Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/18/2019

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Not found (Minister:in)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Heute sollen die Staaten Georgien, die Demokratische Volksrepublik Algerien, das Königreich Marokko und die Tunesische Republik als sichere Herkunftsstaaten im Asylrecht eingestuft werden. Diese Möglichkeit gibt uns das nationale Verfassungsrecht in Artikel 16a Absatz 3 des Grundgesetzes, aber auch das europäische Recht in den Artikeln 36 und 37 der Richtlinie 2013/32/EU. Sichere Herkunftsstaaten sind jene, bei denen von vornherein sehr geringe Erfolgsaussichten auf Anerkennung von Asylanträgen bestehen. Ich will Ihnen die Anerkennungsquoten dieser vier Staaten im Jahre 2018 noch einmal zur Kenntnis bringen: Algerien 1,2 Prozent, Marokko 2,3 Prozent, Tunesien 1,9 Prozent und Georgien 0,3 Prozent. Das heißt: Über 97 Prozent der Asylanträge aus diesen Ländern haben von vornherein nur eine sehr, sehr geringe Erfolgsaussicht. Deshalb ist es richtig und notwendig, diese vier Länder als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. ({0}) Diese Einstufung beschleunigt die Asylverfahren. Sie ist auch ein Beitrag dazu, den Aufenthalt nach einer Ablehnung schneller zu beenden. Zuletzt hat der Deutsche Bundestag die Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Das war ein großer Erfolg. Der missbräuchliche Asylanspruch wurde deutlich zurückgedrängt, und ich füge hinzu: Es ist nicht eine einzige soziale Härte deshalb entstanden. Das ist der vernünftige Ausgleich zwischen der humanitären Verantwortung und dem Zurückdrängen missbräuchlicher Inanspruchnahme des Asylrechts. ({1}) Das wird auch in diesem Fall so sein; denn der individuelle Anspruch auf Asyl bleibt erhalten. Das heißt: Im Einzelfall kann der Asylantrag natürlich weiterhin gestellt werden. Deshalb bleibt auch das Ganze rechtsstaatlich einwandfrei. Man kann nicht davon reden, dass im Einzelfall das Asylrecht von Menschen aus diesen Staaten in Deutschland nicht mehr beansprucht werden kann. Das heißt: Wir sind neben der schnelleren Antragsbearbeitung und der schnelleren Beendigung des Aufenthalts auch noch verstärkt in der Lage, uns auf die wirklich berechtigten Asylanträge und auf die Schutzbedürftigen zu konzentrieren. Das ist eigentlich der tiefere Sinn dessen, was wir heute vorhaben, nämlich diese Staaten als sichere Herkunftsstaaten einzustufen; denn dann können wir mehr Zeit, mehr Konzentration und mehr Aufwand für die Bearbeitung der Anträge der wirklich Schutzbedürftigen und auch für die Integration der wirklich Schutzbedürftigen in unsere Gesellschaft verwenden. ({2}) Dies ist ein Teil unserer gesamten Migrationspolitik. Dazu gehört auch, dass wir vor Weihnachten als Bundeskabinett noch ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Entwurf beschlossen haben. Dieser Zusammenhang ist deshalb wichtig, weil wir mit diesem Fachkräfteeinwanderungsgesetz eine legale Möglichkeit der Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs eröffnen. ({3}) Und weil wir diese Möglichkeit eröffnen, ist es auch durchaus gerechtfertigt, Asylgesuche, bei denen asylfremde Begründungen angegeben werden, zu unterbinden. Also: Ein Ja zu diesem Gesetzentwurf kann ich nur empfehlen. Das Gesetz wird viele Probleme, übrigens auch die Probleme, die die Länder und die Kommunen in unserem Lande haben, lösen. Auf der anderen Seite steht die Eröffnung eines legalen Zuwanderungsweges für Fachkräfte, die wir ohne Zweifel in der deutschen Volkswirtschaft brauchen. Ich danke den Vertretern der Koalition für die Unterstützung bei diesem Gesetzentwurf und bitte das Parlament, ihn schlussendlich auch anzunehmen. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Lars Herrmann, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Lars Herrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004748, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es nicht zu spannend zu machen: Die Fraktion der AfD wird dem Gesetzentwurf, die Urlaubsländer Marokko, Algerien, Tunesien sowie Georgien als sichere Herkunftsstaaten einzustufen, zustimmen. ({0}) Die Maßnahme ist längst überfällig und dringend geboten; ich habe das an dieser Stelle bereits schon mehrmals betont. Allerdings ist die Antragsbegründung unvollständig, und das erhoffte Ziel – so viel kann ich Ihnen bereits jetzt schon versichern – wird leider nur im Ansatz erreicht werden. ({1}) Auch dazu habe ich mir bereits an diesem Pult und im Ausschuss den Mund fusselig geredet. Ich erkläre es Ihnen aber gern noch einmal. Vollkommen unstrittig ist, dass durch dieses Gesetz die Möglichkeit eröffnet wird, Asylverfahren recht flott abzuschließen, und zwar mit einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet gemäß § 29a Asylgesetz. Dann, ja dann ist nämlich auch schon Schluss. Ein abgelehnter Asylantrag bedeutet eben nicht eine gleichzeitige Ausreise oder Abschiebung. Es ist geradezu naiv und grundlegend falsch, hier einen Vergleich mit den Bal­kanstaaten herzuleiten. Natürlich ist die Zahl der Asylanträge deutlich spürbar zurückgegangen, als diese Länder in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen wurden. Aber – und das ist das Wesentliche – dort gab es im Bereich der Rückführung vollkommen andere Voraussetzungen: die Bereitschaft der Balkanländer, ihre Landsleute wieder zurückzunehmen, entsprechende Rückübernahmeabkommen, geklärte Identitäten der Asylantragssteller, volle Flieger bei der Abschiebung und diverse Rückkehrprogramme. All das existiert – mit Ausnahme Georgiens – bei den Maghreb-Staaten nicht. ({2}) Dass dieser Zustand so ist, wie er nun mal ist, hat ganz allein die Regierungskoalition zu verantworten. Wer drei Monate braucht, um den tunesischen Behörden ein kleines Zettelchen mit dem Versprechen abzuringen, den Leibwächter von Osama Bin Laden nicht zu foltern, sodass dieser nicht wieder nach Deutschland zurückgeholt werden muss, zeigt doch auf ganzer Linie die erschreckende Inkompetenz und Unfähigkeit der verantwortlichen Entscheidungsträger, ({3}) vor allem im SPD-geführten Außenministerium. Tatsache ist doch, dass die Antragsteller aus Tunesien, Marokko und Algerien auch nach einer Ablehnung in Deutschland bleiben, weil sie aus den bekannten Gründen nicht abgeschoben werden können, und genießen somit weiterhin die Rundum-sorglos-Alimentierungen staatlicher Transferleistungen. ({4}) Man wechselt im Zweifel vom Asylbewerberleistungsgesetz ins Sozialgesetzbuch XII. Selbst diejenigen, die unter erheblichem Aufwand und immensem Einsatz von Mitteln und Ressourcen doch aus Versehen abgeschoben werden, sind innerhalb kürzester Zeit wieder hier – und dann geht der Spaß von vorne los. ({5}) Der Bundesregierung ist das alles sehr wohl bekannt. Sie forciert aber nicht etwa die nationale Kraftanstrengung zur Rückführung, sondern verfolgt vielmehr die Doktrin „Spurwechsel“ oder besser ausgedrückt: Aus illegal machen wir schnell legal. So werden geradezu inflationär Duldungen ausgestellt, aus vollziehbar Ausreisepflichtigen werden plötzlich dringend benötigte Fachkräfte. Und zufällig präsentiert Arbeitsminister Heil dann auch noch ein passendes Fachkräfteeinwanderungsgesetz, ({6}) in dem genau dieser Personenkreis künftig eine Duldung gegen eine offizielle Aufenthaltserlaubnis tauschen kann. ({7}) Im Ergebnis werden all die noblen Ziele in Ihrem Gesetzentwurf nicht erfüllt werden: Entlastung der Länder und Kommunen, Entlastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Entlastung der Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte, Bereitstellung von Wohnungen und damit das Freimachen der Kapazitäten für tatsächlich schutzbedürftige Asylsuchende. All dies wird nicht eintreten, solange keine konsequente Rückführungspolitik betrieben wird, dafür entsprechende Abkommen geschlossen werden und natürlich ein effektiver Grenzschutz gewährleistet wird. ({8}) Schlussendlich – das ist mein letzter Satz, Herr Präsident – bezweifle ich ernsthaft, dass dieses Gesetz die erforderliche Mehrheit im Bundesrat bekommen wird, da die Länderregierungen unter rot-grüner Beteiligung ihre Zustimmung verweigern werden. Die ganze Arbeit für die Tonne! Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Helge Lindh, SPD. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, ich schlage Ihnen einen Deal vor: Vielleicht könnten wir einen Teil meiner Redezeit für den nächsten Tagesordnungspunkt, bei dem ich wieder reden muss, nutzen. ({0}) Aber wie ich Sie kenne, werden Sie das selbstverständlich nicht machen. Sehr geehrte Damen und Herren, wir alle, die wir hier versammelt sind, wissen, dass die Grundlage dessen, worüber wir heute beraten, damals hoch kontrovers und eine der meistdiskutierten Entscheidungen der Migrationspolitik in den 90er-Jahren war. Im Rahmen des Asylkompromisses wurde damals auch das Institut der sicheren Herkunftsstaaten eingeführt. Ich selber – ich war zu der Zeit Schüler – kann bekunden, dass ich dies damals sehr kritisch verfolgt habe und große Bedenken hatte. Auch meine Partei hatte es sich mit dieser Entscheidung keineswegs leicht gemacht. Aber die Entscheidung wurde so getroffen und ist Teil unserer Verfassung. Es ist also keineswegs so, dass wir jetzt etwas vollkommen Neues einführen würden, nein, wir bewegen uns auf einer Rechtsgrundlage, die seit weit über zwei Jahrzehnten Tatsache in diesem Land ist. Gerade als jemand, der es sich damals nicht leicht gemacht hat und der mit sich gerungen hat, kann ich in diesem Fall guten Gewissens und mit großer Nüchternheit den heutigen Gesetzentwurf unterstützen. ({1}) Ich tue das nicht hurrapatriotisch oder besonders laut, sondern mit der Nüchternheit, die uns, glaube ich, in Fragen von Asyl und Migration endlich einmal sehr, sehr gut täte. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich einzelne Punkte dieses Gesetzentwurfes und auch des Antrages der FDP durchgehen werde, verweise ich grundsätzlich darauf, dass es völlig verkürzt wäre, jetzt davon auszugehen, dass wir allein durch die heutige Entscheidung Ordnung in Fragen der Migration bringen werden. Wir wissen auch nicht, wie der Bundesrat entscheiden wird; das darf aber unsere heutige Entscheidung nicht präjudizieren. Der Gesetzentwurf, um den es heute geht, ist vielmehr Teil eines umfassenden Ansatzes der Einwanderungs- und Asylpolitik. Es ist äußerst sinnvoll, in diesem Zusammenhang auch Fragen des Einwanderungsgesetzes zu betrachten. Denn für mich – und das ist für mich das stärkste Argument für den heutigen Gesetzentwurf – ist es nicht sinnvoll, Menschen Perspektiven in Aussicht zu stellen, die aber realistisch nicht existieren. ({3}) Ich habe gestern mit großem Nachdruck im Rahmen der Debatte über Seenotrettung begründet, dass ich es als zynisch erachte, gegen Seenotrettung zu argumentieren, weil diese Rettung falsche Anreize für Flucht setzen würde. Wir können doch nicht ernsthaft sagen, dass wir Menschen ertrinken lassen, damit sich andere nicht auf den Weg begeben. Sehr wohl berechtigt und auch humanitär ist es aber aus meiner Sicht und auch aus Sicht meiner Fraktion, dass wir deutlich das Signal setzen: Menschen aus Georgien, Menschen aus den Maghreb-Staaten haben in vielen Fällen – nicht in jedem Einzelfall, aber in vielen Fällen – keinerlei Aussicht auf Anerkennung als Asylbewerber. Es wäre falsch und wäre auch nicht besonders verantwortungsbewusst, ihnen die Hoffnung zu machen, dass sie es hier doch irgendwie schaffen könnten, und ihnen als Perspektive Dauerduldung, Kettenduldung oder Sonstiges in Aussicht zu stellen. ({4}) Nein, für diejenigen ist der Weg über Arbeitseinwanderung eine realistische Perspektive, und auch nicht für alle, sondern nur für Einzelne unter ihnen. Zur Ehrlichkeit in der Migrationspolitik, die wir so dringend brauchen, genauso dringend wie Nüchternheit, gehört, dies zu betonen und eben nicht falsche Hoffnungen zu wecken. ({5}) Wir dürfen Menschen eben nicht die Aussicht geben, dass sie, wenn sie all dies unternehmen – teilweise gehen ganze Familienvermögen drauf, es werden schwerste Strapazen auf sich genommen –, hier als Asylberechtigte Anerkennung finden. Wenn sie das dann nicht erleben können, erzeugt das Enttäuschung, erzeugt das Frustration und ist sicher für die Integration nicht förderlich. ({6}) Was enthält dieser Gesetzentwurf? Das Institut sicherer Herkunftsstaaten bedeutet, dass Verfahren durch das Gelten einer Vermutungsregelung beschleunigt werden. Vermutungsregelung bedeutet, dass wir davon ausgehen – das kann und muss man so deutlich aussprechen –, dass die Anträge im Regelfall offensichtlich unbegründet sind. Ja, das bedeutet eine Umkehr der Beweislast in diesem Verfahren und keine Erleichterung für Asylantragsteller. Auch das muss man so formulieren. Es ist eine Erschwerung, aber wir haben uns hier bewusst für eine Erschwerung entschieden. Gleichwohl aber hat jede und jeder Einzelne die Möglichkeit, in einer regulären Anhörung diese Regelvermutung zu widerlegen. Es ist eben nicht so – das kann nicht deutlich genug betont werden –, dass der Asylanspruch eines jeden aus den Maghreb-Ländern oder aus Georgien abgewehrt werden soll. Das widerlegen auch die Zahlen. Schauen wir uns die Zahlen für den Westbalkan an: Nach Einführung des Instituts der sicheren Herkunftsstaaten für diese Länder ist die Zahl der Anerkennungen nicht zurückgegangen, sie ist zum Teil sogar gestiegen. Ich rate also dringend dazu, diese beiden Fragen nicht zu verrechnen. Der individuelle Anspruch auf Asyl wird durch die Erklärung zu sicheren Herkunftsstaaten eben nicht aufgehoben. Es ist äußerst wichtig, dies festzustellen. ({7}) Noch ein Weiteres. Weil eben in den betreffenden Ländern Menschenrechtsverletzungen vorkommen, weil es Fälle von Folter gibt, weil – auch das ist der Fall – Homosexualität nicht anerkannt wird, sondern diskriminierend behandelt wird, muss es für Einzelne die Möglichkeit geben, hier Asyl zu finden, hier Anerkennung zu finden. ({8}) Gerade deswegen hat unsere Fraktion gehalten, was wir von der SPD versprochen haben und was auch im Koalitionsvertrag steht. Darin haben wir gefordert, dass es eine spezielle Rechtsberatung für sogenannte vulnerable Gruppen geben muss. Wenn Sie in den Gesetzentwurf schauen, dann sehen Sie, dass dieser Anspruch nicht nur in der Begründung enthalten ist, sondern im Gesetzestext steht. Das Parlament hat diesen Punkt untergebracht, und das ist wichtig und richtig. ({9}) An dieser Stelle verweise ich rückblickend auf die letzten Debatten und auf die Diskussion im Ausschuss. Einiges, was zu diesem Punkt verbreitet wurde, ist schlicht unwahr oder beruht auf Unwissen. Zum Beispiel wurde hier im Parlament oder auch im Ausschuss behauptet, wir hätten die Idee der unabhängigen Rechtsberatung für alle aufgegeben und würden nur eine schmale spezielle Rechtsberatung für vulnerable Gruppen einführen. Das ist schlicht unwahr. ({10}) Wer in den Koalitionsvertrag schaut, findet dort sowohl die Forderung nach einer unabhängigen Rechtsberatung im Asylverfahren – dies verfechten wir weiterhin und sind gerade dabei, das auszuverhandeln, auch im Zusammenhang mit den AnKER-Zentren –, als auch die Forderung nach einer speziellen Rechtsberatung für vulnerable Gruppen bei der Frage der sicheren Herkunftsländer. Beides ist also der Fall. Keineswegs wird Täuschung betrieben und versucht, das eine gegen das andere auszutauschen. Das soll hier auch deutlich benannt werden. Ich würde Sie auch bitten, solche falschen Annahmen und Unwahrheiten nicht weiter zu verbreiten. ({11}) In diesem Zusammenhang wurde hier in Debatten darauf verwiesen, dass die Art und Weise, wie wir und auch ich damit umgehen würden, Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern ignorierte, skandalös wäre, einem die Schamesröte ins Gesicht treiben würde und dass man nicht die richtigen Lehren aus der deutschen Geschichte ziehe. Ich respektiere vollkommen, auch wissend um die Diskussionen, die wir vor Jahrzehnten selber in meiner Partei geführt haben, auch aufgrund von den Vorbehalten, die es immer noch bei nicht wenigen gibt, dass man eine andere Meinung hat, dass man das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich ablehnt. Das kann man machen. Was ich aber kritisiere, ist, dass man das von einer Position der Selbstgerechtigkeit heraus macht und meint, die Position der Befürworter einer Einstufung als sichere Herkunftsstaaten sei ethisch nicht zu vertreten oder ethisch minderwertig. Dagegen verwehre ich mich eindeutig und ganz klar. ({12}) Auch unsere Position ist mindestens genauso moralisch und ethisch zu vertreten. Wir müssen es aushalten, dass es in dieser Frage fundamentale Differenzen gibt. Es kommt aber noch ein Weiteres hinzu; denn mit einer aus meiner Sicht klugen Stichtagsregelung für die Fragen der Beschäftigung und der Ausbildung ermöglicht dieser Gesetzentwurf denjenigen, die aus den genannten Ländern hier sind und nicht anerkannt sind – ich betone: die nicht anerkannt sind –, dass sie, wenn sie schon beschäftigt sind, weiter beschäftigt werden können, dass sie auch künftig Einstellungsverhältnisse eingehen können oder dass sie bis zu diesem Stichtag, wenn sie schon einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben, diese Ausbildung antreten können. Das ist doch klug und vernünftig. Wir setzen damit ein Zeichen für diejenigen, die sich schon integriert haben, dass sie hierbleiben können, auch wenn sie nicht asylberechtigt sind. Gleichzeitig wird nicht die falsche Hoffnung geweckt und auch nicht der Anreiz für andere gesetzt, hierherzukommen, um dann diese Regelungen in Anspruch zu nehmen. Das nenne ich in diesem Rahmen eine intelligente und verantwortungsvolle Gesetzgebung. ({13}) Sehr geehrte Damen und Herren, es ist wichtig – ich habe es schon betont –, dass diejenigen, die einen Anspruch auf Asyl haben, diese Möglichkeit erhalten. Deshalb wird es auch darauf ankommen – das erwarte ich vom BAMF, ich habe auch Vertrauen in das BAMF –, dass die Rechtsberatung entsprechend umgesetzt wird. Da verweise ich die Kritiker auf ihr eigenes Reden. Wiederholt habe ich hier im Parlament und im Ausschuss erlebt, wie etwa in der Debatte über das BAMF in Bremen darauf hingewiesen wurde, dass man nicht die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BAMF infrage stellen würde, dass sie sehr gute Arbeit leisteten. Wenn wir aber dieses Vertrauen haben: Warum sollten wir ihnen unterstellen, dass sie in Fragen der Beratung oder bei den Verfahren für Menschen aus sicheren Herkunftsländern eben nicht sachlich, vernünftig und begründet agieren würden und bewusst darauf aus wären, eine solche Beratung zu verhindern? Ich denke, wir sollten das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht unterstellen und Vertrauen in die Arbeit des BAMF haben. ({14}) Ich habe erwähnt, dass wir unter Abwägung verschiedener Gründe der Meinung sind, dass es verantwortbar ist, bei den genannten Ländern davon auszugehen, dass sie sichere Herkunftsstaaten seien, weil eben – ich weiß, dass das umstritten und keineswegs konsensual ist, gerade bei der Opposition – in diesen Ländern Verfolgung, Bedrohung und menschenunwürdige Behandlung nicht generell, systematisch und durchgängig erfolgt. Gleichwohl sind es keine Länder, die unserem Standard von Menschenrechten genügen. Aber wenn wir tatsächlich nur dann von sicheren Herkunftsstaaten ausgehen könnten, wenn genau dieser Standard erreicht wird, würde das ganze Prinzip nicht funktionieren. Es wäre widersinnig. ({15}) Deshalb ist es auch ein Ausdruck von Ehrlichkeit, dass wir nicht diesen Maßstab anlegen und vernünftigerweise anlegen können. ({16}) In Zusammenschau mit der gesamten Migrationspolitik und mit einem klugen Einwanderungsgesetz braucht es aber auch – das muss man ebenfalls sagen, der Hinweis ist ja richtig – ein Rückkehrabkommen; denn es nützt selbstverständlich nichts, wenn wir deutlich machen, dass Menschen, die hier nicht anerkannt werden, zurückgeführt werden sollen, diese Rückführung praktisch aber nicht erfolgen kann. Deshalb müssen wir auch da liefern und dafür sorgen, dass dies möglich ist. Wir müssen mit diesen Ländern Abkommen auf Augenhöhe schließen, die für diese Länder ein Anreiz sind, entsprechend zu handeln, Papiere auszustellen und die Menschen wieder zurückzunehmen. ({17}) Dieses Gesamtpaket ist Ausdruck eines humanitären Pragmatismus, den wir in diesem Land brauchen, um nicht mehr auf dem Rücken von Flüchtlingen und Einwanderern unsere grundsätzlichen Debatten und Kontroversen auszutragen, sondern um wieder in der Lage zu sein, über Migration sachlich, nüchtern und überlegt zu sprechen und gleichzeitig das Asylrecht zu verteidigen. Das ist mit diesem Gesetzentwurf möglich. Deshalb plädiere ich für Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({18})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt hat das Wort die Kollegin Linda Teuteberg, FDP. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass wir heute in diesem Haus endlich die Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgiens als sichere Herkunftsstaaten beschließen, ist erst einmal eine gute Nachricht. Wenn ich mir das Handeln der Koalition in den letzten Monaten allerdings anschaue, befürchte ich, dass CDU/CSU und SPD nicht die Kraft haben werden, dies gegen die Blockade der Grünen im Bundesrat durchzusetzen; ({0}) denn wie sich vor allem die Union bei diesem Thema von den Grünen am Nasenring durch die Arena führen lässt, ist ein trauriges Schauspiel. Kollege Lindh hat hier gerade über Selbstgerechtigkeit mancher in der Debatte gesprochen. Ich finde die Wandlungsfähigkeit der Argumentation bei den grünen Kollegen beeindruckend; ({1}) denn sie wechselt sich ab, je nach Situation und Publikum. Erst lehnen Sie das Institut der sicheren Herkunftsstaaten prinzipiell ab. Wenn Sie aber merken, dass das beim Publikum nicht so gut ankommt und wenigstens ein Mindestmaß an Ordnung und Steuerung von Migration gefragt ist, ({2}) dann stellen Sie in Abrede, dass bei einzelnen Ländern die Kriterien erfüllt sind. Wenn auch das nicht hilft, kommt die dritte Variante, dann nämlich lenken Sie auf andere ebenfalls wichtige Aspekte der Steuerung von Migration ab, nämlich auf Rücknahmeabkommen und die tatsächliche Durchsetzung der Abschiebung am Ende des Verfahrens. ({3}) Aber hier gilt, liebe Kollegen: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. ({4}) Dass es noch weitere Baustellen gibt, an denen wir entschlossen handeln müssen, ist kein Grund, vernünftige Maßnahmen abzulehnen. ({5}) Was dabei deutlich wird, ist ein Geschäftsmodell, nämlich erst mal kreativ in der Ablehnung zu sein, um sich anschließend die Zustimmung umso teurer abkaufen zu lassen. ({6}) Und die Union? Ich muss leider auch sagen: Die Union macht das mit. Im Oktober letzten Jahres haben Sie, liebe Kollegen der Union, gerade unseren Gesetzentwurf mit dem fadenscheinigen Argument abgelehnt, Sie wollten weitere Staaten als sichere Herkunftsstaaten einstufen. ({7}) Tatsächlich wollten Sie Ihren grünen Wunschpartner in Hessen schonen. ({8}) Im Ausschuss und hier im Plenum haben Sie erklärt, Sie könnten unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil Sie erst die Mehrheit im Bundesrat sicherstellen müssten. Das Gegenteil haben Sie getan. Nach der Wahl hat die Union in Hessen einem Koalitionsvertrag zugestimmt, der die weitere Blockade im Bundesrat nur wahrscheinlicher macht. Schwarz-Grün war Ihnen wichtiger als Ihr Versprechen an die Wähler. ({9}) Sie haben im Oktober auch gesagt, Sie könnten unserem Gesetzentwurf nicht zustimmen, weil Sie noch weitere Länder in die Liste aufnehmen wollen. ({10}) Das Gegenteil haben Sie getan. Kein einziger weiterer Staat wird derzeit auf eine Einstufung geprüft. Entweder haben Sie da uns belogen, oder Sie wurden von Ihrer eigenen Regierung belogen. ({11}) Wir aber haben Ihnen genau deshalb heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, um Ihnen einen Weg aufzuzeigen, wie in einem geregelten Verfahren die Einstufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten geprüft werden kann, etwa solche, die eine Anerkennungsquote von regelmäßig unter 5 Prozent aufweisen. In einem ersten Schritt könnten so mindestens 14 Länder auf eine weitere Einstufung hin geprüft werden; ein Angebot der freidemokratischen Serviceopposition zur Umsetzung Ihres Koalitionsvertrages, meine Damen und Herren. ({12}) Die Einstufung der Maghreb-Staaten und Georgiens ist doch nur ein Minimalziel, gemessen an Ihrem eigenen Regierungsprogramm. Wir müssen das Instrument der sicheren Herkunftsstaaten insgesamt besser und konsequenter nutzen, um einerseits die Verfahren zu beschleunigen, um Ämter und Gerichte zu entlasten. Aber auch, um unsere knappen Mittel auf diejenigen konzentrieren zu können, die tatsächlich unserer Hilfe bedürfen. ({13}) Darum meine Aufforderung an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Stimmen Sie heute nicht nur diesem Gesetzentwurf, sondern auch unserem Entschließungsantrag zu. Kämpfen Sie im Sinne eines vernünftigen und breiten Migrationskonsenses endlich dafür, dass das Gesetz auch durchgesetzt wird und eine weitere Einstufung sicherer Herkunftsstaaten stattfindet. Wir Freie Demokraten werden das auf jeden Fall tun. Vielen Dank. ({14})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Ulla Jelpke, Die Linke, ist die nächste Rednerin. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Maghreb-Staaten und Georgien sollen als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, und ich sage hier ganz klar: Viele Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen haben den Bundestag aufgefordert, diesem Gesetzentwurf heute nicht zuzustimmen, ({0}) und zwar weil sie dies zu Recht als einen Angriff auf den humanitären Schutzgedanken des Asylrechts verstehen. ({1}) Wenn nämlich pauschal angenommen wird, dass in einem Land keine Verfolgung stattfindet bzw. dass diejenigen, die hier einen Asylantrag stellen, einen unbegründeten Asylantrag stellen, dann kann eine unvoreingenommene Prüfung dieser Asylgesuche nicht stattfinden. Das wissen Sie ganz genau, und das haben Sie hier heute auch begründet. Deswegen sagen wir hier auch heute wieder: Jeder einzelne Geflüchtete muss ein Recht auf ein faires Asylverfahren haben. ({2}) Meine Damen und Herren, besonders verwerflich ist es, wenn Länder als sicher eingestuft werden, obwohl in diesen tatsächlich gravierende Menschenrechtsverletzungen stattfinden. ({3}) Das ist bei den drei Maghreb-Staaten heute wieder rotzfrech verharmlost worden. So haben Sie beispielsweise von einer Diskriminierung von Schwulen und Lesben gesprochen, nicht aber von einer Strafverfolgung. Die Repressionen, die es in diesen Staaten auch gegen Oppositionelle und Angehörige ethnischer und sexueller Minderheiten gibt, sind meines Erachtens gravierend. Die Strafverfolgung kann bis zu drei Jahre lang stattfinden. Das ist wirklich eine Verfolgung, so wie es im Asylrecht als Asylgrund steht, und muss deshalb ernst genommen werden. ({4}) Zur Lage in Marokko hat die Bundesregierung 2017 auf Anfrage meiner Fraktion erklärt, dass die homophob geprägten Strafvorschriften – Zitat – „in der Praxis weniger gegen Einzelpersonen, als vielmehr zur Verhinderung der Gründung von Organisationen herangezogen“ werden, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten einsetzen. Im Klartext heißt das: Wenn sich Schwule und Lesben nicht damit abfinden, ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten, sondern aktiv für die Verbesserung ihrer Lage im Land eintreten, ist ihre Verfolgung nach Ansicht der Bundesregierung hinnehmbar. Das ist Zynismus pur. ({5}) Man muss hier auch immer wieder betonen: Auch die Lage der Frauen in diesen Ländern ist katastrophal. In Algerien gehen Männer, die minderjährige Frauen vergewaltigen, straffrei aus, wenn sie ihre Opfer heiraten. Meine Damen und Herren, in den Maghreb-Staaten werden nicht nur die Rechte der eigenen Staatsbürger verletzt. Vielmehr werden dort auch die Rechte Schutzsuchender aus anderen Ländern mit Füßen getreten. Algerien zum Beispiel missachtet ganz offensichtlich den Grundsatz der Nichtzurückweisung. Algerische Behörden haben in den letzten Monaten subsaharische Flüchtlinge in die Wüste abgeschoben. Im Rahmen einer skrupellosen Massenabschiebung schickten sie auch Frauen und Kinder in die Wüste, teilweise bei Temperaturen von weit über 40 Grad Celsius. Vor allem ältere, kranke und körperlich geschwächte Menschen werden so qualvoll dem Tod ausgeliefert. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration hat sich dies seit 2017 sogar noch verschärft. Die Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung ist übrigens auch ein wichtiger Bestandteil des EU-Rechts ({6}) und der Genfer Flüchtlingskonvention. In diesem Zusammenhang muss man einfach sagen: Dass die Bundesregierung in dieser Angelegenheit EU-Recht bzw. Verfassungsrecht einfach negiert, ist ein Skandal. ({7}) In Georgien gibt es zwar ein verfassungsrechtlich verankertes Folterverbot, aber Amnesty International belegt, dass dort Folter und Misshandlung stattfinden. Auch die ungelösten territorialen Konflikte in Abchasien und Südossetien sprechen klar gegen die Einstufung als sicher für Georgien. ({8}) Wer behauptet, in Georgien finde praktisch keine asylrelevante Verfolgung statt, betreibt eine Weißwäscherei schlimmster und brutaler Menschenrechtsverletzungen. Meine Damen und Herren, zahlreiche Gesetzesverschärfungen in den letzten Jahren gegen Asylsuchende insbesondere aus sicheren Ländern zeigen, dass vor allen Dingen mit Restriktionen gearbeitet wird. Beim Asylrecht wird mit zweierlei Maß gemessen: Für sie gelten besonders schwerwiegende Regelungen. Sie sitzen in Aufnahmelagern – Stichwort: AnKER – sie unterliegen einer Residenzpflicht, außerdem einem uneingeschränkten Arbeits- und Ausbildungsverbot, und für sie gilt eine Wiedereinreisesperre in der gesamten EU, wenn ihr Antrag abgelehnt wurde. Sie werden also nach Strich und Faden schikaniert. Eine solche Schlechterstellung ist ein Zweiklassenasylrecht, und das kann man so nicht hinnehmen. ({9}) Zum Schluss möchte ich sagen: Jeder einzelne Asylantrag muss unvoreingenommen und fair geprüft werden, also ohne jegliche Einschränkung, ohne böswillige Unterstellung. Hier halten wir es ganz eindeutig mit den Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, die ganz klar Nein zu diesem Gesetzentwurf sagen. ({10})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist wieder einmal ein Lehrstück für Populismus. Den Aufschlag hat Frau Teuteberg gerade eben gemacht ({0}) – das können Sie ab –, als sie sich darüber echauffierte, dass die CDU in Hessen auf ihren Wunschpartner, die Grünen, Rücksicht nimmt. Die FDP hat dasselbe in Schleswig-Holstein getan. Da haben wir gemeinsam verhandelt, ({1}) und uns auf eine Enthaltung im Bundesrat geeinigt. So ist das nun einmal in einem so vielfältigen Land bei einem so komplexen Thema. ({2}) Da kann man schon mal den Überblick verlieren. ({3}) Ja, es ist ein Lehrstück für Populismus; denn das Einzige, was die Union hier versucht, ist, Profit aus einer Sache zu schlagen. Sie sagt nämlich, dass es schwieriger sei, zu erklären, warum die Länder nicht sicher sind, statt zu erklären, warum sie sicher sind. Sie haben es da ein bisschen leichter. Wir hingegen müssen die Komplexität der Debatte darstellen, und das ist nicht so einfach; denn die Länder sind sehr unterschiedlich. ({4}) Aber – und das dürfen Sie sich als Information zu den Grünen gleich merken; vielleicht brauchen Sie diese irgendwann – nur weil etwas schwer zu erklären ist, heißt das nicht, dass wir den einfachen Weg gehen und aus Angst vor Diffamierung unser Fähnchen nach dem Wind richten. Darauf können Sie sich verlassen, ({5}) und dass Sie das nach fünf Jahren Debatte zu diesem Thema noch immer nicht gelernt haben, betrübt. ({6}) Heute Morgen hat die „Tagesschau“ auf ihrer Webseite geschrieben, dass die Union um die Zustimmung der Grünen werbe. Ich bin über diese Formulierung irgendwie gestolpert: Die Union wirbt um unsere Zustimmung. – Wo denn? Wo werben Sie um unsere Zustimmung? ({7}) Sie haben sich keines unserer Argumente angenommen. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, auch nur eines zu entkräften, Bedenken zu begegnen oder bestimmte Fragen zu beantworten. Ich mache das gerne – es ist ja immer besser, wenn man das plastisch macht – an ein paar Beispielen fest. Die Grünen in der Landesregierung in Baden-Württemberg haben gesagt, sie ziehen eine Einstufung dieser Länder – auch das ist wieder sehr vielfältig, Frau Teuteberg – in Erwägung, wenn es ein Schutzkonzept für besonders vulnerable Gruppen gebe. Okay. Das haben Sie bis heute nicht geliefert. Ist es Ihnen ernst mit der Sache, oder nicht? Diese Frage stelle ich mir. ({8}) Okay, Sie wollen – das wurde auch angesprochen – eine spezielle Rechtsberatung für besonders Schutzbedürftige einführen. Mal abgesehen davon, dass es eigentlich Kernbestandteil des Asylverfahrens ist, genau diese Schutzbedürftigkeit herauszufinden: Dass diese Maßnahme nur ein Feigenblatt ist, hat sogar Baden-Württemberg sofort gesehen. ({9}) Denn was hilft es, eine besondere Schutzbedürftigkeit festzustellen, wenn Sie auf der anderen Seite nicht bereit sind, diese Menschen auch aus dem beschleunigten Verfahren für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten herauszunehmen? ({10}) Das ist doch komplett durchsichtig. Aber am schlimmsten bei dieser Debatte finde ich persönlich, dass Sie den Menschen in Deutschland wirklich vorgaukeln, dass die Einstufung dieser vier Länder das Potenzial hat, Probleme, die wir in der Asylpolitik durchaus haben, zu lösen. ({11}) Ich finde das wirklich schmutzig. Denn wir reden hier über einen verschwindend geringen Anteil der Schutzsuchenden in Deutschland; um das noch zu unterlegen. Die Zahl der aus diesen Ländern beim BAMF noch anhängigen Asylverfahren hat sich seit 2016 um 85 Prozent reduziert. Die Zahl der Abschiebungen hat sich verzehnfacht – auch ohne Einstufung. Also, hören Sie doch bitte auf, diese Frage zur Schicksalsfrage hochzuspielen. ({12}) Das wird doch der Sache überhaupt nicht gerecht. Sie dürfen von mir zu Recht fordern, eine Antwort auf die Frage zu geben, wo eigentlich die Handlungsfelder in der Asylpolitik sind – sprechen wir es doch mal ehrlich aus –: erstens, natürlich im Asylverfahren selbst. Wenn die Gerichte überlastet sind, weil sie nicht mehr hinterherkommen, die fehlerhaften Entscheidungen des BAMF zu korrigieren, dann, würde ich sagen, lasst uns doch gemeinsam die Strukturen beim BAMF verbessern. ({13}) Aber das wollen Sie ja auch nicht. ({14}) Vor zwei Tagen haben Sie im Innenausschuss dagegengestimmt, als die Grünen einen Austausch mit Experten zur Verbesserung der Qualität beim BAMF beantragt haben. ({15}) Da haben Sie geschlossen dagegengestimmt. Warum? Aus Faulheit, weil beim BAMF alles tutti ist? ({16}) Ich verstehe es wirklich nicht. ({17}) Punkt zwei: Abschiebungen. Sie finden, es wird zu wenig abgeschoben. Ihre Antwort darauf ist, immer wieder zu fordern, das Ausweisungsrecht weiter zu verschärfen. Stattdessen sollten Sie zur Kenntnis zu nehmen, dass wir ein Vollzugsproblem haben. Dabei wird es dann immer ganz leise um die Innenminister in den Ländern, weil sie nämlich wissen, dass das – mehr Personal, mehr Strukturen aufbauen – mit Geld zu tun hat. Da wird es dann sehr leise. ({18}) Abgesehen davon: Seit 13 Jahren regiert die Union in diesem Bereich. Vielleicht machen Sie den Leuten einfach nicht weiter vor, dass es einfache Lösungen gibt, sondern geben Sie zu, dass es vielleicht ein bisschen komplizierter ist. ({19}) Punkt drei: Integration. Wie wollen Sie denn dafür sorgen, dass Menschen in unserem Alltag ankommen, wenn Sie noch immer große Gruppen von Sprachkursen ausschließen, wenn Sie den Übergang in den Arbeitsmarkt nicht organisiert bekommen oder wenn Sie Menschen in AnKER-Zentren vom Rest Deutschlands isolieren? Das verstehe ich auch nicht. Punkt vier: Fluchtursachen. Das ist im Übrigen, Frau Teuteberg, unser Hauptargument, warum dieses Gesetz nicht nur das nicht erreicht, was Sie sich gerne wünschen, sondern auch noch falsch ist. Fluchtursachen, da sind wir nämlich bei dem Thema „sichere Herkunftsstaaten“. Wenn Sie wollen, dass weniger Menschen aus diesen Ländern herkommen und Schutz beantragen, warum um alles in der Welt nutzen Sie nicht Ihr politisches Gewicht und koppeln die Einstufung dieser Länder an Bedingungen? Sie sagen es ja selbst: Die Regierungen in Tunesien und Marokko wollen, dass ihre Länder eingestuft werden. Aber Sie machen sich noch nicht mal mehr die Mühe, das an irgendwelche menschenrechtlichen Konditionen zu koppeln, irgendetwas für die Menschen vor Ort zu erreichen. Wie soll ich denn glauben, dass Sie es mit dem Thema ernst meinen? ({20}) So viel zur Behauptung „Es wird um uns geworben“. Ich sehe das nicht. Ich kann deswegen allen Menschen außerhalb des Parlaments nur versichern, dass die grüne Bundestagsfraktion bei diesem Thema nicht einlenkt. Das hat viele Gründe. Ich habe versucht, einen Bruchteil davon darzustellen. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Wir finden es einfach falsch. ({21}) – Ich wusste, dass Sie das aufregt. Ich hatte ein bisschen Sorge, dass Sie bei meiner Rede nicht wach werden; aber es ist anscheinend doch gelungen. Mein Fazit. Die Einstufung löst kein Problem. Sie ist eine sinnlose und in diesem Fall übrigens auch noch verfassungsrechtlich nicht mal gedeckte Ersatzhandlung, die davon ablenken soll, dass die Große Koalition an so vielen Baustellen völlig ideenlos und handlungsunfähig ist. Vielen Dank. ({22})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Thorsten Frei, CDU/CSU. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute ein Gesetz und beschließen es nachher, das wir bereits in der vergangenen Legislaturperiode mit Mehrheit hier im Bundestag verabschiedet haben. Es ging um die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten. Auf Initiative der Grünen hat der Bundesrat das Inkrafttreten dieses Gesetzes blockiert. Liebe Frau Amtsberg, nachdem ich Ihre Rede hier gehört habe, kann ich im Grunde genommen nur sagen, dass Sie all das bestätigt haben, was die Frau Teuteberg Ihnen vorgehalten hat. ({0}) Es war schon beeindruckend, das mitzuerleben. Es ist doch tatsächlich so, dass die Grünen im Grunde genommen aus dogmatischen, aus ideologischen, auch aus populistischen Gründen die Wahrheit nicht sehen wollen. ({1}) Ich finde, das wird ganz besonders deutlich, wenn man sich nicht nur die Prozentzahlen, sondern auch die absoluten Zahlen anschaut. Nehmen Sie die Zahlen für diese Länder aus dem vergangenen Jahr. Da ist bis November über 9 355 Anträge entschieden worden – 9 355. Ein Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes haben acht Personen bekommen; das sind 0,08 Prozent. ({2}) Wenn man alle Möglichkeiten des Flüchtlingsschutzes dazurechnet, dann waren es 188 Personen. Der Herr Bundesinnenminister hat es in seiner Rede dargestellt: Das sind gerade mal 2 Prozent. In einer solchen Situation muss man doch darauf reagieren. Es ist evident, dass die Mehrzahl der Menschen, die aus diesen Ländern zu uns kommen, aus ökonomischen Gründen hierherkommt, und darauf müssen wir reagieren. ({3}) Wir reagieren in einem Maße, wie es absolut vertretbar ist; denn die Einzelfallprüfung wird gerade nicht in Abrede gestellt. Sie haben ein mangelndes Schutzkonzept angesprochen, Frau Amtsberg. ({4}) Es ist doch gerade so, dass wir mit dem Gesetzentwurf, der heute beraten wird, ein zusätzliches Schutzinstrument für die besonders vulnerablen Gruppen zur Verfügung haben. Das kommt zu dem hinzu, was beim BAMF passiert. Deshalb ist es etwas, was die Situation verbessert. Wir haben da durchaus den Wunsch und auch die Erwartung, dass die Grünen ihre Opposition gegen dieses Konzept tatsächlich aufgeben. ({5}) Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie sollten sich auch über die Konsequenzen Gedanken machen; denn mit einem solchen gesinnungsethischen Handeln ohne Rücksicht auf die Konsequenzen zerstören Sie gerade das, was Sie letztlich vorgeben erhalten zu wollen, nämlich dass Deutschland ein sicherer Zufluchtsort für diejenigen ist, die Schutz suchen vor Verfolgung, vor Terror und vor Krieg. ({6}) Insofern geht es genau darum, die Akzeptanz für dieses liberale Asylrecht auch in der Zukunft zu erhalten. Ich sage Ihnen, wie wir es schaffen: Wir schaffen es dadurch, dass wir in einem zügigen, aber sorgfältigen Verfahren prüfen, wer schutzberechtigt ist und wer nicht. Wenn wir das Ergebnis haben, dann müssen diejenigen zurückgeführt werden, die eben nicht schutzbedürftig und schutzberechtigt sind. Das ist konsequentes Handeln. Dafür ist das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten das richtige Mittel der Wahl. Sie sind es, die das verhindern. ({7}) Es ist doch tatsächlich so, Frau Amtsberg, dass Sie in Ihrer Rede die Nebelkerzen geworfen haben, von denen Frau Teuteberg gesprochen hat. Sie haben über alles Mögliche geredet. Nur, wenn es noch Probleme gibt, dann wollen wir sie Stück für Stück lösen. Aber lassen Sie uns doch mal den ersten Schritt gehen. Das ist der wichtigste Schritt, um zu einer markanten Verbesserung zu kommen. Wir haben es ja tatsächlich gesehen. Schauen Sie sich an, wie es bei der Einstufung der Westbal­kanstaaten als sichere Herkunftsstaaten war. Da sind die Zahlen um etwa 75 Prozent und mehr zurückgegangen, ohne dass die absolute Zahl der Schutzbedürftigen tatsächlich gesunken wäre. ({8}) Das ist doch ein Argument dafür, dass man die Ressourcen schonen kann, ohne dass man die Schutzrechte für die Betroffenen einschränkt. Es ist also ein Mittel, das in jeder Hinsicht wirkt. Dieses Argument sollte man doch anerkennen. ({9}) Ich will noch auf einen Punkt hinweisen, den ich auch wichtig finde. Es war so, dass kurz vor Weihnachten Ihre Bundesvorsitzende Baerbock sich dazu geäußert hat, dass man dringend diejenigen Asylbewerber, die hier nicht schutzberechtigt und kriminell sind, zügig wieder abschieben sollte. Jetzt hätten Sie die Möglichkeit, dafür etwas zu tun. Wenn ich mir die Maghreb-Länder – Algerien, Tunesien, Marokko – anschaue, stelle ich fest, dass aus ihnen etwa 2,4 Prozent der Asylbewerber in Deutschland kommen. ({10}) Wenn Sie sich dann mal den Anteil bei den Tatverdächtigen anschauen, stellen Sie fest, dass der nicht bei 2,4 Prozent, sondern bei 13 Prozent liegt. Deshalb wäre dieser Gesetzentwurf in der Tat ein gutes Mittel, schnell und zügig zu Ergebnissen zu kommen. ({11}) Für uns geht es insbesondere darum, die Ressourcen zu konzentrieren. Wir sind davon überzeugt, dass ein schnelles Verfahren auch ein sorgfältiges Verfahren sein kann. ({12}) Mit dem Konzept der sicheren Herkunftsstaaten haben wir alles, was wir brauchen: Wir haben ein Verfahren – von einem Monat –, wir haben eine Klagefrist von einer Woche, ohne dass die Klage aufschiebende Wirkung hat, wir haben eine Rückführungspflicht innerhalb einer Woche. Damit haben wir genau die Instrumente, die wir benötigen, um effektiv zu handeln. Ich bin davon überzeugt, dass das genau das richtige Mittel ist, um unser Asylrecht in der jetzigen Form zu erhalten, um Akzeptanz zu schaffen, und dass damit diejenigen, die bei uns Zuflucht suchen, auch die Chance haben, in unsere Gesellschaft integriert zu werden. Wir konzentrieren die Kräfte also auf diejenigen, die ganz besonders schutzbedürftig sind. Mit diesem Gesetzentwurf gehen wir diesen Schritt. Deswegen rufe ich Sie ein weiteres Mal auf: Unterstützen Sie ihn heute und vor allen Dingen bei der Abstimmung im Bundesrat. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Dr. Lothar Maier, AfD, ist der nächste Redner. ({0})

Prof. Dr. Lothar Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004812, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Frei, man kommt ja aus dem Staunen darüber nicht heraus, dass Sie in dieser Frage die meisten der Positionen, die wir hier seit langem vertreten, endlich übernommen haben. Bleiben Sie dabei! ({0}) Die Einstufung Georgiens, Algeriens, Tunesiens und Marokkos als sichere Herkunftsländer ist überfällig und sollte schon längst vollzogen sein – nach vier Jahren der Debatte darüber. Immerhin haben alle vier Länder die wichtigsten internationalen Abkommen zur Wahrung elementarer Menschenrechte unterzeichnet. Nach Aussage des Auswärtigen Amtes und nach Recherchen unabhängiger Menschenrechtsorganisationen gibt es in keinem dieser vier Länder so etwas wie systematische Verfolgung, Folter, unmenschliche Behandlung oder brutale Strafen. Stattdessen können in diesen vier Ländern politische Parteien und soziale Bewegungen in relativer Freiheit agieren. In allen vier Ländern existiert eine breite Palette gesellschaftlicher Organisationen und NGOs, was ja auch nicht gerade für systematische politische Verfolgung spricht. Sicher ist im Detail überall noch manches verbesserungswürdig, aber es geht nicht an, diese vier Länder mit ihrer sehr unterschiedlichen Geschichte und ihren zum Teil noch bis in die letzten Jahrzehnte reichenden fremden Machtansprüchen an einem europäischen Niveau der Menschen- und Bürgerrechte zu messen. Für dieses europäische Niveau haben wir in Europa immerhin Jahrhunderte gebraucht. ({1}) Es gibt in allen vier Ländern auch Einschränkungen der politischen Bestrebungen, die für Außenstehende nicht leicht zu verstehen sind. Das ist immer dann der Fall, wenn solche Bestrebungen an die Substanz des Staates gehen. Solche roten Linien wird man respektieren müssen. In Georgien beispielsweise dürfte eine Bewegung für den notfalls gewaltsamen Wiederanschluss an Russland kaum geduldet werden. In Marokko werden alle denkbaren politischen Richtungen geduldet, sofern sie nicht die Monarchie infrage stellen. Ohne die Monarchie würde dieses Land ebenso im Chaos versinken wie der Irak oder Libyen. Es kommt hinzu, dass wiederum alle vier Länder entweder Mitglieder der Europäischen Union werden wollen – so wie Georgien – oder – wie im Fall der Maghreb-Staaten – mit der EU in engstmöglicher wirtschaftlicher und politischer Verbindung stehen möchten. Auch als Assoziierte oder im Rahmen der European Neighbourhood Policy ist die Annäherung an bestimmte europäische Standards die Voraussetzung für wirtschaftliche Kooperation. Das gilt im Bereich der Menschenrechte, aber auch im Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz. Schon allein von daher ist es unangemessen, diesen vier Ländern fortwährend Belehrungen und Zensuren erteilen zu wollen. ({2}) Bei einigen in diesem Haus zeigt sich manchmal die alte deutsche Neigung, der Welt vorschreiben zu wollen, wie sie sich zu organisieren habe – mit wechselnden politischen Vorzeichen, aber gleichbleibendem Hochmut. Die richtige Einstufung dieser Länder liegt im Interesse sowohl der Bundesrepublik als auch der vier Länder. Weiterhin mit grotesk überzeichneten Darstellungen der angeblich schrecklichen Verhältnisse in diesen Ländern – zuletzt haben wir es von Frau Jelpke gehört – verhindern zu wollen, dass sie richtig eingestuft werden, ist nicht nur verantwortungslos gegenüber unserem eigenen Land, gegenüber Deutschland, sondern es ist auch beleidigend gegenüber diesen vier Partnerländern. ({3}) Aus diesen Gründen – der Kollege Lars Herrmann hat es schon gesagt – unterstützen wir den Gesetzentwurf für die Einstufung dieser vier Länder. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Throm, CDU/CSU. ({0})

