.

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz wollen die Muslimbrüder in Deutschland auf Basis der Scharia einen islamistischen Gottesstaat errichten. Nach einer Bewertung des Landesamtes für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen sind die Muslimbrüder für unsere Demokratie gefährlicher als Salafisten und selbst der IS. Anfang dieses Jahres fand das zweite Treffen der europäischen Muslime in der DITIB-Zentralmoschee in Köln statt, an der auch diese Muslimbrüder teilnahmen. Nach übereinstimmenden Presseberichten ist es so, dass sich die Muslimbrüderschaft in Deutschland, insbesondere im Osten, sehr rasant ausbreitet. Daher meine Frage an Sie: Hat die Bundesregierung Erkenntnisse darüber, ob – und, wenn ja, in welcher Form – der türkische Moscheenverband DITIB diese Ausbreitung der Muslimbrüder in Deutschland unterstützt oder daran beteiligt ist? Was tut die Bundesregierung konkret, um dieser Ausbreitung der Muslimbrüderschaft in Deutschland entgegenzutreten respektive dies effektiv zu unterbinden?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Herr Kollege Krings, ich vermute, dass Sie erneut die Frage beantworten.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Hier ist, glaube ich, die Ressortzuständigkeit klar; deshalb beantworte ich sehr gerne die Frage. – Auch uns hat das Treffen, das Sie angesprochen haben, sehr besorgt gestimmt. Es ist ein Baustein in einer besorgniserregenden Aktivität der Muslimbrüder. DITIB selber behauptet, man hätte nur die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Ich bin sehr skeptisch, ob sich der Beitrag wirklich darauf beschränkt. Für mich zeigt es einmal mehr, dass wir in der Bundesregierung richtig handeln, den Kontakt zu DITIB auf das notwendige Minimum zu reduzieren. Was die Muslimbrüder anbelangt: Die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern werden diese Entwicklung weiterhin sehr aufmerksam verfolgen, und da, wo Strafgesetze berührt sind, werden Strafverfolgungsbehörden natürlich einschreiten.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Dr. Gero Hocker, FDP.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Vor dem Hintergrund eines tragischen Ereignisses, das sich vor einigen Tagen in Vreden im Münsterland abgespielt hat, als bislang unbekannte Täter in einen Schweinestall eingedrungen sind und dort die Stromversorgung unterbrochen haben, woraufhin die Frischluftzufuhr ausgefallen ist und 900 Tiere qualvoll verendet sind, frage ich die Bundesregierung, inwiefern sie der Auffassung ist, dass die Rechtfertigung des widerrechtlichen Eindringens in Ställe durch militante Tierrechtsorganisationen wie PETA oder andere mit dem Hinweis, dass Tierleid nie weniger wert sein dürfe als eine aufgebrochene Stalltür, die Durchführung solcher Taten befördert?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Ich schaue mal wieder zu Vertretern des Justiz- und Innenministeriums. ({0}) Das war mehr eine Frage nach der rechtlichen Bewertung, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Ich warne Sie: Ich unterbreche die Sitzung, damit die Bundesregierung die Zuständigkeit klären kann; aber ich würde dazu raten, dass es nicht so weit kommt. ({1}) Frau Ministerin Karliczek, mein Rat wäre, dass Sie eine kluge Antwort geben. Sie sind eindeutig nicht zuständig.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Genau, ich bin zwar nicht zuständig – wir werden Ihnen eine konkretere rechtliche Bewertung schriftlich zukommen lassen –, aber vielleicht so viel: Ich glaube, dass Tiere so qualvoll sterben müssen, ist generell etwas, was niemand von uns in irgendeiner Form will. Es geht um das Verhältnis von Eigentumsrechten und Tierschutz. Diese beiden Fragen können nicht voneinander getrennt werden. Letztendlich müssen Richter am Ende bewerten, wie sie das ins Verhältnis stellen. Dass so viele Tiere zu Tode gekommen sind, ist für uns alle sehr bedauerlich.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Anna Christmann, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich stelle eine Frage, die Sie sehr konkret betrifft. Anlass ist der Aachener Vertrag, der ja die deutsch-französische Partnerschaft bei der Innovationspolitik noch mal herausgestellt hat. Nicht zuletzt gab es bereits im Juni 2018 die Meseberger Erklärung, in der bilaterale Kooperationsprojekte mit Frankreich im Bereich von Sprunginnovationen angekündigt worden sind. Jetzt habe ich auf meine Nachfrage dazu leider die Antwort erhalten, dass Sie mit diesen Projekten überhaupt erst beginnen wollen, wenn die deutsche Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen gegründet ist. Deswegen möchte ich Sie erstens fragen: Wie sieht denn der Zeitplan bei dieser Agentur aus? Sie sollte eigentlich schon gestartet sein, das verzögert sich offenbar etwas. Wann sind wir denn an dem Punkt, dass es diese Agentur geben wird? Und zweitens: Ist es wirklich klug, mit der Umsetzung internationaler Projekte zu warten? Könnte man da nicht die europäische Idee parallel schon einmal stärken?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Frau Bundesministerin.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Ich will die zweite Frage als Erstes beantworten: Für uns ist wichtig, dass wir gute Zusammenarbeit gewährleisten, dass wir homogen zusammenarbeiten können; deswegen sind wir im engen Austausch. Wir wollen aber erst national die Dinge beginnen und sie dann verknüpfen. Das ist für uns auch bei der Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen ein wesentliches Kriterium. Wir wollen in der Zusammenarbeit mit Frankreich im Grunde den Aufschlag machen, um am Ende europäische Projekte voranzutreiben. Auch die Förderung von Sprunginnovationen soll auf Dauer ein europäisches Projekt werden, wo wir mit unterschiedlichen Zuständigkeiten zusammenarbeiten. Hinsichtlich dieser Agentur haben wir mehrere Fragen zu beantworten. Erstens geht es um das rechtliche Konstrukt; hier befinden wir uns im abschließenden Austausch mit dem Finanzministerium, das uns sehr eng begleitet. Zweitens haben wir uns parallel auch schon gefragt: Wer kommt infrage, um diese Agentur zu leiten? Denn am Ende hängt es gerade bei der Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen an den Köpfen, die damit betraut sind, Innovationen zu erkennen, die auch wirklich das Potenzial haben, neue Märkte zu erschließen. Es geht ja nicht um inkrementelle Innovationen, sondern um Innovationen, die uns im weltweiten Wettbewerb einen Schritt nach vorne bringen. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Beatrix von Storch stellt die nächste Frage.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin, im Prüfbericht des Bundesverfassungsschutzes zur AfD ist zu lesen – ich zitiere –, dass allein Vorgaben moderner Lehrpläne im islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen und Lehrstühlen für Islamwissenschaften – ich zitiere weiter – teilweise ebenfalls einen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz darstellen, das heißt verfassungswidrig sein können. Meine Frage lautet deswegen: Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Vorgabe moderner Lehrpläne im islamischen Religionsunterricht und an Lehrstühlen für Islamwissenschaften ein Eingriff in die Religionsfreiheit? Ich bitte ausdrücklich um Beantwortung dieser Sachfrage ganz und gar unabhängig davon, ob und wie das in dem Verfassungsschutzbericht drinsteht, der weiterhin offiziell Verschlusssache ist. Es geht um die Sachfrage: Ist die Vorgabe moderner Lehrpläne möglicherweise ein Eingriff in die Religionsfreiheit? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Meine Vermutung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Krings, ist, dass das in die Zuständigkeit des Innenministeriums fällt.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Präsident, ich würde auch hier nicht wagen, Ihnen zu widersprechen, zumal das Schlüsselwort ja „Verfassungsschutz“ lautete. – Es ist eine Aussage, die im Kontext gesehen werden muss. Sie müssen sich die ganze Passage noch einmal anschauen. Natürlich können Vorgaben für Lehrpläne Eingriffe nach Artikel 4 Grundgesetz sein. Übrigens muss nicht jeder Eingriff damit ungerechtfertigt sein. Es mag sein, dass ein Eingriff vorliegt, der aber zu rechtfertigen ist. Der Eingriff beendet nicht die grundrechtliche Prüfung, sondern ist ein Schritt innerhalb der grundrechtlichen Prüfung. Deshalb kann ich nicht ausschließen, dass bestimmte Vorgaben, die meinetwegen unter der Überschrift „modern“ daherkommen, trotzdem einen Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen. Das heißt aber nicht, dass er nicht gerechtfertigt sein kann. Insofern kann man das nur abstrakt beantworten und nicht weiter konkretisieren. Ich kann umgekehrt sagen: Nicht jede Vorgabe moderner Inhalte und Rahmenbedingungen für einen Religionsunterricht ist zugleich verfassungswidrig; das gilt sicherlich auch nicht, wenn Sie das meinen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Oliver Luksic, FDP, stellt die nächste Frage.

Oliver Luksic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004102, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, in der letzten Woche gab es sowohl einen Aufruf von mehr als 100 führenden Lungenfachärzten als auch einen wegweisenden Beschluss in Goslar auf dem Deutschen Verkehrsgerichtstag, bei dem der schwerwiegende Eingriff eines Dieselfahrverbots in die Grundrechte vom Deutschen Anwaltverein massiv kritisiert wurde. Verkehrsminister Scheuer hat jetzt angekündigt, auf europäischer Ebene das Thema der Grenzwerte anzusprechen; federführend hier ist allerdings das Umweltressort. Deswegen ist meine Frage, ob es zu dieser Frage der Grenzwerte eine in der Bundesregierung ressortabgestimmte Position gibt und ob auch im zuständigen Umweltrat hierzu eine Initiative erfolgen wird. Das würde mich sehr interessieren. Wir haben dieses Moratorium hier schon mal angesprochen; damals hat man es abgelehnt. Wir würden begrüßen, wenn hier Bewegung in die Debatte kommt. Meine Frage ist also: Gibt es dazu eine ressortabgestimmte Position der Bundesregierung?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bitte sehr, Herr Staatssekretär.

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Also, es ist so, dass eine Veränderung des geltenden Rechts auf der EU-Ebene stattfinden muss. Das würde die laufenden Verfahren und auch die Fristen, die einzuhalten sind, sowie die konkrete Debatte, die wir aktuell in Deutschland führen, nicht beeinflussen. Auf die Frage, ob es notwendig ist, auf europäischer Ebene Grenzwerte zu verändern, kann ich Ihnen mitteilen: Es gibt noch keine abgestimmte Position innerhalb der Bundesregierung.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr, Herr Staatssekretär Pronold. – Die nächste Frage stellt Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich habe eine Frage zum gleichen Sachverhalt. Ich komme gerade aus einer Anhörung im Umweltausschuss. Da waren viele Wissenschaftler und Sachverständige anwesend, die noch einmal sehr eindrücklich dargelegt haben, wie notwendig Stickoxidgrenzwerte für die Gesundheit von Menschen sind. Ich hätte mir gewünscht, der Abgeordnete Scheuer hätte an dieser Anhörung teilgenommen. Er hätte da sehr, sehr viel lernen können. Meine Frage an die Bundesregierung ist – wir haben die Äußerungen von Herrn Scheuer gehört –: In welcher Weise wird Herr Scheuer bzw. die Bundesregierung in dieser Frage aktiv werden? Und welche Konsequenzen folgen aus dieser Ankündigung des Bundesverkehrsministers? ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Staatssekretär Ferlemann. ({0}) – Jetzt lassen Sie ihn doch antworten, bevor Sie Zwischenrufe machen. ({1})

Enak Ferlemann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003525

Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, mein Bundesminister Andreas Scheuer wird in dieser Frage aktiv werden, und zwar in der Weise, dass wir versuchen, die Grenzwerte zu verändern, da es sich ja nicht eindeutig wissenschaftlich nachweisen lässt, dass die Grenzwerte so, wie sie sind, gerechtfertigt sind. ({0}) Deswegen werden wir darüber auch eine Diskussion führen. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Axel Gehrke, AfD.

