Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/30/2018

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hubertus Heil (Minister:in)

Politiker ID: 11003142

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der deutsche Arbeitsmarkt ist so stark wie nie; die aktuellen Zahlen aus Nürnberg zeigen das. Die Arbeitslosenquote ist uns gestern gemeldet worden und liegt in Deutschland bei 4,8 Prozent. ({0}) In vielen Branchen und Regionen herrscht bereits Vollbeschäftigung, und doch dürfen wir die Hände nicht in den Schoß legen; denn der Arbeitsmarkt wird sich in Zukunft massiv verändern. Das Fachkräftemonitoring meines Ministeriums, erstellt von unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, schreibt uns das ins Stammbuch: Der digitale Strukturwandel wird in den nächsten Jahren in rapidem Umfange den Arbeitsmarkt in Deutschland verändern. Bis 2025 werden in etwa 1,3 Millionen Arbeitsplätze durch Automatisierung und durch technologischen Fortschritt verschwinden. Aber gleichzeitig entstehen in diesem Zeitraum etwa 2,1 Millionen neue Jobs. Das zeigt, meine Damen und Herren: Deutschland wird auch im digitalen Strukturwandel die Arbeit eben nicht ausgehen; aber es wird in vielerlei Hinsicht andere Arbeit sein. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können. Das ist im Sinne der Fachkräftesicherung und im Interesse der Beschäftigten. ({1}) Damit uns das gelingt, müssen wir vor allen Dingen auf Qualifikation, auf Qualifizierung, auf Weiterbildung setzen. Diesen Schritt gehen wir mit diesem Qualifizierungschancengesetz. Wir wollen den Weg gehen, die Arbeitslosenversicherung in Deutschland endlich zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln, um Arbeitslosigkeit zu verhindern, eben bevor sie im Wandel entsteht. ({2}) Wir wollen beispielsweise Dachdeckern die Möglichkeit geben, im Umgang mit Drohnen geschult zu werden, damit sie weniger gefährdet arbeiten müssen und zum Beispiel mit einer Drohne gucken können, wo es reinregnet, damit dann die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Wir wollen Sanitärinstallateuren ermöglichen, künftig mit moderner Anlagenhydraulik umzugehen, und Konstrukteuren ermöglichen, sich im Umgang mit 3‑D-Druckern schulen zu lassen. Wir müssen Techniker genauso wie Ingenieure in der Automobilindustrie, die bisher sehr stark am Verbrennungsmotor orientiert sind, weiterbilden, damit sie neue Antriebe entwickeln und produzieren können und als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen lernen, zum Beispiel auch mit künstlicher Intelligenz umzugehen. Wenn wir den Wohlstand in Deutschland erhalten wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch zukünftig den Wohlstand in diesem Land mit guter Qualifikation erarbeiten können. ({3}) Wir dürfen nicht zulassen, dass gute Qualifikation im technischen Fortschritt entwertet wird. Deshalb ist dieses Gesetz ein wesentlicher Schritt für die Arbeitsgesellschaft von morgen. In einem Satz: Es geht darum, aus technologischem Wandel sozialen Fortschritt zu machen. ({4}) Was ist im Einzelnen Inhalt des Gesetzes? Zum einen senken wir zum 1. Januar 2019 den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,4 Prozentpunkte und ferner per Rechtsverordnung um 0,1 Prozentpunkte, um die Beiträge für die Beschäftigten und für die Unternehmen in Deutschland insgesamt stabil zu halten. ({5}) Zum Zweiten sorgen wir dafür, dass wir kurzzeitig Beschäftigte besser vor Arbeitslosigkeit schützen können. Sie wissen das: Es gibt ganz viele Menschen, zum Beispiel in IT-Berufen oder in vielen kreativen Berufen, die kurzzeitig arbeiten, die in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, aber nie was rauskriegen. Deshalb ist die Stärkung der Rahmenfrist ein wesentlicher Schritt nicht nur für mehr Chancen, sondern auch für mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung. ({6}) Aber vor allen Dingen setzen wir, wie gesagt, auf Qualifizierung und Weiterbildung – im Interesse der Beschäftigten, aber auch der Unternehmen. Wir werden vor allen Dingen kleine und mittlere Unternehmen besonders fördern. Bei Lehrgangskosten und auch beim Lohn kann, wenn Unternehmen in die Qualifizierung investieren, beispielsweise bei Kleinstbetrieben der Zuschuss der Bundesagentur für Arbeit zum Lohn bis zu 75 Prozent und bis zu 100 Prozent zu den Lehrgangskosten betragen, bei mittleren Unternehmen bis 250 Beschäftigten 50 Prozent zum Lohn und zu den Ausbildungskosten. Und den großen Unternehmen – da bin ich den Koalitionsfraktionen sehr, sehr dankbar – eröffnen wir die Möglichkeit, zusätzlich durch Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge für mehr Weiterbildung in den Branchen, die das brauchen, zu sorgen. Meine Damen und Herren, das machen wir: Chancen und Schutz im Wandel zu organisieren, und das ist richtig für unsere Gesellschaft. ({7}) Ich möchte mich abschließend dafür bedanken, dass es gelungen ist, im Rahmen dieses Gesetzes eine Frage zu regeln, die uns in den letzten Wochen und Monaten sehr beschäftigt hat. Das ist die Tatsache, dass wir im Bereich der Luftfahrt erlebt haben, dass Globalisierung zur Ausbeutung missbraucht wurde. Wir schaffen mit diesem Gesetz auch einen Rechtsanspruch auf die Gründung eines Betriebsrats für das Kabinenpersonal in der Luftfahrt. Das, meine Damen und Herren, ist in diesen Zeiten wichtig, damit Beschäftigte ihre Interessen vertreten können – nicht nur bei Ryanair, sondern auch in anderen Unternehmen. ({8}) Ich bedanke mich ganz herzlich, dass es in der Koalition gelungen ist, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen. Das ist in vielen Bereichen nicht Teil des Koalitionsvertrages gewesen; aber wir haben das gemeinsam geschafft, und das ist gut für Deutschland. Herzlichen Dank. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Jörg Schneider für die AfD-Fraktion. ({0})

Jörg Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004880, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Zuschauer! Am vergangenen Montag hatten wir die Anhörung zum Qualifizierungschancengesetz. Für die Zuschauer: Das bedeutet: Ungefähr ein Dutzend Experten stellte sich den Fragen der Mitglieder des Ausschusses. Wir Mitglieder des Ausschusses haben uns etwas gewundert; denn diese Experten waren teilweise besser informiert und sind früher über Änderungen informiert worden, die in letzter Minute noch von der Regierung in dieses Gesetz eingebaut wurden. Herr Minister, wenn Sie Änderungen einbauen, dann gehören die zunächst in den Ausschuss und zuerst in das Parlament. Und wenn Sie meinen, Änderungen gehörten zunächst an die Experten oder an die Zeitung mit den vier großen Buchstaben und erst dann ins Parlament geschickt, dann ist das vor allen Dingen eines: eine grobe Missachtung des Deutschen Bundestages! ({0}) Am Montag die Anhörung, am Mittwoch die Sitzung im Ausschuss, heute die Verabschiedung hier. Da dürfte jedem klar sein: ({1}) Änderungen, die dort vorgeschlagen worden sind, können so schnell gar nicht in rechtssichere Änderungsvorschläge überführt werden. Das ist vielleicht keine Frage, die Ihnen von den Regierungsparteien Ihre Mitglieder stellen. Gerade in Richtung der SPD: Die Ihnen noch verbliebenen paar Prozent an Wählern folgen Ihnen in Nibelungentreue, die beklatschen letztendlich jeden Unsinn, den Sie vielleicht irgendwo noch planen und verabschieden wollen. ({2}) Nur: Die Wähler der AfD, die Mitglieder der AfD stellen durchaus Fragen. Die sind kritisch – darauf bin ich stolz –, und die lassen es sich nicht gefallen, wenn Sie aus einem Gesetzgebungsverfahren in dieser Form eine Demokratiesimulation machen. Und wir lassen uns das auch nicht gefallen! ({3}) Es gab ja nun wirklich durchaus Ansätze, die es wert gewesen wären, in dieses Gesetz noch überführt zu werden. Sprechen wir über Mitnahmeeffekte! Sie meinen, Mitnahmeeffekte kann man zum Beispiel dadurch ausschließen, dass man sagt: Innerbetriebliche Weiterbildung wird nicht gefördert. – Jetzt stellen Sie sich einmal ein hochspezialisiertes mittelständisches Unternehmen in einem dünn besiedelten Gebiet vor: Wie soll denn da Weiterbildung auf einem hohen Niveau funktionieren, wenn nicht innerbetrieblich? Sie können Weiterbildung auch überregional machen, dann haben Sie lange Anfahrtswege, und damit sinkt natürlich die Bereitschaft zur Teilnahme an diesen Weiterbildungen. ({4}) Auf der anderen Seite haben wir in den Ballungsgebieten gut vernetzte Beutegemeinschaften von Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer angeschlossenen Bildungsträgern. Die freuen sich heute schon über die fetten Fleischtöpfe, die da anrollen, und die freuen sich noch mehr über Ihre Naivität, mit der Sie meinen, Mitnahmeeffekte verhindern zu können. ({5}) Ein weiteres Beispiel: Förderung von besonders gut geeigneten Arbeitnehmern. Die Arbeitgeber machen es sehr gerne, gerade Mitarbeiter mit hohem Potenzial zu fördern. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die vielleicht nicht so gut geeignet sind. Aber gerade diejenigen brauchen eigentlich die Weiterbildung. Der DGB hat in diesem Zusammenhang gefordert, sogenannte Qualifizierungsvereinbarungen in den Unternehmen zu schließen: Mitarbeiter und Arbeitgeber vereinbaren gemeinsam einen Qualifizierungsplan, der dafür sorgt, dass eben halt keiner auf der Strecke bleibt. Nur ganz nebenbei gesagt: Wenn der DGB mal nicht gegen rechts kämpft, dann scheinen die sogar gute Ideen zu haben. ({6}) Aber auch diese Idee hat es leider nicht in Ihr Gesetz geschafft. ({7}) Wir stehen der Idee des lebensbegleitenden Lernens grundsätzlich positiv gegenüber. Insofern begrüßen wir dieses Gesetz insgesamt. Die Umsetzung allerdings erscheint uns schon problematisch. Deswegen werden wir uns heute bei der Abstimmung zu diesem Gesetz enthalten und werden die Umsetzung kritisch begleiten. ({8}) Wir wünschen uns allerdings, dass Gesetzgebungsverfahren hier zukünftig unserer parlamentarischen Demokratie genügen werden. Ich hoffe, dass auch diese Regierung die Bereitschaft zeigt zu lebensbegleitendem oder – vielleicht besser gesagt – regierungsbegleitendem Lernen. Ich danke Ihnen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Johannes Vogel für die FDP-Fraktion. ({0}) – Entschuldigung, die Präsidentin ist in der Rednerliste schon eine Zeile weitergerückt. Ich korrigiere mich: Das Wort hat der Abgeordnete Peter Weiß für die CDU/CSU-Fraktion. Der Redner der FDP folgt darauf. ({1})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich hätte auch dem Johannes Vogel den Vortritt gelassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wichtigste Entscheidung, die wir heute meines Erachtens treffen, ist auch eine wichtige Nachricht für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmen in unserem Land, nämlich dass wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung nun definitiv zum 1. Januar 2019 um 0,5 Prozentpunkte absenken und damit für Entlastung der Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger sorgen. ({0}) Diese Nachricht ist deswegen so bedeutsam, da wir, als wir vor eineinhalb Jahren den Koalitionsvertrag verhandelt haben, noch davon ausgegangen sind, eine Entlastung um 0,3 Prozentpunkte sei möglich. Die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes gestaltet sich aber so positiv, nachhaltig positiv, dass wir den Beitrag sogar um 0,5 Prozentpunkte absenken und trotzdem die Rücklage der Arbeitsagentur in Nürnberg weiter aufbauen können. Die Rücklage in Nürnberg wird zum Ende dieses Jahres über 23 Milliarden Euro betragen, und trotz Absenkung des Beitrages sieht es so aus, dass wir am Jahresende 2019 voraussichtlich eine Rücklage von über 24 Milliarden Euro in Nürnberg haben werden; das heißt, wir bekommen das Kunststück hin, die Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen zu entlasten und gleichzeitig für mehr Sicherheit in der Arbeitslosenversicherung in Nürnberg zu sorgen. Ich finde, das ist eine großartige Leistung, die wir auf diesem Gebiet mit den Beiträgen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Unternehmen in Deutschland schaffen. ({1}) Eine zweite für die Wirtschaft unseres Landes wichtige Nachricht ist, dass wir für die Branchen, in denen man vor allen Dingen auf Saisonarbeitskräfte angewiesen ist – das ist hauptsächlich in der Landwirtschaft und dort vor allen Dingen bei den Sonderkulturen Weinbau, Spargel, Erdbeeren, aber eben auch im Hotel- und Gaststättengewerbe der Fall –, die Frist für diese kurzfristige Beschäftigung für die Zukunft neu definieren. Das wird diesen Unternehmen ein bisschen mehr Luft bei der Organisation ihrer Saisonarbeitskräfte geben. Das ist die sogenannte 70‑Tage-Regelung. Ich glaube, das ist ein klares Zeichen an all diejenigen, die Verantwortung tragen und in der Landwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe und anderswo arbeiten, wo wir dringend Saisonarbeitskräfte brauchen, weil es sonst nicht funktionieren würde. Wir wollen ihnen bei dieser Arbeit auch helfen. Deswegen ist diese 70‑Tage-Regelung eine gute Nachricht für viele Wirtschaftszweige in unserem Land. ({2}) Dann wollen wir mit diesem Gesetz dafür sorgen, dass die Mittel der Agentur für Arbeit verstärkt dazu genutzt werden, Fort- und Weiterbildung in unseren Betrieben zu fördern und voranzubringen, und zwar vor allem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die absehbar ist, dass die Digitalisierung eine Veränderung ihres Arbeitsplatzes und ihrer Arbeitswelt mit sich bringen wird. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will es ganz klar und deutlich sagen: Ich halte das Wort „Fleischtöpfe“ zum einen für eine Beleidigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Agentur für Arbeit, die jede Weiterbildungsmaßnahme erst einmal prüfen müssen. ({3}) Was wir hier beschließen, beinhaltet nämlich keinen Rechtsanspruch, sondern eine Ermessensentscheidung. Zum Zweiten ist es eine Beleidigung der Betriebe, ihrer Betriebsräte und ihrer Geschäftsführungen, die sich sehr wohl zu Vereinbarungen verabreden, in denen sie die Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter organisieren. ({4}) Weil wir wissen, dass es gerade für die kleinen und mittleren Betriebe eine wesentlich größere Herausforderung ist – auch finanziell –, diese qualifizierte Fort- und Weiterbildung zu organisieren, als für ein Großunternehmen, machen wir in diesem Gesetzentwurf sehr wohl einen Unterschied: Für die ganz kleinen Unternehmen ist eine Förderung von 100 Prozent möglich, für die ganz großen Unternehmen ist nur eine Förderung von 15 Prozent möglich. Damit wird deutlich: Wir machen ein Gesetz, das differenziert auf die Struktur der Unternehmen in unserem Land reagiert, aber wir wollen, dass in allen Unternehmen qualifizierte Fort- und Weiterbildung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich wird. ({5}) Nun zum Thema Änderungs- und Zusatzanträge. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Teil gibt uns die Rechtsprechung klare Aufgaben. Es hat uns das Bundesverfassungsgericht die klare Aufgabe gegeben, zusätzliche Regelungen beim Tarifeinheitsgesetz vorzunehmen, die klare Aufgabe gegeben, die Hofabgabeklausel in der Landwirtschaft betreffend Leistungen aus der Alterskasse abzuschaffen. Exakt das, was das Bundesverfassungsgericht in sein Urteil geschrieben hat, übernehmen wir in dieses Gesetz. Das ist also nichts Neues, das ist kein Überraschungsangriff, sondern zeigt die Treue des Bundestages zu dem, was uns das Bundesverfassungsgericht als Aufgaben stellt. ({6}) Dass wir auf die Situation bei Ryanair reagieren, finde ich, das tun wir zu Recht, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen. Es kann nicht sein, dass es ausländische Unternehmen gibt, die hier in Deutschland ein dickes, fettes Geschäft machen, die aber offensichtlich nichts von sozialer Marktwirtschaft und von Sozialpartnerschaft verstehen. Deswegen ist es richtig, dass wir ein Gesetz schaffen, in dem klargestellt wird: Wenn es nicht zu tariflichen Vereinbarungen für das fliegende Personal kommt, dann gilt eben Betriebsverfassungsgesetz pur. Wir setzen extra eine Frist bis zum 1. Mai 2019, in der verhandelt werden kann. Wir erwarten Sozialpartnerschaft in allen Betrieben, die in Deutschland aktiv sind. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weiß, Sie müssten bitte den Punkt setzen.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich sehe das. Deswegen wollte ich gerade zu einem netten Schlusswort kommen, indem ich Ihnen allen dringend rate, diesem Gesetz zuzustimmen, weil es eine tolle Botschaft für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger ist und weil es vor allen Dingen die Weiterbildungsidee in Deutschland stärkt und kräftigt. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nun hat tatsächlich der Kollege Johannes Vogel für die FDP das Wort. ({0})

Johannes Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004179, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich inhaltlich auf das Gesetz eingehe, muss ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, schon noch etwas zum Verfahren sagen. Dass Sie Anliegen, die eilig oder nicht umfangreich sind, mal an Gesetze dranhängen, ist normaler parlamentarischer Alltag. Das werfen wir Ihnen nicht vor. Aber die Umsetzung eines Verfassungsgerichtsurteils, wo es um Grundrechte geht – was ja nicht ganz kurzfristig kam, sondern was Sie seit anderthalb Jahren wissen –, hier jetzt so durch das Parlament zu peitschen, ohne zum Beispiel die Betroffenen auch nur seriös anhören zu können, das ist unparlamentarisch, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Das hätten wir als Opposition anders erwartet. Dass wir Stellungnahmen von Experten zu schon fertigen Texten bekommen, bevor Sie das Parlament auch nur informiert haben, dass Sie überhaupt die Absicht haben, noch etwas an das Gesetz zu hängen, geht auch nicht. Es wurde auch nicht dadurch besser, dass Vertreter der Koalition im Ausschuss gesagt haben, sie hätten das als Abgeordnete ja auch erst vier Tage vor der Anhörung erfahren. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wo ist denn Ihr Parlamentarierstolz? ({1}) Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament trägt die Regierung. So sollte niemand mit sich umgehen lassen, egal ob Koalitions- oder Oppositionsabgeordneter, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Aber zur Sache, zum Gesetzentwurf, möchte ich auch zwei Bemerkungen machen: Es ist richtig, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung endlich gesenkt wird. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ginge da nicht noch mehr? Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit hat uns im Ausschuss ja selber bestätigt, dass in den nächsten Jahren für alles Sinnvolle, inklusive der Möglichkeiten für mehr Weiterbildung Beschäftigter, genug Geld da sein wird; auch die Rücklage wird in ausreichender Höhe aufgebaut sein. Trotzdem wird die Bundesagentur für Arbeit in den nächsten Jahren voraussichtlich weitere Überschüsse erwirtschaften. Deshalb wäre es auch richtig, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung kräftiger zu senken. Das können Sie heute tun. ({3}) Sie könnten den Beitragssatz um 0,6 Prozentpunkte senken. Dann würden die Bürger auch wirklich entlastet; denn, lieber Kollege Peter Weiß, eine echte Entlastung ist das heute ja nicht. Sie senken den Arbeitslosenversicherungsbeitrag jetzt weniger stark, als Sie könnten, und um genau dieselbe Höhe haben Sie gestern den Pflegeversicherungsbeitrag erhöht. Das heißt, Sie nehmen aus der linken Tasche wieder heraus, was Sie in die rechte Tasche hineingesteckt haben. Das ist keine Entlastung, vor allem nicht für Geringverdiener. Diese bräuchten wir aber, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({4}) Zum zweiten Thema, zur Weiterbildung. In der Tat muss uns die Digitalisierung der Arbeitswelt keine Sorgen machen. Uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Im Gegenteil: Wir haben faszinierende Chancen für mehr Selbstbestimmung. Aber – da teilen wir das Anliegen – wir müssen jedem und jeder das Versprechen geben, an diesem Wandel auch gut teilhaben zu können. Dabei kann und muss die Bundesagentur für Arbeit in Zukunft eine stärkere Säule bei der Weiterbildung von Beschäftigten sein; das ist richtig. Wir werden aber gemeinsam darauf achten müssen, dass in der Tat nur die Weiterbildungen möglich gemacht werden, die es sonst nicht geben würde, also dass es ohne Mitnahmeeffekte abläuft. Deshalb ist es richtig, dass wir da gemeinsam hinschauen. Und es ist umso wichtiger, dass das mit einer kräftigen Beitragssatzsenkung verbunden wird. Aber auch klar ist, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir können doch nicht bei der Bundesagentur für Arbeit stehen bleiben. Unser Arbeitsmarkt besteht übrigens auch nicht nur aus Angestellten, sondern auch aus Selbstständigen und Freelancern. Weiterbildung wird auch weiterhin in erster Linie eine individuelle Aufgabe sein, bei der jeder selber überlegen muss, wie sein Lebensweg verlaufen soll. Insofern warten wir auf eine echte nationale Weiterbildungsstrategie im digitalen Zeitalter immer noch vergeblich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Denn dazu müssten noch andere Elemente kommen. Die Bundesagentur für Arbeit ist ein Element. Aber was ist zum Beispiel mit Bildungssparen? Was ist mit einem Instrument für Geringverdiener, einer Art Midlife-­BAföG, wie wir es vorgeschlagen haben? Wie schalten wir eigentlich andere Bildungseinrichtungen, die Universitätslandschaft, das ganze Land für dieses Thema frei? Wie schaffen wir also ein echtes zweites Bildungssystem für das ganze Leben? Das muss unser Anspruch sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({6}) Also: Bei der Entlastung brauchen wir mehr Mut, und beim Thema Weiterbildung ist der Gesetzentwurf noch lange nicht der große Wurf, den wir brauchen. Aber auch ein kleiner und zu kurzer Schritt in die richtige Richtung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Deswegen werden wir als konstruktive Opposition diesem Gesetzentwurf zustimmen. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun Sabine Zimmermann das Wort. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Heil! Wann sprechen Sie endlich von den realen Zahlen der Arbeitslosigkeit? Sie tricksen Monat für Monat mit der Statistik: ({0}) Es sind nicht 2,186 Millionen erwerbslose Menschen; es sind nämlich 3,113 Millionen erwerbslose Menschen. Sie vergessen einfach 927 000 Menschen in der Statistik. Ich könnte gar nicht ruhig schlafen, wenn ich Monat für Monat immer die falschen Zahlen angeben würde. Da erkennt man doch deutlich: Am Arbeitsmarkt machen Sie sich die Welt – da schließe ich auch die CDU/CSU mit ein –, wie sie Ihnen gefällt. Und das sollten Sie vielleicht mal ändern. ({1}) Nun zum Gesetz. „Qualifizierungschancengesetz“ ist ja mal wieder ein vielversprechender Name. Aber wenn man richtig hinschaut, stellt man fest, dass es leider an den eigentlichen Problemen vorbeigeht. Erwerbslose Menschen, die sehr motiviert waren, haben mir schon oft berichtet, dass ihre Bemühungen um eine Weiterbildung zurückgewiesen wurden. Das sorgt für Frust und Resignation, meine Damen und Herren. Es muss doch endlich Schluss damit sein, dass der Eindruck erweckt wird, erwerbslose Menschen würden die vielen vermeintlich bestehenden Angebote nicht annehmen. Das ist falsch. Sie wollen sich nämlich weiterqualifizieren. ({2}) Es ist der blanke Hohn, wenn Arbeitsminister Heil zur Nationalen Weiterbildungsstrategie sagt, dass Deutschland noch stärker als bislang zu einem Qualifizierungsland werden müsse, zu einem Land des Lernens. Bildungsministerin Karliczek ergänzt: Fort- und Weiterbildungen müssen für jeden Einzelnen eine Selbstverständlichkeit werden! ({3}) Wenn das so werden soll, dann schaffen Sie endlich einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung! ({4}) Das ist nämlich das, was Erwerbslose und Beschäftigte brauchen. Zudem müssen insbesondere die Jobcenter finanziell deutlich besser ausgestattet werden. Nur so kann sich die Qualität der Förderung verbessern. Statt Menschen in 1‑Euro-Jobs oder in das x‑te Bewerbertrainingsseminar zu stecken und mit Sanktionen zu belegen, muss es darum gehen, gemeinsam und auf freiwilliger Basis Ideen für die berufliche Zukunft eines jeden Einzelnen zu entwickeln. ({5}) Wir können es uns nicht leisten, dass wir 3 Millionen Menschen aufs Abstellgleis schieben. Geben Sie endlich den erwerbslosen Menschen eine echte Chance! Die Finanzlage der Bundesagentur für Arbeit bietet die Möglichkeit, die Arbeitslosenversicherung zu stärken und auszubauen. Aber auch hier verpassen Sie die Chance und beschenken mit der Beitragssatzsenkung lieber die Unternehmen. Beschäftigte mit einem Bruttoverdienst von 2 000 Euro werden gerade mal um 5 Euro im Monat entlastet. Demgegenüber stehen jährlich fast 3 Milliarden Euro Entlastung für die Arbeitgeber. Große Unternehmen können mit sechs- oder siebenstelligen Einsparungen rechnen. Dabei würde es nur 2 Milliarden Euro oder 0,17 Beitragssatzpunkte kosten, den Zugang zur Arbeitslosenversicherung für viele Menschen deutlich zu erleichtern, damit sie eben nicht in Hartz IV fallen. Die Linke fordert: Die Rahmenfrist muss wieder auf 36 Monate rauf. Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld muss es bereits nach vier Monaten geben. Und – meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss –: Die Arbeitslosenversicherung muss wieder zum Hauptinstrument der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit werden. Danke. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn hat für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003888, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da macht die Bundesregierung ein bisschen was richtig, und dann ist es wieder schwierig, dem zuzustimmen. ({0}) – Na ja, das ist mehr als nur ein „Oh“. Ich knüpfe an das an, was der Kollege Johannes Vogel eben gesagt hat. Es soll ja eigentlich um eine Reform der Arbeitslosenversicherung gehen. Dann haben wir aber vor einer Woche, am Donnerstagabend und am Freitagmorgen noch mal, zusätzliche Änderungsanträge bekommen, die mit Arbeitslosenversicherung überhaupt nichts zu tun haben. Es waren zwei Gesetzentwürfe – eigentlich sind es Gesetzentwürfe und keine Änderungsanträge – dabei, bei denen es sich um die Umsetzung von Bundesverfassungsgerichtsurteilen handelt, und zusätzlich ging es noch um eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. Dann hatten wir am Montag die Expertenanhörung. Logischerweise waren das überwiegend Expertinnen und Experten für das Thema Arbeitslosenversicherung. Gerade bei den Gesetzentwürfen, die ich eben genannt habe, vor allem bei dem zur Tarifeinheit, aber auch beim Betriebsverfassungsgesetz, gibt es knifflige juristische Fragen, die nicht geklärt werden konnten. Das ist ein Verfahren, das so nicht geht. So kann die Regierung mit dem Parlament nicht umgehen. Das schadet dem Parlamentarismus. ({1}) Insbesondere beim Tarifeinheitsgesetz haben wir wirklich große Bedenken. Darauf geht meine Kollegin Beate Müller-Gemmeke noch ein. Deswegen haben wir im Ausschuss bei diesem Punkt auch dagegengestimmt. Insgesamt geht dieses Verfahren gar nicht. ({2}) Zum Kern des Gesetzentwurfs zur Reform der Arbeitslosenversicherung. Dazu muss ich leider sagen: Dieses Qualifizierungschancengesetz ist eigentlich ein Verpasste-Chancen-Gesetz; denn vor dem Hintergrund der vor uns liegenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft insgesamt wäre viel mehr notwendig als das, was in dem Gesetzentwurf steht. ({3}) Angesichts der guten ökonomischen Lage und der guten finanziellen Situation der Bundesagentur bei der Arbeitslosenversicherung wäre auch viel mehr möglich. Aber das passiert nicht. Das ist schade, das ist schlecht. ({4}) Wir haben deswegen einen Entschließungsantrag eingebracht. Ich empfehle allen noch einmal, ihn zu lesen. Darin steht, was notwendig wäre und möglich wäre. In der verbleibenden Zeit will ich nur zwei Beispiele nennen. Der erste Punkt ist der Zugang zur Arbeitslosenversicherung. Gestern sind die neuen Zahlen zum Arbeitsmarkt veröffentlicht worden. 1,4 Millionen Menschen sind kurzzeitarbeitslos, also maximal ein Jahr arbeitslos. Nun müsste man denken, die würden alle Arbeitslosengeld I beziehen. Aber weniger als die Hälfte derer bezieht Arbeitslosengeld I; sie rutschen gleich in Hartz IV. Hunderttausende – Hundertausende! – haben Beiträge gezahlt, aber keinen Zugang zu Arbeitslosengeld I. Das müssen wir dringend verändern. ({5}) Arbeitslosengeld I muss wieder Standard sein. Wir Grüne haben einen Vorschlag gemacht, wodurch sich an dieser Stelle signifikant etwas ändern würde. Die Große Koalition macht hier ein kleines bisschen, was aber fast nicht wirkt. Der zweite Punkt ist die Weiterbildung. Dazu stehen in dem Gesetzentwurf durchaus gute Sachen drin; das gestehen wir zu. Aber auch das ist viel zu wenig. Es reicht nicht, ein Recht auf Weiterbildungsberatung zu haben. Wir brauchen ein Recht auf Weiterbildung, und das verknüpft mit einer entsprechenden sozialen Absicherung, damit sich die Menschen das auch leisten können und damit sie selbstbestimmt entscheiden können: Wie will ich mich weiterbilden? Wie will ich mein eigenes Leben gestalten? Das wäre ein großer Schritt gewesen. ({6}) Nun wissen wir auch: Es geht nicht alles auf einmal. Aber man hätte einen Dreiklang machen können: Die zusätzlichen Mittel, die wir für Weiterbildung bereitstellen, hätten doppelt so hoch sein können. Man hätte den Zugang zur Arbeitslosenversicherung so gestalten können, wie wir Grüne das vorschlagen. Und gleichzeitig hätte man die Beiträge um 0,3 Prozentpunkte senken können. ({7}) Das wäre ein großer Schritt gewesen. ({8}) Das wäre auch möglich gewesen. Das haben Sie aber nicht gemacht. Sie machen einen sehr kleinen Schritt; aber der geht immerhin in die richtige Richtung. Deswegen werden wir dem Gesetzentwurf auch zustimmen. ({9}) Was noch notwendig wäre, wäre eine vernünftige Garantiesicherung. Das zugefügt, würde insgesamt ein schönes Paket daraus. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Katja Mast für die SPD-Fraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle wissen: Die Digitalisierung verändert unser Arbeiten, unser Miteinander, ja sogar unser ganzes Leben. Viele fragen sich: Bin ich bei diesem Wandel noch dabei? Kann ich Schritt halten? Habe ich morgen noch Arbeit? Ersetzen mich der Roboter und künstliche Intelligenz? Oder: Wie kann ich den Roboter in Zukunft steuern? Viele Studien zeigen: Uns geht die Arbeit nicht aus, sie wird aber anders. Deshalb sehen wir als SPD in diesen Entwicklungen Risiken und Chancen. Wir wissen, dass Chancen erst dann überwiegen, wenn wir durch kluges Handeln die Risiken minimal halten. ({0}) Das Qualifizierungschancengesetz, dessen Entwurf unser Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil heute einbringt, ist ein gewaltiger Schritt auf diesem Weg. Es bietet Schutz und Chancen im Wandel und geht weit, weit über den Koalitionsvertrag hinaus. ({1}) Wir nehmen mit diesem Entwurf einen dreifachen Perspektivwechsel vor. Der erste Perspektivwechsel ist die Botschaft: Wir wollen nicht, dass du arbeitslos wirst. Wir wollen, dass du gestärkt wirst. Deshalb bekommst du einen Anspruch auf Weiterbildung in Form von Geld und Zeit. – ({2}) Perspektivwechsel zwei ist: Wir geben Orientierung durch eine neutrale Weiterbildungsberatung, die den regionalen Arbeitsmarkt im Blick hat. Und Perspektivwechsel drei: Der Schutz der Arbeitslosenversicherung wird gestärkt. So kommen weniger Menschen in das Hartz‑IV-System. – Mit diesem dreifachen Perspektivwechsel verknüpfen wir in der SPD das Regierungshandeln heute mit dem Gestalten von Morgen. ({3}) Wir wissen: Neue Zeiten brauchen neue Antworten. Heute gilt es, eine neue Verbindung zwischen Arbeit und Sozialstaat herzustellen. Deshalb führen wir eine so engagierte Sozialstaatsdebatte. Auch in dieser Sozialstaatsdebatte gibt es im Kern drei Prinzipien: Erstens. Es gilt, die Menschen gar nicht erst arbeitslos werden zu lassen, ({4}) heute mit diesem Gesetz und morgen mit der Arbeitsversicherung und dem Chancenkonto. Zweitens. Werden sie dennoch arbeitslos, muss der Schutz ausgebaut werden. Wir denken an weitere Erleichterungen beim Zugang zur Arbeitslosenversicherung und wollen, dass derjenige, der sich qualifiziert, länger Arbeitslosengeld bekommt, nämlich Arbeitslosengeld Q. ({5}) Drittens. Die Langzeitarbeitslosigkeit muss beendet werden, und zwar durch ein Recht auf Arbeit. ({6}) Der soziale Arbeitsmarkt, den wir verabschiedet haben, legt die Spur und weist den richtigen Weg. Unser Leitbild ist die solidarische Gesellschaft, in der man sich gegenseitig stützt und Druck von den Schultern nimmt. Wir wollen Solidarität statt Ellenbogen im Wandel. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Sebastian Münzenmaier für die AfD-Fraktion. ({0})

Sebastian Münzenmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004836, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die 70‑Tage-Regelung ermöglicht die kurzfristige sozialversicherungsfreie Beschäftigung und wird sowohl von Arbeitnehmern als auch von Arbeitgebern äußerst positiv bewertet. Insbesondere die Landwirtschaft und auch die Gastronomie haben bereits in der Vergangenheit äußerst erfolgreich von dieser Regelung Gebrauch gemacht und sollen dies auch weiterhin tun dürfen. Dementsprechend begrüßt die AfD-Fraktion den FDP-Antrag. Und als echte Pragmatiker stimmen wir inhaltlich richtigen Anträgen auch zu, wenn sie von anderen Fraktionen kommen, meine Damen und Herren. ({0}) Es freut mich, dass auch die Regierung mittlerweile erkannt hat, dass diese Regelung sinnvoll ist. Schließlich wollten Sie, Minister Heil, noch im Juni 2018 die Regelung auslaufen lassen. Jetzt ist sie schon Teil des Gesetzentwurfs. Aber dass das Kabinett Merkel inhaltlich äußerst flexibel ist, ist ja nichts Neues und in diesem Fall ausnahmsweise zu begrüßen. Die üblichen Gegenargumente von links entbehren wie so oft jeglicher Grundlage. Saisonarbeiter gewinnen eben keinen Vorteil, wenn man sie in die Sozialversicherung zwingt und dadurch den Verdienst mindert. Die erworbenen Rentenansprüche würden nicht einmal für das wöchentliche Überraschungsei reichen. Selbst wenn die Rahmenfrist für ALG I, wie im Qualifizierungschancengesetz vorgesehen, auf 30 Monate erhöht wird, würde kaum ein Saisonarbeiter Anspruch erlangen. Auch im Antrag der Linken, den wir heute debattieren, finden sich durchaus unterstützungswürdige Ansätze, etwa die Verlängerung der Bezugsdauer von ALG I in Verbindung mit der Beitragszeit. Diese Herangehensweise würde das Versicherungsprinzip der Arbeitslosenversicherung stärken und würde von uns voll mitgetragen. Ebenso vernünftig ist die Aufhebung der Ausnahmeregelung zum Mindestlohn für neubeschäftigte Langzeitarbeitslose. Wenn der Mindestlohn der Mindestlohn ist, dann kann er auch nicht für Langzeitarbeitslose gekürzt werden, meine Damen und Herren. Ein besserer Weg wäre hier beispielsweise ein Zuschuss der Bundesagentur zur Einstellung von Langzeitarbeitslosen. So würden wir nicht dem einzelnen Arbeitnehmer schaden. So viel also zu den guten Punkten Ihres Antrages. Der Rest ist leider wieder einmal die übliche arbeitgeberfeindliche und realitätsferne Sozialistensoße, die Sie großzügig über jedes Fünkchen Realität verteilen. ({1}) Sie fordern Arbeitslosengeldansprüche, bevor Probezeiten überhaupt beendet sind. Sie wollen, dass Arbeitgeber für irgendwelche Weiterbildungen zahlen, die dem eigenen Betrieb gar nichts nützen. Sie wollen einen realitätsfernen Kündigungsschutz, den Sie am liebsten in Jahrzehnten ausdrücken würden usw. Am allerbesten aber finde ich ehrlich gesagt Ihren Rechtsanspruch auf Weiterbildung mit anschließendem Kündigungsschutz von mindestens einem Jahr. Stellen wir uns ein praktisches Beispiel vor: Da kommt eine Frau, die noch nie gearbeitet hat und einen Job sucht. Nennen wir sie einmal Andrea Mahles. Diese Frau wird also eingestellt und – oh Schreck – versagt auf ganzer Linie. Jetzt überlegt der Betrieb schon: Wie werden wir diese Frau wieder los? Da kommt Andrea auf die super Idee, sie könne eine Weiterbildung machen – sie hat ja einen Rechtsanspruch – und werde dann ein Jahr lang nicht gekündigt. Also macht sie die Weiterbildung „Genderkompetenz in der beruflichen Praxis“. Als Dank darf Andrea jetzt ein weiteres Jahr nicht gekündigt werden. Da Andrea immer wieder gerne singt, macht sie nächstes Jahr die Weiterbildung „Stimme und Körperhaltung“. Wieder darf sie ein Jahr nicht gekündigt werden. ({2}) Sie wissen es schon: Mit Ihrem komischen Konstrukt sind Kündigungen in Zukunft de facto ausgeschlossen. Wo wir gerade über Anträge realitätsfremder Ideologen sprechen: Auch Ihr Antrag, liebe Grünen, zeigt, dass die bürgerlichen Gesichter von Baerbock und Habeck nichts als bloße Fassade für tiefrote Gedanken sind. ({3}) Sie wollen beispielsweise einer Reduzierung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 0,5 Prozentpunkte widersprechen und verweigern sich damit einer Entlastung der Bürger. Da gilt das klassisch-grüne Prinzip: Je mehr die Bürger geschröpft werden, desto mehr können die Grünen umverteilen. ({4}) Meine Damen und Herren, wir als AfD-Fraktion lehnen Umverteilungsfantasien ab. Wir werden uns auch weiterhin für die Bürger dieses Landes einsetzen, die jeden Morgen aufstehen, arbeiten gehen und Steuern zahlen, damit Ihre Tagträumereien finanziert werden können. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Antje Lezius für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Lezius (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004341, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger auf den Zuschauerrängen! Kommen wir mal wieder zur Sacharbeit zurück! ({0}) Ich möchte Ihnen gerne eine Frage stellen: Was ist der größte Motor für Veränderungen in Ihrer aller Leben? Ich würde sagen, das ist das Lernen. Wir lernen von unseren Eltern, wir lernen in der Schule, im Beruf, in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, und wir lernen auf den Arbeitsplätzen, auch hier im Plenum. Liebe Kollegen und Kolleginnen von der AfD, ich hoffe, Sie auch. ({1}) Weil das Leben nie stillsteht, weil es immer Veränderungen gibt, lernen wir nie aus, wie alt wir auch sein mögen. Manchmal strengt uns das Lernen an, und manchmal erreichen wir unsere Lernziele nicht. Sehr oft aber macht Lernen auch Spaß, weil wir merken, dass wir daran wachsen. Und: Ob gewollt oder nicht, wir kommen nicht darum herum. Unser Leben ist ständig in Veränderung, von der Geburt bis zum hohen Alter, oft auch ohne unser aktives Zutun. Mit der Digitalisierung erleben wir ein Zeitalter großer Veränderungen. In unserer Arbeitswelt sind die Veränderungen so groß, dass wir die unzähligen Lernprozesse bündeln müssen, um hierauf eine Antwort zu geben. Der vorliegende Gesetzentwurf, das Qualifizierungschancengesetz, ist ein erster wichtiger Teil dieser Antwort. Es ist eine Antwort auf die Herausforderungen der Digitalisierung, weil es Möglichkeiten bietet und Anreize schafft, dass wir weiter lernen, Frau Zimmermann, und zwar selbstverantwortlich. Privat, wenn wir mit dem Smartphone videotelefonieren oder online die ersten Weihnachtsgeschenke kaufen, da nehmen wir die Digitalisierung gerne und wie selbstverständlich hin. Wenn unser Arbeitsfeld sich plötzlich verändert, dann kann Digitalisierung ganz anders wirken. Dann herrscht bei vielen von uns Sorge, die Sorge, dass Prozesse automatisiert werden oder wir die Aufgaben nicht meistern können. Dabei gehen wir nicht von weniger Arbeit aus. Nein, ein Blick in die Geschichte zeigt uns, dass neue Technologien immer auch neue Tätigkeiten mit sich bringen, die den Verlust der alten aufwiegen. Was sich aber damals wie heute ändert, das sind die benötigten Qualifikationen. Ein aktuelles Beispiel: der Elektroantrieb. Während ich hier rede, wird in Sachsen eine Autofabrik umgebaut: vom Antrieb mit Verbrennungsmotoren zu Elektroantrieb. Die Beschäftigung aber soll stabil bleiben. 7 700 Arbeiter werden umgeschult. Mehr als 1 000 machen einen Hochvoltführerschein, um die neue Fertigung sicher betreiben zu können. Sie lernen. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt an diesen Überlegungen an. Er unterstützt das Lernen. Arbeitnehmern, die berufliche Tätigkeiten ausüben, die durch Technologien ersetzt werden können oder in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind, wird eine Anpassung und Fortentwicklung ihrer beruflichen Kompetenzen ermöglicht. Gleiches gilt für Arbeitnehmer, die einen Engpassberuf anstreben. Dabei geht es nicht um betriebliche Weiterbildungen; das ist Aufgabe der Unternehmen, hier können und wollen wir nicht eingreifen. Gefördert werden Maßnahmen, die darüber hinausgehen und mit mindestens 160 Stunden auch einen deutlich höheren Umfang haben. Die Förderung ist dabei so gestaffelt, dass Beschäftigte in Kleinstbetrieben und KMUs besonders profitieren. Sie erhalten je nach Betriebsgröße bis zu 100 Prozent Förderung der Weiterbildungskosten und einen bis zu 75 Prozent hohen Zuschuss zum Entgelt. Zeitraum und Ort für die Weiterbildung sind flexibilisiert, damit auch bei vollen Auftragsbüchern und wenig Personal eine Maßnahme leichter ermöglicht werden kann. Wir gehen hiermit einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Der nächste Schritt ist natürlich die Nationale Weiterbildungsstrategie mit dem Ziel, eine neue Weiterbildungskultur in Deutschland zu etablieren. Die Beschäftigten möchte ich auffordern: Bewahren Sie sich Ihre Neugier, erinnern Sie sich an die spannenden Seiten des Lernens, sehen Sie das Positive in Weiterbildung, und nehmen Sie aktiv am Veränderungsprozess Ihrer Arbeitswelt teil. Wenn wir Lernen als Chance begreifen, gestalten wir unsere Arbeitswelt in der Zukunft, eine Arbeitswelt, in der auch im Zeitalter der Digitalisierung Chancen für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer bestehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, in diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzesvorhaben. Vielen Dank. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Till Mansmann das Wort. ({0})

Till Mansmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004815, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Heil, Sie haben uns hier ein Paket vorgelegt, in dem eine Menge Dinge auf einmal geregelt werden. Wie Sie das gemacht haben, das zeigt, lieber Herr Minister, wie Ihr Ministerium – leider – mit dem Parlament umgeht, aber auch, für wie dringlich Sie höchstrichterliche Entscheidungen in diesem Land halten; denn erst auf den allerletzten Drücker setzen Sie zwei Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts endlich um. ({0}) Zunächst zur Tarifautonomie. Das ist ein hohes Gut in unserem Land. Eineinhalb Jahre lang hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht Zeit gegeben, die notwendigen Änderungen am Gesetz vorzunehmen, und Sie legen tatsächlich erst in der vorletzten Sitzungswoche des Jahres eine Lösung vor. Dabei sind es am Ende im Kern nur 34 Wörter, die Sie geändert haben. Dafür haben Sie eineinhalb Jahre gebraucht. ({1}) Das heißt, das Ministerium hat an jedem einzelnen Wort im Schnitt zwei Wochen lang gedrechselt. ({2}) Aber was dabei herausgekommen ist, ist keine juristische Lyrik, sondern wirkt eher ratlos. Beim Zustandekommen von Tarifverträgen sollen die Interessen von Arbeitnehmergruppen ernsthaft und wirksam berücksichtigt werden. Die Interpretation der durchaus etwas ausführlicheren Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts überlassen Sie damit den Gerichten. Sie haben damit ein gutes Gesetz nicht besser, sondern schlicht verfassungsfest gemacht. Aber das ist kein Qualitätsmerkmal, sondern schlicht eine Selbstverständlichkeit. ({3}) Aber vielleicht bleibt den Gerichten ja die Klärung, was gemeint sein könnte, erspart; denn dieses Gesetz zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass alle Beteiligten seine Anwendung meiden wie der Teufel das Weihwasser. Ja, wir hatten uns Sorgen gemacht, dass durch dieses Gesetz das Streikrecht ausgehebelt wird. Das ist nun nicht mehr der Fall, nachdem das Bundesverfassungsgericht ein Machtwort gesprochen hat. Aber genau das macht dieses Gesetz nun endgültig zu einem Walking Dead des Tarifrechts. Zweiter Punkt: die Hofabgabe. Auch hier musste das Bundesverfassungsgericht Sie zum Jagen tragen. Auch hier hat erst externer Druck Bewegung in die Sache gebracht. Dabei ist die Abschaffung der Hofabgabe längst überfällig, worauf mein geschätzter Kollege Christian Sauter in der parlamentarischen Arbeit hier schon mehrfach hingewiesen hat. ({4}) Noch ein drittes, diesmal gutes Detail haben Sie in das Gesetz gepackt: die Entfristung der 70‑Tage-Regelung bei kurzfristiger Beschäftigung. Das betrifft vor allem Saisonarbeitskräfte. Vor dem Sommer haben Sie uns noch erklärt, dass Sie das auf keinen Fall machen wollen, und jetzt machen Sie es doch. Das Beelitzer Königsgemüse ist damit zumindest gerettet oder auch, für meine Heimat gesprochen, der Lampertheimer Spargel. Wir wissen nur nicht genau, warum, weil Sie Widersprüchliches dazu gesagt haben. Aber das macht nichts. Vielleicht war es ja auch unser Druck, der Ihnen da auf die Sprünge geholfen hat. ({5}) Insgesamt ist das alles zwar keine wirklich gute Gesetzesarbeit, und die Art, wie Sie es gemacht haben, ist schon fast ein Skandal; aber da wir uns für viele dieser Regelungen schon lange eingesetzt haben und sie für das Leben der Menschen wichtig sind, stimmt die FDP-Fraktion diesem Gesetzespaket insgesamt nun zu. ({6}) Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Jessica Tatti für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jessica Tatti (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004911, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister Heil! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute kommen vor allem gut Gebildete, unbefristet Beschäftigte in höheren Positionen in den Genuss von Weiterbildungen, die vom Arbeitgeber mitfinanziert werden. Andere hingegen wie Menschen in niedrigen Einkommensgruppen, geringer Qualifizierte oder Leiharbeiter werden von ihren Arbeitgebern weit weniger unterstützt und nehmen dadurch auch weit weniger an Weiterbildungen teil. Abgehängt sind erwerbslose Menschen. Von den erwerbslosen Hartz-IV-Beziehenden wurden im September 2017 nur 1,5 Prozent mit dem Ziel eines Berufsabschlusses gefördert. Nur 3,3 Prozent von ihnen nahmen an einer Fortbildung teil. Diese ohnehin schon jämmerlichen Zahlen sinken seit Jahren weiter. Das ist ein Armutszeugnis für diese Bundesregierung. ({0}) Den Geiz, nur wenige beruflich fortzubilden, können wir uns im Wandel der Arbeitswelt nicht mehr leisten. ({1}) Grundsätzlich stehen die Arbeitgeber in der Pflicht, ihre Belegschaften auf die Digitalisierung vorzubereiten, damit sie eine sichere Zukunft im Betrieb haben. Für benachteiligte Gruppen braucht es mehr als unverbindliche Chancen, sie brauchen Rechtsansprüche. ({2}) Sonst werden weiterhin primär die schon hoch qualifizierten Beschäftigten gefördert, und das ist völlig unzureichend. ({3}) Sie glauben, mit Ihrem Gesetz auf die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbereitet zu sein. Sie glauben, mit Ihrem Gesetz Beschäftigte präventiv vor technologiebedingter Arbeitslosigkeit zu schützen und gleichzeitig Unternehmen ausreichend mit Fachkräften zu versorgen. Sie haben überhaupt nicht verstanden, dass man Arbeitslosigkeit insbesondere dadurch bekämpft, dass man sich um diejenigen kümmert, die bereits arbeitslos sind. ({4}) Ich bin seit 2010 Vorstandsmitglied eines Vereins, der kostenlose und unabhängige Beratung für erwerbslose Menschen anbietet. Ich weiß, dass diese Menschen nur darauf warten, ihr Leben und das ihrer Familien zu verbessern. Deshalb darf es für sie nicht bei der bloßen Beratung bleiben. ({5}) Was nötig ist, sind nachhaltige und sinnvolle Weiterbildungsmaßnahmen, die dann auch tatsächlich gefördert werden. Das wäre der richtige Weg, anstatt Arbeitslose nach dem Prinzip der schnellen Vermittlung in prekäre und mies bezahlte Jobs zu drängen. ({6}) Was diese Menschen endlich brauchen, sind echte Perspektiven durch einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung und auf einen Berufsabschluss. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Sie werden an diesem Gesetz nicht lange Ihre Freude haben. Ich prophezeie, wir werden spätestens in einem Jahr – sofern die Koalition überhaupt so lange durchhält – erneut über dieses Gesetz beraten müssen; denn die Regelungen für Berufstätige und Betriebe sind viel zu eng und zu kleinlich, sie sind für die Erwerbslosen völlig unzureichend und zementieren deren ohnehin schon schwache Position am Arbeitsmarkt. Ihr guter Wille ist bestimmt vorhanden; aber die Umsetzung ist schlecht. Damit geben wir uns nicht zufrieden. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Beate Müller-Gemmeke das Wort. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Heute geht es ja nicht nur um Qualifizierung; dem Gesetz wurden ja in einem unsäglichen Verfahren noch andere Themen angehängt. Erstens. Das Tarifeinheitsgesetz steht verfassungsmäßig auf dünnem Eis. ({0}) – Was regen Sie sich jetzt schon auf? – Deshalb fordert das Bundesverfassungsgericht, dass die Interessen der Beschäftigten der Minderheitsgewerkschaft ernsthaft berücksichtigt werden. Diese Vorgabe wird jetzt schnell mal ins Gesetz geschrieben, ohne Konkretisierung, ohne zu sagen, wie das gehen soll. Damit wird die verfassungsgerechte Umsetzung komplett auf die Gerichte verschoben. Das geht gar nicht! Wenn ein Gesetz so tief in die Koalitionsfreiheit eingreift, dann muss der Gesetzgeber Verantwortung übernehmen. Alles andere ist nicht akzeptabel. ({1}) Ganz grundsätzlich: Nicht Tarifpluralität, sondern Tarifflucht, Ausgliederung, das Aufweichen von Flächentarifverträgen, das sind die Gründe für eine zersplitterte Tariflandschaft. ({2}) Deshalb brauchen wir keine gesetzliche Tarifeinheit, sondern bessere Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt, und deshalb sollten Sie das Gesetz nicht korrigieren, sondern ganz einfach abschaffen. ({3}) Zweites Thema: Wenn sich Unternehmen wie Ryanair unanständig verhalten, wenn sie gewerkschaftsfeindlich Tarifverträge und Betriebsräte verweigern, dann braucht es politische Antworten. Es ist also richtig, dass wir heute die Mitbestimmungsregeln für die Luftverkehrsbranche verändern. Die Beschäftigten bei Ryanair brauchen nicht nur einen Tarifvertrag, sondern auch starke Betriebsräte. Wir unterstützen auch den Änderungsantrag der Linken; ({4}) denn dann könnten die Beschäftigten sofort im neuen Jahr und nicht erst im Mai sich auf dem Weg machen und endlich einen Betriebsrat organisieren. Für diesen Weg wünschen wir im Übrigen den Beschäftigten viel Kraft und vor allem viel Erfolg. Vielen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun Dr. Martin Rosemann das Wort. ({0})

Dr. Martin Rosemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004389, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich komme aus Baden-Württemberg, aus einer Region mit vielen Automobilzulieferern. Es ist doch klar: Wenn sich die Antriebstechniken verändern, dann verändert sich auch die Arbeit dieser Beschäftigten. Zu diesem technologischen und strukturellen Wandel kommt die Digitalisierung als große Herausforderung für unsere Arbeitswelt hinzu. Das Neue durch die Digitalisierung wird sein, dass die Veränderungen, die jeden einzelnen, ganz viele Beschäftigte in Deutschland betreffen, immer schneller werden. Unsere Antwort darauf kann doch nur sein, dass wir die Beschäftigten in diesem Wandel durch Beratung und Qualifizierung unterstützen und damit dafür sorgen, dass Arbeitslosigkeit erst gar nicht entsteht, dass die Beschäftigten in Arbeit bleiben. ({0}) Das, meine Damen und Herren, ist die Sicht der Beschäftigten. Die Anhörung am vergangenen Montag hat noch einmal deutlich gemacht, was die Unternehmenssicht ist. Frau Stienen vom Bundesverband der Personalmanager hat sinngemäß gesagt: Alle reden vom Fachkräftemangel. Alle wollen Fachkräfte. Aber wo kommen sie denn her? – Auch da kann die Antwort doch nur heißen, dass wir in Weiterbildung investieren, und genau das machen wir mit diesem Gesetz. ({1}) Wir öffnen den Zugang zur Weiterbildungsförderung für alle Beschäftigten, unabhängig von Qualifizierung, Alter und Betriebsgröße. Wir haben das im parlamentarischen Verfahren noch verbessert. Ich will auf zwei Punkte hinweisen. Der erste Punkt ist die Stärkung der Sozialpartner. Wenn Vereinbarungen zwischen Betrieben und Gewerkschaften abgeschlossen werden durch Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, dann gibt es einen Aufschlag. Das stärkt die Sozialpartnerschaft in Deutschland. ({2}) Und wir erleichtern noch einmal den Zugang zur Qualifizierungsförderung für Beschäftigte. Wir ermöglichen eine direkte Weiterqualifizierung aus Helferberufen zur Fachkraft. Das ist gerade in der Pflege wichtig, wo wir dringend so viele Fachkräfte brauchen. ({3}) Meine Damen und Herren, wir bauen durch dieses Gesetz aber auch den Schutz der Arbeitslosenversicherung aus; denn flexible Arbeitsformen nehmen zu. Mir ist es besonders wichtig, dass wir es im parlamentarischen Verfahren gemeinsam geschafft haben, dass wir die Sonderregelung für kurzfristig Beschäftigte erweitern, damit mehr Leute, die in Kunst, Kultur, Film und Medien beschäftigt sind, einen besseren Zugang zur Arbeitslosenversicherung bekommen. ({4}) Insgesamt, meine Damen und Herren, entlasten wir mit diesem Gesetz die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler. Und wenn es der FDP bei den Geringverdienern nicht weit genug geht, dann frage ich mich: Wieso haben Sie denn dem Rentenpaket nicht zugestimmt, mit dem wir die Geringverdiener bei den Sozialabgaben gezielt entlasten? ({5}) Da hätten Sie zeigen können, dass sie es ernst meinen. Wir weiten den Schutz der Arbeitslosenversicherung aus und unterstützen die Beschäftigten im Wandel durch Beratung und Qualifizierung. Das ist ein erster Schritt auf dem Weg, die Agentur für Arbeit zu einer Agentur für Arbeit und Qualifizierung zu machen und die Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln. ({6}) Das alles, meine Damen und Herren, folgt unserer Leitidee, in einer solidarischen Gemeinschaft den Sozialstaat als Partner der Beschäftigten im Wandel zu haben, der unterstützt und begleitet und damit Sicherheit und Chancen schafft. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Dr. h. c. Albert Weiler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tribüne und am Fernseher! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mir eines nicht verkneifen: Ich kann das Gejammer und das Schlechtmachen – ich habe das in der letzten Rede schon gesagt – von grün und links nicht mehr hören. Ich hoffe, dass das aufhört. ({0}) Ich hätte fast gesagt: Hausbesetzer, Polizistenprügler, Leute, die Schotter unter den Schienen entfernen und somit andere Menschen in Lebensgefahr bringen, wollen uns hier Recht und Ordnung beibringen, ({1}) stimmen dann aber dem Gesetz zu. Das ist schon eine merkwürdige Rechtsauffassung, die ich selber nicht verinnerlichen kann. ({2}) Nachdem wir vor zwei Sitzungswochen das Gesetz zur sozialen Teilhabe am Arbeitsmarkt verabschiedet haben, beschließen wir heute schon das zweite wichtige Gesetz zur Stärkung unseres Arbeitsmarktes und unseres Sozialsystems. Mit dem Qualifizierungschancengesetz stärken wir rechtzeitig die beruflichen Fähigkeiten bei Menschen, die in ihrem Berufsleben von Digitalisierung und Automatisierung betroffen sind. Herr Rosemann hat es gerade schon erwähnt: Wir stellen jetzt die richtigen Weichen, damit alle Menschen in Deutschland von der Digitalisierung profitieren können und eben keine Angst vor Arbeitsplatzverlust und grundlegenden gesellschaftlichen Veränderungen haben müssen. Eine gute Lage auf dem Arbeitsmarkt ist Grundlage eines solidarischen Sozialsystems. Deshalb tun wir alles, um die Menschen in Deutschland vor dieser Arbeitslosigkeit zu schützen. Wir orientieren uns hierbei auch wie in der Vergangenheit an dem Grundsatz „Fördern und Fordern“. Uns ist es wichtig, die Eigenverantwortung des Einzelnen hervorzuheben. Deshalb unterstützen wir die Fähigkeit der Menschen, durch Arbeit selbstbestimmt für sich und ihre Familien zu sorgen. Das unterscheidet uns von Grünen und Linken, die den Menschen durch eine Abschaffung von Sanktionen Anreize wegnehmen wollen und sie alleine lassen. ({3}) Das Prinzip „Teilhabe durch Arbeit“ wird der Menschenwürde gerecht und ist wesentlicher Ausdruck einer solidarischen Sozialpolitik. Aus diesem Grund lehnen wir auch ein bedingungsloses Grundeinkommen ab, ({4}) wofür uns sogar die AfD lobt. Wir wollen nicht, dass sich jemand auf Kosten anderer ausruht und das gute Sozialsystem für sich ausnutzt. ({5}) Schließlich sind es die Menschen, die täglich zur Arbeit gehen und ehrlich Steuern zahlen, die dafür aufkommen müssen. ({6}) Solidarität, meine Damen und Herren, bedeutet für mich, dass man sich rechtzeitig durch Weiterqualifizierung auf die Veränderungen in der Arbeitswelt vorbereiten muss, um in der Lage zu sein, sich auch in Zukunft durch Arbeit in die Gesellschaft einzubringen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Weiler, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Zimmermann?

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Zimmermann, ich freue mich auf Ihre Bemerkung. ({0})

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Weiler. Sie sprachen davon, dass die Menschen selbstbestimmt entscheiden können. Ich will Sie einmal in die Situation eines Menschen versetzen, der zehn Jahre erwerbslos ist: Er hat damit zu tun, dass er und seine Familie im Monat über die Runden kommen und er überhaupt für ein Essen auf dem Tisch sorgen kann. Auch die alleinerziehende Mutter hat damit zu tun, ihrem Kind ein warmes Essen geben zu können. Was glauben Sie, wie viel Selbstbestimmung da übrig bleibt?

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Zimmermann, vielen Dank für die Frage. Eben genau das ist der Grund, warum wir dieses Gesetz machen. Wir wollen diesen Menschen helfen. ({0}) Wir wollen ihnen andere Menschen an die Seite stellen, die ihnen helfen, die sie begleiten, etwa in der Weiterbildung, in der Förderung, die sie mitnehmen und ihnen auch bei privaten Dingen helfen. ({1}) All das tun wir, um so diesen Menschen zu helfen, wieder in Arbeit zu kommen. Es ist doch wichtig, dass die Menschen in Arbeit kommen; ich glaube, darin sind wir uns einig. Arbeit bedeutet auch, sage ich einmal, eine Höhe an Mut, gesellschaftlich wieder etwas darzustellen. Gerade die Menschen, die lange in Arbeitslosigkeit sind – ich selber bin im Beirat des Jobcenters bei uns –, wollen arbeiten. Man muss den Menschen dabei helfen, wieder in Arbeit zu kommen. Das ist der Weg, nicht das ewige Jammern und Alles-Schlechtmachen; das ist nicht der Weg. ({2}) Wir schaffen durch den Rechtsanspruch auf Weiterbildungsberatung effiziente Rahmenbedingungen und unterstützen jeden Einzelnen dabei, den Anschluss an den Arbeitsmarkt zu halten. Durch die Stärkung der Weiterbildung verhindern wir die Arbeitslosigkeit präventiv, helfen aber auch, wieder in Arbeit zu kommen. Solidarität, meine Damen und Herren, bedeutet für mich aber auch, Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer wirtschaftlich guten Zeit finanziell zu entlasten. Aus diesem Grund ist eine Absenkung von 0,5 Prozentpunkten in der Arbeitslosenversicherung sehr gerechtfertigt. Ausschlaggebend ist vor allem die anhaltende positive wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die für Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Entlastung von insgesamt 2,6 Milliarden Euro jährlich zulässt. Trotzdem sorgen wir für eine gute Rücklage im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit. Damit ist auch diese in der Zukunft finanziell ordentlich abgesichert. Wir entwickeln die Arbeitslosenversicherung zugunsten der Arbeitnehmer weiter. Mit der Ausdehnung der Rahmenfrist um 25 Prozent von zwei Jahren auf 30 Monate gehen wir aus meiner Sicht sinnvoll auf die veränderten Arbeitsbedingungen ein und stärken so den Versicherungsschutz in der Arbeitslosenversicherung. Wir verhindern zugleich eine Mehrbelastung, die durch notwendige Verbesserungen in der Pflege entsteht. Meine Damen und Herren, das Qualifizierungschancengesetz bietet ein umfangreiches Maßnahmenbündel, das die Menschen in Deutschland finanziell entlastet, das aber auch die Veränderungen in der Arbeitswelt unterstützt. Ich bitte Sie im Namen der vielen Menschen, die davon profitieren werden, um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Abgeordnete Bernd Rützel für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Pilotinnen und Flugbegleiter gilt das Betriebsverfassungsgesetz nicht. Sie können keinen Betriebsrat wählen. Das ist Mist. Deshalb ändern wir heute mit diesem Gesetz das Betriebsverfassungsgesetz und sorgen dafür, dass auch die Beschäftigten in der Kabine einen Betriebsrat wählen dürfen. ({0}) Es gibt zwar die Möglichkeit, dass per Tarifvertrag eine Interessensvertretung eingerichtet werden kann. Das hat bisher eigentlich ganz gut funktioniert. Allerdings gibt es manche Billigairlines, die sich weigern, Tarifverträge abzuschließen. Deshalb sind das ja auch Billigflieger, weil nämlich ihre Belegschaft dafür bezahlt, dass wir für 20 Euro nach Mallorca fliegen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Rützel, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Müller-Gemmeke?