Alexander Throm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004917, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben im nationalen Recht leider nur sehr wenige Stellschrauben, mit denen wir den Asylmissbrauch eindämmen oder gar verhindern können. Die Einstufung von Ländern als sichere Herkunftsländer ist eine dieser Stellschrauben. Wir haben schon gehört: Die Anerkennungsquoten für Menschen aus den betreffenden vier Ländern sind äußerst gering. Auf Basis des Jahres 2018 beträgt sie 0,3 Prozent für Georgien und 2,3 Prozent für Marokko. Umgekehrt bedeutet dies, dass zwischen 97,7 Prozent und 99,7 Prozent derer, die nach Deutschland kommen und Asyl beantragen, einen Asylmissbrauch begehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Sie heben hier die schützende Hand über die falsche Personengruppe. Das können wir nicht akzeptieren. ({0}) Selbstverständlich senden wir ein Signal an die Herkunftsländer; das haben wir bei den früheren Ausweisungen sicherer Herkunftsländer ebenfalls gesehen. Jetzt wird gesagt, es wäre ein unfaires Verfahren – so die Wortwahl. Nur: Es gibt weiterhin eine individuelle Anhörung, eine individuelle Bescheidung, ein individuelles Verfahren und bei Bedarf ein individuelles Rechtsmittel. Ich kann wirklich nicht erkennen, wo hier ein unfaires Verfahren stattfinden soll. Darüber hinaus schaffen wir mit diesem Gesetzentwurf für die sogenannten vulnerablen Gruppen noch die Grundlage für eine gesonderte Rechtsberatung. Ich habe wirklich versucht, die Argumente der Grünen nachzuvollziehen; es ist mir nicht gelungen. Es ist in der Tat heute eine Debatte, Frau Kollegin Amtsberg, aus Ideologie. An diesen Positionen merkt man auch wieder: Die alten Fundis in den Grünen leben nach wie vor. ({1}) Ihre Parteivorsitzende, Frau Baerbock, hat in der friedvollen Vorweihnachtszeit ein knallhartes Interview gegeben. Da konnte man lesen: „Baerbock will Straftäter schnell abschieben“. Da traut man ja seinen Augen nicht. ({2}) Weiter wird die Kollegin Baerbock zitiert: „Was wir … brauchen, sind schnellere Verfahren.“ Genau, wir brauchen schnellere Verfahren. Wir bieten Ihnen das heute hier mit diesem Gesetzentwurf der Koalition an. Stimmen Sie zu! ({3}) Dann haben wir schnellere Verfahren, kürzere Fristen und entsprechende Priorisierungen. Machen Sie aus Ihren Ankündigungen Taten! ({4}) Ein letztes Zitat der Frau Baerbock kann ich Ihnen nicht ersparen: ({5}) Zu diesem Recht gehört auch, dass jene, die keinen Anspruch haben zu bleiben, in ihre Länder zurückmüssen. Abschiebungen seien ein „schmerzhaftes Thema“ für die Grünen. ({6}) Seien Sie versichert: Abschiebungen sind nicht nur für die Grünen ein schmerzhaftes Thema. Das gilt für fast alle Fraktionen hier im Bundestag und ganz genauso für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ausländerbehörden, im BAMF oder bei der Bundespolizei, die sich damit beschäftigen müssen. Sie haben keinen moralischen Alleinstellungsanspruch auf das Gute in dieser Welt. ({7}) Es geht heute bei dieser und anderen Entscheidungen zur Steuerung und Ordnung der Migration auch darum, dass wir die Akzeptanz für unser Asylsystem in der Bevölkerung aufrechterhalten für diejenigen, die tatsächlich Schutz und Hilfe bedürfen und bekommen sollen. Diese Akzeptanz ist in Gefahr. Sie ist deshalb in Gefahr, weil sich viele Menschen in unserer Bevölkerung ausgenutzt fühlen, wenn viele Asylbewerber kommen, auf die Kommunen verteilt werden, entsprechende Sozialleistungen erhalten, teilweise zu den Gruppen gehören – das betrifft gerade Menschen aus diesen vier Ländern – die besonders häufig straffällig werden, und kein Anspruch auf Asyl besteht. Deswegen tragen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, auch eine Verantwortung dafür, dass diese Akzeptanz nicht weiter gefährdet wird, sondern wieder aufgebaut werden kann, damit Parteien mit rechtsextremen Positionen wie die AfD nicht im Bundestag und in den Parlamenten sitzen. Werden Sie dieser gesamtgesellschaftlichen Verantwortung gerecht – wenn schon nicht heute im Bundestag, dann wenigstens im Bundesrat. Herzlichen Dank ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Stephan Thomae, FDP. ({0})

Stephan Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004175, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Der heute zu beschließende Antrag ist nicht das Ende des Asylrechtes, der Antrag ist nicht das Ende des Flüchtlingsschutzes, den wir in diesem Land gewähren. Er ist der Einstieg in eine pragmatischere Praxis der Gewährung von Asyl und des Flüchtlingsschutzes. Es geht gar nicht darum, dass wir den Schutz von Menschen, die wirklich schutzbedürftig sind, reduzieren oder schmälern wollen, sondern es kommt darauf an – ich finde, der Kollege Lindh hat das sehr gut herausgearbeitet –, klarzumachen, wer gute Chancen hat, in unserem Land Schutz und Asyl zu erhalten, und bei wem das nicht der Fall ist. Denn ansonsten laufen wir Gefahr, dass sich Menschen in Gefahr begeben, das Familienvermögen opfern, den lebensgefährlichen Weg durch Wüste und Meer antreten, nur um dann nach kurzer Zeit feststellen zu müssen, dass sie keine Chance haben, hier dauerhaft Schutz und Asyl zu erhalten. ({0}) Die Zahlen, die auch der Minister genannt hat, sprechen für sich, und es ist ein Zeichen der Verantwortlichkeit, entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen. Es ist nicht so, dass wir generell den Schutz entziehen. Frau Jelpke, Sie haben von einem Zwei-Klassen-Asylrecht gesprochen. Ja, der Rechtsstaat ist manchmal auch hart; er legt starke Regeln auf. Wer aus einem solchen sicheren Herkunftsland stammt, hat kürzere Fristen zu gewärtigen; aber er hat ja auch die Möglichkeit, einen Antrag nach § 80 Absatz 5 VwGO auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung zu stellen. Dann bekommt er ein Verfahren, in dem er alle Zeit der Welt hat, darzulegen, weshalb er individuell verfolgt wird, auch wenn er aus einem Land stammt, das wir als sicher einstufen. Es handelt sich also nicht um eine Verkürzung dieser Rechte. ({1}) Es ist eine bewährte, erprobte Praxis, die wir bereits auf viele Länder anwenden. Daher ist es nur konsequent, wenn wir sagen: Wir wollen sie auch auf andere Länder übertragen. Frau Kollegin Amtsberg, Sie haben davon gesprochen, dass wir auch viele andere Maßnahmen ergreifen müssen – da spricht gar nichts dagegen –, nur lenken Sie davon ab, dass wir auch bei den sicheren Herkunftsländern, bei Anlage § 29a des Asylgesetzes, weitere Maßnahmen ergreifen müssen. ({2}) Vielem, was Sie gesagt haben, stimme ich zu; aber Sie lenken ab. Wir müssen das eine tun, ohne das andere zu lassen. ({3}) Deswegen werben wir dafür, dem heutigen Antrag zuzustimmen, und fügen dem Regierungsentwurf einen Entschließungsantrag bei, für den ich ausdrücklich bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, werben möchte. Wenn wir sagen, dieser Pfad ist richtig und erprobt, dann muss man diese Praxis auch fortschreiben und bei Ländern, bei denen wir über Jahre hinweg feststellen, dass die Anerkennungsquoten deutlich unter 5 Prozent liegen, prüfen, ob auch sie nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes die Voraussetzungen erfüllen, in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufgenommen zu werden. Wohlgemerkt: Das ist kein Automatismus. Es ist nicht so, dass automatisch Länder, bei denen die Anerkennungsquote seit mehreren Jahren unter 5 Prozent liegt, als sicher eingestuft werden. Aber es ist Anlass dafür, eine solche Prüfung dann durchzuführen. ({4}) Ich komme zum Schluss. Wir werden heute als FDP-Fraktion dem Regierungsentwurf zustimmen und wollen bei Ihnen dafür werben, dass Sie dem Entschließungsantrag der FDP Ihre Zustimmung erteilen. Wir fordern die Grünen ausdrücklich auf, ihre Haltung zu überdenken und dann im Bundesrat den Entwurf, den wir heute beschließen werden, nicht weiter zu blockieren. Vielen Dank. ({5})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Letzter Redner in dieser Debatte, für den ich genauso viel Aufmerksamkeit erbitte, ist der Kollege Josef Oster, CDU/CSU. ({0})

Josef Oster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004845, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beim Thema sichere Herkunftsstaaten ist ja eigentlich alles klar; die Zahlen und Fakten sind eindeutig. Dass wir aber dennoch heute zum wiederholten Male hier darüber diskutieren müssen, verdanken wir den Grünen. Das ist hier schon deutlich gemacht worden. ({0}) Mit Ihrer Blockadehaltung im Bundesrat, verehrte Frau Amtsberg, haben die Grünen das Gesetz schon einmal verhindert, und sie verhindern damit bis heute schnellere Asylverfahren in Deutschland. Das ist die Botschaft dieses Tages. ({1}) Damit erweisen Sie unserem Staat, unserer Bevölkerung und letztlich auch den Migranten, die sich mit falschen Hoffnungen auf den Weg nach Deutschland machen, einen Bärendienst. ({2}) Um es nochmals deutlich zu sagen: Niemandem wird das Recht auf ein faires Asylverfahren genommen. Das kann man nicht oft genug betonen, da Grüne und Linke hier im Hause ja so gerne das Gegenteil behaupten. Für mich ist aber klar: Wir brauchen konsequente und schnelle Asylverfahren. Wenn uns das nicht gelingt, dann wird es keinen gesellschaftlichen Konsens in Sachen Migration und Integration in Deutschland geben. ({3}) Wir haben eine Verantwortung für Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt werden und die um ihr Leben fürchten müssen. Das Asylrecht gehört zu den Wesensmerkmalen unseres Landes. Das Asylrecht hat aber nur dann eine gute Zukunft, wenn es mit gesellschaftlicher Akzeptanz einhergeht. Und diese Akzeptanz ist eben in Gefahr, wenn wir dem massenhaften Missbrauch des Asylrechts tatenlos zusehen. ({4}) Wenn wir uns viel zu oft um aussichtslose Fälle kümmern müssen, dann schaden wir damit denjenigen, die tatsächlich verfolgt werden. Schon alleine deshalb ist unser Gesetzentwurf gut und auch vernünftig. ({5}) Es geht aber auch um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit unseres Staates. Wenn Asylverfahren endlos dauern und Ablehnungen keine schnellen Konsequenzen haben, dann leidet dieses Vertrauen, und das dürfen wir nicht zulassen. ({6}) Wir senden aktuell weiterhin das Signal aus, dass nahezu jeder eine Chance auf Asyl in Deutschland hat. Das hat gerade in den Staaten Nordafrikas fatale Auswirkungen. Angelockt von falschen Hoffnungen, machen sich viel zu viele Migranten auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer, leider oft mit tödlichen Folgen. Ich will, dass das aufhört; auch deshalb bin ich für diesen Gesetzentwurf. ({7}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund appelliere ich insbesondere an die Grünen: Geben Sie endlich Ihre weltfremde Blockadehaltung auf! Leisten Sie einen Beitrag zu vernünftigen Asylverfahren in Deutschland! ({8}) Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen, für die Menschen, die wirklich in Not sind, und für eine dauerhafte Akzeptanz des Asylrechts in Deutschland werben. Vielen Dank. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Damit schließe ich die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einstufung Georgiens, der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten. Es liegen mir zwei schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vor. Der Ausschuss für Inneres und Heimat empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 19/6538, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 19/5314 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP, AfD gegen die Stimmen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen abgenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktion der FDP hat namentliche Abstimmung verlangt. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass wir im Anschluss an diese Abstimmung eine weitere namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag haben. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass wir auch heute, wie bereits angekündigt, bei den folgenden beiden namentlichen Abstimmungen nur Plätze an vier Urnen besetzen. Jetzt bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehen Plätze einzunehmen. – Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Jetzt sind alle Plätze an den Urnen besetzt. Damit eröffne ich die Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben jetzt alle Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit gehabt, an der Abstimmung teilzunehmen? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben. Wir kommen jetzt unmittelbar zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf der Drucksache 19/7065. Auch hierzu hat die Fraktion der FDP namentliche Abstimmung verlangt. Ich gehe davon aus, dass die Plätze an den Urnen besetzt sind. – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die namentliche Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 19/7065. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es noch einen Kollegen, der nicht die Gelegenheit hatte, an der Abstimmung teilzunehmen? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Auch das Ergebnis dieser Abstimmung wird später bekannt gegeben. Jetzt bitte ich all diejenigen, die an der Debatte teilnehmen wollen, Platz zu nehmen, und all diejenigen, die an der Debatte nicht teilnehmen wollen, die Gespräche woanders zu führen.

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Bemerkung, bevor ich auf den eigentlichen Antrag eingehe. Die AfD hat schon immer jegliche Form von Extremismus, egal ob links, rechts ({0}) oder Islamismus, scharf verurteilt. ({1}) Wir müssen aber konstatieren, dass gegen Rechtsextremismus in geeigneter Weise vorgegangen wird und auch dem islamistischen Extremismus mit einer gewissen Entschlossenheit begegnet wird, auch wenn hier noch entsprechender Optimierungsbedarf besteht. Einzig der Linksextremismus wird vom Staat kaum bekämpft. Deshalb ist dieser Antrag erforderlich. Denn Linksextremismus – daran kann und darf kein Zweifel bestehen – ist eine massive Bedrohung für unsere Demokratie, für unsere Gesellschaft und für unsere Sicherheitsorgane. ({2}) Die Zahl der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund ist 2017 um 37,2 Prozent gestiegen. Die Taten richteten sich zu 69 Prozent gegen Polizei- und Sicherheitsbehörden. Wir alle erinnern uns noch an die bürgerkriegsähnlichen Szenen beim G‑20-Gipfel in Hamburg. Linksextremisten zogen marodierend durch die Straßen. In blinder Zerstörungswut setzten sie Fahrzeuge und Barrikaden in Brand. Sie schlugen Fensterscheiben ein, plünderten hemmungslos Geschäfte und griffen mit Pflastersteinen und mit von Präzisionsschleudern abgeschossenen Stahlkugeln Sicherheitskräfte an. In ihrer Menschenverachtung gingen die Linksextremisten so weit, dass sie Polizeikräfte mit voller Absicht in Hinterhalte lockten, um sie dort mit Gehwegplatten und Molotowcocktails anzugreifen. Nur durch den Einsatz von Spezialkräften und die Verlegung aller bundesweit verfügbaren Polizeikräfte nach Hamburg konnte die Lage bewältigt werden. 231 Polizeibeamte wurden damals verletzt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wird Zeit, dass wir die Dinge wieder beim Namen nennen. Als Polizist und Politiker sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Das ist kein Linksextremismus mehr, das ist Linksterrorismus. ({3}) Liebe links-grün-rote Kollegen – das richte ich auch an Teile der Medien –: Wer mit Steinen, Zwillen und Eisenstangen gegen Polizeibeamte vorgeht, ist kein Aktivist, das ist und bleibt ein Gewaltverbrecher. ({4}) Dass sich Linke, Grüne, SPD angesichts solcher Fakten nach wie vor weigern, die erschreckende Dimension linker Gewalt überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, ja sie sogar verharmlosen, relativieren und leugnen, dass die Regierung immer noch außerstande ist, effektive Maßnahmen gegen den Linksextremismus zu ergreifen, ist – man muss es so deutlich sagen – eine Bankrotterklärung dieses Parlaments. ({5}) Frau Präsidentin Pau, Frau Ministerin Barley und die Kolleginnen und Kollegen Högl, Göring-Eckardt, Hofreiter, Özdemir, Riexinger, Kipping haben mit der Interventionistischen Linken zusammen einen Aufruf unterzeichnet, der sich gegen unsere demokratisch gewählte Partei richtet. Dabei ist die Interventionistische Linke für die Gewaltausbrüche beim G‑20-Gipfel mit verantwortlich. Laut Bundesregierung spielt sie auch eine maßgebliche Rolle bei den Ausschreitungen im Hambacher Forst, wo Polizeibeamte massiv mit Steinen, Flaschen und Fäkalien angegriffen wurden. Nur zur Erinnerung: Die Lage war dort so ernst, dass sich ein Kollege nur mit einem Warnschuss retten konnte. Die Interventionistische Linke ist daher unbestreitbar eine verfassungsfeindliche Organisation. Mit einer verfassungsfeindlichen Organisation kooperiert man nicht, die verbietet man, und zwar sofort. ({6}) Die Unfähigkeit der Bundesregierung bei der Bekämpfung des Linksextremismus führt zu immer häufigeren und schwereren Angriffen auf die Organe unseres Staates. Ich nenne hier exemplarisch ein paar Beispiele. Im April 2018 greifen Linksterroristen vor dem besetzten Haus in der Rigaer Straße in Berlin wiederholt Polizeiwagen mit Steinen an. Auf Indymedia rufen sie zu weiteren Steinwürfen auf, und sie schreiben dort – ich zitiere –: Die durch die Stadt streifenden Schweine sind für uns nichts weiter als verachtenswerte Subjekte, denen wir … ihre Streifenfahrt zur Gefahr werden lassen. Im August 2018 stürmen Linksterroristen die Berliner Senatsjustizverwaltung und bedrohen dort einen Referatsleiter. Im Dezember 2018 verüben Linksterroristen einen Brandanschlag auf den 5. Strafsenat des BGH in Leipzig. Die Bundesregierung ist nicht in der Lage, dieser massiven linksextremistischen Gefahr für unsere Demokratie und unsere Gesellschaft effektive Maßnahmen entgegenzusetzen. Sie schafft es nicht einmal, die Internetplattform dauerhaft abzuschalten, auf der die Terroristen ihre Bekennerschreiben veröffentlichen. Durch einen simplen Wechsel der Webdomain umgehen diese Linksextremisten das Verbot des Innenministers und verbreiten weiter ihre staatsfeindliche und menschenverachtende Propaganda, zuletzt sogar ein Sabotagehandbuch, in dem Anleitungen zu Zerstörungen von Eigentum und zur Zerstörung der Existenz von AfD-Mitgliedern abgegeben werden bis hin – das muss man sich einmal vorstellen – zum mörderischen Abwurf schwerer Steine von Autobahnbrücken. Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, muss endlich Schluss sein. Wir müssen diese Staats- und Menschenfeinde mit aller Konsequenz und mit aller Härte bekämpfen und dürfen nicht, ({7}) wie einige Politiker aus dem linken Spektrum, diese linksextreme Gewalt mit aggressiver Rhetorik befeuern. SPD-Vize Ralf Stegner schrieb am 8. Mai 2016 auf Twitter: Fakt bleibt, man muss Positionen und Personal der Rechtspopulisten attackieren … Cem Özdemir sagte vor der Bundestagswahl: In einer Woche könnte es sein, dass erstmals Nazis wieder in den Deutschen Bundestag einziehen. Ist das kein Anlass zu sagen, … wir wollen alles dafür tun, dass diese Brut in diesem Land nichts zu sagen hat? ({8}) Ich möchte daran erinnern: Als Bundestagspräsident Schäuble am 11. September letzten Jahres dazu aufrief, linksextreme Gewalt ebenso abzulehnen wie rechtsextremistische, verweigerten Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Linken, der SPD und den Grünen, diesem demokratischen Minimalkonsens den Applaus. Das zeigt doch ganz eindeutig, wo die wahren Demokratiefeinde in diesem Parlament sitzen, nämlich links. ({9}) Die Büroleiterin von Andrea Nahles, Angela ­Marquardt, schrieb am 7. September 2018 im SPD-Organ „Vorwärts“: „Im Kampf gegen rechts braucht die SPD auch die Antifa.“ In Ihrem Kampf gegen rechts – wohlgemerkt nicht gegen Rechtsextremismus, sondern gegen rechts, eine völlig legitime demokratische Strömung – haben Sie keinerlei Skrupel, mit Gruppierungen zu kooperieren, die vom Verfassungsschutz dem gewaltorientierten Linksextremismus zugeordnet werden. Das zeigt uns doch ganz eindeutig, dass es Ihnen gar nicht um den Schutz unserer Demokratie geht, sondern nur um den primitiven Erhalt Ihrer Macht ({10}) und Ihrer finanziellen Mittel, meine sehr verehrten Damen und Herren. ({11}) Die Saat Ihrer verbalen Angriffe auf unsere Partei geht auf. Ein Sprengstoffanschlag gegen ein AfD-Bürgerbüro in Döbeln forderte nur deshalb keine Verletzten oder sogar Toten, weil keine Menschen in der Nähe waren. ({12}) Und vor wenigen Tagen wurde unser Abgeordneter Frank Magnitz bei einem Angriff schwer am Kopf verletzt. Von dieser Stelle aus, lieber Frank, wünsche ich dir – ich hoffe, nicht nur im Namen meiner Fraktion – gute Besserung und schnelle Genesung. ({13}) Der Kollege Magnitz ist aber beileibe kein Einzelfall. Unser Fraktionsvorsitzender in Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, erlitt im August 2016 durch Schläge und Tritte ins Gesicht einen Jochbeinbruch. Der Abgeordnete Kay Gottschalk wurde beim Bundesparteitag in Hannover attackiert und schwer an der Hand verletzt. Unsere Häuser werden beschädigt, unsere Autos verbrannt, unsere Büros demoliert. Damit soll der demokratische Diskurs in diesem Land eingeengt werden, und damit wird die Meinungsfreiheit, immerhin einer der zentralen Grundpfeiler unserer Demokratie, massiv angegriffen. ({14}) Jeder überzeugte und aufrechte Demokrat steht daher in der Pflicht, sich diesen linksextremistischen Angriffen entschlossen entgegenzustellen. Beweisen Sie, dass Sie es ernst meinen mit der wehrhaften Demokratie. Zeigen Sie, dass Sie sich auch für die Freiheit von Meinungen einsetzen, die Ihrer eigenen Meinung widersprechen und vielleicht auch schwer erträglich sein mögen. Aber genau das zeichnet eben einen wahren Demokraten aus. ({15}) Wenn Sie weiterhin zulassen, dass Linksextremisten und Linksterroristen unsere Demokratie und unsere Gesellschaft gefährden, dann geht jeder weitere Anschlag, jeder weitere Verletzte und – was Gott verhüten möge – jeder künftige Tote auf Ihr Konto. ({16}) Das müssen wir verhindern. Die Zeit des Redens ist definitiv vorbei. Jetzt muss endlich gehandelt werden. Ich appelliere daher an Sie, unserem Antrag zuzustimmen. ({17})

Dr. Mathias Middelberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004110, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir sollten in der Debatte wieder etwas differenzierter werden. Aber es stimmt: Die linksextreme Gewalt und die politisch motivierte Kriminalität von links in Deutschland machen uns Sorgen. Die Zahlen für 2017 im Verhältnis zu denen für 2016 zeigen, dass das Gesamtstraftataufkommen politisch motivierter Kriminalität von links um 3,9 Prozent gewachsen ist. Bei den politisch motivierten Gewalttaten, also Tötungs- und Körperverletzungsdelikten, haben wir einen Anstieg um 15,6 Prozent zu verzeichnen; Ereignisse wie G 20 sind angesprochen worden. Es gibt also einen Anstieg auch linksextremistischer Gewalt. Dem müssen wir uns stellen; aber dem stellen wir uns auch sehr konsequent. Wir handeln aber nicht nur gegen links, sondern gegen alle Formen des Extremismus. Ganz gleich, ob er von links, von rechts oder religiös motiviert ist: Wir verurteilen alle Formen des Extremismus gleichermaßen ({0}) und gehen gegen all diese Formen vor. ({1}) Schon seit 2012 gibt es das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum, die Kommunikationsplattform für Polizei und Nachrichtendienste auf Bundes- und auf Länderebene. Wir steigern den Personalbestand beim Bundeskriminalamt. Das beinhaltet auch den Personalaufwuchs im Bereich der „PMK-links“ um 54 Stellen. Und wir haben mit dem Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia.org gehandelt. Wir haben bisher noch keine veritablen Erkenntnisse darüber, dass die Betreiber der neuen Plattformen, die ähnliche Namen führen, mit den Betreibern der verbotenen Plattform identisch sind und dieses Vereinsverbot umgangen wird; aber wir beobachten die Szene weiter sehr aufmerksam. Im Übrigen ist die Bundeszentrale für politische Bildung im Vorfeld tätig. Das alles ist auch richtig so. Ich will aber klarstellen: Es gibt nicht nur Extremismus von links, sondern genauso auch Extremismus von politisch rechts oder mit religiös-ideologisch motiviertem Hintergrund. Die Straftaten von der rechten Seite sind zuletzt um 13 Prozent zurückgegangen. Ihre Zahl ist aber insgesamt höher als die von linksextremistischer Seite. Die Zahl der Straftaten mit religiös-ideologischem Hintergrund ist um fast 53 Prozent gestiegen. Insgesamt ist ihre Zahl noch kleiner, aber die Steigerung macht uns besondere Sorgen. Dies alles ist kein schöner Befund. Jede extremistische Straftat ist eine zu viel. Kein Extremismus – um das klar und deutlich zu sagen – ist besser oder schlechter als ein anderer, und man muss auch für keine Form von Extremismus irgendwie Verständnis haben. Wir lehnen alles gleichermaßen ab. ({2}) Politische Straftaten sind immer eine ganz schwierige Sache, weil sich die Täter durch ihre Ideologie – manchmal auch vorgeschobene Ideologie – in besonderer Weise gerechtfertigt fühlen und weil im Unterschied zur Alltagskriminalität nicht nur die jeweiligen Opfer betroffen sind, sondern häufig ganze Gruppen von Personen in der Gesellschaft, die sich aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit, ethnischen Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung durch solche Straftaten bedroht fühlen und letzten Endes auch Angst entwickeln. Deswegen gefährden solche politisch motivierten Straftaten unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung insgesamt, und deswegen stellen wir uns diesen Straftaten mit besonderer Härte und mit besonderer Konsequenz. ({3}) Das zeigt, dass wir am Ende nicht differenzieren dürfen. Es war richtig, dass wir über Chemnitz, über die Straftaten, die es dort gegeben hat, die Ausfälle, nicht nur die Hitlergrüße, sondern auch andere Dinge – ob es jetzt Hetzjagden waren, spielt keine Rolle –, hier im Haus klar und deutlich gesprochen haben. Die Durchsetzung des Rechts und das Gewaltmonopol dieses Staates sind nicht relativierbar, ganz gleich, aus welcher Richtung die Bedrohung kommt, ob von links oder von rechts. ({4}) Ich habe mich gefreut – das sage ich Ihnen ganz deutlich –, dass die Leute, die da den Hitlergruß gezeigt haben, zwei Wochen später vor dem Richtertisch standen. Es ist richtig so, dass unser Rechtsstaat schnell reagiert. ({5}) Aber ich sage auch ganz klar in alle Richtungen dieses Hauses: Wenn Steine oder Flaschen geworfen werden oder sonst wie Gewalt angewandt wird, darf es überhaupt keine Rolle spielen, ob sich das gegen einen Flüchtling, gegen einen Polizeibeamten – wie bei G 20 – oder gegen irgendwelche Politiker, ob von links oder von rechts, von der AfD oder von sonst wem, richtet. Das alles sind miese und fiese Straftaten, die dringend und hart verfolgt gehören. ({6}) Es darf keine Unterschiede geben. Genauso klar, wie wir über Chemnitz gesprochen haben, müssen wir auch über G 20 und die Taten im Hambacher Forst sprechen. Zwillenschüsse auf Polizeibeamte, das Werfen von Molotowcocktails, Brandstiftungen und Fäkalienwürfe auf Polizisten sind keine Aktivitäten von Aktivisten, sondern Straftaten, die verfolgt gehören. ({7}) Wir verfolgen unseren konsequenten Kurs weiter, gegen rechts wie gegen links. Zahlenmäßig gibt es da übrigens gar keinen Unterschied. Laut Verfassungsschutzbericht gibt es in Deutschland 24 000 Rechtsextreme und 28 000 Linksextreme. Bei den Rechtsextremen ist der Anteil gewaltorientierter etwas höher, bei den Linksextremen etwas geringer. Aber im Grunde macht es wenig Unterschied. Gegen beide Gruppierungen und auch gegen religiös motivierte Gruppierungen werden wir weiter konsequent vorgehen, mit der Stärkung unseres Rechtsstaats, mit einer wehrhaften Demokratie und mit dem Pakt für den Rechtsstaat, den wir hier im Haus in seinen einzelnen Schritten regelmäßig beraten. Diesen Kurs – gegen links, gegen rechts und gegen religiös Motivierte – werden wir konsequent fortsetzen. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Nächster Redner ist der Kollege Benjamin Strasser, FDP. ({0})

Benjamin Strasser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben zweifelsohne ein Problem mit Linksextremismus in Deutschland. Besonders besorgt mich, dass wir es laut Verfassungsschutzbericht mit einer steigenden Anzahl gewaltbereiter Linksextremisten zu tun haben. Das kann jeden Demokraten und jede Demokratin in diesem Land nicht kaltlassen, vor allem, weil es ein jahrelanger Trend ist, den wir beobachtet haben. Wir als Freie Demokraten haben in unserer schwarz-gelben Regierungszeit reagiert und die Mittel für Maßnahmen im Kampf gegen Linksextremismus entsprechend erhöht. Umso bedauerlicher ist es, Herr Kollege Middelberg, dass es Ihre Fraktion, die Union, gemeinsam mit der SPD war, die ab dem Jahr 2013 diese Mittel wieder zurückgefahren hat. Das waren verlorene Jahre im Kampf gegen Linksextremismus. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können auch nicht die Augen davor verschließen, wenn Linksextreme in diesem Land Gewalt zunehmend nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen Menschen und insbesondere die Polizei- und Einsatzkräfte in unserem Land verüben. Sie sind es nämlich, die die Knochen für unsere offene Gesellschaft hinhalten. Sie sind es, die dafür sorgen, dass in Deutschland nicht das Gesetz der Straße, sondern das Gesetz des Staates zur Anwendung kommt. Deswegen haben diese Menschen Respekt und auch unseren Schutz verdient. ({1}) Wir erleben aber leider – das ärgert mich besonders –, dass es Vertreterinnen und Vertreter demokratischer Parteien in unserem Land gibt, die linksextreme Gewalt bewusst oder unbewusst relativieren oder gar verharmlosen. Wenn der SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Schleswig-Holstein, Herr Ralf Stegner, nach den G‑20-Randalen in Hamburg ernsthaft erklärt – ich zitiere –: „Ideologisch gesehen ist die Verherrlichung von Gewalt eher rechte Gesinnung. Schwarzer Block und Hooligans sind Kriminelle – keine Linken!“, dann verharmlost das linksextreme Gewalt in unserem Land. ({2}) Wenn Polizistinnen und Polizisten im Hambacher Forst von Autonomen mit Steinen, Molotowcocktails und Fäkalien beworfen werden, dann ist das kein kreativer Protest, sondern linksextreme Gewalt in unserem Land. Ich erwarte von Demokratinnen und Demokraten, dass sie dazu nicht schweigen oder das nur floskelhaft bedauern, sondern dass sie entschieden widersprechen. Das erwarte ich gerade auch von den linken demokratischen Parteien in unserem Land. ({3}) Denn eines ist klar – das haben wir vorhin wieder erlebt –: Verharmlosung und Relativierung nützen nur einer Partei in diesem Hohen Haus, und die sitzt hier am rechten Rand. Damit wären wir dann auch bei der AfD. Das, was Sie hier abgezogen haben, ist doch sehr bemerkenswert. Ihr vermeintlicher Kampf gegen den Linksextremismus dient eigentlich nur dazu, Ihre eigenen Probleme mit Rechtsextremen in Ihrer Partei, mit den braunen Flecken, in Deutschland zu kaschieren und die Scheinwerfer entsprechend auf den Linksextremismus zu werfen. ({4}) Sie stellen einen wohlfeilen Antrag gegen Linksextremismus ins Schaufenster, und Björn Höcke bzw. die Junge Alternative dekoriert Ihren Laden so braun, dass jetzt der Verfassungsschutz tätig werden muss. ({5}) Aber die Spitze der Scheinheiligkeit sind die inhaltlichen Forderungen in Ihrem Antrag. Am letzten Montag durften wir erleben, dass Sie wahrheitswidrig behaupten, die anderen demokratischen Parteien hätten Einfluss auf die Entscheidung über die Beobachtung durch den Verfassungsschutz genommen. ({6}) Frau Weidel behauptete sogar, Herr Maaßen sei nur deswegen abgelöst worden. Drei Tage später stellen Sie einen Antrag, in dem Sie die Bundesregierung auffordern, ein Vereinsverbot zu erlassen. Damit wollen nun Sie über den Deutschen Bundestag politischen Einfluss auf die Entscheidung der Bundesregierung nehmen, nur weil Ihnen das nicht passt. ({7}) Was gilt denn jetzt, Frau Weidel? Soll man nur einschreiten, wenn es Ihnen politisch opportun ist? Oder sollen unsere Sicherheitsbehörden nach Recht und Gesetz entscheiden? Ich habe Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden, dass sie genau das tun. ({8}) Im Endeffekt – ich komme zum Schluss, Herr Präsident – wird der Kampf gegen Extremismus nicht nur von Sicherheitsbehörden geführt, sondern von allen Demokratinnen und Demokraten in diesem Land. Deswegen liegt es auch an uns Parlamentariern, entsprechend zu handeln. Populismus und Extremismus leben von Problemen. Es liegt an uns, diese Probleme zu lösen und diesen Leuten hier im Parlament den Nährboden zu entziehen. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Uli Grötsch, SPD, ist der nächste Redner. ({0})

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etwas irritierend ist es schon, dass die AfD gerade in dieser Woche einen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringt, mit dem sie vorgibt, die Demokratie schützen zu wollen. Warum das nicht nur vom Zeitpunkt her schräg ist, sondern warum dieser Antrag zum Schutz der Demokratie genauso ungeeignet ist wie die ganze Partei oder Fraktion zum Schutz der Demokratie, will ich Ihnen aber gern kurz darstellen. ({0}) Denen den Schutz unserer Demokratie zu überlassen, die dieses Land so, wie es ist, und das friedliche Zusammenleben in unserem Land ablehnen, wäre so, als würde man einem Einbrecher den Schlüssel zu seiner Wohnung überlassen. ({1}) Ich sage Ihnen: Sie können uns, einer Partei, die von Kommunisten genauso verfolgt wurde wie von Rechtsextremisten, ganz bestimmt nichts über Extremismusprävention erzählen, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD. ({2}) Eines will ich auch klarstellen – hören auch Sie gerne zu, Herr Strasser –: Es war diese Koalition und es waren SPD-Familienministerinnen, die die Mittel im Kampf gegen politischen Extremismus seit 2013 Jahr für Jahr aufgestockt haben. ({3}) Die Mittel im Kampf gegen den politischen Extremismus sind heute so hoch, ({4}) wie sie es in der Geschichte des Landes noch nie waren. Merken Sie sich das! Vielleicht haben Sie sich in der Vorbereitung auf Ihre Rede auch verlesen. Natürlich – das ist völlig unstrittig – ist jede Form des Extremismus zu verurteilen. ({5}) Aber ich sage schon seit vielen Jahren und sage es Ihnen gerne heute noch einmal: Ein Vergleich von Linksextremismus und Rechtsextremismus verbietet sich gerade in unserem Land. ({6}) Es gibt in Deutschland drastisch viel mehr gewaltorientierte Rechtsextreme als Linksextreme. ({7}) Wir hatten im Jahr 2017 trotz der hohen Zahlen durch den G‑20-Gipfel in Hamburg dreimal mehr Straftaten, die politisch rechtsextrem motiviert waren, als linksextrem motivierte. ({8}) Natürlich ist jeder Tote einer zu viel. Natürlich ist jede Straftat eine zu viel. Aber ich nenne Ihnen gerne einmal die Zahlen: Seit 1990 hat der Linksextremismus tragischerweise vier Menschenleben gekostet. Im gleichen Zeitraum hat der Rechtsextremismus 194 Menschenleben gekostet, sehr geehrte Damen und Herren. Das ist ein Punkt, der hier Erwähnung finden sollte. Wenn wir über Zahlen und die Entwicklung von Zahlen reden, wird 2016 sogar noch deutlicher, wo die Probleme des politischen Extremismus in unserem Land liegen. 2016 hatten wir nämlich viermal so viele Straftaten, die mit rechtsextremistischem Hintergrund begangen wurden, wie wir Straftaten hatten, die linksextremistisch motiviert waren. ({9}) Ihr Vergleich ist vor allem deshalb brandgefährlich, weil er schwerste Verbrechen relativiert, die Rechtsextreme in diesem Land verübt haben, Stichwort „Nationalsozialistischer Untergrund“. Ich denke auch, ganz aktuell, an die NSU-Opferanwältin Seda Basay-Yildiz, die Drohbriefe von einem sogenannten NSU 2.0 erhalten hat, in den offenbar sogar Polizeibeamte verstrickt sind. Das sind die Probleme, mit denen wir uns im Zusammenhang mit dem politischen Extremismus zuallererst befassen müssen. ({10}) Um es klar zu sagen: Die wahre Gefahr in unserem Land kommt immer noch von rechts. Deshalb darf Linksextremismus niemals mit Rechtsextremismus auf eine Stufe gestellt werden. ({11}) Es ist schon immer schändlich – es ist auch am heutigen Tage schändlich –, den Versuch zu unternehmen, den Scheinwerfer von rechts nach links zu drehen, weil so rechts die Dunkelheit entsteht, die wohl den Begriff „Dunkeldeutschland“ vor ein paar Jahren geprägt hat. Wir werden weiterhin unser Augenmerk auf den Rechtsextremismus richten, auch wenn es Sie womöglich schmerzt. ({12}) Um es ganz deutlich zu sagen: Nichts rechtfertigt Gewalt gegen Politiker. Auch ich wünsche Ihrem Kollegen baldige Genesung und verurteile den Angriff. ({13}) Aber wie verzweifelt müssen Sie sein, dass Sie Angriffe auf Kollegen Ihrer Fraktion ausschmücken müssen? Von wegen „mit Kantholz geschlagen“, von wegen „am Boden noch nachgetreten“! Wir haben das Video doch alle gesehen. Sie haben bewusst gelogen, weil Sie als Opfer linker Gewalt dastehen wollten. ({14}) Das ist doch der Antrieb, der dahintersteckt. Die Märtyrerkrone verdienen Sie ganz bestimmt nicht. Was da getan wurde, ist einfach nur schändlich. ({15}) Aber ich kann Sie beruhigen, sehr geehrte Damen und Herren von der AfD. Auch den Linksextremismus haben unsere Sicherheitsbehörden auf dem Schirm. Ich erinnere an das rigorose Vorgehen gegen die Randalierer beim G‑20-Gipfel in Hamburg und an die hohen Strafen der Gerichte, die folgten. Was Sie mit „verstärktem Vorgehen“ in Ihrem vorliegenden Antrag konkret meinen, lassen Sie im Ungewissen. Sie sind eben nur kurz darauf eingegangen, Herr Hess. Hoffentlich meinen Sie nicht so etwas wie den Einsatz vom November 2018 in der Rigaer Straße in Berlin, wo die Polizei mit 560 Mann, mit einem Hubschrauber und Spezialkräften nach 4 Tatverdächtigen gesucht hat. Wenn Sie das mit entschlossenem Handeln meinen, dann sollten Sie dringend noch einmal in sich gehen. Aber darum geht es Ihnen gar nicht. Es geht Ihnen nicht darum, gegen Demokratiefeinde vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen; denn Sie lehnen unser Land, so wie es ist – das haben Sie zuletzt auf Ihrem Europaparteitag wieder deutlich gemacht –, einfach ab. Sie selbst sind die Feinde der Demokratie.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege, der Kollege Hess würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Uli Grötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004282, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es gibt in Ihrer Fraktion nur einen, von dem ich eine Zwischenfrage zulasse. Sie sind es nicht, Herr Hess. – Ich lasse die Frage nicht zu, Herr Präsident. ({0}) Ich komme zum Schluss. Ich habe Verständnis dafür, dass Sie derzeit sehr nervös sind – das hat man auch im Innenausschuss in dieser Woche gesehen –, weil Sie das Bundesamt für Verfassungsschutz als Prüffall einstuft. ({1}) – Bleiben Sie ruhig! – Auf über 440 Seiten hat das BfV mit den Landesverfassungsschutzämtern Material zusammengetragen, das verfassungsfeindliche Tendenzen belegt. Wir haben jetzt schwarz auf weiß, dass Sie die Feinde der Demokratie sind. Seien Sie sich sicher: In der nächsten Zeit kommt es bei Ihnen auf jedes Wort an, das Sie sagen oder schreiben. Wir sind wachsam, seien Sie sich dessen gewahr. Und: Wir sind mehr! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. André Hahn, Die Linke. ({0})

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat schon etwas Kurioses, wenn eine Partei das Thema Extremismus auf die Tagesordnung setzt, die wegen unübersehbarer rechtsextremistischer Tendenzen inzwischen selbst vom wahrlich nicht linksorientierten Bundesamt für Verfassungsschutz als Prüffall eingestuft wird. ({0}) Die AfD verfolgt mit ihrem vorliegenden Antrag erkennbar zwei Ziele. Zum einen will sie von ihren eigenen rechtsextremistischen Strömungen und Führungspersonen ablenken. ({1}) Zum anderen will sie jene diskreditieren und von staatlicher Förderung abschneiden, die sich gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus mit friedlichen Mitteln zur Wehr setzen. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. ({2}) Die übergroße Mehrheit der Menschen in unserem Land steht für Toleranz, Weltoffenheit und ein friedfertiges Europa für alle, und das ist auch gut so. Für meine Fraktion will ich ganz eindeutig erklären: Die Linke ist gegen jede Form von Gewalt, ({3}) egal, von wem sie ausgeht, und egal, gegen wen sie gerichtet ist. ({4}) Gewalt ist kein Mittel der politischen Auseinandersetzung und darf es auch nie werden. Gleichwohl inszeniert sich die AfD gerne als Opfer linker Gewalt, und das kommt nicht von ungefähr; denn dieser Opfermythos ist geradezu sinnstiftend für diese Partei. Er ist von zentraler Bedeutung für ihr Selbstverständnis und insbesondere für ihre Selbstdarstellung. Meine Damen und Herren, reden wir doch einmal über das Verhältnis der AfD zum Extremismus. Am Montag dieser Woche griffen Mitglieder der sogenannten Identitären Bewegung, die der AfD-Bundestagsabgeordnete Bystron gern als „Vorfeldorganisation der AfD“ bezeichnet, in einer bundesweit konzertierten Aktion zahlreiche Gebäude von Medien und Parteibüros in ganz Deutschland an. Eine Mitarbeiterin der Tageszeitung „taz“ wurde von Rechtsextremisten bedrängt und verletzt. Der Staatsschutz ermittelt wegen Hausfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung. Diese Angriffe auf Journalisten und Zeitungsredaktionen sind absolut inakzeptabel. So etwas darf es nicht geben. ({5}) Ich füge hinzu: Ich habe von der AfD dazu kein einziges Wort der Kritik gehört. Mit Ihren teils offen rassistischen Äußerungen, mit nationalistischen und geschichtsrelativierenden Aussagen ({6}) Ihrer Mitglieder und Funktionäre und mit immer neuen Grenzüberschreitungen versuchen Sie, die Grenzen dessen, was in diesem Land gesagt und getan werden darf, Stück für Stück nach rechts zu verschieben. Und ich füge hinzu: Vor allem die Unionsfraktion darf sich nicht dazu verleiten lassen, diesen Wettbewerb mitzumachen. Sie kann und wird ihn nicht gewinnen. ({7}) Die AfD sät Hass gegen Minderheiten, sie hetzt gegen Andersaussehende und Andersliebende. ({8}) Das ist übrigens ein Grund, warum Menschen vor Parteitagen der AfD demonstrieren wie am letzten Samstag. Trotz teils heftigem Regen waren es in Riesa fast 1 500 Menschen. ({9}) Auch dort wurden linke Krawalle von Ihnen geradezu herbeigeredet. Es gab ein riesiges Polizeiaufgebot. Innerstädtischen Händlern wurde von offizieller Seite sogar geraten, ihre Läden zu schließen. Die Demo ging letztlich mitten durch die Fußgängerzone, eine Einkaufsstraße, wo die meisten Geschäfte zum Glück geöffnet waren. Passiert ist nichts, absolut gar nichts! Sozialdemokraten, Grüne, Linke, Kirchenleute und Antifaschisten haben völlig friedlich demonstriert. ({10}) Doch halt: Einen Zwischenfall gab es. Vor dem Tagungsort der AfD, wo die Reden der Gegendemonstranten stattfinden sollten, kamen plötzlich zwei schwarz gekleidete Gestalten hinzu. ({11}) Einer hob die Hand zum Hitlergruß, ein anderer soll ein T‑Shirt mit Hakenkreuz unter der Jacke getragen haben. Dass das einige Demonstranten empörte, ist nachvollziehbar. ({12}) Die Polizei bekam die Situation aber schnell in den Griff. ({13}) – Ja, auch wenn Sie es nicht gerne hören wollen: Nicht linke Extremisten haben dort provoziert, sondern Leute direkt aus dem Umfeld Ihres AfD-Parteitages. ({14}) Aber dazu kam von Ihnen kein Wort der Kritik. ({15}) Wir als Linke haben uns hingegen sofort und entschieden vom Angriff auf den AfD-Abgeordneten Magnitz distanziert. ({16})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Herr Kollege Hahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. André Hahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004288, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, das möchte ich jetzt nicht. ({0}) Wir haben uns klar distanziert vom Angriff auf Ihren Abgeordneten, der durch nichts zu rechtfertigen ist. ({1}) Ich füge aber hinzu: Es ist schwer hinnehmbar, wie die AfD diesen Vorfall massiv für ihre politischen Zwecke ausschlachtet. ({2}) Da war von einem Mordanschlag die Rede, obwohl die Videoaufnahmen zeigten, was tatsächlich passiert ist. ({3}) Parteichef Meuthen sprach von Linksterror, obwohl bis zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht klar ist, ob die Tat überhaupt politisch motiviert war. ({4}) Reden wir doch mal über das Verhältnis der AfD zum Rechtsstaat. Ich erlaube mir den Hinweis, dass es gegen fast 10 Prozent aller AfD-Abgeordneten bundesweit strafrechtliche Ermittlungen gab oder gibt. ({5}) Da geht es etwa um Körperverletzung, um Volksverhetzung oder um Beleidigung. Meine Damen und Herren, wir können wirklich von Glück reden, dass die Kriminalitätsrate in der Bevölkerung nicht annähernd so hoch ist wie die in der AfD. ({6}) Reden wir schließlich über Menschen, die alltäglich Hetze und Gewalt befürchten oder erleben müssen. Im Jahr 2018 gab es über 100 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und fast 1 500 Angriffe auf Asylsuchende außerhalb ihrer Unterkünfte. ({7}) Es sind nicht zuletzt die AfD und ihre Hilfstruppen, die dafür mitverantwortlich sind. ({8}) Und es ist leider auch Innenminister Seehofer, der mit höchst fragwürdigen Äußerungen der AfD in die Hände spielt. ({9}) Wer beim Thema Asyl ständig eine neue Sau durchs Dorf treibt, wer die Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklärt, der trägt zu einer weiteren Spaltung unserer Gesellschaft bei. Damit muss Schluss sein! ({10}) Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. ({11}) Herz statt Hetze, das sollte unser aller Motto sein. Deshalb werden wir als Linke weiterhin konsequent jeden gewaltfreien Widerstand gegen die Politik der AfD unterstützen. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001938

Irene Mihalic, Bündnis 90/Die Grünen, ist die nächste Rednerin. ({0})