Prof. Dr. Axel Gehrke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004725, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Ministerin, in der Sendung „Berlin direkt“ vom 6. Januar 2019 hat das ZDF anlässlich der aktuellen Diskussion über neue Methoden der Gentechnik und entsprechend genetisch veränderter Babys in China über vergebliche Interviewanfragen zum Thema an die Bundesministerien für Forschung, für Gesundheit und der Justiz berichtet. Meine Frage ist: Warum schweigt die Bundesregierung hinsichtlich dieser Anfragen, und welche Positionen werden innerhalb der Bundesregierung zu diesem Thema vertreten?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Frau Bundesminister.

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Solange wir das, was berichtet wird, nicht aus eigenen Quellen sicherstellen können, äußern wir uns zu Dingen nicht. ({0}) So weit dazu. Das Zweite ist, dass wir in Deutschland ein sehr strenges Embryonenschutzgesetz haben. Wir glauben, dass dieses Embryonenschutzgesetz die Dinge, die da gelaufen sein sollen, nicht zulässt. Das halten wir weiterhin für richtig.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Dr. Christian Jung, FDP, stellt die nächste Frage.

Dr. Christian Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004769, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Ministerin, wir erfahren gerade, dass der Bundespräsident mit der für uns wichtigen Maschine „Theodor Heuss“ in Äthiopien festsitzt. Nachdem wir ja diese Probleme auf der Reise der Bundeskanzlerin nach Südamerika und auch auf den Afrika-Reisen des Bundesentwicklungshilfeministers hatten, frage ich Sie: Wissen Sie, was da aktuell los ist? Und welche Konsequenzen hat das für die Bundesregierung in Bezug auf die Flugbereitschaft? Es ist eigentlich schon peinlich, dass unser Bundespräsident jetzt festsitzt. ({0})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Bedenken Sie bitte, dass der Herr Bundespräsident morgen früh um 9 Uhr gerne hier sein möchte. ({0}) Herr Parlamentarischer Staatssekretär Silberhorn.

Thomas Silberhorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003636

Herr Abgeordneter, ich habe bisher erfahren, dass es einen technischen Mangel gibt. Ich kann Ihnen noch keine Auskunft darüber geben, ob und in welchem Zeitraum dieser technische Mangel vor Ort behoben werden kann. Es gibt in Äthiopien mehr Flugbewegungen als an den Standorten, die Sie vorhin genannt haben, an denen andere technische Mängel aufgetreten sind. Insofern: Die Flugbereitschaft der Bundeswehr setzt alles daran, diesen Mangel so schnell zu beheben, dass der Bundespräsident morgen rechtzeitig hier sein kann.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Der ganze Deutsche Bundestag wünscht Ihnen besten Erfolg. ({0}) Katharina Dröge, Bündnis 90/Die Grünen, stellt die nächste Frage.

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben sich ja schon einmal zu dem Thema „5G-Ausbau“ geäußert. Vielleicht können Sie deshalb meine Frage beantworten. Ansonsten wäre für sachdienliche Hinweise das Wirtschaftsministerium zuständig. Es geht um die Frage, inwieweit wir als Bundesrepublik Deutschland in der Lage sein sollten, zu prüfen, welche Anbieter am Aufbau kritischer Infrastruktur beteiligt werden können. Wir haben eine Außenwirtschaftsverordnung, die diesen Prüfvorbehalt für die Beteiligung ausländischer Unternehmen an deutschen Unternehmen vorsieht, wenn es um kritische Infrastruktur geht. Für den Neuaufbau kritischer Infrastruktur, wie das bei den 5G-Netzen der Fall ist, ist das bislang nicht vorgesehen. Jetzt haben wir gestern wieder erlebt, dass die Amerikaner schwere Vorwürfe gegen ein chinesisches Unternehmen erheben. Dabei geht es unter anderem um Industriespionage. Die erste – politische – Frage an die Bundesregierung ist deshalb: Sollte die Bundesregierung prüfen können? Und die zweite Frage ist: Wann legen Sie uns Erkenntnisse zu diesem speziellen Anbieter vor?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Christian Hirte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003890

Herr Präsident! Frau Kollegin, in der Tat nehmen wir in der Bundesregierung natürlich sehr genau zur Kenntnis, wie sich die Gemengelage zu diesem chinesischen Anbieter darstellt und welche Meinung andere Länder in der Welt dazu vertreten. Das ist aber eher eine Frage, die nicht im wirtschaftlichen Bereich, sondern eher unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten geführt wird. Wir haben dazu noch keine insgesamt abgestimmte Position, werden die Gesamtlage aber weiter genau beobachten und dann auch überlegen, ob und wie wir darauf reagieren müssen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Nicole Höchst, AfD, stellt die nächste Frage. – Nein, sie will nicht. Dann stellt die nächste Frage Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. – Frau Ministerin, ich möchte gerne zu dem Vorschlag für den „Beschluss des Rates zur Änderung der Entscheidung Euratom über die Errichtung des europäischen gemeinsamen Unternehmens für den ITER und die Entwicklung der Fusionsenergie sowie die Gewährung von Vergünstigungen dafür“ fragen. Dieser Vorschlag ist ja den Ausschüssen übermittelt worden. Ich nehme an, dass Sie ihn kennen. Es geht darin vor allem darum, wie man die Kosten für das Gemeinschaftsprojekt ITER, die bisher von Großbritannien mitgetragen wurden, nach dem Brexit, der ja zu erwarten ist, auf die anderen Länder verteilt. Es ist ja ein sehr kostenintensives Projekt. Ich würde Sie gerne fragen, inwieweit Sie davon ausgehen, dass dieses Projekt ITER – das gilt für die Kernfusion insgesamt –, von dem man annimmt, dass es nicht vor 2050 – wahrscheinlich erst viel später – in der Lage ist, Strom zu liefern, also zur Stromerzeugung beizutragen, einen Beitrag zur Energieversorgung leisten kann. Ich frage das vor dem Hintergrund, dass wir ja die Vorgabe haben, im Jahr 2050  95 Prozent weniger CO 2 in unseren Ländern auszustoßen. Was kann die Kernfusion, die zu dem Zeitpunkt ja noch gar nicht eingesetzt werden kann, dazu beitragen, die Emissionen zu verringern?

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Wie schnell in der Forschung Erkenntnisse generiert werden können, entzieht sich, glaube ich, ein wenig unserer Einschätzung. Das sind Spekulationen, ob es denn 2050 erst so weit sein wird. Wichtig ist für uns, dass ITER für die Europäische Union weiterhin ein wichtiges Projekt ist und dass wir weiter dabeibleiben werden. Wir müssen damit umgehen, falls Großbritannien sich daran nicht mehr beteiligt. Dass wir uns weiter an der Forschung beteiligen und dieses Projekt weiter vorantreiben, sollten wir nicht infrage stellen. Unabhängig vom Fortschritt dieses Projektes können wir die Energiewende zum Erfolg führen.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die nächste Frage stellt Thomas Ehrhorn, AfD.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, meine Frage betrifft den Bereich Verfassungsschutz, also Inneres. Es geht um das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 15. Januar 2019 zur AfD, welches als Verschlusssache eingestuft wurde. Dieses Gutachten enthält eine umfassende Sammlung personenbezogener Daten. Der AfD selbst wurde dieses Gutachten bis heute nicht herausgegeben. Dennoch zitierten schon unmittelbar nach dem 15. Januar 2019 die Medien daraus, zum Beispiel „Der Tagesspiegel“. ({0}) Inzwischen scheint es so zu sein, dass auf der Internetseite „ Netzpolitik.org “ dieses Gutachten jedem frei zugänglich ist. Deswegen stelle ich meine Frage. Man kann natürlich nun sehr guten Willens sein und davon ausgehen, dass dieses Gutachten nicht absichtsvoll gestreut wurde, um der Partei AfD zu schaden und diese zu diskreditieren.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, Sie sind im roten Bereich und sollten Ihre Frage stellen.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. Gut. – Ich frage deshalb: Ist die Bundesregierung der Meinung, dass der neue Verantwortliche für den Inlandsgeheimdienst seinen Aufgaben gerecht wird, wenn er nicht in der Lage ist, ein Gutachten, welches Geheimhaltungsstatus hat, tatsächlich geheim zu halten?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege.

Thomas Ehrhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004707, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Muss das nicht personelle Konsequenzen haben?

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, wir haben es jetzt in der Regierungsbefragung eigentlich geschafft, die rote Ampel zu vermeiden. Danke. – Ich ahne, dass ich Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Krings, noch einmal bitten muss, die Frage zu beantworten.

Dr. Günter Krings (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003574

Herr Präsident, ich beantworte diese Frage natürlich sehr gerne. – Sie haben darauf hingewiesen, dass es dieses Gutachten gibt. Darin wird die AfD auch formal als Prüffall eingestuft und zwei Teilorganisationen – die Jugendorganisation und die Organisation „Der Flügel“ – als sogenannte Verdachtsfälle. Wir haben Ihnen seitens des Bundesinnenministeriums bereits zugesagt, eine Kurzfassung dieses Gutachtens zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der äußerst ärgerlichen und rechtsmissbräuchlichen Veröffentlichung werden wir auch das gesamte Gutachten gern dem Innenausschuss zur Verfügung stellen. In der Tat ist nicht verzeihlich, wenn so etwas nach außen kommt. Ich weise aber darauf hin, dass das BfV eine hervorragende Führung hat und dass solche Unterlagen im Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern natürlich an einen relativ großen Personenkreis verschickt werden müssen. Insofern, finde ich, muss die Unterstellung, dass die Weitergabe ausgerechnet aus dem BfV selbst heraus erfolgt ist, keineswegs zwingend richtig sein.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Danke sehr. – Die letzte Frage stellt die Kollegin Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, ich stelle eine Frage, für die im Zweifelsfalle das Justizministerium zuständig ist, nämlich zum StGB, und zwar konkret noch einmal zum § 219a. Wir verstehen nicht, was die materielle Einigung an dieser Stelle ist. Der Staatssekretär hat vorhin gesagt: Ja, man darf informieren und verweisen. – Ich will aber wissen, was genau die Information der Ärztinnen und Ärzte beinhalten darf. Darf da nur stehen: „Ich nehme legale Abtreibungen vor – Punkt“, sodass weitere Erkundigungen einzuziehen sind, oder dürfen die Ärztinnen und Ärzte auch sagen, ob sie das nur innerhalb bestimmter Fristen tun? Dürfen sie auch sagen, ohne sich strafbar zu machen, welche Methoden sie anwenden, dass sie bestimmte Methoden anwenden? Das ist die Frage, die sich eben faktisch auch auf anhängige Strafverfahren bezieht. Darauf hätten wir natürlich gerne eine klare Antwort, ob das in dieser Situation straffrei bleibt.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Staatssekretär.

Christian Lange (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003168

Frau Kollegin, Sie wissen, dass die Bundesregierung zu laufenden Strafverfahren keine Stellung nimmt. ({0}) Grundsätzlich kann ich Ihnen aber sagen, dass im Referentenentwurf geregelt ist – so er denn beschlossen wird –, dass die Ärztinnen und Ärzte zukünftig Informationen dahin gehend einstellen dürfen, dass sie Abtreibungen vornehmen. Die Information, welche Methoden sie anwenden, erfolgt durch Verweis über Links. ({1})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Damit ist die Regierungsbefragung beendet.