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, dass ich die Frage stellen darf. Ich hätte die Frage vorhin lieber Peter Weiß gestellt. Aber leider bin ich nicht mehr drangenommen worden. Wir ändern heute den § 117 Betriebsverfassungsgesetz. Wir Grünen unterstützen das ausdrücklich. Jetzt ist aber meine Frage: Warum wurde ganz zum Schluss, also kurz vor der Ausschusssitzung, das Inkrafttreten dieses Gesetzes vom 1. Januar auf den 1. Mai 2019 geändert? Wie kann es sein, dass dieses Gesetz jetzt nicht ganz so wichtig ist, dass man noch auf die Interessen der Lobbyisten eingeht und den Termin nach hinten schiebt, vor allem, weil es ja so dringend war? Wie gesagt, das Verfahren war nicht so gelungen. Wir hätten noch richtig Zeit gehabt, über diesen Änderungsantrag zu reden, weil das Gesetz erst am 1. Mai 2019 in Kraft tritt. ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben überhaupt keine Zeit, über diesen Änderungsantrag zu reden, weil nämlich die Streikenden und die, die jetzt auf die Straße gegangen sind und sich das nicht mehr gefallen lassen, es verdient haben, einen Betriebsrat zu wählen. ({0}) Es ist immer schlecht, wenn die Politik sich einmischt. Ich wäre froh, wenn wir keinen Mindestlohn gebraucht hätten, und ich wäre froh, wenn wir eine Tarifbindung wie in Österreich, Schweden oder anderswo hätten, wo es ganz hohe Tariflöhne gibt. ({1}) Ich wäre auch froh, wenn wir nicht in Leiharbeit und Werkverträge hätten eingreifen müssen und sie so gehandhabt worden wären, wie es vorgesehen ist, und ich wäre froh, wenn es überall Betriebsräte gäbe. Aber wir sehen: So einfach ist die Welt nicht. Wir sehen, dass es notwendig ist, dass die Politik eingreift. ({2}) Wir wollen eines erreichen: Wir wollen die Möglichkeit geben – dafür sind vier Monate Zeit, von Januar bis Ende April; da kann man Fasching und Ostern feiern –, Tarifverträge abzuschließen; denn Tarifverträge sind immer besser. Wenn das bis zum 1. Mai – das ist der Tag der Arbeit – nicht gelingt, dann gilt das Betriebsverfassungsgesetz. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Rützel, bevor Sie fortfahren, zunächst ein Hinweis in die gesamte Runde: Es ist schön, dass wir hier angeregt miteinander diskutieren und auch Widerspruch hervorgerufen wird. Es ist natürlich schwierig – ich will gerne noch eine Zwischenfrage oder -bemerkung aufrufen –, wenn dadurch Redezeiten zum Schluss verdoppelt und verdreifacht werden. Ich bitte also, wenn jetzt weitere Fragen oder Bemerkungen jeweils zugelassen werden – das gilt auch für den nächsten Tagesordnungspunkt –, sich auch ein wenig an den vereinbarten Zeiten zu orientieren und sich kurzzufassen. Jetzt stelle ich die Frage, ob Sie bereit sind, noch eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Ferschl zur Kenntnis zu nehmen.

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich bitte also um Beachtung meines Hinweises.

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Kollege Rützel, dass Sie die Frage zulassen. Meine Frage bezieht sich auf das Kabinenpersonal. Es hat einen ständig wechselnden Ort der Leistungserbringung aufgrund der Tatsache, dass der Arbeitsplatz im Flugzeug ist. Meine Frage an Sie ist: Können Sie uns heute und hier garantieren, dass die Änderungen des § 117 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz, die Sie vorgeschlagen haben, auch vor den Arbeitsgerichten Bestand haben werden? Zum Hintergrund der Frage: Wir erleben aktuell in den Tarifauseinandersetzungen, was passiert. Ryanair ist nur die Spitze des Eisberges. Wenn die Wahlvorstände erst mal eingesetzt worden sind, ist davon auszugehen, dass die Airlines versuchen, die Mitbestimmung vor den Arbeitsgerichten zu torpedieren, und argumentieren werden, dass es in Deutschland keine verfestigten betrieblichen Strukturen gibt. Deswegen noch mal die Frage an Sie: Können Sie uns zusagen, dass die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen Bestand haben und dass es wirklich eine echte Betriebsratsgarantie ist? ({0})

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ihre Frage hat, wenn ich Sie richtig verstanden habe, zwei Teile. Zum ersten sagten Sie, dass der Arbeitsort im Flugzeug ist. Natürlich sind die Pilotinnen und Piloten und die Flugbegleitenden im Flugzeug unterwegs. Aber sie haben eine Homebase, einen Heimathafen. Sie sind hier beschäftigt und angestellt. Es sind in Deutschland Tausende in diesem Bereich angestellt. Von daher gehe ich schon davon aus, dass da, wo mehr als fünf Beschäftigte – so ist die Regelung im Betriebsverfassungsgesetz – einen Heimathafen, einen Arbeitsplatz bzw. eine Beschäftigung haben, dort auch ihre Vertretung, nämlich ihren Betriebsrat, wählen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage, ob dieses Gesetz verfassungskonform ist: Ja, selbstverständlich, sonst würden wir es nicht vorlegen. ({0}) Das Bundesarbeitsministerium, aber auch das Bundesjustizministerium machen sehr gute Gesetze. Wir haben sie geprüft, sie wurden vorgestellt. Wir haben bereits das Betriebsverfassungsgesetz, und auch das ist nicht verfassungswidrig. Wir machen das jetzt endlich, nach so langer Zeit, auch für die Pilotinnen und Piloten und die Flugbegleitenden. Ja, das ist konform; passt. ({1}) Diese Beschäftigten streiken also zu Recht. Ich bin froh, dass wir da Streikpaten haben. Ich sehe gerade Cansel Kiziltepe, Andreas Rimkus und Arno Klare, und es gibt noch viele andere, die gesagt haben: Wir gehen mit an ihrer Seite; so kann es nicht sein. – Dafür bin ich dankbar. Ich bin auch dankbar, Hubertus Heil, dass Sie vor fünf Wochen nach Frankfurt gefahren sind und mit den Streikenden geredet haben, und ich bin froh, dass ich selber vor fünf Wochen an dieser Stelle darüber reden konnte, was wir alles vorhaben. Dass wir das in dieser kurzen Zeit umgesetzt haben und auf den Weg bringen, ist, glaube ich, etwas richtig Gutes für die Menschen. ({2}) Das, was wir hier machen, ist, finde ich, ein weiterer Meilenstein; denn nicht der billige Jakob sollte gewinnen. Entscheidend ist auch nicht die Flughöhe; entscheidend ist die Augenhöhe, auf der man sich begegnet. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens, und es zeigt sich sehr deutlich, dass dieser Gesetzentwurf die große und breite Zustimmung dieses Hauses erfahren wird. ({0}) Alles, was an Kritik angeführt worden ist, hat sich eher auf Verfahrensfragen beschränkt. ({1}) Aber am Inhalt des Gesetzentwurfs konnte wenig Kritik angeführt werden. ({2}) Das ist auch richtig so. Denn die Qualifizierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verbessern und sie auf die zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten, die die Digitalisierung und die Veränderung der Arbeitswelt mit sich bringen, ist richtig und notwendig und wird auch kräftig untermauert. Aber ich frage mich auch: Wer soll diese Qualifizierung durchführen? Das sind natürlich unsere Handwerkskammern, die IHKs und die Gewerkschaften. Ich betrachte es als Unverschämtheit, Herr Kollege Schneider, wenn Sie diese als „gut vernetzte Beutegemeinschaften“ diffamieren. ({3}) Wenn hier möglicherweise jemand als Beutegemeinschaft zu bezeichnen wäre, dann müsste man vielleicht die undurchsichtigen Finanzierungsströme bei der AfD als Beutegemeinschaft bezeichnen, ({4}) aber wirklich nicht die guten Institute, die uns die gute Weiterbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleisten, verehrte Damen und Herren. Es ist notwendig, die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten – das ist ständige Unionsaufgabe – und den Arbeitslosenversicherungsbeitrag abzusenken. Das ist die Aufgabe der Koalition mit unserem Ministerium an der Spitze. Das ist eine gute Voraussetzung für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Die Verbesserung des Arbeitslosengeldbezuges, eingehend auf veränderte Arbeitswelten, kurzfristige Beschäftigung und dergleichen mehr sind eine hervorragende Sache. Auch die Stärkung der Tarifpartnerschaft ist notwendig. Es wurde heute viel kritisiert wegen der Verfahren und vor allen Dingen wegen der Regelungen bei der Tarifeinheit. Aber es ist auch notwendig, dass der Gesetzgeber sehr schnell und flexibel den Aufforderungen des Bundesverfassungsgerichts nachkommt. Wenn das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Hofabgabeklausel – die Hofabgabe ist ja nicht aus Jux und Tollerei geschaffen worden, sondern um die Strukturveränderungen in der Wirtschaft zu unterstützen und zu gewährleisten – erklärt hat, dass sie unter den neuesten Gegebenheiten auch in der Bewirtschaftung und der Entwicklung in der Landwirtschaft nicht mehr notwendig ist und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist, ist es entscheidend, dass wir als Gesetzgeber sehr schnell handeln und in diesem Fall die Hofabgabeklausel abschaffen. ({5}) Dies wird begleitet von einem weiterhin eigenständigen agrarsozialen System. Die agrarstrukturellen Maßnahmen – federführend ausgearbeitet von der Kollegin Marlene Mortler – werden verbessert. Damit können die Agrarstrukturen weiterentwickelt und das agrarsoziale Sicherungssystem als eigenständiges System gestärkt werden. Weil es damit einhergehend veränderte Zahlungsströme in den vier Bereichen der agrarsozialen Sicherung geben wird, werden diese Zahlungsströme überprüft, was sich im Bundeshaushalt 2020 entsprechend niederschlagen wird. Es kann nicht sein, dass wegen der Abschaffung der Hofabgabeklausel die aktiven Landwirte mit höheren Beiträgen belastet werden. Dafür werden wir einstehen; und dafür werden wir gemeinsam in dieser Koalition sorgen, verehrte Damen und Herren. ({6}) Ich glaube, es ist schon mitentscheidend, dass die 70-Tage-Regelung für die sozialversicherungsfreie Beschäftigung von Saisonarbeitnehmern verstetigt und als Dauergesetzgebung Gültigkeit haben wird. Dies ist für die Obstbaubetriebe oder den Gurkenanbau, der ja in meiner Heimat in besonderer Weise anzutreffen ist, von großer Bedeutung. Auch die Gastwirtschaft in Saisonbereichen muss ausländische Saisonarbeitskräfte anwerben können. Es ist in diesem Fall nicht so, dass sie dann schnellstmöglich irgendwelche Solidaransprüche an das gesetzliche deutsche Solidarsystem anmelden wollen, sondern sie wollen hier im Prinzip gut entlohnt sein; und es soll unbürokratisch erfolgen. Deshalb danke ich dafür, dass wir uns durchringen konnten, die 70-Tage-Regelung zu verstetigen und damit dauerhaft Sicherheit für die Betriebe zu gewährleisten. In diesem Sinne bitte ich Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie dem Gesetzentwurf vorbehaltlos zu. ({7})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Liebe Gäste im Deutschen Bundestag! Die gestrige Debatte hat es gezeigt: Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen, Sie können es verschleiern, Sie können es umetikettieren oder verwässern. Mir klang das gestern so, als es um den Global Compact ging, wie eine Interpretation aus Marrakesch – da passt der Ort dieser Staatenkonferenz auch gut hin –, wie ein Märchen aus Tausend­undeiner Nacht. Den Deutschen soll Sand in die Augen gestreut werden mit einem Pakt, der etwas ganz anderes will als das, was hier gestern von Ihren Fraktionen vorgetragen wurde. ({0}) Der Migrationspakt hat eines zum Ziel, nämlich die weltweite Verschiebung von Menschen aus allen Erdteilen möglich zu machen, ({1}) Migranten als Arbeitskräfte, wie es schon heute in Italien teilweise geschieht, weltweit einsetzbar zu machen. Das ist der Hintergrund. Es ist eine unheilige Allianz der vereinigten Linksfront, inklusive der Grünen und der von der SPD mal so wacker angeführten Heuschrecken, die wir hier vorfinden. Herr Soros hat das in einem Zitat schon 2015 gesagt – ich zitiere „Die Welt“ vom 2. Oktober 2015 –: ({2}) Um auf die Krise reagieren zu können, braucht die EU einen gemeinsamen Plan. Dieser muss eine effektive Methode zur Handhabung der Asylantenströme beinhalten, damit diese auf sichere, geordnete Weise stattfinden können – – die Migrantenströme nämlich – und in einer Geschwindigkeit, die Europas Aufnahmefähigkeit entspricht. Meine Damen und Herren, Herr Soros hat es Ihnen 2015 vorgedacht, und die Bundesregierung als maßgeblicher Initiator dieses Paktes hat es in den letzten Monaten und Jahren umgesetzt. ({3}) Das ist die Wahrheit, das verschweigen Sie dem deutschen Bürger da draußen. Es geht um nichts anderes als darum, billige Arbeitskräfte, die den Mindestlohn bekommen und sozialen Mindeststandards unterliegen, über die Kontinente hinweg nach Europa und anderswo zu verschieben. Da müsste bei Ihnen an sich die Schnappatmung einsetzen. ({4}) Aber das ist der Hintergrund dessen, was wir in diesen Tagen mit dem Gedanken an diesen Pakt erleben. Zeit- und Leiharbeitsagenturen werden – das sage ich Ihnen jetzt schon – international aktiv werden; denn sie haben ein ganz anderes Betätigungsfeld als vorher. Wenn Sie meinen, das stimmt alles nicht, und wenn Sie den deutschen Michel, den Souverän, den Bürger, für mündig halten – ({5}) und das tun Sie ja hoffentlich, wie wir –, dann stimmen Sie uns doch zu, und lassen Sie gerade in so einer wichtigen Frage endlich mal das zu, was die AfD seit Beginn ihrer Parteigründung fordert: Fragen Sie doch das Volk! Machen Sie eine Volksabstimmung über den Global Compact! Dann werden Sie die Antwort der deutschen Bürger akzeptieren müssen. ({6}) Dahinter, so habe ich den Eindruck, versteckt sich das, was der CDU-Vordenker Karl Lamers – die Älteren werden sich noch an ihn erinnern – mal gedacht hat. In einem Interview mit meinem Freund und Kollegen Karl Feldmeyer sagte er: Aufgrund der Erbschuld – wie er das ausdrückte – sollen die Deutschen in einem Hegel’schen Sinne in Europa aufgehen. – Ich habe den Eindruck: Der Horizont hat sich erweitert: In einem Hegel’schen Sinne sollen die Deutschen in der Welt aufgehen. Meine Damen und Herren, wir wollen das nicht. Wir sind davon überzeugt, dass der Souverän, das deutsche Volk, darüber entscheiden muss. ({7}) – Wenn vom deutschen Volk die Rede ist, dann kriegen Sie Schnappatmung; das weiß ich. Da Sie meinen, dass uns das alles nichts anbelangt – es ist ja kein Minister der Bundesregierung heute anwesend, wenn ein solcher Antrag gestellt wird –, ({8}) haben wir die Bundesregierung gefragt, ob sie endlich mal verbindlich zusagen kann – das ist der Hintergrund dieser Aufforderung zur Abgabe einer Protokollerklärung –: Nein, es ist nicht die Absicht der Bundesregierung, diesen Pakt in nationales oder europäisches Recht zu überführen. ({9}) Wir haben zwei Antworten aus dem gleichen Ministerium erhalten: einmal Ja und einmal Nein. – Die Bundesregierung soll endlich klar darauf antworten: ({10}) Wird es eine verbindliche nationale und europäische Regelung geben: Ja oder Nein? Auf diese Antwort bin ich gespannt. Ich sage Ihnen jetzt schon: Sie werden sie nicht hören. Auch da wird sich die Bundesregierung drücken. Wir wollen Sie mit dieser Aufforderung zur Abgabe einer Protokollerklärung stellen. Stimmen Sie ihr zu. Danke schön. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Detlef Seif für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die Weltgemeinschaft nicht ausreichend auf große Fluchtbewegungen vorbereitet ist. Eine humanitäre Katastrophe durch die Unterversorgung der Einrichtungen des UNHCR konnte nur durch die Londoner Geldgeberkonferenz vermieden werden. Es fehlt zurzeit an der erforderlichen internationalen Zusammenarbeit zur Vermeidung, Ordnung und Steuerung der Migration. ({0}) Die Einsicht, dass eine abgestimmte und vernetzte internationale Politik erforderlich ist, hat letztlich 2016 zu der New Yorker Erklärung der Vereinten Nationen geführt, in der man einen Pakt für Flüchtlinge und Migranten auf den Weg gebracht hat. Die Staatengemeinschaft gab den Auftrag, diese bis 2018 zu erarbeiten. Im Juni 2018 haben sich alle UN-Mitgliedstaaten – bis auf die Vereinigten Staaten von Amerika – auf den jetzt vorliegenden Inhalt verständigt. Die feierliche Annahme soll am 10./11. Dezember 2018 in Marrakesch erfolgen. Bereits der Text des Dokuments betont, dass es sich um einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen handelt. Es werden weder Rechte erweitert noch einklagbare Rechte begründet. Es handelt sich vielmehr um politische Erklärungen, insbesondere um die politische Zusage verstärkter internationaler Zusammenarbeit, die dringend erforderlich ist. ({1}) Es geht an dieser Stelle nicht um mehr oder weniger. Die AfD will mit dem vorliegenden Antrag erreichen, dass die Bundesregierung in Marrakesch eine Protokollerklärung abgibt, dass der Globale Migrationspakt unverbindlich ist und unverbindlich bleibt. Schauen Sie mal in Ihren eigenen Antrag. In der Antragsbegründung behaupten Sie, dass dies nach einer Kurzinformation des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages möglich sei, um zu verhindern, dass Völkergewohnheitsrecht entsteht. ({2}) Aber, meine Damen und Herren, das folgt gerade nicht aus der Kurzinformation. Das Gegenteil ist richtig. Der Wissenschaftliche Dienst stellt fest, dass die Bundesregierung einen völkerrechtlich nicht verbindlichen migrationspolitischen Pakt anstrebt und dass dieser auch in der deutschen Rechtsordnung keine rechtliche Bindung erzeugt. Ausdrücklich stellt der Wissenschaftliche Dienst fest, dass die von Ihnen angestrebte Protokollerklärung in der Staatenpraxis eher ungewöhnlich wäre. Aber sie wäre nicht nur ungewöhnlich; sie wäre absurd und widersinnig. ({3}) Ich erkläre Ihnen gerne, woran das liegt: Der Migrationspakt soll angenommen und nicht unterzeichnet werden. Es handelt sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag, sondern um eine einfache Konvention. Deshalb erfolgt auch keine Ratifizierung durch die Parlamente. Nochmals: Ausdrücklich wird im Text festgestellt, dass es sich nicht um einen verbindlichen Kooperationsrahmen handelt. Es wird zudem bekräftigt – das wissen Sie genau –, dass es das souveräne Recht der Staaten ist, die nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen und die Migration in ihrem Hoheitsgebiet selbst zu regeln.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Seif, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Abgeordneten Hampel?

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

An dieser Stelle nicht, danke. Nochmals: Es wird also festgestellt, dass es nicht verbindlich ist, und unser Recht in Deutschland wird es bleiben, die Migrationspolitik selbst zu bestimmen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion – ich glaube, auch die anderen im Hause – legt Wert darauf, dass das auch so bleibt. Das steckt nicht in diesem Pakt. ({0}) Auch die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht ist völlig ausgeschlossen. Ich will einfach mal die Voraussetzungen dafür runterdeklinieren: Es müsste eine langjährige Staatenpraxis existieren, die dann auch noch von der Auffassung getragen wird, dass das Ganze rechtlich verbindlich ist. Es wird in diesen Pakt aber gerade hineingeschrieben: Es ist rechtlich nicht verbindlich. – Woher will man dann eine gegenteilige Auffassung ableiten? Im Übrigen: Das Bundesverfassungsgericht und auch der Internationale Gerichtshof sind eher zurückhaltend bei der Annahme von Völkergewohnheitsrecht. Der AfD-Antrag erinnert an das Mittel der Tautologie. Man muss eben gerade nicht sagen, dass es sich bei einem Schimmel um ein weißes Pferd handelt oder dass ein Kater eine männliche Katze ist. Aber in der Tat nutzt die AfD ihren Antrag als Teil einer schmutzigen Choreografie, mit der bei den Bürgern wahrheitswidrig Ängste und Befürchtungen geschürt werden. ({1}) Herr Hampel, wer könnte eine Choreografie denn besser machen als ein Journalist? Ich hätte erwartet, dass bei dieser schwierigen Rechtsfrage, die eben nicht einfach ist, den ersten Aufschlag ein Jurist der AfD-Fraktion macht. ({2}) Meine Damen und Herren, kurzum: Der Antrag ist so überflüssig wie ein Kropf und deshalb hier und heute abzulehnen. Vielen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie waren noch nicht alle im Saal, als ich schon im Verlauf des vorherigen Tagesordnungspunktes erklärt habe, wie wir hier heute mit Fragen, Bemerkungen und Kurzinterventionen umgehen. Ich werde gleich das Wort zu einer Kurzintervention erteilen, aber wir werden – das gilt auch für die nachfolgenden amtierenden Präsidentinnen und Präsidenten – sehr darauf achten, dass sich Redezeiten nicht verdoppeln und verdreifachen ({0}) für Kolleginnen und Kollegen, die schon das Wort hatten oder die das Wort noch erteilt bekommen. Das heißt auch, dass die Anzahl der Kurzinterventionen und Zwischenfragen auch für die nachfolgenden Tagesordnungspunkte limitiert wird und dass wir hier von unserem Ermessen Gebrauch machen. Gleichwohl hat jetzt zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Hampel das Wort. ({1})

Armin Paulus Hampel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004735, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Seif, Sie haben den Sinn unseres Antrags nicht nur nicht verstanden, ({0}) sondern Sie haben ihn auch gar nicht beantwortet. ({1}) Ich frage mich schon etwas, wenn Sie das so darstellen, als sei das alles völkerrechtlich nicht verbindlich. Jetzt muss ich schon die Karte rausholen; denn alle diese Länder aufzuzählen fällt mir sonst fast schwer: ({2}) Dänemark, Holland, Italien, Österreich, die Schweiz, Schweden, Kroatien, Bulgarien, Ungarn, Tschechien, China, Israel, Japan, Korea, Australien und die furchtbaren Vereinigten Staaten von Amerika wollen diesen Globalen Pakt nicht unterschreiben; Österreich will eine Protokollerklärung abgeben. Aber unsere Frage war ja eine ganz andere, über die Protokollerklärung hinaus, ob nämlich die Bundesregierung bereit ist, verbindlich zu sagen, dass sie diesen Pakt nicht in nationales oder europäisches Recht übernehmen will, so wie wir es einmal aus dem Auswärtigen Amt gehört haben; ein anderes Mal haben wir eine gegenteilige Bekundung gehört. Also, erklären Sie doch mal ganz verbindlich für Ihre Fraktion: Wir wollen das nicht in nationales oder europäisches Recht übernehmen. Danke schön. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Abgeordnete Seif hat die Möglichkeit, zu erwidern, aber andere Abgeordnete aus seiner Fraktion haben stellvertretend diese Möglichkeit nicht. Wenn Sie erwidern möchten, Herr Seif, haben Sie das Wort.

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Herr Kollege Hampel, der Sinn Ihres Antrags ist schon deutlich. Sie wollen Ängste schüren. ({0}) Sie wollen der Bevölkerung falsche Tatsachen als wahr verkaufen, und das ist Ihnen in einem gewissen Umfang auch gelungen. ({1}) Ich bin nun kein Vertreter der Bundesregierung, aber ich kann Ihnen eines sagen. ({2})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Jetzt hat überwiegend der Abgeordnete Seif das Wort.

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin kein Vertreter der Bundesregierung, sondern Mitglied des Parlaments. ({0}) Deshalb kann ich nicht für die Bundesregierung sprechen. ({1}) Ich kann Ihnen aber eines sagen: Der Pakt in seiner Gänze wird mit Sicherheit nicht in dieser Form, wie er vorliegt, eins zu eins in nationales staatliches Recht übertragen, ({2}) weil wir viele Punkte auch schon übererfüllt haben. Wenn es um die Grundsicherung von Migranten geht, dann tun wir etwas, was viel weiter geht als das, was im Pakt steht. ({3}) Wenn es um die Unterstützung der Menschen geht, um die würdevolle Behandlung, ({4}) ist das Sach- und Rechtslage in Deutschland. Da braucht nichts transformiert zu werden. Dann gibt es einige Punkte, da sage ich Ihnen als Unionspolitiker: Da werde ich nie zustimmen. Und ich weiß: Meine Fraktion wird es auch nicht tun. Allein der Geburtsort eines Menschen kann nicht entscheidend sein für die Staatsangehörigkeit. Es geht darum, ob, wer in Deutschland geboren wird, auch deutscher Staatsangehöriger wird. ({5}) – Wenn Sie mir zuhören würden, wäre das schön. Beim Familiennachzug für Arbeitsmigranten besteht bei uns keine Bereitschaft, von dem System, das wir haben, das austariert ist, von den Voraussetzungen, dass man den Unterhalt seiner Familie bestreiten kann, dass man eine Unterbringung hat, dass man gewisse Integrationsleistungen erbringt, abzuweichen. Es gibt da eben Punkte, die politisch von 193 Staaten auf den Weg gebracht wurden; da kann es nicht eins zu eins sein. Das ist der erste Auftakt, der erste Versuch einer international vernetzten Politik. Wenn Sie es nicht begreifen und andere Länder aus Angst zurückziehen und Österreich auch so eine blödsinnige Protokollerklärung abgibt – ich habe das vermeintliche Gutachten gelesen; ich habe nichts Wissenschaftliches erkannt –, dann ist das deren Problem, dann ist das Ihr Problem. Wir tun das, was auch für Deutschland im nationalen Interesse dringend erforderlich ist; denn wenn wir nicht anfangen, eine vernetzte Politik auf den Weg zu bringen, Migration zu begrenzen, zu steuern und zu ordnen, dann werden wir in den nächsten Jahren eventuell eine Riesenmigrationswelle bekommen, auch durch den Bevölkerungszuwachs – ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Seif.

Detlef Seif (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

– ich bin fertig –, die wir nicht mehr werden bearbeiten können. Sie schaden dem Land, und Ihre Einstellung ist an dieser Stelle unnational. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Konstantin Kuhle für die FDP-Fraktion. ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt in der deutschen Bevölkerung einen breiten Konsens, dass es zur Regelung qualifizierter Migration eines Einwanderungsgesetzes bedarf. Es gibt einen breiten Konsens darüber, dass es ungeregelte Zustände wie im Sommer 2015 und in den darauffolgenden Monaten nicht wieder geben darf, dass wir deswegen Verfahren beschleunigen müssen, dass Menschen, die hier ein Bleiberecht haben, schneller integriert werden müssen und dass Menschen, die kein Bleiberecht haben, das Land schneller wieder verlassen müssen. Es gibt einen breiten Konsens in der deutschen Bevölkerung, dass wir nur im europäischen Zusammenwirken eine ordentliche Migrationspolitik hinbekommen, bei der der gemeinsame Schutz der Außengrenze die zwingend notwendige Bedingung für offene Binnengrenzen ist. Darüber gibt es einen breiten Konsens in der Bevölkerung, und – ich bin sicher – es gibt diesen Konsens auch hier im Haus. ({0}) Weil diese Projekte so wichtig sind, werden wir genau beobachten, ob sich die Bundesregierung etwa beim Einwanderungsgesetz jetzt auch an die nötigen Kriterien hält, damit dieses Einwanderungsgesetz eine Befriedungswirkung für die Migrationspolitik entfaltet. Wir können alle diese Projekte miteinander besprechen, ob das die europäische Lösung ist, ob das ein Einwanderungsgesetz ist, ob das die Frage des Grenzschutzes ist – aber alle diese Lösungen stehen in einem internationalen Kontext, und deswegen müssen wir auch an den Ursachen von Migration, an den Fluchtursachen und an den Ursachen der ungeregelten Migration etwas verändern. Dafür ist eine multilaterale Verabredung wie dieser UN-Migrationspakt der richtige Weg, ({1}) weil es immer auch darum gehen muss, den Migrationsdruck auf Deutschland und Europa zu begrenzen. Es gibt nämlich in der Bevölkerung einen breiten Konsens, dass es eine Begrenzung des Migrationsdrucks auf Europa und Deutschland geben muss. Es gibt diesen Konsens auch hier im Haus. Es gibt nur eine Truppe, eine Fraktion, die überhaupt kein Interesse daran hat, dass es zu einer Begrenzung des Migrationsdrucks kommt. Die AfD hat ein vitales Interesse an chaotischer, ungeregelter Migration. ({2}) Sie hat ein vitales Interesse daran, dass der Migrationsdruck auf Deutschland und Europa nicht abnimmt, sondern steigt, weil chaotische Zustände, weil ungeregelte Migration der Nährboden für die Rechtspopulisten und die rechten Hetzer sind. Deswegen sind die gegen den UN-Migrationspakt. ({3}) Schon aus diesem Grund sollten wir hier zusammenwirken, um den Pakt auf den Weg zu bringen. ({4}) Weil das der Nährboden für Rechtspopulisten ist, muss der Migrationsdruck auf Deutschland und die Europäische Union gesenkt statt gesteigert werden. ({5}) Ich will ein Wort zum Völkerrecht sagen, weil hier viele Gedanken zum Völkerrecht geäußert worden sind. Meine Damen und Herren, wir haben gestern Abend bzw. heute Morgen hier im Deutschen Bundestag um 1 Uhr noch einen Antrag der AfD zur Imamausbildung beraten. Der war angedockt bei den Grünen. Dabei handelte es sich um einen nicht verbindlichen Antrag. Den ganzen Tag beschließen Parlamente auf der Welt, beschließen internationale Organisationen rechtlich nicht verbindliche Dinge. Aber so funktioniert Politik. Man fordert sich zum Handeln auf, man schreibt Sachen nieder, und irgendwann verändert sich vielleicht etwas. ({6}) Dafür ist ein Pakt auf der Ebene der Vereinten Nationen ein richtiger Schritt. ({7}) Was hier gemacht wird, ist eine bewusste Verächtlichmachung des Völkerrechts, des Multilateralismus und des Parlamentarismus. Dem dürfen wir nicht auf den Leim gehen, meine Damen und Herren. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Kuhle, einen Moment. Ich habe die Uhr angehalten. Erst einmal prinzipiell: Gestatten Sie Fragen oder Bemerkungen, zum Beispiel des Kollegen Glaser? ({0})

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte gerne im Zusammenhang weiter vortragen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ansonsten gilt – das sage ich gleich geschäftsleitend – das, was ich vorhin zur Limitierung von nachfolgenden Kurzinterventionen gesagt habe; denn wir haben eine Verabredung, was den Verlauf der Debatte betrifft. – Sie haben jetzt weiter das Wort.

Konstantin Kuhle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004796, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Wir hören immer: Wird das Ganze eins zu eins umgesetzt? In ganz vielen Bereichen räumt dieser Pakt Spielräume ein. Wie soll denn ein Spielraum eins zu eins umgesetzt werden? Da können wir selber entscheiden, was wir machen. Wir können selber entscheiden, ob man legale und illegale Migranten in Deutschland unterschiedlich behandelt, ({0}) etwa bei der Bezahlung, etwa bei der Frage der Sozialleistungen. ({1}) Das können wir hier im Deutschen Bundestag entscheiden. Das entscheiden nicht die Vereinten Nationen. Unser souveränes Recht bleibt erhalten. Meine Damen und Herren, diese Protokollerklärung, die jetzt beschlossen werden soll, bewirkt doch am Ende das Gegenteil von dem, was sie eigentlich bewirken soll. ({2}) Denn wenn ich mich von einer rechtlichen Wirkung distanzieren muss, dann erkenne ich sie implizit an. Da schießen Sie sich selber ins Knie und merken es noch nicht einmal, meine Damen und Herren. ({3}) Dass hier erzählt wird, wenn man jetzt diesen UN-Migrationspakt annimmt, würde Völkergewohnheitsrecht daraus werden, ist an Unkenntnis über das Völkerrecht überhaupt nicht zu überbieten. ({4}) Es gibt Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen aus den 1970er-Jahren, die heute noch kein Völkergewohnheitsrecht sind, weil die Staaten anders gehandelt haben, zum Beispiel wie der FDP-Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, der eine Abschiebung durchgeführt hat, die jetzt gerichtlich bestätigt worden ist. ({5}) Solche Abschiebungen scheitern, weil Staaten sich weigern, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen. Solche Abschiebungen scheitern, weil Staaten sich weigern, Passersatzpapiere auszustellen. Bei diesen Pflichten müssen wir diese Staaten packen. Deswegen ist es richtig, diesen Pakt zu unterzeichnen und auf internationaler Ebene Kante zu zeigen gegen solche Staaten, die sich nicht daran beteiligen. ({6}) Insofern lehnen wir diese Protokollerklärung ab. Vielen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wenn die nötige Ordnung hergestellt ist, hat für die SPD-Fraktion die Kollegin Aydan Özoğuz das Wort. ({0})

Aydan Özoğuz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 19. April 2018, also vor sieben Monaten, haben wir in diesem Haus das erste Mal über diesen Globalen Pakt für Migration gesprochen. Eine erste Version, der sogenannte Zero Draft, war bereits im Februar 2018 für die Öffentlichkeit verfügbar, also noch zwei Monate davor. Seit Juli 2018 ist der finale Entwurf, an dem zunächst 190 Staaten über ein Jahr gearbeitet haben, im Original öffentlich zugänglich. Er umfasst gerade einmal 34 Seiten. Wie gestern Außenminister Maas noch einmal berichtete, wurden AfD-Abgeordnete auf Wunsch sogar noch einmal gesondert durch das Außenministerium informiert. ({0}) Neben all dem und über all die Monate strickt die AfD ihr Märchen von einem angeblich heimlichen Pakt weiter. ({1}) Das schmücken Sie in Ihrer Manier auch kräftig aus. ({2}) Sie sprechen von „Umvolkung“, „Siedlungsgebiet Deutschland“, „Staat ohne Grenzen, ohne Budgethoheit“, von einem „versteckten Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“, „Marginalisierung“ und – wie gerade eben wieder – „Verschiebung von Menschen“. Ich finde, Graf Lambsdorff hat es gestern sehr treffend zusammengefasst: Solche Lügen sind doch keine Schlagzeile wert. ({3}) Am Ende des Paktes, in Punkt 53, heißt es explizit: Wir legen allen Mitgliedstaaten nahe, – wir legen den Mitgliedstaaten nahe – so bald wie möglich ambitionierte nationale Strategien zur Umsetzung des Globalen Paktes zu entwickeln. ({4}) Zudem spricht der Pakt von der „freiwilligen Ausarbeitung und Anwendung eines nationalen Umsetzungsplans“. ({5}) Das nennt man eine Absichtserklärung. ({6}) In AfD-Deutsch übersetzt heißt das: „… wird unser schon jetzt arg geschundenes Land bis zur Unkenntlichkeit verändern.“ – Das Einzige, was hier bis zur Unkenntlichkeit verändert werden soll, ist das Ergebnis einer wertvollen Zusammenarbeit so vieler Länder. ({7}) – Na ja, es sind wohl deutlich mehr Länder dafür. Schon das erste Ziel des Paktes wollen Sie mit Ihrem Antrag heute gleich zunichtemachen: Erhebung und Nutzung korrekter und aufgeschlüsselter Daten als Grundlage für eine Politikgestaltung, die auf nachweisbaren Fakten beruht. Die Zielsetzung ist – ich sage es noch einmal –: Erhebung und Nutzung korrekter und aufgeschlüsselter Daten als Grundlage für eine Politikgestaltung. Da können Sie gleich einpacken. Es ist doch klar, warum Sie dagegen sind, dass das angenommen wird. ({8}) Allein für Stimmungsmache stellen Sie heute auch Ihren Antrag; denn es muss für Sie eine Art Schreckens­szenario sein, dass sich eben doch so viele Staaten darauf einigen können, das Thema Migration als ein für alle Seiten wichtiges zu erkennen ({9}) und auch gemeinsam daran arbeiten zu wollen, ({10}) und dass die Erkenntnis Raum greift, dass es eben nicht ausreicht, wenn jeder Staat für sich eine willkürliche Migrationsagenda strickt, sondern dass man im besten Fall weltweit zusammenarbeitet. Dadurch könnte Migration geordnet und von den jeweiligen Bevölkerungen sogar verstanden werden. Außerdem könnten Fluchtgründe bekämpft werden. Was für ein Schreckensszenario für die AfD; denn – da bin ich ganz bei Herrn Kuhle – sie lebt von dieser Debatte. Es ist ja so etwas wie ihre Existenzgrundlage, damit Ängste zu schüren. Deshalb hat diese Partei auch überhaupt kein Interesse daran, Lösungen zu erarbeiten und Transparenz zu schaffen. ({11}) Die inhaltliche Grundlage für diesen Global Compact, über den wir heute sprechen, wurde in der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten vom 19. September 2016 gelegt. In dieser einigten sich damals alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf höchster politischer Ebene darauf, die Herausforderungen globaler Wanderungsbewegungen gemeinsam anzugehen. Diese New Yorker Erklärung wäre auch ohne die Dialoge in den zehn Jahren davor oder das Globale Forum für Migration und Entwicklung im Jahre 2007 wohl nicht zustande gekommen, und darauf wird in der Präambel des Migrationspaktes hingewiesen. Das zeigt, dass die Staaten dieser Welt schon seit längerem ein Bewusstsein für dieses Thema entwickelt haben. Nun steht als Ergebnis am Ende dieses jahrelangen politischen Kraftaktes diese Absichtserklärung der beteiligten Staaten, Migration und Flucht aktiver zu gestalten, zu kontrollieren und sie voraussehbarer zu machen. Im Dezember wird diese Absichtserklärung gemeinsam verabschiedet – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nie zuvor haben sich so viele Staaten gemeinsam an diese schwierige Aufgabe gemacht, die ja auch dadurch so schwer ist, weil das Schicksal der Menschen durch Rechtspopulisten in vielen Ländern immer wieder verdreht wird. Bei allen sehr unterschiedlichen Ansichten hier im Hause muss man sich schon fragen: Was spricht eigentlich dagegen, über mehr Kinderrechte zu sprechen, ({12}) über Frauenrechte zu sprechen, über das zu sprechen, was Menschen bei ihren Wanderungen erleben? Ich habe als Integrationsbeauftragte in all den Jahren so oft erlebt, dass ältere Menschen zu mir gekommen sind und mir ins Ohr geflüstert haben: Wir waren auch mal Flüchtlinge. Wir wissen, was das bedeutet.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Aydan Özoğuz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich erlaube keine Zwischenfrage, vielen Dank. – Bei allen sehr unterschiedlichen Ansichten hier im Hause, gerade bei einem solch emotional aufwühlenden Thema, darf man das Feld, finde ich, nicht denen überlassen, die Lösungen und Zusammenarbeit ganz bewusst torpedieren wollen. Dagegen muss man stehen, und man darf sich diese Debatte auch nicht aus der Hand nehmen lassen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Aydan Özoğuz. – Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nächster Redner: Stefan Liebich für die Fraktion Die Linke. ({0})

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Guten Tag, Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben gestern ungefähr zur gleichen Zeit schon einmal über dieses Thema diskutiert. Die AfD hat trotzdem heute, Freitagvormittag, das Thema noch mal auf die Tagesordnung gesetzt und, um den Vogel abzuschießen, heute Nachmittag noch einmal eine Aktuelle Stunde zum gleichen Thema beantragt. ({0}) Ich bin jetzt seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe es noch nicht erlebt, dass unsere wertvolle Debattenzeit dadurch verschwendet wird, dass wir dreimal über das gleiche Thema reden. ({1}) Ich habe heute früh ein Hetzblatt gefunden. In diesem Hetzblatt stehen interessante Sachen, zum Beispiel: Der Pakt wurde bislang am Bundestag vorbei und unter gezieltem Ausschluss der Öffentlichkeit ausgearbeitet. ({2}) Das ist doch absurd. Außerdem steht hier drin – jetzt wird es interessant; ich würde Sie da mal bitten, gut zuzuhören –: Der Bundestag muss sich intensiv mit dem Werk auseinandersetzen, Sachverständige hören … Dazu erzähle ich Ihnen jetzt mal eine Geschichte. Im Mai dieses Jahres haben wir eine Einladung von den Vereinten Nationen erhalten, auch Herr Hampel. Wir wurden eingeladen, nach New York zu fahren, um uns im Rahmen einer Interessenträgeranhörung mit diesem Pakt zu befassen und unsere Meinung einzubringen. Dass Herr Hampel keine Lust hatte, dahin zu fahren – geschenkt. Aber Herr Bystron, der Obmann im Auswärtigen Ausschuss, hat sogar den Dienstreiseantrag unserer Kollegin Sevim Dağdelen abgelehnt, ({3}) und zwar mit folgender Begründung – ich trage das mal vor –: Bei der beantragten Reise nach New York handelt es sich um ein Thema „Global Impact on Migration“. Ich sehe keinen Nutzen für den Auswärtigen Ausschuss in dieser Reise. Dies betrifft gerade die Interessenträgeranhörung. ({4}) Sie von der AfD haben damals die Relevanz des Abkommens überhaupt nicht verstanden. Sie wollten sogar verhindern, dass Abgeordnete aus Deutschland ihre Meinung dazu einbringen. Aber jetzt, ein halbes Jahr später, haben Sie eine große Klappe. ({5}) Sie hätten vielleicht selber hinfahren sollen. Sie hätten doch hinfahren können. Sie hätten dort Ihre Meinung sagen können. Das alles haben Sie nicht gemacht. Jetzt aber weinen Sie folgenlos über das Ergebnis. So ist das eben, wenn man nur bis zum nationalen Gartenzaun denkt. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Liebich, Zwischenfrage?

Stefan Liebich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004093, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein. – Wir reden in dieser Woche also dreimal über das gleiche Thema. Mindestlohn, Rente, Abrüstung – das alles interessiert Sie nicht. Sie haben kein anderes Thema. Sie sind besessen vom Kampf gegen Zuwanderung. Sie sind besessen von Ihrer Ausländerfeindlichkeit, ({0}) und Sie nutzen ohne Scham jedes Mittel, um Angst und Hass zu schüren. Sie drehen dabei die Fakten so, wie es Ihnen gerade passt; das hat Herr Hampel hier gerade bewiesen. ({1}) Übrigens: Es gab schon immer Migration. Es gibt heute Migration, und es wird auch immer Migration geben. Ich glaube gar nicht, dass es unsere Aufgabe als Politiker oder Staat ist, das zu fördern, zu behindern oder gar zu verhindern. Im Übrigen war Deutschland gar nicht immer das Zielland. Aktuell steigen gerade die Zahlen der Auswanderer aus Deutschland. ({2}) Es gibt sogar Fernsehshows darüber. Jetzt sage ich Ihnen, den angeblichen Vertretern des deutschen Volkes, mal was zum Thema „Verschiebung von Migrantenströmen“. Zwischen 1820 und 1930 haben 6 Millionen Menschen Deutschland verlassen, meist aus denselben Gründen wie diejenigen, die Sie heute als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen, ({3}) und zwar in Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika. Falls Sie denken, dass Migration damals einfach war, dann haben Sie sich geschnitten. ({4}) Ich will mal einen gewissen Benjamin Franklin zitieren. Der sagte damals: Nur wenige ihrer Kinder … lernen Englisch. Sie importieren viele Bücher aus Deutschland … Zwei (von sechs Verlagshäusern) gehören vollständig den Deutschen … Die Schilder in unseren Straßen sind in beiden Sprachen gehalten, manchmal sogar nur in Deutsch … ({5}) Bald werden sie uns zahlenmäßig überlegen sein, sodass all die Vorteile, die wir haben … nicht ausreichen werden, um unsere Sprache zu erhalten. Auch unsere Regierung gerät dadurch ins Wanken. Kommt Ihnen das bekannt vor? ({6}) Zum Glück haben wir jetzt, ein paar Jahrhunderte später, dazugelernt. Globale Themen müssen eben global behandelt werden. Das ist keine besonders überraschende Erkenntnis. Das haben hier eigentlich alle – außer Ihnen natürlich – verstanden. ({7}) Nun ist das Dokument, das in Marrakesch verabschiedet wird, kein linkes Dokument. Wir haben daran Kritik, und ja, wir haben uns darüber gestritten. So wie wir als Linke sind, machen wir das schön öffentlich und transparent. ({8}) Aber ich finde das auch gut. Man darf sich über dieses Thema streiten, weil mir ganz viele Sachen in diesem Abkommen fehlen. Was wird denn über erzwungene Migration gesagt, über die Ursachen für erzwungene Migration, über Rüstungsexporte, die Kriege befördern? Was wird dazu gesagt? Da wurde zum Beispiel die Formulierung aufgenommen, dass man das Grenzmanagement verbessern will, was de facto bedeutet, man will Frontex und Ähnliches hochrüsten. Das alles finden wir tatsächlich falsch. ({9}) Aber auf der anderen Seite ist es doch gut und richtig, dass man sich darauf verständigt, wie Menschen in ihren Herkunfts-, in ihren Transit- und in ihren Zielländern behandelt werden, dass es einen Schutz vor Entrechtung, vor Ausbeutung und vor unmenschlicher Behandlung gibt. ({10}) Darum geht es im Global Compact for Migration. Das ist doch gut, das ist richtig. Wir wollen Menschenhandel und Sklaverei ächten. Wer kann denn etwas dagegen haben? Das ist doch sinnvoll. ({11}) Auch zu sagen, wir müssen gleiche Arbeitsbedingungen für Migranten vor Ort haben, ist doch eine richtige Entscheidung. Das ist doch sinnvoll, damit es kein Lohndumping gibt. Das brauchen wir doch. ({12}) Also in der Abwägung sagt unsere Partei: Die Bundesregierung soll den Pakt unterstützen. Ich möchte die AfD auffordern, uns mit ihren unsinnigen Verschwörungstheorien von angeblichen Umvolkungsplänen hier im Bundestag zu verschonen. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Stefan Liebich. – Nächste Rednerin: Filiz Polat für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Filiz Polat (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004857, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Liebich hat es gesagt: Migration ist so alt wie die Menschheit. Die Frage, wie Migration – ich möchte noch mal betonen: wir sprechen beim Global Compact for Migration von Migration zu Erwerbszwecken, meine Damen und Herren – organisiert, geregelt und auch ermöglicht wird, stellte sich in der Vergangenheit und wird sich auch in Zukunft stellen. Genau hier setzt der UN-Migrationspakt an: lösungsorientiert und realitätsnah. Denn Migration ist ein Fakt und lässt sich nicht wegschreien, auch nicht vom rechten Rand, meine Damen und Herren. ({0}) Der Migrationspakt ist kein Angriff auf nationale Souveränität, sondern er wahrt nationale Souveränität. Der Migrationspakt schafft nicht mehr Migration, sondern er setzt – das ist uns besonders wichtig – globale Standards, unverbindlich, um vor allem Arbeitsmigrantinnen und -migranten vor Ausbeutung zu schützen. Der Migrationspakt will nicht alle Menschen nach Deutschland holen, er gibt vielmehr Leitlinien für die Steuerung von Migrationsbewegungen vor – nicht mehr und nicht weniger. Mit dem Migrationspakt wird ein Kooperationsrahmen auf UN-Ebene geschaffen, der die unterschiedlichen Interessen von Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten vereint. Dabei sollen alle Interessen beachtet werden: die der Staaten, aber eben an aller erster Stelle die der Menschen. Inhaltlich setzt der Pakt Standards zum Schutz des Lebens, der Lebens- und Arbeitsbedingungen, für die Bekämpfung von Menschenhandel, von Ausbeutung und Diskriminierung der Migrantinnen und Migranten. Das ist dringend notwendig – ({1}) nicht nur in Katar, nicht nur in Bangladesch oder Spanien, meine Damen und Herren, nein, auch hier in Deutschland. Lassen Sie mich das noch einmal an einigen Beispielen verdeutlichen. Die vielbeschworenen innovativen Köpfe in Wissenschat und Wirtschaft arbeiten über nationale Grenzen hinweg. ({2}) Wo, Herr Hampel, ist die Lösung für die Wissenschaftlerin, die Rentenansprüche in fünf verschiedenen Ländern erworben hat? Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wo das Schnitzel herkommt, Herr Hampel, das Sie hier in der Kantine essen? Ich kann es Ihnen sagen – ich komme auch aus Niedersachsen –: In den Schlachthöfen in Niedersachsen arbeiten zahllose bulgarische oder rumänische Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die dafür sorgen, dass Ihr Essen auf Ihrem Teller landet. ({3}) Haben sie keine fairen Löhne verdient, sollten sie nicht menschenwürdig untergebracht werden, meine Damen und Herren? ({4}) Wer arbeitet hinter den Kulissen in den Küchen der Restaurants, in denen wir unseren Feierabend genießen? Wer pflegt, Herr Hampel, Eltern und Großeltern – Ihre leben wahrscheinlich nicht mehr – in ihrem Zuhause, damit sie in Würde und selbstbestimmt alt werden können? Wem gehören die vielen Hände auf den Baustellen, die es braucht, um den Wohnungsbau in Deutschland voranzutreiben? ({5}) All diese Menschen sind wesentlich an dem Wohlstand und Wohlergehen unserer Gesellschaft beteiligt; ohne ihren Einsatz würde es uns nicht so gut gehen. ({6}) Deswegen ist es doch selbstverständlich, dass wir ihnen mit Respekt begegnen und den gleichen Schutz und die gleichen Rechte zugestehen – Herr Liebich hat es gesagt –, die beispielsweise Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland haben. ({7}) Ist es gerecht, dass die Anzeige von menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zum Verlust des Aufenthaltstitels führen kann? Wie kann es sein, dass Betroffene von Menschenhandel, wenn sie den Mut beweisen, gegen ihren Peiniger rechtlich vorzugehen, keinen Schutz in Deutschland erhalten? Ist es gerecht, dass zahllose Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe – Herr Gauland, Sie haben das Zitat selber gebracht – oder ihres Namens keine Wohnung finden? Haben sie keine Wohnung in Deutschland verdient, meine Damen und Herren? Das sind die wahren Probleme, denen wir uns stellen müssen, auch in Deutschland. Und der Migrationspakt bietet Leitlinien, wie wir diese Probleme anpacken können. Natürlich ist der weltweite Fortschritt wichtig, und wir müssen diesen gemeinsam vorantreiben. Dabei dürfen wir die Herausforderungen vor unserer eigenen Haustür nicht kleinreden. Es gibt viel zu tun. ({8}) Nach all den Diskussionen in der Öffentlichkeit, auch hier im Plenum, über diesen Migrationspakt: Bisher kommt die Perspektive der Migrantinnen und Migranten nicht vor. Das ist das größte Problem in dieser Debatte. ({9}) Statt die Vereinten Nationen und den Multilateralismus durch juristische Feinheiten bis hin zu Verschwörungstheorien infrage zu stellen, müssen, meine Damen und Herren, die Menschen der Kern unserer Debatte sein. Das ist unser Auftrag als Bundestagsabgeordnete. ({10}) Wir lehnen mit Überzeugung die Anträge der AfD ab. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Filiz Polat. – Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion: Thorsten Frei. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde genommen kann ich mich den bisherigen Wortmeldungen der allermeisten Vorredner anschließen. ({0}) Es ist doch in der Tat so, dass wir alle, auch in unseren Wahlkreisen, in den vergangenen Wochen und Monaten sehr intensiv mit diesem Thema befasst worden sind. Da spüren wir natürlich schon, dass es die Menschen umtreibt, dass sie Fragen haben, dass sie teilweise auch berechtigte Fragen haben, aber in ganz vielen Fällen eben auch Fake News aufsitzen. Das muss man auch in aller Deutlichkeit sagen: Den Menschen Sand in die Augen zu streuen, ({1}) ist nicht das Richtige. Vielmehr geht es darum, ein ernstes Thema ernsthaft zu diskutieren und nach guten Lösungen zu suchen. ({2}) Und in diesem Zusammenhang ist auch der Antrag der AfD am heutigen Tag zu sehen. Es tut mir fast körperlich weh, Herrn Liebich zustimmen zu müssen ({3}) – das ist wahrscheinlich auch das erste Mal, dass ich das tue –; aber in der Tat ist es richtig: Dass wir in einer Woche das gleiche Thema in drei Debatten diskutieren, führt nicht zu besseren Ergebnissen, sondern führt nur dazu, dass ein Thema perpetuiert wird, von dem man glaubt, dass man parteipolitischen Nutzen daraus ziehen kann. ({4}) Das ist nicht souverän, und das ist auch keine verantwortungsvolle Politik für unser Land. ({5})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Frei, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Sichert?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Martin Sichert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004892, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Frei, nehmen Sie zur Kenntnis, dass sich die Aktuelle Stunde nachher nicht um den Globalen Pakt für Migration, sondern um den Globalen Pakt für Flüchtlinge dreht, ({0}) der nämlich auch noch in Marrakesch verabschiedet werden soll, wo ganz klar von Resettlement-Programmen, also Neuansiedlungsprogrammen, die Rede ist, und bei dem das Thema Flüchtlinge separiert vom Thema Migration behandelt wird? Wir haben also zweimal das Thema Globaler Pakt für Migration und einmal das Thema Globaler Pakt für Flüchtlinge, über den leider in der Öffentlichkeit viel zu wenig gesprochen wurde, der aber Thema der Aktuellen Stunde nachher ist. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es sich eben nicht dreimal um das gleiche Thema dreht? ({1})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also, Herr Kollege, natürlich lese ich Ihre Anträge, auch Ihre Anträge zu Aktuellen Stunden. Ich will Ihnen eines sagen: Das sind zwei unterschiedliche Dinge – da haben Sie recht –, die aber miteinander in Verbindung stehen. Warum ist bisher weniger über den Global Compact on Refugees diskutiert worden? Vielleicht einfach deshalb, weil er vom Hochkommissar vorgelegt worden ist, weil er abgestimmt wurde – anders als der Global Compact for Migration –, und zwar mit 176:1, und schließlich, weil darüber nicht in Marrakesch abgestimmt wird, sondern zu einem späteren Zeitpunkt. Es sind zwei unterschiedliche Dinge, ({0}) die aber thematisch natürlich zusammengehören. Und deshalb hätte man das sehr wohl in einer Debatte machen können. Argumente auszutauschen, ist immer richtig, dafür stehe ich auch ein; aber man kann auch konzentriert in einer Debatte die Dinge, die zusammengehören, diskutieren. ({1}) Ich will noch zwei Bemerkungen zu Ihrem Antrag machen, den sie jetzt gestellt haben. Das eine ist bereits von meinem Vorredner Detlef Seif gesagt worden: Es macht natürlich überhaupt keinen Sinn, eine Protokollerklärung machen zu wollen, wenn bereits in der Präambel des Global Compact drinsteht, dass er rechtlich nicht bindend ist, dass die souveränen Rechte der Nationalstaaten nicht angegriffen werden. ({2}) Dann braucht man eine Protokollerklärung eben nicht; denn schon damit hat man die höchste rechtliche Wirkung. ({3}) Im Übrigen habe ich hier im Deutschen Bundestag auch keinen Redner gehört, der dies infrage gestellt hätte. Das Zweite, was Sie beantragen – der „permanent objector“ bzw. „persistent objector“ –, ist ein Rechtsinstitut, das, wenn man es überhaupt so nennen darf, in der Fachliteratur höchst umstritten ist. Und es gibt, noch wichtiger, keinen einzigen praktischen Fall, wo es je angewendet oder zum Erfolg geführt hätte. ({4}) Insofern ist auch das ein Popanz und hat nichts mit Realpolitik zu tun. ({5}) Ich will Ihnen in wenigen Spiegelstrichen noch sagen, warum wir aus voller Überzeugung der Auffassung sind, dass dieser Weg der richtige ist. Weil wir mit 3,3 Prozent der Weltbevölkerung, die als Migranten unterwegs sind, ein globales Problem haben, und wir dafür auch eine globale Lösung brauchen. Die globale Lösung reicht nicht aus, das ist richtig. Natürlich müssen wir auf nationalstaatlicher Ebene das Notwendige tun. Vieles haben wir gemacht; vieles ist noch zu tun, etwa wenn es darum geht, im Bereich der Rückführungen deutlich besser zu werden und dafür die gesetzlichen Voraussetzungen nachzuschärfen. Wir müssen auch auf europäischer Ebene besser werden, wenn es um einen gemeinsamen und effektiven Außengrenzschutz geht. Es ist richtig: Es ist am schwierigsten, auf internationaler, auf globaler Ebene zu Lösungen zu kommen, weil dort natürlich auch die Interessen weit auseinandergehen. Das ist der Grund, warum wir hier kein rechtlich verbindliches Regelwerk haben, sondern einen Kooperationsrahmen, der im Übrigen erstmals ein gemeinsames Verständnis dafür definiert, dass irreguläre, illegale Migration unterbunden werden muss, und der letztlich auch besagt, dass das etwas ist, was die internationale Staatengemeinschaft gemeinsam angeht.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Frei, erlauben Sie Zwischenfrage oder -bemerkung von Frau von Storch?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie es erlauben.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das müssen Sie entscheiden, nicht ich. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Also von mir aus gerne. Sie hatten ja vorhin daraufhin gewiesen, dass Sie auf die Länge der Debatte achten.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Dann sagen Sie Ja oder Nein. Das liegt jetzt an Ihnen. ({0})

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte. Ich habe nichts dagegen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau von Storch.

Beatrix Storch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004905, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Zur Klarstellung vielleicht noch eine Frage: Sie sagen, die Migration insgesamt werde nicht zunehmen, sie würde auch nicht zunehmen; da müssten wir uns keine Sorgen machen. Gleichzeitig steht aber in dem Pakt drin – ich zitiere Punkt 8 –: Wir anerkennen, dass Migration eine Quelle von Wohlstand, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung in unserer globalisierten Welt ist. Müsste unter dem Gedanken nicht mehr Migration besser sein, da sie mehr Wohlstand, mehr Innovation bringt? Müssten Sie uns nicht sagen: „Wir brauchen mehr Migration, und wir wollen auch mehr Migration“?