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die AfD hat wieder einmal tief in die Zahlenkiste gegriffen und sich dabei genau das herausgepickt, was ihr am besten in den Kram passt. Herausgekommen ist ein Antrag, ein wildes Sammelsurium aus einzelnen Vorgängen, jeder Menge Polemik und Halbwahrheiten. Das alles hat mit einem ernsthaften Ringen um die beste politische Lösung nicht das Geringste zu tun. Ihnen geht es hier um pure Stimmungsmache. ({0}) Dabei bestreitet niemand, dass wir es mit einer viel zu hohen Zahl an politisch motivierten Straf- und Gewalttaten zu tun hatten. Damit haben wir uns auch hier im Parlament schon intensiv beschäftigt; wenn ich an die Debatten über Chemnitz oder die Blockupy-Proteste in Frankfurt in der letzten Wahlperiode erinnern darf. Aber Ihre Darstellung, wir hätten es nahezu ausschließlich mit einer linksextremistischen Bedrohung zu tun, ist völlig absurd und entbehrt jeder Grundlage. ({1}) Allein schon Ihre Ausgangsfeststellung im Antrag – „zunehmende Gewalt durch Linksextremisten“ – ist schlichtweg falsch. Wenn Sie schon Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik anführen, dann wäre es gut, wenn Sie da einmal etwas genauer hingeschaut hätten. Gerade von Ihnen, Herr Hess – Sie sind Polizeibeamter –, hätte ich etwas mehr Sachkenntnis im Umgang mit der Polizeilichen Kriminalstatistik erwartet. ({2}) Aber ich helfe Ihnen da gerne weiter. Der Höhepunkt linkextremer Gewalttaten war das Jahr 2015 – das schreiben Sie ja auch in Ihrem Antrag –; aber diese Zahl von 2 246 Taten wurde danach, selbst im Jahr 2017, dem Jahr des G-20-Gipfels in Hamburg, nicht mehr erreicht. Wenn man genauer in die Zahlen zu den Gewalttaten schaut, dann kommt man zu weiteren Differenzierungen, die Ihr Antrag im Übrigen nicht im Entferntesten widerspiegelt. So gibt es vor allem in den Jahren 2016 und 2017 jeweils deutlich mehr Körperverletzungen aus dem Bereich politisch motivierte Kriminalität rechts als links. 2016 gab es 916 Körperverletzungen durch linksmotivierte, aber 1 393 durch rechtsmotivierte Täter. 2017 hatten wir 661 Körperverletzungen links, aber 961 rechts. Und die Zahlen für 2018, die wir Grünen mit Stand Oktober abgefragt hatten, bestätigen diesen Trend. Da hatten wir nämlich 224 Körperverletzungen links, aber 557 rechts. Sie sehen also, dass es nicht besonders aussagekräftig ist, einfach nur die Gesamtzahl gegeneinander aufzurechnen. Man muss sich schon wirklich die Details anschauen. ({3}) Dann sieht man nämlich, dass Landfriedensbruch, das hauptsächliche Deliktfeld von Linksextremisten in der PMK-Statistik als Gewalttat bewertet wird, aber Bedrohung und Nötigung zum Beispiel nicht. Aber in diesem Deliktbereich gibt es ein deutliches Übergewicht von rechtsmotivierten Taten. Aber Differenzierungen – das habe ich inzwischen verstanden – sind ja nicht so Ihr Ding. Sie haben es ja eher mit Gesamtzahlen. In diesem Zusammenhang habe ich noch etwas für Sie: In Ihrem Antrag nennen Sie die Steigerung von 3 229 auf 6 393 erfasste Straftaten im Bereich Linksextremismus zwischen 2012 und 2017. Aber was Sie nicht sagen, ist, dass Rechtsextreme jährlich 20 000 Straftaten verüben. Im Jahr 2016 waren es sogar 22 471. Ja, wo bleibt denn da die Einordnung? ({4}) Ganz zu schweigen von den politisch motivierten Tötungsdelikten. Da schweigen Sie ganz laut, und Sie wissen auch ganz genau, warum. Uli Grötsch hat es vorhin angesprochen: Jedes Opfer ist eines zu viel. Darin sind wir uns hier hoffentlich alle einig. Wenn man sich aber die unterschiedlichen Phänomenbereiche in den letzten Jahrzehnten anschaut, dann wird klar, dass das hochrelevant ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) In den offiziellen Zahlen sind die zehn Mordopfer des NSU noch nicht einmal aufgeführt, weil sie eben falsch eingeordnet worden sind. Auch die neun Todesopfer des Münchner Amoklaufs werden bis heute nicht als Opfer eines rechtsmotivierten Täters eingestuft, obwohl sogar ein Gutachten, das die Stadt München dafür eigens in Auftrag gegeben hat, den rechtsmotivierten Hintergrund glasklar belegt. Allzu oft wird ein rechtsextremistisches oder ein rechtsmotiviertes Tatmotiv von den Behörden in irgendeiner Art und Weise wegdefiniert oder die Tat irgendwelchen verwirrten Einzeltätern zugeschrieben. Das erleben wir aktuell zum Beispiel beim Attentäter von Bottrop. Nein, meine Damen und Herren, wir müssen uns keine Sorgen machen – das zeigt auch ein Blick in die Geschichte –, dass sich unsere Sicherheitsbehörden zu wenig mit dem Linksextremismus, aber dafür zu intensiv mit dem Rechtsextremismus befassen. ({6}) Auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht weist 22 linksextreme Gruppierungen aus; im Bereich Rechtsextremismus werden gerade einmal 10 beobachtet. Daran wird schon sehr deutlich, wo sehr genau hingeschaut wird und wo vielleicht eher nicht. Also, ersparen Sie uns bitte Ihre dilettantischen, auf gefährlichem Halbwissen basierenden Anträge! ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Mihalic, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Irene Mihalic (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004353, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich gestatte keine Zwischenfrage. Ich komme nämlich jetzt zum Schluss. ({0}) Wir dürfen uns natürlich nicht damit zufriedengeben. Wir müssen alles tun, um jede extremistische Gewalt in die Schranken zu weisen. Das tun wir selbstverständlich am besten, indem wir versuchen, mit unseren politischen Entscheidungen das gesellschaftliche Klima positiv zu beeinflussen. ({1}) Dazu gehört eben Zusammenhalt statt Spaltung und Toleranz, statt Ausgrenzung. Darum muss es hier gehen. Ganz herzlichen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist der Abgeordnete Marian Wendt. ({0})

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist fast rührend: Die Lieblingsbeschäftigung der AfD, die Wiedergabe der Kremlpropaganda, musste der vermeintlichen Sorge um Extremismus weichen. Die AfD hat zu diesem TOP ein Russland-Pamphlet durch einen diffusen Text zum Linksextremismus ersetzt. Das Ziel ist klar: Die AfD lässt keine Gelegenheit aus, um sich zum Opfer zu stilisieren. Dabei ist sie selbst ein „Prüffall“ für den Verfassungsschutz. Jens Maier, der selbsternannte „kleine Höcke“, wurde aus meiner Sicht zu Recht wegen rassistischer Beleidigung auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 15 000 Euro verurteilt. Ich denke, die Demokratie und der Rechtsstaat müssen nicht nur vor linken Gewalttätern, sondern vor allem auch vor der AfD geschützt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Der Antrag spekuliert darauf, Bund und Länder würden den Linksextremismus vernachlässigen. Ein ganz frisches Beispiel, warum das nicht stimmt: Vor wenigen Tagen wurde die Durchsuchung des Black Triangle in Leipzig durchgeführt. Dies ist einzig und allein dem Engagement der sächsischen sowie der Bundespolizei zu verdanken. De facto wurde damit das Objekt geräumt. Wir gehen konsequent mit unseren Einsatzkräften gegen Linksextremismus vor. Ihnen gelten Respekt und Anerkennung. ({1}) Der Linksextremismus ist eine Plage, die es nicht nur verbal zu verurteilen, sondern mit jedem rechtsstaatlichen Mittel zu bekämpfen gilt. Er greift die freiheitlich-demokratische Grundordnung und somit unser Gemeinwesen an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz registriert die Ausweitung der Ziele, der Handlungsfelder des Linksextremismus und auch die Steigerung der Zahl der Aktiven im linksextremistischen Milieu. Das linksextremistische Personenpotenzial ist 2017 um knapp 4 Prozent auf insgesamt 29 500 Personen angewachsen. Der Zuwachs an gewaltorientierten Linksextremisten betrug dabei 6 Prozent. Körperverletzungen, Brandstiftungen, Sachbeschädigungen, Blockaden, Landfriedensbruch, Angriffe auf Polizeibeamte – das sind nur einige der gefährlichen Aktivitäten von links. Die Täter: Antiglobalisten, Antifaschisten, Antikapitalisten, selbsternannte Antirassisten, alle möglichen Splittergruppen, trotzkistische Sekten, kurzum: gewaltbereite Antidemokraten. Und wir? Wir müssen regelmäßig vor diesen Gefahren gewarnt werden und dagegen vorgehen. Das ist ein Verdienst des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das sich engagiert dem Kampf gegen links stellt. Und es ist ein Verdienst der CDU/CSU-Fraktion, die dies auch ohne die AfD in all den Jahren immer wieder thematisiert hat und hier im Plenum vorgetragen hat. Dem neuen Präsidenten Haldenwang wünsche ich für seine neue Aufgabe alles Gute. Wir werden gemeinsam den Kampf gegen Extremisten fortsetzen. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat auch in letzter Zeit bereits viel getan, um linksextremistische Aktivitäten im Internet und in den sozialen Medien zu bekämpfen. So wurde unter Thomas de Maizière die Website linksunten.indymedia bereits im August 2017 verboten. Das muss weitergehen; wir unterstützen diesen Weg. ({2}) Ich sage auch: Für ein konsequentes Vorgehen gegen linksextremistische Webseiten sind auch die Länder mitverantwortlich. Hier braucht es, koordiniert durch den Bund, eine noch stärkere Zusammenarbeit, um dieser Plage, wie gesagt, Herr zu werden. Meine Damen und Herren, die Bekämpfung des Linksextremismus ist ein zentrales Anliegen der Union. So konnten wir im Koalitionsvertrag unsere genuine Forderung nach nachhaltiger Absicherung von qualitativ guten Programmen zur Demokratieförderung und Ex­tremismusprävention sowie den Ausbau unserer erfolgreichen Programme, unter anderem gegen diese Art von Extremismus, verankern.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Wendt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hampel?

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Immer zu.

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Kollege Wendt, stimmen Sie mir zu, dass Sie die Seite linksunten.indymedia und andere ähnliche Seiten mit dem gleichen Inhalt heute nach wie vor im Internet finden? – Nummer eins. Und: Können Sie mir sagen, warum Sie seit Jahren in der Regierungsverantwortung nichts gegen diese Seite unternommen haben, obwohl dort zu Terroranschlägen aufgerufen wurde, Mordaufrufe erfolgt sind und selbst gegen Ihren Parteifreund in der Berliner CDU Mordhetze betrieben worden ist? Können Sie mir sagen, warum Sie überhaupt so viele Jahre gebraucht haben, um da einen Staatsanwalt aktiv werden zu lassen? Stimmen Sie mir zu, dass die Seiten nach wie vor im Internet zu lesen und zu empfangen sind?

Marian Wendt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004441, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Hampel, Thomas de Maizière hat die Seite linksunten.indymedia im letzten Jahr verboten, sie ist von deutschen Servern gelöscht. In einem Rechtsstaat, den unser Land nun einmal darstellt, können wir nicht auf die Server in anderen Ländern zugreifen. Wir können dies durch Kooperation machen; da sind wir dabei. Wir können aber nicht, wie Ihnen das vielleicht vorschwebt, die Kavallerie schicken oder einfach einmarschieren und die Server kaputtmachen. Wir handeln als Rechtsstaat. ({0}) Das mag Ihnen nicht schmecken; aber so funktioniert das in unserem Land. Diesen Weg, den rechtsstaatlichen Weg, werden wir konsequent weitergehen. Dort, wo diese Dinge im Ausland lagern, werden wir Entsprechendes tun. Sie können vielleicht Herrn Putin fragen, ob er zu dieser Kooperation bereit ist. ({1}) Ich glaube, sehr viele Server, die unsere Sicherheit bedrohen, stehen in diesem Land. Dann wäre uns sehr geholfen. – Vielen Dank. ({2}) Damit bin ich bei einem weiteren Punkt: Es hilft nicht, nur nach Verboten zu suchen. Nein, wir müssen auch weiterhin die Befugnisse der Sicherheitsbehörden stärken. Es braucht Quellen-TKÜ, es braucht Onlinedurchsuchungen, es braucht Verantwortung von Internet- und Mobilfunkprovidern, um die Ermittlungen gegen Links- und Rechtsextremisten weiter zu unterstützen. Aber ich sage grundsätzlich an uns alle gerichtet auch: Das probate Mittel gegen links, ja gegen jede Art von Extremismus ist die Stärkung der Mitte. Der Rechtspopulismus der AfD hilft hier nicht; er ist sogar schädlich. Rechtsgerichtete Parolen und eine vermeintlich konservative Hetze feuern die Linksextremisten nur an. Rechts mobilisiert links und umgekehrt; so entsteht Extremismus. Eine starke Mitte hingegen, die heute nur die Unionsfamilie darstellt, ({3}) ist einzig und allein in der Lage, den Links- und Rechtsextremismus politisch zu neutralisieren. Lassen Sie uns deshalb den Antrag der AfD ablehnen und vielmehr die Politik der Bundesregierung in der Bekämpfung des Linksextremismus unterstützen. Vielen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Als Nächste spricht für die Fraktion der FDP die Kollegin Linda Teuteberg. ({0})

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist richtig und notwendig, Linksextremismus in Deutschland zu bekämpfen. Es gibt ein Problem mit linker Gewalt, mit extremistischen Strukturen und Organisationen in den sogenannten alternativen Milieus. Da ist nichts aufgebauscht, wie Frau Schwesig mal meinte, man muss nur hinsehen. Der demokratische Rechtsstaat darf auf keinem Auge blind sein – nicht auf dem rechten und auch nicht auf dem linken. ({0}) Für Parteien ist dieser Anspruch zwar wünschenswert, aber nicht verpflichtend. Anders kann man sich nicht erklären, dass die AfD sich einerseits über linken Extremismus beschwert, aber gleichzeitig über rechte Netzwerke und extremistische Äußerungen in den eigenen Reihen großzügig hinwegsieht. ({1}) Allerdings würde ich mir wünschen, dass auch von der linken Seite des Hauses genauso auf extremistische Entwicklungen in der linken Szene geblickt wird ({2}) und man sich nicht wie bei den Krawallen in Hamburg noch als Schutzmacht vor linke Gewalttäter stellt. Ich erinnere da an bürgerkriegsähnliche Szenen in Hamburg. ({3}) Wer hier auf dem linken Auge blind ist, der verliert auch an Glaubwürdigkeit, wenn er zu Recht rechten Extremismus kritisiert. ({4}) Es gibt keine ethische Überlegenheit einer Variante des gewaltbereiten Extremismus gegenüber einer anderen. Wer über die rechtsextremen Entwicklungen reden will, der darf über Linksextremismus nicht schweigen. Dazu muss man sich zum Beispiel nur die Nähe der „Roten Hilfe“ vor allem zur Linkspartei anschauen, einer Organisation, die Linksextreme vor Gericht gegen die Auflage unterstützt, dass diese im Anschluss ihren militanten Kampf gegen unsere Republik fortsetzen und nicht mit den Behörden kooperieren. Aus gutem Grund wird inzwischen auch ein Verbot der „Roten Hilfe“ geprüft. Die Behörden sind hier eben nicht einäugig, einige parteipolitische Akteure schon. ({5}) Es gibt wahrlich viele Dinge, die bei unseren Sicherheits- und Nachrichtendiensten besser funktionieren könnten. Darüber sprechen wir mit bedauerlicher Regelmäßigkeit im Innenausschuss und in manchen Untersuchungsausschüssen. Aber ein Ungleichgewicht in der Aufmerksamkeit gegenüber Links- oder Rechtsextremismus kann ich da nicht erkennen. Dass Linke und Rechte wechselseitig genau das beklagen, sich also Extremisten aller Farben ungerecht behandelt fühlen, bestätigt eher, dass manches doch richtig gemacht wird. ({6}) Allerdings: Vor aller Diskussion um Prüfungen oder gar Verbote als Ultima Ratio des Rechtsstaats steht unsere Verantwortung – mein Kollege Benjamin Strasser hat das betont – dafür, wie wir diskutieren und handeln. Zwei Grundsätze sind dabei wichtig: Gegen Antidemokraten zu sein, macht einen selbst noch nicht zum Demokraten; dazu gehört mehr. ({7}) Und: Das Gewaltmonopol des Staates und die Durchsetzung des Rechts sind nicht relativierbar – ohne Wenn und Aber. Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Frau Teuteberg – jetzt ist es eigentlich zu spät –, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung von Herrn Nolte von der AfD?

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, klar.

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Bitte sehr.

Jan Ralf Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004842, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Bemerkung zulassen. – Sie haben viel Richtiges über Linksextremismus gesagt, aber auch Falsches über die AfD. Auf der Seite des Verfassungsschutzes kann man nachlesen, dass in die Bewertung unserer Partei auch der Umstand mit eingeflossen ist, dass wir uns von klar extremistischen Personen und Personenzusammenschlüssen distanzieren. ({0}) Haben Sie das nicht gewusst, oder haben Sie das hier mit Absicht weggelassen?

Linda Teuteberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004913, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, jeder von uns kann hier seine Auffassung zum Ausdruck bringen – Sie Ihre, ich meine. Vielen Dank. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster redet Hans-Jürgen Irmer für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Hans Jürgen Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hochverehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur DNA der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehört es – das gilt für jeden einzelnen Abgeordneten im Hessischen Landtag, aber auch in allen anderen bundesdeutschen Landtagen –, Extremismus, gleich welcher Art, zu bekämpfen. ({0}) Ob Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus: spielt überhaupt keine Rolle. Extremismus ist per se immer schlecht, und deshalb muss er konsequent bekämpft werden. ({1}) Meine Damen und Herren, was in unserer Gesellschaft leider – zumindest partiell – fehlt, ist der antitotalitäre Grundkonsens, wonach gegen Extremisten jedweder Farbe mit derselben Konsequenz und nach denselben Maßstäben vorzugehen ist. Es ist für die weitere Entwicklung der Demokratie ein gefährliches Spiel, wenn eine Spielart des Extremismus unter Artenschutz gestellt und verharmlost wird. ({2}) Lieber Kollege Grötsch, bei aller großen Wertschätzung persönlicher Art: Wenn Sie sagen, der Linksextremismus sei im Prinzip weniger gefährlich als der Rechtsextremismus, dann ist das schon eine Art Relativierung, die ich nicht akzeptieren kann. ({3}) Dem Opfer ist es völlig egal, ob es aus rechtsradikalen oder linksradikalen Motiven heraus attackiert worden ist. Im Übrigen, Kollege Hahn, ist es ja bezeichnend, dass Sie zwar zum Rechtsextremismus etwas gesagt haben – was im Grunde genommen per se richtig ist –; aber Sie haben zum Thema Linksextremismus bezeichnenderweise nichts gesagt. Leider ist das Thema Linksextremismus ein beredtes, aktuelles Thema. Ich nehme das Thema „Hambacher Forst“, ich nehme das Thema „G 20 Hamburg“, und ich nehme auch das Thema „EZB Frankfurt“. Meine Damen und Herren, wenn Sie dort persönlich als Familie betroffen sind, weil eine Tochter bei dieser Demonstration als Polizeibeamtin im Einsatz war, dann werden Sie manches anders bewerten als theoretisch von außen betrachtet. Dann schauen Sie den ganzen Tag Fernsehen, um zu sehen: Was passiert denn möglicherweise mit den Polizeibeamten, mit dem eigenen Kind? Was passiert mit den Hilfskräften, die Menschen zu Hilfe rufen mussten, weil sie von linken Störern attackiert worden sind: als Feuerwehrkameraden, als Hilfsorganisation der weißen Hilfsdienste und anderes mehr? Das geht nicht! Man muss sich auch einmal anschauen, welches Waffenarsenal dort zur Verfügung stand – ich will Ihnen nur einige Beispiele nennen –: Rohrbomben, Stromfallen, umgesägte Strommasten, Sprengsätze, Molotowcocktails, Leuchtraketen, Eisenstangen, Zwillen, Steine, Gullys, Flaschen, Hakenkrallen, Böller. Dazu kommt: das Zerstechen von Reifen, Lösen von Radmuttern, Abfackeln von Autos. Meine Damen und Herren, hat sich jemand von diesen Hirnlosen einmal Gedanken darüber gemacht, dass in jeder Uniform ein Mensch steckt, ein Familienvater, eine Mutter, ({4}) Menschen, die nichts anderes machen, als für die Sicherheit und Freiheit in diesem Staat einzutreten, für unsere Freiheit, für unsere Sicherheit? Hat sich jemand einfach mal Gedanken darüber gemacht, was aus einem schwerverletzten Polizeibeamten wird, der in jungen Jahren aus Verletzungsgründen den Dienst quittieren und mit einer reduzierten Pension auskommen muss? Hat sich jemand Gedanken darüber gemacht, was es für eine vierköpfige Familie bedeutet, wenn ihr mühsam erarbeitetes Auto abgefackelt wird? Hat sich jemand Gedanken darüber gemacht, was es für den Besitzer eines kleinen Ladens bedeutet, wenn seine „Hütte“ abgefackelt wird und er vor seiner vernichteten Existenz steht? Ausgerechnet von denen, die angeblich den kleinen Mann vertreten, die gegen das Großkapital, die Globalisierung und die Weltpolitik sind. Nein, meine Damen und Herren, so weit reicht der Verstand dieser Leute nicht. ({5}) Ich habe mir im Umfeld dieser Demonstrationen einmal einige aufgetauchte Flugblätter angeschaut und möchte vier, fünf Sätze aus diesen Flugblättern zitieren, die zeigen, wie enthemmt diese Menschen auf der linksradikalen, linksextremistischen Seite sind. Ich zitiere erstens: „Die Bullen sind Schweine.“ Zweitens: „Ein Dutzend Lanzen könnten eine Demospitze erfolgreich vor anstürmenden Polizisten schützen.“ Drittens: „Völlig unterrepräsentiert sind derzeit die Zwillen … Schüsse direkt auf die Cops dürften psychologisch wertvoll sein, da diese erhebliche Schmerzen verursachen …“ Viertens: „Jeder physische Angriff auf Staat und Kapital, und sei es nur das Anspucken eines Bullen, ist ein kleiner Riss in der demokratischen Unterdrückungskultur.“ ({6}) Und das Letzte: „Besonders gut und effektiv können wir uns für die Zukunft Seile vorstellen, um unsere Demos zu schützen.“ ({7}) Genau das ist im Übrigen in Frankfurt passiert. Dann, meine Damen und Herren, kommt eine SED-Nachfolgepolitikerin wie Katja Kipping und erklärt am Beispiel Hamburg, wir hätten dort eine marodierende Polizei. Und Frau Kollegin Mihalic spricht davon, dass die Hamburger Polizei zur Eskalation erheblich beigetragen habe. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie sich vor die Polizei stellen und ihr Dank und Anerkennung für ihre geleistete Arbeit aussprechen. ({8}) Das hätte Ihre Arbeit sein sollen, und nicht, die Arbeit in letzter Konsequenz zu desavouieren. Ich möchte im Namen dieses Hauses, zumindest im Namen meiner Fraktion, allen Polizeibeamten herzlich Dank und Anerkennung sagen für das, was sie jeden Tag für unsere Sicherheit leisten. Herzlichen Dank. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Helge Lindh. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie gaben mir mit Ihrer Rede gerade das Stichwort. Sie sprachen über die Situation von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Am 24. Dezember 2018, also ausgerechnet am Heiligen Abend, rief in meiner Stadt – Wuppertal – die rechtsextremistische Partei „Die Rechte“ zu einer Demonstration auf. Thema der Demonstration war unverhohlen eine Attacke seitens der Rechten gegen die Polizei, die angeblich bei Demonstrationen der Partei „Die Rechte“ zu scharf vorgegangen sei und deren Demonstrationsrecht unterbunden hätte. Wer war denn bei der Gegendemonstration versammelt? Ich war da. Viele Mitglieder des mittigen bis linken Spektrums waren da. Aber Politikerinnen und Politiker der AfD waren nicht gegenwärtig. Wenn es Ihnen so wichtig wäre, sich für die Polizei einzusetzen und gegen Extremismus zu kämpfen, hätten Sie in erster Reihe an diesem Tag stehen müssen, erst recht am 24. Dezember. Aber niemand von Ihnen war da. Niemand. ({0}) Deshalb, glaube ich, ist es jetzt Zeit, hier einmal ganz nüchtern und aufklärend zu wirken. Ich nenne drei Stichworte. Das erste Stichwort ist Instrumentalisierung, das zweite, wenn die Zeit es noch zulässt, Statistikspiele, und das dritte ist das Klima, denn Extremismus wird aus einem Klima hervorgebracht. Zum ersten Stichwort, der Instrumentalisierung: Sie erwähnten vorhin, dass einige Politikerinnen und Politiker, unter anderem auch meine Kollegin Högl, einen Aufruf gegen die AfD unterzeichnet hätten. Ich muss sagen, dass mich das stolz macht. ({1}) Denn das steht in bester Tradition der Sozialdemokratischen Partei, die sich immer, auch unter größten Beschwernissen, gegen Populismus und gegen Extremismus gewandt hat. ({2}) Sie, Herr Hess, haben das aber eben damit begründet, dass das ein Aufruf war, der gegen Ihre Partei gerichtet ist, und da sind wir beim Thema Instrumentalisierung. Es geht doch gar nicht um Extremismus. Es interessiert Sie Extremismus – auch Linksextremismus – nur, wenn es gegen Sie geht, wenn es gegen Sie gerichtet ist. ({3}) Wenn es gegen andere gerichtet wäre, würde Sie das Thema überhaupt nicht interessieren. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Herr Lindh, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung eines Kollegen von der AfD?

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt nicht. Vielleicht im Fortlaufenden noch, aber ich möchte in meinem Fluss weiterkommen. ({0}) Sehr geehrte Damen und Herren, Geißel der Instrumentalisierung – die haben Sie gar nicht erfunden – ist, dass man das eine mit dem anderen verrechnet: Linksextremismus mit Rechtsextremismus mit Fundamentalismus. Die AfD hat doch immer erklärt, sie wolle sich gegen die Altparteien und gegen solche, in Ihrem Jargon wahrscheinlich: Umtriebe wenden. Was Sie machen, ist aber zutiefst altparteiisch, weil Sie klassische und nicht die schönsten Spiele der Politik spielen und selber das eine gegen das andere ausspielen wollen. Gerade das ist doch dumm, und Sie machen damit das Beste für Politikverdrossenheit und das Wenigste, um Demokratie in diesem Land zu stärken. ({1}) Instrumentalisierung ist aber auch deshalb das Stichwort, weil Ihr Antrag genau zu einem Zeitpunkt kommt, an dem bekannt wird, dass gegen die AfD ein Prüfprozess beim Bundesamt für Verfassungsschutz eingeleitet wird und dass die Junge Alternative, die JA, und auch die Strömung Der Flügel als Verdachtsfall eingeschätzt werden. Das ist eine komische zeitliche Inzidenz, würde ich sagen; sehr auffallend. Dabei sollten Sie eigentlich dem Präsidenten des Bundesamtes dankbar sein; denn er hat Ihnen den Gefallen getan, sehr differenziert und sehr aufklärend zu sagen, dass Sie erst einmal Prüffall sind und noch nicht Verdachtsfall. Aber es kann noch schlimmer kommen, befürchte ich. ({2}) Des Weiteren weise ich, wenn Sie hier so deutlich von Linksextremismus sprechen, auch darauf hin, dass unlängst die Landtagsabgeordneten Beckamp und ­Tillschneider bei der Identitären Bewegung in Halle aufgetreten sind und darüber diskutiert haben, wie sich denn die AfD vorm Verfassungsschutz schützen könne. Das sind alles seltsame Vorgänge, wenn man sich doch so gegen Linksextremismus einsetzen will. ({3}) Dann finde ich in Ihrem Antrag auch noch folgende Bemerkung: Sie fordern unter 3. eine Kommission aus Sicherheitsexperten und Linksextremismusforschern, die dafür sorgen soll, dass so einer – ich zitiere – zunehmenden Salonfähigkeit von Linksextremismus entgegengewirkt werden kann. Weiter steht da, die Bundesregierung solle Maßnahmen zur erhöhten medialen Aufklärung ergreifen und ein starkes Demokratieverständnis wieder fester in der Mitte der Gesellschaft verankern. Jetzt frage ich mich: Wenn wir dieselben Forderungen Sie betreffend erhoben hätten, was meinen Sie, was Sie für einen Aufruhr veranstaltet hätten? ({4}) Zum Zweiten frage ich: Was ist das für ein Demokratiebild? Sie berufen sich doch darauf, dass Sie die Stimme des Volkes und der Bevölkerung seien. Und jetzt unterstellen Sie derselben Bevölkerung, sie sei nicht scharf genug gegen den Linksextremismus und brauche ein stärkeres Demokratieverständnis. Das ist unpatriotisch. Ich kann das nicht nachvollziehen. ({5}) Des Weiteren – das gehört auch zum Bereich Instrumentalisierung, und damit komme ich jetzt zur Statistikfrage – weisen Sie in Ihren Forderungen darauf hin, dass wir einen explodierenden Linksextremismus hätten. Wenn wir aber in die Zahlen gehen, sehen wir: Das Spiel gibt dies gar nicht her, sondern es ist differenziert. Die Zahl der rechten Taten ist sehr hoch – da haben Sie in der Tat recht –, weil sehr viele davon Propagandadelikte sind, die es so auf der linken Seite nicht gibt. Die Zahl der linken Taten ist – und das erwähnen Sie nicht – besonders hoch durch den einmaligen Faktor des Landfriedensbruchs angesichts des G‑20-Gipfels. Auch diese Tatsache muss man erwähnen. ({6}) Wenn man beides ausblendet und sich zum Beispiel die Zahlen zu Körperverletzungen ansieht, dann stellt man fest, dass es im Jahr 2017 – das sind Zahlen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sich berufend auf das BKA – 904 rechtsextremistisch und 499 linksex­tremistisch motivierte Körperverletzungen gab. Das ist zumindest nicht Ausweis dessen, dass der Linksextremismus ein wesentlich größeres Problem als der Rechtsextremismus war. ({7}) Deshalb rate ich allen hier: Beenden wir diese Spiele des Gegeneinanderausspielens von Linksextremismus und Rechtsextremismus! Es geht auch nicht darum, wer Aufrufe gegen welche Partei formuliert und dass man sich deswegen plötzlich gegen Extremismus wehrt. Extremismus ist keine linke, keine sozialdemokratische, keine grüne, keine liberale, keine christdemokratische, keine alternativ-deutsche Frage, sondern eine Frage des Selbstverständnisses dieses Landes und dieser Demokratie. Wenn es Ihnen wirklich um die Demokratie in diesem Land gehen würde, dann würden Sie nicht tagtäglich für ein Klima sorgen, durch das jede Form von Extremismus in diesem Land gefördert wird, sondern Sie würden in einem Akt des Patriotismus für unser aller Vaterland in Ihren eigenen Reihen aufräumen und endlich den grassierenden Rechtsextremismus im Umfeld der AfD bekämpfen. Das wäre die richtige Tat. Vielen Dank. ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Bevor ich dem letzten Redner in dieser Debatte das Wort gebe, lasse ich eine Kurzintervention des Abgeordneten Martin Hess von der AfD zu.

Martin Hess (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004749, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Kollege Lindh, zunächst mal finde ich es bemerkenswert, dass sich ein Mitglied Ihrer Partei und ehemaliger Polizeibeamter hier vorne hinstellt und allen Ernstes den Linksextremismus verharmlost. ({0}) Die Polizisten in diesem Land, ihre Angehörigen, werden wissen, wie sie das zu bewerten haben. ({1}) Im Übrigen bin ich doch sehr erstaunt, dass die CDU hier nicht entsprechend interveniert. Ich finde es schon befremdlich, mit welchen Leuten Sie hier eine Regierungskoalition machen. ({2}) Herr Lindh, Sie haben uns unterstellt, es ginge uns um uns selbst. Nein, es geht uns nicht um uns selbst. Links­terroristen legen in stetiger Regelmäßigkeit deutsche Innenstädte in Schutt und Asche. ({3}) Davon betroffen sind nicht nur Polizeibeamte, sondern davon betroffen sind auch und vor allem unbeteiligte Bürger; Beispiele sind vorhin schon vonseiten der CDU genannt worden. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen und auch zu verstehen, dass Linksextremismus genau aufgrund dieser Tatsache eine massive Gefahr für unsere Demokratie, für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft darstellt und dass es uns bei diesem Antrag eben nicht um uns selbst geht? ({4})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hess, zuhören hilft manchmal der Erkenntnisfindung. ({0}) Ich habe eben in den sechs Minuten meiner Rede dafür plädiert – bei Ihnen offensichtlich nicht erfolgreich –, dass wir dieses Spiel beenden: Linksextremismus böser als Rechtsextremismus. All das ist mir völlig fremd. Ich habe Berge von Bedrohungen von rechtsextremistischer Seite bekommen, einige auch von linksextremistischer Seite – das ist so, wenn man innenpolitisch und migrationspolitisch tätig ist –, ({1}) aber die von links haben mir wenigstens nicht mit Aufhängen und Kopfabschlagen gedroht. Das ist immerhin ein zivilisatorischer Unterschied. Ich selber aber halte dieses Gegeneinanderverrechnen einfach für dumm und unklug. Wenn Sie, wie Sie das einmal gemacht haben, in einem Änderungsantrag zum Haushalt die Streichung der Mittel des Bundesamtes für Verfassungsschutz, eine Reduzierung auf null, fordern, weil Sie nicht in Gremien entsprechend berücksichtigt wurden, dann haben Sie damit leider gezeigt, dass es Ihnen um Sie geht. Mir aber geht es nicht um mich, sondern darum, dass dieses Land demokratischer wird. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich demnächst unterstützen würden, dass migrantische oder geflüchtete Familien, die ich betreue, nicht mehr von Anhängern der Identitären Bewegung und anderen Drohanrufe bekommen würden. Wenn wir uns da einig sind, haben wir einen großen Fortschritt in diesem Land. Ich lade Sie herzlich ein, mich auf diesem Weg zu unterstützen. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Letzter Redner in der Debatte ist nunmehr der Abgeordnete Michael Kuffer für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich kann an dieses Zwiegespräch nahtlos anknüpfen. Beide Pole des Extremismus haben nicht nur eine polizeiliche Dimension, sondern leider auch eine gesellschaftliche Verwurzelung, die – das muss ich hinzufügen – leider auch in diesem Parlament und auch in dieser Debatte sichtbar wird. Gerade in dieser gesellschaftlichen Dimension liegt die eigentliche Herausforderung. Ich sage mit Blick auf den Linksextremismus: Das Toxische am Linksextremismus, das Toxische an einzelnen Wortmeldungen zur Auseinandersetzung mit diesem Phänomen ist die Annahme, es gäbe gute und es gäbe schlechte Gewalt. Es gibt aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, keine moralische Rechtfertigung für Gewalt im Rechtsstaat. ({0}) Das gilt für jede Form des Extremismus, sei er politisch – gleich, ob links- oder rechtsextremistisch – oder auch religiös motiviert. Gewalt hat keine Rechtfertigung, und sie darf niemals als Mittel der politischen Auseinandersetzung, aber auch niemals als Mittel jedweder anderen Auseinandersetzung akzeptiert werden. Solange dieser Satz, der die unverbrüchliche Grundlage unserer gesellschaftlichen und politischen Ordnung bildet, gesagt werden muss, so lange sind wir in der Bekämpfung des Extremismus letztlich nicht erfolgreich gewesen. Es bleibt die Aufgabe von uns – und mit „uns“ meine ich nicht nur die Kräfte der politischen Mitte, sondern alle Bürgerinnen und Bürger –, diese Werte in unserem Land zu verteidigen. Die Zahlen machen leider sehr deutlich, dass wir hier noch einen Weg zu gehen haben. Die Anzahl politisch motivierter Gewalttaten ist in den letzten zehn Jahren um annähernd ein Viertel angestiegen. Die Fallzahlen im linksextremistischen Bereich stiegen im letzten Jahrzehnt um 45 Prozent an. Das ist ein Trend, der uns zum Handeln zwingt. Und es darf hier – man kann es nicht oft genug wiederholen – definitiv keine Unterscheidung in der politischen Betrachtung der verschiedenen Richtungen des Extremismus geben. Ich sage es noch mal ganz deutlich: Gewalt ist Gewalt. ({1}) Um der Entwicklung in den kommenden Jahren mit Blick auf das Gesagte entschieden entgegenzuwirken, muss deshalb endlich Schluss damit sein, Gewalt dadurch zu relativieren, dass auf ihre Motive Bezug genommen wird. Damit wird Gewalt insgesamt verharmlost! Bei manchen Äußerungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat man den Eindruck, dass die Grenze zwischen Angriff und Verteidigung der Demokratie von einigen gehörig falsch gezogen wird. Ich bin – das sage ich Ihnen ganz ehrlich – zurückhaltend mit Äußerungen zum Fall Magnitz. Zu viele Informationen haben sich im Nachhinein als falsch herausgestellt. Aber eines sage ich Ihnen auf jeden Fall: Der Satz – ich zitiere – „Dass #Magnitz zusammengelatzt wurde ist übrigens die konsequente Durchführung von #NazisRaus“ ({2}) ist an Dummheit und Gefährlichkeit nicht zu überbieten. ({3}) Und dass er von einer Journalistin gesagt worden ist, ist an Zynismus nicht zu überbieten, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Ich sage Ihnen jetzt was mit Blick auf die Angriffe auf Polizisten, aber auch auf Feuerwehrleute und Rettungskräfte: Wer diejenigen angreift, die in diesem Land Tag für Tag fürs Gemeinwesen, für unser aller Sache persönlich den Kopf hinhalten, der greift uns alle an und unterminiert die Stützpfeiler dieser Gesellschaft. Denn wer einen Stein auf einen Polizisten wirft, trifft nicht „den Staat“, er trifft einen Menschen, und er trifft damit uns alle. ({5}) Deshalb bitte ich zum Schluss alle Demokraten, sich das Folgende bewusst zu machen: Je größer die Unterschiede politisch werden, desto stärker muss unser gemeinsames Bewusstsein als Demokraten werden, die gemeinsame Suche nach dem Besten, nach der richtigen Lösung in den Vordergrund zu stellen. Diese Absicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir auch unserem politischen Gegner niemals absprechen. Denn das macht die Unterscheidung zum Extremismus und zu den radikalen Kräften aus. Ich danke Ihnen. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/7040 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Dr. Dietlind Tiemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004918, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Leitlinien der Bildungspolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zielen darauf ab, dass alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von Herkunft, Geschlecht und sozialem Status so zu fördern sind, dass ein bestmöglicher Lern- und Bildungserfolg gesichert ist, insbesondere auch unter dem erklärten Ziel: Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Zu Beginn des letzten Jahres haben wir mit der Initiative zur Förderung besonders leistungsstarker Schülerinnen und Schüler ein, wie ich denke, hervorragendes Programm auf den Weg gebracht, um für Kinder und Jugendliche noch mehr Möglichkeiten zu schaffen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Soziale Herkunft und Lebensort haben allerdings noch immer einen zu großen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern. Schulen in benachteiligten sozialen Lagen, aus meiner Sicht etwas missverständlich als „Brennpunktschulen“ bezeichnet, sehen sich vor großen Herausforderungen. Wir alle haben konkrete Bilder aus unseren Wahlkreisen und aus den Berichterstattungen der Medien vor Augen, wenn wir über diese Schulen sprechen. Wir denken an Einrichtungen mit einer steigenden Zahl verhaltensauffälliger, von Schulversagen bedrohter Kinder und Jugendlicher, meist aus bildungsfernen Haushalten. Wir denken an Aggressionen gegenüber Mitschülern, aber auch Lehrpersonal sowie an mangelhafte Ausstattung und das bauliche Erscheinungsbild der Schulen. Vielerorts verstärken die gewachsenen Herausforderungen der Integration die bereits angespannte Lage. Eine geregelte Beschulung und die vorrangige Vermittlung von Lerninhalten können vielfach nicht vorgenommen werden. Diese Zustände sind zum Teil der heterogenen sozialen Zusammensetzung einiger Stadtteile und sogar ganzer Gebiete unserer Städte und Gemeinden geschuldet. Schulen in diesen beschriebenen sozial benachteiligten Lagen benötigen daher unsere besondere Aufmerksamkeit und natürlich auch Unterstützung, nicht nur von Länderseite, sondern auch durch den Bund; denn – das werde ich nicht müde zu sagen – die Bildung unserer Kinder, aber natürlich auch der Heranwachsenden und Erwachsenen in unserem Land gehört zu einer der wichtigsten Aufgaben, der wir uns tagtäglich zu stellen haben. ({0}) Wir können und wir dürfen es uns nicht leisten, hier Abstriche zu machen, sondern müssen unsere Gesellschaft mit klugen und nachhaltigen Ideen fit für die Zukunft machen. Verschiedene Formen von Lernschwächen und Problemen bei der Alphabetisierung werden noch immer unterschätzt. Bildung darf dabei nicht allein den Lehrerinnen und Lehrern aufgebürdet werden. Es ist aus meiner Sicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Bereiche Ehrenamt, Sport und Kultur haben aus meiner Sicht eine Mitverantwortung für den Bildungserfolg bei Kindern und Jugendlichen. ({1}) Die Hauptaufgabe aber liegt selbstverständlich – das dürfen wir an keiner Stelle unterschätzen – in den Familien; denn der Wille zum Lernen und zum sozialen Aufstieg muss an dieser Stelle entfacht und natürlich gefördert werden. ({2}) Leider ist auch aktuellen Studien zufolge die Realität eine andere. Exemplarisch wurde für das Land Berlin festgestellt, dass die besonders geforderten Schulen die höchsten Anteile sogenannter Quereinsteiger beim Lehrpersonal zu verzeichnen haben. An Berliner Grundschulen etwa verfügten zu Beginn des Schuljahres 2018/19 nur ein Achtel der neueingestellten Lehrerinnen und Lehrer über den Studienabschluss Lehramt. Anders ausgedrückt: Bei über 1 200 Einstellungen war nur jede achte eine studierte Grundschullehrkraft. Vergleichen wir das mit Schulen mit einer Schülerschaft aus finanziell bessergestellten Verhältnissen, stellen wir fest: Es unterrichten doppelt so viele Quer- und Seiteneinsteiger an Schulen in sozial benachteiligten Lagen. Dabei müssten gerade hier die Bestausgebildeten zum Einsatz kommen. Stattdessen – ich glaube, auch das wissen Sie alle – muss von den Lehrkräften, die fachlich ausgebildet sind, noch viel Zeit für die Einarbeitung der Neuen aufgewandt werden – ein zusätzlicher Aufwand. Der vorliegende Antrag, den wir als Unionsfraktion des Deutschen Bundestages in enger und vertrauensvoller Abstimmung mit der SPD-Bundestagsfraktion – Kollegin Völlers, ich danke ganz herzlich für die Zusammenarbeit an der Stelle – vorlegen, stellt einen wichtigen Schritt dar, um allen Schülerinnen und Schülern gleichwertige Chancen zu ermöglichen. Es gilt, die Länder an der Stelle zu unterstützen. Sie sind bereits mit eigenen Initiativen auf dem Weg. Wir haben unter den im Grundgesetz verankerten Möglichkeiten auch die Chance, hier hilfreich zur Seite zu stehen. Dazu fordern wir die Bundesregierung auf, zügig – das heißt, spätestens bis zum Ende des vierten Quartals 2019 – eine Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung abzuschließen, um soziale Ungleichheiten für benachteiligte Schülerinnen und Schüler zu reduzieren, um Lernrückstände aufzuholen und diesbezüglich dann die Nachholebedarfe zu decken. Ich setze darauf, dass auch die Einbeziehung von Kommunen, die natürlich die niedrigsten staatlichen Ebenen sind, erfolgt. Als Anschubfinanzierung in diesem Kalenderjahr sehen wir 2 Millionen Euro aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vor. Die Förderinitiative soll eine Laufzeit von immerhin zehn Jahren haben und sich in zwei Stufen teilen: in eine Erprobungsphase mit bis zu 300 Schulen und in eine zweite Phase, in der dann die Ergebnisse mit entsprechender wissenschaftlicher Unterstützung umgesetzt werden; die erste Phase mit 5 Millionen Euro Bundesmitteln und die zweite dann mit jeweils 7,5 Millionen Euro. ({3}) Der Evaluierungsprozess – das ist auch hier deutlich zu machen –, der danach zu erfolgen hat, soll dabei Eingang finden und die Entscheidungen für die nächste Phase entsprechend begleiten. Mir ist besonders wichtig, zu betonen, dass es hier um alle Schulformen geht. Es geht sowohl um Berufsschulen als auch um Schulen in freier Trägerschaft. Sie alle sind förderfähig. Ich denke, in der Modellphase liegt die Auswahl der Einrichtungen an erster Stelle bei den Ländern, wie es die Hoheit auch vorsieht, wobei in der zweiten Phase dann eine große Breite an Schulen entsprechend einzubeziehen sind. Wir mögen in unserer föderalen Bildungspolitik einen Flickenteppich haben. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir als Bundespolitikerinnen und Bundespolitiker unsere Möglichkeiten der Unterstützung ausschöpfen. Kein Kind, kein Jugendlicher und keine Jugendliche darf aufgrund seiner oder ihrer Herkunft, des Wohnortes oder der sozialen Rahmenbedingungen bildungsseitig benachteiligt bleiben. Deshalb bitte ich Sie um die Unterstützung für diesen Antrag. Vielen Dank. ({4})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Dr. Götz Frömming für die Fraktion der AfD. ({0})

Dr. Götz Frömming (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004722, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einigen Tagen machte eine junge Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen bundesweit Schlagzeilen, als sie über das Magazin „Der Spiegel“ mitteilen ließ, nur noch gute Noten zu vergeben und jedem ihrer Schüler zu einer Studienberechtigung zu verhelfen; sie wolle nicht mehr dafür verantwortlich sein, mit schlechten Noten benachteiligte Schüler um ihre Bildungschancen zu bringen. Der Applaus des linken Feuilletons war ihr sicher. Meine Damen und Herren, das, was uns hier als eine besonders hochentwickelte Form von Bildungsgerechtigkeit verkauft werden soll, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil: Wenn alle Abitur haben, dann hat keiner mehr Abitur. Der nationale Bildungsbericht wartet mit beeindruckenden Zahlen auf, die die Bildungsexpansion in Deutschland beschreiben. So befanden sich im Erhebungsjahr 2016 über 17 Millionen Menschen in irgendwelchen Bildungsmaßnahmen, wobei neuerdings auch die Krabbelgruppe im Kinderarten als Bildungseinrichtung zählt. ({0}) Nun sollte man annehmen, dass mit dieser quantitativen Expansion auch die Bildungsqualität, also der tatsächliche Bildungsstand, zunimmt. Allerdings scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Beim letzten weltweiten PISA-Vergleich von 2016 hat sich Deutschland verschlechtert, nicht verbessert. Zu Recht weist der Bildungsforscher Rainer Bölling darauf hin, dass unsere gestiegenen Abiturquoten mit einer allgemeinen Absenkung des Niveaus erkauft sind. Rund 30 Prozent aller Studienanfänger brechen dann auch ihr Studium ohne Abschluss ab; Bildungsbericht Seite 10. Deshalb fordert die AfD-Fraktion erneut eine bessere Berufsorientierung und Eingangstests an den Universitäten. ({1}) Meine Damen und Herren, Wissen und Bildung sind die wichtigsten Treibstoffe, um den Motor unserer Volkswirtschaft am Laufen zu halten und unseren Wohlstand langfristig zu sichern. Wissen und Bildung existieren aber nicht im luftleeren Raum, sondern sind immer an Menschen gebunden. Deshalb dürfen wir, wenn wir über die Zukunftsperspektiven unseres Bildungssystems reden, das demografische und soziale Problem nicht ausblenden. Durch Zuwanderung, so wie sie bisher organisiert ist oder vielmehr nicht organisiert ist, verschärft sich das demografische Problem, werden die sozialen Probleme im Land größer, nicht kleiner und unser ohnehin angespanntes Bildungssystem an den Rand des Kollapses gebracht. ({2}) Warum ist das so? Weil wir eben keine Zuwanderung aus den PISA-Siegerländern haben, also nicht aus Singapur, Japan oder Finnland, dafür aber de facto aus Syrien, Irak und Afghanistan. Der nationale Bildungsbericht hält für die Zuzugsjahre von 2014 bis 2016 erschreckende Zahlen bereit: 69 Prozent der Migranten ab 15 Jahren aus diesen Ländern haben keinen Berufsabschluss und natürlich auch keinen höheren Bildungsabschluss. Für die Gruppe der Schutz- und Asylsuchenden sieht es noch schlechter aus. Zwar haben 11 Prozent von ihnen einen Hochschulabschluss, aber 76 Prozent verfügen über gar keine Ausbildung; Bildungsbericht Seite 56. ({3}) Meine Damen und Herren, wir müssen endlich damit anfangen, klar zwischen Zuwanderung und Asyl zu differenzieren. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir unser Bildungssystem und unseren Sozialstaat über kurz oder lang zugrunde richten. Damit wäre niemandem gedient. ({4}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen zur Initiative der Koalition zu den Brennpunktschulen. Ich habe selbst lange an diesen Schulen gearbeitet. Das ist eine richtige Initiative. Allerdings kurieren Sie an dieser Stelle natürlich nur die Symp­tome. An die Ursachen gehen Sie nicht heran. Es ist uns noch nicht gelungen, die Kinder der Gastarbeiter aus den 60er/70er-Jahren und die Kinder der Bürgerkriegsflüchtlinge, die aus dem Libanon in den 80er-Jahren zu uns gekommen sind, ordentlich zu integrieren. Sie machen allen Praktikern vor Ort bis heute die größten Probleme, und durch Frau Merkels Einwanderungspolitik seit 2015 werden sich diese Probleme jetzt noch massiv verschärfen. ({5}) Meine Damen und Herren, mit diesem Antrag nehmen Sie zwar den Putzlappen in die Hand, weil Sie auch merken, dass Ihnen der Keller voll Wasser läuft, aber Sie sollten vielleicht mal auf die Idee kommen, eine Treppe nach oben zu gehen und den Wasserhahn zuzudrehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächster Redner in der Debatte ist der Abgeordnete Oliver Kaczmarek für die Fraktion der SPD. ({0})