Heiko Maas (Minister:in)

Politiker ID: 11004809

Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das vollkommenste Regierungssystem ist dasjenige, welches das größte Glück, die größte soziale Sicherheit und die größte politische Stabilität schafft. Der aus Venezuela stammende Freiheitsheld Simón Bolívar hat das gesagt, und zwar fast auf den Tag genau vor 200 Jahren. Glück, soziale Sicherheit und Stabilität, das heutige Venezuela könnte nicht weiter von diesen Idealen entfernt sein. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit werden von Nicolás Maduro mit Füßen getreten. ({0}) Sein Regime, das sich zynischerweise auf Bolívar beruft, hat Venezuela mittlerweile an den Abgrund geführt. Das staatliche Gesundheitssystem ist kollabiert. Im erdölreichsten Land der Welt sind Krankheiten wie Masern und Diphtherie wieder tödliche Realität. ({1}) Die Inflationsrate soll in diesem Jahr laut IWF 1,37 Millionen Prozent betragen. 80 Prozent der Haushalte können sich nicht mehr verlässlich mit Nahrungsmitteln versorgen. 12 Prozent der Menschen sind laut der Welternährungsorganisation unterernährt, darunter viele Neugeborene und Kinder. Mehr als 12 500 Personen sind im Zusammenhang mit Protesten gegen die Regierung seit 2014 verhaftet worden. ({2}) Tödliche Gewalt gegen Demonstranten ist an der Tagesordnung, ob durch Sicherheitskräfte oder regierungsnahe Milizen. Die Vereinten Nationen sprachen gestern von 40 Toten und 850 Verhafteten allein seit Beginn der jüngsten Proteste. In dieser Situation, meine sehr verehrten Damen und Herren, kann man nicht neutral bleiben. Das sind wir auch nicht. Wir stehen auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger Venezuelas und ihres Rechts auf ein Leben in Freiheit und Würde. ({3}) Die Zustände in Venezuela sind unerträglich. Sie sind umso erschreckender in einem Land, das früher zu den wohlhabendsten Ländern Lateinamerikas zählte. Über 3 Millionen Bürgerinnen und Bürger Venezuelas haben mittlerweile diesem Elend den Rücken gekehrt und sind in die Nachbarländer geflohen. 5 000 sind es im Moment laut UNO-Angaben pro Tag. Die Krise Venezuelas ist längst zu einer Bedrohung für die Stabilität der gesamten Region geworden. Nein, dem stehen wir nicht neutral gegenüber. Wir stehen auf der Seite der Nachbarländer, die Hunderttausende Menschen aufgenommen und versorgt haben. Wir lassen sie dabei auch nicht alleine. ({4}) Über deutsche und internationale Hilfsorganisationen unterstützen wir schon jetzt Flüchtlinge und Aufnahmegemeinden mit Wasser, Medikamenten, Unterkünften und Nahrungsmitteln, und diese Hilfe werden wir in diesem Jahr fortsetzen. Unsere Sorge gilt aber vor allem den Menschen in Venezuela, die tagtäglich ums nackte Überleben kämpfen. Deshalb suchen wir nach Wegen, um auch den Menschen in Venezuela humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, für die sich der Präsident der Nationalversammlung, Juan Guaidó, offen gezeigt hat – ganz im Gegensatz zu ­Nicolás Maduro. Auch daran zeigt sich: Die Verantwortung für den Niedergang Venezuelas trägt eine Regierung, die die Not ihrer eigenen Bevölkerung ignoriert, die demokratische Institutionen aushebelt, um sich skrupellos an der Macht zu halten. ({5}) Um es klar zu sagen: Nicolás Maduro fehlt jede demokratische Legitimation. Er ist nicht der demokratisch gewählte Präsident Venezuelas; denn die sogenannten Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr haben keinerlei demokratischen Standards genügt. ({6}) Die Hoffnung auf einen Neuanfang verbindet sich mit der einzig demokratisch legitimierten Institution des Landes, nämlich der Nationalversammlung und ihrem Präsidenten, Juan Guaidó. Gemeinsam mit der EU haben wir ihm deshalb unsere politische Unterstützung zugesichert, und dabei wird es auch bleiben. ({7}) Dabei ist uns allen auch innerhalb der Europäischen Union ganz besonders wichtig: Alle Seiten müssen auf Gewalt verzichten. Nur ein glaubwürdiger politischer Prozess im Rahmen der venezolanischen Verfassung verspricht dabei eine echte Lösung. Das sagen wir den Parteien in Caracas, aber auch unseren internationalen Partnern. Dieser politische Prozess muss über rasche, wirklich freie und faire Neuwahlen ablaufen; denn nur so können die Legitimität der Regierung, Rechtsstaatlichkeit und vor allem der Respekt vor der Würde der Menschen in Venezuela wiederhergestellt werden. ({8}) Jeder Tag, der bis dahin vergeht, führt das Land weiter an den Abgrund. Nicolás Maduro muss daher unverzüglich umsteuern und einen solchen Prozess vor allen Dingen glaubhaft einleiten. Tut er dies nicht – und dabei ist große Skepsis angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit angebracht –, dann gilt das, was Federica Mogherini bereits am Samstag angekündigt hat: Im Einklang mit Artikel 233 der venezolanischen Verfassung wird es dann an Juan Guaidó sein, das Land zu Neuwahlen zu führen. Diese Sicht wird weltweit von immer mehr Staaten und Regierungen geteilt. Unter diesen Vorzeichen, liebe Kolleginnen und Kollegen, reise ich wie die übrigen Außenminister der Europäischen Union morgen nach Bukarest, um dort darüber zu reden, wie die nächsten Schritte aussehen sollen. Es wird darum gehen, die Venezolaner auf dem Weg zu Neuwahlen zu unterstützen und gleichzeitig zu verhindern, dass die Lage noch weiter eskaliert. ({9}) Auch mit anderen Partnern, vor allem mit den Nachbarn Venezuelas, stimmen wir uns dabei eng ab. Dabei eint uns alle der Wunsch, dem Leiden der Menschen in Venezuela endlich ein Ende zu setzen. Schon viel zu lange mussten sie miterleben, wie ihr Land in Elend und Gewalt versinkt. Es ist höchste Zeit, dass die Venezolanerinnen und Venezolaner frei und fair über ihre Zukunft entscheiden können, und dabei haben sie unsere volle Unterstützung. Herzlichen Dank. ({10})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Armin-Paulus Hampel für die Fraktion der AfD. ({0})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag! Nordkorea, Venezuela – meine Kollegen haben ja gerade reagiert, Herr Minister – sind schöne Beispiele dafür, wie ruinös Sozialismus in der praktischen Anwendung sein kann. ({0}) Ich glaube, wenn Sie im Nahen Osten den Sozialismus einführen würden, gäbe es in der Sahara bald keinen Sand mehr. ({1}) – Dass Sie das beklagen, ist mir klar. Versuchen Sie es doch einmal! Sie hatten ja schon die Chance dazu. Vor dem Hintergrund einer katastrophalen Situation in Venezuela – Herr Maas, ich gebe Ihnen völlig recht – mit Inflationsraten, wie gerade vom Minister beschrieben, und Zuständen, in denen vor allen Dingen die Gesellschaft zu zerbrechen droht – es bekämpfen sich die politischen Gegner, und auch die Moral sinkt täglich, wie ich gestern lernen durfte –, kommt es zu Gewalttaten, unabhängig von politischen Motivationen. Und da macht die Bundesregierung Folgendes: Sie lässt einen Präsidenten fallen und erkennt einen anderen an, übrigens ohne dass man sich vorher mit den Vereinigten Staaten abgesprochen hat. ({2}) – Natürlich haben wir ihn anerkannt, indem wir uns auf seine Seite gestellt haben. ({3}) Sie müssen schon zuhören, Herr Wadephul, was der Minister gesagt hat. Er ist das ausführende Organ. ({4}) Wir haben überhaupt nicht völkerrechtlich geprüft, ob das, was wir machen, richtig ist; es hätte zumindest einer Prüfung bedurft. Aber selbst wenn es völkerrechtlich richtig ist: Warum, mit Verlaub, schlagen wir uns auf die Seite des Gegners von Herrn Maduro? Warum? Ich frage das vor dem Hintergrund, dass wir in den südamerikanischen Ländern immer einen guten Ruf hatten, dass wir dort immer als Vermittler anerkannt waren und dass die Amerikaner – jeder, der einmal in Südamerika gewesen ist, wird das erlebt haben – dort einen denkbar schlechten Ruf haben. Warum geben wir diese Position, die wir über Jahrzehnte gepflegt haben und die uns einen guten Ruf auf diesem Kontinent verschafft hat, ohne Mühe auf? Klug wäre es gewesen, neutral zu bleiben. Klug wäre es gewesen, sich als Vermittler anzubieten, um genau das zu vermeiden, was Sie mit Recht sagen, Herr Minister, nämlich dass es zu gewalttätigen, bürgerkriegsähnlichen Situationen kommt. ({5}) Wenn die Amerikaner darüber nachdenken – bei der Notiz von Herrn Bolton war das ja erkennbar –, Truppen dorthin zu verlegen, dann ist das etwas, was wir nicht gutheißen können; denn die deutsche Politik hat immer Wert darauf gelegt, dass wir Krisen konfliktfrei lösen, und da wäre unsere Position als die eines Vermittlers ebenfalls besser gewesen als die desjenigen, der jetzt auf einer Seite steht. Das heißt nämlich, einen Teil der Bevölkerung Venezuelas auszuschließen, und das – noch einmal – ohne Not. Es kommt hinzu, dass wir alle anderen Aktivitäten gar nicht unterstützen können. Militärisch haben wir nicht die Möglichkeit dazu, und wir könnten höchstens eine amerikanische Intervention abnicken; ansonsten können wir dazu nichts beisteuern. Wir wären schlecht beraten, uns da zu positionieren. Ich sage das übrigens vor dem Hintergrund, dass ich glaube, dass Herr Trump, den ja viele hier für nicht so eloquent halten, dort einer ­Reagan’schen Politik folgt: Er weiß genau, dass weder Russen noch Chinesen dort in größerem Maße intervenieren werden. Er sieht hier einen Erfolg für die amerikanische Politik, der einfach zu erringen ist. Ob man das gut- oder schlechtheißt, ist eine andere Frage. Letzte Anmerkung dazu. Wenn wir uns schon positionieren und mit den Amerikanern vorher nicht gesprochen haben, dann hätten wir uns ja mit den beiden Mächten besprechen können, die Einfluss in Venezuela haben: Das ist einmal Russland, und das ist China. Warum treffen wir Entscheidungen ohne Absprachen mit den Mächten, die dort unten, in diesem Lande, einen Einfluss haben? Ich glaube, dass unsere Politik falsch war. Noch einmal: Wir hätten uns neutral verhalten müssen. Wir hätten uns als Vermittler anbieten können. Das ist eine Rolle, die uns Deutschen auf den Leib geschneidert