Thorsten Frei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004276, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin von Storch, ich glaube, die Dinge muss man ganz klar auseinanderhalten. ({0}) Wir werden beispielsweise noch in diesem Jahr – im parlamentarischen Betrieb wird das Anfang nächsten Jahres sein – ein Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg bringen, ({1}) weil wir wissen, dass wir das Wirtschaftswachstumspotenzial in Deutschland derzeit nicht heben können, da wir nicht genügend Facharbeitskräfte haben. ({2}) Insofern ist es vollkommen richtig: Ja, wir brauchen mehr Migration in den Arbeitsmarkt. Wir brauchen keine Migration in die sozialen Transfersysteme. Es geht deshalb darum, zu ordnen, zu steuern und dafür zu sorgen, dass die Migration in Deutschland und nach Deutschland stattfindet, die unsere Gesellschaft auch tatsächlich weiterbringt. Das ist auseinanderzuhalten, und dazu stehen wir. ({3}) Lassen Sie mich zuletzt noch mit einer Mär aufräumen. Es wird ja immer wieder darüber diskutiert, dass andere Staaten nicht mitmachen beim Global Compact, dass sie sich verabschiedet hätten. Da fallen mir die USA ein, da fällt mir Russland ein, da fällt mir China ein. ({4}) Das sind die Staaten, die nichts von Multilateralismus und einer Staatenordnung in der Welt, die geordnet ist, wissen wollen. Zur Schweiz, die Sie ja beispielsweise auch noch anführen, lassen Sie mich ganz zum Schluss noch sagen: Es spricht sehr viel dafür, dass die Schweiz am Ende bei diesem Global Compact mitmachen wird. ({5}) Dort wird es eine parlamentarische Befassung geben. Das Schweizer Parlament tagt in vier Sessionen im Jahr; das schaffen die nicht mehr bis zum 10. Dezember 2018. Danach wird die Abstimmung dort stattfinden. Ich bin davon überzeugt, dass die Schweiz dabei sein wird, weil auch der Schweizer Bundesrat, die Regierung dort, diesem Pakt zustimmt, weil sie der Auffassung ist, dass es eine gute Lösung ist, eine internationale Antwort auf globale Herausforderungen zu geben. Herzlichen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thorsten Frei. – Nächster Redner: Martin Hebner für die AfD-Fraktion. ({0})

Martin Hebner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004740, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Silvester 2015/2016: Wir alle erinnern uns noch an die Übergriffe und Verbrechen der Gäste von Merkel ({0}) auf der Kölner Domplatte, aber auch woanders. ({1}) Wir erinnern uns auch an die lange Zeitdauer, bis darüber in den Medien berichtet wurde. Die Berichterstattung der Medien begann erst durch den Druck der sozialen Medien. Sprich: Das Fernsehen war durch die sozialen Medien so unter Druck gekommen, dass dann plötzlich, ein paar Tage später, die Berichte explosionsartig erfolgten. ({2}) Analog verhält es sich auch mit dem Globalen Pakt für Migration. Über den Migrationspakt wurde lange nicht berichtet. Es ist den sozialen Medien und vor allem der AfD zu verdanken, ({3}) dass hier die Berichte und Behandlung überhaupt erfolgten. ({4}) Frau Özoğuz, Sie haben gesagt, am 19. April 2018 wurde dieses Thema im Bundestag debattiert. Ja, aber nur auf Antrag der AfD, und im Falle des 8. November 2018 auch nur auf Antrag der AfD. ({5}) Dass die parlamentarische Aufgabe, sich hier damit zu befassen, erfüllt wurde, ist nur der AfD zu verdanken. ({6}) Dass Herr Maas gestern an dieser Stelle sagte, er habe die Öffentlichkeit über den Migrationspakt informiert, ist vergleichbar mit einem Trickbetrüger, der bei seiner Verhaftung sagt, er habe so viele Spuren hinterlassen, dass man ihn erwischen musste. ({7}) Es ist in dem Falle schlicht und ergreifend ein Problem, was Herr Maas da gesagt hat. Er hat gestern auch noch erwähnt, er habe eine Einladung an einen AfD-Abgeordneten ausgesprochen. Meine Damen und Herren, er hat damit in dem Falle meine Recherche als sein Verdienst dargestellt. ({8}) Meine Damen und Herren, ich habe beim Auswärtigen Amt nachgefragt und um einen Termin gebeten, a) bei der Politischen Abteilung und b) bei der Rechtsabteilung. ({9}) Wir haben bei diesen Terminen genau festgestellt, wie wackelig die Positionen des Auswärtigen Amts sind. Im Übrigen, meine Damen und Herren von der Union, Sie haben es dann auch festgestellt. Deswegen Ihr Antrag, den Sie gestern eingebracht haben, der die Position etwas mildern sollte – mildern, aber nicht wirklich beheben. ({10}) Herr Maas hatte außerdem gesagt, dass dieser Termin keinen Erfolg gehabt habe. Oh doch, er hatte großen Erfolg. Wir haben in dem Falle das, was wir dort erkannt haben, wiederum in die Medien reingebracht, und – Sie sehen es ja – die Berichterstattung ist entsprechend. Das Thema interessiert die Bevölkerung. Das hat Sie nicht interessiert, aber der Bevölkerung liegt das in dem Fall definitiv am Herzen. ({11}) Schauen Sie sich die vielen Berichterstattungen und die Zahl der Petitionen, die jetzt eingegangen sind, und die Zahl der Mitzeichner an. Wenn Sie allein das zugrunde legen, dann sehen Sie, was hier passiert. Die fehlende Kommunikation bei diesem Pakt vonseiten der Bundesregierung, des Auswärtigen Amts, durch Herrn Maas, der jetzt nicht da ist, ist schon allein ein Skandal für sich. ({12}) Aber jetzt sehen wir doch, was danach noch folgt. Herr Frei, Sie haben gesagt, es gebe drei Debatten über das gleiche Thema in dieser Woche. Nein, es folgt in dem Falle im Windschatten des Globalen Pakts für Migration der Globale Pakt für Flüchtlinge. ({13}) Und über den wird genauso wenig informiert und debattiert. Meine Damen und Herren von der Union, Sie versuchen, diese Debatte möglichst ans Ende der gesamten Diskussion am heutigen Tage zu setzen, um möglicherweise das Ganze noch komplett zu verschieben. ({14}) Diese Vorgehensweise, die Bevölkerung nicht zu informieren, ({15}) den Bundestag nicht einzubeziehen und in letzter Minute noch eine Quasiregelung herbeizuführen, die wirklich keine ist, das ist ein Versagen der Bundesregierung, und das ist ein Versagen Ihrerseits, der Altparteien. ({16}) Sie merken es auch an den entsprechenden Emotionen und Reaktionen. Das sollten Sie auch in dem Falle als wirkliches Problem ansehen, Frau Özoğuz; denn Sie haben es ja überhaupt nicht aufgegriffen, übrigens leider auch nicht die Kollegen der Union. Diese in dem Fall gestern erfolgte Regelung hat – das kann ich nur sagen – international, Herr Frei, keinerlei Relevanz. Hier muss – ich komme damit auf unseren Antrag zu sprechen; das ist eine Hilfestellung für Sie – eine ganz klare Protokollerklärung hinzugefügt werden in Form der Bundesrepublik Deutschland als „permanent objector“ bzw. „persistent objector“. ({17}) Wir bitten hier im Interesse unseres Landes dringend um Zustimmung. Herzlichen Dank. ({18})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner: Helge Lindh für die SPD-Fraktion. ({0}) – Meine Güte, Herr Braun. ({1})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Man hat schon Fans, aber leider auf der falschen Seite. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Genehmigung des Präsidiums beginne ich mit einem Gedicht von Nazım Hikmet – „Das Gespenst am Mittelmeer“ heißt es –: Ich kenne ihn. Er flüchtete bei Aduva von der Front,  floh wie ein Tier die Feuersbrunst flieht. Floh nicht für eine Idee nicht für ein Ideal noch für ein Recht. Flüchtete, um nicht zu sterben,  um zu leben. ({0}) Das war das einzige Papier, das ich heute für meine Rede brauche. Denn aus mir spricht das Herz, und da braucht man kein Manuskript. ({1}) Das ist bei Ihnen und bei Herrn Curio anders: Da spricht der Hass, und da brauchen Sie Drehbücher. ({2}) Wenn es nach dem Wahrheitsgehalt und der Logik Ihrer sogenannten Protokollerklärung ginge, dann wäre dieser Text hier ein verführerischer, böser Text, der zur Flucht durchs Mittelmeer auffordert. Wenn man ihn genau liest und genau zuhört, sieht man: Es ist ein Text des berühmten türkischen Dichters Hikmet, der Respekt vor einem Deserteur bekundet, der erschossen wurde. Wenn es nach Ihnen und dem Geist, den Sie hier heute wieder zum Ausdruck bringen, ginge, dann dürfte es diesen Nazım Hikmet gar nicht geben. Er als Türke hatte Vorfahren aus Deutschland und aus Polen. Einer seiner Vorfahren war der osmanische General Mehmed Ali Pascha, geboren als Deutscher in Magdeburg, Preußen. Und es kommt noch schlimmer: Sein Urgroßvater war geboren in Frankreich und zog hierher als Hugenotte. All diese Personen gäbe es nicht, wenn Ihre Politik der Wirklichkeitsverweigerung gegenüber Migration Realität wäre. ({3}) Und noch mehr gäbe es nicht, wenn dieser Feldzug, dieser irre Feldzug gegen Migration erfolgreich wäre. Gestern Abend befand ich mich im Andachtsraum, unweit von hier, und betete als Christ und Sohn eines finnischen Vaters. Wenige Meter von mir betete ein muslimischer Mitarbeiter des Bundestages, dessen Eltern aus der Türkei hierhergekommen sind. Wir beide beteten, zwei Menschen unterschiedlicher Herkunft, zu einem Gott. ({4}) Diese wunderbare Begegnung, wie ich finde, gäbe es nicht, wenn Ihr Geist nur eine Spur von Wahrheit und Richtigkeit hätte. Aber gut, dass es diesen Moment gegeben hat. ({5}) Vor einigen Tagen, am bundesweiten Vorlesetag, durfte ich einer Klasse von Schülern vorlesen. Ungefähr 50 bis 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler hatten – das ist die Realität in Deutschland und gut, dass es so ist – einen Migrationshintergrund. Ich habe sie bewusst aufgefordert, auch Texte in den Sprachen ihrer Eltern und Großeltern vorzulesen. Viele haben das gar nicht gewagt, weil sie deren Sprache gar nicht mehr beherrschen. Was war die Erkenntnis? Diejenigen, die die Sprache ihrer Eltern und Großeltern am besten beherrschten, sprachen auch am besten Deutsch. Und es war gut, dass es so war. Die Schüler haben mir gesagt, dass sie sich freuen, dass wir uns im Rahmen des Global Compact offensiv mit solchen Fragen und mit Migration auseinandersetzen. Warum haben sie sich gefreut? Weil ihre Urgroßeltern, ihre Großmütter und ihre Großväter dieses Land als Gastarbeiter mit aufgebaut haben, ({6}) weil sie – anders als Sie – Verdienste um dieses Land haben, weil es nach den Jahren und Monaten der Verhetzung durch die AfD und andere endlich an der Zeit ist, deutlich zu machen, was Migrantinnen und Migranten in diesem Land aufgebaut und geleistet haben. ({7}) Migrantinnen und Migranten sind in der Regel – das zeigen auch Studien – mutige Menschen. Sie lassen so viel hinter sich. Sie verlassen ihr Land. Sie wagen viel, um Perspektiven für sich und ihre Angehörigen zu schaffen. Sie gründen hier Unternehmen. Die Opfer der grauenvollen NSU-Morde zum Beispiel haben selber Unternehmen gegründet. Wenn Sie eine Spur des Mutes dieser Menschen hätten, dann hätte ich wieder Hoffnung in Sie, aber die haben Sie nicht. ({8}) Ihre Anträge besagen nur eines: Es ist nicht Mut, es ist Feigheit, die daraus spricht. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns Ihren Vorschlag einer Protokollerklärung ansehen und die ganze Argumentation verfolgen, wie wir sie gestern und heute erlebt haben, wie wir sie heute Nachmittag erleben werden, dann erinnert mich das an einen Ostpreußen, einen großen deutschen Denker, nämlich an Immanuel Kant und seine „Kritik der reinen Vernunft“ von 1781. ({10}) Wenn es nach Ihrer Logik ginge, wäre damit die allgemeine Vernunft ausgebrochen. Wie wir an Ihnen sehen, ist das leider nicht der Fall. Sehr geehrte Damen und Herren, ein Global Compact on Migration ist doch nicht die Ursache für Migration. Der Grund für Migration ist, dass Menschen Krieg, Armut oder Verfolgung erfahren ({11}) oder dass sie einfach aus wirtschaftlichen Gründen Perspektiven suchen. Sie brauchen dafür keinen Global Compact. Ein weiterer Grund für Migration ist aktuell übrigens, dass in diesem Land lebende Menschen mit Eltern zum Beispiel aus der Türkei dieses Land verlassen, weil sie nicht mehr ertragen können, wie Sie keinen Respekt vor ihnen, ihren Eltern und ihren Urgroßeltern zeigen. Traurig, dass das so ist. ({12}) Aber das Ganze lenkt ohnehin nur ab; all Ihre Formalitäten, auf die Sie sich berufen, verdecken nur eines: Im Gegensatz zu uns, die wir sachlich über Migration sprechen wollen, ({13}) sind Sie geradezu manisch besessen von diesem Thema. Bei jeder Frage kommen Sie mit Migration und Flüchtlingen. Sie sind auf dem Stoff „Migration“; das ist Ihre Droge. Wenn Sie diese Droge nicht mehr hätten, was täten Sie dann? ({14}) Das ist ein ganz einfacher Fall für Freuds Couch. Die AfD betet doch jeden Tag darum, dass wir unbegrenzte Migration haben. ({15}) Sie hoffen doch, dass Ausländer Verbrechen begehen, damit Sie damit Ihr Geschäftsmodell weiterbetreiben können. Das Spiel spielen wir aber nicht mit. ({16})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an die Redezeit. ({0})

Helge Lindh (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Abschließend: Der eigentliche Grund ist gar nicht nur Ihr Geschäftsmodell. Offensichtlich – und da hilft uns auch Freud – ist es auch so, dass Sie Ihrer eigenen Identität, Ihres eigenen Deutschtums, Ihrer eigenen Herkunft so unsicher sind, dass Sie andere brauchen, um sich über sie negativ zu identifizieren. ({0}) Traurig, dass das so ist, und gut, dass wir, dass alle anderen das nicht nötig haben. Vielen Dank. ({1})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Helge Lindh. – Nächster Redner für die FDP-Fraktion: Olaf in der Beek. ({0})

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens. Der Migrationspakt ist völkerrechtlich nicht bindend. ({0}) Zweitens. Er wird, anders als von der AfD behauptet, nicht unterzeichnet, er wird verkündet. ({1}) Drittens. Er wird nicht dazu führen, dass die mehr als 200 Millionen Migranten auf dieser Welt plötzlich nach Deutschland strömen. ({2}) Viertens. Zum Ausverkauf der deutschen Sozialsysteme und zu einer – ich zitiere den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses mit Erlaubnis der Präsidentin – „irreversiblen Umvolkung“ durch massenhafte Zuwanderung, wie Herr Boehringer es nennt, wird es auch nicht kommen. – Das waren Fakten! ({3}) Jetzt wollen Sie für diesen völkerrechtlich nicht bindenden Pakt eine völkerrechtliche Protokollerklärung, dass der völkerrechtlich nicht bindende Pakt völkerrechtlich nicht bindend ist. ({4}) Genau mein Humor, meine Damen und Herren. Für die Rechtstheoretiker unter uns mag das vielleicht spannend sein, in der Sache – und das wurde hier in den letzten Tagen und Wochen schon zu Genüge ausgeführt – ist das völliger Quatsch. ({5}) Sie verbreiten Panik vor dem – und ich zitiere jetzt mal Ihre Homepage mit der Erlaubnis der Präsidentin – „massenhaften Zuzug bildungsferner Menschen aus fremden Kulturen“, ({6}) während Sie, die angeblichen Volksaufklärer, weite Teile der Bevölkerung offensichtlich für dumm verkaufen wollen. ({7}) Erklären Sie den Menschen doch mal, wie Sie den globalen Migrationsdruck angehen wollen, während Sie die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit in den Bereichen Bildung, sexuelle Aufklärung und Verhütung zusammenstreichen wollen! ({8}) Erklären Sie den Menschen doch mal, wie Sie angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft und immer weniger Erwerbstätigen die Rente in Zukunft sichern wollen ohne qualifizierte Zuwanderung! ({9}) Erklären Sie den Menschen doch mal, warum Sie wollen, dass gut integrierte Migranten mit Job abgeschoben werden, während Unternehmen in ganz Deutschland in vielen Bereichen händeringend nach Arbeitskräften suchen! ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es ist wichtig und richtig, dass wir den Menschen erklären, was der Migrationspakt wirklich bedeutet. Kurz gesagt: Die Weltgemeinschaft versucht erstmals, die reguläre und irreguläre Migration zu steuern und zu lenken und Lebensverhältnisse zu verbessern. Das gilt auch für den kommenden Flüchtlingspakt. Wir dürfen es nicht zulassen, dass die AfD auch daraus wieder eine Fake-News-Kampagne baut. ({11}) Aber – und das will ich hier ganz deutlich sagen –: Der UN-Migrationspakt ist nicht die „Mutter aller Probleme“, um es mit Horst Seehofers Worten zu sagen. Der UN-Migrationspakt ist nicht das alles bestimmende Thema, zu dem es die AfD in ihren Blasen gerne aufbauschen möchte. Stattdessen erwarten die Menschen von uns Antworten, Antworten auf Fragen zur Zukunft. Da geht es um bezahlbaren Wohnraum, ({12}) da geht es um Pflegenotstand, da geht es um die Rente für die Generationen von morgen, da geht es um die Digitalisierung, und da geht es um die Arbeitswelt von morgen. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie an Ihre Redezeit.

Olaf In der Beek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme zum Schluss. – Diese Antworten müssen alle Demokraten liefern. Die selbsternannte Alternative – da können wir uns alle ganz sicher sein –, die kann das nicht. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Olaf in der Beek. – Nächster Redner: Michael Kuffer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach aktuell vier Debatten zu diesem Thema hier im Haus sind, wie ich glaube, die Argumente, warum dieser Pakt im deutschen Interesse liegt, hinreichend ausgetauscht. Es ist aber in den letzten Wochen zunehmend unmöglich geworden, weite Teile der Menschen im Land mit Argumenten überhaupt noch zu erreichen. ({0}) Die Verunsicherung ist einfach zu groß. Diese Verunsicherung hat einen Spiritus Rector. ({1}) Herr Gauland, Frau Weidel, stellvertretend für Ihre gesamte Organisation: Sie belügen die Menschen. ({2}) – Doch! – Sie lügen die Menschen in diesem Land eiskalt an, und Sie machen das deshalb, weil die Wahrheit Ihren politischen Zielen nicht dient. Die Wahrheit hilft Ihnen nicht, und deshalb lügen Sie die Menschen eiskalt an. ({3}) Und deshalb, Kolleginnen und Kollegen, geht es mir zum Abschluss der Debatte in meiner heutigen Rede vor allem noch einmal um einen Faktencheck. Da könnte man zum Beispiel auf dem offiziellen Propagandaorgan der AfD, Ihrer Website, anfangen. ({4}) Sie listen gleich am Anfang zehn angebliche Argumente, ({5}) zehn Tatsachenbehauptungen auf. ({6}) Jede dieser Scheintatsachen ist objektiv widerlegbar. Jede dieser Tatsachenbehauptungen ist falsch. ({7}) – Das müssen Sie sich jetzt schon anhören. Gestern hatten wir das Thema schon einmal hier im Plenum. Da ging es um einen Antrag von CDU/CSU und SPD. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD, haben gegen diesen Antrag gestimmt. Da sollten wir der deutschen Öffentlichkeit schon einmal erklären, wogegen Sie gestern eigentlich gestimmt haben. Sie haben nicht gegen den Global Compact gestimmt. Vielmehr haben Sie stattdessen gegen einen Antrag gestimmt, der Folgendes zum Inhalt hat: ({8}) Die Bundesregierung wird darin aufgefordert, weiterhin sicherzustellen, dass … die nationale Souveränität Deutschlands und das Recht Deutschlands, über seine Migrationspolitik selbst zu bestimmen, nicht beeinträchtigt werden. Dazu gehört, zu gewährleisten, dass durch den GCM keinerlei deutsche Regelungen eingeschränkt oder ausgeweitet werden … Dagegen haben Sie gestimmt. ({9}) Die Bundesregierung wird aufgefordert, weiterhin klar und stringent zwischen legaler und illegaler Migration zu unterscheiden und dabei die illegale Migration nach Deutschland und Europa auch mit nationalstaatlichen und europäischen Mitteln zu verhindern. Dagegen hat die AfD gestimmt. Sie sind dagegen . ({10}) Die Bundesregierung wird aufgefordert, auf internationaler Ebene gegenüber den Partnerstaaten mit Nachdruck die völkerrechtliche Verpflichtung zur Rücknahme eigener Staatsangehöriger einzufordern Sie haben dagegen gestimmt. ({11}) Soll ich noch weiter vorlesen? ({12}) Ich glaube, wir kürzen es ab. Sie sind bei dem Thema wieder mal aufgeflogen. ({13})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kuffer, darf ich Sie fragen: Lassen Sie eine Zwischenfrage zu? ({0})

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, wir haben jetzt so viele Zwischenfragen gehört.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das habe ich mir gedacht.

Michael Kuffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004795, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es läuft immer wieder auf das Gleiche hinaus. Sie haben es einfach nicht gelesen. Deshalb mache ich Ihnen jetzt einen Vorschlag. Wir kürzen das Verfahren mit den Zwischenfragen ab. Ich gebe Ihnen den Antrag jetzt, und Sie lesen ihn einfach mal. ({0}) Dann können wir darüber weiter diskutieren. ({1}) Und schließlich haben Sie mit Ihrem Abstimmungsverhalten gestern und im Übrigen auch mit Ihrem jetzigen Antrag Ihre politische Strategie der letzten Wochen völlig ad absurdum geführt. Sie haben uns andauernd erklärt, man müsse unbedingt verhindern, dass uns dieser internationale Pakt irgendwann zu Maßnahmen zwingt, die wir als nationaler Gesetzgeber nicht treffen wollen. Jetzt muss man noch einmal ganz kurz zu den Grundsätzen des Völkerrechts kommen. Der Pakt ist nicht als bindendes Völkerrecht angelegt; das wird noch nicht einmal von Ihnen bestritten. ({2}) Er lässt auch definitiv kein Völkergewohnheitsrecht zu, weil ihm ausweislich seines Wortlauts von vornherein zumindest die Voraussetzung des Rechtsbindungswillens, der opinio juris, fehlt. Nun will ich an dieser Stelle gar nicht auf den Streit eingehen, bei dem es um Soft Law und um die Fragen geht, ob es diese Kategorie überhaupt gibt und welche Folgen sie zeitigt. Aber wenn überhaupt Vorsorge zu treffen wäre, dann wäre das die Vorsorge gegen die Heranziehung zur Rechtsauslegung durch unsere nationalen Gerichte. Genau dagegen ist eine Entschließung des Gesetzgebers, des Deutschen Bundestages, das effektivste Instrument. Eine Rechtsauslegung gegen den erkennbar dokumentierten Willen des Gesetzgebers ist nicht möglich, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({3}) Die Protokollerklärung, sprich: irgendeinen Zettel, in Marrakesch zu den Akten zu heften – damit komme ich zum Schluss –, ist demgegenüber völlig nutzlos. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag als nicht weitgehend genug ab. ({4}) Sie haben wiederum mit Ihrer gestrigen Ablehnung unseres Antrags dem einzigen effektiven Instrument die Unterstützung verweigert. ({5}) Vielen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Kollege Kuffer. – Wir kommen jetzt zum letzten Redner in dieser Debatte. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen, bevor ich Dr. Harbarth aufrufe. ({0}) Wir sind noch in der Debatte, nicht in der Abstimmung. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen? – Danke schön. Dann gebe ich das Wort Dr. Stephan Harbarth. ({1})

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ({0}) Es ist richtig, in wenigen Tagen den Globalen Migrationspakt in Marrakesch zu beschließen. ({1}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat immer betont, wie wichtig es ist, dass bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen der Migration nationale und internationale Schritte Hand in Hand gehen. ({2}) Nur so kann Migration wirksam gesteuert, nur so kann Migration wirksam begrenzt werden. Deshalb mag es paradox klingen: Aber wir haben in den vergangenen Jahren gerade als Innenpolitiker immer mehr gelernt, welche herausragende Bedeutung die Außenpolitik hat. Vor welchen Herausforderungen stehen wir bei der Migration? Im Kern geht es um das Problem, dass die Standards für Migranten auf der Welt sehr unterschiedlich sind. Diese Standards müssen einander angenähert werden; sie dürfen nicht weiter auseinanderlaufen. Sie müssen enger aneinander herangeführt werden, um den Migrationsdruck auf Europa und auf Deutschland zu reduzieren, und zwar auch dann, wenn dies nur in kleinen Schritten und nur langfristig gelingen mag. Ich bin nicht so naiv, zu glauben, dass wir die Welt auf europäische Standards anheben können; aber ich habe vor wenigen Monaten in einem Flüchtlingslager in Jordanien gesehen, dass bereits eine gesicherte Nahrungsmittelversorgung, medizinische Grundleistungen und der Zugang zu einer einfachen Schulbildung Familien veranlassen, sich nicht auf den Weg nach Europa zu machen, sondern in der Nähe ihrer Heimat zu bleiben. ({3}) Deshalb haben wir ein überragendes Interesse daran, dass auch in anderen Ländern ein Zugang zu diesen Mindeststandards gewährt wird. Darauf zielt der Globale Migrationspakt ab, und deshalb liegt der Globale Migrationspakt im nationalen Interesse Deutschlands. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Dr. Harbarth, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Stephan Harbarth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004049, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. – Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich aufgrund meiner Wahl zum Verfassungsrichter den Deutschen Bundestag verlassen werde, möchte ich einige persönliche Bemerkungen an den Schluss meiner Rede stellen. Bundestag und Bundesrat haben mir in der vergangenen Woche die Ehre zuteilwerden lassen, mich zum Richter am Bundesverfassungsgericht und zu dessen Vizepräsidenten zu berufen. ({0}) Den Kolleginnen und Kollegen, die mir dieses Amt anvertraut haben, spreche ich meinen tief empfundenen Dank aus. Als ich vor ziemlich genau neun Jahren meine Zeit als Abgeordneter begann, wäre mir von allen denkbaren Möglichkeiten des Mandatsverlusts diejenige, die nun eintritt, als allerletzte in den Sinn gekommen. ({1}) Ich möchte den Wählerinnen und Wählern meines Wahlkreises Rhein-Neckar, die mir bei drei Bundestagswahlen ihr Vertrauen geschenkt haben, herzlich Dank sagen. Es war mir eine große Freude, ihre Interessen über die letzten Jahre im Deutschen Bundestag vertreten zu dürfen. ({2}) Ich danke Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestags, für die Zusammenarbeit, die immer von gegenseitigem Respekt und von der kollegialen Suche nach einem der Sache dienlichen Kompromiss getragen war. Und ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ohne die wir im Deutschen Bundestag nicht arbeiten könnten. ({3}) Was wünsche ich diesem Parlament? Ich wünsche dem Deutschen Bundestag die Kraft, bei allen dem demokratischen Willensbildungsprozess immanenten Meinungsverschiedenheiten die Diskussion in einem Stil zu führen, der die Bürgerinnen und Bürger mit Stolz auf dieses Haus blicken lässt, das an fast sieben Jahrzehnten erfolgreicher Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen so zentralen Anteil hat. ({4}) Ich wünsche dem Deutschen Bundestag die Fähigkeit, bei allen tagespolitischen Diskussionen die großen Linien der Politik nicht aus dem Blick zu verlieren. Und ich wünsche ihm die Fähigkeit, zu erkennen, dass nationale Maßnahmen immer wichtig sind, aber dass es in einer Welt, die enger zusammenrückt, auch immer der internationalen Perspektive bedarf. ({5}) Ich wünsche dem Deutschen Bundestag die Fähigkeit zur Erkenntnis, dass es sich bei diesem Haus nicht um ein Experimentierlabor handelt, in dem man einmal dieses oder jenes ausprobieren kann, sondern immer zu sehen, dass jede einzelne Entscheidung dieses Hauses unmittelbar schicksalsrelevant für Menschen wirkt. Es ist deshalb nicht nur ein Privileg, sondern es ist auch eine große Verantwortung, im Deutschen Bundestag für dieses Land politisch wirken zu dürfen, und der Arbeitsstil sollte dem immer Rechnung tragen. ({6}) Schließlich wünsche ich dem Deutschen Bundestag in einer Zeit, in der Nationalismus und die Versuchung autoritärer Führung leider nichts an Anziehungskraft verloren haben, immer den Ideen den Vorrang zu geben, deren Strahlkraft weit größer ist und die deshalb immer viel heller leuchten werden: den Ideen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat. ({7}) Die Mandate im Deutschen Bundestag werden vergeben auf Zeit. Die Erinnerung überdauert diese Zeit. Mir war es Ehre und Freude, diesem Deutschen Bundestag angehören zu dürfen. Herzlichen Dank, alles Gute und auf Wiedersehen. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Lieber Dr. Harbarth, ich wünsche Ihnen heute einen spannenden Nachmittag; denn um 15.30 Uhr, wie mir aufgeschrieben wurde, ist es so weit. Um 15.30 Uhr werden Sie durch den Bundespräsidenten zum Richter am Bundesverfassungsgericht und dessen Vizepräsidenten ernannt. Auch ich wünsche Ihnen im Namen von uns Kraft, Mut, Stärke. Ich wünsche mir, dass Sie im allerwahrsten Sinne des Wortes Verfassungsschützer sein werden. Ich glaube, unsere Verfassung braucht das dringend. Alles Gute für Ihren weiteren Weg. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt uns eine Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung vor. Bevor wir zur Abstimmung kommen, will ich Sie darauf hinweisen, dass wir, wie gestern Abend, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwas zu entlasten, mit fünf und nicht mit sieben Urnen arbeiten. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/6061 mit dem Titel „Aufforderung zur Abgabe einer Protokollerklärung zur völkerrechtlichen beziehungsweise rechtlichen Unverbindlichkeit des ‚Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration’ für die Bundesrepublik Deutschland durch die deutsche Bundesregierung bei der Unterzeichnung des Paktes im Dezember in Marrakesch – Die Bundesrepublik Deutschland als ‚permanent objector’“. Wir stimmen namentlich ab. Ich bitte, uns ein Zeichen zu geben, ob die Urnen besetzt sind. – Die Plätze an den Urnen sind besetzt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 19/6061. Darf ich Sie fragen: Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht abgestimmt haben? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wie immer wird Ihnen das Ergebnis später bekannt gegeben. Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen.

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie bei jeder EEG-Novelle war es auch dieses Mal ein schwieriges Unterfangen, das sogenannte Energiesammelgesetz über die Rampe zu heben. Das ist aber auch kein Wunder; denn es gibt, wie bei jeder Gesetzgebung in diesem Bereich, unterschiedliche Meinungen dazu, ein sehr ambivalentes Abstimmungsverhalten, aber auch eine gesellschaftliche Debatte, die zeigt, dass sich an diesem Thema die Geister scheiden. Auch dieses Mal sind wir aber – das bedauere ich sehr – zu sehr ins Mikromanagement gegangen. Wir haben zu viel über Vergütungssätze, über Fristen, über beihilferechtliche Regelungen gesprochen, anstatt mal wirklich ans Eingemachte zu gehen. Hinsichtlich der innovativen Neuausrichtung der Energieversorgung haben wir nicht viel getan, sondern wir haben gesagt: Wir machen weiter so. Das ist dem Zieldreieck – Verlässlichkeit, Wirtschaftlichkeit, Umweltverträglichkeit – nicht dienlich. Dennoch regeln wir mit diesem Gesetz einige Punkte. Auf diese will ich eingehen, aber ebenso auf die Punkte, die noch offen sind, wo wir noch Antworten zu geben haben. Vier Punkte aus dem Sammelsurium sind mir wichtig zu betonen: ({0}) Erstens. Die KWK-Regelungen wurden beschlossen. Sie hätten allerdings auch schon im 100-Tage-Gesetz beschlossen werden können. Allerdings wurde die KWK, die Kraft-Wärme-Kopplung, immer in Geiselhaft genommen. Sie war ein Junktim zu den geforderten Sonderausschreibungen. Das ist dem Thema nicht angemessen. Da müssen wir beim nächsten Mal besser werden und jedes Thema einzeln für sich abarbeiten. ({1}) Zweitens – und das ist ein Punkt, der sehr wichtig ist –: Wir haben es nach vielen Jahren geschafft, dass es eine bedarfsgerechte Nachtbefeuerung gibt. Es ist auch an der Zeit, dass wir dem nervigen Blinken von Windkraftanlagen endlich ein Ende bereiten – bis Mitte 2020. ({2}) Mir persönlich und auch den Bürgern ist völlig egal, ob das mit Transponderlösungen, Radarlösungen oder sonst wie passiert. Es ist einfach an der Zeit, dass dieses nervige Geblinke endlich aufhört und die Anlagen sich nicht schon bei Luftbewegungen anschalten. Drittens. Wir haben bei der PV-Vergütung dafür gesorgt – das müssen wir machen; das ist ja eine regelmäßige Anpassung –, dass es keine Überförderung gibt. Wir haben aber auch für eine Berechnung des Wirtschaftsministeriums und für eine Berechnung der Branche gesorgt. Wir haben uns ein Mittel gesucht und gesagt: Es muss eine moderate Absenkung geben. Wir haben auch eine zeitliche Staffelung vorgegeben, sodass Verlässlichkeit besteht und die Anlagen, die in Planung sind, letztendlich noch gebaut werden können. Viertens: erste, allerdings sehr zaghafte Innovationsansätze. Bei der Sonderausschreibung – immerhin 8 GW – haben wir es geschafft – „geschafft“ in Anführungsstrichen –, 250 MW, Megawatt, in die Innovationsausschreibung zu bringen. Das ist viel zu wenig, aber immerhin ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dort müssen wir weitermachen. Aber – und dieses „Aber“ ist sehr groß; es hat viele davon abgehalten, dem offenen Herzens zuzustimmen – es gibt viel zu viele offene Fragen. Einige dieser Fragen möchte ich benennen: Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Energiewende ist nur erfolgreich, wenn sie mit den Bürgern zusammen gestaltet wird, wenn Akzeptanz da ist. Wir haben wieder keine Antwort in Bezug auf die höhenabhängigen Abstände der Windkraftanlagen zu Wohngebäuden gefunden. Das erregt mittlerweile den Unmut von Millionen Bürgern in den Gebieten, in denen die Windkraftanlagen stehen. Sie sagen: Wir wollen endlich respektiert werden; wir brauchen höhenabhängige Abstände zur Wohnbebauung. ({3}) Darum werden wir uns in Zukunft viel intensiver kümmern. Zweitens. Es gibt zu viele offene Fragen und keine Antworten zur Synchronisierung des Netzausbaus mit dem Anlagenzubau. Ein Beispiel: Eine Förderung wird zurzeit nur für den reinen Anlagenzubau getätigt. Deshalb brauchen wir mehr Innovationsansätze. Deswegen brauchen wir mehr Nutzbarkeit. Wir müssen hin zur elektrischen Arbeit statt nur zur elektrisch ausgerollten Leistung. Meine Damen und Herren, das ist eine Verpflichtung, die wir uns in den nächsten Wochen und Monaten vornehmen müssen. Außerdem wird die Volatilität, die Verfügbarkeit, viel zu wenig bedacht. Wir fördern den blinden Zubau trotz – das muss man immer wieder sagen – der drohenden Dunkelflaute. Noch ein Punkt, der sehr wichtig ist: Wenn wir sagen: „Im Jahr 2030 wollen wir 65 Prozent Leistung aus erneuerbaren Energien“, dann bedeutet das – wer einigermaßen rechnen kann, weiß das –, dass wir im Jahr 2030  30 000 Windkraftanlagen in Deutschland installieren müssten. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich wende mich an alle, die nach mir reden –, sagen Sie mir bitte, wo in Deutschland zusätzlich 30 000 Windkraftanlagen installiert werden sollen. Ich kann mir das nicht vorstellen. ({5}) Eine einfache Rechenaufgabe: Wir haben jetzt schon 117 GW an installierter Leistung. Die Höchstlast in Deutschland liegt bei 85 GW. Wenn wir noch 200 GW oder 300 GW ausrollen, mit Windkraftanlagen oder Photovoltaikanlagen, die Sonne aber nachts doch nicht scheint und der Wind nicht immer weht, dann ist doch die Frage: Macht es überhaupt Sinn, so viel auszurollen? ({6}) Mit dieser Frage müssen wir uns ernsthaft und ganz nüchtern beschäftigen. ({7}) Wir müssen Antworten geben. ({8}) Deswegen gibt es bis zum März 2019 eine Arbeitsgruppe, in der wir uns intensiv damit auseinandersetzen müssen. 65 Prozent sind für uns keine Monstranz, ({9}) sondern diese 65 Prozent sind an klare Voraussetzungen gebunden, an die Netzdienlichkeit, an die nutzbare Energieerzeugung, an die Akzeptanz, an den Flächenverbrauch, an Innovationen und an Speicher. ({10}) Meine Damen und Herren, die Anpassung ist dringend notwendig. Wir brauchen einen Systemwechsel: vom Aktionismus zur Vernunft. Wir müssen dafür sorgen, dass die Energiewende in Zukunft verlässlich, sauber, wirtschaftlich und akzeptabel ist. Vielen Dank. ({11})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Energiewende, so, wie sie hier konzipiert ist, ist Ideologie, ist eine Ersatzreligion. Die Ziele der Energiewende können nicht erreicht werden, und es fehlen auch die wissenschaftlichen Grundlagen. 2014 hat das „Wall Street Journal“, eine US-amerikanische Zeitung, gesagt: Die Energiewende ist eine „deutsche Jahrhundertwette“. Mittlerweile, so habe ich den Eindruck, ist das keine Wette mehr, sondern russisches Roulette mit unserem Volksvermögen. ({0}) Der Bundesrechnungshof stellt dann eben auch fest: Die Ziele können nicht erreicht werden; die Energiewende droht zu scheitern. Und der Bundesrechnungshof ist nicht allein: Die renommierte Unternehmensberatung, die sich regelmäßig mit der Energiewende beschäftigt, sagt genau das Gleiche. Wir haben bisher 160 Milliarden Euro versenkt – ohne Nutzen, ohne dass wir weltweit 1 Gramm CO 2 eingespart hätten. ({1}) Wie zu jeder Ideologie gehört auch zur Energiewende ein Mythos, und dieser Mythos heißt dort: Der Klimawandel ist menschengemacht. – Aber das ist er mitnichten, zumindest nicht in dem Sinne, wie er hier propagiert wird. Es gab schon immer einen Wandel des Klimas, es gab schon immer eine Abfolge von Eiszeiten, Zwischen­eiszeiten, Warmzeiten. Wir haben die verschiedensten Anhaltspunkte dafür. Ich will einfach einmal zwei Beispiele herausnehmen: Wenn wir unter das Gletschereis gucken, dann finden wir dort jahrtausendealte Pflanzenreste. Das heißt, es war nicht immer Eis da. Oder nehmen wir einmal ein Datum aus der Geschichte: 1473, da konnten die Menschen zu Fuß durch das Bett des Flusses Donau gehen, weil der Fluss ausgetrocknet war. Diese Klimaveränderungen gibt es also schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden. ({2}) Es gibt eben nicht – auch durch die Jahrtausende hindurch – die Korrelation, die immer behauptet wird: zwischen CO 2 -Konzentration und entsprechender Temperatur auf der Erde; die gibt es wissenschaftlich fundiert beobachtet nicht. Wir erinnern uns: Das EEG wurde aber gerade vor dem Hintergrund dieses Zusammenhangs konzipiert. Der lässt sich aber nicht belegen. Auf unsere Anfrage an die Bundesregierung: „Wie hat denn das EEG in dieser Hinsicht gewirkt?“, kam denn auch die Antwort: Zu den Auswirkungen des EEGs auf das globale Temperaturniveau liegen der Bundesregierung keine Zahlen vor.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kotré, erlauben Sie?

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Ja. Bitte.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich will nur eines gleich sagen: Ich lasse wirklich nur noch ganz, ganz wenige Zwischenfragen und nur noch maximal eine Kurzintervention pro Debatte zu. Das hatten wir verabredet, und daran halten wir uns jetzt auch. Also, es gibt jetzt aus der Grünenfraktion eine Zwischenfrage; das war es aber dann. Frau Dr. Nestle. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. – Herr Kotré, Sie haben mal wieder infrage gestellt, was 97 Prozent der Wissenschaftler bestätigen: Die Klimakrise ist menschengemacht. Ich habe das neulich auch einem Kollegen von Ihnen gesagt. Er sagte dann, nein, der Gegenbeweis sei ja die Heidelberger Erklärung; da hätten 60 Nobelpreisträger davor gewarnt, dass wir die Klimakrise zu ernst nehmen. Ich wusste da nicht gleich, was das ist; kein Wunder, da bin ich noch zur Schule gegangen, 1992. Es haben sich Wissenschaftler getroffen, sie haben über Dioxin und Asbest diskutiert. Sie meinten letztlich die Gentechnik, weil da gerade eine Debatte dazu lief und sie Sorge hatten, dass man zu restriktiv mit der Gentechnikwissenschaft umgeht. Sie haben einen Appell geschrieben, der dazu aufruft, endlich die Fakten ernster zu nehmen. Ich glaube, das ist ein Appell, den Sie und Ihre Fraktion sich als Allererstes zu Herzen nehmen müssten. Ich möchte Sie fragen: Werden Sie sich dafür einsetzen, dass so ein Unsinn wie, dass der Heidelberger Appell irgendwie ein Votum gegen das Ernstnehmen der Klimakrise gewesen wäre, nicht mehr verzapft wird? Er hatte definitiv nichts mit der Klimakrise zu tun. Werden Sie sich in Ihrer Fraktion dafür einsetzen? ({0})

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Also, zum einen stimmt diese Zahl nicht – 97 Prozent –; die ist ja längst vom Tisch; das ist eine alte Zahl. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Pscht, jetzt ist er dran! ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Das mache ich schon selber, da brauche ich Sie nicht.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Es gibt mittlerweile mehr als 1 000 Studien, die den Zusammenhang zwischen CO 2 -Konzentration, menschengemacht, und Temperaturveränderung nicht herstellen. Wir stochern da total im Dunkeln. Was ein Kollege von mir im Zwiegespräch mit Ihnen sagt, das weiß ich jetzt nicht. Aber auf keinen Fall verleugnen wir, dass Wetterdaten sich, gerade in letzter Zeit, ändern. Ob man das jetzt Klimawandel nennen muss, weiß ich jetzt nicht; ich bin kein Klimawissenschaftler. ({0}) – Sie ja auch nicht, Sie ja auch nicht. ({1}) Wir sehen, dass sich Daten ändern, und das verleugnet niemand von uns. Nur gehen wir damit anders um, weil wir keine wissenschaftliche Grundlage haben, zu sagen: Jawohl, der Mensch ist dafür verantwortlich. Das ist ja auch eine gewisse Hybris. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle. ({2}) Wir wissen eben viel zu wenig über das Klima. Es gibt, wie ich gerade sagte, viele, viele Faktoren: Wasseranteil in der Luft. Die Erde dreht sich, da kommen die Sonnenstrahlen drauf. ({3}) In den Ozeanen, in der Luft gibt es die Umwälzungen. Wir wissen nicht, wie sich die Wechselwirkungen dort darstellen und unser Klima dann entsprechend beeinflussen. Da jetzt wirklich nur einen Aspekt herauszunehmen – 0,04 Prozent CO 2 in der Luft –, das halte ich für eine sehr gewagte These. ({4}) Und vor dem Hintergrund, dass wir dort jährlich 30 Milliarden Euro verschwenden, halte ich es doch für verfehlt, so zu verfahren. Aber kommen wir mal wieder dazu, dass die Energiewende eine Ideologie ist. Die Energiewende geht einher mit Halbwahrheiten der Protagonisten, mit Falschnachrichten und auch mit Lügen. ({5}) So wird zum Beispiel gesagt, dass die Stromversorgung hier zu Todesfällen geführt hätte. Das ist nicht der Fall. Genauso hat auch die Bundesregierung gesagt, ihr liegen diesbezüglich keine Anhaltspunkte vor. Oder die Falschaussage, dass die Stromwende, die Energiewende Arbeitsplätze schaffen würde, stabile Arbeitsplätze. Mitnichten schafft die Energiewende stabile Arbeitsplätze. ({6}) Im Gegenteil: Die sind subventioniert durch den Stromkunden. Und sie verdrängen noch Arbeitsplätze in der konventionellen Stromerzeugung. ({7}) Wie jede Ideologie kann die Energiewende ihre Ziele nicht erreichen, weil eben auch die Voraussetzungen fehlen. Wir haben keine effektive Möglichkeit, den Zappelstrom zu speichern, auch in 30 Jahren nicht; das ist Physik. Wir haben zwar Power-to-X; aber das ist ein unterirdischer Nutzungsgrad. ({8}) Und wir werden sehen: Wenn wir in vier Jahren aus der Kernenergie aussteigen, dann haben wir Versorgungsengpässe. Das ist ja auch schon zugegeben worden im Bundestagsausschuss. Und dann wird uns gesagt: Ja, diese Lücken, die schließen wir jetzt mit Importstrom. Oder: Die schließen wir, indem wir Gaskraftwerke bauen. – Lassen Sie sich das mal auf der Zunge zergehen: Wir haben funktionierende moderne Kohlekraftwerke, die schmeißen wir aber weg und bauen was Neues dahin. – Das ist eine Verschwendung von Volksvermögen. ({9}) Wenn jetzt schon klar ist, dass wir aufgrund der Energiewende mehr Strom importieren müssen, dann sehen wir doch ganz klar, dass wir hier Hand an unsere Stromversorgung legen ({10}) und dass wir unsere Stromversorgung langsam, aber sicher schrotten. Wir sägen den Ast ab, auf dem wir sitzen, und hoffen, dass unsere Nachbarn, die auf dem Ast unter uns sitzen, uns mit Strom versorgen. Aber die sägen leider selber an dem Ast, ({11}) weil sie die Energiewende genauso vorantreiben. Es ist abzusehen, dass wir aus dem Ausland immer weniger Strom importieren können. Wie gesagt, wir schrotten gerade unsere Stromversorgung. Das ist sehr bedauerlich. ({12}) Über die Kosten müssen wir nicht reden: 1 Billion Euro, Tendenz steigend in der Prognose. Wir reden davon, dass die Kilowattstunde demnächst 40, 50 Cent kostet. ({13}) – Das sind die Prognosen, wenn die Energiewende denn so weitergeführt wird. ({14}) Die Ergebnisse sehen wir: Die ersten Unternehmen verlassen unser Land nur aufgrund der Strompreise, ({15}) zum Beispiel Richtung USA, wo sie eine verlässliche Stromversorgung noch haben. ({16}) – Die Beispiele sind bekannt. ({17}) Aber das Schlimmere ist: Hier in Deutschland haben die Unternehmen nicht mehr die Gewähr, dass die Stromversorgung verlässlich ist. Die Qualität des Stroms nimmt ab: ({18}) Es mehren sich Stromausfälle im Millisekundenbereich. Das heißt, die Spannung und die Frequenz kann dieser Zappelstrom auch nicht halten. Schon jetzt gibt es Unternehmen, die klagen, dass ihre hochtechnisierte automatische Produktionsanlage darunter leidet. ({19}) Das sind eben die Folgen der Energiewende, ({20}) und das, liebe Freunde, wollen wir so nicht. ({21}) Wie jede Ideologie hat auch die Energiewende ihren Irrsinn und ihre Schildbürgerstreiche: Da wollen also Professoren Sulfatpartikel in die Atmosphäre sprühen, um die Sonne zu verdunkeln. ({22}) Meine Damen und Herren, ich glaube, das steht erst mal für sich. ({23}) Der CO 2 -Abdruck der Kernenergie ist fast null; die Kernenergie wird aber bekämpft. Der Diesel hat eine bessere CO 2 -Bilanz als der Elektromotor oder der Benziner, wird aber auch bekämpft. ({24}) Und da werden 100 Hektar Wald im Hambacher Forst fast schon kriminell verteidigt, aber kein Hahn kräht danach, dass zum Beispiel allein in Brandenburg die dreifache Menge an Wald abgeholzt wird, um dort Windenergieanlagen aufzustellen. ({25}) Was für ein Irrsinn, meine Damen und Herren!

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Ende. ({0}) Meine Damen und Herren, Energiepolitik und Umweltschutz geht nicht mit den Grünen – leider! –, sondern nur gegen die Grünen. Das müssen wir feststellen. Wenn es nach den Grünen ginge – das hat mein Vorredner schon gesagt –, dann gäbe es kaum noch einen Flecken hier in Deutschland, der nicht zugebaut wäre.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Steffen Kotré (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004791, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Das, meine Damen und Herren, ist mit der AfD nicht zu machen. Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nächster Redner: Bernd Westphal für die SPD-Fraktion. ({0})

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut schon manchmal weh, solchen Reden zuzuhören. ({0}) Es wird Zeit, dass wir hier über Energiepolitik reden und über die Herausforderungen dieses Standortes. Wir müssen das einbetten in das, was wir an umwelt- und klimapolitischen Herausforderungen haben. Deshalb ist das, was Sie gesagt haben, Herr Kotré, Unsinn. Sie haben in Ihrer letzten Rede erklärt, dass Sie gerne am Diesel schnüffeln. Vielleicht hat das Auswirkungen gehabt. ({1}) Mit dem Energiesammelgesetz machen wir einen großen energiepolitischen Schritt. Es ist mit acht Gesetzen und zwölf Verordnungen, die wir anfassen müssen, sicherlich ein umfangreiches Werk. ({2}) Ich fand aber – da danke ich dem Ausschussvorsitzenden Klaus Ernst –, dass wir im Wirtschaftsausschuss dazu eine gute Debatte hatten. Es sind viele Aspekte – auch von der Opposition, zumindest von denen, die daran interessiert sind, dass diese Energiewende zum Erfolg wird – genannt worden. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir weiter daran arbeiten, diese Energiewende zum Erfolg zu führen. Wir haben in diesem Gesetz wichtige Maßnahmen für die Energiewende und vor allen Dingen auch für eine höhere Akzeptanz vereinbart: Sonderausschreibungen mit je 4 Gigawatt zusätzlich für die nächsten Jahre im Wind- und PV-Bereich. Das heißt, wir haben aufgrund der Nichterreichung des Klimaziels 2020 – das wird wahrscheinlich eintreten – zusätzliche Maßnahmen vereinbart, die einen Beitrag leisten. ({3}) Für die Kraft-Wärme-Kopplung haben wir, neben verschiedenen kleineren Änderungen, die Frist für die Förderung im Gesetz bis 2025 verlängert. Vor allen Dingen sichern wir hiermit eine hocheffiziente Technologie, die neben Strom auch Wärme produziert: Fernwärme für Kommunen und Industrie. Das ist eine Absicherung unseres Industriestandortes und einer hocheffizienten Energie. ({4}) Wir haben eine bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung für Windenergieanlagen; Kollege Koeppen hat darauf hingewiesen. Auch das ist eine Regelung, die wir im Konsens erzielt haben – ein weiterer Schritt für eine höhere Akzeptanz. Zur Gewinnung von Energie aus Windkraftanlagen auf See: Dort werden wir, auch wenn diese keinen Netz­anschluss haben, die Möglichkeit eröffnen, zum Beispiel Wasserstoff zu produzieren. Ich denke, diese Idee, die vom Wirtschaftsministerium eingebracht worden ist, ist sicherlich hilfreich. ({5}) Dennoch, Herr Minister Altmaier, brauchen wir beim weiteren Ausbau von PV sichere Rahmenbedingungen. – Herr Altmaier ist gar nicht mehr da. Ist das Wirtschaftsministerium gar nicht da? ({6}) – Er kommt gleich wieder. – Das, was in dem Segment von 40 bis 750 Kilowattstunden an Absenkung im Gesetzentwurf war, haben wir so nicht mitgetragen. Wir haben hier zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von der Union Rechtssicherheit und Planungssicherheit hergestellt, gerade für Handwerker, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen, für die Branche insgesamt. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist ein guter Kompromiss, dass wir hier auf der einen Seite Rechtssicherheit hergestellt haben, was die beihilferechtlichen Tatbestände der EU angeht, aber auf der anderen Seite auch die Bezahlbarkeit der Energiewende im Blick behalten haben. Von daher ist das eine gute Regelung. Vor allen Dingen haben wir im Bereich des Mieterstroms – das ist ein kleines Pflänzchen, das in der letzten Legislaturperiode entstanden ist – Rahmenbedingungen geschaffen, die auch dafür sorgen, dass die Energiewende in den Städten bei denjenigen, die dort wohnen, positiv ankommt. ({7}) Wir haben aber auch das Ziel, den Menschen zu erklären, warum wir das überhaupt machen. Die internationalen Klimaschutzberichte, die Konferenz in Kattowitz, die UN-Klimaberichte, das, was uns Wissenschaftler aufzeigen, dokumentieren, dass das, was wir zurzeit erleben, damit zu tun hat, dass auf dieser Erde in den letzten 100 Jahren so viele fossile Energien verbrannt worden sind wie noch nie in der Geschichte der Erde. Deshalb gibt es Handlungsbedarf, von den fossilen Energien wegzukommen. Genau das macht diese Regierungskoalition aus: Wir werden die Energiewende weiter nach vorne bringen, den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter forcieren. ({8}) Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ wird in den nächsten Monaten Ergebnisse vorweisen. Daran ausgerichtet werden wir den weiteren Ausbaupfad, bis zum Jahre 2030  65 Prozent des Bruttostroms mit erneuerbaren Energien zu erzeugen, gehen. Kollege Koeppen, es gibt sicherlich noch einiges zu verbessern, wie zum Beispiel die Abschaffung des 52-GW-PV-Deckels, der den weiteren Ausbau begrenzt. ({9}) Mit Blick auf die Windenergie in Süddeutschland will ich sagen, dass wir hier Lösungen brauchen, um dort den Ausbau zu forcieren. Wir brauchen keine Maßnahmen, die den weiteren Ausbau behindern. ({10}) Wir werden – das sage ich angesichts des häufig vorgebrachten Arguments, das Netz könne diese Strommenge nicht aufnehmen – im Netzausbaubeschleunigungsgesetz die Möglichkeit haben, die Fahrt für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren zu forcieren. Ich will auch sagen: Wasserstoff ist ebenfalls eine Option, die wir weiterverfolgen müssen. Erst kürzlich sind die Forscher des Helmholtz-Instituts in Erlangen, die daran geforscht haben, wie wir Wasserstoff weiter ins System integrieren, für den Deutschen Zukunftspreis nominiert worden. Barack Obama hat mal gesagt: „Wir sind nicht die letzte Generation, die den Klimawandel erleben wird, –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kollege Westphal.

Bernd Westphal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004442, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

– aber wir sind die letzte Generation, die etwas dagegen tun kann.“ „It’s time to change.“ Vielen Dank. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön, Bernd Westphal. – Nächster Redner: Dr. Martin Neumann für die FDP-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Martin Neumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Liebe Gäste auf den Rängen! Wir hatten ein Jahr Zeit gehabt, dieses Gesetz zu beraten. Jetzt muss es ganz, ganz schnell gehen. Ich nehme das Ergebnis mal voraus: Die eigentlichen Probleme, nämlich die CO 2 -Emissionen zu senken und das 65-Prozent-Ziel zu erreichen, löst dieses Gesetz nicht. ({0}) Wir haben steigende Stromkosten. Wir sind in der Zwischenzeit bei 34 Cent pro Kilowattstunde. In Berlin und in Hamburg sind die Stromkosten in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen. Die CO 2 -Emissionen sinken dagegen nur ganz minimal. Schauen wir noch mal auf die Ziele, die man mal mitschreiben sollte: Was wollen wir eigentlich mit der Energiewende? Wir wollen Versorgungssicherheit. Wir wollen Preisstabilität, Akzeptanz und vor allen Dingen – das war immer das Ziel, zu dem wir uns verpflichten – eine CO 2 -Minderung. Das geht nur – das sage ich noch mal ganz deutlich – mit mehr Marktwirtschaft und Wettbewerb. ({1}) Genau bei diesen Punkten hapert es im Gesetz. Diese 4-Gigawatt-Sonderausschreibung je Technologie trotz Netzengpässen, trotz fehlender Speicher verteuert die Kosten des Stroms und der Energie weiterhin. Und was das Netzausbaubeschleunigungsgesetz angeht – Herr Westphal, Sie haben darauf hingewiesen –: Von den 5 900 Kilometern Leitungen haben wir erst 150 Kilometer realisiert. Mir fehlt jegliche Fantasie, um mir vorzustellen, wie das jetzt in der Kürze der Zeit gemacht werden soll. ({2}) Herr Minister – Sie sind jetzt wieder da –, die Bundesregierung fordert mehr Tempo – das ist ja richtig –, bremst aber gleichzeitig. Machen Sie das mal als Autofahrer: bremsen und gleichzeitig Gas geben. Das gibt ein Motorengeheul. Unter Experten heißt das Donut; der eine oder andere weiß, was das heißt. Das EEG – das muss man noch mal ganz deutlich sagen – bleibt der gravierende Bremsklotz. ({3}) Wir brauchen eine Umgestaltung von einer Planwirtschaft, die zu nichts führt – wir sehen es doch –, zu mehr Marktwirtschaft; ({4}) denn das EEG belastet nicht nur den Mittelstand, sondern auch die Verbraucher. Jetzt nenne ich einmal die Chancen und Potenziale, die in diesem Gesetz liegen. Wir haben festgestellt, dass der Strom an sich ja wettbewerbsfähiger wird. Aber trotzdem haben wir so viele Probleme nicht gelöst. Wir müssen deutlich mehr emissionsarme Energieträger zulassen. ({5}) Die Verengung nur auf Wind und Sonne ist nicht zielführend. Ich will ganz deutlich machen: Wir brauchen viel mehr Offshoreanlagen, von der Versorgungsseite her gesehen. Wir brauchen eine Energieversorgung für 8 760 Stunden im Jahr. Wenn die Offshoreanlagen beispielsweise schon fast 5 000 Stunden an Energieversorgung abdecken können, dann ist das doch ein Schritt in die richtige Richtung. Auch die Akzeptanz ist hier viel höher als bei den anderen. Aber im Gesetz steht da zu wenig. Der Ansatz für 2019 macht noch nicht einmal 5 Prozent der Gesamtausschreibung aus. Das ist einfach zu wenig. Das Ziel, meine Damen und Herren – das will ich zusammenfassend sagen – muss sein, endlich Technologieoffenheit umzusetzen. ({6}) Wir brauchen dringend eine Speicheroffensive. Denn ein Speicher ist wie ein Parkhaus; er ist weder ein Verbraucher noch eine Autofabrik oder eine Schrottpresse. Das heißt: Das Auto fährt rein und wieder raus. So ist es auch mit dem Speicher in Bezug auf die Energien. Meine Kollegin kann dann noch nachlegen. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sehr geehrter Herr Minister. Was ist notwendig? Was müssen wir tun, um den Prozess erfolgreich zu machen? Wir müssen erstens viel innovationsoffener denken und sollten nicht Leistung um jeden Preis installieren. Zweitens brauchen wir mehr Markt und mehr Wettbewerb und insbesondere gesicherte Leistung, elektrische Arbeit und Speicher; wir brauchen Flexibilität und müssen technologieoffen ausschreiben. Das könnte ein Ansatz für den richtigen Weg sein. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({8})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Dr. Neumann. – Nächster Redner: Lorenz Gösta Beutin für die Fraktion Die Linke. ({0})

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Es ist jede Woche wieder das Gleiche: Aus der rechtsradikalen Ecke wird uns vor einer Energiewende Angst gemacht, und es werden uns Fake News präsentiert. Ich will das an einem Beispiel auseinandernehmen. Eben wurde behauptet, für die Windkraft würden viel mehr Wälder gerodet als für die Kohle und das sei alles so schlimm. ({0}) Ich darf Ihnen an dieser Stelle ein paar Zahlen nennen. Leider liegt mir das nur für Nordrhein-Westfalen vor. ({1}) Für Brandenburg habe ich keine konkreten Zahlen. Ich nenne die Zahlen einfach mal: In Nordrhein-Westfalen sind für Windkraftanlagen im Nutzwald – ich betone: Nutzwald – 18,5 Hektar Wald gerodet worden. Im Hambacher Forst sind für die Kohleverstromung 3 500 Hektar teilweise tausend Jahre alten Waldes gerodet worden. Das ist der zentrale Unterschied, und das macht die Lügen aus, die Sie hier verbreiten. ({2}) Dann wird uns hier Angst gemacht, was das alles kosten wird. Ich habe schon in meiner Rede gestern darauf hingewiesen, wo die Chancen dieser Energiewende liegen und wo die Chancen liegen, wenn wir echten Klimaschutz machen. ({3}) Ich darf Ihnen das noch einmal sagen: Denken Sie an die Gesundheitskosten! Denken Sie an die Kosten für Versicherungen gegen Extremwetterverhältnisse auch für die normale Bevölkerung! Denken Sie an die Landwirtschaft! Denken Sie an die Problematik von Hochwasser und Unwettern! Denken Sie auch an die Arbeitsplätze! Wir haben mittlerweile über 350 000 Arbeitsplätze in den erneuerbaren Energien. Die gefährden Sie an dieser Stelle. ({4}) Für die Autofanatiker vielleicht noch eine kurze Bemerkung: Es geht auch um die Beschäftigten in der Autoindustrie. Denn wenn wir es nicht schaffen, im Verkehrssektor auf emissionsfreie Antriebe umzurüsten ({5}) und unsere Autoindustrie zukunftsfest zu machen, dann sind hier Arbeitsplätze gefährdet. Genau das ist die Problematik. ({6}) Noch ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU/CSU: ({7}) Herr Koeppen versucht es mit genau dieser Angstmache. Er redet über den Unmut der Bürgerinnen und Bürger und über eine Dunkelflaute. Das steht hier gar nicht zur Debatte, wenn es um das Energiesammelgesetz geht. Es geht darum, mit einem Ausbau zu beheben, was Sie in den letzten Jahren verbockt haben. Es geht nicht darum, die gesamte Energiewende abzuhandeln. Was Sie machen, ist Angstmache. ({8}) Von der FDP haben wir gestern im Zusammenhang mit EEG und nationalen Gesetzen gehört, es sei totalitär, solche Gesetze zu machen. Wer gegen Marktwirtschaft ist, ist totalitär? Nein, ich darf Ihnen dazu sagen: Selbst die Einhegung von Marktwirtschaft, die soziale Marktwirtschaft, geht Ihnen zu weit. Sie legen hier die Axt an die Grundfesten unserer Demokratie. Das ist das Problem. ({9}) Wenn hier gesagt wird, es sei nationalistisch, voranzugehen, bzw. wenn Deutschland die Energiewende macht, sei das nationalistisch, dann ist das absurd. Wir haben in Deutschland auch die Verantwortung, bei dieser Energiewende Vorbild zu sein. Das ist unsere Aufgabe. Wir haben die Chance dazu, und die müssen wir nutzen. ({10}) Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und CDU/CSU: Hören Sie auf damit! Kehren Sie um! Orientieren Sie sich nicht an den rechten Angstmachern, sondern kehren Sie auf den Pfad der Vernunft zurück! ({11}) Manche sagen, das sei doch alles gar nicht möglich. Schauen Sie einfach mal nach Dänemark! In Dänemark ist jede Kommune verpflichtet, einen Plan für Wärmeversorgung vorzulegen und ihn dann auch umzusetzen. Bei der Umsetzung werden die Kommunen vom Staat unterstützt. In Dänemark gibt es Nahwärmenetze; sie sind nicht privat, sondern in öffentlicher Hand. Sie sind in der Hand von Kommunen und Genossenschaften. Es ist per Gesetz verboten, mit diesen Nahwärmenetzen Profit zu machen. Das bedeutet: Wenn die Nahwärmenetze Gewinn erwirtschaften, dann wird dieser Gewinn im nächsten Jahr über die Strompreise ausgeschüttet und kommt den Bürgerinnen und Bürgern in Dänemark zugute. Das ist demokratisch. ({12}) Ich habe es eben nachgelesen: Aktuell beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien in Dänemark 76 Prozent. Bis 2030 sind 90 Prozent geplant. Bis 2035 ist für das gesamte Wärmenetz – Fernwärme und Nahwärme – ein Anteil von 100 Prozent an erneuerbaren Energien geplant. Das ist möglich, wenn man es politisch will, und das ist die Frage, über die wir diskutieren. ({13}) Ich darf Ihnen vielleicht auch etwas verraten: Über Bürgerinnen- und Bürgerenergie wird bei Ihnen kaum noch geredet, aber in Dänemark beträgt ihr Anteil 80 Prozent. Das heißt, die Bevölkerung ist dort im Besitz der Energiewende; sie ist beteiligt an der Art und Weise, wie Strom produziert wird. Das fördert die Identifikation. Wir brauchen genossenschaftliche und kommunale Modelle. ({14}) Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen, wenn es um Akzeptanz für die Energiewende geht. Deswegen sage ich: Wir brauchen eine demokratische, dezentrale und sozial gerechte Energiewende. Wir brauchen aber keine Angstmacherei und kein Kuschen vor den Konzernen. Vielen Dank. ({15})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Lorenz Gösta Beutin. – Nächster Redner: Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Beutin, ich finde vieles von dem, was Sie gesagt haben, richtig und kann dem auch zustimmen, aber ich frage mich, warum Ihre rot-rote Landesregierung in Brandenburg Hand in Hand mit der schwarz-gelben in Nordrhein-Westfalen im Bundesrat Anträge einbringt, die den kompletten Windenergieausbau in Deutschland kaputtmachen wollen. ({0}) Sie müssen mal mit Ihren Genossen in Brandenburg reden. Dann wäre hier vieles authentischer. ({1}) Worum es hier aber wirklich geht, ist: Wir haben in ein paar Tagen eine Weltklimakonferenz, und es wäre so wichtig für die Welt, wenn aus Deutschland, wo wir zehn Jahre klimapolitischen Stillstand hatten, endlich mal wieder ein Signal käme. Die Entscheidung, den Kohleausstieg noch vorher hinzubekommen, haben Sie schon versemmelt. Jetzt hätten Sie die Chance, ein Ausbaugesetz für die Erneuerbaren vorzulegen, das endlich in die Richtung der Klimaziele gehen würde. Aber das machen Sie nicht. Sie legen einen Gesetzentwurf vor, bei dem heute schon klar ist, dass Sie die Ziele 2030 verfehlen werden. Denn das, was Sie heute hier beschließen, ist die Basis für das, was in den nächsten Jahren stattfindet; und das ist viel zu wenig. Sie werden damit alle Ihre Ziele krachend verfehlen; und das ist ein Skandal, meine Damen und Herren. ({2})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Kollege Krischer, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Lenkert aus der Fraktion Die Linke?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Krischer, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass das Land Brandenburg unter Rot-Rot den besten Ausbau an erneuerbaren Energien in der Bundesrepublik hingelegt hat – abgesehen von Schleswig-Holstein – und da Vorreiter war. Nehmen Sie auch zur Kenntnis, dass die großen Erfolge, die man dort in der Solarbranche hatte, durch die EEG-Novelle im Jahr 2011 abgewürgt wurden, wodurch sehr viele Chancen zerstört worden sind, und dass der Windkraftausbau trotzdem massiv voranschreitet, also an den Alternativen sehr vorbildlich gearbeitet wird. Wenn Sie auf andere zeigen, denken Sie bitte auch daran, was die Grünen in der Landesregierung in NRW mitbeschlossen haben.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, das hat aber alles nichts mit dem zu tun, was ich gesagt habe. Denn Brandenburg bringt einen Antrag in den Bundesrat ein, der die Privilegierung der Windenergie streichen will, ({0}) interessanterweise genauso wie Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen. Wenn das, was Ihre Partei in Brandenburg vertritt, Gesetz wird, dann bauen wir in Deutschland keine einzige Windenergieanlage mehr. ({1}) Das ist das Problem. ({2}) Sie müssen sich auch fragen lassen, wie es sein kann, dass eine Landesregierung, an der Sie beteiligt sind, so etwas macht. Das passt nicht zu dem, was Sie hier sagen. Um das noch einmal klar zu sagen, habe ich an der Stelle darauf hingewiesen. ({3}) Was passiert hier jetzt? Sie legen heute die Grundlage dafür, dass wir beim Klimaschutz nicht nur das 2020-Ziel, sondern auch das Klimaschutzziel 2030 verfehlen, weil Windenergieanlagen heute einen Planungsvorlauf von fünf bis sieben Jahren haben. Wir werden sogar Anfang der 20er-Jahre möglicherweise einen Abbau von erneuerbaren Energien bekommen, weil die alten Anlagen aus der EEG-Förderung rausfallen, ({4}) Sie aber gleichzeitig den 52-GW-Deckel nicht aufgeben. Was ist das für eine Energiewendepolitik, die am Ende dazu führt, dass der ehemalige Vorreiter in den 20er-Jahren weniger hat als heute? Das können Sie draußen in der Welt niemandem mehr erklären. ({5}) Und ehrlich gesagt: Sie wissen selbst, dass Sie die Ziele verfehlen werden. Sie haben das eigene Ziel aus dem Koalitionsvertrag, 65 Prozent Erneuerbare, schon gar nicht mehr ins Gesetz geschrieben. Damit dokumentieren Sie ja schon, dass Sie überhaupt nicht daran glauben, dass Sie das erreichen werden. Und ehrlich gesagt: Sie reden immer von Planungssicherheit, aber Sie haben im Gesetz ein anderes Ziel als im Koalitionsvertrag. Wie kann das sein? Das hat doch nichts mit Planungssicherheit zu tun. Das ist Planungsverunsicherung. Das verstört Investoren. Das behindert die Wirtschaft; und das wollen wir nicht. ({6}) Dann will ich auch noch eines sagen: Das Ganze vernichtet Arbeitsplätze. Das, was Sie heute und hier beschließen, vernichtet mehr Arbeitsplätze in der erneuerbaren Energienbranche als die Braunkohle überhaupt hat, und das muss hier mal in aller Klarheit ausgesprochen werden. ({7}) Das zerstört die Wirtschaft. Das zerstört die wirtschaftliche Basis unseres Landes. Anstelle dessen bräuchten wir eigentlich erstens einen klaren Beschluss zum Kohleausstieg. Wir bräuchten zweitens eine CO 2 -Bepreisung; und wir bräuchten drittens einen Strommarkt, bei dem die erneuerbaren Energien faire Bedingungen am Markt bekommen, ({8}) zum Beispiel beim Mieterstrom. Es ist ein bürokratisches Monster, was Sie da gemacht haben. – All das legen Sie nicht vor. Und ich habe leider nicht die Hoffnung, –

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Kommen Sie bitte zum Ende.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– letzter Satz –, dass diese Bundesregierung jemals in der Lage sein wird, die Herausforderungen der Energiewende und des Klimaschutzes zu bewältigen. Sie schaffen es ja nicht einmal, einen Staatssekretär zu finden, der für dieses Thema zuständig ist; und das macht mehr als alles andere symbolisch deutlich, welchen Stellenwert das bei Ihnen hat. Danke schön. ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nach § 30 der Geschäftsordnung hat der Kollege Lorenz Gösta Beutin das Wort für eine persönliche Erklärung.