Oliver Kaczmarek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004063, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heute den nationalen Bildungsbericht, und der liefert uns zuverlässig alle zwei Jahre einen Überblick über die Leistungsfähigkeit unseres Bildungswesens und Anregungen für die politische Debatte. Er gibt Anlass, zu überprüfen, ob das, was wir uns vorgenommen haben, tatsächlich auch in die richtige Richtung geht. Das will ich tun und einmal durch die Bildungsinstitutionen gehen. Der nationale Bildungsbericht hat den Befund mehrfach aufgeführt: Der Ausbaubedarf in der frühkindlichen Bildung – ich war ein bisschen überrascht, dass die AfD das offensichtlich nicht mehr als Bildung ansieht – ist ungebrochen. Wenn wir etwas tun wollen, wenn wir nicht akzeptieren wollen, dass Geburt und Herkunft weiterhin in Deutschland entscheidend sind für den Bildungserfolg von Kindern, dann müssen wir genau dort investieren, also in die frühe Bildung, und genau das tun wir. Das Gute-Kita-Gesetz, das wir hier schon verabschiedet haben, hat den richtigen Impuls gesetzt und der frühkindlichen Bildung einen hohen Stellenwert gegeben; das war gut. ({0}) Gehen wir einen Schritt weiter: Etwa die Hälfte aller Kinder in der Grundschule besuchen heute Ganztagsangebote. Der Bedarf ist steigend. Die Eltern wünschen sich bessere Qualität, auch in der Ganztagsbetreuung. Deswegen ist es richtig, dass wir uns vorgenommen haben – und wir werden das auch in dieser Wahlperiode schaffen –, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule bis 2025 vorzubereiten und umzusetzen. Das ist ein anspruchsvolles Ziel, aber es ist ein absolut notwendiges und bildungspolitisch wie gesellschaftlich sinnvolles Ziel. Wir wollen das in dieser Wahlperiode klarmachen und bitten die Bundesregierung, da entsprechende Initiativen vorzubereiten. ({1}) Gehen wir noch einen Schritt weiter: Alle jungen Menschen, die eine Berufsausbildung abschließen, haben mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt, sie werden seltener arbeitslos. Allerdings sehen wir auch, dass viele Arbeitsagenturbezirke auf der einen Seite zu wenige Ausbildungsplätze ausweisen, dass auf der anderen Seite Stellen unbesetzt bleiben, dass es Passungsprobleme gibt. Das zeigt: Wir brauchen eine echte, eine materiell nachvollziehbare Wertschätzung für die berufliche Bildung, und deswegen arbeiten wir als Koalition zusammen mit der Regierung auch mit Hochdruck an der Novelle des Berufsbildungsgesetzes. Ich will einmal sagen: Natürlich will die SPD eine Mindestausbildungsvergütung, die sich an Tarifstrukturen orientiert, die jungen Menschen eine Wertschätzung für ihre Arbeit gibt. Ich will aber genauso sagen, dass für uns ganz klar ist – und das haben wir in der Koalition auch miteinander vereinbart –: Am 1. Januar 2020 wird die Mindestausbildungsvergütung in Kraft treten, und das ist ein Erfolg und ein gutes Signal, ({2}) das wir als Koalition an alle Auszubildenden senden. Schauen wir auf die andere Seite: Es gibt eine nachhaltig hohe Nachfrage nach Studienplätzen. Allerdings sehen wir, dass die Betreuungsrelationen sich nicht verbessert haben, dass die Abbruchquote auf einem unverändert hohen Niveau bleibt. Deshalb glauben wir, dass das, was wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, was in diesen Wochen und Monaten verhandelt wird, nämlich die dauerhafte Verstetigung des Hochschulpakts, ein großes bildungspolitisches Bekenntnis des Bundes ist, weil es eben Planbarkeit und Verlässlichkeit für die Hochschulen schafft. Es ist gut, dass wir das machen, und es gibt den Hochschulen auch Sicherheit. Wir haben aber auch Erwartungen. Wir wollen, dass in Zukunft mit der Sicherheit eines verstetigten Hochschulpaktes im Hintergrund und mit der Sicherheit von verstetigten Mitteln eben auch dafür gesorgt wird, dass wir a) investieren in die Qualität der Lehre – das ist im Interesse der Studierenden; die wollen das, und die brauchen das –, aber auch b) investieren und die Sicherheit schaffen für verlässliche und stabile Arbeitsverhältnisse. Das muss beim Hochschulpakt zusammenkommen: gute Qualität der Lehre und stabile Arbeitsverhältnisse an den Hochschulen. Deswegen machen wir das, und das ist ein guter Schritt. ({3}) Ich möchte zum Schluss auch noch einmal zu sprechen kommen darauf, was uns helfen kann bei vielen Herausforderungen in der Bildungspolitik, nämlich die Grundgesetzänderung, die wir vor wenigen Wochen mit großer Mehrheit im Parlament beschlossen haben. Da wird uns ja viel entgegengehalten. Frau Ministerin, Sie waren ja in Düsseldorf bei der CDU-Landtagsfraktion. Herr Laschet und auch Herr Kretschmann behaupten, wir würden jetzt Einheitsschulpolitik aus Berlin vorgeben und diktieren wollen. Das sind nun wirklich die ideologischen Schützengräben der 60er-Jahre, in denen sich da einige befinden. Ich hoffe, Sie konnten das in Düsseldorf klarstellen. ({4}) Man muss doch deutlich machen: Was wollen wir eigentlich mit dieser Grundgesetzänderung gemeinsam erreichen? Deswegen sage ich: Ja, wir brauchen eine Grundgesetzänderung für den DigitalPakt, aber wir machen diese Grundgesetzänderung nicht alleine wegen des DigitalPakts, sondern weil wir dafür sorgen wollen, dass unabhängig von der finanziellen Ausstattung eines Bundeslandes oder einer Regierungskonstellation in einem Bundesland oder in einer Kommune junge Menschen die Gelegenheit haben, Bildungsangebote überall im Land in gleicher Qualität und Anzahl in Anspruch zu nehmen. Wir wollen überall mithelfen, dass die Schulen auf den modernen, auf den neuen Stand der Dinge gebracht werden. Darum machen wir diese Grundgesetzänderung. Ich will auch sagen: Wir werden darüber diskutieren, wie Anteile von Finanzierungen festgelegt werden; dafür ist der Vermittlungsausschuss da. Wir werden auch über den Umfang von Berichten diskutieren. Aber eines ist auch klar aus der Sicht des Bundestags: Die unverbindliche Weitergabe von Steuermitteln, wie sie Herr Laschet offensichtlich im Kopf hat, sozusagen im Gottvertrauen darauf, dass die Bundesländer das dann schon an der richtigen Stelle einsetzen werden, ist für den Bundestag nicht akzeptabel. Wir wollen, dass die Mittel, die der Bund gibt, zusätzlich verwendet werden. Deshalb, meine Damen und Herren, lassen Sie uns an der Stelle die Chance auf einen neuen, auf einen kooperativen Bildungsföderalismus nicht vertun. Vielen Dank. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächste spricht für die Fraktion der FDP die Kollegin Nicola Beer. ({0})

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es bezeichnend, dass die Bundesregierung es nicht schafft, selbst ein Programm zu Brennpunktschulen vorzulegen, und das, obwohl Frau Bundesministerin Karliczek in der Talkshow bei Markus Lanz am 1. November letzten Jahres ja groß ein solches Programm der Bundesregierung angekündigt und seine Segnungen gepriesen hat. Aber es mag der neue Stil der Bundesregierung sein, bei „Brigitte“ auf dem Sofa oder in Talkshows anzukündigen, statt hier im Parlament zu diskutieren. Ich bin deswegen den Koalitionsfraktionen sehr dankbar, dass sie mit ihrem Antrag nun diese Bundesregierung vor sich hertreiben. ({0}) Doch anders als Frau Bundesministerin Karliczek bei „Markus Lanz“ glauben machen wollte, geht es in diesem Antrag, Frau Kollegin Dr. Tiemann, ja nicht darum, dass Geld vom Bund in Brennpunktschulen fließt, zum Beispiel für mehr Lehrer, für mehr Ganztag – das ist gerade erwähnt worden – oder für mehr Schulsozialarbeit. Dazu müssten Sie Ihren Ministerpräsidenten die Grundgesetzänderung verkaufen, die wir hier gemeinsam in diesem Bundestag bereits beschlossen haben. Nein, wenn man genau hinschaut, sieht man: Es geht in diesem Antrag darum, dass Geld in Forschung über Brennpunktschulen fließt. Das ist gut – verstehen Sie mich nicht falsch –; aber es wird die Situation keines einzigen Kindes, das heute in eine unserer Schulen geht, unmittelbar verändern. Ich bin der festen Überzeugung: Wir können nicht noch einmal zehn Jahre warten. Deutschland muss jetzt handeln – vor Ort und konkret. ({1}) Der Bundesbildungsbericht ist alarmierend. Obwohl die Bildungsbeteiligung steigt, sind Bildungschancen ungerecht verteilt. Unser Bildungssystem reproduziert soziale Hierarchien, statt sie abzubauen. Damit verzichten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf das Potenzial von unglaublich vielen Mädchen und Jungen. Das können wir uns nicht länger leisten. ({2}) Bildung muss endlich erste Priorität bei den Investitionen haben, und zwar über alle Ebenen: Bund, Länder und Kommunen. Und wir brauchen eine abgestimmte Strategie, eine Bildungsoffensive, die sicherstellt, dass die Maßnahmen aller Ebenen und aller Beteiligten, inklusive der privaten Beteiligten, sinnvoll ineinandergreifen, sich verstärken und endlich bessere Ergebnisse herbeiführen. ({3}) Wir müssen als Gesellschaft – dafür werde ich immer leidenschaftlich kämpfen – alles daransetzen, dass sozialer Aufstieg durch Bildung für jede und jeden in unserem Land wieder möglich wird. Wir Freidemokraten haben Ihnen dazu eine Vielzahl von Vorschlägen gemacht. Das umzusetzen, das braucht mehr Mut: Erstens: mehr Mut, früher anzusetzen. Frühkindliche Bildung muss für jedes Kind sichergestellt werden. Was wir an dieser Stelle versäumen, das können wir nachher nur noch unfassbar schwerer aufholen. Frühkindliche Bildung ist der Schlüssel. Sie erfolgt am besten durch und mit den Eltern. Aber wo das nicht klappt, da müssen Kita und Krippe der Lernort sein, der Chancengerechtigkeit in unserem Land herstellt. ({4}) Zweitens: mehr Mut, den Fachleuten vor Ort zu vertrauen. Eigenverantwortung bei Organisation, Budget und Personal ist der Schlüssel dafür, dass wirklich jedes Kind individuell gefördert und gefordert wird. Drittens: mehr Mut, Kitas und Schulen nach einem Sozialindex unterschiedlich auszustatten, nicht indem man den einen etwas nimmt, sondern indem man zusätzlich in die Kinder investiert, die noch nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Letztendlich fordere ich mehr Mut durch weniger Bürokratie, durch Bündelung und Pauschalisierung, zum Beispiel durch das Kinderchancengeld, Bildungsgutscheine, elternunabhängiges BAföG, durch den Einsatz modernster digitaler Möglichkeiten und auch durch die Unterstützung privater Investitionen in die Zukunft, zum Beispiel durch Bildungssparen, um bessere Ergebnisse, mehr Qualität und mehr Leistungsfähigkeit zu erreichen. So, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht sozialer Aufstieg. Das sind wir den Kindern und ihren Eltern schuldig. ({5})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die Kollegin Birke Bull-Bischoff. ({0})

Dr. Birke Bull-Bischoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004688, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Deutschland ist kein Bildungsland – jedenfalls nicht, wenn man sich die Realitäten anschaut, jedenfalls nicht, wenn man einen internationalen Vergleich zieht, jedenfalls nicht gemessen an dem, was nötig wäre, vor allem gemessen an dem, was möglich wäre. Genau das ist das Problem, oder, exakter formuliert, das sind die Probleme. ({0}) Zum Ersten. Wir geben nach wie vor viel zu wenig Geld in den Bereich der Bildung. In Studien der Arbeitgeberschaft, der Gewerkschaften, der Kreditanstalt für Wiederaufbau werden wir darauf hingewiesen, dass es einen riesigen Investitionsstau in Deutschland gibt. Kitas können nicht saniert werden. Schulen sieht man das Verfallsdatum förmlich an. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist Mist; um es einmal klar zu sagen. Aber Geld allein reicht auch nicht. Ebenso fehlt es uns an Personal, und das wirklich dramatisch. Es fehlen Lehrkräfte, es fehlen Schulsozialarbeiterinnen und -sozialarbeiter – seit gefühlt ewigen Zeiten versuchen wir, die Schulsozialarbeit verbindlich im SGB VIII zu verankern –, und es fehlen Erzieherinnen und Erzieher. Ich glaube, es gibt mittlerweile kaum ein Problem, das so anschlussfähig ist an das, was Menschen tagtäglich in ihrem Alltag sehen und spüren. Das Problem ist einfach: Im Angebot sind immer wieder nur Tropfen auf heiße Steine. Zum Zweiten – das finde ich fast fataler –: Deutschland ist ein geteiltes Bildungsland. Gerade Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen profitieren deutlich weniger, zum Beispiel von frühkindlicher Bildung. Selbstverständlich ist die Arbeit in sogenannten Krabbelgruppen in Kitas Bildung – das ist mittlerweile eine Binsenweisheit –, und zwar Bildung von Anfang an. ({1}) Die Benachteiligung beginnt mit der Anwesenheit. Sehr viel weniger Kinder von Eltern mit gerade einmal Hauptschulabschluss als Kinder von Akademikerinnen und Akademikern besuchen eine Kita. Aber das betrifft auch den pädagogischen Alltag; das habe ich selbst erforscht. In der Tat, solche Kinder werden weniger motiviert, werden weniger wertgeschätzt und deshalb oft unterschätzt und weniger gefördert. Deshalb ist es ein Fehler, nicht in Qualität zu investieren. ({2}) Pädagoginnen und Pädagogen brauchen Zeit, Geld und Möglichkeiten, um die eigene pädagogische Arbeit zu reflektieren, besser zu machen, selber besser zu werden. Meine Damen und Herren, wir haben ein Schulsystem, das obendrein benachteiligte Kinder abhängt. Wir enthalten diesen Kindern akzeptable Schulabschlüsse vor, und der Erfahrungsaustausch mit Gleichaltrigen, von dem sie tatsächlich profitieren könnten, kann schon allein deshalb nicht stattfinden, weil die Kinder nicht gemeinsam lernen. Sogenannte schulbildungsferne Kinder bleiben in Sondersystemen unter sich. Ihnen wird zu wenig zugetraut. Wir erfinden immer neue Sondersysteme – Bildungsgutscheine, Schulen für dieses und Maßnahmen für jenes –, anstatt miteinander an dieser Stelle wirklich das Gemeinsame – den Wettbewerb um beste Leistungen – zu fördern. ({3}) Deshalb reicht es nach meiner Auffassung nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, allgemein die Stärkung der frühkindlichen Bildung zu fordern; da bin ich ja total bei Ihnen. Nein, wir müssen im Blick haben: Kinder müssen in ihrer Unterschiedlichkeit unterschiedlich gefördert werden, nicht in Sondersystemen – ich sage es noch einmal –, sondern im gemeinsamen Lernen mit vielfältigen Formen der Unterstützung, der Assistenz. Wir brauchen gute pädagogische Profis, die auch diese sozialen Ungleichheiten im Blick haben. ({4}) Wenn Knappheit herrscht oder ein System nicht funktioniert, trifft es meistens die Gruppe der sogenannten sozial Benachteiligten; denn das Geld fließt in erster Linie in Exzellenzinitiativen anstatt in Basisförderung, in Lernmittelfreiheit. Wir haben viel zu wenig Geld für Alphabetisierung und Grundbildung und viel zu wenig Geld für soziale Unterstützungssysteme. Zum Dritten – das hängt mit dem eben Gesagten zusammen –: Ich glaube, dass wir in Deutschland ein gestörtes Verhältnis zu Vielfalt haben, zumindest im Bildungssystem. Wir haben einfach keinen produktiven Umgang damit, wie man aus Unterschiedlichkeit, aus Vielfalt, aus Diversität und erst recht aus Inklusion wunderbare, exzellente Bildungsangebote stricken kann. ({5}) Was wäre zu tun? Wir brauchen eine wirkliche Bildungsoffensive, und – da beißt die Maus keinen Faden ab – das hat in allererster Linie mit Geld zu tun. Wir haben in unserem Antrag dazu eine ganze Reihe von Möglichkeiten vorgeschlagen. Aber darüber hinaus brauchen wir auch eine Umverteilung der Mittel. Denn, meine Damen und Herren, die Weltspitze werden wir nicht erreichen, solange wir uns nicht um diejenigen bemühen, die sich abgehängt fühlen und die es auch sind. Je nachdem, welche Begründung Ihnen am liebsten ist, muss man sagen: volkswirtschaftlich gesehen: Wir können auf kein Talent verzichten. ({6}) Demokratisch gesehen: Menschen, die sich abgehängt fühlen, sind leichte Beute für braune Rattenfänger. Und humanistisch gesehen, meine Damen und Herren – das ist mir selbst am nächsten –: Alle Menschen müssen die Chance haben, sich optimal zu entwickeln. Denn: Bildung ist aus unserer Sicht ein Menschenrecht – nicht mehr und nicht weniger. ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Margit Stumpp für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Margit Stumpp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004909, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der nationale Bildungsbericht 2018 wurde im vergangenen Mai veröffentlicht. Eigentlich erwartet man dann von der zuständigen Ministerin eine zügige und sorgfältige Analyse und ein fundiertes Handlungskonzept. Geschlagene acht Monate später stellen wir fest: Außer Sonntagsreden nichts gewesen. Das zeigt, wie wichtig es dieser Regierung ist, die Bildung zu verbessern und endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Freundlich ausgedrückt: eher unwichtig. Den Koalitionsfraktionen scheint es inzwischen auch aufgegangen zu sein. Sie legen immerhin einen Antrag zur Förderung von Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration vor, der detaillierte Anforderungen für die konkrete Ausgestaltung formuliert. Die Koalition übernimmt damit den Job der zuständigen Ministerin, die bisher nicht geliefert hat. Das ist schon bemerkenswert. ({0}) Immerhin hat die Ministerin Ihren Antrag registriert, und irgendjemand hat das Signal verstanden. So interpretiere ich das heutige „SWR Tagesgespräch“. Ansonsten scheint im Ministerium der Geist vorzuherrschen: Man kann nicht schnell genug langsam werden. Dabei brennt im Bildungsbereich die Hütte. Der Bundesbildungsbericht ist eine klare Aufforderung an die Regierung, endlich mehr in die Zukunft junger Menschen zu investieren. Das 7‑Prozent-Ziel für Investitionen in die Bildung ist noch immer nicht erreicht. Das trifft gerade Kinder aus bildungsfernen Familien und von Alleinerziehenden besonders hart. Während die Bildungsbeteiligung weiter steigt, herrscht in Sachen Chancengerechtigkeit Stillstand. Das ist unverantwortlich. ({1}) Noch immer wächst jedes vierte Kind in Deutschland in sogenannten bildungsbezogenen Risikolagen auf. Gerade Kinder aus finanzschwachen Familien mit Migrationshintergrund und von Alleinerziehenden bleiben zu oft vom Aufstieg durch Bildung ausgeschlossen. Sie werden häufiger krank, leben unzufriedener und verdienen als Erwachsene weniger. Solange Herkunft derart gravierend über Zukunftschancen entscheidet, ist etwas gehörig faul in dieser Bildungsrepublik. ({2}) Die Bundesregierung muss sich endlich an die Arbeit machen. Alle jungen Menschen – von der Kita über die allgemeinbildenden Schulen und die Berufsschule bis zur Hochschule – haben ein Recht auf gleiche Chancen und gute Lebensperspektiven, unabhängig von ihrer Herkunft. Damit die soziale und regionale Schere geschlossen und alle Potenziale gefördert werden können, muss der Bund nicht nur mehr Geld in die Hand nehmen, sondern auch die Grundlage für einen modernen Bildungsföderalismus schaffen. Der DigitalPakt zeigt, wie verquer die Finanzierungslage ist, und vor allem, dass die Zeit drängt. Alle Beteiligten – Bund und Länder – sind gefordert, im Vermittlungsausschuss des Bundesrates konstruktiv zu verhandeln und zügig zu einer Lösung zu kommen. ({3}) Die Kommunen und die Schulen warten inzwischen seit über zwei Jahren. Das Thema „Digitalisierung in Schulen“ brennt, nicht primär aus technischen Gründen; Technik folgt der Pädagogik, und pädagogische Qualität brauchen wir in einer modernen und diversen Gesellschaft mehr denn je. Die zunehmende Vielfalt in deutschen Kitas und Klassenzimmern fordert Lehrkräfte oft über ihre Kompetenzen hinaus. Deswegen brauchen wir neben der Digitalisierung im Klassenzimmer den Ausbau von Ganztagsschulen und eine ausreichende Anzahl von Fachkräften und interdisziplinären Teams. Gleichzeitig ist der Fachkräftemarkt leergefegt. Das heißt: Das Werben und Ausbilden für diese sinnstiftende Tätigkeit wird eine weitere Daueraufgabe bleiben. Auch hier darf der Bund die Länder nicht im Regen stehen lassen. ({4}) Ein inklusives und durchlässiges Bildungssystem braucht Kapazität und Qualität. Jedes Kind muss davon profitieren können. Nur so stabilisieren wir eine demokratische und weltoffene Gesellschaft. Umso beschämender ist es, dass der Bund laut Antrag lediglich Mittel zur Evaluierung der Schulen in benachteiligten Quartieren bereitstellen soll. Obwohl Milliardeninvestitionen notwendig sind, um aus Schulen in benachteiligten Lagen Leuchttürme der Bildungsgerechtigkeit und -integration zu machen, verstecken Sie sich wieder hinter dem Kooperationsverbot. So verhindern Sie, dass der Bund über die wissenschaftliche Begleitung hinaus Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern vor Ort in schwierigen sozialen Lagen unterstützt. Diese Aufgabe soll wieder einmal zur Gänze an den Ländern und Kommunen hängen bleiben. Deswegen noch einmal unser Appell: Handeln Sie klug, dann kommen Sie auch in dieser Beziehung mit der Änderung von Artikel 104c des Grundgesetzes weiter. ({5}) Den kleinen Schritten der Koalition stellen wir unsere Forderungen nach einem Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich sowie einem Ganztagsprogramm inklusive Schulsozialarbeit für allgemeinbildende und berufliche Schulen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro jährlich entgegen. Das ist dringend notwendig, finanzierbar und umsetzbar. ({6}) Wann gedenken Sie zu handeln? Machen Sie aus Ihren Versprechungen und Sonntagsreden endlich wirksame Politik. Wenn nicht jetzt, wann dann? ({7})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek. ({0})

Anja Karliczek (Minister:in)

Politiker ID: 11004323

Sehr geehrter Herr Bundestagsvizepräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Stumpp, vielleicht sprechen Sie einmal mit Ihrem Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg und klären das, was Sie hier gerade alles von sich gegeben haben, als Erstes mit ihm. ({0}) Bildung versetzt Menschen in die Lage, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Gute Bildung hilft den Menschen, sich zu entwickeln, sich auszuprobieren, sich zu engagieren, politisch interessierter, ja, sogar gesünder zu leben – und manchmal sogar über sich hinauszuwachsen. Chancengerechtigkeit besteht dann, wenn jeder die Möglichkeit dazu bekommt. Der Bildungsbericht 2018 zeigt uns, dass wir bei den Themen „Bildung“ und „Chancengerechtigkeit“ viele Erfolge aufzuzeigen haben: Immer mehr Menschen bilden sich weiter. Die Deutschen streben nach besserer Bildung. Immer mehr Auszubildende werden von den Unternehmen übernommen. Bund und Länder haben die Investitionen in die Bildung in den letzten Jahren weiter gesteigert. – Auf diese guten Entwicklungen können wir, glaube ich, sehr stolz sein. ({1}) Der Bildungsbericht macht mich sehr zuversichtlich. Er beleuchtet die ganze Vielfalt unseres Bildungswesens, und diese Vielfalt ist die Stärke Deutschlands. Auch und gerade unsere beiden Wege in den Beruf machen dieses Land stark. Sie bieten jedem jungen Menschen einen für ihn passenden Weg in den Beruf. ({2}) Wer praktisch starten will, macht eine Ausbildung. Wer theoretisch in den Beruf starten will, nimmt ein Studium auf. Wer beides will, macht ein duales Studium. Wir sollten alle Wege gleich wertschätzen; denn Deutschland braucht Auszubildende und Studierende. Und Deutschland bietet beste berufliche und akademische Bildung. Mein Ministerium macht deshalb 2019 zum Jahr der Berufsbildung. Immer mehr Arbeitsplätze bleiben unbesetzt. Gerade beruflich qualifizierte Arbeitskräfte werden gesucht. Aktuell gibt es rund 50 000 unbesetzte Ausbildungsstellen. Der Mangel an qualifizierten Menschen darf nicht zur Wachstumsbremse werden. Was werden wir tun? Wir modernisieren das Gesetz zur beruflichen Bildung. Wir führen eine Mindestausbildungsvergütung ein. Und wir machen die hohe Qualität unseres Meisters sichtbar durch international anerkannte und verständliche Berufsbezeichnungen, wie beispielsweise den Berufsbachelor. Darüber hinaus starten wir einen Innovationswettbewerb für die berufliche Bildung. Unternehmen, überbetriebliche Berufsbildungsstätten, Bildungszentren und Berufsschulen sowie Hochschulen möchte ich aufrufen, gemeinsam neue, innovative Aus- und Weiterbildungsformate zu entwickeln und zu erproben. ({3}) Doch auch nach der Erstausbildung geht es weiter. Wir merken doch alle, wie schnell sich unsere Arbeitswelt aktuell verändert. Viele neue Arbeitsplätze mit anderen, höheren Anforderungen entstehen. Sich neuen Anforderungen stellen zu können, dafür möchten wir die Menschen fit machen. Deswegen entwickeln wir gerade mit den zuständigen Partnern eine sogenannte Nationale Weiterbildungsstrategie: damit wir auch morgen noch gut aufgestellt und für den internationalen Wettbewerb gerüstet sind. Gut gerüstet sind wir auch, wenn wir die Mitte der Gesellschaft stärken, also Familien mit Kindern in der Ausbildung oder im Studium. Allein für Verbesserungen beim Aufstiegs-BAföG stellen wir zusätzlich 350 Millionen Euro in dieser Legislaturperiode bereit. ({4}) Das ist mehr denn je seit Bestehen des Gesetzes. Mit unserer BAföG-Reform erhöhen wir außerdem die BAföG-Leistungen, die Einkommensfreibeträge und die Wohnpauschale. Damit schaffen wir die Trendumkehr: Mehr Familien mit Kindern profitieren, die das tun, was wichtig ist: sich bilden und auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereiten. Auch innerhalb unseres Schulsystems weist uns der Bildungsbericht noch Aufgaben zu – Aufgaben, an denen wir arbeiten. Mit unserer Initiative Brennpunktschulen, die wir aktuell mit den Ländern verhandeln, kümmern wir uns gezielt um Kinder aus sozial schwierigen Lagen. Denn natürlich sollen alle Kinder in Deutschland die gleichen Chancen auf Bildung und ein gutes Leben haben, unabhängig von ihrer Herkunft; denn jedes Kind ist uns wichtig. ({5}) Ein weiterer, dem Bericht und auch mir sehr wichtiger Punkt ist die Digitalisierung. Ich stehe für die digitale Bildung und damit für den Mut zur Zukunft. Die Digitalisierung wird uns in den nächsten Jahren in fast all unseren Lebensbereichen beeinflussen. Das BMBF will die Menschen genau darauf vorbereiten: von der Schule über die beruflichen und akademischen Ausbildungen bis hin zur Weiterbildung von Berufstätigen. Deshalb habe ich gleich nach meinem Amtsantritt mein Ministerium umstrukturiert, sodass sich jetzt jeder Bereich auch mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt. Die digitale Technik wird besonders von unserer jungen Generation selbstverständlich genutzt: ein Vorteil für die Wissensvermittlung in heterogenen Schülergruppen; denn sie ermöglicht individuell gestalteten Unterricht. Mein großes Ziel ist es deshalb, den DigitalPakt jetzt zügig auf den Weg zu bringen. 5 Milliarden Euro für digitale Schulen dürfen nicht in Kompetenzstreitigkeiten untergehen. Dafür haben die Menschen, die Eltern, ja, auch unsere Wähler zu Recht kein Verständnis. ({6}) Wir müssen eine Einigung finden; das sind wir unseren Kindern und Jugendlichen schuldig. Ich will moderne Schulen in Deutschland sehen – besser heute als morgen. ({7}) Vieles ist – das zeigt der Bildungsbericht – auf einem guten Weg, und einiges muss sich noch verbessern. Dafür sollten wir den letzten und vielleicht wichtigsten Rat des Bildungsberichts beherzigen. Ich zitiere aus dem Bildungsbericht: In Anbetracht der bestehenden Verantwortlichkeiten im Bildungsbereich stellt sich die Frage, wie neue Formen der Zusammenarbeit und Handlungskoordination zwischen Bund, Ländern und Kommunen zu entwickeln sind. Die übergreifenden ... Anforderungen müssen sich auch in den Kooperationsstrukturen abbilden, um dem gemeinsamen Interesse an angemessenen Lösungen gerecht zu werden. ({8}) Sie hören, es ist an uns alle gerichtet: an die Bundesregierung, den Bundestag und natürlich auch an die Bundesländer. Denn nur gemeinsam kriegen wir das hin. Wenn Sie alle ein genauso großes Interesse an echten Lösungen für gute Bildung für unsere Kinder haben, dann sind wir auf einem guten Weg. ({9})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Marc Jongen für die Fraktion der AfD. ({0})

Dr. Marc Jongen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004768, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Liebe Lehrerinnen und Lehrer! Liebe Eltern da draußen! Sie sind noch Kinder, gerade mal zwischen sechs und zwölf Jahre alt. Aber sie sind schon so brutal, dass kaum ein Lehrer bei einem Konflikt noch dazwischengehen mag. In der Schöneberger Spreewald-Grundschule … sah die Schulleitung nur noch einen Ausweg: einen eigenen Wachschutz! … 99 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund, 93 Prozent erhalten Transferleistungen. ({0}) Das ist aus der „Berliner Zeitung“ vom 1. März 2018. So viel zum verschwiegenen Hintergrund des Antrags von CDU/CSU und SPD, der „Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration“ tatkräftig fördern will. ({1}) Dass niemand anderer als Sie selbst für diese Missstände an unseren Schulen verantwortlich ist, nämlich durch Ihre verantwortungslose Politik der ungeregelten Masseneinwanderung, verschweigen Sie natürlich. ({2}) 5 Millionen Euro Steuergeld jährlich, später 7,5 Millionen wollen Sie über zehn Jahre aufwenden, um soziale Ungleichheiten und Lernrückstände der benachteiligten Schüler zu reduzieren, von den Ländern soll noch einmal dieselbe Summe dazukommen. ({3}) Das wird einer der unzähligen Haushaltsposten, in denen die horrenden Kosten der desaströsen Migrationspolitik versteckt werden, mit dem einzigen Effekt, dass aus der Bildungsnation Deutschland ein Betreuungsgebiet für Schwer- bis Unbeschulbare aus aller Welt gemacht wird, und zwar ({4}) auf dem Rücken der Einheimischen und der gut integrierten Einwanderer. ({5}) Sie sind nämlich die Leidtragenden dieser rapiden Niveauabsenkung an unseren Schulen, die Sie zu verantworten haben. ({6}) Das wollen Sie natürlich alles nicht hören. Sie bringen es ja auch fertig, in Ihrem Antrag mit keinem Wort zu erwähnen, dass die „bildungsfernen Haushalte“ in Ihrem Antrag zum allergrößten Teil Migrationshintergrund haben. ({7}) Der nationale Bildungsbericht spricht aber eine sehr eindeutige Sprache: Während im Jahr 2016 in Deutschland 5 Prozent der Schüler ohne Migrationshintergrund unter das Bildungsrisiko eines geringqualifizierten Elternhauses fielen, waren es unter den Schülern mit Migrationshintergrund 24,7 Prozent. ({8}) Jetzt schreiben Sie in Ihrem Antrag: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und Aufgabe, allen Kindern mehr Chancen durch gute Schulen zu eröffnen. Liebe Kollegen, man kann nicht alles auf die Gesellschaft schieben. Es ist auch eine Aufgabe der Elternhäuser, für Bildung und Bildungsbereitschaft ihres Nachwuchses zu sorgen. Und es ist eine Bringschuld der Migranten, diese Bildungsbereitschaft vorzuweisen, wenn sie bei uns leben wollen. Deutschland kann nicht die Weltförderschule werden. ({9}) Ein solcher Glaube an Gesellschaft und Sozialklempnertum ist natürlich klassisch linke Denke, die hat Frau Merkel vielleicht damals in der DDR aufgesogen und in kleinen Dosen an Sie in der CDU verabreicht, sodass Sie es nicht richtig mitbekommen haben. ({10}) Jetzt ist aller konservative Geist aus Ihrer Partei gewichen; das zeigt dieser Antrag. Natürlich ist eine möglichst gute Ausbildung wichtig für die Integration von Migranten. Aber die Integrationsforschung weist auch klar darauf hin, dass alle Bemühungen für die Katz sind, wenn die Kinder mit Migrationshintergrund die einheimischen an Zahl weit übersteigen, wie das in vielen Orten Deutschlands schon längst der Fall ist. ({11}) Ich zitiere aus dem Berliner „Tagesspiegel“ die Zeugenaussage eines Opfers der immer mehr um sich greifenden Deutschenfeindlichkeit: Ich gehe in die siebte Klasse auf ein Gymnasium in Schöneberg. Dort werde ich ausgegrenzt, weil ich Deutscher bin und Schweinefleisch esse. Es wird auf Türkisch und Arabisch über mich gelästert. Auf Deutsch werde ich als Hurensohn oder gefickte Hure beschimpft. – So viel zum Thema Rassismus, werter Kollege. – ({12}) Außerdem werde ich ab und zu geschlagen und getreten. Wenn ich anderen Jungen zu nahe komme, beschimpfen sie mich als schwul und treten mich. Mädchen werden in meiner Klasse als Schlampen bezeichnet, wenn sie schulterfreie Shirts tragen … Das Schulamt und die Schule helfen mir nicht. Und die viel zu lange hier Regierenden helfen diesem Jungen auch nicht, so wenig wie den Zehntausenden ähnlich gelagerten Fällen in ganz Deutschland. Die AfD lehnt Ihren Antrag ab und fordert Sie auf: Stärken Sie mit uns stattdessen den Leistungsgedanken in den Schulen, und hören Sie auf, an den Symptomen herumzudoktern. Vielen Dank. ({13})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Nächste Rednerin ist für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Marja-Liisa Völlers. ({0})

Marja Liisa Völlers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004942, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer kennt sie nicht, die Hilferufe von Schulen, die absolut am Limit sind? Insbesondere in unseren Städten gibt es sie, und das nicht zu knapp. Wir wollen diesen Schulen helfen, die oft unter dem Label „Brennpunktschule“ laufen. Ich kann dieses stigmatisierende, negative Wort überhaupt nicht leiden und auch nicht mehr hören. Wir wollen aus diesen Schulen eine Erfolgsgeschichte machen. Sie sollen Chancenschulen werden. ({0}) Dieses Thema ist uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine Herzensangelegenheit und hat deshalb auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Angesichts des Problemdrucks ist Tatkraft und zügiges Handeln gefordert. Deshalb freue ich mich, dass wir als Regierungsfraktionen heute unseren gemeinsamen Antrag einbringen. ({1}) Eines steht fest: Wir dürfen diese Schulen, ihre Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler nicht alleinlassen. Sie brauchen unsere Unterstützung; sie brauchen eine bessere Unterstützung. Deshalb nehmen wir sie mit der neuen Initiative zur Förderung von Schulen in benachteiligten sozialen Lagen und mit besonderen Aufgaben der Integration ganz besonders in den Blick. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in vielen Bundesländern gibt es bereits Programme genau dafür. Das zeigt, dass dieses Thema den Ländern völlig unabhängig davon, welche Farbe die jeweilige Landesregierung gerade hat, unter den Nägeln brennt. Wir alle sind uns aber einig, dass es noch größerer Anstrengungen bedarf, um das Problem in den Griff zu bekommen; da reicht es nicht, nur darüber zu reden. ({2}) Wir orientieren uns – so steht es auch im Koalitionsvertrag – bei der Ausgestaltung an der Initiative „Leistung macht Schule“. Das ist die Bund-Länder-Initiative zur Förderung leistungsstarker und potenziell besonders leistungsfähiger Schülerinnen und Schüler. Analog dazu soll auch die neue Initiative für alle Schulformen über zehn Jahre laufen, aus zwei Phasen bestehen und, wenn die Länder genauso viel zur Finanzierung wie der Bund beitragen, ein Volumen von 125 Millionen Euro haben. Die Aufgabenteilung ist auch klar: Der Bund sorgt für die Förderung der begleitenden Forschung sowie deren Auswertung – etwas anderes lässt das Grundgesetz auch nicht zu, meine lieben Kolleginnen und Kollegen –, und die Länder sorgen für die Auswahl, Begleitung und Förderung der teilnehmenden Schulen. ({3}) Weil uns das Thema so wichtig ist und wir wollen, dass es möglichst schnell losgeht, wurden im Bundeshaushalt 2019 schon 2 Millionen Euro als Anschubfinanzierung bereitgestellt. Das Geld soll zum Beispiel für eine bald stattfindende Fachkonferenz eingesetzt werden. Unser Ziel als Abgeordnete ist es, dass alles dafür getan wird, dass die Initiative dann spätestens zum zweiten Schulhalbjahr des Schuljahres 2019/2020 starten kann. An dieser Stelle geht noch einmal ein herzlicher Dank an die Kollegin Tiemann von der Unionsfraktion für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. ({4}) Sehr geehrte Damen und Herren, die soziale Herkunft und der Ort, an dem man lebt, haben in unserem Land nach wie vor einen viel zu großen Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen. Das zeigen die internationalen Vergleichsstudien PISA und IGLU genauso wie der aktuelle Bildungsbericht, den wir heute im Deutschen Bundestag debattieren. Die sozialen Ungleichheiten sind in Deutschland unverändert stark ausgeprägt, und die Schulen in benachteiligten sozialen Quartieren stehen dabei vor besonders großen Herausforderungen. Genau um diese Kinder und Jugendlichen wollen und müssen wir uns kümmern. ({5}) Kein Kind in diesem Land darf zurückgelassen werden. Das ist nicht nur ein ursozialdemokratisches Anliegen, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – ganz, ganz sicher. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns daran messen lassen, ob wir für alle einen gerechten Zugang zu Bildung und gleiche Aufstiegschancen hinbekommen. Das ist das, was über den Erfolg unseres Bildungssystems entscheidet und was von herausragender Bedeutung für die Zukunft unseres Landes ist. ({7}) Mit der neuen Bund-Länder-Initiative zur Förderung der Chancenschulen kommen wir diesem Ziel wieder ein Stückchen näher. Gehen wir es gemeinsam an! ({8})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Als Nächster spricht für die Fraktion der FDP der Abgeordnete Jens Brandenburg. ({0})

Dr. Jens Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildung befähigt den Einzelnen zu einem selbstbestimmten, zu einem aufgeklärten Leben. Diese große Aufgabe endet ja nicht mit dem Abschluss der Schule oder der Ausbildung; sie stellt sich ein Leben lang. Das gilt in Zeiten wie diesen, in denen wir die Jobs von morgen noch gar nicht kennen, in denen sich auch im privaten Umfeld durch technologische Neuerungen immer schneller immer mehr ändert, umso mehr. Deshalb brauchen wir ein zweites, ein neues Bildungssystem für das ganze Leben. ({0}) Lebenslanges Lernen muss man sich leisten können. Allzu oft scheitert das an hohen Kurs- bzw. Teilnahmegebühren oder auch an der Finanzierung der Auszeit, die man sich für diese Bildung nehmen will. Wie soll denn zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, die ihre Familie ernähren muss, eine dreimonatige Weiterbildung finanzieren, wenn sie dafür auf ihr Gehalt verzichten muss? Ermöglichen wir es also allen Menschen, in ihre Zukunft zu investieren, ({1}) durch steuerliche Anreize, einen Teil des eigenen Einkommens für Bildungszwecke zur Seite zu legen, und durch ein neues Midlife-BAföG, das Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen ermöglicht, an Bildung teilzuhaben. Der Zugang zu solchen Angeboten darf nicht vom jeweiligen Geldbeutel abhängen. ({2}) Verschenken wir auch nicht die großen Potenziale unserer Bildungseinrichtungen. Lebenslanges Lernen findet ja nicht nur an Volkshochschulen und in den Betrieben statt. Öffnen wir also insbesondere unsere allgemeinbildenden und die beruflichen Schulen sowie die Hochschulen für Angebote des lebenslangen Lernens. Das erfordert neue Konzepte, neue Ansätze, eine neue Art der Finanzierung, eine moderne Infrastruktur in allen Bildungseinrichtungen, eine große Offenheit für innovative Konzepte wie E‑Learning oder Flipped Classrooms. Und das erfordert auch einen neuen rechtlichen Rahmen, der die Hochschulen dieses Landes nicht länger in das enge Korsett der Kapazitätsverordnungen zwängt. ({3}) Gute Bildung muss man auch finden können. Kaum ein Markt ist für den Endverbraucher ja so unübersichtlich wie der Weiterbildungsmarkt. Stellen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern also ein zentrales Portal zur Verfügung, das all diese Informationen und Angebote bündelt, individuelle Empfehlungen für den nächsten Schritt auf Basis bisheriger Qualifikation gibt und eine gute Übersicht bietet, die zeigt, was man an Leistungen bisher erbracht und an Qualifikationen erworben hat. Zeit ist kostbar. Machen wir es den Menschen also möglichst einfach, die nächsten Angebote zu finden! ({4}) Sie sehen, es gibt viel zu tun. Wo ist da die Bildungsministerin Frau Karliczek? Sie sind heute hier. Von Ihnen hat man aber während Ihrer Amtszeit in der Debatte bisher noch keinen wirklichen Impuls gehört. ({5}) Sie überlassen es Ihrem Kollegen Hubertus Heil, in der Debatte zum lebenslangen Lernen Impulse zu setzen. Starten Sie doch seitens des Bildungsministeriums endlich eine große Offensive für weltbeste Bildung, ein Leben lang! ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Katrin Staffler für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Katrin Staffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004901, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es heute schon in dem einen oder anderen Redebeitrag gehört: Eine der zentralen Entwicklungen, die der nationale Bildungsbericht aufzeigt, ist der anhaltende Trend zu höher qualifizierenden Abschlüssen und die ungebrochen hohe Nachfrage nach einem Studium. In meinen Augen stellt diese positive Entwicklung gleichzeitig auch eine Herausforderung dar. Ich möchte gerne erklären, warum das so ist. Dass auf der einen Seite immer mehr junge Menschen in Deutschland ein Studium anfangen können und das auch wollen, ist grundsätzlich ein positives Signal, und zwar genau deswegen, weil es ein Zeichen dafür ist, dass wir in Deutschland eine vielfältige und attraktive Hochschullandschaft besitzen. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass die Hochschulen trotz der immer weiter steigenden Studentenzahlen eine großartige Expansionsleistung vollziehen und in den vergangenen Jahren auch schon vollzogen haben – nicht zuletzt mit der Hilfe des Bundes in Form des Hochschulpaktes. Aber wie es so ist: Bei positiven Entwicklungen gibt es fast immer auch Herausforderungen, eine Kehrseite. Diese Kehrseite wird mir immer dann besonders deutlich vor Augen geführt, wenn ich, wie in den vergangenen Monaten sehr oft, in meinem Wahlkreis unterwegs bin und zahlreiche Betriebe besuche. Warum? Weil in den Gesprächen vor Ort eines sehr deutlich wird: Es fehlt uns ganz dringend an Auszubildenden. Allein die Metzgereibetriebe in meinem Wahlkreis haben im neuen Ausbildungsjahr nur ein Drittel – ein Drittel! – aller Ausbildungsplätze besetzen können. Und was für die Metzger gilt, gilt auch für viele, viele andere Betriebe. Diese Betriebe arbeiten mittlerweile an ihren Kapazitätsgrenzen, weil über die Hälfte aller offenen Ausbildungsstellen bis August nicht besetzt werden konnten. Wenn ich unterwegs bin und in den Betrieben nach dem Grund frage, dann höre ich von jedem Einzelnen immer das Gleiche, nämlich, dass sich die jungen Menschen immer öfter für ein Studium entscheiden. Die Unternehmer sagen mir, eine Ausbildung ist in ihren Augen für junge Menschen schlichtweg nicht mehr attraktiv, und das gilt insbesondere für diejenigen, die Abitur haben. Nicht selten erzählen mir die Ausbildungsbetriebe auch, dass ihnen überhaupt keine andere Möglichkeit mehr bleibt, als sich aus der Ausbildung zurückzuziehen. Genau diese Entwicklung attestiert uns auch der nationale Bildungsbericht, und er warnt zudem davor, dass wir Ausbildungsinfrastrukturen verlieren. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, vor allem die Klein- und Kleinstbetriebe bilden unser Rückgrat für die duale Ausbildung. Und genau diese Ausbildung ist wiederum entscheidend für die Innovationskraft unseres Mittelstandes. Die Frage ist also: Wie können wir die berufliche Bildung so stärken, dass wir einerseits mehr junge Menschen für eine betriebliche Ausbildung begeistern und gleichzeitig auch mehr Unternehmen, also vor allem die Klein- und Kleinstbetriebe, für die Ausbildung gewinnen? Ich habe mir die Anträge der Oppositionsparteien angeschaut. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Wirklich konkrete Ansätze habe ich darin nicht gefunden. Ich kann Ihnen aber sagen, wo Sie eine Antwort auf die Frage finden können: Werfen Sie einmal einen Blick in den Koalitionsvertrag. ({0}) Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir vereinbart, dass wir die Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen in den Sekundarstufen, also auch an den Gymnasien, weiter stärken werden. Damit geben wir jungen Menschen bereits in der Schule eine wertvolle Orientierungshilfe an die Hand. Mit Programmen wie Jobstarter unterstützen wir auch die Ausbildungsbetriebe, damit sie für die vielfältigen Herausforderungen in diesem Bereich für die Zukunft gewappnet sind. Damit finanzielle Hürden für den beruflichen Aufstieg abgebaut werden, werden wir das Aufstiegs-BAföG weiter ausbauen. Und nicht zuletzt werden wir innovative Qualifizierungswege, wie zum Beispiel die höhere Berufsbildung, stärken, die hochschulisches und berufsbildendes Lernen zusammenführen sollen. An dieser Stelle möchte ich auch eine ganz bestimmte Initiative erwähnen. Wir starten in diesem Jahr den Innovationswettbewerb für die berufliche Bildung, mit dem wir die Bildungschancen aller jungen Erwachsenen mithilfe von neuen und exzellenten Berufsbildungskonzepten verbessern werden. Ich möchte an dieser Stelle einen Dank an die Ministerin und an den Kollegen Stephan Albani sagen, die sich für diese, wie ich finde, großartige Initiative eingesetzt haben. ({1}) Ich habe eine vielfältige und, wie ich finde, zahlreiche Palette an Maßnahmen aufgezählt. Ich persönlich bin zuversichtlich, dass wir damit den ersten Schritt schaffen, dass wir nicht nur die jungen Menschen für die berufliche Ausbildung begeistern können, sondern dass wir auch die Betriebe in der beruflichen Ausbildung behalten können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der nationale Bildungsbericht und auch die Debatte, die wir heute führen, haben uns gezeigt: Ja, wir müssen weiter intensiv arbeiten. Wir müssen unser Bildungswesen über alle einzelnen Bestandteile hinweg verbessern. Lassen Sie uns deswegen gemeinsam mit dem nötigen Ehrgeiz und mit Tatendrang in das neue Jahr starten! Genau dies tun wir. Vielen Dank. ({2})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Yasmin Fahimi für die Fraktion der SPD. ({0})