ist. Damit hatten wir Erfolg, oft im Nahen Osten, heute leider nicht mehr so oft, in Südamerika allemal. Das wäre eine vernünftige Politik gewesen. So hätten wir es machen müssen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jürgen Hardt für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als der junge Oppositionspolitiker Juan Guaidó im Juni letzten Jahres mit einigen anderen Oppositionspolitikern aus Venezuela hier in Berlin war, haben diejenigen, die mit ihm zusammengetroffen sind, einen guten Eindruck von diesem interessanten, dynamischen Menschen gehabt. Keiner hätte allerdings erwartet, welch wichtige und für dieses Land vielleicht entscheidende Rolle er im Januar dieses Jahres in Caracas einnehmen wird. ({0}) Wenn wir die Frage betrachten, warum wir uns im Streit zwischen dem Diktator Maduro und dem Parlament und seinem Präsidenten als Deutschland so klar und eindeutig auf die Seite des Parlaments und damit des Volkes schlagen – ich danke dem Außenminister für seine klaren Worte hier zu diesem Punkt –, dann erkennen wir, dass es mindestens vier Punkte gibt, die das rechtfertigen. Erstens. Die Politik von Maduro hat im Land zu einer katastrophalen Situation geführt: Hunger, Menschen, die mit Essen aus Mülltonnen leben müssen, Menschen, die ihre kranken Eltern in wackeligen Rollstühlen über die Grenze nach Kolumbien schieben, weil sie im eigenen Land, in Venezuela, keine medizinische Versorgung mehr bekommen. Dieses ölreichste Land der Erde, dieses Land, das gemessen an der Größe der Bevölkerung das Land mit dem größten Wohlstand Südamerikas sein könnte, ist in der Situation, dass es die elementarsten Lebensfunktionen seiner Bevölkerung nicht aufrechterhalten kann. Es muss sogar Benzin importiert werden, weil die Verarbeitungstechnologie für Rohöl so schlecht ist, dass man nicht einmal den eigenen Bedarf decken kann. Das Geld, das verdient wird, stopfen sich 4 000 Generäle und eine Junta um Maduro in die Taschen. Im Übrigen habe ich mir erzählen lassen: Venezuela hat mehr Generäle als die gesamte NATO. Also, wir wissen, auf welche Macht sich Maduro stützt. Er hat das Land heruntergewirtschaftet. All diejenigen, die behaupten, das sei ein von außen gesteuerter Konflikt in diesem Lande, sollten sich vor Augen führen, dass dieses Land unweigerlich kurz vor dem Abgrund steht, und zwar aufgrund des Handelns des Präsidenten und nicht aufgrund äußerer Einflüsse. ({1}) Zweiter Punkt. Maduro hat die Verfassung verletzt. Er hat die Rechte des demokratisch gewählten Parlamentes nicht anerkannt. Er hat das Parlament durch ein Pseudoparlament, eine verfassungsgebende Versammlung, ersetzt. Er respektiert die demokratisch gewählte Mehrheit, die Oppositionsmehrheit, im Parlament nicht. Er konnte sich bisher allerdings immer darauf verlassen, dass die Opposition im Parlament zerstritten ist, dass die Opposition, wenn er bei entsprechender Gegenbewegung auf Zeit spielt, am Ende dann doch zu schwach sein wird, sich ihm entgegenzustellen. Es sieht allerdings so aus – das ist die neue Entwicklung –, dass Juan Guaidó es geschafft hat, die Opposition auf eine gemeinsame Linie einzuschwören. Der dritte Grund, warum unsere Einmischung gerechtfertigt ist: Die Situation in Venezuela hat massive negative Auswirkungen auf die Region, auf die Nachbarländer. Blicken Sie zum Beispiel nach Kolumbien. Dort gibt es mindestens über 1 Million Flüchtlinge. Das Land selbst befindet sich in einem schwierigen Transformationsprozess, den wir aus Deutschland und Europa massiv unterstützt haben. Neben der Flüchtlingsbewegung nach außen gibt es klare Hinweise dafür, dass die Geschäfte, die die Clique um Maduro und um die Generäle macht, auch mit organisierter Kriminalität, mit Drogenhandel, mit Geldwäsche zu tun haben, sodass hiervon ebenfalls Gefährdungen für die übrige Welt ausgehen. Der vierte und für mich entscheidende Punkt: Die Verfassung Venezuelas steht auf der Seite des Parlaments und des Parlamentspräsidenten. Den entsprechenden Artikel 233 hat der Bundesaußenminister bereits zitiert: Der Parlamentspräsident ist Interimspräsident, solange es keinen demokratisch gewählten Präsidenten gibt. Viele in der Region – die Lima-Gruppe, die Organisation Amerikanischer Staaten – haben festgestellt, dass die hastig herbeigeführten Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr keine demokratischen Wahlen waren und Maduro somit nicht demokratisch legitimiert an der Macht ist. Was sollte jetzt unser Hauptziel sein? Erstens: Appell an alle Beteiligten, insbesondere an das Militär, dass dieser Konflikt möglichst unblutig, möglichst ohne Gewalt gelöst wird. Ich hoffe, obwohl die Generäle weiter an der Seite Maduros stehen mögen, die einfachen Soldaten und die jüngeren Offiziere aber genauso wie der Rest des Volkes unter der Situation leiden, dass deswegen eine Erhebung der Armee gegen das Volk vielleicht doch vermieden werden kann. Zweitens: Präsidentschaftswahlen in kürzester Zeit. Drittens: dass Herr Maduro nicht mit dem Parlament und dem Präsidenten über Dinge verhandelt, die nicht zu verhandeln sind, sondern dass sich die Gespräche zwischen Maduro und dem Parlament darauf beschränken, die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung mit demokratischen Präsidentschaftswahlen zu ermöglichen. Ich würde mir wünschen, dass die Außenminister der Europäischen Union in diesem Sinne die Unterstützung in Bukarest einmütig signalisieren. Herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Ulrich Lechte für die FDP. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste! Als ich letzte Woche davon gehört hatte, dass Donald Trump den venezolanischen Parlamentspräsidenten Juan Guaidó als Interimspräsidenten des Landes anerkannt hat, war mein erster Gedanke: Ehrlich gesagt ist das wieder einmal eine weitere Schnapsidee von unserem Präsidenten aus dem Weißen Haus in Washington; denn so etwas passt genau in die Propaganda von Nicolás Maduro. Dieser lenkt gerne von seinen eigenen Fehlern ab, indem er sich als Opfer der US-amerikanischen Einmischung darstellt. Daher nützt die Anerkennung durch die USA Juan Guaidó nicht, sondern schadet ihm eher. – Das war mein erster spontaner Gedanke. Aber dann habe ich bei genauerer Betrachtung festgestellt: Mensch, dieser Donald Trump macht zwar häufig absurde Schachzüge, aber in diesem Punkt hat er durchaus recht. Warum? Die Präsidentschaftswahlen im Mai 2018 – das haben wir jetzt schon mehrfach gehört – waren eine Farce: Die demokratische Opposition wurde eingeschüchtert, es gab Verhaftungen, Oppositionelle wurden dazu gezwungen, nicht für die Präsidentschaftskandidatur anzutreten. Einer ist in der Geheimdiensthaft sogar gestorben. ({0}) – Ja, das mag alles sein. ({1}) Da habt ihr eine andere Meinung als wir, aber ich kann einfach darauf eingehen, wie ich das sehe. Ich bin hier ja nicht für die Linken am Podium, sondern für die FDP. Wir als deutsche Politik haben daraus wieder einmal keine Konsequenzen gezogen. Wir haben das einfach zur Kenntnis genommen und haben alles laufen lassen. Wir wissen: Venezuela ist superreich. 11 Milliarden Euro stammen alleine aus den Einnahmen vom Öl. Damit betragen übrigens alleine die Öleinnahmen mehr als das Doppelte des gesamten Bruttoinlandsprodukts von Kolumbien. Stattdessen hat Donald Trump jetzt gehandelt, und wir hatten wieder nur die Möglichkeit, darauf zu reagieren, wie leider so oft auf die Politik der letzten Monate und Jahre, die aus Washington kommt. Aus unserer Sicht ist der Schritt richtig, und wir als FDP-Fraktion – der Bundestag wird dem nicht ganz folgen – sollten die Regierung eigentlich auffordern, schnellstmöglich diesen Schritt zu unterstützen. Ich weiß, dass eine Regierung natürlich erst einmal diplomatisch vorgehen muss, aber zwei Tage abzuwarten – was wir zur Kenntnis nehmen mussten –, bis die Regierung eine Position hatte, fand ich nach so einem Schritt ziemlich lange, um es vorsichtig auszudrücken. Man muss schneller reagieren und schneller handeln. Wir haben jetzt noch eine Woche mehr Zeit – Gott sei Dank in Absprache mit unseren europäischen Partnern; das fand ich hervorragend. Das wollten wir vor dem Hintergrund unseres Sitzes im Sicherheitsrat auch so erreichen. Ich finde es schade, dass Sie vor mir gesprochen haben, Herr Bundesminister, weil ich gerne gewusst hätte, was es so Dringendes im Terminkalender gegeben hat, weshalb Sie im Sicherheitsrat bei der entscheidenden Sitzung zu Venezuela am zweiten Tag nicht persönlich dabei waren. Aber da ich Ihren Kalender nicht kenne, gehe ich davon aus, dass es ein hochdringlicher, wichtiger Termin gewesen ist. Es ist aus unserer Sicht sehr bedauerlich, dass die USA im Alleingang vorgeprescht sind und uns Partner erneut kalt erwischt haben. Wir müssen dringend, auch von unserer Seite, den Dialog mit den USA wieder viel stärker in den Vordergrund rücken. Auch Sie, Herr Minister, sollten viel häufiger nach Washington reisen und auch den Außenminister der USA einladen, nach Deutschland zu kommen; denn mit dem derzeitigen amerikanischen Botschafter in Deutschland zu sprechen, ist auch nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Wir sind dafür, die Kräfte in Venezuela, die für Demokratie stehen, zu unterstützen. Das Einzige, was in Venezuela derzeit noch demokratisch gewählt ist, ist das Parlament, bevor Maduro dort richtig den Sack zugemacht hat. Die verfassungsgebende Versammlung – das hat der Kollege Hardt schon völlig richtig angemerkt – ist eine Versammlung, die man eingesetzt hat, um das Parlament übergehen zu können. Das ist alles – so leid es mir tut, das sagen zu müssen – sozialistische Diktatur, die sich dort eingerichtet hat. Wir als Deutschland und vor allem mit unserer Geschichte müssen alles dafür tun, dass die Bürger Venezuelas wieder in Freiheit und Frieden und entsprechend den demokratischen Werten leben können. Maduro ist dafür die falsche