Lorenz Gösta Beutin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004672, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Lieber Oliver Krischer, weil du mich eben persönlich angegriffen hast, will ich dazu einfach etwas sagen. Ich fand es eigentlich gut, dass es uns gestern gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag zur Weltklimakonferenz einzubringen. Ich kann jetzt viel über Kretschmann erzählen, der vom „sauberen“ Diesel schwafelt, vom Ausbremsen der Energiewende im Verkehrssektor, auch durch Baden-Württemberg. Ich kann vielleicht auch viel darüber erzählen, was in Nordrhein-Westfalen alles so gelaufen ist. Aber ist es nicht besser, wenn wir hier im Bundestag an dieser Stelle jetzt auch einmal das Gemeinsame nach vorne stellen? ({0}) Ist es nicht besser, wenn wir an dieser Stelle einmal darüber diskutieren, dass wir nationale Rahmenrechtlinien brauchen, dass wir eine nationale Gesetzgebung hier im Deutschen Bundestag erarbeiten müssen, die den Rahmen absteckt, dass in den Ländern, und zwar nicht nur in den rot-rot, rot-rot-grünen oder wie auch immer regierten Ländern, sondern auch in den schwarz-gelben und in anderen Ländern, eine vernünftige Energiepolitik umgesetzt werden muss? Wir müssen die Rahmenrechtlinien hier im Deutschen Bundestag setzen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ich darf Sie darauf hinweisen: Eine persönliche Erklärung ist kein Debattenbeitrag. Herzlichen Dank. – Der nächste Redner ist der Parlamentarische Staatssekretär, Thomas Bareiß. ({0})

Thomas Bareiß (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003734

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass ich als zuständiger Staatssekretär zu dem Thema sprechen darf, lieber Herr Krischer. ({0}) Ich freue mich auch, dass wir nach ein paar Kampfesreden, die wir gerade so gehört haben, vielleicht wieder ein bisschen mehr zur Sache kommen können. Es geht heute darum, dass wir das Energiesammelgesetz noch einmal in Gänze durchgehen und besprechen, was drinsteht. Ich glaube, dass viel Wichtiges drinsteht, auch für die Energiewende. Wir haben hier ein Gesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren, das mit Augenmaß geschrieben worden ist und das auch zukünftig dafür sorgt, dass wir in Deutschland bezahlbare und saubere Energie bekommen und dass wir vor allen Dingen – das ist das, was auch mich so umtreibt – ein Technologieprojekt vorantreiben, das für unser Land von enormer Bedeutung ist, nicht nur heute, sondern auch in den nächsten Jahrzehnten; denn wir erleben in der Welt einen enormen Energiehunger. Allein in den nächsten 20 Jahren werden wir noch einmal 50 Prozent mehr Energie brauchen; und diese Energie wird derzeit größtenteils aus Kohleenergie gedeckt, aus Kernkraftwerken. Wenn wir ein Energiesystem aufbauen, das zeigt, dass es mit erneuerbaren Energien effizient geht, dann können wir auch den Energiebedarf der Welt decken. Deswegen müssen wir ein Energiesystem entwickeln, das vernünftig ist, das bezahlbar ist, das sicher ist und das auch sauber und umweltfreundlich ist. Daran arbeiten wir jeden Tag, und auch das Gesetz, das wir jetzt vorlegen, wird dazu ein Stück weit beitragen. ({1}) Es enthält wichtige Elemente: Wir haben einen weiteren konsequenten Ausbau von erneuerbaren Energien. Wir sorgen für Akzeptanz von erneuerbaren Energien. Wir sorgen auch dafür – auch das ist ganz wichtig –, dass das EEG beihilferechtlich in der EU-Kommission weiter Bestand haben wird. Wir werden dafür sorgen, dass wir die Kosten im Griff haben und damit die Bezahlbarkeit für die Zukunft. Und wir bekennen uns klar zur Effizienz und damit auch zur KWK. Das sind ganz wichtige und richtige Elemente. Und es ist auch wichtig, dass wir es noch vor der Jahreswende beschließen, damit wir für die Zukunft Rechtssicherheit und Planungssicherheit gewährleisten. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Wir bauen die Erneuerbaren weiter aus. Wir sind schon heute weiter als viele noch vor Jahren gedacht haben. Wir sind heute schon bei knapp 40 Prozent erneuerbare Energien. Aber es geht nicht mehr allein darum, dass wir in den nächsten Jahren erneuerbare Energien ausbauen, sondern es geht auch darum, dass wir das System mehr im Blick haben. Deswegen haben wir auch ganz klar gesagt, dass wir nicht nur die Zubaugeschwindigkeit erhöhen, sondern auch das Netz stärker in den Blickpunkt nehmen wollen. Deshalb haben wir das zur Chefsache gemacht. Minister Altmaier war in den letzten Wochen immer wieder unterwegs und hat vor Ort geworben und dafür gesorgt, dass wir dort, wo es wehtut, für den Netzausbau entsprechende Mehrheiten finden. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn nur so wird die Energiewende sinnig, stimmig und für die Menschen bezahlbar. Auch das ist ein ganz wichtiges Projekt. Deshalb: Ausbau, ja. Ausbau findet statt. Ausbau geht weiter. Aber auch der Netzausbau wird ein ganz wichtiges Element der nächsten Jahre sein. Auch daran arbeiten wir gemeinsam. ({2}) Wir werden jetzt die Sonderausschreibung voranbringen. Auch das ist ein Punkt, den wir lange diskutiert haben, der für die Erneuerbaren wichtig ist. Wir machen im Bereich der Wind- und Sonnenenergie zweimal 4 GW für die Jahre 2019, 2020 und 2021; und wir sorgen auch dafür, dass der Markt diese Menge überhaupt aufnehmen kann. Wir haben lange diskutiert, ob wir es in zwei Jahren schaffen. Wir haben bewusst gesagt: Wir wollen es in drei Jahren bewerkstelligen, weil der Markt schon heute enorm angereizt ist. Die Preise steigen, und für uns ist es enorm wichtig, dass wir auch in den nächsten Jahren einen Zubau haben, der bezahlbar ist. Die Energiepreise sinken im Windbereich auf 5,7 Cent, im PV-Bereich sogar auf 4,6 Cent. Jetzt müssen wir die Mengen so in den Markt hineinsteuern, dass auch die niedrigen Preise weiter realisiert werden können. Die Ausschreibung war ein ganz wichtiger Schritt hin zu einer marktorientierten Energiewende, und auch das wird dazu beitragen, dass die Energiewende weiter erfolgreich bleibt. Wir sorgen auch für die Bezahlbarkeit der erneuerbaren Energien. Wir bauen Überförderung ab, auch das ist ein ganz klares Bekenntnis für den bezahlbaren Ausbau. Wir wollen im Bereich der großen Dachanlagen, wo es in den letzten Jahren keine Kürzung gab, wo es Festvergütungen gibt, die Absenkung zwischen 40 und 750 KW moderat gestalten; auch da ist enorm viel Luft drin. ({3}) Wir haben allein im Modulpreis in den letzten zwölf Monaten 29 Prozent an Kürzungen der Kosten gehabt. Insofern haben wir dort einen ganz klaren Handlungsbedarf. Wir wollen die Vergütung in den nächsten vier Monaten hier Schritt für Schritt senken hin zu einem moderaten Preis, bei dem sich Anlagen noch rechnen, Vertrauensschutz da ist und Überförderung abgebaut wird. Auch das ist ein ganz wichtiger Schritt hin zu einer sinnvollen Energiewende für die nächsten Jahre, meine Damen und Herren. ({4}) Wir werden in diesem Komplex auch das Thema Mieterstrom, das vorhin schon angesprochen worden ist, noch einmal besonders aufgreifen. Wir werden im Mieterstrombereich weniger stark kürzen, weil wir glauben, dass der Mieterstrom eine ganz wichtige Komponente sein wird, die Energiewende auch in die Städte zu holen. Da haben wir einiges gemacht; dort wird noch mehr gemacht, auch im Bereich der Gewerbesteuer. Auch hier wird vieles getan. Ich glaube, mit den Komponenten, dass wir einerseits im Bereich des Mieterstroms nicht zu stark kürzen, andererseits aber auch die gewerbesteuerliche Voraussetzung noch einmal anpassen, haben wir eine sehr gute Grundlage, sodass der Mieterstrom auch die nächsten Jahre zu einer Erfolgsgeschichte werden kann. Wir werden in den nächsten Monaten auch diskutieren – es geht ja weiter –, wie wir den Zubau weiter gestalten. Wir verfolgen bis 2030 das 65‑Prozent-Ziel. Hinzu kommt das Ziel, das wir bis 2040 erreichen wollen. Wir wollen also immer schneller vorangehen. Aber wir wollen auch ganz klar das Thema Netzsynchronisation ansteuern. Auch die Akzeptanz vor Ort wollen wir besprechen, und wir wollen die Frage stellen, wie wir im Bereich von Offshore vorangehen können. Hier haben wir das Ziel, bis 2025 einen Ausbau von 15 GW im Bereich Offshore in Nord- und Ostsee zu erreichen. Vielleicht können wir hier in den nächsten Jahren sogar noch mehr erreichen. Auch das müssen wir sinnvoll und sauber diskutieren; wir müssen schauen, was möglich ist und was die Netzkapazitäten hergeben. Dann können wir bis Mitte nächsten Jahres hier einen klaren Handlungsbedarf definieren. Auch die Südquote, also die Frage, wie viel im Süden zugebaut wird, wird noch einmal ein großes Thema sein, genauso wie die generelle Akzeptanz vor Ort. Ein weiterer Punkt, den ich hier noch ansprechen will, ist das Thema Kraft-Wärme-Kopplung. Das Gesetz enthält ein klares Bekenntnis zur Kraft-Wärme-Kopplung und zu einer effizienten Energieversorgung, sowohl im Bereich von industrieller KWK als auch im Bereich von kommunaler KWK. Auch das ist uns wichtig. 98 Prozent der Anlagen im Bereich der Industrie-KWK haben die Sicherheit, dass sie auch weiterhin, also wie bisher, die Eigenstromregelung nutzen können. Das ist ein ganz großer Erfolg für uns. Wir wollen ein klares Bekenntnis für die nächsten Jahre abgeben, die KWK nicht nur bis 2022 zu nutzen, sondern auch darüber hinaus, etwa bis 2025. Dann hätten wir genügend Luft, um zu fragen: Wie geht es mit der KWK in den nächsten Jahren weiter? Damit könnten wir die Kraft-Wärme-Kopplung am Markt ganz besonders etablieren. Die Kraft-Wärme-Kopplung ist eine effiziente Energieversorgung, die wir für die nächsten Jahre entsprechend fördern, halten und auch ausbauen wollen. ({5}) Meine Damen und Herren, die Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes sind ein weiterer Schritt zu einer verlässlichen, bezahlbaren und auch umweltfreundlichen Energieversorgung. Ich kann Sie nur bitten, dem Gesetzentwurf zuzustimmen und damit für eine gute Fortführung der Energiewende zu sorgen. Herzlichen Dank. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Vielen Dank, Thomas Bareiß. – Nächste Rednerin für die FDP-Fraktion Sandra Weeser. ({0})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Debatte zur Energiewende sollte doch grundsätzlicher und ehrlicher geführt werden. Der Bundesrechnungshof kritisierte im September Koordination und Controlling der Energiewende sehr scharf, und er hat sogar vor einem Scheitern gewarnt. Daraufhin habe ich Kleine Anfragen an die Bundesregierung gestellt. Und zum Thema Koordination habe ich auf neun Fragen neun Antworten bekommen, und zwar immer die gleiche: Die Koordination läuft effektiv. Es gibt nichts zu verbessern. – Und zum Thema Controlling: Aus Sicht der Bundesregierung ist es nicht sachgerecht, jedes einzelne Ziel auf eine scheinbar griffige Zahl zu reduzieren. – Meine Damen und Herren, in meinem kaufmännischen Berufsleben habe ich von Controlling eine andere Vorstellung. Das zeigt mir umso mehr, wie weit die Bundesregierung hier vom Management und vom Controlling entfernt ist. ({0}) Lassen Sie uns doch einmal zum Ursprung der Energiewende zurückkommen. Wir haben es eben schon gehört: Hier geht es um die Reduzierung der CO 2 -Emissionen. Gemessen an diesem Ziel, ist die Energiewende krachend gescheitert. Wir haben seit 2009 fast kein Gramm CO 2 einsparen können. Wir haben nichts erreicht. Dann lassen Sie uns doch wenigstens jetzt die Konsequenzen daraus für das Thema Controlling ziehen. Unser Vorschlag wäre: Lassen Sie uns gemeinsam für ein internationales Emissionssystem, für einen internationalen Emissionshandel einsetzen, ({1}) und lassen Sie uns doch einmal mutig sein! ({2}) – Wir sind ja auch nicht mutig. Die Union und die SPD haben ihr 65-Prozent-Ziel für 2030 noch nicht einmal ins EEG geschrieben, und die Grünen haben im absoluten Höhenflug ohne Augenmaß in ihrem Antrag 100 Prozent gefordert. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, erklären Sie mir bitte, wie das gehen soll. Sie betreiben Klientelpolitik für Erneuerbare. ({3}) Den Leuten draußen gaukeln Sie vor, der saubere Strom komme aus der Steckdose. Erklären Sie mir einmal, wie Sie Grundlast festmachen wollen, wenn wir nur noch Wind und nur noch Solar haben; die Sonne scheint nämlich leider nur an 50 Prozent eines Tages. ({4}) – Ja, es ist doch so. Wir haben keine ausreichende Anzahl an Speichern, wir haben keine ausreichende Anzahl an Netzen, und es geht auch nicht so voran, wie wir uns das vorstellen. Seien Sie doch einmal so ehrlich. ({5}) Oder glauben Sie etwa, hier würde niemand etwas von Physik verstehen? ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Herrn Lenkert?

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Kollegin, Sie haben soeben gesagt, dass es in Deutschland keine Speicher gibt. ({0}) Ich erinnere erst einmal an die Pumpspeicherwerke für den Tag- und Nachtausgleich. Des Weiteren erinnere ich Sie an 171 Terawattstunden, die wir in Gasspeichern haben, die also vorhanden sind. Jetzt möchte ich mich Ihrer Kritik an der Koalition anschließen. Wenn die Koalition dafür sorgen würde, dass der Biomassestrom, statt als Biogas konstant zu verbrennen, erst einmal in die Erdgasspeicher gehen würde, dann hätten wir heute schon die notwendige Technologie und müssten nichts zubauen. Wir hätten die Speicher da, um jede Dunkelflaute überstehen zu können. Wie haben Sie das in Ihre Rechnung einbezogen? ({1})

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zum Ersten. Ich habe gesagt: Wir haben nicht ausreichend Speicher. Zum Zweiten. Alle Power-to-X-Anlagen, die momentan laufen – Sie haben vergessen, sie zu erwähnen –, sind von der Wirtschaftlichkeit her wesentlich geringer, als wir uns das wünschen. ({0}) – Ja, natürlich. Wollen Sie es nicht wirtschaftlich haben? Wir reden ja hier über den Preis. Ich meine, in Ihrem Wahlkreis sieht es ein bisschen anders aus; ({1}) das weiß ich. Aber okay. Alles in allem haben wir nicht genug Speicherkapazitäten, um eine Grundlastfähigkeit festzustellen. ({2}) Wir haben allein im Bereich der Erneuerbaren 2 Prozent; wenn man es hochrechnet, kommt man auf 10 Prozent. Erklären Sie das einmal den Leuten, wenn der Kühlschrank nicht mehr funktioniert, die Benzinpumpe nicht mehr läuft und auch sonst die ganze Wirtschaft zusammenbricht. – Danke schön. Für uns Freie Demokraten sind zwei Punkte ganz wichtig. Der eine Punkt ist das Thema Versorgungssicherheit, worüber wir gerade gesprochen haben. Aber wir dürfen auch die Preise nicht außer Acht lassen. ({3}) Wir haben in den letzten fünf Jahren 160 Milliarden Euro für die Energiewende ausgegeben, davon im letzten Jahr 34 Milliarden Euro, ({4}) und Sie reden hier die Kosten klein. Die Energiekosten sind längst ein Standortfaktor für die Wirtschaft geworden. Sie sind auch ein sozialer Faktor für die Haushalte. ({5}) – Ja, uns geht es wunderbar. – Also lassen Sie uns doch die Energiewende einmal neu denken. Lassen Sie uns doch einmal positiv sein. Lassen Sie uns doch das eigentlich verfehlte Ziel der Reduzierung der CO 2 -Emissionen noch einmal angehen und das ganze Thema technologieoffen angehen. ({6})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Sandra Weeser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004929, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Beenden wir die Politik des Stückwerks, und gestalten wir die Energieversorgung der Zukunft! ({0})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Danke schön. – Nächster Redner: Dr. Matthias Miersch für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Weeser, das mit der Wirtschaftlichkeit ist eine ganz spannende Betrachtung. Wenn Sie mal rechnen und dabei einbeziehen würden, was für volkswirtschaftliche Folgekosten entstehen würden, wenn wir nicht handeln würden, dann sähe die Rechnung schon völlig anders aus. ({0}) Zur FDP-Logik „mehr Markt“, Herr Neumann: Wann gab es denn, bitte, in der Energiepolitik mal Markt? Das größte Marktversagen haben Sie angerichtet, nämlich unter Schwarz-Gelb, als Sie die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängert haben, weswegen wir heute noch Schadensersatz zahlen müssen. ({1}) An die gerichtet, die in der Atomkraft jetzt wieder eine Lösung entdecken: Wer zahlt denn die Endlagerkosten, die in die Milliarden gehen, die für nachfolgende Generationen immer noch eine Belastung sein werden? Wer redet denn darüber? Es ist doch nicht wirtschaftlich, wenn man in diese alte Technologie investiert. ({2}) Aber ich bin bei dem Kollegen Beutin: Wir sollten die fortschrittlichen Kräfte hier in diesem Parlament über die Fraktionen hinweg bündeln. Deswegen, Olli Krischer, ich kann es mir nicht verkneifen: Die Selbstgerechtigkeit der Grünen geht mir im Augenblick ein bisschen auf den Keks. ({3}) Nur eine Zahl, und dann können wir weiter darüber reden; schließlich haben wir alle unsere Probleme und Herausforderungen, auch in unseren Parteien. Aber wir haben nur einen grünen Ministerpräsidenten. Er sitzt in Baden-Württemberg. Wie sieht es denn da aus mit dem Onshoreausbau? Wenn ich die entsprechende Homepage richtig lese: 2017 gab es eine genehmigte Windkraftanlage – und das in einem Lande mit einem grünen Ministerpräsidenten. ({4})

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Herr Miersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krischer?

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Olli, natürlich. Bitte. – Ich habe nur vier Minuten Redezeit; dann kann ich noch länger sprechen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Nein, nein, nein. So ist es nicht.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Doch. Die Uhr wird ja angehalten.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja, sie wird angehalten. Aber wir nehmen jetzt keine Verdoppelung der Redezeit vor.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich muss doch antworten dürfen.

Claudia Roth (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003212

Ja. – Stopp! Es gibt eine Zwischenfrage, und Sie dürfen antworten, aber nicht mit dem Argument „Dann habe ich viel mehr Redezeit“, sondern Sie haben die Möglichkeit, zu antworten, Herr Kollege Miersch. So, Oliver Krischer.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Matthias Miersch, danke, dass die Frage zugelassen wird. – Ich will hier jetzt gar nicht von Blut­grätschen oder von der Gleichsetzung von Klimaleugnern und engagierten Klimaschützern reden. Das könnte ich alles tun; ich will das aber gar nicht tun. Ich möchte nur eine Frage stellen; denn hier wurde gesagt, in Baden-Württemberg sei der Windenergieausbau zu gering. Da gibt es eine klare Ursache: Das ist die Politik einer Bundesregierung – an der, wenn ich richtig informiert bin, die Sozialdemokratie beteiligt ist –, die Ausschreibungen macht, die dazu führen, dass in den südlichen Bundesländern – da ist auch mein eigenes Bundesland Nordrhein-Westfalen betroffen, aber auch Rheinland-Pfalz und Hessen – Windenergieanlagen nicht mehr wirtschaftlich sind und nicht mehr gebaut werden können. ({0}) Das lässt sich durch die Bank beobachten. Baden-Württemberg hat da die schwierigsten Standorte und fällt hinten runter. ({1}) Es gibt die Forderung aus der SPD, eine Regionalquote einzuführen, um Süddeutschland zu unterstützen. Sie setzen sich bei der Union nicht durch, und dann werfen Sie das der Landesregierung in Baden-Württemberg vor. Das ist absolut lächerlich, und das weißt du ganz genau, lieber Matthias Miersch; das ist armselig. ({2})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Olli Krischer, wir sollten uns an dieser Stelle nicht über Details streiten; in der Sache sind wir doch einig. Wir können jetzt lange über Baden-Württemberg und die Voraussetzungen reden; was ich sagen wollte, ist, dass für dieses Maß an Selbstgerechtigkeit, wenn ich in die grün mitregierten Länder gucke, aus meiner Sicht kein Grund besteht; denn Sie haben und ihr habt einen Ministerpräsidenten, der eingestehen muss, dass das, was er an Windkraft bis 2020 machen wollte, nicht passiert. ({0}) Ihr habt einen Ministerpräsidenten, der bei der Automobilwende, für die ihr hier kämpft, genau das Gegenteil macht. Ihr habt zum Beispiel einen Parteivorsitzenden; jetzt gehen wir mal in den Norden der Republik. ({1}) Hier wird kritisiert, dass wir über Akzeptanz bei Windkraft und Abstandsregelungen diskutieren. Was war mit die letzte Handlung von Robert Habeck als Umweltminister von Schleswig-Holstein? Abstandsregelungen für Onshore einzuführen! Daran müsst ihr euch einfach mal messen lassen. Das ist so. ({2}) Aber jetzt schalten wir um und sammeln mal die progressiven Kräfte. Da bin ich bei Leuten, die uns das Leben im Moment schwer machen, Herr Kollege Koeppen. Wir haben eine Koalition geschlossen. ({3}) Sie haben eben gesagt, KWK hätten wir in Geiselhaft genommen. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden noch ganz anders verhandeln; ({4}) denn wir werden darauf drängen, dass das, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, umgesetzt wird. ({5}) Das, was wir hier heute machen, ist neben den Regelungen, die wir in dieser Woche zum Grundgesetz – Stichwort „Bildungspolitik“ – und zur Mietpreisbremse verabschiedet haben, ein weiterer großer Schritt: Wir werden durch die Sonderausschreibung einen Riesenschritt gehen, weil wir uns zum Ausbau von erneuerbaren Energien bekennen. Ich danke unserem Verhandlungsteam Timon Gremmels, Johann Saathoff und Bernd Westphal. ({6}) Lieber Herr Koeppen, die 65 Prozent stehen im Koalitionsvertrag. ({7}) Ich würde Ihnen wünschen, dass Sie mal Gespräche mit dem BDI, mit dem BDEW führen. Die sitzen alle in der Kohlekommission, und die sehen alle, dass wir einen ganz starken Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen, um die Energiewende zu schaffen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie ist um Meilen weiter, als Sie es hier heute gewesen sind, lieber Herr Kollege Koeppen. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Miersch, der Herr Kollege Koeppen hätte eine Zwischenfrage.

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Selbstverständlich. ({0})

Jens Koeppen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003789, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das 65-Prozent-Ziel steht im Koalitionsvertrag; gar keine Frage. Wie es da reingekommen ist, ist eine andere Diskussion, ({0}) und die Vernunft dabei ist auch eine andere Frage. Aber Sie wissen auch ganz genau, dass drinsteht: Bei der Sonderausschreibung, 8 GW, ist die Voraussetzung die Aufnahmefähigkeit der Netze. ({1}) Die ist nicht gegeben. – Erste Anmerkung. Zweite Anmerkung. Es wurde nichts dazu gesagt – ich habe vorhin gefragt –: Wenn das 65-Prozent-Ziel erreicht werden soll, müssen 30 000 Windkraftanlagen in Deutschland zugebaut werden – 30 000! ({2}) Es gibt zurzeit 30 000. Es wurde mir bis jetzt die Frage noch nicht beantwortet, wo in Deutschland bis zum Jahr 2030  30 000 Windkraftanlagen gebaut werden können und sollen. ({3})

Dr. Matthias Miersch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003809, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Koeppen, erstens finde ich es schon interessant, dass Sie sagten, Sie wüssten nicht, wie diese 65 Prozent in den Koalitionsvertrag gekommen sind. ({0}) Ich glaube, dass alle beteiligten Parteien legitimiert waren, diesen Koalitionsvertrag abzustimmen, auch Ihre. Vielleicht gab es da noch keine Regionalkonferenzen wie jetzt zum Vorsitzenden, aber ich glaube, Sie haben das sehr aufmerksam gelesen. Sogar Peter Altmaier war zeitweise drin – wenn ich das sagen darf, lieber Peter – und hat mit dafür gesorgt, dass wir die 65 Prozent reingeschrieben haben. ({1}) Aber das Entscheidende haben Sie genannt: ({2}) die Aufnahmefähigkeit der Netze. Was die Sonderausschreibung angeht, Herr Koeppen, hat Ihnen die Bundesnetzagentur bestätigt: überhaupt kein Problem. ({3}) Ich gebe Ihnen recht: Bei den 65 Prozent werden wir über Netzinfrastruktur reden müssen. ({4}) Deswegen bringen wir im Moment Beschleunigungsgesetze auf den Weg. Jetzt kommen wir zu dem anderen Punkt, den Sie nannten, zu Ihren 30 000 Anlagen. Es gibt zig Szenarien – das kennen Sie; wir werden uns entscheiden müssen, wo wir Stellschrauben wie setzen –: Aber in Ihrem Szenario scheint überhaupt keine Rolle zu spielen zum Beispiel das Thema Repowering, ({5}) der Energiemix von Onshore, Offshore und PV sowie vor allen Dingen der schlafende Riese der Effizienz. ({6}) Das sind doch die Marktsektoren der Zukunft. Wenn wir hier besser werden, haben wir eine Industrie der Zukunft und setzen nicht auf alte Pferde. Herr Koeppen, ich rate Ihnen wirklich: Diskutieren Sie mal mit den großen Unternehmen, die sich beispielsweise zur Stiftung 2° zusammengeschlossen haben – das sind Konzerne, die wirklich viel weiter sind als Sie –, und hören Sie auf, diese Blockade in dieses Parlament und in diese Koalition zu tragen! ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, eben wurde von der FDP gerufen, man bräuchte keine Opposition mehr. Meine Rolle und die Rolle der SPD-Bundestagsfraktion hier verstehe ich bzw. verstehen wir so, dass wir miteinander um den besten Weg ringen. ({8}) Ich sage Ihnen zu der Haltung, die Sie hier an den Tag legen: Sie haben eine verdammte Verantwortung für nachfolgende Generationen. Was wir hier augenblicklich machen, wird den Herausforderungen nicht gerecht. Deswegen darf das hier heute nur ein erster Schritt sein. ({9}) Deswegen wird zweitens, Olli Krischer, im Februar die Kommission einen Kohleausstiegspfad mit einem Enddatum vorschlagen. Da bin ich mir relativ sicher; denn da sind sehr konstruktive Kräfte am Werk. Und wenn sich die Politik augenblicklich etwas raushalten würde, wäre es, glaube ich, umso besser. Wir werden drittens, Herr Koeppen, bis 2019 ein Klimaschutzgesetz verabschieden, das diesen Namen verdient, und dann werden wir unseren Herausforderungen gerecht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Dr. Ingrid Nestle hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Ingrid Nestle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004119, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Matthias Miersch, ich möchte eines gern vorweg noch einmal klarstellen: Robert Habeck in Schleswig-Holstein hat beileibe nicht neue Abstandsregelungen eingeführt oder eingefordert, sondern in harten Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP ({0}) – jetzt hören Sie vielleicht einmal zu Ende zu, bevor Sie „Aha!“ rufen! – die Lösung dergestalt gefunden, ({1}) dass man für die nächste Nähe der Ortschaften gesagt hat: Da sollen nicht ganz besonders hohe Mühlen hin, sondern nur normal hohe Mühlen. – Das ist keine Abstandsregelung, die irgendein Windrad oder irgendeine Windfläche rausnehmen würde. Nur weil ein paar Leute das beim Lesen offensichtlich nicht verstanden haben, wird dieser Mythos immer noch weiterverbreitet, und das finde ich schade. ({2}) Lieber Matthias, ich würde dich bitten, das nicht zu tun. Wir können uns auch gern darüber unterhalten. Ich war bei den Koalitionsverhandlungen dabei. Aber eigentlich geht es um etwas viel Größeres; eigentlich geht es hier heute ums Ganze. Es geht um die Klimakrise. Das letzte Mal in der Erdgeschichte, als die Erde sich sehr stark erhitzt hat, sind 90 Prozent der Arten im Meer und 70 Prozent der Arten an Land ausgestorben. Da gab es noch keine Menschen, keine Zivilisation, die auf dem Spiel stand – anders als heute. Heute erhitzen wir die Erde 100-mal schneller. Es geht hier heute also auch um Fluchtursachen und innere und äußere Sicherheit. Es geht um Wohlstand. Und ja, natürlich, es geht auch um eine gesicherte Energieversorgung. ({3}) Es geht heute um eine gesicherte und bezahlbare Energieversorgung, die Planungssicherheit braucht. Deshalb finde ich es verstörend, wie Sie in der Koalition dieses Thema für Ihre parteipolitischen Zankereien missbrauchen. Was Sie hier vorlegen, ist eher ein Energiechaosgesetz. ({4}) Mit diesem Gesetz versuchen Sie noch nicht mal, Ihre eigenen Ziele umzusetzen. Natürlich ist es guter parlamentarischer Brauch, sich über die Höhe der Zielmarken zu streiten. Natürlich hätte ich gern mehr als 65 Prozent Erneuerbare in 2030. Aber worüber man sich nicht streiten kann, das ist doch, dass Sie versuchen müssen, Ihre eigenen Ziele zu erreichen, und dass Sie die Rahmenbedingungen dafür schaffen müssen. Genau das tun Sie aber nicht. Sie machen ein paar Regeln für die nächsten paar Jahre, wurschteln ein bisschen rum und schaffen keine Planungssicherheit. Das ist Arbeitsverweigerung der Regierung. Leider, muss ich sagen, ist es bei Ihnen, glaube ich, pure Ideologie. Sie wollen unbedingt in der Vergangenheit bleiben, aber nicht, weil die Fakten dafürsprechen würden. Es ist gerade andersherum. Was haben Sie gesagt? Es sei teuer? Hm. Als die Erneuerbaren noch teuer waren, haben wir viel zugebaut. Heute, wo die Erneuerbaren günstiger sind als neue Fossile, bauen wir sie nicht mehr aus. Das ist doch Quatsch; das ist doch Unsinn. ({5}) Sie haben gesagt: Der Strom muss doch nutzbar sein, er muss doch in die Netze passen. – Dann machen Sie ihn nutzbar, dann stimmen Sie wenigstens unserem Antrag zu. Nutzen statt abschalten: Man kann den Strom ja auch vor dem Netzengpass nutzen. Aber genau das machen Sie nicht. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Harbarth von der CDU/CSU hat gesagt: Der Bundestag ist kein Experimentierlokal. – Genau das gilt auch für die Energiewende. Sie ist kein Experimentierlokal. ({6}) Sie haben ein eigenes Konzept: 65 Prozent Erneuerbare, Kohleausstieg, Netzausbau. Alles ist abgestimmt, und es ist ein Skandal, dass Sie Ihr eigenes Konzept nicht umsetzen, sondern die gesamte Branche in Investitionsunsicherheit lassen. Bitte denken Sie endlich an die Zukunft unserer Kinder. Danke. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Dr. Andreas Lenz. ({0})

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Energiesammelgesetz liegt zur Abstimmung vor. Besser spät als nie, könnte man sagen. Aber es gab eben auch noch Punkte, die diskutiert werden mussten. Bei der Energiewende muss zum einen natürlich über das große Ganze gesprochen werden. Zum anderen sind auch die Details wichtig. Die heutige Debatte erinnert mich an die gesellschaftliche Debatte der letzten Wochen und Monate. Wir hatten einen warmen Sommer; zugegebenermaßen: sehr warm. Jeder sprach über Klimawandel. ({0}) Kaum haben wir zwei kalte Tage im Winter, wird über die Negierung des Klimawandels gesprochen. Wir müssen auch einmal klar feststellen, dass Wetter und Klima einfach zwei unterschiedliche Dinge sind. ({1}) Was wird jetzt gemacht? Zum einen werden wir Sonderausschreibungen umsetzen, die im Koalitionsvertrag vorgesehen sind. Zum anderen schaffen wir Rechtssicherheit bei der Kraft-Wärme-Kopplung, und zwar mindestens bis 2025. Ich will ganz klar betonen: Die Kraft-Wärme-Kopplung, die hocheffiziente KWK, wird im Rahmen der Energiewende an Bedeutung gewinnen. Das machen wir mit diesem Gesetz auch klar, und das ist gut. Die Koalition zeigt hier Handlungsfähigkeit. Jetzt hieß es in den letzten Monaten immer wieder: Die Energiewende wird verschleppt, und wir kommen nicht voran. – Dass wir vorankommen bei der Energiewende, zeigt doch eine Zahl ganz deutlich: 39 Prozent des Bruttostromverbrauchs sind zwischen Januar und Oktober dieses Jahres durch Erneuerbare gedeckt worden. Das ist ein Rekordwert. Wenn man sagt: „Die Energiewende wird abgewürgt“, dann ist das nicht richtig; denn wir haben dieses Jahr einen Rekordwert, gerade in der Zeit von Januar bis Oktober, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Zum Inhalt. Die Sonderausschreibungen von je 4 Gigawatt für Photovoltaik und Onshorewindenergie bis 2021 liegen vor; es wurde ja angesprochen. Diese Streckung macht auch Sinn, weil wir ja Wettbewerb haben wollen. Das ist eben auch ein Unterschied zwischen uns und Ihnen von den Grünen: Wir wollen den Wettbewerb, auch und gerade bei den Erneuerbaren. Auf die Innovationsausschreibungen wurde ja eben auch Bezug genommen. Wir wollen den Anteil der innovativen Ausschreibungen bis 2021 deutlich erhöhen, und zwar auf 500 Megawatt pro Jahr. Das begrüßt beispielsweise auch die Bundesnetzagentur. Wir brauchen eine Energiewende 2.0, in der Netzdienlichkeit, Speicher und Flexibilität viel mehr Berücksichtigung finden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Lenz, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der Fraktion Die Linke?

Dr. Andreas Lenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004339, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde jetzt gern weitermachen, weil die Zeit schon vorangeschritten ist. ({0}) All das wird jetzt bei den Innovationsausschreibungen auch erprobt und dann automatisch übernommen, wenn es sich als dienlich herausgestellt hat. Das ist ein Schritt, den wir als Union immer gefordert haben. Das ist ein Erfolg, und das ist auch unser Erfolg. Wir schaffen bei der Biomasse bzw. den Biogasanlagen Flexibilisierungsmöglichkeiten, damit sie tatsächlich dann Strom produzieren, wenn er auch im Netz gebraucht wird. Wir haben im parlamentarischen Verfahren eine große Rechtsunsicherheit beim sogenannten Formaldehydbonus zur Luftreinhaltung ausgeräumt. Hier drohten Rückzahlungen, die dann letzten Endes sogar Existenzen bedroht hätten. Die Stärkung der Biomasse ist auch ein Beitrag zur Stärkung des ländlichen Raums insgesamt. Dazu sehen wir uns als Union auch verpflichtet. ({1}) Wir haben bei der Photovoltaik Kürzungen im parlamentarischen Verfahren so gestaltet, dass durch die Übergangsfrist Vertrauensschutz und Rechtssicherheit gewahrt bleiben. Aber klar muss auch sein: Wenn wir die Akzeptanz der Energiewende wollen, dann müssen wir Überförderungen abbauen. Auch das haben wir gemacht. Weiterhin haben wir klargestellt, dass wir Photovoltaik auch zukünftig lieber auf dem Dach haben wollen als auf dem Feld. Das wird auch so bleiben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({2}) Hinsichtlich der Frage der Akzeptanz werden wir weiter neue Ansätze finden und suchen müssen. Deshalb wird ja die Arbeitsgruppe eingesetzt, auch wenn es darum geht, die 65 Prozent tatsächlich zu unterlegen. Herr Miersch, ich würde mir schon wünschen, dass wir das Ganze nicht schon vor der AG eskalieren. Wir sollten einfach nach Lösungen suchen, ganz vorbehaltlos und an der Sache orientiert. ({3}) Insofern muss auch klar sein, dass nach der Verabschiedung des Energiesammelgesetzes die Herausforderungen weitergehen. Speicher wurden genannt, aber genauso Power-to‑X und Wasserstoff. Bayern hat beispielsweise eine Wasserstoffstrategie im Koalitionsvertrag vereinbart. Das gilt natürlich auch für den Bereich des Netzausbaus. Ich bin Minister Altmaier sehr dankbar, dass er in Kürze ein Netzausbaubeschleunigungsgesetz vorlegen wird. Bei der letzten Debatte kam ja die Frage auf, warum der Minister nicht da ist. Der Minister war nicht da, weil er Tag und Nacht an diesen Gesetzen arbeitete und Tag und Nacht vor Ort bei den Netzengpassknoten war. ({4}) Er hat also sein Versprechen gehalten und sich sämtliche Engpässe selbst angeschaut. Ich will noch kurz auf den Punkt der Versorgungssicherheit eingehen. Mir ist es wichtig, dass wir hier auch in einem nationalen Kontext ausbauen. Ich will nicht, dass Deutschland langfristig von Nachbarstaaten abhängig ist. Wir brauchen zu jeder Tages- und Nachtzeit eine gesicherte Energie- bzw. Stromversorgung. Das ist Grundlage unserer industriellen Basis. Aber hier gibt es ja auch Horrorszenarien. Ich möchte sagen, dass Deutschland, was die Versorgungssicherheit angeht, momentan einer der besten Standorte weltweit ist. ({5}) Schauen Sie sich mal die Stromausfallzeiten in den USA an. Da kann sich Deutschland durchaus sehen lassen. Das muss natürlich auch in Zukunft so bleiben. Wir müssen außerdem die sektorenübergreifende Betrachtung ausbauen. Ich nenne nur den Bereich der Wärme. Dann müssen wir natürlich in der AG auch noch schauen, dass wir die Ergebnisse der Strukturkommission, der WSB-Kommission, mit einfließen lassen. Das ist ein wichtiger Punkt. Insofern ist diese zeitliche Perspektive durchaus wichtig. Wenn wir das verknüpfen, dann können wir auch zukünftig die Chancen der Energiewende nutzen. Das werden wir auch tun, meine Damen und Herren, aber eben in einer vernünftigen Art und Weise. Das unterscheidet uns von Ihnen. In diesem Sinne geht es weiter. Danke schön. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt: der Kollege Johann Saathoff, SPD-Fraktion. ({0})

Johann Saathoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004393, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Ostfriesland würde man sagen: Nooit an fummeln, wenn wat löppt. Mit anderen Worten: Nichts ändern, wenn was läuft. ({0}) In der Energiegesetzgebung ist dieser Grundsatz leider nicht möglich. Im Gegenteil: Man muss in der Energiepolitik ständig nachjustieren, damit es auch tatsächlich läuft. Und man muss selbstkritisch eingestehen: Wir haben lange Zeit nicht nachjustiert, nicht nachjustieren können. Deswegen wurde es dringend Zeit. Mit diesem Gesetz setzen wir einen kleinen Teil der energiepolitischen Vereinbarungen des Koalitionsvertrages um. Die Betonung liegt auf „kleiner Teil“. Das reicht uns natürlich noch lange nicht. Um das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel von 65 Prozent erneuerbarer Energien in 2030 zu erreichen, haben wir noch viel vor. Die SPD, meine Damen und Herren, wird dafür kämpfen, dass dieses Ziel auch umgesetzt wird. Wir werden dieses Ziel niemals aus den Augen verlieren. ({1}) Eigentlich müsste das nicht nur die SPD machen. Vielmehr müssten wir alle gemeinsam für dieses Ziel kämpfen; denn immerhin gibt es ja folgenden Hintergrund: Wir haben ein Klimaschutzabkommen geschlossen, mit einem verbindlich vereinbarten 1,5- bis 2-Grad-Ziel. Wir wollen uns doch vertragstreu verhalten. Wir müssten gemeinsam dieses Ziel verfolgen, nicht nur für die Menschen an den Küsten der Welt, sondern auch anderswo; denn der Klimawandel ist eine der größten Fluchtursachen, die wir in den nächsten Dekaden erleben werden. Auch mit Blick darauf müssen wir dieses Ziel erreichen, natürlich auch im Interesse der Küsten Deutschlands. Diejenigen, die sagen: „Klimawandel gibt es gar nicht“, liebe Kolleginnen und Kollegen von der ganz rechten Fraktion, haken mal eben Millionen Menschen an den Küsten Deutschlands und deren Zukunft einfach so ab. ({2}) Wir müssten die Ziele ferner für unsere Kinder und für unsere Enkelkinder verfolgen. Um das 65-Prozent-Ziel zu erreichen, brauchen wir einen verbindlichen Ausbaupfad; daran geht kein Weg vorbei. Dafür müssen wir wissen, wie sich die fossile Energieerzeugung in Deutschland weiterentwickeln wird. Die ersten Ergebnisse dazu werden wir aus der Strukturkommission im Februar erhalten. Direkt danach muss der Ausbaupfad, Herr Minister, dringend definiert und gesetzlich vereinbart, gesetzlich normiert werden, damit er verbindlich ist. ({3}) Bis dahin, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir das NABEG, das wir ja beschlossen haben. Der Vorwand, Netzengpasskosten würden den Ausbau der Erneuerbaren unmöglich machen, wird dann endlich zur Geschichte gehören und nicht mehr als Argument in der parlamentarischen Debatte funktionieren. Mit dem vorgelegten Gesetz ermöglichen wir eine Sonderausschreibung für Onshorewindenergie und für Photovoltaik, je 4 Gigawatt, verteilt über drei Jahre. Ich glaube, dazu kann man sagen: Das ist ein großer Erfolg. Den dürfen wir ruhig mit allem Stolz nach außen verkünden. Wir schaffen endlich wieder Planbarkeit für die vielen, oft auch kommunalen Unternehmen in der Kraft-Wärme-Kopplung, und wir schlagen Regelungen für mehr Bürgerakzeptanz vor: bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung von Windenergieanlagen – ja, meine Damen und Herren, dass ich das noch erleben darf. Für die SPD – das will ich an dieser Stelle aber deutlich sagen – sind Abstandsregeln, die den Ausbau der erneuerbaren Energien verhindern, ausdrücklich keine Maßnahme der Bürgerakzeptanz. ({4}) Die geforderte Regelung, das Zehnfache der Höhe als Abstand zu definieren, hilft den Menschen in Süddeutschland nicht, um das mal ganz klar zu sagen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Dadurch wird der Ausbau von Windenergieanlagen in Süddeutschland unmöglich gemacht. Wir Sozialdemokraten – das mag man an dieser Stelle mal sagen – wollen im Sinne der Solidarität in Deutschland eine gemeinsame Gebots- und Preiszone erhalten. Das ist vor allen Dingen für den Süden der Republik von Interesse; denn: Industrie folgt Energie. Wer aber den Ausbau von Windenergie verhindert, erhöht den Druck, sodass Preiszonen geteilt werden, oder andersrum, um es doppelt gesagt und doppelt verstanden zu wissen: Wer einheitliche Preiszonen erhalten will, der darf diese 10H-Regelung endlich vergessen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege. – Das war der letzte Redner. Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt. Wir kommen zur Abstimmung. Zu dieser Abstimmung liegen mir mehrere Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Wir stimmen ab über den von CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, des Energiewirtschaftsgesetzes sowie weiterer energierechtlicher Vorschriften. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6155, den Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD auf Drucksache 19/5523 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Das sind CDU/CSU und SPD. Gegenstimmen? – Dagegen ist die gesamte Opposition. – Enthaltungen sehe ich keine. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das ist wieder die Koalition. Gegenstimmen? – Das ist die gesammelte Opposition. Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 19/6155, eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – CDU/CSU und SPD. Gegenprobe! – Die gesamte Opposition. – Enthaltungen sehe ich nicht. Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zu den Entschließungsanträgen. Entschließungsantrag der Fraktion FDP auf Drucksache 19/6167. Wer stimmt dafür? – Die FDP. Wer stimmt dagegen? – Das sind die übrigen Fraktionen des Hauses. Enthaltungen? – Keine. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/6168. Wer stimmt dafür? – Die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die AfD, die FDP, die Koalition. Enthaltungen? – Die Linke. Damit ist auch dieser Entschließungsantrag abgelehnt. Tagesordnungspunkt 22 b. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 19/6155 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1006 mit dem Titel „Bürgerenergie retten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition, die FDP, die AfD. Wer stimmt dagegen? – Die Linke und die Grünen. – Enthaltungen sehe ich keine. Damit ist diese Beschlussempfehlung des Ausschusses angenommen.

Bernd Rützel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004392, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer schön, wenn man hier, an dieser Stelle, wieder einmal über den Mindestlohn reden kann. Schon dafür bin ich den Linken und den Grünen für ihre Anträge dankbar. Denn der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte; darauf ist die SPD stolz, darauf dürfen wir alle stolz sein. Es ist die Sozialreform der letzten Legislaturperiode. ({0}) 4 Millionen Menschen profitieren von einem besseren Lohn. Es gibt mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, und es gibt immer weniger Menschen, die trotz Arbeit am Ende des Monats zum Amt müssen, um Sozialleistungen zu beantragen. ({1}) Und unserer Volkswirtschaft tut dieser Mindestlohn auch gut. Er schafft zusätzliche Kaufkraft und stärkt auch die nächsthöheren Lohngruppen, weil er sie mitzieht. Aber ich will an dieser Stelle auch sagen: Ja, der Mindestlohn ist kein guter Lohn. Er ist eine Untergrenze; eine Untergrenze, die wir eingezogen haben gegen Lohndumping, gegen unfairen Wettbewerb. Viele wollen einen höheren Mindestlohn; ich habe gar nichts dagegen. Wer sollte etwas dagegen haben? Es ist immer gut, wenn niedrigere Lohngruppen, untere und mittlere Stufen gestärkt werden und höhere Löhne erhalten. Ich bin aber dagegen, diesen Mindestlohn jetzt per Gesetz neu zu regeln; denn wir haben mit der Einführung des Mindestlohns schon in die Tarifautonomie eingegriffen. Das war notwendig, das war geboten, und es war auch richtig. Aber wir wollen und sollten das nicht zur Regel machen; denn die Entscheidung über die Höhe des Mindestlohnes haben wir in die Hände einer unabhängigen Mindestlohnkommission gelegt, die aus Gewerkschaften, aus Arbeitgebenden besteht. Die können das besser; die können das viel besser als wir. ({2}) Ich denke auch schon noch über die Expertenanhörung nach, die wir zu diesem Thema hatten. Ich frage mich: Ist der Entscheidungsspielraum, den diese Mindestlohnkommission hat, groß genug? ({3}) Sie kann mit Zweidrittelmehrheit eine Abweichung vom Tarifindex beschließen, aber nur, wenn besondere, gravierende Umstände vorliegen. ({4}) Wie konkret wir diese Kommission und den Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken können, werden wir, so wie es vereinbart ist, spätestens 2020 bei der Überprüfung der jetzigen Regel diskutieren und besprechen. Ich will aber auch sagen: Wenn wir die Tarifbindung stärken, wenn wir mehr Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen und ein Tariftreuegesetz haben und öffentliche Aufträge nur da vergeben werden, wo es Tarifverträge gibt – die öffentliche Hand ist ein sehr großer Auftraggeber –, ({5}) dann unterstützen wir die Tarifautonomie, und dadurch wird automatisch auch der Mindestlohn ein besserer werden. Wir sollten unser Augenmerk darauf legen, dass auch heute noch 2,2 Millionen Menschen der Mindestlohn, obwohl sie ihn bekommen müssten, verwehrt wird. Sie werden betrogen: ihnen wird der Mindestlohn vorenthalten. Deswegen müssen wir vermehrt und effektiver kontrollieren. ({6}) Es gibt einfach zu viele schwarze Schafe. Wir brauchen Dokumentationspflichten; sie sind der Dreh- und Angelpunkt für Kontrollen. Denn nur, wenn man etwas schwarz auf weiß hat, kann man kontrollieren. Ich sage nur: Wir werden das gegen alle Versuche von verschiedenster Seite – die Arbeitgeberverbände sagen, dass es zu umständlich ist und zu viel Bürokratie verursacht – verteidigen. Die Aufzeichnungspflichten sind notwendig und auch jedem Arbeitgebenden zuzumuten. ({7}) Wir sind auf einem guten Weg. Wir stellen mehr Personal beim Zoll, bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ein. Wir haben es in der letzten Legislaturperiode aufgestockt, und wir stocken es auch dieses Mal wieder auf. Aber wir wissen, dass es gar nicht so einfach ist, entsprechendes Personal zu rekrutieren. Man muss die Beschäftigten ausbilden, das dauert seine Zeit. Sie brauchen detaillierte Kenntnisse der Rechtsmaterie; sie sind Vollzugsbeamte, sie haben hoheitliche Aufgaben. Wir müssen aber nicht nur über die Anzahl der Beschäftigten bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit sprechen, sondern auch über deren Befugnisse, die eingeschränkt worden sind und wieder ausgeweitet werden müssen. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, mit der Einführung des Mindestlohns wurden viele Schreckgespenster an die Wand gemalt. Wo sind sie? Nichts davon ist eingetreten. Es ist eine Erfolgsgeschichte. Und wir werden uns diese Erfolgsgeschichte nicht durch detaillierte und kleinziselierte Anträge kaputtmachen lassen. ({8}) Wir werden es 2020 überprüfen; das ist unser Plan. Das ist auch gut so. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner: Kollege Jürgen Pohl, AfD-Fraktion. ({0})

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Werte Gäste! Die vorliegenden Anträge zum Mindestlohn gehen mal wieder an den eigentlichen Problemen vorbei. Lassen Sie mich zunächst feststellen: Der derzeitige Mindestlohn ist ein Armutslohn und keine Erfolgsgeschichte, wie Kollege Rützel hier glauben machen will. ({0}) Ich glaube, da dürften Die Linke und meine Partei einer Meinung sein. Aus diesem Armutslohn folgt für die meisten Arbeitnehmer die Armutsrente. Daran ändert auch der Antrag der Linken nichts, und das ist das Problem. ({1}) – Ich erkläre Ihnen das in Ruhe. – Schauen Sie einmal in den Osten unseres Landes. Wer Arbeit hat, verdient zu wenig. 25 Jahre nach der deutschen Einheit ist besonders in den unteren Einkommensgruppen festzustellen, dass das Einkommensgefälle von West nach Ost durchschnittlich 25 Prozent beträgt, in der Spitze bis zu 31 Prozent, ({2}) und das bei Kosten für die Lebenshaltung, die ungefähr gleich sind. Schauen Sie einmal nach Jena oder Erfurt! Weil die Einkommen so niedrig sind, gibt es im Osten so viele Hartz-IV-Aufstocker; das heißt, ohne die staatlichen Zuschüsse können die Arbeitnehmer ihre Familie nicht ernähren. In solchen Verhältnissen sind Kinder ein zusätzliches Risiko; diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Folge ist massive Kinderarmut im Osten. Die Statistik zeigt: Wer einmal in Hartz IV ist, kommt da nicht wieder raus. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, bitte nicht, lassen Sie mich mal ausführen. Die können mich nachher gerne anrufen, wenn es zur Sache beiträgt; ich stehe im Telefonbuch. Und wenn es nicht zur Sache beiträgt, können sie trotzdem anrufen. Ich komme zum Thema zurück. Die Statistik zeigt: Wer einmal in Hartz IV ist, kommt da nicht wieder raus. Die Hälfte der Kinder lebt seit vier Jahren oder länger in Hartz-IV-Armut, und das mit gravierenden Folgen. Die Bertelsmann-Stiftung sagt: Diese Kinder sind häufiger krank, diese Kinder haben im Bildungssystem deutlich schlechtere Chancen als Kinder wohlhabender Familien. Und – jetzt kommt’s – wer seine Kinder alleine erzieht, ist noch schlimmer dran. Fast 50 Prozent aller Alleinerziehenden sind arm, meistens Frauen. – Unsere alleinerziehenden Frauen arbeiten häufig in Berufen mit meist erbärmlichen Niedriglöhnen; sie sind grundsätzlich Aufstocker. Wenn sie einen Job haben, dann sind sie Mini-Jobber oder arbeiten in Teilzeit. Helfen Sie, Genossen von der Linken, diesen Frauen mit Ihren Anträgen? Nein. Wir wissen: Jeder zweite Neurentner wird in Zukunft unterhalb der Armutsgrenze liegen. ({0}) Über die Hälfte der rentennahen Jahrgänge wird im Alter ihren Lebensstandard nicht halten können. Bereits heute erhöht sich die Anzahl der Rentner exorbitant, die im Ruhestand arbeiten müssen. ({1}) Die Anzahl der geringfügig Beschäftigten über 60 Jahre stieg von 2003 bis 2018 um 66 Prozent. Immer mehr Rentnern bleibt ein Ruhestand in Würde versagt. ({2}) Ihre Lebensleistung wird durch die Gesetze der Sozialdemokraten mit Füßen getreten. ({3}) Liebe Genossen, ich komme zurück zu Ihrem Antrag zur Steigerung des Mindestlohns. Dieser Antrag vergisst, dass die einfache Anhebung des Mindestlohnes ({4}) in dieser sozialen Frage nicht die entscheidende Frage ist. Die Einführung des Mindestlohns wurde allein durch die Agenda 2010 notwendig, Genossen von der SPD. Der Mindestlohn kam, weil die SPD sich ihr Versagen nicht eingestehen wollte. Der Mindestlohn ist nichts weiter als eine billige Kosmetik für eine Wirtschaftspolitik, die die arbeitende Bevölkerung verachtet. Wenn heute einfach an der Erhöhungsschraube gedreht wird, um die grundsätzlichen Fehler des Systems, nämlich des Hartz-IV-Systems, und der verfehlten Wirtschaftspolitik aufzuheben, dann bringt uns das nicht weiter. Wenn Sie das nicht verstehen, gebe ich Ihnen ein Beispiel: Ende der 90er-Jahre gab es bei VW ein Jobprogramm, das „5 000 mal 5 000“ hieß: 5 000 Arbeitsplätze für Ungelernte in der Kfz-Automobilindustrie zu einem Lohn von 5 000 D-Mark brutto, also 2 500 Euro brutto. Nun erklären Sie mir mal, wo in West- oder Ostdeutschland nach Agenda 2010 und nach Einführung des Mindestlohns ein Einstiegsgehalt von 2 500 Euro brutto für eine ungelernte Fachkraft gezahlt wird? Ich sage es Ihnen: nirgendwo. ({5}) Mit der massiven Ausweitung von Minijobs, Teilzeit, befristeter Arbeit und vor allem Leiharbeit ist der Lohn in den unteren Einkommensschichten auf einen erbarmungswürdigen Mindestlohn gesunken. Allein die Anhebung dieses Mindestlohns bei weiterhin hohen Teilzeit-, Befristungs- und Leiharbeitsquoten hilft in der Sache nicht weiter; das wissen Sie. ({6}) – Zum Konzept komme ich noch. Lassen Sie mal. Sie feixen und johlen hier wie im Kindergarten und sind derart abgehoben, dass Sie gar nicht mehr mitkriegen, was da draußen passiert. ({7}) Lassen Sie mich doch mal ausreden.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, Frau Kollegin Schimke möchte eine Zwischenfrage stellen.

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nein, es bleibt dabei, danke schön. – So ist das. ({0}) – Ich stehe im Telefonbuch. Noch mal: Allein die Anhebung des Mindestlohns bringt uns in der Sache nicht weiter. Wir müssen an die Teilzeit, die befristeten Jobs, an Leiharbeit herangehen. ({1}) Wir dürfen nicht über Mindestlohn reden, sondern müssen über Wohlstandslohn reden. Ich sage Ihnen: Gerechte Löhne fallen nicht vom Himmel. Gerechte Löhne müssen erkämpft werden. ({2}) Bis Mitte der 90er-Jahre wurde der verteilungsneutrale Spielraum ausgeschöpft. Seither ist das kaum noch gelungen. Seit gut 20 Jahren bleiben die Löhne hinter der Produktivitätsentwicklung zurück; darüber müssen wir reden. Wir müssen darüber reden, dass in Deutschland nach dem Sozio-oekonomischen Panel die Reallöhne für 40 Prozent der Bevölkerung gesunken sind. Die Mindestlohndebatte ist die falsche Debatte. Der Grundfehler der Agenda 2010 muss endlich behoben werden. Die Agenda 2010 hat eine Verhandlungsposition für die abhängig Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt geschaffen und sie dabei massiv geschädigt. Wer vor der Wahl steht: „Verkauf dein Vermögen und nimm Hartz IV oder nimm den miesen Job an“, der wird bereit sein, Arbeit zu niedrigsten Löhnen zu akzeptieren. Das ist das Problem, meine Damen und Herren. ({3}) Wir müssen die Verhandlungspositionen der abhängig Beschäftigten wieder stärken. Das heißt, wir müssen die Gewerkschaften stärken. Wir müssen die Arbeitnehmer ermuntern, sich gewerkschaftlich zu organisieren, etwa in „ALARM!“. Die Aufgabe der Vertragspartner auf dem Arbeitsmarkt ist, ordentliche und auskömmliche Löhne zu vereinbaren. Vor dem unseligen Wirken des SPD-Kanzlers Schröder hat das auch funktioniert. Schaut man sich die Wahlergebnisse der SPD und den Wählerwillen an, dann stellt man fest: Die Wähler draußen haben verstanden, dass eine Lösung mit der SPD in dieser Frage wohl nicht mehr zu machen ist. ({4}) Wir als AfD, als neue Volkspartei, ({5}) als Partei der kleinen Leute, der Arbeitnehmer, der Arbeiter, der Angestellten und der mittelständischen Unternehmer, haben die Lohnfrage als soziale Frage erkannt. Wir werden sie im Sinne unserer Wählerschaft vertreten, gegen demütigende Armut und für einen Wohlstandslohn, der Eigenständigkeit und gutes Leben der Bürger garantiert. ({6}) – Ich sehe, dass ich Reaktionen bei Ihnen ausgelöst habe. Danke schön. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt ein Wunsch nach einer Kurzintervention vor. Ich lasse solche Kurzinterventionen heute Nachmittag zu unter der Maßgabe, dass der Betreffende bis zum Ende der Tagesordnung gegen 17.45 Uhr bleibt. ({0}) Unter dieser Maßgabe erteile ich das Wort für eine Kurzintervention dem Kollegen Weiler von der CDU/CSU-Fraktion.