Yasmin Fahimi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004713, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Sehr geehrtes Haus! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ja, die berufliche Bildung ist eine tragende Säule unseres Bildungssystems. Darüber gibt es große Einigkeit hier im Haus, aber im Übrigen auch bei den Arbeitgebern und Gewerkschaften. Wenn man sich aber trotzdem einmal anschaut, wie sich die Zahl der Ausbildungsbetriebe in Deutschland entwickelt hat, dann müssen wir leider feststellen, dass es da einen Rückgang gibt – und das in Zeiten des Fachkräftemangels. Ich frage also: Wie ist das eigentlich möglich? Was sind die Gründe? Gibt der Bildungsbericht dazu Hinweise? Ja, er gibt einen Hinweis, zum Beispiel beim Blick auf die Kleinstbetriebe, gerade im ländlichen Raum. Dort fühlen sich viele alleingelassen, vielleicht überfordert. Es ist für uns in der Tat eine Herausforderung, die Ausbildungsinfrastrukturen, die Möglichkeit zur Mobilität für die Auszubildenden durch Mobilitätshilfen und Azubi-Tickets in den Kommunen zu verbessern, aber auch die Berufsschulen darauf auszurichten, dass Blockunterricht möglich ist, und für entsprechende Übernachtungsmöglichkeiten in der Umgebung zu sorgen. Mich beschleicht aber das Gefühl, dass das nicht das alleinige Problem ist. Wenn man sich das nämlich genauer anschaut, dann stellt man fest, dass der Rückgang von Ausbildungsbetrieben quer durch alle Unternehmensgrößen zu verzeichnen ist, also auch Großbetriebe betrifft. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Wenn wir die berufliche Bildung mit Blick auf den Fachkräftemangel so herausragend benennen, dann geht es nicht, dass sich Großunternehmen jahrzehntelanger gesellschaftlicher Verabredungen in dieser Art und Weise entziehen. Das ist nicht akzeptabel. ({0}) Es gibt aber auch den Vorwurf: Na ja, es gibt nicht ausreichend qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber. Müssen sie nicht erst noch nachgeschult bzw. vorbereitet werden? – Deswegen zitiere ich schlicht und ergreifend einen Satz aus dem Bildungsbericht, der mit diesem Aberglauben aufräumt. Da heißt es nämlich: Die verallgemeinerte Annahme, dass Jugendliche, die zunächst eine Alternative im Übergangssektor besuchen, auch niedrigere Kompetenzen aufweisen, kann nicht bestätigt werden. ({1}) Also hören Sie auf mit diesem Vorwurf. Das sind vorgeschobene Probleme. Nicht klagen, sondern klotzen! Bildung ist etwas wert. Es muss uns die Mühe wert sein, sich die Zeit zu nehmen und eben auch die Bereitschaft zu haben, Wissen zu teilen und zu vermitteln. Es ist kein Meister vom Himmel gefallen und damit eben auch keine Fachkraft von morgen. Bildung ist etwas wert. Sie muss uns mindestens eine Ausbildungsvergütung wert sein, ({2}) eine Mindestausbildungsvergütung, wie sie die SPD gefordert hat, ({3}) und zwar eine Ausbildungsvergütung als echten Anspruch und in einer angemessenen Höhe. Was kann eine angemessene Höhe sein? Das Bildungsministerium hat einen Vorschlag vorgelegt, bei dem die Auszubildenden am Ende des Tages weniger in der Tasche behalten würden, als ein Schüler an BAföG bekommen kann. Frau Karliczek, ich bitte Sie, Ihren Vorschlag noch einmal zu überdenken. Der BAföG-Schülersatz liegt derzeit bei 504 Euro. Wenn wir Auszubildende mindestens gleichstellen wollen, haben sie Anspruch auf einen Mindestausbildungsbetrag von 634 Euro brutto, weil sie nämlich noch Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. ({4}) Wenn wir uns politisch nicht angreifbar machen wollen, dass wir diese Höhe willkürlich setzten, dann müssen wir uns am Tarifvertragssystem orientieren und nicht an einer Sozialleistung wie dem Schüler-BAföG. ({5}) Solange Auszubildende weniger kosten als eine 450-Euro-Kraft, so lange können wir den Missbrauch auf dem Ausbildungsmarkt nicht ausschließen. Deswegen müssen wir die Attraktivität von Ausbildung auch dadurch sicherstellen, dass wir eine ordentliche und nachvollziehbare Mindestausbildungsvergütung einführen. Bildung ist uns etwas wert, und eine Mindestausbildungsvergütung hat unsere Jugend verdient. Vielen Dank. ({6})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/7027, 19/6930, 19/7041, 19/7026, 19/4632 und 19/7031 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie, soweit erkennbar, einverstanden. Dann sind diese Überweisungen so beschlossen.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Steigende Mieten belasten sowohl den Krankenpfleger, die Lehrerin, die arme Rentnerin als auch Menschen in Hartz IV. Wir Linke setzen uns deshalb für bezahlbares Wohnen ein und fordern ganz konkret einen wirklichen Mietendeckel, mehr bezahlbaren Wohnraum, und wir unterstützen das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. ({0}) Im heute vorliegenden Antrag geht es vor allem um die Übernahme der Wohnkosten von Hartz‑IV-Betroffenen und armen Rentnern und Rentnerinnen. Die müssen endlich existenzsichernd ausgestaltet werden; ({1}) denn Wohnen ist ein Grundrecht. Hartz‑IV-Betroffene – und dazu gehören auch Aufstockende in Teilzeit oder Alleinerziehende – bekommen vom Jobcenter nur die angeblich angemessenen Wohnkosten ersetzt. Was als angemessen gilt, wird jeweils vor Ort, in den Städten und Landkreisen, festgelegt. Oft gibt es aber gar nicht genügend Wohnraum zu den angeblich angemessenen Unterkunftskosten, oder diese Wohnungen konzentrieren sich alle in einigen wenigen Stadtteilen. Wir als Linke haben es mit einer Anfrage ans Licht gebracht: Es gibt eine große Lücke zwischen dem, was Hartz‑IV-Betroffenen an Wohnkosten gezahlt wird, und dem, was tatsächlich an Wohnkosten anfällt. Im Jahr 2017 lag diese Differenz bei 560 Millionen Euro. Fast jedem fünften Haushalt werden nicht die vollen Wohnkosten anerkannt. Das bedeutet im Durchschnitt eine Lücke von 80 Euro pro Monat und Haushalt. Diese Differenz bezeichnen wir als Wohnkostenlücke, und diese Wohnkostenlücke muss die Regierung schließen. ({2}) Die Menschen reagieren nun sehr unterschiedlich auf dieses Problem. Die einen sehen sich gezwungen, ihr vertrautes Wohnumfeld zu verlassen. Das befördert die Konzentration von ärmeren Menschen in einzelnen Stadtteilen. Die jetzige Regelung befördert damit, dass in den Kitas und Grundschulen, die ja eher wohnortnah organisiert sind, die Kinder der Armen und die Kinder der Reicheren eher unter sich bleiben. Diese Spaltung der Gesellschaft ist Gift für den Zusammenhalt, diese Spaltung ist Gift für die Demokratie, und hier besteht Handlungsbedarf. ({3}) Hinzu kommt: Im vertrauten Wohnumfeld helfen sich die Menschen gegenseitig. Befreundete Eltern holen das Kind mal aus der Grundschule mit ab, die Nachbarn schauen aufeinander. Das vertraute Wohnumfeld zu verlassen, bedeutet eben auch, dass man diese Netzwerke, die im Alltag so wichtig sind, verliert. Für Alleinerziehende, für ältere Menschen, für Menschen mit Behinderungen ist das eine besondere Härte. Andere wiederum sparen sich dann diese Differenz vom Munde ab, und das von einem ohnehin viel zu niedrigen Hartz‑IV-Regelsatz. Ich erinnere noch mal daran: im Durchschnitt 80 Euro pro Monat und Haushalt. Das sind rund ein Fünftel des Hartz‑IV-Satzes, was man sich vom Munde absparen muss. Unser Ziel lautet deshalb: Die Regelungen zur Angemessenheit der Wohnkosten bei Hartz IV und anderen Grundsicherungen müssen anders ausgestaltet werden. Wir wollen, dass es keine Zwangsumzüge mehr gibt, und wir meinen: Niemand darf sich die Wohnkosten vom Munde absparen müssen. ({4}) Dass die angemessenen Wohnkosten so niedrig angesetzt sind, wird auch von der UN, den Vereinten Nationen, kritisiert. Hierzu heißt es in den abschließenden Bemerkungen zum sechsten Staatenbericht: Besonders besorgt ist der Ausschuss über die sehr niedrigen Grenzen für die Übernahme von Wohnkosten in der sozialen Grundsicherung, die bei vielen Familien … zum Sparen bei anderen grundlegenden Ausgaben geführt hat … oder in einigen Fällen sogar zu Obdachlosigkeit. So weit sind wir schon: Die UN ist wegen der  Hartz‑IV-Praxis in Deutschland besorgt. Es ist höchste Zeit, diesen Missstand zu beheben. ({5}) Wir unterbreiten verschiedene Standards zur Berechnung, und wir haben dafür drei Quellen: erstens das Wissen aus dem Alltag – wir haben nämlich mit Betroffenen geredet –, zweitens die guten Regelungen, die Die Linke in Berlin mit den AV Wohnen umgesetzt hat, drittens Standards, die bereits in der Rechtsprechung der Sozialgerichte entwickelt wurden, aber leider nicht immer angewandt werden, was unnötige Klagen verursacht. Diese Standards sind sehr komplex. Ich möchte zwei Maßnahmen ansprechen, die sehr konkreter Natur sind. Wir sagen erstens: Im ersten Jahr Hartz IV sollten die tatsächlich anfallenden Wohnkosten in voller Höhe übernommen werden. ({6}) Denn wir finden: Wer in Hartz IV fällt, soll sich auf die Suche nach einem neuen Job konzentrieren und sich nicht durch die Suche nach einer neuen Wohnung verunsichern lassen. ({7}) Zweitens meinen wir: Die Mitgliedsbeiträge für Mietervereine sollten vom Jobcenter übernommen werden. Die Mietervertretung hätte damit zum einen mehr Unterstützung, die Betroffenen wären außerdem wehrhafter, und drittens könnte die öffentliche Hand am Ende sogar noch Geld sparen; denn wenn die Heizkosten- und die Nebenkostenabrechnungen noch einmal gegengeprüft werden, fallen sie in der Regel auch geringer aus. Kurzum: Das ist eine klassische Win-win-Situation. Lassen Sie uns damit einfach anfangen! ({8}) Aus aktuellem Anlass noch einige Worte zum Agieren der Regierung bei den Verhandlungen zu den Hartz‑IV-Sanktionen in Karlsruhe: Das zuständige Sozialministerium setzt doch tatsächlich auf Schönreden und Verteidigen der Sanktionspraxis. ({9}) Man möchte Ihnen zurufen: Mensch, Hubertus Heil, nutze doch dieses Verfahren als Chance für eine längst überfällige Kurskorrektur! Hartz IV, das war die Existenznotpeitsche von Gerhard Schröder, und diese Peitsche muss jetzt weg. ({10}) Hartz-IV-Sanktionen stehen nicht nur für soziale Härte gegenüber den Armen; sie stehen doch auch für eine Art Masochismus der SPD gegenüber sich selbst. Liebe SPD, ihr müsst doch merken, wie viel Vertrauen euch das Festhalten an Hartz IV kostet. Ich finde, SM-Praktiken haben in der Sozialpolitik nichts zu suchen. Also lasst uns Hartz IV überwinden! Weg mit den Sanktionen, her mit guter Arbeit und her mit einem garantierten Schutz aller vor Armut! Vielen Dank. ({11})

Thomas Oppermann (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003820

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Abgeordnete Peter Aumer für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten ein Thema, das jedem hier in diesem Hause ein wichtiges Anliegen ist. Insofern ist die Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe bei den Kosten für Unterkunft und Heizung bei Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB ein sehr wichtiges und wesentliches Thema. Wenn man die Anträge, vor allem den Antrag der Linken, sehr geehrte Frau Kipping, anliest, dann erkennt man, dass er – so wie es in Ihrer Rede gerade angeklungen ist – auch eine Abrechnung mit dem Hartz‑IV-System ist. ({0}) Ich glaube, wenn man sich in den letzten Jahren intensiv mit Hartz IV auseinandergesetzt hat, dann kann und muss man klar feststellen, dass der Wohlstand, den wir heute in unserem Land haben – wir haben so wenige Arbeitslose wie nie zuvor –, auch ganz wesentlich auf den Ansatz des Forderns und Förderns zurückzuführen ist. Dieser Ansatz ist für uns als CDU/CSU ganz wichtig und essenziell. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ein wichtiges Thema ist, wie gesagt, die Gerechtigkeit in unserem Land. Wenn man die beiden Anträge, die zur Beratung vorliegen, liest, sieht man deutlich, wie schwierig und komplex dieses Thema ist und wie wenig hilfreich Ideologie bei der Suche nach einer guten, verlässlichen und angemessenen Lösung in diesem Bereich ist. ({1}) Die FDP will mit ihrem Antrag die Gesetzeslage komplettieren und vereinfachen, will Pauschalierungen einführen, Bürokratie abbauen und dadurch die Lage der Leistungserbringer verbessern. ({2}) Mehr Klarheit durch Konkretisierung – das ist der Inhalt des Antrags. Die Linke will bundesweit eine einheitliche Lösung schaffen, will Diskriminierungen am Wohnungsmarkt abschaffen, will nicht mit Sozialleistungen überhöhte Mieten subventionieren und findet 30 Maßnahmen – wenn man alle Punkte in Ihrem Antrag zählt –, die helfen sollen, das zu erreichen. – Da merkt man schon, wie groß die Spannbreite ist ({3}) und wie wichtig es ist, dass wir in unserem Land eine Regierung haben, für die Maß und Mitte eine wesentliche Leitlinie ihrer Arbeit ist. Für uns ist Maß und Mitte wesentlich. Liebe Frau Kipping, es ist nicht so, dass wir gewartet haben, bis Die Linke dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. ({4}) Wir haben die Wohnkostenlücke in den letzten sechs Jahren bereits um 19 Prozent verringert. Das gehört auch zur Wahrheit, und das sollte man vielleicht auch ansprechen. ({5}) – Nicht aus Angst, sondern einfach im Sinne von Wahrheit und Klarheit und aus der Erkenntnis heraus, dass das Thema für Menschen, die in unserem Land am Existenzminimum leben müssen, wichtig ist. ({6}) Eine bundeseinheitliche Regelung würde sicherlich nicht zu mehr Gerechtigkeit beitragen, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken. Wir sind Verfechter des Subsidiaritätsprinzips. ({7}) Ich glaube, es ist auch wichtig, dass man vor Ort Lösungen findet. Das kann man vor allem in den Kommunen tun. Ich bin auch in einem kommunalen Gremium, das sich um diese Dinge kümmert, und ich glaube, dass es da gut angesiedelt ist. Je höher die Mietkostenübernahme ist, desto stärker wirkt es sich langfristig auf das Mietniveau aus. Ich glaube, wir müssen auch an die Menschen denken, die nicht Hartz IV beziehen, aber trotzdem ein Einkommen haben, bei dem sie ganz genau schauen müssen, wie man über die Runden kommt und – gerade in den Ballungsräumen – davon leben kann. Zum Schluss noch eine Feststellung: Es ist auch unserem Einsatz zu verdanken, dass wir eine jährliche Steigerung um fast 1 Milliarde Euro bei diesem Thema haben. Das ist ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt, der hier angesprochen werden muss. Ich habe mir den Antrag der Linken sehr genau durchgelesen. Darin steht irgendwo, dass der Diskussionsstand in einem Gremium, das von der Bundesregierung mit den Ländern gebildet worden ist, nicht bekannt sei und man hier ein Geheimgremium habe, das sich über dieses Thema Gedanken macht. Ich habe einmal im Internet gegoogelt und sofort gefunden, wie transparent diese Arbeitsgemeinschaft arbeitet. Hier erarbeitet man verlässliche Lösungen für die Menschen. Ich glaube, dass das BMAS da einen sehr guten Auftrag für eine Untersuchung erteilt hat, die durchgeführt worden ist und viele Lösungen aufzeigt, die jetzt in dieser Kommission auch erarbeitet werden. Das Gutachten müssen wir dann natürlich politisch werten und in ganz konkrete Gesetzesvorhaben umsetzen. Schauen wir uns beispielsweise die Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege an, die am 31. Mai 2018 veröffentlicht worden ist. Darin stellt die Freie Wohlfahrtspflege ganz klar fest, dass sie erstens die Bestrebungen der Bundesregierung begrüßt, die Regelungen zu den Kosten der Unterkunft und für Heizung zu reformieren. Sie stellt zweitens zwei wesentliche Ziele in den Mittelpunkt. Das erste Ziel betrifft die Rechtssicherheit und die Verfahrenssicherheit. Es ist wichtig, dass man transparente und praktikable Regelungen einführt. Sie sprechen sich, meine lieben Kollegen der FDP, klar gegen Pauschalierungen aus, aus meiner Sicht auch richtigerweise, weil in einem Land wie Deutschland mit seiner Vielfältigkeit Pauschalen nicht die richtige Antwort wären. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, meine sehr geehrten Damen und Herren der Linken, spricht sich ebenfalls gegen die von Ihnen angedachte Pauschalierung aus und sagt: Es ist ganz wichtig, dass man bei den Kosten der Unterkunft auch eine angemessene Begrenzung einführt. ({8}) Das ist auch ganz wesentlich. Der zweite Punkt, auf den von der Bundesarbeitsgemeinschaft hingewiesen wird, ist die tatsächliche Verfügbarkeit von Wohnraum. Auf dieses Thema sind Sie in Ihrer Rede und auch im Antrag gar nicht eingegangen. ({9}) Wir haben uns in diesem Haus der Grundherausforderung anzunehmen, dass wir den Menschen genügend Wohnraum zur Verfügung stellen. Da besteht in allen Bereichen des Landes Knappheit. Hier ist es notwendig, dass wir unsere Hausaufgaben erledigen. Wir haben als CSU beispielsweise das Baukindergeld eingebracht, um für junge Familien die Möglichkeit zu eröffnen, Wohnraum zu schaffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Aumer, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Kipping?

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sehr gerne.

Katja Kipping (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003786, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank für die Möglichkeit. – Es dient ja der Transparenz, wenn wir deutlich machen, wo wir Unterschiede haben. Nicht hilfreich ist aber, wenn man dabei Sachen unterstellt. Bei Ihnen ist offensichtlich fälschlicherweise angekommen, dass wir uns nicht um das Thema „mehr bezahlbarer Wohnraum“ kümmern würden. So haben Sie es hier vertreten. Ich möchte Ihnen deshalb noch einmal den Beginn meiner Rede in Erinnerung rufen. Da habe ich gesagt: Wir setzen uns für mehr bezahlbares Wohnen ein, und das heißt unter anderem für mehr bezahlbaren Wohnraum. – Im Antrag ist diesem Thema auch ein ganzer Punkt gewidmet. Neben mir sitzt die Kollegin Caren Lay, die sich seit vielen Jahren für eine aktive Mieterinnen- und Mieterbewegung starkmacht. Insofern haben wir uns schon vor Jahren, als bei der Regierung noch nichts passiert ist, dafür eingesetzt, dass es mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. Würden Sie also zur Kenntnis nehmen, dass wir in der Frage von bezahlbarem Wohnraum keinen Nachhilfeunterricht brauchen? Danke. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme das sehr gerne zur Kenntnis, Frau Kipping. Das ist auch ein gemeinsames Ziel. Nur: Wenn man sich den Antrag anschaut, findet man darin nur zwei oder drei Zeilen zu diesem Thema. Alles andere bezieht sich auf andere Themen. Aufgrund der Bedeutung des Themas „Schaffen von Wohnraum“ ist – das muss man einfach sagen – der entscheidende Punkt, dass wir hier die Impulse setzen; denn dann können auch die anderen Punkte, die Hauptziele Ihres Antrags sind, gut behandelt werden. Das ist unsere Stoßrichtung. Das wollte ich noch einmal ansprechen. Ich weiß, wie schwierig es ist, zu Lösungen zu kommen. Vor einiger Zeit ist jemand zu mir in meine Bürgersprechstunde gekommen, der ein eigenes Haus besitzt und berichtet hat, wie schwierig es ist, die notwendigen Mittel für die Kosten der Heizung zu bekommen. Ich kann also jeden einzelnen Fall nachvollziehen. Es ist sicherlich eine Gerechtigkeitsfrage. Hier müssen wir nachsteuern. Die Bundesregierung hat das auch in Auftrag gegeben. Deswegen bin ich froh darüber, dass hier gehandelt wird und dass wir nicht auf die Linken warten müssen, sondern uns schon seit vielen Jahren, seit mindestens sechs Jahren, dem Thema gewidmet haben. ({0}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten erst abwarten, bis diese Bundesarbeitsgemeinschaft mit den Ländern – und zwar sehr schnell; das müsste auch die Aufforderung an das BMAS sein – Vorschläge erarbeitet hat, die man dann auch hier im Parlament diskutieren kann. Dann kann man hoffentlich eine Lösung finden, wie jeder Mensch in unserem Land gut leben kann. Ich hoffe, dass wir hier dann eine gemeinsame Antwort finden. Danke. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Bevor wir fortfahren, Kollegin Kipping, hat mich der Vizepräsidentenkollege Oppermann gebeten, etwas nachzuholen, was er versäumt hat, nämlich Ihnen zu Ihrem heutigen Geburtstag zu gratulieren. ({0}) Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Uwe Witt für die AfD-Fraktion. ({1})

Uwe Witt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004937, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste des Hohen Hauses! Ich werde zu dem Antrag der FDP Stellung nehmen, mein Kollege Jörg Schneider später dann zu dem Antrag der Linken. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende oder Hartz IV ist in Deutschland für alle, die damit zu tun haben und betroffen sind, problematisch: für die 6 Millionen Leistungsbezieher, die dafür nur am Rande des Existenzminimums leben können, für 95 000 Mitarbeiter in den Jobcentern und Arbeitsagenturen und für die Sozialgerichte, bei denen sich bis Ende letzten Jahres 173 000 Klagen angesammelt haben, davon allein 30 000 Klagen gegen Bescheide, die die Kosten für Unterkunft und Heizung betreffen, aber letztlich – lassen Sie uns das nicht vergessen – natürlich auch für die Steuerzahler, die das alles bezahlen müssen. Die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung ist unabhängig von der Regelleistung. Laut § 22 SGB II werden diese in der tatsächlichen Höhe übernommen, aber nur, wenn sie angemessen sind. Allerdings gibt es in den Jobcentern teilweise Probleme bei der Berechnung der Angemessenheitsgrenzen im Hinblick auf die Rechtssicherheit. In § 22 SGB II ist nicht klar geregelt, wie Angemessenheitsgrenzen zu berechnen sind. Dazu kommt, dass die Berechnung hochkomplex ist. Das kostet nicht nur die Mitarbeiter in den Jobcentern einen Teil ihrer Arbeitszeit, den sie besser verwenden könnten, um die Betroffenen zu beraten, sondern produziert auch, wie eingangs erwähnt, eine Flut von Klagen. Wenn wir daran etwas ändern können, sollten wir das tun. Schauen wir uns daher den Antrag der FDP etwas genauer an. Die FDP will mehr Rechtssicherheit herstellen. Sie will die bestehende Gesetzeslage konkretisieren und vereinfachen, um Kommunen und Jobcenter, aber auch Sozialgerichte zu entlasten. Wie soll das funktionieren? Bundesländern und Kommunen soll es einfacher gemacht werden, Pauschalierungen für Unterkunft und Heizung einzuführen und zu handhaben. Damit soll der Aufwand für Prüfungen der tatsächlichen Lebensverhältnisse und der Angemessenheit der Kosten reduziert werden. Das Berechnungsverfahren zur Ermittlung von Pauschalbeträgen und Kostenobergrenzen soll konkret vorgegeben werden, und zwar so, dass es einfach zu handhaben ist und die Berechnungen vor Gericht Bestand haben. Schließlich sollen die so ermittelten Kosten für Unterkunft und Heizung kostendeckend sein und auch besonderen Einzelfällen gerecht werden. Das hört sich erst einmal sehr gut an. Die Frage ist allerdings, ob die FDP in dieser Sache jetzt bereits ein Patentrezept gefunden hat und uns im Ausschuss verrät, wie sie das konkret umsetzen will. Es ist sicher eine Herausforderung, Pauschalierungen so zu gestalten, dass sie auch besonderen Einzelfällen gerecht werden. Bei den Kosten für die Unterkunft mag das einfacher sein als bei den Kosten für die Heizung. Denn sie sind von der Art der Heizung und von der Wärmedämmung der Räume abhängig. Wenn man von Vergleichsräumen für die Berechnung der Pauschalbeträge und Kostengrenzen spricht, muss man berücksichtigen, dass sich der Wohnungsmarkt dynamisch entwickelt. Die Beträge müssen daher auch regelmäßig dynamisch angepasst werden. Wir sind gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Daher stimmt die AfD der Überweisung des Antrags der FDP in den Ausschuss zu. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD-Fraktion. ({0})

Dagmar Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wohnen ist in Deutschland ein Grundrecht. Das Wohnen gehört zu den existenziellen Gütern, es ist Teil der Daseinsvorsorge, und deswegen tragen wir eine besondere Verantwortung, Menschen gutes Wohnen zu ermöglichen. Aber Wohnen hat neben der materiellen auch eine emotionale Seite. Die eigene Wohnung, die eigenen vier Wände, seien sie gekauft oder gemietet, geben Schutz und Sicherheit, Heimat und im wahrsten Sinne des Wortes ein Zuhause. ({0}) Nicht ohne Grund hängen viele Menschen an ihrem Elternhaus oder der Elternwohnung, obwohl sie dort schon lange nicht mehr leben. Für junge Familien ist eine neue Wohnung oft auch der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Und gerade in einer Welt, in der die Anforderungen an die Einzelnen immer größer werden, in der Weltläufigkeit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an eine sich immer schneller drehende Welt erwartet werden, ist es umso wichtiger, Sicherheit für die existenziellen Güter, für die Dinge der Daseinsvorsorge zu gewährleisten. ({1}) Eine Wohnung zu haben, zu behalten oder eine passende Wohnung finden zu können, gibt die notwendige Sicherheit und Freiheit, sich um andere Dinge, um die wirklich wichtigen Dinge im Leben kümmern zu können. Bezahlbares Wohnen ist die vielleicht drängendste politische Frage unserer Zeit. Sie ist eine soziale Frage für fast alle: ({2}) für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen und selbst höherer Einkommen, wenn Kinder da sind oder vielleicht nur ein Partner arbeitet, wenn Mutter oder Vater alleinerziehend sind. Wohnungssorgen begleiten einen Großteil der Menschen in Deutschland, und das nicht nur in den Ballungsräumen. 30 Prozent des Einkommens für die Wohnung auszugeben, das wird gerade noch als akzeptabel betrachtet, um vom Rest gut leben zu können. Wenn der deutschlandweite Durchschnitt bereits bei 27,2 Prozent liegt, Haushalte mit einem Einkommen schon 30 Prozent bezahlen, Alleinerziehende 32 Prozent und arme Haushalte 39 Prozent, dann sieht man: Die Not ist groß. Und das erleben die Menschen täglich. Es fehlen Wohnungen für Studierende, für Singles, für Alleinstehende. Es fehlen Wohnungen für große Familien, barrierefreie Wohnungen für alte Menschen und Menschen mit Behinderungen. Es fehlen Wohnungen für Menschen, die auf dem Wohnungsmarkt oft auch noch Vorurteilen und Diskriminierungen ausgesetzt sind: Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit vielen Kindern oder im Sozialleistungsbezug. Es fehlen bezahlbare Wohnungen. Das Angebot passt nicht zum Bedarf. Wir machen uns auf den Weg, das zu ändern, und haben deswegen viele gute Maßnahmen beschlossen. ({3}) Wir stärken den sozialen Wohnungsbau mit 5 Milliarden Euro des Bundes bis 2021. Wir unterstützen Familien mit dem Baukindergeld. Wir fördern den Mietwohnungsneubau. Der Bund geht mit gutem Beispiel voran und schafft Wohnungen für seine Bedienstete. Ich hoffe, dass sich Länder und Unternehmen ein Beispiel daran nehmen. ({4}) Wir stärken die Mieterinnen und Mieter, wir erhöhen das Wohngeld, und wir erleichtern das Bauen. Aus Sicht der SPD gibt es aber weiteren Handlungsbedarf über den Koalitionsvertrag hinaus. Dort, wo die Lage es erforderlich macht, benötigen wir einen Mietenstopp. Das bedeutet, dass Mieten dort, wo der Wohnungsmarkt besonders angespannt ist, fünf Jahre lang nur in der Höhe der Inflationsrate steigen dürfen. ({5}) Es ist auch erforderlich, die Rechte der Mieterinnen und Mieter weiter zu stärken. Der Eigentümer oder die Eigentümerin hat selbstverständlich das Recht, in seiner oder ihrer Wohnung zu wohnen. Zu häufig wird der Eigenbedarf aber nur vorgetäuscht, damit die Wohnungen im Anschluss teurer vermietet oder verkauft werden können. Dem müssen wir ein Ende bereiten. ({6}) Wohnen ist eine soziale Frage, die viele Menschen betrifft. Das Thema „bezahlbares Wohnen“ wird für Menschen im Hartz‑IV-Bezug oder in der Sozialhilfe dann ein Problem, wenn eine Lücke zwischen den realen Kosten ihrer Wohnung und den als angemessen betrachteten Leistungen, die Jobcenter und Sozialämter zahlen, entsteht. Das ist dann die sogenannte Wohnkostenlücke. Sie von den Linken schreiben selber in Ihrem Antrag, dass die Wohnkostenlücke seit 2011 kleiner wird. Ich glaube, dass sie von daher nicht das drängendste Problem in wohnungspolitischen Fragen ist und vieles sich bei ordentlichem sozialem Wohnungsbau und einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erledigen würde. Aber trotzdem ist auch das ein wichtiges Thema. Herr Aumer hat es angesprochen: Die Bundesregierung hat sich des Themas angenommen. Sie haben vielfältige Vorschläge gemacht, die Lücke zu schließen. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob alle Vorschläge wirklich zum Ziel führen. Etliche Vorschläge sind bereits geltendes Recht, vom Bundessozialgericht ausgelegt und in der Praxis angewandt. Die Heizkosten werden in tatsächlicher Höhe übernommen, und auch Beiträge für Mietervereinigungen werden schon heute von den Jobcentern bezahlt. Auch andere Vorschläge sind bereits in der Diskussion, zum Beispiel die Abschaffung der Sanktionen bei den Kosten der Unterkunft. Wir erwarten hier ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich komme später noch auf dieses Thema zu sprechen. Wiederum andere Vorschläge erscheinen so nicht sinnvoll, weil sie die Einzelfallorientierung erschweren und weil sie schon ausprobiert wurden. So ist zum Beispiel aktuell eine Pauschale, wie die FDP sie vorschlägt, möglich; sie wird jedoch in der Praxis nicht umgesetzt, insbesondere da das Bundessozialgericht entschieden hat, dass für eine Satzung für eine solche Pauschale die gleichen Anforderungen gelten. Das macht es nicht einfacher. Wenn ich in meinem Jobcenter vor Ort in Wetzlar frage, woher die Wohnkostenlücke kommt, dann ist die Antwort, dass es viele verschiedene Gründe gibt. Meistens ist der Grund, dass die Menschen eine zu große Wohnung bewohnen und deswegen eine unangemessen hohe Miete zahlen, die Wohnung aber nicht verlassen wollen. Das ist oft der Fall, wenn die Kinder ausgezogen sind. Andere zahlen lieber einen eigenen Beitrag dazu und bleiben dafür im Zentrum wohnen; denn sie wollen nicht so gerne aufs Land ziehen, was ich nicht verstehen kann. ({7}) Aber was für einen Menschen mit geringem Einkommen Realität ist, muss auch für Menschen, die von Sozialleistungen leben, zumutbar sein. Wir brauchen ein besseres Wohnungsangebot für alle. Ich möchte zwei Punkte hervorheben, dir mir in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind. Das eine – ich habe es schon angesprochen – ist das Thema Sanktionen. Ich bin nicht dafür, sämtliche Mitwirkungspflichten für Menschen, die von Sozialleistungen leben, abzuschaffen. Es kann aber nicht sein, dass in das elementare Grundrecht Wohnen eingegriffen wird. Sanktionen in die Kosten der Unterkunft müssen abgeschafft werden. ({8}) Das andere ist zutiefst eine Gerechtigkeitsfrage. Wer vorübergehend auf den Bezug von Grundsicherung angewiesen ist, weil er oder sie den Arbeitsplatz verloren hat, muss sich trotzdem seiner Wohnung sicher sein können. Aktuell ist es möglich, dass Menschen nach sechs Monaten Leistungsbezug ihre Wohnung aufgeben müssen. Das führt zu Verunsicherung und zu Ängsten. Diesen Zeitraum müssen wir deshalb deutlich verlängern, damit den Menschen die Sorge um die Wohnung genommen wird und sie statt auf Wohnungssuche auf Arbeitsplatzsuche gehen können. ({9}) Genauso wie gilt, dass niemand wegen seiner Kinder arm werden darf, so gilt das auch für die Wohnkosten. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag die Reform des Wohngeldes beschlossen. Zusammen mit den verbesserten Leistungen für Kinder und Familien, dem sozialen Arbeitsmarkt, der Stabilisierung des Rentenniveaus, der Abschaffung des Soli für alle außer den Reichen und der Entlastung der Geringverdienenden bei den Sozialbeiträgen macht das soziale Deutschland mit uns einen großen Schritt nach vorn. In diesem Sinne: Glück auf! ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Pascal Kober das Wort. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der Einführung von Hartz IV wird sehr kontrovers über Hartz IV gestritten. Einige diffamieren Hartz IV als Synonym für den sozialen Zerfall in Deutschland, aber nichts ist falscher als das. Wir sagen, dass sich das Grundprinzip von Hartz IV – Fördern und Fordern – bewährt hat und dass sich die Erfolge sehen lassen können. ({0}) Zwischen 2006 und 2018 hat sich die Zahl der Arbeitslosen im Hartz‑IV-System mehr als halbiert. 1,5 Millionen Menschen von vormals 3 Millionen Menschen haben den Wiedereinstieg in Arbeit geschafft. Sie haben Chancen ergreifen können, und das ist gut. Sie haben wieder teil am Berufsleben. Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht. ({1}) Aber Hartz IV könnte noch besser sein. Dringend müssen wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern und in den Kommunen von unnötiger Bürokratie entlasten. Bürokratie schafft keine Chancen. Es muss wieder mehr Zeit für die Menschen da sein. Mit unserem vorliegenden Antrag beabsichtigen wir eine Vereinfachung bei der Berechnung von Kosten der Unterkunft und Heizung. ({2}) Derzeit ersticken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter und Kommunen geradezu an unnötiger Bürokratie. ({3}) Fast 1 Milliarde Euro aus den Mitteln für die Förderung von Langzeitarbeitslosen geht in die Bürokratie. Das ist zu viel. Ein Bereich, der zu besonders viel Bürokratie in den Jobcentern führt, ist die Berechnung von angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Das müssen wir ändern. Hier müssen wir zu Vereinfachungen kommen. Das Gesetz, wie es bisher formuliert ist, fordert von den Jobcentern, dass konkret bestimmt wird, welche Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen sind; aber es konkretisiert nicht, wie diese Angemessenheitsgrenze bestimmt werden soll. Allein dass gegenwärtig 30 000 unentschiedene Klagen bei den Sozialgerichten vorliegen, bezogen auf die Unterkunftskosten, zeigt, dass die bestehenden Regelungen keine rechtssichere Anwendung ermöglichen. ({4}) Und durch die vielen Klagen in der Vergangenheit und die gerichtlichen Entscheidungen ist es nicht leichter geworden, diese Angemessenheit zu bestimmen; denn die vielen Entscheidungen müssen auch in den Jobcentern berücksichtigt werden. Das kostet Zeit und schafft Rechtsunsicherheit. Ein Gesetz muss aber Handlungssicherheit bei seiner Anwendung gewähren. Sonst ist es ein schlechtes Gesetz und muss von uns, vom Deutschen Bundestag, verändert werden. Das ist das, was wir vonseiten der FDP wollen. ({5}) Deshalb fordern wir Arbeitsminister Hubertus Heil auf, zusammen mit den Ländern und Kommunen endlich Regelungen zu finden, die das Verfahren der Berechnung der Unterkunftskosten vereinheitlichen und vereinfachen und für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern auch wirklich anwendbar machen. Dazu gehört natürlich die Möglichkeit einer Pauschalierung. Diese sollte, lieber Kollege Aumer, natürlich nicht deutschlandweit einheitlich sein; aber zumindest in Regionen oder Stadtteilen wären Pauschalierungen zur Vereinfachung möglich. Das sollten wir versuchen. Pauschalierungen würden Jobcenter und die Sozialgerichte von unnötiger Bürokratie entlasten, und das sollte unser Ziel sein. Es muss auch festgelegt werden können, welche Datenquellen die Jobcenter und die Kommunen nutzen dürfen und nutzen sollen, um beispielsweise festzulegen, welche Mieten angemessen sind und welche Wohnungsgrößen angemessen sind. Es muss auch festgelegt werden – das muss unser Ziel sein –, zu welchem Anteil die Mieten aus bereits laufenden Mietverträgen und zu welchem Anteil Mieten aus neu geschlossenen Mietverträgen in die Berechnungen einbezogen werden sollen. Oder denken Sie an die große Unklarheit, die die Abgrenzung von Stadtvierteln und Wohnvierteln, den sogenannten Vergleichsräumen, derzeit bedeutet. Da könnten wir durch klarere Vorgaben zu Vereinfachungen kommen, die Bürokratie abbauen würden. Wir brauchen Verfahren, die anwendbar sind, die Rechtssicherheit schaffen und die es vor allen Dingen ermöglichen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern wieder mehr Zeit für die Menschen haben, für Beratung, für Betreuung, um Unterstützung beim Wiedereinstieg in Arbeit zu bieten. Das ist unser Ziel. Das wollen wir erreichen. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Sven Lehmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Sven Lehmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004801, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, Wohnen ist ein Menschenrecht. Ein Dach über dem Kopf zu haben, einen Schutzraum, ein vertrautes Umfeld, ist etwas, das jedem Menschen zustehen sollte. Wohnen wird aber in der Tat für immer mehr Menschen mit keinem oder mit geringem Einkommen zur Existenzfrage. Deswegen bin ich sehr froh über die Debatte heute. Ich beginne mit zwei Beispielen aus dem Leben. Ein junger Mann aus Dresden hat eine Ausbildung zum Dachdecker wegen Höhenangst abgebrochen. Nach einer ersten Sanktion durch das Jobcenter hat er die Auflage, eine Helfertätigkeit anzunehmen, abgelehnt, da er lieber eine andere Ausbildung beginnen wollte. Nach einer Spirale von Sanktionen wohnt er mittlerweile in der Obdachlosenunterkunft und lebt von Lebensmittelgutscheinen. Beispiel zwei, über das kürzlich „Panorama“ berichtet hat: Ein ehemaliger Fitnessstudiobesitzer erlitt eine Erschöpfungsdepression. Immerhin konnte er sich mithilfe eines Minijobs noch einigermaßen über Wasser halten, hat aber dann Termine beim Jobcenter versäumt, sodass auch seine Grundsicherung bis hin zur Totalsanktion gekürzt wurde. Danach hat er hohe Mietschulden angehäuft, und ihm wurde schließlich fristlos von seinem Vermieter gekündigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Staat, der die Würde des Menschen achten muss, der versagt an der Stelle, wo er Wohnungslosigkeit nicht verhindert, sondern Wohnungslosigkeit mit seinen Gesetzen herbeiführt. Und das kann nicht sein! ({0}) In dieser Woche hat das Bundesverfassungsgericht sich intensiv mit der Frage des Existenzminimums in der Grundsicherung auseinandergesetzt. Ich bin sehr gespannt auf das Urteil. Wenn die Bundesregierung verantwortlich handeln will, dann lässt sie sich nicht von einem Gericht zwingen, sondern dann legt sie jetzt selber einen Gesetzentwurf vor, der mindestens die Sanktionen auf Kosten für Unterkunft und Heizung abschafft. Es geht um existenzielle Notlagen, in die Menschen getrieben werden, und das ist eines Sozialstaates unwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) In den öffentlichen Debatten zu Hartz IV wird oft übersehen, dass das Existenzminimum, also das, worauf jeder Mensch ein Anrecht hat, neben dem Geld zum Lebensunterhalt erst mit einem Dach über dem Kopf gesichert ist. Und hier haben wir in der Tat ein großes Problem: Das SGB II sagt, dass die Kosten dafür in angemessener Höhe übernommen werden müssen. „Angemessenheit“ ist aber erstens ein unbestimmter Rechtsbegriff. Und zweitens hat der Gesetzgeber die Verantwortung für die Sicherstellung dieses Existenzminimums letztlich an die Kommunen delegiert, das aber in einem völlig unsicheren Rechtsrahmen. Die Kommunen sind nämlich aufgefordert, die Angemessenheitsgrenze selber festzulegen. Gerade in den Ballungsräumen ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt sehr angespannt – das wissen alle –, die Haushaltssituation der Städte und Gemeinden aber eben auch. Was passiert nun? Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die zu niedrigen Angemessenheitsgrenzen führen dazu, dass Menschen in Hartz IV immer öfter ihre Wohnung mithilfe ihres Regelsatzes finanzieren müssen. Das heißt im Klartext: Wenn die Wohnkosten nicht vollständig getragen werden, müssen Menschen bei Lebensmitteln sparen, bei Körperpflege sparen oder bei anderen Mitteln des täglichen Bedarfs. Das betrifft mittlerweile jede fünfte Bedarfsgemeinschaft. Einem Fünftel aller Bedarfsgemeinschaften wird so das Existenzminimum entzogen, und das ist ein sozialpolitischer Skandal, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Was also müssen wir tun? Erstens. Wir brauchen natürlich mehr bezahlbaren Wohnraum. Jedes Jahr gibt es weniger Sozialwohnungen. Das ist eine dramatische Entwicklung. Im selben Zeitraum sind die Kosten der Unterkunft aber massiv explodiert. ({3}) Das zeigt die gesamten Verfehlungen der Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte auf. Während der Staat sich aus der Verantwortung für mehr bezahlbaren Wohnraum immer mehr zurückgezogen hat, mussten die Städte und Gemeinden immer mehr Geld ausgeben, um Wohnen überhaupt noch zu ermöglichen. Genau diesen Trend müssen wir endlich stoppen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) – Entschuldigung, aber Sie wissen doch genau, dass der Bund zwar seinen Anteil erhöht hat, aber die Kosten für Unterkunft trotzdem explodiert sind. Das ist das, was ich gesagt habe. ({5}) Sie müssen mal in die Zahlen schauen. Zweite Maßnahme: Das Wohngeld muss gestärkt werden. Das Wohngeld ist eine sehr wichtige Leistung; denn es kann als Zuschuss zu den Mietkosten verhindern, dass Menschen wegen zu niedrigem Einkommen überhaupt in den Bezug der Grundsicherung fallen. Diese Leistung wird aber noch zu wenig in Anspruch genommen. Von daher ist es grundfalsch, dass die Große Koalition im Haushalt für 2019 die Mittel dafür gekürzt hat. Schaffen Sie endlich eine Dynamisierung des Wohngeldes, sodass weniger Menschen auf Grundsicherung angewiesen sind, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition. ({6}) Drittens. Die Kosten der Unterkunft müssen in voller Höhe erstattet werden. Die Angemessenheitsgrenzen müssen sich deutlich stärker an den Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten orientieren und zum Beispiel Angebotsmieten berücksichtigen. Die sogenannten schlüssigen Konzepte müssen gerade in Regionen mit Wohnungsmangel häufiger aktualisiert werden. Ich denke, wir kommen auch da um eine Gesetzesänderung im SGB II nicht herum. Viertens. Sanktionen auf die Kosten für Unterkunft und Heizung – das ist jetzt schon öfter gesagt worden – müssen endlich abgeschafft werden. ({7}) Wir dürfen einfach nicht zulassen, dass Menschen in Obdachlosigkeit oder Wohnungslosigkeit getrieben werden und auf der Straße landen. Es ist übrigens auch für die Gesellschaft viel, viel teurer, Wohnungslosigkeit wieder zu überwinden – durch Notschlafstellen, durch Kältehilfen, durch Beratungsstellen –, als Wohnungslosigkeit überhaupt erst entstehen zu lassen. Ich hoffe, dass wir Wohnen als ein Menschenrecht endlich ernst nehmen und für alle verwirklichen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Thomas Heilmann für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Zuschauer im Saal und an den digitalen Endgeräten! Frau Kipping, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich kann Ihnen aber trotzdem den Hinweis nicht ersparen, dass Ihr Antrag zwar die eine oder andere richtige Forderung enthält, aber im Übrigen eine gute Gelegenheit bietet, über die skandalöse Wohnungspolitik der Linken zu reden. ({0}) Im harmlosen Teil Ihres Antrags fordern Sie eine Reihe von Maßnahmen, die ohnehin schon geltendes Recht sind. Das geben Sie auch zu. Allerdings geben Sie das nur für die Berechnungsmethoden zu. Für die, die nicht so im Thema stehen, sage ich: Es gibt in Deutschland – zu Recht – nicht mehr die Möglichkeit, Wohnungen ohne Bad oder mit Ofenheizungen in die Berechnung einzubeziehen. Das hat die Rechtsprechung, wie Sie richtigerweise sagen, veranlasst. Das gilt. In Wirklichkeit geht man aber viel weiter. Wenn Sie zum Beispiel die vom Berliner Senat erlassene AV Wohnen lesen, stellen Sie fest, dass längst gilt, dass die Kosten für die Mieterberatung übernommen werden, dass unwirtschaftliche Umzüge ausgeschlossen werden und die Übernahme von Mietkautionen längst gängige Praxis ist. Diese AV Wohnen, aus der Sie zitiert haben, ist von der rot-schwarzen Regierung erlassen worden. Ich war damals Teil des Senates, wie Sie vielleicht wissen. Es ist uns gelungen – und zwar im bestehenden Rechtssystem; dafür brauchen Sie keine Gesetzesänderungen –, die Zahl der Klagen von Hartz-IV-Empfängern in Berlin zu halbieren, und zwar nicht, indem wir das Klagen erschwert haben, sondern indem wir die Leute so behandelt haben, dass sie erst gar nicht mehr klagen müssen. Das ist doch das, was man eigentlich erreichen muss, und keine komplizierte Gesetzesänderung, ({1}) die dann alles pauschal für ganz Deutschland regelt, statt es regionsspezifisch zu regeln. In Berlin sind wir also den umgekehrten Weg dessen gegangen, den Sie vorschlagen. Wir haben nicht alles zum Einzelfall erklärt, sondern wir haben das mit Pauschalierungen gemacht. Jetzt kommen wir zum ärgerlichen Teil Ihres Antrages. Sie sehen nämlich alles immer nur unter der Hartz-IV-Brille; aber bezahlbare Wohnungen fehlen eben auch für Normalverdiener oder jedenfalls für Geringverdiener. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Heilmann, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Birkwald? ({0})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Sie haben eben behauptet, die Ausführungsvorschrift Wohnen, kurz: AV Wohnen, sei von Schwarz-Rot eingeführt worden. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das in doppelter Hinsicht eine Falschinformation war? Die erste AV Wohnen wurde bereits im Jahr 2005 eingeführt. Ich weiß das so genau, weil ich in der Zeit persönlicher Referent der damaligen dafür zuständigen Senatorin für Soziales, Frau Dr. Heidi Knake-Werner, und an der Erarbeitung mit beteiligt war. Die neue AV Wohnen ist von der jetzigen Sozialsenatorin Elke Breitenbach eingeführt worden. Sind Sie bereit, Ihre Fehlinformation zu korrigieren? ({0})

Thomas Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004741, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie es ganz genau wissen wollen, Herr Birkwald: Es gibt in der Tat eine AV von 2005. Aber es hat in der Zeit, in der ich Senator gewesen bin, zwei Reformen der AV Wohnen der rot-schwarzen Regierung gegeben, ({0}) die genau dazu geführt haben, dass die Anzahl der Klagen halbiert worden ist. Ja, es gibt seit kurzem eine weitere Reform des jetzigen rot-rot-grünen Senates. Aber die Dinge, die ich gerade vorgelesen habe, sind in der Zeit von Rot-Schwarz eingeführt worden, und darauf bin ich eingegangen. Angesichts von sieben Minuten Redezeit habe ich allerdings nicht die ganze Historie von AV Wohnen genannt. Aber: Den Kern, das, was Sie fordern, hat auch Rot-Schwarz in Berlin gefordert. Der wesentliche Punkt ist, dass die Länder das jetzt schon können und dass es gemäß dem Subsidiaritätsprinzip gut ist, dass die Länder das machen, spezifisch im Hinblick auf ihre jeweiligen Verhältnisse vor Ort – und es funktioniert ja auch. ({1}) – Dann müssen Sie das in den Länderparlamenten debattieren, aber doch nicht hier. Wenn die Länder das können – das ist nun mal der Föderalismus –, dann brauchen wir dafür aus meiner Sicht keine Gesetzesänderung im Bund. ({2}) Ihr Weltbild ist aus meiner Sicht aber noch in einer weiteren Hinsicht falsch, und darauf will ich hinweisen. Wir haben natürlich eine bedauerliche Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum. Wir weigern uns aber, Menschen im Hartz‑IV-Bezug grundsätzlich besserzustellen als Geringverdiener. Und Ihre These, dass Hartz‑IV-Empfänger stärker als Geringverdiener diskriminiert werden, stimmt nicht. Ich habe extra im Vorfeld dieser Rede noch mal drei Jobcenter und vier Wohnungsbaugesellschaften in Berlin – private und öffentliche – angerufen: In dem Moment, in dem sie die Kostenübernahmeerklärung durch das Jobcenter vorlegen, sind sie willkommene Geringverdiener bei Vermietern; das ist ganz anders als etwa bei Flüchtlingen. Insofern stimmt es einfach nicht, dass die Hartz‑IV-Bezieher bei der Wohnungssuche stärker benachteiligt sind als andere Geringverdiener. Der ganze Tenor Ihres Antrages stimmt da aus meiner Sicht nicht. Jetzt kommt der Teil, der wirklich ganz besonders ärgerlich ist – Sie haben es ja selber erwähnt, Frau Kipping –: Sie schlagen nun – im Übrigen auch noch verfassungswidrige – Massenenteignungen von Wohnungsbauunternehmen vor. Die lösen das Problem nicht, sondern kosten zweistellige Milliardenbeträge. ({3}) – Ich komme gleich noch mal darauf zurück. – Stattdessen wollen Sie Milliarden aufwenden, um bestehende Wohnungen – da entsteht ja deswegen keine Wohnung mehr – aus privater in staatliche Hand zu überführen. Das ist im Ergebnis nicht sozial, sondern scheinsozial. Ich möchte gerne für diejenigen, die die Berliner Verhältnisse nicht so genau kennen, den Skandal in Ihrem Antrag nochmals skizzieren; denn Sie wollen ja jetzt auch noch, dass die KdU im Wesentlichen vom Bund bezahlt werden und damit die Quittung für die verfehlte Wohnungsbaupolitik in Berlin dem Bund und dem Bund der Steuerzahler auferlegt werden soll. Ihre linke Bausenatorin richtet eine wohnungspolitische Katastrophe in Berlin an. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, die Versäumnisse mal darzustellen. ({4}) – Nein, Frau Kipping. Die Zahl der Baustarts – das ist ja das, was wirklich zählt – steigt nicht etwa, obwohl die Nachfrage nach oben geht, sondern sinkt. Die Anzahl der neugebauten Sozialwohnungen ist verschwindend gering. Die Linke schmückt sich mit Zahlen aus dem Jahre 2017, die natürlich die Vorgängerregierung zu verantworten hat. Die Ziele der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben Sie 20 Prozent niedriger angesetzt als Ihre Vorgängerregierung, und auch diese niedrigeren Ziele verfehlen Sie. Wenn man das von heute an hochrechnet, hätten Sie nur die Hälfte dessen erzielt, was vorher erzielt worden ist. ({5}) Die Vorstände der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben vor gut zwölf Monaten einen Brandbrief an Frau Lompscher geschrieben. Damit haben sie ihren Job riskiert, weil Frau Lompscher ja letztlich ihre Vorgesetzte ist. Einige Vorstände haben inzwischen entnervt das Handtuch geworfen. Im Ernst-Thälmann-Park, am Pankower Tor, auf der Fischerinsel – wahrscheinlich alles Hochburgen der Linkspartei – werden wichtige Entwicklungsvorhaben verzögert und Tausende von Wohnungen in Berlin nicht gebaut. Ja, selbst Dachgeschossausbauten wollen Sie nicht, weil Sie nicht wollen, dass Bäume beschnitten werden. Ganz zum Schluss: Raten Sie mal, wie viele Grundstücke gemeinnützige Genossenschaften zum Bau von Wohnungen in Berlin bekommen haben? ({6}) Drei; drei Grundstücke in einem ganzen Jahr! ({7}) Private Wohnungsbaugesellschaften haben kein einziges Grundstück bekommen. Das hat aber einen Zusammenhang: Die Linke betreibt in Berlin eine immer schlimmer werdende Verknappung von Wohnraum mit desaströsen Langfristschäden. Und Sie sagen jetzt: Der Bund soll das Problem mit Geld lösen. – Meine Damen und Herren, so wird das nicht weitergehen. ({8}) Sie, Frau Kipping, sagen, Wohnen sei ein Grundrecht. Das stimmt schon. Aber Frau Lompscher sorgt in Berlin dafür, dass das immer schwieriger zu realisieren wird. Und ich finde, auch das gehört hier zum Thema dazu. ({9}) Der Irrsinn hat bei Ihnen insofern ja auch System, als Sie nach dem Parteitagsbeschluss in Berlin jetzt diese Wohnungsbauunternehmen vergesellschaften wollen. Selbst der dem linken Flügel der Grünen angehörende Daniel Wesener hat kommentiert: „Bei allem Verständnis für die Nöte der Mieter sollte man seriös bleiben.“ Recht hat er. Das, was Sie betreiben, ist unseriös, populistisch und im Ergebnis unsozial. ({10}) Ihre Enteignungsforderungen spalten die Gesellschaft. Damit begeben Sie sich leider auf das Niveau der AfD. Ehrlich gesagt: Bitte überarbeiten Sie Ihren Antrag, damit man Ihnen diesen Vorwurf nicht weiter machen muss. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Schneider für die AfD-Fraktion. ({0})