Antwort. Herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Abgeordnete Jan Korte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! CDU/CSU und SPD wollen sich heute starkmachen für Demokratie, Rechtsstaat und freie Wahlen in Venezuela. Das finden wir prinzipiell natürlich eine gute Sache; das finden wir immer eine gute Sache. Ich habe allerdings, Herr Außenminister, das Gefühl, dass es Ihnen darum nicht wirklich geht. Wir wollen versuchen, das ein wenig einzuordnen. Gibt es eigentlich von Ihnen in der nächsten Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zum Thema „Demokratie in Saudi-Arabien“? Dort gibt es gar keine Wahlen. ({0}) Welchen Alternativpräsidenten unterstützen Sie eigentlich in Ägypten und der Türkei? ({1}) Wen unterstützen Sie dort? Wenn wir schon bei Ägypten sind. Bei Amnesty International kann man lesen: 60 000 politische Gefangene, Folter – die Menschenrechtssituation ist wohl so schlimm wie noch nie. ({2}) Präsident el-Sisi ist ja ein gerngesehener Staatsgast in Deutschland. Vom 2. bis 4. Februar fährt Wirtschaftsminister Altmaier nach Ägypten. Ich frage – wenn diese Logik wahr ist, wenn sie authentisch wäre –: Gibt es eigentlich für Ägypten ein Ultimatum, das besagt, dass innerhalb von acht Tagen die Demokratie hergestellt werden muss, ansonsten gibt es keine Fregatte im Wert von 500 Millionen Euro? Oder was ist los? ({3}) Wenn wir schon dabei sind; man muss das ja einordnen: Fanden Sie eigentlich, dass es in der Türkei, ({4}) wo Herr Demirtas während des Wahlkampfs im Knast saß, freie Wahlen gab? All das ist Ihnen keine Aktuelle Stunde wert; deswegen muss es erlaubt sein, dies einmal zu hinterfragen. ({5}) Die Situation in Venezuela ist katastrophal. Wir fühlen mit den Menschen, die flüchten. Wir kritisieren die Einschränkung demokratischer Rechte und die Verhaftung von Journalistinnen und Journalisten ({6}) und rufen alle Seiten auf, die Gewalt zu beenden. ({7}) Im Übrigen unterstützt Die Linke grundsätzlich soziale Proteste. Es gab in der Tat – das ist zu Recht gesagt worden – mehr als berechtigte Kritik an den letzten Wahlen von Präsident Maduro; auch wir sehen das kritisch. ({8}) Eines müssen Sie sich schon einmal fragen: Wenn das so ist – da sind wir einer Meinung –, dass diese Wahl, demokratisch gesehen, sehr zu kritisieren gewesen ist, wie kann man dann auf die Idee kommen, gleichzeitig jemanden als Präsidenten anzuerkennen, der sich selbst dazu erklärt hat? Das ist eine irre Logik – um das einmal klar zu sagen. ({9}) Ich möchte noch etwas sagen: Einen Putschversuch zu verurteilen – was dringend notwendig ist –, bedeutet noch lange nicht, dass man die amtierende Regierung, gegen die geputscht wird, gut findet oder unterstützt. ({10}) Diese Argumentation ist Unsinn! ({11}) Ich würde mir wünschen – diese Chance haben Sie, Herr Außenminister, leider verpasst –, dass sich die Bundesregierung, die Bundesrepublik Deutschland an die Seite von Mexiko und Uruguay stellt, die auf Dialog, Vermittlung und die Beendigung der Gewalt dringen. Das wäre der richtige Schritt gewesen. ({12}) Aber was tun die Bundesregierung und der übrigens sonst ganz standpunktfreie Außenminister in dieser Frage? Sie spalten Europa und stellen ein Acht-Tage-Ultimatum. Und wenn innerhalb dieser Zeit die Bedingungen nicht erfüllt werden, dann stellen sie sich auf die Seite des Mauerbauers Trump und des Faschisten Bolsonaro. ({13}) Das kann doch nicht allen Ernstes eine vernünftige Haltung sein. ({14}) Um das einmal einzuordnen: Wir wissen seit den ganzen Kriegen – Afghanistan, Jugoslawien und viele andere mehr –, dass immer, wenn über Menschenrechte gesprochen wird, es leider meistens nicht um Menschenrechte geht. ({15}) Ich möchte die grüne ehemalige Präsidentschaftskandidatin der USA Jill Stein zitieren. Sie sagt – ich zitiere –: Die USA haben rechte Putsche seit hundert Jahren rauf und runter in Lateinamerika unterstützt. Nicht einer führte zu Demokratie. Alle waren dazu da, die globale Elite zu bereichern. Aber wir sollen glauben, dass es diesmal, ausgerechnet in Venezuela, das die weltweit größten Erdölreserven hat, anders sein soll. – Das ist die Wahrheit und der Hintergrund des Agierens der USA, und dem muss man sich entziehen. ({16}) Das ist der Kern der Auseinandersetzung. Vielleicht sollte Cem Özdemir mit den Grünen in den USA einmal sprechen und nicht so süchtig nach dem Applaus der CDU/CSU sein. ({17}) Ich glaube, diese Bundesregierung muss mit aller Entschiedenheit gegen eine US-Militärintervention aufstehen. Die Zeit von den USA geführten Putschen muss ein für alle Mal vorbei sein. ({18}) Stellen Sie sich auf die Seite von Mexiko und Uruguay.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das ist der richtige Weg. Einen Hinweis gebe ich Ihnen noch: Wenn man sich am Ende, nach allen Debatten, auf der Seite von Trump und Bolsonaro wiederfindet, dann stimmt der Kompass ganz grundsätzlich nicht. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zurück zu Venezuela. ({0}) Ich will eine Zahl wiederholen, die der Herr Außenminister eben genannt hat: Allein in der letzten Woche gab es 40 Getötete bei Protesten und 850 Verhaftete. Unter Maduro hat Gewalt System, vor allem in den letzten zwei Jahren. Die Menschen leiden, 90 Prozent leben mittlerweile unterhalb der Armutsgrenze, und das im traditionell reichsten Land Lateinamerikas. 3 Millionen Menschen sind mittlerweile geflohen, das hat immense Auswirkungen auf die Region. Der Friedensprozess und die humanitäre Situation in Kolumbien leiden darunter massiv. Was mir gerade ein wenig gegen den Strich geht, ist: Man kann Chávez gut finden, man kann ­Chávez schlecht finden, Maduro ist aber nicht Chávez. Ganz viele Chavisten schlagen schon länger die Hände über dem Kopf zusammen wegen Maduro und der mafiösen Kleptokratie, die er dort eingeführt hat, und der Art und Weise, wie er den Chavismus abgewickelt hat. ({1}) Ganz viele von ihnen sitzen seinetwegen im Gefängnis. Deshalb ist es nicht links, wenn man Maduro unterstützt. ({2}) Es ist überhaupt keine Frage, dass Trump und Bolsonaro keine Autoritäten für Moral oder Menschenrechte sind. Das abstruse und massiv destruktive Drohen mit einer militärischen Intervention lehnen wir komplett ab, weil es die Situation übelst verschlechtern würde. Das delegitimiert aber nicht die Zivilgesellschaft, die für Menschenrechte und Menschenwürde in Venezuela auf die Straße geht. Über diese Menschen müssen wir auch sprechen. ({3}) Ja, wir sind gegen jegliche Art von Einmischung, vor allem der Amerikaner, die in Lateinamerika in den letzten Jahrzehnten ganz, ganz viel kaputtgemacht haben. Aber es ist nicht redlich, das zu benennen und gleichzeitig nicht darüber zu reden, dass es 46 000 kubanische Agenten gibt, die das Maduro-System gerade stabilisieren, dass China versucht, mit Geld Maduro und nicht Venezuela zu stabilisieren, dass Russland der zweitgrößte Geldgeber ist und dass es in den letzten Tagen Berichte gegeben hat, dass russische Milizen nach Venezuela geflogen sind, um auf der Seite von Maduro zu stehen. Auch das ist Einmischung, auch das gehört verurteilt. Das hat Jan Korte hier aber leider nicht erwähnt. ({4}) Dazu gehört auch, dass die Krise in Venezuela spätestens damit beginnt, dass das Parlament – ein legitim gewähltes Parlament – einfach ausgehebelt werden sollte. Ja, es ist richtig und diskussionswürdig, jetzt über Artikel 233 zu reden. Dort steht faktisch – das hat Jürgen Hardt gerade gesagt –, dass, wenn es keinen Präsidenten gibt, sich der Parlamentspräsident interimsweise zum Präsidenten ernennen kann. In Artikel 233 steht genauso – das zu berücksichtigen, fehlt mir vonseiten der Bundesregierung –, dass sich der Interimspräsident innerhalb von 30 Tagen wählen lassen muss, um legitim zu sein. Genau das muss jetzt erwähnt werden. Wir können nicht auf der einen Seite sagen: „Maduro muss weg“ – was ich teile – und gleichzeitig keine Bedingungen für einen Interimspräsidenten aufstellen, damit er nicht auf die Idee kommt, er könne legitim im Amt bleiben, weil es Unterstützung von der falschen Seite gibt. Diese Bedingungen müssen jetzt genannt werden. ({5}) Ich glaube, es gibt drei zentrale Fragen in den nächsten Tagen gerade an die Europäische Union, die bei der Frage: „Wie legen wir eigentlich die Verfassung von Venezuela aus?“, nicht vergessen werden sollten. Erstens: Gibt es die Möglichkeit, dass unter Maduro oder auch nach Maduro Institutionen existieren, die eine faire und freie Wahl ermöglichen? Der Austausch des Personals, alles, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, lässt ganz viele Zweifel darüber entstehen. Die Frage, wie man überhaupt zu Wahlen kommt, die auch diese Bezeichnung verdienen, ist eine zentrale Frage. Die zweite Frage ist: Wie kann verhindert werden, dass die Armee jetzt nicht komplett aufgespaltet wird? Denn das wäre der erste massive Schritt nicht nur zu Gewaltausübung, sondern zu einer Eskalation und sogar zu einem Bürgerkrieg. Wenn Teile der Armee auf der Seite des einen Kandidaten und Teile der Armee auf der Seite des anderen Kandidaten stehen, dann wird das ganz, ganz heftig und feurig. Das darf nicht sein. Drittens – das bleibt das Wichtigste und in allen Debatten, die wir führen, sollte das im Mittelpunkt stehen und nicht zu kurz kommen, weder in der Rhetorik noch im Ton –: Das Wichtigste ist, dass die humanitäre Situation in Venezuela und in den Nachbarstaaten verbessert wird. Das sollte nicht untergehen. Und ich wünsche mir, dass die Europäische Union das in all den Statements an den Anfang stellt; denn die Hilfe für die Menschen, dass sie zu einem Leben in Frieden und Würde zurückkehren können und nicht permanent von Hunger, Krieg und Gewalt bedroht sind, ist das Ziel. Das ist das Wichtigste, was wir miteinander anstreben müssen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Nouripour. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion die Kollegin Yasmin Fahimi. ({0})