Albert Weiler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004439, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident, da ich es als Selbstverständlichkeit begreife, dass man hier bis zum Schluss bleibt, sehe ich hier überhaupt keinen Fragebedarf. Ich beziehe mich aber in meiner Kurzintervention auf Sie, Herr Pohl. Ich stelle fest, dass Sie den Mindestlohn präferieren. Zu einer Erhöhung des Mindestlohns gibt es aber von Ihrer Fraktion keinen Beifall. Deshalb hätte ich gerne gewusst: Sind Sie für den Mindestlohn? Ist Ihre Fraktion für den Mindestlohn, und, wenn ja, wie hoch soll der Mindestlohn sein? Das müsste schon einmal klargestellt werden; denn der eine sagt so und der andere sagt so. ({0}) Das ist nicht nachzuvollziehen. – Danke. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Pohl. ({0})

Jürgen Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004856, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Was heißt „nicht nachzuvollziehen“? Einfach weniger dazwischenrufen und mehr zuhören, das hilft dem Erkenntnisgewinn, lieber Kollege. ({0}) – Zur Antwort, genauso ist das. Wenn wir mit einer derartig schlechten Wirtschafts- und Sozialpolitik der SPD überzogen werden, die einen Mindestlohn notwendig macht, um die weitere Verelendung der Arbeitnehmer aufzuheben, dann müssen wir natürlich für den Mindestlohn sein. ({1}) Wohin kommen wir denn, wenn der Hartz-IV-Knüppel angesetzt wird und zunehmend geringere Löhne dadurch ausgehebelt werden? ({2}) – Meine Dame, Sie denken, dass Ihre Wähler zuschauen. Das wissen Sie doch: Wenn Sie dazwischenpöbeln, wissen Sie, was Ihre Wähler von Ihnen halten. Wenn Sie Erkenntnisgewinn haben wollen, gehört es einfach dazu, den anderen ausreden zu lassen. Also: Mindestlohn? – Ja, so lange, bis wir wieder ordentliche und anständige Wohlstandslöhne in Deutschland haben. ({3}) Danke schön. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Professor Dr. Matthias Zimmer. ({0})

Prof. Dr. Matthias Zimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004192, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man nicht so genau weiß, worüber man reden soll, redet man über alles, was einem gerade durch den Kopf geht. ({0}) Das war nicht besonders viel. Es hat mich aber an einen Spruch von Hölderlin erinnert, der da lautet: „Es tönt hohl im innersten Hain.“ Das war meine Erfahrung bei Ihrer Rede, Herr Kollege. ({1}) Der Kollege Rützel hat zu Recht gesagt: Das Mindestlohngesetz ist ein gutes Gesetz. Es ist ein Gesetz, das seine Bewährungsprobe bestanden hat. Ich sage das auch deshalb, weil es vorher durchaus Zweifel gegeben hat. Es gab diejenigen, die gesagt haben: Im Gaststätten- und Restaurantbereich wird es erhebliche Stelleneinbußen geben. – Das Gegenteil ist der Fall. Der ein oder andere hat im Zuge der Erkenntnis noch Kenntnisse des Arbeitszeitgesetzes erhalten, über das er zuvor nichts gewusst hatte. Das ist immerhin ein Erkenntnisfortschritt. Ich erinnere mich an die damalige Anhörung, in der es vonseiten des Ifo hieß: 1 Million Arbeitslose werden wir mehr bekommen. – Wir haben heute weniger Arbeitslose als je zuvor. Die Arbeitslosenquote ist auf 4,8 Prozent gesunken. Ich frage mich manchmal angesichts solcher ungenauen ökonomischen Prognosen, ob man nicht anstelle ökonomischer Mittel lieber astrologische hätte verwenden sollen. ({2}) Wir haben mit dem Mindestlohn zuerst eine kluge Beschränkung vorgenommen. Wir haben den Mindestlohn zunächst einmal auf 8,50 Euro festgesetzt. Das war eine Forderung des DGB; das weiß ich wohl. Aber diese Forderung war auch ökonomisch vernünftig, weil sie sich zum Teil daraus ergab, dass der Mindestlohn in der branchenübergreifenden Zeitarbeit bei etwa 8,50 Euro gelegen hat. Es war klug, mit 8,50 Euro anzufangen, also etwas unterhalb des Medianlohns – das hatten die Briten uns in der Low Pay Commission so empfohlen –, um dann weiterzuschauen. Das haben wir gemacht. Die damals gefundene Lösung ist gut: dass wir als Politik den Mindestlohn, nachdem wir ihn erstmalig festgelegt hatten, nicht weiter festgelegt haben, sondern dass wir das der Mindestlohnkommission überlassen. Dabei sollten wir bleiben. Deswegen lehnen wir 12 Euro Mindestlohn ab. ({3}) Der zweite Punkt, den ich erwähnen möchte, ist: Der Mindestlohn ist eine ordnungspolitische Maßnahme zur Ordnung des Wettbewerbs. Er ist keine sozialpolitische Maßnahme zur Verhinderung von Armut. Mit anderen Worten: Der Mindestlohn ist nicht der gerechte Lohn, den wir etwa von Adam Smith kennen oder aus der katholischen Soziallehre, sondern er dient lediglich der Ordnung des Wettbewerbs in einem bestimmten Segment. ({4}) Deswegen ist er keine sozialpolitische Maßnahme, sondern eine arbeitsmarktpolitische. Wir würden viele Arbeitsplätze verlieren, wenn wir den Mindestlohn als eine sozialpolitische Maßnahme begriffen und ihn auf 12, 13 oder 14 Euro anheben würden. Das halte ich für den völlig falschen Weg. Das lehnen wir ab. ({5}) Dann enthalten die Oppositionsanträge etwas, was mich umtreibt. Da steht: Wir sollen den Mindestlohn nicht nur rückwirkend an die Tarifentwicklung koppeln. Es ist richtig, dass wir das nicht tun. Wir haben das damals bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs auch festgelegt. Im Gesetz steht nämlich, dass die Kommission im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen hat, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnern und Arbeitnehmer beizutragen, einen fairen und funktionierenden Wettbewerb zu ermöglichen und Beschäftigung nicht zu gefährden. Die Mindestlohnkommission hat über die Gesamtabwägung Rechenschaft abzulegen. Es wäre völlig verfehlt, wenn wir das Bild einer Mindestlohnkommission hätten, die sich einmal im Jahr trifft, feststellt, dass die Tarifentwicklung bei 3 Prozent lag, sich dann tief in die Augen schaut, einen Kaffee trinkt und dann sagt: Der Mindestlohn steigt um 3 Prozent. – Das wäre der falsche Ansatz. Vielmehr sollen die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Mindestlohns beachtet werden. Darauf legen wir großen Wert. Das haben wir gegenüber der Mindestlohnkommission immer zum Ausdruck gebracht. ({6}) Abschließend: Das Mindestlohngesetz ist ein gutes Gesetz. Der Mindestlohn hat sich bewährt. Ich glaube, dass die Anträge der Opposition in die falsche Richtung gehen. Wir sollten die Überprüfung 2020 – Kollege Rützel hat das bereits erwähnt – in aller Ruhe abwarten. Auf jeden Fall haben wir keinerlei Anlass, den Anträgen der Opposition heute zuzustimmen. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Carl-Julius Cronenberg, FDP-Fraktion. ({0})

Carl Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004697, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn mir jemand vor fünf Jahren prophezeit hätte, dass ich hier einmal als Gralshüter des deutschen Mindestlohngesetzes auftreten würde, hätte ich ihn, glaube ich, für komplett verrückt erklärt. So ist das: Die einen machen ihren Frieden mit dem Neuen. Die anderen wollen gegen ihr eigenes Gesetz in den Krieg ziehen. Finanzminister Scholz hat einen Mindestlohn von 12 Euro als angemessen bezeichnet. ({0}) Arbeitsminister Heil kündigt laut „FAZ“ vom 1. November die Entmachtung der Mindestlohnkommission an. Lieber Kollege Bernd Rützel, bitte sprechen Sie nicht nur zu uns, sondern auch zu Ihren eigenen Ministern. Sie haben vollkommen recht: Man kann auch einmal auf etwas stolz sein, was gelungen ist, statt das zu bekämpfen, was man selbst beschlossen hat. ({1}) Nun habe ich – Gott sei Dank – keinen Beratungsauftrag für die SPD. Aber eines möchte ich sehr deutlich klarstellen: Die Struktur der Zusammensetzung der Mindestlohnkommission ist Voraussetzung und Garant für die Stabilität auf dem Arbeitsmarkt; Matthias Zimmer hat das hervorgehoben. Wer aus politischen Motiven die Axt an die Unabhängigkeit der Kommission legt, der gefährdet Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. ({2}) Es ist gerade zwei Wochen her, dass wir 100 Jahre Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft gefeiert haben. Wir wissen, dass diesem Modell sozialer Frieden, auskömmliche Löhne und viele Jahre mit hoher Beschäftigung zu verdanken sind. Eine Anhebung des Mindestlohnes auf 12 Euro pro Stunde, wie es Ihren Anträgen zu entnehmen ist, ist ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie. Was wollen Sie dem Gesellen im Fleischerhandwerk sagen, wenn jemand, der keine Ausbildung gemacht hat, plötzlich dasselbe verdient? Ich finde das ungerecht. ({3}) Im Sinne des Lohnabstandgebots gibt es nur eine faire Lösung: Alle Löhne, Hilfsarbeiter-, Gesellen- und Meisterlöhne, werden entsprechend angehoben. Dann wird die Wurst wohl teurer. Inflation wäre die Folge, und das ist eher Käse. Wir sehen: Wer in die Tarifautonomie eingreift, schadet Arbeitgebern, Beschäftigten und auch Verbrauchern. ({4}) Meine Damen und Herren, der Mindestlohn ist kein Instrument zur Armutsbekämpfung; Matthias Zimmer hat auch das schon erwähnt. Das sieht man schon daran, dass wir einen Stundenlohn als Mindestlohn festgelegt haben und kein Monatseinkommen. Das geht auch gar nicht. Einkommen hängt von vielen Faktoren ab, von den gearbeiteten Stunden allen voran. Der Mindestlohn ist eine Lohnuntergrenze und damit ein wettbewerbspolitisches Instrument. Er lässt Wettbewerb zu und schafft lediglich Mindeststandards. Nun sprechen Sie in Ihren Anträgen den Missbrauch und die Umgehung des Mindestlohns an. Zweifellos gibt es Probleme, aber eines steht fest: In mehr als 96 Prozent der überprüften Fälle wurde der Mindestlohn oder mehr ordnungsgemäß gezahlt und eben kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Von flächendeckenden Verstößen kann keine Rede sein. Auch wird gar nicht wegen niedriger Löhne ermittelt, sondern wegen der fehlerhaften Dokumentation. Die umfangreichen Aufzeichnungspflichten belasten noch heute viele kleine und mittlere Unternehmen in großem Maße. ({5}) Daher warnen wir davor, Aufzeichnungspflichten weiter zu verschärfen. Das trifft alle, besonders die kleinen und mittleren Unternehmen, und schafft Unsicherheit und zusätzliche Bürokratie. Die Bekämpfung von Missbrauch darf nicht zulasten der Ehrlichen gehen, meine Damen und Herren. ({6}) Eine Umgehung des Mindestlohns ist statistisch gar nicht so einfach zu messen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schreibt etwa, dass es bei der Datenerhebung zu Messfehlern kommt, weil Monatsbruttolohn und wöchentliche Arbeitszeit getrennt abgefragt werden. Der Stundenlohn muss also separat berechnet werden. Es gibt Schnittstellen, und damit gibt es Fehler. Das ist der gleiche Mist wie beim Diesel. Ich sage: Erst richtig messen, dann meckern. ({7}) Die in den vorliegenden Anträgen geforderten Maßnahmen stellen einen schweren Eingriff in das Mindestlohngesetz dar und stören den funktionierenden Arbeitsmarkt empfindlich. Statt populistische Forderungen zu erheben, sollten Sie lieber die Evaluation in zwei Jahren abwarten. Wir wissen auch noch nicht, was in einer Rezession passieren würde. Deswegen plädieren wir Freie Demokraten für die Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission. Vertrauen wir den Tarifpartnern, und lassen wir sie einfach ihre Arbeit machen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Susanne Ferschl hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Susanne Ferschl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Menschen haben ihre Würde, und Arbeit hat ihren Preis, und der liegt bei mindestens 12 Euro pro Stunde. ({0}) Ich weiß nicht, wie oft wir Linken innerhalb und außerhalb des Parlaments schon darauf hingewiesen haben, dass ein Mindestlohn von 12 Euro zu niedrig ist. Aber Wiederholung ist ja ein probates Mittel für effizientes Lernen, und offensichtlich hat es gewirkt; denn sowohl Minister Scholz als auch Minister Heil sprechen sich mittlerweile für einen Mindestlohn von 12 Euro aus. Zu diesem Lernerfolg, liebe SPD, haben wir sehr gerne beigetragen. ({1}) Aber im Ernst: Von reinen Lippenbekenntnissen haben wir nichts. Es geht darum, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können. Gestern schrieb mir eine alleinerziehende Mutter, vollzeitbeschäftigt, 1 600 Euro Bruttoeinkommen: Als alleinerziehende Mutter mit einer 17-jährigen Tochter und den monatlichen Grundkosten für Miete und Nebenkosten, die bei rund 800 Euro liegen, ist es unmöglich, ein halbwegs sorgenfreies Leben zu führen. – Meine Damen und Herren, Beschäftigte wie diese Mutter schuften den ganzen Tag und können sich die Erhöhungen der Miete nicht mehr leisten. Sie können es sich nicht leisten, ihre Kinder auf Klassenfahrt zu schicken. Sie können sich auch keine neue Waschmaschine kaufen, wenn die alte kaputt ist. Der aktuelle Mindestlohn ist ein Armutslohn. ({2}) Nächstes Jahr soll dieser Armutslohn auf Empfehlung der Mindestlohnkommission – dazu sage ich gleich noch etwas – um 37 Cent erhöht werden. Das ist nicht mehr als ein schlechter Witz, ({3}) auch deswegen, weil mittlerweile jede bzw. jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte zu einem Niedriglohn arbeitet. Eine Ursache dafür ist das unsägliche Hartz-IV-System, mit dem Druck auf die Menschen und die Löhne ausgeübt wird. Deswegen gehört Hartz IV abgeschafft. ({4}) Millionen Menschen müssen neben ihrem Vollzeitjob noch einem Nebenjob nachgehen, weil sie sonst nicht über die Runden kommen, oder aufstocken. Das ist eine Demütigung für diese Menschen. Der aktuelle Mindestlohn – es ist darauf hingewiesen worden – schützt auch nicht vor Altersarmut. 12,63 Euro wären notwendig, damit jemand im Alter nicht aufs Amt muss. Das ist nicht meine Zahl, sondern – ich bleibe dabei – eine Zahl aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. ({5}) Jetzt komme ich auf die Mindestlohnkommission zu sprechen. Diese gibt Empfehlungen über die Erhöhung des Mindestlohnes ab, muss dabei aber die durchschnittlichen Tarifsteigerungen berücksichtigen. ({6}) – Muss sie schon. ({7}) Der Webfehler des ganzen Konstrukts Mindestlohn ist doch, dass er seit seiner Einführung zu gering bemessen war. ({8}) Deswegen, Kolleginnen und Kollegen, muss der Mindestlohn jetzt einmalig auf ein ordentliches Niveau angehoben werden. ({9}) Dann machen die Empfehlungen der Mindestlohnkommission künftig auch Sinn. Ich habe das übliche Getöse der FDP vernommen, dass wir einen politischen Lohn festlegen und in die Tarifautonomie eingreifen wollen. ({10}) Ihre Argumente waren bei der Einführung des Mindestlohns die gleichen, und sie waren schon damals falsch. ({11}) Hören Sie doch endlich auf, der Arbeitgeberlobby nach dem Mund zu reden! ({12}) Die Linke ist nur ein Korrektiv für eine Situation, die die Politik erst herbeigeführt hat. Jahrelang hat eine Regierung nach der anderen den Sozialstaat zerschlagen, die Sozialversicherungssysteme zerlegt und damit die Gewerkschaften geschwächt. ({13}) Mittlerweile fällt gerade mal jeder Zweite unter die Tarifbindung bzw. steht unter dem Schutz eines Tarifvertrages. Es gibt bislang keine Antwort der Bundesregierung, wie damit umzugehen ist. Es ist bis jetzt nichts unternommen worden, um die Tarifbindung gesetzlich zu stärken. ({14}) Wenn Gewerkschaften keinen flächendeckenden Schutz mehr gewährleisten können, dann muss eine gesetzliche Lohnuntergrenze her. ({15}) Der Gesetzgeber muss im Übrigen auch bei den Kontrollen des Mindestlohns handeln. Zig Unternehmen zahlen den Mindestlohn gar nicht erst. Wie kann es denn sein, dass die Bundesregierung zulässt, dass 2 Millionen Menschen um ihren Mindestlohn betrogen werden? ({16}) – Hören Sie zu! – Wenn Unternehmen im Schnitt nur alle 44 Jahre einer Kontrolle unterzogen werden, ({17}) dann ist das die politische Einladung zu Lohndrückerei und zu Lohnraub. ({18}) Stocken Sie endlich das Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf, und erhöhen Sie die Zahl der Mindestlohnkontrollen. ({19}) – Es reicht nicht aus. Sie haben die Gelegenheit verschlafen und wieder zu spät reagiert. Wir sind eine Arbeitsgesellschaft. Um den sozialen Frieden zu bewahren, müssen Beschäftigte von ihrer Hände Arbeit leben können. ({20}) Wenn es Ihnen ernst ist mit sozialer Gerechtigkeit, dann stimmen Sie unseren Anträgen jetzt zu. Es geht um einen Mindestlohn von 12 Euro, die Abschaffung der Ausnahmeregelungen und um wirksame Kontrollen der Mindestlöhne. Vielen Dank. ({21})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin Beate Müller-Gemmeke. – Bitte schön. ({0})

Beate Müller-Gemmeke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004117, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Beim Mindestlohn geht es vor allem um Gerechtigkeit; denn jegliche Arbeit hat ihren Wert. Arbeit muss fair entlohnt werden, und deshalb muss der Mindestlohn deutlich steigen. ({0}) – Einfach erst mal zuhören, lieber Kollege. Der Mindestlohn stärkt und stabilisiert auch das Tarifvertragssystem; denn der Mindestlohn ist nicht nur eine klare Unterkante, sondern er schiebt gleichzeitig die Löhne im unteren Bereich Stück für Stück nach oben. Das ist insbesondere in Branchen mit niedriger Tarifbindung und im Niedriglohnbereich wichtig. Auch deswegen muss der Mindestlohn deutlich steigen. ({1}) Der Mindestlohn ist aber kein Allheilmittel; er kann nicht alle Probleme lösen. Notwendig ist beispielsweise eine echte Reform der Leiharbeit, also Equal Pay ab dem ersten Tag und ein Flexibilitätsbonus. ({2}) Die sachgrundlose Befristung muss endlich abgeschafft werden. Notwendig sind Maßnahmen, damit Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Und um Altersarmut zu verhindern, brauchen wir unbedingt eine Garantierente. ({3}) Es gibt also viele Stellschrauben, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Die Erhöhung des Mindestlohns ist notwendig; aber es stellt sich die Frage, welchen Weg wir dafür wählen. Die Linke hat ja entschieden, dass sie den Mindestlohn auf politischem Weg erhöhen will, und zwar auf 12 Euro. Wir Grünen aber gehen konsequent einen anderen Weg. Die Einführung des Mindestlohns war Aufgabe der Politik; die Erhöhung des Mindestlohns ist aber Sache der Sozialpartner und der Wissenschaft. Das entspricht unserem Grundverständnis von Tarifautonomie. ({4}) Dafür spricht noch ein zweiter Aspekt. Wenn der Mindestlohn von der Politik erhöht werden kann, dann kann die Politik ihn auch lange stagnieren lassen oder gar absenken. Der Mindestlohn darf nicht zum Spielball der Politik und schon gar nicht zum Spielball wechselnder Mehrheiten werden; denn hier geht es um Menschen, sie müssen von ihrer Arbeit leben können. Deshalb stehen wir ohne Wenn und Aber zur Mindestlohnkommission. ({5}) Das Problem ist bekannt: Die Erhöhung des Mindestlohns ist an die Tarifentwicklung gekoppelt. Das ist fatal; denn so bleibt der Mindestlohn, auch wenn er steigt, im Vergleich zu anderen Löhnen immer niedrig. ({6}) Das wollen wir verändern. Wir wollen auch den Schutz vor Armut als Zielsetzung in das Mindestlohngesetz aufnehmen, und wollen drei Wissenschaftlerinnen mit Stimmrecht für die Mindestlohnkommission. Damit erhält die Mindestlohnkommission mehr Freiheit und mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Auch das wird die Debatte in der Kommission verändern. Eine starke Mindestlohnkommission garantiert dann die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz, die im politischen Raum, im politischen Streit nicht entstehen kann. Wir wollen also die Mindestlohnkommission stärken, damit der Mindestlohn tatsächlich stärker und schneller steigen kann. ({7}) Und ganz kurz zum Schluss: Neben der Höhe des Mindestlohns gibt es natürlich noch weiteren Handlungsbedarf. Beim Mindestlohn darf es keine Schlupflöcher und auch keine Ausnahmen geben. Ganz wichtig ist: Der Mindestlohn muss tatsächlich umgesetzt werden und deshalb ausreichend kontrolliert werden; denn ein Mindestlohn nur auf dem Papier ist nicht akzeptabel. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Michael Gerdes. ({0})

Michael Gerdes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004039, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst muss ich sagen: Wir mussten vorhin mal wieder acht Minuten lang krudes Zeug von der AfD hören. Dabei war nicht eine – nicht eine! – Sekunde lösungsorientiert. ({0}) Ich muss Ihnen sagen: Die Einführung des Mindestlohns macht mich als Mitglied der SPD-Fraktion immer noch stolz. Er ist ein Erfolg, weil alle Horrorszenarien, wonach Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten, ausgeblieben sind, weil er messbare Einkommensverbesserungen gebracht hat, weil vor allem Frauen, prekär Beschäftigte, Arbeitnehmer in kleinen Betrieben und Beschäftigte mit Migrationshintergrund von ihm profitieren und weil mehr sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden sind. ({1}) Gleichwohl darf man sich auf Erfolgen nicht allzu lange ausruhen. Im Gegenteil: Man muss sich und seine Entscheidungen immer wieder auf den Prüfstand stellen und schauen, welche Regelungen zeitgemäß sind. Deshalb ist es richtig, dass die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von verschiedenen Seiten, auch in der SPD, debattiert wird. Die Höhe sollte aber nicht willkürlich in die Runde geworfen werden, sondern wir sollten uns den Handlungsrahmen der Mindestlohnkommission anschauen. Dort stehen die Sozialpartner im Vordergrund. Das halte ich nach wie vor für klug. Wir folgen damit einer langen und guten Tradition. Die Mindestlohnkommission orientiert sich an Tarifentwicklungen und allgemeinen Wettbewerbsbedingungen. Wir werden uns diesen Mechanismus anschauen müssen, wenn wir schneller steigende Mindestlöhne erreichen wollen. Man könnte zum Beispiel darüber nachdenken, den Anpassungsrhythmus zu verkürzen. Bisher entscheidet die Mindestlohnkommission alle zwei Jahre, wie Sie wissen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mindestlohn allein kann nicht alle sozialpolitischen Probleme lösen. Er macht zum Beispiel die steigenden Mieten nicht wett. In seiner jetzigen Höhe sorgt er auch nicht für angemessene Einkünfte im Alter. Man kann es gar nicht oft genug betonen: Der Mindestlohn ist eine Lohn unter grenze. Er dient dazu, dass sich die Wettbewerber bei den Löhnen nicht unterbieten und dem Preisdruck nicht auf dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nachgeben. ({2}) Weniger als den festgelegten Mindestlohn wollen wir niemandem zumuten. Arbeitskraft hat ihre Würde, und Arbeit hat ihren Preis. ({3}) Als Gewerkschaftsmitglied füge ich hinzu: Das beste Mittel für gute Löhne und vernünftige Arbeitsbedingungen sind umfassend geltende Tarifverträge. Der Mindestlohn hilft derzeit vor allem dort, wo keine Tarifbindung besteht. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bernd Rützel hat es bereits gesagt: Wer Lohnuntergrenzen beschließt, muss auch überwachen, dass sie eingehalten werden. ({5}) Es ist nur folgerichtig, dass wir mit dem Bundeshaushalt 2019 beschlossen haben, 351 weitere Stellen für die Mindestlohnkontrolle der Zollverwaltung einzurichten. ({6}) Die Hinweise, dass an vielen Stellen der Mindestlohn nicht eingehalten wird, sind äußerst alarmierend. Kontrollen sind eine Frage der Gerechtigkeit – nicht nur gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, sondern auch gegenüber den Arbeitgebern. Die ehrlichen Unternehmen sollen am Ende nicht die Dummen sein. ({7}) Meine Damen und Herren und vor allem liebe junge Zuhörer, wie Sie wissen, gilt der gesetzliche Mindestlohn für Auszubildende nicht. Auch sie verdienen eine Mindestanerkennung. Momentan gibt es große Unterschiede bei den Azubi-Gehältern. Je nach Branche und Region gibt es Ausbildungsberufe, bei denen weniger als 400 Euro gezahlt werden. Andere Betriebe vergüten mit mehr als 1 000 Euro. Wieder andere Auszubildende müssen ihre Berufsausbildung komplett bezahlen. Diese Unterschiede sind kaum nachvollziehbar und verringern an mancher Stelle auch die Attraktivität der Berufsausbildung. Dem gesetzlichen Mindestlohn muss endlich auch eine Mindestausbildungsvergütung folgen. ({8}) Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns in der Großen Koalition auf deren Einführung geeinigt haben. Auch hier gilt es, einen angemessenen Mechanismus für die Höhe der Vergütung zu finden. Der DGB schlägt vor, dass die Höhe der Mindestausbildungsvergütung bei 80 Prozent der durchschnittlichen Vergütung liegen und jährlich angepasst werden sollte. Diese Idee finde ich gut. Herzlichen Dank und Glück auf! ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Frank Heinrich. ({0})

Frank Heinrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004054, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute über den Antrag der Linken, ({0}) den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen. Im Jahr 2014 haben wir sehr lebendige Debatten hier im Deutschen Bundestag geführt und dann entschieden, diesen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. ({1}) Anfang 2015 trat er in Kraft. Viele der Anwesenden haben gut in Erinnerung, wie die Debatten nicht nur hier im Haus, sondern auch in der öffentlichen Diskussion abliefen. Wir haben uns viele Mahnungen anhören und Schreckgespenster an die Wand malen lassen müssen. Der Kollege Zimmer hat vorhin darauf hingewiesen. Es wurden Mutmaßungen ins Feld geführt, was alles passieren würde. Ich erinnere mich, dass wir als CDU/CSU-Fraktion bereit waren, diese unterste Linie einzuziehen. Kollege Rützel hat das ebenfalls angesprochen. Ich erinnere mich aber auch daran, dass wir immer gesagt haben: Wir brauchen eine noch klarere Differenzierung. Regionale und branchenspezifische Unterschiede sollten bei dem Machen dieses Werks berücksichtigt werden. Auch an eine andere Mahnung erinnere ich mich. Manche haben vorhergesagt, dass wir möglicherweise immer wieder diese Diskussion führen und einen politischen Überbietungswettbewerb einleiten könnten. Viele dieser Vorurteile haben sich als substanzlos erwiesen. Der letzte Punkt nicht. ({2}) Wir diskutieren das immer wieder, sowohl hier als auch draußen und in Wahlkämpfen. Wir glauben aber, dass ein von der Politik festgelegter Mindestlohn immer Gefahr läuft, eben nur ein wahlkampfbedingter Lohn zu sein. Letzten Montag hatten wir die besagte Anhörung. Ich möchte einige Aussagen herausgreifen und begründen, warum wir dem Ansinnen Ihres Antrages nicht folgen können, was Sie nicht grob verwundern wird. Wir haben verstanden und sind der festen Überzeugung – das wurde auch in vielen Aussagen der Angehörten deutlich –: Die Festlegung der Höhe des Mindestlohns soll auch zukünftig bei der Mindestlohnkommission bleiben. – Darin bestand große Einigkeit, auch unter den Sachverständigen dieser Anhörung. Das hat sich bewährt. Die können das viel besser, hat Kollege Rützel gesagt. Wir brauchen dort die Tarifpartner, die das unabhängig von uns machen. Sie haben diese Arbeit gut gemacht, und deshalb haben wir die Anpassungen erlebt und werden in 32 Tagen eine erneute Anpassung erleben. Ebenso gab es recht große Einigkeit darüber, dass der Mindestlohn in seiner jetzigen Form Armut als solche gar nicht verhindert. Wir als CDU/CSU sagen: Mindestlohn ist kein armutsbekämpfendes oder sozialpolitisches In­strument, sondern ein wettbewerbspolitisches. Das ist ganz bewusst so, um Mindestlohn nicht zum Spielball des politischen Wettbewerbes, von Wahlkämpfen oder einer gewissen Polemik, die damit einhergeht, zu machen. Selbst der DGB hat bekräftigt, dass der gesetzliche Mindestlohn nur eine der Stellschrauben bei der Armutsbekämpfung ist. Es gab Unterschiede – Sie haben das in der Debatte teilweise auch verfolgen können –, ob die Mindestlohnkommission Erhöhungen gegebenenfalls flexibler gestalten könnte, das heißt, den Entscheidungsspielraum der Kommission zu vergrößern. Vorausgeschickt: Jetzt schon ist der Mindestlohnkommission die Möglichkeit gegeben, diesen Mindestlohn auch erhöht vorzuschlagen. Einige wollten eine weniger enge Bindung – das haben Sie als Grüne ins Feld geworfen – der Kommission an die Tariflohnentwicklung, andere wollen genau das nicht; nicht nur die Koalition, sondern auch die FDP. Sie als FDP – da sind wir uns sehr nahe – wollen ganz bewusst eine Unabhängigkeit dieser Kommission als ordnungspolitische Voraussetzung für die Stabilität am Arbeitsmarkt. Deshalb – ich komme gleich zum Ende –: Gegen die Anhebung des Mindestlohns in einem einzigen Schritt – Sie schreiben in Ihrem Antrag: um das niedrige Ausgangsniveau auszugleichen – spricht Folgendes: Es besteht relativ große Einigkeit darüber, dass mit dem Mindestlohn regional unterschiedliche Lebenshaltungskosten nicht ausgeglichen werden können. In Ballungszentren und knapp daneben ist es ein großer Unterschied, ob er existenzsichernd ist oder nicht. Das hat nicht nur mit Ost und West zu tun. Bei schneller Anhebung des Einstiegslohns könnten alle Löhne und Gehälter nach oben gedrückt werden. Das war eine Aussage von den Liberalen. Uns ist wichtig, dass der Fortbestand des Lohnabstandsgebotes eingehalten wird. Deshalb zusammenfassend: Eine Mindestlohnfestsetzung sollte evidenzbasiert erfolgen. Das scheint mir mit der Mindestlohnkommission zu glücken. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die auch teilweise von der Mindestlohnkommission in Auftrag gegeben wurden, wurden dabei berücksichtigt. Wir sehen keine Defizite, die es zu korrigieren gäbe. So viel in gebotener Kürze, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Pascal Kober hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegen der Linkspartei, einmal mehr fordern Sie eine Erhöhung – eine politische Erhöhung – des Mindestlohns. Liebe Kollegen der Union, was haben Sie in den letzten vier Jahren gemacht? Es ist bei der Linkspartei in keiner Weise irgendein Erkenntniszugewinn in den Grundlagen volkswirtschaftlicher Wissenschaft zu erkennen. Sie machen die gleichen Fehler. Aber ich bin gern bereit, es Ihnen noch einmal zu erklären. ({0}) In unserer sozialen Marktwirtschaft ist es so: Niemand hat etwas gegen gute und hohe Löhne. Aber diese Löhne bestimmen im Wesentlichen auch den Preis des Produkts. Am Ende muss der Verbraucher entscheiden, ob er bereit ist, zu diesem Preis die Dienstleistung oder das Produkt zu kaufen. Wenn er das nicht tut – die Freiheit dieser Entscheidung hat er in unserer sozialen Marktwirtschaft –, dann fällt der Arbeitsplatz weg, und die Menschen sind arbeitslos. Ich sage für die Freien Demokraten: Nicht zu arbeiten, keinen Arbeitsplatz zu haben, ist schlechter, als einen gering entlohnten Arbeitsplatz zu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Ein Arbeitsplatz ist mehr als ein Einkommen. Ein Arbeitsplatz ist Chance. Er ist die Chance, aufzusteigen. Er ist die Chance, bessere Fortbildungsmöglichkeiten zu bekommen. Er ist eine Chance für Befähigung. Er ist die Chance, wirklich aufzusteigen. Diese Chancen wollen Sie den Menschen nehmen, bzw. Sie riskieren diese Chancen mit Anträgen wie dem vorliegenden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber arbeitslos als gering entlohnt – das ist zynisch. Das lehnen wir als FDP ab. ({2}) Gegenwärtig existiert die Mindestlohnkommission aus Arbeitnehmern, Arbeitgebern und der Wissenschaft. Sie hat sich bewährt.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Kober, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, vom Kollegen Ernst doch immer. ({0})

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank. – Vielleicht eine Vorbemerkung: Ich wundere mich immer wieder, welche Argumente Ihnen einfallen, um einen menschenwürdigen Lohn zu verhindern. ({0}) Wenn uns Menschen zuhören und diese teilweise verschwurbelte Argumentation hören, auch der Vorredner, dann frage ich mich: Was müssen die denken, wie sich dieser Bundestag um sie kümmert und sich um sie bemüht? Ich glaube, es ist gut, dass uns wenige hören. Nun zu den Punkten. Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, dass, wenn wir einen Mindestlohn als Untergrenze festlegen, wir ihn nur deshalb als Untergrenze festlegen mussten, weil die Tarifautonomie in den Bereichen offensichtlich nicht funktioniert hat? Sonst brauchten wir ihn gar nicht. Das ist eine Dysfunktionalität des Tarifsystems. Glauben Sie nicht, dass dieser Lohn dann von Anfang an zu gering ist, wenn man, nachdem man mit diesem Lohn in Rente geht, eine Rente bekommt, die von der Allgemeinheit bezahlt werden muss? Wäre es dann nicht viel sinnvoller, die Lohnhöhe so zu definieren, und zwar von Anfang an, dass man dann wenigstens nicht auf Kosten des Staates sein Alter finanzieren muss, sondern auf Kosten seiner eigenen Erwerbstätigkeit? Das ist doch viel vernünftiger. ({1}) Wenn der Lohn von Anfang an zu gering war – das möchte ich meinen Freunden von der Sozialdemokratie sagen –, dann ist es doch sinnvoll, sich den Kollegen Martin Schulz noch einmal in Erinnerung zu rufen. Er hat gesagt, man kann Fehler machen, aber man kann sie auch korrigieren. Sie hätten die Möglichkeit, durch Zustimmung zu unserem Antrag den Webfehler des Mindestlohns insofern zu korrigieren, dass man die Löhne so anhebt, – ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Ernst, Sie sollten keine Rede halten, sondern eine Zwischenbemerkung machen.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

– dass zumindest Altersarmut nicht entsteht bzw. eine Rente, die nicht mehr funktioniert, ausgeglichen wird. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Ernst, ich beantworte Ihnen diese Frage gerne. Ich meine, wir haben dies zuletzt auch schon im Jahr 2013 miteinander debattiert. Wenn Sie über einen hohen Lohn, den Sie politisch festsetzen, Altersarmut verhindern wollen, dann gilt trotzdem immer noch die Wahrheit, dass eins und eins zwei ist, oder in der Volkswirtschaft, dass der Arbeitsplatz zu dem Lohn, den Sie politisch festsetzen, auch dauerhaft über das Erwerbsleben hinweg existieren muss. ({0}) Wenn er das nicht tut, dann wird diese Person arbeitslos, und dann verschärft sich für diese Person das Problem der Altersarmut deutlich. Das heißt, am Ende schütten Sie sozusagen das Kind mit dem Bade aus. Das ist ein völlig falscher Ansatz. Ich kann Sie nur ermuntern, noch einmal die Rede, die ich hier heute gehalten habe, nachzulesen, wie auch die aus dem Jahr 2013. ({1}) Sie selber wissen doch, weil Sie von der Gewerkschaft sind, dass es immer darum gehen muss, dass die Arbeitskosten, die in die Kosten eines Produktes einfließen, auch vom Verbraucher akzeptiert werden müssen. In unserem Land sind die Verbraucher selbstständig und entscheiden nach einem individuellen Preisempfinden. Wenn sie nicht bereit sind, diesen Preis zu bezahlen, dann kaufen sie das Produkt nicht, dann hört dieser Arbeitsplatz auf, zu existieren, und wird vielleicht durch Automaten ersetzt. Lieber Herr Ernst, das kann man nicht wollen. ({2}) Ich sage es noch einmal: Lieber arbeitet jemand und hat alle Chancen, aufzusteigen. Lieber arbeitet jemand und gewinnt Arbeitserfahrung, kann die Chance ergreifen und hat mehr Möglichkeiten. ({3}) – Herr Ernst, ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Ernst, die Frage war sehr lang. Insofern kann auch die Antwort etwas länger sein. ({0})

Pascal Kober (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004075, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben den Zusammenhang zwischen Altersarmut und Lohnhöhe thematisiert. ({0}) Ich sage Ihnen noch einmal: Sie können nicht politisch Löhne festsetzen, dann müssten Sie die Verbraucherinnen und Verbraucher per Gesetz zwingen, diese Löhne auch zu akzeptieren und zu bezahlen. Das ist in unserem Land glücklicherweise nicht so. Wenn das nicht so ist, dann stellt sich die Frage, ob die Verbraucher bereit sind, diesen Preis zu bezahlen. Wenn sie es nicht tun, fällt der Arbeitsplatz weg. ({1}) Herr Ernst, wenn der Arbeitsplatz wegfällt, ist die Wahrscheinlichkeit, in Altersarmut zu geraten, doch viel höher, als wenn jemand dauerhaft in Arbeit ist und an seinem Arbeitsplatz alle Chancen hat, aufzusteigen. Genau an dieser Stelle setzen wir als Freie Demokraten an. Die Möglichkeiten zum Aufstieg auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, das ist die Herausforderung. Jetzt zum Antrag der Grünen; denn auch Sie haben einen Antrag vorgelegt. Darin geht es Ihnen darum, die Mindestlohnkommission dazu zu verpflichten, die Mindestlohnfestsetzung künftig entlang der durchschnittlichen Tarifentwicklung vorzunehmen. Das war in den vergangenen Jahren immer der Fall, aus freier Einsicht der Mindestlohnkommission. ({2}) Es ist sehr, sehr wahrscheinlich, dass das auch in Zukunft so bleiben wird; denn die Hürden, um von der durchschnittlichen Tariflohnentwicklung abzuweichen, sind sehr hoch, Frau Müller-Gemmeke. Dafür brauchen Sie eine Zweitdrittelmehrheit in der Mindestlohnkommission. ({3}) Wann wird es denn der Fall sein, dass von der durchschnittlichen Tarifentwicklung abgewichen wird? Doch nur dann, wenn ein Arbeitsplatzverlust bei Geringverdienern zum Beispiel durch einen akuten Konjunktur­einbruch wahrscheinlich ist. In einem solchen Fall ist es doch auch Ihr Ansinnen, dass lieber ein Arbeitsplatz erhalten bleibt, als dass er dann verloren geht. Aus diesem Grund lehnen wir Ihren Antrag ab. Was wir wollen, ist, dass die Menschen die Chance haben, innerhalb des Arbeitsmarktes aufzusteigen. Deshalb müssen wir an ihren Qualifizierungschancen arbeiten. Das ist die richtige Lösung auch für höhere Löhne und eine gute, positive Entwicklung. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Katharina Dröge ist die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Katharina Dröge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004263, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war ein langer Kampf bis zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Ich selbst bin 18 Jahre lang Mitglied der Grünen. Eigentlich schon seit der Grünen Jugend habe ich für dieses Anliegen gestritten. Warum es so lange gedauert hat, bis sich der Deutsche Bundestag endlich durchringen konnte, den gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, konnte man gerade sinnbildlich an der Rede von Herrn Kober von der FDP ablesen. Dieses ökonomische Missverständnis, dem Sie unterliegen, ich würde fast schon sagen: diese volkswirtschaftliche Milchmädchenrechnung, die Sie auch heute hier wieder vorgetragen haben, dass höhere Löhne automatisch zu höheren Preisen führen, ({0}) diesen Unfug haben leider sehr viele Menschen in diesem Land sehr viele Jahre lang vorgetragen. ({1}) Es brauchte jetzt die Evaluation der Mindestlohnkommission, vier Jahre nach Einführung des Mindestlohns, um zu zeigen: Sie hatten komplett unrecht. Es ist auch logisch, dass Sie komplett unrecht haben, weil der Preis selbstverständlich nicht allein durch die Lohnkosten bestimmt wird. Die Frage, ob höhere Lohnkosten weitergegeben werden können an die Konsumenten, hängt zum Beispiel mit der Marktmacht zusammen. Das müssten Sie als FDP, die in der ordnungspolitischen Tradition steht, eigentlich wissen. ({2}) Die zweite Frage, ob das Ganze zu negativen Effekten führt, hängt natürlich auch mit makroökonomischen Auswirkungen zusammen. Wenn Sie völlig außer Acht lassen, dass gestiegene Löhne zu höherer Kaufkraft und damit auch zu mehr Nachfrage führen, dann haben Sie die Hälfte der Medaille einfach nicht verstanden. ({3}) Deswegen ist das, was Sie, Herr Kober, hier vorgetragen haben, einfach Unfug. Es ist gut, dass die Mindestlohnkommission das auch so dokumentiert hat. ({4}) Auch wenn wir jetzt, vier Jahre nach Einführung des Mindestlohns feststellen, dass das Ganze die befürchteten negativen Effekte nicht hervorgebracht hat, ({5}) sind wir nicht frei von der Aufgabe, zu fragen: Hat das Ganze gut funktioniert? Das ist eine politische Frage, über die wir heute miteinander diskutieren müssen. Wir Grüne sagen: Nein, der Mindestlohn ist weiterhin zu niedrig; er muss deutlich höher sein. Wir machen einen Vorschlag, wie man die Kriterien für die Mindestlohnkommission so verändern kann, dass sie eben auch den Spielraum hat, um diese Entscheidung zu treffen, sodass wir am Ende einen – deutlich angehobenen – Mindestlohn haben, von dem man tatsächlich sagen kann: Von Arbeit kann man leben; Arbeit ist etwas wert. Leider haben Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, in dieser Debatte herzlich wenig zu unserem Vorschlag gesagt. Vielleicht können die nachfolgenden Rednerinnen erklären, warum die einfachen Kriterien, die wir vorgeschlagen haben, nicht ein Weg wären, jetzt und nicht erst in ein paar Jahren, wenn Sie zu Ende evaluiert haben, dazu führen könnten, den Mindestlohn deutlich anzuheben. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Dr. Frauke Petry ist die nächste Rednerin.

Dr. Frauke Petry (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004851, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Leidenschaft, Frau Dröge, ersetzt keine Fakten. Sie waren zwar leidenschaftlich, aber das Klischee von der Milchmädchenrechnung haben Sie selbst auch bedient. Sie, Linke und Grüne, beantragen heute wieder einmal die Erhöhung des staatlichen Mindestlohns. Was soll man von Sozialisten auch anderes erwarten als den Kampf gegen Leistung, selbstständiges Unternehmertum und Marktwirtschaft? ({0}) Als denkbar banales Argument preisen Sie die Steigerung der Bruttoverdienste der Arbeitnehmer, die vor der Einführung weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten. Gleichzeitig ist allerdings die Arbeitszeit im unteren Lohnsegment zurückgegangen, sodass sich der Bruttoverdienst der Beschäftigten mit niedrigen Löhnen kaum verändert hat. Betriebe haben sich anderer Anpassungsmöglichkeiten wie Arbeitszeitverkürzungen und Preiserhöhungen bedient, um gestiegene Lohnkosten auszugleichen. Die Folge dieses Experiments waren Produktivitätsverluste und – das ist nachweisbar, auch wenn Sie es bestreiten – Endkunden, zu denen auch Niedriglöhner gehören, die am Ende mehr für gewisse Löhne und Dienstleistungen zahlen müssen. Unter Ihrem so gepriesenen Mindestlohn leiden also diejenigen am meisten, die darauf angewiesen sind, dass der Staat ihr Existenzminimum schützt. Hinzu kommt das grundsätzliche Problem des Mindestlohns, das hier niemals angesprochen wird: Zwischen dem Netto des Arbeitnehmers und dem Brutto des Arbeitgebers klafft eine staatliche Abgabenlücke von rund 40 Prozent. ({1}) 40 Prozent, die der Staat vom Niedriglöhner und vom Unternehmer einbehält – das hat mit Existenzsicherung durch den Staat nichts zu tun. Deshalb ist der Mindestlohn als Instrument der staatlichen Existenzsicherung ungeeignet. Es gibt nur einen Grund, warum der bislang festgesetzte Mindestlohn keine drastischen Auswirkungen hatte – das ist nicht Ihr Verdienst –: Er lag nur knapp über dem sogenannten Gleichgewichtslohn. So hielten sich die negativen Konsequenzen noch in Grenzen. Der Verwaltungsaufwand staatlicherseits stieg jedoch überproportional, was von der SPD aber sogar gefeiert wird. Nun wollen Sie, Linke und Grüne, dies ändern. Die Folge, gerade im Bereich kleiner und mittelständischer Unternehmen, gerade in strukturschwachen Regionen, wären der Wegfall von Arbeitsplätzen und weitere unrentable Firmen. ({2}) In letzter Konsequenz verhindert Ihre Politik den sozialen Aufstieg gerade derjenigen, die Sie vorgeben schützen zu wollen, von Menschen, die noch bereit sind, hart zu arbeiten, anstatt zu Hause zu sitzen, und Erfahrungen zu sammeln, auch wenn es sich finanziell nicht sofort lohnt. Sie bekämpfen Unternehmertum ganz in der Tradition der Altkommunisten, die auch schon glaubten, dass staatliche und zentrale Planung von Arbeit und Produktion besser funktioniert als freies Unternehmertum. Und wofür der ganze Aufwand? 12 Euro Mindestlohn verlangen Sie, damit die Rente nach 45 Jahren Arbeit statt bei aktuell 804 Euro bei 817 Euro liegt. Wir von der Blauen Partei finden: Wer 45 Jahre lang arbeitet, sollte nicht nur 13 Euro mehr im Monat haben. Wir empfehlen deshalb mutige und undogmatische Ideen wie ein aktivierendes, nichtauskömmliches Grundeinkommen, nicht ein Leben ohne Arbeit, sondern mit Arbeit für alle, die arbeiten können. Sollten Sie bei der Ausgestaltung Hilfe benötigen, können Sie sich gerne melden. Danke. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die Fraktion der SPD hat der Kollege Dr. Matthias Bartke das Wort. ({0})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. Juni 2015 wurde der Mindestlohn in Deutschland eingeführt. Wenn irgendetwas auf immer und ewig mit der deutschen Sozialdemokratie verbunden bleiben wird, dann ist das die Einführung des Mindestlohns. ({0}) Ich erinnere mich noch genau an die Schreckensvision, die insbesondere die FDP, damals außerparlamentarisch, an die Wand gemalt hat: Massenarbeitslosigkeit, Niedergang der Wirtschaft, Untergang des Abendlandes.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe ja noch gar nicht angefangen. – Nein. ({0}) – Ich komme noch auf euch zu sprechen. Dann kannst du eine Zwischenfrage stellen. Sie von der FDP haben den Untergang des Abendlandes und Massenarbeitslosigkeit an die Wand gemalt. Und was ist passiert? Das Gegenteil ist passiert: ({1}) Der Mindestlohn ist die Erfolgsgeschichte schlechthin. 4 Millionen Menschen erhielten die größte Gehaltserhöhung ihres Lebens, die Nachfrage wurde angekurbelt, und die Arbeitslosigkeit sank und sank und sank und sinkt immer noch. ({2}) Herr Kober, Sie haben dies eben eindrucksvoll noch einmal unter Beweis gestellt. Herr Cronenberg ist die kleine Kurve gefahren. Ich finde aber, Sie hätten konsequenter sein müssen. Ich hätte es gut gefunden, wenn Sie gesagt hätten: Es tut uns leid; wir haben uns damals getäuscht; der Mindestlohn ist doch gut für unser Land. Ich sage Ihnen: Das hätte Größe gehabt. ({3}) Herr Birkwald, Die Linke – auch das gehört zur historischen Wahrheit – hat damals nicht für die Einführung des Mindestlohns gestimmt. (Beifall bei der SPD – Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKEN meldet sich zu einer Zwischenfrage] Die Gründe waren damals: 8,50 Euro waren Ihnen zu wenig, und die Ausnahmen waren Ihnen zu viel. Das ist das Elend mit Ihnen: Sie merken nicht, wann man eine historische Chance hat, die man wahrnehmen muss. ({4}) Sie sagen: Entweder wir bekommen den Mindestlohn zu unseren Konditionen, oder wir wollen ihn gar nicht. Eins ist sicher: Wenn wir Ihrer Strategie gefolgt wären, dann hätten wir heute keinen Mindestlohn. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Matthias W. Birkwald? – Jawohl. ({0})

Matthias W. Birkwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004012, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber, verehrter Kollege Matthias Bartke, es ist gerade von dir behauptet worden, die SPD hätte den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt und könnte das auf ihrem Konto verbuchen. Ich darf einmal daran erinnern: Auf Drucksache 13/3628, Antrag der Gruppe der PDS vom 30. Januar 1996, standen das erste Mal die Worte „gesetzlicher Mindestlohn“. Damals war ich noch Mitarbeiter. Die Worte habe ich mit einem Kollegen eingefügt. – Dann haben wir: Antrag der PDS vom 25. April 2002, „Einführung eines existenzsichernden gesetzlichen Mindestlohns“. Die SPD hat dagegengestimmt. – 20. Juni 2006, Antrag der Linken: „Für einen sozial gerechten Mindestlohn in Deutschland“. Die SPD hat dagegengestimmt. – 18. Januar 2006, Die Linke: „Mindestlohnregelung einführen“. Die SPD hat dagegengestimmt. Ich kann das jetzt noch zehn Minuten weitermachen. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass Sie zwar den gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland eingeführt haben, aber das mit großer Hilfe der PDS und der Linken und der Gewerkschaft NGG? Auch die Grünen waren deutlich eher für einen gesetzlichen Mindestlohn als die SPD. ({0}) Franz Müntefering hat auf einem Parteitag oder Konvent den Antrag von Andrea Nahles, die SPD möge für den gesetzlichen Mindestlohn sein, zurückgewiesen, er hat abstimmen lassen; da war die SPD gegen den gesetzlichen Mindestlohn. ({1}) Also, meine Frage: Würden Sie nicht auch sagen, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns eine gemeinsame Erfolgsstory war, an der die PDS, Die Linke, die SPD, die Grünen und vor allen Dingen auch die Gewerkschaften beteiligt waren und dass wir uns nur aus den Gründen, die die Kollegin Ferschl vorhin vorgetragen hat, enthalten haben: weil die einmalige politische Setzung von 8,50 Euro zum Zeitpunkt 2014 bereits viel zu niedrig gewesen ist? ({2})

Dr. Matthias Bartke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Birkwald, Sie wissen, ich schätze Sie sehr. Aber ich muss Ihre Frage mit einem klaren Nein beantworten. ({0}) Ich stimme Ihnen zu: Sie haben die Debatte über den Mindestlohn durchaus mitgeprägt, Sie haben ganz viele Anträge gemacht. Aber dann, als es zum Schwur kam, als klar war, dass der Mindestlohn eingeführt werden kann, da haben Sie sich enthalten, und zwar aus wirklich mickerigen Gründen. ({1}) Die Grünen hatten ähnliche Gründe wie Sie: Die Grünen waren auch gegen die Ausnahmen, und den Grünen war damals, glaube ich, der Mindestlohn zu wenig. Aber sie haben die historische Chance gesehen und haben deswegen dafürgestimmt. Das habe ich gemeint: Das ist das Elend mit Ihnen: dass Sie immer nicht begreifen, wann man springen muss und wann man auch Kompromisse eingehen muss. ({2}) Deswegen ist es so schwierig mit Ihnen. Die Linke fordert jetzt die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Wie Ihnen sicher nicht entgangen ist, gibt es dazu in der SPD derzeit eine breite Debatte. Aber ich sage Ihnen, trivial ist das nicht. Die Lohnfindung ist ja im Prinzip keine Sache des Gesetzgebers, sondern natürlich Sache der Tarifparteien. ({3}) Ein gesetzlich neu festgelegter Mindestlohn ist daher schon ein Eingriff in die Tarifautonomie. Bei der Einführung des Mindestlohns in 2015 haben wir daher eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um im Ausgleich zu diesem Eingriff die Tarifautonomie zu stärken. Vielleicht erinnern Sie sich noch: Aus diesem Grund hieß das Gesetzespaket damals auch Tarifautonomiestärkungsgesetz. Eine Erhöhung des Mindestlohns hat überdies deutliche Folgen bei denjenigen Tariflöhnen, die knapp oberhalb der 12 Euro liegen. Die Spreizung des Lohngefüges im unteren Bereich würde aufgehoben. Das hätte deutliche Auswirkungen auf das gesamte Tarifgefüge, das im unteren Bereich gestaucht würde. Man kann das gut finden, oder man kann das schlecht finden; aber man muss das auf jeden Fall bedenken. Es gibt einen zentralen Aspekt, der mich am Ende persönlich dazu gebracht hat, für eine Erhöhung des Mindestlohns zu sein. Ich bin der Auffassung, dass der Mindestlohn immer so hoch sein muss, dass im Rentenalter mehr als die Grundsicherung übrig bleibt. ({4}) Diese Auffassung teile ich durchaus mit der Linken, und ich teile sie auch mit Olaf Scholz, der genau dies in seinem Buch „Hoffnungsland“ gefordert hat. Sie sehen, unter dem Strich habe ich durchaus Sympathie für Ihr Anliegen. Die Erhöhung des Mindestlohns ist aber kein Thema, das man mit einer Abstimmung mal eben so über die Bühne bringt; Bernd Rützel hat das zutreffend gesagt. Die Erhöhung des Mindestlohns kann nur das Ergebnis einer ausführlichen gesellschaftlichen Debatte sein. ({5}) Meine Damen und Herren, in der SPD wird diese Debatte derzeit kontrovers geführt. Ich kann mir vorstellen, dass der Tag gar nicht mehr so fern ist, an dem wir uns für einen Mindestlohn von 12 Euro entscheiden. Liebe Linke, es wäre schön, wenn ihr diesmal dann dafür wärt. Danke. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner: der Kollege Peter Aumer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Aumer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004004, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre so einfach: Der Deutsche Bundestag erhöht den Mindestlohn auf 12 Euro, und alle Probleme sind gelöst. ({0}) Schutz vor Altersarmut, keine ergänzenden Hartz‑IV-Leistungen mehr notwendig und eine bessere Situation für Alleinerziehende, so steht es in Ihrem Antrag, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken. Ich denke, so einfach ist das nicht. Unser früherer Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hat immer gesagt: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeiten. Auch in dieser Debatte, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir die Wirklichkeiten betrachten. Herr Ernst, was Sie dargestellt haben, spricht nicht dafür, dass Sie die Wirklichkeiten betrachten, sondern geht in die Richtung von dem, was die Frau Kollegin Zimmermann in ihrer Rede heute früh gesagt hat: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. – Ich glaube, das ist nicht unbedingt der Stil von Politik, den wir – zumindest die Regierungskoalition – leisten wollen. ({1}) Lassen Sie mich bitte auf einige Punkte kurz eingehen. Zum Ersten: Für uns ist das Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft das Leitprinzip. Dazu gehört die Tarifautonomie. Der Kollege Bartke hat es angesprochen: Der Mindestlohn durchbricht die Tarifautonomie. Aber man hat einen klugen Weg des Ausgleichs gefunden, wie man mit einer Lohnuntergrenze arbeiten kann, und zwar mit der Mindestlohnkommission, die, wie das schon dargestellt worden ist, das Volkswirtschaftliche sozialpartnerschaftlich abwägt, aber auch den Zusammenhang herstellt zwischen der Tarifentwicklung und der Entwicklung des Mindestlohns. Das soll unseres Erachtens auch so bleiben. Einige Auswirkungen des Mindestlohns seit seiner Einführung waren, anders als man es volkswirtschaftlich erwartet hat, positiv, beispielsweise die Beschäftigungswirkungen; ihr seid schon darauf eingegangen. Wissen kann man natürlich nicht, wie sich politische Entscheidungen im Alltag konkret auswirken. Es war volkswirtschaftlich vor allem auch vor dem Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung nicht negativ. Aber Lohneffekte, die herbeigeführt worden sind, sind auch deutlich erkennbar, und ich glaube, auch daran muss man arbeiten. Beispielsweise ist der Anteil der Beschäftigten, die für den Mindestlohn arbeiten, zurückgegangen. Aber das liegt natürlich auch daran, dass wir in den letzten Jahren eine gute Wirtschaftspolitik gemacht haben. Wenn man die Entwicklung der Zahl der Arbeitslosen ansieht, dann, glaube ich, kann das keiner bestreiten, sehr geehrter Herr Kollege Pohl, auch nicht die AfD. Das Grundprinzip der christlich-sozialen und der christlich-demokratischen Politik mit dem Koalitionspartner, der SPD, ist, dass wir vor allem darauf schauen, dass Menschen in Arbeit sind, dass Menschen in guter Arbeit sind. ({2}) Das ist unser Ansatz von Politik. Der Mindestlohn muss nicht ausschlaggebend sein, sondern der Mindestlohn ist Lohnuntergrenze. Wenn die Zahl der Menschen, die für den Mindestlohn arbeiten, von 4 Millionen auf jetzt 1,2 Millionen – wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe – zurückgegangen ist, dann ist das eine gute Politik für die Menschen in unserem Land. Da braucht man keinen Populismus, Herr Ernst, wie das Die Linke bei diesem Thema macht. ({3}) Es wäre sehr erhellend, sich die Auswirkungen anzuschauen, sich den zweiten Bericht der Mindestlohnkommission anzuschauen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken; dann wäre Ihr Antrag vielleicht gar nicht so zustande gekommen, wie Sie ihn gestellt haben. Beispielsweise das Thema Aufstocker, das Sie in dem Antrag ansprechen: Ja, es gibt ein Problem bei den Aufstockern, aber vor allem, wenn die Aufstocker nicht erwerbstätige Haushaltsmitglieder haben, beispielsweise Kinder, oder in Ballungsräumen leben, in denen die Mieten so hoch sind; das ist auch angesprochen worden. Also man kann jetzt nicht sagen, mit 12 Euro Mindestlohn sind alle Herausforderungen gelöst. ({4}) – Das haben Sie nicht gesagt; aber Sie implizieren es mit Ihrem Antrag. Und das ist aus meiner Sicht keine ehrliche Politik, sondern einfach populistisch; so wie wir es heute schon von der rechten Seite gehört haben, so ist es auch, wenn es von der linken kommt. Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auch für die Armutsbekämpfung ist der Mindestlohn nicht unbedingt der positivste Wirkungsmechanismus, dass man, wenn man in Rente geht, auch eine gute Rente bekommt. Daran müssen wir arbeiten. Sehr geehrter Herr Ernst, bringen Sie doch mal positive Anregungen ein, dass es funktioniert; dann sind wir auch gerne dabei. Wir lehnen Ihren Antrag ab; denn es hat sich gezeigt, dass die Mindestlohnkommission positiv arbeitet, dass man in dieser Konstellation den sozialen Ausgleich herbeiführen kann. Wir wollen keinen politisch festgesetzten Mindestlohn in diesem Hause, weil das auch nicht erfolgversprechend wäre. Wir lehnen Ihre Anträge deswegen ab. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die letzte Rednerin zu Tagesordnungspunkt 12 ist die Kollegin Jana Schimke, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jana Schimke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion haben in ihren Redebeiträgen in dieser Debatte schon sehr eindrucksvoll und vor allen Dingen auch sehr verständlich und nachvollziehbar dargestellt, welche Aufgabe, welchen Zweck eigentlich der Mindestlohn hat, dass es hier nicht um eine gute Rente geht oder um eine Armutsabsicherung, sondern dass es um ein Grundniveau geht, das wir uns vor allen Dingen auch aus ethischen Gründen in diesem Land geben. Ich möchte aber zu Beginn meines Beitrages auf eine Sache eingehen, die heute noch gar nicht so angeklungen ist; Frau Ferschl hat sie kurz angesprochen. Ich möchte gerne ein paar Worte darauf verwenden. Es ist immer so: Wenn wir uns mit Anträgen der Linken auseinandersetzen, gibt es in der Regel im Vorfeld eine Anfrage an die Bundesregierung, die dann auch beantwortet wird. Die Linke nutzt diese Antwort in der Regel für einen allgemeinen politischen Skandal und bringt das dann auch in die Medien. In diesem Fall ging es um den Niedriglohnsektor in Deutschland. Wir wissen alle: Der Niedriglohn bildet sozusagen das ab, was unterhalb von zwei Dritteln des mittleren Lohnes in Deutschland liegt. Jetzt ist es ja so, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Löhne und Gehälter und auch die Renten in Deutschland steigen wegen der guten wirtschaftlichen Situation. ({0}) Deswegen steigt natürlich auch die Rente für Beschäftigte im sogenannten Niedriglohnsektor. Dieser Betrag wächst immer weiter. Sie nutzen das Thema Niedriglohn immer wieder, um es zu skandalisieren und zu sagen: Es reicht nicht zum Leben. Frau Ferschl hat heute in der „Bild“-Zeitung von erheblichem „sozialem Sprengstoff“ gesprochen. Ich bin immer ein Freund von sachlicher Klarheit und vor allen Dingen von einer korrekten Darstellung. In diesem Fall ging es darum, dass es nicht sein könne, dass beispielsweise ein Single im Niedriglohnbereich ein Einkommen von ungefähr 1 800 Euro brutto beziehe und eine vierköpfige Hartz-IV-Familie im Schnitt 2 144 Euro, weil das zu dicht beieinander liege. Da würde es sich nicht mehr lohnen, zu arbeiten. Meine Damen und Herren, ich muss eines sagen: Wenn wir über das ganze Thema Lohnabstandsgebot sprechen, über die Frage „Lohnt sich Arbeiten in Deutschland?“ und „Wie ist unser Sozialstaat aufgebaut?“, dann reichen solche Vergleiche eben nicht. Sie können keinen Single in einer Tätigkeit mit einer vierköpfigen Familie im Sozialbezug vergleichen. ({1}) Wir wissen darüber hinaus nicht – das, lieber Herr Birkwald, ist mir persönlich immer sehr, sehr wichtig –, um wen es genau geht. Sagen Sie: Sind es Menschen in Vollzeit oder in Teilzeit? Sind es Menschen, die eine Berufsausbildung haben? Welche Berufsbiografie haben diese Menschen? Waren sie möglicherweise vorher arbeitslos? Was haben sie im Vorfeld gemacht? Und vor allen Dingen: Sind es Angestellte oder sind es Soloselbstständige? Bei Soloselbstständigen gibt es keinen Mindestlohn und keine Lohnuntergrenze. All diese Dinge, die zur fachlichen und sachlichen Klarheit in einer solchen Debatte beitragen würden, fehlen leider. Das nutzen Sie ganz bewusst, um die Stimmung in diesem Land weiter anzuheizen, um die linken und die rechten Ränder weiter zu stärken. ({2}) Meine Damen und Herren, das finde ich nicht verantwortlich, wenn wir über den sozialen Standard in diesem Land sprechen. Meine Meinung, unsere Auffassung ist: Wenn es um den Mindestlohn und um die Aufgaben der Mindestlohnkommission im Besonderen geht, brauchen wir Maß und Mitte. Die Folgen der Mindestlohneinführung können mitunter langfristig sein. Das ist zum heutigen Zeitpunkt noch gar nicht genau absehbar. Wir haben Branchen in diesem Land, die unglaublich lohnintensiv sind. Dort ist im Prinzip zum heutigen Tag noch gar nicht absehbar: Wie entwickelt sich die Steigerung des Mindestlohns in den Personalkosten der jeweiligen Unternehmen? Ich bin da mit meiner Prognose etwas zurückhaltend. Dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen: Durch die Einführung des Mindestlohnes stiegen natürlich nicht nur die Einkommen der unteren Beschäftigtengruppen. Es stiegen die Einkommen im gesamten Unternehmen. Die Personalkosten des gesamten Unternehmens nahmen zu, weil natürlich die höheren Einkommensklassen ihren Lohnabstand gewahrt wissen wollen. Auch das gehört zum Effekt des Mindestlohns. Letztendlich ist der Mindestlohn ein Instrument – das muss man immer wieder bewerten – vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regulierung in Deutschland insgesamt. Ich bin ein Freund von weniger Regulierung. Da sollten wir gerade beim Mindestlohn anfangen und die Regularien, die wir uns gegeben haben, beibehalten und hier nicht unnötig den Bogen überspannen, meine Damen und Herren. ({3}) Ich möchte zu mehreren Behauptungen kommen – da muss ich aufräumen –, die die Grünen in ihren Anträgen aufgestellt haben, zum Beispiel der, dass der Mindestlohn das Tarifvertragssystem in Deutschland stärken würde. – Entschuldigung, das ist blanker Unsinn; denn die Mehrzahl unserer Tarifverträge in Deutschland liegt bereits jenseits des Mindestlohns. ({4}) Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, hier davon zu sprechen, dass es einen Mindestlohn braucht, um das tarifliche Lohngefüge zu stärken, ist ein Märchen, das es in der Tat nicht braucht. Auch haben Sie gesagt: Wir müssen die Satzung der Mindestlohnkommission ändern, was in der Folge vor Armut schützen und vor allen Dingen den Zusammenhalt in der Gesellschaft insgesamt stärken würde. – Das würde bedeuten, der Mindestlohn würde zu einem politischen Spielball. Das können wir nicht wollen, meine Damen und Herren. ({5}) Ich hatte es eingangs gesagt: Die Löhne und die Renten in Deutschland steigen. Diesem Land geht es wirtschaftlich noch immer gut. Daran sollten wir uns festhalten. Daran sollten wir weiterhin arbeiten. Wenn es um die Niedriglohnbezieher in diesem Land geht, sollten wir vor allen Dingen auch darüber reden, wie wir ihren beruflichen, wie wir ihren sozialen Aufstieg in den Betrieben stärken und nicht mit staatlicher Regulierung die Situation verschlimmern. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Kollegin Schimke. – Ich schließe die Aussprache zu Tagesordnungspunkt 12. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Drucksache 19/5639. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/96 mit dem Titel „Den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde erhöhen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Das sind CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne. Gegenprobe! – Die Linken. Enthaltungen? – AfD. Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltung der AfD angenommen. Buchstabe b der Beschlussempfehlung. Hier empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1828 mit dem Titel „Mindestlöhne wirksam kontrollieren“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – CDU/CSU, SPD, FDP und AfD. Gegenprobe! – Fraktion Die Linke. Enthaltungen? – Die Grünen enthalten sich. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Wir kommen zu Buchstabe c der Beschlussempfehlung des Ausschusses: Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 19/1829 mit dem Titel „Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn aufheben“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – SPD, CDU/CSU, FDP und AfD. Gegenprobe! – Grüne und Linke. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Schließlich Buchstabe d der Beschlussempfehlung: Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 19/975 mit dem Titel „Mindestlohn erhöhen und für alle konsequent durchsetzen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalition, die FDP und die AfD. Gegenprobe! – Grüne. Enthaltungen? – Linke. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.