Jörg Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004880, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Auch wenn wir näher beim Antrag der FDP stehen – der trotz Pauschalisierung auch stark auf Eigenverantwortung setzt –, enthält auch der linke Antrag – natürlich allein schon aufgrund der Vielzahl der Punkte – einige Punkte, die wir durchaus richtig finden. ({0}) Ihre Forderung, dass während des ersten Jahres des Leistungsbezuges die Wohnung beibehalten werden darf, ist richtig. Während des ersten Jahres des Leistungsbezuges ist eine Arbeitslosigkeit noch nicht verfestigt; da besteht durchaus die Chance, am Arbeitsmarkt erfolgreich wieder einen Job zu finden. Diese Menschen sollten wir nicht dadurch daran hindern, einen Job zu finden, dass wir sie zwingen, eine Wohnung zu suchen. Hier ist die Beibehaltung der Wohnung sicherlich eine vernünftige Motivation. Auch Ihre Vorschläge zur Berechnung der Heizkosten unter Berücksichtigung von Gebäudequalität, Witterung und Lebensbedingungen des Betroffenen erscheinen uns richtig. Ich denke, sie entsprechen aber durchaus dem, was in den Jobcentern schon gemacht wird. Nur: Es müsste hier eine gesetzliche Präzisierung stattfinden, um tatsächlich die Vielzahl derartiger Prozesse vor Sozialgerichten zu minimieren. Wo wir nicht ganz Ihrer Einschätzung folgen können, ist Ihr Vorschlag: Wenn ein halbes Jahr lang eine angemessene Wohnung gesucht wurde, weil die bestehende Wohnung vielleicht zu groß ist, aber keine gefunden wurde, dann ist festzustellen, dass eine Wohnung nicht zu finden ist. Ich denke, hier muss den Jobcentern schon etwas mehr Ermessensspielraum eingeräumt werden. Wenn es in neun von zehn vergleichbaren Fällen beispielsweise möglich war, eine Wohnung zu finden, dann kann man dem einen, der dort nicht erfolgreich eine neue Wohnung gesucht hat, durchaus schon unterstellen, dass er vielleicht nicht ganz so intensiv gesucht hat. Ich glaube, Sie begegnen dem hier mit etwas zu viel Wohlwollen. ({1}) Wo wir Ihnen überhaupt nicht zustimmen können, ist Ihre Forderung, dass die Wohnkosten für Asylsuchende vollkommen von den Kommunen weggenommen werden sollen. Ich denke, wir haben heute schon die Situation, dass Kommunen in einer Vielzahl von Fällen recht leichtfertig Duldungen aussprechen. Die einzige finanzielle Verantwortung, die ihnen daraus erwächst, ist eben die Übernahme der Wohnkosten. Die Kommunen jetzt auch noch von dieser Verantwortung zu entbinden, ist unserer Meinung nach ein Schritt in die falsche Richtung. ({2}) Dann gibt es die Sonderregelung für unter 25-Jährige. Wer noch nicht 25 Jahre alt ist, der ist noch nicht berechtigt, eine eigene Wohnung zu haben, der sollte bei seinen Eltern wohnen. Sie sagen, diese Sonderregelung soll abgeschafft werden, und begründen dies mit Ihrem Menschenbild vom eigenverantwortlichen Bürger. Mal ganz im Ernst gesprochen: Wenn einer Anfang 20 ist, keiner Beschäftigung nachgeht und meint, diese Gesellschaft müsse ihm nicht nur den Lebensunterhalt finanzieren, sondern auch noch eine Wohnung spendieren, dann entspricht das nicht unserem Bild von einem eigenverantwortlichen Bürger. ({3}) Insofern beruhigt mich dann Ihr Antrag doch wieder ein Stück. Ich glaube, Sie haben doch immer mal wieder etwas zu sehr denjenigen im Blick, der morgens um 6 Uhr von der Party kommt oder sich morgens um 6 Uhr schon den ersten Joint rollt. ({4}) Wir stehen eher hinten dem, der um 6 Uhr morgens aufsteht, um zur Arbeit zu gehen, und ich glaube, der ist auch bei uns am besten aufgehoben, bei der Alternative für Deutschland. Ich danke Ihnen. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dr. Matthias Bartke spricht nun für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heribert Prantl schrieb zur Jahreswende in der „Süddeutschen Zeitung“: „Die Mietpreise sind heute das, was früher die Brotpreise waren.“ Ich finde, das trifft es ganz gut. Heute bestimmen die Mietpreise ganz maßgeblich das finanzielle Auskommen der Menschen. Vor 50 Jahren gaben deutsche Haushalte knapp die Hälfte ihres Budgets für Lebensmittel aus. Heute sind das die Mieten – vor allem in Großstädten. Bundesweit sind fast die Hälfte der Menschen Mieter. In Großstädten sind das aber deutlich mehr. In meinem Wahlkreis Hamburg-Altona sind nicht die Hälfte der Menschen Mieter, es sind knapp 80 Prozent. ({0}) Man sieht: Ein Großteil der Bevölkerung ist von hohen Mieten betroffen. Aber natürlich – das ist richtig – trifft es besonders Hartz‑IV-Empfänger. Meine Damen und Herren, die Analyse ist so schwer nicht. Der Wohnraum in Metropolen ist teuer, weil es zu wenig davon gibt. Bezeichnend ist aber, was die Linken nun für Gegenmaßnahmen vorschlagen: Der Staat muss mehr Kosten übernehmen – vor allem der Bund –, und er muss die Parameter so verändern, dass eine höhere Kostenübernahme möglich ist. Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass einige Ihrer Forderungen berechtigt sind. Vieles ist ja auch schon bestehende Rechtslage, wie Frau Schmidt eben deutlich gemacht hat. Aber wenn die Analyse ist, der Wohnraum ist zu teuer, weil es zu wenig davon gibt, dann gibt es doch vor allem eine zentrale Forderung, um das zu ändern: mehr Wohnraum schaffen. ({1}) Frau Kipping – herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag –, ich habe nach Ihrer Intervention zur Rede von Herrn Aumer in Ihrem Antrag nachgeschaut: Sie schreiben nichts über den Wohnungsbau; da ist keine einzige Forderung. ({2}) Dabei ist die Förderung von Wohnungsbau die Antwort, um die von Ihnen beklagte sogenannte Wohnkostenlücke nachhaltig zu schließen. Das ist auch die Antwort, die die Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag gibt. Was haben wir gemacht? Wir haben das Baukindergeld eingeführt. ({3}) Wir haben die Mittel für Sozialwohnungen für dieses Jahr um 500 Millionen Euro aufgestockt. ({4}) Wir stellen für 2020 und 2021 mindestens 2 Milliarden Euro für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Und: Wir mobilisieren in dieser Wahlperiode insgesamt 5 Milliarden Euro für Wohnungsbau. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, so wird mehr preiswerter Wohnraum geschaffen, und so wird der Druck auf die Mietpreise gemindert. Ganz vorne bei der Schaffung von Sozialwohnungen liegt übrigens meine Heimatstadt Hamburg. In Hamburg muss jedes Bauvorhaben ein Drittel Sozialwohnungen aufweisen. ({6}) Aber meine Damen und Herren, natürlich ist es ein Problem, dass Jobcenter in jeder fünften Bedarfsgemeinschaft nicht die vollen Wohnkosten übernehmen. Warum ist das so? Die Wohnung ist zu groß, und die Leistungsbezieher zahlen deswegen eine so hohe Miete, dass sie nicht übernommen werden kann. Oder die Kosten der Miete sind trotz angemessener Wohnungsgröße zu hoch. Denn eins ist doch auch klar: Sozialleistungen dürfen nicht überhöhte Mieten subventionieren. ({7}) Fest steht: Vor einer Absenkung der Leistungen des Jobcenters auf die angemessenen Mietkosten erfolgen immer ein Hinweis und eine Entscheidung im Einzelfall. Die Möglichkeit der Ermessensentscheidung gibt es schon heute und muss nicht erst durch den Antrag der Linken eingeführt werden. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie fordern eine Konkretisierung des Begriffs der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft. Vor allem wollen Sie stärker auf Pauschalen setzen, um die Bürokratie zu entlasten. Aber ich sage Ihnen: Pauschal ist auch nicht immer die Lösung. Der Mietmarkt ist ein regionaler Markt. Die Verfügbarkeit von Wohnraum, die Nachfrage und die Höhe der Mieten sind von Ort zu Ort unterschiedlich. ({9}) Auch wenn wir als Bundestag die Angemessenheit genauer definieren, muss sie doch vor Ort immer ausbuchstabiert werden. ({10}) Es ist daher richtig, dass jede Kommune ihr eigenes schlüssiges Konzept zur Berechnung entwickeln kann. Meine Damen und Herren, am Ende noch ein Wort zur Anhörung des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz‑IV-Sanktionen Anfang der Woche. Ich weiß nicht, ob eine Kürzung der Kosten der Unterkunft verfassungswidrig ist. Das muss das Gericht entscheiden. Als Jurist bin ich immer äußerst vorsichtig mit vorschnellen Bewertungen, ob etwas verfassungswidrig ist oder nicht. ({11}) Als Sozialdemokrat sage ich Ihnen aber: Ein Staat, der bedürftige Menschen wissentlich in die Obdachlosigkeit stößt, handelt ohne jedes Maß. ({12}) Meine Damen und Herren, die unterschiedliche Bewertung von Sanktionen bei Hartz IV ist wohl der sozialpolitische Dissens innerhalb der Großen Koalition. Es gilt nach wie vor: Die SPD ist strikt gegen Kürzungen von Kosten der Unterkunft bei Hartz‑IV-Empfängern. Ich danke Ihnen. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Till Mansmann. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen von der Linken, ich will mit den Gemeinsamkeiten, die wir haben, beginnen. § 22 SGB II führt in seiner derzeitigen Fassung zu einer in so vielen Fällen unklaren Rechtslage, dass rund 30 000 Bestandsklagen zum Jahresende 2018 anhängig waren. Das ist ein sowohl für die Behörden als auch für die betroffenen Leistungsempfänger untragbarer Zustand, den wir beenden müssen, auch weil es sich bei den Kosten für das Wohnen in der Tat um einen Teil des notwendigen Existenzminimums handelt. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, da hören die Gemeinsamkeiten dann auch schon auf. In Ihrem Antrag, liebe Kollegen von der Linken, kommen Sie auf der Basis der gleichen Ausgangslage zu einem geradezu gegenteiligen Schluss. Sie meinen, wenn die zerklüftete Landschaft der Lösungen, die in den einzelnen Kommunen gefunden werden, problematisch ist, dann ist eine noch weitergehende Zerklüftung die Lösung. Auf acht Seiten breiten Sie in bemerkenswerter Detailtreue aus, wie man Ihrer Meinung nach eine Einzelfallgerechtigkeit in wirklich jedem Fall herstellen könnte, die doch im Prinzip gerade der Kern des Problems ist. Was wären die Folgen? Noch mehr Rechtsunschärfen. In vielen der hier aufgeführten Punkte ist übrigens schwer zu identifizieren, was denn daran neu sein soll; Kollege Heilmann hat das auch schon erwähnt. Sie ertränken das in einer Menge von Regelungen, die bereits gültig sind und schon längst angewendet werden. ({0}) Es wird den Betroffenen nur wenig nützen, wenn Ihre neuen Vorschriften dazu führen, dass weitere Prozesse geführt werden müssen, um die neuen, von Ihnen deutlich weiter gezogenen Grenzen rechtlich auszutesten und über weitere Urteile auszugestalten. Aber nicht nur systematisch, auch inhaltlich gibt es hier vieles, was einfach in die falsche Richtung geht. Sie wollen, dass in Orten mit angespanntem Wohnungsmarkt – auch hier entstehen im Hinblick auf die Definition der Anspannung ja neue Rechtsunbestimmtheiten – auch Wohnungen mittleren Standards bei den Berechnungen berücksichtigt werden sollen. Das würde nun sicher in mehr als nur in Einzelfällen dazu führen, dass Menschen, die Transferleistungen beziehen, bessergestellt würden als viele, die Vollzeit zu Mindestlohnbedingungen arbeiten; Herr Dr. Bartke hat auf diesen Umstand bereits hingewiesen. Den Lohnabstand auf diese Weise zu unterlaufen, halten wir im Moment für wenig sinnvoll. Es ist doch viel sinnvoller, Behörden und Gerichte zu entlasten, indem mit einer sinnvollen Pauschalierung ein konkreter Rahmen geschaffen wird, in dem dann die betroffenen Menschen auch durchaus mehr Gestaltungsspielraum haben, um ihr Leben in Eigenverantwortung zu gestalten. Denn es ist durchaus zu erwarten, dass auch unsere Pauschalierungen, die ausdrücklich auch besonders Einzelfällen gerecht werden sollen, insgesamt die Betroffenen sogar besserstellen und trotzdem unter dem Strich weniger kosten, weil der Administrationsaufwand und der Aufwand in den Gerichten deutlich niedriger sind. Bei Ihrem Weg wäre eine doppelte Kostenexplosion zu erwarten, die – und in Ihrem Antrag sieht man, dass Sie die Gefahr selbst auch sehen – am Ende ein Treiber für steigende Mietpreise gerade wieder im unteren Segment sein könnte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns auf die entsprechenden Diskussionen im Ausschuss. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kai Whittaker hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Kai Whittaker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004443, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Manche meinen ja: Politik ist die Kunst, viel zu reden und nichts zu sagen, und hinterher weiß keiner, worum es genau geht. Damit hier diese Gefahr nicht besteht, möchte ich in klarer Sprache übersetzen, was in Ihrem Antrag steht. ({0}) Zuallererst fordern Sie mehr Mietgeld für jeden Quadratmeter. Sie fordern mehr Wohnraum pro Person. Sie fordern höhere Wohnstandards. Sie fordern die vollständige Übernahme aller Nebenkosten, und Sie fordern eine eigene Wohnung für jeden 18-Jährigen. Das und noch viele andere Forderungen sind in Ihrem Antrag enthalten. Da frage ich mich, warum Sie nicht gleich hineinschreiben, dass Wohnen für Hartz‑IV-Empfänger komplett kostenlos sein soll. Das wäre konsequenter. ({1}) Das alles erinnert mich ein bisschen an den Film „Isch kandidiere!“ von Hape Kerkeling, der mit dem Spruch angetreten ist: Ich finde, es ist von allem zu wenig. Ich finde, es müsste mehr. – Das ist die Politik, die Sie betreiben. ({2}) Jetzt könnte man fragen, ob es hier wirklich ein Problem gibt. Ich habe mir die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit geben lassen. Da gibt es eine schöne Statistik über Wohn- und Mietkostenzuschüsse. Es handelt sich hier um Tabelle 2b, falls es den Herrn Kollegen Birkwald genau interessiert. Dort steht, wie groß die Deckungslücke pro Bedarfsgemeinschaft ist. Sie betrug im Jahr 2015  16,94 Euro pro Monat. Heute sind es 16,15 Euro. Sie ist also gesunken. ({3}) Das geben Sie in Ihrem Antrag sogar zu. Sie schreiben, dass die Wohnkostenlücke abnimmt. Das Problem kann also nicht so groß sein. ({4}) Das eigentliche Problem ist – das wurde hier mehrfach angedeutet –, dass die Anzahl der Sozialwohnungen in diesem Land zu gering ist. 1990 hatten wir fast 3 Millionen Sozialwohnungen. In diesem Jahr wird die Zahl wahrscheinlich auf knapp 1 Million sinken. ({5}) Hieraus ergibt sich der eigentliche Auftrag, den wir als Politik haben. Diesen Auftrag haben wir als Bund aber nicht mehr. Wir haben das an die Länder abgegeben, weil die Länder das wollten. ({6}) Wir haben Geld dafür gegeben. Kollege Bartke hat richtigerweise gesagt: Wir werden allein in dieser Legislaturperiode 2,5 Milliarden Euro zusätzlich geben, damit die Länder den sozialen Wohnungsbau voranbringen. Ich kann Ihnen nur sagen: Auf geht’s! Machen Sie es in Berlin und Thüringen! ({7}) Sie machen weitere Fehler. Indem Sie mehr Zuschüsse geben, erhöhen Sie de facto die Nachfrage. Wenn ich mehr Geld im Portemonnaie habe, dann habe ich eher die Chance, Wohnungen nachzufragen, die es auf dem Markt gibt. Sie erhöhen damit den Wohnungsdruck nicht nur für die Hartz‑IV-Empfänger, sondern auch für diejenigen, die – knapp über Hartz IV – von ihrer eigenen Hände Arbeit leben können. Das ist sozial ungerecht. Sie schaffen auch keinen Anreiz zum Haushalten. Wenn der Staat sämtliche Nebenkosten übernimmt, selbst wenn der Betreffende bei offenem Fenster heizt, dann muss ich Sie fragen, in welcher Welt Sie leben. ({8}) Gestern haben wir an gleicher Stelle über das Thema Nachhaltigkeit gesprochen. Einer Ihrer Kollegen hat gesagt, wir müssten sinnvoll mit Energie umgehen. Gleichzeitig sagen Sie: Wir zahlen alles, egal wie geheizt und gewirtschaftet wird. Sie wollen auch, dass in Zukunft die Wohnkosten von Sozialwohnungen vom Bund komplett übernommen werden. Das ist nichts anderes als eine Gelddruckmaschine für die Länder. Wenn ich Ministerpräsident wäre, würde ich sofort Sozialwohnungen bauen, sie für 15 Euro den Quadratmeter vermieten und mir dann das Geld direkt vom Bund überweisen lassen. Das ist die Politik, die Sie machen. Sie versuchen – das ist der Hauptunterschied zu uns –, aus Hartz IV ein Einzelfallrecht zu machen. Das wollen wir nicht. Die Idee von Hartz IV war, zu vereinfachen und zu pauschalieren, und gut ist. ({9}) Die Idee war, den Menschen einfach, unbürokratisch und schnell zu helfen, und nicht, erst nach langwierigen Prüfverfahren zu schauen, worauf die Betreffenden ein Anrecht haben. Das ist der Unterschied. ({10}) Im Kern Ihres Antrags geht es eigentlich darum, Hartz IV zu einem Recht weiterzuentwickeln, von dem man sein Leben komplett und für immer bestreiten kann. Auch das war nicht die Idee von Hartz IV. Die Idee von Hartz IV war, für einen kurzen Zeitraum den Menschen zu helfen, während sie arbeitslos sind, um sie anschließend wieder in Arbeit zu bringen, aber nicht, ihnen 40 Jahre ein Leben in Hartz IV zu ermöglichen. Das wollen wir nicht. Wir haben in der Großen Koalition vor wenigen Wochen das Teilhabechancengesetz verabschiedet, um genau dieses Problem zu bekämpfen. ({11}) Es ärgert mich, dass Sie immer auf die große Solidaritätsmasche setzen. Sie schaffen es ja noch nicht einmal in Ihrer eigenen Fraktion, solidarisch mit Ihrer Fraktionsvorsitzenden zu sein. Bevor Sie das nicht hinbekommen, sollten Sie sich nicht zum großen Solidaritätsapostel aufschwingen. ({12}) Ich möchte noch kurz auf die FDP eingehen. Ich finde es schön, dass Sie das Thema Pauschalierung ansprechen. Das ist ein Thema, über das wir hier schon lange diskutieren. Die FDP hat es nicht gebraucht, um uns zu dieser Erkenntnis zu bringen. ({13}) Aber Ihr Antrag liest sich, als ob er nachts an der Theke geschrieben worden wäre; ({14}) denn er enthält eigentlich nur ungenaue Bestimmungen. Sie wollen mehr Pauschalierungen. Aber Sie sagen nicht genau, wie diese aussehen sollen. Wollen Sie das bundeseinheitlich festlegen? Wollen Sie das für die Kommunen festlegen? ({15}) Sie sagen auch nicht, wie hoch die Obergrenzen sein sollen. Sie definieren den Angemessenheitsbegriff nicht exakt. Aber genau das sind die kniffligen Fragen, an deren Beantwortung wir seit Jahren herumdoktern und für die wir noch keine Lösung gefunden haben. Da wäre Ihr Input richtig. Ich freue mich auf die Diskussionen im Ausschuss. ({16})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 19/6526 und 19/7030 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Gitta Connemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003514, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land, darum geht es heute; denn die ländlichen Regionen, die Menschen dort liegen uns gerade in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion besonders am Herzen. Für uns sind sie kein Anhängsel von Ballungszentren, keine Museumslandschaften, keine Projektionsfläche für Landromantik. Für uns sind ländliche Räume Kraftzentren, das Fundament unseres Landes. ({0}) Mehr als die Hälfte der Menschen lebt dort. Es ist die Heimat des Mittelstandes. Nirgendwo gibt es mehr Ehrenamt. Dort ist auch die grüne Lunge unseres Landes. Allerdings gibt es auch Schattenseiten: der Bus, der nur zweimal am Tag fährt, die Post, die nicht jeden Tag kommt, das Fehlen von Hebammen oder ein Handynetz mit Löchern, so groß wie im Schweizer Käse. Mit diesen Problemen haben fast alle auf dem Land zu kämpfen. Aber damit endet die Vergleichbarkeit häufig schon; denn es gibt nicht das Land. Da gibt es Erfolgsregionen wie meine Heimat, das Emsland, ({1}) früher Armenhaus, heute bundesweit Zugpferd: Vollbeschäftigung, Rekordsteuereinnahmen, so gut wie schuldenfrei. Dann gibt es Regionen wie die Eifel, deren Einwohner genauso anpacken wollen, aber von der Landesregierung Rheinland-Pfalz ins Abseits gestellt werden mit dem kommunalen Finanzausgleich. ({2}) In Rheinland-Pfalz ist der Bürger in der Stadt mehr wert als der Bürger auf dem Land. So wird Stillstand zementiert. ({3}) Die Verhältnisse in ländlichen Regionen sind also nicht gottgegeben. Die Politik kann Weichen stellen. Genau darum geht es in dem Antrag, den Ihnen heute die Koalition von CDU/CSU und SPD gemeinsam vorlegt. Wir wissen: Der Erfolg einer Region steht und fällt mit ihrer Wirtschaftskraft. Die Menschen wollen nicht nur schöner leben, sie wollen auch arbeiten, und Kommunen brauchen die Steuereinnahmen. Dazu kann der Bund, also der Staat, mit dezentralen Behördenstandorten selbst beitragen. Es gibt gute Beispiele. Aktuell hat unsere Bundesministerin Julia Klöckner ein neues Kompetenzzentrum in Gülzow geschaffen. Das ist ein starkes Bekenntnis zum ländlichen Raum. Dezentrale Behördenansiedlungen dürfen aber kein Feigenblatt sein, wie zum Beispiel in Dessau. Dort ist der Hauptsitz des Umweltbundesamts. Hausspitze und Co bevorzugen aber offenbar den Nebenstandort in Berlin. Da wird dann ab und zu in die Provinz gependelt. Das wird vom Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt kritisiert. Zu Recht: Ein klares Bekenntnis zu unseren ländlichen Regionen sieht anders aus. ({4}) Für kleine und mittelständische Betriebe auf dem Land steht an Nummer eins der Wunschliste die Infrastruktur: analog und digital, Straße und Glasfaser. Hier hat der Bund vorgelegt. Noch nie wurde so viel in Verkehrswege investiert. ({5}) Und wir bekämpfen die digitale Spaltung. Insgesamt gehen annähernd 5 Milliarden Euro in den Breitbandausbau. Zuständig sind dafür eigentlich Länder und Kommunen. Diese müssen nun auch nachziehen. Ein Wort zur Landwirtschaft. Heute ist die Grüne Woche in Berlin eröffnet worden, die weltgrößte Messe für Ernährung, Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Gartenbau. Der Wirtschaftsmotor Nummer eins auf dem Land ist nach wie vor die Land- und Forstwirtschaft. Die Besucher der Grünen Woche werden eines erleben: In der Brust des heutigen Landwirts schlagen zwei Herzen, eines für das Leben mit und in der Natur und eines als mittelständischer Hightechunternehmer. Die Bauernregel ist schon lange dem Computer gewichen. Manchem Bürger fällt diese Erkenntnis schwer, manchem Politiker übrigens auch. Überall soll Innovation gelebt werden, aber bitte nicht in der Landwirtschaft. Jedem sein Smartgerät, aber die Bäuerin soll noch mit dem Futtereimer über den Hof tänzeln. ({6}) Das kann nicht funktionieren. Mit digitalen Anwendungen können Ressourcen geschont und dabei die Effizienz gesteigert werden. Davon profitieren Verbraucher, Tiere, Umwelt und übrigens auch die Menschen auf den Höfen. Wir haben darauf als Bund reagiert. Unsere Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner stellt 60 Millionen Euro zur Verfügung: für digitale Experimentierfelder auf dem Land, für die Förderung von Start-ups, eine Masterplattform für Open Data. Mit Land.Digital werden digitale Initiativen auf dem Land gefördert; denn wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wissen: Investitionen in das Land sind Investitionen in die Zukunft. ({7}) Deshalb kämpfen wir als Mitglieder der Großen Koalition auch für eine Mobilfunkabdeckung in Stadt und Land. Dafür brauchen wir 2G, 3G, 4G und perspektivisch 5G im ganzen Land. Die Bundesnetzagentur hat auf unseren Druck hin vor der Versteigerung der Frequenzen nachgebessert. Aber ich sage auch sehr kritisch: Das reicht noch nicht. Zum Beispiel muss lokales Roaming ermöglicht werden. ({8}) Dies gehört zur Lebensqualität auf dem Land dazu, wie erreichbare Schulen, eine gute Versorgung mit Ärzten, Therapeuten und Hebammen, Nahversorgung und gute Möglichkeiten für unsere Familien. Auch hier hat der Bund vorgelegt. Es ist gerade in der letzten Debatte deutlich geworden, wie viel Geld die Große Koalition hier investiert hat, um Wohnraum zu schaffen. Mit dem Baukindergeld ermöglichen wir gerade Familien, ihren Traum vom Eigenheim auf dem Land zu verwirklichen. ({9}) Für die Landärzte von morgen können die Länder spezielle Studienplätze reservieren und, und, und. Zur Lebensqualität auf dem Land gehört aber auch das Ehrenamt. Über 30 Millionen Ehrenamtler machen unser Land jeden Tag ein Stück besser. Besonders in ländlichen Regionen ist ohne Ehrenamt kein Staat zu machen. Aber Ehrenamtler sind keine Berufsprofis. Deshalb sind Gesetze, die für ein Gewerbe gelten, im Ehrenamt fehl am Platz. Es muss zwischen dem Selbstgebackenen beim Kirchenbasar und dem Kuchen aus der Konditorei unterschieden werden, zwischen dem Public Viewing bei der Weltmeisterschaft im Behindertenheim und vor dem Brandenburger Tor. Der Schlüssel dazu ist eine Entbürokratisierungsinitiative für Freiwillige Feuerwehren, Chöre, Sportvereine und Hospizinitiativen. ({10}) Wir haben hier Handlungsspielräume. Deshalb ist die Arbeit unserer Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ auch so wichtig. Sie weist die Richtung, wo nachgebessert werden muss. Eines ist für uns klar: Deutschland wird auf seiner Erfolgsspur nur bleiben, wenn gutes Leben und Arbeiten auf dem Land weiter möglich sein werden. Dafür stehen wir. Vielen Dank. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Abgeordnete Verena Hartmann für die AfD-Fraktion. ({0})

Verena Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004737, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Liebe Zuschauer! Das Problem mit der Stadt und dem Land: Die Städte scheinen hochattraktiv zu sein. Auch wenn manche Familien lieber auf dem Land leben würden, saubere Luft hätten, weniger Hektik und viel Grün für die Kinder, kommt das dennoch oft nicht für sie infrage. Warum? In der Stadt gibt es Arbeit, Kitas, Schulen, Unis, Ärzte, tolle Restaurants, Kultur, Internet und den ÖPNV; all das, was im ländlichen Raum Mangelware zu sein scheint. So konzentriert sich alles auf die Städte. Diese stehen nicht selten vor dem Kollaps. Die Mieten explodieren, die Straßen, Busse und Bahnen sowie die Arztpraxen sind völlig überfüllt. Die Lage spitzt sich zu. Doch diese Entwicklung kommt nicht von heute auf morgen, wie es die Koalitionsfraktionen mit ihrem Jetzt-wird-alles-gut-Antrag suggerieren wollen. Diese Entwicklung der Landflucht kommt schon seit mindestens 29 Jahren und ist, um es nur beiläufig zu erwähnen, der Politik von CDU, CSU und SPD geschuldet. Das sind die Antragsteller. Gerade in den ländlichen Räumen der neuen Bundesländer ist das so. Meine Oma sagte schon vor 20 Jahren: Die Jugend geht, und wir Alten machen hier das Licht aus. Die DDR war ohne Zweifel ein Unrechtsstaat, der seine Bevölkerung drangsalierte, bevormundete und ausspionierte; ein Staat, für den Umweltschutz ein Fremdwort war, in dem es an allem mangelte, nur an einem nicht: an Infrastruktur. Selbst in Dörfern gab es Bahnanschluss. Busse fuhren mehrmals täglich. Ärzte, Einkaufsmöglichkeiten, Sparkassen, Schulen und Arbeitsplätze waren vorhanden. Und nach der Wende – damals, als alles, was mit dem Wenigen, was da war, mühsam aufgebaut worden war, den Stempel „Nichts mehr wert“ bekam? Entweder wurde stillgelegt, wie zum Beispiel unzählige unserer Bahnhöfe. Allein in Sachsen sind über 700 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt worden. Ganze Regionen haben dadurch bis heute den Anschluss verloren. Oder es wurde, wie der Sachse sagt, alles für ’nen Appel und ’n Ei verscherbelt, natürlich nicht an Einheimische. Die Wenigsten waren ja damals aufgrund von Entwertung und Arbeitslosigkeit kreditwürdig. ({0}) Wie ein Tsunami rollte die Treuhand flächendeckend über das Land und hinterließ ein Bild der Zerstörung und des Ödlands. Damals wurde eine regelrechte Landflucht eingeleitet, immer der Arbeit nach: gen Westen, gen Österreich oder der Schweiz. Heute flüchten die Jungen in die Ballungszentren. Die AfD begrüßt dennoch den Antrag von CDU/CSU und SPD; denn er entspricht unserem Grundsatzprogramm. Ich zitiere: Die AfD will die ländlichen Regionen stärken ... Zu einem lebenswerten ländlichen Raum zählen für uns eine intakte bäuerliche Landwirtschaft, eine funktionsfähige mittelständische Wirtschaft und eine ausreichende Infrastruktur. ({1}) Diese umfasst alle für die Daseinsvorsorge notwendigen Einrichtungen wie Schulen, medizinische Versorgung und Breitband-Kommunikation. Nur durch zielgerichtete Investitionen und eine kluge Ansiedlungspolitik lässt sich für junge Familien im ländlichen Raum eine Perspektive schaffen und die derzeit negative demografische Entwicklung umkehren. Kommt Ihnen das bekannt vor? Das klingt ganz nach dem Antrag von CDU/CSU und SPD, doch unser Programm existiert schon eine ganze Weile länger. Aber wie man so schön sagt: Die Kopie ist immer noch die ehrlichste Form der Schmeichelei. ({2}) Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit der Wiederbelebung des ländlichen Raums – und keiner würde sich mehr darüber freuen als wir –, dann braucht es schon einen Defibrillator mit Starkstromanschluss. ({3}) Die angesetzten 220 Millionen Euro werden für all das nicht ausreichen, wenn man die 126 Milliarden Euro sieht, die dem als Investitionsstau in Krankenhäusern, Schulen und Kitas etc. jährlich gegenüberstehen. So bliebe es, wie es zunächst scheint, ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir, die AfD, hoffen inständig, dass das am Ende nicht wieder nur heiße Luft wird. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Dirk Wiese das Wort. ({0})

Dirk Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004444, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am gestrigen Abend ist die Grüne Woche eröffnet worden. Ich glaube, die Grüne Woche ist wieder einmal eine gute Möglichkeit, um deutlich zu machen, dass Landwirtinnen und Landwirte, bäuerliche Familien dafür sorgen, dass ländliche Räume lebenswert sind, liebenswert sind und intakt bleiben. Dafür muss man an dieser Stelle einfach einmal ein großes Dankeschön sagen. ({0}) Aber ich will eines deutlich machen – und das soll auch dieser heutige Antrag tun –: Ländliche Räume sind mehr als Landwirtschaft. Ländliche Räume sind vielseitig. Wir haben ländliche Räume, die wirtschaftlich prosperierend sind, die wirtschaftlich erfolgreich sind. Wir haben allerdings auch ländliche Räume, die vor großen Herausforderungen stehen, die strukturschwach sind. Insofern kann man nicht einfach sagen, dass es den ländlichen Raum gibt. Ich glaube, dieser Herausforderung, vor der wir stehen, stellt sich dieser Antrag. Dass wir wirtschaftlich erfolgreiche ländliche Regionen haben, zeigt sich an meiner Heimatregion im Sauerland in Südwestfalen. Wir sind mittlerweile das industrielle Herz von Nordrhein-Westfalen, aber wir stehen vor den gleichen Herausforderungen wie andere Regionen, sei es in Bezug auf die Infrastruktur, Fachkräfte, Arbeitskräfte, junge Leute, die wir für die Berufsfelder suchen. Diese Herausforderungen werden in diesem Antrag auch artikuliert. Aber es zeigt sich eines in den ländlichen Räumen: Bürgerschaftliches Engagement und Ehrenamt sind oftmals größer. Das erlebt man zum Beispiel bei der Organisation von Großereignissen, wo angepackt wird, wo nicht lange geredet wird. Wir haben zum Beispiel in der kommenden Woche die Rennrodelweltmeisterschaft. Wir haben in diesem Jahr den Deutschen Wandertag. Wir haben den Internationalen Hansetag mit 100 000 Besuchern. Was wir dabei erleben, ist, dass es funktioniert, und zwar reibungslos. Das ist etwas, glaube ich, was ländliche Räume auszeichnet. Es ist auch ein gutes Signal, dass im Rahmen der Grünen Woche das Zukunftsforum Ländliche Räume unter dem Titel „Ländliche Entwicklung – Gemeinsame Aufgabe für Staat und Gesellschaft“ stattfindet. Es ist auch ein wichtiges Zeichen, dass diese Veranstaltung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eröffnet wird. ({1}) Es ist ebenfalls richtig – und wir begrüßen das als Koalitionsfraktionen ausdrücklich –, dass das Landwirtschaftsministerium das Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“ auf 70 Millionen Euro aufgestockt hat. Dieses Programm gibt Möglichkeiten, zum Beispiel durch ein Projekt „Land(auf)Schwung“ bei mir vor Ort, wo sich der Herausforderungen der medizinischen Versorgung angenommen wird, der Vorsorge, der Pflege, aber auch der Barrierefreiheit im ländlichen Raum oder der Frage: Wie kriegen wir eigentlich die ärztliche Versorgung hin? Denn die Apotheke vor Ort wird vor einer großen Herausforderung stehen, wenn der Arzt im Ort seine Praxis schließt und kein Rezept mehr ausstellt. Diese Fragen werden mit solchen Programmen des BMEL angegangen, auch Fragen der Fachkräftegewinnung, der Fachkräftesicherung. Übrigens, dieses Programm, das dem ländlichen Raum hilft, ländliche Räume stärkt, will Ihre Fraktion abschaffen, und genau das ist Politik gegen den ländlichen Raum. ({2}) Aber wir haben auch ein paar Punkte, bei denen wir gemeinsam etwas machen müssen. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass das Bundesverkehrsministerium endlich das Konzept für die 5G-Modellregionen in den ländlichen Räumen vorstellt. Dazu liegt noch nichts vor. Dabei kann das eine Chance sein. Ich möchte auch, dass wir es endlich hinbekommen, dass der Abfluss der GAK-Mittel – das steht für „Gemeinschaftsaufgabe der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ – in den Ländern funktioniert. Es kann nicht sein, dass Nordrhein-Westfalen die Mittel nicht abruft und damit Mittel für den ländlichen Raum liegen lässt. Darauf müssen wir als Bundesregierung und als Bundestag den Finger legen. ({3}) Wir müssen es auch hinbekommen, dass LEADER Möglichkeiten schafft und sich die Leute nicht wegen der Bürokratie von LEADER abwenden. Ein letzter Punkt, der uns und auch der CDU/CSU-Fraktion wichtig ist. Auch Sie, Frau Connemann, haben betont, wie wichtig dieser Antrag ist. Unter III. 4. steht: Wir wollen auf die Länderebene einwirken, um die öffentliche Nahverkehrsanbindung im ländlichen Raum zu erhalten und auszubauen und auch Strecken zu reaktivieren. – Das ist wichtig. Und jetzt tun Sie mir alle einen Gefallen: Rufen Sie bitte den CDU-Stadtverband in Sundern im Sauerland an. Die sind die Einzigen, die sich der Reaktivierung einer örtlichen Bahnstrecke widersetzen. ({4}) Rufen Sie die am Wochenende an. Dann können Sie, liebe CDU, unseren Antrag ({5}) wirklich mit Leben füllen. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Frank Sitta das Wort. ({0})