Yasmin Fahimi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004713, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Lage in Venezuela geht – das wird in diesen Tagen und Wochen mehr als deutlich – über eine lokale Krise hinaus. Sie hat eine internationale Dimension in vielerlei Hinsicht. Ja, es ist richtig: Die schnelle Anerkennung von Guaidó als Präsident Venezuelas durch die USA, Brasilien und Kolumbien lässt vermuten, dass es dabei nicht unbedingt um die Sorge um die Menschenrechte, sondern um andere innenpolitische Interessen geht, dass hier eine Instrumentalisierung stattfindet – Stichwort: Brasilien – und es eigentlich darum geht, so zu tun, als gebe es in Lateinamerika nur zwei Optionen: entweder den linken Staatsruin eines Regimes wie in Venezuela oder aber eine autokratische Alleinherrschaft wie den Rechtspopulismus in Brasilien. Was fangen wir damit an? Sollen wir uns jetzt auf die eine oder die andere Seite schlagen? Das kann doch wohl nicht unsere Antwort sein. Vielmehr muss die deutsche Rolle doch sein, klar zu sagen, dass wir hier nicht Interessen Dritter hinterherlaufen, sondern dass wir den Dialog und freie Wahlen sicherstellen wollen. ({0}) Deswegen ist es natürlich notwendig, sich anzuschauen, welche anderen internationalen Interessen gegebenenfalls bestehen. Ja, es stimmt: Das Verhalten der USA ist bigott; denn 40 Prozent des venezolanischen Rohöls wird in die USA exportiert. So zu tun, als ob sich die USA hier quasi allein für die Menschenrechte engagieren, ist wenig glaubwürdig. Genauso reflexartig aber antworten auch Russland und China. Wenn wir etwas aus den Konflikten der Vergangenheit und dem Versuch, solche Konflikte zu trivialisieren, gelernt haben, dann ist es doch die Tatsache, dass wir diesem Schwarz-weiß-Spiel nicht folgen dürfen. Es ist doch klar, dass wir alle Parteien an einen Tisch bringen müssen und eben nicht voreilig eine Entscheidung darüber, wer hier gut oder böse spielt, treffen dürfen. ({1}) Vielmehr müssen wir mit Besonnenheit als Partner Dialoge unterstützen. Ich muss schon sagen, dass ich nicht nachvollziehen kann, warum es beiden Seiten dieses Parlaments so schwerfällt, das zu sehen. Einen Dialog zu unterstützen, heißt natürlich auch, schonungslos aufzudecken, dass Maduro ganz offensichtlich weder für eine demokratische noch für eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft Venezuelas steht. ({2}) Das ist doch eindeutig. Kein Zweifel: Maduro hat eine schwere humanitäre, wirtschaftliche und demokratische Krisenlage verursacht. Das zeigt die Migrationswelle; das zeigt eine Inflationsrate von 1,7 Millionen Euro. ({3}) Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Es liegt daher nicht an uns, zu entscheiden, ob Guaidó der neue Hoffnungsträger ist. ({4}) Es liegt an der venezolanischen Bevölkerung, die das in freien Wahlen zu entscheiden hat. ({5}) Und wer steht für diese freien Wahlen? Insofern ist ­Guaidó natürlich ein Hoffnungsträger, weil mit ihm eine Option und eine Chance verbunden ist, dass solche Wahlen stattfinden. ({6}) Denn er hat sich nicht allgemein zum Präsidenten, sondern zum Interimspräsidenten erklärt, der nach der Verfassung Venezuelas genau diesen Auftrag hat, nämlich freie Wahlen sicherzustellen. Das ist unsere Erwartungshaltung an ihn. ({7}) Um nicht nur sozusagen Anforderungen zu beschreiben, können wir sagen: Wir wollen diesen Dialog unterstützen, und zwar einen Dialog, bei dem alle Parteien an einen Tisch kommen. Das gilt natürlich auch für die Anhänger des Chavismus. Es geht darum, vor allem sicherzustellen, dass mit Blick auf die Verfassung ein tatsächlicher Vermittlungsprozess stattfindet, dass ein humanitärer Kanal endlich geöffnet wird und es eine institutionelle Neuordnung gibt. Deswegen ist es, finde ich, unsere Rolle, vor allem die Partner in Lateinamerika zu unterstützen. Das gilt für Mexiko und Uruguay. Wir wünschen uns, dass dieser Konflikt innerhalb Lateinamerikas tatsächlich einen eigenen Weg des Friedens, der Freiheit und der Demokratie findet. ({8}) Lateinamerika ist weder der Praktikant auf der Weltbühne noch der Hinterhof der USA. Deswegen müssen wir Lateinamerika unterstützen; denn wir brauchen die Partner in Lateinamerika auch als Freunde in der Welt, die auf die Gesellschaftsordnung des Ausgleichs, des Dialogs und der Freiheit setzen. Wir wollen Partner in der Welt, die auf internationale Kooperation und Standards setzen. Deswegen müssen wir unsere Bemühungen darauf richten, Lateinamerika auf diesem Friedensweg zu unterstützen. Die Prämisse für die deutsche Rolle ist Besonnenheit und die ausgestreckte Hand. Dann gilt mit den Wahlen in Venezuela hoffentlich bald: La democracia avance! Vielen Dank. ({9})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin Fahimi. – Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Dr. Lothar Maier. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Zeugen einer Tragödie, die sich in Venezuela abspielt und schon etliche Jahre andauert, die sich nun so zuspitzt, dass sogar von der Gefahr eines Bürgerkriegs die Rede ist. Ausgerechnet eine Regierung, die sich auf Simon Bolivar beruft, hat es geschafft, eine zuvor prosperierende Nation so an die Wand zu fahren, dass sie auch in vielen Jahren besserer Regierung nicht wiederherzustellen ist. Das Land ist seit Jahren außerstande, sich selbst zu ernähren. Selbst das Grundnahrungsmittel, der Mais für die Arepas – sie haben die gleiche Bedeutung wie die Tortillas in Mexiko –, muss importiert werden. Die Agrarwirtschaft ist vernichtet. Wenn Sie früher von Caracas in geringer Flughöhe nach Süden geflogen sind, dann sahen Sie gigantische kreisförmige Felder, bewässert von sich wie im Uhrzeigersinn bewegenden Bewässerungsanlagen. Das existiert alles nicht mehr. Das ist stillgelegt. Die Preise, die die Regierung für die Produkte, die dort erzeugt wurden, zulässt, erlauben den Betrieb nicht mehr. Die Privatindustrie, soweit sie existiert hat, ist weitestgehend vernichtet. Es hat ja niemand mehr Geld, um etwas zu kaufen. Auch der Tourismus ist zusammengebrochen. Vor allem: Das Land entleert sich. Die Zahl der Venezolaner, die nach Kolumbien geflüchtet sind, hat die Millionengrenze längst überschritten. Eine große Zahl von Venezolanern hat in anderen südamerikanischen Staaten Zuflucht gesucht. ({0}) Sie haben auf diese Weise bereits eine internationale Dimension des Konfliktes hergestellt. Kolumbien ist in den Grenzprovinzen zu Venezuela destabilisiert. Die kolumbianische Guerilla hat dort für ihre Zwecke venezolanische Flüchtlinge rekrutiert. Der Drogenhandel hat sich enorm ausgeweitet. Das Land hat sich in ganz Südamerika weitgehend isoliert. Worin kann denn nun die Hoffnung auf eine Besserung bestehen? Manche sagen, wir hoffen, dass das Militär die Regierung Maduro stürzt – oder auch das Gegenteil davon. Warum soll einer von diesen vielen venezolanischen Generälen, die der Kollege Hardt erwähnt hat, denn eine andere Haltung einnehmen als jetzt? Ein venezolanischer General verdient im Monat – halten Sie sich fest! –: 20 000 Dollar. Das Militär ist gekauft, der Geheimdienst ist gekauft. Und das sind nicht die einzigen Kräfte, für die das gilt. Es gibt die reguläre Polizei, und es gibt die sogenannten bolivarianischen Milizen, die viel wichtiger sind und dort Terror machen. Es gibt viele Angehörige der früheren Mittelschicht, auch des Proletariats, die üppig aus den Öleinnahmen beschenkt worden sind: Der Präsident schenkt mir eine Wohnung. – Das war einer der Hauptpropagandatitel des Regimes. Es sind Zehntausende Wohnungen an Anhänger der Revolution verschenkt worden, in denen jetzt Hunderttausende wohnen. Sie sind natürlich Par­teigänger des Regimes – zumindest solange sie in ihren Wohnungen sitzen und noch etwas zu beißen haben; aber auch das wird nicht mehr sicher sein. Nun erklärt unser Außenminister, wir seien nicht neutral in dieser Frage. Nur: Wenn man nicht neutral ist, dann muss man intervenieren. Aber worin könnte denn die Intervention bestehen? Der Handel zwischen unseren beiden Ländern ist viel zu gering ausgeprägt, als dass er sich als Druckmittel eignen würde. Um Konten von irgendwelchen Politikern zu beschlagnahmen, fehlt wahrscheinlich die Rechtsgrundlage. Und Gott sei Dank müssen wir über eine militärische Intervention erst gar nicht nachdenken. Wir hätten schon gar nicht die Transportmittel, um ein paar Soldaten dort hinzuschaffen. ({1}) Die deutsche Diplomatie hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Es ist ihr noch nicht einmal geglückt, den wahrscheinlich unrechtmäßig verhafteten deutschen Journalisten Billy Six wieder freizubekommen. ({2}) Eine systematische Abstimmung von irgendwelchen Aktionen mit den USA hat nicht stattgefunden. Ich kann auch nicht erkennen, dass das mit den südamerikanischen, Venezuela gegenüber kritisch eingestellten Regierungen geschehen wäre. Herr Minister, Sie sollten uns schon besser erklären, was es heißt, nicht neutral zu sein. ({3}) Welche Mittel haben Sie in Wirklichkeit zur Verfügung außer bloßen Appellen? Der bloße Appell genügt nicht. ({4}) Herr Minister – der Minister ist noch da; er war gerade nicht zu sehen, ich dachte, er hätte sich schon aus dem Raum entfernt –, ({5}) ich würde schon gerne wissen: Welche Mittel haben Sie, außer Appelle an Ihre Verbündeten oder an die lateinamerikanischen Regierungen zu richten? Ich kann nichts erkennen, was Sie tun könnten. Danke schön. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Andreas Nick.