Bettina Hagedorn (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003545

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf der Tribüne! Ich bitte Sie heute für Finanzminister Olaf Scholz und für die Bundesregierung insgesamt, dem Antrag Portugals – einem Antrag, der den europäischen Partnern vorliegt und den Olaf Scholz dem Parlament am 19. November dieses Jahres übermittelt hat – auf vorzeitige Tilgung der Kredite beim Internationalen Währungsfonds in Höhe von 4,7 Milliarden Euro zuzustimmen. Das ist ungefähr ein Sechstel des Gesamtkredites, den Portugal damals vom Internationalen Währungsfonds erhalten hat. Dass wir das heute hier debattieren, ist in Europa nicht selbstverständlich. Denn die Bundesregierung darf erst nach Zustimmung des Deutschen Bundestages auf europäischer Ebene ihr Go geben. Das ist etwas, woran wir in Deutschland und im Bundestag immer wieder erinnern sollten: dass wir gemeinsam stolz darauf sein müssen, dass es diese Transparenz und die Beteiligung des Deutschen Bundestags überhaupt gibt. ({0}) Wir müssen nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz zustimmen, weil Portugal damals nicht nur Kredite des Internationalen Währungsfonds bekommen hat, sondern auch des EFSF, und in diesem Kredit sind indirekt auch deutsche Gelder enthalten. Seinerzeit wurde eine proportionale Rückzahlung sowohl der IWF- als auch der EFSF-Kredite festgelegt, und wir verzichten jetzt – wenn Sie zustimmen – auf europäischer Ebene darauf, dass auch unsere Kredite beim EFSF im gleichen Umfang zurückgezahlt werden. Davon würde Portugal profitieren, und darum geht es natürlich, aber wir würden davon keinen Nachteil haben. Insofern werbe ich für die Bundesregierung insgesamt darum, dass der Deutsche Bundestag und die Regierung diesem Antrag Portugals zustimmen. Denn letzten Endes geht es darum, dass die Kredite des IWF ohnehin nur noch eine Restlaufzeit von gut 3,6 Jahren haben, während die EFSF-Kredite eine Restlaufzeit von über 20 Jahren haben, also lange laufende Kredite sind. Die Portugiesen übernehmen auch die Verpflichtung – es ist schon klar, dass sie das machen werden –, die freiwerdenden Mittel zu investieren, um sich anderweitig Kredite am Markt zu besorgen, die dann länger wirken. Damit wird die Verschuldung insgesamt besser strukturiert. Da wir uns darüber freuen, dass es den Portugiesen so gut geht, wie es der Fall ist, ist das etwas, was wir ermöglichen wollen. ({1}) Von 2011 bis 2014 war Portugal massiv in der Krise. Mit der europäischen Solidarität und den Mitteln, die ich gerade angesprochen habe, hat es die Krise überwunden. Die Arbeitslosenrate beträgt nur noch rund 6,3 Prozent. Im Bankensektor sind die notleidenden Kredite massiv reduziert worden. Das Wachstum von 2,2 Prozent ist stabil, was nicht nur auf Konsum, sondern auch auf Investitionen und Exporten beruht. Das ist eine klare Erfolgsstory der europäischen Solidarität. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung für das Anliegen Portugals. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Der nächste Redner: der Kollege Peter Boehringer, AfD-Fraktion. ({0})

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche nicht zu der technischen Detailfrage der portugiesischen Kredite, ({0}) sondern zum Zusatzpunkt 21, zu TARGET2. Ähnlich wie beim Global Compact ist es auch bei TARGET2: Ohne die AfD kämen die gesellschaftlichen und finanziellen Megarisiken in diesem Hause noch nicht einmal zur Debatte. ({1}) Der deutsche TARGET-Saldo hat einen für ein Verrechnungskonto absurden Saldo von 900 Milliarden Euro erreicht. Das TARGET-System ist heute faktisch das größte, wenn auch unerklärte Euro-Rettungsvehikel. ({2}) TARGET2 ist eine Kreditvergabe der Bundesbank ohne Fälligkeitsdatum, ohne Tilgungspflicht, ohne Obergrenze, ohne Verzinsung. Es sind unbesicherte, nicht beitreibbare und damit buchhalterisch eigentlich wertlose Forderungen. ({3}) Die Explosion des TARGET-Saldos begann 2007. Die Bundesbank selbst leugnet jedoch bis heute den Risikocharakter. Die Euro-Zone wird faktisch als unveränderbar, ja unsterblich angesehen. Ich hatte gestern dazu ein Gespräch mit dem Bundesbankpräsidenten und heute Morgen noch mit einem anderen Bundesbankvorstand. Es bleibt dabei: ({4}) Man bezeichnet das Risiko auch nur eines Teilausfalls der 920 Milliarden Euro als „hypothetisch“, ({5}) sodass die Bundesbank keinerlei Rückstellungen dafür bildet, obwohl alleine die indirekten TARGET-Risiken, die aus ihrer Eigenschaft als Hauptanteilseignerin der EZB resultieren, immerhin 250 Milliarden Euro ausmachen würden. ({6}) Dass die deutsche Bundesbank den Euro-Südländern unbegrenzte Kreditlinien für die Ewigkeit einräumen muss, darüber hat hier im Haus niemals jemand abgestimmt, niemals entschieden. ({7}) Das Instrument hat sich seit Jahren und bis September 2018 jeder demokratischen Kontrolle entzogen. TARGET wurde im Bundestag erstmals durch die AfD zum Tagesordnungspunkt. ({8}) Grenzüberschreitende Zahlungen wurden jahrzehntelang und noch bis 2007 gänzlich ohne TARGET-Salden vom privaten Interbankenmarkt gegen Sicherheitsstellung ausgeführt. Es gab eine florierende Handelswelt auch vor TARGET2. Unser Antrag schlägt darum mit der Wiederbesicherung solcher Forderungen eine gangbare Lösung vor. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Kahrs, lassen Sie den Redner doch bitte ausreden.

Peter Boehringer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004675, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Danke für diese überfällige Ermahnung an den Pöbler Herrn Kahrs. – Im September gab es dazu im Bundestag leider nur eine Minidebatte. Auch vorgestern im Ausschuss gab es nur eine viel zu kurze einstündige Debatte, eingebettet in acht große andere Tagesordnungspunkte. Die AfD hat darum eine öffentliche Anhörung des Bundestags beantragt. Diese sollte uns endlich die zwingend nötige Zeit für dieses komplexe Thema geben. Wir wären in einer Anhörung auch für andere Lösungswege offen gewesen. Die gibt es durchaus. Normalerweise werden solche konstruktiven Anhörungsanträge einstimmig angenommen – nicht so vorgestern im Haushaltsausschuss. Wir erlebten eine fast einhellige Ablehnung. Heute ist die Debatte sogar noch kürzer und sogar nur als Unterpunkt unter dem völlig unbedeutend-technischen Punkt einer vorzeitigen Kreditrückzahlung Portugals angesetzt und damit auch unter einer falschen Anzeige hier an diesem Tag. So bleibt uns nur, unseren Antrag aufgrund des Termindrucks – um das Gegenargument von Herrn Rehberg vorwegzunehmen; wir haben Termindruck – heute zur Endabstimmung zu stellen, obwohl wir dazu nicht angemessen diskutieren können. Meine Damen und Herren, das ist gelebte Verantwortungslosigkeit in einem besonders schweren Fall. ({0}) Auf Dauer wird diese Obstruktionshaltung gegen eine unbequeme Wahrheit zwar nicht funktionieren, allerdings ist jede weitere Verzögerung für Deutschland relativ teuer. Ich ahne schon, dass ich jetzt gleich eine Zeitermahnung bekomme. ({1}) Das demonstriert eigentlich noch mal sehr schön, dass die Miniredezeit dem Billionenthema völlig unangemessen ist. Ich komme damit unter Protest gegen diese parlamentarische Minibehandlung von TARGET2 zwangsläufig zum Ende und sage Ihnen voraus, dass dieses Haus nicht damit durchkommen kann und wird, TARGET2 derart unangemessen nicht zu behandeln. Danke schön. ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Eckhardt Rehberg, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckhardt Rehberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Boehringer, ich weiß, warum Sie nicht über Portugal reden wollen: weil es eine Erfolgsgeschichte ist ({0}) und zeigt, dass die europäischen Instrumente – damals erstmals gemeinsam mit der FDP und dann mit der SPD eingesetzt – greifen. ({1}) Sie müssten dann auch etwas Positives über Europa bzw. die Euro-Zone sagen. Das kommt Ihnen natürlich nicht über die Lippen, weil ja in Ihrem Weltbild Europa Teufelszeug ist. Deswegen haben Sie mal wieder eine Ausflucht gesucht mit dem Thema TARGET2. ({2}) Erste Richtigstellung: Sie können doch für Ihren TARGET-­Antrag eine Kernzeitdebatte beantragen. Dann können Sie eine Stunde oder auch länger darüber reden. Zweite Bemerkung: Einen solchen Schwachsinn habe ich noch nicht erlebt, ({3}) dass wir am Mittwoch eine Anhörung beantragen sollen, wenn am Freitag über den Antrag abgestimmt werden soll. Sollten wir das zwischen Mittwochnachmittag und Freitagmittag machen? ({4}) Kollege Boehringer, Sie haben sich selber so ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Ich habe zu Hause drei Teile von Grimms Märchen. Den vierten Teil, den Sie heute vorgetragen haben, erspare ich mir. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklung in Portugal – beginnend mit einer konservativen Regierung, heute ist es eine Linksregierung – zeigt: Portugal hat beeindruckende makroökonomische Daten. Die Wachstumsrate lag 2012 bei minus 4 Prozent. Heute liegt sie bei über 2 Prozent. Die Arbeitslosenquote betrug vor sechs Jahren 15,5 Prozent. Heute sind es 6,3 Prozent. Der Haushalt ist heute fast ausgeglichen. Vor zehn Jahren lag das Defizit bei minus 11,2 Prozent. Die Schuldenstandsquote ist von 131 Prozent auf 119 Prozent gesunken. ({6}) Ganz besonders wichtig ist, glaube ich, dass Portugal heute in der Lage ist, mit einem Abstand von nur 1,52 Prozentpunkten zu zehnjährigen deutschen Bundesanleihen sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Und das alles in weniger als zehn Jahren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Menschen in Portugal haben Lasten auf sich genommen. Aber heute zeigt sich, dass es sich lohnt, dass Europa regelbasiert ist, dass wir die Kredite mit Konditionen vergeben haben. Und Portugal hat angekündigt, dass es jetzt nicht nur IWF-Kredite ablösen will – mit einer Zinsersparnis von etwa 80 Millionen Euro –, sondern auch nach 2020 mit 2 Milliarden Euro beginnen will, Gelder an die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität zurückzuzahlen. Ich finde, das ist eine beeindruckende Bilanz. Die Erfolgsgeschichte heißt nicht nur Portugal, sie heißt auch Irland, sie heißt auch Spanien, und sie heißt auch Zypern. Ich bin, wenn man die makroökonomischen Daten sieht, auch in Bezug auf Griechenland positiv eingestellt, dass es einen positiven Weg gehen kann und einen positiven Weg gehen wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden im Augenblick über die Reform der Euro-Zone. Aber, ich glaube, gerade das Beispiel Portugals zeigt, dass es richtig war, dass die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen Italien eröffnet hat. Ich glaube, in einem regelbasierten Europa, in einer regelbasierten Euro-Zone mit Konditionen und mit Stabilitäts- und Wachstumspakt – ich sage das einmal schlicht – kann nicht jeder machen, was er will. Es kann nicht sein, dass Wahlversprechen in Größenordnungen gemacht werden, deren Erfüllung automatisch dazu führt, dass Haushaltsdefizite eingefahren werden. Übrigens schaue man sich mal die Struktur italienischer Staatsanleihen an: Nach meiner Erkenntnis entfallen 70 Prozent auf italienische Sparerinnen und Sparer. Das heißt, den Weg, den Italien, den die italienische Regierung heute geht, schadet der eigenen Bevölkerung am meisten. Ich kann Italien nur anmahnen, sich die Bilder zu vergegenwärtigen, die es in Griechenland vor drei Jahren im Sommer gegeben hat: geschlossene Banken, Menschen stehen Schlange, Menschen haben kein Bargeld. Und das trifft dann am allermeisten die sozial Schwächeren. Deswegen wird es ganz wichtig sein – hier, Frau Staatssekretärin, sind wir, glaube ich, gemeinsam auf einem guten Weg –, wenn ich die verschiedenen Punkte sehe, die in der kommenden Woche in der Euro-Gruppe besprochen werden und die auf dem Euro-Gipfel möglicherweise gemeinsam zur Vereinbarung anstehen – das ist immer ein schwieriges Unterfangen bei 19 Mitgliedern in der Euro-Zone –, dass Deutschland dabei nicht der Bestimmer ist, sondern wir das gemeinsam auf den Weg bringen. Ich glaube aber, dass der heutige Tag zeigt, dass dann, wenn wir nach Regeln handeln, nach Konditionen handeln und man sich daran hält, letztendlich auch die Menschen in den Ländern davon etwas haben. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu diesem Antrag der Bundesregierung. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nicola Beer, FDP-Fraktion. ({0})

Nicola Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004668, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gute Nachricht: Portugal zahlt Kredite an den IWF und einen Teil seiner Kredite an den EFSF vorzeitig zurück. Wir als Freie Demokraten finden das gut; denn dadurch sinken die Risiken für den Bundeshaushalt, und damit sinken auch die Risiken für den deutschen Steuerzahler. Auch Portugal zieht daraus seinen Vorteil. Zinslasten sinken, weil sich das Land auf dem Markt günstiger finanzieren kann, und zwar, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, weil die Kreditwürdigkeit durch Reformen wieder erhöht bzw. wiederhergestellt wurde. ({0}) Das ist kein Zufall. Das fiel nicht vom Himmel. Das ist in Portugal hart erarbeitet worden, aber es war auch Teil der europäischen Absprache. Diese vorzeitige Rückzahlung zeigt: Ein verlorener Sohn, der sich mit seinen wirtschaftlichen Daten vom gemeinsamen europäischen Tisch entfernt hatte, ist zurück auf dem Pfad der Tugend. Er ist zurück am gemeinsamen europäischen Tisch. ({1}) Die Portugiesen machen mit dieser Rückzahlung mehr, als sie eigentlich machen müssten. Das Land hat versprochen, Reformen durchzuführen. Es hat noch nicht alles erfüllt, aber es hat die größten Versprechen gehalten. Aber was mussten wir uns, wenn man einmal zurückblickt, in diesem Hause in der vorletzten Legislaturperiode alles anhören, insbesondere von linker Seite? Es mangele uns an europäischer Solidarität. Wir würden nur Kredite vergeben; dabei müssten ganz andere Instrumente her. Nach Euro-Bonds wurde gerufen. Am stärksten war dann noch der Vorwurf, dass mit der Kombination von Krediten und Auflagen der Süden der EU durch den Norden, durch Brüssels Diktat, unterjocht würde. Tja, und was macht die SPD? Heute, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie dieser Vorlage zu Portugal zu. Der letzten Vorlage zu Irland haben Sie sich noch entgegengestellt. Ich finde, das ist ein seltsames Rumgeeiere für eine Partei, die von sich selbst behauptet, dass Solidarität zu ihrer DNA gehöre. ({2}) Und was hörte man von der ganz rechten Seite? Dass am besten gar kein Geld gezahlt werde, an niemanden. Die populistischen Herrschaften von ganz rechts außen sollten heute, Herr Kollege Boehringer, ganz still sein; denn Ihre professoralen Erblasser haben sich an dieser Stelle einfach gründlich geirrt. ({3}) Nein, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zwischen diesen Extremen haben wir uns gegen Kassandrarufe, gegen plumpe Parolen und für das Nachdenken, für die Vernunft entschieden. Wir haben Kredite vergeben und sie an die Durchführung von entsprechenden Reformen geknüpft. Und heute zahlt der neue Musterschüler Portugal genauso wie Irland Kredite vorzeitig zurück. Das zeigt: Wir waren mit diesem Hilfspaket erfolgreich, Herr Kollege Boehringer, und wir waren solidarisch. ({4}) Das Wichtige dabei ist: Das sind keine bloßen Zahlenspiele. Es geht nicht nur um Finanztechnik. Es geht nicht nur um gewaltige Summen, sondern über die Verknüpfung von Haushalt und sozialen Sicherungssystemen, meine Damen und Herren, geht es um Menschen. Es geht um deren Wohlstand in der Zukunft; und da ist Augenmaß, da ist Verantwortung gefragt. Ergo ist für uns bei diesem Maßnahmenpaket für Portugal ganz klar: So geht Solidarität in Europa, und sie hat funktioniert. Genau auf diesem Weg – Kredite gegen Reformen – sollten wir weitermachen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für die Fraktion Die Linke: der Kollege Fabio De Masi. ({0})

Fabio De Masi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004817, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine gute Sache hat die AfD ja. Seit es die AfD gibt, kann man sich die „heute-show“ schon freitagnachmittags anschauen. Meine Empfehlung an die AfD: Bevor Sie sich im Kontensystem der EZB beim TARGET2 verirren, kümmern Sie sich doch erst einmal um Ihre Parteikonten und um die Spenden von Herrn Oligarchen Finck. ({0}) Und an die FDP: Ich glaube, Sie haben da etwas verwechselt. In Portugal geht es nämlich aufwärts, seit ein Bündnis aus Sozialdemokraten und linken Parteien dort wieder für mehr öffentliche Investitionen und soziale Gerechtigkeit sorgt. ({1}) Portugal hat die vorzeitige Rückzahlung von Krediten in Höhe von über 4,7 Milliarden Euro des IWFs beantragt – aus der sogenannten Euro-Rettung. Der Grund dafür ist, dass sich Portugal derzeit am Markt günstiger finanzieren kann als beim IWF ({2}) und dadurch Einsparungen von 80 Millionen Euro erwartet. Eigentlich wäre Portugal verpflichtet, auch die EU-Rettungsschirme gleichrangig zu bedienen – aufgrund der Parallelitätsklausel. Im Falle Irlands haben wir der vorzeitigen Rückzahlung nicht zugestimmt, und zwar, weil sich Irland damals weigerte, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Geld von Apple einzutreiben. Obwohl Apple im Jahr 2014 nur einen Steuersatz von 0,005 Prozent auf seine Gewinne zahlte. Das sind 50 Euro für jede Million Gewinn. Ich freue mich, wenn die FDP das einmal dem Bäcker oder dem Handwerker erklärt. ({3}) Meine Fraktion unterstützt die Änderung der Finanzvereinbarung mit Portugal. Portugal hat die Kürzungspolitik gestoppt. Seit dort linke Parteien kooperieren, geht es beim Wachstum aufwärts und bei der Schuldenquote runter, und man spricht vom portugiesischen Wirtschaftswunder. Allerdings ist das kein Wirtschaftswunder, sondern die Kürzung von öffentlichen Investitionen, Löhnen und Renten durch die Troika war schlichtweg verrückt. Der Mindestlohn wurde eingefroren, Tarifverhandlungen ausgesetzt, obwohl selbst die portugiesischen Arbeitgeber dagegen waren. Portugal ist eines der Länder mit der höchsten Quote an Beschäftigten, die Mindestlohn beziehen. Er liegt weiterhin unter 600 Euro. Mehrwertsteuern wurden erhöht. Die staatliche Fluglinie TAP und Energieversorger sollten privatisiert werden. Das Ergebnis war: Die Staatsverschuldung stieg auf 130 Prozent des BIPs. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 16 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit auf über 40 Prozent, und 500 000, vor allem junge Portugiesen, verließen das Land. Aber obwohl die Linksparteien die schlimmsten Kürzungen bei Menschen mit geringen und mittleren Einkommen rückgängig machten und Portugal seither einen Aufschwung verzeichnet, lastet auf Portugal ein erheblicher Schuldendienst. Trotz Niedrigzinsen gibt Portugal mehr Geld für den Schuldendienst aus als für das gesamte Bildungssystem, obwohl dort eine große Zahl von Menschen aufgrund einer rechten Diktatur noch vor vier Jahrzehnten kaum lesen und schreiben konnte. Ohne Zinslasten wäre Portugals Haushalt mit 5 Milliarden Euro im Plus. Daher ist es richtig, Portugal zu entlasten. Risiken für den Bundeshaushalt existieren nur, wenn die Bundesregierung und die EU-Kommission die nachhaltige Stärkung der Wirtschaft in Südeuropa durch mehr öffentliche Investitionen weiter blockieren und die Krise mit Italien eskalieren. Diesen Weg sind wir nicht bereit mitzugehen. Den Weg Portugals unterstützen wir. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Kollege Sven-Christian Kindler. ({0})

Sven Christian Kindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004070, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Maßnahme, die wir heute diskutieren – die vorzeitige Rückzahlung von IWF-Krediten durch Portugal –, unterstützen wir, weil sie dafür sorgt, dass Portugal Geld spart. 80 Millionen Euro wird Portugal sparen. Gleichzeitig wird sich Portugal damit aus der schwierigen Abhängigkeit vom IWF lösen. Deswegen werden wir heute dieser Maßnahme zustimmen. Das ist richtig. ({0}) Zur Situation in Portugal. Eckhardt Rehberg hat von einer Erfolgsgeschichte geredet. Nicola Beer hat „Musterschüler“ zu Portugal gesagt. Ich kann auch an das anschließen, was Fabio De Masi hier gesagt hat: Portugal ist 2014 aus dem Anpassungsprogramm rausgegangen, und seit 2015 gibt es eine Regierung, die von Sozialdemokraten und linken Parteien gebildet wird, eine Mitte-links-Regierung. Man kann erstaunlicherweise feststellen, dass es mit dem Land seitdem ziemlich bergauf geht. Was hat diese Regierung gemacht? Die vorherige konservative Regierung hatte eine harte Sparpolitik durchsetzen müssen, eine Privatisierungspolitik unter dem Druck der Troika und dem Druck der Bundesregierung. Viele Maßnahmen, die diese konservative Regierung durchgedrückt hat, hat die neue Regierung zurückgenommen. Sie hat Privatisierungen gestoppt. Sie hat den Mindestlohn erhöht. Sie hat Renten- und Pensionskürzungen zurückgenommen. Sie hat die 35‑Stunden-Woche wieder eingeführt. Sie hat also einen neoliberalen Kurs verlassen, der von Deutschland verlangt wurde, und eine sozial-ökologische Politik gemacht. Das war richtig so, und das ist der Grund für die Erfolgsgeschichte in Portugal. ({1}) Diese Maßnahmen haben nämlich dazu geführt, dass wieder eine nachfrageorientierte Politik vorangetrieben wurde, dass die Binnenkonjunktur gestärkt wurde, dass Investitionen gestärkt wurden. Das hat wiederum dazu geführt, dass es Wirtschaftswachstum gab, übrigens mehr als im Schnitt der Euro-Zone, mehr als im Schnitt Europas, mehr als momentan in Deutschland. Das führt zu sinkender Arbeitslosigkeit, zu sinkenden Ausgaben für Arbeitslosenmaßnahmen. Das führt auch dazu, dass man besser Schulden bedienen kann – das sehen wir heute –, und das führt dann dazu, dass man später mehr Steuereinnahmen hat und ausgeglichene Haushalte vorlegen kann. Deswegen ist es richtig, was Portugal macht. Aber der Kaputtsparkurs, den die Bundesregierung jahrelang vorangetrieben hat, muss endlich enden, sage ich Ihnen. ({2}) Ich hoffe, dass sich auch im Bundesfinanzministerium etwas ändert. Angeblich gibt es einen neuen Bundesfinanzminister. Der soll ja von einer anderen Partei kommen. Bisher haben wir noch nicht so viel davon gesehen, dass sich etwas geändert hat. Ich hoffe aber, dass dieser Wechsel insgesamt etwas für die Reform Europas und der Euro-Zone bedeutet; denn es gibt immer noch viele Probleme in Portugal, viele Probleme in der Euro-Zone: hohe Arbeitslosigkeit, große Unterschiede zwischen Nord und Süd. Wir haben zu geringe Investitionen in Europa. Und: Die Euro-Zone ist weiterhin nicht krisenfest. Das heißt, man muss jetzt an großen Lösungen arbeiten, an solidarischen, krisenfesten Lösungen, um Europa und die Euro-Zone stabil zu halten, stabil zu machen. Dafür muss Deutschland endlich seinen Kurs ändern: aufhören, zu blockieren, und anfangen, an Lösungen zu arbeiten. ({3}) Wir sehen ganz klar: Deutschland blockiert bei zentralen Reformen. Staatssekretär Kukies aus dem Finanzministerium hat noch am Mittwoch erzählt, dass es zwar jetzt ein Euro-Zonen-Budget mit Deutschland und Frankreich geben solle, aber er hat selber gesagt – ich zitiere –, es sei nur ein Minimalkonsens und die konkrete Ausgestaltung, die konkrete Finanzierung sei bisher nicht geklärt. Auch bei der Steuer für digitale Konzerne wird gebremst. Beim Umbau des ESM zum Europäischen Währungsfonds wird gebremst. Ich finde, das ist im Kern alles viel zu zaghaft, viel zu bremserisch, was die Bundesregierung macht. Ich erwarte, dass die Bundesregierung jetzt endlich aufhört, Europa zu bremsen. Die Bundesregierung darf nicht länger Bremsklotz in Europa sein. Sie muss jetzt die historische Chance nutzen, die darin besteht, Europa zukunftsfest und solidarisch zu machen. Danke. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner der Kollege Andreas Schwarz, SPD-Fraktion. ({0})

Andreas Schwarz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004407, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Staatsschuldenkrise Europas dauert nun schon ein gutes Jahrzehnt, und die rechtspopulistischen Freunde der AfD in Italien zeigen gerade, dass sie noch lange nicht überwunden ist. Zum Gründungsmythos der AfD gehörte ja einst die Bekämpfung der Euro- und Staatsschuldenkrise, lange bevor sie zu dem wurde, was sie mittlerweile geworden ist. Schade, dass Sie zu dem Thema, von dem Sie mal hergekommen sind, heute nichts gesagt haben. ({0}) Dieser Gründungsmythos der AfD ist, antieuropäisch zu denken. Er ist nationalistisch, und er möchte Solidarität verweigern. Leider zeigt das Beispiel Portugal: Dieser Gründungsmythos hat sich überholt; er gilt nicht mehr. Was war in Portugal geschehen? Man muss feststellen: Man hat dort schlecht gewirtschaftet, und das über viele, viele Jahre. Daraus ist letztendlich auch die Krise entstanden, und sie hat das Land stark gekennzeichnet. Was war die Lösung des Problems? Die Menschen in Portugal haben sich in einer riesigen Kraftanstrengung gemeinsam einen rigiden Sparkurs auferlegt, natürlich durch Kredite des IWF und der europäischen Partner unterstützt. So konnte der Haushalt Portugals gemeinsam saniert werden. Was zeichnet Portugal bei dieser Thematik jetzt besonders aus? Anders als man es in der Presse vereinzelt dargestellt hat, hat Portugal den Konsolidierungskurs, den es mal eingeschlagen hat, nicht verlassen. Die neue linke Regierung hat zwar zuletzt ganz gezielt die Binnennachfrage gesteigert, beispielsweise durch die Anhebung von Löhnen wie auch von Renten, aber sie hat den Sparkurs nicht verlassen. Auf den Punkt gebracht: Die Sozialisten haben vor Ort eine gute Politik gemacht. Und wo steht Portugal jetzt? Das Haushaltsdefizit lag zuletzt so niedrig wie noch nie in der demokratischen Geschichte Portugals. Die Wirtschaft wuchs 2017 um 2,7 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist von 16,2 Prozent auf 6,3 Prozent gesunken, hat sich also mehr als halbiert. Heute beantragt Portugal die vorzeitige Rückzahlung von Krediten an den IWF und teilweise auch an die EFSF. Diese Leistung ist eine gute Leistung, auf die die Menschen in Portugal mit Stolz blicken dürfen. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Deutschlandfunk nannte dies kürzlich – ich zitiere – „Portugals kleines Wirtschaftswunder“. ({2}) Für mich ist Portugal Europas kleines Wirtschaftswunder. ({3}) Was lehrt uns Portugal? Die Antwort auf Krisen in Europa kann nie sein, wie die AfD fordert, weniger Europa. Im Gegenteil: Wir brauchen mehr Europa, und wir brauchen ein solidarisches Europa. ({4}) Es ist mit Sicherheit ein elementares deutsches Interesse – wenn ich das hier mit Blick nach rechts mal so betonen darf –, dass es unseren Nachbarn und Freunden in Europa gut geht. Portugal hat es bewiesen. Danke schön. ({5})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesen Tagesordnungspunkten: Alois Karl, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Alois Karl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003784, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Lieber Herr Kollege Boehringer, es ist manchmal trotz persönlicher Sympathie schwierig, Ihnen oder auch Ihren Kollegen zuzuhören. In Abänderung eines Wortes des Wiener Ökonomieprofessors Joseph Schumpeter möchte ich sagen: Es fällt oft leichter, dass ein Hund einen Wurstvorrat anlegt, als dass Sie eine positive Äußerung hier im Deutschen Bundestag über Leistungen machen, die wir tatsächlich erbracht haben. ({0}) Wir freuen uns heute in der Tat – alle anderen Redner haben das ja auch zum Ausdruck gebracht –, dass sich Portugal von seiner Schuldenlast befreien kann und vorzeitig an den IWF zurückzahlt und auch vorzeitig – – ({1}) – Frau von Storch, zu Ihnen komme ich vielleicht noch. ({2}) Dass Portugal seine Schulden gegenüber dem IWF und auch gegenüber der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, EFSF, zurückführen kann, ({3}) ist doch eine gute Nachricht; ({4}) Denn vor zehn Jahren, als wir hier an ähnlicher Stelle schwierigste Entscheidungen treffen mussten, haben wir richtige Entscheidungen getroffen. Erinnern Sie sich bitte: Vor zehn Jahren ist die Bank Lehman Brothers in die Insolvenz gegangen – es war im September 2008 –, und die Welt stand sozusagen vor einer Kernschmelze. Die Finanzkrise hatte ihren Höhepunkt erreicht, und wir waren in der Tat, lieber Kollege Rehberg und andere, die seinerzeit schon mit dabei waren, in einer ganz schwierigen Situation. An einem Tag haben wir hier im Deutschen Bundestag ein Hilfspaket mit Krediten und Sicherheiten in Höhe von 480 Milliarden Euro beschlossen. Wir haben, glaube ich, richtig beschlossen; denn man kann jetzt sehen, dass alles gut gegangen ist ({5}) und wir sowohl Irland wie auch Zypern wie auch Portugal wie auch Spanien wieder auf einen sehr guten Weg gebracht haben. In der Tat: Die Iren haben zweimal vorzeitig zurückbezahlt. Die Portugiesen haben ebenfalls zweimal vorzeitig zurückbezahlt, und sie sind, wie wir bezüglich aller Fundamentaldaten gehört haben, hervorragend drauf. ({6}) Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, erfüllt uns mit Freude. Wenn man einem Freund helfen kann, ohne dass uns dies einen Nachteil einbringt: Was hindert uns dann daran, möchte ich fragen, diesem Beschlussvorschlag des Finanzministeriums heute zuzustimmen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, Portugal hat es in der Tat nicht leicht gehabt. Die Portugiesen haben die Auflagen, die sie bekommen haben, als eine Chance empfunden und nicht als eine Bestrafung. Portugal hat sich in der Tat von einem Land, das ein Sorgenkind war, heute zu einem Musterschüler entwickelt, von einem Wirtschaftsversager, wie man damals gesagt hat, zu einem Vorzeigestaat. In einem Artikel, den ich in den letzten Wochen gelesen habe, hat es geheißen, Portugal sei heute schon ein gelobtes Land. So weit möchte ich nicht gehen, insbesondere dann nicht, wenn man den Freistaat Bayern nicht als Vergleich mit einbezieht. ({7}) Aber in die richtige Richtung geht das. ({8}) Meine Damen und Herren, wir erleiden keinerlei Nachteil; ein befreundeter Staat erhält einen guten Vorteil. Wenn wir all dies auf die Waagschale legen, müssen wir doch ohne Einschränkung sagen: Wir stimmen dem Beschlussvorschlag des Finanzministeriums zu. Wir erleichtern die Schuldenlast von Portugal. Die Portugiesen bezahlen nicht mehr 0,84 Prozent Zinsen, sondern nur noch 0,42 Prozent Zinsen. Sie verringern ihre Schuldenlast damit um 80 Millionen Euro. Dazu sollten wir die Hand reichen. Stimmen Sie bitte zu! Herzlichen Dank. ({9})

Florian Pronold (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003612

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über ein ernstes Thema, nämlich über die Gesundheit von Menschen in den Städten, und wir stellen fest, dass es in der Wissenschaft allgemein anerkannte Grenzwerte für Stickstoffdioxid gibt, die 1999 beschlossen worden sind und 2008 durch die Bundesregierung noch mal bestätigt worden sind, die in einer gültigen Verordnung stehen und die helfen sollen, dass auch Menschen im Außenbereich unterwegs sein können, die besondere Vorerkrankungen wie Asthma haben, dass auch kleine Kinder, die besonders anfällig sind – Babys –, vor schädlichen Umwelteinwirkungen geschützt werden. ({0}) Darum geht es im Kern. Jetzt erleben wir hier zwei Anträge, die versuchen, zu vernebeln, die im wahrsten Sinne des Wortes versuchen, zu verharmlosen und die Automobilindustrie aus ihrer Verantwortung für die Nachrüstung zu entlassen. Es ist nämlich so, dass eine ganze Menge der legal zugelassenen Diesel-Pkw real sechs- bis achtmal mehr NO x ausstoßen als vorher im Labor. Wenn wir diese Ausstöße nicht wegbekommen, dann treten weiterhin Gesundheitsbelastungen in den Innenstädten der besonders belasteten Städte auf. Deswegen darf man den Druck auf die Automobilindustrie nicht dadurch verringern, dass man so tut, als gäbe es massenhaft fehlaufgestellte Messstellen oder als wären diese Grenzwerte willkürlich. ({1}) Wenn man sich die ganze Studienlage zu dem Thema anschaut, ist eines klar: Die Belastung mit NO x und Feinstaub ist schädlich. Je mehr Menschen davon abbekommen, umso kränker werden sie. Jetzt habe ich im Ausschuss von der FDP gehört: An den verkehrsbelasteten Straßen wohnten überwiegend ärmere Menschen; ({2}) und ärmere Menschen rauchten mehr, und deswegen seien sie auch kränker. ({3}) Ich finde, es schlägt dem Fass wirklich den Boden aus, wenn man so versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse zu torpedieren. ({4}) Dann komme ich zu den Messstellen, wo die AfD immer eine aus Athen anführt, die angeblich falsch aufgestellt sei – was ich nicht weiß. Der Mythos ist ja, dass nur Deutschland so toll misst und alle anderen davon überhaupt nicht betroffen sind. Es wundert mich von daher, warum Athen – wenn die Griechen manipulieren würden – unter den zehn meistbelasteten Städten in Europa ist, was die NO x -Belastung angeht, es wundert mich, warum es dort wie in anderen Städten Fahrverbote gibt, es wundert mich, warum die EU in 22 der 28 Mitgliedstaaten Überschreitungen feststellt und gegen 13 Mitgliedstaaten ein Verfahren eröffnet hat, wenn es – angeblich – nur in Deutschland so ist, dass alles genauer gemacht wird und dass alle anderen bescheißen. Das ist nicht so. Jetzt hatten wir die Debatte in Nordrhein-Westfalen. Da ist behauptet worden: Die Messstellen sind falsch aufgestellt worden. – Dann hat das Land Nordrhein-Westfalen den TÜV Rheinland beauftragt, und der hat 49 Messstellen, die zu dem EU-Messnetz gehören, überprüft. Und alle 49 liefern korrekte Ergebnisse. ({5}) Jetzt könnte man doch endlich mal aufhören, den eigenen Landesverwaltungen, die alle sagen: „Wir stellen das Ganze nach den EU-Richtlinien ordnungsgemäß auf“, zu misstrauen. Die sind übrigens politisch komplett unterschiedlich besetzt. Aber nein, das passiert nicht, sondern es wird weiterhin an beliebig vielen Stellen so getan, als würde die eine oder andere Messstelle falsch stehen und als könnte man Fahrverbote verhindern, indem man die Geräte woanders hinstellt. Ich biete für das Bundesumweltministerium an: Wir sind bereit, alle Verkehrsmessstellen in jeglichem Bundesland auf eigene Kosten überprüfen zu lassen, um endlich mit diesem Mythos aufzuräumen und uns wirklich auf das zu konzentrieren, was Sache ist, nämlich den Gesundheitsschutz der Menschen in den Vordergrund zu stellen. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Nächster Redner der Kollege Marc Bernhard, AfD-Fraktion. ({0})

Marc Bernhard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004669, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Seit fast einem Jahr reden wir jetzt über Dieselfahrverbote. Und was hat sich für die Menschen da draußen verändert? Nix, rein gar nix! Bereits im März haben wir einen Antrag zur wissenschaftlichen Überprüfung des Stickstoffdioxidgrenz­werts eingebracht. Liebe Kollegen von der FDP, diesen Antrag haben Sie vor wenigen Wochen abgelehnt, ({0}) um jetzt dasselbe selbst zu beantragen. Daran sieht man, dass es Ihnen nicht darum geht, den Menschen da draußen zu helfen, sondern nur um reine Selbstdarstellung. ({1}) Selbst die von uns beantragte öffentliche Anhörung von Experten haben Sie gemeinsam mit allen anderen Fraktionen abgelehnt. Aber seien Sie unbesorgt: Bei uns geht es um die Sache und nicht wie bei Ihnen um politische Spielchen. ({2}) Daher werden wir Ihrem Antrag zustimmen. Eine Woche vor der Wahl in Hessen hat die Bundeskanzlerin den Bürgern versprochen, per Gesetz klarzustellen: Bis 50 Mikrogramm gibt es keine Fahrverbote. Liebe Kollegen von der CDU, ab Januar soll es tatsächlich Fahrverbote in vielen Städten geben, und die Menschen da draußen fragen sich zu Recht: Wo bleibt Ihre versprochene Gesetzesänderung? Wenn selbst ein Adventskranz den aktuellen Grenzwert überschreitet, ({3}) dann ist sicherlich nicht der Adventskranz das Problem, sondern der Grenzwert. ({4}) Wie Sie alle in der „Zeit“ lesen konnten, kam dieser Wert zustande, weil völlig ratlose Experten der WHO die Erhöhung des Stickstoffdioxidgehalts durch einen Gasherd in der Küche abgeschätzt haben. Von Brüssel wurde dann daraus völlig willkürlich ein Grenzwert von 40 Mikrogramm für die Außenluft zusammengebastelt. Bis heute gibt es keinen einzigen Beleg dafür, dass die Überschreitung dieses Werts irgendwelche gesundheitlichen Auswirkungen hätte. ({5}) Wie erklären Sie sich eigentlich, dass von 28 EU-Staaten neben Deutschland nur zwei verklagt werden, obwohl in ganz Europa die Situation in den Innenstädten ähnlich ist und überall die gleichen Autos gefahren werden? Das liegt einzig und allein daran, dass die Messstationen praktisch nach Belieben aufgestellt werden können. So ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Genau das passiert auch. Messstationen werden in Deutschland so aufgestellt, dass es zwangsläufig zu Fahrverboten kommen muss. ({6}) Wenn die Messstation nur 4 Meter weiter von der Straße weg aufgestellt wird, verringert sich der Stickstoffdioxidgehalt schon um 40 Prozent. Der Fall Oldenburg bringt den ganzen Irrsinn auf den Punkt. Dort wurden an einer Straße, die wegen eines Marathonlaufs gesperrt war, fast 40 Mikrogramm gemessen. Das Umweltbundesamt hält die Messwerte nicht nur für plausibel, sondern gibt sogar zu, dass das Stickstoffdioxid in der Luft ohne ein einziges Auto fast den Grenzwert erreicht. ({7}) Jeglicher Straßenverkehr führt also ganz zwangsläufig zu einer Überschreitung dieses willkürlichen Grenzwerts und damit zu Fahrverboten. ({8}) Zu allem Überfluss sind die Fahrverbote auch noch völlig nutzlos. In Stuttgart sollen die geplanten Fahrverbote zu einer Absenkung der NO x -Werte um 4,6 Mikrogramm führen, bei einem Ausgangswert von 61 Mikrogramm also gerade einmal um lächerliche 7 Prozent. In Hamburg sind die Stickstoffdioxidwerte seit Verhängung eines Fahrverbotes Anfang Juni sogar noch gestiegen. Es stellt sich aber eine ganz andere Frage: Wer klagt denn eigentlich diese sinnlosen Fahrverbote und sogar die Sperrung von Autobahnen in ganz Deutschland ein? ({9}) Die sogenannte Deutsche Umwelthilfe, ein obskurer Verein mit weniger als 300 Mitgliedern, ein Verein, der sein Geld damit verdient, dass er kleinen Gewerbetreibenden Abmahngebühren abpresst. Höhnisch nennt man das dann ökologische Marktüberwachung. In einem anderen Milieu würde man von Schutzgelderpressung sprechen. ({10}) Die Deutsche Umwelthilfe überzieht Städte und Gemeinden mit Fahrverbotsklagen, finanziert durch Sie von der Regierung und vor allem durch ausländische Indus­triekonzerne wie Toyota. ({11}) Das strategische Ziel ist klar: die Zerstörung der deutschen Automobilindustrie und von Millionen von Arbeitsplätzen. Dieses bizarre Schauspiel muss endlich beendet werden. ({12}) Noch ein letzter Satz zu den Kollegen der CDU: Halten Sie sich nur ein einziges Mal an eines Ihrer Wahlversprechen, und sorgen Sie dafür, dass es, wie von der Kanzlerin versprochen, zu keinen Fahrverboten kommt. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Karsten Möring ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karsten Möring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004356, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Redezeit ist gar nicht lang genug, um auf all den Mist zu antworten, den wir eben gehört haben. ({0}) Vielleicht nur ein paar Punkte. Die Verschwörungstheoretiker sitzen auf der rechten Seite des Hauses. Herr Bernhard ignoriert beispielsweise, was Herr Pronold uns gerade über die Reaktion der EU auf die verschiedenen Stufen im Vertragsverletzungsverfahren bis hin zur Klage vor dem EuGH gesagt hat. Er behauptet nach wie vor, es seien außer Deutschland nur zwei Länder. Ich verstehe auch nicht, warum er uns vorwirft, wir würden die Messstellen so platzieren, dass Fahrverbote entstehen, während wir hier alles tun, um Fahrverbote zu vermeiden. Konsistent ist das nicht. ({1}) Aber kommen wir zum Kern des Themas, um das es hier geht, und machen wir uns ein paar Punkte klar; denn in der Tat haben wir es hier mit gesundheitlicher Beeinträchtigung zu tun. Bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die die Lebenszeit eines Menschen beeinflussen, haben wir interne Faktoren, die vom Einzelnen abhängen – wie viel er sich bewegt, wie viel er raucht, wie viel er isst –, aber auch externe Faktoren – Arbeitsunfälle, Verkehrsunfälle, aber auch Umweltbelastungen, Gifte und gesundheitsschädliche Stoffe in der Luft. Deswegen ist völlig klar, dass es unsere Aufgabe in der Politik ist, diese Einflüsse von außen zu minimieren. Dazu gehören die Luftschadstoffe; das ist völlig klar. Jetzt zu der Frage der Grenzwerte. Die Diskussion, auf die die 40 Mikrogramm zurückgehen, ist in den 90er-Jahren geführt worden. Vielleicht haben wir heute eine andere Grundlage. Wir haben aber inzwischen zahlreiche Studien mehr, die auch dauernd überprüft werden. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin sagt: Ein Grenzwert von 40 Mikrogramm ist ein gesetzter. Es gibt medizinisch keinen zwingenden Grund dafür, dass er bei 40 Mikrogramm liegt, er könnte auch 20 Mikrogramm oder mehr betragen. ({2}) Es kommt auf die Gesamtsituation an. Für uns ist entscheidend, was das bedeutet. Wenn wir einen Grenzwert setzen, egal ob hier im Parlament oder in der EU, dann heißt das auf Deutsch: Es ist ein Auftrag an uns, so zu handeln, dass dieser Grenzwert eingehalten wird. Das ist uns bisher nicht gelungen. Es ist uns nicht gelungen, weil wir ihn in der Anfangszeit, als dieser Grenzwert festgelegt wurde, vielleicht nicht ernst genug genommen haben. Das gilt für die ganze Bandbreite der öffentlichen Diskussion; vielleicht den einen oder anderen ausgenommen. Der entscheidende Punkt dabei ist: Wir müssen ihn aber erreichen, weil wir ihn uns gesetzt haben. Wir werden ihn ja in den nächsten Jahren vielleicht auch noch einmal verschärfen. Dieser Auftrag bleibt. Jetzt kommt aber die Frage: Wie erreichen wir das, und was machen wir in der Zwischenzeit? Wir stehen ohne Frage unter Zeitdruck. Aber der entscheidende Punkt ist eigentlich: Was müssen wir in der Zwischenzeit machen oder – in Anführungszeichen – erdulden? Wir können der Autoindustrie Vorwürfe machen. Sie hat sich aber mit Ausnahme derjenigen, die auf dem Teststand manipuliert haben, an die gesetzlichen Regeln gehalten. Diese Bandbreite haben wir oder hat die EU zugelassen. Ausländische Fahrzeughersteller, die in Deutschland ihre Fahrzeuge absetzen, sagen: Wir haben alles richtig gemacht. – Die können wir auch gar nicht in Haftung nehmen. Unsere Autohersteller können wir auffordern: Macht etwas, Software-Updates, Nachrüstung, alles Mögliche. – Aber der entscheidende Punkt dabei ist: Wir alle wissen, dass die Luftschadstoffe aus verschiedenen Quellen kommen, aus der Industrie, aus der Landwirtschaft, aus dem Verkehr. Die entscheidende Frage ist jetzt: Wieso soll der Verkehrssektor, weil er am leichtesten greifbar ist, in der Zeit, die wir brauchen, um die 40 Mikrogramm zu erreichen, dadurch bestraft werden, dass soundso viele Fahrzeuge nicht fahren dürfen? Hier geht es um die Frage: Welche Maßnahmen sind verhältnismäßig? Dass wir jetzt keinen Druck mehr brauchen, um alles zu tun, um diese Ziele zu erreichen, das liegt, glaube ich, auf der Hand. ({3}) Zu der Frage, ob wir Fahrverbote brauchen, sagen einige Gerichte: Ja. – Wir werden aber definieren, dass Fahrverbote bei Messwerten innerhalb einer bestimmten Bandbreite von 10 Mikrogramm über dem Grenzwert nicht verhältnismäßig sind. Die Beeinträchtigung für die Zeit, in der dieser Grenzwert nicht erreicht wird, steht in keinem Verhältnis zu der Beeinträchtigung durch die Fahrverbote, vor allen Dingen wenn sie großräumig sind. Deswegen wollen wir diese Fahrverbote nicht. Gleichzeitig wollen wir aber alles tun, um diese Grenzwerte zu erreichen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür tut die Bundesregierung einiges, und dafür tun wir einiges. Wir haben Programme aufgelegt und mit Mitteln in erheblichem Umfang ausgestattet, die zur Reduzierung führen. Denn worauf kommt es an? Es kommt darauf an, dass wir die Verkehre, die sich überwiegend in der Stadt abspielen – die Lieferverkehre, die städtischen Verkehre, die Verkehrsbetriebe, die Müllverkehre und, und, und –, was die Emissionen angeht, möglichst schnell so schadstoffarm machen, wie es geht. Dafür haben wir ein großes Förderprogramm aufgelegt. Das ist der richtige Weg. Ich hatte heute Nachmittag, zwei Stunden vor dieser Veranstaltung, das Vergnügen, beim Bundesverkehrsministerium zwei Förderbescheide entgegennehmen zu dürfen ({5}) in Höhe von ungefähr 19 Millionen Euro für die Förderung von Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme, deren Sinn es ist, Schadstoffreduzierung zu erreichen, indem man Verkehre steuert. In der letzten Woche gab es allein für Köln 3 Millionen Euro für die Umrüstung auf Elektromobilität. ({6}) Im Juni haben wir bereits mehrere Millionen Euro für ähnliche Programme bekommen. ({7}) Dieses Programm ist der richtige Weg, den wir gehen müssen, um unsere Ziele zu erreichen und Fahrverbote zu vermeiden. ({8}) Herzlichen Dank an das Plenum, das den Haushalt beschlossen hat, und an das Bundesverkehrsministerium, das diese Mittel vernünftig ausgibt und auf diese Weise dafür sorgt, dass wir unserem Ziel, die Grenzwerte einzuhalten, erheblich näher kommen. Dieser Weg ist der richtige; wir werden ihn weitergehen. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank. Vorbildlich die Redezeit eingehalten. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Judith Skudelny, FDP-Fraktion. ({0})

Judith Skudelny (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004159, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Seit Februar dieses Jahres stellt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts klar: Es kann und es wird voraussichtlich in Deutschland zu Fahrverboten kommen. Schauen wir doch zunächst einmal: Was hat sich seit Februar getan? Das Erste, was wir gemerkt haben, ist, dass die Dieselfahrerinnen und Dieselfahrer in Deutschland kalt enteignet worden sind: kalt enteignet zum einen, weil der Restwert ihrer Fahrzeuge dramatisch gesunken ist, und kalt enteignet zum anderen, weil sie ihre Fahrzeuge nicht mehr in vollem Umfang so nutzen können, wie sie sie ursprünglich nutzen wollten – und das, obwohl viele von ihnen sich mit Absicht für ein umweltfreundliches Fahrzeug entschieden haben. ({0}) Das gilt nicht nur für Euro-4- und Euro-5-Fahrzeuge, sondern seit Herr Resch durch die Lande läuft und sagt: „Die Euro-6-Fahrzeuge sind ebenfalls bedroht“, gilt es auch für Dieselfahrer mit Fahrzeugen der Euro-6-Klasse – und das sind Neufahrzeuge, meine Damen und Herren. ({1}) Als Zweites haben wir gemerkt, dass die Menschen auf die Situation reagiert haben. Sie haben sich andere Fahrzeuge gekauft, aber nicht, wie viele hier im Haus hoffen, mit alternativen Antrieben. Von 100 Fahrzeugen, die die Bundesregierung anschafft, haben auch nur 5 Fahrzeuge alternative Antriebe. ({2}) Die allermeisten Neufahrzeuge, die gekauft werden, sind Benziner, und die haben einen höheren CO 2 -Ausstoß. Schauen wir uns beim Kraftfahrt-Bundesamt an, was passiert ist, stellen wir fest: Wir stoßen viel mehr CO 2 im Verkehrsbereich aus. Damit haben wir den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. ({3}) Wer wirklich denkt, dass die Fahrverbote dazu führen, dass die Luft sauberer wird, der hat nicht nach Hamburg geschaut. ({4}) Zum einen erhöhen sich dort an den Messstellen die gemessenen Werte, und zum anderen fahren die Leute an den betroffenen Stellen außen vorbei. Mit Blick auf das Urteil von Düsseldorf stellen wir fest, dass sich die Emissionen verlagern: von den Innenstädten, von den Hauptstraßen in die Wohngebiete und von den Autobahnen in die kleinen Ortschaften. Eine Verdrängung bei der Luftbelastung kann ja wohl nicht das Ziel der Umweltpolitik dieses Bundeshauses sein. ({5}) Wer öffentliche Verkehrsmittel nutzt und ab und zu mal Straßenbahn fährt, der sieht die Notwendigkeit des Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Und ja, darin sind gute Ansätze. Sie wollen bei der Verhältnismäßigkeit ansetzen; das ist gut und richtig. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil schon bezweifelt, ob das der richtige und vor allem juristisch tragbare Weg ist. Das wird die Zukunft noch weisen. Wir würden es uns auf jeden Fall wünschen, weil es eine mögliche Maßnahme ist. Eine bessere Maßnahme wäre es aber, diese Fahrverbote im Kern zu vermeiden. Das geht, indem man die Messstellen überprüft. ({6}) Dafür gibt es zwei Herangehensweisen. Die eine bezieht sich auf das Wörtliche. Man nimmt ein Gesetz und guckt: Wurde das Gesetz Wort für Wort umgesetzt? Und ja, wahrscheinlich wird das an den meisten Messstellen der Fall sein. Die eigentliche Frage ist aber: Treffen die Messstellen tatsächlich den Sinn und Zweck der Verordnung? Da muss ich Ihnen sagen, Herr Pronold: Nein, sie treffen ihn nicht; denn in der Verordnung steht: Wir wollen nicht den an- und abfahrenden Verkehr, wie beispielsweise in Stuttgart und München, messen, sondern wir wollen die Hintergrundbelastung messen. Das erreichen wir mit den Messstellen nicht. ({7}) Ich finde es gut, dass Sie die Messstellen überprüfen, aber bitte nicht nur in der wörtlichen, sondern auch in der sogenannten teleologischen Auslegung. Demnach stehen die Messstellen eben nicht korrekt. ({8}) Wir brauchen eine Überprüfung der Grenzwerte, weil nicht nur die Höhe der Belastung, sondern auch die Dauer der Belastung maßgeblich ist. Wenn wir die Verantwortung wieder an diejenigen zurückgeben möchten, die für das Wohl der Bürger vor Ort zuständig sind, dann müssen wir überprüfen, ob die Aufenthaltsdauer an den hoch belasteten Stellen tatsächlich so groß ist. Am Neckartor gehen wenige kleine Kinder vorbei – da geht überhaupt niemand vorbei. Deswegen könnte man sagen: Dort ist vielleicht mehr Toleranz möglich als an anderen Stellen, wo mehr Wohnbebauung ist und sich die Menschen länger aufhalten. Damit wir die Flexibilität haben und damit wir die Verantwortung wieder an die Kommunen gegeben können, sollten wir auch die Messstellen auf europäischer Ebene noch mal überprüfen. ({9}) Was das Moratorium betrifft: Wir brauchen Zeit. Wir brauchen eine Karenzzeit, wie es Herr Möring im Ausschuss gesagt hat. Wir brauchen ein Moratorium, wie wir es formulieren. Das können wir auch noch im Vertragsverletzungsverfahren auf europäischer Ebenen verhandeln. Aber vielleicht sollten wir dann Menschen in die europäischen Gremien schicken, die in der Lage sind, Vereinbarungen zu treffen. Denn letztens hat eine Umweltministerin auf europäischer Ebene CO 2 -Flottengrenzwerte verhandelt, den Willen der Bundesregierung nicht umgesetzt und sich dafür bei ihren eigenen Leuten in Deutschland feiern lassen. Das Dieselthema ist ein Chefthema. Wir sollten die besten Leute nach Europa schicken. Wenn die Chefin selber mal mitreden würde, würden wir vielleicht auch das Moratorium bekommen. ({10}) Ein Letztes zur DUH. Liebe Union, bitte keine untauglichen Anträge auf Parteiebene stellen, sondern verhindern, dass der Wirtschaftsminister die Deutsche Umwelthilfe auch noch mit lukrativen Aufträgen versorgt. Das wäre ein erster Schritt, um hier ein Zeichen zu setzen. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: der Kollege Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke. ({0})

Ralph Lenkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004091, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Hier wird viel über einen Durchschnittsgrenzwert geredet. Das ist ein Jahresmittelwert. Die Belastung geht von Spitzenwerten aus. Wenn ich die rechte Seite dieses Hauses höre, muss ich immer an ein altes russisches Sprichwort denken: Der Teich war im Durchschnitt 1 Meter tief, trotzdem ist die Kuh ertrunken. ({0}) Letzten Montag stand ich an einer stark befahrenen Kreuzung. Es war kalt, es war neblig. Neben mir stand eine Mutter mit ihrem Kinderwagen und dem zweiten Kind. Die Schwaden aus den Auspuffen waren genau auf Kopfhöhe der Kinder. ({1}) Die Messstation: 25 Meter entfernt – nach Messvorschrift –, 4 Meter neben der Straße – nach Messvorschrift –, 2 Meter in der Höhe – nach Messvorschrift. Ich kann Ihnen allen als Techniker versichern: Der dort gemessene Mittelwert deckt viel ab, aber definitiv nicht die Belastung, der diese Kinder ausgesetzt sind. ({2}) Jetzt zu AfD und FDP. Die wollen die Messwerte noch unrealer erfassen. Die neuen Forderungen lauten: 50 Meter weg von einer Kreuzung, 10 Meter weg von der Straße, 4 Meter in die Höhe und dann auch noch 3 Meter Abstand zu jedem Haus. ({3}) Im Klartext: Überall dort, wo Belastungen hoch sind, wie in Straßenschluchten, wird man zukünftig nicht mehr messen dürfen. Was man nicht misst, das weiß man nicht, und dann braucht man nichts zu machen – so eine Politik werden wir nicht mitmachen. ({4}) Liebe Autofahrerinnen und Autofahrer, eine Frage an Sie: Haben Sie schon mal im Stau hinter einem alten Diesel gestanden? Falls ja, wissen Sie, woher das Wort Stick oxide kommt. Eine Messung, um zu sehen, wie die Belastung an den jetzigen Messpunkten im Vergleich zu dem ansteigt, was Sie real einatmen – sei es als Fußgänger, als Radfahrer oder als Autofahrer über die Lüftung –, wurde nie durchgeführt; zumindest habe ich nichts gefunden. Das Einzige, was ich fand, war eine Vergleichsmessung an der Autobahn A 4 bei Olpe. Dort hat man folgende Werte gemessen – damit man mal sieht, wie sich das verändert –: In 11 Metern Entfernung waren es 90 Mikro­gramm Stickoxid im Jahresdurchschnitt. In 1,5 Metern Entfernung waren es schon 170 Mikrogramm. Und am Mittelstreifen, was in etwa dem entspricht, wenn Sie an einer Kreuzung ohne Stau stehen, waren es 351 Mikrogramm. Das heißt: Das sind ganz andere Werte. Wenn man eine sinnvolle ärztliche Untersuchung durchführen will, dann müsste man gucken, wie die realen Werte, denen wir ausgesetzt sind, wirken und sich keinen Fantasiejahresmittelwert anschauen. ({5}) Ich frage mich: Wie kommt es eigentlich, dass die FDP die Grenzwerte weiter verwässern will? ({6}) – Verwässern, also noch schlechter machen will. Dazu kann ich nur eines sagen: Es wundert nicht, wenn man sieht, dass Sie 50 001 Euro von der Familie Quandt bekommen, 50 001 Euro als Großspende von der Familie Klatten und von dem nicht ganz unbedeutenden Autovermieter Sixt 55 000 Euro. Das sind die Silberlinge, die Sie erhalten, damit die Grenzwerte aufgeweicht werden. ({7}) Statt Messvorschriften einzustampfen, statt als Kompagnon von Betrügern zu arbeiten, sollten für uns als Linke die zur Kasse gebeten werden, die den ganzen Schlamassel verursacht haben. ({8}) Daimler, BMW und VW haben von 2014 bis 2017 117 Milliarden Euro Gewinn ausgewiesen, davon 55 Milliarden Euro allein in den letzten zwei Jahren. Da sollte es doch möglich sein, dass sie als Strafe für falsche Verbrauchsangaben 10 Milliarden Euro für die Nachrüstung der Diesel-Pkws mit Katalysatoren ausgeben. Und wenn die Grenzwerte gerissen werden sollten, dann können die Konzerne auch durchaus dafür zahlen, dass der öffentliche Personennahverkehr in diesen Regionen kostenfrei ist: Sie bezahlen dann die Fahrscheine. ({9}) Ganz nebenbei können sie dann auf ihre Kosten, als Kompensation für ihren Betrug, in Stuttgart und anderen Städten noch erdgas- oder wasserstoffbetriebene Busse ({10}) bereitstellen. Wenn man das macht, wird die Luftqualität besser. Und für die Schummelsoftware muss es auch noch eine Strafe geben; mit diesen Einnahmen finanzieren wir die Nachrüstung von Baufahrzeugen und die Nachrüstung von Bussen. Dann, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, haben wir ein ganz anderes Ergebnis: ({11}) Dann brauchen wir keine Fahrverbote, nicht weil wir bei den Messwerten schummeln, sondern weil die Luft besser geworden ist. Vielen Dank. ({12})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner für Bündnis 90/Die Grünen: der Kollege Oliver Krischer. ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sinn von Grenzwerten ist, dass man sie einhält, um die Gesundheit von Menschen zu schützen, und dass der Staat alles dafür tut, dass diese Grenzwerte auch eingehalten werden. Wenn ich mir Ihren Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, anschaue, ({0}) denke ich: Einen solchen Antrag kann niemand ernst meinen. Sie wollen am Ende nur – und darum geht es doch – diesen Grenzwert weghaben, weil Sie die Interessen der Automobilindustrie vertreten, weil Sie das wichtiger finden als die Gesundheit der Menschen. Das muss man doch mal klipp und klar sagen. ({1}) Sie fordern in Ihrem Antrag ein Moratorium für einen Grenzwert, der schon seit zehn Jahren gilt. Vorher haben Sie sich nie mit diesem Grenzwert auseinandergesetzt; das hat Sie nie interessiert. ({2}) Erst als er relevant wurde, kamen Sie plötzlich damit an. Ganz ehrlich: Das zeigt doch, dass es nicht um Gesundheitsschutz, sondern einfach um Partikularinteressen geht. ({3}) Frau Skudelny, eines sollte Ihnen doch zu denken geben: dass Sie jetzt bezüglich des Urheberrechts schon im Wettbewerb mit der AfD stehen, dass Anträge vorliegen, die bis in die wörtliche Formulierung identisch sind. ({4}) Wo bitte positioniert sich da eigentlich die FDP im Spektrum? Diese Frage sollten Sie intern mal diskutieren. ({5}) Und dann behaupten Sie immer wieder – das kommt in den Debatten immer wieder, leider auch von den Kollegen der CDU –, dass falsch gemessen würde. ({6}) Schauen wir nach Nordrhein-Westfalen, da regiert eine schwarz-gelbe Regierung. Sie hat nachmessen lassen; sie hat das nicht selber gemacht, sie hat den TÜV beauftragt. Das Ergebnis: Von den 49 amtlichen Messstationen messen 49 richtig. Wir haben also die Situation, dass die Partei von Christian Lindner hier die Behauptungen der Bundestagsfraktion von Christian Lindner widerlegt. Das zeigt doch: Es sind Fake News, mit denen Sie hausieren, um Verunsicherung zu verbreiten, um Ihre Interessenpolitik durchzusetzen. Hören Sie bitte damit auf; das ist doch, ehrlich gesagt, absurd. ({7}) Man kann die ganzen Beispiele, wo angeblich falsch gemessen wird, durchgehen: Überall entpuppt sich das als Fake News. An den offiziellen, amtlichen Messstationen in Deutschland wird richtig, EU-konform gemessen. ({8}) Es geht Ihnen um was ganz anderes; es geht Ihnen am Ende nur darum, hier die Interessen der Automobilindustrie durchzusetzen. Das sieht man daran, dass Sie es vorher nie problematisiert haben, auch nicht, als Sie teilweise in Regierungsverantwortung standen; ({9}) denn sonst würden Sie in dem Antrag, den Sie hier vorlegen, Hardwarenachrüstung oder eine konkrete Maßnahme fordern, wie man denn die Luft besser machen kann. Dazu findet sich in Ihrem Antrag kein einziges Wort. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der FDP-Fraktion?