Frank Sitta (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004894, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind heute Zeugen eines außerordentlich bemerkenswerten Vorgangs. Acht Wochen nach der Entscheidung zu den Regeln der 5G-Frequenzvergabe fordern die Koalitionsfraktionen die eigene Regierung auf, endlich ein Gesamtkonzept für den Mobilfunkausbau zu entwickeln. Ich frage Sie, liebe Koalitionsfraktionen: Ist das ernst gemeint? Was hat die Bundesregierung denn Ihrer Meinung nach in den letzten Monaten gemacht? Seit Wochen hören wir von Vertretern der Regierungskoalition eine Eingriffsfantasie nach der anderen in das unabhängige Verfahren der Bundesnetzagentur. Ihr Antrag dokumentiert jetzt vorbildlich, dass es bisher keinerlei Gesamtkonzept für den Mobilfunkausbau zu geben scheint. Sollte es noch eines Beweises für das Totalversagen der Digitalpolitik der Großen Koalition bedurft haben, dann liefert ihn dieser Antrag überaus eindrucksvoll. ({0}) Sie versuchen mit diesem achtseitigen Antrag, der ganz unverdächtig im grünen Mantel zur Grünen Woche daherkommt, jetzt holterdiepolter auch die Mobilfunkversorgung im ländlichen Raum sicherzustellen, die Ihnen in der Vergangenheit scheinbar recht wenig bedeutet hat. Dass Sie dabei ganz nebenbei in das unabhängige Vergabeverfahren eingreifen, kümmert Sie nicht. So wichtig das Ziel auch ist: Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel. ({1}) Sie gefährden auf diese Art und Weise die Rechtssicherheit des Verfahrens noch weiter. Neun Klagen wurden schon eingereicht. Aber wenn Sie so weitermachen, dann schaffen Sie es auch noch, die Unternehmen zum vollständigen Rückzug aus der Versteigerung zu treiben, und würden somit jegliche Aussichten auf einen 5G-Leitmarkt in Deutschland endgültig begraben. Das hier geforderte verpflichtende lokale Roaming mag ja charmant in den Ohren der Planwirtschaftler klingen, dreht aber an den völlig falschen Stellschrauben. Durch verpflichtendes lokales Roaming werden die Mobilfunkbetreiber teilweise enteignet, sie müssen anderen Anbietern Zugang zu ihrer Infrastruktur gewähren. Mit dieser Maßnahme, meine sehr verehrten Damen und Herren, nehmen Sie jeglichen Anreiz zum Ausbau der digitalen Infrastruktur. ({2}) Außerdem soll nun eine staatliche Infrastrukturgesellschaft gegründet werden, also quasi eine staatliche Baufirma. Wie gut der Staat allerdings mit Bauprojekten zurechtkommt, das wissen nicht nur die Berliner und Hamburger aus leidlicher Erfahrung. ({3}) Es ist schon einigermaßen unfassbar, dass die selbsternannten Helden der Marktwirtschaft aus der Union so etwas tatsächlich befürworten. Wie gut, dass Ludwig ­Erhard dies nicht mehr mit ansehen muss! Als Serviceopposition haben wir schon im Herbst ein Gesamtkonzept ausgearbeitet; denn es muss Schluss sein mit dieser digitalen Stückwerkpolitik. Es macht wenig Sinn, Mobilfunk und Breitbandausbau getrennt voneinander zu betrachten. Unser Antrag „Smart Farming“ hilft Ihnen hier gern. Wir brauchen Gigabit-Gutscheine für KMUs und Landwirtschaftsbetriebe, die nachfrageorientiert den Ausbau beschleunigen. Wir regen an, frühzeitig die Lizenzen der 4G-Frequenzen unter harten Ausbauauflagen zu verlängern. So stellen wir gleichzeitig Versorgungssicherheit und Wettbewerb im Mobilfunk sicher. Deutschland muss moderner werden, und das in allen Wirtschafts- und Gesellschafsbereichen. Wir brauchen hierfür eine kluge Digitalstrategie. Die Freien Demokraten nennen dieses digitale Deutschland „Smart Germany“. Und im Gegensatz zur Flickschusterei der Koalition gelten hier übergreifende Leitlinien, die die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in Einklang bringen. Es ist damit also das glatte Gegenteil Ihrer konzeptlosen Panik, die mich an das Beispiel mit dem Huhn in Lebensgefahr aus der Verhaltensforschung erinnert, das, statt sich in Sicherheit zu bringen, anfängt, nach Körnern zu picken, die es gar nicht gibt. ({4}) Ich komme zum Schluss. Eines fällt erneut auf: Die Sozialdemokratisierung der Union schreitet voran. Nach politisch festgelegtem Mindestlohn und der wahltaktischen Senkung des Rentenalters folgen jetzt eine staatliche Infrastrukturgesellschaft und die Enteignung der Investitionen der Betreiber von Mobilfunkmasten. Was das alles noch mit sozialer Marktwirtschaft zu tun hat, das müssen glücklicherweise Sie Ihren Wählern erklären. Danke schön. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Heidrun Bluhm für die Fraktion Die Linke, ({0}) welche sich entschlossen hat, an ihrem heutigen Geburtstag, zu dem ich ihr herzlich gratuliere, hier an der Debatte teilzunehmen. ({1})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank für die Glückwünsche und auch für den Beifall anlässlich meines heutigen Geburtstags. Ich fühle mich heute an diesem meinem Geburtstag doppelt geehrt, einen Antrag der Koalition zu besprechen, der ein politisches Herzensthema meinerseits behandelt. Die Entwicklung der ländlichen Räume ist für mich – das wissen die, die mich kennen – ein wichtiges Anliegen, um in Deutschland gleiche Lebensbedingungen tatsächlich zu gewährleisten. ({0}) Insofern herzlichen Dank für die Freude, die Sie mir damit machen, am heutigen Tage mit Ihnen gemeinsam darüber zu diskutieren. Der Antrag ist für uns im Gegensatz zur FDP – das will ich hier deutlich zum Ausdruck bringen – ein erster Leitfaden für die Menschen in den ländlichen Räumen, um zu erleben und zu sehen, was die Regierung in diesem Bereich vorhat. Mindestens in der Analyse kommen wir zu gleichen Erkenntnissen. Sie wissen, wir haben im Dezember mit der Drucksache 19/3164 unseren Antrag zur Entwicklung der ländlichen Räume vorgelegt, und mindestens in der Analyse sind wir sehr eng beieinander. Bei den Lösungen ist das nicht immer so; aber dazu komme ich jetzt in meiner Rede. Sie legen also ein ambitioniertes Programm für Ihre Regierung vor. Ich will deutlich sagen – auch Herr Sitta hat das eben angesprochen –: Manchmal hat man so das Gefühl und den Eindruck, dass einige der Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition zumindest mit dem Tempo der Regierung nicht ganz so zufrieden sind und aus diesem Grunde diesen Antrag tatsächlich als Tempomacher hier zur Diskussion stellen. Es gibt aber auch einige Punkte, die wir sehr kritisch sehen. Das gilt besonders für das Thema 5G-Ausbau. Auch das hat Herr Sitta bereits sehr ausführlich dargestellt. Aber wir sind da grundsätzlich anderer Meinung. Ich finde, dass das, was die Regierung hier vorgelegt hat, eher halbherzig ist. Sie wollen ja nur dort das lokale Datenroaming einführen, wo sich die Netzbetreiber nicht einig werden. Ich finde, wir sollten gesetzlich vorschreiben, dass sie sich gegenseitig ihre Netze zur Verfügung zu stellen haben. ({1}) Dann wären wir ganz schnell dabei, die weißen Flecken zu beseitigen. Was in Ihrem Antrag komplett fehlt, ist zum Beispiel das Thema „Kultur im ländlichen Raum“. Ich habe aber gesehen, dass Sie dazu in der nächsten Sitzungswoche einen separaten Antrag vorlegen. Ich hätte allerdings gerne schon einmal gelesen, was die Tendenz ist, in welche Richtung Sie gehen wollen; aber die 14 Tage bis dahin halte ich aus. Sicherheit im ländlichen Raum oder ÖPNV? Diese Frage kommt in diesem Antrag gar nicht vor; das ist leider eine komplette Fehlanzeige. Ich hoffe aber, dass Sie ähnlich wie mit der Kultur im ländlichen Raum dann auch an dieser Stelle gegebenenfalls mit Einzelanträgen nachziehen und wir uns dazu hier in diesem Hause verständigen können. Auch die Fragen, ob ein Schulkind viele Kilometer zur nächsten Grundschule zurücklegen muss und ob ein Bus auch nach der Schule noch in die Regionen fährt, sind sehr entscheidend für die Wahl der Menschen, sich in den ländlichen Raum zu begeben oder dort zu bleiben. Auch dazu fehlen bisher Aussagen von Ihnen, und die fordern wir ein. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Tipp: Sie behandeln in Ihrem Antrag das Thema Landarztstipendium. Das hört sich ja sehr interessant an, und ein solches Stipendium könnte auch eine Lösung des Problems des Ärztemangels sein. Aber wenn wir diese Lösung wollen, dann müssen wir acht bis zehn Jahre warten, bis nämlich die Stipendiaten von heute dem ländlichen Raum zur Verfügung stehen. Wir finden, dass wir Landärzte jetzt brauchen, dass wir die Apotheken auf dem Land erhalten sollten und dass wir auch Hebammen im ländlichen Raum halten müssen. Dieses Problem lösen wir aber nur dann, wenn wir die Bedarfsplanung grundlegend überarbeiten, die Vergütung von privaten und gesetzlichen Leistungen einheitlich gestalten und vor allem eine solidarische Grundgesundheitsversicherung einführen. ({3}) Da müssen Sie noch nachlegen. Ich möchte auch noch einen kleinen Änderungsantrag ankündigen, den wir im Beratungsverfahren zu Ihrem Antrag einbringen wollen. Sie schreiben nämlich, dass die Wettbewerbsfähigkeit, das Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten und Wirtschaft im ländlichen Raum zu ermöglichen, dem Klimaschutz vorangestellt werden solle. Wir sind der Auffassung, dass wir an dieser Stelle Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung nicht einander entgegenstellen dürfen, sondern in Einklang bringen müssen. ({4}) Meine Damen und Herren, am Ende meiner Rede darf ich als Geburtstagskind vielleicht noch einen Wunsch äußern. Ich wünsche mir, dass die Koalitionsfraktionen vielleicht doch ein bisschen Zeit finden, unseren Antrag zu lesen; denn darin sind für viele Probleme, für die Sie noch keine Lösung anbieten, unsere Lösungsvorschläge. Ich freue mich auf die Debatte in den Ausschüssen. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Markus Tressel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Markus Tressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004178, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was brauchen wir denn für ein „Gutes Leben und Arbeiten auf dem Land“, wie es in der Überschrift Ihres Antrages heißt? Wir brauchen lebendige Ortskerne, gute soziale, kulturelle und medizinische Angebote, zukunftsfähige Modelle für Wohnen und Arbeit, eine wirklich gute digitale Anbindung, und wir brauchen neue Mobilitätskonzepte. Das ist das, was die Menschen in ländlichen und auch strukturschwachen Regionen erwarten. Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, beschreiben Sie in Ihrem Antrag die bekannten Probleme richtig, mit denen die Menschen da tagtäglich konfrontiert sind. Aber Sie schreiben ja auch, was zu tun ist, um die Situation zu verbessern. Das zeigt doch klar: Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern wir hatten ein echtes Umsetzungsdefizit in der jüngeren Vergangenheit. ({0}) Die Probleme sind bekannt, die Lösungen zu einem großen Teil auch, und jetzt muss endlich gehandelt werden. Das ist es, was wir und die Menschen da draußen von dieser Koalition erwarten. Tun Sie doch endlich das, was Sie hier einfordern. Wir könnten schon viel weiter sein, wenn Sie das nicht immer nur aufschreiben, sondern auch mal umsetzen würden. ({1}) Liebe Frau Connemann, Sie haben hier eben für Bürokratieabbau beim Ehrenamt geworben. Wer regiert denn in diesem Land schon viele, viele Jahre? Warum haben Sie es denn in den vergangenen Jahren nicht gemacht? ({2}) Das ist eine Frage, die Sie sich an dieser Stelle stellen lassen müssen. In Ihrem Antrag geht es ja viel um die Bedeutung der Digitalisierung für die ländlichen Räume. Sie fordern einen zügigen Breitbandausbau auf Glasfaserbasis. Das ist richtig. Beschlossen haben Sie in der letzten Wahlperiode aber Vectoring auf Kupferbasis, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie sprechen an dieser Stelle mit gespaltener Zunge. ({3}) Das hätten Sie in der vergangenen Wahlperiode mit Ihrer großen Mehrheit längst auf die Schiene setzen können; die Digitalisierung ist ja nicht gestern vom Himmel gefallen. Fragen Sie die Leute in den vielen Dörfern doch einmal, was da angekommen ist. Insofern stellen Sie sich mit diesem Antrag auch ein Arbeitszeugnis für die letzten fünf Jahre Ihrer Arbeit aus. Eine gute digitale Anbindung ist nicht nur eine Bequemlichkeitsfrage; sie ist auch eine Frage der wirtschaftlichen Prosperität. Industrie und Mittelstand müssen auch im ländlichen Raum wettbewerbsfähig bleiben, und neue Arbeitsmodelle müssen auch in ländlichen Regionen funktionieren, von der Landwirtschaft ganz zu schweigen. Dazu gehört aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man den Menschen in den betroffenen Regionen die richtigen Signale gibt. Da schreiben Sie in Ihrem Antrag auf der einen Seite über ambitionierte Ziele beim Breitbandausbau, und auf der anderen Seite rumpelt Ihre Forschungsministerin mit Milchkannendebatten durch die Gegend und verunsichert die Leute. Das geht nicht zusammen; das muss man an dieser Stelle auch einmal klar und deutlich sagen. ({4}) Das ist genau das, was die ländlichen Räume und die Menschen dort nicht brauchen. Sie brauchen ein klares Bekenntnis zur Zukunftsfähigkeit ihrer Regionen und in der Folge dann auch konkretes Handeln. Was sie nicht brauchen, ist Abwertungsrhetorik à la Milchkanne. Das hilft nicht, das schadet am Ende. Es gibt neben der Digitalisierung auch weitere Themenfelder, an die wir ranmüssen. Wir müssen unsere Ortskerne wieder stark machen und da auch die Länder in die Pflicht nehmen, und wir müssen hochkomplexe Fördersysteme einfacher gestalten. Das Geld muss endlich dorthin, wo es auch gebraucht wird – über Modellprojekte hinaus. Wir brauchen regionale Impulsprozesse, und deshalb müssen wir endlich ernsthaft auch über eine dritte Gemeinschaftsaufgabe zur regionalen Daseinsvorsorge diskutieren, die so etwas mitfinanzieren kann. Der von Ihnen gelobte Sonderrahmenplan ist ein erster Schritt – das will ich gerne zugestehen –; aber er wird es am Ende alleine nicht rausreißen. Insofern ist diese Debatte nicht nur eine Debatte über Infrastruktur. Unsere Gesellschaft befindet sich ja im Wandel hin zu einer Wissensgesellschaft, und das wird auch regionale Wirtschaftskreisläufe in den Regionen verändern. Deswegen müssen wir in dieser Debatte zwingend auch über Bildungsgerechtigkeit, Forschung und Entwicklung sprechen. Dazu habe ich in Ihrem Antrag leider zu wenig bis gar nichts gefunden. Das finde ich außerordentlich bedauerlich. Abschließend und zusammenfassend: Um gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein gutes Leben auf dem Dorf, in den ländlichen Regionen sicherzustellen, muss die Große Koalition endlich auch ihren Willen zur Umsetzung zeigen. Mit Antragstellen alleine ändert sie nichts. Fangen Sie endlich an! Dann kann es auch was werden. Aber Sie müssen auch wirklich was machen und nicht nur schöne Anträge schreiben. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Hans-Georg von der Marwitz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Hans Georg Marwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Wir haben heute schon einiges gehört, und eigentlich kämpfen wir alle miteinander an der gleichen Front. Aber es gibt halt ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. ({0}) Der ländliche Raum – das wissen wir – ist das Rückgrat des Landes. Ländliche Regionen, von den Friesischen Inseln über die Altmark bis ins Alpenvorland, bilden einen wunderbaren Korridor. Unter dem Schlagwort „Heimat“ diskutieren wir seit Jahren über die Möglichkeit, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken und neu zu beleben. Angesichts der rapiden Veränderungen unserer Zeit rückt der ländliche Raum und damit die Frage nach dessen Zukunft immer wieder in den Mittelpunkt aller Debatten. Oft ist von „abgehängten Regionen“ die Rede; von „prosperierenden Regionen“ haben wir heute gehört. Weltweit erleben wir eine Spaltung zwischen den vermeintlich städtischen Eliten und den Menschen, die der neuen Zeit nicht trauen oder sich missverstanden fühlen. ({1}) In Deutschland steht die Berliner Republik über die Parteigrenzen hinweg oft in der Kritik. Realitätsferne und Abgehobenheit gehören dabei noch zu den harmloseren Vorwürfen. Die Union als Volkspartei steht vor der Herausforderung, diesen Konflikt politisch zu lösen. Nach unserem Verständnis geht die neue gesellschaftliche Frage einher mit der Suche nach Halt, nach Rückzugsmöglichkeit, aber auch nach Substanz. Die Frage nach der Zukunft des ländlichen Raums ist damit zentral verknüpft. Deshalb freue ich mich, dass wir heute im Kontext der Grünen Woche das Thema so prominent im Plenum diskutieren. Der Run aufs Land ist ungebrochen, vor allem im Umfeld der Metropolen. Das spüren wir im Berliner Umfeld sehr stark. Dieser Entwicklung gilt es Rechnung zu tragen; sie ist zu gestalten. Mobilität ist dabei das Schlagwort – das haben wir heute schon mehrfach gehört –, sowohl bei der Digitalisierung als auch bei der Infrastruktur. So weit die Theorie. Aber wie sieht es in der politischen Praxis aus? Welche Möglichkeiten hat Politik abseits von Sonntagsreden? Die „Land-Milliarde“ weist in die richtige Richtung: Zusätzliche 1,5 Milliarden Euro will die Bundesregierung über den Agrarhaushalt konkret in die ländlichen Räume investieren. Allein in dieser Legislaturperiode wollen wir 625 Millionen Euro mehr für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ ausgeben. Darin enthalten sind überwiegend Gelder für den Sonderrahmenplan „Förderung der ländlichen Entwicklung“. Da ich seit Jahren im Vorstand der LEADER-Region Oderland arbeite, weiß ich, wie segensreich diese Investitionen sein können. ({2}) Allerdings müssen wir dem bürokratischen Überbau, der sich dort in den letzten Jahren mehr und mehr entwickelt hat, wirklich zu Leibe rücken. ({3}) Den Ansatz, die Agrarförderung zu einer Strukturförderung auszubauen, gilt es weiter zu verfolgen. Aufgrund der dramatischen Transformationsprozesse in der Landwirtschaft müssen wir auch im europäischen Kontext einen Paradigmenwechsel einläuten. Der Grundsatz muss lauten: öffentliches Geld für gesellschaftlichen und strukturellen Mehrwert im ländlichen Raum. ({4}) Der Koalitionsantrag führt uns die ganze Komplexität einer Förderpolitik für den ländlichen Raum vor Augen und zeichnet ein ausgewogenes Bild, das konkret auf die Bedürfnisse der Menschen in den Dörfern und Gemeinden abzielt. ({5}) Der Umbau der Gesellschaft auf dem Rücken der Landbevölkerung findet mit uns nicht statt. Vielmehr steht die Union für Chancengleichheit zwischen Stadt und Land. Geld für Infrastruktur, Förderung von KMUs sowie Breitbandausbau, all diese Maßnahmen sind zentral, wenn es lebenswerte ländliche Räume geben soll und geben muss. ({6}) Meine Damen und Herren, über die Digitalisierung haben wir heute schon sehr viel gehört. Darauf möchte ich nicht näher eingehen. 5G funktioniert nur, wenn die Netzverbindung steht. Vielleicht eine Bemerkung am Rande: Wenn ich nach Berlin fahre, habe ich bei 75 Minuten Fahrzeit 50 Minuten Pause. Das ist mal ganz schön, dann hat man wenigstens Ruhe und kann sich ausruhen; aber arbeiten lässt sich so nicht. – Liebe Kollegen, ihr habt ja recht: Das ist ein riesiges Problem, das wir in den letzten Jahren vor uns hergeschoben haben. Aber man kann das nicht nur auf den Bund herunterbrechen. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe, eine Aufgabe von Bund, Ländern und Kreisen. ({7}) Und Sie wissen, wie schwierig die freie Vergabe der Frequenzen ist. Meine Damen und Herren, wir arbeiten hier alle gemeinsam an einem Konzept, das uns letztlich in die Zukunft führt. Daran möchte ich in erster Linie versuchen weiterzuarbeiten. Also, es bringt nichts, immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen. Machen wir es in den Ländern, machen wir es in den Kommunen selbst, wenn es der Bund alleine nicht schafft. ({8}) Den Frust, der uns in den Dörfern und im Land immer wieder entgegenschlägt, weil wir nicht entsprechend handeln, müssen wir uns auf Kreisebene – ich sitze im Kreistag –, auf Landesebene und auf Bundesebene oft genug anhören. Ja, jetzt gilt es – das sage ich an uns alle in diesem Haus gerichtet –, zu handeln. Wenn wir es nicht schaffen, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen, drohen uns gespaltene Lebenswelten. Die gesellschaftlichen und politischen Gefahren, die daraus folgen werden, haben wir alle vor Augen. Doch die finanzielle Unterfütterung ist nur die eine Seite der Medaille. Auch an dieser Stelle ist der Antrag reichlich konkret. Wir benötigen eine neue Wertschätzung für das Landleben. Im ländlichen Raum und in unserer Kulturlandschaft engagieren sich Hunderttausende aus Verbundenheit zu ihrer Heimat und ihren Wurzeln. Das sind unter anderem Nebenerwerbslandwirte, Kleinstwaldbesitzer, Imker und Jäger, die sich nach Feierabend mit Hingabe und Einsatzbereitschaft um Felder und Wälder kümmern. ({9}) Ein Umstand, den man nicht hoch genug würdigen kann! Diese Menschen gilt es zu unterstützen, politisch und ideell.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege von der Marwitz, achten Sie bitte auf die Zeit.

Hans Georg Marwitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004107, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich danke vielmals. – An dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass vor allem sie unter den Folgen des Dürresommers leiden und nicht alleingelassen werden. Wertschätzung und Finanzierung, Imagepolitik und Strukturförderung – nur durch das gezielte Zusammenspiel von harter Förderpolitik und ideeller Schwerpunktsetzung kann wieder frei – ausnahmsweise nach Willy Brandt – zusammenwachsen, was zusammen gehört. Herzlichen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die SPD-Fraktion. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern ist die Grüne Woche eröffnet worden, die Leistungsschau der Landwirtschaft, eine Messe für Essen und Trinken – keine Frage –, aber auch eine Messe, bei der man sich zusammensetzt und miteinander überlegt: Wie können sich ländliche Räume besser entwickeln? Welche Perspektiven können wir ihnen eröffnen? Die ländlichen Räume, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind längst keine jammernden Bedürftigenzentren oder Zuwendungsempfänger mehr, die meinen, sie müssten Mittel bekommen. Ich glaube, dass man mit Fug und Recht sagen kann, dass die ländlichen Räume mit ihrem Potenzial die Zukunft für die gesamte Bundesrepublik Deutschland darstellen. Diese Zukunft muss gestaltet werden, und das wollen wir unter anderem mit dem vorliegenden Antrag machen. ({0}) In Ostfriesland würde man sagen: „Du musst an Toekunft mehr Bliedskupp hebben as an froher Tieden“, also: Du musst an der Zukunft mehr Freude haben als an der Vergangenheit. – Die SPD war schon immer eine Partei, die Zukunft aktiv gestalten wollte, statt nur abzuwarten. Damals wie heute gilt für uns als SPD-Fraktion: Wir sind eine Zukunftspartei. ({1}) Was braucht der ländliche Raum für die Gestaltung der Zukunft? Dazu möchte ich ein paar Gedanken äußern. Wir wollen nicht darüber reden, wie viele Fördermittel aus welchem Topf wo hingehen, obwohl das in den letzten fünf Jahren aus meiner Sicht eigentlich eine beeindruckende Bilanz gewesen ist; wir haben da eine gute Entwicklung zu verzeichnen. Was wir in den ländlichen Räumen brauchen, ist Infrastruktur: Wir brauchen Straßen, Schienen, Wasserstraßen. Und als Kind der Küste darf ich an dieser Stelle wohl sagen: Wir brauchen unbedingt auch Investitionen in gute Hafeninfrastruktur. ({2}) Was wir darüber hinaus brauchen, ist ein Breitbandanschluss. Dabei geht es nicht nur um die Lebensqualität in ländlichen Räumen, aber natürlich auch, sondern darum, dass eine Start-up-Szene auch da arbeiten kann, wo es schön ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in einer kreativen Start-up-Szene unbedingt im Großstadtmief unterwegs sein will, wenn man auch mit Blick auf den Deich wunderbar arbeiten könnte. ({3}) Und wir brauchen eine Mobilfunkversorgung. Ich kann den Menschen im ländlichen Raum einfach nicht erklären, warum man in Berlin mehrere Anbieter gleichzeitig hat, während man in Ostfriesland streckenweise überhaupt keinen Anbieter hat. Daran müssen wir arbeiten. Den Menschen muss transparent gemacht werden, dass wir dafür eine Lösung finden. ({4}) Wir brauchen endlich bessere Rahmenbedingungen für den öffentlichen Personennahverkehr. Da müssen wir alle miteinander an einem Strang ziehen, auf kommunaler Ebene, auf Länder- und auf Bundesebene. Auch bei der medizinischen Versorgung müssen wir an einem Strang ziehen. Die Botschaft, dass es eine Medizin-App gebe und man eigentlich keinen Arzt brauche, kommt im ländlichen Raum nicht wirklich gut an. ({5}) Die Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, folgen ihrem Arbeitsplatz. Deswegen brauchen wir mehr Breitband. Wir brauchen auch eine Förderung des Handwerks; denn wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur landwirtschaftliche Grundprodukte produzieren, sondern auch die Veredelung vornehmen können. Das erst bringt Wertschöpfung und führt zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zu Entwicklung im ländlichen Raum. ({6}) Im ländlichen Raum gibt es enorme Standortvorteile: gesunde Umwelt, weiter Blick. Die Menschen machen ja nicht umsonst Urlaub bei uns; sie würden auch gerne bei uns arbeiten, ohne Frage. Wir haben vernünftige Menschen, wir haben eine tolle Sprache, und wir haben vor allem grüne Energie im Überfluss. Industrie folgt Energie; das zeigt die Geschichte. Die Industrie muss bis 2050 einen Großteil ihrer Emissionen vermeiden. Grüner Strom ist dafür entscheidend. Ich glaube, dass das einer der zentralen Standortfaktoren der Zukunft für die ländlichen Räume sein wird. Politik für die ländlichen Räume ist mehr als nur Politik für die Landwirtschaft. Wir Sozialdemokraten verstehen unsere Politik für die ländlichen Räume als Politik für alle Menschen, die in ländlichen Räumen leben, also auch, aber nicht nur für die Bauern. Indem wir die Bedürfnisse und Potenziale klar benennen, schaffen wir eine Grundlage für die Zukunft der ländlichen Räume, an der wir gemeinsam arbeiten wollen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In jeder Gesellschaft gibt es Kriminalität, in jedem Berufsstand gibt es schwarze Schafe. In Deutschland, wie in jedem anderen Land auch, werden Steuern hinterzogen, teilweise schwere Gewaltverbrechen begangen, Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht eingehalten. Aber niemand in diesem Hohen Hause würde akzeptieren, dass diese Straftaten von anderen aufgeklärt und verfolgt werden als durch Justiz, Polizei und die Strafverfolgungsbehörden. Das muss aber bitte sehr auch für Nutztierhalter gelten. Wir haben in den letzten Jahren immer häufiger die Situation, dass privatwirtschaftliche Organisationen, die durch niemanden befugt, ermächtigt oder autorisiert sind, glauben, hier rechtsstaatliche Mittel anwenden zu dürfen. Das können wir nicht akzeptieren. ({0}) Ich als Freidemokrat sage ganz freimütig, weil uns ja häufig und gerne vorgeworfen wird, wir würden gerne alles privatisieren: Das geht in diesem Bereich nicht. Es kann nicht sein, dass hier eine Privatisierung des Rechts erfolgt. Das dürfen wir als Deutscher Bundestag nicht akzeptieren. ({1}) Was passiert, wenn sich Unbefugte Zutritt zu landwirtschaftlichen Betrieben verschaffen, haben wir vor wenigen Tagen an einem sehr tragischen Beispiel zur Kenntnis nehmen müssen, als sich Unbefugte in Vreden in Nordrhein-Westfalen Zutritt zu einem landwirtschaftlichen Betrieb verschafft und dort – aus welchen Gründen auch immer – die Stromversorgung in dem Schweinemastbetrieb unterbrochen haben, woraufhin die Frischluftzufuhr nicht mehr funktioniert hat und 900 Tiere einen sinnlosen Tod gestorben sind. Es ist Aufgabe des Staates und es muss Aufgabe des Staates bleiben, die Tierschutzstandards und die Tierschutzgesetzgebung, die wir verabschieden, zu kontrollieren. Das darf niemandes anderen Aufgabe werden. ({2}) Aus dieser Überzeugung ist der vorliegende Antrag entstanden. Wir fordern die effiziente Verzahnung von privatwirtschaftlicher und öffentlicher Kontrolle. Wir möchten gerne die Veterinärbehörden mit mehr Personal ausstatten. Wir möchten gerne bilaterale Verwaltungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den 16 Bundesländern treffen, damit bundesweit nicht nur dieselben Tierschutzgesetzgebungen herrschen, sondern die Kontrolle auch nach denselben Standards erfolgt. Das ist uns über 140 Millionen Euro wert. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir unsere Behörden mit entsprechenden finanziellen und personellen Mitteln in die Lage versetzen müssen, die vielfältigen Aufgaben, die wir von ihnen verlangen und die sie in unserem Namen auszuüben haben, auch erfüllen können. Deswegen ist uns dieser Antrag so wichtig. ({3}) Es geht uns schon lange nicht mehr allein um die Frage – das sage ich ganz ausdrücklich –, wie viel Sachschaden entsteht, wenn eine Stalltür aufgehebelt wird, und es geht auch nicht mehr in erster Linie um die Frage, ob der Straftatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllt ist, wenn so etwas passiert, oder andere Straftatbestände eingeführt werden müssen, wie das die Bundesregierung, wie es die Kollegin Klöckner vor einigen Monaten gefordert hat. Vielmehr ist unsere Überzeugung, dass das ein ganz wichtiges Element ist, um die Erosion des Vertrauens in die rechtsstaatlichen Institutionen in unserem Lande aufzuhalten und ihr entgegenzuwirken. Deswegen lade ich Sie herzlich ein, diesen Antrag wohlwollend zu begleiten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin ­Silvia Breher das Wort. ({0})

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben Ihren Antrag schon im Internet angekündigt mit den Worten: Tierrechtsaktivisten die Geschäftsgrundlage entziehen, staatliche Tierschutzkontrollen stärken. – Das liest sich erst einmal ganz schön, und ja: „Rechtsaktivisten die Geschäftsgrundlage entziehen“, da sind wir dabei, „staatliche Tierschutzkontrollen stärken“, da sind wir auch dabei. Aber irgendwo habe ich das schon einmal gelesen. Der Antrag, den Sie hier eingereicht haben – das haben Sie gerade ansatzweise ausgeführt –, bezieht sich auf ein Urteil des OLG Naumburg, in dem Tierrechtler vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs freigesprochen worden sind mit der Begründung, das Tierwohl stelle ein notstandsfähiges Rechtsgut dar. Jetzt schließen Sie daraus, dass mehr staatliche Kontrollen dieses Urteil verhindert hätten. ({0}) Also: Erstens. Ich kann nicht wirklich glauben, dass die FDP mehr staatliche Kontrollen fordert; ({1}) das an sich ist schon bemerkenswert. ({2}) Zweitens liegen Sie mit Ihrer Schlussfolgerung, die Sie hier gerade ausgeführt haben, dass mehr Kontrollen dazu führen, dass Tierrechtler kein Recht mehr haben, in Ställe einzubrechen, schlichtweg falsch. Das ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des OLG. Vielleicht hätten Sie es lesen sollen. ({3}) Nicht fehlende Kontrollen haben zu diesem Urteil geführt. Das Veterinäramt hat sogar mehrfach kontrolliert und diese Mängel mehrfach festgestellt, aber nicht reagiert. Am Ende ist es nur deshalb zum Freispruch gekommen, weil dem Veterinäramt eine Vertuschung der tierrechtswidrigen Zustände unterstellt worden ist. Das Verhalten des Veterinäramtes ist überhaupt nicht zu billigen; aber mehr staatliche Kontrollen hätten diese Verurteilung nicht verhindern können. ({4}) An dieser Stelle möchte ich für unsere Fraktion noch einmal ganz deutlich betonen: Verstöße gegen den Tierschutz gehören aufgedeckt und zum Wohl der Tiere auch geahndet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Breher, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Hocker?

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Gero Clemens Hocker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Breher, dass ich die Zwischenfrage stellen darf. – Sie haben eben gesagt, dass wir mehr Kontrollen fordern bzw. einführen wollen. Sind Sie bereit, mit mir festzustellen, dass dieser Antrag formuliert, dass die existierenden Strukturen effizienter gestaltet werden müssen und die verschiedenen Kontrollregime effizienter aufeinander abgestimmt werden müssen, und dass das Wesen des Antrags ist? Dass das erforderlich ist, sehen wir ja daran, dass es in den vergangenen Monaten in Bad Iburg und in Oldenburg massive Verstöße gegen staatliche Gesetze gegeben hat. ({0}) Sind Sie bereit, mit mir gemeinsam zur Kenntnis zu nehmen, dass die Effizienz gesteigert werden muss, oder halten Sie das für falsch?

Silvia Breher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004681, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Hocker, es wäre schön, wenn Sie Ihren eigenen Antrag lesen würden. Darin steht: Wir wollen die Anzahl der Kontrollen von aktuell 6,789 Prozent auf 33 Prozent pro Jahr erhöhen und dafür 2 000 Veterinäre vorsehen – darauf komme ich gleich zu sprechen – bzw. umgerechnet 140 Millionen Euro mehr in den Haushalt einstellen. – Die anderen Verstöße, die Sie benannt haben, haben nichts mit Ställen zu tun. ({0}) Da geht es um Kontrollen in den Schlachthöfen, in denen es Auffälligkeiten gab. Das hat aber nichts mit Ihrem Antrag zu tun. Ihr Antrag ist – das habe ich zitiert – bei Facebook angekündigt worden: Tierrechtsaktivisten die Geschäftsgrundlage entziehen, staatliche Tierschutzkontrollen stärken. ({1}) „Stärken“ – so haben Sie es ausgeführt – bedeutet mehr Kontrollen. ({2}) Unsere Fraktion ist der Meinung, dass Verstöße gegen den Tierschutz geahndet werden müssen. Am Ende gilt aber auch für Ställe: Ein Einbruch bleibt ein Einbruch, und ein Hausfriedensbruch bleibt ein Hausfriedensbruch. ({3}) Die Kontrolle und Überwachung des Tierschutzes obliegt dem Staat und nicht privaten Initiativen. ({4}) Liebe Kollegen von der FDP, genauer gesagt obliegt die Überwachung den Bundesländern und nicht der Bundesregierung. Das Verschieben der Verantwortung ist einfach, aber definitiv der falsche Weg. Die Verantwortung muss an der richtigen Stelle wahrgenommen werden. Ich komme noch einmal auf Ihren Antrag zurück. Sie fordern verbindliche Kontrollintervalle. Jeder Betrieb soll demnach alle drei Jahre kontrolliert werden. Das wären nach meiner Rechnung 33,33 Prozent der Betriebe in einem Jahr. Wenn man dafür 140 Millionen Euro vorsieht, ergibt das umgerechnet 2 000 neue Veterinäre bundesweit. ({5}) Ich hoffe, Sie haben das einmal nachgerechnet. Wenn ich jetzt mit 14 600 Veterinären 6,4 Prozent der landwirtschaftlichen Schweinehaltungen überprüfen kann, kann ich zukünftig mit weiteren 2 000 genau 0,9 Prozent Betriebe mehr überwachen. Das ist weit weg von 33,33 Prozent. Ihre Rechnung geht also leider nicht auf. ({6}) Auch wenn Ihr Antrag wirklich nett gemeint ist, kommt er doch zu spät; denn irgendwo habe ich das auch schon einmal gelesen. Erstens haben die Länder, die Sie ja hier in die Verantwortung nehmen wollen, ihre Hausarbeiten längst gemacht. In der Agrarministerkonferenz ist Ende September ein Beschluss exakt zur – aufgepasst! – „Stärkung der amtlichen Tierschutzkontrollen“ gefasst worden. Die Länder haben diesen Beschluss also schon gefasst. Dort steht: Besser, schlanker und effizienter sollen die Kontrollen werden – mit einer integrierten Risikobewertung, einer stärkeren Vernetzung der Datenquellen und einer Berücksichtigung privater Zertifizierungssysteme. Die Länder sind längst aktiv und brauchen Ihre Aufforderung nicht. Zweitens haben auch wir in diesem Hohen Haus bereits am 29. November des vergangenen Jahres unseren Entschließungsantrag zum Tierschutzgesetz verabschiedet. Vielleicht können Sie sich erinnern: Sie haben sich enthalten. Wir müssen die Bundesregierung nicht mehr auffordern, etwas zu tun. Wir haben sie am 29. November aufgefordert, in Zusammenarbeit mit Tierärzten, Tierhaltern, Wissenschaftlern und Vertretern von Fachverbänden zu prüfen, ob und inwiefern vorliegende Daten im Zuge der Digitalisierung zur Verbesserung der Tiergesundheit genutzt werden können. Die landwirtschaftlichen Betriebe werden eben nicht nur vom Veterinäramt nach dem Tierschutzgesetz kontrolliert, sondern auch von unzähligen weiteren privaten Initiativen. Es geht also nicht um noch mehr Kontrollen, so wie Sie es wollen, sondern um eine bessere Qualität und eine andere Art der Kontrolle. Das ist zukunftsgerichtet. ({7}) Aber wissen Sie, Herr Kollege Hocker, was mich an Ihrem Antrag wirklich ärgert? ({8}) Wie kommen Sie zu der pauschalen Unterstellung, dass soziale Notlagen in den Familien der Betriebsinhaber dazu führen, dass diese gegen Tierschutzgesetze und deren Auflagen verstoßen? ({9}) Dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein. ({10}) Lieber Herr Kollege Hocker, gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht. ({11}) „Denken wir neu“ geht für uns ein bisschen anders. Vielen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Peter Felser für die AfD-Fraktion. ({0})

Peter Felser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004714, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Liebe Gäste! Heute geht es um Tierschutz. Es ist gut, dass wir darüber debattieren. Es ist gut, dass wir über die Einhaltung des Tierschutzes in der Nutztierhaltung in Deutschland sprechen. Recht und Gesetz – nicht nur auf dem Papier – einzuhalten, da sind wir grundsätzlich dabei, wobei es schon interessant wird, wie wir zu den zusätzlichen Beamten stehen. Dass es Defizite beim Tierschutz gibt, ist offenkundig. Das zeigen nicht nur die Videos im Fernsehen, die immer wieder für großes Echo sorgen. Wenn manche Betriebe nach Auskunft der Regierung nur alle 48 Jahre kontrolliert werden – wie in Bayern –, dann ist dieses Defizit offensichtlich; darüber brauchen wir gar nicht zu reden. ({0}) Es kann auch nicht sein, dass wir immer wieder nur von Straftätern, die in die Ställe einbrechen, darauf hingewiesen werden. Da bin ich bei Ihnen: Das lehnen auch wir strikt ab. Dagegen müssen wir vorgehen. ({1}) Aber wir reden heute wieder nur über die Symptome einer falschen Agrarpolitik; das muss uns auch klar sein. Was haben sich unsere Bauern in den vergangenen Jahren nicht alle angestrengt! Sie haben sämtliche Prozesse optimiert, den Kuhstall digitalisiert, mit homogenen Futtermischungen das Letzte aus den Hochleistungskühen herausgeholt, um dann auf dem eingebrochenen Milchmarkt keinen anständigen Preis mehr für die Milch zu bekommen. Gleichzeitig soll und muss es den Tieren natürlich gut gehen. Das ist ein Wahnsinnskraftakt. Irgendwann ist dann mal auch bei unseren Landwirten das Ende der Fahnenstange erreicht. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, DLG, schreibt jetzt Bücher mit dem Titel „Landwirtschaft 2030“, Vision 2030, und kommt zu der Erkenntnis, dass es da noch den Verbraucher gibt, der eine artgerechte Tierhaltung will. Der Verbraucher will, dass der Tierschutz eingehalten wird. Eine riesige Schere tut sich auf zwischen unseren Betrieben auf der einen Seite und den Verbrauchern auf der anderen Seite, die in Zukunft noch mehr auf diese Dinge achten werden. Es ist also richtig: Wir müssen auf die Einhaltung der bestehenden Gesetze dringen, und wir müssen kontrollieren. Jetzt aber, liebe Kollegen von der FDP, reflexartig zu fordern, wie Sie es in Ihrem Antrag getan haben – und diese Forderung kommt auch von Amtstierärzten und Landespolitikern –, noch mehr staatliches Personal, noch mehr Beamte einzustellen, kann doch nicht die Lösung sein. ({2}) Es ist die klassische Falle. In einer Krise noch mehr vom Gleichen zu fordern, hat noch kein marodes Unternehmen gerettet, sondern oft eher zur Insolvenz geführt. Konkret fordern Sie 140 Millionen Euro vom Bund für die Länder für etwa 2 000 zusätzliche Amtstierärzte. Liebe Kollegen von der FDP, es gibt eigentlich einen echten liberalen, marktwirtschaftlichen Ausweg aus dieser Krise, und die Landwirtschaft hat es uns vorgemacht. Ein landwirtschaftlicher Markt, der weitgehend aus eigener Kraft großes Vertrauen der Verbraucher und ein funktionierendes Kontrollsystem mit hoher Transparenz aufgebaut hat, ist der Biomarkt. Wir reden jetzt nicht über Öko ja oder nein, Bio ja oder nein. Mir geht es um das Kontrollsystem innerhalb des Ökomarktes. Bei Biobauern ist gesetzlich vorgeschrieben, jedes Jahr zu kontrollieren und nicht nur alle 3 oder 48 Jahre. Und sie bezahlen ihre Kontrollen auch selbst, weil sie am Markt anständige Preise bekommen. Ein 40, 50 Hektar großer Betrieb mit Tierhaltung, Gemüseanbau, Direktvermarktung muss im Jahr ungefähr 800 Euro zahlen. Es ist richtig, dass Sie im Antrag auch die Bürokratie beachten. Mit weniger Bürokratie wird es so aber nichts. Tierwohllabel – darüber diskutieren wir gerade auch auf der Grünen Woche –, andere Label, andere Kontrollsysteme des Lebensmittelhandels werden die Situation ohnehin in wenigen Jahren komplett verändern. Es werden viele nichtstaatliche Kontrolleure in den Betrieben sein. Es wäre also wirklich kurzsichtig, das bisherige ineffiziente System mit neuen Beamtenstellen zusätzlich aufzublähen. Was gar nicht geht – wir haben es gerade gehört, liebe Freunde; darüber müssen wir noch im Ausschuss reden –, ist, dass wir den Tierschutz davon abhängig machen, ob es dem Betrieb gerade gut oder schlecht geht. Tierschutzgesetze sind einzuhalten, egal wie es dem Betrieb gerade geht. ({3}) Es ist auch hier Zeit für eine Wende. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns im Ausschuss weiter darüber debattieren. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Susanne Mittag für die SPD-Fraktion. ({0})

Susanne Mittag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004355, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Morgen werden wieder Zehntausend Menschen auf den Straßen Berlins erwartet. Unter dem Motto „Wir haben es satt!“ demonstrieren sie gegen die Folgen der Intensivtierhaltung. Sie demonstrieren nachvollziehbar gegen ein ungerechtes Fördersystem aus Brüssel, das Tier- und Umweltschutz kaum berücksichtigt, obwohl es in den letzten Jahren immer wichtiger geworden ist. Sie demonstrieren gegen ein Festhalten am Gestern, obwohl viele Menschen, insbesondere viele junge Landwirte, schon längst in der Zukunft sind. Aber sie demonstrieren auch gegen einen Staat, der nicht gesetzesmäßige Tierhaltung und sich daraus ergebende Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht angemessen kontrolliert und bestraft. Es ist die eine Sache, über gesetzliche Standards in der Tierhaltung zu diskutieren. Die andere Sache ist – darüber wird aber nicht diskutiert, das muss es aber offenbar –, dass diese Gesetze auch eingehalten und durchgesetzt werden. Ja, das ist ein Durchsetzungsproblem. Die Mängel in diesem Bereich sind aber sehr unterschiedlich gelagert, je nach Tierhaltungszahlen in den verschiedenen Bundesländern. Ein Beispiel: 2017 wurden in Niedersachsen 877 schweinehaltende Betriebe kontrolliert; Zahlen für 2018 liegen noch nicht vor. Bei 297 Betrieben wurden Mängel und Verstöße gegen das Tierschutzrecht gefunden. Es wird also kontrolliert. Bei jedem dritten Betrieb wurden folglich Mängel festgestellt: nicht immer große, eine ganze Bandbreite, mal mehr, mal weniger. Aber gerechtigkeitshalber: Auch in Bayern wurden in jedem dritten schweinehaltenden Betrieb Mängel festgestellt. Dass natürlich Länder wie Bremen und Berlin geringere Zahlen aufweisen, ist nachvollziehbar. Betroffen sind aber nicht nur Tierhaltungsbetriebe, sondern auch Tiertransporte und Schlachtung. Es werden also andauernd Mängel festgestellt. Das hat wenig damit zu tun, ob es sich um große oder kleine Betriebe handelt. Die FDP fordert im vorliegenden Antrag, verbindliche Kontrollintervalle für alle Tierhaltungsbetriebe einzuführen. Alle drei Jahre soll der Betrieb in Augenschein genommen werden und nicht im Schnitt alle 20 Jahre. Das ist grundsätzlich eine gute Idee. Allerdings weiß auch die FDP, dass diese Forderung ganz gepflegt an der Realität vorbeiführt. Sie sind doch auch gelegentlich vor Ort. Es gibt vielfältige Ursachen für diesen Zustand. Es liegt nicht daran, dass die Veterinäre nicht kontrollieren wollen – meistens jedenfalls –, sondern es herrscht schon länger ein Nachwuchsproblem, auch bei Tierärzten im Nutztierbereich. Es gibt zwar immer mehr junge Veterinäre und Veterinärinnen, aber die spezialisieren sich nicht mehr auf Rind und Schwein, sondern auf Hund und Katze. Der ohnehin schon schwierige Vollzug des Tierschutzrechts wird also noch kniffliger. Mal bekommen auch Veterinäre keine Rückendeckung durch vorgesetzte Behördenleiter – das gibt es auch –, mal werden Stellen nicht besetzt. Auch in diesen Bereichen nehmen die Übergriffe auf die kontrollierenden Veterinäre zu; also ist es nicht unbedingt beliebt. Kommunen müssen also mehr Geld in Stellen investieren, damit mehr kontrolliert werden kann. Um unabhängiges Handeln zu gewährleisten, wie auch in anderen staatlichen Kontrollbereichen, ist – das finden wir von der SPD – ein Rotationsprinzip erforderlich. Richtig ist, dass im Rahmen einer Bund-Länder-Vereinbarung die Verbesserungen abgestimmt werden können und auch werden. Wenn wir hier mehr Stellen beschließen, dann muss der Bund sie auch bezahlen. Das weiß auch die FDP. Das nennt man Konnexität. Interessant ist doch, dass ausgerechnet die FDP eine Dauerfinanzierung vom Bund von bis zu 140 Millionen Euro jährlich vorschlägt, obwohl ich den Eindruck habe, dass Sie doch eher den Rückzug staatlichen Handelns besonders im Wirtschaftsbereich präferieren und gerne auf Eigenkontrolle setzen. Dann würde mich einmal interessieren, wo Sie das Geld abziehen; denn wenn ich einen Finanzierungsvorschlag mache, dann kann ich auch wissen, wie ich das Geld investiere. Nur so ist es glaubwürdig. ({0}) Ganz entspannt: Neben den Kontrollen spielt aber auch die Durchsetzung von Gesetzen und eine einigermaßen beeindruckende Sanktionierung bei Gesetzesverstößen eine große Rolle. Ähnlich wie bei Kontrollbehörden sind auch Gerichte und Staatsanwaltschaften gelegentlich mit diesem Thema überfordert, ({1}) sei es aufgrund von Personalmangel oder weil die nötige Expertise fehlt. Weil das Agrar- und Tierschutzrecht über die Jahre immer komplizierter geworden ist, steht am Ende oftmals die Einstellung des Verfahrens und hat sich für das Tierwohl nichts verbessert. Das bundeseigene Thünen-Institut hat bereits 2015 Vorschläge vorgelegt, wie die Zusammenarbeit von Veterinärämtern und Justiz gestaltet werden kann. Es ist auch für Veterinäre wichtig, dass ihr Handeln positive und nachhaltige Folgen hat; denn es soll sich ja auch für sie etwas verbessern. Ob das Landwirtschaftsministerium diese Studie zur Kenntnis genommen hat, kann ich nicht sagen, aber dort wird aufgeschlüsselt, wie die Arbeit verbessert werden sollte. So müssen vermehrt Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen werden – ({2}) ein Vorbild kann Oldenburg sein, da gibt es nämlich schon eine –, die sich gezielt mit Tierschutzstraffällen auseinandersetzen. Das ist für das eine oder andere Verfahren immer sehr hilfreich gewesen. Auch eine Erhöhung des Strafrahmens und eine Positionierung des Tierschutzrechts im Strafgesetzbuch werden genannt. Es wird bei einigen im Saal nicht unbedingt auf Gegenliebe stoßen, aber es ist notwendig, damit Tierschutz endlich nachhaltig ernst genommen wird ({3}) und nicht nur Wirtschaftsinteressen und Alterhergebrachtem unterliegt. Das wäre weiterhin nicht zukunftsträchtig. Unbetrachtet bleiben in dem Antrag die digitalen Möglichkeiten, um Tierwohl besser kontrollieren zu können. Wir von der SPD haben einen Vorschlag. Den haben wir schon im Entschließungsantrag zur vierten Änderung des Tierschutzgesetzes eingebracht. Da heißt es, wie schon von Frau Breher zitiert worden ist: … in Zusammenarbeit mit Tierärzten, Tierhaltern, Wissenschaftlern und Vertretern von Fachverbänden zu prüfen, ob und inwiefern vorliegende Daten im Zuge der Digitalisierung zur Verbesserung der Tiergesundheit genutzt werden können. Alle Tiergesundheitsdaten liegen schon vor. Sie müssen nur zusammengeführt, vernetzt und ausgewertet werden. Dann finden Kontrollen gezielter und effizienter statt. Von dieser Möglichkeit ist unser Koalitionspartner leider bislang nicht so sehr überzeugt gewesen. ({4}) Ich habe Ihre Rede mit Begeisterung gehört, und offensichtlich scheint eine vergrößerte Zugeständnisbereitschaft vorhanden zu sein. Ich freue mich auf die nächste Verhandlung. Wir müssen also zeitgleich an mehreren Baustellen arbeiten und nicht nur an einer. Straf- und ordnungsrechtliche Verbesserungen sind ganz klar Bundesaufgabe. Ausbildung, Stellenaufbau und -besetzung sowie Stärkung des Berufsstandes sind Landessache. Die Intensivierung und Effizienzsteigerung der Kontrollen sind am Ende unser aller Aufgaben. Mit einer zielgerichteten Auswertung der Tiergesundheitsdaten aller Betriebe kann man das ein bisschen befeuern und Stellen einsparen. Wir haben schon mehrere Möglichkeiten zur Verbesserung. Das wollen wir anlässlich dieses Antrages im Ausschuss, und zwar zielorientiert, diskutieren. Danke schön. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Mittag. – Als Nächstes für die Fraktion Die Linke die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der Antrag der FDP heißt „Einhaltung von Tierschutzrecht wirksam und effizient kontrollieren“. Wer will das nicht? Natürlich sind häufige Kontrollen sinnvoll. Wenn Probleme schneller aufgedeckt und korrigiert werden, nutzt das den Tieren. Kontrollen können auch die sie betreuenden Menschen sensibilisieren oder gegebenenfalls auch disziplinieren. Ob der Bund jetzt den Ländern dafür grundgesetzkonform Geld geben kann, da habe ich so meine Zweifel. ({0}) Aber darüber können wir reden. Auch über eine Ombudsstelle für notleidende Bauernfamilien, die Tierschutz­auflagen nicht erfüllen können, können wir gerne reden. Nur, mein Blick als Tierärztin auf die Realität zeigt: Das sind nur kleine und nicht einmal die wichtigsten Schritte, zumal die Frage ist, wo die zusätzlichen Amtstierärztinnen und -tierärzte herkommen sollen; es wurde gerade angesprochen. Wir haben nämlich auch in der Tierärzteschaft eine Fachkräftelücke, und die Rahmenbedingungen machen Tierschutzkontrollen jetzt wirklich nicht zum Traumjob. Die Kontrollierenden stehen oft völlig allein zwischen allen Fronten. Vor sich haben sie die Tierhalterin, der das Geld für den besseren Tierschutz fehlt, weil sie selbst nicht anständig bezahlt wird. Im Rücken haben sie die Tierrechtlerin, die Dinge erwartet, die nicht im Gesetz stehen und deswegen nicht durchsetzbar sind. An ihrer Seite sollten eigentlich Gesetzgeber, Staatsanwaltschaft und Richterschaft stehen; aber da steht eben oftmals niemand. So macht der Job nicht nur wenig Spaß, sondern ist auch gefährlich geworden. Es gab tödliche Angriffe auf Kontrollierende, wie zum Beispiel im Havelland, und es gab auch Selbstmorde wegen Überforderung und weil der Druck zu groß geworden ist. Insofern sage ich den vielen, die trotzdem tagtäglich vor Ort ihren Job machen, an dieser Stelle einmal Danke. ({1}) Leider ist die Situation nicht neu. Das weiß man, wenn man einmal mit Kontrollierenden redet. Ich war zum Beispiel am Mittwoch beim Neujahrsempfang des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte. Auch da habe ich sehr viele Geschichten gehört. Man kann es auch nachlesen: Die Studie des Thünen-Instituts aus dem Jahr 2015 ist hier schon erwähnt worden. Wir hatten damals gemeinsam mit der SPD ein Berichterstattergespräch initiiert, in dem die entsprechenden Befunde bestätigt wurden. Als Probleme werden benannt, dass viele Tierschutzverfahren eingestellt werden, dass sie sehr lange dauern und dass die Strafen viel zu gering sind. Aber Kontrollen ohne Konsequenzen machen Gesetze wohlfeil, und sie erhöhen den Frust in den Behörden. Als Gründe werden wenig Interesse und auch wenig Fachkenntnisse in der Staatsanwaltschaft und auch in der Richterschaft benannt. Die hohe Arbeitsbelastung in den Veterinärbehörden führt zu Fehlern in Gutachten und Stellungnahmen. Mehr Kontrollen bedeuten also noch lange nicht besseren Tierschutz. Deswegen müssen wir da mehr tun. In der Thünen-Studie wurden Vorschläge gemacht – ich will sie hier noch einmal hervorheben –: Fortbildung von Juristen, und zwar sowohl hinsichtlich der gesetzlichen Regelungen als auch hinsichtlich der Frage, welche Bedürfnisse und welches Schmerzempfinden ein Tier zum Beispiel hat. Auch die Konzentration von Tierschutzstraffällen bei Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Schwerpunktrichterschaften ist ein sinnvoller Weg. ({2}) Die Tierschutzgesetze aus dem Nebenstrafrecht ins Strafgesetzbuch zu holen und höhere Strafen vorzusehen, das sind Vorschläge, über die wir auch dringend reden müssen. ({3}) Ergänzend möchte ich hier auf ein paar Regelungsdefizite hinweisen. Zum Beispiel sind in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung nicht alle Tierarten enthalten, zum Beispiel keine Rinder, Schafe und Ziegen. Jähe Wendungen, wie zum Beispiel bei der Ferkelkastration, erschüttern das Vertrauen in uns als Gesetzgeber. Notwendige Änderungen, wie zum Beispiel beim Kastenstand, müssen schneller kommen. Unsinnige Regeln, wie zum Beispiel für Herdenschutzhunde, müssen zügig geändert werden und nicht erst Jahre später; – ({4}) das ist ja immer noch offen. Wir brauchen nach meiner Überzeugung auch eine integrierte tierärztliche Betreuung von Nutztierbeständen. Es gibt noch eine Möglichkeit, den Kontrollbedarf bei Nutztieren zu reduzieren, nämlich einfach nur die Tiere zu halten, die man für eine gesunde Ernährung und eine regionale Versorgung vor Ort wirklich braucht. Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihnen im Ausschuss. ({5})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Friedrich Ostendorff. ({0})

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hocker, ich bin erstaunt. Als Bauernsohn bin ich damit aufgewachsen, Recht und Gesetz zu achten. Gerade Liberale waren bisher in meiner Wahrnehmung Hüter der Rechtsnormen. ({0}) Viele große liberale Rechtspolitiker waren prägend für die Bundesrepublik. Ihr Rechtsverständnis, Herr Hocker, erschließt sich mir nicht. ({1}) Jetzt zur Kontrolle im Bereich Tierschutz. Ja, wir Bauern und Bäuerinnen nutzen unsere Tiere. Die Rahmenbedingungen festzulegen und zu kontrollieren, obliegt staatlichen Organen. Hier – nur hier! – liegt unsere Zuständigkeit, Herr Hocker. Wird der Tierschutz, der im Grundgesetz verankert ist, ausreichend umgesetzt? Wir sagen: Nein. Sind geltende Gesetze ausreichend, um dem Verfassungsrang des Tierschutzes gerecht zu werden? Nein. Übernimmt die zuständige Ministerin hier Verantwortung? Auch hier sagen wir: Nein. Es ist schwach, Herr Hocker, wenn Politik nur dazu da ist, der Branche zu gefallen ({2}) und hier billigen Populismus zu betreiben. ({3}) Es ist aber auch schwach, wenn sich das BMEL nur darauf fokussiert, Freiwilligkeit auszuhandeln und Absichtserklärungen abzugeben. So macht es sich überflüssig. ({4}) Hier verkommt das Ministerium in der Tat zum Sprachrohr anderer Interessen. Aktuelle Berichte im „Spiegel“ und in der ARD haben uns doch gerade wieder einmal vor Augen geführt, was alles im Argen liegt. Ich glaube, es wird für uns alle Zeit, den Rücken gerade zu machen. Alle Insider unter uns hier im Saal wissen doch, dass Missstände gerade in Großtierhaltungsanlagen keine Einzelfälle sind. Das Ausmaß der Missstände zeigt doch immer wieder, dass wir als Politik gehalten sind, unsere Tiere besser zu schützen – jedoch nicht, weil wir durchgeknallte, überemotionale Tierfreunde sind, sondern weil es das Grundgesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, von uns verlangt. Es hat Verfassungsrang. ({5}) Wir brauchen dringend bessere Gesetze. Wir brauchen natürlich bessere Kontrollen. Wir brauchen wirksame Sanktionen. All das haben Vorredner schon gesagt. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Das Tierschutzgesetz muss überarbeitet werden, damit es seinen Namen auch verdient. Existierende Haltungsvorgaben, vor allem hinsichtlich der Betreuung, sind zu verbessern. Ich habe gelernt – das war natürlich nicht gegendert –: Das Auge des Herrn mästet das Vieh. – Das bedeutete: im Sinne des guten, verantwortlichen Hirten. Für ein 110 Kilogramm schweres Schwein einen Dreiviertelquadratmeter Platz – das ist doch nicht angemessen, das können wir doch niemandem draußen erklären. Erschreckend sind auch die Auswüchse, die gerade jetzt wieder durch eine Studie von Professor Sundrum deutlich geworden sind: Über 13 Millionen Schweine von rund 70 Millionen Schweinen pro Jahr erreichen die Schlachtstätte überhaupt nicht, weil sie vorher verenden. Ställe müssen offen und tiergerecht gestaltet werden. Alle Tiere brauchen mehr Platz. Sie brauchen mehr Auslauf, Licht und Beschäftigung. Auffällig gewordene Betriebe müssen deutlich häufiger und vor allen Dingen ohne Vorankündigung kontrolliert werden. Der Austausch zwischen den Behörden muss verbessert werden. Alle tierschutzrelevanten Daten eines Betriebes müssen gebündelt werden. Schlachthofbefunde und Befunde aus Tierverwertungsanlagen müssen besser ausgewertet werden. ({6}) Dann können wir eine risikoorientierte Kontrolle zukünftig besser verankern. ({7}) Der Kollege hat schon darauf hingewiesen: Es geht überhaupt nicht, dass nur alle paar Jahrzehnte kontrolliert wird. Es geht erst recht nicht, dass die Ergebnisse dann womöglich im Kreishaus in einer Schublade verschwinden. Sie müssen ausgewertet, sie müssen bewertet werden. Bessere Gesetzgebung und die Verbesserung der Kontrollen schaden der Branche nicht. Ganz im Gegenteil: Sie nützen ihr.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Moment. Ich bin sofort fertig.