Dr. Andreas Nick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004362, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister sitzt auf der Regierungsbank. Ich kann ihn jedenfalls erkennen. Ich weiß nicht, was da alles noch vernebelt ist außer der politischen Sichtweise; aber er ist jedenfalls hier. ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, seit Jahren verfolgen wir die Entwicklung in Venezuela mit großer Sorge. Was als Wirtschaftskrise begann, hat sich zu einer humanitären Versorgungskrise schlimmsten Ausmaßes ausgewachsen. In einem eigentlich reichen Land leidet die Bevölkerung unter einem katastrophalen Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten. Mit einschneidenden Folgen: Drei von vier Venezolanern haben im letzten Jahr circa 8 Kilogramm Körpergewicht verloren. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte ist um ein Drittel angestiegen. Lassen Sie mich in aller Klarheit sagen: Der sogenannte Sozialismus des 21. Jahrhunderts der Herren ­Chávez und Maduro ist genauso gescheitert wie der Sozialismus des 20. Jahrhunderts. ({1}) Außer den Vertretern der Linkspartei dürfte das auch kaum jemanden in diesem Hause wirklich überraschen. ({2}) Aus einer politischen Krise hat sich eine veritable Verfassungskrise entwickelt. Bei der Parlamentswahl im Dezember 2015 hat das Oppositionsbündnis Mesa de la Unidad Democrática zwei Drittel der Stimmen erhalten. Staatschef Maduro hat das Parlament daraufhin per Dekret entmachtet. Mithilfe des Obersten Gerichtshofs sollte die letzte demokratisch gewählte Institution durch eine handverlesene sogenannte „Verfassungsgebende Versammlung“ ersetzt werden. Das Volk hat das Vertrauen des Maduro-Regimes also verscherzt, möchte man mit Bertolt Brecht sagen und schlussfolgern: „Wäre es da nicht einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Das kennen Sie von der Linken ja aus Ihrer Parteigeschichte von 1953. ({3}) Die sogenannte Wiederwahl Maduros im Mai 2018 wurde weder vom venezolanischen Parlament noch international anerkannt, auch nicht von Deutschland und der Europäischen Union. Die Nationalversammlung ist damit die einzige demokratisch legitimierte Institution im Staat. Die Proklamation von Juan Guaidó zum Interimsstaatsoberhaupt erfolgte somit auch im Einklang mit Artikel 233 der venezolanischen Verfassung. Aber die Abstimmung der Menschen in Venezuela hat längst begonnen – und zwar mit den Füßen. Auch wenn es bei uns zu wenig Aufmerksamkeit erfährt: Das Land erlebt seit mehreren Jahren einen Exodus, der alles bisher in Lateinamerika Gekannte übertrifft. Über 3 Millionen Menschen, circa 10 Prozent der Bevölkerung, haben das Land in den letzten Jahren in Richtung der Nachbarländer verlassen: 1 Million nach Kolumbien, 500 000 nach Peru, über 200 000 nach Ecuador, über 100 000 nach Chile und Argentinien und fast 100 000 nach Brasilien. Die Krise in Venezuela droht damit die gesamte Region zu destabilisieren. Deshalb gibt es ja dort auch entsprechende Initiativen. Im August 2017 – Frau Fahimi, da war übrigens von Herrn Bolsonaro noch überhaupt keine Rede – hat sich die Lima Group aus 14 Staaten kon­stituiert, die den Zusammenbruch der demokratischen Ordnung in Venezuela verurteilt, die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert und humanitäre Hilfe angeboten hat. Auch die Mitgliedschaft Venezuelas im Mercosur wurde wegen des „Bruchs der demokratischen Ordnung“ suspendiert, und die OAS hat im Juni 2018 nicht nur das Verfahren der Präsidentschaftswahl verurteilt, sondern auch Zugang für humanitäre Hilfe und einen „nationalen Dialog“ gefordert. Meine Damen und Herren, diese regionale Zusammenarbeit in Lateinamerika und die diplomatischen Initiativen zur Krisenbewältigung in der Region verdienen unsere volle Unterstützung – heute und auch in Zukunft. ({4}) Was können wir in der jetzigen Situation zur Lösung der Krise beitragen? Zunächst gilt es, den politischen Druck auf Maduro aufrechtzuerhalten und die demokratischen Kräfte weiter zu unterstützen. Die Bundesregierung und einige Staaten – der Außenminister hat es angesprochen – haben ja eine Frist zur Einberufung von freien und geheimen Wahlen gesetzt, nach internationalen Regeln und unter internationaler Aufsicht. Die persönliche Sicherheit der demokratisch legitimierten Vertreter der Nationalversammlung muss gewährleistet sein. Arbeit und Beschlüsse des Parlaments zur Wiederherstellung der Demokratie müssen anerkannt werden, und es bedarf eines ernsthaften Dialogs zum Wiederaufbau demokratischer Strukturen. Dabei können auch unsere politischen Stiftungen vor Ort umfassend unterstützen. Juan Guaidó war ja im vergangenen Jahr auf Einladung der Konrad-­Adenauer-Stiftung hier in Berlin; Jürgen Hardt hat es angesprochen. Diese Zusammenarbeit können wir weiter intensivieren. Aber am vordringlichsten ist mit Blick auf die für heute und Samstag angekündigten Massendemonstrationen, dass es zu keiner weiteren Eskalation der Gewalt in Venezuela kommt. Im 70. Jahr unserer freiheitlichen Demokratie und 30 Jahre nach der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR ist unser Platz heute auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger Venezuelas. Vielen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Kollege Dr. Nick. – Als Nächster spricht zu uns der Kollege Frank Schwabe, SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! In der Tat: Es ist eine äußerst diffizile Lage, mit der wir es zu tun haben, auf der einen Seite die beschriebene schlimme humanitäre Lage für große Teile der Bevölkerung und die Destabilisierung der Region, die damit verbunden ist, und auf der anderen Seite müssen wir sehen, dass wir freie Wahlen respektieren und auch nur den Eindruck vermeiden, dass von außen Veränderungen im Land vorgenommen werden, die nichts mit demokratischen Entscheidungen zu tun haben. Deswegen unterstütze ich alles das, was hier an Kritik geübt wurde in Richtung von Putschen, die es in der Vergangenheit Lateinamerikas gegeben hat und die unglückselig waren. Wir müssen sagen, dass es gut ist, dass sich die Länder Lateinamerikas – größtenteils jedenfalls – mehr oder weniger zu relativ stabilen demokratischen Ländern entwickelt haben. Insofern besorgt es mich, wenn ich Notizen sehe, ob bewusst oder unbewusst, in denen zumindest mit Militärinterventionen gedroht wird. ({0}) – Vielen Dank für den Beifall. Aber gleich kommt noch etwas anderes. Ob dann auch applaudiert wird, können wir gleich prüfen. Klar ist aber auch, dass die Auswirkungen der Politik Maduros auf das Land selbst und auf die Region so gravierend und die Verstöße gegen demokratische Grundsätze so augenfällig sind, dass internationales Handeln geboten ist. Man muss sich nur internationale Institutionen anschauen, die sich um Menschenrechte und um Antikorruption verdient machen und die, glaube ich, nicht der Regimeschelte verdächtig sind. Nehmen Sie Amnesty International. Amnesty International spricht von einer Epidemie der Gewalt und beschreibt 8 290 außergerichtliche Exekutionen von 2015 bis 2017, davon fast ein Viertel von Mitgliedern der Sicherheitskräfte Maduros ausgeübt. Das zum Thema Zivilgesellschaft. Fast 2 000 außergerichtlich ermordete Menschen durch Maduros Schergen zwischen 2015 und 2017! ({1}) Venezuela ist mittlerweile mit El Salvador und Honduras eines der gefährlichsten Länder der Welt. Die Mordrate liegt bei 89 je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner, was vor allem auch an der leichten Verfügbarkeit von Waffen liegt. 450 000 Milizangehörige sind mittlerweile von Maduro und anderen unter Waffen gesetzt worden. Gestern hat Transparency International den weltweiten Korruptionsindex herausgegeben und den Zusammenhang zwischen der demokratischen Entwicklung und Korruption unterstrichen. Venezuela ist auf Platz 168 von 180. Das Land ist in der Tat heruntergewirtschaftet – der Außenminister hat es gesagt – und von einem der wohlhabendsten Länder Lateinamerikas mit natürlich sehr ungleicher sozialer Verteilung zu einem wirklichen Kata­strophenfall geworden mit 3 Millionen Menschen, die das Land verlassen haben, davon mehr als 2 Millionen Menschen erst in jüngster Zeit. Viele davon sind in Kolumbien, einem Land mit 6 Millionen Binnenvertriebenen. Wir Deutsche unterstützen die internationalen Bemühungen, die wirklich mühsam sind, stark. Wir haben Sonderbotschafter Tom Koenigs dort, um das Ganze entsprechend zu stabilisieren. Wir müssen alles tun, um mit bestehender und weiterer humanitärer Hilfe eine Destabilisierung Kolumbiens zu verhindern und den Venezolanern zu helfen, die mittlerweile in Ecuador, in Kolumbien und der Region auch Anfeindungen ausgesetzt sind. Trotzdem muss man sagen: Vielen herzlichen Dank den Ländern in der Umgebung, die die Last tragen, 3 Millionen Menschen aufzunehmen. Schon deshalb ist es eine Angelegenheit internationaler Politik, sich um diese Frage zu kümmern. Es ist richtig, dass die Europäische Union gemeinsam handelt und Deutschland sich dabei konstruktiv einbringt. Es geht nicht um einen Regimewechsel; es geht darum, demokratische Grundsätze wiederherzustellen. Ich will noch mal sagen: Ich finde es elegant gelöst, dass Jan Korte heute für die Linksfraktion gesprochen hat. Bisher sprachen andere, zum Beispiel Heike Hänsel. Ich habe noch mal nachgesehen, was sie am 28. Mai 2018 geschrieben hat. Es gibt ein Interview; auf der Seite von Frau Hänsel nachzulesen. Ich weiß nicht, wer dieses Interview geführt hat. Dort äußern sich Frau Hänsel und der Wahlbeobachter Michel Brandt über die Wahl von Maduro. Jan Korte hat gerade gesagt, dass sie nicht den demokratischen Grundsätzen entspricht. Frau Hänsel hat gesagt, die Wahl sei transparent verlaufen. Michel Brandt hat gesagt: Am Wahltag haben wir verschiedene Vorwürfe der Opposition überprüft und konnten sie nicht bestätigen. (Michel Brandt [DIE LINKE]: Haben Sie andere Erkenntnisse vom Wahltag?) In Wahrheit ist es so, dass sie diese Wahl reingewaschen haben, die unter keinerlei demokratischen internationalen Grundsätzen stattgefunden hat. ({2}) Ich habe gerade im Menschenrechtsausschuss gesagt: Ich erwarte von allen, dass wir Menschenrechtsfragen nach Menschenrechtsfragen beurteilen und nicht nach politischem Gusto, danach, ob es uns politisch in den Kram passt oder nicht. ({3}) Das erwarte ich von der Linksfraktion wie von allen anderen in diesem Hause. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal: Wir wollen keinen gewaltsamen Regimewechsel. Wenn man Maduro in die Hände spielen will, dann muss man eine Intervention von außen durchspielen. Das bringt das Gegenteil von dem, was man eigentlich will. Wir drängen darauf, dass es freie demokratische Wahlen gibt, auch gerne unter Vermittlung anderer, auch lateinamerikanischer Staaten. Vielen herzlichen Dank. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. – Als Nächster hat das Wort der Kollege Thomas Erndl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Schnellstmögliche Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“, so lautet der ambitionierte Titel unserer Debatte. Dabei muss man festhalten, dass die demokratischen Strukturen seit Jahren abgebaut worden sind und dass man jetzt an einem Punkt angelangt ist, an dem wir tatsächlich nicht mehr zurückhaltend sein können. Nennen wir es beim Namen: Venezuela ist ein autoritäres Regime, Venezuela ist eine Diktatur mit einer korrupten Führungsebene, in der Menschenrechte seit Jahren mit Füßen getreten werden. Das Land steckt in einer humanitären Krise. Nicht mal die Grundnahrungsmittel sind in ausreichender Menge für die Bevölkerung verfügbar. In Krankenhäusern reichen grundlegende Medikamente nicht. Das wurde hier schon alles dargestellt. Dass Vertreter der Fraktion Die Linke dies alles mit billiger Ablenkung einfach beiseitewischen, die illegitime Führung des Landes verteidigen und das legitime Aufbegehren der Opposition als Putschversuch deklarieren, ({0}) den – ich darf Frau Dağdelen zitieren – „jeder aufrechte Demokrat“ verurteilen müsse, ist für mich eine Verhöhnung von 30 Millionen Menschen in Venezuela. Das ist für mich ein Skandal und zeigt, dass Sie in Ihrer eigenen sozialistischen Vergangenheit immer noch gefangen sind. ({1}) Dass Nichtregierungsorganisationen von Justizwillkür, vielen politischen Gefangenen und außergerichtlichen Hinrichtungen berichten, interessiert Sie halt nicht. In der heutigen Presse wird eine Sozialarbeiterin zitiert. Sie berichtet: Jeder von uns hat einen Freund, der im Gefängnis sitzt oder schon mal misshandelt wurde. Weiter heißt es: Heute sieht man die Unterernährung auf den Straßen und auch Menschen, die sich aus Mülleimern ernähren. Das ist für Sie alles sozusagen legitim. Somit ist verständlich, dass mehr als 3 Millionen – manche sagen: bis zu 5 Millionen – dem Land bereits den Rücken gekehrt haben. 300 000 haben sogar den Weg nach Europa beschritten. Dabei – das haben wir hier auch schon gehört – ist Venezuela eigentlich ein reiches Land. Es ist in der Geschichte jedoch nie gelungen, die breite Bevölkerung richtig daran teilhaben zu lassen. Es ist jetzt notwendig, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Parlamentspräsident Juan Guaidó hat die Opposition geeint – das ist ein erster wichtiger Meilenstein – und einen Plan vorgelegt, der meines Erachtens und meines Wissens am Schluss auch Neuwahlen beinhaltet. Dabei darf ich anmerken, dass das, was in der Diskussion immer als Opposition bezeichnet wird, die Abgeordneten der Nationalversammlung sind, die 2015 bei den letzten Wahlen unter schwierigsten Bedingungen eine überwältigende Mehrheit eingefahren haben und somit legitim die Mehrheit des venezolanischen Volkes repräsentieren. Ich glaube, dass es wichtig ist, dies hier darzustellen. Die Position der Bundesregierung, die der Außenminister hier vorgetragen hat, und der Europäer ist richtig. Ich bin mir sicher, dass sie auch von der Mehrheit dieses Hauses unterstützt wird. Dass die AfD und Sie, Herr Hampel, hier Sand ins Getriebe streuen und lieber Ihren russischen Freunden zuarbeiten, spricht für sich. ({2}) Das Vorgehen der USA mit den Sanktionen und mit dem, was bisher gemacht wurde, ist meines Erachtens richtig und angemessen. Niemand betrachtet die Situation schwarz-weiß. Es muss jetzt und sicherlich auch in Zukunft Handelspartner geben. Das ist auch, wie ich meine, legitim. An den heutigen Meldungen sieht man, dass etwas Dynamik in den Prozess kommt. Allerdings hat man von Herrn Maduro schon oft gesehen, dass es ihm letztendlich um Zeitgewinn und Ablenkung geht. Wenn er davon spricht, Wahlen anzuberaumen, aber damit eine Neuwahl des Parlaments meint und keine Präsidentenwahlen, so ist das leider eine von vielen Nebelkerzen, die uns hier nicht weiterbringen. Die nächsten Tage werden zeigen, wie es weiter verläuft, ob das Regime auf die Sanktionen und den internationalen Druck reagiert. In jedem Fall ist es wichtig, wenn der Machtübergang gelingt, dass wir die jetzigen Maduro-Anhänger und auch die Chavisten mitnehmen. Das ist eine große Herausforderung. Ich denke, die angekündigte Amnestie wäre hier ein erster Schritt. In jedem Fall ist es für die Bevölkerung in Venezuela noch ein langer Weg, den wir als CDU/CSU-Fraktion unterstützen.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei allen Unwägbarkeiten aber ist es gewiss – das wurde auch schon gesagt –: Sowohl der Sozialismus des 20. Jahrhunderts –