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne. ({0})

Daniela Kluckert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004784, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Also, vielleicht zur Richtigstellung: Dass die Messungen EU-konform sind, bezweifeln wir ja teilweise gar nicht. Jetzt zu meiner Frage: Wie beurteilen Sie denn die Situation in Oldenburg, wo erhöhte Messwerte an Tagen festgestellt worden sind, an denen gar keine Autos gefahren sind, sondern an denen ein Marathon stattgefunden hat? ({0})

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Über die Ursachen von Stickoxidbelastungen hat der Kollege Möring eben etwas Richtiges gesagt: dass es natürlich nicht nur den Straßenverkehr gibt, sondern auch andere Belastungen. Frau Skudelny hat in ihrer Rede, als sie den Antrag eingebracht hat – das ist auch von anderen Kollegen gekommen –, behauptet, in der Stadt Aachen, wo ich herkomme, würde falsch gemessen, ({0}) da würde alles schieflaufen. Was ist in Aachen Fakt? ({1}) Die beiden offiziellen Messstationen des Landes messen selbstverständlich richtig. Nur: Die Stadt hat selber noch mal nachgemessen: Von den 30 Messstationen hing eine tatsächlich falsch. Wenn man sie anders aufhängt – das ist inzwischen herausgekommen; das ist das Interessante –, ist der Wert sogar noch gestiegen. ({2}) Interessant, was Sie hier verbreiten: einfach nur Verunsicherung. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ist die Frage damit beantwortet? – Gut.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einen Satz zur Deutschen Umwelthilfe sagen – das finde ich sehr wichtig, das Thema kam in der Debatte auch schon auf – und zu dem, was sich hinter dieser Debatte versteckt. ({0}) Ich finde es, ehrlich gesagt, einen Skandal, dass Umweltorganisationen, die nichts anderes tun, als gültige Gesetze vor Gericht einzuklagen, hier kriminalisiert werden. ({1}) Vom rechten Spektrum erwarte ich ja gar nichts anderes; aber ich hätte nicht erwartet, dass Mitglieder der Bundesregierung Umweltorganisationen kriminalisieren – da sitzt Herr Bilger, er kann ja so unschuldig gucken; Herr Bareiß war eben da –, die nichts anderes machen, als geltende Gesetze einzuklagen. Die Fahrverbote werden nicht von der Deutschen Umwelthilfe erlassen, sondern von Gerichten. Und wenn wir damit anfangen, Organisationen zu kriminalisieren, nur weil sie für geltendes Recht kämpfen, dann ist das die Orbanisierung unseres Landes. ({2}) Ich kann nur an Sie appellieren – auf Ihrem Parteitag steht das zur Abstimmung –: Überlegen Sie sich genau, was Sie da machen. ({3}) Denn sonst werden wir hier Debatten führen und zum Beispiel auch mal die Frage aufwerfen, warum eigentlich der Verband der Deutschen Automobilindustrie, ein gemeinnütziger Verein, der zentrale Lobbyverband ist. ({4}) Das erschließt sich mir nicht, und ich würde ungern diese Debatten hier führen. Aber wenn Sie dieses Fass aufmachen und hier Organisationen kriminalisieren, dann werden wir das tun.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Krischer, kommen Sie bitte zum Ende.

Oliver Krischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das kann, ehrlich gesagt, in einem Rechtsstaat nicht sein. ({0}) Wenn wir uns auf diese Ebene begeben, dann sind nicht nur die Gesundheit und die Umwelt gefährdet, dann ist auch der Rechtsstaat gefährdet. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Arno Klare, SPD-Fraktion. ({0})

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erste Frage: Sind die Grenzwerte okay? Ja, sie sind es. Ich kenne 150 Studien, 120 davon habe ich gelesen. In allen Studien stehen genau diese Werte drin. ({0}) Die WHO macht Metastudien und hat diesen Wert festgelegt; also, der Wert ist valide. Was sollte getan werden, was kann man tun? Ein Stichwort ist gerade schon gefallen, das ist sehr wichtig: technische Hardwarenachrüstung an Fahrzeugen. Mit dem „Sofortprogramm Saubere Luft“ – 1 Milliarde Euro stecken da drin – machen wir das: Das geht bei ÖPNV-Bussen, bei Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs, die den Städten gehören; das geht auch bei Taxen. Das, was aussteht – natürlich die Masse der Fahrzeuge –, sind die Pkws in privatem Besitz. Ich kann jetzt ganz offen sagen: Wir haben drei Jahre verloren. ({1}) Denn der deutsche Mittelstand – sehr erfinderisch, mit ganz vielen Arbeitsplätzen – ({2}) hat diese Hardwarenachrüstung schon seit Jahren entwickelt. ({3}) Wir haben es ein wenig versäumt, den Druck auszuüben, der notwendig gewesen wäre. Jetzt haben sich dankenswerterweise Daimler und VW bereit erklärt, 3 000 Euro pro Fahrzeug für die Nachrüstung zur Verfügung zu stellen; das ist ein sehr wichtiger Schritt. Am vergangenen Donnerstag hat das erste Treffen zwischen diesen Nachrüstfirmen und Daimler in Stuttgart stattgefunden. Ich warte darauf, dass VW zu einem ähnlichen Termin einlädt. Zweiter Punkt, der sehr wichtig ist – er ist gerade auch schon gefallen –: alternative Antriebe. Wir müssen viel mehr auf E-Fuels setzen, also auf synthetische Kraftstoffe, die aus Sonne und Wind gewonnen werden. ({4}) Da verbindet sich die Energiewende mit der Verkehrswende – Sektorkopplung –; das müssen wir hinbekommen. ({5}) Wir brauchen – dritter Punkt – natürlich so etwas wie Verkehrslenkung. Auch meine Stadt Mülheim an der Ruhr hat entsprechende Zuwendungen aus dem „Sofortprogramm Saubere Luft“ bekommen – ich bin dafür sehr dankbar –, um den Verkehr in der Stadt besser lenken und steuern zu können und flüssiger zu halten. Der letzte Punkt, den ich ansprechen will, ist die ÖPNV-Optimierung. Auch sie wird über das „Sofortprogramm Saubere Luft“ finanziert, die entsprechenden Mittel werden auch abgerufen. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion?

Arno Klare (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004329, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte das jetzt im Zusammenhang sagen. – Die ÖPNV-Optimierung wird auch über andere Programme finanziert. Wir werden die Mittel nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz auf 1 Milliarde Euro im Jahr anheben. Das bedeutet, es gibt mehr investive Mittel für den ÖPNV in den Städten. Wir haben in der letzten Legislaturperiode 1 Milliarde Euro bei den Regionalisierungsmitteln draufgelegt. All das hilft dem öffentlichen Nahverkehr, besser zu werden, die Emissionswerte herunterzubekommen, die Menschen weg vom Auto und hin zum öffentlichen Nahverkehr zu bekommen. Wir fördern Radwege. Auch das ist ein wichtiges Programm. ({0}) Es ist jetzt sogar im Bundesverkehrswegeplan enthalten. – Das alles zusammengenommen, wird dazu führen, dass die Emissionswerte besser werden. Zu dem, was gerade angemahnt wurde, nämlich zur Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetz, kann ich sagen: Der Vorschlag eines neuen § 40a ist schon längst formuliert, wird im Januar im Bundesrat verhandelt und dann den Bundestag erreichen. Zu sagen, da gäbe es nichts, ist also schlichter Unsinn. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Mario Mieruch hat das Wort.

Mario Mieruch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004822, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mein lieber Herr Klare, die WHO-Metastudie hat andere vorliegende Studien miteinander verglichen, bei denen die Grundlagen zum Teil völlig unterschiedlich waren. Das ist ungefähr so, als wenn ich Äpfel mit Birnen vergleiche, um die Frage zu beantworten, ob eine Banane gelb ist. – So viel dazu. ({0}) Fassen wir erst mal zusammen, was bei den einigermaßen gleich lautenden Anträgen letzten Endes rauskommt: Brüssel soll helfen. – Aber wer kann ernsthaft erwarten, dass von dort etwas Sinnvolles kommt, wenn doch die Bundesregierung – wie im März – Fristen für den Einspruch gegen dort gesetzte Emissionsgrenzwerte einfach verstreichen lässt und sich nicht rührt? Das wirft die Frage auf: Wer ist eigentlich dafür verantwortlich, zum Beispiel im Bundesumweltministerium? Wer sitzt dort seit Jahren, war Präsident des NABU und des Umweltbundesamts? Wessen Verkehrsclub Deutschland – er hat ihn mitgegründet – verklagt eigentlich zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe dauernd das halbe Land? Was treibt denn eigentlich der Herr Staatssekretär Jochen Flasbarth dort? Für wessen Interessen ist er da eigentlich tätig? Unter Umständen könnte diese Frage bei der FDP von Michael Theurer beantwortet werden, bei der CDU vielleicht von Mark Helfrich oder Klaus Töpfer, bei der SPD vielleicht von Herrn Saathoff und bei den Grünen von Herrn Krischer, der hier gerade gesprochen hat; denn sie sitzen zusammen mit Herrn Flasbarth im Rat der Agora, einem Klüngelklub, den kaum einer der Menschen, die oben auf den Tribünen sitzen, kennt. ({1}) Dort sagt zum Beispiel Herr Flasbarth: In den Klimaschutzplan haben wir reingeschrieben, dass wir ab 2030 eigentlich keine Autos mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren mehr zulassen dürfen. – Meine Damen und Herren auf der Tribüne, Sie werden nicht mehr gefragt, ob Sie das überhaupt wollen. Das entscheidet man dort im Hinterzimmer. Sie dürfen das alles nur bezahlen: beim EEG, beim Sprit, mit Gebühren und Abgaben oder mit Millionen von Steuergeldern für Studien und Bürgerdialoge, bei denen Ihnen dann erklärt wird: Auf Bürgerseite steht allerdings auch oft die Fehleinschätzung, dass ein Beteiligungsverfahren der richtige Ort sei, um ein Projekt ganz zu verhindern. Welch eine Dreistigkeit! Übrigens: Herr Flasbarth forderte im letzten Monat, dass der Sprit teurer werden müsse. Seine Begründung: Die Strompreise wären angestiegen. – Unfassbar! Der Rücktritt dieses Staatssekretärs wäre der gebotene Anfang, um hier endlich wieder zu demokratischen Strukturen zurückzukehren. Danke schön.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der letzte Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Felix Schreiner, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Felix Schreiner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004883, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte bietet uns erneut Gelegenheit, zur Sachlichkeit zurückzukehren und die oftmals sehr emotional geführte Diskussion sachlich anzugehen. Erstens möchte ich feststellen, dass es nicht stimmt, dass die Bundesregierung nichts macht. Die Stickoxidbelastung im Straßenverkehr sinkt seit Jahren kontinuierlich, ({0}) seit dem Jahr 2000 übrigens um 60 Prozent. Infolgedessen sinkt auch die Zahl jener Städte, die den Grenzwert reißen. Wir haben das „Sofortprogramm Saubere Luft“ am Laufen ({1}) und seit dem 1. Oktober noch ein zusätzliches Konzept in Umsetzung, ({2}) um die NO x -Belastung weiter zu senken. Im Jahr 2020 – Herr Krischer, nehmen Sie das auch zur Kenntnis – werden die entsprechenden Werte in den Städten, die die Grenzwerte für Stickstoffdioxid heute noch überschreiten, deutlich niedriger sein. All das sind übrigens Erkenntnisse, die aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion stammen; es sind Antworten der Bundesregierung auf Fragen, die Sie gestellt haben. ({3}) Ich hätte mir gewünscht, dass Sie heute darauf auch eingehen, wenn Sie schon parlamentarische Anfragen stellen, meine Damen und Herren. Lieber Herr Krischer, es muss Ihnen auch gesagt werden – eigentlich darf man sich gar nicht nur mit Ihnen beschäftigen; deswegen sage ich es der Allgemeinheit –, dass bestehende Förderprogramme kontinuierlich erweitert wurden. Zum Beispiel wurde das Programm zur Umrüstung der städtischen Flotten, das sich bisher nur auf die von Ihnen so gerne erwähnten „stinkenden Dieselbusse“ bezog, so erweitert, dass mittlerweile komplette innerstädtische Flotten umgerüstet werden können. Auch das hat die Bundesregierung auf den Weg gebracht, aber auch dazu hört man heute von Ihnen rein gar nichts. Nein, Sie zeigen mit dem Finger auf die Bundesregierung und sagen: Die Bundesregierung müsse das alles machen. – Ich sage Ihnen: Gerade die Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben und die nun in den Kommunen vor Ort umgesetzt werden, betreffen Sie genauso; denn nur mit dem Finger auf den Bund zu zeigen, ist viel zu wenig, wenn man selbst an zahlreichen Landesregierungen beteiligt ist, meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grünen. ({4}) Das führt mich zum dritten Punkt. Ich glaube, wir tun gut daran, dass wir zusammen mit dem Deutschen Wetterdienst die Messstellen überprüfen. Sehr geehrter Herr Staatssekretär Pronold, ich habe im Vorfeld Ihrer Rede bereits im ARD-Ticker gelesen, was Sie in Ihrer Rede wahrscheinlich alles sagen; das war kurz bevor Sie es hier gesagt haben. Ich habe dort auch gelesen, dass das Bundesumweltministerium die Überprüfung der Messstellen angeht. Das finde ich grundsätzlich positiv; das begrüßt meine Fraktion. Wir sind der Meinung, dass wir die Bedeutung der Messwerte in den Mittelpunkt stellen müssen. Es geht uns eben nicht darum, die schlechtestmöglichen Werte zu messen, sondern darum, realistische Schadstoffwerte zu ermitteln. Darum geht es in der Diskussion. Das ist deshalb so wichtig, weil die Messwerte in den Verwaltungsgerichtsverfahren der essenzielle Punkt sind. Die Menschen, die zu uns kommen, merken zu Recht an, dass wir vergleichbare Messwerte in ganz Deutschland brauchen, sehr geehrte Damen und Herren. Wir haben die Verkehrsminister der Länder bei einer Verkehrsministerkonferenz beisammengehabt. Da wurde zum Beispiel vereinbart, dass man sich kooperativ auf den Weg macht, die Messstellen zu überprüfen – „kooperativ“ ist das Stichwort. Es gab nämlich eine Protokollerklärung der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Bremen und Hessen, die dem Beschlussvorschlag nicht zustimmen. Im Weiteren steht da – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Wenn in einzelnen Ländern Anlass besteht, soll eine Überprüfung durch die zuständigen Landesbehörden … erfolgen. „Kooperativ“ geht anders, lieber Herr Krischer und liebe Kollegen von den Grünen. ({5}) Sie stellen sich hierhin und sagen, die Bundesregierung tue nichts. Dabei haben Sie es selber auch in der Hand, in den Ländern Kontrollen und Überprüfungen der Messstellen anzuordnen. ({6}) Das könnten Sie alles vor Ort machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme damit zum vierten Punkt. Ich glaube, es ist richtig, dass wir die Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auf den Weg gebracht haben und dort auch den Begriff der Verhältnismäßigkeit neu definieren. Die Frage ist doch: Sind Fahrverbote verhältnismäßig? ({7}) Das ist die Frage, die uns die Menschen zu Recht stellen. Es muss eben auch geregelt sein, dass in Städten, in denen der Grenzwert von 40 Mikrogramm nur geringfügig überschritten wird, Fahrverbote in der Regel nicht verhältnismäßig sind. Allein diese Regelung betrifft Millionen Menschen in Deutschland, und deshalb ist es richtig, darüber zu diskutieren. Kurzum: Wir als Regierungsfraktionen sind da bereits aktiv, und es braucht keinen Antrag der FDP dazu. Zur AfD dann doch noch ein paar Sätze: Zu glauben, wir müssten jetzt nur alle Messstellen anders aufstellen, dann hätten wir das Problem gelöst, ist irgendwie AfD-Denke. Das ist in diesem Land zu kurz gesprungen. Ich glaube, das ist wirklich kein Beitrag zur Lösung dieses Problems. ({8}) Abschließend möchte ich persönlich darauf hinweisen: Wir alle sind in unseren Wahlkreisen von Bürgerinnen und Bürgern gewählt, die uns zu Recht die Frage stellen: Was tut ihr eigentlich, um die Luft in unseren Städten sauberer zu machen? Herr Krischer, Sie sagen, wir seien hier nur die Lobbyisten der Automobilindustrie. Ich war in meinem Wahlkreis bei einem mittelständischen Familienunternehmen mit 800 Mitarbeitern, einem Automobilzulieferer für den Daimler-Konzern. Dort stehen dann auch 800 Leute vor einem und fragen: Was tut ihr eigentlich? Wollt ihr das Problem lösen, oder wollt ihr hier eine komplette Leitindustrie an die Wand nageln? ({9}) Ich sage Ihnen eines: Wir werden die Diskussion nur dann beenden und diese ganze Problematik nur dann lösen können, wenn wir beides schaffen: Wir müssen auf der einen Seite den Automobilstandort Deutschland erhalten und die Arbeitsplätze in Deutschland sichern und auf der anderen Seite für die Mobilität der Zukunft sorgen und sie fortentwickeln. ({10}) Nur wenn wir beides schaffen, werden uns auch andere Länder auf dieser Welt folgen. Das gehört auch zur Wahrheit, und das können Sie von den Grünen nicht ständig ausblenden. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Anna Christmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004694, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute hier im Deutschen Bundestag das erste Mal zu einem Antrag zu künstlicher Intelligenz. Als Grüne machen wir damit den Anfang, über diese entscheidende Technologie für die kommenden Jahre eine breite und öffentliche Debatte zu führen, und die ist dringend notwendig. ({0}) Es gibt viele Menschen, die sich Gedanken machen: Bekommen wir es demnächst mit einer Superintelligenz zu tun? Sind wir Menschen irgendwann nur noch Statisten in einer Welt, die von Maschinen beherrscht wird? Da liegt es auch an uns als Parlament, deutlich zu machen: Künstliche Intelligenz ist keine Supermacht, die einfach über uns kommt, sondern künstliche Intelligenz ist eine Technologie, die uns ganz konkret bei konkreten Herausforderungen helfen kann. ({1}) Schon heute nutzen wir sie, zum Beispiel, wenn wir in unserem Alltag wissen wollen, wie wir am schnellsten von A nach B kommen, aber auch in der Landwirtschaft, wo wir damit massiv Pestizide reduzieren können. Oder denken Sie zum Beispiel auch daran, Krebs besser zu erkennen. Das können Maschinen heute schon besser als der Mensch. ({2}) Eine Technologie, die so viel kann, wirft natürlich auch viele Fragen auf und bringt auch potenzielle Gefahren mit sich. Das ist völlig klar; das ist bei den meisten neuen Technologien so. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir sie, um sie zu unserem Wohl zu nutzen, exzellent beherrschen und dass wir eine klare Vision haben, für welche Zwecke wir sie einsetzen wollen, und dafür braucht es deutlich mehr Anstrengungen dieser Bundesregierung als bisher. ({3}) Wir müssen endlich unseren eigenen Weg gehen, unseren europäischen Weg. Das ist eben nicht der Weg der USA, und das ist auch nicht der Weg Chinas. Er ist weder autoritär, noch geht es darum, möglichst große Monopole zu befördern. Nein, der europäische Weg muss ein dritter Weg sein. Wie machen wir das? Dazu will ich aus unserem Antrag, den wir heute vorlegen, drei Punkte herausgreifen. Wir fordern erstens 100 Millionen Euro schon 2019 für ein europäisches Forschungsnetzwerk, das in die Welt hinausstrahlt; denn nur mit einer klaren Vision von „KI made in Europe“ wird es uns überhaupt gelingen, die besten Köpfe nach Europa zu holen. Zweitens brauchen wir eine Innovationsstiftung für nachhaltige und soziale digitale Anwendungen; denn damit wollen wir gezielt Entwicklungen voranbringen, die unserer Gesellschaft helfen – und nicht nur die, die am meisten Profit bringen. KI kann Leben retten, wenn wir sie, wie zum Beispiel in Großbritannien, dazu nutzen, die Netzwerke der Ersten Hilfe bei Herzinfarkten zu verbessern. Dafür hat Großbritannien eine Stiftung, die Nesta heißt. In Schweden gibt es ebenfalls eine Stiftung dafür. Warum haben wir in Deutschland nicht auch eine Stiftung, die soziale und nachhaltige Entwicklungen fördert? ({4}) Drittens müssen wir den Prozess analog zu den Klimagipfeln natürlich global gestalten. Ich habe gesagt, KI könne Leben retten. KI kann aber potenziell auch viele Leben kosten. Natürlich werden derzeit auch autonome tödliche Waffen entwickelt. Das gilt es international zu ächten. Ein Verbot muss global durchgesetzt werden, und dafür müssen wir uns einsetzen. ({5}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Sie werden gleich nachfolgend wahrscheinlich sagen: Haben wir doch alles längst gemacht; wir haben doch eine KI-Strategie vorgelegt. – Dazu kann ich nur sagen: Mir ist keine KI-Strategie der Bundesregierung bekannt; ({6}) denn das Papier, das vorliegt, hat mit einer Strategie leider nur wenig bis gar nichts gemeinsam. Es enthält keine Prioritäten und keinen Zeitplan, es bietet keine Vision, wie wir die künstliche Intelligenz zum Wohl von Umwelt und Mensch gestalten können. Sie stellen Ihre 3 Milliarden Euro ins Schaufenster. Wenn man genau hinguckt, dann sind 2019 genau 50 Millionen Euro eingestellt. Das ist viel zu wenig. ({7}) Zum Abschluss will ich eines mal ganz klar sagen: Den Unterschied zwischen unserem Antrag und dem Papier der Bundesregierung erkennt man auf der ersten Seite Ihres KI-Papiers. Da stehen ganz groß „K“ und „I“ in Schwarz-Rot-Gold und „AI made in Germany“. Ich sage: Wer KI national denkt, der wird scheitern. Wir brauchen einen europäischen Weg, und dafür steht unser grüner Antrag. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Für die CDU/CSU-Fraktion hat das Wort der Kollege Andreas Steier. ({0})

Andreas Steier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004903, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Künstliche Intelligenz ist ein zentrales und wichtiges Thema; da gebe ich Ihnen recht, Frau Christmann. Allerdings sprechen wir hier im Bundestag nicht das erste Mal darüber. Bereits vor 30 Jahren wurde unter der Regierung von Helmut Kohl das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz gegründet. ({0}) Wir haben hier in Deutschland also schon eine Entwicklung von 30 Jahren hinter uns. ({1}) Auch heute, nach 30 Jahren, reden wir immer noch über künstliche Intelligenz. Wir haben uns weiterentwickelt. Deutschland ist Benchmark bei Industrie 4.0. Gerade die Produktionsprozesse wurden weiterentwickelt, und dafür steht auch das DFKI. Wir in der Großen Koalition haben die künstliche Intelligenz an verschiedenen Stellen als zentrales Thema aufgeführt. Wir von der CDU/CSU und auch die Kollegen von der SPD – Herr Röspel, Sie kommen hier ja gleich noch dran – haben das Thema hier besetzt. Darauf aufbauend haben wir von der CDU/CSU das Thema auch in einem Strategiepapier weiterentwickelt und die Eckpunkte dafür gesetzt, wie wir vor allem mit Qualität überzeugen können, wie wir die Wertschöpfung hier in Deutschland halten können und wie wir vor allen Dingen auch den Dialog in die Gesellschaft führen können. Darauf aufbauend wurde von der Bundesregierung bereits im Sommer ein Eckpunktepapier verabschiedet – nach Erarbeitung durch drei Ministerien: das Bundesarbeitsministerium, das Ministerium für Bildung und Forschung und das Bundeswirtschaftsministerium. Hier sind zentrale Themen der Umsetzungsstrategie enthalten. Darauf aufbauend wurde die Öffentlichkeit in die Diskussion eingebunden. Im November hat die Bundesregierung das 47-seitige Strategiepapier für künstliche Intelligenz verabschiedet. Es wäre an dieser Stelle zu viel, die einzelnen Punkte aufzuführen. Ich möchte nur ein paar Punkte nennen. Frau Christmann, Sie haben gesagt: 3 Milliarden Euro seien nur eine kleine Summe. ({2}) Aber wir haben bereits 500 Millionen Euro im Bundeshaushalt für 2019 vorgesehen. Das kann sich sehen lassen. Zu dieser Summe können wir natürlich noch den Anteil der Bundesländer, die hier heute leider nicht dabei sind, zur Finanzierung der Forschungsinstitute hinzurechnen. Damit erreichen wir eine Hebelwirkung, die sich auch in der Breite gut entfaltet. Außerdem gibt es gerade bei den Kompetenzzentren, die schon genannt wurden, zusätzliche steuerliche Forschungsförderung. Wir haben vier Kompetenzzentren für die Grundlagenforschung. Zusätzlich sollen noch acht Transferzentren zur Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft entstehen, über die die Wirtschaft mit ihren Stärken eine zusätzliche Hebelwirkung entfalten wird. So können wir die Entwicklung vor Ort gestalten. Meine Damen und Herren, wenn man all das betrachtet, stellt man fest, dass wir Deutsche nicht einfach nur eine große Summe ausgeben, sondern dass wir uns, wie wir es in der Vergangenheit gemacht haben, auf unsere Stärke konzentrieren. Diese Stärke ist, dass wir die Entwicklung deutschlandweit – nicht nur punktuell, sondern auch in der Fläche – vorantreiben. Das hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass Deutschland zum Innovationsführer geworden ist. Die Anzahl der Patente spricht für uns. Diese Stärke gilt es mit diesem Strategiepapier weiterzuentwickeln. In die Kompetenzzentren können wir die jeweils ansässige mittelständische Wirtschaft sehr gut einbinden. Wenn es uns gelingt, in den verschiedenen Themengebieten für Wachstum und Innovation zu sorgen, Forschung in Innovation zu überführen und die Forschung mit den Märkten zusammenzubringen, dann kommen wir voran. Ich will noch einen Punkt aufwerfen, der gerade bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz zentral ist. Wir erleben zurzeit eine sehr datengetriebene Entwicklung der künstlichen Intelligenz. In den USA gibt es beispielsweise viele Entwicklungen im Zusammenhang mit Onlineplattformen. Wir sind an einem Scheidepunkt; denn wir müssen auch eine anwendungsgetriebene künstliche Intelligenz entwickeln. Gerade jetzt geht es darum, dass wir die Forschungsergebnisse zur Anwendung bringen, dass wir in der Physik, in der Mechanik und in der Robotik, wo wir führende Technologien in Deutschland entwickelt haben, unsere Stärken ausspielen. Wenn es uns gelingt, diese Stärken über die Kompetenzzentren in die Breite zu tragen, dann sind wir auf einem guten Weg. Last, but not least darf ich daran erinnern, dass in diesem Strategiepapier auch weitere Professorenstellen vorgesehen sind. Wir wollen 100 neue Stellen schaffen. Das sichert die KI-Kompetenz vor Ort und ist eine gute Entwicklung, um neue Studenten für diese Fachrichtung zu gewinnen. Wenn uns das gelingt, sind wir auf einem sehr guten Weg. Ich bin gespannt auf die weitere Diskussion. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Uwe Kamann für die AfD-Fraktion. ({0})

Uwe Kamann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004772, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Bürger! Seit Jahren erzielen wir mit künstlicher Intelligenz enorme Fortschritte. Fast täglich erleben wir weltweit neue bahnbrechende Innovationen. Wir erleben neue Geschäftsmodelle. Diese werden unterstützt, verbessert und erweitert durch KI. Wir haben mit dem DFKI – das hat Herr Steier gerade angesprochen – das weltweit größte Institut auf diesem Gebiet. Hier finden wir geballtes Know-how; hier kooperieren Forschung und Industrie so, wie es sein soll. Vielleicht, meine Damen und Herren, ist das Institut deshalb so erfolgreich, weil die Wirtschaft die Federführung hat. ({0}) Laut Weltwirtschaftsforum liegt Deutschland 2018 im weltweiten Vergleich auf Platz Nummer eins der Innovationsfähigkeit. Das sind genug Gründe, um optimistisch, vielleicht sogar euphorisch in die Zukunft zu schauen. Doch genau diese Innovationsfähigkeit oder vielmehr das Innovationsverständnis scheint bei Ihnen in der Bundesregierung irgendwie noch nicht richtig ausgeprägt zu sein. Anders kann ich mir nicht erklären, wie Sie den Wirtschaftsstandort Deutschland, der derzeit noch eine recht gute Ausgangsposition hat, ohne klares Vorgehensmodell in die Zukunft pushen wollen. Die Fragen, die bereits zu diesem Thema gestellt wurden, kann man umfangreich ergänzen. Auch wir haben auf dieser Basis mit unserem Antrag umfangreiche Maßnahmen gefordert. Wenn ich mir allerdings Ihre Umsetzungsstrategie ansehe, dann stelle ich fest, dass Sie nur einen kleinen Abschnitt für den Bereich KI verwenden. Ich will meine Vorrednerin Frau Christmann unterstützen: Das ist alles – nur kein Strategiepapier. ({1}) Sie haben keine wirklichen Lösungen und Ziele präsentiert. Wo und in welchem Zeitraum wollen Sie denn konkret investieren? Finanzierungsinstrumente werden immer angekündigt, entsprechende Mittel aber im Haushalt nicht eingestellt. Sie haben es vorhin angekündigt. ({2}) Sie sind eine Ankündigungsregierung. Wann sehen wir hier einen Fortschritt? ({3}) Das Finanzierungsmodell des DIN als selbsttragende Einrichtung der Wirtschaft ist in innovativen Bereichen wie KI international nicht mehr konkurrenzfähig. Hier fördert China beispielsweise Normungsexperten und -gremien, um damit Einfluss auf die Standards sicherzustellen. ({4}) Daran sollten Sie sich orientieren. ({5}) Auf Bundesebene sollten die bisherigen Förderprogramme – Stichwort Spitzencluster oder Forschungscampus – speziell zum Thema KI aus unserer Sicht neu ausgeschrieben werden. Wann wird es hierzu endlich von Ihrer Seite Vorschläge und zeitliche Umsetzungsvorgaben geben? Was sind dann die von Ihnen genannten Sprunginnovationen, die Sie verstärkt fördern wollen? Die von Ihnen neugegründete Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen soll Innovationsakteuren die finanziellen Mittel geben und Freiräume eröffnen, um bahnbrechende Ideen in die Anwendung zu überführen. Wir begrüßen diese Förderung. Jedoch fehlt auch hier eine genaue Definition dieser Sprunginnovationen. Für die stärkere Sichtbarkeit Deutschlands und für die Anziehungskraft auf Investoren und Fachkräfte wollen Sie 40 Leuchtturmprojekte fördern. Mit diesen 40 Leuchttürmen könnten Sie die ganze Nordsee ausleuchten. Schaffen Sie ein bis drei wirkliche Leuchtturmprojekte, dann klappt es auch mit der Anziehung von Fachkräften und Investoren. ({6}) Fragen wir einmal ganz einfach: Was verstehen Sie unter künstlicher Intelligenz und was nicht? Hierbei sollten wir uns in Zukunft nicht wundern, wenn noch mehr Forschungsgelder mit dem Begriff KI versehen werden, um dann an einem von Ihnen in Aussicht gestellten Geld­regen teilhaben zu können. Um im internationalen Vergleich nicht zurückzufallen und somit die erlangte Führungsposition, die wir ja noch innehaben, zu erhalten und nicht zu verlieren, muss es eine strategische und konzentrierte Förderung von KI geben. Genau diese Förderung muss ein Kernthema bei der Zukunftsstrategie KI darstellen. Darauf sollten Sie sich konzentrieren. Wir fordern, dass nicht nur internationale und überregionale Kompetenzzentren eingerichtet werden ({7}) – ja, hören Sie zu! –, sondern auch regionale Innovationscluster zur Vernetzung zwischen Forschung und Wirtschaft. Dabei geht es schwerpunktmäßig um KMU; das ist wichtig. Forschung darf nicht nur Selbstzweck sein. Vielmehr muss Forschung die Wirtschaft entsprechend fördern und die Gesellschaft zukunftsfähig ausrichten. ({8}) Das gilt auch für die Sammlung von Daten unabhängig von Umfang, Inhalt und Herkunft. Hierbei muss die Wahrung der Datensouveränität des Bürgers an erster Stelle stehen. Auch hierfür haben Sie bisher keine Lösung, sondern nur nebulöse Ideen präsentiert. Wenn man kein Ziel hat, ist es eben schwer, Inhalte zu liefern. Sie haben an alles Mögliche gedacht, aber nicht an die digitale Zukunft dieses Landes. Denken Sie quer! Ändern Sie bei den für unsere Gesellschaft so wichtigen Zukunftsthemen Ihre bisherige Vorgehensweise des unkoordinierten Aktionismus. Wir können den Gesamtkomplex der Digitalisierung mit einem horizontal agierenden Digitalministerium steuern. Nur so wird es gehen.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Uwe Kamann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004772, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Nur so können wir zielgerichtet arbeiten, fördern und entwickeln und das Miteinander der einzelnen Ressorts zukunftsweisend steuern. Wie sagt man so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich befürchte aber, dass auch diese Hoffnung sterben wird.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Uwe Kamann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004772, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Stimmen Sie unserem Antrag zu, damit die Hoffnung lebendig bleibt. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Manja Schüle, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Manja Schüle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004885, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kanzlei Strobel aus Potsdam, wir diskutieren heute vier Anträge von drei Fraktionen zu einem Thema: künstliche Intelligenz. Ja, manch ein Fachpolitiker hat sich verwundert die Augen gerieben, weil wir in zwei Wochen – liebe Anna Christmann, Sie wissen es – hier in diesem Hohen Hause die KI-Strategie der Bundesregierung diskutieren werden. Aber Sie haben recht, wir sind ein selbstbewusstes Parlament, und deswegen freue ich mich über den Aufschlag der Oppositionsfraktionen, hier schon einmal über künstliche Intelligenz zu reden. Es ist ein wichtiges Thema. Es ist die wichtigste Technologie unserer Zeit. Also lassen Sie uns reden. ({0}) Lassen Sie mich aber kurz skizzieren, über was wir reden, was künstliche Intelligenz ist, was wir darunter verstehen. Wir sprechen von künstlicher Intelligenz, wenn ein Computerprogramm dazulernt und sich ohne menschliche Hilfe selbst optimiert und Entscheidungen trifft. Sie, die künstliche Intelligenz, hilft, große Datenmengen zu analysieren. Die größten Fortschritte sehen wir gerade im Bereich der Bilderkennung, bei der elektronischen Identifikation von Unterschriften genauso wie bei der Gesichtserkennung, aber auch in den großen Politikfeldern Landwirtschaft, Gesundheit, Bildung etc. pp. Das Thema besitzt eine unfassbare Dynamik und ein unfassbares Potenzial. Deswegen stört es mich auch, dass die AfD zwei Tage vor der Debatte mit einem Antrag um die Ecke kommt, nur um zu demonstrieren, sie hätten auch einmal etwas zu sagen. ({1}) Nein, Sie bleiben mit dem Antrag ganz eng an Ihrem Fraktionsvorsitzenden, der unlängst in einem Interview gesagt hat: Wir, die AfD-Fraktion, haben überhaupt gar kein Konzept für die Digitalisierung. – Ihr Antrag reiht sich da ein, Kollegen. ({2}) Aber wirklich ärgerlich finde ich den sehr vorhersehbaren Aufschlag der Liberalen, der FDP. Es bedarf keiner künstlichen Intelligenz, um zu erkennen, dass Sie sich wiederum aus Ihrem neoliberalen Korsett nicht haben befreien können und dass Sie die noch vorzustellende KI-Strategie – Zitat –: „erfolgsorientiert“ ausgerichtet wissen möchten. Darunter verstehen Sie dann Erfolgsmessungen und Bürokratieabbau. Und hoppla, ich habe einmal in Ihrem Antrag nachgelesen, was Sie unter Erfolgsmessungen verstehen. Da steht aber nichts dazu. ({3}) Da steht ein Verweis auf einen Link einer anderen Organisation. ({4}) Wenn ich die PDF öffne, dann kann ich sehen, was Sie unter Erfolgsmessung verstehen. Ich verstehe auch nicht, was Sie mit Punkt 10 meinen: „undurchsichtige Strukturen“ im KI-Bereich abbauen. Auch hier werde ich aus Ihrem Antrag nicht schlau. Aber vor allem fehlt mir: Wo sind die liberalen Impulse für eine datenarme KI? Wo sind Ihre Vorschläge zur Anpassung des Urheberrechts? Wo sind Ihre Vorschläge als Liberale zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger? Nicht nur heute, aber vor allen Dingen heute wünschte ich mir mehr Schnarrenberger und weniger Sattelberger. ({5}) Intelligenter ist durchaus der Ansatz der Grünen. Es ist vollkommen richtig, die deutsche KI-Strategie auf europäische Werte auszurichten. Ja, schauen wir doch nach Amerika. Sie agieren komplett ökonomisch. Im Onlinehandel ist ihnen die künstliche Intelligenz lieb und teuer, weil sie damit das Einkaufsverhalten steuern können. Schauen wir doch nach China und sehen uns an, mit welchem Sozialkreditsystem China seine Bürgerinnen und Bürger gängelt. Beides können wir doch nicht wollen. Es ist völlig richtig, dass es unsere Aufgabe ist, einen europäischen Weg zu gehen und Bildungs- und Forschungsaspekte besonders hervorzuheben und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. ({6}) Leider fehlt mir bei den Grünen ein umfassenderer und stringenterer Ansatz. Nein, es ist nicht nur made in Europe, liebe Anna Christmann, und nicht nur eine Stiftung. Wenn wir in Nürnberg das Papier der CDU/CSU und der SPD vorstellen, werden Sie sehen, dass es umfassender ist als Ihr Antrag. Ich als brandenburgische und damit ostdeutsche Bildungspolitikerin freue mich ganz besonders, wenn die KI-Strategie vorgestellt und umgesetzt wird. In jedem ostdeutschen Bundesland entsteht ein regionales KI-Zukunftszentrum. Ja, es ist auch richtig, KI-Grundwissen in die Lehrpläne der Schulen einzuführen. Es ist auch richtig, dass künstliche Intelligenz zu einem Schwerpunkt der Agentur für Sprunginnovationen wird. Es ist auch gut und richtig, dass wir 100 neue Professuren bekommen. Es ist auch richtig, wenn wir fünf Jahre ein europäisches Innovationscluster fördern. Abschließend: Bei dem Thema künstliche Intelligenz steht bei uns, der SPD, der Mensch und nicht der Markt im Mittelpunkt. ({7}) Wir fokussieren uns auf die menschliche Entscheidungshoheit. Wenn Anfang Dezember die KI-Strategie vorgestellt wird, achten wir bei der Umsetzung nicht nur darauf, dass die Menschen selbstbestimmt an der digitalen Welt von heute und morgen teilhaben können, sondern auch darauf, dass die vielen Vorteile der neuen Schlüsseltechnologien ihren Eingang in den Markt finden. ({8}) Ich finde, das ist ein Vorhaben, über das wir sehr offen miteinander diskutieren können, für das es sich zu streiten lohnt. In diesem Sinne, herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der Kollege Mario Brandenburg hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Mario Brandenburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004677, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuschauer! Wir sprechen über künstliche Intelligenz, eines der Themen unserer Zeit. Deswegen liegen von fast allen Oppositionsfraktionen Anträge vor, in denen viel Vernünftiges steht. Das ist zum einen gut, zum anderen aber auch ein Stück weit Ausdruck unserer Verzweiflung über das, was Sie uns als Strategie vorlegen, sodass wir Ihnen die Lösung auf dem Silbertablett servieren müssen. ({0}) Ihre sogenannte KI-Strategie erinnert mehr an ein Sammelsurium der Best-of-Thesenpapiere der verschiedenen Ministerien. Auf der einen Seite Aufbruchsstimmung, auf der nächsten Seite Angst, auf der einen Seite Marktführerschaft, auf der nächsten Seite eine Beschwerdestelle für algorithmische Fehlentscheidungen und ein KI-Observatorium. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich den ersten Teil der Digitalisierung verschlafen habe und beim zweiten nicht gerade den besten Start hatte, dann stellt sich wirklich die Frage, wofür ich ein Observatorium brauche. Soll ich wenigstens schön sitzen, wenn ich den anderen beim Zieleinlauf zusehe? ({1}) Ich kann Ihnen auch erklären, warum das so ist – weil Angst keine Strategie schreibt. Sie hätten es theoretisch leicht gehabt, hätten Sie ins Ausland geschaut. Viele unserer internationalen Kollegen haben eine Strategie vorgelegt. Finnland, sehr ausgewogen, hat zuerst eine SWOT-Analyse gemacht und geschaut, wo es als Land steht. Es hat gemerkt: Es ist relativ klein. Es geht in die Nische, es bündelt seine Ausgaben. Frankreich macht Cédric Villani zum Gesicht der KI-Strategie. Er reist durch das Land und nimmt die Bürger mit. Die Menschen wissen: Ja, so funktioniert das. Selbst wenn wir Begeisterung mit Ihrem Papier auslösen würden, würden die Menschen überhaupt nicht wissen, wen sie bejubeln sollen, so wie Sie nicht wissen, wer dafür zuständig ist. ({2}) Um auf unseren Antrag zu sprechen zu kommen: Wenn es wirklich eine Strategie ist, die Sie vorhaben, dann tun Sie uns und sich einen Gefallen und erstellen KPIs. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ist ein Hyperlink, relativ gängig seit den 90er-Jahren. ({3}) Hinter diesem Hyperlink verbirgt sich eine Idee, wie diese Strategie messbar ist, damit die Bürger merken, wo wir stehen. Läuft es gut, läuft es nicht gut, müssen wir gegenlenken. Geben Sie den Bürgern Sicherheit. Ein weiterer Punkt. Es steht, glaube ich, über 30-mal das Wort „Infrastruktur“ im Papier. Es stimmt: Wir brauchen Infrastruktur. Sie wird aber in keiner Weise erklärt: Ist es eine zentrale Infrastruktur? Über welche Formate tauschen wir aus? Ist es eine dezentrale Datenhaltung? Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es eine Strategie ist, formulieren Sie sie aus. Liebe Kollegen von der SPD, hätten Sie die FDP gleich angerufen, hätten wir das ganze Papier geschrieben. ({4}) Letzte Anmerkung zu der Kollegin von den Grünen. Es stimmt: Wir sind ein Land in Europa. Das Europakapitel in der Strategie ist sehr, sehr klein. Dies gilt es zu ändern. In Anbetracht dessen, dass Europa in Aussicht gestellt hat, 20 Milliarden Euro zu investieren, können wir ziemlich froh sein, dass wir Europa haben und nicht nur Ihr Strategiepapier. ({5}) Einen letzten Punkt möchte ich Ihnen noch auf den Weg geben. Wenn Sie in Zukunft eine Strategie produzieren wollen, die nicht aussieht, als wäre sie nicht durch den PDF-Editor durchgedreht worden, dann bündeln Sie vielleicht die Kompetenzen im Digitalministerium, sagen Sie, wer die Richtung vorgibt und laufen Sie alle in die gleiche Richtung. Danke schön. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Vielen Dank, Herr Kollege Brandenburg. – Die nächste Rednerin ist die Kollegin Anke Domscheit-Berg, Fraktion Die Linke. ({0})

Anke Domscheit-Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004703, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon 1996, als ich in England meine Masterarbeit über elektronische Kommunikationsmittel schrieb, diskutierten wir an der Universität heiß darüber, welche Auswirkungen die künstliche Intelligenz eines Tages auf die Gesellschaft haben wird. Aber in der Realität schien sie uns damals noch sehr weit weg. Heute fürchten viele Menschen diese Technologie, weil positive Beispiele wie die schnellere Diagnose von Krebserkrankungen in der Wahrnehmung untergehen, weil in Science-Fiction-Filmen intelligente Roboter die Welt übernehmen, weil Nachrichten von beunruhigenden Entwicklungen berichten, wie von Millionen Kameras mit Gesichtserkennung in China. Auch hier in Berlin, am Bahnhof Südkreuz, gibt es ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung. Die Fehlerquote ist hoch: Von den 12 Millionen Bahnreisenden, die es in Deutschland gibt, fielen jeden Tag 12 000 Menschen unschuldig unter Terrorverdacht, Polizeieinsatz inklusive. Ich verstehe jeden Pendler, dem das Angst macht. Menschen fürchten nämlich, was außer Kontrolle wirkt und mehr Gefahren als Chancen offenbart. Deshalb braucht es Regeln wie im Straßenverkehr, um die Gefahren zu begrenzen und für Fairness zu sorgen. ({0}) Es braucht Einfahrt-verboten-Schilder, wo Entwicklungen ethische Grenzen überschreiten, und so eine Art TÜV, um die Diskriminierungsfreiheit von Algorithmen nachzuweisen. ({1}) Es braucht aber auch eine Offensive für gemeinwohl­orientierte Anwendungen, deren Nutzen für jeden Menschen erkennbar ist. ({2}) Da Investoren solche Anwendungen oft unattraktiv finden, braucht es einen Fonds für soziale Investitionen, der Anwendungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Demokratie, Mobilität oder Nachhaltigkeit fördert. ({3}) Die Linke glaubt, wie auch die Grünen, dass Deutschland und Europa einen dritten Weg gehen könnten, anders als die führenden KI-Nationen China und USA, wo der schrankenlose Einsatz künstlicher Intelligenz totalitäre Überwachung – in China – und algorithmengesteuerte Manipulation von Wahlen und Meinungen – in den USA – hervorgebracht haben. Notwendig ist aber auch, dass wir eine ehrliche Debatte führen. Auch wenn autonome Autos die Anzahl von Verkehrsopfern stark senken können, führt die Forderung nach autonomen Null-Fehler-Autos in die Irre. Die gibt es nämlich nie, selbst wenn autonome Autos viele Menschenleben retten. Generell gilt auch für künstliche Intelligenz, dass es sehr schwer ist, zu regulieren, wovon jeder eine andere Vorstellung hat und wenn man noch nicht wirklich weiß, wohin die Reise eigentlich geht. Deshalb ist es wichtig, frühzeitig rote Linien zu ziehen, die im gesellschaftlichen Konsens die Grenzen dessen setzen, wofür wir selbstlernende Systeme einsetzen wollen und wofür eben nicht. ({4}) Das leistet die KI-Strategie der Bundesregierung nicht. Solche Linien erfordern auch eine intensive gesellschaftliche Debatte. Daher war es sinnvoll, die Datenethikkommission und die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ einzusetzen, die sich diesen Themen widmen. Als Mitglied der Enquete-Kommission möchte ich mich dort auch ethischen Fragen widmen, etwa der Auswirkung von KI-Systemen auf die Demokratie, ihrem Diskriminierungspotenzial und dem missbräuchlichen Einsatz durch staatliche Stellen. Die Linke fordert außerdem, dass die Enquete-Kommission KI grundsätzlich öffentlich tagt, um die Zivilgesellschaft einzubinden. ({5}) Von den hundert versprochenen Professorinnen und Professoren entfällt hoffentlich eine relevante Anzahl auf die Sozioinformatik und die Schnittstelle zwischen Philosophie und Technologie. Aber ethische Fragen machen nicht an nationalen Grenzen halt. Daher begrüßen wir den Vorschlag der Grünen, einen globalen Rahmen auf der Ebene der Vereinten Nationen einzufordern. ({6}) Eine rote Linie steht für die Linksfraktion schon außer Frage: die internationale Ächtung autonomer Waffensysteme. Die Bundesregierung muss sich dafür starkmachen und auf einen friedlichen Einsatz künstlicher Intelligenz setzen. ({7}) Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht ins Strafgesetzbuch gehören. § 219a StGB gehört abgeschafft, immer noch. Danke. ({8})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Eckhard Gnodtke. ({0})

Eckhard Gnodtke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004729, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Einer der Aspekte der heutigen Debatte zur künstlichen Intelligenz betrifft die durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufgeworfene Forderung „Keine Förderung Letaler Autonomer Waffensysteme durch den Europäischen Verteidigungsfonds“. Dieser Fonds, um ihn kurz zu skizzieren, soll unter anderem darauf abzielen – ich zitiere –, „die Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Effizienz und Autonomie der Verteidigungsindustrie der Union zu steigern … Im Rahmen des Fonds könnten Maßnahmen unterstützt werden, die sich sowohl auf neue als auch auf die Modernisierung bereits bestehender Produkte und Technologien beziehen …“ Wirtschaftlich, das ist klar, spricht viel für eine stärkere Zusammenarbeit der EU-Länder bei den Verteidigungsausgaben. Die bis jetzt noch verbesserungsbedürftige Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich Verteidigung und Sicherheit verursacht Schätzungen zufolge jährliche Kosten in einer Größenordnung zwischen 25 und 100 Milliarden Euro. 80 Prozent der Beschaffungsvorgänge und über 90 Prozent der Forschungs- und Technologietätigkeiten finden noch auf nationaler Ebene statt. Doch zu unserem Thema: Zu letalen autonomen Waffensystemen heißt es in der Verordnung zur Errichtung des Europäischen Verteidigungsfonds, den ich gerade skizziert habe – ich zitiere –: In diesem Zusammenhang sollte die Förderfähigkeit von Maßnahmen im Hinblick auf neue Verteidigungsgüter oder ‑technologien, wie etwa derjenigen, die speziell für die Durchführung tödlicher Angriffe konzipiert sind, ohne dass die Entscheidungen über ihren Einsatz einer menschlichen Kontrolle unterliegen, ebenfalls den völkerrechtlichen Entwicklungen unterliegen. Zitat Ende. Noch deutlicher sind die Formulierungen in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. September 2018 zu autonomen Waffensystemen; ich ergänze: ausschließlich zu autonomen Waffensystemen. Dort wird zunächst auf entsprechende Stellungnahmen des Vatikans, des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz sowie von über 3 000 im Bereich der künstlichen Intelligenz und Robotik tätigen Forschern und Unternehmern verwiesen, in welchen diese sich jeweils verpflichten, sich zu keinem Zeitpunkt an der Entwicklung oder Herstellung letaler autonomer Waffensysteme zu beteiligen oder diese einzusetzen. Und es wird betont, dass die Entwicklung und Herstellung letaler autonomer Waffensysteme, bei denen die kritischen Funktionen wie die Auswahl und Bekämpfung von Zielen keiner Steuerung durch den Menschen unterliegen, unbedingt verhindert werden müsse. Diese sehr klare Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. September 2018 wurde vor zwei Tagen auch im Verteidigungsausschuss behandelt. Dort wurde bereits über die Frage diskutiert, ob man denn mit hundertprozentiger Sicherheit sicherstellen könne, dass dann auch die Forschung unterbliebe. Ich erinnere mich an die Bemerkung von Herrn Staatssekretär Dr. Peter Tauber, dass, wenn man so herangehe, auch eine ABC-Abwehr nicht disloziert, vorangetrieben werden dürfe. In der Tat haben Sie bei jeder Berufsfeuerwehr – nicht nur dort, auch im Bereich des Katastrophenschutzes – eine ABC-Abwehreinheit. Diese kommt zum Beispiel bei einem Chemieunfall zum Einsatz. Man benötigt jeweils das Wissen und die Technik, um zur Gefahrenabwehr entsprechend handeln zu können. Zur Gefahrenabwehr! Das Beispiel ABC-Abwehr gibt aber noch mehr her: Was meinen Sie, von wem weit über hundert Feuerwehren bzw. Kommunen in Deutschland bezüglich solcher ABC-Technik beliefert worden sind und weiterhin beliefert werden? Richtig, von einer Firma mit Sitz in Israel, die von Deutschen dort gegründet wurde und mittlerweile zum Weltmarktführer für ABC-Schutzfilteranlagen avanciert ist. Was ich damit sagen möchte, ist, dass es uns schon zu denken geben sollte, wenn aufgrund der Schere im Kopf, die ich vor zwei Tagen in der Sitzung des Verteidigungsausschusses zumindest bei einigen wahrzunehmen glaubte, wichtige Forschungs- und Entwicklungsfelder, die der Abwehr von Gefahren und – ich ergänze – Angriffen durch letale autonome Waffensysteme dienen könnten, möglicherweise aufgegeben wurden und werden, wobei ich nicht ausschließen möchte, dass zumindest in bestimmten Bereichen der ABC-Abwehr auch deutsche Unternehmen weiterhin unterwegs sind. ({0}) Eines ist allerdings beruhigend: Die über 3 000 Forscher und Unternehmen, die ich vorhin erwähnt habe, die sich gegen die Entwicklung und Herstellung letaler autonomer Waffensysteme ausgesprochen haben, müssen ja irgendwie auch weiterhin an der Sache dran sein. Zu Forschungszwecken. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-Fraktion. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Westfale gerate ich sicherlich nicht in den Verdacht, zu wenig selbstkritisch zu sein oder gar überschwänglich. Aber ich muss zugeben: Das, was ich heute gehört habe, was das Bild von Deutschland anbelangt, hat mich doch sehr erstaunt. Ich glaube, dieses etwas defätistische Bild zeugt eher davon, dass zu wenig gereist worden ist. Wenn Sie von Oberpfaffenhofen nach Kiel schauen, von Aachen und Jülich nach Dresden und Leipzig – wer nicht so weit reisen will und es gern etwas ruhiger hat, der fährt mal nach Ostwestfalen –, der sieht, wie viel unglaublich gute Arbeit im Bereich künstliche Intelligenz geleistet wird. ({0}) – Herr Brinkhaus, ich wusste gar nicht, dass Sie da sind. Sonst hätte ich das ausdrücklich betont. Unter Westfalen muss man ja zusammenhalten. ({1}) Insgesamt sind wir sicherlich nicht Weltspitze. Es bedarf tatsächlich einer Strategie, weil die anderen sehr schnell unterwegs sind. Gerade China ist ohne Hemmungen und mit viel Geld unterwegs. China investiert eine ganze Menge. Deswegen ist es richtig, dass die seit etwas über einem halben Jahr agierende Bundesregierung sich entschlossen hat, eine Künstliche-Intelligenz-Strategie aufzulegen. Ich finde es richtig, dass der Deutsche Bundestag vor der Sommerpause beschlossen hat, begleitend eine Enquete-Kommission einzusetzen, die sich genau mit den Fragen, Herausforderungen, ethischen, rechtlichen Implikationen der künstlichen Intelligenz befasst, eigene Positionen entwickelt, die Bundesregierung begleitet, korrigiert oder wie auch immer. Das ist ein guter Ansatz, finde ich. Ich fand den bisherigen Ansatz, interfraktionell nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen, ohne zu politisieren, auch recht gut. Die Strategie ist jetzt Mitte November vorgelegt oder im Kabinett beschlossen worden. Fünf Tage vorher, glaube ich, kam der Antrag der Grünen und dann unglaublich schnell auch noch etwas von FDP und AfD. Die Grünen haben sich deutlich mehr Arbeit gemacht als die anderen; das will ich ausdrücklich betonen. Aber wenn Sie sich die Mühe machen, wirklich einmal eine Synopse zwischen der KI-Strategie der Bundesregierung und den einzelnen Anträgen zu machen, werden Sie feststellen, ({2}) dass eine Menge von dem, was gefordert wird, auch in der KI-Strategie enthalten ist – mit den Ausnahmen, dass die Grünen beispielsweise noch davon ausgehen, dass 500 000 Euro zur Verfügung gestellt werden, es aber 500 Millionen Euro sein werden in den nächsten Jahren, beginnend mit 50 Millionen für 2019. Ich glaube, selbst diese 50 Millionen Euro für 2019 werden tatsächlich nicht vollständig abfließen, weil das ein großer Batzen ist; in solchen Fragen geht es eben auch um Kontinuität und Verlässlichkeit in der Finanzierung.

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Herr Kollege Röspel, der Herr Kollege Janecek möchte eine Zwischenfrage stellen. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön. Ja. Mein Zug kommt aber auch.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich weiß, dass manche Züge fahren; aber die Debatte ist entsprechend interessant –

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Zügig, bitte.

Dieter Janecek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004312, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

– und wir sollten schon die Gelegenheit nutzen, hier auch zu sprechen. Erst mal vielen Dank, dass Sie die Frage zugelassen haben. Ich glaube, Ihre Aussage, dass wir sehr viel Konsistenzen haben, ist richtig. Aber ich möchte einmal auf einen strategischen Punkt hinweisen, den wir vielleicht auch gemeinsam entwickeln könnten bei der künstlichen Intelligenz. Dabei geht es um die Frage der sozialen Innovation. Gerade als Sozialdemokraten sehe ich Sie gefordert, da auch Vorschläge einzubringen. Wir haben das sehr konkret gemacht. Zum einen sagen wir: Wenn wir soziale Innovation in die Fläche bringen wollen, dann können wir nicht nur Industriestrategie machen, sondern brauchen auch eine Innovationsstiftung für soziale Anliegen, wie sie in Schweden und in Großbritannien vorhanden ist. Können Sie sich dazu positionieren? Auch die Frage des sozialen Unternehmertums, ­Social Entrepreneurship, ist in Ihrem Koalitionsvertrag aufgenommen, aber sie ist in der Strategie zur künstlichen Intelligenz der Bundesregierung bisher nicht vorhanden. Deswegen sind diese Debatten auch da: um das voranzutreiben.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, dass die Ansätze „gar nicht so schlecht“ sind, wie der Westfale sagt. Aber die Frage ist, ob es nur mit künstlicher Intelligenz zu tun hat, ausschließlich da zu verorten ist. Da sage ich ausdrücklich: Wir reden seit langem auch über den Bereich sozialer Innovation. Das ist keine Frage nur von künstlicher Intelligenz. Ich würde es geradezu für verengt halten, wenn wir es nur in Kombination mit künstlicher Intelligenz diskutieren würden. ({0}) Deswegen finde ich den breiten Ansatz richtig. Er ist aber nicht Teil einer KI-Strategie. Die restlichen zwanzig Sekunden nutzend, will ich ausdrücklich sagen: Ich fand den Ansatz der Enquete-Kommission richtig, das gemeinsam zu erarbeiten. Ich kann nur feststellen: Ein bisschen habe ich den Eindruck, es handelt sich bei diesen Anträgen auch um politische Inkontinenz, darum, das Wasser nicht halten zu können, Erster sein zu müssen, der mit so einem Antrag rausgeht. ({1}) Ich finde, wir sollten doch gemeinsam versuchen, Dinge in einem Bereich zu verändern, der uns alle interessiert. In der Frage, ob uns Maschinen beherrschen werden oder sie uns zunutze sind, sollten wir weniger politische Spielchen treiben. Schönes Wochenende noch! ({2})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner: Jan Metzler, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jan Metzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004352, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am Ende dieser Debatte ein kleines Fazit ziehen: Das ist nun einmal das Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition. Wir haben eine Strategie, ein Strategiepapier vorgelegt. Wir entscheiden mutig. Sie sehen in dem Zusammenhang natürlich erwiesenermaßen keinen ganz allgemeinen Plan, keinen roten Faden und Ähnliches mehr. Nun gut. Mit Blick auf die Strategie will ich sagen: Wir bleiben beim Mut und werden uns da jetzt nicht in Trübsal verheddern. Eines möchte ich an dieser Stelle festhalten: Das Strategiepapier ist letztlich ein erster ganzheitlicher Auftakt. In zwei Wochen geht es dann in Nürnberg um die Veröffentlichung. Parallel dazu sind im Bundeshaushalt – das ist bereits angeklungen – 500 Millionen Euro eingestellt, perspektivisch bis zum Jahr 2025 noch einmal 3 Milliarden Euro. Die Hebelwirkungen sind bereits angesprochen worden. Lieber Mario Brandenburg, ganz offen und ehrlich gesagt: Es stimmt, Angst ist ein schlechter Ratgeber. Aber ich glaube nicht, dass ich aus diesen 48 Seiten nichts anderes als Angst herauslese. Ich lese Mut daraus. Wir gehen dieses Thema mutig an. Wir wollen dieses Thema ganzheitlich mit der Gesellschaft, aber auch innerhalb des parlamentarischen Betriebs angehen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang – das ist bei der Debatte heute wieder klargeworden –, dass man ein austariertes Verhältnis zwischen den Chancen, aber zweifelsohne auch den Bedenken erreicht. Ich glaube, da sind wir unseren Hausaufgaben auch nachgekommen mit dieser Enquete-Kommission. Da möchte ich anknüpfen an den Kollegen Röspel: Ich habe es in der Tat als sehr wohltuend angesehen, dass wir uns ganzheitlich, über alle Fraktionen hinweg, in diesem Zusammenhang dieser Thematik gestellt haben. Warum? Weil es wahrscheinlich nicht nur die spannendste, sondern auch die herausforderndste Thematik unserer Zeit ist. Es wird entscheidend darauf ankommen – wenn wir in Zukunft nicht am Spielfeldrand stehen wollen –, wie wir alle zusammen uns dieser Thematik stellen. Ich sage jeden Tag, es gibt zwei Möglichkeiten: Wenn ich morgens aufstehe, bin ich entweder Teil der Lösung oder Teil des Problems. ({0}) Ich glaube, dass die Enquete-Kommission einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat – mit den ersten Treffen bereits –, ein Teil der Lösung zu sein. Wenn wir diese Lösung voranbringen wollen, dann ist eines zu beherzigen: Zukunft geht nicht immer linear, die geht auch mal um die Ecke. Es wird bei diesem Thema entscheidend darauf ankommen, wie wir es als Parlamentarierinnen und Parlamentarier schaffen, die Gesellschaft als Ganzes – bei allen Bedenken, die man in dem Zusammenhang haben kann – an die Hand zu nehmen und mutig in die Zukunft zu gehen. Nur so werden wir dieses Wettrennen gemeinsam schaffen. ({1}) In diesem Zusammenhang ist diese Strategie ein erster Beitrag, aber noch nicht der finale Schlusspunkt. Deswegen geht es darum, all das hier zusammenzuführen: das, was die Enquete-Kommission beitragen kann, und das, was die Regierung in der Tat – aus meiner Sicht mit einem mutigen ersten Schritt – getan hat. Es geht darum, Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein. Darin sehe ich meinen kleinen Beitrag. Ich glaube, diesen Mut habe ich, zumindest in der Grundtendenz, gesamtheitlich rauslesen können bisher. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. Anton Friesen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004720, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Zuhörer! Der Staat ist […] die Sache des Volkes. Volk aber ist nicht jede beliebig zusammengewürfelte Anhäufung von Menschen, sondern der Zusammenschluss einer größeren Zahl, die durch eine einheitliche Rechtsordnung und ein gemeinsames Staatsziel zu einer Gesellschaft wird. So der römische Publizist und Politiker Cicero bereits vor Jahrhunderten. Deutschland ist kein Siedlungsgebiet, Deutschland ist die Heimat des deutschen Volkes, aller deutschen Patrioten, egal, woher sie kommen, ({0}) so ist es, und so soll es auch bleiben. ({1}) Das Recht auf Heimat, von dem bezeichnenderweise weder im Globalen Migrationspakt noch im Globalen Flüchtlingspakt die Rede ist, ({2}) findet sich inhaltlich unter anderem in den beiden internationalen Pakten über bürgerliche und politische Rechte – dort sogar rechtlich verbindlich – und im vierten Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Dieses Recht auf Heimat wird durch den Globalen Flüchtlingspakt und den Globalen Migrationspakt unterminiert. ({3}) – Dazu komme ich jetzt. – Kommen wir also zum Globalen Flüchtlingspakt. Dieser spricht unter Punkt 3.2 über Neuansiedlungsprogramme, die eingerichtet oder sogar ausgeweitet werden sollen. Resettlement, zu Deutsch Umsiedlung, ist nach offizieller internationaler Definition die freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen aus einem Staat, in dem sie bereits Schutz genießen. Anders gesagt ist es ein Umverteilungsprogramm, mit dem weitere Flüchtlinge nach Deutschland und Europa umgesiedelt werden sollen. ({4}) Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen spricht von weltweit 1,2 Millionen, die eine solche Gelegenheit erhalten sollen. Das entspricht übrigens ziemlich genau der Zahl der Menschen, die durch die Merkel’sche Grenzöffnungspolitik 2015 illegal in unser Land kamen. Die UN-Menschenrechtskommission hat am 17. April 1998 in einer Entschließung Folgendes erklärt – ich zitiere –: Jegliche Praxis oder Politik, die das Ziel oder den Effekt hat, die demografische Zusammensetzung einer Region, in der eine nationale, ethnische, sprachliche oder andere Minderheit oder eine autochthone Bevölkerung ansässig ist, zu ändern, sei es durch Vertreibung, Umsiedlung und/oder eine Kombination davon, ist rechtswidrig. ({5}) Dieses gigantische Umsiedlungsprogramm also, über das die Bürger, wenn es nach Ihnen ginge, gar nicht informiert werden würden, ({6}) ist rechtswidrig, weil es das Recht auf Heimat gefährdet. ({7}) – Ich weiß nicht, ob Sie an sie glauben. Ich jedenfalls tue das nicht. Es gibt mehrere Erklärungen. Unter anderem wird gesagt, das sei alles nur eine politische Absichtserklärung, Deutschland habe alle Ziele schon erfüllt. Schauen wir doch mal, was die Bundesregierung schwarz auf weiß auf eine Kleine Anfrage übrigens der Grünen mit der Drucksache 19/2945 geantwortet hat: Die Bundesregierung strebt ... an, dass der GCR – der Global Compact for Refugees – mit einem Aktionsprogramm unterlegt wird, das seine effektive Umsetzung sicherstellt. ({8}) Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, wie das Ganze ausgeht: Deutschland wird als Musterknabe alle selbst eingegangenen Verpflichtungen übererfüllen, und die Polen, die Ungarn und andere werden einfach sagen: Mit uns nicht! – Und recht haben sie. ({9}) Wir brauchen keinen Globalen Flüchtlingspakt. Was wir brauchen, ist die heimat- und kulturnahe Unterbringung von Flüchtlingen und die Verankerung des Rechts auf Heimat in unserem Grundgesetz. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Stephan Mayer für die Bundesregierung. ({0})