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das finde ich auch. ({0})

Friedrich Ostendorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003604, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie schützen diejenigen, die ihre Tiere anständig halten. Das Engagement für Tierschutz dürfen wir nicht weiter als Angriff auf uns Bauern betrachten, wie es so oft in den Reihen der Unionskollegen getan wird, sondern wir müssen sagen: Es ist ein Zukunftsargument, mit dem wir Verbraucherinnen und Verbraucher für unser Anliegen gewinnen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich bitte wirklich alle Redner darum, sorgsam darauf zu achten: Ich gebe zehn Sekunden vor Schluss immer ein Lichtzeichen, dass es dem Ende zugehen soll. Wenn ich Sie auffordere, zum Ende zu kommen, bitte ich, das wirklich zu beachten. Das ist das Recht des Parlamentes ausweislich der Geschäftsordnung. Wir wollen uns doch an Recht und Gesetz halten, Herr Kollege. Als nächster und abschließender Redner hat der Kollege Alois Gerig, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({0})

Alois Gerig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004040, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich bemühe mich, in der Zeit zu bleiben. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schön, dass wir anlässlich der Grünen Woche gleich drei Debatten aus dem Agrarbereich hier im Deutschen Bundestag führen können. Das stärkt ein Stück weit die Branche und wertschätzt sie. Lieber Kollege Ostendorff, mit einer solchen Rede fallen Sie Ihrem eigenen Berufsstand in großen Teilen in den Rücken, wenn ich das einmal sagen darf. ({0}) Ja, hohe Tierschutzstandards, meine Damen und Herren, wollen wir alle. Das wollen insbesondere unsere Landwirte. ({1}) Ja, wir sind auch alle einer Meinung: Schwarze Schafe gilt es zu erkennen, zu benennen und auch zu eliminieren. Der Antrag der FDP hat durchaus einige positive Aspekte. Er hat aber auch viele negative Ansätze, weshalb wir ihn ablehnen müssen, zum Beispiel die Forderung nach 140 Millionen Euro Bundesmitteln für Kontrollmaßnahmen. Originär zuständig für Kontrollen in Stallungen sind die Bundesländer. Sie wollen diese Zuständigkeit auch überhaupt nicht abgeben. Wie die Kollegin Breher schon gesagt hat, hat die Agrarministerkonferenz beschlossen, dort Maßnahmen zu ergreifen, um diesem nicht zufriedenstellenden Zustand entgegenzuwirken. Deswegen ist es richtig, dass wir hier auch Forderungen nach mehr, nach besserer Kontrolle artikulieren – aber bitte dort, wo die Zuständigkeit ist. Ja, ich bin auch dafür, dass die Kontrollen aus freiwilligen Systemen, die ja immer mehr werden – QS, Initiative Tierwohl –, unter Beachtung des Datenschutzes – das wird nicht immer einfach sein – vernetzt werden. Dass das in Arbeit befindliche Tierwohllabel nach seiner – davon bin ich überzeugt – erfolgreichen Einführung ein Ansteigen auch solcher freiwilligen Kontrollen nach sich ziehen wird, ist gut für die Verbraucher und gut für die Landwirtschaft, weil es auch dazu dient, gegenseitiges Vertrauen zu fördern und die Akzeptanz zu stärken. Das Tierwohllabel muss natürlich ökonomischer Anreiz für die Landwirtschaft sein. Dann ist man dort in der Lage und bereit – auch das will ich deutlich sagen –, zusätzliche, höhere Standards im Stall und auf der Weide zu schaffen. An den Bauern scheitert dieses Label ganz sicher nicht. ({2}) Da kommen die Verbraucher mit in die Pflicht, dass sie bitte schön ins richtige Regal greifen. Alle Verbraucher müssen lernen, dass sie es sehr wohl selbst in der Hand haben, mehr für Tierschutz zu machen. ({3}) Ich komme zu einem zweiten Thema, das sich aus dem Antrag ergibt. Illegale Stalleinbrüche sind in keiner Weise zu tolerieren. Diese Selbstjustiz durch radikale Tierschützer aus oft fadenscheinigen Gründen, um beispielsweise Spendengelder zu generieren, ist nicht akzeptabel. Das muss strafrechtlich verfolgt werden. Die Skrupellosigkeit – das wurde heute schon gesagt – der Aktivitäten gipfelt aktuell darin, dass man schon in mehreren Stallungen Strom- und Alarmanlagen gekappt hat und Tiere dort qualvoll sterben mussten. Solche Kriminellen müssen ermittelt werden und mit aller Härte des Gesetzes verfolgt und bestraft werden. Da darf die Justiz nicht nachlassen. ({4}) Ich möchte noch ganz kurz die Gelegenheit nutzen, anlässlich der Grünen Woche, bei der das weltweite Who’s Who der Agrarbranche in Berlin versammelt ist, ein großes Dankeschön an unsere Bäuerinnen und Bauern zu richten, die an 365 Tagen im Jahr mit Herzblut arbeiten, ihre Tiere lieben – auch das unterstreiche ich – und die Weltbevölkerung mit hochwertigen Mitteln zum Leben versorgen. Die Branche braucht mehr Wertschätzung – darum geht es; ich habe es schon einmal angesprochen – aus der Bevölkerung, aber auch Wertschätzung aus der Politik, und das unbedingt auch in ökonomischer, finanzieller Hinsicht. Sonst wird der Strukturwandel rasant weitergehen. Wenn wir das berücksichtigen, ist mir bei allen globalen Herausforderungen, die wir haben, um die Zukunft der Ernährung unserer Weltbevölkerung nicht bange. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren – ich komme zum Schluss meiner Rede –, spenden Sie Ihren hoffentlich kräftigen Applaus jetzt nicht mir, sondern unseren Landwirten ({5}) aus Anlass der Grünen Woche, um ein Dankeschön zu sagen. – Ich bin am Ende. Danke. ({6})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Gerig, herzlichen Dank. Ihre Mühe hat sich wirklich gelohnt. Sie waren punktgenau. Den Abschluss Ihrer Rede werde ich mir merken. Wenn man viel Beifall bekommen will, ist es immer gut, den anderen zu danken. Damit sind wir am Ende der Aussprache, liebe Kolleginnen und Kollegen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/6285 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe und höre, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Fridays for Future“: Eingangs ein ganz dickes Dankeschön an all die Engagierten, die heute Flagge für mehr Klimaschutz in der Republik gezeigt haben! Das macht Mut. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen: Der Klimawandel ist menschengemacht. Die Verfeuerung fossiler Brennstoffe ist massiv klimaschädlich: kleine Gase, große Wirkung. Um den Treibhauseffekt und die Klimakrise zu bremsen, müssen wir die CO 2 -Emissionen drastisch senken. Sonst setzt die Zivilisation ihre Zukunft aufs Spiel. ({1}) Diese gesicherten Erkenntnisse verdanken wir bisheriger exzellenter Klimaforschung. Danke daher an alle, die forschen, ob im Labor, auf den Forschungsschiffen in Ozeanen und Polargebieten oder bei der Klimadatenauswertung an den Hochleistungsrechnern! Sie alle leisten wertvolle Arbeit für unser Land und die Zukunft der Menschheit. ({2}) Aber es braucht noch mehr Erkenntnisse der Klimaforschung, weiteres Wissen über Wirkungsweisen und Klimafolgen. Deswegen fordern wir Grünen im Bundestag eine weitere schnelle und beherzte Stärkung der Klimaforschung in Deutschland. ({3}) Welche konkreten Folgen hat die globale Erdüberhitzung ganz lokal, sei es in Hamburg, in Essen oder im Allgäu? Wie stark werden einzelne Regionen bei Dürreperioden oder Überschwemmungen betroffen sein? Welche Verwerfungen bei Artenvielfalt und Landwirtschaft verursacht ein globaler Temperaturanstieg von über 1,5 Grad? Und sind die Infrastrukturen in unseren Städten und unseren Dörfern robust genug? Welche neuen Gesundheitsgefahren drohen durch die Klimakrise? Das sind keine Fragen für Panikmache, sondern Forschungsfragen, deren Beantwortung überlebenswichtig ist. ({4}) Wir Grünen im Bundestag werben dafür, Klimaforschung zur Top-Priorität der Forschungsagenda der Bundesregierung zu machen – durch ein Forschungsrahmenprogramm gegen die Klimakrise. Dafür fordern wir 100 Millionen Euro mehr pro Jahr, um noch bestehende Wissenslücken auch zu schließen. Damit wollen wir die Kapazität von Klimaforschung erhöhen und die Vernetzung über Disziplingrenzen hinweg weiter stärken. Unser Vorstoß ist eine Investition in die Existenz unseres Planeten. ({5}) Denn Sie haben sicher von den Kipppunkten gehört, nach denen die Erdüberhitzung sich vermutlich unkontrollierbar beschleunigt. Dazu gehören das Auftauen der Permafrostböden und das Wegschmelzen des Grönlandeises. Um dessen Folgen noch präziser vorherzusagen, müssen physikalische, biologische und chemische Daten noch besser zusammengebracht werden. Dafür sind modernste Hightech-Forschungsinfrastrukturen und internationale Wissenschaftskooperationen unerlässlich. Das kostet, und das muss uns mehr wert sein. ({6}) Auch die Geistes- und Sozialwissenschaften gehören stärker mit ins Klimaforschungsboot; denn längst heizt die Klimakrise weltweit bewaffnete Konflikte an, verknappt Ressourcen und löst Fluchtursachen aus. Das zu ignorieren, wäre absolut unverantwortlich. Auch deshalb braucht die Klimaforschung mehr Mittel. ({7}) Unser Appell richtet sich an die Regierungsfraktionen und an Forschungsministerin Karliczek – vielleicht können Sie das weiterleiten, Herr Staatssekretär –, aber auch an Heimatminister Seehofer. Denn Katastrophenschützer vor Ort schauen längst mit Sorge auf Extremwetter- und drohende Klimawandelrisiken. Doch die systematische Erforschung der Folgen für die zivile Sicherheit im Land ist eher eine Leerstelle. ({8}) Dabei muss dieses Wissen dringend hinein in die Katastrophenschutzpläne; denn Klimaschutz ist auch Heimatschutz. ({9}) Klimaforschung zeigt uns, worauf wir uns unweigerlich einstellen müssen. Sie zeigt uns auch, was wir noch retten können. Jedes Zehntelgrad Temperaturanstieg, das wir verhindern können, schützt unsere Lebensgrundlagen, bewahrt die Vielfalt unserer Natur und Tierwelt und rettet ganz konkret Menschenleben. Packen wir es also an! Deutsche Klimaforschung ist jetzt schon weltweit hoch anerkannt. Sie ist aktive Zukunftsvorsorge. Geben wir ihr einen weiteren Schub. Das sind wir unseren Enkeln und unserem Planeten schuldig. ({10})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Herr Kollege Gehring. – Als Nächster der Kollege Dr. Michael von Abercron, CDU/CSU-Fraktion, Schleswig-Holstein. ({0})

Dr. Michael Abercron (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004650, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrter, hochgeschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste auf den Tribünen! Goethe hat einmal gesagt: Der Mensch muss bei dem Glauben verharren, daß das Unbegreifliche begreiflich sei; er würde sonst nicht forschen. Dieser Satz lässt sich ohne Weiteres sehr gut auf den Antrag der Grünen übertragen. Denn wir müssen erforschen und ergründen, was die Grünen eigentlich genau meinen. ({0}) Dabei geht es nicht nur um die Sprache; es wird politisch verklärt von der Klimakrise und der globalen Überhitzung gesprochen. Überhitzt scheint hier vor allem die Rhetorik, die nur parteipolitisch nützen soll. ({1}) Wollen Sie uns wirklich glauben machen, dass gerade die Forscher in unserem Land zum Thema Klimawandel nicht hervorragende Arbeit geleistet haben und global unterwegs sind? ({2}) Wollen Sie uns wirklich weismachen, dass diese weltweit anerkannte Arbeit nicht auch finanztechnisch hervorragend unterlegt ist? Ich will dazu nur drei Zahlen aus dem Bereich des BMBF erwähnen: Titel „Klimaforschung und System Erde“: 157 Millionen Euro, „Küsten-, Meeres- und Polarforschung“: 57 Millionen Euro, „Klimaforschung, Biodiversität und Globalisierte Lebensräume“: 111 Millionen Euro. Und das ist noch nicht alles. Im Grunde genommen kommen viele andere Bereiche mit entsprechenden Institutionen hinzu, von denen der Einsatz der Schiffe unterstützt wird. Es handelt sich also um eine riesige Summe. Die Details kann ich gar nicht alle aufzählen. Wir halten uns eine eigene hochseefähige Flotte durch Helmholtz-Gemeinschaft, Alfred-Wegener-Institut, GEOMAR, DFG, Projektträger Jülich usw. ({3}) Es handelt sich um mehr als 25 Schiffe. Die Bundesmarine wäre stolz, wenn sie so eine seegängige und funktionsfähige Flotte zur Verfügung hätte, meine Damen und Herren. ({4}) Darüber hinaus ist es so, dass wir sogar Neuzugänge in diesem Jahr erwarten können: dieses Jahr ein neues Schiff und nächstes Jahr vielleicht die „Polarstern 2“. Darauf können wir sehr stolz sein. Die Schiffe – und das ist ganz besonders wichtig – sind verknüpft und arbeiten zusammen in einer Leitstelle. In Ihrem Antrag kommen die Begriffe „Verknüpfung“ und „Bündelung“ standardmäßig vor. Das Beispiel, dass die Schiffe zusammenarbeiten und von der Leitstelle geführt werden, zeigt, dass das alles hervorragend funktioniert. ({5}) Sie führen – das ist in Ihrem Antrag außergewöhnlich gut formuliert – biologische, chemische, geologische, ozeanografische, meteorologische, geophysikalische und glaziologische Langzeitmessungen durch. ({6}) Das tun sie heute schon. Auch die durchgängige Forderung in Ihrem Antrag nach einem Ausbau der internationalen Zusammenarbeit ist längst beschlossene Sache. Ich will nur auf die große, spektakuläre Reise hinweisen, die die „Polarstern“ dieses Jahr durchführen wird. Sie wird sich nämlich im Eis einfrieren lassen. 600 Menschen aus 27 Ländern sind daran beteiligt. ({7}) „Wo ist da ein Mangel an internationaler Zusammenarbeit?“, kann ich da nur fragen, meine Damen und Herren. Nun zu einem ganz besonderen Satz, der uns allen unseren Forscherdrang abverlangt. Ich will ihn mit der Genehmigung des Präsidenten zitieren – Zitat aus Ihrem Antrag –: Mit diesem Rahmenprogramm sollen … die sozialpsychologische, verhaltensökonomische und kommunikationswissenschaftliche Forschung zur Klimakrise gestärkt werden, also Ansätze sowohl zur Vermittlung der Erkenntnisse der Klimaforschung in Politik und Gesellschaft als auch zur Erkenntnisgewinnung aus der Gesellschaft für die Klimaforschung. ({8}) Dies sollte den Wissenstransfer im Bereich der Bildungsmaßnahmen mit einschließen … Haben Sie das verstanden? ({9}) Ich in Teilen, aber der arme Forscher, der das machen soll, der tut mir jetzt schon leid. Dafür braucht man in der Tat sehr viel Geld, und es kommt dabei nichts raus. Das könnte Ihr Antrag bewirken. ({10}) – Danke schön. Es gibt diverse andere Bereiche, in denen wir in der Klimaforschung aktiv sind. Ich kann sie gar nicht alle erwähnen. Da sind zum Beispiel die Hightech-Strategie „Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Energie“ sowie die Deutsche Anpassungsstrategie, wo wir schon lange aktiv sind. Trotzdem bleibt aufgrund der multifaktoriellen Zusammenhänge ein riesiger Forschungsbedarf. Das will ich gerne zubilligen. ({11}) In vielen Bereichen zeichnet sich aber schon jetzt mehr ein Umsetzungsproblem als ein Erkenntnisproblem ab. ({12}) Denken Sie zum Beispiel an die Folgen von Extremwetterlagen oder an Fragen des Küstenschutzes. Wenn dieser nicht gerade herausragende Antrag es jetzt ins Plenum geschafft hat, hat das auch einen Vorteil. Wenn wir die 14 Punkte, die Sie aufgeführt haben, durchgehen und abgleichen, dann werden wir feststellen, was wir schon alles Tolles machen. Wir stehen hinter den finanziellen Anstrengungen, die zur Erforschung des Klimawandels und zur Anpassung notwendig sind. Wir lehnen aber die willkürlichen Forderungen nach mehr Geld ab, geht es dabei doch wohl eher um die Klimapflege in der grünen Parteiprogrammatik, meine Damen und Herren. Angesichts der großen Anstrengungen unserer Forscher auf ihren Reisen in die Antarktis oder an ferne Orte dieser Welt, die mit erheblichen persönlichen Einschränkungen verbunden sind, ist es dringend geboten – das hat mein Vorredner Gott sei Dank auch schon gemacht –, dass wir ihnen unseren großen Dank und unsere Anerkennung aussprechen. Wir können sehr stolz auf das sein, was diese Menschen tun. Seien wir stolz darauf, was unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler draußen in der Welt leisten. ({13}) Ich hoffe, dass wir die Möglichkeit haben, das auch in Zukunft zu tun. Die Mittel, die wir zur Verfügung stellen, sind gut angelegt. Herzlichen Dank. ({14})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege von Abercron, herzlichen Dank für die Zeit, die Sie eingespart haben. – Als Nächstes spricht zu uns die Kollegin Nicole Höchst, AfD-Fraktion. ({0})

Nicole Höchst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004753, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Werte Kollegen! Sehr verehrte Gäste! „Ein Forschungsrahmenprogramm im Kampf gegen die Klimakrise“, so betiteln die Grünen ihren Antrag, damit die von ihnen finanzierten Wissenschaftler gleich wissen, in welche Richtung die so steuerfinanzierte Forschungsreise gehen muss. Als Erstes reden wir mal nicht von einer Klimakrise – denn so etwas gibt es gar nicht –, ({0}) sondern von periodisch wiederkehrendem Klimawandel, wie er über die Erdzeitalter hinweg dokumentiert ist. ({1}) Die Behauptung einer menschengemachten Erderhitzung ist genauso wenig beweisbar wie die, dass es Feinstaubtote durch Dieselmotoren gibt. ({2}) Mit Ihrem Antrag wollen Sie nur Ihrem Klima-Voodoo weitere 100 Millionen Euro in den Rachen werfen. Ein vernunftbegabtes Wesen wird bei so hochkomplexen Themen wie dem Klimawandel zunächst eine der wichtigsten Fragen stellen: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn der Klimawandel nicht hauptsächlich durch die Menschen verursacht wäre? Das ist nicht nur eine Frage von Klimaskeptikern oder Klimaleugnern, ({3}) sondern eine wissenschaftliche Frage. ({4}) Der Versuch der Beantwortung führt unweigerlich zur Gretchenfrage: Ist die Aussage, der Klimawandel sei hauptsächlich menschengemacht, denn wahr? Bislang ist das eine These, nicht mehr und nicht weniger, genauso gültig wie die These, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei. Aus Ihrer These blinden Aktionismus abzuleiten mit dem Gedanken, der Mensch könnte das Klima retten, ist genauso emotional moralisierend wie absurd. Und selbst wenn es eine Klimarettung in einer ungeheuerlichen weltweiten menschlichen Kraftanstrengung gäbe, wie Sie das unterstellen, frage ich Sie: Ist ein Staat, der es nicht fertigbringt, einen Hauptstadtflughafen zu bauen, wirklich in der Lage, das Weltklima zu retten? ({5}) Ich persönlich halte das für eine Art völlig unangemessenen German Größenwahn. ({6}) Wer sind die größten Gewinner des hier beantragten fröhlichen zweckgebundenen Forschungsgeldverteilens? Die Grünen und diese Klimaforschungsinstitute. Warum? Letztere sind die größten Gewinner bei der Zuteilung der Forschungsgelder. Sie müssen nur den Schneefall im Winter als Katastrophe des Klimawandels bezeichnen und – schwups – erhalten sie neue Forschungsgelder zur Produktion von weiteren hochwillkommenen Ergebnissen, ({7}) die Sie von den Grünen sodann alarmistisch, ökopopulistisch und freiheitseinschränkend ausschlachten. ({8}) Nun zu den anderen Gewinnern dieser steuerfinanzierten parteipolitischen Marketingstrategie: den Grünen. ({9}) Wenn nur noch ein Fünftel der Deutschen glauben, dass es wichtig ist, etwas für den Klimaschutz zu tun, ({10}) dann gehen bei Ihnen alle Alarmglocken an. Dann muss dringend Steuerzahlergeld mit vollen Händen ausgegeben werden, um weitere wissenschaftliche Alarmmeldungen zu generieren, damit die Panik, diese Angst vor der Klimakatastrophenhölle, ja nicht aufhört. Im Mittelalter haben die armen Sünder sogenannte Ablassscheine gekauft, um nicht in die Hölle zu kommen. Heute wählen sie die Grünen, um dem Umweltsünderfegefeuer zu entgehen. ({11}) Zudem ist mit dem Klimawandel natürlich ein riesiges Geschäft zu machen, ganz klar, nach dem Vorbild des großen Rattenfängers Al Gore, ({12}) der gegenüber Hans Rosling das Geheimnis seines Erfolges verriet, wie er zum ersten Fast-Klimamilliardär wurde: Wir müssen Furcht erzeugen. ({13}) Nanu, das ist doch das Geschäftsmodell der Grünen! Aber nicht mit uns! Wir lehnen Ihren Antrag ab. Wir fordern stattdessen das Hohe Haus auf, zum Wohle der Bürger das gesamte Klimaschutzprogramm sofort wegen erwiesener Nutz- und Wirkungslosigkeit einzustellen. ({14}) Werte Kollegen, Umwelt- und Naturschutz ist doch in unser aller Interesse. ({15}) Allerdings sehen Umwelt- und Naturschutz anders aus als grüne Politik und deren Maßnahmen. Die Zahl der Beispiele ist Legion. Offensichtlich bedurfte es der AfD, um das endlich so offen und unverblümt aufzuzeigen. Wir von der AfD begrüßen es ausdrücklich, wenn mehr Geld in Wissenschaft und Forschung gesteckt wird. Selbstverständlich wünschen wir uns auch den Erhalt unseres wunderbaren Planeten. ({16}) Und ja, dazu dürfen Forschung und Wissenschaft nicht ruhen. Stärken wir die Freiheit von Forschung und Lehre! Kultivieren wir deren Unabhängigkeit von Politik und Ideologie! ({17}) Ja, intensivieren wir die Forschung! Machen wir sie transparent! Nehmen wir die Menschen mit! Fördern wir die Forschung, die sich selbst immer wieder hinterfragt, ({18}) die international ausgerichtet und die streitbar ist! Vielen Dank. ({19})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte die Rednerin in ihrer Rede nicht unterbrechen. Ich möchte aber trotzdem darauf hinweisen: Zwischenrufe sind zulässig und auch erwünscht in einer lebhaften Debatte. Aber wenn Zwischenrufe zu einem Massenphänomen werden, ({0}) können sie weder vom Protokoll wahrgenommen werden, noch dient das der Debatte. Also bitte ich darum, den Redner anzuhören, selbst wenn es dem einen oder anderen schwerfällt. ({1}) Das ist ja der Sinn unserer parlamentarischen Debatte hier. ({2}) Noch einmal, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben eine gemeinsame Geschäftsordnung. An die sollten wir uns halten, und zwar gegenüber jedermann. Die Meinungsfreiheit im deutschen Parlament ist ein hohes Gut. Die sollte man bewahren. Ich verstehe die Erregung mancher. Aber noch einmal: Bei einer solchen Vielzahl von Zwischenrufen können sie nicht wahrgenommen werden. Damit verlieren sie ihren Sinn. Sie sind nur noch eine negative Geräuschkulisse. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, als Nächstes hat für die SPD-Fraktion der Kollege René Röspel das Wort. ({4})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon eine seltene Gabe, glaube ich, andere Menschen am helllichten Tag in eine Geisterbahn zu versetzen. ({0}) Vielleicht kann man das kommerzialisieren. Ich danke ganz herzlich für diesen Antrag. Ich freue mich immer, wenn man über Forschung reden kann. Der Klimawandel ist tatsächlich ein weltweit wissenschaftlich unumstrittener Fakt, über den wir, glaube ich, nicht lange zu diskutieren brauchen. ({1}) Beides gehört zusammen. Deswegen will ich den Grünen ganz herzlich dafür danken, dass wir heute noch einmal darüber diskutieren. Das haben wir vor zwei Jahren im Zusammenhang mit einem ziemlich ähnlichen Antrag schon mal gemacht. Ich finde den Antrag in vielen Punkten gut; ich glaube, auch weil die meisten Punkte in der Breite vermutlich unumstritten sind. Ich habe aber schon vor zwei oder drei Jahren gesagt – ich weiß nicht mehr genau –, dass viele dieser Punkte schon erledigt sind. Die Fragen, die von Kai richtigerweise gestellt worden sind, sind ja auch wichtig: Wie gehen wir vor Ort mit dem immer global diskutierten Klimawandel um? Wir sehen ja, dass die Zahl der Extremwetterereignisse zunimmt. ({2}) Auch wer mit offenen Augen durch den Wald geht, wird feststellen, dass sich da in den letzten Jahren viel verändert hat. Ich habe im Sauerland in einem April noch nie einen so trockenen Wald erlebt wie letztes Jahr. Das ist nicht besser geworden. ({3}) Auch wenn man in dieser Jahreszeit durch den Wald geht, stellt man, wie ich finde, fest: Der Waldzustand ist nicht besser geworden. Die Frage ist tatsächlich: Wie wirkt sich das vor Ort aus? Die Forderung, regionale und sektorale Aspekte stärker zu berücksichtigen, ist richtig. Das gibt es aber schon. Wenn man den ersten Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie liest – er ist beim Umweltministerium abrufbar –, sieht man zum Beispiel eine Karte der Bundesrepublik Deutschland, auf der regionenscharf eingezeichnet ist: Wie wird sich eigentlich das Klima verändern, zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern? Die Ostseeurlauber merken ja schon, dass man dort mittlerweile Urlaub wie in Spanien machen kann. ({4}) Wird es zunehmend Versteppungstendenzen geben? Was bedeutet das für die Landwirtschaft? Was bedeutet es für andere Regionen, wenn sich das Klima vor Ort verändert? Einen Beitrag haben inter- und transdisziplinäre Forschungsverbünde, die in dem Antrag auch gefordert werden, geleistet, zum Beispiel der Helmholtz-Verbund Regionale Klimaänderungen, kurz REKLIM. Er befasst sich über verschiedene Institute hinweg mit der Frage: Was bedeuten Klimaveränderungen vor Ort? Es gibt seit einigen Jahren auch – die Forschungspolitiker haben das mal bei einem Frühstück vorgestellt bekommen – das Climate Service Center Germany, das GERICS, das ausdrücklich Ansprechpartner für Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Kommunen ist. Die Kommunen stehen natürlich vor der Frage: Können wir Abwasserkanäle noch bauen wie in den 80er- oder 70er-Jahren, wo man die Regenmengen kannte? Da war das Jahrhunderthochwasser das Ereignis, das man als Maß nahm. Das hat sich deutlich verändert. ({5}) Das sind die Ansprechpartner für die Frage: Worauf muss man sich tatsächlich praktisch einstellen, um solchen Veränderungen entgegenwirken und damit vernünftig umgehen zu können? Langzeitmessungen wurden auch gefordert. Sie finden statt von Helgoland bis zur Zugspitze. An beiden Orten kann man sich das anschauen. Es macht Spaß, da mal hinzufahren. Man lernt viel dabei. Einen Stich muss ich machen: Während der Jamaika-Verhandlungen habe ich nichts gehört von einer deutschen Allianz für Meeresforschung. ({6}) Wir haben sie in den Koalitionsvertrag geschrieben und beginnen, das umzusetzen. ({7}) Deswegen sage ich: Viele Forderungen sind grundsätzlich richtig, aber in Teilen schon erledigt oder auf den Weg gebracht. Ausdrücklich will ich sagen: Wir haben es ja auch schon mal erleben müssen, in der Opposition zu sein. Regieren macht übrigens viel mehr Spaß, ({8}) wenn es auch schwieriger ist. Wir als SPD haben in der Opposition unsere politischen Forderungen immer so formuliert, dass man sie auch umsetzen kann, wenn man in eine Regierungssituation kommt. Ich finde es gut, das in der Politik so zu tun. Deswegen muss ich den Antrag wegen eines Punktes wirklich ablehnen: Ihr fordert mal eben 600 Millionen Euro für Klimaforschung für die nächsten drei Jahre. – Abgesehen davon, dass der Betrag überhaupt nicht abfließen könnte, ist er, wie ich glaube, auch unangemessen hoch. Wenn ich das Geld wirklich hätte – wir müssen das immer auch mit anderen Bereichen abwägen –, würde ich die Hälfte davon lieber in die Energieforschung oder die konkrete Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen stecken; denn an dieser Stelle sind wir. Wir werden weiterhin richtig Klimaforschung machen. Die Erhöhung der Mittel in den letzten Jahren hat ja dazu beigetragen, dass Deutschland jetzt – das steht richtigerweise in dem Antrag – ein Spitzenstandort für Klimawissenschaft ist, weltweit anerkannt. ({9}) Wir werden das so ausbauen, dass es vernünftig ist. Wir sind aber längst an dem Punkt, an dem wir auch handeln müssen. Damit will ich mich ausdrücklich an die junge Generation richten, unter anderem an die jungen Menschen auf der Tribüne: Es gibt zwei Politikmodelle, die ich grob unterscheiden möchte: Das eine Modell ist das Modell derer, die man Klimaleugner nennt; wir haben ja gerade die Rede von Frau Höchst gehört. Die sagen: Das ist alles nicht schlimm, das wird nicht kommen, und deswegen brauchen wir heute nichts zu tun. ({10}) Es gibt zwei Möglichkeiten, wie das enden kann: Die erste Variante ist, dass in 20 Jahren tatsächlich nichts kommt. – Okay, dann ist es so gelaufen. Die zweite Variante ist, dass der Klimawandel mit voller Härte einsetzt und die junge Generation, von der einige hier auf der Tribüne sitzen, das ausbaden muss, was wir heute versäumt haben. ({11})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deswegen ist unser Kurs richtig, heute dem Klimawandel mit moderner Technologie, mit zukunftsorientierter Energienutzung zu begegnen und das Beste dafür zu tun, dass diese Generation eine Chance hat. Vielen Dank. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Lukas Köhler, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Lukas Köhler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004786, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich versuche mal, zum Thema zurückzukommen. Herr Dr. von Abercron, Sie haben Goethe zitiert. Mit Erlaubnis des Präsidenten würde ich Kant zitieren, allerdings nicht in Ihre Richtung, sondern in Richtung der AfD: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ ({0}) Ich glaube, das wäre ein ratsames Element in Ihrer Politik. Sie zitieren ja gerne die Oregon-Petition, eine Petition, die unterzeichnet wurde von den Spice Girls und Mickey Mouse. ({1}) Meine Damen und Herren, ich denke, wir sollten zum Thema zurückkommen und uns mit der Frage der Klimaforschung auseinandersetzen. Ich glaube, dass das hier der zentrale Teil sein sollte. Ja, ich freue mich darüber, dass die Grünen so einen Antrag eingebracht haben. Ich habe ähnliche Anträge schon früher mal gelesen. Ich halte das, was Sie da machen, für sehr konsistent. Ich freue mich darüber, dass Sie aus der aktuellen Emotionalität der Debatte zu einer sachlichen und fachlichen Form des Diskutierens und Debattierens, nämlich dem Wissenschaftlichen, zurückkommen wollen. Ich freue mich, dass Sie da ein wenig mit Ihrer Tradition brechen. Der Antrag ist gut – in seinem Ziel. ({2}) Das Ziel, Klimawissenschaft und Klimaforschung zu stärken, müssen wir erreichen. ({3}) Ich glaube, es würde selbst der AfD guttun, zu sagen: Wir müssen den wissenschaftlichen Diskurs aufgreifen und auf Basis von Fakten und Informationen vorgehen – und nicht mit Meinungs- und Stimmungsmache, wie Sie von rechts das gerne tun. ({4}) Wir müssen an dieser Stelle, glaube ich, aber festhalten, dass solch eine Forschung auch Evaluation bedeutet. Bei der Evaluation von Maßnahmen – das haben Sie in Ihrem Antrag aufgegriffen – müssen wir allerdings auch offen für die Ergebnisse sein. Wenn eine Evaluation zeigt, dass Klimamaßnahmen nicht wirklich zum Klimaschutz beitragen, dann müssen Sie sie abschaffen. Ich freue mich darüber, eine Evaluation der CO 2 -Grenzwerte aufzurufen und umzusetzen. Wir müssen aber auch Maßnahmen der Bundesregierung evaluieren und uns mal darüber unterhalten, ob Klimakinos und Strickkurse in Steglitz wirklich dem Klimaschutz helfen. ({5}) – Das waren zwei Haushaltsposten, die Sie aufgeführt haben, wirklich; das können Sie nachlesen. Sie lachen; es ist auch ein bisschen traurig. Meine Damen und Herren, wo wir gerade beim Haushalt sind: Die Punkte, die Sie aufgeführt haben, sind richtig; da sind viele gute Sachen drin. Aber bei Ihrem Haushaltsplan und den 50 Millionen Euro, die Sie da aufrufen, frage ich mich: Wo sind die anderen 150 Millionen Euro pro Jahr, die Sie laut Antrag dazustecken wollen? ({6}) Ich würde mich freuen, wenn wir über Generationengerechtigkeit nicht nur unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes, sondern auch unter den Gesichtspunkten einer gesunden Haushaltsführung sprechen würden, damit die Generation, damit die Kinder, die auf den Rängen sitzen und die Sie gerade richtigerweise angesprochen haben, in ihrer Zukunft auch die Möglichkeit haben, nicht nur eine gesunde Umwelt vorzufinden, sondern auch die finanziellen Mittel zur eigenen Lebensgestaltung besitzen. Ich glaube, dass das das Ziel sein muss. Was Sie aber – und das fehlt mir leider in diesem Antrag – auch nicht ganz mitbedenken, ist die Frage: Wie gehen wir denn mit den Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels um? Wo stecken wir da das Geld rein? Was mir fehlt, sind Forschungen im Bereich der Technologieoffenheit, der Innovation, der Zukunftsgerichtetheit, sind Forschungsfragen im Bereich des Geoengineerings, sind Forschungsfragen, die aufgegriffen werden müssen, wenn wir über die Kernfusion sprechen. Das sind weite Felder, die wir diskutieren können und die wir diskutieren sollten. ({7}) Das sind auch Punkte, wie sie zum Beispiel im ­IPCC-Sonderbericht „1,5 °C“ aufgegriffen werden in Bezug auf die Speicherung und Nutzung von CO 2 . Das sind zentrale Punkte, die wir heute angehen müssen, damit wir sie bei einer Initiative Net-Zero für 2050 auch umgesetzt bekommen, und die fehlen mir völlig in diesem Antrag. Er ist leider – wie vor zwei Jahren – immer noch auf einem veralteten Stand. Wenn wir diese Punkte aufgreifen und umsetzen – da unterstützen wir Sie gerne, liebe Grüne, und da unterstützen wir gemeinsam sicherlich gerne die Bundesregierung darin, noch ein wenig kräftiger und strategisch besser aufgestellt vorzugehen –, dann können wir es schaffen, wirklich etwas für die Zukunft zu tun, wirklich den Klimawandel einzudämmen, uns die Zeit zu geben, die Anpassungsmaßnahmen laufen zu lassen. Ich glaube, dann haben wir am Ende des Tages auch etwas für unsere Kinder und Kindeskinder erreicht. Vielen herzlichen Dank. ({8})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Dr. Köhler. – Das war punktgenau. Als nächster Redner spricht zu uns der Kollege Ralph Lenkert, Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Also wenn die AfD von „Furcht säen“ und „Angst schüren“ redet, spricht der Fachmann, und wenn Frau Höchst sich darüber beschwert, ist es so, wie wenn der Einbrecher schreit: Haltet den Dieb! ({0}) Aber jetzt zum Thema: 100 Millionen Euro mehr für Forschung gegen die Klimakrise – statt 4 Milliarden Euro für die Rüstung auszugeben. Wir würden dieses Geld ebenfalls gern verwenden, und zwar – wie die Grünen – für die Optimierung von Klimamodellen, damit die Kommunen wissen, wie sie sich in Zukunft vorbereiten müssen: investieren in Mess- und Beobachtungsstationen, in den Datentransfer, damit die Prognosen der Klimaentwicklung besser werden, damit wir Wetter besser bestimmen und Unwetter besser voraussagen können. Wir würden das Geld gern einsetzen zur Erforschung von Katastrophenszenarien, damit Behörden unsere Infrastruktur sicherer gestalten und bessere Notfallpläne erstellen können, ja, für Sozial-, Kommunikations- und Verhaltensforschung und eben auch dafür, dass im Falle von notwendigen Evakuierungen die Menschen mit den richtigen Maßnahmen betreut werden können. All dies ist notwendig. Wir würden das Geld selbstverständlich auch für Friedensforschung und zivile Konfliktforschung verwenden. Die ist notwendig, damit wachsende Klimakrisen nicht in Kriege umschlagen. Dafür 100 Millionen Euro mehr einzusetzen, ist ein guter Anfang und eine Überlebensfrage für uns alle, auch für unsere Enkel. Deswegen ist der Antrag der Grünen richtig und wichtig, und deshalb unterstützt Die Linke diese Forderungen. ({1}) Meine Damen und Herren, der Klimawandel trifft alle Menschen, unsere Enkel insbesondere, aber auch alle Politiker – uns Linke, die Grünen, die SPDler –, die wir massiv versuchen, den Klimawandel aufzuhalten. Aber auch die rechten Klimazweifler von da drüben werden unter den Folgen leiden. Die gelbe FDP, die im Zweifelsfalle Wachstumschancen der Wirtschaft über Klimaschutz stellt, wird ebenfalls betroffen sein. Auch die schwarzen Ignoranten in der Union, die, selbst wenn sie Katholiken sind, die Worte des Papstes ignorieren, werden unter den Klimaveränderungen leiden. ({2}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Klimawandel ist im Gange. Der Zug ist schon abgefahren. Wir können die Veränderungen nicht mehr aufhalten. Aber vielleicht schaffen wir es noch, auf den Zug aufzuspringen, und vielleicht schaffen wir es noch, die Auswirkungen zu reduzieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erwarte von allen – okay, von fast allen –, dass wir gemeinsam dafür kämpfen, dass die Forschung zu Klimaprojekten vorangetrieben wird, und dass wir uns gemeinsam den Veränderungen entgegenstellen. ({3}) Dem Bildungs- und Forschungsministerium liegt ein Antrag zu Forschungsinfrastrukturen vor, eingereicht von dem Forschungszentrum Jülich, vom KIT, vom TROPOS-Institut in Leipzig und vom Deutschen Wetterdienst. Es geht um den Aufbau von Messstationen für das Programm ACTRIS. Das Programm ACTRIS befasst sich mit der Ausbreitung organischer Oxide, Stickoxide und anderer Partikel, mit Theorien zur Wolkenentwicklung und zum Datenaustausch. Dieses Programm ist Grundlagenforschung für Klimaforschung. Es ist mir nicht verständlich, weshalb die Entscheidung, dass die Mittel für dieses Programm freigegeben werden, die im Juli letzten Jahres fallen sollte, auch im September 2018 nicht gefallen ist und warum sie auch heute noch nicht gefallen ist. Herr Staatssekretär Rachel, sehen Sie in Ihrem Ministerium nach! Treiben Sie die Beamten an! Wir brauchen dieses Programm. Leiten Sie es in die Wege, damit wir alle bei der Klimaforschung vorankommen! Warum? Das kann jeder selbst sehen, der sich das letzte Jahr und die Entwicklung beim Wetter angeguckt hat. Ich hoffe, wir werden gemeinsam eine Zukunft gestalten – für unsere Kinder, für unsere Enkel, für ein gutes Leben auch in Zukunft mit einem schwachen Klimawandel. Vielen Dank. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger. ({0})

Dr. Wolfgang Stefinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004414, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unbestritten gehört der Klimawandel zu den größten Herausforderungen für die Menschheit. Viele Auswirkungen sind bereits heute sichtbar und auch spürbar: Überschwemmungen, Stürme, Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Gletscherschmelzen, der Meeresspiegel steigt, und es gibt mehr Extremwetterlagen. Um den Klimawandel erfassen und wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen zu können, brauchen wir selbstverständlich die Klimaforschung und damit Wissensgrundlagen und Innovationen. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind auch die Themen Nachhaltigkeit, Klima und Energie zentrale Themenfelder in unserer Hightech-Strategie. Auch beim Thema „Künstliche Intelligenz“ nehmen wir den Umwelt-, Ressourcen- und Klimaschutz in den Blick; denn mit der Hilfe von Simulationen und Modellbildungen können präzisere Angaben und Aussagen über den Klimawandel ermöglicht werden. Es gibt eine Reihe von Forschungsprogrammen zu diesem Thema; es läuft schon eine ganze Menge. Aktuell haben wir 580 Millionen Euro im Forschungshaushalt – ein Aufwuchs von 30 Prozent im Vergleich zum letzten Jahr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, solide Wissensgrundlagen sind unbestritten wichtig; solide Forschung ist wichtig. In vielen Bereichen, meine ich, geht es um die Umsetzung von Maßnahmen, um den Klimawandel aufzuhalten. Hier sind wir alle gefordert. Aber wir wissen auch, dass nationale Maßnahmen alleine nicht ausreichen. Es braucht eine weltweite Kraftanstrengung und vor allem ein Bewusstsein dafür. ({0}) Denn Fakt ist: Die reichsten 10 Prozent der Welt sind für 50 Prozent des CO 2 -Ausstoßes verantwortlich, und die Leidtragenden sind überwiegend die Menschen in den Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afrika ist ein Kontinent, der teils eine starke Versteppung und viele Dürren erlebt, was dazu führt, dass die Bauern ihre Felder nicht mehr bewirtschaften können oder von deren Ertrag nicht mehr leben können. Die Frage des Wassers wird in den nächsten Jahren eine entscheidende Frage in diesen Ländern sein. Daher ist es wichtig, dass wir bei der Klimaforschung auch in Afrika aktiv sind. ({1}) Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat eine Afrika-Strategie aufgelegt. Wir stärken die Zusammenarbeit in der Forschung gemeinsam mit den Wissenschaftlern vor Ort in Afrika und wollen die Bereiche Energie, Nachhaltigkeit, Wasser, Bioökonomie und Ernährungssicherung beleuchten. Hierfür stehen 300 Millionen Euro bereit. Wir unterstützen zwei regionale Kompetenzzentren für den Klimawandel und das Landmanagement in west- und südafrikanischen Staaten, und wir wollen dort gemeinsame Handlungsmöglichkeiten entwickeln und mit den Menschen vor Ort gemeinsam an einer nachhaltigen Entwicklung ihrer Heimat arbeiten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wieso erzähle ich Ihnen das, wenn es um einen Antrag zur Klimaforschung in Deutschland geht? ({2}) Ich tue das, weil sich die Klimafrage nicht alleine bei uns in Deutschland und Europa entscheiden wird, sondern vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Gerade deshalb sind die Afrika-Strategie des Bildungsministeriums, aber auch der Marshallplan und die Anstrengungen des Entwicklungsministeriums so wichtig. Um das zu verdeutlichen: In Afrika gibt es derzeit 600 Millionen Haushalte, die keine einzige Steckdose haben. Wenn diese Haushalte in den nächsten 10 bis 20 Jahren jeweils auch nur eine einzige Steckdose bekommen sollen und sich die Staaten entscheiden, den Energiehunger mit den im Land vorhandenen Rohstoffen zu decken – überwiegend Kohle –, dann müsste Afrika 1 000 neue Kohlekraftwerke bauen. Würde dies passieren, brauchen wir uns über das 1,5- bis 2‑Grad-Ziel beim Klima nicht mehr zu unterhalten. Deshalb ist diese Zusammenarbeit mit Afrika eine große Chance, aber auch eine Herausforderung für uns. Es besteht eine große Chance für unsere Wirtschaft in Afrika, aber wir haben auch eine Verantwortung. Unsere Innovationen sind gefragt, gerade bei der umwelt- und klimafreundlichen Energiegewinnung. So entstehen bereits einige Projekte, beispielweise ein Solarkraftwerk in Marokko, das in Zukunft 1,3 Millionen Menschen mit Strom versorgen soll. ({3}) Durch unsere Partnerschaftsprogramme in der Forschung, aber auch in der Entwicklungszusammenarbeit arbeiten wir gemeinsam mit diesen Ländern an Möglichkeiten der Anpassung an den Klimawandel, am Umgang mit seinen Folgen, aber auch an einer nachhaltigen Energieversorgung und einer nachhaltigen Landwirtschaft. Deutschland ist in vielen Bereichen der Klima- und Klimafolgenforschung Vorreiter, Deutschland ist innovativ und bietet viele technische Lösungen an, und Deutschland fördert bereits in erheblichem Umfang exzellente Forschung in den Bereichen Klima und Umwelt. Wir von der CDU/CSU sorgen dafür, dass das so bleibt. Lassen Sie uns im Ausschuss über Ihren Antrag diskutieren. Danke schön. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als vorletzter Redner des heutigen Tages erhält der Kollege Timon ­Gremmels, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte das Vergnügen und die Ehre, an der internationalen Klimakonferenz in Kattowitz teilzunehmen. Im Vorfeld dieser Klimakonferenz hat der Weltklimarat – IPCC – einen Sonderbericht zur globalen Erderwärmung vorgelegt. 1,5 Grad: Das ist das Maximum, was wir gerade noch vertragen. 91 Autoren aus 40 Ländern haben an dem Bericht mitgearbeitet. Mehr als 6 000 Einzelstudien wurden dafür eingesetzt, und die Ergebnisse dieser Studie haben Eingang in den Schlussbericht der Weltklimakonferenz gefunden. Ich glaube, das zeigt deutlich, wie wichtig und bedeutend Klimaforschung auch für internationale Beschlüsse, für internationale Abkommen und für die Konferenzergebnisse von Kattowitz ist. ({0}) Wir müssen diesen Klimawandel aufhalten. Es war ja auch ein Kollege von der AfD in Kattowitz dabei. Wir hatten als Delegation des Deutschen Bundestages echt gute Gespräche – auch mit internationalen Klimaforschern –, aber ich musste mich, ehrlich gesagt, fremdschämen dafür, dass wir viel Zeit darauf verschwendet haben, Ihre Ideologie da zu diskutieren. Wir haben keinen einzigen Wissenschaftler getroffen, der diese Thesen unterstützt hat. Auch das muss an dieser Stelle einmal klar gesagt werden. ({1})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein; wir wollen alle unseren Zug bekommen. ({0})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Das ist kein Argument. ({0})

Timon Gremmels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte an dieser Stelle deutlich sagen, dass wir in Deutschland sehr gut aufgestellt sind. Insbesondere das IPK in Potsdam – im Wahlkreis meiner geschätzten Kollegin Dr. Manja Schüle – leistet eine hervorragende Arbeit. ({0}) Ich glaube, dass wir auf die Ergebnisse, die dort hervorgebracht werden, stolz sein können. Die Bundesrepublik Deutschland – die Bundesregierung und der Bundestag hier mit seinen Haushaltsplänen – unterstützt die Forschung in Deutschland, finanziert sie mit und baut sie aus. Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grünen, wenn Sie sich anschauen, was wir damals, als es hier eine rot-grüne Koalition gegeben hat, in dem Bereich Klimaforschung auf den Weg gebracht haben, ({1}) dann sehen Sie, dass wir es 2005 waren – damals hatten wir mit Edelgard Bulmahn noch eine richtige Forschungsministerin –, die mit dem Programm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA)“ – angetreten sind, um Klimaforschung zu finanzieren. 1,5 Milliarden Euro sind in der aktuellen Legislaturperiode von 2015 bis 2019 dafür vorgesehen. Insofern: Wir tun etwas für die Klimaforschung in Deutschland. Ich glaube, dass wir eher ein Umsetzungsproblem denn ein Erkenntnisproblem haben. ({2}) Wir dürfen die einzelnen Forschungsprojekte aber nicht voneinander trennen. Wir müssen Klimaforschung und Energieforschung zusammensehen, und deswegen hat die SPD im 7. Energieforschungsprogramm „Innovationen für die Energiewende“ insgesamt 7 Milliarden Euro für den Zeitraum 2018 bis 2022 bereitgestellt, und das ist auch gut so. ({3}) Das sind fast 60 Prozent mehr als beim letzten Programm. Das zeigt auch, dass die SPD dafür sorgt, dass FONA und die Energieforschungsprogramme besser miteinander verzahnt werden, um hier Synergien zu erzeugen. Die Klimaforschung ist genauso wie die Energieforschung bei uns in guten Händen, und jetzt wünsche ich Ihnen und uns allen eine schöne, klimaschonende Heimreise in die Wahlkreise. Danke schön. ({4})

Wolfgang Kubicki (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001235

Herr Kollege Gremmels, herzlichen Dank für Ihre bewegenden Worte. – Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 19/5816 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich bedanke mich bei Ihnen dafür, dass ich endlich mal eine Sitzung noch bei Tageslicht schließen kann. ({0}) Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise, ein entspanntes Wochenende und ein Wiedersehen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 30. Januar 2019, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 16.07 Uhr)