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, bitte kommen Sie jetzt zum Schluss.

Thomas Erndl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– als auch der Sozialismus des 21. Jahrhunderts sind gescheitert, haben nur Elend über die Menschen gebracht. Das sollten alle Fraktionen in diesem Hause endlich begreifen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Wenn wir über Ordnung reden, dann sollten wir uns auch an die Ordnung halten, Herr Kollege. ({0}) Sie haben Ihre Redezeit um fast eine Minute überschritten. Als Nächster spricht zu uns der Kollege Dr. Sascha Raabe, SPD-Fraktion. ({1})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man als vorletzter Redner einer Debatte spricht, fällt schon auf, dass es bei den Fraktionen zur Rechten und zur Linken eine bemerkenswerte Übereinstimmung gibt, weil es die einzigen beiden Fraktionen sind, die die klare Positionierung unseres Bundesaußenministers kritisieren. ({0}) Ich knöpfe mir erst mal die AfD vor. Sie fragen: Was ist die Alternative zu Neutralität? – Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidenten unseren ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zitieren – das hilft Ihnen auch in der innenpolitischen Debatte weiter –: „Es zählt nicht die Herkunft, es zählt die Haltung.“ ({1}) Ich sage an dieser Stelle: Ich bin unserem Bundesaußenminister Heiko Maas äußerst dankbar, dass er in dieser Frage frühzeitig Haltung für Freiheit und Demokratie gezeigt hat. ({2}) Wir Sozialdemokraten werden auch in Zukunft – da können Sie schreien, wie Sie wollen – immer klare Haltung gegen Autokraten und Diktatoren zeigen, ({3}) egal ob sie von rechts oder von links kommen, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({4}) Wir stehen an der Seite der unterdrückten und armen Bevölkerung Venezuelas. Ich bin Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und seit 2002 zuständig für Venezuela und Lateinamerika. Ich erinnere mich gut an das Jahr 2004 – damals war Chávez noch Präsident –, als wir die Entwicklungszusammenarbeit haben auslaufen lassen. Wir haben damals in Konzentration unserer Partnerländer gesagt, dass ein Land, das über die höchsten Erdöleinkommen und -reserven der Welt verfügt, Entwicklungszusammenarbeit nicht braucht. Caracas müsste eigentlich wie Dubai aussehen. Die Menschen müssten in Luxus und Wohlstand leben können. Aber – das ist nämlich ein Teil der Wahrheit, der auch von der Linkspartei ausgeblendet wird – die Misere fing ja nicht erst mit Maduro an, sondern gerade in den letzten Jahren des Chavismus hat sich leider das, was hoffnungsvoll begann, sehr schnell gewandelt, auch schon in Richtung Autokratie, Richtung Diktatur. Und ich habe viele Dienstreisen erlebt, wo Kolleginnen und Kollegen von Ihnen mit dem Regime dort nicht etwa einen kritischen Dialog geführt haben, sondern sie sind hofiert worden. Sie haben das Regime im Prinzip unterstützt. ({5}) Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Da habe ich mich manchmal geschämt, wie Sie sich verhalten haben. Wir sind 2006 vom Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nach Venezuela gereist. Ich war der Delegationsleiter. Wir haben uns damals schon die Misiones angeschaut, wo es durchaus Ansätze im Sozialbereich gab, die uns gefallen haben. Trotzdem war es damals schon so – das haben Sie immer ausgeblendet –: Wenn ich als frei gewählter Abgeordneter in Venezuela mal mit Arbeitern, Angestellten oder auch mit kubanischen Ärzten sprechen wollte, dann kam gleich der Mann vom Geheimdienst, von der Regierung, der neben uns stand, und sagte, Fragen zu der sozialen Lage dürfe ich nicht stellen. Als man dann 2006 zurückgefahren ist, hatte man schon ein Gefühl dafür, was sich in diesem Land ereignet hat. Natürlich hat auch das am Ende Maduro den Weg bereitet. Von dieser Warte aus ist es richtig, dass unser Bundesaußenminister die Stimme erhoben hat. Wir erkennen Herrn Juan Guaidó nicht als Präsidenten an – das hat der Herr Bundesaußenminister auch nie gesagt –, aber als Parlamentarier muss man sich doch auf die Seite des Parlamentspräsidenten stellen. ({6}) Dieses Parlament ist rechtswidrig entmachtet worden. Wie weit sind Sie denn in Ihren Ansichten heruntergekommen, dass Sie jetzt lieber einem Diktator Maduro die Stange halten ({7}) als einem demokratisch gewählten Parlamentspräsidenten, der angekündigt hat, dass er nicht Präsident bleiben, sondern Neuwahlen und damit freie Wahlen erreichen will? – Ich denke, das muss unser Ziel sein. Wir setzen mit einer klaren Haltung auf Neuwahlen und freie Wahlen. ({8}) Wir verwehren uns gegen jede militärischen Pläne, die es geben mag. Deshalb stehen wir auch überhaupt nicht auf der Seite von irgendeinem Donald Trump oder irgendwelchen US-Militärs. Aber wir wollen freie und faire Wahlen für Venezuela, und dafür werden wir kämpfen. Dafür werden wir weiter Haltung zeigen. ({9}) Ich möchte an dieser Stelle auch mal den kirchlichen Hilfsorganisationen wie Misereor und unseren politischen Stiftungen danken, die dort immer noch vor Ort sind und die seit Jahren unter schwierigen Bedingungen gute Arbeit leisten, meine sehr verehrten Damen und Herren, ({10}) wie auch unsere Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer. Auch wenn wir auf staatlicher Ebene nicht mehr mit der Regierung zusammenarbeiten können, machen sie auf zivilgesellschaftlicher Ebene eine tolle Arbeit. Die unterstützen wir übrigens auch finanziell, und das werden wir auch weiter machen. Ich hätte mir nie gewünscht, dass Venezuela wieder ein so armes Land wird. Aber wenn demnächst dort eine frei und fair gewählte Regierung an die Macht kommt, dann sollten wir auch überlegen, bilateral einer neuen, demokratischen Regierung zu helfen, dem Land aus Armut und Hunger herauszuhelfen, damit es dort allen Menschen besser geht und die Menschen in Frieden leben können. Deshalb, Herr Bundesaußenminister, haben Sie weiter unsere volle Unterstützung: ({11}) für eine Haltung für Frieden, Demokratie, Menschenrechte, gegen Hunger und Armut, gegen Autokraten und Diktatoren. Dafür stehen wir. Vielen Dank. ({12})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Dr. Raabe. – Als Letzter spricht nun zu uns in der Aktuellen Stunde der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Vielleicht ist es zum Schluss einer solchen Aktuellen Stunde erlaubt, auch einmal ein persönliches Zeugnis vorzutragen. Gestern Abend hat eine junge Venezolanerin, deren Vorvorfahren übrigens vor 157 Jahren aus Gemeinden meines Wahlkreises ausgewandert sind, mir folgende Nachricht geschickt: Es gibt so viele Informationen in den Medien, aber man muss dort – sprich: in Venezuela – leben, um die Realität mit eigenen Augen zu sehen. … weil es keine Garantie für die grundlegenden Menschenrechte wie Ernährung, Gesundheit, Bildung, Sicherheit und – das Wichtigste – Freiheit gibt. Es gibt einfach keinen Respekt für das Leben in Venezuela. Diese korrupte Regierung will nur Macht und Macht. … Niemand kann sich vorstellen, wie schwierig es ist, in einem Land mit der höchsten Inflation der Welt zu leben. Der monatliche Mindestlohn ist 18 000 venezolanische Bolivars – und das kostet ein Eierkarton … Die internationale Gemeinschaft soll sofort etwas tun, damit keine Unschuldigen mehr leiden und sterben. Jede Minute zählt. Ich finde, vor dieser Erwartung gerade auch der jungen Venezolanerinnen und Venezolaner sollten wir Deutschen, wir Europäer und die internationale Staatengemeinschaft nicht kapitulieren. ({0}) Nun ist zu Recht angemerkt worden, dass es zur deutschen und europäischen Aufgabe gehört, zuerst einmal zu vermitteln. ({1}) Übrigens haben in den vergangenen Jahren zahlreiche solcher Vermittlungsversuche stattgefunden, etwa – um nur einige zu nennen – durch den spanischen Ex-Ministerpräsidenten Zapatero und durch den Vatikan. Allesamt gescheitert an der buckelharten Position Maduros! ({2}) Aber Verhandeln und Vermitteln muss aus einem klaren Standpunkt heraus erfolgen. Und unsere Aufgabe ist doch zuallererst mal, auf der Seite des Rechts und der Demokratie zu stehen. ({3}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon mehrmals gesagt worden: Der Parlamentspräsident ist in dieser Situation nach Artikel 233 der venezolanischen Verfassung – einer Verfassung, die übrigens die Chavistas geschrieben und in Kraft gesetzt haben – der amtierende Interimspräsident. Und genau in dieser Funktion hat ihn die Mehrheit der Lima-Staaten – das sind allesamt demokratisch gewählte Regierungen in Lateinamerika – anerkannt. Es ist auch richtig, dass die regionalen Staaten uns in Europa vorangehen. Ich finde, nur von diesem klaren Rechtsstand aus kann man vermitteln. Es wäre schön gewesen, wenn sich alle Fraktionen des Deutschen Bundestages heute zu diesem klaren Bekenntnis zu Recht und Demokratie entschieden hätten. ({4}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, zu Recht ist die humanitäre Katastrophe erwähnt worden, die schon vor einigen Jahren sichtbar war und die heute noch dramatischer ist. Es hat von deutscher und europäischer Seite auch mehrere Angebote und Versuche gegeben, die Regierung Venezuelas dazu zu bewegen, wenigstens einen humanitären Hilfskorridor zu öffnen. Dass eine Regierung organisierte humanitäre Hilfe für die eigene notleidende Bevölkerung ablehnt – bis zum heutigen Tag –, ist eine Schande, und die muss auch so benannt werden. ({5}) Ich bin ein Stück weit persönlich betroffen; denn in meinem Wahlkreis gibt es – ich habe es schon erwähnt – einige Gemeinden, wo vor langer, langer Zeit Auswanderung nach Venezuela stattgefunden hat, aber wo es nach wie vor sehr persönliche Beziehungen gibt. Natürlich wollen die Verwandten über viele Generationen hinweg etwas für diese Leute tun, weil bei ihnen der Jammer durch Briefe, Telefonate und E-Mails ankommt. Dass nicht einmal die private humanitäre Hilfe gestattet wird, ist ein noch größerer Skandal und betrifft auch deutsche Mitbürgerinnen und Mitbürger, die gerne helfen würden, wenn sie könnten. ({6}) Wir sind frei und demokratisch gewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Es ist schon mehrmals erwähnt worden: Aus wirklich echten freien Wahlen hervorgegangen ist das amtierende venezolanische Parlament. Ich denke, die erste Pflicht, die wir als Parlamentarier haben, ist, für unsere Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls frei gewählt sind, klar und deutlich Position zu beziehen. Es muss in der Hand des frei gewählten venezolanischen Parlaments liegen, die nächsten Wahlen zu organisieren und die Zukunft des Landes in die Hand zu nehmen. Dafür sollten eigentlich wir deutschen Parlamentarier geschlossen eintreten. Das würde ich mir sehr wünschen. Vielen Dank. ({7})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Mit diesen Worten schließe ich die Aktuelle Stunde. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 31. Januar 2019, 10.30 Uhr, ein. Ich erinnere daran, dass wir morgen eine Sondersitzung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus haben. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 16.49 Uhr)