Stephan Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003589

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich muss jetzt ehrlich gestehen: Bei der Vorbereitung auf die jetzige Rede fiel es mir etwas schwer, zu erkennen, um was es geht, was eigentlich die Intention der AfD mit dieser Aktuellen Stunde ist. ({0}) Sie haben einerseits vom UN-Flüchtlingspakt gesprochen, andererseits sich im Titel Ihrer Aktuellen Stunde auf Marrakesch bezogen. Mit Marrakesch hat der UN-Flüchtlingspakt überhaupt nichts zu tun. Es geht um zwei unterschiedliche Dossiers. ({1}) Es geht einerseits um den Migrationspakt, der in Marrakesch angenommen werden soll. Es geht andererseits um den Flüchtlingspakt, der aller Voraussicht nach am 17. Dezember 2018 in New York im Rahmen der UN-Generalversammlung angenommen wird. ({2}) Ich empfehle wirklich, sich mit den Details zu beschäftigen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder Sie verstehen es nicht, oder Sie wollen es nicht verstehen. ({3}) Aber nachdem ich jetzt erkannt habe, worum es geht – Sie haben sich in Ihren Ausführungen, Herr Kollege Friesen, stärker auf den Flüchtlingspakt konzentriert –, will ich Ihnen dazu profund Auskunft geben. Es geht beim Flüchtlingspakt einzig und allein darum, dass wir uns weltweit auf einheitliche Standards verständigen wollen und aus meiner Sicht auch müssen, wie wir mit den Flüchtlingen und Vertriebenen auf unserem Globus umgehen. ({4}) Ich sage hier eines ausdrücklich, auch für die Bundesregierung: Dieser UN-Flüchtlingspakt ist im deutschen Interesse. Die Bundesregierung begrüßt ausdrücklich, dass dieser UN-Flüchtlingspakt kommt, weil Deutschland Hauptaufnahmeland von Flüchtlingen ist. ({5}) Wir haben in den letzten drei Jahren mehr Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen als alle 27 EU-Länder zusammen. ({6}) Deswegen sind wir besonders daran interessiert, dass in Zukunft andere Länder stärker als in der Vergangenheit ihre Verantwortung übernehmen. Das ist doch die Krux. Schauen wir uns die Gesamtsituation an. Wir haben derzeit auf unserem Globus 68 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene. Das ist die höchste Zahl seit Ende des Zweiten Weltkrieges. ({7}) Bedauerlich ist, dass nur 10 Prozent der Mitgliedsländer der Vereinten Nationen 80 Prozent der Flüchtlinge aufgenommen haben. Also, der überwiegende Teil der Länder auf unserem Globus schlägt sich nach wie vor vornehm ins Gebüsch, wenn es darum geht, der internationalen völkerrechtlichen Verantwortung nachzukommen. ({8}) Leider ist es auch so, dass innerhalb der Vereinten Nationen nur 15 Länder mehr als 20 Millionen US-Dollar pro Jahr zum Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen beisteuern: Deutschland beispielsweise gibt 477 Millionen US-Dollar. Ziel dieses Flüchtlingspaktes ist es, die anderen Länder an ihre Verantwortung zu erinnern, zu appellieren, die Standards zu erhöhen. Abgesehen davon, um dies auch ausdrücklich zu sagen, unterscheidet sich der Flüchtlingspakt vom Migrationspakt darin, dass die Inhalte anders sind, dass die Ziele anders sind und dass auch der Aufbau des Paktes ein ganz anderer ist. Eine Gemeinsamkeit mit dem Migrationspakt hingegen ist, dass der Flüchtlingspakt völkerrechtlich ebenso vollkommen unverbindlich ist. Das steht auch ausdrücklich im Flüchtlingspakt. Was auch hinzuzufügen ist, ist, dass Deutschland die Standards, die in diesem Flüchtlingspakt vorgeschrieben sind, ohnehin schon zu 100 Prozent erfüllt, größtenteils auch deutlich übererfüllt. ({9}) Aber um auch, meine Kolleginnen und Kollegen, eines deutlich zu sagen: Es ist doch in unserem Interesse, dass andere Länder auch human, anständig und vernünftig mit Flüchtlingen umgehen, dass diese Länder auch die Grundversorgung gewährleisten, dass sie den Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleisten, dass die Unterbringung von Flüchtlingen nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa menschlich und anständig ist, sondern auch weltweit. ({10}) Deshalb erfährt der Flüchtlingspakt die volle Unterstützung der Bundesregierung. Interessanterweise haben Länder dem Flüchtlingspakt zugestimmt, auf die Sie sich von der AfD beim Migrationspakt immer so gerne berufen. Alle Mitgliedsländer der Europäischen Union haben am 13. November dieses Jahres, also vor wenigen Wochen, im Dritten Ausschuss der UN-Generalversammlung in New York diesem Flüchtlingspakt zugestimmt: 176 Jastimmen, 1 Neinstimme, 3 Enthaltungen. Also dieser Flüchtlingspakt, den Sie so stark kritisieren, findet die fast uneingeschränkte Unterstützung der gesamten Weltgemeinschaft. Nur die AfD ist dagegen. ({11}) Da wage ich mal zu behaupten: Da vertraue ich der Mehrheit. Dieser Flüchtlingspakt macht Sinn. Ich sage hier ausdrücklich: Die vier Hauptziele, die der Flüchtlingspakt festschreibt, werden von der Bundesregierung uneingeschränkt unterstützt. Erstes Hauptziel: die Hauptaufnahmeländer zu entlasten. Da sage ich ganz offen: Da müssten Sie doch zuvorderst mit dafür sein. ({12}) Unser Ziel muss es doch sein, ein Hauptbestimmungsland illegaler Migration, wie es Deutschland ist, zu entlasten. Das erste Ziel, Aufnahmeländer zu entlasten, wird von der Bundesregierung uneingeschränkt unterstützt. Zweites Ziel: die Selbstständigkeit und die Widerstandsfähigkeit von Flüchtlingen zu stärken. Es ist aus meiner Sicht im christlichen und humanen Sinne richtig, dass wir auch die Selbstständigkeit und die Rechte von Flüchtlingen insgesamt stärken. Dritter Punkt. Wir wollen die Möglichkeit verstärken, dass Flüchtlinge, wenn eine Heimkehr ins Heimatland nicht möglich ist, zumindest in Drittstaaten rückgeführt werden. Auch dies ist durchaus im deutschen Sinne. Der vierte Punkt, der aus meiner Sicht auch unterstützenswert ist, ist, dass wir unter den Gesichtspunkten der Sicherheit und der Würde des Menschen die Möglichkeiten zur Heimkehr ins eigene Land verstärken und verbessern wollen. Das ist doch genau das, was Sie immer intonieren: Wir müssen die Zahl der Abschiebungen erhöhen und die Abschiebungen effektiver machen. Wir wollen, dass ausreisepflichtige Personen dann auch wieder ins Heimatland zurückkehren. Das ist genau die Intention dieses Flüchtlingspaktes. Vor dem Hintergrund geht Ihre Kritik vollkommen ins Leere. ({13}) Ich würde mir – das sage ich ganz offen – persönlich wünschen, dass wir über die eine oder andere EU-Verordnung, die unmittelbar im deutschen Recht gilt, ohne dass sie eines Aktes der Umsetzung in deutsches Recht bedarf, auch so intensiv debattieren wie über diesen, wie gesagt, völkerrechtlich vollkommen unverbindlichen Flüchtlingspakt. Um eines deutlich hinzuzufügen: Wir haben eine extrem hohe Anzahl von Flüchtlingen auf unserem Globus. Der Umgang mit Flüchtlingen ist bedauerlicherweise in den einzelnen Ländern sehr, sehr unterschiedlich. Vor dem Hintergrund muss es gerade für uns als Hauptbestimmungsland der illegalen Migration in Europa und auch weltweit unser Interesse sein, dass wir diesen wichtigen Themenkomplex der Migration und der Flüchtlingspolitik stärker nicht nur national, sondern auch europaweit und weltweit diskutieren. Wir erleben doch selbst, wie schwer es ist, sich auf einheitliche Standards innerhalb der Europäischen Union zu verständigen. Ich bin ein großer Befürworter eines gemeinsamen europäischen Asylsystems. Ich bin ein großer Befürworter dessen, eine Harmonisierung und Vereinheitlichung des Asylrechts und des Umgangs mit Asylbewerbern innerhalb der Europäischen Union zu erreichen. Leider scheitert das bislang am nicht ausreichenden Willen insbesondere der osteuropäischen und teilweise auch der südeuropäischen Länder. Deswegen ist es durchaus im deutschen Interesse, dass zumindest die Debatte jetzt erstmals auf der Ebene der Vereinten Nationen begonnen hat und dass man sich zu diesem Thema „einheitliche Standards im Umgang mit Flüchtlingen“ verständigt, auch wenn der Pakt völkerrechtlich unverbindlich ist. Ich möchte noch eine andere Parallele zum Migrationspakt ansprechen. Ihr nächster Einwurf wird wahrscheinlich sein, dass der Eingang in deutsches Recht über Völkergewohnheitsrecht durchaus möglich ist. Hier gilt das Gleiche wie für den Migrationspakt. Es ist klar, dass es keine gängige langjährige Staatspraxis gibt, in der dieser Flüchtlingspakt exekutiert wird, und dass es auch keinen Rechtsbindungswillen der Teilnehmerländer gibt, sodass das Gleiche gilt wie für den Migrationspakt, dass auch durch die Hintertür, über Völkergewohnheitsrecht oder über das sogenannte Soft Law, kein Eingang in deutsches Recht erfolgen kann – um hier auch jedweden Spekulationen und Gerüchten schon im Vorfeld sofort den Boden zu entziehen. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, Sie sollten wirklich noch mal in sich gehen. Sie sollten auch sehen, dass gerade auch die von Ihnen immer so hochgelobten Regierungen in Ungarn, Polen und Tschechien dem Flüchtlingspakt zugestimmt haben und ihm aller Voraussicht nach auch in der UN-Generalversammlung am 17. Dezember zustimmen werden. Dieser Flüchtlingspakt macht Sinn, und er ist vor allem im deutschen Interesse. Deshalb sollten wir als Parlamentarier diesen Flüchtlingspakt und seinen Inhalt offensiv und transparent nach außen tragen und auch dafür werben. Ich danke herzlich für die Aufmerksamkeit. ({14})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Ulrich Lechte, FDP-Fraktion. ({0})

Ulrich Lechte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004799, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Liebe Besucher oben auf den Rängen! Jetzt reden wir hier zum Thema Globaler Flüchtlingspakt. Dank der AfD besprechen wir ein Thema, bei dem sich die Bundesregierung, offensichtlich auch der Bundesrat, auch wenn er heute nicht hier vertreten ist, und alle Fraktionen des Hauses jenseits von Ihnen einig sind. ({0}) – Und der gesamte Rest der Welt jenseits Donald Trumps und der USA. ({1}) Österreich, Ungarn – alles schon angesprochen. Der Herr Staatssekretär war heute großartig. Alle Länder haben – ich wiederhole es, damit es vielleicht irgendwann einsickert – ({2}) am 13. November im Dritten Ausschuss der Vereinten Nationen beschlossen und zugestimmt, diesen Globalen Flüchtlingspakt in der Generalversammlung zur Annahme vorzulegen. Bei diesem Flüchtlingspakt geht es um nichts anderes, als weltweit etwas zu erreichen, was Ihnen eigentlich am Herzen liegen müsste, nämlich dass die Flüchtlinge heimatnah bleiben und dass zum Beispiel der UNHCR mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet wird, damit man die Flüchtlingsversorgung heimatnah gestalten kann und sich nicht alle in Richtung der Staaten der westlichen Welt aufmachen. ({3}) Das ist eigentlich Ihr Ziel. Aber Sie machen hier die ganze Woche Theater: in den sozialen Netzwerken, mit denen Sie angeblich nichts zu tun haben; wir haben alle, die wir hier sind, Hunderte von Mails bekommen und auch Anrufe von besorgten Bürgern; dann der ganze Zirkus, den Sie im Petitionsausschuss veranstaltet haben, und, und, und. ({4}) Ich muss ganz offen sagen – ich glaube, dass die Kollegen mir zustimmen –: Wir haben langsam, aber sicher wirklich den Kaffee auf. Wir haben den Rand voll. Wir haben keine Lust mehr darauf. ({5}) Wir diskutieren heute in der letzten Stunde ein Papier, das wirklich weltweite Unterstützung gefunden hat, und die einzigen, die dagegen sind, sind Herr Gauland und seine Konsorten, die hier auf der rechten Seite sitzen. ({6}) Ich habe langsam, aber sicher echt keinen Bock mehr. Wir haben uns damit auch in den Ausschüssen beschäftigt. ({7}) – Ja, das ist Demokratie. Aber wissen Sie, was mein Problem ist? Als ich in die Politik gekommen bin, ging es mir darum, dass man auf der Grundlage von auf Fakten basierender Wahrheit miteinander diskutiert. Dass wir alle unterschiedliche Ansätze haben, ist klar, sonst könnten wir uns hier eine Einheitspartei leisten. ({8}) Aber wir haben nun einmal unterschiedliche Ansichten, von den Linken über die Sozialdemokraten, die Grünen, die CDU und die CSU, die als Unionspartei zuweilen eigene Ansichten hat, bis hin zur FDP, und dann kommen Sie. Das einzige Problem, das Sie haben, ist, dass Sie immer wieder versuchen, uns hier Nichtfakten als Wahrheit zu verkaufen. Keiner von uns ist auf den Gedanken gekommen, dass es ein Problem mit dem Globalen Flüchtlingspakt geben könnte. ({9}) Sie aber versuchen, das zum Problem zu machen, und Sie verunsichern die Wähler, die auch Sie gewählt haben, und machen sie ganz kirre mit Themen, die eigentlich keine Themen sind. ({10}) Ich habe auch wirklich keine Lust mehr, hier auf Ihre Lügen einzugehen. Ganz zum Schluss möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, der mir besonders am Herzen liegt. Der emotionalste Moment in diesem Hohen Haus war für mich in diesem Jahr die Rede von Frau Dr. Anita Lasker-­Wallfisch. Sie hat mich fast zu Tränen gerührt, als sie sagte, wie großartig sie es fand, als sie das erste Mal in das Land der Täter kam – 1994 – und feststellte, was für ein weltoffenes Land Deutschland geworden ist, das wir alle gemeinsam nach dem Zweiten Weltkrieg und den Wirrungen und Vertreibungen, die unser eigenes Volk ertragen musste, aufgebaut haben. Dann hat sie gesagt, sie war den Tränen nahe über unsere Aufnahmebereitschaft gegenüber den Syrien-Flüchtlingen. Ob das nun alles rechtlich korrekt gelaufen ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber wir sind unserer humanitären Verpflichtung nachgekommen und haben Menschen, die Schutz gesucht haben, Hilfe gewährt. Darauf bin auch ich stolz, genauso wie sie darauf stolz war. Wenn das im Zweiten Weltkrieg genauso der Fall gewesen wäre, wenn die damalige freie Welt genauso reagiert hätte, wären viel mehr Menschen aus Europa vor den Nazis davongekommen. Ich bin dem Herrgott dankbar, dass wir alle bis auf die rechte Seite des Hauses einer Meinung sind. Bitte lassen Sie uns das in diesem Punkt auch weiterhin bleiben. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat der Kollege Dr. Lars Castellucci, SPD-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Lars Castellucci (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004257, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke sehr. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wird diese Woche in den Debatten fortgesetzt so getan, als würden insbesondere in Afrika Millionen auf gepackten Koffern sitzen, die nichts anderes zu tun haben und es nicht abwarten können, bis sie endlich nach Europa kommen. ({0}) Ich frage mich, was für ein Verständnis von Vaterlandsliebe dem eigentlich zugrunde liegt. Darauf habe ich nur zwei Antworten gefunden. Eine Antwort wäre: Es liegt dem überhaupt kein Verständnis von Vaterlandsliebe zugrunde. Das würde auch Ihr fortgesetztes Gebaren in diesem Haus erklären, mit dem Sie dem Ansehen Deutschlands in der Welt schaden. ({1}) Oder dem liegt ein Verständnis von Vaterlandsliebe zugrunde, die nur Deutsche empfinden können, während Ausländer nichts anderes zu tun haben und nur darauf warten, sich endlich aufzumachen, ihre Vaterländer zu verlassen. Und wenn das Ihr Verständnis von Vaterlandsliebe ist, dann sind Sie Nationalisten, und Nationalisten haben diesem Land auch schon immer Schaden zugefügt. ({2}) Wir reden hier heute einmal wieder über Geflüchtete, nicht mit ihnen. Das Mindeste, was wir tun können, ist, zu versuchen, uns hineinzufühlen und zu fragen, wie das denn ist. Das gelingt natürlich nur unzureichend. Wir wissen nicht, wie wir in dieser Situation, wenn wir in sie geraten würden, selbst reagieren, was wir tun würden. Aber stellen wir uns vor, in Deutschland würde es wieder dunkel und schwierig werden. Ich kann mir vorstellen, ich würde gern so lange hier bleiben, wie es irgendwie möglich ist – wegen der Familie, wegen der Freunde, weil ich hier aufgewachsen bin. Ja, aber wenn mein Leben bedroht wäre, dann würde ich das Land verlassen. Und dort, wo ich ankommen würde, würde dann die Sehnsucht wachsen, wieder zurückzukommen. Es ist unredlich, all diesen Menschen zu unterstellen, sie würden ihr Land leichtfertig verlassen. Es ist Not, es ist Leid, es ist Terror, es sind schlimme Schicksale, die die Menschen aus ihren Ländern zwingen. Deswegen müssen wir die Ursachen dieser Flucht auch als Erstes bekämpfen. ({3}) Aber wir werden nicht jede Flucht verhindern können. Deswegen ist ja schon die Frage: Wenn man zur Flucht gezwungen wäre, was wäre denn dann meine Hoffnung? Meine Hoffnung wäre, Hilfe zu erfahren und anständig behandelt zu werden. ({4}) Wenn ich für mich erhoffe, auf der Flucht Hilfe zu erfahren und anständig behandelt zu werden, dann ist es auch meine Pflicht, das anderen zuzugestehen. Das ist der Geist dieses Globalen Paktes für Flüchtlinge, und deswegen unterstützen wir diesen Pakt auch. ({5}) Es ist auch gut, dass sich Deutschland dafür eingesetzt hat. Dieser Text atmet ja unsere Erfahrung mit der Flucht seit 2015. Deutschland war lange nicht solidarisch mit Ländern, die schon unter viel Flucht zu leiden hatten, die viel Flucht erlebt haben, die das einfach ertragen haben und als zu sich gehörig empfinden. Wir haben gemeinsam mit anderen Staaten dafür gesorgt, dass es 2016 zu einer UNO-Konferenz gekommen ist, damit wir die Angelegenheit international besser bearbeiten können; und das findet sich jetzt hier in diesem Text. Und jetzt schauen wir einmal rein! Sie haben ja offensichtlich gar nicht reingeschaut. Nur drei Beispiele: Das Erste, was hier steht, ist: ein Frühwarnsystem. Es gibt immer Leute, die vor allem warnen, und die haben dann auch eine hohe Trefferquote. Das ist klar. Aber die Wahrheit ist, dass wir 2014/2015 nicht ausreichend vorbereitet waren auf das, was uns erreicht hat. Hier sind nun Frühwarnsysteme vorgesehen. Das ist ein guter Punkt in diesem Globalen Pakt, und das unterstützen wir. ({6}) Ein weiterer Punkt: Registrierung und Dokumentation. Ja, wir wollen wissen, wer in unserem Land ist. Wenn Sie gegen Registrierung und Dokumentation sind, wollen Sie offensichtlich nicht wissen, wer sich in unserem Land befindet. ({7}) Wir sind dafür, dass das international besser organisiert wird und die Geflüchteten so registriert werden, dass man weiß, wer sich in den jeweiligen Ländern befindet. ({8}) Letzter Punkt. Dieser spricht von der „Förderung guter Beziehungen und dem friedlichen Zusammenleben“ und davon, dass das gefördert werden soll. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, wer kann denn dagegen etwas haben? Ich finde, das ist etwas, was wir auch schon in unseren Städten und Gemeinden haben. Viele der Geflüchteten, die zu uns gekommen sind, sind schon Freunde geworden, ({9}) sind schon Nachbarn, sind schon Kolleginnen und Kollegen, sind schon Ersatzenkel geworden. Das müssen wir stärken: dass wir das Gute bewahren und das Schlechte zum Guten wenden. Diese Chance haben wir, wenn wir international zusammenarbeiten. Deswegen findet dieser Vertrag, diese Vereinbarung über die Flüchtlinge, unsere Unterstützung. Wir bitten auch, dass das insgesamt nicht verhetzt wird, sondern dass wir an diesen internationalen Fragen auch wirklich gemeinsam arbeiten. Vielen Dank. ({10})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gökay Akbulut, Fraktion Die Linke. ({0})

Gökay Akbulut (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004653, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden nun wiederholt über den UN-Migrationspakt ({0}) und in dieser Debatte über den UN-Flüchtlingspakt. Herrn Curios Hetzrede in der Debatte um den UN-Migrationspakt gestern war wieder ein weiterer Beleg dafür, dass die AfD systematisch mit Lügen und Hetze arbeitet. ({1}) Nichts, aber auch gar nichts an seinen Auslegungen des Migrationspaktes entsprach den Tatsachen oder Inhalten, sondern das waren die üblichen Fantasien und Lügengeschichten der AfD. ({2}) Hier muss man aber auch darüber sprechen, mit welchen miesen Methoden die AfD arbeitet: Falschinformation, Hass und Hetze, Lügen und persönlicher Denunziation. ({3}) Sie wollen keinesfalls inhaltlich diskutieren, sondern eine Hetzkampagne nach der anderen fahren. ({4}) Sie sind beispielsweise schuld daran, dass eine Mitarbeiterin des Ausschusssekretariats ihren Job verloren hat oder wechseln musste, weil Sie, Herr Hebner, und Ihr Mitarbeiter den Namen der Mitarbeiterin auf Facebook veröffentlicht haben, ({5}) und das, weil Ihre Richtlinie, Ihre Petition einfach fehlerhaft war. Sie ist daraufhin so vielen Drohungen ausgesetzt worden, dass sie sich an ihrem eigenen Arbeitsplatz nicht mehr sicher gefühlt hat und ihren Job wechseln musste. Das ist Ihre Art, Politik zu machen. ({6}) Sie machen hier im Hohen Haus nicht mal vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung Halt. Das ist schlichtweg undemokratisch. Aber so arbeitet die extreme Rechte. ({7}) Meine Damen und Herren, der UN-Migrationspakt und der Globale Pakt für Flüchtlinge sind zwei unterschiedliche Werke, die aber eines gemeinsam haben: Sie wollen globale Herausforderungen auch global angehen und gestalten. Die vier wichtigsten Ziele des Paktes sind: Entlastung der Aufnahmeländer, Stärkung der Eigenständigkeit der Geflüchteten, Ausweitung der Lösungen zur Annahme in Drittstaaten, die Verbesserung der Bedingungen in den Herkunftsländern sowie die Förderung einer Rückkehr in Sicherheit und Würde. Natürlich haben wir auch an diesem Pakt linke Kritik, und zwar, dass er die bestehenden Verhältnisse nur bedingt verbessern kann. Wir wollen, dass endlich die Fluchtursachen bekämpft werden und nicht die Flüchtlinge. ({8}) Sie wollen, dass Menschen weiterhin im Mittelmeer ertrinken. ({9}) Sie wollen Grenzen weiter militarisieren und Abkommen mit autoritären Regimen zur Abwehr von Flüchtlingen schließen, ganz zu schweigen von den Abschiebungen der Menschen in Elend und Not. Das alles ist keine Fluchtursachenbekämpfung. ({10}) Wir alle sind uns darüber einig, dass Fluchtursachen vielfältig und komplex sind: zunehmende weltweite Ungleichheit, Ausbeutung durch unfaire Handelsbeziehungen, Erstarken der großen Agrarkonzerne, rücksichtslos agierende, profitorientierte transnationale Konzerne und zu guter Letzt der Klimawandel, den in erster Linie die Industriestaaten verantworten. Es wird daher höchste Zeit, dass Maßnahmen für eine solidarische, gerechte Handelspolitik und vor allem auch faire Produktionsverhältnisse eingeführt werden. ({11}) Wir als Linke treten ein gegen Krieg und Rüstungsexporte, gegen Landraub und für den Ausbau der Demokratie und der Menschenrechte weltweit. ({12}) Geflüchtete sollen das Recht auf soziale, kulturelle und demokratische Teilhabe in ihren Herkunfts-, Transit- und Zielländern haben. Daher unterstützen wir auch den UN-Flüchtlingspakt. ({13}) Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und in anderen Ländern Schutz suchen, müssen laut der Genfer Flüchtlingskonvention auch Schutz bekommen. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist im Gegensatz zu dem Globalen Pakt für Flüchtlinge ein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag. Grundlage waren die Erfahrungen aus der Nazizeit, vor allem der damaligen Siedlungspolitik und dem Zweiten Weltkrieg, die zu einer einheitlichen internationalen und verbindlichen Regelung für Geflüchtete geführt haben. Dabei stand der Gedanke von persönlichen Schutzrechten im Vordergrund. Dieser Gedanke findet sich auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wieder, die nächste Woche 70 Jahre alt wird. Ihr Grundsatz: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. ({14}) Dafür steht Die Linke ein, und dafür gilt es zu kämpfen, und das heißt auch, sich für eine offene und solidarische Gesellschaft einzusetzen, in der Menschen, die Schutz suchen, auch Schutz finden. Wir sollten gemeinsam für eine Politik kämpfen, die sich ernsthaft für die Interessen aller Menschen einsetzt. Denn Menschenrechte sind unteilbar. Vielen Dank. ({15})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat die Kollegin Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Luise Amtsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004243, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Um Inhalte – ich glaube, das war uns allen vor der Debatte klar – geht es hier ja schon lange nicht mehr. ({0}) Wir haben es auch in den vergangenen Debatten zum Migrationspakt erlebt: Die AfD nutzt jede Gelegenheit, um ihr verschwörungstheoretisches Narrativ zu verbreiten, das auf nichts als Lügen und Verleumdungen fußt, um Menschen auf der Flucht zu diskreditieren, und das alles – das finde ich immer wieder menschlich erschreckend – ohne auch nur einen Funken Empathie zum Beispiel für Kinder in Kriegs- und Krisengebieten oder in anderer Not. ({1}) Wir alle haben es verstanden: Die AfD möchte eine Mauer um Deutschland ziehen – darüber haben wir in diesem Haus schon debattiert –, dieses Land vom Rest der Welt isolieren und am besten alle rausschmeißen, die nicht ihrer weißen Lebensrealität entsprechen. ({2}) Ich finde das einfach nur abstoßend. Da diese Haltung aber auch total lebensfern und unpolitisch ist, will ich mich gar nicht weiter damit befassen. Das müssen wir auch nicht; denn wer eine gemeinsame internationale Verantwortung von Anfang an negiert, der schießt sich ja selbst aus der Debatte, wenn es um die Inhalte dieser Vereinbarung geht. So einfach ist das. ({3}) Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass die Weltgemeinschaft – leider mit Ausnahme der USA – in dieser Frage auf einer Seite steht und diesen Pakt bejaht. Mit dem Pakt sagt die Weltgemeinschaft endlich den Ländern Unterstützung zu, die von den großen Fluchtbewegungen am meisten betroffen sind; denn neun von zehn Geflüchteten leben in Entwicklungsländern. Das sollte uns an dieser Stelle nicht egal sein. Das heißt, der Pakt ist auch ein klares Bekenntnis zum Schutz und zu den Rechten von geflüchteten Menschen. Dem Umfassenden Rahmenplan für Flüchtlingshilfemaßnahmen haben die Mitgliedstaaten durch die New Yorker Erklärung bereits 2016 zugestimmt; ich sage das noch mal ausdrücklich, weil immer wieder erzählt wird, dass man sich mit diesem Thema noch nicht befasst hat. Er ist also schon ein wenig älter. Ergänzt wurde der Pakt dann durch ein Aktionsprogramm, das vier Ziele umfasst: den Druck auf die Hauptaufnahmeländer zu mindern, die Rechte von Flüchtlingen zu stärken, humanitäre Aufnahmeprogramme wie das Resettlement-Programm auszuweiten und die Bedingungen zu fördern, die eine Rückkehr in das Heimatland in Sicherheit und Würde ermöglichen. Wir Grüne stehen zu diesen Zielen und wollen, dass die Bundesregierung sich nicht nur zu diesen Zielen bekennt, sondern auch ihre Politik danach ausrichtet. Da wird es dann ein bisschen komplizierter. Es mag ja richtig sein, dass Deutschland im internationalen Vergleich, was die Rechtsstellung von Geflüchteten angeht, positiv auffällt. Das ist zweifelsohne so; das wird hier keiner bestreiten. Das allein reicht aber nicht. Wenn wir das Anliegen, das der Flüchtlingspakt verfolgt, wirklich ernst nehmen, dann müssen wir auch alle Politikfelder hierzulande mit einbeziehen. Sie müssen diesen Geist atmen, zum Beispiel in der Außenpolitik. Mit der Unterzeichnung des Paktes verpflichtet sich die Bundesregierung unserer Auffassung nach dazu, künftig alles zu unternehmen, dass der Schutz von Flüchtlingen auch in anderen Teilen der Welt umgesetzt wird. Genau in dieser Frage könnte die Bundesregierung unserer Meinung nach leidenschaftsloser und unambitionierter nicht sein. Als sie den Deal mit der Türkei geschlossen hat, ist ihr gar nicht in den Sinn gekommen, die Türkei zur Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention zu bewegen und das zur Grundlage dieser Vereinbarung zu machen. Das ist nur ein Beispiel. In Libyen wird mit der Küstenwache kooperiert, was an sich schon fragwürdig ist. Aber unterstützt unsere Bundesregierung das UN-Flüchtlingshilfswerk bei den Verhandlungen mit der libyschen Regierung, dass es endlich im Land arbeiten darf? Nein, das tut sie nicht. ({4}) Oder nehmen wir die sicheren Herkunftsländer, Ihr Lieblingsthema. Man kann dieses Thema innenpolitisch diskutieren; das machen Sie ja auch vortrefflich. Aber hat die Bundesregierung auch nur ein Mal Position zu der Frage bezogen, was das für die Zivilgesellschaft vor Ort bedeutet, Stichwort „Fluchtursachenbekämpfung“? Nein, hat sie nicht. Meine Damen und Herren, wir Grüne finden, das muss sich ändern, und dieser Pakt bietet genau dafür die richtige Grundlage. ({5}) Wenn wir über international geteilte Verantwortung sprechen, müssen wir aber auch – das wäre mein letzter Punkt – nach Europa schauen. Denn während die Bundesregierung sich einerseits zu Recht zu internationaler Solidarität bekennt, hält sie in Europa am unsolidarischen Dublin-System fest. Während sie sich zur Wahrung der Menschenrechte weltweit bekennt, schweigt sie zur drohenden humanitären Katastrophe auf den griechischen Inseln oder im bosnischen Bihac: schwangere Frauen, Kinder, Familien, die bei Minusgraden und teils ohne irgendeine Versorgung in nicht winterfesten Wurfzelten die kommenden Temperaturen überstehen müssen – in Europa, meine Damen und Herren! Ich finde, das sind unhaltbare Zustände und im Prinzip auch die erste Mahnung dieses Paktes, nämlich nicht wegzuschauen, sondern zu handeln. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Jürgen Hardt, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD ist jetzt über ein Jahr im Deutschen Bundestag. ({0}) Wir haben uns in dieser Legislaturperiode oft und viel mit der Frage beschäftigt: Was können wir tun, was können wir verbessern, damit wir das mit den Flüchtlingen in unserem Lande schaffen? ({1}) Wir haben viele Gesetzesänderungen vorgenommen. Wir haben Mittel für die Kommunen bereitgestellt, gerade im aktuellen Haushalt; ich freue mich, dass der Bund zu seiner Verantwortung steht. Wir haben auch in dieser Woche über den Migrationspakt und soeben über den Flüchtlingspakt diskutiert – alles Elemente und Bausteine, die uns helfen, die große Herausforderung durch die vielen Menschen, die auf der Welt auf der Flucht sind und von denen eben auch ein Teil bei uns ist, in den Griff zu kriegen. Der konstruktive Beitrag der AfD zur Lösung dieser Probleme ist ({2}) Nullkommagarnichts. ({3}) Sie bekämpfen einen Migrationspakt und einen Flüchtlingspakt, ({4}) der aus Sicht aller Menschen, die etwas von dieser Aufgabe verstehen, einen großen Beitrag dazu leistet, dass dieses Thema geordnet, im Einvernehmen mit anderen Ländern und den betroffenen Menschen gerecht werdend gelöst werden kann. ({5}) Ich habe den Verdacht, Herr Gauland, dass Ihre Politik gegen eine geordnete Flüchtlingspolitik eigentlich darauf angelegt ist, dass dieses Problem nicht gelöst wird, damit Sie in diesem Sumpf von Angst und Ungeordnetheit weiter nach Ihren braunen Stimmen fischen können. ({6}) Sie wollen dieses Problem überhaupt nicht lösen, weil Sie überhaupt nur auf dem Rücken dieses Problems in den Bundestag gekommen sind. ({7})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Liebe Kollegen, bitte beruhigen Sie sich. Der Kollege Hardt hat jetzt das Wort.

Jürgen Hardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004050, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Herr Gauland, wenn man sieht, in welcher Art und Weise Sie als einst geachteter Mann in dieser Republik mit einem hohen Amt hier während einer Rede, in der ich mich differenziert auf Ihren Wunsch hin mit diesem Thema auseinandersetze, dazwischenrufen und was Sie sagen, dann erkennt man, wie dünn manchmal der Firnis des Anstands und der Kultur in diesem Land ist. ({0}) Ich möchte noch einige Gedanken dazu vortragen, was dieser Pakt für Flüchtlinge leisten kann. Wir haben im Jahr 2015 ein ganz großes Problem gehabt. ({1}) Wir haben alle verschlafen, dass dem UN-Flüchtlingshilfswerk und dem World Food Programme die Mittel ausgegangen sind und in den Flüchtlingslagern, zum Beispiel in Jordanien und im Libanon – dort, wo wirklich viele Menschen unter Bedingungen leben müssen, die mit denen, die wir in Deutschland haben, nicht vergleichbar sind –, die Menschen plötzlich das Gefühl hatten, dass sie damit leben müssen, dass ihre Mittel knapper und die Bedingungen schlechter werden. ({2}) Und dann haben sich viele dieser Menschen auf den Weg gemacht. Das Ergebnis ist, dass wir gesagt haben: Wir wollen dafür sorgen, dass eine solche Situation – dass das UN-Flüchtlingshilfswerk und das World Food Programme keine Mittel mehr haben, um zu helfen – nicht wieder eintritt. Deswegen haben wir in diesem Flüchtlingspakt festgeschrieben, dass entsprechend mehr Mittel für die Länder bereitzustellen sind, die sich um die Aufnahme der Flüchtlinge kümmern. Im Übrigen entspricht es dem Wunsch der allermeisten Geflüchteten, dass sie in ihrem Kulturraum, in der Nähe ihres Heimatlandes, auf die Möglichkeit zur Rückkehr warten wollen. Das erleben wir im Libanon. Das hören wir auch, wenn wir zum Beispiel mit den Menschen in den Flüchtlingslagern in Jordanien sprechen. Ich glaube, dieser Pakt leistet einen guten Beitrag dazu. Es gibt eine dritte Legende, die über diesen Flüchtlingspakt verbreitet wird: „Auch das ist so etwas, was an der Öffentlichkeit vorbei geschieht.“ Ich kann Ihnen sagen: Es gibt ein schönes Bild des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, von Herrn Boehringer von der AfD. Er war dabei, als der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge im April dieses Jahres alle Bundestagsabgeordneten, die sich das anhören wollten und die sich dafür interessiert haben, darüber unterrichtet hat, was in diesem Flüchtlingspakt geplant ist, und es hat wie beim Migrationspakt die Möglichkeit der Mitwirkung, des Vortragens der eigenen Position gegeben, die von den Kolleginnen und der Kollegen der AfD leider nicht genutzt wurde. ({3}) Deswegen ist es einfach traurig, dass wir heute hier auf diesem Niveau über diese Sache diskutieren müssen. Danke schön. ({4})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Markus Frohnmaier, AfD-Fraktion. ({0})

Markus Frohnmaier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004721, Fraktion: Alternative für Deutschland (AfD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur die AfD macht nicht mit und begleitet unsere Politik nicht konstruktiv. – Das haben Sie gerade hier gesagt. Ich will Ihnen mal eines ganz klar sagen: Wir sind hier, weil Sie sich alle einig waren. Wir sind hier, um Opposition zu machen. ({0}) Die Vertreter der Bundesregierung müssen sich schon mal die Frage stellen, wie sie es mit Argumenten eigentlich handhaben. Wenn es um den Migrationspakt geht, dann ist es kein Argument, dass Österreich den Migrationspakt ablehnt. Wenn es um den Flüchtlingspakt geht, dann ist es plötzlich ein Argument. ({1}) Ich habe jetzt eine Schulaufgabe für Sie: Was machen Sie eigentlich mit Ihrer Logik, wenn ein Land wie die Vereinigten Staaten, einer unserer größten westlichen Partner, beides abgelehnt hat? Was machen Sie dann? ({2}) Ich sage Ihnen eines ganz klar: Was Sie im Dezember als sogenannten UN-Flüchtlingspakt in der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschieden wollen, das ist nichts weiter als ein großangelegtes Umsiedlungsprogramm. ({3}) Wie schon beim Migrationspakt ist es in Deutschland zu keiner öffentlichen Debatte über den Globalen Pakt für Flüchtlinge gekommen. ({4}) Und da können Sie hier noch so viel erzählen! Warum sprechen wir denn diese Woche so oft über dieses Thema? ({5}) Und warum haben wir in den letzten Wochen über diese Themen gesprochen? Weil die Alternative für Deutschland hier im Deutschen Bundestag dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. Nur deshalb! ({6}) Sie haben diesen Pakt an der Öffentlichkeit vorbei ausgearbeitet und zur Beschlussreife gebracht, und das ist nicht weiter verwunderlich. Natürlich wird Herr Seibert nicht die Umwandlung der Bundesrepublik in ein Siedlungsgebiet auf der Bundespressekonferenz bekannt geben. Das hat auch niemand erwartet. ({7}) Viel skandalöser ist in diesem Zusammenhang doch das Verhalten der vierten Gewalt im Staat, der Medien. Das berichtende und kommentierende Gewerbe hat hier völlig versagt. ({8}) Wir mussten ihnen doch die Unterlagen in die Schreibstube tragen. ({9}) Ohne die AfD gäbe es hier in diesem Hause, im Deutschen Bundestag, keine Debatte. Das noch mal zu sagen, ist mir ganz wichtig. ({10}) Ihnen sage ich eines ganz klar: Wer so eine Hinterzimmerpolitik betreibt, der respektiert weder den Bürger noch die parlamentarische Demokratie in Deutschland. ({11}) Jetzt mache ich mal was, was wir hier heute noch gar nicht erlebt haben. Ich werde mal konkret ({12}) und gehe auf den Text ein; da hilft auch kein Gekreische. Ziffer 3.2 des UN-Flüchtlingspakts beispielsweise lautet „Neuansiedlung“. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: Die Notwendigkeit, ein positives Klima für Neuansiedlungen zu fördern und die dafür nötigen Kapazitäten zu stärken sowie den Bestand an Neuansiedlungsmöglichkeiten zu erweitern, kann nicht genug betont werden. Das steht im Papier. Meine Damen und Herren, einen solchen Satz muss man schon mehrmals lesen, um ihn zu verstehen. ({13}) Wie fördert man denn als Staat ein positives Klima für eine Politik der Ansiedlung von Fremden? Einerseits durch Zuckerbrot, also Förderung der richtigen Einstellung zu Migration, ({14}) andererseits durch Peitsche, also Sanktionierung falscher Einstellungen! ({15}) In diesem Bereich kann die Bundesregierung immerhin mit einer echten Koryphäe aufwarten, mit Heiko Maas, meine Damen und Herren, dem Vater des Zensurgesetzes. ({16}) Unter Ziffer 3.4 „Integration vor Ort“ kann man dann lesen: Integration vor Ort ist ein dynamischer und in beide Richtungen verlaufender Prozess, der von allen Parteien Anstrengungen erfordert, einschließlich der Bereitschaft der Flüchtlinge zur Anpassung an die Aufnahmegesellschaft und einer entsprechenden Bereitschaft seitens der Aufnahmegemeinschaften und öffentlichen Institutionen, Flüchtlinge aufzunehmen und den Bedürfnissen einer diversen Bevölkerung zu entsprechen. ({17}) Ich fasse diesen 48-Wörter-Wurm mal kurz für Sie zusammen: ({18}) Flüchtlinge und Aufnahmegesellschaften müssen sich gegenseitig anpassen. Also sollen auch wir uns anpassen. – Was sind denn die Bedürfnisse einer diversen, also bunten Gesellschaft? Liebe Frau Roth, etwa das Bedürfnis, nach der Silvesternacht in Köln tagelang die Übergriffe auf Frauen durch nordafrikanische Domplattentänzer totzuschweigen oder der eigenen Tochter wohlwollend zu raten, eine Armlänge Abstand zu halten, Weihnachtsmärkte einzumauern, Messerverbote zu erlassen, Sexualaufklärung für alle Flüchtlinge einzuführen? ({19}) Sehr geehrte Kollegen der Altparteien, die diesen UN-Flüchtlingspakt so vehement unterstützen, wir sind nicht bereit, Ihre Gesellschaftsexperimente weiter mitzutragen. ({20}) Souveräne Nationalstaaten sind für uns nicht irgendwelche verstaubten Ideen des letzten Jahrhunderts. Wer Grenzen abschaffen und damit Staatsgebiete auflösen will, ({21}) wer das Staatsvolk durch Umsiedlung austauscht, der attackiert, der attackiert beinahe alles, was einen demokratischen Staat ausmacht. ({22}) Deutschland ist für uns nicht irgendein Wort; Deutschland ist unsere Heimat, ({23}) und diese wollen und werden wir bewahren. ({24})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Das Wort hat als Nächstes der Kollege Christoph Matschie, SPD-Fraktion. ({0})

Christoph Matschie (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Da muss man erst mal tief durchatmen. – Herr Frohnmaier, wissen Sie, warum wir in dieser Woche im Plenum so oft über das Thema diskutieren? Weil die AfD offenbar geistig nicht in der Lage ist, zu erfassen, was in diesen beiden Pakten steht, weil die Verschwörungsfantasien mit Ihnen durchgehen. ({0}) Herr Frohnmaier, Sie waren doch das beste Beispiel dafür. Ich versuche, noch mal an einer anderen Stelle anzufangen; vielleicht verstehen Sie es ja doch noch. ({1}) Wenn eine menschliche Gemeinschaft, sagen wir mal, eine Kommune, mit einer Krisensituation überfordert ist, dann wird sie versuchen, aus dieser Krisensituation zu lernen. Sie wird sich einen Plan machen. Es wird Notfallpläne geben. Es wird Absprachen geben. Vielleicht redet man auch mit den Nachbarkommunen darüber, wie man eine solche Situation besser bewältigen kann: ({2}) Wer finanziert was? Wer stellt was zur Verfügung? Wer ist für was zuständig? – Kein intelligenter Mensch würde auf die Idee kommen, dass ein solches Vorgehen dazu da ist, die Krise zu wiederholen. Jeder wäre der Meinung: Es ist dazu da, besser mit Krisen umzugehen. Jeder – außer der AfD! ({3}) Wir haben unter dem vorherigen Tagesordnungspunkt über künstliche Intelligenz geredet. ({4}) Bei dem, was Sie hier vorgetragen haben, mache ich mir manchmal über die menschliche Intelligenz in Ihren Reihen viel größere Sorgen. ({5}) Der Globale Pakt für Flüchtlinge ist genau das. Die internationale Gemeinschaft hat sich zusammengesetzt und überlegt: Wie können wir mit Flüchtlingssituationen besser umgehen? Wir haben mittlerweile über 68 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge weltweit. Wir haben die Situation 2015/2016 auch hier im Land erlebt. Es muss doch in unserem Interesse sein, dass wir aus diesen Erfahrungen lernen, dass wir darüber nachdenken, wie wir besser international zusammenarbeiten, wie wir welche Aufgaben finanzieren, wer was dazu beitragen kann und wie wir – das ist übrigens der erste Punkt in diesem Pakt – die Hauptaufnahmeländer entlasten können, damit nicht die ganze Last auf einigen wenigen liegt, sondern international möglichst gut verteilt wird. ({6}) Was kann man eigentlich dagegen haben? Außer man hat solche Verschwörungsfantasien, wie Herr Frohnmaier sie eben hier vorgetragen hat! Da fällt einem ja wirklich nichts mehr ein. ({7}) – Hören Sie mal zu; vielleicht lernen Sie was. Ja, in diesem Pakt ist auch von Resettlement die Rede. Warum? Weil es die Situation gibt, dass Flüchtlinge dort, wo sie zuerst untergekommen sind, keine Bedingungen vorfinden, unter denen sie menschenwürdig leben können, zum Beispiel, weil sie schwer krank sind und dort die Krankheit nicht behandelt werden kann, weil sie behindert sind, weil sie aus anderen Gründen vielleicht besonders gefährdet sind. Für solche Menschen soll es die Möglichkeit geben, weitere Staaten zu finden, die sie aufnehmen, die sie medizinisch versorgen, die dafür sorgen, dass sie menschenwürdig leben können. Wer außer der AfD kann etwas dagegen haben, dass Menschen menschenwürdig behandelt werden? ({8}) Im Übrigen: Die EU hat sich dazu bekannt, in diesem und im nächsten Jahr 50 000 Plätze für solches Resettle­ment zur Verfügung zu stellen, weil wir uns humanen Werten verpflichtet fühlen und weil wir der Meinung sind, dass der Satz im Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ({9}) nicht nur für uns gilt, sondern für jeden Menschen auf dieser Welt. Jeder hat diese Menschenwürde. ({10}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, um auf den Kern zurückzukommen: Wir brauchen diesen Pakt neben der Genfer Flüchtlingskonvention, die übrigens schon sehr viele Fragen rechtlich abgeklärt hat, ({11}) nämlich: Wer ist ein Flüchtling? Welche Rechte haben Flüchtlinge? Was ist mit der Aufnahme von Flüchtlingen? Dieser Pakt soll jetzt dafür sorgen, dass die internationale Staatengemeinschaft besser als bisher zusammenarbeitet, frühzeitiger agieren und auf Grenzsituationen reagieren kann, dass die internationale Staatengemeinschaft mehr tut für die Prävention, mehr tut, um Fluchtursachen frühzeitig zu erkennen und gegensteuern zu können, und dafür mehr Mittel zur Verfügung stellt. Im Übrigen haben auch die Bundesregierung und dieses Parlament auf die Entwicklung der letzten Jahre reagiert. Wir haben in den Haushaltsberatungen, die wir hier vor kurzem im Parlament abgeschlossen haben, die Mittel für Krisenprävention und humanitäre Hilfe massiv aufgestockt. Das ist ein Zeichen unserer Art, Hilfe zu leisten, zu humanitären Werten zu stehen. ({12}) Dieser Pakt ist ein Ausdruck von Menschlichkeit, und wer gegen diesen Pakt ist, der zeigt, dass er weder Herz noch Verstand besitzt. ({13})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Der nächste Redner ist der Kollege Philipp Amthor, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Philipp Amthor (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004656, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allem meine Damen und Herren aus der AfD-Fraktion! Ihre Fake-News-Kampagne gegen den Global Compact for Migration ist noch gar nicht ganz verhallt, da treiben Sie hier schon die nächste Sau durchs Dorf mit der politischen Panikmache gegen den UN-Flüchtlingspakt. ({0}) Wissen Sie, was das Problem an diesem Schauspiel ist? Das Problem an diesem Schauspiel sind zwei Dinge: Sie rühmen sich als Patrioten, und Sie rühmen sich als Wahrer der Parlamentsrechte. Aber durch Ihr Handeln zeigen Sie sehr deutlich: Sie sind nichts von beidem. ({1}) Klar ist, meine Damen und Herren: Unser Land braucht Patrioten. ({2}) Aber Patrioten handeln aus Liebe zu ihrem Land, ({3}) im Interesse ihres Landes. ({4}) Ich sage Ihnen ganz klar: Das, was Sie hier vollführen, ist nicht im Interesse unseres Landes, sondern zuallererst in Ihrem eigenen Interesse, im Interesse Ihrer Partei. ({5}) Die Globalen Pakte für Flüchtlinge und für Migration sind im Interesse Deutschlands. Warum ist das so? Das Kernziel beider Pakte ist es, eine politische Grundlage zu schaffen für eine bessere, gerechtere und internationale Lastenteilung bei den Problemen Flucht und Migration. Genau das liegt im deutschen Interesse. Wenn andere Staaten sich bereit erklären, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, dann ist das im deutschen Interesse. ({6}) Wenn andere Staaten bessere Bedingungen schaffen für Flüchtlinge, ({7}) dann ist es in unserem Interesse, weil es den Migrationsdruck senkt. ({8}) Und wenn sich die internationale Gemeinschaft gemeinsam dafür einsetzt, Rückführungen zu verbessern, dann ist auch das in unserem deutschen Interesse. ({9}) Ich sage Ihnen, was nicht in unserem deutschen Interesse ist: Es ist nicht in unserem deutschen Interesse, nur vom nationalen Kirchturm zuzuschauen und durch unsachlichen Protest darauf zu verzichten, andere Länder mit politischem Druck dazu zu bringen, ihre Anstrengungen im Umgang mit Flüchtlingen zu verbessern. ({10}) Sie haben sich für parteipolitische Stimmungsmache entschieden und nicht für das deutsche Interesse. Aber es ist sogar noch schlimmer; denn Sie verdrehen – entweder bewusst oder in Unkenntnis – ganz einfach die Fakten. Bei beiden UN-Pakten handelt es sich nicht, wie Sie schreiben, um einen Pakt mit dem Teufel, ({11}) sondern um einen koordinierten internationalen Kooperationsrahmen. Es ist anders, als Sie behaupten: Durch den neuen UN-Rahmen entstehen keine neuen Aufnahmeverpflichtungen. Herr Gauland, wenn Sie davon sprechen, der Pakt würde eine Umsiedlung von 70 Millionen Flüchtlingen begründen, ({12}) dann ist das schlicht eines: frei erfunden. ({13}) – Schauen Sie sich Ihre eigene Pressemitteilung an. Da schreiben Sie genau das. ({14}) Die herbeigeredete Einwanderungswelle, von der Sie reden, kann man beim besten Gewissen nicht herbeifantasieren. ({15}) Der Pakt weitet den Schutz von Flüchtlingen nicht aus. Die Genfer Flüchtlingskonvention bleibt unverändert. ({16}) Um auch damit aufzuräumen: Klimaveränderungen werden auch in Zukunft kein Fluchtgrund sein. Und um auch das nochmals zu sagen, auch wenn es schon oft genug gesagt wurde: Beide Pakte schränken unsere nationale Souveränität nicht ein. ({17}) Das, was Sie hier machen, das, was Sie hier behauptet haben, ist nicht nur unehrlich, sondern auch unanständig, meine Damen und Herren. ({18}) Unanständig und nicht patriotisch ist es auch, wenn Sie sich hier als Wahrer der Parlamentsrechte aufspielen wollen. ({19}) Parlamentarische Kontrolle übt man nicht aus durch Schaufensterdebatten, sondern durch gute Sacharbeit. ({20}) Wir haben in dieser Woche einen Antrag vorgelegt, um dem UN-Migrationspakt eine klare Note beizugeben. ({21}) – Frau Storch, Zwischenfragen sind in einer Aktuellen Stunde nicht zulässig. Da können Sie noch etwas dazulernen. – Wir haben hier einen klaren Antrag zu diesem Pakt vorgelegt, dem Sie nicht zugestimmt haben. Ganz ehrlich: Sie beschränken sich lieber darauf, Fake News zu verbreiten und das Ganze in Ihren Echokammern in den sozialen Netzwerken zu diskutieren. Das ist nicht unser Niveau. ({22}) Ich habe mir einmal Ihre Internetseite angeschaut. Sie werben auf Ihrer Internetseite ja damit, dass man für Sie spenden soll, damit Sie den Migrationspakt verhindern. 1 Million Euro wollen Sie sammeln. ({23}) Aber ich gebe Ihnen einen guten Tipp: Ein gutes Lehrbuch im Völkerrecht kostet 59,95 Euro oder ist in unserer Bibliothek kostenlos. ({24}) Würde Ihnen guttun! Herzlichen Dank. ({25})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Kollegin Dr. Daniela De Ridder ist die nächste Rednerin für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Daniela De Ridder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004386, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste, zumindest vor den Bildschirmen! Ja, es ist richtig: Wir diskutieren hier gerade zum dritten Mal in dieser Woche die Globalen Pakte für Flüchtlinge und für Migration. Ich nehme für uns in Anspruch, dass wir eine lernende Organisation in diesem Plenum sind. ({0}) Was haben wir aber in dieser Woche lernen dürfen? Dass die AfD ein Problem mit Migration und Flüchtlingen hat. ({1}) Aber das wussten wir schon vorher, meine Herren und wenigen Damen. Was haben wir noch gelernt? Dass die AfD undeutsch ist. ({2}) Ich habe in diesen langen Debatten zwischendurch überlegt, Herr Gauland: Wenn Sie alle Migrantinnen und Flüchtlinge in diesem Land loswerden wollen, dann würden Sie plötzlich – das ist ein Mangel an Solidarität mit Ihren eigenen Leuten – den Auswärtigen Ausschuss und Ihre Arbeitsgruppe richtig dezimieren; denn von den Mitgliedern Ihrer Fraktion im Auswärtigen Ausschuss haben mindestens vier einen Migrationshintergrund. ({3}) – Natürlich, aber die wollen Sie ja alle loswerden. ({4}) Sie haben ja ein Problem mit Migration und Flüchtlingen. ({5}) Ich meine, wie Sie das dann vereinbaren, erschließt sich mir nicht. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, deutsche Geschichte ist immer auch die Kultur von Migration und Flüchtlingen. Sie sind undeutsch. ({7}) Sie sind geschichtsvergessen, Sie sind kulturvergessen, und Ihre Werte sind fraglich. ({8}) – Herr Gauland, regen Sie sich nicht auf. Das ist nicht gut für Ihr Herz. Sie haben doch eins, oder? ({9}) – Das bleibt abzuwarten, Herr Gauland. Ich will Ihnen etwas über deutsche Kultur sagen und unsere Werte; ({10}) denn die transportieren sich in echten Märchen und nicht in den Mythen, die Sie verbreiten. Ich meine die deutschen Volksmärchen, die deutschen Volkslieder, ja sogar die deutsche Volksmusik, deutsche Schlager. Denken wir etwa an Udo Jürgens. Seinen Text über ein ehrenwertes Haus empfehle ich Ihnen zum Nachlesen. Aber ich will auf die Grimm’schen Märchen rekurrieren, und zwar auf das Märchen – hören Sie gut zu – der Bremer Stadtmusikanten. ({11}) Dort machen sich Esel, Hund, Katze und Hahn auf – Sie erinnern sich –, weil sie aus Altersgründen auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Sie sind ganz unterschiedlich, vielfältig – ist ja auch ein Problem für die AfD –, und sie machen sich auf als Migranten und Flüchtlinge. Sie überleben, weil sie sich solidarisieren. ({12}) – Schreien Sie nicht so. Auf dem rechten Ohr bin ich taub; das habe ich Ihnen gestern schon einmal gesagt. – Sie begegnen einer Räuberbande, ({13}) modernisiert würde das bedeuten: einer Schlepperbande. Aber es gelingt ihnen, diese durch internationale Solidarität zu vertreiben. Das Ende der Geschichte kennen Sie: Sie gründen vor den Toren der Stadt Bremen eine Alters-WG. ({14}) – Ganz ruhig. – Ob dieses Märchen dem Ex-SPD-Oberbürgermeister Henning Scherf als Vorbild gedient hat, ist nicht überliefert. Aber ich will Ihnen deutlich machen, was man aus dieser Geschichte lernen kann. Zum einen, dass Diskriminierung in diesem Land nicht statthaft ist und dass sie das auch nie sein sollte – ({15}) egal ob es darum geht, welche Religion man hat, welche Herkunft man hat, welches Geschlecht man hat. Auch Sie dürfen für sich in Anspruch nehmen, dass die Gesinnung kein Grund für Diskriminierung ist; Sie dürfen ja auch hier sitzen. ({16}) Zum anderen die internationale Solidarität, die wir auch weiterhin hochhalten werden – egal was Sie dazu sagen. Migration war immer ein Thema, auch als Binnenmigration. Das haben Sie in Ihren Reden überhaupt nie thematisiert. Sie tun immer so, als gäbe es Umvolkung, Umstrukturierung. ({17}) Ich weiß nicht, Herr Gauland – darüber werden Sie in der nächsten Woche sicher noch aufklären –, was eigentlich Ihr Referenzrahmen dafür ist. ({18}) Ist das Deutschland in den Grenzen von 1937? Reden Sie, wenn Sie über die Autochthonen reden, von den alten Germanen, etwa den Friesen oder den Longobarden, ({19}) vielleicht aber auch von den Vandalen? Ich habe keine Ahnung, was Sie damit bezwecken wollen. ({20}) Allerdings: Wenn Sie Migration verteufeln wollen, schaden Sie Deutschland. Allein in meiner Heimatgemeinde, in meinem Nordhorner Krankenhaus, haben 80 Prozent der Ärztinnen und Ärzte einen Migrationshintergrund. ({21}) Wenn Sie die alle nach Hause schicken wollen und diskriminieren, dann würde bei uns die medizinische Versorgung zusammenbrechen. ({22}) Also, Sie mögen für sich in Anspruch nehmen, nationalistisch zu denken. Patrioten sind Sie nicht! Vielen Dank. ({23})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich ja, dass Sie am Ende einer anstrengenden Woche immer noch so munter und lebhaft sind, aber vielleicht können wir den letzten Redner jetzt doch noch gemeinsam in aller Ruhe anhören. Das ist der Kollege Axel Müller von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Axel Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11004829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich fange mit dem an, was Sie gefragt haben, Herr Kollege Frohnmaier: Warum sprechen wir eigentlich über dieses Thema? Wir sprechen über dieses Thema seit zwei, drei Tagen, weil Sie kein anderes Thema haben, weil sie völlig blank sind. ({0}) Wenn ich mich an Ihr Sommerinterview zum Thema Rente erinnere, Herr Gauland, muss ich feststellen, dass Sie nichts, aber auch gar nichts zu diesem Thema zu sagen gehabt haben. ({1}) Ihre Partei hat nichts zum Klimaschutz zu sagen. Ihre Partei hat nichts Substanzielles zur inneren Sicherheit zu sagen. Sie haben kein Thema, das Sie wirklich beherrschen – außer dieses eine Thema, auf dem Sie die ganze Woche, aber auch schon seit Jahren immer herumreiten. ({2}) Am 19. September 2016 gab es die New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten. Damals stellte man in den Vereinten Nationen fest, dass man über 240 Millionen Arbeitsmigranten und fast 70 Millionen Kriegsvertriebene bzw. 3 Millionen Asylsuchende hat. Von diesen fast 70 Millionen Flüchtlingen sind im Übrigen 40 Millionen Binnenvertriebene, die gar nicht außer Landes gehen. Das muss man an dieser Stelle auch einmal sagen, weil Sie so tun, als ob Millionen Flüchtlinge nach Europa streben würden. Der Pakt ist also das Ergebnis eines zweijährigen Entwicklungsprozesses und nicht in Hinterzimmern oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit von irgendwelchen Verschwörern ausgehandelt, die nichts anderes im Sinn haben als Deutschland und seine Bevölkerung umzuvolken oder gar durch Migranten zu überfluten. ({3}) Der Kollege Hardt hat es gesagt: Was war der Auslöser? Der Auslöser war, dass seit 2017 immer wieder zum Thema wurde, dass das UNHCR die Rationen an die syrischen Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern Syriens ({4}) aufgrund mangelnder Zahlungsbereitschaft der Mitgliedsländer von 28 US-Dollar auf 21 US-Dollar pro Kopf – jetzt hören Sie genau zu, Herr Gauland! – pro Monat – pro Monat! – für einen Menschen gekürzt hat. ({5}) 21 US-Dollar! Das vervespern Sie doch in den ersten fünf Minuten einer Fraktionssitzung, wie wir gehört haben, und zwar pro Mann und pro Nase. ({6}) Ganz am Rande zur Erinnerung: Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland 10 Millionen Binnenflüchtlinge deutscher Herkunft. Welche Belastung für ein zerstörtes Land! ({7}) Das hätte Deutschland niemals bewerkstelligen können, wenn nicht die internationale Gemeinschaft Deutschland wieder auf die Füße geholfen hätte. ({8}) Staatssekretär Mayer hat es gesagt: 176 von 193 Ländern haben dem Flüchtlingspakt zugestimmt, nur die USA haben ihn abgelehnt. ({9}) Das spricht nicht gerade für dieses Land, in dem die Freiheitsrechte ihren Ursprung hatten. Das spricht vor allen Dingen gegen den US-Präsidenten. ({10}) Der Pakt will nur zum Ausdruck bringen, dass er die Sorge tragen und für Hilfe für diese Menschen sorgen will, die aufgrund von Kriegen vertrieben sind. Gerade einmal zehn Staaten auf der ganzen Welt beherbergen 80 Prozent der außer Landes geflohenen Menschen. Die Belastung von Deutschland ist noch lange nicht so hoch wie beispielsweise die von Jordanien oder vom Libanon. ({11}) Dort kommen auf 6 Millionen Menschen 1 Million Flüchtlinge bzw. auf 9 Millionen Menschen 600 000 Flüchtlinge. Deutschland liegt allenfalls unter den ersten zehn, auf Platz sechs bezogen auf die Belastung. ({12}) Was ist der Sinn und Zweck? Man will in akuten Krisensituationen künftig gewappnet sein; der Kollege Castellucci hat es zum Ausdruck gebracht. Man will vor allen Dingen verhindern, dass die Menschen sich auf den Weg nach Europa machen. Warum sollen die das denn tun? Wenn jemand im arabischen Raum geboren ist, geht der doch nicht sofort nach Europa. Der versucht doch, in den Nachbarländern Zuflucht zu finden, wo die Kultur der eigenen noch am nächsten ist. ({13}) – Nein, es sind letztendlich gerade einmal, um das aufzugreifen, 10 000 Menschen, die für ein Wiederansiedlungsprogramm überhaupt zur Verfügung stehen. 10 000 Menschen hat Deutschland aufgenommen. ({14}) Sie, Herr Kollege Frohnmaier, haben die Furcht, dass Deutschland umgevolkt wird, wenn 10 000 Menschen hier angesiedelt werden? Das ist kein Bezirk von Berlin, das sind höchstens ein paar Straßenzüge. Trotz der gewissen Verbindlichkeit, was die Organisationsform anbelangt, dass man sich alle vier Jahre bzw. alle zwei Jahre trifft, ist sichergestellt, dass der Pakt nicht rechtlich verbindlich ist. Das ist hier ausdrücklich notiert. Ich zitiere zum Schluss für den Kollegen Dr. Friesen: Die Bundesregierung – das steht in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen – strebt an, mit dem GCR – dem Flüchtlingspakt – eine rechtlich nicht bindende, aber politisch verpflichtende Grundlage zu schaffen, deren Inhalte und Ziele über das bestehende völkerrechtliche Rahmenwerk der Genfer Flüchtlingskonvention … hinaus den politischen Rahmen für eine gerechtere internationale Verantwortungs- und Lastenteilung im Flüchtlingskontext bilden. ({15}) Ich schließe mit den Worten Bertolt Brechts: Wer die Wahrheit nicht kennt, ist ein Dummkopf. Wer die Wahrheit kennt, sie aber eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher. Ich bedanke mich. ({16})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003124

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 12. Dezember 2018, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen ersten Advent. Die Sitzung ist geschlossen. (Schluss: 18.08 Uhr)